Berlin den 24. Febr. 1821. Euer Excellenz erfreuliches Geschenk, das Sie dem Publikum mit einem neuen naturwissenschaftlichen Heffte , und mir über- dem mit einem Exemplare desselben und einem so güti- gen Schreiben gemacht haben, noch einmal recht durch zu geniessen und diß Geschenk mit einigen meiner zufälligen Gedanken zu erwiedern, - um hiedurch wenigstens das Inter- esse zu beurkunden, das ich daran genommen - diß alles hatte ich mir auf die freyen Feyertage vorbehalten gehabt; ich glaubte damals gegen Euer Excellenz die Bezeigung meines Danks wohl bis dahin anstehen lassen zu dürfen, indem ich Sie für überzeugt glauben konnte, wie werth mir Ihr gütiges Andenken, diese neue Bereicherung meiner Ein- sichten, und wie erfrischend mir die sonstigen ernstheitern Aüsserungen Ihres Genius sein würden. In jenen Ferien ist es mir jedoch nicht sowohl geworden, und ich kann es nun- mehr nicht länger anstehen lassen, ein Zeichen meiner Er- kenntlichkeit von mir zu geben. Unter dem so reichen Inhalte des Hefftes habe ich aber vor allem Euer Excellenz für das Verständniß zu danken, wel- ches Sie uns über die entoptischen Farben haben aufschließen wollen; der Gang, und die Abrundung dieser Tracta- tion wie der Inhalt haben meine höchste Befriedigung und Anerkennung erwecken müßen. Der so vielfachen Apparate, Machinationen und Versuche über diesen Gegenstand unerachtet, oder vielmehr wohl gar um derselben willen selbst, - ja sogar trotz Gevatterschaft und Vaterschaft, hatten wir von den ersten Malus schen und den fernern hieraus hervorgegange- nen Erscheinungen, nichts verstanden ; bey mir wenigstens aber geht das Verstehen über Alles, und das Interesse des tro- cknen Phänomens ist für mich weiter nichts, als eine er- weckte Begierde, es zu verstehen. Um die so eben genannte Gevatterschaft, - da Euer Excellenz sich noch einer Erwähnung, die ich von Beyhilfe zu ein paar Buchstaben vormals an Sie getan, haben erinnern wollen, - gleich von vorn herein abzuthun, so wissen Euer Excellenz ohnehin, wie wenig mehr in unsern Zeiten die Gevatterschaft bei einem Kinde auf sich hat; alsdenn aber nöthigt mich doch jene Erinnerung mich auf die ausdrückliche Erklärung einzu- lassen, daß es bey jener meiner Erwähnung einer Bey- hilfe, nicht auf eine Ehre oder gar ein stilles Verdienst mei- nerseits, angesehen seyn, sondern diese Erwähnung lediglich gleichsam eine Parabel vorstellen sollte, als bey welcher bekanntlich die gebrauchte Begebenheit nicht einen ge- schichtlichen Werth für sich haben, sondern ganz allein eine all- gemeine Vorkommenheit, - das Fabula docet - bedeuten soll; und zwar so daß jener einzelne gebrauchte Fall völlig gering- fügig seyn, und vollends, wenn die allgemeine Lehre auf einen andern Fall gedeutet wird, es geschehen kann, daß er gegen diesen in ganz u. gar keine Vergleichung des Gehalts kommt und an ihn selbst nicht mehr gedacht werden darf. So wie nun von Licht und Farbe die Rede wird, so liegt es nah, den geringfügigen Um- stand etwa eines Beytrags zu einem Buchstaben oder Komma doch darum aufnehmen aufzunehmen , weil er von weitem parabolisch an die häuffige Vorkommenheit erinnert, daß solche, die was sie haben und wissen, wobey es sich nicht um einen oder den andern Buchstaben, son- dern um Alles handelt, ganz allein von Euer Excellenz profitiert haben und nun thun, als ob sie aus eignen Schachten es gehohlt, und wenn sie etwa auf ein weiteres Detail stoßen, hier sogleich, wie wenig sie das Empfangene auch nur sich zu eigen gemacht, dadurch beweisen, daß sie solches etwaige Weitere nicht zum Ver- ständniß aus jenen Grundlagen zu bringen vermögen, und es Euer Excellenz lediglich anheimstellen müßen, den Klumpen zur Gestalt heraus zu lecken, und durch solche wahrhafte Ge- vatterschaft ihm erst einen geistigen Othem in die Nase zu blasen. Dieser geistige Othem - und von ihm ist es, daß ich eigentlich sprechen wollte, und der eigentlich allein des Besprechens werth ist, - ist es, der mich in der Darstellung Euer Excellenz von den Phäno- menen der entoptischen Farben höchlich hat erfreuen müssen. Das Einfache und Abstrakte, was Sie sehr treffend das Urphä- nomen nennen, stellen Sie an die Spitze, zeigen dann die concre- tern Erscheinungen auf, als entstehend durch das Hinzukommen weiterer Einwirkungsweisen und Umstände, und regieren den ganzen Verlauff so, daß die Reihenfolge von den einfachen Bedingungen zu den zusammengesetztern fortschreitet, und, so rangirt, das Verwickelte nun, durch diese Decomposition, in seiner Klarheit erscheint. Das Urphänomen auszuspüren, es von den andern, ihm selbst zufälligen Umgebungen zu befreyen, - es abstract, wie wir diß heißen, aufzufassen, diß halte ich für eine Sache des grossen geistigen Natur- sinns, so wie jenen Gang überhaupt für das wahrhaft Wis- senschaftliche der Erkenntniß in diesem Felde. Newton , und die ganze Physikerschaft ihm nach, sehe ich dagegen irgend eine zusammen- gesetzte Erscheinung ergreiffen und sich in ihr festrennen, und so den Gaul beym Schwanze aufzäumen, um mich des Ausdrucks zu bedienen; es ist ihnen hiebey geschehen, daß sie die dem Ur- stande der Sache gleichgültigen Umstände, - selbst wenn diese nichts anders wären, als daß ihnen beym Aufzäumen des Schwan- zes ein Unglück passirt wäre, - für die Bedingungen der- selben ausgeben, und sie nun in Alles +++ , was vor und rückwarts liegt, hineinschustern, zwängen und lügen. An einem Ur lassen sie es dabey nicht fehlen; sie bringen ein metaphy- sisches Abstractum herbey, - als erschaffne Geister erschaffen sie den Erscheinungen ein erschaffenes, ihrer selbst würdiges Inneres hinein, und sind in diesem Centro der über die Weisheit und Herrlichkeit ebenso erfreute, ebenso ernsthafte Arbeiter, als die Freymaurer im Tempel Salomonis . Bey dem Urphänomen fällt mir die Erzählung ein, die Euer Excellenz der Farbenlehre hinzufügen, - von der Begeg- niß nämlich, wie Sie mit Büttners schon die Treppe hinabei- lenden Prismen noch die weisse Wand angesehen und nichts gesehen haben, als die weiße Wand; diese Erzählung hat mir den Eingang in die Farbenlehre sehr erleichtert, und so oft ich mit der ganzen Materie zu thun bekomme, sehe ich das Urphänomen vor mir, Euer Excellenz mit Bütt- ners Prismen die weisse Wand betrachten, und nichts sehen, als weiß. Darf ich Euer Excellenz aber nun auch noch von dem besondern Interesse sprechen, welches ein so herausgehobenes Urphänomen für uns Philosophen hat, daß wir nemlich ein solches Präparat, - mit Euer Excellenz Erlaubniß, - geradezu in den philosophischen Nutzen verwenden können! - Haben wir nemlich endlich unser zunächst austernhaftes, graues oder ganz schwarzes, Abs - wie Sie wollen - Absolutes, doch gegen Luft und Licht hingearbeitet, daß es desselben begehrlich geworden, so brauchen wir Fensterstellen, um es vol- lends an das Licht des Tages herauszuführen; unsere Schemen würden zu Dunst z verschweben , wenn wir sie so geradezu in die bunte, verworrene Gesellschaft der widerhältigen Welt versetzen wollten. Hier kommen uns nun Euer Excellenz Ur- phänomene vortrefflich zu Statten; in diesem Zwielichte, geistig und begreifflich durch seine Einfachheit, sichtlich oder greiflich durch seine Sinnlichkeit, - begrüßen sich die beyden Welten - unser Abstruses, und das erscheinende Daseyn, einander. So präpariren uns nun Euer Excellenz auch die Gesteine und selbst etwas vom Metallischen zum Granit hin, den wir an seiner Dreyeinigkeit leicht packen und zu uns hereinhohlen können, - wohl leichter als sich seine viele , etwas aus der Art geschlagene , Kinder in seinen Schoos zurückbringen lassen mögen . Längst haben wir es dankbar zu erkennen gehabt, daß Sie das Pflanzenwesen seiner und unserer Ein- fachheit vindicirt haben. Knochen, Wolken, kurz Alles führen Sie uns näher herbey. - Wenn ich nun wohl auch finde, daß Euer Excellenz das Gebiete eines Unerforschlichen und Unbe- greifflichen ungefähr eben dahin verlegen, wo wir hausen - (+++ ( - mit Nose , der übrigens dergleichen hohe Materien doch nicht bloß, wie ich aus S. 221 sehe, daß er gethan, in Anhängen zur Basalt-Genese hätte sollen abthun wollen - ) - eben dahin, von wo heraus wir Ihre Ansichten und Urphänomene recht- fertigen, begreiffen, - ja wie man es heißt, beweisen, dedu- ciren, construiren u. s. f. wollen, so weiß ich zugleich, daß Euer Excellenz, wenn Sie uns eben keinen Dank dafür wissen können, ja Ihre Ansichten, selbst das Stichelwort: Naturphilosophisch, dadurch ankriegen könnten, uns doch doch toleranterweise mit dem Ihrigen so nach unserer unschuldigen Art gebahren laßen; - es ist doch immer noch nicht das Schlimmste was Ihnen widerfahren ist, und ich kann mich darauf verlassen, daß Euer Excellenz die Art der Menschen-Natur, daß wo einer etwas tüchtiges gemacht, die andern herbeyrennen, und dabey auch etwas von dem ihrigen wollen gethan haben zu gut kennen . - Ohnehin aber haben wir Philosophen bereits einen mit Euer Excellenz gemeinschaftlichen Feind - nemlich an der Metaphysik. Schon Newton selbst hat die gros- se Warnungstafel angeschlagen: Physik! hüte dich vor Me- taphysik! Das Unglük aber ist, daß indem er diß Evangeli- um seinen Freunden vermacht, und diese es treulich verkündet und verkünden, er und sie damit nichts anderes geleistet haben, als nur die unzählbare Wiederhohlung des Zustands jenes Engländers zu geben, der nicht wußte, daß er sein ganzes Leben hindurch Prosa gesprochen. Dieser kam am Ende doch zu dieser Einsicht; jene sind aber dermalen noch nicht so weit zu wissen, daß sie Metaphysik - noch viel weni- ger zu wissen, daß sie verdammt schlechte Metaphysik sprechen. Ich lasse es aber, von dem R++ der Noth , den Physikern diese ihre Metaphy- sik zu ruiniren, noch etwas zu sagen. Ich muß noch auf eine der Be- lehrungen Euer Excellenz zurückkommen, indem ich mich nicht ent- halten kann, Ihnen noch meine herzliche Freude und Anerkennung über die Ansicht, die Sie über die Natur der doppelt refrangierenden Körper gegeben haben, auszusprechen So ergänzt Goethe in seiner auszugsweisen Wiedergabe des Briefes; vgl. Goethe_1822a, S. 294. ; - dieses Gegenbild von derselben Sache, ein- mal als durch äusserliche mechanische Mittel dargestellt, - das anderemal als eine innere Damastweberey der Natur, - ist mei- ner Meinung nach, gewiß einer der schönsten Griffe, die gethan werden konnten. Diese Damastweberey, vor der Hand von Hellung und Dunklung, muß noch weiter führen; das Lebendige im Schönen ist zugleich die Frucht- barkeit, die es besitzt. Weil es aber bey allen Dingen etwas zu bedauern gibt, so hätte ich allerdings diß zu beklagen, daß ich die belehrende Reihe der Phänomene nicht mit leiblichen Augen, am liebsten freylich unter der Leitung Euer Excellenz, habe durchlauffen können. Doch dürfte ich mir vielleicht in Jahr u. Tagen noch diese Vergün- stigung versprechen, und diese Hoffnung selbst vertilgt jenes Bedau- ern; und, um die Geduld Euer Excellenz nicht noch durch längeres Plau- dern in Anspruch zu nehmen, erlaube ich mir nur noch meinen ver- gnüglichen Dank für Derselben gütiges Andenken und die erlangten reichhaltigen Belehrungen zu wiederhohlen. Prof. Hegel