Hoch und Wohlgeborner Freiherr! Hochgebietender Herr Minister, besonders Hochzuverehrender Herr! Aus einer vom 22 ten April d. J. von dem mir vorgeordneten Curatorium der hiesigen Universi- tät mir zugekommenen Mittheilung ersehe ich, daß ein Hohes Ministerium zu versuchen geneigt sei Allerhöchsten Orts die Bewilligung einer angemessenen jährlichen Summe zu bewirken, wodurch der Professor der Physiologie in den Stand gesetzt werde, die für die Bildung der Studirenden der Medizin so wichtigen physi- ologischen Demonstrationen und Versuche noch ferner fortzusetzen und ihnen die erforderliche Ausdehnung zu geben. In dieser huldvollen Äußerung eine Beloh- nung meiner bisherigen Bestrebungen erkennend erlaube ich mir, theils die Nothwendigkeit der Errich- tung eines physiologischen Instituts nach Möglichkeit zu motiviren, theils wenn zur Realisirung derselben ge- schritten werden sollte, einige etwa zu berücksichti- gende Andeutungen über denselben Gegenstand, aus meinen darüber gehegten Gedanken und gewonnenen Erfahrungen Ew. Excellenz gehorsamst vorzuglegen. Die Physiologie ist in unserer neuesten zeit in einer mächtigen Entwickelung begriffen. Nachdem sie noch zu Ende des vorigen Jahrhunderts ein nur etwas geistigerer Commentar der Anatomie gewesen, seitdem aber durch die Naturphilosophie zu einem 2. andern Extreme, einer beinahe überirdischen Selbst- ständigkeit sich emporgeschwungen, tritt sie nun mehr von ihren Höhen in ihre ursprüngliche, zwar irdische und materielle, aber lebendige und organi- sche Heimath zurück. In diesem Proceß hat sich ihr vormaliges durch die Länge der Zeit beinahe stabil gewordenes Verhältniß zur Anatomie gänzlich um- gekehrt. Sie ist sich in jener geistigen Abgeschieden- heit ihrer höheren Selbständigkeit inne geworden und kann nun nicht mehr in dem ihr eigenst zu- gehörigen Materiale und Geräthe der Anatomie als aus gelegentlicher Liberalität gelittene und zu belie- bigem Dienst zugezogene Gehülfing ihr Daseyn ertragen. Sie muß entweder die Anatomie als eine ihr ei- genthümliche materielle Beigabe zu andern noch höhe- ren Besitzthümern völlig in Beschlag nehmen, wie die nunmehr an einigen Orten mit Glück geschehen, oder neben ihr und mit ihr in einem legalen Ver- hältnisse, mit allen von der Forschung des or- ganischen Lebens geforderten Mitteln und Hülfen ausgestattet eine selbstständige, auch nach Aussen be- sthätigte Existenz gewinnen. Daß aber die Physiologie als ein specielles Fach der Natur- und namentlich der medicinischen Wissenschaften nicht bloß eine Katheder- doctrin sei, die einzig mit disputablen Begriffen zu thun hätte, sondern daß ihr Object und dessen Auf- fassung, die Erscheinungen des Lebens und ihre Erforschung größtentheils auf sinnlichen Anschauungen beruhen, de- ren Erwerbung und Mittheilung verschiedenartige Na- turobjecte, Apparate, Kunstfertigkeiten, wie nur irgend eine andere experimentelle Doctrin, in Anspruch neh- men und somit die Erichtung eines eigenen expe- riementell-demonstrativen Instituts für dieses Fach 3. machen; dies ausführlich zu beweisen, ist der Zweck gegenwärtiger, ergebensten Mittheilungen. Vor- läufig kann und darf ich jedoch in Beziehung auf je- ne huldvolle Äußerung eine solche Überzeugung voraussetzen, um über das reale Verhältniß der Physiologie zu andern Doctrinen einige allgemeine Bemerkungen vorauszuschicken. Wenn man auf den Organismus der Wissen- schaft, wie er in der Universität mehr oder we- niger vollkommen realisirt ist, und auf die darin vorkommenden wesentlichen, oder der dem Wesen widerstreitenden Verhältniße der einzelnen Fächer einen alle Möglichkeiten erwägenden prüfenden Blick wirft, so sieht man insbesondere in Bezug auf Ana- tomie und Physiologie einen eigenen combinato- rischen Cyclus ihrer wechselseitigen Lagen und Be- ziehungen sich ergeben, welchen auch eine theils historische theils statistische Übersicht der ehemaligen und gegenwärtigen wissenschaftlichen Anstalten Eu- ropas vielfach erläutert, und seine Richtigkeit durch Beispiele belegen kann. 1.) Vorerst kann man den Fall setzen, wo das Fach der Anatomie und Physiologie beide getrennt neben einander und ohne äußere Wechselwirkung, stehen; einerseits ganz dem Materiellen zugewendet, andererseits nur auf das Reich der abstracten Ge- danken und auf litterarische Hülfen hingewiesen. Dieses ist das gegenwärtige am häufigsten an den Universitäten sich vorfindende Verhältniß. Dasselbe kann nun entweder in ruhiger Geschiedenheit fortbe- stehen, indem jedes der dem speciellen Fache sich widmenden Individuen in der Beschränktheit beharrt, ohne sich zu einem höheren Streben zu erheben, oder 4. erheben zu wollen um keine Störung in seinen behaglichen Zustand eintreten zu lassen; oder es fin- det sich bei äußerer Trennung der beiden Fächer ein einseitiges Hinstreben des Materiellen zum Geisti- gen, des Geistigen zum Materiellen, einerseits ma- teriellen Mittel ohne höheres geistiges Vermögen, anderer- seits dieses ohne materielle Mittel: ein unseliger Zustand für die Individuen, obgleich nicht ohne Vortheil für die Wissenschaft, in wiefern solche Kräftehem- mungen zu realen Fortschritten führen müssen. 2.) Im andern Falle sind beide Fächer getrennt, jedes mit eigenen hinreichenden Mittel versehen und nach dem jedem derselben inwohnenden Begriff, dem Organismus der Wissenschaft angemessen nach Aussen dargestellt. Diese Existnzform ist zwar kostspieliger als die vorige aber dem Wesen der Sache entsprechend, für die Individuen beruhigend, und kann für Wissenschaft, Schule und Leben nur von den besten Folgen seyn. Da jedoch Anatomie und Physiologie beide aus dem gemein- samen Begriffe der Organik hervorgehen, so kann es nicht anders kommen, als daß sie bei ihrer äußerlich constituirten Trennung dennoch wieder zu einer wech- seítigen Vereinigung gravitiren. 3.) Es kann sich nun aus dem unabhängigen Zu- sammenseyn, der, in Bezug auf wissenschaftliche Bedürf- nisse, gleichmäßig befriedigten Individuen, ein auf wech- selseitiger Achtung gegründetes collegialisches, ja freund- schaftliches Verhältniß, und nur für die Wissenschaft auf diesem Wege zwar zufällige, jedoch sehr vortheilhafte und erfolgreiche Vereinigung entwickeln, die nun wie- der verschiedene Modi giebt, je nachdem die beiden Theile entweder in geistiger Hinsicht auf gleicher Stufe stehen oder der eine dem andern aus freier Wahl ganz 4. oder theilweise sich unterordnet. Hier leisten die beiden Schwesterwissenschaften einander die benöthig- ten Hülfen, ohne daß es durch gesetzliche Bestimmun- gen geboten würde. Dieses ist nun ein, für den objectiven Geist noch immer sehr unvollkommener Zustand, wenn auch die Individuen aus subjectiver Vollkommenheit das organische Verhältniß beider wis- schenschaftlicher Fächer noch so rein darstellen möchten. Sie sind zwar in Liebe, aber nicht im Gesetze ver- eint, wozu noch der Fortschritt geschehen muß. Eine andere Art der Vereinigung der beiden mit hinreichenden Hülfsmitteln versehenen Fächer kann nun dadurch erfolgen, daß beide von einem und demselben Individuo mit untergeordnetem Hülfspersonale verwaltet werden. Wenn das Indi- viduum bei glücklicher Wahl im ausgezeichnetsten Grade für die beiden Fächer ausgebildet, mit der humansten Gesinnung erfüllt (was bei einem so nahen Verhältniß zu den Schülern erfordert wird) sonst auch geistig höchst rüstig und nach Aussen reg- sam ist, so läßt sich von dieser Centrirung bedeu- tendes erwarten. Auch sind keine äußeren ge- setzlichen Bestimmungen nöthig um die beiden Fächer in organische Harmonie zu bringen. Ferner kann mit Ersparung bedeutender Auslagen das anatomische Locale und ein Theil des ana- tomischen Apparates zugleich zu den Zwecken des physiologischen Fachs verwendet werden, ohne daß Collisionen in den Rechtsverhältnißen eintreten könnten. So viele Vortheile diese Form gewährt, und so erspriesliche Folgen sie auch in einzelnen glücklichen Fällen für die Wissenschaft haben möchte, so könnte es doch vermöge der angeborenen Beschränk- ung der Kräfte des einzelnen Individuums wenn 6. sie als allgemeine Maaßregel Anwendung erhiel- ten, nur hemmend im Ganzen wirken, und es bleibt der Natur der Sache angemessener, daß das was in der Idee zwar verwandt, jedoch seinem Begriff nach unterschieden ist, auch bei seiner organischen Dar stellung als geschieden hervortrete und seine wesentliche Einheit durch die Macht des das Ganze organisirenden Gesetzes vermittelt werde. Noch finde ich es nöthig, ehe ich zur speciellen Darstellung der Nothwendigkeit der Einrichtung physiologischer Institute hinzutrete, einige wirklich da und dort gemachte und et- wa noch zu machende Einwürfe zur vorläufigen Be- leuchtung dieses Gegenstandes vorzuführen und zu be seitigen. Die gemeinste, aller Wissenschaft unwürdige aus höchst beschränkter Ansicht hervorgehende Behauptung ist die, daß man den Lehrer der Physiologie auf eine blos litterarisch-philosophische Mittheilung und Aus- einandersetzung des von Andern auf Treu und Glau- ben Überkommenen ohne alle experimentale Prüfung Aufgefaßte und ohne Veranschaulichung Vorgetragene, verweisen könne. Ein gleiches den Physiker, den Ana- tomen den Chemikern und andern anzumuthen, würde lächerlich erscheinen. Diese Doctrinen haben ihre materiellen Gebiete längst gewonnen, und man kann sich von denselben, als in blos diskursiver Form sich darstellend, kaum eine Vorstelung machen. Bei der Physiologie war man's bis jetzt anders gewohnt, sie beliebte meist die sogenannte acro amatische Lehrmethode, und leider ist noch jetzt ein solches hohles Daseyn derselben, aus Bequemlichkeit der Lehrer und aus Mangel an Mitteln an vielen Orten des Herkömmliche. Auch macht das studirende Publikum keine größeren Anforde- rungen, indem der Zwang der Schule und des practischen Lebens, ihn, selbst gegen die Ahnung einer besseren 7 Überzeugung andere Doctrinen als viel wichtiger erscheinen lassen. Auch ist die Wichtigkeit der Physiolo- gie für die medicinische Praxis noch lange nicht genug in die Augen fallend, nicht weil gewöhnlich die Physi- ologen ex professo keine practischen Ärzte sind, (denn dann würde die Physiologie nicht immer zum Besten bestellt seyn), sondern weil die Prac- tiker sich bald im Drange des Geschäftslebens um die Physiologie wenig kümmern und bei immerfort anwachsender Menge neuen Stoffes endlich den Muth verlieren mit der Wissenschaft gleichen Schritt zu halten. Doch über dieses Vorurtheil wird die Wissen- schaft zuletzt durch sich selbst obsiegen, nur billig wäre es und vortheilhaft, wenn man ihr bei Zeiten auch äußere Hülfe und Begünstigung angedeihen ließe. Ein von wohlmeinenden sowohl als solchen Freun- den dem Physiologen ertheilter Rath war der: sich bequem in die speculative Sphäre zu be- geben um nicht mit den Inhabern der ver- schiedenen Naturwissenschaftlichen Institute in Collision zu kommen, und sich so das Leben unnützer weise zu verbittern. Wenn solcher Rath von höheren, in der Sache selbst vielvermögenden Staatsbeamten oder von Direc- toren wissenschaftlicher Institute kömmt, muß man ihn als Äußerung einer wohlwollenden sonst beschränkten Gesinnung dankbarlichst annehmen. An- ders aber sind die Forderungen der Wissenschaft an die in ihren Berufe arbeitenden Individuen die allenfalls als Opfer sich hingeben sollen damit das Ideal seine Verwirkelung erreiche. Eine dieser Angelegenheit nicht wenig nachtheili- ge, einseitige Ansicht stellt sich unter dem Begriff der experimentellen Physiologie nur Vivisectionen und allerhand meist unnütze Thierquälereien vor, 8. und würde, wenn es auf sie ankäme, Anstand nehmen, auch nur das Geringste dazu zu thun um die Physiologen in dergleichen Beginnen zu unter- stützen, auch schon darum, damit alle mögliche (obgleich leicht zu verwindende) Beleidigung fein fühlender Sympathie vermieden werde. Es gehört allerdings ein heroischer Entschluß dazu und ein kräftiges Ablenken seines Gemüthes von allen sympathischen Empfin- dungen, um an dem Organismus eines harmlosen Thieres Lebensfragen zu machen. Aber man bringt das Opfer der Wissenschaft, mit möglichster Vermin- derung aller zwecklosen Martern, meist nach vor- her erzeugter künstlicher Gehirnlähmung, um die das Bewußtsein überlebenden vegetativ-animalischen Functionen zu beobachten. Bei Forschungen über die früheren Epochen der organischen Entwicklung ist ohnedem noch kein Bewußtsein vorhanden, und es wird also der sympathetische Sinn gar nicht in Anspruch genommen. Auch ist es unrichtig, dieje- nige Sympathie, die wir in Beziehung auf Men- schen erworben, auch auf das Thier, besonders auf niedere Thierorganismen übertragen zu wollen. Doch wird der vernünftige Physiolog alles thun um sein eigenes und seiner Zöglinge Gefühl so viel als möglich zu schonen und sie zur Verschwie- genheit anhalten, damit nicht durch ein unzeitiges Renommiren das Geheimniß der Wissenschaft der urtheilsschwachen Menge frei gegeben werde. Zudem ist aber, um jene beschränkte Ansicht zu berich- tigen, die Vivisection lange nicht ein Hauptpunct der experimentellen Physiologie . Nicht nur daß Entwicklungsgeschichte für sich schon ein sehr reiches Material abgiebt, ferner anatomische Arbeit immer- fort gefordert wird, so sind insbesonere vielfache mechanische- und dynamische-, physicalische und chemische 9 Hülfen, sowohl zu Demonstrationen, als zu eigenen selbstständigen Forschungen unumgänglich erforderlich, wie noch späterhin aus einer speciellern Auseinandersetzung der Objecte der Physiologie zu ersehen sein wird. Eine andere, meist nur aus ökonomischen Gründen gemachte, nicht alle Verhältniße gehörig be- rücksichtigende Auffassung der Sache, verweist den Physiologen bei seinen wissenschaftlichen Bedürfnißen an die schon vorhandenen ohnehin so kostspieligen Insti- tute der Anatomie , Botanik , Physik und Chemie etc. Wenn diese Institute eine ähnliche Einrichtung haben könnten wie die der öffentlichen Bibliotheken ist, wo die Natur des Gegenstandes wie die Bücher sind, gestattet, diese, ohne sehr merkbaren Verbrauch und ohne weitere Unkosten und Zeitverlust von Seiten der Directoren und Custoden, allgemein brauchbar zu machen, so dürften wohl die Anforderungen des Physiologen auf eine bedeutend kleinere Gränze reducirt werden. So aber erlauben schon die Gegen- stände jener Institute in der Mehrzahl keine mit den Büchern zu vergleichende Benutzung, indem sie theils theils dem Verbrauch theils zufälligen Beschädigungen vielmehr unterliegen. Jeder Instituts-Director hat selbst genug zu thun, um mit seinem Etat auszukommen, als daß er noch davon dem bedürftigen Physiologen etwas angedeihen lassen könnte. Die Aufsicht über den Gebrauch kost- barer Instrumente, als der Luftpumpe, electrischen und galvanischen Apparate, größern chemischen Geräthschaften, kann nicht ohne großen Zeitauf- wand von Seiten der Directoren und Custoden Statt finden. Selbst bei näherem freundlichen Ver- hältniße zu den Individuen würde man sich scheuen solche Opfer zuzumuthen. Eine nicht geringere Schwie- rigkeit bringt das Locale mit sich, welches für manche 10 der Institute ohnedem beschränkt genug ist, um noch frem- de wenn gleich verwandte Waltung zuzulaßen. Außer- dem ist es eines so wichtigen Zweiges der Naturwissen- schaft wie die Physiologie und deren öffentlichen Leh- rers unwürdig, wenn er in eigener Person, höchstens mit Hülfe eines oder des andern seiner Schüler, sich in fremden Instituten, Hospitälern, Schlachthöfen & c. herumtreiben muß, um seinem Lehrbedürfniß, den Erfordernißen der Wissenschaft gemäß, wenigstens zum Theil genügen zu können. Ein solcher Zustand eines so wichtigen Lehrfaches ist wohl wenigsten re- lativ genommen, durchaus ein barbarischer, und sollte in unseren Zeiten einem andern bessern Platz machen. Man könnte zwar dem Lehrer zumuthen, aus Liebe für sein Fach, so wie es ohnedem bei Anschaffung der litterarischen Mittel großentheils Statt findet, selbst für die anderen nothwendig scheinenden Lehrmittel und für das Locale in eigener Wohnung zu sorgen, oder auch, wie mir nicht einmal gerathen worden von dem Interesse der Studierenden für Physiologie selbst, die erforderlichen Geldmittel zu erlangen. Doch mit dem- selben Rechte könnte man eine solche Forderung an andere demonstrative Fächer machen. Denn daß die Physiolo- gie später als andere Fächer zum Bewußtseyn des Bedürfnißes eines experimentellen und demonstra- tiven Apparats gekommen ist, ist in der Sache selbst durchaus zufällig. Auch kann man wohl sagen, daß die Zeit, wo die Wissenschaft den Staatszwecken ganz fremd und dem Treiben der Privaten nach je- desmaligen Bedürfniße anheimgefallen war, Gott- lob, wenigstens bei uns längst vorüber ist. Als die Staaten begannen, sich der Wissenschaft unmittelbarer anzuneh- men, wurden zuerst solche Doctrinen begünstigt und unterstützt, welche einen augenfälligen Nutzen für das 11. practische Leben mit sich brachten z. B. medizinische und chirurgische Therapie und Geburtshülfe, und Augen- heilkunde , Anatomie , Physik , Mineralogie , später die Chemie ; andere gewannen sich Unterstützung weniger durch ihren Nutzen als durch ihre Annehmlichkeit wie die scientia amabilils und die Zoologie . Wo beide Motive nicht genug in die Augen fielen, wie dies bey der Phy- siologie der Fall ist, da blieb auch höhere Hülfe und Begünstigung von Oben bis jetzt noch größtentheils aus. Ein höherer Fortschritt findet sich dort, wo der reinen Wissenschaft um ihrer selbst willen, nicht aus zufälliger Liebhaberei mächtiger Protectoren, sondern aus nothwendiger Consequenz, aus all- allgemeinen Prinzipien, die nöthigen Mittel und Förderungen geleistet werden, und ihr auch eine würdige Stellung zum äußeren Leben gewährt wird. Es wäre unschwer zu sagen, welcher von den europäischen Staaten Europas in dieser Ent- wicklungsstufe des Lebens am meisten fortge- schritten ist. Um nun noch specieller die Nothwendigkeit der Errichtung eines öffentlichen als integrirender Theil des Organismus der Universität zu betrachtenden phy- siologischen Instituts zu begründen, erlaube ich mir Ew. Excellenz einen kurzen Überblick des physiologi- schen Materials vorzulegen, wie es vom Stand- puncte der Naturwissenschaftlichen Praxis aufgefasst werden muß. - Ich habe, seit ich durch die Gnade Ew. Excellenz in den Stand gesetzt worden, jährlich ein eigenes experimental-physiologisches Collegium zu halten, das vorhandene physiologische Material, so viel als möglich im experimentalen Geiste nach besonderen Doctrinen vertheilt, und das der Form, und der wissenschaftlichen Methode nach zusammengehörige auch unter einem und demselben Gesichtspuncte und ge- 12. meinsam mit verwandten Anschauungen der allgemeinen Naturwissenschaft vorzutragen. Die bis- herige Lehre von den Lebensformen und Functionen wird als eine Beschreibung und Generalisirung der Lebensphänomene zur vorläufigen Aufstellung der An- schauung und des Begriffes des Leben in der I. All- gemeinen Physiologie abgehandelt. Darauf folgen, jenachdem eine Lehre die eine oder die andere mehr oder weniger didactisch und pädagogisch bedingt in der II speciellen Physi- ologie , 1. Die physiologische Morphologie , welche theils a , den Gang der Entwicklung des Organismus von der Zeugung an, durch alle Epochen des Embryolebens, ferner durch die verschiedenen Altersstufen hindurch beschreibt, die durch Geschlecht und Raçe gegebenen Eigenthümlichkeiten der organischen Form auseinander setzt, die Formen des Menschlichen mit den übrigen Organismen paralleli- sirt; theils b die allgemeinen Gesetze des organischen Plastinismus darlegt und die höhere geistige Bedeu- tung der gnometrischen und ästhetischen Conforma- tion des menschlichen Organismus aufzufassen bestrebt ist. 2.) Die physiologische Physik begreift alle diejenigen physiologischen Lehren, welche mechanisch-physicalische Grund- sätze zur Voraussetzung haben, und führt anschaulich alle diejenigen Lebensphänomene vor, welche innerhalb der Sphäre des Organismus unter den Gesetzen des Mechanismus stehen. Hierher gehört a. Die Lehre von den physiologischen Eigenschaften der organischen Thei- le als der Cohäsions- und Aggregationszustände, Härte, Weichheit, Zähigkeit Elasticität, Sprödigkeit, fer- ner der microscopisch erfahrbaren Beschaffenheit der letzten organischen Elemente und ihre Verbindung zur Construction der Systeme und Organe, so wie die Lehre von der Teleologie der organischen For- men. b . Die physiologische Statik und Mechanik enthaltend 13 die Erklärung der so mannigfaltigen Haltung und Be- wegung der Organe und Apparate des vegetativen und thierischen Bewegungs Lebens theils indem sie für sich theils in Wech- selwirkung mit außenkräften thätig sind. c. Die physiologische Hydrostatik und Hydraulik , welche das Verhalten der Flüssigkeiten im Organismus, des Blutes der Se- und Excretionsflüßigkeiten im ruhenden und im bewegten Zustande zum Gegenstande hat. d. Die physiologische Pneumatik handelt von den physicali- schen Wirkungen gasförmiger Stoffe von den Wirk- ungen des Luftdrucks, des luftleeren Raumes, und er- klärt den Mechanismus des Athemholens. e. Die physiologische Akustik handelt theils von der Her- vorbringung der Stimme und Sprache und verschieden- artiger Geräusche, durch die Mittel des Organismus theils von den physicalischen Bedingungen der Auffass- ung des Schalls durch das Gehörorgan. f. Die physiologische Optik endlich beschäftigt sich mit den physicalischen Bedingungen und Gesetzen des Sehens. 4. Die physiologische Chemie . Dieser Theil hat zum Object vorerst die genauere Erkenntniß der bisher durch die Experimentalchemie erforschten Constitution der thierisch organischen Stoffe, ihren Analogien, Übergän- ge, Gegensätze, Verwandlungen und ihrer Topo- graphie innerhalb des thierischen Körpers, wozu namentlich die Hülfe der Microtomie erfordert wird um die qualitativ verschiedenen selbstständigen Stoffe in ihrer größten Feinheit zu sammeln, und mittelst der Microchemie auch bei den kleinsten Quantitäten ihr chemisches Verhalten zu ermitteln. Ferner ist es ihre, wenn auch bis jetzt sehr mangelhaft gelöste Aufgabe, die chemisch-organischen Prozesse im thierischen Körper, die Verdauung, die Bereitung des Chylus, des Blutes, die Respiration, die Ernährung und Erzeugung specifischer organischer Substanzen, die Bildung der 14. Se- und Excretionsflüßigkeiten, in ihren Phäno- menen streng zu verfolgen, auf allgemeine Ge- setze zu bringen und wo möglich künstlich nachzuahmen, und so immer mehr begreiflich zu machen. Hierher ge- hört neben der Nahrungsmittellehre auch die Phar- makodynamik und mit ihr die Toxicologie. 4.) Die physiologische Dynamik . Diese Lehre zerfällt in zwei Haupttheile, einen niederen und einen höheren. Der erste handelt von den allgemein physisch-dynami- schen Agentien ( Licht , Wärme , Electricität , Galvanismus ) in wiefern die theils im thierischen Körper in Be- gleitung des Lebensprocesses von selbst sich entwickeln, theils von Aussen auf das Leben und seine Func- tionen eigenthümlich einwirken. b. Der andere Theil umfaßt die eigentliche organische Dynamik und be- handelt die Lehre von der Lebenskraft und von den specifischen Energien derselben. Insbesondere um- faßt sie die allgemeinen Gesetze der Nerventhätig- keit, in wieweit sie durch experimentelle Untersuchungen gewonnen werden können, und auch sonst durch ihre Analogie mit den allgemeinen physischen Reagentien eine Aufklärung erlauben. In dieser Lehre finden auch, wenn gleich nur historisch herwähnt, die wunderbaren Phänomene des Syderismus- und animalischen Mag- netismus ihre Stelle. 5.) Die physiologische Psychologie . Diese ist größtent- theils auf der Dynamik gegründet, indem die höchste Lebensentwickelung die Seele sich die Gesamtheit des zurückgelegten organischen Lebens zum Object der freisten Thätigkeit des Bewußtseyns und des Willens macht, und so eine dem Wesen nach geistige Kraft unmittelbare Causalität in der materiellen Welt behauptet, mit der sie daher ursprünglich wohl homogem seyn mag. Diese Doctrin zerfällt auch in zwei Haupttheile. Der erste umfaßt a , die Physiologie 15. des thierischen Lebens bis zu seiner höchsten Entwickelung im Menschen: sie handelt insbeson- dere von den Zuständen und Vermögen die der Mensch mit den niedern Thieren gemein hat, wenn sie gleich bei ihm eine höhere Ausbildung und eine unendlich vielfachere Anwendung erlangt haben mögen. Der andere Haupttheil ist b . die Psy- chologie des eigenthümlich menschlichen Lebens. 6.) Die physiologische Anthropologie . Wenn die vor- hergenannten Doctrinen blos das menschliche Indi- viduum zum Gegenstande hatten, so betrachtet diese die ganze Gattung, jedoch nicht als bloße Naturgeschichte der menschen Species deren Mate- rial sie nothwendig in sich aufnimmt, sondern als Physiologie , deren Gegenstand die ganze Mensch- heit als ein Totalorganismus ist, an deßen Erhal- tung und Entwicklung einzelne Individuen und Volksmassen verschiedenen Antheil haben, je nachdem sie durch innere organische Entwicklungsgesetze der Gattung, oder durch äussere Naturverhältniße bestimmt sind. Schon diese flüchtige Skizze der mit Hinsicht auf die besonderen Erfahrungsgebiete hier herausgestell- ten physiologischen Doctrinen, eröffnet den Blick auf ein unendlich reichhaltiges Material für eine thäti- ge in bestimmten Richtungen vorschreitende physi- ologische Forschung, deren Resultate insofern sie durch Lehre anschaulich mitgetheilt werden sollen einen ebenso unerschöpflichen Stoff experimenteller De- monstrationen darbieten. Um dieses noch klarer vor die Augen zu bringen, möge aus jeder der angeführten Doctri- nen einiges beispielsweise angeführt werden. 1.) Wenn die organische Metamorphose nicht gleich einem Traume an dem Sinne der Zuhörer vorüber schwinden soll, wird erfordert, daß wenigstens die 16 Hauptmomente der organischen Entwickelung nach ihrem Erfolgen vor die Anschauung geführt werden. Dieses wird zunächst erreicht durch künstliche, continuir- lich fortgesetze Brütungsversuche mit Vogeleiern, ferner durch Betrachtung der Entwickelung von Fisch- und Froschembyonen Froschembryonen , endlich auch durch Demonstrati- onen an Reihen von Säugethierembryonen, wozu denn eine möglichst vollständige Sammlung menschlicher eine wesentliche Zugabe wäre. Bei allen diesen Demon- strationen ist die Hülfe eines oder mehrerer gu- ter Microscope zur Beobachtung der Zeugungsstoffe, so wie auch der ersten unscheinbaren Bildungsan- fänge und der allmähligen Entwickelung der Ele- mentargewebe des thierischen Körpers unumgänglich nothwendig. Die übrigen Lehren der Morphologie, wel- che die Verschiedenheit der körperlichen Form nach den Lebensaltern, Geschlechtern, Raçen u. s. w. zum Ge- genstande haben, nehmen eine ins Speciellste gehende Anatomie und eben solche Sammlung in Anspruch. 2. Die organische Physik fordert eben so sehr allge- meine physicalische Vorkenntniße als Experimentir- und Demonstrations-Mittel, wenn sie im Geiste wahrer Wissenschaft gelehrt werden soll. Vorerst sind die physicalischen Eigenschaften der organischen Substanzen und Gebilde, die verschiedenen Modi der Flüßigkei, der Härte und Weiche, der Elasticität, Zähigkeit, Dehnbarkeit, Brüchigkeit Zerreißbarkeit, das specifische Gewicht u. a. streng zu erforschen, in so fern diesen Eigen- schaften gemäß, theils gegeneinander theils nach Aussen physisch reagiren, theils in so fern die organische Natur bei ihren lebendigen Bewegungen auf ihre Hülfe wesentlich gerechnet hat. Ferner muß die Structur der Gewebe microscopisch untersucht wer- den, weil auf ihr zum Theil, die physikalischen 17. Eigenschaften derselben beruhen. Weiterhin muß die Lehre von der Zusammensetzung der Bewegungs- kräfte, von den verschiedenen Arten von Hebeln in ihren speciellen, äußerst mannigfachen Combinati- onen, wie sie im thierischen Körper vorkommen durch anatomische Präparate, und durch Modelle an- schaulich gemacht werden. Die wesentlichen Momente des Blutumlaufs fordern zwar zunächst experim- mentelle Demonstration am lebenden thierischen Körper, doch müssen sie auch nebenher durch ei- nen künstlichen hydraulischen Apparat anschaulich gemacht werden, und ebenso werden hier micro- scopische Demonstrationen an durchsichtigen Gefäß membranen lebender Thiere, genauere Beobach- tungen der normalen Eigenschaften des Pulsschlags Belauschung der Herzbewegungen mit dem Stethoscop erfordert. Die physiologische Pneumatik bedarf der Luftpumpe, des Barometers, eines Gasometers und anderer Gefäße zu Athmungsversuchen. Modelle zur Darstellung des Mechanismus des Athmens u. s. w. Die physiologische Akustik und Optik wie sichs von diesen besonders versteht bedürfen mannigfacher Apparate und Modelle zur Veranschaulichung des organisch gegebe- nen. 3.) Die physiologische Chemie hat, nebst dem daß sie die Mischung der organisch thierischen Substanzen genauer als es sonst geschieht in Beziehung auf ihre organischen Zwecke erörtert, noch, wie schon oben erwähnt, die besondere Aufgabe, die or- ganisch-chemischen Processe der Verdauung, der Chylus- und Blutbereitung, des Athmens, der verschiedenen Se- und Excretionen nicht bloss mit Gedanken und Worten, sondern mit Experimen- ten und Demonstrationen zu verfolgen. Welcher Geheimniße Enthüllung uns hier bevorsteht, fangen wir erst jetzt an zu ahnen, seitdem 18. der erste Schritt in experimentaler Auffassung des Verdauungsprocesses gelungen ist. Daß so wohl die bisher erwähnten Gegenstände als auch die verwandte Nahrungsmittellehre, Pharmakodynamik und Toxicologie in wiefern sie einer experimentalen Behandlung von Seiten der Physiologie bedürfen, einen vollständigen chemischen Apparat mit zweckmäßigen Locale noth- wendig machen, geht aus dem innern Nexus zwischen dem Begriffe des Zwecks und der Mittel von selbst hervor. 4. Die physiologische Dynamik nimmt einerseits wieder die allgemeine Physik in Anspruch, indem theils die im organischen Körper selbstständig erzeug- ten Agentien, Wärme und Electricität nach ihrem Vorkommen, ihren Quellen, und nach ihren Größen- verhältnißen erforscht werden, theils die Wirkungen äußerer dynamischer Einflüße auf das Leben, und dessen specielle Reactionen zur Kenntniß gebracht werden sollen. Andererseits ist der Gegenstand dieser Lehre die Erforschung der dem Organismus eigenthüm- lichen meist vom Nervensystem erzeugten, ge- tragenen, und geleiteten Agentien, wie sie durch plastische, organisch chemische, phoronomische und sen- suelle Phänomene am Lebendigen theils in- mittelbar theils unter künstliche veranstalteten Bedingungen zur Äußerung kommen. Hier ist das eingentlichste Feld der Vivisection mit allen dazu gehörigen Hülfen von zweckmäßigem Locale, chirurgischem Apparat und gewandter Assistenz. 5. die physiologische Psychologie beruht größtentheils auf transcendentaler oder ideeller Empirie und nimmt die Physiologie zu Hülfe um die Innen- und Aussenwelt in nothwendige Beziehung zu brin- gen. Sie erfordert als Elementarlehre nur einige Vorrichtungen zu Versuchen über das passive und 19. thätige Verhalten der Sinne namentlich zur Far- benlehre , Farbenkugel, Vorrichtungen zur Erzeugung complementärer Farben, Täuschungsapparate zur Erforschung der objectiven Anschauung u. s. w. Außer- dem giebt sie practische Anleitung zur Selbstbeobacht- ung und zur Beobachtung Anderer. 6. Endlich beruht zwar die physiologische Anthro- pologie gleichfalls auf mühsam über den ganzen Erdball gesammelten Erfahrungen und fordert die größte Anstrengung reisender und Weltumsegelnder Naturforscher; nimmt also auch ihren experimentalen Theil für sich. Die Physiologie kann aber davon nur die Resultate in ihren Gebrauch ziehen, in- dem das Gebiet der anthropologischen Erfahrungen über die ganze Menschenspecies sich verbreitend in die engen Mauern der Schule nicht einge- schloßen werden kann. Sie nimmt nur die Ana- tomie in sofern zu Hülfe, als der menschliche Organismus mit dem der übrigen Thiere ver glichen und seine wesentliche Gattungscharaktere zur Anschauung gebracht werden sollen. Aus dem Gesagten geht von selbst hervor, daß die Physiologie als Erfahrungswissenschaft mit demselben Rechte wie andere Naturwissenschaf- ten einen vollständigen experimentalen und demonstrativen Apparat, und zweckmäßiges Lokale zu Experimenten und Demonstrati- onen, ferner zur Aufbewahrung der Instru- mente, Modelle und Präparate in Anspruch nehmen müsse. So wie die Idee des Lebens, wenn sie in eine materiell bedingte Welt eingetreten, die vorhandenen allgemeinen Ge- setze des Mechanismus, Chemismus, der dy- namischen und Psychischen Daseynsform auf eigene Weise in ihre Sphäre zieht, und sie zu speciellen 20. organischen Zwecken in Anwendung bringt, um sich darin nach eigenen Gesetzen zu verwirklichen, so will auch die Wissenschaft des Lebens in eigen- thümlicher Beschränkung die Apparate und Ope- rationen der Physik , Chemie und Dynamik, so wie noch insbesondere eigene Vorrichtungen zur Erforschung und Erklärung der Lebenserschenungen in An- wendung bringen und sich so in der Wirklichkeit darstellen und behaupten. So wie sich's nun heut zu Tage von selbst versteht, daß für die allgemeinen Naturwissenschaften allenthalben eigene Institute zur Mittheilung, Wiederholung und Fortsetzung der Erfahrungen errichtet, und sie mit den nöthigen Localitäten, Apparaten und anderen erforder- lichen Hülfen ausgestattet werden, eben so sollte auch die Physiologie überall wo man zur Einsicht ihres eigenthümlichen Standpunctes im Complexe der Na- turwissenschaften und ihrer dringenden Bedürf- niße gekommen ist, aus der bisher kümmerlichen, mehr litterarisch-historischen Form, in jene, einer Expe- rimentalwissenschaft übergeführt werden, durch Stiftung eigenthümlich physiologischer Institute. Daß sie deren nicht nur benöthigt ist, und sehnliche Wünsche darnach laut werden lassen darf, sondern daß sie sich das Recht zu einem solchen Anspruch an die Allgemeinheit erworben hat, zeigen die sich immer mehr häufenden, wichtigen und auf alle anderen theoretischen und practischen Doctrinen der Naturwissenschaft Einfluß übenden Untersuchungen und Entdeckungen, die bisher größtentheils von pri- vaten Bemühungen ausgingen, die aber in diesem, so zu sagen barbarischen Naturzustande wenigstens von jenen Staaten nicht ferner belassen werden dürfen, welche sich zu dem Standpuncte erhoben haben, die Wissenschaft um ihrer selbst willen (nicht bloß wegen 21. ihrer Nützlichkeit) in die Zahl ihrer wesentlichen Zwecke zu rechnen. Wenn es nun zur Gründung physiologischer In- stitute käme, so ist es keine Frage, daß bey dem heutigen Stanpuncte dieser Wissenschaft, von Seiten des Staats an die Individuen, welche sich ihr als ihrem speciellen Lehrfach widmen die Forderung gemacht werden kann, daß sie nicht blos eine gelehrte und historische oder speculative Kenntniß besitzen, sondern sich als practische Naturforscher mit experimentalen Sinne der Beobachtung und Ergründung der Lebenserscheinungen ergeben, so wie gleiches für das respective Fach vom Chemiker, Mineralogen, Physiker, Anatom, Therapeuten u. a. mit vollem Recht von jeher ge- fordert wird . Aus obiger Darstellung der physiologischen Doc- trinen vom naturwissenschaftlich-practischem Standpuncte aus, und aus den Beispielweise an- geführten Requisiten jeder besonderen Lehre gehen auch die Haupterfordernisse eines zu errichtenden physiologischen Instituts von selbst hervor. Hieher gehören: 1.) Ein eigenes recht lichtes Auditorium mit amphithralisch eingerichteten Sitzen, damit ohne alle Störung für den Lehrer und seine Gehülfen und für alle Zuschauer hinreichend sichtbar die physio- logischen Experimente und Demonstrationen vor- genommen werden können. Es könnten auch in dem- selben Locale wenn Raum dazu übrig bliebe, phy- siologisch-anatomische Präparate, zootomische, physi calische und andere Instrumente, und Modelle aufgestellt werden. Es dürften überdies in demselben Lo- cale, wenn kein besonderer Raum dazu (was freilig zu wünschen wäre) eingeräumt werden könnte, die anatomischen und experimentalen Übungen der Schüler und andern Liebhaber der Wissenschaft vorgenommen werden. 22 2. Ferner würde erfordert ein eigenes sehr ruhi- ges gehörig lichtes am besten gegen die Mittagsseite gelegenes mit wenigstens zwei Fenstern versehenes Locale zu micrscopischen Beobachtungen, worin wenig- stens mit zwei Microscopen gearbeitet werden könnte und wo auch wenigstens ein Zeichner einen angemesse- nen Platz fände. Jedes Microscop fordert einen festen Tisch mit mehreren Schubladen, für die nöthigen Hülfs- geräthschaften. Im Mittelraum könnte ein großer oder mehrere kleine Tische für anatomische Vorbereitungen der zu untersuchenden Gegenstände angebracht seyn. An den Wänden stünden Repositorien zu microtomischen Präparaten, zu Vorräthen zu Untersuchungen bestimmter organischer Theile, und zur Aufbewahrung von Instru- menten und Apparaten. Auch könnten in demselben Locale die physicalischen und dynamischen Experimen- te und Untersuchungen vorgenommen werden. 3.) Ein besonderes chemisches Locale mit den erforder- lichen Geräthschaften, Gefäßen, Reagentien und Vor- räthen. 4.) Ein eigenes Zimmer für den Aufenthalt des Lehrers bei Tage so wie auch zur Aufbewahrung der nothdürftigsten litterarischen Hülfsmittel und zu eigenen microtomischen und anderen Untersuchungen. 5.) Ein zweckmäßiger Hofraum mit Ställen für größere und kleinere Thiere, ein kleiner Wasserbehälter, alles so viel als möglich neugierigen Blicken entzogen. Es versteht sich daß das Gebäude trocken gelegen und ge- sund seyn müßte, damit den darin beschäftigten Personen der anhaltende Aufenthalt darin nicht nach- theilig werde. Auch wäre es zweckmäßig, wenn es nicht zuweit vom Anatomielocale entfernt läge, wegen leichterer Benutzung der dortigen Lehrmittel. Übrigens müßte der Vorsteher ganz nahe an dem Institute seine Wohnung gewählt haben, damit wenn er gerade dort nicht anhaltend beschäftigt ist, er zu jeder Zeit des Tages so schnell als möglich sich hin- begeben kann, theils um die Arbeiten der Schüler zu beaufsichtigen, zu leiten, oder ihnen zu folgen, theils um keine Gelegenheit der Forschung und der eigenen Aufgelegtheit zu verabsäumen. 6. Ein Locale als bleibende Wohnung eines beson- deren Gehülfen und Aufsehers, theils zur Aufsicht über das Gebäude und dessen Inhalt und Zubehör, theils weil gerade consequente physiologische Untersuchungen die strengste und beständigste Beachtung erfordern. 7. Von Apparaten sind wesentlich erforderlich: drei große Microscope von bester Sorte, eine Luftpumpe, eine feine Wage ein electrischer Apparat, ein Gasometer und andere pneumatische, ferner hydraulische, acustische und optische Vorrichtungen und Modelle, anatomische und chirurgische Instrumente; ferner ein möglichst voll- ständiger chemischer Apparat von mäßigen Dimen- sionen, pneumatische Wanne, Quecksilbertrog, Eu- diometer und andere erforderliche Geräthschaften von Glas und Holz, so wie auch eine vollständige Sammlung der unentbehrlichsten Reagentien zur Prüfung thierisch organischer Stoffe. 8.) Sehr zu wünschen wäre es, wenn überhaupt das Institut nach Aussen recht fruchtbar gemacht werden sollte, daß ein eigener Zeichner, der sich besonders mit der Handhabung des Microscops bekannt machen müßte zur Disposition des Vorstehers gestellt, und nach Ver- hältniß seiner Leistungen remunerirt würde. Vielleicht könnte der schon gegenwärtig an der hiesigen Universität angestellte Zeichner hierzu verwendet werden, mit an- gemessener Zulage zu seiner bisherigen Besoldung. Zur ersten Beschaffung des Erforderlichsten würden vielleicht 800 rhl. ausreichen. Als fixen Etat für die 24. Folgezeit würden etwa 200 rhl. jährlich hinlänglich seyn, nicht gerechnet die Besoldung des Gehülfen und des Zeich- ners. Eine noch specieller Angabe der Erforderniße würde leicht gegeben werden können, wenn Ew. Excellenz, nach Erkenntniß der Nothwendigkeit und Zweckmäßig- keit der Errichtung eines physiologischen Instituts sich Allerhöchsten Orts gewogentlichst verwenden und er- wirken wollten, daß zur Realisirung eines solchen geschritten werde. Wenn nun eine dergleichen Anstalt zu Stande kommen sollte, so frägt sich noch einmal was nun Alles zu ihrer Be- stimmung zu rechnen wäre? Dieses läßt sich unter fol- genden Gesichtspuncten auffassen. 1.) Das Institut soll die Möglichkeit gewähren durch Demonstrationen und Experimente die academischen Vor- träge über Physiologie so viel als möglich anschaulich zu machen. 2.) Es soll den Schülern und angehenden Docenten Gelegenheit geben, sich in der physiologischen Naturforschung durch eigene Handanlegung practisch zu vervollkommnen namentlich sich den Gebrauch des Microscops anzueignen und den Blick für die feinere Anatomie und Micro- chemie zu eröffnen, ferner sich das Geschick zur selbst- ständigen Ausführung der Experimente zu erwer- ben. 3. Es soll die jedesmaligen neuen Entdeckungen durch Nachexperimentiren und erneuerte Beobachtungen be- stätigen oder wiederlegen, berichtigen, erweitern und die Anstellung neuer Forschungen veranlaßen und unterstützen. 4.) Es soll überhaupt an der Universität das Fach der Physiologie repräsentiren, und namentlich außer andern gelegentlichen Mittheilungen durch jährliche öffentliche Be- 25 richte sich mit der wissenschaftlichen Welt in Com- munication und lebendiger Wechselwirkung erhal- ten. Diese hier aufgestellten Anforderungen werden wohl Manchem etwas übertrieben vorkommen, und es schon genügend scheinen, wenn die erste davon, der Lehrzweck vollkommen erreicht würde. Doch liegen jene Forderungen im Geiste wahrer Wissenschaftlich- keit, und auch im Bedürfniß der fortschreitenden Genera- tion, und es würden bei dem gegenwärtigen Schwunge des wissenschaftlichen Lebens in Europa sowohl in- nere als äußere Anregungen und Aufmunterun- gen nicht ermangeln den Lehrer und seine Mit- arbeiter zu den geforderten und noch höheren Leistungen zu spornen, und ihn in seinem Streben aufrecht zu erhalten. Und so mögen Ew. Excellenz diesen, lange noch unvollständigen aber dennoch zeitgemäßen, und wie ich glaube hinreichend motivirten Entwurf huld- reichst aufnehmen, und seine Ausführung gewo- gentlich berücksichtigen. Ich habe nunmehr seit vier- zehn Jahren, wo ich durch Ew. Excellenz Gnade zum Lehrer der Medizin an der hiesigen Hochschule berufen worden, vielfältig Gelegenheit gehabt, mich von den Bedürfnissen der Physiologie als Lehre und als selbst ständige Naturforschung zu überzeugen und ihre realen Verhältniße zu den übrigen Fächern der Naturwissenschaften, namentlich zu den vorhandenen Sammlungen und Instituten oft auf eine sehr unangenehme Weise kennen zu ler- nen. Es ist natürlich, daß die Wissenschaft der Phy- siologie und ihr Interesse durch Beruf und anhaltende 26. Beschäftigung mit meiner Person und mei- nem ganzen Leben so genau verwachsen ist, daß das hier vorgebrachte nicht bloß als meine innig- ste Überzeugung ausgesprochen wurde, sondern daß mir auch Alles daran gelegen seyn muß diese Überzeugung allgemein zu machen, und vor allem die Aufmerksamkeit Ew. Excellenz von dessen mächtigen Willen alles Gedeihen der Wissenschaft, und alle neue Schöpfungen im Gebiete derselben ausgeht, auf den bisherigen gedrückten Zustand der Physiologie im Organismus der Universität, und auf dessen mögliche Abände- rung hinzulenken. Es wäre zweifach wichtig, wenn durch den Ent- schluß Ew. Excellenz gerade in unserm preußischem Staate der Anfang zu einer solchen würdigeren Stellung der Physiologie geschähe, theils um der Wissenschaft und ihrer Lehrer willen, theils wegen des guten Beispiels, das wie so vieles andere von hier auch um so wirksamer nach allen Seiten sich ausbreiten würde. Indem ich hiermit Ew. Excellenz aus reinem Interesse für die Wissenschaft, und aus innigstem Gefühl selbst erlebten drin- genden Bedürfnißes diese meine wohlgemeinten Vorschläge 27 unterthänigst vorlege und angelegentlichst zur gewogentlichen Beachtung empfehle, zeich- ne ich mich mit höchster Ehrerbietung Ew. Excellenz unterthänigst ergebenster Diener Johann Purkinje . Breslau den 1 Juni 1836.