Nachtraͤge zu Heine's Reisebildern . Bei Hoffmann und Campe in Hamburg sind erschienen und durch alle Buchhandlungen zu bekommen: Almanach dramatischer Spiele von A. von Kotzebue, fortges. von Carl Lebruͤn, fuͤr das J. 1827, 1828, 1829, 1830 und 1831. à 1 Rthlr. 16 Gr. Boͤrne , L., gesammelte Schriften. 8. 8 Theile 5 Rthlr. Heine , H., Buch der Lieder, 8. 1 Thlr. Auf fein Velinpp. 1 Rthlr. 12 Gr. — — Reisebilder. 3 Theile. 8. 5 Rthlr. 8 Gr. Velinpp. 6 Rthlr. Immermann , C., das Trauersp. in Tyrol. Dra¬ mat. Gedicht 8. 20 Gr. Auf fein Velinpp. 1 Rthlr. 6 Gr. — — die Verkleidungen. Lustsp. 8. 20 Gr. — — Kaiser Friedrich II . Trauersp. 8. 1 Rthlr. — — der in der Metrik herumtaumelnde Cavalier. 8. 4 Gr. Ironie des Lebens in zwanglosen Heften von zwanglo¬ sen Leuten. Erster Theil. 1 Rthlr. 16 Gr. Ismar . F., Don Pedro. Trauersp. 8. 1 Rthlr. Maltiz , Freihr. G. A. v., der alte Student. Schau¬ spiel. 8. 12 Gr. Pustkuchen , D . F., Maria, oder die Froͤmmigkeit des Weibes. 8. 1 Rthlr. Auf fein Velinpp. 1 Rthlr. 8 Gr. Raupach , D . E., Laßt die Todten ruhen! Lustsp. 8. 20 Gr. Velinpp. 1 Rthlr. 4 Gr. — — Kritik und Antikritik. Lustsp. 8. 1 Rthlr. — — die Bekehrten. Lustspiel. 8. 20 Gr. Auf fein Velinpp. 1 Rthlr. 4 Gr. — — Rafaele. Trauersp. 8. 1 Rthlr. Zimmermann , Prof. F. G., neue dramaturgische Blaͤtter. 2 Theile. gr. 8. 4 Rthlr. Nachtraͤge zu den Reisebildern von H. Heine . Hamburg , 1831 . Bey Hoffmann und Campe . Vorwort . „ D ie Stadt Lukka,“ die sich unmittelbar den „Baͤdern von Lukka“ anschließt, und auch gleich¬ zeitig geschrieben worden, gebe ich hier keineswegs als ein Einzelbild, sondern als den Abschluß einer Lebensperiode, der zugleich mit dem Abschluß einer Weltperiode zusammentrifft. Die Englischen Frag¬ mente, die ich hinzufuͤge, sind zum Theil vor zwey Jahren fuͤr die „allgemeinen politischen Annalen,“ die ich damals mit Lindner herausgab, nach Zeit¬ beduͤrfnissen geschrieben worden, und ihre Nuͤtzlich¬ keit beachtend, habe ich sie jetzt den Reisebildern, als Ergaͤnzung einverleibt. Fuͤr den Besitzer der ersten Auflage bildet daher dieses Buch vielleicht einen willkommenen Nachtrag. Daß ich die Correktur des Drucks nicht selbst besorge und alle Mißgeschicklichkeiten, die dadurch entstehen koͤnnten, nicht vertreten moͤchte, bemerke ich zu besonderer Erwaͤgung. Ich wuͤnsche, daß der geneigte Leser den Zweck der Mittheilung bey den Englischen Fragmenten nicht verkennen moͤge. Vielleicht liefere ich, in zeitgemaͤßer Folge, noch einige Kunden dieser Art. Unsere Literatur ist nicht allzureichlich damit verse¬ hen. Obgleich England von deutschen Novellen¬ dichtern oft geschildert wird, so ist doch Willibald Alexis der einzige, der die dortigen Lokalitaͤten und Costume mit treuen Farben und Umrissen zu ge¬ ben wußte. Ich glaube er ist nicht einmal im Lande selbst gewesen, und er kennt dessen Physio¬ nomie nur durch jene wundersame Intuizion, die einem Poeten die Anschauung der Wirklichkeit ent¬ behrlich macht. So schrieb ich selbst vor elf Jah¬ ren den „William Ratcliff,“ worauf ich hier um so mehr zuruͤckweisen moͤchte, da nicht bloß eine treue Schilderung Englands, sondern auch die Keime meiner spaͤtern Betrachtungen uͤber dieses Land, das ich damals noch nie gesehen, darinn enthalten sind. Das Stuͤck findet sich in den „Tragoͤdien, nebst einem lyrischen Intermezzo, von H. Heine. Berlin 1823, bey F. Duͤmm¬ ler.“ Was Reisebeschreibung betrifft, so giebt es au¬ ßer Archenholz und Goͤde, gewiß kein Buch uͤber England, das uns die dortigen Zustaͤnde besser ver¬ anschaulichen koͤnnte, als die, dieses Jahr, bey Franckh in Muͤnchen erschienenen „Briefe eines Verstorbenen. Ein fragmenta¬ risches Tagebuch aus England, Wales, Ir¬ land und Frankreich, geschrieben in den Jah¬ ren 1828 und 1829.“ Es ist dieses noch in mancher anderen Hinsicht ein vortreffliches Buch, und verdient in vollem Maße das Lob, das ihm Goͤthe und Varnhagen v. Ense, in den berliner Jahrbuͤchern fuͤr wissen¬ schaftliche Critik, gespendet haben. — Hamburg, den 15. November 1830. Heinrich Heine . (Italien.) III . Die Stadt Lukka. 1 Lachen muß ich immer uͤber die Englaͤnder, die diesen ihren zweiten Dichter (denn nach Shakespear gebuͤhrt Byron die Palme) so jaͤmmerlich spießbuͤrgerlich beurtheilen, weil er ihre Pedanterie verspottete, sich ihren Kraͤhwinkelsitten nicht fuͤgen, ihren kalten Glauben nicht theilen wollte, ihre Nuͤchternheit ihm ekelhaft war, und er sich uͤber ihren Hoch¬ muth und ihre Heucheley beklagte. Viele machen schon ein Kreuz, wenn sie nur von ihm sprechen, und selbst die Frauen, obgleich ihre Wangen von Enthusiasmus gluͤhen, wenn sie ihn lesen, nehmen oͤffentlich heftig Partey gegen den heimlichen Liebling — Briefe eines Verstorbenen. Ein fragmentarisches Tagebuch aus England. Muͤnchen 1830. Capitel I . D ie umgebende Natur wirkt auf den Menschen — warum nicht auch der Mensch auf die Natur, die ihn umgiebt? In Italien ist sie leidenschaftlich wie das Volk, das dort lebt; bei uns in Deutsch¬ land ist sie ernster, sinniger und geduldiger. Hatte einst wie die Menschen auch die Natur mehr in¬ neres Leben? Die Gemuͤthskraft eines Orpheus, sagt man, konnte Baͤume und Steine nach begei¬ sterten Rythmen bewegen. Koͤnnte noch jetzt der¬ gleichen geschehen? Menschen und Natur sind pflegmatisch geworden und gaͤhnen sich einander an. Ein koͤnigl. Preuß. Poet wird nimmermehr, mit 1 * den Klaͤngen seiner Leyer, den Templower Berg oder die Berliner Linden zum Tanzen bringen koͤnnen. Auch die Natur hat ihre Geschichte und das ist eine andere Naturgeschichte als wie die, welche in Schulen gelehrt wird. Irgend eine von jenen grauen Eydechsen, die schon seit Jahrtausenden in den Felsenspalten des Apennins leben, sollte man als ganz außerordentliche Professorinn bey einer unserer Universitaͤten anstellen, und man wuͤrde ganz außerordentliche Dinge zu hoͤren bekommen. Aber der Stolz einiger Herren von der juristischen Fakultaͤt wuͤrde sich gegen eine solche Anstellung auflehnen. Hegt doch einer von ihnen schon jetzt eine geheime Eifersucht gegen den armen Fido Sa¬ vant, fuͤrchtend daß dieser ihn einst im gelehrten Apportiren ersetzen koͤnnte. Die Eydechsen mit ihren klugen Schwaͤnzchen und spitzfuͤndigen Aeuglein, haben mir wunderbare Dinge erzaͤhlt, wenn ich einsam zwischen den Fel¬ sen der Apenninen umherkletterte. Wahrlich, es giebt Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht bloß unsere Philosophen, sondern sogar die gewoͤhn¬ lichsten Dummkoͤpfe nicht begreifen. Die Eydechsen haben mir erzaͤhlt, es gehe eine Sage unter den Steinen, daß Gott einst Stein werden wolle, um sie aus ihrer Starrheit zu erloͤsen. Eine alte Eydechse meinte aber, diese Steinwerdung wuͤrde nur dann statt finden, wenn Gott bereits in alle Thier- und Pflanzenarten sich verwandelt und sie erloͤst habe. Nur wenige Steine haben Gefuͤhl, und nur im Mondschein athmen sie. Aber diese wenige Steine, die ihren Zustand fuͤhlen, sind schrecklich elend. Die Baͤume sind viel besser daran, sie koͤnnen weinen. Die Thiere aber sind am meisten beguͤnstigt, denn sie koͤnnen sprechen, jedes nach seiner Art und die Menschen am besten. Einst, wenn die ganze Welt erloͤst ist, werden alle ande¬ ren Erschaffnisse ebenfalls sprechen koͤnnen, wie in jenen uralten Zeiten, wovon die Dichter singen. Die Eydechsen sind ein ironisches Geschlecht, und bethoͤren gern die anderen Thiere. Aber sie waren gegen mich so demuͤthig, sie seufzten so ehrlich, sie erzaͤhlten mir Geschichten von Atlantis, die ich naͤchstens aufschreiben will, zu Nutz und Frommen der Welt. Es ward mir so innig zu Muthe bey den kleinen Wesen, die gleichsam die geheimen Annalen der Natur aufbewahren. Sind es etwa verzauberte Priesterfamilien, gleich denen des alten Egyptens, die ebenfalls naturbelauschend in labyrinthischen Felsengrotten wohnten? Auf ihren Koͤpfchen, Leibchen und Schwaͤnzchen bluͤhen so wunderbare Zeichenbilder, wie auf egyptischen Hieroglyphenmuͤtzen und Hierophantenroͤcken. Meine kleinen Freunde haben mich auch eine Zeichensprache gelehrt, vermittelst welcher ich mit der stummen Natur zu sprechen vermag. Dieses erleichtert mir oft die Seele, besonders gegen Abend, wenn die Berge in schaurig suͤßen Schatten gehuͤllt stehen, und die Wasserfaͤlle rauschen, und alle Pflanzen duften, und hastige Blitze hin und her zucken. — O Natur! du stumme Jungfrau! wohl ver¬ stehe ich dein Wetterleuchten, den vergeblichen Re¬ deversuch, der uͤber dein schoͤnes Antlitz dahinzuckt, und du dauerst mich fo tief, daß ich weine. Aber alsdann verstehst du auch mich, und du heiterst dich auf, und lachst mich an aus goldnen Augen. Schoͤne Jungfrau, ich verstehe deine Sterne und du verstehst meine Thraͤnen! Capitel II . Nichts in der Welt will ruͤckwaͤrts gehen, sagte mir ein alter Eydechs, Alles strebt vorwaͤrts, und am Ende wird ein großes Naturavanzement statt¬ finden. Die Steine werden Pflanzen, die Pflan¬ zen werden Thiere, die Thiere werden Menschen und die Menschen werden Goͤtter werden. Aber, rief ich, was soll denn aus diesen guten Leuten aus den armen alten Goͤttern werden? Das wird sich finden, lieber Freund, antwor¬ tete jener; wahrscheinlich danken sie ab, oder wer¬ den auf irgend eine ehrende Art in den Ruhestand versetzt. Ich habe von meinem hieroglyphenhaͤutigen Naturphilosophen noch manches andre Geheimniß erfahren; aber ich gab mein Ehrenwort, nichts zu enthuͤllen. Ich weiß jetzt mehr als Schelling und Hegel. Was halten Sie von diesen beiden? frug mich der alte Eydechs mit einem hoͤhnischen Laͤcheln, als ich mal diese Namen gegen ihn erwaͤhnte. Wenn man bedenkt, antwortete ich, daß sie bloß Menschen und keine Eydechsen sind, so muß man uͤber das Wissen dieser Leute sehr erstaunen. Im Grunde lehren sie eine und dieselbe Lehre, die Ihnen wohlbekannte Identitaͤtsphilosophie, nur in der Darstellungsart unterscheiden sie sich. Wenn Hegel die Grundsaͤtze seiner Philosophie aufstellt, so glaubt man jene huͤbschen Figuren zu sehen, die ein geschickter Schulmeister, durch eine kuͤnst¬ liche Zusammenstellung von allerley Zahlen, zu bilden weiß, dergestalt, daß ein gewoͤhnlicher Be¬ schauer nur das Oberflaͤchliche, nur das Haͤuschen oder Schiffchen oder absolute Soldaͤtchen sieht, das aus jenen Zahlen formirt ist, waͤhrend ein den¬ kender Schulknabe in der Figur selbst vielmehr die Aufloͤsung eines tiefen Rechenexempels erkennen kann. Die Darstellungen Schellings gleichen mehr jenen indischen Thierbildern, die aus allerley ande¬ ren Thieren, Schlangen, Voͤgeln, Elephanten und dergleichen lebendigen Ingredienzen, durch aben¬ theuerliche Verschlingungen, zusammengesetzt sind. Diese Darstellungsart ist viel anmuthiger, heiterer, pulsirend waͤrmer, alles darinn lebt, statt daß die abstrakt hegelschen Chiffern uns so grau, so kalt und todt anstarren. Gut, gut, erwiederte der alte Eydechserich, ich merke schon was Sie meinen; aber sagen Sie mir, haben diese Philosophen viele Zuhoͤrer? Ich schilderte ihm nun, wie in der gelehrten Caravanserai zu Berlin die Kameele sich sammeln um den Brunnen hegelscher Weißheit, davor nie¬ derknien, sich die kostbaren Schlaͤuche aufladen lassen, und damit weiter ziehen durch die Maͤrksche Sandwuͤste. Ich schilderte ihm ferner, wie die neuen Athener um den Springquell des schelling¬ schen Geistestranks sich draͤngen, als waͤr es das beste Bier, Breyhahn des Lebens, Gesoͤffe der Unsterblichkeit. — Den kleinen Naturphilosophen uͤberlief der gelbe Neid, als er hoͤrte, daß seine Collegen sich so großen Zuspruchs erfreuen, und aͤrgerlich frug er: welchen von beiden halten Sie fuͤr den groͤßten? Das kann ich nicht entscheiden, gab ich zur Ant¬ wort, eben so wenig wie ich entscheiden koͤnnte, ob die Schechner groͤßer sey als die Sonntag, und ich denke — Denke! rief der Eydechs mit einem schar¬ fen, vornehmen Tone der tiefsten Geringschaͤtzung, denken! wer von Euch denkt? Mein weiser Herr, schon an die dreytausend Jahre mache ich Untersuchungen uͤber die geistigen Funkzionen der Thiere, ich habe besonders Menschen, Affen und Schlangen zum Gegenstand meines Studiums ge¬ macht, ich habe so viel Fleiß auf diese seltsamen Geschoͤpfe verwendet, wie Lyonnet auf seine Wei¬ denraupen, und als Resultat aller meiner Beob¬ achtungen, Experimente und anatomischen Verglei¬ chungen, kann ich Ihnen bestimmt versichern: kein Mensch denkt, es faͤllt nur dann und wann den Menschen etwas ein, solche ganz unverschuldete Einfaͤlle nennen sie Gedanken, und das Aneinan¬ derreihen derselben nennen sie Denken. Aber in meinem Namen koͤnnen Sie es wiedersagen: kein Mensch denkt, kein Philosoph denkt, weder Schel¬ ling noch Hegel denkt, und was gar ihre Philo¬ sophie betrifft, so ist sie eitel Luft und Wasser, wie die Wolken des Himmels; ich habe schon un¬ zaͤhlige solcher Wolken, stolz und sicher, uͤber mich hin ziehen sehen, und die naͤchste Morgensonne hat sie aufgeloͤst in ihr urspruͤngliches Nichts; — es giebt nur eine einzige wahre Philosophie, und diese steht, in ewigen Hieroglyphen, auf meinem eigenen Schwanze. Bei diesen Worten, die mit einem dedaignan¬ ten Pathos gesprochen wurden, drehte mir der alte Eydechs den Ruͤcken, und indem er langsam fortschwaͤnzelte, sah ich darauf die wunderlichsten Charaktere, die sich in bunter Bedeutsamkeit bis uͤber den ganzen Schwanz hinabzogen. Capitel III . Auf dem Wege zwischen den Baͤdern von Lukka und der Stadt dieses Namens, unweit von dem großen Kastanienbaume, dessen wildgruͤne Zweige den Bach uͤberschatten, und in Gegenwart eines alten, weißbaͤrtigen Ziegenbocks, der dort einsiedlerisch weidete, wurde das Gespraͤch gefuͤhrt, das ich im vorigen Capitel mitgetheilt habe. Ich ging nach der Stadt Lukka, um Franscheska und Mathilde zu suchen, die ich unserer Verabredung gemaͤß, schon vor acht Tagen dort treffen sollte. Ich war aber, zur bestimmten Zeit, vergebens hin¬ gereist, und ich hatte mich jetzt zum zweitenmahle auf den Weg gemacht. Ich ging zu Fuße, laͤngs den schoͤnen Bergen und Baumgruppen, wo die goldnen Orangen, wie Sterne des Tages, aus dem dunklen Gruͤn hervorleuchteten, und Guirlanden von Weinreben, in festlichen Windungen, sich mei¬ lenweit hinzogen. Das ganze Land ist dort so gartenhaft und geschmuͤckt, wie bei uns die laͤnd¬ lichen Scenen, die auf dem Theater dargestellt werden; auch die Landleute selbst gleichen jenen bunten Gestalten, die uns dann als singende, laͤchelnde und tanzende Staffage ergoͤtzen. Nir¬ gends Philistergesichter. Und gibt es hier auch Philister, so sind es doch italienische Orangenphi¬ lister und keine plump deutschen Kartoffelphilister. Pitoresk und idealisch wie das Land sind auch die Leute, und dabey traͤgt jeder Mann einen so indi¬ viduellen Ausdruck im Gesicht, und weiß in Stel¬ lung, Faltenwurf des Mantels, und noͤthigenfalls in Handhabung des Messers, seine Persoͤnlichkeit geltend zu machen. Dagegen bey uns zu Lande lauter Menschen mit allgemeinen, gleichfoͤrmlichen Phisionomien; wenn ihrer zwoͤlf beysammen sind bilden sie ein Dutzend, und wenn einer sie dann angreift rufen sie die Polizey. Auffallend war mir, im Lukkesischen, wie im groͤßten Theile Toskanas, tragen die Frauenzimmer große schwarze Filzhuͤte mit herabwallend schwarzen Straußfedern; sogar die Strohflechterinnen tragen dergleichen schwere Hauptbedeckung. Die Maͤnner hingegen tragen meistens einen leichten Strohhut, und junge Burschen erhalten solchen zum Geschenk von einem Maͤdchen, das ihn selbst verfertigt, ihre Liebesgedanken und vielleicht auch manchen Seufzer hineingeflochten. So saß einst Fran¬ scheska unter den Maͤdchen und Blumen des Ar¬ nothals, und flocht einen Hut, fuͤr ihren caro Cecco , und kuͤßte jeden Strohhalm, den sie dazu nahm, und trillerte ihr huͤbsches Occhie, Stelle mortale ; — das lockigte Haupt, das den huͤb¬ schen Hut nachher so huͤbsch trug, hat jetzt eine Tonsur, und der Hut selbst haͤngt, alt und ab¬ genutzt, im Winkel eines truͤben Abbatestuͤbchens zu Bologna. Ich gehoͤre zu den Leuten, die immer gern einen kuͤrzeren Weg nehmen, als die Landstraße bietet, und denen es alsdann wohl begegnet, daß sie sich auf engen Holz- und Felsenpfaden verirren. Das geschah auch hier, und ich habe, zu meiner Reise nach Lukka, gewiß doppelt so viel Zeit ge¬ braucht als gewoͤhnliche Landstraßmenschen. Ein Sperling, den ich um den Weg frug, zwitscherte und zwitscherte, und konnte mir doch keinen rechten Bescheid geben. Vielleicht auch wußte er ihn selbst nicht. Den Schmetterlingen und Libellen, die auf großen Glockenblumen saßen, konnte ich kein Wort abgewinnen; sie waren schon davon geflattert, ehe sie noch meine Fragen vernommen, und die Blu¬ men schuͤttelten ihre tonlosen Glockenhaͤupter. Manch¬ mal weckten mich die wilden Myrten, die, mit fei¬ nen Stimmchen, aus der Ferne kicherten. Hastig erklomm ich dann die hoͤchsten Felsenspitzen, und 2 rief: Ihr Wolken des Himmels! Segler der Luͤfte! sagt mir, wo geht der Weg nach Fran¬ scheska? Ist sie in Lukka? Sagt mir was thut sie? was tanzt sie? Sagt mir alles, und wenn Ihr mir alles gesagt habt, so sagt es mir noch¬ mals! Bey solcher Ueberfuͤlle von Thorheit konnte es wohl geschehen, daß ein ernster Adler, den mein Ruf aus seinen einsamen Traͤumen aufgestoͤrt, mich mit geringschaͤtzendem Unmuthe ansah. Aber ich verzieh's ihm gerne; denn er hatte niemals Fran¬ scheska gesehen, und daher konnte er noch immer so erhabenmuͤthig auf seinem festen Felsen sitzen, und so seelenfrey zum Himmel emporstarren, oder so impertinent ruhig auf mich herabglotzen. So ein Adler hat einen unertraͤglich stolzen Blick, und sieht einen an, als wollte er sagen: Was bist du fuͤr ein Vogel? Weißt du wohl, daß ich noch immer ein Koͤnig bin, eben so gut wie in jenen Heldenzeiten, als ich Jupiters Blitze trug und Napoleons Fahnen schmuͤckte? Bist du etwa ein gelehrter Papagoy, der die alten Lieder auswendig gelernt hat und pedantisch nachplappert? Oder eine vermuͤffte Turteltaube, die schoͤn fuͤhlt und miserabel gurrt? Oder eine Almanachsnachtigall? Oder ein abgestandener Gaͤnserich, dessen Vorfah¬ ren das Capitol gerettet? Oder gar ein serviler Haushahn, dem man, aus Ironie, das Emblem des kuͤhnen Fliegens, naͤmlich mein Miniaturbild, um den Hals gehaͤngt hat, und der sich deßhalb so maͤchtig spreitzt, als waͤre er nun selbst ein Ad¬ ler? Du weißt, lieber Leser, wie wenig Ursache ich habe, mich beleidigt zu fuͤhlen, wenn ein Adler dergleichen von mir dachte. Ich glaube, der Blick, den ich ihm zuruͤckwarf, war noch stolzer als der seinige, und wenn er sich bey dem ersten besten Lorbeerbaume erkundigt hat, so weiß er jetzt, wer ich bin. Ich war wirklich im Gebirge verirrt, als schon die Daͤmmerung hereinbrach, und die bunten 2 * Waldlieder allmaͤlig verstummten und die Baͤume immer ernsthafter rauschten. Eine erhabene Heim¬ lichkeit und innige Feyer zog, wie der Odem Got¬ tes, durch die verklaͤrte Stille. Hie und da, aus dem Boden, blickte ein schoͤnes dunkles Auge zu mir herauf, und verschwand im selben Augenblick. Zaͤrtliches Fluͤstern taͤndelte mir ums Herz, und unsichtbare Kuͤsse beruͤhrten luftig meine Wangen. Das Abendroth umhuͤllte die Berge wie mit Pur¬ purmaͤnteln, und die letzten Sonnenstralen beleuch¬ teten ihre Gipfel, daß es aussah, als waͤren sie Koͤnige mit goldenen Kronen auf den Haͤuptern. Ich aber stand, wie ein Kaiser der Welt, in der Mitte dieser gekroͤnten Vasallen, die schweigend mir huldigten. Capitel IV . Ich weiß nicht, ob der Moͤnch, der mir unfern Lukka begegnete, ein frommer Mann ist. Aber ich weiß, sein alter Leib steckt arm und nackt in einer groben Kutte, jahraus jahrein; die zerrissenen San¬ dalen koͤnnen seine bloßen Fuͤße nicht genug schuͤ¬ tzen, wenn er, durch Dorn und Gestrippe, die Felsen hinauf klimmt, um droben, in den Berg¬ doͤrfern, Kranke zu troͤsten oder Kinder beten zu lehren; — und er ist zufrieden, wenn man ihm dafuͤr ein Stuͤckchen Brod in den Sack steckt, und ihm ein Bischen Stroh gibt, um darauf zu schlafen. „Gegen den Mann will ich nicht schreiben,“ sprach ich zu mir selbst. „Wenn ich wieder zu Hause in Deutschland, auf meinem Lehnsessel, am knisternden Oefchen, bei einer behaglichen Tasse Thee, wohlgenaͤhrt und warm sitze, und gegen die katholischen Pfaffen schreibe — gegen den Mann will ich nicht schreiben.“ — Um gegen die katholischen Pfaffen zu schrei¬ ben, muß man auch ihre Gesichter kennen. Die Originalgesichter sieht man aber nur in Italien. Die deutschen katholischen Priester und Moͤnche sind bloß schlechte Nachahmungen, oft sogar Paro¬ dien der italienischen; eine Vergleichung derselben wuͤrde eben so ausfallen, als wenn man roͤmische oder florentinische Heiligenbilder vergleichen wollte mit jenen heuschrecklichen, frommen Fratzen, die etwa dem spießbuͤrgerlichen Pinsel eines nuͤrrenber¬ ger Stadtmalers, oder gar der lieben Einfalt eines Gemuͤthsbeflissenen aus der langhaarig kristlich neudeutschen Schule, ihr trauriges Daseyn ver¬ danken. Die Pfaffen in Italien haben sich schon laͤngst mit der oͤffentlichen Meinung abgefunden, das Volk dort ist laͤngst daran gewoͤhnt, die geistliche Wuͤrde von der unwuͤrdigen Person zu unterscheiden, jene zu ehren, wenn auch diese veraͤchtlich ist. Eben der Contrast, den die idealen Pflichten und An¬ spruͤche des geistlichen Standes und die unabweis¬ lichen Beduͤrfnisse der sinnlichen Natur bilden muͤs¬ sen, jener uralte, ewige Conflikt zwischen dem Geiste und der Materie, macht die italienischen Pfaffen zu stehenden Charakteren des Volks-Hu¬ mors, in Satyren, Liedern und Novellen. Aehn¬ liche Erscheinungen zeigen sich uns uͤberall, wo ein aͤhnlicher Priesterstand vorhanden ist, z. B. in Hindostan. In den Komoͤdien dieses urfrommen Landes, wie wir schon in der Sakontala bemerkt und in der neulich uͤbersetzten Vasantasena bestaͤ¬ tigt finden, spielt immer ein Bramine die komische Rolle, so zu sagen den Priestergrazioso, ohne daß dadurch die Ehrfurcht, die man seinen Opferver¬ richtungen und seiner privilegirten Heiligkeit schul¬ dig ist, im mindesten beeintraͤchtigt wird, — eben so wenig wie ein Italiener mit minderer Andacht bey einem Priester Messe hoͤrt oder beichtet, den er noch Tags zuvor betrunken im Straßenkothe gefunden hat. In Deutschland ist das anders, der katholische Priester will da nicht bloß seine Wuͤrde durch sein Amt, sondern auch sein Amt durch seine Person repraͤsentiren; und weil er es vielleicht Anfangs mit seinem Berufe wirklich ganz ernsthaft gemeint hat, und er nachher, wenn seine Keuschheits und Demuthsgeluͤbde etwas mit dem alten Adam kollidiren, sie dennoch nicht oͤffentlich verletzen will, besonders auch weil er unserem Freunde Krug in Leipzig keine Bloͤße geben will, so sucht er wenigstens den Schein eines heiligen Wandels zu bewahren. Daher Scheinheiligkeit, Heucheley und gleißendes Froͤmmeln bey deutschen Pfaffen; bey den italienischen hingegen viel mehr Durchsichtigkeit der Maske, und eine gewisse feiste Ironie und behagliche Weltverdauung. Doch was helfen solche allgemeine Reflexionen! Sie koͤnnen dir wenig nutzen, lieber Leser, wenn du etwa Lust haͤttest gegen das katholische Pfaffen¬ thum zu schreiben. Zu diesem Zwecke muß man, wie gesagt, mit eignen Augen die Gesichter sehen, die dazu gehoͤren. Wahrlich, es ist nicht einmal hinreichend, wenn man sie im koͤniglichen Opern¬ hause zu Berlin gesehen hat. Der vorige Gene¬ ralintendant that zwar immer das Seinige, um den Kroͤnungszug in der Jungfrau von Orleans so taͤuschend treu als moͤglich darzustellen, seinen Landsleuten die Idee einer Prozession zu veran¬ schaulichen und ihnen Pfaffen von allen Couleuren vor Augen zu bringen. Doch das getreueste Co¬ stume kann nicht die Originalgesichter ersetzen, und vertroͤdelte man sogar noch extra 100,000 Thaler fuͤr goldne Bischofsmuͤtzen, festonnirte Chorhemden, buntgestickte Meßgewaͤnder, und aͤhnlichen Kram — so wuͤrden doch die protestantisch vernuͤnftigen Na¬ sen, die unter jenen Bischofsmuͤtzen hervorprotesti¬ ren, die duͤnnen denkglaͤubigen Beine, die aus 2 ** den weißen Spitzen dieser Chorhemden herausgucken, die aufgeklaͤrten Baͤuche, denen jene Meßgewaͤnder viel zu weit, Alles wuͤrde unser Einen daran er¬ innern, daß keine katholische Geistliche, sondern berliner Weltliche uͤber die Buͤhne wandeln. Ich habe oft daruͤber nachgedacht, ob der Ge¬ neralintendant jenen Zug nicht viel besser darstellen und uns das Bild einer Prozession viel treuer vor Augen bringen koͤnnte, wenn er die Rollen der katholischen Pfaffen nicht mehr von den gewoͤhn¬ lichen Statisten, sondern von jenen protestantischen Geistlichen spielen ließe, die in der theologischen Fakultaͤt, in der Kirchenzeitung und auf den Kan¬ zeln am orthodoxesten gegen Vernunft, Weltlust, Gesenius und Teufelthum zu predigen wissen. Es wuͤrden dann Gesichter zum Vorschein kommen, deren pfaͤffisches Gepraͤge gewiß jenen Rollen viel taͤuschender entspraͤche. Ist es doch eine bekannte Bemerkung, daß die Pfaffen in der ganzen Welt, Rabinen, Muftis, Dominikaner, Consistorialraͤthe, Popen, Bonzen, kurz das ganze diplomatische Corps Gottes, im Gesichte eine gewisse Familien¬ aͤhnlichkeit haben, wie man sie immer findet bey Leuten, die ein und dasselbe Gewerbe treiben. Schneider, in der ganzen Welt, zeichnen sich aus durch Zartheit der Glieder, Metzger und Soldaten tragen wieder uͤberall denselben farouschen Anstrich, Juden haben ihre eigenthuͤmlich ehrliche Miene, nicht weil sie von Abraham, Isaak und Jakob abstammen, sondern weil sie Kaufleute sind, und der Frankfurter christliche Kaufmann sieht dem frankfurter juͤdischen Kaufmanne eben so aͤhnlich, wie ein faules Ey dem andern. Die geistlichen Kaufleute, solche die von Religionsgeschaͤften ihren Unterhalt gewinnen, erlangen daher auch im Ge¬ sichte eine Aehnlichkeit. Freylich, einige Nuͤanzen entstehen durch die Art und Weise wie sie ihr Ge¬ schaͤft treiben. Der katholische Pfaffe treibt es mehr wie ein Commis, der in einer großen Hand¬ lung angestellt ist; die Kirche, das große Haus, dessen Chef der Pabst ist, giebt ihm bestimmte Beschaͤftigung und dafuͤr ein bestimmtes Salair; er arbeitet laͤssig, wie jeder, der nicht fuͤr eigne Rechnung arbeitet und viele Collegen hat, und im großen Geschaͤftstreiben leicht unbemerkt bleibt — nur der Credit des Hauses liegt ihm am Her¬ zen, und noch mehr dessen Erhaltung, da er bey einem etwaigen Bankerotte seinen Lebensunterhalt verloͤre. Der protestantische Pfaffe hingegen ist uͤberall selbst Prinzipal, und er treibt die Reli¬ gionsgeschaͤfte fuͤr eigene Rechnung. Er treibt keinen Großhandel wie sein katholischer Gewerbe¬ genosse, sondern nur einen Kleinhandel; und da er demselben allein vorstehen muß, darf er nicht laͤssig seyn, er muß seine Glaubensartikel den Leu¬ ten anruͤhmen, die Artikel seiner Conkurrenten herabsetzen, und als aͤchter Kleinhaͤndler steht er in seiner Ausschnittbude, voll von Gewerbsneid gegen alle großen Haͤuser, absonderlich gegen das große Haus in Rom, das viele tausend Buchhalter und Packknechte besoldet und seine Faktoreyen hat in allen vier Welttheilen. Solches hat nun freylich auch seine physionomi¬ sche Wirkungen, aber diese sind doch nicht vom Par¬ terre aus bemerkbar, die Familienaͤhnlichkeit in den Gesichtern katholischer und protestantischer Pfaffen bleibt doch in ihren Hauptzuͤgen unveraͤndert, und wenn der Generalintendant die obenerwaͤhnten Herren gut bezahlt, so werden sie ihre Rolle, wie immer, recht taͤuschend spielen. Auch ihr Gang wird zur Illusion beytragen; obgleich ein feines, geuͤbtes Auge wohl merkt, daß er sich von dem Gange katholischer Priester und Moͤnche eben¬ falls durch feine Nuͤanzen unterscheidet. Ein katholischer Pfaffe wandelt einher als wenn ihm der Himmel gehoͤre; ein protestantischer Pfaffe hingegen geht herum als wenn er den Himmel gepachtet habe. Capitel V . Es war schon Nacht als ich die Stadt Lukka erreichte. Wie ganz anders erschien sie mir die Woche vorher, als ich am Tage, durch die wiederhallend oͤden Straßen wandelte, und mich in eine jener verwunschenen Staͤdte versetzt glaubte, wovon mir einst die Amme so viel erzaͤhlt. Da war die ganze Stadt still wie das Grab, alles war so verblichen und verstorben, auf den Daͤchern spielte der Sonnenglanz, wie Goldflitter auf dem Haupte einer Leiche, hie und da aus den Fenstern eines altverfallenen Hauses hingen Epheuranken, wie vertrocknet gruͤne Thraͤnen, uͤberall glimmernder Moder und aͤngstlich stockender Tod, die Stadt schien nur das Gespenst einer Stadt, ein steiner¬ ner Spuk am hellen Tage. Da suchte ich lange vergebens die Spur eines lebendigen Wesens. Ich erinnere mich nur, vor einem alten Pallazzo lag ein schlafender Bettler mit ausgestreckt offner Hand. Auch erinnere ich mich, oben am Fenster eines schwaͤrzlich morschen Haͤuslein sah ich einen Moͤnch, der den rothen Hals mit dem feisten Glatzenhaupt recht lang aus der braunen Kutte hervorreckte, und neben ihm kam ein vollbusig nacktes Weibsbild zum Vorschein; unten, in die halb offne Hausthuͤre sah ich einen kleinen Jungen hineingehen, der als ein schwarzer Abbate gekleidet war, und mit beiden Haͤnden eine maͤchtig gro߬ baͤuchige Weinflasche trug. — In demselben Au¬ genblick laͤutete unfern ein feines ironisches Gloͤck¬ lein, und in meinem Gedaͤchtnisse kicherten die Novellen des Boccaccio. Diese Klaͤnge konnten aber keineswegs das seltsame Grauen, das meine Seele durchschauerte, ganz verscheuchen. Es hielt mich vielleicht um so gewaltiger befangen, da die Sonne, so warm und hell, die unheimlichen Ge¬ baͤude beleuchtete; und ich merkte wohl, Gespenster sind noch furchtbarer, wenn sie den schwarzen Mantel der Nacht abwerfen, und sich im hellen Mittagslichte sehen lassen. Als ich jetzt, acht Tage spaͤter, wieder nach Lukka kam, wie erstaunte ich uͤber den veraͤnderten Anblick dieser Stadt! Was ist das? rief ich, als die Lichter mein Auge blendeten und die Men¬ schenstroͤme durch die Gassen sich waͤlzten. Ist ein ganzes Volk als naͤchtliches Gespenst aus dem Grabe gestiegen, um im tollsten Mummenschanz das Leben nachzuaͤffen? Die hohen, truͤben Haͤuser sind mit Lampen verziert, uͤberall aus den Fen¬ stern haͤngen bunte Teppiche, die morschgrauen Waͤnde fast bedeckend, und daruͤber lehnen sich holde Maͤdchengesichter, so frisch, so bluͤhend, daß ich wohl merke, es ist das Leben selbst, das sein Vermaͤhlungsfest mit dem Tode feyert und Schoͤn¬ heit und Jugend dazu eingeladen hat. Ja, es war so ein lebendes Todtenfest, ich weiß nicht wie es im Kalender genannt wird, auf jeden Fall so ein Schindungstag irgend eines geduldigen Mar¬ tyrers, denn ich sah nachher einen heiligen Todten¬ schaͤdel und noch einige Extra-Knochen, mit Blu¬ men und Edelsteinen geziert, und unter hochzeitli¬ cher Musik herumtragen. Es war eine schoͤne Prozession. Voran gingen die Kapuziner, die sich von den anderen Moͤnchen durch lange Baͤrte auszeichneten, und gleichsam die Sapeurs dieser Glaubensarmee bildeten. Darauf folgten Kapuziner ohne Baͤrte, worunter viele maͤnnlich edle Gesichter, sogar manch jugendlich schoͤnes Gesicht, das die breite Tonsur sehr gut kleidete, weil der Kopf dadurch wie mit einem zierlichen Haarkranz umflochten schien, und sammt dem bloßen Nacken recht anmuthig aus der braunen Kutte hervortrat. 3 Hierauf folgten Kutten von anderen Farben, schwarz, weiß, gelb, panach é , auch herabgeschla¬ gene dreyeckige Huͤthe‚ kurz all jene Klosterkostuͤme, womit wir durch die Bemuͤhungen unseres Gene¬ ralintendanten laͤngst bekannt sind. Nach den Moͤnchsorden kamen die eigentlichen Priester, weiße Hemde uͤber schwarze Hosen, und farbige Kaͤpp¬ chen; hinter ihnen kamen noch vornehmere Geist¬ liche, in buntseidne Decken gewickelt, und auf dem Haupte eine Art hoher Muͤtzen, die wahrscheinlich aus Egypten stammen, und die man auch aus dem Denonschen Werke, aus der Zauberfloͤte und aus dem Belzoni kennen lernt; es waren altge¬ diente Gesichter, und sie schienen eine Art von alter Garde zu bedeuten. Zuletzt kam der eigent¬ liche Stab, ein Thronhimmel und darunter ein alter Mann mit einer noch hoͤheren Muͤtze, und in einer noch reicheren Decke, deren Zipfel von zwei eben so gekleideten alten Maͤnnern, nach Pa¬ genart, getragen wurden. Die vorderen Moͤnche gingen mit gekreuzten Armen, ernsthaft schweigend; aber die mit den hohen Muͤtzen sangen einen gar ungluͤcklichen Ge¬ sang, so naͤselnd, so schluͤrfend, so kollerend, daß ich uͤberzeugt bin: waͤren die Juden die groͤßere Volksmenge, und ihre Religion waͤre die Staats¬ religion, so wuͤrde man obiges Gesinge mit dem Namen „Mauscheln“ bezeichnen. Gluͤcklicherweise konnte man es nur zur Haͤlfte vernehmen, indem hinter der Prozession, mit lautem Trommeln und Pfeifen, mehrere Compagnien Militaͤr einherzogen, so wie uͤberhaupt an beiden Seiten neben den wallenden Geistlichen, auch immer je zwey und zwey Grenadiere marschierten. Es waren fast mehr Soldaten als Geistliche; aber zur Unterstuͤtzung der Religion gehoͤren heut zu Tage viel Bajo¬ nette, und wenn gar der Segen gegeben wird, dann muͤssen in der Ferne auch die Kanonen be¬ deutungsvoll donnern. Wenn ich eine solche Prozession sehe, wo 3 * unter stolzer Militaͤr-Eskorte, die Geistlichen so gar truͤbseelig und jammervoll einherwandeln, so ergreift es mich immer schmerzhaft, und es ist mir als saͤhe ich unseren Heiland selbst, umringt von Lanzentraͤgern, zur Richtstaͤtte abfuͤhren. Die Sterne zu Lukka dachten gewiß wie ich, und als ich seufzend nach ihnen hinaufblickte, sahen sie mich so uͤbereinstimmend an mit ihren frommen Augen, so hell, so klar. Aber man bedurfte nicht ihres Lichtes, tausend und abertausend Lampen und Kerzen und Maͤdchengesichter flimmerten aus allen Fenstern, an den Straßenecken standen lo¬ dernde Pechkraͤnze aufgepflanzt, und dann hatte auch jeder Geistliche noch seinen besonderen Ker¬ zentraͤger zur Seite. Die Kapuziner hatten mei¬ stens kleine Buben, die ihnen die Kerze trugen, und die jugendlich frischen Gesichtchen schauten bisweilen recht neugierig vergnuͤgt hinauf nach den alten, ernsten Baͤrten; so ein armer Kapuziner kann keinen großen Kerzentraͤger besolden, und der Knabe, den er das Ave Maria lehrt, oder dessen Muhme ihm beichtet, muß bey Prozessionen wohl gratis dieses Amt uͤbernehmen, und es wird darum gewiß nicht mit geringerer Liebe verrichtet. Die folgenden Moͤnche hatten nicht viel groͤßere Buben, einige vornehmere Orden hatten schon er¬ wachsene Rangen, und die hochmuͤthigen Priester hatten wirkliche Buͤrgersleute zu Kerzentraͤgern. Aber endlich gar der Herr Erzbischof — denn das war wohl der Mann, der in vornehmer De¬ muth unter dem Thronhimmel ging und sich die Gewandzipfel von greisen Pagen nachtragen ließ — dieser hatte an jeder Seite einen Lakeyen, die beide in blauen Livreen mit gelben Tressen prang¬ ten, und zeremonioͤs, als servirten sie bey Hof, die weißen Wachskerzen trugen. Auf jeden Fall schien mir solche Kerzentraͤgerey eine gute Einrichtung, denn ich konnte dadurch um so heller die Gesichter besehen, die zum Ka¬ tholizismus gehoͤren. Und ich habe sie jetzt gesehen, und zwar in der besten Beleuchtung. Und was sah ich denn? Nun ja, der klerikale Stempel fehlte nirgends. Aber dieses abgerechnet, waren die Gesichter unter einander eben so verschieden, wie andre Gesichter. Das eine war blaß, das andre roth, diese Nase erhob sich stolz, jene war niedergeschlagen, hier ein funkelnd schwarzes dort ein schimmernd graues Auge — aber in allen die¬ sen Gesichtern lagen die Spuren derselben Krank¬ heit, einer schrecklichen, unheilbaren Krankheit, die wahrscheinlich Ursache seyn wird, daß mein Enkel, wenn er hundert Jahr spaͤter die Prozession in Lukka zu sehen bekommt, kein einziges von jenen Gesichtern wieder findet. Ich fuͤrchte, ich bin selbst angesteckt von dieser Krankheit, und eine Folge derselben ist jene Weichheit, die mich wun¬ derbar beschleicht, wenn ich so ein sieches Moͤnchs¬ gesicht betrachte, und darauf die Symptome jener Leiden sehe, die sich unter der groben Kutte ver¬ stecken: — gekraͤnkte Liebe, Podagra, getaͤuschter Ehrgeitz, Ruͤckendarre, Reue, Hamorrhoiden, die Herzwunden die uns vom Undank der Freunde, von der Verlaͤumdung der Feinde, und von der eignen Suͤnde geschlagen worden, alles dieses und noch viel mehr, was eben so leicht unter einer groben Kutte wie unter einem feinen Modefrack seinen Platz zu finden weiß. O! es ist keine Ue¬ bertreibung, wenn der Poet in seinem Schmerze ausruft: das Leben ist eine Krankheit, die ganze Welt ein Lazareth! „Und der Tod ist unser Arzt —“ Ach! ich will nichts boͤses von ihm reden, und nicht Andre in ihrem Vertrauen stoͤren; denn da er der einzige Arzt ist, so moͤgen sie immerhin glauben er sey auch der beste, und das einzige Mittel, das er anwendet, seine ewige Erdkur, sey auch das beste. Wenigstens kann man von ihm ruͤhmen, daß er immer gleich bey der Hand ist, und trotz seiner großen Praxis nie lange auf sich warten laͤßt, wenn man ihn verlangt. Manchmal folgt er seinen Pazienten sogar zur Prozession, und traͤgt ihnen die Kerze. Es war gewiß der Tod selbst, den ich an der Seite eines blassen, bekuͤmmerten Priesters gehen sah; in duͤnnen zitternden Knochenhaͤnden trug er diesem die flimmernde Kerze, nickte dabey gar gutmuͤthig besaͤnftigend mit dem aͤngstlich kah¬ len Koͤpfchen, und so schwach er selbst auf den Beinen war, so unterstuͤtzte er doch noch zuweilen den armen Priester, der bey jedem Schritte noch bleicher wurde und umsinken wollte. Er schien ihm Muth einzusprechen: warte nur noch einige Stuͤndchen, dann sind wir zu Hause, und ich loͤsche die Kerze aus, und ich lege dich aufs Bett, und die kalten, muͤden Beine koͤnnen aus¬ ruhen, und du sollst so fest schlafen, daß du das wimmernde Sankt Michaelsgloͤckchen nicht hoͤren wirst. „Gegen den Mann will ich auch nicht schrei¬ ben“ dacht ich, als ich den armen, bleichen Prie¬ ster sah, dem der leibhaftige Tod zu Bette leuchtete. Ach! man sollte eigentlich gegen niemanden in dieser Welt schreiben. Jeder ist selbst krank genug in diesem großen Lazareth, und manche polemische Lektuͤre erinnert mich unwillkuͤrlich an ein widerwaͤrtiges Gezaͤnk, in einem kleineren La¬ zareth zu Krakau, wobey ich mich als zufaͤlliger Zuschauer befand, und wo entsetzlich anzuhoͤren war, wie die Kranken sich einander ihre Gebrechen spottend vorrechneten, wie ausgedoͤrrte Schwind¬ suͤchtige den aufgeschwollenen Wassersuͤchtling ver¬ hoͤhnten, wie der Eine lachte uͤber den Nasenkrebs des Andern, und dieser wieder uͤber Maulsperre und Augenverdrehung seiner Nachbaren, bis am Ende die Fiebertollen nackt aus den Betten spran¬ gen, und den andern Kranken die Decken und Laken von den wunden Leibern rissen, und nichts als scheußliches Elend und Verstuͤmmlung zu sehen war. Capitel VI . Jener schenkte nunmehr auch der uͤbrigen Goͤtterver¬ sammlung, Rechtshin, lieblichen Nektar dem Mischkrug emsig ent¬ schoͤpfend. Doch unermeßliches Lachen erscholl den seeligen Goͤttern, Als sie sahn, wie Hefaͤstos im Saal so gewandt um¬ herging. Also den ganzen Tag bis spaͤt zur sinkenden Sonne Schmausten sie; und nicht mangelt ihr Herz des gemein¬ samen Mahles, Nicht des Saitengetoͤns von der lieblichen Leyer Apollons, Noch des Gesangs der Musen mit holdantwortender Stimme. ( Vulgata ) Da ploͤtzlich keuchte heran ein bleicher, blut¬ triefender Jude, mit einer Dornenkrone auf dem Haupte, und mit einem großen Holzkreuz auf der Schulter; und er warf das Kreuz auf den hohen Goͤttertisch, daß die goldnen Pokale zitterten, und die Goͤtter verstummten und erblichen, und immer bleicher wurden, bis sie endlich ganz in Nebel zerrannen. Nun gabs eine traurige Zeit, und die Welt wurde grau und dunkel. Es gab keine gluͤcklichen Goͤtter mehr, der Olymp wurde ein Lazareth wo geschundene, gebratene und gespießte Goͤtter lang¬ weilig umherschlichen, und ihre Wunden verban¬ den und triste Lieder sangen. Die Religion ge¬ waͤhrte keine Freude mehr, sondern Trost; es war eine truͤbselige, blutruͤnstige Deliquentenreligion . War sie vielleicht noͤthig fuͤr die erkrankte und zertretene Menschheit? Wer seinen Gott leiden sieht, traͤgt leichter die eignen Schmerzen. Die vorigen heiteren Goͤtter, die selbst keine Schmerzen fuͤhlten, wußten auch nicht wie armen gequaͤlten Menschen zu Muthe ist, und ein armer gequaͤlter Mensch koͤnnte auch, in seiner Noth, kein rechtes Herz zu ihnen fassen. Es waren Festtagsgoͤtter, um die man lustig herum tanzte, und denen man nur danken konnte. Sie wurden deßhalb auch nie so ganz von ganzem Herzen geliebt. Um so ganz von ganzem Herzen geliebt zu werden — muß man leidend seyn. Das Mitleid ist die letzte Weihe der Liebe, vielleicht die Liebe selbst. Von allen Goͤttern, die jemals gelebt haben, ist daher Christus derjenige Gott, der am meisten geliebt worden. Besonders von den Frauen — — Dem Menschengewuͤhl entfliehend, habe ich mich in eine einsame Kirche verloren, und was du, lieber Leser, eben gelesen hast, sind nicht so sehr meine eignen Gedanken, als vielmehr einige unwillkuͤhrliche Worte, die in mir laut geworden, waͤhrend ich, dahingestreckt auf einer der alten Betbaͤnke, die Toͤne einer Orgel durch meine Brust ziehen ließ. Da liege ich, mit phantasie¬ render Seele, der seltsamen Musik noch seltsamere Texte unterdichtend; dann und wann schweifen meine Blicke durch die daͤmmernden Bogengaͤnge, und suchen die dunkeln Klangfiguren, die zu jenen Orgelmelodien gehoͤren. Wer ist die Verschleyerte, die dort kniet vor dem Bilde einer Madonna? Die Ampel, die davor haͤngt, beleuchtet grauen¬ haft suͤß die schoͤne Schmerzenmutter einer gekreu- zigten Liebe, die Venus dolorosa; doch kupplerisch geheimnißvolle Lichter fallen zuweilen, wie verstolen, auf die schoͤnen Formen der verschleyerten Bete¬ rin. Diese liegt zwar regungslos auf den steiner¬ nen Altarstufen, doch in der wechselnden Beleuch¬ tung bewegt sich ihr Schatten, laͤuft manchmal zu mir heran, zieht sich wieder hastig zuruͤck, wie ein stummer Mohr, der aͤngstliche Liebesbote in einem Harem — und ich verstehe ihn. Er ver¬ kuͤndet mir die Gegenwart seiner Herrinn, der Sultaninn meines Herzens. Es wird aber allmaͤhlig immer dunkler im lee¬ ren Hause, hie und da huscht eine unbestimmte Gestalt den Pfeilern entlang, dann und wann steigt leises Murmeln aus einer Seitenkapelle, und ihre langen, langgezogenen Toͤne stoͤhnt die Orgel, wie ein seufzendes Riesenherz — Es war aber als ob jene Orgeltoͤne niemals aufhoͤren, als ob jene Sterbelaute, jener lebende Tod ewig dauern wollte, ich fuͤhlte so unsaͤgliche Beklommenheit, so namenlose Angst, als waͤre ich scheintodt begraben worden, ja als waͤre ich, ein Laͤngstverstorbener, aus dem Grabe gestiegen, und sey, mit unheimlichen Nachtgesellen, in die Ge¬ spensterkirche gegangen, um die Todtengebete zu hoͤren, und Leichensuͤnden zu beichten. Manchmal war mir, als saͤhe ich sie wirklich neben mir sitzen, in geisterhaftem Daͤmmerlichte, die abgeschiedene Gemeinde, in verschollen altflorentinischen Trach¬ ten, mit langen, blassen Gesichtern, goldbeschla¬ gene Gebetbuͤcher in duͤnnen Haͤnden, heimlich wispernd, und melancholisch einander zunickend. Der wimmernde Ton eines fernen Sterbegloͤckchens mahnte mich wieder an den kranken Priester, den ich bey der Prozession gesehen, und ich sprach zu mir selber: der ist jetzt auch gestorben, und kommt hierher um die erste Nachtmesse zu lesen und da beginnt erst recht der traurige Spuk. Ploͤtzlich aber erhob sich, von den Stufen des Altars, die holde Gestalt der verschleyerten Beterinn — Ja, sie war es, schon ihr lebendiger Schatten verscheuchte die weißen Gespenster, ich sah jetzt nur sie, ich folgte ihr rasch zur Kirche hinaus, und als sie vor der Thuͤre den Schleyer zuruͤck¬ schlug, sah ich in Franscheskas bethraͤntes Antlitz. Es glich einer sehnsuͤchtig weißen Rose, angeperlt vom Thau der Nacht und beglaͤnzt vom Strahl des Mondes. Franscheska liebst du mich? Ich frug viel und sie antwortete wenig. Ich begleitete sie nach dem Hotel Crotsche di Malta, wo sie und Mathilde logirten. Die Straßen waren leer geworden, die Haͤuser schliefen mit geschlossenen Fensteraugen, nur hie und da, durch die hoͤlzernen Wimpern, blinzelte ein Lichtchen. Oben am Him¬ mel aber trat ein breiter hellgruͤner Raum aus den Wolken hervor, und darin schwamm der Halb¬ mond, wie eine silberne Gondel in einem Meer von Smaragden. Vergebens bat ich Franscheska nur ein einziges Mahl hinauf zu sehen zu unse¬ rem alten, lieben Vertrauten; sie hielt aber das Koͤpfchen traͤumend gesenkt. Ihr Gang, der sonst so heiter dahinschwebend, war jetzt wie kirchlich gemessen, ihr Schritt war duͤster katholisch, sie be¬ wegte sich wie nach dem Takte einer feyerlichen Orgel, und wie in fruͤheren Naͤchten die Suͤnde, so war ihr jetzt die Religion in die Beine gefah¬ ren. Unterwegs vor jedem Heiligenbilde bekreuzte sie sich Haupt und Busen; vergebens versuchte ich ihr dabey zu helfen. Als wir aber auf dem Markte, der Kirche Sant Mitschiele vorbeykamen, wo die marmorne Schmerzensmutter mit den vergoldeten Schwertern im Herzen und mit der Laͤmpchenkrone auf dem Haupte, aus der dunkeln Nische hervor¬ leuchtete, da schlang Franscheska ihren Arm um meinen Hals, kuͤßte mich, und fluͤsterte: Cecco, Cecco, caro Cecco ! Ich nahm diese Kuͤsse ruhig in Empfang, ob¬ gleich ich wohl wußte, daß sie im Grunde einem bolognesischen Abbate, einem Diener der roͤmisch katholischen Kirche, zugedacht waren. Als Pro¬ testant machte ich mir kein Gewissen daraus, mir die Guͤter der katholischen Geistlichkeit zuzueignen, und auf der Stelle saͤkularisirte ich die frommen Kuͤsse Franscheskas. Ich weiß, die Pfaffen wer¬ den hieruͤber wuͤthend seyn, sie schreyen gewiß uͤber Kirchenraub, und wuͤrden gern das franzoͤsi¬ sche Sakrilegiengesetz auf mich anwenden. Leider muß ich gestehen, daß besagte Kuͤsse das einzige waren, was ich in jener Nacht erbeuten konnte. Franscheska hatte beschlossen diese Nacht nur zum Heile ihrer Seele, kniend und betend, zu benutzen. Vergebens erboth ich mich ihre Andachtsuͤbungen zu theilen; — als sie ihr Zimmer erreichte, schloß 4 sie mir die Thuͤre vor der Nase zu. Vergebens stand ich draußen noch eine ganze Stunde, und bat um Einlaß, und seufzte alle moͤglichen Seuf¬ zer, und heuchelte fromme Thraͤnen, und schwor die heiligsten Eide — versteht sich, mit geistlichem Vorbehalte, ich fuͤhlte wie ich allmaͤhlig ein Jesuit wurde, ich wurde ganz schlecht und erbot mich endlich sogar, katholisch zu werden fuͤr diese einzige Nacht — Franscheska! rief ich, Stern meiner Gedan¬ ken! Gedanke meiner Seele! vita della mia vita ! meine schoͤne, oftgekuͤßte, schlanke, katholische Franscheska! fuͤr diese einzige Nacht, die du mir noch gewaͤhrst, will ich selbst katholisch werden — aber auch nur fuͤr diese einzige Nacht! O, die schoͤne, seelige, katholische Nacht! Ich liege in deinen Armen, strengkatholisch glaube ich an den Himmel deiner Liebe, von den Lippen kuͤssen wir uns das holde Bekenntniß, das Wort wird Fleisch, der Glaube wird versinnlicht, in Form und Ge¬ stalt, welche Religion! Ihr Pfaffen! jubelt un¬ terdessen Eur Kyrie Eleison, klingelt, raͤuchert, laͤutet die Glocken, laßt die Orgel brausen, laßt die Messe von Palestrina erklingen — das ist der Leib! — ich glaube, ich bin seelig, ich schlafe ein — aber sobald ich des anderen Morgens erwache, reibe ich mir den Schlaf und den Katholizismus aus den Augen, und sehe wieder klar in die Sonne und in die Bibel, und bin wieder protestantisch vernuͤnftig und nuͤchtern, nach wie vor. 4 * Capitel VII . Als am anderen Tage die Sonne wieder herz¬ lich vom Himmel herablachte, erloschen gaͤnzlich die truͤbseligen Gedanken und Gefuͤhle, die von der Prozession des vorhergehenden Abends in mir erregt worden, und mir das Leben wie eine Krank¬ heit und die Welt wie ein Lazareth ansehen ließen. Die ganze Stadt wimmelte von heiterem Volk. Geputzt bunte Menschen, dazwischen huͤpfte hie und da ein schwarz Pfaͤfflein. Das brauste und lachte und schwatzte, man hoͤrte fast nicht das Glockengebimmel, das zu einer großen Messe ein¬ lud, in die Cathedrale. Diese ist eine schoͤne, ein¬ fache Kirche, deren buntmarmorne Fa ç ade mit jenen kurzen, uͤber einander gebauten Saͤulchen geziert ist, die uns so witzig truͤbe ansehen. In¬ wendig waren Pfeiler und Waͤnde mit rothem Tuche uͤberkleidet, und heitere Musik ergoß sich uͤber die wogende Menschenmenge. Ich fuͤhrte Signora Franscheska am Arm, und als ich ihr beim Eintritt das Weihwasser reichte, und durch die suͤßfeuchte Fingerberuͤhrung unsere Seelen elek¬ trisirt wurden, bekam ich auch zu gleicher Zeit einen elektrischen Schlag ans Bein, daß ich vor Schreck fast hinpurzelte uͤber die knienden Baͤu¬ rinnen, die ganz weiß gekleidet und mit langen Ohrringen, und Halsketten von gelbem Golde belastet, in dichten Haufen den Boden bedeckten. Als ich mich umsah, erblickte ich ein ebenfalls kniendes Frauenzimmer, das sich faͤcherte, und hinter dem Faͤcher erspaͤhte ich Myladys kichernde Augen. Ich beugte mich zu ihr hinab, und sie hauchte mir schmachtend ins Ohr: delightfull! Um Gottes willen! fluͤsterte ich ihr zu, bleiben Sie ernsthaft, lachen Sie nicht; sonst werden wir wahrhaftig hinausgeschmissen! Aber da half kein Bitten und Flehen. Zum Gluͤck verstand man unsre Sprache nicht. Denn als Mylady aufstand, und uns durch das Ge¬ draͤnge zum Hauptaltar folgte, uͤberließ sie sich ihren tollen Launen, ohne die mindeste Ruͤcksicht, als stuͤnden wir allein auf den Apenninen. Sie moquirte sich uͤber alles, sogar die armen gemal¬ ten Bilder an den Waͤnden waren vor ihren Pfei¬ len nicht sicher. Sieh da! rief sie, auch Lady Eva, Geborne von Rippe, wie sie mit der Schlange diskurirt! Es ist ein guter Einfall des Malers, daß er der Schlange einen menschlichen Kopf mit einem menschlichen Gesichte gab; es waͤre jedoch noch weit sinnreicher gewesen, wenn er dieses Verfuͤh¬ rungsgesicht mit einem militaͤrischen Schnurbart verziert haͤtte. Sehen Sie, Doktor, dort den Engel, welcher der hochgebenedeiten Jungfrau ihren gesegneten Zustand verkuͤndigt und dabey so ironisch laͤchelt? Ich weiß was dieser Ruffiano denkt! Und diese Maria, zu deren Fuͤßen die heilige Allianz des Morgenlandes, mit Gold- und Weihrauchgaben, niederkniet, sieht sie nicht aus wie die Catalani? Signora Franscheska, welche von diesem Ge¬ schwaͤtz, wegen ihrer Unkenntniß des Englischen, nichts verstand als das Wort Catalani, bemerkte hastig: daß die Dame, wovon unsre Freundinn spreche, jetzt wirklich den groͤßten Theil ihrer Re¬ nommee verloren habe. Unsre Freundinn aber ließ sich nicht stoͤren und kommentirte auch die Passionsbilder, bis zur Kreuzigung, einem uͤber¬ aus schoͤnen Gemaͤlde, worauf unter anderen drey dumme unthaͤtige Gesichter abgebildet waren, die dem Gottesmaͤrtyrthum gemaͤchlich zusahen, und von denen Mylady durchaus behauptete, es seyen die bevollmaͤchtigten Commissarien von Oestreich, Rußland und Frankreich. Indessen, die alten Freskos, die zwischen den rothen Decken der Waͤnde zum Vorschein kamen, vermochten einigermaßen mit ihrem inwohnenden Ernste die brittische Spottlust abzuwehren. Es waren darauf Gesichter aus jener heldenmuͤthigen Zeit Lukkas, wovon in den Geschichtsbuͤchern Machiavells, des romantischen Sallusts, so viel die Rede ist, und deren Geist uns aus den Ge¬ saͤngen Dantes, des katholischen Homers, so feu¬ rig entgegenweht. Wohl sprechen aus jenen Mie¬ nen die strengen Gefuͤhle und barbarischen Gedan¬ ken des Mittelalters; wenn auch auf manchem stummen Juͤnglingsmunde das laͤchelnde Bekennt¬ niß schwebt, daß damals nicht alle Rosen so ganz steinern und umflort gewesen sind, und wenn auch durch die fromm gesenkten Augenwimpern mancher Madonna aus jener Zeit ein so schalkhafter Lie¬ beswink blinzelt, als ob sie uns gern noch ein zweites Christkindlein schenken moͤchte. Jedenfalls ist es aber ein hoher Geist, der uns aus jenen altflorentinischen Gemaͤlden anspricht, es ist das eigentlich Heroische, das wir auch in den marmor¬ nen Goͤtterbildern der Alten erkennen, und das nicht, wie unsre Aesthetiker meinen, in einer ewi¬ gen Ruhe ohne Leidenschaft, sondern in einer ewi¬ gen Leidenschaft ohne Unruhe besteht. Auch durch einige spaͤtere Oehlbilder, die im Dome von Lukka haͤngen, zieht sich, vielleicht als tradizioneller Nach¬ hall, jener altflorentinische Sinn. Besonders fiel mir auf eine Hochzeit zu Canan, von einem Schuͤler des Andrea del Sarto, etwas hart ge¬ malt und schroff gestaltet. Der Heiland sitzt zwi¬ schen der weichen schoͤnen Braut und einem Pha¬ risaͤer, dessen steinernes Gesetztafelgesicht sich wun¬ dert uͤber den genialen Propheten, der sich heiter mischt in die Reihen der Heiteren, und die Ge¬ sellschaft mit Wundern regalirt, die noch groͤßer sind als die Wunder des Moses; denn dieser konnte, wenn er noch so stark gegen den Felsen schlug, nur Wasser hervorbringen, jener aber brauchte nur ein Wort zu sprechen, und die Kruͤge fuͤllten sich mit dem besten Wein. Viel weicher, fast venezianisch kolorirt, ist das Gemaͤlde von ei¬ nem Unbekannten, das daneben haͤngt, und worinn der freundlichste Farbenschmelz von einem durchbe¬ benden Schmerze gar seltsam gedaͤmpft wird. Es stellt dar wie Maria ein Pfund Salbe nahm, von ungefaͤlschter koͤstlicher Narde, und damit die Fuͤße Jesu salbte, und sie mit ihren Haaren trocknete. Christus sitzt da, im Kreise seiner Juͤnger, ein schoͤner, geistreicher Gott, menschlich wehmuͤthig fuͤhlt er eine schaurige Pietaͤt gegen seinen eignen Leib, der bald so viel dulden wird, und dem die salbende Ehre, die man den Gestorbenen erweißt, schon jetzt gebuͤhrt und schon jetzt wiederfaͤhrt; er laͤchelt geruͤhrt hinab auf das kniende Weib, das getrieben von ahnender Liebesangst, jene barmher¬ zige That verrichtet, eine That, die nie vergessen wird, so lange es leidende Menschen giebt, und die zur Erquickung aller leidenden Menschen durch die Jahrtausende duftet. Außer dem Juͤnger, der am Herzen Christi lag, und der auch diese That verzeichnet hat, scheint keiner von den Aposteln ihre Bedeutung zu fuͤhlen, und der mit dem ro¬ then Barte scheint sogar, wie in der Schrift steht, die verdrießliche Bemerkung zu machen: warum ist diese Salbe nicht verkauft um dreyhundert Gro¬ schen, und den Armen gegeben? Dieser oͤkono¬ mische Apostel ist eben derjenige, der den Beutel fuͤhrt, die Gewohnheit der Geldgeschaͤfte hat ihn abgestumpft gegen alle uneigennuͤtzigen Narden¬ duͤfte der Liebe, er moͤchte Groschen dafuͤr ein¬ wechseln zu einem nuͤtzlichen Zweck, und eben er, der Groschenwechsler, er war es, der den Heiland verrieth — um dreyzig Silberlinge. So hat das Evangelium auch symbolisch, in der Geschichte des Banquiers unter den Aposteln, die unheimliche Verfuͤhrungsmacht, die im Geldsacke lauert, offen¬ bart, und vor der Treulosigkeit der Geldgeschaͤfts¬ leute gewarnt. Jeder Reiche ist ein Judas Ischarioth. Sie schneiden ja ein verbissen glaͤubiges Gesicht, theurer Doktor, fluͤsterte Mylady, ich habe Sie eben beobachtet, und verzeihen Sie mir, wenn ich Sie etwa beleidige, Sie sahen aus wie ein guter Christ. Unter uns gesagt, das bin ich; ja, Christus — Glauben Sie vielleicht ebenfalls, daß er ein Gott sey? Das versteht sich, meine gute Mathilde. Es ist der Gott, den ich am meisten liebe — nicht weil er so ein legitimer Gott ist, dessen Vater schon Gott war und seit undenklicher Zeit die Welt beherrschte: sondern weil er, obgleich ein geborener Dauphin des Himmels, dennoch, demo¬ kratisch gesinnt, keinen hoͤfischen Ceremonialprunk liebt, weil er kein Gott einer Aristokratie von geschorenen Schriftgelehrten und gallonirten Lan¬ zenknechten, und weil er ein bescheidener Gott des Volks ist, ein Buͤrger-Gott, un bon dieu citoyen . Wahrlich, wenn Christus noch kein Gott waͤre, so wuͤrde ich ihn dazu waͤhlen, und viel lieber als einem aufgezwungenen absoluten Gotte, wuͤrde ich ihm gehorchen, ihm, dem Wahlgotte, dem Gotte meiner Wahl. Capitel VIII . Der Erzbischof, ein ernster Greis, las selber Messe, und ehrlich gestanden, nicht bloß ich, son¬ dern einigermaßen auch Mylady, wir wurden heimlich beruͤhrt von dem Geiste, der in dieser heiligen Handlung wohnt, und von der Weihe des alten Mannes, der sie vollzog; — ist ja doch jeder alte Mann, an und fuͤr sich, ein Prie¬ ster und die Ceremonien der katholischen Messe sind sie doch so uralt, daß sie vielleicht das Ein¬ zige sind, was sich aus dem Kindesalter der Welt erhalten hat, und als Erinnerung an die ersten Vorfahren aller Menschen unsere Pietaͤt in An¬ spruch nimmt. Sehen Sie, Mylady, sagte ich, jede Bewegung, die Sie hier erblicken, die Art des Zusammenlegens der Haͤnde und des Ausbrei¬ tens der Arme, dieses Knixen, dieses Haͤndewa¬ schen, dieses Beraͤuchertwerden, dieser Kelch, ja die ganze Kleidung des Mannes, von der Mythra bis zum Saume der Stohla, Alles dieses ist alt¬ egyptisch und Ueberbleibsel eines Priesterthums, von dessen wundersamem Wesen nur die aͤltesten Urkunden etwas weniges berichten, eines fruͤhesten Priesterthums, das die erste Weisheit erforschte, die ersten Goͤtter erfand, die ersten Symbole be¬ stimmte, und die junge Menschheit — Zuerst betrog, setzte Mylady bitteren Tones hinzu, und ich glaube, Doktor, aus dem fruͤhesten Weltalter ist uns nichts uͤbrig geblieben als einige triste Formeln des Betrugs. Und sie sind noch immer wirksam. Denn sehen Sie dort die stock¬ finsteren Gesichter? und gar jenen Kerl, der dort auf seinen dummen Knien liegt und mit seinem aufgesperrten Maule so ultradumm aussieht? Um des lieben Himmels willen! beguͤtigte ich leise, was ist daran gelegen, daß dieser Kopf so wenig von der Vernunft erleuchtet ist? Was geht das uns an? Was irritirt Sie dabey? Sehen Sie doch taͤglich Ochsen, Kuͤhe, Hunde, Esel, die eben so dumm sind, ohne daß Sie durch sol¬ chen Anblick aus Ihrem Gleichmuth aufgestoͤrt und zu unmuthigen Aeußerungen angeregt werden? Ach, das ist was Anderes, fiel mir Mylady in die Rede, diese Bestien tragen hinten Schwaͤnze, und ich aͤrgre mich eben, daß ein Kerl, der eben so bestialisch dumm ist, dennoch hinten keinen Schwanz hat. Ja, das ist was andres, Mylady. Capitel IX . Nach der Messe gabs noch allerley zu schauen und zu hoͤren, besonders die Predigt eines großen, vierstaͤmmigen Moͤnchs, dessen befehlend kuͤhnes, altroͤmisches Gesicht gegen die grobe Bettelkutte gar wundersam abstach, so daß der Mann aussah wie ein Imperator der Armuth. Er predigte von Himmel und Hoͤlle, und gerieth zuweilen in die wuͤthendste Begeistrung. Seine Schilderung des Himmels war ein bischen barbarisch uͤberladen, und es gab da viel Gold, Silber, Edelsteine, koͤstliche Speisen, und Weine von den besten Jahrgaͤngen; dabey machte er ein so verklaͤrt schluͤrfendes Gesicht, und er schob sich vor Wonne 5 in der Kutte hin und her, wenn er, unter den Englein mit weißen Fluͤglein sich selber dachte als ein Englein mit weißen Fluͤglein. Minder ergoͤtz¬ lich, ja sogar sehr praktisch ernsthaft war seine Schilderung der Hoͤlle. Hier war der Mann weit mehr in seinem Ellemente. Er eiferte besonders uͤber die Suͤnder, die nicht mehr so recht kristlich ans alte Feuer der Hoͤlle glauben, und sogar waͤhnen, sie habe sich in neuerer Zeit etwas abge¬ kuͤhlt und werde naͤchstens ganz und gar erloͤschen. „Und waͤre auch,“ rief er, „die Hoͤlle am Erloͤ¬ schen, so wuͤrde ich, ich mit meinem Athem, die letzten glimmenden Kohlen wieder anfachen, daß sie wieder auflodern sollten zu ihrer alten Flam¬ mengluth.“ Hoͤrte man nun die Stimme, die gleich dem Nordwind diese Worte hervorheulte, sah man dabey das brennende Gesicht, den rothen, buͤffelstarken Hals, und die gewaltigen Faͤuste des Mannes, so hielt man jene hoͤllische Drohung fuͤr keine Hyperbel. I like this man , sagte Mylady. Da haben Sie Recht, antwortete ich, auch mir gefaͤllt er besser als mancher unserer sanften, homoͤopathischen Seelenaͤrzte, die \frac{1}{10,000} Ver¬ nunft in einem Eimer Moralwasser schuͤtten, und uns damit des Sonntags zur Ruhe predigen. Ja, Doktor, fuͤr seine Hoͤlle habe ich Respekt; aber zu seinem Himmel hab ich kein rechtes Ver¬ trauen. Wie ich mich denn uͤberhaupt in Anse¬ hung des Himmels schon sehr fruͤh in geheimen Zweifel verfing. Als ich noch klein war, in Du¬ blin, lag ich oft auf dem Ruͤcken im Gras, und sah in den Himmel, und dachte nach: ob wohl der Himmel wirklich so viele Herrlichkeiten enthalten mag, wie man davon ruͤhmt? Aber, dacht ich, wie kommts, daß von diesen Herrlich¬ keiten niemals etwas herunterfaͤllt, etwa ein bril¬ lantener Ohrring, oder eine Schnur Perlen oder wenigstens ein Stuͤckchen Ananaskuchen, und daß immer nur Hagel oder Schnee oder gewoͤhnlicher 5 * Regen uns von oben herabbeschert wird? Das ist nicht ganz richtig, dacht ich — Warum sagen Sie das, Mylady? Warum diese Zweifel nicht lieber verschweigen? Unglaͤu¬ bige, die keinen Himmel glauben, sollten nicht Proseliten machen; minder tadelnswerth, sogar lobenswerth ist die Proselitenmacherey derjenigen Leute, die einen suͤperben Himmel haben, und dessen Herrlichkeiten nicht selbstsuͤchtig allein genie¬ ßen wollen, und deßhalb ihre Nebenmenschen ein¬ laden dran Theil zu nehmen, und sich nicht eher zufrieden geben, bis diese ihre guͤtige Einladung angenommen. Ich habe mich aber immer gewundert, Doktor, daß manche reiche Leute dieser Gattung, die wir, als Praͤsidenten, Vicepraͤsidenten, oder Sekretaͤre von Bekehrungsgesellschaften, eifrigst bemuͤht sehen, etwa einen alten verschimmelten Betteljuden him¬ melfaͤhig zu machen und seine einstige Genossen¬ schaft im Himmelreich zu erwerben, dennoch nie dran denken, ihn schon jetzt auf Erden an ihren Genuͤssen Theil nehmen zu lassen, und ihn z. B. nie des Sommers auf ihre Landhaͤuser einladen, wo es gewiß Leckerbissen giebt, die den armen Schelm eben so gut schmecken wuͤrden, als genoͤsse er sie im Himmel selbst. Das ist erklaͤrlich, Mylady, die himmlischen Genuͤsse kosten sie nichts, und es ist ein doppeltes Vergnuͤgen, wenn wir so wohlfeilerweise unsre Nebenmenschen begluͤcken koͤnnen. Zu welchen Genuͤssen aber kann der Unglaͤubige jemanden einladen? Zu nichts, Doktor, als zu einem langen ruhi¬ gen Schlafe, der aber zuweilen fuͤr einen Ungluͤck¬ lichen sehr wuͤnschenswerth seyn kann, besonders wenn er vorher mit zudringlichen Himmelseinla¬ dungen gar zu sehr geplagt worden. Dieses sprach das schoͤne Weib mit stechend bitteren Akzenten, und nicht ganz ohne Ernst ant¬ wortete ich ihr: Liebe Mathilde, bey meinen Handlungen auf dieser Welt kuͤmmert mich nicht einmal die Existenz von Himmel und Hoͤlle, ich bin zu groß und zu stolz, als daß der Geitz nach himmlischen Belohnungen, oder die Furcht vor hoͤllischen Strafen mich leiten sollten. Ich strebe nach dem Guten, weil es schoͤn ist und mich un¬ widerstehlich anzieht, und ich verabscheue das Schlechte, weil es haͤßlich und mir zuwider ist. Schon als Knabe, wenn ich den Plutarch las — und ich lese ihn noch jetzt alle Abend im Bette und moͤchte dabey manchmal aufspringen, und gleich Extra-Post nehmen und ein großer Mann werden — schon damals gefiel mir die Erzaͤhlung von dem Weibe, das durch die Straßen Alexan¬ driens schritt, in der einen Hand einen Wasser¬ schlauch, in der andern eine brennende Fackel tra¬ gend, und den Menschen zurief, daß sie mit dem Wasser die Hoͤlle ausloͤschen und mit der Fackel den Himmel in Brand stecken wolle, damit das Schlechte nicht mehr aus Furcht vor Strafe un¬ terlassen, und das Gute nicht mehr aus Begierde nach Belohnung ausgeuͤbt werde. Alle unsre Hand¬ lungen sollen aus dem Quell einer uneigennuͤtzi¬ gen Liebe hervorsprudeln, gleichviel ob es eine Fortdauer nach dem Tode giebt oder nicht. Sie glauben also auch nicht an Unsterblich¬ keit. O Sie sind schlau, Mylady! Ich daran zweifeln? Ich, dessen Herz in die entferntesten Jahrtausende der Vergangenheit und der Zukunft immer tiefer und tiefer Wurzel schlaͤgt, ich, der ich selbst einer der ewigsten Menschen bin, jeder Athemzug ein ewiges Leben, jeder Gedanke ein ewiger Stern — ich sollte nicht an Unsterblichkeit glauben? Ich denke, Doktor, es gehoͤrt eine betraͤchliche Porzion Eitelkeit und Anmaßung dazu, nachdem wir schon so viel Gutes und Schoͤnes auf dieser Erde genossen, noch obendrein vom lieben Gott die Unsterblichkeit zu verlangen! Der Mensch, der Aristokrat unter den Thieren, der sich besser duͤnkt, als alle seine Mitgeschoͤpfe, moͤchte sich auch dieses Ewigkeitsvorrecht, am Throne des Weltkoͤnigs, durch hoͤfische Lob- und Preisgesaͤnge und knien¬ des Bitten auswirken. — O, ich weiß was die¬ ses Zucken mit den Lippen bedeutet, unsterblicher Herr! Capitel X . Signora bat uns mit ihr nach dem Kloster zu gehn, worin das wunderthaͤtige Kreuz, das Merk¬ wuͤrdigste in ganz Toskana, bewahrt wird. Und es war gut, daß wir den Dom verließen, denn Myladys Tollheiten wuͤrden uns doch zuletzt in Verlegenheiten gestuͤrzt haben. Sie sprudelte von witziger Laune; lauter lieblich naͤrrische Gedanken, so uͤbermuͤthig wie junge Kaͤtzchen, die in der Maysonne herumspringen. Am Ausgang des Doms tunkte sie den Zeigefinger dreymahl ins Weihwasser, besprengte mich jedesmahl und murmelte: Dem Zefardeyim Kinnim; welches nach ihrer Behaup¬ tung die arabische Formel ist, womit die Zaube¬ 5 * * rinnen einen Menschen in einen Esel verwan¬ deln. Auf der Piazza vor dem Dome manoeuvrirte eine Menge Militaͤr, beynah ganz oͤstreichisch uni¬ formirt und nach deutschem Commando. Wenig¬ stens hoͤrte ich die deutschen Worte: Praͤsentirts Gewehr! Fuß Gewehr! Schulters Gewehr! Rechtsum! Halt! Ich glaube bey allen Italie¬ nern, wie noch bey einigen andern europaͤischen Voͤlkern, wird auf Deutsch kommandirt. Sollen wir Deutschen uns etwas darauf zu Gute thun? Haben wir in der Welt so viel zu befehlen, daß das Deutsche sogar die Sprache Befehlens geworden? Oder wird uns so viel befohlen, daß der Gehorsam am besten die deutsche Sprache versteht? Mylady scheint von Paraden und Revuͤen keine Freundinn zu seyn. Sie zog uns mit ironischer Furchtsamkeit von dannen. Ich liebe nicht, sprach sie, die Naͤhe von solchen Menschen mit Saͤbeln und Flinten, besonders wenn sie in großer An¬ zahl, wie bey außerordentlichen Manoeuvern, in Reih und Glied aufmarschiren. Wenn nun einer von diesen tausenden ploͤtzlich verruͤckt wird, und mit der Waffe, die er schon in der Hand hat, mich auf der Stelle niedersticht? Oder wenn er gar ploͤtzlich vernuͤnftig wird und nachdenkt: „was hast du zu riskiren? zu verlieren? selbst wenn sie dir das Leben nehmen? Mag auch jene andre Welt, die uns nach dem Tode versprochen wird, nicht so ganz brillant seyn, wie man sie ruͤhmt, mag sie noch so schlecht seyn, weniger als man dir jetzt giebt, weniger als sechs Kreuzer per Tag, kann man dir auch dort nicht geben — drum mach dir den Spaß und erstich jene kleine Englaͤnderin mit der impertinenten Nase!“ Bin ich da nicht in der groͤßten Lebensgefahr? Wenn ich Koͤnig waͤre, so wuͤrde ich meine Soldaten in zwey Classen theilen. Die Einen ließe ich an Unsterb¬ lichkeit glauben, um in der Schlacht Muth zu haben und den Tod nicht zu fuͤrchten, und ich wuͤrde sie bloß im Kriege gebrauchen. Die andern aber wuͤrde ich zu Paraden und Revuͤen bestim¬ men, und damit es ihnen nie in den Sinn komme, daß sie nichts riskiren, wenn sie des Spaßes wegen jemanden umbraͤchten, so wuͤrde ich ihnen bey To¬ desstrafe verbieten an Unsterblichkeit zu glauben, ja, ich wuͤrde ihnen sogar noch etwas Butter zu ihrem Kommisbrod geben, damit sie das Leben recht lieb gewinnen. Erstern hingegen, jenen unsterblichen Helden, wuͤrde ich das Leben sehr sauer machen, damit sie es recht verachten lernen und die Muͤndung der Kanonen fuͤr einen Ein¬ gang in eine bessere Welt ansehen. Mylady, sprach ich, Sie waͤren ein schlechter Regent. Sie wissen wenig vom Regieren und von der Politik verstehen Sie gar nichts. Haͤtten Sie die politischen Annalen gelesen — Ich verstehe dergleichen vielleicht besser als Sie, theurer Doktor. Schon fruͤh suchte ich mich dar¬ uͤber zu unterrichten. Als ich noch klein war, in Dublin — Und auf dem Ruͤcken lag, im Gras — und nachdachte, oder auch nicht, wie in Ramsgate — Ein Blick, wie leiser Vorwurf der Undankbar¬ keit, fiel aus Myladys Augen, dann aber lachte sie wieder, und fuhr fort: Als ich noch klein war, in Dublin, und auf einem Eckchen von dem Schemel sitzen konnte, worauf Mutters Fuͤße ruh¬ ten, da hatte ich immer allerley zu fragen, was die Schneider, die Schuster, die Baͤcker, kurz was die Leute in der Welt zu thun haben? Und die Mutter erklaͤrte dann: die Schneider machen Kleider, die Schuster machen Schuhe, die Baͤcker backen Brod — Und als ich nun frug: was thun denn die Koͤnige? da gab die Mutter zur Antwort: die regieren. Weißt du wohl, liebe Mutter, sagte ich da, wenn ich Koͤnig waͤre, so wuͤrde ich mahl einen ganzen Tag gar nicht regie¬ ren, bloß um zu sehen, wie es dann in der Welt aussieht. Liebes Kind, antwortete die Mutter, das thun auch manche Koͤnige, und es sieht auch dann danach aus. Wahrhaftig, Mylady, Ihre Mutter hatte Recht. Besonders hier in Italien giebt es solche Koͤ¬ nige, und man merkt es wohl in Piemont und Neapel — Aber, lieber Doktor, es ist so einem italieni¬ schen Koͤnig nicht zu verargen, wenn er manchen Tag gar nicht regiert, wegen der allzugroßen Hitze. Es ist nur zu befuͤrchten, daß die Carbonari so einen Tag benutzen moͤchten; denn in der neuesten Zeit ist es mir besonders aufgefallen, daß die Re¬ volutionen immer an solchen Tagen ausgebrochen sind, wo nicht regiert wurde. Irrten sich ein¬ mahl die Carbonari, und glaubten sie, es waͤre so ein unregierter Tag, und gegen alle Erwar¬ tung wurde dennoch regiert, so verloren sie die Koͤpfe. Die Carbonari koͤnnen daher nie vorsichtig genug seyn, und muͤssen sich genau die rechte Zeit merken. Dagegen aber ist es die hoͤchste Politik der Koͤnige, daß sie es ganz geheim halten, an welchen Tagen sie nicht regieren, daß sie sich an solchen Tagen wenigstens einige Mahl auf den Regierstuhl setzen, und etwa Federn schneiden, oder Briefkouverts versiegeln oder weiße Blaͤtter liniiren, Alles zum Schein, damit das Volk drau¬ ßen, das neugierig in die Fenster des Palais hin¬ einguckt, ganz sicher glaube es werde regiert. Waͤhrend solche Bemerkungen aus Myladys feinem Muͤndchen hervorgaukelten, schwamm eine laͤchelnde Zufriedenheit um die vollen Rosenlippen Franscheskas. Sie sprach wenig. Ihr Gang war jedoch nicht mehr so seufzend entsagungsselig, wie am verflossenen Abend, sie trat vielmehr sieg¬ reich einher, jeder Schritt ein Trompetenton; es war indessen mehr ein geistlicher Sieg, als ein weltlicher, der sich in ihren Bewegungen kund gab, sie war fast das Bild einer triumphirenden Kirche, und um ihr Haupt schwebte eine unsicht¬ bare Glorie. Die Augen aber, wie aus Thraͤnen hervorlachend, waren wieder ganz weltkindlich, und in dem bunten Menschenstrom, der uns vorbey flutete, ist auch kein einziges Kleidungsstuͤck ihrem Forscherblick entgangen. Ekko! war dann ihr Ausruf, welcher Shawl! der Markese soll mir eben solchen Kaschemir zu einem Turbane kaufen, wenn ich die Roxelane tanze. Ach! er hat mir auch ein Kreuz mit Diamanten versprochen! Armer Gumpelino! zu dem Turbane wirst du dich leicht verstehen, jedoch das Kreuz wird dir noch manche saure Stunde machen; aber Signora wird dich so lange quaͤlen und auf die Folter spannen, bis du dich endlich dazu bequemst. Capitel XI . Die Kirche, worinn das wunderthaͤtige Kreuz von Lukka zu sehen ist, gehoͤrt zu einem Kloster, dessen Namen mir diesen Augenblick nicht im Ge¬ daͤchtnisse. Bey unserem Eintritt in die Kirche, lagen vor dem Hauptaltare ein Dutzend Moͤnche auf den Knien, in schweigendem Gebet. Nur dann und wann, wie im Chor, sprachen sie einige abgebro¬ chene Worte, die in den einsamen Saͤulengaͤngen etwas schauerlich wiederhallten. Die Kirche war dunkel, nur durch kleine gemalte Fenster fiel ein buntes Licht auf die kahlen Haͤupter und braunen Kutten. Glanzlose Kupferlampen beleuchteten spaͤr¬ 6 lich die geschwaͤrzten Freskos und Altarbilder, aus den Waͤnden traten hoͤlzerne Heiligenkoͤpfe, grell bemalt und bey dem zweifelhaften Lichte wie leben¬ dig grinsend — Mylady schrie laut auf, und zeigte zu unseren Fuͤßen einen Grabstein, worauf in relief das starre Bild eines Bischofs mit My¬ thra und Hirtenstab, gefalteten Haͤnden und abge¬ tretener Nase. Ach! fluͤsterte sie, ich selbst trat ihm unsanft auf die steinerne Nase, und nun wird er mir diese Nacht im Traume erscheinen und da giebts eine Nase. Der Sakristan, ein bleicher, junger Moͤnch, zeigte uns das wunderthaͤtige Kreuz, und erzaͤhlte dabey die Mirakel, die es verrichtet. Launisch, wie ich bin, habe ich vielleicht kein unglaͤubiges Gesicht dazu gemacht; ich habe dann und wann Anfaͤlle von Wunderglauben, besonders wo, wie hier, Ort und Stunde denselben beguͤnstigt. Ich glaube dann, daß alles in der Welt ein Wunder sey, und die ganze Weltgeschichte eine Legende. War ich angesteckt von dem Wunderglauben Fran¬ scheskas, die das Kreuz mit wilder Begeisterung kuͤßte? Verdrießlich wurde mir die eben so wilde Spottlust der witzigen Brittinn. Vielleicht ver¬ letzte mich solche um so mehr, da ich mich selbst nicht davon frey fuͤhlte, und sie keineswegs als etwas Lobenswerthes erachtete. Es ist nun mahl nicht zu laͤugnen, daß die Spottlust, die Freude am Widerspruch der Dinge, etwas Boͤs¬ artiges in sich traͤgt, statt daß der Ernst mehr mit den besseren Gefuͤhlen verwandt ist — die Tugend, der Freiheitssinn und die Liebe selbst sind sehr ernsthaft. Indessen, es giebt Herzen, worin Scherz und Ernst, Boͤses und Heiliges, Glut und Kaͤlte sich so abentheuerlich verbinden, daß es schwer wird daruͤber zu urtheilen. Ein solches Herz schwamm in der Brust Mathildens; manchmahl war es eine frierende Eisinsel, aus deren glattem Spiegelboden die sehnsuͤchtig gluͤhendsten Palmen¬ waͤlder hervorbluͤhten, manchmahl war es wieder ein 6 * enthusiastisch flammender Vulkan, der ploͤtzlich von einer lachenden Schneelavine uͤberschuͤttet wird. Sie war durchaus nicht schlecht, bey all ihrer Ausgelassenheit, nicht einmal sinnlich; ja, ich glaube von der Sinnlichkeit hatte sie nur die wi¬ tzige Seite aufgefaßt, und ergoͤtzte sich daran wie an einem naͤrrischen Puppenspiele. Es war ein humoristisches Geluͤste, eine suͤße Neugier, wie sich der oder jener bunte Kautz in verliebten Zustaͤnden gebehrden wuͤrde. Wie ganz anders war Fran¬ scheska! In ihren Gedanken, Gefuͤhlen war eine katholische Einheit. Am Tage war sie ein schmach¬ tend blasser Mond, des Nachts war sie eine gluͤ¬ hende Sonne — Mond meiner Tage! Sonne meiner Naͤchte! ich werde dich niemals wieder¬ sehen! Sie haben Recht, sagte Mylady, ich glaube auch an die Wunderthaͤtigkeit eines Kreuzes. Ich bin uͤberzeugt, wenn der Markese an den Brillan¬ ten des versprochenen Kreuzes nicht zu sehr kni¬ ckert, so bewirkt es gewiß bey Signoren ein bril¬ lantes Wunder; sie wird am Ende noch so sehr davon geblendet werden, daß sie sich in seine Nase verliebt. Auch habe ich oft gehoͤrt von der Wun¬ derthaͤtigkeit einiger Ordenskreuze, die einen ehr¬ lichen Mann zum Schufte machen konnten. So spoͤttelte die huͤbsche Frau uͤber Alles, sie kokettirte mit dem armen Sakristan, machte dem Bischof mit der abgetretenen Nase noch drollige Exkuͤsen, wobey sie sich seinen etwaigen Gegenbe¬ such hoͤflichst verbat, und als wir an den Weih¬ kessel gelangten, wollte sie mich durchaus wieder in einen Esel verwandeln. War es nun wirkliche Stimmung, die der Ort einfloͤßte, oder wollte ich diesen Spaß, der mich im Grunde verdroß, so scharf als moͤglich ableh¬ nen, genug ich warf mich in das gehoͤrige Pathos und sprach: Mylady, ich liebe keine Religionsveraͤchterin¬ nen. Schoͤne Frauen, die keine Religion haben, sind wie Blumen ohne Duft; sie gleichen jenen kalten, nuͤchternen Tulpen, die uns aus ihren chinesischen Porzelantoͤpfen so porzelanhaft ansehen, und wenn sie sprechen koͤnnten, uns gewiß ausein¬ ander setzen wuͤrden, wie sie ganz natuͤrlich aus einer Zwiebel entstanden sind, wie es hinreichend sey, wenn man hienieden nur nicht uͤbel riecht, und wie uͤbrigens, was den Duft betrifft, eine vernuͤnftige Blume gar keines Duftes bedarf. Schon bey dem Wort Tulpe gerieth Mylady in die heftigsten Bewegungen, und waͤhrend ich sprach, wirkte ihre Idiosynkrasie gegen diese Blu¬ me so stark, daß sie sich verzweiflungsvoll die Oh¬ ren zuhielt. Zur Haͤlfte war es wohl Comoͤdie, zur Haͤlfte aber auch wohl pikirter Ernst, daß sie mich mit bitterem Blicke ansah und aus Her¬ zensgrund spottscharf mich frug: Und Sie, theure Blume, welche von den vorhandenen Religionen haben Sie? Ich, Mylady, ich habe sie alle, der Duft meiner Seele steigt in den Himmel und betaͤubt selbst die ewigen Goͤtter! Capitel XII . Indem Signora unser Gespraͤch, das wir groͤ¬ stentheils auf Englisch fuͤhrten, nicht verstehen konnte, gerieth sie, Gott weiß wie! auf den Ge¬ danken, wir stritten uͤber die Vorzuͤglichkeit unserer respektiven Landsleute. Sie lobte nun die Eng¬ laͤnder eben so wie die Deutschen, obgleich sie im Herzen die ersteren fuͤr nicht klug und die letzteren fuͤr dumm hielt. Sehr schlecht dachte sie von den Preußen, deren Land, nach ihrer Geographie, noch weit uͤber England und Deutschland hinaus¬ liegt, besonders schlecht dachte sie vom Koͤnige von Preußen, dem großen Federigo, den ihre Feindin, Signora Seraphina, in ihrem Benefizballette vorig Jahr getanzt hatte; wie denn sonderbar genug, dieser Koͤnig, naͤmlich Friedrich der Große, auf den italienischen Theatern und im Gedaͤchtnisse des italienischen Volks noch immer lebt. Nein, sagte Mylady, ohne auf Signoras suͤßes Gekose hinzuhoͤren, nein, diesen Menschen braucht man nicht erst in einen Esel zu verwan¬ deln; nicht nur, daß er jede zehn Schritte seine Gesinnung wechselt, und sich bestaͤndig widerspricht, wird er jetzt sogar ein Bekehrer, und ich glaube gar er ist ein verkappter Jesuit. Ich muß, mei¬ ner Sicherheit wegen, jetzt devote Gesichter schnei¬ den, sonst giebt er mich an bey seinen Mitheuch¬ lern in Christo, bey den heiligen Inquisizions¬ dilettanten, die mich in Effigie verbrennen, da ihnen die Polizey noch nicht erlaubt, die Perso¬ nen selbst ins Feuer zu werfen. Ach, ehrwuͤrdiger Herr! glauben Sie nur nicht, daß ich so klug sey wie ich aussehe, es fehlt mir durchaus nicht an Religion, ich bin keine Tulpe, bey Leibe keine Tulpe, nur um des Himmels Willen keine Tulpe, ich will lieber alles glauben! Ich glaube jetzt schon das Hauptsaͤchlichste, was in der Bibel steht, ich glaube, daß Abraham den Isaak, und Isaak den Jakob, und Jakob wieder den Juda gezeugt hat, so wie auch, daß dieser wieder seine Schnur Ta¬ mar auf der Landstraße erkannt hat. Ich glaube auch, daß Loth mit seinen Toͤchtern zu viel ge¬ trunken. Ich glaube, daß die Frau des Potiphar den Rock des frommen Josephs in Haͤnden behal¬ ten. Ich glaube, daß die beiden Alten, die Su¬ sannen im Bade uͤberraschten, sehr alt gewesen sind. Außerdem glaub ich noch, daß der Erzvater Jakob erst seinen Bruder und dann seinen Schwie¬ gervater betrogen, daß Koͤnig David dem Uria eine gute Anstellung bey der Armee gegeben, daß Salomo sich tausend Weiber angeschafft und nach¬ her gejammert es sey alles eitel. Auch an die zehn Gebothe glaube ich und halte sogar die mei¬ sten; ich laß mich nicht geluͤsten meines Naͤchsten Ochsen, noch seiner Magd, noch seiner Kuh, noch seines Esels. Ich arbeite nicht am Sabath, dem siebenten Tage, wo Gott geruht; ja, aus Vor¬ sicht, da man nicht mehr genau weiß, welcher die¬ ser siebente Ruhetag war, thue ich oft die ganze Woche nichts. Was aber gar die Gebothe Christi betrifft, so uͤbte ich immer das wichtigste, naͤmlich daß man sogar seine Feinde lieben soll — denn ach! diejenigen Menschen, die ich am meisten ge¬ liebt habe, waren immer, ohne daß ich es wußte, meine schlimmsten Feinde. Um Gottes Willen, Mathilde, weinen Sie nicht! rief ich als wieder ein Ton der schmerzhaf¬ testen Bitterkeit aus der heitersten Neckerey, wie eine Schlange aus einem Blumenbeete, hervor¬ schoß. Ich kannte ja diesen Ton, wobey das wi¬ tzige Cristallherz der wunderbaren Frau zwar im¬ mer gewaltig, aber nicht lange erzitterte, und ich wußte, daß er eben so leicht, wie er entsteht, auch wieder verscheucht wird, durch die erste beste la¬ chende Bemerkung, die man ihr mittheilte, oder die ihr selbst durch den Sinn flog. Waͤhrend sie gelehnt an das Portal des Klosterhofes, die gluͤ¬ hende Wange an die kalten Steine preßte, und sich mit ihren langen Haaren die Thraͤnenspur aus den Augen wischte, suchte ich ihre gute Laune wieder zu erwecken, indem ich, in ihrer eignen Spottweise, die arme Franscheska zu mystifiziren suchte, und ihr die wichtigsten Nachrichten mit¬ theilte uͤber den siebenjaͤhrigen Krieg, der sie so sehr zu interessiren schien, und den sie noch im¬ mer unbeendigt glaubte. Ich erzaͤhlte ihr viel Interessantes von dem großen Federigo, dem wi¬ tzigen Kamaschengott von Sanssouci, der die preu¬ ßische Monarchie erfunden, und in seiner Jugend recht huͤbsch die Floͤte bließ, und auch franzoͤsische Verse gemacht hat. Franscheska frug mich, ob die Preußen oder die Deutschen siegen werden? Denn, wie schon oben bemerkt, sie hielt erstere fuͤr ein ganz anderes Volk, und es ist auch ge¬ woͤhnlich, daß in Italien unter dem Namen Deut¬ sche nur die Oestreicher verstanden werden. Sig¬ nora wunderte sich nicht wenig, als ich ihr sagte, daß ich selbst lange Zeit in der Capitale della Prussia gelebt habe, naͤmlich in Berelino , einer Stadt, die ganz oben in der Geographie liegt, unsern vom Eispol. Sie schauderte, als ich ihr die Gefahren schilderte, denen man dort zu¬ weilen ausgesetzt ist, wenn einem die Eisbaͤren auf der Straße begegnen. Denn, liebe Fran¬ scheska, erklaͤrte ich ihr, in Spitzbergen liegen gar zu viele Baͤren in Garnison, und diese kommen zuweilen auf einen Tag nach Berlin, um etwa aus Patriotismus den Baͤr und den Bassa zu se¬ hen, oder einmahl bey Beyerman, im Caff é royal, gut zu essen und Champagner zu trinken, was ihnen oft mehr Geld kostet, als sie mitgebracht; in welchem Falle einer von den Baͤren solange dort angebunden wird, bis seine Cammeraden zuruͤck¬ kehren und bezahlen, woher auch der Ausdruck „einen Baͤren anbinden“ entstanden ist. Viele Baͤren wohnen in der Stadt selbst, ja man sagt Berlin verdanke seine Entstehung den Baͤren, und hieße eigentlich Baͤrlin. Die Stadtbaͤren sind aber uͤbrigens sehr zahm und einige darunter so gebildet, daß sie die schoͤnsten Tragoͤdien schreiben und die herrlichste Musik komponiren. Die Woͤlfe sind dort ebenfalls haͤufig, und da sie, der Kaͤlte wegen, warschauer Schafpelze tragen, sind sie nicht so leicht zu erkennen. Schneegaͤnse flattern dort umher und singen Bravourarien, und Renn¬ thiere rennen da herum als Kunstkenner. Uebri¬ gens leben die Berliner sehr maͤßig und fleißig, und die meisten sitzen bis am Nabel im Schnee und schreiben Dogmatiken, Erbauungsbuͤcher, Re¬ ligionsgeschichten fuͤr Toͤchter gebildeter Staͤnde, Kathechismen, Predigten fuͤr alle Tage im Jahr, Elohagedichte, und sind dabey sehr moralisch, denn sie sitzen bis am Nabel im Schnee. Sind die Berliner denn Christen? rief Sig¬ nora voller Verwundrung. Es hat eine eigne Bewandtniß, mit ihrem Christenthum. Dieses fehlt ihnen im Grunde ganz und gar, und sie sind auch viel zu vernuͤnf¬ tig, um es ernstlich auszuuͤben. Aber da sie wis¬ sen, daß das Christenthum im Staate noͤthig ist, damit die Unterthanen huͤbsch demuͤthig gehorchen, und auch außerdem nicht zu viel gestohlen und ge¬ mordet wird, so suchen sie mit großer Beredsam¬ keit wenigstens ihre Nebenmenschen zum Christen¬ thume zu bekehren, sie suchen gleichsam Rempla¬ ç ants in einer Religion, deren Aufrechthaltung sie wuͤnschen und deren strenge Ausuͤbung ihnen selbst zu muͤhsam wird. In dieser Verlegenheit benutzen sie den Diensteifer der armen Juden, diese muͤssen jetzt fuͤr sie Christen werden, und da dieses Volk, fuͤr Geld und gute Worte alles aus sich machen laͤßt, so haben sich die Juden schon so ins Christenthum hineinexerzirt, daß sie ordent¬ lich schon uͤber Unglauben schreyen, auf Tod und Leben die Dreyeinigkeit verfechten, in den Hunds¬ tagen sogar daran glauben, gegen die Razionali¬ sten wuͤthen, als Missionaͤre und Glaubensspione im Lande herumschleichen und erbauliche Traktaͤt¬ chen verbreiten, in den Kirchen am besten die Au¬ gen verdrehen, die scheinheiligsten Gesichter schnei¬ den, und mit so viel hohem Beyfalle froͤmmeln, daß sich schon hie und da der Gewerbsneid regt, und die aͤlteren Meister des Handwerks schon heim¬ lich klagen: das Christenthum sey jetzt ganz in den Haͤnden der Juden. Capitel XIII . Wenn mich Signora nicht verstand, so wirst du, lieber Leser, mich gewiß besser verstehen. Auch Mylady verstand mich, und dies Verstaͤnd¬ niß weckte wieder ihre gute Laune. Doch als ich — ich weiß nicht mehr ob mit ernsthaftem Gesichte — der Meinung beypflichten wollte, daß das Volk einer bestimmten Religion beduͤrfe, konnte sie wieder nicht umhin, mir in ihrer Weise entge¬ gen zu streiten. Das Volk muß eine Religion haben! rief sie. Eifrig hoͤre ich diesen Satz predigen von tausend dummen und abertausend scheinheiligen Lippen — Und dennoch ist es wahr, Mylady. Wie die 7 Mutter nicht alle Fragen des Kindes mit der Wahrheit beantworten kann, weil seine Fassungs¬ kraft es nicht erlaubt, so muß auch eine positive Religion, eine Kirche vorhanden seyn, die alle uͤbersinnlichen Fragen des Volks, seiner Fassungs¬ kraft gemaͤß, recht sinnlich bestimmt beantworten kann. O weh! Doktor, eben Ihr Gleichniß bringt mir eine Geschichte ins Gedaͤchtniß, die am Ende nicht guͤnstig fuͤr Ihre Meinung sprechen wuͤrde. Als ich noch klein war, in Dublin — Und auf dem Ruͤcken lag — Aber, Doktor, man kann doch mit Ihnen kein vernuͤnftig Wort sprechen. Laͤcheln Sie nicht so unverschaͤmt und hoͤren Sie: Als ich noch klein war, in Dublin, und zu Mutters Fuͤßen saß, frug ich sie einst: was man mit den alten Voll¬ monden anfange? Liebes Kind, sagte die Mut¬ ter, die alten Vollmonde schlaͤgt der liebe Gott mit dem Zuckerhammer in Stuͤcke, und macht daraus die kleinen Sterne. Man kann der Mut¬ ter diese offenbar falsche Erklaͤrung nicht verdenken, denn mit den besten astronomischen Kenntnissen haͤtte sie doch nicht vermocht, mir das ganze Sonne-, Mond- und Sternesystem aus einander zu setzen, und die uͤbersinnlichen Fragen beantwor¬ tete sie sinnlich bestimmt. Es waͤre aber doch besser gewesen, sie haͤtte die Erklaͤrung fuͤr ein reiferes Alter verschoben, oder wenigstens keine Luͤge ausgedacht. Denn als ich mit der kleinen Lucie zusammen kam und der Vollmond am Him¬ mel stand, und ich ihr erklaͤrte, wie man bald kleine Sterne draus machen werde, lachte sie mich aus, und sagte, daß ihre Großmutter, die alte O' Meara ihr erzaͤhlt habe: die Vollmonde wuͤr¬ den in der Hoͤlle als Feuermelonen verzehrt, und da man dort keinen Zucker habe, muͤsse man Pfeffer und Salz drauf streuen. Hatte Lucie vorher uͤber meine Meinung, die etwas naiv evan¬ gelisch war, mich ausgelacht, so lachte ich noch 7* mehr uͤber ihre duͤster katholische Ansicht, vom Auslachen kam es zu ernstem Streit, wir pufften uns, wir kratzten uns blutig, wir bespuckten uns polemisch, bis der kleine O'Donnel aus der Schule kam, und uns aus einander riß. Dieser Knabe hatte dort besseren Unterricht in der Himmels¬ kunde genossen, verstand sich auf Mathematik, und belehrte uns ruhig uͤber unsere beiderseitigen Irrthuͤmer und die Thorheit unseres Streits. Und was geschah? Wir beiden Maͤdchen unterdruͤckten vor der Hand unseren Meynungsstreit, und ver¬ einigten uns gleich, um den kleinen ruhigen Ma¬ thematikus durchzupruͤgeln. Mylady, ich bin verdrießlich, denn Sie haben Recht. Aber es ist nicht zu aͤndern, die Menschen werden immer streiten uͤber die Vorzuͤglichkeit der¬ jenigen Religionsbegriffe, die man ihnen fruͤh bey¬ gebracht, und der Vernuͤnftige wird immer doppelt zu leiden haben. Einst war es freylich anders, da ließ sich keiner einfallen, die Lehre und die Feyer seiner Religion besonders anzupreisen, oder gar sie jemanden aufzudringen. Die Religion war eine liebe Tradizion, heilige Geschichten, Erinnerungs¬ feyer und Mysterien, uͤberliefert von den Vorfah¬ ren, gleichsam Familiensakra des Volks, und ei¬ nem Griechen waͤre es ein Greuel gewesen, wenn ein Fremder, der nicht von seinem Geschlechte, eine Religionsgenossenschaft mit ihm verlangt haͤtte; noch mehr wuͤrde er es fuͤr eine Unmenschlichkeit gehalten haben, irgend jemand, durch Zwang oder List, dahinzubringen, seine angeborene Religion aufzugeben und eine fremde dafuͤr anzunehmen. Da kam aber ein Volk aus Egypten, dem Vater¬ land der Krokodille und des Priesterthums, und außer den Hautkrankheiten und den gestohlenen Gold- und Silbergeschirren, brachte es auch eine sogenannte positive Religion mit, eine sogenannte Kirche, ein Geruͤste von Dogmen, an die man glauben, und heiliger Ceremonien, die man feyern mußte, ein Vorbild der spaͤteren Staatsreligio¬ nen. Nun entstand „die Menschenmaͤkeley“ das Proselitenmachen, der Glaubenszwang, und all jene heiligen Greul, die dem Menschengeschlechte so viel Blut und Thraͤnen gekostet. Goddamm ! dieses Uruͤbelvolk! O, Mathilde, es ist laͤngst verdammt, und schleppt seine Verdammnißqualen durch die Jahr¬ tausende. O, dieses Egypten! seine Fabrikate tro¬ tzen der Zeit, seine Pyramiden stehen noch immer unerschuͤtterlich, seine Mumien sind noch so unzer¬ stoͤrbar wie sonst, und eben so unverwuͤstlich ist jene Volkmumie, die uͤber die Erde wandelt, ein¬ gewickelt in ihren uralten Buchstabenwindeln, ein verhaͤrtet Stuͤck Weltgeschichte, ein Gespenst, das zu seinem Unterhalte mit Wechseln und alten Ho¬ sen handelt — Sehen Sie, Mylady, dort jenen alten Mann, mit dem weißen Barte, dessen Spitze sich wieder zu schwaͤrzen scheint, und mit den geisterhaften Augen — Sind dort nicht die Ruinen der alten Roͤmer¬ graͤber? Ja, eben da sitzt der alte Mann, und vielleicht, Mathilde, verrichtet er eben sein Gebet, ein schau¬ riges Gebet, worinn er seine Leiden bejammert, und Voͤlker anklagt, die laͤngst von der Erde ver¬ schwunden sind, und nur noch in Ammenmaͤhrchen leben — er aber, in seinem Schmerze, bemerkt kaum, daß er auf den Graͤbern derjenigen Feinde sitzt, deren Untergang er vom Himmel erfleht. Capitel XIV . Ich sprach im vorigen Capitel von den positi¬ ven Religionen nur in so fern sie als Kirchen, unter den Namen Staatsreligionen, noch besonders vom Staate privilegirt werden. Es giebt aber eine fromme Dialektik, lieber Leser, die dir aufs buͤndigste beweisen wird, daß ein Gegner des Kirch¬ thums einer solchen Staatsreligion auch ein Feind der Religion und des Staats sey, ein Feind Got¬ tes und des Koͤnigs, oder, wie die gewoͤhnliche Formel lautet: ein Feind des Throns und des Al¬ tars. Ich aber sage dir, das ist eine Luͤge, ich ehre die innere Heiligkeit jeder Religion und unterwerfe mich den Interessen des Staates. Wenn ich auch dem Antropomorphismus nicht sonderlich huldige, so glaube ich doch an die Herrlichkeit Gottes, und wenn auch die Koͤnige so thoͤrigt sind, dem Geiste des Volks zu widerstreben, oder gar so unedel sind, die Organe desselben durch Zuruͤcksetzungen und Verfolgungen zu kraͤnken: so bleibe ich doch, meiner tiefsten Ueberzeugung nach, ein Anhaͤnger des Koͤnigthums, des monarchischen Princips. Ich hasse nicht den Thron, sondern nur das windige Adelgeziefer, das sich in die Ritzen der alten Throne eingenistet, und dessen Charakter uns Mon¬ tesquieu so genau schildert mit den Worten: „Ehr¬ geiz im Bunde mit dem Muͤssiggange, die Ge¬ meinheit im Bunde mit dem Hochmuthe, die Be¬ gierde, sich zu bereichern ohne Arbeit, die Abnei¬ gung gegen die Wahrheit, die Schmeicheley, der Verrath, die Treulosigkeit, der Wortbruch, die Verachtung der Buͤrgerpflichten, die Furcht vor Fuͤrstentugend und das Interesse an Fuͤrstenlaster!“ Ich hasse nicht den Altar, sondern ich hasse die Schlangen, die unter dem Geruͤlle der alten Al¬ taͤre lauern; die argklugen Schlangen, die unschul¬ dig wie Blumen zu laͤcheln wissen, waͤhrend sie heimlich ihr Gift spritzen in den Kelch des Lebens, und Verlaͤumdung zischen in das Ohr des from¬ men Beters, die gleißenden Wuͤrmer mit weichen Worten — Mel in ore, verba lactis, Fel in corde, fraus in factis. Eben weil ich ein Freund des Staats und der Religion bin, hasse ich jene Mißgeburt, die man Staatsreligion nennt, jenes Spottgeschoͤpf, das aus der Buhlschaft der weltlichen und der geistlichen Macht entstanden, jenes Maulthier, das der Schimmel des Antichrists mit der Eselinn Christi gezeugt hat. Gaͤbe es keine solche Staats¬ religion, keine Bevorrechtung eines Dogmas und eines Cultus, so waͤre Deutschland einig und stark und seine Soͤhne waͤren herrlich und frey. So aber ist unser armes Vaterland zerrissen durch Glaubenszwiespalt, das Volk ist getrennt in feind¬ liche Religionspartheyen, protestantische Untertha¬ nen hadern mit ihren katholischen Fuͤrsten oder umgekehrt, uͤberall Mißtrauen ob Kryptokatholizis¬ mus oder Kryptoprotestantismus, uͤberall Verketze¬ rung, Gesinnungsspionage, Pietismus, Mystizis¬ mus, Kirchenzeitungsschnuͤffeleyen, Sektenhaß, Be¬ kehrungssucht, und waͤhrend wir uͤber den Himmel streiten, gehen wir auf Erden zu Grunde. Ein Indifferentismus in religioͤsen Dingen waͤre viel¬ leicht allein im Stande uns zu retten, und durch Schwaͤcherwerden im Glauben koͤnnte Deutschland politisch erstarken. Fuͤr die Religion selber, fuͤr ihr heiliges We¬ sen, ist es eben so verderblich, wenn sie mit Pri¬ vilegien bekleidet ist, wenn ihre Diener vom Staate vorzugsweise dotirt werden, und zur Erhaltung die¬ ser Dotazionen ihrerseits verpflichtet sind, den Staat zu vertreten, und solchermaßen eine Hand die an¬ dere waͤscht, die geistliche die weltliche, und umge¬ kehrt, und ein Wischwasch entsteht, der dem lieben Gott eine Thorheit und den Menschen ein Greul ist. Hat nun der Staat Gegner, so werden diese auch Feinde der Religion, die der Staat bevorrech¬ tet und die deßhalb seine Alliirte ist; und selbst der harmlose Glaͤubige wird mißtrauisch, wenn er in der Religion auch politische Absicht wittert. Am widerwaͤrtigsten aber ist der Hochmuth der Priester, wenn sie fuͤr die Dienste, die sie dem Staate zu leisten glauben, auch auf dessen Unterstuͤtzung rech¬ nen duͤrfen, wenn sie fuͤr die geistige Fessel, die sie ihm, um die Voͤlker zu binden, geliehen haben, auch uͤber seine Bajonette verfuͤgen koͤnnen. Die Reli¬ gion kann nie schlimmer sinken als wenn sie solcher¬ maßen zur Staatsreligion erhoben wird, es geht dann gleichsam ihre innere Unschuld verloren, und sie wird so oͤffentlich stolz, wie eine deklarirte Maͤ¬ tresse. Freilich werden ihr dann mehr Huldigungen und Ehrfurchtsversicherungen dargebracht, sie feyert taͤglich neue Siege, in glaͤnzenden Prozessionen, bey solchen Triumphen tragen sogar bonapartistische Ge¬ nerale ihr die Kerzen vor, die stolzesten Geister schwoͤren zu ihrer Fahne, taͤglich werden Unglaͤu¬ bige bekehrt und getauft — aber dies viele Wasser¬ aufgießen macht die Suppe nicht fetter, und die neuen Rekruten der Staatsreligion gleichen den Soldaten, die Fallstaf geworben — sie fuͤllen die Kirche. Von Aufopfrung ist gar nicht mehr die Rede, wie Kaufmannsdiener mit ihren Musterkar¬ ten, so reisen die Missionaͤre mit ihren Tractaͤtchen und Bekehrungsbuͤchlein, es ist keine Gefahr mehr bey diesem Geschaͤfte, und es bewegt sich ganz in merkantilisch oͤkonomischen Formen. Nur so lange die Religionen mit anderen zu rivalisiren haben, und weit mehr verfolgt werden als selbst verfolgen, sind sie herrlich und ehrenwerth, nur da giebts Begeisterung, Aufopferung, Maͤrtyrer und Palmen. Wie schoͤn, wie heilig lieblich, wie heimlich suͤß, war das Christenthum der ersten Jahr¬ hunderte, als es selbst noch seinem goͤttlichen Stif¬ ter glich im Heldenthum des Leidens. Da wars noch die schoͤne Legende von einem heimlichen Gotte, der in sanfter Juͤnglingsgestalt unter den Palmen Palaͤstinas wandelte, und Menschenliebe predigte, und jene Freiheit- und Gleichheitslehre offenbarte, die auch spaͤter die Vernunft der groͤßten Denker als wahr erkannt hat, und die, als franzoͤsisches Evangelium, unsere Zeit begeistert. Mit jener Re¬ ligion Christi vergleiche man die verschiedenen Chri¬ stenthuͤmer, die in den verschiedenen Laͤndern als Staatsreligionen konstituirt worden, z. B. die roͤ¬ misch apostolisch katholische Kirche, oder gar jenen Katholizismus ohne Poesie, den wir als High Church of England herrschen sehen, jenes klaͤglich morsche Glaubensskelet, worin alles bluͤhende Leben erloschen ist! Wie den Gewerben ist auch den Religionen das Monopolsystem schaͤdlich, durch freye Conkurenz bleiben sie kraͤftig, und sie werden erst dann zu ih¬ rer urspruͤnglichen Herrlichkeit wieder erbluͤhen, so¬ bald die politische Gleichheit der Gottesdienste, so zu sagen die Gewerbefreyheit der Goͤtter eingefuͤhrt wird. Die edelsten Menschen in Europa haben es laͤngst ausgesprochen, daß dieses das einzige Mittel ist, die Religion vor gaͤnzlichem Untergang zu be¬ wahren; doch die Diener derselben werden eher den Altar selbst aufopfern, als daß sie von dem was darauf geopfert wird, das Mindeste verlieren moͤch¬ ten; eben so wie der Adel eher den Thron selbst und Hochdenjenigen, der hochdarauf sitzt, dem sicher¬ sten Verderben uͤberlassen wuͤrde, als daß er mit ernstlichem Willen die ungerechteste seiner Gerecht¬ same aufgaͤbe. Ist doch das affektirte Interesse fuͤr Thron und Altar nur ein Possenspiel, das dem Volke vorgegaukelt wird! Wer das Zunftgeheimniß belauert hat, weiß, daß die Pfaffen viel weniger als die Layen den Gott respektiren, den sie zu ih¬ rem eignen Nutzen, nach Willkuͤhr, aus Brod und Wort zu kneten wissen, und daß die Adligen viel weniger als es ein Roturier vermoͤchte, den Koͤnig respektiren, und sogar eben das Koͤnigthum, dem sie oͤffentlich so viele Ehrfurcht zeigen, und dem sie so viel Ehrfurcht bey Anderen zu erwerben suchen, in ihrem Herzen verhoͤhnen und verachten: — wahr¬ lich, sie gleichen jenen Leuten, die dem gaffenden Publikum, in den Marktbuden, irgend einen Her¬ kules oder Riesen, oder Zwerg, oder Wilden, oder Feuerfresser, oder sonstig merkwuͤrdigen Mann fuͤr Geld zeigen, und dessen Staͤrke Erhabenheit, Kuͤhn¬ heit, Unverletzlichkeit, oder, wenn er ein Zwerg ist, dessen Weisheit, mit der uͤbertriebensten Ruhmre¬ digkeit auspreisen, und dabey in die Trompete sto¬ ßen, und eine bunte Jacke tragen, waͤhrend sie dar¬ unter, im Herzen, die Leichtglaͤubigkeit des staunen¬ den Volkes verlachen und den armen Hochgepriese¬ nen verspotten, der ihnen aus Gewohnheit des taͤg¬ lichen Anblicks sehr uninteressant geworden, und dessen Schwaͤchen und nur andressirte Kuͤnste sie all zu genau kennen. Ob der liebe Gott es noch lange dulden wird, daß die Pfaffen einen leidigen Popanz fuͤr ihn ausgeben und damit Geld verdienen, das weiß ich nicht; — wenigstens wuͤrde ich mich nicht wundern, wenn ich mahl im Hamb. Unpart. Correspondenten laͤse: daß der alte Jehova jedermann warne, kei¬ nem Menschen, es sey wer es wolle, nicht einmal seinem Sohne, auf seinen Namen Glauben zu schenken. Ueberzeugt bin ich aber, wir werden's mit der Zeit erleben, daß die Koͤnige sich nicht mehr hergeben wollen zu einer Schaupuppe ihrer adligen Veraͤchter, daß sie die Etiquetten brechen, ihren mar¬ mornen Buden entspringen, und unwillig von sich werfen den glaͤnzenden Plunder, der dem Volke imponiren sollte, den rothen Mantel, der scharfrich¬ terlich abschreckte, den diamantenen Reif, den man ihnen uͤber die Ohren gezogen, um sie den Volks¬ stimmen zu versperren, den goldnen Stock, den man ihnen als Scheinzeichen der Herrschaft in die Hand gegeben — und die befreyten Koͤnige, wer¬ 8 den frey seyn wie andre Menschen, und frey un¬ ter ihnen wandeln, und frey fuͤhlen und frey heu¬ rathen, und frey ihre Meinung bekennen, und das ist die Emanzipazion der Koͤnige. Capitel XV . Was bleibt aber den Aristokraten uͤbrig, wenn sie der gekroͤnten Mittel ihrer Subsistenz beraubt werden, wenn die Koͤnige ein Eigenthum des Volks sind, und ein ehrliches und sicheres Regi¬ ment fuͤhren, durch den Willen des Volks, der alleinigen Quelle aller Macht? Was werden die Pfaffen beginnen, wenn die Koͤnige einsehen, daß ein bischen Salboͤhl keinen menschlichen Kopf guillotinenfest machen kann, eben so wie das Volk taͤglich mehr und mehr einsieht, daß man von Oblaten nicht satt wird? Nun freilich, da bleibt der Aristokratie und der Clerisey nichts uͤbrig als sich zu verbuͤnden, und gegen die neue Weltord¬ nung zu kabaliren und zu intriguiren. 8 * Vergebliches Bemuͤhen! Eine flammende Rie¬ sinn, schreitet die Zeit ruhig weiter, unbekuͤmmert um das Geklaͤffe bissiger Pfaͤffchen und Junkerlein da unten. Wie heulen sie jedesmahl, wenn sie sich die Schnautze verbrannt an einem Fuße jener Riesinn, oder wenn diese ihnen mahl unversehens auf die Koͤpfe trat, daß das obscure Gift her¬ ausspritzte! Ihr Grimm wendet sich dann um so tuͤckischer gegen einzelne Kinder der Zeit, und, ohnmaͤchtig gegen die Masse, suchen sie an Indi¬ viduen ihr feiges Muͤthchen zu kuͤhlen. Ach! wir muͤssen es gestehen, manch armes Kind der Zeit fuͤhlt darum nicht minder die Stiche, die ihm lauernde Pfaffen und Junker im Dun¬ keln beyzubringen wissen, und ach! wenn auch eine Glorie sich zieht um die Wunden des Siegers, so bluten sie dennoch, und schmerzen dennoch! Es ist ein seltsames Martyrthum, das solche Sie¬ ger in unseren Tagen erdulden, es ist nicht abge¬ than mit einem kuͤhnen Bekenntnisse, wie in fruͤ¬ heren Zeiten, wo die Blutzeugen ein rasches Scha¬ fott fanden oder den jubelnden Holzstoß. Das Wesen des Martyrthums, alles Irdische aufzu¬ opfern fuͤr den himmlischen Spaß, ist noch immer dasselbe; aber es hat viel verloren von seiner in¬ nern Glaubensfreudigkeit, es wurde mehr ein re¬ signirendes Ausdauern, ein beharrliches Ueberdul¬ den, ein lebenslaͤngliches Sterben, und da geschieht es sogar, daß in grauen kalten Stunden auch die heiligsten Maͤrtyrer vom Zweifel beschlichen werden. Es giebt nichts Entsetzlicheres als jene Stunden, wo ein Markus Brutus zu zweifeln begann an der Wirklichkeit der Tugend fuͤr die er alles geopfert! Und ach! jener war ein Roͤmer und lebte in der Bluͤthenzeit der Stoa; wir aber sind modern weicheren Stoffes, und dazu sehen wir noch das Gedeihen einer Philosophie, die aller Begeisterung nur eine relative Bedeutung zu¬ spricht, und sie somit in sich selbst vernichtet, oder sie allenfalls zu einer selbstbewußten Donquixoterie neutralisirt! Die kuͤhlen und klugen Philosophen! Wie mit¬ leidig laͤcheln sie herab auf die Selbstquaͤlereyen und Wahnsinnigkeiten eines armen Don Quixote, und in all ihrer Schulweisheit merken sie nicht, daß jene Donquixoterie dennoch das Preisenswer¬ theste des Lebens, ja das Leben selbst ist, und daß diese Donquixoterie die ganze Welt, mit allem was darauf philosophirt, musizirt, ackert und gaͤhnt, zu kuͤhnerem Schwunge befluͤgelt! Denn die große Volksmasse, mitsammt den Philosophen, ist, ohne es zu wissen, nichts anders als ein kolossaler Sancho Pansa, der, trotz all seiner nuͤchternen Pruͤgelscheu und hausbackner Verstaͤndigkeit, dem wahnsinnigen Ritter in allen seinen gefaͤhrlichen Abentheuern folgt, gelockt von der versprochenen Belohnung, an die er glaubt, weil er sie wuͤnscht, mehr aber noch getrieben von der mystischen Gewalt, die der En¬ thusiasmus immer ausuͤbt auf den großen Haufen — wie wir es in allen politischen und religioͤsen Re¬ voluzionen, und vielleicht taͤglich im kleinsten Er¬ eignisse sehen koͤnnen. So, z. B. du, lieber Leser, bist unwillkuͤhrlich der Sancho Pansa des verruͤckten Poeten, dem du, durch die Irrfahrten dieses Buches, zwar mit Kopfschuͤtteln folgst, aber dennoch folgst. Capitel XVI . Seltsam! „Leben und Thaten des scharfsinni¬ gen Junkers Don Quixote von La Mancha, be¬ schrieben von Miguel de Cervantes Saavedra“ war das erste Buch, das ich gelesen habe, nachdem ich schon in ein verstaͤndiges Knabenalter getreten, und des Buchstabenwesens einigermaßen kundig war. Ich erinnere mich noch ganz genau jener kleinen Zeit, wo ich mich eines fruͤhen Morgens von Hause wegstahl, und nach dem Hofgarten eilte, um dort ungestoͤrt den Don Quixote zu lesen. Es war ein schoͤner Maytag, lauschend im stillen Morgenlichte lag der bluͤhende Fruͤhling, und ließ sich loben von der Nachtigall, seiner suͤßen Schmeichlerinn, und diese sang ihr Loblied so karessirend weich, so schmelzend enthusiastisch, daß die verschaͤmtesten Knospen aufsprangen, und die luͤ¬ sternen Graͤser und die duftigen Sonnenstralen sich hastiger kuͤßten, und Baͤume und Blumen schauer¬ ten, vor eitelem Entzuͤcken. Ich aber setzte mich auf eine alte mosige Steinbank in der sogenann¬ ten Seufzerallee unfern des Wasserfalls, und er¬ goͤtzte mein kleines Herz an den großen Aben¬ theuern des kuͤhnen Ritters. In meiner kindischen Ehrlichkeit nahm ich alles fuͤr baaren Ernst; so laͤcherlich auch dem armen Helden von dem Ge¬ schicke mitgespielt wurde, so meinte ich doch, das muͤsse so seyn, das gehoͤre nun mahl zum Helden¬ thum, das Ausgelachtwerden eben so gut wie die Wunden des Leibes, und jenes verdroß mich eben so sehr, wie ich diese in meiner Seele mitfuͤhlte. Ich war ein Kind und kannte nicht die Ironie, die Gott in die Welt hineingeschaffen, und die 8 * * der große Dichter, in seiner gedruckten Kleinwelt nachgeahmt hatte — und ich konnte die bittersten Thraͤnen vergießen, wenn der edle Ritter, fuͤr all seinen Edelmuth, nur Undank und Pruͤgel genoß; und da ich, noch ungeuͤbt im Lesen, jedes Wort laut aussprach, so konnten Voͤgel und Baͤume, Bach und Blumen alles mit anhoͤren, und da solche unschuldige Naturwesen, eben so wie die Kinder, von der Weltironie nichts wissen, so hiel¬ ten sie gleichfalls alles fuͤr baaren Ernst, und weinten mit uͤber die Leiden des armen Ritters, sogar eine alte ausgediente Eiche schluchzte, und der Wasserfall schuͤttelte heftiger seinen weißen Bart, und schien zu schelten auf die Schlechtig¬ keit der Welt. Wir fuͤhlten, daß der Heldensinn des Ritters darum nicht mindere Bewundrung verdient, wenn ihm der Loͤwe ohne Kampflust den Ruͤcken kehrte, und daß seine Thaten um so prei¬ senswerther, je schwaͤcher und ausgedorrter sein Leib, je morscher die Ruͤstung, die ihn schuͤtzte, und je armseliger der Klepper, der ihn trug. Wir ver¬ achteten den niedrigen Poͤbel, der den armen Hel¬ den so pruͤgelroh behandelte, noch mehr aber den hohen Poͤbel, der, geschmuͤckt mit buntseidnen Maͤnteln, vornehmen Redensarten und Herzogs¬ titeln, einen Mann verhoͤhnte, der ihm an Gei¬ steskraft und Edelsinn so weit uͤberlegen war. Dulcineas Ritter stieg immer hoͤher in meiner Achtung, und gewann immer mehr meine Liebe je laͤnger ich in dem wundersamen Buche las, was in demselben Garten taͤglich geschah, so daß ich schon im Herbste das Ende der Geschichte erreichte, — und nie werde ich den Tag vergessen, wo ich von dem kummervollen Zweykampfe las, worinn der Ritter so schmaͤhlig unterliegen mußte! Es war ein truͤber Tag, haͤßliche Nebelwolken zogen dem grauen Himmel entlang, die gelben Blaͤtter fielen schmerzlich von den Baͤumen, schwere Thraͤnentropfen hingen an den letzten Blumen, die gar traurig welk die sterbenden Koͤpfchen senk¬ ten, die Nachtigallen waren laͤngst verschollen, von allen Seiten starrte mich an das Bild der Ver¬ gaͤnglichkeit, — und mein Herz wollte schier bre¬ chen, als ich las, wie der edle Ritter betaͤubt und zermalmt am Boden lag, und ohne das Visir zu erheben, als wenn er aus dem Grabe gesprochen haͤtte, mit schwacher kranker Stimme zu dem Sie¬ ger hinaufsprach: „Dulcinea ist das schoͤnste Weib der Welt und ich der ungluͤcklichste Ritter auf Erden, aber es ziemt sich nicht, daß meine Schwaͤche diese Wahrheit verlaͤugne — stoßt zu mit der Lanze, Ritter!“ Ach! dieser leuchtende Ritter vom silbernen Monde, der den muthigsten und edelsten Mann der Welt besiegte, war ein verkappter Barbier! Capitel XVII . Das ist nun lange her. Viele neue Lenze sind unterdessen hervorgebluͤht, doch mangelte ihnen immer ihr maͤchtigster Reitz, denn ach! ich glaube nicht mehr den suͤßen Luͤgen der Nachtigall, der Schmeichlerinn des Fruͤhlings, ich weiß wie schnell seine Herrlichkeit verwelkt, und wenn ich die juͤngste Rosenknospe erblicke, sehe ich sie im Geiste schmerz¬ roth aufbluͤhen, erbleichen und von den Win¬ den verweht. Ueberall sehe ich einen verkappten Winter. In meiner Brust aber bluͤht noch jene flam¬ mende Liebe, die sich sehnsuͤchtig uͤber die Erde e mporhebt, abentheuerlich herumschwaͤrmt in den weiten, gaͤhnenden Raͤumen des Himmels, dort zuruͤckgestoßen wird von den kalten Sternen, und wieder heimsinkt zur kleinen Erde, und mit Seuf¬ zen und Jauchzen gestehen muß, daß es doch in der ganzen Schoͤpfung nichts Schoͤneres und Bes¬ seres giebt als das Herz der Menschen. Diese Liebe ist die Begeisterung, die immer goͤttlicher Art, gleichviel ob sie thoͤrigte oder weise Handlun¬ gen veruͤbt — Und so hat der kleine Knabe kei¬ neswegs unnuͤtz seine Thraͤnen verschwendet, die er uͤber die Leiden des naͤrrischen Ritters vergoß, eben so wenig wie spaͤterhin der Juͤngling, als er manche Nacht im Studierstuͤbchen weinte uͤber den Tod der heiligsten Freyheitshelden, uͤber Koͤnig Agis von Sparta, uͤber Cajus und Tiberius Grac¬ chus von Rom, uͤber Jesus von Jerusalem, und uͤber Robespierre und Saint Just von Paris. Jetzt, wo ich die Toga virilis angezogen, und selbst ein Mann seyn will, hat das Weinen ein Ende, und es gilt zu handeln wie ein Mann, nachahmend die großen Vorgaͤnger und wills Gott! kuͤnftig ebenfalls beweint von Knaben und Juͤng¬ lingen. Ja, diese sind es, auf die man noch rechnen kann in unserer kalten Zeit; denn diese werden noch entzuͤndet von dem gluͤhenden Hauche, der ihnen aus den alten Buͤchern entgegenweht, und deßhalb begreifen sie auch die Flammenherzen der Gegenwart. Die Jugend ist uneigennuͤtzig im Denken und Fuͤhlen, und denkt und fuͤhlt de߬ halb die Wahrheit am tiefsten, und geizt nicht wo es gilt eine kuͤhne Theilnahme an Bekenntniß und That. Die aͤlteren Leute sind selbstsuͤchtig und kleinsinnig; sie denken mehr an die Interessen ihrer Capitalien als an die Interessen der Mensch¬ heit; sie lassen ihr Schifflein ruhig fortschwimmen im Rinnstein des Lebens, und kuͤmmern sich wenig um den Seemann, der auf hohem Meere gegen die Wellen kaͤmpft; oder sie erkriechen, mit klebrigter Beharrlichkeit die Hoͤhe des Buͤrgermei¬ sterthums oder der Praͤsidentschaft ihres Clubs, und zucken die Achsel uͤber die Heroenbilder, die der Sturm hinabwarf von der Saͤule des Ruhms, und dabey erzaͤhlen sie vielleicht: daß sie selbst in ihrer Jugend ebenfalls mit dem Kopf gegen die Wand gerennt seyen, daß sie sich aber nachher mit der Wand wieder versoͤhnt haͤtten, denn die Wand sey das Absolute, das Gesetzte, das an und fuͤr sich Seyende, das weil es ist, auch ver¬ nuͤnftig ist, weßhalb auch derjenige unvernuͤnftig ist, welcher einen allerhoͤchst vernuͤnftigen, unwi¬ dersprechbar seyenden, festgesetzten Absolutismus nicht ertragen will. Ach! diese Verwerflichen, die uns in eine gelinde Knechtschaft hineinphilosophi¬ ren wollen, sind immer noch achtenswerther als jene Verworfenen, die bey der Vertheidigung des Despotismus, sich nicht einmahl auf vernuͤnftige Vernunftgruͤnde einlassen, sondern ihn geschichts¬ kundig als ein Gewohnheitsrecht verfechten, woran sich die Menschen im Laufe der Zeit allmaͤhlig gewoͤhnt haͤtten, und das also rechtsguͤltig und gesetzkraͤftig unumstoͤßlich sey. Ach! ich will nicht wie Ham die Decke auf¬ heben von der Schaam des Vaterlandes, aber es ist entsetzlich, wie man's bey uns verstanden hat, die Sklaverey sogar geschwaͤtzig zu machen, und wie deutsche Philosophen und Historiker ihr Ge¬ hirn abmartern, um jeden Despotismus, und sey er noch so albern und toͤlpelhaft, als vernuͤnftig oder als rechtsguͤltig zu vertheidigen. Schweigen ist die Ehre der Sklaven, sagt Tazitus; jene Philoso¬ phen und Historiker behaupten das Gegentheil und zeigen auf die Ehrenbaͤndchen in ihrem Knopfloch. Vielleicht habt Ihr doch Recht, und ich bin nur ein Donquichote und das Lesen von allerley wunderbaren Buͤchern hat mir den Kopf verwirrt, eben so wie den Junker von La Mancha, und Jean Jaques Rousseau war mein Amadis von Gallien, Mirabeau war mein Roldan oder Agra¬ 9 manth, und ich habe mich zu sehr hineinstudiert in die Heldenthaten der franzoͤsischen Paladine und der Tafelrunde des Nazionalkonvents. Freylich, mein Wahnsinn und die fixen Ideen, die ich aus jenen Buͤchern geschoͤpft, sind von entgegengesetzter Art, als der Wahnsinn und die fixen Ideen des Manchaners; dieser wollte die untergehende Ritter¬ zeit wieder herstellen, ich hingegen will Alles, was aus jener Zeit noch uͤbrig geblieben ist, jetzt vollends vernichten, und da handeln wir also mit ganz verschiedenen Ansichten. Mein College sah Windmuͤhlen fuͤr Riesen an, ich hingegen kann in unseren heutigen Riesen nur pralende Wind¬ muͤhlen sehen, jener sah lederne Weinschlaͤuche fuͤr maͤchtige Zauberer an, ich aber sehe in unseren jetzigen Zauberern nur den ledernen Weinschlauch, jener hielt Bettlerherbergen fuͤr Castele, Eseltreiber fuͤr Cavaliere, Stalldirnen fuͤr Hofdamen, ich hingegen halte unsre Castele nur fuͤr Lumpenher¬ bergen, unsre Cavaliere nur fuͤr Eselstreiber, unsere Hofdamen nur fuͤr gemeine Stalldirnen, wie jener eine Puppenkomoͤdie fuͤr eine Staatsakzion hielt, so halte ich unsre Staatsakzionen fuͤr leidige Pup¬ penkomoͤdien — doch eben so tapfer wie der tap¬ fere Manchaner schlage ich drein in die hoͤlzerne Wirthschaft. Ach! solche Heldenthat bekoͤmmt mir oft eben so schlecht wie ihm, und ich muß, eben so wie er, viel erdulden fuͤr die Ehre meiner Dame. Wollte ich sie verlaͤugnen, aus eitel Furcht oder schnoͤder Gewinnsucht, so koͤnnte ich behaglich leben in dieser seyenden vernuͤnftigen Welt, und ich wuͤrde eine schoͤne Maritorne zum Altare fuͤhren, und mich einsegnen lassen von feisten Zauberern, und mit edlen Eseltreibern banquettiren, und ge¬ fahrlose Novellen und sonstige kleine Sklaͤvchen zeugen! Statt dessen, geschmuͤckt mit den drey Farben meiner Dame, muß ich bestaͤndig auf der Mensur liegen, und mich durch unsaͤgliches Drang¬ sal durchschlagen, und ich erfechte keinen Sieg, der mich nicht auch etwas Herzblut kostet. Tag 9 * und Nacht bin ich in Noͤthen; denn jene Feinde sind so tuͤckisch, daß manche, die ich zu Tode ge¬ troffen, sich noch immer ein Air gaben als ob sie lebten, und in alle Gestalten sich verwandelnd, mir Tag und Nacht verleiden konnten. Wie viel Schmerzen habe ich, durch solchen fatalen Spuk, schon erdulden muͤssen! Wo mir etwas Liebes bluͤhte, da schlichen sie hin, die heimtuͤckischen Gespenster, und knickten sogar die unschuldigsten Knospen. Ueberall, und wo ich es am wenigsten vermuthen sollte, entdecke ich am Boden ihre silbrigte Schleimspur, und nehme ich mich nicht in Acht, so kann ich verderblich ausgleiten, sogar im Hause der naͤchsten Lieben. Ihr moͤgt laͤcheln, und solche Besorgniß fuͤr eitel Einbildungen, gleich denen des Don Quixote, halten. Aber eingebil¬ dete Schmerzen thun darum nicht minder weh, und bildet man sich ein etwas Schirling genossen zu haben, so kann man die Auszehrung bekom¬ men, auf keinen Fall wird man davon fett. Und daß ich fett geworden sey, ist eine Verlaͤumdung, wenigstens habe ich noch keine fette Sinekur erhal¬ ten, und ich haͤtte doch die dazu gehoͤrigen Ta¬ lente. Auch ist von dem Fett der Vetterschaft nichts an mir zu verspuͤren. Ich bilde mir ein, man habe alles moͤgliche angewendet um mich ma¬ ger zu halten; als mich hungerte da fuͤtterte man mich mit Schlangen, als mich duͤrstete da traͤnkte man mich mit Wermuth, man goß mir die Hoͤlle ins Herz, daß ich Gift weinte und Feuer seufzte, man kroch mir nach bis in die Traͤume meiner Naͤchte — und da sehe ich sie die grauenhaften Larven, die noblen Lakayengesichter mit fletschenden Zaͤhnen, die drohenden Banquiernasen, die toͤdt¬ lichen Augen, die aus den Kaputzen hervorstechen, die bleichen Manschettenhaͤnde mit blanken Mes¬ sern — Auch die alte Frau, die neben mir wohnt, meine Wandnachbarin, haͤlt mich fuͤr verruͤckt, und behauptet ich spraͤche im Schlafe das wahnsinnigste Zeug, und die vorige Nacht habe sie deutlich ge¬ hoͤrt, daß ich rief: „Dulcinea ist das schoͤnste Weib der Welt und ich der ungluͤcklichste Ritter auf Erden, aber es ziemt sich nicht, daß meine Schwaͤche diese Wahrheit verlaͤugne — stoßt zu mit der Lanze, Ritter!“ Spaͤtere Nachschrift. (November 1830.) Ich weiß nicht welche sonderbare Pietaͤt mich davon abhielt, einige Ausdruͤcke, die mir bey spaͤ¬ terer Durchsicht der vorstehenden Blaͤtter etwas allzuherbe erschienen, im mindesten zu aͤndern. Das Manuskript war schon so gelb verblichen, wie ein Todter, und ich hatte Scheu es zu ver¬ stuͤmmeln. Alles verjaͤhrt Geschriebene hat solch inwohnendes Recht der Unverletzlichkeit, und gar diese Blaͤtter, die gewissermaßen einer dunkeln Vergangenheit angehoͤren. Denn sie sind fast ein Jahr vor der dritten bourbonischen Hedschira ge¬ schrieben, zu einer Zeit, die weit herber war als der herbste Ausdruck, zu einer Zeit, wo es den Anschein gewann, als koͤnnte der Sieg der Frey¬ heit noch um ein Jahrhundert verzoͤgert werden. Es war wenigstens bedenklich, wenn man sah, wie unsere Ritter so sichere Gesichter bekamen, wie sie die verblaßten Wappen wieder frischbunt anstreichen ließen, wie sie mit Schild und Speer zu Muͤnchen und Potsdam turnierten, wie sie so stolz auf ihren hohen Rossen saßen, als wollten sie nach Quedlinburg reiten, um sich neu auflegen zu lassen bey Gottfried Bassen. Noch unertraͤg¬ licher waren die triumphirend tuͤckischen Aeugelein unserer Pfaͤffelein, die ihre langen Ohren so schlau unter der Kaputze zu verbergen wußten, daß wir die verderblichsten Kniffe erwarteten. Man konnte gar nicht vorher wissen, daß die edlen Ritter ihre Pfeile so klaͤglich verschießen wuͤrden, und meistens anonym, oder wenigstens im Da¬ vonjagen, mit abgewendetem Gesichte, wie flie¬ hende Baschkiren. Eben so wenig konnte man vorher wissen, daß die Schlangenlist unserer Pfaͤffe¬ lein so zu Schanden werde — ach! es ist fast Mitleiden erregend, wenn man sieht, wie schlecht sie ihr bestes Gift zu brauchen wissen, da sie uns, aus Wuth, in großen Stuͤcken den Arsenik an den Kopf werfen, statt ihn lothweis und liebevoll in unsere Suppen zu schuͤtten, wenn man sieht, wie sie aus der alten Kinderwaͤsche die verjaͤhrten Win¬ deln ihrer Feinde hervorkramen, um Unrath zu erschnuͤffeln, wie sie sogar die Vaͤter ihrer Feinde aus dem Grabe hervorwuͤhlen, um nachzusehen, ob sie etwa beschnitten waren — O der Thoren! die da meinen entdeckt zu haben, der Loͤwe gehoͤre eigentlich zum Katzengeschlecht, und die mit dieser naturgeschichtlichen Entdeckung noch so lang her¬ umzischen werden, bis die große Katze das ex ungue leonem an ihrem eignen Fleische bewaͤhrt! O der obscuren Wichte, die nicht eher erleuchtet werden, bis sie selbst an der Laterne haͤngen! Mit den Gedaͤrmen eines Esels moͤchte ich meine Leyer besaiten, um sie nach Wuͤrden zu besingen, die geschorenen Dummkoͤpfe! Eine gewaltige Lust ergreift mich! Waͤhrend ich sitze, und schreibe, erklingt Musik unter mei¬ nem Fenster, und an dem elegischen Grimm der langezogenen Melodie, erkenne ich jene marseiller Hymne, womit der schoͤne Barbaroux und seine Gefaͤhrten die Stadt Paris begruͤßten, jener Kuh¬ reigen der Freyheit, bey dessen Toͤnen die Schwei¬ tzer in den Tuilerien das Heimweh bekamen, jener triumphirende Todesgesang der Gironde, das alte, suͤße Wiegenlied — Welch ein Lied! Es durchschauert mich mit Feuer und Freude, und entzuͤndet in mir die gluͤ¬ henden Sterne der Begeisterung und die Raketen des Spottes. Ja, diese sollen nicht fehlen, bey dem großen Feuerwerk der Zeit. Klingende Flam¬ menstroͤme des Gesanges sollen sich ergießen von der Hoͤhe der Freyheitslust, in kuͤhnen Kaskaden, wie sich der Ganges herabstuͤrzt vom Himalaya! Und du, holde Satyra, Tochter der gerechten Themis und des bocksfuͤßigen Pan, leih mir deine Huͤlfe, Du bist ja muͤtterlicher Seite dem Tita¬ nengeschlechte entsprossen, und hassest gleich mir die Feinde deiner Sippschaft, die schwaͤchlichen Usur¬ patoren des Olymps. Leih mir das Schwert dei¬ ner Mutter, damit ich sie richte, die verhaßte Brut, und gieb mir die Pickelfloͤte deines Vaters, damit ich sie zu Tode pfeife — Schon hoͤren sie das toͤdtliche Pfeifen, und es ergreift sie der panische Schrecken, und sie entflie¬ hen wieder, in Thiergestalten, wie damals, als wir den Pelion stuͤlpten auf den Ossa — Aux armes citoyens ! Man thut uns armen Titanen sehr Unrecht, als man die duͤstre Wildheit tadelte, womit wir, bey jenem Himmelssturm, herauftobten — ach, da unten im Tartaros, da war es grauenhaft und dunkel, und da hoͤrten wir nur Cerberusgeheul und Kettengeklirr, und es ist verzeihlich, wenn wir etwas ungeschlacht erschienen, in Vergleichung mit jenen Goͤttern comme il faut , die fein und gesit¬ tet, in den heiteren Salons des Olymps, so viel lieblichen Nektar und suͤße Musenkonzerte genossen. Ich kann nicht weiter schreiben, denn die Musik unter meinem Fenster berauscht mir den Kopf, und immer gewaltiger greift herauf der Refrain: Aux armes citoyens ! Englische Fragmente . 1828 . Gluͤckseliges Albion! lustiges Alt-England! warum ver¬ ließ ich Dich? — Um die Gesellschaft von Gentlemen zu fliehen, und unter Lumpengesindel der Einzige zu seyn, der mit Bewußtseyn lebt und handelt? Die ehrlichen Leute von W. Alexis. I . Gespraͤch auf der Themse . — — — D er gelbe Mann stand neben mir auf dem Verdeck, als ich die gruͤnen Ufer der Themse erblickte, und in allen Winkeln meiner Seele die Nachtigallen erwachten. „Land der Freyheit,“ rief ich, „ich gruͤße dich! — Sey mir gegruͤßt, Frey¬ heit, junge Sonne der verjuͤngten Welt! Jene aͤl¬ tere Sonnen, die Liebe und der Glaube, sind welk und kalt geworden, und koͤnnen nicht mehr leuch¬ ten und waͤrmen. Verlassen sind die alten Myr¬ tenwaͤlder, die einst so uͤberbevoͤlkert waren, und nur noch bloͤde Turteltauben nisten in den zaͤrtlichen Buͤschen. Es sinken die alten Dome, die einst von einem uͤbermuͤthig frommen Geschlechte, das seinen Glauben in den Himmel hineinbauen wollte, so riesenhoch aufgethuͤrmt wurden; sie sind morsch und verfallen und ihre Goͤtter glauben an sich selbst nicht mehr. Diese Goͤtter sind abgelebt, und un¬ sere Zeit hat nicht Phantasie genug neue zu schaf¬ fen. Alle Kraft der Menschenbrust wird jetzt zu Freyheitsliebe und die Freyheit ist vielleicht die Re¬ ligion der neuen Zeit, und es ist wieder eine Re¬ ligion, die nicht den Reichen gepredigt wurde, son¬ dern den Armen, und sie hat ebenfalls ihre Evan¬ gelisten, ihre Martyrer und ihre Ischariots!“ „Junger Enthusiast,“ sprach der gelbe Mann, „Sie werden nicht finden, was Sie suchen. Sie moͤgen Recht haben, daß die Freyheit eine neue Religion ist, die sich uͤber die ganze Erde verbrei¬ tet. Aber wie einst jedes Volk, indem es das Chri¬ stenthum annahm, solches nach seinen Beduͤrfnissen und seinem eigenen Charakter modelte, so wird je¬ des Volk von der neuen Religion, von der Frey¬ heit, nur dasjenige annehmen was seinen Lokalbe¬ duͤrfnissen und seinem Nationalcharakter gemaͤß ist.“ „Die Englaͤnder sind ein haͤusliches Volk, sie leben ein begrenztes, umfriedetes Familienleben; im Kreise seiner Angehoͤrigen sucht der Englaͤnder jenes Seelenbehagen, das ihm schon durch seine angebo¬ rene gesellschaftliche Unbeholfenheit außer dem Hause versagt ist. Der Englaͤnder ist daher mit jener Freyheit zufrieden, die seine persoͤnlichsten Rechte verbuͤrgt und seinen Leib, sein Eigenthum, seine Ehe, seinen Glauben und sogar seine Grillen un¬ bedingt schuͤtzt. In seinem Hause ist niemand freier als ein Englaͤnder, um mich eines beruͤhmten Aus¬ drucks zu bedienen, er ist Koͤnig und Bischof in seinen vier Pfaͤhlen, und nicht unrichtig ist sein gewoͤhnlicher Wahlspruch: my house is my castle.“ „Ist nun bey den Englaͤndern das meiste Be¬ duͤrfniß nach persoͤnlicher Freyheit, so moͤchte wohl der Franzose im Nothfall diese entbehren koͤnnen, wenn man ihm nur jenen Theil der allgemeinen 10 Freyheit, den wir Gleichheit nennen, vollauf genie¬ ßen lassen. Die Franzosen sind kein haͤusliches Volk, sondern ein geselliges, sie lieben kein schwei¬ gendes Beysammensitzen, welches sie une conversa¬ tion anglaise nennen, sie laufen plaudernd vom Kaffeehaus nach dem Cassino, vom Cassino nach den Salons, ihr leichtes Champagnerblut und angebo¬ renes Umgangstalent treibt sie zum Gesellschaftsle¬ ben, und dessen erste und letzte Bedingung, ja des¬ sen Seele ist: die Gleichheit. Mit der Ausbildung der Gesellschaftlichkeit in Frankreich mußte daher auch das Beduͤrfniß der Gleichheit entstehen, und wenn auch der Grund der Revolution im Budget zu suchen ist, so wurde ihr doch zuerst Wort und Stimme verliehen, von jenen geistreichen Roturiers, die in den Salons von Paris mit der hohen No¬ blesse scheinbar auf einem Fuße der Gleichheit leb¬ ten, und doch dann und wann, sey es auch nur durch ein kaum bemerkbares, aber desto tiefer ver¬ letzendes Feudallaͤcheln, an die große, schmachvolle Ungleichheit erinnert wurden; — und wenn die Canaille roturière sich die Freyheit nahm, jene hohe Noblesse zu koͤpfen, so geschah dieses vielleicht we¬ niger um ihre Guͤter als um ihre Ahnen zu erben, und statt der buͤrgerlichen Ungleichheit eine adliche Gleichheit einzufuͤhren. Daß dieses Streben nach Gleichheit das Hauptprinzip der Revolution war, duͤrfen wir um so mehr glauben, da die Franzosen sich bald gluͤcklich und zufrieden fuͤhlten unter der Herrschaft ihres großen Kaisers, der, ihre Unmuͤndigkeit beachtend, all ihre Freyheit unter seiner strengen Curatel hielt, und ihnen nur die Freude einer voͤlligen, ruhmvol¬ len Gleichheit uͤberließ.“ „Weit geduldiger als der Franzose ertraͤgt da¬ her der Englaͤnder den Anblick einer bevorrechteten Aristokratie; er troͤstet sich, daß er selbst Rechte be¬ sitzt, die es jener unmoͤglich machen, ihn in seinen haͤuslichen Comforts und in seinen Lebensanspruͤ¬ chen zu stoͤren. Auch traͤgt jene Aristokratie nicht jene Rechte zur Schau, wie auf dem Continente. 10* In den Straßen und oͤffentlichen Vergnuͤgungssaͤlen Londons sieht man bunte Baͤnder nur auf den Hauben der Weiber und goldne und silberne Ab¬ zeichen nur auf den Roͤcken der Lakaien. Auch jene schoͤne, bunte Livree, die bey uns einen bevorrechte¬ ten Wehrstand ankuͤndigt, ist in England nichts weniger als eine Ehrenauszeichnung; wie ein Schau¬ spieler sich nach der Vorstellung die Schminke ab¬ wischt, so eilt auch der englische Offizier, sich seines rothen Rocks zu entledigen, sobald die Dienststunde voruͤber ist, und im schlichten Rock eines Gentle¬ man ist er wieder ein Gentleman. Nur auf dem Theater zu St. James gelten jene Decorationen und Kostume, die aus dem Kehricht des Mittelal¬ ters aufbewahrt worden; da flattern die Ordens¬ baͤnder, da blinken die Sterne, da rauschen die sei¬ denen Hosen und Atlasschleppen, da knarren die goldnen Sporen und altfranzoͤsischen Redensarten, da blaͤht sich der Ritter, da spreizt sich das Fraͤu¬ lein. — Aber was kuͤmmert einen freyen Englaͤnder die Hofkomoͤdie zu St. James! wird er doch nie davon belaͤstigt und verwehrt es ihm ja niemand, wenn er in seinem Hause ebenfalls Komoͤdie spielt, und seine Hausofficianten vor sich knieen laͤßt, und mit dem Strumpfband der Koͤchin taͤndelt — honny soit qui mal y pense .“ „Was die Deutschen betrifft, so beduͤrfen sie weder der Freyheit noch der Gleichheit. Sie sind ein speculatives Volk, Ideologen, Vor- und Nach¬ denker, Traͤumer, die nur in der Vergangenheit und in der Zukunft leben, und keine Gegenwart haben. Englaͤnder und Franzosen haben eine Gegenwart, bei ihnen hat jeder Tag seinen Kampf und Gegen¬ kampf und seine Geschichte. Der Deutsche hat nichts, wofuͤr er kaͤmpfen sollte, und da er zu muth¬ maßen begann, daß es doch Dinge geben koͤnne, deren Besitz wuͤnschenswerth waͤre, so haben wohl, weise seine Philosophen ihn gelehrt, an der Existenz solcher Dinge zu zweifeln. Es laͤßt sich nicht laͤug¬ nen, daß auch die Deutschen die Freyheit lieben. Aber anders wie andere Voͤlker. Der Englaͤnder liebt die Freyheit wie sein rechtmaͤßiges Weib, er besitzt sie, und wenn er sie auch nicht mit abson¬ derlicher Zaͤrtlichkeit behandelt, so weiß er sie doch im Nothfall wie ein Mann zu vertheidigen, und wehe dem rothgeroͤckten Burschen, der sich in ihr heiliges Schlafgemach draͤngt — sey es als Gallant oder als Scherge. Der Franzose liebt die Freyheit wie seine erwaͤhlte Braut. Er gluͤht fuͤr sie, er flammt, er wirft sich zu ihren Fuͤßen mit den uͤber¬ spanntesten Betheuerungen, er schlaͤgt sich fuͤr sie auf Tod und Leben, er begeht fuͤr sie tausenderley Thorheiten. Der Deutsche liebt die Freyheit wie seine alte Großmutter.“ Gar wunderlich sind doch die Menschen! Im Vaterlande brummen wir, jede Dummheit, jede Verkehrtheit dort verdrießt uns, wie Knaben moͤch¬ ten wir taͤglich davon laufen in die weite Welt; sind wir endlich wirklich in die weite Welt gekom¬ men, so ist uns diese wieder zu weit, und heimlich sehnen wir uns oft wieder nach den engen Dumm¬ heiten und Verkehrtheiten der Heimath, und wir moͤchten wieder dort in der alten, wohlbekannten Stube sitzen, und uns, wenn es anginge, ein Haus hinter den Ofen bauen, und warm drin hocken, und den allgemeinen Anzeiger der Deutschen lesen. So ging es auch mir auf der Reise nach England. Kaum verlor ich den Anblick der deutschen Kuͤste, so erwachte in mir eine kuriose Nachliebe fuͤr jene teutonischen Schlafmuͤtzen- und Peruͤckenwaͤlder, die ich eben noch mit Unmuth verlassen, und als ich das Vaterland aus den Augen verloren hatte, fand ich es im Herzen wieder. Daher mochte wohl meine Stimme etwas weich klingen, als ich dem gelben Mann antwortete: „Lieber Herr, scheltet mir nicht die Deutschen! Wenn sie auch Traͤumer sind, so haben doch manche un¬ ter ihnen so schoͤne Traͤume getraͤumet, daß ich sie kaum vertauschen moͤchte gegen die wachende Wirk¬ lichkeit unserer Nachbaren. Da wir alle schlafen und traͤumen, so koͤnnen wir vielleicht die Freyheit entbehren; denn unsere Tyrannen schlafen ebenfalls und traͤumen blos ihre Tyrannei. Nur damals sind wir erwacht, als die katholischen Roͤmer unsere Traumfreyheit geraubt hatten; da handelten wir und siegten und legten uns wieder hin und traͤumten. O Herr! spottet nicht unserer Traͤumer, dann und wann, wie Somnambuͤle sprechen sie Wunderbares im Schlafe, und ihr Wort wird Saat der Frey¬ heit. Keiner kann absehen die Wendung der Dinge. Der spleenige Britte, seines Weibes uͤberdruͤssig, legt ihr vielleicht einst einen Strick um den Hals, und bringt sie zum Verkauf nach Smithfield. Der flatterhafte Franzose wird seiner geliebten Braut vielleicht treulos und verlaͤßt sie, und taͤnzelt sin¬ gend nach den Hofdamen ( courtisanes ) seines koͤ¬ niglichen Palastes ( palais royal ). Der Deutsche wird aber seine alte Großmutter nie ganz vor die Thuͤre stoßen, er wird ihr immer ein Plaͤtzchen am Heerde goͤnnen, wo sie den horchenden Kindern ihre Maͤhrchen erzaͤhlen kann. — Wenn einst, was Gott verhuͤte, in der ganzen Welt die Freyheit ver¬ schwunden ist, so wird ein deutscher Traͤumer sie in seinen Traͤumen wieder entdecken.“ Waͤhrend nun das Dampfboot, und auf dem¬ selben unser Gespraͤch, den Strom hinaufschwamm, war die Sonne untergegangen, und ihre letzten Strahlen beleuchteten das Hospital zu Greenwich, ein imposantes palastgleiches Gebaͤude, das eigent¬ lich aus zwei Fluͤgeln besteht, deren Zwischenraum leer ist, und einen mit einem artigen Schloͤßlein gekroͤnten, waldgruͤnen Berg den Vorbeifahrenden sehen laͤßt. Auf dem Wasser nahm jetzt das Ge¬ wuͤhl der Schiffe immer zu, und ich wunderte mich, wie geschickt diese großen Fahrzeuge sich einander ausweichen. Da gruͤßt im Begegnen manch ernst¬ haft freundliches Gesicht, das man nie gesehen hat, und vielleicht auch nie wieder sehen wird. Man faͤhrt sich so nahe vorbei, daß man sich die Haͤnde reichen koͤnnte zum Willkomm und Abschied zu gleicher Zeit. Das Herz schwillt beim Anblick so vieler schwellenden Segel, und wird wunderbar auf¬ geregt, wenn vom Ufer her das verworrene Sum¬ men und die ferne Tanzmusik und der dumpfe Ma¬ trosenlaͤrm herandroͤhnt. Aber im weißen Schleyer des Abendnebels verschwimmen allmaͤhlig die Con¬ touren der Gegenstaͤnde, und sichtbar bleibt nur ein Wald von Mastbaͤumen, die lang und kahl empor¬ ragen. Der gelbe Mann stand noch immer neben mir, und schaute sinnend in die Hoͤhe, als suche er im Nebelhimmel die bleichen Sterne. Noch immer in die Hoͤhe schauend, legte er die Hand auf meine Schulter, und in einem Tone, als wenn geheime Gedanken unwillkuͤrlich zu Worten werden, sprach er: „Freyheit und Gleichheit! man findet sie nicht hier unten und nicht einmal dort oben. Dort jene Sterne sind nicht gleich, einer ist groͤßer und leuch¬ tender als der andere, keiner von ihnen wandelt frey, alle gehorchen sie vorgeschriebenen, eisernen Gesetzen — Sclaverey ist im Himmel wie auf Erden.“ „Das ist der Tower!“ rief ploͤtzlich einer un¬ serer Reisegefaͤhrten, indem er auf ein hohes Ge¬ baͤude zeigte, das, aus dem nebelbedeckten London, wie ein gespenstisch dunkler Traum, hervorstieg. II . London . Ich habe das Merkwuͤrdigste gesehen, was die Welt dem staunenden Geiste zeigen kann, ich habe es gesehen und staune noch immer — noch immer starrt in meinem Gedaͤchtnisse dieser steinerne Wald von Haͤusern und dazwischen der draͤngende Strom lebendiger Menschengesichter mit all ihren bunten Leidenschaften, mit all ihrer grauen¬ haften Hast der Liebe, des Hungers und des Has¬ ses — ich spreche von London. Schickt einen Philosophen nach London; bei Leibe keinen Poeten! Schickt einen Philoso¬ phen hin und stellt ihn an eine Ecke von Cheap¬ side, er wird hier mehr lernen, als aus allen Buͤ¬ chern der letzten leipziger Messe; und wie die Men¬ schenwogen ihn umrauschen, so wird auch ein Meer von neuen Gedanken vor ihm aufsteigen, der ewige Geist, der daruͤber schwebt, wird ihn anwehen, die verborgensten Geheimnisse der gesell¬ schaftlichen Ordnung werden sich ihm ploͤtzlich offen¬ baren, er wird den Pulsschlag der Welt hoͤrbar vernehmen und sichtbar sehen — denn wenn Lon¬ don die rechte Hand der Welt ist, die thaͤtige, maͤchtige rechte Hand, so ist jene Straße, die von der Boͤrse nach Downingstreet fuͤhrt, als die Pulsader der Welt zu betrachten. Aber schickt keinen Poeten nach London! Die¬ ser baare Ernst aller Dinge, diese kolossale Ein¬ foͤrmigkeit, diese maschinenhafte Bewegung, diese Verdrießlichkeit der Freude selbst, dieses uͤbertrie¬ bene London erdruͤckt die Phantasie und zerreißt das Herz. Und wolltet Ihr gar einen deutschen Poeten hinschicken, einen Traͤumer, der vor jeder einzelnen Erscheinung stehen bleibt, etwa vor einem zerlumpten Bettelweib oder einem blanken Gold¬ schmiedladen — o! dann geht es ihm erst recht schlimm, und er wird von allen Seiten fortgescho¬ ben oder gar mit einem milden God damn ! nie¬ dergestoßen. God damn ! das verdammte Stoßen! Ich merkte bald, dieses Volk hat Viel zu thun. Es lebt auf einem großen Fuße, es will, obgleich Futter und Kleider in seinem Lande theurer sind als bei uns, dennoch besser gefuͤttert und besser gekleidet seyn als wir; wie zur Vornehmheit gehoͤrt, hat es auch große Schulden, dennoch aus Gro߬ pralerei wirft es zuweilen seine Guineen zum Fen¬ ster hinaus, bezahlt andere Voͤlker, daß sie sich zu seinem Vergnuͤgen herumboxen, giebt dabey ihren respektiven Koͤnigen noch außerdem ein gutes Douceur — und deshalb hat John Bull Tag und Nacht zu arbeiten, um Geld zu solchen Ausgaben anzuschaffen, Tag und Nacht muß er sein Gehirn anstrengen zur Erfindung neuer Maschinen, und er sitzt und rechnet im Schweiße seines Angesichts, und rennt und laͤuft, ohne sich viel umzusehen, vom Hafen nach der Boͤrse, von der Boͤrse nach dem Strand, und da ist es sehr verzeihlich, wenn er an der Ecke von Cheapside einen armen deut¬ schen Poeten, der einen Bilderladen angaffend ihm in dem Wege steht, etwas unsanft auf die Seite stoͤßt. „ God damn !“ Das Bild aber, welches ich an der Ecke von Cheapside angaffte, war der Uebergang der Fran¬ zosen uͤber die Beresina. Als ich, aus dieser Betrachtung aufgeruͤttelt, wieder auf die tosende Straße blickte, wo ein buntscheckiger Knaͤul von Maͤnnern, Weibern, Kindern, Pferden, Postkutschen, darunter auch ein Leichenzug, sich brausend, schreiend, aͤchzend und knarrend dahinwaͤlzte: da schien es mir, als sey ganz London so eine Beresinabruͤcke, wo jeder in wahnsinniger Angst, um sein Bischen Leben zu fristen, sich durchdraͤngen will, wo der kecke Reuter den armen Fußgaͤnger niederstampft, wo derjenige, der zu Boden faͤllt, auf immer verloren ist, wo die besten Kameraden fuͤhllos einer uͤber die Leiche des andern dahineilen, und Tausende, die, sterbensmatt und blutend, sich vergebens an den Planken der Bruͤcke festklammern wollten, in die kalte Eisgrube des Todes hinabstuͤrzen. Wie viel heiterer und wohnlicher ist es dage¬ gen in unserem lieben Deutschland! Wie traum¬ haft gemach, wie sabathlich ruhig bewegen sich hier die Dinge! Ruhig zieht die Wache auf, im ruhigen Sonnenschein glaͤnzen die Uniformen und Haͤuser, an den Fliesen flattern die Schwalben, aus den Fenstern laͤcheln dicke Justizraͤthinnen, auf den hallenden Straßen ist Platz genug: die Hunde koͤnnen sich gehoͤrig anriechen, die Men¬ schen koͤnnen bequem stehen bleiben und uͤber das Theater diskuriren und tief, tief gruͤßen, wenn irgend ein vornehmes Luͤmpchen oder Viceluͤmpchen, mit bunten Baͤndchen auf dem abgeschabten Roͤck¬ chen, oder ein gepudertes, vergoldetes Hofmar¬ schaͤlkchen gnaͤdig wiedergruͤßend vorbeytaͤnzelt! Ich hatte mir vorgenommen uͤber die Großar¬ tigkeit Londons, wovon ich so viel gehoͤrt, nicht zu erstaunen. Aber es ging mir wie dem armen Schulknaben, der sich vornahm, die Pruͤgel, die er empfangen sollte, nicht zu fuͤhlen. Die Sache bestand eigentlich in dem Umstande, daß er die gewoͤhnlichen Hiebe mit dem gewoͤhnlichen Stocke, wie gewoͤhnlich, auf dem Ruͤcken erwartete, und statt dessen eine ungewoͤhnliche Tracht Schlaͤge, auf einem ungewoͤhnlichen Platze, mit einem duͤn¬ nen Roͤhrchen empfing. Ich erwartete große Pa¬ laͤste und sah nichts als lauter kleine Haͤuser. Aber eben die Gleichfoͤrmigkeit derselben und ihre unabsehbare Menge imponirt so gewaltig. Diese Haͤuser von Ziegelsteinen bekommen durch feuchte Luft und Kohlendampf gleiche Farbe, naͤm¬ lich braͤunliches Olivengruͤn; sie sind alle von der¬ 11 selben Bauart, gewoͤhnlich zwey oder drey Fenster breit, drey hoch, und oben mit kleinen rothen Schornsteinen geziert, die wie blutig ausgerissene Zaͤhne aussehen, dergestalt, daß die breiten, regel¬ rechten Straßen, die sie bilden, nur zwey unend¬ lich lange kasernenartige Haͤuser zu seyn scheinen. Dieses hat wohl seinen Grund in dem Umstande, daß jede englische Familie, und bestaͤnde sie auch nur aus zwey Personen, dennoch ein ganzes Haus, ihr eignes Castell, bewohnen will, und reiche, Spekulanten, solchem Beduͤrfniß entgegenkommend, ganze Straßen bauen, worin sie die Haͤuser ein¬ zeln wieder verhoͤkern. In den Hauptstraßen der City, demjenigen Theil Londons, wo der Sitz des Handels und der Gewerke, wo noch alterthuͤmliche Gebaͤude zwischen den neuen zerstreut sind, und wo auch die Vorderseite der Haͤuser mit ellenlan¬ gen Namen und Zahlen, gewoͤhnlich goldig und relief bis ans Dach bedeckt sind: da ist jene cha¬ rakteristische Einfoͤrmigkeit der Haͤuser nicht so auf¬ fallend, um so weniger, da das Auge des Frem¬ den unaufhoͤrlich beschaͤftigt wird, durch den wun¬ derbaren Anblick neuer und schoͤner Gegenstaͤnde, die an den Fenstern der Kauflaͤden ausgestellt sind. Nicht bloß diese Gegenstaͤnde selbst machen den groͤßten Effekt, weil der Englaͤnder Alles, was er verfertigt, auch vollendet liefert, und jeder Luxus¬ artikel, jede Astrallampe und jeder Stiefel, jede Theekanne und jeder Weiberrock uns so finished und einladend entgegenglaͤnzt: sondern auch die Kunst der Aufstellung, Farbenkontrast und Man¬ nigfaltigkeit giebt den englischen Kauflaͤden einen eignen Reiz; selbst die alltaͤglichsten Lebensbeduͤrf¬ nisse erscheinen in einem uͤberraschenden Zauber¬ glanze, gewoͤhnliche Eßwaaren locken uns durch ihre neue Beleuchtung, sogar rohe Fische liegen so wohlgefaͤllig appretirt, daß uns der regenbogen¬ farbige Glanz ihrer Schuppen ergoͤtzt, rohes Fleisch liegt wie gemalt auf saubern, bunten Porzellan¬ tellerchen mit lachender Petersilie umkraͤnzt, ja 11 * Alles erscheint uns wie gemalt und mahnt uns an die glaͤnzenden und doch so bescheidenen Bilder des Franz Mieris. Nur die Menschen sind nicht so heiter, wie auf diesen hollaͤndischen Gemaͤlden, mit den ernsthaftesten Gesichtern verkaufen sie die lustigsten Spielsachen, und Zuschnitt und Farbe ihrer Kleidung ist gleichfoͤrmig wie ihre Haͤuser. Auf der entgegengesetzten Seite Londons, die man das Westende nennt, the west end of the town , und wo die vornehmere und minder beschaͤf¬ tigte Welt lebt, ist jene Einfoͤrmigkeit noch vor¬ herrschender; doch giebt es hier ganze lange, gar breite Straßen, wo alle Haͤuser groß wie Palaͤste, aber aͤußerlich nichts weniger als ausgezeichnet sind, außer daß man hier, wie an allen nicht ganz ordi¬ naͤren Wohnhaͤusern Londons, die Fenster der er¬ sten Etage mit eisengittrigen Balkonen verziert sieht und auch au rez de chaussée ein schwarzes Gitterwerk findet, wodurch eine in die Erde gegra¬ bene Kellerwohnung geschuͤtzt wird. Auch findet man in diesem Theile der Stadt große Squares: Reihen von Haͤusern gleich den obenbeschriebenen, die ein Viereck bilden, in dessen Mitte ein von schwarzem Eisengitter verschlossener Garten mit irgend einer Statue befindlich ist. Auf allen die¬ sen Plaͤtzen und Straßen wird das Auge des Fremden nirgends beleidigt von baufaͤlligen Huͤtten des Elends. Ueberall starrt Reichthum und Vor¬ nehmheit, und hineingedraͤngt in abgelegene Gaͤ߬ chen und dunkle, feuchte Gaͤnge wohnt die Armuth mit ihren Lumpen und ihren Thraͤnen. Der fremde, der die großen Straßen Londons durchwandert und nicht just in die eigentlichen Poͤbelquartiere geraͤth, sieht daher Nichts oder sehr Wenig von dem vielen Elend, das in Lon¬ don vorhanden ist. Nur hie und da, am Ein¬ gange eines dunklen Gaͤßchens, steht schweigend ein zerfetztes Weib, mit einem Saͤugling an der abgehaͤrmten Brust, und bettelt mit den Augen. Vielleicht wenn diese Augen noch schoͤn sind, schaut man einmal hinein — und erschrickt ob der Welt von Jammer, die man darin geschaut hat. Die gewoͤhnlichen Bettler sind alte Leute, meistens Mohren, die an den Straßenecken stehen, und, was im kothigen London sehr nuͤtzlich ist, einen Pfad fuͤr Fußgaͤnger kehren und dafuͤr eine Kupfer¬ muͤnze verlangen. Die Armuth in Gesellschaft des Lasters und des Verbrechens schleicht erst des Abends aus ihren Schlupfwinkeln. Sie scheut das Tageslicht um so aͤngstlicher, je grauenhafter ihr Elend kontrastirt mit dem Uebermuthe des Reich¬ thums, der uͤberall hervorprunkt; nur der Hunger treibt sie manchmal um Mittagszeit aus dem dun¬ keln Gaͤßchen, und da steht sie mit stummen, spre¬ chenden Augen und starrt flehend empor zu dem rei¬ chen Kaufmann, der geschaͤftig-geldklimpernd vor¬ uͤbereilt, oder zu dem muͤßigen Lord, der, wie ein satter Gott, auf hohem Roß einherreitet und auf das Menschengewuͤhl unter ihm dann und wann einen gleichguͤltig vornehmen Blick wirft, als waͤren es winzige Ameisen, oder doch nur ein Haufen niedriger Geschoͤpfe, deren Lust und Schmerz mit seinen Gefuͤhlen Nichts gemein hat — denn uͤber dem Menschengesindel, das am Erdboden festklebt, schwebt Englands Nobility, wie Wesen hoͤherer Art, die das kleine England nur als ihr Absteigequartier, Italien als ihren Sommergarten, Paris als ihren Gesellschaftssaal, ja die ganze Welt als ihr Eigenthum betrachten. Ohne Sorgen und ohne Schranken schweben sie dahin, und ihr Gold ist ein Talisman, der ihre tollsten Wuͤnsche in Erfuͤllung zaubert. Arme Armuth! wie peinigend muß dein Hun¬ ger seyn, dort wo Andere im hoͤhnenden Ueber¬ flusse schwelgen! Und hat man dir auch mit gleichguͤltiger Hand eine Brodkruste in den Schoß geworfen, wie bitter muͤssen die Thraͤnen seyn, womit du sie erweichst! Du vergiftest dich mit deinen eig¬ nen Thraͤnen. Wohl hast du Recht, wenn du dich zu dem Laster und dem Verbrechen gesellst. Aus¬ gestoßene Verbrecher tragen oft mehr Menschlich¬ keit im Herzen, als jene kuͤhlen, untadelhaften Staatsbuͤrger der Tugend, in deren bleichen Her¬ zen die Kraft des Boͤsen erloschen ist, aber auch die Kraft des Guten. Und gar das Laster ist nicht immer Laster. Ich habe Weiber gesehen, auf deren Wangen das rothe Laster gemahlt war und in ihrem Herzen wohnte himmlische Reinheit. Ich habe Weiber gesehen — ich wollt' ich saͤhe sie wieder! — III . Die Englaͤnder . Unter den Bogengaͤngen der Londoner Boͤrse hat jede Nation ihren angewiesenen Platz, und auf hochgesteckten Taͤfelchen liest man die Namen: Russen, Spanier, Schweden, Deutsche, Malteser, Juden, Hanseaten, Tuͤrken u. s. w. Vormals stand jeder Kaufmann unter dem Taͤfelchen, wor¬ auf der Name seiner Nation geschrieben. Jetzt aber wuͤrde man ihn vergebens dort suchen; die Menschen sind fortgeruͤckt, wo einst Spanier stan¬ den, stehen jetzt Hollaͤnder, die Hanseaten traten an die Stelle der Juden, wo man Tuͤrken sucht, 11 ** findet man jetzt Russen, die Italiener stehen, wo einst die Franzosen gestanden, sogar die Deutschen sind weiter gekommen. Wie auf der Londoner Boͤrse, so auch in der uͤbrigen Welt sind die alten Taͤfelchen stehen ge¬ blieben, waͤhrend die Menschen darunter wegge¬ schoben worden und andere an ihrer Stelle gekom¬ men sind, deren neue Koͤpfe sehr schlecht passen zu der alten Aufschrift. Die alten stereotypen Charakteristiken der Voͤlker, wie wir solche in ge¬ lehrten Kompendien und Bierschenken finden, koͤn¬ nen uns nichts mehr nutzen und nur zu trostlosen Irrthuͤmern verleiten. Wie wir unter unsern Au¬ gen in den letzten Jahrzehnten den Charakter unse¬ rer westlichen Nachbaren sich allmaͤhlich umgestalten sahen, so koͤnnen wir, seit Aufhebung der Kon¬ tinentalsperre, eine aͤhnliche Umwandlung jenseits des Kanales wahrnehmen. Steife, schweigsame Englaͤnder wallfahren schaarweis nach Frankreich, um dort sprechen und sich bewegen zu lernen, und bey ihrer Ruͤckkehr sieht man mit Erstaunen, daß Ihnen die Zunge geloͤst ist, daß sie nicht mehr wie sonst zwey linke Haͤnde haben, und nicht mehr mit Beefsteak und Plumppudding zufrieden sind. Ich selbst habe einen solchen Englaͤnder gesehen, der in Tavistock-Tavern etwas Zucker zu seinem Blumenkohl verlangt hat, eine Ketzerey gegen die strenge anglikanische Kuͤche, woruͤber der Kellner fast ruͤcklings fiel, indem gewiß seit der roͤmischen Invasion der Blumenkohl in England nie anders als in Wasser abgekocht und ohne suͤße Zuthat verzehrt worden. Es war derselbe Englaͤnder, der, obgleich ich ihn vorher nie gesehen, sich zu mir setzte und einen so zuvorkommend franzoͤsischen Discours anfing, daß ich nicht umhin konnte, ihm zu gestehen, wie sehr es mich freue, einmal einen Englaͤnder zu finden, der nicht gegen den Fremden zuruͤckhaltend sey, worauf er, ohne Laͤ¬ cheln, eben so freymuͤthig entgegnete, daß er mit mir spraͤche, um sich in der franzoͤsischen Sprache zu uͤben. Es ist auffallend, wie die Franzosen taͤglich nachdenklicher, tiefer und ernster werden, in eben dem Maaße, wie die Englaͤnder dahin streben, sich ein legeres, oberflaͤchliches und heiteres We¬ sen anzueignen; wie im Leben selbst, so auch in der Literatur. Die Londoner Pressen sind vollauf beschaͤftigt mit fashionablen Schriften, mit Roma¬ nen, die sich in der glaͤnzenden Sphaͤre des High Life bewegen oder dasselbe abspiegeln, wie z. B. Almalks, Vivian Grey, Tremaine, the Guards , Flirtation , welcher letztere Roman die beste Bezeich¬ nung waͤre fuͤr die ganze Gattung, fuͤr jene Ko¬ ketterie mit auslaͤndischen Manieren und Redens¬ arten, jene plumpe Feinheit, schwerfaͤllige Leichtig¬ keit, saure Suͤßeley, gezierte Rohheit, kurz fuͤr das ganze unerquickliche Treiben jener hoͤlzernen Schmetterlinge, die in den Saͤlen West-Londons herumflattern. Dagegen welche Literatur bietet uns jetzt die franzoͤsische Presse, jene aͤchte Repraͤsentantin des Geistes und Willens der Franzosen! Wie ihr großer Kaiser die Muße seiner Gefangenschaft dazu anwandte, sein Leben zu diktiren, uns die geheimsten Rathschluͤsse seiner goͤttlichen Seele zu offenbaren, und den Felsen von St. Helena in einen Lehrstuhl der Geschichte zu verwandeln, von dessen Hoͤhe die Zeitgenossen gerichtet und die spaͤ¬ testen Enkel belehrt werden: so haben auch die Franzosen selbst angefangen, die Tage ihres Mi߬ geschicks, die Zeit ihrer politischen Unthaͤtigkeit so ruͤhmlich als moͤglich zu benutzen; auch sie schrei¬ ben die Geschichte ihrer Thaten; jene Haͤnde, die so lange das Schwerdt gefuͤhrt, werden wieder ein Schrecken ihrer Feinde, indem sie zur Feder greifen, die ganze Nation ist gleichsam beschaͤftigt mit der Herausgabe ihrer Memoiren, und folgt sie meinem Rathe, so veranstaltet sie noch eine ganz besondere Ausgabe ad usum Delphini , mit huͤbsch colorirten Abbildungen von der Einnahme der Bastille, dem Tuileriensturm u. drgl. m. Habe ich aber oben angedeutet, wie heut zu Tage die Englaͤnder leicht und frivol zu werden suchen, und in jene Affenhaut hineinkriechen, die jetzt die Franzosen von sich abstreifen, so muß ich nachtraͤglich bemerken, daß ein solches Streben mehr aus der Nobility und Gentry, der vorneh¬ men Welt, als aus dem Buͤrgerstande hervorgeht. Im Gegentheil, der gewerbtreibende Theil der Na¬ tion, besonders die Kaufleute in den Fabrikstaͤdten und fast alle Schotten, tragen das aͤußere Gepraͤge des Pietismus, ja ich moͤchte sagen Puritanis¬ mus, so daß dieser gottselige Theil des Volkes mit den weltlichgesinnten Vornehmen auf dieselbe Weise kontrastirt wie die Kavaliere und Stutz¬ koͤpfe, die Walter Scott in seinen Romanen so wahrhaft schildert. Man erzeigt dem schottischen Barden zu viele Ehre, wenn man glaubt, sein Genius habe die aͤußere Erscheinung und innere Denkweise dieser beiden Partheyen der Geschichte nachgeschaffen, und es sey ein Zeichen seiner Dich¬ tergroͤße, daß er, vorurtheilsfrei wie ein richtender Gott, beyden ihr Recht anthut und beyde mit gleicher Liebe behandelt. Wirft man nur einen Blick in die Betstuben von Liverpool oder Man¬ chester, und dann in die fashionablen Saloons von West-London, so sieht man deutlich, daß Walter Scott blos seine eigene Zeit abgeschrieben und ganz heutige Gestalten in alte Trachten ge¬ kleidet hat. Bedenkt man gar, daß er von der einen Seite selbst als Schotte, durch Erziehung und Nationalgeist, eine puritanische Denkweise eingesogen hat, auf der andern Seite, als Tory, der sich gar ein Sproͤßling der Stuarts duͤnkt, von ganzer Seele recht koͤniglich und adelthuͤmlich gesinnt seyn muß, und daher seine Gefuͤhle und Gedanken beyde Richtungen mit gleicher Liebe umfassen, und zugleich durch deren Gegensatz neu¬ tralisirt werden: so erklaͤrt sich sehr leicht seine Unpartheilichkeit bey der Schilderung der Aristo¬ kraten und Demokraten aus Cromwell's Zeit, eine Unpartheylichkeit, die uns zu dem Irrthume ver¬ leitete, als duͤrften wir in seiner Geschichte Napo¬ leons eine eben so treue fair play -Schilderung der franzoͤsischen Revolutionshelden von ihm er¬ warten. Wer England aufmerksam betrachtet, findet jetzt taͤglich Gelegenheit, jene beiden Tendenzen, die frivole und puritanische, in ihrer widerwaͤrtig¬ sten Bluͤthe, und, wie sich von selbst versteht, in ihrem Zweykampf zu beobachten. Eine solche Ge¬ legenheit gab ganz besonders der famoͤse Proceß des Herrn Wakefield, eines lustigen Kavaliers, der gleichsam aus dem Stegreif die Tochter des rei¬ chen Herrn Tourner, eines Liverpooler Kaufmanns, entfuͤhrt, und zu Gretna Green, wo ein Schmied wohnt, der die staͤrksten Fesseln schmiedet, gehei¬ rathet hatte. Die ganze kopfhaͤngerische Sipp¬ schaft, das ganze Volk der Auserlesenen Gottes, schrie Zeter uͤber solche Verruchtheit, in den Bet¬ stuben Liverpools erflehte man die Strafe des Him¬ mels uͤber Wakefield und seinen bruͤderlichen Hel¬ fer, die der Abgrund der Erde verschlingen sollte wie die Rotte des Korah, Dathan und Abiram, und um der heiligen Rache noch sicherer zu seyn, wurde zu gleicher Zeit in den Gerichtssaͤlen Lon¬ dons der Zorn der Kings-Bench, des Großkanz¬ lers und selbst des Oberhauses auf die Entweiher des heiligsten Sakramentes herabplaidirt — waͤhrend man in den fashionablen Saloons uͤber den kuͤhnen Maͤdchenraͤuber gar tolerant zu scherzen und zu lachen wußte. Am ergoͤtzlichsten zeigte sich mir dieser Kontrast beyder Denkweisen, als ich einst in der großen Oper neben zwey dicken Manchesternen Damen saß, die diesen Versammlungsort der vor¬ 12 nehmen Welt zum Erstenmahle in ihrem Leben besuchten, und den Abscheu ihres Herzens nicht stark genug kund geben konnten, als das Ballet begann, und die hochgeschuͤrzten schoͤnen Taͤnzerin¬ nen ihre uͤppiggrazioͤsen Bewegungen zeigten, ihre lieben, langen, lasterhaften Beine ausstreckten, und ploͤtzlich bachantisch den entgegenhuͤpfenden Taͤnzern in die Arme stuͤrzten; die warme Musik, die Urkleider von fleischfarbigem Tricot, die Natu¬ ralspruͤnge, Alles vereinigte sich, den armen Da¬ men Angstschweiß auszupressen, ihre Busen erroͤ¬ theten vor Unwillen, shocking! for shame, for shame! aͤchzten sie bestaͤndig, und sie waren so sehr von Schrecken gelaͤhmt, daß sie nicht einmal das Perspektiv vom Auge fortnehmen konnten, und bis zum letzten Augenblicke, bis der Vorhang fiel, in dieser Situation sitzen blieben. Trotz diesen entgegengesetzten Geistes- und Lebensrichtungen, findet man doch wieder im eng¬ lischen Volke eine Einheit der Gesinnung, die eben darin besteht, daß es sich als ein Volk fuͤhlt; die neueren Stutzkoͤpfe und Kavaliere moͤgen sich immerhin wechselseitig hassen und verachten, den¬ noch hoͤren sie nicht auf, Englaͤnder zu seyn; als solche sind sie einig und zusammen gehoͤrig, wie Pflanzen, die aus demselben Boden hervor¬ gebluͤht und mit diesem Boden wunderbar verwebt sind. Daher die geheime Uebereinstimmung des ganzen Lebens und Webens in England, das uns beim ersten Anblick nur ein Schauplatz der Ver¬ wirrung und Widerspruͤche duͤnken will. Ueber¬ reichthum und Misere, Orthodoxie und Unglauben, Freiheit und Knechtschaft, Grausamkeit und Milde, Ehrlichkeit und Gaunerey, diese Gegensaͤtze in ihren tollsten Extremen, daruͤber der graue Nebel¬ himmel, von allen Seiten summende Maschinen, Zahlen, Gaslichter, Schornsteine, Zeitungen, Porterkruͤge, geschlossene Maͤuler, alles dieses haͤngt so zusammen, daß wir uns keins ohne das andere denken koͤnnen, und was vereinzelt unser 12 * Erstaunen oder Lachen erregen wuͤrde, erscheint uns als ganz gewoͤhnlich und ernsthaft in seiner Vereinigung. Ich glaube aber, so wird es uns uͤberall ge¬ hen, sogar in solchen Laͤndern, wovon wir noch seltsamere Begriffe hegen, und wo wir noch rei¬ chere Ausbeute des Lachens und Staunens erwar¬ ten. Unsere Reiselust, unsere Begierde fremde Laͤnder zu sehen, besonders wie wir solche im Knabenalter empfinden, entsteht uͤberhaupt durch jene irrige Erwartung außerordentlicher Kontraste, durch jene geistige Maskeradelust, wo wir Men¬ schen und Denkweise unserer Heimath in jene fremde Laͤnder hineindenken, und solchermaßen un¬ sere besten Bekannten in die fremden Kostuͤme und Sitten vermummen. Denken wir z. B. an die Hottentotten, so sind es die Damen unserer Va¬ terstadt, die schwarz angestrichen und mit gehoͤriger Hinterfuͤlle in unserer Vorstellung umhertanzen, waͤhrend unsere jungen Schoͤngeister als Busch¬ klepper auf die Palmbaͤume hinaufklettern; denken wir an die Bewohner der Nordpollaͤnder, so sehen wir dort ebenfalls die wohlbekannten Gesichter, unsere Muhme faͤhrt in ihrem Hundeschlitten uͤber die Eisbahn, der duͤrre Herr Konrektor liegt auf der Baͤrenhaut und saͤuft ruhig seinen Morgen¬ thran, die Frau Accise-Einnehmerinn, die Frau Inspektorinn und die Frau Infibulationsraͤthinn hocken beisammen und kauen Talglichter u. s. w. Sind wir aber in jene Laͤnder wirklich gekommen, so sehen wir bald, daß dort die Menschen mit Sitten und Kostuͤm gleichsam verwachsen sind, daß die Gesichter zu den Gedanken und die Kleider zu den Beduͤrfnissen passen, ja daß Pflanzen, Thiere, Menschen und Land ein zusammenstim¬ mendes Ganze bilden. IV . The life of Napoleon Buonaparte by Walter Scott. Armer Walter Scott! Waͤrest du reich ge¬ wesen, du haͤttest jenes Buch nicht geschrieben, und waͤrest kein armer Walter Scott geworden! Aber die Curatores der Constable'schen Masse ka¬ men zusammen, und rechneten und rechneten, und nach langem Subtrahiren und Dividiren schuͤttel¬ ten sie die Koͤpfe — und dem armen Walter Scott blieb nichts uͤbrig als Lorbeeren und Schul¬ den. Da geschah das Außerordentliche: der Saͤn¬ ger großer Thaten wollte sich auch einmahl im Heroismus versuchen, er entschloß sich zu einer Cessio bonorum , der Lorbeer des großen Unbe¬ kannten wurde taxirt, um große bekannte Schul¬ den zu decken — und so entstand, in hungriger Geschwindigkeit, in bankrotter Begeisterung, das Leben Napoleons, ein Buch, das von den Beduͤrf¬ nissen des neugierigen Publicums im Allgemeinen, und des englischen Ministeriums insbesondere, gut bezahlt werden sollte. Lobt ihn, den braven Buͤrger! lobt ihn, ihr saͤmmtlichen Philister des ganzen Erdballs! lob ihn, du liebe Kraͤmertugend, die Alles aufopfert, um die Wechsel am Verfalltage einzuloͤsen — nur Mir muthet nicht zu, daß auch ich ihn lobe. Seltsam! der todte Kaiser ist im Grabe noch das Verderben der Britten, und durch ihn hat jetzt Britanniens groͤßter Dichter seinen Lorbeer verloren! Es war Britanniens groͤßter Dichter, man mag sagen und einwenden, was man will. Zwar die Kritiker seiner Romane maͤkelten an seiner Groͤße und warfen ihm vor: er dehne sich zu sehr ins Breite, er gehe zu sehr ins Detail, er schaffe seine großen Gestal¬ ten nur durch Zusammensetzung einer Menge von klei¬ nen Zuͤgen, er beduͤrfe unzaͤhlig vieler Umstaͤndlich¬ keiten, um die starken Effecte hervorzubringen — Aber die Wahrheit zu sagen, er glich hierinn einem Millionaͤr, der sein ganzes Vermoͤgen in lauter Scheidemuͤnze liegen hat, und immer drei bis vier Wagen mit Saͤcken voll Groschen und Pfenningen herbeifahren muß, wenn er eine große Summe zu bezahlen hat, und der dennoch, sobald man sich uͤber solche Unart und das muͤhsame Schleppen und Zaͤhlen beklagen will, ganz richtig entgegnen kann: gleichviel wie, so gaͤbe er doch immer die verlangte Summe, er gaͤbe sie doch, und er sey im Grunde eben so zahlfaͤhig, und auch wohl eben so reich wie etwa ein Anderer, der nur blanke Goldbarren liegen hat, ja er habe sogar den Vortheil des erleichterten Verkehrs, in¬ dem jener sich auf dem großen Gemuͤsemarkte, mit seinen großen Goldbarren, die dort keinen Curs haben, nicht zu helfen weiß, waͤhrend jedes Kram¬ weib mit beiden Haͤnden zugreift, wenn ihr gute Groschen und Pfenninge geboten werden. Mit diesem populaͤren Reichthume des brittischen Dich¬ ters hat es jetzt ein Ende, und er, dessen Muͤnze so courant war, daß die Herzoginn und die Schnei¬ dersfrau sie mit gleichem Interesse annahmen, er ist jetzt ein armer Walter Scott geworden. Sein Schicksal mahnt an die Sage von den Berg- Elfen, die neckisch wohlthaͤtig, den armen Leuten Geld schenken, das huͤbsch blank und gedeihlich bleibt, so lange sie es gut anwenden, das sich aber unter ihren Haͤnden in eitel Staub verwan¬ delt, sobald sie es zu nichtswuͤrdigen Zwecken mi߬ brauchen. Sack nach Sack oͤffnen wir Walter Scotts neue Zufuhr, und siehe da! statt der bli¬ tzenden, lachenden Groͤschlein finden wir nichts als Staub und wieder Staub. Ihn bestraften die Berg-Elfen des Parnassus, die Musen, die, wie alle edelsinnigen Weiber, leidenschaftliche Napoleonistinnen sind, und daher doppelt empoͤrt waren uͤber den Mißbrauch der verliehenen Gei¬ stesschaͤtze. Werth und Tendenz des Scottschen Werks sind in allen Zeitschriften Europa's beleuchtet wor¬ den. Nicht blos die erbitterten Franzosen, sondern auch die bestuͤrzten Landsleute des Verfassers haben das Verdammungsurtheil ausgesprochen. In diesen allgemeinen Weltunwillen mußten auch die Deut¬ schen einstimmen; mit schwerverhaltenem Feuer¬ eifer sprach das Stuttgarter Literaturblatt, mit kalter Ruhe aͤußerten sich die Berliner Jahrbuͤcher fuͤr wissenschaftliche Kritik, und der Recensent, der jene kalte Ruhe um so wohlfeiler erschwang, je weniger theuer ihm der Held des Buches seyn muß, charakterisirt dasselbe mit den trefflichen Worten: „In dieser Erzaͤhlung ist weder Gehalt noch Farbe, weder Anordnung noch Lebendigkeit zu finden. Verworren in oberflaͤchlicher, nicht in tiefer Verwirrung, ohne Hervortreten des Eigen¬ thuͤmlichen, unsicher und wandelbar, zieht der gewaltige Stoff traͤge voruͤber; kein Vorgang er¬ scheint in seiner bestimmten Eigenheit, nirgends werden die springenden Punkte sichtbar, kein Er¬ eigniß wird deutlich, keines tritt in seiner Noth¬ wendigkeit hervor, die Verbindung ist nur aͤußer¬ lich, Gehalte und Bedeutung kaum geahnet. In solcher Darstellung muß alles Licht der Geschichte erloͤschen, und sie selbst wird zum, nicht wunder¬ baren, sondern gemeinen Maͤhrchen. Die Ueber¬ legungen und Betrachtungen, welche sich oͤfters dem Vortrag einschieben, sind von einer entspre¬ chenden Art. Solch duͤnnlicher philosophischer Bereitung ist unsre Lesewelt laͤngst entwachsen. Der duͤrftige Zuschnitt einer am Einzelnen haften¬ den Moral reicht nirgend aus. — —“ Dergleichen und noch schlimmere Dinge, die der scharfsinnige Berliner Recensent, Varnhagen von Ense, ausspricht, wuͤrde ich dem Walter Scott gern verzeihen. Wir sind alle Men¬ schen, und der beste von uns kann einmal ein schlechtes Buch schreiben. Man sagt alsdann, es sey unter aller Kritik, und die Sache ist abge¬ macht. Verwunderlich bleibt es zwar, daß wir in diesem neuen Werke nicht einmal Scotts schoͤ¬ nen Styl wiederfinden. In die farblose, wochen¬ taͤgliche Rede werden vergebens hie und da etliche rothe, blaue und gruͤne Worte eingestreut, verge¬ bens sollen glaͤnzende Laͤppchen aus den Poeten die prosaische Bloͤße bedecken, vergebens wird die ganze Arche Noaͤ gepluͤndert, um bestialische Ver¬ gleichungen zu liefern, vergebens wird sogar das Wort Gottes citirt, um die dummen Gedanken zu uͤberschilden. Noch verwunderlicher ist es, daß es dem Walter Scott nicht einmal gelang, sein angeborenes Talent der Gestaltenzeichnung auszu¬ uͤben, und den aͤußern Napoleon aufzufassen. Wal¬ ter Scott lernte nichts aus jenen schoͤnen Bildern, die den Kaiser in der Umgebung seiner Generale und Staatsleute darstellen, waͤhrend doch jeder, der sie unbefangen betrachtet, tief betroffen wird von der tragischen Ruhe und antiken Gemessenheit jener Gesichtszuͤge, die gegen die modern aufgereg¬ ten, pittoresken Tagsgesichter so schauerlich erhaben contrastiren, und etwas herabgestiegen Goͤttliches beurkunden. Konnte aber der schottische Dichter nicht die Gestalt, so konnte er noch viel weniger den Charakter des Kaisers begreifen, und gern verzeih ich ihm auch die Laͤsterung eines Gottes, den er nicht kennt. Ich muß ihm ebenfalls ver¬ zeihen, daß er seinen Wellington fuͤr einen Gott haͤlt, und bei der Apotheose desselben so sehr in Andacht geraͤth, daß er, der doch so stark in Vieh¬ bildern ist, nicht weiß, womit er ihn vergleichen soll. Bin ich aber tolerant gegen Walter Scott, und verzeihe ich ihm die Gehaltlosigkeit, Irrthuͤ¬ mer, Laͤsterungen und Dummheiten seines Buches, verzeih ich ihm sogar die lange Weile, die es mir verursacht — so darf ich ihm doch nimmer¬ mehr die Tendenz desselben verzeihen. Diese ist nichts Geringeres als die Exculpation des engli¬ schen Ministeriums in Betreff des Verbrechens von St. Helena. „In diesem Gerichtshandel zwischen dem englischen Ministerium und der oͤffentlichen Meinung,“ wie der Berliner Rec. sich ausdruͤckt, „macht Walter Scott den Sachwalter,“ er verbin¬ det Advocatenkniffe mit seinem poetischen Talente, um den Thatbestand und die Geschichte zu verdre¬ hen, und seine Clienten, die zugleich seine Patrone sind, duͤrften ihm wohl, außer seinen Sporteln, noch extra ein Douceur in die Hand druͤcken. Die Englaͤnder haben den Kaiser blos ermor¬ det, aber Walter Scott hat ihn verkauft. Es ist ein rechtes Schottenstuͤck, ein aͤcht schottisches Na¬ tionalstuͤckchen, und man sieht, daß schottischer Geiz noch immer der alte, schmutzige Geist ist, und sich nicht sonderlich veraͤndert hat seit den Tagen von Naseby, wo die Schotten ihren eigenen Koͤnig, der sich ihrem Schutze anvertraut, fuͤr die Summe von 400,000 Pf. St. an seine englischen Henker verkauft haben. Jener Koͤnig ist derselbe Karl Stuart, den jetzt Caledonias Barden so herrlich besingen, — der Englaͤnder mordet, aber der Schotte verkauft und besingt. Das englische Ministerium hat seinem Advoka¬ ten zu obigem Behufe das Archiv des foreign of¬ fice geoͤffnet, und dieser hat, im neunten Bande seines Werks, die Actenstuͤcke, die ein guͤnstiges Licht auf seine Parthey und einen nachtheiligen Schatten auf deren Gegner werfen konnten, ge¬ wissenhaft benutzt. Deshalb gewinnt dieser neunte Band, bey all seiner aͤsthetischen Werthlosigkeit, worinn er den vorgehenden Baͤnden nichts nachgibt, dennoch ein gewisses Interesse: man erwartet be¬ deutende Actenstuͤcke, und da man deren keine fin¬ det, so ist das ein Beweis, daß deren keine vor¬ handen waren, die zu Gunsten der englischen Mi¬ nister sprechen — und dieser negative Inhalt des Buches ist ein wichtiges Resultat. Alle Ausbeute, die das englische Archiv liefert, beschraͤnkt sich auf einige glaubwuͤrdige Communi¬ cationen des edeln Sir Hudson Lowe und dessen Myrmidionen und einige Aussagen des General Gourgaud, der, wenn solche wirklich von ihm ge¬ macht worden, als ein schamloser Verraͤther seines kai¬ serlichen Herrn und Wohlthaͤters ebenfalls Glauben verdient. Ich will das Factum dieser Aussagen nicht untersuchen, es scheint sogar wahr zu seyn, da es der Baron Stuͤrmer, einer von den drei Statisten der großen Tragoͤdie, constatirt hat; aber ich sehe nicht ein, was im guͤnstigsten Falle dadurch bewiesen wird, außer daß Sir Hudson Lowe nicht der ein¬ zige Lump auf St. Helena war. Mit Huͤlfsmit¬ teln solcher Art und erbaͤrmlichen Suggestionen behandelt Walter Scott die Gefangenschaftsgeschichte Napoleons, und bemuͤht sich, uns zu uͤberzeugen: daß der Exkaiser — so nennt ihn der Exdichter — nichts Kluͤgeres thun konnte, als sich den Eng¬ laͤndern zu uͤbergeben, obgleich er seine Abfuͤhrung nach St. Helena voraus wissen mußte, daß er dort ganz scharmant behandelt worden, indem er vollauf zu essen und zu trinken hatte, und daß er endlich, frisch und gesund, und als ein guter Christ, an einem Magenkrebse, gestorben. Walter Scott, indem er solchermaßen den Kaiser voraussehen laͤßt, wie weit sich die Gene¬ rositaͤt der Englaͤnder erstrecken wuͤrde, naͤmlich bis St. Helena, befreyt ihn von dem gewoͤhnlichen Vorwurf: die tragische Erhabenheit seines Ungluͤcks habe ihn selbst so gewaltig begeistert, daß er civi¬ lisirte Englaͤnder fuͤr persische Barbaren und die Beefsteakkuͤche von St. James fuͤr den Heerd eines großen Koͤnigs ansah — und eine heroische Dummheit beging. Auch macht Walter Scott den Kaiser zu dem groͤßten Dichter, der jemals auf dieser Welt gelebt hat, indem er uns ganz 13 ernsthaft insinuirt, daß alle jene denkwuͤrdigen Schriften, die seine Leiden auf St. Helena berich¬ ten, saͤmmtlich von ihm selbst dictirt worden. Ich kann nicht umhin, hier die Bemerkung zu machen, daß dieser Theil des Walter Scott'¬ schen Buches, so wie uͤberhaupt die Schriften selbst, wovon er hier spricht, absonderlich die Me¬ moiren von O'Meara, auch die Erzaͤhlung des Capitain Maitland, mich zuweilen an die possen¬ hafteste Geschichte von der Welt erinnert, so daß der schmerzlichste Unmuth meiner Seele ploͤtzlich in muntre Lachlust uͤbergehen will. Diese Ge¬ schichte ist aber keine andere als „die Schicksale des Lemuel Guilliver,“ ein Buch, woruͤber ich einst als Knabe so viel gelacht, und worin gar ergoͤtzlich zu lesen ist: wie die kleinen Lilliputaner nicht wissen, was sie mit dem großen Gefangenen anfangen sollen, wie sie tausendweise an ihm her¬ umklettern und ihn mit unzaͤhligen duͤnnen Haͤr¬ chen fest binden, wie sie mit großen Anstalten ihm ein eigenes großes Haus errichten, wie sie uͤber die Menge Lebensmittel klagen, die sie ihm taͤglich verabreichen muͤssen, wie sie ihn im Staatsrath anschwaͤrzen und bestaͤndig jammern, daß er dem Lande zu viel koste, wie sie ihn gern umbringen moͤchten, ihn aber noch im Tode fuͤrchten, da sein Leichnam eine Pest hervorbringen koͤnne, wie sie sich endlich zur glorreichsten Großmuth entschließen und ihm seinen Titel lassen, und nur seine Augen ausstechen wollen u. s. w. Wahrlich, uͤberall ist Lilliput, wo ein großer Mensch unter kleine Men¬ schen geraͤth, die unermuͤdlich und auf die klein¬ lichste Weise ihn abquaͤlen, und die wieder durch ihn genug Qual und Noth ausstehen; aber haͤtte der Dechant Swift in unserer Zeit sein Buch geschrieben, so wuͤrde man in dessen scharfgeschlif¬ fenem Spiegel nur die Gefangenschaftsgeschichte des Kaisers erblicken, und bis auf die Farbe des Rocks und des Gesichts die Zwerge erkennen, die ihn gequaͤlt haben. 13 * Nur der Schluß des Maͤhrchens von St. Helena ist anders, der Kaiser stirbt an einem Magenkrebs, und Walter Scott versichert uns, das sey die alleinige Ursache seines Todes. Darin will ich ihm auch nicht widersprechen. Die Sache ist nicht unmoͤglich. Es ist moͤglich, daß ein Mann, der auf der Folterbank gespannt liegt, ploͤtzlich ganz natuͤrlich an einem Schlagfluß stirbt. Aber die boͤse Welt wird sagen: die Folterknechte haben ihn hingerichtet. Die boͤse Welt hat sich nun einmal vorgenommen, die Sache ganz anders zu betrachten, wie der gute Walter Scott. Wenn dieser gute Mann, der sonst so bibelfest ist, und gern das Evangelium citirt, in jenem Aufruhr der Elemente, in jenem Orcane, der beym Tode Na¬ poleons ausbrach, nichts anders sieht als ein Er¬ eigniß, daß auch beym Tode Cromwells statt fand: so hat doch die Welt daruͤber ihre eigenen Gedan¬ ken. Sie betrachtet den Tod Napoleons als die entsetzlichste Unthat, losbrechendes Schmerzgefuͤhl wird Anbetung, vergebens macht Walter Scott den Advocatum Diaboli, die Heiligsprechung des todten Kaisers stroͤmt aus allen edeln Herzen, alle edeln Herzen des europaͤischen Vaterlandes verach¬ ten seine kleinen Henker und den großen Barden, der sich zu ihrem Complizen gesungen, die Musen werden bessere Saͤnger zur Feyer ihres Lieblings begeistern, und wenn einst Menschen verstummen so sprechen die Steine, und der Martyrfelsen St. Helena ragt schauerlich aus den Meereswellen, und erzaͤhlt den Jahrtausenden seine ungeheure Ge¬ schichte. V . Old Bailey. Schon der Name Old Bailey erfuͤllt die Seele mit Grauen. Man denkt sich gleich ein großes, schwarzes, mißmuͤthiges Gebaͤude, einen Palast des Elends und des Verbrechens. Der linke Fluͤgel, der das eigentliche Newgate bildet, dient als Criminalgefaͤngniß, und da sieht man nur eine hohe Wand von wetterschwarzen Qua¬ dern, worin zwei Nischen mit eben so schwarzen allegorischen Figuren, und, wenn ich nicht irre, stellt eine von ihnen die Gerechtigkeit vor, indem, wie gewoͤhnlich, die Hand mit der Wage abge¬ brochen ist, und Nichts als ein blindes Weibsbild mit einem Schwerte uͤbrig blieb. Ungefaͤhr gegen die Mitte des Gebaͤudes ist der Altar dieser Goͤt¬ tin, naͤmlich das Fenster, wo das Galgengeruͤst zu stehen kommt, und endlich rechts befindet sich der Criminalgerichtshof, worin die vierteljaͤhrlichen Sessionen gehalten werden. Hier ist ein Thor, das gleich den Pforten der Danteschen Hoͤlle die Inschrift tragen sollte: Per me si va ne la città dolente, Per me si va ne l' eterno dolore, Per me si va tra la perduta gente. Durch dieses Thor gelangt man auf einen klei¬ nen Hof, wo der Abschaum des Poͤbels versam¬ melt ist, um die Verbrecher durchpassiren zu sehen; auch stehen hier Freunde und Feinde derselben, Verwandte, Bettelkinder, Bloͤdsinnige, besonders alte Weiber, die den Rechtsfall des Tages abhan¬ deln, und vielleicht mit mehr Einsicht als Richter und Jury, trotz all' ihrer kurzweiligen Feierlichkeit und langweiligen Jurisprudenz. Hab' ich doch draußen vor der Gerichtsthuͤre eine alte Frau gesehen, die im Kreise ihrer Gevatterinnen den armen schwarzen William besser vertheidigte, als drinnen im Saale dessen grundgelehrter Advocat — wie sie die letzte Thraͤne mit der zerlumpten Schuͤrze aus den rothen Augen wegwischte, schien auch Williams ganze Schuld vertilgt zu seyn. Im Gerichtssaale selbst, der nicht besonders groß, ist unten, vor der sogenannten Bar (Schran¬ ken) wenig Platz fuͤr das Publikum; dafuͤr giebt es aber oben, an beyden Seiten, sehr geraͤumige Gallerien mit erhoͤheten Baͤnken, wo die Zuschauer, Kopf uͤber Kopf, gestapelt stehen. Als ich Old Bailey besuchte, fand auch ich Platz auf einer solchen Gallerie, die mir von einer alten Pfoͤrtnerin gegen Gratification eines Schil¬ lings erschlossen wurde. Ich kam in dem Augen¬ blick, wo die Jury sich erhob, um zu urtheilen: ob der schwarze William des angeklagten Verbre¬ chens schuldig oder nicht schuldig sey. Auch hier, wie in den andern Gerichtshoͤfen Londons, sitzen die Richter in blauschwarzer Toga, die hellviolett gefuͤttert ist, und ihr Haupt bedeckt die weißgepuderte Perucke, womit oft die schwar¬ zen Augenbraunen und schwarzen Backenbaͤrte gar drollig contrastiren. Sie sitzen an einem langen gruͤnen Tische, auf erhabenen Stuͤhlen, am ober¬ sten Ende des Saales, wo an der Wand mit goldenen Buchstaben eine Bibelstelle, die vor un¬ gerechtem Richterspruch warnt, eingegraben steht. An beyden Seiten sind Baͤnke fuͤr die Maͤnner der Jury, und Plaͤtze zum Stehen fuͤr Klaͤger und Zeugen. Den Richtern gerade gegenuͤber ist der Platz der Angeklagten; diese sitzen nicht auf einem Armesuͤnderbaͤnkchen, wie bey den oͤffentli¬ chen Gerichten in Frankreich und Rheinland, son¬ dern aufrecht stehen sie hinter einem wunderlichen Brette, das oben wie ein schmalgebogenes Thor ausgeschnitten ist. Es soll dabey ein kuͤnstlicher Spiegel angebracht seyn, wodurch der Richter im Stande ist, jede Miene der Angeklagten deutlich zu beobachten. Auch liegen einige gruͤne Kraͤuter vor letzteren, um ihre Nerven zu staͤrken, und das mag zuweilen noͤthig seyn, wo man angeklagt steht auf Leib und Leben. Auch auf dem Tische der Richter sah ich dergleichen gruͤne Kraͤuter und sogar eine Rose liegen. Ich weiß nicht wie es kommt, der Anblick dieser Rose hat mich tief bewegt. Die rothe bluͤhende Rose, die Blume der Liebe und des Fruͤhlings, lag auf dem schreck¬ lichen Richtertische von Old Bailey! Es war im Saale so schwuͤl und dumpfig. Es schaute Alles so unheimlich muͤrrisch, so wahnsinnig ernst. Die Menschen sahen aus als kroͤchen ihnen graue Spinnen uͤber die bloͤden Gesichter. Hoͤrbar klirr¬ ten die eisernen Wagschalen uͤber dem Haupte des armen schwarzen Williams. Auch auf der Gallerie bildete sich eine Jury. Eine dicke Dame, aus deren rothaufgedunsenem Gesicht die kleinen Aeuglein wie Gluͤhwuͤrmchen hervorglimmten, machte die Bemerkung, daß der schwarze William ein sehr huͤbscher Bursche sey. Indessen ihre Nachbarin, eine zarte, piepsende Seele in einem Koͤrper von schlechtem Postpapier, behauptete: Er truͤge das schwarze Haar zu lang und zottig, und blitze mit den Augen wie Herr Kean im Othello — „dagegen,“ fuhr sie fort, „ist doch der Thomson ein ganz anderer Mensch, mit hellem Haar und glatt gekaͤmmt nach der Mode, und er ist ein sehr geschickter Mensch, er blaͤs't ein Bischen die Floͤte, er malt ein Bischen, er spricht ein Bischen Franzoͤsisch“ — „Und stiehlt ein Bischen“ fuͤgte die dicke Dame hinzu. „Ei was stehlen,“ versetzte die duͤnne Nachbarin, „das ist doch nicht so barbarisch wie Faͤlschung; denn ein Dieb, es sey denn er habe ein Schaf gestohlen, wird nach Botany Bay transportirt, waͤhrend der Boͤsewicht, der eine Handschrift verfaͤlscht hat, ohne Gnad und Barmherzigkeit gehenkt wird.“ „Ohne Gnad und Barmherzigkeit!“ seufzte neben mir ein magerer Mann in einem verwirrten schwar¬ zen Rock, „Haͤngen! kein Mensch hat das Recht einen andern umbringen zu lassen, am allerwenig¬ sten sollten Christen ein Todesurtheil faͤllen, da sie doch daran denken sollten, daß der Stifter ihrer Religion, unser Herr und Heiland, unschuldig verurtheilt und hingerichtet worden!“ „Ei was,“ rief wieder die duͤnne Dame, und laͤchelte mit ihren duͤnnen Lippen, „wenn so ein Faͤlscher nicht gehenkt wuͤrde, waͤre ja kein reicher Mann seines Vermoͤgens sicher, z. B. der dicke Jude in Lom¬ bard Street, Saint Swinthins Lane, oder unser Freund Herr Scott, dessen Handschrift so taͤu¬ schend nachgemacht worden. Und Herr Scott hat doch sein Vermoͤgen so sauer erworben, und man sagt sogar, er sey dadurch reich geworden, daß er fuͤr Geld die Krankheiten Anderer auf sich nahm, ja die Kinder laufen ihm jetzt noch auf der Straße nach, und rufen: ich gebe Dir ein Sixpens, wenn Du mir mein Zahnweh abnimmst, wir geben Dir einen Schilling, wenn Du Gottfriedchens Buckel nehmen willst“ — „Kurios!“ fiel ihr die dicke Dame in die Rede, „es ist doch kurios, daß der schwarze William und der Thomson fruͤherhin die besten Spießgesellen gewesen sind, und zusam¬ men gewohnt und gegessen und getrunken haben, und jetzt Edward Thomson seinen alten Freund der Faͤlschung anklagt! Warum ist aber die Schwe¬ ster von Thomson nicht hier, da sie doch sonst ihrem suͤßen William uͤberall nachgelaufen?“ Ein junges schoͤnes Frauenzimmer, uͤber dessen holdem Gesichte eine dunkle Betruͤbniß verbreitet lag, wie ein schwarzer Flor uͤber einem bluͤhenden Rosen¬ strauch, fluͤsterte jetzt eine ganz lange, verweinte Geschichte, wovon ich nur so viel verstand, daß ihre Freundinn, die schoͤne Mary, von ihrem Bru¬ der gar bitterlich geschlagen worden und todtkrank zu Bette liege. „Nennt sie doch nicht die schoͤne Mary!” brummte verdrießlich die dicke Dame, „viel zu mager, sie ist viel zu mager, als daß man sie schoͤn nennen koͤnnte, und wenn gar ihr William gehenkt wird —” In diesem Augenblick erschienen die Maͤnner der Jury, und erklaͤrten: Daß der Angeklagte der Faͤlschung schuldig sey. Als man hierauf den schwarzen William aus dem Saale fortfuͤhrte, warf er einen langen, langen Blick auf Edward Thomson. Nach einer Sage des Morgenlandes war Sa¬ tan einst ein Engel, und lebte im Himmel mit den andern Engeln, bis er diese zum Abfall ver¬ leiten wollte, und deßhalb von der Gottheit hin¬ untergestoßen wurde in die ewige Nacht der Hoͤlle. Waͤhrend er aber vom Himmel hinabsank, schaute er immer noch in die Hoͤhe, immer nach dem Engel, der ihn angeklagt hatte; je tiefer er sank, desto entsetzlicher und immer entsetzlicher wurde sein Blick — Und es muß ein schlimmer Blick gewesen seyn; denn jener Engel, den er traf‚ wurde bleich, niemals trat wieder Roͤthe in seine Wangen, und er heißt seitdem der Engel des Todes. Bleich wie der Engel des Todes wurde Edward Thomson. VI . Das neue Ministerium . In Bedlam habe ich vorigen Sommer einen Philosophen kennen gelernt, der mir, mit heim¬ lichen Augen und fluͤsternder Stimme, viele wich¬ tige Aufschluͤsse uͤber den Ursprung des Uebels gegeben hat. Wie mancher andere seiner Collegen meinte auch er, daß man hierbey etwas Histori¬ sches annehmen muͤsse. Was mich betrifft, ich neigte mich ebenfalls zu einer solchen Annahme, und erklaͤrte das Grunduͤbel der Welt aus dem Umstand: daß der liebe Gott zu wenig Geld erschaffen habe. „Du hast gut reden,“ antwortete der Philo¬ soph, „der liebe Gott war sehr knapp bey Cassa, als er die Welt erschuf. Er mußte das Geld dazu vom Teufel borgen, und ihm die ganze Schoͤpfung als Hypothek verschreiben. Da ihm nun der liebe Gott von Gott und Rechtswegen die Welt noch schuldig ist, so darf er ihm auch aus Delicatesse nicht verwehren, sich darin herum zu treiben und Verwirrung und Unheil zu stiften. Der Teufel aber ist seinerseits wieder sehr stark dabey interessirt, daß die Welt nicht ganz zu Grunde und folglich seine Hypothek verloren gehe; er huͤtet sich daher es allzu toll zu machen, und der liebe Gott, der auch nicht dumm ist, und wohl weiß, daß er im Eigennutz des Teufels seine geheime Garantie hat, geht oft so weit, daß er ihm die ganze Herrschaft der Welt anvertraut, d. h. dem Teufel den Auf¬ trag giebt, ein Ministerium zu bilden. Dann geschieht, was sich von selbst versteht, Samiel erhaͤlt das Commando der hoͤllischen Heerschaaren, 14 Belzebub wird Kanzler, Vizliputzli wird Staats¬ sekretair, die alte Großmutter bekommt die Kolo¬ nien u. s. w. Diese Verbuͤndeten wirthschaften dann in ihrer Weise, und indem sie, trotz des boͤsen Willens ihrer Herzen, aus Eigennutz gezwun¬ gen sind, das Heil der Welt zu befoͤrdern, ent¬ schaͤdigen sie sich fuͤr diesen Zwang dadurch, daß sie zu den guten Zwecken immer die niedertraͤch¬ tigsten Mittel anwenden. Sie trieben es juͤngst¬ hin so arg, daß Gott im Himmel solche Greuel nicht laͤnger ansehen konnte, und einem guten Engel den Auftrag gab ein neues Ministerium zu bilden. Dieser sammelte nun um sich her alle guten Geister. Freudige Waͤrme durchdrang wie¬ der die Welt, es wurde Licht, und die boͤsen Geister entwichen. Aber sie legten doch nicht ru¬ hig die Klauen in den Schoos; heimlich wirken sie gegen alles Gute, sie vergiften die neuen Heil¬ quellen, sie zerknicken haͤmisch jede Rosenknospe des neuen Fruͤhlings, mit ihren Amendements zer¬ stoͤren sie den Baum des Lebens, chaotisches Ver¬ derben droht, Alles zu verschlingen, und der liebe Gott wird am Ende wieder dem Teufel die Herr¬ schaft der Welt uͤbergeben muͤssen, damit sie, sey es auch durch die schlechtesten Mittel, wenigstens erhalten werde. Siehst du, das ist die schlimme Nachwirkung einer Schuld.“ Diese Mittheilung meines Freundes in Bedlam erklaͤrte vielleicht den jetzigen englischen Minister¬ wechsel. Erliegen muͤssen die Freunde Cannings, die ich die guten Geister Englands nenne, weil ihre Gegner dessen Teufel sind; diese, den dum¬ men Teufel Wellington an ihrer Spitze, erheben jetzt ihr Siegesgeschrei. Schelte mir keiner den armen Georg, er mußte den Umstaͤnden nachgeben. Man kann nicht laͤugnen, daß nach Cannings Tode die Whigs nicht im Stande waren, die Ruhe in England zu erhalten, da die Maßregeln, die sie deshalb zu ergreifen hatten, bestaͤndig von den Tories vereitelt wurden. Der Koͤnig, dem 14 * die Erhaltung der oͤffentlichen Ruhe, d. h. die Sicherheit seiner Krone, als das Wichtigste er¬ scheint, mußte daher den Tories selbst wieder die Verwaltung des Staates uͤberlassen. — Und, O! sie werden jetzt wieder, nach wie vor, alle Fruͤchte des Volksfleißes in ihren eigenen Saͤckel hineinver¬ walten, sie werden als regierende Kornjuden die Preise ihres Getreides in die Hoͤhe treiben, John Bull wird vor Hunger mager werden, er wird endlich fuͤr einen Bissen Brod sich leibeigen selbst den hohen Herren verkaufen, sie werden ihn vor den Pflug spannen und peitschen, er wird nicht einmal brummen duͤrfen, denn auf der einen Seite droht ihm der Herzog von Wellington mit dem Schwerte, und auf der andern Seite schlaͤgt ihn der Erzbischof von Canterbury mit der Bibel auf den Kopf — und es wird Ruhe im Lande seyn. Die Quelle jener Uebel ist die Schuld, the national debt , oder wie Cobbet sagt, the kings debt . Cobbet bemerkt naͤmlich mit Recht: waͤh¬ rend man allen Instituten den Namen des Koͤnigs voransetzt, z. B. the kings army, the kings navy, the kings courts, the kings prisons etc ., wird doch die Schuld, die eigentlich aus jenen Instituten hervorging, niemals the kings debt genannt, und sie ist das Einzige, wobey man der Nation die Ehre erzeigt, etwas nach ihr zu benennen. Der Uebel groͤßtes ist die Schuld. Sie be¬ wirkt zwar, daß der englische Staat sich erhaͤlt, und daß sogar dessen aͤrgste Teufel ihn nicht zu Grunde richten; aber sie bewirkt auch, daß ganz England eine große Tretmuͤhle geworden, wo das Volk Tag und Nacht arbeiten muß, um seine Glaͤubiger zu fuͤttern, daß England vor lauter Zahlungssorgen alt und grau und aller heiteren Jugendgefuͤhle entwoͤhnt wird, daß England, wie bey starkverschuldeten Menschen zu geschehen pflegt, zur stumpfsten Resignation niedergedruͤckt ist, und sich nicht zu helfen weiß — obgleich 900,000 Flinten und eben so viel Saͤbel und Bajonette im Tower zu London aufbewahrt liegen. VII . Die Schuld. Als ich noch sehr jung war, gab es drey Dinge, die mich ganz vorzuͤglich interessirten, wenn ich Zeitungen las. Zuvoͤrderst, unter dem Artikel „Großbritannien,“ suchte ich gleich: ob Richard Martin keine neue Bittschrift, fuͤr die mildere Behandlung der armen Pferde, Hunde und Esel dem Parlamente uͤbergeben. Dann, unter dem Artikel „Frankfurt,“ suchte ich nach, ob der Herr Doctor Schreiber nicht wieder beym Bundestag fuͤr die großherzoglich hessischen Domaͤ¬ nenkaͤufer eingekommen. Hierauf aber fiel ich gleich uͤber die Tuͤrkey her, und durchlas das lange Con¬ stantinopel, um nur zu sehen, ob nicht wieder ein Großvezier mit der seidenen Schnur beehrt worden. Dieses letztere gab mir immer den meisten Stoff zum Nachdenken. Daß ein Despot seinen Diener ohne Umstaͤnde erdrosseln laͤßt, fand ich ganz natuͤrlich. Sah ich doch einst in der Me¬ nagerie, wie der Koͤnig der Thiere so sehr in maje¬ staͤtischen Zorn gerieth, daß er gewiß manchen unschuldigen Zuschauer zerrissen haͤtte, waͤre er nicht in einer sichern Constitution, die aus eisernen Stangen verfertigt war, eingesperrt gewesen. Aber was mich Wunder nahm, war immer der Um¬ stand, daß nach der Erdrosselung des alten Herrn Großveziers sich immer wieder Jemand fand, der Lust hatte, Großvezier zu werden. Jetzt, wo ich etwas aͤlter geworden bin, und mich mehr mit den Englaͤndern als mit ihren Freunden, den Tuͤrken, beschaͤftige, ergreift mich ein analoges Erstaunen, wenn ich sehe, wie nach dem Abgang eines englischen Premier-Ministers gleich ein anderer sich an dessen Stelle draͤngt, und dieser Andere immer ein Mann ist, der auch ohne dieses Amt zu leben haͤtte, und auch (Wel¬ lington ausgenommen) nichts weniger als ein Dummkopf ist. Schrecklicher als durch die seidene Schnur endigen ja alle englischen Minister, die laͤnger als ein Semester dieses schwere Amt ver¬ waltet. Besonders ist dieses der Fall seit der fran¬ zoͤsischen Revolution; Sorg und Noth haben sich vermehrt in Downingstreet, und die Last der Ge¬ schaͤfte ist kaum zu ertragen. Einst waren die Verhaͤltnisse in der Welt weit einfacher, und die sinnigen Dichter verglichen den Staat mit einem Schiffe und den Minister mit dessen Steuermann. Jetzt aber ist Alles compli¬ cirter und verwickelter, das gewoͤhnliche Staats¬ schiff ist ein Dampfboot geworden, und der Mini¬ 14 ** ster hat nicht mehr ein einfaches Ruder zu regie¬ ren, sondern als verantwortlicher Enginer steht er unten zwischen dem ungeheuern Maschinenwerk, untersucht aͤngstlich jedes Eisenstiftchen, jedes Raͤd¬ chen, wodurch etwa eine Stockung entstehen koͤnnte, schaut Tag und Nacht in die lodernde Feuer-Esse, und schwitzt vor Hitze und Sorge — sintemalen durch das geringste Versehen von seiner Seite der große Kessel zerspringen, und bey dieser Gelegen¬ heit Schiff und Mannschaft zu Grunde gehen koͤnnte. Der Capitaͤn und die Passagiere ergehen sich unterdessen ruhig auf dem Verdecke, ruhig flattert die Flagge auf dem Seitenmast, und wer das Boot so ruhig dahin schwimmen sieht, ahnet nicht, welche gefaͤhrliche Maschinerie und welche Sorge und Noth in seinem Bauche verborgen ist. Fruͤhzeitigen Todes sinken sie dahin, die armen verantwortlichen Enginers des englischen Staats¬ schiffes. Ruͤhrend ist der fruͤhe Tod des großen Pitt, ruͤhrender der Tod des groͤßeren Fox. Per¬ cival waͤre an der gewoͤhnlichen Ministerkrankheit gestorben, wenn nicht ein Dolchstoß ihn schneller abgefertigt haͤtte. Diese Ministerkrankheit war es ebenfalls, was den Lord Castlereagh so zur Ver¬ zweiflung brachte, daß er sich die Kehle abschnitt zu North-Cray in der Grafschaft Kent. Lord Liverpool sank auf gleiche Weise in den Tod des Bloͤdsinns. Canning, den goͤttergleichen Canning, sahen wir vergiftet von hochtorieschen Verlaͤumdun¬ gen, gleich einem kranken Atlas, unter seiner Weltbuͤrde niedersinken. Einer nach dem An¬ dern werden sie eingescharrt in Westminster, die armen Minister, die fuͤr Englands Koͤnige Tag und Nacht denken muͤssen, waͤhrend diese, gedan¬ kenlos und wohlbeleibt, dahinleben bis ins hoͤchste Menschenalter. Wie heißt aber die große Sorge, die Eng¬ lands Ministern Tag und Nacht im Gehirne wuͤhlt und sie toͤdtet? Sie heißt: the debt , die Schuld. Schulden, eben so wie Vaterlandsliebe, Reli¬ gion, Ehre u. s. w. gehoͤren zwar zu den Vorzuͤ¬ gen des Menschen — denn die Thiere haben keine Schulden — aber sie sind auch eine ganz vorzuͤg¬ liche Qual der Menschheit, und wie sie den Ein¬ zelnen zu Grunde richten, so bringen sie auch ganze Geschlechter ins Verderben, und sie scheinen das alte Fatum zu ersetzen in den Nationaltragoͤ¬ dien unserer Zeit. England kann diesem Fatum nicht entgehen, seine Minister sehen die Schreck¬ nisse herannahen, und sterben mit der Verzweif¬ lung der Ohnmacht. Waͤre ich koͤniglich preußischer Oberlandescalcu¬ lator oder Mitglied des Geniecorps, so wuͤrde ich, in gewohnter Weise, die ganze Summe der eng¬ lischen Schuld in Silbergroschen berechnen, und genau angeben, wie vielmal man damit die große Friedrichstraße oder gar den ganzen Erdball bede¬ cken koͤnnte. Aber das Rechnen war nie meine Force, und ich moͤchte lieber einem Englaͤnder das fatale Geschaͤft uͤberlassen, seine Schulden aufzuzaͤh¬ len, und die daraus entstehende Ministernoth her¬ auszurechnen. Dazu taugt Niemand besser als der alte Cobbet, und aus der letzten Nummer seines Registers liefre ich folgende Eroͤrterungen. „Der Zustand der Dinge ist folgender: 1) Diese Regierung, oder vielmehr diese Ari¬ stokratie und Kirche, oder auch, wie ihr wollt, diese Regierung borgte eine große Summe Gel¬ des, wofuͤr sie viele Siege, sowohl Land- als Seesiege, gekauft hat — eine Menge Siege, von jeder Sorte und Groͤße. 2) Indessen muß ich zuvor bemerken, aus wel¬ cher Veranlassung und zu welchem Zwecke man diese Siege gekauft hat: die Veranlassung ( occasion ) war die franzoͤsische Revolution, die alle aristo¬ kratischen Vorrechte und geistlichen Zehn¬ ten niedergerissen hatte; und der Zweck war die Verhuͤtung einer Parlamentsreform in England, die wahrscheinlich ein aͤhnliches Niederreißen aller aristokratischen Vorrechte und geistlichen Zehnten zur Folge gehabt haͤtte. 3) Um nun zu verhuͤten, daß das Beyspiel der Franzosen nicht von den Englaͤndern nachgeahmt wuͤrde, war es noͤthig die Franzosen anzugreifen, sie in ihren Fortschritten zu hemmen, ihre neuer¬ langte Freyheit zu gefaͤhrden, sie zu verzweifelten Handlungen treiben, und endlich die Revolution zu einem solchen Schreckbilde, zu einer solchen Voͤlker¬ scheuche zu machen, daß man sich unter dem Namen der Freyheit nichts als ein Aggregat von Schlechtig¬ keit, Greuel und Blut vorstellen, und das engli¬ sche Volk, in der Begeisterung seines Schreckens, dahin gebracht wuͤrde, sich sogar ordentlich zu ver¬ lieben in jene greuelhaft-despotische Regierung, die einst in Frankreich bluͤhte, und die jeder Englaͤnder von jeher verabscheute, seit den Tagen Alfreds des Großen bis herab auf Georg den Dritten. 4) Um jene Vorsaͤtze auszufuͤhren, bedurfte man der Mithuͤlfe, verschiedener fremder Natio¬ nen; diese Nationen wurden daher mit englischem Gelde unterstuͤtzt ( subsidized ); franzoͤsische Emi¬ granten wurden mit englischem Gelde unterhalten; kurz, man fuͤhrte einen zwey und zwanzigjaͤhrigen Krieg, um jenes Volk niederzudruͤcken, das sich gegen aristokratische Vorrechte und geist¬ liche Zehnten erhoben hatte. 5) Unsere Regierung also erhielt „ unzaͤhlige Siege “ uͤber die Franzosen, die, wie es scheint, immer geschlagen worden; aber diese unsere un¬ zaͤhligen Siege waren gekauft , d.h. sie wurden erfochten von Miethlingen, die wir fuͤr Geld dazu gedungen hatten, und wir hatten in unserem Solde zu einer und derselben Zeit ganze Schaaren von Franzosen, Hollaͤndern, Schweizern, Italie¬ nern, Russen, Oesterreichern, Bayern, Hessen, Hannoveranern, Preußen, Spaniern, Portugiesen, Neapolitanern, Maltesern, und Gott weiß! wie viele Nationen noch außerdem. 6) Durch solches Miethen fremder Dienste und durch Benutzung unserer eigenen Flotte und Landmacht kauften wir so viele Siege uͤber die Franzosen, welche arme Teufel kein Geld hatten, um ebenfalls dergleichen einzuhandeln, so daß wir endlich ihre Revolution uͤberwaͤltigten, die Aristo¬ kratie bey ihnen bis zu einer gewissen Stufe wie¬ derherstellten, jedoch um Alles in der Welt Wil¬ len die geistlichen Zehnten nicht ebenfalls restauri¬ ren konnten. 7) Nachdem wir diese große Aufgabe gluͤcklich vollbracht und auch dadurch jede Parlamentsreform in England hintertrieben hatten, erhob unsere Re¬ gierung ein bruͤllendes Siegesgeschrei, wobey sie ihre Lunge nicht wenig anstrengte, und auch laut¬ moͤglichst unterstuͤtzt wurde von jeder Creatur in diesem Lande, die auf eine oder die andere Art von den oͤffentlichen Taxen lebte. 8) Beinahe ganze zwey Jahre dauerte der uͤberschwengliche Freudenrausch bey dieser damals so gluͤcklichen Nation; zur Feyer jener Siege draͤngten sich Jubelfeste, Volksspiele, Triumphbo¬ gen, Lustkaͤmpfe und dergleichen Vergnuͤgungen, die mehr als eine viertel Million Pfund Sterlinge kosteten, und das Haus der Gemeinen bewilligte einstimmig eine ungeheure Summe (ich glaube drei Million Pfund Sterling) um Triumphboͤgen, Denksaͤulen und andere Monumente zu errichten, und damit die glorreichen Ereignisse des Krieges zu verewigen. 9) Bestaͤndig, seit dieser Zeit, hatten wir das Gluͤck, unter der Regierung eben derselben Perso¬ nen zu leben, die unsere Angelegenheiten in besag¬ tem glorreichen Kriege gefuͤhrt hatten. 10) Bestaͤndig, seit dieser Zeit, lebten wir in einem tiefen Frieden mit der ganzen Welt; man kann annehmen, daß dieses noch jetzt der Fall ist, ungeachtet unserer kleinen zwischenspieligen Rau¬ ferey mit den Tuͤrken; und daher sollte man den¬ ken, es koͤnne keine Ursache in der Welt geben, weßhalb wir jetzt nicht gluͤcklich seyn sollten: wir 15 haben ja Frieden, unser Boden bringt reichlich seine Fruͤchte, und, wie die Weltweisen und Ge¬ setzgeber unserer Zeit eingestehen, wir sind die aller¬ erleuchtetste Nation auf der ganzen Erde. Wir haben wirklich uͤberall Schulen, um die heran¬ wachsende Generation zu unterrichten; wir haben nicht allein einen Rector oder Vicar, oder Curaten in jedem Kirchsprengel des Koͤnigreichs, sondern wir haben in jedem dieser Kirchsprengel vielleicht noch sechs Religionslehrer, wovon jeder von einer andern Sorte ist als seine vier Collegen, dergestalt, daß unser Land hinlaͤnglich mit Unterricht jeder Art versorgt ist, kein Mensch dieses gluͤcklichen Landes im Zustande der Unwissenheit leben wird, — und daher unser Erstaunen um so groͤßer seyn muß, wie irgend Jemand, der ein Premier-Mi¬ nister dieses gluͤcklichen Landes werden soll, dieses Amt als eine so schwere und schwierige Last ansieht. 11) Ach, wir haben ein einziges Ungluͤck, und das ist ein wahres Ungluͤck: wir haben naͤmlich einige Siege gekauft — sie waren herrlich — es war ein gutes Geschaͤft — sie waren drey oder viermal so viel werth als wir dafuͤr gaben, wie Frau Tweazle ihrem Manne zu sagen pflegt, wenn sie vom Markte nach Hause kommt — es war große Nachfrage und viel Begehr nach Sie¬ gen — kurz wir konnten nichts Vernuͤnftigeres thun, als uns zu so billigem Preise mit einer so großen Portion Ruhm zu versehen. 12) Aber, ich gestehe es bekuͤmmerten Her¬ zens, wir haben, wie manche andere Leute, das Geld geborgt , womit wir diese Siege gekauft, als wir dieser Siege bedurften, deren wir jetzt auf keine Weise wieder los werden koͤnnen, eben so wenig wie ein Mann seines Weibes los wird, wenn er einmal das Gluͤck gehabt hat, sich die holde Bescheerung aufzuladen. 13) Daher geschieht's, daß jeder Minister, der unsere Angelegenheiten uͤbernimmt, auch sorgen 15 * muß fuͤr die Bezahlung unserer Siege, worauf eigentlich noch kein Pfennig abbezahlt worden. 14) Er braucht zwar nicht dafuͤr zu sorgen, daß das ganze Geld, welches wir borgten, um Siege dafuͤr zu kaufen, ganz auf einmal, Capital und Zinsen, bezahlt werde; aber fuͤr die regelmaͤ¬ ßige Auszahlung der Zinsen muß er, leider Gottes! ganz bestimmt sorgen; und diese Zinsen, zusammengerechnet mit dem Solde der Armee und anderen Ausgaben, die von unseren Sie¬ gen herruͤhren, sind so bedeutend, daß ein Mensch ziemlich starke Nerven haben muß, wenn er das Geschaͤftchen uͤbernehmen will, fuͤr die Bezahlung dieser Summen zu sorgen. 15) Fruͤherhin, ehe wir uns damit abgaben, Siege einzuhandeln, und uns allzureichlich mit Ruhm zu versorgen, trugen wir schon eine Schuld von wenig mehr als zweyhundert Millio¬ nen , waͤhrend alle Armengelder in England und Wales zusammen nicht mehr als zwey Mil¬ lionen jaͤhrlich betrugen, und waͤhrend wir noch nichts von jener Last hatten, die unter dem Na¬ men dead weight uns jetzt aufgebuͤrdet ist, und ganz aus unserm Durst nach Ruhm hervorge¬ gangen. 16) Außer diesem Gelde, das von Creditoren geborgt worden, die es freywillig hergaben, hat unsere Regierung, aus Durst nach Siegen , auch indirect bey den Armen eine große Anleihe ge¬ macht, d. h. sie steigerte die gewoͤhnlichen Taxen bis auf eine solche Hoͤhe, daß die Armen weit mehr als jemals niedergedruͤckt wurden, und daß sich die Anzahl der Armen und Armengelder er¬ staunlich vergroͤßerte. 17) Die Armengelder stiegen von zwey Mil ¬ lionen jaͤhrlich auf acht Millionen ; die Ar¬ men haben nun gleichsam ein Pfandrecht, eine Hypothek auf das Land; und hier ergiebt sich also wieder eine Schuld von sechs Millionen , welche man hinzurechnen muß zu jenen anderen Schulden, die unsere Passion fuͤr Ruhm und der Einkauf unserer Siege verursacht hat. 18) The dead weight besteht aus Leibrenten, die wir unter dem Namen Pensionen einer Menge von Maͤnnern, Weibern und Kindern verabrei¬ chen, als eine Belohnung fuͤr die Dienste, welche jene Maͤnner beym Erlangen unserer Siege gelei¬ stet haben, oder geleistet haben sollen. 19) Das Capital der Schuld, welche diese Regierung contrahirt hat, um sich Siege zu ver¬ schaffen, besteht ungefaͤhr in folgenden Summen: Pf. Sterling Hinzugekommene Summe zu der Na¬ tionalschuld . . . . . . 800,000,000. Hinzugekommene Summe zur eigent¬ lichen Armengelder-Schuld . 150,000,000. Dead weight als Capital einer Schuld berechnet . . . . . . . 175,000,000. Pf. St. 1,125,000,00. d. h. Eilfhundert und fuͤnfundzwanzig Millionen zu fuͤnf Prozent ist der Betrag jener jaͤhrlichen sechs und funfzig Millionen; ja, dieses ist ungefaͤhr der jetzige Betrag, nur daß die Armengelder-Schuld nicht in den Rechnun¬ gen, die dem Parlamente vorgelegt werden, auf¬ gefuͤhrt ist, indem sie das Land gleich direct in den verschiedenen Kirchspielen bezahlt. Will man daher jene sechs Millionen von den sechsundvierzig Millionen abziehen, so ergiebt sich, daß die Staats¬ schuldglaͤubiger und das dead weight -Volk wirk¬ lich alles Uebrige verschlingen. 20) Indessen, die Armengelder sind eben so gut eine Schuld wie die Schuld der Staats¬ schuldglaͤubiger, und augenscheinlich aus derselben Quelle entsprungen. Von der schrecklichen Last der Taxen werden die Armen zu Boden gedruͤckt; jeder Andere wird zwar auch davon gedruͤckt, aber Jeder, außer den Armen, wußte diese Last mehr oder weniger von seinen Schultern abzuwaͤlzen, und sie fiel endlich mit fuͤrchterlichem Gewichte ganz auf die Armen, und diese verloren ihre Bierfaͤsser, ihre kupfernen Kessel, ihre zinnernen Teller, ihre Wanduhr, ihre Betten und bis auf ihr Handwerksgeraͤthe, sie verloren ihre Kleider, und mu߬ ten sich in Lumpen huͤllen, sie verloren das Fleisch von ihren Knochen — Sie konnten nicht weiter aufs Aeußerste getrieben werden, und von dem, was man ihnen genommen, gab man ihnen wieder etwas zuruͤck unter dem Namen von vermehrten Armengeldern. Diese sind daher eine wahre Schuld , ein wah¬ res Pfandrecht auf das Land. Die Interessen dieser Schuld koͤnnen zwar zuruͤckgehalten werden, aber wenn dieses geschieht, wuͤrden die Personen, die solche zu fordern haben, in Masse herbeykom¬ men, und sich fuͤr den Betrag, gleichviel in wel¬ cher Waͤhrung, bezahlt machen. Dieses ist also eine wahre Schuld , und eine Schuld, die man bey Heller und Pfennig bezahlen wird, und zwar, ich bemerke es ausdruͤcklich, wird man ihr ein Vorrecht vor allen anderen Schulden gestatten. 21) Es ist also nicht noͤthig, sich sehr zu wun¬ dern, wenn man die Noth derjenigen sieht, die solche Geschaͤfte uͤbernehmen! Es ist zu verwun¬ dern, daß sich uͤberhaupt Jemand zu einer solchen Uebernahme versteht, wenn ihm nicht anheimge¬ stellt wird, nach Gutduͤnken eine radicale Umwand¬ lung des ganzen Systems vorzunehmen. 22) Hier giebt's keine Moͤglichkeit der Aus¬ huͤlfe, wenn man die jaͤhrliche Ausgabe der Staats¬ glaͤubiger-Schuld und der dead weight -Schuld herabzusetzen sucht; um solches Herabsetzen der Schuld, solche Reduction dem Lande anzumuthen, um zu verhindern, daß sie große Umwaͤlzungen hervorbringe, um zu verhindern, daß nicht eine halbe Million Menschen in und um London da¬ durch vor Hunger sterben muͤssen: da ist noͤthig, daß man zuvor weit verhaͤltnißmaͤßigere Reductio¬ nen anderswo vornehme, ehe man die Re¬ duction jener obigen zwey Schulden oder ihrer In¬ teressen versuchen wollte. 23) Wie wir bereits gesehen haben, die Siege wurden gekauft, in der Absicht, um Parlaments¬ reform in England zu verhindern, und die aristo¬ kratischen Vorrechte und geistlichen Zehnten aufrecht zu erhalten; es waͤre daher eine himmelschreiende Greuelthat, entzoͤgen wir ihre rechtmaͤßigen Zinsen jenen Leuten, die uns das Geld geborgt, oder entzoͤgen wir gar ihre Bezahlung denjenigen Leu¬ ten, die uns die Haͤnde vermiethet, wodurch wir die Siege erlangt haben; es waͤre eine Greuel¬ that, die Gottes Rache auf uns laden wuͤrde, wenn wir dergleichen thaͤten, waͤhrend die ein¬ traͤglichen Ehrenaͤmter der Aristokratie, ihre Pen¬ sionen, Sinekuren, koͤniglichen Schenkungen, Mi¬ litaͤrbelohnungen und endlich gar die Zehnten des Clerus unangetastet blieben! 24) Hier , hier also liegt die Schwierigkeit: Wer Minister wird, wird Minister eines Landes, das eine große Passion fuͤr Siege gehabt, auch sich hinlaͤnglich damit versehen und sich unerhoͤrt viel militaͤrischen Ruhm verschafft — aber leider diese Herrlichkeiten noch nicht bezahlt hat, und nun dem Minister uͤberlaͤßt, die Rechnung zu berichti¬ gen, ohne daß dieser weiß, woher er das Geld nehmen soll. Das sind Dinge, die einen Minister ins Grab druͤcken, wenigstens des Verstandes berauben koͤn¬ nen. England ist mehr schuldig, als es bezahlen kann. Man ruͤhme nur nicht, daß es Indien und reiche Kolonien besitzt. Wie sich aus den letzten Parlamentsdebatten ergibt, zieht der engli¬ sche Staat keinen Heller eigentlicher Einkuͤnfte aus seinem großen, unermeßlichen Indien, ja er muß dorthin noch einige Millionen Zuschuß bezah¬ len. Dieses Land nutzt England blos dadurch, daß einzelne Britten, die sich dort bereichert, durch ihre Schaͤtze die Industrie und den Geldumlauf des Mutterlandes befoͤrdern, und tausend Andere durch die indische Compagnie Brod und Versor¬ gung gewinnen. Die Kolonien ebenfalls liefern dem Staate keine Einkuͤnfte, beduͤrfen des Zu¬ schusses, und dienen zur Befoͤrderung des Handels und zur Bereicherung der Aristokratie, deren Ne¬ poten als Gouverneure und Unterbeamte dahin geschickt werden. Die Bezahlung der National¬ schuld faͤllt daher ganz allein auf Großbritannien und Irland. Aber auch hier sind die Resourcen nicht so betraͤglich wie die Schuld selbst. Wir wollen ebenfalls hier Cobbet sprechen lassen: „Es gibt Leute, die, um eine Art Aushuͤlfe anzugeben, von den Resourcen des Landes sprechen. Dies sind die Schuͤler des seligen Col¬ quhoun, eines Diebesfaͤngers, der ein großes Buch geschrieben, um zu beweisen, daß unsere Schuld uns nicht im Mindesten besorgt machen darf, in¬ dem sie so klein sey in Verhaͤltniß zu den Re¬ sourcen der Nation; und damit seine klugen Leser eine bestimmte Idee von der Unermeßlichkeit dieser Resourcen bekommen moͤgen, machte er eine Ab¬ schaͤtzung von Allem, was im Lande vorhanden ist, bis herab auf die Kaninchen , und schien sogar zu bedauern, daß er nicht fuͤglich die Ratten und Maͤuse mitrechnen konnte. Den Werth der Pferde, Kuͤhe, Schafe, Ferkelchen, Federvieh, Wildpret, Kaninchen, Fische, den Werth der Hausgeraͤthe, Kleider, Feuerung, Zu¬ cker, Gewuͤrze, kurz von Allem im Lande macht er ein Aestimatum ; und dann, nachdem er das Ganze assummirt, und den Werth der Laͤndereien, Baͤume, Haͤuser, Minen, den Ertrag des Grases, des Korns, die Ruͤben und das Flachs hinzuge¬ rechnet und eine Summe von Gott weiß wie vie¬ len tausend Millionen herausgebracht hat, grinst er in pfiffig prahlerisch schottischer Manier, unge¬ faͤhr wie ein Truthahn, und hohnlachend fragt er Leute meines Gleichen: mit Resourcen, wie diese, fuͤrchtet Ihr da noch einen Nationalban¬ kerott ? „Dieser Mann bedachte nicht, daß man Haͤu¬ ser noͤthig hat, um darin zu leben , die Laͤn¬ dereien, damit sie Futter liefern, die Kleider, da¬ mit man seine Bloͤße bedecke, die Kuͤhe, damit sie Milch geben, den Durst zu loͤschen, das Horn¬ vieh, Schafe, Schweine, Gefluͤgel und Kaninchen, damit man sie esse, ja, der Teufel hole diesen wi¬ dersinnigen Schotten! diese Dinge sind nicht dafuͤr da, daß sie verkauft und die Nationalschulden damit bezahlt werden. Wahrhaftig er hat noch den Taglohn der Arbeitsleute zu den Resourcen der Nation gerechnet! Dieser dumme Teufel von Diebesfaͤnger, den seine Bruͤder in Schottland zum Doctor geschlagen, weil er ein so vorzuͤgliches Buch geschrieben, er scheint ganz vergessen zu ha¬ ben, daß Arbeitsleute ihren Taglohn selbst beduͤr¬ fen, um sich dafuͤr etwas Essen und Trinken zu schaffen. Er konnte eben so gut den Werth des Blutes in unseren Adern abschaͤtzen, als ein Stoff, wovon man allenfalls Blutwuͤrste machen koͤnnte!“ So weit Cobbet. Waͤhrend ich seine Worte in deutscher Sprache niederschreibe, bricht er leib¬ haftig selbst wieder hervor in meinem Gedaͤchtnisse, und wie vorig Jahr bey dem laͤrmigen Mittag¬ essen in Crown and Anchor Tavern, sehe ich ihn wieder mit seinem scheltend rothen Gesichte und seinem radicalen Laͤcheln, worin der giftigste To¬ deshaß gar schauerlich zusammenschmilzt mit der hoͤhnischen Freude, die den Untergang der Feinde ganz sicher voraussieht. Tadle mich Niemand, daß ich Cobbet citire! Man mag ihn immerhin der Unredlichkeit, der Scheltsucht und eines allzu ordinaͤren Wesens be¬ schuldigen; aber man kann nicht laͤugnen, daß er viel beredsamen Geist besitzt, und daß er sehr oft, und in obiger Darstellung ganz und gar, Recht hat. Er ist ein Kettenhund, der jeden, den er nicht kennt, gleich wuͤthend anfaͤllt, oft den besten Freund des Hauses in die Waden beißt, immer bellt, und eben wegen jenes unaufhoͤrlichen Bel¬ lens nicht gehoͤrt wird, wenn er einmal einem wirklichen Diebe entgegenbellt. Deshalb halten es jene vornehmen Diebe, die England pluͤndern, nicht einmal fuͤr noͤthig, dem knurrenden Cobbet einen Brocken zuzuwerfen, und ihm damit das Maul zu stopfen. Dieses wurmt den Hund am bittersten, und er fletscht die hungrigen Zaͤhne. Alter Cobbet! Hund von England! ich liebe dich nicht, denn fatal ist mir jede gemeine Na¬ tur; aber du dauerst mich bis in tiefster Seele, wenn ich sehe, wie du dich von deiner Kette nicht losreißen und jene Diebe nicht erreichen kannst, die lachend vor deinen Augen ihre Beute fortschleppen, und deine vergeblichen Spruͤnge und dein ohn¬ maͤchtiges Geheul verspotten. VIII . Die Oppositionspartheyen. Einer meiner Freunde hat die Opposition im Parlamente sehr treffend mit einer Oppositions¬ kutsche verglichen. Bekanntlich ist das eine oͤffent¬ liche Stage-Kutsche, die irgend eine speculirende Gesellschaft auf ihre Kosten instituirt, und zwar zu so spottwohlfeilen Preisen fahren laͤßt, daß die Reisenden ihr gern den Vorzug geben vor den schon vorhandenen Stage-Kutschen. Diese letztern muͤs¬ sen dann ebenfalls ihre Preise heruntersetzen, um Passagiere zu behalten, werden aber bald von der neuen Oppositionskutsche uͤberboten oder vielmehr unterboten, ruiniren sich durch solche Concurrenz, 16 und muͤssen am Ende ihr Fahren ganz einstellen. Hat aber die Oppositionskutsche auf solche Art das Feld gewonnen, und ist sie jetzt auf einer bestimm¬ ten Tour die einzige, so erhoͤht sie ihre Preise, oft sogar den Preis der verdraͤngten Kutsche uͤberstei¬ gend, und der arme Reisende hat nichts gewonnen, hat oft sogar verloren, und zahlt und flucht, bis eine neue Oppositionskutsche wieder das vorige Spiel erneut, und neue Hoffnungen und neue Taͤuschungen entstehen. Wie uͤbermuͤthig wurden die Whigs, als die Stuart'sche Parthey erlag und die protestantische Dynastie den englischen Thron bestieg! Die Tories bildeten damals die Opposition, und John Bull, der arme Staatspassagier, hatte Ursache, vor Freude zu bruͤllen, als sie die Oberhand gewannen. Aber seine Freude war von kurzer Dauer, er mußte jaͤhr¬ lich mehr und mehr Fuhrlohn ausgeben, es wurde viel bezahlt und schlecht gefahren, die Kutscher wurden obendrein sehr grob, es gab nichts als Ruͤtteln und Stoͤße, jeder Eckstein drohte Umsturz — und der arme John dankte Gott, seinem Schoͤpfer, als unlaͤngst die Zuͤgel des Staatswagens in bes¬ sere Haͤnde kamen. Leider dauerte die Freude wieder nicht lange, der neue Oppositionskutscher fiel todt vom Bock herab, der andere stieg aͤngstlich herunter als die Pferde scheu wurden, und die alten Wagenlenker, die alten Reuter mit goldenen Sporen, haben wie¬ der ihre alten Plaͤtze eingenommen, und die alte Peitsche knallt. Ich will das Bild nicht weiter zu Tode hetzen und kehre zuruͤck zu den Worten Whigs und To¬ ries, die ich oben zur Bezeichnung der Oppositions¬ partheyen gebraucht habe, und einige Eroͤrterung dieser Namen ist vielleicht um so fruchtbarer, je mehr sie seit langer Zeit dazu gedient haben, die Begriffe zu verwirren. Wie im Mittelalter die Namen Guibellinen und Guelfen durch Umwandlungen und neue Er¬ 16 * eignisse, die vaguesten und veraͤnderlichsten Bedeu¬ tungen erhielten, so auch spaͤterhin in England die Namen Whigs und Tories, deren Entstehungsart man kaum noch anzugeben weiß. Einige behaup¬ ten, es seyen fruͤherhin Spottnamen gewesen, die am Ende zu honetten Partheynamen wurden, was oft geschieht, wie z. B. der Geusenbund sich selbst nach dem Spottnamen les geux taufte, wie auch spaͤterhin die Jakobiner sich selbst manchmal Sans¬ kuͤlotten benannten, und wie die heutigen Servi¬ len und Obscuranten sich vielleicht einst selbst diese Namen als ruhmvolle Ehrennamen beilegen — was sie freilich jetzt noch nicht koͤnnen. Das Wort „Whig“ soll in Irland etwas unangenehm Sauer¬ toͤpfisches bedeutet haben, und dort zuerst zur Ver¬ hoͤhnung der Presbyterianer oder uͤberhaupt der neuen Secten gebraucht worden seyn. Das Wort „Tory,“ welches zu derselben Zeit als Partheybe¬ nennung aufkam, bedeutete in Irland eine Art schaͤbiger Diebe. Beide Spottnamen kamen in Umlauf zur Zeit der Stuarts, waͤhrend der Strei¬ tigkeiten zwischen den Secten und der herrschenden Kirche. Die allgemeine Ansicht ist: die Parthey der Tories neige sich ganz nach der Seite des Thrones und kaͤmpfe fuͤr die Vorrechte der Krone; wohin¬ gegen die Parthey der Whigs mehr nach der Seite des Volks hinneige und dessen Rechte beschuͤtze. Indessen diese Annahmen sind vague und gelten zumeist nur in Buͤchern. Jene Benennungen koͤnnte man vielmehr als Coterienamen ansehen. Sie bezeichnen Menschen, die bey gewissen Streit¬ fragen zusammenhalten, deren Vorfahren und Freunde schon bey solchen Anlaͤssen zusammenhielten, und die, in politischen Stuͤrmen, Freude und Ungemach und die Feindschaft der Gegenparthey gemeinschaftlich zu tragen pflegten. Von Prinzipien ist gar nicht die Rede, man ist nicht einig uͤber gewisse Ideen, sondern uͤber gewisse Maßregeln in der Staatsverwaltung, uͤber Ab¬ schaffung oder Beybehaltung gewisser Mißbraͤuche, uͤber gewisse Bills, gewisse erbliche Questions — gleich¬ viel aus welchem Gesichtspuncte, meistens aus Ge¬ wohnheit. — Die Englaͤnder lassen sich nicht durch die Partheynamen irre machen. Wenn sie von Whigs sprechen, so haben sie nicht dabey einen be¬ stimmten Begriff, wie wir z. B. wenn wir von Liberalen sprechen, wo wir uns gleich Menschen vorstellen, die uͤber gewisse Freyheitsrechte herzinnig einverstanden sind — sondern sie denken sich eine aͤußerliche Verbindung von Leuten, deren Jeder, nach seiner Denkweise beurtheilt, gleichsam eine Parthey fuͤr sich bilden wuͤrde, und die nur, wie schon oben erwaͤhnt ist, durch aͤußere Anlaͤsse, durch zufaͤllige Interessen, durch Freundschafts- und Feind¬ schaftsverhaͤltnisse gegen die Tories ankaͤmpfen. Hierbey duͤrfen wir uns ebenfalls keinen Kampf ge¬ gen Aristokraten in unserem Sinne denken, da diese Tories in ihren Gefuͤhlen nicht aristokratischer sind als die Whigs, und oft sogar nicht aristokra¬ tischer als der Buͤrgerstand selbst, der die Aristokra¬ tie fuͤr eben so unwandelbar haͤlt wie Sonne, Mond und Sterne, der die Vorrechte des Adels und des Clerus nicht bloß als staatsnuͤtzlich, sondern als eine Naturnothwendigkeit ansieht, und vielleicht selbst fuͤr diese Vorrechte mit weit mehr Eifer kaͤm¬ pfen wuͤrde als die Aristokraten selbst, eben weil er fester daran glaubt als diese, die zumeist den Glauben an sich selbst verloren. In dieser Hinsicht liegt uͤber dem Geist der Englaͤnder noch immer die Nacht des Mittelalters, die heilige Idee von der buͤrgerlichen Gleichheit aller Menschen hat sie noch nicht erleuchtet, und manchen buͤrgerlichen Staats¬ mann in England, der toriesch gesinnt ist, duͤrfen wir deshalb bey Leibe nicht servil nennen und zu jenen wohlbekannten servilen Hunden zaͤhlen, die frey seyn koͤnnten, und dennoch in ihr altes Hun¬ deloch zuruͤckgekrochen sind und jetzt die Sonne der Freyheit anbellen. Um die englische Opposition zu begreifen, sind daher die Namen Whigs und Tories voͤllig nutz¬ los, mit Recht hat Francis Burdett beym An¬ fange der Sitzungen voriges Jahr bestimmt ausge¬ sprochen, daß diese Namen jetzt alle Bedeutung verloren; und Thomas Lethbridge, den der Schoͤp¬ fer der Welt und des Verstandes nicht mit allzu¬ viel Witz ausgeruͤstet, hat damals dennoch einen sehr guten Witz, vielleicht den einzigen seines Le¬ bens, uͤber diese Aeußerung Burdetts gerissen, naͤmlich: he has untoried the tories and unwig ¬ ged the wigs . Bedeutungsvoller sind die Namen reformers oder radical reformers , oder kurzweg radicals . Sie werden gewoͤhnlich fuͤr gleichbedeutend gehal¬ ten, sie zielen auf dasselbe Gebrechen des Staates, auf dieselbe heilsame Abhuͤlfe und unterscheiden sich nur durch mehr oder minder starke Faͤrbung. Jenes Gebrechen ist die bekannte schlechte Art der Volksrepraͤsentation, wo sogenannte rotten boroughs , verschollene, unbewohnte Ortschaften, oder besser gesagt die Oligarchen, denen sie gehoͤren, das Recht haben, Volksrepraͤsentanten ins Parlament zu schicken, waͤhrend große, bevoͤlkerte Staͤdte, namentlich viele neuere Fabrikstaͤdte, keinen einzi¬ gen Repraͤsentanten zu waͤhlen haben; die heilsame Abhuͤlfe dieses Gebrechens ist die sogenannte Par¬ lamentsreform. Nun freylich, diese betrachtet man nicht als Zweck, sondern als Mittel. Man hofft, daß das Volk dadurch auch eine bessere Vertretung seiner Interessen, Abschaffung aristokratischer Mi߬ braͤuche und Huͤlfe in seiner Noth gewinnen wuͤrde. Es laͤßt sich denken, daß die Parlaments¬ reform, diese gerechte, billige Anforderung, auch unter den gemaͤßigten Menschen, die nichts weni¬ ger als Jacobiner sind, ihre Verfechter findet, und wenn man solche Leute reformers nennt, betont man dieses Wort ganz anders, und himmelweit ist es alsdann unterschieden von dem Worte ra¬ dical , auf dem ein ganz anderer Ton gelegt wird, wenn man z. B. von Hunt oder Cobbett, kurz von jenen heftigen, fletschenden Revolutionaͤren spricht, die nach Parlamentsreform schreyen, um den Umsturz aller Formen, den Sieg der Hab¬ sucht und voͤllige Poͤbelherrschaft herbeyzufuͤhren. Die Nuͤanzen in den Gesinnungen der Koryphaͤen dieser Parthey sind daher unzaͤhlig. Aber, wie gesagt, die Englaͤnder kennen sehr gut ihre Leute, der Namen taͤuscht nicht das Publikum, und die¬ ses unterscheidet sehr genau, wo der Kampf nur Schein und wo er Ernst ist. Oft lange Jahre hindurch ist der Kampf im Parlamente nicht viel mehr als ein muͤßiges Spiel, ein Tournier, wo man fuͤr die Farbe kaͤmpft, die man sich aus Grille gewaͤhlt hat; giebt es aber einmal einen ernsten Krieg, so eilt Jeder gleich unter die Fahne seiner natuͤrlichen Parthey. Dieses sahen wir in der Canningschen Zeit. Die heftigsten Gegner vereinigten sich, als es Kampf der positivsten In¬ teressen galt; Tories, Whigs und Radicalen schaar¬ ten sich, wie eine Phalanx, um den kuͤhnen, buͤrgerlichen Minister, der den Uebermuth der Oli¬ garchen zu daͤmpfen versuchte. Aber ich glaube dennoch, mancher hochgeborne Whig, der stolz hinter Canning saß, wuͤrde gleich zu der alten Foxhunter-Sippschaft uͤbergetreten seyn, wenn ploͤtzlich die Abschaffung aller Adelsrechte zur Spra¬ che gekommen waͤre. Ich glaube (Gott verzeih mir die Suͤnde) Francis Burdett selbst, der in seiner Jugend zu den heftigsten Radikalen gehoͤrte, und noch jetzt nicht zu den milderen Reformers gerechnet wird, wuͤrde sich bey einem solchen An¬ lasse sehr schnell neben Sir Thomas Lethbridge gesetzt haben. Dieses fuͤhlen die plebeischen Ra¬ dikalen sehr gut, und deshalb hassen sie die soge¬ nannten Whigs, die fuͤr Parlamentsreform spre¬ chen, sie hassen sie fast noch mehr wie die eigent¬ lich hochfeindseligen Tories. In diesem Augenblick besteht die englische Op¬ position mehr aus eigentlichen Reformern als aus Whigs. Der Chef der Opposition im Unterhause, the leader of the opposition , gehoͤrt unstreitig zu jenen letztern. Ich spreche hier von Broug¬ ham. Die Reden dieses muthigen Parlamentshelden lesen wir taͤglich in den Zeitblaͤttern, und seine Gesinnungen duͤrfen wir daher als allgemein bekannt voraussetzen. Weniger bekannt sind die persoͤnlichen Eigenthuͤmlichkeiten, die sich bey die¬ sen Reden kund geben; und doch muß man erstere kennen, um letztere vollgeltend zu begreifen. Das Bild, das ein geistreicher Englaͤnder von Broughams Erscheinung im Parlamente entwirft, mag daher hier seine Stelle finden: „Auf der ersten Bank, zur linken Seite des Sprechers, sitzt eine Gestalt, die so lange bey der Studirlampe gehockt zu haben scheint, bis nicht bloß die Bluͤthe des Lebens, sondern die Lebenskraft selbst zu erloͤschen begonnen; und doch ist es diese scheinbar huͤlflose Gestalt, die alle Augen des ganzen Hauses auf sich zieht, und die, so wie sie sich in ihrer mechanischen, automati¬ schen Weise zum Aufstehen bemuͤht, alle Schnell¬ schreiber hinter uns in fluchende Bewegung setzt, waͤhrend alle Luͤcken auf der Gallerie, als sey sie ein massives Steingewoͤlbe, ausgefuͤllt werden und durch die beyden Seitenthuͤren noch das Gewicht der draußenstehenden Menschenmenge hereindraͤngt. Unten im Hause scheint sich ein gleiches Interesse kund zu geben; denn so wie jene Gestalt sich lang¬ sam in einer vertikalen Kruͤmmung, oder vielmehr in einem vertikalen Zickzack steif zusammengefuͤgter Linien, auseinander wickelt, sind die paar sonsti¬ gen Zeloten auf beyden Seiten, die sich schreyend entgegendaͤmmen wollten, schnell wieder auf ihre Sitze zuruͤckgesunken, als haͤtten sie eine verbor¬ gene Windbuͤchse unter der Robe des Sprechers bemerkt. Nach diesem vorbereitenden Geraͤusch und waͤh¬ rend der athemlosen Stille, die darauf folgte, hat sich Henry Brougham langsam und bedaͤchtigen Schrittes dem Tische genaͤhert, und bleibt dort zusammengebuͤckt stehen — die Schultern in die Hoͤhe gezogen, der Kopf vorwaͤrts gebeugt, seine Oberlippe und Nasenfluͤgel in zitternder Bewegung, als fuͤrchte er ein Wort zu sprechen. Sein Aus¬ sehen, sein Wesen gleicht fast einem jener Predi¬ ger, die auf freyem Felde predigen — nicht einem modernen Manne dieser Art, der die muͤßige Sonntagsmenge nach sich zieht, sondern einem solchen Prediger aus alten Zeiten, der die Rein¬ heit des Glaubens zu erhalten und in der Wild¬ niß zu verbreiten suchte, wenn sie aus der Stadt und selbst aus der Kirche verbannt war. Die Toͤne seiner Stimme sind voll und melodisch, doch sie erheben sich langsam, bedaͤchtig, und wie man zu glauben versucht ist, auch sehr muͤhsam, so daß man nicht weiß, ob die geistige Macht des Man¬ nes unfaͤhig ist, den Gegenstand zu beherrschen, oder ob seine physische Kraft unfaͤhig ist, ihn aus¬ zusprechen. Sein erster Satz, oder vielmehr die ersten Glieder seines Satzes — denn man findet bald, daß bey ihm jeder Satz in Form und Gehalt weiter reicht, als die ganze Rede mancher anderen Leute — kommen sehr kalt und unsicher hervor, und uͤberhaupt so entfernt von der eigent¬ lichen Streitfrage, daß man nicht begreifen kann, wie er sie darauf hinbiegen wird. Jeder dieser Saͤtze, freylich, ist tief, klar, an und fuͤr sich selbst befriedigend, sichtbar mit kuͤnstlicher Wahl aus den gewaͤhltesten Materialien deduzirt, und moͤgen sie kommen aus welchem Fache des Wis¬ sens es immerhin seyn mag, so enthalten sie doch dessen reinste Essenz. Man fuͤhlt, daß sie alle nach einer bestimmten Richtung hingebogen wer¬ den, und zwar hingebogen mit einer starken Kraft; aber diese Kraft ist noch immer unsichtbar wie der Wind, und wie von diesem, weiß man nicht wo¬ her sie kommt und wohin sie geht. Wenn aber eine hinreichende Anzahl von die¬ sen Anfangssaͤtzen vorausgeschickt sind, wenn jeder Huͤlfssatz, den menschliche Wissenschaft zur Fest¬ stellung einer Schlußfolge bieten kann, in Dienst genommen worden, wenn jeder Einspruch durch einen einzigen Stoß erfolgreich vorgeschoben ist, wenn das ganze Heer politischer und moralischer Wahrheiten in Schlachtordnung steht — dann bewegt es sich vorwaͤrts zur Entscheidung, fest zusammengeschlossen wie eine macedonische Pha¬ lanx, und unwiderstehlich wie Hochlaͤnder, die mit gefaͤlltem Bajonette eindringen. Ist ein Hauptsatz gewonnen mit dieser schein¬ baren Schwaͤche und Unsicherheit, wohinter sich aber eine wirkliche Kraft und Festigkeit verborgen hielt, dann erhebt sich der Redner, sowohl koͤr¬ perlich als geistig, und mit kuͤhnerem und kuͤrze¬ rem Angriff erficht er einen zweyten Hauptsatz. Nach dem zweyten erkaͤmpft er einen dritten, nach dem dritten einen vierten, und so weiter, bis alle Principien und die ganze Philosophie der Streitfrage gleichsam erobert sind, bis jeder im Hause, der Ohren zum Hoͤren und ein Herz zum Fuͤhlen hat, von den Wahrheiten, die er eben vernommen, so unwiderstehlich, wie von seiner eigenen Existenz, uͤberzeugt ist, so daß Brougham, wollte er hier stehen bleiben, schon unbedingt als der groͤßte Logiker der St. Stephanskapelle gelten koͤnnte. Die geistigen Huͤlfsquellen des Mannes sind wirklich bewunderungswuͤrdig, und er erinnert fast an das altnordische Maͤhrchen, wo einer im¬ mer die ersten Meister in jedem Fache des Wissens getoͤdtet hat und dadurch der Alleinerbe ihrer saͤmmtlichen Geistesfaͤhigkeiten geworden ist. Der Gegenstand mag seyn wie er will, erhaben oder gemeinplaͤtzig, abstruse oder praktisch, so kennt ihn dennoch Heinrich Brougham, und er kennt ihn ganz aus dem Grunde. Andre moͤgen mit ihm wetteifern, ja einer oder der andre mag ihn sogar uͤbertreffen in der Kenntniß aͤußerer Schoͤnheiten der alten Literatur, aber niemand ist tiefer als er durchdrungen von der herrlichen und gluͤhenden Philosophie, die gewiß als ein kostbarster Edelstein 17 hervorglaͤnzt aus jenen Schmuckkaͤstchen, die uns das Alterthum hinterlassen hat. Brougham ge¬ braucht nicht die klare, fehlerfreye und dabey etwas hofmaͤßige Sprache des Cicero; eben so wenig sind seine Reden in der Form denen des Demo¬ sthenes aͤhnlich, obgleich sie etwas von dessen Farbe an sich tragen; aber ihm fehlen weder die streng¬ logischen Schluͤsse des roͤmischen Redners noch die schrecklichen Zornworte des Griechen. Dazu kommt noch, daß keiner besser, als er es versteht, das Wissen des Tages in seinen Parlamentsreden zu benutzen, so daß diese zuweilen, abgesehen von ihrer politischen Tendenz und Bedeutung, schon als bloße Vorlesungen uͤber Philosophie, Literatur und Kuͤnste, unsre Bewunderung verdienen wuͤrden. Es ist indessen gaͤnzlich unmoͤglich, den Cha¬ rakter dieses Mannes zu analysiren, waͤhrend man ihn sprechen hoͤrt. Wenn er, wie schon oben er¬ waͤhnt worden, das Gebaͤude seiner Rede auf einen guten philosophischen Boden und in der Tiefe der Vernunft gegruͤndet hat; wenn er noch¬ mals zu dieser Arbeit zuruͤckgekehrt, Senkblei und Richtmaß anlegt, um zu untersuchen, ob alles in Ordnung ist, und mit einer Riesenhand zu pruͤfen scheint, ob alles auch sicher zusammenhaͤlt; wenn er die Gedanken aller Zuhoͤrer mit Argumenten festgebunden, wie mit Seilen, die keiner zu zer¬ reißen im Stande ist — dann springt er gewaltig auf das Gebaͤude, das er sich gezimmert hat, es erhebt sich seine Gestalt und sein Ton, er be¬ schwoͤrt die Leidenschaften aus ihren geheimsten Winkeln, und uͤberwaͤltigt und erschuͤttert die maulaufsperrenden Parlamentsgenossen und das ganze, droͤhnende Haus. Jene Stimme, die erst so leise und anspruchslos war, gleicht jetzt dem betaͤubenden Brausen und den unendlichen Wogen des Meeres; jene Gestalt, die vorher unter ihrem eigenen Gewichte zu sinken schien, sieht jetzt aus, als haͤtte sie Nerven von Stahl, Sehnen von Kupfer, ja als sey sie unsterblich und unveraͤn¬ 17 * derlich wie die Wahrheiten, die sie eben ausge¬ sprochen; jenes Gesicht, welches vorher blaß und kalt war wie ein Stein, ist jetzt belebt und leuch¬ tend, als waͤre der innere Geist noch maͤchtiger, als die gesprochenen Worte; und jene Augen, die uns anfaͤnglich mit ihren blauen und stillen Krei¬ sen so demuͤthig ansahen, als wollten sie unsre Nachsicht und Verzeihung erbitten, aus denselben Augen schießt jetzt ein meteorisches Feuer, das alle Herzen zur Bewunderung entzuͤndet. So schließt der zweyte, der leidenschaftliche oder deklamatori¬ sche Theil der Rede. Wenn er das erreicht hat, was man fuͤr den Gipfel der Beredsamkeit halten moͤchte, wenn er gleichsam umher blickt, um die Bewunderung, die er hervorgebracht, mit Hohnlaͤcheln zu betrachten, dann sinkt seine Gestalt wieder zusammen und auch seine Stimme faͤllt herab bis zum sonderbar¬ sten Fluͤstern, das jemals aus der Brust eines Menschen hervorgekommen. Dieses seltsame Her¬ abstimmen, oder vielmehr Fallenlassen des Aus¬ drucks, der Gebehrde und der Stimme, welches Brougham in einer Vollkommenheit besitzt, wie es bey gar keinem anderen Redner gefunden wird, bringt eine wunderbare Wirkung hervor; und jene tiefen, feyerlichen, fast hingemurmelten Worte, die jedoch bis auf den Anhauch jeder einzelnen Sylbe vollkommen vernehmbar sind, tragen in sich eine Zaubergewalt, der man nicht widerstehen kann, selbst wenn man sie zum erstenmale hoͤrt und ihre eigentliche Bedeutung und Wirkung noch nicht kennen gelernt hat. Man glaube nur nicht etwa, der Redner oder die Rede sey erschoͤpft. Diese gemilderten Blicke, diese gedaͤmpften Toͤne bedeuten nichts weniger als den Anfang einer Perorazio, womit der Redner, als ob er fuͤhle, daß er etwas zu weit gegangen, seine Gegner wieder besaͤnftigen will. Im Gegentheil, dieses Zusammenkruͤmmen des Leibes ist kein Zeichen von Schwaͤche, und dieses Fallenlassen der Stimme ist kein Vorspiel von Furcht und Unterwuͤrfigkeit: es ist das lose, haͤngende Vorbeugen des Leibes, bey einem Rin¬ ger, der die Gelegenheit erspaͤht, wo er seinen Gegner desto gewaltsamer umwinden kann, es ist das Zuruͤckspringen des Tigers, der gleich darauf mit desto sicherern Krallen auf seine Beute los¬ stuͤrzt, es ist das Zeichen, daß Heinrich Broug¬ ham seine ganze Ruͤstung anlegt und seine maͤch¬ tigste Waffe ergreift. In seinen Argumenten war er klar und uͤberzeugend; in seiner Beschwoͤrung der Leidenschaften war er zwar etwas hochmuͤthig, doch auch maͤchtig und siegreich; jetzt aber legt er den letzten, ungeheuersten Pfeil auf seinen Bogen — er wird fuͤrchterlich in seinen Invektiven. Wehe dem Manne, dem jenes Auge, das vorher so ruhig und blau war, jetzt entgegenflammt aus dem geheimnißvollen Dunkel dieser zusammengezog¬ nen Brauen! Wehe dem Wicht, dem diese halb¬ gefluͤsterten Worte ein Vorzeichen sind von dem Unheil, das uͤber ihn heranschwebt! Wer als ein Fremder vielleicht heute zum er¬ stenmal die Gallerie des Parlamentes besucht, weiß nicht, was jetzt kommen wird. Er sieht blos einen Mann, der ihn mit seinen Argumenten uͤberzeugt, mit seiner Leidenschaft erwaͤrmt hat, und jetzt mit jenem sonderbaren Fluͤstern einen sehr lahmen, schwaͤchlichen Schluß anzubringen scheint. O Fremdling! waͤrest du bekannt mit den Erscheinungen dieses Hauses und auf einem Sitze, wo du alle Parlamentsglieder uͤbersehen koͤnntest, so wuͤrdest du bald merken, daß diese in Betreff eines solchen lahmen, schwaͤchlichen Schlusses durchaus nicht deiner Meinung sind. Du wuͤrdest manchen bemerken, den Partheysucht oder Anma¬ ßung in dieses stuͤrmische Meer, ohne gehoͤrigen Ballast und das noͤthige Steuerruder, hineinge¬ trieben hat, und der nun so furchtsam und aͤngst¬ lich umherblickt, wie ein Schiffer auf dem chine¬ sischen Meere, wenn er an einer Seite des Ho¬ rizontes jene dunkle Ruhe entdeckt, die ein sicheres Vorzeichen ist, daß von der andern Seite, ehe eine Minute vorgeht, der Typhon heranweht mit seinem verderblichen Hauche; — du wuͤrdest irgend einen kleinen Mann bemerken, der fast greinen moͤchte und an Leib und Seele schauert wie ein kleines Voͤgelchen, das in die Zaubernaͤhe einer Klapperschlange gerathen ist, seine Gefahr entsetz¬ lich fuͤhlt und sich doch nicht helfen kann und mit jaͤmmerlich naͤrrischer Miene dem Untergange sich darbietet; — du wuͤrdest einen langen Antagoni¬ sten bemerken, der sich mit schlotternden Beinen an der Bank festklammert, damit der heranzie¬ hende Sturm ihn nicht fortfegt; — oder du be¬ merkst sogar einen stattlichen, wohlbeleibten Repraͤ¬ sentanten irgend einer fetten Grafschaft, der beyde Faͤuste in das Kissen seiner Bank hineingraͤbt, voͤllig entschlossen, im Fall ein Mann von seiner Wichtigkeit aus dem Hause geschleudert wuͤrde, dennoch seinen Sitz zu bewahren und unter sich von dannen zu fuͤhren. Und nun kommt es: — die Worte, welche so tiefgefluͤstert und gemurmelt wurden, schwellen an so laut, daß sie selbst den Jubelruf der eignen Parthey uͤbertoͤnen, und nachdem irgend ein un¬ gluͤckseliger Gegner bis auf die Knochen geschun¬ den, und seine verstuͤmmelten Glieder durch alle Redefiguren durchgestampft worden, dann ist der Leib des Redners wie niedergebrochen und zerschla¬ gen von der Kraft seines eignen Geistes, er sinkt auf seinen Sitz zuruͤck und der Beyfalllaͤrm der Versammlung kann jetzt unaufhaltbar hervorbrechen.“ Ich habe es nie so gluͤcklich getroffen, daß ich Brougham waͤhrend einer solchen Rede im Par¬ lamente ruhig betrachten konnte. Nur stuͤckweis oder Unwichtiges hoͤrte ich ihn sprechen, und nur selten kam er mir dabey selbst zu Gesicht. Im¬ mer aber — das merkte ich gleich — sobald er das Wort nahm, erfolgte eine tiefe, fast aͤngstliche Stille. Das Bild, das oben von ihm entworfen 17 ** worden, ist gewiß nicht uͤbertrieben. Seine Ge¬ stalt, von gewoͤhnlicher Manneslaͤnge, ist sehr duͤnn, ebenfalls sein Kopf, der mit kurzen, schwar¬ zen Haaren, die sich der Schlaͤfe glatt anlegen, spaͤrlich bedeckt ist. Das blasse, laͤngliche Gesicht erscheint dadurch noch duͤnner, die Muskeln des¬ selben sind in krampfhafter, unheimlicher Bewe¬ gung, und wer sie beobachtet, sieht des Redners Gedanken, ehe sie gesprochen sind. Dieses schadet seinen witzigen Einfaͤllen; denn fuͤr Witze und Geldborger ist es heilsam, wenn sie uns unange¬ meldet uͤberraschen. Obgleich sein schwarzer An¬ zug, bis auf den Schnitt des Fracks, ganz gent¬ lemaͤnnisch ist, so traͤgt solcher doch dazu bey, ihm ein geistliches Ansehen zu geben. Vielleicht be¬ kommt er dieses noch mehr durch seine oft ge¬ kruͤmmte Ruͤckenbewegung und die lauernde, iro¬ nische Geschmeidigkeit des ganzen Leibes. Einer meiner Freunde hat mich zuerst auf dieses „Kleri¬ kalische“ in Broughams Wesen aufmerksam ge¬ macht, und durch die obige Schilderung wird diese feine Bemerkung bestaͤtigt. Mir ist zuerst das „Advokatische“ im Wesen Broughams aufgefallen, besonders durch die Art, wie er bestaͤndig mit dem vorgestreckten Zeigefinger demonstrirt, und mit vor¬ gebeugtem Haupte selbstgefaͤllig dazu nickt. Am bewunderungswuͤrdigsten ist die rastlose Thaͤtigkeit dieses Mannes. Jene Parlamentsreden haͤlt er, nachdem er vielleicht schon acht Stunden lang seine taͤglichen Berufsgeschaͤfte, naͤmlich das Advoziren in den Gerichtssaͤlen, getrieben, und vielleicht die halbe Nacht an Aufsaͤtzen fuͤr das Edinburgh Review oder an seinen Verbesserungen des Volksunterrichts und der Criminalgesetze gear¬ beitet hat. Erstere Arbeiten, der Volksunterricht, werden gewiß einst schoͤne Fruͤchte hervorbringen. Letztere, die Criminalgesetzgebung, womit Broug¬ ham und Peel sich jetzt am meisten beschaͤftigen, sind vielleicht die nuͤtzlichsten, wenigstens die drin¬ gendsten; denn Englands Gesetze sind noch grau¬ samer als seine Oligarchen. Der Proceß der Koͤ¬ nigin begruͤndete zuerst Broughams Celebritaͤt. Er kaͤmpfte wie ein Ritter fuͤr diese hohe Dame, und wie sich von selbst versteht, wird Georg IV. nie¬ mals die Dienste vergessen, die er seiner lieben Frau geleistet hat. Deßhalb, als vorigen April die Opposition siegte, kam Brougham dennoch nicht ins Ministerium, obgleich ihm, als leader of the opposition , in diesem Falle, nach altem Brauch, ein solcher Eintritt gebuͤhrte. IX . Die Emanzipazion . Wenn man mit dem duͤmmsten Englaͤnder uͤber Politik spricht, so wird er doch immer etwas Ver¬ nuͤnftiges zu sagen wissen. Sobald man aber das Gespraͤch auf Religion lenkt, wird der gescheidteste Englaͤnder nichts als Dummheiten zu Tage foͤr¬ dern. Daher entsteht wohl jene Verwirrung der Begriffe, jene Mischung von Weisheit und Unsinn, sobald im Parlamente die Emanzipazion der Ka¬ tholiken zur Sprache kommt, eine Streitfrage, wo¬ rin Politik und Religion collidiren. Selten in ih¬ ren parlamentarischen Verhandlungen ist es den Englaͤndern moͤglich ein Prinzip auszusprechen, sie discutiren nur den Nutzen oder Schaden der Dinge, und bringen Facta, die Einen pro , die Anderen contra , zum Vorschein. Mit Factis aber kann man zwar streiten, doch nicht siegen, da gibt es nichts als ein materielles Hin- und Herschlagen, und das Schauspiel eines solchen Streites gemahnt uns an wohlbekannte pro patria -Kaͤmpfe deutscher Studenten, deren Resul¬ tat darauf hinauslaͤuft, daß so und so viel Gaͤnge gemacht worden, so und so viel Quarten und Terzen gefallen sind, und nichts damit bewiesen worden. Im Jahr 1827, wie sich von selbst ver¬ steht, haben wieder die Emanzipazionisten gegen die Oranienmaͤnner in Westminster gefochten, und wie sich von selbst versteht, es ist nichts dabei her¬ ausgekommen. Die besten Schlaͤger der Emanzi¬ pazionisten waren Burdett, Plunket, Brougham und Canning. Ihre Gegner, Herrn Peel ausge¬ nommen, waren wieder die bekannten, oder besser gesagt, die unbekannten Fuchsjaͤger. Von jeher stimmten die geistreichsten Staats¬ maͤnner Englands fuͤr die buͤrgerliche Gleichstellung der Katholiken, sowohl aus Gruͤnden des innigsten Rechtsgefuͤhls als auch der politischen Klugheit. Pitt selbst, der Erfinder des stabilen Systems, hielt die Parthey der Katholiken. Gleichfalls Burke, der große Renegat der Freyheit, konnte nicht so weit die Stimme seines Herzens unterdruͤcken, daß er gegen Irland gewirkt haͤtte. Auch Canning, sogar damals, als er noch ein toryscher Knecht war, konnte nicht ungeruͤhrt das Elend Irlands betrachten, und wie theuer ihm dessen Sache war, hat er zu einer Zeit, als man ihn der Lauigkeit bezuͤchtigte, gar ruͤhrend naiv ausgesprochen. Wahr¬ lich, ein großer Mensch kann, um große Zwecke zu erreichen, oft gegen seine Ueberzeugung handeln und zweideutig oft von einer Parthey zur andern uͤbergehen; — man muß alsdann billig bedenken, daß derjenige, der sich auf einer gewissen Hoͤhe be¬ haupten will, ebenso den Umstaͤnden nachgeben muß, wie der Hahn auf dem Kirchthurm, den, obgleich er von Eisen ist, jeder Sturmwind zerbrechen und herabschleudern wuͤrde, wenn er trotzig unbeweglich bliebe und nicht die edle Kunst verstaͤnde sich nach jedem Winde zu drehen. Aber nie wird ein gro¬ ßer Mensch so weit die Gefuͤhle seiner Seele verlaͤugnen koͤnnen, daß er das Ungluͤck seiner Landsleute mit indifferenter Ruhe ansehen und sogar vermehren koͤnnte. Wie wir unsere Mutter lieben, so lieben wir auch den Boden, worauf wir geboren sind, so lieben wir die Blumen, den Duft, die Sprache und die Menschen, die aus diesem Boden hervor¬ gebluͤht sind, keine Religion ist so schlecht und keine Politik ist so gut, daß sie im Herzen ihrer Bekenner solche Liebe ersticken koͤnnte; obgleich sie Protestanten und Tories waren, konnten Burke und Canning doch nimmermehr Parthey nehmen gegen das arme, gruͤne Erin: Irlaͤnder, die schreck¬ liches Elend und namenlosen Jammer uͤber ihr Vaterland verbreiten, sind Menschen — wie der selige Castlereagh. Daß die große Masse des englischen Volkes ge¬ gen die Katholiken gestimmt ist, und taͤglich das Parlament bestuͤrmt, ihnen nicht mehr Rechte ein¬ zuraͤumen, ist ganz in der Ordnung. Es liegt in der menschlichen Natur eine solche Unterdruͤckungs¬ sucht, und wenn wir auch, was jetzt bestaͤndig ge¬ schieht, uͤber buͤrgerliche Ungleichheit klagen, so sind alsdann unsere Augen nach oben gerichtet, wir se¬ hen nur diejenigen, die uͤber uns stehen, und deren Vorrechte uns beleidigen; abwaͤrts sehen wir nie bei solchen Klagen, es kommt uns nie in den Sinn, diejenigen, welche durch Gewohnheitsunrecht noch unter uns gestellt sind, zu uns heraufzuziehen, ja uns verdrießt es sogar, wenn diese ebenfalls in die Hoͤhe streben, und wir schlagen ihnen auf die Koͤpfe. Der Kreole verlangt die Rechte des Eu¬ ropaͤers, spreizt sich aber gegen den Mulatten, und 18 spruͤht Zorn, wenn dieser sich ihm gleichstellen will. Ebenso handelt der Mulatte gegen den Mestizen und dieser wieder gegen den Neger. Der Frank¬ furter Spießbuͤrger aͤrgert sich uͤber Vorrechte des Adels; aber er aͤrgert sich noch mehr, wenn man ihm zumuthet, seine Juden zu emanzipiren. Ich habe einen Freund in Polen, der fuͤr Freyheit und Gleichheit schwaͤrmt, aber bis auf diese Stunde seine Bauern noch nicht aus ihrer Leibeigenschaft entlassen hat. Was den englischen Clerus betrifft, so bedarf es keiner Eroͤrterung, weßhalb von dieser Seite die Katholiken verfolgt werden. Verfolgung der An¬ dersdenkenden ist uͤberall das Monopol der Geist¬ lichkeit, und auch die anglicanische Kirche behaup¬ tet streng ihre Rechte. Freilich, die Zehnten sind ihr die Hauptsache, sie wuͤrde durch die Emanzipa¬ zion der Katholiken einen großen Theil ihres Ein¬ kommens verlieren, und Aufopferung eigener In¬ teressen ist ein Talent, das den Priestern der Liebe eben so sehr abgeht, wie den suͤndigen Layen. Dazu kommt noch, daß jene glorreiche Revolution, welcher England die meisten seiner jetzigen Frei¬ heiten verdankt, aus religioͤsem, protestantischem Eifer hervorgegangen: ein Umstand, der den Eng¬ laͤndern gleichsam noch besondere Pflichten der Dankbarkeit gegen die herrschende protestantische Kirche auferlegt, und sie diese als das Haupboll¬ werk ihrer Freyheit betrachten laͤßt. Manche aͤngst¬ liche Seelen unter ihnen moͤgen wirklich den Ka¬ tholicismus und dessen Wiedereinfuͤhrung fuͤrchten, und an die Scheiterhaufen von Smithfield denken — und ein gebranntes Kind scheut das Feuer. Auch gibt es aͤngstliche Parlamentsglieder, die ein neues Pulvercomplot befuͤrchten — diejenigen fuͤrchten das Pulver am meisten, die es nicht erfunden ha¬ ben — und da wird es ihnen oft, als fuͤhlten sie, wie die gruͤnen Baͤnke, worauf sie in der St. Stephanskapelle sitzen, allmaͤhlig warm und waͤr¬ mer werden, und wenn irgend ein Redner, wie 18 * oft geschieht, den Namen Guy Fawkes erwaͤhnt, rufen sie aͤngstlich: hear - him ! hear - him ! Was endlich den Rector von Goͤttingen betrifft, der in London eine Anstellung als Koͤnig von England hat, so kennt jeder seine Maͤßigkeitspolitik: er er¬ klaͤrt sich fuͤr keine von beiden Partheyen, er sieht gern, daß sie sich bei ihren Kaͤmpfen wechselseitig schwaͤchen, er laͤchelt nach herkoͤmmlicher Weise, wenn sie friedlich bei ihm kouren, er weiß Alles und thut Nichts, und verlaͤßt sich im schlimmsten Fall auf seinen Oberschnurren Wellington. Man verzeihe mir, daß ich in flipprigem Tone eine Streitfrage behandle, von deren Loͤsung das Wohl Englands und daher vielleicht mittelbar das Wohl der Welt abhaͤngt. Aber eben, je wichtiger ein Gegenstand ist, desto lustiger muß man ihn behandeln; das blutige Gemetzel der Schlachten, das schaurige Sichelwetzen des Todes waͤre nicht zu ertragen, erklaͤnge nicht dabei die betaͤubende tuͤrkische Musik mit ihren freudigen Pauken und Trompeten. Das wissen die Englaͤnder, und daher bietet ihr Parlament auch ein heiteres Schauspiel des unbefangensten Witzes und der witzigsten Un¬ befangenheit, bei den ernsthaftesten Debatten, wo das Leben von Tausenden und das Heil ganzer Laͤnder auf dem Spiel steht, kommt doch keiner von ihnen auf den Einfall ein deutsch steifes Land¬ staͤndegesicht zu schneiden, oder franzoͤsisch pathetisch zu declamiren, und wie ihr Leib, so gebaͤhrdet sich alsdann auch ihr Geist ganz zwanglos, Scherz, Selbstpersiflage, Sarcasmen, Gemuͤth und Weis¬ heit, Malice und Guͤte, Logik und Verse sprudeln hervor im bluͤhendsten Farbenspiel, so daß die An¬ nalen des Parlaments uns noch nach Jahren die geistreichste Unterhaltung gewaͤhren. Wie sehr con¬ trastiren dagegen die oͤden, ausgestopften, loͤschpa¬ piernen Reden unserer suͤddeutschen Kammern, de¬ ren Langweiligkeit auch der geduldigste Zeitungsle¬ ser nicht zu uͤberwinden vermag, ja deren Duft schon einen lebendigen Leser verscheuchen kann, so daß wir glauben muͤssen, jene Langweiligkeit sey geheime Absicht, um das große Publicum von der Lectuͤre jener Verhandlungen abzuschrecken, und sie dadurch trotz ihrer Oeffentlichkeit, dennoch im Grunde ganz geheim zu halten. Ist also die Art wie die Englaͤnder im Par¬ lamente die katholische Streitfrage abhandeln, we¬ nig geeignet, ein Resultat hervorzubringen, so ist doch die Lectuͤre dieser Debatten um so interessan¬ ter, weil Facta mehr ergoͤtzen als Abstractionen, und gar besonders amuͤsant ist es, wenn fabelgleich irgend eine Parallelgeschichte erzaͤhlt wird, die den gegenwaͤrtigen, bestimmten Fall witzig persiflirt, und dadurch vielleicht am gluͤcklichsten illustrirt. Schon bei den Debatten uͤber die Thronrede, am 3. Februar 1825, vernahmen wir im Oberhause eine jener Parallelgeschichten, wie ich sie oben be¬ zeichnet, und die ich woͤrtlich hierhersetze: ( vid. Parliamentary history and review during the session of 1825 – 1826 . Pag. 31.) „Lord King bemerkte, daß wenn auch Eng¬ land bluͤhend und gluͤcklich genannt werden koͤnne, so befaͤnden sich doch sechs Millionen Katholiken in einem ganz andern Zustande, jenseits des ir¬ laͤndischen Canals, und die dortige schlechte Re¬ gierung sey eine Schande fuͤr unser Zeitalter und fuͤr alle Britten. Die ganze Welt, sagte er, ist jetzt zu vernuͤnftig, um Regierungen zu entschuldi¬ gen, welche ihre Unterthanen wegen Religionsdif¬ ferenzen bedruͤcken oder irgend eines Rechtes berau¬ ben. Irland und die Tuͤrkei koͤnnte man als die einzigen Laͤnder Europa's bezeichnen, wo ganze Menschenclassen ihres Glaubens wegen unterdruͤckt und gekraͤnkt werden. Der Großsultan hat sich bemuͤht, die Griechen zu bekehren, in derselben Weise wie das englische Gouvernement die Bekeh¬ rung der irlaͤndischen Katholiken betrieben, aber ohne Erfolg. Wenn die ungluͤcklichen Griechen uͤber ihre Leiden klagten, und demuͤthigst baten, ein Bischen besser als mahomedanische Hunde be¬ handelt zu werden, ließ der Sultan seinen Gro߬ vezier holen, um Rath zu schaffen. Dieser Gro߬ vezier war fruͤherhin ein Freund und spaͤterhin ein Feind der Sultanin gewesen. Er hatte dadurch in der Gunst seines Herrn ziemlich gelitten, und in seinem eigenen Divan, von seinen eigenen Be¬ amten und Dienern, manchen Widerspruch ertra¬ gen muͤssen (Gelaͤchter). Er war ein Feind der Griechen. Dem Einfluß nach die zweite Person im Divan, war der Reis Effendi, welcher den ge¬ rechten Forderungen jenes ungluͤcklichen Volkes freundlich geneigt war. Dieser Beamte, wie man wußte, war Minister der aͤußern Angelegenheiten, und seine Politik verdiente und erhielt allgemeinen Beifall. Er zeigte in diesem Felde außerordent¬ liche Liberalitaͤt und Talente, er that viel Gutes, verschaffte der Regierung des Sultans viel Popu¬ laritaͤt, und wuͤrde noch mehr ausgerichtet haben, haͤtten ihn nicht seine minder erleuchteten Collegen in allen seinen Maßregeln gehemmt. Er war in der That der einzige Mann von wahrem Genie im ganzen Divan (Gelaͤchter), und man achtete ihn als eine Zierde tuͤrkischer Staatsleute, da er auch mit poetischen Talenten begabt war. Der Kiaya-Bey oder Minister des Innern und der Kapi¬ tan Pascha waren wiederum Gegner der Griechen; aber der Chorfuͤhrer der ganzen Opposition gegen die Rechtsanspruͤche dieses Volks war der Ober¬ mufti, oder das Haupt des Mahomedanischen Glau¬ bens (Gelaͤchter). Dieser Beamte war ein Feind jeder Veraͤnderung. Er hatte sich regelmaͤßig wi¬ dersetzt bey allen Verbesserungen im Handel, bey allen Verbesserungen in der Justiz, bey jeder Ver¬ besserung in der auslaͤndischen Politik (Gelaͤchter). Er zeigte und erklaͤrte sich jedesmal als der groͤßte Verfechter der bestehenden Mißbraͤuche. Er war der vollendetste Intriguant im ganzen Divan (Ge¬ laͤchter). In fruͤherer Zeit hatte er sich fuͤr die Sultanin erklaͤrt, aber er wandte sich gegen sie, sobald er befuͤrchtete, daß er dadurch seine Stelle im Divan verlieren koͤnne, er nahm sogar die Parthey ihrer Feinde. Einst wurde der Vorschlag gemacht, einige Griechen in das Corps der regu¬ lairen Truppen oder Janitscharen aufzunehmen; aber der Obermufti erhob dagegen ein so heilloses Zetergeschrei — aͤhnlich unserem No popery -Ge¬ schrei — daß diejenigen, welche jene Maßregel ge¬ nehmigt, aus dem Divan scheiden mußten. Er gewann selbst die Oberhand, und sobald dies ge¬ schah, erklaͤrte er sich fuͤr eben dieselbe Sache, wo¬ gegen er vorhin am meisten geeifert hatte (Ge¬ laͤchter). Er sorgte fuͤr des Sultans Gewissen und fuͤr sein eigenes; doch will man bemerkt ha¬ ben, daß sein Gewissen niemals mit seinen In¬ teressen in Opposition war (Gelaͤchter). Da er aufs Genaueste die tuͤrkische Constitution studirt, hatte er ausgefunden, daß sie wesentlich mahome¬ danisch sey (Gelaͤchter), und folglich allen Vor¬ rechten der Griechen feindselig seyn muͤsse. Er hatte deshalb beschlossen, der Sache der Intoleranz fest ergeben zu bleiben, und war bald umringt von Mollahs, Imans und Derwischen, welche ihn in seinen edeln Vorsaͤtzen bestaͤrkten. Um das Bild dieser Spaltung im Divan zu vollenden, sey noch erwaͤhnt, daß dessen Mitglieder uͤbereinkamen, sie wollten bey gewissen Streitfragen einig, und bey andern wieder entgegengesetzter Meinung seyn, ohne ihre Vereinigung zu brechen. Nachdem man nun die Uebel, die durch solch einen Divan entstanden, gesehen hat, nachdem man gesehen, wie das Reich der Muselmaͤnner zerrissen worden, durch eben ihre Intoleranz gegen die Griechen und ihre Uneinig¬ keit unter sich selbst: so sollte man doch den Him¬ mel bitten das Vaterland vor einer solchen Cabi¬ netsspaltung zu bewahren.“ Es bedarf keines sonderlichen Scharfsinns, um die Personen zu errathen, die hier in tuͤrkische Namen vermummt sind; noch weniger ist es von Noͤthen, die Moral der Geschichte in trocknen Worten herzusetzen. Die Kanonen von Navarino haben sie laut genug ausgesprochen, und wenn einst die hohe Pforte zusammenbricht — und brechen wird sie trotz Peras bevollmaͤchtigten Lakayen, die sich dem Unwillen der Voͤlker entgegenstaͤmmen — dann mag John Bull in seinem Herzen bedenken: mit veraͤndertem Namen spricht von dir die Fabel. Etwas der Art mag England schon jetzt ahnen, indem seine besten Publizisten sich gegen den In¬ terventionskrieg erklaͤren, und ganz naiv darauf hindeuten, daß die Voͤlker Europa's mit gleichem Rechte sich der irlaͤndischen Katholiken annehmen, und der englischen Regierung eine bessere Behand¬ lung derselben abzwingen koͤnnten. Sie glauben hiermit das Interventionsrecht widerlegt zu haben, und haben es nur noch deutlicher illustrirt. Frei¬ lich haͤtten Europa's Voͤlker das heiligste Recht, sich fuͤr die Leiden Irlands, mit gewaffneter Hand, zu verwenden, und dieses Recht wuͤrde auch aus¬ geuͤbt werden, wenn nicht das Unrecht staͤrker waͤre. Nicht mehr die gekroͤnten Haͤuptlinge, sondern die Voͤlker selbst sind die Helden der neuern Zeit, auch diese Helden haben eine heilige Allianz geschlossen, sie halten zusammen, wo es gilt fuͤr das gemein¬ same Recht, fuͤr das Voͤlkerrecht der religioͤsen und politischen Freyheit, sie sind verbunden durch die Idee, sie haben sie beschworen und dafuͤr geblutet, ja sie sind selbst zur Idee geworden — und des¬ halb zuckt es gleich schmerzhaft durch alle Voͤlker¬ herzen, wenn irgendwo, sey es auch im aͤußersten Winkel der Erde, die Idee beleidigt wird. X . Wellington. Der Mann hat das Ungluͤck uͤberall Gluͤck zu haben, wo die groͤßten Maͤnner der Welt Ungluͤck hatten, und das empoͤrt uns und macht ihn ver¬ haßt. Wir sehen in ihm nur den Sieg der Dumm¬ heit uͤber das Genie — Arthur Wellington trium¬ phirt, wo Napoleon Bonaparte untergeht! Nie ward ein Mann ironischer von Fortuna beguͤnstigt, und es ist als ob sie seine oͤde Winzigkeit zur Schau geben wollte, indem sie ihn auf das Schild des Sieges emporhebt. Fortuna ist ein Weib, und nach Weiberart grollt sie vielleicht heimlich dem Manne, der ihren ehemaligen Liebling stuͤrzte, obgleich dessen Sturz ihr eigner Wille war. Jetzt, bey der Emanzipazion der Katholiken, laͤßt sie ihn wieder siegen, und zwar in einem Kampfe, worin Georg Canning zu Grunde ging. Man wuͤrde ihn vielleicht geliebt haben, wenn der elende Lon¬ donderry sein Vorgaͤnger im Ministerium gewesen waͤre; jetzt aber war er der Nachfolger des edlen Canning, des vielbeweinten, angebeteten, großen Canning — und er siegt wo Canning zu Grunde ging. Ohne solches Ungluͤck des Gluͤcks wuͤrde Wellington vielleicht fuͤr einen großen Mann pas¬ siren, man wuͤrde ihn nicht hassen, nicht genau messen, wenigstens nicht mit dem heroischen Maa߬ stabe, womit man einen Napoleon und einen Can¬ ning mißt, und man wuͤrde nicht entdeckt haben, wie klein er ist als Mensch. Er ist ein kleiner Mensch, und noch weniger als klein. Die Franzosen haben von Polignac nichts Aergeres sagen koͤnnen, als: er sey ein Wellington ohne Ruhm. In der That, was bleibt uͤbrig, wenn man einem Wellington die Feldmarschalluniform des Ruhmes auszieht? Ich habe hier die beste Apologie des Lord Wellington — im englischen Sinne des Wortes — geliefert. Man wird sich aber wundern, wenn ich ehrlich gestehe, daß ich diesen Helden einst so¬ gar mit vollen Segeln gelobt habe. Es ist eine gute Geschichte, und ich will sie hier erzaͤhlen: Mein Barbier in London war ein Radikaler, genannt Mister White, ein armer kleiner Mann in einem abgeschabten schwarzen Kleide, das einen weißen Wiederschein gab; er war so duͤnn, daß die Façade seines Gesichtes nur ein Profil zu seyn schien, und die Seufzer in seiner Brust sichtbar waren noch ehe sie aufstiegen. Er seufzte naͤmlich immer uͤber das Ungluͤck von Alt-England und uͤber die Unmoͤglichkeit jemals die Nazionalschuld zu bezahlen. „Ach!“ — hoͤrte ich ihn gewoͤhnlich seufzen — „was brauchte sich das englische Volk darum zu bekuͤmmern wer in Frankreich regierte und was die Franzosen in ihrem Lande trieben? Aber der hohe Adel und die hohe Kirche fuͤrchteten die Frey¬ heitsgrundsaͤtze der franzoͤsischen Revoluzion, und um diese Grundsaͤtze zu unterdruͤcken, mußte John Bull sein Blut und sein Geld hergeben, und noch obendrein Schulden machen. Der Zweck des Krieges ist jetzt erreicht, die Revoluzion ist unter¬ druͤckt, den franzoͤsischen Freyheitsadlern sind die Fluͤgel beschnitten, der hohe Adel und die hohe Kirche koͤnnen jetzt ganz sicher seyn, daß keiner derselben uͤber den Canal fliegt, und der hohe Adel und die hohe Kirche sollten jetzt wenigstens die Schulden bezahlen, die fuͤr ihr eignes Interesse, und nicht fuͤr das arme Volk gemacht worden sind. Ach! das arme Volk —“ Immer wenn er an „das arme Volk“ kam, seufzte Mister White noch tiefer, und der Refrain 19 war dann, daß das Brod und der Porter so theuer sey, und daß das arme Volk verhungern muͤsse, um dicke Lords, Jagdhunde und Pfaffen zu fuͤttern, und daß es nur Eine Huͤlfe gaͤbe. Bey diesen Worten pflegte er auch das Messer zu schleifen, und waͤhrend er es uͤber das Schleifleder hin und herzog, murmelte er ingrimmig langsam: „Lords, Hunde, Pfaffen!“ Gegen den Duke of Wellington kochte aber sein radikaler Zorn immer am heftigsten, er spukte Gift und Galle sobald er auf diesen zu sprechen kam, und wenn er mich unterdessen einseifte, so geschah es mit schaͤumender Wuth. Einst wurde ich ordentlich bange, als er mich just nahe beym Halse barbirte, waͤhrend er so heftig gegen Wel¬ lington loszog, und bestaͤndig dazwischen murmelte: „haͤtte ich ihn nur so unterm Messer, ich wuͤrde ihm die Muͤhe ersparen sich selbst die Kehle abzu¬ schneiden, wie sein Amtsbruder und Landsmann Londonderry, der sich die Kehle abgeschnitten zu Nordkray in der Grafschaft Kent — Gott ver¬ damm ihn.“ Ich fuͤhlte schon wie die Hand des Mannes zitterte, und aus Furcht, daß er in der Leiden¬ schaft sich ploͤtzlich einbilden koͤnnte, ich sey der Duke of Wellington , suchte ich seine Heftigkeit herabzustimmen, und ihn unter der Hand zu be¬ saͤnftigen. Ich nahm seinen Nazionalstolz in An¬ spruch, ich stellte ihm vor, daß Wellington den Ruhm der Englaͤnder befoͤrdert, daß er immer nur eine unschuldige Maschine in dritten Haͤnden gewesen sey, daß er gern Beefsteaks esse, und daß er endlich — Gott weiß! was ich noch mehr von Wellington ruͤhmte, als mir das Messer an der Kehle stand. Was mich am meisten aͤrgert, ist der Gedanke, daß Arthur Wellington eben so unsterblich wird wie Napoleon Bonaparte. Ist doch, in aͤhnlicher 19 * Weise, der Name Pontius Pilatus eben so un¬ vergeßlich geblieben, wie der Name Christi. Wel¬ lington und Napoleon! Es ist ein wunderbares Phenomen, daß der menschliche Geist, sich beyde zu gleicher Zeit denken kann. Es giebt keine groͤ¬ ßern Contraste als diese beyden, schon in ihrer aͤußeren Erscheinung. Wellington, das dumme Gespenst, mit einer aschgrauen Seele in einem steifleinenen Koͤrper, ein hoͤlzernes Laͤcheln in dem frierenden Gesichte — daneben denke man sich das Bild Napoleons, jeder Zoll ein Gott! Nie schwindet dieses Bild aus meinem Ge¬ daͤchtnisse. Ich sehe ihn immer noch hoch zu Roß, mit den ewigen Augen in dem marmornen Imperatorgesichte, schicksalruhig hinabblickend auf die vorbeydefilirende Guarden — er schickte sie damals nach Rußland, und die alten Grenadiere schauten zu ihm hinauf, so schauerlich ergeben, so mitwissend ernst, so todesstolz — Te, Caesar, morituri salutant! Manchmal uͤberschleicht mich geheimer Zweifel, ob ich ihn wirklich selbst gesehen, ob wir wirklich seine Zeitgenossen waren, und es ist mir dann als ob sein Bild, losgerissen aus dem kleinen Ramen der Gegenwart, immer stolzer und herrischer zuruͤck¬ weiche in vergangenheitliche Daͤmmerung. Sein Name schon klingt uns wie eine Kunde der Vor¬ welt, und eben so antik und heroisch wie die Na¬ men Alexander und Caͤsar. Er ist schon ein Lo¬ sungswort geworden unter den Voͤlkern, und wenn der Orient und der Occident sich begegnen, so ver¬ staͤndigen sie sich durch diesen einzigen Namen. Wie bedeutsam und magisch alsdann dieser Name erklingen kann, das empfand ich aufs Tiefste, als ich einst im Hafen von London, wo die indi¬ schen Docks sind, an Bord eines Ostindienfahrers stieg, der eben aus Bengalen angelangt war. Es war ein riesenhaftes Schiff und zahlreich bemannt mit Hindostanern. Die grotesken Gestalten und Gruppen, die seltsam bunten Trachten, die raͤth¬ selhaften Mienen, die wunderlichen Leibesbewegun¬ gen, der wildfremde Klang der Sprache, des Ju¬ bels und des Lachens, dabey wieder der Ernst auf einigen sanftgelben Gesichtern, deren Augen, wie schwarze Blumen, mich mit abentheuerlicher Wehmuth ansahen — alles das erregte in mir ein Gefuͤhl wie Verzauberung, ich war ploͤtzlich wie versetzt in Schehezerade's Maͤhrchen, und ich meinte schon, nun muͤßten auch breitblaͤttrige Pal¬ men und langhaͤlsige Kameele und goldbedeckte Elephanten und andre fabelhafte Baͤume und Thiere zum Vorschein kommen. Der Superkargo, der sich auf dem Schiffe befand, und die Sprache jener Leute eben so wenig verstand als ich, konnte mir, mit aͤchtbrittischer Beschraͤnktheit, nicht genug erzaͤhlen, was das fuͤr ein naͤrrisches Volk sey, fast lauter Mahometaner, zusammengewuͤrfelt aus allen Laͤndern Asiens, von der Grenze Chinas bis ans arabische Meer, darunter sogar einige pech¬ schwarze, wollhaarige Afrikaner. Des dumpfen abendlaͤndischen Wesens so ziem¬ lich uͤberdruͤssig, so recht Europa-muͤde wie ich mich damals manchmal fuͤhlte, war mir dieses Stuͤck Morgenland, das sich jetzt heiter und bunt vor meinen Augen bewegte, eine erquickliche La¬ bung, mein Herz erfrischten wenigstens einige Trop¬ fen jenes Trankes, wonach es in truͤbhannoͤvrischen oder koͤniglich preußischen Winternaͤchten so oft ge¬ schmachtet hatte, und die fremden Leute mochten es mir wohl ansehen, wie angenehm mir ihre Erscheinung war, und wie gern ich ihnen ein Lie¬ beswoͤrtchen gesagt haͤtte. Daß auch ich ihnen recht wohl gefiel, war den innigen Augen anzu¬ sehen, und sie haͤtten mir ebenfalls gern etwas Liebes gesagt, und es war eine Truͤbsal, daß Kei¬ ner des Andern Sprache verstand. Da endlich fand ich ein Mittel, ihnen meine freundschaftliche Gesinnung auch mit einem Worte kund zu geben, und ehrfurchtsvoll und die Hand ausstreckend, wie zum Liebesgruß, rief ich den Namen: Mahomet! Freude uͤberstralte ploͤtzlich die dunklen Gesich¬ ter der fremden Leute, sie kreuzten ehrfurchtsvoll die Arme, und zum erfreuenden Gegengruß, riefen sie den Namen: Bonaparte! XI . Die Befreyung . Wenn mir mahl die Zeit der muͤßigen Unter¬ suchungen wiederkehrt, so werde ich langweiligst gruͤndlich beweisen: daß nicht Indien, sondern Egypten jenes Kastenthum hervorgebracht hat, das, seit zwey Jahrtausenden, in jede Landestracht sich zu vermummen, und jede Zeit in ihrer eigenen Sprache zu taͤuschen wußte, das vielleicht jetzt todt ist, aber den Schein des Lebens erheuchelnd, noch immer boͤsaͤugig und unheilstiftend unter uns wandelt, mit seinem Leichendufte unser bluͤhendes Leben vergiftet, ja, als ein Vampyr des Mittel¬ alters, den Voͤlkern das Blut und das Licht aus den Herzen saugt. Dem Schlamme des Nil- Thals entstiegen nicht bloß die Krokodille, die so gut weinen koͤnnen, sondern auch jene Priester, die es noch besser verstehen, und jener privilegirt erbliche Kriegerstand, der in Mordgier und Ge¬ fraͤßigkeit die Krokodille noch uͤbertrifft. Zwey tiefsinnige Maͤnner, deutscher Nazion, entdeckten den heilsamsten Gegenzauber wider die schlimmste aller egyptischen Plagen, und durch schwarze Kunst — durch die Buchdruckerey und das Pulver — brachen sie die Gewalt jener geist¬ lichen und weltlichen Hierarchie, die sich aus einer Verbuͤndung des Priesterthums und der Krieger¬ kaste, naͤmlich der sogenannten katholischen Kirche und des Feudaladels, gebildet hatte, und die ganz Europa weltlich und geistlich knechtete. Die Dru¬ ckerpresse zersprengte das Dogmengebaͤude, worin der Großpfaffe von Rom die Geister gekerkert, und Nordeuropa athmete wieder frey, entlastet von dem naͤchtlichen Alp jener Klerisey, die zwar in der Form von der egyptischen Standeserblich¬ keit abgewichen war, im Geiste aber dem egypti¬ schen Priestersysteme um so getreuer bleiben konnte, da sie sich nicht durch natuͤrliche Fortpflanzung, sondern unnatuͤrlich, durch mamelukenhafte Rekru¬ tirung, als eine Corporazion von Hagestolzen, noch schroffer darstellte. Eben so sehen wir, wie die Kriegerkaste ihre Macht verliert, seit die alte Handswerksroutine nicht mehr von Nutzen ist bey der neuen Kriegsweise; denn von dem Posaunen¬ tone der Kanonen werden jetzt die staͤrksten Burg¬ thuͤrme niedergeblasen, wie weiland die Mauern von Jericho, der eiserne Harnisch des Ritters schuͤtzt gegen den bleyernen Regen eben so wenig wie der leinene Kittel des Bauers; das Pulver macht die Menschen gleich, eine buͤrgerliche Flinte geht eben so gut los wie eine adliche Flinte — das Volk erhebt sich. Die fruͤheren Bestrebungen, die wir in der Geschichte der lombardischen und toskanischen Re¬ publiken, der spanischen Communen, und der freyen Staͤdte in Deutschland und andren Laͤndern erkennen, verdienen nicht die Ehre, eine Volkser¬ hebung genannt zu werden; es war kein Streben nach Freyheit, sondern nach Freyheiten, kein Kampf fuͤr Rechte, sondern fuͤr Gerechtsame; Cor¬ porazionen stritten um Privilegien, und es blieb alles in den festen Schranken des Gilden- und Zunftwesens. Erst zur Zeit der Reformazion wurde der Kampf von allgemeiner und geistiger Art, und die Freyheit wurde verlangt, nicht als ein hergebrachtes sondern als ein urspruͤngliches, nicht als ein erworbenes sondern als ein angebo¬ renes Recht. Da wurden nicht mehr alte Perga¬ mente, sondern Prinzipien vorgebracht; und der Bauer in Deutschland und der Puritaner in Eng¬ land beriefen sich auf das Evangelium, dessen Ausspruͤche damals an Vernunft Statt galten, ja noch hoͤher galten, naͤmlich als eine geoffenbarte Vernunft Gottes. Da stand deutlich ausgespro¬ chen: daß die Menschen von gleich edler Geburt sind, daß hochmuͤthiges Besserduͤnken verdammt werden muß, daß der Reichthum eine Suͤnde ist, und daß auch die Armen berufen sind zum Genusse, in dem schoͤnen Garten Gottes, des ge¬ meinsamen Vaters. Mit der Bibel in der einen Hand und mit dem Schwerte in der anderen, zogen die Bauern durch das suͤdliche Deutschland, und der uͤppigen Buͤrgerschaft im hochgethuͤrmten Nuͤremberg ließen sie sagen: es solle kuͤnftig kein Haus im Reiche stehen bleiben, das anders aussaͤhe als ein Bauern¬ haus. So wahr und tief hatten sie die Gleich¬ heit begriffen. Noch heutigen Tags, in Franken und Schwaben, schauen wir die Spuren dieser Gleichheitslehre, und eine grauenhafte Ehrfurcht, vor dem heiligen Geiste uͤberschleicht den Wan¬ derer, wenn er im Mondschein die dunkeln Burg¬ truͤmmer sieht aus der Zeit des Bauernkriegs. Wohl dem, der, nuͤchternen Sinns, nichts ande¬ res sieht, ist man aber ein Sonntagskind — und das ist jeder Geschichtskundige — so sieht man auch die hohe Jagd, die der deutsche Adel, der roheste der Welt, gegen die Besiegten geuͤbt, man sieht wie tausendweis die Wehrlosen todtgeschlagen, gefoltert, gespießt und gemartert wurden, und aus den wogenden Kornfeldern sieht man sie geheim¬ nißvoll nicken die blutigen Bauernkoͤpfe, und druͤ¬ ber hin hoͤrt man pfeifen eine entsetzliche Lerche, rachegellend, wie der Pfeifer vom Helfenstein. Etwas besser erging es den Bruͤdern in Eng¬ land und Schottland; ihr Untergang war nicht so schmaͤhlig und erfolglos, und noch jetzt sehen wir dort die Fruͤchte ihres Regiments. Aber es gelang ihnen keine feste Begruͤndung desselben, die saube¬ ren Cavaliere herrschen wieder nach wie vor, und ergoͤtzen sich an den Spaßgeschichten von den al¬ ten starren Stutzkoͤpfen, die der befreundete Barde, zu ihrer muͤßigen Unterhaltung so huͤbsch beschrie¬ ben. Keine gesellschaftliche Umwaͤlzung hat in Großbritannien stattgefunden, das Geruͤste der buͤr¬ gerlichen und politischen Instituzionen blieb unzer¬ stoͤrt, die Kastenherrschaft und das Zunftwesen hat sich dort bis auf den heutigen Tag erhalten, und obgleich getraͤnkt von dem Lichte und der Waͤrme der neuern Civilisazion, verharrt England in einem mittelalterlichen Zustande, oder vielmehr im Zu¬ stande eines fashionablen Mittelalters. Die Con¬ zessionen, die dort den liberalen Ideen gemacht worden, sind dieser mittelalterlichen Starrheit nur muͤhsam abgekaͤmpft worden; und nie aus einem Prinzip, sondern aus der faktischen Nothwendig¬ keit, sind alle modernen Verbesserungen hervorge¬ gangen, und sie tragen alle den Fluch der Halb¬ heit, die immer neue Drangsal und neuen Todes¬ kampf und dessen Gefahren noͤthig macht. Die religioͤse Reformazion ist in England nur halb vollbracht, und zwischen den kahlen vier Gefaͤng¬ nißwaͤnden der bischoͤflich anglikanischen Kirche, befindet man sich noch viel schlechter, als in dem weiten, huͤbsch bemalten und weichgepolsterten Gei¬ steskerker des Katholizismus. Mit der politischen Reformazion ist es nicht viel besser gegangen, die Volksvertretung ist so mangelhaft als moͤglich: wenn die Staͤnde sich auch nicht mehr durch den Rock trennen, so trennen sie sich doch noch immer durch verschiedenen Gerichtsstand, Patronage, Hof¬ faͤhigkeit, Praͤrogative, Gewohnheitsvorrechte, und sonstige Fatalien; und wenn Eigenthum und Per¬ son des Volks nicht mehr von aristokratischer Will¬ kuͤhr, sondern vom Gesetze abhaͤngen, so sind doch diese Gesetze nichts anderes als eine andere Art von Zaͤhnen, womit die aristokratische Brut ihre Beute erhascht, und eine andere Art von Dolchen, womit sie das Volk meuchelt. Denn wahrlich, kein Tyrann vom Continente wuͤrde aus Willkuͤhr¬ lust so viel Taxen erpressen, als das englische Volk von Gesetzwegen bezahlen muß, und kein Tyrann war jemals so grausam wie Englands Criminal¬ gesetze, die taͤglich morden, fuͤr den Betrag eines Schillings, und mit Buchstabenkaͤlte. Wird auch, seit kurzem manche Verbesserung dieses truͤben Zustandes in England vorbereitet, werden auch der weltlichen und geistlichen Habsucht hie und da Schranken gesetzt, wird auch jetzt die große Luͤge einer Volksvertretung einigermaßen beguͤtigt, indem man hie und da einem großen Fabrikorte die ver¬ wirkte Wahlstimme von einem rotten borrough uͤbertraͤgt, wird gleichfalls hie und da die harsche Intoleranz gemildert, indem man auch einige an¬ dere Sekten bevorrechtet — so ist dieses alles doch 20 nur leidige Altflickerey, die nicht lange vorhaͤlt, und der duͤmmste Schneider in England kann voraussehen, daß uͤber kurz oder lang das alte Staatskleid in truͤbseligen Fetzen aus einander reißt. „Niemand flickt einen Lappen von neuem Tu¬ che an ein altes Kleid; denn der neue Lappen reißt doch vom alten, und der Riß wird aͤrger. Und niemand fasset Most in alte Schlaͤuche; an¬ ders zerreißt der Most die Schlaͤuche, und der Wein wird verschuͤttet, und die Schlaͤuche kommen um. Sondern man soll Most in neue Schlaͤuche fassen.“ Die tiefste Wahrheit erbluͤht nur der tiefsten Liebe, und daher die Uebereinstimmung in den Ansichten des aͤlteren Bergpredigers, der gegen die Aristokratie von Jerusalem gesprochen, und jener spaͤteren Bergprediger, die von der Hoͤhe des Convents zu Paris ein dreyfarbiges Evange¬ lium herabpredigten, wonach nicht bloß die Form des Staates, sondern das ganze gesellschaftliche Leben, nicht geflickt, sondern neu umgestaltet, neu begruͤndet, ja neu geboren werden sollte. Ich spreche von der franzoͤsischen Revoluzion, jener Weltepoche, wo die Lehre der Freyheit und Gleichheit so siegreich emporstieg aus jener allge¬ meinen Erkenntnißquelle, die wir Vernunft nen¬ nen, und die, als eine unaufhoͤrliche Offenbarung, welche sich in jedem Menschenhaupte wiederholt und ein Wissen begruͤndet, noch weit vorzuͤglicher seyn muß, als jene uͤberlieferte Offenbarung, die sich nur in wenigen Auserlesenen bekundet, und von der großen Menge nur geglaubt werden kann. Diese letztgenannte Offenbarungsart, die selbst ari¬ 20 * stokratischer Natur ist, vermochte nie die Privile¬ gienherrschaft, das bevorrechtete Kastenwesen, so sicher zu bekaͤmpfen, wie es die Vernunft, die demokratischer Natur ist, jetzt bekaͤmpft. Die Re¬ voluzionsgeschichte ist die Kriegsgeschichte dieses Kampfes, woran wir alle mehr oder minder Theil genommen; es ist der Todeskampf mit dem Egyp¬ tenthum. Obgleich die Schwerter der Feinde taͤglich stumpfer werden, obgleich wir schon die besten Posizionen besetzt, so koͤnnen wir doch nicht eher das Triumpflied anstimmen, als bis das Werk vollendet ist. Wir koͤnnen nur in den Zwischen¬ naͤchten, wenn Waffenstillstand, mit der Lanterne aufs Schlachtfeld hinausgehn, um die Todten zu beerdigen. — Wenig fruchtet die kurze Leichen¬ rede! Die Verlaͤumdung, das freche Gespenst, setzt sich auf die edelsten Graͤber — Ach! gilt doch der Kampf auch jenen Erbfein¬ den der Wahrheit, die so schlau den guten Leu¬ mund ihrer Gegner zu vergiften wissen, und die sogar jenen ersten Bergprediger, den reinsten Frey¬ heitshelden, herabzuwuͤrdigen wußten; denn als sie nicht laͤugnen konnten, daß er der groͤßte Mensch sey, machten sie ihn zum kleinsten Gotte. Wer mit Pfaffen kaͤmpft, der mache sich darauf gefaßt, daß der beste Lug und die triftigsten Verlaͤumdun¬ gen seinen armen guten Namen zerfetzen und schwaͤrzen werden. Aber gleich wie man jene Fahnen, die in der Schlacht am meisten von den Kugeln zerfetzt und von Pulverdampf geschwaͤrzt worden, hoͤher ehrt als die blanksten und gesuͤnde¬ sten Rekrutenfahnen, und wie man sie endlich als Nazionalreliquien in den Domen aufstellt: so werden einst die Namen unserer Helden, jemehr sie zerfetzt und angeschwaͤrzt worden, um so enthu¬ siastischer verehrt werden, in der heiligen Genofeva¬ kirche der Freyheit. Wie die Helden der Revoluzion, so hat man die Revoluzion selbst verlaͤumdet, und sie als ein Fuͤrstenschreckniß und eine Volkscheuche dargestellt in Libellen aller Art. Man hat in den Schulen all die sogenannten Greuel der Revoluzion von den Kindern auswendig lernen lassen, und auf den Jahr¬ maͤrkten sah man, einige Zeit, nichts anderes als grellkolorirte Bilder der Guillotine. Es ist freylich nicht zu laͤugnen, diese Maschine, die ein franzoͤsi¬ scher Arzt, ein großer Welt-Orthopaͤde, Monsieur Guillotin, erfunden hat, und womit man die dummen Koͤpfe von den boͤsen Herzen sehr leicht trennen kann, diese heilsame Maschine hat man etwas oft angewandt, aber doch nur bey unheil¬ baren Krankheiten, z. B. bey Verrath, Luͤge und Schwaͤche, und man hat die Patienten nicht lang gequaͤlt, nicht gefoltert, und nicht geraͤdert, wie einst tausende und aber tausende Rotuͤriers und Vilains, Buͤrger und Bauern, gequaͤlt, gefoltert und geraͤdert wurden, in der guten alten Zeit. Daß die Franzosen mit jener Maschine sogar das Oberhaupt ihres Staates amputirt, ist freylich ent¬ setzlich, und man weiß nicht, ob man sie deshalb des Vatermords oder des Selbstmords beschuldigen soll; aber bey milderungsgruͤndlicher Betrachtung finden wir, daß Ludwig von Frankreich minder ein Opfer der Leidenschaften als vielmehr der Be¬ gebenheiten geworden, und daß diejenigen Leute die das Volk zu solchem Opfer draͤngten und die selbst, zu allen Zeiten, in weit reichlicherem Maaße, Fuͤrstenblut vergossen haben, nicht als laute Klaͤ¬ ger auftreten sollten. Nur zwey Koͤnige, beide vielmehr Koͤnige des Adels als des Volkes, hat das Volk geopfert, nicht in Friedenszeit, nicht niedriger Interessen wegen, sondern in aͤußerster Kriegsbedraͤngniß, als es sich von ihnen verrathen sah, und waͤhrend es seines eignen Blutes am wenigsten schonte; aber gewiß mehr als tausend Fuͤrsten fielen meuchlings, und der Habsucht oder frivoler Interessen wegen, durch den Dolch, durch das Schwert und durch das Gift des Adels und der Pfaffen. Es ist als ob diese Kasten den Fuͤrstenmord ebenfalls zu ihren Privilegien rech¬ neten, und deßhalb den Tod Ludwig XVI . und Carl I . um so eigennuͤtziger beklagten. O, daß die Koͤnige endlich einsaͤhen, daß sie, als Koͤnige des Volkes, im Schutze der Gesetze, viel sicherer leben koͤnnen, als unter der Guarde ihrer adligen Leibmoͤrder! Aber nicht bloß die Helden der Revoluzion und die Revoluzion selbst, sondern sogar unser ganzes Zeitalter hat man verlaͤumdet, die ganze Liturgie unserer heiligsten Ideen hat man parodirt, mit unerhoͤrtem Frevel, und wenn man sie hoͤrt oder lies't, unsere schnoͤden Veraͤchter, so heißt das Volk die Canaille, die Freyheit heißt Frech¬ heit, und mit himmelnden Augen und frommen Seufzern, wird geklagt und bedauert, wir waͤren frivol und haͤtten leider keine Religion. Heuchle¬ rische Duckmaͤuser, die unter der Last ihrer gehei¬ men Suͤnden niedergebeugt einher schleichen, wa¬ gen es, ein Zeitalter zu laͤstern, das vielleicht das heiligste ist von allen seinen Vorgaͤngern und Nachfolgern, ein Zeitalter, das sich opfert fuͤr die Suͤnden der Vergangenheit und fuͤr das Gluͤck der Zukunft, ein Messias unter den Jahrhunder¬ ten, der die blutige Dornenkrone und die schwere Kreuzlast kaum ertruͤge, wenn er nicht dann und wann ein heiteres Vaudeville traͤllerte und Spaͤße risse uͤber die neueren Pharisaͤer und Saduzaͤer. Die kolossalen Schmerzen waͤren nicht zu ertragen ohne solche Witzreißerey und Persiflage! Der Ernst tritt um so gewaltiger hervor, wenn der Spaß ihn angekuͤndigt. Die Zeit gleicht hierin ganz ihren Kindern unter den Franzosen, die sehr 21 scherzliche, leichtfertige Buͤcher geschrieben, und doch sehr streng und ernsthaft seyn konnten, wo Strenge und Ernst nothwendig wurden; z. B. Dú Clos und gar Louvet de Couvrai, die beide, wo es galt, mit Maͤrtyrerkuͤhnheit und Aufopfe¬ rung fuͤr die Freyheit stritten, uͤbrigens aber sehr frivol und schluͤpfrig schrieben, und leider keine Religion hatten. Als ob die Freyheit nicht eben so gut eine Religion waͤre, als jede andere! Da es die uns¬ rige ist, so koͤnnten wir, mit demselben Maaße messend, ihre Veraͤchter fuͤr frivol und irreligios erklaͤren. Ja, ich wiederhole die Worte, womit ich diese Blaͤtter eroͤffnet: die Freyheit ist eine neue Reli¬ gion, die Religion unserer Zeit. Wenn Christus auch nicht der Gott dieser Religion ist, so ist er doch ein hoher Priester derselben, und sein Name strahlt beseligend in die Herzen der Juͤnger. Die Franzosen sind aber das auserlesene Volk der neuen Religion, in ihrer Sprache sind die ersten Evange¬ lien und Dogmen verzeichnet, Paris ist das neue Jerusalem, und der Rhein ist der Jordan, der das geweihte Land der Freyheit trennt von dem Lande der Philister. 21* Schlußwort . (Geschrieben den 29. Nov. 1830.) Es war eine niedergedruͤckte, arretirte Zeit in Deutschland, als ich den zweiten Band der Rei¬ sebilder schrieb und waͤhrend des Schreibens dru¬ cken ließ. Ehe er aber erschien, verlautete schon etwas davon im Publikum, es hieß mein Buch wolle den eingeschuͤchterten Freyheitsmuth wieder aufmuntern, und man treffe schon Maßregeln, es ebenfalls zu unterdruͤcken. Bey solchem Geruͤchte war es rathsam, das Werk um so schneller zu foͤr¬ dern und aus der Presse zu jagen. Da es eine gewisse Bogenzahl enthalten mußte, um den An¬ spruͤchen einer hochloͤblichen Censur zu entgehen: so glich ich in jener Noth dem Benvenuto Cellini, als er beym Guß des Perseus nicht Erz genug hatte, und zur Fuͤllung der Form, alle zinnerne Teller, die ihm zur Hand lagen, in den Schmelz¬ ofen warf. Es war gewiß leicht das Zinn, beson¬ ders das zinnerne Ende des Buches, von dem besseren Erze zu unterscheiden; doch, wer das Handwerk verstand, verrieth den Meister nicht. Wie aber alles in der Welt wiederkehren kann, so geschieht es auch, daß sich zufaͤlligerweise bey diesen „Nachtraͤgen“ eine aͤhnliche Bedraͤngniß ereignet, und ich habe wieder eine Menge Zinn in den Guß werfen muͤssen, und ich wuͤnsche, daß man meine Zinngießereyen nur der Zeitnoth zu¬ schreibe. Ach! ist ja das ganze Buch aus der Zeitnoth hervorgegangen, eben so wie die fruͤheren Schrif¬ ten aͤhnlicher Richtung; die naͤheren Freunde des Verfassers, die seiner Privatverhaͤltnisse kundig sind, wissen sehr gut wie wenig ihn die eigne Selbst¬ sucht zur Tribuͤne draͤngt, und wie groß die Opfer sind, die er bringen muß, fuͤr jedes freye Wort, das er seitdem gesprochen — und wills Gott! noch sprechen wird. Jetzt ist das Wort eine That, deren Folgen sich nicht abmessen lassen; kann doch keiner genau wissen, ob er nicht gar am Ende als Blutzeuge auftreten muß fuͤr das Wort. Seit mehreren Jahren warte ich vergebens auf das Wort jener kuͤhnen Redner, die einst in den Versammlungen der deutschen Burschenschaft so oft ums Wort baten, und mich so oft durch ihre rhetorischen Talente uͤberwunden, und eine so vielversprechende Sprache gesprochen; sie waren sonst so vorlaut, und sind jetzt so nachstill. Wie schmaͤhten sie damals die Franzen und das wel¬ sche Babel und den undeutschen, frivolen Vater¬ landsverraͤther, der das Franzenthum lobte. Jenes Lob hat sich bewaͤhrt in der großen Woche. Ach, die große Woche von Paris! Der Frey¬ heitsmuth, der von dort heruͤberwehte nach Deutsch¬ land, hat freylich hie und da die Nachtlichter umgeworfen, so daß die rothen Gardinen an eini¬ gen Thronen in Brand geriethen, und die gold¬ nen Kronen heiß wurden unter den lodernden Schlafmuͤtzen; — aber die alten Haͤscher, denen die Reichspolizey anvertraut, schleppen schon die Loͤscheymer herbey, und schnuͤffeln jetzt um so wach¬ samer, und schmieden um so fester die heimlichen Ketten, und ich merke schon, unsichtbar woͤlbt sich eine noch dichtere Kerkermauer um das deutsche Volk. Armes, gefangenes Volk! verzage nicht in dei¬ ner Noth — O, daß ich Katapulta sprechen koͤnnte! O, daß ich Falarika hervorschießen koͤnnte aus meinem Herzen! Von meinem Herzen schmilzt die vornehme Eisrinde, eine seltsame Wehmuth beschleicht mich — ist es Liebe und gar Liebe fuͤr das deutsche Volk? Oder ist es Krankheit? — meine Seele bebt, und es brennt mir im Auge, und das ist ein unguͤnstiger Zustand fuͤr einen Schriftsteller, der den Stoff beherrschen und huͤbsch objektiv blei¬ ben soll, wie es die Kunstschule verlangt, und wie es auch Goethe gethan — er ist achtzig Jahr dabey alt geworden, und Minister und wohlha¬ bend — armes deutsches Volk! das ist dein groͤßter Mann! Es fehlen mir noch einige Oktavseiten und ich will deshalb noch eine Geschichte erzaͤhlen — sie schwebt mir schon seit gestern im Sinne — es ist eine Geschichte aus dem Leben Karl V . Doch ist es schon lange her, seit ich sie vernahm, und ich weiß die besonderen Umstaͤnde nicht mehr ganz genau. So was vergißt sich leicht, wenn man kein bestimmtes Gehalt dafuͤr bezieht, daß man die alten Geschichten alle halbe Jahre vom Hefte abliest. Was ist aber auch daran gelegen, wenn man die Ortsnamen und Jahrzahlen der Geschich¬ ten vergessen hat; wenn man nur ihre innere Bedeutung, ihre Moral, im Gedaͤchtnisse behal¬ ten. Diese ist es eigentlich, die mir im Sinne klingt und mich wemuͤthig bis zu Thraͤnen stimmt. Ich fuͤrchte, ich werde krank. Der arme Kaiser war von seinen Feinden ge¬ fangen genommen, und saß in schwerer Haft. Ich glaube es war in Tyrol. Da saß er, in ein¬ samer Betruͤbniß, verlassen von allen seinen Rit¬ tern und Hoͤflingen, und keiner kam ihm zu Huͤlfe. Ich weiß nicht, ob er schon damals jenes kaͤsebleiche Gesicht hatte, wie es auf den Bildern von Holbein abkonterfeit ist. Aber die menschen¬ verachtende Unterlippe trat gewiß noch gewaltsamer hervor als auf jenen Bildern. Mußte er doch die Leute verachten, die, im Sonnenschein des Gluͤ¬ ckes, ihn so ergeben umwedelt, und ihn jetzt allein ließen in dunkler Noth. Da oͤffnete sich ploͤtzlich die Kerkerthuͤre, und herein trat ein ver¬ huͤllter Mann, und wie dieser den Mantel zuruͤck¬ schlug, erkannte der Kaiser seinen treuen Kunz von der Rosen, den Hofnarren. Dieser brachte ihm Trost und Rath, und es war der Hofnarr. O, deutsches Vaterland! theures deutsches Volk! ich bin dein Kunz von der Rosen. Der Mann, dessen eigentliches Amt die Kurzweil und der dich nur belustigen sollte in guten Tagen, er dringt in deinen Kerker zur Zeit der Noth; hier unter dem Mantel bringe ich dir dein starkes Zepter und die schoͤne Krone — erkennst du mich nicht, mein Kaiser? Wenn ich dich nicht befreyen kann, so will ich dich wenigstens troͤsten, und du sollst je¬ manden um dir haben, der mit dir schwatzt uͤber die bedraͤnglichste Drangsal, und dir Muth ein¬ spricht, und dich lieb hat, und dessen bester Spaß und bestes Blut zu deinen Diensten steht. Denn du, mein Volk, bist der wahre Kaiser, der wahre Herr der Lande — dein Wille ist souverain und viel legitimer als jenes purpurne Tel est notre plaisir , das sich auf ein goͤttliches Recht beruft, ohne alle andre Gewaͤhr als die Salbadereyen ge¬ schorener Gaukler — dein Wille, mein Volk, ist die alleinig rechtmaͤßige Quelle aller Macht. Wenn du auch in Fesseln danieder liegst, so siegt doch am Ende dein gutes Recht, es naht der Tag der Be¬ freyung, eine neue Zeit beginnt — mein Kaiser, die Nacht ist voruͤber und draußen gluͤht das Mor¬ genroth. Kunz von der Rosen, mein Narr, du irrst dich, ein blankes Beil haͤltst du vielleicht fuͤr eine Sonne, und das Morgenroth ist nichts als Blut. Nein, mein Kaiser, es ist die Sonne, obgleich sie im Westen hervorsteigt — seit sechstausend Jah¬ ren sah man sie immer aufgehen im Osten, da wird es wohl Zeit, daß sie mahl eine Veraͤndrung vornehme in ihrem Lauf. Kunz von der Rosen, mein Narr, du hast ja die Schellen verloren von deiner rothen Muͤtze, und sie hat jetzt so ein seltsames Ansehen, die rothe Muͤtze. Ach, mein Kaiser, ich habe ob Eurer Noth so wuͤthend ernsthaft den Kopf geschuͤttelt, daß die naͤrrischen Schellen abfielen von der Muͤtze; sie ist aber darum nicht schlechter geworden. Kunz von der Rosen, mein Narr, was bricht und kracht da draußen? Seyd still! das ist die Saͤge und die Zimmer¬ mannsaxt, und bald brechen zusammen die Pfor¬ ten Eures Kerkers, und ihr seyd frey, mein Kaiser! Bin ich denn wirklich Kaiser? Ach, es ist ja der Narr, der es mir sagt! O, seufzt nicht, mein lieber Herr, die Ker¬ kerluft macht Euch so verzagt; wenn Ihr erst wieder Eure Macht errungen, fuͤhlt Ihr auch wieder das kuͤhne Kaiserblut in Euren Adern, und Ihr seyd stolz wie ein Kaiser, und uͤbermuͤthig, und genaͤdig, und ungerecht, und laͤchelnd, und undankbar, wie Fuͤrsten sind. Kunz von der Rosen, mein Narr, wenn ich wieder frey werde, was willst du dann an¬ fangen? Ich will mir dann neue Schellen an meine Muͤtze naͤhen. Und wie soll ich deine Treue belohnen? Ach! lieber Herr, laßt mich nicht umbringen. Berichtigung. Seite 60. Zeile 7 von oben, vor den Worten „Glauben sie“ und Seite 71. Zeile 7. von oben, vor den Worten „O Sie sind schlau“ beginnt jedesmal ein neuer Satz.