Auch Ihr Schreiben Z 19. März 1822 von Henning an Goethe , mein Werthester, vom 19 März war mir sehr angenehm; aber ver- zeihen Sie, wenn ich nur theilweise antworte, ich bewege mich gegenwärtig in weit entfern- ten Regionen. Eilig und vor allen Dingen sei daher gesagt, daß ich die Ordnung Ihres experimental-didaktischen Vortrages höchlich billige; Sie können von jedem Geradsinnigen verlangen, das Aeußere, Gegenständliche zu sehen, nicht aber in sein Inneres zurück- zublicken und sich selbst zum Objekt zu ma- chen. Fangen Sie bei den Physischen Farben an, so liegt die Hauptlehre von der Trübe alsobald zum Grunde und sie haben den schönsten Fort- schritt der Ableitung, bis Sie zum chemischen gelangen und auch dieses durchführen. Lassen Sie dann das Subjektive folgen, so kön- nen Sie den Schülern überraschend sagen: Was ihr bisher außer euch gesehen, geht auch in euch vor. Wirkung und Gegen- wirkung, die ihr überall bemerktet, er- eignen sich gleichfalls im Auge und zwar ganz folgerecht nach denselben Gesetzen. Hiezu kann ich von den schönsten unmit- telbarsten Bezügen Kenntniß geben. Mit Ihrer Darstellung der Farbensäu- me, des durch das Prisma gehenden Bil- des einer Ladenöffnung bin ich nicht ganz einig. Ich will die Figur durchstechen und das eigentliche Verhältniß aufzeichnen lassen; wenn Sie sich in diesen Dingen genau an meine Tafeln halten, so können Sie nicht fehlen. Die entoptische für Sie bestimmte Ma- schine ist fertig; sie sei zu Ihrer Anstalt gestiftet. Leider geht noch der entoptische, aus Glasplatten zusammengesetzte Kubus ab, wegen welchen ich mich nunmehro an den Chemiker gewendet habe; lassen Sie ja Ihren Künstler sich hierin wohl üben. Einen soliden Kubus mit entopti- schen Eigenschaften finden Sie blos zufällig und müssen daher alle die Ih- nen zur Hand kommen, zwischen den bekannten Spiegeln probiren und einen, der die Probe besteht, willkommen hei- ßen. Da indessen der aus Glas- platten zusammengesetzte eben die Dien- ste thut, ja sogar noch andere Vortheile bietet, so thut der Künstler wohl, flei- ßig zu versuchen, den Glasplatten durch Glühen und schnelles Abkühlen die ge- wünschte Eigenschaft mitzutheilen. Meinen Aufsatz über entoptische Far- ben im dritten Heft der Naturwissen- schaft empfehle zu getreuem Studium; er ist höchst sorgfältig geschrieben, und wenn Sie die Phänomene mit Gewand- heit vortragen, so wird es gewiß eines der interessantesten Kapitel physischer Farbenabtheilung. Mit den kunstreich getrübten Trinkgläsern ist es mir vergangenen Sommer in Böhmen nicht geglückt; unter einem Dutzend sind blos zwei einzige, die das Phänomen voll- kommen darstellen, bei den andern scheint sich der Schmelz schon zum Gelben speci- ficirt zu haben; die doppelsinnige Trübe ist verschwunden, wie es ja auch bei chemischen Infusionen geschieht, und Sie je- den Tag mit Roß-Kastanienrinde in Wasser versuchen können. Für heute nicht mehr! Verzeihung! meine gegenwärtigen Arbeiten liegen gar zu weit ab von diesem Felde. Schreiben Sie je- doch nur öfters und fragen beliebig an; ich werde dadurch wenigstens zu flüchtiger Erwiederung angeregt; ich habe mir ein Aktenstückchen von Ihren Briefen und meinen Antworten gemacht, so daß ich wohl nachkommen kann. Weimar den 23. März 1822. treulichst :| JW. Goethe |: Noch muß ich bemerken, daß man zu den Glasplättchen , denen man die entoptische Fähigkeit mittheilen will, das reinste Glas muß zu erhalten suchen, das nur aus Kieselerde und Kali besteht, be- sonders hat man sich vor allem Glase zu hüten, bei welchem sich irgend ein bleyischer Antheil eingeschlichen.