Hochwohlgebohrener Herr Hochverehrter Herr Geheimerrath und Staatsminister! Ew. Excellenz haben durch das hochverehrte Schreiben vom 30 sten Januar Z 30. Januar 1822. Goethe an von Henning und dessen Anlagen mich in so hohem Grade erfreut und ermuthigt daß ich mich gedrungen fühle Hochdenselben dafür meinen lebhaftesten Dank auszusprechen und zugleich die Versicherung hinzuzufügen daß ich meine ganze Kraft aufbieten werde um mich des in mich gesetzten Vertrauens würdig zu erweisen. - Da ich während dieser letzten Wochen gerade eifrig mit den mechanischen und sonstigen Zurüstun- gen für die angekündigten Vorträge über die Farbenlehre beschäftigt war, so mußten die mir gnädigst mitgetheilten Apparatsforderungen mir eine um so willkommnere Gabe seyn, von der ich denn auch bereits mehrfältigen Gebrauch gemacht habe. - Ich nehme vorerst noch Anstand Ew. Excellenz die von mir aufgestellte Übersicht des gesammten Apparats vorzulegen, da ich wünsche damit zugleich die Anzeige von der Ausführung des gegenwär- tig in Arbeit Begriffenen verbinden zu können, wobey sich dann noch Ei- niges zu bemerken finden dürfte. - Die tabellarische Übersicht der Farben- lehre Vgl. Z 30. Januar 1822. Goethe an von Henning . habe ich mit lebhaftem Interesse und großer Aufmerksamkeit wie- derhohlt Punkt für Punkt in Erwägung gezogen und während ich dadurch in der Überzeugung von der durchgängigen Angemessenheit und Naturgemäß- heit dieser Anordnung der chromatischen Erscheinungen auf das vollkommenste be- stärkt worden bin, so hat sich mir doch dabey gleichzeitig rücksichtlich des bey münd- licher und experimenteller Darstellung der Farbenlehre einzuschlagenden Weges ein schon früher gehegter Gedanke aufgedrungen den ich Ew. Excellenz zu ge- neigter Prüfung vorzutragen mir erlaube, indem ich damit die Bitte ver- binde mir, wenn ich irren sollte, diesfalsige Zurechtweisung angedeihen zu lassen. Bey Vorträgen wie die von mir bezweckten scheint es mir nämlich vor Allem darauf anzukommen den Sinn und die Aufmerksamkeit der Zuhörer gleich von vorn herein durch eine möglichst lebhafte und bestimmte Veranschaulichung der Erscheinungen in Anspruch zu nehmen; dazu aber dürften wohl die eigentlich phy- sischen Farbphänomene (nahmentlich die dioptrischen beyder Klassen) vorzugsweise vor allen übrigen durch ihre eigenthümliche Beschaffenheit geeignet seyn und es entsteht daher die Frage, ob es in dieser Hinsicht nicht gerathen wäre den physiologischen Farben , zu deren Wahrnehmung es schon eines einigerma- ßen geübten Sinns bedarf, anstatt der ersten Stelle, welche sie jetzt ein- nehmen, gerade die letzte Stelle anzuweisen. Die Stätigkeit des Fortgangs dürfte übrigens dabey nicht leiden, da der im Chemischen bestimmt hervortre- tende Gegensatz von Action und Reaction dazu geeignet zu seyn scheint auf dasjenige vorzubereiten worauf es dann auch bey Ableitung der physiolo- gischen Farbenphänomene vornämlich ankömmt. Am bestimmtesten wäre dieser Übergang vielleicht durch jenes galvanisch-physiologische Phänomen nach- zuweisen dessen Purkinje in seine Schrift über das Sehen ( S. 50) Er- wähnung thut, wo nämlich bey abwechselnder Berührung des Mundes und der Stirn mit den entgegesetzten Polen der galvanischen Säule sich in der gemeinschaftlichen Gesichtssphäre der geschlossenen Augen , dem Gesetz der Farbenumkehr gemäß, violette und gelbe Scheine von bestimmter Ge- stalt zeigen. - An die Betrachtung der physiologischen Farben dürfte sich dann gleich- falls auf eine einfache Weise dasjenige anschließen was in den übrigen Abschnitten des didactischen Theils der Farbenlehre im Allgemeinen über die Natur der Farben , über ihre sinnlich-sittliche und über ihre ästhetische Wirkung beygebracht ist. - Da ich es mir von Haus aus zum Gesetz gemacht habe, mir bey meinem Vortrage keiner- ley eigenmächtige Abweichung zu erlauben, so stelle ich es Ew. Excellenz erleuchte- tem Ermessen anheim über die Zweckmäßigkeit dieser Anordnungsweise zu entscheiden. Demnächst fühle ich mich noch gedrungen einen Umstand zur Sprache zu bringen der mir bisher viel zu schaffen gemacht hat und worüber ich zwar endlich zu einer Art von Abschluß mit mir gekommen bin, wobey mir indeß eine bestätigende oder berichtigende Äußerung von Seiten Ew. Excellenz im hohen Grade erwünscht seyn würde. Es betrifft dieß nämlich die Ableitung der dioptrischen Farben zweyter Klasse aus der Lehre von den trüben Mitteln. Diese Ableitung geschieht in der Farbenlehre durch Annahme eines bey der Refraction entstehenden Nebenbildes. Die wirkliche Existenz eines solchen Nebenbildes ist es um welche, wie Ew. Excellenz bekannt seyn wird, von den Gegnern der Farbenlehre vornämlich bestritten worden ist; nahmentlich findet sich in der in der halleschen Litteraturzeitung enthaltenen Recension die Behauptung daß nach den Grundsätzen der Dioptrik eine Erzeugung von Nebenbil- dern der in Rede stehenden Art, als Folge der Refraction auf keine Weise statt finden könne. Ich habe mir das was bey der Refraction im brechenden Mittel vorgeht durch die anliegende Zeichnung anschaulich zu machen gesucht, wo- bey sich mir in der Hauptsache so viel ergeben hat, daß dem brechenden Mit- tel ein doppelter Einfluß auf die Farbenerzeugung scheint zugeschrieben werden zu müssen, einmal nämlich daß dasselbe, als durchsichtiges überhaupt, das auf- fallende Licht in sich aufnimmt und zweytens daß es dasselbe von seinem ge- raden Wege ablenkt. Beyde Vorgänge, während sie einerseits zusam- menfallen, scheinen andrerseits auch als getrennt betrachtet werden zu müssen. Mit der Zeichnung verglichen dürfte sich dieß näher folgenderge- stalt darstellen: das durch die Oefnung m n in o , p auf das Prisma A B C auffallende Licht verfolgt, der Durchsichtigkeit des Glases gemäß, seinen Weg in gerader Richtung nach q r und erleuchtet damit den Raum o p q r . Gleichzeitig wird indeß, da das Glas ein dichteres Mittel ist als die Luft , das einfallende Licht von sei- nem Eintritt in das Prisma an von seinem geraden Wege nach q r abgelenkt nach s t , ohne daß jedoch dem in Folge der Durchsichtigkeit des Glases erhellte Raum p s r sein Licht völlig entzogen, so wie andererseits auch der in Folge der Brechung erleuchtete Raum o t q nur relativ erleuchtet wird. Innerhalb des Prismas wird also der Raum o t q , der wenn das Glas blos durchsichtig wäre dunkel bleiben würde, relativ erleuchtet und eben so wird umgekehrt der Raum p s r , welcher bey gleicher Voraussetzung hell bleiben würde, relativ ver- dunkelt. Da nun überdieß das Glas überhaupt für ein nicht völlig durch- sichtiges, somit trübes, Mittel anzusprechen ist, so ergiebt sich im erstern der erwähnten beyden Fälle ein durch einfallendes Licht erhelltes trü- bes Medium, wodurch Blau und an der Gränze des Dunkeln Blauroth ent- steht, während im zweyten Fall über ein erleuchtetes trübes Medium sich Dun- kelheit herzieht, wodurch Gelb und an der Gränze des Dunkeln Gelbroth ent- steht. Wird nun das solchergestalt modificierte, von r bis t aus dem Prisma tretende und hier einer abermaligen Brechung aufwärts (d. h. vom Perpendikel abwärts) unterliegende Licht durch eine Tafel u v aufgefangen, so stellt sich auf dieser, je nachdem dieselbe weniger oder mehr vom Prisma entfernt ist, das bekannte Farbenbild oben blau und blauroth, in der Mitte weiß oder grün und unten gelb und gelbroth dar. Die auf solche Weise versuch- te Ableitung der prismatischen Farbenerscheinung betrifft zunächst den objec- tiven Refractionsfall, wo ein leuchtendes Bild vom Prisma aufgefan- gen und modificiert wird. In ähnlicher Art würden sich dann auch nicht nur die subjectiven prismatischen Phänomene, sowohl mit dem hellen als mit dem dunkeln Bilde, sondern auch die durch Linsen bewirkten Far- benerscheinungen ableiten lassen. Ich wage es indeß vorerst nicht Ew. Ex- cellenz mit einer diesfalsigen weitern Auseinandersetzung zu belästigen da ich nicht weiß ob nicht durch das bisherige schon zu viel geschehen ist; nur dieses erlaube ich mir noch ausdrücklich zu wiederhohlen daß ich weit entfernt von der Anmaßung bin durch die versuchte Ableitung an der Farbenlehre , wie sie von Ew. Excellenz dargestellt worden, etwas ver- bessern oder verändern zu wollen und daß es mir zur größten Beruhigung gereichen würde von Ew. Excellenz zu vernehmen die in Obigem enthaltene Deduction sey nur eine weitre Ausführung der in der Farbenlehre bereits deut- lich ausgesprochnen Principien der Chroagenesie. Bey Durchmusterung des physicalischen Theils der hiesigen königlichen Bibliothek habe ich einige ältere Schriften gefunden aus denen zum Theil interessante Nach- träge zur Geschichte der Farbenlehre zu entnehmen seyn dürften. Ich erwäh- ne davon nahmentlich 1) Vidi Antonii Scarmilioni de coloribus libri 2. vom Jahre 1600 (dem Kaiser Rudolph II dediciert) und 2) Ludovici Savotii de causis colorum sententia, vom Jahre 1609 . Sollten Ew. Excellenz diese beyden kleinen Schriften vielleicht noch nicht zu Gesicht bekommen haben, so bin ich bereit Hochden- selben demnächst einen summarischen Auszug ihres Inhalts vorzulegen. - Ei- nen merkwürdigen Beweis dafür daß die newtonsche Farbenlehre jetzt in England selbst immer mehr zu wanken anfängt, liefret eine neuere Schrift vom Jahre 1816, die auf eine völlige Umkehr der newtonschen Lehre ausgeht. Es ist dieß die Schrift des Dr. Med. Joseph Reade zu Cork in Irland , un- ter dem Titel: Experimental outlines for a new theory of colours, light and vision, with critical remarks on Sir Isaac Newton's opinions. Lon- don. - Der Grundgedanke der ganzen Schrift läuft darauf hinaus, daß das Licht einfach und unzerlegbar sey und daß dagegen das Dunkle, oder wie der Verfasser es in der Regel nennt, das schwarze Licht , als aus Farben zusammengesetzt betrachtet werden müsse. Also auch hier die atomistisch-mechanische Vorstellung eines Zusammengesetztseyns. Als Urphänomen stellt der Verfas- ser an die Spitze seiner ganzen Lehre die einfache Erscheinung, daß wenn ein Stückchen schwarzes Tuch, welches nicht allzu breit ist, auf eine ge- gen den fernen Himmel gekehrte Fensterscheibe und durch ein Prisma betrach- tet wird, das Schwarze verschwindet und an dessen Stelle drey parallele und in einander übergehende Streifen von blauer, rother und gelber Farbe tre- ten. - Alles Übrige ist dann wie bey Newton nur gerade umgekehrt; die drey Urfarben sind homogen und für alle Mal fertig; eben so sind sie auch verschieden refrangibel, jedoch gleichfalls in umgekehrter Ordnung, so daß das gelbe Licht brechbarer seyn soll als das blaue welches als das am wenigsten brechbare dargestellt wird. - In der Vorrede sagt der Verfasser: „Keine geringe Befrie- digung gewährt der Gedanke daß die Theorie des schwarzen Lichts , die hier auf- gestellt wird, mit dem historischen Zeugniß der mosaischen principia (vor- her war von den newtonschen die Rede) übereinstimmt. Boyle und Newton wa- ren moralische und musterhafte Christen allein sie wagten es in ihren Schrif- ten der göttlichen Offenbarung geradehin zu widersprechen. Das erste Buch der Genesis belehrt uns daß die Finsterniß früher war als das Licht . Die Erzeugung des weißen Lichts war, wie Herr Hutchinson treffend bemerkt, keine neue Schöp- fung, sondern nur eine Zulassung für eine schon vorhandene Substanz zu einem veränderten Zustand modificiert zu werden.“ - In der Schrift selbst die fast fortwährend und mitunter sehr treffend gegen Newton polemisiert, kömmt bey Erwähnung der epoptischen Farben unter andern diese Äußerung vor: Sir Isaac Newton supposed that those rings of opaque colours were produced from the rays of heterogeneous light, being separated by a thin plate of air. As one absurd opinion is generally upheld by others yet more absurd, so our philosopher was obliged to resort to the curious hypothe- sis (more ridiculous if possible than any advanced in the Aristotelian school ) that the rays of light are subject to fits of easy and difficult transmission, - und dann an einer anderen Stelle: If any other per- son had written such musical nonsense it might provoke a smile, but the commandings genius of a Newton forbids such levity and elicts a sigh, that so much precious time and mathematical cal- culation schould be thrown away to such little purposes . - Nach ei- nem solchen Auf- und Niederwogen zwischen zwey Aeußersten, soll- te man meinen müßte wohl endlich das Bedürfniß des Wahren sich dringend hervorthun. - Ehrerbietigst verharre ich Ew. Excellenz ganz gehorsamster Leopold von Henning . Dr. Phil. Berlin , den 19 ten März 1822 .