Zur Einführung Die Zusammenstellung dieses Sammelbuches deutscher Kunst geschah lediglich im Hinblick auf die Talente, nicht auf die „Richtungen“. Die starke Beteiligung von Begabungen aus allen Kreisen der modernen Kunst aber ergab von selbst ein vollständiges Bild der in verschiedenen Richtungen lebendigen modernen Bewegung in Deutschland. Ein solches Bild in großem Rahmen, gegeben nicht durch Raisonnements, sondern durch die Produktion selber, fehlte uns bisher in Deutschland, wo denn in weiten Kreisen eine wunderliche Unkenntniß über „die Moderne“ herrscht. Man hat zwar schnell hintereinander eine unglaubliche Masse von Schlagworten verbraucht, die allesammt bestimmt waren, die Erscheinung zugleich zu bezeichnen und zu verdammen, aber der Sache selber ist man dabei keinen Schritt näher gekommen. Die Hauptnamen der Modernen tönen am lautesten heraus aus jedem literarisch künstlerischen Gespräch, aber ihre Werke kennen nur Wenige. Vielleicht hilft dies Buch dadurch zum Besseren, daß es Gelegenheit gibt, eine größere Anzahl charakteristisch moderner Künstler des deutschen Wortes und Bildes in ihrer Art kennen zu lernen und so die Probe darauf zu machen, ob man wirklich diese ganze „Moderne“ mit ein paar Schlagworten voll erschöpfen kann. Vielleicht schwören doch einige den Schlagworten ab und wenden ihr Interesse den schöpferischen Persönlichkeiten zu. Eine äußerliche Einteilung nach Richtungen wurde nicht getroffen, immerhin mag eine lose innerliche Anordnung nach gewissen Ähnlichkeitszügen im Großen bemerkt werden. Die Auswahl der Bilder geschah gleichfalls in dem Streben, die Spannweite der modernen Kunst vom Naturalistischen zum Phantastischen zu zeigen. Aus technischen Gründen mußte der Plan aufgegeben werden, auch Proben moderner Musik zu bieten. Nun soll im größeren Rahmen einer besonderen Veröffentlichung dieser Kunst später ihr Recht werden. Die Autorentafel blieb infolge Krankheit des Herausgebers ohne die geplanten biographisch-bibliographischen Notizen. O.J.B. Das gebliebene Lächeln Was ist denn los im Schloß? Der Gutsherr liegt im Sterben, Geschäftig eilten her aus Fern und Näh die Erben. Vor zitterndem Begehr nach seinen Geldern, Gütern, Verbergen schwer die Gier sie hinter Maskenhütern. Und um sein Bett herum, mit Wehmuth, Schüttelköpfen, Berechnen sie den Werth bis hin zu Tand und Töpfen, Bis auf den Stiefelknecht und die Cigarrenspitze, Sie wähnen alles schon im sichersten Besitze. Damit der Seele auch der Himmelsflug gelänge, Erschallen Litanein und fromme Betgesänge. Doch zornig wehrt er ab: Weg mit den Komödianten, Dem ganzen Bettlerpack der Vetternsipp’ und Tanten. Er will nicht, daß „Moral“ die Abschiedsstund ihm störe, Daß er zu guterletzt den starken Sinn verlöre. Unheimlich, seht, er lacht, er lächelt, Gott bewahre, So starb wohl niemand noch, dazu im weißen Haare. Der Kranke lächelt fort, er lächelt, lächelt, lächelt, Als würd er gütevoll von Engeln schon gefächelt, Daß ihn zu süßem Trost, nach all der Glut und Schwüle, Die uns hienieden quält, ihr sanfter Fittich kühle. Ah, der fatale Zug, dies Lächeln um die Lippen, Er sah den Menschen stets ins Herz durch Fleisch und Rippen. Er sah, wie sie die Brust in Eigendünkel schwellten, Und, voller Heuchelei, des Nachbars Ruf zerspellten. Ach, und die Religion, wie oft ist die der Mantel, Wenn innen auch der Neid sie sticht wie die Tarantel, Mit Augen wolkenauf, Hosiannah, Heiligspielen, Sie wissen doch dabei scharf um sich her zu schielen. Und gar, wenn sie nun sehn, daß andre Freude haben Und sich ihr bischen Lust aus wüstem Acker graben, Da sind sie außer sich und suchens zu verderben, Daß ja das kleine Glück geschwind zerbricht in Scherben, Indessen sie mit List in Trüb und Dunkel fischen, Um eine Leckernis geheim sich zu erwischen. All das durchschaut er klug, und wollten sie betrügen, Betrog er selbst sie dann mit vielen guten Lügen. Die Lieb’ insonderheit versteckt er hinter Bäumen, Bei abgedrehter Thür läßt sich am besten träumen, Wo nicht die Menschen sind mit ihren schelen Blicken, Mit ihrem Mörderdrang, mit ihren Würgestricken. Dess’ lächelt fein er jetzt, daß er den bösen Fallen So meisterlich entging in seinem Erdenwallen, Und lacht zum letzten Mal, daß vollauf und entschlossen, Trotz manchem Widerspiel das Leben er genossen! Er lächelt und er stirbt, sein Buch ist ausgeschrieben, Die Leichenstarre kam, das Lächeln ist geblieben, Das Lächeln — sagt es noch: Es lag die Sphinx mir offen, Ich sah der Welt ins Herz, und nur die Narren hoffen? Trennung Du warst mein Zeltgenosse Zwei Jahre oder drei, Dann kamen die Abschiedsstunden Mit ihren schmerzenden Wunden, Und alles war vorbei. Kehr’ müd ich nun vom Wege Aus Arbeit, Schweiß und Dorn, Hör’ durch die verödeten Hallen Dumpf meinen Schritt ich verschallen. Ingrimmig klirrt mein Sporn. Und ruf’ ich deinen Namen, Nur hohler Widerklang Giebt meinem bebenden Munde Von der höhnenden Leere Kunde Auf meinem Schattengang. That ich dir denn so Leides, Verließest du mein Schloß, Weil du sahst meine Liebe versinken, Im Meere des Alltags ertrinken, Das trostlos uns umfloß. Des Lebens Bäckerfäuste Wehr’ ich mit dir nur ab. Schließ schnell dein Kisten und Kasten, Keinen Augenblick darfst du rasten, Bis ich dich wiederhab. Und meine Arme breit’ ich Und zieh’ dich an mein Herz, Und lasse die Engel psalmiren, An uns vorbei paradiren, Schab ab, du schwarzer Schmerz. Waldfahrt Hingegossen in die Polster Einer alten Miethskarosse Lehnt das allerschönste Mädchen. Neben ihr, in Seligkeiten, Lehn’ ich gleichfalls in den Sitz. Unser Kutscher denkt an gar nichts, Baumelnd hängt ihm die Cigarre, Trösterin von meinen Gnaden, Und er glotzt nur blöde, schläfrig Auf die dicken, faulen Füchse. Und schon nickt er höchst bedenklich, Weil er weiß, daß seine Gäule Ihn auch ohne Ruf und Peitsche Kennen, daß sie niemals scheuen, Daß sie brave Kerle sind. Langsam, langsam wühlt der Wagen Durch den grauen Kiefernsandweg. Wem der Vorrang hier gebühre, Wetten Einsamkeit und Stille. Julihitze, Sonnenlichter Spielen, zittern durch die Bäume, Während gnädig breite Kronen Schattenbaldachine spannen. Und indessen, immer näher Drängen wir uns an uns an. Stürmischer wird unsre Sehnsucht, Länger werden unsre Küsse, Ach, Jorinde, ach, Belsazar. Und versinkend, und versunken, Wissen wir die Welt nicht mehr. Sahen, merkten nicht, daß itzo Neben uns die Schienen laufen Einer Eisenbahn im Forste. Ganz zerflossen, ganz im Himmel, Und der Fuhrmann eingeschlafen, Überholt uns plötzlich, rasend Der Courierzug von Nüchterna. Huch, was ist das? Tücherschwenken, Hütegruß aus allen Fenstern, Hurrahrufen, Bravoklatschen, Grinsendes Gesichterschneiden, Und am Schluß, von seinem Hochsitz, Auf dem allerletzten Wagen, Winkt ironisch uns der Schaffner Huldvoll seine Grüße zu. Und die Liebste schreit erschrocken, Und wir fahren auseinander, Und wir fühlen uns bekümmert, Denn wir hatten uns blamoren, Gräßlich, gräßlich uns blamoren. Aber wie der Blitz in Wolken, Ist der Train im Hui verschwunden, Ist verrattert, ist verrädert. Und wir sitzen hurtig wieder, Als ob wirklich nichts gewesen, Grenzenlos verliebt im Fond. Der teutsche Dichter in Abdera Sicilianen Du hattest heute wieder nichts zu essen, Dafür aß jeder Straßenstrolch sich satt, Die gute Stadt, in der du eingesessen, Bringt dir sogar ein wüthend Pereat Und möchte dich mit Haut und Haaren fressen: Ganz recht auch, daß er keine Suppe hat, Sein Hochmuth scheint uns gänzlich zu vergessen, Er schreibt nicht mal für unser Wochenblatt. Winterbild Sicilianen Ein großer Rabe, auf den Ast gedrückt, Sticht ab als einziger Farbenstrich im Schnee, Nein doch! ein altes Mütterchen, gebückt, Im Wind wie roth die Nase, Jemine, Kommt mühsam, hüstelnd, trippelnd angerückt. Im Schürzentuch die Linke, Frost thut weh, Hält rechts sie einen Teller, kühn geschmückt Mit eines sauern Herings Glorie. Je reviendrai Sicilianen Leb wohl, leb wohl. Vom Strand aus seh das Boot Ich mehr und mehr auf weißen Wogen schwinden. Nun hälts am Schiff. Es qualmt und dampft der Schlot, Ich höre das Geräusch der Ankerwinden, Die Pfeife schrillt, o dürft’ ich, dein Pilot, Ans Steuer mir dein schwenkend Tüchlein binden. Die dumme alte Sonne lacht und loht: Mich, Lieber, wirst du morgen wieder finden. „Es zog eine Hochzeit den Berg entlang.“ Sicilianen Sie sang das Lied, die Worte sind verklungen, Die Finger liegen lässig auf den Tasten, Es wächst der Mond aus leichten Dämmerungen Und grüßt ins Fenster, die Gedanken rasten. Hört sie Musik? Vor hundert frischen Jungen Flog grün ein Attila mit Silberquasten, Durchs Herz geschossen ruht er, schlachtverschlungen, Im grünen Attila mit Silberquasten. Sommernacht Sicilianen An ferne Berge schlug die Donnerkeulen Ein rasch verrauschtes Nachmittaggewitter. Die Bauern zogen heim auf müden Gäulen, Und singend kehrten Winzervolk und Schnitter. Auf allen Dächern qualmten blaue Säulen Genügsam himmelan, ein lustig Gitter. Nun ist es Nacht, es geistern schon die Eulen, Einsam aus einer Laube klingt die Zither. Richtet nicht, Pharisäer Sicilianen Wie sich der Epheu rankt am starken Stamm, Schmiegt sie sich an ihn mit den Psychebrüsten, Den Locken schon entfiel der Perlenkamm, Aus ihren Augen spricht ein süß Gelüsten. Die Nacht ist schwül, die Mondessichel schwamm In weicher Pracht vorbei an Sternenküsten Und schielt nicht hin, ob Braut und Bräutigam Sich auch zu regelrechter Hochzeit rüsten. Qualvollstes Sterben Sicilianen Der Hungertod im Schnee auf Haiden ist Ein lustig Schwelgefest in Hochgenüssen, Viel Klafter tief im Sarg erwachen ist Ein fröhlich Augenauf zu Glücksergüssen, Der höllischen Verdammnis Schrecken ist, Ein Rosengarten unter Frühlingsküssen, Denk’ ich daran, wie Herz und Seel’ es frißt, Stündlich der Geldnoth ins Gebiß zu müssen. Acherontisches Frösteln Sicilianen Schon nascht der Staar die rothe Vogelbeere, Zum Erntekranze juchheiten die Geigen, Und warte nur, bald nimmt der Herbst die Scheere Und schneidet sich die Blätter von den Zweigen, Dann ängstet in den Wäldern eine Leere, Durch kahle Äste wird ein Fluß sich zeigen, Der schläfrig an mein Ufer schickt die Fähre, Die mich hinüberholt ins große Schweigen. Vorfrühling am Waldrand Sicilianen In nackten Bäumen um mich her der Häher, Der ewig kreischende, der Eichelspalter, Und über Farrnkraut gaukelt nah und näher Und wieder weiter ein Citronenfalter, Ein Hühnerhabicht schießt als Mäusespäher Pfeilschnell knicklängs vorbei dem Pflugsterzhalter, Der Himmel lacht, der große Knospensäer, Und auf den Feldern klingen Osterpsalter. Des Mannes Kampf Sicilianen Ein Schlachtgetümmelbild in grellen Farben, Harmonisch kaum das Grau im Hintergrunde, Um kleinen Preis oft jahrelanges Darben, Ein mühsam Ringen nur von Stund’ zu Stunde, Und reift einmal sein Feld zu vollen Garben, Der Teufel steht mit Belzebub im Bunde, Sein Lohn, sein Glück? Die Brust belaubt mit Narben, Schließt endlich ihm der Tod die letzte Wunde. Sonnenblumen Am Abend zwischen Traum und Wachen, Ich dachte nicht grade an heilige Sachen, Vor mir der Nazarener stand. Die schönen Gottesaugen lagen Auf mir wie zwei freundliche Fragen. Hielt eine Blume in der Hand, Hochstengelig ein goldner Stern Lehnt’ an der Schulter unserm Herrn, Wie frommer Maler Engelsgestalten Ihre Friedenspalmen halten: Eine Sonnenblume, voll erschlossen, Von einem lieblichen Licht umflossen, Hob sich von seinem blauen Kleid Als ein glänzendes Geschmeid. So schwebte in einem Nebel zart Vor mir die göttliche Gegenwart, Darauf ich holden Schreckens geblickt, Bis ich darüber eingenickt. Am Morgen nach gesundem Schlaf Stand mir der Sinn ins Feld hinaus, Wo ich auf eine Hütte traf, Ein leicht gezimmert hölzern Haus. Drum ragten als ein Schirm und Zaun, Als ein golden Gegitter anzuschaun, Hochsäulig aufgereiht beisammen, Sonnenblumen, zehn helle Flammen. Das war ein dichterlicher Platz, Wie nur am Wege hold versteckt Ein Sonntagskind ihn einmal entdeckt. Ein Wässerlein lief mit süßem Geschwätz Durch eine schattige Wiese hin, Sonst war die Stille hier Königin. Ihr König, der Frieden, saß auf der Bank Und putzte seine Krone blank. So oft ich vom Häuschen vorüber geh, Ein blau Gewand ich vor mir seh. Geht nicht, steht nicht, schwebt vielmehr In einiger Höhe vor mir her. Schöne Gottesaugen schlagen Sich nach mir auf mit freundlichem Fragen, Und von der Schulter unserm Herrn Nickt schwankend der goldne Blätterstern, Die Sonnenblume, voll erblüht, Von einem himmlischen Leuchten umglüht. War nie diesen Blumen recht gut gewesen, Schalt sie bäuerisch und gemein, Kamen mir vor wie Küchenbesen, Die gerne wollten Prinzessinnen sein. Aber so läßt, was wir verachtet, Eh’s drüber getagt nur, oder genachtet, Oft plötzlich die schlichte Hülle sinken Und uns seine heimliche Schönheit trinken. Besonders Poeten kommen oft Zu solchen Gnaden unverhofft. Aus dem Takt Mein Weib und all mein holder Kreis, Mein Kind und all mein lachend Glück. Ich rühre an die Saite leis, Wie hell klingt es zurück. Nur manchmal, wenn von ferne ich Die großen Ströme rauschen höre, Wenn sich der vollern Lebenschöre Ein Ton in meine Stille schlich, Schrei laut ich auf und hebe Klag: Mehr Licht, mehr Licht nur einen Tag. Und blutend leg ich, abgewandt, Mein Herz in eure Liebeshand, Bis es von aller Angst entbunden Und wieder seinen Takt gefunden, Den Gleichtakt zwischen Wunsch und Pflicht. Herddämmerglück, Herddämmerlicht. Grünes Redder Ich grüße euch, ihr Dächer grau, So klug in Busch und Flieder; Zur Heimath strebt mein rascher Fuß, Zur trauten Heimath wieder. Noch kräuselt still des Herdes Hauch Blaugrau am rothen Himmel, Noch ruft, wie einst, zu Bitt’ und Buß Des Thürmchens fromm’ Gebimmel. Ein Fensterlein — im Abendglanz — Erstrahlt an Stall und Stübchen; Harmonika — Melancholie — Im Redder spielt’s ein Bübchen. Ein grüner Weg — verschwieg’ner Gang — Der Feld- und Herzensdiebe, Da lernt’ ich einst, so dumm, wie dreist, Die schwere Kunst der Liebe. Dem Meister lief die Zeit daher, Ich wurde fett und fetter; Doch gerne denk’, in stiller Rund’, Ich an das grüne Redder. Schreit’ ich auch heut, als Tugendbold, Des süßen Lasters Wege: Ein lieb’ Gesicht lacht links und rechts Aus grünem Blattgehege. Nicht mehr dabei! Die Kalpaks bauschen und wehen, Patrouillen lauschen und spähen, Die Fähnlein der Lanzen flattern, Von fern Carabiner knattern. Dann kommt die Attacke breit über das Feld, Staubwolken steigen zum Himmelszelt, Den Boden erschüttert das Rossegestampf, Auf der Wiese hinwogt der Reiterkampf. „Hurrah! Hurrah!“ ... Trompeten gellen... Hin fluthet es über die Bodenwellen... Und Signal: „Halt“; „Zum Handgemenge“ ... Ein wildes, wirres Pferdegedränge... „Regimentsruf“, und dann „abgesessen!“ ... Die Thiere gierig die Gräser fressen... Der Wachtmeister hinten mit einem Fluche Notirt sich im großen, dicken Buche Den „dummen Rekrut“, den „rothen Franz“ Der „umgeworfen den Angriff ganz“. Schnell sieht der Leutenant nach den Eisen Und läßt sich einzeln die Hufe weisen. Ganz vorn der Oberst. Der Adjutant Schaut nach dem Feinde unverwandt... Endlich ertönt: „Das Ganze. Halt,“ Von überall, vom Strom vom Wald Von allen Höhen im Wiederhall Der gleiche langezogene Schall... . . . . . . . . . . . . . Biwak ist heute. Durch die Nacht im Bogen Sieht man die Feuer blitzend hingezogen... Beim Schein der Flamme trägt „der Witzbold“ vor. Man kichert und man lacht, man johlt im Chor Die Officiere hören zu im Kreise... Und plötzlich tönt von fern die Wunderweise: Der „Abendsegen“ durch die stille Nacht... Vom Himmel blinkt herab die Sternenpracht Kein Lüftchen regt sich. Deutlich hört man klingen Aus weiter Ferne noch Musik und Singen... Und die Kapellen rings in aller Runde, Und die Soldaten wie aus einem Munde Sie fallen ein... ... Ich stehe fern am Wege Mir bebt das Herz, verdoppelt seine Schläge... Vor mir der Posten, der zurück mich wies! „Niemand darf durch!“ sein barscher Anruf hieß. Als ich mein altes Regiment gesucht! ... In seiner Liste, wo ich einst gebucht, Steh’ ich nicht mehr... Und wieder tönt der Schrei: „Zurück! ... Ich wende mich: „Nicht mehr dabei!“ Lili ... Als ich dann wieder in die Heimat kam — im Frühling wars, die Hyacinthen blühten — da war sie todt — von fremden, kalten Menschen hinausgetragen in ein kahles Grab. — — Ich fand es nicht. Langsam ging ich zurück in ihre Wohnung. Ihre feiste Wirthin sprach schmunzelnd: „Gott! die Menschen sind nicht rar Nicht eine Woche stand ihr Zimmer leer! Jetzt wohnt ein allerliebstes Chansonnettlein darin... ganz jung noch... mit so lustigen Füßchen! Wollen Sie sie sehn?“ — — — — — Und ich erfuhr — wie sie gestorben war. Vor ihren Augen, während sie in Qualen ohnmächtig dalag, hatten — ihre Schwestern begierig ihrer Habe sich bemächtigt: Sparkassenbücher, Kleider, Schmuck und Wäsche aus allen Kästen sich hervorgesucht und umgepackt in einen großen Korb. — — Da — hatte sie den bleichen Kopf erhoben von ihren Kissen, hatte sich verwundert mit großen schwarzen Augen umgeschaut und hatte — gelächelt... Mir ist — als ob ich dieses Lächeln sähe. Sommersegen Schimmernd flockt vom Himmel nieder blüthenrosiger Wolkenflaum, lilafarben trägt der Flieder seine Kronen wie im Traum; in den schwülen Sommerwinden liegt ein Duft, berauschend schwer, wie der Hauch von blühenden Linden treibt es durch die Gärten her. Noch spürst du des Abends Schwingen, wenn sein letzter Schimmer stirbt. Ruhe dann — kein Vogelsingen — nur im Gras die Grille zirpt — Und du fühlst des Himmels Segen nieder auf die Erde geh’n, auf den Straßen, an den Wegen siehst du Gottes Engel steh’n. Parknacht Eine Traueresche senkt übern Weg die Zweige nieder, durch die hellen Lüfte sprengt seinen Duft der blaue Flieder. Übern Weiher, wie im Traum, rudert ein Paar schwarzer Schwäne, Golden wie Champagnerschaum sprüht die hohe Parkfontäne. Eine Marmorgöttin thront weiß und lauschend unterm Flieder — und der bernsteingelbe Mond leuchtet in die Nacht hernieder. Todtenkammer ... Ich sah den Rauch noch, hörte noch den Knall... Ein letztes Sein hintaumelnd in Sekunden... Ein Sonnenrausch... und dann wie Blitzesfall war das Bewußtsein jählings mir entschwunden. Ein Schmerz d’rauf, der in Hirn und Schläfe sticht und überfließt wie Hyazinthendüfte... süß... lebensaugend. — Wie ein weißes Licht steigt’s mir vom Haupt... hinhauchend in die Lüfte. Dann grau in grau... ein dunkler Schleierflor... wie schwarzes Tuch... Farblose Todtenkammer. ... Ein Tönelispeln... Zittern... mir im Ohr... kein Seufzer mehr... kein Schmerz... und kein Gejammer... Mein Schloß Wo liegt mein Glück? Was lebt in meinen Träumen? Ein Marmorschloß am dunkelblauen Sund, Da dürften leise klingen nur und schäumen Mit müdem Ton die Wellen tief im Grund. Fern in des Parks verborgenstem Bereiche Liegt starren Auges eine mächt’ge Sphinx, Und schwarze Schwäne geh’n im stillen Teiche Und Irisnelken steh’n und schlafen rings. Vorn wandeln Pagen in der Säulenrunde, Hellblauen Atlas um den stolzen Leib, Und drinnen lächelnd und mit rothem Munde Das Fürstenkind, mein glückverklärtes Weib. Das sollt’ um mich die weißen Arme schlingen, Das blonde Köpfchen neigen lieb und lind, Und sollte träumend alte Lieder singen Von Glück und Glanz und manchem Königskind. Dann müßten weit im letzten Sonnenscheine Die goldnen Abendwolken droben glüh’n Und um des Schlosses blasse Marmorsteine In ganzen Hecken rothe Rosen blüh’n. Die Ehebrecherin Markt vor Jerusalem und Volksgedränge... „Die Ehebrecherin! Auf! Steinigt sie!“ „Nein! Nackt an’s Kreuz mit ihr!“ „Das Weib muß bluten — Nur nicht gefackelt!“ — Halt! — „Da kommt der Rabbi, Der weise Rabbi kommt, der soll uns predgen!“ „So gib doch Antwort, Mann von Nazareth, Du bist doch sonst — — Bist seltsam heut befangen!“ Er schweigt und sinnt, der bleiche, hagre Mann, Wehmütig zuckt’s um seine blassen Lippen, Er schweigt. — „Du willst nicht reden? Gib uns Rath“ ... „Wer ohne Sünde unter Euch, der werfe Den ersten Stein auf sie.“ Er blickt sie an Er blickt sie müde an, er seufzt und schweiget. Als hätt’ er mehr zu sagen... — — — — — — — — — — — — — „Franziska, du! Du eines andern Weib —! Hast mir das Leben bettelarm gemacht! Was bleibt mir noch? Ich komme aus der Fremde, Und seh’, daß du — — Weißt du nicht mehr, Franziska, Den Abend — da im Park — „ich lieb’ dich“, sprachst du.“ „Ernst! Hör’ mich an! Du weißt nicht, kannst nicht wissen — Es ist nicht wahr, daß ich den andern liebe. Dich lieb’ ich, hörst du? Glaube doch, dich lieb’ ich!“ „Wie? bist du rasend?“ „Ernst, ich liebe dich!“ — — — — — — — — — — — — — — — „Wie lind die Luft! Du hängst in meinem Arme, Wie damals, weißt du noch?, so ganz wie damals, Da sich zum ersten Mal die Lippen fanden. Wie damals blickt dein braunes Aug’ mich an... Gib einen Kuß mir, einen! — — Wie du lieb bist... Jetz küss’ ich dich! Küss’ dich auf beide Augen.“ „Nein, laß mich, Ernst. Ich bin — so — überselig — So — müde... Laß an deiner Brust mich schlafen.“ „So komm! Das Moos ist weich: wir setzen uns. Wie schwül es ist. Siehst du? Kein Blättchen regt sich... Nein! lege nicht den Kopf auf meine Schulter, Daß mich dein Athem streift. Ich — ich ertrag’s nicht!“ „Warum nicht Emst?“ „Weil ich — weil ich dich liebe!“ „Noch immer?“ „Kannst du zweifeln?“ „Böser, Lieber — Dein bin ich... Laß doch! ... dir gehör’ ich... du...“ — — — — — — — — — — — — — — Sie brauchen Licht, die Blumen allesammt. Sie brauchte viel Licht, meine blasse Blume. Sie haben des Lichtes sie beraubt. Sie haben Mit Steinen sie geworfen, ausgestoßen, Geschmäht, gelästert meine blasse Blume. Da senkte sie das Köpfchen — welkte — starb — —. — — — — — — — — — — — — — — Wann? frag ich, wann soll uns der Heiland kommen, Der es bekennt, vor allem Volk es predigt: „Ich finde keine Schuld an ihr!“ — Motto Nimm die Feder in die Hand! Schreib! Treu der Wahrheit zugewandt Bleib! Schlag’ die Lüge todt, das Schand- Weib! Mirza Schaffy ist gestorben Mirza Schaffy ist gestorben, Und die — „Meister“ geh’n dahin, Die den Lorbeerkranz erworben Mit dem leichten Flunkersinn. Schwerer ist die Kunst geworden Und gewichtiger das Lied, Das in dringenden Akkorden Durch des Volkes Seele zieht. Drohend flammt es von den Essen, Derb zum Hammer fällt es ein, Verse tändelnder Tscherkessen Werden schnell vergessen sein. Nicht um Perserpüppchen ranken, Nicht mit Salböl sind getränkt Die befreienden Gedanken, Die die Welt dem Dichter schenkt. Weh dem Flüchtling! Überwinden Im Gesang die Qual der Zeit, Neues Bild des Lebens finden, Wahre Künstlerfruchtbarkeit! Unverhätschelt, unverdorben Schafft der Kunstgenossen Sinn — Mirza Schaffy ist gestorben, Und die — „Meister“ geh’n dahin. Ist’s genug? Ungebeugter Stolz der Haltung, Einfachheit in Wort und Kleid, Keine Phrasenpompentfaltung Falscher Leidenschaftlichkeit; Kraft des Wissens in den Blicken, Ruhig redend, klaglos, klug... „In die Gruben ihn zu schicken, Ist’s genug?“ der Richter frug. Durch die Welt des Elends schreiten, Schreiten durch der Knechte Nacht, Wort der Wahrheit zu verbreiten Wider Macht der Niedertracht; Licht durch die Baracken werfen, In der Hand der Freiheit Buch... „Ihn mit Ketten zu verschärfen, Ist’s genug?“ der Richter frug. Freundschaft, Glück und Liebe lassen, Einsam wandeln öde Bahn, Seiner Brüder stumpfe Massen Wecken aus dem starren Wahn; Von den Eltern scheu gemieden, Der noch keinen Bruder schlug... „Ihn dem Mörder anzuschmieden, Ist’s genug?“ der Richter frug. Moderne Barbaren Wir sind die „modernen Barbaren“, Wir rücken Mann für Mann In unüberwindlichen Schaaren, In schwellenden Schaaren heran. Wir kommen mit Hammer und Meißel, Wir kommen mit Letter und Buch Wider der Menschheit Geißel, Wider den goldenen Fluch. Wir sind die „modernen Vandalen“, Wir wandeln wuchtig und schwer In eisenbeschlag’nen Sandalen Die Pfade der Zukunft daher. Wir schreiten mit dröhnendem Schritte Durch die schwankenden Thore der Zeit, Wir wandeln Ordnung und Sitte, Gesetz und Gerechtigkeit. Wo wir kommen, zischen die Wogen Einer untergehenden Welt, Wo wir kommen, werden im Bogen Die Himmel des Lebens erhellt. Es zittert und seufzt durch die Weiten Der verwahrlost öden Kultur, Es donnert und blitzt, wo wir schreiten, Und Befruchtung dampft unsre Spur. Wir sind die Vandalen der Milde, Wir sind die Barbaren des Rechts, Wir führen die Freiheit im Schilde, Die Freiheit des Menschengeschlechts. Wir sind die „modernen Barbaren“ — Moderne Barbaren? O nein! Wir wollen die rothen Husaren, Husaren der Menschheit sein. Kämpfe Still geh’ ich meinen Weg. Gefunden Hab’ ich die Wurzel meiner Kraft. Ich schaffe treu... Mit allen Hunden Naht da die Jäg’rin Leidenschaft. Sie schießt, und hussah! stürzt die Meute Mit Mordgekläff auf meine Ruh, Dem tollen Sport fall’ ich zur Beute, Wollüstig schaut Diana zu. Ich bin so müde dieser Hetze Verächtlich hohler Sinnlichkeit, Die meines Fühlens Perlenschätze Dem Kosen des Gemeinen weiht. Einst brach ich schluchzend in die Kniee, Als ich der Feindin Macht erkannt, Jetzt geh ich traurig fort und fliehe Hinweg, bis ich mich wiederfand. *** Und dieser Lustkampf wird nicht enden, Bis ich an einem klaren Tag, Wo keine Täuschungen mehr blenden, Der Liebe Kronfrucht pflücken mag. Wohl sah ich’s schillern, sah ich’s blinken An meiner Jugend schwankem Baum, Sah die ersehnten Früchte winken, Doch griff ich zu, war’s Tand und Schaum. Kein Sehnsuchtslied mehr mag ich geigen, Denn nicht aus Liedern wächst die That, Von diesem Sternbild will ich schweigen. Bis seine stille Leuchtkraft naht. Bis sich der Reife meiner Tage Die Königin der Nacht erschließt, Und ohne Kampf und ohne Klage Sich Sinn und Seele selbst genießt. Müßiggang Heut ging ich müßig Den langen Tag, Nun bitter büß’ ich Den Mißertrag. Umhergetrieben In Markt und Stadt, Und Nichts geblieben, Was Tiefe hat. Ein flaches Tändeln Mit der und der, Ein schwaches Pendeln Die Kreuz und Quer. Ein Büchsenschießen Und Budenschrei’n, Ein halb Verdrießen Und Nichtsgedeih’n. Der Schwarm der Grillen Schwirrt stechend um, Mich einzuhüllen Mit Summ und Brumm. „Was gingst du müßig Den langen Tag?“ Und bitter büß’ ich Den Mißertrag. Rosentage I. Immer, wenn die Tage kommen, Wo die Rosen sind erglommen, Wo die roten Rosen blühn... Weht ein Hauch von Glückbegehren Mit den schweren, düfteschweren Lüften aus dem Gartengrün. An der Grotte warmversunken Hab’ getrunken ich, getrunken Meinen alten Rosentraum... Eidechs mit der goldnen Krone Spielte Schah auf sonn’gem Throne, Spielte Schah am Grottensaum. II. Wo die stillverschwieg’nen Villen Sich in Büsche halb verhüllen, Wo kein greller Trubel schreckt... Von Guirlanden eine Gasse, Leiten Blumen zur Terrasse, Und der Springbrunn rauscht versteckt... Wandl’ ich gerne meine Pfade, Wenn des Gärtners Hand zum Bade Den geschornen Rasen sprengt... Abendschatten auf den Zweigen, Die bespritzten Blüthen steigen, Die der weiße Tag versengt. III. Löse dir ein Boot und fahre Rudernd in die mondenklare, Warme Sommernacht hinein. Wo von Quai zu Quai die breite Mondesleuchtbahn streift, da gleite Schweigend in den Wellenschein! Von den Brückenlichtern malen Sich im Wasser Glutspiralen, Zitternd strahlen sie zum Grund... Grüne Dampferaugen glimmen; Mit verhalt’nen Frauenstimmen Gibt der See sein Echo kund. Du I. Ich weiß. Oft war’s nur ein Lachen, Ein Handdruck von dir, Oder ein Härchen, Ein bloßes Härchen, Das dir der Wind Los ins Genick geweht. Und all mein Blut Gährte gleich auf, Und all mein Herz Schlug nach dir. Dich haben, Dich haben, Dich endlich mal haben, Ganz und nackt, Ganz und nackt! Und heut, Zum ersten Mal, Unten am See, Glitzernd im Mittag, Du ahntest es nicht, Sah ich dich so. Ganz und nackt, Ganz und nackt! Und mein Herz Stand Still. Vor Glück, Vor Glück... Und es war keine Welt mehr, Nichts, nichts, nichts; Es war nur noch Sonne, Nur noch Sonne — So schön warst du! II. Dann losch das Licht, Und durch die Stille Nur noch dein Herzschlag... Seligkeit! Im Garten, frühauf, Sang ein Vogel, Von tausend Gräsern Troff der Thau, Der ganze Himmel Stand in Rosen. Lieber! Liebe!! Und wieder: Kuß auf Kuß. Was kann die Welt Uns jetzt noch bieten? III. Ich trat in mein Zimmer. Die Fenster standen weit auf Und draußen Schien die Sonne. Wie wunderbar: Rosen? Ein ganzer Strauß! Weiße, gelbe und dunkelrothe! Ah, wie das roch!! Wie das wohl Und ich stellte das Glas Wieder auf meinen Schreibtisch. Dort steht es und schimmert nun, Und in Alles, was ich schreibe, Fällt sein schöner Schein. Du Liebe, du Gute! Herbst Eine Düne. Auf ihr, Einsam, Ein Haus, Draußen Regen, Ich am Fenster. Hinter mir, Tiktak, Eine Uhr, Meine Stirn Gegen die Scheibe. Nichts. Alles vorbei! Grau der Himmel, Grau die See, Und grau Das Herz. Schmerz Vergeben? Ich? Dir? Längst! Ich that’s, noch eh ich’s wußte. Aber vergessen? Vergessen?? Ach, wenn ich’s könnte!! Oft, Mitten im hellsten Sonnenschein, Wenn ich fröhlich bin, Und „an nichts denke“, Plötzlich, Da: Grau hockt es vor mir, Wie eine Kröte! Und Alles, Alles scheint mir wieder schaal. Schaal und trostlos. Das ganze Leben. Und ich bin traurig. Traurig über dich Und — mich. Erinnerung Rothe Dächer. Aus den Schornsteinen, hier und da, Rauch, Oben, hoch, in sonniger Luft, ab und zu, Tauben. Es ist Nachmittag. Aus Mohdrikers Garten her gackert eine Henne, Die ganze Stadt riecht nach Kaffee. Ich bin ein kleiner, achtjähriger Junge Und liege, das Kinn in beide Fäuste, Platt auf dem Bauch Und gucke durch die Bodenluke. Unter mir, steil, der Hof, Hinter mir, weggeworfen, ein Buch. Franz Hoffmann. „Die Sklavenjäger“... Wie still das ist?! Nur drüben, in Knorrs Regenrinne, Zwei Spatzen, die sich um einen Strohhalm zanken, Ein Mann, der sägt, Und dazwischen, deutlich von der Kirche her, In kurzen Pausen, regelmäßig, hämmernd, Der Kupferschmied Thiel. Wenn ich unten runtersehe, Sehe ich grade auf Mutters Blumenbrett: Ein Topf Goldlack, zwei Töpfe Levkoyen, eine Geranie Und mittendrin, zierlich in einem Cigarrenkistchen, Ein Hümpelchen Reseda. Wie das riecht? Bis zu mir rauf!! Und die Farben! Jetzt! Wie der Wind drüber weht! Die wunder, wunder schönen Farben!! Ich schließe die Augen. Ich seh sie noch immer... Alter Garten Kein Laut! Nur die Pappeln flüstern... Der alte Tümpel vor mir schwarz wie Tinte, Um mich, über mir, von allen Seiten, Auf Fledermausflügeln, Die Nacht, Und nur drüben noch, Zwischen den beiden Weidenstümpfen, Die sich im Dunkel wie Drachen dehnen, Matt, fahl, verröchelnd, Ein letzter Schwefelstreif. Auf ihm, scharf, ein Schattenbild: Ein Faun, der die Flöte bläst. Ich sehe deutlich seine Finger. Zierlich alle gespreizt Und die beiden kleinsten höchst kokett aufwärts gehoben. Das graziöse Röhrchen quer in ihrer Mitte Schwebt fast wagerecht über der linken Schulter. Auf die rechte seh ich. Nur den Kopf nicht. Der fehlt. Der ist runtergekullert. Der liegt seit hundert Jahren schon Unten im Tümpel. Plitsch! —? Ein Frosch. Ich bin zusammengeschrocken. Der Streif drüben erlischt, Ich fühle, wie das Wasser Kreise treibt, Und die uralte Steinbank, Auf der ich sitze, Schauert mir plötzlich ihre Kälte Bis ins Genick hinauf. Still!! Schritte? Nein. Nichts. Nur die Pappeln... Marine See, See, sonnigste See, So weit du siehst! Über die rollenden Wasser hin Jauchzend, Tausend Tritonen. Auf ihren Schultern, Muschelempor, Hoch, Ein Weib. Ihre Nacktheit In die Sonne... Unter ihr, Triefend, Die blendenden Perlmutterwände Immer wieder von Neuem hoch, Wie Kröten, Dick, Feist, Verliebt, Sieben alte, Schwammige Meertaper... Die Gesichter!! Das Gestöhn Und das Gepruste!! Da, Plötzlich, Wüthend aus der Tiefe, Neptun! Sein Bart Blitzt. „Hallunken!!“ Und, plitschplatsch, sein Dreizack Den sieben Schlappschwänzen Um den Glatzen! Die brüllen!! Dann, schnell, Hier noch ein paar Tatschen Dort noch ein Bauch — Weg sind sie. Die Schöne Lächelt. Neptun Verbeugt sich. „Madam?“ Lied Aus weißen Wolken Baut sich ein Schloß, Und in ihm wohnen Die alten Götter. Noch immer, Abends, Wenn die Sonne Purpurn sinkt, Glühn seine Gärten, Vor ihren Wundern Bebt mein Herz, Und lange steh ich... Sehnsüchtig! Dann naht die Nacht, Die Luft verlischt, Wie zitterndes Silber Blinkt das Meer, Und über die ganze Welt hin weht Ein Duft wie von Rosen. Aus der Herrgottsperspective Jüngst trieb michs auf eine Kirchthurmplatte, Weil ich genug des Winkelwerks hatte Da unten in den staubigen Straßen. Genug für Aug’ und Ohr und Nasen. Ich wollte mirs mal von oben besehn, Wo frei und rein die Winde wehn. Auch heißt es, man sei dort oben näher Dem Herrgott, dem stummen Herunterspäher, Und wunderlich blicke sichs in die Tiefe Aus der himmlischen Herrgottsperspective. So macht ich mich ans Steigen keck. Hub wacker die stadtmüden Füße vom Fleck, Und stieg und stieg. Nicht eben lang: Es mündete der Wendelgang In ein Gemach, so nett und rein, Als heimte drin ein Mädel fein, Deß’ zarte Patschhand froh und frisch Gern regt den Federflederwisch. Blank Tisch und Diele, weiß das Bett, Ein Epheustock am Fensterbrett; Von dem kroch friedsam das Gerank Um einen Wanduhrkasten schlank, Aus dem es feierlich ticktackte. Auf der Kommode die gezackte Schneeweiße Decke sonder Tadel Verrieth die fleißige Häkelnadel. Auch Vasen viel und bunte Gläser. Darinnen graue Raschelgräser Aus Feldblumsträußen, längst verdorrten; Nippsächelchen von allen Sorten, In einem Glasschrank schön plaziert; Ein Bücherbrettchen, braun poliert, Die Bücher drauf in Goldschnitt fein, — Mocht’ wohl „Die deutsche Jungfrau“ sein, Kochbücher auch und auch Tractätchen. Sag’ Eins: was wohnt hier für ein Mädchen? Ich sah mich um: Kam Niemand her, War, wie wenns ausgestorben wär’ Und wär doch Jemand in der Nähe. Und wie ich durch die Thüre spähe, Die in ein Nebenstübchen führt, Werd’ ich von hinten angerührt. Und bis zum Tod vergeß ich nicht Des alten Jüngferchens Gesicht, Das plötzlich in der Stube stund. Ein wenig schmerzlich schien der Mund, So säuerlich und lippenschmal; Stand drauf geschrieben manche Qual. Doch Liebe auch und Gütigkeit. Zur Nase wars ein wenig weit, Schien mirs, von diesem Lippenbogen. Streng war und länglich sie gezogen Von einer Stirne groß und klar. Still, wie ein graues Taubenpaar, Die Augen unter dünnen Brauen. Sie träumten in gelassenem Schauen, Als sähen sie nichts um sich her, Als sähen weiter sie und mehr, —: Ein reiches Land voll Friedensglanz. Vom Scheitel fiel, ein loser Kranz, Aschblondes Haar zur Schulter weich. Die Kleidung war nicht arm, nicht reich. Aus keiner Mode kam sie her, Wie wenn aus keiner Zeit sie wär’. Ganz wunderlich! Antik beinah, Wie eine Gürteltunika, Doch ärmellang und gar zu glatt. Von Farbe war sie bläulich matt. Wie ausgewaschen... Wortelos Stand ich und schaute, schaute bloß. Gewöhnlich Alles, ganz und gar, Und doch im Tiefsten — Wunder war. Ein zarter Glanz, ein dünner Duft Lag wie vibrirend in der Luft, Und aus dem leeren Weben höre Aus alter Zeit ich leise Chöre. Uralt, urfern und urvertraut... Da hat sie groß mich angeschaut, Als fragte sie: Was willtu hier, Du Mensch von Unten, im Revier Der hohen Stille..? ..! — Doch ihr Mund That Frage nicht und Deutung kund. Als wär’ er stumm. — Mir wurde bang. — Da, plötzlich, von den Lippen klang Es lind: „Der Vater kommt.“ Und, weiß Von Haar und Bart, stand still ein Greis Im Thürgevierte. — Wundersam, Mich wieder Staunen überkam. Mir wars, als kännt’ ich lange ihn, Als hätt’ ich einst auf seinen Knieen Gesessen in der Kindheit Jahren, Gezaust ihm in den weißen Haaren, Indeß er tiefe Worte sprach. Die klangen lang im Herzen nach, Bis Gassenlärm sie draus vertrieb; O Worte heimlich, heilig, lieb...! ... Kannt’ ich den Thürmer? Wie ich sann, Kam näher her, gebückt, der Mann, Und fragte mich, was mein Begehr Und meines Kommens Ursach’ wär’. — „Von Oben säh’ ich gern die Stadt, Der ich in innrer Seele satt!“ Sprach ich. Da lächelte er eigen: „„Ich will Dir Alles, Alles zeigen. — Doch bist Du auch von Schwindel frei?““ — „Meint’ nicht, daß gar so hoch ich sei.“ Erwidert’ ich. „„Nun, eben g’nung; Es huben schnell dich Beine jung. Ich brauchte viele tausend Jahr, Bis ich hier angekommen war. Altherrgottsruh heißt dieser Thurm, Hoch steht er über Staub und Sturm, Hoch steht er steinern aufgericht, Die Menschen sehn den Thürmer nicht. Sie haben hier zu guter letzt Hübsch hoch und weit mich weggesetzt, Dieweil sie meiner überdrüssig, Auch war ich wirklich überflüssig; Und schließlich, — grad wie Du, mein Sohn, Recht satt hatt’ ich den Trubel schon. Von oben läßt sichs noch besehn, Muß man nicht mitten drinnen stehn.““ Da faßte mich ein Ahnen an: „Wer bist Du denn, Du alter Mann?“ „Ich? O, nichts, das der Frage werth, Ein weißes Haupt, höchst ungeehrt. Wie sagt Ihr doch...? ... Na... ein Rentier Mit Sorgenstuhl und Kanapee Und einer alten Wärterin, (Er strich dem Jüngferchen das Kinn,) Im Austragsstüberl, recht gemüthlich, Und thu mir an Erinnrung gütlich. Gell, meine gute Gabriele, Du liebe, letztgetreue Seele..? ..“ Das alte Mädchen nickte leis Und beugte tief ihr Haupt dem Greis, Der seine Hände auf sie legte. Mir war’s, als ob sich’s sachte regte An ihrer Schulter zitterzart Wie Flügelschlag verborgner Art. Dann sah er scharf mir ins Gesicht: „Du, höre Sohn, verrath’ mich nicht! Daß sie mich nicht noch einmal stören Mit Opferdünsten, Bittechören In ihrer neuen Qual und Noth: Ich bin unauferstehlich todt!“ Jetzt war sein Auge sturmseegrau, Und seine Worte klangen rauh, Und ich erschrak im Herzen tief, Und wußte, wer die Worte rief, Und wollte gehn und wandte mich, — Da klang es wieder sänftiglich: „Bleib nur, mein Sohn, und sieh die Stadt, An der Dein junges Herz schon satt; Bleib nur bei mir ganz ohne Scheu, Ich bin euch Deutschen heut noch treu, Wenn ihr auch derb mir zugesetzt Und furchtbar gründlich mich gehetzt Durch eure graue Philosophie. Die wilde Jagd vergess’ ich nie!“ Er schob mich sanft zur Thür hinaus. Still war und hell die Luft da drauß’. Doch über uns die schwarze Leere. Zu Füßen tiefst die Sternenheere. „Wo ist der Thurm denn festgesetzt?“ „Mein’ Seel! Der Deutsche fragt noch jetzt! Könnt’ ihr denn nie das Fragen lassen? Du wirst den ganzen Blick verpassen. Paß auf! Schau dort: im rechten Eck, Siehst Du den gelben Flammefleck?“ Er deutet aus. Ich folge: „Wohl!“ „Siehst Du! Lateinisch heißt ihr’s Sol; Die Sonne das. Es spritzt herum Wie Bienenschwarm mit Bienensumm Bunt eine Funkenglitzerheerde, — Das weiße Glitzchen nennt ihr Erde. Du sollst sie Dir genau besehn, Wir wollen etwas näher gehn.“ Und wie im Fahrstuhl sanken wir Gemächlich durch das Weltrevier, Von Surresumm allwegs begleitet, Bis unten sich die Erde breitet. Die Erde? Meine Blicke spähten Und sahen einen Fetzen Tuch, Den bunte Flicken übersäten; Und spöttisch sprach der Alte: „Such’ Such’ Deine Stadt, an der Du satt, Was sie für eine Farbe hat In dieser bunten Narrenjacke. Denn wisse: Eine reine Schlacke Ist jeder Stern; der Menschen Hand Wirft über sie das Buntgewand Und meint, sie mache damit Staat Im großen Weltenhohenrath. Koketterie und Mummenschanz Ist dieser ganze Tummeltanz. Mir wenigstens will’s also scheinen, - Wenn ich einmal herunter seh’ Auf dieses bunte Zeug von meinem Blaßblaugeblümten Kanapee.“ Er lachte, stieß mich in die Seite: „Was meinst Du von dem Erdenkleide, Mein Staunekindchen? Schau nur, schau: Hier schwarz, hier grün, hier roth, hier grau. Hier weiß, hier gelb, hier blau, hier braun, — Ist das nicht lustig anzuschau’n? Nur bitt’ ich: Schau’ mir nicht hinein, Sonst fliegt davon der schöne Schein, Und eine Wahrheit liegt am Grund, Die für euch Menschen nicht gesund.“ Ich hörte nicht des Alten Spruch, Ich sah aufs bunte Erdentuch. Oh blutig Roth, wie Flammenwuth! Oh giftig gelbe Gieregluth! Oh kaltes Weiß! oh Gramesgrau! Oh Schwarz, wie steiniger Acker rauh! Das Blau verblaßt, das Grün verdrängt, Von bösen Farben eingeengt... Da ward mein Blick mir müd und matt. Der Alte nur gelächelt hat, Und schob mir unter seinen Arm Und führte mich in die Stube warm. Und sah mir ernsthaft ins Gesicht: „Du höre, Sohn, verrath’ mich nicht! Ich sah dem Ding zu lange zu, Nun will ich endlich meine Ruh’. Doch Du, wenn Du heruntersteigst, Daß Du mir nun nicht Wehmuth geigst, Weil Du geseh’n die Narrenjacke: Nein, Junge, hoch das Herz und packe Die Flinte fest und gehe kühn Ins Zeug für’s arme Blau und Grün; Und geht Dir’s bös in diesem Kampfe, So denke still im Pulverdampfe An Herrgottsruh und den Rentier Im blaugeblümten Kanapee.“ Eiland des Todes Aus brütender Wogen Tonlosem Zerfallen Aufdürsten granitene Felsencolosse. Weißglühend verraucht Starr im Zenith Der Lichtball der Erde. Zurückfloh das Leben. Kein Laut, kein Hauch — Nur stillgeheimes Granitkornzerlecken Die Tiefe hinab. Und an berstender Steinfirst Dumpf-gieriges Nagen Unsichtbaren Zahnes. Vorbeirauscht die Zeit. Nur leise, ganz leise Unsehbar, unhörbar, Jahrhunderte während, Ein langgezogenes Hohles Verröcheln — Gleich müd und müder Verblutend verzuckendem Sinken und Heben Gebrochener Flügel... Traumbild Aus tiefem Schlaf bin ich erwacht — War eine kummersatte Nacht. Ein Traumbild war es grausig fast Und lag auf meiner Brust wie Last. Ich saß in einer Zelle leer — Es drückte auf das Hirn mir schwer. In einer Ecke saß ich dort Mit stumpfem Blick und sprach kein Wort. Schon zwanzig Jahre saß ich hier Und sah zu Boden wie ein Thier. Und immer stand vor meinem Blick Ein längst gestorbenes Erdenglück: Ich schlief mit Ihr in einem Bett — Als ob ich’s jüngst verlassen hätt, So stand’s vor mir. Ich schlief zur Nacht, Da stahl sie sich davon ganz sacht. Zu einem Buhlen schlich sie hin, Ich kannte ihn am blonden Kinn. — Dann kam sie wieder mir zurück Mit leerem, kaltem, blödem Blick. Ich fragte sie, da log sie nicht: Ich sah ihr fahles Angesicht. Ich weiß nicht mehr, was dann geschah: In ihrem Blute lag sie da. Und zwischen Blut und Därmen quoll Ein junges Leben unruhvoll. Dann kamen sie mit Stricken noch Und schleppten mich in dieses Loch So saß ich dumpf in leerer Zell Und saß und sah auf eine Stell. Wohl zwanzig Jahre war’s schon her — Ich saß und sah und sprach nicht mehr. Und immer stand vor meinem Blick Dies ferne todte Erdenglück. Und immer, wenn der Wärter kam, Er solchen stummen Sang vernahm. Er sah in mir das Konterfei Der blinden Glücksuchtsraserei. Er sah in mir das Bild des Manns Verzehrt durch eine dumme Gans. Todten-Vogel Aus der Tiefe stieg er auf Unverhofft erwacht — Hielt die Sonne ihren Lauf, Lag die Erd in Nacht. Lagen All’ im Schlafe tief, Müd von Glück und Frohn — — Und der Vorwelt Vogel rief: „Fort, du Menschensohn!“ „Menschensohn, komm mit, komm mit! Fort, du Erdenhohn! Folgt ein andrer deinem Schritt, Giebt dir deinen Lohn. „Sieh, er naht von Osten her, Singt ein wildes Lied, Schwingt ein Schwert wie Flammenmeer, Sengt hinweg, was müd. „Komm mit mir, du Erdenhohn, Tritt die Herrschaft ab! Sieh, es wölbt ein neuer Thron Über deinem Grab!“ So der Vorwelt Vogel sprach, Legt die Schwingen breit Auf der Menschheit letzten Tag, Sinkt zur Ewigkeit. Und es steigt ein neues Licht Blutroth steigt es auf. Leuchte ist’s im Weltgericht: Vorweltfluch hört auf ! Singend jauchzen sie herein, Qual- und schrankenlos, In den Augen Hirngluthschein — Übermenschen groß. Schwindsucht Galopp, im Galopp! Hop, hop! wie fliegen die schwarzen Rosse, Wie die giftigen Pfeile der Bogengeschosse! Hop, hop! wie sie Alles zermalmend jagen, Als ob sie die köstlichste Beute tragen! Und sie tragen doch nur ein Modergerippe, Das der Tod umspannt mit geschwungener Hippe. Hoi, hoi! jetzt setzen sie über den Graben, Über stinkige Sümpfe, umflattert von Raben — Jetzt sind sie hinüber und langsam und sacht Traben sie fort in die ewige Nacht, In das öde, gähnende Einerlei — Ein Hoch sei dem lieben Gott gebracht Und seiner jungfräulichen Magd Marei! Gute Nacht, gute Nacht! Liebes-Erklärung Ich ging durch die dumpfige Großstadtgasse, Da trieben sich Menschen bunt wie das Vieh — Ich sage nicht, daß ich die Menschen hasse, Im Gegentheil: ich liebe sie. Ich schritt fürbaß. In endlosen Reihn Starrten Laternen müßig mich an — Da stieg mir jählings die Frage zu Hirn: Warum hängen da keine Menschen daran? — Die Pfähle sind doch solid genug? Und weiter ging ich. Da schäumte ein Fluß, Begossen von brennender Abendgluth — Und jählings stieg mir die Frage zu Hirn: Warum führt sie nicht blutige Leichen, die Fluth? — Färbt Menschenblut denn minder roth? Und als ich kam vor die Stadt hinaus, Da saßen viel Raben beim Düngerfraß— Und wieder stieg mir die Frage zu Hirn: Warum sitzen sie nicht auf Menschenaas? — Verdaun sie doch Menschenaas ebenso flott! Und heimwärts zog ich die Großstadtgasse, Da lag sie verlassen und menschenleer — Ich sage nicht, daß ich die Menschen hasse: Ich liebe sie täglich mehr und mehr. Adam — Don Juan Adam lag im Garten-Grün Wo die Bäume stehn, Hat sich längst am Schöpfertraum Müd und satt gesehn. Über ihm zwei Papagein Schrien das Ohr ihm taub, Flatschten mit dem Flügelpaar Auf das dunkle Laub. Sorglos durch das hohe Gras Aast ein Hirsch ganz stumm, Kauend sieht er dann und wann Nach den Hirschkühn um. Traurig aber, lendenschwer Lag der Erdmann da, Traurig frug er Glied um Glied Wozu bist du da? Sieh, da sprang er jäh empor, Flammenloh erregt, Hätte rathlos schon die Hand An sich selbst gelegt — Doch da war zu rechter Stund Gott, der Schöpfer, nah, Trat herein und fragt ihn ernst? „Mensch, was treibst du da?“ Adam trutzte. „Komm mit mir!“ Sprach der Schöpfer mild: Und dem grauen ernsten Mann Folgt sein Ebenbild. Wo das blanke Wasser schwoll Hinter Schilf und Moos, Hielt der Herr und griff behend In der Fluten Schoß. Eine Muschel griff er auf. Steckt sie in den Koth, In den warmen Uferschlamm, Drauf die Sonne loht. Und verschwand zur selben Stund. Adam aber stand, Stand und sah und wußte nicht, Warum Gott verschwand. Und dieweil er stand und sah, Hört er ein Geschrei, Dünn und fein: die Muschel sprang Da mit eins entzwei. Was er sah, er glaubt es kaum: Leib, wie seiner schier, Bein und Hüfte, Mund und Aug — Nur: en miniature . Und jetzt hebt’s den kleinen Kopf, Streckt die Arme aus, Lächelt aus dem Muschelbett: Nimm mich mit nach Haus! Und das Püppchen wuchs alsbald, Wuchs von Stund zu Stund, Nach sechs Tagen war’s ein Weib, Stark und voll und rund. Adam freut sich ungemein, Lehrt sie Ja und Nein: Und sie sprachs noch schneller fast, Als die Papagein. Aber ach! das Glück zu Zwein Währte nicht sehr lang: Adam trieb’s zum Teich zurück Und zum Muschelfang. Hub noch manches Muschelkind Aus dem warmen Schlamm, Hegte es sechs Tage lang, Bis es rund und stramm. Und der Garten füllte sich Rings mit Muschelfraun, Mit Gestalten zart und schlank, Blond und schwarz und braun. Lagen wie die Rehe fromm, Schwatzten wie der Star, Lachten hell und sprangen froh — Springend flog ihr Haar. Adam aber sagte drauf Jeder, wie sie hieß, Und sein Muschelfrauen-Reich Nannt er Paradies. „Heil’ge Drei König“ Die heil’gen Drei König sind wieder da, Sind wieder erschienen auf Erden; Der Kaspar, der Melchior, der Balthasar Sie nahen mit stummen Gebärden. Der Eine trägt im Gefäß das Gold; Der And’re hat im Gewande Den duftenden Weihrauch; der Dritte bringt Die Myrrhe aus fernem Lande. — Das Gold, das ist jetzt worden rar; Die Harze sind billig geworden. An Stelle der heil’gen drei König stehn Drei Vetteln an der Kirche Pforten. „An Weihrauch, gnä Herr, gene’S her, kaufen ’S ein, Für a Zehnerl, Sie krieg’n net z’wenig; Und a Kreid’n, gnä Herr, a g’weihte, zum Schreib’n An ’en Thürstock die heil’gen drei König!“ — Ich blieb plötzlich steh’n; die Drei-Königs-Zahl That plötzlich mein Inn’res entbrennen. Ich hatt’ ’was am Herzen; das wollte ich laut Bei den heil’gen drei König bekennen. Rasch nahm ich drei Griff’ von dem Weihrauch und Harz, Daß zu Haus ich’s brenne und schüre. — Zu Haus dann brannt’ und schürt’ ich es an Und that die drei heiligen Schwüre: Beim heil’gen Melchior schwur ich, daß Ich, ohne zu zaudern und denken, Wenn mich das Mitleid bittend ruft, Meinen letzten Knopf woll’ verschenken. Beim heil’gen Balthasar schwur ich, daß Man solle bereit mich finden, Trotz Staatsanwalt und Schergenleut Die Wahrheit laut zu künden. Beim heiligen deutschen Kaspar jedoch Den stärksten that ich von den Schwüren: _ Wenn Jemand mit seinen Gedanken schreibt, Seine Gedanken nicht zu berühren; Wenn Jemand mit seinem Herzblut-Saft Geschrieben auf weißen Papieren, Ihn nicht zu beflecken mit meinem Schmutz, Zu beschneiden nicht, noch zu castriren. Beim heil’gen Kaspar schwur ich, nie Zu begeh’n in meinem Leben, Die Sünde wider den heiligen Geist, Die nie mehr wird vergeben. Die andere Welt Eine Phantastensure Laß die Erde! Laß die Erde! Laß sie liegen, bis sie fault. Über schwarzen Wiesentriften Fliegen große Purpurengel, Ihre Scharlachlocken leuchten In dem grünen Himmel Meiner Welt. Laß die Erde! Laß die Erde! Laßt sie schlafen, bis sie fault. Über weißen Bernsteinkuppeln Flattern blaue Turteltauben, Ihre Saphirflügel flimmern In dem grünen Himmel Meiner Welt. Laßt die Erde! Laßt die Erde! Laßt sie, laßt sie, bis sie fault. Über goldnen Schaumgewässern Spielen zahme Silberfische, Ihre langen Flossen zittern In dem grünen Himmel Meiner Welt. Haßt die Erde! Haßt die Erde! Waldidyll Die Mondorange rollt auf Wolkenflor, Den schwarzen Trauermantel schlug die Nacht Still um den Wald, der träumt. Wovon doch träumt er? Von Wodans Wildjagd, vom getreuen Eckart, Von Elfen, von der schönen Melusine. Kein Laut! Die alte Nacht, die Welturahne, Stößt ganz unhörbar ihre Athemzüge Und fühlt sich recht in ihrer Herrscherwürde. Zuweilen blinzelt sie mit Sternenaugen Hernieder, freut sich, daß kein dummer Hauch Den Schlummer der Baumriesen wagt zu stören, Und zieht den Schleier wieder vor die Augen. Da ganz allmählich naht von fern ein Rollen, Ein dumpfes Dröhnen, unerbittlich wachsend. Ist’s Sturm? Ist’s wilde Jagd? Ist’s Donnerstimme? Nun gellt ein wilder, langgezogner Schrei, Und mit den glüh’nden Augen vorn, die hell Die Stahlbahn überschau’n, braust her der Zug. Ihn überflattert hoch die lange Fahne Des Rauches, um die Räder wirbelt toll Der aufgefegte Staub und vollgepfropft Mit Menschen sind die gaserhellten Wagen. Hier schlummern Ein’ge, dort wirft Einer flüchtig In’s Waldesdunkel einen scheuen Blick, Und aus dem letzten Wagen tönt Gesang Zum Kreischen einer Ziehharmonika... Ein neuer Pfiff, doch schon aus weiter Ferne, Wie Wimmern eines Kindes — das dumpfe Brausen Erstirbt... Es träumt der Wald. Wovon doch träumt er? Von Wodans Wildjagd, vom getreuen Eckart, Von Elfen, von der schönen Melusine. Das letzte Weib Lachend reckt sich im Sonnenglanze Das letzte Weib auf meiner Gruft; Die Brüste geschmückt mit dem Lorbeerkranze Und Rosen im Haare voll Purpur und Duft. Die Lüfte schimmern vor Glanz und Wonne, Die Rosen athmen so schwül und satt; Sie blinzelt schläfrig hinein in die Sonne Und kaut mit den Zähnen ein Rosenblatt. Und wie sich dehnt auf dem frischen Grabe In Liebesbrünsten der leuchtende Leib, Rauscht aus dem Walde ein riesiger Rabe Und senkt sich herab auf das zitternde Weib. Fest um die Hüften die pressenden Krallen Treibt er das teuflischste Liebesspiel; Blutstropfen purpurn zur Erde fallen, Zum Lorbeer, der jäh von den Brüsten fiel. Und wie an die zuckenden weißen Lenden Die Federn peitscht das brünstige Thier; Preßt sie mit zitternden heißen Händen An sich die Flügel mit wüthender Gier. Da sinkt sie erschauernd zurück auf den Hügel Ihr Blut erstarrt in Grauen und Noth, Und rauschend erhebt sich mit mächtigem Flügel Als krächzender Rabe der lachende Tod. Im Kurgarten (Wiesbaden) Frühling im Garten! — In dufttrunkner Helle, Farbensatt schimmernd, blinzelt er da... Heissa, wie jubelt und jauchzt die Kapelle Lustig ihr Trallala, Trallala — la. Hinten, da grüßen Bäume und Felsen, Spiegeln sich glitzernd im welligen Bett; Schwäne gleiten mit steifen Hälsen, Damen und Herren spazieren kokett. Rauschende Kleider, Lachen und Schreien, Männlein und Weiblein, Blicke voll Gluth, Wandeln allein oder lauschig zu zweien Frühlingsgeputzt um die spiegelnde Fluth. Blinde auf Bänken, Kranke auf Krücken, Dazwischen hinhuschend hie und da Lautlos der Tod mit Erlöserblicken... Lustig jauchzt weiter das Trallala — la... Faules Blatt Vom Baum der Menschheit nur ein angefaultes Blatt, Das von dem grünen Laube ausgestoßen, So fall ich langsam, Langsam Ins Unendliche. Wenn der Wind durch die Wälder seufzt, Und vor der rauschenden Linde Ein angefaultes Blatt Herniedersinkt, Dann kauert oben Die kühle Nacht, Und unten ruhen Gräber. So kauert oben Die kühle Nacht, Und unten ruhen Gräber, Wenn ich Vom Baum der Menschheit nur ein angefaultes Blatt, Das von dem grünen Laube ausgestoßen, Langsam falle, Langsam Ins Unendliche... Mondaufgang auf dem Lido Auf leerem Dämmermeere thront Allein der unumschränkte Mond; Zu nahen wagt dem schroffen Herrn Nur Favoritin Abendstern. Sie zagt vor stierem Schwall des Lichts — Lebt ja auf Meer und Himmel Nichts, Als mit des Spiegelschweifes Schein Der Mond allein — der Mond allein. Aus fernstem Saum nur, schwarzbehaucht, Ein düster sehnend Segel taucht, Aufbrütesam zum Sternlein fein: „O wärst du mein! O wärst du mein —!!“ Zarenmahl Er tafelt... Vor der sammtverhang’nen Thüre, Die Hand am Schwerte, stehen die Hartschiere; Gewandt und mit ehrfürchtigem Gekriech Bedienen ihn die schwänzelnden Lakaien — — Nun speise, Väterchen, und labe dich! Sieh, ringsum, deinen Gaumen zu erfreuen, Gehäuft, was nur ein Weltreich bieten kann! Nicht reden darfst du, Großer, nur ein Winken, Schon deiner stolzen Augen herrisch Blinken Genügt, und was du willst, es ist gethan! Und näher rückt der Zar die goldnen Teller — — Da, siehe, bricht es plötzlich wie ein greller Und blut’ger Widerschein daraus hervor: „Gedenkst du Karas?“ tönt es an sein Ohr; „Aus jenem Bergwerk, Zar, sind wir gewonnen. Dort glänzt es wie von unterird’schen Sonnen Von Gold — und Alles, Väterchen, ist dein! Viel hundert Arme werken in den Minen — Verbannte sind’s, Unschuldige unter ihnen, Und täglich, stündlich mehrt sich ihre Zahl — Schlaff ist ihr Körper und ihr Antlitz fahl... Seit Jahren traf ihr Ohr kein and’rer Ton, Als das Gesaus der Ruthen, oder Hohn, Wenn schwächer sie die müden Hände rühren; Und treibt sie der Kosak des Nachts zu Bette, So klirrt an ihrem Arm und Fuß die Kette, Daß sie im Traum noch Deine Macht verspüren. An jedem Barren klebt ein Tropfen Blut, Ein wilder Fluch und eine Thränenfluth — Wir wissen es — wir, deine Prunkgefäße... Allein was thut es? Gold und Zarengröße Verrosten nie! Nun iß, und laß dir’s munden, Der Himmel schenke dir noch viele Stunden!“ Zur Erde läßt der Zar die Teller klirren; Aufspringt er jäh, und seine Blicke irren Wie fieberglastend durch den prächt’gen Raum... Herzuspringt der Lakai, dem Todesbleichen Zur Stärkung das gefüllte Glas zu reichen — Er nimmt’s und trinkt, apathisch, wie im Traum. Da horch! Geschrei und Lärmen auf der Straße — Zusammenfährt, weit offnen Aug’s, der Blasse — „Was soll dies?“ haucht er, und sein Blick wird stier. „O Herr“, erwidert, tief vor ihm sich neigend, Ein Diener, schüchtern nach der Straße zeigend — „Die nach dem Leben frech getrachtet dir, Man führt die Schnöden heut dem Strick entgegen, Milchbärte sind’s und Dirnen allerwegen, Die gottverlassnen, tollen Nihilisten — Gott schütze dich und alle guten Christen!“ In tiefe Falten legt der Zar die Stirn — Das hämmert heut’ so toll in seinem Hirn... Von seinen gift’gen Feinden wieder sieben Entlarvt — er hat das Urtheil unterschrieben — Nun führt der Henkerkarren sie zum Tod! Da zittert seine Hand, und blutigroth Entrieselt’s seinen Fingern... wie vom Bösen Gepackt, schreit furchtbar der Gequälte auf. Doch sieh: es ist nur sein Bordeaux gewesen, Den zitternd er vergoß, das edle Naß! Aufstampfend wirft er weit von sich das Glas... Die Hand zu rein’gen, reicht ihm der Lakai Geschmeidig die entfaltete Serviette — Da raschelt ein Papier heraus — fürwahr, Ein Brief! Auf seinem Tisch? An dieser Stätte? Bleich wird der Diener, bleicher noch der Zar. „Wie kam dies her?“ brüllt er — „ihr müßt es wissen!“ Doch schluchzend stürzen Jene ihm zu Füßen — „O Väterchen, o Herr, wir wissen’s nicht! Jahrzehnte schon sind wir in deinen Diensten, Und treu, und ungeübt in solchen Künsten, Und Gott ergeben, dir und uns’rer Pflicht!“ Mit banger Hand entfaltet er das Schreiben Und liest: „Vernicht uns — doch wir werden bleiben! Schick uns als Sklaven nach Sibirien, Wir werden doch vor deinem Geiste steh’n; Wähn’ dich gesichert, wähne dich allein — Wir geh’n doch all’zeit bei dir aus und ein; Laß uns zu Tode knuten oder hängen — Die Menschheit wird auch deine Ketten sprengen!“ Dies irae! Einst, da zogen bleiche Priester, Geißelschwingende Asketen, Durch die Straßen und sie sangen, Unheilkündende Propheten, Dies irae! Dies irae! Hui! wie da die sündenfreche Menschheit überkam ein Bangen Vor dem letzten aller Tage, Wie erbleichten da die Wangen... Von den prunkumgebnen Thronen Demüthig die Fürsten stiegen, Mit dem Plebs, dem vielgeschmähten, Jammervoll im Staub zu liegen. Aus entweihten Ehebetten Sprangen die verbuhlten Weiber: Wie die Geißeln niederklatschten Auf die wollustweichen Leiber... Und das blutig grause Chaos, Weinen, Beten, Winseln, Stöhnen Überklang mit dumpfen, hohlen, Schaurig wilden Trauertönen Dies irae! Dies irae! Und zum zweitenmale lauschte Bang die Welt den Schreckensworten, Als im lust’gen Seinebabel Göttin Freiheit, toll geworden. Brüllend schrie ihr: Dies irae! Als sie eine Rachefurie Über Leichenhügel stürmte, Aus Aristokratenschädeln Einen Riesenthron sich thürmte. Hei! da kamen bös ins Wanken Die gepuderten Perücken, Just als säh’ man schon das blanke Schwert den Weltenrichter zücken. Pfaffen schrien mit Diplomaten Rettung suchend um die Wette, Doch die Tolle, sie verlachte Selbst loyalste Bayonette, Schnitt Grimassen mit der blut’gen Hand wie eine Straßenphryne — Kreischend in ihr Hohngelächter Klang der Stahl der Guillotine Dies irae! Dies irae! Heute schwand die Furcht, die blasse Vor dem Schreckenstag, da fließen Blut und Thränen, denn die kluge Wissenschaft hat ja bewiesen, Nimmer kommt solch Dies irae! Nimmer glaubt Ihr? Doch es gibt noch Arme Träumer und Poeten In der Brust das heil’ge Feuer Zukunftsehender Propheten. Abseits stehen sie am Wege, Steigen nieder in die Tiefen, Sehen wach und fesselledig Geister, die dort lange schliefen: Rachegeister, blutig grause, Ohn’ Erbarmen heimzuzahlen Hundertjähr’ges Leid, zu tilgen Hundertjähr’ge Schmach und Qualen, Harren nur des Winks, dann brechen Sie empor gleich Sturmgewittern — Und dann kommt ein Tag, vor diesem Wird die ganze Welt erzittern! Dies irae! Dies irae! Nächtlich durch meine Träume... Nächtlich durch meine Träume Da lockts wie Wachtelschlag, Da zuckts wie Wetterleuchten Vor jungem Frühlingstag. Und weiße Hände legen Sich auf die heiße Stirn Und feuchte Küsse kühlen Mein fieberglühend Hirn. Und vor mir steht ein blasses Vergrämtes Mädchenbild Und blickt mich an mit Augen So groß, so wundermild. Und flüsternd klagt’s: warum es Denn so gekommen sei? Da stöhn ich auf und röchle Verzeih! Der letzte Tag Geh’ stiller, meines Herzens Schlag, Und schließt euch, alle meine Wunden — Denn heute ist mein letzter Tag, Und dies sind seine letzten Stunden! ... *** Verstumme, klägerischer Mund! Beschwichtige dich, Rebell: Gedanke! Ich schließe heute einen Bund, Der setzt euch Beiden eine Schranke. Jawohl, Empörer, es ist aus! Die Kraft, die euch erhielt, verdorrte — Wie bald, und leer steht euer Haus! Schon schloß sich seine morsche Pforte... *** Was willst du, Leben, noch von mir? Nein, deine Macht hat sich verloren. Ich sage lächelnd Abschied dir: Mich hat dein Sieger auserkoren. Schon steht er wartend. Und er reißt Von meiner Lippe Deinen Becher. Dort klirrt er hin — in Trümmern gleißt Sein Glanz nur dem bestohlenen Zecher. Der lehnt die kalte Stirn zurück... Und in die ungeheuren Welten Schaut er mit einem letzten Blick, Dem alle Nächte sich erhellten! — *** Mir wird kein letzter Wunsch gewährt; Nichts lindert diese letzten Leiden... Roh ward der Becher ausgeleert — Noch sterbend muß ich mich bescheiden. Doch dürfte ich den letzten Tag Mit einem letzten Wunsche füllen, So möge mir sein hastiger Schlag Noch einmal dieses Bild enthüllen: *** Es war ein durstiger Sonnentag Und Herbst schon... Hoch im Rebgelände, Von wo das Auge schauen mag Weit in die Welt, weit — ohne Ende — — Dort lagen wir, dicht, Brust an Brust... In Sehnsucht jahrelang geschieden Und ihrer Kraft noch unbewußt Fand unsere Liebe hier den Frieden. Du schwiegst — ich schwieg... dann sprach ich leis, Und sprach von Allem, was ich dachte... Herz wurde mir und Wange heiß... Es küßte mich Dein Mund und lachte... Und langsam losch des Tages Schein — Wir sahn des Stromes stilles Fließen... Ich starb in Glück — und du wardst mein, Mein in berauschendem Genießen! — — *** Geh’ stiller, meines Herzens Schlag! Und schließt euch, alle meine Wunden — Denn heute ist mein letzter Tag, Und dies — sind seine letzten Stunden! ... Rahel Dich sandte der Orient In’s kalte Europa, Ebenholzschwarz, zierlich gekräuselt das Haar; Wildes, spanisches, maurisches Blut dir Durch alle Adern, Diese feingeästeten, bläulichen Äderchen, fließt, Wenn mit dem Ausdruck süß-sinnlicher Schwermuth Wie träumend zur Seite Sanft du das Haupt neigst, Dies Gazellenhaupt Einer ägyptischen Sklavin... Matt blickt jetzt dies Auge; Nervös vibriren — Die Thore der Liebe — Die Nasenflüglein, Kußlüstern die Lippen Sehnsuchtsvoll schwellen Dem Genusse der Liebe Und näher, immer näher fluthen Die heißen Wellen Wonn’ger Erfüllung. Bastard Nun weißt du, Herz, was immer so in deinen Wünschen bangt und glüht, wie nach dem ersten Sonnenschimmer die graue Nacht verlangt und glüht, und was in deinen Lüsten nach Seelen dürstet wie nach Blut, und was dich jagt von Herz zu Herz aus dumpfer Sucht zu lichter Gluth. In früher Morgenstunde hielt heut ein Alb mich schwer umstrickt: aus meinem Herzen wuchs ein Baum, o wie er drückt! er schwankt und nickt; sein seltsam Laubwerk thut sich auf, und aus den düstern Zweigen rauscht mit großen heißen Augen ein junges Vampyrweib — und lauscht. Da kam genaht und ist schon da Apoll im Sonnenwagen; es flammt sein Blick den Baum hinan, die Vampyrbraut genießt den Bann mit dürstendem Behagen. Es sehnt sein Arm sich wild empor, vier Augen leuchten trunken; das Nachtweib und der Sonnenfürst, sie liegen hingesunken. Es preßt mein Herz die schwere Last der üppigen Sekunden, es stampft aus mir der Rosse Hast, — er hat sich ihr entwunden. Schon schwillt ihr Bauch von seiner Frucht, hohl fleht ihr Auge: bleibe! Er stößt sie sich vom Leibe, von Ekel zuckt des Fußes Wucht, — hinras’t des Wagens goldne Flucht. Es windet sich im Krampfe und stöhnt das graue Mutterweib, mit ihren Vampyrfingern gräbt sie sich den Lichtsohn aus dem Leib, er ächzt — ein Schrei — Erbarmen: ich, mich hält der dunkle Arm umkrallt, da bin ich wach — — doch hör’ ich, wie noch ihr Fluch und Segen hallt: Drum sollst du dulden dies dein Herz, das so in Wünschen bangt und glüht, wie nach dem ersten Sonnenschimmer die graue Nacht verlangt und glüht, und sollst in deinen Lüsten nach Seelen dürsten wie nach Blut, und sollst dich müh’n von Herz zu Herz aus dumpfer Sucht zu lichter Gluth! Die zweite Nacht Drum komm, o komm, noch einmal schweigt so voll ins Feld, so weiß und weit der Mond ins Feld; noch einmal zeigt die weite Nacht, die zweite Nacht, uns unsre nackte Seligkeit. O komm, o komm, ich will dich sehn — und silbern rauscht der Eichenhain; die langen Wiesenhalme stehn so still, so weich am kleinen Teich, und schimmernd tauchen wir hinein. Und schimmernd, schimmernd heb’ich dich heraus ins dunkelgrüne Kraut, dein schwarzes Haar umrieselt mich, der Thau wird warm, und Arm um Arm erkennt den Bräutigam die Braut. Und dann, o komm — oh flieh! denn dann: wir hatten Schooß in Schooß geruht, von einer gelben Blüthe rann, du sahst es nicht, im bleichen Licht ein Tropfen Blut — Dein Tropfen Blut. Büßende Liebe Aus deinen grauen Augen droht, mir so vertraut, wie ein erstarrter Klagelaut mit bleichen Zügen ein Verbot; ich weiß, auch du... Du warst einst Braut. Das hat in deinen Blick gebracht dies fahle Licht, das durch die schwarzen Wimpern bricht; mir ist, als sahst du einst die Nacht von Angesicht zu Angesicht. O komm und gieb mir deine Hand; in dein schwarz Haar nimm diese rote Lilie dar, und um dein dunkelblau Gewand dies goldne Gürtelschlangenpaar. So führe mich, indeß du weinst, den langen Pfad. So kommen wir der Nacht genaht und beten beide: Mutter! einst — wir übten Beide schon Verrath! Dann legt, indeß wir niederknien, dann legt die Nacht auf deines Haares schwere Pracht die Hand — und flüstert: Liebe ihn, der sich und Andre friedlos macht! Dann hören deine Thränen auf, dann kommt ein Stern; der winkt so neu, so neu, so fern, dein graues Auge schaut hinauf, dein dunkles Auge... Sinke, Stern! Neue Liebe Bettle nicht vor mir mit deinen Brüsten, deinen Brüsten bin ich kalt; tausend Jahre alt ist dein Blick mit seinen Lüsten. Sieh mich an, wie du als Braut gethan: mit dem Blick des Grauens vor der Schlange! Viel zu lange war ich, Weib, dein Mann. Willst du Gift aus meiner Wurzel saugen? unverwundbar bin ich deinem Biß! Folge mir ins Paradies: sieh mich an mit deinen Menschenaugen... Es war einmal Der Himmel dunkelte noch immer, ich fühlte tief bis in mein Zimmer der tiefen Wolken vollen Schooß; die Esche drüben drehte schwer die hohe Krone um sich her, zwei Blätter trieben wirbelnd los. Laut tickte durch die schwüle Stube, wie durch die stille Todtengrube der Holzwurm ticken mag, die Uhr. Und durch die Thüre hinter mir klang dünn und schüchtern ein Clavier über den Flur. Der Himmel lastete wie Schiefer, ihr Spiel klang immer trauertiefer, ich sah sie wohl. Dumpf rang der Wind im Eschenlaub, die Luft war grau von Gluth und Staub und seufzte hohl. Und blasser tönten durch die Wände die tastenden verweinten Hände — sie saß und sang; sang sich das Lied, in sich gebückt, mit dem sie mich als Braut entzückt; ich fühlte, wie ihr Athem rang. Die Wolken wurden immer dumpfer, die wunden Töne immer stumpfer, wie Messer stumpf, wie Messer spitz; und aus dem alten Liebeslied klagten zwei Kinderstimmen mit — — da fiel der erste Blitz. Bann Wie aus dem Schilf die Wasserfee tauchtest du winkend aus der Schaar der Andern um uns zu mir her mit deinem langen schwarzen Haar und deinem fernen Augenpaar. Und standest nun und sahst mich an mit deinem blassen Übermuth, und deiner Fragen perlende Fluth und deiner Lippen jungjunges Blut lachte mich an, lachte mich an. Nur in deinen Augen blieb so fern, so fern wie auf des Weihers Grund in winkender Nacht der irre Stern, ein Zittern und Leuchten stehen; und mir log dein Mund, mir log dein Mund. Denn in unsern Träumen — oh, ich weiß: auch du, auch du! dann tauchen wir Hand in Hand hinunter, stumm und heiß sucht Mund den Mund, holen wir leis, wir uns vom Grund, den Stern vom Grund... Nicht doch! Mädel, laß das Stricken — geh, thu den Strumpf bei Seite heute; das ist was für alte Leute, für die jungen blüht der Klee! Laß, mein Kind; komm, mein Schätzchen! siehst du nicht, der Abendwind schäkert mit den Weidenkätzchen... Mädel liebes, sieh doch nicht immer so bei Seite heute; das ist was für alte Leute, junge sehn sich ins Gesicht! Komm, mein Kind, sieh doch, Schätzchen: über uns der Abendwind schäkert mit den Weidenkätzchen... Siehst du, Mädel, war’s nicht nett so an meiner Seite heute? Das ist was für junge Leute, alte gehn allein zu Bett! — Was denn, Kind? weinen, Schätzchen? Nicht doch — sieh, der Abendwind schäkert mit den Weidenkätzchen... Wiegenlied für meinen Jungen Schlaf, mein Küken — Racker, schlafe! Kuck: im Spiegel stehn zwei Schafe, bläkt ein großes, mäkt ein kleines, und das kleine, das ist meines! Bengel, Bengel, brülle nicht, du verdammter Strampelwicht. Still, mein süßes Engelsfüllen: morgen schneet es Zuckerpillen, übermorgen blanke Dreier, nächste Woche goldne Eier, und der liebe Gott, der lacht, daß der ganze Himmel kracht. Und du kommst und nimmst die Spenden, säst sie aus mit Sonntagshänden, und die Erde blüht von Farben, und die Menschen thun’s in Garben — Herr, den Bengel kümmert nischt, was man auch für Lügen drischt! Warte nur, du Satansrachen: heute Nacht, du kleiner Drachen, durch den rothen Höllenbogen kommt ein Schmetterling geflogen, huscht dir auf die Nase, hu, deckt dir beide Augen zu; deckt die Flügel sacht zusammen, daß du träumst von stillen Flammen, von zwei Flammen, die sich fanden, Hölle Himmel still verbanden — — so, nu schläft er; es gelang; Himmel Hölle, Gott sei Dank! Über den Sümpfen Wo wohnst du nur, du dunkler Laut, du Laut der Gruft? Was rinnt und raunt durch Schilf und Duft und glüht wie Augen durch die Luft, durch Rohr und Kraut... Es lehnt die Nacht am offnen Thor und weint und winkt. Zwei graue Hunde stehn davor und lauschen mit geneigtem Ohr, wie’s klingt lockt blinkt. Nur Und der Abschied war kein Ende, und mein Blick bewegte dich; und es war, als legte sich still dein Herz in meine Hände... Aber wenn du wiederkehrst, will ich deine Hand nicht küssen, will es nur empfinden müssen, wie du deinem Herzen wehrst... Lebe wohl! Eine dicke Tigerschlange liegt müde um mein Herz geringelt, ihre satten Augen thun sich zu. Einmal züngelt ihre dünne Zunge noch. Sie schläft... Lebe wohl, mein blutend Täubchen Du. Marienlieder I. In jenen Tagen, wo ich qualbeladen Ein müder Pilger nach Erlösung schrie, Da warst du mir die Mutter aller Gnaden, Das Brot des Lebens warst du mir, Marie! Du wahrtest mich vor allzufrühem Ende, Wenn ich zum Leben mich emporgerafft, Dank ich’s dem Streicheln deiner süßen Hände Und deiner Küsse lebensheißer Kraft. Geh’ nicht von mir, laß deine Liebe dauern, Ich bin noch lange, lange nicht gesund, Und lautlos, aber siegessicher lauern Des Abgrunds Kinder auf der Seele Grund. II. Um deine nackten Schulter laß mich breiten Den Mantel meiner wilden Zärtlichkeiten, Dein Herzensblut, dein junges, starkes Leben, Dein Letztes sollst du mir, dein Bestes geben, Aufschluchzen soll der Engel Schaar vor Neid Ob unserer trunkenen Glückseligkeit. Gesicht Jüngst sah den Heiland in weißem Gewand Ich schreiten durch goldenes Ernteland. Die gelben Halme von Segen schwer, Es lachte in Meeren blaßgolden her, In heißer flimmernder Sommerglut, Der reife Segen in seiner Hut. Er ging dahin mit ruhigem Schritt, Und Lerchengrüße wanderten mit Aus Himmelsblau voll Seligkeit Der leuchtend stillen Sommerszeit. Nur einmal brach er ein Röslein vom Rand Des Rains, der ganz voll Blumen stand, Stand still und roch, sich neigend, dran, Dann hub er wieder zu schreiten an. Doch wundersam war sein Gesicht: So schön und rein sah ich’s noch nicht. Strahlend und siegreich wie des Apoll Und doch der klarsten Güte voll, Die alle Schmerzen überwunden, Die qualverzweifeltsten der Stunden; Die nichts von Bitterniß mehr kennt, Nur wie ein adlig Feuer brennt Im Herzen, das krystallenrein Das Bild der Welt schließt segnend ein. Und wundersam: — von den Menschen allen, Auf die nur je mein Blick gefallen, Die einst ich sah in Kraft beglückt, Die tief ein Kümmerniß bedrückt, Fand ich verklärt einen leisen Zug, Den er auf seinem Antlitz trug. — — Und wo er trat auf weißen Wegen, Da heimsten die Menschen den Erntesegen Bei feierlichstem Sichelklang Die sommerklaren Tage lang, Im Frieden kraftvoll, glücklich stark, Ein rein Geschlecht voll Heldenmark. — Und vor dem Dörflein, auf leuchtendem Plan, Wo silbern ein Brünnlein rauschend rann, Da hielt der Heiland die Schritte an. Da saßen die Alten und sahen zu Dem Erntetreiben in stiller Ruh, Und silberner Kinderstimmen Schall Vermischte sich mit des Brünnleins Fall. Der gleiche Ernst auf Kindermienen Und Runzelgesichtern, sonnbeschienen, Im Aug’ die feierlichste Ruh. — — Ein Weilchen sah der Heiland zu Zum leisen Segnen erhob er die Hand. Dann schritt er weiter im weißen Gewand Durch golden schimmerndes Ernteland. Im alten Pavillon Ein leuchtender Spätsommernachmittag. In schwülem Dufte ruht der alte Park. Der goldnen Lichter wirres Flimmerspiel Webt in den Füllekronen alter Eichen Und im Gebüsch, wo Marmorgötter träumen. Und auf dem goldsmaragdnen Gräsermeer Der Lichtungen, besternt von Blütendolden Und silberflimmernd von der Gräser Spitzen, Liegt heiß der Lüfte zitternd reine Glut. Was seh ich? Offen steht der Pavillon, Der, selten nur betreten, einsam schläft In einer dichtumbuschten Hügellichtung, Mit seinen Marmorgöttern auf der Treppe, Auf deren rosige Marmoradern zitternd Der Gräser grüner Schatten niederfällt. Kein Mensch! Kein Laut! — Ich trete zagend ein. — Es hebt ein seltsam fremder schwüler Duft Sich aus der rosigen Dämmerung heran Und legt sich drückend auf die Sinne mir. Matt leuchtet im gedämpften Licht herab Von heller Wand ein zierlich Schäferbild Des Lancret. Prüfend suche, wähl’ ich mir Den Sessel, blaßblau, halb verblaßt, rück’ ihn Ins rechte Licht und sitze nun im Dämmern In seltsam fremder Stimmung wie verzaubert. Da knirschten Schritte auf dem weichen Kies. Wer mag es sein? Es knistert ein Gewand. Es pocht ein Schritt herauf die Marmortreppe. Ich rühr’ mich nicht, ich schließe meine Augen, Von fremder Hoffnung heimlich aufgeregt, Als müßte etwas göttlich Unvorhergesehenes Nun in mein Leben treten leisen Zauberschritts. Nun — klappt man gar den alten Flügel auf, Auf dessen Deckel sich ein Menuett In hellen Farben anmutselig wiegt. Es irren Finger durch die gelben Tasten. (Ich kenne diese weißen schlanken Finger.) — — Wehmütig zart und silbern klingt ein Ton, Der lang gefangen in den Saiten lag, Herüber in die warme Dämmerung — Und nun: das wunderliebliche Andante Aus der Sonata quasi una fantasia , So schönheitatmend, solcher Grazie voll, Wie nur ein rein vollendetes Gemüt In heiterer Feierstunde es empfängt, Wenn junges Glück mit blassem Goldglanz schmückt Des schönsten Augenblickes Freudedrang. — — Wird so das Schweigen selige Musik, Das Schweigen, das mit Rosenfarben adelt Der jungen Braut demutgesenkte Wangen Und leise Trauer in die Fülle mischt Des schwellenden, des übervollen Busens? — — Doch kaum geendet ist der Sternensang, Da klirrt es auf wie wilder Tubenton. Evoë! Beethovens Opus 111. — Ich kenne dich, du schmerzliche Gewalt, Du heilige Not, du schwüle Bitterniß! Zerstoben ist der lichte frohe Schwarm, Der einst in diesen Räumen lachend liebte. Kein Schäferspiel ist diese tiefe Welt. Titanen sind wir Alle, Grolltitanen! Auf unsrer Brau liegt Trotz und liegt der Grimm, Im Herzen Hunger nach der heil’gen Schönheit, Und doch Unfähigkeit sie zu genießen. Wir hungern nach dem ewigen Götterlachen Und wissen doch, daß hoher Schmerz allein Die Herzen groß, die Herzen weit gemacht, So weit und schrecklich wie die weite Welt, Die ihre Kinder schlingt, um im Gebären Allseligkeit zu kosten ohne Ziel! — — Evoë! der Sonnenglanz des Glücks ist flüchtig, Evoë! der Sonnenglanz des Glücks erfüllt Mit Trauer uns, mit unnennbarem Drang! — Den Himmel kennt nur, wer die Hölle kennt. Evoë! Empörung ist der großen Herzen Glück! Zu Ende! — Langes Schweigen drückt den Raum. — Zu Ende! — Ja. — Doch sie mit leisem Schrei, Als hätt’ ich ein Geheimniß ihr belauscht, Sieht mich geschloss’nen Auges schweigend sitzen Und kommt. Ich fasse ihre holden Hände, An meine Seite sanft die Liebe ziehend, Und ihre Augen glänzen schönstes Glück Des atmend seligsten Beisammenseins. Umschlungen, schweigend, stehn wir auf der Treppe, Geblendet von der Fülle goldenen Lichts, In das des Abends erste Rosenschimmer Wie zage Ahnung fallen. Selig Atmen In reiner, reiner Sommereinsamkeit! Ein weißes Taubenpaar stößt scharfen Flugs Vorüber über sommergrüne Wipfel Und silbern friedlich klingt das Glockenspiel Der fernen Stadt herüber in das Schweigen, Das abendfeierlich sich tiefer senkt. Hochsommernacht Hochsommernacht, Hochsommernacht! So plötzlich bin ich aufgewacht. Was hat mich leise angeweht? Ein Atem kommt, ein Atem geht. — Wie flüssig Gold der Springbrunn fällt. In tiefstem Frieden liegt die Welt, Und breit erquillt, des Mondes Licht, Was webt um mich wie ein Gesicht? Was schwindet dort? Was kommt und geht? Von fremdem Hauch bin ich umweht, Gebannt von unnennbarer Macht — — Hochsommernacht, Hochsommernacht! — Am See Weißen Glanzes voll die Ferne, Klatschend nur ein Ruderschlag. Schmetterlinge, Blütensterne, Tiefsten Lebens Feiertag. Auf dem Meere meiner Seele Selig goldenes Glänzen nur, Daß mein Frieden sich vermähle Mit dem Frieden der Natur. Mittagsrast Heiß in Sonnengluth versunken Schläft die schwüle Mittagszeit Und mein Auge, schauenstrunken, Sinkt in holder Müdigkeit. Dämmerwach hör’ ich es raunen Wie Geheimniß durch das Feld, Und mich faßt ein heimlich Staunen, Daß ich noch in dieser Welt. — — Wie ein Goldmeer will sich’s breiten Durch die Brust mir, die allein Unbegriffene Seligkeiten Kostet in dem bloßen Sein. — Fin de siècle Narrentand und Trauerlieder! Das Jahrhundert legt sich nieder, Lüstesatt, zum lauten Sterben. Lachen —? weinen seine Erben? — Gierig schwelgen sie an Tischen, Wo des Tages Köche mischen — Daß die Stunde weich verrinne, — Kühlungstrank dem Brand der Sinne. Welch ein Leichenmahl! — Es prangen Unermeßlichstem Verlangen Die Gerichte aller Zeiten, Aller Völker, aller Breiten. Aus Erkenntnißbaumeszweigen Goldenblinkend her sich neigen Früchte, — Paradiesesschlangen, Grimmig stachelnd das Verlangen. Doch die müden Hände zaudern, Müd von des Genusses Schaudern, Müd vom Hoffen, müd vom Streben, Müd vom ewig dunkeln Leben. — Welch ein Leichenmahl! — Gelächter Schwirrt wie Hohn von der Verächter Lippen in der dumpfen Massen Giergestachelt wüstes Prassen. Schwül die Luft. — Und — Narrenwitze Zucken als die ersten Blitze Ob dem schwelgenden Gewimmel. Wetter ziehen auf am Himmel. — Weihrauch qualmt. Und müde Seelen, Die des Herzens Bruch verhehlen, Flüchten in die alten, wirren Labyrinthe, froh zu irren. Auf des Zweifels Dornenbette Singen Dichter Trauermette, Singen laut von schönern Tagen, Da die Herzen Götter tragen. An Otto Julius Bierbaum Jüngst, lässig-heiter schlendernd in dem Glaspalast, Wo unsrer lieben Kunst- und Bierstadt München sich Alljährlich prunkend zeigt die stumme Götterschaar Und das Gesindel dieser überlauten Zeit — Auf grober Malerleinwand nur, versteht sich, Freund — Ward ich von einem seltsam schönen Traum beglückt. Heiß war der Sommertag und schwül. Ich nippe gern Von vollen Schönheitsbechern Schaumesperlen nur, Des alten Götterneides schweigend eingedenk. — So fand ich mich in einer kühlen Ecke bald Vor einem Glase Schurlemurle. O gewiß Nur Schurlemurle war der Nektarfeuertrank. Und da — schon sank mein bildermüdes Auge zu — Wen sah ich da? Es war nicht Wahn, nicht Täuschung, nein! Den lachenden, den sieghaft schönen Heidengott, Den tief geheimnißvollen Dionys. Er ritt Auf einem Fabelhengste aus dem Stalle Böcklin’s, Mit glattem Fell. Gar stolz und wohlgenährt und glänzend Und auch noch kunstbegabt schien mir das schöne Vieh: Sein schimmernd Wiehern klang vor mancher Kleckserei Wie donnerpolterndes Gelächter, machtvoll selig. Doch noch vergnügter schien der schöne Gott mir selbst. Ein übermüthig Lächeln lag auf seinem Mund, So weich wie eines vollerblühten Weibes. Ja, So lächeln Dichter, wenn die Ruhmesglorie hell Sie plötzlich übersonnt, in zager halber Scham. — Zu lustig, rief der junge Gott mir lachend zu, Was seid ihr Menschen doch ein drolliges Gezücht! Beim Hund! Kein Gott versteht die Allerbesten ganz. Du weißt, im Lauf der Zeiten ward ein bißchen ich Gelehrt. Das schadet selbst uns hohen Göttern nicht. Ein Vorrecht haben wir ja stets: Persönlichkeit. Nun ja, da las ich jüngst das alte Märlein mir Vom Apfelbiß in eurem Schlangenparadies, Davon ihr sehnsuchtskranken Narren immer träumt, Wenn ihr in jenen bittersüßen Apfel beißt. Hm, nach den hohen Göttern richt das Märlein nicht, Und euer Adam, welch’ ein stumpfer Erdenkloß! Soll ich dir sagen, wie die Menschen wurden? Ja? In meiner tollsten Jugendgrazienflegelzeit — Ach, auch wir Götter treiben’s in der Jugend toll — Als ich in jubelrasendem Triumphe zog Ums lichtazurne, leuchtend schöne Mittelmeer, Da ruht’ ich einst mit meinem trunkenen müden Schwarm Auf einer seligen Insel, wo ein Lorbeerhain Den warmen Schatten warf auf einen Wiesenhang, Aus dessen leuchtend sattem, weichem Frühlingsgrün Die Blüthensterne weiß und purpurn lachten. Recht Ein seliger Ruheort. — Es rauschte silbern da Ein sonnenspiegelnd Brünnlein heilig kühle Fluth, Das trübe Aug’ zu netzen mit dem Weihenaß, Wenn es vom steten Schau’n der Schönheit müde, müde. Und als am reinen Morgen ich, nach tiefem Schlaf, Erquickt von dannen zog, blieb mir ein Weib zurück, Das schwärmend sich am Tag zuvor zu müd gerast. Und sie beschlich ein kecker Faun. Es brannten hell Als ewige Liebesfackeln Ätna und Vesuv. Von diesem Paare stammt ihr Alle, Alle ab, Der Göttin Wesen und des Fauns seltsam vermischt Im unzufriednen Busen. Rassenkreuzung taugt In seltenen Fällen nur, das glaube mir, Poet. Und ich als Gott genieße mir ein Schauspiel nun, Wie es die frohen Götter lieben, die ja stets Das frechste Publikum des zweifelhaften Spiels, Das Welt geheißen. Ja, beim Hund, ihr Menschen seid Ein spaßhaft unbegreiflich drolliges Geschlecht. Bald herrscht der Faun in euch, die schöne Göttin bald, Die einst in meinem übertollen Schwarm erfuhr, Auf welchem dunklen Grund die wahre Schönheit blüht. Und kommt der ewige Streit einmal zum Stillestand In euch — nun Katzenjammer nennt man, glaub’ ich, das. Am Kater gingen die Olympier zu Grund, Und eure zahmen Dichter wissen gar zu wohl, Warum sie wachend träumen von dem dunklen Gott, Den diese Welt gebären müsse, — diese Welt! — Daß er als Tröstung lache jedem bangen Leid. Zum Lachen! Schaut er dämmernd nicht aus jedem Bild. Aus jedem Weib, dem noch ein spärlich Reizchen blüht? Und feiert er dem öden Schwelger nicht ein Fest In jedem schmucken Dirnlein, das nur ein Symbol Des ewig trunknen Frühlings, den ich liebe, ich? Doch wie gesagt, ein drollig Schauspiel seid ihr mir, Besonders wenn das Weib ihr giftig zeternd schmäht. Weißt du, woher der eitle Narrenschmerz euch stammt? Von eurem Guckenwollen hinter diese Welt. Ihr Esel! Euer grausam dunkler Lebensdrang, Der Stolz, die Freude, eure dumpfe Sehnsucht selbst, Sie ruhen licht auf grausig schwülem dunklen Grund. Freut euch an ihrem Spiel, an ihrem bunten Schein Und starrt nicht in die Dämmertiefen, Narrenpack, In dem der Faun wird mächtiger von Jahr zu Jahr, Auch wenn er sittsam geht im Feigenblätterschurz. So räsonnirte mir der Gott noch lange fort, Der Schöpfung Krone nörgelnd schmähend unverschämt. Die ewigen Götter thun nichts halb. Das ist bekannt. — Doch ich gerieth in einen hellen Heidenzorn. Du frecher Hanswurst, was suchst du in diesem Haus, Wo doch wahrhaftig das Genie nicht frech sonst tollt? Du Narr, glaub ich dich nicht, so existirst du nicht. (Das war ein feiner Trumpf!) — Werd lieber Pastor mir Und predige die Lebensfreude, grob und fein, Den höhern Töchtern, von der ewigen Eva stammend Und nicht von deinem liederlichen Bacchenweib. Noch vieles sagt’ ich so in meinem Heidenzorn. Das Schimpfen ist ein reiner Götterhochgenuß. Doch leider störte mich ein Gardelieutenant, Der einer Frau von dreißig Jahren schneidig und Ästhetisch schimpfte auf die Freilichtmalerei, Die leider nicht die Allerhöchste Billigung fand. Ein großer Kenner war der stramme Mars wohl nicht, Obgleich er einst gezappelt in dem goldnen Netz, Das hinkend der Hephästos fein geschmiedet. O Du tiefer Sinn der alten Märenseligkeit! Geheimnisse (Skizze) Der Wildbach braust, es rauscht die Luft, Schwefelfarbnes Gewölke speit rothe Flammen, Zerrissne Zweige treiben im Sturm, Die Thiere stecken die Köpfe zusammen. Auf schroffem Fels, der senkrecht fällt In die gähnende Tiefe, steht ein Weib, Und jauchzt in die Wolken, und herzt einen Mann, Und schlingt ihre Arme um seinen Leib. „Salve Jehova, brav gewettert, Hier stehen zwei, und freuen sich baß Deiner Trommeten und Flammengarben, Rase weiter in deinem Wolkengelaß. Wir sind sicher vor deinen Feuern, Heißer brennt unsere als ihre Gluth, Wir sind sicher vor Deinen Strömen, Höher schwillt unser drängendes Blut. Salve Jehova!“ Die Güsse schweigen, Durch die Walder geht leises Erzittern hin, Stockende Donner stottert das Echo Die Wolken schauern und — entfliehn. ................ Monde verstrichen, Jahre verstrichen, Sommer bräunten die Halden an ihren Feuern, Winter küßten die Tannen bis sie erblichen. ................ Der Adler ätzte seine Brut, Buhlende Winde streuten Samen In Felsensprünge, zwischen Geröll, Die Sonne brannte dazu ihr Amen. Da schleicht inmitten des Festgejubels, Ein Schatten über die Hochzeitsstätte, Ein Leichnam der unbegraben ist, Der sich sehnt nach seinem letzten Bette. Gierig blicken die Augen nach der Tiefe Wo der Tod im Finstern sein Messer schleift, Befriedigt messen sie den gähnenden Abgrund Da — zitternd die Hand nach dem Haupte greift. Ein schroffer Felsen, der senkrecht fällt In’s leere Dunkel, thürmt sich auf, Edelweißwiesen träumen still, Tannen raunen aus der Schlucht herauf. Vor Jahren. Rother Himmel rings, Auf diesem Fels ein Mann, ein Weib, Er starb ihr jüngst, wer sagt warum? Was suchet hier ihr müder Leib? .............. Auf schroffem Felsen, der senkrecht fällt In die gähnende Tiefe, ruht die Sonne, Tannen raunen aus der Schlucht herauf, Die Thiere kosen in scheuer Wonne. Es ist alles wie früher, ...... O Jehova! Die hohe Föhre Der drängenden Heerde zwergiger Föhren Vergißt die Gewaltige anzugehören; Sie hebt das Haupt zur stürmenden Wolke, Verloren über dem Nadelvolke, Das nimmer den heiligen Sturm erlauscht, Der einsam erhabene Stirnen umrauscht. Sie aber sinnt — und nickt — und schaut Ins Weite, wo dämmrig der Forst verblaut: Zerrissenen Wolkengebirgen entrollt Der sinkenden Sonne rothblitzendes Gold. Das Föhrenhaupt erglüht verzückt, Ins lodernde Feuermeer entrückt. Zu Ende Die Dirne hat ein Kind geboren Und liegt allein im Prunkgemach, Im Purpur ihres Pfühl’s verloren, Von Qual erschlafft, von Schmerzen wach. Der Ampel blasse Ringel zittern Um einer Göttin Goldgesicht, Die von des Hausaltares Flittern Den Segen in die Halle spricht. Die lauten Buhler sind verschwunden, Kein Cymbelklang durchschwirrt die Luft, Gefährte ihren Marterstunden War nur der heiße Ambraduft, Der schwül durch alle Kissen lagert, Der lockt, betäubt und trunken macht, Und die entsaugten Glieder hagert, Wenn in den Morgen sinkt die Nacht. Die Nacht war der zum Reich erkoren, Die jetzt des Morgens Kühlung sucht Und ihren Leib, weil er geboren, Mit kranker Lippe herb verflucht. Die Krone, die ihr Haupt getragen, Die Schönheit, die von Lust geschmückt — Ward all’ von einer Nacht zerschlagen, Was tausend Nächte nicht zerstückt? Die sie in ihrer Kraft Verschwendung Verrast und in des Giftes Trank, Da ihre Jugend, stolz der Schändung, In freche Mannesarme sank? Wär’ nimmer ihr zurückgegeben Der Wonnen ungebroch’ne Gier? „O Göttin, nimm von mir das Leben, Eh’ daß du Schönheit nimmst von mir!“ Sie tastet, greift den gold’nen Spiegel, Die müden Augen sind bereit Zu spähen, ob des Schmerzes Siegel Das weiche Angesicht entweiht. Wohl ist es bleich und scharfgezogen Der feinen Adern Blaugeäst, Gesenkt der Brau’n gepfeilte Bogen, Des Mundes Üppigkeit gepreßt. Doch ist es Nebel nur, der schleiert Auf rosenwilde Bergeshöh’n, Wenn die verschlafne Sonne feiert. Sie athmet tief: Noch ist sie schön. Sie fühlt das süße Lebensfeuer, Der Göttin schwöret sie empor, Sich zu vergeuden ungeheuer In Rausch und Glut — da schrickt ihr Ohr. War es der eig’nen Stimme Tönen? War’s im Gezweig verirrter Wind? Und wieder eines Hauches Stöhnen — Sie neigt und lauscht — es ist ihr Kind. Zu ihren Füßen nackt und bebend Vom seid’nen Schleier schlecht bedeckt, Die kleinen Hände hilflos hebend, Noch nicht das Aug’ zum Licht erweckt. Gehaßt, da sich sein erster Schauer Geheim geregt in ihrem Schooß, Empfangen in die Erdentrauer Liegt es verlassen, mutterlos. „Gebrandmalt hast du meine Stirne, Hinausverstoßen mich in’s Leid!“ Schwer trifft es, was der schönen Dirne Der stumme Mund entgegenschreit. Mit zitternd ungeschickten Armen Hebt sie es leis und wiegt es sacht. Wie zart es ist! Und im Erbarmen Schmiegt sie es in des Busens Pracht. Doch glühend fühlt sie sich durchirret Von der Berührung schwachem Kuß, Daß sie, in Angst und Lust verwirret, In Thränen sich entzücken muß. Und daß im festeren Umfangen Kein kalter Druck das Kind verletzt, Reißt sie vom Arm die reichen Spangen, Vom Hals die Kette steinbesetzt. Zu rauh scheint ihr der Schleier Seide, Ihr langes Haar umspielt, umgibt Den kleinen Leib mit gold’nem Kleide. Die nur gebuhlet hat — sie liebt. Sie will aus ihren sünd’gen Nächten, Die leise drängend sie umweh’n, Den Kranz für seine Stirne flechten: In Königsreichthum soll es steh’n. In seinem Tag wird sie sich schauen, In seiner Unschuld wird sie rein, Sie wird die strahlendste der Frauen, Die seligste der Mütter sein. Wann wird sein Lächeln ihr begegnen? Wann grüßet sie der erste Laut? Wann wird der erste Blick sie segnen, Der Blick, den sie noch nicht geschaut? Sie sehnt zu wecken seine Lider. Schon will sie’s, scheu verlangend, thun — Wie kühl, wie schwer sind seine Glieder, Die still an ihrem Herzen ruh’n! Und schwächer wird das Athembeben, Die Wange kalt, die Lippe weiß. Und in ihr eigen heißes Leben Fühlt sie des Grabes schwarzes Eis. Und hebt in schreiendem Entsetzen Die Arme zu dem Götterbild Und reißt das Purpurtuch in Fetzen Und stürzt sich hin verstört und wild: „O Göttin, lass’ es nicht geschehen Daß Tod mir raubt, was noch nicht mein! Noch hat sein Aug’ mich nicht gesehen, Noch kann sein Mund mir nicht verzeih’n! Halt’ auf das nachtende Verderben Du Mächtigste, die ich verehrt — Und willst du nicht, so laß mich sterben, Und meinem Kind sei Licht gewährt!“ Die Göttin starrt mit gold’nem Lächeln Auf das emporgehob’ne Kind Und in die Ambraschwüle fächeln Die ersten Dämmerlüfte lind. Die großen Augen aufgedunkelt, So schaut das Kind zum ersten Mal Und aus dem Sterbeblicke funkelt Ein ewigkeitentschöpfter Strahl. Mit weitem Schau’n zur weiten Ferne Flieht suchend er durch’s Morgenlicht, Bis er begegnet seinem Sterne, Dem letzten Stern, — das Auge bricht. Und über ihres Wahnsinns Weinen, Dem Rasen ihrer Mutternoth Die bleichen Morgenrosen scheinen, Mit denen sich bekränzt der Tod. Von stolzer Marmortreppe scheidet Die grau verhüllte Bettlerin, Der Schätze hat sie sich entkleidet Und ihre Schönheit wirft sie hin. Ihr Kind will sie zu Grabe tragen Wo Lilien blüh’n im Waldgefild, Und in der Halle liegt zerschlagen, Zerscherbt der Göttin goldnes Bild. Unfreiheit War’s nicht schon in Kindestagen... dir floß Das Blut wie Saft im Maiensproß, Dein Träumen flog fort von der Alltagsstätte — Weckte dich nicht das Klirren der Kette? An deinem Fuß die Kette hing, Als die ersten, tastenden Schritte er ging; Du reiftest, es hat sich dein Kreis geweitet — Immer hat dich die Kette begleitet. Und wenn der Knabe die Schranke brach, Ein trotzig Wort die Lippe sprach, Nach Lieb’ und Ruhm der Drang ihn verwirrte, Mahnend dazwischen die Kette klirrte. Der Knabe ward Mann, und der Mann ist klug, Der Knabentrotz riß Wunden genug: Du läßt sie heilen, du bleibst im Kreise, Kettengebannt. Sie rasselt leise. Vielleicht, zuletzt, ist die Kette das Band, Das die Träger um deinen Sarg gespannt. Er gleitet über die Verkleiung. Auf schnellt die Kette. Das ist die Befreiung. Beherzigung Nur wirken, und nicht denken: Fort Alles, was uns quält! Mußt selbst den Werth dir schenken, Den dir das All verhehlt — Im Kampfe wacker liegen, Nicht hinter’m Ofen faul! Gebrat’ne Tauben fliegen Dem Troddel nur in’s Maul. Lass’ Träumern und Schlaraffen Den Philosophendunst — Selbst eine Welt zu schaffen, Das ist die echte Kunst! Wir brauchen keinen Retter, Der uns’re Ketten bricht: Sind wir erst selber Götter, Brauchen den Gott wir nicht! Und drangen wir als Meister In feurigem Bemüh’n Zum schaffenden Geist der Geister Empor gigantenkühn, Dann grüßt er seine Riesen Mit doppelter Lieb und Lust, Weil er den Weg nicht gewiesen: Weil wir ihn selbst gewußt! Lenznacht-Wunder Siech und matt war ich gestern, voll Mißmut. Stumpf war mein Blick, trauerumflort mein Auge. Meine Ohren hörten nichts mehr. Welk hing meine Hand und schlaff. Mühsal das Gehen, meine Füße wie Blei. Und heute? Meine Sinne blühen in hellem Feuer, Psalmen jauchzt mein Gemüt, Hymnen sprüht mein Blut, Voll Kraft schwellen mir die Glieder Jeglicher Arbeit entgegen Und Lust ruht in Allem und fröhliches Gedeihen. Keine Höhe gibt’s und kein Hindernis, Keine Weite und keinen Weg, Kein Wagestück und keine Thorheit, Die nicht im Sprunge zu nehmen mein hüpfender Fuß sich getraut. Ich lache die Welt aus und mich selbst. — — Was lag zwischen gestern und heut, diesen Wandel zu wirken? Eine Nacht! Purpurrosen auf blauschwarzem Grunde, Mit Sternen besteckt und Blitzen umsäumt: Eine Lenznacht schuf das Wunder In wonnigen Armen der Liebe. Ich grüß’ dich, mein göttliches Weib! Aus der vierten Dimension Ach du, zu der ich oft und schweigend komme, Nur da zu sein, wo du bist, Süße, Fromme — Wenn ich, ein bleich Gespenst, an deiner Seite gehe, Im Grase lieg bei dir: Sag’, spürst du meine Nähe? Du ahnst wohl kaum das Feuer, das, o Schauder, So qualvoll selig weckt in mir dein still Geplauder Mit all’ dem Lebensvollen rings, in mir, dem Todten, Der einst um deinethalb sich alle Lust verboten? Nun sieh, mit meinen Geisterfingern schreib ich’s in die Lüfte — Unstillbar bleibt der Drang zur Lieb’! Die Grüfte, Voll Moderdunst in eiseskalten Mauern, Sie brechen bebend auf bei unserer Sehnsucht Schauern. Ach du, zu der ich oft und schweigend komme, Nur da zu sein, wo du bist, Süße, Fromme — Wenn ich, ein bleich Gespenst, an deiner Seite gehe, In frommen Lebensträumen ahnst du nicht meine Nähe! — Bekenntnisse Ich sehe gern am Menschen das Gute, Und vermuthe ein Hirn unter jedem Hute, Ich glaube gern vom Nächsten das Beste, Und vermuthe ein Herz unter jeglicher Weste. Wenn ich dann übel getäuscht mich seh’ Thut es mir in der Seele weh. Verdächtig ist stets mir das heil’ge Entrüsten, Das modische Lasteraufdeckungs Gelüsten; Das Irrlicht zeigt gar eine liebliche Flamme — Und fühlt sich sauwohl doch im faulenden Schlamme. Wenn ich im Sumpfe nach Molchen fische, Wasch ich mir mindstens die Hände vor Tische. Mich ärgern die flapsig protzenden Rüden Just so sehr wie die tantenhaft Prüden Ich lache der Gecken, der schniepelig zieren — Halt’ aber sehr auf gute Manieren. Ich liebe die Grünen, die derbfrischen Kleinen, Sie dürfen aber nicht lärmen und greinen. Wer die Ahnen wirft unters alte Eisen, Soll eigene Zeugungskraft erst beweisen. In Summa: den seh’ ich für’n Dummkopf an, Der über die Dummheit nicht lachen kann! Die beiden Hähne Ein junges, keckes Hähnchen schrie Hell in die Luft sein Kikriki. Das klang so kräftig-wunderbar, So herzerfrischend-morgenklar, Tausend Nachtmützen, unerhört, Wurden vom Kissen aufgestört. Beschwichtigend rief ein alter Hahn: „Schlaft weiter! Ich hab’ es nicht gethan, Nicht ich, der amtliche Wächter im Hof, Der besoldete Dünger-Philosoph. Es war die Stimme des Dilettantismus, Ein frecher Neuling war’s, der schrie. Es hat keine Ahnung, das gute Vieh, Vom akademischen Kikerikismus!“ Hochzeitscarmen Nun bist du mein Weib, mein trautes Weib, Mein lieber Eh’geselle, Nun trag ich deinen schlanken Leib Wohl über meine Schwelle. Nun höre ich zu jeder Stund’ Dein Herz an meinem schlagen — Was mir nicht sagt dein süßer Mund, Will ich dein Auge fragen. Ich habe in Versen sonder Zahl Um deine Liebe gerungen, Nun bist du mein herzig Ehgemahl Und ich bin ausgesungen! Ich kann in kunstvolle Reime nicht Mein holdes Glück mehr binden — Wir dichten zusammen das schönste Gedicht, Wenn unsere Lippen sich finden. Ein Jugend-Golgatha Doch: ich hob nicht die Hand zum Stoße, Ich weinte still nur eine Nacht; Dann aber fing ich an zu lachen, Und lachte, bis ich’s durchgelacht! Und stieß die Fackel in die Trümmer; Hei, wie das aufschlug! tollen Brand’s! Und niederbarst die letzte Säule In lohewildem Flammentanz. Dann ging ich ruhig von der Stätte Und schritt hinein in’s Dämmergrau’n Und ließ des Morgens heit’re Sonne, Den Nachtfrost mir vom Herzen thau’n. Nun steh’ ich frei im freien Leben, Und aus dem Jüngling ward ein Mann, Und weitab liegt in Nacht und Nebel Was seine Jugend hielt im Bann. Der Tod und das Mädchen Traf der Tod in den Gassen Ein Mädchen so jung; Da mußt’ es erblassen Und hatte genug. Es flüstert ein Sätzchen Und bettelte süß „Papperlapapp, mein Schätzchen, Sterben ist süß!“ Und beugt sich hinüber Und küßt seinen Raub. Die Augen wurden ihr trüber Und sank in den Staub. Eiger-Reiter Mondschein schimmert auf den Bergesspitzen, Zuckerreif ruht auf der Alpen Kranz. Ist ein Funkeln, Blitzen — — Alles eitel Schnee und Glanz! Tannenschatten liegt am Fuß des Eigers, Doch sein Sattel badet sich in Licht; Hoch vom Haupt des Schweigers Hell der Quell des Glanzes bricht. Hollah Leben! — Rosenrothe Glieder!! Keck im Sattel, zart auf Firnenflaum, Vorn ein Büschel Flieder, Locken schüttelnd in den Mondenschaum — — Reitet nackt ein übermüth’ger Knabe, Reckt in’s Mondlicht sein Champagnerglas, Schüttet aus als Gabe Tropfenhell ein goldig Naß. Rosa-crême — — im Mondlicht schäumt es leise, Sickert nieder an des Eigers Wand; Von dem Fliederreise Sprüht ein Leuchten in das Land. Hollah Leben! Die Champagnertropfen Zischen mondhell in den weißen Schnee. Herz, mein Herz, dein Klopfen Kündet, daß ich Schönheit seh’! Die weiße Blume Durch schwarzen Eichwald und thauiges Gras Hinführt mich mein Weg in’s Moor; Da wuchert, aus schwammigem, braunem Naß Eine weiße Blume empor. Das Wurzelgefaser im Moder ruht, Der Kelch aber schwimmt in Duft Und schaukelt, voll leuchtender blauer Gluth, Sich träumend in Fieberluft. Verworrenes Raunen. Der Morgenwind Wiegt leis sich und rauscht im Farrn. In das Waldesleben das Frühlicht spinnt Sein Seiden- und Silbergarn. Phantasie (Aus „Tannhäuser“ in „Venus Astaroth“) Poesie ist Magierkunst, Denn ein Magier ist der Dichter, Nostradamus nicht der Große, Noch der bleiche Doktor Faust Waren mächtgere Beschwörer, Waren kühnre Geisterbanner, Als wir Dichter, die dem Tod wir Und der Hölle Rede stehen. Alle Geister bannt die kundge Dichtersklavin Phantasie, — Nicht Mephisto noch Asmodi Haben Zauberkraft wie sie. Phantasie baut Feenschlösser Auf des Himalaya Gipfel, Phantasie taucht auf den Meergrund, Wo die Nixe sich ihr Haar flicht. Auf der Elfen Bergen tanzt sie Nächtens bei dem Mondenscheine, Silberhell erklingt ihr Lachen; Märchenschön erglänzt ihr Auge. Phantasie belauscht Diana, Wie sie in den weichen Wellen Eines Waldsees ihre ros’gen Glieder lüstern widerspiegelt. Mit den kämpfenden Titanen Thürmt sie Ossa auf den Pelion, Von den Höhen des Olympos Stürzt die Götter sie herab. Phantasie tritt vor die Sphinx, Lächelnd löst sie ihre Räthsel, — Phantasie fliegt durch den Weltraum Schneller als des Lichtes Pfeile. Mit dem Helden schreitet sie Sieghaft in die Männerschlacht, Und dem todten Kämpfer schmückt sie Noch das bleiche Haupt mit Lorbeer. Im Palast des Königs thront sie Mit dem Scepter in der Hand, Mit dem düsteren Verbrecher Irrt sie heimathlos durchs Land. Über der Alltäglichkeit Unkenreichen Sümpfen schwebet Sie in göttergleicher Ruh, Stolze Wolkenwandlerin. Auf denn Phantasia, fliege Fort von hier in’s Land der Sage, Fliege in den Hörselberg Zu der schönen Frauen Venus. Papa Opitz: Gleichwie das Taggestirn aus schwarzen Wolken strahlet Und rings das Frühlingsfeld mit güldnem Schein bemahlet: — Es blüht in neuer Pracht Ros’, Lili’ und Tulipan’, Narziß’ und Ehrenpreiß, jed’ Blümlein auf dem Plan, — Gleichwie ob Paphos Hain ein linder Zephir säuselt Und in das helle Blau das Laub sich milde kräuselt, Von heimlichem Ergetzen recht inniglich beweget Jed winzig Blättlein sich in sanfter Wollust reget, Gleichwie das Sternenheer am nächt’gen Himmel schimmert, Der noch der Tummelplatz von Äols Brüderschaar Hie kurtz zuvor und ihres blinden Wüthens war, Indeß itzt still ein Glantz auf Wiesenbächlein flimmert: So hat, o Cynthia, mich dein holder Reitz berühret, Davon dir itzt von mir der höchste Preiß gebühret. I. Kein Titel schmückt meinen Namen Aus dem Cyklus „Berliner Zigeunerleben“ Kein Titel schmückt meinen Namen, Kein Orden meinen Rock befleckt, Und hinter Schürzen hoher Damen Hab’ ich mich niemals noch gesteckt. Vier Treppen hoch bin ich geboren, Hab’ oft in gleicher Höh’ gehaust, Ich hab’ gehungert und gefroren Und war verludert und verlaust. Nie fand ich Schutz und Gunst bei Mächt’gen, Sah kaum von Fern die große Welt, Oft mußt’ bei Mutter Grün ich nächt’gen — Zur Miethe fehlte mir das Geld. So that ich frech die Welt durchstreifen Und faßte ihren tiefsten Sinn — Nur kann und kann ich’s nicht begreifen, Daß ich trotzdem kein Dichter bin. II. Und wenn ich dir auch Treu’ versprach Aus dem Cyklus „Berliner Zigeunerleben“ Und wenn ich dir auch Treu’ versprach, Sie dir sogar geschworen: Der Mann, der solchen Eid nicht brach, Der ist noch nicht geboren. Ja, Liebeslust bringt Liebeslast — Ihr Frau’n seid zu bedauern: Doch wenn du nicht süße Äpfel hast, Beiß’ eben in die sauern! III. Der letzte Blaue flog aus dem Haus Aus dem Cyklus „Berliner Zigeunerleben“ Der letzte Blaue flog aus dem Haus, Zu Ende sind die Moneten: Nun, Mädel, ein Herz — und das Armband heraus, Und schnell zu Onkel Peten! Kein Geld — das ist eine dumme Geschicht: Wir wollen nicht schlemmen und prassen, Doch ohne Champagner kann ich nicht Den Tag vorüber lassen. Heut vor zwei Jahren — weißt du nicht mehr? Bei Kroll auf dem Maskenballe? Ein Dutzend Verehrer um dich her, Du aber schnittest sie alle. In Ohnmacht fiel der ganze Schwarm: Kaum sah ich dich, herzigste Trude, So nahm ich dich einfach beim linken Arm, Und fort nach meiner Bude! ... Na frisch, du Kleine! Ich glaube, du heulst? Mit Perlen der Tugend dich schmücke! Geh’, geh’! und wenn du ein bischen dich eilst, Bist du noch vor Abend zurücke! Das Gold ist Chimäre! Ein thöricht Gemüth Hängt so an irdischen Schätzen — Der nächste Verehrer, der dir erblüht, Wird dir Alles dreifach ersetzen! — Vergessen Ich sah’s an andern, die du gern gehabt, Wie schnell du sie vergessen. — Der Gedanke Erfaßt mich jäh: auch mich wirst du vergessen! — Kein Leid auf Erden ist so riesengroß — Es kommt die Zeit, den herben Schmerz zu lindern... Kein Glück auf Erden ist so riesengroß — Es kommt die Zeit, und macht das Glück zu nichte. Sie ist gewaltig. — Hab’ ich es doch selbst An mir erfahren mannigfalt. Es kommt die Zeit, Und mit ihr das Vergessen. Wie in Nebel, Der sich am Abend von den Wassern löst, Hüllt sich Vergang’nes, daß die müden Augen Nichts mehr erkennen. Gegenwärtiges Drängt sich mit Allgewalt vor unsre Sinne, Und farblos, matt und nichtig wird Entschwund’nes. Die Woge war — die Woge ist nicht mehr, Versunken in das Grab: Vergessenheit. — Einst schien mir jegliches Gefühl gestorben, Da nahtest du dich mir in Lieb und Güte, Und lehrtest mich, daß ich dich lieben mußte, Daß ich mit jeder Faser meines Leibes Mich an dich klammerte, um dich zu halten. — Dann kam der Sturm; verweht ward alles wieder, Dein Lieben starb. — Und wie ein welkes Blatt, Das herbstlich von dem dürren Zweige bricht Und niederflattert zu der nassen Erde, Irrt unsre Freundschaft haltlos in dem Winde. — Nur eine Welle war’s im Lebensmeer, Die schäumend sich am Fels des Todes bricht, Und dann in Nichts zerschellt... Denn tausend Wellen Vernichtend drängen ringsum auf sie ein, Und tilgen ihre Spur für ewig aus. Dein Lieben starb, der Welle gleich im Meer, Im leichten Wind’ zerflatterte die flüchtige... Ist deine Freundschaft stärker vor dem Wind? Frag’ ich zu allen Stunden mich voll Leid’s. — Und sieh: Das ist’s, was mich so traurig macht! — Tief in der Erde Schooß Tief in der Erde Schooß Schlagen wir Kohle los, Fern von der Sonne erquickendem Licht, Ach, wie unendlich lang dauert die Schicht! Tief in der Erde Schooß Elend ist unser Loos. Tief in der Erde Schooß Kauern wir nackt und bloß, Schwingen die Haue, gebadet im Schweiß — Wie ist die Luft doch so dumpfig und heiß! — Tief in der Erde Schooß Trifft uns des Todes Stoß. Tief in der Erde Schooß Gehet das Unrecht bloß, Frißt an des Volkes gesundestem Stamm, Wie an den Stützen des Hauses der Schwamm. Tief in der Erde Schooß Zeigt sich die Habsucht bloß. Tief in der Erde Schooß Dröhnet ein wild Getos: „Lange waren wir hungernde Knechte, Laßt uns erneuern die alten Rechte!“ — Tief in der Erde Schooß Dröhnet ein wild Getos. Und aus der Erde Schooß Steiget ein Riese groß, Über das Unrecht mit wuchtigem Tritt Schreitet zermalmend sein mächtiger Schritt — Tief aus des Volkes Schooß Steiget der Zukunft Loos. Richard Wagner Epigramme Mögt ihn lieben, mögt ihn hassen, Aber müßt ihn gelten lassen. Gott Epigramme Das ist ein König ganz besond’rer Art, Der sich nicht Allen herrlich offenbart, Den erst, mit dialektischen Schlüssen, Seine Unterthanen beweisen müssen. Völkerrecht Epigramme In welchem Recht wird Themis so geehrt, Daß man der Waage achtet ohne Schwert? Vielleicht gilt’s droben, wo die Englein wohnen Im Völkerrecht plaidirt man mit Kanonen. Messias Epigramme Nimmer wird er wiederkommen, Der Messias hoch und rein. Wahrlich, über diese Frommen Möcht’ ich auch nicht Herrgott sein. Impotenz Epigramme Ästhetiker ha’n fein docirt, Was echte Dichter sind. Schön ist die Wiege ausstaffirt, Jetzt fehlt uns nur — das Kind. Den Schulfüchsen Es soll mit der Zeit die Schule gehn, Mit ihr, der vorwärts winkenden, Am Born des Lichtes trinkenden. Sie soll der Zeit die Spule drehn, Der werdenden, nicht der sinkenden. Ein Saatfeld soll sie, breit gepflegt, Für dieser Tage Samen sein, Soll’s in der Zukunft Namen sein. Und daß sie zu Bürgern der Zeit uns prägt, Das soll ihr tägliches Amen! sein. Ihr aber, Kathederzöpfe ihr, Ihr ganz in Scholastik Verlorenen Und drum von der Kirche Erkorenen, Stumpf macht ihr die schärfsten Köpfe schier, Die zu was Besserm geborenen. Die Bibel ist wohl ein gutes Buch, Doch wie sie heute zünftig ist — Wir wollen nicht, daß sie es künftig ist! Zu Einem nur zieht uns des Blutes Zug: Zu glauben, was vernünftig ist. Zu viel ist in Griechisch, Latein geschehn; Gebt uns statt des Todten Lebendiges, Gebt uns Modernes, Verständiges, Und wollt euch endlich eingestehn: Im Leben regiert Notwendiges! Drum thut vor allem die Pfaffen ab Im Lehramt hoch und niederig, Die Pfaffen glatt und widerig! Thut ab, thut die Schlaraffen ab, Die Spinnen tausendgliederig! Ihr seid fürwahr! ein kleinlich Geschlecht, Ihr ewig lateinisch Leimenden, Ihr credo mit cedo Reimenden! Ihr macht die Geister „hübsch reinlich“ zurecht Und mordet den Geist, den keimenden. Der Same, den ihr in die Massen streut, Erzieht uns den kriechenden Kämmerling, Den ganz verkirchlichten Dämmerling! Schon reichen sich auf den Gassen heut Die Hände nur Schwächling und Jämmerling. Und meint ihr, es solle so weiter gehn? Uns lebt ein freiheitforderndes, Ein heißes Jahrhundert, ein loderndes. In Flammen wird bald die Scheiter stehn, Die Faules verzehrt und Moderndes. Nicht steht, was geistig, hienieden still, Und jocht ihr’s mit Priestern und „Gnädigen“, So werden’s die Fäuste erledigen. Und dies soll wer da Frieden will, Auf allen Märkten predigen. Der Wiesenpfad Eine Fabel Der Mond schien trübe — auf Feld und Flur Schlief längst schon alle Creatur. Da sprach zum Eichbaum der Wiesenpfad: „Ich bin ein wichtiger Weg in der That; Von Pfaffenwinkel nach Fürstenhagen Führ’ ich die Leute seit Olimstagen. Ein Schultheiß mich gestiftet hat Und ein wohlweiser Magistrat; Im Stadtbuch steh’ ich registriret; Benamst bin ich, concessioniret; Wegweiser verkünden der Christenheit, Daß laut ehrsamer Obrigkeit Nur die gesetzlichen Wandel führen, Die mich erkiesen und erküren, Und bin ich auch stellenweis holprig und schmal, So bin ich doch sehr legitim und legal, Und schwing’ ich mich auch ein wenig schräge, So bin ich doch immer der Weg der Wege!“ So sprach der Wiesenpfad gemessen; Der Eichbaum aber lauschte indessen Und wiegte nachdenklich seine Blätter Und sprach: „Potztausend, alle Wetter, Es blüht dein Gras, als wär’ es Haber, Doch scheint mir, es hat die Sache ihr Aber. Will man dich verstehn — es ist notorisch — So kann es nur sachlich geschehn und historisch. Drum sag’ ich dir redlich als guter Christ, Wie du vor Zeiten entstanden bist: Vor Zeiten war Einer, der ungebeten Zufällig dich zurecht getreten, Ganz tölpisch und ohne Sinn und Verstand, Just wie er durch Wiesengras und Sand Von Pfaffenwinkel nach Fürstenhagen Gedankenlos sich durchgeschlagen. Und wie nun einmal ist die Welt, Daß gegebenes Ding am besten gefällt, So traten dem Einen die Andern nach Und thun es noch heute — die Welt ist flach. Und hat dich, mein guter Wiesenpfad, Auch registrirt ein hoher Rath, Dein Ruhm ist nur von Zufalls Gnaden — Ein Pfad bist du gleich andern Pfaden.“ Da stäubte der Wiesenweg zornig auf Und stäubte den Staub bis zum Eichbaum hinauf: „Gleich soll dich beißen des Gärtners Säge — Ich bin und bleibe der Weg der Wege.“ Der Eichbaum sagte gar nichts mehr Als: „Gute Nacht! Es schläfert mich sehr.“ Der Mond schien trübe — auf Feld und Flur Schlief längst schon alle Creatur. Sprüche Wer trat in Deutschland die Wahrheit in den Staub? Die Philosophen, mit Verlaub! Wer hat in Deutschland den lieben Gott erschlagen? Die Theologen, um’s kurz zu sagen! *** Verrammelt sitzen sie und breit In ihren dumpfigen Schreiberstuben, Die Väter und die Buben Ich aber rufe: „So seid doch gescheidt! Die Thore auf sperrangelweit! Was nützt euch die Schildwacht vor den Thoren, Wenn innen schon auf den Corridoren Gewappnet schreitet die neue Zeit?“ Eitelkeit Epigramme „Verstand ist selten bei Tenören,“ Kriegt Cantarelli oft zu hören Und stellt sich dümmer als nothwendig, — bloß, Damit man sagt, er sei als Sänger groß. Protection Epigramme Daß man den X, das kleine Licht, So protegirt, mich ärgert’s nicht. Gerechtigkeit! Was die Natur nicht that, Ersetzt dem ärmsten ein Geheimer Rath . Blumen-Mädchen Epigramme Es gibt der Blumen in der Welt, Die welk sind, eh’ sie blühten: Die kleinen Menschenblüthen sind’s, Die zum Verkauf sie bieten. Hans Darm Epigramme Ein Mensch, der nichts als Formen kennt, An Geist und Seele arm, Gleicht einer ausgepreßten Wurst Mit ausgeblas’nem Darm. Dr. Pfiffikus Epigramme Muß über X, der nie mich grüßt, noch heut’ berichten. Wüßt’ ich nur, was ich sagen soll, ihn zu vernichten. Ein Fünkchen seines Geistes, seiner Seele! Und ich beweise, daß ihm beides fehle. Hans Schreier junior Epigramme Papa ist Mime, welcher ihn Im Hamlet-Studium unterweist; Man sieht den Vater, sieht den Sohn, Nur Eines fehlt: der heil’ge Geist. Sarajewo August 1892 Epigramme „Wir bringen die Kultur zu euch!“ Drang man aus Wien in’s Türkenreich: Und überall mit großer Schnelle Erhoben sich im Land Bordelle. Parteiblätter vor den Wahlen Epigramme Die ganzen Jahre haben sie Ihr Amt und ihre Pflicht vergessen, Statt für die Freiheit einzusteh’n, Schlau balancirend „Fest“ gegessen. Doch steh’n die Wahlen vor der Thür’ Sind alle Spalten vollgeschrieben Mit Freiheit, Recht; man prahlt, gelobt: Es wird entsetzlich übertrieben. Der schlechte Mime macht es so! Und stand auch auf der letzten Stufe Sein Spiel, bevor der Aktschluß naht, Brüllt er für drei, daß man ihn rufe. Reclamvirtuosen-Lorbeer Epigramme Ein jedes Blatt hat schweres Geld verzehrt, Der ganze Kranz ist keinen Heller werth. Distanzritt: Berlin — Wien 1892 Epigramme Als Erster an das Ziel gekommen, Das Pferd verendet an dem Tag: Der Reiter hat den Preis bekommen, Der Ritter unterlag. Nur fest die Zähne zusammengebissen Nur fest die Zähne zusammengebissen, Wenn sie uns liebend am Felle gerissen. Wie heißt unser Spruch? Halt aus, halte aus, Nur vorwärts und muthig ins Leben hinaus, Wie oft ward aus Pfeifen und Zischen — Applaus! Wenn sie dich stechen mit spitzigen Zungen — Gehörst zu den Neuen ja und zu den Jungen. Wenn sie entrüstet Front gegen dich machen — Mein Gott, du willst ja ganz neue Sachen. Wenn sie voll Tugendstolz dich verfehmen — Wer wird auf Neulinge Rücksicht nehmen? Wenn sie dir drohen mit Bann und mit Acht — Von jeher hat’s also die Welt gemacht: Wer sie geschoben, und wer sie gerüttelt, Den hat sie zum Dank dafür kräftig geschüttelt. So stecke den Haß und Spott nur ein, Mußt selbst dein Kläger, dein Richter dir sein. Drum ist unser Spruch: Halt aus, halte aus, Nur vorwärts und muthig ins Leben hinaus — Wie oft wird aus Pfeifen und Zischen — Applaus! Wahrheit, Schönheit — Kunst Laut streiten sich um Rang und Art Am Tempelthor die Königinnen, Und unterdessen harrt und harrt Das Hochamt drinnen. Das Ewig-Weibliche Der Mann hat tausend Dinge getrieben; Wir sind seit Eva uns treu geblieben: Wir lieben Adam und lassen uns lieben. Ideale Ehe Sie nimmts mit Schuld und Reue Das heißt: bei Ihm — genau; Dafür liebt Er die Treue — Das heißt: bei seiner Frau . Chinesiches Trinklied Nach Li-tai-po Der Herr Wirth hier — Kinder, der Wirth hat Wein! aber laßt noch, stille noch, schenkt nicht ein, ich muß euch mein Lied vom Kummer erst singen. Wenn der Kummer kommt, wenn die Saiten klagen, wenn die graue Stunde beginnt zu schlagen, wo mein Mund sein Lied und sein Lachen vergißt, dann weiß Keiner, wie mir ums Herz dann ist, dann woll’n wir die Kannen schwingen — die Stunde der Verzweiflung naht. Herr Wirth, dein Keller voll Wein ist dein, meine lange Laute, die ist mein, ich weiß zwei lustige Dinge: zwei Dinge, die sich gut vertragen: Wein trinken und die Laute schlagen! eine Kanne Wein zu ihrer Zeit ist mehr werth als die Ewigkeit und tausend Silberlinge! Die Stunde der Verzweiflung naht. Und wenn der Himmel auch ewig steht und die Erde noch lange nicht untergeht: wie lange, du, wirst du’s machen? du mitsammt deinem Silber-und-Goldklingklange? kaum hundert Jahre — das ist schon lange! Ja: leben und dann mal sterben, wißt, ist Alles, was uns sicher ist; Mensch, ist es nicht zum Lachen?! Die Stunde der Verzweiflung naht. Seht ihr ihn? seht doch, da sitzt er und weint! seht ihr den Affen? da hockt er und greint, im Tamarindenbaum — hört ihr ihn plärren? über den Gräbern, ganz alleine, den armen Affen im Mondenscheine? — Und jetzt, Herr Wirth, die Kanne zum Spund! jetzt ist es Zeit, sie bis zum Grund auf Einen Zug zu leeren — — die Stunde der Verzweiflung naht. Lied der Gehenkten Villon’s Epitaph, als er nebst Etlichen zum Galgen verurtheilt war. O Mensch, o Bruder, machst du hier einst Rast, verhärte nicht dein Herz vor unsrer Pein; denn wenn du Mitleid mit uns Armen hast, wird Gott der Herr dir einst gewogen sein. Hier hängen wir, so stücker acht auch neun; ach, unser Fleisch, einst unser liebst Ergetzen, jetzt ist es längst verfault und hängt in Fetzen, sammt unsern Knochen fast zu Staub zerfallen. Doch wolle Keiner seinen Witz dran wetzen — nein: bittet Gott, daß er verzeih’ uns Allen! Mißachte, Bruder, nicht dies unser Flehn; du weißt ja, der du unser Bruder bist, obgleich uns nach Gesetz und Recht geschehn, daß nicht ein jeder Mensch vernünftig ist. Verwende dich von Herzen als ein Christ beim Sohn der Jungfrau, daß er seine Gnade, da wir nun tot sind, auch auf uns entlade und uns behüte vor des Satans Krallen; die Seele, Bruder, stirbt nicht mit am Rade — ja: bittet Gott, daß er verzeih’ uns Allen! Sturzregen haben unsern Leib zerspült, die Sonne uns geschwärzt und ausgedörrt, Kräh’n, Raben uns die Augen ausgewühlt, uns Bart und Brauen aus der Haut gezerrt. Niemals, kein Stündchen Ruh’ am warmen Herd; nur wipp und wapp, und immer wippwapp wieder, umschwärmt von Kräh’n, die Winde um die Glieder, zerhackt, zerlöcherter als Hosenschnallen! Ja: vor Uns Brüdern seid ihr sicher, Brüder; doch — bittet Gott, daß er verzeih’ uns Allen! Wiedergeburt Nach Paul Verlaine Da kam ein stiller Reiter geritten durch den Hain, der stach mit seiner Lanze in mein alt Herz hinein. Mein alt Herz gab nur einen, einen Tropfen Blut; der ist auf den Blumen vertrocknet in der Sonnenglut. Mein Auge losch in Schatten, ein Schrei ging aus mir aus, und mein alt Herz ist storben in einem wilden Graus. Dann hat der Reiter SCHICKSAL, sein Pferd herangeführet und ist zur Erde stiegen sacht und hat mich angerühret. Seine Handschuhhand von Eisen griff in meine Wunde, indeß er seinen Wahlspruch sprach mit seinem harten Munde. Und als mich also eisig ergriff die Hand von Eisen, ward mir ein neues Herz geborn, deß will ich beten und preisen; ward mir ein neues Herz geborn, das schlug so jung, das schlug so gut, und heller Gluthen trunken genas mein Blut. Da stieg der liebe Reiter wieder auf sein Thier und ritt davon und drohend hob er sein roth Panier, sein schwarzer Helmbusch nickte, ER aber sprach: „Sei weise, Sohn — dein Gram ist deine Schmach!“ Amor und Schädel Nach Charles Baudelaire (Nach einem alten Deckenzierath) Zum Thron hat sich Amor den Schädel der Menschen bestellt Und spottet mit schamlosem Lächeln nun Gott und der Welt! ... Behaglich hauchet er Blasen zum Himmel empor, Sie steigen — als suchten zum Ziel sie der Sterne Chor. Das schimmernde zarte Gebilde den Äther gewinnt, Es platzt — und ein Lichttraum — die Seele zu nichts zerrinnt. Ich höre des Schädels Geseufze, und flehenden Schrei „Dies Spiel, das so grimmig und thöricht — Wann ist es vorbei? Denn was in die Lüfte du schleuderst mit schamlosem Muth — Du mörderisch Scheusal — mein Hirn ists, — mein Fleisch und mein Blut.“ Parodie (Aus „Dernières Fêtes“ ) Deine Augen, deine lieben blauen Augen, draus naiven Goldes Sternenblicke leuchten, deine Augen, voll so tiefen, klaren Glanzes, drinnen dennoch — flüchtig und verstohlen — mitten unter den frommen Mädchengedanken deines ruhig schlagenden jungen Herzens — plötzlich ein boshaftes Irrlicht flackernd aufspringt... deine Augen rufen mir in das Gedächtnis eine Procession zurück von Kindern und Jungfraun, die durch gelbe, glühend heiße Felder zog, als die Sonne freudig auf sie niederlachte... Zitternd, mit des jungen Rehwilds scheuen Augen, schweigend, unterm Schnee der weißen Spitzen ziehn sie langsam wie ein Mousseline-Nebel über die rosig silbern leuchtende Straße — und wie im Traum singen sie Ave Maria ... Aber sie sehn nicht, diese Kinder und Jungfraun, daß ein frisirtes Äffchen, ein Nüsseknacker, ausstaffirt mit Meßhemd und mit Stola hinter ihnen her mit tückischen Blicken springt und auf die heiligen Kerzen pustet, während es zierlich die reiche Robe vom Boden aufhebt. Im Spiegel Aus „Pierrot lunaire“ Eine silberklare Mondessichel hoch im Blau des heitren Abendhimmels, blinkt ins Boudoir des Colombinchens durch die Flügelthüren der Veranda. Gegenüber in dem Riesenspiegel malt sich wie das Sinnbild frohen Friedens — eine silberklare Mondessichel hoch im Blau des heitren Abendhimmels. Vor dem Spiegel steht Pierrot, der Eitle, stolz auf seine schlanken, weißen Glieder... Plötzlich lacht er hell —: auf seinem Haupte glänzt als Diadem, brillantenfunkelnd — eine silberklare Mondessichel. Valse de Chopin Aus „Pierrot lunaire“ Wie ein blasser Tropfen Bluts färbt die Lippen einer Kranken, also ruht auf diesen Tönen ein vernichtungssüchtger Reiz. Wilder Lust Accorde stören Der Verzweiflung eisgen Traum — Wie ein blasser Tropfen Bluts färbt die Lippen einer Kranken. Heiß und jauchzend — süß und schmachtend, melancholisch düstrer Walzer, kommst mir nimmer aus den Sinnen haftest mir an den Gedanken wie ein blasser Tropfen Bluts. Der kranke Mond Aus „Pierrot lunaire“ Du nächtig todeskranker Mond dort auf des Himmels schwarzem Pfühl, Dein Blick, so fiebernd übergroß, bannt mich wie fremde Melodie. An unstillbarem Liebesleid stirbst du, an Sehnsucht, tief erstickt. Du nächtig todeskranker Mond dort auf des Himmels schwarzem Pfühl. — Den Liebsten, der, im Sinnenrausch gedankenlos, zur Liebsten schleicht, belustigt deiner Strahlen Spiel — dein bleiches, qualgebornes Blut, du nächtig todeskranker Mond. Bürden Nach Ch. A. Swinburne Die Bürde schöner Weiber. Sinnentrug Und Liebe, die sich lachend elend macht, Und häuptlings der unwandelbare Flug Der Jahre, schattenähnlich sacht; Und eingefallne Wangen über Nacht, Und Gram, der hält, was Freude einst verhieß, Und Müdigkeit, die für ein Kaufgeld wacht — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies. Die Bürde feiler Küsse. O wie schwer! Ein wehevolles Kreißen ohne Frucht; Von Mitternacht zu Morgengraun Begehr, Vom Morgengraun zum Abend neue Sucht; Und zwischenein die angstgejagte Flucht Vor deiner eignen Seelenfinsterniß, Und Liebe dir verekelt und verrucht — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies. Die Bürde falscher Reden. O, du wirbst Umsonst um Menschengunst; sie spotten dein. Noch trinken sie dir zu; aber du stirbst, Wehe, du stirbst, und da — bist du allein. Allein! wie Erde wird dein Antlitz sein. Wie Seeschlamm, den die Flut ans Ufer stieß. Allein! und was Gestalt war, wird Gebein — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies. Die Bürde langen Lebens. Dir wird bang Des Nachts in deinem Bett, du athmest schwer. Du stöhnst der Nacht entgegen: O wie lang! Und sprichst zum Morgen: Daß doch Abend wär! Und keine Liebesfessel hält dich mehr, Das Band, das dich ans Leben knüpfte, riß, Und blind geschlagen tastest du umher — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies. Die Bürde eitlen Glanzes. Alles bleicht, Das Gold wird trüb, des Sommers Grün verdorrt, Und aller Zauber, der dich blendet, weicht, Dein eigner Blick wird unstät und umflort; Und alle, die dich lieben, gehen fort, Und jener Mund, der einst vielleicht dich pries, Der sagt dir heut ein unbarmherzig Wort — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies. Die Bürde der Erinnerung. Dermaleinst, Wenn deines Daseins Wehe dich erfaßt, Wenn du um alle deine Schmerzen weinst, Um alles, was du je besessen hast: Da siehst du deutlich, was du ehmals sahst, Jedwede Hoffnung, die sich falsch erwies, Wie man dich liebte, wie man dich gehaßt — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies. Die Bürde von Gestorbnen. Fernab, weh. Wo Licht und Dunkel ineinanderrinnt, Wo keine Saat und keine Ernte je Und grauenvoll die bleichen Tage sind, Wo seinen schwarzen Flor das Schicksal spinnt, Wo Alles Grauen, Nacht und Finsterniß: Da wandeln sie verschleiert, stumm und blind — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies. Die Bürde vieler Freude. Morgen, glaub, Erlischt der Freudenbrand, der heute loht; Die Stunden streu’n zu deinen Füßen Staub, Beißende Sturmwuth dir zu Häupten droht, Und fahl wie Asche wird das glühende Roth, Zu Lüge wandelt sich, was Wahrheit hieß, Und wo sonst Tag war, da kommt Nacht und Tod — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies. Ihr Alle noch vom Hauch der Luft geschwellt, Trunken vom Wein des Lebens, der euch süß: Bedenkt, bedenkt, der dunkle Vorhang fällt — Dies ist das Ende, weh, das Ende dies.