Ew. Exellenz hohem mir vorgestern zugekommenen Befehle vom 13ten Juni c , über den Ew. Exellenz von der hiesigen medicinischen Fakultät zur vakanten Professur der Physiologie ehrerbietigst vorge- schlagenen Professor Dr. Franz von Paula Gruithuisen mich in aller Hinsicht gutachtlich zu erklären, habe ich die Ehre hierdurch zu gehorsamen, und bemerke nur im Voraus, daß ich natürlich hierbei nur meine eigne unmaßgebliche Ansichten aussprechen kann, da mir die Motive, welche meine Collegen in der Fakultät bewogen haben, unanimiter für Gruithuisen zu stimmen, nicht genau bekannt sind. Schon im Jahr 1811, als ich auf einer wissenschaftlichen Reise etwa 8 Tage lang mich in München aufhielt, lernte ich von Gruit- huisen kennen und fühlte mich durch seine Persönlichkeit, mannig- faltige Kenntnisse und große Liebe für Naturwissenschaften angezogen; - im Jahr 1819 als ich aus Italien zurückkehrte, und mich wieder einige Zeit in München aufhielt, sah ich ihn wieder häufig, weil seine Unterhaltung mir belehrend schien, und weil ich, wie auch das erste mal mit ihm zusammen Unter- suchungen über Infusionsthiere anstellte, und seine mühsamen Arbeiten dafür zu benutzen wünschte. Nach dieser freilich nicht intimen, aber doch auch grade nicht flüchtigen Bekanntschaft ist mir von Gruithuisen nicht allein als ein tüchtiger und eifriger Gelehrter, sondern auch als ein stiller, gemüth- licher und wackerer Mann erschienen, der ganz den Wissenschaf- ten lebte, und in einer äußerlich nicht sehr begünstigten Lag e dennoch viel Geld auf Instrumente und Bücher verwandt e. Ähnlich ward er mir auch von unseren Bekannten, unter denen i ch mich nur auf den Obermedicinalrath Grossi , Direktor Koch Prof. Oppeln besinne, geschildert. Seine näheren Verhä lt- nisse sind mir nicht bekannt, und ich weiß nichts als Gutes von ihm; - denn daß er einmal in die großen Streitigk ei- ten, welche in der Münchner Akademie der Wissenschaften herrschten, gewaltsam hineingezogen ist, dabei sehr gedrü ckt ward, und einen Streit mit Jacobi bekam, habe ich nur oberfläch- lich gehört, - kann es aber nicht daher auch nicht für etwas Nach- theiliges halten; da Streitigkeiten unter Gelehrten ja leider so häufig sind. Sonst ist mir von von Gruithuisen nur noch be- kannt, daß er nicht allein wissenschaftliche Bildung genoßen sondern vom Jahr 1802 - 7 in Landshut studiert und dort mit Auszeichnung den Doktorgrad erlangt hat; ein en Abdruck seines Doktordiploms, den ich von ihm neulich erhalten, lege ich als Beweis dafür hierbei. Die Fächer über welche von Gruithuisen an der Schule für Landärzte (ein unseeliges Mittelding zwischen Universität und chirurgischer Schule) Vorträge hielt, sind soviel ich weiß Physik , Chemie , Botanik , Physiologie , Pathologie , und wenn ich nicht irre am Liceum auch Naturgeschichte ; - ich habe keine Vorträge von ihm, wohl aber sonst gehört, daß er ein guter Lehrer sei, wofür auch sprechen dürfte, daß man ihm allmälig ein Lehrfach nach dem andern übertragen hat. Über seine specielle Qualifikation zu einer Professur der Physiologie wage ich nur mit einiger Schüchternheit zu urtheilen, da man in dieser Wissenschaft jezt so sehr ver- schiedene Ansichten hegt; - ich bekenne mich zu der Art von Physiologie , die Haller , Blumenbach , Prochaska , Rudolphi und G. R. Treviranus lehrten und zum Theil noch lehren, d. h. zur Naturbeobachtung verbunden mit philosophischer Würdigung der Lebenserscheinungen. Bloßes Philosophiren und Haschen nach Hypothesen und bildlichen Bezeichnungen wie sie die neuere Schule einführt, halte ich für Mediciner mehr schädlich als nützlich; und im Gegentheil für ein nothwen- diges Requisit eines guten Physiologen, daß er in allen Zwei- gen der Naturwissenschaften zu Hause sei, zu beobachten und das Gesehene ruhig zu beurtheilen vermöge; - nur eine vergleichende und experimentelle Physiologie scheint mir die wahre zu sein. Für einen Physiologen der lezteren Art halte ich nach meiner individuellen Überzeugung von Gruithui- sen . Ohne auf seine philosophischen und astronomischen Schriften einzugehen, führe ich von seinen hierhergehörigen Schriften nur diejenigen an, welche ich theils aus eigener Lektüre theils aus Kritiken kenne; dahin gehören 1) Die naturhistorischen Untersuchungen über den Unterschie d zwischen Eiter und Schleim durch das Mikroskop . 2) über die Existenz der Empfindung in den Köpfen und Rümpfen der Geköpften . 3) Organozoonomie, oder das niedrige Lebensverhältniß als Propädeutik zur Anthroplologie . 4) Beiträge zur Physiognosie 5.) Hippokrates des zweiten ächte medicin. Schriften in's Deutsche übersezt . 6.) Lieblingsobjekte im Felde der Naturforschung 7.) über Muskelbewegung in der Salzb. med. chir. Zeitung 8) über Infusorien ebendas. 9.) über die Branchienschnecke und eine aus ihren Überresten hervorwachsende Conferve im lezten Bande der Bonner Akten. Fast alle diese Schriften, die ich kenne gehören der Physio- logie an, und zeigen wenn ich nicht irre alle einen eigenen Gang des Verfassers, eine rege Phantasie, eine ziemlich strenge Kritik, und mehr oder weniger Bereicherungen für die Physiologie und Pathologie ; fast möchte ich in einigen zuviel Spekulation finden, aber keines ist ohne doch ohne die gehörige Zugabe von Empirischem; und namentlich haben mir seine Ansichten über Muskelbewegung , Blutbildung , Entzündung , und seine Untersuchungen über Infusorien gefallen. Daß er auch ein guter Patholog sei, hat er nicht allein durch mehrere der oben angeführten Schriften, sondern auch durch viele gehaltreiche Recensionen solcher Werke in der Salzburg. medic: chir. Zeitung gezeigt, und die Fakultät wünscht daß unser neue Physiolog auch Pathologie wie Bartels es auch that, lehren möge. Da von Gruithuisen ein gesunder kräftiger Mann von etlichen 40 Jahren ist, und schon bisher trotz einer Überladung von Lehrfächern sich als guter Physiolog gezeigt hat, so glaube ich nach meiner besten Überzeugung, daß er bei uns, wo er seine ganze Kraft diesem Fach widmen könnte, gewiß sehr nützlich und der Universität eine Zierde werden kann. Mit tiefem Respekt habe ich die Ehre zu verharren Ew. Exellenz unterthänigster Diener Dr. A. W. Otto Breslau d. 22. Juni 182 2