Schnellpressendruck der Buchdruckerei von J. C. Mäcken Sohn in Reutlingen. Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen . Zum Gebrauche für Vorlesungen von Dr . Friederich Theodor Vischer, ordentlichem Professor der Aesthetik und deutschen Literatur an der Universität und dem Polytechnikum in Zürich. Dritter Theil. Die Kunstlehre . Stuttgart . Verlagsexpedition der Verlagsbuchhandlung von Carl Mäcken in Reutlingen. 1857. Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen . Zum Gebrauche für Vorlesungen von Dr . Friederich Theodor Vischer, ordentlichem Professor der Aesthetik und deutschen Literatur an der Universität und dem Polytechnikum in Zürich. Dritter Theil. Zweiter Abschnitt. Die Künste . Fünftes Heft: Die Dichtkunst. (Schluß des ganzen Werkes.) Stuttgart . Verlagsexpedition der Verlagsbuchhandlung von Carl Mäcken in Reutlingen. 1857. Schnellpressendruck der Buchdruckerei von J. C. Mäcken Sohn in Reutlingen. Vorwort zu der letzten Abtheilung . ────── J ndem ich, fast eilf Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes, meine Aesthetik vollendet der Oeffentlichkeit übergebe, fühle ich mich vor Allem verpflichtet, einen Uebelstand der technischen Form dieses Werks bereitwillig zuzugestehen. Es ist die Paragraphen-Einrichtung. Ein einfacher, freilich grober Rechnungsfehler hat mich um einen guten Theil des Erfolgs meiner Arbeit gebracht. Das Werk sollte zum Gebrauch akademischer Vorlesungen, zunächst meiner eigenen dienen, die Zusammendrängung des Jnhalts in Paragraphen das Dictiren ersparen, diese sollten vorgelesen, die Anmerkungen der Erläuterung in freier Rede zu Grunde gelegt werden. Zu spät erkannte ich, daß das Buch den Umfang, der dabei vorausgesetzt war, weit überschreiten mußte; die einmal angenommene Form durfte nicht mehr verlassen werden. Sie schreckt nun wie ein eisernes Stachelgitter von den Früchten meiner Arbeit ab; die Paragraphen mußten durch die nothwendige Kürze hart, spröd im Style werden und die schwere Mühe, die sie kostete, dankt mir natürlich Niemand. Doch bleibt Ein Zweck, dem diese Einrichtung dient: die vielen Rückbeziehungen, Anführungen früherer Stellen in einem Werke, worin Alles in streng organischer Verbindung steht, sind dadurch wesentlich erleichtert, daß überall auf die scharf hervortretenden, bündigen Zusammenfassungen mit der Deutlichkeit der Zahl verwiesen werden kann. Es mag jedoch von der Härte, welche in den Paragraphen unvermeidlich war, auf die Ausführung in den Anmerkungen etwas übergegangen sein und der Styl mehr Schwere angenommen haben, als selbst der streng wissenschaftliche Charakter rechtfertigt. Der erste Theil mag zudem von der damaligen Stimmung des Verfassers nicht unberührt geblieben sein: der Vorwurf frivoler Leichtigkeit in der Behandlung der Wissenschaft kann immerhin dazu verleiten, daß man denkt, man wolle einmal zeigen, ob man es nicht auch schwer machen könne. ─ Jm Ganzen und Großen bedenke man aber wohl, daß ich durchaus kein populäres Werk schreiben wollte. Es gibt eine Gemeinfaßlichkeit edler Art, deren Werth, deren große Wichtigkeit für eine Zeit, zu deren höchsten Aufgaben es gehört, dem Geiste Schloß und Riegel zu öffnen und ihn in die Massen zu verbreiten, ich natürlich nicht bestreiten will; aber daneben bleibt eine streng esoterische Form der Wissenschaft in ihrem Recht, in ihrer Nothwendigkeit für alle Zukunft stehen. Es ist ein anderes, zweites Geschäft, die strenge Form zu sprengen und den Jnhalt an möglichst Viele auszugeben, ein Geschäft mit anderer Technik, anderen Werkzeugen, und diejenigen, die dem Arbeiter jener innersten Werkstätte vorwerfen, daß er in Formeln sich bewege, die nicht gemeinverständlich sind, kommen mir immer vor, wie Leute, die etwa dem Goldschmiede vorrückten, daß er nicht der einfachen Hämmer, Zangen, Meisel u. s. w. sich bediene, wie man sie in jedem Hause braucht und kennt. Das Ausmünzen, Verarbeiten für die Masse ist denn ein ganz ehrenwerthes, verdienstliches Geschäft, nur soll es auch redlich sein und gestehen, woher der Jnhalt geholt ist. Jch könnte hierüber allerhand erzählen, begnüge mich aber mit der Bemerkung, daß ich nicht so geizig bin, es für Diebstahl zu achten, wenn Einer nicht bei jedem Worte, das er meinem Buch entnommen, die Anführungszeichen setzt, daß aber wenigstens diejenigen Züchtigung verdienen, die einen Schriftsteller ausschreiben und ihm zum Danke dafür bei jeder Gelegenheit einen Stich versetzen. Freilich mögen sich diese Unredlichen einer ziemlichen Sicherheit erfreuen, da sie wohl wissen, daß man sich schwer entschließt, die peinliche Mühe einer genauen Constatirung des Betrugs durch actenmäßigen Nachweis zu übernehmen, und daß sie, so lange man dieß nicht thut, gegen jede Nennung protestiren können. Wenn ich aber einmal recht viel Zeit übrig habe, gedenke ich doch ein Exempel zu statuiren. ─ Jch meines Theils habe mir zur Pflicht gemacht, kein Wort eines Andern ohne Citat, und zwar, wo ich sie immer finden konnte, mit ausdrücklicher Angabe der Stelle aufzunehmen. Mein Werk sollte zugleich eine Fundgrube für die gesammte Literatur der Aesthetik, ja für Alles sein, was da und dort von einzelnen bedeutenden Gedanken über den Jnhalt dieser Wissenschaft zerstreut ist. Die Trockenheit seines Charakters ist allerdings auch dadurch, nur dieß nicht zufällig, sondern mit Wissen, verstärkt worden. Jm Uebrigen bedenke man auch billig, welch massenhafter, aufquellender Stoff zusammenzupressen war; man wird, wenn man genauer zusieht, wohl finden, wie oft ich gewaltsam anhielt, wo der Zug der Darstellung in's Weite gehen und sich der Ergießung in die gefällige Form hingeben wollte, so daß Gefahr eintrat, mehr schön, als über das Schöne zu schreiben. Niemand wird meinen, ich sei so wenig fortgeschritten, daß ich mit einer Arbeit, deren Anfang so weit hinter mir liegt, ganz zufrieden wäre. Was ich von der Kritik im Einzelnen gelernt, worin ich sie ungerecht, ja feindselig, hämisch, selbst lügnerisch gefunden, dieß auseinanderzusetzen gehört nicht in das Vorwort eines Werkes, das auf Objectivität Anspruch macht. Nur das kann ich nicht ganz unterdrücken, daß ich mich verwundert habe, die Schwächen und Mängel, die mir selbst am klarsten sich aufgedeckt haben, so wenig von Andern aufgezeigt zu sehen, während sie mir so häufig wesentliche Lücken und Fehler vorrückten, wo das Vermißte, Ergänzende, Zurechtstellende nur an andern Stellen ausgeführt ist, als an welchen sie es suchten. Uebrigens wird man nicht verlangen, daß ich über die Gebrechen, die mir zum Bewußtsein gekommen sind, hier ein Bekenntniß ablege, man wird diese Unterlassung mir mindestens dafür verzeihen, daß ich auch nicht verkündige, was nach meiner Ueberzeugung in dem Buche neu und gut ist. Nur über eine Hauptfrage halte ich für Pflicht mich hier auszusprechen. Die meisten und stärksten Angriffe hat der Aufbau meines Systems auf der Grundlage einer Metaphysik des Schönen erfahren, welche den Satz, daß das Schöne in der Auffassung und Thätigkeit des Geistes liegt, noch unentwickelt läßt; man hat mir vorgeworfen, daß ich in der Weise des Platonischen Jdealismus den Begriff hypostasire, wie ein Wesen für sich in die Luft hinstelle. Was ich schon in der Vorrede zum ersten Theile, was ich an hundert Orten im Zusammenhange des Systems zu meiner Rechtfertigung hierüber vorgebracht habe, wurde nicht berücksichtigt. Dieser Punct mag denn hier aus der Tendenz des ganzen Werks noch einmal kurz beleuchtet werden. Dasselbe arbeitet in seinem ganzen Geist und Bau gegen eine hohle, gegenstandslose, blos subjective Kunst, gegen den falschen ästhetischen Jdealismus; für ein wahres Kunstwerk wird nur dasjenige erklärt, welches in naturvollem Contacte des Künstlergeistes mit einem gegebenen, vorgefundenen Object auf dem Wege der Zufälligkeit entstanden ist; der Genius schaut in dieser Berührung durch die empirisch getrübte Gestalt der Dinge hindurch in die reinen Urtypen, auf welche das Leben angelegt ist, und dieß Schauen ist in seinem Ausgangspunct von dem Scheine begleitet, als begegnen ihm diese reinen Formen vermöge einer besonderen Gunst des Zufalls, die einem Naturschönen mangellose Entwicklung gegönnt, mitten in der empirischen Welt. Wird nun das System der Aesthetik aus der Phantasie construirt, so wird dieser freudige Schein, von dem der Künstler ausgehen soll, von vorneherein in entwickelter Weise vernichtet und stellt sich der Gang der Wissenschaft an, auf ein gegenstandloses Dichten hinzuarbeiten, das mit Willkür Gebilde aus dem Jnnern erzeugt. Daher habe ich in diesem ersten Theile wohl angelegt, aber noch nicht entwickelt, daß die reinen Typen nur scheinbar im naturschönen Gegenstand empirisch vorgefunden worden, ich habe den Begriff des Schönen metaphysisch behandelt, d. h. von dem Standpuncte, daß der Geist Schönes findet und schafft vermöge seiner Herkunft aus dem allgemeinen Lebensschooße, in welchem auch die reinen Urgestalten schweben, die allen Gebilden der Außenwelt zu Grunde liegen. Jn diesem allgemeinen Substrate, in diesem Urgrunde verweilt der erste Theil, darum heißt er metaphysisch, daher trennt er noch nicht, unterscheidet noch nicht ausdrücklich, wie viel Antheil an der Erzeugung des Schönen der thätige Geist, wie viel das empirische Object hat, daher gesteht er noch nicht förmlich, daß das eigentlich Schaffende jener, dieß blos das Weckende und der Stoff ist. ─ Ein weiterer Grund für diese Anlage des Systems liegt in den gegensätzlichen Formen des Schönen, dem Erhabenen und Komischen. Die Auffassung im Sinne der einen oder andern dieser Formen geht bald nur vom Künstler und seiner Stimmung aus, bald aber zwingt ihn der Gegenstand; es gibt Erscheinungen, die ebensogut anmuthig, als erhaben oder komisch, es gibt aber auch solche, die nur entweder anmuthig, oder erhaben, oder komisch gefaßt werden können: daraus folgt, daß diese großen Unterschiede in einem allgemeinen, abstracten Gebiet außerhalb und vor denjenigen Gebieten behandelt werden müssen, wo das Schöne ausdrücklich zuerst im Objecte, dann im Subjecte gefunden wird, d. h. daß sie in einer Metaphysik des Schönen ihren Platz fordern. So liegt die Sache; mag man diese Gründe widerlegen, bis jetzt hat man sie meines Wissens noch nicht einmal bedacht. Eine schwere Beichte aber muß ich hier ablegen: die Lehre von der Musik ist nur im ersten, allgemeinen Theile (§. 746 ─ 766) und in dem Anhange von der Tanzkunst (§. 833) von mir ausgeführt. Ein Freund, der philosophische Bildung mit tieferer Kenntniß der Musik vereinigt, Dr . Carl Köstlin, Professor in Tübingen, auf theologischem Gebiete durch historisch kritische Arbeiten ehrenvoll bekannt, neuerdings durch philosophische Vorträge auf der genannten Universität mit Beifall und Erfolg thätig, hat die übrigen Theile übernommen und im Anfange seiner Arbeit einiges freundlich überlassene Material von einem in die physikalischen Grundlagen und das technische System der Musik noch spezieller Eingeweihten, der nicht genannt sein will, benützt. Der Entschluß wurde von beiden Seiten nicht früher gefaßt, als bis sich bei unsern Besprechungen ergeben hatte, daß Prof. Köstlin mit meinen Grundgedanken, insbesondere mit meiner leitenden Jdee eines Gegensatzes von zwei Stylprinzipien, der alle Künste und ihre Geschichte beherrscht, sich in völliger Uebereinstimmung fand. Er hat sich, wie ich, zur Aufgabe gemacht, den Begriff ganz in das Concrete hineinzuarbeiten, durch die Elemente, Formen, Zweige der Musik vollständig und systematisch durchzuführen, und er muß bei solcher Natur seiner Arbeit ebenso lebhaft, als ich bei der meinigen, wünschen, daß man das Ganze liest, ehe man es beurtheilt. Jch hoffe, daß der Unterschied der zweierlei Hände nicht allzufühlbar sein, sich nicht als störende Kluft darstellen werde; ich kann freilich nicht die Verantwortung für jedes Einzelne übernehmen, aber ich freue mich, durch eine Kraft von solcher Tiefe, Fülle, Schärfe und Feinheit des Eindringens unterstützt worden zu sein. Ganz ruhig ist mein Gewissen allerdings nicht dabei, daß ich dieser Unterstützung bedurfte; ich bekenne hier eine tiefe und traurige Lücke in meiner Bildung. Jch habe in dem Alter, wo man es soll, weil man es kann, keine Musik gelernt; es war ein Versäumniß in meiner Erziehung. Allerdings hätte ich wohl in den späteren Jugendjahren mehr Willen und Beharrlichkeit gehabt, das Versäumte nachzuholen, wenn nicht Alles an einem tödtlichen Grauen vor Noten gescheitert wäre. Man versichert mich, daß ich ganz richtig höre, ich freue mich an der Musik, ich glaube Manches, weit mehr, als in jenem von mir ausgeführten Theil, über sie sagen können, und ich darf anführen, daß ein Kenner mir seine Verwunderung darüber ausgedrückt hat, wie erträglich die Ausführung der ganzen Lehre von dieser Kunst mir in den akademischen Vorlesungen gelungen sei. Jch bin aber allerdings mehr auf das Auge, als auf das Ohr angelegt und noch bestimmter muß ich bekennen, zu den unmathematischen Naturen zu gehören. So lernte ich denn kein Jnstrument und ein letzter, ganz später Versuch, mir theoretisch das Verständniß der Zeichenschrift der Musik anzueignen, war vergeblich. Wer aber keine Noten, kein Jnstrument versteht, hat ein für allemal kein Recht, über Musik zu schreiben; was er immer über sie gedacht haben mag, er würde bei jedem Schritt auf das Concrete stoßen, das er nicht berühren darf; ich wollte und konnte einen solchen Eiertanz nicht auf mich nehmen. Jch hatte nun die Wahl, entweder den Abschnitt über die Musik auf das Wenige zu beschränken, was ich gegeben, und so die Symmetrie meines Werkes zu opfern, oder dieselbe um den Preis zu retten, daß ich eine fremde Hand zu Hülfe rief. Der deutsche Sinn für Vollständigkeit und Ebenmäßigkeit zog das Erstere vor. Sagt man mir nun, wem es in einem so wesentlichen Stück fehle, der sei nicht berechtigt, eine Aesthetik zu schreiben, so muß ich es mir gefallen lassen und kann nur bedauern, daß es dennoch geschehen ist. ─ Auf dem Titel der Abtheilung von der Musik ist der Name meines Mitarbeiters nur darum nicht genannt, weil sich keine Bezeichnung darbot, welche in der Form und Kürze, wie es für diesen Zweck gefordert ist, seinen Antheil von dem meinigen unterschied. Zürich im Januar 1857. Fr. Vischer . Jnhaltsverzeichniß. ────── Dritter Theil. Die subjectiv-objective Wirklichkeit des Schönen oder die Kunst . Zweiter Abschnitt. Die Künste. Dritte Gattung. Die subjectiv=objective Kunstform oder die Dichtkunst. §§. Seite. a . Das Wesen der Dichtkunst . α . Ueberhaupt 834─845 1159─1195 β . Die einzelnen Momente. Das Stylgesetz. Verhältniß zu der Musik 846 1196─1199 ─ zu der bildenden Kunst 847 1199─1204 ─ zu der Prosa 848 1205─1211 Die zwei Stylprinzipien: directer und indirecter Jde= alismus 849 1211─1215 Der sprachliche Ausdruck 850 ff. 1215 ff. Die Mittel der Veranschaulichung (Tropen) 851─852 1219─1232 Die Mittel der Stimmung (Figuren) 853 1232─1234 Gegensatz der Style 854 1234─1238 Die Rhythmik. Grundbestimmungen 855─858 1238─1246 Die Rhythmik des direct idealen, classischen Styls 859 1246─1250 ─ ─ des indirect idealen, charakteristischen Styls 860 1250─1258 Die Composition 861 1258 b . Die Zweige der Dichtkunst . Eintheilungsgründe 862─864 1259─1264 α . Die epische Dichtung. 1. Jhr Wesen. Grundbestimmung 865 1265─1266 Die epische Weltauffassung 866─868 1266─1275 Der epische Dichter. Das Stylgesetz 869 1275─1278 §§. Seite. Die Composition 870 1278─1283 Werth und logische Stellung 871 1283─1285 2. Die Arten der epischen Poesie. Die zwei Hauptformen 872 1285 Das Epos des idealen Styls oder das (orientalische und) griechische 873 1285─1289 Styl-Unterschied innerhalb desselben. Jdyll 874 1289─1291 Das römische Kunst-Epos 875 1291─1292 Das persische und das deutsche Heldengedicht des Mittelalters 876 1292─1295 Das romantische Epos. ─ Legende. ─ Mährchen 877 1296─1300 Das religiöse und weltliche Epos der Jta= liener 878 1300─1303 Die epische Dichtung des modernen, charakteristischen Styls oder der Roman 879─880 1303─1310 Eintheilung nach Stoffgebieten: der aristokratische, der Volks roman, der bürgerliche, histo= rische, soziale 881 1310─1315 Eintheilung nach Stimmungs-Unterschieden: der ernste und komische, der sentimentale Roman 882 1315─1317 Die Novelle. Die moderne Jdylle 883 1317─1321 β . Die lyrische Dichtung. 1. Jhr Wesen. Grundcharakter 884─886 1322─1333 Styl, Composition 887 1333─1338 Rhythmische Form 888 1338─1341 2. Die Arten der lyrischen Dichtung Eintheilungsgrund 889 1342─1345 Die Lyrik des Aufschwungs: das Hymnische, Dithyramb, Ode 890 1345─1351 Die reine lyrische Mitte: das Liederartige 891 1351─1354 Styl-Unterschied. Volks poesie und Kunst poesie 892 1354─1358 Objective Formen. ─ Ballade und Romanze 893 1358─1367 Die Lyrik der Betrachtung: Elegie, orienta= lische Lyrik, romanische Formen ( Sonett ), Epigramm u. s. w. 894 1367─1374 γ . Die dramatische Dichtung. 1. Das Wesen derselben. Grundbestimmung 895─896 1375─1381 Die dramatische Weltauffassung 897─900 1381─1389 Der dramatische Styl 901 1389─1394 Die dramatische Composition 902 1394─1403 Werth des Drama's im Verhältniß zum Epos 903 1403─1405 2. Die Arten der dramatischen Poesie. Der Stylgegensatz 904 1406─1408 Die classische Tragödie und Komödie 905─906 1408─1412 Das moderne Drama 907 1413─1416 Wechselwirkung und bleibender Unterschied der Style 908 1417─1419 §§. Seite. Haupt-Eintheilung: tragisch und komisch 909 1419─1420 Tragödie. Eintheilung derselben nach dem Stoff: sagenhaft heroisch, bürgerlich, privat 910 1421─1423 Nach der Seite der Auffassung: Prinzi= pien= und Charakter= Tragödie 911 1423─1426 Verhältniß dieser Unterschiede zu einander 912 1426─1428 Verhältniß derselben zum Stylgegensatze 913 1428 Unterschied des negativ und positiv Tragischen 914 1429─1430 Komödie. Eintheilung derselben nach dem Stoffe: politisch, bürgerlich, privat. Die my= thische Form 915 1431─1433 Nach der Seite der Auffassung: Charak= ter= und Jntriguen= Lustspiel 916 1433─1436 Verhältniß zum Stylgegensatze 917 1436─1439 Annäherung an die Tragödie mit glücklichem Ausgang 918 1439─1441 Verhältniß zu den Hauptformen des Komischen. Volks-Lustspiel und Lustspiel der Kunstpoesie; Posse 919 1441─1443 Werth der Komödie im Verhältniß zur Tragödie 920 1443─1446 Anhang zu der Lehre von der dramat. Dich= kunst: die Schauspielkunst . Die Mimik 921 1447─1453 Die Bühne 922 1453─1455 Anhang zu der Lehre von der Dichtkunst überhaupt. Satyrische, didaktische Poesie, Rhetorik . Charakter des Grenzgebiets im Allgemeinen 923 1456─1457 Die Satyre; negative, indirecte und positive, directe Form 924 1458─1462 Die didaktische Poesie. Epische Formen: Beispiel, Parabel, Fabel und beschreibendes Gedicht. Thier-Epos. Lyrische und dem Dramatischen ver= wandte Formen. Das eigentliche Lehrgedicht 925 1462─1472 Die Tendenzpoesie und Rhetorik 926 1472─1474 Druckfehler . Theil I . Seite Zeile 5. 10 v. u. statt: cognitatio lies: cognitio 35. 9 v. o. st. Geistet l. Geiste, 35. 10 v. o. st. ausgebilde l. ausgebildet 54. 10 v. o. streiche das Komma nach: das 54. 11 v. o. setze ein Komma nach: erschiene 88. 9 v. u. st. die l. dieß 89. 19 v. o. st. gibt l. gilt 105. 6 v. o. st. Dürr l. Dürer 105. 6 v. o. st. Lamozzo l. Lomazzo 110. 6 v. o. st. Lamozzo l. Lomazzo 110. 6 v. o. st. Nic, l. Nic. 126. 15 v. u. streiche: nämlich 126. 11 v. u. st. subjectiv l. objectiv 142. 15 v. o. st. sie l. es 149. 12 v. o. st. befreiten l. befreien 149. 14 v. o. st. befreiten l. geläuterten Seite Zeile 173. 13 v. u. statt: auf lies: auch 199. 11 v. o. streiche „ nicht “ nach „ läßt sich “ und setze es nach „ aber “ 203. 11 v. u. st. Ring l. Reiz 210. 6 v. o. nach „Jdee“ setze: der Einheit 224. 1 v. o. nach „stärkere“ setze ein Komma. 260. 4 v. o. st. Weislinger l. Weislingen 275. 19 v. o. st. Vermögens l. Vergnügens 277. 9 v. o. st. Jn l. Je 321. 18 v. u. st. Kampfwuth l. Kampfmuth 341. 16 v. o. st. Todel l. Tadel 419. 10 v. o. st. welche l. welchen 467. 5 v. o. st. Dichtens l. Denkens 469. 15 v. o. st. mag l. muß Theil II . Seite Zeile 78. 2 v. o. statt: Klängen lies: Klänge 116. 20 v. o. st. nun l. nur 297. 19 v. o. st. arbeitet l. darbietet 317. 19 v. o. st. Freude l. Schmerz 321. 3 v. o. st. Anderew l. Anderem 347. 19 v. o. st. dieselke l. dieselbe 348. 16 v. u. st. meinen l. meisten 358. 2 v. u. st. ρωγράφος l. ζωγράφος 359. 12 v. u. st. ἐριννύαϛ l. ἐριννύας Seite Zeile 363. 13 v. o. statt: natur lies: natur= 386. 19 v. u. st. Aber l. Oder 442. 3 v. u. st. Politheismus l. Polytheismus 459. 7 v. o. st. 4 l. 2 489. 9 v. o. st. Gleiche l. gleiche 509. 15 v. o. st. innere l. moderne 513. 15 v. o. st. ziehen l. zu ziehen 513. 1 v. u. st. komm l. kommt Theil III . Seite Zeile 28. 21 v. o. statt: dieser nicht, lies: dieser, nicht 47. 21 v. o. st. fasset l. faselt 83. 4 v. o. st. nach l. auch Seite Zeile 134. 8 v. u. statt: prachliebenden lies: prachtliebenden 175. 12 v. o. st. ungeschaffene l. umgeschaffene Seite Zeile 189. 18 v. u. statt: §. 555 lies: §. 550 197. 16 v. u. st. hingesteckten l. hingestreckten 200. 14 v. o. st. kleiner l. kleinen 203. 1 v. o. st. 303 l. 203 240. 9 v. o. st. und l. der 244. 18 v. o. st. Kapitel l. Kapitell 365. 10 v. u. st. subjectiver l. subjective 371. 3 v. o. st. reell l. real 439. 17 v. u. st. nathropologischer l. anthropologischer 490. 7. v. o. st. Pisa l. Florenz 662. 10 v. u. st. unbenanten l. unbenannten 723. 4 v. u. st. Schutzwetzr l. Schutzwehr 777. 9 v. u. st. nun l. nur 786. 3 v. u. st. Mutter l. Mitte 799. 12 v. u. st. dann l. denn 800. 16 v. o. st. uns l. was 803. 2 v. u. nach: „liegen“ setze ein Komma. 807. 5 v. o. st. binden l. Binden 808. 12 v. o. st. Strömungs l. Stimmungs = 808. 18 v. u. st. Resonnanz l. Resonanz 818. 16 v. o. streiche das Wort: Ton 819. 1 v. u. nach: „unbefriedigende“ setze ein Komma. 821. 1 v. u. st. unendlichen l. unendlicher 823. 18 v. o. st. die l. der Seite Zeile 823. 8 v. u. statt: einem lies: seinem 827. 2 v. u. st. und an dem l. nur an dem 828. 11 v. o. nach „Sinnlichen“ streiche das Komma. 836. 8 v. u. nach „Melodie“ streiche das Komma. 838. 13 v. o. nach „weil“ setze: er 838. 18 v. o. streiche: „auch“ 838. 19 v. u. st. das l. der 839. 19 v. o. nach „Ausgebreiteten“ setze ein Komma. 907. 6 v. u. st. Vorschieben l. Verschieben 1153. 14 v. u. st. dann l. denn 1154. 13 v. u. nach „Zeit“ streiche das Komma 1157. 14 v. o. nach „Grazie“ setze ein Komma. 1180. 9 v. u. st. flüchtigen l. flüssigen 1204. 4 v. o. st. Zuge l. Gange 1209. 15 v. u. st. nur l. aus 1212. 8 v. u. nach: 506) setze ein Komma. 1222. 9 v. u. st. harmonisch l. homerisch 1236. 4 v. u. st. Btick l. Blick 1248. 20 v. o. st. anatamischen l. anatomischen 1317. 9 v. o. st. exotischen l. erotischen 1328. 21 v. o. st. anschließt l. anschießt 1333. 12 v. u. st. Atmösphäre l. Atmosphäre 1345. 1 v. u. st. eigenthümliche l. eigentliche 1370. 8 v. u. st. Sinnen l. Sinne Dritte Gattung . Die subjectiv=objective Kunstform oder die Dichtkunst. a . Das Wesen der Dichtkunst . α . Ueberhaupt. §. 834. D ie Kunst hat nunmehr alle Seiten der Erscheinung und der Art ihrer Auffassung isolirt, welche überhaupt isolirt werden können. Jede dieser Beschränkungen hat mit ihrem Werth auch ihre Mängel und Nachtheile geoffenbart (vergl. §. 533); die letzte derselben, die Musik, hat mit der Form der Bewegung von der subjectiven Welt Besitz genommen, aber die ganze objective geopfert; die Nothwendigkeit des Schritts (vergl. §. 746), wodurch diese wieder gewonnen und mit dem ganzen Reichthum der ersteren vereinigt werden soll, hat sich nachdrücklich hervorgestellt. Das Gesetz, das uns im wissenschaftlichen Gange vorwärts treibt, ist in dem angeführten §. 533 aufgestellt und erläutert. Es hat nun die bildende Kunst das Object, d. h. die Welt als körperliche, sichtbare Realität, im Raume nachgebildet und dem Auge vorgeführt; ihre Darstellung war zuerst räumlich im engsten Sinne des Worts, indem sie die Bewegung, welche den Raum in der Zeit überwindet, überhaupt nicht zum Gegenstand ihrer Nachahmung machte, sondern nur die bewegungslose Masse zu reinen Verhältnissen ordnete: als Baukunst; sie hat organisch sich Bewegendes nachgebildet, aber ohne die Bewegung wirklich in ihr Werk aufzunehmen, und sie hat zugleich von den Momenten, die das Sehen in sich begreift, dasjenige, das sich auf die Form im engeren Sinne des Worts bezieht, das tastende Verhalten des Auges isolirt: als Bildnerkunst; sie hat die dargestellte, aber nicht eigentlich nachgeahmte Bewegung beibehalten und das bewegte Leben in ungleich reicherem Umfang, mit unendlich vertieftem und erweitertem Ausdruck dem Auge in der Totalität seines Wahrnehmens geboten, wie es mit der Form die Verhältnisse des Lichts und der Farbe erfaßt: als Malerei. Hiemit ist Alles erschöpft, was im Raum ohne wirkliche Bewegung dargestellt werden kann; eine Verbindung der letzteren aber mit der räumlichen Darstellung ist, wie wir sahen, nur möglich durch Verwendung lebendigen Naturstoffs in der blos anhängenden Kunstform der Gymnastik (ebenso der Orchestik). Jede der einzelnen Beschränkungen in dieser Folge der Künste erreichte durch ihr Verzichten ein relativ Vollkommenes und deckte doch zugleich ihren tiefen Mangel auf. Dieß trieb mit Nothwendigkeit zur Musik. Wir haben gesehen, was diese gewinnt und verliert, indem sie die Welt der Jnnerlichkeit, das subjective Leben, in der Form der reinen Bewegung, d. h. so ausspricht, daß das geistige Zeitleben im Zeitleben des Darstellungsmittels seinen Ausdruck findet, aber keine sich bewegende Gestalt, kein räumliches Subject einer Bewegung zu sehen ist. Erst jetzt vermochte die Kunst das innerste Geheimniß der Dinge, wie es vom Menschen durch lebensvolle Sympathie mit der Welt in seinen Busen hereingenommen wird, jenes Geheimniß, das still über den Gestalten der bildenden Kunst schwebt, ihnen und dem Zuschauer auf der Zunge liegt und sich nicht lösen kann, zu entbinden und zu verrathen, und doch wußte sie es nur auszuhauchen, nicht zu nennen, denn mit dem Sichtbaren hatte sie die Fähigkeit geopfert, überhaupt einen Gegenstand anzugeben; sie war ganz Gefühl und stand still an der Schwelle des Bewußtseins. Das Gefühl haben wir aber als jene lebendige Mitte des Geisteslebens erkannt, welche stetig in das bewußte Verhalten übergeht; es war nicht nur die volle Empfindung des Mangels da, sondern positiv war es uns, als müsse er jeden Augenblick sich tilgen, das Object schwebte stets in die nächste Nähe heran, ja die ganze Kunstform verband sich mit der Sprache des Bewußtseins, mit dem Worte, um ihrem tief gefühlten Mangel abzuhelfen, freilich wieder mit einem Opfer, denn eben die Jsolirung der Erscheinungsseiten in der Kunst begründet ja auf der einen Seite die Vollkommenheit ihrer Sphären und die selbständige Musik mußte daher für reiner erklärt werden, als die begleitende. Der Fortgang nun, wodurch die Lücke gefüllt werden soll, welche auch diese neue, so reiche und tiefe Kunstform zurückgelassen hat, muß sich von den bisherigen Schritten, die von der einen zu der andern Kunst überführten, wesentlich unterscheiden. Dort bestand das Neue nicht darin, daß je die neue Kunstform, um dem Mangel der in der logischen Folge vorhergehenden abzuhelfen, auf eine noch hinter dieser liegende Hauptform zurückgriff, sondern sie behielt zwar etwas von der vorhergehenden (wie die Plastik von der Baukunst das schwere Material, die massiv räumliche Darstellung und die Strenge der Verhältnisse, die Malerei von jener das Gewicht der Form in Zeichnung und Modellirung, die Musik von allen dreien die in ihren Darstellungen schlummernde Stimmung), aber sie erfaßte zugleich eine neue Seite des Erscheinungslebens, wodurch denn das Behaltene zugleich wesentlich verändert wurde. Die Poesie aber greift, um das, was sie von der Musik behält, zu ergänzen, ─ wodurch sie es natürlich ebenfalls wesentlich verändert, ─ zurück nach dem Sichtbaren, dem Gebiete der bildenden Kunst. Freilich auch diese wieder ergriffene Seite der Welt wird sie, verglichen mit der Behandlung, die ihr in der bildenden Kunst widerfährt, auf's Tiefste verändern, eben weil sie, was die Musik gewonnen hat, hinzubringt; ja in gewissem Sinne ist es ganz und schlechthin Neues, in keiner von diesen zwei Hauptgattungen der Kunst Dagewesenes, was mit ihr in die ästhetische Welt eintritt, allein es ist nur Neues aus Erscheinungsgebieten, welche vorher in engeren Schranken der Kunst sich eröffnet haben, kein neues Erscheinungsgebiet, keine neue Kategorie des Daseins wird erobert. Einfach, weil es nichts mehr zu erobern gibt, weil kein Erscheinungsgebiet mehr übrig ist. Wir sind daher an der letzten Gattung der Kunst angekommen. Der Fortgang ist ein Rückgang, die Linie läuft als Kreis in sich zurück. Es ist aber dieß Rückgreifen nicht nur ein Nichtanders-Können, es ist eine positive, innere Nothwendigkeit, denn alles Sein der Jdee ist zunächst Sein im Raume, räumliche Existenz ist die vorausgesetzte Grundlage innerlicher, geistiger Existenz, eine Grundlage, welche die Musik sich unter dem Fuße weggeschoben hat; vergl. §. 746, wo überhaupt der Schritt zu der Musik gar nicht vollzogen werden konnte, ohne sogleich auf die Poesie vorwärts hinüberzuweisen. §. 835. Durch diese Aufgabe ist gefordert, daß die Phantasie diejenige Art ihrer Thätigkeit in Wirkung setze, worin sie sich nicht auf das eine oder andere ihrer Momente, sondern auf die ganze ideal gesetzte Sinnlichkeit und auf das Jnnerste und Reinste ihres Wesens, auf die tiefste Vergeistigung aller ihr zugeführten Bilder stellt: die dichtende Phantasie (vergl. §. 404. 535). Der Dichter soll die Wirkung auf das Auge mit der Wirkung auf das Gehör (das Letztere keineswegs blos dadurch, daß er sich durch sein Kunstmittel an dasselbe wendet,) vereinigen, er soll zu allen Sinnen sprechen. Vor Allem muß er daher selbst mit allen Sinnen schauen. Dieß thut aber jeder Künstler; es muß also seinen Grund in der Organisation der Phantasie haben, wenn der eine diese, der andere jene Seite der Erscheinung, die er doch sinnlich mitauffaßt, in demselben Act ausscheidet, um sich auf eine bestimmte zu isoliren, wenn dagegen die Auffassung des Dichters sich in das Ganze der Erscheinung legt. Dieser Satz ist hier aus der Lehre von der Phantasie ausdrücklich wieder aufzunehmen, welche in §. 404 auf Grundlage der Darstellung des Wesens derselben jene innern Unterschiede aufgeführt hat, die darauf beruhen, daß die Phantasie als Ganzes sich entweder auf den Standpunct des einen oder andern ihrer Momente stellt oder in den Jnbegriff dieser Momente legt; und darauf eben beruht ja die Theilung der Kunst in Künste (§. 535). Es sind aber in §. 404 zwei Linien der Eintheilung aufgestellt, welche entsprechend nebeneinander laufen: die eine, ebengenannte, ist genommen aus den Weisen des Verhaltens zum äußern Object, welche der innerlich frei gestaltenden Thätigkeit vorausgesetzt sind, die andere aus dieser selbst; so gründet sich die bildende Phantasie auf den Standpunct der Anschauung in der ersten, auf den der Einbildungskraft in der zweiten Linie, die empfindende auf die Seite der innigen, mit dem Gehörssinn auffassenden Aneignung des angeschauten Gegenstands in der ersten, auf die Stimmungsseite der Begeisterung in der zweiten; was nun die dichtende betrifft, so ist jetzt genauer zu bestimmen, wie es hier mit den zwei Begründungslinien sich verhalte. Der geborene Dichter schaut denn allerdings zum Voraus anders an, als der bildende Künstler und der Musiker; Gestalt und Ton, jede Bewegung, jede Aeußerung des Lebens umfaßt er, wie schon gesagt, mit gleich aufmerksamen Sinnen. Allein schon in §. 404 ist zu der Bestimmung: „die ganze ideal gesetzte Sinnlichkeit“ gefügt „und die reichste geistige Bewegung aller ihrer Mittel.“ Der Künstler, der sich nicht auf einen bestimmten Sinn isolirt, sieht es schon in seiner Auffassung auf eine Kunst ab, welche, weil dem äußern Sinne niemals alle Erscheinungsseiten zugleich dargestellt werden können, nur für den innern darstellt und die Totalität der Erscheinung wesentlich in geistige Einheit zusammenfaßt, das Ganze des Lebens, ergriffen im geistigen Centrum, nachbildet. Von diesem Centrum laufen die Strahlen in gleicher Kraft nach allen Seiten der Erscheinung; jede Weise, sie wahrzunehmen, kann bedeutend werden, ist bedeutend, jeder Punct der Peripherie führt in das Jnnere, jeder Nerv betheiligt sich in der Aufnahme. Also nur darum ist hier die ganze Sinnlichkeit berechtigt und berufen, weil sie schon als Sinnlichkeit Alles geistig betont, weil jeder ihrer Töne unmittelbare Resonanz im Geiste hat, weil in jedem Ergreifen des Gegenstands die Tiefe dieser Beziehung vorbehalten ist, ja miterfolgt. Dieß ist eben dadurch bereits ausgesprochen, daß der Dichter die subjective Jnnerlichkeit der Musik mit der objectiven Gestaltung der bildenden Kunst vereinigen soll. Sehen wir nun genauer auf jene zwei Linien zurück, so ist die ganze Sinnlichkeit, womit der Dichter anschaut, darum bereits auch die verinnerlichte, ideal gesetzte, also die Einbildungskraft, weil die Totalität der Anschauung sogleich in der Bedeutung vor sich geht, daß sie ohne jede äußere Gegenwart des Objects das Bild bewahren und im Zuhörer hervorrufen muß. Das innere Bild soll aber in emphatischem Sinne vergeistigt, also von der eigentlich Jdeal=bildenden Phantasie verarbeitet werden. So ruht die dichtende Art der Phantasie gleichmäßig auf diesen beiden Linien: auf der ganzen Sinnlichkeit, die als Einbildungskraft zur innerlichen wird, und auf dem intensiv reinsten Thun der Phantasie. Trat in der Begründung der bildenden Phantasie die Einbildungskraft in zweiter Linie ebenfalls auf, so lag hier das Gewicht auf der Objectivität des innerlich vorschwebenden Bildes im Gegensatze gegen das bildlose Empfinden; tritt sie jetzt in erster Linie, sofern nämlich die Totalität der Sinnenwahrnehmung unmittelbar in sie überleitet, wieder auf, so liegt der Nachdruck eben auf der Vollständigkeit, womit alle äußeren Sinne in ihr auf innerliche Weise, in Abwesenheit des Gegenstands, der Seele das Bild vorführen, das durch ihre Thätigkeit erfaßt wird, denn die Einbildungskraft sieht nicht nur, sondern hört auch, tastet, schmeckt, riecht innerlich. Nun aber ist allerdings das Thun der Einbildungskraft noch kein Läutern der Erscheinungen zum Ausdruck der reinen Jdee, daher ergänzt sich die Begründung dahin, daß die dichtende Phantasie auf die Phantasie selbst im engsten Sinne des Worts, auf die reine, Jdeal=bildende Formthätigkeit gestellt ist. Alle Arten der Phantasie müssen zwar zu dieser Höhe des Thuns sich erheben, wenn sie ächte Kunstwerke hervorbringen wollen, sie müssen ein reines, ideales Bild geistig im Jnnern erzeugen, aber während die andern dieß Bild im äußeren Stoff niederlegen, bleibt es bei dem Dichter im Mittheilen nach außen geistig, innerlich: daher ist sein Element wie das keines andern Künstlers die innere Jdealbildung; daher haben wir die dichtende Phantasie die Phantasie der Phantasie genannt. §. 836. Soll nun die dichtende Phantasie ihr inneres Bild in Kunstform darstellen und hiemit den vollen Schein der Dinge vorführen, so muß sie nothwendig auf alles Material, auch auf diejenige Beziehung zu einem solchen, die in der Musik noch besteht (vergl. §. 759. 767, 3.), verzichten (vergl. §. 533. 534) und sich statt dessen eines bloßen Vehikels bedienen. Dieß kann nur der articulirte Ton, die Sprache sein, als das Mittel, wodurch der Dichter das Bild, das er in sich selbst erzeugt hat, im Jnnern desjenigen hervorruft, an den er sich wendet, also mit Phantasie in Phantasie thätig ist. Jn engerem Sinne, als bei der Musik, ist daher die Phantasie, in welche der Dichter das Gebilde der seinigen überträgt, das eigentliche Material, in welchem er arbeitet. Jn §. 533. 534 ist gezeigt, daß die Kunst in stufenförmigem Gange je das Material, worin das Leben umfassender und tiefer zur Darstellung gebracht werden kann, an die Stelle des beengenderen setzt, bis endlich alles Material, weil sein Charakter wesentlich die sinnliche Ausschließlichkeit ist, abgeworfen wird, und es ist nachgewiesen, daß daraus zunächst eine Zweitheilung der gesammten Künste entsteht, indem der Gruppe derselben, welche sich sinnlichen Materials bedient, eine Kunst gegenübertritt, welche dieses Band zerschneidet. Darauf ist dann in §. 535 die Dreitheilung eingeführt durch diejenige Kunstform, welche den Moment des Uebergangs zu dieser völligen Lösung darstellt, indem sie ein sinnliches Material noch verwendet, aber nur als Voraussetzung, d. h. nur, um ihm das rein Bewegte, schon der Zeitform Angehörende, den Ton, zu entlocken. Daß nun die Abwerfung alles eigentlichen Materials mit der Poesie eintreten muß, folgt eben daraus, daß sie für alle Sinne und daß sie sowohl das innere, als das äußere Leben darstellt. Es ist schon bei der Verbindung von Künsten untereinander (§. 544) berührt, daß es Unnatur ist, Poesie, Musik und Malerei vereinigen zu wollen, der Unsinn der Verbindung voller Farbenwirkung und Formwirkung ist bei den bildenden Künsten nachgewiesen. Der bloße Versuch, sich ein Werk der Kunst vorzustellen, worin die Erfassung des Gegenstands nach sämmtlichen Seiten der Erscheinung sich an ein Material bände, hebt sich von selbst auf: nachgeahmte Figuren, welche völlige Farbe haben, sich bewegen, singen, sprechen, dazu wirklich bewegte Lüfte, Wasser, Pflanzen, und auch diese in allen Verhältnissen des Lichts und der Farbe, sind undenkbar. Die Kunst, die auf der ganzen innerlich gesetzten Sinnlichkeit ruht, kann sich auch nur an diese wenden, der volle Schein kann nur in der Einbildungskraft des Zuhörers oder Lesers hervorgerufen werden. Auch die bedingte Beziehung der Musik zu einem Körper als Material fällt daher weg: das Schöne kann mit dem, wodurch es vermittelt wird, nicht ebenso unmittelbar Eines sein, wie in der Musik mit dem Tone, den sie durch Anschlagen eines Körpers hervorbringt. Will ich nun, daß im Jnnern derjenigen, an die ich mich als Künstler wende, das Bild entstehe, das ich in meinem Jnnern trage, so bleibt als Mittel, als tragendes, überführendes, von meinem Jnnern zu dem des Andern überleitendes Medium, d. h. als Vehikel, nur die Sprache übrig. Die Sprache ist ein System articulirter Töne; die Zusammenschließung der Vocale durch Consonanten entnimmt den Ton dem bloßen Weben der Empfindung, bildet ihn im Worte zum Ausdruck des Bewußtseins, des Begriffs. Bewußtsein, Begriff: dieß bedeutet uns hier zunächst nur: Angabe bestimmter Objecte; wir untersuchen noch nicht die schwierige Frage, in welchem Sinne der Dichter allerdings auch an das Bewußtsein als eigentliches Denken des Allgemeinen sich wende. Die Sprache ist nun zwar schlechthin ein Verallgemeinern und das Wort als solches gibt nie ein eigentliches Dieses, ein empirisch Einzelnes an, denn das Erzeugen von Lautzeichen, wodurch jedes Object ohne sinnliche Aufweisung kennbar gemacht wird, setzt ja eben voraus, daß durch Zusammenfassung der Vielheit empirischer Jndividuen der Begriff, das Allgemeine gebildet sei, und der ursprüngliche symbolisch bildliche Charakter der Laute und Schriftzeichen ist in der entwickelten Sprache nothwendig und mit Recht vergessen, dem reinen Mechanismus gewohnter Verknüpfung des Jnhalts mit dem Worte gewichen. Allein die Abstraction des Denkens, wie es sich in der Sprache darstellt, ist keine absolute: die Einbildungskraft begleitet sie und erzeugt sich einen Auszug aus der unbestimmten Vielheit des Einzelnen, ein Bild der Gattung, das nun den Begriff derselben, wie er im Wort als mechanisirtem Zeichen gegeben ist, umschwebt: was man in der Psychologie Denkbild genannt hat. Die Selbstbeobachtung sagt Jedem, daß mit dem Worte, wie es vernommen oder gelesen wird, eine sinnliche Vorstellung vor seinem Jnnern steht, bei dem Wort Mann ein Mann, Baum ein Baum u. s. w. Der Dichter kann also mit dem Vehikel der Sprache überhaupt auf das innere Schauen wirken, es hervorrufen, sie ist sein elektrischer Telegraph, durch den er sein Bild zu dem hinüberströmen läßt, für den er dichtet. Dieß bedarf allerdings einer eingreifenden näheren Bestimmung. Jenes Denkbild, das mit dem vernommenen Worte wie durch einen Zauberschlag innerlich entsteht, hat an sich weder die Kraft der Jdealität, noch der Jndividualität mit dem ästhetischen Bilde gemein, es ist blaß, verschwommen und zur äußersten Unbestimmtheit zerfließt es bei den Wörtern, welche abstracte Begriffe im engeren Sinne bezeichnen, obwohl auch sie ursprünglich andere, concrete Bedeutung hatten. Die Aufgabe des Dichters fällt in den Mittelpunct dieses Verhältnisses zwischen Sprache und innerem Bild hinein: er hat die Sprache so zu verarbeiten, daß er das Denkbild zum Jdealbild erhebt, dem ganz Abstracten seine Beziehung zum Sinnlichen zurückgibt, ebensosehr aber, daß er in dieser Rückbildung zum Sinnlichen und durch dieselbe die Energie des Allgemeinen vielmehr gerade verdoppelt. Wie er dieß bewerkstelligt, welche Behandlung der Sprache dadurch gefordert ist, dieß ist hier noch nicht weiter auszuführen, sondern zuerst nur das Gewicht der Aufgabe an sich festzuhalten. Und es liegt darauf der ganze Nachdruck eines Grundbegriffes: der Dichter hat Bilder, d. h. natürlich nicht blos einzelne Gleichnisse, Metaphern u. s. w., sondern innere Anschauungen, richtiger: eine ganze Anschauung zu geben. ─ Es erhellt nun, daß, wenn man in der Poesie noch von einem Materiale sprechen kann, dieß die Phantasie des Zuhörers ist. Jn §. 767, 2. ist dieß auch von der Musik gesagt, aber durch 3. beschränkt: zwischen dem Künstler und dem Zuhörer steht hier zwar kein Material mehr als firer Körper, sondern schwebt nur ein Bewegtes, der Ton, aber er ist mehr, als bloßes Vehikel, er ist doch das lebendige physikalische Dasein des Kunstwerks. Auch diese Beschränkung also fällt in der Poesie weg. Genauer gesagt ist es eigentlich die Einbildungskraft des Vernehmenden, die der Dichter zur Phantasie umzubilden hat, am richtigsten: die blos allgemeine Phantasie (§. 379─383), die er, so lange sein Gedicht wirkt, zur besondern, schöpferischen emporheben soll. Der Dichter arbeitet also mit Phantasie in Phantasie, er baut, er modellirt und meiselt, zeichnet, malt, stimmt wie der Musiker in der innerlich gesetzten ganzen Sinnlichkeit seines Hörers oder Lesers. Jn gewissem Sinne gilt selbst von diesem Materiale der Satz, daß alles Kunstmaterial roher und todter Stoff sein muß (vergl. §. 490): roh und todt ist die empfangende Phantasie in diesem Verhältniß, d. h. sie hat nach der Seite, in Beziehung auf den Gegenstand, den jetzt der Dichter bearbeitet, nicht selbst vorher etwas wirklich Schönes bilden können; auch ihre Thätigkeit in Mythus und Sage ist verglichen mit dem Kunstwerke noch formlos, roher, todter Stoff. Obwohl Geist ist also der Geist des Empfangenden doch in dieser Beziehung widerstandsloses Wachs, das erst zu kneten ist. §. 837. Die Kunst ist nun im eigentlichen Sinne sprechend und damit erst eigentlich klar geworden; denn durch die Sprache wird aller Jnhalt an das Bewußtsein geknüpft. Mit dem vollen Scheine ist nun erst der reine Schein gewonnen; hiedurch vollendet sich der schon in der Auffassungsweise begründete Charakter der Geistigkeit (§. 835), wodurch die Poesie von allen andern Künsten sich unterscheidet; sie verzehrt tiefer und inniger, als die andern, alles Stoffartige, steht im vollsten Sinne des Worts auf dem Boden der Jdee und trägt den Charakter der Unendlichkeit und der Totalität, vermöge der sie in jedem Bilde ein Weltbild gibt. Es ist schon in §. 835 enthalten, daß die Poesie die geistigste Kunstform ist; der Satz blieb aber noch unentwickelt, das Prädicat der besondern Geistigkeit wurde zunächst in der Auffassungsweise gefunden, es erhält seinen vollen Sinn erst, wenn diese auch in die Darstellungsweise verfolgt wird. ─ Von jeder Kunstform galt es, daß sie gewissermaaßen sprechend sei, der Musik ist die Zunge gelöst, aber ihr fehlt der abschließende, Wort und Begriff bildende Consonant, die Dichtkunst erst ist eigentlich sprechend, erst dem Dichter „hat ein Gott gegeben, zu sagen, was er leidet.“ Jn dieser allereinfachsten Bestimmung liegt eine Welt. Wir fassen dieselbe zunächst nur an ihren Hauptpuncten. Jm vorh. §. sind wir von der Bestimmung, daß die Sprache dem Bewußtsein einen bestimmten Gegenstand, dem Denken einen Begriff gibt, alsbald fortgeeilt zu der andern, daß es sich um die Ueberleitung eines Bildes in die empfangende Phantasie handle. Wir nehmen jetzt die erste zunächst für sich wieder auf und lassen dabei allerdings den Begriff im engeren Sinne des Wortes, das abstracte Denken des Allgemeinen, vorerst aus; die Frage, wie weit er neben dem in ein Denkbild überlaufenden Begriffe, der Concretes in seiner Allgemeinheit zusammenfaßt, eine Rolle in der Poesie spielen könne, werden wir später aufnehmen. Wesentlich ist also, daß in der Poesie Alles vom Bewußtsein getragen und begleitet wird, das denn in Begriffen sich deutlich sagt, was es in sich aufnimmt. Gegenüber dem bloßen Empfinden in der Musik, die sich an den dunkeln Sinn des bloße Töne vernehmenden Gehörs wendet, haben wir allerdings schon der bildenden Kunst, die dem Auge das klare Object vorführt, den Boden des Bewußtseins zuerkannt. Das Bewußtsein ist der Act, wodurch sich das Subject ein Object klar gegenüberstellt; in diesem Acte, ohne daß er darum schon in den idealistischen des Selbstbewußtseins (vergl. §. 748) übergeht, kann das eine Glied der Synthese, das Subject, sich mit größerer oder geringerer Schärfe in seiner Selbstthätigkeit, daher auch mehr oder minder activ, eindringend, aneignend das Object erfassen. Dieser Unterschied hängt davon ab, ob zur Vorführung des Gegenstands die Sprache nicht im Kunstwerk selbst, sondern nur daneben, oder ob sie innerhalb desselben und als ursprüngliche Trägerinn verwendet wird. Bei Bauwerken, Statuen, Gemälden wird uns der Zweck und Gegenstand meist genannt oder wir nennen ihn uns selbst und auch das Aesthetische der Darstellung geben wir uns in Worten an, aber der Künstler selbst als Künstler spricht nicht. Der Dichter dagegen spricht eben als Künstler und das Nennen ist wesentlich. Daraus folgt zunächst ganz einfach, daß dem Gesetze: jedes Kunstwerk soll sich selbst erklären, keine Kunst so ganz und eigentlich genügt, wie die Poesie. Dieß ist von der tiefsten Bedeutung für das Jnnerste der künstlerischen Thätigkeit: der bildende Künstler ist durch die Stummheit seiner Kunst gehalten, bekannte und geläufige, im Wesentlichen schon erfundene Gegenstände vorzuziehen, und freilich muß er sie wieder zum Stoff herabsetzen, daß seine Umbildung den Werth einer neuen Schöpfung habe; der Dichter dagegen heißt zwar auch geläufige, von der Volksphantasie schon bearbeitete Stoffe willkommen, aber er kann doch weit unbeschränkter Stoffe ergreifen, die noch nie behandelt sind, denn da er sie mit Worten exponirt, so braucht er keine Bekanntschaft vorauszusetzen; er ist daher weit mehr eigentlich erfindend; vgl. Lessing's Laokoon Abschn. 11. Es entspringt aber hieraus überhaupt eine Eigenschaft, ein Grundzug in der Physiognomie der Dichtung, der als ein absolutes, klares Fassen, ein Treffen mit der Spitze des Bewußtseins zu bezeichnen ist; das Auge des Dichters und durch ihn das unsrige verhält sich zu dem des bildenden Künstlers wie ein durchbohrendes zu einem hell und deutlich, aber mehr passiv spiegelnden. Alles hat hier diesen bewußten Blitz, der Lichtpunct im Auge ist packender, hat den Ausdruck der nicht fehlenden Sicherheit. Die Poesie ist die eigentlich wissende Kunst. Sie verhält sich zu allen bildenden Künsten und zu der Musik wie die Malerei zu der Plastik, welche dem todten Auge erst den fassenden Lichtpunct gibt; es ist ein geistiges Durchleuchtetsein aller Dinge in ihr, wie dieß keine andere Kunst erringen kann, denn dieser Ausdruck kann alle Formen erst da beherrschen, wo sie wirklich reiner Schein sind. An der Forderung, daß im Schönen aller Stoff in reinen Schein sich verwandle, daß nicht der Durchmesser, nur der Aufriß, nicht das Jnnere des Gebildes, sondern davon abgelöst die bloße Oberfläche wirke (vgl. §. 54), haben wir vorzüglich die Bildnerkunst und die Malerei gemessen (§. 600 u. 650). Aber Stein oder Erz und Farbstoff auf körperlicher Fläche, obgleich diese Stoffe als solche mit dem dargestellten Stoffe von Fleisch, Knochen, Blut u. s. w. nichts zu schaffen haben, gemahnen doch mit der Gewalt sinnlicher Gegenwart an die stoffartigen, physiologischen, physikalischen Bedingungen des Lebens, an den Durchmesser, und was die Musik betrifft, so setzt die Luftwelle den wirklichen Nerv so unmittelbar in's Zittern, daß eine höchst pathologische Wirkung nahe liegt. Kurz: in allen andern Künsten ist die Materie noch nicht vollständig consumirt und sie verhalten sich zur Dichtkunst wie eine Malerei, welche noch die Farben in ungebrochener Stoffartigkeit verwendet, zu derjenigen, welche dieselben wahrhaft concret ineinander verarbeitet und so das Colorit zur Reife sättigt. Das ist die Frucht davon, daß die Poesie nur für das innere Auge und Ohr darstellt, den Geist zu dieser camera obscura macht. Mit Geist in Geist malend verwandelt sie alle Schwere des Körperlebens in reine Gestalt, alles Sein in bloßes Aussehen, bloßes Erscheinen. Hier ist daher Alles verkocht, geistig durcharbeitet, durchbeizt. Sie ist gefrorner Wein ohne das Eis, das die andern Künste mitgeben. Mit dieser Geistigkeit steht nun die andere Bestimmung des vorh. §., daß die Poesie das Vehikel der Sprache zu einem Leiter lebendiger innerer Bilder zu gestalten hat, ebensowenig im Widerspruch, als der Grundbegriff des Schönen überhaupt einen solchen enthält; das Element der Jnnerlichkeit hebt die Sinnlichkeit so wenig auf, daß vielmehr gerade die Poesie außerordentlich stoffartiger, pathologischer Wirkung fähig und leicht in Versuchung ist, zu solcher überzugehen. Wir haben ein Aehnliches bei der Malerei gesehen, welche so viel geistig sublimirter, vermittelter ist, als die naive Sculptur, und doch die Sinnlichkeit so viel tiefer und heißer zu entzünden vermag, namentlich im Nackten. Es hat dieß seinen Grund nicht nur in der Farbe, sondern eben in der vertieften Jnnerlichkeit dieser Kunst überhaupt. Alle Leidenschaft hat ihre wahre Stärke gerade im innern Bilde, das glühend vor dem Geiste schwebt, und die Kunst, die dieß ganz in der Gewalt hat, muß die heftigsten Erregungen, die concentrirtesten Affecte hervorrufen können. Es folgt einfach aus dem Wesen des Schönen, daß diese Hebel nur objectiv verwendet werden sollen, d. h. daß das Wilde und Ueppige nur entfesselt werden darf in einem Zusammenhang, der ihm durch einen großen und gesunden Jnhalt seine stoffartige Spitze bricht und aus der Vollendung der Form hervorleuchtend dem Heißesten selbst eine ideale Kühle gibt; sonst fällt die Poesie unter ihren schönsten Beruf herab, worin sich alles hier Gesagte zusammenfaßt: entschiedener, als jede andere Kunst, die Jdee durch die begrenzte Erscheinung hindurchscheinen zu lassen. Alle Kunst stellt für die Phantasie dar, „die Einbildungskraft durch die Einbildungskraft zu entzünden, ist das Geheimniß des Künstlers“ (W. v. Humboldt. Aesth. Versuche. W. B. 4, S. 19), aber die bildenden Künste stellen einen Körper in die Mitte zwischen die Phantasie des Künstlers und Zuschauers, der Musiker bedarf noch eines solchen, um die Tonwelle zu erzeugen, welche er zur Erscheinung des Bildes seiner empfindenden Phantasie gestaltet; der Dichter aber weckt unmittelbar Phantasie mit Phantasie und macht sein Bild nur so äußerlich, daß es in der Veräußerung innerlich bleibt. Daher geht ihm nichts verloren von der Unendlichkeit, deren wunderbarer Hauch das Object der Anschauung umschwebt, sobald es durch die Einbildungskraft innerlich gesetzt ist (vergl. §. 388), und die natürlich nicht verschwindet, sondern wächst, wenn sich dieser Act zur Phantasie steigert. Es ist zu §. 388 gesagt, die Vergeistigung bemächtige sich in dem Momente, wo das Angeschaute zum innern Bilde wird, obwohl es qualitativ noch nicht zum schönen umgeschaffen sei, sozusagen erst der Umrisse und mache sie erzittern, in unendlichen Wiederhall des subjectiven Gefühls verschweben, es ist an die grenzenlose Geistergewalt des Furchtbaren erinnert, das wir genöthigt werden uns vorzustellen, während wir es nicht sehen. Wir kommen an seinem Orte darauf zurück, wie der Dichtkunst die besondern Wirkungen, die in diesen Zusammenhang gehören, erst wahrhaft zu Gebot stehen. Die Geistigkeit des einzelnen Zuges im poetischen Bilde ist aber zugleich ein Theil der geistigen Durchsichtigkeit, der in dieser Kunst wie in keiner andern das Ganze durchdringt. Sie betont mit jedem Strich ihres Gemäldes nachdrücklicher, als die übrigen Künste, die ideale Einheit, welcher alle Theile desselben dienen. Der Ausdruck herrscht hier ähnlich wie in der Malerei, aber auf höherer Stufe, daher intensiver über die Form. Jsolirt sich ein Theil des Kunstwerks und dient nicht der Jdee, so ist das Wesen dieser Kunst noch schuldhafter verletzt, als wenn ebendieß in der bildenden geschieht, denn ihre Gestalten sind geistig schwebend und flüssig, das Beziehungsvolle ist ihr Element. Nun offenbart das Schöne in der bestimmten Jdee die absolute Jdee (§. 15); indem es ein Jndividuum zeigt, das ganz Jndividuum ist und doch ganz seiner Gattung entspricht, alle Gattungen und deren Jndividuen aber Glieder des Einen Weltganzen sind, so öffnet es den Blick in eine Welt, welche überall vollkommen ist, und faßt in seinen Ring, sei er klein oder groß, das All. Die Unendlichkeit des ächten Kunstwerks ist daher zugleich Totalität; hat aber keine Kunst so intensiven Charakter der Unendlichkeit wie die Poesie, so entfaltet auch keine im engen Raum des Einzelnen so vernehmbar das Ganze der Welt, der Menschheit und ihres Schicksals, der Natur in ihrer unendlichen Sympathie mit der Menschenwelt, keine vermag uns so entschieden „in einen Mittelpunct zu stellen, von welchem nach allen Seiten hin Strahlen in's Unendliche ausgehen“ (W. v. Humboldt a. a. O. S. 30). Es ist das Herrliche an einem Kinde, daß es noch ganz als bloße Möglichkeit, daher als unendliche Möglichkeit erscheint; die männlichste, activste Kunstform verleiht ihren Gebilden bei aller Kraft der Begrenzung diese Grenzenlosigkeit der Perspective und erhebt den einfachsten Fall zum Weltbilde. Hemsterhuis bestimmt das Schöne als das, was die größte Jdeenzahl in der kleinsten Zeit gewährt; damit ist nicht sein Wesen, aber ein nothwendiges Merkmal seines Wesens ausgesprochen und der Poesie kommt im höchsten Grade dieses Merkmal zu. Ueber Homer's, Shakespeare's, Göthe's Gestaltungen meint man ein wunderbares Zittern mystischer Luftwellen wahrzunehmen, Zauberfäden, die von dem klar Begrenzten in das Unendliche hinauslaufen, es ist eine Aussicht, wie von einem festen Puncte auf das Meer; es scheint alles Große, ewig Wahre herzuschweben, um sich in den geschlossenen Kreis des Gedichts zu fangen und wieder hinauszurinnen in alle Weite. Es ist nur dieser Mensch, diese Gruppe von Menschen, diese Natur umher, und man ruft doch aus: so ist der Mensch! das sind des Menschen Kräfte, das die Wechselwirkung mit der Natur! Oder es ist sogar nur ein Baum, Fluß, Berg, ein Thier und doch knüpft sich Ahnung des ganzen Daseins und der Geschicke der Seele und der wechselnden Menschengeschlechter daran. Das ächte Dichtwerk ist auch daher nie zu Ende zu erklären; ein solcher Baum mag geschüttelt werden, so oft man will, er spendet immer neue Früchte. Ein Vorhang schließt den Hintergrund der Scene ab, aber er bewegt sich geisterhaft und man meint ein Flüstern hinter ihm zu vernehmen von wunderbaren Stimmen. Der Maler wird einen Fluß so behandeln, daß man seine Kühle zu fühlen, sein Rauschen zu vernehmen glaubt, daß man im Wechselspiel seines Spiegels mit Luft und Himmel ein Bild der menschlichen Seele ahnt, aber Göthe im „Fischer“ und E. Mörike in „Mein Fluß“ sagen es, leihen der Ahnung das Wort. Die Persönlichkeit des Dichters wird von diesem Charakter der Poesie das Gepräge tragen. Den Naturen, die für die bildenden Künste organisirt sind, theilt sich etwas von der Ausschließlichkeit ihres Materials mit und der Beruf, den Jnhalt wortlos in dasselbe zu versenken, ist von einer gewissen relativen Unbewußtheit begleitet; der Musiker löst dem Jnhalt die Zunge, aber so ganz in der Weise der Jnnerlichkeit der Empfindung, daß er gerade noch unbewußter erscheint, als namentlich die Maler-Natur, die hellblickendste und am meisten geschüttelte in der Gruppe der bildenden Künstler. Der Dichter aber wird sich zu andern Künstlern verhalten wie (in allem tiefen Unterschiede) der Philosoph zu den Männern der Fachwissenschaften, vor ihm liegt das Leben enthüllt, er hat das Räthsel gefunden. Die geistige Gelöstheit, durch die er sich auszeichnet, hat ihre negative Grundlage in der ungleich leichtern Beherrschung des Vehikels, das an die Stelle des Materials getreten ist: der Dichter ist weniger, als jeder andere Künstler, Handwerker, der Geist hat daher wirklich auch weit mehr seine Zeit frei für sinnendes Umschauen und Durchdringen der Dinge. Der positive Grund aber liegt in dem Wesen seiner Kunst, wie es aufgezeigt ist. §. 838. Die Poesie ist aber als die subjectiv-objective Kunstform auch die Totalität der andern Künste. Auf der einen Seite hat sie (vgl. §. 834 u. 835) das Reich der bildenden Künste im Besitze: sie bildet nicht nur ihr Verfahren nach, sondern umfaßt überhaupt ihre Gegenstände, und zwar, wie keine von ihnen, in unbeschränkter Ausdehnung, so daß sie die ganze sichtbare Welt vor dem innern Auge ausbreitet. Dazu kommt noch, daß der Dichter auch Tastsinn, Geruch und Geschmack (vergl. §. 71) bedingter Weise in Wirkung setzen kann. Es ist jetzt näher zu bestimmen, wie die Poesie den Gegensatz der Künste, der objectiven, bildenden, und der subjectiven, stimmenden Hauptform so aufhebt, daß sie in sich vereinigt, was jede derselben vor der andern voraus hat, und so als die Kunst der Künste sich darstellt. Dabei ist von der Wiederaufnahme des Prinzipes der bildenden Kunst auszugehen, denn es ist eine ebenso wesentliche, als vielfach, namentlich in der modernen Zeit, verkannte Grundbestimmung, daß der Dichter das Jnnere, das er darstellen will, in Gestalten niederlegen, diese als Träger desselben vorführen muß. Wer dem innern Auge nichts gibt, wer ihm nicht zeichnen kann, ist kein Dichter. Das ist die μιμησις der Alten: objective Darstellung; dadurch ist der Künstler ποιητὴς . „Jeden, der im Stande ist, seinen Empfindungszustand in ein Object zu legen, so daß dieses Object mich nöthigt, in jenen Empfindungszustand überzugehen, folglich lebendig auf mich wirkt, heiße ich einen Poeten, einen Macher, “ dieses Wort Schiller's (Briefwechsel mit Göthe Th. 6. S. 35), das wir zu §. 392, 1. in weiterer Bedeutung schon angeführt haben, gilt hier natürlich in seiner engsten. Mancher hält sich für einen Dichter, weil er ein paar Gefühle in Verse gebracht hat, während er unfähig wäre, das einfachste Object, einen Trupp Bauernbursche, Musikanten, Zigeuner u. dergl. lebenswahr zu zeichnen. Man berufe sich gegen unsere Grundforderung nicht auf die lyrische Dichtkunst. Es wird seines Orts gezeigt werden, daß ihr subjectiver Charakter keinen Einwand gegen dieselbe begründet; vorläufig darf als unbezweifelt vorausgesetzt werden, daß die zwei Gattungen, die ein umfassendes Weltbild in handelnden und leidenden Charakteren objectiv niederlegen, das Wesen der Poesie vollkommener aussprechen, daß aber auch die lyrische Dichtung eine gewisse Objectivität, eine Situation, hervortretendes Bild einer Persönlichkeit fordert. Wir ziehen nur das Resultat aus §. 834 und 835, wenn wir nun aufstellen, daß der Standpunct der bildenden Kunst in der Poesie wiederkehrt. Jm Allgemeinen hat das Wort des Simonides, die Dichtkunst sei eine redende Malerei, seine Wahrheit. Die dunkle Halle, worin sich die Kunst als Musik von der Zerstreuung des Sichtbaren tief in sich sammelte, thut sich wieder auf, die Welt liegt im hellen Sonnenschein ausgebreitet wieder vor dem Auge, aber nur vor dem der innern Vorstellung. Zunächst hat diese Erneuerung der bildenden Kunst den Sinn, daß der Dichter das Verfahren der bildenden Künste eigentlich nachahmen, ein Bild ihres spezifischen Werkes geben kann: Paläste vor uns aufbauen, Bildwerke, Gemälde, schöne Gärten, gymnastisches Spiel uns vorführen. Es darf nur an die herrlichen Beispiele im Homer erinnert werden. Ungleich wesentlicher jedoch, als dieses Nachbilden, ist das verwandte freie Bilden an demselben Stoffe. Dem Dichter steht der Wechsel der verschiedenen Auffassungen der bildenden Künste zu Gebot und er wird bald diese, bald jene in Anwendung bringen: er nöthigt uns, bald mit messendem, bald mit tastendem, bald mit malerischem Auge zu sehen. So kann er z. B. Erd- und Bergformen vor unserem innern Auge entweder mehr so aufbauen, daß unser Gefühl für Massenverhältnisse befriedigt wird, oder er kann ihre sanften Wölbungen, Sättel, Falten, überhaupt das Bewegtere ihrer Formen dem in das Auge übergetragenen Tasten vergegenwärtigen, oder endlich diese Auffassungsweisen ganz in eine Licht- und Farbenwirkung stimmungsvoll auflösen. Es gibt menschliche Gestalten, welche nur dem Bildhauer, andere, welche nur dem Maler günstigen Stoff bieten; der Dichter, der beides zugleich ist, hat die Mittel, sowohl die einen, als die andern, der entsprechenden Art der Anschauung lebendig entgegenzubringen. Die ächte Poesie ist im Vergegenwärtigen so stark, daß wir meinen, ihre Gestalten greifen zu können; Homer's Gebilde leuchten in vollkommen plastischer Bestimmtheit der Formen und Umrisse, Shakespeare's Charaktere wandeln in malerischer Beleuchtung so nahe zu uns her, daß wir jeden Zug sehen können. Zu genau darf es mit diesem Eindruck allerdings nicht genommen werden, wie sich anderswo zeigen wird, die Energie seines Scheins ist aber eine vollständige. Wir fassen hier bereits auch den Umfang des Darstellbaren in's Auge, ohne jedoch diejenige Seite der Erweiterung noch zu berücksichtigen, welche sich aus der Vereinigung mit der Grundform der Musik ergibt, obwohl darauf bereits hier Rücksicht zu nehmen ist, daß die Gebilde des Dichters Bewegung haben, die des bildenden Künstlers nicht. Der Dichter umfaßt denn nicht nur dieselben Stoffe wie dieser, sondern auch in unbeschränkter Ausdehnung. Das ganze Gebiet des Sichtbaren ist ihm aufgeschlossen, auch die Grenzen, welche der Malerei noch gesteckt sind (vergl. §. 678 ff., abgesehen von der Beziehung auf das Häßliche, welche hier noch nicht aufzunehmen ist). Was naturschön ist, aber nicht nachgeahmt werden kann, weil es zu momentan, zu unmittelbar, zu außergewöhnlich, zu unerreichbar blendend erscheint: er kann es uns vorzaubern und er darf es, denn er wetteifert ja nicht in wirklicher Farbe mit der Jntensität der Naturfarben, er gibt dem Momentanen und ganz Unmittelbaren (wie Baumblüthen und erstes Frühlingsgrün), dem Außergewöhnlichen, Einzigen eine ausgesprochene Beziehung auf inneres Leben, die ihm ewige Bedeutung sichert, er „läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen, das Abendroth in ernstem Sinne glüh'n.“ Auch das Kleinste ist ihm nicht undarstellbar, er mag Jnsektenschwärme durch die Luft spielen lassen, mit denen sich der Pinsel des Malers nicht befassen kann, u. dgl. Es ist namentlich nicht zu übersehen, daß er selbst Solches, was an sich dem äußern Auge sichtbar, aber verdeckt ist, dem innern vorführen, daß er uns z. B. den dunkeln Meeresgrund mit seinen Ungeheuern schildern kann. Jn der Poesie ist auch das Dichte zugleich durchsichtig. Dieß ist von den umfassendsten Folgen für die Weite und Fülle des Feldes, das der Dichter vor uns ausbreitet: seine Bilder decken sich nicht (Lessing Laok. Abschn. 5). Er hat kein beengendes Gedräng im Raume zu scheuen, er mag ihn füllen, wie es ihm aus inneren Gründen gut dünkt. Es liegt aber in dieser Richtung noch ein weiterer ungemeiner Vortheil. Durch ihre Beziehung zum Volksglauben fließt der Kunst eine Gattung von Gesichts-Erscheinungen zu, welche sichtbar unsichtbar genannt werden können und von der gewaltigsten Wirkung sind: Götter- und Geister-Erscheinungen. Diese Wesen sollen bald nur von denjenigen innerlich gesehen werden, an die sich der Künstler wendet, bald äußerlich von einigen der Personen, die er im Kunstwerke vorführt, von andern nicht (wie Banquo's Geist im Makbeth und des Königs im Hamlet), bald von allen, immer aber nur so, daß es ein unbestimmtes Sehen, Sehen einer Gestalt von verschwebenden Umrissen ist. Ueberall ist hier der Maler in einer übeln Lage: im ersten und zweiten Falle geräth er in den Widerspruch, eine Erscheinung schlechthin sichtbar zu machen und doch anzeigen zu sollen, daß sie von Niemand oder nicht von Allen gesehen wird. Lessing zeigt (Laokoon Abschn. 12), wie derselbe aus den Grenzen seiner Kunst herausgeht, wenn er sich hier mit der Wolke hilft, die bei Homer nur die Unsichtbarkeit bedeuten soll. Er zeigt aber auch, wie der Maler mit den ungemeinen Größe-Verhältnissen der Göttergestalt in's Gedränge kommt, indem er ihr die übergroßen Dimensionen nicht geben kann, und er übersieht nur, daß er das an sich zwar könnte, da ja in der Malerei aller Maaßstab relativ ist (§, 649, 2.), daß aber doch diese Freiheit nicht schrankenlos benützt werden kann, weil im vorliegenden Falle durch die räumliche Fixirung so ungleicher Größenverhältnisse die Helden zu klein erschienen. Hier zeigt sich also, daß doch erst die Poesie auch in der Darstellung jeder Größe ganz frei sich bewegt. Aber noch mehr: die Größe des Götter- und Geisterleibes wächst für die Phantasie zu einer unendlichen an, dem äußern Auge ist sie begrenzt, richtiger: dem deutlich sehenden äußern Auge. Solches unbestimmtes Sehen kann nun der Maler schwer ausdrücken, denn so dämmernd und in Helldunkel verschwimmend er sein Object geben will, es hat doch zu viel Bestimmtheit, um den Abgrund von Staunen zu öffnen, den nur die Phantasie ohne die äußern Sinne kennt. Endlich genießt der Dichter noch einen besondern Vortheil, der in der Anm. zu §. 837 schon berührt wurde, wo von dem Charakter der Unendlichkeit die Rede war, der dem innern Bild eigen ist: er kann Handlungen so schildern, daß wir wissen, sie geschehen jetzt, daß sie uns aber zugleich verhüllt sind, im Dunkel vor sich gehen, oder so, daß Personen im Gedichte selbst darum wissen, sie aus andeutenden Zeichen errathen, sie sich vorstellen, aber ohne sie zu sehen. Hier ergeben sich denn dieselben ungeheuern Wirkungen, wie durch das halbdeutlich gesehene Wunderbare. Welche Hölle gräßlicher Entscheidung liegt in den Worten der Lady Makbeth: jetzt ist er d'ran! Der Maler mag wohl einen Lord Leicester darstellen, wie er verdammt ist, Moment für Moment den Hinrichtungs-Act der Maria Stuart sich zu vergegenwärtigen, man mag ihm den furchtbaren Vorgang in seinem Jnnern ansehen, aber wie ganz anders wirkt die Scene, wenn der Dichter durch seine Mittel uns zwingt, mit Leicester aus den dumpfen Lauten, die er vernimmt, uns das Bild des Gräßlichen zu erzeugen, das ungesehen von unserem physischen, wohl gesehen von unserem geistigen Auge vor sich geht! ─ Das sind denn lauter Vortheile, die Lessing wohl berechtigten, (Laok. Abschn. 14) zu sagen: müßte, so lange ich das leibliche Auge hätte, die Sphäre desselben auch die Sphäre meines innern Auges sein, so würde ich, um von dieser Einschränkung frei zu werden, einen großen Werth auf den Verlust des erstern legen. Schließlich ist nicht zu übersehen, daß der Dichter auch jene stoffartigeren Sinne, die auf unmittelbarer Berührung, chemischer Auflösung der Körper beruhen, in Wirkung setzen kann und darf, da er ja an die ganze innerlich gesetzte Sinnlichkeit sich wendet. Diese Sinne liegen allerdings schon dem Charakter des Gehöres näher, zu dem wir erst übergehen; ihre Eindrücke gleichen den tonischen darin, daß die Sprache eigentlich keine Worte für sie hat, allein der Dichter kann das Object nennen und darauf gestützt genügen die unzulänglichen Sprachmittel, uns die dunkeln, aber stark ergreifenden Wahrnehmungen dieser Art zu vergegenwärtigen. Allerdings darf er sie nur ungleich untergeordneter, als die Vergegenwärtigung von Tönen, ungleich mehr nur als Beigabe des Sichtbaren in uns hervorrufen, es bleibt daher bei dem Satze §. 834 Anm., daß die Poesie eigentlich kein neues Erscheinungsgebiet erobert, daß er sie aber nicht zu scheuen hat, daß sie im Gegentheil bedeutende ästhetische Hebel für ihn werden können, ist schon in der Anm. zu §. 71 berührt; er wird sie wie eine tiefe Symbolik mit menschlichen Stimmungen in geheimnißvolle Verbindung setzen, Aufregungen der bedeutendsten Art aus ihnen entspringen lassen. §. 839. Auf der andern Seite hat die Dichtkunst mit der Musik durch ihr 1. Vehikel, die Sprache, überhaupt die Form der reinen Bewegung, des Geisteslebens, die Zeitform gemein. Sie wendet sich nun mit dieser Form zunächst, 2. wie jene, an das Gefühl, indem sie nicht nur musikalische Kunstwerke für das innerlich gesetzte Gehör irgendwie nachzubilden vermag, sondern, was ungleich wichtiger ist, indem sie mit der Tonkunst den Jnhalt theilt und mit ihrem eigenen Mittel, in gewisser Beziehung sogar umfangreicher, Stimmungen darstellt. Sie hat aber überhaupt das Gebiet der bildenden Kunst, das Sichtbare, mit dem der Musik, der innern Welt, so zu vereinigen und die unmittelbare Herkunft von der letztern so zu bethätigen, daß alle ihre Gebilde durchaus empfunden sind, daß sie dadurch lebendiges Gefühl der Zustände mittheilt. Endlich gibt sie gemäß dieser nahen Verwandtschaft und um nicht alle äußere 3. Sinnenwirkung zu opfern, ihrem Vehikel, der Sprache, eine der Tonkunst verwandte, ursprünglich für musikalischen Vortrag wirklich bestimmte, rhythmische Form. 1. Zunächst ist vom Unterschiede zwischen dem musikalischen und dem zum Wort articulirten Ton abzusehen und bestimmt hervorzuheben, daß die Poesie mit der Musik die Form des Nacheinander, die Zeitform, also die des psychischen Lebens theilt. Der Boden des Geistes ist erreicht und wird nicht wieder verlassen, sondern in die Tiefe bearbeitet. Es ist aber hier, wo es eben auf die Vereinigung der Wirkungen des Nacheinander mit denen des Nebeneinander ankommt, diese Bestimmung genauer anzusehen. Der Geist ist keineswegs blos eine Bewegung im Nacheinander, sondern er ist zugleich die innerlich gewordene Raumwelt, innerliches Anschauen des Nebeneinander, also des Gleichzeitigen. Es ist falsch, wenn man sagt, der Geist könne nicht mehrere Vorstellungen gleichzeitig vollziehen. Als Phantasie breitet er ein Bild vor sich aus, das viele Bilder in sich schließt, seine Gefühle sind concrete Einheiten, als Denken faßt er einen Umkreis von Gedanken in Einem zusammen. Aber Alles, was er innerlich schaut, fühlt und denkt, bewegt sich im stetigen Flusse der Zeit. Der Geist ist zeitlose Jdealität, in Zeitform sich äußernd, diese ist der Pulsschlag, der Perpendikel seiner Ewigkeit. So kann er denn das, was er gleichzeitig in sich zusammenfaßt, nicht anders, als in der Form des Nacheinander darstellen, wenn er nicht seine Grundform freiwillig aufgeben und sein Jnneres in festem Körper nachgebildet in den Raum stellen will. Die Musik führt gleichzeitige Unterschiede des Gefühls im Nacheinander der Zeit vor, indem sie sich zur Harmonie ausbildet. Die Poesie kann mit dem Vehikel der Sprache nicht ebenso verfahren, denn es können nicht Mehrere zugleich gehört oder gelesen werden, sie gibt aber in Einem Momente der Phantasie eine räumliche und geistige Vielheit, freilich nicht, ohne in Schwierigkeiten und Jncongruenzen zu gerathen, indem sie diese Vielheit successiv fortführt. Davon wird seines Orts die Rede sein; jetzt ist zunächst die Verwandtschaft zwischen Musik und Poesie weiter zu verfolgen. 2. Wie das Bewußtsein überhaupt die Erinnerung des Gefühls bewahrt und von ihm begleitet wird, so muß die Kunstform, die den Uebergang vom Einen zum Andern vollzieht, das Element, aus dem sie (logisch, doch in gewissem Sinn auch historisch) herkommt, festhalten und kundgeben. Es sind aber die Momente, worin dieß innige Band, diese Rückweisung auf den mütterlichen Schooß sich ausspricht, wohl zu unterscheiden. Für's Erste findet, ähnlich wie bei der geistigen Erneuerung der Wirkungen der bildenden Kunst, ein eigentliches Nachahmen der Leistungen Statt: die Dichtkunst kann bis auf einen gewissen Grad dem innerlichen Gehöre durch Worte Charakter und Gang von Tonwerken vergegenwärtigen; sie kann es, sofern dem Gefühle das Bewußtsein (§. 748), die Vorstellung bestimmter Objecte (§. 749), das Denken und die Willenserregung (§. 756) immer unmittelbar nahe liegt, sie kann es aber doch nur in ganz entfernter und schwankender Andeutung, indem das Jnnerste des spezifisch für sich auftretenden Gefühls niemals in Worte zu fassen ist. Nur das Allgemeinste einer Stimmung, wie sie in einer Melodie liegt, kann ausgesprochen werden, wie tief und ahnungsvoll aber, dafür gibt Shakespeare ein Beispiel in den Worten des Herzogs in „Was ihr wollt“: Die Weise noch einmal! ─ sie starb so hin; O sie beschlich mein Ohr dem Weste gleich, Der auf ein Veilchenbette lieblich haucht Und Düfte stiehlt und gibt. ─ Zu größerer Bestimmtheit bringt es natürlich die Poesie, wenn sie dieß ungenügende Andeuten durch das Bild der Wirkung einer bestimmten Musik ergänzt, wie Homer, wo er von Demodokos erzählt, der Dichter der Gudrun, wenn er schildert, wie bei Horands Gesang die Vögel schweigen, die Fische im Wasser stille halten. Dieß ganze Moment bleibt aber ein sehr untergeordnetes; ungleich wesentlicher ist das andere, daß die Poesie einfach durch sich selbst die Welt der Stimmungen darstellt. Der §. sagt: „nach einer Seite sogar umfangreicher, als die Musik“; dieß erklärt sich aus dem, was über das Verhältniß von Vocal- und Jnstrumentalmusik (§. 764) mit Rückbeziehung auf das Verhältniß zwischen Gefühl und Bewußtsein (§. 748) gesagt ist: das Reich der Gefühlszustände wird viel umfassender geöffnet, wenn das Wort die Objecte nennt, auf welche das Gefühl bezogen ist. Es ist aber an der erstern Stelle auch gezeigt, wie durch diese hülfreiche Anlehnung für die Musik doch eine Jncongruenz entsteht, wie sie sich des Textes ebensosehr erwehrt, als an ihn anschmiegt; verhält sich dieß so in jenem Gebiete, wo der Dichter ganz nach den Zwecken des Musikers sich richtet und die Poesie in seinem Text als solche nur geringen Anspruch macht, so wird sich im eigenen Felde der Dichtkunst die Sache anders wenden: in allen speziellen Schilderungen des Stimmungslebens wird, indem das Wort dem Gefühle durchaus Beziehung auf Objecte gibt, dieses in einem gewissen Sinne vielseitiger erschöpft, aber auch aus seinem Elemente gehoben und zum bloßen Begleiter anderer Kräfte, zur bloßen Atmosphäre, worin bestimmter Jnhalt, Sichtbares, Vergegenwärtigung wirklich genannter Affecte, Entschlüsse, Handlungen sich gestaltet. Nur darf dieß Element, diese Atmosphäre darum keineswegs zu einer bloßen Nebensache werden, und dieß führt auf das dritte Moment, das Wesentliche, den Mittelpunct. Nicht nur nämlich, wo es sich speziell von Schilderung einzelner Gefühlszustände handelt, sondern überhaupt und immer soll Alles in der Poesie stimmungsvoll sein. Wir haben ja gesehen, daß das Gefühl die lebendige Mitte des Geisteslebens ist, woraus alles Bestimmte hervorgeht, worein es wieder einsinkt, worin es erst zum innersten Eigenthum des Subjects wird, woraus es wieder auftaucht, wie aber das Gefühl nicht verschwindet, wenn das Bestimmte, Bewußte aus ihm sich ausgeschieden hat, sondern es als innige Erinnerung seines Ursprungs begleitet. Dieß gilt nun ganz von der Poesie als der Kunst der Darstellung des bewußten Lebens in Phantasieform. Was nicht empfunden ist, hat kein Leben, keine Wahrheit. Alles ächt Poetische ist durchaus in Empfindung getaucht; es sind wahrnehmbare Wellen, warme Strömungen, welche das ganze Gebild umweben, es ist ein bestimmter Duft, der Niemand entgeht, welcher Sinn hat. Wie viele Poesie ist freilich geruchlos! Ein großer Theil der poetischen Literatur, namentlich der neueren, fällt schon durch diesen einfachen Maaßstab in das Nichts. Man kann sagen, daß in der zum vorh. §. angeführten Schiller'schen Definition des Dichters nach ihrem ersten Theile: „Empfindungszustand“ die Poesie nicht genug von der Musik unterschieden sei; man könnte ebendasselbe dem Worte Göthe's vorwerfen: „lebendiges Gefühl der Zustände und die Fähigkeit, es auszudrücken, macht den Dichter“; man könnte darauf erwiedern, daß hier unter „Zustände“ wohl das Ganze der Situationen, das Gefühl sammt den Dingen und Gedanken verstanden sei; allein daran liegt hier wenig, sondern mit gutem Grund haben die beiden großen Dichter unserer Nation einmal recht und ganz betonen wollen, daß alles Aufzeigen der Dinge in der Poesie null sei, wenn es nicht jedem Gemüthe die Jnnigkeit ursprünglicher Empfindung mittheile zum Zeugniß, daß es daraus hervorgegangen. Daher ist in seiner Einfachheit doch so bedeutend, was Göthe von Shakespeare gesagt hat: bei ihm erfahre man, wie den Menschen zu Muthe sei. ─ Wir können nun das Wesen der Dichtkunst, wie sich in ihr die bildende Kunst und Musik wiederholt und vereinigt, dahin bestimmen: die Dichtkunst ist empfundene und empfindende Gestalt. Der Mangel dieser Bestimmung wird sich zeigen und heben. ─ Nahe liegt es übrigens, schon hier den Schluß zu ziehen, daß die jetzt hervorgestellte Seite der Dichtkunst ihr besonderes Recht in einem eigenen Zweige zur Geltung bringen werde. Zum vorh. §. wurde dieser Zweig vorläufig erwähnt, um einem Einwande gegen die Forderung objectiver Bildlichkeit zu begegnen; der gegenwärtige Zusammenhang weist positiv auf ihn hin, doch ist dieß erst aufzunehmen, wenn wir zur Eintheilung der Poesie in ihre Gebiete übergehen. 3. Vom Rhythmischen, ─ worunter alle Formen der gebundenen Rede begriffen werden, ─ nehmen wir hier vorerst nur die allgemeinste Bedeutung, die innere Begründung im Zusammenhange zwischen Poesie und Musik auf. Wenn alles Dichten vom Gefühl ausgeht und, wie es immer zum Objectiven fortgehen mag, im Gefühle bleibt, so folgt von selbst, daß die poetische Stimmung zugleich eine Nervenstimmung ist, welche den Keim und Grund zu gewissen formalen Ordnungen, die sich im Darstellungsmittel niederlegen, auf ähnliche Weise mit sich führen wird, wie die musikalische. Es leuchtet freilich auch sogleich ein, daß eine andere Formenwelt in dem articulirten Tone sich entwickeln muß, der nur Vehikel ist, als in dem nicht articulirten Tone, der das Material einer Kunst bildet, aber dieß hebt die ursprüngliche Verwandtschaft nicht auf. Es ist bekannt und oft angeführt, daß gehobene Stimmung selbst Naturen, die sonst kein Talent zur Dichtkunst haben, zu rhythmischer Sprache fortreißt; wir dürfen hier statt alles Weiteren auf den ersten Theil der Lehre von der Musik, auf die Blicke verweisen, die wir in jenen geheimnißvollen Zusammenhang zwischen Seelenstimmung und Schwingungsleben der Nerven geworfen haben. Derselbe wird sich im Dichter natürlich noch ganz anders, bestimmter und gemessener geltend machen, als im gewöhnlichen Menschen, der nur einzelne poetische Momente hat. Wie er das Bild seines Kunstwerks im Geist empfängt, wird auch das entsprechende Versmaaß im innern Gehöre mit anklingen und seine Formen sind ihm keine Fessel, sondern wachsen organisch mit dem Körper der Dichtung. Jn Wahrheit ist dieser Uebergang des Gefühlsschwungs in die poetische Sprache eigentlich eine Reminiscenz davon, daß das Element der Sprache, der Ton, in einer unmittelbar benachbarten Kunst überhaupt nicht bloßes Mittel, sondern Material des Schönen war. Der Dichtkunst würde, wenn es anders wäre, das letzte Band verloren gehen, das sie an die eigentliche, äußere, nicht blos innerlich gesetzte Sinnlichkeit knüpft, oder richtiger: das Band, das sie allerdings unter allen Umständen noch an diese knüpft (da doch gehört oder gelesen werden muß), verlöre allen Zusammenhang mit dem Schönen, dessen Vermittler und Leiter es ist. Daher ist ursprünglich alle Poesie unmittelbar musikalisch, das Lied entsteht mit der Melodie und wird anders gar nicht vorgetragen, als in Form des Gesangs mit Begleitung eines Jnstruments. Dieser innige Zusammenhang kann allerdings, je mehr die Poesie ihr eigenes Wesen in den größeren, objectiven Formen ausbildet, nicht fortbestehen; der volle Sinnen-Eindruck des musikalischen Vortrags drückt auf die Entwicklung des rein Poetischen, stört das nöthige Verweilen bei der Bestimmtheit der innern Anschauung; daher ist es natürlich, daß solche unmittelbare Einheit beider Künste sich in jenen Zweig zurückzieht, dessen nothwendiges Erwachsen aus dem Verhältnisse der Poesie zum Gefühle sich uns bereits angekündigt hat, in den lyrischen. Doch ist sogleich hinzuzusetzen, daß auch dieß besonders enge Verhältniß kein absolutes ist und, nachdem das ursprüngliche Band gemeinschaftlichen Werdens des Textes und der Melodie sich gelöst hat, das stimmungsvollste Lied für sich bestehen kann, so daß durch die musikalische Composition und den Vortrag etwas zwar innig Verwandtes, aber doch Neues und Anderes hinzukommt. Kurz, die rhythmische Form ist, ohne nothwendigen Zusammenhang mit eigentlicher Musik, ein der Poesie wesentliches Analogon von Musik im Bau und Gang der gebundenen Sprache. Die Sache hat übrigens noch eine andere Seite, als die, von welcher wir hier ausgegangen sind und wonach die poetische Stimmung den rhythmischen Gang und Klang der Sprache von selbst mit sich führt; neben diesem Wege von innen nach außen besteht eine Rückwirkung von außen nach innen: die rhythmisch gehobene Rede trägt und hält den Dichter auf der Höhe der idealen Stimmung, warnt ihn, wo dieselbe in's Platte fallen will, und leitet sie in die äußersten Spitzen, den einzelnen Ausdruck hinaus. Nur die Oppositionsstellung im Kampfe gegen eine Dichtung, die in der Form aufzugehen drohte, konnte ein relatives Recht haben, im ernsten Drama grundsätzlich die prosaische Rede als Regel einzuführen, und die Vorkämpfer selbst giengen unter Vorgang Lessing's im Nathan auf die gebundene Form zurück. Eine Vergleichung der ersten und zweiten Bearbeitung von Göthe's Jphigenie gibt die interessantesten Belege für unsern Satz (vgl. Göthe's Jph. auf T. in ihrer ersten Gestalt herausgeg. v. Ad. Stahr). Jm bürgerlichen Lustspiel oder nach Shakespeare's Vorgang in komischen Scenen, die sich in das ernste Drama mischen, behauptet dagegen die Prosa ihr Recht, eben weil sie anzeigt, daß hier das Gewöhnliche jene Geltung hat, welche ihm an sich im Komischen gebührt. Die Auflösung des Epos in den Roman war zugleich ein Uebertritt dieser Gattung auf den Boden der Realität mit ihren prosaischen Bedingungen und ebendaher auch eine Auflösung der rhythmischen Sprache in die Prosa; die Frage über Bedeutung und Berechtigung dieser Form kann hier noch nicht aufgenommen werden. Ueberall jedoch muß die prosaische Rede in der Poesie wenigstens durch einen Anklang des Rhythmischen, den Numerus, ausdrücken, daß hier geweihter Boden ist, und ihren Eintritt rechtfertigen. ─ Es wirkt aber ferner die rhythmische Sprachform auf die Thätigkeit des Dichters auch in dem positiven Sinne zurück, daß sie im Einzelnen poetische Gedanken in ihm weckt, welche in der Jntention des Ganzen noch nicht angelegt waren. Auch hier hat die Musik=ähnlich gehobene Sprache etwas von der Natur eines Materials: es ist mehrmals, namentlich in §. 518, 1. gesagt, daß der Kampf mit dem Materiale auf die Erfindung so zurückwirkt, daß er Motive weckt. Wie manche schöne Dichterstelle verdankt ihren Ursprung dem Zwang und Drang eines metrischen Verhältnisses, eines Reims! Was die Persönlichkeit des Dichters betrifft, so ist ihm durch den wesentlichen Unterschied zwischen dem bloßen Analogon von Musik in der rhythmischen Behandlung der Sprache und der wirklichen Tonkunst die Strenge und Länge der Schule erspart, welche der Musiker, wie der bildende Künstler bedarf. Dieß ist schon §. 520, Anm. 2. berührt. Der Dichter braucht überhaupt, da er mit einem wenig widerstrebenden Vehikel in dem flüchtigen Elemente der Phantasie arbeitet, seiner Kunst nicht das Ganze seiner Lebensbestimmung zu widmen, wenn ihm nur Geschäft, Amt u. s. w., dem er daneben sich widmen mag und das gegen die Versuchung zu überhitztem Phantasieleben den heilsamen Widerhalt einer gesunden Trockenheit gibt, die unentbehrliche Muße läßt. Freilich liegt in dieser größeren Freiheit vom Handwerk auch die stärkere Verlockung zum Dilettantismus. §. 840. Da aber die Wirkungen der andern Künste in der Dichtkunst sich so wiederholen, daß sie in ein schlechthin neues Element versetzt werden, wodurch allein ihre Vereinigung möglich wird, so muß ihre Aufnahme auch mit einem großen Verluste verbunden sein: das Leben des Gefühls kann entfernt nicht mit der Jnnigkeit erschöpft werden, wie in der Musik, das Sichtbare verliert die Schärfe, Deutlichkeit, geschlossene Objectivität, welche ihm die bildende Kunst gibt, und der Versuch, diesen Mangel durch verweilende Ausführung zu heben, geräth, sowie die Darstellung des Gleichzeitigen, durch den Widerspruch mit der Grundform der zeitlichen Fortbewegung in tiefe Schwierigkeiten. Wenn sich mit der Jnnigkeit des Gefühls die Deutlichkeit der Vorstellung des Sichtbaren verbindet, wenn es nicht mehr in seiner Reinheit durch Töne, sondern vermittelst genannter Objecte ausgesprochen wird, wenn dieß Tageslicht in sein Helldunkel fällt, so entweicht nothwendig ein gutes Theil seines eigenthümlichen Wesens; es bleibt nur warme Dunsthülle, die einen lichten Kern umgibt, welcher von anderer Natur ist. Daß es nach anderer Seite umfangreicher zur Darstellung kommt, haben wir im vorh. §. gezeigt, bereits aber auch ausgesprochen, daß damit ein Verlust in der Qualität verbunden sein muß. Und doch behält die Poesie von der Musik gerade so viel bei, um dadurch auch nach anderer Seite einen starken Verlust zu begründen. Musikalisch können wir nämlich ihre Jnnerlichkeit überhaupt nennen, ihr Wesen, sofern sie sich blos an die innerlich gesetzte Sinnlichkeit wendet: und dadurch wird nun auch die Vorführung des Sichtbaren, wodurch sie die bildende Kunst in sich erneuert, mit einem tiefen Mangel unvermeidlich behaftet. Die innerlich gesetzte Sinnlichkeit, sofern in ihr der Proceß der Umbildung des Aufgenommenen beginnt, heißt Einbildungskraft. Mit dieser Hereinziehung in das Jnnere verliert die Anschauung nothwendig an Schärfe und Bestimmtheit, vergl. §. 388, 1. Dieser Mangel wird auch durch die Phantasie als die zur Jdeal=bildenden Thätigkeit erhobene Einbildung nicht ganz getilgt. Wenn dem reinen Bilde, das sie im Jnnern erzeugt, volle Objectivität (§. 391), sogar ganze sinnliche Lebendigkeit (§. 398) zuerkannt worden ist, so kann dieß nur relativen Sinn haben; der Objectivität als blos innerem Gegenüberstellen kommt nicht die Kraft der Unterscheidung zu, wie dem Gegenschlage zwischen Subject und wirklichem, äußerem Object, dem lebendig sinnlichen Bilde, das nur innerer Schein ist, nicht die Deutlichkeit, wie der eigentlichen, realen Erscheinung. Ebendadurch war ja der Uebergang der Phantasie in die Kunst gefordert, welche dem innern Bilde wieder die Objectivität und Deutlichkeit des Naturschönen verleiht (§. 492, vergl. dazu besonders §. 510). Die Kunst selbst aber, nachdem sie die Hauptformen der Darstellung in sinnlichem Materiale durchlaufen hat, kehrt nun auf höherer Stufe zu dem Standpuncte der Phantasie vor der Kunst zurück. „Auf höherer Stufe,“ denn der Unterschied ist klar: die Phantasie als Dichtkunst ist ja von der Phantasie, die noch nicht Kunst ist, wesentlich dadurch verschieden, daß sie sich nach außen erschließt, sich in einem technisch durchgeführten Gebilde mittheilt, wogegen das Gebilde der noch nicht künstlerisch thätigen Phantasie wesentlich noch ein unreifes ist; ihr Erzeugniß hat also nicht nur Objectivität in dem Sinne, wie das innere Jdealbild überhaupt, sondern die ganz entwickelte Objectivität der Kunstgestaltung; allein es bleibt in dieser Erschließung nach außen doch innerlich und muß daher die Unbestimmtheit und Undeutlichkeit des Phantasiebildes, das sich noch gar nicht erschlossen hat, doch in irgend einem Sinne theilen; es hat Körper gewonnen, dessen Glieder in festem Kunstverhältniß stehen, aber dieß ist ein Körper, aus welchem der Blitz des Gedankens mit einer Bestimmtheit leuchtet, in welcher diejenige Bestimmtheit, Compactheit und Schärfe der Umrisse sich verzehrt, die dem Werke der bildenden Kunst eigen ist. Das vollständige, wirkliche Ausbreiten vor dem Auge bleibt der unendliche Vortheil des bildenden Künstlers vor dem Dichter. Es müssen nun auch die Jncongruenzen stärker betont werden, welche schon zu §. 839, Anm. 1. berührt sind. Der Dichter wird der Undeutlichkeit, an welcher seine Bilder in Vergleichung mit denen des Malers leiden, durch ein Verweilen bei den einzelnen Zügen abzuhelfen streben. Allein es ist dieß in Wahrheit kein Verweilen, denn in Zeitform darstellend rückt er ja fort. Dieser wichtige Satz ist hier vorerst einfach hinzustellen, in der Lehre vom Styl aber genauer auseinanderzusetzen und in seine Consequenzen zu verfolgen. Es handelt sich jedoch nicht nur von der Deutlichkeit, sondern auch von der Gleichzeitigkeit. Wenn nämlich Mehreres, was auf weiten Räumen zu gleicher Zeit geschieht, dargestellt werden soll, so ist nicht die Vielheit an sich dem Dichter ein Hinderniß, denn die Phantasie schaut gleichzeitig Vieles und er mag sein Gesichtsfeld strecken, so weit er will, aber die Theile des Vielen bewegen sich in der Zeitform, ein Geschehen ist darzustellen und der Dichter kann nur Eine dieser gleichzeitig laufenden Linien nach der andern verfolgen. Dieß ist die andere Seite der Beengung, um welche er die freie Weite seiner Kunst erkauft; beide Seiten fassen sich zusammen in dem Widerspruche des Successiven mit dem Simultanen. §. 841. Dieser Verlust wird reichlich ersetzt durch das schlechthin Neue, was gewonnen ist. Zunächst liegt dieß in der Vereinigung des Räumlichen und Zeitlichen: die Dichtkunst fesselt nicht einen Moment der Bewegung an das Nebeneinander des Raumes, sondern ihre Gestalten bewegen sich vor dem innern Auge wirklich und sie führt daher eine Reihe von Momenten vorüber, deren Abschluß nur der künstlerische Zweck bestimmt. Dieser wesentliche Fortschritt vereinigt sich mit den in §. 838 hervorgehobenen Vortheilen. Ein Theil des großen Vorsprungs der Poesie, nicht in Eroberung neuer, aber unendlich neuer Erschöpfung der Erscheinungsgebiete, worin die andern Künste sich bewegen, ist allerdings schon in §. 838 aufgeführt; der Zuwachs an Ausdehnung über alle Art von Jnhalt, wurde schon dort hervorgehoben, um dann zunächst die Verluste auf demselben Boden nachzuweisen, hierauf aber nunmehr zu dem absoluten Gewinn aufzusteigen, der für diese Verluste entschädigt. Der quantitative Umfang des Darstellbaren, von welchem dort die Rede war, ist denn eine an sich zwar höchst bedeutende, verglichen jedoch mit dem unendlichen Gewinne, von dem jetzt die Rede ist, noch untergeordnete Eroberung. Die Poesie hat gewonnen eine Einheit des Nebeneinander im Raume und des Nacheinander in der Zeit. Das Werk der bildenden Kunst fesselt einen Zeitmoment im Raume, der Zuschauer löst wohl durch seine Phantasie diese Fessel wieder, indem er sich aus dem fruchtbaren Momente, den der Künstler gewählt hat, die vorhergehenden und folgenden entwickelt; er thut dieß aber, obwohl auf Anlaß, doch nicht unter Anleitung des Künstlers, es ist also zufällig, ob er dieß Vorher und Nachher sich richtig oder falsch, schön oder unschön vergegenwärtigt und wie weit er es fortführt, ja was das Letztere betrifft, so ist überhaupt gar nicht zu bestimmen, an welchem Puncte dieser Reihe seine Phantasie umbiegen und zu der unentwickelten Sammlung von Momenten in Einem entwickelten, die ihm das Kunstwerk vor Augen stellt, zurückkehren soll. Man erkennt, daß dieß trotz allem Charakter klarer Abgeschlossenheit ein Grundzug von Unreife, Unvollendung ist, welcher der bildenden Kunst anhängt. Der Dichter dagegen gibt die Reihe wirklich, er überläßt sie nicht der ungewissen Fähigkeit der allgemeinen Phantasie, er führt sie künstlerisch gebildet an unserem innern Anschauen vorüber, beginnt und schließt sie, wo der innere Einheits= und Lebenspunct seines Kunstwerks es verlangt; wir sehen den Apollo von Belvedere nicht nur, wie er abgeschossen hat und dem Schusse triumphirend nachblickt, den Laokoon nicht nur, wie er von den Schlangen umschnürt in Todesschmerz aufstöhnt, sondern jenen, wie er den Feind ersieht, wie er schießt und nachher in seiner Götterruhe zurückkehrt, diesen, wie er die dämonischen Thiere mit Grauen erblickt, sich mit seinen Söhnen auf den Altar flüchtet, erfaßt wird und wie er nach den letzten tödtlichen Bissen mit ihnen, eine tragische Leichengruppe, hingestreckt liegt. Nun erst nehme man wieder den rein quantitativen Gewinn hinzu, welcher schon in §. 838 hervorgehoben ist: ebenso bewegt, wie die Figur oder Gruppe, die je zunächst den Mittelpunct seiner Darstellung bildet, gibt uns der Dichter Alles mit, was rings diese Gruppe umgibt, soweit es ihm ästhetisch beliebt, seinen Kreis zu ziehen, und dieß gefüllte Ganze führt er dann zu den weiteren Momenten fort; eine ganze breite Masse der verschiedensten Gegenstände in den verschiedensten Zuständen und Stimmungen kann er vor uns hinführen, einen ganzen, mächtigen Strom, der das unendliche Leben spiegelt, wälzt er gewaltig vor unserem Jnnern vorüber. Die Schwierigkeiten, denen er nach dem vorh. §. unterliegt, sind darin keine absoluten Hindernisse, sie bedingen nur gewisse Gesetze des Verfahrens und ein gewisses Maaß. §. 842. 1. Das Ganze des unendlichen Gewinns erhellt aber in der Verbindung des Jnhalts von §. 837 mit §. 841: die also bewegte Gestaltenwelt erscheint nicht nur allen Sinnen, sondern dem innern Gehör wesentlich in der Form der Sprache, welche Alles in das volle Bewußtsein erhebt. Mit der gesammten sichtbaren Welt kommt also die gesammte innere zur Darstellung und zwar so, daß jene sich in diese, diese aber schließlich zur Handlung als dem wahren Ziele der dichterischen Weltauffassung concentrirt, welche demnach das Schöne 2. wahrhaft in der Form der Persönlichkeit (§. 19) verwirklicht. Die Handlung begreift auch abstracte Gedanken in sich und solche sind, wofern sie nur durch Empfindung und Leidenschaft mit Veränderungen der Außenwelt in innerem Zusammenhang stehen, von der Dichtkunst keineswegs ausgeschlossen. 1. Der Dichter zeigt Gestalten, bewegte Gestalten und bewegt in einer Reihe von Momenten, wir sehen sie, wir hören sie innerlich. Wir hören sie aber nicht nur tönen, seufzen, lachen, weinen, sondern auch sprechen. Der Dichter spricht selbst, er erzählt, was seine Personen sprechen, er kann sie auch in der oratio recta sprechen lassen. Er sagt uns, wie seine Personen das Geheimniß der Welt, alle Berührungen zwischen Welt und Mensch auffassen, er sagt uns, wie er selbst es auffaßt, er deutet Alles. Darin erst vollendet sich der Begriff der Einheit des Subjectiven und Objectiven in der Dichtkunst: Alles geht in's Jnnere, wird zum Jnnern, wird hier durch die Sprache zu einem Bewußten, und umgekehrt: aller Ausfluß des menschlichen Jnnern in der Welt, der zur Darstellung kommt, wird mit der Ausdrücklichkeit des Worts auf diese seine Quelle zurückgeführt. Zunächst ist also klar, daß hiemit erst die Lichtfackel in das Jnnere getragen ist; alle Kunst stellt das Jnnere dar, entfaltet die Welt, wie sie der Geist beleuchtet, aber wo das Wort fehlt, treten doch nur dämmernd und höchst unvollständig die weiten Gewölbe der unendlichen Jnnenwelt in's Licht. Was ein Menschenherz in sich bewegen, was es thun und leiden kann, in welchen unermeßlichen Weisen die Welt es anregt, welche Abgründe und Höhen in ihm sich aufthun, welche unendlichen Kämpfe sich in ihm entspinnen, in welchen verwickelten Prozessen die Leidenschaften, die Entschlüsse, die Charaktere reifen, welche Empfindungen ganze Massen, welche Kräfte die mächtige Wucht des Gemeinlebens beherrschen, welche Jdeen die Geschichte regieren: Alles wird nun erst offenbar, weil es ausgesprochen wird. Dieß Aussprechen ist aber immer zugleich das Zusammenfassen der innern und äußern Welt: jene wird eben darum deutlich, weil durch das Wort alle Beziehungen auf diese, auf die Objecte, auf die Natur, auf die festen Formen der Gesellschaft, des Staats ausgedrückt, alle Seiten der Erscheinung verwendet werden können, um Seelenbewegungen zum Verständnisse zu bringen. Göthe bezeichnet das Wesen des Dichters, wenn er von Shakespeare rühmt, wie er das Geheimniß des Weltgeistes ausplaudert und verräth, wie es heraus muß und sollten es die Steine verkündigen, wie seine Charaktere ihr Herz in der Hand tragen, wie sie Uhren gleichen, deren durchsichtiges Zifferblatt das ganze innere Triebwerk sehen ließe. Der Dichter zeigt die Welt, wie sie sich stetig im Subjecte zum Lichte des Bewußtseins zusammenfaßt, die Welt im idealen Einheitspuncte der Persönlichkeit; er verwirklicht also mehr, als jeder andere Künstler, was der angeführte §. der Metaphysik des Schönen aufgestellt hat: daß alles Schöne persönlich ist. Er macht die Welt durchsichtig, man sieht durch alle Erscheinung auf den Brennpunct, dem alles Aeußere nur Anreiz, Organ und Stoff seiner freien Bestimmung ist. Wir haben von der Poesie bereits gesagt, der Ausdruck herrsche in ihr über die Form, wir haben ebendasselbe von der Malerei gesagt, aber auch in dieser Beziehung wiederholt sich der Charakter der Malerei in der Poesie auf höherer Stufe in unendlich intensiverem Sinne. ─ Die Auffassung der Welt unter dem Standpuncte der ausgesprochenen Persönlichkeit führt nun schließlich zum Standpuncte der Handlung. Die Persönlichkeit, mit dem Jnhalte der Welt in unendlichen Wechselwirkungen erfüllt, bestimmt die Welt durch Denken und Handeln. Das Denken kann als solches nicht den herrschenden Jnhalt eines Kunstwerks bilden, die Erschließung, die Verwirklichung der Persönlichkeit muß also die Handlung sein. Die Welt ist in der Anschauung der Poesie wesentlich Wille. Jn §. 684, 2. ist der Malerei ein vorzüglich dramatischer Charakter zuerkannt. Dieß im Gegensatze zu der Sculptur; vergleicht man aber jene Kunst mit der Poesie, so leuchtet ein, daß diese noch eine ganz andere Meisterinn ist in der Durchführung der straffen Spannungen, der entscheidenden Momente, zuckenden Blitze der That. Das ist die Spitze, in welche sie das weite und tiefe Bild des innern Lebens zusammendrängt, das sie vor uns entfaltet; auf diese Spitze stellt sie die Welt; sie ist radical, aus der Tiefe der Freiheit läßt sie die durchgreifenden Acte heranschwellen, welche den Faden des Gegebenen, die Macht des blos Zuständlichen durchschneiden. Diese Stellung der Welt unter den Standpunct des Willens darf natürlich nicht in nackter Einfachheit verstanden werden; sie schließt z. B. den Zufall nicht aus, nur daß er nicht gilt, als sofern er vom Willen zum Motiv erhoben wird; es darf ferner nicht blos an einzelne Willens-Acte gedacht werden, sondern ebensosehr an fortdauernde Folgen von solchen, an bestehende Zustände als Product des Gemeinwillens in weit verwickelter Wechselwirkung mit den Bedingungen der umgebenden Natur u. s. w. Ueberhaupt wird die Poesie verschiedene Formen treiben, deren eine mittelbarer, die andere unmittelbarer die innere Einheit der Weltanschauung dieser Kunst bis zu solcher Straffheit entwickelt, und es ist das hier erst Angedeutete in der Lehre von den Zweigen wieder aufzunehmen. ─ Auch die Persönlichkeit des Dichters ist hier noch einmal in's Auge zu fassen: was zu §. 385, §. 389 Anm. 2. §. 393, 2. als Bedingung der Phantasiethätigkeit überhaupt aufgestellt ist: ein reiches Erfahrungsleben, das gilt ebenfalls mit besonderem Nachdruck dem Dichter. Da in seiner Künstlerhand alles Leben zum Seelenleben werden, da er die ganze Außenwelt in's Jnnere führen und wenden soll, so muß er mit dem scharfen Auge der objectiven Anschauung den lebendigsten Nerv der Theilnahme vereinigen und dieß kann er nicht, ohne in den Strudel des Lebens, das Meer der Leidenschaften und tiefsten Kämpfe selbst hineingerissen zu werden. Wessen Brust das Leben nicht durchwühlt, wer nicht der Menschheit ganzes Wohl und Wehe erlebt hat, ist kein Dichter. Es ist nicht vorausgesetzt, daß buchstäblich alles Schwerste, Aufregendste erlebt sei, dem Dichter-Gemüthe kann zum Himmel und zur Hölle werden, was Andere nur leicht anstreift, aber genug muß erlebt sein, um sich in jedes Glied der Kette menschlicher Erfahrungen lebendig versetzen zu können. Um so stärker ist aber auch die andere Forderung festzuhalten: wer aus dem wühlenden Kampfe nicht gesammelt und geläutert hervorgegangen ist, der ist auch kein Dichter, denn wir brauchen nicht auf's Neue zu beweisen, daß das eigene Jnnere nicht mehr stoffartig mit einer Leidenschaft verwachsen sein darf, wenn sie zum künstlerischen Stoffe werden soll. Shakespeare's Sonette geben einen höchst merkwürdigen Blick in ein Gemüth, das von furchtbaren Kämpfen durchwühlt ist, aber sich mit der strengsten ethischen Kraft der Selbstbestimmung daraus emporarbeitet und Verjüngung aus dem trinkt, was Vernichtung drohte; Tieck hat dieß im Dichterleben tiefsinnig verwendet und und durch Zusammenstellung mit R. Green und Marlowe dem Erhebungsprozeß Shakespeare's die künstlerische Folie gegeben. Ein durchaus normales Bild für den Satz, von dem es sich hier handelt, ist auch Göthe's Leben, namentlich die Entstehung von Werther's Leiden, worauf schon in Anm. 2. zu §. 393 hingewiesen ist. 2. Es ist ausdrücklich hervorzuheben, daß die Dichtkunst fähig und berechtigt ist, auch Abstractes auszusprechen. Es steht dieß nicht in Widerspruch mit §. 16, welcher strenge die Verwechslung der Jdee mit dem abstracten Begriff ausschließt, denn dort ist die Rede vom Mittelpunct eines ästhetischen Ganzen, hier von Solchem, was nur als Moment im Verlaufe dieses Ganzen auftritt. Natürlich muß ein solches, an sich prosaisches, Moment in sichtbarem Zusammenhang von Grund oder Folge mit dem Mittelpuncte, der lebendigen Jdee des Dichtwerks stehen; so können ganz prosaische Verhältnisse, z. B. Rechtsfragen, die furchtbarsten Leidenschaften, Probleme des Wissens die schwersten Gemüthskämpfe hervorrufen, umgekehrt sittliche Kräfte sich darin äußern, daß sie Thaten ausführen, Lebensformen begründen, welche wesentlich prosaische Bestandtheile mit sich führen, die vom Dichter auseinandergesetzt werden müssen, sie können ihre Fülle und Tiefe im Aussprechen von allgemeinen Wahrheiten, Sätzen der Weisheit offenbaren, wie der schlimme Charakter seine Verkehrtheit durch Lüge und Widerspruch. Ja alles dieß ist vielmehr nothwendig, wo die Kunst mit dem Mittel der Sprache das Leben in der Gesammtheit seiner Erscheinungsseiten darstellt, und es ist abermals zu erinnern, was die bildende Kunst entbehrt, indem sie alle diese Vermittlungen nicht nennen kann. Umfassende Kunstwerke der Poesie werden, indem ihnen so der Dichter unbeschadet der Objectivität und Concretion ihres ästhetischen Lebenssitzes Gedanken in reiner Gedankenform einflechten darf, zu einem Schatze tiefer Wahrheiten; Shakespeare's und Göthe's Werke sind ganz durchsättigt mit dem Salze der Lebensweisheit. ─ Wir haben diesen Punct schon berührt in der Lehre vom Erhabenen des Subjects, §. 103; hier, im Gebiete der Poesie, tritt er erst in volles und richtiges Licht. §. 843. Vor diesen Mitteln und diesem Geiste der Poesie fallen die Schranken, welche der Einführung des Häßlichen auch im Gebiete der Malerei noch gesetzt sind, und es bleibt nur die allgemeine ästhetische Bedingung übrig, daß sich dasselbe in ein Erhabenes oder Komisches auflöse. Sie erschöpft nicht nur diese widerstreitenden Formen, sondern auch das einfach Schöne in einer Weite und Tiefe wie keine andere Kunst. Die Mittel, wodurch die Malerei befähigt ist, Häßliches ästhetisch aufzulösen, erkannten wir in der Vielheit von Erscheinungen, die sie in Einem Bilde zu vereinigen vermag und durch die es ihr möglich wird, den an sich abstoßenden Eindruck einer Form im Fortgang zu andern, schöneren, aufzuheben, ferner in dem fortleitenden, dämpfenden Charakter der Farbe und endlich überhaupt in der Herrschaft des Ausdrucks über die Form. Die Poesie besitzt nicht nur diese Mittel, sondern ungleich mehr. Sie schwächt überhaupt und vor Allem die Graßheit der unmittelbaren Erscheinung des Häßlichen schon dadurch, daß sie es nur der innern Anschauung vorführt. Mit dem Satze in §. 837 Anm., daß das nur vorgestellte Furchtbare unendlich stärker wirke, als das wirklich geschaute („Schrecken der Einbildung sind furchtbarer, als wirkliche“ sagt Makbeth), steht diese Wahrheit in keinem Widerspruch, denn was durch die Verhüllung vor dem äußern Sinne geschwächt wird, ist eben nicht das Furchtbare, sondern das Häßliche, das zu sehr als solches sich zu fühlen gibt, um sich in das Furchtbare poetisch aufzulösen, wenn diese Schwächung nicht Statt findet. Unter Anderem wird es hiedurch möglich, selbst einen Sinnen-Eindruck zu vergegenwärtigen, in welchem das Häßliche recht eigentlich als ein Eckelhaftes auftritt: den Gestank; der Dichter kann diese apprehensive Wirkung als Hebel des Furchtbaren (z. B. mephitische Dünste der Flüsse der Unterwelt, verwesender Leichname) so verwenden, daß der Eckel nur ein Mittel ist, Grauen zu wecken. Er kann aber auch, was den einen Sinn beleidigt, zugleich einem andern zu vernehmen geben, das Uebergewicht des Jnteresses im Sinne des Furchtbaren diesem zuschieben und so das Häßliche, was jenen verletzt, zu einem bloßen Moment herabsetzen: „wenn Virgil's Laokoon schreit, wem fällt es dabei ein, daß ein großes Maul zum Schreien nöthig ist und daß dieses große Maul häßlich läßt? Genug daß: clamores horrendos ad sidera tollit ein erhabener Zug für das Gehör ist, mag er doch für das Gesicht sein, was er will“ (Lessing Laok. Cap. 4). Hier dient also dem Dichter die gleichzeitige Verbindung eines Zugs mit andern Zügen; das wichtigste Auflösungsmittel aber ist ihm natürlich das successive Fortrücken im Gegensatze gegen das Fixiren des Moments in der bildenden Kunst: das Bild, das schwebend am innern Sinne vorüberzieht, läßt sich unendlich leichter in die positive anderweitige Wirkung überleiten, die es, an sich häßlich, hervorrufen soll; der Laokoon schiene im Marmor unabläßig zu schreien, bei dem Dichter schreit er nur einen Augenblick (Lessing a. a. O. Cap. 3); wie aber ein solcher weitgeöffneter Mund auf die Leinwand gefesselt sich ausnimmt, kann man an dem gekreuzigten Petrus von Rubens in Köln sehen. Es ist schon in der Lehre von der Bildnerkunst gezeigt worden, daß Lessing Unrecht hat, wenn er der bildenden Kunst (obwohl er im Allgemeinen natürlich zugibt, daß sie die Bewegung errathen lassen, daß sie Handlungen andeutungsweise durch Körper ausdrücken kann), doch das entschieden Transitorische verschließt, vergl. §. 613 und 623; zu dem letztern §. ist der Satz aufgestellt: verboten ist nicht das Augenblickliche an sich, sondern das, dessen Anblick nur einen Augenblick erträglich ist. Auch Frauenstädt (Aesth. Fragen XIV ) weist nach, daß Lessing hier die Form des dargestellten Gegenstandes und die Natur des Materials, worin dargestellt wird, miteinander verwechselt, indem die Fixirung im dauernden Materiale keineswegs die abgebildete Bewegung in räumliche Dauer verwandelt, also z. B. der fliegende Vogel darum, weil sein Bild auf der Leinwand festhaftet, keineswegs zu einem ruhenden wird. Nur fehlt er dann selbst gegen die Logik, wenn er sagt, in der Poesie werden gewisse Darstellungen, welche nicht wegen ihrer Bewegtheit an sich, sondern wegen der grellen Art derselben aus der Sculptur und Malerei auszuschließen seien, darum möglich, weil diese durch das hörbare, minder lebhaft und anschaulich wirkende Wort schildere; hier verwechselt er selbst Jnhalt und Darstellungsweise; es sollte heißen: weil die Poesie vermittelst des Worts nur auf die Phantasie, nicht auf die äußere Anschauung wirke. Darin liegt dann als besonderes Moment, daß durch jenes Vehikel, dessen Laut mit dem Dargestellten an sich gar nichts zu schaffen hat, auch Gehörs-Eindrücke vergegenwärtigt werden können, und dieß eben ist der Fall in dem Beispiele von Laokoon. Der geöffnete Mund wäre im Marmor oder auf der Leinwand nicht darum häßlich, weil schreien momentan, sondern weil es, für das Auge allein dargestellt, ein Momentanes häßlicher Art ist; der Dichter aber gibt uns nur eine schwache Vorstellung vom offenen Mund und lenkt uns überdieß auf den furchtbaren Laut ab. Uebrigens, nachdem man einer wissenschaftlichen Verwechslung von Jnhalt und Darstellungsmittel gehörig vorgebeugt, hat man dann dennoch nicht zu übersehen, daß der Zuschauer bis zu einem gewissen Grade allerdings dieses auf jenen in seinem Gefühl unwillkürlich überträgt, und dieß ist eben der Fall bei Solchem, was, wenn es mehr, als momentan, ist, widerlich wird; da meint man denn, es wolle sich, von der bildenden Kunst technisch festgehalten, auch wirklich für permanent erklären. Daher bleibt trotz der ursprünglichen Verwechslung Lessing's Satz richtig, daß der Laokoon im Marmor immer zu schreien schiene, während der des Dichters nur einen Augenblick schreit. ─ Ein weiteres Mittel, wodurch die Poesie das Häßliche in erweitertem Umfang einzuführen und aufzulösen sich befähigt, ist die Farbe. Sie theilt es mit der Malerei, es hat aber für sie, wie für die letztere, nicht nur die Bedeutung eines mildernden Uebermittelns an einen andern Sinn, sondern einer Eintiefung der ganzen Erscheinungswelt und einer Dämpfung ihrer Härten durch die Herrschaft des Ausdrucks über die Form. Der Dichter hat aber durch das Wort noch einen Reichthum von andern Vortheilen, denn er bringt vermittelst desselben eine Summe von Zügen herbei, die sämmtlich verhindern, daß das Häßliche sich als solches verhärte, und es schließlich als Moment in den Fluß der Handlung überführen. Lessing zeigt a. a. O., wie Laokoons Schreien das Störende auch dadurch verliert, daß uns der Dichter so viele andere Züge des unglücklichen Priesters kennen lehrt. Angesichts solcher Freiheit erhellt noch entschiedener, als bei andern Künsten, daß der Begriff einer bloßen Zulassung des Häßlichen unzulänglich ist: die Poesie kann nicht nur, sondern sie will und soll das Häßliche erst in seinem ganzen und wahren Wesen in die Kunst einführen, denn das Häßlche ist schließlich (vgl. §. 108, Anm. 1) das Böse in seiner Erscheinung und erst diese Kunst öffnet ja wahrhaft die innere, die sittliche Welt, welche ohne die Contrastwirkungen und das Ferment des Bösen gar nicht denkbar ist. Durch die reichen Mittel des Dichters wird es nun in den tiefen geistigen Zusammenhang gesetzt, der es gleichzeitig verstärkt und mildert. Es erhält einen eigenthümlichen dämonischen Reiz, indem es mit dem Großen und Edeln geheimnißvoll sich verwickelt und in seiner äußersten Verirrung noch einen verführerischen Erinnerungsschimmer des Schönen auf der Stirne trägt. Mit der vollen Enthüllung der innern Welt öffnen sich aber auch erst alle jene Widersprüche, durch welche dem Häßlichen sein Stachel genommen, vielmehr in einen Reiz zum Lachen verwandelt wird, und ein gemalter Falstaff ist nicht halb so komisch, als der wandelnde, sprechende, handelnde, dem wir in das Spiel hineinsehen, das seine Genußsucht, sein Witz und sein Gewissen miteinander treiben wie drei Eimer, die immer ihren Stoff ineinander herüber- und hinübergießen. Die Metaphysik des Schönen hat gezeigt, daß keine seiner Grundformen nach der Seite seines Jnhaltes so entschieden ein Hergang, ein Verlauf und nach der subjectiven Seite so prägnant ein Act des Bewußtseins ist, wie das Komische. Daraus folgt, daß nur diejenige Kunst, welche wirkliche Bewegung darstellt und durch die Sprache eine Kunst des Bewußtseins ist, diese Welt erschöpfen kann. Wir haben gesehen, wie die Malerei trotz ihren erweiterten Grenzen im Grunde sehr zurückhaltend, mäßig im Komischen ist und sein muß. Der Dichter also erst entfesselt alle Geister des Humors, er erst zeigt uns, wie Weisheit und Thorheit, Kraft und Schwäche in den Tiefen des Gemüths miteinander ihr Spiel treiben, und führt dieß Spiel an das Tageslicht der bewegten, springenden Handlung heraus. Die Grenze des Verzerrten und Tollen liegt daher für den Dichter einzig in dem allgemeinen ästhetischen Gesetze, daß es sich nicht als solches verselbständige, sondern in eine jener contrastirenden Formen des Schönen überlaufe; es steht zwischen ihm und diesem Reichsgesetze keine Zwischen= Jnstanz, er ist reichs=unmittelbar. Allein auch das einfach Schöne erscheint in unendlich vertiefter Anmuth, wenn es durch die Kunst des Bewußtseins und der Sprache wesentlich als Seelenschönheit auftritt. Ein Wort kann einen innern Himmel der Liebe, Reinheit, Unschuld enthüllen, in dessen Herrlichkeit der bildende Künstler mit allen seinen Mitteln uns so nicht blicken lassen kann; die Seelen-Anmuth einer Margarethe im Faust, einer Cordelia, Ophelia, Desdemona ist dem Griffel und Pinsel unerreichbar. §. 844. Hiemit ergibt sich, daß die Poesie noch mehr, als die Malerei (vergl. §. 657), auf das Prinzip der indirecten Jdealisirung gewiesen ist. Dennoch wird dadurch das entgegengesetzte der directen Jdealisirung weniger, als in jener Kunst, auf die Seite gedrängt. Das Häßliche ist, wie wir gesehen haben, da, wo alle Kunstmittel vorhanden sind, es aufzulösen, nicht blos zugelassen, sondern es wird herbeigerufen, die Kunst muß es wollen. Das Häßliche ist nur die Spitze einer Formenwelt, welche in ihren niedrigeren Graden blos abweichend vom rein entwickelten Normaltypus einer Gattung, unregelmäßig u. s. w. genannt wird. Es geht nun in der Poesie der Zug der Auffassungsweise nothwendig dahin, daß nicht die einzelne Gestalt im Sinne des Normaltypus schön sei, sondern das Schöne aus einer Gesammtwirkung entspringe, worin mehr oder minder unregelmäßige, vom Maaßstab ihrer Gattung mit mehr oder minder Eigenheit bis zur Empörung des Häßlichen abweichende Erscheinungen zusammentreten. Der Grund davon ist zunächst ebenderselbe wie in der Malerei: die Mitaufnahme des die Hauptgestalten Umgebenden, die überleitende, dämpfende Farbe, die freie Einführung einer Vielheit von Gestalten, das Vorwiegen des Ausdrucks über die Form: alles dieß zieht so zu sagen an der einzelnen Gestalt, lockert die Selbständigkeit der ästhetischen Geltung, auf, die ihr in der Götterbildenden Plastik zukommt, und verändert den festen Körper des Schönen in ein ergossenes Fluidum, seinen Buchstaben in einen Geist, der zwischen den Zeilen zu lesen ist. Erwägt man nun, daß in der Poesie alle jene Momente sich nicht nur unendlich erweitern, sondern daß noch das wirkliche Fortrücken, die Zeitform hinzukommt, so kann kein Zweifel sein, daß eine so geistig bewegte Kunst die Würze des Umwegs durch das Jndirecte dem geraden Wege des Schönen vorzieht. Hier wird der Strahl der Schönheit aus einer Gährung aufblitzen, in welcher die reine Schönheitslinie nicht gefordert ist, der Gott wird seine Marmorschönheit opfern und wenn tiefe Seelen-Conflicte seine Gestalt zerfurchen, so wird das klar gesprochene Wort diese Furchen deuten. Der Einzelne wird Glied in der Kette einer Handlung mit weitem, Natur und Geschichte umfassendem Horizonte werden, der Stempel des tief und allseitig Durcharbeiteten wird sich daher seiner Erscheinung aufdrücken, wie sie vor unserem innern Auge vorüberzieht. Trotzdem wird das Prinzip der directen Jdealisirung von dem der indirecten in der Poesie nicht nur nicht schlechthin unterdrückt sein, wie ja dieß auch in der Malerei nicht der Fall ist (vergl. §. 657), sondern es wird unter der Herrschaft desselben noch ein ungleich größeres Recht fortbehaupten, als in dieser Kunst. Zum Beweise ziehen wir aus der Geschichte beider Künste die einfache Thatsache herbei, daß Homer unzweifelhaft ganz Dichter ist, während der Malerei der Alten spezifische Eigenschaften fehlen, welche zum vollen Begriffe dieser Kunst gehören. Das Stylprinzip in beiden ist hier das direct ideale, die Malerei aber leidet darunter, die Poesie nicht. Hätte jene das Helldunkel, die Dimension der Tiefe, die figurenreichere Composition und die Vielseitigkeit des Ausdrucks entwickelt, wie das innere Wesen der Malerei dahin drängt, so hätte sie charakteristisch, individualisirend werden müssen, die Poesie dagegen entfaltete ihre sämmtlichen Mittel und konnte doch plastisch schön bleiben, so daß ein Thersites einsam im Saale der Homerischen Statuen wandelt. Es scheint auffallend, daß eine Kunst, in welcher das Salz der Negativität im Verhältnisse zwischen Ausdruck und Form noch um so viel stärker ist, als in der Malerei, daß die Poesie doch in den Grenzen einer prinzipiellen Auffassung, welcher diese Negativität fremd ist, auf dem Boden einer einfach ruhigen Harmonie zwischen Ausdruck und Form eine so viel unzweifelhaftere, den spezifischen Bedingungen des bestimmten Kunstgebiets entsprechende ebenbürtige Welt der Schönheit schaffen kann. Es erklärt sich aber diese Erscheinung einmal daraus, daß in der Poesie die Farbe kein so wesentliches Moment ist, wie in der Malerei, daß jene vielmehr leichter, als diese, dem Formgefühle wieder ein gewisses Uebergewicht über das Farbgefühl geben kann. Die Farbe in ihrer Ausbildung zu einer gesättigten Welt unendlicher Uebergänge, Durchkreuzungen von Licht und Dunkel ist es vorzüglich, was den Accent auf eine Art des Ausdrucks wirft, die einen gewissen Bruch zwischen dem Jnnern und Aeußern voraussetzt, was die Kräfte, Eigenschaften, Beziehungen jedes Wesens zur Außenwelt so reich spezialisirt, daß die einfachere Grundlinie der Schönheit, welche auf naturvolle Harmonie des Gemüthslebens weist, in dieser Kunst zu matt, zu uninteressant erscheint. Die Gebilde, welche die Dichtung vor unsere Phantasie führt, haben nun allerdings auch Farbe, über Homer's Welt wölbt sich der tiefblaue Himmel des Südens und glänzt alles Leben im glühenden Sonnenlichte. Allein wenn alle Züge der Erscheinung, wie sie nur der innerlichen Sinnlichkeit vorschwebt, unbestimmter werden, so gilt dieß doch mehr von der Farbe, als vom Umriß; dieser zeichnet sich deutlicher und schärfer vor das Auge der Einbildungskraft, weil er Linie ist. Es ist doch ungleich mehr Umriß= als Farben-Freude, was wir bei Homer's Gebilden als Objecten des inneren Sehens genießen. Die Poesie bleibt daher weniger, als die Malerei, hinter den Bedingungen ihrer spezifischen Kunstform zurück, wenn sie die Zeichnung über die Farbe herrschen läßt; die Zeichnung führt aber als das plastische Element mehr dem Prinzip der directen Jdealisirung zu. Dieß ist aber noch nicht die ganze Begründung; zunächst ist das Element Bewegung noch in Betracht zu ziehen. Dieselbe geht in der Dichtkunst, wiewohl nur innerlich geschaut, doch wirklich vor sich, wie in keiner bildenden Kunst. Sie hat ihr eigenes Reich der Schönheit in der Welle der Anmuth; ihm steht eine andere Welt von Bewegungen gegenüber, welche wir gebrochene nennen können und welche auf ein inneres Leben hinweisen, das aus der Einfalt ursprünglicher Harmonie des Seelenlebens herausgetreten ist. Der Dichter, der sich des Vortheils erfreut, daß ihm wirklich bewegte Gestalten zu Gebote stehen, wird nun mit demselben Fuge die eine oder andere Welt des Charakters der Bewegung zu der seinigen machen können. Hiemit haben wir aber die Frage bereits in ihren wahren Mittelpunct, in das Jnnere, in die Form des Seelenlebens geführt, indem wir die Anmuth der Bewegung sogleich mit ihrem innern Grunde, der Schönheit der Gemüths-Einfalt, zusammennehmen mußten. Nun ist nach allem Obigen keine Frage, daß die Poesie unendlich erweiterte Mittel besitzt, jede verwickeltste Brechung des einfach schönen Seelenlebens, das sich mit der Sinnlichkeit in gediegener Harmonie ergeht, in alle ihre Ecken und Härten zu verfolgen, und der Besitz dieser Mittel ist natürlich zugleich der Wille, sie anzuwenden; allein man übersehe nicht, daß jene Welt des Gemüthslebens nur auf dem vergleichenden Standpunct einfach, ungebrochen, harmonisch ist, daß sie an sich ein bewegtes Leben voll von Kämpfen bis zu den äußersten tragischen Conflicten umfassen kann, Alles mit nur weniger vertiefter Resonanz und daher in gewissen Grenzen der Form, welche die unzartere Ausbiegung, den schrofferen Sprung von einer Stimmung in die andere, den tieferen Griff in die Härte der Lebensbedingungen ausschließen. Die Poesie muß nun gerade einen besondern Beruf in sich tragen, die Bewegtheit, welche auch dieser Lebensform zukommt, mit dem Umfang ihrer Mittel zu entfalten, wie es die Malerei, ohne ihre Mittel von ihrem wahren Ziele zurückzuhalten, nicht vermag, einen Beruf, zu zeigen, daß eine Welt, die für den Maler zu leise, zu ungesalzen ist, unter ihrer Hand auflebt, sich vertieft und erweitert, die volle Würze stark wirkender Gegensätze empfängt. Kurz das Verhältniß ist dieses: der plastische Standpunct hindert die Malerei, wenn er auf sie übergetragen wird, an der vollen Ausbildung ihres Wesens als spezifische Kunstform, aber nicht ebenso die Dichtkunst: sie kann eine Welt von Statuen, worin wie in der Sculptur das Gesetz gilt, daß die einzelne Gestalt schön sei, beseelen und nach allen Seiten beleben, weil sie die Sprache und die wirkliche Bewegung in der Macht hat. Diese Auffassung wird sich dann über alle Seiten der Behandlung des Stoffs erstrecken: wie die einzelne geschilderte Persönlichkeit, so die Welt, die Culturformen, die Natur umher, so in der künstlerischen Form an sich die Sprache, die ganze Composition; Alles wird Ausdruck der „folgerechten, Uebereinstimmung liebenden Denkart“ sein, welcher Mercutio und die Amme in Romeo und Julie als „possenhafte Jntermezzisten unerträglich sind“ (Göthe's W. B. 45, S. 54). ─ Der hier aufgestellte Satz wird seine nähere Anwendung in dem Abschnitt über den poetischen Styl finden und hier die ganze Bedeutung seiner Consequenzen zu Tage treten. §. 845. Vermöge dieser Eigenschaften kommt der Poesie der Charakter der Allgemeinheit zu; sie stellt gegenüber den andern Künsten den Begriff der Kunst an sich dar; die beziehungsweise Leichtigkeit ihrer Uebung ist nur ein Ausdruck ihrer geistigen Natur. Daher verhält sie sich anders zur zeitlichen Entwicklung, als jene: sie eilt ihnen, in naiver Form mit der Musik vereinigt, aber auch in höherer Ausbildung voran, sie ist keiner Nation fremd, sie ist daher die älteste Kunst; aber zu voller Entwicklung ihres Wesens ist moderne Cultur vorausgesetzt, daher ist sie ebensosehr die neueste Kunst. Der Hauptsatz dieses §. ist schon durch den Jnhalt des vorh. eingeleitet, denn wenn die Poesie auf einer Basis der Auffassung, wobei die höchste der bildenden Künste, die Malerei, nicht zu voller Entwicklung gelangen kann, doch in einer Form aufzutreten vermag, welcher kein Merkmal der Kunst mangelt, so sieht man in ein Verhältniß, worin die Coordination mit den andern Künsten aufhört und die Dichtung von ihnen gelöst wie ein feiner Aether über festen Körpern erscheint, ja die Stellung des Begriffs zu den realen Jndividuen einnimmt. Sie verhält sich zum System der Künste wie das bedeutendste Nervencentrum, das Gehirn, zu den untergeordneten Nerven-Centren und zu den Gliedern, nur daß man dieß Bild ja nicht so verstehen darf, wie Rich. Wagner es braucht, als bezeichne es das Denken im Gegensatze von Empfinden und Anschauen, denn die Poesie ist ja vielmehr die ganze Kunst, vereinigt Empfinden und Anschauen, die Musik und die bildenden Künste, eben wie im Gehirn jede Thätigkeit des ganzen Organismus concentrirt ist, vorgebildet wird. Der Begriff der Allgemeinheit trägt sich nun auf das Historische so über, daß sie von jedem Volk in jedem Bildungszustande geübt wird, nach Göthe's Wort „eine Welt- und Völkergabe“ ist und daß sie in der einzelnen Epoche den schweren Gang der andern Künste nicht abwartet, sondern ihnen vorauseilt. Natürlich erklärt sich dieß vor Allem aus der Geschmeidigkeit ihres Vehikels, der Sprache: denn obwohl dieselbe künstlerisch, technisch gebildet werden muß, ist doch diese Arbeit dadurch unendlich erleichtert, daß hier dem Subjecte kein fremder Stoff mit der Sprödigkeit des Objects gegenübersteht, wie im eigentlichen Materiale bei den andern Künsten, sondern eine Aeußerungsform, die an sich zum Leben des Subjects gehört, nur edler, schwungvoller, gemessener zu gestalten ist. Diese technische Leichtigkeit ist daher nur die andere Seite der relativen Körperlosigkeit, der Geistigkeit der Poesie. Es erhellt aus dem Wesen einer solchen Kunst, warum auch das speziellere Talent für sie ungleich verbreiteter ist, als die Begabung für andere Künste, denn sie liegt ja in dem reinen, menschlichen Wesen unmittelbarer, inniger begründet, als diese. Jhre eng verwandte Nachbarinn, die Musik, scheint als die subjective Kunstform auf diese Bedeutung mehr Anspruch machen zu können und demnach sollte man meinen, das Talent für sie sei verbreiteter. Allein das wahrhaft allgemein Menschliche ist nicht das Gefühl, sondern der Geist, der seiner Natur nach nicht lange im bloßen Gefühle verweilt. Jm Gefühle verharren ist individuell und soll es für sich fixirt werden, so bedarf es einer Begabung, die eine besondere Organisation des Gehörs voraussetzt, wie sie in solcher Bestimmtheit für die Auffassung und Behandlung des Rhythmischen in der poetischen Sprache nicht gefordert ist, denn gar Mancher hat feinen Sinn für Versbau und dabei doch kein musikalisches Gehör. Dennoch macht sich die innige Nachbarschaft beider Künste auch im zeitlichen Verhältnisse geltend; denn man kann von jeder sagen, sie sei die älteste Kunst, und der scheinbare Widerspruch löst sich in dem Satz auf, daß beide vereinigt die älteste Kunst sind. Es ist ein altes und wahres Wort, daß die Poesie älter sei, als die Prosa. Wo der Mensch zum Erstenmale die Welt mit erwachtem Geist im Lichte des Allgemeinen betrachtet, da spricht er dieß nicht auf dem Wege aus, der durch eine Reihe verständiger Vermittlungen bei der Jdee anlangt, sondern unmittelbar in der idealen Stimmung und Anschauung. So entsteht eine ursprüngliche und unmittelbare Dichtkunst, welche, verglichen mit der ganzen Aufgabe der Poesie, relativ kunstlos, Product der Volksphantasie, Kunst vor der Kunst, naive Kunst (vergl. §. 519) ist, und diese Form des unmittelbaren Hervorbrechens theilt die Poesie nicht nur mit der Musik, sondern beide Künste treten in derselben durchaus verbunden auf als Volkslied. Jn §. 766, der darauf schon hingewiesen, ist auch gezeigt, daß die Musik, wie im naiven Zustand eine durchaus frühe, ebensosehr, in ausgebildeter Form, eine wesentlich späte, moderne Kunst sei. Dieß gilt auch von der Dichtkunst, doch mit Unterschied. Um in dem rein subjectiven Gebiete eine Fülle und Reife des Schönen zu erreichen, ist eine Summe von Erfahrung und Durcharbeitung des menschlichen Geistes und Herzens vorausgesetzt, welche in dem engsten Sinne modern heißt, wonach wir die Kunstepoche der Jahrhunderte seit der Auflösung des mittelalterlichen Jdeals darunter verstehen, denn früher hat es doch eine wahre Musik in der ganzen Bedeutung des Wortes nicht gegeben. Eine ganze und wahre, eine ausgebildete Poesie, eine Kunstpoesie haben dagegen alle Culturvölker in den verschiedenen Haupt-Perioden ihrer Geschichte gehabt; nur gewisse Zweige derselben, ─ der lyrische und dramatische, wie wir sehen werden ─ setzen den modernen Zustand einer vielseitigen und tiefen Entwicklung des subjectiven Lebens, einer Fülle von Erfahrung voraus, doch nicht in dem ausschließlichen Sinne des Worts, wie dieß bei der Musik der Fall ist, sondern in dem relativen, wie derselbe auch in einer Völkerbildung eintrat, die unserer Gegenwart als eine kindliche erscheint, für die Völker selbst aber eine späte Stufe ihres Culturgangs war. Doch stellt sich die Sache bei dem Drama etwas anders, als bei der Lyrik: es konnte sich zu dem Jnbegriff dessen, was es spezifisch sein soll, erst in der eigentlich modernen Zeit, in dem Kunstideal unserer Jahrhunderte entwickeln. β . Die einzelnen Momente. §. 846. 1. Jn der Poesie kommt zuerst das Stylgesetz in Betracht, weil unabhängig von einem eigentlichen Materiale die ganze Thätigkeit von der innern Auffassung ausgeht und nur an die Gesetze gebunden ist, die sich aus dem Wesen 2. der Phantasie und ihrem Verhältniß zum Vehikel ergeben. Die erste Bestimmung dieses Gesetzes ist negativ, gegen die Verirrung auf den Boden der andern Künste gerichtet, welche der Poesie dadurch nahe liegt, daß in gewissem Sinne diese in ihr vereinigt sind. Die Poesie vergeht sich in die Musik, wenn sie gestaltlos im unbestimmten Weben der subjectiven Empfindung sich bewegt oder wenn sie die Technik der künstlerischen Sprachform zu ihrem hauptsächlichen Augenmerk und ihrem Ausgangspuncte macht. 1. Wollte man in der speziellen Erörterung des Wesens der Poesie vom äußeren Verfahren, hier von der Verskunst ausgehen, so geriethe man in die Schwierigkeit, daß man den tiefen und wesentlichen Gegensatz in der musikalischen Behandlung der Sprache, der in der classischen und romantischen Form gegeben ist, darstellen müßte, ehe man seinen innern Grund, den Unterschied der ganzen Gefühls- und Auffassungsweise, in's Licht gesetzt hätte. Die Betrachtung dieses historischen Unterschieds gehört aber allerdings in den gegenwärtigen Abschnitt, er kann nebst allem Historischen nicht in einen besondern geschichtlichen Theil verwiesen werden, denn die Trennung des Geschichtlichen vom Systematischen ist überhaupt in der Lehre von der Dichtkunst nicht mehr, wie in der Lehre von den andern Künsten, möglich. Es leuchtet dieß zum voraus ein, wenn man namentlich bedenkt, was hier aus der Darstellung der Zweige würde, wenn man die großen Unterschiede, welche durch die Geschichte der Poesie in ihnen ausgebildet worden sind, einem besondern Abschnitte vorbehielte oder, da dieß eben nicht möglich ist, welche schleppende Wiederholung entstünde. Ebenso erhellt von selbst, daß die Art der poetischen Darstellung, wie sie in ihrem Unterschiede von der prosaischen demnächst zur Sprache kommen muß, die prinzipielle Erörterung des Stylgesetzes schon voraussetzt, denn eine wesentliche Verschiedenheit des Weges, den das dichterische Verfahren in dieser Beziehung einschlägt, hat ihren Grund ebenfalls in jenem Gegensatze der ganzen Auffassungsweise, der an sich im Stylprinzip eingeschlossen ist. Dieß ist der negative Beweis für die gewählte Ordnung, der Beweis aus den Uebelständen, die sich im andern Fall ergäben; der positive liegt darin, daß die Poesie kein eigentliches Material mehr hat. Das Verfahren dieser Kunst ist nicht, wie bei den andern Künsten, aus den Bedingungen eines bestimmten äußeren Stoffes abzuleiten, den sich die Phantasie zwar frei erwählt, durch den sie sich aber auch feste Schranken setzt; an die Stelle des Materials tritt ja hier die Phantasie des Zuhörers, und in welchem Charakter der Formgebung sie bearbeitet werden soll, dieß hängt nur von der innern Auffassungsweise des Dichters ab. Er ist hierin allerdings nicht schlechthin frei, sondern, wie der Bildner und Maler an Schwere, Ausdehnung, Licht, Farbe u. s. w., an bestimmte Gesetze gebunden, aber doch nur an solche, die aus seinem geistigen Elemente, nämlich aus dem Wesen der Phantasie fließen. Hier liegt dasjenige, was den körperlichen und tonischen Stoffbedingungen in den andern Künsten entspricht. Die Poesie ist auch in diesem Sinne reichsunmittelbar. Die Behandlung des äußern Vehikels, der Sprache, ist dann zunächst reines Ergebniß der innern Art und Weise, wie der Dichter auffaßt und auf seinen Hörer wirkt; allerdings ergeben sich aus dem Verhältnisse dieses Vehikels zum Jnhalte, zum Leben der Phantasie, auch gewisse Schwierigkeiten, die wir angedeutet haben und jetzt deutlicher auseinandersetzen werden; aber die hieraus fließenden Beschränkungen der Freiheit des Dichters gleichen entfernt nicht der Strenge der Gesetze, die für andere Künste aus ihrem Material entspringt. 2. Die Uebergriffe auf den Boden einer andern Art der Phantasie und ihres spezifischen Verfahrens, zu denen die Poesie wie alle andern Künste versucht ist, sind für sie, die das System der Künste abschließt, lauter Rückgriffe: sie meint zu gewinnen, was sie gegen jene eingebüßt hat, und sie verliert, was sie durch diese Einbuße erreicht hat. Der erste dieser Rückgriffe, die ihrem Stylgesetze widersprechen, ist nach dem Elemente gewendet, aus welchem sie zunächst herkommt. Die Poesie kann auf zweierlei Art musiciren, statt zu dichten. Die erste besteht darin, daß sie es überhaupt dem ganzen Jnhalte nach nicht eigentlich zur Anschauung bringt, sondern den Hörer oder Leser im Nebel des gestaltlosen Empfindens festhält. Es ist dieß eigentlich bloße Stimmung zum Dichten statt wirklichen Dichtens, eine falsche und einseitige Wendung der Wahrheit, daß jede ächte Poesie vor Allem den Eindruck des tief Empfundenen machen muß; denn wir haben gesehen, daß die Dichtkunst das Gefühl wesentlich an das Bewußtsein knüpft, in Gestalten als seine Träger verlegt und eine objectiv klar gebildete Welt mit seinem warmen Element umhüllt. Man wird nicht sagen können, daß eine solche Gestaltlosigkeit vorzüglich den unreifen Anfängen der Poesie eigen sei; wohl kann es in der ursprünglichen, naiven Dichtung an Liedern nicht fehlen, die fast nichts sind, als etwas entwickeltere Jnterjectionen, im Ganzen und Wesentlichen aber werden wir sehen, daß dieselbe, unbeschadet ihrer unmittelbaren Verbindung mit dem musikalischen Vortrage, dem Jnhalte nach objectiv, anschauend ist. Geschichtlich betrachtet wird eine Poesie der gestaltlosen Empfindung vielmehr in verhältnißmäßig später Zeit durch den Kampf gegen die geistlose Regel eines conventionell gewordenen Styls sich erzeugen. So brach in der neueren deutschen Poesie der erwachte Genius im Sturme gegen Gotsched und die Franzosen zuerst als hoch angeschwelltes, überschwengliches Gefühl hervor; diese Stimmung brütet wie eine heiße, zitternde Luft, in die sich alle Bestimmtheit der Umrisse auflöst, über den ersten Poesieen der jugendlich drängenden Geister. Klopstock's Messias wurde, wie es Gervinus treffend bezeichnet hat, mehr ein Oratorium, als ein Epos, Herder's und Göthe's Styl war ein Sprudeln des übervollen Herzens, das sich athemlos in Ausrufungen und Gedankenstrichen bewegt und die Herrlichkeit der neu aufgegangenen inneren Welt zu verletzen fürchtet, wenn es zur Ruhe objectiver Gestaltung übergienge. Das hatte freilich seinen tieferen und allgemeineren Grund in dem Charakter einer geistigen Revolution, welche, ergänzend, was die Reformation begonnen, dem Subjecte zuerst das Bewußtsein seiner freien Unendlichkeit gab, ohne ihm noch den Weg zu zeigen, wie sich dieselbe mit der Erfahrung, mit der Schranke des Endlichen zu vermitteln habe; wie daher die politische Revolution nicht zu bauen vermochte, so die geistige nicht, ein klares Weltbild zu geben. Vergl. hiezu §. 477. Ohne die Kraft und Frische, die sie in jener ersten Zeit der ächten Sentimentalität hatte, blieb die Subjectivität ein Grundzug der modernen Zeit, der sich auf Kosten der Gestaltung in die Poesie legte. Es äußert sich dieß nicht nur darin, daß das Lyrische im Epischen und Dramatischen überwuchert, die festen Grenzen der Zweige löst und Zwitterformen hervorbringt, sondern auch im Lyrischen selbst, denn wie sehr dieser Zweig der Musik verwandt sein mag, so verlangt er doch seine Bestimmtheit, Deutlichkeit, seine Art von Objectivität. Ein Beispiel des musikalisch Nebelhaften sind namentlich die lyrischen Dichtungen Tieck's: sie wirken, als hätte man zu starken Thee getrunken und befände sich in einer Ueberspannung aller Nerven, die der Seele eine unendliche Hebung ihrer Kräfte vorspiegelt, ein inneres Sausen, Summen und Weben, wobei schlechterdings nichts zu denken ist und das etwa einem verworrenen Phantasiren auf dem Clavier gleicht. ─ Musikalisch subjectiv ist auch die unendliche Masse von lyrischen Erzeugnissen jenes Dilettantismus zu nennen, dem die Leichtigkeit, in einer längst zugerichteten Dichtersprache Verse zu machen, den Mangel des Talents, der Originalität verhüllt: allgemeine Empfindungen, wie sie in jedem menschlichen Leben wiederkehren, ausgedrückt in verbrauchtem Apparate, gelten für Poesie, weil sie eben Empfindungen sind. Die andere Art des Uebergriffs in die Musik liegt auf der formellen Seite: das Vehikel, der Rhythmus, die Sprachform, wird zum Zwecke. Die Versuchung hiezu entspringt daraus, daß das Vehikel allerdings, obwohl es nicht Material ist (vergl. §. 839, 3.), von der Jdealität der Stimmung ergriffen und umgebildet werden soll. Aus der zuerst noch gestaltlosen Fülle der wahren poetischen Stimmung keimt aber vor Allem die innere Gestalt, der Körper einer gehaltvollen Anschauung, das rhythmische Gewand wächst mit ihm und umschließt ihn in würdigen Falten; es ist nicht der ächte Prozeß, wenn die Wärme unmittelbar in die Technik der Sprachform ausweicht; die Draperie, auf welche die erste Aufmerksamkeit gerichtet wurde, wird eine verschwommene Bildung umkleiden. Dieser Weg läßt vielmehr auf Mangel an wahrer Wärme, das entschiedene Uebergewicht der formellen Virtuosität auf innere Kälte schließen. Es scheint hier das gerade Gegentheil jenes andern Uebergriffs vorzuliegen, der im Ueberschwang der Empfindung seinen Grund hat; es verhält sich auch zunächst so, allein das überhitzte Gefühl, das sich sträubt, in die feste Gestaltung überzugehen, kann auch Manier werden, erkaltet zur Routine und schlägt sich in den Eisblumen der Verskunst nieder. Die romantische Schule ist auch für diese „kalte Gluth und lichten Rauch“ ein belehrendes Beispiel. Es ist aber noch eine andere, schwieriger zu fassende Erscheinung zu nennen, die der §. durch den Zusatz: Ausgangspunct bezeichnet; es gibt Dichter, welche im Ganzen mehr Virtuosen der formellen Technik, als wahre Schöpfer eines poetischen Jnhalts sind, denen aber in manchen Momenten am Klange der formellen Schönheit das gehaltvollere Gefühl, das innig geschaute Bild anschießt; sie arbeiten von außen nach innen, statt von innen nach außen, aber in glücklichen Stunden führt sie ihr umgekehrter Gang auch zum Ziele. Solche Naturen werden ihren, zwar fragmentarischen, höheren Beruf allerdings schon in der technischen Form, auch wo die Pygmalions-Statue nicht erwarmt, durch eine besondere Feinheit, ein plastisches Gefühl an den Tag legen, so daß man versucht ist, die Genugthuung, die der Rhythmus des Verses an sich allein gewährt, für ganze ästhetische Freude zu nehmen. Platen ist eine solche Natur, zum Theil auch Rückert. ─ Man sieht, in wie mannigfachen Verschiebungen die Wirklichkeit auseinanderlegt, was in der Jdee der wahren Dichtung ein Volles, Ganzes, Eines ist. §. 847. Noch näher liegt der Poesie die entgegengesetzte Verirrung auf den Boden der bildenden Kunst. Sie besteht darin, daß das Sichtbare durch Aufzählen der einzelnen Züge so geschildert wird, als verweilte der Zuhörer mit dem äußern Auge vor einem in das wirkliche Nebeneinander des Raums gestellten Bilde. Dadurch geräth die Langsamkeit, womit die Rede vorrückt, und der Zwang, den sie ausübt, mit der Schnelligkeit und Freiheit der von ihr angeregten Phantasie, die mit Einem Blick ein Ganzes schaut, in Widerspruch. Der Dichter hat vielmehr das Sichtbare mit wenigen Zügen so zu vergegenwärtigen, daß es in den Bewegungszug der Phantasie aufgenommen wird. Tiefer betrachtet entspringt das wahre Stylgesetz aus der Zusammenfassung der Aufgabe der Poesie, Gestalten zu geben (§. 838), mit ihrer höchsten, die innere Welt und schließlich Handlung darzustellen (§. 842), und bestimmt sich dahin, daß diese Kunst Körper andeutungsweise durch Handlungen nachzuahmen hat (Lessing). Die Poesie schwebt zwischen den beiden Verirrungen, von deren zweiter dieser §. handelt, wie zwischen Scylla und Charybdis: um der gestaltlosen Empfindung zu entgehen, verfällt der Dichter leicht in das Verfahren des Malers und da die Flucht vor dem Unbestimmten und Farblosen jedem klaren Geiste das Natürlichere ist, so droht von dieser Klippe die größere Gefahr. Die deutsche Literatur darf stolz darauf sein, durch Lessing das große Grundgesetz der Dichtkunst, welches dieser §. ausspricht, ein für allemal hingestellt zu haben. Seit wir seinen Laokoon besitzen, gehört der Satz, daß der Dichter nicht malen soll, zum A B C der Poesie. Wer dagegen am meisten fehlt, sind noch heute, wie damals, als sie die beschreibende Poesie einführten, die in Deutschland in den Brockes, Haller, Kleist ihre Nachahmer fand und gegen welche Lessing's Schrift gerichtet war, die Engländer; Walter Scott hat seine bedeutenden Schöpfungen unter dem Druck eines eingefleischten Sündigens gegen diesen Urcodex fast erstickt. Es ist das scharfe, fast mikroskopische Sehen, was ihn und Andere dazu verführt: das umständliche Aufzählen der Züge soll den Leser in den Stand setzen, die Gestalt bis zur Jllusion des physischen Schauens und Greifens überzeugend vor sich zu bekommen; der Dichter will den Beweis führen, daß er selbst so haarscharf geschaut habe, und der Leser soll ihm folgen, aber die Wirkung ist die entgegengesetzte. ─ Jn der Nachweisung des Gesetzes, von dem es sich hier handelt und auf das wir zu §. 839 und 840 vorläufig hingedeutet haben, weichen wir jedoch von Lessing's Begründung (s. Laokoon Cap. 16 und 21) auf den ersten Schritten ab, um erst zum Schlusse die positive Formel von ihm zu entlehnen. Der Satz, von welchem er ausgeht, daß die Kategorie der Zeit, welcher die Poesie durch ihr Darstellungsmittel angehört, das Simultane des räumlichen Nebeneinander als Jnhalt des Dargestellten ausschließe, ist nicht richtig. Die Kategorie, in welche das Vehikel fällt, ist allerdings zugleich diejenige, in welcher das Leben des Geistes an sich, also das Organ, von welchem und für welches gedichtet wird, sich bewegt. Das Zeitleben des Geistes ist aber, wie wir gezeigt haben, in jedem Moment eine intensive Einheit von Verschiedenem, so denn auch als Phantasie eine intensive Anschauung einer Vielheit, welche im Raum ausgebreitet ist: Ein innerlicher Blick, der ein Ganzes von coexistirenden Theilen überschaut. Der Gegenstand dieser innern Anschauung kann an sich ganz wohl ein ruhender sein und die Mittheilungsform der Rede ist dadurch, daß sie successiv schildert, an sich nicht unfähig, den Geist in der Weise zu bestimmen, daß er sich das Bild eines solchen räumlich fest ausgebreiteten Ganzen erzeuge. Lessing bemerkt richtig, daß bei Beschreibungen für prosaische Zwecke das allmälige Aufreihen von Zügen kein Hinderniß für den Leser ist, sich aus ihnen ein Bild zusammenzufügen (a. a. O. Cap. 17). Natürlich ermangelt ein also zusammengesetztes Bild der Wärme, der Jdealität. Und hier sitzt denn das Wesentliche: im Gebiete der Kunst will auch die empfangende Phantasie zeugend, nachschaffend sich verhalten; sie ist in diese Stimmung, diese Selbstthätigkeit von Anfang an durch den Dichter versetzt. Einmal selbstthätig erzeugt sie sich nun auf Eine richtige Berührung des poetischen Zauberstabs in Einem Augenblick das von dem Dichter beabsichtigte Bild mit seiner Vielheit von Zügen, richtiger: nur das seiner Absicht irgendwie entsprechende, denn hier tritt ein wesentlicher weiterer Unterscheidungszug der Dichtkunst auf: der bildende Künstler schreibt dem Zuschauer das Bild genau vor, indem er es ihm sichtbar ausgeführt vor das äußere Auge stellt; der Zuschauer ist hierin unfrei; worin er frei ist, das ist die innere Erzeugung eines Bildes der Reihe von Bewegungen, die dem dargestellten Momente vorangehen und folgen; der Dichter dagegen schreibt dem Zuhörer das Successive, das Wesentliche der Bewegung, den Gang des Ganzen vor, da ist der Erstere hierin unfrei; dagegen gibt er ihm zur Erzeugung des innern Bildes in seiner qualitativen Gestaltung nur den Anstoß: darin ist der Zuhörer also hier ungleich freier, als in der bildenden Kunst. Es verschlägt auch nichts, wenn dieser sich die Gestalt etwas anders, als jener, vorstellt, wenn nur die Grundzüge im Bewegungscharakter der Absicht des Dichters entsprechen. Wenn die Amme in Romeo und Julie in eitlem Putz angestiegen kommt, den Auftrag Juliens an Romeo zu bestellen, und anfängt: „Peter, meinen Fächer!“ so mag sie sich der Eine größer, der Andere kleiner, jener in diese, dieser in jene Farbe gekleidet vorstellen: nur ein ganz stumpfer Leser wird nicht augenblicklich ein in den wesentlichen Zügen richtiges Bild der närrischen, treuen und gemeinen, geschwätzigen und verschwiegenen, kupplerischen, in Runzeln noch eiteln, aufgeputzten Alten vor sich haben, wie sie mit koketten Schwenkungen der Hüfte und steilem Kopfe die vornehme Dame affectirt. Die Phantasie will also in der Dichtkunst schlechterdings nicht aufgehalten und gezwungen sein. Verkennt dieß der Dichter, so kommt nicht eigentlich „das Coexistirende des Körperlichen mit dem Consecutiven der Rede in Collision,“ sondern die windschnelle, eine Vielheit von Zügen auf Einen Schlag vor sich ausbreitende Bewegung und die Freiheit der Phantasie mit der Langsamkeit, womit die Rede fortrückt, und mit dem Zwange, den ihr Ausmalen auflegt. Der Dichter verfährt dann, als stünde sein Zuhörer vor einem aufgehängten Bilde, faßte nach dem ersten Ueberblick unter seiner Anleitung Theil für Theil in's Auge, ohne Furcht, daß ihm die Zusammenfassung entgehe, denn das Ganze bleibt ja im Raum fest vor ihm, und endlich gienge er dann zu dieser über, die nun ein gefüllterer, durch Einzelbeobachtung vollkommenerer Act wäre, als der erste Ueberblick. Er vergißt, daß er es mit einer bewegten Kraft zu thun hat, welche nichts Festes vor sich hat, welche daher diesem Zuzählen unter den Händen entschwebt, entweicht, indem sie, auf den ersten Schlag schon mit ihrem Bilde fertig, bei dem Aufreihen der folgenden schon über Berg und Thal ist, daß sie, während vornen zuwächst, hinten verliert, daher schließlich nichts übrig hat, was sie zusammenfassen könnte, so daß es ist, „als sähe man Steine auf einen Berg wälzen, aus welchen auf der Spitze desselben ein prächtiges Gebäude aufgeführt werden soll, die aber alle auf der andern Seite von selbst wieder herabrollen;“ eine treffliche Vergleichung Lessing's, nur daß die vernommenen Theile nicht nur, wie er sagt, dem Ohre, sondern vielmehr der vorausgeeilten Phantasie, welche durch das Ohr in Thätigkeit gerufen ist, verloren gehen. Jn der That kann Jeder an sich die Erfahrung machen, daß Walter Scott's und seiner Nachahmer breite, Zoll für Zoll, vom Wirbel zur Zehe fortrückende Schilderungen gerade das Gegentheil ihrer Absicht bewirken, daß man nämlich nichts hat, nichts sieht. Ja auch bei Beschreibungen für prosaische Zwecke ist unser obiges Zugeständniß zu beschränken; bekanntlich ist es ohne Zeichnung sehr schwer und peinlich, sich z. B. einen Schlachtbericht klar zu vergegenwärtigen. Der Dichter hat also nicht eigentlich und schlechthin das Coexistirende in ein Successives zu verwandeln, er kann uns Coexistirendes vorführen, obwohl sein Vehikel nicht coexistirende Form hat, aber er muß es so thun, daß er den bewegten Charakter der Phantasie berücksichtigt, er muß daher mit wenigen Mitteln dem Leser oder Zuhörer nur den nöthigen Anstoß geben und er muß das Räumliche, das er so schildert, an geschilderte Bewegung knüpfen, denn die Phantasie, weil sie selbst bewegt ist, will Solches sehen, was sich bewegt. Von jenen Mitteln, namentlich den Epitheten, ist weiterhin in besonderem Zusammenhang zu sprechen, der gegenwärtige betont zunächst nur, daß sie einfach sein müssen, nicht versuchen dürfen, ein ausführliches Bild zu geben. Allzu ängstlich darf dieß allerdings nicht genommen werden und es ist mehr einzuräumen, als das karge Maaß von den Bezeichnungen, welche Lessing (a. a. O. Cap. 18) zuläßt; wenn nur die Grundbedingung, das Hereinziehen in den Bewegungsstrom der Phantasie, erfüllt ist. Zunächst geschieht dieß dadurch, daß die Gegenstände als bewegte im eigentlichen Sinne des Worts zur Darstellung gebracht werden; Lessing zeigt, wie Homer die Kleider und Waffen Agamemnons schildert, indem er sie ihn anlegen, den Wagen der Juno, das Scepter des Agamemnon und Achilles, den Bogen des Pandarus, den Schild des Achilles, indem er sie vor unsern Augen entstehen läßt. Er hätte noch andere Beispiele wählen können, welche mit diesen Homerischen überhaupt unter den allgemeineren Begriff der Thätigkeit fallen. Thätigkeit hat aber einen innern Grund und dieß führt uns tiefer, zu der Beziehung auf das Jnnere. Auf diesem Uebergang ist eine besondere Sphäre von Stoffen der Darstellung wichtig: Lessing hat übersehen, daß es sich auch von unbeweglichen Gegenständen, namentlich von der Landschaft handelt. Zunächst wird auch hier gelten, daß ihr Bild an dem Faden einer Thätigkeit (Wandern, Jagen u. dergl.) uns vorübergeführt werden soll. Es gibt eine tiefere Form: der Dichter kann, der gute wird immer auch das unorganische Leben vor uns werden lassen, indem er uns eine Ahnung der planetarischen Thätigkeit gibt, welche diese Massen aufgerichtet, diese Wasser ergossen, diese Pflanzen gebildet hat. Allein auch diese Wendung ist es noch nicht, welche Wesen und Streben der Dichtung am klarsten und vollständigsten bezeichnet: der Dichter wird die umgebende Natur in die Seele des Menschen tragen, er wird uns zeigen, wie durch die Sinne sein Gemüth dieselbe auffaßt, er wird bewirken, daß der Leser die Landschaft mit den Augen der epischen Spieler sieht, ─ „ihr Auge vor das seinige als Augenglas nimmt“ (J. Paul Vorsch. d. Aesth. §. 80). Dieses Schildern durch Schilderung des Reflexes auf Zuschauer im Gedichte kommt nun aber ebenso bei Gegenständen jeder Art in Anwendung; Lessing führt es nur als Mittel auf, um menschliche Schönheit zu vergegenwärtigen (a. a. O. Cap. 21. Helena vor den Greisen auf der Mauer von Troia erscheinend). Jetzt ist diese directe Beziehung auf das Jnnere mit der Bewegung überhaupt wieder zusammenzufassen. Bringt der Dichter die Gegenstände, die er schildert, auch nur in Zusammenhang mit physischer Bewegung, so führt doch der zunächst nur äußere Zweck derselben directer oder indirecter auf einen innern. Mit einem solchen werden auch Empfindungen über landschaftliche, menschliche und jede andere Schönheit immer in unmittelbarer Verflechtung stehen. Agamemnons Ankleiden, die Scepter, die Waffen, der Achillesschild: Alles führt an längeren oder kürzeren Fäden in den Mittelpunct der großen Handlung in der Jlias, die Gefühle der Greise bei dem Anblick der Helena ebenso, und gefühlvolle Betrachtung von Landschaft im Roman hängt mit Affecten, diese mit Thaten und Leiden zusammen, die vom Centrum der Haupthandlung ausgehen und zu ihm zurückleiten. Lessing selbst hat daher die Sache im Mittelpunct erfaßt, indem er den Satz aufstellt, den der §. wörtlich von ihm aufnimmt. ─ Unter diesen Mitteln ist aber gerade das Gewöhnlichste, Einfachste noch nicht genannt, auch von Lessing nicht erwähnt, nämlich die Form der unmittelbaren Begleitung. Der Dichter schildert Körper dadurch, daß er einfach zeigt, wie sie der innern Bewegung, dem Zweck, dem Willen, der Handlung folgen und das Jnnere ausdrücken. Gerade an dieser Form läßt sich auch am besten nachweisen, wie ein kurzer Zug hinreicht, um die Phantasie zur Erzeugung eines innern Bildes zu bestimmen. Der Dichter sage uns also von dem Aeußern einer Person, die er einführt, zuerst gar nichts, oder nur ein Wort: schön, schlank, einfach oder reich gekleidet, bewaffnet u. s. w. Nun setze er sie in Handlung und im Zuge der Handlung nehme er, wie in raschem Vorübergleiten pflückend, einen Zug auf, z. B.: jetzt blitzte das dunkle, das blaue Auge, schüttelte er die braunen, die blonden Locken, schlug er die Toga auseinander, hob er das lange Schwert u. s. w. Später mag dann, um den Zuhörer genauer zu bestimmen, bei ähnlichem Anlaß ein zweiter, dritter, vierter Zug folgen; eine Berichtigung, Ergänzung des auf den ersten Zug rasch geschaffenen Bildes stört ihn nicht, sondern nur eine Zumuthung, langsam und in's Kleinste hinein gezwungen vorzustellen. ─ J. Paul gibt (a. a. O. §. 79) noch zwei Winke: er räth dem Dichter, zu wirken durch Aufhebung, d. h. indem er eine Gestalt zuerst verhüllt, als eine durch äußere Hindernisse verdeckte einführt, was die Phantasie doppelt stark reizt, sie sich vorzustellen, und sie dann erst aufdeckt; ferner durch Contrast der Farben oder Verhältnisse: wenn z. B. die Alten eine Venus zornig darstellen, so heben die Contraste stärker ihre Anmuth hervor, als die Verwandtschaftsfarben. Diese Kunstmittel subsumiren sich ebenfalls unter den Begriff der Bewegung im allgemeinsten Sinn und haben sich überdieß mit dem Verfahren zu verbinden, die den Gegenstand in die Bewegung im engern Sinne des Seelenlebens und der Handlung hineinzieht. Hiemit ist nun aber nicht nur eine poetische Stylregel aufgestellt, sondern ein tieferer Blick in das Wesen der Dichtkunst gewonnen. Jn §. 842 ist die höchste Kraft und Bestimmung derselben ausgesprochen: Offenbarung der innern Welt, die sich in der Handlung zusammenfaßt; es ist gesagt, daß hier alles Aeußere in das Jnnere mündet und aus ihm hervorströmt. Dadurch tritt der Jnhalt des §. 842 mit dem des §. 838 in eine innere Einheit: die Wiederholung des Standpuncts der bildenden Kunst auf dem geistigen Boden der Dichtkunst ist nun in erfüllten Zusammenhang gesetzt mit ihrer eigensten Aufgabe, die innere Welt zu erschließen. ─ Sieht man auf die Person des Dichters und den innern Prozeß seiner Thätigkeit zurück, so begreift man, wie ihm sein eigenes Vorfühlen der innern Zustände, die er schildert, mit dem Schauen der Gestalten, welche deren Träger sein sollen, zu einer lebendigen Einheit so zusammenwachsen wird, daß er sie wohl unwillkürlich sogar mimisch sich vorspielt; daher sagt Aristoteles (Poetik 17), der Dichter müsse bei der Versetzung in die Leidenschaften seiner inneren Bewegung selbst mit der Gebärde folgen. §. 848. Durch ihre Stellung an der Grenze der Künste ist die Dichtkunst die unmittelbare Nachbarinn des Gebiets, worin scheinlos das Wahre und Gute vorgetragen wird und welches ihr gegenüber Prosa heißt. Sie tritt daher leichter, als jede andere Kunst, auf diesen Boden über, indem sie die wahre ästhetische Einheit von Jdee und Bild entmischt, allgemeine oder thatsächliche Wahrheit mit schönen Formen nur äußerlich bekleidet und durch solchen Jnhalt näher oder entfernter auf den Willen zu wirken sucht. Hiedurch wird immer zugleich die ästhetische Jllusion aufgehoben, indem die Person des Dichters zu sichtbar hervortritt. Die Stellung der Poesie ist eine andere, als die der übrigen Künste: sie hat zur einen Seite das Land der Kunst, zur andern das Meer der scheinlosen, reinen Geistesthätigkeiten, welche weiterhin wieder in den Willen und das praktische Leben führen, während ihre Schwestern, von Kunstgebiet umgeben, mitten im Lande wohnen und daher einen größern Sprung nöthig haben, um den festen Boden des ungemischt Schönen zu verlassen. Während daher in der Erörterung des Stylgesetzes bei diesen nur die Ausweichung auf den Boden anderer Künste zur Sprache kam, muß hier schon im gegenwärtigen Zusammenhang auch die Ausschreitung in das Gebiet des mit ästhetischen Mitteln nur äußerlich sich schmückenden Wahren und Guten zur Sprache kommen. Die Enge der Nachbarschaft ist ausgesprochen in der gangbaren und wesentlichen Entgegensetzung der Begriffe Poesie und Prosa: beide werden in diese ausdrückliche Beziehung des Gegensatzes gestellt, eben weil sie trotz der Schärfe der Grenze hart aneinander liegen. Was Prosa sei, wäre nach den Erörterungen in der Metaphysik des Schönen eigentlich nicht mehr zu untersuchen; doch müssen wir darauf zurückkommen, weil diese Spannung des Verhältnisses eine spezielle Beleuchtung verlangt. Wir gehen dabei von der Berichtigung der betreffenden Sätze Wilhelms v. Humboldt aus. Er sagt (Aesth. Vers. S. 20), der Unterschied des Reiches der Phantasie von dem Reiche der Wirklichkeit bestehe darin, daß in diesem jede Erscheinung einzeln und für sich dastehe, keine als Grund oder Folge von der andern abhänge; eine solche Abhängigkeit könne niemals wirklich angeschaut, immer nur durch Schlüsse eingesehen werden; der Begriff des Wirklichen mache auch das Aufsuchen derselben überflüssig; denn hier sei die Erscheinung einfach da, brauche sich nicht erst durch ihre Ursache oder ihre Wirkung zu rechtfertigen; sobald man hingegen in das Gebiet des Möglichen übergehe, so bestehe Jedes nur durch seine Abhängigkeit von etwas Anderem, und Alles, was nicht anders als unter der Bedingung eines durchgängigen innern Zusammenhangs gedacht werden könne, sei idealisch. Es verhält sich aber so gewiß umgekehrt, daß nur zu fragen ist, wie Humboldt zur der schiefen Aufstellung gekommen sei. Nicht die Wirklichkeit schlechthin stellt ihre Jndividuen wie selbständige Erscheinungen auf, sondern so werden sie aufgefaßt von der Anschauung, und es ist gerade die idealisirende Kunst, welche an der letztern unmittelbar fortbildet; dagegen die Beobachtung, der Verstand geht hinter die Anschauung zurück, welche die Dinge aus der Kette ihrer Vermittlungen herausgreift, stellt sie durch Schlüsse nach den Kategorieen der Causalität, des Mittels und Zweckes u. s. w. in den Zusammenhang allseitiger Bedingtheit, und dieß ist die Prosa, welche in Wahrheit eben das gemein wirkliche Verhältniß begreift. Die Prosa kennt nicht den Schein, als ob ein Jndividuum absolut sei, das Einzelne ist ihr nie eine Totalität, sie steigt als Philosophie zu der Jdee einer Totalität auf, welche im ganzen Weltall, in den unendlichen Zeiten und Räumen, in der allseitigen Vermittlung und Wechsel-Ergänzung alles Einzelnen real ist; diese Totalität nennt man im speculativen Sinne concret, das Jndividuum ist in ihr als lebendiges Glied des Ganzen gesetzt, aber sie ist nicht concret in dem Sinne, daß das Jndividuum in ihr mangellos seine Gattung und durch sie das Weltall in sich darstellte. Dieser Betrachtung gegenüber ist das Einzelne auf dem Standpuncte der Prosa immer todt, und zwar ohne Unterschied der niedrigeren und höheren Gebiete; alle Prosa liest das Allgemeine aus seinen Jndividuen zusammen, die Poesie hat es im Jndividuum. Jene Fäden der Causalität, welche vom Jndividuum fortleiten in den unendlichen Progreß des Einzelnen, schneidet die Poesie gerade durch, während die Prosa sie verfolgt. Man sieht aber, wie W. Humboldt bei seiner übrigens so richtigen Jdee vom Schönen auf den falschen Begriff gekommen ist. Er bezeichnet (a. a. O. S. 21) die Phantasie als einen Theil der Vernunftthätigkeit, deren Aufgabe es ist, Alles im Zusammenhang zu fassen, zu Einheiten und endlich zur höchsten Einheit zu verbinden. Die Phantasie ist nun wohl eine der Formen des absoluten Geistes, in ihrem Verfahren aber von den übrigen Formen dieser höchsten Sphäre gerade dadurch verschieden, daß sie die Sinnlichkeit in sie heraufnimmt und die höchste Einheit in das sinnlich Eine legt, und eben dieser Unterschied war hier zu betonen. Ferner erkennt Humboldt als wesentlichen Grundzug des Schönen die Tilgung des gemein Zufälligen und meint nun, diese müsse dadurch bewerkstelligt werden, daß die Dinge in ihrem allseitigen Zusammenhang nach Grund und Folge aufgefaßt werden. Allein auf diese Weise tilgt eben nur die Prosa den rohen Begriff des Zufalls, indem sie zeigt, daß das, was eine jeweilig gegebene Linie anscheinend irrationell durchkreuzt, vielmehr nur eine Folge davon ist, daß das Ganze des Lebens ein System von Linien bildet, die sich nach allen Seiten unberechenbar schneiden; nicht in ihren einzelnen, beschränkten Gebieten leistet sie dieß, denn jedes derselben überläßt die Verfolgung gewisser Durchkreuzungen in ihre Causalität einem andern, die Philosophie nur überblickt das Ganze und versöhnt mit jeder Störung jedes Zusammenhangs auf jedem Punct. Jm Reiche des Schönen dagegen wird das Zufällige auf anderem Wege getilgt: es wird in seiner, die jeweilige Linie störenden Form entweder gar nicht zugelassen, als nicht seiend behandelt, oder in ein Furchtbares, ein Komisches aufgehoben, nimmermehr aber durch denkenden Ueberblick des unendlichen Zusammenhangs in Natur und Geschichte auf seine entfernten Nothwendigkeiten zurückgeführt. Hier sind wesentlich die §§. 52 und 53 zu vergleichen. Wie konnte nun W. von Humboldt den falschen Begriff mit seiner richtigen Jdee, daß das Schöne eine Totalität, ein geschlossenes, nur von sich selbst abhängiges Ganzes ist, vereinigen? Er verwechselt die organische Motivirung im Kunstwerk und jenen Charakter der Unendlichkeit, wodurch die Jdealgestalt alle Möglichkeiten, die Keime zu allem Großen in sich trägt, mit dem allseitigen Netze der Begründungen und Beziehungen, worin die Dinge außerhalb des Kunstwerks stehen und wodurch auf dem Standpuncte der Prosa Alles auf Alles hinweist, aber auf andere Weise, nämlich auf Kosten der freien Selbständigkeit. Wir werfen noch einen Blick auf ein besonderes Gebiet der Prosa, die Geschichte. Das Wesentliche ist allerdings in anderem Zusammenhange (§. 400) schon vorgebracht und es bleibt nur wenig zu sagen übrig. Die Grundlage des historischen Standpuncts bleibt unbeschadet seines höheren Zieles wesentlich die, daß man erfahre und wisse, was geschehen ist, wogegen der Dichter zur Anschauung bringt, was nie und immer geschieht, jedoch in solcher individueller Bestimmtheit, daß der Zuhörer überzeugt ist, es könne in einer bestimmten Zeit, an bestimmtem Ort so und nicht anders geschehen sein, oder richtiger: es müßte, wenn es geschähe, so und nicht anders geschehen. Aristoteles sagt in der schon zu §. 400 angeführten Stelle der Poetik (C. 9), die Dichtkunst stelle mehr das Allgemeine, die Geschichte das Einzelne dar, und das Allgemeine bestimmt er näher dahin, daß die Reden oder Handlungen, die einem bestimmten Manne beigelegt werden, Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit haben. Statt des Letztern würden wir sagen: innere Wahrheit; eine logische Verwirrung aber liegt darin, daß durch die Worte: „einem bestimmten Manne“ der Begriff des Einzelnen, der vorher die Geschichte von der Poesie unterscheiden sollte, gerade auch in diese aufgenommen ist. Aristoteles stellt hiemit die Forderung auf, daß die allgemeine, innere Wahrheit vereinigt sei mit dem überzeugenden Ausdruck der Jndividualität; daß das Ewige sich darstelle als ein Solches, was auch die Energie hat, unter den Bedingungen der Wirklichkeit zu sein. Das Richtige ist, daß sowohl die Geschichte, als auch die Poesie, jede das Allgemeine und jede das Einzelne hat, aber jede das letztere in anderem Sinn und daher auch das erstere in anderem Verhältniß dazu. Die Geschichte nämlich, da es ihr um den Stoff als solchen zu thun ist, nimmt alle die Trübungen des Einzelnen, also des Bandes zwischen dem Allgemeinen und Einzelnen auf, welche im Naturschönen der störende Zufall mit sich bringt, sie versöhnt mit ihnen durch den weiten Blick über die Zeiten und Ereignisse, die Poesie aber vollbringt die Versöhnung hier, auf diesem Puncte, indem sie dieselben ausscheidet. Ebenso verschieden sind sie im Umfang der Aufnahme des Einzelnen. Der Geschichtschreiber nimmt nur gelegentlich solche Züge auf, welche den Gegenstand der innern Anschauung greiflich vergegenwärtigen, der Dichter grundsätzlich und überall; auf der andern Seite führt jener eine Masse causaler Vermittlungen ein, welche den Jndividuen den schönen Schein der freien Bewegung entziehen und sie insbesondere in der Zeit mechanisirter Staatsformen in die Schnüre des Vorgeschriebenen, Canzlei- und Ordonnanzmäßigen einspannen, der Dichter stößt sie aus und sein Augenmerk ist, dem Menschen seine freie Lebendigkeit zu erhalten. (Vergl. hierüber auch Hegel, Aesthetik. Th. 3, S. 256 ff.) Dieß führt auf den Unterschied im Stoffe: die Geschichte umfaßt Alles, die Dichtkunst meidet mechanisirte Zustände. Jm Uebrigen ist bei dieser Vergleichung von Poesie und Geschichte vorausgesetzt, daß sich beide in denselben Stoff theilen. Warum es unbedingt vorzuziehen ist, wenn der Dichter in den betreffenden Zweigen seiner Kunst den Stoff nicht frei erfindet, sondern aus der Geschichte nimmt, brauchen wir, da unser ganzes System nach Bau und Jnhalt vor Allem gegen stofflosen Jdealismus der Phantasie gekehrt ist, nicht weiter zu zeigen. Wenn Aristoteles denselben Satz darauf gründet, daß das Mögliche glaubwürdiger sei, wenn es geschehen ist, so muß man wohl bemerken, daß er vorher übersehen hat, in dem Begriffe des Möglichen ausdrücklich den des überzeugend Jndividuellen hervorzuheben. Der Dichter thut darum gut, sich an die Geschichte zu halten, weil sonst seinem Werke der Schein der Naturwahrheit, Ton, Wurf und Haltung des individuell Wirklichen abgeht; sein Werk interessirt uns nicht, weil das, was es darstellt, wirklich geschehen ist, sondern weil es zur Kraft des Allgemeinen die unendliche Eigenheit alles Jndividuellen aus dem Boden des empirisch Wirklichen heraufzieht. Daß aber die Umschmelzung schwer und daß daher der Dichter im Vortheil ist, wenn sich ihm geschichtliche Stoffe darbieten, welche die allgemeine Phantasie, die dichtende Sage schon umgestaltet, schon bis auf einen gewissen Grad poetisch zugerichtet hat, ist schon öfters bemerkt und muß bei dem Drama noch einmal aufgenommen werden. Eine Aehnlichkeit zwischen Geschichtschreibung und Dichtung liegt endlich im Großen und Ganzen der Anordnung, worin doch auch die erstere nach einem Gesetze der Ausscheidung, Auswahl zu verfahren hat, die der poetischen Composition verwandt ist. Jn dieser Beziehung vorzüglich spricht man von historischem Kunstwerk. Allein das leitende Prinzip bleibt auch hierin für den Geschichtschreiber, daß die sächliche Wahrheit in volles und reines Licht trete. Würde z. B. eine Thatsache oder eine Reihe von Thatsachen noch so dunkle Schatten auf die Jdee einer ewigen Gerechtigkeit werfen, die sich nur anderswo, in andern Geschichtswerken über den weitern Verlauf der Begebenheiten wieder ausgliechen, der Historiker dürfte sie der künstlerischen Anordnung zu liebe natürlich nicht unterdrücken. Nach dieser Auseinandersetzung wären nun die verschiedenen Arten des Uebertritts aus der ächten Poesie in die Prosa zu beleuchten. Wir beschränken uns aber hier auf wenige Bemerkungen, weil die Sache an andern Orten zur Sprache kommen muß, nämlich theils in der Darstellung der Zweige der Poesie, theils im Anhang (vergl. §. 547). Ohne Vorgriff in die Zweige sind allerdings auch diese Bemerkungen nicht möglich. ─ Das Vortragen allgemeiner (wissenschaftlicher, ethischer, politischer) oder historischer Wahrheit, das schließlich irgendwie immer auf den Willen berechnet ist, also die Welt unästhetisch aus dem Standpuncte des Sollens auffaßt, und das sich von der ästhetischen Einheit entbindet, in welcher es nur als ein vom lebendig anschaulichen Ganzen getragenes Moment Berechtigung hat, ist immer zugleich ein falsches Hervortreten der Person des Dichters, eine Aufhebung der Objectivität, die, in verschiedenem Sinne zwar, allen Zweigen zukommt, also eine Störung der Jllusion. Jm Epischen erzählt der Dichter; er verkennt aber das richtige Verhältniß, wonach er blos Organ ist, wenn er über seinen Stoff redet, statt ihn durch seine Rede nur aufzuzeigen, und das Letztere geschieht, indem er seine Personen handeln läßt. Hier müssen wir nur §. 513 das Wort des Aristoteles wieder aufnehmen: der Dichter selbst dürfe am wenigsten sprechen, denn so sei es nicht gemeint mit seiner Aufgabe, nachzuahmen; die Andern drängen durchaus die eigene Person vor, ahmen Weniges oder selten nach, Homer aber führe nach einer kurzen Einleitung geradezu einen Mann oder eine Frau oder sonst etwas ein und nichts ohne, sondern mit Charakter. Wie wenig ist dieß einfache Grundgesetz namentlich in unserer Romanliteratur erkannt und befolgt! Da werden Verhältnisse, Charaktere, Stimmungen analysirt, statt daß uns durch Handlung gezeigt würde, wie sie sind, da hört man überall den Dichter als Psychologen, Philosophen, Moralisten, Politiker, der sich nur dürftig und fadenscheinig in eine Handlung verkleidet hat. Bei J. Paul, der diese unter Excerpten, Excursen, Reden, Abhandlungen, Hundsposttagen u. s. w. fast verschüttet, hängt dieß anders zusammen, denn er weiß eigentlich, daß er sündigt, und thut es aus humoristischem Eigensinn doch. Eine besonders gewöhnliche Form ist die, daß weit zu viel Gespräch eingeflochten wird; es sprechen zwar die Personen im Roman, aber aus ihnen sichtbar der Poet, der seine Reflexionen an den Mann bringen will und es dadurch sicher wenigstens dahin bringt, daß man ihm gar nicht mehr glaubt, es sei ihm Ernst mit dem Erzählen. ─ Eine andere, gröbere Form der prosaischen Entmischung ist nun das Ausweichen auf den historischen Standpunct. Es verbindet sich, wo es auftritt, mit jenem Ueberschusse der Reflexion; der scheinbare Dichter will sich in beiden Formen mit dem prosaischen Bewußtsein des Lesers in Vermittlung setzen, durch die letztere aber speziell gegen Vorwürfe, die aus diesem Bewußtsein kommen, verwahren und decken: er kann nichts dafür, wenn dieß und das verletzt, es ist geschehen. Ausdrückliche Versicherungen der historischen Wahrheit, Vorworte, Randbemerkungen mit statistischen Notizen und Argumenten, Nachbemerkungen, überflüssig spezielle Data, zu genaue Localisirungen, Aufnahme einzelner Züge, die ohne poetische Bedeutung sind, aber die geschichtliche Wahrheit verbürgen sollen: das Alles wirkt zusammen, dafür zu sorgen, daß ein recht fühlbarer Erdgeschmack, ein recht schwerer Bodensatz des Stoffartigen zurückbleibe, den kein Schütteln mit dem darüber schwebenden Spiritus zu amalgamiren vermag. Da bleibt das Ganze tonlos, da treten die Massen nicht in Fluß, da erklingt nicht der Strom in jenem Rhythmus, der uns sagt, daß aller Stoff in freien Schein verwandelt ist, daß wir eine zweite, ideale Welt vor uns haben. Man lese z. B. jede beliebige Parthie in dem gewiß nicht talentlosen Bulwer, halte sie neben irgend eine Parthie des Wilh. Meister und höre hin, ob der Unterschied nicht ist wie zwischen dem Klang von Kupfer und Silber. ─ Auf die lyrische Dichtung wollen wir noch nicht näher eingehen; der betreffende Abschnitt wird zeigen, wie der Lyriker, obwohl er im eigenen Namen spricht, doch sich in gewissem Sinne zu objectiviren hat, wie nahe es aber allerdings ihm besonders liegt, sich nackt an das prosaische Bewußtsein zu wenden. Die Reflexionspoesie ist in diesem Gebiete am meisten zu Hause; in das Feld der historischen Prosa geräth leicht das erzählende Gedicht in Volkslied und Kunstpoesie. ─ Jm Drama ist kein directes Hervortreten der Person des Dichters möglich, um so näher liegt das subjective Hervorsprechen aus den nur scheinbar objectiven Charakteren. Schiller hatte schon große Stufen der Schülerjahre hinter sich, als er im Don Carlos noch recht in die oberflächlich maskirte Rhetorik des subjectiven Pathos verfiel. Seine Nachahmer brachten zu demselben Fehler nicht seine große, weltumfassende Seele mit. Schiller erkannte seine Blöße, nahm seinen Geist in die Zucht der strengen Realität des geschichtlichen Stoffs und gründete mit seinem Wallenstein das neuere historisch politische Drama. Aber seine Nachfolger wußten die Umschmelzung nicht zu dem Puncte zu führen, auf dem sie trotz so vielen Resten von Dualismus bei Schiller schon angelangt ist. Vielmehr im Drama gerade geht das tendenziös rhetorische Pathos und neben ihm die stoffartige Schwere des Historischen recht im Schwange. Dabei bemerkt man doch auch, abgesehen von dem pathetischen Peroriren hinter der Maske, ein im engeren Sinne merkliches Selbstsprechen des Dichters, und dieß in allen Gattungen, auch im Lustspiel: es werden Entwicklungen von Sachlagen, namentlich Expositionen im Anfang, Auseinandersetzungen der Stimmungen, Leidenschaften gegeben, denen man augenblicklich ansieht, daß die dramatische Person eigentlich nicht mit den andern auf der Bühne, noch mit sich selbst, sondern mit den Zuhörern spricht, also eigentlich der Dichter. Das ist zugleich ein Rückfall in die Kindheit des Drama, wo Einer herauskam und dem Publikum direct erzählte, er sei bös, zornig, dieß und das verhalte sich so und so. Auch die zu umständlichen Anweisungen für das Spiel beweisen, daß dem Dichter das prosaische Wissen um die Execution und das Publikum über die Schulter sieht. §. 849. Aus dem Verhältnisse der Prinzipien der directen und indirecten Jdealisirung (§. 844) geht auch in der Poesie ein Gegensatz zweier Stylrichtungen hervor. Die eine behandelt im Geiste der Plastik die innere und äußere Welt allgemeiner, einfacher, ungebrochener und regelmäßiger, die andere, dem ächt malerischen Verfahren entsprechend, verfolgt eine buntere Welt in die tieferen Brüche des Bewußtseins und der Erscheinung, in die härteren Bedingungen des Daseins und in die schärfste Eigenheit der Jndividualität und schreitet bis zu den kühnsten Verbindungen des Ernsten und Komischen fort. Jene wird, vermöge gegründeter Uebertragung des Geschichtlichen auf einen bleibenden Unterschied, vorzüglich in der Poesie die classische genannt (vergl. §. 438). Jn keiner andern Kunst ist Kampf und Wechselwirkung beider Style so durchgreifend und befruchtend, wie in dieser. Es muß hier nachdrücklich auf §. 676 verwiesen werden, wo das Wesen und die ganze Bedeutung der zwei entgegengesetzten Style für die Malerei auseinandergesetzt ist. Zwischen dieser und der Poesie besteht, wie sich aus allem Bisherigen ergibt, die tiefste Verwandtschaft auch hierin, in der letzteren behauptet jedoch (vergl. §. 844) das Prinzip der directen Jdealisirung neben dem entgegengesetzten, das entschieden zur Herrschaft gelangt ist, sein Recht in stärkerem Maaße fort, daher es in der Geschichte dieser Kunst, in der Periode, deren Geist der plastische war, eine vollkommen reife, den Bedingungen dieses Kunstgebiets rein entsprechende Poesie gegeben hat, eine Poesie, die auf dem Standpunct ihres Jdeals so ganz und aus Einem musterhaften Gusse war, daß von ihr der Name des Classischen entnommen ist, wie er nicht nur dem Besten und Vollkommensten, sondern in engerer Bedeutung dem Style gegeben wird, der auf jenem Prinzip der directen Jdealisirung ruht, nach welchem die einzelne Gestalt schön sein soll. Auch in der Malerei nennt man die entsprechende Richtung die classische, die classicirende; man bemerke aber dabei wohl, daß dieser Styl hier seine Muster nicht eigentlich in den Werken der Alten auf demselben Kunstgebiete, vielmehr auf dem einer andern Kunst, der Sculptur, hat, wogegen die classisch fühlende, zeichnende, componirende Richtung in der Poesie ihre Vorbilder eben in den alten Meistern derselben Kunst findet und der verwandte Charakter der Bildnerkunst nur zur näheren Belehrung über ihr Wesen beizuziehen ist. Die Bezeichnung trifft daher noch weit enger zu, wenn man (unter den nöthigen Einschränkungen) die Dichtung der romanischen Völker, unter den Deutschen Göthe's und Schiller's im Gegensatze vorzüglich gegen Shakespeare, die classicirende nennt, als wenn man den älteren und jüngeren Akademikern der Malerei in Frankreich, den Carstens und Wächter in Deutschland diesen Namen gibt. Die durchschlagende Bezeichnung classisch und romantisch, wie sie nicht nur einen geschichtlich dagewesenen, sondern bleibenden Unterschied der Auffassung im Auge hat, ist im Gebiete der Poesie aufgekommen, der große Gegensatz der Style hier früher, ausdrücklicher, tiefer erkannt worden, als auf allen andern Kunstgebieten: natürlich, weil der geistigsten Kunst ein ausgesprochneres Bewußtsein ihrer Gesetze, eine ausgebildetere Kritik zur Seite geht. Seit dem Kampfe gegen Gotsched dreht sich Alles um diese Angel, Shakespeare ist der Name, in welchem man Alles zusammenfaßt, was man unter dem naturalistischen und individualisirenden Style begreift. Um was es sich eigentlich handelt, kann man sich auf empirischem Weg am besten veranschaulichen, wenn man deutlich das Schwanken zwischen zwei Stylen in Göthe's Egmont beobachtet, wenn man in Schiller's Wallenstein genau unterscheidet, wo unter dem Einflusse des großen Britten die gesättigte Farbe der vollen Lebenswahrheit und wo dagegen die generalisirende Allgemeinheit des Jdealismus durchdringt, wenn man die Aeußerung von Gervinus über Schiller's Charaktere: sie halten sich in einer Mitte zwischen der typischen Art der Alten und der individuellen des Shakespeare (Neuere Gesch. d. poet. Nat.=Lit. d. Deutsch. Th. 2. S. 506) wohl überlegt. Letztere ist zwar nicht ganz richtig; diese Mitte suchen wir erst, sie ist das Ziel unserer Poesie, aber das Wort gibt viel zu denken. ─ Der §. faßt in Kürze die schon in früheren Abschnitten mehrfach besprochenen Grundzüge beider Style noch einmal zusammen und hebt als neuen Zug nur die kühnere Mischung des Ernsten und Komischen hervor; jede weitere Auseinandersetzung an der gegenwärtigen Stelle wäre zweckwidrig, weil in der Folge der große Unterschied, von dem es sich handelt, auf allen Hauptpuncten hervortritt und zur Sprache kommt. Nur gewisse Bestimmungen, Definitionen desselben sind hier noch zu berücksichtigen, um Einwürfen vorzubeugen. Jn der Grundlage seiner Weltanschauung haben wir den classischen Styl wesentlich als einen objectiven bestimmt („das Jdeal der objectiven Phantasie“ §. 425). Widerspricht dieß nicht dem Begriffe des Jdealistischen? Wie kann man von dem klar schauenden, gegenständlichen Göthe und von dem subjectiven Schiller gemeinschaftlich das Classiciren aussagen? Allein man muß richtig unterscheiden. Jm classischen Style wird verlangt, daß die einzelne Gestalt schön sei, daher greift er nicht tief in die spezielleren Züge der Existenz hinein, gibt mehr Typen, als Jndividuen, berührt nur die reinen, lichten Gipfel der Dinge. Göthe und Schiller in ihrer durch die Alten geläuterten Periode haben dieß gemein; von dem Unterschiede, der übrigens zwischen ihnen stattfindet, ist hier zunächst ganz abzusehen und ebenso von den Einschränkungen, die im Gemeinschaftlichen selbst daraus entspringen, daß Schiller vermöge seiner drastischen Energie durch Shakespeares Einfluß vielfach zur gesättigteren, keckeren Farbengebung geführt wird. Durch jene Keuschheit nun, die sich scheut, in die Einzelzüge der Dinge bis zu einer gewissen Spezialität einzugehen, ist der Geist des classischen Styls idealistisch, nimmt die großen Schritte des Kothurns; dem unbeschadet ist aber seine Auffassung an sich streng sächlich, ihr verwandelt sich alles Jnnere ganz in ein Bild, das so fest und in so klaren Umrissen dasteht, wie eine Statue; sie setzt keinen Rest von Subjectivität. Von dieser Seite betrachtet, steht Schiller der classischen Auffassung ganz ferne und fällt sogar in die rhetorische Entmischung der ästhetischen Elemente (§. 848). Wir haben den Charakter des classischen Jdeals früher auch einen realistischen genannt (§. 439, 3.); darauf kommen wir nachher zurück, um namentlich in dieser Bezeichnung verwirrendem Mißverständnisse zu steuern. Vorerst ist noch zu verhüten, daß nicht ein Begriff zur Unzeit herbeigebracht werde, welcher den richtigen Gegensatz ebenfalls umzustoßen droht: in gewissem Sinn ist nämlich Göthe subjectiver, als Schiller, indem jener in Gemüthskämpfen, dieser in Thaten und Geschichte als dem eigentlichen Elemente seines Dichterberufes sich bewegt; dieß geht aber die Grundstimmung der ganzen Persönlichkeit und den durch sie bestimmten Jnhalt, nicht den Styl der Poesie an; es hat freilich auch wesentlichen Einfluß auf denselben, allein diese Ursache des verschiedenen Colorits gehört nicht hierher. Wir gehen jetzt hinüber zu dem entgegengesetzten Style, um hier ebenso die Begriffe zu ordnen. Schiller nennt ihn sentimental; diese Begriffsbestimmung ist im Ganzen und Großen beurtheilt in Anm. 1 zu §. 458. Es bleibt das Wahre, daß im romantischen und modernen Jdeale die innere Welt über die äußere wiegt und daher ein subjectiver Stimmungshauch sich über alle Gebilde der Poesie legt, in welchem die Umrisse zu verzittern scheinen; allein der Charakter der ganzen Auffassung ist damit nicht erschöpft; und ebensowenig durch W. v. Humboldt's entsprechende Unterscheidung der zwei Style als des bildenden und stimmenden (Aesthet. Vers. Abschnitt XIV ). Es handelt sich nämlich darum, wie das Uebergewicht der subjectiven Welt in der Art der dichterischen Zeichnung der Gegenstände sich äußere; und hier tritt ein Merkmal auf, das mit dem Sentimentalen, blos Stimmenden gerade in Widerspruch zu stehen scheint. Eine Vergleichung zwischen Homer und Ariost, wie sie W. v. Humboldt (a. a. O. Abschn. XXI ) anstellt, dient nicht dazu, dasselbe zu finden, das halb ironische, halb sentimentale Spiel der Einbildungskraft ist eine vereinzelte Erscheinung ohne Anspruch auf Allgemeinheit. Das Wahre ist vielmehr, daß der Geist, der die Dinge im Lichte der innern Unendlichkeit auffaßt, gerade eine schärfere Zeichnung der Einzelzüge begründet, als jener Jdealismus, weil im Lichte des eröffneten Zusammenhangs mit der unermeßlich vertieften inneren Welt selbst das Kleine, Enge, höchst Eigenthümliche berechtigt, bedeutend wird. Der Styl, welcher vermöge des vorherrschenden Stimmungstons nach der einen Seite einen gewissen musikalischen Nebel über die Dinge legt, ist daher ebenderselbe, welcher diesen Nebel plötzlich zerreißt und in alle Falten und Winkel der Welt, selbst in die häßlichen, Strahlen von einer Schärfe schießt, vor welchen der classische zurückscheut. Die Schönheit aber resultirt dann eben als stimmungsvoller Geist aus dem Ganzen. Es mag in gewissen Zweigen der Dichtkunst, die sich in diesem Elemente bewegt, Erscheinungen geben, welche sich ganz in jenem empfindungsvollen Dufte halten, zu keinerlei Härte und Schärfe fortgehen und doch gut sind, aber im Ganzen und Großen wird, wo die bewegte Subjectivität der Auffassung herrscht, das Verfolgen des Objects in die engere Naturwahrheit wesentlich mitgesetzt sein. Dieß nun hat man im Auge, wenn man diesen Styl den realistischen nennt; der classische heißt so, wenn man die Objectivität der Vergegenwärtigung überhaupt, der naturalisirende und individualisirende, wenn man Grad und Umfang des Hereinziehens der Einzelzüge des Daseins betont; Realismus im letzteren Sinn ist die gründliche Versetzung künstlerischen Bildes in die volleren, härteren Bedingungen der Existenz, der ausführlichere Schein des Lebens. Man sieht, wie sich diese Bestimmungen herumwerfen: beide Style sind in gewissem Sinne idealistisch und beide in gewissem Sinne realistisch; der erstere ist idealistisch im Sinne der strengeren Ausscheidung der particularen Züge, der zweite ist in diesem Sinne realistisch, der erste ist realistisch, weil er keine verborgene Jnnerlichkeit kennt, der zweite ist in dem Sinn idealistisch, daß er seinen Ausgang von dieser Tiefe nimmt. Jdealismus als Bezeichnung des ersteren kann weniger mißverstanden werden, aber den Namen realistisch, der sonst für den zweiten gebraucht wird, haben wir vermieden, um der Verwirrung zu entgehen, und die freilich unbequemen Benennungen: naturalistisch und individualisirend vorgezogen; wir werden jedoch von nun an beide Begriffe auch in dem Ausdrucke charakteristisch zusammenfassen. Jn §. 39 ist gezeigt, daß der Begriff des Charakteristischen in der Lehre vom Schönen an sich zu einer müßigen Streitfrage führt, aber auch vorgesorgt, ihm in der concreten Kunstwelt ohne Mißverständniß seine Anwendung zu sichern. Uebrigens vermeiden wir es, diesen Styl romantisch zu nennen, ihm also einen geschichtlichen Namen beizulegen, wie dem andern. Er ruht ja keineswegs ebenso auf einem musterhaften Vorbilde, das im Mittelalter gegeben wäre, wie dieser auf dem ewigen Vorbilde des Alterthums; seine Grundlagen sind dem Mittelalter und der neuen Zeit gemeinschaftlich, den Unterschied in der Entwicklung derselben verfolgen wir hier noch nicht. Der Begriff des Romantischen hat überdieß durch eine krankhafte Art, das Mittelalter zu erneuern, einen schiefen Nebenton bekommen. ─ Das Schwere in den Unterscheidungen liegt aber auch darin, daß in der Poesie noch mehr, als in der Malerei, die beiden Stylrichtungen sich mannigfach durchkreuzen und brechen, daß in beiden Lagern verwickelte Mischungen aus dem Entgegengesetzten sich darstellen. Daraus erhellt jedoch nur um so mehr die besondere chemische Kraft, welche in der Poesie diesem Gegensatze zukommt. §. 850. Der poetische Styl, wie er im sprachlichen Ausdruck erscheint, hat 1. die prosaisch gewordene Sprache so zu behandeln, daß mit der Bezeichnung auch das Bild des Bezeichneten in selbständiger Kraft vor der Phantasie ersteht und sich lebendig bewegt. Die Dichtkunst wirkt dadurch schöpferisch und Sprachbildend stets von Neuem auch auf die Prosa zurück. Da aber das Ganze 2. ihrer Thätigkeit auf lebendige Veranschaulichung gerichtet ist und da sie die Nachahmung der Malerei zu vermeiden hat (§. 847), so ist sie in den einzelnen Mitteln einfach und spart den reicheren Glanz den Momenten der entsprechenden Stimmung auf. Systematische Aufzählung dieser Mittel setzt die Prosa voraus und gehört der Rhetorik an; die Poetik hat nur die wesentlichen Formen derselben zu unterscheiden. 1. Wir haben (§. 836 Anm.) gesehen, wie zwar auch im gewöhnlichen Gebrauche der Sprache das Sprachzeichen immer ein Bild des Bezeichneten vor die innere Vorstellung ruft, aber dieß Bild nothwendig matt und unbestimmt bleibt, wie mit dem Fortschritte des Bildungszwecks der Sprache das Band zwischen Bedeutung und Wort mehr und mehr dem Mechanismus bloßer Gedächtniß-Verknüpfung weicht. Die Sprache, wie sie dadurch geworden, dient dem prosaischen Bewußtsein, das keine Absicht haben kann, die Einzelvorstellungen, die es in seinen verständigen Zusammenhang reiht, für die innere Anschauung zu beleben. Es ist nun nicht nur vergessen, warum ein Gegenstand so und nicht anders genannt wird, das Denkbild wird nicht nur immer blasser, sondern es verliert auch eine immer größere Anzahl von Wörtern ihre ursprünglich sinnliche Bedeutung und wird in der metaphorischen gebraucht, als wäre dieß die eigentliche (z. B. Herz, wirken, entwickeln). Jenes Wort, daß die Poesie älter sei, als die Prosa, gilt daher nicht nur von der früheren Ausbildung der ersteren als Anschauungsweise überhaupt und im Liede, das lebendig von Mund zu Munde gieng, ehe es eine Kunst der prosaischen Darstellung geben konnte, sondern im weiteren, unbestimmteren Sinne von der sinnlichen Frische der ursprünglichen Sprache der Naturvölker und der damit verbundenen Vorstellung. Eigentliche und wahre Poesie setzt jedoch die Prosa voraus, entspringt aus einer Macht des Geistes, die mit dieser ringt und das ideale Weltbild aus ihr herausarbeitet. Je weiter die Prosa, als Bildungsform und Auffassungsweise überhaupt, vorgeschritten, desto schwerer freilich ist dieser Kampf, desto schwerer erklingt die spröde Verständigkeit der Sprache im Munde des Dichters. Seine Aufgabe nun ist, dafür zu sorgen, daß das Wort dem Hörer nicht mechanisches, todtes Zeichen bleibe, er muß ihn zwingen, zu sehen und Belebtes, selbständig Lebendiges zu sehen. Der §. unterscheidet diese beiden Seiten, denn es handelt sich von dem doppelten Berufe der Poesie, nach der einen Seite das Wesen der bildenden Kunst, nach der andern die Natur der Musik geistig auf ihrem Boden wiederherzustellen (§. 838 und 839); daß er Gestalten vor uns hervorruft, darin gleicht der Dichter dem bildenden Künstler, daß diese Gestalten sich bewegen, von innerem Leben erklingen, darin ist er dem Musiker verwandt. Dieser Unterschied wird seine Anwendung finden, wenn wir die Arten der Mittel, wodurch die Phantasie vom Dichter zum lebendigen Bilden aufgerufen wird, näher auseinandersetzen. Zunächst muß hier noch die Rückwirkung auf die Prosa, die Sprache überhaupt hervorgehoben werden. Nach Wortbildung Wörterverbindung, Wortstellung, Periodenbau, Kraft, Lebendigkeit und Reichthum anschaulicher directer und bildlicher Bezeichnungen verdankt die gewöhnliche Sprache dem stetigen Einflusse der Dichtkunst, noch mehr den plötzlichen und reichen Strömen, die in den großen Momenten ihrer Wiedergeburt hervorbrechen, unendliche Befruchtung. Man muß z. B. wissen, wie viele Ausdrücke, die wir jetzt als höchst natürliche und schlichte gebrauchen, Gotsched noch als ganz entsetzlich verwarf (wir nennen: das Jauchzen, das ewige Schaffen, das Lächeln, das Jugendliche). Mit Klopstock brach damals die schöpferische Sprachkraft herein und Göthe's jugendliche Poesie wimmelt von Sprachbildungen, in welchen die kühne und doch so warme, milde, weiche Gestaltungskraft sprudelt. Hat sich aber die Prosa diese Schöpfungen angeeignet, so werden sie allmälig auch verbraucht und fallen hinüber zu dem gemeinen Vorrathe der durch Gewohnheit abgeschliffenen Sprachmünze, die man verwendet, ohne dabei innerlich etwas zu schauen. Diese Abnützung ist von furchtbarer Stärke. Man bedenke nur, daß ja die Sprache ursprünglich keine unsinnliche Bezeichnung hatte, daß ein Wort um das andere seine sinnliche Bedeutung in eine geistige verwandeln mußte, gegen deren schöne metaphorische Bedeutung man mit der Zeit stumpf wurde. Wie dieß im Ganzen und Großen geschah, so wiederholt es sich immer im Einzelnen. Der abreibende Verbruch wird vermehrt durch eine höchst tadelnswerthe Verschwendung, welche ohne Noth Bezeichnungen voll organisch anschaulicher Kraft für das Gewöhnlichste ausgibt. Wie schön ist das Wort Entwicklung und wie Viele brauchen es, wo Werden, Wachsen, sich Bilden und dergl. vollkommen hinreichend wäre! Wie treffend ist Hegel's: „von Haus aus“ und wie hat man es für alles und jedes Anfängliche verschwendet! Jm ausdrücklich Bildlichen kommt dazu, daß so manche schlagende Vergleichung im ernsten Sinn unbrauchbar wird, weil sie zu häufig komisch verwendet worden und die blöde, frivole, stumpfe Messe nicht fähig ist, den Vergleichungspunct fest im Auge zu behalten und nach dem Uebrigen nicht umzusehen. Wir könnten keinen Helden mehr mit einem Eber, Esel vergleichen wie Homer, das Nibelungenlied, das A. Test., das Kameel haben uns die Studenten weggenommen. Shakespeare durfte ein sehr helles Auge mit dem der Kröte vergleichen und kein Lachen gebildeter Weinreisender befürchten, die wohl meinen, er habe nicht gewußt, daß die Kröte im Uebrigen häßlich ist. Die Stärke und Raschheit der Abnützung fordert allerdings stets auf's Neue die Zeugungskraft der Poesie heraus, führt aber zugleich die Versuchung mit sich, daß der sprachliche Ausdruck sich überhitze, übersteigere, um ja der stark und weit angewachsenen Prosa zu trotzen. Dieß führt zu dem wichtigen Satze, den der zweite Theil des §. aufstellt. 2. Das Ganze der poetischen Schöpfung und die einzelnen Mittel derselben im sprachlichen Ausdrucke sind streng zu unterscheiden. Jenes muß ursprünglich so empfangen sein, daß die Jdee nicht anders, denn als lebendige Gestalt vor dem Jnnern des Dichters steht, und daraus ergeben sich ihm die Mittel, wodurch er sein Bild in den Zuhörer überträgt, mit innerer Nothwendigkeit; diese Nothwendigkeit mag ihm selbst verborgen sein, er mag im Einzelnen zweifeln, wählen, verändern, sie leitet ihn dennoch als Gesetz und die Bemühung um das Einzelne ist daher nicht, wie es scheint, ein besonderer, zweiter Act seines Thuns. Ausdrücklicher Accent, den er auf die einzelnen Schönheiten legt, als bestünden sie für sich, erregt daher bei Allen, die um das wahre Wesen der Dichtkunst wissen, den Verdacht, daß es gelte, Blößen des Ganzen zu verhüllen. Man wird bei den großen Dichtern eine Grundlage tüchtiger Nüchternheit, gesunder Trockenheit finden; ohne diese herbe Wurzel schwebt die Phantasie taumelnd in der Luft. Jst nur das Ganze poetisch empfangen und empfunden, so mag es im Uebrigen gut schlicht und natürlich hergehen. Man sehe z. B. wie außerordentlich einfach die Begebenheit in der Braut von Corinth erzählt ist; eine Menge von Wendungen kommen vor, die unsere Bilderüberwürzten, in jedem Wort aufgestelzten modernen Lyriker als platt und prosaisch verachten würden, aber welcher Stimmungshauch zittert über den einfachen Worten, wie düster spannend, bebend schreitet die Handlung fort, wie ist Alles geschaut! Wenn im Drama ein Charakter wie leibhaftig geschaffen ist, hat er dann nöthig, in jeder einzelnen Rede den Mund voll zu nehmen? Der epische Dichter, wenn er zu viele ausdrückliche Anstalten trifft, sein inneres Bild vor unsere Anschauung zu bringen, fällt in jenes Malen, das wir als Vergehen gegen den poetischen Styl in §. 847 aufgezeigt haben. Einfachheit darf freilich nie mit Dürftigkeit verwechselt werden; das deutsche Epos mit seinen trockenen Farben, seiner unentwickelten Jntention der Anschauung gibt ein Beispiel. Selbst den Durchbruch reicherer Fülle, prachtvoller Bilder-Häufungen schließt das Gesetz der Sparsamkeit nicht aus; wo immer Sache und Stimmung den Begriff des Vollen und Ergiebigen mit sich führen, muß auch die Sprache sprudeln. Man vergegenwärtige sich z. B. Shakespeare's Prachtstelle voll Ueberschwall der Bilder in Heinrich IV , Abtheil. 1, Aufzug 4, Sc. 1: „Ganz rüstig, ganz in Waffen“ u. s. w.; hier mußte, um ein in strotzendem Kraftgefühl und jugendlicher Kriegeslust heranwimmelndes Heer zu schildern, auch der Ausdruck strotzen und wimmeln. Die Komik ohnedieß fordert stellenweis ihre verschwenderischen Witzspiele. Geht aber der Dichter zu ausdrücklich auf die einzelnen Schönheiten, so wird er sie auch in der Quantität ohne wahres Motiv steigern. Es ist vorzüglich die Ueberfülle derselben, was Argwohn gegen die innere Poesie des Ganzen erregt. Die ganze orientalische Dichtung häuft die Pracht des Einzelnen in dem Grade, in welchem das innere Verhältniß zwischen Jdee und Bild nicht das organisch ästhetische ist; sie schlägt dem symbolischen, ästhetisch dürftigeren Kern einen um so reicheren, mit Bilderbrillanten besäten Mantel um. Schiller's zu glänzender Jambenstrom verräth einen innern Mangel seiner poetischen Begabung, wo er nicht durch feurige Energie im speziellen Zusammenhange motivirt ist. Jn seiner Jugendpoesie geht die Uebersättigung des Styls vielfach bis zur Absurdität der euphuistischen Phrasen und concetti , aber er hat sich geläutert und wie tief er theoretisch das Richtige erkannte, zeigt Nro. 377 im Briefwechsel mit Göthe, wo er den folgereichen Satz von einem gewissen Antagonismus zwischen Jnhalt und Darstellung ausspricht: sei der Jnhalt bedeutend, so könne eine magere Darstellung ihm recht wohl anstehen, wogegen ein unpoetischer, gemeiner Jnhalt, wie er in einem größeren Ganzen oft nöthig werde, durch den belebten und reichen Ausdruck poetische Dignität erhalte. Dazu hätte er setzen können, daß auch höchst bewegte Leidenschaft üppige Fülle des letzteren motivire. Dieser Begriff eines Antagonismus leitet aber schließlich auf die Bemerkung, daß der Dichter, der ohne Motiv seine einzelnen Mittel steigert, die Bedeutung des bloßen Vehikels vergißt, welche der Sprache als der Darstellungsform der Poesie zukommt. Sie soll dem reinen, durchsichtigen Wasser gleichen, durch das wir die Gebilde auf dem Grunde sehen. J. Paul's Styl geht von dem schweren Jrrthum aus, daß die Sprache für sich ein dicker, salzüberfüllter Säuerling sein müsse, und quält uns mit der Entzifferung der lästig pikanten Form, wo wir den Jnhalt suchen. Es ist keine Frage, daß eine genaue Analyse und logische Aufreihung der einzelnen Mittel, wodurch sich die poetische Sprache von der prosaischen unterscheidet, auch für die Poetik von tiefem Jnteresse wäre, denn die Wissenschaft hat Alles zu würdigen und in die kleinste Falte des Einzelnen einzudringen. Ausgegangen aber ist das Jnteresse für dieses Gebiet, das man unter dem Namen der Tropen und Figuren begriff, von der Rhetorik, also der Wissenschaft einer praktischen Thätigkeit, welche auf der Prosa ruht, die scheinlos aufgefaßte Wirklichkeit durch Bestimmung des Willens zu verändern den Zweck hat und hiezu als Mittel Phantasie und Empfindung aufbietet. Die Voraussetzung, daß das Ganze prosaisch sei, lag zu Grunde in der Art, wie man nun die einzelnen Mittel untersuchte; man dachte an keine tiefere Ableitung, man erkannte nicht, wie in einem Gebiete, das ganz und wesentlich der Phantasie gehört, jede einzelne Form der Veranschaulichung und Belebung nur Ausfluß davon ist, daß das Ganze anschaulich lebt, kurz, wie der Dichter auch im Einzelnen darum individualisirt, weil das Ganze Jndividualisirung ist. Ueberdieß hat von jeher die trübste logische Verwirrung, die dürftigste äußere Aufreihung in diesen Erörterungen geherrscht. Es wäre aber eine gründlichere Untersuchung und Berichtigung nicht sowohl Aufgabe der Aesthetik, als vielmehr einer getrennten Poetik. Jene hat keinen Raum dazu übrig; wir werden nur einige Hauptpuncte aus dieser Lehre von den Tropen und Figuren berühren. §. 851. Es sind, unter Vorbehalt, daß der Gegensatz kein abstracter ist, nach §. 850 1. die Mittel der Veranschaulichung und der Belebung, des Bildes und der Stimmung, also objective und subjective, mehr malerische und mehr musikalische Formen zu unterscheiden. Beiden steht die allgemeine, negative Bestimmung voran, daß die Dichtkunst alle blos beschränkenden Ausdrücke scheut. Die Veranschaulichung in ihrer einfacheren, directen Form legt sich im Satze vor- 2. züglich auf das Epitheton. Jm indirecten Verfahren, noch abgesehen von der Herbeiziehung eines Subjects aus anderer Sphäre, vertauscht sie die Begriffsmomente in verschiedener Weise, selbst in derjenigen, daß sie das Abstracte für das Concrete setzt, jedoch so, daß sie hier zur Verwandlung des Begriffs in eine Person übergeht; alle Mittel der Veranschaulichung drängen als beseelend wesentlich zur Personification hin. 1. Der vorh. §. hat zu der hier aufgestellten Unterscheidung bereits den Grund gelegt. Es versteht sich jedoch, daß sie nur relativ ist: die bildlichen Mittel stellen der Phantasie ein Objectives gegenüber, sie fließen aber natürlich auch aus erhöhter Stimmung und erregen solche, und umgekehrt, die belebende Stimmung fördert natürlich auch die Kraft der innern Anschauung. Tropen und Figuren als Formen der Anschaulichkeit und der Lebhaftigkeit, der Einbildungskraft und des Gefühls, als malerisch und musikalisch zu unterscheiden ist also unter diesem Vorbehalte richtig. Uebrigens bringt die gewöhnliche Aufzählung unter den Figuren Solches, was, auch den Vorbehalt angenommen, doch entschieden vielmehr unter die Formen der Anschaulichkeit gehört; hat man doch sogar die Personification und Comparation unter jene gestellt. Eher konnte man die Sermocination (die eine Person oder Personification außerhalb des Drama's redend einführt) als Ausdruck der wärmsten Belebung einer übrigens der Veranschaulichung angehörigen Form, und ähnlich die Hyperbel als eine wesentlich auf der Stimmung ruhende Steigerung der Metapher zu den Figuren herüberziehen. Hyperbel als Steigerung der Metapher – Parallelkategorie? Metapher wird hier noch nicht explizit als Tropus definiert. Uebrigens fällt die Unterscheidung von Mitteln der Anschaulichkeit und der Lebhaftigkeit dem Umfange nach mit den Tropen und Figuren nicht zusammen; Tropus bedeutet Vertauschung des Subjects, indirecte Bezeichnung in verschiedenen Weisen und und Graden; die Theorie der poetischen Ausdrucksformen hat keinen allgemeinen Namen für den anschaulichen Ausdruck, der unbildlich ist, d. h. keine zweite Anschauung zur Beleuchtung eines gegebenen Jnhalts herbeibringt, und dieß ist der stärkste Beweis dafür, daß sie bisher ihre Aufgabe für die Poetik gar nicht begriffen, nicht geahnt hat, wie es sich hier von einem Grundgesetze der Dichtkunst, dem der Jndividualisirung überhaupt, handelt, wovon das tropische Verfahren nur ein Theil ist. Der §. stellt nun zuerst eine allgemeine negative Bestimmung über das ganze vorliegende Gebiet voran, die nämlich, daß die Poesie im Ausdrucke nichts Halbes, blos Limitirendes, Vorbehaltendes, Theilendes duldet. Weil in ihr Alles leben soll, soll auch Alles ganz sein, lieber kühn bis in's Unglaubliche, als beschnitten. Ausdrücke wie „ziemlich, einigermaaßen, theilweise, insofern, so zu sagen“ erkälten augenblicklich, legen sich wie Mehlthau auf den poetischen Zusammenhang. Vom bildlichen Verfahren kann hier anticipirt werden, daß aus diesem Grunde die Metapher poetischer ist, als die Vergleichung. Das „Wie“ oder „Gleichsam“ ist eine Verwahrung vor der vorausgesetzten Prosa, daß man Bild und Jnhalt nicht verwechsle, und stürzt ebendaher in diese. Das Komische freilich nimmt die Prosa absichtlich auf und liebt darum die beschränkenden Redeformen (z. B. „Gottwalt begann mäßig zu erstarren“), und so werden sie poetisch verwendbar wie kümmerliche Körperformen malerisch, aber dieß bestätigt nur ihren negativen Charakter. 2. Es sind nun zuerst die einfachsten Mittel der Veranschaulichung zu betrachten. Die Poesie soll das Wort nicht als einen für die Phantasie todten Begriff liegen lassen. Da das Hauptwort als Subject des Satzes aus der allgemeinen Sprache vertrocknet, wie es in ihr geworden, übernommen wird, so liegt das nächste Mittel, seinen Begriff für die Phantasie zu beleben, in der Eigenschaftsbestimmung. Sie tritt hier wesentlich als Zusatz, nicht als das durch die Copula zu vermittelnde Prädicat auf; es handelt sich zunächst nicht um die Aussage, die durch den Satz erst erwachsen soll, sondern, noch abgesehen von dieser, um eine Entwicklung des Subjects an sich für das innere Schauen. Die Bezeichnung epitheton ornans will dieß sagen, ist aber wohlweis nüchtern, weil man dabei nicht bedenkt, daß, was vom prosaischen Standpuncte blos anhängender Schmuck, vom poetischen wesentliche Aufthauung des im Wort erstarrten Bildes ist. Diese Auswicklung ist der Poesie so unentbehrlich, daß sie ihre Epitheta, natürlich vor Allem im epischen Gebiete, gern als stehende fixirt, und zwar keineswegs blos als geläufiges Mittel der Versfüllung; Homer's geflügeltes Wort, hauptumlockte Achaier, langhinstreckender Tod lassen uns nie stumpf, so oft sie auch wiederkehren. Was schon mehrfach über das Gesetz der Einfachheit der Anschauungsmittel gesagt ist, das gilt nun sogleich auch vom Epitheton. Jn der neueren Poesie gibt namentlich Göthe's Hermann und Dorothea lehrreiche Beispiele. W. v. Humboldt (Aesth. Vers. Abschn. XXX ) entwickelt treffend, wie die einfachen, wenigen Prädicate: tüchtig, groß, stark, gewaltig, bei der ersten Schilderung von Dorothea, wo wir sie die Stiere des Wagens lenken sehen, getragen vom großen poetischen Zusammenhang, ein ideales Bild vor uns aufbauen. Ebenso steht durch die Wirkung des Zusammenhangs im Anfang der Melpomene mit den wenigen Worten: ─ „des hohen wankenden Kornes, das die Durchschreitenden fast, die hohen Gestalten, erreichte,“ eine heroisch große Anschauung vor uns. Unsere Prosa hat sich so verwöhnt, mit starken bildlichen Ausdrücken umzuwerfen, daß wir gegen die Kraft des einfachen Prädicats, wenn es treffend ist, gegen die Feinheit der Wahl des schlicht Bezeichnenden, kurz, gegen die Wahrheit fast abgestumpft sind; uns heißt Alles nur sogleich herrlich, schauerlich, glühend, strahlend, lachend u. s. w., wir fühlen kaum die Schönheit und Wirksamkeit der Adjective dunkel, sanft, blau, still, hoch im Anfang des Liedes: „Kennst du das Land,“ wir vernehmen kaum mehr das Rauschen des Haines, dessen Wipfel Jphigenie nicht etwa gewaltig, erhaben u. dgl., sondern reg nennt, oder die geisterhaft herbstliche Stimmung in den Worten des Mephistopheles: wie traurig steigt die unvollkommene Scheibe des rothen Monds mit später Gluth heran, wir unterscheiden kaum, wie viel poetischer Wallenstein von hohlen, als von leeren Lägern spricht. Gerade unsere sinnlich starken Bezeichnungen sind durch die Verschwendung, indem man nicht mehr nach dem passenden Orte fragt, allgemein, abstract geworden. Wie matt muß dem, der an lauter spanischen Pfeffer gewöhnt ist, es erscheinen, wenn Göthe seinen Hermann nur wohlgebildet, den Vater den menschlichen Hauswirth, die Mutter die zuverläßige Gattin nennt! Die letzteren zwei Prädicate sind nicht versinnlichend, sondern moralisch; der Dichter hat ja überhaupt ebensosehr zu vergeistigen und zu verallgemeinern, als zu individualisiren; dieß Verfahren verfolgen wir hier im Allgemeinen nicht, eine besondere Wendung desselben aber wird zur Sprache kommen. ─ Es gilt nun aber auch natürlich vom Epitheton, daß durch die allgemeine Vorschrift der Sparsamkeit das Häufen der Mittel im Moment ergiebig hervorquellender Stimmung keineswegs ausgeschlossen ist; unsere Phantasie kann recht wohl die successiven Prädicate in ein simultanes Ganzes zusammenfassen; Jphigenie geht gleich im zweiten Vers in die warm beschleunigte Prädicat-Häufung: des alten, heil'gen, dichtbelaubten Haines über und Beispiele noch viel reicherer Fülle sind in der ächten Poesie unendlich. ─ Die Versinnlichung legt sich nun aber natürlich auch in die Bezeichnung des Zustands oder Thuns durch das Zeitwort. Hier ist immer die nähere, schärfere, sinnlichere Beziehung der allgemeineren vorzuziehen. Es ist poetischer, zu sagen: der Schmerz wühlt, gräbt, nagt, bohrt im Jnnern, als: er bewegt, erfüllt es u. s. w. Es tritt hiemit, wie in diesem Beispiel, meist schon metaphorische Bezeichnung ein und führt dieß daher zu der Betrachtung des bildlichen Verfahrens im engeren Sinne des Worts; davon soll erst nachher spezieller die Rede sein, aber es ist unumgänglich, schon bei dem Epitheton es zu erwähnen Epitheton ornans als Parallelkategorie , ebenso das metonymische Verfahren, wo der Dichter statt der ganzen Thätigkeit eine nähere Erscheinungsseite derselben herausstellt; wir führen hiezu nicht im Scherz als ächt harmonisch gefühlt an, wenn Hebel, wo er den Wohlstand eines Landgeistlichen schildert und unter Anderem seine Schweinezucht erwähnt, nicht etwa sagt: in den Wäldern mästet sich, sondern: knarvelt d'Su. Das Verbum kann allerdings auch umgekehrt die Enge des Sinnlichen vergeistigend erweitern, dieß führt jedoch ebenfalls zur Metapher. ─ Bei genauerer Analyse wäre nun zu zeigen, wie die veranschaulichende Kraft den Satz entwickelt, mit Zwischensätzen gliedert (z. B. in Hermann und Dorothea, wo der Pfarrer dem Vater den Ring vom Finger zieht und in Parenthese steht: nicht so leicht, denn er war vom rundlichen Gliede gehalten) und dem einzelnen Sprachmittel seine Wirkung durch den Zusammenhang, durch Hintergrund, Folie, Contrast sichert; wir müssen uns aber mit diesen Andeutungen begnügen, um nun vom Einfacheren zum Kühneren, von dem Verfahren, das den Gegenstand beläßt und nur dem Auge auffrischt, zu dem fortzuschreiten, das ihn löst und lockert, jedoch nur, um die zersprengte gemeine Ordnung der Dinge mit neuem, freiem Leben zu durchschießen und in das Licht einer höheren Einheit zu rücken. Hier beginnen denn die sogenannten Tropen oder Vertauschungen und es handelt sich zuerst von derjenigen Art derselben, welche nicht eine Erscheinung aus einer andern Sphäre vergleichend oder verwechselnd herbeizieht, sondern bei dem Gegenstand und seiner Sphäre stehen bleibt: es ist die sogenannte Metonymie (eine geistlose Bezeichnung, als gälte es blos Namensverwechslung) und Synekdoche. Jene bewegt sich in geschloßnerem Kreis, indem sie die concreten Verhältnisse und Erscheinungsseiten des Gegenstandes vertauscht: Stoff, Werkzeug, Zeichen, Wirkung, eine der Wirkungen, einen Theil für das, was aus dem Stoffe besteht, für den Träger des Werkzeugs, Zeichens, für die Ursache, für das Gesammte der Wirkungen, für das Ganze setzt u. s. w. Es ist z. B. selbst in der Prosa poetisch, wenn es heißt: tausend Säbel, Bajonette, Segel für Reiter, Fußgänger, Schiffe. Die Synekdoche ist ein gewaltsamerer Act, indem sie das logische Verhältniß des Gegenstands in seiner ganzen Sphäre auflöst, Abstractes mit dem Concreten, Art und Jndividuum mit der Gattung vertauscht und umgekehrt. Es ist nicht passend, die Verwechslung des Ganzen und der Theile ihr zuzuzählen, weil diese im geschloßnen Umkreise des concreten Subjects stehen bleibt; wir haben sie daher zur Metonymie gezogen. Die meisten Formen der Vertauschung, die man unter dieser aufführt, fallen ebenso gut, als unter den Begriff von Wirkung, Werkzeug u. s. w., auch unter den des Theils für das Ganze: so das angeführte Segel für Schiff, so wenn der Dichter sagt: sein Brod mit Thränen essen statt: betrübt sein; jenes ist eine Wirkung der Betrübniß oder ein Theil ihrer Wirkungen. Daran knüpft sich denn von selbst, daß die Metonymie auch im eigentlichen Sinn Theil und Ganzes vertauscht, z. B. Schwelle für Haus setzt. Man kann die Classificationsverhältnisse, welche die Synekdoche verwechselt, nothdürftig auch als Ganzes und Theile auffassen, aber dieß führt nur zur Verwirrung. Wichtig ist nun bei dieser Form, daß sie nicht nur dem Gesetze der Jndividualisirung folgend das Einzelne und die Art statt des Allgemeinen und der Gattung setzt (z. B. Cicero statt Redner, Hund statt Thier), sondern, was diesem Grundstreben zu widersprechen scheint, auch das Allgemeine, Abstracte für das Besondere, Einzelne, Concrete, das Jahrhundert für: die in ihm lebenden Generationen, die Menschheit, statt: die Menschen, die Hoffnung statt der Hoffenden, Friede, Krieg statt der darin Begriffenen, Buhlschaft statt der Kleider, womit sie sich putzt, der Mord statt: der Mörder. Es ist nun dieß zunächst gar nichts Anderes, als eine logische Abbreviatur, welche alle Sprache, auch die ganz gewöhnliche Prosa übt; dennoch bedarf es nur eines Schritts, um von dieser scheinbar weitesten Entfernung zu dem lebendigsten Mittelpuncte der Poesie umzulenken. Dieß geschieht nicht etwa blos dadurch, daß der Dichter das Abstractum setzt, wo es die Prosa nicht gesetzt hätte; wenn z. B. Makbeth vor der Ermordung Duncan's sagt: jetzt geht der Mord an sein Geschäft, so hätte hier auch die gewöhnliche Rede Mord, statt: Mörder setzen können. Der Dichter erhebt vielmehr, was annähernd oder wirklich in jedem Momente wärmeren Antheils der Phantasie auch die Prosa vollzieht, dann abgenützt in unzähligen Wendungen stehend wiederholt (die trauernde Menschheit, die lächelnde Hoffnung, das schnellschreitende Jahrhundert u. dergl.), zum vollen Acte: er beseelt, er personificirt das Abstractum. Dieß geschieht durch originale Belebungskraft im Epitheton und im Verbum mit ihren weitern Entwicklungen und Zusätzen: der dürre Mord, geweckt von seiner Schildwacht, dem Wolf, der das Signal ihm heult, fährt auf und schreitet hin nach seinem Ziel gespenstisch; die seidne Buhlschaft liegt im Kleiderschrank (wie ein lebendiges Wesen, das zur todten Puppe geworden); der Krieg sträubt den zornigen Kamm und fletscht dem Frieden in die milden Augen; dieser schlummert in der Wiege des Landes, tritt „mädchenblaß“ unter die Menschen, jener als gluthaugige, schnaubende Jungfrau. Es erhellt, daß dieß Personificiren derselbe Act ist wie der, durch welchen die Götter entstanden sind, mit dem Unterschiede, daß er freier ästhetischer Schein bleibt, während in der Mythologie die bedeutendsten seiner Schöpfungen sich im Glauben als wirkliche Wesen festsetzten. Doch hat das mythische Bewußtsein neben diesen seinen festgeglaubten Personificationen natürlich auch in frei poetischer Weise denselben Act, nur gerade noch erleichtert durch die Gewohnheit des Götterbildens, fortwährend in der reichsten Fülle ausgeübt; die Alten zeigen in der Beseelung allgemeiner Begriffe eine Kühnheit, Bewegtheit der Phantasie, die man von ihrer plastischen Ruhe kaum erwartet. Bei Sophokles heißt die Hülfe heiterblickend, Reden bei Euripides und Aristophanes unfreundlich blickend, bei Pindar hat das im Werden begriffene Lied ein fernleuchtendes Antlitz, selbst der Seele werden Augen zugeschrieben, die Verläumdung hat brennenden Blick, wie bei Shakespeare die Eifersucht ein grünaugiges Ungeheuer ist, (vergl. Ueber personific. Adjectiva und Epitheta bei griechischen Dichtern. V. C. C. Hense). Noch Horaz hat phantasievolle Anschauungen dieser Art, wie z. B. die Sorge, die sich hinter den Reiter auf's Pferd setzt. Shakespeare's besonderes Feuer und Alles belebender Reichthum im Personificiren genoß, wie bekannt, eine Unterstützung, welche fast als Surrogat jener mythischen Gewöhnung der Phantasie betrachtet werden kann: nämlich in den sog. Moralitäten, welche mit der größten Keckheit jeden moralischen Begriff als dramatische Person einzuführen pflegten. Es war dieß freilich, da es ohne mythischen Glauben geschah, zunächst Allegorie; allein die dramatische Aufführung gab dem persönlichen Bild etwas Ueberzeugendes, die Geläufigkeit etwas Haltbares und es durfte nur die Zauberkraft des Genius dazu kommen, so sprang statt der Allegorie ein Wesen hervor, das wenigstens im Augenblicke der poetischen Anschauung wahres Leben hat, kein Gott, aber etwas wie eine Geister-Erscheinung. So zur Kühnheit gewöhnt und durch die entsprechende Gewohnheit seines Publikums gehalten konnte Shakespeare es wagen, sogar die Luft einen ungebundenen Wüstling, den Wind einen Buhler, das Gelächter einen Geck zu nennen, das Mitleid als nacktes Kind auf Wolken einherfahren zu lassen, den Ariel anzureden: mein schöner kleiner Fleiß (als ob der Fleiß ein persönlicher Geist und dieser Ariel wäre) und ─ wunderbar schön ─ von der Zeit zu sagen: der alte Glöckner, der kahle Küster. Es sind dieß nicht eigentlich Metaphern, der Dichter vergleicht nicht, er beseelt den Begriff in sich und aus sich zur Person. Doch werden wir sehen, daß in der Metapher, die das Vergleichen verschweigt, mehr oder weniger von solcher Jnnigkeit des immanenten Beseelens liegt. Zu diesem Gipfel der belebenden Veranschaulichung, der Personification, dringen nun die Formen des poetischen Ausdrucks, und zwar eben auch die bisher betrachteten einfacheren, überhaupt mit aller Gewalt hin. Es handelt sich jetzt nicht mehr blos von abstracten Begriffen, auch das Sinnliche, jede Erscheinung, die kein oder für sich kein besonderes Leben hat, wird so behandelt, daß ein eigener Geist in sie zu fahren scheint. Da Brutus Dolch den Cäsar durchbohrt, folgt ihm das Blut, als stürzt' es vor die Thür', um zu erfahren, ob wirklich Brutus so unfreundlich klopfte; dieß ist wie eine Vergleichung ausgedrückt, wir dürfen aber das kühne Bild von der Erörterung des Gleichnisses und der Metapher getrennt betrachten, weil es so schlagartig wirkt, daß das Blut eine fühlende Seele für sich zu haben scheint. Wenn bei Homer die Lanze hastig stürmt, wenn der Pfeil mit Begierde fliegt, im Fleische zu schwelgen, so ist dieß ebenfalls solche unmittelbare Beseelung. Die Alten sind auch hierin nicht weniger kühn, als ein Shakespeare; Erz, Helm, Feuer, Fackel, Licht, Tag, Wolke, Pflanze, selbst der glänzende Tisch haben Augen, die Felskluft ist hohläugig, ja sogar das nur Hörbare, der Ruf der Stimme heißt bei Sophokles fernsehend oder ferngesehen (vergl. Hense a. a. O.) Das ist durchaus nicht ein mühsames Herbeiziehen, sondern ein sehr phantasiereiches Schauen, wie die frische Einbildungskraft des Kindes in Allem Gesichter sieht, und daraus erwächst eine allgemeine Belebung der Natur. §. 852. Die andere, mehr äußerliche, aber farbenreichere Hauptform des indirecten Verfahrens, der Tropus, zieht vergleichend eine Erscheinung aus einer andern Sphäre herbei; verschweigt sie diesen Act und scheint das Verglichene identisch zu setzen, so ist sie eigentliche Uebertragung, Metapher; Tropus wird generell als eine vergleichende Form definiert, Vgl. somit als Oberkategorie; Metapher kann hier sowohl als verkürzter Vergleich wie auch als Übertragung annotiert werden; Übertragung jedoch expliziter entlehnt diese ihr Bild aus dem beseelten Leben, so fällt sie in ihrer höchsten Lebendigkeit mit der Personification zusammen. Schlagende Kraft des Vergleichungspunctes ist im ernsten Gebiete (über den Unterschied des komischen vergl. §. 199) der Charakter des ächten Bildes. Metapher fällt mit Personifikation zusammen: Parallelkategorien Jn den bisher aufgeführten Formen wird nicht ein Fremdes, das einen eigenen Körper hat, mit dem vorliegenden Subjecte, dem ebenfalls eigene Erscheinungsform zukommt, zusammengebracht, so daß wir diese zwei vermittelst einer Eigenschaft, die beiden gemein ist, in Einheit zusammenfassen sollen; jenes Verfahren ist, auch wo es die Momente eines Ganzen, eines Ordnungsverhältnisses vertauscht, einfacher, bleibt in der Sache, erwärmt und beseelt sie von innen heraus; dieses ist zwiefältig, unruhiger, macht einen Sprung, ist äußerlicher und daher gewaltsamer. Die eigentlichen Tropen, von denen es hier sich handelt, sind ebendarum weniger poetisch. Was zu §. 850 von Bedeckung poetischer Blößen durch Glanz des Ausdrucks gesagt ist, gilt namentlich diesem bildlichen Verfahren im engeren Sinne des Worts. Es versteht sich, daß darum die ächte Poesie auf das Bild nicht kann verzichten wollen. Es ist vermöge seiner springenden Natur colorirter, als jene andern Formen, und viele Stellen fordern die buntere Farbe; der Geist in wärmerer Bewegung, sei sie eine sanftere und beschauliche oder feurige und wilde, fühlt den natürlichen Drang, seinen Gegenstand, damit er in seinem Werth nachdrücklicher erscheine, nicht nur in einfacher, sondern in doppelter Beleuchtung, sozusagen im Sonnen- und Kerzenlichte zugleich zu zeigen; der Vergleichungspunct, der das innerste Wesen des Gegenstands mit verdoppeltem Accente betont, ist das farbigere Kerzenlicht. Jn diesem Drange liegt aber noch ein Tieferes: einerseits weidet sich in solchem Umherschauen nach vergleichbarem Stoff aus andern Sphären die Phantasie an ihrer eigenen Schönheit, jedoch in der ächten Dichtung niemals selbstsüchtig, sondern in dem guten Sinne, daß durch die Freiheit, durch das ideale Ueberschweben, worin sie sich genießt, die innige Vertiefung in das bestimmte Object, dem die Vergleichung gilt, nicht gestört wird; es ist eine Befreiung von stoffartigem Festkleben, eine Lösung in der Beschränkung, deren Natur besonders da einleuchtet, wo sie der Dichter einer poetischen Person als ihren eigenen Act beilegt, so daß wir Zeugen eines objectiven Schauspiels sind, worin der Mensch von seiner Leidenschaft sich befreit, indem er alle Bilderkraft der wühlenden Phantasie aufbietet, sie darzustellen. Vergl. über diesen Sinn des vergleichenden Verfahrens Hegel Aesth. Th. 1. S. 521 ff., wo namentlich die letztere Seite an Richard II treffend auseinandergesetzt ist. Schließlich aber erkennen wir darin, wenn nicht der einzelne Vergleichungs= Act, sondern diese Form überhaupt und ihre nimmer ruhende Thätigkeit in's Auge gefaßt wird, die allgemeine, metaphysische Wahrheit, daß alle Wesen der Welt Glieder Einer Kette sind und in unendliche Anziehungen der Verwandtschaft treten können, daß das All im Flusse der innern Einheit sich bewegt. Wir eilen nun, ohne auf die sogen. Allegorie im engeren Sinne des Worts (eine durch mehrere Momente durchgeführte Metapher, welche in der Art verdeckt ist, daß sie den verglichenen Gegenstand verschweigt und räthselartig errathen läßt) einzugehen, zu dem Unterschiede des Gleichnisses und der Metapher. Unterkategorie der Metapher: Allegorie? (als spezielle Form der Metapher) Die Metapher ist die kühnere, feurigere Form, indem sie das Wie und So wegläßt und die zwei verglichenen Erscheinungen wie identisch zu schauen nöthigt. Mit solcher Energie verfährt Shakespeare, wenn sein Othello nicht sagt: mein Herz ist wie versteinert, sondern: mein Herz ist zu Stein geworden, ich schlage daran und die Hand schmerzt mich. Othello (Othello wird als Figur erwähnt), Quelle: William Shakespeare: Othello https://textgridrep.org/browse/-/browse/vn7q_0 Die Satz-Entwicklung kommt hier noch dazu, die verglichenen Zwei wie identisch zusammenzuzwingen, Quelle: Othello (siehe vorherige Paraphrase) ebenso wenn Othello einen Beweis verlangt, an dem kein Häkchen sei, den kleinsten Zweifel d'ran zu hängen. Quelle: Othello; Quelle/Autor ergibt sich aus vorheriger Paraphrase Kürzer tritt die Metapher durch den bloßen Genitiv oder eine Präposition auf, die das zur Vergleichung Beigezogene zur Eigenschaft, Attribut, Theil eines zunächst unbildlich gesetzten Ganzen zu machen scheinen, welches aber mittelbar dadurch in seiner Totalität bildlich wird ( z. B. „die Thore, eurer Stadt geschloßne Augen“ Quellenannahme: William Shakespeare: König Johann https://textgridrep.org/browse/-/browse/vnjn_0 , oder: „hier, nur hier, auf dieser Sandbank in der Zeit“ Wortlaut offenbar verändert (...Sandbank unserer Zeitlichkeit) Quellenannahme: William Shakespeare: Macbeth https://textgridrep.org/browse/-/browse/vn2s_0 ; dort wird die Stadt zu einer Person Quellenannahme: William Shakespeare: König Johann https://textgridrep.org/browse/-/browse/vnjn_0 , hier die Zeit zu einem Meer Quellenannahme: William Shakespeare: Macbeth https://textgridrep.org/browse/-/browse/vn2s_0 ); es ist dieß eine Form, die enger bindet, als das bloße Epitheton Epitheton als Parallelkategorie (wie: Wunden, diese Fenster, die sich aufgethan, dein Leben zu entlassen), doch geht letzteres wieder in eine stärkere Form über, wenn das Verglichene nicht genannt, sondern nur darauf hingezeigt wird (wie statt: Lippen: diese schwellenden Himmel). Eine ganz gewöhnliche Wendung, die doch in der Lehre vom h. Abendmahl auf so wilde Verhärtung stieß, ist die Bindung durch die Copula; lebendiger ist das Band, wenn das Bild als bewegte Form im thätigen oder leidenden Zeitworte liegt oder von diesem kühn subsumirt wird Nennung: Lehre vom hl. Abendmahl (Quelle/Werk: Neues Testament?) , wie wenn Hamlet „Dolche zu seiner Mutter spricht.“ Wortlaut offenbar verändert; Hamlet (als Figur genannt); Quelle: William Shakespeare: Hamlet https://textgridrep.org/browse/-/browse/vncw_0 ─ Die ruhigere Form des bildlichen Verfahrens, das Gleichniß, gewinnt dagegen, was sie zu erzwingen verzichtet, indem sie Bild und Gegenstand auseinanderhält, durch stetigen Fortschritt in ihrer Entwicklung, wie Northumberlands schönes Bild: Ganz solch ein Mann, so matt, so athemlos u. s. w. (Heinrich IV , Abth. 2. Act 1, Sc. 1.); natürlich verstärkt sich die überzeugende Kraft, wenn an die Stelle der Vergleichungsformel die mimische Darstellung tritt, wie in der Vergleichung der Krone mit zwei Eimern in Richard II , in so vielen classischen und namentlich orientalischen Erzählungen. Was nun das Verhältniß der Sphären des Verglichenen und zur Vergleichung Hergeholten betrifft, so gibt es, genau genommen, nur Einen wesentlichen Unterschied: es wird Engeres mit Weiterem verglichen, vom Einzelnen zum Allgemeinen, vom Sinnlichen zum beseelteren Sinnlichen und zum Geist aufgestiegen oder umgekehrt vom Allgemeinen, Geistigen zum sinnlich Geschloßneren übergegangen. Wenn Sinnliches mit Sinnlichem verglichen wird, so wird man immer finden, daß entweder der verglichene Gegenstand unorganisch, unbewegt, oder unbeseelt organisch, das Bild bewegt, organisch, beseelt ist (wie wenn z. B. treibende Wolken mit gejagten Rossen verglichen werden), oder umgekehrt (wie wenn ich ein feurig bewegtes Roß mit Wellen, seine Mähne mit deren schäumendem Kamm vergleiche); und ähnlich wird, wenn Geistiges in Geistigem sein Gegenbild findet, der Weg der Vergleichung vom Jndividuelleren, von dem, was im Geistigen relativ sinnlich ist, in das geistig Allgemeinere, das reiner Geistige gehen oder umgekehrt, es wird namentlich auf der einen Seite Geistiges mit seiner sinnlichen Aeußerung zusammengenommen, auf der andern diese abgezogen bleiben (wie wenn eine reine Empfindung mit einem Gebete, eine rasche Handlung mit der Schnelle eines Gedankens verglichen wird). Der natürliche und gewöhnlichere Weg ist nun, wie sich aus dem Gesetze der Jndividualisirung von selbst ergibt, der vom Allgemeinen zum Besondern, vom Geiste zum Körper, vom Menschlichen zu der ungeistigen Natur. Allein man hüte sich, diese Begriffe ungenau zu nehmen; sie werden nach Umständen schwierig, was zunächst absteigende Vergleichung scheint, ist, genauer betrachtet, aufsteigende, die aufsteigende aber hat im Bilde etwas relativ Absteigendes. Das Natürliche, das Körperliche, kann von unbestimmter Weite, ungeschlossener Gestaltung sein, dann sucht der Dichter das anschaulich Bestimmte, individuell Geschlossene gern im persönlichen Leben, weil dieß individuelle Gestalt hat; geht er aber nicht von einem Sinnlichen unbestimmter Art zu persönlich Lebendigem als Ganzem, sondern von einem Besondern, selbst Persönlichen nur zu einer allgemeinen geistigen Bestimmtheit, einem Zustand, einer Thätigkeitsform über, so ist der Prozeß verwickelter. Hier wird man nämlich immer finden, daß vorher das Allgemeine dunkel personificirt wird und erst auf diesen Vorgang die aufsteigende Vergleichung sich gründet. Wenn Leontes von Hermione sagt: sie war mild wie Kindheit und wie Gnade, so schweben diese dem Dichter dunkel wie Personen, wie Götter mit entsprechenden Zügen vor und mit diesen absoluten Wesen, worin jene Eigenschaften in unbedingter Reinheit angeschaut sind, wird dann Hermione verglichen. Wenn Lenau die düstre Wolke einen am Himmelsantlitz wandelnden bangen, schweren Gedanken nennt, so ist der Gedanke eben in seiner sinnlichen Erscheinung genommen, wie er über das Angesicht hinzieht, und dahinter liegt überdieß noch die Personification, daß der Gedanke wandelt. Man wird überhaupt finden, daß man alle wirklich aufsteigenden Vergleichungen erst umkehrt und dann erst wieder in die gegebene Stellung bringt. Man könnte z. B. sagen: dieses Fackellicht gleicht Shakespeare's Styl; dann wird der Zuhörer sich besinnen, warum man das poetische Colorit dieses Dichters mit dem flackernden, in's Dunkel unruhig glühenden Feuer der Fackeln vergleichen kann, und hierauf wird er mit der Vergleichung im umgekehrten Weg einverstanden sein. Der Geist läßt sich mit dem lichtvoll Durchsichtigen vergleichen; ich kann nun umgekehrt von einem strahlenden, durchleuchteten Wasserspiegel sagen: das ist, wie Geist. Man steigt von der Materie auf, um den Geist in sie hereinzusehen. Es ist eine Art von Genugthuung, die das Sinnliche dafür erhält, daß es sonst immer nur als Gegenbild dient; der tiefere Grund und Trieb ist immer der, daß die Phantasie von allen Puncten ausgeht, um Geist und Materie wechselnd zu durchdringen, den Gegensatz von allen Seiten anfaßt, diese zu beseelen und jenen zu verkörpern. Doch ist das aufsteigende Vergleichen zu sparen und behutsam zu verwenden; es wird leicht geschraubt, gemacht, sublimirt. Lenau z. B. hat das Maaß weit überschritten, er erscheint auch darin unnatürlich überhitzt und vernichtet oft eine schöne Anschauung durch das geistige Gegenbild. So wird im Gedichte: die nächtliche Fahrt, das düster schöne Bild der durch das nächtliche Schneegefilde im Schlitten geführten Leiche durch die Vergleichung mit dem Schicksale Polens plötzlich zur Allegorie, zur bloßen Hülse herabgesetzt. Die aufsteigende Vergleichung wird leicht wider Willen komisch, wenn der Sprung zu stark, namentlich wenn er moralisirend ist. Kant bewunderte noch den Vers: „die Sonne quoll hervor, wie Ruh' aus Tugend quillt“, worüber wir jetzt lächeln. Die ganze Gattung eignet sich aber vortrefflich für die absichtliche Komik (er sah aus wie eine Predigt, sie ist ein Lehrgedicht und dergl.). Es ist klar, daß die Metapher und trotz dem auseinanderhaltenden „Wie“ selbst die Vergleichung in ihrer höchsten Jnnigkeit und Energie das Bild, wenn es ein beseeltes ist, nicht neben dem Verglichenen stehen lassen, sondern in dieses herüberziehen, als wäre es seine Seele. Wir sind zu der Personification von der Synekdoche übergegangen und haben bei den Bemerkungen über allgemeine Beseelung schon Solches beigebracht, was zunächst metaphorisch, tiefer genommen Beseelung, beseelende Personbildung ist. Die Synekdoche setzt das Allgemeine der eigenen Sphäre des Gegenstands für diesen; Gleichniß und Metapher bringen ihr Bild aus fremder Sphäre und doch vollbringen auch sie einen freien augenblicklichen Schein, als wäre das Eine im Andern gegenwärtig. Parallelkategorie: Synekdoche, mögl. auch Vergleich Wenn Exeter in Heinrich V sagt: meine Mutter kam mir in's Auge und übergab mich den Thränen Paraphrase, da nicht als Zitat markiert; Quelle: William Shakespeare: König Heinrich V. https://textgridrep.org/browse/-/browse/vnf1_0 , so wird sich eine lebendige Phantasie dieß nicht in die trockene Aeußerlichkeit der Vergleichung auflösen: eine weibliche Rührung kam über mich, als würde der Theil meiner Natur, den ich von meiner Mutter geerbt, über den männlichen Herr, sondern ein Bild wird vor uns auftauchen, als schwebte der Geist der Mutter herein in den Sohn wie ein Thauwind und schmölze seine männliche Härte Quelle: William Shakespeare: König Heinrich V. https://textgridrep.org/browse/-/browse/vnf1_0 . Vergleichungen der äußern Natur mit Geistigem werden frostig, allegorisch, wenn das Bild zu bestimmt heraus und neben die Sache hingestellt ist. Es mögen wohl z. B. in gewisser Stimmung die letzten Wellenschläge nach einem Sturm im Gefühl anklingen wie das Nachzucken einer Leidenschaft, die sich eben erst gelegt hat, aber wenn Lenau, nachdem die Naturerscheinung geschildert ist, mit „also zuckt nach starkem Weinen“ u. s. w. fortfährt, so tritt das moralische Phänomen äußerlich neben das natürliche und vernichtet eigentlich dieses, statt innig hineingefühlt zu sein. Jn aller Vergleichung soll natürlich der Vergleichungspunct treffend, schlagend sein. Othello's Bild für das schauerliche Nachwirken von Jago's Einflüsterungen über Desdemona's Tuch: „o, es schwebt um mich so wie der Rab' um ein verpestet Haus“ ist ein schönes Beispiel tiefer Zweckmäßigkeit im Gleichniß. Ruhige Kraft des Ueberzeugens ziemt vorzüglich der epischen Poesie; Göthe's Geist erweist sich in der einfachen Nothwendigkeit und plastischen Sicherheit seiner Bilder als vorzüglich episch, selbst im Drama. Wir greifen aus der unendlichen Fülle nur als nächstes, bestes Beispiel das tief schlagende Bild des Orestes in der Jphigenie von den Furien heraus, die ihn nur so lange verschonen, als er im Heiligthum Dianen's weilt: „Wölfe harren so um den Baum, auf den ein Reisender sich rettete“. Auch in der Prosa ist er außerordentlich reich an solchen ruhig treffenden Bildern (z. B. an Frau v. Stein auf der Harzreise: „die Menschen streichen sich bei meinem Jncognito recht auf mir auf wie auf einem Probirsteine“; ─ „behalten Sie mich lieb auch durch die Eiskruste, vielleicht wird's mit mir wie mit gefrornem Wein“; ─ aus der Schweiz: „Himmelsluft, weich, warm, feuchtlich, man wird auch wie die Trauben reif und süß in der Seele“). Es muß aber auch ächt poetische Bilder, und zwar im ernsten Gebiete, geben, die nicht unmittelbar einleuchten und doch tief treffend sind. Dieß führt auf den Unterschied der Style und muß bei der Betrachtung desselben zur Sprache kommen. Die Vorschrift, im Bilde zu bleiben, kann den ächten Dichter nicht unbedingt binden. Wirkliche Verstöße, die man als sog. Katachresen zu den Sünden gegen den Geschmack zählen muß, finden nur da Statt, wo durch einen eigentlichen lapsus der Aufmerksamkeit aus einer Vergleichungs= Region in eine andere übergeschritten wird, die keine naturgemäße Verbindung mit der ersten zuläßt, oder wenn mit fühlbarer Absichtlichkeit ein Bild ausgesponnen und doch nur scheinbar festgehalten wird, wobei gewöhnlich Verwechslungen der verglichenen Seite des Subjects mit andern Seiten desselben sich einschleichen (vergl. J. Paul Vorsch. d. Aesth. §. 51 das Beispiel aus Lessing), oder endlich, wenn eine üppige Phantasie keine Grenze mehr achtet und mit Kühnheiten, die bei richtigerem Maaß erlaubt wären, gar zu freigebig ist, wie die romantische mit ihren ewigen klingenden Farben, duftenden Tönen, singenden Blumen u. s. w. An und für sich ist es nichts weniger, als unnatürlich, wenn die Verwandtschaft, worin die bereits als Bild dienende Erscheinung mit andern steht, die Phantasie anzieht, von jener zu diesen weiter zu gehen, um den verglichenen Punct immer voller, kräftiger zu beleuchten und allerdings auch, um neue Puncte oder Seiten des Gegenstands, sofern es nur mit heller poetischer Einsicht geschieht, in die Vergleichung einzuführen. So ist z. B. ein Feuerregen ein gewöhnlicher Ausdruck; wenn nun ein Affect wegen seiner verzehrenden Gewalt mit Feuer verglichen wird, so bezeichnet der Regen die Fülle, die gehäuften Schläge seiner Aeußerung und ein Feuerregen zorniger Worte ist ein durchaus natürliches Bild. Der Dichter kann auch im Bilde bleiben, eine andere Seite desselben hervorheben und auf eine andere Seite des Verglichenen anwenden wie in den schönen Worten des Orestes: die Erinnyen blasen mir schadenfroh die Asche von der Seele und leiden nicht, daß sich die letzten Kohlen von unsers Hauses Schreckensbrande still in mir verglimmen. Mit dem Worte „letzten“ wird hier das Leiden in Orestes Seele in den Begriff des allgemeinen Unglücks seines Hauses, das mit ihm endigen sollte, umgewendet. Die Grenzlinie, hinter welcher für die Uebergänge aus einem Bild in das andere, aber freilich auch für das einfache Fortführen eines Bildes das Abgeschmackte beginnt, ist freilich zart und läßt sich darüber im Allgemeinen nichts bestimmen, als daß der Act des Vergleichens in seinem Wesen immer ein einfacher Wurf der Phantasie bleiben muß, nie in ein Festrennen und Zerren übergehen darf, denn dieß fordert den Verstand heraus, der den Schein höhnisch aufhebt. Shakespeare hat bekanntlich in seiner jugendlichen Periode jenem abgeschmackten Mode-Tone seiner Zeit, den man Euphuismus nannte, nicht geringen Zoll gezahlt; doch ist nicht zu übersehen, daß manche besonders seltsame Bilder, die in dieß Gebiet gehören, mit dem offenbaren Bewußtsein überkühner Hyperbeln gebraucht sind, die einen besonders tiefen und starken Affect bezeichnen sollen. So haben dieselben in ihrer Absurdität doch einen eigenthümlich starken Hauch von Stimmung, wie wenn Richard II sagt: macht zu Papier den Staub und auf den Busen der Erde schreib' ein regnicht Auge Jammer. Wie dieser unglückliche Fürst so in seinem Schmerze wühlt, brütet er (─ der Bilderwechsel in diesen Worten sei auch erlaubt ─) ein andermal die Hyperbel aus: selbst die fühllosen Brände des Kamins, bei dem die Königin seinen beklagenswerthen Fall erzähle, werden mitleidsvoll das Feuer ausweinen und theils in Asche, theils kohlschwarz um die Entsetzung eines ächten Königs trauern. Shakespeare fühlte hier gewiß das Kindische und wollte es, ohne daß er darum ganz entschuldigt wäre. Noch weniger ist die Uebertragung eines an sich schon hyperbolischen Bilds in ein weiteres, das dann ganz absurd wieder einen eigentlichen Zug vom Verglichenen aufnimmt, durch die Situation entschuldigt in der Stelle von Romeo und Julie, wo dieser schwört, wenn er Rosalinden verlasse, so sollen seine Thränen Feuer werden und nachdem sie so oft (in ihrer eigenen Fluth) ertränkt waren und doch nicht sterben konnten, nun für ihre Lüge als durchsichtige (!) Ketzer verbrannt werden. Wir werden jedoch am Folgenden zeigen, daß manche Bilder Shakespeare's, welche die Phantasielosigkeit noch heute für geschmacklos erklärt, nicht nur keiner Entschuldigung bedürfen, sondern vielmehr die höchste Bewunderung verdienen. §. 853. 1. Die, der musikalischen Wirkung verwandteren, Formen der subjectiven Belebung (vergl. §. 851) sind die sogenannten Redefiguren: Bewegungslinien der Stimmung, wie sich solche in der Sprache niederschlagen. Ein Theil derselben liegt näher an der Grenze der objectiven Veranschaulichung theils durch bildlichen Charakter, theils durch Aufnahme der Redeformen der Handlung; ein anderer enthält die Unterschiede der Fülle und Enge, des Anschwellens und Abschwellens im Flusse der Empfindung, ein anderer die 2. Jntensitäts-Unterschiede des einzelnen Moments. Dem eigentlich Musikalischen nähert sich die dichterische Sprache durch Klangnachahmung. 1. Man begreift unter dem Figürlichen öfters auch das Tropische, in genauerer Unterscheidung bezieht sich aber der Begriff des anschaulichen Bildes, der hier in figura liegt, nicht auf ein festes Object, das dem innern Auge gegenübertritt, sondern auf die Linien der Sprachbewegung als Ausdruck der Stimmung: die Wissenschaft versucht mit dieser Bestimmung ein Aehnliches, wie die Zeichnung, wenn sie die Bewegungen eines Tanzes durch die Figur auf der horizontalen Fläche darstellt, nur daß die Abstraction vom Dichter, der Versuch, die Formen seiner Rede ohne den wirklichen Jnhalt des einzelnen Zusammenhanges zu fixiren und aufzuzählen, ein ungleich härterer, mühsamerer und durch das Unbestimmbare der freien Bewegung mangelhafterer Act ist, als dort die Abstraction vom Tänzer. Der §. sucht einige Ordnung in die bisher durchaus verworren aufgehäufte Masse zu bringen durch die aufgestellte Eintheilung. Demnach unterscheidet sich zuerst eine Gruppe von Figuren, welche dem Gebiete der objectiven Veranschaulichung näher liegt, und in diesem wieder zwei Arten: die eine ist wirklich malerisch und würde daher entschieden zu jenem Gebiete gehören, wenn nicht der Accent hier mehr auf die Stimmung, als auf die bildliche Natur des Mittels fiele. Unter diesem Standpuncte kann die Hyperbel (vergl. §. 851, Anm. 1.) hieher gezählt werden; lächerlich ist es, die Beschreibung (Diatypose und Hypotypose) unter den Figuren aufzuzählen, außer etwa, sofern man im Auge hat, daß sie durch erwärmte Stimmung eintritt, wo sie nicht erwartet wurde; die Umschreibung ist, wenn sie den eigentlichen Ausdruck wählt, nichts, als eine Auflösung des Subjects, das von der Sprache in die Einfachheit des Begriffs zusammengezogen ist, in seine Eigenschaften, wenn den uneigentlichen, gehört sie unter die Metaphern, und nur entfernt, sofern man auch hier die besondere Wärme der Stimmung als Grund der Vermeidung des logischen und eigentlichen Ausdrucks betont, unter die Figuren. Umschreibung u.U. als Unterkategorie der Metapher Die sog. Distribution, eine malerisch entwickelnde Auseinanderlegung statt des directen Ausdrucks, verdient nur zweifelhaft unter derselben Bedingung diese Stelle, entschiedener die Häufung, Cumulation, denn es ist Affect, was hier in wiederholten Schlägen wirkt, deren Qualität an sich zwar malerisch sein mag. Eine andere Reihe von Figuren stellt sich durch ihren dramatischen Charakter in die Nähe des Bildlichen, sie ist objectiv durch Fiction von Personen und Hervorbrechen der eigenen: Anrede, Frage und Antwort, Einführung Redender, Ausruf. Diese Formen, die sich im wirklichen Drama, zum Theil auch in der lyrischen Poesie, von selbst verstehen, sind in der epischen Darstellung ein Ausdruck der erhöhten Stimmung, die einen Jnhalt in Gespräch und Handlung umsetzt; sie wären bei der Personification aufzuführen, wenn es sich nicht hier um die subjective Bewegtheit als Ursache des Verfahrens handelte. Jn Lessing's Styl wird Alles lebendiger Dialog; Göthe erkannte selbst ein Kennzeichen seines Dichterberufes darin, daß jeder Gegenstand des Nachdenkens sich in seinem Jnnern zu einem bewegten Gespräche zwischen Personen verwandle, welche die verschiedenen Standpuncte, Gründe u. s. w. vertreten. ─ Zu der zweiten Ordnung von Figuren, die der §. aufführt, gehört der Klimax und Antiklimax, der Pleonasmus, die Wiederholung mit ihren verschiedenen Arten (Anaphora u. s. w.), die Abbrechung und Auslassung (Aposiopese und Ellipse), das Asyndeton und Polysyndeton. Man sieht leicht, daß ein Theil dieser Formen, welche sämmtlich Steigen und Fallen, Fülle und Enge, Vorsturz, Fluß und Stocken des Redestroms charakterisiren, directer die innere Qualität der Stimmung, ein anderer ihren Niederschlag in der Sprachform anzeigt. Man hat daher Wortfiguren und Sinnfiguren oder Sachfiguren unterschieden, allein der Unterschied ist flüssig und nicht zu verwundern, daß in der Anwendung desselben keine Uebereinstimmung herrscht. Asyndeton und Polysyndeton z. B. drücken deutlich verschiedenen Stimmungsrhythmus aus und umgekehrt kann von Klimax und Antiklimax in der Lehre von der Poesie nur insofern ausdrücklich die Rede sein, als sich Steigerung und Senkung in der Sprachform niederlegt. Reine Wort- oder Formfiguren sind nur bestimmte grammatikalische Unregelmäßigkeiten, wie Synkope, Apokope, Zeugma u. s. w., über die weiter nichts zu sagen ist, als daß sie in der Poesie häufiger vorkommen werden, als in der Prosa, weil dieselbe auch an dem rein technischen Sprachgesetz ihre Freiheit geltend zu machen liebt. ─ Zu dieser zweiten Ordnung mag, wenn man sie außer ihrem Zusammenhang im komischen Prozesse betrachtet (vergl. §. 201 ff.), auch die Jronie (mit der Litotes) als Figur gezählt werden, denn man kann sie als eine Rückhaltung des Sprachflusses auffassen, der sich wie hinter einer Schleuse spannt, um errathen zu lassen, daß das Verborgene das Gegentheil des Sichtbaren ist. ─ Bei der dritten Ordnung handelt es sich von den punctuellen Accenten, welche sich auf den einzelnen Moment der Rede werfen; hieher gehört die Betonung durch Contrast, wie sie in der Sprachform als Jnversion, Anaklase, Epanodos, Antithese erscheint. Die letztere bedeutet hier einen Widerspruch zwischen Subject und Epitheton (z. B. der arme Reiche), eine sehr wirksame, aber auch leicht zu mißbrauchende Form, wie sie denn in der Marinischen Jagd nach concetti einst besonders beliebt war. 2. Die Onomatopoesie verhält sich zu dem allgemeinen, stetigen Einklang zwischen Tonfall und Jnhalt, der in aller ächten Dichtung mit innerer Nothwendigkeit herrscht, wie ein vereinzeltes, besonderes Spiel, den nachahmenden Tonspielereien der Musik ähnlich und wie diese nur sparsam anzuwenden. Der sausende Diskus des Odysseus und der rückwärts zu Thal polternde Stein des Sisyphus sind berühmte Beispiele aus Homer; nicht leicht ein schöneres, ungesuchteres bietet die moderne Literatur, als die herrliche Stelle in Göthe's Faust, wo die Folge der Consonanten und Vocale genau zu beobachten ist: Und wenn der Sturm im Walde braust und knarrt, Die Riesenfichte stürzend Nachbaräste Und Nachbarstämme quetschend niederstreift Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert u. s. w. §. 854. Der große Gegensatz der Style macht im sprachlichen Ausdruck seine ganze Stärke geltend. Der naturalistische und individualisirende Styl zeichnet durchaus enger in's Einzelne, greift daher kühner in das Niedrige und Platte, zugleich aber bricht das tiefere Geistesleben, das ihn hiezu berechtigt, unruhiger, aufgeregter, traumartiger in Bildern und Figuren hervor. Hier namentlich ist das Beispiel der Malerei belehrend, der Gegensatz ist genau derselbe, wie zwischen den großen italienischen Meistern, Raphael an der Spitze, und Rubens, Rembrandt nebst den holländischen Kleinmalern im Sittenbilde. Wir greifen sogleich in's Concrete und führen namentlich einige Beispiele auf, welche zeigen, wie anders der classische gehobene Schiller fühlt, als Shakespeare, der malerische Jndividualist in der Poesie. Bei diesem zählt Makbeth dem Mörder, dem er erwiedert, er sei nur dem Geschlechte nach Mann, wie die furchtsamen kleinern Hunde im Verzeichniß des Hundegeschlechts freilich auch mitlaufen, neun Ra ç en auf, Schiller in seiner Uebersetzung hält bei der zweiten inne: der classische Styl, der auf dem Kothurne geht, fürchtet durch engeres Spezialisiren platt zu werden, der charakteristische scheut es nicht, er geht durchaus in's Detail und sorgt für die Haltung der poetischen Würde durch Ton und Stimmung im Ganzen. Sicher hätte Schiller den verbannten Romeo nicht die Fliege und die Maus um Juliens Nähe beneiden lassen und doch gehört dieß nicht unter Shakespeare's Geschmacksverletzungen, sondern ist nur genau wahr gefühlt; und wenn Shylock sein böses Wollen mit der Thatsache gewisser Jdiosynkrasieen belegt, die er so speziell aufführt („es gibt der Leute, die kein grunzend Ferkel ausstehen können“ u. s. w. Act 4, Sc. 1), so geschieht dieß zwar in einer Komödie, doch im ängstlich spannenden Theile derselben, und kein Dichter der classicirenden Richtung hätte einen finstern Charakter, der doch etwas Tragisches hat, in seiner Rede so detaillirt. Solche Züge sind aber nur vereinzelte Merkmale der Zeichnung des Charakters, der Leidenschaft, der Handlung und aller Dinge, wie sie im charakteristischen Styl vorneherein darauf angelegt wird, die Eigenheit der Züge bis in's Kleine mitaufzunehmen, mag dieß auch im ernsten Zusammenhang so oder so in das Komische auslaufen. Dasselbe spricht sich denn auch im Bildlichen aus. Wenn Hamlet in einer hochtragischen Scene, in der äußersten Spannung des Gemüths und aller Nerven dem Geiste seines Vaters zuruft: brav gearbeitet, wackerer Maulwurf! so ist dieser Absprung in das Platte allen denen, welche im Sinne des directen Jdealismus auffassen, rein ungenießbar; sie verstehen nicht, wie recht wohl Shakespeare weiß, daß das platt ist, und wie er es gerade darum seinem tragischen Humoristen in den Mund legt; man kann recht wohl die verborgen arbeitende Macht, die endlich eine Unthat an das Licht bringt, mit dem stillen Wühlen eines Maulwurfs vergleichen, ja Hegel wendet die Stelle treffend auf den Geist in der Weltgeschichte an, wie er lange in unsichtbarer Tiefe thätig ist, aber in den großen Momenten der Krise sich an das Licht herausarbeitet; freilich liegt trotz der Wahrheit des Vergleichungspunctes wegen der übrigen Kleinheit des Bildes eine komische Jncongruenz darin, diese aber ist gerade beabsichtigt, um durch die Jronie des weiten Abstands die Hoheit des Verglichenen um so mehr zu betonen. Dazu kommt die Stimmung im gegebenen Momente: Hamlet ist freudig gehoben durch die Entdeckung eines längst geahnten Verbrechens und er liebt es, eine große Genugthuung im Tone gemeiner Lustigkeit auszudrücken, nicht um jene, sondern um diese zu ironisiren; man vergleiche sein Benehmen nach der Wirkung des aufgeführten Schauspiels auf den König. Solche Sprünge sind denn im classischen und classisch auffassenden modernen Style gar nicht denkbar. Zwar darf man den Unterschied zwischen diesen beiden letzteren auch nicht übersehen: Homer und die griechischen Tragiker hatten noch nicht das Lachen des modernen Stumpfsinns zu fürchten, der, wie zu §. 850 erwähnt ist, bei übriger Ungleichheit so schwer den Vergleichungspunct festzuhalten vermag, sie wimmeln von Bildern, welche die niedrige Sphäre nicht scheuen, wenn sie nur schlagende Wahrheit darbietet; Homer vergleicht seine Helden nicht nur mit Eseln, Stieren, Widdern, ─ diese Thiere waren überhaupt noch nicht für die Komik abgenützt, ─ er verschmäht es auch nicht, den Eigensinn der Fliege, den am Lande zappelnden Fisch herbeizuziehen, um dem hartnäckigen Muthe, der stets auf dieselbe Stelle im Getümmel sich wirft, dem schnappenden Röcheln des tödtlich Verwundeten ein haarscharfes Licht der Vergleichung zuzuführen. Solche Bilder kommen uns naiv vor, sind aber nur rein poetisch und beiden entgegengesetzten Stylen gemeinsam; es ist daher nicht durch die übrigens allerdings zarteren Grenzen des classisch gebildeten Gefühls gerechtfertigt, sondern nur sehr bezeichnend für seine rhetorische Art, wenn Schiller sich scheut, in dem treffenden Bilde von dem Geier und den Küchlein zu bleiben, wo Makduff ausruft: „All' die lieben Kleinen? Jhr sagtet: alle? ─ Höllengeier! ─ Alle? ─ Wie, meine süßen Küchlein mit der Mutter auf einen gier'gen Stoß?“ und übersetzt: „Alle! Was? Meine zarten kleinen Engel alle? O höllischer Geier! Alle! Mutter, Kinder mit einem einz'gen Tiger griff!“ Wahrhaft platt sind diese vermeintlich erhabeneren „Engel“ und der „Tiger“, zugleich hat die Scheue vor dem einfach Wahren hier zu einer wirklich ganz unstatthaften Katachrese geführt (vgl. über dieses belehrende Beispiel: Timm, das Nibelungenlied u. s. w. S. 25). Wenn aber im Uebrigen der charakteristische Styl auch in diesem Gebiete sich scharf genug von dem plastisch idealen unterscheidet, wenn er gerade darum ungleich mehr wagt, weil die Tiefen des Geistes, die er aufdeckt, die freie Entlassung der Particularität nicht nur ertragen, sondern sogar fordern, damit die Macht des Bandes sich zeige, welches die Extreme zusammenhält, so bricht jene vertiefte Haltung und Stimmung auf der andern Seite in Bildern aus, welche überpathetisch, visionär, verzückt erscheinen, welche, auf den ersten Btick seltsam und wildfremd, demjenigen, der sich in den Zustand zu versetzen vermag, bei näherem und längerem Anschauen klar werden, wie Rembrandt's traumhaft in's Dunkel leuchtendes Helldunkel oder das wilde Licht des Blitzes auf dem Sanherib von Rubens. Der Dramatiker wird solche traumhafte Bilder den Momenten der tiefsten Erregung vorbehalten. Ein solches Bild gebraucht der entzückte Romeo in der Gartenscene: „herrlich über meinem Haupt erscheinst du mir in dieser Nacht wie ein beschwingter Bote des Himmels den erstaunten Menschensöhnen, die rücklings mit weit aufgeriss'nen Augen sich niederwerfen, um ihm nachzuschaun.“ Man hat selbst neuerdings, nachdem wir längst die stumpf phantasielose Kritik des guten Geschmacks hinter uns haben, Makbeth's ungeheures Gesicht von den Folgen der Ermordung des Königs für abgeschmackt erklärt: „Duncan's Tugenden werden wie Engel posaunenzüngig Rache schrei'n dem tiefen Höllengreuel dieses Mords und Mitleid wie ein nacktes, neugebornes Kind, auf Sturmwind reitend, oder Himmels-Cherubim zu Roß auf unsichtbaren, luft'gen Rennern werden die Schreckensthat in jedes Auge blasen, bis Thränenfluth den Wind ertränkt.“ Der Vergleichungspunct ist die furchtbare Schnelligkeit und Gewalt, mit welcher die Folgen des Mords, die Kunde, die tiefe Empörung der Gemüther, Abscheu, Rachtrieb, Mitleid eintreten. Daß auf den Sturmwolken Duncan's Tugenden als Engel hinsausen, ist eine nur natürliche Personification und Zungen, deren Ruf so stark ist wie Posaunenton immer noch keine übertriebene Hyperbel, dann folgt eine ganz ungewöhnliche Vertauschung von Subject und Object, indem der Gegenstand des innigsten Mitleids, ein nacktes, neugeborenes Kind, für das Gefühl des Mitleids gesetzt ist, aber wer Phantasie hat, kann sich doch wohl in die Anschauung versetzen: es wird den Menschen zu Muthe sein, als sehen sie ein hülfloses Kind in den Wolken hinschweben, dem sie zueilen müssen, wie um es zu retten; die Cherubim, die nachfolgen, scheinen dieses Kind wie eine Geister-Erscheinung sich vorausgesandt zu haben, wie einen Genius des Mitleids, der die Gestalt eines Objects des innigsten Mitleids annimmt, um dieses zu erwecken; sie selbst, auf unsichtbaren luft'gen Rennern, sind windschnelle Diener der göttlichen Gerechtigkeit; mit dieser Häufung sammelt sich Alles an wie zu einem Bilde der wilden Jagd und das wollte Shakespeare; daß der Gehörs-Eindruck sich dann in ein Anwehen der Augen verwandelt, indem der Weg, den die Kunde vom Ohr zum Gefühle, von da in's Auge nimmt, übersprungen wird, dieß ist ein Uebergang, dem man in so tiefer Aufwühlung der Einbildungskraft sollte folgen können, und daß „die Thränenfluth den Wind erstickt“, ist nur lebendiger Ausdruck dafür, daß, wie Sturmwind sich in Regen auflöst, die Gefühle bei der ersten Kunde dieses Mords sich alle in einen grenzenlosen Schmerz auflösen werden, der dann seine Wirkung so sicher haben wird, wie angeschwollene Fluthen. Alle Folgen von Makbeth's Mord sind in dieser furchtbaren Vision zusammengefaßt, das Drama entwickelt in klarer Handlung, was in ihr seltsam helldunkel enthalten ist; nicht in jeder Stimmung, nicht aus dem Munde jeder seiner Personen dürfte der Dichter so wilde, rasch überspringende, phantasmagorische Bilder vorbringen, wohl aber dem Helden, dem er ein so nervöses Wesen, eine so gefährliche Romantik der Phantasie geliehen hat, durfte er sie in der höchsten Spannung, da er mit Eins eine entsetzliche Zukunft überblickt, auf die Lippen legen. ─ Etwas eigenthümlich Bewegtes aber haben alle Bilder Shakespeare's; sie gemahnen uns, wie wenn man mit unruhigem, blutrothem Fackellicht in eine Stalaktiten-Höhle leuchtete, wogegen die Vergleichungen der Griechen und Göthe's wie eine Sonne ruhig aufgehen und Zug für Zug den Gegenstand in scharfer Deutlichkeit des Umrisses aufzeigen. Dieß ist episch; die griechischen Dramatiker haben allerdings etwas von Shakespeare's bewegter, geisterhafter Gluth, doch gekühlt im plastischen Formgefühle. Der charakteristische Styl wird auch im nicht bildlichen Gebiete, dem der sog. Figuren, im Allgemeinen der kühnere sein. Subjectiver bewegt, wie er ist, erlaubt er sich eine naturalistische Freiheit auch in Behandlung der Sprachregeln und wirft sich in trotziger Nachlässigkeit gegen die classische Correctheit auf. Auch hierin ist der erste große Dichter dieses Styls, Shakespeare, ein Beispiel, besonders belehrend aber der Muthwille der Schreibart in der Sturm- und Drang-Periode, denn dieser gieng von der gesteigerten, überschwenglichen Empfindungsfülle aus (vergl. §. 846, 2.), die sich aber aus ihrer inneren Herrlichkeit zugleich das Recht des derbsten und freiesten Umspringens mit der Sprache nahm; die Natur wurde in dem doppelten Sinne des Gefühls der Unendlichkeit und gleichzeitig als die sogen. liebe Natur, als Cynismus entfesselt und beides schlug sich insbesondere in den Formen nieder, die man Figuren nennt; da wimmelt es denn namentlich in Göthe's Jugendstyl von Aposiopesen, Abbrechungen, unendlichen Ausrufungen u. s. w. bis hinaus auf die eigentlichen Formfiguren, die Weglassungen des Artikels, des persönlichen Fürworts, des Hülfszeitworts, die Stutzung der Endsylben, die Provinzialismen. Als aber Göthe sich classisch geläutert hatte, nahm er nach und nach jenen vornehm gereinigten, bequem säuberlichen Styl an, der von der Kraft des Naturalismus nur zu weit abliegt und ein neuer Beleg ist, daß die Stylrichtungen sich nicht zu weit von einander entfernen sollen. §. 855. Der poetische Styl im engeren formalen Sinne des Worts legt sich als Rhythmus in der Sprache nieder (vergl. §. 839, 3.). Derselbe besteht in regelmäßiger Wiederkehr einer bestimmten Anzahl von Zeitmomenten, welche von einem Accente beherrscht werden, also sich nach dem Merkmale der Stärke und Schwäche unterscheiden. Vermöge einer natürlichen inneren Verwandtschaft der Stärke und der Zeitdauer des Tons erscheinen bei organischer Entwicklung diese Unterschiede zugleich als ein bestimmter Wechsel von Kürzen und Längen. Dieses System ist ein reines, selbständiges Kunst-Erzeugniß, das sich über die Sprache als ihr Material überbreitet. Wir versuchen, zuerst das Wesentliche der poetischen Rhythmik allgemein aufzustellen, wiewohl diese Abstraction schwer und die Hinweisung auf den durchgreifenden Unterschied der concreten Style schon hier nicht zu vermeiden ist. Die rhythmische Form ist in ihrem ursprünglichen Wesen ein reines Taktleben: es folgen sich in geordneter Wiederkehr bestimmte Abschnitte, die sich in Zeit-Einheiten, Momente, Moren von bestimmter Anzahl theilen und von einem unter ihnen, der die stärkere Jntention, den Jctus, die Arsis (was in der Musik Thesis heißt), den Accent hat, beherrscht, getragen werden. Mit innerer Nothwendigkeit fällt dieser stärkere Druck auf die erste der von ihm beherrschten Moren, denn ein Fortgang in der Zeit, der sich in Momente theilt, gleicht immer einer Bewegung und diese bedarf eines Ansatzes, Abstoßes, von welchem folgende Bewegungen abhängen und welcher regelmäßig wieder eintritt. Dieses System erweitert sich zur rhythmischen Reihe, indem der einzelne Taktabschnitt im Größern sich so wiederholt, daß ein verstärkter Accent, wie vorher der einfache Einen Abschnitt, so drei Abschnitte beherrscht. Diese Reihen sind nicht mit dem Verse zu verwechseln; der Vers kann aus mehreren Reihen bestehen, oder (durch den Reim) Eine Reihe zerschneiden. ─ Der Zeit nach sind die Momente des Takt-Abschnittes ursprünglich gleich; der Unterschied der Länge und Kürze ist nicht, wie so häufig geschieht, mit dem des Accents zu verwechseln. Es steht, wie sich zeigen wird, dem Style, der diese beiden Kräfte in Verbindung setzt, ein anderer gegenüber, der in seiner ursprünglichen, rein nationalen, selbständigen Ausbildung nur Takt-Verhältnisse, keine Längen und Kürzen kennt und erst später auch diese Seite in gewissem Sinne sich aneignet. Dazu wird derselbe allerdings durch die innere Natur der Sache selbst getrieben, denn zwischen Accent und Länge besteht eine innere Wahlverwandtschaft und der Styl, welcher ursprünglich das im engeren Sinn Rhythmische mit dem Zeitbegriff in Verbindung setzt, ist der organischere, normalere. Jntention und Zeitaufwand ziehen nämlich einander darum mit Nothwendigkeit an, weil naturgemäß auf dem stärkeren Theil auch länger verweilt wird. Die Jntention, die zugleich Länge ist, wird nun aber zwei der vorher gleichen Momente umfassen und so tritt eine Länge an die Stelle von zwei Kürzen. Nur ist dieß kein völliges Zusammenfallen und es darf nicht schlechthin als eine Unregelmäßigkeit, sondern nur als ein seltener Rückgang auf die noch nicht vollzogene Verbindung von Accent und Länge angesehen werden, wenn im Verse sich eine Länge mit Arsis in zwei Kürzen, deren erste die Arsis hat, aufgelöst darstellt; der Rhythmus gestattet die Wahl zwischen zwei Kürzen und einer Länge auch in dem nicht betonten Theile des Fußes, wie z. B. im daktylischen Rhythmus zwischen Daktylus und Spondäus: ein Beweis, daß die Sprache mit ihren gegebenen Längen und Kürzen zu dem reinen rhythmischen Gesetze als ein Anderes hinzukommt und ihm in seiner Anwendung den Ausdruck der Mannigfaltigkeit gibt. Das rhythmische Gesetz ist nicht der Sprache entnommen, nicht aus Verwendung der in der Sprache gegebenen Accente, Längen und Kürzen entstanden; es konnte sich natürlich nur an ihr ausbilden, allein es wurde in jener ursprünglichen Poesie, welche dem Bewußtsein der Regel vorhergieng, nur aus ihr herausgehört, was ursprünglich als ein Reines, Selbständiges in der Seele und dem Nerve liegt, ein Jdeales, das, wie es nun sein Leben zur erkannten Regel gestaltet hat, sich frei als künstlerisches Prinzip über das Sprachmaterial herbaut, es in seinen Rahmen faßt. Das Rhythmische in dieser seiner Reinheit kann daher zwar nur im Ton ausgedrückt werden, ist aber an sich eine reine Bewegung und ebensogut in sichtbarer, als in hörbarer Form, als Hebung, Senkung der Hand, beschleunigte oder verweilende Gebärde zu versinnlichen. §. 856. Der Unterschied von der Musik besteht also wesentlich darin, daß der poetische Rhythmus aus dem Leben des Tones nur den Unterschied der Stärke (in Verbindung mit dem der Länge und Kürze), jene dagegen im Rahmen des Taktes als ihr Haupt-Ausdrucksmittel den Unterschied der Höhe entnimmt und verwendet. Das rein quantitative Wesen der Rhythmik gewinnt dagegen eine qualitative Füllung, indem es in der Sprache als ein System articulirter und ausdrucksvoller Laute verwirklicht wird; hier treten zugleich Momente hinzu, welche der Melodie, der Klangfarbe, selbst der Harmonie analog sind, und dieß wird um so mehr gefordert und der Fall sein, je weniger streng und organisch das reine rhythmische Gesetz zur Herrschaft gelangt. Die poetische Rhythmik und die Musik beziehen sich verschieden auf ein Gemeinschaftliches, das Ganze des Tons. Jene kann sich nur in dem durch Verbindung von Vocal und Consonant zur Sprache articulirten Tone verwirklichen; so bleibt ihr nur der Unterschied der Stärke und Schwäche nebst dem der Länge und Kürze als ihr Element übrig. Die Kunst der reinen Empfindung aber, die Musik, bewegt sich im Tone wesentlich, sofern er nicht zur Sprache erhoben ist, sie hat es daher mit dem Unterschiede der Höhe und Tiefe als dem Elemente zu thun, worin die Qualität des Gefühls ihren Ausdruck findet, sie kann in diesem Sinn Entwicklung des Vocals genannt werden. Die Rhythmik dagegen hat mit diesem Unterschiede nichts zu schaffen. Das Band zwischen ihr und der Sprache kann ein engeres oder freieres sein; die deutsche Rhythmik entnimmt den Unterschied der Stärke und Schwäche aus dieser, die antike that es nicht; allein der Satz, daß die Rhythmik nur in der Sprache realisirt werden kann, bedarf der Verstärkung durch die erstere Thatsache nicht, er steht fest auch bei dem antiken Verhältniß, wogegen in der Musik, wenn sie sich mit der Sprache verbindet, diese durchaus nicht die Bedeutung eines Vehikels hat, dessen die bestimmende Kunstgattung bedarf, um zu existiren. Die Füllung, die der Rhythmus durch seine Realisirung in der Sprache erhält, bringt nun aber dennoch Elemente hinzu, welche näher oder entfernter dem Musikalischen entsprechen. Den Sprachlauten ist nicht alle Reminiscenz, daß sie ursprünglich das Gefühl des Gegenstands, des Tiefen, Dunkeln, Dumpfen, Hohen, Hellen, Offenen, Herben, Sanften, Geschlossenen, Freudigen, Schmerzlichen u. s. w. ausdrückten, verloren gegangen, man mag dieß zunächst mit der Klangfarbe vergleichen; die Vocale sprechen sich zudem an sich in bestimmten Unterschieden der Höhe und Tiefe aus und eine neue Welt von Musik=ähnlichen Modificationen bringt (vom eigentlich musikalischen Vortrag hier natürlich abgesehen) die Declamation hinzu: Belebungen, die theils der Scala, theils jenem Unterschiede der Stärkung oder Schwächung des einzelnen Tones angehören, der vom Takt-Accente wohl zu unterscheiden ist, theils der Beschleunigung oder Hemmung im Tempo entsprechen; die Wiederkehr des Verses endlich und besonders die des symmetrischen Wechsels in der Strophe wird zwar nur successiv vernommen, aber das innere Gehör faßt das Nacheinander doch wie in ein gleichzeitiges Tönen zusammen und dadurch nähert sich der Eindruck entfernt dem Gefühle der musikalischen Harmonie. Diese Anklänge an die Musik verstärken sich, wo die Rhythmik sich mit dem Reime verbindet; doch hängt damit Verlust auf der andern Seite zusammen, wie sich zeigen wird. §. 857. Die Poesie ist gemäß diesem Verhältnisse nicht reine Kunst der Stimmung wie die Musik, sondern des zur bewußten Vorstellung entwickelten Jnhalts der Stimmung, worin aber das Stimmungs-Element über diese Scheidung fortdauert und seinen Ausdruck in der rhythmischen Form findet. Diese Seite ist aber ebendaher darauf eingeschränkt, daß nicht das Ganze der Stimmung, daher auch nicht ihr individueller Wechsel, sondern nur ihre allgemeine Gang- Art in der gemessenen äußern Kunstform sich Gestalt geben kann. Denn obwohl die gleichförmige Wiederkehr von dem einfachen Fortgang im Verse zum geregelten Wechsel von zwei ungleichen Versen und weiter zu der symmetrischen Zusammenstellung mehrerer verschiedener Verse in der Strophe, ja zur Gruppirung verschiedener Strophen fortschreitet, so ist es doch nur das inhaltvolle Wort selbst, worin das Leben der Stimmung in seiner innersten Qualität und seinem Verlaufe sich den vollständigen Ausdruck gibt. Hiedurch ist genauer bestimmt, was in §. 839 erst allgemein über das Verhältniß der Poesie zu der Musik gesagt wurde. Die letztere füllt Tonleben mit Tonleben, auch ihr eigentlich Qualitatives ist Ton als Ausdruck der bloßen Stimmung; die erstere füllt ein blos quantitatives Tonleben mit dem Jnhalte, der sich aus der bloßen Stimmung herausgewickelt hat und im articulirten Wort als bewußte innere Anschauung ausspricht. Jn dem Quantitativen, worein er gefaßt wird, dem Rhythmus, ist allerdings die Stimmung als einhüllendes und begleitendes Element über jene Ablösung hinüber erhalten; das Stimmungs-Element, worin das Gedicht empfangen ist, überlebt den Proceß, durch welchen der lichte Tag des Bewußtseins aus dem Nebel hervorgetreten ist; aber wenn so die Stimmung bleibt, während doch das Kunsterzeugniß mehr, als bloße Stimmung, ist, so folgt, daß auch in der Seite, welche ihrem Ausdrucke dient, eben der rhythmischen Form nämlich, doch nicht das Ganze der Stimmung sich offenbaren kann, denn ihr Jnnerstes ist übergegangen in die deutliche Sprache des Wortes, in ihm ist das Gefühl Bewußtsein, der qualitative Kern desselben ist also ein Anderes geworden. Es fragt sich genauer, was übrig bleibt, wenn nicht mehr das ganze Leben der Stimmung als solches zum Ausdruck kommt. Der §. gebraucht für dieses schwer zu bezeichnende Moment das Wort Gang-Art. Wie sich der Takt als quantitativer Ausdruck der Stimmung von dem eigentlich Qualitativen derselben unterscheidet, geht daraus hervor, daß eine Tanz- und eine Trauer-Melodie in demselben Takte componirt sein können. Und dennoch wird sich die freudige Stimmung und die traurige auch wieder qualitativ anders gefärbt zeigen nach Unterschied des Taktes. Dieß ist das Schwierige. Die Gang-Art zeigt vom Quantitativen auf das Qualitative, ist eine verschiedene Temperatur in demselben, ohne mit ihm zusammenzufallen. Es verhält sich wie mit der wirklichen Bewegung eines Menschen: aus der Art, wie er sich vom Boden abstößt, aus dem Unterschied im Auftreten, Gehen oder Laufen, Jnnehalten, Zögern, wieder Aufspringen u. s. w. schließen wir auf seine Stimmung mit dem Vorbehalte, daß es doch verschiedene Stimmungen sein können, die in denselben Weisen der Bewegung sich ausdrücken, und umgekehrt, daß dieselbe Stimmung in verschiedenen Bewegungsweisen sich ausdrücken kann, allein so, daß dadurch innerhalb der gleichen Qualität Modificationen zu Tage treten, für die sich in der Sprache kaum das Wort findet. Daher ist es auch so schwer, die Stimmung der verschiedenen Metren zu bezeichnen, und gehen die Versuche, dieß zu thun, so weit aus einander. Zorn und Freude kann sich rasch bewegen, Angst und stille Beschauung kann säumen, schweben, gleiten u. s. w. Wenn nun die bestimmte Qualität der Stimmung in der Musik erst durch die Melodie, d. h. die Bewegung in den Verhältnissen der Tiefe und Höhe, in der Poesie dieselbe Qualität, aber als klar vorgestellter Jnhalt, durch die Sprache hinzukommt, so ergibt sich weiter, daß zwar in beiden Gebieten die Takt-Art gleichförmig durch das ganze Kunstwerk geht, in der Poesie aber, was dem Gebiete des unarticulirten Tons angehört, ganz an das Gesetz der gleichförmigen Wiederkehr gefesselt bleibt, während die Musik im Tonleben selbst den individuellen Wechsel innerhalb einer Stimmung, ein Hauptmoment ihrer Qualität, zum Ausdruck bringt. Es treten zwar Wechsel im poetischen Rhythmus ein, Verse von ungleicher Länge und Messung folgen sich in fortlaufender Reihe, oder ein reicherer Unterschied, buntere Verschlingung gruppirt sich zur Strophe, gleiche und ungleiche Strophen abwechselnd stellen eine erweiterte Gruppe dar, aber auch in diesen kunstvollen Gebäuden ist überall symmetrische Wiederkehr das Gesetz, während die Stimmung, in der Sprache ausgedrückt, wechselt. Gerade in der Verbindung mit der eigentlichen Musik fällt dieß doppelt auf: in den Strophen wiederholt sich mit demselben Rhythmus dieselbe Melodie, während der Jnhalt mit seiner Stimmung sich ändert. Das ist im Lyrischen; die Kunstwerke der objectiven, ein umfassenderes Weltbild darstellenden Zweige aber verzichten, das Epos überall, das Drama wenigstens in der neueren Zeit, auch auf jenen Grad des Wechsels und bewegen sich bei den tiefsten Unterschieden des Jnhalts in der Form gleichförmiger Wiederkehr einfacher Verse. Der qualificirte Ausdruck der Sprache liegt nun zwar, wie wir sogleich sehen werden, nicht wie ein gleichgültiger Stoff im Rahmen des Rhythmus, allein der innerste Gehalt schwebt doch, obgleich mit ihm empfangen und lebendig vereint, zugleich frei und hoch über diesem Elemente. §. 858. Allerdings gewinnt jedoch der formelle Ausdruck der Stimmung einen weitern Zuwachs durch ein Verhältniß lebendigen Widerstreits zwischen Rhythmus und Sprache im Versbau, worin beide ihre Selbständigkeit, aber ebendadurch um so inniger ihre Vereinigung betonen. Der Vortrag gleicht theilweise diesen Kampf aus, belebt aber auch von seiner Seite den Unterschied und bringt einen weiteren Anklang des eigentlich musikalischen Elements hinzu. Das rhythmische Maaß und die Sprache verbinden sich und fliehen sich in ihrer Verbindung, bekämpfen sich, um desto ausdrücklicher verbunden zu erscheinen. Es sind zwei Liebende, die sich entzweien und versöhnen und in diesem Spiele die Natur eines Bundes offenbaren, der ein freies Opfer der Freiheit ist. Hieher gehört zuerst die Regel, daß die Wort-Enden nicht mit den Enden der Versfüße zusammenfallen. Der Vers stellt demzufolge im metrischen Schema eine andere Figur dar, als in seinen Wörtern; nimmt man diese für sich und sieht jedes Wortes Prosodie als ein metrisches Ganzes für sich an, so scheinen andere Versfüße zu entstehen, während doch das Schema das Geltende ist: ein Nebeneinanderspielen von zwei Bildern, worin ein wesentlicher Lebensreiz der poetischen Form besteht. Man erkennt seine volle Bedeutung durch die unleidliche Klang- und Schwunglosigkeit der Verse, worin jedes Wortganze einem Versfluß entspricht. Dieser Widerstreit heißt im Allgemeinen Cäsur, ist aber auf bestimmten Puncten des Verses als Cäsur im engeren Sinne des Worts ausdrücklich gefordert; hier wird ein Versfuß durch ein Wort-Ende zerschnitten, um einen zweiten Haupt-Accent (verstärkten Jctus vergl. §. 855. Anm.) anzuzeigen, wie im Hexameter, wo aber die Cäsur, um die Monotonie der Theilung in zwei gleiche Hälften zu meiden, in den Fuß vor dem zweiten Hauptaccent zurückverlegt ist. Dadurch nimmt nun der Reiz jenes Widerstreits bestimmtere Gestalt an: es scheint sich der Vers in Hälften von ungleichem Metrum zu theilen, z. B. der jambische Trimeter nach einer Cäsur in der Mitte des dritten Fußes trochäisch fortzulaufen. ─ Eine weitere Belebung der rhythmischen Verhältnisse besteht in ausdrücklicher Zulassung von Seiten des Schema's: es ist der Spielraum der freien Wahl zwischen Längen und Kürzen, die an gewissen Stellen, z. B. des Hexameters und Pentameters, offen gelassen ist. Da wir hier die allgemeinen Züge aufstellen, die von beiden geschichtlichen Hauptformen der Rhythmik gelten, so muß die deutsche nicht blos in dem Sinne miteingeschlossen werden, daß stillschweigend ihre moderne Aneignung der antiken Metrik vorausgesetzt ist, sondern auch in Rücksicht auf ihre ursprüngliche Gestalt: was hier jenem Spielraum ungefähr entspricht, ist die Freigebung der Senkungen zwischen der geregelten Zahl der Hebungen. Es ist bekannt, wie lebendig die Nibelungenstrophe in ihrer ursprünglichen Form verglichen mit der modernen Nachbildung erscheint, welche einen regelmäßigen Wechsel von Senkungen und Hebungen beobachtet. Wendet man auf jene das (ihr an sich fremde) metrische Schema an, so erscheint sie als ein freier, nach dem Stimmungs-Jnhalte sich bewegender Wechsel von Jamben, Trochäen, Daktylen, Anapästen u. s. w. ─ Eine fernere Quelle reicherer Bewegung ist der Kampf zwischen Vers= und Wort-Accent. Die antike Metrik hat diesen jenem geopfert; aber wir müssen hier sogleich eine Seite dessen heraufnehmen, was am Schlusse des §. vom Vortrage gesagt ist: derselbe ließ neben der Herrschaft des Vers-Accents den Wort-Accent durchhören und erzeugte so auch hier einen reizvollen Widerstreit. Die neuere deutsche Rhythmik liebt es, nachdem sie sich das System der Länge und Kürze so angeeignet hat, daß sie es im Wesentlichen ihrem ursprünglichen Gesetze der Hebung und Senkung unterschiebt, an manchen Versstellen, namentlich des Jambus, einen nachdrucksvollen Kampf des Verses mit dem Schema einzuführen, indem sie z. B. Spondäen, Trochäen, Anapäste, Daktyle statt der Jamben-Füße anwendet. Man erkennt hier am unmittelbaren Eindrucke klar die Bedeutung einer solchen Divergenz: man stutzt, wird aufmerksam und fühlt mit doppelter Stärke auf der einen Seite das rhythmische Gesetz, auf der andern den emancipirten Nachdruck des Worts. ─ Auch das Uebergreifen des Sinns von dem einen Vers in den andern ( enjambement ) ist ein wesentlicher Zug in dem freien Spiele der Anziehung und Abstoßung zwischen dem rhythmischen Schema und der Sprache; man trägt, was durch den Jnhalt zusammengebunden ist, auf das gleichförmig fortlaufende Versmaaß unwillkürlich so über, daß man sich an Strophen, an Strophengruppen erinnert fühlt, und die Pause des Sinnes scheint zur Pause des Vers- und Strophenschlusses zu werden, während diese fortbestehen und so ein Jneinanderschimmern von zwei Eindrücken entsteht. ─ Endlich der Vortrag. Es ist hier allerdings mehr die Declamation, als der Gesang, in's Auge zu fassen, jedoch nicht allein, denn der Gesang enthält jene in sich und hat das musikalische Schema ebenso mit der Sinn-Betonung durchschlingend zu beleben, wie die bloße Declamation das blos rhythmische. Aus diesem Zusammenhange haben wir schon oben die Seite heraufgenommen, wonach der Vortrag den Wort-Accent gegen den Vers-Accent hält und stützt; ebenso gibt er nun auch dem Sinn= Accent sein von diesem geschwächtes Recht, er legt jedem Worte erst die feineren Unterschiede des Nachdrucks und, zugleich im relativen Widerstreite mit Länge und Kürze, des Verweilens bei, die sein Empfindungsgehalt mit sich bringt; er faßt die Verse, worin der Sinn übergreift, in lebendigem Zuge zusammen, ohne den Versschluß ganz verschwinden zu lassen, umgekehrt pausirt er dem Sinne gemäß, wo der Vers fortläuft; er bringt aber vor Allem die Modulation der Scala hinzu, welche die Gefühlsschwingungen ausdrückt, wie sie durch den Jnhalt gegeben sind, und dieß ist die wichtigste Seite seines Geschäfts. Sie erweitert jene verschiedenen Momente, wodurch im poetischen Rhythmus etwas vom spezifisch Musikalischen anklingt, um eine wesentlich neue: das musikalische Rudiment, das im Sprechen liegt (§. 760), wächst im gehobenen Sprechen der Declamation. Die Linie, welche die richtige Mitte zwischen zu hörbarem Scandiren oder einer zur Manier gewordenen wiederkehrenden Scala und dem Erdrücken des Rhythmus unter dem Ton-Ausdrucke des Jnhalts beobachtet, ist allerdings fein und schwer zu treffen. Die romanischen Völker haben als Erbe aus dem antiken Vortrage der dramatischen Verse ein dem Recitativ oder dem liturgischen Halbgesange verwandtes singendes Sprechen überkommen. Der Krieg gegen die von ihnen ausgegangene conventionelle Poesie im vorigen Jahrhundert war zugleich Kampf gegen diesen Sprachgesang und die Prosa der Rede, in die man sich warf, um die Naturwahrheit zu retten, diente dem Mimen als Anhalt, die Modulation der wahren Töne der Empfindung zu ihrem Rechte zu bringen. Nun aber riß der Naturalismus ein, und als man in zurückgekehrter Erkenntniß der Würde der Poesie den Jamben einführte, zeigte sich, daß die Schauspieler nicht mehr rhythmisch hören und sprechen konnten, so daß Göthe eine bedeutende Schauspielerinn in der Probe am Arme nahm und auf- und abgehend das Jamben-Maaß mit ihr stampfte. ─ Was von der Declamation gilt, gilt auch vom Lesen als einem inneren Sprechen, nur natürlich in schwächerem Maaße. Das Band, das die Poesie an die unmittelbare Sinnlichkeit knüpft, ist immer dünner, blasser geworden, sie hat die Musik, den Tanz verloren, endlich ist sie nicht nur vom Singen auf das Sagen, sondern sogar in das Lesezimmer zurückgedrängt worden. Diese Entsinnlichung hat nach der einen Seite ihren Grund in dem Gesammten unserer Bildung und es hieße gegen eine Welt von Erquickung im stillen Kämmerlein predigen, wenn man dagegen eiferte. Dennoch lebt ein Gedicht nur halb und verstümmelt, wenn es blos gelesen, nicht wenigstens vorgelesen wird. Entschieden hat die Berechnung auf das bloße Lesen der dramatischen Literatur geschadet. Das Aufkommen der Lese= Dramen hat den Sinn für das, was Handlung ist, was lebt, wirkt, fortschreitet und packt, fast ertödtet. §. 859. Der allgemeine Gegensatz der Style, der alles Kunstleben beherrscht, ist mit besonderer Bestimmtheit in der Rhythmik zur Erscheinung gekommen. Die orientalische Dichtung ist auf diesem Gebiete ganz in den Grenzen einer unreifen Vorstufe stehen geblieben; dagegen tritt der direct idealisirende plastische Styl des classischen Jdeals in vollendeter Gestalt bei den Griechen auf. Zu Grunde liegt ein System von Takt-Arten, das in seiner Anwendung auf die rein quantitirende Sprache sich mit dem Prinzip der Länge und Kürze, den Wortaccent opfernd, in reiner Gesetzmäßigkeit verbindet, indem es vermittelst des Vorschlags (Anakruse) die verschiedenen Metra mit ihrem verschiedenen Charakter als eine feste Kunstordnung schafft, worein sich der Sprachkörper mit dem Naturgesetze seiner Prosodie einfügt. Es entsteht so eine selbständige Welt organischer formaler Schönheit, welche zugleich mit der Musik lebendig vereinigt bleibt und die kunstreicher verschlungenen Strophen durch den Tanz auch dem Auge als räumliche Figur vorzeichnet. Die alt=orientalische Poesie zeigt nur unentwickelte Keime der Rhythmik. Jn der alt=persischen und indischen Dichtkunst werden die Sylben nur gezählt und in gleichen Zahlenreihen zusammengestellt; der epische (und gnomische) Vers des Sanskrit, der Slokas, zeigt allerdings von dieser ersten kindlichen Stufe (auf welche die deutsche Poesie nach der Auflösung des rhythmischen Gesetzes, das in der Poesie des Mittelalters herrschte, einige Zeit lang zurücksank) einen Fortschritt: er besteht aus sechszehn Moren mit einer Cäsur in der Mitte; in jeder der beiden Hälften, in welche er hiedurch zerfällt, sind die vier ersten Sylben in der Quantität völlig frei, also rein gezählt, die vier folgenden aber metrisch gebunden, indem die erste Hälfte mit einem Antispast, die zweite mit einem Doppeljambus schließt, nur daß dort die Schlußsylbe auch lang, hier auch kurz sein kann. Je zwei solche sechszehnsylbige Verse reihen sich als eine Art von Distichon aneinander. Es hat sich bei den Jndiern im Verlauf eine große Zahl anderweitiger Maaße, aber keines mit durchgeführter metrischer Bindung, entwickelt. ─ Eigenthümlich ist die Bindung von Wortreihen durch die bloße Einheit des Gedankens in der hebräischen Poesie. Es besteht zwar eine unbestimmte Grundlage von Sylbenmessung: die offene Sylbe hat in der Regel den langen, die geschlossene an sich den kurzen Vocal, aber der Wortton alterirt dieß Verhältniß, ohne doch einem rhythmischen Schema zu folgen. Da überdieß auch die bloße Sylbenzählung fehlt, so bleibt nur der Rhythmus der Gedanken-Einheit, der sogenannte parallelismus membrorum , der zwei Sätze im antithetischen, synonymen oder gar identischen Sinne zusammenbindet. Allerdings bewirkt dieß jedoch einen gewissen Anklang von Rhythmus auch in der Form: die Sätze klingen wie Hemistichen, der Sylbenzahl sind mit der Wiederkehr des Jnhalts ungefähre Grenzen gesetzt und als Ausdruck einer Neigung zu musikalischem Ersatz tritt gerne die Assonanz ein. Zu der Ausbildung dieser Seite zeigte der Orient eine aus der Stimmung seiner Phantasie begreifliche Neigung; der Reim war in der arabischen Poesie vor der muhamedanischen Zeit und die neupersische hat ihn (neben einer der deutschen Rhythmik verwandten Herrschaft des Worttons) aufgenommen. Wir verweilen bei diesen unentschiedenen Formen nicht weiter, denn uns beschäftigt vor Allem die Frage, wie der große Gegensatz zweier ausgebildeter Stylrichtungen, der als rother Faden uns durch die ganze Kunstlehre begleitet, auf dem rhythmischen Gebiete zu Tage tritt, und wirklich erscheint er auf demselben in besonders entschiedener Gestalt: hier die ruhige, wohlgemessene, rein gegossene Form der unmittelbaren, plastischen Schönheit der griechischen Muse, dort die unruhige, den gebrochneren Körper geistig durchleuchtende, durch den Ausdruck des Ganzen mittelbar wirkende, malerische, charakteristische Schönheit der germanischen. Die griechische Rhythmik kann als das Vollkommnere in diesem Gegensatz, als das Classische im Sinne des Musterhaften angesehen werden, die deutsche ist genöthigt, in der Ausbildung der modernen Form sich ein wesentliches Moment von ihr anzueignen, doch bleibt nach einer andern Seite die Frage über den größeren Werth, wie bei allen ächten Gegensätzen, amphibolisch liegen. Jenes Moment ist das eigentlich Metrische, das wir in der schwierigen Abstraction der allgemeinen Erörterung bisher unbestimmt bald neben dem Rhythmischen nannten, bald in dasselbe einschlossen: die Verhältnisse der Länge und Kürze im Unterschiede von denen des Tongewichts, d. h. vom Rhythmischen im engeren Sinne des Worts. Die griechische Poesie hat diese beiden Seiten klar und fest ausgebildet und in Harmonie gesetzt. Sie gieng davon aus, daß sie dreierlei rhythmische Ordnungen feststellte: von drei, vier und fünf Momenten, entsprechend dem ⅜, \frac{4}{8} und ⅝ Takte. Wir verfolgen nur die beiden ersteren Formen mit Uebergehung der dritten, im päonischen Verse dargestellten, weil diese verwickelte Gestaltung wie aus der Musik, so auch aus der Poesie verschwunden ist, und haben also eine Form des ungeraden und eine des geraden Taktverhältnisses vor uns. Daß nun Tongewicht und Länge in einem Verhältniß der nothwendigen Anziehung stehen, ist in §. 855 ausgesprochen und diese Anziehung vollendet sich, indem das Taktleben des Rhythmus seine Verwirklichung findet in einer Sprache, die ein festes, organisch mitgewachsenes, dem Körper der Sylben wie die anatamischen Proportionen dem organischen unverrückbar einverleibtes System von Längen und Kürzen darstellt, zu welchem das Gesetz der Verlängerung durch Position hinzutritt, dessen Ursprung noch heute aus der Aussprache von Sylben, die sich mit doppeltem Consonanten schließen, bei den romanischen Völkern leicht zu erkennen ist. Die zwei ersten Takt= Momente ziehen sich nun zu einer Länge zusammen, welcher natürlich der Jctus bleibt, den vorher das erste der drei und vier ursprünglich gleichen Momente hatte. Die nicht zusammengezogenen Einheiten sind nun Kürzen. Hiemit wird die rhythmische Form zugleich zur metrischen, d. h. das Taktverhältniß stellt sich zugleich als ein bestimmtes Verhältniß von Längen und Kürzen dar und der einzelne Takt-Abschnitt heißt nun Fuß. So sind die fallenden Metra, das trochäische und daktylische, entstanden; das letztere erzeugt durch Zusammenziehung auch des dritten und vierten Moments zu einer Länge den Spondäus. Es ist nun aber natürlich, daß der Rhythmus sich weiter eine Form aneignet, die wir in allen Gebieten der Bewegung, namentlich aber in Gang und Sprung als eine in der Natur der Sache begründete finden: es ist dieß ein den eigentlichen Absprung, das Abschnellen vom Boden unterstützender, vorbereitender Ansatz, Vorschlag, Ansprung: die Anakruse. Durch den Vorantritt eines solchen Moments oder zweier entsteht eine Verschiebung, Durchkreuzung der ursprünglichen Ordnungen und bildet sich das jambische Metrum, worin je die Kürze, die im Trochäus auf die Länge folgte, zum nächsten Abschnitte gezogen wird und so der Länge vorangeht, und das anapästische, worin es sich ebenso mit den zwei Kürzen verhält, die im Daktylus auf die Länge folgen. Jn diesem neuen Verhältniß hat sich auch der Accent verschoben, er fällt nicht mehr auf das erste, sondern auf das letzte Moment. Dieß sind die einfachen Grundlagen, woraus sich der ganze rhythmisch=metrische Reichthum der griechischen Poesie entwickelt, und diese Entwicklung erfolgt wesentlich durch das schon in unsere allgemeine Erörterung (§. 855. Anm.) aufgenommene Gesetz der Erweiterung des einzelnen Takt-Abschnitts zur rhythmischen Reihe, worin nun der verstärkte Accent des ersten Abschnitts ebensoviele Abschnitte beherrscht, als der einfache im einzelnen Abschnitt Momente. Es sind einfache, verbundene, symmetrisch zusammengestellte verschiedene Reihen, woraus die in ihren verschiedenen Graden kunstreicher Bildung rhythmisch=metrischen Schemata entstehen. Die griechische Poesie hat ferner alle andern wesentlichen Momente, die wir in der allgemeinen Betrachtung aufgestellt haben, normal ausgebildet. Wir führen als ein einzelnes Moment noch die Pause an, wodurch die weitere Ausbildung des rhythmischen Systems mit dem Unterschiede des katalektischen und akatalektischen Verses bedingt ist. ─ Die griechische Poesie besitzt nun in diesem klar und fest organisirten Materiale zugleich die einfach bestimmten Elemente des Stimmungs-Ausdrucks, wie ihn die Rhythmik zu übernehmen hat. Mit Vorbehalt der unendlichen Modificationen, welche die Versmaaße durch die Verbindung verschiedener Füße und die ganze reiche Welt der Strophen erhalten, kann in Kürze hier so viel gesagt werden: der Stimmungscharakter der Haupt-Metra zeigt an sich einen einfachen Gegensatz, der aber von einem andern durchkreuzt wird: der eine ruht auf dem Unterschiede des Geraden und Ungeraden, der andere auf dem Eintritt der Anakruse. Das ungerade Taktverhältniß ist an sich das bewegtere, das aufgeregte, allein im Jambus bringt die Anakruse etwas dem ungeraden Verhältniß Verwandtes herein: die Bewegung muß durch ein sichtbares Anstreben erst in's Werk gesetzt werden, zeigt die Absicht des Fortschreitens, markirt sich ausdrücklich, wogegen der Trochäus gleich mit dem ersten Schritte fest und ohne die Unruhe des Ansatzes auftritt, daher er im Charakter des Laufes doch zugleich den der ruhigeren Stärke hat; da er aber im zweiten Momente nachläßt, so hat er nicht das drastisch Fortstrebende, Dramatische des Jambus, sondern einen Zug von der Weichheit, schmelzendem Nachlassen, melancholischer, lyrischer Stimmung gesellt sich seiner Kraft-Entwicklung. Das gerade Taktverhältniß hat an sich den Charakter der ernsten Ruhe, die ihre Bewegungsmomente gleichmäßig abmißt. Allein die in zwei raschen Schlägen vorhergehende Anakruse erinnert an den Ansatz zum Höhesprung, gibt daher dem Anapäste den Charakter des hastig Aufspringenden, des leidenschaftlich bewegten Lyrischen, wogegen der Daktylus auf der breiten Basis des vorangeschickten Hauptschritts sicher und fest vordringt und nach diesem entschiedenen Anfang dem Leichten und Beweglichen, doch in ruhiger Gleichmessung, sich zu entfalten gönnt: der Vers des würdigen, gehaltenen Fortschritts im Epos, der aber auch mit dem Spondäus wechseln kann, welcher mit seinen zwei ernsten Längen keine leichtere, hellere Empfindung zuläßt, sondern die Stimmung tief, dunkel und schwer im Grunde des substantiell Gebundenen, des Erhabenen zurückhält. Dieses rhythmische System ist natürlich nur durch seine Anwendung auf den Sprachkörper mit seinen Längen und Kürzen zugleich ein metrisches. Aber, obwohl in dieser Anwendung entstanden, ist es doch ein System für sich, ein idealer Bau, von dem wie von keinem andern rhythmischen Style gilt, was in §. 855 gesagt ist: ein künstliches System wölbe sich über das Sprachmaterial her. Dieß findet seinen entschiedensten Ausdruck darin, daß, wie öfter bemerkt, hier dem Vers-Accente und dem Metrum der Wort= Accent rein geopfert wird: eine Vollkommenheit und ebensosehr eine große Unvollkommenheit, genau wie in der Sculptur die Vollkommenheit der reinen Nachbildung der Form mit der tiefen Unvollkommenheit Eines ist, daß die Accente der Farbe, des seelenvollen Schimmers im Auge, der ganzen Welt kleinerer, aber charaktervoller Bewegungen wegfallen. Hier ist denn die rhythmische Gestalt eine Schönheit für sich, erfreut und befriedigt auch bei geringerem Werthe des Sprach-Jnhalts und setzt hiefür jenes unendlich feine Gehör voraus, das dem classischen Alterthum eigen war und selbst in Rom dem Redner wegen eines schlechten Tonfalls in seiner Prosa ein Zischen, wegen eines schönen einen Sturm des Beifalls bereitete. Jn dieser Selbständigkeit des rhythmisch Schönen hatte es auch seinen Grund, daß das Band mit dem eigentlich musikalischen Vortrage nicht aufgelöst war und daß sich hiezu bei den kunstreicheren Formen der gehobensten, feierlichsten Lyrik das zweite, der Tanz, gesellte. Es ist in dem Anhang über die Tanzkunst von der uns völlig verlorenen Form die Rede gewesen, welche die rhythmische Schönheit durch Massenbewegung räumlich objectivirte, als Figur projicirte, s. §. 833. §. 860. 1. Dagegen ist der, in seiner reinen Ausbildung nur der germanischen Dichtung eigene, charakteristische Styl ursprünglich ein System von Accenten, das mit der Quantität nichts zu thun hat; der Vers-Accent fällt mit dem Wort-Accente zusammen und heißt Hebung, das Verhältniß der unbetonten Sylben, d. h. der Senkungen hat kein Gesetz. Jn dieser Rhythmik, worin also nicht gemessen, nur gewogen wird, herrscht hiemit der Begriff, der Aus- 2. druck. Jm Verlaufe hat sich die deutsche Dichtkunst das Classische in der Weise angeeignet, daß die Hebungen für Längen, die Senkungen für Kürzen gelten und beide gezählt werden. Jndem sich aber daneben die natürlichen Längen, verschiedene Stufen der Oetonung, die Verschiebung des Accents durch Zusammensetzung von Wörtern geltend machen und überdieß der Sinn-Accent den Wort-Accent kreuzt, entsteht ein Gebilde, dessen Körper von dem Geiste, der sich in ihm bewegt, gelöst und gebrochen ist. Diese Brechung der plasti- 3. schen Schönheit fordert einen Ersatz; derselbe ist gegeben in dem malerischen und der eigentlichen Musik näher verwandten Mittel des Reims. 1. Wir nennen diesen Styl (dessen Spuren sich übrigens auch in dem Saturnischen Verse der ältesten römischen Poesie und, wie zu §. 859 berührt ist, im Hebräischen und Neupersischen finden) vorerst germanisch, weil er dem Deutschen und Skandinavischen gemein ist, nachher in seiner veränderten Gestalt deutsch, weil nur in unserer Dichtung diese entstanden und wahrhaft durchgeführt ist. Von der romanischen (und englischen) Poesie nachher in Kürze das Nöthige. ─ Jener ursprünglich germanische Styl bindet nun die Verse allein durch die gleiche Anzahl von Accenten; dieses rhythmische Gesetz steht aber schon ursprünglich in untrennbarem Zusammenhang mit der Sprache, es vollstreckt sich also schlechthin nur im Einklange mit dem Wort-Accent und so heißen die Accente Hebungen. Hebungen sind Sylben, die in der Sprache an sich accentuirt sind und der Rhythmik die geforderten Accente herstellen. Nicht betonte Sylben d. h. Senkungen können zwischen die Hebungen in verschiedener Anzahl treten oder ganz fehlen; das Gesetz gibt sie frei und es wird dadurch jene nach dem Unterschiede des Sprach-Jnhalts belebte Mannigfaltigkeit möglich, von welcher zu §. 858 die Rede war. Es wird also nicht gemessen, sondern gewogen, die Sprache hat daneben auch Längen und Kürzen, sie kommen aber als solche schlechthin nicht in Betracht; die Hebung ist in allen Sylben, die lang sind, wohl zugleich Länge, aber diese Seite geht die Rhythmik nichts an, die Stufen, Modificationen, verschiedenen Stellungen der Länge zu der accentuirten Sylbe können demnach die Schwierigkeiten noch nicht erzeugen, von welchen nachher die Rede sein wird, weil Metrum im eigentlichen Sinne des Worts gar nicht besteht; ob z. B. Jahrhundert als Amphibrachy's gebraucht werden darf, kann gar nicht gefragt werden. Dagegen bereiten die verschiedenen Stufen der Betonung, da der starke wie der schwache Ton sich noch in Grade theilt, gewisse Schwierigkeiten, in die wir uns aber hier nicht einlassen können. Die Hebung gehört nun im Wesentlichen der Wurzelsylbe an, gewisse Bildungssylben und stärkere Flexionssylben treten daneben allerdings noch mit demselben Anspruch auf, doch ist jenes das Entscheidende und hiemit, da die Wurzel den Begriff enthält, die Herrschaft des Sinns als des Tongebenden Prinzips, das Ueberwiegen des Ausdrucks über die Form, also der charakteristische Styl ausgesprochen. Hier steht keine plastisch gemessene Normalgestalt vor uns, sondern eine unregelmäßigere Bildung, welche durch den bedeutungsvollen Blick, der auf innere Tiefen weist, für den Mangel der reinen Formschönheit entschädigt. Es hat sich aber aus den einfach fortlaufenden Verspaaren, welche nur dieses Gesetz band und als Vorläufer des Reims die Alliteration schmückte, ein reicher Strophenbau im Mittelalter entwickelt, worin sich ein künstlerischer Sinn offenbarte, der in seinem Gebiete nicht weniger fein war, als der classische. Dennoch genügte bei dem Mangel an Quantität auch diese Kunstbildung nicht: die Alliteration wurde (vermittelst der Uebergangsform der Assonanz) zum Reime, um sich in ihm den malerischen Ersatz zu suchen. Wir fassen jedoch den letzteren in dieser Bedeutung erst nachher näher in's Auge, da er der ursprünglichen und der modernen Form des charakteristischen Styls gemeinschaftlich ist. 2. Die moderne deutsche Dichtkunst hat nun auch in der äußeren Sprachgestaltung die Aufgabe des modernen Jdeals erfüllt, den romantischen Gehalt mit der classischen Form, die subjectiv gestimmte Phantasie mit der objectiven zu vereinigen (vergl. §. 466 ff.): sie hat sich auf die im §. ausgesprochene Weise das quantitative Prinzip von der Poesie der Alten angeeignet. Dadurch ist nun aber eine vielfache Verschlingung und Durchkreuzung von rhythmisch=metrischen Bedingungen eingetreten. Die niedrigere Abstufung des Tons wird zum Theil als mittelzeitig behandelt, doch hat sie selbst wieder einen Unterschied von Graden, welche, an sich zweifelhaft, nur durch den Zusammenhang ihrer Stellung bestimmbar sind. Volle Länge gehört nur Wurzelsylben an, und diese haben auch den Accent, allein wie, wenn der Accent durch Zusammensetzung von Wörtern so verschoben wird, daß, was sonst Länge war und den ganzen Ton hatte, zwar Länge bleibt, aber nun schwächeren Ton hat (wie in: Hofjäger, Jahrhundert, Hinzieh'n die Sylben jäg, Jahr, zieh'n)? Entscheidet man hier trotz der Verschiebung des Accents leichter für den Gebrauch der geschwächten Sylben als Längen, so wird dagegen die Frage zweifelhafter, wo eine kurze, aber betonte Sylbe einen Theil ihres Tons verliert, wie z. B. in Weinberg, Feldschlacht die zweite. Man mag bestimmen, daß in diesen Fällen Doppelconsonant für Länge entscheidet, aber man wird finden, daß die freie Bewegung im Verse dadurch sehr belästigt wird. Das jedoch steht fest, daß nimmermehr der Vers= Accent auf eine Sylbe fallen darf, deren starker Ton durch Verbindung mit einem andern Worte geschwächt worden ist, was denn zur Folge hat, daß ein zweites, selbständiges Wort als das nicht accentuirte Moment des Fußes nachhinkt (wie der Hexameter-Schluß von Voß: „der Herrscher im Donnergewölk Zeus“). Erhellt nun aber doch genugsam, daß hier an die Stelle des organisch festen Gesetzes der antiken Rhythmik, die zugleich geordnete Metrik war, eine vielseitige Bedingtheit und Bestimmbarkeit getreten ist, so wird dieser Charakter vollendet durch das Gewicht des Sinn= Accents, der den Wort-Accent und ebenhiemit auch dessen Verwendung als Länge durchkreuzt. „Jch bin's “ ist Jambus; „bin ich's? “ ist auch Jambus, aber „ bin ich's?“ ist Trochäus (oder, wegen des Doppelconsonanten am Schluß, Spondäus). Dieß Moment ist es nun aber zugleich, was von Neuem die Frage über das Verhältniß der natürlichen Längen erschwert, die durch Verbindungen, Satzstellung doch den Hauptton verlieren. „War“ ist lang und hat starken Ton, aber wenn es in der Frage: „War ich's? “ als lang behandelt wird, so entsteht Unklarheit des Sinns, denn es ist nicht zu erkennen, ob nicht vielmehr gefragt wird: „ war ich's?“ ─ Es ist nicht unsere Aufgabe, hier die Schwierigkeiten zu verfolgen, zu entscheiden und Regeln aufzustellen, sondern nur, auszusprechen, welcher Geist und Charakter aus solcher Beschaffenheit der Verhältnisse hervorgeht. Der Körper dieser Formwelt erscheint nun gegenüber dem festen Fleische und den normalen Proportionen der classischen zunächst, da er sich davon angeeignet hat, was möglich ist, zwar regelmäßiger, als die ältere deutsche Form, welche die Senkungen nicht zählte, aber durch die Verwicklung des hinzugekommenen neuen Prinzips mit dem ursprünglichen auf der andern Seite nur desto gemischter, vermittelter, gebrochener, durcharbeiteter, mürber von allen Seiten; aber die Lichter des Geistes, die auf ihm hin und wiederspielen, frei ihre Stelle wechseln, ihren Druck jetzt auf diesen, jetzt auf jenen Punct werfen, auf ihm wie auf Tasten hin und her laufen, geben ihm für den Verlust der Jugendblüthe ein zweites, höheres, ein wiedergebornes Leben, das seine Falten verschönert. Es ist dieß noch derselbe Geist, der den Charakter der ursprünglichen, nicht quantitirenden, deutschen Rhythmik bestimmt hat: es ist der Jnhalt, die Sache selbst, es gibt keine Rhythmik als Kunstsystem an und für sich, ohne die innere Bedeutung der Dinge; aber dieser Geist beherrscht jetzt eine reichere, gemischtere Welt. Durch die Aneignung der Quantität ist es der deutschen Sprache möglich geworden, die antiken Versmaaße nachzuahmen. Aber sie hat dabei doch nicht nur mit den genannten Schwierigkeiten zu kämpfen, sondern der Mangel eines festen, organischen Wechsels von Längen und Kürzen, zu welchem wir noch erwähnen müssen, daß uns im Laufe der Zeit zu viele ursprüngliche Längen verloren gegangen sind, hängt auch mit der wachsenden Verstümmlung der Flexionen und Bildungen zusammen, die unsere Sprache erfahren hat, und diese entzieht dem Verse, der doch plastische Schönheit verlangt, seine natürliche Fülle. Unsere Poesie, Literatur, Sprache hat unendlich dadurch gewonnen, daß wir die antiken Maaße nachbilden können und oft nachbilden; aber es bleibt doch eine Maske, ein fremdes Kleid. Es verhält sich wie mit der Aufnahme der alten Götterwelt und ihrer direct idealen Formen in der Plastik und namentlich in der Malerei: eine Versetzung der Phantasie in eine fremde Welt, die unter Anderem gut und schön ist, aber nie das Bleibende, das Bestimmende sein kann. Die Nachahmung der alten Metra als einzig wahres Gesetz ansprechen, wie Klopstock that, heißt im formalen Gebiet in den falschen Classicismus zurückstürzen, von dem er selber im materialen, in der innern Welt der Poesie uns befreite. Wir sollen durch das classische Jdeal Sinn und Gefühl läutern, aber nur den Honig aus ihm ziehen, nicht seine Zellen nachahmen. Unser Ersatz für den Verlust an unmittelbarer Schönheit, den wir auf diesem Wege nicht suchen können, liegt auf einer Seite, die schon vor der Aneignung des Classischen ihre Ausbildung fand und die wir nun genauer in's Auge fassen müssen. Zuvor nur noch Weniges über die romanische und englische Rhythmik. Die romanischen Völker zeigen in dem ganz unorganischen Verhältnisse, worein sie das Sprach-Material zu der Versform setzen, daß mit der Verstümmlung, Mischung und Auflösung des Lateinischen, woraus jenes hervorgegangen, auch die Jnnigkeit des rhythmischen Gefühls verloren gegangen ist. Sie zählen nur die Sylben und spannen, unbekümmert um den Wort= Accent, großentheils selbst um die Quantität, den Vers darüber. Wenn die antike Rhythmik sich ebenfalls um den Wort-Accent nicht kümmerte, so war dieß etwas Anderes: sie hatte dafür die strenge Prosodie, worin das Wort seinen ganzen Naturgehalt organisch geltend machte, und ihr Vers= Accent war ein reines, künstliches System, nicht ursprünglich auf den Wort= Accent gebaut, während die romanischen Völker die letztere, germanische Form annehmen und doch ganz willkürlich anwenden. Am meisten gilt diese Willkür von den Franzosen, an deren Versbildung man recht auffallend erkennt, daß ihnen die lateinische Sprache zudem aufgeimpft ist, daß sie daher kein lebendiges Naturgefühl für den Körper des Wortes haben. Die Willkür der Anwendung des Vers-Accents (der nach dem modern germanischen Prinzip als Länge gilt, wie die Thesis, Senkung als Kürze,) wird hier noch unterstützt durch das sogenannte Sprechen ohne Accent, d. h. die Betonung der Endsylben neben der Wurzel (nicht schlechtweg Betonung der Endsylben wie Manche harthörig meinen). Der Armuth, welche die Abstutzung der ursprünglichen lateinischen Endungen mit sich gebracht, wird theilweise dadurch abgeholfen, daß die stummen e im Verse gesprochen werden und gelten, allein nur um so fühlbarer wird der unorganische Zustand, wenn selbst diese Sylben Accent und Länge tragen müssen. Bei einem solchen Grade der Willkür würden die Versformen geradezu unkenntlich, wenn nicht das Gesetz eingeführt wäre, daß am Ende des Verses Wort- und Vers= Accent immer zusammenfallen müssen. Es kann bei diesen Verhältnissen von einer Ausbildung reicher gegliederter Versfüße nicht die Rede sein, weil nur das Einfachste erkennbar ist; es gibt nur Jamben und Trochäen, Nachahmung der reicher gegliederten antiken Maaße ist unmöglich. Die monoton wiederkehrende Zerhackung der rhythmischen Reihe im Alexandriner entspricht dem Geiste der witzigen antithetischen Zuspitzung, welcher der Nation eigen ist. ─ Das Jtalienische trägt ungleich mehr Fähigkeit einer organischen Rhythmik in sich; es läßt im Wesentlichen der Stammsylbe die entschiedene Betonung und hat nicht alle Flexionen, Endungen verstümmelt. Die vielen Endungen mit zwei kurzen Sylben liefern neben dem herrschenden jambischen Tonfalle reichen anapästischen und daktylischen Stoff, stören aber die Anwendung des Spondäus, welcher ohnedieß der Verlust sehr vieler lateinischer Längen große Schwierigkeit bereitet. Diese Sprache ist aber durch die volle Klangschönheit, welche sie vor allen neueren auszeichnet, so entschieden nach der reichsten Ausbildung der musikalischen Seite in kunstreich verschlungenen Reimsystemen hingelenkt, daß auch sie das rhythmisch=metrische Verhältniß in jenem Zustande der Willkür, obwohl dieselbe nicht so tief greift, wie die französische, belassen hat. Aehnlich verhält es sich im Spanischen; unter den Versarten entspricht seinem gravitätischen Geiste vorzüglich der feierlich empfindungsreiche Trochäus, den sie, in kurzen Reihen Gewicht an Gewicht hängend, sich zu eigen gemacht hat. ─ Die englische Sprache trägt als original deutsche, mit romanischem Zusatz nur mäßig gemischte, das Gesetz der Zusammenstimmung von Vers- und Wort= Accent durch ursprüngliche Natur und Neigung in sich. Anders aber verhält es sich mit der Fähigkeit, dieses Gesetz so zu verwenden, daß es zugleich metrische Geltung hat, d. h. Hebung und Senkung für Länge und Kürze gilt und so die antiken Versfüße nachgeahmt werden können. Das Englische ist noch weit mehr, als das Deutsche, wo es rein blieb, der Neigung gefolgt, die Fülle der aus Abwandlung und Ableitung entspringenden Endsylben abzustoßen, in stumme e zu versenken; so ist es überreich an einsylbigen Wörtern und seine mehrsylbigen entbehren mit den volleren Endungen der prosodischen Mannigfaltigkeit. Hiemit mußte das metrische Gefühl sich abstumpfen, was sich namentlich auch darin zeigt, daß die Willkür im Gebrauche der Mittelzeiten ungleich größer ist, als im Deutschen. Ferner hat das gehobene Sprechen, die Declamation im Englischen eine stoßweise Bewegung, wodurch der Charakter einer Accentsprache sich noch verstärkt und gegen gesetzmäßige Verwendung der Accentverhältnisse als quantitirender sich ungleich mehr verhärtet, als das Deutsche. Noch durchgreifender wird der Accent durch die Stellung des Worts bedingt, der Wort-Accent durch den Sinn-Accent gekreuzt und auch dadurch eine wirkliche Durchführung geordneter Längen und Kürzen gestört. Nun ist zwar das Metrische so weit eingedrungen, daß die Senkungen als Kürzen neben den Hebungen als Längen durch Zahl geregelt sind, aber die Versmaaße werden doch mehr accent=, als quantitäts=mäßig gefühlt; es gibt Daktylen und Anapäste, aber sie können aus diesem Grunde nicht wohl zur Nachbildung der antiken Metren, denen sie angehören, gebraucht werden, sie sind beliebt im springenden Balladen-Versmaaß, aber zwischen Jamben oder Trochäen eingefaßt, und diese einfachen Formen sind die herrschenden. Die schon erwähnte Menge einsylbiger Wörter bereitet nun spezieller dadurch große Schwierigkeiten gegen consequente Uebertragung des Quantitativen, daß dieselben doch dem Gehalte nach großentheils bedeutend sind, daß dieser in umgekehrtem Verhältniß zu ihrem Körper steht, daß sie sich daher gegen die Einfügung in die antiken Verse, namentlich die längeren, sträuben: „ein mit ihnen gefüllter längerer Vers müßte überfüllt erscheinen“ (Grundriß der Metrik antiker und moderner Spr. v. Krüger S. 96). 3. Den Reim haben wir mehrfach einen Ersatz für den Verlust der strengen Gesetzmäßigkeit des metrisch Rhythmischen genannt. Er tritt am Schlusse des Verses ein, und dieß eben ist recht ein Ausdruck davon, daß hier im Verskörper selbst noch etwas fehlt, vermißt, gesucht wird, das denn als Extremität, als Einfassung seinen Gliedern erst den fehlenden organischen Halt gibt. Er kann auch die rhythmischen Reihen durchschneiden und so in mehrere Zeilen zerfällen; dadurch ist er eine Quelle der reichsten Mannigfaltigkeit in Strophen geworden. Durch den Reim tritt nun eine Wiederkehr neuer Art in die poetische Formbildung ein. Vergleicht man dieselbe mit den anderen Künsten, so erinnert sie in der Architektur an den gothischen Styl: dieser liebt das geometrische Spiel der Stellungen, Umstellungen, des symmetrischen Gegenüber krystallinisch gebundener, aber ohne strengen Zusammenhang mit dem Structiven in buntem Ornamente schwelgender Formen, während der classische seine keusch gesparten Ausschmückungen mit streng organischem Gefühl aus den fungirenden Kräften entwickelt; der Unterschied zwischen normal rhythmischer Schönheit und zwischen Reimschmuck bei zerworfenen Verhältnissen der letzteren entspricht auf's Einleuchtendste diesem architektonischen. Noch näher liegt die Vergleichung mit der Malerei: es ist tief in der Natur der Sache begründet, daß man bei Farben an Klänge und bei diesen an jene denkt; die lebendig warme, den Charakter individualisirende Farbe bringt ganz ebenso das Element einer neuen Qualification zu der festen Form, die sich in der Sculptur isolirt, wie der Reim zu dem bloßen Proportionsleben in Takt und Quantität. Am nächsten aber liegt der Blick in das eng benachbarte musikalische Gebiet: der Klang des Worts, wie er im Reime technisch verwendet wird, daher als solcher ausdrücklich in's Gehör fällt, ist tief verwandt mit der Klangfarbe der verschiedenen Jnstrumente. Gleichzeitig ertönend bringen diese die Harmonie hervor; der successive Eindruck der Reime tönt noch ungleich bestimmter, als die wiederkehrenden Zeilen in reimlosen Strophen, wie eine gleichzeitige Wirkung im Gefühle nach und so bringt er entschieden ein der musikalischen Harmonie Verwandtes in die dichterische Form. Jn ihr vereinigt sich verschiedene Melodie in Einem Gange: der Reim hat aber auch dieß in der Kreuzung, Verschränkung verschiedener sich entsprechender Folgen, in der Anreihung solcher Folgen zur Strophe, in der Wiederkehr gleicher Strophen mit verschiedenen Reimen. Die Harmonie in der Musik haben wir (vergl. §. 757) als Ausdruck vervielfachter Resonanz Einer Empfindung in demselben Gemüthe oder in dem Gemüthe Mehrerer gefaßt: dasselbe vertiefte, erweiterte Gefühlsleben drückt das Echo des Reimes aus, ein liebendes Herüber und Hinüber, Neigen und Beugen, das bezeugt, daß die Welt der Gegenstände mit anderer Jnnigkeit und Vielseitigkeit, als durch das blos gewogene und gemessene Wort, in's Herz zurückgeschlungen und hier verarbeitet wird. Nun aber ist zunächst wohl zu beachten, daß an sich die Reimwörter einander nichts angehen. Wenige Wörter sind so sinnverwandt wie Mark und Stark, Leben und Streben. Jndem der Reim uns dennoch zwingt, das Fremde, Entlegene wie ein lebendig Einiges zusammenzufassen, gleicht er dem Witze (vergl. §. 193); sein tertium comparationis ist die Gleichheit des Klangs und diese freilich noch ein ungleich schwächeres, äußerlicheres Band, als die Aehnlichkeit der Eigenschaften zwischen den Dingen, die der Witz zu seinem Spiele verwendet, ausgenommen das Wortspiel und speziell das Klang-Wortspiel, das wegen seiner nahen Verwandtschaft oft genug in Reim-Reihen übergeht. Wenn aber der Reim nach dieser Seite willkürlicher, äußerlicher scheint, als der, doch so kalte, Witz, so vergesse man nicht, was zwischen und in den Reimwörtern liegt: wirklicher, empfundener Jnhalt. Der Witz springt momentan, unvermittelt von Entlegenem zu Entlegenem, das er scheinbar identisch setzt; die reimende Poesie vermittelt Reihen tief gefühlter Vorstellungen und wenn der Gleichklang des Reims sie an ihren Enden zusammenfaßt, als wären sie eben durch ihn wirklich verwandt, wie sie es durch ihn allein vielmehr noch nicht sind, so wird nun der wirkliche Zusammenhang des Jnhalts, den die Reime binden, unwillkürlich und unbewußt vom Gefühl auf den Gleichklang so übergetragen, als ergänze er, was diesem an wahrer, innerer Bindung der Vorstellungen an sich mangelt. Dieß ist der tiefe, der seelenvolle Reiz in der Willkür des Reimspieles: man fühlt immer wieder, daß der Gleichklang nicht wahre Einheit des Jnhalts ist, und läßt sich immer wieder täuschen, indem man ihm wirklichen inneren Zusammenhang zusetzt und zurechnet. Allerdings sollen eben darum nicht bedeutungslose Wörter zu Reimen verwendet werden, außer in komischer Absicht, wo dann das Reimspiel zum wirklichen Witzspiele wird. Hierüber namentlich vergl. Poggel Grundzüge einer Theorie des Reims und der Gleichklänge u. s. w., ein Werk voll tiefen und feinen Sinns für das Geheimniß dieser Form der poetischen Technik. ─ Fragt man endlich, ob der Reim auch der Melodie an sich verwandt sei, so ist dieß natürlich insofern zu verneinen, als auch er mit den Unterschieden der Tiefe und Höhe, deren charakteristische Folge ja das Wesen der Melodie bildet, nichts zu schaffen hat. Allein im Gange der Melodie entwickeln sich immer entsprechende Folgen, Verhältnisse wie Frage und Antwort tauchen auf, ein Steigen und Sinken zieht sich hindurch; indem nun der Reim ein System von lauter solchen Correspondenzen ist, so gemahnt er entfernt auch an den Wechsel von Höhe und Tiefe, in welchem die Musik als Melodie dieselben entwickelt. §. 861. Die Gesetze der Composition können in der Lehre von der Poesie nur zugleich mit den Zweigen untersucht werden; die Darstellung der letzteren muß ferner auch die Hauptmomente der Geschichte dieser Kunst in sich schließen. Es ist klar, daß die Compositionsweise zu verschieden ist in Epos, Lyrik und Drama, um von der Erörterung dieser Hauptformen, in die unsere Kunst sich verzweigt, getrennt und für sich behandelt zu werden. Sogleich die Frage, wie sich die Composition im Rhythmischen äußere, die hier unmittelbar im Zusammenhange zu liegen scheint, führt darauf: denn ganz ungleich ist in den Zweigen der Poesie der Umfang, in welchem der innere Rhythmus des poetischen Kunstwerks sich bestimmend nach dieser Seite hin ausspricht; insbesondere leuchtet von selbst ein, daß es die Lyrik sein wird, in welcher die Composition mit besonderer Entschiedenheit als rhythmischer Bau an den Tag treten muß; da wären wir also unmittelbar zu der letzteren geführt und dieß verbietet doch ein höheres Gesetz der Eintheilung. ─ Die Lehre von den Zweigen verschluckt aber nach der andern Seite auch einen ganzen Abschnitt, der bisher überall als dritter in unserer Anordnung aufgetreten ist. Die Kreuzung der logischen Eintheilung mit dem Geschichtlichen, wovon in §. 541 die Rede gewesen, ist nämlich in keiner Kunst so stark und bedeutungsvoll, wie in der Poesie, und fordert hier wirklich, daß die historische Entwicklung in die Lehre von den Zweigen sich auflöse. Schon in §. 846, Anm. 1. mußte ausgesprochen werden, daß jene sich nicht, wie bisher, vom Systematischen trennen lasse. Den eigentlichen Beweis hiefür wird die Ausführung selbst liefern. b . Die Zweige der Dichtkunst . §. 862. Als die geistigste unter den Künsten erweist sich die Poesie auch dadurch, daß in ihr erst mit voller Bestimmtheit der Auffassungs-Unterschied der Phantasie (§. 404), also das Verhältniß des Künstlers zum Gegenstande den Eintheilungsgrund für die Hauptformen bildet. Hiedurch wird die Stoff- Beziehung der Phantasie (§. 403) auf die Seite gedrängt, der Gegenstand ist in jeder Hauptform die Welt und vor Allem der Mensch; der Dichter betrachtet ihn nur jedesmal von einer andern Seite, wobei allerdings der Ausschnitt des Stoffgebiets sich verändert, und in einer andern Beziehung der Zeit. Auffassungs-Unterschiede nennen wir jene Arten der Phantasie, worauf die Theilung der Kunst in die Künste beruht: die bildende, die empfindende, die dichtende Phantasie. Die letzte wiederholt die andern in sich: sie stellt sich auf den Boden der ersten und erzeugt so die epische, auf den Boden der zweiten und erzeugt die lyrische, ganz und voll auf den eigenen Boden und erzeugt die dramatische Form. Wir haben dieß vermöge eines unvermeidlichen Vorgriffs schon öfters ausgesprochen, denn in den andern Künsten tauchen diese Unterschiede bereits auf, aber noch ohne entschiedene Kraft. Jn der bildenden Kunst war, ihrem körperlichen Charakter gemäß, immer noch die Stoffbeziehung bestimmend für die Eintheilung, der Unterschied des Epischen, Lyrischen, Dramatischen trat daneben zu Tage am fühlbarsten in der Malerei (vergl. §. 697. 698. 699. 700, 3. 702. 705, 2. 709, 1. 710. 711. 712), aber daß er sich auch hier noch nicht entscheidend in den Vordergrund stellt, machte sich schon in der Schwierigkeit der Bezeichnung bemerkbar: wir waren genöthigt, wenn wir nicht jedesmal den beschwerlichen Ausdruck: Stellung der bildenden Phantasie auf den Boden der empfindenden u. s. w. gebrauchen wollten, die Benennungen aus der Poesie vorauszunehmen. Jn der Musik machte sich dieses Unterscheidungsprinzip natürlich selbständiger, energischer geltend, doch immer noch halbverhüllt; denn von wesentlichen Unterschieden der Auffassung kann nur die Rede sein, wo das Subject einem Objecte klar gegenübersteht; die Musik ist subjectiv, der Stoff nicht mehr entscheidend, aber sie ist zu subjectiv, um nicht ebenfalls in dieser Beziehung von der Poesie Licht zu erwarten. Nun aber steht klar vor uns, was sich bis dahin nur undeutlich an die Oberfläche drängte: wir haben eine Eintheilung, wie sie so scharf und entschieden in keiner andern Kunst auftritt. Sie ist daher auch längst stehend und die Aesthetik hat hier nicht mehr das schwierige Geschäft der Entwirrung von Unterscheidungen, die im gewöhnlichen Bewußtsein dunkel nebeneinander herlaufen. Die Stoffbeziehung der Phantasie tritt nun also nothwendig zurück. Von einer besondern Richtung auf das Landschaftliche, Thierische kann ohnedieß nicht die Rede sein: wir haben gesehen, daß es mit dem Satze, der Jnhalt des Schönen sei im höchsten Sinne die Persönlichkeit, in der Poesie voller Ernst wird (§. 842). Der Mensch ist die wahre Aufgabe aller Kunst, und er ist es in der Poesie ausdrücklich; er wird in jeder ihrer Hauptformen nur von einem andern Standpunct aufgefaßt und so verändert sich freilich, da die veränderte Auffassungsseite eine veränderte Beziehung zum Stoffgebiete mit sich bringt, jedesmal auch der Ausschnitt aus dem letzteren, wie denn z. B. das Epos landschaftliches und thierisches Leben in ganz anderem Umfang aufnimmt, als das Drama. Es wird sich zeigen, daß dieser Unterschied der Umfassung des Stoffes namentlich davon abhängt, ob die reinmenschliche oder die geschichtliche Richtung herrscht, und diese Arten der Richtung der Phantasie haben wir zwar in §. 403 zu denjenigen gestellt, welche sich auf den Stoff beziehen, sie fallen aber, wo die Auffassung als solche entscheidend herrscht, natürlich an diese herüber. Dieß wird sich im Verlaufe näher erklären. Uebrigens mag die Dichtkunst den Weltstoff in kleinem oder großem Umfang aufnehmen, bezogen ist der Mensch immer auf die Natur und Alles rings um ihn, daher ist der Jnhalt der Poesie immer die ganze Welt; sie sieht vom Menschen aus die Welt. ─ Der veränderte Standpunct der Beleuchtung bringt nun aber allerdings zugleich jedesmal eine andere Erstreckungsseite der Zeit mit sich: wir werden sehen, daß das Epos den Gegenstand unter dem Standpuncte der Vergangenheit betrachtet, in der lyrischen Dichtung Alles zur Gegenwart im Gefühle wird, im Drama die Gegenwart, indem sie sich als Handlung entwickelt, sich gegen die Zukunft spannt. Es hat dieß zwar seine logischen Schwierigkeiten und darf nimmermehr zum Eintheilungsgrund erhoben werden wie von Just. Fr. Richter (Vorsch. d. Aesth. §. 75), aber es steht im tiefsten Zusammenhange mit der Weise, wie das Jch des Dichters mit seinem Gegenstande sich durchdringt, und dieses Moment ist jetzt vor Allem bestimmter hervorzuheben. §. 863. 1. Der Unterschied der Arten der Phantasie, der sich auf die Weise der Auffassung gründet, hat seinen tieferen Grund in dem Gesetze der Diremtion des Objectiven und Subjectiven und ihrer Zusammenfassung im Subjectiv- Objectiven (vergl. §. 537) und dieses tritt jetzt in seiner ganzen Bestimmtheit hervor als ein Unterschied des Durchdringungsprocesses zwischen dem Jch des Dichters und seinem Gegenstande. So wiederholt sich in der Dichtkunst nicht nur das System der Künste, als deren Totalität sie sich nun bestimmter (vergl. §. 838) erweist, sondern zugleich das ganze System der Aesthetik. Mit 2. diesem innersten Eintheilungsprinzip ist zugleich ein Unterschied im Grade des Umfangs und in der Art der Technik gegeben, aber die Geistigkeit der ganzen Kunst und ihres Mediums ist Ursache, daß die verschiedenen Hauptformen sich nicht als Künste ausscheiden, sondern nur als Zweige einer Kunst auftreten (vergl. §. 538). 1. Wie die Dichtkunst den Charakter der bildenden und den der Musik in sich vereinigt, ist aufgezeigt worden. Es wiederholt sich hiedurch das System der Aesthetik in ihr, indem in der bildenden Kunst auf veränderter Stufe die Objectivität des Naturschönen, in der Musik die Subjectivität der Phantasie wiederkehrt, und ist so in ihrer concreten Totalität dieser Grundgegensatz schließlich zusammengefaßt. Allein nicht genug: der Kreis kehrt in der Poesie noch einmal in sich zurück, denn in ihren Zweigen wiederholt sich die Stellung, die in den verschiedenen Künsten der Künstler zum Object einnimmt, und zwar in einem Processe von solcher Entschiedenheit und Klarheit, daß die Wiederholung zugleich eine Vertiefung, eine vollere Verwirklichung ist und rückwärts das Entsprechende, was den Künsten im Großen zu Grunde liegt, in helleres Licht stellt. Auseinandergesetzt kann dieser Proceß in seinen Unterschieden noch nicht werden, ohne daß zu stark vorgegriffen wird, doch sagen wir in Kürze so viel: es wird sich zeigen, wie dem epischen Dichter die Welt eine gegebene, feste, objective Macht ist und bleibt, obwohl sein Jch neben dem Jnhalt sichtbar hervortritt und der Stimmung nach ruhig betrachtend über den Dingen schwebt, wie der lyrische die Welt ganz in subjectives Empfindungsleben umsetzt, wie der dramatische sie als eine nun subjectiv ganz durchdrungene oder in das Subject ganz eingegangene in der Form der Handlung wieder entläßt und entfaltet, so daß man sein Jch gar nicht wahrnimmt, weil es ganz darin, daß er ganz abwesend, weil ganz gegenwärtig ist. Jn diesen Wendungen des Verhältnisses scheidet sich denn zu bestimmten Hauptformen das, worin der Dichter dem bildenden Künstler, worin er dem Musiker verwandt und worin er ganz er selbst ist, und mit dieser Wiederkehr der Künste wiederholen sich in der Poesie abermals die entsprechenden Haupttheile des ganzen Systems: die Objectivität des Naturschönen, die Subjectivität der Phantasie und die erfüllte Einheit beider in der Kunst. Ohne Zwang läßt sich hinzusetzen: die Poesie kehre, indem sie so das Ganze des wirklichen Schönen in sich vertieft wiederholt, als die idealste Kunst in den ersten Theil des Systems, die reine, allgemeine Jdee des Schönen, zurück. ─ Hier ist nur noch das Nöthige zur Rechtfertigung der Stelle zu sagen, die dem Lyrischen gegeben ist. Es scheint der Zeit und dem Begriffe nach, oder, wenn man will: der Zeit nach, weil dem Begriffe nach vielmehr das Erste zu sein, denn die Poesie ist die enge Nachbarinn der Musik, kommt aus ihr und schickt sich an, aus der Jnnerlichkeit der Empfindung die Welt der Objecte wieder zu erschließen und auszubreiten, ihr Wesen ist die Entfaltung der innerlich verarbeiteten Welt; daher waren lyrische Ergießungen der unmittelbaren Empfindung nothwendig überall die ersten Aeußerungen der dichterischen Phantasie. Ein Jnteresse der bloßen logischen Consequenz, die Kategorie der Objectivität um jeden Preis voranzustellen, wäre nur eine Verirrung der Abstraction und das System könnte ganz ebensogut hier dem Subjectiven die erste Stelle anweisen, dann das Objective aus ihm hervortreten lassen, endlich beide vereinigen, als in der Gruppe der bildenden Künste umgekehrt die subjectivste unter ihnen, die Malerei, als dritte, nicht als zweite gesetzt worden ist. Allein genauer betrachtet verhält sich die Sache anders: die ältesten Lieder waren überall objectiven Jnhalts, priesen Thaten der Götter und Menschen; freilich in lyrischem Tone, und man kann insofern sagen, es liege hier eine noch unentwickelte Einheit des Lyrischen und Epischen vor, allein es war keine Einheit, die ein Gleichgewicht enthielt, vielmehr das objective, epische Element herrschte und gestaltete sich zuerst weiter zu bestimmten Formen, zu Heldenliedern, die dann zu Epen zusammenwuchsen, während das subjective, lyrische noch lange Zeit viel zu unentwickelt blieb, um als entschiedene Form in das Licht der Geschichte der Poesie herauszutreten, vielmehr die späte Reife der Bildung abwarten mußte, die dem erfahrungsvolleren, durcharbeiteten Gemüthe des Menschen erst die tiefere und reichere Resonanz gibt, ihm die Menge von Saiten aufzieht, welche erklingen muß, wenn von einer lyrischen Dichtung als stehendem Zweige soll die Rede sein können. Historisch und psychologisch hat den Beweis für den Vorgang des Epischen Wackernagel geführt (Schweiz. Mus. f. histor. Wissensch. „Die epische Poesie“ B. 1 u. 2). Wir haben den innern Grund mit der letzten Bemerkung bereits angedeutet: der ideale Weltgehalt erscheint dem Jndividuum, das noch nicht durch die Arbeit der Bildung in sich zurückgetreten ist, als objectives Sein, Macht, Geschichte. Kindliche Bewunderung all' des Vielen und Herrlichen, was es gibt, ist der erste Standpunct. Dennoch behält jener Begriff einer ursprünglichen, unentwickelten Einheit des Lyrischen und Epischen in den ältesten erzählenden Liedern seine relative Richtigkeit; jenes war im Keime vorhanden, mußte dann diesem den Vortritt lassen, nahm aber, als es selbst an die Reihe der Entwicklung kam, die Form wieder auf, in der es einst neben dem Epischen geschlummert hatte, und gab ihr wirklich lyrische Gestalt; dieß wird an seinem Orte näher erklärt werden. 2. Jn §. 540 ist „Moment und Grad des Umfangs“ als weiterer Theilungsgrund für die Zweige der Künste aufgeführt. Der „Moment“ fällt in der Poesie weg, da sie überhaupt in der Zeitform sich bewegt, daher immer eine Reihe von Momenten vorüberführt und also kein Unterschied entstehen kann, der darauf begründet wäre, daß der Gegenstand in einem so oder anders beschaffenen Moment aufgefaßt würde; der Unterschied im Grade des Umfangs aber macht sich nachdrücklich geltend: Epos und Drama geben ein Weltbild, jenes extensiver, dieses intensiver, das lyrische Gedicht dagegen ist ein kleines Ganzes, das wohl auch die Welt unter einer bestimmten Beleuchtung im Gemüthe spiegelt, welches ja an sich ein Mikromus ist, allein die Kleinheit des Umfangs ist nicht gleichgültig, im einzelnen Reflexe ist nur sehr mittelbar das Ganze der Welt und des Gemüths der Persönlichkeit enthalten. ─ Mit der Auffassung wird auch die Technik eine andere. Unter dieser verstehen wir jetzt die äußere Form, die Rhythmik; denn nicht wird, wie im Fortgang vom einen Gebiete der bildenden Kunst zum andern, oder, was dem Verhältniß eigentlich entspricht, wie im Uebergange von dieser zur Musik und von der Musik zur Poesie das ganze Material gewechselt, da ja alles eigentliche Material abgeworfen ist und mit einem geistigen Medium in Geist gearbeitet wird. Dieß muß ausdrücklich noch gesagt werden, um daran die Wiederaufnahme des Satzes in §. 538 zu knüpfen, der nunmehr seine völlige Begründung gefunden hat: die Hauptformen der Poesie sind als die Wiederholung der großen Kunstgebiete und der Haupttheile des Systems so bedeutend, daß sie eigentlich nicht dem entsprechen, was wir in den andern Künsten Zweige nennen, aber die Geistigkeit des Elements läßt nicht die Jsolirung und Verselbständigung dieser Formen zu, welche in den andern Gebieten Künste begründet, und so erscheinen dieselben dennoch als Zweige einer Kunst. §. 864. Jn der weiteren Eintheilung der Zweige tritt theils der Unterschied der Style, und zwar in tiefem Zusammenhang mit dem des Mythischen und nicht Mythischen, als entscheidendes Moment auf, theils macht sich ein Unterschied des Objectiven und Subjectiven in neuer, eigenthümlicher Bedeutung geltend, theils greift mit einer Bestimmtheit wie in keinem andern Gebiete der Unterschied der Grundgegensätze des Schönen (§. 402) durch. Daneben machen sich in verschiedenen Verhältnissen die andern Eintheilungsgründe (§. 540) geltend. Der §. deutet an, welche Momente der Reihe nach innerhalb der Zweige der Poesie als Eintheilungsgründe für ihre einzelnen Formen an die Spitze treten. Wir belassen es zunächst bei dieser Andeutung und bemerken nur über das an zweiter Stelle genannte Moment so viel im Voraus: es handelt sich hier vom Lyrischen und es wird sich zeigen, daß in diesem Gebiet an die Stelle dessen, was wir Auffassungs-Unterschied der Phantasie (bildend, empfindend, dichtend) nennen, ein anderer Unterschied treten muß, der mit ihm verwandt, aber nicht identisch ist: es wird sich hier von verschiedenen Graden handeln, in welchen der Stoff in das Gefühl eingeht, sich in inneres Gemüthsleben verwandelt oder von demselben sich wieder ablöst. Dieß wird sich seines Orts näher erklären und ebendamit der abweichende Sinn, worin hier die Kategorie des Objectiven und Subjectiven auftritt. Auch die entscheidende Bedeutung, welche nun das dritte unter den angeführten Momenten, der Gegensatz des Ernsten und Komischen, gewinnt, verfolgen wir jetzt noch nicht weiter, sondern bemerken, was die im §. zunächst genannten Eintheilungsmomente betrifft, nur noch im Allgemeinen, daß, wo eines derselben an die Spitze tritt, die andern dadurch nicht ihre Geltung verlieren, sondern für weitere Unter-Eintheilungen auf verschiedene Weise bestimmend werden, so namentlich auch jener Auffassungs= Unterschied, der nur im lyrischen Gebiete sich in einen andern verwandelt. ─ Dazu kommen nun die Eintheilungsgründe, die außerdem in §. 540 allgemein aufgestellt worden sind: es ist die Stoffbeziehung der Phantasie (nach §. 403), welche untergeordnete Geltung gewinnt: man denke nur an die heroisch=mythische Welt des Epos, die reale des Romans und wieder an den historischen, den socialen Roman u. s. w., an das politische und an das bürgerliche Drama, wobei denn auch der Unterschied des Styls im höchsten Grade wichtig wird; ferner tritt der Unterschied im Grade des Umfangs noch einmal auf (Roman und Novelle, Drama und Farce) und es wird sich zeigen, ob in der engeren Eintheilung auch der des erfaßten Moments entscheidend eingreift; endlich macht sich der Unterschied der Technik, worunter wir jetzt neben der Sprachform auch die Compositionsweise verstehen, innerhalb der einzelnen Zweige geltend. Auch hierüber enthalten wir uns noch aller Erläuterung, um nicht zu sehr vorzugreifen. α . Die epische Dichtung. 1. Jhr Wesen. §. 865. Jm Charakter der Objectivität, der vollen und scharfen Absonderung vom Subjecte, wie sie dem Werke der bildenden Kunst eigen ist, kann der Dichter seinen Gegenstand nur dadurch hinstellen und halten, daß er ihn als eine vergangene Begebenheit erzählt. Als Erzähler bleibt er aber neben dem Jnhalt in naiver Synthese gegenwärtig und in seiner Thätigkeit sichtbar; nur dem Geiste der Behandlung nach tritt er hinter ihn zurück und weiß oder behauptet sein Product nicht als solches, sondern als selbständiges Leben des Gegenstands. Es ist zuerst der Unterschied des epischen Dichters vom bildenden Künstler in der Aehnlichkeit genauer in's Licht zu setzen. Dieser nimmt einen Stoff in seine Phantasie auf, greift dann zu körperlichem Materiale, formt, meiselt, malt daran und damit, bis sein Phantasiebild in voller, scharf abgeschnittener, räumlicher Gegenüberstellung vor den Zuschauer tritt. Jetzt ist der Künstler verschwunden, er hat sein Werk stehen lassen, wir finden es im Raume vor wie ein schönes Natur-Object. Der Dichter aber bleibt bei seinem Werke; er ist thatsächlich auch weggegangen, nachdem er es vollendet hat, aber während wir es genießen, mag es ein Anderer vortragen oder mögen wir es lesen, ist er dabei und darin, denn statt des Materials hat er ja nur das Wort, er spricht es, er spricht mit uns, bis wir zu Ende sind. Und dieß wird eben gerade ausdrücklich fühlbar, wo er uns Vergangenes vorträgt: da leuchtet recht ein, wie wir im lebendigen Worte den Dichter zugleich gegenwärtig haben, während der ihm so verwandte bildende Künstler schweigend sein Werk im uneigentlichen Sinne erzählen läßt. Daher heißt diese Gattung Epos: Wort. Wir nennen das Verhältniß zwischen dem Dichter und dem Jnhalt im Epos das einer naiven Synthese, weil bei diesem einfachen Vortreten des erzählenden Dichters noch gar nicht gefragt wird, inwieweit er denn der Umbildner, Schöpfer des Jnhalts sei; genug, sein Subject ist da. Soll sein Werk in emphatischem Sinn objectiv heißen wie das des bildenden Künstlers, so muß diese Eigenschaft anderswo liegen, als in dem eigentlichen Verfahren. Zunächst ist es die Vergangenheit des Stoffs als einer Begebenheit, was die Objectivität mit sich bringt. Das Vergangene ist fertig, abgesondert vom Subjecte, tritt in beschlossenem Gegenschlag ihm gegenüber. Hiemit steht aber im innigsten Zusammenhange der Geist des Verfahrens, der von der allgemeinen Kunstform des Verfahrens wohl zu unterscheiden ist. Gerade weil er ein vergangener ist, kann der Stoff so behandelt werden, als habe er sich selbst gemacht und der Dichter thue nichts dazu, sondern stehe blos mit dem Stabe daneben und zeige die Bilder wie Sculpturwerke oder Gemälde, wo wir von Theil zu Theil, von Bild zu Bild fortrücken; darin also liegt die tiefe Verwandtschaft mit dem bildenden Künstler. Man hat dieß nicht immer unterschieden, wie man es sollte; Hegel z. B. sagt einfach, der epische Dichter verschwinde in seinem Gegenstande, nur das Product, nicht aber er erscheine (Aesth. Th. 3, S. 337), Göthe: der Rhapsode sollte als ein höheres Wesen in seinem Gedichte nicht selbst erscheinen u. s. w. (Briefwechsel zwischen Göthe und Schiller B. 3, S. 378). Schon der antike Anruf an die Muse spricht aber aus, daß der begeisterte Dichter gegenwärtig ist, er kann auch sonst mit lyrischen Wendungen, mit Betrachtungen hervortreten, ohne daß darunter die Objectivität im Geiste des Verfahrens litte. Der §. sagt: der Dichter „weiß oder behauptet sein Product nicht als solches,“ um dem Unterschiede des ächten, ursprünglichen Epos und der späteren Formen, die näher am Romane liegen, namentlich aber des Romans selbst seinen Spielraum zu lassen, denn wir sind noch im Allgemeinen. Der Dichter kann nämlich noch immer vom epischen Geiste der Gegenständlichkeit durchdrungen sein, obwohl er mit seiner Zeit schon weit entfernt ist vom naiven Glauben an die geschichtliche Wahrheit seines Stoffs, von jenem Verhältnisse, worin er nur „Mund der Sage“ ist und worin auch ein schöpferisches Umbilden des Gegenstands von keinem vollen Bewußtsein der eigenen freien Thätigkeit begleitet ist; da wird er aber mit einer gemessenen, milden Jronie dieses Bewußtsein verbergen und sich durchaus benehmen, als gebiete ihm der Stoff, und dieß wird insofern keine Unwahrheit sein, als der Auffassung nach allerdings die Nothwendigkeit des Weltlaufs ihm imponirt: das ästhetische Spiel besteht nur darin, daß er vermöge einer Vertauschung der Subjecte vorgibt, als gelte der Respect, den er der inneren Wahrheit zollt, der äußeren, thatsächlichen. Allerdings gedeiht aber jener Geist der Gegenständlichkeit besser, wo es dieser Uebertragung nicht bedarf, sondern der Dichter mit ungetheilter Naivetät in der Sache ist. §. 866. Hiedurch ist die ganze Weltauffassung des Dichters bedingt. Er hat allerdings in einer Handlung das Leben des Willens und seine Conflicte darzustellen, aber als vergangen ist dieselbe der Nothwendigkeit anheimgefallen und stellt sich mit allen übrigen Bedingungen des Geschehens unter den Standpunct des Seins, der Substantialität. Die Hauptperson, der Held, erscheint daher trotz der Selbständigkeit der That, die jedoch überhaupt nicht von schneidend radicalem Charakter sein darf, als getragen vom allgemeinen Strome des Weltlebens, auf den er als voller Mensch vielseitig bezogen ist, und der innere Proceß des Willens, wie gründlich er auch aufgedeckt werden mag, wird ebensosehr als ein äußeres Bestimmtsein, die That als sinnliche Bewegung der Außenwelt in der Breite ihrer Erscheinung dargestellt. Wir unterscheiden das Weltbild des epischen Dichters von seiner Persönlichkeit und Stimmung und handeln zuerst von jenem. Hier sind nun, wie Göthe nnd Schiller in ihren trefflichen Erörterungen über Epos und Drama klar erkannten (vergl. a. a. O. B. 3, S. 374), alle wesentlichen Züge vom Merkmale des Vergangenen abzuleiten, und dazu hat der vorh. §. den Grund gelegt. Der wesentliche Jnhalt des Epos ist Handlung; die Grundaufgabe der Poesie, Persönlichkeit, Handlung, mithin inneres Leben (vergl. §. 842) darzustellen, gilt natürlich auch diesem Zweige und kann durch die folgenden scheinbar widersprechenden Bedingungen nicht aufgehoben werden. Schon Aristoteles (Poetik C. 23) fordert für das Epos wie für die Tragödie dramatischen Jnhalt, d. h., daß Eine vollständige und vollendete Handlung den Mittelpunct bilde. Sie bewirkt dieß dadurch, daß sie die Vielheit des Geschehenden durch das Streben nach einem aus freier Willensbestimmung gesetzten Ziele zur Einheit bindet. Dieß eben ist der Unterschied von der bloßen Begebenheit, wie wir in §. 865 den Jnhalt noch bezeichnet haben, und hiemit, wie Aristoteles hervorhebt, von der Geschichtschreibung, deren Verhältniß zur Poesie in §. 848, Anm. besprochen ist. Allein die Handlung im Epos ist vergangen. Jm Augenblick ihres Eintritts scheint jede Handlung wie eine aus grundloser Tiefe steigende, nur von sich ausgehende, im tiefsten Sinne des Wortes radicale Macht den Complex des Wirklichen zu durchbohren; ist sie aber vollendet und vorüber, so zählt man sie selbst zu diesem Complexe. Zunächst einfach, weil nichts mehr an ihr zu ändern ist, sie ist nothwendig geworden; aber man blickt auch zurück, man überschaut sie im Zusammenhang, man urtheilt pragmatisch, man sucht und findet die vielerlei Motive, die von außen und von innen wirkten und auf weitere Motive und Ursachen zurückweisen; sie erscheint so als Wirkung, als ein Gegebenes; man blickt vorwärts und erkennt sie als Ursache einer Vielheit von Wirkungen, die mit dem Beabsichtigten, also dem Willen, nur sehr mittelbar zusammenhängen. So reiht sich trotz dem innern Unterschiede die Handlung in die Linie aller andern Ursachen und Wirkungen ein, die als Ganzes nur die Bewegung des nothwendigen, einfachen Seins ist, und es stellt sich auf einem Umwege der Begriff der Begebenheit wieder her. Wenn Schiller (a. a. O. Th. 3, S. 86) sagt, der dramatische Dichter stehe unter der Kategorie der Causalität, der epische unter der Substantialität, so ist unter dem ersteren Begriffe die rein von vorn anfangende innere Causalität zu verstehen, nicht die Reihe der Causalitäten, der äußeren und inneren miteinander, wie sie eben als die Expansion der Substanz erscheint. Das aber ist richtig, daß Handlungen, die sehr nachdrücklich zunächst den Charakter tragen, daß sie den Faden des Gegebenen revolutionär durchschneiden, kein epischer Stoff sind. Die Epochen der Geschichte, die dem Epos und die dem Drama den Stoff liefern, die großen Männer, die mit dem Ganzen gehen, und jene, die sich von den Massen losreißen, isoliren, um eine neue Ordnung der Dinge zu schaffen, hat treffend Gervinus unterschieden (Gesch. der poet. Nat.=Lit. der Deutschen, 1. Ausg. B. 5, S. 491 ff.). Dieß führt uns auf die Organe der Handlung und das Hauptorgan, den Helden im Mittelpunct. Er muß als ein Subject der lebendigsten Selbstthätigkeit hervorragen. Allein wie frei und frischweg von innen heraus er handeln mag, so folgt doch eben aus dem einreihenden, an die Summe der Bedingungen anknüpfenden Charakter der Auffassung und Stoffwahl, daß auch diese Selbstthätigkeit wieder nur als Glied des Complexes erscheint, der als Ganzes nothwendig ist; der epische Held schwimmt mit starkem Arme, aber nicht gegen, sondern mit der Woge, und die Wassermasse, die er theilt, hält doch ihn selbst. „Jm Epos trägt die Welt den Helden, im Drama trägt ein Atlas die Welt“ (J. P. Fr. Richter, Vorsch. der Aesth. §. 63). Diese Selbständigkeit ohne Jsolirung nimmt in den Arten der epischen Poesie allerdings verschiedene Formen an und wird fast zum bloßen Verarbeiten von Eindrücken, Leidenschaften, Bildungsmomenten in demjenigen Gebiete, wo es sich nicht um Thaten, sondern um Bildung handelt (Roman; W. Meister z. B. ist übrigens allzu unselbständig), aber der Grundbegriff bleibt der gleiche. ─ Mag nun die Thätigkeit des Helden die lautere oder stillere sein, die Entschlüsse keimen und gähren im tiefen Grunde der Seele und es fragt sich, ob oder wieweit die epische Poesie mit diesem innern Processe sich zu beschäftigen habe. Natürlich nicht schlechthin darf man dieß verneinen, es bleibt vielmehr auch für diese Gattung der Satz in Kraft, daß die Poesie mehr, als jede andere Kunst, den Grund des Lebens in das Jnnere verlege und die Welt des Bewußtseins schildere (§. 842), allein nach zwei Seiten macht sich die substantielle, sächliche Auffassung des Epischen geltend. Der innere Proceß selbst erscheint mehr als ein Bestimmts ein, denn als ein Wollen, das Geisteswerk selbst als ein Naturwerk, Wachsen, Reifen oder plötzliches Entstehen; es kommt über den Helden wie eine fremde Macht, den Achilles warnt eine innere Stimme, seinen Zorn gegen Agamemnon mitten im Ausbruche zurückzuhalten: es ist Athene, die ihn an der blonden Locke faßt; so werden die innern Motive selbst zu Begebnissen (Hegel a. a. O. S. 356. 357), und sind es nicht Götter, in denen das Subjective selbst objectiv erscheint, so sind es Umstände, allgemeine Lebensmächte, moralische Nothwendigkeiten, die wie Naturnothwendigkeiten auf das Jnnere wirken, Jnstincte. Zu dieser Seite gehört noch wesentlich, daß im epischen Helden nicht die Straffheit seines Zweckes die übrige Mannigfaltigkeit einer reichen Menschennatur beschränken und streng zusammenspannen darf: er muß ein voller, in reichen Beziehungen gegen die Welt geöffneter, allseitig empfänglicher, in mancherlei Verhältnissen sich bewegender Mensch sein (vergl. Hegel's schöne Darstellung Aesth. B. 1, S. 304. 305; B. 3, S. 361 ff.) Es folgt dieß aus dem Charakter der Sächlichkeit, der Substantialität, der realen Bedingtheit; wo das Weltwesen waltet, muß die Vielheit seiner Fäden vor Allem gerade in der Beziehung auf das Centrum der Persönlichkeit sich behaupten, nach demselben hin und von ihm wieder auslaufen. Die andere Seite liegt auf dem Puncte, wo das Jnnerliche sich erschließt. Es gilt trotz dem Obigen, daß das Epos mehr den außer sich wirkenden, als den nach innen geführten Menschen behandelt (Briefwechsel zwischen Göthe und Schiller a. a. O. S. 375. 376). Der innere Proceß muß selbst schon darauf angelegt sein, daß er auf ein breites, Massenbewegendes Wirken geht; geschieht dieß nicht in dem Sinne, daß die Handlung vor Allem die sinnlichen Organe des Menschen selbst gewaltig, heldenmäßig und dadurch erst große äußere Massen ( tantae molis erat, Romanam condere gentem ist ächt episch) in Bewegung setzt, so muß doch in anderer Form, in Reisen, Unternehmungen und Thätigkeiten jeder Art, die in's Weite gehen und sich beziehungsreich in die Weltverkettung einflechten, das im Jnnern Gewordene diesen in's Aeußere stetig auslaufenden Charakter offenbaren. §. 867. Weiter folgt aus der Grundbestimmung, daß der Held nicht isolirt auf- 1. tritt, sondern in instinctartiger Gesellung Viele zusammenwirken. Mit der massenhaften Fülle der Personen theilt sich die Handlung in eine Mannigfaltigkeit untergeordneter Handlungen. Neben den Menschen und ihn bewegend tritt 2. auf gleiche Höhe des Jnteresses das ganze übrige Dasein in seiner Breite: die sämmtlichen Culturformen und vor Allem die Natur in der geschlossenen Gesetzmäßigkeit ihres Lebens und Bildens. Daher wird auch das Geschichtliche mehr im Elemente des allgemein Menschlichen aufgefaßt und ist das Epos dem Sittenbilde verwandt. Die epische Poesie setzt Massen, ja ganze Völker in Bewegung, denn sind die innern Motive einmal sächlich, substantiell gefaßt, so wollen sie auch große Bahnen, worauf Viele mitgehen. Sie wirken instinctiv, man folgt dem Zuge des Zwecks als einer Macht, von der man gebunden ist, ohne zu fragen: warum? So halten die Griechen und die Nibelungen zusammen, ohne sich von einer allgemeineren Jdee als Grund ihres Handelns Rechenschaft zu geben, jene, um einen Frauenraub zu rächen, wobei sie die höhere Bedeutung des Kampfes von Occident gegen Orient kaum ahnen, diese durch das Band der Vasallentreue vereinigt. Auch der stillere Bruder des Epos, der Roman und was ihm verwandt ist, spielt immer unter Massen, die etwas zusammenbindet, was als unvordenkliches Gesammtproduct unbestimmt vieler Jndividuen stärker ist, als das einzelne Jndividuum, und über der Willkür desselben steht. Daher fühlt sich überhaupt auch in einzelnen Anschauungen alles massenhaft Bewegte episch an, z. B. das Gewoge einer Menge, worin Alles blind mit dem Strome geht: so der Zug der Ausgewanderten in Göthe's Hermann und Dorothea, mit den Wagenladungen, denen man die wahllose Hast des Aufbruchs ansieht, der Wirrwarr, der aus dem Gedräng ihrer Menge, ein andermal aus der Ungeduld entsteht, womit man sich auf eine Quelle stürzt. Ziehen, Wandern in Menge ist immer namentlich episch; der epische Mensch hat etwas vom instinctmäßigen sich Schaaren und Reisen der Zugvögel, der Gesellung der Thiere überhaupt, man ist geneigt, Jäger-Ausdrücke wie Rudel u. dergl. von ihm zu gebrauchen. Episch ist das Heer des Xerxes mit seinen fremdartigen Völkern, Waffen, Trachten, wie es sich gegen Griechenland heranwälzt, in der Schilderung des Herodot, episch ist die Völkerwanderung. Es folgt aus dieser Masse der Mitwirkenden als eine Grundeigenschaft des Epos die Polymythie, die Erweiterung der Einen Handlung in viele (Aristoteles a. a. O. C. 18), denn wo Massen sich betheiligen, treten nothwendig besondere Zwecke als Motive von Neben-Handlungen hervor. Dieß führt auf die Episoden, wovon nachher bei Erörterung der Composition. 2. Wo einmal das Sein die Grundform bildet, herrscht auch die Freude an dem, was ist, einfach an dem vielen Merkwürdigen, Großen und Schönen, was es gibt. Diese Naivetät darf selbst dem modernen, epischen Dichter nicht fehlen. Daher vor Allem die Wichtigkeit der Culturformen. Darunter ist der Mensch in seiner äußeren Erscheinung zu verstehen, wie sie die Gefühls= und Auffassungsweise, den geistigen Bildungszustand einer Zeit, eines Volks charakterisirt; die gesammten, geistigen, sittlichen Sphären, Wissenschaft, Kenntnisse, Religion, moralische Begriffe, Vorurtheile und conventionelle Maaßstäbe, Verhältnisse, Sitten: Alles dieß, sofern es in bestimmten Formen erscheint, durch die Hand der Technik auf einer bestimmten Stufe sich in stehender Weise ausprägt, heißt Culturform. Von außen treten die klimatischen, tellurischen Bedingungen hinzu, aber nur, sofern sie mit der geistigen Bestimmtheit zusammenwirken, begründen sie Culturformen. Die Kunststyle selbst heißen Culturformen, sofern sich die geistigen Grundzüge einer Zeit überhaupt in ihnen ausdrücken; z. B. kirchliche Baukunst und Malerei wird dann nicht rein ästhetisch, sondern so zu sagen symptomatisch als Theil des Gottesdienstes, somit des innern Culturzustands überhaupt, betrachtet. Waffen, Kleidung, Geräthe drücken die Art der Kriegsführung, die Begriffe vom Angenehmen, Anständigen, Nützlichen aus; die Fertigkeiten, durch die sie hervorgebracht und womit sie gebraucht werden, weisen dadurch mittelbar auch auf den tieferen Charakter einer Nation, Epoche, auf die Höhe ihres Wissens und Fühlens, und so heißen sie Culturformen. Es handelt sich also wesentlich immer darum, wie das Jnnere in seiner Erscheinung sich ausnimmt, das Aeußere hat allerdings wesentlich die Bedeutung des Symptoms, aber dieß hebt das spezifische Jnteresse für die sinnliche Erscheinungsweise als solche nicht auf. Diese ganze Formenwelt rückt denn also im epischen Gebiete mit der Handlung und dem innern Leben des Menschen in die Beleuchtung Eines ungetrennten poetischen Nachdrucks; man will überall sehen, wie der Mensch sich gebahrt, im Umgange sich bewegt, Gott verehrt, baut, bildet, malt, fährt und reitet, kämpft, welche Geräthe er gebraucht, wie er gekleidet ist, ißt und trinkt. Dieß Alles erfreut gleichzeitig und gleich innig das innere Anschauungsbedürfniß wie den sittlich geistigen Drang, von dem eigentlichen Denken, Fühlen und Wollen einer Zeit ein klares Bild zu bekommen. Da nun der tiefere Grund solcher Auffassungsweise überhaupt darin liegt, daß sie auf der Kategorie des Seins ruht, so erhellt ferner von selbst, daß vorzüglich das Gebiet, welchem diese Kategorie ursprünglich und eigentlich angehört und von welchem sie auf das menschliche Leben übergetragen ist, die Natur, mit kindlicher Freude angeschaut und beleuchtet wird: Luft, Licht, Land und Wasser, Sturm und Stille, die Pflanze und namentlich das Thier, das zum Menschen, wo er im Sinne des höheren Jnstinctlebens aufgefaßt wird, wie ein einfaches, unentwickeltes, aber auch unverwickeltes Prototyp sich verhält und als sein Genosse und Diener ihn fortsetzt nach der Naturseite. Die Gediegenheit des Daseins, wie sie sich in compacten, klar umrissenen, fest gemessenen Gestaltungen und ebenso mächtigen, Alles tragenden, nährenden, umhüllenden, elementarischen Potenzen offenbart, erfreut den offenen Sinn für Realität, Kraft und Form. Es leuchtet ein, daß das Epos eine tiefe Verwandtschaft mit dem Sittenbilde hat, denn dieses „faßt den Menschen unter dem Standpuncte des Seins, der Zuständlichkeit auf“ (vergl. §. 696 Anm., wozu in §. 697 bereits der Begriff des Epischen vorausgenommen und auf dieses Gebiet angewandt werden mußte). Und dieß führt zurück auf den Standpunct des allgemein Menschlichen (§. 702). Die Parallele gilt nicht nur einer besondern Form, die dem Sittenbilde spezieller verwandt ist und die wir unterscheiden werden, sondern auch dem großartigen heroischen Epos. Es ruht auf Geschichte, aber die Sage, die dem Dichter vorarbeitet, und die Auffassung, die er hinzubringt, arbeitet aus jener Spannung der Kräfte auf den Moment, der sich geschichtlich verewigt, die rein menschlichen Züge und die Zustände heraus, die sich unter den Jahrzahlen der Geschichte im ruhigen Kreislaufe des Lebens gleich bleiben, und die Thaten behalten ihre Größe, werden aber dennoch in die Beleuchtung des Zuständlichen gerückt. Man könnte näher auf das geschichtliche Sittenbild hinweisen, namentlich bei dem historischen Romane. §. 868. Durch diese Fülle des Jnhalts gibt die epische Poesie ein ganzes Weltbild: ein Nationalleben, ein Zeitalter in der Gesammtheit seiner Zustände, und darin ausdrücklicher, als es andere Kunstformen vermögen, einen Spiegel des Menschenlebens überhaupt, also eine Totalität. Dieses Gemälde der breiten Verkettung des Weltverlaufs ist durchdrungen von Schicksalsgefühl, aber das Schicksal waltet im Sinne des Verhängnisses, d. h. als das Ergebniß dunkler Zusammenwirkung unendlicher äußerer Ursachen mit dem menschlichen Willen; der Zufall spielt darin eine Rolle, die sich rechtfertigt, das Tragische in seiner ersten Form, als Gesetz des Universums, entspricht wesentlich dem ganzen Standpuncte, der Ausgang aber ist zwar nicht nothwendig, doch vorherrschend ein glücklicher. Totalität im intensiven Sinne ist Grundbestimmung alles Schönen als eines Mikrokosmus; in keinem Zweige der Kunst gilt sie so sehr auch im extensiven Sinne, wie im Epos. Es gibt durch seine Breite ein relativ Ganzes von ungleich größerem Umfang, als irgend ein anderes Werk der Kunst: ganze Nationen werden nach allen Seiten ihres Lebens, Bildungszustands, Strebens, dazu im Conflicte mit andern geschildert. Der Roman, wiewohl er die großen Lebensäußerungen weitgreifender That nicht oder nur als Hintergrund in sich aufnimmt, gibt doch in seiner wahren Gestalt ebenfalls ein umfassendes Bild der Gesellschaft, Nation, Zeit. Die kleineren Formen, Jdylle und Novelle, können keinen Einwand gegen diese Natur der epischen Poesie begründen, denn auch sie dehnen doch ihre Darstellung so vielseitig auf die Lebenszustände aus, daß von dem zwar engeren Saum überall die sichtbaren Fäden hängen, an die wir leicht die Vorstellung der Zustände des größeren Kreises knüpfen. Nun ist natürlich zwischen dem sehr Vielen, dem relativ Ganzen, welches sich in der epischen Dichtung vor uns ausbreitet, und dem wirklichen Ganzen der Menschheit, Geschichte und Natur die Kluft an sich nicht weniger unendlich, als wenn jenes relativ Ganze ein kleineres wäre, allein eine Dichtung, die ausdrücklich sehr viel umfaßt, weist uns doch mit breiterer Hand hinaus auf die unendliche Perspective des unausmeßbaren Ganzen. Es handelt sich freilich in allem Jdealen nicht um das Extensive, sondern das Jntensive, nicht um Quantität, sondern Qualität, und jeder Künstler und Dichter hat „seinen Leser in einen Mittelpunct zu stellen, von welchem nach allen Seiten hin Strahlen in's Unendliche laufen“ (W. v. Humboldt a. a. O. S. 30), allein die innere Unendlichkeit entwickelt ihre Lebensfülle in der äußern, die Jntension in der Extension, die Qualität in der Quantität und je mehr mich der Dichter wirklich zu sehen anleitet, um so mehr und voller leitet er mich an, den ganzen Reichthum auch des nicht Gesehenen als Ausdehnung der Substanz zu ahnen. Daher ist das ächt Epische von einem Gefühle begleitet, als höre man einen breiten, unaussprechlich mächtigen Strom brausen, als rausche die ganze Geschichte in gewaltigen Wogen an uns vorüber. Darin liegt zugleich das volle Gefühl des Erhabenen der Zeit (vergl. §. 93. 94); man sieht die Geschlechter kommen und gehen, wachsen und welken. Ein tief und ächt episches Gefühl knüpft sich an den uralten Birnbaum in Göthe's Hermann und Dorothea, der, wie heute, die Schnitter, die Hirten und Heerden schon so viele Generationen hindurch in seinem Schatten hat ruhen gesehen und noch sehen wird. Der Dichter hat aber zu zeigen, wie im Mittelpuncte dieses weit ausgebreiteten Daseins die sittliche Welt steht, in der ein ewiges Gesetz der Gerechtigkeit sich vollzieht, und so ist jenes Gefühl eines unendlichen Flusses in seinem tieferen Gehalte Schicksalsgefühl. Es scheint weit mehr vom Drama, als vom Epos zu gelten, daß es durch und durch von Schicksalsgefühl getränkt sei. Allein dann wird dieser Begriff in dem strafferen Sinn eines engen Zusammenhangs zwischen der freien That und ihren Folgen genommen; im Epos dagegen herrscht das Schicksal als der Factor des unendlichen Complexes des Weltverlaufs, worin die Acte des Menschenwillens nur einzelne Wellen sind, worin der sittliche Zustand, der sich als Summe der Zusammenwirkung unbestimmt vieler Jndividuen ergibt, sich ununterschieden mit allem dem verflicht, was natürliche Ursachen, äußere Bedingungen jeder Art hinzubringen, und worin der Begriff des Zusammenhangs zwischen Schuld und Leiden sich mehr in das Weite und Lose verlaufen muß. Es ist allerdings angemessener, dieß Verhängniß zu nennen: „im Epos wohnt das Verhängniß, ─ da der Charakter hier nur dem Ganzen dient und da kein Lebens= sondern ein Weltverlauf erscheint, so verliert sich sein Schicksal in das Allgemeine“ (J. P. Fr. Richter a. a. O. S. 63). Dieß führt auf den breiten Spielraum des Zufälligen im Epos. Der Begriff eines Complexes, einer Causalitäts-Verkettung, den wir vom Epos aufgestellt haben, widerspricht demselben nicht; das Zufällige ist immer motivirt, nur der gegenwärtige Zusammenhang zeigt nicht seine Motivirung. Dem Epos genügt dieß; der zuständliche Mensch, der Sohn der Natur, darf sich über die Jrrationalität in der Durchkreuzung der Naturgesetze nicht beklagen; es ist nur in der Ordnung, wenn ihn ohne ethischen Zusammenhang das Gesetz der Schwere, des Falles, des Erkrankens in Folge gewisser Ursachen trifft, und über den glücklichen Zufall, der ihm Stärke, Reichthum u. s. w. ertheilt, darf er sich freuen, ohne ihn ängstlich vom Verdienste zu unterscheiden (Schiller's Gedicht: das Glück ist episch gefühlt); das Gut wird nicht minder geschätzt, als das Gute, und es genügt, daß der Eingriff des Zufalls in den sittlichen Zusammenhang, der ihm in seinem Anfangspuncte fehlt, im Fortgang, an seinem Endpunct aufgenommen werde. Odysseus ist ein wahrer Spielball des Zufalls, der als Götterlaune doch nicht ethisch motivirt ist, und er bethätigt sich als Heldenseele, indem er sich hindurchringt. Es ist im Ganzen dieser Verhältnisse begründet, daß jene Form des Tragischen, die der §. aus dem ersten Theil (§. 130. 131) anführt und die wir auch das Naturtragische nennen können, vorzüglich dieser Weltanschauung entspricht. Früher Tod eines jugendlich strahlenden Helden ist Hauptinhalt der großen ächten Heldengedichte des Alterthums; aber auch abgesehen von bestimmten Theilen der Fabel liegt ein Flor der Wehmuth über jeder wahren epischen Dichtung, der nur vollständiger zu erklären ist, als Hegel gethan hat, indem er blos die Einzelschicksale berücksichtigt (a. a. O. S. 366. 367). Es bringt schon der Klang der Vergangenheit, jenes Zeitgefühl im Epischen den Ton der Trauer mit sich: wir sehen die Geschlechter kommen und gehen und werden einst auch hinabsinken. Jm ächten, ursprünglichen Heldengedicht hat aber dieser elegische Hauch den besonderen, tieferen Grund: der Untergang der Helden, namentlich des jugendlichen Heros, ist ein Bild des unabänderlichen Entschwindens des Jugendalters, des Jünglings-Lebens der Völker, das noch keine Prosa kennt; natürlich kein absichtliches Bild, sondern unbewußter Ausdruck eines tiefen Gefühls. Es folgt aber aus diesem Stimmungs-Elemente keineswegs die Nothwendigkeit tragischen Endes für das Ganze des Epos. Hier wird sich vielmehr das Gefühl geltend machen, daß eine Kraft in den Nationen ist, welche den Untergang ihrer Jugend-Epoche überlebt: dieß ist der eine Grund für das Vorherrschen glücklichen Schlusses in dieser Dichtungsart, der andere liegt im Weltbild überhaupt, sofern es keine revolutionär durchbrechende Thaten zum Mittelpunct hat, in der Harmonie des Willens mit den Naturmächten, der „Eingestimmtheit der Helden mit dem Schicksal“ (Gervinus a. a. O. S. 490). Glücklicher Schluß entspricht insbesondere jener vorläufig schon berührten Form des Epos, die dem Sittenbild in engerem Sinne verwandt ist, denn wo es sich weniger um große Thaten, als um persönliche Schicksale, häusliches, geselliges Leben handelt, da tritt der Begriff der Schuld und der großen Kluft des Lebens zurück und mögen wir das freundliche Glück walten sehen. Dabei wird aber jene Stimme der Wehmuth immer ein wesentliches Moment des Epos bleiben, der glückliche Schluß überall die dunkle Folie eines tragischen Hintergrundes haben, wie der Sieg des Achilles den Tod Hektors, den Fall Troja's, den bevorstehenden eigenen frühen Untergang, der Sieg des Odysseus eine lange Leidenszeit des Helden selbst und die furchtbaren Schicksale der anderen Kämpfer vor Troja und ihrer Häuser. Es ist jedoch auch tragischer Schluß durch den Charakter des epischen Weltbildes nicht ausgeschlossen: das Tragische des Conflicts gehört nicht dem Drama allein an, es kann auch in Zuständen seine Rolle spielen, die übrigens naive Culturform haben und in denen keine bewußten Kämpfe um Prinzipien geführt werden. Wir kommen darauf bei dem Nibelungenliede zurück. §. 869. Der Dichter schwebt über diesem großen Stoffe mit dem Gleichmuthe 1. der parteilosen Betrachtung, den der Standpunct der Allgemeinheit mit sich bringt, und mit der milden Jronie, welche die Begeisterung nicht ausschließt. Jndem diese Grundstimmung mit der Aufgabe, das Geschäft der bildenden Kunst in der Form der Poesie zu übernehmen, sich vereinigt, bestimmt sich das Stylgesetz des epischen Dichters dahin, daß er mit der Ruhe der Gegenständlichkeit die Dinge als gediegene Gestaltungen des Seins mehr in ihrer Erscheinung, als in ihrem innern Geheimniß und ihrer Wirkung auf das Jnnere schildern, daß er nicht stoßweise, sondern stetig, Eines aus dem Andern entwickelnd fortschreiten soll. Er hat durch die Ausführlichkeit seines Verweilens zu zeigen, daß hier der Zweck in jedem Puncte der Bewegung selbst liegt. Der gemessenen, 2. breiten, ruhig großartigen Fortbewegung hat die äußere Sprachform den gemäßen rhythmischen Ausdruck zu geben. 1. Wir sind zu dem Dichter übergegangen und begründen jene Grundstimmung der contemplativen Ruhe mit Schiller (a. a. O. S. 388) einfach darauf, daß sich derselbe um die Begebenheit als eine vollendete bewegt, daß sie ihm nicht entlaufen kann, daß er schon im Anfang und in der Mitte das Ende weiß. Daher keine Aufregung, daher die ruhige Freiheit des Gemüths, das wie die Sonne über Gerechte und Ungerechte scheint und sein Licht mit parteiloser Gleichheit vertheilt. Ob naiv oder bewußt, Volks- oder Kunstdichter, er wird eben, weil er Alles mit gleicher Liebe umfaßt, selbst dem Bösen und Schlechten nicht zürnt, da es doch ein Ferment der geschichtlichen Bewegung ist, am Guten, Tüchtigen, Gesunden, Großen seine Herzensfreude hat, ohne doch seine Schwächen zu übersehen, im milden Sinne des Worts immer ironisch sein, man wird ein Gefühl haben, als ob ein feines Lächeln, weit entfernt von jeder hohlen Eitelkeit subjectiver Ueberbildung, seine Lippen umspiele. Dieß widerspricht im Geringsten nicht dem hohen Schwunge, mit welchem ihn die Majestät seines Weltbildes erfüllt. Hiezu haben wir nun §. 865 wieder aufzunehmen und danach die Aufgabe des epischen Dichters als spezifische Art des Verfahrens näher zu bestimmen. Es ist ihm aus der Totalität der Künste, wie sie in der Poesie geistig enthalten ist, durchaus vorherrschend das Moment zugefallen, wodurch in dieser die bildende Kunst sich wiederholt: er hat darzustellen, zu schildern, zu bauen, zu meiseln, zu zeichnen, zu malen, nur daß er das unterscheidende Grundgesetz seiner Kunst nicht verkennen darf, das in §. 847 aufgestellt ist. Klar, in scharfen Umrissen, nicht mehr verwachsen und verklebt mit seinem Jnnern, soll er die Gestalt der Dinge vor uns hinstellen. Er muß vorzüglich auf das Auge organisirt sein; wem es gleichgültig ist, wie die Dinge aussehen, wer sich nicht um Körperformen, Kleider, Geräthe, Arten der sinnlichen Bewegung in allem Thun bekümmert, der ist zum epischen Dichter verloren. Auf die Vereinigung dieses Verfahrens der auf das Auge organisirten Phantasie mit jener Ruhe der Objectivität, gründet sich nun das Stylgesetz dieser Form der Dichtkunst. Göthe's Natur ist wahrhaft typisch für dieselbe. Er ließ immer „die Dinge rein auf sich wirken“ und gab sie rein wieder, es lag so viel vom bildenden Künstler in ihm, als eben recht ist, um für das innere Auge zu leisten, was jener dem äußeren hinstellt; sein Gemüth scheute sich vor schroffen Thaten der Freiheit in der Geschichte und strebte mild und versöhnt zum allgemein Menschlichen, die „strenge, gerade Linie, nach welcher der tragische Poet fortschreitet, sagte seiner freien Gemüthlichkeit nicht zu“, er „erschrack vor dem bloßen Unternehmen, eine Tragödie zu schreiben“; der feste Zeichner und der hoch in der Vogelperspective der reinen Allgemeinheit der Jdee schwebende Betrachter verbinden sich in seinen Werken so, daß sie „ruhig und tief, klar und doch unbegreiflich sind wie die Natur“, daß die „schöne Klarheit, Gleichheit des Gemüths, woraus Alles geflossen ist“, bewundert werden muß (vergl. a. a. O. B. 3, S. 361. 356. B. 2, S. 79). Es versteht sich, daß durch die Aufgabe des Zeichnens und die Grundbedingung eines ruhig gestimmten Gemüths das Stimmungsvolle, wodurch in der Poesie auch die Musik sich wiederholt (§. 839, 2.), nicht ausgeschlossen sein kann, aber das geistig bewegte Wesen seiner Kunst verführt den Dichter leicht, zu viel zu stimmen, zu wenig zu bilden (vergl. W. v. Humboldt a. a. O. S. 49); Göthe ist auch hierin Muster: der bewegteste Stimmungshauch zittert um seine Gestalten, ohne je ihre Umrisse zu lockern. Es gibt wohl innerhalb des epischen Gebiets einen Unterschied des Plastischen und Musikalischen, Bildenden und Stimmenden, aber die Grenze, worüber die letztere Behandlungsweise nicht gehen darf, ist deutlich genug; ein Klopstock z. B., dem es ganz an Auge und Sinn für Handlung gebricht, ist ganz und gar unepisch und nur im lyrischen Gebiete wahrer Dichter. ─ Das Stylgesetz muß sich nun auch in der Art der Fortbewegung äußern. Die heutige Neigung, im Roman auf Ueberraschungen und starke Stöße zu arbeiten, in rapidem Scenenwechsel Neues auf Neues zu pfropfen, die Hauptfabel in unaufhörlichem Abbrechen bis zur äußersten Spannung der Ungeduld hinzuhalten, zeigt durch das Gegentheil des Richtigen recht das Richtige. Die starken stoßweisen Wirkungen sind, wie sich zeigen wird, dramatisch und ein solches Haschen nach denselben (das jedoch überhaupt unkünstlerisch ist und auch im Drama jedes Maaß überschritte) zeugt zugleich von unserer Uebersättigung, die nicht ruht, bis sie jede Gattung aus den Fugen bringt und in die andere hinübersteigert. Schon die Fülle des anhängenden Sinnlichen bringt einen Tenor der epischen Darstellung mit sich: daß man zwischen dem Größten und Furchtbarsten ißt, trinkt, schläft, sich kleidet, schon das vermittelt die Gegensätze, füllt die schroffen Sprünge aus. Doch ist gewaltsam Einbrechendes, ergreifend Plötzliches dadurch natürlich nicht untersagt. Der höhere Grund der mildernden Ueberleitung liegt in der Ruhe des Dichters und in jener Anschauung, für welche Alles ebensowohl begründet und begründend, als eine reine und selbständige Erscheinung des allseitig begründeten Weltganzen ist. Daher wird er auch das Erschütternde reichlich vorbereiten und in die Breite verhallen lassen, ohne darum die Gewalt seines Ausbruchs zu schwächen, denn wir erschrecken z. B. über sehr furchtbarem Geräusch auch wenn wir es erwartet haben. Daher werden seine Gemälde „gegliederten Ketten gleichen, in welchen Bewegung aus Bewegung, Figur aus Figur entspringt, das Ganze wird in seinen einzelnen Gruppen durch nirgends unterbrochene Umrisse eine einzige Figur bilden, ─ die Empfindungen folgen durch leise Uebergänge aufeinander, abstechende Töne werden durch Zwischentöne gemildert, erschütternde allmälig vorbereitet und ruhig verhallen gelassen, ─ die Handlung geht ununterbrochen fort, jeder Umstand fließt als nothwendige Folge aus dem Vorigen her und herrscht so das Gesetz durchgängiger Stetigkeit“ (W. v. Humboldt a. a. O. S. 57. 58. 161. 164. 218. 219). Was das Spannen betrifft, so darf man diese Wirkung allerdings vom Epos nicht ganz ausweisen; Hektor's Schicksal z. B. zu erfahren mußte jeder Hörer begierig sein und diese Begierde wurde nicht aufgehoben dadurch, daß er es wie das Ende des ganzen Kriegs durch die Sage zum Voraus wußte, denn der Dichter gab dem Ganzen und jedem Theile den frischen Glanz der Neuheit, wohl aber war dadurch die pathologische Gewalt der Neugierde gebrochen und so die ideale Jnteresselosigkeit im Jnteresse gesichert. Wir werden diesen Punct bei dem Roman wieder aufnehmen und sagen hier nur so viel, daß, wer ein Werk dieser Gattung künstlerisch genießen will, immerhin das Ende vorweg lesen mag, um den scharfen Pechfaden der Neugierde, mit dem der Romandichter uns anschnürt, durchzuschneiden. Die Weiber freilich thun dasselbe aus anderem Grund und mit anderem Erfolg; haben sie die Endpuncte vorweggenommen, so verlieren sie den Genuß der Linie zwischen beiden. ─ Der wahre epische Dichter „schildert uns das ruhige Dasein der Dinge nach ihren Naturen; sein Zweck liegt schon in jedem Puncte seiner Bewegung, darum eilen wir nicht ungeduldig zum Ziele, sondern verweilen mit Liebe bei jedem Schritte“ (Schiller a. a. O. Th. 3, S. 73). 2. Was der §. ganz allgemein über das Versmaaß sagt, ist hier noch nicht näher auseinanderzusetzen, um für die tiefen Unterschiede bis zum metrisch nicht gebundenen Wohlklange der Prosa im Roman Raum zu lassen. Es genügt der allgemeine Satz, daß die episch rhythmische Form vor Allem die Hoheit der Empfindung auszudrücken hat, welche das mächtige Weltbild des Jnhalts mit sich bringt, daß derselbe sich als Ruhe im Fortschritt, als feierlich gemessener Gang äußern muß, dem aber ein belebender Wechsel von Beschleunigungsverhältnissen nicht fehlen darf. Der Gang des Hexameters bleibt freilich für diesen Zweck so normal, daß er schon hier wie ein Dogma genannt werden darf. §. 870. 1, Für die epische Composition entspringt hieraus das Gesetz der stetig fortschreitenden, die Contraste dämpfenden Motivirung, aber zugleich das Gesetz der starken Herrschaft rückschreitender und hemmender Motive, der relativen Selbständigkeit der Theile, und eines bedeutenden Spielraums für die Episode 2. (vergl. §. 496). Die Masse, die sich auf dem weiten Sehfelde wie auf einer unendlichen Fläche ausbreitet, ist durch bestimmte Auseinanderhaltung eines Hintergrundes und eines die Hauptgruppe enthaltenden Vordergrundes näher zu gliedern und in der Vielheit einzelner Handlungen durch die Alles bindende Haupthandlung mit Anfang, Mitte und Schluß die Einheit zu sichern. 1. Was über die Art der Fortbewegung gesagt ist, greift bereits in das Compositionsgesetz ein. Wir haben die Motivirung als ein wesentliches Band des Zusammenhalts der Einheit und Vielheit in der geistigen Organisation des Kunstwerks erkannt (§. 499). Es erhellt nun aus Allem, was als epische Stylbedingung sich ergeben hat, daß dieses Moment in ganz besonderem Sinne zu den Aufgaben der epischen Composition gehört, und dasselbe umfaßt das ganze Gebiet der vermittelnden, lückenlos fortführenden Wirkungen, das Reichliche, Gefüllte, die völlige Auswicklung, die Milderung der Contraste. Diese mögen in vollem Kampf aufeinanderstoßen, aber dieselbe liebende Hand hat die Griechen und Trojaner, Achilles und Hektor, Odysseus und die Freier, selbst Polyphem mit dem Flusse der plastischen Linie bedacht und zu harmonischen Gruppen ohne wilden Riß vereinigt. Das Gesetz der Motivirung steht natürlich nicht außer Zusammenhang mit dem Jnhalt, es fordert Ableitung des Einzelnen aus genügenden Ursachen und Triebfedern, allein das Verhältniß der rein künstlerischen Bindung zur Bindung des Jnhalts ist ein freieres, als wir es im Drama finden werden; der Faden mag schwach sein, wenn ihn nur der Dichter schön knüpft, die Causalität im Einzelnen eine lose, wenn nur der Eindruck einer allgemeinen Welt= Causalität durch die Behandlung des Ganzen gesichert ist. Wir haben dem Zufalle großen Spielraum gelassen (§. 868); der Dichter wird ihn so einführen, daß er, obwohl an sich zunächst unmotivirt, sich doch ruhig und elastisch in den Zusammenhang einfügt. Hier ist also kein Widerspruch; eher scheint ein solcher zu entstehen durch die andern Momente des Compositionsgesetzes, die der §. zunächst folgen läßt, denn sie führen in gewissem Sinne zu einer Zerschneidung des Bandes zwischen den Theilen. Der epische Dichter hat mit einem successiven Mittel das Zeitliche nach mehreren Dimensionen darzustellen, er muß daher den Faden oft abbrechen, um nachzuholen, was gleichzeitig mit dem eben Erzählten oder vor der Zeit, in welcher wir uns befinden, geschehen ist („rückwärtsschreitende Motive“ Göthe im Briefw. mit Sch. Th. 3, S. 376); er bewegt sich in einem ungemein breiten Raume und muß uns daher oft in einem Sprunge von dem einen Ort in den andern versetzen, von den Freiern zu dem reisenden Telemach, von diesem zu Odysseus bei den Phäaken u. s. w. Der innere Gang der Handlung ferner ist nach allem schon Ausgeführten ein zögernder, der in eine Masse von Mithandelnden, von Bedingungen der Natur und Cultur hineingestellte Mensch begegnet vielen Hemmnissen („die retardirenden Motive“, von Göthe a. a. O. ungenau der dramatischen und epischen Dichtung in gleichem Maaße zugeschrieben). Die Odyssee und Gudrun sind ihrer ganzen Composition nach vorzüglich auf Hemmungen gebaut (vgl. Zimmermann über d. Begr. d. Epos S. 120). Es liegt aber tiefer und allgemeiner im ganzen Standpuncte, daß der Dichter oft stehen bleibt, oft Seitenwege einschlägt, denn wir haben gesehen, daß im Grunde alles tüchtige Dasein ihm gleich interessant ist; der dramatische Dichter geht straff gerade aus und wirft rasch nieder, was ihm im Weg ist, der epische gleicht dem Lustwandler, der sich überall aufhält; „Selbständigkeit der Theile macht einen Hauptcharakter des epischen Gedichtes aus (Schiller a. a. O. S. 73). Es entspringen daraus Bestandtheile, welche von der Handlung nicht streng gefordert sind, und so ergibt sich die große Rolle, welche im Epos die Episode spielt. Wir müssen zu ihr auch die Ausführlichkeit der Vergleichungen zählen. Wir haben in §. 854 Anm. die epische Vergleichung charakterisirt. Jn ihrer ruhigen Objectivität liebt sie es, sich in einem Grade zu entwickeln, der weit über den Vergleichungszweck hinausgeht. Allein dieß Alles hebt in der ächten epischen Poesie die Stetigkeit des Fortschritts, den ruhigen Uebergang der Linien, das Herauswachsen der Theile auseinander nicht auf, denn diese Bedingungen fordern nicht eine straffe Anknüpfung der Theile aneinander, ja gerade die Liberalität, womit die Einheit herrscht, ist ihnen günstig und begründet das Runde, Fließende der Verbindungen. Der ächte epische Dichter setzt den Leser durchaus in die Stimmung, daß er, auch wenn innegehalten oder der Weg verlassen wird, sich ruhig bewußt bleibt, es werde weiter gehen und auf die Bahn wieder eingelenkt werden. Bricht er den Faden ab, so zeigt er doch zugleich, daß er das Ende noch in der Hand hält, ihn wieder anzuknüpfen. So wenn er den Zeitpunct verläßt und uns zu Früherem wegführt. Jm Anfang der Odyssee fliegen wir mit dem Blicke der Götter leicht von Odysseus und der Jnsel der Kalypso zu Telemach nach Jthaka, von Argos wieder zu den Freiern; wir ahnen, daß der Vater und Sohn im Kampfe gegen diese zu Einer lebendigen Gruppe sich vereinigen werden. Bei den Phäaken erzählt Odysseus seine Jrrfahrten seit der Zerstörung von Troja, da müssen wir in der Zeit bedeutend zurück, aber Alles ist ebensosehr gegenwärtig, denn mit dem Jnhalte des erzählten Vergangenen steht der Held, der es erlebt hat, als der Erzähler vor uns, und wir sehen voraus, daß seine Leiden die Prüfungen sind, durch die er zum künftigen Siege geht. Die eigentlichen Hemmungen der Handlung können keine Störungen sein, denn sie zeigen doch nur das gemessene Vorschreiten der thätigen Kraft; mag sie sich auch, wie der grollende Achilles, eine lange Zeit in sich zurückziehen, sie wird nur um so furchtbarer wieder hervorbrechen. Für die Episode haben wir dreierlei verlangt: eine äußere Anknüpfung im Sinne der Causalität, ─ diese darf lose sein, wie z. B. das Bedürfniß einer ausgezeichneten Wehr, wodurch wir das ausführliche Gemälde des Schildes des Achilles erhalten, ─ die Wirkung eines Ruhepunctes und die wirkliche Erweiterung des Lebensbildes: beides trifft auf die schönste Weise eben in diesem Beispiele zu. Die Bekenntnisse einer schönen Seele in W. Meister's Lehrjahren fallen namentlich unter den Begriff des Ruhepunctes: im Getümmel und der Zerstreuung der Welt ein Bild der Sammlung, der tiefen, stillen Einkehr in sich. Die stärkere Beziehung ist aber natürlich die zweite: Erweiterung des Lebensbildes zu einer Totalität ist so sehr der bestimmende Standpunct des epischen Dichters, daß dagegen der Anspruch auf streng organische Nothwendigkeit für die Handlung gerne zurücktritt. Jm ächten alten Epos hat dieß Motiv der Episode die bestimmtere Bedeutung, daß das Gedicht die ganze Heldensage von einem bestimmten Punct aus zu umfassen strebt, daher da und dort einen Anlaß benützt, um diesen und jenen Zweig derselben einzufügen (vgl. Wackernagel d. ep. Poesie. Schweiz. Mus. f. histor. W. B. 2, S. 82). Auch für die reich entwickelten Gleichnisse Homer's gilt jener Begriff, der Blick wird über alles Umgebende, vorzüglich über die Natur ausgedehnt, und dieß hat die tiefere Bedeutung, daß ja die Menschenwelt selbst und die Handlung unter den Standpunct des Seins, also der Natur gerückt ist, daher durch die Hinausführung in diese nur ursprünglich Verwandtes inniger aufeinander bezogen wird. Jm Ganzen und Großen ist über die Selbständigkeit der Theile nur zu wiederholen, was schon zum vorh. §. gesagt ist: dem Dichter gilt Alles ebensosehr als ein Glied in der allgemeinen Causalität, wie als freie Erscheinung des Ganzen, worin die Causalität erschöpft ist; das Einzelne ist eine Welt für sich, ein Himmelskörper, frei schwebend, doch aber mit dem Andern durch den tiefen Zug der Einheit verbunden; „wie ist es Jhnen gelungen, den großen, so weit auseinandergeworfenen Kreis und Schauplatz von Personen und Begebenheiten wieder so eng zusammenzurücken! Es steht da wie ein Planetensystem“ (Schiller an Göthe a. a. O. Th. 2, S. 80). 2. Es bedarf aber nun allerdings eines bestimmteren Bandes zwischen der Einheit (der Handlung) und der Vielheit, wie z. B. Leonardo da Vinci sich nicht begnügte, die dreizehn Personen seines Abendmahls durch die Einheit in der Mannigfaltigkeit des Eindrucks der Worte Christi zusammenzuhalten, sondern außerdem die Jünger zu drei und drei in ungesuchten Stellungen gruppirte. Dieß ist bei einer so umfangreichen Composition wie die epische doppelt nothwendig; man hat dieselbe mit der Ausdehnung auf einer unabsehlichen Fläche im Gegensatze gegen den Punct oder die Linie verglichen, worauf das Drama sich concentrirt (W. v. Humboldt a. a. O. S. 170); wir müssen uns erinnern, wie der Dichter die Grenzen der bildenden Kunst hinter sich läßt, alles Sichtbare und Unsichtbare und jenes nach allen Erscheinungsseiten darstellt; keiner macht daraus so sehr Ernst, als der epische, und so erhält er ein unendliches Sehfeld. Dennoch muß er in Theilung und Beschränkung dieser von Gestalten wimmelnden Fläche dem Maler gleichen, der durch einen wirklichen Ausschnitt des Raumes den unendlichen Raum mit unendlichen Gestalten nur durch die in's Unbestimmte verschwimmende Behandlung des Hintergrunds ahnen läßt, von diesem aber einen (Mittel= und) Vordergrund mit der Kraft der Nähe und Deutlichkeit unterscheidet. Das treffendste Beispiel ist die flüchtige Gemeinde in Hermann und Dorothea, die mit ihrem Gewimmel und Gedränge auf die französische Revolution, auf Völker- und Menschenschicksal mit ihren großen politischen Fragen wie auf eine dunkle, ahnungsvolle Ferne hinausweist, während Hermann mit seinen Eltern und Freunden den Vordergrund bildet (W. v. Humboldt a. a. O. S. 208). So dehnt sich in der Odyssee neben dem Schicksale Troja's und Griechenlands die weite Welt mit ihren Wundern, so weit der Horizont der Griechen reichte, das Gesammte des häuslichen Lebens und der Sitte als Hintergrund aus. Da aber die Poesie zeitlich fortschreitet, so werden sich Hinter- und Vordergrund im Verlaufe zusammenbewegen: Dorothea tritt aus jenem auf diesen herüber, wird mit Hermann vereinigt und deutsche Gesinnung stellt sich als fester Damm gegen das Chaos, aus dem sie kommt. Die Erscheinungen, welche, in einem mittleren Maaße von bloßer Andeutung und voller Ausführung gehalten, die Hauptgruppe umgeben, wie die Bewohner des Städtchens in unserer Jdylle, kann man den Mittelgrund nennen. Der Dichter wird hier wieder Einige herausgreifen, um sie mit der Hauptgruppe auf den Vordergrund einzuführen; so stellt Göthe den Pfarrer und Apotheker in helleres Mittellicht, so nimmt die Jlias aus dem dunkeln Gewimmel der Streiter Einzelne heraus und bringt sie im Kampfe mit den Haupthelden auf das Proscenium. Durch solche Mittel läuft denn schließlich unbeschadet der deutlichen Scheidung Nahes und Fernes mit stärkeren und dünneren, längeren und kürzeren Fäden in die Eine Hauptgruppe, wie die Welt der Jlias in die Entzweiung des Achilles mit Agamemnon, sein Grollen, sein Hervorbrechen nach dem Tode des Patroklus und die Besiegung Hektor's zusammen; die Phantasie genießt sich in der freien Bewegung, von da wieder hinaus in den Hintergrund, das Schicksal Troja's und die Ahnung der großen griechischen Zukunft, und wieder zurück zu dem bindenden Mittelpuncte des Vordergrunds zu laufen. Dieser ist denn also enthalten in der eigentlichen, unmittelbar vor Augen liegenden Handlung. Sie muß als organisches Band der Einheit durchgreifen: diese alte Lehre des Aristoteles, der hierin im Wesentlichen Epos und Tragödie, ohne den Unterschied der liberaleren Form, worin das Gesetz im Epos herrscht, zu verkennen, unter dieselbe Forderung befaßt, haben wir schon oben, wo vom Jnhalte des Epos als solchem die Rede war, angeführt. Einfach und schlagend setzt Aristoteles hinzu, um diese Einheit durchführen zu können, habe Homer nicht den ganzen trojanischen Krieg behandelt, weil er zu groß und nicht leicht zu übersehen war, sondern einen Theil, der sich durch seine Episoden zum Bilde des Ganzen erweitert. Die Auseinanderhaltung eines Vordergrunds und Hintergrunds, die wir zunächst als mittleres Moment der Bindung des Einen und Vielen gefordert haben, gehört mehr der räumlichen, extensiven Seite an, sofern auch in der Poesie, da sie für die innere Anschauung darstellt, allerdings von einer solchen die Rede sein kann; die Handlung aber verlangt eine speziellere Bindung in zeitlicher Form und wir haben hier besonders deutlich jene in §. 500, 2. für alle Composition als wesentlich ausgesprochene Erscheinung eines Dreischlags in der einfachen Unterscheidung des Aristoteles: Anfang, Mitte, Ende; d. h. Darstellung der Sachlage mit den Keimen der Verwicklung, die Verwicklung mit ihren Kämpfen, deren Gipfel die Katastrophe ist, welche ebensosehr als das Ende der Mitte, wie als der Anfang des Endes erscheint, und das Ende d. h. die schließliche Lösung, der Ablauf der Katastrophe bis zum eigentlichen äußeren Schluß. Jn der Jlias bildet den Anfang Zorn und Grollen des Achilles mit der ganzen Lage der Griechen und Trojaner im Hintergrund, die Mitte sein Vorbrechen zur Theilnahme am Streit in Folge des Tods des Patroklus bis zum Kampfe mit Hektor; der Tod des letzteren, mit Troja's sicherem Untergang im Hintergrund, ist die Katastrophe, die ebensosehr die Mitte abschließt, als den Ablauf eröffnet, dessen eigentlicher Jnhalt in der Zurückgabe des Leichnams und dem Begräbniß des Patroklus liegt. So besteht in der Odyssee aus den Schicksalen des Helden unmittelbar vor seiner Rückkehr nach Jthaka mit Einschluß dessen, was er vor Beginn des Epos erlitten hat und was in den Aufenthalt bei den Phäaken als Erzählung eingeschoben ist, der Anfang; die Scenen nach der Rückkehr, die sämmtlich in den Vorbereitungen zum Kampfe mit den Freiern zusammenlaufen, bilden die Mitte oder Verwicklung; mit dem Kampfe selbst ist das Gedicht auf seiner Höhe, unmittelbar an der Katastrophe, die Entscheidung desselben ist Anfang der Lösung, des Ablaufs, und was noch folgt, die Reinigung des Saals und Hauses, Bestrafung der Treulosen, die Scene mit Penelope, dann die wahrscheinlich späteren Zuthaten: der Auftritt in der Unterwelt, die Begrüßung des Laertes und Dämpfung des Aufruhrs, der eigentliche Ablauf, das Ende. Jm Nibelungen-Liede stellt der ganze Theil bis zu Chriemhildens zweiter Vermählung ebensosehr die Exposition für das Folgende, als ein eigenes Epos mit Anfang (bis zu dem Streite der Weiber), Mitte (von da bis zur Ermordung Sigfried's), Ende (Klage, Trauer, neue Kränkung der Chriemhilde durch den Raub des Schatzes) dar; im Folgenden waltet Sigfried's Geist als Nemesis im Rachedurst der Chriemhilde: Anfang bis zu der Einladung der Nibelungen, Mitte von den ersten Ausbrüchen des feindseligen Geistes, nachdem sie in Etzelenland angekommen, bis zu der Ermordung Gunther's und Hagen's im Gefängniß, Ende das Gericht, das Dieterich von Bern an Chriemhilde vollstreckt, und, wenn sie mit dem Epos noch verbunden wäre, die Klage. Die Jlias erscheint als schlußlos nur dann, wenn man verkennt, daß der Dichter aus dem großen Cyklus eine Parthie herausnehmen mußte, in der sich als in einem engen Ring ein Bild des Ganzen geben ließ, sie erscheint als über ihren natürlichen Schluß fortlaufend nur dann, wenn man verkennt, daß ein Epos voller ausathmen muß, als ein Drama. Die Annahme einer gewissen Schlußlosigkeit des Epos hat nur so viel Wahres, daß diese Gattung mehr, als andere Kunstwerke, vielleicht am meisten noch dem Gemälde ähnlich, das unbestimmte Bewußtsein erregt, daß die Kette der Dinge und Begebenheiten, obwohl hier eine ideale Einheit aus der empirischen Unendlichkeit einen Ausschnitt gibt, über diesen Ausschnitt fortläuft. Jm Romane namentlich mag es zweifelhaft sein, ob wir über das Ende der Nebenpersonen etwas mehr oder weniger erfahren sollten. Vergl. hierüber die Anm. zu §. 501. §. 871. Diese Eigenschaften begründen einen gewissen generischen Charakter der epischen Dichtung und es scheint daher zunächst, daß sie aus der logischen Reihe der Formen der Poesie heraustrete. Jn der epischen Poesie sind der Dichter und sein Object vereinigt und doch unterschieden; obwohl dem Geiste der Behandlung nach jener zurücktritt, bleibt er doch dem einfachen Sachverhalte nach sichtbar gegenwärtig neben seinem Stoffe. Dieß Verhältniß wurde als eine naive Synthese bezeichnet (§. 865). Nach dieser Seite haben wir ein einfaches Beisammensein der zwei Factoren, die in den andern Formen der Poesie sich gegenseitig absorbiren, denn in der lyrischen geht die Welt im Dichter, in der dramatischen der Dichter in seiner Welt auf. Das Epische erscheint schon dadurch als eine elementarische Form, die zu den beiden andern nicht im Verhältnisse der Coordination steht wie Einzelnes zu Einzelnem, sondern in dem des Allgemeinen zum Einzelnen, der ursprünglichen Einheit zu den Formen des Gegensatzes. Nimmt man nun den Geist der Behandlung dazu, so scheint auch nach dieser Seite der epische Dichter durch seine objective Ruhe und ideale Universalität, sowie durch seine Aufgabe, selbst Alles klar zu zeichnen und dem innern Auge zur Erscheinung zu bringen, weit mehr der Dichter überhaupt, ja der Künstler überhaupt zu sein, als es der lyrische und dramatische ist. Der Künstler überhaupt: denn Objectivität ist Grundbegriff aller Kunst gegenüber dem blos subjectiven Phantasiegebilde und man kann mit W. v. Humboldt (a. a. O. S. 46 u. 49) es so wenden: er gleiche am meisten dem bildenden Künstler, die bildende Kunst stelle aber das Wesen der Kunst an sich am reinsten dar; man kann ihn, den Schöpfer der „ Sculpturbilder der Vorstellung “ (Hegel a. a. O. S. 322), näher dem Bildhauer vergleichen und nun daran erinnern, wie die Plastik mit einem gewissen Anspruch auf den Werth einer absoluten Kunst inmitten der bildenden Künste ruhig thront. Dieß Alles weist nun wieder ganz auf Göthe's normale Dichternatur und in jenen Stellen des Göthe-Schiller'schen Briefwechsels, worin überhaupt das Drama gegen das Epos zurückgesetzt wird, sagt denn dieser das interessante Wort über jenen: „ich glaube, daß blos die strenge gerade Linie, nach welcher der tragische Dichter fortschreiten muß, Jhrer Natur nicht zusagt, die sich überall mit freier Gemüthlichkeit äußern will; alsdann glaube ich auch, eine gewisse Berechnung auf den Zuschauer, von der sich der tragische Poet nicht dispensiren kann, der Hinblick auf einen Zweck genire Sie, und vielleicht sind Sie gerade nur deßwegen weniger zum Tragödiendichter geeignet, weil Sie ganz zum Dichter in seiner generischen Bedeutung erschaffen sind “ (a. a. O. Th. 3, S. 361). Die freie Ruhe des epischen Dichters gründet sich, wie wir gesehen, namentlich auf die Vergangenheit seines Objects und wenn die Ferne eine idealisirende Kraft hat, so kommt sie vor Allem ihm zu statten: ein weiterer Ausdruck für den Satz, daß diese Form durch reine Jdealität außer und über den andern stehe. Endlich enthält ja das Epos im Keime das Lyrische und Dramatische; die objective und sinnliche Haltung schließt Momente des hervorbrechenden subjectiven Gefühls, sei es das des Dichters oder seiner Personen, nicht aus, und die Handlung nimmt oft genug durch die directe Rede dialogische Form an, so daß die Betheiligten gegenwärtig vor uns aufzutreten scheinen. ─ Hier lassen wir diesen Satz von dem Vorzuge, richtiger vor der generischen Natur der epischen Poesie stehen. Der Ausdruck des §.: „es scheint zunächst“ wird im Fortgang zu den weiteren Formen seine Erledigung finden. 2. Die Arten der epischen Poesie. §. 872. Jn der gesammten Ausbildung der epischen Poesie treten nur zwei Formen auf, welche in dem Sinne rein und ächt sind, daß jede von ihnen als wirklicher Typus eines der Style erscheint, deren großer Gegensatz die Geschichte aller Kunst beherrscht: das griechische Heldengedicht und der moderne Roman. Alles Andere stellt sich unter den Maaßstab des ersteren und fällt, trotz mancherlei werthvollen Eigenthümlichkeiten, an Werth unter dasselbe; der Roman dagegen ist zwar eine sehr mangelhafte Form, aber bestimmter und selbständiger Ausdruck eines Styls. Der Jnhalt dieses §., der wohl nur auf den ersten, flüchtigen Blick paradox erscheint, ist durch die folgende Ausführung zu rechtfertigen. §. 873. Während das einzige ursprüngliche Gedicht im idealen Style, welches der 1. Orient hinterlassen hat, das indische, Ansätze von ächt epischer Schönheit in das Formlose auflöst, steht das griechische Epos so in einziger Vollendung 2. da, daß es als historische Erscheinung doch ganz mit dem Begriffe der Sache zusammenfällt; denn in einer Dichtungsart, welche ihrem Wesen nach ein plastisches und naives Weltbild fordert, wird das Vollkommenste da geleistet, wo nicht nur die Phantasie des Volksgeistes an sich plastisch ist, sondern auch das dichtende Bewußtsein sich zur Kunstpoesie erhoben hat, ohne den Boden der Naivetät zu verlassen. Den Stoff entnimmt diese Dichtung aus der Heldensage und dem mit ihm vereinigten Göttermythus und entfaltet in ihm ein vollständiges, organisches Bild des nationalen Lebens in welthistorischem Zusammenstoße. Die rhythmische Form entspricht rein der bewegungsvollen Würde des Jnhalts. 1. Wir können uns bei dem indischen Epos nur kurz aufhalten und müssen auf das verweisen, was in §. 343 ff. über den Charakter des Orients überhaupt, in §. 346, 1. über Jndien insbesondere, dann in §. 426 ff. über die orientalische, und §. 431, 1. speziell über die indische Phantasie gesagt ist. Mahabharata und Ramayana enthalten Ansätze, die sich ganz homerisch fühlen, namentlich die eine der großen Episoden des letzteren, in seinen Hauptbestandtheilen ursprünglicheren Epos, Nalas und Damajanti. Allein wie die früher einfache Religion Jndiens, so sind diese ─ man weiß nicht, soll man sagen: Keime oder Trümmer eines gesunden heroischen, plastisch gezeichneten Bildes ächter männlicher Thatkraft, gediegener Sitte, gehaltener weiblicher Lieblichkeit und rührender Treue überwuchert worden von der zwischen Mythologie und bloßer Symbolik wild schwankenden, alle Umrisse auflösenden Einbildungskraft, von der Doctrin, die unter Anderm eine ganze Theologie in einem Gespräch vor der Schlacht ausspinnt (in der Episode Bhagavadgita), von absurder Vergötterung des Thierischen (Affe Hanuman in Ramayana). Es ist eine epische Poesie, welche in Religionsphilosophie, namentlich Theogonie (Herabkunft der Ganga in Ramayana) zurücksinkt oder übergeht. Das Theogonische werden wir aber überhaupt gar nicht zur reinen Poesie ziehen, sondern in den Anhang vom Didaktischen verweisen, denn es ist nicht reine Versenkung einer allgemeinen Wahrheit in ein Bild des Lebens. Die theologische Verschwemmung des rein Menschlichen hat denn auch an die Stelle des heroischen Handelns das wahnsinnige Büßerwesen gesetzt, das mit seinen mehr als tausendjährigen Peinigungen selbst den Götterhimmel zu sprengen droht. Daß die gelenklose Gaukelei der Phantasie im Umfang des Epos maaßlos ist wie in allen Formen und Zahlen des Jnhalts, in der Composition kein Verhältniß zwischen Hauptkörper und Episode kennt, unorganisch die Theile ineinanderschachtelt, folgt nur von selbst aus ihrem innern Charakter. 2. Der vorh. §. hat das griechische Heldengedicht und den Roman noch nebeneinandergestellt, doch bereits den letzteren eine mangelhafte Form des Styls genannt, dem er angehört; wir fügen zunächst so viel hinzu: der Roman wird zwar nicht durch den Maaßstab des ursprünglichen Epos gerichtet, denn er stellt sich nicht unter denselben, wohl aber durch den Maaßstab einer Aufgabe, die offenbar von einer andern Dichtungs-Art vollkommener zu lösen ist, der ihn also zu einer zweifelhaften Gestalt heruntersetzt. Hiedurch wird nun das homerische Heldengedicht als einzig und absolut hingestellt. Es verhält sich hier wie in der Sculptur: eine historische Erscheinung fällt mit dem Begriffe der Sache zusammen, ist normal. Wenn man das Wesen der Sculptur schildern will, schildert man die griechische, und umgekehrt; ebendieß gilt von dem Wesen des Epos an sich und von dem homerischen Epos. Es hat aber nicht nur die Bedeutung eines Beispiels, wenn hier an jene Kunst erinnert wird, vielmehr erhellt, daß dasselbe Volk, das durch die Reinheit der Objectivität seines Kunstgeistes in der bildenden Kunst das normale Höchste im Gebiete der Sculptur leistete, ebendarum auch in der Poesie das schlechthin Musterhafte im Gebiete des Epos hervorbringen mußte; denn es bedarf keines Beweises mehr, daß die epische Darstellung in der Art, wie sie die klare und ruhige Vergegenwärtigung der Dinge, die volle Gegenüberstellung scharf abgesonderter Bilder zur wesentlichen Aufgabe hat, auf's Jnnigste der Sculptur entspricht. Hieran knüpft sich unmittelbar das Moment des Naiven. Mit diesem Einen Worte bezeichnen wir den Weltzustand, wie er in der epischen Dichtung aufgefaßt wird, die unmittelbare Harmonie, worein hier die Welt der innern Motive mit der Welt der sinnlichen Bedürfnisse, Thätigkeiten, Culturformen zusammengeht. Nun kann aber kein günstigeres Verhältniß eintreten, als wenn der Dichter im edelsten Sinne des Worts naiv ist, wie sein Gegenstand. Es führt dieß auf den Unterschied der naiven und der bewußten Kunst, der seine höchst wichtige Geltung erst im Gebiete der Poesie erlangt und hier als Gegensatz der Volkspoesie und Kunstpoesie auftritt (vergl. §. 519). Nun ist aber die Volkspoesie in ihrer Jnnigkeit und Frische und mit ihrem Minimum von technischer Kunstbildung doch zu arm, den großen Stoff der epischen Poesie anders, als in getrennten einzelnen Liedern, zu gestalten. Solche Lieder (Rhapsodien) sind bekanntlich die Elemente, aus denen überall das ursprüngliche, allein ächte Epos erwachsen ist. Sollen sie nun zu einem künstlerischen Ganzen umgebildet werden und doch der epische Charakter nicht verloren gehen, so bedarf es einer Kunstbildung mit Einsicht in die Aufgabe, die doch unerschütterlich naiv bleibt. Keinem andern Volke ist aber das Glück geworden, wie den Griechen, ihr National-Epos zu vollenden in dem Momente, da eben die naive Poesie die Vortheile der Kunst in sich aufnimmt und die Kunstpoesie den ganzen Vortheil der Naivetät genießt. Jn der getrennten Volkspoesie fragt man nach der Person des Dichters gar nicht, in dieser künstlerisch erhöhten Volkspoesie dagegen ist allerdings die künstlerische Vollendung eines epischen Ganzen offenbar einem, auf ungezählten Stufen von Vorarbeitern aufgestiegenen hochbegabten Einzelnen zuzuschreiben, der aber doch Volksdichter und daher namenlos bleibt. Doch könnten wir uns mit einem andern Ergebniß immerhin auch versöhnen: denn wo die Dichtkunst noch eine instinctive Macht ist, läßt sich eine Mehrheit von Dichtern, die wie Bienen ein Ganzes bauen, auch ohne tief verschiedene Thätigkeit des Letzten, der die Hand anlegt, nicht allzuschwer vorstellig machen. Diesem hohen Glücke der Kunst gesellt sich nun das andere des Stoffs. Es erhellt nämlich aus unserer allgemeinen Erörterung auch dieß, daß für die epische Auffassung der absolut entsprechendste Stoff das heroische Jugendalter eines Volkes ist, wie wir es in §. 328 in Kurzem charakterisirt und dabei auf Hegel's ausgezeichnete Darstellung verwiesen haben. Dieser Zustand konnte aber bei keinem Volke so poetisch sein wie bei dem der Griechen, dessen Charakter auch in der historischen Zeit die schönen in §. 348 ff. geschilderten Grundzüge bewahrt. Die Heldensage, reich und rein bildend wie keine andere (§. 436), hat einen Moment aus diesem vorgeschichtlichen Zeitalter, einen Rachezug gegen eine asiatische Stadt ergriffen und zu einem Bilde gesteigert, das eben in und mit den Liedern selbst fortwuchs bis zu der Jdealität, die es in der letzten Hand gewann. Wir haben vor uns das Jugendleben eines unendlich zukunftreichen Volks, das seine Nationalität im Kriege bekräftigt. Die Tapferkeit ist die Cardinaltugend und so durch den bestimmenden Mittelpunct dafür gesorgt, daß wir es rein episch mit dem „nach außen wirkenden Menschen“, „der Naturseite des Charakters“ zu thun haben. Die ganze Nation ist, wie im näheren Sinn der Einzelne, nach außen gewendet und zwar in einem welthistorischen Zusammenstoße, worin sie sich ihrer Eigenthümlichkeit, ihres Werths, ihres großen künftigen Berufs bewußt wird und alles Einheimische den Accent der gegensätzlichen Spannung erhält. Dieser Gegensatz ist aber wesentlich der des rein Menschlichen gegen das Barbarenthum. Neben der Wildheit, die des Feindes entrissene Schaam den wilden Hunden und Geiern zur Beute hinwirft, ist die zarte Knospe rührender Humanität erschlossen, der Sinn für die tieferen und feineren Kräfte der Jntelligenz aufgegangen. Eine Gruppe plastisch fester Charaktertypen repräsentirt die Grundzüge des Nationalgeistes auf der gegebenen Stufe seiner sittlichen Entwicklung. Das ganze Leben der nationalen Sitte, in naiver Verwunderung über die fremde, breitet sich aus. Das einfachste Thun erscheint als ein ursprüngliches, ehrwürdiges und eine Wäsche am Fluß, besorgt von einer Königstochter, wird zum anmuthigsten, rührendsten Bilde; auch dabei gedenkt man gern Göthe's, wie er schon in Werther's Leiden seinen Beruf zum epischen Dichter gezeigt hat durch die schöne Stelle über das „Wasserholen am Brunnen, das harmloseste Geschäft und das Nöthigste, das ehemals die Töchter der Könige selbst verrichteten.“ Die Kunst hat sich in diesen Zuständen schon kräftig genug entwickelt, um durch Schmuck jeder Art das Bedürfniß zu veredeln, aber sie begegnet noch einem kindlichen Staunen, Alles ist noch frisch. Keine Lebensform ist in dem reichen Ganzen vergessen, kein wesentliches Gefühl, keine Gewohnheit, kein Hauptzug der herrlichen umgebenden Natur; die Nation besitzt in diesem Gesammtbilde, dieser „Bibel des Volks“ (Hegel Aesth. Th. 3, S. 332), einen Schatz, der für alle Seiten des Lebens den unerschöpflichen Grundtext enthält. Dieß Alles ist nun durch reine Künstlerhand sonnenhell beleuchtet, steht aufgeschlagen in unendlicher Klarheit vor uns, ist durchaus rein geschaut. Die Weihe der Jdealität gewinnt aber der große Stoff schließlich dadurch, daß sich Alles an die Götter knüpft, daß Heldensage und Mythus überall ineinandergehen. Die lenkenden Mächte des Lebens, Natur-Ursachen, Gesetze heiliger Sitte, Forderungen des Vaterlandes, innere Motive des Besinnens und Wollens sind als Götter neben die Menschen gesetzt und handeln mit ihnen durcheinander auf Einem Boden. Diese poetische Tautologie ist das unendliche Erhöhungsmittel für die Grundempfindung, in diesem Lichte wird Alles absolut und es verhält sich auch hier wie in der Sculptur, welche wesentlich eine Götterbildende Kunst ist. Es ist natürlich nicht blos Poesie, sondern wesentlich Glauben; eine nicht geglaubte Welt transcendenter Wesen kann nur in seltenen, einzelnen Momenten durch besondere Kraft der Zurückversetzung der Phantasie belebt werden. Aber das schlicht Geglaubte ist zur reinsten Gestalt der Schönheit erhoben und auch hier Alles hell, sonnenklar, während die indischen Götter im Nebel des wirren Gestaltenwechsels taumeln. Es sind nun unserer allgemeinen Bestimmung des Wesens der epischen Poesie mehrere neue Momente zugewachsen, die nur vom ursprünglichen Epos, dem volksthümlichen, doch dem plastischen Jdealstyle angehörigen Heldengedichte gelten: Entstehung aus naiver Poesie der Form nach, nationaler Krieg, weltgeschichtliche Collision, Verbindung der Heldensage und des Göttermythus dem Jnhalte nach. Ob und wieweit alle diese spezielleren Bedingungen als Maaßstab gelten, nach welchem zunächst die Erscheinungen zu beurtheilen sind, die bei allem Unterschiede doch mit dem homerischen Epos sich unter das Prinzip des idealen Styles stellen, dieß muß sich nun zeigen; doch ist vorher eine wichtige Unterscheidung innerhalb dieses Styls aufzustellen. ─ Was die Form im engsten Sinne des Wortes, das Metrum, betrifft, so müssen andere Zeiten deren andere finden können, aber daß der Hexameter durch seine Beweglichkeit in der Haltung, seine Freiheit und sein Spiel in der Majestät als heroisches Maaß nicht übertroffen werden kann, durften wir schon bei der allgemeinen Charakteristik der epischen Poesie aussprechen (§. 869, Anm. 2.). §. 874. Wie jedoch alles geschichtliche Leben der Kunst darauf beruht, daß die 1. Styl-Gegensätze ineinander übertreten, so stellt sich auch im classischen Jdealstyle der epischen Dichtung neben das erhabene, pathetische Heldengedicht ein Epos, das seinem Hauptinhalte nach rührendes, das Jnnerliche mehr betonendes, die 2. Einzelzüge individueller zeichnendes Sittengemälde ist, und in dieser Richtung entsteht zuletzt das kleine Bild des Volkslebens mit entferntem Anklang sentimentaler Vertiefung in die Stille des Engen und der Natur: das Jdyll. 1. Aristoteles unterscheidet (Poetik C. 24) ein einfaches und ein verwickeltes, ein pathetisches und ein ethisches Epos; einfach und pathetisch, sagt er, ist die Jlias, verwickelt und ethisch die Odyssee. Ethisch heißt hier, was wir sittenbildlich nennen, mit dem Unterschiede, daß das eigentliche Sittenbild in der Malerei keine Fabel hat und haben kann, sondern nur Gebaren, Gewöhnung, Zustände in ihrem bleibenden, wiederkehrenden Wesen schildert. Das Merkmal der verschlungenen Composition haben wir als untergeordnet nicht in den §. aufgenommen; natürlich aber ist es allerdings, daß, wo nicht die großen Leidenschaften den Jnhalt bilden, welche auf dem Schauplatze der Heroenthat walten, dafür ein Reiz des Suchens und Findens eintreten wird, der in der Composition, doch auch in der Fabel an sich begründet sein muß: Anziehungen, Spannungen, die hingehalten, nach manchem Wechsel befriedigt werden und sowohl nach Stoff, als Behandlung ein wärmeres, concentrirteres subjectives Element in das Epos bringen. Hiemit kündigt sich ein Motiv an, das erst im romantischen und modernen Jdeal seine volle Ausbildung zu finden bestimmt ist: die Liebe. Jm antiken Epos ist es eheliche Liebe mit Heimath und Hauswesen, was den Mittelpunct dieser Form, der Odyssee bildet. Aristoteles sagt: die Odyssee ist verschlungen, denn sie ist durchaus Erkennung (und sittenbildlich); d. h. die Spannung auf das Wiedersehen ist der poetische Reiz, sie wird durch viele, von der Composition ineinandergeschlungene Hemmungen hingehalten bis zum Ende. Da nun das Subject der Erkennung natürlich liebende Menschen sind, so erhellt, wie in der ἀναγνώρισις des Aristoteles der Keim oder das antike Vorbild des Romans als höchst interessante Andeutung oder Ahnung verborgen liegt. Und wirklich: die Odyssee ist „der antike Ur-Roman (J. P. Fr. Richter Vorsch. d. Aesth. §. 66). Es folgt von selbst, daß das Jnnerliche auch überhaupt mehr in den Vordergrund tritt, wenn Sehnsucht und Wiedersehen den Haupt-Jnhalt bildet; Odysseus am Ufer der Jnsel der Kalypso in das Meer hinausweinend, die trauernde Penelope in der einsamen Kammer und der suchende Sohn sind Bilder eines innigeren Seelenlebens. Nur daß natürlich das epische Grundgesetz, wonach alles Jnnerliche in sinnlicher Ausführlichkeit der Erscheinung sich geben muß, unangetastet bleibt. Auch die Natur wird jetzt mit subjectiverem Jnteresse beschaut, das Meer, die landschaftlichen Reize, die Grotten, Quellen, Bäume u. s. w. So erscheint die Odyssee wirklich als „der Mond“ neben der Jlias „der Sonne“. ─ Jm Style dieser Form des Epos erkennen wir ein erstes Auftauchen der charakteristischen, die individuelleren Züge aufnehmenden Richtung innerhalb der direct idealen, wiewohl natürlich noch fest am Bande des plastischen Schwunges gehalten: die Einzelheiten des häuslichen Lebens, der idyllischen Wirthschaft mit Sauhirt und Rinderhirt, bis hinaus auf den armen, treuen Hofhund, des Gebarens und der Gewöhnungen der Menschen nach allen Seiten, treten in schärferes Licht, als sonst die Antike es ansteckt. Kann man im weiteren Sinn alle epische Poesie sittenbildlich nennen (vergl. §. 867, 2.), so ist es also dieser Prototyp des Romans in dem engeren Sinne des Worts, auf den wir eben da schon hingewiesen haben. 2. Das späte Alterthum trägt nun die Leuchte noch weiter weg vom heroischen Schauplatz in das Enge des Menschenlebens, die Zustände der Sitte im nahen und innigen Umgang mit der Natur. Theokrit's Jdyllen sind bekanntlich etwas Anderes, als die moderne Gattung dieses Namens: das Jnteresse für das Anspruchlose und still Glückliche des Landlebens, für die Reize der Natur ist noch durch keine Culturmüdigkeit, keine Kämpfe des subjectiven Bewußtseins geschärft, die Figuren sind auch nicht blos Hirten, Fischer u. s. w., sondern zum Theil Handwerker, Bürgerfrauen u. dergl., das Neue liegt mehr im Anwachsen der charakteristischen Stylrichtung, im Belauschen und Aufnehmen des ungenirt Derben, die Ausführung besteht in kleinen Bildchen ohne Fabel oder nur mit unentwickeltem Keim einer solchen; daher εἰδύλλιον : (Sitten=) Bildchen. Dennoch macht sich ein entfernter Anklang von sentimentalem Jnteresse fühlbar: ohne Ueberdruß an einem zerfallenen öffentlichen Leben hätte sich der Sinn nicht diesen Heimlichkeiten des Kleinlebens, der Zufriedenheit und der milden Parodie göttlicher Selbstgenügsamkeit in der Stille zugewendet und in dem Blicke, womit diese Dichtung auf den Heimlichkeiten und Schönheiten der Natur ausruht, liegt doch ein Ausdruck tieferer Erwärmung, die im streng Classischen nur ganz vereinzelt auftaucht. Zarte Ansätze zu dem Allem finden sich aber allerdings schon in der Odyssee; man denke, was das Letzte betrifft, nur an die Schilderung der Umgebungen der Kalypso-Grotte ( V Gesang). §. 875. Die römische Poesie erzeugt ein Kunst-Epos, welches sich, obwohl ihm ein Geist pompöser Großheit eigen ist, durch künstliche Nachbildung sämmtlicher Merkmale des Homerischen unter den Maaßstab des letzteren, das doch aus der naiven Poesie entsprungen ist, ebendadurch aber als ein Werk der Reflexion, zum Theil auch der zu sehr gesteigerten subjectiven Empfindung, außerhalb des Aechten stellt. Das Kunst-Epos ist kein reines Epos. Es kann hier nicht die Aufgabe sein, Virgil's Aeneis nach allen ihren Zügen zu schildern, sondern nur, den großen Zusammenhang in's Auge zu fassen, worin dieses Werk der bewußten, correcten, eleganten Kunst an der Spitze einer ganzen Gattung und Generation steht, die mit ihm gerade durch den von ihr selbst thatsächlich anerkannten Maaßstab jenseits der richtigen Linie, in das Zweifelhafte verwiesen wird. Denn ein Product der bewußten Kunst, das in allen wesentlichen Zügen der (zwar auf dem Uebergange zur Kunstpoesie begriffenen, doch in ihrem Wesen noch reinen) naiven Volkspoesie nachgebildet ist, richtet sich eben durch sich selbst und bekennt sich als unächt. So erwächst der Satz, der uns im Folgenden führen wird: daß das Kunst-Epos kein reines Epos ist. Die vollendete Bildung ist dem Weltzustande nach prosaisch geworden in Staat, Gesellschaft u. s. w.; dieser Zustand macht natürlich die Poesie an sich nicht unmöglich, aber er verweist sie an diejenigen Formen, welche nicht ein Bild der unmittelbaren schönen Einheit des innern und äußern Lebens im Großen (im Kleinen ist es etwas Anderes) fordern; denn diesem Zustande muß man nahe stehen, wenn man ihn künstlerisch wiedergeben will. Versucht es der Künstler dennoch, so ist er zur Nachahmung genöthigt und das Ursprüngliche nachahmen ist ein innerer Widerspruch. Besonders deutlich zeigt sich dieß am Einwirken der Götter: sie sind nicht mehr lebendig geglaubt, daher ist es bereits Maschinerie. Allein dieß ist nur ein Ausdruck davon, wie der Standpunct im Ganzen verloren ist: kein Zug, der ein flüssig einfaches Natursein des Menschen darstellen soll, hat hier die Wahrheit, die nur in einer Welt möglich ist, von deren Naivetät auch ihr inniger Götterglaube Zeugniß gibt. Der Mensch, der das Naturband gelockert hat, lebt tiefer nach innen: das Sentimentale (namentlich in der Liebe der Dido) wird daher stärker, weit zu stark für das Heldengedicht. Der römische Geist der That, das mannhaft Gewaltige, Herrschende, Massen=Bewegende, in der Form feierlich Große (vergl. §. 352 ff., 442 ff.) bleibt diesem Epos ein unbenommener Ruhm, hat auch epischen Charakter, aber nicht hinreichenden, das ganze Weltbild episch zu bestimmen. ─ Wenn nunmehr die Poesie sich zu den Hirten begibt, so ist es schon Flucht aus einer falschen, naturlosen Cultur, der Sehnsucht wohl erscheint ein Bild des naturvollen Lebens, aber ein beschränkteres, vom großen Schauplatz heimlich abgelegenes; Virgil's Eklogon und Georgica werden die Stammväter der modernen Jdylle. §. 876. Jm Mittelalter treten bei zwei Völkern Heldengedichte auf, die ihrem Kerne nach dem griechischen an ächt epischem Charakter sich zur Seite stellen, denen aber nicht das Glück einer ununterbrochenen Fortbildung und Abschließung durch höhere Kunst innerhalb der Volkspoesie zu Theil wurde, so daß sie als ein Ganzes aus verschiedenartigen Schichten überliefert sind: das persische und das deutsche. Das letztere unterscheidet sich dem Jnhalte nach von dem griechischen namentlich durch einen intensio tragischen Geist des Schicksals, mit dem der Heldencharakter zu einer finstern Größe zusammenwächst, steht ihm aber in seinen Grundbestandtheilen, sowie durch Scheidung in die zwei Formen (§. 874), ebenbürtiger gegenüber, als das Epos irgend eines andern Volkes. Jn dem Zusammenhange, wie wir hier die logische Eintheilung und die geschichtliche Entwicklung ineinanderarbeiten, stellen sich die beiden Heldengedichte, von denen die Rede ist, an den Schluß der Lehre vom Epos im ursprünglichen Sinne des Wortes und an den Anfang der Poesie des Mittelalters, richtiger: zwischen heidnisches Alterthum und muhamedanisches, christliches Mittelalter so hinein, daß jenes den Kern, dieses (in Persien im zehnten, in Deutschland zu Anfang des dreizehnten Jahrhunderts) den formellen Abschluß gibt. Der große Unterschied ist nun freilich der, daß im Oriente Firdussi den ächt epischen Bestandtheil seines Schahname, die uralte Heldensage vom Kampfe zwischen Jran und Turan mit der herrlichen Heldengestalt Rusthems, ganz im Sinne eines Kunstepos voll Glanz und Reichthum der Phantasie, aber auch mit der grübelnden Künstlichkeit der reifen muhamedanischen Bildung abschließt oder vielmehr zu dem kleineren Theile eines Ganzen von massenhaftem, den weitschichtigen Geschichtsstoff in sich fassenden Umfang herabsetzt, während dagegen die deutsche Heldensage im Volksliede fortlebt und ihren Abschluß Händen oder einer Hand verdankt, die sich nur ein kleines Maaß von Kunstbildung angeeignet. Der Prozeß der Entstehung des deutschen Epos wäre soweit immerhin demjenigen, wodurch die Homerischen Epen entstanden sind, ähnlich genug. Auch der Stoff ist bei allem Unterschiede von tief verwandter, wahrhaft epischer Natur. So schlechthin kann Homer nicht Maaßstab sein, daß nicht eine Charakterwelt, die mit ungleich gröberer Form tiefer und härter in sich gedrängt ist, noch als ganz episch gelten könnte; eine Heldenstatue aus dunklem Granit ist nicht so erfreulich, wie eine aus Marmor, kann aber immer noch monumental genug sein; die geringere Flüssigkeit, der Stempel einer kargeren, winterlicheren Natur, die derbe, pralle Haltung erscheint doch so ganz und ächt naiv, sächlich, fern von jener Subjectivität, die das Band der Unmittelbarkeit zerschneidet, der Geist so gediegen instinctiv, in Massen handelnd, Massen bewegend, mit Roß und Schwert im gesund realen Verkehr, kindlich all der Dinge, die schön und gewaltig sind, sich erfreuend, in alter Vätersitte einfach wurzelnd, daß man sich durchaus in der rechten epischen Luft befindet. Die Leidenschaft, hier die Rache, geht ihren breiten und langen Weg ächt heidnisch reflexionslos wie eine Naturgewalt, ein Strom ohne Wehre, und das Gewissen kommt als objective Macht in persönlicher Form, als die That eines Größeren und Stärkeren über sie. Die Helden sind ächte Typen nationaler Grundzüge, die Heldinnen nicht minder. Daß fast keine transcendenten Mächte einwirken, daß Odin und der Fluch, den Andwari auf das Gold gelegt, in der deutschen Sage ausgewaschen ist und einzig noch Alberich und die Meerweiber als mythisches Motiv bleiben, ist schon ein schwierigerer Punct. Allein wir können uns auch gefallen lassen, daß der Mythus nicht ausdrücklich im Epos hervortritt, nur noch durchschimmert; es mag genügen, daß das Element des Ganzen noch dasselbe sei, das ursprünglich auch den Götterglauben nothwendig in sich befaßt, daß nur an dessen Stelle die Motive noch nicht in der Weise subjectiver Reflectirtheit in das Jnnere geworfen seien, daß mit Einem Worte nur die Form des Bewußtseins überhaupt noch objectiv, „grundheidnisch“ sei. Gewonnen aber wird im deutschen Epos durch solche Haltung jene eiserne Großheit des Charakters, der ganz mit dem Schicksale zusammenwächst, ächt erhaben es zu sich herüberzieht und so mit ihm identisch wird, indem er seine That ganz auf sich nimmt, für alle Folgen einsteht und dem sicheren Untergang ohne Wanken entgegengeht. Es ist dieß noch nicht zu dramatisch, deßwegen nicht, weil aller bewußte Conflict von Prinzipien noch ausgeschlossen und weil der Schicksalsgang durch die episch nöthigen, vielen und breiten Retardationen gehemmt ist. Die bange und schwüle Atmosphäre, der Drang zum tragischen Ende, dieser düstere Balladengeist bleibt aus denselben Gründen noch in den Grenzen des Epischen und ersetzt gewissermaaßen das Einwirken feindseliger Götter. Glücklichen Schluß haben wir in §. 868 nicht als nothwendig erkannt. Man kann sagen, es äußere sich im drängenden, gespannten tragischen Geiste des Nibelungenlieds ein dramatischer Beruf des germanischen Dichtergeistes, aber er zerstört in dieser Erscheinung noch nicht das Wesen des Epos. ─ Das Unternehmen, wovon es sich handelt, ist zwar kein nationales, doch fühlt sich im Heldenkampfe gegen die Hunnen noch die weltgeschichtliche Collision des deutschen Volkes, sein großer Beruf, den es in den Riesenschlachten der Völkerwanderung bewährt hat, vernehmlich durch. Sitte und Culturform ist nach manchen Seiten ächt episch, ausgiebig, reichlich und doch gediegen, namentlich wenn man die Gudrun zu den Nibelungen hinzunimmt, die so schön der Odyssee, wie diese der Jlias, entspricht. ─ Nun aber drängen sich auf der andern Seite die großen Uebelstände auf, die sich alle darin zusammenfassen, daß das deutsche Volk nicht das Glück gehabt hat, in ununterbrochen stetigem Gange seine Heldensage bis zum Abschlusse fortzubilden: das Vergessen ursprünglicher Motive der Handlung, die doch noch durchschimmern und in ihrer richtigen Gestalt zum Verständnisse nöthig sind (so namentlich Sigfried's frühere Verlobung mit Brunhilden), das Eintragen geschichtlicher Personen und Verhältnisse, die wesentlich umgebildet sind und doch nicht genug, um uns den Anreiz kritischer Vergleichung der Geschichte zu ersparen, der uns peinlich den poetischen Genuß stört, endlich und namentlich die Einflechtung heterogener, christlich ritterlicher Culturformen, die den breitschultrigen Recken wie ein enger, zierlicher Rock viel zu knapp sitzen. Dieß von der Seite des Jnhalts. Vergl. hiezu §. 355, 3. zu dem ganzen Bilde §. 459. Was die Form betrifft, so erkennen wir eine Volkspoesie, die nicht auf dem Puncte des Uebergangs zu einer so schönen Kunstpoesie steht, wie die Homerische. Sie hat eine alte Schönheit (Hildebrandslied) verloren und eine neue, künstlerisch freiere nicht gewonnen. Man sieht, der Dichter trägt eine Anschauung in sich, aber er kann sie nicht herausgeben, nicht entfalten. Jn seiner Hand wird der zierliche Rock selbst wieder zur rohen Sackleinwand; es treten Stellen gediegener Einheit gefühlten Jnhalts mit körnigem Wort und Bild hervor, einigemale wird er selbst beredt, aber weit häufiger ist er Wort=, Reim- und Bilder=arm bis zur äußersten Dürftigkeit, breit und langweilig bis zur Maaßlosigkeit. Er ist naiv im engen, beschränkten Sinne des Worts. Die Nibelungenstrophe war es nicht, die einer entbundneren Kunst die Fessel angelegt hätte; sie hat heroische Bewegung, läßt durch das Freigeben der Senkungen dem Wechsel des Gefühlsganges Raum und gibt im Reim einer gesteigerten subjectiven Empfindung ihren Klang, der noch keineswegs zu lyrisch ist. Dem deutschen Geist hätte müssen ein Styl möglich sein, der von der Basis des Jdealen, Monumentalen, die den großen Jntentionen durchaus nicht abzusprechen ist, hinübergestreift hätte in das Gebiet der charakteristischen, der individualisirenden Behandlung, wie sie jenen mehr nach innen gedrängten Naturen mit ihrer härteren Eigenheit entspräche; ein solcher springt auch in einzelnen scharfen, gelegentlich derb humoristischen Zügen an, aber er bleibt unentwickelt; die Dichtung der Nation gieng vorerst andere Wege. Wir erwähnen hier noch die Romanzen vom Cid. Sie liegen bereits außerhalb der Linie des heroischen Epos, der Recke ist Ritter geworden, der Kampf geht gegen die Feinde des Christenthums, die Sarazenen. Dabei bewahren sie wahrhaft große und rührende Züge uralter Tüchtigkeit, Einfachheit, schlichter Häuslichkeit, welche allerdings dem ächt epischen Element angehören; wir haben sie aber im §. nicht genannt, weil sie nur einen losen Kranz aus ungleichzeitigen Blumen bilden, zu keinem geschlossenen Ganzen zusammengewachsen sind. §. 877. 1. Dem ritterlich-höfischen Epos der ausgebildeten Romantik fehlen im Jnhalt wesentliche Züge, die das Gesetz der Dicht-Art fordert, wogegen andere eintreten, die ein Vorwalten des Subjectiven, Lyrischen offenbaren, namentlich im Pathos der Liebe, dessen Einführung als Hauptmotiv in ein episches Ganzes auf den Roman hinzeigt; die Form ist nicht mehr naiv im 2. hohen Sinne des Worts und doch nicht wahrhaft kunstmäßig. Neben dem größern Epos, worin der weltliche und religiöse Sagenkreis vereinigt ist, tritt die gesonderte Behandlung des religiösen als biographischer Mythus, als mysti- 3. sche Erzählung in der Legende auf. Dem Mittelalter vorzüglich eignet das phantastische Spiel des Mährchens, das in der Weise der traumhaften Einbildungskraft dichtend dem Menschen das Gefühl der Lösung seiner Uaturschranken bereitet. 1. Wir dürfen über den Jnhalt der ritterlich höfischen Epopöe auf die umfassende Darstellung der wirklichen (§. 355 ff.) und der idealen Welt des Mittelalters (§. 447 ff.) verweisen. Es sind im letzteren Abschnitt auch bereits die Sagenkreise unterschieden und es ist ausgesprochen, daß diese bunt gebrochene Welt unendlich abliegt von der Gediegenheit der objectiven Lebensform, welche der Geist des wahren Epos erfordert (§. 462 Anm.). Gewisse Züge des Epischen sind allerdings erhalten: der Weltzustand ist noch nicht prosaisch geordnet, der Ritter, wohl zu unterscheiden vom Helden oder Recken, hat doch den letzteren noch nicht ganz abgelegt, die Sitte ist in allem Glanze, selbst in der Manirirtheit der Ausländerei, noch naiv, die Culturformen ergiebig, reich und gediegen genug für das Bedürfniß epischer Entfaltung. Der Charakter des national Geschlossenen dagegen, der ein Grundmerkmal des ächt Epischen bildet, ist nach zwei Extremen auseinandergegangen: das höchste Ziel ist, obwohl in mystischer Fassung, ein universelles, weltbürgerliches, die Jdee der christlichen Religion, das nähere Jnteresse aber ist individuell, es gilt der Person des Ritters in seinen Abentheuern, seinen Kämpfen mit wirklichen und imaginativen Feinden. Tritt nun so der Einzelne, Jsolirte in den Vordergrund, so ist es zugleich der Jnnerliche mit seinem subjectiven Leben, dem sich das Jnteresse zuwendet. Eine unendliche, mystische Gefühlswelt schließt sich auf, ihr Mittelpunct ist, unbeschadet des mystischen Zieles, die Liebe. Dieß ist nun offenbar ein Eintritt lyrischer Motive in das Epos; damit ist nicht (vergl. §. 874 Anm. 1.) gesagt, daß solcher Jnhalt dem Epischen überhaupt widerspreche, wohl aber, daß er bei spezifischer Ausbildung auflösend und zersprengend wirke in derjenigen Form, die nach der andern Seite in ihren Grundlagen, in der Naivetät der dargestellten Culturformen sich noch unter den Maaßstab des ursprünglichen, gediegenen, idealen Epos stellt; denn dieses fordert eine Welt, die in solcher Weise noch nicht innerlich, nicht sentimental ist, kennt kein vorwiegend psychologisches Jnteresse. Soll ein solches leitend werden in der epischen Poesie, so ist eine andere Welt vorausgesetzt, die Welt der Bildung, der Erfahrung, die moderne Welt; die Liebe wird nun zum Bande, woran die Metamorphosen der persönlichen Charakter-Entwicklung sich verlaufen. Dazu nimmt das ritterlich=höfische Epos wohl einen Anlauf, aber ohne Consequenz, denn ihm fehlen ja die modernen Bildungsbedingungen, es ist phantastisch. So schwebt es unsicher zwischen ächtem Epos und Roman, ist nicht ganz mehr jenes und noch nicht ganz dieser. Aehnlich amphibolisch verhält es sich mit der Form. Die adelichen Dichter verachten die einheimische Heldensage und den Volksgesang, wissen sich viel mit ihrer Kenntniß der ausländischen Stoffe und Muster, mit ihrer Kunst und setzen ihren Namen mit voller Bewußtheit an die Spitze ihrer Werke. Daher nennt man diese Gedichte Kunst-Epen im Vergleiche mit jenen Heldengedichten der rein nationalen Volksdichtung. Allein nur ganz relativ im Gegensatze gegen jene unzweifelhafte Volkspoesie können sie so genannt werden, von reifer Kunstpoesie ist nicht die Rede, dieser Gegensatz selbst ist eigentlich mehr im Bewußtsein, als im Können und Ausführen; Tugenden und Mängel der Volkspoesie hängen dieser ritterlichen Dichtung noch an, während sie doch auf den Boden, dem sie entwachsen zu sein meint, vornehm herabsieht. Der Dichter glaubt naiv an seinen Stoff und wundert sich kindlich über die weite Welt mit all' ihren schönen Dingen, aber während von der andern Seite allerdings der Künstler in ihm sich nach Kräften regt und namentlich die deutschen Meister, der tiefsinnige Wolfram von Eschenbach und der heitere, freie, leichtfertige, seelenkundige Gottfried von Straßburg die schweren Massen der nordfranzösischen Gedichte zu durchsichtigerer Einheit verarbeiten, wird doch das Stoffartige keineswegs durchgreifend überwunden, sondern lagern sich zwischen das grüne Land breite Wüsten, bald öde, bald durch Ueberfruchtung mit blinden Abentheuern und wirrem Schlachtengedräng ein Zerrbild ächter epischer Fülle, in beiden Fällen ermüdend, und nach der rhythmischen Seite findet das platt eintönige Fortlaufen in den monotonen Reimpaaren seinen Ausdruck. Es ist nicht zu läugnen, daß die Langweiligkeit ein Grundzug dieser Producte ist, daß man an diesem fortplätschernden Brunnenrohr sich schwer des Einnickens erwehrt. So sind diese Dichter neben den Ansätzen zu bewußter Kunst und Resten ächter Naivetät noch naiv auch im übeln, dürftigen, kindischen Sinne des Worts, formlos, barbarisch. Der Form-Mangel hängt immer wieder mit dem des Jnhalts zusammen und hier ist wesentlich noch zu sagen, daß der Aufgang des Subjectiven zu träumerische Gestalt hat, um an die Stelle der substantiellen Einfalt eine lichte, sittliche Ordnung zu setzen. Die ethische Welt ist anbrüchig, im Nebel des Phantastischen, im Chaos der Abentheuer verwirren sich die ewigen, rein menschlichen Grundgefühle, namentlich ist der Begriff der Treue schwankend geworden. Gervinus hat das Verdienst, unser Urtheil hierin zur Klarheit geführt, das Gesunde des nationalen Heldengedichts von dem Ungesunden des ritterlichen Epos fest geschieden zu haben. 2. Die Legende setzt eigentlich das religiöse Epos voraus, indem sie meist die Lebenswendung einer Person erzählt, die mit der Welt bricht und in den neuen Olymp der Heiligkeit aufsteigt. Sie ist ein Fragment dieses Kreises, ein Griff der transcendenten Welt in die profane, der einen Menschen aus dieser in sie herüberzieht, ein Gegenbild des ritterlichen Lebensgangs, aber ein kürzeres, weil hier die weltliche Fülle abgewiesen ist, und kein reines, weil auch des Ritters höchstes Ziel ein jenseitiges, ein Tempeldienst des heil. Graals u. s. w. ist. Sie kann sich auch auf momentanere Wunder beschränken, ist aber immer zu bezeichnen als Darstellung eines einzelnen Actes aus der großen Geschichte der Auflösung der Welt in das Jenseits. Der §. nennt sie auch mystische Erzählung; wir könnten sagen: kirchliche Novelle, wenn wir die letztere Bezeichnung schon eingeführt hätten. Wirklich hat aber das reine Mittelalter wohl gewußt, warum es das große Ganze der religiösen Sage nicht zu einem besondern Epos verarbeitete, den Weg des Heliand und der Evangelienharmonie von Otfried nicht verfolgte, genügenden epischen Jnhalt vielmehr nur in der Verbindung der mystischen Sage mit der weltlichen suchte. Wir werden dieß im Folgenden begründen. So konnte wirklich nur das Fragment eines vorausgesetzten, rein religiösen Dichtungskreises aufkommen. Es ist aber die Legende keine Form von bleibendem poetischem Werthe; ihr ascetischer Geist macht sie zu einer Spezialität des Mittelalters. Die religiöse Weltanschauung enthält allerdings in der Jronie, welche die weltliche Betrachtung der Dinge umkehrt, eine Möglichkeit humoristischer Behandlung, die auch den modernen Dichter auf dieß Gebiet führen mag, wo denn Erfreuliches zu Tage kommt, wenn statt des kirchlich obligaten Motivs ein gesund ethisches in Wirkung gesetzt wird, wie in Göthe's trefflicher Legende von Petrus und dem Hufeisen. 3. Das Mährchen führen wir, wiewohl es der classischen Welt an dieser Form auch nicht fehlte, hier auf, weil es inniger zur Romantik gehört, die ja mitten im Epos schon halb Mährchen war, da hier neben dem eigentlichen Mythus des Mittelalters, den göttlichen Personen, ihren Wundern, ihrer mystischen Gegenwart an besonderem Orte (h. Graal) die Feen, Elfen, Zwerge u. s. w. ihre bekannte starke Rolle spielen und so das Mythische als Phantastisches auftritt. Wenn wir das Orientalische ausführlicher zu behandeln den Raum gehabt hätten, so hätte es ebensogut schon dort aufgeführt werden können, denn der traumhaften Thätigkeit dieser Phantasie mußte es allerdings ganz besonders zusagen (Jndien, Persien, Arabien; Tausend und Eine Nacht); auch hat das Mittelalter, das ja vielfach unter orientalem Einflusse sein Jdeal ausbildete, keinen kleinen Theil seines Mährchenstoffs durch verschlungene Vermittlungen aus dieser Quelle geschöpft. Das Wesen dieser phantastischen kleinen Nebenform des Epos besteht darin, daß die unreife Vorgängerinn der Phantasie, die Einbildungskraft (vergl. §. 388 ff.) in Bewegung und Geltung gesetzt wird, um ein Weltbild zu schaffen, in welchem das Naturgesetz zu Gunsten des Begriffs des Gutes sich lüftet. Das Gut im Unterschiede vom Guten ist Grund= Jnhalt des Mährchens. Die Natur wird flüssig und kommt dem Wunsch entgegen, der Mensch bewegt sich frei von „den Bedingungen, zwischen welche er eingeklemmt ist“ (Göthe). Wir haben in der Anm. 1. zu §. 389 diese Bedeutung der Einbildungskraft, die nun von der dichtenden Phantasie approbirt und aufgenommen wird, bereits hervorgehoben. Allerdings zieht sich nun in den Begriff des Gutes auch der des Guten herein. Das Wunder, das hier das Natürliche geworden ist, bestraft den Bösen, belohnt den Guten, die leidende Unschuld; auch ahnt das Mährchen, daß die Vorstellung, es möchte in unserer Macht stehen, die Naturgesetze zu brechen, um unmittelbar unsere Einfälle und Wünsche zu verwirklichen, eigentlich der Willkür angehört, die zum Bösen führt, daher feindliche Zauberer und Zauberkräfte eine finstere Rolle in ihm spielen, allein ohne Consequenz, denn diese böse Magie wird selbst durch Magie besiegt und bestraft. Das Wunder kommt nun wohl gerne dem verfolgten Guten zu Hülfe, doch nicht sowohl der thätigen, männlichen Tugend, als vielmehr der kindlichen Unschuld, Gutmüthigkeit, dem holden Leichtsinn und der lustigen Schalkheit, besonders gern aber der rührenden, schönen, poetischen Dummheit, in welcher ein Göttliches, eine große Anlage dunkel schlummert; es handelt sich also immer mehr von Glück, als von Verdienst, es soll dem Menschen einmal wohl sein, er soll wie im glücklichen Traume vergessen, daß das Leben ein schweißvoller Kampf mit unerbittlichen Gesetzen ist. Der ahnungsvolle, geisterhafte Hauch vereinigt sich daher gerne mit dem Humor. Die wunderthätigen Mächte sind vielfach als Trümmer des Mythus, depotenzirte Götter zu erkennen, doch darf dieß nicht als allgemein und durchgängig behauptet werden, wie z. B. von Wackernagel (Schweiz. Mus. f. histor. Wiss. B. 1, S. 352 ff.). ─ Das Mährchen ist keine Spezialität wie die Legende, sondern allgemein menschlich, daher jedem Zeitalter angehörig. Es gedeiht aber nicht in der Kunstpoesie, seine wahre Heimath ist die Phantasie des Volkes, es ist wesentlich naiv und gehört so als spielende Arabeske streng an den Stamm des ächten Epos. Jn der modernen Dichtung, die am entschiedensten Kunstpoesie ist, kann es daher nur vereinzelt den Momenten glücklicher Zurückversetzung in das Helldunkel der Volksphantasie gelingen. §. 878. 1. Jn Nachahmung der römischen Kunstpoesie bringt die romanische Literatur ein religiöses Epos hervor, das allerdings ein Totalbild eines ganzen Zeitalters darstellt, auch Bestandtheile von gediegener epischer Objectivität hat, als Ganzes aber, auch abgesehen von der scholastischen Anordnung und Speculation, der Herrschaft der Allegorie, den Beweis liefert, daß diese Form den Gesetzen 2. der Dichtart nicht angemessen ist. Die Gedichte weltlich romantischen Jnhalts, welche der reifen Kunstbildung ebenda entspringen und jenen mit geistreicher Jronie zum Mährchen verflüchtigen oder mit ernstem Sinn an eine weltgeschichtliche That phantastisch religiöser Begeisterung knüpfen, sind ebenso wenig ächte Gebilde des epischen Geistes. 1. Wir haben in §. 875 das Virgilische Epos aufgeführt, um den Satz festzustellen, daß im Gebiete des ächten, ursprünglichen Epos die Nachahmung durch Kunstpoesie ein Widerspruch ist, der nur zweifelhafte Producte hervorbringen kann. Dieser Satz findet nun seine Anwendung auf die ganze Gruppe von Erscheinungen, die aus Virgil's Einfluß entstanden sind, und zwar in doppelter Stärke, da diese den Nachahmer nachahmen. Dieß lag freilich den stamm- und bildungsverwandten Jtalienern näher, als einem andern Volke. Was nun Dante betrifft, so schafft sein gewaltiger Geist allerdings, wie es scheint, in der Gattung eine neue Form, die religiöse. Wir behaupten aber, daß diese Form im Widerspruche mit dem Wesen der Dicht-Art liegt. Eine wesentliche Gestalt der Poesie, deren innerster Geist gediegene Objectivität ist, verlangt, daß die reale Welt mit einfach menschlichen Motiven der eigentliche Hauptkörper der Dichtung sei, neben welchem das Mythische als eine naive Doppeltsetzung, ideale Spiegelung dieser Motive sich unbefangen in das Bild einer also ungebrochenen Welt einflechte; das Reale nimmt den festen Grund und Boden ein, das Mythische lagert leicht darüber und steigt beliebig darauf herab. Bei Dante dagegen herrscht ein Aufsteigen vom Realen zum Mythischen: die ganze Welt wird unter dem Standpunct einer Hinaufläuterung zur durchsichtigen, körperlos körperlichen, mystischen Einheit mit dem Göttlichen als des höchsten Zieles angeschaut, alles Sinnliche ist nur symbolischer Spiegel des Jenseits und dadurch die Kraft des Daseins negativ behandelt; das Jenseits ist die Wahrheit. Dieß ist nun ein für allemal unepisch, eine Spezialität des Mittelalters, während Homer auch dem Christen ewig wahr bleibt. Dante's Genius war groß genug, um eine Totalität zu schaffen, wie wir sie für das Epos verlangen, er umfaßt sein Weltalter, ja die ganze Welt und Geschichte, aber vom Standpuncte seines Weltalters, und dieser Standpunct ist kein gesunder, allgemein wahrer. Der urkräftige Geist konnte von solcher blos spezifischen Anschauung nicht unterdrückt werden und diese Urkraft, wo sie durchbricht, erscheint allerdings als eine ächt epische. Dieß ist in den real=geschichtlichen Bestandtheilen, in dem Bilde der wirklichen Welt, wie sie als die gerichtete in das Jenseits versetzt ist. Die Kämpfe der Parteien Jtaliens, die Thaten und Leiden der Männer stehen hier in Charakterfiguren ächt historischen, markigen Styls vor uns, wirklich stylvoll im besten Sinne des Worts. Und der Zustand des Gerichtetseins bringt allerdings, wie es Hegel treffend auffaßt (Aesth. Th. 3, S. 409), noch einen besondern plastischen Zug hinzu, ein Festgehalten- und Hingebanntsein durch das Gesetz der Ewigkeit, einen ehernen Charakter des Monumentalen. Dieß ist der wahre, bleibende Jnhalt, der Kern des Ganzen, nach Dante's Meinung nicht das Eigentliche, denn er strebt dem mystischen Ziele zu, aber eben da ist er ganz epischer Dichter, wo er sich dessen nicht bewußt ist. Es verhält sich wie mit den historischen Charakterfiguren in der florentinischen Malerei des fünfzehnten Jahrhunderts, die um irgend ein Mirakel gruppirt sind, das den bezweckten Jnhalt bildet, und doch mehr Werth haben, als dieser, doch den Keim der geschichtlichen Malerei darstellen, die ihr Bett noch nicht finden kann (vergl. §. 722). Jm Uebrigen steht die Dichtung trotz dem classischen Muster auch in der Composition noch ganz unter dem scholastischen Formgefühle des Mittelalters: sie ist mit dem Cirkel gothisch architektonisch, bis in das Kleinste hinein arithmetisch, statt poetisch componirt und die herrschende Dreigliederung schließlich auch mystisch symbolisch gemeint, sie lagert in breiten scholastischen, mönchisch aristotelischen Untersuchungen, Unterscheidungen ermüdende Massen doctrinellen Jnhalts an, und da ihr die christliche Mythologie nicht genügen kann, hilft sie sich mit der Allegorie, für welche sie zum Theil auch den Apparat des classischen Mythus ausbeutet. Ueber diese vergl. §. 444; Dante's Allegorien bekommen ein gewisses Leben durch einen traumhaft mystischen Hauch, der sie umweht, aber sie leiden nichtsdestoweniger an allen Schattenseiten dieser Zwittergeburt, die ebenso dem barbarischen, unreifen, als dem überreifen, verschnörkelten Geschmack angehört und dem Epos fremder ist, als jeder andern Kunstform, weil in ihm recht besonders Alles einfach das sein soll, was es ist. Die vielen Commentare sind eben ein Beweis der tiefen Unzulänglichkeit, denn die Poesie soll sich selbst erklären. 2. Wir können über Ariosto und Tasso kürzer weggehen. Hier ist völlig freie, entbundene Kunstpoesie, wie sie den Schluß des Mittelalters, den Anfang der modernen Zeit bezeichnet, und zwar nachahmende, vornehme, gelehrte Kunstpoesie angewandt auf Stoffe der romantischen Sage und Geschichte, die einem phantastischen, unkritischen, naiven Bewußtsein angehören und volksthümlicher Natur sind. Dante ist ungleich gebundener in seinem Bewußtsein, wäre es nur an eine reale Weltanschauung, so stünde Alles gut, und daß ächte Freiheit, epische Gleichheit des Gemüths mit dieser Bindung vereinbar sei, haben wir gesehen. Ariost aber bewegt sich schwebend in einer Freiheit des Spieles, in welcher die wahrhaft epische Einheit von Ernst und milder Jronie völlig aufgelöst ist. Mit dieser Stimmung ergreift er den mährchenhaften Theil der Carls-Sage ohne jede Pietät für den Stoff und läßt ihn zu einem melodischen Bilder-Labyrinth aufquellen, das denselben Genuß gewährt, wie das sinnlich heitere Wiegen und Schaukeln italienischer Musik. Die feste Zeichnung, welche das Epos fordert, zerfließt in nie ruhendem Rinnen der Gestalten, die fruchtbarste Erfindung und die lebendigste sinnliche Vergegenwärtigung, ächt epische Kräfte, wirken nicht episch, weil kein Bild verweilt, und das Gesetz der retardirenden Unterbrechungen wird ironisch zu solcher Neckerei der immer sich verlierenden, immer wieder hervortauchenden Linie gesteigert, daß man sich lächelnd trotz allem südlichen Sinnenreize des Stoffs und Gewichte der vereinzelten ernsten Stellen im reinen Zustande stoffloser Bewegungslust befindet: ein künstlerisch entfaltetes, ausgedehntes Mährchen, wozu auch Ovid ein gutes Theil des Vorbilds gegeben, gewiß kein Epos. Daß das Exotische Haupt-Jnhalt ist, liegt in der Natur eines solchen Spiels. ─ Der ernste Tasso knüpft die romantischen Sagen an die große, welthistorische That der Kreuzzüge. Er folgt in diesem Theile der Geschichte; das ächte Epos aber ruht auf Sage, die den geschichtlichen Stoff typisch umgebildet, idealisirt hat. Die Begeisterung für den Jnhalt ist da, aber, da derselbe sich in Wahrheit ausgelebt hat, doch fühlbar angespannt und nach der andern Seite im Pathos für die glatte Formschönheit verhauchend, so daß man mitten in ihrer Anerkennung von Kälte angeweht wird. Ariost's behagliche Leichtigkeit ist naturvoller, als diese classische Anspannung. Er ist immer bequem, ganz Jtaliener und in diesem Sinne ganz naiv. Man fühlt nicht eine Absicht, den Virgil zu erreichen, und sein Gedicht kann weit eher als eine wahre Spezies angesehen werden, wenn man sie nur nicht als Epos, sondern, wie wir sie genannt, als episch entwickeltes Mährchen faßt. Tasso ist Nachahmer bis zur Copie einzelner Stellen Virgil's und anderer Classiker. Ueberhaupt jedoch entweicht bei diesen Jtalienern durchgängig ein gutes Theil der innern Wärme in die rhythmische Form. Die Stanze ist zu sehr für sich künstlich schön, um nicht die Hälfte des Jnteresses zu Gunsten der formellen Seite zu absorbiren, und speziell für das Epos im Reimsystem ihrer Strophe zu lyrisch musikalisch. Die Terzine Dante's ist epischer durch die Bindung, welche je die Mitte der vorhergehenden Strophe für die zwei äußern Zeilen der folgenden verwendet, aber offenbar auch zu künstlich, zu schwer und dadurch eine weitere Ursache des Dunkels. ─ Nur flüchtig erwähnen wir Camoens; der historische Jnhalt der Luisiaden hat energisches Leben, Schwung des Nationalstolzes, aber an die Stelle der organisch idealisirenden Sage und des ächten Mythus tritt die Ausbeutung des Olymps und seine Verbindung mit dem christlichen, eine Caricatur des ächten epischen Weltbildes. §. 879. Die moderne Zeit hat an die Stelle des Epos, nachdem allerdings die 1. Umwälzung der Poesie mit neuen Versuchen desselben, und zwar der religiösen Gattung, eröffnet worden war, den Roman gesetzt. Diese Form beruht auf 2. dem Geiste der Erfahrung (vergl. §. 365 ff. 466 ff.) und ihr Schauplatz ist die prosaische Weltordnung, in welcher sie aber die Stellen aufsucht, die der idealen Bewegung noch freieren Spielraum geben. Der Dichter ist selbstbewußter 3. Erfinder und fingirt frei den Hauptinhalt, was jedoch die epische Naivetät nicht in jedem Sinn ausschließt. 1. Es kann nicht unsre Aufgabe sein, ausführlich zu zeigen, wie durch die Epopöen Milton's und Klopstock's nur unsere Behauptung bestätigt wird, daß das eigentliche Epos der modernen Kunstpoesie zuwiderläuft und daß einem religiösen überhaupt das Wesentliche der Dichtart abgeht; wir fügen zu dem früher Gesagten nur noch einige Bemerkungen. Was der Protestantismus von Mythen hat stehen lassen, ist zu arm und unsinnlich; ausgesponnen, mit eigenen Erfindungen (namentlich aus dem Gebiete der Angelologie) vermehrt, wird es zur todtgebornen Maschine. Der Begriff der Maschinerie, durch die Franzosen aufgebracht und namentlich von Voltaire in der Henriade frostig allegorisch zur Anwendung gebracht, zeigt schon im Namen die Verkehrtheit an, poetische Motive, die einst lebendig waren, nach ihrem Tode erneuern zu wollen, denn der Name gesteht, daß sie mechanisch werden. Die innere Unwahrheit wird zur poetischen Leere und Kälte. Der reife Geist der Selbstbestimmung in der modernen Zeit setzt den Schein jenseitiger, transcendenter Verhandlungen über das Loos des Menschen zu einer hohlen Jllusion herab. Wir haben bei Dante gesagt, das religiöse Epos sei aufsteigend statt niedersteigend; Klopstock besingt zwar den Menschgewordenen Gottessohn, aber nur um ihn und in ihm die Menschheit durch seinen Leidensweg und Tod zum Himmel zurückzuführen. Transcendent ist der Gang, transcendent die Hauptperson: ein Gottessohn kann nicht Held eines Epos sein, weil er nicht fehlen, nicht für Fehl menschlich leiden kann. Daß Klopstock überdieß eine ganz anschauungslose, wesentlich auf die Empfindung gestellte, musikalisch und lyrisch gestimmte Natur war, verfolgen wir hier nicht weiter; hätte er auch die Partieen seines Stoffs, welche Handlung, Fülle, Bild darboten, besser benützt und ausgebildet, so wäre nur ein sich widersprechendes Ganzes entstanden. Milton's und Klopstock's Epen sind und bleiben im historischen Zusammenhange der Literatur höchst merkwürdig, indem der Drang, das neu aufgegangene unendliche Empfindungsleben in erhabener Gestalt auszusprechen, und der neue Sinn der Objectivität, der Zeichnung (dieser freilich bei Milton kräftiger, als bei Klopstock), der in der beschreibenden Poesie vorher auf falschem Wege begriffen war, in der Nachbildung Homer's sich Luft machte, aber wir halten uns bei dieser Seite nicht auf, denn wir schreiben hier keine Geschichte der Poesie. Ebendaher befassen wir uns auch nicht mit den neueren Versuchen, Heldengedichte auf geschichtlichen Stoff zu gründen, nicht mit Klopstock's und Schiller's Entwürfen, die aus begreiflichen Gründen nicht zur Ausführung kamen, nicht mit dem Späteren, Pyrker u. s. w., nicht mit den neuesten kürzeren Dichtungen, die abermals diese Form wiederzubeleben versuchten. Günstiger steht es mit Wieland's Oberon; er will kein Epos sein, sondern ein entwickeltes Mährchen im Geist Ariosto's, und schließt doch einen schönen sittlichen Kern in die bunte Schaale; da aber das Mährchenhafte doch für solchen größern Zusammenhang keinen hinreichenden Boden mehr hat, konnte er der Nation kein bleibendes Jnteresse abgewinnen. 2. Der §. weist dem Romane seine eigentliche Zeit ganz in der modernen Literatur an; dabei ist natürlich nur allgemein der Eintritt dieser Kunstform in ihre wahre Geltung in's Auge gefaßt; wenn wir historisch verführen, müßten wir das Verhältniß derselben zu den Rittergedichten nachweisen: den positiven Ursprung aus denselben in der prosaischen Auflösung ihrer Form zu Volksbüchern, den negativen in der ironischen Auflösung ihres Jnhalts durch Cervantes. Dieß ist nicht unsere Aufgabe, wir berühren aber jenen Ursprung nachher im innern Zusammenhang, besprechen die letztere Erscheinung da, wo der Unterschied des Ernsten und Komischen einzuführen ist, und beschränken uns hier auf das Allgemeine und Prinzipielle. Durch die Darstellung der Weltalter der Phantasie ist aber bereits Alles so vorbereitet, daß es nur kurzer Zurückverweisung bedarf. Die Grundlage des modernen Epos, des Romans, ist die erfahrungsmäßig erkannte Wirklichkeit, also die schlechthin nicht mehr mythische, die wunderlose Welt. Gleichzeitig mit dem Wachsthum dieser Anschauung hat die Menschheit auch die prosaische Einrichtung der Dinge in die Welt eingeführt: die Lösung der Staatsthätigkeiten von der unmittelbaren Jndividualität, die Amtsnormen, denen der Einzelne nur pflichtmäßig dient, die Theilung der Arbeit zugleich mit ihrer ungemeinen Vervielfältigung, wodurch der Umfang physischer Uebungen aus der lebendigen Vereinigung mit sittlichen Tugenden, die im Heroen lebte, sich scheidet, die Erkältung der Umgangsformen, den allgemeinen Zug zur Mechanisirung der technischen Producte, des Schmucks u. s. w., die Raffinirung der Genüsse. Hegel bezeichnet nun mit einfach richtiger Bestimmung das Wesen des Romans, wenn er (Aesth. Th. 3, S. 395) sagt, er erringe der Poesie auf diesem Boden der Prosa ihr verlorenes Recht wieder. Es kann dieß auf verschiedenen Wegen geschehen. Der erste ist der, daß die Handlung in Zeiten zurückverlegt wird, wo die Prosa noch nicht oder nur wenig Meisterinn der Zustände war; allein dieß ist nur scheinbar die einfachste Auskunft, denn das Wissen um die unerbittliche Natur der Realität ist jedenfalls im Dichter und theilt sich dem Gedichte mit; wo nun eine ganze Dicht-Art einmal auf dieß Wissen gestellt ist, sucht sie ihrem Wesen gemäß der Poetische gerade in einem Kampfe der innern Lebendigkeit des Menschen mit der Härte der Bedingungen des Daseins, und Zustände, die noch so flüssig sind, daß sie einer schönen Regung des Lebens keine Hindernisse entgegenbringen, entbehren daher für den Roman ebenso des Salzes, wie die plastische Schönheit der antiken Culturformen für den Maler. Ein zweites Mittel ist die Aufsuchung der grünen Stellen mitten in der eingetretenen Prosa, sei es der Zeit nach (Revolutionszustände u. s. w.), sei es dem Unterschiede der Stände, Lebensstellungen nach (Adel, herumziehende Künstler, Zigeuner, Räuber u. dergl.). Dieß ist eine sehr natürliche Richtung des Romans und wir kommen darauf zurück. Ein dritter, mit den beiden genannten begreiflich im innigsten Zusammenhang stehender Weg ist die Reservirung gewisser offener Stellen, wo ein Ahnungsvolles, Ungewöhnliches durchbricht und der harten Breite des Wirklichen das Gegengewicht hält. Der bedeutendere Geist wird diese Blitze der Jdealität aus tiefen Abgründen des Seelenlebens aufsteigen lassen, wie Göthe in den Partieen von Mignon, die wie ein Vulkan aus den Flächen seines W. Meister hervorsprühen; solche psychisch mystische Motive sind eine Art von Surrogat für den verlorenen Mythus, und wahrlich ein besseres, als jene absurde Oberleitung der geheimnißvollen Männer des Thurmes im W. Meister. Es versteht sich übrigens, daß wir hiemit keine Tollheiten moderner Romantik rechtfertigen wollen. Der gewöhnliche Weg aber besteht einfach in der Erfindung auffallender, überraschender Begebenheiten. Hier ist es nun allerdings ganz in der Ordnung, daß im Roman der Zufall als Rächer des lebendigen Menschen an der Prosa der Zustände eine besonders starke Rolle spielt, allein von dieser Seite liegt eine Schwäche nahe, die mit den Anfängen des Romans zusammenhängt. Er ist, wie oben berührt, aus den Ritterbüchern entstanden, die aus dem romantischen Epos hervorgegangen waren, aus einem phantastischen Weltbilde, wo dem Ritter verfolgte Jungfrauen, Riesen, Zwerge, Feeen auf Weg und Steg begegneten und wo ihm Errettungen, Siege, Thaten überschwenglicher Tapferkeit ein Kinderspiel waren. Das eigentliche Wunder, das absolut Unmögliche des romantischen Glaubens, verschwand mit der Zeit, die unwahre Leichtigkeit und Häufigkeit des an sich Möglichen, aber Seltenen und Unwahrscheinlichen blieb, und der Roman, sofern er sich auf diese Richtung wirft, hat daher den Begriff des Romanhaften begründet, d. h. eines Weltbildes, wo in jedem Momente der Zufall Unterbrechungen des gewöhnlichen Gangs der Dinge bereit hält, die der Eitelkeit des Herzens, den Wünschen der Phantasie entgegenkommen, wie die Vorstellung, als dürfe man nur in den nächsten besten Postwagen sitzen, um eine verkappte Prinzessin darin zu finden, die man dann von einem Schock Räuber befreit, u. dergl. Dieß Abentheuerliche lag allerdings schon in den griechischen Anfängen des Romans, auf die wir, als auf verlorene Vorposten, nicht weiter eingehen können. Gewöhnt sich der Leser die Welt so aufzufassen, so wird ihm alsgemach das Hirn verbrannt und da er sich in die Rolle der Helden denkt, in die sich Alles verliebt, wie sie nur die Schnalle einer Thüre aufdrücken, so verliert er die Einfachheit des Unbewußten und sieht sich stets im Spiegel. Wir haben hier schon eine Seite, die dem Roman etwas Bedenkliches gibt und ihn aus dem Gebiete der Aesthetik unter das Tribunal der Pädagogik zu ziehen droht; wir reden wohl zunächst von dem schlechten Roman, allein auch der gute streift unwillkürlich an diese Nährung eines abentheuerlichen, selbstbewußt eiteln Weltbildes. Endlich ist derjenige Weg der Herausarbeitung des Jdealen aus der Prosa zu nennen, der eigentlich mit allen andern sich vereinigt, aber ebensosehr, wie wir sehen werden, auch eine besondere Richtung begründet: der Roman sucht die poetische Lebendigkeit da, wohin sie sich bei wachsender Vertrocknung des öffentlichen geflüchtet hat: im engeren Kreise, der Familie, dem Privatleben, in der Jndividualität, im Jnnern (vergl. §. 375). Es folgt aus dem Obigen, daß hier, im Conflicte dieser innern Lebendigkeit mit der Härte der äußern Welt, das eigentliche Thema des Romans liegt. Wir werden dieß im Folgenden wieder auffassen. 3. Der Romandichter mag einen gegebenen Stoff aus der Wirklichkeit behandeln, dieß wird hier wie überall das Bessere, das Naturgemäße sein. Allein er kann Nebenhandlungen, ja die Haupthandlung frei erfinden, gänzlich umbilden, wogegen der epische Dichter an die Umbildung, welche ein Stoff durch die feststehende Sage erfahren hat, gebunden und nur in der Durchführung, Entwicklung, Vergegenwärtigung frei ist. Der Romandichter ist also weit mehr freier Erfinder und schon in dieser Beziehung reiner Kunstpoet. Es ist nun aber auf den in §. 865 aufgestellten Satz zurückzuverweisen: „der Dichter weiß oder behauptet sein Product nicht als solches.“ Die epische Objectivität fordert, daß auch der frei schaltende Romandichter sich stelle, als thue er nichts dazu, als mache sich die Fabel von selbst oder zwinge ihn, weil sie einmal thatsächlich sei, so und nicht anders zu erzählen. Es ist dieß eine stillschweigende Convention zwischen ihm und dem Leser. Dadurch tritt ein neuer, besonderer Zug von Jronie zu derjenigen, die im weiteren Sinne des Worts dem epischen Dichter überhaupt eigen ist (vergl. §. 869). Mit diesem selbstbewußten Verhalten ist nun zwar die volle Naivetät allerdings nicht verträglich, die das Element des ächten Epos bildet; allein von der Fabel ist das Bild der Dinge zu unterscheiden, die Darstellung des ganzen Weltzustands, der Sitte, der Verhältnisse, die Vergegenwärtigung der Hauptfiguren im Gange der Handlung: hierin ist der Romandichter im guten Sinne des Wortes gebunden wie der Dichter des Epos und muß denselben objectiven, kindlichen Sinn bewahren und zeigen. Die geschärftere Jronie im Verhalten des Romandichters erscheint in diesem Zusammenhang wieder milder und nicht zu weit abliegend von der epischen Objectivität; wir haben in §. 865, Anm. bereits jene Uebertragung beleuchtet, vermöge welcher hinter der Fiction des Glaubens an die thatsächliche Nöthigung des Fabel-Jnhalts die Wahrheit der Unterwerfung des Geistes unter die allgemeinen Gesetze und Bedingungen des Weltlaufs sich verbirgt. §. 880. Die epische Forderung der Totalität bleibt stehen, doch nur in Beziehung 1. auf die Culturzustände, der Roman trägt in weit engerem Sinne den Charakter des Sittenbildlichen, als das Epos; der Held ist nicht handelnd, er macht auf dem Schauplatze der Erfahrung seinen Bildungsgang, worin die Liebe ein Hauptmotiv ist und Conflicte der Seele und des Geistes an die Stelle der That treten. Die Auffassung ist daher ungleich mehr, als dort, auf das Jnnere gerichtet, der Styl aber geht noch weit enger in das Einzelne und ist wesentlich der ausgebildet charakteristische, individualisirende. So bildet der 2. Roman einen vollen Stylgegensatz gegen das Epos; er ist aber ein mangelhaftes Gefäß für den Geist der modernen Dichtung, er steht, wie schon seine prosaische Sprachform zu erkennen gibt, bedenklich an der Grenze des sinnlich oder geistig Stoffartigen und diese innere Unsicherheit gibt sich namentlich durch die Art der Spannung und die Schwierigkeit des Schlusses zu erkennen. 1. Der Roman hat nicht eine große National-Unternehmung zum Jnhalt, welche ein Weltbild im hohen geschichtlichen Sinne gäbe; umfassend soll er nur sein in Beziehung auf das Zuständliche, rein Menschliche, indem er von seinem Punct aus Sitten, Gesellschaft, Culturformen einer ganzen Zeit und darin das Allgemeine des menschlichen Lebens darstellt. Der historische Roman begründet keinen Einwand gegen diese Beschränkung der vorliegenden Kunstform auf die vom Schauplatze der großen Thaten abliegende Seite der Wirklichkeit; es wird sich zeigen, daß in ihm das Gebiet der politischen Handlung nur den Hintergrund bildet. Jn diesen Grenzen soll der Roman ein desto reicheres Gemälde entwerfen, denn dem Geiste der Erfahrung steht Alles im Zusammenhang, sein Weltbild ist ein gefülltes, kennt keine Lücken. Er ist naturgemäß polymythisch und wie Aristoteles von der zweiten, „ethischen“ Gattung des Epos sagt, in der Composition verwickelt. Wir haben in dieser das entfernte Vorbild des Romans erkannt (§. 874), sie als sittenbildlich im engeren Sinne bezeichnet und vom Romane gilt dieß natürlich noch mehr. Der Romanheld nun heißt wirklich nur in ironischem Sinne so, da er nicht eigentlich handelt, sondern wesentlich der mehr unselbständige, nur verarbeitende Mittelpunct ist, in welchem die Bedingungen des Weltlebens, die leitenden Mächte der Cultursumme einer Zeit, die Maximen der Gesellschaft, die Wirkungen der Verhältnisse zusammenlaufen. Er macht durch diesen Lebens-Complex seinen Bildungsgang, er durchläuft die Schule der Erfahrung. Hier tritt nun die große Bedeutung der Liebe ein. Die ganze moderne Welt erkennt in ihr ein Hauptmoment in der Ergänzung und Reifung der Persönlichkeit. Das Ziel des Romanhelden ist schließlich immer die Humanität, irgendwie gilt von jedem, was Schiller vom Wilh. Meister sagt: er trete von einem leeren und unbestimmten Jdeal in ein bestimmtes, thätiges Leben, aber ohne die idealisirende Kraft dabei einzubüßen; er wird vom Leben realistisch erzogen, er soll reif werden, zu wirken (─ im Unterschiede vom Handeln ─), aber zu wirken als ein ganzer, voller, ausgerundeter Mensch, als eine Persönlichkeit. Jn dieser Erziehung ist denn die Liebe, da wir das rein Menschliche, Jdeale im Weibe symbolisch anschauen, ein wesentliches Moment und zugleich Surrogat für die verlorene Poesie der heroisch=epischen Weltanschauung; die tiefsten Metamorphosen der Persönlichkeit, so haben wir schon zu §. 877, 1. gesagt, knüpfen sich an eine Leidenschaft, die auf sinnlicher Grundlage den ganzen Menschen ergreift, alle seine geistigen Kräfte in Bewegung setzt, an ihre Wechsel, Freuden, Leiden; sie wird so zu dem Bande, an welchem der innere Bildungsgang des Menschen, obgleich er seinem höheren Jnhalte nach weit darüber hinausliegt, seinen Verlauf nimmt. Dieß führt zurück zu dem Wege der Gewinnung des Poetischen inmitten der Prosa, den wir im vorh. §. zuletzt aufgeführt haben: die Geheimnisse des Seelenlebens sind die Stelle, wohin das Jdeale sich geflüchtet hat, nachdem das Reale prosaisch geworden ist. Die Kämpfe des Geistes, des Gewissens, die tiefen Krisen der Ueberzeugung, der Weltanschauung, die das bedeutende Jndividuum durchläuft, vereinigt mit den Kämpfen des Gefühlslebens: dieß sind die Conflicte, dieß die Schlachten des Romans. Doch natürlich sind dieß nicht blos innere Conflicte, sie erwachsen aus der Erfahrung und der Grundconflict ist immer der des erfahrungslosen Herzens, das mit seinen Jdealen in die Welt tritt, des Jünglings, der die unerbittliche Natur der Wirklichkeit als einer Gesammtsumme von Bedingungen, die, von unendlich vielen Jndividuen in Wechsel-Ergänzung erarbeitet, über jedem einzelnen Jndividuum stehen, gründlich durchkosten muß, um Mann zu werden. Das Hauptgewicht fällt aber natürlich stets auf das innere Leben und wenn demnach der Roman im Unterschiede vom Epos immer vor Allem Seelengemälde ist, so wird dadurch das epische Gesetz, daß der Dichter uns überall nach außen, in die Erscheinung führen soll, in seiner Geltung zwar beschränkt, aber keineswegs aufgehoben; ja das Licht des tieferen Reflexes im Seelenleben macht die Außendinge nur um so bedeutsamer, beleuchtet die ganze Erscheinungswelt, namentlich auch die äußere Natur, um so gründlicher, dringt heimlicher in die feinsten Falten. Hier stehen wir nun am Hauptpuncte. Eine Welt von Zügen, die das plastisch ideale Gesetz des Epos ausscheidet, nimmt das malerisch spezialisirende des Romans wie mit mikroskopischem Blick auf, weil jene Jdealität der Zustände, welche dieß nicht ertragen könnte, vorneherein gar nicht vorhanden ist, weil hier die Jdealität vielmehr aus der Prosa der harten Naturwahrheit eben durch die Rückführung auf ein vertieftes inneres Leben hergestellt wird. 2. Man hat den Roman ein verwildertes Epos, eine Zwittergattung genannt. Wir halten zunächst unsern in §. 872 an die Spitze gestellten Satz fest, daß er eine wahrere Erscheinung ist, als alle Heldengedichte nach Homer, die der Kunstpoesie entsprossen sind; denn er will gar kein Epos sein, sondern stellt sich diesem als Product einer ganz andern Stylrichtung auf klar getrenntem Gipfel gegenüber. Aber dieser Gipfel ist viel niedriger, als der, worauf das Epos seine Stelle hat. Warum? Weil der Styl, der das Recht des tieferen Griffes in die härteren Bedingungen und Züge der Wirklichkeit aus der vertieften Jnnerlichkeit der Weltauffassung schöpft, seine wahre Heimath in einer andern Dicht-Art haben muß, in derjenigen nämlich, welche die Welt als eine von innen, aus dem Willen bestimmte darstellt, also der dramatischen. Er ist kein Epos mehr und doch kein Drama, er mag in diesem Sinn eine Zwittergattung heißen; ein verwildertes Epos aber kann man ihn nicht nennen, denn er hat die Trümmer des Epos, aus denen er allerdings entstanden ist, in etwas spezifisch Anderes verwandelt. Dagegen drängen sich schwere Bedenken auf, wenn man seine Stellung ganz allgemein vom Standpuncte der reinen, selbständigen Kunstschönheit betrachtet: hier bricht über eine kaum merkliche Schwelle der Charakter des Zwitterhaften in anderer, weiterer Bedeutung herein: der Roman hat zu viel Prosa des Lebens zugestanden, um einen sichern Halt für ihre Jdealisirung zu haben; daher schwankt er so leicht nach zwei Extremen hin aus dem Gebiete des rein Aesthetischen weg: er wirkt sinnlich stoffartig, sei es in der gemeinen Bedeutung des Worts oder überhaupt im Sinne pathologischer Aufregung, und sinkt zur breiten, leichten oder wilden Unterhaltungsliteratur herunter; oder er wirkt didaktisch, tendenziös, nimmt jeden Streit der moralischen, socialen, politischen, religiösen Theorieen und Jdeen unter dem unruhigen Standpuncte des Sollens auf und vergißt nun abermals, daß das wahrhaft Schöne zwecklos ist. Die Literatur hat Romane erlebt, deren Zweck war, vor der Onanie zu warnen. Das Jnteresse am Jndividuum und seinen Schicksalen, namentlich in der Liebe, bringt ferner eine zu stoffartige Spannung der Neugierde mit sich, wie wir dieß schon früher berührt haben. ─ Die innern Mängel kommen aber vorzüglich am Schlusse zum Vorschein, denn dieser ist unvermeidlich hinkend. Die Frage ist nämlich einfach: was soll der Held am Ende werden? Zum politischen Heroen erzieht ihn der Roman nicht, unsere Aemter sind eine zu prosaische Form, um das Schiff, das unterwegs mit so vielen Bildungsschätzen ausgestattet worden ist, in diesem Hafen landen zu lassen. Es bleiben Thätigkeiten ohne bestimmte Form übrig, die aber sämmtlich etwas Precäres haben. Wilh. Meister wird Landwirth und ist dabei zugleich als wirkend in mancherlei Formen des Humanen und Schönen vorzustellen, allein der Dichter setzt doch einen gar zu fühlbaren Rest, wenn er, nachdem so viele Anstalten gehäuft waren, einen Menschen zu erziehen, uns ein so unbestimmtes Bild der Thätigkeit des reifen Mannes auf der untergeordneten, wenn auch ehrenwerthen Grundlage der bloßen Nützlichkeit gibt. Künstlerleben ist zu ideal, die Kunst thut nicht gut, die Kunst zum Objecte zu nehmen; geschieht es aber doch, so erscheint das Continuirliche einer bestimmten Thätigkeit, deren ideale Jnnenseite das Dichterwort doch nicht schildern kann, eben auch prosaisch. Dem Romane fehlt der Schluß durch die That, ebendaher hat er keinen rechten Schluß. Er hat die Stetigkeit des Prosaischen vorneherein anerkannt, muß wieder in sie münden und verläuft sich daher ohne festen Endpunct. Ein Hauptmoment des Roman-Schlusses ist die Beruhigung der Liebe in der Ehe. Hier verhält es sich nicht anders. Die Ehe ist eigentlich mehr, als die Liebe, aber in ihrer Stetigkeit nicht darzustellen, in ihrer Erscheinung prosaisch und so läuft auch diese Seite der gewonnenen Jdealität in zugestandene Prosa aus. Diesen Charakter, die Prosa nicht gründlich brechen zu können, gesteht nun der Roman auch dadurch zu, daß er in gebundener Sprache ganz undenkbar ist und mit bloßem entferntem Anklang des Rhythmischen sich begnügen muß. Allein die Sprachform wird auch zum rückwirkenden Motive, dießmal im schädlichen Sinne, und steigert die Versuchung, die an sich schon in der Dicht-Art liegt, stoffartige Massen von Historischem, Gelehrtem aller Art, unverarbeiteter Weisheit, Tendenziösem, Erbaulichem u. s. w. in das geduldige Gefäß zu schütten. §. 881. 1. Nach Stoffgebieten eingetheilt nimmt der Roman vorherrschend das Privat leben zu seinem Schauplatz und sucht hier das Poetische entweder in der aristokratischen Gesellschaft, sei es im engeren, sei es, um die Erwerbung schöner Humanität in den bevorzugten Kreisen darzustellen, im weiteren Sinne des Worts, oder, und zwar in stets erneuter Opposition gegen diese Form, im Volke, oder im gebildeten Bürgerstande, vorzüglich in seinem Familienleben, und diese Gattung nimmt die breiteste Stelle ein. Ueber diese 2. Sphären erhebt sich unvollkommen der historische Roman in das politische Gebiet und der sociale zu den großen Fragen über das Wohl der Gesellschaft. 1. Es folgt aus allem Gesagten, daß der Roman „vorherrschend“ d. h. nicht nur meist, sondern wie sich zeigen wird, auch wo er das Oeffentliche ergreift, wenigstens mit seinem ganzen Vordergrunde stets im Privatleben spielt. Natürlich aber ergriff er zuerst dessen glänzendste, am Oeffentlichen unmittelbar liegende, durch seine Glorie beschienene Seite, das Hofleben. Der ältere aristokratische Roman, im siebenzehnten Jahrhundert, hauptsächlich nach Calprenede und Mad. de Scüdery, ausgebildet, war nur scheinbar ein historischer, ein „Heldenroman.“ Es war in den Herkules, Herkuliskus, Aramena, Octavia, Arminius von Buchholz, Herzog Anton Ulrich von Braunschweig, Lohenstein bis zu Ziegler's asiatischer Banise um einen „Hofspiegel“ und nur im Sinne aufgeklebter Gelehrsamkeit um einen „Weltspiegel“ zu thun; hinter den historischen Helden stacken Hofleute der Zeit. Dieß war der nächste Ableger der an die Rittergedichte sich anschließenden Amadis-Romane; das Aristokratische war zunächst historisch motivirt als Reminiscenz, Nachwirkung der Romantik, die Dichter selbst waren Adeliche. Dabei lag als inneres Motiv der Jnstinct zu Grunde, etwas der erhabenen Thätigkeit der Heroen im ursprünglichen Epos Aehnliches als Stoff zu ergreifen, und man suchte dieß Aequivalent in der feinsten Bildung und freiesten Lebensbewegung, wie sie den bevorzugtesten Ständen sich öffnet. Der aristokratische Roman ist ein verspäteter Versuch dieser Dicht-Art, auf der Linie des Epos zu bleiben; das Heroische soll als Vornehmes conservirt erscheinen. Die geistigere, moderne Wendung ist nun die, daß das Vornehme nicht in die feinste, sondern in die reinste Bildung, in die Blüthe der Humanität gesetzt wird, aber doch so, daß die Erwerbung derselben an bevorzugten, der Enge und Sorge des Lebens enthobenen Stand als an ihre Bedingung geknüpft bleibt. Göthe hat diese Verschmelzung des Bildungsbegriffs mit dem Adelsbegriffe im Wilh. Meister zwar durch das Aufsteigen eines Bürgerlichen in die vornehmen Kreise, durch Geltendmachung der Kunst als eines geistigen Adels, die jedoch im Schauspielerstand auch ihre ganze Sterblichkeit enthüllt, durch die Mißheirathen am Schluß ironisirt, aber darum keineswegs aufgehoben, sondern doch in Ton und Jnhalt recht sanctionirt. Dieses Kunstwerk kann im engeren Sinne des Worts ein Humanitäts-Roman genannt werden. Die ganze Dicht-Art hat, wie wir gesehen, die Jdee des Heranreifens zur reinen Menschlichkeit zum Jnhalt, das eigentliche Handeln ist nicht ihre Sphäre. Damit ist aber natürlich nicht gesagt, daß nicht der Kern der menschlichen Vollendung der Persönlichkeit in das Ethische, die Charakterbildung, und zwar allerdings auch in Beziehung auf das nationale, politische Leben zu legen sei, nur daß es bei der Beziehung bleibt und nicht die That selbst, höchstens eine Aussicht auf stetiges Wirken in die Fabel eintritt. Göthe's Roman faßt aber im Sinne seiner Zeit das Humanitätsleben als ein System idealen Selbstgenusses, worin das eigentlich Active und das Jnteresse für die großen Gegenstände desselben fehlt; die Schlußwendung zu der Jdee nützlicher Thätigkeit und der Begriff der Resignation vermag diese Grundlage nicht zu verändern, fällt vielmehr selbst wieder unter die von ihr ausgehende Beleuchtung. Es ist dieß ein Mangel an männlichem Marke, der aber in unserem Zusammenhang als natürlicher Mangel der Spezies zur Sprache kommt. Es verhält sich ebenso mit dem Künstler= Romane, zu welchem der W. Meister neigt, und den wir zum aristokratischen zählen dürfen. Der allgemeine Grund, der gegen die Wahl solcher Stoffe aus dem Gebiet idealer Beschäftigung entscheidet, ist mehrfach und noch so eben von uns ausgesprochen; in dieser Rückbiegung der Kunst auf sich selbst verräth sich ganz die bedenkliche Scheue der neueren Zeit vor dem herben Roh-Stoffe des realen Lebens. Wir wollen jedoch damit nicht schroff absprechen; Künstler, mehr noch Dichter, Schauspieler können erschütternde Schicksale erleben, die hinreichenden Stoff für den Mittelpunct einer Roman-Fabel liefern, so daß man das Mißliche einer Beschäftigung, welche dem Epiker zu wenig Realität darbietet, weniger fühlen mag; je ernster aber ein solcher Lebensgang erscheint, je ergreifender die Kämpfe einer künstlerisch idealen Natur mit der Welt, desto bestimmter tritt ein solcher Roman aus der aristokratischen, fein epicureischen Sphäre heraus und in die Gattung des bürgerlichen Romans hinüber. Jnnerhalb der Sphäre, in der wir stehen, ja der Behandlung nach in aller Roman= Literatur ist Göthe's Roman ein Werk fast unvergleichlicher Vollkommenheit. Die breiten und vollen Massen des Jnhalts, getränkt mit Lebensweisheit, erklingen unter der Hand des Künstlers wie in höheren Rhythmen, das Stoffartige ist rein getilgt und mit ächter Milde, feinem epischem Lächeln schwebt objectiv der ruhige Geist über der harmonisch geordneten weiten Welt. ─ Es war zunächst die innere Unwahrheit des aristokratischen Romans in seiner ursprünglichen Gestalt, was den Gegensatz herausforderte. Diese Unwahrheit lag in der kindischen Häufung des Unwahrscheinlichen, den unglaublichen Thaten der galanten Tapferkeit, den unendlichen abentheuerlichen Zufällen, die derselbe aus der Ritter-Romantik mit herüberbrachte, ebenso aber in dem falschen Welt- und Sittenbild überhaupt, der Unnatur des Umgangtons, dem Hohn auf alle Wahrheit der Erfahrung, auf welche doch die ganze Dicht-Art, realistisch in ihrem innersten Wesen, gegründet ist. Der Volksroman, der Ableger des Sancho Pansa, begleitet wirklich den aristokratischen Roman, wie dieser den Don Quixote, von den spanischen Schelmen- und Räuber-Romanen bis heute, wo er sich in den Dorfgeschichten eine neue Gestalt gegeben. Räuber, Abentheurer aller Art, wandernde Musikanten, Studenten, Handwerksbursche, Bediente, arme Findlinge, die schließlich emporkommen, endlich Bauern: wir dürfen dieß ganze Personal im Volksromane zusammenfassen, der uns die Welt kennen lehrt, wie sie ist, wie sie mit rauhem Stoße den jungen Lehrling enttäuscht und ihm das Schulgeld grob und hart abfordert. Der Styl geht um so viel naturalistischer in diese Gröbe des Lebens, als der Geist der Wirklichkeit die ganze Grundlage bildet. Er ist in den frühesten Erscheinungen noch ein Stück ächten Volkstons, namentlich in dem trefflichen Simplicissimus, auch in den „wahrhaftigen Gesichten Philander's von Sittewald,“ die zwar didaktisch sind, aber so viel ächt Episches enthalten: Werken, durch welche der Geist der Enttäuschung und Erfahrung, der Erkenntniß der Argheit und „Hypokrisie“ der Welt, der über das sechszehnte und siebenzehnte Jahrhundert kam, mit so scharfer Schneide geht. Wir können auch die Robinsonaden nach der einen Seite in unsern Zusammenhang ziehen, als Ausdruck einer Stimmung, welche die übersatte und üppige Cultur erfrischen wollte, indem sie ihr zeigte, wie schwer und interessant ihre Anfänge sind: sie sollte wieder Natur-Reiz erhalten durch das Bild eines Schiffbrüchigen, der von allen ihren Vortheilen getrennt ist und von vorn beginnen muß. Diese Classe steht aber zugleich in einem größern, bedeutenderen Zusammenhang und weist merkwürdig auf die Jdeen-Strömung hin, die mit Rousseau ihren stärkeren Lauf anhob; sie verkündigt einfache, naturgemäße, freie Staats- und Gesellschafts-Bildung. ─ Die Dorfgeschichten der neueren Zeit gehören ihrem beschränkten Umfange nach eigentlich in die Geschichte der Jdylle und sind bei der modernen Form derselben noch einmal aufzunehmen; doch ist nicht zu übersehen, daß diese selbst an dem hier vorliegenden Gegensatze Theil hat, indem das falsche Bild des Jdyllischen in der bekannten Form des Schäferwesens von der höfisch aristokratischen Dichtung ausgeht, das denn auch im eigentlichen Romane dieses Geschmacks einen starken Einschlag bildet. Die Dorfgeschichte gibt dagegen wahre Landleute, enthüllt die Härten, die Uebel des Bauernlebens, hält es nicht schlechthin abgeschlossen von der verderblichen Berührung mit der raffinirten Cultur, und doch rettet sie zugleich die Einfalt, die Schönheit des Heimlichen und Beschränkten. So gehört sie in den Zug der Opposition gegen die aristokratische Romanliteratur. ─ Der bürgerliche Roman dagegen ist die eigentlich normale Spezies. Er vereinigt das Wahre des aristokratischen und des Volksromans, denn er führt uns in die mittlere Schichte der Gesellschaft, welche mit dem Schatze der tüchtigen Volksnatur die Güter der Humanität, mit der Wahrheit des Lebens den schönen Schein, das vertiefte und bereicherte Seelenleben der Bildung zusammenfaßt. Der Heerd der Familie ist der wahre Mittelpunct des Weltbildes im Roman und er gewinnt seine Bedeutung erst, wo Gemüther sich um ihn vereinigen, welche die harte Wahrheit des Lebens mit zarteren Saiten einer erweiterten geistigen Welt wiedertönen. Jn diesen Kreisen erst wird wahrhaft erlebt und entfaltet sich das wahre, von den Extremen ferne Bild der Sitte. Die Engländer, die der neueren Literatur überall die bedeutendsten Anstöße gegeben, sind auch in dieser Gattung vorangegangen. Der Urheber derselben, Richardson, ist Pedant im Ausmalen, peinlicher Anatom in der psychologischen Zergliederung, abstracter Moralist, und doch begründet er den scharf zeichnenden realistischen Styl, wie ihn die Kunstform fordert, weist auf das wahre Ziel hin, in diesem Styl ein Seelengemälde zu entfalten und ihr zum Mittelpuncte den gediegenen ethischen Gehalt unserer gebildeten bürgerlichen Stände zu geben. 2. Wir könnten den historischen Roman auch in anderem Zusammenhang aufführen, nämlich da, wo von dem Hinübergreifen des classischen, monumentalen Styls in den charakteristischen zu handeln ist. Doch ist es nur die Größe des Stoffs, wodurch sich diese Form zu einem Seitenbilde des Epos und seiner Erhabenheit zu steigern sucht; im Style hat gerade sie von ihrem Begründer, W. Scott, die Richtung auf das Jndividualisiren bis zu jenem Excesse des breiten, verweilenden Ausmalens erhalten, den wir mit Lessing als Verletzung eines poetischen Grundgesetzes verwerfen mußten (vergl. §. 847), und eine Neigung dazu wird bleiben, weil der epische Poet, wo er mit dem Historiker den Stoff theilt, den Unterschied der Behandlung immer in recht haarscharfer Vergegenwärtigung wird zeigen wollen. Es ist nun hier allerdings die monumentale Großheit des geschichtlich politischen Stoffs gewonnen, allein der innere Mangel der ganzen Dicht-Art tritt in dem Verhältniß der Theile und namentlich im Schlusse nur um so fühlbarer zu Tage: das große Schicksal der Völker und das Bild der politischen Charaktere muß Hintergrund und Mittelgrund bleiben, der Romanheld im Vordergrund darf nicht historisch bedeutend sein, weil der Roman einmal das Allgemeine, genreartig Namenlose des Privatlebens, das rein Menschliche der Persönlichkeit zum Jnhalt hat; nun spricht ebendaher dieser Vordergrund das höhere Jnteresse an, das doch seinem bedeutenderen Gewichte nach der Hintergrund, Mittelgrund verlangt, und das ist ein innerer Widerspruch; dort spannt uns die höhere Bedeutung der Geschichte, das Schicksal von Nationen, hier die Frage, ob Hans die Grete bekommt, Beides gleichzeitig und so, daß die letztere Frage uns wärmer, zudringlicher beschäftigt. ─ Der soziale Roman schlummert als mehr oder weniger bestimmter Keim schon im Volksroman und im bürgerlichen. Es liegt beiden, namentlich dem ersteren, nahe, die brennende Frage über die Einrichtung der Gesellschaft, Unterschied und Kampf der Stände, Verhältniß zwischen Arbeit und Erwerb, Vergehungen und Strafen u. s. w. fühlbarer aus ihrem Erzählungsstoff hervorspringen zu lassen, ausdrücklich zu behandeln und näher oder ferner an die Grenze des Tendenziösen zu treiben; es kann aber einen Roman geben, der solche Fragen entschieden und doch nicht in unpoetischer Absichtlichkeit, sondern mit der Frische unmittelbarer Kraft und Erfindung zu seinem Mittelpuncte macht; seine Sphäre ist entweder bürgerlich oder volksthümlich, das Gewicht aber, das auf diesem Mittelpuncte liegt, begründet seinen Namen, weist ihm seine eigene Stelle an. Jmmermann's Epigonen sind trotz ihren schwachen und nachgeahmten Partieen ein achtungswerthes Beispiel. Es wird freilich nur Wenigen und in wenigen Momenten gelingen, einen Jnhalt, der seiner Natur nach in sehr bewußter Weise gedacht sein will, so in sich aufzunehmen, daß er ganz als Gestalt und Handlung vor dem Jnnern steht, und demnach so zu behandeln, daß also nicht der unorganische Weg der Tendenz eingeschlagen wird. Die geniale George Sand steht hoch in den endlosen Fluthen, welche der tendenziös soziale Roman in der neuesten Zeit aufgeworfen hat, nicht weil man sagen kann, sie habe jene Schwierigkeit gelöst, vielmehr sie ist ganz tendenziös, aber dem außer=ästhetischen Zwecke steht ein Auge, eine Kraft der Zeichnung, eine Seele, ein Stylgefühl Raphael's zu Gebot, welche Bewunderung und Liebe fordern. §. 882. Was die Stimmungsunterschiede der Phantasie betrifft, so zieht der Roman in vollem Umfang das Komische in seinen Kreis und bildet es zu einer besondern Form aus. Die ironische Auflösung des (romantischen) Epos war für seine Entstehung überhaupt und für die Begründung dieser Form ein wesentliches Moment, wogegen innerhalb des Epos das Komische nur sparsamen Raum findet und nicht eine eigene Form, sondern nur eine Parodie der Dichtart hervorbringen kann. Der Roman bewegt sich durch alle Stufen des Komischen bis zum Humor, der sich naturgemäß mit der sentimentalen Richtung verbindet. Der Stoffsphäre nach vereinigt sich das Komische mit der volksthümlichen oder bürgerlichen Opposition gegen den aristokratischen Roman. Der ernste Roman liebt glücklichen Ausgang, kann aber auch tragisch endigen. Wir haben die Frage über das Verhältniß der epischen Poesie zum Komischen bis hieher verschoben, weil erst beide gegensätzliche Stylformen vorliegen müssen, um sie zu beantworten. Das ächte Epos ist durch die Jdealität des classischen Styls gehalten, das Komische in enge Grenzen zu weisen, nicht zwar in ebenso enge, wie die Sculptur, welcher kein Thersites erlaubt ist, aber begreiflich in viel engere, als die Gattung, die vorneherein auf einer erfahrungsgemäßen, realistischen Weltanschauung ruht und sich im malerischen, individualisirenden Style bewegt. Es gibt kein komisches Epos. Was man so nannte, von der Betrachomyomachie bis zu Boileau's lutrin , Pope's Lockenraub, Zachariä's Renommisten und Murner in der Hölle, ist nicht eine Spezies, sondern nur Parodie einer Spezies, worin diese dadurch lächerlich gemacht wird, daß ihre großen Motive und großer Styl auf die Folie kleiner Stoffe gelegt werden. Diese Formen gehören in den Anhang von der Satyre. Ebenda werden wir auch, obwohl wir den tiefen Unterschied nicht verkennen, das deutsche Thier= Epos aufführen. ─ Eine positive neue Spezies entsteht aus der Jronie eines Weltbilds, das sich ausgelebt hat und welchem unter dem Spotte zugleich ein neues Weltbild entgegengestellt wird. Das Ausgelebte wird als eine Jllusion dem Lächerlichen übergeben. Mit Jllusionen tritt aber der Romanheld immer seinen Erfahrungsweg durch das Leben an, daher hat es tiefen innern Zusammenhang, daß die wahre Entstehung des Romans und die Schöpfung des komischen Romans im Grunde zusammenfallen. Der tolle Humor des Rabelais und Fischart konnte erst eine formlos wilde Caricatur der romantischen Ritterwelt, keine neue Form hervorbringen; mit einem Werke der künstlerischen Jronie dieser Welt den komischen Roman, schließlich den wirklichen Roman überhaupt geschaffen zu haben, dieß ist die unsterbliche Leistung des Cervantes. Der edle Narr Don Quixote, dessen Hirn von der Lectüre der Ritterbücher verbrannt ist, zieht Abentheuer suchend durch die Welt, deren prosaische Wirklichkeit ihm auf allen Tritten den komischen Anprall bereitet und deren grobe Wahrheit von den Lippen seines komischen Schattens, seines bäurischen Chors, des Sancho Pansa gepredigt wird. So ist diese Jronie des Ritterthums zugleich Volksroman, nimmt im Volke den Ansatz zum Spotte gegen das ausgelebte Jdeal der Aristokratie. Um diesen Roman gruppiren sich jene Schelmen= und Abentheurer-Romane in Spanien, die in Frankreich ihre Nachahmung im Gil Blas von Lesage finden, und in Deutschland treten die Volksromane, die oben erwähnt sind, der absurden Fortsetzung des Ritterlichen im aristokratischen Kunstroman entgegen. Eine andere Linie tritt in England hervor. Hier bildet sich der bürgerlich komische Roman in Opposition gegen die Prüderie, die abstracten Tugend- und Bosheits-Muster, die pedantische Selbstzergliederung in Richardson's Romanen, wiewohl diese selbst die bürgerliche Form begründet und in der Feinheit, Schärfe und Sicherheit der Zeichnung so großes Verdienst haben. Naturalistisch derb und possenhaft tritt die Gegenwirkung in Fielding, wüst und aus tieferen Abgründen des Häßlichen keine reine Komik entbindend in Smollet auf. ─ Jnzwischen hatte sich das Sentimentale entwickelt. Es verbindet sich in der englischen Literatur alsbald mit dem Komischen so, daß die tiefere Gestalt desselben, der Humor, auflebt: Goldsmith und Sterne schaffen den humoristischen Roman. Es ist hier nicht unsere Aufgabe, diese Gestalt zu schildern, da ihr inneres Wesen im ersten Theil im Abschnitt vom Humor aufgezeigt ist (vergl. namentlich §. 220). Jn Deutschland bildete sich unter starkem englischem Einfluß die empfindsame Stimmung zu einer Gewalt aus, welche sich im Romane, der durch seine exotischen Motive ihr unmittelbar das natürlichste Gefäß darbietet, eine besondere Form schafft, die geistvollste in Werther's Leiden, worin sie mit ihrer verführerischen Schönheit ihr wahres Wesen zugleich als Selbstverrichtung enthüllt und, indem sie sich ganz darstellt, sich negativ heilt. Aber daneben zieht sich, ebenfalls von der englischen Literatur angeregt, die komische Linie hin und bereitet eine andere Weise der Auflösung des Sentimentalen vor, den eigenthümlichen Umschlag in den Humor, der sich nicht wirklich von diesem Geiste der überschwenglichen Sehnsucht befreit, sondern immer sein Bild neu erzeugt, um es neu in das „Lächeln zwischen Thränen“ aufzulösen: J. P. Fr. Richter (vergl. §. 205 ff. und §. 480). Der komische Roman ist seither in mancherlei Form aufgetreten, hat aber den Reichthum und die Gewalt dieses zwar formlosen Humoristen und seiner englischen Vorgänger nicht wieder erreicht. Die neuere romantische Schule hat die phantastischen Motive der ursprünglichen Romantik wieder ausgebeutet, dämonische Gestalten des Unheimlichen beschworen und diese Welt in die kranke Form des gebrochenen, zerrissenen Humors unvollkommen aufgelöst. Wir haben gesehen, daß das Epos tief tragisch endigen kann, seiner Natur nach aber mehr zum glücklichen Ausgang treibt. Dieß ist noch mehr der Fall bei dem Romane, da er sich mit den milderen Motiven des Seelenlebens befaßt und den Gang seines Helden durch die Conflicte des Lebens mit der Entwicklung seiner Persönlichkeit zur wahren Humanität zu schließen seine innerste Aufgabe ist. Allein diese Conflicte begründen nicht nur im Einzelnen um so schneidendere tragische Momente, als die Subjectivität hier in ihrer ganzen Feinfühligkeit auf die Härten des Lebens stößt, sondern es muß dem Roman auch unbenommen sein, sich ganz im tragischen Elemente zu bewegen und es in einen finstern Schluß, in das Bild einer an der Unerbittlichkeit der Weltbedingungen scheiternden Persönlichkeit zusammenzudrängen. §. 883. Dem Romane stellt sich als das kleinere Bild einer Situation aus dem 1. größern Ganzen des Weltzustands und der persönlichen Entwicklung die No- 2. velle zur Seite. Das Volksthümliche hat sich vorzüglich in diese Form gelegt und als realistische Jdylle die Dorfgeschichte eingeführt. Einzig in ihrer Art steht aber eine andere Gestalt der modernen Jdylle: der ideale Styl tritt in den charakteristischen über und steigert das bescheidene Bild des Landlebens zur monumentalen Höhe des Epos. 1. Die Novelle verhält sich zum Romane wie ein Strahl zu einer Lichtmasse. Sie gibt nicht das umfassende Bild der Weltzustände, aber einen Ausschnitt daraus, der mit intensiver, momentaner Stärke auf das größere Ganze als Perspective hinausweist, nicht die vollständige Entwicklung einer Persönlichkeit, aber ein Stück aus einem Menschenleben, das eine Spannung, eine Krise hat und uns durch eine Gemüths- und Schicksalswendung mit scharfem Accente zeigt, was Menschenleben überhaupt ist. Man hat sie einfach und richtig als eine Situation im Unterschied von der Entwicklung durch eine Reihe von Situationen im Romane bezeichnet. Die Novelle hat dem Romane den Boden bereitet, das Erfahrungsbild der Welt erobert; das Mittelalter kannte Mensch und Welt nicht, träumte überall von Exemtionen, Bocaccio plauderte das Geheimniß aus, daß Menschen Menschen, „sterbliche Menschen“ sind. Dieselbe Bedeutung hat die große Beliebtheit des Schwankes, wie er im sechszehnten Jahrhundert in Deutschland herrscht. Diese kleinen Formen sind zum Theil bloße Anekdoten. Die Anekdote ist mit kurzer Spannung und Lösung zufrieden ohne das Resultat eines fruchtbaren, inhaltvollen Blickes in die Wahrheit des Menschenlebens, daher meist komisch; die Novelle dagegen bewegt sich auch im tragischen Gebiet, und zwar mehr, als der Roman. Es liegt dieß in ihrer strafferen Natur; wer Jnteressantes kurz erzählen will, muß das Retardirende schneller niederwerfen und auf die Katastrophe zueilen, wo sich aber diese acuter hervordrängt, da ist auch die schärfere Schneide des Schicksals, wie die Pritsche des lächerlichen Zufalls, im Zuge des Ausholens. Es lag der modernen Zeit sehr nahe, den Jnhalt der Novelle als Thema zu behandeln, d. h. unsere Conversation und Debatte so in sie zu verlegen, daß eine Lebensfrage, ein Kampf geistiger Richtungen, dunkle Erscheinungen des Seelenlebens und dergl. vorherrschend gesprächsweise erörtert werden, während in den persönlichen Schicksalen zugleich die factische Antwort erfolgt. Die Form ist bedenklich, denn es liegt nur zu nahe, die zweite Seite, welche natürlich den wesentlichen Körper des Ganzen bilden müßte, zur Nebensache zu machen und so die Jdee didaktisch, statt poetisch und zwar mit dem besondern Geruche des Salons, der Theegesellschaft herauszustellen, wie wir in den meisten Novellen Tieck's sehen. Ein Anderes ist es, wenn eine harmlose Gesellschaft sich Novellen erzählt, wie bei Bocaccio, wo denn schließlich allerdings auch die Erzählenden selbst eine Novelle spielen mögen; ohne Bocaccio's Naivetät ist auch dieß von Tieck (im Phantasus), Göthe und And. nachgeahmt. ─ Eine gegen den Roman hin erweiterte Novelle sind Göthe's Wahlverwandtschaften, sie bleiben aber in ihrer Grundlage fest auf dem Boden der Dichtart, denn sie schildern nicht einen ganzen Entwicklungsgang einer Persönlichkeit, die Hauptpersonen sind beziehungsweise reif; eine einzelne, verfängliche Lebensfrage, die Frage über das Verhältniß zwischen Freiheit, Pflicht, Selbstbeherrschung und dunkeln physiologisch=psychischen Gewalten, die Jndividuum an Jndividuum bannen, bildet den wesentlichen, ächt novellenhaft spannenden Jnhalt und nur die breite Fülle der Darstellung bringt den Romancharakter hinzu. ─ Wir hätten nun hier mancherlei schwer zu bestimmende Nebenformen zu besprechen, sagen aber nur ein Wort von der sog. poetischen Erzählung. Sie hätte schon neben dem classischen Epos erwähnt werden können, sie läuft aber ebenso neben dem Roman und auch der Novelle her. Dort erscheint sie, wie z. B. die Erzählungen einzelner Thaten des Herkules bei Theokrit, als eine epische Studie, ein Eidyllion, aber im hohen Style, nur ohne die Weihe, welche die Einreihung in den Zusammenhang des großen Weltbildes gibt. Soll zwischen der poetischen Erzählung der neueren Zeit und der Novelle ein fester Unterschied angegeben werden, so kann er nur darin liegen, daß jene entweder im Sinne des Hinneigens zum Historischen, oder zum Didaktischen mehr stoffartig ist, wiewohl sie im Uebrigen ihre Materie mit mehr oder weniger Selbstthätigkeit der Kunst umbilden mag. Hoch stehen in der ersteren Gattung trotz der Bitterkeit, die sie verdüstert, an Kunsttalent die Erzählungen Heinrich's von Kleist. Die zweite Gattung war in der Periode, die der Revolution in der neueren Poesie vorangieng, sehr beliebt; man trug in anekdotenhaftem Gewande gern schalkhafte oder rührende Pointen, Sätze der Lebenserfahrung, Menschenkenntniß vor, wie Gellert, Lichtwehr, Pfeffel. Diese Sachen waren, um ihnen etwas mehr Schein zu geben, versificirt; sie blühten gleichzeitig mit der Fabel und sind ihr verwandt. 2. Die Novelle führt uns zum Jdyll (oder, um bei dem Sprachgebrauche zu bleiben, der die moderne Form mit einem grammatischen Genusfehler zu bezeichnen einmal gewohnt ist,) zur Jdylle zurück. Das classische Sittenbildchen wird in der modernen Zeit vor Allem der Composition nach erweitert: der bloße Keim einer Handlung, der in ihm lag, entwickelt sich, es bekommt eine Fabel, wird Erzählung, daher auch größer an Umfang. Es erhellt schon daraus, daß dieser Zweig höhere Wichtigkeit erhalten hat, und der innere Grund liegt darin, daß eine Stimmung, die wir nur erst als ganz schwachen Anhauch im classischen Jdyll gefunden haben, nunmehr völlig ausgebildet den Charakter der Gattung bestimmt: das Gefühl der Unnatur in der gebildeten Gesellschaft, der Härte und Kälte des öffentlichen, politischen Lebens. Es ist dieselbe Spannung der Sentimentalität, die erst der Gegensatz erzeugt, wie in der Landschaftmalerei. Der gebildete Mensch erscheint unwahr und getheilt, man sucht den ungetheilten, wahren und glücklichen da, wo man dagegen auf die größeren Jnteressen verzichten muß; daher zieht sich denn diese Dicht-Art dem Stoffe nach immer mehr zu den Ständen zurück, die so wenig als möglich vom Raffinement der Bildung berührt werden, zu Landleuten, Hirten. Wir können, was ihre frühere Geschichte betrifft, nur andeuten, wie jene Spielerei und Affectation des Schäferwesens, worunter Höflinge versteckt waren, in Jtalien aufkommt, von da nach Spanien, Frankreich, Deutschland wandert, hier durch die Nürnberger sich ganz zum Kindischen verschnörkelt, wie später Geßner sie zu vereinfachen und zu veredeln meint, indem er die Sentimentalität, nicht in jenem allgemeinen, ächten, sondern im spezifisch weichlichen, weinerlichen Sinn ihr eingießt und aus Naturmenschen ihr empfindsames Gegentheil macht. Sieht man diese Dichtungs-Form genauer an und fragt sich, was der richtige Styl ihrer Behandlung in der modernen Zeit sei, so drängt sich eine doppelte Beziehung auf: nach der einen Seite hat für uns die Jdylle einen classischen Charakter, denn sie zeigt ein ungebrochenes, naives Leben, wie es im Ganzen und Großen dem Alterthum eigen war; nach der andern Seite soll diese Beziehung zu keiner Unwahrheit, keiner falschen Jdealisirung führen und man soll sich wohl erinnern, daß gerade bei den Alten selbst die Jdylle es war, worin der realistische, charakteristische Styl ein Gefäß seiner relativen Ausbildung fand. Es ergeben sich naturgemäß aus dieser doppelten Beziehung zwei Stylrichtungen, die sich aber vor extremem Gegensatz hüten müssen. Fr. Müller, der Maler, gab unter dem Einflusse des erwachten Jnteresses für das Volkslied der Jdylle zuerst realistische Wahrheit, später floß dieser Auffassung der ganze Gewinn an innigem Einblick in die wahren Heimlichkeiten des Landlebens zu, den die Dialekts-Poesie, namentlich die Hebel'sche, brachte, man fieng überhaupt an, gesunder, objectiver zu schauen, und daraus haben sich denn, nachdem Jmmermann mit dem trefflichen Dorfschulzen in seinem Münchhausen vorangegangen, die Jdyllen in Novellenform, die Dorfgeschichten gebildet. Wir haben in anderem Zusammenhange (§. 881, Anm. 1.) bereits das Wesentliche dieses Zweigs kurz bezeichnet. Das Landleben erscheint hier nicht wie eine Oase, worin nur die Milch der frommen Denkungsart fließt; hier gibt es Kabalen, Neid, Engherzigkeit, Unsauberes aller Art, wie in der großen Welt, der Landmann wird auch nicht mehr vom Städter unwahr abgeschieden, kommt vielmehr in Verkehr und Conflicte mit ihm, es erfolgen Rücktritte, Uebertritte zwischen beiden Ständen, kurz die Uebel der Gesellschaft und das Glück der ländlichen Naivetät greifen ineinander über. Und dennoch muß der Kern der geschlossenen Schönheit des kindlich Engen, der gemüthlichen Heimlichkeit im gesunden Erd- und Heu-Geruch erhalten bleiben. Dieß ist das Schwere der Aufgabe, die B. Auerbach, obwohl er von falschen Tönen und fühlbaren Spuren des allzu modern Bewußten keineswegs frei ist, Epoche machend gelöst hat. Die Dorfgeschichten haben ihren unbedingten Werth, aber die ganze Form darf nicht überschätzt werden und hat sich sehr davor zu hüten, daß sie sich über den Beifall des lorgnettirenden Auges der modernen Gesellschaft täusche. ─ Wir haben hiemit der entgegengesetzten Richtung der Zeit nach vorgegriffen; dieser Realismus ist im engsten Sinne modern. Die classische Richtung der großen Zeit der neueren deutschen Poesie schlug jenen andern Weg ein. Voß gieng voran, Göthe überholte ihn weit und schenkte der Poesie sein Meisterwerk, das bis jetzt einzig dasteht und als unicum reiner Typus einer Gattung ist: einer Jdylle, die durch den Geist der Behandlung sich zur Würde des Epos erhebt. Wir haben hier einen der reinsten Fälle der Kreuzung der Style, die uns durch unsere ganze Kunstlehre begleitet, tief entsprechend jener classischen Jdealität, welche in der Malerei Leop. Robert in das Sittenbild, Rottman in die Landschaft eingeführt hat. Die Hauptpersonen sind nicht Hirten, Bauern, aber auch nicht, wie bei Voß, Menschen, welche der Sphäre der Bildung angehören, die vom Volke trennt, und nur durch das Amt auf das Land versetzt sind (wiewohl wir diesem Stoffe, dem deutschen Pfarrhause, seine Poesie nicht absprechen), es sind Bewohner eines Städtchens, deren Geist Gewerb und Verkehr gelichtet hat, ohne den nothwendigen und vertrauten Umgang mit der Natur zu lockern. Ein höherer Ton ist schon dadurch gewonnen; das große Weltgeschick aber, wie es als Hintergrund aufsteigt, mit der einfachen Liebesgeschichte im Vordergrunde sich verflicht und ernste, würdige, sittliche Erwägungen, nationale Gesinnungen erweckt, gibt der ganzen Stimmung und Composition die epische Höhe, welcher in der Behandlung und Durchführung das reinste classische Formgefühl entgegenkommt, das durch die einfachsten Mittel die schlichten Gestalten in das Licht patriarchalischer Volksführer, homerischer Männer und Frauen rückt. Deutsches Herz, deutscher Sinn für die kleinen Züge des engeren Lebens, Naturtreue und Charakteristik, malerischer Wurf und Hauch hat sich hier in einer Verschmelzung, die so nicht wiederkehren wird, mit griechischer Großheit, Reinheit und Plastik vereinigt und das Eine Werk war es werth, daß Wilh. v. Humboldt in seiner classischen Analyse die Gesetze der epischen Dichtkunst an ihm entwickelte. β . Die lyrische Dichtung. 1. Jhr Wesen. §. 884. Die einfache Synthese des Subjects mit dem Objecte, worin jenes diesem sich unterordnet (vergl. §. 865), kann dem Geiste der Kunst nicht genügen; er fordert eine weitere Stufe, auf welcher dem Wesen nach die Welt in das Subject eingeht und von ihm durchdrungen wird, so daß alles Objective als dessen inneres Leben erscheint, und dem Verfahren nach die Umständlichkeit schwindet, durch welche das Epos der bildenden Kunst verwandt ist. Der Act der Freiheit, der diesem Verhalten zu Grunde liegt, wird jedoch in der verhüllten Form des Bestimmtseins, des Zustands, der Geist als Seele auftreten: die dichtende Phantasie stellt sich auf den Standpunct der empfindenden. Dieser Fortgang entspricht also demjenigen, der von der bildenden Kunst zu der Musik führt (vergl. §. 746). Die lyrische Dichtung, die er begründet, kann sich der Geschichte, wie dem Begriffe nach zu der epischen nur als die nachfolgende verhalten. Die allgemeine Begründung des Uebergangs von der epischen zur lyrischen Poesie ist auf anderer Stufe dieselbe, wie die des Uebergangs von der bildenden Kunst zu der Musik. Jn der epischen Poesie ist zwar die Welt der Gegenstände geistig durcharbeitet, bewegt, wie sie es in der Malerei noch nicht sein kann, aber die dichtende Phantasie hat sich doch wieder auf den Boden der bildenden gestellt, sich das Object geben, sich durch es bestimmen lassen; sie hat den Geist wie ein Natursein angeschaut. Dagegen tritt nun in der Kunst dieselbe Forderung des Geistes auf, wie jene in der Philosophie, die vom Realismus zum subjectiven Jdealismus fortdrängt und aus dem Satz Ernst macht, daß der Mensch das Maaß aller Dinge ist, indem er begreift, daß für ihn Alles nur so viel ist, als es für sein Bewußtsein ist. Es kann bei der Naivetät nicht bleiben, welcher die Gegenständlichkeit imponirt; die Welt soll vom Geiste ganz durchdrungen, durchkocht erscheinen und dieß kann, ─ auf dem Standpuncte, dem hier der objective zunächst Platz macht, ─ nur dadurch geschehen, daß sie überhaupt nicht für sich erscheint, sondern nur so, wie sie im Geiste gesetzt, zu seinem innern Bild und Leben geworden, ganz in ihn ein und aufgegangen ist. Speziell macht sich die innere Nothwendigkeit des Fortgangs zu der subjectiven Form in der Weise des epischen Verfahrens fühlbar. Wohl gewinnen wir dadurch jenes sonnenklare Bild der Dinge, aber es geht zu langsam. Der Geist, der den Meisel und Pinsel weggeworfen hat, um durch das geflügelte Wort zu sprechen, kann nicht dabei stehen bleiben, daß er die langen Wege, auf denen jene die Erscheinung der Dinge nachahmen, obwohl unter veränderten Beschleunigungsverhältnissen zu den seinigen macht, daß er, als Wortführer für die Dinge und Menschen, doch immer noch daneben stehen muß und sagen: so war Dieß und Jenes, jetzt hat Der, jetzt Jener dieß und das gesprochen u. s. w. Die Phantasie muß sich ihres von innen heraus bewegten und bewegenden Wesens bewußt werden, die Geduld für diese Form verlieren und eine andere suchen, welche, ob zwar mit Opfer, doch dasselbe auf einem unendlich kürzeren Weg erreicht, eine Form, worin der dargestellte Mensch im eigenen Namen redet und so, daß er seine Erscheinung ungesagt, doch merkbar mitbringt und das Bild der Außendinge, wie sie in ihm sich spiegeln, durch das Aussprechen der Spieglung ausspricht. Wenn dieß die reine, allgemeine Bedeutung des vorliegenden Schrittes ist, so darf er darum dennoch nicht als ein plötzlicher Aufgang der reinen Geistigkeit, als ein Act des Jch, das sich in seiner reinen Freiheit erfaßt, verstanden werden. Daß jene Vergleichung mit dem subjectiven Jdealismus nur eine Parallele ist, bedarf ohnedieß keines Beweises, denn wir sind im ästhetischen Gebiete, wo ein naturloser Geist überhaupt keine Stelle hat. Aber auch zu der Form des Verhaltens, welche ästhetisch naturvoll ist und doch den freien Geist als weltbestimmenden auffaßt und darstellt, kann die Kunst in diesem ersten Schritte von der epischen Ausbreitung und Objectivität zur Concentrirung und subjectiven Jntensität noch nicht vordringen. Vielmehr wir befinden uns in der Mitte, wo Welt und Natur sich in das Subject zusammenzieht, in diesem selbst aber als die Naturform der empfindenden Seele sich erhält oder wiederkehrt. Das lyrische Subject ist factisch Welt-Einheit, Brennpunct der Welt, aber die Welt ist in ihm nur Herz, Gemüth geworden; es vollstreckt thatsächlich an den Dingen die Wahrheit, daß sie nichts an sich sind, aber nur in einem tiefen, helldunkeln Träumen, worin sich ihm die wahre Bedeutung seines Thuns so verbirgt, daß es unter die zufälligen Eindrücke von außen wie unfrei gestellt ist, daß es meint, sein Zustand sei ihm angethan, komme wie eine Naturnothwendigkeit über es, während es doch in Wahrheit ganz bei sich ist und Alles, was an es kommt, in dieß Jch auflöst. Es ist dieß also eine Wiederkehr des Standpuncts der Musik auf neuem Boden, die dichtende Phantasie wird zur dichtend= empfindenden. Sie ist als solche ganz naiv, aber freilich nicht mehr so, wie die dichtend=bildende, die epische. Zwar ist diese, von der einen Seite betrachtet, klarer und freier: sie schwebt ruhig über den Dingen und schaut sie deutlich und hell, sie scheint geistiger, bewußter. Sie ist es auch, aber sie ist es nur, weil sie noch nicht zu dem tiefen Prozesse fortgeht, dem Subjecte die Welt im Jnnersten anzueignen, und dieser Prozeß muß auf dem Durchgangspuncte, der sich als lyrische Poesie darstellt, nothwendig mit Verlust an jener Art von Klarheit und Freiheit verbunden sein; die neue, höhere, zu welcher er führt, liegt noch unentwickelt und dunkel in ihm. Aber die Naivetät dieses Dunkels ist dennoch weit über die Naivetät des Epos hinaus: sie ist das Unbewußte des tiefen Verarbeitens, nicht mehr das Unbewußte des Anstaunens. Sie setzt daher auch geschichtlich eine größere Reife voraus. Der Schluß des §. faßt nur in einen Satz zusammen, was zur Rechtfertigung der allgemeinen Eintheilung schon in §. 863, Anm. 1. ausgeführt ist. Wir haben dort auch auf W. Wackernagel's psychologische und historische Begründung verwiesen und fügen zur letzteren Seite nur noch eine allgemeine Bemerkung hinzu. Jn Griechenland giengen schwere Erschütterungen voraus, Ringen der Parteien, des Adels und Volks, beider mit Alleinherrschern, ehe der Einzelne sich zu der Concentration und Vielseitigkeit der inneren Erregung zusammenfaßte, woraus die lyrische Poesie sich entwickelte; im Mittelalter mußte erst durch lange und wilde Kämpfe das Prinzip der christlichen Religion mit dem Bruchstücke heidnischer Objectivität, das den Charakter dieser Weltperiode wesentlich mitbestimmt, zusammengegohren, deutsche, romanische und orientalische Elemente mußten in den Kreuzzügen durcheinandergerüttelt sein, ehe die Knospe sich erschloß und die erfüllte Jnnerlichkeit ihren Duft im Liede verbreitete. Doch hat erst die moderne Poesie eine wahre und volle Lyrik schaffen können, denn es ist nur der gebildete Geist, der die reichen Negationen durchlaufen und überwunden hat, welche Alles hervorlocken, was im Grunde eines Menschenherzens schlummert. Aber selbst ein sichtbares Aufblühen der Volkspoesie setzt eine Periode voraus, wo das Volk einer früheren Bindung und Dunkelheit der Zustände sich entwachsen fühlt, wie im sechszehnten Jahrhundert. ─ Anders verhält es sich mit dem einzelnen Dichter: die Muse, welche ganz ein Kind der Stimmung ist, wird der Jugend mehr, als dem reiferen Mannesalter hold sein; wenige Lyriker haben lange fortgesungen, und auch diese mit den Jahren etweder seltener, oder, wenn reichlich, doch weniger rein poetisch, sondern contemplativ, didaktisch. §. 885. 1. Da es aber die dichtende Phantasie ist, welche sich auf den Standpunct der empfindenden stellt, so liegt darin zugleich der Unterschied von der Musik: das Gefühl kann in der Dichtkunst nur durch Anknüpfung an das Bewußtsein als Organ und Jnhalt einer Kunstform auftreten; das Subject spricht zwar nur sich, seine Stimmung aus, vermag dieß aber blos dadurch, daß es theils Elemente der epischen Anschauung, directe und indirecte Bilder, theils eigentliche Gedanken (gnomische Elemente) und Willensbewegungen in die Stimmungs- Atmosphäre überträgt. Durch diese sämmtlichen Mittel bewegt sich die lyrische 2. Poesie in den verschiedenen Richtungen der Zeit, wesentlich aber ist sie im Gegensatze gegen die epische Vergangenheit auf die Gegenwart gestellt. 1. Wir haben die Musik als die schlechthin subjective Kunst des Gefühls kennen gelernt, die als solche kein Object geben kann. Darum ist ihre Form das reine, verglichen mit aller andern Kunst gestaltlose Bewegungsleben des Tons. Die Poesie hat sich über diese Sphäre erhoben und spricht mit dem Vehikel des articulirten Tons, des Worts, die innere Welt im Lichte des Bewußtseins aus. Wenn daher in ihr der Standpunct wiederkehrt, auf dem das ganze System der Künste in der Musik steht, so muß, da dieß eine Versetzung auf denselben von einem andern Standpunct ist, zugleich mit der Analogie auch der tiefe Unterschied sich geltend machen; daher schon in §. 846, Anm. 2. gesagt ist, daß gegen das Stylgesetz, welches Verirrung der Dichtkunst in das Gebiet der Tonkunst abwehrt, auch die lyrische Form keine Einwendung begründe. Man kann nun das Verhältniß so bestimmen: das Gefühl ist die reine Mitte des Geisteslebens, woraus die bewußten Thätigkeiten stets auftauchen und worein sie stets zurücksinken; diese stehen daher beständig an seiner Schwelle (vergl. §. 748. 749); die Musik, als Kunst des reinen Gefühls, öffnet ihnen diesen Eintritt nicht; die lyrische Poesie öffnet ihn, umhüllt aber alle bestimmte Gestaltung, die hiemit eingelassen ist, mit dem Schleier des Empfindungs-Elements: ein stets sich vollziehender, stets sich zurücknehmender Uebertritt auf andern Boden, ein Schweben zwischen dem reinen, unbewußten Sichselbstvernehmen und dem bewußten Vernehmen der Dinge, ein Nebel mit lichten Durchblicken. Das Gemüth geht nur aus sich heraus, um in sich zu bleiben; es kann seinen Zustand nur aussprechen an Anderem, durch Hereinziehen von Solchem, was nicht mehr bloße Empfindung ist, aber es wird diesen Stoff auch blos hereinziehen, um ihm seine Farbe zu geben. Der lyrische Dichter sagt, was sich dem Worte, indem es darein gefaßt wird, entzieht, er sagt es daher so, daß er im Sagen verstummt und durch sein Verstummen auf einen unerschöpften unendlichen Grund hineinzeigt. Es zittert ein Unaussprechliches zwischen seinen Zeilen: das reine, wortlose Schwingungsleben des Gefühls. Er nennt und zeichnet uns Dinge, Gedanken, aber in ihnen immer nur sich, sein Herz, wie sie auf es wirken, aus ihm hervorsteigen und wie kein Ausdruck ihm genügt. ─ Wir haben gesehen, wie in der Poesie die bildende Kunst sich wiederholt (§. 838); dieß wird in der epischen Dichtart im engeren Sinne zur Wahrheit, aber der Satz ist ganz allgemein ausgesprochen und muß auch in der Sphäre wahr bleiben, von welcher mit besonderem Nachdruck das Andere gilt, daß in der Poesie die Musik wiederkehrt. So sind es denn zunächst epische Elemente, d. h. Bilder der Anschauung, wodurch der Lyriker seine subjective Stimmung objectivirt. Sehen wir nun an einigen Beispielen, worin diese Anschauungsbilder, zunächst die directen im Unterschiede von den indirecten, metaphorischen, bestehen und wie sie sich mit dem eigentlichen, unmittelbaren Gefühls-Ausdruck mischen. Jn „Schäfers Klagelied“ hören wir unmittelbar kein Wort von dem, was der Jnhalt ist, dem in Liebesweh gebrochenen Herzen; er zeigt uns, wie er tausendmal an den Stab gebogen auf dem Berge steht, in das Thal hinabschaut, wie er in dunkler Bewußtlosigkeit hinabsteigt, die wenigen Worte „und weiß doch selber nicht wie“ lassen uns aber nicht zweifeln, daß hier das Anschauungsbild nur dient, um einen Zustand der tiefsten Versenkung des Gemüthslebens zu enthüllen; es folgt der Zug des unbewußten Blumenbrechens, des Harrens in Sturm und Wetter unter dem Baume, wir erfahren dann den Grund des innern Leidens mit den Worten: sie aber ist weggezogen u. s. w., und nun, wo man meinen könnte, daß die Schilderung des innern Zustandes anfangen werde, bringt das Gedicht zunächst noch einen äußern Zug: „vorüber, ihr Schafe, vorüber“ und hat zum Schlusse nur Ein directes Wort für das, was Jnhalt des Ganzen ist: „dem Schäfer ist gar so weh!“ Mignon haucht ihre Sehnsucht nach dem schönen Heimathlande in Anschauungen Jtaliens aus, nur im Refrain bricht sie ausdrücklich durch, aber auch nicht rein direct, sondern als ein Wunsch, dahin zu ziehen, der eigentlich wieder ein Bild enthält. Gretchen im Faust sagt uns in den Strophen, die sie am Spinnrade singt, wie sie nur nach dem Geliebten aus dem Fenster schaut, aus dem Hause geht, schildert dann seine herrliche Erscheinung und schließt mit einem Bilde der heißen Umarmung, wie sich Herz und Phantasie danach drängt, sie spricht so die unendliche Sehnsucht in lauter Anschauungsbildern aus; in jenem Liede des tiefsten Weh's, das sich als Gebet an die Maria wendet, zeichnet sie in wenigen Zügen zuerst das Bild der vom Schwerte durchbohrten, zum Himmel aufblickenden Mutter Gottes, vor dem sie kniet, sie erzählt nachher (wir sehen von den andern Strophen noch ab), wie sie die Blumenscherben mit Thränen bethaute, als sie Morgens die Blumen brach, die sie vor dem Bilde niederlegt, sie schildert, wie sie vor Aufgang der Sonne in ihrem Jammer schon aufgerichtet im Bette saß. Werther, ächt lyrisch, kann uns nur sagen, wie ihm die Augen der Geliebten vor der Stirne brennen: „hier, wenn ich die Augen schließe, hier in meiner Stirne, wo die innere Sehkraft sich vereinigt, stehen ihre schwarzen Augen. Hier! ich kann es dir nicht ausdrücken. Mache ich meine Augen zu, so sind sie da; wie ein Abgrund ruhen sie vor mir, in mir, füllen die Sinne meiner Stirn.“ Es unterscheiden sich aus diesen Beispielen bereits zweierlei Formen der objectiven Anschauung: das lyrische Subject führt uns erzählend, schildernd äußere Objecte vor, aber auch sein eigenes Bild, indem es sich vor seine und unsere Phantasie in einem bestimmten Zustand hinstellt. Die letztere Form ist zwar subjectiv, aber im Subjectiven noch zu den objectiven Elementen zu zählen. Nun muß aber das in Empfindung versenkte Selbst auch unmittelbar von sich ausgehend ohne diese Gegenüberstellung seinen Stimmungszustand auszusprechen suchen. Da derselbe jedoch schließlich unsagbar ist, so wird es auch für diese rein subjective Einkehr in sich abermals nach objectiven Elementen greifen; es wird nämlich der leibliche Reflex des Seelenzustands dienen müssen, um ein andeutendes Bild von diesem zu geben. Man betrachte Mignon's Lied: „Nur wer die Sehnsucht kennt“: das kranke Herz sucht zu sagen, was es leidet; da beruft es sich zuerst auf Andere, die dasselbe leiden, die werden es wissen, sagen läßt es sich nicht; jetzt folgt ein Anschauungsbild der zweiten Gattung der erst von uns aufgeführten Formen: „allein und abgetrennt von aller Freude seh' ich an's Firmament nach jener Seite“; mit wenigen Worten wird hierauf sächlich die Ursache des Leidens angegeben: „ach, der mich liebt und kennt, ist in der Weite“; nun aber soll endlich der innere Zustand direct ausgesprochen werden, da hat das unsagbare Gefühl nur Ein Mittel, es holt ein Bild aus der tiefen Durchwühlung, welche die Sehnsucht im physischen Leben hervorbringt: „es schwindelt mir, es brennt mein Eingeweide“ und hier, wo derjenige, der das Lyrische nicht versteht, meinen wird, das Eigentliche, die wirkliche Entwicklung des Seelenzustands werde nun folgen, ─ verhaucht das Lied, es kann nur zum ersten Satze der Berufung auf Andere zurückkehren und schließen. So findet auch jenes erste Lied Gretchen's kein directes Wort für ihren Zustand, als: „mein Herz ist schwer, mein armer Kopf ist mir verrückt, mein armer Sinn ist mir zerstückt“; und das zweite greift ebenfalls in die verstörten Tiefen des leiblichen Lebens, doch nur, um sogleich hinzuzusetzen, daß auch dieß eigentlich unaussprechlich sei: „wer fühlet, wie wühlet der Schmerz mir im Gebein? Was mein armes Herz hier banget, was es zittert, was verlanget, weißt nur Du, nur Du allein“, dann findet die innere Qual nur das einfache Wort: Wehe, fühlt aber, daß es nicht genügt, und wiederholt es daher dreimal, auf den Busen deutend: „wie weh, wie weh, wie wehe wird mir im Busen hier“; sie greift wieder zum Objectiven: „ich wein, ich wein', ich weine“, und noch einmal zum physiologischen Bilde: „das Herz zerbricht in mir“, dann aber, da dieß Alles unzureichend bleibt, zu jenen epischen Elementen der Vergegenwärtigung ihrer Leidensgestalt. Clärchen's Sehnsucht langet und banget in schwebender Pein, jauchzt himmelhoch zum Tode betrübt und kann nicht weiter. Das Objective, in jenem engeren und diesem allgemeineren Sinne, genügt also nicht und eben das ist die rechte Lyrik, die dieß nicht Genügen, dieß Wortlose im Worte ausspricht, aber es ist doch der einzige Körper, an welchem der elektrische Funke des Gefühls hinläuft und aufsprüht. So gewiß ist im Lyrischen ein episches Element, daß es sogar Formen gibt, welche scheinbar ganz darin aufgehen, eine Anschauung zu geben, sei es ein ruhendes Naturbild, Sittenbild oder eine Erzählung. Es ist aber noch nicht die Rede von diesen besondern Formen, sie sind dem Abschnitte von den Zweigen vorbehalten, hier nur vorbereitet. Betrachtet man nun das letzte der aufgeführten Mittel des lyrischen Gefühls näher, so ist es eine Art dunkler Symbolik, wodurch der leibliche Zustand den Seelenzustand reflectirt. Behutsam angewendet gilt ebendieser Begriff dunkler Symbolik von den objectiveren Anschauungs-Elementen, die vorher aufgeführt sind. Es handelt sich hier noch gar nicht von der eigentlichen Vergleichung, aber das Angeschaute wird ähnlich wie in dem dunkeln Zusammenfühlen von Jnhalt und Bild im altreligiösen Symbole zu einem Spiegel, verliert seine Selbständigkeit, das Gefühl, hülflos in seiner Unaussprechlichkeit, hängt sich daran, heftet sich daran, senkt sich hinein, um sich an ihm wie an einem Sinnbilde zum Ausdruck zu verhelfen. So in Desdemonen's Liede der Refrain von der grünen Weide; das verlassene Mädchen sagt uns nicht, wie sie unter der Weide sitzt und ihr die grauen, hingegossenen Blätter und Zweige zum Bilde ihres Zustands werden, der sich ganz in Thränen hingießen möchte, sie vergleicht nicht, es schwebt ihr nur so vor, aber sie muß immer darauf zurückkommen. Ein andermal sind es Blumen, ein murmelnder Bach, eine neblige Haide, woran das Gefühl des eigenen Zustandes anschließt. Jn Göthe's Strophe: „Ueber allen Wipfeln ist Ruh'“ haben wir dieß innig symbolische Hineinfühlen in die Natur oder das Herausfühlen aus ihr in unvergleichlich reiner Form. Jn Ed. Mörike's Jägerlied erinnert die zierliche Spur des Vogels im Schnee den Waidmann an die zierlicheren Züge in den Briefchen der geliebten Hand aus weiter Ferne; nun sieht er einen Reiher hoch in den Lüften und voll von dem Gedanken der Macht der Liebe über Zeit und Raum ruft er aus: tausendmal so hoch und so geschwind die Gedanken treuer Liebe sind. ─ Ein Anderes ist nun die eigentliche Vergleichung. Es bedarf keines Beweises, daß das Gefühl aus demselben Grunde, wie nach jenen zunächst directen Bildern, nach ihr greift, nämlich eben, weil es nicht unmittelbar sich selbst aussprechen kann. Daher spielt die Vergleichung in der Lyrik eine so wesentliche Rolle wie im epischen Gebiete, ja sie wird noch ungleich häufiger auftreten, aber in einem ganz verschiedenen Charakter: ein Unterschied, den wir nachher an anderem Orte verfolgen werden; hier weisen wir auf die Stärke der Geltung dieses Mittels zunächst nur hin, indem wir eine tief bezeichnende Erscheinung hervorheben: das Bedürfniß, die dunkle Stimmung in einem Andern, Helleren zu spiegeln, dem in's Unendliche sich verlierenden Hintergrunde das Gegengewicht eines deutlichen Vordergrunds zu geben, ist so stark, daß es die Lyrik liebt, geradezu eine ganze Empfindung, einen ganzen Gedanken nur an einem Tropus fortlaufend und ihn durchführend zu entwickeln: Erzeugnisse, die man wohl in besonderer Anwendung des Worts allegorische Gedichte genannt hat. So fühlt Göthe im Schwager Kronos mit den Wechseln einer Wagenfahrt die Wechsel eines Menschenlebens warm und innig zusammen; er läßt in dem nachgedichteten Volkslied Haidenröslein einen schalkhaften Gedanken durch das Bild vom gebrochnen Blümchen durchspielen; er spricht einen ernsten und tiefen Gedanken direct als Sinn des Bildes aus im „Gesang der Geister über den Wassern“, so Uhland in der „Ulme zu Hirschau“. Der §. sagt, daß das Gefühl auch zu dem Ausdruck von bestimmten Gedanken und Willensbewegungen fortgehe, um sich eine Sprache zu geben. Wir haben einen Fall des Ersteren in den so eben angeführten Beispielen gefunden, er enthält aber natürlich nicht die einzige Art, sondern in jeder Weise wird der lyrische Dichter ausdrücklich Gedachtes seinem Erzeugniß einflechten. Es ist die Vollendung des Unterschieds von der Musik, daß hier das Gefühl zum wirklichen Betrachten, zum Denken des Allgemeinen sich erschließt, ohne doch seinen Charakter zu verlieren, denn die Gedanken dürfen nur auf seinem Strome schwimmen, müssen in das grundbestimmende Element seines Erzitterns und Schwebens hineingezogen sein, oder richtiger, nur aus ihm aufsteigen, um wieder in ihm unterzutauchen. Allerdings liegt die Abirrung in das Sentenziöse und überhaupt das Philosophische, Lehrhafte nahe, die Probe aber, ob dieß Außerästhetische der Ausgangspunct und das Herrschende, oder nur ein Strahl sei, an dem das Helldunkel der reinen Stimmung Licht sucht, wird nicht schwer sein. Wir kommen auf diesen Punct und die allerdings feinen Grenzbestimmungen anderswo zurück. Dieß gedankenhafte Element bezeichnet der §. kurz als das gnomische, natürlich nicht zu verwechseln mit der besondern Form der gnomischen Poesie. ─ Auch mit Willensbewegungen verhält es sich so, daß die lyrische Dichtung, während die Musik sie nur anzukündigen scheint, ohne sie aussprechen zu können, sich ihrem wirklichen Ausdruck öffnet; ja es muß eine Lyrik des Willenspathos, des kriegerischen, politischen, ethischen geben, die darum noch nicht Tendenz-Poesie ist, sondern der Bedingung genügt, daß die Empfindung das bestimmende Element bleibe, in welches die Jdee, deren Widerspruch mit der Wirklichkeit den Willens-Eifer begründet, erst ganz sich umgesetzt hat. ─ Eine andere, negative Bedingung, die gerade hier besonders zu betonen ist, nämlich die, daß das Pathologische überwunden sei, wird nachher zur Sprache kommen. Uebrigens versteht sich, daß, was wir epische oder Anschauungs-Elemente genannt haben, in der Wirklichkeit von diesen Eintritten in die Welt des denkenden und wollenden Geistes nicht zu trennen ist, daß sie vielmehr insgesammt an und miteinander verlaufen. 2. Die Unterscheidung dieser Elemente, welche überall nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft hinweisen, führt auf die Zeitbestimmung. Es ist schon in §. 862 gesagt, daß die lyrische Poesie auf die Gegenwart, wie die epische auf die Vergangenheit gestellt ist. Es ist dieß nur ein anderer Ausdruck für den Satz, daß das Bestimmende dieser Dicht-Art die lebendige, alles Object in sich verarbeitende Subjectivität ist. Das Lyrische ist ganz auf diesen Moment concentrirt: jetzt, eben jetzt empfindet ein lebendiger Mensch die Welt so und nicht anders. Allein der Moment flieht im Werden und weicht dem folgenden. So ist die Gegenwart nur der stets relative Punct, von welchem aus der Lyriker die Vergangenheit und Zukunft durchmißt. Von ganz besonderer Stärke ist die Richtung der Vergangenheit. Wo das Gefühl selbständig waltet, ist die Wehmuth des Rückblicks bestimmender Grundzug, ein Flor, der über Allem, auch dem Heitern liegt; denn als ein dunkles Schwingungsleben ist das Gefühl wesentlich ein Vernehmen der Zeit, eigentlich die Zeit selbst als subjectives Vernehmen des ewigen Wechsels; dieser Ton, den wir schon im Epischen fanden, dieser Zustand, als säße man am Strome der allgemeinen Vergänglichkeit und hörte ihn rauschen, wird im Lyrischen herrschend und wesentlicher Grundzug. Die Gegenwart weist aber durch Hoffnung oder Furcht nothwendig auch auf die Zukunft und die Empfindung schwillt in zarterer oder gewaltsamerer Weise nach ihr hin, das Selbst stellt sich in sie hinaus und schaut dort sein Bild. Den Zug der Wehmuth hebt auch dieß nicht auf, es zieht sich vielmehr etwas hindurch, ein Klang, der zu sagen scheint, daß auch dieß Zukünftige einst vergangen sein wird. Wie diesen verschiedenen Beziehungen nun die Elemente der Anschauung, der Betrachtung und der Willensbewegung als Ausdrucksformen dienen, bedarf keiner Auseinandersetzung. §. 886. Wie die lyrische Dichtung der Zeit nach wesentlich auf den Moment gewiesen ist, so dem Umfange nach, in welchem sie das Objective ergreift, auf die Vereinzelung: es ist wesentlich dieses Subject, das in dieser Situation von einem Punct aus der Totalität der Welt berührt wird; daher ist empirisches Erleben in der Form der Zufälligkeit vorausgesetzt, daher liegt auch das Pathologische (vergl. §. 393, 2.) besonders nahe und muß an dieser Stelle ausdrücklich wieder abgewiesen werden. Das freie und universale Gemüth, das in Kampf und Schmerz sich mit der Welt versöhnt hat, legt nun zwar in jedes Einzelne sein ganzes Jnneres und das Gefühl des Universums, aber unentwickelt, und nur die Gesammtheit der lyrischen Aeußerungen gibt das Bild einer Persönlichkeit, eines Volks, der Völker, der Welt. Die bestimmte Art des Zusammenfühlens der Jndividualität und der Welt verleiht dem Gedichte seinen Duft. Die lyrische Poesie hat über der Jnnigkeit, die ihr gewonnen ist, das Object zwar nicht so ganz verloren, wie die Musik; wir haben ihre epischen, bildlichen, gnomischen, überhaupt einen Gegenstand nennenden Elemente kennen gelernt; aber sie kann das Object nicht entwickeln, nicht ausbreiten. Jst ihr zeitliches Element die Gegenwart, also der Augenblick, so ist in Beziehung auf ihren Verkehr mit den Gegenständen ihr Charakter die Punctualität; sie ist ein punctuelles Zünden der Welt im Subjecte: in diesem Moment erfaßt die Erfahrung dieses Subject auf diese Weise. Wir haben in §. 393, 1. für alle Phantasiethätigkeit gefordert, daß sie von der zufälligen Anregung durch irgend ein Naturschönes ausgehe, allein in den andern Gebieten wird an dem so gegebenen Stoffe fortgebildet, bis er ein größeres Weltbild darstellt, das eine zweite, ideale Natur ist und worüber man den Ausgangspunct rein vergißt; die Musik fällt hier weg, da sie gar kein Mittel hat, den Anstoß, wovon die erfindende Stimmung ausgegangen, erkennbar durchblicken zu lassen; der lyrische Dichter aber sagt es recht ausdrücklich, daß er bei dem und dem Anlaß, hier am Fluß, im Gebirge, hier, wo er die Geliebte zum ersten oder letzten Mal gesehen, wo er am Todtenbette des Freunds gestanden u. s. w., den Grundgehalt des Lebens so oder so gefühlt hat; wir sehen ihn im Nachen auf dem Strom, über den er vor Jahren schon einmal gefahren, von den Manen derer, die damals mit ihm waren, begleitet; wir sehen ihn dem Schnee, dem Regen entgegenstürzen, um die Brust zu kühlen, mit schlagendem Herzen geschwind zu Pferde steigen, das Rebengeländer an seinem Fenster mit Thränen befeuchten; das Mägdlein steht am Herde, muß Feuer zünden früh, wenn die Hähne kräh'n, und wie sie in's Feuer blickt, fällt ihr ein, daß sie die Nacht vom treulosen Knaben geträumt hat, die Verlassene schleicht durch's Wiesenthal als im Traum verloren. So accentuirt der Lyriker die Situation und eben weil er sie als solche accentuirt, mit einem raschen Lichte beleuchtet, geht er nicht zu der Ausführung fort, worin sie ihre Bedeutung verlöre. Daher gilt von der lyrischen Dichtart wie von keiner andern das Göthe'sche Wort, daß ein wahres Gedicht Gelegenheitsgedicht im höheren Sinne des Wortes sei, daher konnte aber auch in keinem Kunstgebiete das Wahre dieses Wortes sich so sehr dahin verkehren, daß man unter Gelegenheit einen Anlaß verstand, von dem nicht freie Gunst der Muse, sondern die Absicht des Machens, etwa gar auf Bestellung, ausgeht. Die Gelegenheit ist der Zufall des Anlasses, der die Phantasie absichtslos in Bewegung setzt. Alles ästhetische Erfinden ist zufällig, aber in keinem Gebiete betont sich der Begriff der Zufälligkeit so, wie im lyrischen, eben weil der außer aller Berechnung liegende Ausgangspunct als solcher in der Situation premirt und erhalten wird. Die Situation ist der Moment, wo Subject und Object sich erfassen, dieß in jenem zündet, jenes dieß ergreift und sein Weltgefühl in einem Einzelgefühl ausspricht. Treffende und feine Bemerkungen über diesen Lebenspunct der ächten Lyrik gibt Gervinus in seiner meisterhaften Schilderung des deutschen Volksgesangs (Gesch. d. Nat.=Lit. d. Deutsch. Th. 2, VII , 1). ─ Vermöge dieses Charakters liegt nun das Pathologische im lyrischen Gebiete näher, als in andern; wir haben es längst besprochen und abgewiesen und brauchen daher hier nur zu sagen, daß es wegen der stärkeren Versuchung besonders ausdrücklich zu verwehren sei. Die jambische Poesie der Griechen, so manches von Zorn und Rache glühende Lied der Araber, der französischen Dichter des Mittelalters, vor Allem aber die neuere Zeit mit ihrer so ungleich vertieften Spannung der Gegensätze im Subjecte liefert unzählige Proben; was der unmittelbare Natur-Ausbruch der Leidenschaft sei, zeigt namentlich Bürger in Stellen, wie: „denn wie soll, wie kann ich's zähmen, dieses hochempörte Herz? wie den letzten Trost ihm nehmen, auszuschreien seinen Schmerz? Schreien, aus muß ich ihn schreien“ u. s. w. Die Gefahr, daß „die Hand, die vom Fieber zittert, das Fieber zu schildern unternehme“, hat noch einen bestimmteren Grund, als den, daß die Forderung des in gegebener Situation lebensfrisch Gefühlten so leicht mißverstanden wird: er liegt in der falschen Deutung der Wahrheit, daß das Land des Gefühls ein Land der Schmerzen ist. Erleben, erfahren heißt durch Leiden gehen; die Welt in sich verarbeiten, heißt durch das Meer der Qualen schwimmen. Das Object tritt nicht kampflos in das Subject ein, um aus ihm verklärt im Glanz und Dufte der Empfindung hervorzusteigen; die naive epische Freude an den Dingen muß erst bitter vergällt, das Jdeal, womit der jugendlich geschwellte Geist an die Welt geht, mit der rauhen Unerbittlichkeit hart zusammengestoßen sein, ehe die Blume der tieferen, gefüllteren Lyrik aus den Tiefen des Gemüthes sproßt. Die Lyrik hat diesen Lebensprozeß in seiner innersten Spannung auszusprechen und so unzählige Lieder der unbefangenen Heiterkeit sie geschaffen hat und schafft, so geben doch diese nur zusammengefaßt mit der weit größeren Summe der schmerzvollen das ganze und wahre Bild dieser Dicht-Art. Aber eben: der Kranke kann die Krankheit nicht darstellen; nur das Gemüth, das sich zur Seligkeit der idealen Freiheit durchgekämpft hat oder doch die tiefe Anlage dazu, die Kraft der Gesundheit in sich trägt, um die gefährlichsten Krankheiten in glücklichen Krisen zu überstehen, wird die einzelne Erschütterung, wie sie so eben noch in ihm nachzittert, verklärt, zur Allgemeinheit der Jdee gereinigt wiedergeben. Göthe's unverwüstliche Elastizität steht auch in diesem Zusammenhang als reines Muster da. Jn seiner Hand wird Alles leicht und frei, verliert die Erdenschwere, schwebt im Aether der reinen Stimmung und Form. An dem Morgen, da er Wetzlar verläßt, die Flamme einer verzehrenden Leidenschaft, in welche die Zeitstimmung der Sentimentalität noch ihr Oel gegossen, noch heiß im Herzen, dichtet er „Pilgers Morgenlied“; der Nord des Lebens „zischt ihm tausendschlangenzüngig um's Herz“, aber die Liebe des einzelnen Mannes zum einzelnen Weibe wird ihm zur „allgegenwärtigen Liebe, die ihn durchglüht, die ihm gegossen in's frühwelkende Herz doppeltes Leben: Freude, zu leben, und Muth.“ Das einzelne Werk der lyrischen Muse wird durch diese Unendlichkeit, den Ausdruck eines freien, in der Klarheit des Universalen lebenden Gemüths zum Mikrokosmus. Allein die Kunst im Ganzen und Großen strebt dahin, den Mikrokosmus in einem entfalteten, größeren Ausschnitte des Makrokosmus niederzulegen; die Lyrik faßt nur einen kleinen Punct der Welt an und läßt ihm keine Selbständigkeit, entwickelt ihn nicht, sondern eilt, ihm den Klang des Gemüths zu entlocken; der kleine Punct wird dadurch wohl zu einer Welt, aber doch nicht so unbedingt, wie es Angesichts des größeren Kunstwerks keine Welt mehr gibt, sondern die ganze Welt jetzt hier, in diesem Bild enthalten ist, wir fühlen vielmehr den Vorbehalt durch, daß es unzählige andere Puncte der Berührung und Klänge geben kann, die erst das Weltbild vollenden. Man muß daher die Erzeugnisse der lyrischen Dichtung summiren, das Bild der ganzen einzelnen Persönlichkeit und ihrer Weltauffassung entspringt nur aus der Reihe ihrer Lieder; diese Reihe neigt an sich zu Gruppen, die einen Lebenszustand erst entfalten. Die Gruppen führen wieder aufeinander und schließen sich zum Gesammtbilde ab. Solche Gruppen sind aber im Großen die lyrischen Poesieen ganzer Völker, wie sie sich unterscheidend ergänzen, und nur die lyrischen Dichtungen aller kunstsinnigen Nationen zeigen die Welt auf ihren verschiedensten Puncten von der Subjectivität nach ihren verschiedensten Seiten erfaßt, durcharbeitet, poetisch durchwühlt und so die Welt im Subject oder umgekehrt. ─ Wir können dieß Alles so zusammenfassen: die lyrische Poesie hat nicht sowohl bestimmten Körper, als bestimmten Duft. Man vernimmt in ihr die Persönlichkeit und ihre Art, die Gefühlsweise ganzer Nationen, vereinigt mit der bestimmten Natur der Gegenstände, an die das Gefühl im einzelnen Fall und in herrschender Richtung anschießt, wie eine spezifische Atmösphäre, die man gern mit einem feinen, aber entschiedenen Eindruck auf den Geruchsinn vergleicht. Es ist, wie wenn man vom Weine sagt, er habe Blume, eine bestimmte Blume, womit man ausdrücken will, daß man das Erdreich, worin er gewachsen, die Zone, die ihn gereift, in den feinsten Nerven durchfühle. Es ist vielleicht das höchste, absolute Lob, wenn man von einem lyrischen Gedichte sagen kann, es habe Duft. Herder hat, wie Wenige, das Organ gehabt, diesen Duft zu finden und zu unterscheiden. §. 887. Der lyrische Styl ist im Unterschiede vom epischen (vergl. §. 869) darauf gewiesen, mehr errathen zu lassen, als auszusprechen, vom Aeußeren auf das Jnnere zu deuten und daher nicht in gemessener Ruhe zu entwickeln, sondern rasch, abgebrochen fortzuschreiten. Die Composition verknüpft die Vorstellungen nicht nach ihrer objectiven Ordnung, sondern liebt Absprünge, die ihren Zusammenhang in der subjectiven Einheit des Gefühls haben und nur entfernt der relativen Selbständigkeit der Episode sich nähern können. Die wirkliche Einheit liegt darin, daß sie ein organisches Bild des Verlaufs einer Stimmung gibt, worin eine Bewegung durch drei Hauptmomente (vergl. §. 500, 2.) sich vernehmlich durchziehen wird. Diesem Gange sagt die unterbrechende und abschließende Rückkehr zum Grundtone durch den Refrain zu. Die Natur des Gefühls fordert Kürze des Ganzen. Es wird sich zeigen, daß der Unterschied der Style in der lyrischen Poesie nicht in der durchgreifenden Bedeutung auftreten kann, wie in der epischen; wir erwähnen ihn vorläufig schon hier, um zuzugeben, daß die direct ideale, plastische Richtung allerdings den stammelnden, sprungweisen, andeutenden Charakter nicht in dem Maaße tragen wird, wie die naturalistische und individualisirende; allein es wird dieß nur ein fehr relativer Maaß-Unterschied sein, denn die spezifische Natur des Gefühls ist sich überall gleich: sie kann sich eigentlich nicht in Worten ausdrücken und wenn sie es doch versucht, muß sie es so thun, daß man den Worten ansieht, es sei immer noch mehr zurück, als ausgesprochen ist. Je mehr ich mein Gefühl zur klaren Gestalt beredt und in flüssigem Zusammenhang herausbilden kann, desto mehr hört es schon auf, Gefühl zu sein. Wir haben gesehen, daß epische Anschauungs-Elemente, Gedanken und Willensbewegungen herbeigezogen werden, um einen Anhalt zu geben, an dem das Unergründliche zur Aeußerung gelange; es muß aber eben zugleich die Unzulänglichkeit dieses Anhalts zu Tage treten, es sind Lichter, die das Dunkel nicht ganz erleuchten, sondern wieder zerrinnen und so ein Helldunkel erzeugen. Namentlich muß sich dieß an dem indirect bildlichen Elemente, den Tropen, bewähren: die lyrische Poesie wird die kühn verwechselnde Metapher dem begründenden, entwickelnden Gleichnisse vorziehen, das gerne dem Bilde die Ausführlichkeit einer über den Vergleichungszweck hinausgehenden selbständigen Schönheit zuwendet. Es bleibt also dabei, daß das ahnungsvoll nach innen Deutende, Springende, Unentwickelte recht im vollen Gegensatze gegen das Epische den allgemeinen lyrischen Stylcharakter bildet. Man sehe darauf jenes Lied und lied=artige Gebet Gretchen's in Göthe's Faust an und beobachte, wie hier das ächt lyrische Gefühl von jedem Versuche der Entfaltung, der Ausbreitung wieder in seine unerschöpfliche Tiefe zurücksinkt. Dieß Stylgesetz wird sich am meisten da bewähren, wo es am meisten in Gefahr sein wird, nämlich in den Formen, die innerhalb der lyrischen Poesie episch zu nennen sind, also die Aufgabe haben, im Zusammenhang erzählend darzustellen; hier wird der lyrische Charakter der scheinbar ablenkenden Aufgabe zum Trotz, also gerade mit doppeltem Nachdrucke sich geltend machen. ─ Der allgemeine Satz führt sogleich zu der Frage nach der Composition und hier bewährt sich, was von der Schwäche des Unterschieds der Style gesagt ist, daran, daß gerade der direct ideale, classische Styl auf seiner Höhe am vollständigsten ausgebildet hat, was man die lyrische Unordnung nennt. Sie hat sich vorzüglich in der Ode festgesetzt; Pindar componirt wahrhaft labyrinthisch, knüpft Fäden an, läßt sie wieder fallen und flicht sie erst am Ende so zusammen, daß die Bedeutung klar wird (vergl. u. A. Otfr. Müller Gesch. d. griech. Lit. B. 1, S. 409 ff.). Diese vielbesprochene Art der Anlage, das Abspringen zu weit von einander entlegenen Gegenständen, das scheinbar gesetzlose, der bloßen Einbildungskraft angehörige Spiel der Verknüpfung der Vorstellungen erklärt sich leicht daraus, daß die wirkliche Ordnung eine subjective ist und die objectiven Elemente aus dem Einen Gesichtspuncte der Stimmung verbindet. Diese schwebt über der Welt, wie ein Magnet, an den auf Kosten des sächlichen Zusammenhangs Jedwedes anschießt, was eine wesentliche Seite der Beziehung zu ihm hat, oder sie kann mit dem schwebenden Vogel im Anfange von Göthe's Harzreise im Winter verglichen werden: „Dem Geier gleich, der auf schweren Morgenwolken mit sanftem Fittig ruhend nach Beute schaut, schwebe mein Lied!“ Man wird sich hierüber klare Rechenschaft geben, wenn man an sich selbst beobachtet, wie im Zustande entschiedener Gefühlsstimmung die Phantasie umherschweift, als handle sie, vom Denken nicht überwacht, ganz willkürlich für sich; man wird sich zuerst wundern, wenn man sich darauf besinnt, bei wie fremdartigen Gegenständen sie herumgeirrt ist, hernach aber sich überzeugen, daß sie im Dienste des Einen Grundgefühls gehandelt hat. Der Wahnsinn als fixe Jdee ist ein krankhafter Verlust des ganzen Geistes in diesen Zustand, dem die Kunst als einem Zustand unter andern freie ästhetische Form gibt: er sieht alle Dinge außerhalb der richtigen Ordnung nur im Zusammenhang mit Einer habituell gewordenen Vorstellung, Empfindung; Blitz, Donner, Sturm und Regen, Edgar's Erscheinung, Gloster's feinen Hut und alles Andere bezieht Lear nur auf den Undank seiner Töchter. Die Phantasie kann auf dieser scheinbaren Jrrfahrt bei diesem oder jenem Bild auch länger verweilen, als der sprungweis bewegte Charakter der Dichtung es zuzugeben scheint, und man kann dieß Episode nennen. Dahin gehören z. B. die mythischen Erzählungen Pindar's, wie die des Argonautenzugs im Pythischen Gedicht auf den Kyrenäischen König Arkesilas, allein das herrschende Gefühl ruft die Phantasie von diesem Verweilen doch ungleich rascher zurück, als die epische Anschauung; so im gegebenen Beispiele, wo jenes Bild nur dient, die Größe des Kyrenäischen Königsgeschlechts durch den Ruhm der Argonauten, von denen es abstammt, zu verherrlichen. Jn der modernen Lyrik werden solche Episodenähnliche Stücke weit kürzer sein, weil der subjective Charakter hier überhaupt das Anschauungs-Element weit mehr in die Enge zusammenzieht, man kann sagen, weil sie ächter lyrisch ist. Die Einheit des lyrischen Gedichts ist denn wesentlich Ton-Einheit und es gleicht jener Richtung in der Malerei, welche nicht nur die Schönheit der Zeichnung, sondern überhaupt den Werth der Gegenstände gegen den Stimmungston zurückstellt. Wir sind aber jetzt im Elemente des zeitlich Bewegten: die Ton-Einheit muß also in Ton-Unterschiede successiv auseinandergehen und kann als Einheit von diesen ebensosehr Bewegungs-Einheit heißen. Ein bestimmtes Gefühl soll im Liede den Weg gehen, den ihm seine Natur vorschreibt, und nicht ruhen, bis es erschöpft ist. Es bedarf keines Beweises, daß auch hier der Dreischlag von Anfang, Mitte, Schluß, wie wir ihn für alle Composition als organisch gegeben aufgestellt haben, das Grundgesetz der Gliederung bilden wird: Anschwellen, Ausbrechen, sich Beruhigen ist der natürliche Verlauf jeder besonderen Stimmung. Doch können diese Elemente verschiedene Stellungen zu einander eingehen und zu der Verschiedenheit dieser Stellung kommt noch die Verschiedenheit der Mischung des Gefühlsklangs mit den Anschauungs-Elementen, dem Gedankenmäßigen (Gnomischen) und dem Hindringen gegen den Willens-Entschluß. Das letzte der drei Momente, die Beruhigung, kann natürlich die mannigfaltigsten Formen annehmen, ist nicht nothwendig eigentliche Besänftigung, besteht aber wesentlich immer darin, daß das Gefühl eben in der Selbstdarstellung sich läutert, idealisirt. Pilgers Morgenlied von Göthe (Nachgel. W. B. 16), das wir oben in anderem Zusammenhang angeführt, enthält den Dreischlag der Momente in der einfachen Weise, daß im ersten Satze der Anblick von Lila's Wohnung, obwohl im Morgennebel verhüllt, Bilder seliger Erinnerung im Dichter weckt; nun folgt ein zweiter Satz, zuerst episch der ersten Begegnung gedenkend, dann rasch zu dem Gefühle der rauhen Wildheit des Trennungsschmerzes übergehend und diesem Schmerze kühn den männlichen Willen entgegenstellend, im letzten Satze aber beruhigt sich dieser Sturm nicht im Erlöschen der schmerzvollen Stimmung, sondern im Verklären derselben zur allgegenwärtigen Liebe. Dieß ist allerdings die einfachste, allgemeinste Form des Verlaufs; allein die Beruhigung kann auch in einem vollen, stürmischen Ausbruch des Gefühls liegen und dann haben wir die Umstellung, daß das zweite der drei Momente, wie sie oben aufgeführt sind, an den Schluß tritt; so schließt Gretchen's Lied „Meine Ruh' ist hin“ mit dem stürmischen Wunsche, an den Küssen des Geliebten, zu dem die wühlende Sehnsucht sie drängt, zu vergehen: vorher zurückgehalten, gepreßt, erstickt stürzt hier das Grundgefühl gewaltsam wie durch eine Schleuse hervor, die sich dadurch geöffnet hat, daß die arme Verlassene das Bild des Geliebten im vollen Glanze, wie die Liebe schaut, sich vergegenwärtigt hat. Dieß ist nun freilich keine Beruhigung im gewöhnlichen Sinn, aber als höchster Ausdruck der Sehnsucht doch ein idealer Abschluß. Jn Mignon's Lied „Kennst du das Land“ steigert sich die Sehnsucht in ununterbrochener Folge; in drei Strophen stellt sich einfach die Dreigliederung dar; die erste malt die Natur Jtaliens, die zweite seine Kunst, und hier hängt sich an das vorschwebende Bild die dunkle Erinnerung der dort verlebten Kindheit; dadurch befeuert sich in der letzten Strophe die Sehnsucht, die Phantasie sucht den Weg zu dem Ziele derselben und findet ihn in einem der Alpenpässe, dessen wilde Gebirgswelt recht der zum Gipfel angelangten Heftigkeit des Wunsches entspricht, und mit diesem beschleunigten Pulse schließt das Lied. Dagegen stellt sich in Göthe's Gedicht „Rastlose Liebe“ der stürmische Ausbruch an den Anfang, bildet den ersten Satz: der Dichter möchte dem Gefühl einer neuen Liebes-Anziehung sich entreißen, stürzt dem Schnee, dem Regen, dem Wind entgegen; im zweiten Satze gibt er sich davon Rechenschaft, aber wir ahnen schon, daß die Schmerzen, denen er entfliehen will, nicht so unwillkommen sind: „alle das Neigen von Herzen zu Herzen, ach! wie so eigen machet das Schmerzen!“, und im dritten Satze hat er sich in das Glück ohne Ruh' ergeben und erkennt der Liebe, aus der es kommt, die Krone des Lebens zu: erst jetzt, mit diesem Geständniß ist ausgesprochen, was dem Anfange noch verschwiegen zu Grunde liegt. ─ Diese Winke mögen hinreichen, zum weiteren Nachdenken über die lyrische Composition und die mancherlei Umstellungen ihrer Glieder anzuregen; sie wären leicht zu vermehren, namentlich wenn wir auf die Form eingehen wollten, die eine Handlung erzählt und hiemit an das Aristotelische „Anfang, Mitte und Schluß“ in ähnlicher Bestimmtheit gewiesen ist wie Epos und Drama. Wesentlich ist aber hier noch das Moment einer wiederkehrenden Unterbrechung des lyrischen Verlaufs, die denn auch am Abschlusse noch ihr Recht behauptet, hervorzuheben: es ist der Refrain, wie ihn besonders das germanische Volkslied und die durch es verjüngte Kunstpoesie liebt. Er ist zunächst überhaupt Ausdruck davon, daß das Gefühl sich in Worten eigentlich nicht auszubreiten, darzustellen vermag; so wird in Gretchen's schon besprochenem Liede: „Meine Ruh' ist hin“ der erste Vers, der das Thema hingestellt hat, zum wiederkehrenden Strophen-Abschluß, zum Refrain: es ist ein mattes Zurücksinken von dem Versuche einer ausführenden Schilderung des Zustandes einer liebenden Seele, die ihr Centrum verloren hat, aber am Schlusse kann er hier nicht wiederkehren, da, entflammt am Bilde des Geliebten, das Gefühl sich Luft gemacht hat und in's Weite ergießt. Dagegen in Gretchen's Gebet faßt er als Anfang und Schluß das Ganze ein; hier ist er der Ausdruck davon, daß die Verzweiflung nur bei der göttlichen, mitfühlenden Liebe Hülfe suchen kann, er ist aber am Schluß etwas verändert, ein heftigeres Flehen. Der Refrain trägt durch seine Einschnitte zu der sogenannten lyrischen Unordnung bei, denn unvermittelt durchbricht er die Versuche des Gefühls, zur objectiven Anschauung überzugehen; aber in Wahrheit stellt er wie eine wiederkehrende Melodie die Einheit des Grundtones aus den Wechseln und Unterschieden her; zugleich ist er ein Ruhepunct: das Gemüth hält sich an ihm fest in dem bodenlosen Wogen der Empfindung. Allerdings kann er auch aus bloßen Naturlauten, Jnterjectionen bestehen; die Bedeutung eines durchgehenden Bandes zum Festhalten der Grund-Empfindung bleibt ihm dann in dunklerer, der Musik enger verwandter Weise. Das Kinderlied und Handwerkslied spielt gerne mit dieser Form, um eine Körperbewegung auszudrücken, die der Gesang begleitet; die Kunstpoesie wird in Nachbildungen leicht kindisch. ─ Daß die lyrische Dichtung auf Kürze angewiesen ist, geht aus der Natur des Gefühles hervor, wie wir auf sie dieselbe Forderung schon in der Lehre von der Musik §. 764 begründet haben. §. 888. Die lyrische Poesie ist durch ihre Bedeutung als Wiederkehr des Standpuncts der empfindenden Phantasie in der dichtenden besonders eng auf die rhythmische Form gewiesen; sie führt ihrer Natur nach zum Strophenbau, bildet ihn kunstreich zu einer Vielfältigkeit verschlungener Gliederungen fort, verbindet Strophen zur Strophengruppe, deren Composition naturgemäß zu einer Gliederung von drei Sätzen neigt, endlich Strophengruppen zu größeren Ganzen. Die Grundforderung aber ist, daß Ton und Gang der Stimmung sich in der äußern Form treu ausspreche, und dieses Verhältniß soll nicht unter allzu viel Kunst leiden. Wesentlich entspricht dem Charakter der lyrischen Dichtung der Reim. Die Verwandtschaft mit der Tonkunst wird in ihr zur wirklichen Verbindung durch musikalischen Vortrag. Die lyrische Dichtung ist enger an den Gehörssinn gewiesen, weil sie an das Bewußtsein zwar anknüpft, aber ihren Gefühls-Jnhalt ihm nicht völlig zu erschließen vermag, der Ton und seine Kunstbildung aber eben die Sprache des Gefühls ist. Doch führt dieß nicht unmittelbar auf den eigentlich musikalischen Vortrag; die rhythmische Form in ihrem Unterschiede von der Musik und ihrer tiefen Verwandtschaft mit derselben ist eben der Punct, worin der Antheil des Bewußtseins, durch den jene Kunst dem Gefühle Wort-Ausdruck gibt, mit dem reinen Bewegungsleben des Gefühls geeinigt erscheint. Die verschlungenen, mit Bild und Gedanke durchschossenen Wege und Gänge des Gefühls führen nun naturgemäßer zu kunstreichen rhythmischen Gebilden; es tritt an die Stelle der fortlaufenden epischen Versreihe eine Verbindung von Reihen zu selbständigen kleineren Ganzen, zu Strophen, und eine Aufeinanderfolge von Strophen wie dort von einfachen Reihen. Von jeher haben die Strophen dazu geneigt, den Weg des Gefühls dadurch bestimmter darzustellen, daß sie durch eine nach Länge oder Kürze überhaupt oder auch metrisch ungleiche Zeile ihre zusammengestellten Reihen abschlossen und damit das Ausathmen des Gefühls schlechthin oder das Ausathmen mit einem kurzen neuen Aufschwunge darstellten. Es war zuerst der Pentameter, der im elegischen Versmaaße zum Hexameter trat als „melodisches Herabfallen der flüssigen Säule, die im Hexameter gestiegen ist,“ es war dann der Epodos in verschiedenen Formen. Allein der Doppelschlag von Steigen und Sinken ist nur die allgemeinere Seite des Gefühlslebens; die Stimmung hat ihren innern Verlauf und wir haben in §. 887 auch von ihm gesagt, daß sich derselbe naturgemäß durch drei Momente bewegen wird. Als sich die Lyrik in der dorischen Chorpoesie immer kunstreicher ausbildete, stellte sich denn auch die Dreigliederung in den drei Sätzen: Strophe, Antistrophe und Epode dar. Die Minnepoesie des Mittelalters hat dieselbe Kunstform in den zwei Stollen, die der Aufgesang hießen, und dem Abgesang ausgebildet; unter den neueren Bildungen sind es namentlich mehrere italienische, die in der Verschlingung ihrer melodischen Bänder den Abschluß durch einen zwei vorangehenden Sätzen ungleichen Satz lieben, so die achtzeilige Stanze und das Sonett. Die antike Lyrik ist nun zu äußerst kunstreichen Bildungen in der einzelnen Strophe fortgegangen und hat Gruppen von Strophen mit andern zu Einer großen verbunden: eine Höhe, die jedoch bedenklich die Grenze des richtigen Maaßes berührt. Es ist nämlich der Consequenz, zu welcher der erste Theil unseres §. führt, ihre Schranke zu setzen; denn bis auf einen gewissen Grad getrieben ist das Kunstreiche der rhythmisch=metrischen Form nicht mehr Ausdruck, sondern Abzug, Ableitungskanal der Jnnigkeit der Empfindung: die Form wächst nicht mehr mit dem Jnhalt, sondern fordert Jnteresse für sich und stiehlt ihm seine Wärme. Die Alten, bei denen überhaupt die äußere Kunstform mehr als eine selbständige Welt der Schönheit bestand (vergl. §. 859), konnten hierin ungleich weiter gehen, als die Neueren, ihr Formgefühl war als solches so warm, daß sie, wenn sie auch die Form mit Verlust an Jnteresse für den Jnhalt fühlten, doch innig fühlten. Wir werden zudem sehen, mit welchen andern Seiten des unterscheidenden Charakters ihrer lyrischen Poesie dieß zusammenhängt. Dagegen schlug die ähnlich kunstreiche Ausbildung der lyrischen Formen im Minnegesang auf der Höhe, zu der sie sich steigerte, in unzweifelhafte Erkältung des Gefühls, in conventionelles Spiel und stabilen Cultus bestimmter Empfindungen um und es bedurfte der ganzen Schlichtheit des später aufblühenden Volksliedes, um zur Wahrheit zurückzukehren. Die Künstlichkeit der romanischen und muhamedanisch orientalischen Formen wird uns nöthigen, dieser Lyrik ihre Stelle jenseits der Mitte wahrer Jnnigkeit anzuweisen. Was namentlich die größeren Strophensysteme betrifft, so tritt an ihre Stelle in der neueren Poesie natürlicher das Cyclische, der Kranz von Gedichten, den der gemeinschaftliche Jnhalt einer umfassenden Gefühls-Situation oder Lebensepoche an geistigem Bande zusammenhält. ─ Das einfach Wesentliche bleibt immer, daß der Stimmungston im Rhythmus reinen Ausdruck finde. Wir zeigen die rechten Wege durch einen Blick auf Göthe'sche Balladen. „Der Fischer“ ist durchaus anthitetisch gebaut; jede Strophe besteht aus zwei kleineren vierzeiligen. Das Maaß ist jambisch, also anwachsend, andringend, aber je auf eine längere Zeile folgt eine kürzere: ein Zweischlag, der auf die Anschwellung ein Gefühl des Zurücksinkens folgen läßt; die meisten der Langzeilen aber zerfallen durch eine Diärese in zwei Dipodien, z. B: „das Wasser rauscht, das Wasser schwoll;“ „halb zog sie ihn, halb sank er hin.“ So geht durch das Ganze das Gefühl des anschlagenden und zurücksinkenden Wellenspiels, recht das Gefühl des Wassers und des süß, schwindlicht Verlockenden, was es hat. „Der Gott und die Bajadere“ besteht aus Strophen, die je wieder aus zwei vierzeiligen gebunden sind, aber auf jede ganze Strophe folgt eine dreizeilige, die sich zu jener wie der Abgesang zum Aufgesang mit seinen Stollen verhält, übrigens durch den Schlußreim, welcher mit dem der größeren Strophen gebunden ist, sich an diese anflicht. Jene sind trochäisch und drücken durch dieses Maaß bald das Hohe der Herabkunft des Gottes, bald das sicher Continuirliche des Fortschrittes von den ersten Anlockungen und Erweisungen der Liebe bis zum tragischen Ende aus. Die kürzeren Abschlußstrophen dagegen bestehen aus längeren daktylischen Zeilen mit Vorschlag und trochäischem Schluß; sie schießen hervor, als habe das Gefühl in den Hauptstrophen nicht genug Raum gehabt, sich zu dehnen; in der ersten bezeichnet dieser Rhythmus nur das schnell Wechselnde in Mahadöh's Erdreisen, in der zweiten schlägt er zum lieblichen Tanz und Zymbel-Klang als beschleunigter Puls, in der dritten drückt er die dienstwillige Geschäftigkeit des Mädchens und die Freude des Gottes aus, in der vierten klingt er ängstlich anwachsend im Gefühle der steigenden Schärfe der Prüfungen, in der fünften athmet er befriedigte Lust, in der sechsten bricht er stoßweise durch wie die Verzweiflung, womit die Bajadere unter die Begleiter des Leichenzugs stürzt, in der siebenten scheint er unter dem tragischen Jnhalte des Priestergesangs in dunkler Bangigkeit zu zittern, in der achten ist er ganz Klage und in der neunten schwebt er mit dem verklärten Paare beschwingt zum Himmel empor. Dagegen betrachte man die Braut von Korinth; ihre Atmosphäre ist schwüle Bangigkeit, es liegt wie ein bleierner Druck auf ihr; zwei kürzere Zeilen vor dem Schlusse der Strophen scheinen unter diesem Drucke nicht weiter zu können, den wiederholten Ansatz zu hemmen, den Athem einzuhalten, der dann, wie wenn der Eintritt eines erwarteten Schrecklichen ihn befreite, in einer abschließenden längeren Zeile, doch, wie die andern, in schweren trochäischen Wellen, aushaucht, und erst in der letzten Strophe wird die Recitation diesem rhythmischen Ende einen leichteren, schließlich entlastenden Ton geben. Aehnlich verfolge man, wie die kurzen Zwischenstrophen im „Zauberlehrling“ bald die unwillkommene Stetigkeit des Fortwirkens der Zauberkräfte, bald die drollig angstvolle Hast des Lehrlings, bald den ordnenden Befehl und die Lehre des Meisters ausdrücken. ─ Wir haben hier überall Strophenbildungen, die das Einfache verlassen, ohne zu verwickelt zu werden und namentlich ist es der Reim, der die übersichtliche Haltung sichert. Es erhellt aus Allem, was über den Charakter des Lyrischen gesagt ist, daß er in dieser Dichtart die Bedeutung, die ihm in §. 860, 3. zuerkannt ist, im engsten Sinne behauptet. Er ist wesentlich stimmungsvoll und man kann sagen, daß die lyrische Form ihren Beruf, ganz Kunst der poetischen Stimmung zu sein, erst mit ihm erreicht habe. Das Verhältniß der lyrischen Dichtung zur Musik ist schon in §. 839, 3. berührt. Das Epos ist zum recitirenden Vortrag, das Lied zum Gesange bestimmt. Die innige Analogie zwischen diesen ist in aller Volkspoesie wirklicher, untrennbarer Bund. Die griechische Lyrik hob ihn auch als Kunstpoesie nicht auf, sondern wuchs und vervollkommnete sich durchaus zugleich mit der musikalischen Kunst, mit den Jnstrumenten, und in der chorischen Form trat der Tanz hinzu, der die schwierig verschlungenen Maaße auch in die räumliche Figur übersetzte und dem Auge vortrug. Man muß sich dieß veranschaulichen, um sich klar zu machen, welche Fülle stimmungsvollen Genusses dem Griechen schon in der Form lag. Namentlich hatten Strophe, Antistrophe und Epodos die Tanzfigur der Evolution, ihrer Abwicklung und des Stillstands zur Grundlage. Nachdem nun die moderne Bildung das Band gelöst hat, ist die Lyrik der Kunstpoesie zunächst zum Lesen bestimmt, doch ist hier die Trennung vom Sinnlichen ungleich härter, als im Epischen, wie es vom öffentlichen Platze, wo einst der Rhapsode horchenden Volksmassen mit heller Stimme vortrug, in die Stube zurückgetreten ist. Mindestens gut declamirt wollen wir das lyrische Gedicht hören; allein je stimmungsvoller, je ächter lyrisch, desto weniger freilich kann dieß genügen, ja desto weniger paßt es. Es gibt eine lyrische Poesie und wir werden ihr ihre Stelle anweisen, die declamatorischen Charakter hat, aber wer keine Erzeugnisse aufzuweisen hat, die wie Gesang klingen, zum Gesang auffordern, dem Componisten entgegenkommen, der hat sich nicht wahrhaft als lyrischer Dichter bewährt; seine Werke wurzeln nicht im reinen Elemente der Stimmung. 2. Die Arten der lyrischen Dichtung. §. 889. Der Eintheilungsgrund für die Arten der lyrischen Poesie liegt in den verschiedenen Schritten des Prozesses, durch welchen das Gemüth den Weltinhalt in sein inneres Leben verwandelt; der Unterschied des Objectiven und Subjectiven tritt also hier in eigenthümlicher Bedeutung auf und begründet drei Formen: eine Lyrik des Aufschwungs zum Gegenstande, eine andere des reinen Aufgehens des letzteren im Subjecte und eine dritte der beginnenden und wachsenden Ablösung aus ihm oder der Betrachtung. Die andern Eintheilungsmomente (vergl. §. 864), namentlich das auf den Unterschied der Style begründete, berühren sich vielfach mit diesem entscheidenden, ohne mit ihm zusammenzufallen, sie treten vielmehr wesentlich auch neben ihm in Geltung. Der innere Grund der bekannten Schwierigkeit der Eintheilung des lyrischen Gebiets ist natürlich der Mangel des eigentlich Objectiven: wo ein gegenständliches Weltbild gegeben wird, treten eingreifende Unterschiede des Standpuncts mit dem Erfolg auf, daß die Welt in verschiedenem Ausschnitt, Umfang, daher in erkennbar festem Unterschiede der Composition, der Behandlung, der ganzen Form zur Darstellung kommt; wo dagegen das Subject nur die Welt in sich, als in Empfindung verwandelte ausspricht, da geräth Alles in's Fließende und ist die nothwendige Folge eine unübersehliche Vielheit der Formen, deren jede Stimmung in jedem Moment eine neue erfinden kann. Die Stimmungen selbst aber sind unendlich nach Jndividuen und Momenten und jede einzelne wieder unendlich gemischt; nur Ein großer Haupt-Unterschied läßt sich aufweisen, nämlich eben derjenige, den der §. aufstellt und den wir sogleich erläutern, aber mit dem Vorbehalte, daß die genauere Benennung der Formen nicht eine bestimmte Gestalt, sondern nur einen Ton, einen Charakter bezeichnen kann: das Hymnen=, das Lieder= artige u. s. w. Wir haben die epische Poesie nach dem Unterschiede der Style eingetheilt und dadurch gewonnen, daß die logische Folge im Allgemeinen zugleich als die geschichtliche erschien. Jn einer Kunstform ohne eigentliche Objectivität kann der Styl-Gegensatz eine so durchgreifende Bedeutung nicht haben. Es wird ein solcher natürlich auftreten: der plastisch=ideale Styl wird objectiver in seiner ganzen Haltung sein und ebendarum mehr entwickelnd, weniger unruhig verfahren, mehr Gedanken-Elemente beimischen, er wird vermöge dieser Eigenschaften seinen Standpunct weniger in jener Mitte einnehmen, wo der Jnhalt rein in lauter Stimmung aufgeht, sondern mehr in der ersten und dritten unter den Formen des Prozesses, die der §. unterscheidet, wogegen der charakteristische Styl recht entschieden der rein lyrischen Mitte angehören wird; dieser Unterschied wird sich also mit unserer auf das Allgemeine des innern Prozesses gegründeten Eintheilung berühren, aber nur theilweise in einer Art, worin die logische Ordnung zugleich die historische ist, er wird nicht mit ihr zusammenfallen, vielmehr es wird sich zeigen, daß, obwohl die eine Stylrichtung mehr auf dieser, die andere auf jener Stufe des Prozesses ihre Stellung hat, doch auf jeder Stufe jede von beiden auftritt und Unterschiede innerhalb derselben begründet. ─ Es könnte sich fragen, ob nicht der Unterschied der Auffassungs-Arten der Phantasie (bildend, empfindend, dichtend), welcher die Eintheilung der Zweige überhaupt bedingt, hier, im Lyrischen, auch als Grund für die Unter-Eintheilung einzuführen sei. Allein die Subjectivität bildet zu sehr den Charakter des ganzen Zweiges, als daß dieser Unterschied hier von durchgreifender Kraft sein könnte. Es wird sich allerdings finden, daß die erste der Formen, wie sie sich nach unserer Eintheilung unterscheiden, mehr epische Elemente hat, von der zweiten erhellt bereits, daß sie im engsten Sinne lyrisch zu nennen ist, die dritte durcharbeitet das Gefühl mit der überwachsenden geistigen Besinnung und könnte so in gewissem Sinn als dichtend bezeichnet werden; allein im Ganzen und Wesentlichen ist dieser Unterschied demjenigen, den wir aus dem Prozesse der Empfindung entnehmen, nur verwandt und ähnlich, keineswegs gleich. Dieß ergibt sich, wenn wir den letzteren nunmehr genauer, wiewohl nur in vorläufiger Kürze, ansehen. Vorbereitet ist die Sache schon in §. 864, wo gesagt ist, daß in der Unter-Eintheilung auf einem Puncte der Unterschied des Objectiven und Subjectiven in neuer, eigenthümlicher Bedeutung sich geltend mache. Wenn im engsten Sinne lyrisch diejenige Form ist, in welcher der gegenständliche Jnhalt des Lebens ganz in Empfindung verwandelt aus dem Subjecte spricht, so wird diese reine Mitte naturgemäß zwei Extreme neben sich haben: auf dem einen wird die Verwandlung noch nicht ganz vollzogen sein, auf dem andern nicht mehr in ihrer vollen Reinheit bestehen; was aber zunächst als Zeitbezeichnung erscheint, wird sich, wie überall in den wesentlichen Sphären des Geistes, zugleich als bleibende, nothwendige Form fixiren. Die eine dieser Formen, welche vor die Mitte fällt, ist objectiv in dem Sinne, daß das Subject nicht wagt, nicht vermag sein Object ganz in sich hereinzuziehen, daß es nur zu ihm sich erhebt, an es hinsingt, zu ihm aufsingt. Man sieht, daß hier Objectivität etwas Anderes bedeutet, als gegenständliche Darstellung im Sinne der bildenden Phantasie; es ist darunter allgemein zu verstehen, daß bei aller Begeisterung der Gegenstand außer und über dem Subjecte bleibt; allerdings aber wird in der Behandlung die Objectivität in diesem Sinn Objectivität in jenem Sinne mit sich bringen. Jn der mittleren Form dagegen singt der Jnhalt, ganz Gefühl, Stimmung geworden, so unmittelbar, als wäre kein Prozeß der Durchdringung vorhergegangen, aus dem Subjecte heraus. Diese Form ist also die schlechthin subjective. Es wird sich zwar zeigen, daß sie das Objective im Sinne der bildenden Phantasie, des Epischen, nicht ausschließt, daß vielmehr gewisse Gebilde der lyrischen Dicht-Art, worin dieß Element recht bestimmte Gestalt annimmt, gerade ihr angehören; aber eben hier, wo der Stoff objectiv gesetzt ist, wird die Behandlung um so entschiedener den rein subjectiven Empfindungscharakter tragen. Da sowohl demnach jene erste, als auch diese zweite, mittlere Form epische Anschauungs-Elemente zur Ausbildung bringt, freilich jede auf ganz andere Weise, so leuchtet ein, daß die Eintheilung der Hauptformen nicht auf dieses Moment gegründet werden kann, vielmehr objectiv und subjectiv hier etwas Anderes bedeutet, als bildend und empfindend. Jm andern Extreme, in der dritten Form, klingt das Gefühl aus, kühlt sich leise zur Betrachtung ab, allein solche Auflockerung gegen den Gedanken hin ist doch etwas spezifisch Anderes, als was wir dichtende Phantasie nennen; diese stellt die Welt als eine im engsten Sinn geistig bewegte dar, aber das intensiv Geistige dieser Auffassungs-Art ist an sich durchaus nicht mit dem Verhalten zu verwechseln, worin die Betrachtung die Oberhand gewinnt. ─ Es erräth sich nun leicht, daß diese Formen in enger Beziehung auch zum Unterschied der Stoffe stehen, doch kann auch der Zweifel nicht eintreten, ob nicht auf dieses Moment die Eintheilung zu gründen sei; denn wiewohl die eine Form mehr zu dieser, die andere mehr zu jener Sphäre von Stoffen neigt, so greift dieß doch keineswegs durch, vielmehr umgekehrt, die Formen greifen durch den Unterschied der Stoffe wieder durch und wenn z. B. die Lyrik des Aufschwungs nicht wohl anmuthigen, leichten, zierlichen Jnhalt behandeln kann, so eignet sich doch die Lyrik der reinen Empfindung sehr wohl erhabenen an und die der vortretenden Betrachtung dehnt sich ohnedieß offenbar über jederlei Gegenstand aus. Hiemit haben wir auch bereits den Unterschied der Grundgegensätze im Schönen (Stimmungs-Unterschiede der Phantasie im allgemeineren Sinne: einfach schön, erhaben, komisch) berührt; da aber trotz der sichtbaren Beziehung der ersten Form auf das Erhabene, der zweiten auf das Anmuthige schlechthin einleuchtet, daß die zweite auch erhaben sein kann und daß doch zugleich sie vorzüglich das Komische ergreifen wird, und daß die dritte sich über die Stimmungen wie über die Stoffe frei verbreitet, so gibt es auch keine etwaige Meinung zu widerlegen, welche das Lyrische nach diesem Prinzip eintheilen wollte. ─ Was endlich die geschichtliche Ordnung betrifft, so bringt es der Charakter des Lyrischen mit sich, daß sie in der logischen Eintheilung zerworfen wird. Am meisten wird dieß mit dem Orientalischen der Fall sein, das in der Lyrik eine ganz andere Stelle einnimmt, als in den Hauptgebieten der Kunst im Großen, wogegen die successive Folge des Classischen und Neueren mit der logischen mehr, aber keineswegs consequent, zusammenlaufen wird. ─ Wir bemerken nur noch, daß Hegel's Eintheilung einen Ansatz der unsrigen enthält, ihn aber nicht vollzieht, da in ihr die dritte Form, die betrachtende Lyrik, als Unterabtheilung dessen auftritt, was wir als mittlere Form setzen, nämlich des Liederartigen, dagegen die Ode, die wir ganz anders stellen werden, den mittleren Platz einnimmt (s. Aesth. Th. 3, S. 458. 465). §. 890. Jn der Lyrik des Aufschwungs erscheint der Jnhalt dem Subjecte 1. wesentlich als ein erhabener, so daß es ihn nicht in sich hereinzuziehen und ganz in Gefühlsleben umzusetzen vermag; er bleibt außer ihm, also objectiv, und es singt, in seinen Tiefen mächtig bewegt, zu ihm hinauf: das Hymnische. Diese Form entspricht vorzüglich der classischen Poesie; ihr direct idealer, plasti- 2. scher Styl bildet hier das epische Element nebst dem gnomischen in der breitesten Entwicklung aus, welche das Lyrische zuläßt. Dieß verändert sich auch in den spezielleren Formen des Dithyrambs und der Ode nicht, in welchen der subjective Prozeß zu der Trunkenheit der ersten Aneignung des übergewaltigen Jnhalts und dann zu der kunstvollen Bemeisterung dieses Zustands fortgeht. Die orientalische Hymnik ist ungleich subjectiver und ebenso, obwohl in anderem 3. Tone, die romantische und die moderne. 1. Der Jnhalt „erscheint als ein erhabener“, d. h.: das Hymnische gehört dem Bewußtsein an, das die Kräfte, welche die Welt bewegen, ihrer Ausbreitung und Zerstreuung im einzelnen Wirklichen entnimmt und als absolute Mächte, als Wesen für sich, als Hypostasen sich gegenüberstellt. Es erhellt sogleich, daß die Form der lyrischen Poesie, welche sich darauf gründet, vorzüglich dem Götter=glaubigen, dem mythischen Bewußtsein angehört, aber keineswegs allein; vielmehr kann auch der Geist, der durch die Aufklärung die Welt entgöttert hat, jenen großen, zusammenfassenden, eine Jdee von ihrer Verwirklichung im Einzelnen getrennt für sich hinstellenden Act vornehmen; ein solches modernes Gedicht wird uns eigentlich factisch zeigen, wie der Götterglaube entstanden ist, mag es nun zur eigentlichen Personification fortgehen oder nicht. Sei es die Freundschaft, die Freude, jede große sittliche Empfindung, sei es eine Naturkraft, die als eine selbständige Macht angeschaut wird, ohne daß eine eigenthümliche Personbildung einträte: die Vollziehung dieses Schrittes scheint immer in nächster Nähe zu schweben, wie in Hölderlin's herrlicher Hymne an den Aether ohne ausdrückliche Personification die Alles umspannende, nährende, labende Naturpotenz zu einem Gott wird. Dieß verändert sich nicht, wenn Fürsten, Helden, Landschaften, Städte, Handlungen, furchtbare Ereignisse, einzelne gewaltige Natur-Erscheinungen besungen werden: sie wachsen in der ganzen Auffassung und Behandlung, sowie durch die speziellern Anknüpfungen an absolute Mächte, an Götter, selbst zu Göttern an, der Weg ist nach dieser Seite hin nur so zu sagen analytisch, bei der unmittelbaren Wendung an das Göttliche synthetisch. Keineswegs wird nun durch die Objectivität in diesem Sinn einer erhabenen Form das Lyrische aufgehoben; vielmehr gerade weil vor der Uebermacht des Gegenstands das Subject zu verschwinden droht, weil sie auf sein Empfindungsleben drückt, so ringt dieß, in seinen Tiefen erschüttert und aufgeboten, um so gewaltiger und schwellt sich an, dem Gegenstande näher zu kommen und ihn so zu bewältigen, daß seine unendliche Größe als ganz vom Dichter empfunden erscheint, es bewegt sich um ihn, häuft Prädicat auf Prädicat, muß aber doch am Ende gestehen, daß es ihn nicht erschöpft hat, wie Haller am Schlusse seiner Hymne auf die Ewigkeit von dieser sagt: er ziehe die Millionen Zahlen ab und sie stehe ganz vor ihm; so löst sich der Versuch der Bewältigung schließlich in die reine Ausrufung auf und das Verstummen in dieser ist eben ächt lyrisch. Es bleibt bei einem Hinan- und Hinaufsingen an den Gegenstand. Dieß ist ein Tadel, wenn man vom Lyrischen überhaupt spricht, nicht, wenn es in besonderem Sinne von einer seiner Formen aussagt. Nur wo diese Form einseitig in einer ganzen Epoche, wie in der Zeit nach Klopstock herrscht, erscheint sie als Mangel. Sie hat das ganze Recht des Erhabenen. 2. Es folgt zunächst aus dem mythischen Charakter des Hymnischen, daß dasselbe vorzüglich der classischen Lyrik als naturgemäßes Element entspricht. Der Begriff des Objectiven, wie er dieser Gattung des Lyrischen zu Grunde liegt, ist zwar, wie wir zum vorh. §. gezeigt haben, von der allgemeinen ästhetischen Bedeutung, wie wir ihn sonst anwenden, verschieden, allein unbeschadet dieses Unterschieds tritt hier nothwendig ein inniger Zusammenhang ein: eine Lyrik, die dem Verhalten des Bewußtseins nach ihren Jnhalt objectiv außer und über sich behält, wird vorzüglich von demjenigen Kunststyle ausgebildet werden, der überall im Sinne der bildenden Kunst, und zwar der Sculptur, und im Sinne der bildend dichtenden Phantasie, also der epischen Form, auf klare Gestaltung und Schönheit der einzelnen Gestalt dringt. Es kann sich fragen, ob eine solche Art der Phantasie überhaupt Beruf zur lyrischen Dichtung habe, die Antwort wird aber sein, es werde sich ähnlich verhalten, wie mit der Malerei, welche diesem Jdeale nicht verschlossen war, aber im plastischen Geiste behandelt wurde; nur ist nicht zu vergessen, daß die Poesie als die geistigste Kunst in allen ihren Sphären den verschiedenen historischen Standpuncten der Auffassung offener sein muß, als andere Kunstformen, daß also auch die Griechen in der Jnnerlichkeit, die sich im Wort ausdrückt, tiefer mußten gehen können, als in der, welche sich durch die Farbe ausdrückt. Doch nicht so tief, als die Gattung in der ganzen Jntensität ihres Begriffes es fordert, und so blieben sie denn in der Lyrik episch und sagte ihnen ebendaher diejenige Form besonders zu, worin der Durchdringungsprozeß des lyrischen Verhaltens sich auf seiner ersten Stufe befindet. Die erste, im engsten Sinn episch lyrische Gestalt tritt in den sog. Homerischen Hymnen auf; die Form des Anrufs ist kurz, der Hauptkörper besteht in der Erzählung der Thaten des Gottes. Es waren ursprünglich Proömien rhapsodischer Gesänge, die sich dann ablösten und als selbständige Form ausgebildet wurden; so haben wir hier einen Rest jenes Keimes, in welchem anfangs das Epische und Lyrische noch ungesondert lagen. Von da schritt die Lyrik der Griechen durch die elegische und jambische Dichtung der Jonier zur melischen und zur chorischen der Dorier fort. Es ist die letztere, welche hieher gehört; die elegische werden wir zur dritten Stufe ziehen, die melische entspricht dem Lieder=artigen und ihr Charakter wird sich insofern als ächter lyrisch erweisen; allein auch diese beiden hatten doch ungleich mehr epische Färbung, als dasjenige, was ihnen in der neueren Lyrik entspricht, und, was das Wichtigste ist, die Krone des Fortschritts war eben jene chorische Form der dorischen Dichtung, welche bei aller innerlichen Erregung doch die epischen Elemente gerade am stärksten ausbildete. Dieser Gesang, der seinen Gipfel in Pindar erreichte, war seinem ganzen Geiste nach objectiv, monumental. Er sprach dieß schon in seiner Form aus, denn er wurde unter Begleitung von Musik und Tanz bei öffentlichen Veranlassungen, Gottesdienst, Empfang und Begleitung der Sieger in den öffentlichen Spielen stets von ganzen Chören vorgetragen. Der Jnhalt konnte wohl auch der Sphäre des schönen Lebensgenusses angehören, aber die höhere, wahre und herrschende Bestimmung dieser feierlichen Formen waren doch die Götter, die Helden, das Vaterland: es ist hymnische Dichtung. Der reiche und kunstvolle Bau der Strophe, ihre Gliederung in Strophe, Antistrophe und Epode war das Prachtgewand für diesen gewaltigen Jnhalt, für die breiten und tiefen Wellen der Erschütterung, womit er das Gemüth bewegte. Nun ist allerdings gerade in dieser Gattung die sogenannte lyrische Unordnung, die als ein Hauptmerkmal der Ode angesehen wird, heimisch geworden, aber wir sehen zunächst von dieser „labyrinthischen Composition“ ab, wie sie ja in der That auch erst durch Pindar ihre Ausbildung erhielt; sie hob ohnedieß, so sehr sie damit in Widerspruch zu stehen scheint, den Grundzug keineswegs auf, welchen diese höchst reife Lyrik mit jenen homerischen Hymnen immer noch gemein hatte. Dieß war denn eben die epische Haltung. Es wird eine Reihe hoher Sculpturbilder aufgestellt, der Gott, der Held, die Stadt, die Landschaft durch Darstellung der Thaten, Schicksale in reiner Formenpracht aufgezeigt. Der Dichter trägt aus allen Sphären, die in Verbindung mit seinem großen Gegenstande stehen, epische Glanzpartieen herbei, wirft auf ihn ihre vereinigten Strahlen. Die einzelnen epischen Theile sind selten lang, aber sie laufen doch an dem gegebenen Bilde episch fort: sie entwickeln, und wenn wir vom lyrischen Style gesagt haben, daß er wesentlich nicht entwickle, so müssen wir nun hinzusetzen, daß der lyrische Styl der Griechen eben hiedurch im Lyrischen das Epische behält. Zu diesem Entwickeln gehört aber auch das Fortgehen von einem epischen Bilde zum andern; mag es immerhin zunächst noch so sehr als ein Sprung erscheinen: es ist doch ein Entwickeln im Sinne des Ansammelns vieler Bilder, um den Gegenstand mehr für das innere Auge, als für das Gefühl, in volles Licht zu setzen. Hiezu kommt nun ein anderer Zug: die starke Herrschaft des Gedanken-Elements, des Gnomischen. Sie ist so bedeutend, daß die Frage entstehen könnte, ob wir nicht die gesammten Formen der ausgebildeten Lyrik des classischen Alterthums in jene Sphäre verweisen sollen, welche wir Lyrik der Betrachtung nennen. Was nicht einen bestimmten Gehalt ausgesprochener ernster Lebensweisheit enthielt, hätte dem Griechen nie als ein Gedicht höherer Gattung gegolten. Daran knüpft sich von selbst das Ausmünden nach der Seite der Willensbestimmung: Rath, Warnung, Aufforderung. Dennoch schwimmen diese Einträge in einem hinreichend starken Elemente gewaltiger Erregung, um den Wärme-Grad des lyrischen Charakters zu retten. ─ Ein ganz organischer Gang der Fortbildung stellt sich nun dar, wenn wir diese hymnische Dichtung von den homerischen Hymnen, dann von den noch nicht so labyrinthisch, wie von Pindar, componirten Kunstwerken der chorischen Poesie zu den Dithyramben und von da zu jener Fixirung der kühn abspringenden Compositionsweise begleiten, wie sie sich als Hauptmerkmal der Ode im späteren Sprachgebrauche festgesetzt hat. Wir dürfen nämlich den Dithyramb als diejenige Form des lyrischen Prozesses betrachten, wo der Jnhalt in das Subject herübertritt, aber das ihm nicht gewachsene Gefäß in's Wanken bringt und überfluthet. Er wird Stimmung des Subjects, aber dieses ist von dem zu starken Trunke berauscht, mit der innern Betäubung kommt die technische Form in's Schwanken und schweift ungebunden in den verschiedensten Rhythmen hin und her. Jn Griechenland hatte dieß die bestimmte Bedeutung, daß der Dithyramb dem Dionysos galt, der Gottheit, die, wie keine andere, eine tief mystische Einwohnung des All-Lebens in das innerste Seelen- und Nervenleben des Menschen darstellte. Das epische Element blieb allerdings auch hier, indem ein Vorsänger die Thaten und Leiden des Gottes vortrug: nach der andern Seite ein Keim des Dramatischen, woraus bekanntlich die Tragödie entstand. Was aber den Griechen Dionysos war, das ist uns jeder Moment der leidenschaftlich dunkeln Erregung, worin das Höchste und Bedeutendste uns erfüllt, ohne unser eigenster Besitz zu werden, ohne zum stillen, freien und klaren Leben des Gefühls, worin wir ganz uns selbst haben, sich abzuklären. ─ Ode heißt in dem intensiven Sinne, wie der Sprachgebrauch sich festgesetzt hat, ein hoch erregter Gesang wesentlich erhabenen Jnhalts in kunstreichen Strophen und kühn abspringender Composition. Man darf dann streng genommen die leichteren Formen und kürzeren Strophen mit menschlich vertrauterem, erotischem und verwandtem Jnhalt, wie sie der melischen Poesie, der Aeolischen und Anakreontischen, angehörten, nicht Oden nennen; will man auch das eine jener Merkmale, die kunstvoll reiche Strophenbildung (und den Tanz) fallen lassen, so bleibt doch das andere stehen und man wird demnach unter den Horazischen Gedichten und den neueren Nachahmungen nach dieser genaueren Bezeichnung nur das Ode nennen, was erhabenen Jnhalt, angespannt hohen Ton und die sogenannte lyrische Unordnung in der Composition hat. Es gibt keine scherzende, leichte Ode, man müßte denn schließlich an dem Merkmale des Anrufs, des antiken Tons und Rhythmus, wie er eine selbständige Klang-Schönheit darstellt, überhaupt sich genügen lassen, um den Begriff der Ode zu bestimmen und jene wesentlichen Bedingungen ganz aufgeben. Was nun die Absprünge in der Compositionsweise betrifft, so haben wir allerdings diesen Zug schon in der Darstellung des lyrischen Charakters überhaupt aufgenommen, um an ihm den Gegensatz der objectiven und der lyrischen Ordnung zu zeigen. Allein diese kann ihre Eigenthümlichkeit, ihren schweifenden Charakter in einem ungleich bescheideneren Maaße des Abspringens genugsam offenbaren; es ist Zeit, sich zu gestehen, daß die Pindarische Methode etwas höchst unabsichtlich Entstandenes mit einem Uebermaaße der Absicht fixirt. Die gar zu weiten Sprünge sind eine Nachahmung jenes Jrrens der Phantasie, das der bacchischen Trunkenheit, dem Dithyramben, angehört, und halten mit Bewußtsein das recht eigentlich Unbewußte fest, machen es zur Manier. Die Ode im strengeren Sinne des Worts, wonach eben die lyrische Unordnung ein wesentliches Merkmal des Begriffs bildet, zeigt daher einen inneren Widerspruch, durch den sie genau an die Grenze des Hymnischen fällt und eigentlich zur Lyrik der Betrachtung fortleitet, die wir aber aus höheren Eintheilungs-Gründen noch nicht unmittelbar folgen lassen. Hegel sagt demnach (a. a. O. S. 458) richtig, sie enthalte zwei entgegengesetzte Seiten: die hinreißende Macht des Jnhalts und die subjective poetische Freiheit, welche im Kampfe mit dem Gegenstande, der sie bewältigen will, hervorbricht; Gluth und unläugbarer Frost sind in ihr verbunden. 3. Der erhabene Jnhalt kann tiefer in das Gemüth steigen, jener Ton des Schütterns und Dröhnens im Jnnersten, der dem Hymnischen eigen ist, kann wärmer, inniger erklingen, ohne daß darum das Verhalten zu einem außer und über dem Subjecte schwebenden Gegenstande sich verändert. Das epische und gnomische Element tritt zurück, der Styl entwickelt ungleich weniger in Erzählungsform, sondern häuft kürzere Bilder in rascher Folge wie Brillanten auf das angestaunte Object. Jn der alt=orientalischen Welt waren es die Semiten, welche ein tieferes subjectives Empfindungsleben führten, als die andern Völker (vgl. §. 433, 3.). Die Unruhe der lyrischen Bewegtheit bildet den Charakter ihrer Poesie. Da nun aber die Grundstimmung auch hier die erhabene ist, so ergibt sich von selbst eine bedeutende Entwicklung des Hymnischen im Lyrischen. Es tritt nirgends so stark und schön hervor, als in den Psalmen der Hebräer. Hegel hat (a. a. O. S. 456) das Aufjauchzen und Aufschreien der Seele zu Gott aus ihren Tiefen, das prachtvolle unruhige Bilderhäufen in kräftiger Kürze charakterisirt. ─ Das Mittelalter beginnt mit seinen lateinischen Hymnen wieder in objectiverem Style, der doch so viel gefühlter ist, als der antike ( Stabat mater u. And.); die Hymnen auf die Maria, auf die Dreieinigkeit in der mittelhochdeutschen Poesie dagegen sind episch nur im Sinn eines unersättlichen Drangs, an dem unerschöpflichen Gegenstande der mystischen Verzückung jede mit irgend einer Pracht des Bildes darstellbare Seite zu erschöpfen, der gefühltere Styl wird ganz zum heißen Tone der Jnbrunst (man sehe z. B. Gottfried's von Straßburg Hymnen auf die Maria). ─ Die moderne Zeit hat hohe Wahrheiten, sittliche Gesetze, Natur-Anschauungen zunächst ohne Personification zum natürlichen Gegenstand hymnischer Begeisterung. Obwohl hier die Objectivität im Sinne gegenübergestellter Persönlichkeit wegfällt, bleibt sie doch, wie oben bemerkt, stehen im Sinne stets vorschwebender Nähe einer Götter=artigen Anschauung, aber die Rationalität der Auffassung führt diese hohe Lyrik unserer Zeit doch sachte, enger oder ferner an die Grenze der betrachtenden Poesie. So Göthe's edle Hymnen: Gesang Mahomet's, Gesang der Geister über den Wassern, das Göttliche, Grenzen der Menschheit, Meine Göttinn, Hölderlin's schon erwähntes: An den Aether, ferner: das Schicksal, an den Genius der Kühnheit. Ein Theil dieser Gedichte nennt schon Götter oder setzt vernehmlicher an, die Jdee, die den Haupt-Jnhalt bildet, zu vergöttlichen, vollzogen ist der Schritt in den herrlichen zwei Gebeten der Göthischen Jphigenie: „Du hast Wolken, gnädige Retterinn“ und „Es fürchte die Götter das Menschengeschlecht“, in Hölderlin's hoch classisch und ewig wahr gefühltem „Schicksalslied Hyperions“. Jn Göthe's „Prometheus“ dreht sich das Hymnische merkwürdig so, daß die Hoheit der Götter eigentlich in den sie antrotzenden Helden herübertritt. Daß das Dithyrambische eine bleibende Seelenstimmung ist, zeigt die neuere Poesie in „Wanderers Sturmlied“ und „Harzreise im Winter“ von Göthe. Hier sieht man die Sprünge des Dithyramben, wie sie die Ode künstlich methodisirt hat, in wahrhafter Trunkenheit der Stimmung. Der moderne Dichter wird hier in der rhythmischen Form sich fesselloser bewegen, als der antike, der im wilden Wechsel doch die einzelne rhythmische Gruppe strenger maß. Die Ode nun ist vielfach und schön von den Deutschen nachgebildet, freilich mehr so, daß in der Form die kürzern alcäischen und sapphischen Maaße gebraucht sind, die wir nur der Ode im ungenauen Sinne des Worts zuerkennen, während dagegen der Jnhalt meist hoch geht, wie es die Ode im engeren Sinne will. Klopstock, Hölderlin, Platen haben hierin das Schönste geleistet. Wir haben solche Erzeugnisse zu beurtheilen wie moderne Sculpturwerke, welche im classischen Jdealstyle Götter nachbilden, oder richtiger, wie moderne Gemälde, die den classischen Mythus mit seinen reinen Formen, aber einem Anhauch moderner Seele behandeln: sie werden den feiner Gebildeten und ihrem Klanggefühle immer eine Quelle reinen Genusses sein, aber niemals sich wahrhaft einbürgern, niemals der Nation geläufig werden. §. 891. Die wahre lyrische Mitte, worin der Jnhalt rein im Subject aufgeht, so daß dieses ihn ausspricht, indem es frei und einfach sich und seinen augenblicklichen Stimmungszustand ausspricht, begreift die große Masse des Liederartigen. Alle Grundzüge des Lyrischen (§. 884─886) gelten vorzüglich von dieser Form. Unmittelbarkeit, Schlichtheit, Leichtigkeit, Sangbarkeit ist seine Natur. Demnach sagt ihm menschlich vertrauter, anmuthender Jnhalt zu, doch keineswegs ist es darauf beschränkt, es kann die höchsten Gegenstände behandeln, die tiefsten Kämpfe des Herzens, die tragischen Leiden des Einzelnen und des Gesammtlebens so gut, als jede Freude und inniges Naturgefühl, wenn sie nur ganz in subjective Empfindung eingegangen sind. Aber auch das Komische gehört in vollerer Ausdehnung nur diesem lyrischen Gebiete. Vom Jndividuellen neigt das Lied nothwendig zum Geselligen. Hier namentlich ist die Schwierigkeit fühlbar, daß es keine bestimmten Formen gibt, von denen man sagen kann: dieß sind Lieder. Es ist der Ton, aus dem die Gattung erkannt werden muß, und hiezu gibt den nächsten und einfachsten Anhalt die Vergleichung mit dem Hymnischen. Will man den Unterschied von diesem recht deutlich wahrnehmen, so halte man Schiller's Hymne an die Freude und Göthe's Tischlied: „Mich ergreift, ich weiß nicht wie“ zusammen: jener singt die Freude an, bewegt sich um sie und zählt ihre Wirkungen auf (ob gut oder nicht gut, geht uns hier nicht an), aus diesem singt, ganz Stimmung, ganz Gegenwart und Augenblick, die Freude heraus. Es bedarf keines Beweises mehr, daß in diesem Gebiete die lyrische Poesie allein ganz sie selbst ist und daß auf ihm der Dichter seinen Beruf zu ihr bewähren muß. Schiller hat kein einziges reines Lied und im Lyrischen kann wirklich nicht die Frage sein, wer spezifisch mehr Dichter sei, er oder Göthe. Was jene Grundmerkmale des Liedes heißen wollen, daß es frischweg, leicht, im Entstehen schon wie gesungen, einfach, naiv hervorfließe, kann man an Göthe's Liedern wie an einer reinen Norm ersehen. Vom Liede wird denn namentlich auch gelten, was in §. 886 über die Situationsfarbe des Lyrischen gesagt wurde: man muß durchsehen, wie in einer bestimmten Lage dieser Stimmungszustand entstanden ist, in bestimmtem Augenblicke die Welt so und nicht anders im Dichtergemüthe gezündet hat, das innig und ewig Wahre muß doch ganz den Charakter der Zufälligkeit tragen und das ganz Freie den Charakter des nicht anders Könnens, denn der Dichter ist hier erzeugender Geist und reines Naturkind, Stimmungskind, ganz in Einem. ─ Sehen wir nun nach dem Stoff= Unterschiede, so verhält sich hier das Lied nicht ausschließend wie das Hymnische. Es wird natürlich mit dem breiteren Theile seiner Basis sich auf dem Boden des heiteren Lebensgenusses festsetzen, Liebe, Wein, Tanz, gesellige Lust, Naturgenuß wird sein liebstes Thema sein, denn das menschlich Vertraute, Kampflose schlüpft natürlich leichter ganz in das Herz, wird ganz Stimmung, als das Hohe, Monumentale; der holde Leichtsinn in Göthe's Vanitas Vanitatum Vanitas stellt eigentlich diese reine, freie, widerstandslose Bewegung in normaler Reinheit dar. Allein auch das Erhabene entzieht sich dem Liede nicht, denn es kann volle Jmmanenz im Gemüthe des Subjectes werden. Dieß gilt denn zuerst von dem absolut Erhabenen: es tritt als Andacht in die Seele und wird zum Liede. Andacht ist nun freilich auch die Stimmung der Hymne, allein wir müssen hier das Wort in dem engeren Sinne nehmen, der diejenige Religion voraussetzt, welche die Jdee der Jmmanenz im Begriffe der göttlichen Liebe besitzt und die Bewegung der Andacht zu Gott zu einer Bewegung der Liebe im reinen und hohen Sinne des Wortes erhebt; die Diremtion zwischen dem absoluten Gegenstand als einem außerweltlich persönlichen und dem Subjecte bleibt der Vorstellung nach stehen, wird aber der That nach durch die Jnnigkeit der Andacht wie durch einen milden Strom wieder ausgeglichen; in diesem harmonischen Flusse ist jene Erschütterung des Hymnischen und Dithyrambischen, wobei immer eine herbere Entgegensetzung zu Grunde liegt, verschwunden und kann so der schlichte Erguß des innigen Liedertons eintreten. Das Lied schließt denn natürlich auch menschlich erhabenen Jnhalt nicht aus, es feiert Kämpfe des Staats, Freiheit, Vaterland, große Helden und Thaten, wenn nur immer der Stoff ganz Fleisch und Blut des subjectiven Gefühls geworden ist. Noch weniger natürlich sind dem Liede die tiefen inneren Brüche des individuellen Lebens fremd, die Tragödie des Herzens in der ganzen Tonleiter vom wildesten Sturme der Leidenschaft bis zum hinschmelzenden Seufzer der Wehmuth. Jene dunkeln Abgründe der Seele in den Liedern Mignon's und des Harfners sind doch in die reine Farbe des Liedes getaucht. Der Kampf im Jnnern ist ein Dornenweg durch die schwersten Brechungen, Vermittlungen, allein auf seinen Stadien schwillt die dunkle Summe derselben zur einfachen Unmittelbarkeit und elementarischen Gewalt des Gefühles an, wie es im Liede durchbricht. Noch ist hervorzuheben, daß von den Stoffgebieten nun auch das landschaftliche bestimmter wieder auftritt. Es ist dieß die einfache Umkehrung des Satzes, daß das Landschaftgemälde wesentlich lyrisch ist (vergl. §. 698, 1.), und nach dem dort Ausgeführten bedarf es keines weiteren Beweises, daß das Gefühl auch ohne Vermittlung der bildenden Phantasie an die Betrachtung der Natur anschießt, wie sie uns das Gegenbild unserer Stimmungen darbietet. Ja dasselbe kann ─ darauf werden wir zurückkommen ─ ganz, ohne von sich zu reden, in einem Landschaftbild aufgehen. Mit der Ausdehnung über alle Stoffsphären ist nun aber auch die andere über die großen Grundgegensätze des Schönen so gegeben, daß neben dem Anmuthigen und Erhabenen die Welt des Komischen in freier Fülle sich öffnet. Jst ja doch das Komische die im engsten Sinn subjective unter den Formen des ästhetischen Widerstreits, ganz Wohlsein des Subjects, also ganz Stimmung. Es fragt sich nur, ob das Lyrische nicht überhaupt zu wenig Objectivität habe, um dem Lachen erst den Anhalt des komischen Vorgangs zu geben; allein es besitzt ja das Wort und ist daher in diesem Gebiete natürlich nicht so beschränkt wie die Musik. Der Vorgang muß nicht ein Ereigniß in der Außenwelt sein, er kann auf innern Widersprüchen beruhen, die der Witz aufdeckt, und dieser, wenn nur getragen vom warmen Flusse der Stimmung, hebt keineswegs den Charakter des Liedes auf. Wir werden aber bald sehen, daß das Lied sogar im Sinne der Erzählung objectiv verfahren, also auch einen äußern Vorgang komischer Art darstellen kann; vorläufig weisen wir nur auf Göthe's ächt komische Schlagwirkung in „Schneider-Courage“. ─ Das Gefühl ist sympathetisch; am meisten das schlichte und naive; ertönt der Hymnus in vollster Kraft als chorischer Gesang, so muß noch gewisser das Lied zur vollen Strömung vereinigter Empfindungsflüsse, zum Ausdrucke des Gemeingefühls neigen. Diese Seite tritt hier mit solcher Stärke hervor, daß sie sogar eine Unter-Eintheilung in individuelle und gesellige Lieder nahe legt, und die letzteren sprechen entweder die momentane Gesammtstimmung Solcher aus, die zu Andacht, Trauer, Genuß, oder die eingewurzelte Solcher, die bleibend in einem Stande vereinigt sind, beides natürlich in Anknüpfung an eine bestimmte Situation. Welche Stände am meisten im Liede vertreten sein werden, ergibt sich aus §. 327, 3. und §. 330. Das Lied gewinnt durch diese anschmiegende, umfassende, vorzüglich sympathetische Natur unabsehliche Bedeutung für das Leben, schließlich für die Geschichte einer Nation; es spricht Grundgefühle aus, die in jeder Brust leben, verstärkt sie rückwirkend, führt in Schlachten, tröstet in Niederlagen, weckt vom politischen Schlummer auf, knüpft sich an Alles, begleitet jede Thätigkeit, jeden Genuß. §. 892. 1, Es folgt aus der Stellung des Liedes in der reinen Mitte des Lyrischen, daß sein Styl vorzugsweise der in §. 887 angegebene ist. Doch kehrt innerhalb dieses Charakters der Unterschied eines verhältnißmäßig mehr objectiven darstellenden, offenen und hellen und eines mehr innerlichen, abgebrochenen, dunkeln und verschleierten Styls zurück. Jener gehört der classischen, beziehungsweise 2. der romanischen, dieser der germanischen Poesie an. Derselbe Styl-Unterschied macht sich aber noch in anderer, bleibender Weise geltend, nämlich in dem Verhältnisse zwischen der Volkspoesie, deren eigentliche Lebensform das Lied ist, und der Kunstpoesie. 1. Es ist schon im vorh. §. gesagt, daß die Grundmerkmale des Lyrischen keiner andern Form in so vollem Sinn eignen können, als dem Liede; die Anwendung dieses Satzes auf den Styl wurde ihrer Wichtigkeit wegen hieher verschoben. Es ist aber der Lieder-Styl eben als ächt lyrischer mit diesem schon geschildert und setzt sich jetzt nur dadurch näher in's Licht, daß die Unterschiede beleuchtet werden, die innerhalb dieses Charakters wieder eintreten. Dem Liederartigen entspricht bei den Griechen das, was im engeren Sinne Melos hieß: d. h. der Form nach, was, in gleichen kurzen Verszeilen oder leichteren, kürzeren Strophen gedichtet, von einem Einzelnen mit der Begleitung der Lyra vorgetragen wurde, dem Jnhalte nach, was wohl auch politisch, kriegerisch und überhaupt ernst sein konnte, vorzüglich aber der individuellen Erregung durch Wein, Liebe oder irgend einer andern Leidenschaft galt, und dem Tone nach, was ganz und wesentlich Stimmung war. Diese Form ist von der Aeolischen Lyrik ausgebildet; zu Alcäus und Sappho ist, obwohl Jonier, Anakreon zu stellen. Die Jnnigkeit, die den Styl des Liedes bedingt, kann bei den Griechen freilich nicht in jene Tiefe gehen, wie bei den neueren Völkern, denen die innere Unendlichkeit sich erschlossen hat; das Jnnerlichste erscheint wie eine nach innen geworfene Sinnlichkeit, das Seelenvollste glüht und wallt in einem heißen Elemente der Leidenschaftlichkeit, die sich ganz und unreflectirt in den Moment versenkt. Bei Anakreon allerdings wird die tiefe Bebung der Leidenschaft zum leichteren, lebensfrohen Spiele, zum freieren Schweben. Dieser ächt lyrische Ton des classischen Styls ist nun aber schon darum mehr mit episch objectiven Elementen getränkt, weil jede Lebensmacht in Göttern angeschaut wird, im Gott aber die innere Erregung immer wieder als herausgenommen aus dem Jnnern des Menschen, als gegenständliche Erscheinung sich hinstellt. Freilich fallen die ausdrücklich epischen Theile der hymnischen Poesie, die entwickelten Schilderungen weg, aber das Gefühl selbst entfaltet sich an dem Bande der klaren Göttervorstellung in bestimmtem, hellem Bilde, deutet nicht, zurücksinkend von dem Versuche, sich auszusprechen, dunkel träumend auf noch unausgesprochene, unerschöpfliche Tiefen, es verläuft plan, bis es in seiner Darstellung gesättigt ist. Ebendarum ist das Gedanken-Element auch hier durchaus stärker, als in dem neueren Liede, es spricht sich über Zeitläufe, Göttermacht, Lebensgrundsätze direct in Sätzen aus, die wie feste Pfeiler im lyrischen Wellenspiele stehen. Der sympathetische Trieb des Liedes sprach sich unter And. in der besondern Form der Lieder beim geselligen Mahle, den Skolien, aus. ─ Der lyrischen Poesie der romanischen Völker werden wir ihren bedeutendsten Platz an einer andern Stelle anweisen; doch fehlt ihnen nicht das rein gefühlte, frischweg gesungene Lied, obwohl es in der Kunstpoesie, wenigstens Spaniens und Jtaliens, durch Ausbildung jener verschlungenen Formen, die einen andern Ton, als den des Liedes, mit sich bringen, frühe fast ganz verschwindet. Was man nun hier ächt liederartig nennen kann, hat allerdings auch das schöne Helldunkel, das träumerisch Andeutende, was die Empfindungssprache der neueren Völker von jener der alten unterscheidet; wir erinnern statt unzähliger anderer Züge nur an das italienische Lied, das Göthe im „Nachtgesange“ nachgebildet hat, und seinen so ächt lyrisch in's dunkel Gefühlte verschwebenden Refrain: dormi, che vuoi di piu ? Doch verbirgt sich auch in diesem Gebiete die Verwandtschaft der romanischen Völker mit der classischen Anschauung nicht; es ist im Ganzen und Großen Alles mehr heraus am hellen Sonnenlichte, schon die Sprache bringt den offenern Klang, das vom Jnnern gelöstere Bild, und der Vers neigt doch überall schon zu den Verschlingungen, die ein Wohlgefallen an der Form für sich ausdrücken. Die Franzosen bewegen sich auch in der Kunstpoesie anmuthig im leichten Liede, im chanson , aber die Leichtigkeit hat hier auch die Bedeutung des spielenden Leichtsinnes, der nichts tief nimmt. Der liebenswürdige B é ranger, lebensheiter wie Anakreon und doch warm für jedes Große, vor Allem für die Freiheit, aber bei alledem ohne eine gewisse letzte Resonanz, die nur das Gemüth der germanischen Völker kennt, ist das reinste Bild der französischen Gefühlsweise. Die ganze Gewalt der dunkel verzitternden Tiefe gehört dem deutschen und englischen Liede und zwar dem Kunstliede wie dem Volksliede. Solche hingehauchte Strophen, solches tiefe Ahnen wie in Göthe's „Wonne der Thränen“, in den beiden: „Wanderers Nachtlied“ und „ein Gleiches (Ueber allen Gipfeln ist Ruh' u. s. w.)“, wie in jenen Liedern, die wir als Grundtypen lyrischen Charakters in §. 885 und 886 näher betrachtet haben, solches dämmernde Beschleichen wie in Jägers Abendlied oder „An den Mond“ haben ähnlich nur die Engländer und Schotten aufzuweisen in dem eigenthümlich beflorten, wie in Nebeln verzitternden Tone, der aus ihrem Volkslied in die neuere Kunstpoesie Byron's, Moore's, Shelley's, Burn's, Campbell's und der Dichter der sog. Seeschule übergegangen ist. Man kann namentlich hier die ergreifende Wirkung des Refrains erkennen, denn er ist der brittischen und schottischen Poesie besonders eigen. ─ Wir haben uns hier nicht ausdrücklich über das Mittelalter ausgesprochen: nicht als hätten wir vergessen, daß seine Phantasie vorherrschend die empfindende war; aber die ganze Bildungsform war doch noch so weit episch, daß dieser Zweig überwog und das Lyrische, freilich zum Schaden des Gattungscharakters, sich in ihn warf. Zugleich war es allerdings die wirkliche Lyrik, worin die Knospe des neu aufgegangenen Gemüthslebens sich erschloß; die Minnepoesie, aus dem älteren Volkslied hervorgegangen, ist eine Erscheinung voll Lieblichkeit, allein sie wird bald monoton durch die Wiederkehr desselben Jnhalts, conventionell in dem methodisirten Cultus der Frauen und des Frühlings und die kunstreiche Form leitet, wie schon früher bemerkt wurde, alsgemach die Jnnigkeit der Stimmung nach der Seite des Gefäßes ab. Hier erkennt man, daß das Bewußtsein des Mittelalters zu weltlos arm, noch zu wenig von vielseitigen Beziehungen des Lebens geschüttelt war, und ein Walter von der Vogelweide steht an Reichthum der Persönlichkeit und ihrer Jnteressen für die reale Welt fast einzig da; das Volk, trotzdem, daß sein inneres Leben noch einfacher sein mußte, als das des ritterlichen Standes, war doch in unbefangnerem Verkehr mit der Wirklichkeit, als dieser, den der Geist der Kaste abschloß, und was seinem Seelenleben an Reichthum der Saiten fehlte, ersetzte die Frische und Fülle der Reize, die von jener ausgiengen. Wie daher die Minnepoesie aus der Volkspoesie herkommt, so muß sie, nachdem sie sich in Künstlichkeit ausgelebt, der letzteren wieder weichen, denn der Geist des Volkes ist inzwischen, gegen das Ende des Mittelalters, ungleich erfahrungsreicher und aufgeweckter geworden und am Ende des fünfzehnten, Anfang des sechszehnten Jahrhunderts tritt die herrliche Blüthe des Volkslieds ein, auf dessen bestimmtere Auffassung wir längst hingeleitet sind. 2. Der Unterschied der Volks- und Kunstpoesie ist schon in §. 519 aufgestellt. Hier, im lyrischen Gebiete, hat er seine eigentliche Stelle; denn das Epische im ursprünglichen Volksgesange verewigt sich, wie wir schon ausgeführt, nur, indem es aus dem Schooße des Lyrischen heraus und in die Hände einer höheren, auf der Schwelle der Kunstpoesie stehenden Bildung übertritt, und es bleibt dem Volke das, was einst ein Theil des Ganzen war, das Lyrische, zur stillen Pflege, die, in ihrem Thun wesentlich um keine Belauschung wissend, endlich doch belauscht wird und ihr schönes, heimliches Werk in den Garten der Oeffentlichkeit hinübergetragen sieht. Was heißt Volk, wenn man vom Volksliede spricht? Es ist ursprünglich, ehe diejenige Bildung eintrat, welche die Stände nicht nur nach Besitz, Macht, Recht, Geschäft, Würde, sondern nach der ganzen Form des Bewußtseins trennt, die gesammte Nation. Da ist kein Unterschied des poetischen Urtheils; dasselbe Lied entzückt Bauern, Handwerker, Adel, Geistliche, Fürsten. Nachdem nun diese Trennung eingetreten ist, heißt der Theil der Nation, der von den geistigen Mitteln ausgeschlossen ist, durch welche die Bildung als die bewußtere und vermitteltere Erfassung seiner selbst und der Welt erarbeitet wird, das Volk. Allein dieser Theil ist das, was einst Alle waren, die Substanz und der mütterliche Boden, worüber die gebildeten Stände hinausgewachsen sind, aus dem sie aber kommen. Von denjenigen, die in unbestimmter Mitte stehen, nicht mehr naiv und doch nicht gründlich gebildet oder durch Noth abgestumpft und verwildert sind oder das Raffinirte der Bildung ohne ihr Gegengift sich angeeignet haben, ist nicht die Rede, sondern von der Masse, die in der alten, einfachen Sitte wurzelt, die ihre Bildung auch hat, aber eine solche, welche der die Kluft bedingenden Bildung gegenüber Natur ist. Diese ganze Schichte lebt ein vergleichungsweise unbewußtes Leben und weil die lyrische Poesie wesentlich ein Erzeugniß nicht des hellwachen, sondern des als Seele in Natur versenkten, ahnenden Geistes ist, so liegt gerade hier ein besonderer Beruf zu dieser Dichtart, dessen reichere Erfüllung nur wartet, bis die dämmernde Volksseele vom schärferen Geiste der Erfahrung angeweht wird, ohne doch ganz zum Tageslichte der Reflexion aufgerüttelt zu werden. Jn diesem Boden erwächst nun jene Kunst ohne Kunst, deren Grundzug die Schönheit der Unschuld ist, die „nicht sich selbst und ihren heil'gen Werth erkennt“. Sie ist nur möglich in unmittelbarer Verbindung mit der Musik, das Volkslied wird singend improvisirt, pflanzt sich nur mit seiner Melodie fort, denn hier wird nicht geschrieben und gedruckt. Der Dichter tritt nicht hervor, wird nicht genannt, Niemand fragt nach ihm, er hat im Namen Aller gesungen, das Subject isolirt sich ja auf der ganzen Bildungsstufe nicht, es gibt nur Ein Gesammtsubject, dieß ist das Volk, und das Volk ist eigentlich der Dichter, es gibt keinerlei literarisches Jnteresse, Jnteressantsein und Jnteressantseinwollen, kein kritisches Urtheil; was schön ist, erfreut, weil man es an der Rührung fühlt. Dieß ist das Waldesdunkel, wodurch in §. 519 die wahre Geburtsstätte des Volkslieds bezeichnet ist. Lieder aus der Sphäre der bewußten Bildung, welche populär werden und, weil sie dem Volkstone gut nachgefühlt sind, selbst in Volksmund übergehen, sind darum nimmermehr Volkslieder zu nennen. Daher nun die in dem genannten §. aufgestellten Züge des Volkslieds, seine Mängel und seine Schönheiten, zu denen in §. 886 noch der weitere der überall lebendig fühlbaren Situation, der Lebenswahrheit gefügt worden ist. Man kann die Mängel in dem Bilde zusammenfassen, daß das Volkslied durchaus einen Erd- und Wurzel-Geruch mit sich führt, daß man die Blume nie ohne diesen Beigeschmack bekommt, dafür hat sie selbst um so frischeren Duft. Die Kunstdichtung, die nicht periodisch aus dem frischen Boden dieser Waldblume sich verjüngt, bildet nur seidene Blumen. Sie wird vor Allem sich zu sehr dem entwickelnden, hell beleuchtenden Styl hingeben, ausmalen, beweisen, rationell aufzeigen; dort lernt sie den ächten, helldunkeln, springenden Styl, wie er freilich bis zum unkünstlerisch Verworrenen, Unverstandenen, Zusammenhangslosen fortgeht, an spezifischen Taktlosigkeiten leidet, der Volkstracht ähnlich, die in so vielen Gegenden nicht weiß, wo die Taille hingehört, die aber auch nie gemacht, immer wahre Natur ist. Das Volkslied ist Gemeingut aller culturfähigen Völker; außer den schon genannten ist namentlich die slavische Nation reich, die weichen und wehmüthigen Klänge ihrer verschiedenen Stämme haben aber nicht das Mark der germanischen. Die Verjüngung der Kunstpoesie durch die Volkspoesie geschieht namentlich auch durch Wechselwirkung der Literaturen, durch die Erkenntniß, daß die Dichtkunst „eine Welt= und Völkergabe“ ist. Kein Moment der Einwirkung des Volkslieds auf die Kunstdichtung war so bedeutend, als der, da Percy's Sammlung in England, stärker und früher noch entscheidend in Deutschland zündete, die Göttingerschule zu den ersten frischeren Lauten geweckt wurde, Bürger die erste wahre Ballade dichtete, Herder die Stimmen der Völker sammelte und Göthe's Genius sich zu diesem frischen Borne beugte, um zu trinken. §. 893. 1. Es widerspricht dieser Natur des Liedes nicht, daß es bestimmte objective Formen hervorbringt, vielmehr sie zeigt sich gerade dadurch, daß sie das Gegen- 2. theil des Subjectiven setzt und doch ganz in ihren Stimmungston taucht. Die eine Art der Objectivität besteht darin, daß der Dichter einen Gemüthszustand nicht als den seinigen, sondern den einer andern Person ausspricht, oder daß er in eigener Person vortragend ein Sittenbild oder ein Naturbild gibt; die 3. andere ist episch in dem bestimmten Sinne des Worts, daß eine ergreifende Handlung als vergangen erzählt wird, wobei der Gegensatz der Style an die schwankende Unterscheidung von Ballade und Romanze sich unbestimmt anlehnt und das Lyrische als Dialog durchbrechend auch dem Dramatischen sich 4. nähert. Die meisten dieser Formen, namentlich die letzte, gehören sowohl der Volkspoesie, als der Kunstpoesie an. 1. Es kann auffallen, daß wir diese Gruppen von objectiven Formen zum Liede rechnen, das im engsten Sinne subjectiv ist. Man unterscheide aber die Objectivität, von der es hier sich handelt, wohl von derjenigen, welche dem Hymnischen zu Grunde liegt: in diesem Gebiete blieb das Subject außerhalb des Gegenstands und wandte sich nur, obwohl tief bewegt, an ihn, im gegenwärtigen setzt das Subject den Gegenstand als einen solchen, der erst durch sein Jnneres gegangen ist; nicht als handle es sich um einen Act reiner Fiction, vielmehr der Dichter hat sich ganz und ohne eigenes Bewußtsein über jene tiefste Bedeutung des Lyrischen, wonach sich in ihm die Subjectivität als Centrum der Welt erweist, an das Object hingegeben, von ihm durchziehen lassen, ebendadurch aber, indem er ganz passiv scheint, es mit seinem Jnnern ganz durchdrungen, ganz in Stimmung umgewandelt, und indem er es wiedergibt, kommt es nun zu Tage ganz getaucht in lauter Bebung des Gefühls. Man sieht den Prozeß nicht mehr, der Erfolg tritt ganz als unmittelbare Thatsache auf. So erscheint der ächt lyrische Charakter des Liedes gerade da in seiner vollen Kraft, wo er sich an seinem Gegentheile geltend macht, indem er im Objectiven und Vermittelten eben recht subjectiv und unmittelbar ist. 2. Die Objectivität tritt in zweierlei Form auf, immer als Gegenstand, welcher der Anschauung geboten wird, aber in der einen Gruppe gegenwärtig, wiewohl dabei eine Succession von Momenten sich abwickeln kann, in der andern vergangen. Die erstere, die wir zunächst in's Auge fassen, scheint viel unzweifelhafter lyrisch, denn die Vergangenheit begründet ein stärkeres Zurücktreten des Subjects vom Object. Dieß gilt jedenfalls von der ersten Form dieser Gruppe: es ist die einfache Form der Verkleidung, wo der Dichter aus der Maske einer zweiten Person oder, wie in so vielen geselligen und Standes-Liedern, aus einer Vielheit von solchen spricht; er hat sich völlig in den Zustand der andern Persönlichkeit hineinempfunden, so stellt er doch ganz seinen eigenen Stimmungszustand dar und liegt daher das Lied, das auf diesem Acte beruht, dem objectlos reinen Lied am nächsten. Man braucht gar kein besonderes Gewicht darauf zu legen, daß die Stimmung oft in dem engeren Sinn die eigene des Dichters ist, wie im Mignon= Liede: „Kennst du das Land“, wo Göthe mit der fremden seine eigene Sehnsucht nach Jtalien ausspricht, oder in so unzähligen Liedern, wo der Dichter Empfindungen so allgemeiner Art, daß er sie sicher auch persönlich erlebt, wie unglückliche Liebe, Weinlust, in einer bestimmten Maske, als Hirt, Jäger, Musikant u. s. w. und mit einer bestimmten Situation ausspricht: er kann sich in spezifischere Lebensformen, Zustände, Situationen versetzen, welche nie seine eigenen sein konnten, und sie doch so tiefgefühlt wie eigene und selbsterlebte wiedergeben. Wir erinnern statt vieler Beispiele nur an jenes Gebet Gretchen's im Faust, an die Lieder des Harfners im W. Meister, an Heine's „Hirtenknaben“. Rein menschlicher Gehalt ist natürlich auch im Spezifischen vorausgesetzt. Vielleicht die ganze Hälfte des lyrischen Parnasses gehört dieser einfachen Uebertragungsform an. Auch in die Natur kann der Dichter sein Jnneres legen und aus ihr sprechen lassen, wie Göthe in: „der Junggesell und der Mühlbach“ oder wie Anakreon durch seine Taube sagen läßt, wie es sich bei ihm lebt. ─ Die zwei andern Formen dieser Gruppe sind viel weniger unmittelbar: der Dichter gibt ein kurzes Sittenbild, kleines Landschaftgemälde; er tritt nicht im eigenen, auch nicht im Namen eines Andern auf, er zeigt ein Object, aber ein gegenwärtiges, auf und läßt dasselbe so ohne alles weitere Zuthun für sich sprechen. Es scheint nichts einfacher, als ganz auf den eigenen Vortrag des Gefühls zu verzichten, es ganz in den Gegenstand zu versenken, aber dieß Verzichten geschieht mit mehr Bewußtheit, als es scheint, und zugleich hängt die Richtung mit denselben Ursachen zusammen, aus welchen in der neueren Zeit das Sittenbild und die Landschaft in der Malerei eine so bedeutende Rolle spielt: dem Jnteresse für die Aufdeckung immer neuer Länder, Zonen, den ethnographischen, naturwissenschaftlichen Neigungen, und allerdings zugleich der Sehnsucht nach Frischem, von der Sündfluth der Reisenden nicht Abgelecktem, also in Culturmüde, in idyllischem Bedürfnisse. So sind denn diese Formen sehr modern. Bei Heine hatten sie entschieden noch subjectiveren Ton, wie sein unheimliches Bild des Jägerhauses „Die Nacht ist feucht und stürmisch“ (Heimkehr N. V ), des Pfarrhauses ( N. XXVIII ) „Der bleiche, herbstliche Halbmond“, das Völkerbild: „Wir saßen im Fischerhause“ ( N. VII ), das rührende kleine Gemälde: „Das ist ein schlechtes Wetter“ ( N. XXIX ), die liebliche Berg-Jdylle aus dem Harze, diese nur leider mit dem blasirten cremor tartari stark vermischt; ebenso die vielen tief bewegten Landschaftbilder; die berühmten Strophen von der Fichte und Palme gehören nicht der vorliegenden, sondern jener ersten Form an, weil sie, obwohl in schlagend einfacher Objectivität, doch durch eine poetische Fiction einem Naturgegenstande ganz menschliches Empfinden leihen. Lenau's Bilder magyarischer Zustände und Haiden entwickeln bereits mehr das Object an sich und Freiligrath wird ganz zum glühenden, aber auch seinen Pinsel sehr bewußt führenden Maler menschlichen, thierischen, landschaftlichen Lebens aus der Wildniß, wohin der Fuß der Cultur nicht getreten. Das sanfte und schöne Gemüth C. Mayer's liebt es besonders, mit völliger Verzichtung auf ein Wort im eigenen Namen kleine Bilder friedlich heimlicher Landschaft aneinanderzureihen. Recht und Fug solcher lyrischen Objectivität kann nach dem Obigen nicht bestritten werden, nur wechsle sie öfter mit directem Aussprechen der Stimmung, denn schließlich ist sie doch ein Zurückhalten, das im Fortgang ermüdet, weil man der Natur der Gattung nach darauf wartet, die Menschenstimme selbst zu vernehmen. 3. Die Ballade und Romanze sind Abkömmlinge der alten Heldenlieder, die zuerst einzeln gesungen, dann zum Epos fortgebildet und zusammengefügt wurden; sie leiten also zu jener mehrfach erwähnten elementarischen Form zurück, wo das Lyrische und Epische noch im Keime vereinigt lagen. Allein nachdem das Letztere sich zu einer eigenen Gattung ausgesondert hat, ist der Theil des gemeinschaftlichen Keimes, der diesem Zuge nicht folgte, ein anderer geworden: er hat, obwohl dem Stoffe nach episch, lyrischen Charakter angenommen. Episch ist vor Allem das Moment der Vergangenheit, wodurch diese Form von der vorhergehenden Gruppe sich unterscheidet; aber es bewirkt jetzt nicht mehr die frei über dem Gegenstand schwebende, ausführlich zeichnende Haltung des Dichters, sondern dieser legt sich mit seiner Empfindung ganz in den Gegenstand, als ob derselbe, zwar als ein vergangener erzählt, zeitlich wie räumlich gegenwärtig wäre; die Zeichnung wird dem Tone untergeordnet, der ganze Hauch und Wurf wird subjectiv, bewegt, der Gang übersteigt rasch die retardirenden Elemente und eilt zum Schlusse, der Rhythmus baut sich musikalisch in lyrischen Strophen, das epische Lied entsteht mit der Melodie oder nach einer vorhandenen Melodie, lebt im Volksgesange oder muß doch, wenn es ächter Kunstpoesie angehört, den Charakter des Sangbaren tragen. Dem alten Heldenliede sieht man ferner die Neigung an, sich als Glied in ein größeres Ganzes zu fügen, es setzt die Kenntniß einer umfassenden Sage voraus; Ballade und Romanze dagegen stellt einen Stoff für sich, ähnlich wie die Novelle im Unterschied von dem Roman eine Situation, abgeschlossen hin, behandelt daher auch nicht leicht mehr Theile der Heldensage, sondern vereinzelte Ereignisse und Handlungen, Mordgeschichten, Schicksale der Liebe, Kriegsauftritte u. s. w., die aber allerdings den ächten Jnhalt vorzüglich dann liefern, wenn sie vorher von der Sage poetisch zubereitet sind, wohl auch Elemente des Mährchenhaften, Geisterhaften aufgenommen haben, worin tiefer und rein menschlicher Sinn eingehüllt ist. Die nähere Geschichte ist noch zu stoffartig und prosaisch versetzt und führt mehr zur poetischen Erzählung. Alle diese Merkmale weisen der epischen Lyrik im Unterschiede vom Epos den ahnungsvoll charakteristischen, nicht entwickelnden Styl zu; dennoch ist es natürlich, daß auch innerhalb dieses Bodens der Gegensatz eines relativ helleren, subjectiv klaren, mehr gegenständlich ausführenden und in diesem Sinne plastisch idealen Styls gegen einen im engeren Sinne malerisch helldunkeln sich von Neuem erzeugt. Die classische Dichtung bietet nichts für diese Stelle, im Alterthum blieb nach der Ausscheidung des Epos keine epische Form von lyrischem Charakter zurück. Dagegen tritt der Unterschied der Stylprinzipien in der neueren Poesie zunächst als ein nationaler auf und lehnt sich so an die Namen Romanze und Ballade. Ballade ist zwar ein italienisches Wort und bezeichnet ein Tanzlied, das ursprünglich die bestimmte rhythmische Form von drei verschlungenen Strophen mit Refrain hatte, allein wie es in England stehend wurde als Name für das epische Lied, wie es dort und in Schottland sich ausbildete, so verband sich damit der Sinn eines bestimmten Charakters der Behandlung, in dem wir ein reines Bild jener zweiten Stylrichtung haben, und die rhythmische Form bewegte sich frei in heimischen Maaßen. Es ist die nordische Stimmung mit ihrem bewegteren, ahnungsvolleren, mehr andeutenden, als zeichnenden Ton, ihrem stoßweisen, Mittelglieder überspringenden Gange, es ist, was Göthe die mysteriöse Behandlung nennt, welche der Ballade zukomme. Der Name Romanze hat sich in Spanien für das epische Lied festgesetzt und das äußere, rhythmische Merkmal ist der Trochäus, gewöhnlich in Tetrametern, welche fortlaufend assoniren. Es ist aber nur natürlich, daß wir mit dem Namen auch den Begriff einer bestimmten Behandlung verbinden und zwar derjenigen, wie sie dem romanischen Völkergeist entspricht und eben in den spanischen Romanzen vorzüglich sich zeigt: nämlich jener helleren, durchsichtigeren, ruhigeren, mehr episch entwickelnden, mehr plastischen. Besteht nun dieser Gegensatz zunächst als ein nationaler, so hindert nichts, denselben, wie er innerhalb der Literatur einer Nation, namentlich der deutschen, jederzeit wieder auftreten und bestehen wird, mit jenen Namen zu bezeichnen, nur geschehe es mit dem Vorbehalte, daß man damit nicht ängstlich ausmessen und abstract Alles eintheilen will; sonst thäte man besser, mit W. Wackernagel, der (Schweiz. Archiv f. histor. Wiss. B. 2, S. 250) die Unterscheidung rein auf das Metrische zu beschränken. Der Ballade kommt vermöge des oben bezeichneten Charakters ihrer Bewegungsweise genauer das Merkmal des dramatischen Ganges zu und dieß widerspricht keineswegs dem rein Lyrischen, Beschleierten, Beflorten ihres Tons, das sich wie Moll zu dem Dur der Romanze verhält. Das Drama beschleunigt, wie wir sehen werden, seinen Gang, wirft die Hemmungen rascher nieder, als das Epos, motivirt tiefer aus dem Jnnern, weniger umständlich und nur bedingt aus dem Aeußern; dieß thut es, weil es die Welt als eine von innen heraus bestimmte darstellt; die lyrische Poesie aber ist, wie sie nach der einen Seite vom Epos herkommt, nach der andern eben hierin der Durchgang, aus dem das Drama hervorgeht; hier wird die Welt in's Jnnere gezogen, zur Bewegung von innen heraus bearbeitet, zubereitet, durch Lichter aus dem Jnnern beleuchtet. Wirft sich nun das Lyrische episch auf Erzählungsstoff, so wird es also gerade je intensiver lyrisch, desto mehr diesen Stoff in einer Weise innerlich durchwärmen, daß seine wallende Bewegung auf die Nähe des Dramatischen hinweist. Es ist keineswegs ein blos äußerlicher Zug, daß dieser Styl ungleich mehr, als der Romanzenstyl, die dialogische Form liebt. Hier werden die Sprechenden nicht weiter genannt, der Dichter hat sich, wie der dramatische, in sie verwandelt; Momente der Handlung sind zwischen den Reden verschwiegen, es ist vorausgesetzt, daß man sie sich vorstelle, die Anschauung derselben aus dem Gesprochenen sich erzeuge, wie im Drama, sofern die Schauspielkunst es nicht ergänzt. Jn der bekannten schottischen Ballade Eduard ist z. B. nicht erzählt, daß der Mörder mit blutigem Schwerte vor seine Mutter tritt, es geht sogleich aus der Anrede hervor: „warum ist dein Schwert von Blut so roth?“ Jn diesem Ueberspringen, Ahnenlassen liegt etwas Banges und so ist mit solchem Style auch die Neigung zu tragischen Stoffen gegeben; man kann sagen, daß das Nibelungenlied in seiner Stimmung als tragisches Epos eben zugleich mehr balladenartig sei, als das Homerische Heldengedicht, und es ist merkwürdig, daß in England zu der Zeit von Shakespeare's Auftreten beliebte Volksballaden den Stoff zu manchen Dramen gaben. Doch wurden auch heitere Balladen zu Komödien verwendet, und unser Satz will nicht sagen, daß die Ballade nothwendig tragisch sei, so wenig, als der Romanze blos heiterer Jnhalt zugeschrieben werden soll. Ja der Ballade sagt ausdrücklich auch das Komische zu, denn die subjectivere Durchschüttlung des Objectiven erzeugt mit ihren raschen Beleuchtungen den komischen Contrast, wie den erhabenen. Die vordrängenden Jamben und Anapäste, welche namentlich die schottische, englische Ballade liebt, entsprechen dieser springenden nordischen Unruhe, wie die fallenden Trochäen der romanischen Ebenmäßigkeit und stetigeren Beleuchtung der Dinge, aber der relative Fortbestand des innern Gegensatzes innerhalb einer National-Literatur kann nicht weiter nur an diese Formen gebunden sein. Auch die Neigung zum Geisterhaften, die jenem helldunkeln Tone näher liegt, als diesem klaren, hängt mit unheimlich düsterem Jnhalt zwar gerne, doch nicht schlechtweg zusammen, die wunderbaren Mächte können auch neckisch, hülfreich wirken. Selbst die reinste, anmuthvolle Heiterkeit des Jnhalts hebt den Balladencharakter nicht auf: der Junggesell und der Mühlbach, der Edelknabe und die Müllerinn von Göthe weisen sich durch die völlige Versenkung des Gefühls in den Stoff, die ihn dialogisch selbst sprechen läßt und alle Mittelglieder überspringt, noch genugsam als Balladen aus. ─ Es ist aber noch eine andere Seite des Unterschieds hervorzuheben, die dem Bisherigen auf den ersten Blick zu widersprechen scheint. Viele spanische Romanzen sind von der Art, daß sie den Schritt zum Epischen, d. h. jetzt zunächst einfach zum Erzählen, nur halb vollziehen: der Dichter redet seine Personen an, spricht sein Gefühl über sie, über ihr Schicksal direct aus, erzählt im Präsens und gibt oft statt einer ganzen Begebenheit nur eine Situation. Man lese nun von Uhland: der Traum, Sängers Vorüberzieh'n, der nächtliche Ritter, der kastilische Ritter, S. Georgs Ritter, Romanze vom kleinen Däumling, Ritter Paris, der Räuber und was in der Sammlung folgt bis zu Bertran de Born, so wird man das eine oder andere dieser Merkmale oder die sämmtlichen zutreffen sehen. Noch bestimmter wird man dieß Verweilen im Subjectiven, das nur einen Ansatz zum Erzählen nimmt und den Stoff wieder in lyrischen Klang zurückzieht, in den Gedichten Heine's finden, die er Romanzen nennt; Balladen, wie die „Grenadiere“, „Belsatzar“, durcherzählende Romanzen, wie „Don Raniro“, mehreres Lieder- und Sonett=artige ist leicht auszuscheiden; wir bezeichnen als Beispiele für den Charakter, von dem hier die Rede ist, I, II, III, IV, V, VII, VIII, XI, XII, XIII, XIV, XV . Wir haben die Ballade reiner lyrisch genannt, als die Romanze; ziehen wir nun zu dieser die in Rede stehende Form, welche zum Erzählen nicht ernstlich fortgeht, so scheinen wir in Widerspruch zu gerathen, denn dieß ist ja vielmehr ein Stehenbleiben im Lyrischen. Allein beide Male ist Lyrisch in anderem Sinne genommen: im Balladenstyle bedeutet es den Act der subjectiven Empfindung, der sich an seinem geraden Gegentheile, der vollen Objectivität, so stark erweist, daß er sie ganz in lauter Ton, Stimmung umsetzt, das anderemal die Subjectivität, die den allgemeinen Begriffscharakter des Lyrischen so einhält, daß sie bis zu voller Objectivität gar nicht fortschreitet, nur halbe Anstalten zum Erzählen macht. Hiemit haben wir Linien zu einer Grenzbestimmung zwischen Ballade und Romanze zu geben versucht. Daß dieselben in der Anwendung durchaus Lücken haben müssen, folgt nothwendig aus der innern Natur des Lyrischen; wo es sich um so zarte Potenzen handelt, für die wir nur den Namen Behandlungston haben, kann am allerwenigsten bei Schuh und Zoll ausgemessen werden. Der Sprachgebrauch ist daher locker und schwankend. Göthe nennt alle seine erzählenden Lieder Balladen und mit Recht. Angesichts der Vollständigkeit der Versenkung, der Umtauschung des eigenen Jch gegen die Personen und das Ereigniß, des bewegungsreichen Ganges, der ganzen wallenden Natur dieser Lieder kann man zu dem Schlusse kommen, Göthe sei mehr Dramatiker, als Schiller; allein seine Dramen leiden bei aller übrigen Vollendung an einem Mangel gegenüber dem Spezifischen der Dichtart, sie sind zu seelisch und haben zu wenig Handlung; er ist dagegen im Epischen so Homerisch klar und so ganz, wie es die Dichtart will, rein zeichnend und entwickelnd, daß man den Meister des lyrischen Helldunkels der Empfindung nicht in ihm erwarten sollte. Wir überlassen diesen Knoten dem Leser zur Auflösung; sie wird sich daran knüpfen müssen, daß Göthe doch auch als Epiker keinen straff männlichen, sondern lauter rein menschliche, weiblich seelische Stoffe behandelt hat. Schiller nennt nur seinen Kampf mit dem Drachen Romanze, alles Andere Balladen; sonderbar: thut er es wegen der lichten Deutlichkeit und beredten Entwicklung im Style, so hätte er alle seine episch lyrischen Gedichte Romanzen nennen können außer dem Taucher, denn dieser hat trotz den beredten Schilderungen doch viel von dem tief dunkel bewegten, springenden, dramatischen Style der ächten Ballade, und etwa noch außer dem Handschuh, wo ähnliche Bewegung waltet. Wählt er den Namen wegen des glücklichen Ausgangs im Gegensatze mit der tragischen Schicksals-Jdee in den andern, so wären der Gang nach dem Eisenhammer, der Graf von Habsburg, die Bürgschaft auch Romanzen zu nennen. Das Richtige wird sein, von Schiller's sämmtlichen episch lyrischen Gedichten zu sagen: sie haben von der Ballade den stark bewegten dramatischen Gang, aber nicht das Helldunkel des reinen Empfindungstons, der immer eine Verwandtschaft mit dem Volksliede auch in der Kunstpoesie bewahrt, vielmehr neigen sie durch ihre lichte Bewußtheit und Sentenziosität noch über die Helle der Romanze hinüber in die betrachtende Lyrik; zugleich aber seien sie durch die Fülle und Pracht ihrer Schilderungen episch über das Maaß dieser Eigenschaft hinaus, wie wir sie ebenfalls der Romanze zuerkannten, ja auch über das Maaß des Epos, nämlich mit zu fühlbarer rhetorischer, declamatorischer Haltung; ein Verhältniß der Kräfte, mit dem man sich, so oft der Mangel des Naiven, ächt Liederartigen sich bis zum Ueberdruß aufzudrängen droht, doch immer wieder versöhnt durch die Entschiedenheit des Einen Grundzugs, der dramatischen Energie, die ganz den wirklich dramatischen Dichter ankündigt. Wir haben bis hieher abgesehen von den Begriffsbestimmungen, welche Echtermeyer in der Abh.: „Unsere Balladen- und Romanzenpoesie“ (Hall. Jahrb. 1839, N. 96 ff.) gegeben hat, um weder unsere Entwicklung, noch die Beurtheilung zu verwirren. Er geht vom Jnhalt aus und erklärt die Ballade für die Form, worin der noch natürlich bestimmte Volksgeist, der Geist in seiner Naturbedingtheit sich ausspreche, wie er entweder den Gewalten der äußeren Natur unterliegt, oder seinen eigenen dunkeln Trieben anheimfällt und von ihnen verschlungen wird, ─ die Nachtseite des Geistes, die denn eine düstere Stimmung und eine tragische Wendung begründe; die Romanze dagegen soll, nicht mehr an einen bestimmten Volksgeist gebunden, der rein menschlichen Bildung angehörig, das ideale Selbstbewußtsein, die freie sittliche Macht des Geistes verherrlichen. Daraus leitet er dann den Styl-Unterschied ab und faßt ihn ähnlich unserer Bestimmung. Es scheint dieß eine klare und einleuchtende Entscheidung der schwierigen Frage; sieht man aber näher zu, so wird man finden, daß dieser Schein täuscht. Für's Erste wird nicht Alles eingetheilt, was einzutheilen ist: wohin soll die ganze große Welt des Gemüthslebens fallen, die weder der düstern Nachtseite des unfreien, noch dem vollen Tage des sittlich selbstbewußten und wollenden Geistes angehört? Vor Allem die Welt der Liebe, sofern sie nicht in ideales Denken erhoben und doch in sich frei, schön und heiter ist? Der nordische Styl wird sie dunkel, ahnungsvoll, der südliche wird sie licht und klar behandeln, dort wird eine Ballade, hier eine Romanze entstehen. Der Styl-Unterschied, wie er historisch auf Nationalitäten zurückführt, ist es also, was entscheidet, nicht der Jnhalt. Für's Zweite: es ist umgekehrt in dem Style, welcher mit herkömmlicher nationaler Beziehung den Namen der Romanze führt, viel finster blutiger, nächtlicher Stoff behandelt und man kann nur sagen, der dunkle, liederartig bewegte Styl verbinde sich lieber und naturgemäßer dem düstern Jnhalte, der lichte dem klaren und freien, wie denn dieß auch der Stimmungs-Unterschied der Völker ist, von denen beide Style ausgiengen, es sei dieß aber nicht nothwendig. Auch ganz sittlich lichter Jnhalt kann in Balladenstyl behandelt werden; der Ton in Göthe's Gott und Bajadere hat so ganz den tief erzitternden Charakter, daß wir dieses Gedicht nimmermehr Romanze nennen könnten, und der Jnhalt gehört doch unzweifelhaft der sittlichen Lichtwelt an. Echtermayer hat, dieß ist die dritte und wichtigste Einwendung, bei dem, was er als Jnhalt der Romanze bestimmt, durchaus Schiller's philosophisch gebildetes Bewußtsein im Auge gehabt und stoffartig auf den ethischen Werth der Jdee der Freiheit gesehen. Das Wahre ist, daß, je durchsichtiger solches sittliches Bewußtsein, desto schwerer es wird, sowohl eine ächte Romanze, als eine ächte Ballade zu dichten. Das Gefühl ist in der Romanze heller, als in der Ballade, aber nicht so gedankenhaft durcharbeitet. Für den ästhetischen Maaßstab ist diejenige Bildung des modernen Dichters die höchste, die von dem zu hellen Lichte ihres Selbstbewußtseins sich in die dämmernden Stimmungen umsetzen kann, aus welchen die ächte Romanze, noch mehr die ächte Ballade hervorgeht. Die bedeutendsten Producte der neueren erzählenden Poesie sind Balladen, vor Allem die Göthe'schen. ─ Echtermayer hat eine dritte, mittlere Form aufgestellt, die er Mähre oder Rhapsodie nennt und welcher er als Jnhalt die Heldenwelt zuweist, wie sich durch sie die Völker in energischer That von ihrer ersten dunkeln Unmittelbarkeit befreien: eine ursprüngliche Kraft, die schon in die Licht- und Tagesseite des Geistes, in die Geschichte, hereinragt. Uhland's vaterländische Balladen namentlich würden in diese Gattung fallen und es erscheint zweckmäßig, sie aufzustellen. 4. Es versteht sich, daß die hier aufgeführten Formen, das rein objective Sitten- und Naturbild ausgenommen, ihren ursprünglichen Boden recht in der Volkspoesie haben, vor Allem aber Ballade und Romanze. Hier vorzüglich ist die Stelle, wo die Kunstpoesie neues, ächt lyrisches Leben aus ihr getrunken hat. Nachdem aber diese Verjüngung vor sich gegangen war, mußte eine episch lyrische Kunstpoesie möglich werden, die den ächt lyrischen Ton einhält und doch in der ganzen Behandlung zeigt, daß ebensosehr die classische Bildung auf uns eingewirkt hat, die aber darum nicht zu der allzu lichten und glänzenden Beredtsamkeit fortgeht, welche einmal unlyrisch ist; diese Art episch lyrischer Gedichte entzieht sich am meisten der Eintheilung Ballade und Romanze und warnt uns, Alles eintheilen zu wollen. Man hat unsern in diesen Formen so reichen Uhland als den Classiker der Romantik bezeichnet; am Marke des Volkslieds genährt, eine gediegene, einfach körnige Natur, die sich doch mit offener Seele den verschiedenen Stimmungen der nord- und südfranzösischen, spanischen Romantik, des classischen Alterthums, wie der dunkleren, härteren, biderben altdeutschen Welt öffnet, führt er überall einen scharfen Meisel, der jedem Gesteine klar bestimmte, reine Gestalt gibt. Jn der Deutlichkeit des Umrisses, welche auch ein ahnungsvoll dunkler Jnhalt hiedurch erhält, wird denn die Grenze zwischen Ballade und Romanze, jetzt abgesehen von jener subjectiveren Nebenform der letzteren, der wir einen Theil dieser Gedichte bereits zugewiesen haben, nothwendig ungewiß werden. Da, wo mehr Volksliedston ist, kann kein Zweifel sein; aber wohin sollen wir z. B. Ver sacrum zählen und mit ihm die ganze Welt episch lyrischer Gedichte, die im Jnhalte bald finster, bald heiter, im Ton und Gang bald dramatisch bewegter, bald milder und heller fließend, doch in der ganzen Form zu classisch durchgebildet sind, zu sichtbar auf classischem Kothurne gehen, um unter Begriffe eingereiht zu werden, die doch immer an die Naivetät der Volkspoesie erinnern? Es bleibt also dabei, daß hier keine zu erschöpfender Eintheilung ausreichende Terminologie besteht. §. 894. Die Lyrik der Betrachtung steht auf dem Punct einer beginnenden 1. Auflösung des reinen Gefühlszustands, worin derselbe in eine beschauende und beschaute Seite auseinandergeht, die in ein Wechselspiel treten, in welchem die Empfindung mit verhüllter oder ausgesprochener Wehmuth ihrer eben noch warmen und eben verkühlenden Schönheit nachblickt und näher oder entfernter bereits den denkenden Geist durchscheinen läßt. Unter den classischen Formen gehört hieher die Elegie, aus dem Oriente in verschiedener Beziehung die indische und die kunstreichen Bildungen der muhamedanischen Lyrik, aus der romanischen Literatur die verschlungenen Strophen des Sonetts u. a. An der Grenze der 2. Prosa liegt als besondere Form das Epigramm und mit ihm eine große, unbestimmte Masse, die sich unter dem Namen der schönen Gedankenpoesie zusammenfassen läßt und namentlich der modernen Zeit und der deutschen Poesie angehört. 1. Wir könnten das Wesen dieser Form auch als eine bis an die Grenze der ästhetischen Einheit fortschreitende Entbindung des Gnomischen bezeichnen, wenn wir nicht eben hier der gnomischen Poesie im engeren Sinn uns näherten, die wir doch als besondere Form in den Anhang vom Didaktischen verweisen und mit welcher wir das vorliegende Gebiet nicht verwechselt sehen möchten. Um was es sich handelt, zeigt sogleich die Elegie. Es ist bekannt, daß man unter ihr nach der antiken Bedeutung des Worts durchaus nicht blos ein Lied der Wehmuth und Klage zu verstehen hat, daß diese erste Form, in welcher sich bei den Joniern die lyrische aus der epischen Poesie herausbildete, anfänglich politischen und kriegerischen Jnhalts war, daß sie denselben, auch nachdem sie sich anderem zugewandt, nicht so bald aufgab. Allerdings darf man behaupten, daß es Zeichen eines unreifen Zustandes war, wenn Kallinos und Tyrtäos so starken Jnhalt in solchem Gefäße niederlegten, daß dieß nur geschah, weil es überhaupt die erste lyrische Form war, die man gefunden und in die nun zuerst der noch ganz von heroisch mannhaften Gefühlen geschwellte, noch wenig lyrisch erweichte Sinn sich warf; denn indem das elegische Versmaaß dem gewaltig und feierlich vorstrebenden Hexameter den zurückweichenden, verathmenden, Grenze setzenden, abschließenden Pentameter hinzufügte, war auch für den Jnhalt ein sanftes Nachlassen gefordert, der verhauchende Vers sollte das Verhauchen der Seelenbewegung darstellen. Es liegt in dieser Bewegungsweise ein Abschiednehmen von der Empfindung, sie ist eben noch warm und kühlt sich eben ab. Dieß ist das eigentliche Wesen der Elegie; Wehmuth und Trauer in bestimmtem Sinn ist damit zunächst noch gar nicht ausgesagt, denn dieß wäre ein Abschiednehmen vom Jnhalte der Empfindung, vom schönen Gegenstande. Dagegen ist allerdings zunächst eine stärkere Entbindung des gedankenhaften Elements hiemit gegeben, denn Auskühlung des Gefühls und Uebergang desselben in das denkende Betrachten, Beruhigung durch allgemeine Wahrheiten fallen nothwendig zusammen. So diente denn das elegische Maaß, das Distichon, früher namentlich bei Solon, überhaupt aber jederzeit auch dem eigentlich Gnomischen, dem Aussprechen allgemein gültiger Lebensweisheit. Aber auch dieß directe Lehren entspricht seinem wahren Charakter nicht und soll durch die Behauptung, daß das Austönen des Gefühls ein Aufsteigen des Gedankenmäßigen sei, vielmehr nur ein erstes Durchscheinen des Letzteren gerechtfertigt werden. Die Elegie begriff ihre Bedeutung erst, als sie sich seit Archilochos in die schönen Empfindungen des von Seele durchdrungenen Lebensgenusses, auf Wein und Liebe und jede andere Stimmung warf, in welcher die Gegenwart, der Augenblick im Schimmer des Jdealen aufglänzt, und sie konnte noch einmal zu voller Blüthe erwachsen, als im Verfall des öffentlichen Lebens die römische Welt das kurze Glück im leidenschaftlichen, subjectiv entzündeteren Genusse des schönen Momentes suchte (vergl. §. 445, 1.). So heiß nun aber das Gefühl in diesen Stimmungen erglühen mag, so bringt doch eben jener Charakter des Rhythmus, das regelmäßige Absinken nach dem steigenden Hexameter, einen Ton des Verglühens nothwendig mit sich; das Gemüth ist noch ganz in seinen Zustand versenkt und beginnt doch schon, ihm zuzusehen, frei über ihm zu schweben; der Liederdichter fühlt, der elegische bespricht, was er fühlt; das Gefühl mag noch so heiß sein, es verdunstet in der Elegie eben im Aufsprühen. Dieß führt uns denn auf den Ausgangspunct und zu dem Begriffe der Wehmuth und Trauer zurück. Nur im unbestimmteren Sinne des Worts liegt ein Zug derselben zunächst in jenem Abschiednehmen von der Empfindung; es erhellt aber, wie nahe der Schritt gelegt ist, in den bestimmteren Ton der Klage überzugehen, der nun ein Abschiednehmen vom schönen Gegenstand ausspricht. Jch blicke auf meine Empfindung wie auf eine flüchtige, entschwindende: so wird mir ja die Empfindung selbst zum schönen Gegenstande, an dem ich erfahre, daß die Momente der höchsten Lebenserregung kurz und vergänglich sind, und es ist nur natürlich, wenn ich nun von der Empfindung den Gegenstand und Jnhalt derselben unterscheide und die Flüchtigkeit des Glückes auch objectiv mit entschiedener Stimmung der Trauer betone. Dann wird die Elegie zu dem, was man sich in der neueren Zeit gewöhnlich unter ihr vorstellt, zum Gedichte der Klage um verlorenes schönes Gut des Lebens, sie ist es gerne, und sie ist es ja auch schon im griechischen Alterthum gewesen, aber jener Klang der Wehmuth durchzieht sie wie ein Ton der Aeolsharfe, auch wenn sie ganz nur von Freude und glücklicher Gegenwart singt. Es ergibt sich nun, daß dieser Form aus dem tieferen Grunde die Stelle an der nahen Grenze der ungemischten Poesie anzuweisen ist, weil sie eigentlich weiß, daß das Jdeal nur momentan in das Leben eintritt. Der schöne Moment, auf den sie selbst mitten in seiner Feier schon wie auf einen fliehenden zurückblickt, ist in Wahrheit nichts Anderes, als die ideale Verklärung des Lebens, welche in der empirischen Wirklichkeit ohne den Zauber der Kunst nur scheinbar und rasch entschwindend eintritt, denn dieß ist ja der Charakter alles Naturschönen, welche aber von der Kunst bleibend vollzogen wird; die Elegie steht also nicht rein inmitten der idealen Phantasie, sondern sehnt sich von dem Standpuncte der Wirklichkeit nach dem Jdeale, welches dem ungetheilten ästhetisch idealen Bewußtsein ein stetiges Diesseits ist, als nach einem Jenseits, das nur vorübergehendes Diesseits wird, und trauert dem flüchtigen Eintritte desselben nach. Sie trauert eigentlich um die ideale Phantasie selbst; eine Poesie, die so eben nicht mehr ganze Poesie ist, trauert um die ganze. Schiller stellt in der Abhandlung über naive und sentimentale Dichtkunst die Elegie als eine Form der letzteren auf; was er aber sentimentale Dichtkunst nennt, ist diejenige, welche das Wirkliche und die Jdee nur aufeinander bezieht, und so gesteht er damit, daß die Elegie den einen Fuß schon auf der Grenze der Poesie hat. Er selbst hat in den Gedichten: die Jdeale und: das Jdeal und das Leben dieß geradezu bestätigt und die Elegie im Grunde verrathen: im ersteren, indem er sich zum Schlusse rein prosaisch mit der Befriedigung tröstet, die in der Beschäftigung liegt, im zweiten, indem er die wahre Erhebung aus den Enttäuschungen des Lebens im Himmel der Phantasie sucht, den uns die volle Poesie, ohne ihr Geheimniß zu gestehen, durch die That auf die Erde senken soll. Die ächte Elegie schwatzt aber doch nicht so ihr Geheimniß aus, weiß es selbst kaum und ihre Betrachtungen decken in aller Trauer über die Flüchtigkeit des Schönen nicht so ausdrücklich die Kluft auf, welche die ganze und volle Kunst schweigend ausfüllt; das heißt von der Phantasie sprechen, statt in Phantasie thätig sein. Doch wir verdanken Schiller auch wahre Elegieen. Pompeji und Herculanum, der Spaziergang gehören zu den schönsten Erscheinungen dieses Gebiets und führen verglichen mit Göthe's herrlichen römischen Elegien, auf einen Unterschied, den wir noch zu berühren haben. Dort breitet sich das Jdeale in dem Bilde der verschütteten Städte, das wunderbar wieder an den Tag der Gegenwart getreten, in den Landschaftbildern, an denen der Spaziergänger sich fortbewegt, als objectivere Anschauung vor dem betrachtend fühlenden Geist aus; hier blickt der Dichter auf persönliches Glück zurück, das sich wohl wie eine Rose an die Trümmer der großen Vergangenheit der alten Weltstadt schlingt, wo einst Amor, der dem Liebenden die Lampe schürt, seinen Triumvirn denselben Dienst gethan hat, wie jetzt dem nordischen Gaste, das aber wesentlich sein Genuß, sein subjectiv Erlebtes ist. Es treten also eine mehr objectiv epische und eine mehr subjectiv lyrische Form einander gegenüber. ─ Das antike Versmaaß der Elegie ist hier beibehalten; im Allgemeinen folgt übrigens eine Nöthigung hiezu aus dem nicht, was über dessen Charakter gesagt ist; die modernen Strophenbildungen haben der absinkenden und austönenden Formen genug, um dem elegischen Stimmungscharakter seinen Ausdruck zu geben. ─ Nicht immer ist es leicht, das Elegische vom Liedartigen zu unterscheiden; wesentlich ist, daß man immer den betrachtenden Charakter in's Auge fasse, wehmüthiger Ton allein, selbst ausgedrückter Gedanke wehmüthigen Jnhalts macht noch keine Elegie, wenn er nur kurz hervorbricht, keine Entwicklung hat. Uhland's „Kapelle“ z. B. ist ein Lied, keine Elegie. Es kann Widerspruch erregen, daß wir hier die lyrische Poesie Jndiens aufnehmen. Sie versenkt sich mit berauschter Wonne in eine Natur, deren Ueppigkeit alle Sinnen umstrickt, in das Entzücken der Liebe, eine seelenvolle Sinnlichkeit, fern von der tieferen Sammlung, welche dem betrachtenden Momente, das wir doch in dieser Dicht-Art für so wesentlich halten, eine Entfaltung zuließe; sie hat in ihrer trunkenen Versenkung einen primitiven Charakter, wie alles Orientalische, und scheint daher mindestens vor die classische Elegie gestellt werden zu müssen. Allein in dieser Trunkenheit wohnt doch eine selige Müde, ein Hinschwinden in die Naturtiefen, ein süßes Kranksein vor lauter Lust, die in ihrer Schönheit sich badet und wohl fühlt, daß sie zu schön ist, um zu bleiben. Der elegische Ton liegt daher im Ganzen, auch wo er sich nicht direct ausspricht, er tritt aber doch auch wirklich und sogar herrschend hervor und kann als das Bezeichnende der indischen Lyrik angesehen werden. Jhre schönsten Erzeugnisse sind eigentlich elegisch; das herrliche Gedicht: die Jahreszeiten ist mit Mahnungen an die Flüchtigkeit des schönen Augenblicks durchzogen; sehnsuchtvolle Liebesklage ist der beliebteste Ton, der sich mit dem wunderbar träumerischen Naturgefühle vereinigt und seinen ergreifendsten, reichsten Ausdruck in dem Wolkenboten von Kalidasas gefunden hat. Mit dem Elegischen tief verwandt ist das Jdyllische, wie sich aus der Erörterung desselben (§. 874. 883) ergibt; man kann es die epische Elegie nennen, denn indem der idyllische Dichter das schöne Bild naturvollen Menschenlebens in der ländlichen Stille aufsuchen muß, gesteht er dessen Flüchtigkeit; das Jdeal ist noch da, aber nur eben noch da, wird eben noch ferner vom großen Menschengetümmel aufgefunden und erhascht. Mit richtigem Sinne stellt daher Schiller (a. a. O.) Elegie und Jdylle nebeneinander. So knüpft sich denn das Elegische an ein idyllisches Motiv in dem anmuthvollen indischen Gedichte Gitagowinda, das die Liebe des Krishna zu der Hirtinn Radha besingt. Es fehlt jedoch in dieser Poesie auch an Sprüchen der Erfahrung und Lebensweisheit nicht, die dem Elemente der Betrachtung, freilich ohne die ethische Sammlung des classischen Occidents, noch mehr ohne die concentrirte Jnnerlichkeit der neueren germanischen Zeit, im elegischen Elemente sein Recht sichern. Voranstellen aber mußten wir hier die Form, die am deutlichsten den Begriff darstellt. ─ Trotz dem großen Sprunge ist es nur natürlich, an die Seite der indischen die muhamedanische Lyrik zu ziehen, wie sie im dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert ihre höchste Blüthe in Persien getrieben hat. Der Pantheismus, der in der indischen Poesie noch trunkenes Naturgefühl war, ist hier durch reiche Vermittlungswege so durchgebildet, daß er sich mit vollem und ausgesprochenem mystischem Bewußtsein in den Genuß des Einzelnen versenken kann; Dschelaleddin Rumi stellt die reine Mystik, Saadi den Uebergang zur Einlebung derselben in das Gefühl des sinnlichen Augenblicks, Hafis die reine und ungetheilte Versenkung dar. Hier hat sich das Gemüth von jeder Fessel der Scheinwelt losgemacht, in das ewig Eine hingegeben und ist völlig frei von jeder besonderen Bestimmtheit, heiter in der Bedürfnißlosigkeit des Derwisch, gepäcklos wie Diogenes. Das ewig Eine ist aber auch in jedem Wirklichen gegenwärtig; dem freien Gemüthe steht es ganz frei, sich in eine Form seiner Realität, wie in seine gestaltlose Unendlichkeit, aufzulösen, und es wird diejenige Form wählen, welche durch Hingabe des Jch an ein zweites oder an die Tiefen des Naturgeistes ein sinnliches Symbol desselben Wegs ist, wie er in Ascese und Speculation vollzogen wird. Jn seeligem Liebesrausche gibt sich nun der Dichter unter Wohlgerüchen von Veilchen, Jasmin, Rosen und Moschus der Geliebten, in deren Wangengrübchen der Weltengeist gefallen ist, dem Weine hin, in dessen Feuer das ewige Geheimniß glüht; er ist aber in dieser Hingebung ganz frei, denn das Welttrunkene Gemüth ist dasselbe, das sich auch rein geistig mit dem Unendlichen versöhnt und in der Reinheit dieser Versöhnung nur von jedem Dogma und Sektenvorurtheil befreit hat; er taucht sich ganz in den Genuß und schwebt doch frei und heiter über ihm und er spricht mit hellem Bewußtsein die Einheit der beiden Wege des Aufgehens in der Unendlichkeit überall und in immer neuen Wendungen aus. Diese Form ist daher in aller ungeheuchelten Fülle der Sinnlichkeit doch zugleich betrachtend, das Gefühl selbst löst sich hier besonders sichtbar in die zwei Seiten des Seins in der Sache und der heiteren Beschauung dieses Seins auf; es ist dieß durchaus elegisch und man wird auch an die Flüchtigkeit des schönen Augenblicks oft genug so ausdrücklich gemahnt, als es die Elegie im engeren Sinne des Worts nur thun kann. Diesem Spiele mit der stetigen Wiederkehr zum mystischen Centrum entspricht das reiche Formenspiel und namentlich das Ghasel mit seinem durchgehenden Reimbande. Jn den einzelnen Mitteln ist diese Dichtung die vorherrschend bilderreiche; sie bedarf es aber auch, denn sie dreht sich schließlich doch immer um Eines. Göthe's heiteres Greisenalter hat in der entsprechenden Stimmung des freien Schwebens und Betrachtens in diesen Formen gedichtet und sie noch einmal zur Wahrheit gemacht. Auch der weitere Sprung zu der subjectiven Lyrik der romanischen Völker läßt sich unschwer rechtfertigen. Hier ist eine Welt der Jnnigkeit aufgegangen, wie sie der Orient und das Alterthum nicht kannte, der platonische Jdealismus und die Mystik fließt als Element in den ethisch gesammelten occidentalischen Geist ein und vereinigt sich mit einem Volksnaturell, das doch flüssiger, weltlich freier, sinnlich biegsamer ist, als der noch tiefere, aber weltlosere, härter in sich gedrängte germanische Charakter. Allein dieser Genius theilt auch mit dem antiken die Eigenschaft, daß ein großer Theil der innern Wärme nach der Seite der Form hindrängt, um sich hier als eine Schönheit für sich niederzuschlagen; dieß ist nun natürlich in der ursprünglichen Art der Stimmung gesetzt und wirkt ebensosehr in der Ausführung wieder auf sie zurück: die reich verschlungenen Formen des Sonetts, der Canzone, Terzine, Sestine, der achtzeiligen Stanze, des Trioletts, Rondeau's, Madrigal's u. s. w. stellen ein Spiel der Verschiebungen dar wie maurische Arabesken; das Gefühl des Dichters kann in der Künstlichkeit dieses Spiels die Unmittelbarkeit nicht bewahren, sondern wird nothwendig zu einem Witze der Empfindung, wiewohl im guten und ernsten Sinne des Worts; er schaukelt sich wie ein geschickter Ruderer mit kunstfertigen Wendungen auf ihren Wellen und sieht mit reiner Betrachtung ihrem plätschernden Wellenspiele zu. Es sind vorzüglich die Jtaliener, die uns diese Formen gebracht haben, und es verhält sich wie mit der Herrschaft der melodischen Schönheit bei relativ verminderter Ausdruckstiefe in ihrer Musik. Das deutsche Gemüth wird sich aber nie ganz frei und heimisch in ihnen bewegen. 2. Wir können in der unbestimmten Masse, die wir enger an die Grenze der Prosa schieben, nur Eine benannte Form aufführen: das Epigramm. Wenn alles Lyrische aus einer Situation entspringen soll, so gilt dieß vom Epigramm in dem ganz speziellen Sinne, daß es auf ein einzelnes äußeres Object gerichtet ist, dem der Dichter gegenübertritt, das er aber nicht in das rein innere Leben des Gemüths umsetzt, sondern nur so weit auf das Subjective bezieht, daß er einen schönen Gedanken darüber ausspricht, und zwar ohne weitere Entwicklung, in schlagender Kürze. So ist die Lyrik an ihrer Grenze noch einmal ganz punctuell, aber jetzt nicht mehr rein empfindend und nicht mehr in den Ring der besonderen Stimmung die Welt fassend, sondern Einzelnes durch einzelne Gedankenlichter beleuchtend; es sind die zerstreuten erkaltenden Funken der Flamme, welche die volle Lyrik in gedrängter Wärme zusammenhält; der Prozeß der Verklärung der Welt im Subjecte hält eine Nach=ärndte, geht weit und breit in der Welt um und wirft auf die einzelnen Dinge, ohne ihre Objectivität aufzuheben, seine geistigen Blitze. Wir haben den Ausdruck gebraucht: schöner Gedanke. Dieß heißt nicht nur ein Gedanke von reinem, edlem Gehalte, sondern ein solcher, der im idealen Gefühls-Element empfangen und geeignet ist, von ihm umfangen zu bleiben. Wir schließen damit das Epigramm, das eine satyrische Spitze hat, vom gegenwärtigen Zusammenhang aus; es gehört mit allem Satyrischen in den Anhang. Das Gefühls= Element hat seinen Anhalt darin, daß das Epigramm ein gegebenes Object zum unmittelbaren Ausgangspunct hat, das geeignet sein muß, unmittelbar in einen Stimmungszustand zu versetzen, aus dem sich eine bedeutende Betrachtung entwickelt. Es ist ursprünglich bestimmt, dem Gegenstand als Aufschrift zu dienen, der also ein sinnlich gegebener ist, dieses Band löst sich, es genügt, daß der Gegenstand der Vorstellung gegeben sei, wenn er nur den Charakter eines vorgefundenen, Erlebten hat, woran sich tiefe Lebensbeziehungen knüpfen. Daraus ergibt sich die Art der Composition im Epigramm: es erregt zuerst durch Nennung des Objects, Anlasses eine kurze Erwartung, dann läßt es in rascher Wendung den Aufschluß, die Pointe hervorspringen. Der Uebergang in die satyrisch witzige Form liegt daher nahe genug, man kann aber von einem Witze des schönen Gedankens reden und dabei die Satyre noch völlig ausschließen. Wir verweisen auf die unendlichen schönen Epigramme der Alten, unter den Neueren nur auf einen großen Theil von Göthe's und Schiller's Xenien, auf Uhland's Sinngedichte, zu denen er zwei Strophen nicht rechnet, die doch zu den schönsten Epigrammen aller Zeit gehören: „Verspätetes Hochzeitlied“ mit dem Schlusse: des schönsten Glückes Schimmer erglänzt euch eben dann, wenn man euch jetzt und immer ein Brautlied singen kann. ─ Das Epigramm nun ist der kleine benannte Punct in einer ganzen weiten Welt von Dichtungen, die keinen Namen haben und die wir als Poesie des schönen Gedankens bezeichnen; sie verhalten sich zum Epigramme wie das Ausgeführte zum Zusammengezogenen. Es ist die schwer zu bestimmende Form, die auch Hegel (a. a. O. S. 465) zuletzt, aber gewiß unrichtig als eine Art des Liedes aufführt. Er weist auf Schiller hin, dessen Gedichte im Ganzen und Großen eine eigentlich normale Erscheinnng dessen sind, was wir schöne Gedankenpoesie nennen; die neuere, namentlich deutsche Literatur, hat aber überhaupt in weiter Ausdehnung dieß Feld angebaut, und Namen wie G. Pfitzer, Geibel sind fast ausschließlich nur hier zu treffen. Der moderne Geist hat seinen unendlich reichen, vielseitigen und verwickelten Jnhalt in das philosophische Bewußtsein erhoben, das sich auf unzähligen Wegen der allgemeinen Bildung mitgetheilt hat; so ist dieses längst eine untrennbare Form seines Wesens und wird durch seine Gegensätze und Kämpfe selbst wieder zu einem Theile seines realen Lebens, seiner Erfahrungsmasse. Unmöglich kann eine solche von Gedanken durchsäuerte Welt nach ihrem Umfang und ihrer Tiefe in die liederartige Form der Unmittelbarkeit umgesetzt werden; viel eher noch in den hymnischen Ton, von dem schon oben gesagt ist, daß er sich mit der Poesie der Betrachtung berühre. Der Trotz des freien Menschengeistes ist in Göthe's Prometheus, der Werth der Phantasie in: „Meine Göttinn,“ die Kleinheit des Menschen gegen das Unendliche in „Grenzen der Menschheit,“ Edelmuth und Wohlwollen als höchste Zierde des Menschen in „das Göttliche“ wirklich so ganz in hoch gehender reiner Stimmung ausgesprochen, daß der ächt lyrische Hymnenton erklingt. Es ist aber solche Umsetzung gedankenmäßigen Gehaltes nur dem höchsten Talente, seltenen Augenblicken und einem kleinen Theile der unabsehlichen Gedankenwelt gegönnt. Es muß eine Poesie geben, welche den Gedanken merklicher in Gedankenform ausspricht, aber doch noch auf so starker Grundlage pathetischer Stimmung, daß wir sie noch nicht zum Didaktischen zählen dürfen. Sie wird aller hohen Anerkennung werth sein, wenn sie ihre Stellung an der Grenze der Poesie, wenn sie ihren Glanz, ihren rhetorisch declamatorischen Styl als einen Schmuck zugesteht, dessen sie um ihres innern Mangels willen bedarf. Die Grenze zwischen dem, was dem ächt Poetischen näher und was ihm ferner liegt, wird hier schwebend und ist nicht weiter zu verfolgen. Schiller bleibt, wie gesagt, Vorbild und reinstes Muster. γ . Die dramatische Dichtung. 1. Das Wesen derselben. §. 895. Wie die Dichtkunst überhaupt die gegenständliche Welt, nachdem dieselbe ganz in das subjective Empfindungsleben der Musik eingegangen, wieder entfaltet, so hat sie in ihren Zweigen die Subjectivität der Lyrik, welche dem Standpuncte der Musik entspricht, wieder zur Objectivität des Epos zu erschließen und hiedurch diese Gegensätze in einer dritten Form zusammenzufassen, worin, wie in dem Ganzen der Poesie das gesammte System der übrigen Künste, so sie selbst innerhalb ihrer sich wiederholt und concentrirt. Der Fortgang begründet sich wie jener von der Musik zu der Poesie, aber er ergibt sich einfacher, leichter: denn dort gilt es den langen Schritt zu einer neuen Kunst, der seinen Ansatz im ganzen System der Künste, in der Nothwendigkeit, daß die Objectivität der bildenden Kunst aus der subjectiven Jnnerlichkeit der Musik sich wiederherstelle, ohne sie zu verlieren, endlich in dem Grundgesetze nehmen mußte, daß der Lebensgehalt als sichtbarer Körper dem Auge (jetzt dem inneren) erscheine; hier dagegen gilt es nur die Wiederherstellung dieser objectiven Welt innerhalb einer Kunst, welche ursprünglich diesen Boden gewonnen, welche ihn verlassen hat, um noch einmal wie die Musik, aber auf neuer Stufe, die Welt der Gegenstände in die Welt der Subjectivität zurücknehmen, sie ganz mit dieser zu durcharbeiten und zu durchdringen, welche ihn aber mit ganz einleuchtender Nothwendigkeit wieder einnehmen muß. Und die dringendere Nähe dieser Nothwendigkeit hat sich ja in der Lyrik selbst dadurch überall angekündigt, daß die Welt der sichtbaren Dinge und ihrer bewußten Auffassung nicht blos geahnt, wie in der Musik, an ihrer Schwelle schwebte, sondern die Empfindung immer nach ihr greifen mußte, um an sie gelehnt sich auszusprechen; ja bis zur Darstellung einer Handlung schritt sie fort und wir fanden die Keime des Drama in der erzählenden Form der Lyrik. Wenn nun, was in der Lyrik gewonnen ist, diese subjective Durchdringung der Welt, sich vereinigt mit dem, was das Epos durch seine Objectivität voraus hat, wenn die von dem Welt-Jnhalt erfüllte Brust diesen wieder entläßt, daß er sich als gegenständliches, aber aus dem Jnnersten des Geistes gebornes Bild ausbreite, so kehrt der Kreis der Poesie ganz gefüllt in sich zurück, wie in der Poesie überhaupt der Kreis der Kunst und mit ihm der ganze Kreis des Systems der Aesthetik: ein Kreis im Kreise, eine Verarbeitung der Welt in die Form, die alle Weisen und Seiten erschöpft, ihre Linie immer weiter gezogen und, was sie umfaßt, immer tiefer und tiefer gegründet und verarbeitet hat und nun beruhigt nicht weiter kann und will, sondern in sich selbst zurückläuft. Die Poesie ist die Kunst der Künste; im Epos wiederholt sich die bildende Kunst und analog das Naturschöne, in der Lyrik die Musik und analog die Phantasie, im Drama die Poesie selbst und analog die Kunst: das Drama ist die Poesie der Poesie. §. 896. Das Lyrische und Epische, Subjective und Objective kann sich nur so vereinigen, daß es sich zugleich wesentlich verändert. Der Dichter spricht durch Personen, in die er sich verwandelt und die er gegenwärtig vor uns auftreten läßt, sein Jnneres aus: dieß ist lyrisch. Der Personen sind mehrere, sie verharren nicht auf einem Puncte ihres inneren Lebens, sondern bewegen sich in der Folge der Zeit, wirken nach außen und bringen durch Wirkung und Gegenwirkung eine Handlung hervor, in welcher sich mit ihrem Complex von äußern Bedingungen ein breiteres Weltbild, sichtbar für die innere Vorstellung entfaltet: dieß ist episch. Allein an die Stelle der lyrischen Gemüths-Erregung und der epischen Zuständlichkeit muß in dieser Verbindung als Jnhalt der freie Geist treten, der mit hellem Bewußtsein seinen Willen zur That bestimmt; die lyrische Gegenwart spannt sich energisch nach der Zukunft, die Form ist ausschließlich dialogisch und das Weltbild als ein sichtbares erzeugt sich ohne ausdrückliche Schilderung aus dem Bilde des innern Lebens der Charaktere. Das Jnnere des Dichters muß im Subjectiven objectiv, zur Welt und Menschheit erweitert sein. Er ist in seinem Werk ebenso ganz gegenwärtig, als ganz abwesend; dieses besteht daher ganz selbständig, losgelöst vom Dichter, denn er ist ganz darin aufgegangen: die vollkommenste Erfüllung des Begriffes der Kunst (§. 489 und 524), die reifste und daher späteste Frucht ihres Wachsthums. Das directe Aussprechen des Jnnern ist das Lyrische im Drama. Der Dichter spricht zwar nicht in eigener Person, sondern aus dem Munde Anderer, in deren Zustände er sich versetzt hat, allein dieß hebt zunächst den lyrischen Charakter nicht auf, denn wir haben auch diese Umwandlung als eine Form des Lyrischen kennen gelernt, die noch ganz in den Grenzen dieses Zweiges bleibt, wiewohl sie allerdings zugleich den Fortgang zum Dramatischen im Keim enthält. Das Drama gehört daher wie die Lyrik zunächst der Zeitbestimmung der Gegenwart an. Von der sinnlich sichtbaren Vergegenwärtigung durch Theater und Schauspielkunst abstrahiren wir aber noch ganz; es ist hier, wie durchaus im Folgenden, immer nur von der Vergegenwärtigung für das innere Schauen die Rede, das allerdings weiterhin das Bedürfniß des äußern mit sich führt; aber erst der Anhang von der Mimik wird diese Seite aufnehmen. ─ Jn der Aufzeigung des epischen Elements der Objectivität, wie es im Drama erhalten ist, durfte sogleich die Vielheit der Personen, durch die der Dichter spricht, nicht übergangen werden; die erzählende Form der lyrischen Dichtung kann, wenn sie sich durch dialogische Behandlung dem Drama nähert, kaum über zwei Personen sprechen lassen; der Kreis, in den sich der gedrungne Kern der Empfindung umsetzen und verkleiden kann, ist eng gezogen. Das weitere epische Moment ist das Fortrücken in der Succession der Zeit; die lyrische Stimmung hat auch ihren Verlauf, bleibt aber doch punctuell, bewegt sich nur in sich, nicht ernstlich hinaus in die Dinge, an denen wir die Zeit messen; wirklicher, erfüllter Zeitverlauf ist nur im Elemente des äußeren Geschehens und Handelns. Das Jnnere, indem es sich ausspricht und fortrückt, erschließt sich also zugleich zur Veränderung der Außenwelt, die Wirkung ruft die Gegenwirkung hervor und es entsteht eine Handlung; so mußten wir auch den Jnhalt des Epos nennen, so lange wir das Wort nicht in seinem strengsten Sinne nahmen. Die handelnden Personen in ihrer Vielheit und der nothwendig mitgesetzte Complex umgebender physischer Welt und realer Verhältnisse der moralischen bedingen nun den größeren Umfang, das umfassendere Bild des Lebens, wodurch das Drama wie das Epos von dem Mikrokosmus des Lyrischen sich unterscheidet. Daß dieses Weltbild der innern Anschauung sich darbiete, wie im Epos, dafür muß der Dichter irgendwie sorgen; von der Art, wodurch er dieß bewerkstelligt, ist jedoch abzusehen, so lange man den Unterschied vom Epischen, der freilich gerade hier tief und durchschneidend ist, nicht in Betrachtung zieht. ─ Es unterliegen aber beide Elemente, das lyrische und epische, indem sie sich zu einem Dritten verschmelzen, nothwendig einer wesentlichen Veränderung und wir müssen dieselbe zuerst in ihrem prinzipiellen Mittelpunct erfassen. Wenn der Dichter sich in Personen verwandelt, welche so sprechen, daß daraus eine Veränderung der Außenwelt, eine Handlung sich ergibt, so kann das Jnnere dieser Personen nicht mehr das in Gefühl versenkte des Lyrikers sein: es muß die Objecte und sich selbst mit hellem Bewußtsein ergreifen und sich frei als Wille aus sich entscheiden. Der dramatische Mensch ist aber auch nicht mehr der zuständliche im Sinne des epischen Charakters, der zwar handelt, jedoch geführt und getrieben von seinem Naturell, von der Sitte, von dem, was als treibende Kraft in den Massen waltet. Der Dichter zwar verhält sich im Epos nicht zuständlich wie seine Helden, er schwebt frei und klar über der also bedingten Welt, allein wo der Mensch als Object des Dichters noch blos zuständlich ist, da kann doch die Klarheit und Freiheit, womit der letztere über dem Stoffe steht, noch nicht jene ganze und intensive sein, welche im Reiche der möglichen Verhaltungsweisen liegt und dem dramatischen Dichter zukommen muß, der den Menschen in jenem determinirten Sinn auffaßt. Der Geist wird darum im Drama allerdings ebensowenig in schlechthin abstracter Selbstbestimmung auftreten, als in irgend einer Form des Schönen, aber, obwohl in positiver Einheit mit seinem Naturell, doch den Entschluß mit klarer Rechenschaft über die Gründe frei aus sich schöpfen und wenn Gefühl und Affect ihn blind und instinctiv fortreißt, so wird dieß in einem Zusammenhange geschehen, wodurch es als das erscheint, was nicht sein soll. So ist es das Drama, was allein unter den Formen des Schönen den wahren, wirklichen Geist zur Erscheinung bringt. Aus seinen Tiefen läßt es vor unsern Augen eine Handlung hervorsteigen, wir sehen sie stetig aus dem energisch wirkenden Jnnern werden. Hienach bestimmt sich nun auch das Verhältniß zum Zeitbegriffe. Zunächst also theilt das Drama mit der Lyrik die Form der Gegenwart. Das lyrische Gedicht entwickelt den Verlauf einer Stimmung, bereitet uns durch den gegenwärtigen Moment auf den künftigen vor und enthält demnach natürlich auch die Erstreckung der Zukunft, allein es fällt kein Gewicht auf diese Seite, weil im weichen Elemente des Gefühls keine Erwartung schlagartiger Folgen entsteht. Dagegen wo der wache Geist im Kampfe wirkt, da müssen Entscheidungen erfolgen, denen wir mit Spannung entgegensehen, und so fällt ein fühlbarer Nachdruck auf das Moment der Zukunft. Die Gegenwart aber bleibt natürlich die bestimmende Kategorie und dieß führt uns nun vom Mittelpuncte nach der formellen Seite. ─ Die dramatische Handlung kann sich nur in der Form des Dialogs bewegen. Die lyrische Poesie geht zu dieser Form fort, aber sie ist ihr nicht wesentlich und ebenso verhält es sich im epischen Gedichte; wo aber die Handlung gegenwärtig vor uns aus dem Jnnern sich erzeugt, da ist der Dialog die einzig mögliche Darstellungsweise. Man kann sagen und hat gesagt, das Drama ruhe formell wesentlich im Fortgange des lyrischen Monologs zum Dialog; nur nennen wir natürlich das Alleinsprechen des lyrischen Dichters nicht Monolog, weil dieser Name eine Handlung voraussetzt, worin im Uebrigen die Zwiesprache oder das Sprechen Mehrerer herrscht. ─ Nun ist aber auch jenes epische Moment wieder aufzufassen, wodurch das Drama die Handlung, die es entwickelt, als sichtbares Bild, nur zunächst als blos innerlich sichtbares, uns vorführt, und es erhellt, wie grundverschieden der Weg sein muß, durch den der dramatische Dichter dieß bewerkstelligt. Er schiebt kurze Anmerkungen ein, um uns das Local, wohl auch die Gestalt der Personen und ihre Gebärden zu veranschaulichen, dieß geht aber fast nur die Bühnendarstellung an und kommt neben dem Wesentlichen, was er als Dichter zu thun hat, gar nicht in Anschlag. Er läßt die äußere Umgebung und die Erscheinung seiner Charaktere durch diese selbst mit einzelnen Zügen zeichnen: dieß ist bereits ein integrirender, aber gegenüber demselben Verfahren in der epischen Poesie ganz klein zusammengehender Theil seines Verfahrens. Das Wesentliche ist vielmehr: die Charaktere müssen von ihm so lebendig geschaut sein, daß sie das Bild ihrer äußern Erscheinung und Bewegung für unsere Phantasie ohne weiteres Zuthun nöthigend mitbringen. Einen wahrhaft organisch aus seinem Centrum herauswirkenden dramatischen Charakter sehen wir im bloßen Lesen so deutlich vor Augen, daß wir meinen, ihn greifen zu können. Die Häufung jener Anmerkungen in der neueren dramatischen Literatur beweist mit dem Mißtrauen zu unserer und des Schauspielers Phantasie nur den Unglauben an die eigene. Die Energie der vollen Gegenwart, womit die Persönlichkeit im Drama vor uns tritt, gibt ihr bei allem Unterschied der Künste eine Verwandtschaft mit der Sculpturgestalt. Die epische Schilderung gleicht mehr dem Gemälde, dem Auftrag auf der Fläche. Die Sculpturgestalt erscheint wie aus einem geistigen unerforschlichen Grunde in den Raum hereingewachsen, so baut sich aus seinem geistigen Kerne heraus vor unserem inneren Auge der dramatische Charakter und stellt sich fest, klar abgeschnitten in den idealen Raum der inneren Vorstellung. Blicken wir nun auf das Jnnere des Dichters zurück, dessen Einströmen in seine Personen wir zunächst zu dem Lyrischen im Drama gestellt haben, so erhellt aus dieser veränderten Stellung, daß es selbst eine Welt sein muß, wenn es, mit dem so umgebildeten Epischen so verbunden, ein Weltbild soll geben können. Was das heißt, zeigt Keiner, wie Shakespeare, dieser centrale Mensch, der den Menschen und den Dingen unbegreiflich in's Herz sieht, dieses Jndividuum, das alle Formen der Menschheit durchwandelt zu haben, Kind und Greis, Mann und Weib, Knecht und Fürst, Krieger und Staatsmann selbst gewesen zu sein, ihre Schicksale selbst erlebt zu haben und sich so zur Gattung zu erweitern scheint. Keine Kunstform versetzt uns so in die Zustände wie das Drama, das sie uns gegenwärtig vorstellt. Der Lyriker führt uns nur in sein Gemüth und nur in sein Gemüth, nicht in seine ganze Persönlichkeit, weil er nicht handelt. Göthe's Wort: bei Shakespeare könne man sehen wie den Menschen zu Muthe ist, scheint wenig zu sagen und sagt unendlich viel. Dagegen kann man an Schiller, ─ dessen übrige Größe darum doch unbestritten bleibt ─ negativ erkennen, was der Prozeß der völligen Entäußerung des dichterischen Subjects besagen will. Er gießt rhetorisch seine ideale Anschauung, sein schönes Gemüth in seine Personen, man vernimmt ihn selbst, wie er hinter ihnen als dünnen Masken steht und hervorspricht, er zeichnet das Böse und Niedrige mit seinem Hasse, statt ihm den kurzen Schein behaglicher Berechtigung zu gönnen. Wo er diese Subjectivität, welche wohl in Allgemeinheit des Gedankens und reiner Liebe die Welt umfaßt, aber nicht im Sinne der poetischen Selbstverwandlung eine Welt ist, am meisten überwunden hat, im Wallenstein, spart er sich doch die Parthie von Max und Thekla als directes Gefäß für sein Gemüth aus, und eben diese Parthie hat daher am wenigsten Haltung und Farbe von Stoff und Schauplatz. Das Drama fordert einen Geist, der im Subjectiven selbst ganz objectiv ist, der daher, wenn er sich ausspricht, den Gegenstand und zwar im großen Sinne des Wortes, die Welt, ausspricht; es ist eine totale Selbstumsetzung, die reinste Reproduction des Traumes (vergl. §. 390) im hellen Wachen. Jn dem Werke dieser concentrirtesten und expandirtesten Form der Phantasie ist daher verschwunden jene epische Synthese von Subject und Object und jenes lyrische Alleinsein des Subjects, welches die Welt in sich resorbirt. Man sieht keinen Dichter, sein Subject ist verschwunden, aber es ist verschwunden, weil es im Werke ganz da ist, nichts blos Subjectives zurückbehalten hat. Es ist von zwei Seiten die reine Einheit des Subjectiven und Objectiven: blickt man auf die subjective Seite, so sieht man den Dichter, der, wenn er ganz sich gibt, die Welt gibt; blickt man auf die objective, so sieht man die Welt, die eine ganze und reine Entäußerung des dichterischen Subjects, daher ganz von subjectivem Leben durchdrungen, durcharbeitet ist. Von keinem Werke der Kunst gilt daher so ganz und absolut, was für alle Kunst in den angeführten §§. als Forderung aufgestellt ist; keines steht so ganz auf eigenen Füßen, rein abgelöst vom Künstler wie ein Naturwerk, eine selbständige Welt, ein Planet, der sich um sich selber dreht, und ist zugleich der Object gewordene Geist des Künstlersubjects. ─ Es erhellt, daß eine solche Kunstform in der zeitlichen Entwicklung nicht nur die epische Naivetät, sondern auch die subjective Bewegtheit der Lyrik hinter sich haben muß und eine noch ungleich mehr geschüttelte, erfahrungsreiche, energische und befreite Welt voraussetzt, als die letztere. Jn Griechenland stand das Drama auf, als jene Kämpfe mit Tyrannis und Aristokratie, deren Unruhe das lyrische Bewegungsleben des Gemüths gelüftet hatte, zur Entscheidung gelangt, die Freiheit in der Demokratie eine Thatsache geworden und durch den Sieg über die Perser die Geister zum vollsten Selbstbewußtsein gekommen waren. Das Mittelalter konnte kein wahres Drama haben, die Mysterien sind noch eine halb=epische Form mit eingesetzten lyrischen Gesängen. Man kann diese Erscheinnng in beschränktem Sinne Volksdrama nennen; in welcher Begrenzung von einer fortdauernden Thätigkeit der Volkspoesie im dramatischen Gebiete die Rede sein könne, werden wir im Zusammenhang der Komödie zur Sprache bringen. Das wirkliche und wahre Drama der modernen Zeit ist aber ein Kind der Reformation und des Humanismus, der erneuten Wissenschaft, also des Bruchs mit der mittelalterlichen Bindung der Geister und des gedankenklaren Blicks geprüfter und enttäuschter Menschen in die Wirklichkeit. Shakespeare, der Protestant, der Sohn jenes unendlich lebendigen Jahrhunderts, dem die breite Binde von den Augen gefallen war, ist der „Homer des Drama“ (Gervinus, Shakespeare B. 4, S. 341). Die Blüthe dieser Kunstform im strengkatholischen und despotischen Spanien war nicht möglich, wenn nicht der Welt ringsumher die neue, freie Bildung wäre aufgegangen gewesen, der Kern der Weltauffassung im spanischen Drama ist aber gerade so weit nicht wahrhaft dramatisch, als dieselbe ihn nicht durchdringen konnte: er begründet den typisch gegebenen Rahmen von Motiven, die nicht aus der wahren und allgemeinen Menschen=Natur erwachsen. Wir haben diese Verhältnisse schon in der Geschichte der Phantasie berührt, vergl. §. 472. 475. Die Franzosen haben in der Beweglichkeit und kritischen Schärfe ihres Geistes immer ein Analogon des Protestantismus gehabt. Was aber ihrem Drama fehlt, hängt doch mit der schematisch unlebendigen Auffassung des innern Menschen zusammen, die ihren Grund im romanisch Katholischen hat. Den ganzen und vollen Beruf zu dieser Gattung hat die eigentlich moderne Zeit und der germanische Geist. Die großen classischen Dichter unserer deutschen Nation sind in diesen Beruf eingetreten, freilich ohne Shakespeare's unbedingtes dramatisches Genie und ohne den Styl zu erreichen, den wir als nächstes Ziel der bisherigen Geschichte des Drama erkennen werden, und ohne in der Komödie es den neuern Franzosen und Engländern gleichzuthun. §. 897. Die Welt, wie sie in dieser Auffassung erscheint, ist wesentlich ganz von innen heraus bestimmt, Alles fließt aus dem Jnnern und führt in es zurück; es wird also vollkommener, als in den andern Zweigen, erfüllt, was nach §. 842, 1. im Wesen der Dichtkunst liegt. Die Bestimmtheit dieses Jnnern als bewußter Wille bringt ein entschiedenes Hervortreten des Gedankenhaften, des gnomischen Elements, mit sich (vergl. §. 842, 2.). Der Wille setzt sich seinen Zweck und vollführt ihn. Die Breite des Aeußerlichen zieht sich durch die Rückführung auf den alle Masse allein bewegenden Zweck in einen engen, nur andeutenden Auszug zusammen; bestimmend wirkt es auf den Willen nur, sofern es zum Motiv erhoben wird. Jn diesem durchaus straffen Weltbilde gibt es daher keinen Zufall. Wir verweisen auf den angeführten §.; was dort von der Dichtkunst überhaupt gesagt ist, das wird in derjenigen ihrer Formen zur vollen Wahrheit, für welche nichts existirt, was nicht mittelbar oder unmittelbar vom Geist als dem Zwecksetzenden, in ein Netz von Zwecken Alles, was ihm gegenüber blos Natur, blos Masse ist, einspannenden ausgeht oder von ihm als Grund einer Willensbestimmung approbirt ist. Der frei wollende Geist denkt seinen Zweck; auch der zweite Theil von §. 842, welcher der Poesie das Aussprechen allgemeiner Gedanken vindicirt, findet daher hier seine vollste Anwendung: der Zweck wird im Drama, wie vor dem eigenen Bewußtsein, so vor dem Freunde, vor dem Gegner gerechtfertigt, es wird mit Gründen gekämpft, bleibende Wahrheiten, Sentenzen, breitere Ausführungen gehen herüber und hinüber und stellen den Kampf der Kräfte in ein Tageslicht, das ihn nach allen Seiten beleuchtet und ihm den Stempel eines Kampfes von Jdeen aufprägt. Dieß Element ist es, was Aristoteles (Poet. C. 6) die διανοια nennt, die Rechtfertigung des Strebens durch Gedanken-Ausdruck, und was wir als das Gnomische bezeichnen. Die Durchklärung des Stoffs mit diesem Lichte des Bewußtseins hat natürlich verschiedene Stufen, mehr instinctives Dunkel bleibt in gewissen Formen des Drama zurück, aber wir ziehen den Grundbegriff billig aus der durchsichtigsten. Es gibt auch eine Stufe, wo sie zu weit geht und eine dramatische Poesie der Betrachtung hervorbringt, eine Grenze, an welcher Göthe und Schiller sich hinbewegen. ─ Wenn nun so die Welt unter den Standpunct des sich durchführenden ethischen Zweckes rückt, so wird durch diese Adstriction die Breite, wodurch sich das dramatische Bild zwar wesentlich von der lyrischen Punctualität unterscheidet, in ihrem Umfange doch nothwendig wieder verengt. Aehnlich wie in der Plastik muß hier das möglichst Wenige dienen, um die äußere Sphäre und das physische Geschehen anzudeuten, und diese Sparsamkeit, ganz abgesehen von der Rücksicht auf die scenischen Schwierigkeiten, drückt aus, daß der dramatische Dichter nicht wie der epische am Naturdasein in seiner Gediegenheit einfach seine Freude hat, sondern daß es ihm werthlos ist, sofern es nicht in sichtbaren ethischen Zusammenhang tritt. Jm Drama kommt z. B. ein Ankleiden, ein Essen vor, wenn es für die Handlung und ihre große Kette von Verdienst und Schuld wesentlich ist, daß dieß oder jenes gerade in einer solchen Situation eintrat; wogegen das Epos bei diesen Dingen aus reiner Lust weit hinaus über den bedingenden Zusammenhang der Handlung verweilt. ─ Dieß führt auf die strenge Ausscheidung des Zufalls. Dieser Punct ist in der Lehre vom Tragischen §. 117. 130. 133. 135 vollständig erörtet. §. 898. Der persönliche Wille ist in concreter Gestalt wesentlich Charakter, dem sein Zweck zum Pathos geworden. Keine Form der Kunst ist so ganz zur Charakterdarstellung berufen und so streng zur consequenten Durchführung desselben verpflichtet, wie das Drama. Daher faßt es den Charakter in dem intensiven Sinne, daß er sich vom Gegebenen losreißt und radical in die Verhältnisse eingreift. Die Zusammendrängung seiner Kräfte auf seinen Zweck beschränkt die Vielseitigkeit seiner Erscheinung. Er vollzieht entweder in der Darstellung selbst eine entscheidende Wendung in sich bis zur völligen Veränderung seines Centrums, oder er verharrt in seiner schon reifen Bestimmtheit. Der Zweck enthält eine Mehrheit von Momenten und setzt den entgegengesetzten Zweck voraus: in der Gruppe von Charakteren, welche dieß erfordert, deren Personenzahl aber durch das Wesen der Dicht-Art beschränkt ist, herrscht Ein Charakter als Hauptperson. Der Begriff des Charakters ist in §. 333, der des Pathos in §. 110 ff. entwickelt. Jn §. 842, 1. ist aufgestellt, daß die Poesie das Schöne vollkommener, als irgend eine andere Kunst, in der Form der Persönlichkeit verwirklicht. Jm höchsten Sinne wird dieß vom Drama geleistet, indem es die Persönlichkeit in der ganz gesättigten und entschiedenen Gestalt des Charakters zu seinem Mittelpunct hat. Stetige Einheit mit sich ist sein Hauptmerkmal; Aristoteles fordert (Poet. C. 15) namentlich das ἱμαλὸν , die Consequenz, und wäre es auch nur Consequenz in der Jnconsequenz. Die neuere Romantik hat grundsätzlich kernlos schwankende, selbst in der Jnconsequenz inconsequente Charaktere geliebt und war ebendarum vor Allem durch und durch undramatisch. Wenn der Charakter kein Centrum hat, wie soll ein klares Verhältniß im Gegensatze der Wechselwirkungen Statt finden, zu welchem das Drama die Charaktere vereinigt? Tritt nun der Charakter in seiner ganzen Entschiedenheit auf, so muß er sich auch in die Spitze zusammenfassen, daß er die Kette des Gegebenen, frei aus sich beginnend, durchschneidet. Jm vollständigen Sinne gilt dieß vom geschichtlichen, politischen Helden, aber auch von der Hauptperson im bürgerlichen Drama wird immer verlangt, daß sie in irgend einer Form radical handle, d. h. das Bestehende auf irgend einem Puncte durchbreche, um es im Sinne des Jdealen zu erneuern. Der Begriff des Jdealen darf dann allerdings nicht zu eng gefaßt werden, das Motiv kann eine subjective Leidenschaft sein, aber sie muß sich an eine Jdee knüpfen und im Glauben handeln, sie so ausführen zu dürfen, daß sie sich ein neues, eigenes Gesetz schafft, wie z. B. Othello, indem er als Richter handeln zu dürfen meint, die Jdee der Gerechtigkeit in unerhörter Form auszuüben wagt. ─ Der dramatische Charakter ist vermöge dieser Straffheit seines Handelns nothwendig gedrängter, als der epische; er muß reich sein, damit man die Macht der Jdee, die ihn erfüllt, an der Mannigfaltigkeit der Kräfte und Eigenschaften erkenne, die sie durchdringt, in Bewegung setzt und in ihren Dienst zieht; aber diese besonderen Seiten können und sollen nicht zu der wirklichen Entfaltung kommen, wie im Epos, sondern durch ihre Verschlingung abgekürzt auf das Eine Ziel losdrängen. Diese Jneinanderarbeitung des bestimmenden Pathos und der reichen Persönlichkeit tritt in's stärkste Licht, wenn jenes einen Charakter ergreift, der ihm ursprünglich widerstrebt, wenn seine Natur und die Leidenschaft einander nur schwer und langsam annehmen, wie Othello's argloses, großes Herz und das Gift des Argwohns. Wenn dann endlich das Amalgam vollendet ist, erscheint der ganze Charakter in um so tieferem und gewaltsamerem Aufruhr. Es ist dieß der Fall, wo derselbe im Drama eine solche Wendung nimmt, daß seine Kräfte um ein neues Centrum sich vereinigen; von dieser stärksten Form des Umschlags eines Charakters ist wohl zu unterscheiden eine andere, wo er innerhalb seines ursprünglichen Centrums und natürlichen Pathos durch Schicksalserfahrungen zu einer Krise gesteigert wird, die seine ganze Stimmung, seinen Zustand verändert, wie z. B. König Lear. Ein mittlerer Fall ist der, wenn der Keim zu einem Umschlag, welcher das anfängliche Bild des Charakters aus den Fugen treibt, in diesem schon vorher tiefer angelegt war, als es schien, wie im Makbeth, dem ungleichen tragischen Bruder Richard's III , der als reifer, hart geschmiedeter Bösewicht von Anfang an auftritt. Hamlet, der in dem fortgehenden Kampfe mit einem Pathos, das den Anspruch macht, sich seiner ganz zu bemächtigen, sich doch wesentlich gleich bleibt, steht fast einzig in der Geschichte der Tragödie. Die einfachste Form der Steigerung im ursprünglichen Centrum ist das Anwachsen zum höchsten Pathos der Liebe; es setzt jugendliche Naturen voraus, die nicht vorher schon zu markirter Reife gelangt sind, wie Romeo. Ein anderer Theil der dramatischen Charaktere bringt dagegen völlig reife Gestalt nicht nur sogleich mit, sondern verharrt auch darin, so daß seine Handlungen einfach aus der gegebenen festen Bestimmtheit hervorgehen. Soll dieß aber von der Hauptperson gelten, so muß doch die That, die zur Katastrophe führt, mit einer Aufregung, Aufwühlung verbunden sein, die annähernd als eine Veränderung des Charakters bezeichnet werden kann, wie bei Wallenstein, da ihn der Ehrgeiz zum Verrathe führt. ─ Der Zweck, welcher der Hebel der dramatischen Handlung ist, setzt den Gegenzweck voraus, beide legen sich in ihre Momente auseinander und dieß natürlich eben in der lebendigen Form von Charakteren. Man vergleiche z. B. Schiller's Wilhelm Tell. Die Jdee der nationalen Freiheit tritt in die Momente der entscheidenden Thatkraft, der jugendlichen Leidenschaft, der berathenden männlichen Klugheit auseinander: das erste in Tell, das zweite in Melchthal, das dritte in Stauffacher, W. Fürst und einer Anzahl weniger bestimmt hervortretender Personen; Jäger, Hirten, Fischer, Landleute, ihre Klagen und Leiden sind nothwendig, den Gesammtzustand zur Darstellung zu bringen. Weiblicher Heroismus, in mildem Contraste dem stilleren Familiensinne gegenübergestellt, schließt sich an jene Momente an und selbst Kinder mit einigen Strichen von Charakterzeichnung sind nothwendig. Der That der Vertheidigung der Familie und des Vaterlands stellt der Dichter in starkem Contraste den Mord aus Rache entgegen in Joh. Parricida. Auf der andern Seite die Tyrannei in Geßler; sie erfordert Werkzeuge, Begleiter, Soldaten. Jn der Mitte steht der Adel des Landes, theils national gesinnt, aber die Erhebung des Volkes als solchen, das Aufsteigen der Demokratie erst im Tode erkennend, theils der fremden Gewaltherrschaft anhängend, im Verlauf aber zur nationalen Sache übergehend: Attinghausen und Rudenz. Die Massen aber, welche die Befreiung im Großen vollbringen, sind nur angedeutet. Die Frage, ob der Stoff des W. Tell nicht mehr episch, als dramatisch ist, brauchen wir hier nicht zu untersuchen, denn wir hätten genug andere unzweifelhaft dramatische Stoffe als Beispiel anführen können, welche für eine große nationale Handlung Massen in Bewegung setzen müssen. Auch auf dieser Seite tritt nun aber im Drama doch eine Zusammenziehung der epischen Breite ein: verhältnißmäßig Wenige gelten als Repräsentanten für sehr Viele, und aus den Figuren, welche die Masse vertreten, sind nur einige skizzirt, so daß man erkennt, es handle sich hier blos um ein Material, das nicht den Vollwerth der freien Persönlichkeit hat und daher nur den Saum der Darstellung bildet. Aber, was wichtiger ist, auch der Häupter der Handlung sind gegen die Fülle von Helden im Epos Wenige, denn das Drama ist eingedenk, daß der durchgreifende Geist der Geschichte sich in wenige Zähler neben unendlich vielen Nieten zusammenfaßt. Man sieht auch hier die Aehnlichkeit mit der Plastik, welche, wie sie die Natur-Umgebungen durch Weniges symbolisch andeutet, so in der Hauptsache, in den Figuren, auf den Begriff der Vertretung Vieler durch Wenige (vergl. §. 606) und keineswegs blos auf die Beachtung der technischen Schwierigkeiten ihre Sparsamkeit in der Figurenzahl gründet. ─ Es versteht sich nun, daß ein Werth-Unterschied unter den Personen der Handlung ist, und davon muß schon hier, in der Erörterung des allgemeinen Wesens der dramatischen Kunstform, die Rede sein, während die spezielle künstlerische Seite dem Abschnitte von der dramatischen Composition angehört. Wo sich das Leben und die Geschichte zu einer entscheidenden Spitze treibt, da muß es Eine Person sein, in welcher diese Bewegung sich zusammenfaßt; das Drama hat daher nothwendig in viel engerem Sinn eine Hauptperson, einen Helden, als das Epos, in welchem wohl auch eine Gestalt alle andern überragt und das höchste Jnteresse auf sich zieht, denn dort schneidet der herrschende Charakter das Bestehende durch, hier ist er nur die höchste Fülle, das reinste Bild der Kräfte, die sich rings um ihn her ausbreiten, er schwimmt oben auf dem Strome dieses Ganzen, gegen den der dramatische Held ankämpft. Es kann nur äußerst seltene Fälle geben, wo die Hauptperson schwer zu bezeichnen ist und doch die Einheit nicht leidet; ein solcher ist Shakespeare's Jul. Cäsar, wo der Held, der dem Stücke den Namen gegeben, früh untergeht und Brutus zum Helden des Stücks wird, während doch sein und seiner Verbündeten Leiden und die Niederlage der republikanischen Jdee als ein Fortwirken des Gemordeten, eine Handlung seiner Manen erscheint. Wo das Pathos der Liebe den Jnhalt bildet, treten zwei Personen, die in der Unendlichkeit ihrer idealen Leidenschaft zu Einer werden, so vereinigt in den Vordergrund, daß man zweifeln kann, ob der wagende Jüngling oder das zur Heldinn gewordene Weib die Hauptperson ist, wie in Romeo und Julie. Der Charakter, welcher an der Spitze der Gegenseite steht, gegen welche der dramatische Held kämpft, wird häufig schärfer gezeichnet erscheinen, als dieser, denn er vertritt die verhärtete Gestalt des Bestehenden, die herbe Welt des Verstandes oder das Böse, die Jntrigue, während jener durch das phantasievoll Geniale seines Wollens jugendlicher erscheint, ohne darum das Prädicat der schwungvolleren Energie zu verlieren; so ist selbst das Weib Antigone in der Handlung der Tragödie doch unzweifelhaft der Hauptcharakter gegenüber dem starren, harten Männercharakter Kreon's. Man erkennt daraus, wie hier Alles auf die Stellung ankommt, die ein Charakter in der gegenwärtigen Handlung einnimmt, denn Hauptperson ist, wer die vollste Kraft in die Durchführung des Zweckes setzt, um den jene sich dreht. Dieß führt auf den wahren Einheitspunct im Drama. §. 899. Was durch diese Zweckthätigkeit des Willens geschieht, ist im intensiven Sinne des Wortes Handlung, eine Reihe von Thaten mit einer entscheidenden That im Mittelpuncte. Durch sie bereiten sich die Personen ihr Schicksal. Dieses geht aus dem Kampfe der Wirkungen und Gegenwirkungen als das dem Ganzen dieser Bewegung vorher verborgen inwohnende Gesetz hervor, stellt sich als das wahrhaft Herrschende, als das wahre Subject der Handlung heraus und zieht also das Haupt-Jnteresse, welchem sich nun das für die Charaktere unterordnet, auf sich. Keine Form der Kunst ist so ganz, wie das Drama, zur Darstellung des Tragischen berufen. Aristoteles sagt (Poet. C. 6): die Hauptsache in der Tragödie sei der Mythus, die Zusammenstellung der Begebenheiten, denn diese Dichtungsart sei eine Nachahmung nicht von Personen, sondern von Handlungen, Lebensverhältnissen, Glück und Unglück, ihr Ziel sei eine Handlung, nicht eine Beschaffenheit; die Handlung sei nicht da zum Zwecke der Sittendarstellung, sondern ihretwegen werde diese mitumfaßt, und eher sei eine Tragödie ohne diese, als ohne jene möglich. Dieß ist in seiner sinnvoll empirischen Weise naiv, aber durchaus treffend gesagt; naiv, weil der innere Zusammenhang zwischen Charakter und Handlung nicht philosophisch entwickelt ist. Es fehlt das Band, das vom Einen zum Andern führt; es müßte aufgezeigt sein, wie das Erhabene des Subjects, das zuerst den Vordergrund einnimmt, dem absolut Erhabenen des Schicksals Platz macht, jedoch nicht so, als ob beide nur ein Nebeneinander wären und das Erste vom Zweiten äußerlich verdrängt würde, sondern so, daß das Erhabene des Subjects als Bruchtheil eines Ganzen erscheint, das in ihm selbst, aber nicht in ihm allein, sondern in der Vielheit von Jndividuen, zunächst in der ganzen Gruppe der in dieser Darstellung Vereinigten, in verschiedenen Verhältnissen der Wechsel-Ergänzung von Recht und Unrecht gegenwärtig ist und von dem es verschlungen wird, weil es nur Bruchtheil und zwar auf Trennung des Ganzen ausgehender Bruchtheil war. Dieß ist der tragische Prozeß, wie er in §. 117 ff. auseinandergesetzt ist, und wir dürfen jetzt auf diesen Abschnitt mit der einfachen Bemerkung zurückverweisen, daß keine Gestalt der Kunst diesen Prozeß so rein und scharf zur Erscheinung bringt, als das Drama. Bei Aristoteles fehlt diese Begriffs-Entwicklung, weil ihm die tiefere Jdee des Schicksals fehlt, statt welcher er einfach empirisch: Handlung, Umschwung, Glück und Unglück setzt, und ebenso, weil ihm der tiefere Begriff des Charakters fehlt, wie er als eine Form desselben allgemeinen Geistes, der als Schicksal über ihn kommt, sich selbst dieses Schicksal schmiedet, weil er in den Zusammenhang des Ganzen trennend eingreift. Sein Satz ist dennoch höchst wichtig und fruchtbar, denn die Geschichte des Drama, namentlich des neueren, zeigt, wie häufig man der falschen Ansicht folgte, als ob Charakterzeichnung bei vernachläßigter Handlung schon ein Drama sei. Dieß heißt für uns: bei dem Erhabenen des Subjects verweilen, statt von da zum absolut Erhabenen der Weltordnung fortzugehen. Die dramatische Conception geht nicht von den Charakteren, sondern von der Situation aus und man kann beobachten, daß dem ächten Dichter häufig das Charakterbild aus den Bedingungen des Schicksals erwächst. So fordert z. B. die Handlung im Othello ein Weib, das so wehrlos, so unfähig ist, die Zunge zu brauchen, daß ihre Unschuld trotz allen Mißhandlungen zu spät an den Tag kommt. Aus dieser Bedingung ist wie aus einem zarten Keime dem Dichter ein himmlisches Bild verschleierter, stiller, süßer Seelenschönheit, reiner Sanftmuth hervorgewachsen. So entwickelt das ächte Genie den Charakter vorneherein aus dem Schicksal und vereinigt organisch die Kräfte, welche für diese beiden Seiten erforderlich sind, in richtigem Verhältniß. Diese Vereinigung ist selten, die Talente und Richtungen sind so vertheilt, daß Mancher einen Charakter zeichnen, aber keine Handlung, die vorwärts geht und zu einer großen Entscheidung drängt, componiren kann. Wir dürfen schon hier, obwohl wir diesen Punct an seinem Orte noch ausdrücklich in's Auge fassen müssen, unsern Satz durch die Erscheinung im Gebiete der Komödie beleuchten, daß man so häufig humoristische Charakterschöpfung ohne lebendigen Gang und Wirkung der Fabel oder wohl angelegte Jntrigue bei dürftiger Charakterzeichnung findet. Das Talent der Charakterschöpfung ist an sich bedeutender, als das der Fabelschöpfung, aber Angesichts der spezifischen Forderung der Dichtungsart ist das letztere das strenger geforderte und so allerdings das vorzüglichere. Doch wir haben hier zunächst das ernste, das tragische Schicksal im Auge, und bemerken noch zum Schlußsatze des §.: im Drama muß das Tragische darum am vollsten und reinsten zur Darstellung kommen, weil seine ganze Majestät aus dem Gange einer gegenwärtigen Handlung sich entwickelt. Das Schicksalsgefühl ist ein Gefühl des unendlich Drohenden, dann plötzlich Eintretenden, es wird in seiner ganzen Stärke nur da erweckt, wo vor unsern Augen, jetzt, in diesem Augenblick das Ungeheure geschieht. §. 900. Jn derselben Form des gegenwärtigen Entstehens einer Handlung aus den Charakteren durch das geistige Mittel der Sprache, wodurch die dramatische Dicht-Art den tragischen Prozeß in seiner ganzen Tiefe und Straffheit zur Erscheinung bringt, ist es begründet, daß sie auch sein komisches Gegenbild in einer Vollkommenheit und Selbständigkeit ohne Gleichen zu erzeugen vermag. Das einfach Schöne in seiner ganzen Anmuth kann sie in diese Bewegungen stürmischer verwickeln oder unversehrter in sie einflechten. Sie ist daher der vollendetste Ausdruck der allgemeinen Grundformen des Schönen und auch in diesem Sinne kehrt durch sie das System in sich selbst zurück. Der §. nimmt seinen ersten Satz aus dem Schlusse der Anm. zum vorh. §. deßwegen auf, weil für das Komische die Form der Gegenwart seine ganz besondere Wichtigkeit hat, und ebenso verhält es sich mit dem Mittel der Sprache, das darum hier ausdrücklich noch einmal betont werden mußte. Das Komische ist diejenige unter den Grundformen des Schönen, in welcher am sichtbarsten der Accent nicht auf dem Factischen liegt, sondern auf dem Bewußtsein, seinen Widersprüchen, ihrer Auflösung. Sein volles, wahres Bild muß also erst da möglich sein, wo es als komischer Charakter vor uns tritt, in Redeform sein Jnneres selbst bekennt, so daß wir in die Widersprüche seines Bewußtseins hineinsehen, daß er in seiner unendlichen Naivetät gegenwärtig von uns belauscht wird. Er hat wohl die Lauscher im Stücke um sich, als subjectiv humoristischer Charakter belauscht er sogar sich selbst, aber der Bruch löst sich darin nicht ganz, der völlig durchsichtige komische Act ist nur im Dichter, wir folgen ihm und stehen als die Lauscher über den Belauschten und Lauschern im Stücke: die komische Scala, welche in §. 182 aufgewiesen ist. Die ganze Lehre vom Komischen, namentlich von der Posse und vom Humor, wies überall schon auf das Drama hin, klang fühlbar dramatisch, da in jedem Sinn ein Wechsel-Act zwischen Spieler und Zuschauer gesetzt war. Wir haben im Epos komische Bestandtheile, wir haben einen komischen Roman, komische Lyrik gefunden; die letztere ist doch kein häufiger, kein reicher Klang, dieß widerspräche der Poesie der Empfindung; die epische Breite ist ein Hinderniß, daß ein Moment, das auch hier noch, wie im Tragischen, besonders hervorgehoben werden muß, nämlich die absolute Plötzlichkeit des Komischen recht zum Durchbruch komme. Der komische Blitz ist der Form der Gegenwart vorbehalten, die sich nach der Zukunft spannt. Wie das Schicksal in den Reibungen des komischen Charakters mit der Außenwelt zum Zufalle wird und an die Stelle der Nemesis die bloße Verlegenheit tritt, ist in der Lehre vom Komischen auseinandergesetzt und kann danach ein Schein des Widerspruchs mit dem Satze, daß das Drama den Zufall aufhebe, wie keine andere Kunstform, nicht entstehen. ─ Die Schönheit der harmlosen Anmuth wird im tragischen und komischen Prozeß ihre wesentliche Stelle finden; sie wird wie eine Blume am schäumenden Wassersturze stehen und gerettet oder mit in seine Wirbel hineingerissen werden. Dieses Schicksal wird ein mehr äußeres oder mehr inneres sein, Clärchen folgt dem Geliebten durch freien Entschluß in den Tod, Gretchen im Faust wird erst innerlich zerrissen, um dann in erhabener Fassung zu sterben; im Komischen theilt die naive Lustigkeit der Anmuth harmlos das komische Spiel, durch Schmerzen geht der tiefere und freiere Humor einer Rosalinde und Porzia. ─ So treten denn jene Grundformen, die in der Metaphysik des Schönen entwickelt sind und den Unterbau des ganzen Systems bilden, aus ihrer Tiefe herauf und bilden in scharfer Gliederung ebensosehr die Spitze der Pyramide. Das System kehrt also durch die Poesie und im höchsten Sinne durch die dramatische nicht nur überhaupt in seinen ersten Theil als die reine, geistige Gestalt des Schönen (vergl. §. 863, Anm. 1.), sondern auch speziell in dessen unterschiedene Formen mit gefüllter Jntensität zurück. §. 901. Der dramatische Styl entnimmt sein Grundgesetz aus dem Momente des 1. Fortgangs vom Charakter zur Handlung, er ist wesentlich vorwärts drängend, spannend und durchschlagend. Danach bestimmen sich die einzelnen Elemente der 2. Darstellung: das in engerem Sinn epische der Erzählung nimmt höhere Bewegtheit an, das lyrische im Monologe darf sich nicht in die Jnnerlichkeit der bloßen Empfindung oder des Denkens vertiefen, sondern muß durch Affect auf die Handlung lebendig überleiten, der Dialog darf nicht ein bloßer Austausch von Gründen oder Gefühlen, sondern muß wechselseitig wirksam sein, 3. etwas in der Sachlage verändern. Das Feuer der Bewegung ergreift auch die einzelnen poetischen Mittel, namentlich die Tropen. Die entsprechende rhythmische Form ist der steigende, strebende Jambus. 1. Der epische Styl hat sein Grundgesetz im Standpuncte des Seins, der Substantialität, der Bewegung auf ruhiger Grundlage, der dramatische im Standpuncte des Werdens, nämlich des Werdens der That und des Schicksals aus dem Jnnern. Er ist daher ganz bewegte Linie, die vorwärts geht, ganz Bahn; spannt sich die Handlung dem Wesen nach von der Gegenwart nach der Zukunft, so muß sich dieß natürlich auch im Styl ausdrücken: er muß vor Allem spannend sein. Es gibt freilich einen Mißbrauch, einen athemlos vorwärts hetzenden, jagenden Styl: die Eile muß ihre Weile, das Bild der Charaktere und ihrer Lagen muß Zeit haben, sich zu entwickeln; die Franzosen besonders neigen zum Uebermaaß der spannenden Bewegung, aber was am meisten und in Deutschland vor Allem Noth thut, ist die Warnung vor beschaulichem Weilen und Kleben, und nicht stark genug kann man unsern Dichtern zurufen: was nicht vorwärts drängt und daher nicht spannt, ist nicht dramatisch. Die Spannung löst sich von Stadium zu Stadium in Entscheidungen auf, bis der Schluß die letzte bringt; auf der Spitze des Messers schwebt die Handlung, ein Schlag, und der Würfel fällt. Hier wird die Spannung zur Ueberraschung; der subjective Ausdruck des Aristoteles, daß die Tragödie Furcht und Mitleid erwecke, ist durch den Begriff des Schreckens, doch in einzelnen Momenten der Tragödie und in Schauspiel und Komödie auch den der Freude und der komischen Erschütterung zu ergänzen. Daß sie in der Spannung vorbereitet ist, schwächt die Ueberraschung nicht. Der Gang ist also in vollem Gegensatze gegen den epischen ein stoßweiser, das Merkmal des Plötzlichen, was in allem Erhabenen und Komischen liegt, wird zum Styl-Merkmale, und ebenso stark ist hier unsern Dichtern zuzurufen: was nicht blitzt, durchschlägt, zündet, ist nicht dramatisch. Der Mißbrauch liegt freilich auch auf diesem Puncte nahe genug, aber von den zwei Uebeln: zu wenig oder zu viel Schlag und Erschütterung ist das letztere das, was nur am Maaße sündigt, das erstere am Wesen der Dicht-Art. Göthe hat in allen seinen Dramen keinen Moment, der so rein und ächt dramatisch wäre, wie der, wo Alba den Egmont in den Palast reiten, vom Pferde steigen sieht, und den folgenden, wo er ihn verhaftet. Jphigenie und Tasso sind unsterbliche Seelengemälde ohne wahrhaft dramatische Spannung und Ueberraschung. Schiller dagegen ist überall reich an solchen Momenten, wo alle Herzen klopfen, jeder Nerv sich spannt und dann der Blitz der Entscheidung zuckt. Wie wirkungsvoll hat er, um nur dieß Eine zu erwähnen, die Scene der Ermordung Geßler's behandelt, wo wir Tell lauernd wissen, wo ─ ein äußerst glückliches Motiv ─ die flehende Armgart eintritt, Geßler ihr gegenüber den Uebermuth auf den Gipfel steigert und mitten in der harten, stolzen Rede vom Pfeil durchbohrt sein: „Jch will“ ─ stöhnend mit dem Ausruf abbricht: „Gott sei mir gnädig!“ und vom Pferde sinkt. Der Großmeister aber in ächt dramatischer Spannung und Ueberraschung ist Shakespeare; wir weisen nur auf die Scene der Ermordung Duncan's im Makbeth hin. Lady Makbeth in grauenhafter Angst befindet sich auf der Bühne; ihre Worte: „er ist daran“ sind ein Abgrund spannender Bangigkeit, dann bemerke man das tiefe künstlerische Motiv, daß Makbeth, ehe die That geschehen ist, noch einmal oben erscheint und fragt, was es gebe; dieß ist ein Verweilen, das uns zeigt, wie beide Gatten von den gleichen Schrecken der Gewissensangst durchbohrt sind; endlich tritt jener starr, stier mit den Worten auf: „ich hab' die That gethan“ und es folgt die Schilderung ihrer Ausführung und seiner innern Zustände, die eine Unendlichkeit von Entsetzen in sich schließt. 2. Das Epische im allgemeineren Sinne des Worts, wie es sich im Dramatischen erhält, ist das Geschehen überhaupt, das freilich hier zu einem intensiven Handeln wird. Es bedarf aber diese Dicht-Art eines epischen Elements in engerer Bedeutung: dieß ist die Erzählung. Sie ist nöthig, um Solches, was der Länge der Zeit und der Masse des Stoffs wegen nicht in gegenwärtiger Handlung dargestellt werden kann, doch vorzubringen, ferner um Gräßliches, was, unmittelbar vor das wirkliche Auge gebracht, unerträglich wäre, nur im Spiegel des Bewußtseins eines Zweiten zu zeigen, ein Mittel, das jedoch dem Schauder nur den grassen stoffartigen Charakter nehmen, nicht ihn ersparen soll, ja denselben im geistigen Reflexe vielmehr unendlich steigert (vergl. §. 388, 1.). Dieß epische Element, in's dramatische versetzt, muß nun natürlich, von dem Charakter des letzteren ergriffen, einen beflügelten, schlagenden, kürzeren Styl annehmen. Bei den Alten waren die Berichte von Boten, Wächtern u. s. w. als stehende Form neben den lyrischen Gesängen in der Tragödie unterschieden und geläufig, sie haben noch mehr spezifisch epischen Ton und lieben größere Länge, als die modernen Erzählungen, wo das dramatische Gefühl in diesen Theil stärker eingedrungen ist. Man vergleiche mit antiken Erzählungen die zwei in Göthe's Jphigenie, wo diese das Schicksal ihres Hauses, Orestes die Ermordung seiner Mutter berichtet, man bemerke namentlich, wie gern die rasche Rede in's Präsens übergeht, und man wird den Unterschied erkennen. Es gibt innerhalb dieses Charakters der dramatischen Erzählung wieder einen Unterschied des mehr Epischen, mehr Lyrischen und mehr spezifisch Dramatischen; mehr episch werden wegen des Gezogenen und Massenhaften im Stoffe z. B. Berichte von Reisen, Schlachten, Zurüstungen zu einer Unternehmung sein, mehr lyrisch Erzählungen von tief stimmungsvollen Momenten wie im Hamlet die herrliche Erzählung von Ophelia's Tod: „es neigt ein Weidenbaum sich über'n Bach;“ mehr rein dramatisch alle Schilderungen kritischer Schicksalsmomente, wie Wallenstein's Erzählung von dem Abend vor der Lützner Schlacht, oder furchtbarer Thaten, Verübung eines Mords u. s. w. ─ Der Monolog ist lyrisch als ein mehr oder minder empfindungsvolles Jnsichgehen des Subjects. Er bildet subjective Ruhepuncte im Gedränge, in der stürmischen Reibung der Kräfte, im vorwärts drückenden Gange der Handlung. Er ist aber, da hier Alles in der helleren Sphäre des Bewußtseins geschieht, zugleich wesentlich Moment der Selbstbesinnung, denkend, gnomisch in der weiteren Bedeutung des Worts. Daher ist er besonders motivirt und kehrt in fast regelmäßigen Pausen wieder, wo der Held lange zweifelt, oder wo er in der Einsamkeit des Bösen einer Welt gegenüber seine Plane überlegen muß, oder wo den Verbrecher von Stadium zu Stadium sein Gewissen überfällt; so im Hamlet, Wallenstein, Makbeth, Richard III , Othello. Allein der Dichter muß sich hüten, daß er darüber nicht das Grundgesetz, die Beziehung auf die Handlung vergesse; der Monolog, mag er mehr oder weniger Besinnung enthalten, soll vom Affecte getragen sein, aus ihm fließen, in ihn auslaufen, am Bande des leidenschaftlichen Wollens bleiben, die Handlung negativ durch Hemmung oder positiv durch Eingreifen fördern. Wie drastisch sind Hamlet's reflexionskranke, selbst Faust's von Wissensdurst glühende Monologen! Die moderne, namentlich deutsche Poesie ist seit langer Zeit auf dem besten Wege, im Monologe lyrisch zu schwelgen und philosophisch zu grübeln, ja er ist ihr recht die Zufluchtstätte für ihre Scheue vor Handlung. Man darf unter Verwahrung vor solchem Abweg allerdings einen mehr lyrischen, mehr betrachtenden, mehr dramatischen Monolog unterscheiden. Juliens Monolog vor der Brautnacht, Egmont's Monolog im Gefängniß z. B. ist lyrisch, Makbeth's: „Wär's abgethan, wie es gethan ist“, Hamlet's: „Sein oder Nichtsein“, Wallensteins: „Wär's möglich“ betrachtend, dagegen: „Du hast's erreicht, Octavio“, Buttler's: „Er ist herein,“ Makbeth's vor dem Morde Duncan's „Jst das ein Dolch?“ ächt dramatisch. ─ Der Dialog ist, wie wir gesehen, die eigentliche Form, durch welche die Subjectivität der Lyrik in Wechselwirkung und Kampf von Subjecten, dadurch in die Objectivität der Handlung übergeht. Da aber die Handelnden wissen müssen, was und warum sie wollen, und es gegeneinander vertheidigen, so ist das Gespräch zu großem Theil ein Austausch von Gründen; namentlich ergibt sich ganz von selbst jene geflügelte Wechselrede, die in kurzen Sätzen Behauptung und Einwendung herüber und hinüberwirft: die Stichomythie. Allein gerade hier zeigt sich der Unterschied vom logischen Gespräche an der Eile und Leidenschaftlichkeit dieses Zuwerfens. Der Dialog soll ja in die Handlung münden, er ist ja im Drama der Ausdruck davon, daß der bewegte Geist sich zur That erschließt, Arm und Hand, Schwert und jeden körperlichen Stoff von innen heraus in Bewegung setzt, der Dialog muß eben der Hebel dieses Uebergangs sein. Das Feuer, das ihn darum beherrschen soll, darf auch nicht bloß lyrische Jnnigkeit sein, die sich in Wechselgesängen des Gefühls ergeht. Es besteht allerdings auch im Dialog ein Unterschied zwischen dem mehr Lyrischen, wie namentlich in Liebes-Dramen (Romeo's und Juliens Gespräch nach der Brautnacht z. B. erinnert unmittelbar an die Tage= und Wächter-Lieder des Minnegesangs), in Parthieen des Jubels über Glück, der Wehklage über Unglück (so die gesang=artigen Wechselklagen der Frauen in Richard III ), zwischen dem mehr Logischen oder Gnomischen, wo es auf Rechtfertigung und Widerlegung ankommt, und dem eigentlich Dramatischen, wo der Affect entweder dunkler zu Grunde liegt, wie in den Gesprächen, durch welche Oedipus sein eigenes Unheil erforscht, der Ton der tiefen, furchtbaren Bangigkeit, in die der Unwille und die Ungeduld übergeht, oder wo er ganz ausbricht, der Entschluß da ist und die Vollziehung folgt; da aber schließlich Alles auf das letzte Moment führen soll, so muß dieß auch den ersteren Formen Ton und Farbe geben. Recht ganz dramatisch sind die vollen, gewaltigen Ergießungen affectvoller Beredtsamkeit, wo die kürzere Wechselrede wie in prachtvollen Strom sich sammelt und hervorstürzt; ein solcher Feuerstrom ist z. B. Apollon's Zornrede, womit er die Eumeniden aus seinem Tempel jagt (Eumeniden des Aeschylus). Der dramatische Dialog hat so seinen Rhythmus im Wechsel des Gedrängten und Entwickelten, des kühler Betrachtenden, wärmer Gefühlten, heiß Gewollten, des Stockens, Laufens, Stürzens und es ist eine feine Sache darum, ihn in diesem Sinne mit poetisch musikalischem Ohre zu belauschen. 3. Daß jene Mittel, wodurch die Sprache aus einem todten Organe der Prosa zum idealen Leben, aus der Farblosigkeit zur Farbe gerufen wird und die wir in §. 850─854 besprochen haben, im Drama zur vollsten Kraft gelangen, bedarf keines Beweises. Namentlich wird die Rede besonders lebhaft in den sogen. Figuren sich bewegen. Der Tropus wird wie in der Lyrik die kühnere Metapher dem auseinanderhaltenden und begründenden Gleichnisse vorziehen. Hier wird die Bedeutung der Metapher für das Drama expliziert. Wir verweisen speziell auf das, was in §. 854 über den Unterschied der Style in dieser Sphäre gesagt ist; jetzt handelt es sich zwar von einem Unterschiede der Zweige und der große Gegensatz der Style besteht neben diesem so, daß jede Stylrichtung in Epos, Lyrik, Drama ihren allgemeinen Charakter bewahrt; doch nicht, ohne ihn zu modificiren, und zwar so, daß auch der plastisch ideale Styl im Drama die überraschenderen, phantastischeren Bilder liebt, die übrigens dem charakteristischen Styl eigen sind. Wir haben schon zu jenem §. bemerkt, daß die griechischen Tragiker reich sind an solchen wie aus traumhaft dunklem Grunde seltsam aufglühenden Bildern, die an Shakespeare erinnern. Die feurig bewegte Stimmung des Drama wühlt die Phantasie leidenschaftlicher auf, der spannende Gang läßt keine Zeit, das Bild zu begründen, zu rechtfertigen, es muß schlagartig wirken, zuerst befremden, dann wie in Blitz beleuchten, überzeugen. ─ Es ist der geniale Takt der Griechen, der sie führte, den Jambus als dramatischen Vers auszubilden. Wie ganz sein Charakter der dramatischen Bewegung entspricht und wie der Trochäus der Spanier eine aus Feierlichkeit und lyrischem Verhauchen gemischte, undramatische Stimmung mit sich führt, ist schon im Abschnitte von der Rhythmik gesagt. Die längere, breitspurigere Bahn des Trimeter im Unterschiede von der kürzeren des fünffüßigen Jambus im neueren Drama bezeichnet aber auch nach dieser Seite den Gegensatz der Style. Färbung und Belebung durch Zwischenklang anderer Metren (Anapäste und Spondäen), durch einen Kampf von Wort= und Vers-Accent, durch die Wechsel des Verhältnisses zwischen Wortfuß und Versfuß fehlt natürlich auch dem Jambus nicht; daß er im classischen Drama von lyrischen Strophen unterbrochen wird, gehört nur soweit hieher, als die Einflechtung von Reimen im modernen Drama als Ausdruck durchbrechender lyrischer Stimmung, der freilich sparsam sein soll, diesem Formwechsel ungefähr entspricht. Durchherrschender Reim, wie z. B. in Göthe's Faust, kann nur für die Spezialität eines Drama gerechtfertigt werden, das sich in innerliche Tiefen versenkt, die von der Dicht-Art im Ganzen mit Recht vermieden werden, daneben aber das Phantastische und Naturalistische walten läßt. Der Gebrauch der Prosa hängt mit dem Styl-Unterschiede zusammen, den wir erst im Folgenden aufnehmen. Jm hohen Drama wird er da begründet sein, wo eine grasse Wirklichkeit durchbricht, wie im Makbeth, wo die Lady als Nachtwandlerinn auftritt, im Faust nach den Blocksbergscenen, wo der Held das Schicksal Margaretens erfahren hat und, nachdem ihm die Augen so fürchterlich aufgegangen, dem Mephistopheles die wilden Vorwürfe macht. Komische Einschiebungen werden ebenfalls passend in prosaischer Sprache reden, dieß entspricht der Natur des Komischen, obwohl es nicht nothwendig durch sie gefordert ist. §. 902. Jn keinem Kunstwerke hat die Composition so hohe Bedeutung wie im dramatischen. Die Zeit und den Raum, in die sie ihre Handlung setzt, idealisirt sie im Sinne der Zusammenziehung und des gemäßigt freien Wechsels. Die Handlung selbst beherrscht durch strenge Einheit die ihr untergeordnete, sparsame Vielheit von einzelnen Handlungen, worin die Episode nur die beschränkteste Geltung hat, und theilt wie das Epos ihre Gruppen vor Allem in Hintergrund und Vordergrund. Sie bewegt sich wesentlich in wirksamen Contrasten, schreitet in straff bindender Motivirung fort, wirft die retardirenden Momente im Wachsen und Anschwellen des herrschenden Pathos und hinter ihm der Schicksalsmacht mit beschleunigtem Gang und kurzen Nuhepuncten nieder und gliedert ihren Nhythmus in Schürzung, Verwicklung, Lösung des Knotens oder Katastrophe: eine Dreiheit, die sie mit der epischen Composition theilt, die sich aber hier in bestimmte Einschnitte, Acte genannt, zerlegt, welche sich naturgemäß zur Fünfzahl erweitern und wieder in einzelne Auftritte zerfallen. Der oberste Satz des §. ist genauer so auszudrücken: kein Werk der Kunst ist so ganz Composition wie das Drama, denn in keinem wird aller Stoff so durcharbeitet und alles Einzelne so ganz und straff in einen Zusammenhang gerückt, worin es seine ganze Bedeutung durch die Beziehung zum Andern hat. Das ist die weitere, spezifisch künstlerische Bedeutung jenes Aristotelischen Satzes, den wir in §. 899 zunächst nur für den Jnhalt an sich, das Weltbild des Drama und das Verhältniß seiner Seiten, geltend gemacht haben, des Satzes, daß in der Tragödie nicht die Menschen, sondern die Zusammenstellung der Begebenheiten, die Behandlung des Mythus (der Fabel) die Hauptsache sei; Aristoteles fügt eine feine Vergleichung mit der Malerei hinzu: ein monochromes, gut componirtes Bild erfreue weit mehr, als ein anderes mit planlos aufgetragenen schönen Farben. Die Farbe entspricht der Charakterzeichnung, überhaupt aber aller Einzelschönheit, allem einzelnen Effecte, wodurch im Zuschauer ein Jnteresse erweckt wird, das stoffartig ist, wenn es sich nicht in das reine Jnteresse für das Ganze und seinen Gang aufhebt, in welchem Alles sich gegenseitig bedingt, hält und trägt. ─ Was nun zuerst die allgemeinen Existenzformen, Raum und Zeit, betrifft, in denen das Drama sich bewegt, so gehen wir über die Frage von den sogenannten Einheiten derselben in Kürze weg, um eine längst abgethane und veraltete Debatte nicht müßig aufzuwärmen. Es ist schon dadurch, daß der §. den Begriff der Einheit erst bei der Handlung einführt, dem Ansinnen ausgewichen, uns noch einmal mit den Franzosen und ihrem mißverstandenen Aristoteles zu beschäftigen. Oft genug ist es gesagt, daß die Poesie und am entschiedensten das Drama die Zeit idealisirt, indem die Strecken derselben, worin nichts an sich Bedeutendes, nichts für die gegenwärtige Handlung Bedeutendes geschieht, für sie gar nicht vorhanden sind. Allerdings darf man aber ebendarum nicht an den Unterschied der gemeinen Zeit von der empirischen ausdrücklich erinnern, wie in jenen neueren, namentlich französischen Effectstücken geschieht, welche buchstäblich ankündigen, daß zwischen den Acten zehn, zwanzig und mehr Jahre verschwunden zu denken sind, und Personen, die im ersten Act als Jünglinge auftreten, im letzten als graue Greise vorführen. Die Jdealisirung der Zeit ist, wie alles Schöne, eine Zusammenziehung und derselbe Begriff gilt zunächst auch von der Behandlung des Raums: das weite Sehfeld des Epos zieht sich in einen verhältnißmäßig engen Raum mit nur angedeuteter Ferne zusammen, die empirische Weltbreite hat für uns in dem Augenblicke, wo der höchste Lebens-Jnhalt sich auf den gegenwärtigen schmalen Punct verdichtet, gar keine Existenz. Allein die Phantasie, von innen heraus arbeitend, dem Kerne, der Handlung die umgebende Sphäre von innen heraus setzend, kann mit ihren geistigen Schwingen diesen Jnhalt in jedem Moment auf einen andern Punct des Raums hinübertragen; ist nur der innere Zusammenhang gerechtfertigt, so mag das Wo durch die mitwirkenden äußern Motive bestimmt werden. So wird hier die Jdealisirung zum freien Wechsel, allein der Begriff der Zusammenziehung erhält sich, tritt noch einmal auf. Willkür im Gebrauche dieser Freiheit ist nämlich ihr selbst im Wege, indem sie gerade an die empirische Wirklichkeit erinnert, wo sie in idealem Schwung über sie hinfliegen wollte. Zu häufiger Wechsel des Orts beunruhigt, erinnert durch diese Unruhe an die prosaische Arbeit der gemeinen Raumüberwindung, weist hinaus auf die unendliche Breite des Raums, die wir in der Concentration der Handlung auf einen Punct desselben vergessen sollten, und wirkt wie eine bunte, naturalistisch behandelte Basis als Piedestal eines plastischen Monuments. Bekanntlich ist bei Shakespeare der rasche Wechsel durch die Armuth der damaligen Theater-Einrichtung entschuldigt und tritt die unpoetisch ablenkende Wirkung erst ein, wo dieß mit dem Reichthum unserer scenischen Mittel nachgeahmt wird. Dagegen steht als unverbrüchliches Gesetz die straffe Einheit der Handlung fest. Die Handlung zerlegt sich in untergeordnete Handlungen, es geschieht natürlich Mehreres in der Art, daß zunächst die verschiedenen Ereignisse nebeneinander getrennt herzulaufen scheinen. Jm Wilh. Tell z. B. wird auf verschiedenen Puncten das Volk mißhandelt, dann tritt neben dem Helden die berathende Thätigkeit anderer Volkshäupter hervor u. s. w. Die Einheit muß zeitig diese Fäden zusammenfassen und ihnen ihr bindendes Centrum geben. Von Beispielen, wie ein Faden sich trennt, das Jnteresse von der Haupthandlung abzieht und störend nach einer andern wendet, stehe hier statt vieler die Ausweichung vom heroischen Jnhalt zu einer Liebesgeschichte und Collision der Leidenschaft im Götz von Berlichingen; von tiefer Verbindung einer doppelten Fabel hat dagegen §. 500, Anm. 1 ein Beispiel aufgestellt im König Lear. Shakespeare liebt diese Compositionsweise namentlich in der Komödie; hier verkittet er durch Jneinandergreifen der einzelnen Handlungen und durch Contraste fest und täuschend die zwei Bestandtheile, aber doch nur pragmatisch, nicht wahrhaft innerlich; die Bemühungen, im Kaufmann von Venedig, im Sommernachtstraum, in der gezähmten Keiferinn eine organisch herrschende Einheit aufzuzeigen, werden gegen das Zugeständniß vertauscht werden müssen, daß der Dichter es im Lustspiele leichter nahm, als in der Tragödie. Der Kitt gleicht jenem Kalke alten Mauerwerks, der so fest ist, daß eher die Steine brechen, als die Fugen sich lösen lassen, ist aber doch nur Kitt. Es ist überhaupt eine gewagte Sache, zwei symmetrische Fabeln ohne Störung des Verhältnisses zwischen Ueberordnung und Unterordnung nebeneinander herzuführen und die Aufgabe wird nicht leicht wieder so gelöst werden wie im König Lear. Die einfache, natürliche Composition wird in klarer Unterordnung eine Mehrheit von Zweig-Handlungen um die Haupt-Handlung so gruppiren, daß dieselben als Verästung ihres Stammes sich leicht zu erkennen geben. Sie dürfen sich nur nicht, auch in der reicheren Fabel des charakteristischen Styles nicht, zur epischen Fülle ausbreiten. Daß in dieser Ausbreitung vollends das Episodische auf den denkbar engsten Spielraum eingegrenzt wird, ergibt sich aus dem Grundgesetze straff angezogener Einheit. Es kann sich hier nur darum handeln, daß eine Scene etwas weiter ausgeführt wird, als der Zweck, die Handlung zu fördern, es erheischt, niemals darum, ob eine Scene sich einschieben dürfe, die diesem Zwecke nicht dient, sie wäre denn klein und anspruchlos. Die breitere Ausführung mag z. B. die Absicht haben, den Typus eines Standes, die Form gewisser Culturzustände zu einer relativen Selbständigkeit des Bildes zu entwickeln, aber sie sei nach Anfang und Ende fest eingefugt in den Bau des Ganzen. Einige Beispiele gibt §. 496, Anm. ─ Zwischen dem Momente der Einheit und Vielheit liegt als Mittelglied eine Zweiheit, nämlich jener Unterschied von Hintergrund und Vordergrund, den wir schon im epischen Gebiet (§. 870, 2.) aufgeführt haben und der in seiner Anwendung auf das Drama nicht verwechselt werden darf mit dem verwandten Begriffe, wie er in §. 122 ff. aufgestellt ist, um das Wesen der tragischen Bewegung zu bestimmen. Jetzt hat er spezifisch künstlerische Bedeutung. Hintergrund ist z. B. in Romeo und Julie der Zwist der Familien (wesentlich bedeutend als Schooß, woraus das tragische Geschick hervorgeht, doch im Colorit mit Recht nur wenig ausgeführt), im Othello der Krieg Venedigs, im Wallenstein sind es ebenfalls die Kriegsverhältnisse, in Wilh. Tell das sich verschwörende, dann handelnde Volk. Der Hintergrund ist der Boden, worauf die Handlung vor sich geht, deutet auf das Massenhafte, das breite Weltwesen hinaus; dieß verhält sich ähnlich im Epos, aber hier wird der Hintergrund breit ausgeführt, im Drama soll er nur eben so viel Entwicklung genießen, daß er dem Vordergrunde, der Haupthandlung, ihre Voraussetzung, begleitende Erklärung, Atmosphäre, Stimmung gibt, wie dem Wallenstein seinen „Pulvergeruch“. Die Herrschaft starker Contrast wirkungen neben den milden ergibt sich aus dem durchschlagenden, stoßweisen Gange des Drama. Sie liegen theils in den Charakteren, theils in den Handlungen. So steigert Shakespeare die Schwärze von Makbeth's That durch Duncan's reine Güte, wobei er den Tadel der Schwäche unterdrückt, welchen seine Quelle, die Chronik, enthielt, so die Furchtbarkeit des Mords durch den friedlichen Eindruck der Schwalbennester, der balsamischen Luft, unter welchem Duncan in Makbeth's Schloß tritt. Strenge Motivirung folgt als unverbrüchliche Forderung daraus, daß der dramatische Dichter seinen Stoff in das straffste Netz der ethischen Causalität schnüren muß. Dieß scheint mit der Forderung des stoßweisen Fortschritts, der entscheidenden Ausbrüche, kurz mit dem hier so stark waltenden Momente der Plötzlichkeit in Widerspruch zu stehen. Allein wir haben bereits gesagt, daß gründliche Vorbereitung nicht die Ueberraschung aufhebt. Der Durchbruch einer Summe von Kräften zu einer starken Wirkung ist immer etwas wirklich Neues, obwohl nur ein reif gewordenes Maaß dessen, was vorher schon da war. Die Motivirung muß vor Allem eine innerliche sein, d. h. Pathos und That muß aus dem Charakter, indem er bestimmte äußere Umstände vermöge seiner ganzen Organisation zu Triebfedern erhebt, mit innerer Nothwendigkeit fließen. Schwieriger ist die Frage, wie weit die Motivirung bestimmter Momente einer Handlung an das Aeußere anknüpfen soll. Göthe erzählt z. B. (Eckerm. Th. 1, S. 196 ff.), Schiller habe seinen Geßler ohne äußern Anlaß auf den grausamen Gedanken kommen lassen wollen, daß Tell dem Kind einen Apfel vom Kopfe schieße, mühsam habe er ihn dahin gebracht, diesen Gedanken dadurch zu motiviren, daß der Knabe vorher die Geschicklichkeit des Vaters rühme, einen Apfel vom Baume zu schießen. ─ Jhre besondere Wichtigkeit hat die Motivirung auf dem Puncte, wo die Entscheidung eintritt. Der Deus ex machina war bei den Alten etwas Anderes, als bei den Neueren. Eingriff einer Gottheit erschien ihnen nicht als etwas blos Aeußerliches, weil die Gottheit zum Voraus die Persongewordene sittliche Macht war, welche die neuere Kunst nur in die Menschen selbst legen und aus ihren Handlungen hervorspringen lassen darf. An die Stelle der Götter sind in der modernen Poesie Fürsten, fürstliche Handbillets, Zufälle, Gelegenheiten zu Lebenserrettungen u. dergl. getreten, und solche Aeußerlichkeit der Motive ist nicht durch einen ethischen Zusammenhang entschuldigt wie der Eingriff jener Transcendenz. Wie der rechte Dichter Alles bindet, zeigt nichts besser, als eine Vergleichung bedeutender Dramen mit der epischen Quelle, wo sie aus solcher geflossen. Man sehe z. B. den Schluß der Novelle nach, die dem Othello zu Grunde liegt: hier wird Othello Jahre lang nach der Ermordung der Desdemona von Verwandten derselben getödtet. Das Drama ist eigentlich eine Kette von Retardationen, denn seine Handlung ist wesentlich ein Kampf und dieser setzt Hindernisse voraus. Der intensiven Stetigkeit nach hat es also mehr Hemmung, als das Epos. Dagegen fällt in der Darstellungsform weg, was Göthe die rückwärts schreitenden Motive nennt: das Nachholen früherer Begebenheiten, und dem Jnhalte nach nimmt das Epos eine ganze Welt breiter sinnlicher Retardationen auf, wie Seefahrten, Reisen u. s. w., welche im Drama diese Rolle nicht spielen können; seine Hemmungen liegen im Gebiete des Willens. Das Wesentliche ist nun aber, daß der Druck gegen die Hemmungen im Drama unendlich stärker ist, als im Epos; der Wille des Helden arbeitet unaufhaltsam vorwärts bis zum Umschwung. Wie treibt es Schlag auf Schlag dem Abgrunde zu im Makbeth, welche absolute Gravitation bis zum Schwindel ist in dieser Bewegung! Hier blicken wir zunächst wieder auf den Charakter zurück: die Hauptaufgabe ist das Wachsen und Anschwellen der Leidenschaft und vielleicht das schlagendste Beispiel die Vergiftung von Othello's Gemüth von dem Momente an, da Jago mit den Worten: „ha! das gefällt mir nicht“ ihm den ersten, feinen Gifttropfen einspritzt, bis zu dem wahnsinnigen Aufruhr aller Kräfte und der unseligen That, die aus ihm fließt. Allein es schwillt gegen das Streben, das den positiven Mittelpunct der Handlung bildet, gleichzeitig die feindliche Welt an, was freilich in solchen Dramen, die auf politischem Boden spielen, sichtbarer vorliegt, als in diesem Bilde der Leidenschaft, wo der schließliche Gegner die drohende und endlich eintretende Entdeckung der Wahrheit ist; so im Jul. Cäsar, Coriolan, Makbeth, Hamlet, Wallenstein; der Held wirft zuerst die aufsteigenden Hindernisse nieder, dann aber zeigt sich, daß diese in stetem Druck, wie eine zusammenpressende Maschine, siegreich vorrücken, wiewohl ihre Organe im Sieg auch sich selbst Leiden bereiten. Es ist also eine ironische Doppelbewegung. Jm Hamlet hat es der Dichter gewagt, den Helden selbst als fortwährend retardirenden, unter den furchtbarsten Vorwürfen gegen sich selbst zaudernden Charakter zu halten, und die schwere Aufgabe bewundernswerth so gelöst, daß der anwachsende, durch seine Halbmittel genährte Schub der feindlichen Welt ihn in dem Augenblicke zum ganzen Handeln bringt, wo er schon verloren ist. Eine so unerbittlich fortschreitende Bewegung fordert ihre Ruhepuncte, nur folgt von selbst, daß diese nach der andern Seite die Wirkung derselben erhöhen; es verhält sich genau wie mit den Pausen im Erhabenen der Kraft (vergl. §. 99): die vorhergegangenen Stöße zittern in ihnen nach und gespannte Erwartung sieht vorwärts auf das, was sie vorbereiten; ihre Ruhe verstärkt den Eindruck der vorhergehenden und folgenden Unruhe, sie gehören also ebensosehr zu den Contrasten. Ein solcher Ruhepunct ist im Makbeth die in anderem Zusammenhang schon erwähnte Scene, da Duncan in das Schloß seines Mörders eintritt, dann die Pförtnerscene nach der Vollziehung und vor der Entdeckung des Mords (wobei wir von der Frage absehen, ob es passend sei, daß sie komisch behandelt ist); Lear's Schlaf ist ein rührendes Ausruhen von den vorhergegangenen Stürmen auch für den Zuschauer, aber ebensosehr ein Moment, wo wir uns für das Letzte, Traurigste vorbereiten müssen. Jm Wallenstein ist das Liebes-Verhältniß zwischen Max und Thekla, auch das Astrologische ein wiederkehrender, zu sehr ausgedehnter Ruhepunct, ein äußerst wohlerfundener und schön ausgeführter die Scene, wo Wallenstein zum letzten Mal, in der Stimmung milder Wehmuth, auftritt. Daß die Monologe im Allgemeinen ebenfalls unter diesen Standpunct fallen, ist schon zu §. 901, 2. berührt; sie beruhigen durch die Einkehr in sich, es erstreckt sich aber die vorhergehende Wirkung in sie herein und die kommende erzeugt sich in ihnen. Was nun den Rhythmus dieser ganzen Bewegung und seine Tempi betrifft, so findet hier die deutlichste und vollste Anwendung, was §. 500, 2. aufgestellt und erläutert ist. Dort haben wir bereits einen Blick auf das Drama geworfen und gezeigt, wie sich die Dreiheit der Hauptmomente, welche Aristoteles unterscheidet, Anfang, Mitte und Ende, zu der Zweiheit der Schürzung und Lösung verhält, in welche er das Ganze der Tragödie setzt: die Schürzung zerfällt in Vorbereitung und steigende, ihren Gipfel erreichende Verwicklung, also in zwei Momente, und dann folgt als drittes die Lösung, die Abwicklung, in ihrer entscheidenden Krisis Katastrophe, als Bild des Schicksal-Umschlags von Glück in Unglück die Peripetie genannt. Der Anfang oder die Vorbereitung heißt Exposition, im Unterschiede von der engeren Bedeutung des Wortes, welche sich auf eine Erzählung beschränkt, die zum Eingang von der Lage der Dinge Bericht erstattet: die Exposition (der Prologos in der Eintheilung der Griechen) im weiteren Sinne gibt das, woraus die Handlung als ihrem Keime sich entwickelt, die Situation. Die Diagnose der ächt dramatischen Situation ist wesentliche Eigenschaft des ächten dramatischen Dichters und sein bester Glücksstern, wenn er Stoffe findet, die sie ihm darbieten. Die Lage eines Oedipus, einer Antigone, eines Orestes, Hamlet, das sind dramatische Situationen. Natürlich ist aber die Exposition nicht ruhiges Bild, sondern es geschieht schon wesentlich etwas, wodurch die Handlung in Gang kommt, die Dinge sich verwickeln müssen, wie z. B. im Tell der Zustand des schönen Hirtenlandes unter dem Drucke der Vögte nicht etwa blos durch Schilderung und Gefühl sich darstellt, sondern sogleich neue Gewaltthaten der Tyrannei, Acte der Selbsthülfe, Entschlüsse zu Thaten auf der Seite der Schweizer erfolgen. Der mittlere Theil, die Verwicklung oder Schürzung, ist die Strecke, worin recht die dramatische Spannung ihren Sitz hat, naturgemäß der ausgedehnteste, der in die reichste Reihe von Momenten sich zerlegt. So geht im Makbeth die Stufenfolge vom ersten Morde zum zweiten, dann zu der Hexenscene, welche den Helden durch den innern Widerspruch der Prophezeihungen in fieberhafte Wuth stürzt, dann zu der Ermordung der Familie Makduff's weiter, und in gleichem Schritte mit dieser Reihe von Thaten läuft das Wachsthum der innern Zerstörung und der Macht, welche die äußere Zerstörung bereitet; mit der letzten Stufe, der That der wilden Grausamkeit gegen Makduff's Familie, ist der Held auf dem Gipfel angekommen, ja er hat den Fuß schon darüber hinausgesetzt, das Aufsteigen ist bereits entschieden ein Herabsteigen. Ueberhaupt wird sich der Moment des beginnenden Falles, die Vorbereitung der Peripetie, vermöge des innern, ironischen Widerspruchs der Bewegung immer schon auf dieser Strecke der Verwicklung einstellen und ein Punct, wo er eintritt, eigentlich nicht nachweisen lassen, wohl aber wird sich ein sichtbarer Gipfel des Glücks aufzeigen lassen, wo der Held, der die Vorboten seines Falls nicht sieht oder sich darüber wegsetzt, seinen Zweck erreicht zu haben glaubt, und von diesem Höhepunct an geht es dann augenscheinlich bergab. Die Katastrophe selbst verläuft natürlich auch wieder in einer Gruppe von Momenten, zumal da es sich nicht blos um das Schicksal der Hauptperson, sondern auch der Nebenpersonen und die Folgen handelt, die in die Weite, in den Hintergrund sich erstrecken. Uebersieht man diese Theile, so ergibt sich wie von selbst die Erweiterung der drei Hauptmomente in fünf, die sich mit Rücksicht auf die Bühne, das Fallen des Vorhangs und die Pausen als Acte darstellen: Einschnitte, die bei den Alten bekanntlich durch die Chorgesänge gebildet wurden und erst, als mit der neueren Komödie der Chor wegfiel, eigentlichen Stillständen der Handlung Platz machten. Die Verwicklung, die Mitte, wird nämlich mehr Ausdehnung in Anspruch nehmen, als Anfang und Ende, und mit ihren verschiedenen Stufen drei Acte fordern. Doch können auch Fälle vorkommen, wo die Katastrophe zwei Acte verlangt, indem die Nachwirkungen der eigentlichen Entscheidung, z. B. für eine ganze Nation wie im Wilh. Tell, noch ausdrücklich entwickelt sein wollen. Die Alten hatten drei Hauptabschnitte; Prolog: der Theil, der die Exposition enthielt und vor den Eintritt des Chors fiel; Epeisodion: die Scene zwischen dem Einzuge des Chors und den Standliedern desselben; Exodos: nach dem letzten Standliede. Der mittlere dieser Theile, die Verwicklung enthaltend, zerfiel nach der Natur des Stücks in mehr oder weniger von Standliedern getheilte Momente. Die Fixirung des Ganzen auf eine bestimmte Zahl von Acten, wie sie zuerst Horaz aufstellt, kann zwar keine bindende Regel sein, aber es ist gut und recht, daß sich ein Brauch festgesetzt hat. Die Acte theilen sich wieder in Scenen, diese in ihre einzelnen Gruppen und Situationen und das Drama erscheint so gegenüber dem stetigen Flusse des Epos, der mit geringerem Grad innerer Nothwendigkeit in Gesänge zerfällt, als ein durch und durch gegliederter Körper. Wichtig ist die Frage über die letzten Scenen, sofern dabei das Compositionsgesetz der schließlichen festen Begrenzung (vergl. §. 501) im tiefsten Zusammenhang mit dem Jnhalte zur Anwendung kommt. Es handelt sich im Tragischen darum, wie weit der Dichter uns eine Aussicht eröffnen will, die uns mit der Härte des Schicksals versöhnt. Diese Aussicht darf nicht zu entwickelt sein, wenn sie nicht zu einem gemeinen und trivialen Begriffe von Gerechtigkeit führen und überdieß in die Breite des Empirischen, das neben dem idealen Ausschnitte des Drama's eigentlich nicht existirt, ablenken soll; sie darf nicht fehlen, wie am Schlusse vom Don Carlos und in großen Schicksals= und Effect-Stücken, die mit einem reinen Mißklang endigen. Shakespeare hat das Maaß am richtigsten getroffen. Erörterungen wie die, ob man gut thue, den letzten Auftritt der Maria Stuart bei der Aufführung gewöhnlich wegzulassen, sind für dieses Moment der Composition sehr belehrend. Unterlassung oder zu lange Fortführung eines letzten Strichs kann in einem so höchst concisen Kunstwerke wie das Drama viel verderben. Der §. enthält nichts von cyclischen Compositionen, weil über eine zweifelhafte und wirklich unwesentliche Seite in Kürze nichts Positives aufzustellen ist. Die Trilogieen der Alten konnten bei der Kürze ihrer Stücke an Einem Abend miteinander aufgeführt werden; dennoch sind die Glieder derselben, die sich wie Exposition, Verwicklung, Katastrophe im einzelnen Drama verhalten, ebensosehr selbständige, in sich abgeschlossene Dramen. Den innern Zusammenhang hielt auch die Jedem geläufige Sage dem Bewußtsein gegenwärtig. Die neuere Dichtung ist schon durch die, auf anderweitigen Gründen beruhende, Länge der Stücke gewiesen, Trilogieen zu vermeiden; denn die Aufführung müssen wir, obwohl wir sie jetzt noch nicht ausdrücklich hinzunehmen, doch immer im Auge behalten und bedenken, daß die Zerfällung in mehrere Theater-Abende den Zusammenhang im Bewußtsein der Zuschauer zerschneidet. Das einzelne Stück müßte um so selbständiger abgeschlossen sein, in demselben Grade lockert sich aber der organische Zusammenhang mit den andern. Jn Schiller's, ─ wenn man sie so nennen kann, ─ Trilogie des Wallenstein ist das Lager ein genreartiges Vorspiel, die beiden Piccolomini haben viel zu wenig Abschluß. ─ Ein großartiges Beispiel eines umfassenderen, auf gewichtigen historischen Stoff und tiefen Schicksals-Zusammenhang gegründeten Cyclus geben Shakespeare's englische Dramen. Dieses Jugendwerk Shakespeare's (das z. Th. aus bloßer Ueberarbeitung fremder Stücke besteht) leidet unläugbar an chronikalisch=epischer Behandlung, man wird aber darum noch nicht behaupten können, es wäre dem reifen Shakespeare unmöglich gewesen, mit strengerer Ausscheidung des Stoffartigen eine Reihe cyclischer Dramen aus dieser Epoche der englischen Geschichte zu bilden. Jn der That kann es Stadien der Geschichte geben, die dem Blick eine große Bahn eröffnen, auf welcher eine Reihe von Stoffen zu Dramen liegt, die sich wie Aussaat und Aerndte zu einander verhalten, und der Auflösungsgang des englischen Feudalstaats ist offenbar ein solches Stadium. Aber es gehört große Kunst dazu, eine solche Bahn zu durchmessen, ohne in das Massenhafte, Epische zu verfallen. Es war nicht unmöglich, Heinrich IV und V in Ein selbständiges Schauspiel zusammenzudrängen und die Abtheilungen Heinrich's VI in Eine Tragödie. Diese Mitte blieb allerdings auch bei der kunstvollsten Behandlung dramatisch loser, als die festen Anfangs- und Schluß-Puncte Richard II und Richard III . ─ Das aber versteht sich, daß es verkehrt ist, von der Ansicht ausgehend, ein Cyclus sei eine höhere Composition, nach der man streben müsse, nach Stoffen dafür umherzusuchen und die Geschichte abzwingen zu wollen. Bietet sich ein Stadium zu solcher Behandlung dar, ─ wie dieß in der Hohenstaufengeschichte offenbar nicht der Fall ist, ─ so mag es der Dichter versuchen, ob er einen Cyclus ohne Schaden der Geschlossenheit des einzelnen Dramas, dessen feste Composition immer das Höhere bleibt, durchzuführen vermag. Wir möchten nur die Möglichkeit nicht läugnen. §. 903. Vergleicht man nach diesen Grundzügen das Drama mit dem Epos, so erhellt, daß es an Jntensität und Einheit gewinnt, was es in Vergleichung mit diesem an Breite und Fülle verliert. Die milde Gemüthsfreiheit (vergl. §. 869) ist, gegen die leicht zu pathologischer Wirkung verleitende Unruhe der Spannung und des stoßweisen, aber geraden Ganges zum dramatischen Ziele gehalten, zunächst ein unbedingter Vorzug des epischen Dichters. Aber der dichterische Geist bewährt eine um so höhere Macht, wenn er trotz und in der Aufregung seine Freiheit behauptet und das Bild des Kampfes zum harmonischen Schlusse führt. Die reine Einheit des Subjectiven und Objectiven in dem Acte der dramatischen Phantasie ist unzweifelhaft höher, als die naive Synthese in der epischen Dichtung. Es ist längst (vergl. §. 533, 2.) vorgesorgt, daß wir nicht in falsche Werthvergleichungen gerathen. Es besteht ein Stufen-Unterschied, aber jeder Gewinn ist auch Verlust. Das Jnteresse, welches die Frage über das Werthverhältniß zwischen Epos und Drama seit der Debatte über Göthe und Schiller und der interessanten Erörterung zwischen den beiden großen Dichtern selbst (im Briefwechsel Th. 3) gewonnen hat, bestimmt uns, ein ausdrückliches Wort hierüber, wie am Schlusse der allgemeinen Betrachtung der epischen Poesie (§. 871), folgen zu lassen. Vom Drama sagt Schiller (a. a. O. S. 387): „die Handlung bewegt sich vor mir, während ich mich um die epische selbst bewege und sie gleichsam stille zu stehen scheint; dadurch bin ich streng an die Gegenwart gefesselt, meine Phantasie verliert alle Freiheit, es entsteht und erhält sich eine fortwährende Unruhe in mir, ich muß immer bei'm Objecte bleiben, alles Nachdenken ist mir versagt, weil ich einer fremden Gewalt folge“, und (S. 72): „der tragische Dichter raubt uns unsere Gemüthsfreiheit, und indem er unsere Thätigkeit nach einer einzigen Seite richtet und concentrirt, so vereinfacht er sich sein Geschäft um Vieles und setzt sich in Vortheil, indem er uns in Nachtheil setzt“. Er nennt (S. 361) den dramatischen Weg den der strengen geraden Linie, er sagt, Göthe werde genirt durch den Hinblick auf den Zweck des äußern Eindrucks, der bei dieser Dichtungsart nicht ganz verlassen werde. Entgegengesetzt urtheilt Aristoteles; er geht in seiner Werthvergleichung (Poet. C. 27) ebenfalls vom Zugeständniß einer stoffartigen Wirkung des Drama aus, schreibt jedoch diese nur der Leidenschaftlichkeit einer übertriebenen Mimik zu und zieht dann das Drama vor, weil es Alles habe, was das Epos, und in Musik und Scenerie noch mehr, sodann, weil es durch Erkennungen und Handlungen lebendiger, ferner weil es kürzer, gedrängter sei „mit weniger Zeit gemischt“ (wobei das Bild gewässerten Weins zu Grunde liegt), und endlich weil es mehr Einheit habe. Jn diesen treffenden Sätzen ist nur unrichtig, daß die pathologische Wirkung blos auf Schuld der Schauspieler geschrieben, nicht als eine dem Dichter selbst nahe liegende Gefahr eingeräumt, und daß behauptet ist, das Drama habe ja noch mehr, als was das Epos hat, seine Kürze und Gedrängtheit sei ein Gewinn ohne Einbuße. Die pathologische Aufregung ist eine Klippe, die dem Drama vermöge seines inneren Wesens nahe liegt, Musik und Scenerie ersetzt nicht, was das Epos an klarer, entwickelter Zeichnung voraus hat, und das breitere, ausführlichere Weltbild ist gegen das gedrängtere nicht ohne Weiteres zurückzusetzen, sondern behält seinen Werth; Schiller hätte die letztere Seite ausdrücklich hervorheben dürfen. Dennoch, wenn wir die Sache im Mittelpuncte fassen, kann kein Zweifel sein, daß das gedrängtere, zu straffer Einheit angezogene Weltbild trotz dem Verlust an anderer Schönheit höher ist, als das gedehnte und entwickelte ohne energisch durchgreifende Einheit. Das Epos läßt unentschieden, was schließlich die Welt bestimme, das Drama entscheidet: es ist der active und wesentlich imputable Geist. Wir haben von der Poesie (§. 837, Anm.) gesagt, sie sei der gefrorne Wein des Lebens, das Bild gilt im engsten Sinne vom Drama. Was nun das Pathologische der Wirkung betrifft, so führt es auf den Dichter selbst und auf den Punct der Gemüthsfreiheit, von welchem Schiller ausgeht. Der Dichter bewahrt sie im Epos wie der Hörer oder Leser; im Drama scheint sie durch die Unmittelbarkeit der gegenwärtigen Wirkung und des Drängens nach dem Ziele verloren zu gehen, ja in gewissem Sinne geht sie wirklich verloren, weicht der Unruhe und Hast. Allein es gibt eine Ruhe in der Unruhe und der wahre Dichter besitzt sie. Es ist schwerer, im Sturme frei, fest und klar zu bleiben, als auf der ruhigen See, aber es ist auch eine höhere Bewährung der Energie des Geistes. Göthe war sehr geneigt, in der Geschichte nur Willkür zu sehen, und vermochte die Jdee der Naturnothwendigkeit nicht dahin umzubilden, daß sie sich ihm zu einem Begriffe steigerte, der auch die geschichtlichen Kämpfe des Menschen und jene Acte der Freiheit, die ein Gegebenes revolutionär durchbrechen, unter sich befaßte; es war ein Mangel seines Dichtergeistes, daß er die epische Ruhe wohl hatte, aber nicht die dramatische Ruhe in der Unruhe. Wie auf der Seite des Dichters, so verhält es sich auf der Seite des Zuschauers. Das Drama wühlt die ganze Seele gründlicher auf, als das Epos, es ist um so schwerer, nicht pathologisch fortgerissen zu werden, wer aber den Geist frei behält, schaut auch um so tiefer in den Grund des Lebens. Jede Kunstform hat ihre spezifischen Verirrungen, ihre eigenthümliche Masse des Schlechten und Mittelmäßigen. Es fehlt nicht an Effect- und Rührstücken ohne Kern, ohne Erhebung zur Ruhe des Gesetzes. Es gibt Talente, die sehr leicht erfinden, eine Fabel wirksam durchführen und doch aller Tiefe ermangeln; die dramatische Composition scheint leichter, als die epische. Sie ist es auch für den, der auf dem geraden Wege zum Ziele wenig zu tragen hat, aber der ächte Dichter trägt ein ganzes Bild der Welt, ist sich bewußt, eine concrete Anschauung erzeugen zu müssen ohne die Mittel der epischen Poesie; was so leicht und kurz scheint, ist gesättigt von Bildungskraft und die Anordnung des gedrängten Ganzen fordert tiefere Weisheit, als die des breiten Epos, dem ein holdes Jrren gestattet ist. Schiller ist nicht deßwegen weniger voller, spezifischer Dichter, als Göthe, weil er zum Drama berufen ist, sondern weil er nicht gleichmäßig und stetig seine Subjectivität in der Handlung zu objectiviren vermag. Shakespeare ist ganz dramatischer Dichter und größer, als beide. Wir brauchen hier nicht weiter zu gehen, sondern nur auf das Wesen des poetischen Prozesses im dramatischen Verfahren (§. 896) zurückzuweisen. Jene Verwandlung des Dichtersubjects in das Object bis zur völligen activen Gegenwart ist der größte Act, den der Geist der Kunst vollziehen kann. Das freie Schweben des epischen Dichters über dem Stoffe ist schön und behält neben dem dramatischen Verhalten seinen eigenen Werth, aber es ist erkauft um den Preis der noch nicht vollzogenen reinen Wechseldurchdringung, deren Erschütterungen Göthe nicht aushielt. Es ist natürlich, Epos und Drama als die zwei Formen zu vergleichen, die das größere, objective Weltbild geben, aber man darf nicht vergessen, daß in der Mitte zwischen beiden die lyrische Dichtung liegt, die den dramatischen Geistesprozeß vorbereitet, indem sie das freie Nebeneinander des epischen Subjects und Objects in subjective Einheit aufhebt, die Welt der Gegenstände mit geistigem Feuer durchglüht und schmelzt, um sie neugeboren und geistig ganz durcharbeitet im Drama wieder an das Tageslicht zu bringen. 2. Die Arten der dramatischen Poesie. §. 904. Der Stylgegensatz, der alles Kunstleben beherrscht, tritt nirgends so durchgreifend zu Tage, als in der dramatischen Poesie. Er theilt dieselbe zunächst geschichtlich in zwei große Welten, deren Werthverhältniß jedoch ein anderes ist, als in der epischen Dichtung, indem das Drama des modernen, charakteristischen Styls dem Wesen der Dichtungsart vollkommener entspricht, als das Drama des antiken, idealen Styls. Doch behält dieses für alle Zeit seinen regulativen Werth. Der erste Satz bedarf kaum eines Beweises, denn nur bei oberflächlicher Betrachtung könnte es scheinen, daß in einer Kunstform, welche das Aeußere auf den schmalsten Punct zusammendrängt, kein tiefer Unterschied eintreten könne in der Behandlung der Züge, die der Pflug des Lebens den Erscheinungen eingräbt und durch die sich Jndividuum von Jndividuum unterscheidet. Alles Aeußere gewinnt seine wahre Bedeutung erst auf dem Puncte, wo es vom Charakter verarbeitet wird und zugleich ihm seine spezifische Farbe verleiht; die unendliche Eigenheit des Jndividuums hat ihren letzten Grund im Jnnern, wo geheimnißvoll die reine geistige Kraft des Willens sich mit dem Angeborenen, mit der ganzen Naturbestimmtheit zur Einheit bindet. Jm Kampfe des Lebens wird dieser Einheitspunct thätige Kraft, nun kommt es auf uns an, welche bestimmtere, markirende Züge sich dem Bild unserer Erscheinung aufprägen; der Charakter ist selbst der Zeichner seiner Gestalt. Eben aus dieser Wahrheit macht das Drama Ernst, indem es nicht, wie das Epos, der Phantasie die Erscheinungen vorzeichnet, sondern den Charakter vor uns so handeln und leiden läßt, daß wir, noch ohne Hülfe der Schauspielkunst, uns sein äußeres Bild von innen heraus, aus seinen Willensbewegungen aufbauen. Diejenige Kunstform, die aus dem Charakter das Schicksal entwickelt, führt also gerade recht an die Quelle, in den Mittelpunct, wo das individuelle Gepräge der Lebenszüge seinen Sitz und Ausgang hat, in dessen verschiedener Behandlung der große Stylgegensatz beruht. Stellt man Sophokles und Shakespeare oder Göthe und Shakespeare nebeneinander, so zeigt man klarer, was unter diesem Gegensatze verstanden sei, als wenn man Homer mit einem epischen Dichter der romantischen Zeit oder einem modernen Romandichter zusammenstellt, ja klarer selbst, als wenn man Raphael und Rembrandt nebeneinander hält. Da wir die Geschichte der Poesie nicht getrennt behandeln, sondern in die Lehre von den Zweigen verarbeiten, so ist der Stylgegensatz, wie er sich historisch im Großen ausspricht, an den Anfang der hier aufzuführenden Unterscheidungen zu stellen. Es liegt aber darin keine logische Störung, weil das Geschichtliche alsbald die Bedeutung gewinnt, in den Charakter der Dichtungsart, wie er an sich und abgesehen von der zeitlichen Entwicklung besteht, so einzugreifen, daß bleibende Gegensätze sich bilden. ─ Dem Orientalischen können wir dießmal nur noch die kurze Bemerkung widmen, daß die einzige dramatische Erscheinung in einer begreiflichermaßen undramatischen Form des Phantasielebens, das indische Drama, seinen höchsten Werth in dem hat, was eigentlich lyrischer Natur ist, in der Schönheit und Anmuth der Liebe, und daß es an dramatisch wirksamen Momenten in der Handlung zwar nicht fehlt, daß aber das Spezifische der Kunstgattung durch die immer wieder einbrechenden phantastischen, allgemein menschlicher Wahrheit entbehrenden Motive und Entrückungen auf transcendenten Boden durchbrochen wird. ─ Behalten wir nun das Griechische und ihm gegenüber das Moderne im Auge, so sehen wir sogleich ein ganz anderes Verhältniß, als im epischen Gebiete. Dort hatte alles Nach-Homerische einen zweifelhaften Charakter; einen reinen Gegensatz gegen das ächte Epos bildete nur der Roman und es wurde doch von ihm behauptet, er sei das Wert eines berechtigten, entgegengesetzten Styls, der aber seine wahre Bestimmung in einem andern Gebiet haben müsse. Dieß Gebiet ist eben das dramatische. Hier ist so entschieden der wahre Boden des modernen, charakteristischen, als im Epos der des direct idealen Styls, und es ist Zeit, daß man sich die großen, tiefen Mängel gestehe, an denen das griechische Drama leidet, wenn es streng an den Maaßstab des Spezifischen der Dichtungsart gehalten wird. Keineswegs aber dreht sich nun das Verhältniß so um, daß von dem griechischen Drama ebenso bestimmte Zweifelhaftigkeit des Werthes ausgesagt werden müßte, als von den epischen Erscheinungen nach Homer. Die Griechen haben die große Genialität gehabt, im tiefen Widerspruch mit den Grundlagen ihrer Weltanschauung, die wesentlich episch waren, doch das Drama in der Poesie zu schaffen, wie sie im Staatsleben zur Freiheit fortschritten. Umringt und gebunden von einer Götterwelt, die bei den Völkern des Orients, woher sie gewandert, Ausdruck und Ausfluß eines verhüllten und willenlosen Lebens war, erwachten sie doch zum Bewußtsein, zu der That, zu der Entscheidung, liehen ihren Göttern die erwachte Seele, machten sie zu Vertretern des freien Menschen und konnten so mit und unter ihnen frei sein. Ein Volk von Bildhauern, belebten sie doch die stille Statue, warfen die Trennung in die stille Harmonie des Geistes und der Sinne, den Blitz des wollenden Blickes in ihr lichtloses Auge und versetzten sie wandelnd, handelnd auf die Bühne. Der homerische Held entwuchs dem Gängelbande der Gottheit, des Jnstinctes, des Affectes, der wahllos über ihn kam, und lernte eine straffe Entscheidung aus sich selbst nehmen. Mitten im zerreißenden Conflicte bewahrten diese Gestalten dennoch den griechischen Geist der maaßvoll schönen Naturkraft; aber wie viel davon sie bewahrten, ebenso viel ungelösten Dunkels und undramatischer Einfachheit bleibt in dem Bilde stehen. Nicht so viel, um ihm die Bedeutung eines Vorbilds zu nehmen, an dem für alle Zeiten das rohere, wildere Gefühl der neueren Völker sich zu läutern hat, nur so viel, um streng zu verbieten, daß sie sich je in der ganzen Auffassung unfrei daran binden. Das classische Drama ist so eine große und herrliche Vorlage, die als höchste Ausbildung des direct idealen Styls auf einem Boden, wo er kein volles Recht hat, allem Modernen vor- und gegenüberliegt, ähnlich wie die classische Malerei (vergl. §. 717), doch ungleich höher, denn es hat zwar keineswegs alles Spezifische, doch ungleich mehr des Spezifischen der bestimmten Kunstform ausgebildet, als jene. §. 905. Die classische Tragödie spielt auf mythisch-heroischem Boden, die Fabel und die Motivirung ist einfach, die Composition liebt es, die Handlung, wodurch die Katastrophe bedingt ist, als geschehen vorauszusetzen, der Personen sind wenige, die Charaktere mehr Typen, als Jndividuen, die Schicksals-Jdee leidet an einem unversöhnten Widerspruche (vergl. §. 435. 440). Der Chor, der stehengebliebene Boden des religiösen Ursprungs, ist episch als Repräsentant des Volksganzen, lyrisch in der Form und in seiner Bedeutung als idealer Zuschauer, der dem empirischen vorempfindet; er hält das Band der Poesie mit der Musik und Orchestik fest. Auf den ungemeinen Vortheil, der dem griechischen Tragiker aus jenen großen Stoffen der Heldensage erwuchs, haben wir schon öfters hingezeigt; eine von der Volksphantasie schon umgebildete Wirklichkeit kam ihm entgegen, das Bild einer Zeit, worin ungeheure Kräfte ungebunden von aller Mechanisirung des Staatslebens ihren Schicksalsweg gehen, und er hatte nur „Poesie auf Poesie zu impfen“ (W. Schlegel Vorles. über dram. Kunst und Lit. Th. 1, S. 80); doch darf man nicht übersehen, daß das Verweilen auf dem mythisch sagenhaften Boden, der Ausschluß des klaren Tages der Geschichte (wo er betreten wird, geschieht es nur in Anknüpfung an Mythisches oder in der Weise mythischer Stellvertretung für das Historische) zugleich mit der Großheit auch die aus der Transcendenz des Standpunctes fließenden Mängel dieser Tragödie bedingt. Die Großheit ruht vor Allem auf der Einfachheit einer Menschenwelt von unentwickelter, aber auch ungebrochener, objectiv bestimmter, monumentaler Subjectivität. Damit hängt sogleich auch die Einfachheit der Fabel zusammen, denn es ist nicht das Jnteresse ausgebildet, zu zeigen und zu sehen, wie eine bestimmte Erschütterung des Lebens sich in einer Gruppe einzelner Situationen und Handlungen, in welche die Haupthandlung sich verästet, vielseitig reflectirt, mannigfaltig färbt, in einem Reichthum von Folgen modificirt. Ebensowenig ist ein Jnteresse da, die Handlung auf einem längeren Wege des Wachsens und Anschwellens im Zusammenwirken mehrerer und aufeinanderfolgender Motive werden zu lassen. Der objective Mensch zaudert im Conflict nicht lange, allgemeine Lebensmächte streiten sich um sein Jnneres, er entscheidet im Namen der Einen siegreichen rasch wie mit Nothwendigkeit, das Gewicht der Behandlung kann noch nicht auf die Seelengeschichte, den psychologischen Prozeß fallen. Dieser Prozeß bedingt mehrere kritische Momente, die selbst schon relative Katastrophen sind; so enthält Shakespeare's Makbeth eine Reihe von Krisen, Stadien mit entscheidenden Wendungen des Bewußtseins und Thaten; die alte Tragödie hatte nur Eine Krise: rasche That und Katastrophe war ihr Loosungswort, ja sie liebte eine Form, worin eigentlich Alles nur Katastrophe ist; es ist dieß jener Gang der Composition, den wir mit Jmmermann (Ueber d. rasenden Ajax des Sophokles S. 65) analytisch nennen können, indem das entscheidende Einzelne, die That, woraus die Katastrophe fließt, mit dem Anfang des Drama schon geschehen ist (Ajax und Oedipus), und in den Folgen, die sich nun entwickeln, durch Jnduction zugleich den Weg, wie die That entstand, und die Wolke des Schicksals erkannt wird, welche von Anfang an über dem Helden hing. Der uncolorirte Charakter dieser Tragödie zeigt sich nun vor Allem in den Charakteren. Wenn man eine Antigone, einen Oedipus aufmerksam liest, so fühlt man einen schwachen Ansatz zu bestimmterer Färbung, etwas von individueller Complexion, Temperament, spezielleren Zügen; es ist höchst interessant, sich vorzustellen, was Shakespeare aus solchen Keimen gemacht, wie er sie zum Bilde reicher, mit vielen Saiten besetzter, vieltöniger und eigenartiger Charaktere entwickelt hätte; bei den Alten bleibt es ein Anflug, ein Farbenton, den die objective Bestimmtheit der plastischen Umrisse und das Monumentale der nur von den allgemeinen Mächten durchzogenen Seele nicht zur Entwicklung kommen läßt. Nennt man sie mehr Typen, als Jndividuen, so ist dieß näher dahin zu bestimmen, daß im classischen Style des modernen Drama das, was wir Typen nennen können, die Charaktere, die mehr das Allgemeine eines Temperaments, eines Standes, einer sittlichen Angewöhnung vertreten, als das unendlich Eigene von Jndividuen darstellen, doch subjectiv ausgearbeiteter, naturalistischer gehalten ist, als jene einfach großen Naturen. Und doch sind jene nicht leblos, ja weit lebendiger, als die schematischen Charaktere des verwandten Styls der neueren Poesie, denn sie sind Anschauungen einer Zeit, eines Volkes, wo diese objective Einfachheit eine Wahrheit und das Gepräge des wesentlichen, großen Pathos zugleich das der Lebenswärme war. Die geringe Anzahl der Personen folgt aus der Einfachheit der Handlung, findet aber ihre Ergänzung im Chore. Der innerste Mangel dieses Drama liegt nun aber in dem antiken Schicksalsbegriffe. Was in den angeführten §§. über diesen gesagt ist, fassen wir nur mit Wenigem noch einmal auf. Es unterscheiden sich leicht zwei Formen des tragischen Prozesses im griechischen Drama, in deren einer die Schuld klarer und bestimmter ist unbeschadet des Zwielichtes, das sie von der einen Seite mildert, indem man sich den ganzen Heldencharakter und die ganze Situation anders denken müßte, wenn es ohne Schuld abgehen sollte, während in der andern das Schicksal weit mehr noch die tückisch auflauernde, neidische Macht des älteren Volksglaubens ist, die den Helden gerade durch die Mittel, die er ergreift, ihm zu entgehen, in's Elend stürzt. Diese zweite Form tritt nirgends so bestimmt auf, wie im Oedipus. Ganz ohne Schuld geht es allerdings auch in ihr nicht ab; im Oedipus ziehen wir aus dem herrischen, jähzornigen Wesen des Helden einen dunkeln Schluß auf eine ὕβρις , welche nicht ganz ungerecht gedemüthigt wird. Allein in beiden Formen wird der Schuldbegriff getrübt und gekreuzt dadurch, daß das Schicksal durch Träume, Seher, Orakel prophezeit, also zum Voraus gesetzt ist: Ausfluß eines finstern Geistes der Nemesis, der durch ganze Häuser geht und das Verbrechen des Ahnherrn im Enkel straft. Die Schuld des Enkels fällt nun in schwankender Verwirrung halb mit unter den Begriff der über das Geschlecht verhängten Strafe. Wo das Schicksal vorherbestimmt ist, kann es sich nie und nimmer rein aus dem Gange der Handlung als Resultat erzeugen. Jn richtiger Betrachtung ist das, was als Resultat hervorspringt, freilich immer schon im Anfang der Handlung angelegt, aber nur implicite , nicht, wie bei den Griechen, explicite . Der Begriff der Vorherbestimmung ist überhaupt ein falscher, tödtet allen wahren Begriff von Schuld, Handlung, Menschenleben. Die Allwissenheit hat nur Sinn, wenn man erst die Kategorie des Vorher und Nachher in der Zeit aufgehoben hat. Die Griechen haben jene Antinomie von absolutem Schicksal und Schuld ungelöst stehen lassen und es wird dabei bleiben, daß dieß der kranke, immer beunruhigende Punct in ihrer Tragödie ist. Der Chor ist bekanntlich die stehengebliebene Wurzel, woraus die Tragödie hervorgegangen ist; er bewahrt den Ursprung aus den Gesängen des Dionysischen Cultus als wesentlichen Theil und stehenden Zug ihres religiösen Charakters. Episch ist er seiner realen Bedeutung nach als Zuziehung des Volkes zu der Handlung, die auf den Höhen des Lebens, unter den Heroen vor sich geht, als Ausdruck der Oeffentlichkeit, also des Massenhaften, Ausgedehnten. Das real Allgemeine, dieser Grund und Boden, aus dem sich die Helden erheben, wird aber im Jnhalte der Chorgesänge zum ideal Allgemeinen der Betrachtung. Die betrachtende Haltung des Chors hat zunächst den tieferen Sinn, den Hegel (Aesth. Th. 3, S. 547 ff.) ausgesprochen hat: er stellt die unentzweite Substanz des sittlichen Bewußtseins dar, die sich gegenüber den tiefen individuellen Collisionen, die aus ihr wie aus dem Schooße des Erdreichs hervorschießen, in ihrer Allgemeinheit erhält. Diese Allgemeinheit spricht der Chor durch stetige Anknüpfung der angeschauten Handlung an ewige Wahrheiten, an das Göttliche aus, gibt so dem religiösen Ursprung des Drama's, der in ihm bewahrt ist, ausdrückliche Form und erscheint in seiner Spruchweisheit zugleich als gnomischer Bestandtheil. Aber nicht, als ob das Erschütternde der Handlung ihn nicht subjectiv bewegte, er ist wesentlich fühlend, Empfindungs-Echo des tragischen Vorgangs. Das Allgemeine, was sich in ihm darstellt, gemahnt nach dieser Seite unwillkürlich an die Landschaft, an das allgemein Umgebende, Luft und Erde, was mitzutönen, verhallend weiter zu tragen scheint. Hiemit ist denn auch die lyrische Bedeutung des Chors ausgesprochen. Er empfindet als Zuschauer im Stück, als künstlerischer Auszug aus der empirischen Menge der Zuschauer diesen vor; die pathologische Gewalt, womit die letzteren ergriffen werden, ist schon dadurch gebrochen, daß ihr Gefühl hier überhaupt geläuterten Kunst-Ausdruck findet. Allein indem der Chor im Sturme des Gefühls jene Ruhe und Allgemeinheit der Betrachtung rettet, reinigt er auch positiv Furcht und Mitleiden, die er dem empirischen Zuschauer vorempfindet. W. Schlegel's Wort, er sei der idealisirte Zuschauer (a. a. O. Th. 1, S. 77), bleibt daher ebenso treffend, als geistreich. Die griechische Poesie entwickelt, um dieser vielseitigen und großartigen Bedeutung zu genügen, auf diesem Puncte den höchsten Glanz der Lyrik. Das Band zwischen dem Drama und dieser Form schlingt sich aber auch in die Handlung selbst hinüber, da die Personen derselben von der Rede in Wechselgesang mit dem Chor übergehen; der Gesang wird von der Musik begleitet und der Chor stellt ihre Rhythmen zugleich in orchestischer Bewegung räumlich dar. Wir sehen also eine Verbindung der Zweige der Poesie mit Musik und Tanzkunst, die ebenso imposant und lebensvoll, als unserem auf Theilung der Gattungen gerichteten Sinne fremd ist. Wir müssen trotz aller Großartigkeit dieser Lebensfülle eine solche Verwachsung für einen unreifen Zustand erklären; das Drama kann in diesem Prachtgewande nicht zur klaren Ausbildung seiner tiefsten Bedingungen, eines hellen Bewußtseins von Charakter, Motiv und Schicksal gelangen, während es in der neueren Zeit seine Reife freilich um den theuren Preis jener unmittelbaren Lebendigkeit der Verschlingung mit andern Zweigen und Künsten erkauft. Es verhält sich ähnlich wie mit der Polychromie in Architektur und Sculptur. §. 906. Streng geschieden von der Tragödie bewegt sich die classische Komödie zwar auf dem Boden der realen Gegenwart und ihr Humor ruht auf der Grundlage der politischen Satyre, ihrem Style nach aber ist sie mythisch phantastisch, das reine Gegenbild der ersteren. Dagegen tritt hier innerhalb des classischen Jdeals ein Stylgegensatz, der im tragischen Gebiete schwächer angedeutet ist, mit relativer Entschiedenheit in der neueren Komödie hervor. Jm ernsten Drama des classischen Jdeals war durch den plastischen Geist und sein Stylgesetz des directen Jdealismus, welches Schönheit der einzelnen Gestalt forderte, durch die hierin begründete Einfachheit der Charaktere, durch die dunkle, drohende Wolke des Schicksals, die es nicht gestattete, daß der Mensch sich seiner unendlichen subjectiven Freiheit erinnerte, der Uebergang in das Komische streng ausgeschlossen. Kaum ein ferner Ton ist z. B. dem Wächter in der Antigone angehaucht und auch hier ist die Vorstellung anziehend, was wohl Shakespeare daraus entwickelt hätte. Jn der antiken Komödie nun, die wegen der Stylfrage hier einzuführen ist, obwohl die betreffende stehende Eintheilung erst nachher aufgeführt wird, herrscht ebenso unbedingt das Komische in der Handlung. Jn der Stimmung allerdings kann ihr ein ernster Grundzug nicht abgehen, vielmehr ist ihr Humor von den Klängen der erhabensten Gesinnungen und Schmerzen durchzogen. Was Stoff und Jnhalt betrifft, so bringt es das Wesen des Komischen selbst mit sich, daß im vollen Gegensatze gegen die Tragödie hier die unmittelbare empirische Wirklichkeit ergriffen wurde; die ältere, Aristophanische Komödie hat das große Thema der Auflösungszustände des griechischen Staats, sie ist in ihrer Grundlage politische Satyre. Die Großheit dieses Stoffes gibt ihr den monumentalen Charakter und sichert so zunächst nach dieser Seite im Realistischen den hohen Styl; allein dieses Bild der Auflösung der plastischen Schönheit des griechischen Lebens ist noch in einem andern Sinne selbst plastisch: es objectivirt den Geist der Komik in einer Parodie der mythischen Welt, worauf die Tragödie ruht, nimmt so die Gestalt des greiflich wunderbar Komischen, des Grotesken an, treibt zugleich die porträtirten Persönlichkeiten zur phantastischen Caricatur auf und erhebt sich von der Grundlage der Satyre in den ausgelassensten Humor. Dagegen bildet nun die neuere Komödie der Griechen einen vollen Gegensatz; der monumentale politische Boden und mit ihm das Reich der kolossalen komischen Wunder wird verlassen, sie steigt in das Privatleben herab, wird sittenbildlich, naturalistisch, es tritt in den classischen Styl der charakteristische ein. Vergleicht man sie jedoch mit dem Ganzen des letzteren Styls in seiner wirklichen und vollständigen Ausbildung, so ist der Gegensatz gegen die alte Komödie doch ein blos beziehungsweiser: die neuere Komödie der Alten generalisirt mehr, als sie individualisirt, ihre Sklaven, Schmarotzer, geprellten Väter, leichtsinnigen Söhne, Dirnen, soldatischen Aufschneider, Trunkenbolde u. s. w. sind mehr Masken, als wirkliche Einzelwesen, und es wird dieß folgenreich für den Uebertritt des classischen Styls in den wesentlich charakteristischen modernen durch den Einfluß des Abbilds der neueren Komödie der Griechen, der römischen, auf die romanische Literatur. Obwohl nach dieser Seite nur ein relativer Gegensatz, konnte eine solche Form doch im Alterthum nicht gleichzeitig mit der rein classischen auftreten, dort ist der Unterschied vielmehr ein successiver und es verhält sich damit wie mit dem Uebergange der antiken Plastik und Malerei in das Realistische, Sittenbildliche; die Erscheinung ist aber als geschichtliches Vorbild eines bleibenden, der weitern, logischen Eintheilung angehörigen Gegensatzes durchaus wichtig und wesentlich. Ein ähnlicher Gegensatz tritt nun, ebenfalls geschichtlich, auch in der antiken Tragödie ein, denn Euripides faßt die Menschen schon empirisch, subjectiv, psychologisch, vielseitig, reicher colorirt, skeptisch; aber diese Behandlung steht im Widerspruche mit dem großen heroisch mythischen Stoffe, der doch beibehalten ist, und so gelangt auf diesem Boden die Stylwendung nicht zu derselben Bestimmtheit, wie auf dem komischen. Jn schwacher Andeutung ist allerdings ein Styl-Gegensatz auch als ein gleichzeitiger wahrzunehmen, und zwar in der Eintheilung der Arten der Tragödie bei Aristoteles (Poetik C. 18.); denn die ethische Art, die er unter den andern aufzählt, ist sittenbildlich, charakteristisch und der Peleus, den er neben den Phthiotiden als Beispiel anführt, war nicht nur von Euripides, sondern auch von Sophokles behandelt. Allein diese Form war wenig ausgebildet und das psychologische, rein menschliche Gemälde, auf das sie schließen läßt, konnte entfernt nicht bis zu einer Ausbildung des Charakteristischen gehen, die einen so entschiedenen Gegensatz der Stylrichtung innerhalb des Antiken darstellte, wie die neuere Komödie. §. 907. Der charakteristische Styl des modernen Drama's stellt sich, ohne auf die sagenhaften Stoffe zu verzichten, auf den Boden der naturgemäßen Wirklichkeit des politischen, bürgerlichen, oder Privatlebens und entwickelt aus der tieferen, auf prinzipielle Umgestaltung des Bestehenden schneidender gerichteten Subjectivität vielseitiger, eine scheinbar widerspruchsvolle Einheit darstellender und in härtere Einzelzüge auslaufender Charaktere in organischem Anwachsen eine reichere, verzweigtere, größere Personenzahl fordernde Handlung. Das Schicksal ergibt sich als immanentes Gesetz aus den Wirkungen und Gegenwirkungen der Freiheit. Der Chor, die Verbindung des Drama mit Lyrik, Musik und Tanz, fällt weg. Jnnigere Mischung des Ernsten und Komischen, Eintritt des Letzteren in die Tragödie und ernstes Jnteresse der Fabel in der Komödie folgt aus den innersten Bedingungen dieses Styls. Die Grundzüge dieses Unterschieds sind zum Theil schon in der Darstellung des classisch idealen Styls ausgesprochen, da derselbe nur an seinem Gegensatze geschildert werden konnte, zum Theil müssen sie noch bei der folgenden Ziehung der bleibenden Theilungslinien zur Sprache kommen. Wir heben daher hier nur Weniges über einzelne Puncte hervor. Auf die dunkeln, großen Stoffe aus vorgeschichtlicher, sagenhafter Zeit mit ihren mythischen Motiven kann auch das Drama des naturwahren Styls nicht verzichten: die bedeutendsten Tragödien des Vaters des modernen Drama's, Shakespeare's, spielen auf solchem Boden. Die Begründung des charakteristischen Styls ist sein Werk, er sprang in voller Rüstung, wie Minerva, aus seinem Haupte. Seine sagenhaften Stoffe gehören der nordischen Welt; eignet sich der charakteristische Styl in dem Sinne, welcher zur Sprache kommen wird, den classischen an, so ist dadurch auch die Aufnahme antiker Sagenstoffe gegeben. Nur wird der Unterschied von den Alten nothwendig der sein, daß alle übernatürlichen Motive, welche diese Stoffe mit sich bringen, im Verlaufe der Handlung in's Jnnere verfolgt, zurückverlegt werden müssen. Das Schwere ist, dieß so zu behandeln, daß das Wunderbare zum Ausdruck einer inneren Wahrheit wird, ohne doch zur todten Allegorie sich auszuhöhlen; Shakespeare ist darin unübertroffen; er verbessert im Fortgang den mythischen Ausgang, seine Geister und Hexen werden zu Thatsachen des Bewußtseins und bewahren doch die ganze Schauer-Atmosphäre geglaubter Erscheinungen aus einem Reiche des Uebernatürlichen. Aehnlich verhält es sich mit den Furien in Göthe's Jphigenie; der Dichter verlegt sie von Anfang an nur in das Jnnere des Orestes und sie behalten doch die Lebens-Wahrheit uralter, geläufiger Tradition. Die wahre Heimath des modernen Drama ist aber allerdings die wunderlose Wirklichkeit der Geschichte. Es tritt mitten in die Bedingungen der Realität bis hinein in die engere Sphäre des Privat- und Familienlebens, das erst dem Jdeale der neueren Welt seine Wärme und innere Lebendigkeit erschlossen hat. Wie der Roman, so muß nun das Drama die Stellen aufsuchen, wo die prosaisch verstandene oder wirklich prosaische Ordnung der Geschichte durchbrochen wird, sich lüftet und ein Bild freierer Bewegung darbietet. Wir werden bei dem Unterschiede der Stoffe noch ein Wort über die Momente sagen, die der dramatische Dichter aufzusuchen hat; die Hinweisung liegt aber schon in dem, was der §. über die Charakterbehandlung und den Schicksalsbegriff des naturalistischen und individualisirenden Styls enthält. Die Transcendenz des Schicksals ist überwunden, dieß ergibt sich bereits aus der Forderung, daß mythische Motive im Fortgange sich in naturgemäße Wahrheit aufheben; der Mensch ist also auf sich, auf die eigenen Füße gestellt, seine Loose fallen in seinem eignen Jnnern, das Schicksal erzeugt sich aus der Freiheit. „Das Schicksal oder, welches einerlei ist, die entschiedene Natur des Menschen, die ihn blind da oder dorthin führt“, sagt Göthe (Briefw. mit Schiller Th. 3, S. 84). Es fehlt in dieser Bezeichnung der immanenten modernen Schicksals-Jdee eine Reihe vermittelnder Begriffe, die nach unserer Lehre vom Tragischen keiner weiteren Auseinandersetzung bedürfen, sie ist aber dennoch schlagend und treffend. Der Charakter nun erkauft sich in dieser Auffassung das Recht, mit dem weiteren Umfang seiner Eigenheiten und Härten, mit seiner unregelmäßigeren, zerfurchteren Gestalt in die Poesie einzutreten, durch das Uebergewicht des Ausdrucks, und dieser Ausdruck ist im Drama der Ausdruck der Freiheit, des entscheidenden Wollens. Nun erst legt sich das ganze Gewicht so auf diesen Punct, daß der Wille in jener Form der schärfsten Jntensität auftritt, die wir in §. 898 als die wesentlich dramatische aufgestellt haben: das moderne Drama fordert revolutionäre, im tiefsten Sinne des Worts radicale Charaktere. Mit der durchschneidenden Entschiedenheit entwickelt sich jetzt auch die Fülle und Tiefe der inneren Welt, der charakteristische Styl ist zugleich der subjective, psychologische. Dieß hat aber ebenso ganz objective Bedeutung: das Streben des Helden soll ja allgemein menschlichen, ewig wahren Jnhalt haben, soll Pathos im gewichtigen Sinne des Wortes sein und gerade die objective Gewalt und Wahrheit des Pathos will der moderne Geist daran erkennen, daß es den Menschen mit aller Vielseitigkeit, Besonderheit und Eigenheit seiner Kräfte in Besitz nimmt. Der complicirtere, oder, wie man sonst sagte, gemischtere Charakter ist demnach objectiv wie subjectiv gefordert, ein Charakter, der sich in gebrochener Linie, in scheinbaren Widersprüchen bewegt. Dieß ist zugleich der Grund der reicheren Fabel, der mannigfaltig sich verästenden Handlung, der Polymythie im neueren Drama. Es verhält sich wie mit der Ausbildung der Harmonie in der neueren Musik: die größere Zahl der Personen entspricht genau der reichen Jnstrumentirung des modernen Musikwerks; wir wollen den einen Grundton in mannigfaltigerer Resonanz vernehmen, dieselbe Bewegung des Jnnern vielfacher gewendet, wie sie sich in verschiedenen Gemüthern, Fällen, Folgen spiegelt, oder, um die Beziehung der Style zum Unterschiede der Plastik und Malerei nicht zu vergessen, wir wollen den tieferen Hintergrund, die reichere Composition der letzteren statt der unbenützten Fläche, welche die sparsameren Gruppen des Relief umgibt. Jst die Handlung mannigfaltiger, so ist sie nothwendig auch verwickelter und ihr verschlungener Knoten entspricht der verschlungneren Form des Charakters. ─ Diese innern Bedingungen sind denn auch der tiefere Grund der Entfernung des Chors. Eine Handlung, die vom Prinzip der Jmmanenz so streng zusammengehalten ist, kann nicht einen idealen Zuschauer neben sich haben: sie nimmt ihn in sich herein, hat ihr subjectives Echo in der Vielzahl der betheiligten Personen und ihres vertiefteren, vielsaitigeren Gemüthslebens, sie selbst empfinden dem empirischen Zuschauer vor. Daß unsere Zustände nicht öffentlich sind, daß das Wichtigste in geschlossenen Räumen vor sich geht, darin liegt der untergeordnete, reale Grund dieser Weglassung. Hiezu kommt nun aber das moderne Prinzip der reinen Theilung und Auseinanderhaltung der Künste und ihrer Zweige. Musik und Tanz ist an die Oper und das Ballet gefallen, wie die Plastik die Farbe ganz an die Malerei abgegeben hat. Die Einflechtung des Komischen in das Tragische und die Erhebung des Ernsten zum leitenden Motive in der komischen Handlung ist an mehreren Stellen schon so hinreichend besprochen und begründet, daß wir das Wenige, was noch darüber zu sagen ist, der näheren Beleuchtung der Arten überlassen und hier nur noch darauf aufmerksam machen, wie der Uebergang des Tragischen in's Komische schon durch die Behandlung des Charakters gegeben ist: je complicirter derselbe erscheint, desto weniger können Contraste ausbleiben, die an's Komische streifen oder bestimmt in dasselbe übergehen, und ist hievon selbst der erhabene Charakter nicht ausgenommen, so ist schon dadurch gegeben, daß neben ihm auch wirklich und ganz komische Charaktere auftreten können. Die moderne, nordische Weltanschauung hat die Kraft, diese Widersprüche zu ertragen und zusammenzuhalten, und wenn Göthe die Wärterinn und Mercutio in Romeo und Julie im Namen unserer „folgerechten, Uebereinstimmung liebenden Denkart“ als possenhafte Jntermezzisten verwirft, so spricht er vom Standpuncte des classischen Styls, dem er sich hierin bis zu einem Grad anschließt, der zum Unrechte gegen diejenige Aufgabe der neueren Poesie wird, von welcher sofort die Rede sein muß. §. 908. Ungleich wesentlicher, als die Ansätze des charakteristischen Styls im rein idealen des classischen Alterthums, ist die Nachwirkung des letzteren auf jenen, woraus ein Gegensatz und Kampf der Prinzipien erwachsen ist, der auf keinem Boden so sichtbar, bewußt und belebend auftritt, wie auf dem dramatischen. Derselbe fällt theils mit dem Unterschiede der romanischen und germanischen Nationalität zusammen, theils wiederholt er sich innerhalb der Poesie jeder von beiden, doch ungleich kräftiger in der germanischen, welche wie keine andere berufen ist, die Aufgabe der Versöhnung beider Style mit Uebergewicht des charakteristischen zu lösen. Die Erläuterung mag dießmal den Schluß des §. heraufnehmen und von da aus die vorangehenden Sätze in's Licht stellen. Unsere Aufgabe ist, wenn nicht die ganze leitende Jdee unserer Lehre von dem Leben der Kunst unrichtig sein soll, offenbar in das Wort zu fassen: Shakespeare's Styl, geläutert durch wahre, freie Aneignung des Antiken. Um diesen Punct oscillirt die neuere dramatische Poesie der Deutschen wie die neuere Malerei um eine höhere Vereinigung des deutschen, niederländischen Styls mit dem Raphaelischen oder überhaupt italienischen. Göthe nimmt die Wendung zum classicirenden Styl in seinem Egmont; der naturalistische, charakteristische, in den seine Jugendpoesie sich geworfen, und der hohe, ideale sind in diesem Drama als zwei nicht wirklich verschmolzene Elemente merklich zu unterscheiden, wie oft eine Strecke weit die Wasser zweier vereinigter Flüsse. Von da an vertieft Göthe seine antik gefühlten Gestalten durch moderne Humanität und deutsches Herz, aber er setzt sie nicht in die concrete Farbe der wirklichen Jndividualität und Naturwahrheit, schon darum nicht, weil es mehr Seelenbilder, als männliche Charaktergestalten sind. Eine ähnliche Schwankung wie im Egmont ist in Schiller's Wallenstein; im Lager, in manchen Scenen und Zügen der beiden Piccolomini und des Schlußstücks der Trilogie, die selbst bis zum behaglichen Humor charakteristisch sind, in dem tiefen Gefühle, womit Physiognomie und Stimmung der Zeit erfaßt ist, erkennt man Shakespeare's Geist, aber im Kothurn des rhetorischen Pathos, in der Jdealität, die in Charakterzeichnung und einzelner Darstellung doch wieder eine Welt von Zügen der strengeren geschichtlich naturwahren Haltung fern hält, vor Allem in der Schicksals-Jdee tritt doch mit Uebergewicht die classische Stylisirung hervor. Von da an halten sich Schiller's Charaktere „in einer Mitte zwischen der typischen Art der Alten und der individuellen des Shakespeare“, so sagt Gervinus (Neuere Gesch. d. poet. Nationallit. d. Deutsch. Th. 2, S. 506 Ausg. 1842), geht aber offenbar zu weit; denn man wird dieß Wort, das eine so bedeutende Gedankenreihe eröffnet, nur auf einige derselben, nicht auf alle anwenden dürfen. Die Schiller'sche Charakterwelt ist weit mehr antik sententiös, rhetorisch und hochpathetisch, als Shakespearisch naturwahr und in die Einzelzüge der Eigenheit hinausgeführt, es sind weit mehr Typen, als Jndividuen, er generalisirt weit mehr, als er detaillirt. Seine Schicksals-Jdee behielt immer einen Rest ungelöster Härte, der an die neidische Macht des altgriechischen Fatums erinnert. Jn der Braut von Messina nahm er förmlich diesen Begriff auf und gab dadurch den Anstoß zu den sog. Schicksalstragödien, in welchen das Fatum nicht nur in antiker Weise ein Vorausgesetztes, sondern in grasser Trivialität sogar an ein bestimmtes Datum, an ein bestimmtes sinnlich Einzelnes geknüpft ist. Von dieser Caricatur fern wollte Schiller ihm seine finstere Majestät sichern, jeden Schein abschneiden, als gelte es im Tragischen blos der Erhabenheit des menschlichen Subjects; er erkannte nicht, daß die absolute Erhabenheit des Schicksals sich nur vertieft, wenn es als immanentes Gesetz aus den Charakteren und der Handlung entwickelt wird, aber nach jener Seite ist doch Wahrheit und wirkliche Größe in seiner Schicksals-Jdee; bei einem Müllner und Grillparzer schlug diese in's Lächerliche um. ─ Wir erwarten noch den classisch gereinigten deutschen Shakespeare. Eine absolute Vereinigung der Stylgegensätze gibt es freilich nicht, soll es nicht geben, die Geschichte der Kunst ist ja gerade die Geschichte ihres Kampfes und wir haben hier ihre Beleuchtung vorangeschickt, um darauf einen bleibenden Unterschied zu gründen, der sich durch die folgenden stehenden Eintheilungen hindurchzieht; aber ein relativ Höchstes der Vereinigung mit reicher Umgebung von Modificationen und Mischungsverhältnissen muß der Begriff sein, nach welchem wir steuern. Keiner Nationalität kann diese Aufgabe so gesetzt sein, wie der germanischen; ihr angelsächsischer Stamm, in England mit dem feurigeren normannischen gemischt, hat das wunderbare, aber noch mit nordischer Formlosigkeit behaftete Muster in Shakespeare dem deutschen hingestellt, das er mit dem andern ewigen Muster, dem classischen, zusammenfassen soll. ─ Das Drama der romanischen Völker nun stellt ein überleitendes Band zwischen dem letzteren und der ganzen Aufgabe dar. Sie hängen durch Abstammung und Cultur alle noch in der classischen Tradition, so verschieden sie dieselbe durch ihre Besonderheit und moderne Bildung auch gefärbt haben, und das entscheidende Zeichen davon ist, daß sie Shakespeare mit seinen Contrasten im tief individuell gesättigten Style niemals ganz verstanden haben, verstehen können. Das spanische Drama stellt seine Menschen, die durchaus mehr Stände, Temperamente, Leidenschaften, als Jndividuen sind, unter die Wunder eines Himmels, zu dem sie sich durch das Aufgeben dessen, was eben den wirklichen Jnhalt des Charakters und Drama's ausmacht, in mystischer Auflösung erheben sollen, oder spannt sie, in der weltlichen Sphäre, in einen Codex conventioneller Begriffe der Ehre, Liebe, Ergebung des Unterthanen ein, der die leidenschaftlichsten Conflicte zur Folge hat, aber der concreten menschlichen Wahrheit entbehrt. Dieses Drama ist in all seiner Pracht eine Spezialität, der antiken Anschauung aber verwandt durch den Charakter des Gegebenen und Vorausgesetzten, den, wie dort das Schicksal, hier die Welt hat, in die der dramatische Mensch gestellt wird, und durch die, obwohl farbigere, doch typische Behandlung seiner Persönlichkeit. Das französische Drama nannte sich in der Blüthezeit selbst das classische. Seinem innern Geiste nach, dem Geiste der Hof-Etikette, der kalten rhetorischen Antithesen war es dem Classischen so fremd, als möglich, und doch durch seine negativen Eigenschaften dem formlosen Geiste des Nordens eine Schule der Zucht (vergl. §. 476), ein Muster, worin das wahre Muster zwar frostig entstellt war, aber ein nothwendiges Mittleres, dessen unfreie Nachahmung der freien Aneignung des ächten Classischen, das man noch nicht verstand, vorangehen sollte. Es ist ein ähnlicher Gang wie die verschiedenen Stufen des Classicismus in der neueren Geschichte der Malerei §. 737 ff. ─ Jm Lustspiel hat das spanische Drama, abgesehen von den eigentlichen, stehenden Masken, die Charaktere immer maskenhaft behandelt, immer mehr komische Typen, als Jndividuen gehabt und das Gewicht auf die Komik der Fabel, auf die Jntrigue gelegt. Es verhält sich mit dem französischen, so bedeutend und fruchtbar seit Moliere der Geist der Nation in diesem Gebiete sich erwiesen hat, nicht anders: der feinste Witz in der Handlung und keine humoristische Tiefe und Jndividualität in den Charakteren, so ergötzlich sie auch als generelle Figuren sein mögen. Es ist im Wesentlichen immer die in's Moderne übersetzte römische Komödie. ─ Das italienische Drama ist dem französischen gefolgt. Was in diesen Literaturen durch Einflüsse des bürgerlichen, sozialen Drama's, das von England ausgieng, durch Diderot die erste Nachahmung fand, in Deutschland aufkam und dann nach Frankreich zurückwirkte, was ferner durch Einflüsse der deutschen romantischen Schule entstanden ist, verfolgen wir hier nicht weiter: es sind Schritte zum charakteristischen, naturwahren Style mit starker Neigung zum falschen Effect und zum Grassen; die höchste Aufgabe dieses Styls, die Tiefe der Jndividualisirung, blieb, wie gesagt, den Deutschen als Aufgabe vorbehalten. §. 909. Der Styl-Unterschied bildet eines der Momente für die allgemeine Eintheilung des Drama's. Der oberste, durchgreifende Gegensatz aber ist der des Tragischen und Komischen. Glückliche Lösung tragischer Conflicte begründet keine eigene Form, sondern das Drama solchen Jnhalts fällt je nach Stoff und Behandlung in das eine oder andere dieser zwei Gebiete. Die verschiedenen Formen des Tragischen und Komischen treten als eines der Motive für die Unter-Eintheilung auf. Wir haben der festen, stehenden Eintheilung der Formen des Drama eine historische Beleuchtung der Stylprinzipien vorangeschickt, die jedoch mit der Aufzeigung eines bleibenden Gegensatzes schloß und dieser wird denn weiterhin als einer der Eintheilungsgründe auftreten. Es bedarf aber keiner Nachweisung mehr, daß im Gebiete des Drama das Tragische und Komische den entscheidenden, höchsten Eintheilungsgrund abgibt, wir verweisen auf §. 540, 1. §. 864. 899. 900; es kann sich nur fragen, ob nicht eine dritte Gattung aufgestellt werden müsse, worin dieser Gegensatz aufgelöst sei. Als eine solche hat man das Drama mit glücklichem Ausgang aufgeführt, wofür wir den Namen Schauspiel kaum brauchen können, weil er sich einmal factisch für eine bestimmte geschichtliche Form, und zwar eine zweifelhafte, nämlich das bürgerliche Rührstück, fixirt hat. Man erkennt nun aber sogleich, daß dieser Begriff sich nicht dem der Tragödie und Komödie logisch coordiniren kann, so daß man etwa an ein Mittleres zwischen Ernst und Komik zu denken hätte, was in der frohen Stimmung des heiteren Ausgangs enthalten wäre. Die Stimmung des Glücklichen und die komische sind keine Begriffe, die unter Eine Kategorie fallen. Jene kann in diese übergehen, dann begründet sie, wenn es sich nicht blos von einer mäßigen, vereinzelten Einmischung des Komischen in das Tragische, wie sie überhaupt dem charakteristischen Style natürlich ist, sondern von einer starken, zur Herrschaft gelangenden handelt, eine Komödie, sie muß aber diesen Uebergang nicht nehmen, und ein Drama, das vorherrschend ein Bild von ernstem Kampf, Schuld und Leiden, darstellt, gehört, mag auch dieß Leiden vorübergehend und der Schluß glücklich sein, zur Tragödie: es ist nichts Anderes, als das positiv Tragische, dessen Sinn und Werth in §. 128 erörtert ist, in der Form des Drama realisirt. Es handelt sich einfach um die zwei Glieder jenes Dualismus, der durch alles Erhabene geht und im Tragischen seine höchste Bedeutung hat. Wir wiederholen den Satz aus jenem §., daß die negative Form die reinere und bedeutendere, die positive aber, d. h. die Darstellung schwerer und ernster Conflicte mit glücklichem Ausgang, die schwächere ist, weil sie immer noch einen Schein übrig läßt, als gelte es die Verherrlichung des subjectiv Erhabenen. Diesen Schein zu vermeiden, muß der ganze Accent darauf gelegt werden, daß nicht menschliches Verdienst seine Genugthuung erhalte, sondern, daß ihm nach tiefem Leiden, das mit irgend einer Schuld zusammenhängt, womit edles Streben sich getrübt hat, von der absoluten Macht der Weltordnung vergönnt sei, seinen Zweck siegreich durchzuführen. Je schwächer nun das erste Moment in dieser Bewegung ist, d. h. je weniger tief und furchtbar der Conflict und die Schwere der Prüfung, desto näher liegt es allerdings, daß der glückliche Schluß in der Grundstimmung anticipirt wird und diese aus der nur freien und freudigen in die komische sich umsetzt. Das Mittelglied ist, daß die Frohheit auch die subjective Willkür, das absolute Leichtnehmen alles Jnhalts entbindet. Dann entsteht eine Form, die, wie gesagt, zwar nicht als dritte neben Tragödie und Komödie steht, aber eine Art der letzteren bildet, welche etwas von der ersteren hat: die Komödie mit ernstem Mittelpunct. Die Sache ist damit allerdings noch nicht erschöpft, das Weitere gehört in die Unter-Eintheilung der zwei Hauptgattungen, wo die verschiedenen Formen des Tragischen und Komischen als Motive einer engeren Unterscheidung hervortreten. §. 910. Für die Tragödie bildet den nächsten Eintheilungsgrund der Unterschied des Stoffes. Derselbe ist entweder sagenhaft heroisch oder historisch politisch, wo denn prinzipielle Umwälzungen des Bestehenden durch gewaltige Charaktere den der Dichtungsart entsprechendsten Jnhalt darbieten, oder er gehört dem bürgerlichen und Privat-Leben an. Historisch politischer Hintergrund hebt die letztere Sphäre in die Nähe der ersteren. Es versteht sich, daß die Eintheilung nach dem Stoffe nicht erschöpfend ist; die Eintheilungsgründe sind nacheinander aufzustellen und dann ihre Convergenzen und Divergenzen aufzuzeigen. ─ Wir haben schon in §. 907 gesagt und in der Anm. weiter ausgeführt, daß das moderne Drama die sagenhaft heroischen Stoffe mit dem oft von uns hervorgehobenen großen Vortheile, den sie bringen, nicht aufzugeben hat. Es bedarf also keines weiteren Wortes, um zu rechtfertigen, daß wir diese Sphäre als Glied einer bleibenden Eintheilung aufführen. Der eigentliche, heimische Boden des modernen Drama's sind aber natürlich die hellen Epochen der Geschichte; die Arbeit ist unendlich schwerer, der Fehlgriff der Stoffwahl, die Ueberwältigung durch den massenhaften, von der Sage nicht vereinfachten Gegenstand, daher die Verirrung in die Breite des Epischen liegt nahe genug, allein alle moderne Kunst hat die Aufgabe, zur ursprünglichen Stoffwelt sich zurückzuwenden und den schweren Kampf ohne die hülfreiche Vorarbeit der allgemeinen Phantasie auf sich zu nehmen. Von der einen Seite betrachtet sind Stoffe aus der alten Geschichte günstiger. Die Welt ist eine einfachere, klarere, schon durch die größere Ferne der Zeit mehr idealisirte. Der alte Orient enthält noch manchen ungehobenen Schatz, namentlich ist Herodot noch zu wenig benützt. Ganz modernes Bewußtsein, tiefe und raffinirte Conflicte des Herzens und Weltschmerz in alttestamentliche Stoffe zwängen ist eine der Verkehrtheiten unserer Zeit. Einen größeren Reichthum ächt dramatischer Stoffe bringt natürlich die classische, die griechische und römische Geschichte dem Dichter entgegen. Er findet hier neben solchen Zuständen, Begebenheiten, Charakteren, die unzweifelhaft mehr epischer Stoff sind, die prinzipiellen Kämpfe, die das Drama verlangt, die radicalen Charaktere, welche mit hellem Bewußtsein eine bestehende Ordnung stürzen und tragisch untergehen. Wie glücklich hat Shakespeare im Coriolan, im Cäsar gegriffen! Dagegen haben die antiken Stoffe den Nachtheil, daß die Charaktere und Culturformen für das Drama zu typisch einfach sind. Jm Mittelalter ist es umgekehrt; diese sind colorirt, aber die sittlichen Kräfte handeln zu dunkel und unbewußt. Dieß ist besonders der Fall in dem wilden und blutigen Auflösungskampfe des Feudalstaats, wie er namentlich in England so belehrend über das innerste Wesen und der nothwendige Gang dieser Zustände sich entwickelt hat: ein ebenso gewaltiger, als durch seine Massenhaftigkeit und Rohheit schwieriger Stoff, dem Shakespeare trotz allen zugegebenen Mängeln jenes Cyclus doch die tragische Jdealität abgewonnen hat, daß die rauhen Kräfte als die verstockten Werkzeuge eines ungeheuern Schicksals erscheinen und so ihren Gipfel in der dämonischen Gestalt Richard's III finden, in welchem ihre ganze Wildheit sich zum gründlich Bösen ansammelt, hiemit aber auch sich zerstört und der neuen Staatsordnung Platz schafft. Einen klaren Prinzipienkampf stellt der Kampf des Pabstthums und Kaiserthums dar, es fehlt ihm aber im Einzelnen und Ganzen doch zu sehr an wirksamen Schlußpuncten. Der günstigste Stoff der Tragödie liegt offenbar in den großen Gährungsmomenten der neueren Zeit; die radical einschneidenden Naturen sind häufiger und handeln nicht nur mit hellem Bewußtsein, sondern haben auch das tiefer in sich concentrirte, der Einfachheit typischer Objectivität entwachsene Leben, dessen das Drama bedarf. Als Göthe und Schiller nach Egmont, Fiesko, Don Carlos, Wallenstein, Maria Stuart griffen, zeigten sie dem neueren Drama den richtigen Weg (vergl. Gervinus a. a. O. S. 492. 493). Allerdings werden, je näher die moderne Zeit rückt, die Culturformen um so ungünstiger, doch lockert sich in den Tagen der Auflösung und Prinzipienkämpfe auch die prosaische Ordnung der Dinge. Jn der dritten Sphäre soll durch den Ausdruck: bürgerliches und Privatleben derjenige Stoff, der soziale Fragen, Conflicte, die sich um die Einrichtung der Gesellschaft drehen, als dramatischen Jnhalt mit sich bringt, von dem reinmenschlichen unterschieden werden, dessen Jnteresse in den großen Empfindungsmotiven der Liebe, der Pietät, der Freundschaft liegt. Wir kommen auf diesen Punct bei der Unterscheidung von Prinzipien= und Charaktertragödie zurück. Jm ungenaueren, gewöhnlichen Sprachgebrauche nennt man das ganze Gebiet das bürgerliche Drama. Beiderlei Stoffe haben nicht die monumentale Großheit wie jene ersteren; sie nähern sich aber derselben, wenn das Geschichtliche, Oeffentliche so den Hintergrund bildet, wie in Romeo und Julie, im Othello. Es ist die ähnliche Erhöhung, wie sie W. Scott dem Romane, Göthe in Hermann und Dorothea der Jdylle gegeben hat. Der Dichter wird hier meist aus zufälliger Kunde oder aus poetischer Ueberlieferung, namentlich Novellen schöpfen. ─ Der Begriff des Historischen steht zu dem des Bürgerlichen und Privaten zunächst nicht im Verhältniß einer logischen Unterscheidung; doch erhellt, daß es sich dort um die großen Gegenstände handelt, welche die Geschichte mit Nothwendigkeit aufzeichnet, hier aber um Solches, was sie je nach Umständen aufzeichnet oder nicht. Gegen völlig freie Erfindung brauchen wir uns nach dem, was die Lehre von der Phantasie aufgestellt hat, nicht mehr auszusprechen; dagegen kann die Erfindung ganz wohl von einem kleinen Puncte ausgehen, der in der vollständig entworfenen Handlung nur einen untergeordneten Theil bildet, vergl. §. 393, Anm. 1. §. 911. Das zweite Eintheilungs-Moment liegt in dem Unterschiede der Seite, von welcher der Stoff aufgefaßt wird. Der Dichter legt das größere Gewicht entweder auf den Conflict der ethischen Grundmotive an sich oder auf das Bild des Charakters und der Sitte. Der Gegensatz von Prinzipien- Tragödie und Charakter- (Sitten-) Tragödie, der hiedurch entsteht, kommt zurück auf die Unterscheidung im Tragischen §. 131 ff. 135 ff. Derselbe kann jedoch nur ein relativer sein. Die zweite Art theilt sich wieder nach §. 105 ff. in ein Drama der Leidenschaft, namentlich der Liebe, des bösen und des guten Willens. Was Hettner (a. a. O. S. 38) Prinzipientragödie nennt, ist nach unserer Unterscheidung in der Lehre vom Tragischen die Tragödie des sittlichen Conflicts, und was er Charaktertragödie nennt, Tragödie der einfachen Schuld; es ist aber zweckmäßig, im concreten Gebiete jene einfacher bezeichnenden Namen zu brauchen. Es handelt sich hier von einer wichtigen Unterscheidung, die aber durchaus nur relativ sein kann; würde sie absolut genommen, so wäre entweder der Satz umgestoßen, daß im Drama nicht der Charakter, sondern die Handlung das Wesentliche ist, oder umgekehrt: es würden sich Conflicte bekämpfen, die wie Platonische Jdeen als Wesen für sich in der Luft schwebten. Die Prinzipientragödie ruht auf Conflicten, die nach der Trennung, die in den menschlichen Dingen das ewig Zusammengehörige erfährt, wirklich unversöhnlich sind, aber die Einseitigkeit der Trennung muß in schroffen und heftigen Charakteren ihre lebendige Realität haben, so daß der Eindruck bleibt, bei größerer Nachgiebigkeit würde allerdings der Conflict sich schmerzloser lösen, nur fiele dann eben die Kraft der Einseitigkeit in den Charakteren und die Lösung wäre eine matte, schlaffe. Die classische Mustertragödie des Conflicts, die Antigone des Sophokles, kann daher allerdings auch so gefaßt werden, daß die Starrheit und Heftigkeit der beiden Hauptpersonen die Angel der Handlung sei und daß wir aus dem Schlusse die große Lehre von der Mäßigung zu ziehen haben, aber es ist dieß nicht die ganze Erklärung, sondern nur Hervorhebung ihres einen, hier des untergeordneten Moments. So sind in Shakespeare's Jul. Cäsar die Charaktere typisch einfacher, als in irgend einem andern Drama Shakespeare's, schlicht erhabene Träger der sich bekämpfenden Jdeen der Republik und Monarchie, das Gewicht fällt auf diese, aber der Jdeenkampf ist doch wesentlich lebendiger Personenkampf. Der Charaktertragödie darf umgekehrt, obwohl das Gewicht auf die andere Seite gelegt ist, ein Pathos von allgemeiner, objectiver Wahrheit nicht fehlen. Nach der Auffassung von Gervinus, der das tragische Ende durchaus nur aus dem Uebersturz heftiger Leidenschaft ableitet (Shakespeare B. 4, S. 380 ff.), gäbe es nicht blos nur eine Charaktertragödie, sondern auch nur eine solche, die keine Allgemeinheit enthält, als die Lehre von der Pflicht der Mäßigung, die als ein abstracter Satz der Moral nie einen großen poetischen Jnhalt begründen kann. So predigt Gervinus dem Romeo Mäßigung, wohl mit Recht, Lorenzo thut es auch; wäre er aber besonnen, so wäre er kein liebender Jüngling und wäre im Drama nicht die Liebe in ihrem ganzen Feuer, ihrer ganzen Unendlichkeit dargestellt; ein andermal mag man bedenken, daß es noch andere Dinge auf der Welt gibt, Rücksichten, Pflichten; hier aber, dießmal gilt es der Göttlichkeit der Liebe, dießmal muß sie absolut dastehen, eine ideale Leidenschaft; die Welt außer ihr besteht auch jetzt und es wäre Pflicht des Liebenden, sie nüchterner zu berücksichtigen; es ist Schuld und nicht Schuld, daß Romeo es in rascher Uebereilung unterläßt; in dieses Zwielicht mitten hinein stellt sich die Tragödie. Alles aus der bloßen Jndividualität und der Natur des menschlichen Herzens entwickeln heißt der Tragödie sowohl das wahrhaft Allgemeine, als das wahrhaft Concrete nehmen. Selbst wilde und rohe Charaktere dienen, das muß uns der Dichter zeigen, einem geschichtlichen Gesetze, selbst ein Richard III ist Werkzeug eines solchen, Makbeth's mörderischer Ehrgeiz ist Verkehrung des moralischen Anrechts heroischer Größe und hohen Geistes an die Krone und Wallenstein führt den Anspruch des genialen Feldherrn auf unbegrenzte Vollmacht in Kampf gegen das Recht der kaiserlichen Macht, das aber durch kleinliche Ueberwachung zum halben Unrechte geworden ist. Kurz, das Pathos muß immer objective Allgemeingültigkeit haben, das Gewicht der Behandlung kann aber mehr auf diese oder mehr auf das subjective Leben des Pathos im Charakter fallen. Jm letzteren Falle wird allerdings immer die Spannung gegenüberstehender Rechte weniger nothwendig und unvermeidlich erscheinen, und dieß ist es, was in §. 131 ff. das Tragische der einfachen Schuld heißt. ─ Die Charaktertragödie nun wird mehr oder weniger von der strafferen Zusammenfassung eines Pathos in der energievollen Hauptgestalt hinausweisen auf die sittlichen Gesammtzustände gesellschaftlicher Kreise; je mehr dieß der Fall ist, desto mehr wird das Charakterdrama zum Sittenbilde. Dieß geschieht im edelsten und höchsten Sinne, wenn das Gewicht auf das Bestehen und Wachsen der reinsten Humanität gelegt wird wie in Göthe's idealen Sittengemälden Jphigenie und Tasso; das tragische Schicksal geistiger Naturen, wie Philosophen, Künstler, Dichter, gehört in dieses rein menschliche Gebiet, doch nehmen wir unser Bedenken gegen solche Stoffe nicht zurück. Ein trivialeres Sittenbild, dem holländischen Genregemälde ähnlich, eine schwunglose Darstellung des Familien= und Stände-Lebens war das bürgerliche Drama der Lessingisch-Jfflandischen Zeit. Man könnte diese sittenbildliche Wendung der Charaktertragödie nach Aristoteles (Poetik C. 18) die ethische nennen, wiewohl er nicht ganz denselben Begriff mit dem Worte verbindet, sondern mehr ein Gemälde passiver Seelenzustände im Auge hat gegenüber der starken, heroischen Leidenschaft, die den Jnhalt der Art der Tragödie bildet, welche er die pathetische nennt. Was wir unter Charakter im stricten Sinne des Wortes verstehen, ist allerdings auch in der letzteren Art nicht befaßt, denn es ist ein moderner Begriff. ─ Zur weiteren Eintheilung der Charaktertragödie ziehen wir aus dem ersten Theile die dort unterschiedenen Formen des subjectiv Erhabenen herauf. Demnach wäre die erste Form die Tragödie der Leidenschaft. Sie unterscheidet sich von den andern dadurch, daß die Leidenschaft mit reifem und geschlossenem Charakter zwar zusammentreffen kann, aber nicht muß. Das Pathos der Liebe, ein Hauptmotiv im modernen Drama, wie dieß im Wesen des modernen Jdeals begründet liegt, fordert jugendliche Naturen, die noch nicht zum Charakter geschmiedet sein können, das Pathos der verletzten Familienpietät findet im König Lear einen Greis, der hohe Eigenschaften, aber nicht Charakter im engeren Sinne des Wortes hat; dagegen vergiftet die Eifersucht im Othello einen Charakter, der wirklich zur vollen Reife gelangt ist. Die Tragödie der Leidenschaft wird häufig zugleich Sittenbild im kräftigsten Sinne des Worts; so sehen wir im König Lear eine ganze Generation entartet. Die Tragödie des Bösen hat Shakespeare geschaffen; was auch immer nach ihm in dieser Richtung noch entstanden ist oder entstehen mag: Richard III und Makbeth (der aber noch andere Seiten hat, die in andern Zusammenhang gehören,) sind einzelne Werke, die den absoluten Werth von Gattungen haben. Daß und wie die Tragödie des Bösen und der Leidenschaft sich naturgemäß verbindet, zeigt Othello und Lear. Die Tragödie des guten Willens ist natürlich nicht ein Bild der fleckenlosen Tugend, sondern des edlen Strebens und Wirkens mit Schuld, wenigstens nicht ohne innern Kampf, wie ihn Göthe's Jphigenie gegen die Versuchung zur Lüge und zum Undank besteht. Diese Gattung ist jedoch in der ächten Poesie schwach vertreten, weil es sehr schwer ist, reine Charaktere zu behandeln, ohne ihnen den Schatten zu entziehen, den das Tragische fordert, und sehr leicht, in ein Gemälde der platten Rechtschaffenheit und das falsche Bild des Tragischen zu verfallen, wie dieß im bürgerlich rührenden Schauspiele der Fall war. Es entsteht die Frage, ob nicht noch eine weitere Form aufzustellen sei, nämlich eine Tragödie des Bewußtseins. Jm Makbeth fällt schließlich das stärkste Gewicht auf das Gewissen, seine Phänomene, Bewegungen, Geschichte; im Hamlet liegt es von Anfang bis Ende auf der Reflexion, die den Willen nicht zum Handeln kommen läßt. Es ist aber bedenklich, eine eigene Classe solchen Jnhalts einzuführen; man kann nur sagen: es gibt Dramen, in welchen der Haupt-Accent so eben aus der Handlung und dem Thatsächlichen sich herauszieht und auf die innerlichen Kämpfe legt; wo aber diese zum ganzen Jnhalt werden, da sind sie theoretisch und solche Werke, wie Göthe's Faust, behalten ihren unendlichen Werth, sind aber schwebende Formen, die zu wenig Handlung und festen Körper haben, um eigentliche Dramen genannt zu werden. Wir haben die neuere Schicksalstragödie als eine Verirrung erwähnt. Jst es aber nicht logisch gefordert, daß auch eine Form unterschieden werde, die diesen Namen ohne Tadel trägt? Wenn nach der Seite der Auffassung eingetheilt und danach eine Prinzipien- und Charaktertragödie unterschieden wird, so scheint ein dritter Fall übersehen, wo das Hauptgewicht auf den tragischen Gang der Handlung fällt. Die Alten hatten eine solche Gattung; Aristoteles (a. a. O.) nennt sie die verwickelte und erklärt dieß dahin, daß hier das Ganze in Erkennung und Umschwung bestehe. Der König Oedipus ist das reinste Bild derselben. Allein dieselbe kann nur in der Poesie des classischen Alterthums auftreten, und zwar deßwegen, weil nur diese ein vorausgesetztes, neidisch auflauerndes, nicht aus den Handlungen der Menschen sich entwickelndes Schicksal kennt. Was den Griechen normal war, ist uns abnorm, daher ist eine moderne Schicksals-Tragödie eine schlechte Tragödie. Anders verhält es sich, wie wir sehen werden, in der Komödie; hier kann der Gang, die Verwicklung, die Bewegung zum Schlusse so das Uebergewicht über das komische Pathos und die Charaktere haben, daß darauf eine durchgreifende Eintheilung zu gründen ist. §. 912. Der Unterschied der Auffassung verhält sich zu dem des Stoffes so, daß am bestimmtesten der historisch politische Schauplatz die Bedingung zu der Prinzipien-Tragödie enthält, wogegen der sagenhaft heroische und der bürgerliche, das Privatleben mehr auf das Charakter- und Sitten-Drama führt; jedoch beides keineswegs ausschließlich, denn im bürgerlichen Gebiete treten Conflicte tiefer und allgemeiner Art auf, welche die soziale Prinzipientragödie begründen, im historisch politischen kann sich der Nachdruck doch dem Charakter zuwenden und das sagenhaft heroische lädt zu einem gewissen Gleichgewichte von Prinzipien- und Charakter- (oder Sitten-) Tragödie ein. Daß der historisch politische Stoff am entschiedensten zur Prinzipien= Tragödie führt, bedarf keines Beweises; dagegen arbeitet die umbildende Sage aus den Ereignissen und Thaten eines noch unbefestigten öffentlichen Lebens das allgemein Menschliche heraus; es ist in den classischen Tragödien, im Lear, Makbeth, Hamlet nicht gleichgültig, daß es sich um Heroen, Fürsten, Völker, Staaten handelt, das menschliche Pathos gewinnt andere Bedeutung auf dieser monumentalen Höhe, aber den Mittelpunct bildet doch nicht ein Kampf zwischen einer bestehenden politischen Ordnung und einer Jdee, die sie zu stürzen, organisch umzugestalten strebt, sondern Charakter, Grundempfindungen des menschlichen Lebens, innere Zustände des Gemüths, Sitten. Die Stoffe der bürgerlichen Gesellschaft haben wir in §. 910, Anm. von denen des Privatlebens dadurch unterschieden, daß sie soziale Fragen enthalten. Doch führt dieß noch nicht unmittelbar zu der Prinzipientragödie; auch so kann der Nachdruck auf Leidenschaft und Charakter liegen, und daß ebendieß der Sphäre des engeren Privatlebens natürlich ist, erhellt von selbst. Allein diese Sätze gelten keineswegs unbedingt. Daß der historisch politische Schauplatz je nach seiner Beschaffenheit auch zur Charakter-Tragödie führt, beweist Shakespeare's Coriolan, Antonius und Cleopatra, Heinrich V . Weichen und passiven Naturen, leidenden Frauen, wenn sie Hauptpersonen sind, ist tragische Würde nur dadurch zu geben, daß ihnen um so mehr menschliche Theilnahme gesichert wird; so neigen sich Shakespeare's Richard II und Schiller's Maria Stuart von prinzipiell politischen zu Charakter- und Sittentragödien. Die schneidenden Conflicte der bürgerlichen Gesellschaft führen nicht nothwendig, aber doch entschieden drängend zu einer Behandlung, welche das Jnteresse an den prinzipiellen Conflicten des Rechts, des Herzens, der Ehre, des Anspruchs auf Glück und Besitz mit festgewurzelten Vorurtheilen der Gesellschaft, Einrichtungen, Vorrechten, Stände-Unterschieden stärker betont, als das Jnteresse an den Charakteren und Leidenschaften: eine Form, die in der modernen Zeit zu großer Bedeutung berufen ist. Schiller erhob das bürgerliche Charakterstück durch Kabale und Liebe in diese Sphäre. Daß wir die Absichtlichkeit der eigentlichen Tendenz auch hier, wo sie am nächsten liegt, aus der wahren Poesie wegweisen, folgt aus allen Vordersätzen des Systems. Hettner (a. a. O. S. 86 ff.) nennt diese Gattung das Drama der Verhältnisse und will strenge zwischen Conflicten mit vorübergehenden Vorurtheilen, Einrichtungen der Gesellschaft und mit bleibenden unterscheiden. Allein die Grenze ist kaum zu ziehen; der menschliche Geist schafft sich in der Gesellschaft immer neue Formen und verhärtet sich dann in ihnen, so daß sie zur Grausamkeit werden, bis er sie endlich stürzt; mag je für die Gegenwart auch eine solche Form ganz veraltet sein, so erkennen wir doch darin ein Bild derselben Verhärtung, die in anderen Formen auch heute da ist und stets wiederkehrt, und das allgemeine, bleibend menschliche Jnteresse wird daher nicht fehlen, wenn nur nicht ganz zufällige und unserem Bewußtsein, unserer Cultur allzufern liegende Collisionen statt tiefwurzelnder behandelt werden. ─ Die Tragödie des engeren Privatlebens endlich kann sich doch auch zur Hervorstellung des Prinzipiellen hinneigen, wenn z. B. in Collisionen wie zwischen Liebe und Ehre, Liebe und Kindespflicht das Gewicht von der besondern Färbung der Charaktere mehr auf das allgemein Sittliche verlegt ist. §. 913. Die classisch ideale Stylrichtung steht in natürlichem Anziehungsverhältniß zu den sagenhaft heroischen und historisch politischen Stoffen, die naturalistische und individualisirende zu denen des bürgerlichen und Privat-Lebens. Allein auch dieß Verhältniß ist kein ausschließliches; insbesondere ist im letzteren Styl eine dem idealen Schwunge des ersteren bei allem Gegensatze tief verwandte oder durch Aneignung desselben erhöhte Form von einer im engeren Sinne naturalistischen zu unterscheiden, die sich zu den Stoffgebieten so verhalten, daß jene auch den großen Gegenständen der zwei ersten, diese nur den weniger erhabenen der andern Sphären angemessen ist. Die Stylfrage, deren geschichtliche Beleuchtung wir vorangeschickt haben, tritt also jetzt als ein Moment in der Eintheilung der Formen ein. Der erste Satz des §. bedarf keiner Erörterung und wir wenden uns sogleich zu dem tiefen Unterschiede innerhalb des charakteristischen Styls, den der Schlußsatz zugleich mit seiner Beziehung zu den Stoffgebieten hervorhebt. Es ist klar, daß unter der Gestalt dieses Styls, die als eine bei allem Gegensatze doch dem classisch idealen tief verwandte bezeichnet wird, der Shakespeare'sche verstanden ist. Er steht auf schroff gegenüberliegendem Gipfel und trägt doch einen Kothurn, der ihn den Griechen ganz ebenbürtig macht. Er kann und soll sich aber, wie wir gesehen haben, mit dem Formgefühle des classischen verbinden, noch inniger, als bei Schiller und Göthe. Dieser geläuterte germanisch charakteristische Styl gehört nun ganz den historischpolitischen Stoffen; er kann sich aber auch den Stoffen des bürgerlichen und Privatlebens zuwenden, wie wir an dem reinen Sittenbilde, Göthe's Tasso, sehen, worin der Umstand, daß der Schauplatz ein Hof ist, an dem Begriffe der Sphäre nichts verändert, denn mit der politischen Seite des fürstlichen Standes hat dieß Drama nichts zu schaffen, nur mit der menschlich sozialen. Jm Großen und Ganzen aber, namentlich wenn es nicht durch solchen Hintergrund der edelsten Blüthe der Humanität auf den Höhen der Gesellschaft gehoben ist, führt dieß Gebiet allerdings so viel Nöthigung mit sich, in die realen, harten, selbst prosaischen Lebensbedingungen tief einzugehen, daß hiedurch der charakteristische Styl im engeren Sinne der Naturwahrheit bedingt ist und hiemit auch die prosaische Sprache. §. 914. Sämmtliche Stoffgebiete, Auffassungen und Stylrichtungen können sich im negativ oder positiv Tragischen bewegen und es läßt sich nur bedingt aussprechen, daß der Schauplatz des bürgerlichen und Privatlebens im Allgemeinen mehr die zweite Form zu begründen geeignet sei. Wichtig ist neben der größeren oder minderen objectiven Härte des Conflicts der Unterschied der Charaktere, indem der freiere, sittlich harmonische das Mittel ist, auch den schwereren Conflict glücklich zu lösen. Je fühlbarer dieser Schluß von Anfang an gesichert erscheint, desto stärkere Einmischung des Komischen ist gerechtfertigt; womit aber auch der Uebergang in die Komödie eintritt. Es ist wiederholt gesagt worden, daß ein Drama tragisch zu nennen ist, mag der Ausgang auch ein glücklicher sein, wofern nur der endliche Sieg einer guten Sache als Werk einer Weltordnung sich darstellt, die den Helden durch Leiden führt, in denen er als ein nicht schuldloses, vielmehr der Prüfung und Läuterung bedürftiges Werkzeug derselben erscheint. Es bleibt aber dennoch dabei, daß das negativ Tragische die wahrere, tiefere, bedeutendere Form ist. Die Geschichte hat Momente, wo sie einer versöhnten Weltanschauung, dem Glauben an den Sieg des freien und guten Geistes schon durch den Stoff entgegenkommt; ein solcher Stoff ist der des W. Tell. Allein die Dichtkunst faßt die Geschichte als bewegtes Ganzes auf, behält im Auge, daß es kein ruhendes Vollkommenes gibt, und premirt auf diesem Standpuncte das negative Moment der Bewegung, den Kampf, worin jede einzelne Kraft im Leiden bekennen muß, daß sie nicht rein, daß sie nicht das Ganze ist, und darum zieht sie es vor, den ewig neuen Sieg im ewigen Kampfe nur in der Perspective zu zeigen. Die dramatische Literatur hat daher nur wenige bedeutende Dramen mit glücklichem Ausgang aufzuweisen. Daß die Sphäre der bürgerlichen Gesellschaft und des Privatlebens zu einem solchen eher neige, läßt sich nicht objectiv, sondern nur subjectiv behaupten; d. h. sofern die weniger heroisch gehobene Stimmung dieser Stoffe es mit sich bringen mag, daß der Dichter den schneidenden Conflicten aus dem Wege geht, an denen es natürlich in beiden Gebieten nicht fehlt. Das im engeren Sinne sogenannte Schauspiel, das bürgerliche Rührstück, bedurfte den glücklichen Schluß, nachdem es seinen Standpunct in einer trivialen Ansicht von der göttlichen Gerechtigkeit genommen hatte, als wäre sie juristische Belohnung und Bestrafung (vergl. §. 128, Anm. 2.). Sie kannte keine wirkliche, nothwendige Conflicte, dieß und die in's Kleine malende Art des charakteristischen Styls war eigentlich komödisch und es ist nur Schade, daß so viel Gutes, wie es sich in jener Literatur findet, nicht im Zusammenhange von Komödien steht. Jn seinem Nathan vergißt Lessing, welchen schweren Conflict zwischen dem Fanatismus des Christenthums und der reinen Humanität er angelegt hat, und schließt die Handlung schlecht im Sinne des bürgerlichen Familienstücks. Der Patriarch mußte zum Aeußersten schreiten, der Templer in einem spannenden Momente furchtbarer Gefahr als Retter Nathan's auftreten und dadurch seine Erhebung aus dem Dunkel des Vorurtheils vollenden; dann möchte dieses Drama immer glücklich schließen, nur nicht mit einer Erkennung, worin Liebende zu Geschwistern werden müssen. Es ist hier vor Allem der freie, klare, harmonische Charakter des Nathan, der ein positives Ende fordert; so in Göthe's Jphigenie der Charakter der Heldinn, von dessen himmlischer Reinheit heilende, sittliche Wirkungen nach allen Seiten ausgehen, so Heinrich V in Shakespeare's Drama, ein Held, der von Anfang an gegen H. Percy die lichte, elastische, freie, zum Sieg über sich und dunkle, blinde, wilde Kräfte berufene Kraft darstellt. Die Charakter-Auffassung ist die eine der spezielleren Grundbedingungen glücklichen Ausgangs; sie kann mit der andern, der minder schneidenden Härte des Conflicts, Hand in Hand gehen oder, was jedoch natürlich das Seltnere ist, in siegreichen Widerspruch mit schroffem Conflicte treten. Zu den leichteren Conflicten gehört eine Situation wie die in Heinr. v. Kleist's Prinzen Friederich von Homburg, es ist der Widerstreit zwischen Subordination im Krieg und jugendlichem Heldenmuth; er wird gelöst durch die schlichte Weisheit und Größe des Kurfürsten; dagegen in Göthe's Jphigenie sehen wir eine Collision von furchtbarer innerer Schwere, den Kampf zwischen Bruderliebe und zwischen der Pflicht der Dankbarkeit und Wahrhaftigkeit nur durch tiefes, inneres Ringen eines idealen weiblichen und humanen männlichen Charakters (des Thoas) sich lösen. ─ Wir kommen nun auf das zurück, was zu §. 909 über den Eintritt des Komischen bei Anlegung auf glücklichen Schluß bemerkt ist. Shakespeare gibt der Gewißheit eines glücklichen Ausgangs, wo sie sich schon in der Anlage der Handlung ankündigt, immer die Folge, daß er das komische Element weit über den Grad verstärkt, den der charakteristische Styl auch im negativ Tragischen zuläßt, und zwar bis dahin, daß selbst Heinrich V eine Komödie hieße, wenn er seine Stelle nicht in einem Zusammenhang hätte, der den Namen historisches Drama begründet. Es wäre gut, wenn ihm mehr gefolgt würde, aber es verdient allerdings nicht durchaus Nachahmung, denn es muß ernsten Zusammenhang geben, der glücklichen Ausgang bedingt und doch gebietet, das Komische, mag es sich auch hervorthun, zu mäßigen, ihm namentlich in der Nähe der schweren Entscheidungsmomente Schweigen zu gebieten; es muß namentlich dem direct idealen Style der modernen Dichtung unbenommen bleiben, eine lichte Weltanschauung in Dramen mit positiv tragischem Ausgang so niederzulegen, daß er dabei seine „folgerechte, Uebereinstimmung liebende Denkart“ (wenn sie nur übrigens nicht ungerecht urtheilt, wie Göthe über die komischen Figuren in Romeo und Julie) behauptet. §. 915. Die Komödie unterscheidet sich dem Stoffe nach wie die Tragödie in eine politische und eine solche, die im bürgerlichen und Privatleben spielt; die Natur des Komischen bringt es mit sich, daß die letzteren Sphären die dauernder und fruchtbarer angebauten sind und daß die Leidenschaft der Liebe den Mittelpunct des Jnhalts bildet. Das Mythische kann sich mit beiden Hauptgebieten verbinden, ist aber in der Komödie weit mehr Sache der freien Erfindung, als in der auf sagenhaft heroischem Grunde ruhenden Tragödie. Die ausführliche Darstellung des Komischen nach allen seinen Momenten und Hauptformen, die im ersten Theile gegeben ist, enthebt uns der Obliegenheit, Allgemeines über das Wesen der Komödie vorauszuschicken. Auch dieß ist schon nachgewiesen, daß das Wesen des Komischen in keiner Kunstform zu so voller und erschöpfender Gestalt gelangt, wie im Drama; das Weitere über spezifische Bedingungen der dramatischen Gestaltung des Komischen bringt die Darstellung der verschiedenen Arten von selbst hinzu. ─ Das Komische führt seinem innersten Wesen nach in die Stoffwelt des sozialen und Privat-Lebens mit seiner ausgebildeten und in der Spezialität der Motive vom Auge der Bildung belauschten Subjectivität. Die colossale politische Caricatur der Aristophanischen Komödie ist eine durchaus großartige Erscheinung, steht aber auch in dem Sinn einzig da, daß diese ganze Form bis jetzt nicht wiedergekehrt und daß es zweifelhaft ist, ob sie wiederkehren kann. Die Schwierigkeit der Frage liegt darin, daß sie nicht nur ein wahrhaft politisches Leben und volle demokratische Freiheit voraussetzt, sondern wirklich auch nur da möglich zu sein scheint, wo der Sinn für das Subjective, das Privatleben überhaupt noch nicht erschlossen ist: so wie dieser aufgeht, wirft sich als Lustspiel auf die belauschte Kleinwelt und nach dieser Seite war der Uebergang zur neueren Komödie in Griechenland ein Fortschritt. Es kann nicht die Meinung sein, daß das Wichtige und Große, Gesetz, Staat, Religion, bedeutender Moment der geschichtlichen Politik nicht der Komik unterworfen werden dürfe oder könne, aber wie die neuere Zeit diese Stoffe anfaßt, so hören sie im Grund auf, eigentlicher Gegenstand des dargestellten komischen Vorgangs zu sein: die kleinen Leidenschaften und Zufälle, die Gespinnste der List, aus denen die große Politik in Stücken, wie jene zierlichen französischen Lustspiele, das Glas Wasser von Scribe und and., abgeleitet wird, treten in den Mittelpunct, werden der positive Jnhalt, wogegen bei Aristophanes freilich auch der Egoismus mit allen seinen Niedrigkeiten es ist, worin das Große, Oeffentliche, Monumentale sich ironisirt, aber nicht so, daß das Kleinliche neben den politischen Zwecken seine Rolle spielt und diese zu blos scheinbaren herabsetzt, sondern, daß es doch mit diesen Ernst ist, die Verkehrtheit sich wirklich in sie selbst legt und so als große politische Narrheit auftritt. Darf man hoffen, daß eine solche Form wieder aufstehe, so ist es nur möglich in einem großen politischen Moment, etwa einer siegreichen Revolution, wo Alles politisch gestimmt ist, wo das Treiben der Besiegten als ein großartiger, tragikomischer Wahnsinn erscheint und wo der Sieger zugleich großmüthig und klar genug ist, sich selbst, seine Sünden und Schwächen mit in den Taumel des Humors zu werfen. So talentvolle Versuche wie die politische Wochenstube von Prutz sind ein Beweis, daß wenigstens den Deutschen die Ader nicht fehlt. Der größere Theil des Jnhalts in diesem Versuch ist allerdings literarische Satyre. Wir haben die Literatur nicht als Stoffquelle im §. aufgeführt; denn die unbedingte Popularität und Oeffentlichkeit, die Verwachsung mit dem politischen Leben, deren sie sich in Griechenland erfreute, kann nicht wiederkehren (vergl. Hettner D. moderne Drama 162); Komödien wie Tieck's gestiefelter Kater können daher in der neueren Zeit schon aus diesem Grunde nur Lesedramen für wohlbewanderte Kreise sein. ─ Die Sphäre der sozialen Komödie unterscheiden wir wie in der Eintheilung der Tragödie als die bürgerliche von der des eigentlichen Privatlebens: es handelt sich von Verkehrtheiten, welche durch bestimmte Einrichtungen, Gewohnheiten, Verhältnisse der Gesellschaft bleibend gegeben sind und aus welchen Typen entstehen, wie der Adelstolze, der bürgerliche Emporkömmling, der Heuchler (Tartuffe), der Charlatan, der Büreaukrat, der Philister, der geplagte Ehemann u. s. w. Das Gebiet liegt innerhalb des nicht politischen Stoffkreises zunächst an der Grenze des letzteren und nimmt historisch=politische Zustände gern zum Hintergrund. Man kann allgemeiner sagen, die Komödie lege es oft mehr auf ein Bild der gegebenen Zustände, der Sitte, als der besondern Fabel an, und die unbestimmte Masse, die unter diesen Standpunct fällt, zur sozialen Komödie rechnen. Spielt ein solches Stück in der feineren Gesellschaft, so ist es sehr natürlich, daß sich die Handlung an dem Faden der geistreichen, witzigen, beweglichen Conversation verläuft und das Hauptabsehen sich auf diese richtet: das Conversationslustspiel, worin begreiflich die Franzosen ihre Hauptstärke haben. ─ Das Lustspiel des gemeinen Privatlebens lehnt sich wohl an Verhältnisse und Sitten, nimmt aber sein Motiv nicht aus den chronischen Verhärtungen, welche hier eine Welt des Unbequemen und Verkehrten hervorbringen, sondern aus der menschlichen Natur wie sie an sich und jederzeit beschaffen, zu bestimmten Leidenschaften, Verirrungen geneigt ist und in unendliche Collisionen mit der Wirklichkeit geräth. Daß die Liebe in beiden Sphären die Hauptrolle spielt, bedarf nach den Andeutungen des §. 322 keiner weiteren Erklärung; knüpfen sich im modernen Jdeale die Metamorphosen der sich entwickelnden Persönlichkeit im ernsten Sinn an diese innigste Genugthuung der Subjectivität, so wird die Parodie des Ernstes, die wesentlich das Subjective aufsucht und dem Menschen in sein Geheimstes nachschleicht, dasselbe Motiv mit der größten Vorliebe ausbeuten und die Noth der Liebenden lustig mit einer Heirath oder mehreren schließen. ─ Jn der Tragödie haben wir eine Form unterschieden, die auf sagenhaft heroischem Grunde ruht; in der Komödie kann von solch' großem Jnhalte nicht die Rede sein; zwar hat das Satyrspiel, zum Theil auch die griechische Komödie den komischen Keim, der in den Göttern und Heroen lag, kühn ausgebeutet, im Ganzen und Großen aber kann es nur die Verwendung mythischer Motive zu einer frei ersonnenen phantastischen Fabel sein, was der sagenhaft heroischen Tragödie logisch an die Seite zu stellen ist; dem griechischen Komiker diente die mythische Anschauungsform überhaupt, Alles zu personificiren und sich eine tolle Wunderwelt jenseits des Naturgesetzes zu schaffen; den neueren steht die Poesie des romantischen Aberglaubens zu Gebote, wie Shakespeare die Elfen, den Zauber in heiterer Weise verwendet; er hat aber freie Hand, auch in den classischen Mythus zu greifen, ja diesen und den mittelalterlichen in humoristischer Willkür zu vermengen. Man erkennt jedoch, daß wir hier aus der Eintheilung, wie sie sich zunächst rein auf den Stoff gründet, heraustreten: das Komische bringt es mit sich, daß das Gewicht sogleich auf die freie Willkür in Ausspinnung der durch Glauben und Sage gegebenen Motive fällt; da entsteht die Frage, wie weit eine hierauf gebaute Fabel noch zeitgemäß sei, und wenn, mit welchen Stoffen sie sich am naturgemäßesten verbinde u. s. w.: diese Frage gehört aber in andern Zusammenhang. §. 916. Der Seite der Auffassung nach kann es im komischen Gebiete nicht einen ebenso bestimmten Unterschied von Prinzipien- und Charakterdrama geben, wie in der Tragödie, dagegen tritt mit entscheidender Kraft ein anderer auf, der darin besteht, daß das Komische entweder aus den Charakteren oder dem Schicksale, d. h. hier, dem Spiele der List und des Zufalls, entwickelt wird: Charakter- und Jntriguen-Lustspiel. Jene Form ist die tiefere, diese mehr Sache des formellen, doch spezifischer dramatischen Talents; der Gegensatz soll nicht einseitig, sondern bloßes Uebergewicht der einen oder andern Auffassung sein. Es bedarf hier keiner besondern Bestimmung darüber, wie sich die vorliegende Eintheilung zu der ersten verhält, denn es leuchtet ein, daß der eine oder andere Stoff nach Beschaffenheit oder Auffassung im Sinne der Charakter- oder Jntriguen-Komödie behandelt werden kann. Diese Unterscheidung ist es, welche im komischen Gebiete an die Stelle des Gegensatzes von Prinzipien- und Charakterdrama tritt. Die politische Komödie des Aristophanes und die moderne soziale kann zwar in entfernter Bedeutung Prinzipienkomödie heißen, da sie ein Bild der Endlichkeit und Verkehrung objectiver Lebensmächte gibt, allein das Gewicht fällt doch in allem Komischen so stark auf das Subjective, auf die Willkür, Narrheit, Schwäche und Eitelkeit als den Grund jener Verkehrung, daß der Unterschied dieser Form von der ganzen übrigen Masse viel zu relativ ist, um einen stehenden Gegensatz zu begründen. Dagegen konnte im ernsten Gebiete der Unterschied von Charakter- und Schicksals-Drama keine eingreifende Bedeutung gewinnen: nur entfernt kann man eine Tragödie der grausamen Gewalt der Verhältnisse Schicksalstragödie nennen und was in der modernen Poesie gewöhnlich so heißt, hatten wir nur als eine Verirrung aufzuführen. Jn der Komödie verhält sich dieß anders, hier kann der Nachdruck der Behandlung ganz entschieden auf die Seite des Ganges der Handlung, auf die dramatische Bewegung fallen. Zunächst bildet hier ein Hauptmoment die List und diese fließt allerdings aus dem Charakter, doch nicht aus der Tiefe der Jndividualität, sondern einfach aus der untergeordneten Sphäre der Jntelligenz, welche im Lustspiel eine natürliche Herrschaft behauptet. Es ist aber nicht die List an sich, sondern ihre Kreuzung mit den frappanten Schlägen des Zufalls, was die Form des Jntriguenlustspiels begründet. Die Zufälligkeit ist im Komischen berechtigt, ihrem ganzen Umfange nach losgelassen (vergl. §. 150); sie tritt an die Stelle des Schicksals. Jm Tragischen ist ein Schicksal, das sich nicht aus den Handlungen entwickelt, das wie aus einem Hinterhalte dem Menschen auflauert, ein Fehler; das Komische dagegen als durchgeführte Handlung, als Drama, ist gerade seinem Wesen nach ein Spiel zwischen der Freiheit und einer Macht, die unvermuthet, unberechenbar von außen eingreift, überrascht, neckt, völlig irrational und doch wieder wie ein kluger, neckender Dämon erscheint, ganz ähnlich dem Verhältnisse von Zufall und Berechnung im Kartenspiel (vergl. St. Schütze, Vers. einer Theorie d. Kom. S. 76). Negativ rechtfertigt sich diese Macht des Zufalls dadurch, daß sie kein ernstliches Uebel bewirkt, positiv aber dadurch, daß im Komischen der Mensch selbst als relativ unbewußt, hiemit als bloße Natur gesetzt ist, daher er dem Naturzufall nicht zürnen kann. Nun bietet er allerdings seinen Verstand auf, alle Mittel der List, je feiner, desto besser; zunächst kämpft List mit Unverstand, größere mit geringerer auf der menschlichen Seite, aber alle Kämpfenden miteinander schwanken zwischen Vernunftwesen und bloßen Naturwesen, weil die List, so fein sie sein mag, eine mehr thierische Kraft bleibt; dieser Kampf zwischen Mensch und Mensch nun wiederholt sich im Verhältniß der Menschen zum Zufall, dem unwillkürlich ebenfalls List untergeschoben wird. Die Unterschiebung ist im komischen Drama noch spezieller begründet, als im Komischen überhaupt, weil hier Alles Handlung und Berechnung ist, daher ganz natürlich diese Auffassung auf den Zufall übergetragen wird, als wäre er ein Mitspieler, der Gegner im Schachspiele; sie hat aber auch eine Wahrheit: was der Mensch durch den Zufall erlebt, bleibt imputabel, weil er sich mit seinen Wünschen, Gelüsten, Wollen und Berechnen ganz in das Element einläßt, worin der Zufall waltet; die eigene Zurechnung aber legt dem Zufall naturgemäß einen Zurechner unter. Alle ächten, glücklichen Lustspielmotive drehen sich um einen schlagenden Moment des neckenden Spiels zwischen Berechnung und Zufall. Allein dieß Verhältniß kann auch so behandelt werden, daß es das Motiv bildet, um die Aufmerksamkeit auf das Spiel des Hellen und Dunkeln, des Bewußten und Unbewußten im Jnnern des Menschen hinzuleiten, und darauf gründet sich das Charakterlustspiel im Unterschiede vom Jntriguenlustspiel. Es ist kein Zweifel, daß dasselbe die tiefere Seite der Komik ergreift; das Zwielicht im Geiste, die wunderbaren Verschiebungen und Reflexe des Vernünftigen und der Grille, des festen, klaren Wollens und der Schwäche, des dunkeln Triebs, der Selbsterkenntniß und der Blindheit, des Sinns im Wahnsinne, des Wahnsinns im Sinne, alle die irrationalen Brüche im originellen Menschen und die Widersprüche des Humors: da liegt ohne Frage eine tiefere Komik, als in dem mathematischen Witze der Kreuzungen von List und Zufall. Wir haben schon in der allgemeinen Erörterung der Stylgegensätze den romanischen Völkern, namentlich Spaniern und Franzosen, vorherrschend das Talent für diese zweite Seite zugesprochen (vergl. §. 908). Die spanischen Mantel= und Degenstücke, so weit sie zur Komödie gehören, sind wesentlich Jntriguenstücke; Moliere ist als Charakterzeichner berühmt, aber seine Charaktere sind nicht Jndividuen, sondern Typen, und der komische Accent fällt daher nicht auf verschlungene Tiefen der Subjectivität, sondern auf die Situation, worin der Charakter seine stehenden maskenhaften Züge entwickelt; die ganze neuere Lustspiel-Literatur der Franzosen aber zeigt, daß es das Spiel der Jntrigue ist, was ihrer zierlichen Hand, ihrem disponirenden, mathematisch witzigen romanischen Geiste besonders ansteht. Niemals haben wir sie in ihrer leichten, schwebenden Bewegtheit, ihrem heiteren Witze der komischen Schläge im Gange der Handlung erreicht. Witz ist allerdings weniger, als Humor. Der germanische Geist ist stets der concreteren Komik des Charakterlustspiels nachgegangen; von Shakespeare's Komödien sind eigentlich nur die Jrrungen ein Jntriguenstück zu nennen; aber Shakespeare hatte zum Humor, der eine komische Charakterwelt erfand, den leichten Witz der Composition einer Handlung, welche mehr oder minder Jntrigue ist, und hier fehlt es den Deutschen. Der Grund, warum wir so arm sind an Komödien, liegt zum Theil allerdings in dem Mangel einer Gesellschaft, einer großen Tonangebenden Hauptstadt mit der gleich fließenden Stoffquelle komischer Typen, komischer Verhältnisse, zum Theil auch im Mangel politischer Freiheit, weit mehr aber in einer Einseitigkeit des Talents, die wir zu §. 899 schon erwähnt haben: der deutsche Genius besitzt alle Tiefe für die inhaltsvollere Seite, die humoristische Charakterschöpfung, und entbehrt die Leichtigkeit für die formellere Seite, für die Composition der Handlung, die ja eben irgendwie immer Jntrigue sein muß. So kommt es, daß der tiefer begabte Geist nichts machen kann, weil ohne Handlung kein Drama denkbar ist, und vom leichteren überholt wird, der frischweg eine Handlung erfindet und oft mit nichtigen, Schablonenhaften, selbst frivolen, nicht komischen Charakteren wie mit Rechenpfennigen witzig spielt, und daß wir in unserer Armuth noch an einem Kotzebue dankbar zehren müssen. Wir haben ähnliche Trennungen des an sich Zusammengehörigen in aller Kunst, namentlich auch in der bildenden beobachtet. Es gilt auch hier, was von allem Dramatischen gilt, daß das Talent für die Composition der Handlung, wenn auch das weniger tiefe, doch das von der Gattung spezifischer geforderte ist. Freilich dürfen wir uns mit unserem Sinne für Charakter-Tiefe auch nicht zu sehr brüsten, er verläuft sich in eine fatale Neigung, das Seltsame, Grillenhafte, was auch nicht komische Wahrheit hat, für Tiefe der Jndividualität zu geben. ─ Der Unterschied des Charakter- und Jntriguenstücks wird und soll bleiben, aber das letztere mit leeren, blos schematischen oder blos skizzirten Charakteren ist hohl und das erstere mit schwacher Fabel bewegt sich nicht, klebt, wird bloßes Lesedrama. §. 917. Der Unterschied der Style ist in der Komödie von ungleich geringerer Kraft, als in der Tragödie, da die ganze Gattung vermöge der Natur des Komischen zum charakteristischen Style drängt. Der classisch ideale äußert sich theils durch mehr generalisirende, typische Behandlung der Charaktere, theils durch phantastische Personificationen und Handlung, daher das Mythische (§. 915) eigentlich hier seine Stelle findet; diese Art der komischen Jdealität fordert zugleich rhythmische Sprachform, während dem entgegengesetzten Style die Prosa angemessen ist; ursprünglich hat sie sich mit dem politischen Stoffe verbunden. Der Styl-Unterschied ist schon in §. 906 in Beziehung auf den Uebergang von der alten zur neuen Komödie in der griechischen Poesie berührt und gesagt, daß derselbe nach der einen Seite ein Fortschritt sei, weil das Wesen des Komischen auf die ausgebildete Kleinwelt des Privatlebens führe. Es folgt dieß einfach aus der Begriffs-Entwicklung dieser Grundform des Schönen im ersten Theile des Systems; der Komiker spezialisirt, detaillirt, weil er das unendlich Kleine gegen das Erhabene in den Kampf führt; was durch die Würde der tragischen Jdee auch im charakteristischen Style nothwendig gebunden und gedämpft wird, die Naturwahrheit, die Einzelzüge menschlicher Eigenheit, die Härten der Existenz und jedes geselligen Verhältnisses, das eben entbindet er und sein Blick ist ein mikroskopischer. Der Gegensatz eines charakteristischen und eines classisch idealen Styles ist daher für die Komödie ein im engsten Sinne nur relativer und Aristophanes selbst im Vergleiche mit Sophokles so naturalistisch und individualisirend, als Rembrandt und Teniers im Vergleiche mit Raphael. Trotz dieser Relativität ist der Styl= Unterschied vorhanden. Der §. setzt ihn zunächst in die Behandlung des Charakters. Die Komödie der romanischen Völker hat denselben, wie in anderem Zusammenhang schon öfters gesagt worden ist, von jeher typisch behandelt: es sind die Masken=artig scharfgeschnittenen Figuren des zärtlichen Vaters, gutmüthigen Polterers, schelmischen und dummen Bedienten, Geizhalses, Charlatans, Hypochondristen, Heuchlers, Jntriguanten, Renommisten, Biedermanns u. s. w., die in der Schauspielkunst Rollen-Fächer heißen. Die Typen sind durch ihre Einfachheit schlagend, entschieden ausgeprägt wie das Bild menschlicher Eigenschaften in den Charakteren der Thierwelt, aber es sind keine wahren Jndividuen mit der verwickelten, unausmeßbaren Vielheit von Eigenschaften, die das wirkliche Einzelwesen, so bestimmt auch Eine Eigenschaft in ihm herrschen mag, charakterisiren. Diese Richtung des Geistes der romanischen Komödie stammt durch verwandte Anschauungsweise und wirkliche Nachahmung von der neueren Komödie der Alten; ihre Charaktere sind die reinen Abkömmlinge der letzteren, und diese, obwohl sie in anderer Beziehung den Aufgang des charakteristischen Styls darstellt, ist doch in der Charakterbehandlung auf ihre Art einfach und uncolorirt wie die Statuen=artigen Gestalten der antiken Tragödie; es sind ungleich mehr empirische Züge aufgenommen, aber weit nicht so viele, als der porträt=artige Blick der germanischen Auffassungsweise ergreift und aufnimmt. Dieß läuft denn schließlich auf den Standpunct des mythischen Bewußtseins zurück, dem doch auch die neuere Komödie des antiken Theaters noch angehört: die Gewohnheit, die allgemeinen Grundzüge des Lebens, herausgehoben aus der Verwicklung des Empirischen, in absoluten Personen zu objectiviren, wirkt vereinfachend, nur die wesentlichen Züge entwickelnd auf die Charakterzeichnung in der Kunst. Sie äußert sich aber auch in der besondern Form: in der Person des Narren, des Hanswursts, der in der neueren Komödie der Griechen und bestimmter in der römischen schon auftaucht, im Mittelalter fortlebt und in den Anfängen der modernen Komödie, wie noch heute im Volkslustspiel, seine große Rolle behauptet. An dieser Figur kann man recht den Unterschied der Style erkennen, denn im charakteristischen ist Alles gegenseitig bedingt, die Komik liegt im dialektischen Zusammenhange des Ganzen und ist an die Einzelnen nach Maaßgabe ihres motivirten Verhältnisses zu der Handlung vertheilt, der Narr dagegen hat in der Handlung nur eine scheinbare Rolle und ist eigentlich die Persongewordene, für sich herausgestellte Komik des Ganzen, ein komischer Gott. Neben ihm treten in der italienischen Volkskomödie, wo er wirklich auch noch die Maske trägt, die Masken=artigen stehenden Figuren des Stotterers u. s. w. auf. Shakespeare hat den Narren noch; er ist aber im Lustspiele wirklich nicht ebenso der Urheber des charakteristischen Styls wie im ernsten Drama; wenigstens nur sofern das Charakteristische in der humoristischen Tiefe der Personen liegt: seine Fabel führt nicht so eng in die Wirklichkeit des Lebens, als der moderne Realismus es mit sich bringt, er liebt phantastische Situation und Handlung. ─ Dieß führt uns auf einen weiteren Grundzug des komischen Jdealstyls, wie er in seiner reinsten Gestalt allerdings nur in der alten, der Aristophanischen Komödie gegeben ist: jenes Gegenbild des Mythischen in der Handlung, die wesentlich wunderbar komisch (vergl. §. 915), also grottesk ist (vergl. §. 440, 3.). Der neueren Zeit steht hiefür statt des classischen Mythus der romantische Glauben, die Elfen=, Feen=, Zauber-Welt des Occidents und Orients, Himmel und Hölle, Engel und Teufel zu Gebote: freilich ein anderes Element, das mit einem vertieften Gemüthsleben zusammenhängt; dennoch wird auch hier, wo es eingeführt wird und eine phantastische Fabel begründet, niemals der Grad von Detaillirung der menschlichen Verhältnisse eintreten können, welche der charakteristische Styl mit sich bringt, denn alles Herausstellen der Motive in der Form wunderbarer Personification führt irgendwie auf die einfachere Jdealität des classischen, plastischen Styls. Wie die typische Charakterbehandlung und die phantastischen Motive in der Fabel sich naturgemäß anziehen, zeigt Gozzi in der Vereinigung der italienischen Masken mit dem dramatisirten Feen= Mährchen; es war der Versuch einer Verjüngung der Volkskomödie, die in Gefahr stand, von dem charakteristischen Style der Kunstdichtung (Goldoni) verdrängt zu werden, ähnlich den späteren Bestrebungen Raimund's in Wien. Es ist wahr, daß die moderne Zeit diese phantastische Komödie der Volksbühne und der Verbindung von Poesie und Musik, der höheren komischen Oper und der volksmäßigen, musikalischen Zauberposse überlassen hat, daß jene Versuche der romantischen Schule, auf den Spuren von Shakespeare's Sommernachtstraum und Gozzi's Stücken, keine gedeihliche Folge haben konnten (vergl. Hettner a. a. O. S. 165. 166); doch haben wir bereits die Meinung ausgesprochen, daß die phantastisch mythische Komik sich unter günstigen Verhältnissen wieder erheben und mit großem politischem Stoffe verbinden könnte (auch Hettner läßt diese Aussicht unbenommen, S. 176 ff.); dieß geschah in den Bemerkungen zu §. 915 und es bestätigt sich nun, was dort gesagt ist, daß die Frage über das Mythische in der Lehre von der Komödie nicht zu den Unterschieden des Stoffs, sondern des Styls gehört. ─ Endlich erhellt von selbst, daß der classisch ideale Styl, so weit er in der Komödie sich entwickeln kann, rhythmische Sprachform mit sich bringt; als komisches Gegenbild der Götterwelt, das die Wirklichkeit aus den Bedingungen des prosaischen Zusammenhangs heraushebt, wird er auch nach dieser Seite der Stimmung jenen Ausdruck geben, daß wir in einer andern, als der gemeinen Welt, uns befinden. Ein Wechsel kühner Versformen wird sich einer modernen hohen Komödie ebenso natürlich darbieten, wie der Aristophanischen. Der charakteristische Styl spricht dagegen zwar nicht nothwendig, aber mit Fug und Recht, je enger er in die Zustände der wirklichen Gesellschaft hereintritt, in Prosa. Er ist und bleibt der höher berechtigte und herrschende, genau, wie in der Malerei, ja noch um so viel mehr, als die Poesie das Komische tiefer erschöpfen, in seine engsten Falten verfolgen kann und muß. §. 918. Die moderne Komödie liebt, namentlich um der Bedeutung willen, die sie der Leidenschaft der Liebe beilegt, einen im ernsten Sinne spannenden und rührenden Mittelpunct und je nach der Jntensität und Ausdehnung dieser Seite entsteht daher ein fließender Unterschied zwischen Werken, die der Tragödie mit glücklicher Lösung verwandt sind, und solchen, die sich in ungetheilterer Komik bewegen (vergl. §. 914). Es ist hier nicht die Rede von jenem Ernste, der den Einen Pol im Wesen des Komischen überhaupt und mit besonderer Tiefe im Humor bildet, sondern von einem bestimmten Jnhalte der Fabel, der eine Spannung für sich in Anspruch nimmt, die sich Furcht- und Mitleid=erregend anläßt. Das Eindringen solcher Motive in das moderne Lustspiel ist zunächst aus demselben Grunde zu erklären wie die Polymythie der modernen Tragödie: wir wollen eine colorirtere, vielfacher gebrochene, eine contrastreichere Welt, und so denn auch hier eine Wirkung der Folie, eine Schärfung des Scherzes durch ernste Unterlage. Dieß hat namentlich in der Composition den Dualismus von zwei Handlungen oder Gruppen zur Folge gehabt, wovon die eine die Jronie der andern ist; eine Anlage, wie sie die Spanier und Shakespeare nicht nur in derjenigen Gattung lieben, die wir nicht hieher zählen, nämlich im Tragischen mit glücklichem Ausgang, im Schauspiele, sondern auch im Lustspiele, wo denn die parodirte Seite entweder im strengeren Sinn ernstes Jnteresse in Anspruch nimmt oder von der parodirenden wenigstens durch erhöhende Sitte und Bildung absticht. Der speziellere Grund der Einführung rührenden Ernstes liegt in dem unendlich vertieften Jnteresse, das die Persönlichkeit und ihr subjectiver Lebensgang für den modernen Geist gewonnen hat; namentlich ist es die Liebe, die für uns mit der Entwicklung des ganzen Menschen in so ernstem Zusammenhange steht, daß wir uns einen spannenden, sentimentalen Grundton im Lustspiele nicht gern nehmen lassen. Damit ist natürlich nicht die breite Phantasielosigkeit gerechtfertigt, die keinen ganzen Humor versteht und nichts zu greifen meint, wenn ihre plumpen Finger nicht ein solides Stück nackter Wahrheit fassen und eine Moral ad saccum schieben können; der verbreitetere Grund des in Rede stehenden Bedürfnisses ist leider dieser prosaische Sinn, der die Wahrheit, daß unsere Komödie in prosaischen Verhältnissen spielt, aber eben aus ihnen ihre komischen Contraste zieht, in die Unwahrheit der Forderung eines prosaischen, stoffartig berechneten Jnhalts verkehrt. Da kann freilich die Shakespeare'sche Komödie nicht mehr verstanden werden, die nicht nur eine Welt phantasiereicher, flüssiger, jeder lustigen Grille Luft lassender Sitte zum Schauplatz hat und daher die Tiefen der Komik aus dem ungehemmt waltenden Charakter schöpft, sondern selbst den schweren Ernst, wo sie ihn einführt, mit dem ganzen übrigen Jnhalt in leichten, perlenden Champagnerschaum, in stofflosen Aether des Humors auflöst. ─ Dieß führt uns in entgegengesetzter Richtung zu dem Puncte zurück, zu dem uns die Tragödie mit glücklichem Ausgang in §. 914 führte. Es ist ein schwankender Unterschied verschiedener Annäherungsgrade an diese Form des Tragischen, der sich aus jener Mischung erzeugt und der sich am besten an Shakespeare's Stücken aufweisen läßt, auf die wir zurückkommen, nachdem wir ebendort bereits gesagt, daß wir ihm nicht schlechthin Recht geben, wenn er eine Tragödie mit glücklichem Ausgang anders, als mit so starker Einmischung des Komischen, daß eine Komödie entsteht, gar nicht kennt. Wir untersuchen hier nicht, ob er im einen oder andern der folgenden Dramen nicht besser das Komische mehr gespart und so das daraus gemacht hätte, was wir gewohnt sind ein Schauspiel zu nennen, sondern sagen nur, daß die verschiedenen Stufen der Annäherung an dieses, wie sie hier sich darstellen, überhaupt möglich sind und bleiben. Die eine steht durch besondere Stärke und Ausdehnung des Ernstes in der nächsten Nachbarschaft des Schauspiels; so der Kaufmann von Venedig, Ende gut Alles gut, Viel Lärmen um Nichts, Sturm, Cymbeline, Maaß für Maaß, das Wintermährchen. Shakespeare hat eine eigene Kraft, das Peinliche, Furchtbare, Schauerliche in ganze und anhaltende Wirkung zu setzen und ihm doch einen leichten, schwebenden Charakter zu geben, so daß man es von Anfang an nur wie einen bösen Traum fühlt; ein Reich des Lichtes, Gewißheit des über Dämonen siegenden Geistes, gießt seine Strahlen darüber aus, gesammelt in Charakteren wie Porzia. Nach dieser Form folgt eine zweite, worin das Komische entschiedener überwächst, aber ein rührender, sentimentaler Hauptfaden hindurchgeht; hieher gehören H. Dreykönigsabend, So wie es euch gefällt, hieher auch die ganze Hauptmasse des neueren Lustspiels, nur daß kaum irgendwo das Sentimentale in jenen tiefen, fließenden, immanenten Zusammenhang eines humoristischen Charakters gestellt ist wie namentlich in dem letzteren Stücke Shakespeare's und dessen Hauptfigur, der herrlichen Rosalinde. Endlich öffnet sich ein Feld, worin auch das Rührende vorneherein so leicht genommen, in so heitere Bedingungen hineingestellt ist, daß wir uns von Anfang bis Ende in der Sphäre des reinen Spiels befinden; Shakespeare's Der Liebe Müh' umsonst, Gezähmte Böse, Sommernachtstraum gehören hieher. Wir enthalten uns, aus der Masse des Modernen weitere Beispiele einzureihen, aber wir wiederholen die Klage, daß uns die unendliche Poesie der Heiterkeit abgeht, die den stoffartigen Ernst des spannenden Theils unserer Fabel in die leichten Lüfte der humoristischen Jdealität erhöbe. Wir haben sehr lustige Jntriguenstücke, aber keine tief humoristische Charakterlustspiele, die zugleich in der Fabel sich leicht und geistreich bewegten. Es ist freilich schwer, die Prosa der Lebensverhältnisse zu bezwingen, nachdem der moderne, ausgebildet charakteristische Styl sich doch in sie einlassen muß; ähnlich schwer wie im Roman. Shakespeare war, wie wir vorhin angedeutet, durch die gelüftete, phantasiereiche, das Leben mit unendlichen Maskenscherzen schmückende, jeder Originalität und Narrheit freien Raum gönnende Sitte seiner Zeit unterstützt; das hochgestimmte, in allen Nerven bewegte sechszehnte Jahrhundert hat ihm den Weg in die Seligkeit des komischen Olympus geöffnet, wo er mit Aristophanes weilt. §. 919. 1. Der Unterschied der Hauptformen des Komischen fordert, was die unmittelbarste und einfachste derselben betrifft, eine besondere Neben-Eintheilung, welche sich darauf gründet, daß im Gebiete der Komödie die naive Poesie eine dauernde Rolle spielt: das Volkslustspiel bewegt sich rein auf dem Boden des Burlesken, die Kunstpoesie ist ihm fremder, am meisten hält sie ihn 2. in einer Gattung kleineren Umfangs, der Posse, fest. Jm Uebrigen zieht sich diese Form des Komischen wie die des Witzes und des Humors in unbestimmbaren Verhältnissen durch die verschiedenen Arten der Komödie, wie dieselben nach den andern Eintheilungsgründen sich unterscheiden, und es läßt sich nur so viel aufstellen, daß das Jntriguen-Lustspiel mehr Sache des Witzes, das Charakter-Lustspiel mehr Sache des Humors ist und daß, was den Stylgegensatz betrifft, der letztere seine entschieden angewiesene Stelle in der phantastischen Fabel der idealkomischen Richtung hat und eben hier zugleich in der Form des Burlesken sich ausspricht (vergl. §. 214). 1. Hier, wo es sich von der Anwendung der großen Unterschiede des Komischen auf die Eintheilung der Komödie handelt, müssen wir noch einmal auf die Volkspoesie zurückkommen. Wir haben sie im Epos, in der lyrischen Dichtung thätig und am entschiedensten in der letzteren ihr Feld behaupten gesehen; aber auch das Drama ist ihr nicht verschlossen, der natürliche Spieltrieb als subjectiver Nachahmungstrieb (§. 515, 2.) kommt ihr hier zu entschieden zu Hülfe, als daß sie nicht der kunstmäßigen Poesie ihre naiven Erzeugnisse voranschicken sollte. Die Mysterien waren die Vorläufer der modernen Tragödie, die Fastnachtsspiele der Komödie. Allein auf jenem Felde konnte sich die naive Dichtung neben der entwickelten Kunstpoesie nicht fortbehaupten; im ernsten Gebiete kennt das Volk keine andere Jdealität, als die mythische, und bringt es nie vom halb Epischen zum ächt Dramatischen; die Hoffnungen, die man an die Festspiele im bairischen Gebirge knüpfte, waren irrig. Dagegen hat gerade das Volk den rechten Sinn der Realität für das Komische und der Vorgang seiner naiven Erzeugnisse in diesem Gebiete war ungleich wichtiger und fruchtbarer, als der im ernsten; daher hat sich neben der Komödie der Kunstpoesie und ihrem Theater das Volkslustspiel mit der Volksbühne mitten in den Städten erhalten längst nachdem die erstere recht in Opposition gegen sie und ihren Cynismus die feinere Komik ausgebildet hatte. Es bewegt sich naturgemäß im greiflich Komischen, wie wir es in §. 188 ff. dargestellt haben, und an diese Form knüpft sich daher die hier erwachsende Neben-Eintheilung der Komödie. Wir haben dem derben Geiste des Possenhaften sein gutes Recht zuerkannt und die Komödie der Bildung dürfte sich an dieser Quelle recht wohl erfrischen, Geist des gesunden und ungetrübt heiteren Lachens schöpfen, wie die lyrische Poesie ächtes Gefühl aus dem Brunnen des Volkslieds. Die Objectivität des Naiven geht hier so weit, daß die Rede entbehrlich wird und die Pantomime hinreicht; die alten italienischen Scherze des Pierro, Arlechino, Pantalone, der Colombine u. s. w. haben sich gerade darum auch wirklich am reinsten in ihrem Element erhalten, denn mit der Rede sind viele zersetzende Stoffe in das Volkslustspiel eingedrungen, wie S. Carlino in Neapel, die Volkstheater in Wien allerdings leidig beweisen. Raimund führte Romantik, directe Moral, Politik, Sentimentalität hinein, blieb aber in den Grundlagen noch ächt volksthümlich komisch, mit Nestroy und And. aber beginnt die Gemeinheit und die Corruption. ─ Wir haben im ersten Theile das naiv Komische durch den Namen Posse bezeichnet; der §. setzt dafür nur darum den Namen Burleske, weil im gegenwärtigen Zusammenhang der erstere eine besondere Form bezeichnet, und zwar diejenige, welche im Gebiete der Kunstpoesie am verwandtesten dem Volkslustspiele gegenübersteht. Es ist eine kleine Form, die gewöhnlich einer Tragödie oder einer Komödie mit rührendem Mittelpunct an Einem Theater-Abende nachfolgt, die Farce der Franzosen und von diesen mit besonderer Zierlichkeit angebaut. Sie verhält sich wie die Novelle zum Romane, sie entwickelt mit schlagender Kürze eine komische Situation. Sie mag dieselbe aus den raffinirten Zuständen der modernen Gesellschaft nehmen: auch diese laden sich in unendlichen Verlegenheiten, Contrasten aus, die sich derb in der Körperwelt niederschlagen, und davon handelt es sich, denn die Posse spielt eben wegen ihrer Kürze nothwendig in dem Elemente der greiflichen Komik, des Burlesken, und liebt denn bei aller Kunstform der Behandlung auch vorneherein in der Fabel den Boden der sinnlichen Contraste. Jhr entspricht das Satyr= Drama der Alten. Es war vom Volke gefordert, das sich die Lust des Dionysos-Festes nicht ganz durch die Tragödie nehmen lassen wollte, sondern eine Erholung von ihrem strengen Ernste bedurfte, und diese Bedeutung hat auch die moderne Posse. Das Komische ist unendlich mehr, als bloße Erholung, aber es ist doch wesentlich auch Erholung, und wenn der deutsche Ernst es verschmäht, jener wehmüthigen Beruhigung, welche im Schlusse der ächten Tragödie liegt, noch das derbe Gelächter folgen zu lassen, so mag er doch dem leichteren französischen Blute darum, weil es solche Abspannung liebt, so wenig zürnen, als dem griechischen. 2. Jm Uebrigen kann der Unterschied der Hauptformen des Komischen keine Eintheilung begründen; die verschiedenen Arten der Komödie, wie sie sich uns nach andern Eintheilungsgründen ergeben haben, stellen sich sämmtlich bald mehr auf diesen, bald mehr auf jenen Boden, und Bestimmteres läßt sich nur so viel sagen, was übrigens schon in unsern frühern Erörterungen mehrfach von selbst hervorgetreten ist: das Jntriguenspiel mit seinen Schachzügen gehört mehr dem Witze, das Charakterspiel, nur nicht jenes, das den Charakter typisch behandelt wie Moliere, dem Humor an. Daß der hochkomische Styl, wie er sich bei Aristophanes mit dem politischen Stoffe verbunden hat, im großartigen mythischen Wahnsinn seiner Fabel humoristisch ist, haben wir ebenfalls schon früher ausgesprochen; daß aber der Humor gern in die Posse heruntergreift, die Keckheit seiner Weltverkehrung in ihre Form gießt und sie so zur Grotteske auftreibt, ist in §. 214 gezeigt. §. 920. Dem Werthverhältnisse nach steht die Komödie insofern über der Tragödie, als sie freiere, in Gemüthsgleichheit über dem Gegenstand sich erhaltende Subjectivität fordert und das Erhabene, das den Jnhalt der Tragödie bildet, als das eine ihrer Momente mitumfaßt. Allein in dieser Stellung wird das Erhabene nur von einer Seite, der verständigen, beleuchtet und kommt nicht zur Entwicklung, die Gemüthsfreiheit aber ohne die Aufgabe, in der Gewalt der substantiellen Aufregung Stand zu halten, wird leicht zur Jnhaltslosigkeit oder zum grillenhaften Spiele der willkürlichen Subjectivität. Man muß sich natürlich auch hier hüten, ein abstractes Verhältniß von Geringer und Besser anzunehmen, auch hier wohl bedenken, daß der Gewinn im Fortschritte zu einer reicheren Stufe immer zugleich Verlust ist. Schiller (Ueber naive und sentimentale Dichtkunst S. 256 ff.) spricht den Vorzug der Komödie in folgenden Sätzen aus: „die Tragödie fordert das wichtigere Object, die Komödie das wichtigere Subject; dort geschieht schon durch den Gegenstand viel, hier nichts durch ihn und Alles durch den Dichter. Den tragischen Dichter trägt sein Object, der komische muß durch sein Subject das seinige in der ästhetischen Höhe erhalten. Jener darf einen Schwung nehmen, wozu so viel eben nicht gehört, der andere muß sich gleich bleiben, er muß also schon dort sein und dort zu Hause sein, wohin der Erstere nicht ohne einen Anlauf gelangt. Es ist der Unterschied des schönen und des erhabenen Charakters: dieser ist nur ruckweise und nur mit Anstrengung frei, jener ist es mit Leichtigkeit und immer. ─ Die Tragödie ist bestimmt, die Gemüthsfreiheit, wenn sie durch einen Affect gewaltsam aufgehoben worden, auf ästhetischem Wege wieder herstellen zu helfen; in ihr muß daher die Gemüthsfreiheit künstlicher Weise und als Experiment aufgehoben werden; in der Komödie dagegen muß verhütet werden, daß es niemals zu jener Aufhebung der Gemüthsfreiheit komme. Daher behandelt der Tragödiendichter seinen Stoff immer praktisch, der Komödieendichter den seinigen immer theoretisch, jener muß sich vor dem ruhigen Räsonnement in Acht nehmen, dieser muß sich vor dem Pathos hüten und immer den Verstand unterhalten; jener zeigt also durch beständige Erregung, dieser durch beständige Abwehrung der Leidenschaft seine Kunst. Das Ziel der Komödie ist einerlei mit dem Höchsten, wonach der Mensch zu ringen hat, frei von Leidenschaft zu sein, immer ruhig um sich und in sich zu schauen, überall mehr Zufall, als Schicksal, zu finden und mehr über Ungereimtheit zu lachen, als über Bosheit zu zürnen oder zu weinen.“ ─ Schiller hat nicht bemerkt, daß diese Sätze in Einem Zuge mit der Behauptung auch deren Einschränkung enthalten. ─ Daß zunächst die Komödie in gewissem Sinn höher steht, folgt für uns prinzipiell aus dem innersten Wesen des Komischen, wie es in der Metaphysik des Schönen entwickelt ist. Das Komische hat sich erwiesen als Act der reinen Freiheit des Selbstbewußtseins, das den Widerspruch, womit alles Erhabene behaftet ist, sich in unendlichem Spiel erzeugt und auflöst. Es enthält also das schlechthin Große, welches eben das Tragische ist, als das eine Moment seines Prozesses in sich, hat somit mehr, ist darüber hinaus. Man kann so zunächst immerhin sagen, das Tragische sei stoffartiger, in dem allgemeinen Sinne nämlich, daß der Dichter von der Wucht eines Gesetzes hingenommen sei, das, aus einer Welt aufgewühlter Leidenschaft aufsteigend, furchtbar, obwohl gerecht, durch die Welt geht und keinen Vollgenuß des Lebens, keine subjective Genüge gestattet. Die Leichtigkeit und Freiheit des von dieser Schwere entbundenen Geistes, der in der Komödie waltet, gleicht jener, die wir bei dem epischen Dichter gefunden haben; es ist das verwandte freie Schweben über den Dingen, deren Gegensätze, von solcher Höhe, mit so gelöstem Sinne betrachtet, gleich werden. Allein in der Verwandtschaft steht die geistige Freiheit des Komödien-Dichters um so viel höher über der des epischen, als sie mitten in der ergreifenden Gegenwärtigkeit der dramatischen Handlung sich zeigt, im Elemente der Erschütterung sich behauptet. Die schwere, substantielle Aufwühlung der Tragödie hat sie hinter sich, die Form der Spannung hat sie behalten und bewahrt in ihr den ungetrübten Gleichmuth. Die Komödie gehört daher auch dem späteren Alter männlicher Reife, das aus Stürmen zur Ruhe und Heiterkeit gediehen ist, von keiner Gewalt der Erfahrung aus dem Gleichgewichte gebracht wird und mit klarem, heiterem Blicke Großes und Kleines als die ungetrennten Seiten Eines Weltwesens erfaßt. Allein der Fortschritt ist auch Verlust, die Leichtigkeit und Freiheit wird bei näherem Anblick selbst wieder einseitig. Sieht man auf die Tragödie zurück, so darf der Dichter doch natürlich nicht im gewöhnlichen Sinne des Wortes sich stoffartig verhalten. Schiller stellt zwei Sätze, die einer Vermittlung bedürfen, ohne solche nebeneinander: nach dem einen scheint die Tragödie Pathos und Affect unmittelbar aus ihrem Jnhalte zu empfangen, nach dem andern ist es nur des Dichters freier Kunstzweck, Experiment, daß er die Gemüthsfreiheit aufhebt, um sie wieder herzustellen. Das Wahre wird sein, daß gleichzeitig ein aus dem Stoff aufsteigender pathetischer Schwung und eine freie Beherrschung desselben und Leitung zum Kunstziele zusammentreffen müssen. Dem unreifen Jüngling scheint jener Schwung leicht das Ganze der poetischen Begeisterung, aber die ächte Jronie ist ihre andere, wichtigere Seite. Wenn wir nun vom epischen Dichter sagten, er habe seine Ruhe noch nicht auf dem stürmischen Meere bewährt, so gilt vom komischen Dramatiker, daß er sie nicht mehr auf diesem Schauplatz bewähre; oft, weil er es nicht will, oft auch, und, so lang er es (durch Tragödieen) nicht gezeigt hat, immer vielleicht, weil er es nicht kann. Die Komödie enthält das Erhabene, das Tragische in sich, aber nur um es, noch ehe es sich entwickelt, an seiner Einseitigkeit zu fassen und in sein Gegentheil mit plötzlichem Umschlag überzuführen. Sie muß verhüten, daß wir uns in seinen Ernst vertiefen, sie darf daher alles Erhabene nur von der Seite des Verstandes auffassen, wie in §. 179 gezeigt ist und auch Schiller weiß. Der Humor gründet tiefer, als der Witz, er hat eine Wärme, ein Pathos zur Voraussetzung, aber auch er eilt von dieser Vertiefung fort zu der blos theoretischen Auffassung, wie Schiller es nennt, er muß es, um die Verkehrung alles Erhabenen als bloße Ungereimtheit, Narrheit belächeln zu können. Die Leichtigkeit ist also um den Preis erkauft, daß das, was den großen Jnhalt des ernsten Drama bildet, wirklich auch zu leicht genommen wird; jetzt, dießmal, auf diesem Standpuncte mit Recht, aber nicht mit Recht, wenn man das ganze Schöne im Auge hat, das auch den andern Standpunct fordert, welcher in die reine Form den ethischen Ernst einschließt. Es ist im Erhabenen, sagt §. 229, dem ganzen Schönen ein Unrecht geschehen, indem das Moment der Sinnlichkeit, Einzelheit, Gegenwärtigkeit negirt wurde; das Komische ist auch ein Unrecht, indem es die Jdee negirt. Die humoristische Subjectivität weiß sich als Hort und Bürge der Jdee, nur darum wagt sie, in jeder Gestalt sie zu verflüchtigen und aufzulösen, aber sie behält sich ebendarum die wahre Wiederherstellung derselben stets nur vor, ist mit keiner Wirklichkeit derselben zufrieden, gönnt keiner, sich auszubreiten. Und das ist der gute, der höchste Fall. Verbirgt sich unter dem substantiösen Pathos der Tragödie leicht die überschauende Weisheit und den Stoff beherrschende Jronie, lockt daher diese Dichtart Geister an, die es nie über das Pathologische bringen, so ist die leichte Luft der Komödie auch das Element für die windigen Geister, für die leere Subjectivität im sublimeren und im niedrigeren Sinne: jene kennt nicht den Ausgangspunct vom Ernst im komischen Prozesse, verflüchtigt geistreich Alles im Schaum des inhaltslosen Spiels, wie unsere Romantiker es als Prinzip aufgestellt und geübt haben; was sie noch Stoffartiges bewahrt, ist die reine Grille, die Caprice, die so wenig komisch, als ernst motivirt ist; diese zerrt an den Lachmuskeln um jeden Preis und meint, das Komische dürfe gemein sein, weil es sich mit dem Gemeinen befassen muß. Da verlangt die positive Jdealität des Ernstes wieder ihr volles Recht und man sehnt sich, daß sie mit dem strengen Antlitz unter die Narren trete. Shakespeare hat in seiner letzten Periode nur Komödieen mit besonders starker Grundlage des Ernstes geschrieben: Cymbeline, Wintermährchen, Sturm, Maaß für Maaß (die gallige Satyre Timon von Athen nicht zu rechnen); aber, was wichtiger ist, er hat den Hamlet vollendet, Julius Cäsar, Antonius und Cleopatra, Coriolan, Makbeth, Othello gedichtet, gedankentief, stahlhart, gedrängt und gesättigt von finsterer Kraft und furchtbarem Schicksalsgefühle, doch aber ohne die Freiheit des Gemüths in die Gewalt des Affects zu verlieren und ohne stoffartige Bitterkeit in der Schlußempfindung. Anhang zur Lehre von der dramatischen Dichtkunst. Die Schauspielkunst. §. 921. Die Dichtkunst hat die sichtbare und hörbare Welt nur der innern Vor- 1. stellung wieder eröffnet. Bis zur vollen Gegenwärtigkeit, aber zunächst in derselben Grenze, ist dieß im Drama geschehen; hier aber wird diese Grenze nothwendig durchbrochen, die innere Gegenwart geht in die äußere, sinnliche über, indem die lebendige Persönlichkeit mit den Mitteln der Darstellung für das Auge und Ohr, Action und Declamation, als Material herbeigezogen wird, um das Werk der Poesie zur Anschauung zu bringen. Die Schauspielkunst, welche dieß leistet, ist zwar blos anhängend, aber, weil die Reproduction des Dichtwerks productiv künstlerischen Geist fordert, die höchste unter den anhängenden Künsten. Jhre Geschichte zeigt in entschiedener Gestalt den Gegensatz 2. des direct idealen und des charakteristischen Styls. 1. Daß nicht bloß die sichtbare, sondern auch die hörbare Welt von der Dichtkunst für die innere Vorstellung wieder aufgethan ist, muß hier ausdrücklich noch aufgenommen werden. Diese Kunst spricht, aber sie spricht nicht nur selbst, sondern führt uns durch ihr Sprechen das Sprechen der dargestellten Personen vor und bringt uns überhaupt die Tonwelt vor den inneren Sinn. Nur in der lyrischen Form fällt das Sprechen als Vehikel der Kunst und als Jnhalt, den dieses Vehikel uns mittheilt, einfach zusammen, denn der Dichter spricht hier im eigenen Namen; das Epos meldet uns vom Sprechen und von Tönen, und kann allerdings, doch ist dieß nicht wesentlich und nothwendig, die Personen auch in directer Rede sprechend einführen; in der dramatischen Dichtkunst dagegen spricht der Dichter als objectiv gewordenes, in seine Personen auseinandergelegtes Subject so, daß man vielmehr nur diese vernimmt und daß sie gegenwärtig sprechend die Handlung erwirken. Dieß Alles also zunächst nur für die innere Vorstellung. Die Poesie hat auf alle Sinnenwirkung, bis auf das dünne Band des (zunächst nicht mimischen, nicht künstlerischen) Vortrags verzichtet. Was dadurch gewonnen ist, haben wir gesehen; aber der unendliche Gewinn ist auch ein wesentlicher Verlust. Das Schöne will auf die wirkliche, eigentliche Sinnlichkeit, nicht blos auf die innere wirken, es will sein, die Kunst ist nicht umsonst höhere Einheit des Naturschönen und der Phantasie. Die Poesie kann nicht aus sich selbst das Band mit der wirklichen Sinnlichkeit wieder aufnehmen, sie bewegt sich rein in der innerlich gewordenen, ideal gesetzten; sie muß sich, wenn sie den Schritt thun will, anhängend, aber doch innig mit andern Formen verbinden. Gegeben aber ist der Schritt auf der Spitze der Dichtkunst, im Drama. Die innerlich vorgestellte Gegenwärtigkeit ist hier so stark, so voll bis an die Schleuse gedrängt, daß sie mit Macht durchbrechen, sich auch als äußere erschließen muß. Geschichtlich verhält sich dieß sogar so, daß das Drama als Dichtwerk aus der sinnlichen Darstellung, der Mimik, zunächst als Spiel des subjectiven Nachahmungstriebs, auf den wir (§. 919 Anm. 1.) schon zurückgewiesen haben, erwachsen ist; nur hindert dieß nicht, die wirkliche dramatische Poesie als das logisch Voraufgehende hinzustellen, das als bestimmendes Subject eines Ganzen das Element, aus dem es naturalistisch erwachsen ist, sich künstlerisch nachbildet und zu sich heraufnimmt. Wir haben in der Lehre vom Wesen der dramatischen Poesie durchaus die gegenwärtige Lebendigkeit der Handelnden als Grundbegriff aufgestellt und doch die wirkliche Aufführung noch ausgeschlossen. Dieß war wissenschaftlich nöthig, um die Begriffe in ihrem Unterschiede rein zu halten, und die Forderungen der Gattung lassen sich fest begründen, wenn auch nur an die Schaubühne in der Phantasie der Leser gedacht wird. Nun aber ist es Zeit, es auszusprechen, daß hiemit die Gegenwärtigkeit auf dem Puncte der äußersten Reife und Sättigung angekommen ist, wo sie zur äußern werden muß. Die blos innere Schaubühne leidet wieder an den Mängeln der bloßen Phantasie vor der Kunst, für den Leser wie für den Dichter. Wir haben gesagt, es stelle sich der dramatische Charakter mit greiflicher Deutlichkeit vor unser inneres Auge; aber dabei war von dem Maaßstabe der Deutlichkeit abgesehen, den die wirklich sinnliche Erscheinung abgibt. Erst durch diese, erst in der Aufführung erkennt Dichter und Zuschauer die Lücken und Mängel des erst noch innerlichen Phantasiebildes. Die Execution ist dessen Probstein, ja, wie alles Material durch seine festen Bedingungen (vergl. §. 518, 1.), ein auf die Erfindung rückwirkender, durch die an ihm gemachten Erfahrungen Motive hervorrufender Hebel. Es ist bekannt, wie manche große Charakter= Rollen in Berechnung für bestimmte Schauspieler geschaffen sind; namentlich erkennt der Dichter selbst an der wirklichen Aufführung erst, was ächt dramatisch, d. h. schlagend, packend ist. Die dramatische Poesie kann nur an einem Orte gedeihen, wo Theater ist. Die Entfremdung von der Bühne, die Einschließung in die Studirstube und an den Theetisch hat uns, und zwar vor Allem uns innerliche Deutsche, mit der Fluth der bloßen Lesedramen beschenkt. So nennen wir das Drama, das entweder Seelenleben mit zu wenig Handlung darstellt oder Handlung in rascher, abgebrochener, die äußern Bedingungen der Bühne überspringender Folge, oder beides mischt, wie Göthe's Faust. Es wird immer solche Dramen geben und darf sie geben; die Poesie hat Manches dramatisch zu sagen, was sich den Schranken und der Flüssigkeit der Bühnendarstellung nicht fügt, aber das Ueberhandnehmen dieser Gattung weist bedenklich auf den Ueberschuß an Reflexion in unserer Zeit. Das reale Leben des Drama's schwankt aber um den Pol, auf welchem geistige Tiefe und Bühnenhaftigkeit zusammenfallen, so, daß nicht weniger massenhaft auf dem andern Extrem eine Literatur sich ausbreitet, die auf Kosten der geistigen Tiefe bühnenhaft wirkt, und hier besonders ist der schwache Punct dieser Dicht-Art, wie die epische den ihrigen in der platten Unterhaltungsliteratur und in der ermüdenden didaktischen Breite hat. Die Kräfte sind so vertheilt, daß tiefere Geister oft nicht verstehen, was wirkt, und die Andern, die es verstehen, keine Tiefe, keinen Gehalt haben. Doch auch hier muß man billig sein; auch Bühnendramen ohne bleibenden Anspruch an Gediegenheit des Textes muß und darf es immer geben, die Fürsten müssen ihr Gefolge haben, die Bühne will leben und kann nicht lauter Classisches auf ihr Repertoire setzen. Die Schauspielkunst ist blos anhängend, weil sie lebendigen Stoff als Material verwendet (§. 490). Es ist derselbe Stoff wie in der darstellenden Gymnastik und der Orchestik, nämlich die eigene Person des Darstellenden, zwar in ungleich größerem Umfang und ungleich vielfältigerer, geistigerer Anwendung ihrer Ausdrucksmittel, als in diesen Künsten, aber nur um so fühlbarer den Störungen, Zufällen, Unangemessenheiten des Naturschönen ausgesetzt: dieselbe Gestalt, Stimme, Physiognomie soll abwechselnd für die verschiedensten Charaktere als Material dienen, die Person ist dabei abhängig von ihren Stimmungen, Körperzuständen u. s. w. Ja die ungleich tiefere und ausgedehntere Bedeutung, worin hier die eigene Person als Darstellungsmittel verwendet wird, ist gerade der Grund, warum der Schauspielerstand so lange gegen die öffentliche Mißachtung zu ringen hatte: denn um jederlei Ausdruck an seiner Gestalt zu zeigen, muß sich der Mimiker in jederlei Charakter und Stimmung künstlich versetzen, muß den Zustand, in den er sich so versetzt hat, durch den vollen Schein äußerer Zeichen darstellen, die sonst durchaus unwillkürlich und unbewußt den wirklichen, nicht nachgeahmten Zustand begleiten, und so liegt es nahe, den ästhetischen Standpunct mit dem moralischen zu verwechseln, den Künstler als handwerksmäßigen Lügner anzusehen, der die Gewohnheit, Stimmungen auszudrücken, in die er sich nur mit Absicht hineinversetzt, auch auf sein Leben außer der Kunst übertrage; man denkt, er habe zu oft geweint, gelacht u. s. w. auf der Bühne, als daß man sein Weinen und Lachen außer derselben für Wahrheit nehmen könnte. Es ist zunächst richtig, daß die Versetzung des Schauspielers in die Stimmungen ganz anderer Natur ist, als die des Dichters (wie des Bildhauers, Malers, Musikers); bitterer, stoffartiger Ernst ist es natürlich auch diesem mit dem Zustande nicht, den er uns darstellt, er ist darin und er schwebt doch frei darüber; die dramatische Dichtung setzt mit doppelter Stärke dieß Schweben voraus, weil sich da der Poet in verschiedene Charaktere direct und abwechselnd verwandelt, allein derselbe fingirt nicht mit der vollen Stärke sinnlicher Gegenwart, als sei der dargestellte Zustand der seinige, er tritt nicht vor uns hin und gibt die ganze Wärme der Unmittelbarkeit des Zustandes vor, als durchdränge derselbe sein Wesen bis auf jeden Nerv; der Schauspieler thut es und darum fällt auf die künstlerische Absicht und Versetzung, womit er es thut, ein geschärfter Accent des bloßen Scheins. ─ Jm Verhältnisse zum Dichter liegt nun die andere Seite der Abhängigkeit, wodurch die Schauspielkunst zur blos anhängenden wird: der Jnhalt der Darstellung ist von jenem vorgezeichnet, der Schauspieler kann als solcher nicht zugleich der Erfinder sein, denn er kann ja in einer Handlung nur Einen Charakter, ein Glied derselben darstellen, nicht sein Subject, wie der Dichter im Acte seiner Phantasie, in viele zerlegen und verwandeln (daß ein Schauspieler oft mehrere Rollen in einem Stück übernimmt, wäre lächerlich hier geltend machen zu wollen). Es ist bekannt, wohin das Schauspiel durch Jmprovisiren versinkt. Eben hier liegt nun aber auch der Punct, von dem die Ehrenrettung der Schauspielkunst ausgeht. Um die Schöpfung des Dichters in den vollen Schein der Wirklichkeit zu übersetzen, muß ihm der Mime, wie Eckhof sagt, „in das Meer der menschlichen Gesinnungen und Leidenschaften nachtauchen, bis er ihn findet“. Hier ist eine Reproduction gefordert, wie in keiner blos nachbildenden, vervielfältigenden, exequirenden Kunstübung, eine Reproduction, die zur Production wird. Hat der Schauspieler dem Dichter in seinen Geist, so hat er ihm auch in seinen Gehalt, seinen Ernst, seine Jdealität nachzutauchen und es gilt nichts Geringeres, als den hohen Zweck, Menschen, Menschenleben, Menschenschicksal darzustellen. Er bildet auch nicht blos nach, er entwickelt, ergänzt, füllt aus; neben dieser Erfüllung, dieser Herausführung in die volle Farbe erscheint das Werk des Dichters wieder als bloßer Entwurf, ist, wie wir gesehen, blos innerliches Phantasiebild, dem es an Fülle und Schärfe fehlt. Der ächte dramatische Dichter rechnet auf diese Ergänzung, führt nicht bis in's Kleinste aus, läßt Einzelnes relativ skizzenhaft, schneidet dem Schauspieler die Selbstthätigkeit nicht ab. Der Act der Versetzung in das Werk des Dichters fordert also in erster Linie verwandtes Genie, Jntuition; dazu aber den Ernst und Fleiß des Denkens, des Einarbeitens, und derselbe hat sich nicht nur auf die einzelne Rolle, sondern auf das Ganze zu erstrecken, denn sie ist Glied des Ganzen, und auf dieses muß also auch die geniale Jntuition sich ausbreiten: der Schauspieler muß die Jdee seiner Rolle ebensosehr aus der Jdee des ganzen Drama, als aus dieser selbst sich erzeugen. Hier liegt denn zugleich ein wesentliches Moment der Kunstmoral für diesen Stand: die Pflicht der Einreihung in das Ganze, der Unterordnung unter dasselbe, die Bezwingung der Eitelkeit im Dienste des Ensemble . Zwischen dem geistigen Eindringen in die Rolle und der Ausführung liegt nun die Nothwendigkeit eines umfassenden Studiums des hiehergehörigen großen Gebietes des Naturschönen: des physiognomischen, pathognomischen Ausdruckes (vergl. §. 338 ff.), des Menschenlebens überhaupt im weitesten Sinne. Der Schauspieler, welcher der Reflexion mehr, als dem Talente, verdankt, setzt Einzelzüge aus den Erwerbungen dieses Studiums musivisch zusammen, dem genialen schießen dieselben von selbst organisch an das mit Einem inneren Wurfe der Phantasie dem Dichter nachgeschaffene Charakterbild an, und die Mühe des Denkens und Uebens ist getragen von dem magischen Zuge dieses Schauens. ─ Jn der wirklichen Ausführung ist das nächste Moment die Herstellung der sog. Maske; es ist von Wichtigkeit, weil es hier gilt, der Schauspielkunst im Mittelpunct ihrer Schwäche, der Jncongruenz der lebendigen Persönlichkeit zu dem geistigen, concret gedachten Bilde des Dichters, mit allen Mitteln der Kleidung, Behandlung der Haare u. s. w. nachzuhelfen. Was aber von Unangemessenheit zurückbleiben mag, wird durch ächte Kunst im wirklichen Spiele momentan verwischt; denn der fortgerissene Zuschauer erzeugt sich das Bild der Erscheinung aus dem geistigeren Theile der Darstellungsmittel und die Phantasie hat die wunderbare Fähigkeit, darüber wirklich die Gestalt anders, namentlich heroisch größer zu sehen, als sie ist. Diese geistigeren Mittel bestehen denn in der Activität der Gestalt für Auge und Ohr, Action und Declamation: jene umfaßt Gesichts-Ausdruck, Gesticulation der Hände, Bewegung der Füße und des ganzen Körpers, wobei das Verweilen in einer Geste, das Verhalten in der Ruhe so wesentlich ist, als die Reihe der wirklich bewegten Momente, das stumme Spiel so wichtig, als das mit der Rede verbundene; diese erhebt die unendliche Tonwelt der Sprache nach Höhe und Tiefe, Stärke und Schwäche, Beschleunigung und Langsamkeit zum künstlerischen Ausdruck des Charakters und jeder seiner innern Bewegungen. Die letztere Unterscheidung ist namentlich für den Schauspieler wichtig: der Charakter bleibt sich im Wechsel der Stimmungen und Affecte gleich, sein stehendes Gepräge soll aber ebensowenig den letztern ihre momentane Gewalt und Wärme entziehen, als von denselben überwachsen und aus den Fugen seiner Grundzüge getrieben werden. Die Deutschen sind bessere Darsteller des (ächt individuellen) Charakters, Jtaliener und Franzosen der Leidenschaft. Wir müssen uns versagen, den ganzen Reichthum wichtiger Begriffe und Bobeachtungen zu entwickeln, der in den hier angedeuteten Hauptseiten der Darstellungskunst eingeschlossen liegt, verweisen statt dessen auf Rötscher: „Die Kunst der dramatischen Darstellung in ihrem organischen Zusammenhang wissenschaftlich entwickelt“ und bemerken nur noch, daß vermöge der Aufgabe des Ensemble der einzelne Mime auch das Einzelne seiner Mittel auf die Zusammenwirkung mit den andern zu berechnen hat: die Lehre von der Schauspielkunst hat es wesentlich auch mit dem Einklange des Zusammenwirkens zu thun, nicht nur im tieferen Sinne, sondern im Heraustreten für das Gehör und namentlich für das Auge in der Gruppirung des Personals und ihrem Wechsel. ─ Jst es nun allerdings wahr, daß die Gewohnheit der Versetzung in Charaktere und Stimmungen und der künstlichen Annahme des vollen, unmittelbaren Scheins dieser Versetzung eine Gefahr mit sich bringt, den Menschen auszuhöhlen, auf den eiteln Schein zu stellen, so hat der ächte Mime in dem hohen und würdigen Begriffe der Bedeutung seiner Kunst, eine Jnterpretinn der Dichtkunst und durch sie der ewigen Wahrheit des Menschenlebens zu sein, in dem Ernst und Fleiß, den dieser Begriff fordert und mit sich bringt, das sichere Gegenmittel und ist der Stand großen Versuchungen ausgesetzt, so ist er nur um so achtungswerther, wo er ihnen widersteht. ─ Eine weitere Schwäche dieser Kunst, welche unmittelbar damit gegeben ist, daß sie in lebendigem Stoffe darstellt, besteht in der Flüchtigkeit ihrer Wirkung; sie „schreibt in's Wasser“. Ein Streben nach um so stärkerem momentanen Erfolg, Empfindlichkeit über Tadel, gereizte, nervöse Stimmung wird dadurch erklärbar, selbst entschuldbar, den höheren Künstler stärkt dagegen das Bewußtsein der Jntensität und des stillen Nachwirkens der Wirkung. 2. Der Gegensatz der Style in der Poesie spricht sich so schlagend in der Schauspielkunst aus, daß er durch sie in volles Licht tritt, an ihr auf's Belehrendste nachgewiesen werden kann. Dem plastischen Charakter des antiken Drama's entsprach die Maske, der Kothurn, die feierlich typische Kleidung, das einfach große System der Bewegungen, wodurch der Schauspieler als wandelnde Statue erschien, der recitativartige, stellenweise in Gesang übergehende Vortrag. Hier galt es nur die substanziellen, gewaltigen Grundzüge; die Durchführung in das Spezielle und Jndividuelle, die feinere Schattirung war ausgeschlossen. Es hieng dieß Alles mit der Scenerie, zu der wir erst im folg. §. übergehen, namentlich dem Spiel im hellen Tageslichte zusammen. Jn Allem ist das moderne Spiel das gerade Gegentheil, das volle Bild des malerischen Styls im Gegensatze des plastischen; hier wird durchaus spezialisirt, detaillirt, während dort generalisirt wird, hier ist Alles porträtartig, physiognomisch. Allein der Gegensatz erneuert sich innerhalb dieses Styls; theils ist er ein nationaler ebenso wie in der Poesie: Jtaliener und Franzosen haben in der hohen Tragödie immer noch etwas Gesang=artiges, Recitativ=ähnliches im Vortrag, strenge, gemessene Regel, einfach große Bewegung, plastisches Verweilen im Spiel, in der Komödie bringt wenigstens die generelle Behandlung der Charaktere eine geringere Jndividualisirung mit sich. Die französische Art war mit der poetischen Dramaturgie und gesammten conventionellen Disciplin in Deutschland eingedrungen und ward von Eckhof gestürzt, der die wahre und individuelle Sprache und Tonleiter der Natur zum Gesetz erhob. Nun aber riß mit dem bürgerlichen Drama und seiner prosaischen Redeform, dann mit dem wilden Schrei der Sturm- und Drang-Periode ein Grad des Naturalismus ein, der eine neue Reaction des plastischen, classisch idealen Styls hervorrufen mußte: er knüpfte sich an Göthe's und Schiller's classische Werke, man führte sogar wieder französische Tragödieen in den Kampf. Dieß führte abermals in gleichtöniges Pathos, jambische Modulation ohne Naturwahrheit des Tonfalls, kaltes Anstands-System; die entgegenstehende Richtung mußte abermals ihr Recht zurückfordern. Seither suchen wir einen charakteristischen Styl, der naturwahr individualisirt und doch ideal ist, wie in der Poesie und in allen Künsten, aber dem richtigen Begriffe des Zieles bringt die Zeit nicht die hinreichende Kraft und Frische entgegen, den falschen Ueberschuß der Reflexion fühlt man nirgends mehr, als auf diesem Gebiete. ─ Statt alles Weiteren beschränken wir uns hier, auf das treffliche Werk von Ed. Devrient: „Die Gesch. d. deutschen Schauspielkunst“ zu verweisen. §. 922. Die Schauspielkunst setzt die Bühne voraus: die Baukunst, die Malerei und als Stimmungsmittel die Musik verbinden sich mit ihr und es entsteht eine Vereinigung aller Künste, in welcher die Poesie der bestimmende Mittelpunct ist (vergl. §. 544 3.). So kehrt denn diese zu der bildenden Kunst im eigentlichen Sinn, hiemit die gesammte Kunst auf ihrer Spitze zur Unmittelbarkeit zurück und erreicht hiedurch eine ästhetische Wirkung auf die Gemüther, welche auch zu einer sittlich politischen Macht wird. Der ganze Jnhalt unserer Kunstlehre erspart uns eine Widerlegung der R. Wagner'schen Theorie von einer Verbindung sämmtlicher Künste im Theater, von einem Kunstwerke, das Drama, Oper, Tanz und hiemit lebendige Plastik, Gemälde und architektonische Schönheit gleichzeitig in der Art sein soll, daß wenigstens die ersteren dieser Künste zu gleichen Theilen in der Verbindung wiegen. Jede Kunst hat das ganze Schöne auf ihre Weise und es gibt daher keine andere richtige Verbindung von Künsten, als eine solche, worin entschieden Eine Kunst herrscht, die andere, oder die andern nur mitwirken; die Verschüttung dieser festen Gesetze ist moderner Ueberreiz und führt praktisch zum überladenen, phantastischen Opernpompe. ─ Auf die untergeordneten Formen, worin Poesie mit Gesang und Musik wechselt, die Mischgattungen zwischen Oper und Drama: Melodrama, Singspiel, Vaudeville konnten wir uns bei dem Umfang der großen Aufgabe nicht einlassen. ─ Die Musik wirkt denn in dieser Verbindung der Künste nur als Stimmungsmittel vor und zwischen den Acten, vorbereitend, auflösend mit. Was die Bühnen-Einrichtung betrifft, so können wir nur im Ganzen und Großen hervorheben, wie sich der Gegensatz der Style auch hier ausspricht. Das Tageslicht gehört wesentlich zu dem plastischen Style der antiken Mimik; das Lampenlicht ist malerisch, wird auf die Bühne concentrirt und beleuchtet mit berechneter Sammlung der Strahlen das detaillirende Spiel. Malerisch ist auch die größere Tiefe der modernen Bühne und ihre vollere Scenerie; die antike kannte nur offene Räume, diese stellt ebensosehr, ja häufiger innere Wohnräume dar und weist dadurch Hand in Hand mit der Poesie auf die Ausbildung des Jnnerlichen im Privatleben. Von den Extremen der Dürftigkeit und des falschen Pomps auf unsern Theatern ist in Kritik und Aesthetik oft und hinreichend gesprochen. Uns beschäftigt hier die wesentliche innere Bedeutung einer Anstalt, welche alle sinnlichen Mittel zusammenfaßt, um den geistigen Gehalt der Poesie mit der Macht des Augenblicks und den Wirkungen für Auge und Ohr in tausende von Gemüthern zu werfen. Wir haben schon die dramatische Poesie an sich als die Spitze aufgefaßt, mit welcher das System der Künste in sich zurückläuft und seine Gegensätze in erfüllte Einheit zusammenschließt (§. 895); in ihrer Verbindung mit Schauspielkunst und Bühne gestaltet sich dieser Zusammenschluß noch spezieller, indem das subjective geistige Weltbild nicht nur für die innere Vorstellung, sondern auch für die äußeren Sinne objectiv wird, und auch dieß nicht in unbewegter Ruhe, sondern mit wirklicher Bewegung und wirklich tönender Sprache. Da diese nun wesentlich ist, da nicht mehr, wie in der Poesie an sich, die Schrift genügen kann, so ist das Element der Musik, der Ton, wiewohl in der veränderten Potenz der Sprache, im eigentlichen Sinne des Worts mit der Dichtkunst vereinigt, und ebenso, was wichtiger ist, in Architektur und Scenerie die bildende Kunst mit ihrer eigentlichen Wirkung auf das äußere Auge. Durch die theatralische Execution des Drama's biegt sich also die Kunst auf ihrem geistigsten Gipfel auch in dieser unmittelbaren Bedeutung zu ihrem Anfang, zu ihrer ersten Hauptform um. So entlädt sich nun hier der höchste Kunst-Jnhalt als Blitz der augenblicklichen, vollen, ganz geistigen und ganz sinnlichen Wirkung und hiemit öffnet sich wie in keiner andern Form die Kunst in das Leben. Sie kann nicht weiter innerhalb des eigenen, rein ästhetischen Cirkels, sie hat Alles durchlaufen, erfüllt, zusammengefaßt, sie durchbricht den Kreis und ergießt sich in die Wirklichkeit des Menschenlebens. Es kann auch hier nicht ihre Absicht sein, direct sittlich, politisch zu wirken, wenn sie ächte Kunst bleiben will, aber die rein ästhetische Wirkung des Drama's auf der Bühne läßt ungesucht und mit innerer Nothwendigkeit unendliche Wirkungen im Menschen und Bürger zurück, wie kein anderes Kunstwerk, Wirkungen, welche sich durch die Gewalt der gemeinschaftlichen Erschütterung, die in Einem Momente ganze Massen durchzittert, in jedem einzelnen Zuschauer so verstärken, als erweiterte und vervielfachte sich sein Herz um so viele Herzen, als hier gemeinschaftlich schlagen und pochen. Wenn man von Schiller's Abhandlung: „Die Schaubühne als moralische Anstalt betrachtet“ die unrichtigen Begriffe von direct sittlichem Berufe der Kunst abzieht, so bleibt immer noch diese große Wahrheit zurück. Hier, vor diesem majestätischen Thore, das sich nach dem wirklichen Leben öffnet, ist das System der Aesthetik zu Ende; das andere Grenzgebiet, das wir noch zu betreten haben, liegt schon entschieden außerhalb. Anhang zur Lehre von der Dichtkunst überhaupt. Satyrische, didaktische Poesie, Rhetorik. §. 923. Außer dem Schritte, wodurch die Poesie schließlich innerhalb der reinen Kunstsphäre sich mit andern Künsten verbindet, ist nur noch der eine möglich, wodurch sie sich nach dem fremden geistigen Gebiet öffnet, woran sie am nächsten grenzt: der Prosa (vergl. §. 848). Es entsteht eine Mischung des Schönen mit dem Wahren und Guten, welche, obwohl nicht rein ästhetisch, doch von großer allgemein menschlicher, geschichtlicher Bedeutung ist. Jn keiner andern Kunst ist dieß Grenzgebiet so ausgedehnt und mannigfaltig. Die Kunst kann innerhalb ihrer selbst nicht weiter, sie tritt über ihre Grenze hinaus und geht verschiedene Mischungsverhältnisse mit der scheinlosen, von der ästhetischen Einheit mit dem Bilde gelösten Jdee, mit der reinen Darstellung des Wahren und Guten ein. Von anderem Standpuncte, vom Boden der Prosa gesehen, ist es umgekehrt ein Uebergreifen dieses Gebiets in das ästhetische, eine Vermählung der nackten Wahrheit mit dem Schönen, eine Erhebung, wenn man will; „die Fußgängerinn Prosa entlehnt das Fuhrwerk der Dichtkunst“ (Plutarch V. d. Lect. d. Dichter C. 2). Diese zwei Auffassungen widersprechen sich nicht, sondern heben sich in den Begriff eines Entgegenkommens beider Sphären auf; praktisch findet in unbestimmten Uebergängen bald der eine, bald der andere Standpunct seine Anwendung, denn bei dem einen Poeten ist es mehr Nachlassen der Dichterkraft, bei dem andern Aufstreben vom Abstracten zum Anschauungsvollen, was dem Prozesse zu Grund liegt, durch welchen lehrhafte oder satyrische Erzeugnisse entstehen. Das Wesentliche ist immer, daß von der Jdee, vom Allgemeinen aus das Bild gesucht und äußerlich hinzugezogen wird, es gibt aber unendliche feine Unterschiede der Jnnigkeit oder Aeußerlichkeit im Anklingen und Mitklingen des ästhetischen Elements und die Grenze, wo das reine organische Band der Bestandtheile bricht oder die Kraft nicht reicht, es zu knüpfen, ist so zart, daß sie nur im Einzelnen am concreten Kunstwerk aufgedeckt werden kann. Daß wir den Werth der Formen, welche hier noch zu betrachten sind, darum nicht überhaupt heruntersetzen wollen, weil wir sie, wenn der rein ästhetische Maaßstab angelegt wird, als blos anhängende bestimmen, dieß ist bereits in §. 742, Anm. 1. ausgesprochen, wo von den verwandten Seitenzweigen der Malerei die Rede war, der einzigen Kunst, welche mit der Poesie den Uebergang in ein gemischtes Grenzgebiet von so großer Ausdehnung und Fülle theilt. Das ästhetische Urtheil zieht seine Strenge zurück, sobald nur zugestanden wird, daß das Gemischte eben nur gemischt ist; das Leben ist reich an Formen und gerne leiht die eine der andern ihre Mittel. Satyre und Didaktik nebst Rhetorik gehören zu den gewaltigsten Hebeln des ethischen, politischen Lebens und die Bewegung der Geschichte wäre ohne sie nicht zu denken. Jhr Wesen und ihre reichen, gerade durch ihre gemischte Natur schwierigen Formen sind daher der gründlichsten Untersuchung werth, aber in gesonderter Behandlung oder als Anhang einer Poetik; die Aesthetik ist durch den großen Umfang ihres Ganzen zur Kürze genöthigt. Daß aber dieses Gebiet nur einen Anhang der Lehre von der Poesie, nicht einen Theil derselben bilden kann, bedarf längst keines Beweises mehr; eher wäre es der Mühe werth, zu erklären, wie es kam, daß man so lange die grobe logische Sünde der Eintheilungen übersehen konnte, die das Didaktische und Verwandte dem Epischen, Lyrischen, Dramatischen coordinirten. Schon der erste Blick zeigt, daß eine Erscheinung, welche, außer andern, unbestimmteren Formen, wechselnd die Gestalt des einen oder andern dieser drei Zweige annimmt, nicht einen Zweig neben denselben bilden kann. Der innerste Grund lag in der Verkennung des reinen Wesens der Poesie; diese geistigste aller Künste, die als solche am nächsten an dem Gebiete der Prosa liegt, verbarg dem noch ungeübten Auge den unendlichen Unterschied des Wahren, das ganz in reinen Schein verwandelt ist, von dem Wahren, das sich nur nebenher mit dem Scheine bekleidet. Man sah, wie die Dichtkunst nach allen Seiten vielfacher und massenhafter, als es irgend einer andern Kunst möglich ist, in dieß gemischte Gebiet übergeht, und man übersah die feine, aber scharfe Linie, welche auf allen Puncten dieses Austretens überschritten wird. ─ Uebrigens ergibt sich nun (vergl. §. 546. 547) eine merkwürdige Parallele mit derjenigen Kunst, welche, die entfernteste von der Poesie, am Eingange des Systems der Künste liegt, mit der Architektur. Wie jene mit dem ethischen Gebiete, so ist diese mit dem des Zweckmäßigen durch die engsten Bande verflochten. So mündet die Kunst an ihrem Anfangs- und Endpuncte in das außerästhetische Gebiet: dort erhebt sich ihre Basis auf dem breiten Boden des praktischen Bedürfnisses, hier streckt sich ihr Gipfel in die Luft der schmucklosen Wahrheit. §. 924. Am nächsten der reinen Poesie steht die Satyre. Sie unterscheidet sich innerhalb ihres allgemein negativen Charakters in eine negative, indirecte und eine positive, directe. Beide wenden komische Mittel an, die erstere aber erhebt sich je nach Geist und Stimmung in das Gebiet der rein ästhetischen Komik (vergl. §. 547). Sie folgt in ihren bestimmteren Bildungen den Gebieten der reinen Poesie, liebt, wie die verwandte Richtung der Malerei (vergl. §. 742), die Caricatur und erzeugt auf diesem Wege komische Gegenbilder der großen Hauptzweige (bei speziellerer Richtung auf die Form Parodie und Travestie ). Die zweite Art der Satyre ist prosaischer und versinkt in das Dürftige und Gemeine, wenn sie nicht, obwohl zunächst immer auf Einzelnes gerichtet, in das Allgemeine und Große geht und aus dem Pathos der Jdee fließt. Wir stellen die Satyre vor das Didaktische, da der Gang, der sich schrittweise vom rein Aesthetischen entfernt, hier der natürlichere ist. Es kann nicht auffallen, wenn der Grund ihres engeren Verhältnisses zur ächten Poesie in die Negativität ihres Verhaltens gesetzt wird; denn negativ ist seinem Wesen nach das ganze Gebiet der komischen Dichtung, an welches sich die Satyre lehnt, sofern alles Komische das Bewußtsein des wahren Verhältnisses von Jdee und Bild aus dem schlagenden Widerspruche seiner Verkehrung, also durch eine Negation erzeugt. Der Unterschied, wie er schon bei Betrachtung der Caricatur in der Malerei (§. 742, Anm. 1.) hervorgehoben ist, beruht darin, daß die Phantasie in Erzeugung des rein Komischen dennoch naiv, harmlos zu Werke geht, also das Verfahren positiv ist, während die Satyre, geführt von stoffartigem Unwillen gegen die verkehrte Wirklichkeit, an die sie mit Bewußtsein den Maaßstab der Jdee hält, auch in der Grundstimmung ihres Verfahrens negativ ist. Hier aber macht sich ein Unterschied geltend: eine im engeren Sinne negative Form stellt sich mit entschiedenem Anspruch auf höheren poetischen Werth neben eine solche, die, unbeschadet der negativen Natur des ganzen Gebietes, also nur beziehungsweise positiv verfährt und prosaischer ist. Man bezeichnet den Unterschied gewöhnlich als den der lachenden, harmlosen und der strafenden, scharfen Satyre. Der Sprachgebrauch ist nicht passend; die negative oder indirecte Satyre ist immer gewaltsamer, als es scheint, und geht zu sichtbar gewaltsamer Form über, und die directe, positive Satyre kann auch mild predigen. Es fragt sich nun, wie und warum die erstere der reinen Komik näher steht. Zunächst, wenn man nicht die Grenze zwischen dieser und der Satyre verwischen will, muß man als das Spezifische der letzteren jene Grundlage des Unwillens, der Bitterkeit gegen die Welt, die dem Maaßstabe der Jdee widerspricht, die unpoetische Grundstimmung festhalten. So ist ein Schelten und Schimpfen auf das griechische Leben, wie es geworden, der Grundzug der Aristophanischen Komödie, so beginnt J. P. Fr. Richter mit Ergießung Swift'scher Galle. Dieß Aussprechen der Bitterkeit ist eigentlich positive, directe Satyre, allein bei ruhigerem, objectivem Ueberblick und reicher Begabung entwickelt sich von solchem Ausgangspunct eine andere Form des Verhaltens. Die Jdee, der Maaßstab der Dinge, wie sie sein sollen, wird nicht mehr ausdrücklich fixirt und für sich hingestellt, sondern als eine verhüllte Macht, als verschwiegen wirkende Folie den Dingen untergeschoben; nun wird nicht mehr direct gesagt: so sollte die Welt sein und so ist sie doch nicht, sondern die geschilderten Gegenstände selbst müssen dieß durch ihre Widersprüche, ihre Mißgestalt bekennen. Hier verändert sich denn Grundstimmung und Verfahren. Jene ist nicht mehr die ausschließlich bittere, denn dem Unterschieben liegt ein Gefühl der Wahrheit zu Grunde, daß doch wirklich die Macht der Jdee selbst in der argen Welt nicht zu Grunde gehen kann; wie tief der Zorn und Aerger sein mag, er wendet sich doch unwillkürlich zum freieren, unbefangeneren Lachen; er ist geneigt, das Böse für Thorheit zu nehmen, wie die ächte Komik; das Verfahren, die Darstellung wird anmuthig, leicht, spielend, liebenswürdig, nachläßig, geht in das objective Verfahren über, gibt ein Weltbild, und dieß wirkt wieder zurück auf die Stimmung, denn der Dichter muß Liebe für seine Narren gewinnen, wenn er in längerer Beschäftigung, wie sie ein ausführlicheres Gemälde, z. B. die bestimmte Form des Romans mit sich bringt, mit ihnen umgeht. Nur darf man immer nicht ohne Weiteres von Harmlosigkeit reden, denn mag auch das ganze Bild mit Liebe gepflegt sein, die Bitterkeit und das Schelten bricht doch im Einzelnen herb genug durch. Die Satyren des Horaz gehören der sogenannten lachenden Form an, aber von durchgehender freier Komik ist doch auch hier nicht die Rede. Ein Hauptmerkmal des Unterschieds von der freien Komik ist nun immer die Neigung zum Uebertreiben, zur Caricatur. Der Prozeß, welcher dem Wirklichen die Jdee als Folie unterlegt, hat im rein Komischen nicht ebenso nothwendig diese Wirkung, weil es nicht von derselben bewußten Schärfe der Entgegensetzung ausgeht. Auch die lachende Satyre faßt die Wirklichkeit hart und gewaltsam mit dem Maaßstabe der Jdee an und zwingt sie, ihre Verkehrtheit durch Ueberladung des Häßlichen zu bekennen; auch die Sittengemälde eines Horaz sind Caricaturen. Wie die Malerei (vergl. §. 742, 2.) steigert nun auch die Poesie diese Form bis zum phantastisch Ungeheuren. Die wild gährende Phantasie eines Rabelais und Fischart gibt eine Anschauung davon. Aristophanes ist trotz seinem phantastischen Bilden nicht ebenso frazzenhaft, ordnet seine grottesken Schöpfungen zu gerechten Kunstwerken und erhebt sich daher von der Grundlage der satyrischen Caricatur unzweifelhafter zur reinen Komik. Ein anderer Zug der Satyre im Unterschiede von der ächten Poesie ist ihre Neigung, einzelne gegebene Formen und Erzeugnisse der Poesie in's Komische zu ziehen, sei es durch Unterschiebung eines kleinen Subjects unter die Prädicate des großen und heroischen im parodirten, sei es durch Belassung des Subjects und Vertauschung der großen Prädicate mit kleinen und ungereimt modernen im travestirten Originale. Der ächte Komiker beschenkt statt dessen die Literatur mit einer neuen Form: Cervantes parodirte oder travestirte, wie wir schon zu §. 882 hervorgehoben, nicht die Ritter= Romane, sondern schuf in seinem ironischen Bilde des Zusammenstoßes der ritterlichen Romantik mit der wirklichen Welt den modernen, realistischen Roman. Gerade die Geschichte des Romans zeigt übrigens belehrend die mancherlei Uebergänge zwischen Satyre und Komik. So erschien in Deutschland manches Satyrische in Romanform gegen den puritanischen Geist der Romane nach Richardson, gegen den Jdealismus Klopstock's, gegen Physiognomik, gegen Geniewesen, Orthodoxie, Excentricität aller Art, bis diese unreifen Bildungen unter wachsendem Einfluß der englischen Humoristen, welche selbst von der Jronie gegen Richardson's absolute Tugendmuster ausgegangen waren, in J. P. Fr. Richter einen relativen, an unzweifelhaft ächter Komik jedenfalls reichen Abschluß fanden. ─ Hiemit sehen wir bereits, wie die Satyre den Zweigen der reinen Poesie folgt, zunächst dem epischen. Das komische Epos, das nichts als eine Parodie oder Travestie der Gattung ist, haben wir bereits hieher verwiesen. Das Lyrische muß einem Verhalten, das am liebsten mit wiederholten einzelnen Stichen sich gegen die Welt wendet, natürlich eine besonders angemessene Form sein. Daß die Lyrik der Betrachtung und in dieser vorzüglich das Epigramm ihr natürlicher Boden ist, ergibt sich von selbst, aber darum ist ihr doch das leichte Lied nicht verschlossen; je mehr sie sich allerdings in dessen Ton versetzt, um so mehr erhebt sie sich auch in den Humor. Ein schönes Beispiel hievon sind Göthe's „Musen und Grazien in der Mark“; man sieht hier recht, welche freie Leichtigkeit in dieser Hand Alles, selbst die harte Waffe des Spottes, gewinnt. Das politische Spottlied muß freilich schwerer wiegen, doch gibt es auch hier einen reichen Unterschied von Formen bis zu der Heiterkeit der ächten Komik. Zum Dramatischen kann die der Satyre beliebte Gesprächsform gezogen werden. Lucian hat das Muster gegeben, wie man das Ausgelebte und Verkehrte in eigener Person auftreten und in der Dialektik der Wechselrede seine inneren Widersprüche naiv bekennen lassen muß; Horaz geht vielfach in diese belebte Form über. Das sechszehnte Jahrhundert hat sie rüstig aufgenommen; wir erinnern nur an U. v. Hutten's Gespräch: die Anschauenden. Auch die Briefform nähert sich, wenn sie verschiedene Personen auftreten läßt, dem Dramatischen; Meisterwerk für alle Zeit bleiben die Epistolae obscurorum virorum . Je mehr sich aber die Satyre zum eigentlichen Drama entwickelt, desto mehr ist ihr der Aufschwung zum ächt Komischen gesichert, ja mehr noch, als im Epischen, weil die Selbstverwandlung des Dichters in seine Personen ihn entschiedener aus dem Standpuncte der Entgegensetzung gegen die Welt, der seine Grundlage bildet, in die Trunkenheit des wirklichen Humors hineinreißt. Auf Aristophanes haben wir in dieser Beziehung schon öfters hingewiesen. ─ Die directe oder positive Satyre hält das Jdeal ausgesprochener Maaßen an den Gegenstand, zeigt dessen Schlechtigkeit in offenem Angriff auf und gehört also entschiedener dem Boden der prosaischen Trennung zwischen der Jdee und der Welt an. Sie verfährt daher auch meist monologisch, tritt in Briefen, Abhandlungsform u. dergl. in der eigenen Person auf. Es ist damit zugleich gesagt, daß, wie in der Stimmung die freie Heiterkeit, welche ihre Narren liebt und geneigt ist, das eigene Jch unter den komischen Widerspruch zu subsumiren, so im poetischen Acte die Objectivirung nicht eintritt; daher in Vergleichung mit den Zweigen der Poesie nur eine Verwandtschaft mit dem Lyrischen übrig bleibt. Die directe Satyre wäre daher überhaupt nicht ästhetisch, sondern ethisch, wenn sie nicht im Einzelnen komischer Mittel, natürlich im Wesentlichen des Witzes, sich bediente, und da die objectivste Form des Witzes die Jronie ist (vergl. §. 201─204), so folgt, daß ihr Verfahren, wenn sie zu dieser greift, am nächsten an die höhere und freiere Natur der indirecten Satyre grenzt. Das Lob der Narrheit von Erasmus und die ironischen Abhandlungen von Liscow mögen als Beispiele genannt werden. Allein hier schwächt sich auch die praktische Gewalt einer Aeußerung des Geistes ab, die als beißendes Salz der trägen Masse des geschichtlichen Lebens unentbehrlich ist. Verdorbene Zustände wollen nicht mit der versteckt lachenden Jronie, sondern mit der äzenden Schärfe einer gründlichen Erbitterung bearbeitet, durchbohrt sein, der ästhetische Standpunct weicht dem ethischen, dem das Verhüllte zu matt, zu schwächlich ist. Fortgesetzte Jronie ist daher etwas Veraltetes, ist Rokoko, wir ertragen das schleppende Hinterhalten nicht mehr. Es versteht sich, daß, je mehr bei diesem positiv satyrischen Verhalten der ästhetische Standpunct hinter den ethischen zurücktritt, desto ausdrücklicher ein reiner Haß gefordert werden muß, der aus der Jdee fließt: „die Abneigung könnte auch eine blos sinnliche Quelle haben und lediglich in Bedürfniß gegründet sein, mit welchem die Wirklichkeit streitet, und häufig genug glauben wir einen moralischen Unwillen über die Welt zu empfinden, wenn uns blos der Widerstreit derselben mit unserer Reigung erbittert; ─ die pathetische Satyre muß jederzeit aus einem Gemüthe fließen, welches vom Jdeale lebhaft durchdrungen ist“ (Schiller Ueber naive und sentim. Dichtung. Werke B. 18, S. 252. 254). Die Satyre hat von einem durchaus persönlichen, wilden Schimpfen und Schelten in der jambischen Poesie der Griechen (Archilochos) ihren Ausgang genommen; als eine Art von Vorübung für die Komödie hat das seine natürlichen Wege, aber fixirt, wie in den späteren Satyren der Jtaliener und in den Gemeinheiten eines Murner, wird es abscheulich. Nicht die Einzelheit, Persönlichkeit des Objects ist das Verwerfliche; was packen will, muß einen greiflichen Gegenstand haben, und soll der Gegenstand gründlich durchbeizt und durchpfeffert werden, so kann der Satyriker nicht genug spezialisiren, auch die Farben mögen grell sein, wenn nur das Häßliche nicht die furchtbare Erdenschwere behält, wie in einem Juvenal. Das Wesentliche aber ist, daß das nächste Object immer nur der Punct sein soll, an welchem ein allgemeines Uebel angefaßt wird, und wir werden den Satyriker um so mehr achten, wenn dieses Uebel zugleich mit Macht bekleidet ist, wenn es Muth fordert, es zu bekämpfen. ─ Die Satyre fällt im Ganzen und Großen naturgemäß in Zeiten der Auflösung; die späte Zeit Roms und das sechszehnte Jahrhundert, dieses freilich so viel frischer und von Morgenluft bewegt, waren ihre Blüthe-Perioden. §. 925. 1. Der eigentlich didaktischen Poesie gehen mit dem Charakter ungeschiedener Ursprünglichkeit in Epos und Drama Erzeugnisse voran, welche den 2. Lehrgehalt als religiöse Thatsache aussprechen. Jn ausgebildeter Gestalt schließt sie sich an die epische Dichtung als Beispiel, Parabel, Fabel und beschreibendes Gedicht. Die naivste unter diesen Formen, verwandt mit 3. dem Thier-Epos, ist die Fabel. Zu der lyrischen Dichtung gesellt sich die lehrende Ballade und Romanze, das Spruchgedicht oder die Gnome, Sprichwort, Näthsel, zu der dramatischen der lehrhafte Dialog und alle 4. die Formen, welche den Charakter pathetischer Monologe tragen. Daneben breitet sich ein unbestimmtes Gebiet aus, das bereits der prosaischen Abhandlung verwandt ist und seinen Zusammenhang mit der Poesie nur durch Schilderungen des Naturschönen rettet, durch die es mehr oder minder dem beschreibenden Gedichte sich nähert: das eigentliche Lehrgedicht. 1. Wir haben die Theogonie und das ursprüngliche religiöse Epos, das vor der Ausbildung der Kunstpoesie liegt, nicht in der Lehre von der epischen Dichtung, die gottesdienstlichen Acte, aus denen das griechische Drama hervorgieng, die Mysterien des Mittelalters und die religiösen Dramen der Spanier, die zwar der Kunstpoesie angehören, aber doch von jenen naiven Anfängen sich ableiten, nicht in der Lehre von der dramatischen Dichtung als bleibende Arten aufgeführt. Darstellungen des absoluten Religions-Jnhalts in Form von Ereigniß, Handlung, Leiden, kurz reiner Mythus, nicht blos eingewoben in menschliche Handlung und Leiden, sondern als eigentlicher und wesentlicher Stoff, ist niemals ungemischte Poesie, sondern Lehrpoesie. Es verhält sich anders in der bildenden Kunst, hier ist das Vorführen der göttlichen Personen ein lebendiges Motiv, um rein und allgemein Menschliches darzustellen, weil es mit der sinnlichen Erscheinung Ernst wird; in der Poesie dagegen, wo das Anthropomorphische nur durchsichtige Vorstellung bleibt und doch die Gestalt in durchgeführte Handlung gesetzt wird, fällt hier die überzeugende Kraft der Lebenswahrheit weg; diese kann einem Ganzen von fast lauter transcendenten Gestalten und Begebenheiten nicht zukommen, menschliche Sympathie ist nicht möglich, wo es keine Schuld, kein eigentliches Glück und Unglück gibt, und wo diese nicht möglich ist, bleibt nur das Verhältniß des Bewußtseins zu reinen Jdeen, die ihm unter poetischer Hülle eingeprägt werden. Freilich aber ist bei diesen primitiven Erscheinungen des religiösen Epos der Unterschied von eigentlicher Lehrdichtung nicht minder einleuchtend: ehrwürdiger, fester Glaube hält die großen Wahrheiten noch unbefangen in sinnlicher Form fest und ist wirklich überzeugt, Thatsachen, Geschichte und Handlung vorzutragen, zu vernehmen. Es ist dieß der Antheil der Phantasie an der Religion, durch welchen diese die zweite Stoffwelt schafft (§. 416 ff.), und darin eben ruht die innigere Verwandtschaft dieser altehrwürdigen Lehrpoesie mit der ächten Dichtkunst; der Unterschied aber liegt, wie gesagt, darin, daß diese niemals die zweite Stoffwelt ohne die ursprüngliche gibt und immer irgend einen Grad von ästhetischer Lockerung des unfreien Scheins voraussetzt (vergl. §. 417. 418). Die eigentliche Lehrpoesie dagegen hat entweder bei übrigens phantasieloser Bildung den unfreien Schein in religiösen Dingen behalten, aber auf Verstandsgründe gestützt und das ist ebenso gut, wie wenn sie ohne diesen prosaisch geretteten Phantasie-Antheil bildlose Wahrheit vortrüge, oder sie hat ihn aufgehoben und dann tritt eben der letztere Fall ein, die Zuthat der Phantasie aber legt sich nachträglich an den so getrennten und für sich bewußten Gehalt. Eine genauere Erörterung der Hesiodischen Theogonie und des Verwandten in der griechischen Literatur gehört nicht hieher; dieselbe hätte übrigens Alles, was die orientalischen Religions-Urkunden von ausdrücklich und zusammenhängend vorgetragener Götterlehre, Göttergeschichte enthalten, ebenfalls zu berücksichtigen. Aus der nordischen Welt reihen sich daran die Edda-Lieder mythischen Jnhalts und aus der althochdeutschen die Evangelien-Harmonien Otfried's und die altsächsische, der Heliand. Dante, Milton, Klopstock dagegen gehören der Kunstpoesie an und sind in der Darstellung der Formen des Epos beleuchtet worden, es weisen aber die Bemerkungen in jenem Zusammenhang herüber in den Begriff des Gebietes, in welchem wir uns nun befinden. So hat denn auch das Drama ursprünglich vermeintliche Geschichte, absolute Geschichte, Glaubensgehalt als Thatsache dargestellt und das moderne Schauspiel ist aus den Mysterien, wie das antike aus den Dionysischen Fest-Aufführungen, hervorgegangen; die geistlichen Dramen der entwickelten Kunstpoesie aber, wie sie eigentlich nur in Spanien ( vidas de Santos und autos sacramentales ) geblüht haben, weben zwar den christlichen Mythus in menschliches Leben, Schuld und Schicksal ein, entziehen aber diesem die rein menschliche Wahrheit und Sympathie und sind wirklich Nachkommen der Mysterien bei einem bigotten Volke, die keine Stelle in der Lehre von der Poesie als ächte, des Bleibens werthe Formen finden können. Wir haben sie bereits als Spezialitäten bezeichnet. ─ Eigentlich könnten wir nun zu der elementarischen, großartig unbefangenen Lehrpoesie auch das aus den dunkeln Zeiten vor der Kunstdichtung überlieferte Gnomische, alle poetisch vorgetragene, noch immer an den religiösen Glauben geknüpfte ethische Wahrheit ziehen: einen Theil der sogenannten Orphischen Poesie, die Sprüche der sieben Weisen, das entsprechende Orientalische, wie es in poetischer Spruchform sich durch die Religionsbücher der Jnder und Perser zieht, älteste deutsche Spruchweisheit; allein wo immer Lebenswahrheit, nicht oder nur als Hintergrund der Anlehnung vermeintliche Thatsache vorgetragen wird, ist die wirkliche Scheidung von Jdee und Bild vorhanden und spricht sich denn auch in der Zerstücklung des Vorgetragenen, der Einzelheit der Sätze aus. 2. Wir haben schon bei der Satyre gesagt, daß es mancherlei Stufen und Mischungsformen zwischen den beiden Enden: der organisch bildenden Phantasie und dem die ästhetischen Elemente nur äußerlich verknüpfenden Verfahren gibt. Die didaktische Poesie geht immer vom geistigen Jnhalt aus und von da erst zum Bilde fort; sie unterscheidet sich von der satyrischen dadurch, daß sie zwar voraussetzt, das Leben entspreche noch nicht dem, was es sein soll, der Jdee, aber es bei der bloßen Voraussetzung beläßt, nicht die Anschauung des Verkehrten und Erbitterung darüber zu Grunde legt. Es fehlt ihr daher die Leidenschaft, welche die Phantasie zu jenem negativen, komischen Acte aufbietet, den wir kennen gelernt haben; aber von der einen Seite belebt sich ihre größere Nüchternheit durch die Wärme der Ueberzeugung und Gesinnung, von der andern kann leicht und unbefangen ein Anschauungsbild an die Jdee, welche den Lehrgehalt bildet, anschießen und innig damit zusammenwachsen, so daß die Lehre als das posterius erscheint, das nur so von selbst aus der Anschauung hervorspringt. Dieß liegt denn am reinsten vor in den Formen, die sich an die epische Dichtung anschließen. Das Beispiel (nicht im mittelhochdeutschen Sinne, wo es Fabel und jede didaktische Erzählung bedeutet, sondern im gewöhnlichen modernen Sprachgebrauche verstanden,) bringt zum Beleg einer Wahrheit einen Fall, eine Erscheinung aus dem Leben ohne Fiction herbei, worin diese Wahrheit real geworden ist oder immer auf's Neue wird; es gehört eigentlich ganz in die Prosa und wird hier nur erwähnt als belehrende Stufe der Leiter, die von da zur Parabel und Fabel führt. Jdee und Bild fallen in dieser einfachen Form gar nicht und ebensosehr ganz auseinander: gar nicht, weil die angeführte Erscheinung eigentliche Wirklichkeit der vorgetragenen Wahrheit ist, ganz, weil diese Wahrheit in unbestimmt vielen andern Erscheinungen ebenfalls wirklich ist, woraus sogleich folgt, daß doch die Wahrheit, der allgemeine Begriff und das zu seinem Belege beigebrachte Einzelne sich nicht decken, denn sind deren viele, worin jener realisirt ist, so sind es auch vielerlei (verschieden nicht wie Jndividuen einer Gattung, sondern Jndividuen aus verschiedenen Gattungen), so sind in ihnen auch noch andere Wahrheiten wirklich; die Güte eines Beispiels besteht nur darin, daß die vorgetragene Wahrheit den wesentlichsten unter den Zügen des angeführten Wirklichen bildet. Die Parabel dagegen fingirt einen Hergang für ihren Zweck, hebt als Band zwischen ihm und der Wahrheit, die sie vortragen will, das tertium comparationis heraus und knüpft an dieses die letztere. Hat sie sich ihren Fall erfunden, so ist er eben ganz auf dieß tertium angelegt, und daß in solchem Hergang auch noch andere Gesetze, Wahrheiten liegen können, geht sie gar nichts an. Der Zusammenhang zwischen Jdee und Bild ist daher loser, als im Beispiel, aber loser im Sinne des Freien, was sich das zweckmäßigste Anschauungs-Bild selber mit Phantasie schafft, und ebendadurch straffer. Die Parabel ist demnach eigentlich ein Gleichniß, aber ein entwickeltes, zur Erzählung ausgebildetes, episch gewordenes Gleichniß und diese Entwicklung hat ihren Grund darin, daß die vorzutragende Lehre nicht einfach, sondern vielseitig ist, eine Reihe von belegenden Momenten, eine Reihe von Vergleichungspuncten fordert (vergl. Babrios Fabeln übersetzt, nebst einer Abhandlung über die Fabel u. s. w. v. W. Hertzberg S. 93 ff.). Es ist in der Sache begründet, daß der Parabeldichter am liebsten einen Vorgang aus der Menschenwelt erdichtet, weil er hier die reichsten Vergleichungspuncte für seinen vielseitigeren Lehrgehalt findet. Dieser bewegt sich weniger im untergeordneten Gebiete der Lebensklugheit, als in dem hohen und ernsten der Ethik; die Parabel ist eine Bilderschrift, welche kindlichen Menschen erhabene und ehrwürdige, auf die Religion gegründete Wahrheiten des sittlichen Lebens einprägt und ihren frischen Geist durch die einleuchtende Zweckmäßigkeit erfreut und erfaßt. Der Lehrgehalt wird direct ausgesprochen: „das Himmelreich ist gleich“ u. s. w.; der Parabel= Erzähler gesteht offen, daß das Bild blos Mittel ist; Nathan in der Parabel von den drei Ringen thut es zwar nicht ausdrücklich, aber es liegt im Anlasse, daß der Lehrzweck seiner Erzählung kein Geheimniß ist. ─ Jn der Fabel nun scheint auf den ersten Blick das Verhältniß zwischen dem Bild und dem Gehalte viel lockerer zu sein, als in der Parabel. Das Gleichniß wird auch in ihr zur Erzählung, diese aber ist Fiction in viel engerem Sinne, denn sie leiht der unbeseelten Natur, Pflanzen, Bergen, Gewässern, einzelnen Organen des Körpers, vor Allem aber der Thierwelt Bewußtsein, Vernunft, Sprache und verlegt so Handlung in ein Gebiet, wo es nach Naturgesetzen keine gibt, freilich eine Handlung, die dem beobachteten Charakter der Naturwesen entspricht. Producte der menschlichen Kunst treten ebenfalls auf und werden wie beseelte Naturwesen aufgefaßt. Lehrhafte Fiction auf Grundlage der Naturbeobachtung ist also das Wesen der Fabel, nicht blos der Aesopischen, sondern der Fabel überhaupt. Daß auch geisterhafte Gestalten, Riesen und Zwerge, Götter, allegorische Personen auftreten, ändert nichts an diesem Charakter, denn sie werden in diesem Zusammenhange ganz ähnlich wie typisch einfache Thiercharaktere verwendet; daß sich die Fabel in Sammlungen jederzeit mit Parabeln gemischt hat, welche mit ihr unter Einem Namen befaßt werden, kommt nur von der nahen Verwandtschaft beider Formen und der Ungenauigkeit gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Die Fabel vereinigt also Wunderbarkeit und Natürlichkeit. Die erstere Eigenschaft scheint denn eine Absichtlichkeit des Bildes, eine Aeußerlichkeit seiner Beziehung zu seiner Jdee, einen Verlust an Einfachheit und schlichter Angemessenheit in Vergleich mit der Parabel zu begründen. Allein umgekehrt: der Vergleichungspunct ist durch die geläufige Einfachheit und Entschiedenheit der Züge, die von dem Naturwesen entlehnt werden, namentlich die schlechthin einleuchtende Analogie der allbekannten Thiercharaktere zu menschlichen Eigenschaften, Gesinnungen, so ganz schlagend, daß er mit voller Ungesuchtheit hervorspringt. Es ist nur ein unmerkbarer Ruck, der das Menschenähnliche zum Scheine des wirklich Menschlichen erhebt, ein augenblickliches scheinbares Ernstmachen aus einer Unterschiebung, die jedes lebendigen Menschen Phantasie leicht und gern mit den Naturgebilden vornimmt, am meisten die kindliche, und der Fabel gehört ursprünglich ein Auditorium, das wie die Kinder gewohnt ist, Bäume, Steine, Flüsse, Tische, Messer und Gabel, Fuchs und Wolf sprechen zu lassen. Es ist nichts zu verwundern, es versteht sich von selbst. Die Beziehung der vertrauten und einleuchtenden Eigenschaften der Naturwesen auf das tief verwandte Menschliche liegt nun eben schon in diesem Rucke zum scheinbar wirklich Menschlichen; der Dichter braucht daher die Moral gar nicht herauszustellen, sie wird, wenn er richtig und lebendig erzählt, in der Handlung selbst von den Acteuren ausgesprochen. Ja die Lieblichkeit und der Humor der Erzählung gewinnt unter der Hand ein Jnteresse für sich, einen selbständigen Werth, und die Fabel, indem sie mit dem Lehrzwecke spielt, hebt sich dadurch näher an die selbständige Poesie. Es hängt aber die Entbehrlichkeit des Epimythions noch anders zusammen: die Fabel stand ursprünglich nicht für sich, sondern gehörte dem Leben an, wurde bei Anlaß einer Situation, einer Thatsache vorgetragen (Fabel des Menenius Agrippa) oder war Theil eines größeren Gedichts und dieser Zusammenhang gab von selbst die Beziehung, den Sinn (vergl. Hertzberg a. a. O. S. 128, dessen scharfsinniger Untersuchung wir überhaupt in diesen Erörterungen folgen). Erst die historische Aufbewahrung, die Nachahmung in der Kunstpoesie hat sie vereinzelt, ihr diese Beziehung genommen und dafür das ausdrückliche fabula docet aufgedrängt. Dadurch ist sie zugleich um ihren Grundzug, die Naivetät gekommen und selbst Lessing konnte epigrammatische Kürze mit kindlicher Einfachheit verwechseln. Es mag eine witzige, pointirte, satyrische Fabel berechtigt sein, aber sie ist ein später, moderner Ableger der wahren. Diese ist Eigenthum des frischen Auges, das die Natur liebevoll und unbefangen belauscht, das Thierleben nicht in der Studirstube, sondern in Wald und Feld, Stall und Hof beobachtet hat. Die Fabel ist im besten Sinne ein Stück rechter Bauern-Poesie. Daher ist sie auch nicht eigentlich ethisch; die Bauernklugheit entnimmt praktische Sätze, Regeln des Lebensverstands aus dem verwandten Naturleben, namentlich aus dem Egoismus, der Sinnlichkeit, der List des Thieres. ─ Parabel und Fabel sind demgemäß von so ursprünglichem Charakter, daß wir sie zu jenen unbefangenen, altehrwürdigen Urformen der Lehr-Poesie hätten stellen müssen, wenn sie nicht doch durch die Jsolirung einer einzelnen Lebenswahrheit sich von einem Gebiete sonderten, das noch im großen, monumentalen Zusammenhange des mythischen Glaubens und seiner Phantasiewelt liegt. ─ Auf einen größeren Zusammenhang anderer Art weist allerdings die Fabel hin. Dieß ist die Thiersage. Sie belauscht die Thiere und hebt wie die Fabel das Menschenähnliche ihres Thuns in die Form des wirklichen Bewußtseins, der Sprache, allein sie hat nicht daneben den Menschen im Auge, um, was sie an den Thieren beobachtet, nun mit Lehr-Absicht auf ihn zu beziehen, das Jnteresse bleibt ihnen ungetheilt und sie werden zu freien, selbständigen Wesen, Personen für sich, wie in der Heldensage die Helden, daher auch mit Eigennamen, die ursprünglich Charakterbezeichnungen sind, wie diese ausgestattet. Es ist daher natürlich, daß die Hauptpersonen freie Waldthiere sind, Raubthiere von fest ausgesprochenem typischen Charakter, und die Thiersage weist auf die ältesten Zeiten des deutschen Volkes, dem sie ausschließlich eigen ist, auf frisches Wald- und Jägerleben zurück, das „die Heimlichkeit der Thierwelt“ belauschte, sie athmet „Waldgeruch“ (J. Grimm. Reinhart Fuchs Einl.). Nun kann aber der Mensch, der ein so nahe Verwandtes in der Natur liebend beobachtet und dichtend umbildet, nicht völlig sich selbst neben dem Gegenstande vergessen; er kann nicht dauernd in das Thier den Menschen ganz hineinsehen; der Mensch ist außerdem noch da und die Hinüberziehung muß eintreten, es muß einleuchten, daß ja dieß Alles ein sprechendes Bild des Menschenlebens ist; das Bewußtsein der Beziehung wächst mit dem Verfolgen, dem Ausspinnen der einzelnen Abenteuer und endlich springt ─ nicht Lehrabsicht wie in der Fabel, aber Satyre als Bedeutung des Ganzen hervor, Satyre von jener negativen Art, die nur im Sinne der untergelegten Folie verfährt. Die Thiersage steht ursprünglich nur an ihrer Schwelle, sie bewegt sich aber nach und nach nothwendig über dieselbe; das Ausspinnen äußert sich zugleich als der Trieb, ein zusammenhängendes satyrisches Weltbild zu schaffen, daher ein Zug zur Verbindung der einzelnen Erzählungen, der ganz wie in der Heldensage endlich zu einem Epos führt. Dieß Epos ist denn die vollendete Jronie des Heldengedichts, ein Bild der Welt, wie sie ist, wenn man das Gewissen daraus wegläßt, ein Streit der allgemeinen Selbstsucht, worin die listigste jede andere überholt. Seine Vollendung fällt natürlich in eine ungleich spätere Zeit, sie fällt zusammen mit der Epoche, da die Nation jenes bittere Ding, das wir Erfahrung nennen, um eine Welt von Jllusionen erkauft und da sie begriffen hat, was eigentlich Politik und was Pfaffenthum ist, da „Reineke Fuchs wirklich zum Kanzler des Reichs geworden ist“ (Rosenkranz Gesch. d. deutsch. Poesie im Mittelalter S. 611). Es ist eine etwas schwierige Frage, wohin man das Thier-Epos stellen soll: in die Lehre vom Epos, von der Satyre, oder neben die Fabel. Nur die innige Verwandtschaft des bildlichen Stoffes entscheidet uns für die letztere Anordnung. Vermöge derselben ist es nur natürlich, daß sich Fabeln unter den Thiersagen finden, ja es fragt sich, ob die Fabel nicht eine degenerirte, didaktisch gewordene, zerstückelte Thiersage sei, wie J. Grimm annimmt; sie ist aber wohl vielmehr ursprünglich eine selbständige Schwester derselben. ─ Aus diesen uralten, ursprünglichen Gebieten führt uns nun ein freilich rascher Sprung, wie ihn die Mannigfaltigkeit der Formen in diesem gemischten Gebiete mit sich bringt, zu dem beschreibenden Gedichte. Es blühte im achtzehnten Jahrhundert, als die Poesie mit allen Kräften nach der Natur, nach der Anschauung drängte, aber das Grundgesetz, daß sie nicht malen darf, als hätte sie ein räumlich Festes vor sich (vergl. §. 847), noch nicht begriffen hatte. Nun gab man Naturschilderungen ohne Handlung; hiemit war der ideale Gehalt in das unorganische Verhältniß gestellt, daß er nicht als immanente Bewegung in den Darstellungsstoff selbst eindrang, daher als Lehre neben denselben treten mußte, und so kann keine Frage sein, daß Werke wie Thomson's Jahreszeiten, Brocke's irdisches Vergnügen in Gott, Haller's Alpen, Kleist's Frühling in das didaktische Gebiet gehören, und zwar des objectiven Charakters der Schilderung wegen in dessen epische Sphäre. ─ Noch ist kurz ein Ausläufer der Poesie nach einer andern Art der Prosa, nämlich der historischen Wahrheit zu erwähnen: die Reimchronik, ein Werk der Kindheit der Geschichtschreibung im Mittelalter; die Geschichte ist mit der Sage vermischt und ladet so zur Bearbeitung in Versform ein. Von dem Verhältnisse der reifen Kunst der Geschichtschreibung zur Poesie ist in §. 848, Anm. die Rede gewesen. 3. Andere Formen der didaktischen Dichtung schließen sich dem Lyrischen an und am nächsten der ächten Poesie stehen offenbar die erzählenden lyrischen Formen, die bei unverhülltem Lehrzweck doch den indirecten Weg einschlagen, die Lehre in den Körper des Stoffes, etwa als Ausspruch in den Mund einer handelnden Person zu legen. Welcher Anmuth die didaktische Dichtung fähig ist, wie verkehrt es wäre, ihren Werth zu verkennen, wenn er nur an seinen Ort gestellt ist, zeigen so treffliche lehrende Balladen oder Romanzen, wie Göthe's Schatzgräber, Schiller's Theilung der Erde, Pegasus im Joche. Der Zauberlehrling neigt entfernt zum Didaktischen; es gibt unendliche Uebergänge. Dagegen dehnt sich nun das weite Gebiet des direct Didaktischen, das dem Lyrischen parallel läuft, in dem einfachen, unmittelbaren Aussprechen und Hinstellen ethischer, überhaupt praktischer Wahrheit, wobei das ästhetische Element nur als Gleichniß, Metapher u. s. w. seine dienende Rolle spielt Metapher als ästhetisches Mittel der didactischen Dichtung : es ist das Gnomische, herausgenommen aus seinem Verhältniß als bloßes Moment im Lyrischen (vergl. §. 885, 1.): Spruch, Xenie, oder unter welchen Namen es auftreten mag, der Ausläufer der Lyrik der Betrachtung (vergl. §. 894), in kürzerer Fassung, einfachem Hinstellen einer Wahrheit dem Epigramm, in vollerer, aber an eine Situation geknüpfter Entwicklung der Elegie nachbarlich verwandt, ja mit ihr zusammenfließend. Es ist der reiche Schatz seiner Lebensweisheit, den ein Volk in der Form schöner Gedankenpoesie an den Grenzlinien seiner höheren, rein ästhetischen Dichtung aufhäuft; alle ächten National-Literaturen, vor Allem die hebräische, griechische, deutsche bieten eine Fülle der gediegenen Nahrung für Geist und Charakter, die in diesem einfachen, gesunden Brode liegt. Wir dürfen jene Dichter-Naturen nicht gering anschlagen, die, nachdenklich, wie Walther von der Vogelweide, zwischen der reinen lyrischen Stimmung und der strengen Betrachtung sich bewegen und alle Verhältnisse ihrer Zeit mit dem Salze des ernsten Gedankens durchdringen, noch dürfen wir dem vollen Genius unsere Liebe entziehen, wenn im Alter seine Phantasie nachläßt, sich zersetzt und den Gehalt einer langen Erfahrung und Geistes-Arbeit nach allen Lebens-Beziehungen in sinnvollen Sprüchen widerlegt, wie Göthe in seinen zahmen Xenien. Aber auch in seiner besten Zeit hat er und Schiller zwischen dem scharfen Hagel der satyrischen Xenien die reinsten Goldkörner, ja volle, aus Gold getriebene Kränze gnomischer Poesie ausgestreut. ─ An diesen Zweig der lehrhaften Kunstpoesie reiht sich als Ausdruck der praktischen Volksweisheit das Sprichwort. Es liegt weiter ab von der Dichtung, es ist gangbare Münze mitten im wirklichen Leben, daher es zwar gern, aber nicht wesentlich und nothwendig rhythmische Kunstform und Reim annimmt. Doch ist es meist (nicht immer, denn es kann auch nackt und direct eine Regel, Rath, Lehre in kurzem Satz aussprechen) poetisch durch sein eigenthümliches bildliches Verfahren. Es liebt nämlich, eine allgemeine Erfahrung aus dem Natur- oder Menschen-Leben als einen Satz hinzustellen, der eigentlich die figürliche Seite bildet, aus welcher durch den Vergleichungspunct die beabsichtigte Lehre erst zu ziehen wäre, die wirkliche Ziehung derselben aber dem Leben selbst, dem jeweiligen Falle zu überlassen (z. B. Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer, eine Hand wäscht die andere u. s. w.) Gerade daß es die Anwendung nicht selbst übernimmt, darin liegt sein Charakter, für den Hausbrauch des wirklichen Lebens bestimmt zu sein. Wird das Bild aus den menschlichen Zuständen und Thätigkeiten genommen, so ist es natürlich eine greifliche Sphäre derselben, organisches Leben, Handwerk u. s. w. Es kann übrigens auch humoristisch die transcendente Welt verwendet werden, als wäre sie so vertraut und nahe wie die menschliche (z. B. wenn der Teufel hungrig ist, frißt er Fliegen). ─ Endlich verläuft sich die fragmentarische Form der didaktischen Dichtung in das Gebiet des Spiels durch die verschiedenen Arten des Räthsels. Es wird aufgegeben, ein Wort zu errathen und das Finden (in der gewöhnlichen, allgemeinsten Form) dadurch erschwert, daß solche Eigenschaften des Gegenstands angegeben werden, die er mit andern gemein hat, und daß sie der Räthseldichter gerade mit der Absicht, nach andern Gegenständen irre zu führen, bezeichnet und zusammenstellt, während er doch zugleich dunkle Winke einflicht, die auf den rechten Weg leiten. Das Räthsel ist enge mit der Allegorie verwandt, aber es ist ehrlicher, als diese: es gesteht, daß es blos Spiel ist und hilft dem verlegenen Rather durch schließliche Nennung des Worts oder Zugeständniß des richtigen Funds aus der Noth. So verhält es sich z. B. mit den Allegorieen im zweiten Theile von Göthe's Faust nicht; wir sollen rathen und werden nie wissen, ob wir richtig gerathen haben. An die dramatische Form findet begreiflich in der didaktischen Poesie weniger Annäherung statt; das forttönende Aussprechen des directen Pathos (wie in Tiedge's Urania) gemahnt nur ganz entfernt an den Monolog und der Dialog bringt, da er nicht zur Handlung fortschreiten kann, ungleich weniger ästhetisches Leben herzu, als das schildernde Element in den Formen, die sich an die epische Poesie anlehnen. Die strenge Wissenschaft hat, angelockt von dem Scheine natürlicher Zweckmäßigkeit, welchen der Dialog nach der subjectiven Seite für das Verhältniß zwischen dem Lehrer und Schüler, nach der objectiven für das Verhältniß von Satz und Gegensatz, Grund und Gegengrund, überhaupt für das Dialektische entgegenbrachte, diese Form geliebt, aber die Erfahrung gemacht, daß die Zuthat der Poesie, die Zerfällung in Personen, die nothwendigen Anknüpfungen an Zufälligkeiten der Situation u. dergl. ihr nicht förderlich, sondern nur hinderlich, störend sind. Wo die Wissenschaft auf ihrem eigenen, strengen Boden steht, soll ihr die Poesie nicht folgen wollen; sie lenkt vom Wahren als blos Wahrem ab und die Mischung verwirrt durch die Theilung unseres Jnteresses an den Selbstzweck des Schönen und an den Selbstzweck des Wahren. 4. Endlich gelangen wir zu dem äußersten breiten Rande dieses Gebietes, dem Lehrgedicht im engeren Sinne des Worts. Es nimmt eine bestimmte Materie vor und handelt sie nach ihrer innern, gegenständlichen Ordnung ab; der ausgesprochene Lehrzweck, die logische Ordnung und die ausgedehnte Durchführung sind seine Merkmale. Hier ist die Grenze, wo die Poesie in die Abhandlung übergeht und das Aesthetische am entschiedensten nur äußerlich anhängt. Es ist klar, daß dieses sich in dem Grade verstärkt, in welchem der Gegenstand naturvoll ist, innige Beziehung des Menschen zur Natur enthält: dann nähert sich das Lehrgedicht in seinen epischen und lyrischen Elementen der Jdylle; so vor Allem in den Gedichten vom Landbau. Jn Hesiod's Werken und Tagen besitzt auch diese Gattung ein Gedicht jenes ursprünglichen, ehrwürdigen Charakters, der allerdings die idyllische Wirkung nur für uns hat, denn hier ist das Bild eines Zustands, der weit hinter der Trennung der Kräfte und Zerspaltung des Lebens liegt, die den müden Menschen treibt, in der ländlichen Natur die verlorene Einfalt zu suchen, hier ist ursprüngliche Einfalt, die einfache Thätigkeit in Feld und Haus mit ihren Regeln und Gesetzen bildet Einen ungetrennten Kreis mit den höchsten ethischen Pflichten und mit der Religion; wogegen Virgil's Georgica ihre Anleitungen mit einer Naturschilderung schmücken, die schon den elegischen Charakter einer Welt tragen, wo das Gemüth die verlorene Natur wieder aufsucht, um sich in ihr zu erholen. ─ Ein Reichthum poetischer Motive liegt in den Heilkräften, die aus dem Schooße der Natur sprudeln; Neubeck hat in seinen „Gesundbrunnen“ einen glücklichen Stoff glücklich behandelt. ─ Jn anderem Sinn erwärmt sich das Didaktische, wenn eine Seite des menschlichen Lebens ergriffen wird, die dem Affect angehört und an sich keine Methode kennt, wie in Ovid's Kunst zu lieben; hier entsteht durch das Lehrhafte, das Abhandelnde eigentlich eine freie und heitere Jronie des Lehrgedichts. Das ethische Lehrgedicht, sei es ermahnend oder tröstend (Opitz: von der Ruhe des Gemüths, vom wahren Glück, Trostgedicht in den Widerwärtigkeiten des Kriegs), hat neben der Poesie der Schilderungen seine ästhetische Stütze auf die Energie des Pathos zu stellen. Die farblosesten Bildungen entstehen natürlich, wenn rein wissenschaftliche oder technische Materien behandelt werden. Noch einmal ist allerdings naiv alterthümliche und moderne Form des Bewußtseins zu unterscheiden: der poetische Vortrag der Philosophie im Mund eines Parmenides und Empedokles ist etwas Anderes, als die Gedichte eines Lucretius und gar der Neueren von der Natur der Dinge. Die Stubenpoesie hat sich denn über alle möglichen Zweige der Wissenschaft verbreitet bis zu den anmuthigen Sphären der Medizin (Bilderdyk über die Krankheiten der Gelehrten); sie hat höhere, künstlerische ( ars poetica des Horaz u. s. w.) und niedrige Technik, bis zur Seidenspinnerei, in ihr Bereich gezogen: aus dem ästhetischen Jnhalt der ersteren ist ihr geringer Gewinn an poetischem Werth erwachsen, denn die Wohlweisheit des Recepts, so viel Verständiges dasselbe enthalten mag, sinkt an dem freien Geiste des Jdeals, über den sie sich ergießt, als mattes, laues Wasser hinunter. §. 926. Die Tendenzpoesie verhüllt die unorganische Verbindung der ästhetischen Elemente, welche in der didaktischen zu Tage liegt, unter der Energie des pathetischen Hindringens auf den Zweck und nähert sich dadurch einem andern Grenzgebiete der Poesie, der Rhetorik. Diese greift vom praktisch ethischen Boden in die Dichtkunst herüber, indem sie zum Zweck einer bestimmten Wirkung auf den Willen Gefühl und Phantasie aufbietet und diese Mittel mit denen der Ueberzeugung zu einem künstlerischen Ganzen verarbeitet. Die Lehrpoesie im Großen und Ganzen will allerdings nicht blos auf den theoretischen Geist wirken, sondern auf das sittliche, politische Leben (vergl. §. 547), aber doch nur mittelbar und unbestimmt eben durch jenen. Die Tendenzpoesie (vergl. §. 547. 484) hat den bewußten Zweck, sich direct in das Leben hineinzuarbeiten, die Gemüther zu bestimmen, daß sie durch den Willen die Jdee, für welche der Dichter begeistert ist, realisiren, und indirect verfährt sie dabei nur sofern, als sie diesen Zweck unter den poetischen Mitteln verhüllt. Sie ist in §. 848 als Fehler besprochen; hier, im Anhang, wo es sich von berechtigten Nebenformen handelt, muß sie noch einmal, und auch nach ihrer begründeten Seite zur Sprache kommen. Sie steht über und unter der didaktischen: über ihr, sofern das Pathos für ein bestimmtes reales Sollen gedrängter, acuter, feuriger ist, als die stille Wärme, die eine Betrachtung begleitet, unter ihr, sofern die Betrachtung, welche die Welt nicht unter dem Standpuncte des Sollens ansieht und nicht das pathologische Jnteresse hat, auf sie direct einzuwirken, idealer ist und wenn sie die höchsten Sphären zum Jnhalte nimmt, dem Gebiete des absoluten Geistes angehört; man kann hinzusetzen, daß die geständige Lehr-Absicht weniger unbehaglich stimmt, als die versteckte des Wirkens, die man wittert und der man auf die Spur kommt. Je nach Standpunct und Situation wird man die eine der andern vorziehen und am leichtesten sich mit dem Tendenziösen versöhnen, wenn man sieht, daß es nur die schwächere Seite eines Dichtergeistes ist, der in seinen Weihestunden das Feuer seiner Begeisterung in den wahrhaft ästhetischen Prozeß der Phantasie zu erheben vermag. Das Tendenziöse ist besonders in der dramatischen Poesie zu Hause, weil diese sich am entschiedensten gegen das wirkliche, sittlich politische Leben öffnet, und die Form, worin es sich äußert, wird am richtigsten hier rhetorisch genannt. Dieser Zug hat sich bei uns vorzüglich in Nachahmung Schiller's festgesetzt, von welchem nach dieser Seite in §. 896, Anm. die Rede war. ─ Jm Uebrigen ist es auch hier in der Ordnung, daß man sich nicht immer auf die Höhe des strengsten ästhetischen Maaßstabs stellt, sondern zu rechter Zeit auf den praktisch ethischen herüberneigt und zufrieden ist, wenn ein Tendenz-Roman, lyrisches Tendenzgedicht, namentlich aber Tendenzdrama einmal die trägen Gemüther mit starken Hebeln faßt, erschüttert, für große Jdeen der Humanität, der Nationalität, der Freiheit und Gerechtigkeit begeistert. ─ Wir sind aber hier wirklich zu der letzten Grenzmarke gelangt, mit welcher sich die Aesthetik zu beschäftigen hat, zu der Rhetorik. Jhr Grund und Boden ist der praktisch ethische: der Redner hat direct den Willen einer Versammlung zu einem Entschlusse zu bestimmen; nur die religiöse Rede und noch mehr die sogenannte Schaurede unterscheidet sich dadurch, daß sie nicht einen einzelnen Entschluß, sondern eine bleibende Stimmung hervorzurufen sucht, aber auch diese soll in den Willen übergehen und so ist eben Willensbestimmung der spezifische, allgemeine Zweck des Redners. Für diesen Zweck werden nun neben dem theoretischen Mittel der Ueberzeugung nothwendig solche in Bewegung gesetzt, welche der Poesie angehören, denn die Ueberzeugung soll durch Entzündung des Gefühls, Affects und der Phantasie zum Willens-Acte, zum Beschlusse werden. Das Epische tritt in der Schilderung, das Lyrische in der directen Gefühls-Erregung, sofern sie noch vom Affecte, d. h. der Spannung gegen den Willen hin zu unterscheiden ist, das Dramatische in den starken schlagartigen Wirkungen auf diese Kräfte hervor. Wirklich liegt nun aber in dieser Verbindung poetischer Elemente mit der Prosa entschieden nicht mehr eine Auflösungsform der Poesie vor, sondern ein Herübergreifen eines andern Gebiets in diese, mag auch in der Persönlichkeit des gebornen Redners gemäß den unendlichen Mischungen, welche die Natur hervorbringt, die Verbindung der Elemente eine ganz flüssige, lebendige sein. Wir haben also den Boden der Aesthetik unzweifelhaft verlassen und blicken bereits von einem andern nach ihr herüber. Zwar ist auch die Anordnung der Rede keine Aufgabe des prosaischen Denkens, nicht rein logisch, sondern die bestimmte Energie seines Zwecks gebietet dem Redner, die Ueberzeugungsgründe, die positiven und die negativen (widerlegenden), mit den poetischen Mitteln im Ganzen und im Einzelnen so zu disponiren, daß diese sämmtlichen Kräfte steigend zu einem Strom anwachsen, der endlich reif ist, durch die Schleusen zu brechen, d. h. als Entschluß der Versammelten, als That in die Welt hinauszufluthen. Die eigenthümliche Mischung der Elemente bringt es mit sich, daß der Accent einseitig auf den Kunstbegriff gelegt werden und diese formale Auffassung sich mit praktischer List und Partei-Jnteresse zu der Ausbildung einer perfiden und doch höchst wirksamen Schein-Rhetorik verbinden kann. Dieß hat aber eben nicht die Aesthetik, sondern die Ethik zu rügen, soweit sie nicht als Politik Ursache hat, den Unterschied der politischen Moral von der Privat-Moral entschuldigend anzuwenden. Die wahre Beredtsamkeit aber theilt mit der Poesie die Lauterkeit der Jdee.