Gastein d. 26 April 1822. Euer Hochwohlgeboren! Vor Allem muß ich Euer Hochwohlgebohrn Auffschluß über die Ursachen geben, welche die Antwort auf Ihr verehrli- ches Schreiben vom 10 ten d. Mts. so sehr verspätet ha- ben. Ich war zur Zeit der Ankunft desselben in München nicht mehr daselbst, sondern schon hier , wohin ich meine Frau , welche sich langsam von einer todes- gefährlichen Krankheit erhohlt, begleitet habe. Mei- ne Dienstleute ließen wahrscheinlich Ihr verehrtes Schreiben ein Paar Tage liegen, und hierher kommt die Post jede Woche nur zwei mal. In Betreff des Herrn Profeßors Gruithuisen werde ich die mir abverlangten Aufschlüße nach Wissen und Gewissen Ihnen ertheilen, so wie mich nicht nur Wichtigkeit der Veranlassung zu selber, nämlich die Besetzung eines Lehrfaches von so wesentlicher Bedeutung an einer so ausgezeichneten Lehran- stallt ; sondern auch der Wunsch dazu bestimmt, Ihr mir so schätzbares Zutrauen mir für die Zukunft zu erhalten. Ich glaube, ohne mir ein besonderes Urtheil über die höheren wissenschaftlichen Punkte, über welche E. Hochwohlgeboren als größerer Kenner Ihr Urteil abgaben, anmassen zu wollen, über Gruithuisen in Hinsicht auf die mir vorgelegten Punkte mit Sicherheit und Bestimmtheit antwor- ten zu können, da ich seit dem Jahre 1809 in genauer Verbindung zu ihm stehe, zu welcher mich zuerst Achtung für sein Wissen und dann für seinen Charakter bestimten, und in selber erhielten. Gruithuisen ist Autodidakt, und nur unablässiger Eifer konnte ihn auch bey wahrem Berufe zu den von ihm er- griffenen Wissenschaften dahin führen, wo er gegen- wärtig steht, da er mit den widrigsten Schicksalen vo n Kindheit an zu kämpfen hatte, denn jedes Talent ohne ein gleiches Maaß von Eifer hätte unterlie- gen müssen. Den formellen Theil seiner Bildung konnte er daher auch erst später als irgend ein anderer er- werben; er ist aber wirklich auch in den Geist diese s Theiles der Bildung so eingedrungen, und hat sich für seine persönliche Verhältnisse genommen, so viele Sachkenntniß darin versteht verschafft , daß man sage n kann, er habe alle ihm eigene Sprachkenntnisse sich als philosophische eigen gemacht. Er hat so Vie l und in gehöriger Ordnung gelesen, daß er auch sehr ausgebreitete literärische Kenntnisse und zwar selbs t in Fächern besitzt, welche nicht seine Hauptfächer sind. Sein Vortrag ist gut; im Experimentiren habe ich oft seine Fertigkeit so wie an dem fatalen badärztlich en Institute, an dem ich fünf Jahre mit ihm diente, seine Fähigkeit bewundert, sich auf höheren und niedrigern Standpunkten des Unterrichts sehr verständlich zu machen. Sein Charakter ist vortrefflich, er lebt nur der Wissenschaft und seiner Gattin. Man hat ihn in Mü n- chen , weil er anderen in ihrer Gemächlichkeit durch sei- ne Thätigkeit lästig fiel, und diese als Lehrer sich verdienter Massen neben ihm von den Schülern zu- rückgesetzt fanden, verfolgt und dieß so weit ge- trieben, daß er bisweilen in Heftigkeit gera- then mußte. Aber für sich hat er gewiß nie- mand je beleidiget, sondern seine Liebe zur Wissen- schaft jederzeit auf seine Collegen übergetra- gen. Ich habe mich vielfältig in dieser Hinsicht seiner Dienste durch literärische Mittheilungen und An- leitung zu erfreuen gehabt. Es wird dem Freun- de, der bey geringern Talenten, aber gleichfalls widrigen Schicksalen aus ähnlicher Liebe zur Wissenschaft so mit ihm verbunden hat, erlaubt seyn, so unter den obliegenden Verhältnissen und unter deer Verantwortlichkeit zu sprechen, deren letzteren Gewicht er gewiß in ihrem vol- len Umfang fühlet. Der Herr Director des allgemeinen Krankenhauses Professor Koch , der noch länger mit Gruithuisen diente, und den ein gleiches Verhältniß ihn zum nahen Freunde gemacht, würde, hierüber be- fragt, durch gleich offne Weise ein ähnliches Urtheil fällen. Es freut mich sehr, daß E. H. in einer soch wichtigen Sache mir Ihr Zutrauen geschenkt haben. Bewah- ren Sie mir ferner Ihre mir so werthe Freund- schaft. Ich empfehle mich pp. |gez:| Dr: Grosse