Wanderungen durch die Mark Brandenburg. Zweiter Theil. Das Oderland. Barnim. Lebus. Von Theodor Fontane. Berlin. Verlag von Wilhelm Hertz. (Bessersche Buchhandlung.) 1863. Inhalt . Seite Von Frankfurt bis Schwedt 1 Tamsel (Neumark) 15 Hans Adam von Schöning 18 Kronprinz Friedrich und Frau v. Wreech 43 Zorndorf 60 „Der Blumenthal“ 69 Predikow 79 Hans Albrecht von Barfus 85 Schloß Cossenblatt (Beeskow-Storkow) 101 Königs-Wusterhausen (Teltow) 118 Teupitz (Teltow) 131 Mittenwalde (Teltow) 142 Steinhoefel 157 Valentin von Massow 161 Buckow 174 Der große und kleine Tornow-See 185 Das Oderbruch 190 Wie es in alten Zeiten war 190 Die Verwallung 197 Die alten Bewohner 205 Die Colonisirung und die Colonisten 215 Moeglin 224 Albrecht Daniel Thaer 226 Freienwalde 253 Von Falkenberg nach Freienwalde. Die Stadt. Der Ruinenberg. Monte Caprino 253 Falkenberg 262 Das Schloß 271 Seite Der Gesundbrunnen 281 Der Rosengarten. Der Baasee 290 Hans Sachs von Freienwalde 295 Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens 304 Lichterfelde 325 Am Werbellin 338 Schloß Friedersdorf 347 Friedrich August Ludwig von der Marwitz 360 Alexander von der Marwitz 387 Quilitz oder Neu-Hardenberg 415 Quilitz von 1763—1814 416 Neu-Hardenberg seit 1814 425 Friedland 437 Cunersdorff 451 Hans Georg Sigismund v. Lestwitz 453 Frau v. Friedland 456 Graf und Gräfin Itzenplitz 460 Chamisso in Cunersdorff 469 Das Pfulen-Land 479 Schulzendorf 481 Garzin 482 Buckow 483 Wilkendorf 485 Gielsdorf 486 Jahnsfelde 487 Kienbaum 493 Anmerkungen. Von Frankfurt bis Schwedt. Eine Correktur 501 Tamsel. 1. Die Besitzverhältnisse Tamsels seit 1510 501 2. Der Tamsler Park 502 3. Die Kirche in Tamsel 506 4. Das Schloß 509 5. Briefe des Kronprinzen Friedrich an Frau v. Wreech. 1731 bis 1732. ( Lettres et Vers de certain grand prince. ) 512 6. Briefe König Friedrichs an Frau v. Wreech. 1758—61 520 Zorndorf. Seite Blumenthal. Wüstgewordene Flecken und Dörfer 522 Predikow. Cossenblatt. Friedrich Wilhelm I. und die Cossenblatter Prediger 523 Ein großes Gemälde in der Kirche 524 Königs-Wusterhausen. Teupitz. Mittenwalde. Steinhoefel. Familien-Portraits 525 Buckow. Ein Erdfall 526 Der große und kleine Tornow-See. Der Schnitz-Altar in der Bollersdorfer Kirche 526 Das Oderbruch. Die letzten Wenden-Reste in Sachsen und Preußen 527 „Die Unnererdschken“ eine Sage aus Alt-Reetz. 530 Moeglin. Freienwalde. Ein Hexen-Proceß in Freienwalde. (1644) 531 Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens. Drei Sagen von den Uchtenhagens 537 Lichterfelde. Die Brüder Christoph und Arendt v. Sparr 539 Lichterfelde und die Groebens 540 Am Werbellin. Friedersdorff. Eberhard v. d. Marwitz 541 Quilitz oder Neu-Hardenberg. Joachim Bernhard v. Prittwitz und Gaffron 543 Die Frauen und Kinder des Fürsten Hardenberg 545 Friedland. Cunersdorff. Johann George v. Lestwitz 546 Portraits in Schloß Cunersdorff 546 Das Pfulen-Land. Portraits im Herrenhause zu Jahnsfelde 547 Kienbaum. Dorf und Kloster Kagel 548 Von Frankfurt bis Schwedt. Saßen all auf dem Verdecke, Glocken klangen, alte Zeit, Und der Himmel wurde blauer Und die Seele wurde weit. Z wischen Frankfurt und Stettin ist während der Sommermonate ein ziemlich reger Dampfschiff -Verkehr. Schleppschiffe und Pas- sagierboote gehen auf und ab und die Rauchsäulen der Schloote ziehen ihren Schattenstrich über die Segel der Oderkähne hin, die oft in ganzen Geschwadern diese Fahrt machen. Von besonderer Wichtigkeit sind die Schleppdampfer. Handelt es sich darum, eine werthvolle Ladung in kürzester Frist stromauf zu schaffen, so wird ein Schleppschiff als Vorspann genommen und in 24 Stunden ist erreicht, was sonst vielleicht 14 Tage ge- dauert hätte. Ihre eigentlichen Triumphe aber feiern diese Schlepp- schiffe, wenn sie, wie von ohngefähr, plötzlich inmitten einer kritisch gewordenen Situation erscheinen und durch ihre bloße Erscheinung die Herzen der geängstigten Schiffer wieder mit Hoffnung erfüllen. Sie sind dann was der Führer für den Verirrten, was der Zu- zug für die Geschlagenen ist und beherrschen natürlich die Situa- tion. Diese Situation ist fast immer dieselbe: entweder hat der Rettung erwartende Kahn sich festgefahren und müht umsonst sich ab, wieder flott zu werden, oder aber er ist in ein mit Flößen verfahrenes Defilèe gerathen, so daß jeden Augenblick ein Zusam- menstoß zu gewärtigen steht. Im ersteren Falle handelt es sich um 1 Kraft , im anderen Falle um Geschick und Schnelligkeit , um das Bedenkliche der Lage zu überwinden, und der Schleppdampfer ist in der glücklichen Verfassung, Beides, je nach Bedürfniß, bieten zu können. Aber freilich — gegen Zahlung. Nun beginnen die tragikomischsten Unterhaltungen, die man sich denken kann. Sie werden vom Kajütendach des Oderkahns einerseits, andererseits vom Radkasten des Dampfers aus geführt. Der geängstigte Schif- fer hebt zunächst einfach seine Hand in die Höh’, alle fünf Finger deutungsreich ausspreizend. Der Mann auf dem Radkasten schlägt eine verächtliche Lache auf und donnert seinen Befehl zu größerer Eile in den Maschinenraum hinunter, bis das bittende „Halloh“ des Schiffers ihn wieder zu einem „stop“ bestimmt. Der Schiffer hebt jetzt seine Hand mit den gespreizten Fingern zweimal in die Luft. Dasselbe Lachen als Antwort. So geht es weiter, bis der Kahnführer, der namentlich, wenn er zwischen Holzflößen steckt, seinen Ruin vor Augen sieht, die Summe bewilligt, die der Ca- pitain des Dampfers zu fordern für gut befindet. Diese Forde- rungen wechseln, da der letztere, mit scharfem Auge, je nach dem Grad der Gefahr, auch die Taxe bestimmt. Es kommt vor, daß der geängstigte Schiffer seine fünf Finger zehnmal erheben, d. h. also seine Befreiung aus dem verfahrenen Defilée mit 50 Thalern preußisch bezahlen muß. Die Schleppdampfer, wie hieraus genugsam erhellen wird, spielen also auf der Oderstrecke, die sie befahren, die Doppelrolle des Retters und des Tyrannen , und im Einklang mit dieser Doppelrolle ist auch die Empfindung, mit der sie Seitens der Schiffer betrachtet werden. Man liebt sie oder haßt sie. Alles, je nachdem die Gefahr im Anzuge oder glücklich überwunden ist. Die am Horizont heraufdämmernde schwarze Dampfsäule wird im einen Fall als Hoffnungsbanner begrüßt, im andern Fall als abziehende Piratenflagge verwünscht. Dazwischen liegt die Rettung. Nichts ist kürzer als Dank. Die Capitäne wissen das; aber als praktische Männer kennen sie keine Empfindelei und halten sich schadlos beim nächsten Fall. Sie haben zudem die ruhige Ueberlegenheit der herr- schenden Kaste. Die Schiffer blicken, wie wir gesehen haben, mit getheil- ter Empfindung auf den Schleppdampfer; — nicht so die Floß- führer. Diese geben sich ungeschwächt einer einzigen Empfindung und zwar ihrem polnischen, oder böhmisch-oberschlesischen Hasse hin. Sie können es wagen. Das Floß, das an manchen Stellen die halbe Breite der Oder deckt, kann wohl den Schleppschiffen, aber das Schleppschiff kann nie und nimmer (wenigstens nicht ernstlich) dem Floße gefährlich werden. Es liegt also kein Grund vor, wes- halb sie mit ihrer Abneigung hinter dem Berge halten sollten. Zu dieser Abneigung liegen allerdings die triftigsten Gründe vor. Die Schleppdampfer nämlich, da sie, wie eben angedeutet, den Flößen in Wahrheit weder nützen noch schaden können, be- gnügen sich damit, die reizbare slavische Natur zu nergeln und zu ärgern. Wie Reiter, die lustig durch einen Tümpel jagen, alles, was in der Nähe ist, nach rechts und links hin mit Wasser und Schlamm bespritzen, so jagen hier die Dampfer an dem schwer- fällig zur Seite liegenden Floß vorüber und unterhalten sich damit, das Floß unter Wasser zu setzen. Die zur Seite gedrückte Welle eilt, immer höher werdend, auf das Floß zu; jetzt trifft sie den ersten Balken und spritzt hoch auf. Aber nicht genug damit; die Hälfte der Welle setzt sich unter dem Floß hin fort und überall da, wo eine Lücke sich bietet, nach oben tretend, setzt sie, an sechs, acht Stellen zugleich, das Floß unter Wasser. Nun sollte man glauben, die Flößer müßten gleichgültig sein gegen ein solches Fußbad; aber, als wäre es Feuer, sieht man jetzt die Besatzung des Floßes auf den Bäumen und Querbalken hin und her sprin- gen, als gält’ es vor ihrem bittersten Feinde zu fliehen. Diese Zickzacksprünge nehmen sich wunderlich genug, dabei ebenso komisch wie malerisch aus. Mit vielem Geschick wissen sie immer eine Stelle zu treffen, wo ein Querbalken, ein Holzblock, oder am liebsten einer jener Erd- und Rasenhügel sich vorfindet, deren viele (oft ein Dutzend) sich über das Floß hin ausbreiten und einen wesent- 1* lichen Theil der häuslichen Einrichtung desselben bilden. Bei dieser häuslichen oder wirthschaftlichen Einrichtung des Floßes hab’ ich noch einen Augenblick zu verweilen. Die Gesammt-Oekonomie eines solchen Floßes besteht aus zwei gleich wichtigen Theilen, aus einem Kochplatz und einem Auf- bewahrungsplatz, oder aus Küche und Kammer . Beide sind von gleich einfacher Construction. Der Kochplatz, der Herd, besteht aus dem einen oder andern jener eben erwähnten Erdhügel, d. h. aus ein paar Dutzend Rasenstücken, die Morgens am Ufer frisch abge- stochen und wie Mauersteine neben und aufeinander gelegt werden. An jedem Morgen entsteht ein neuer Herd. Den alten Herdstellen aber gönnt man ihren alten Platz, und benutzt sie entweder als Inseln, wenn die Wellen kommen, oder nimmt sie auch wohl, nach einigen Tagen, als Herdstelle wieder auf. Auf diesem improvisirten Herde wird nun gekocht, was sich malerisch genug ausnimmt, be- sonders um die Abendstunde, wenn die Feuer wie Irrlichter auf dem Wasser zu tanzen scheinen. Ebenso wichtig wie der Kochplatz ist der Aufbewahrungsplatz. Seine Construction ist von noch grö- ßerer Einfachheit und besteht aus einem halbausgebreiteten Bündel Heu. Auf dieser Heuschicht liegen die Röcke, Jacken, Stiefel der Floßleute, und ausgerüstet mit diesen primitivsten Formen einer Küche und Kammer, machen die Flößer ihre oft wochenlange Reise. Nach dieser Beschreibung wird es jedem klar sein, was eine solche Dampfschiffs-Neckerei für die Floßleute zu bedeuten hat. Jede aus den Lücken des Floßes hervorbrodelnde Welle spült nicht blos über die Füße der Betroffenen hin, sondern schädigt sie auch wirklich an ihrem Hab und Gut, als handele es sich um eine Ueberschwemmung im Kleinen. Hier fährt das Wasser zischend in das Herdfeuer und löscht es aus; dort hebt es das Heubündel, mit sammt seinen Garderobestücken, von unten her in die Höhe und tränkt es entweder mit Wasser oder schwemmt es gar hinweg. Das weckt dann freilich Stimmungen, die der Vorstellung von einer wachsenden „Fraternität“ des Menschengeschlechts völlig Hohn sprechen und zu Unterhaltungen führen, von denen es das Beste ist, daß sie im Winde verklingen. Soviel von den Schleppschiffen. Von geringerer Bedeutung sind die Passagierboote, die übrigens, wie sich von selbst versteht, gelegentlich die Rolle tauschen und auch ihrerseits als „Retter“ und „Tyrannen“ (ganz in der oben geschilderten Weise) debütiren. Die Passagierboote gehen von Frankfurt aus 2mal wöchent- lich (Mittwoch und Sonnabend) und machen die Fahrt nach Küstrin in 2, nach Schwedt in 8, nach Stettin in 10 Stunden. Die Benutzung erfolgt mehr stationsweise und auf kleineren Strecken, als für die ganze Tour. Der Grund mag darin liegen, daß die Eisenbahn (trotz des Umweges über Berlin) die Reisenden zwischen Frankfurt und Stettin, doch eher und sicherer an’s Ziel führt. Eher unter allen Umständen; sicherer in soweit, als es bei niedrigem Wasserstande vorkommt, daß die Fahrt auf Stunden unterbrochen oder wohl gar ganz eingestellt werden muß. Die Re- gulirung des Oderbetts, ein in den Zeitungen stehend gewordener Artikel, würde diesem Uebelstande vielleicht abhelfen und eine Con- currenz der Dampfschiffe mit der Eisenbahn möglich machen. Damit hat es aber noch gute Wege (einige meinen, es ginge überhaupt nicht) und so werden sich die beiden Passagierboote, die jetzt das Bedürfniß decken, noch längere Zeit mit dem Publikum behelfen müssen, das jetzt zu ihnen hält. Dies Publikum, wenn auch nicht zahlreich, ist immerhin mannigfach genug. Tagelöhner, die auf die Güter, Handwerker, die zu Markte ziehen, dazu Kaufleute und Gutsbesitzer, auch gelegentlich Badereisende, besonders solche, die in den schlesischen Bädern waren. Nur eine Klasse fehlt, der man sonst wohl auf den Flußdampfern unserer Heimath, besonders im Westen und Süden, zu begegnen pflegt: der Tourist von Fach , der eigentliche Reisende, der keinen andern Zweck verfolgt, als Land und Leute kennen zu lernen. Dieser „Eigentliche“ fehlt noch, aber er wird nicht immer feh- len; denn ohne das unfruchtbare und mißliche Gebiet der Ver- gleiche betreten zu wollen, sei doch das Eine hier versichert, daß an den Ufern der Oder hin, allerlei Städte und reiche Dörfer liegen, die wohl zum Besuche einladen können, und daß, wenn Sage und Legende auch schweigen, die Geschichte um so lauter und ver- nehmbarer an dieser Stelle spricht. Sehen wir selbst. Es ist Sonnabend und 5 Uhr Morgens. An dem breiten Quai der alten Stadt Frankfurt, hohe Häuser und Kirchen zur Seite (das Ganze ausnehmend an den Cölner Quai, zwischen der Schiffbrücke und der Eisenbahnbrücke, erinnernd) liegt der Dampfer und hustet und prustet. Es ist höchste Zeit. Kaum daß wir an Bord, so wird auch das Brett schon eingezogen und der Dampfer, ohne viel Commando und Schiffs-Halloh, löst sich leicht vom Ufer ab und schaufelt stromabwärts. Zur Linken verschwindet die Stadt im Morgennebel; nach rechts hin, zwischen Pappeln und Weiden hindurch, blicken wir in jenes Hügelterrain hinein, dessen Name historischen Klang hat trotz einem, — Kunersdorff . Wir werden noch oft, während unserer Fahrt, an dieses Terrain und diesen Namen erinnert werden. Der Morgen ist frisch; der Wind, ein leiser aber scharfer Nordost, kommt uns entgegen und wir suchen den Platz am Schornstein auf, der Wärme gewährt und zugleich Deckung gegen den Wind. Es ist nicht leicht mehr einen guten Platz ausfindig zu machen, denn bereits vor uns hat ein Gipsfigurenhändler, mit seinem Brett voll Puppen, an eben dieser Stelle Platz genommen. Er ist aber umgänglich, rückt sein Brett bei Seite und wartet auf Unterhaltung. Das Puppenbrett bietet den besten Anknüpfungs- punkt. König und Königin; Amor und Psyche; Goethe, Schiller, Lessing; drei „betende Knaben“ und zwei Windhunde, außerdem (alle andern überragend) eine Aurora und eine Flora bilden die Besatzung des Brettes. Der Aurora sind ihre beiden Flügel, der Flora das Bouquet genommen; beides, Bouquet und Flügel, lie- gen, wie abgelegter Schmuck, zu Füßen der Figuren. Was geht denn so am besten? eröffne ich die Conversation. „Ja das ist schwer zu sagen, mein Herr,“ erwiedert der Figurenmann (der sich durch das hierlandes selten gebrauchte „mein Herr“ sofort als ein Mann von gewissen „Allüren“ einführt) „es richtet sich nach der Gegend.“ „Ich dachte König und Königin.“ „Versteht sich, versteht sich,“ unterbricht mich der Figuren- mann, als sei er mißverstanden, „Königliches Haus und Goethe- Schiller immer voran. Selbstverständlich.“ — „Aber außerdem?“ „Ja, das war es eben, mein Herr. Hier herüber (dabei deu- tete er, nach rechts hin, in die Sandgegenden der Neumark hinein) verkauf ich wenig oder nichts; dann und wann einen „betenden Knaben“. Ich könnte von meinem Standpunkt aus sagen — und dabei überflog ein feines Lächeln sein Gesicht — wo der gute Boden aufhört, da fängt der „betende Knabe“ an. „Nun da gehen diese wohl in’s Bruch,“ erwiederte ich lachend, indem ich auf Flora und Aurora zeigte. „Aurora und Flora gehen in’s Bruch,“ wiederholte er mit humoristischer Würde. „Auch Amor und Psyche.“ — Ich nickte verständnißvoll. Wir standen nun auf und traten an die Schiffswandung. Er sah, daß ich einen Blick in die Landschaft thun wollte und wartete, bis ich die Unterhaltung wieder aufnehmen würde. Das linke Oderufer ist hüglig und malerisch, das rechte flach und reizlos. Der eigentliche Uferrand ist aber auch hier steil und abschüssig und die Wandung mit Weidengebüsch besetzt. Das Was- ser ist gelblich, flach, voll Inseln und Untiefen und die Passage, selbst bei genauer Kenntniß des Fahrwassers, sehr schwierig. We- nigstens um die Sommerzeit. Vorn am Bugspriet stehen zwei Schiffsknechte (ich weiß nicht, ob man bei Flußdampfern von „Matrosen“ sprechen darf) mit langen Stangen und nehmen be- ständig Messungen vor, die um so unerläßlicher sind, als die Sandbänke ihre Stelle wechseln und heute hier, morgen da zu finden sind. Fluß, Ufer, Fahrt, alles hat den norddeutschen Charakter. Inzwischen ist es heller geworden, die Nebel haben der Sonne Platz gemacht und mit dem Sonnenschein zugleich dringen, von rechts her, Glockenklänge zu uns herüber. Dorf und Kirche aber sind nicht sichtbar. Ich horche eine Weile; dann wend’ ich mich zu meinem Nachbar und frage: wo klingt das her? Das ist die 7centnerige von Groß-Rade; — mein besonderer Liebling. Was tausend, fahr’ ich fort, kennen Sie die Glocken hier herum so genau? Ach, mein Herr, ich kenne sie alle. Viele davon sind meine eignen Kinder, und hat man selber erst Kinder, so kümmert man sich auch um die Kinder andrer Leute. Wie das? haben Sie denn die Glocken gegossen? sind sie Gürtler oder Glockengießer? Oder sind Sie’s gewesen? Ach, mein Herr, ich bin sehr vieles gewesen: Tischler, Korb- macher, dazwischen Soldat, dann Former, dann Glockengießer, nun gieß ich Gips. Es hat mir alles nicht recht gefallen, aber das Glockengießen ist schön. Da wundert’s mich doppelt, daß sie vom Erz auf den Gips gekommen sind. Mich wundert es nicht, aber es thut mir leid. Wenn der „Zink“ nicht wäre, so göss’ ich noch Glocken bis diesen Tag. Wie so? Seit der Zink da ist, ist es mit dem reellen Glockenguß vor- bei. In alten Zeiten hieß es „Kupfer und Zinn“, und waren’s die rechten Leute, gab’s auch wohl ein Stück Silber mit hinein. Damit ist’s vorbei. Jetzt wird abgezwackt; von Silber ist keine Rede mehr; wer’s billig macht, der hat’s. Der Zink regiert die Welt und die Glocken dazu. Aber dafür klappern sie auch wie die Bunzlauer Töpfe. Ich kam bald zu kurz; die Elle wurde länger als der Kram; wer noch für Zinn ist, der kann nicht be- stehen, denn Zinn ist theuer und Zink ist billig. Wie viel Glocken haben Sie wohl gegossen? Nicht viele, aber doch sieben oder acht; die Groß-Radener ist meine beste. Und alle für die Gegend hier? Alle hier herum. Und wenn ich mir mal einen Feierabend machen will, da nehm’ ich ein Boot und rudere stromab, bis über Lebus hinaus. Wenn dann die Sonne untergeht und rechts und links die Glocken den Abend einläuten und meine Glocken da- zwischen , dann vergess’ ich vieles, was mir im Leben schief ge- gangen ist und vergess’ auch den „Turban“ da. — Dabei zeigte er auf die runde, kissenartige Mütze, die die Gipsfigurenhändler zu tra- gen pflegen und die jetzt, in Ermangelung eines anderen Platzes, der Goethe-Schiller-Statue über die Köpfe gestülpt war. So plaudernd waren wir, eine Viertelstunde später, bis Le- bus gekommen. Der Gipsfigurenmann verabschiedete sich hier und während das Boot anlegte, hatt’ ich Gelegenheit, die „alte Bi- schofsstadt“ zu betrachten. Freilich erinnert hier nichts mehr an die Tage alten Glanzes und alten Ruhmes. Die alte Kathedrale, das noch ältere Schloß, sie sind hin, und eines Lächelns kann man sich nicht erwehren, wenn man in alten Chroniken liest, daß um den Besitz von Lebus heiße Schlachten geschlagen wurden, daß hier die slavische und die germanische Welt, Polenkönige und thüringische Herzöge, in heißen Kämpfen zusammenstießen und daß der Schlachtruf mehr als ein- mal lautete: „Lebus oder der Tod“. Unter allen aber, denen dieser Schlachtruf jetzt ein Lächeln abnöthigen wird, stehen die Lebuser selbst obenan. Ihr Stadtsiegel ist ein „Wolf mit einem Lamm im Rachen“; die neue Zeit ist der Wolf und Lebus selbst ist das Lamm. Mitleidslos wird es verschlungen. Lebus, die Kathedralenstadt, ist hin, aber Lebus, das vor dreihundert Jahren einen fleißigen Weinbau trieb, das Lebus existirt noch. Wenigstens landschaftlich. Nicht daß es noch Wein an seinen Berglehnen zöge, nur eben der malerische Charakter eines Winzerstädtchens (wie sie in andern Theilen Deutschlands so oft sich finden) ist ihm erhalten geblieben. Die Stadt, so klein sie ist, zerfällt in eine Ober- und Unter- stadt. Jene streckt sich (wenigstens vom Fluß aus gerechnet) in ihrem wesentlichen Theile am First des Berges hin, diese zieht sich am Ufer entlang und folgt den Windungen von Fluß und Hügel. Zwischen beiden, am Abhang, und wie es heißt an selber Stelle, wo einst die alte Kathedrale stand, erhebt sich jetzt die Lebuser Kirche, ein Bau aus neuer Zeit. Die „Unterstadt“ hat Höfe und Treppen, die an das Wasser führen; die „Oberstadt“ hat Zickzack- wege und Schluchtenstraßen, die den Abhang bis an die Unterstadt hernieder steigen. Auf diesen Zickzackwegen bewegt sich ein Theil des städtischen Lebens und Verkehrs. Gänse und Ziegen weiden dort unter Gras und Gestrüpp; Frauengestalten, zum Theil in die malerische Tracht des Oderbruchs gekleidet, schreiten bergab; den Zickzackweg hinauf aber steigt eben unser Freund der Gipsfiguren- mann und alle seine Puppen (nicht blos die „Aurora“, die wieder ihre Flügel angelegt hat) schimmern im Morgenstrahl. Nun aber Commandowort vom Radkasten aus und unser Dampfer schaufelt weiter. Lebus liegt hinter uns und wir treten jetzt, auf etwa eine Meile hin, in jenes Terrain ein, wo Stadt und Dorf, zu beiden Seiten des Flusses, an die Tage mahnen, die jenem Kunersdorfer 12. August vorausgingen und ihm folgten . Es sind drei Namen vorzugsweise, denen wir hier, am Ufer hin, begegnen: Reitwein, Goeritz und Oetscher, alle drei mit der Geschichte jener Tage verwoben. In Reitwein erschien am 10. August die Avantgarde des Königs, um eine Schiffbrücke vom linken auf’s rechte Oderufer zu schlagen. Man wählte dazu die Schmälung des Flusses, wo die alte Stadt Goeritz, malerisch am Hügelabhang, dem Dorfe Reit- wein gegenüberliegt. Am 10. Abends erschien der König selbst und führte seine Bataillone (60 an der Zahl) hinüber; die Cavallerie ging durch eine Furth. In Goeritz aber blieb General Flemming mit 7 Bataillons zur Deckung der Schiffbrücke zurück. Zwei Tage später, am Abend des 12., befanden sich die Trümmer der geschla- genen Armee an derselben Furth, an derselben Schiffbrücke. Aber das Spiel war vertauscht; statt von links nach rechts ging es jetzt von rechts nach links. Die Brücke, die am Abend des 10ten von Reitwein nach Goeritz vorwärts geführt hatte, führte jetzt, am Abend des 12., von Goeritz nach Reitwein zurück . Der König verbrachte die Nacht, eine Viertelmeile südlich von der Schiffbrücke, im Dorfe Oetscher ; er schlief auf Stroh in einer verödeten Bauernhütte. Auf dem Rücken Rittmeisters von Prittwitz (der ihn gerettet) schrieb er hier mit Bleistift die Worte an den Minister Finkenstein: „Alles ist verloren, retten Sie die Königliche Familie; Adieu für immer.“ Andern Tags nahm er Quartier in Reitwein , damals noch den Burgsdorffs gehörig. Hier war es, wo er die berühmte Instruction aufsetzte (ebenfalls an Finkenstein gerichtet), in der er den Prinzen Heinrich als Ge- neralissimus der Armee bezeichnete und den Willen aussprach, daß die Armee seinem Neffen schwören sollte. An diesen Plätzen führt uns jetzt unsere Fahrt vorüber. Oetscher (wiewohl nah gelegen) verbirgt sich hinter Hügeln, desto malerischer treten Reitwein und Goeritz hervor. Schöner freilich muß der Anblick dieses Bildes gewesen sein, als die alte Goeritzer Kirche (ein berühmter Wallfahrtsort) auf der Höhe des Hügels lag und sich mit der Kirche von Reitwein drüben begrüßte. Aber Goeritz und seine Kirche sind in jedem Sinne von ihrer Höhe herabgestiegen. Keine Wallfahrer kommen mehr und als sei es nicht länger nöthig, das berühmte Wallfahrtshaus, die Kirche, schon weithin sichtbar zu machen, hat man die neue Kirche (nach- dem die alte, kurz vor der Zorndorfer Schlacht, von den Russen zerstört worden war) in der Tiefe wieder aufgebaut. Die Goeritzer Kirche hat uns zu guter Zeit an die Russen und die Zorndorfer Schlacht gemahnt; denn wir verlassen so eben das Terrain — im weitesten Sinne — der Kunersdorfer Schlacht, um, in ähnlicher Weise, in den Schlachtengrund von Zorndorf einzutreten. Was wir zunächst erblicken, ist Küstrin selbst (thurmlos, grau, in dünne Nebel gehüllt), die alte neumärkische Hauptstadt, um deren Rettung es sich handelte, als am 21. August 1758 der König von Schlesien her am linken Oderufer erschien. Alle Namen hier, zu beiden Seiten des Flusses, erinnern an jene Tage bitterer Bedrängniß, schwer erkauften Siegs. Zuerst Gorgast am linken Oderufer. In Gorgast war es, wo der König seine chiffonirt aussehenden Truppen mit den glatt und wohlgenährt dastehenden Regimentern Dohna’s vereinigte und wo die berühmten Worte fielen: „meine sehen aus wie Grasteufel, aber sie beißen.“ Weiter flußabwärts die Fähre von Güstebiese . Ein wenig poetischer Name, aber doch voll guten Klangs. Hier führte der König seine Bataillone über, als er von Küstrin aus (wo der Feind en front den Uebergang erwartete) jenen berühmten Bo- genmarsch machte, der ihn, an derselben Stelle, wo der Gegner immer noch einen Front-Angriff erwartete, plötzlich in den Rücken desselben führte. Rechts hin, fast am Ufer des Flusses entlang, dehnt sich die Drewitzer Haide, — ein grüner Schirm, der das eigentliche Schlachtfeld dem Auge des Vorüberfahrenden entzieht. Dahinter liegen die Dörfer und Stätten, deren Namen mit der Geschichte jenes blutigen Tages verwoben sind: die Neu-Dammsche Mühle, der Zaber- und Galgengrund, endlich Zorndorf selbst. Wir haben Küstrin passirt — ein scheuer Blick nur traf jene enge, halb verbaute Bastion Brandenburg, wo am 6. Nov. 1730 Katt’s Haupt in den Sand rollte — auch das Schlachtfeld liegt bereits hinter uns, das 28 Jahre später diese Ufer und Dörfer zu historischem Ansehen erhob und wir fahren nun, als hätten sich diese Ufer vorgesetzt durch Contraste zu wirken, in jene fried- lich-fruchtbaren Gegenden ein, die, vor hundert oder doch 150 Jahren noch ein ödes, werthloses Sumpfland, seitdem so oftmals (und mit Recht) die Kornkammern unseres Landes genannt wor- den sind. Das Oderbruch dehnt sich auf Meilen hin zu unserer Linken aus. Der Anblick, den es, im Vorüberfahren, vom Fluß aus ge- währt, ist weder schön und malerisch, noch verräth er eine besondere Fruchtbarkeit; gegentheils, das Vorland, das sich dem Auge bietet, macht kaum den Eindruck eines gehegten Stück Wiesenlands, und die Raps- und Gerstenfelder, die sich golden dahinter ausdehnen, werden dem Auge durch endlos sich hinziehende, prosaisch ausse- hende Dämme und Deiche entzogen, die aber freilich, indem sie die Niederung gegen die früheren Ueberschwemmungen sicher stellten, erst den Reichthum schufen, der sich jetzt hinter diesen Deich-Linien verbirgt. Der Reichthum dieser Gegenden spricht nicht in goldenen Fel- dern zu uns, aber wir erkennen ihn doch an seinen ersten und natürlichsten Folgen — an den Dörfern, die er geschaffen. Da giebt es kein Strohdach mehr, der rothe Ziegel lacht überall aus dem Grün der Wiesen hervor, und statt der dürftig hölzernen Kirchthürme des vorigen Jahrhunderts, die kümmerlich wie ein Schilderhaus auf dem Kirchendach zu sitzen pflegten, wachsen jetzt in solidem Backsteinbau, — die Campanellen Italiens heiter co- pirend, — die Kirchthürme in die Luft. An diesem Reichthum nehmen die Dörfer des andern (rechten) Oderufers Theil, und an- steigend an der Hügelkette gelegen, die sich eine Meile unterhalb Küstrin, am rechten Oderufer hinzuziehen beginnt, gesellen sich Schönheit und malerische Lage (viel mehr als man in diesen Ge- genden erwartet) zu dem Eindruck des Reichthums und beinahe holländischer Sauberkeit. Nun sind wir über Amt Kienitz (ein altes Dorf, vor zwei Jahrhunderten dem General Goertzke, dem „Paladin des großen Kurfürsten“ gehörig) und nun über Kloster Zellin hinaus; der Fluß wird schmäler aber tiefer und das Landschaftsbild verändert sich. Der Barnim liegt hinter uns und wir fahren in die Uker- mark hinein. Es sind sehr ähnliche Uferlandschaften, wie sie die Umgegend Stettins dem Auge bietet. Andere Namen, in nichts mehr an die triviale Komik von „Güstebiese“ oder „Lietzegörike“ erinnernd, tauchen auf, — Namen voll poetischem Klang und Schimmer: Hohen-Saathen, Raduhn und Hohen-Krähnig. Der Fluß bis dahin, im Wesentlichen, in einem Bette flie- ßend, fängt an, ein Netz von Kanälen durch die Landschaft zu ziehen; hierhin, dorthin windet sich der Dampfer, aber eh es uns noch gelungen ist, uns in dem malerischen Wirrsal zurechtzufinden, tauchen plötzlich weiße Giebelwände, von Thürmen und hohen Lin- den überragt, aus dem Landschaftsbilde auf. Noch eine Biegung und das übliche Hoi und Hoh, wie es immer laut wird, wenn das Schiff sich einer Landungsstelle nähert, beginnt auf’s Neue. Eine alte Holzbrücke, mit hunderten von Menschen besetzt, sperrt uns den Weg; ein Fangseil fliegt über unsre Köpfe weg, dem Brücken- geländer zu; der Dampfer legt an. Ein Drängen, ein Grüßen, dazwischen das Läuten der Glocke. Vom linken Ufer her aber wirft ein weitläuftiger Bau, in Bäumen und Laubgängen halb versteckt, sein Spiegelbild in den Fluß. Es ist das alte Markgrafenschloß. Wir sind in Schwedt . Tamsel. Hoch ragt aus schatt’gen Gehegen Ein schimmerndes Schloß hervor. Chamisso. T amsel ist ein reiches, schön gelegenes Dorf, etwa eine Wegstunde östlich von der alten Festung Küstrin. Waldhügel, deren gewundene Linien muthmaßlich das alte Bett der Warthe bezeichnen, schließen das Dorf von Norden her ein, während nach Süden hin die Landschaft offen liegt und die Flußarme in allerlei Windungen sich durch das Bruchland ziehen. Die Küstriner hängen mit großer Liebe an Tamsel, und so oft sie seinen Namen nennen, überfliegt ein Lächeln ihre Züge, nicht unähnlich der stillen Heiterkeit, mit der die Berliner den Namen „Charlottenburg“ auszusprechen pflegen. Hier wie dort mischt sich kein Stolz über historische Erinnerungen in dieses Lächeln; es ist der Ausdruck vielmehr eines plötzlich wiederbelebten Wohlgefallens, einer freundlichen Rückerinnerung an Park und Schloß, an Wasser- partieen und Feuerwerke, an eine lange Reihe heiterer Land- schaftsbilder, die bei bloßer Nennung des Namens noch einmal leise an dem inneren Auge vorüberziehen. Und doch ist Tamsel ein historischer Name, wie Charlotten- burg ein solcher ist. Wir verweilen nicht bei seiner Vorg eschichte; wir versuchen nicht festzustellen, wann die Templer in seinen Besitz kamen, und wann sie diesen ihren Besitz an den Johanniter-Orden abtraten; wir übergehen die Jahrhunderte, wo abwechselnd der Küstriner Markgraf und der Sonnenburger Heermeister hier Lan- deshoheit übten. Wir beginnen mit Tamsels historischer Zeit, mit Hans Adam v. Schöning , der, nach einem ruhmvollen Tür- kenzuge, wenigstens vorübergehend in die Stille seines väterlichen Tamsel zurückkehrte und das bis dahin, aller Wahrscheinlichkeit nach, wenig werthvolle Gut in einen prächtigen Landsitz umzuschaffen begann. Hans Adam v. Schöning , bei dessen thatenreichem Leben wir länger und eingehender zu verweilen haben werden, machte Tamsel im Wesentlichen zu dem, was es jetzt ist, und wenn Um- und Neu-Bauten auch dem Schloß und Park von damals, nach außen hin eine veränderte Gestalt gegeben haben, so ist im Innern, in seiner Einrichtung und Ausschmückung, immer noch genug vor- handen, um uns ein Bild von dem Reichthum, von der Fülle künstlerischer Details zu geben, die hier damals zusammenströmten, als ob es eigens darauf angekommen wäre, einen Sitz Märkischer Schlichtheit, in einen Sitz voll fürstlicher Pracht umzuwandeln. Griechische Handwerker, die Hans Adam von seinem Siegeszuge mit heimgebracht hatte, füllten das Schloß, das rasch emporwuchs, mit Reliefbildern und Sculpturen, und alle Hallen und Säle tru- gen Stuck-Ornamente, die bis in unsere Tage hinein, die Bewun- derung der Fremden wachzurufen pflegten. Alle Zimmer waren panellirt; die Wände der Bildergalerie aber glänzten bis hoch hinauf im Schmuck einer kostbaren Holzbekleidung, in deren Tafel- werk die großen, goldumrahmten Bilder kunstvoll eingelassen waren. Unter diesen Bildern befanden sich vor Allem die lebensgroßen Portraits Hans Adams und seiner Gemahlin — sie unter Blu- men, von ihren Kindern umspielt, er zu Roß, den Feldmarschalls- stab in der Rechten und die Füße bis zum Knie hinauf in schar- lachrothe Gamaschen gesteckt. Vieles von der Pracht jener Tage, ist durch Krieg und Brand hindurch, dem Tamseler Schloß bis diesen Tag erhalten geblieben. Jagd- und Blumenstücke, von der Hand Niederländischer Meister, hängen in halb erleuchteten Corridoren; die Boiserieen der Gemälde-Galerie blitzen wie in alter Zeit und die Scharlach-Gamaschen des Feldmarschalls mahnen noch immer an den Sturm von Ofen, wo knietief im Blute gewatet wurde. Nur die Stuck-Ornamente, die pausbackigen Engel, die in die Tuba blasen, und Mars und Minerva, die aufhorchen, als hätten sie solche Klänge nie vernommen, nur diese Decken-Reliefs erfreuen das Auge nicht länger — wegen ihrer Fährlichkeit von Fries und Decke losgelöst und bei Seite gethan, theilen sie das Schicksal des großen Schöning’schen Wappensteins, der früher die Front des Schlosses krönte und nun herabgenommen und in eine dunkle Ecke des Parkes gestellt, nur selten noch ein Auge findet, das sich durch ihn erinnern läßt an alte Zeit und alten Ruhm. Uns aber erinnert er daran und so erzählen wir denn zunächst die Geschichte Hans Adams, des Erbauers des Schlosses. 2 Hans Adam von Schöning. Kaum gebiet’ ich dem kochenden Blute; Gönn’ ich ihm die Ehre des Worts? Oder gehorch’ ich dem zürnenden Muthe? Schiller. H ans Adam von Schöning wurde am 1. October 1641 zu Tamsel geboren. Sein Vater (ebenfalls ein Hans Adam) war Rittmeister in brandenburgischen Diensten und hatte sich das Jahr vorher (1640) mit Marianne von Schapelow aus Wulkow ver- mählt. Die Schapelows waren damals ein reichbegütertes Geschlecht im Barnim und Lebusischen (das später Derfflingersche Gusow gehörte mit zu ihrem Besitz), und wenn einerseits das Vermögen , das durch diese Verbindung in die Schöningsche Familie kam, den Ankauf verschiedener Güter, darunter Tamsel, gestattete, so erwies es sich in der Folge für unsern Hans Adam von kaum geringerer Wichtigkeit, daß er durch die Schapelowsche Verwandtschaft mit den vornehmsten Familien des Landes verschwägert war. Derfflingers erste Frau war eine von Schapelow, muthmaßlich eine Schwester von unsres Schönings Mutter. Ueber die Art, wie Hans Adam seine ersten Jugendjahre im elterlichen Hause zubrachte, wissen wir nichts. 1658 ging er nach Wittenberg, um die Rechte zu studiren, 1659 nach Straßburg, 1660 nach Paris. Er hatte damit das begonnen, was wir jetzt als die „große Tour“ bezeichnen würden, den Besuch der Höfe und Hauptstädte des westlichen Europa. Nach längerem Verweilen in Paris, wo der Gesandte, Caspar von Blumenthal, seinen branden- burgischen Landsmann am Hofe Ludwigs XIV. einführte, begab er sich zunächst über Turin und Mailand nach Venedig, wo er den Carneval von 1661 mitmachte, besuchte im selben Jahre noch Rom, Neapel, Messina und Syracus, erschien im September 1662 vor dem Großmeister des Malteser Ordens auf Malta, bat um die gern gewährte Ehre, einen Streifzug gegen die Ungläubigen mit- machen zu dürfen, wandte sich dann nach glücklicher Rückkehr von Malta nach Spanien, von Spanien nach England und kehrte über Amsterdam und Hamburg, nach einer fünfjährigen Abwesenheit, in die märkische Heimath zurück. „Er betrat sie wieder, nachdem er — wie sein Biograph sich ausdrückt — alles gesehen hatte, was es damals Großes und Ausgezeichnetes in Europa gab: den üppi- gen Hof des prachtliebendsten Königs, die Kunstschätze Italiens, den Glanz der Fastnachtsspiele in Venedig, das ritterliche Treiben auf Malta, den Hof der Dorias, die Grandezza Spaniens und die junge Freiheit der Niederlande.“ Gleich nach seiner Rückkehr starb sein Vater (1665) und kaum 24 Jahr alt wurde Hans Adam Besitzer von Tamsel. Ich habe bei Aufzählung der Höfe und Hauptstädte, die er während eines Zeitraums von fünf Jahren besuchte, absichtlich länger verweilt, um daran einige Betrachtungen über die Erziehung junger Edelleute von damals und von heute zu knüpfen. Wir sind nur allzusehr geneigt, unsere jetzige Erziehungsmethode als etwas vergleichsweise ungemein Vorgeschrittenes und Zweckentsprechendes anzusehen, und doch möchte sich die Frage aufwerfen lassen: wie viel Familien haben wir zur Zeit im Brandenburgischen, die ge- neigt sein möchten, einen derartigen „Cursus“, eine fünfjährige Tour durch Europa, lediglich an die weltmännische Ausbildung ihrer Söhne zu setzen? Damals war ein derartiges „die hohe Schule Beziehen“ so allgemein, daß, um nur Ein Beispiel zu ge- ben, unser Hans Adam seinen Pariser Aufenthalt mit einem Aufenthalt in Orleans vertauschen mußte, „weil“, wie er nach Hause schrieb, „die Anwesenheit so vieler Deutschen in Paris, ihm an völliger Erlernung der französischen Sprache hinderlich sei“. Seit hundert Jahren ist bei uns „die Armee“ die hohe Schule für die Söhne unserer alten Familien geworden, und so unleugbar der große politische und nationale Fortschritt ist, der in 2* dieser Wandlung der Dinge liegt, so fraglich erscheint es doch, ob dem gegenwärtig Gültigen, auch nach der Seite der weltmännischen Bildung hin, der Vorzug gebührt. Jene edelmännische Erziehung, die Hans Adam von Schöning erhielt, erweiterte den Blick, wäh- rend unsere jetzige Ausbildung nur allzusehr geeignet ist, den Blick zu beschränken. Wie vorzüglich auch das sein mag, was daheim , es sei wo es sei, gehegt und gepflegt wird, die Isolirung hindert an der Wahrnehmung, ob inzwischen draußen nicht doch noch ein Vorzüglicheres entstanden ist. Wir haben diesen Fehler einmal in unserer Geschichte schwer gebüßt. Die Armee sollte nur die eine Hälfte unserer adeligen Erziehung sein, die andere Hälfte , nach Vorbild dessen, was früher Sitte war, sollte folgen . Der Ein- tritt aus des Vaters Edelhof in die Armee und der Rücktritt aus der Armee in den Edelhof — das genügt nicht mehr. Es ist dies einer der Punkte, wo das Bürgerthum den Adel, wenigstens den unsrigen, vielfach überholt hat. Aber wenden wir uns wieder unserem Schöning zu. — Bald nach seiner Rückkehr in die Heimath trat er in kurfürstlichen Dienst, vermählte sich (1670) mit einem Fräulein von Pöllnitz, avancirte rasch, wurde Rittmeister, Oberst, Gouverneur von Spandau und mit kaum 36 Jahren (1677) Generalmajor. Dieser seiner Ernen- nung waren aber bereits kriegerische Ereignisse, eine Campagne am Oberrhein gegen Turenne, wo ihm bei Erstürmung eines festen Platzes die drei äußern Finger der rechten Hand zerschmettert wur- den, die Verjagung der Schweden aus der Mark (Fehrbellin) Schöning war übrigens nicht mit bei Fehrbellin. Er befand sich bei den Fuß truppen, die, unter dem Oberbefehl General Görtzke’s, den Reiterregimentern nachrückten. und die Eroberung Stettins vorausgegangen. Hans Adam von Schöning war nun Generalmajor. Die bei- den ersten Akte des Krieges mit Schweden hatten ausgespielt. Die Marken waren befreit, Stettin erobert. Das folgende Jahr brachte gleiches Waffenglück. Rügen wurde besetzt und das feste Stralsund, das seit den Tagen Wallensteins für uneinnehmbar gegolten hatte, fiel, nach weniger als einer Woche, in die Hände des Kurfürsten. An allen diesen Waffenthaten nahm Hans Adam rühmlichen An- theil; wir folgen ihm aber bei keiner derselben, und begleiten ihn vielmehr auf dem weniger durch seine Resultate, als durch die glän- zende Art der Ausführung berühmt gewordenen „Winterfeldzuge in Preußen“. Dieser Winterfeldzug, wie er den Schlußakt des Schweden- kriegs bildet, gab auch Schöning zum ersten Male Gelegenheit, sich in hervorragender Weise geltend zu machen. Die Veranlassung zu dieser „Januarcampagne zwischen Pregel und Düna“ ist bekannt. Der schwedische General Horn war im November mit 16,000 Mann, von Curland her, in Ostpreußen eingefallen, hatte die festen Plätze weggenommen und bedrohte Königsberg. Die Nachricht von diesem Vordringen Horn’s, das nichts anderes war als eine klug berechnete Diversion, um die Brandenburger von ihrer Eroberung Pommerns abzuziehen, traf den Kurfürsten im December 1678. Sofort war es beschlossene Sache bei ihm, durch „einen raschen Ritt“ die Schweden ebenso aus Ostpreußen hinauszuwerfen, wie er, vier Jahre früher bei Fehrbellin, die Schweden aus der Mark hinausgeschlagen hatte. Wenn dieses letztere Unternehmen schon, und mit Recht, um seiner Kühnheit willen bewundert worden war, um wie viel mehr mußte dieses neue Kriegsabenteuer in Erstaunen setzen, das bei bitterer Kälte, in unwirthbare Gegenden hinein unternom- men wurde. Am 30. December brach der Kurfürst auf; am 10ten Januar 1679 war er in Marienwerder und nahm Musterung über das kleine Heer ab, das er so rasch von der Oder aus bis an die Weichsel geführt hatte. Die Schweden standen am Pregel, dicht vor Königsberg, das durch 3000 Brandenburger unter Ge- neral Görtzke vertheidigt wurde. Die Aufgabe, die sich der Kurfürst gestellt hatte, war ersicht- lich die: mit einer Hälfte seiner Truppen die Königsberger Be- satzung unter Görtzke zu verstärken, mit der andern Hälfte aber die Schweden zu umgehen. Dann sollte Görtzke von Königsberg aus angreifen, während der Kurfürst selbst dem Feinde den Rück- zug abschneiden und ihn auf einen Schlag vernichten wollte. Was indessen auf dem berühmten Ritte „vom Rhein bis an den Rhin“ möglich gewesen war, nämlich das Verschwiegenbleiben des Unternehmens, das erwies sich als unmöglich auf dem Wege von der Oder bis zur Weichsel: — es wurde nicht reiner Mund gehalten und die Schweden schlüpften aus dem Garn. An dem- selben Tage (10. Januar), an welchem der Kurfürst in Marien- werder musterte, erhielt er auch die Nachricht, daß die Schweden in vollem Rückzuge auf Tilsit seien. Die Falle hatte den Dienst versagt, noch ehe sie fertig war. Da es nicht mehr möglich war, die Feinde zu fangen , so galt es nunmehr, sie einzuholen . In Geschwindmärschen ging es bis Braunsberg und Heiligenbeil, dann — um Zeit zu sparen — in Schlitten über das frische Haff. Schon am 16. war man in Königsberg (hier schlossen sich Görtzke und die Seinen an) und nach eintägiger Rast, am 17., ging es in drei Abtheilungen den Schweden nach, die inzwischen in Tilsit Halt gemacht hatten. Die drei brandenburgischen Abthei- lungen bestanden aus einer äußersten „Spitze“ von tausend Mann, aus einer eigentlichen Avantgarde von dreitausend und aus einem Gros von etwa fünftausend Mann. Treffenfeld führte die Spitze, Görtzke die Avantgarde, Derfflinger und der Kurfürst selbst das Gros. Wie die Truppen zehn Tage früher das frische Haff passirt hatten, so jetzt das kurische zwischen Labiau und Gilge; aber die Nähe des Feindes erlaubte kein Schlittenfahren, und kampffertig, in Reih und Glied, ging es über das Eis. Die Schweden standen inzwischen nach wie vor bei Tilsit und schienen entschlossen, das preußische Gebiet nicht ohne Schwertstreich zu verlassen. So kam es zweimal zu einem blutigen Rencontre: am 20. bei Splitter, wo Treffenfeld, ähnlich wie bei Fehrbellin, der Held des Tages war; dann Tags darauf, am 21. bei Heidekrug, wo Görtzke die feindliche Arrièregarde angriff und halb vernichtete. Bis dahin war alle Ehre des Kampfes den beiden Avantgardeführern zugefallen; erst der weitere Verlauf des Kampfes führte auch Schöning auf die Bühne. Das Gefecht bei Heidekrug hatte über die Schweden entschie- den, und in schleunigem Rückzug ging es nördlich, durch die lit- thauischen Schneefelder hin, auf Riga zu. Die Frage für den Kurfürsten war, ob er den Rückzug ruhig gestatten, oder die Flie- henden verfolgend, einen gefährlichen Feind wo möglich vernichten sollte. Er entschied sich für das letztere. Die schwierige Aufgabe der Verfolgung, des Nacheilens durch verschneite Wüsteneien hin, fiel Schöning zu. Mit 1600 Reitern brach er auf. Diese beschei- dene Anzahl würde der schwedischen Armee gegenüber, die immer noch nach Tausenden zählte, sicherlich in eine sehr bedenkliche Lage (wie später wirklich geschah) gekommen sein, wenn nicht die verfolgenden Brandenburger in der litthauischen Bevölke- rung, die wenigstens damals aus geschworenen Feinden der Schwe- den bestand, einen kaum erwarteten Bundesgenossen gefunden hät- ten. Kälte und Bevölkerung schienen sich zu einer völligen Ver- nichtung der Schweden verschworen zu haben. Oberst Truchseß, den Schöning auf diesem Zuge mit einer Meldung an den in Königs- berg weilenden Kurfürsten zurückschickte, traf mit den Worten im Hauptquartier ein: „die Brandenburger hätten keine Wegweiser nöthig, um dem Feinde zu folgen, weil der ganze Weg mit todten Schweden bedeckt sei. Viele kommen vor Kälte um, aber die mei- sten fallen von den Händen der Landesbewohner; die litthauischen Bauern schlagen die Schweden mit Keulen todt und legen die Keulen alsdann auf den erschlagenen Körper.“ So war die Lage des schwedischen Heeres, dem Schöning folgte. Aber wir würden irren, wenn wir daraus den Schluß ziehen woll- ten, daß es ein Leichtes gewesen sei, einem solchen Gegner nachzu- ziehen. Das Nachziehen selbst, ganz abgesehen von Kampf und Krieg, war ein Schreckniß. Die Kälte stieg oft auf 26 Grad, vie- len erfroren ganze Gliedmaßen, niemand hatte Geld, und die we- nigen, die noch eine Münze in der Tasche hatten, konnten meist nichts dafür erstehen. So näherte man sich Telcze, einem Städt- chen etwa halbwegs zwischen Tilsit und Riga, und nur fünf Mei- len noch von der kurischen Grenze (damals schwedisch) entfernt. Hier beschloß Horn, der ohnehin mit Beschämung wahrgenommen haben mochte, daß der verfolgende Gegner um vieles schwächer war als er selbst, das Glück der Waffen noch einmal zu versuchen, und ziemlich unvermuthet, wie es scheint, sahen sich Schöning und seine Brandenburger plötzlich einem standhaltenden Gegner gegen- über, den man sich gewöhnt hatte, auf diesen Schneefeldern zu verfolgen, nicht zu bekämpfen. Vom Augenblick ab, wo sich Horn zu dem Entschluß eines Widerstandes aufraffte, war die Lage Schönings eine sehr bedrohte. Nichtsiegen war gleichbedeutend mit völligem Zugrundegehen. So kam es zum Gefecht bei Telcze. Horn hatte von seinen 16,000 noch etwa 3000 Mann und eine ziemliche Anzahl von Geschützen; Schöning, da die bittere Kälte viel Menschenleben gekostet hatte, verfügte über wenig mehr als 1200 Reiter und Dragoner. Die Aufstellung, die er nahm, war kurz folgende: die Reiterei in zwei Treffen, in Front des Feindes; die Dragoner, nachdem sie abgesessen, in ein links und rechts gelegenes Gehölz, um im entscheidenden Moment die Schwe- den in beiden Flanken nehmen zu können. Diese glückliche Terrain- benutzung entschied den Tag. Oberst von Dewitz (ein Schwieger- sohn Derfflingers) eröffnete den Angriff und warf einige Com- pagnien schwedischen Fußvolks über den Haufen; aber er drang nicht durch und die Gegner ihrerseits machten jetzt Miene, zum Angriff überzugehen. In diesem Augenblick ließ Schöning die Dragoner aufsitzen und brach von zwei Seiten her mit Ungestüm in die vorrückenden Schweden ein. Ein Gemetzel begann, da jeder instinktmäßig fühlte, daß fliehen verderblicher sei als fechten, und erst die hereinbrechende Nacht machte dem Kampf ein Ende. Keiner hatte ein Recht, sich den Sieg zuzuschreiben, aber die Schweden zogen sich in der Dunkelheit zurück und erklärten sich dadurch für geschlagen. Die Verluste waren auf beiden Seiten ungeheuer; die feindlichen Offiziere hatten, während des ganzen Kampfes, immer in langer Linie vor der Front ihrer eigenen Leute gefochten und vom schwedischen Leibregiment war alles todt oder verwundet. Auch Hans Adam war, an der Spitze seiner Dragoner, nur durch die Geistesgegenwart eines Rittmeisters gerettet worden, der einem schwedischen Reiter das Pistol aus der Hand schlug, das dieser eben auf Schöning abfeuern wollte. An den zwei folgenden Tagen ließ dieser durch kleine Streifcorps die Verfolgung der Schweden bis in die Nähe von Riga fortsetzen; dann trat er selbst den Rückzug an, um dem, wie schon erwähnt, in Königsberg zurück- gebliebenen Kurfürsten, wenige Trophäen nur, aber die schwerer wiegende Nachricht von der gänzlichen Auflösung des schwedischen Heeres zu bringen. Dieser glänzende Zug bis an die kurische Grenze, das erste Unternehmen, das Schöning in voller Selbstständigkeit ausgeführt hatte, hob sein Ansehen in den Augen des Kurfürsten, der ihm bereits so mannigfache Beweise seiner besondern Gunst gegeben hatte, und Hans Adam, der mit 36 Jahren zum Generalmajor ernannt worden war, wurde mit 42 Jahren Generallieutenant. Im selbigen Jahre (1684), nachdem er bis dahin das Amt eines Gouverneurs von Spandau bekleidet hatte, wurde er Gouverneur von Berlin, das damals, von fünf Ravelins und dreizehn Bastio- nen eingefaßt (nach Planen des alten Feldmarschalls Sparr), durchaus den Charakter einer Festung hatte. Wir verweilen aber nicht bei den Friedensjahren unseres Generallieutenants, sondern begleiten ihn nun auf seinem Tür- kenzuge , bis zur Erstürmung der Festung Ofen. Zwischen Kaiser und Kurfürst war ein Vertrag zu gegen- seitiger Hülfeleistung geschlossen worden, und in Gemäßheit dieses Vertrages sah sich der Kurfürst gezwungen, zu einem bevorstehen- den „Zuge gegen die Ungläubigen“, dessen Hauptzweck die Ein- nahme Ofens war, ein Hülfscorps von 8000 Mann zu stellen. Der Kurfürst sah sich „gezwungen“, diese Auxiliarmacht zu stellen; aber wir würden irren, wenn wir aus dieser Bezeichnung ableiten wollten, daß der Kurfürst nur einem Zwange nachgegeben und für die Besiegung des Christenfeindes kein Herz gehabt habe. Die Sache war einfach die, daß er seinem erschöpften, durch immer neue Kriege und neue Verwüstungen hindurchgegangenen Lande, vor allem den Frieden gönnte; jeder Krieg, auch der gebotenste und ruhmreichste, hinderte ihn am Auferbauen. Das lähmte seinen Eifer. Der protestantische Norden stand zu der Türkenfrage aller- dings anders, als der katholische Süden; ein bedrohtes Oesterreich (bedroht gleichviel von wem) erschien manchem lutherischen Herzen als gleichbedeutend mit Sicherung und Kräftigung des Protestan- tismus, aber weit über dieses Abwägen Einzelner hinaus, ging doch, als Grundstimmung , durch die ganze europäische Christen- heit das Doppelgefühl von Furcht und Haß gegen die Ungläubigen. Das siegreiche Vordringen der Türken bis vor die Thore Wiens (1683) war noch frisch im Gedächtniß und eine dunkle, im Volke fortlebende Erinnerung an die Tartarenhorden, die einst bis an die Oder hin alles verwüstet hatten, mochte, auch in den kurfürst- lichen Landen, wenigstens die Vorstellung einer möglichen Gefahr und den guten Willen, ihr vorzubeugen, wachgerufen haben. Als Ofen endlich gefallen war, weckte die Nachricht davon in ganz Europa ein Gefühl freudigen Dankes. Aus Rom wurde berichtet: „der Papst habe mit lauter Stimme und unter den Dankesthränen der Car- dinäle das Gebet verrichtet.“ Ueberall wurden Feste gefeiert (in Genua, Madrid, Brüssel ꝛc. drei Tage lang) und der Kurfürst schrieb, „daß er die vergnügte, für die gesammte Christenheit so importante Nachricht während des Gottesdienstes in Potsdam empfangen und dem Allerhöchsten für die Besiegung eines so blutdürstigen Feindes öffentlich gedankt habe.“ Man empfand die Abwendung einer Gefahr, die das Christenthum überhaupt bedroht hatte. Wenn dieses Gefühl schon im protestantischen Norden lebendig war, so stieg es in den katholischen Ländern Südeuropas bis zu einem Enthusiasmus, ähnlich dem, wie ihn die Kreuzzüge gesehen hatten. Von allen Seiten strömten Freiwillige auf den Kampfplatz, besonders aus Spanien. In Wien fanden sich diese Volontärs zusammen, darunter allein sechzig Catalonier, und wurden dem Stahrembergischen Regimente als eine eigene Truppe beigegeben. Astorga, ein Spanier, führte dieses Freiwilligencorps, das später vor Ofen mit höchster Auszeichnung focht und beinahe vollständig aufgerie- ben wurde. Gleich zu Anfang, bei einem der ersten Ausfälle der Türken, fielen der Herzog de Vecha, ein Grand von Spanien, und Karl Freiherr von Derfflinger, jüngster Sohn des Feldmarschalls, der, von einer Reise in Italien eben zurückkehrend, in die Astorga- sche Volontärcompagnie eingetreten war. Der Herzog von Vecha wurde in vollem Ornat, angethan mit dem Orden des goldenen Vließes, vor dem Zelte des Obergenerals, des Herzogs Karl von Lothringen, zur Schau gestellt. Windlichter umstanden den Sarg und alles drängte sich herbei, den Gefallenen zu sehen. — Karl von Derfflinger war derselbe, bei dessen Todesnachricht der alte Feldmar- schall die bekannten Worte: „Warum hat sich der Narr nicht besser in Acht genommen!“ gesprochen haben soll . Wilhelm von Oranien sagte nach der Schlacht an der Boyne, als ihm der Tod des Bischofs von Derry gemeldet wurde: „Ganz recht, warum war er auch, wo er nicht hin gehört!“ Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Wendung, etwas verändert, auf Derff- linger übertragen worden ist. Wir sind aber, in der Absicht den Geist zu schildern, der damals das christliche Europa durchwehte, Schöning weit voraus geeilt, den wir zunächst noch in Crossen, an der märkisch-schlesischen Grenze wieder finden, wohin von Ost und West her, aus Königs- berg und Cleve, die Truppen beordert waren, die nach dem Willen des Kurfürsten das brandenburgische Hülfscorps bilden sollten. Der Kurfürst selbst nahm am 17. April die Musterung ab. Ein Augenzeuge beschreibt die Truppen wie folgt: „Die Service war überaus kostbar und trachtete darinnen einer den andern zu über- treffen, indem sie etliche gar von Augsburg und andern Orten hatten bringen lassen. Die Infanterie war blau, die Artillerie braun, die Cavallerie, sowohl Reiter als Dragoner, in lederne Collette gekleidet. Zwei Soldaten bekamen ein Zelt und einen Strohsack (welch ein Train!), damit sie, wenn sie an einem Ort anlangten, nicht nach Holz oder Stroh laufen dürften. Die Unter- offiziere und Piquenire hatten Pistolen im Gürtel und die Derff- lingerschen Bataillone Kessel an der Seite; die Reiter und Dra- goner führten dabei noch Dolche.“ So waren die achttausend Brandenburger, die, durch Schlesien und den Jablunkapaß vor die Türkenfestung Ofen zogen, Hans Adam von Schöning als Oberstcommandirender, General von Barfus und General von der Marwitz als Nächste im Commando. Am 24. Juni trafen die Brandenburger vor Ofen ein, das bereits seit mehreren Wochen von einer Reichsarmee von über 90,000 Mann unter Führung des Herzogs von Lothringen be- lagert und durch 14,000 Janitscharen und Spahis, unter Ober- befehl von Abdurrahman Pascha vertheidigt wurde. Zwölfhundert Brandenburger, unter Befehl von General v. d. Marwitz, rückten sofort ohne allen Verzug in die Linie ein, avancirten unter dem lauten Beifall der ganzen alliirten Armee bis auf fünfzig Schritt an die Stadtmauer und stellten rechts und links ihre Verbindung mit den Kaiserlichen her. Die Festung war nun völlig cernirt; aber noch über zwei Monate vergingen bis zum letzten siegreichen Sturm, und während dieser Monate wurden, wie die Belagernden überhaupt, so auch namentlich die Brandenburger von immer wachsenden Verlusten betroffen. Der Minenkrieg kostete Opfer über Opfer und die zahlreichen Ausfälle der Türken wurden immer nur mit großem Verlust von Menschenleben zurückgeschlagen. Von den drei Grafen Dohna, die mit vor Ofen waren, fielen zwei, während der dritte, Graf Christoph, dessen Memoiren für die Ge- schichte jener Zeit und jener Belagerung so wichtig sind, verwun- det wurde. In Wahrheit traf das Sprüchwort zu, das damals in Curs kam: „Je näher dem Ofen, je näher der Hitze.“ Thaten größter persönlicher Tapferkeit geschahen von beiden Seiten. Lieute- nant von Wobeser, nachdem sein älterer Bruder, ein Capitain im Bataillon Prinz Philipp, von einem Spahi niedergesäbelt war, ging vor, um seinen Bruder zu rächen oder sein Schicksal zu theilen, und auf einen türkischen Anführer förmlich Jagd machend, zerschmetterte er ihm, im endlichen Zweikampf, mit einem Morgen- stern den Kopf. Der 17. August war der Tag, der über das Schicksal der Festung entschied. An diesem Tag erschien vor Ofen das große türkische Heer, 70,000 Mann stark, unter Führung des Groß- veziers, das die Aufgabe hatte, die hart bedrängte Festung zu entsetzen. Es kam zur Schlacht Angesichts der Belagerten, und das türkische Heer wurde geschlagen. Von diesem Augenblick an war die Einnahme der Festung nur noch eine Frage der Zeit. Am 2. September schritten die Christen zum Sturme. Achttausend Mann, zur Hälfte Kaiserliche, zur Hälfte Brandenburger, jene vom Herzog von Croy, diese vom General von Barfus geführt, bilde- ten die Sturmkolonne und drangen unwiderstehlich vor. Nachdem die Pallisaden erklettert waren, drang man in die Straßen der Stadt ein. Nur Türken und Juden hausten darin und alles wurde niedergemacht, leider auch Weiber und Kinder. Die Türken steckten weiße Fahnen aus, zum Zeichen, daß sie bereit seien sich zu ergeben, aber die Stürmenden rissen die Fahnen nieder und ließen alles über die Klinge springen. Vergebens mühte sich der Herzog von Lothringen, dem Gemetzel ein Ende zu machen; neun- tausend wurden erschlagen; ein Rest von Janitscharen, der sich in das feste Schloß gerettet hatte, capitulirte am andern Tage. Unter diesen (da sein Tod nicht gemeldet wird) befand sich muthmaßlich auch Abdurrhaman selbst, ein geborner Schweizer mit Namen Coigny. Schon während der Belagerung, war er von einem in die Stadt geschickten Parlamentäroffizier Namens Wattenwyl, als Landsmann erkannt worden. Auch die brandenburgischen Oberoffiziere waren, wie der Herzog von Lothringen, bemüht gewesen, dem Blutvergießen Ein- halt zu thun und hatten durch ihr Dazwischentreten gerettet, wo noch zu retten war. Aber nur in einzelnen Fällen war es ihnen geglückt. General von Barfus rief zwei Türken Pardon zu, welche wie Verzweifelte sich wehrten, und brachte sie dem Kurfürsten als die Tapfersten nach Berlin. Schöning dagegen hatte das Glück, zwei schöne Türkinnen, noch Kinder, den Händen der alles nieder- machenden Soldaten zu entreißen. Was aus dem älteren Mädchen geworden, entzieht sich unserer Kenntniß; die jüngere aber wurde, unter Beibehaltung ihres türkischen Namens, Fatime getauft und von Schöning, der sie mit nach Tamsel nahm, sorgfältig erzogen. Fatime kam später nach Warschau, wo sie eben so sehr durch ihre blendende Schönheit wie durch das romantische Interesse ihres Geschicks, aller Augen auf sich zog und ein Glanzpunkt der Gesell- schaft wurde. Unter ihren Bewerbern war auch König August, dem sie lange widerstand, bis sie endlich dem Grafen Rutowski das Leben gab. Fatime vermählte sich später in die Spiegelsche Familie; ihr Sohn Rutowski aber stieg bis zum sächsischen Feldmarschall und ist, wenn wir nicht irren, derselbe, der bei Ausbruch des siebenjährigen Kriegs gezwungen war, bei Pirna zu kapituliren. Wie Fatime in Polen und Sachsen, so spielte eine andere Türkin, Emmetah Uellah, fünfzig Jahre später in Preußen eine Rolle. Im Jahr 1766 kam der bekannte Lord Marshall, der letzte „Freund“ des Königs nach Potsdam und lebte in dem nach ihm genannten Hause in Sans- souci. Ihn begleitete seine Pflegetochter Emmetah Uellah, die Tochter eines Janitscharenhauptmanns, welche sein Bruder, der Feldmarschall Keith, im Jahre 1737 bei der Erstürmung der Festung Oczakow, vor sicherem Tode gerettet hatte. Emmetah Uellah („die Barmherzigkeit Gottes“) war eine auffallende Schönheit, sorglich von ihrem Pflegevater gebildet und in hohem Grade liebenswürdig. Schon 1747, als sie mit dem damals noch kaiserlich russischen Feldmarschall zum erstenmal nach Berlin kam, hatte sie allge- meines Aufsehen durch ihre eigenthümliche Schönheit und Lebhaftigkeit er- regt, dann auf den Gesandtschaftsreisen ihres Pflegevaters sich so vortheil- haft ausgebildet, daß sie mit ungezwungenstem Anstand die Honneurs des Hauses machen konnte. D’Alembert erzählt von ihr, Lord Marshall, ob- gleich schon im Greisenalter, habe eine leidenschaftliche Neigung für sie ge- faßt, sei aber nicht erhört worden. Emmetah erwiederte auf den Antrag des Lords: „Ich bin deine Sklavin, und du kannst mit mir schalten, wie du willst; aber du würdest mich sehr unglücklich machen, wenn du von dei- nem Rechte Gebrauch machen wolltest. Ich liebe dich wie eine zärtliche Tochter ihren Vater nur lieben kann, mehr aber verlange nicht von mir!“ Lord Marshall dachte viel zu edel, um der Unterwürfigkeit einer Sklavin zu verdanken, was die Liebe des Mädchens ihm versagte, und selbst die giftigste Zunge unter den Tischgenossen Friedrichs hat es nicht gewagt, das Verhältniß zwischen beiden zu verdächtigen. Der König, welcher nicht liebte, Frauenzimmern in Sanssouci zu begegnen, sah sie nur bei seinen Besuchen in Lord Marshalls Hause, wo sie in den ersten Jahren die lie- benswürdigste Wirthin zu machen wußte. Emmetah war wohl vorzüglich Doch wir kehren zu Schöning und dem Türkenkrieg zurück. — Die Beute, welche in Ofen gemacht wurde, war überaus groß. Namhafte Summen von Dukaten und Zechinen, so wie Edelsteine und orientalische Perlen fielen den Siegern in die Hände. Unter den fünfhundert großen Geschützen, die man eroberte, befand sich auch eine vierundzwanzigpfündige Schlange mit dem brandenburgi- schen Wappen, die nun dem Führer des brandenburgischen Hülfs- corps als Trophäe zurückgegeben wurde. Außerdem überbrachte Schöning dem Kurfürsten einen türkischen Roßschweif und ein paar tartarische Pauken, Siegeszeichen, die sich bis diese Stunde im Berliner Zeughause vorfinden. Der Rückmarsch ging wieder durch die Jablunka, und am 7. December trafen die Brandenburger wieder an der märkischen Grenze ein. Sie hatten unzweifelhaft mit großer Tapferkeit gefoch- ten (fast die Hälfte war vor Ofen geblieben; 30 Offiziere todt und 61 verwundet) und die Türken gaben deßhalb den brandenburgi- schen Soldaten nicht nur den Beinamen „Feuermänner“, sondern brachten auch das Sprüchwort in Umlauf: „der steht wie ein Brandenburger.“ Schöning aber, von seinem Landesherrn reichlich geehrt, empfing zugleich vom Kaiser Leopold mannigfache Beweise seiner Huld, darunter einen mit Diamanten besetzten Degen von großem Werth. Wir nähern uns nun jener Epoche im Leben unseres Hel- den, die durch einen kleinen, scheinbar geringfügigen Vorfall den Namen desselben ungleich bekannter gemacht hat, als aller Glanz seiner Siege zusammengenommen; ich meine seinen Streit mit General Barfus . Das Persönliche ist immer das Siegreiche. Die Schlachten und Belagerungen sind vergessen, oder doch halb vergessen, aber bis diesen Tag lebt im Barnim- und Küstrinschen die Veranlassung, daß Lord Marshall sich von den jungen Offizieren der Potsdamer Garnison gesucht und umgeben sah, die er dann für die spa- nische und englische Literatur, namentlich für den damals in Deutschland noch wenig bekannten Shakespeare zu interessiren suchte. das Sprüchwort fort: „Die hassen sich wie Schöning und Bar- fus.“ Wir wollen erzählen, wie es zu diesem Hasse kam. Schöning war ein Glückskind und hatte, freilich nicht ohne großes persönliches Verdienst, seine Carrière über die Köpfe anderer Leute hinweg gemacht. Er war sechs Jahre jünger als Barfus und doch ihm immer um sechs Jahre voraus; das ergab eine Differenz, oder, wenn man so will, eine Ungerechtigkeit von zwölf Jahren. Der einundfünfzigjährige Barfus hatte vor Ofen unter dem fünfundvierzigjährigen Schöning gestanden, und zu der natür- lichen Bitterkeit, die sich einfach schon aus diesen Zahlen ergeben konnte, mochte sich bei Barfus die Betrachtung gesellen, daß ihm die grobe Arbeit des Belagerns und sich Herumschlagens, dem Oberstcommandirenden das Vergnügen des Repräsentirens, des Dinirens im herzoglichen Zelt und schließlich die Entgegennahme eines mit Diamanten besetzten Degens zugefallen sei. Jetzt, dritte- halb Jahre später, im Sommer 1689, standen beide Generale ebenso am Rhein, wie sie damals an der Donau gestanden hatten, d. h. Schöning war abermals dem Barfus um einen Pas vor- aus, und wiewohl ein vorliegender Bericht aus jener Zeit eigens mit den Worten beginnt: „Es hat der Generallieutenant von Barfus dem General-Feldmarschall-Lieutenant von Schöning bis- her jedesmal den gebührenden Respekt gegeben“, so wagen wir doch, ohne das Gemeldete geradezu zu bestreiten, die Vermuthung, daß dem Barfus die „gebührenden Respektsbezeugungen“ in seinem Herzen sehr schwer geworden sind. Das Hauptkriegsereigniß im Sommer des genannten Jahres war die Belagerung des von den Franzosen besetzten Bonn. Ehe die Brandenburger unter des Kurfürsten und Schönings Führung dazu schreiten konnten, war ein Zurückdrängen der Franzosen aus den kleineren Plätzen, die in der Nähe von Bonn lagen, nöthig. Es kam dabei zum Gefecht bei Ordingen oder Uerdingen, das, von Schöning trefflich entworfen und von Barfus, der den rech- ten Flügel befehligte, mit vieler Bravour ausgeführt, dem Kur- fürsten Raum schaffte, Bonn enger und mit mehr Aussicht auf Erfolg zu umschließen. Die Belagerung hatte schon über zwei Monate gewährt (von Ende Juni an), als von Mainz her, das vom Herzog Karl von Lothringen belagert wurde, die Nachricht anlangte, daß ein fran- zösisches Entsatzheer heranrücke und eine Verstärkung des dortigen deutschen Belagerungsheeres dringend wünschenswerth mache. Bar- fus mit 6000 Brandenburgern wurde zu diesem Zweck von Bonn nach Mainz detachirt. Als er am 30. August vor dem Kurfürsten Friedrich III. (später König Friedrich I. ) erschien, um sich zu ver- abschieden, fand im Vorzimmer zwischen den beiden Generalen folgende Scene statt. Aehnliche Eifersüchteleien und ein entsprechender Grad von Ver- bitterung herrschte damals überhaupt in der brandenburgischen Armee, und Schöning, was neben manchem andern ihn entschuldigen mag, war all die Zeit über gereizt. Vielfach wurden ihm die Honneurs versagt, beson- ders seitdem Feldmarschall Schomberg bei der Armee war. Graf Dohna z. B., der — ein Anhänger Schombergs und ein Gegner Schönings — als Obristlieutenant bei den Grands Musquetaires stand, rief den Offi- zieren zu, als Schöning ihre Reihen passirte: „Meine Herren, daß Sie nicht grüßen ! Ich verbiete es Ihnen.“ Barfus fand den Schöning auf einem Stuhle sitzend, trat an ihn heran und meldete: „daß er mit dem detachirten Corps nach Mainz marschire, was er hiemit dem Herrn Feldmarschall-Lieutenant zu wissen thue.“ Hierauf gab Schöning, wie es im Berichte heißt, eine „choquante Antwort“ des Inhalts: „wie es ein Wunder wäre, daß ihm der Barfus endlich einmal die Civilität thäte und ihm die gebührende Meldung machte.“ Barfus, dieser choquan- ten Sprache begreiflicherweise choquant begegnend, antwortete schnell, „daß er die Meldung nur auf Befehl des Kurfürsten gemacht und sie sicher unterlassen haben würde, wenn er gewußt hätte, daß er einer solchen Antwort zu begegnen habe.“ Darauf Schöning: „auch ohne Befehl des Kurfürsten wäre die Meldung seine Schul- digkeit gewesen.“ Darauf trennte man sich. Aber diese Scene im Vorzimmer war nur Vorspiel. Barfus, 3 als er eben das Haus verlassen hatte, hörte sich von dem hinter ihm her eilenden Schöning angerufen, der ihn jetzt aufforderte, mit ihm auf die Seite zu treten. Barfus war dazu bereit; Schöning aber, statt bei Seite zu treten, stellte sich etwa hundert Schritte vor der Hauptwache auf und rief Barfus zu, er solle den Degen ziehen. Barfus durchschaute das Spiel, das offenbar darauf aus war, ihn Angesichts von Zeugen zu einer Insubordination, zu einem Angriff hinzureißen, und ließ bedächtig den Degen in der Scheide. Schöning aber wiederholte sein: „Zieht, Herr Gene- rallieutenant!“ und rief ihm endlich zu: „Der Teufel soll mich holen, wenn dieser Barfus das Herz hat, den Degen zu ziehen!“ Dabei schlug er zu gleicher Zeit dem Barfus den Stock aus der Hand, auf den sich dieser in vorgebogener Stellung während des ganzen Zwiegesprächs gestützt hatte. Barfus bückte sich, um den Stock wieder aufzuheben, und stieß dann mit dem spanischen Rohr nach Schöning, was dieser durch einen Stoß gegen des Gegners Hals erwiederte. Das war zu viel. Barfus fluchte: „Ei Sacra- ment!“ und zog seinen Degen. Schöning sah ihm lächelnd zu, und seine beiden Arme in einander geschlagen, rief er jetzt: „Haha, Monsieur zieht seinen Degen zuerst !“ und zog dann auch. Es sprangen aber andere Militärs dazwischen und die Streitenden wurden getrennt. Arrest folgte. Dieser Vorfall machte größeres Aufsehen als die ganze Be- lagerung von Bonn (die beiläufig am 2. Oktober mit Uebergabe der Festung endete) und führte neun Monate lang zu einem halb juristischen, halb diplomatischen Kampf, in dem sich die gegenüber- stehenden Parteien, die Schöning’sche und die Barfus’sche, in un- zähligen Briefen, Eingaben, Gutachten ꝛc. befehdeten. Aber die Partei Barfus war stärker. Die einflußreichsten Leute des Hofes, Danckelmann, Spanheim, Otto von Schwerin, alle nahmen, ent- weder weil die Sachlage oder der hochfahrende Charakter Schönings zu Gunsten Barfus sprach, die Partie des letzteren, und am 17. Juni 1690 erschien endlich folgendes kurfürstliches Rescript, das Schöning, ohne einem Rechtsspruch vorzugreifen, in ziemlich ungnädigen Worten aus dem brandenburgischen Dienst entließ: „Se. kurfürstliche Durchlaucht haben Sich unterthänigst referiren und in Dero Geheimen Rath vortragen lassen: was Dero würk- lich Geheimer Kriegsrath und General-Feldmarschall-Lieutenant, der von Schöningen, sub. dato Weißen-See bei Berlin den 11. Juni gehorsamst supplicirt und gebeten. Wohin denn S. K. Durch- laucht Sich dahin nochmalen in Gnaden erklären: daß Sie nicht unterlassen werden, in den zwischen gemeldetem Feldmarschall- Lieutenant und dem General-Lieutenant von Barfus entstandenen Mißhelligkeiten gebührende Justiz administriren und solche rechtlich untersuchen, erörtern und dediciren zu lassen. Daß aber S. K. Durchlaucht Dero General-Lieutenant des von Barfusen Person zu Dero Diensten bei Ihrer Armee indessen zu employiren resol- viret, dessen haben Se. kurfürstliche Durchlaucht sowohl wegen deren hohen Interesse und Diensten, als auch in Consideration seiner, des von Barfusen, bisher observirten unterthänigsten Con- duite und sonsten bewegende Ursachen gehabt und lassen es auch darbei nochmalen gnädigst bewenden, können Sich auch darunter von Niemanden Ziel noch Maaß setzen oder vorschreiben lassen. Sie wollen aber auch dem Feldmarschall von Schöning nicht wehren, sondern ihm vielmehr auch gnädigst erlauben, in einiger auswärtiger alliirter Potentaten Dienste, welche Deroselben und der guten Sache nicht zuwider sein, interimsweise zu treten, wenn er vorher dieselbe wird namhaft gemachet haben. — In- dessen wiederholen Sr. kurfürstliche Durchlaucht Dero früher er- gangene gnädigste Verordnung hiemit und befehlen dem General- Feldmarschall-Lieutenant von Schöning nochmalen gnädigst und ernstlichst: sich nicht allein dero hiesigen Residenzstädte zu enthal- ten, sondern auch aus bewegenden Ursachen, die so nahe daran gelegenen Oerter zu meiden und sich daselbst nicht ferner aufhalten oder finden zu lassen. Cölln a. d. Spree, den 17. Juni 1690. Friedrich . gegengez. Eberhardt v. Danckelmann.“ 3* Aus diesem Rescript (das wir dem nur als Manuscript exi- stirenden Werke: „Geschichtliche Nachrichten über die Familie von Schöning verdanken) geht unverkennbar hervor, daß, abgesehen vom Streite selbst und von der schwebenden Frage: wer hat Recht? General Barfus in allem, was folgte, klug genug war, sich nachgiebig gegen die kurfürstliche Autorität zu zeigen, während der bedeutendere, aber rechthaberische, überall anstoßende Schöning, den Kurfürsten und seine Umgebung durch die Art seiner Rechts- forderung verletzte. Während der Streit schwebte, hatte er, muth- maßlich bedeutet, die Residenz unter allen Umständen zu meiden, abwechselnd in Tamsel und Weißensee gelebt; jetzt, nachdem das oben mitgetheilte Rescript die Streitfrage praktisch zum Abschluß gebracht, verließ er die Heimath, die seinem Wirken und seinem Ehrgeiz keinen Schauplatz mehr bot, und am 9. April 1691 trat er als Feldmarschall in kursächsischen Dienst. Wir begleiten Hans Adam, der vom 2. September 1689 an bis zu seinem Eintritt in sächsischen Dienst, fast ausschließlich in Tamsel lebte, nun durch seine letzten Lebensschicksale. Mit äußeren Ehren gingen wachsende Kränkungen Hand in Hand. Schöning war nicht allein in sächsischen Dienst getreten; dreißig brandenburgische Offiziere waren ihm gefolgt und innerhalb der sächsischen Armee wurden nun ähnliche Empfindungen rege, wie vier Jahre zuvor im Brandenburgischen, als Feldmarschall Schom- berg, gefolgt von seinen Söhnen und andern französischen Re- fugiés, über die Köpfe der alten brandenburgischen Generale hin- weg (z. B. Derfflingers, der es auch sehr übel nahm) in die brandenburgische Armee eintrat. Hier wie dort glaubte man Ein- dringlinge vor sich zu haben und bittere Empfindungen griffen Platz. Neuerungen, die Schöning einzuführen Miene machte, mach- ten ihn vollends nicht beliebt, und er mochte von Glück sagen, daß ein Feldzug am Rhein, zu dem auch sächsische Truppen be- ordert wurden, die Gedanken der Unzufriedenen in andere Bah- nen lenkte. Aber von anderer Seite her kam größere und ernstere Ge- fahr. Die sächsischen Truppen im kaiserlichen Heere waren während der Rheincampagne 1691 herzlich schlecht gehalten, ja bei Gelegen- heit der Winterquartiere in einer Weise behandelt worden, daß es einer Beleidigung oder Mißachtung des Kurfürsten von Seiten des Wiener Hofes ziemlich nahe kam. Hiegegen lehnte sich Schö- ning, der seinem neuen Herrn in Ernst und Treue diente, energisch auf und drang in ihn, bei der kaiserlichen Armee nur das Reichs- contingent (3000 Mann) zu belassen. „Schöning“ — so erzählt Paul von Gundling in einem Manuscript, das der Berliner Bi- bliothek angehört — „handelte sehr sicher und war in seinen Re- den wider des Kaisers Majestät sehr frei. Dadurch wurde indessen seine Stellung gegen den Kaiser selbst sehr gefährlich, um so ge- fährlicher, als eben jetzt ein französischer Abgesandter, Namens Bidal, in Dresden eingetroffen war, der häufig mit dem Kurfür- sten und Schöning verhandelte. Der Minister Clary (österreichischer Gesandte) ermangelte nicht, über alles sehr übertriebene Berichte nach Wien zu erstatten.“ Kurz, man glaubte alsbald in Wien an ein sächsisch-franzö- sisches Bündniß, oder gab sich wenigstens das Ansehen, an ein sol- ches zu glauben, um, gestützt darauf, einen Coup ausführen und die unbequeme Gestalt Schönings vom sächsischen Hofe entfernen zu können. Schöning selbst hatte keine Ahnung von dem, was ihm drohte. Er reiste, seit längerer Zeit ernstlich am Podagra lei- dend, in die Bäder von Teplitz. Hier wurde er, auf den eben ge- schilderten Verdacht hin, von den Oesterreichern aufgehoben, ganz unter ähnlichen Umständen, wie sechszig Jahre früher Hans Georg von Arnim (ebenfalls ein Brandenburger und sächsischer Feldmar- schall) von den Schweden aufgehoben und nach Stockholm trans- portirt worden war. Ueber die Art der Aufhebung Schönings liegt uns folgender Bericht vor. — In der Nacht zum 23. Juni marschirte ein Offi- zier mit zweihundert Mann von Prag aus nach Teplitz, umstellte Schönings Wohnung, ließ ohne weiteres eine Salve geben, brach mit Gewalt in’s Haus ein und nahm den Feldmarschall gefangen, der, im bloßen Hemd aus dem Bett gesprungen, kaum Zeit ge- funden hatte, einen Schlafrock überzuwerfen. So, mit bloßen Fü- ßen, setzte man ihn in eine Kalesche, der Offizier und zwei Mann bei ihm, und fuhr im schnellsten Galopp der Festung Prag zu. Der Adjutant des Feldmarschalls, Major von Droste, jagte sofort dem Wagen nach und griff die schwache Bedeckung an. Als aber einer der Soldaten das Gewehr auf Schöning anlegte und diesen zu erschießen drohte, überließ Droste den Feldmarschall den Händen seiner Ueberwinder. Von Prag brachte man ihn nach dem Spiel- berg bei Brünn und führte dort sein Verhör. Man wollte einen zweiten Wallenstein aus ihm machen und hielt die Meinung auf- recht, daß er nicht ohne Absichten nach dem Reichscommando ge- strebt habe. Aber alle Bemühungen, ihn zu einem Hochverräther, zu einem „Verbrecher gegen die Interessen des Reichs“ zu machen, waren vergeblich. Sachsen war durch diesen eigenmächtigen Schritt auf’s schwerste beleidigt und zog zunächst die 3000 Mann zurück, die es als Reichscontingent gestellt hatte; alle Schritte aber, die Freilassung Schönings zu erwirken, blieben fruchtlos, bis endlich, nach zwei Jahren schmählicher Gefangenschaft, der Regierungsantritt Friedrich Augusts, (August der Starke, König von Polen) und die energi- schen Proteste desselben, Schöning die Freiheit wiedergaben. Um die Aussöhnung vollständiger zu machen, erschien jetzt der bis dahin ge- fangen Gehaltene vor Kaiser und Kaiserin zur Audienz, und da er eben damals schwer vom Podagra geplagt wurde, ward er in einem Sessel vor die beiden Majestäten getragen , ein Um- stand, der nicht ermangelte, in ganz Europa die größte Sensation hervorzurufen. Es war das viel Auszeichnung, auch namentlich wohl in den Augen Schönings, dessen Herz besonders empfänglich war für der- artige Huldigungen; aber die Süßigkeit solcher Stunden konnte doch nicht wiedergeben, was jahrelange Verbitterung dem Herzen genommen hatte. Gefeiert, aber krank und im Innersten gebrochen (sein Lieblingssohn war kurz zuvor gestorben), zog er in Dresden ein und die Gnadenbezeugungen Friedrich Augusts begleiteten nur noch einen Hinscheidenden. Er erkrankte; Podagra und Steinschmer- zen zehrten an seinem Leben, Carlsbad versagte den Dienst, und am 28. August 1696 schied er, matt und müde, aus dieser Welt der Zeitlichkeit. Seine Leiche ward einbalsamirt und in der Kreuz- kirche zu Dresden ausgestellt, dann aber am 25. November nach der Neumark übergeführt und am 4. December in der Kirche zu Tamsel beigesetzt. Dort ruht er noch jetzt in einem kupfernen Sarg, mit Gold reich verziert, ein Crucifix auf dem Deckel. Wir versuchen zum Schluß noch eine Schilderung Schönings, sowohl seiner äußern Erscheinung wie seines Charakters. Er war, namentlich dem Brustbilde nach zu schließen, dessen Original sich auf der Festung Königstein und, in Copie, in Händen der Schö- ning’schen Familie befindet, ein schöner Mann, in dessen Zügen sich Soldatisches und Hofmännisches, Strenge und Glätte, viel Selbst- bewußtsein und ein ironisches Lächeln über die Eitelkeiten dieser Welt in interessanter Weise mischten. In andern Porträts (z. B. auf einer Denkmünze, die gleich nach seinem Tode geprägt wurde, so wie ferner auf einem großen Reiterbilde im Tamseler Schloß) tritt das streng Militärische beinahe ausschließlich hervor; doch ist es fraglich, ob letzteren Bildnissen die Bedeutung von Porträts beigemessen werden darf, oder ob sie nicht vielmehr jenen bloßen Ruhmes- und Ehrenbildnissen zuzurechnen sind, die nach dem Tode eines berühmten Mannes auf gut Glück hin angefertigt wurden, viel mehr in der Absicht, ihn durch bildliche Darstellung, gleichviel wie, überhaupt zu feiern, als durch correkte Wiedergabe seiner Züge seinem äußern Menschen gerecht zu werden. Uns von Schönings Charakter ein Bild zu entwerfen, ist nicht eben schwer, wenn wir den Berichten über ihn, die in ziem- licher Anzahl auf uns gekommen sind, unbedingten Glauben schen- ken wollen. Es bleibt aber doch fraglich, ob diesen Schilderungen, trotz des Uebereinstimmenden, das sie haben, in allen Stücken zu trauen ist. Alle Mittheilungen über ihn rühren nämlich von seinen Gegnern her, und man würde die Pflicht haben, mit Rücksicht auf diesen Umstand die höchste Vorsicht walten zu lassen, wenn nicht andererseits die Erwägung, daß alle Berichte nur eben deßhalb von lauter Gegnern herrühren, weil er nur Gegner hatte , uns nothwendig darauf hin verwiese, daß etwas entschieden Un- liebenswürdiges in seiner Natur gelebt haben und die Quelle aller dieser Gegnerschaften geworden sein muß. Barfus, die Schombergs (Vater und Sohn), Danckelmann, Grumbkow (der Vater des be- kannten), Otto von Schwerin, Graf Christoph Dohna, alle waren gegen ihn, und die Memoiren des letzteren, wenn wir Gutes und Böses, das sie erzählen, zusammenfassen, schildern ihn als einen begabten Feldherrn voll Muth, Umblick und Geistesgegenwart, aber zugleich auch als einen anmaßenden und habsüchtigen Mann, von spöttischem und zweideutigem Wesen. Seiner geistigen Ueber- legenheit sich bewußt, behandelte er, was unter ihm stand, mit Härte, und was neben ihm stand, mit Geringschätzung. Diese Schilderung wird im Wesentlichen richtig sein. Sein Streit mit General Barfus, den wir oben ausführlicher erzählt haben, zeigt ihn uns ganz von dieser Seite. Auch Barfus wird seinerseits, in den Pöllnitz’schen Memoiren, ebenfalls „auffahrend, halsstarrig und hochmüthig“ genannt; aber eine Reihenfolge von Umständen spricht dafür, daß Schöning in allem, was Dünkel und Hochmuth anging, wenigstens ein potenzirter Barfus war. Schö- ning war wie Barfus und Barfus war wie Schöning, aber der letztere hatte von allem, vielleicht auch vom Guten, sicherlich an Talent, ein voller geschüttelt und gerüttelt Maaß. Mit Barfus, trotz seines auffahrenden Wesens und seiner Halsstarrigkeit, war es immerhin möglich, in Ruh und Frieden zu leben, wenigstens fehlt es an Berichten, die zu entgegengesetzter Ansicht zwängen; mit Schöning aber erschien überall der Unfriede und die Gekränkten und Beeinträchtigten wichen ihm entweder aus, d. h. quittirten den Dienst, oder forderten ihn zum Duell. Zum Theil freilich waren die schiefen Stellungen, in die er be- ständig gerieth, unverschuldet. General von Promnitz wollte sich mit ihm schießen, weil Schöning statt seiner das Commando zur Verfolgung Horns erhalten hatte, und General Beauvais d’Espagne nahm 1687 den Ab- schied, „weil er es nicht ertragen konnte, daß man dem General Schöning, der nach dem ungarischen Feldzug ein Liebling des großen Kurfürsten ge- worden war, den Vorzug einräumte.“ Auch dem Kurfürsten (Friedrich III. ) gegenüber verdarb er es, während der Barfusstreit noch schwebte, durch seinen anmaßenden Ton. Er mußte Recht haben, er war ja Schöning ; in diesem Sinne stellte er seine An- träge, und dies war es, was ihn endlich stürzte, nachdem er sich längst um alle Sympathien gebracht hatte. So weit nehmen wir nicht Anstand, in die Angriffe seiner Feinde (auch den Vorwurf der Habsucht abzuweisen, möchte schwer sein) mit einzustimmen; aber wenn wir auch die Schatten, die sein Charakter aufweist, weder leugnen noch sie verringern wollen, so können wir ihm doch dadurch gerecht werden, daß wir seine Lichtseiten mehr hervortreten lassen, als seine befangenen Zeitge- nossen es konnten oder wollten. Schöning hatte keine Freunde unter denen, die ihm gleich standen, aber diejenigen, die über ihm standen, und zwar je höher je mehr, diese zeichneten ihn aus und gaben ihm die Beweise eines besonderen Vertrauens. Kurfürst Friedrich III. war zu unselbstständig, zu unkriegerisch, trotz seiner Kriege, und persönlich zu leicht verletzbar, um über die Vorzüge Schönings die Schwächen desselben vergessen zu können; der große Kurfürst aber und Friedrich August der Starke bewiesen ihm dauernd ihre Werthschätzung und ihre Huld. Seine Stellung, zu- mal zum großen Kurfürsten, erinnert an das Verhältniß, das Win- terfeldt, siebzig Jahre später, zum großen König einnahm. Auch Winterfeldt erkaufte die Liebe Eines durch den Haß Vieler. Die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben wurden, waren zum Theil die- selben: Hochmuth, Herrschsucht, Zweideutigkeit; nur der Habsucht wagte man ihn nicht zu bezüchtigen. Schöning wurde mit 37 Jah- ren General, mit 48 Jahren Feldmarschall; diese beiden Angaben genügen, um zu zeigen, was er war. Zwei Höfe, der brandenbur- gische und der sächsische, wetteiferten in Anerkennung seines militä- rischen Verdienstes. Dieses Verdienst war unbestreitbar da, aber freilich, der Stolz über seine Gaben verdunkelte diese, oder machte die Welt unwillig, da anzuerkennen, wo die höchste Selbsts chätzung nichts mehr zu schätzen übrig ließ. Er war seiner Umgebung überlegen, namentlich weltmännisch, aber sein spöttischer Mund verrieth zu viel davon und brachte ihn um die beste Frucht des Lebens, die Liebe der Menschen . In wenigen Herzen hat er sich eine Stätte gebaut, nur die Tamseler Fischer haben ihm eine poetisch-phantastische Erinnerung bewahrt bis diesen Tag. Wie Derfflinger in Gusow und der alte Sparr in Prenden, so lebt Schöning in Tamsel als ein „Zauberer“ fort, und sie erzählen daselbst von ihm (ohne Fichten geht es nicht ab in brandenburgischer Sage), er sei an der Spitze eines märkischen Fichtenwaldes vor die Türkenfestung Ofen gerückt, habe durch einen Zauberspruch all seine Fichten in baumhohe Pickeniere verwandelt und dann, wie der Birnamwald vor Schloß Dunsinan, die Tür- kenfestung gestürmt. — In den zwanziger Jahren dieses Jahrhun- derts lebte das alles noch in einem Volkslied , das die Tamseler Fischer zu singen pflegten; nun ist das Lied verklungen und nur noch die Sage geht von Mund zu Mund. Kronprinz Friedrich und Frau v. Wreech. In edlem Zorn erhebe dich, blick’ auf, Beschäme, strafe den unwürdigen Zweifel. Schiller. Nach des Feldmarschalls Tode fiel Tamsel an den einzigen Sohn desselben, der muthmaßlich schon bei Lebzeiten des Vaters, die Verwaltung der Familiengüter übernommen hatte. Aber das schöne Schloß, das die Hand Griechischer Künstler geschmückt hatte, schien kein Glück, keine Fülle des Lebens für alle diejenigen zu beher- bergen, die den Namen Schöning führten, und kaum anderthalb Jahrzehnte nach dem Tode des berühmten Vaters, folgte ihm der unberühmte Sohn in die Gruft. Dieser Sohn war der letzte Schöning der Linie Tamsel. Er hinterließ nur eine einzige Tochter Louise Eleonore, die, damals ein Kind noch, unter Vormundschaft ihrer Mutter, die reiche Erb- schaft antrat. Louise Eleonore war mit 4 Jahren die Erbin von Tamsel und mit 14 Jahren die Gemahlin des Obersten Adam Friedrich v. Wreech . Sie war 7 Jahre mit diesem vermählt, also 21 Jahre alt, als der damals neunzehnjährige Kronprinz Friedrich , muthmaßlich in den letzten Tagen des August 1731 (bis dahin hatte er die Festung Küstrin nicht verlassen dürfen) seinen ersten Besuch in Tamsel machte. Es ist bekannt, daß der Prinz diesem ersten Besuche weitere Besuche folgen ließ und alsbald ein intimes Verhältniß mit der schönen Frau v. Wreech anknüpfte, das bis in die letzten Tage seines Küstriner Aufenthaltes hinein, also bis Ende Februar 1732, fortgesetzt wurde. Die Frage drängt sich auf, welcher Art waren diese Be- ziehungen? War es ein intimes Freundschaftsverhältniß, oder war es ein anderes? Die Anschauungen, die bis jetzt darüber gegolten haben, waren dem guten Rufe der schönen Frau nicht allzu gün- stig; verschiedene eigenhändige Briefe jedoch, die der Kronprinz eben damals an Frau v. Wreech richtete und deren Inhalt, ja deren Existenz erst in neuester Zeit bekannt geworden ist, werden vielleicht im Stande sein, die gäng und geben Ansichten über die- sen Punkt wesentlich zu modificiren. Diese an Frau v. Wreech gerichteten Briefe, die sich jetzt im Besitz einer Urenkelin derselben befinden, wurden von der letzteren Dame, in ihrem von der Groß- mutter auf sie vererbten Berliner Hause, zufällig aufgefunden, als ihr, beim Ordnen von Papieren, ein ziemlich vergilbtes Packet mit der kurzen Bezeichnung: „Papiers concernant la famille de Wreich“ in die Hände fiel. Ein zweiter Umschlag führte die Auf- schrift: „Lettres et vers de certain grand Prince,“ woran sich, wie zu bestimmterer Bezeichnung des Inhalts, die Worte reihten: „Lettres de Fréderic II. (comme Prince royal) à Mad. de Schoening et à sa fille Mad. de Wreich.“ Diese Briefe sind auf gewöhnlichem grobem Schreibpapier und oft bis an den untersten Rand hin voll geschrieben; die Li- nien sind krumm, die Orthographie höchst mangelhaft und die meisten leider nicht datirt; nur einer trägt das völlige Datum und zwar den 5. September 1731. Doch ergiebt sich aus dem Inhalt der Briefe mit Bestimmtheit, daß sie zwischen Ende August 1731 und Ende Februar 1732 geschrieben sein müssen. Die Bedeutung dieser Briefe ist eine doppelte. Sie werfen, wie schon angedeutet, nach meiner Meinung ein ganz bestimm- tes und ein sehr vortheilhaftes Licht auf die Art des Verhält- nisses, das zwischen dem Kronprinzen und Frau v. Wreech be- stand; sollten aber die traditionell gewordenen Anschauungen über dies Verhältniß durch den Inhalt dieser Briefe nicht erschüttert werden, so werden die letzteren doch unter allen Umständen das Gute haben, an die Stelle bloßer Ueberschriften, einen verhältniß- mäßigen Reichthum von Details und an die Stelle des blassen Allgemeinen, bestimmtere Farben und plastischere Gestaltung gesetzt zu haben. Denn die „Frau v. Wreech-Literatur“ (wenn man diesen Ausdruck gestatten will) war bisher eine ziemlich kümmerliche, und die Zusammenstellung alles dessen, was man wußte, hatte auf einem Quartblatt Platz. Es waren eigentlich nur zwei Brief-Ci- tate, von denen das eine Citat einem Briefe des Grafen Schu- lenburg (wenn ich nicht irre, an Grumbkow), das andere Citat einem Briefe Grumbkows an Seckendorf entnommen war. Beide Citate unterschieden sich von einander dadurch, daß sich das eine mit der Persönlichkeit der Frau v. Wreech, das andere mit der Art ihres Verhältnisses zum Kronprinzen beschäftigte; aber beide Briefstellen waren äußerst aphoristisch, und während Schulenburg meldete: „Frau v. Wreech sei sehr schön und habe einen Rosen- und Lilien-Teint,“ sprach Grumbkow von einer „starken amour ,“ in die der Prinz verfallen sei, und fügte einige derbe Worte hin- zu, die der König, gewissermaßen in Billigung und Gutheißung des Verhältnisses, geäußert haben sollte. Dies ist Alles. Wohl sprechen die diplomatischen Klatsch-Briefe, die damals mit wichtig- ster Miene hin- und hergeschrieben wurden, von allerhand „De- bauchen,“ in die der Prinz verfallen sei, dieser Ausdruck aber be- zieht sich ersichtlich nur auf sein Küstriner Leben und nicht auf seine Tamseler Besuche. Ja, ich möchte weiter gehen und die Be- hauptung wagen, daß Tamsel damals die Kehrseite, der Gegen- satz von dem Küstriner Leben gewesen sei, ganz geeignet, durch Sitte, Feinheit und Anstand ein Leben wieder zu reguliren, das solcher Regulatoren allerdings dringend bedürftig war. Auch wir heute, gestützt auf die Briefe des Kronprinzen, be- schäftigen uns zunächst mit der Persönlichkeit und dem Cha- rakter der Frau v. Wreech. Haben wir diese beiden festgestellt, so haben wir, anderer Aufklärungen zu geschweigen, bereits viel ge- wonnen; denn die Handlungen der Menschen sind im Einklang mit ihrem Sein. „Ein Teint wie Lilien und Rosen“ schreibt Schulenburg und stellt durch diese wenigen Worte, das Bild einer schönen Blondine vor uns hin, jung, heiter, blendend, von gefälligen Formen. Aber die Briefe des Kronprinzen geben uns mehr: sie beleben, sie durch- geistigen die schöne Gestalt. Frau v. Wreech scheint sich Ausgangs November 1731, während der Vermählungstage der Prinzessin Wilhelmine in Berlin, mit bei Hofe befunden zu haben, und wäh- rend dieser Tage ist es, daß der Kronprinz sich niedersetzt, um an Frau v. Schöning, die Mutter der Frau v. Wreech, zu schreiben. „Madame, so heißt es in diesem Briefe, ich habe das Vergnügen gehabt Ihre Frau Tochter in Berlin zu sehen. Ich sah sie, aber so flüchtig, daß ich kaum Gelegenheit fand, ihr guten Tag und guten Weg zu wünschen. Dennoch, so kurze Zeit ich sie sah, konnte mir es nicht entgehen, wie sehr sie sich vor allen anderen Damen des Hofes auszeichnete, und obschon ein ganzer Haufe von Prinzessinnen ( une foule de princesses ) zugegen war, die an Glanz sie übertrafen, so verdunkelte Ihre Frau Tochter doch alle durch Schönheit und majestätische Miene, durch Haltung und feine Sitte. Ich war wirklich in einer Tantalus-Lage, immer versucht zu einer so göttlichen Person ( à une si divine personne ) zu sprechen, und nichts desto weniger zum Schweigen verpflichtet. Ihre Schönheit feierte schließlich einen völligen Triumph und al- les am Hofe kam überein, daß Frau v. Wreich den Preis der Schönheit und feinen Sitte davontrage. Diese Worte müssen Ih- nen wohlthun, da Sie dieser liebenswürdigsten aller Frauen so nahe stehen. Aber seien Sie versichert, Madame, daß Ihre Theil- nahme an diesem Allem nicht lebhafter sein kann, als meine eigene, der ich Alles liebe, was dieser liebenswürdigen Familie zugehört, und immer bin und sein werde Ihr ergebenster Freund, Neffe und Diener Friedrich .“ Wenn uns dieser Brief von der Feinheit und Grazie der schönen Frau erzählt, so erzählt uns ein anderer Brief von dem Respect , den ihre Gegenwart einzuflößen verstand. Der Kron- prinz schreibt unterm 5. September 1731 an Frau v. Wreech selber: „Ich würde die härteste Strafe verdienen, in Ihrer Ge- genwart eine betise wie die gestrige begangen zu haben, wenn ich nicht Entschuldigungen hätte, die glaub ich (einigermaßen) stich- haltig sind. Der Graf sagte wirklich Dinge, die mir ganz und gar nicht gefielen, Dinge, deren rasche und ruhige Verdauung über meine Kräfte ging. Dennoch hab’ ich nur allzu guten Grund, Ihre Verzeihung für mein albernes Betragen nachzusuchen. Sie werden mir erlauben, meinen letzten Besuch durch einen anderen wieder gut zu machen, wo ich versuchen will, wenn’s möglich ist, den Eindruck meiner gestrigen Thorheit zu verwischen.“ So am 5. September. Aber die aufgefundenen Briefe fügen dem Bilde weitere Züge hinzu und wir sehen Frau v. Wreech nicht nur im Besitz von Jugend, Schönheit und einer Respect er- zwingenden Haltung, — wir gewinnen auch einen leisen Einblick in ihre geistige Begabung und in die Liebenswürdigkeit ihres Cha- rakters. Am 20. Februar 1732 schreibt der Kronprinz: „Ich würde sehr undankbar sein, wenn ich Ihnen nicht mei- nen Dank darüber aussprechen wollte, einmal, daß Sie überhaupt nach Tamsel kamen und dann, daß Sie mir die reizenden Verse überreichten, die Sie für mich gemacht hatten. Ich hätte mich einer Sünde schuldig zu machen geglaubt, wenn ich die Verse gleich gelesen und dadurch, wenn auch nur auf einen Augenblick, mich um den Zauber Ihrer Unterhaltung gebracht hätte. Gestern, in abendlicher Einsamkeit, fand ich Gelegenheit, Alles in ungestör- tester Muße zu lesen und zu bewundern. Da haben Sie meine Kritik. Alles, was von Ihnen kommt, entzückt mich durch Geist und Grazie. Doch genug, — ich breche ab, seh ich Sie im Geiste doch ohnehin erröthen . Ihrer Bescheidenheit aber jedes wei- tere Verlegenwerden zu ersparen und zugleich von dem Wunsche geleitet, Ihnen einen neuen Beweis meines blinden Gehorsams zu geben, schicke ich Ihnen, was Sie von mir gefordert haben.“ Das, was der Prinz schickt, was Frau v. Wreech von ihm gefordert hat, ist sein Portrait , und er begleitet dasselbe mit einem Abschieds-Sonett, dessen Liebesgeständniß, eben weil es Ab- schiedszeilen sind, vielleicht ein gut Theil ernsthafter zu nehmen ist, als alle die andern gereimten Huldigungen, auf die ich später zu- rückkomme. Das Sonett lautet: Als mein Gesandter soll mein Bild dich grüßen, Und des Gesandten Dollmetsch sei dies Lied, Was ich zu sagen Dir bisher vermied, Ich sag’ es nun: Ich liege Dir zu Füßen. Ich trage Fesseln, aber jene süßen, Von denen nie ein Herz freiwillig schied, — Mit jedem Ringe, jedem neuen Glied Wächst nur die Lust zu tragen und zu büßen. Doch halt, o Lied, verrathe nicht zu viel, Verberge lieber hinter heitrem Spiel Den Schmerz des Abschieds und des Herzens Wunde; Verberge Deiner Wünsche liebstes Ziel, Verschweige, daß nur Eine Dir gefiel, Um die du sterben möchtest jede Stunde. Ich habe die Uebersetzung dieses Sonetts mit gutem Vor- bedacht hierher gestellt, weil es mir, ganz abgesehen von seinem Inhalt oder seinem Werth oder Unwerth, ganz einfach in seiner Eigenschaft als etwas Gereimtes oder Gedichtetes, einen passenden Uebergang zu dem zu machen scheint, was ich zunächst noch zu sagen haben werde. Nachdem ich nämlich bis hierher bemüht gewesen bin, das Bild der Frau v. Wreech zu zeichnen, drängt sich nun zweitens wieder die bis hieher zurückgewiesene Frage auf: Wie standen der Kronprinz und die Besitzerin von Schloß Tamsel zu einander? Wie eng oder wie weit waren die Grenzen ihrer Intimität ge- zogen? Die Antwort, die ich auf diese Frage habe, weicht, wie schon angedeutet, durchaus ab von der üblichen Anschauung. Es stehen die Grumbkow’schen Klatschereien und die eigenhändigen Briefe des Kronprinzen ziemlich diametral einander gegenüber, und die vor- sichtigste Prüfung dieser Briefe, selbst ein argwöhnisches Suchen und Lesen zwischen den Zeilen, hat mir schließlich nur um so fe- ster die Ueberzeugung verschafft, daß das Ganze die Huldigung eines etwas verliebten, poetisirenden jungen Prinzen war, — eine Huldigung, die, mal leichter mal leidenschaftlicher auftretend, von Frau von Wreech halb als eine Zerstreuung, eine Ehre, eine Schmeichelei, aber halb auch als eine Last entgegen genommen wurde. Dem entsprechend war denn auch wohl das Verhältniß, das zwischen Frau von Wreech und Kronprinz Friedrich, diesem glän- zenden Typus eines jungen poetisirenden Berliners, ins Leben trat. Die blendende Schönheit, der sinnliche Reiz der jungen Frau gaben diesen Beziehungen im Laufe der Wochen und Monate eine andere Färbung; es kamen leidenschaftliche Stunden, aber sie kamen doch nur wie Anfälle und ließen im Wesentlichen das auf ästhetischen Interessen aufgeführte Verhältniß fortbestehen. Es war das geistreiche Bedürfniß , das immer wieder nach Tamsel hindrängte; der Esprit der Küstriner Garnisons-Offiziere reichte nicht aus, ihr Verständniß für Verse war vollends zweifelhaft, und so sehen wir denn die Correspondenz nach Tamsel hin nicht nur von zahlreichen Poetereien, wie Oden, Stanzen, Hymnen, Sonetten ꝛc., beständig begleitet, sondern auch die Briefe selbst, zumal den vorletzten, in jener halb ironischen, halb humoristischen Weise abgefaßt, die sich immer da einstellt, wo junge Männer dem Zuge nicht widerstehen können, jeden Brief auch zugleich als eine kleine literarische That, als eine Anhäufung origineller Gedanken, oder als eine witzig-geistvolle Beschreibung in die Welt zu senden. Den ersten Brief des Kronprinzen, der übrigens in esprit- voller Weise die Correspondenz eröffnet, übergeh’ ich hier; ich be- ginne mit dem zweiten, worin der junge Poet, dem nichts so sehr am Herzen liegt, als das Schicksal seiner Verse, unverkennbar hervortritt. „Madame, so schreibt er, die Heuschrecken, die das Land ver- wüsten, haben die Rücksicht genommen, Ihre Besitzungen und Län- dereien zu verschonen. Ein zahlloses Heer viel schlimmerer und ge- fährlicherer Insekten indeß steht auf dem Punkt, sich bei Ihnen niederzulassen, und nicht zufrieden damit, das Land zu zerstören, haben diese Geflügelten die Dreistigkeit, Sie persönlich und in 4 Ihrem eigenen Schlosse zu überfallen. Diese Geflügelten führen den Namen Verse , sind Sechsfüßler, haben scharfe Zähne und einen langgestreckten Körper, dazu eine gewisse Kadenz, die genau genommen ihr Grundprincip ist und ihnen das Leben giebt. Es ist eine böse Race, jüngst vom Parnaß angekommen, wo sie der gute Geschmack nicht länger dulden wollte. Ein gleiches Schicksal wird ihrer in Tamsel harren. Wie immer dem sein möge, ich freue mich, daß Apollo sich aufgerafft hat, um seinen Musenberg von der Spreu der unächten Poeten zu säubern. Sein Staub- besen hat gründlich aufgeräumt. Ich selbst freilich bin unter den zumeist Getroffenen, aber ich verzeihe alles, verzeihe es um so lie- ber, als ich sehr wohl weiß, daß überall da, wo das Böse seine Strafe, auch das Gute seinen Lohn erhält. Sie, Madame, wer- den diesen Lohn empfangen und ich bitte Sie dann um Ihr aller- gnädigstes Fürwort. Sagen Sie dem Apoll, daß er als Direc- teur der Künste und Wissenschaften eigentlich doch zu grob operirt und mich kaum noch als einen Mann von Ehre behandelt habe. Bitte, sagen Sie ihm ferner, daß es eigentlich nur ein Mittel gäbe, solche Züchtigungen und Backenstreiche erträglich zu machen, nämlich die Stiftung eines Ordens vom schlechten Reim . Willigt er darin, so kann er uns von da ab treffen, wie er will, wir werden es ruhig und dankbar hinnehmen — Ritter , die wir dann sind.“ So der Brief. Der Kronprinz hat in den ersten Zeilen des- selben ein ganzes Heer von Versen angekündigt, Sechsfüßler mit scharfen Zähnen und langgestrecktem Körper, und diese Verse, die dem Briefe beiliegen, so wie andere, die folgten, beschäftigen uns jetzt. Alle diese Verse theilen sich in zwei Gruppen, in solche, die in directer Huldigung gegen die schöne Frau geschrieben, und solche, die ihr bloß zur Kritik, muthmaßlich zur mildestdenkbaren, vorgelegt wurden. Eine Ode , an Frau von Wreech gerichtet, eröffnet den Rei- gen. Man muß es damals mit den Gattungs-Eintheilungen und den demgemäßen Ueberschriften nicht sehr genau genommen haben, denn die Zeilen verhalten sich zu dem Schwung einer wirklichen Ode etwa wie sich Kotzebues „armer Poet“ zum Goetheschen Tasso verhält. Der Prinz erklärt, daß er Frau von Wreech liebe und ver- ehre; daß es freilich Menschen gäbe, die da meinten, Liebe sei eine Schwäche, daß er für sein Theil aber die schwachen Herzen angenehmer fände, als die Herzen von Stein. In der Mitte der sogenannten Ode, bei deren Uebertragung ich übrigens, wie auch bei den folgenden Stücken, die im Ausdrucke prosaischsten Stellen we- sentlich gemildert habe, heißt es in leidlich wohlgesetzten Alexandrinern: Hab’ ich zu viel gesagt und ging mein Lied zu weit, So wiss’, in Bangen nur übt’ ich Verwegenheit, So denke, daß ich schwieg, als ich zuletzt Dich sah, Ich schwieg, denn Göttin-gleich, wortraubend standst Du da. Gebiet’rin, die Du bist, gestatte mir noch oft Geständniß all’ des Glücks, drauf meine Seele hofft, Geständniß dessen all’, was ich bisher bezwungen, Darbringungen im Lied all’ meiner Huldigungen. Ein Zufall und — so wenig dichterischen Werth diese Dinge haben mögen, — doch muß ich sagen ein glücklicher Zufall hat uns die Reimzeilen aufbewahrt, mit denen Frau von Wreech die poetische Adresse des Kronprinzen beantwortete. Diese Antworts- zeilen sind nämlich als Brouillon, als Entwurf auf die Rückseite des Kronprinzlichen Briefes geschrieben und lauten wie folgt: Welch’ Wunder trug sich zu? Was ist’s, das sich begab? Es steigt ein Königssohn, ein Prinz zu mir herab, Besingt in Liedern mich und fordert mich zum Streit; Antworten seinem Lied wär’ wie Verwegenheit, Ich kann es nicht, nein, nein, verwirrt in jedem Sinn Fährt, über was ich schrieb, die Feder wieder hin. Wohl hab’ ich oft gehört, an diesem, jenem Ort, Wer nur im Herzen fühlt, dem giebt sich auch das Wort, Doch trät ich keck zum Kampf mit Dir, Erhabner, ein, Müßt’ ich an Witz und Wort zuvor Dein Echo sein. Solch’ Echo bin ich nicht; all’ meiner Seele Schwung Entspringt aus Einem nur, aus der Bewunderung Womit ich vor Dir steh’; Dein Thun, das in mir lebt, Dein Schicksal ist’s allein, das mich zu Dir erhebt. 4* Es huldigt mir Dein Wort; ich habe deß nicht Leid, Ist doch huldvolles Wort der Hoheit schönstes Kleid, Und Du, Du botest mehr, der Grazien schöne Hand Gestaltete zum Lied, was Deine Huld empfand, Du gabst mehr Ehre mir, als je mein Herz erfuhr, Und all’ mein Sein ist Dank und stille Huldgung nur. Dies sei genug. Auffallend ist es, daß sich in diesen Versen, die spätere Ruhmesbezeichnung gleichsam anticipirend, bereits der Ausdruck le grand Fréderic vorfindet. Das bewundernde Hin- aufblicken aber zu diesem grand Fréderic, das — wenn auch vieles auf Rechnung bloßer gesellschaftlicher Phrase zu setzen ist — dennoch ziemlich unverkennbar aus diesen gereimten Zeilen der Frau von Wreech sich kundgiebt, erklärt sich wohl überwiegend dar- aus, daß die Küstriner Tragödie, der Tod Kattes, mit Allem, was vorausging und folgte, den Kronprinzen mit einem poetischen Zauber umkleidet hatte, der bei erster Begegnung noch nachwirkte. Dieser Zauber, diese Glorie, diese Bewunderung, wie immer sonst auch die Herzensbeziehungen zwischen beiden sich in jenen Herbst- und Wintermonaten gestalten mochten, waren jedenfalls nicht von Dauer. Ich deutete das schon an und wir kommen noch einmal kurz darauf zurück. Ich sagte, die Sechsfüßler, die der Kronprinz seinen Briefen beilegte, waren doppelter Art; die einen wandten sich huldigend an das Herz der schönen Frau, die andern — und ihre Anzahl ist ungleich größer — waren kleine literarische Beilagen, die ein Geplauder, einen Meinungsaustausch, eine espritvolle Controverse wachrufen sollten und auf die ich hier begreiflicherweise ein beson- deres Gewicht lege, weil sie die angedeutete Art des Verhältnisses, das ästhetisch-literarische Fundament desselben, ungleich besser cha- rakterisiren, als jene Huldigungsstrophen. Diese literarischen Beilagen bestanden zunächst aus Saty- ren , ebenfalls in den unvermeidlichen Alexandrinern geschrieben. Er rächt sich in ihnen für alle Unbill seiner Gefangenschaft, und Jeder, der ihn gepeinigt oder auch nur vorübergehend gelangweilt hat, erhält seinen Geißelhieb. Die Liste ist ziemlich lang, und Gouverneur von Lepel, Kammerdirector Hille, die neidische Frau von Wolden, alle ziehen sie noch einmal vorüber, zuletzt die Colo- nelle Eberts, von der es heißt, daß sich über ihre Dummheit eine ganze Aen ë ide schreiben ließe. An Noten, Erläuterungen und Rand- bemerkungen ist kein Mangel, und in einem Postscriptum heißt es, daß die ganze Satyre in etwa 14 Tagen geschrieben und doch zu seinem Bedauern immer noch voller Fehler sei, während er alles Gute darin dem Horaz, dem Juvenal oder dem Boileau verdanke. So waren die Verspakete, die die kronprinzliche Correspon- denz nach Tamsel hin begleiteten. Aber wir würden irren, wenn wir annehmen wollten, daß sich diese literarischen Beilagen auf Verse beschränkt hätten. Auch der Prosa wurde ihr Recht. Die Briefe selber, wie schon hervor- gehoben, wurden gelegentlich zu Aufsätzen, zu „Feuilletons,“ wie wir jetzt vielleicht sagen würden, und hoben, wenigstens vielfach, das literarische Interesse über das Herzens-Interesse hinaus. Etwa um die Mitte Novembers, kurz vor seinem ersten Be- suche in Berlin und vor der wirklichen Aussöhnung mit dem Va- ter, schreibt der Kronprinz wie folgt: „Verehrteste Cousine! Des guten Glaubens, daß Sie zu meinen besten Freunden in diesen Gegenden zählen, kann ich nicht unterlassen, Ihnen einen Plan mitzutheilen, der sich auf meinen demnächstigen Einzug in Berlin bezieht. Es ist ohngefähr Folgen- des, was ich Ihnen darüber mitzutheilen habe. Der Zug soll durch eine Heerde jener verpönten Thiere von zartem Fleisch und unzarten Gewohnheiten eröffnet werden, denen die Aufgabe zu- fallen wird, aus Leibeskräften und in Gemäßheit angeborner In- stincte zu schreien. Dann folgt eine Schaf- und Hammelheerde, unter Führung eines meiner Kammerdiener. Danach eine Heerde Podolischer Ochsen, die mir unmittelbar voraufgehen. Nun ich selbst. Mein Aufzug ist folgender: ein großer Esel trägt mich, so einfach als möglich aufgeschirrt. Statt der Pistolenhalfter befinden sich zwei Getreidesäcke vor mir, und ein tüchtiger Mehlsack vertritt die Stelle von Sattel und Schabracke. So sitz ich da, einen Knittel als Peitsche in der Hand und einen Strohhut statt des Helmes auf dem Kopf. Zu beiden Seiten meines Esels marschirt ein halbes Dutzend Bauern, mit Sensen, Pflugschaaren und an- deren Attributen der Landwirthschaft, und müht sich, Schritt zu halten und einen Ernst zu zeigen, wie er der Sache angemessen ist. Dann folgt, auf der Höhe eines schwerbeladenen Heuwagens, die heroische Gestalt des Seigneur von Natzmer, der Wagen selbst von vier Ochsen und einer Stute gezogen. Ich bitte Sie, verehr- teste Cousine, mich bei Anordnung dieser Ceremonie unterstützen zu wollen. Was mich angeht, so ziehe ich es vor, eine wirkliche Ur- sache zu Hohn und Spott zu geben, als ohne allen Grund von einem frechen Volkshaufen ausgelacht zu werden. Ich treffe alle Vorbereitungen für diesen meinen Einzug und warte nur noch Ihrer Ordre, um sie ins Werk zu setzen.“ Dieser Brief, mit seinen Vorzügen und Schwächen, was ist er anders, als ein kleiner humoristischer Versuch, der der schönen Freundin in Tamsel übersandt wird, um bei nächster Gelegenheit einiges Verbindliche, Schmeichelhafte darüber zu hören. Noch einmal, die ästhetisch-literarischen Bedürfnisse des Kron- prinzen schufen und unterhielten das Verhältniß, und wenn die Neigung des jungen Poeten, wie kein Zweifel ist, zu Zeiten die Gestalt einer leidenschaftlichen Liebe annahm, so bleibt es doch mindestens ungewiß, ob diese Liebe eine glückliche, eine gegenseitige war. Wenn wir darüber die Schlußsätze des letzten Briefes vom 20. Februar zu Rathe ziehen, so scheint es beinahe, daß Frau von Wreech (wie schon angedeutet) hinnahm, was sie nicht ändern konnte, und daß sie, namentlich nachdem die erste poetische Be- wunderung vorüber war, des Kronprinzen Neigung mehr duldete, als erwiederte. Diese Schlußsätze des Prinzlichen Briefes lauten: „So schicke ich Ihnen denn mein Bild. Ich hoffe, daß es wenig- stens dazu dienen wird, mich dann und wann in Ihre Erinne- rung zu bringen und Sie sagen zu machen: er war au fond ein guter Junge ( un assez bon garçon ), aber er langweilte mich, denn er liebte mich zu sehr und brachte mich oft zur Verzweiflung mit seiner unbequemen Liebe.“ Diese Worte, die fast wie ein Resumé klingen, sind mir als besonders charakteristisch erschienen. Ende Februar verließ der Kron- prinz Küstrin, um nicht mehr (es sei denn auf ein paar Tage im März oder April) dahin zurückzukehren. — Die Jahre gingen; andere Zeiten kamen. Das Verhältniß, das einen Winter lang so viel Trost und Freude im Geleite ge- habt hatte, schien todt, schien vergessen; erst 26 Jahre später sehen wir den Krónprinzen, nun König Friedrich, der mit seinem Ruhme die Welt erfüllt hat, noch einmal wieder in Tamsel, und noch einmal sitzt er nieder, um an Frau von Wreech zu schreiben. Aber wie anders sieht ihn jetzt Tamsel an! Es ist am 30. August 1758, fünf Tage nach der Schlacht bei Zorndorf. Das Schloß ist von den Russen ausgeplündert, alle Bewohner sind geflohen, der zurückgebliebene Lehrer der Wreech’schen Kinder liegt erschlagen im Park, Alles ist wüst, öde, halb verbrannt; mit Mühe wird ein Tisch herbeigeschafft, an dem es möglich ist, zu schreiben. Der König, so oft lieblos gescholten, gedenkt jetzt ent- schwundener Tage, alter Liebe, alter Pflicht, und Angesichts der Zerstörung, die sein Herz an diesem Orte doppelt schmerzlich trifft, schreibt er noch einmal an Frau von Wreech. Keine Verse sind eingeschlossen, aber ein Besseres hat er sich in der Schule des Lebens erobert — ein ächtes Gefühl. Der Brief selbst aber lautet: „Madame! Ich habe mich nach der Schlacht vom 25. hier- her begeben und eine volle Zerstörung an diesem Orte vorgefun- den. Sie mögen versichert sein, daß ich alles nur Mögliche thun werde, um zu retten, was noch zu retten ist. Meine Armee hat sich genöthigt gesehen, hier in Tamsel zu fouragiren, und wenn freilich die verdrießliche Lage, in der ich mich befinde, es ganz unmöglich macht, für all’ den Schaden aufzukommen, den die Feinde ( vor mir) hier angerichtet haben, so will ich wenigstens nicht, daß von mir es heiße, ich hätte zum Ruin von Personen beigetragen, denen gegenüber ich die Pflicht, sie glücklich zu ma- chen, in einem besondern Grade empfinde. Ich halte es für mög- lich, daß es Ihnen selbst, Madame, eben jetzt am Nothwendigsten gebricht, und diese Erwägung ist es, die mich bestimmt, auf der Stelle die Vergütigung alles dessen anzuordnen, was unsere Fou- ragirungen Ihnen gekostet haben. Ich hoffe, daß Sie diese Aus- zeichnung als ein Zeichen jener Werthschätzung entgegennehmen werden, in der ich verharre als Ihr wohlgewogener Freund Friedrich .“ Frau von Wreech empfing diesen Brief am selben Tage noch, woraus sich schließen läßt, daß sie auf einem der benachbarten Güter Zuflucht gesucht hatte, denn dem Briefe sind von der Hand der Empfängerin die Worte hinzugefügt: „Empfangen am 30. Au- gust 1758, in demselben Jahre, in dem ich Alles verlor, das ich mein nannte“ — oder wie es im Originale heißt: „L’année où j’ai perdu tout ce que j’avais dans le monde pour vivre.“ Diese Worte der Frau von Wreech sind charakteristischer, als sie auf den ersten Blick erscheinen mögen. Der Brief des Königs hatte zweifellos den Zweck, ein Trostbrief zu sein; der Ausdruck seiner Theilnahme, seine Zusage für alles das aufkommen zu wol- len, was die Verpflegung seiner Truppen gekostet hatte, alles das bezeugte genugsam, daß er trösten, aufrichten wollte, aufrich- ten vor allem auch durch die Aufmerksamkeit (er deutet es selber an), die allein schon in der Thatsache lag, daß er unter solchen Umständen schrieb. Frau von Wreech aber, unter dem Druck un- bestreitbar schwerer Sorgen, scheint (unberührt fast von dem In- halt jenes Briefes) nur dem einen niederdrückenden und bitteren Gedanken gelebt zu haben: Ich war reich und bin nun arm, ich konnte geben und helfen und bin nun selber hülfebedürftig. Es würde gewagt sein, aus der kurzen Notiz: „ das Jahr, in dem ich Alles verlor, was ich mein nannte,“ so weit gehende Schlüsse auf die damalige Stimmung der Frau von Wreech ziehen zu wollen, wenn nicht die Correspondenz, die sich nun (also 26 Jahre nach jenem ersten Briefwechsel) zwischen Jugendfreund und Jugendfreundin entspann, keinen Zweifel darüber ließe, welche Em- pfindungen damals beinah ausschließlich das Herz der freilich schwer heimgesuchten Frau erfüllten; und wenn die Jugendbriefe des Kronprinzen uns ungleich mehr mit der Empfängerin in Tam- sel als mit dem Küstriner Verfasser sympathisiren ließen, wendet sich nun das Blatt und der König kommt zu seinem Recht . Auch auf diese zweite Correspondenz werfen wir noch einen flüchtigen Blick. Sie besteht nur aus fünf Briefen und diese Blätter liegen neben der Jugendcorrespondenz, wie die Briefe eines Ehemannes, der sich mit Anstand zurückgezogen hat, neben dem Brief-Päckchen das er als Bräutigam geschrieben. Aber diesen fünf Prosabriefen gebührt diesmal dennoch der Vorzug. Von verschiedenen Punkten aus datirt, wohin der Krieg den schwerbedrängten König gerade rief, von Dresden, Breslau, Leipzig aus, gereicht jeder einzelne dem Schreiber zu hoher Ehre. Aus ihrem Inhalt ergiebt sich, daß Frau von Wreech nicht müde wurde, den König zuerst um Unterstützung für die verarmten Bau- ern der Wreechschen Güter, dann um Darlehne für sich selbst zu bitten. Diese Gesuche waren sicherlich dazu angethan, die Geduld des Königs zu erschöpfen, der z. B. einen dieser Briefe im De- cember 1760, also kurz nach dem schwer erkauften Siege von Torgau und jedenfalls zu einer Zeit empfing, wo die halbe Mo- narchie ziemlich eben so verwüstet war, wie die Güter der Frau von Wreech; aber seine Antworten (nur zum Theil von ihm selbst geschrieben) verrathen nirgends Ungeduld, oder jene Schärfe und Herbe, durch die er so schwer verletzen konnte; und selbst da, wo er auf das Bestimmteste ablehnt, lehnt er nur ab, weil er muß . Er schreibt eigenhändig von Breslau aus: „Madame, Sie stellen sich die Dinge sehr anders vor, als sie sind. Bedenken Sie, daß ich seit einem Jahre weder Gehalte noch Pensionen zahle; bedenken Sie, daß mir Provinzen fehlen, daß andere verwüstet sind; denken Sie an die enormen Anstren- gungen, die ich machen muß, und Sie werden einsehen, daß meine Ablehnung nur in der völligen Unfähigkeit ihren Grund hat, Ih- nen zu helfen; sobald die Dinge sich ändern, soll geschehen, was möglich ist.“ Ja, er geht schließlich weiter und bewilligt wirklich eine Summe zu einem Betrage, der nicht genannt wird, dessen Unzu- reichendheit aber sich muthmaßen läßt, denn die Anfangsworte des Begleitschreibens lauten: „Es thut mir aufrichtig leid, Madame, weder so viel thun zu können, wie ich möchte, noch so viel, wie Sie wünschen. Aber ich habe Ordre gegeben ꝛc.“ Dies sind die letzten Zeilen, die Friedrich nach Tamsel hin richtete; sie zeigen, wie diese letzten Briefe überhaupt, daß er bis zuletzt und unter den pressendsten Verhältnissen, nie vergaß, was er diesem Hause und dieser Frau an Dankbarkeit schuldete. Er hätte sonst einen ganz andern Ton angeschlagen. Frau von Wreech indeß scheint anders empfunden und die Vorstellung unterhalten zu haben, daß des Königs Benehmen hart überhaupt und speciell hart gegen sie, die Genossin, die Freundin seiner Jugend gewesen sei. Der Friede kam, das verwüstete Tamsel blühte wieder auf, der alte Feldmarschall mit seinen rothen Gamaschen hing wieder an der boisirten Wand und der Park, schöner werdend von Jahr zu Jahr, füllte sich mit Marmorstatuen. Dem Ruhme des Prin- zen Heinrich, des Bruders des Königs, wurden Tafeln und Obe- lisken errichtet, jedem Hohenzoller fiel eine Huldigung zu, nur dem Größten nicht; kein Stein, keine Tafel trug den Namen König Friedrichs. Hier, wo er glücklich gewesen war und vielleicht auch, wenigstens vorübergehend, glücklich gemacht hatte, sollte sein Name vergessen sein. Eingeschlossen in die zwei Feldmarken von Küstrin und Zorndorf , sollte Tamsel dennoch den Namen nicht nennen, der, von allen Seiten her, hoch über Schloß und Park, wie ein Hymnus zusammenklang. Aber die Zeiten üben Gerechtigkeit. Im Sommer 1795 wurde der jüngste Sohn der schönen Frau von Wreech, der letzte seines Namens und Stammes, in die Kirchengruft hinabgesenkt, und an- dere Bewohner zogen in Schloß Tamsel ein, die lächeln mochten über den Unmuth, der, begründet oder nicht, sich unterfangen hatte, den Namen des großen Königs von dieser Stelle ausschlie- ßen zu wollen. Am 31. Mai 1840, am hundertjährigen Jahrestage der Thronbesteigung Friedrichs des Großen, fiel die Hülle von dem Monument, das Graf Hermann Schwerin, der Vater des gegen- wärtigen Besitzers von Tamsel, dem Andenken des Königs hatte errichten lassen. Es ist ein Denkstein von 30 Fuß Höhe; auf der Spitze desselben erhebt sich eine vergoldete Victoria , während der Sockel die Inschrift trägt: Es ist ein köstlich Ding einem Manne, daß er das Joch in seiner Jugend trage. Unter Betheiligung vieler Tausende aus Dorf und Stadt wurde die Enthüllungsfeier begangen. Ein alter Bauer, als er die Hüllen fallen sah, rief seinem Nachbar zu: „Ick dacht, et süll de olle Fritz sinn, un nu is et man sine Fru .“ Der alte Bauer hatte Wahrheit und Weisheit gesprochen — waren doch Victoria und Friedrich zu treuem Bunde vereint ge- wesen. Die Hohenzollern aber, mögen sie nie aufhören, in gleicher Art dem Siege vermählt zu sein. Zorndorf. Moskoviens Bär mit eisbehangnen Haaren Dürstete Friedrichs Blut. Christian Fr. Daniel Schubart. Mit Vergunst, Der Will’ ist eins, ein andres ist die Kunst. E ine halbe Meile nördlich von Tamsel liegt Zorndorf . Der Weg führt zunächst durch eine tiefe Schlucht hindurch, die hier, unmittelbar im Rücken des Dorfes, die Hügelkette (das alte Ufer der Warthe) wie ein Thor durchbricht und immer ansteigend, nach Norden hin, auf ein Plateau von mäßiger Höhe mündet. Die Fahrt, die sehr malerisch beginnt, mit Berglehnen und Laubholz verliert sehr bald diesen Charakter; Sand und Baumwurzeln treten an die Stelle, bis endlich das glau und freundlich daliegende Zorndorf wieder die ziemlich reizlose Oede unterbricht. Zorndorf ist hübsch und wohlhabend, wie fast alle Dörfer, wo Schlachten geschlagen wurden. Ob es lediglich darin liegt, daß die während des Kampfes zerstörten Dörfer besser und freundlicher wieder aufgebaut werden, oder ob die Schlachtfelder, wie große Kirchhöfe, einen reicheren Acker schaffen, wer mag es sagen? Wahr- scheinlich wirkt beides zusammen. Vielleicht aber kommt noch ein Drittes hinzu: das Auferbauen aus Trümmern schafft nicht nur einfach ein neues Dorf, es schafft auch, in nöthig gewordener An- spannung aller Kräfte, ein rührigeres Geschlecht; und Fleiß und Energie, einmal wach gerufen, vererben sich nunmehr wie ein Se- gen von Vater auf Sohn. Unser Wagen hielt vor dem Krug. Mein Führer und Reise- gefährte, der halb heimisch in Zorndorf war, rief nach dem Krü- ger. Aus einem kleinen dürftigen Laden trat eine Hünengestalt heraus, grüßte und stellte sich halb dienstlich neben den Wagentritt. Seine riesige Gestalt und die kleine Ladenthür paßten wenig zu- sammen; ein ähnlich komisches Verhältniß bestand zwischen seiner Gestalt und seinem Namen. „Guten Tag, Herr Nonnenprediger,“ begann die Unterhal- tung. Der Angeredete erwiederte ruhig den Gruß, ohne eine Miene zu verziehen. „Herr Nonnenprediger“, so fuhr mein Reisegefährte heiter fort, „einer von den Bauern hier sammelt ja wohl alles, was auf dem Schlachtfelde gefunden wird. Verlohnt es sich, bei ihm vor- zufahren?“ Nonnenpredigers Mund verzog sich zu einem leisen Grinsen, das deutlich errathen ließ, wie der Angeredete über „vaterländische Alterthümer“ dachte. „Können Sie uns nicht ohngefähr sagen, was der Bauer alles hat? „Kanonenkugeln, Gewehrläufe, Schäfte, Flintensteine.“ „Nicht den Lehnstuhl, drauf Friedrich der Große die Nacht vorher geschlafen hat?“ „Nein, der steht in der Neu-Damm’schen Mühle.“ „Sonst nichts?“ „Nicht daß ich wüßte.“ „Dank schön. Guten Abend, Herr Nonnenprediger. — Fahr zu!“ So ging es weiter, an der hübschen neuen Kirche vorbei (die in einem runden Thurmfenster die Inschrift trägt: „Zur Er- innerung an den 25. August 1758“) über den Dorfdamm fort, hinaus in’s Freie. Unmittelbar hinter Zorndorf, in der Richtung nach Norden hin, beginnt das Schlachtfeld. Es ist ein Viereck, ziemlich genau eine Quadratmeile groß, nach Westen hin von der Drewitzer Heide, im Norden von der Mietzel, im Osten vom Ziecher Bach und im Süden von einem kleinen Höhenzuge begrenzt, an dem die Dörfer Wilkersdorf und Zorndorf liegen. Auf diesem Stück Erde wurde das Drama aufgeführt. Der Boden ist wellenförmig, aber die Ein- schnitte ziehen nicht horizontal von West nach Ost, sondern senk- recht von Nord nach Süd, so daß das ganze Terrain mit seinen Höhen und Tiefen einer Tischplatte gleicht, auf der (von oben nach unten zu) eine Hand mit gespreizten Fingern liegt. Dorf Quart- schen (der damalige Mittelpunkt der russischen Stellung) entspricht dem Handgelenk, oder dem Knotenpunkt, wo alle Linien des Fel- des, Höhen und Tiefen , zusammentreffen. Das Ganze also, von Nord nach Süden zu, ist ein fächerförmiges Hügelterrain. Auf einem dieser Hügelrücken, der, länglich und kaum tausend Schritte breit, zwischen zwei Vertiefungen, dem „Zaber- und dem Galgengrund“ sich hinzieht, wurde die Schlacht entschieden; richtiger vielleicht, von hier aus wurde sie entschieden. Von Zorndorf her den Zabergrund hinaufrückend, begleitete Seydlitz, am äußersten linken Flügel der preußischen Aufstellung, den Auf- und Vormarsch der Angriffskolonnen. Selber ungesehen, sah er seinerseits alles. Auf die Aufforderung des Königs, „anzugreifen, bei Gefahr seines Kopfes,“ gab er die bekannte Antwort. „ Nach der Schlacht steht dem Könige mein Kopf zu Befehl, wäh- rend derselben mag er mir noch erlauben, davon in seinem Dienste Ge- brauch zu machen.“ Der Zeitpunkt war noch nicht da. Im Moment aber, als die bereits siegreichen Russen ihre Reiterei vorschickten, um in die fliehenden preußischen Bataillone einzuhauen, schwenkte Seydlitz plötzlich rechts, passirte den Bach und stieg aus dem Grund (der ihn bis dahin verborgen hatte) herauf. Wie Sturm über das Plateau zwischen dem Zaber- und Galgengrund hinfegend, führte er nun jene weltberühmte Attake aus, die mit der Nieder- werfung des zunächst stehenden russischen Flügels endigte, und sechs Stunden später gegen den andern Flügel wiederholt, den Tag zu Gunsten des Königs entschied. „Seydlitz, auch diesen Sieg verdank ich Ihm.“ — „Nicht mir, Majestät; hier diesem Löwen“ (Rittmeister von Wakenitz). Es war überhaupt, wie ein Tag glänzenden Sieges, so auch glänzen- der Impromptus und Repliken. „Keine Schlacht ist verloren, so lange das Regiment Garde du Corps nicht angegriffen hat“ ꝛc. Die Chaussee von Zorndorf nach Quartschen läuft auf der Höhe des flachen Hügelrückens zwischen dem Zaber- und Galgen- grunde hin und durchschneidet genau (in einer Längslinie) denjeni- gen Theil des Schlachtfeldes, auf dem die entscheidenden Würfel fielen. Wir machen den Weg bei Sonnenuntergang. Der goldene Ball der Sonne hängt glänzend über den Dächern von Quart- schen; die Luft ist still, nur hoch im Blauen singt es und klingt es. So geht es zwischen dem wogenden Korn dahin. Etwa tausend Schritt hinter Zorndorf passiren wir einen altmodischen Bauernhof mit Plankenzaun und Strohdoch; wieder fünfhundert Schritt weiter fällt uns, rechts am Wege und mitten auf dem Felde stehend, ein auf verschiedenen Stufen errichtetes Steinmonument auf, das in Form eines Oblongs das Kornfeld überragt. Dieß ist das Denkmal zur Erinnerung an die Zorndor- fer Schlacht, am 25. August 1826 von Männern des Kreises errichtet und an derselben Stelle aufgeführt, wo, alter Ueberliefe- rung zufolge, der König hielt und den Gang der Schlacht ordnete und überblickte. Diesem Punkt gilt unser Besuch. Wir lassen halten und suchen nach einem Feldweg, einem Pfad, der uns voraussichtlich an das Monument führen wird. Aber nichts derart ist zu finden. Besucher, die hieher kommen, um das Schlachtfeld von Zorndorf zu überblicken, sind so selten, daß es nicht nöthig ist, einen Feldweg nach dem Denkmal hin offen zu halten. Lauter Ackerland; wie es im Chamissoschen Liede heißt: „Der Pflug geht drüber hin.“ Nach langem Suchen endlich ent- decken wir eine Ackerfurche, die uns in gerader Linie, aber von den schräg liegenden Halmen völlig verdeckt, dem Monumente zu- führt. Wir stehen nun vor einem Sand- und Lehmhügel, von der Form und Größe eines Backofens, auf dem sich der Denkstein erhebt. Der Aufgang ist steil wie eine Wand und man kann deutlich erkennen, daß die anfangs sich allmählig abflachenden Wände, von dem Bauer, dem jetzt das Feld gehört, ab- und nie- dergepflügt wurden, um dadurch ein paar Quadratruthen mehr Ackerland zu gewinnen. Bauern-Egoismus ist sicherlich das einzig leitende Motiv dabei gewesen, aber der Egoismus ist hier zum Segen ausgeschlagen und der Hügel mit seinen nun steil abfallen- den Wänden, hie und da von Liguster und Distelbüschen über- wachsen, nimmt sich ganz trefflich aus, als Postament für den auf seiner Höhe errichteten Denkstein. Dieser Denkstein ist einfachster Art. Er besteht aus drei Granitstufen, auf deren oberster sich ein Oblong, ebenfalls aus Granit, erhebt; das Ganze ein etwa manns- hoher, höchst schlichter Steinbau, der früher an seiner Nordseite eine Inschrift trug. Man liest noch jetzt: „Hier stand Friedrich .... M.D.C.C.L.VIII. “ Alles andere ist verlöscht. Das Monument ist schlicht genug; aber der Blick über das Schlachtfeld, nach dem alten Comthurei-Dorfe Quartschen hin, das jetzt grau und schattenhaft vor der dahinter gelagerten Abendröthe liegt, ist entzückend. Der Abend schickt einen Luftzug durch die Halme; ein leises Rauschen und Knistern; die Lerchen sind eben still geworden; aber von rechts und links her rufen jetzt die Unken über das Feld hin. Die hausen noch im Zaber- und Galgengrund, freilich nicht mehr so im Vollen wie sonst. Die beiden Gründe oder Erdklinsen haben längst aufgehört eigentliche Wasserrinnen zu sein, Cultur hat sie trocken gelegt, aber hie und da, wo nach wie vor ein Restchen Sumpfwasser in der Vertiefung steht, halten sich noch die alten Bewohner. Die Sonne ist unter; aber noch ist es hell genug, um das ganze Terrain von dieser Stelle aus klar zu überblicken, und als ob das Uebersichtliche des Feldes, das Plastische der Lokalität, dem Heraufsteigen des ganzen Schlachtenbildes von ehemals zu Hülfe käme, so fängt das in Dämmer daliegende Feld an, sich mit russischen Carrés zu beleben. Aber sie stehen nicht lange: von links her, aus der schattigen Tiefe des Zabergrundes herauf, steigen Seydlitz und die Gardes du Corps. Rittmeister von Wakenitz, mit gezücktem Pallasch allen andern vorauf, fliegt über die Ebene hin. — Da klappert (sehr zur Unzeit) ein Wagen aus Quartschen die Chaussee entlang; er fährt mitten durch die blanken Schwadronen hindurch, und — Vision und Waffenglanz sind hin. Noch einmal, ein schlichtes Monument ist es, das an dieser Stelle das Gedächtniß an den Tag von Zorndorf zu wahren unternimmt, aber es ist gut, daß es schlicht ist; prächtige Monu- mente gehören in die Stadt, in das Bereich der Kunst. In Wald und Feld gehören Denkmäler (mit einzelnen Ausnahmen), deren Schlichtheit sie in den Hausrath der Natur wie einzureihen scheint. Verschmelzung, Uebergang, nicht Gegensatz. Würfel und Obelisk werden auf Schlachtfeldern noch lange das beste bleiben. Mein Reisegefährte, zu dem ich Aehnliches gesprochen haben mochte, legte bei diesen Worten seine Hand auf meine Schulter und sagte dann lächelnd: „Dieser Stein weiß davon zu erzählen. Wir haben hier dergleichen erlebt. In das Leben dieses Steins schleicht sich nämlich eine Episode höherer Kunstexistenz ein; aber es war kein glückliches Dasein.“ Auf meine Bitte um Aufschluß, fuhr der Sprecher fort: „Gern, nichts soll Ihnen vorenthalten bleiben. Aber ändern wir zuvor unsere Front und nehmen wir hier auf den Stufen der Rückseite Platz, damit wir nach Bauer Mertens und seinem Gehöft hinüber sehen können. Das Gehöft und seine Insassen spielen mit.“ Ich that, wie geboten. „Sie kommen von Tamsel“, nahm der Erzähler das Wort, „und haben im dortigen Park sicherlich das Monument gesehen, das auf seiner Spitze die Rauchsche Vic- toria trägt. Das Monument hat Graf Hermann Schwerin errichtet (der Vater des gegenwärtigen Besitzers), ein sehr liebenswürdiger und kunstsinniger Herr. Sie werden gleich sehen, warum ich mit ihm beginne.“ „Es war etwa 1846 oder 1847, als ein befreundeter Herr 5 beim Grafen in Tamsel erschien und ihm von einem Küstriner Klempner erzählte, der in, ich fürchte, mißverstandenem patriotischem Eifer auf die Idee gekommen war, den alten Fritz in Weißblech zu treiben. Er hatte jahrelang seine Feierabendstunden daran gesetzt; nun stand der alte Fritz endlich da, sieben Fuß hoch und blank wie ein Zinnlöffel; aber niemand wollte ihn haben. Der Graf, der nicht nur ein kunstsinniger, sondern, wie schon angedeutet, vor allem auch ein sehr humaner Mann war, überlegte sich’s einen Augenblick, acceptirte dann das angebotene Kunstwerk, zahlte einen guten Preis und traf seine Dispositionen.“ „Ein paar Tage später traf die getriebene Arbeit in Tamsel ein. Tamsel indeß war nicht Bestimmungsort; der Graf hatte schon anderweitig darüber verfügt, freilich mit einer gewissen Be- sorgniß, man könnte sagen mit Vorahnung.“ „Es war Anfang November, als, bald nach Mitternacht, ein Leiterwagen vor dem Tamsler Schloß hielt. Die Statue wurde rasch aufgeladen, und ehe zehn Minuten um waren, setzte sich der Zug unter Begleitung von einem Maurerpolier und drei Gesellen — anderer Dienstleute zu geschweigen — in Bewegung. Es ging still durch Schlucht und Wald, noch stiller durch Zorndorf hindurch, an Mertens Gehöft vorbei, bis der Wagen hier zu Füßen des Hügels hielt. Rasch, ängstlich, mit fast gespenstischer Stille, wurde der blecherne Fritz auf den Granitwürfel gestellt. Sie können noch sehen, wo der Mörtel gesessen hat. Dann, in stiller Nacht, wie der Zug gekommen war, verschwand er auch wieder.“ „Am andern Morgen trat Mertens ältester Sohn in die Hausthür, um nach dem Wetter zu sehen. Er sah auch zufällig nach dem Monument hinüber und bemerkte, daß eine menschliche Figur regungslos auf dem Steinwürfel stand. Er schüttelte den Kopf, dachte aber nichts Arges. Nach einer Stunde — er hatte inzwischen die Pferde gefüttert — trat er wieder vor’s Haus, sah wieder hierher und brummte vor sich hin: „He steiht immer noch!“ Er wartete, es wurde nicht anders. Nun wurde ihm die Sache bedenklich. Er weckte den Alten; der Alte kam und alles Haus- gesinde mit ihm. Aber es blieb, wie es war. „De snacksche Kerel steiht ümmer noch“, wiederholte der Sohn. Und in der That, im Nebel des Novembermorgens, grau, gespenstisch, räthselvoll, stand eine Figur auf dem Schlachtenstein. Welche Hypothesen in jener Stunde durch die verschiedenen Köpfe der Familie Mertens gegan- gen sein mögen, ist schwer zu sagen. Endlich, wie sich von selbst versteht, löste sich der Spuk.“ „Die Mertensschen waren nun zufrieden, auch die Zorndorfer und die Quartschener vielleicht; aber Graf Schwerin, der diese Umwandlung geschaffen hatte, war es keineswegs. Sein künstleri- sches Gewissen schlug ihm, und wenn Anfangs das gute Herz über die ästhetischen Instinkte gesiegt hatte, so rächten sich diese jetzt und drangen ihrerseits auf Abhülfe. Der Graf, der zeitlebens nur Gutes gethan hatte, ging an dem „alten Fritz“ vorbei, wie an einer Schuld, welche Sühne verlangt.“ „Er fand sie endlich auf die einfachste Weise. Nachdem der „alte Fritz“ einen Winter lang den Stürmen getrotzt und alles Blanke seiner Erscheinung längst eingebüßt hatte, erschienen die Vermummten wieder, und nächtlicherweile, wie die Statue gekom- men, so verschwand sie wieder. Es war eine kurze Existenz. Wie Leidtragende folgten der Maurerpolier und die Seinen, als man die Figur nach Tamsel zurück geleitete. Sie wurde dort im Koh- lenkeller deponirt und ist dort verschollen. Ich bleibe dabei: das einfachste Monument das beste, wenigstens auf einem Schlachtfeld.“ Während der Erzählung war es dunkler geworden, und war es nun die Kühle des Abends, oder die Stelle, auf der wir stan- den, ein leises Frösteln lief über uns hin. Dann sprangen wir, über die Ligusterwand weg, vom Hügel aus mitten in’s Kornfeld hinein, und Arm und Brust vorschiebend, schwammen wir durch das Kornfeld durch. Wir hörten nichts als das Knistern der 5* Halme, selbst im Zabergrund war es still geworden und unsere Rede floß erst wieder von der Lippe, als unser Wagen über die Landstraße hinrollte und in das Prusten der Pferde hinein Bauer Mertens uns seinen „guten Abend“ bot. Sein „guter Abend“ klang treuherzig genug und keine Ahnung schien ihn beschlichen zu haben, daß er oder sein Ältester so eben „der Held einer Geschichte“ gewesen war. „Der Blumenthal.“ Und aber nach fünfhundert Jahren Will ich desselbigen Weges fahren. Cidher der ewig junge. „ D er Blumenthal“ (d. h. der Blumenthal- Wald ) ist der Name eines großen Forstreviers, das den östlichen Theil des Barnim von Westen nach Osten hin durchzieht und durch die Straße, die von Berlin nach Wriezen führt, fast seiner ganzen Länge nach durchschnitten wird. „Der Blumenthal“ ist schön und sagenreich. Etwas von dem Zauber Vinetas ist um ihn her und die Sage von untergegangenen Städten, verschwunden in Wasser oder Wald, begleitet den Reisen- den auf Schritt und Tritt. Wer um die Mittagsstunde hier vor- überzieht, der hört an See und Schlucht ein Klingen und Läuten aus der Tiefe herauf; und wer gar Nachts des Weges kommt, wenn der Mond im ersten Viertel steht, der hat über Stille und Einsamkeit nicht zu klagen, denn seltsame Stimmen, Rufen und Lachen, ziehen neben ihm her. Und ein schöner Wald ist „der Blumenthal.“ Die vielen Seen, die ihn durchschneiden, auch wo sie nicht sichtbar werden, geben seinem Laub und seiner Luft eine duftige Frische, und ein Blühen ist ringsum, als woll es der Wald immer wieder beweisen: ich bin „ der Blumenthal !“ Rapsfelder an den offenen Stellen, die sich breit in den Wald hineindehnen, würzen im Mai die Luft; dem Blühdorn folgt die Hagerose und dem Faulbaum der Akazienstrauch; die rothen Erd- beeren lösen sich ab mit den rötheren „Malinekens“ (wie der Land- mann, poetischen Klanges, hier die Himbeeren nennt) und wenn endlich der Herbst kommt, so lachen die Ebreschen-Beeren überall aus dem dunklen Laube hervor. Dabei ein Reichthum an Hölzern, wie ihn Märkische Forsten wohl kaum zum zweiten Male zeigen. In reichstem Gemisch stehen alle Arten von Laub- und Nadelholz; Eiche und Edeltanne, Else und Kiefer, Buche und Lärchenbaum machen sich den Rang der Schönheit streitig; vor allem aber ist es die Birke, der Liebling des Waldes, die mit weißem Kleid und langem Haar vorüber fliegt und das Auge des Reisenden immer wieder entzückt. Der Blumenthal ist fast 2 Meilen lang und ziemlich eben so breit. Hier und dort aber, wie schon angedeutet, unterbrechen weite Ackerstrecken das Waldrevier und dringen, von rechts und links her, bis zur Chaussee hin vor. Ungefähr in der Mitte des Waldes treffen von Nord und Süd zwei solcher Einschnitte beinahe zusammen und theilen dadurch den Forst in zwei ziemlich gleiche Hälften, in eine westliche und eine östliche, oder in eine Wer- neuchensche und eine Prötzelsche Hälfte. Die erste ist die landschaft- lich schönere, die andere die historisch interessantere. Der schönste Punkt der westlichen Hälfte ist der Gamen- Grund , genau eine Meile östlich von Werneuchen gelegen. Dies war die Waldesstelle, wo Schmidt von Werneuchen, Jahr aus Jahr ein, die Sommer- und Familienfeste zu feiern liebte. Sein feiner Natursinn bekundete sich auch in der Wahl dieser Stelle. Sie ist von aparter Schönheit, und während sonst der Bau einer Chaussee wenig zum Reiz einer Landschaft beizusteuern pflegt, liegt hier ein Fall vor, wo das Landschaftsbild durch die durchschnei- dende Weglinie entschieden gewonnen hat. Das glänzendste Beispiel hierlandes, wie solche schnurgerade, durch die Landschaft gezogene Linie die Schönheit des Bildes wesentlich erhöhen Der Chausseebau machte nämlich, wenn überhaupt eine passirbare und möglichst gerade Straße geschaffen werden sollte, die Ueberbrückung des Gamen-Grundes nöthig, und da die Herstellung eines Dammes als passendstes Mittel dafür erschien, so wurde eine Art Viaduct quer durch die Schlucht geführt, der nun das Hüben und Drüben des Hügellandes verbindet. Von der Höhe dieses Viaducts aus blickt man nun nach links hin in die Wassertiefe des Gamen- Sees , nach rechts hin in die Waldestiefe des Gamen- Grundes hinab. Der Vorüberfahrende fühlt sich wie an diese Stelle gebannt, und der Eiligste hat es nicht eilig genug, um nicht ein paar Minuten an dieser Stelle zu verweilen. Beide Bilder sind schön, auch einzeln betrachtet; aber wie überall da, wo zwei Landschafts- bilder neben einander hängen, das eine die Wirkung des andern unterstützt und beide erst, wie Abend und Morgen, eine höhere Einheit herstellen, so schöpft auch hier jedes einzelne der beiden Bilder einen gesteigerten Reiz aus der Nachbarschaft des andern. Nach links hin Klarheit und Schweigen. Der Gamen-See, wie ein Flußarm, windet sich in leis gespanntem Bogen zwischen den Tannenhügeln hin und nichts unterbricht die Stille, als ein plät- schernder Fisch, den die Nachmittagssonne an die Oberfläche treibt. Nach rechts hin Dunkel und Leben. Aus dem Grunde herauf, bis an die Höhe des Dammes (beinahe greifbar für unsere Hände) steigen die ältesten Eichen des Waldes, und während sich die Stämme in Schatten und Waldesnacht verlieren, blitzt die Sonne über die grünen Kronen hin. Allerhand Schmetterlinge steigen auf und nieder und die Vögel singen in einer Herzlichkeit, als wäre dies das Thal des Lebens und als wäre nie ein Falk oder Weih über den Gamen-Grund hingezogen. In der Ferne Kukukruf und ein blauer Himmel über dem Ganzen, heiß und fest wie eine Glocke. Die Westhälfte des „Blumenthals“ ist der landschaftlich kann, ist die Glienicker Brücke, die sich unterhalb des Babelsberges über die Havel zieht. Der Blick von Babelsberg erhält erst dadurch seinen vollen Reiz. schönere Theil des Waldes; aber die Osthälfte ist reicher an Sage und Geschichte. Wir wandern dieser anderen Hälfte zu. Eine Meile östlich vom Gamen-Grund, den ich eben zu schildern versucht, liegt ein Vorwerk, hart an der rechten Seite des Weges. Der Wald hat uns bis dicht an die Stall- und Wirthschaftsgebäude desselben begleitet und jenseit desselben, wo das Vorwerk aufhört, fängt der Wald wieder an. Das Ganze erscheint fast nur wie ein Steinthor mitten im Walde, wie eine Auffahrt in die Hügellandschaft hinein, die sich, halb Wiese, halb Ackerland, unmittelbar hinter dem Vor- werk auszudehnen scheint. Dies ist die Stelle, die wir suchen. Die Passage dieses Hofes wird auf Ansuchen freundlich gestattet und hinaustretend in die halb bebauten, halb brachliegenden Felder (die sich nicht nur im Rücken des Vorwerks, sondern auch hin- ter dem Waldsaume entlang ziehen), halten wir uns jetzt links und marschiren etwa 500 Schritt am Rande des Waldes entlang. Wo wir eines Wasserpfuhls, „die Suhle“ genannt, ansichtig wer- den, machen wir Halt und stehen nun vor einem mit Steinmassen überdeckten Terrain. Dies Steinfeld ist die sogenannte „ Stadt- stelle .“ Hier stand vor 500 Jahren die Stadt oder das Städtchen Blumenthal , das seitdem dem ganzen Walde den Namen gege- ben hat. Verfolgen wir nunmehr die Schicksale dieser Stadt durch die Jahrhunderte hindurch. Die älteste Nachricht über Stadt Blumenthal, die wir haben, reicht bis auf 1375 zurück. Das Landbuch der Mark Brandenburg (bekanntlich in genanntem Jahre entworfen) führt „Blumendal“ noch unter den Ortschaften des Landes Barnim auf; der Umstand aber, daß nur das Areal des Städtchens ange- geben, aber weder von Abgaben noch Hofediensten gesprochen wird, spricht dafür, daß die Feldmark bereits wüst und werthlos zu wer- den begann. Die Trefflichkeit der Aecker, so wie die Bedeutung, die „Blumendal“ bis dahin gehabt hatte, machen es zwar wahrscheinlich, daß im Laufe der nächsten Zeit verschiedene Versuche gemacht wur- den, die wüst gewordenen Höfe neu zu besetzen und die Aecker neu zu bebauen, aber diese Absichten scheiterten an der Ungunst der Zeiten. 1348 war das große Sterben; 50 Jahre später, als neue Colonisten muthmaßlich eben anfingen dem todten Orte ein neues Leben zu geben, fielen die Pommern ins Land und wieder 30 Jahre später ging der Hussitenzug (der bei Bernau sein Ende fand) mit Mord und Brand über „den Blumenthal“ hin. In 80 Jahren die Pest, die Pommern und die Hussiten, — das war zu viel für das Leben von Blumendal. Ein Fluch schien über den Ort ausgesprochen zu sein. Er war nun wirklich todt, die Wieder- belebungsversuche blieben aus und das Mauerwerk zerfiel. Der Wald mit Eichen und Schlingkraut zog in die offenen Thore ein und die Mallinekens rankten und blühten über Steintrog und Brunnen hinweg. Die Sage fing an ihre Kreise um diesen Stein- platz zu ziehen und ehe ein Jahrhundert um war, war es ein unheimlicher Ort, eine „verwunschene Stelle.“ Jeder mied sie. Wie es Seen und Seestellen giebt, wo die Fischer nicht fischen, weil sie fürchten, daß eine Hand aus der Tiefe fahren und sie hernieder zerren wird, so berührte kein Jäger die Stelle, wo die alte Stadt gestanden hatte. Rundum tobte die Jagd, die Kurfürsten selbst jagten hier mit „Hund und Horn“; aber vorüber an der Stadtstelle zog der Zug. Und waren Kinder beim Himbeersuchen unerwartet unter das alte Mauerwerk gerathen, so befiel sie’s plötzlich wie bittere Todesangst und sie flohen blindlings, durch Gestrüpp und Dorn, bis sie zitternd und athemlos die Ihrigen erreichten. Was gab es da nicht alles zu erzählen! So wuchs die Sage und zog immer festere Kreise um die „Stadt im Wald.“ Immer gefürchteter wurde der Platz. Selbst das Wild schien die Stelle zu meiden und nur Bache und Keiler hatten ihre Tummelplätze hier. An den tiefer gelegenen Stellen der „alten Stadt“, wo aus moderndem Eichenlaub und sickerndem Quellwasser sich Sumpfland- stücke gebildet hatten, kamen die Wildschweinsheerden aus dem ganzen „Blumenthal“ zusammen und wenn sie dann in Mond- scheinnächten ihre Feste feierten, klang ihr unheimliches Getös bis weit in den Wald hinein und mehrte die Schauer des Orts. So vergingen Jahrhunderte. Die Eichen wurden immer höher, das Gestrüpp immer dichter, — die alte Stadt schien verschwunden. Nur um die Winterzeit, wenn Alles kahl stand, wurden die Reste alten Mauerwerkes sichtbar. Aber wer war, der ihrer geachtet hätte? Es waren die Zeiten des 30jährigen Krieges und der Jahre, die folgten; — so viele Dorf- und Stadtstellen lagen wüst, so viel neue Herde waren zerstört; wer hätte Lust und Zeit gehabt, sich um alte, halbvergessene Zerstörung zu kümmern? So kam das Jahr 1689 und mit diesem Jahre tritt die alte Stadt, die bis 1375 ein Stück wirklicher Geschichte gehabt hatte und dann erst sagenhaft geworden war, aufs Neue in die Geschichte ein. 1689 besuchte Bürgermeister Grüvel aus Kremmen die Stadtstelle und fand noch Feldsteinmauern, die den Boden in Mannshöhe überragten. Von da ab folgten weitere Besuche in immer kürzeren Zwischenräumen: Beckmann um 1750, Bernouilli um 1777; beide fanden Mauerreste und hielten sie für die Ueber- bleibsel einer alten Stadt. Noch andere Reisende kamen; aber ausführlichere Mittheilungen gelangten erst wieder zur Kenntniß des Publicums, als im Jahre 1843 der Geistliche des benachbar- ten Dorfes Prötzel, einen auf genaue Forschung gegründeten Bericht veröffentlichte. In diesem heißt es: Die merkwürdige Stadtstelle Blumenthal ist unstreitig Dies „unstreitig“ bezieht sich auf die Klödenschen Auslassungen über die „Stadtstelle“, die es bestreiten, daß hier eine Stadt gestanden habe. Er nimmt an, daß es eine heidnische Begräbnißstätte gewe- sen sei und findet in den Steinreihen nichts als eine Art Feldstein-Um- zäunung oder Einfriedigung dieser Stätte. Er irrt darin ganz unbedingt. Hätte er die Stelle gesehen, wie sie jetzt daliegt, so hätte er sich auf den flüchtigsten Blick von seinem Irrthum überzeugen müssen. in alten Zeiten ein menschlicher Wohnort gewesen. Man sieht noch jetzt Spuren von Feldstein- mauern. Vor einigen Jahren sind von den Waldarbeitern mehrere Werkzeuge, Hämmer, Sporen u. dergl. gefunden worden, die, den Kindern dann zum Spielen gegeben, leider wieder verloren gingen. Kalk wird noch jetzt dort gefunden. Die Stadt soll von den Hus- siten auf ihrem Zuge nach Bernau zerstört worden sein. Einige meinen, daß die Zerstörung älter sei. Der große platte Stein inner- halb der „Stadtstelle“ (der sogenannte Mark- oder Marktstein) ist vielleicht ein Denkmal aus der heidnischen Zeit. Es ist nicht un- denkbar, daß hier, mitten im Urwalde, schon die Semnonen einen Volksversammlungsplatz oder eine Opferstätte hatten, und daß die Städte erbauenden Wenden (oder vielleicht auch erst die Sachsen), als sie an dieser Stelle einen Wohnort gründeten, den heidnischen Opferstein liegen ließen, wo er lag, weil es unmöglich war, ihn fortzuschaffen. Dieser Markstein wird hier auch noch liegen, wenn von den Feldsteinmauern rings umher längst die letzte Spur ver- schwunden ist. Sollen diese Spuren gewahrt werden, so ist es die höchste Zeit . Schon hat die Pflugschar ganze Strecken der „Stadtstelle“ in Aecker umgewandelt und der Eichenwald ist hin, der diese Stelle so lange in seinen Schutz nahm.“ So weit der Bericht von 1843. Ich suche nun in Nachste- hendem zu schildern, wie ich beinahe 20 Jahre später (1862) die Stadtstelle gefunden habe. Von dem Hügelrande aus gesehen, der die schon genannte „Suhle“ einfaßt, hat man nach Osten (nach Prötzel) hin ein wellenförmiges, hier und da angebautes Stück Land vor sich, das an einzelnen Stellen von lose aufgethürmten, sehr niedrigen Stein- mauern eingefaßt, an anderen Stellen mit großen Feldsteinen wie besäet ist. Wer viel in der Mark gereist ist, dem fällt der Anblick zunächst nicht auf, denn es giebt unendlich viele solcher mit Feld- steinmassen übersäeter Felder, deren Feldsteinblöcke — um das Feld doch einigermaßen nutzbar zu machen — die Menschenhand bei Seite geworfen, so zu sagen an den Tellerrand gelegt und dadurch ein freies Feld mit einer steinernen Einfriedigung geschaffen hat. Dies ist der nächste Eindruck; nichts was auf den ersten Blick an Stadtüberreste erinnerte, und man tritt (ohne es zu merken) in die alte Umwallung ein, völlig überzeugt, daß Klöden Recht gehabt habe, als er die Existenz einer Stadtstelle bestritt. Aber dieser Eindruck ist nicht von Dauer. Unser kundiger Führer (der Meier auf dem obengenannten Vorwerk) führt uns an ein Gestrüpp von Elsbusch und Brombeerstrauch und sagt dann, auf eine Steinlinie zeigend, die kaum fußhoch aus der Erde hervor- ragt: Dies ist die Kirche . Wir antworten zunächst mit einem halb verlegenen Lächeln. „Hier können Sie den Kalk sehen“, fährt der Führer fort, ein Stück Mörtel aus den Fugen losstoßend, und indem wir uns nunmehr niederbeugen und das Kalkstück in die Hand nehmen, erkennen wir mit so großer Bestimmtheit, wie sie nur irgendwie der Augenschein geben kann, daß wir hier nicht eine aufgeschüttete Einfriedigung, sondern ein in die Tiefe gehendes, gemauertes Fundament vor uns haben. Auf einen Schlag sind wir überführt. Wir verfolgen nun die Steinlinie, kommen an die Ecksteine, endlich an einen zweiten und dritten, überblicken das Oblong und sind mit einem Male orientirt. Aller Zweifel schwindet und wir sehen klärlich: hier hat ein Gebäude gestanden, die Fun- damente liegen da; ob Kirche oder Rathhaus, ist gleichgültig; höchst wahrscheinlich eine Kirche. Unser Führer erkennt sehr wohl die Umwandlung, die in uns vorgegangen. „Ich werde Sie nun zu dem großen Brunnen führen“, murmelt er mit erkünstelter Gleich- gültigkeit (denn diese „Stadt-Stelle“ ist sein Stolz) vor sich hin und geht, hügelanwärts, vorauf. Inmitten eines Stück Roggen- landes, dessen Halme erst handhoch aus der Erde ragen, stehen wir alsbald vor dem Brunnen, und zwar ganz unzweideutig vor einem jener Ziehbrunnen, wie wir deren noch jetzt in den Dorfgassen be- gegnen. Wir sehen eine Rundung von 5 bis 6 Fuß Durchmesser, die Rundung selbst mit Feldsteinen ausgemauert und die Höhlung, wiewohl mit Geröll locker zugeworfen, noch jetzt über 5 Fuß tief. Auf unsere Fragen erfahren wir, daß vor 20 Jahren alle diese Dinge noch viel deutlicher waren: das Mauerwerk der Kirche ragte noch mannshoch auf, die Brunnenhöhlung war noch gegen 15 Fuß tief, und die innere Umkleidung, der Mantel des Brunnens, erwies sich noch deutlich als eine Art Lehm-Cylinder, in dem die Steine kreisförmig übereinander steckten. So vor 20 Jahren, also zur selben Zeit, als der Prötzler Geistliche schrieb. Aber was da ist, genügt auch jetzt noch völlig zur Beweisführung. Wir schreiten nunmehr von der „Brunnen- stelle“ zu der benachbarten „Backofenstelle.“ Sie liegt mitten im Roggenland und giebt sich zunächst durch nichts Besonderes zu erkennen. Die Roggenhalme stehen hier ebenso wie rundum. Erst bei genauerer Einsicht gewahren wir, daß sich mitten in dem schwarzbraunen Boden eine kreisrunde, etwa 6 Fuß im Durchmesser habende Lehmstelle scharf markirt. „Hier stand ein Backofen; Sie werden unten (in dem tiefer gelegenen Stadttheil) bessere sehn.“ Von der Backofenstelle geht es zum „Marktstein“, der an höchster Stelle der Stadtstelle gelegen, bis diesen Tag von einer alten Eiche überschattet wird. Aber diese Eiche, alt wie sie ist, ist keine von den ältesten. Sie ist eine von dem Nachwuchs , der, als die Stadt zerstört war, durch die offenen Thore hier einrückte. Die wirklich alte Eichengeneration, die, zu Lebzeiten der Stadt, den Marktplatz hier einfaßte und beschattete, ist hin und zeigt nur noch an einzelnen Wurzelstubben (von 7 Fuß Durchmesser), weß Schlages und Umfangs sie war. Weit mehr aber als diese Eichenstubben ist der Markstein selbst eine Sehenswürdigkeit. Es ist derselbe, über den wir schon den Prötzler Geistlichen berichten hörten. Er mißt etwa 8 Fuß im Quadrat, ragt nur wenig aus dem Erdreich hervor und gleicht einer großen, granitnen Tischplatte. Seine Wurzeln gehn sehr tief, so daß man bei Nachgrabungen, die vor einiger Zeit angestellt wurden, noch auf 14 Fuß Tiefe nicht das Ende des Steins er- reicht hatte. Natürlich hat nicht Menschenhand diesen Stein hierher gelegt, und die Annahme hat nichts Gezwungenes, daß er ein Opferstein der Ureinwohner war. Auf diesem Stein zu schlafen, müßte mindestens eben so unheimlich wie unbequemlich sein. Von dem Markstein aus, — nach den Detail-Studien, die man auf dem Wege dahin an Fundamenten, Brunnen- und Backofenstellen gemacht hat, — überblickt man nunmehr die „Stadt- stelle“, wie man auf eine Reliefkarte blickt; man ist durchaus orientirt und hat Alles in völliger Klarheit vor sich. Man erkennt die Stadtmauer, die Thore, die Hauptstraße, die Kirche, die ein- zelnen Häuser und Gehöfte, — und ungerufen, wie eine Vision, steigt die alte Stadt wieder vor unserem Auge auf. Gewiß ist das Bild ein vielfach falsches; aber die Umrisse liegen übersichtlich da, und die Fehler, die wir machen, sind nur die, in die wir verfal- len, wenn wir uns mit Hülfe eines Plans eine Stadt im Geiste auferbauen. Die Dinge selbst sind nicht richtig, aber wir geben den Dingen ihren richtigen Platz . Nachdem wir Umschau gehalten, traten wir nunmehr den Rückweg an. Unser Nächstes war, den Umfang von Stadt und Kirche auszumessen. Die Kirche mißt 50 Fuß zu 40; die ganze Stadt ist 600 Schritt lang und ziemlich eben so breit. Unten am Hügel-Abhang, in der Nähe der „Suhle“, blickten wir noch ein- mal auf das Steinfeld, das nun nicht länger ein Chaos für uns war, zurück; — dann trennten wir uns zögernd von dieser Stelle, über der ein eigener Zauber waltet. Die Natur wuchs einst wild in diese alte Stelle der Cultur hinein und wucherte darin; nun hat eine andere Cultur den Wald gefällt und breitet ihre Saaten darin aus. Im Mai blüht und duftet hier der Raps; im Juni wogen die Kornfelder. Städtische Cultur von ehemals und Acker- cultur von heut reichen sich über dem vierhundertjährigen Wald- Interregnum die Hand. Aber an Unheimlichem fehlt es noch immer nicht. Das Wildschwein hat es nicht vergessen, daß Jahr- hunderte lang ihm diese Stelle gehörte, und in Sommernächten, wenn der Rapsduft vom Feld her in den Wald zieht, dann bricht es in sein altes Land ein, erst in die „Suhle“, dann in die Saat und tritt nieder und wirbelt auf. Wer dann im „Blumenthal“ seines Weges kommt, der hört ein Lärmen und Jolen, ein Grunzen und Quitschen wie in alter Zeit, und weiß nicht, ist es ein Hexen-Sabbath oder die wilde Jagd. Predikow. Vor Thaue noch und Tage Zog aus er heut, mit Hund und Horn, Daß er den Hirsch erjage. Alte Ballade . U m den großen und sagenreichen „Blumenthalwald“ herum, der das Plateau des Barnim von West nach Ost durchzieht, gruppirt sich eine ganze Anzahl schöner und reicher Güter, die, bis in die Zeiten des dreißigjährigen Krieges hinein, das Besitzthum vier alter märkischer Familien waren. Lichterfelde, Hohen-Finow, Trampe und Hackelberg (alle im Norden des Blumenthalwaldes gelegen) gehörten den Sparrs; Gielsdorf und Garzin (im Süden) den Pfuels; Werneuchen (westlich) den Krummensees; im Osten aber saßen die Barfuse auf Möglin und Batzlow, auf Prötzel und Predikow. Die Krummensees sind ausgestorben; von den Sparrs existirt noch ein Zweig in Pommern (ihre märkischen Güter sind längst in andere Hände übergegangen); die Pfuels blühen noch auf Gielsdorf und Jahnsfelde, anderer neu erworbener Güter zu geschweigen; die Bar- fuse aber, eine Zeit lang die mächtigsten und reichsten vielleicht, haben alles eingebüßt und besitzen von jenen fünfzehn Gütern, die sie zur Regierungszeit des großen Kurfürsten (blos im Lande Barnim) inne hatten, nur eines noch — Batzlow. Die letztge- nannten, die Barfuse , sind es, die uns in diesem Kapitel aus- schließlich beschäftigen sollen. Sie kommen zuerst 1280 in den Marken vor, wo Hans Barfus, als einer der angesehensten Vasallen des Landes Ober- barnim, genannt wird. In ihre sagenhafte Vorgeschichte steigen wir übrigens nicht zurück und leisten namentlich auch Verzicht darauf, den alten Streit wegen „Barfus“ mit einem s und „Barfuß“ mit einem ß entscheiden zu wollen. Die Genealogen schreiben „Bar- fuß“, einfach auf das Wappen der Familie deutend, das drei un- verkennbare Barfüße zeigt; die Familie selbst aber verwirft die Ableitung von einem niedersächsischen Geschlecht der Baarfoote, Barfuße oder Nudipes (wie sie in alten Urkunden häufig genannt werden), und schreibt sich Barfus, ihren Ursprung auf das alt- kölnische (ursprünglich römische) Patriziergeschlecht der Parvus zu- rückführend. Der jetzige Senior der Familie besitzt unter seinen vielen Bildern und Schildereien auch eine Abbildung des alten, noch existirenden Parvusenhofes in Köln, eine Stätte, auf die er als auf den alten Ursitz seiner Familie zurückblickt. Gleichviel ob Barfuß oder Barfus, für unsere Zwecke genügt es, daß die Barfuse (wie wir in Huldigung gegen die Familie, aber ohne direkte Parteiergreifung schreiben wollen) schon in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts auf dem Oberbarnim säßig waren und bald darauf bereits dieselben Güter inne hatten, die später den Kern ihres ausgebreiteten Besitzes bildeten: Kunersdorf (nicht das Schlachten-Kunersdorf), Batzlow, Predikow und Möglin. Predikow war das eigentliche Familiengut und damals unmittel- bar am Rande des „Blumenthal“ Dieser schöne Forst wird nie der Blumenthal wald , sondern immer nur kurz „der Blumenthal“ genannt. gelegen war es besonders werth- voll durch seine Forstbestände, die sich, nach Westen hin, bis weit in den Blumenthalwald hinein erstreckten. Diesen reichen Forstbe- ständen verdanken wir es auch, daß wir die Barfuse, etwa um 1590 herum, bereits in der Specialgeschichte unseres Landes auf- treten sehen, indem es eben dieser Predikowsche Antheil am Blu- menthalwalde war, der unter Johann Georg und Joachim Friedrich zu einem vieljährigen Streit zwischen den Kurfürsten und den Bar- fusen führte. Dem ganzen Ereigniß — ohne schließlich in einer Schlacht von Otterbourne oder einem Percy- und Douglaskampf zu culminiren — stand nichts desto weniger von Anfang an ein gewisses romantisches Element zur Seite, und um dieses Stückleins Romantik willen (eine seltene Blume hierlandes) mag es gerecht- fertigt sein, wenn wir einen Augenblick bei der Erzählung des ganzen Hergangs verweilen. Kurfürst Johann Georg liebte die Jagd, wie alle Hohenzollern vor und nach ihm, Friedrich den Großen abgerechnet, der das Jagdvergnügen einfach als eine Barbarei bezeichnete. Die Kurfür- sten jagten damals in den schönen Forsten um Berlin herum, in den weiten Waldrevieren von Potsdam und Spandau, von Kö- penick und Fürstenwalde, und besaßen außerdem den „Werbelliner Wald“, einen der schönsten Forste in Norddeutschland. Aber, voll wachsender Jagdpassion, mit jeder Grenze unzufrieden, ging ihr beständiges Streben dahin, ihre Jagdterritorien zu erweitern und immer neue Waldgebiete in den großen Jagdgrund hineinzuziehen. Eine seiner Jagden führte den Kurfürsten (Johann Georg) um 1590 in den „Blumenthal“ und die Schönheit dieses Waldes machte einen tiefen Eindruck auf ihn. Der fruchtbare Boden, der allem, was hier wuchs, eine üppige Schönheit lieh, die hohen Eichen, das frische Niederholz, das Terrain selbst in buntem Wechsel von Thal und Hügel, mit klaren Seen in Tiefen und Schluchten, alles das erfreute das Jägerherz Johann Georgs, und ehe eine Woche um war, wandte er sich an die Barfuse (vier Brüder), die damals auf Predikow saßen, und bat um die Erlaubniß, in ihrem Walde jagen zu dürfen. Die Barfuse (Richard, Nicolaus, Valentin und Casper) willfahrten gern dem kurfürstlichen Wunsche, ohne Ahnung, daß aus ihrer Willfährigkeit alsbald das dauernde Recht der „Vorjagd“ gefolgert werden würde. Und dennoch geschah es so. Ohne weitere Nachsuchung, gestützt auf das plötzlich in’s Leben getretene Recht „landesherrlicher Vorjagd“ brach im Sommer 1602 das Jagdgefolge Joachim Friedrichs (des Nachfolgers Johann 6 Georgs) „mit Hund und Horn“ in die Predikowschen Waldungen ein und das Geklaff von über 200 Rüden lärmte durch den Forst. Ehe der Tag um war, war das hohe Wild zu Tode gehetzt und der junge Wildstand vernichtet. Soweit die Romantik; die vier Barfuse aber, statt ihren Clan zu den Waffen zu rufen, wurden klagbar beim Obergericht, und als nach fünfzig oder hundert Jah- ren der Instanzenzug zu Ende war, war längst kein Barfus mehr auf Hohen- und Nieder-Predikow. Die Barfuse wurden klagbar, statt ihren Clan zu entbieten; aber wir würden sehr irren, wenn wir aus diesem Abstehen vom Kampf gegen die damals schon fest gegründete hohenzollernsche Gewalt, etwa den Schluß ziehen wollten, die vier Barfuse auf Pre- dikow wären sehr friedliche und ruhige Leute gewesen. Sie waren so ziemlich das Gegentheil davon, was aus einer andern Geschichte erhellen mag. Von den vier Brüdern waren drei, die beiden ältesten und der jüngste, auf ihren „Höfen“ in Predikow geblieben, während der dritte Bruder, Valentin, in die Dienste des Pommernherzogs getreten und dessen Oberjägermeister geworden war. Es war um 1610, also acht Jahre nach der Jagd im „Blu- menthal“, als Valentin Barfus auf Besuch nach Predikow kam. Es verstand sich von selbst, daß er von seinen Brüdern der Reihe nach bewirthet wurde. Der älteste, Richard, der auf dem „rothen Hause“ in Nieder-Predikow saß, hatte natürlich den Vorrang als Festgeber und eine tüchtige Zechkumpanei, nach Sitte jener Zeit, wurde geladen. Man trank, man jubelte, man tobte und, unglaub- lich zu sagen, — denn woher nahm man die Damen ? — man tanzte auch. So kam Mitternacht heran. Um Mitternacht aber legten die Spielleute matt und müde ihre Fiedeln nieder und sag- ten: „Wir können nicht mehr!“ Da sprang Nicolaus, der zweite und wildeste der Brüder, mitten unter sie und schrie, indem er dem Nächsten mit der Faust drohte: „Weiter, weiter, und wenn der Teufel selber aufspielen sollte!“ Da erschien der böse Feind auf dem Ofen, mit der Sackpfeife unterm Arm, grinste den Ni- colaus an und spielte auf. Da entsetzten sich die Barfuse und lie- ßen den Pfarrer holen. Als er kam, fingen sie an mit ihm zu beten, und beteten, bis der Sackpfeifer wieder verschwunden war. Aber der Teufel war doch im Hause gewesen und Unfrieden ließ er zurück. Fehde brach aus zwischen den Brüdern; die beiden älteren standen sich im Zweikampf gegenüber, und auf dem Gras- platz am Teich, hundert Schritt hinter dem rothen Hause, fiel Richard, der älteste, von der Hand des zweiten Bruders, eben jenes Nicolaus, der an dem geschilderten Zechabend den unheimli- chen Sackpfeifer herbei gerufen hatte. Unfriede kam in’s Haus und alsbald jedes Unglück im Geleit. Der dreißigjährige Krieg legte die Felder wüst und fünfzig Jahre später war kein Barfus mehr in Predikow. Intrigue und Gewalt hatten ihnen ihr altes Erbe entwunden. In Predikow ist wenig oder nichts mehr, das an die alten Barfus-Zeiten erinnerte. Noch unterscheidet man ein Ober- und Unterdorf, noch weiß man, wo das „rothe Haus“ gestanden und wo der älteste Bruder, zum Tod getroffen, zusammensank; aber sonst schweigt an dieser Stelle alles von den Barfusen, wiewohl die alte Ulmenallee noch steht, die sie gepflanzt, und die alte Kirche, die sie gebaut haben. Diese Kirche ist eine jener einfach malerischen Feldsteinbauten, wie man ihnen, aus dem vierzehnten und fünfzehnten Jahrhundert her, so oft in den Marken begegnet. Ein Christuskopf auf dem Schweißtuch der heiligen Veronica, eine rohe Arbeit, stammt viel- leicht noch aus jener Zeit der „vier Brüder“, aber niemand weiß es zu sagen. Im Jahr 1821 war ferner noch ein Barfussches Wappenfenster da; indessen protestantisches „Lichtbedürfniß“ hat längst seitdem das bunte Glas beseitigt und eine „helle Scheibe“ an die Stelle der bunten gesetzt. Nichts mehr mahnt an die Bar- fuse hier als ihre Gruft, aber auch die Sprache der Särge ist stumm gemacht. Der Eingang in das Gewölbe ist zugemauert, und die Gruft selber, so würden wir glauben, längst verschüttet, wenn nicht der Estrich hie und da tief versänke und hohlen Klang gäbe 6* bei jedem Schritt darüber hin. Aber verschüttet oder nicht, da un- ten ruhen die vier Brüder Barfus, bei denen unsere Erzählung länger verweilt hat: Valentin, „der beim Pommernherzog das Zechen gelernt,“ Richard, der hinter dem „rothen Hause“ zusam- mensank und Nicolaus, der den Teufel-Spielmann rief und dann ihm verfiel. Von den Predikowschen Barfusen aber wenden wir uns viel berühmteren Gliedern derselben Familie zu: den Barfusen von Möglin . Noch gedenkt ihrer, ihres Namens in der Geschichte zu geschweigen, ein altes Wappenschild in der kleinen Kirche des eben- genannten Dorfs, aber im Gedächtniß der „Mögliner, die nach ihnen kamen,“ sind sie todt; mit Unrecht. Detlof Friedrich von Barfus, der als Oberst bei der Belagerung von Greifswald fiel, war ein Barfus von Möglin , dessen das Dorf schon Grund hätte in Ehren eingedenk zu sein bis diesen Tag; mehr aber als Detlof Friedrich und alle Barfuse vor und nach ihm steuerte Hans Albrecht von Barfus , der Feldmarschall und Türkenbesieger, zum Ruhme seiner Familie und seines Dorfes bei. Diesem, dem vornehmsten seines Geschlechts, wenden wir uns nunmehr aus- führlich zu. Hans Albrecht von Barfus. Der jetzt Alles vermag und kann, War erst nur ein schlichter Edelmann, Und weil er der Kriegsgöttin sich vertraut, Hat er sich diese Größ’ erbaut. Schiller. H ans Albrecht von Barfus wurde, inmitten der Drangsale des dreißigjährigen Krieges, 1635 zu Möglin geboren. Dieses Dorf, dem zu Anfang dieses Jahrhunderts, durch den Namen Albrecht Thaers , ein Ruhm weit über die Grenzen unserer Heimath hin- aus erwuchs, war an und für sich ein unbedeutender Besitz; der Vater Hans Albrechts aber, in so weit er einige Nachbargüter be- saß, zählte keineswegs zu den ärmerern Grundbesitzern des Barnim und verfügte zweifellos über die Mittel, seinem Sohne eine Er- ziehung zu geben. Aber sei es, daß der Vater, wie so viele da- mals und später, von hohen Schulen nicht allzu hoch dachte, oder daß die Verwüstungen des Krieges die vorhandenen Mittel er- schöpft hatten, gleichviel, eine classische Bildung unterblieb, und eine weltmännische kaum minder. Das Militärische trat von An- fang an in den Vordergrund und wurde Schule für’s Leben, Staffel zum Glück. Hans Albrecht trat früh in Dienst. Es war die Zeit, wo die Söhne des Adels anfingen, nachdem sie Jahrhunderte lang dem Aufgebot ihres Landesherrn gefolgt waren, den Krieg aus eigenem Trieb heraus als Metier zu treiben. Alles drängte darauf hin. Die Edelhöfe lagen wüst, die Zeiten waren unsicher, zudem traten eben jetzt die stehenden Heere in’s Leben und brauchten Offiziere. Hans Albrecht diente „von der Pieke auf“, ein Umstand, dessen er sich in seinen Feldmarschallstagen gern zu rühmen pflegte. Seine ersten Feldzüge machte er unter Sparr, Derfflinger und Görtzke. Er focht mit in Polen (die dreitägige Schlacht bei Warschau), in Pommern, in Preußen und am Rhein. Bei Fehr- bellin war er höchst wahrscheinlich nicht, da er zu allen Zeiten beim Fußvolk stand, das brandenburgischerseits in dieser Reiterschlacht fast gar nicht zur Verwendung kam. Auch Schöning (aus gleichem Grunde, wie schon erzählt) fehlte bei Fehrbellin. Im Uebrigen be- gann schon damals der Unterschied zwischen Schöning und Barfus, auch in ihrer äußern Stellung hervorzutreten. Schöning war mit 35 Jahren Generalmajor , Barfus mit 35 Jahren — Lieute- nant . Das durfte nicht Wunder nehmen. Erwies sich Schöning doch in allem und jedem als der „Ausnahmemensch“, als der Mann der „großen Carrière“. Barfus hingegen war der Durch- schnittsmensch, der Mann der Anciennität. Freilich gehörte er jener Classe von Personen zu, die man als die subalternen Genies bezeichnen könnte, zu jener Classe von Leuten, die eine mäßige Begabung glücklich und segensreich für sich und andere auszubeu- ten wissen. Ihre Tugenden sind Charaktersache und ihre Genialität heißt: Abwarten, Ausdauer, Consequenz. Eine solche Natur war die unseres Hans Albrecht. Im Jahr 1670, fünfunddreißig Jahre alt, war er noch Lieutenant, aber sei es, daß die immer sich schneller folgenden Kriegszüge ihm eine rasch wachsende Gelegenheit gaben, sich aus- zuzeichnen, oder daß das Glück, das ihm so wenig hold gewesen war, plötzlich seine gute Laune ihm zuwandte, gleichviel, mit 35 Jahren noch Lieutenant, war er mit 43 Jahren bereits Obrist eines Regiments und wenige Jahre später Generalmajor. (In der neueren preußischen Kriegsgeschichte bietet vielleicht nur Gneisenau ein ähnliches Beispiel verspäteten und dann sehr raschen Avance- ments, Gneisenau, der 1806 noch Capitän und 1813 bereits Ge- nerallieutenant war.) Als solcher machte Barfus zwei Türkenzüge mit, den ersten (1683) behufs des Entsatzes von Wien, den an- dern (1686) wegen der Eroberung von Ofen . Die Belagerung dieser Festung und den besonders ruhmreichen Antheil, den Hans Albrecht an dieser Belagerung genommen, habe ich unter Tamsel , in dem Kapitel „Hans Adam von Schöning“ bereits ausführ- licher erzählt. Schöning wird der Ruhm nicht genommen werden können, Brandenburg damals, sowohl durch sein persönliches Auf- treten, wie auch durch den Aplomb, mit dem er seine Truppen in den Vordergrund schob, glänzend repräsentirt zu haben, glänzender muthmaßlich, als es unser Hans Albrecht vermocht hätte; dem letzteren aber bleibt seinerseits das Verdienst, in der Nähe des „Ofens, der sehr heiß war,“ wie damals das Sprüchwort ging, am andauerndsten ausgehalten und zweimal allerpersönlichst die Kastanien aus dem Feuer geholt zu haben. Seine Sturmkolonne war es, neben der kaiserlichen des Herzogs von Croy, die über das Schicksal „Budas“ entschied. Zwei ruhmreiche Türkenzüge lagen hinter ihm; aber ein dritter, ruhmreicherer stand ihm bevor; ruhmreicher vielleicht für die christlichen Waffen überhaupt, jedenfalls ruhmreicher für unsern Hans Albrecht selbst. Im Jahr 1691 stieß abermals ein Corps Brandenburger als Auxiliartruppe zu den Kaiserlichen, und am 19. August erfolgte Angesichts von Peterwardein, die große Tür- kenschlacht bei Szalankament. Markgraf Ludwig von Baden führte das christliche Heer. Da Barfus diesen wichtigen Tag zu „Ehren der Christenheit“ entschied, so ziemt es sich wohl, bei den Details dieses Tages, so sehr wir sonst geneigt sind, von Schlachtenschil- derungen Abstand zu nehmen, etwas ausführlicher zu verweilen. Die Türken, etwa 100,000 Mann stark, hatten eine sehr feste, aber zugleich sehr gefährliche Position eingenommen, eine Position, in der sie siegen oder nothwendig zu Grunde gehen mußten. Sie standen nämlich mit ihrem Fußvolk (50,000 Mann, meist Janitscharen) auf den Hügeln an der Donau, den Fluß im Rücken, die Ebene vor sich. Auf dieser Ebene, am Fuß des Hügels, standen andere 50,000 Mann, lauter Reiterei (Spahis). Die Janitscharen führte der Großvezier Köprili, die Reiterei der Seraskier-Pascha. Die kaiser- liche Armee war viel schwächer und betrug im Ganzen kaum 50,000 Mann. Den rechten Flügel führte Feldzeugmeister Graf Souches, den linken Feldmarschall Graf Dünewald, im Centrum aber befehligte Hans Albrecht von Barfus; siebzehn Bataillone und einunddreißig Schwadronen standen unter seinem Commando. Der Plan des Markgrafen Ludwig war vortrefflich. Graf Dünewald sollte vom linken Flügel her mit 85 Schwadronen die Spahis von der Ebene fortfegen, und den glücklichen Moment benutzend, war Graf Souches angewiesen, über das frei gewordene Terrain hinweg die Hügel zu erstürmen; aber der große Reiteran- griff Graf Dünewalds unterblieb (das Terrain war unwegsam), und so griff denn Graf Souches unter ungünstigen Verhältnissen an. Dreimal vordringend, wurde er dreimal zurückgeschlagen, und bereits schickte die ganze türkische Reiterei sich an, die Vernichtung des rechten Flügels vollständig zu machen, als Barfus mit seinen Bataillonen vorrückend und einfach rechts schwenkend, eine schützende Mauer zwischen die eben angreifenden Spahis und den in Flucht aufgelösten rechten Flügel schob. Diese Eine Bewegung stellte die Schlacht wieder her. Aber Barfus sollte nicht nur die schon verlorene Schlacht wieder herstellen, er sollte sie in der zweiten Hälfte des Kampfes gewinnen . Wir blicken jetzt auf den zweiten Akt der Schlacht. Der sieghafte Sturm der Spahis war gehemmt, noch ehe er seinen vollen Anlauf hatte nehmen können; die Schlacht stand. Da endlich kam Graf Dünewald, der lang erwartete, mit dem linken Flügel heran; Markgraf Ludwig stellte sich selbst an die Spitze der Reiterei und brach nun von links her in die Spahis ein, während 6000 Kürassiere, die gesammte Reserve des christlichen Heeres, den Feind in der Front angriffen. Der Angriff war unwiderstehlich. Die Fortfegung der Spahis, womit die Schlacht hatte beginnen sollen, jetzt war sie vollzogen; aber kein rechter Flügel existirte mehr, um die Gunst des Moments zu nutzen. Graf Souches selbst lag todt auf der Wahlstatt. Nur das Centrum stand noch. Barfus erkannte die volle Bedeutung des Moments. Was der rechte Flügel nicht mehr konnte, das konnte das Centrum, nur noch das Centrum. Die Aufgabe jenes war auf dieses übergegangen. Barfus rückte vor zum Sturm. Siegreich, wie er vor Buda in die Bresche eingerückt war, so erstieg er hier die Höhen und ein rasendes Gemetzel be- gann. Was nicht in Stücke gehauen wurde, warf sich in die Donau und ertrank. Der Großvezier Köprili, der Stolz und Abgott der Türken, der Janitscharen-Aga, 18 Paschas, 36 Alaibege, 15 Torbaschis der Janitscharen und 20,000 Gemeine bedeckten das Schlachtfeld; die große Heeresfahne des Großveziers von grüner Farbe mit Gold, 145 Kanonen, die Kriegskasse, 10,000 Zelte ꝛc. waren erbeutet, und wohl mochte Markgraf Ludwig berichten, „daß diese Schlacht die schärfste und blutigste in diesem Säculo gewesen, maßen die Türken wie verzweifelte Leut’ gefoch- ten und mehr als eine Stunde den Sieg in Händen gehabt.“ Der Verlust des Christenheeres betrug 7300 Mann, darunter 1000 Brandenburger. Der Sieg bei Szalankament, seiner allgemeinen Bedeutung zu geschweigen, hatte auch eine hohe Bedeutung für das Haus Brandenburg insbesondere. Markgraf Ludwig schrieb an den Kur- fürsten und drückte sich über die Mitwirkung der brandenburgischen Hülfsvölker in folgenden Worten aus: „Ich kann Euer Kurfürst- liche Durchlaucht den außerordentlichen Valor und das gute Be- nehmen von Dero Generallieutenant von Barfus, so wie Ihrer braven Truppen nicht genug rühmen, und ihnen allein hat der Kaiser den Sieg und die Vernichtung der Türken zu danken.“ Eine ähnliche complimentenreiche Sprache war zwar damals an der Tagesordnung und verfolgte den leicht begreiflichen Zweck, durch freigebig gespendetes Lob die verschiedenen Reichsfürsten und ihre Truppenbefehlshaber bei guter Laune zu erhalten. Im vor- liegenden Fall indeß, so müssen wir annehmen, waren diese Worte mehr als bloßes Compliment und drückten in der That eine wohl- verdiente Anerkennung aus. Dieß ergiebt sich zum Theil aus der Schlachtbeschreibung selbst. Barfus, durch seine prompte Rechts- schwenkung, dann durch seinen Sturm auf die Höhen, entschied zweimal, durch selbstständige Manöver, über das Schicksal des Tages. Aber freilich, Schlachtbeschreibungen können täuschen. Was indessen nicht täuschen kann, das ist das nachfolgende Benehmen des Wiener Hofes. Brandenburg, als es nach der Königswürde zu streben begann, betonte immer wieder und wieder, und zwar erfolgreich, seine entscheidende Mitwirkung am Tage von Szalan- kament, und so mögen denn die Barfuse nicht ganz Unrecht ha- ben, wenn sie den stolzen Ausspruch wagen: „ihr Ahn, Hans Albrecht, habe auf dem Felde von Szalankament die preußische Königswürde mit erobern helfen.“ Im Jahre 1692 kehrte Barfus mit seinem Hülfscorps nach Berlin zurück. Hier häuften sich jetzt die Ehren auf seinem Haupt. Ohne ein Hofmann zu sein, vielleicht selbst ohne den Ehrgeiz, es sein zu wollen , trat er in die Hofkreise und ihr Parteigetriebe ein. Was eigenes Verdienst ihm nicht erwarb, erwarb ihm die Coterie, der er angehörte. „Eine Hand wusch die andere“, wie nicht zum zweiten mal in unserer Geschichte. Er hielt sich von Anfang an zur „Fraktion Dohna-Dönhof“ und es gereicht ihm zur Ehre, in einer Zeit voll cynisch egoistischen Undanks, in Treue bei der einmal erwählten Partei ausgehalten zu haben. Es kam freilich hinzu, daß er seit 1693 mit Gräfin Eleonore von Dönhof (in zweiter Ehe) vermählt und dadurch an die Interessen dieser Familie gefesselt war. 1695, ohne daß inzwischen neue Kriegsthaten ihm neuen Kriegsruhm erworben hatten, wurde er Feldmarschall-Lieutenant und das Jahr darauf Feldmarschall . Wie sein Rang und sein Ansehen, so wuchs sein Vermögen. Er erstand die Quittainenschen Güter in Ostpreußen, die bis dahin dem Feldmarschall Derfflinger gehört hatten, und endlich auch „Schloß Cossenblatt an der Spree“, seinen Lieblingsbesitz, von dem wir in dem nächsten Kapitel aus- führlicher sprechen werden. Aber erst das Jahr 1697 bezeichnet den Höhenpunkt seines Ruhms. Im November dieses Jahres wurde Eberhardt von Danckelmann , der bis dahin allmächtig geglaubte Minister, durch die Dohna-Dönhofsche Fraktion gestürzt. Hans Albrecht fielen die endlichen Erfolge eines Spieles zu, dessen Einfädelung und Durch- führung, wie wir annehmen dürfen, ihm wenig Sorge gemacht hatte. Seine Hand war zu schwer zur Einfädelung einer Intrigue. Er gab das Gewicht seines Namens her und ließ dann die andern machen. Danckelmann war gestürzt und Barfus wurde Premier- minister . Es war eine Zeit, wo sich jeder zu jedem fähig glaubte, wenigstens bei Hofe. Das bekannte Wort Oxenstiernas wurde wahr an jedem neuen Tag, und was das erstaunlichste ist: die Dinge gingen auch so , und gingen zum Theil sogar gut . Barfus war Premierminister, noch richtiger Universal minister. Er war alles, er that alles. Auswärtiges, Finanzen, Krieg — alles fiel ihm zu. Dazu war er Gouverneur von Berlin, Commandeur der Garde, Landeshauptmann der Grafschaft Ruppin, und so viel Stellen sich ihm aufthaten, so viel Quellen flossen in seinen Schatz. Er wurde sehr reich. Als Gouverneur von Berlin bezog er ein palastartiges Gebäude, das vor ihm der Obermarschall von Grumbkow (der Vater des bekannten) besessen hatte. Barfus ließ es umbauen, erweitern und einen Garten nach der Spree hin an- legen. Es ist dieß dasselbe Gebäude, das später, und bis auf diesen Tag, als „Stadtvogtei“ eine so hervorragende, aber freilich wenig poetische Rolle in unserer Stadt- und Staatsgeschichte gespielt hat. Hans Albrecht war Universal minister, aber er war es nur durch Zulassung und nicht durch eigene Kraft. Die Dohna- Dönhofs schoben ihn einfach vor, um in die entstandene Günst- lingslücke nicht einen neuen, vielleicht viel gefährlicheren Günst- ling einrücken zu lassen, als Danckelmann je gewesen war. Barfus fiel also die Rolle zu, durch sein bloßes Dasein den Satz zu predigen: wo ich bin, kann kein anderer sein. Das ging zwei Jahre lang, aber nicht länger. Der Kurfürst, was immer seine Schwächen sein mochten, war aus zu feiner Schulung, um an der Haltung eines alten Campagnesoldaten, der nicht einmal französisch sprach, auf die Dauer ein Genüge finden zu können. Neben einem geborenen Hofmann wie Kolbe-Warten- berg verschwand er, und die Einführung einer Perückensteuer , durch die er der Sitte und den Finanzen des Landes einen gleich großen Dienst zu leisten trachtete, war nicht angethan, die schon schwankende Wage zu seinen Gunsten sinken zu machen. Die neue Sonne stieg immer höher; Kolbe-Wartenberg begann wie ein Major Domus zu herrschen und der Hochmuth des gestürzten Danckelmann erschien nun wie Leutseligkeit, neben dem Ton des neuen Günstlings. Niemand wurde geschont, kaum die Königin, am wenigsten die alten Parteien des Hofes. Aber Barfus, der den Hof überhaupt wie ein Schlachtfeld nahm, war ein viel zu guter Soldat, um so ohne weiteres an Flucht oder Rückzug zu denken. Er hatte den türkischen Großvezier besiegt, warum nicht auch den Major Domus von Brandenburg? Den Danckelmann hatte er mit stürzen helfen, warum nicht auch den Wartenberg? Die Königin, die Dohna-Dönhofs, wenn sie auch anders darüber dachten, verfolgten doch dasselbe Ziel, und so entstand die „große Liga von 1702“, die keinen andern Zweck verfolgte, als den tyrannischen Günstling zu beseitigen und das Barfussche Interregnum von 1697—99, die Zeit der vereinig- ten Ministerien und der Perückensteuer, wieder herzustellen. Aber Kolbe-Wartenberg war glücklicher, als Danckelmann ge- wesen war. Vielleicht weil es die Liga in der Person versah, die sie mit Ausführung der Hauptrolle betraute. Diese Person war der Hofmarschall von Wense. Graf Otto Dönhof, als er von der Wahl dieses letztgenannten Herrn hörte, zuckte die Achseln, setzte aber gutgelaunt hinzu: „Wohlan denn, wir müssen dem Glück einen Ochsen opfern!“ Er hatte Recht gehabt. Nur blieb es nicht bei dem einen Opfer; alle traf die Ungnade des Kurfürsten (da- mals schon König), und während der Hofmarschall den Hof mit der Festung Küstrin vertauschen mußte, wurde der Rest vom Hofe verbannt, die Dohnas, die Dönhofs, und auch Barfus. Dies war seine letzte Action, — kein Ruhmestag von Sza- lankament. Der Hof war nicht sein Feld. Trösten mochte es ihn, daß auch Gewandtere unterlegen hatten. Unser Feldmarschall ging nach „Cossenblatt“, wo inzwischen der Frontbau eines Schlosses auf einer Spreeinsel entstanden war. Mit sich nahm er, zu allem, was er sonst besaß, ein Jahrgehalt von 8000, nach Pöllnitz sogar von 12,000 Thalern. Aber er erfreute sich desselben nicht lange mehr. Am 27. December 1704 beschloß er sein an Kämpfen und Wand- lungen reiches Leben. In einem schlichten Anbau neben der Cossen- blatter Kirche hat er seine letzte Ruhestatt gefunden. Wir versuchen nun, nachdem wir in Vorstehendem die Le- bensgeschichte Hans Albrechts erzählt haben, eine Schilderung sei- ner äußeren Erscheinung, wie seines Charakters. Hans Albrecht von Barfus war von großem, kräftigem Kör- perbau, über sechs Fuß hoch und durchaus militärisch in Haltung und Auftreten. Selbst groß und stattlich, legte er auch Gewicht auf Stattlichkeit, und lange bevor König Friedrich Wilhelm I. seine Riesengarde in’s Leben rief, verrieth Hans Albrecht eine entschiedene Neigung, hünenhafte Leute, besonders Offiziere, in den preußischen Dienst zu ziehen. Es waren dies die ersten Anfänge der später so notorisch gewordenen „blauen Kinder“ von Potsdam. So mag es auch mehr als Zufall sein, daß das einzige größere Bildniß, das von unserem Hans Albrecht existirt, ein Bild ist, das vom „Solda- tenkönig“ selber gemalt wurde. Das Bild stammt etwa aus dem Jahre 1737, und da um diese Zeit unser Feldmarschall längst verstorben war, so hat es nichts Unwahrscheinliches, daß der König, nach einem Stich oder einer Zeichnung, dieses Bildniß eigens in Hul- digung gegen denjenigen ausführte, in dem die Idee der „großen Blauen“ zuerst gedämmert und gelegentlich Gestalt gewonnen hatte. Fassen wir den Charakter unseres Feldmarschalls in’s Auge, so finden wir: er war tapfer, soldatisch, specifisch deutsch, antifran- zösisch (auch hierin ein Vorläufer Friedrich Wilhelms I. ), hab- süchtig, aber unbestechlich, rechthaberisch, aber nicht ungerecht, in Intriguen verwickelt, aber nicht eigentlich intriguant. Wir betrachten ihn zuerst in seinen soldatischen, dann in sei- nen hofmännischen Qualitäten. Als Soldat — ohne ihn über- schätzen zu wollen — erhob er sich, trotzdem er immer der Mann blieb, der „von der Pike auf“ gedient hatte, weit über die Classe jener Corpsführer, die auf die Ordre eines Vorgesetzten hin, ihre Truppe prompt in’s Feuer zu führen verstehen. Hätte seine mili- tärische Laufbahn mit der Erstürmung Ofens abgeschlossen, so würde er einfach einer jener „braven Soldaten“ gewesen sein, wie deren unsere Kriegsgeschichte so viele aufzuweisen hat; sein zwei- maliges und jedesmal entscheidendes Eingreifen in die Schlacht bei Szalankament aber zeigt ihn uns allerdings, wenn nicht als einen wirklichen Feldherrn, so doch als einen Soldaten von höheren Gaben. Beide male handelte er ohne Ordre und folgte nur seiner persönlichen Erkenntniß dessen, was der gegebene Moment erheischte. Sein Auge und sein Charakter bewährten sich dabei gleichmäßig; er hatte den ruhigen Blick, das Richtige, das was noth that, zu erkennen, und er hatte den Muth, das als richtig Erkannte auf eigene Verantwortung hin auszuführen. Dieser Blick und dieser Muth gehören schon zu den selteneren Gaben. Was ihm andererseits fehlte, das erkennen wir am besten, wenn wir sein militärisches Auftreten mit dem seines Nebenbuh- lers Schöning vergleichen. Schöning, wiewohl es ihm versagt blieb, in wirklich großen Verhältnissen zu wirken, geht dennoch, so oft er auftritt, jedesmal über das Alltägliche hinaus. Nicht zu- frieden damit, den Moment zu begreifen, begreift er die Situa- tion überhaupt. Es genügt ihm nicht, ein Nächstliegendes zu thun oder zu berechnen, sondern die Rücksicht auf das Ganze bestimmt seine Haltung. Am lehrreichsten nach dieser Seite hin, ist Schönings Auftreten vor Ofen. Kaum auf den Höhen erschienen, kaum begrüßt von der großen Christenarmee, die in weitem Halb- kreis die Festung umlagerte, rückte Schöning klingenden Spiels vor, und jede Deckung oder Vorsichtsmaßregel verschmähend, brachte er sich auf Einen Schlag in Linie mit dem Belagerungsheer. Der ungedeckte Vormarsch kostete Opfer und das ganze Manöver, glän- zend wie es war, fand nichts destoweniger lebhaften Tadel bei den Brandenburgern selbst. Sie bezeichneten es einfach als Rodomon- tade. Dennoch hatte Schöning Recht. Immer das Ganze in’s Auge fassend, sagte er sich, daß er der allgemeinen Sache, min- destens aber der Sache seines Kurfürsten, durch etwas Eclatan- tes am besten diene. Seine Berechnung traf im vollsten Maße zu. Den Türken sowohl wie den Verbündeten hatte dieser Aufmarsch imponirt, und lange bevor Buda über war, hatten die Branden- burger bei Freund und Feind einen moralischen Sieg errungen. Das war Schöning’sch; solcher Einfälle und Berechnungen wäre unser Barfus unfähig gewesen. Er gehört zu den Schachspielern, die in jedem Moment des Spiels einen guten Zug, vielleicht den besten, zu thun verstehen, aber der Gabe weitsichtiger Voraus- berechnung eben so sehr wie jeder genialischen Combination ent- behren. Tapfer, wie Hans Albrecht war, besaß er auch in hohem Maße jenen liebenswürdigen, den ächten und bewährten Muth verrathenden Zug alter Soldaten, schwache Momente nachsich- tig zu beurtheilen . Nur die Leute hinter’m warmen Ofen drin- gen auf constantes Heldenthum. Einstmals beklagte sich Graf Chri- stoph Dohna über die Feigheit eines Offiziers, der ihn während des Gefechts kläglich im Stich gelassen hatte. Barfus trat an Dohna heran und sagte: „Hören Sie, Graf, man muß Mitleid mit seinem Nächsten haben und ihm nicht alles Ueble anthun, was man ihm mit Gerechtigkeit würde anthun können. Es giebt schlechte Viertelstunden im Leben ; vielleicht wird dieser Offi- zier ein andermal sich besser zeigen. Ich werde mit ihm allein reden.“ Barfus that es, und wenige Tage später fiel der Offizier an der Spitze einer Angriffscolonne. Ein sehr hervorstechender Zug seines Charakters war das Antifranzösische . Seine vielbesprochene „Perückensteuer“ war nicht bloß eine Finanzmaßregel, sie war auch gegen das „fremde Unwesen“ überhaupt gerichtet. Der Umstand, daß er des Fran- zösischen nicht mächtig war, mochte freilich das seine dazu beitra- gen, ihn in seiner Abneigung gegen die „Welschen“ zu bestärken. Es kamen verdrießliche Scenen vor. Seine Gegner bei Hofe gefielen sich darin, in seiner Gegenwart französisch zu sprechen, oder wohl gar bei seinem Erscheinen, die bis dahin deutsch geführte Conversation mit einer französischen zu vertauschen. Da mochte es denn nicht ausbleiben, daß ein Theil des Aergers auf die Sprache fiel, die als Mittel dienen mußte, ihm solche Kränkungen zu bereiten. Von Habsucht hatte er, wie fast alle Personen, die den Hof König Friedrichs I. bildeten, sein reichlich zugemessen Theil; doch scheint er, trotz alles Hanges nach Besitz, der Corruption jener Zeit sich entzogen und seine gut deutsche Natur auch in Unbestech- lichkeit gezeigt zu haben. Er genoß auch dieses Rufes. Im Jahre 1699 beschwerte sich der holländische Großpensionär Heinsius über eine ganze Reihe unbegreiflicher Handelsmaßregeln, die alle vom Feldmarschall Barfus (der damals alles war, auch Finanz- minister) ausgegangen seien, und ließ den Verdacht durchblicken, daß Barfus im Solde Frankreichs stehe. Der Großpensionär er- hielt aber von competenter Seite den Bescheid, daß General Bar- fus überhaupt unbestechlich, „jedenfalls aber zu antifranzösisch sei, um sich jemals durch Frankreich bestechen zu lassen.“ Eben so wenig, wie er sich bestechlich erwies, eben so wenig war er intriguant. Er diente nur den Intriguen anderer. Er war vielleicht die Hauptkarte, ohne welche das Intriguenspiel anderer nie und nimmer gewonnen werden konnte, aber wie hoch immer seine Bedeutung, der Werth seiner Karte sein mochte, er war nicht der Spieler selbst . Klügere benutzten ihn und gönnten ihm die goldenen Früchte, die ihm in den Schooß fielen. Er war nicht intriguant, aber wir würden irre gehen, wenn wir ihm aus dem Fehlen dieser Eigenschaft irgend ein besonderes Verdienst machen, oder ihn gar mit der hohen Tugend der Selbst- suchtslosigkeit ausstatten wollten. Er gehörte jener Classe von Cha- rakteren an, denen man in ganz Norddeutschland und besonders in den Marken häufig begegnet: Personen, die zu wirklicher oder scheinbarer Offenheit eine große Verschlagenheit gesellen, und sol- datische Schroffheit und rücksichtslose Derbheit mit einem scharfen Erkennen des eigenen Vortheils glücklich vereinen. Er war voll jener scharfen Lebensklugheit, der wir bei allen denen begegnen, die ein brennendes Verlangen nach Bereicherung tragen, und besaß in hohem Maße die Kunst (ganz wie bei Szalankament), einen glücklich gegebenen Moment zu benutzen ; aber er besaß nicht die Kunst, einen solchen Moment durch feines Spiel, durch einen klug geschürzten Knoten herbeizuführen . Das aber ist der Unter- schied zwischen praktischer Lebensklugheit und Intrigue. Der „Prak- tiker“ nutzt die Situation, der Intriguant macht sie. Jener wird meist realere, dieser in der Regel mehr ideelle Zwecke verfolgen; der Intriguant wird böser, gefährlicher, der „Praktiker“ aber wird meist selbstsüchtiger sein. Die Hofgeschichte jener Tage bietet zwei Beispiele, die diesen Unterschied recht klar in’s Auge stellen. Als der Streit zwischen Schöning und Barfus auf seiner Höhe stand und niemand vor- aussagen mochte, wie er enden würde, verdarb Schöning sein eige- nes Spiel durch die agressive Weise, in der er vorging. Sein Hochmuth, seine Rechthaberei halfen den „richtigen Moment“ be- reiten, auf den Barfus wartete oder vielleicht auch nicht wartete, den er aber als richtigen Moment zu benutzen verstand, sobald er gekommen war. Diese Benutzung zeigte sich einfach darin, daß er der anmaßlichen oder doch der allzusicheren Sprache Schönings, womit dieser seine Sache vor dem Kurfürsten führte, einen Ton der Devotion gegenüberstellte. Dieser Ton der Devotion hatte nichts von einer Intrigue an sich, er war das einfache Resultat des Schlusses: „Wo Anmaßung verletzt hat, wird Devotion dop- pelt willkommen sein.“ Und der Erfolg bewies, daß dieser Schluß ein richtiger gewesen war. So weit reichten die Gaben unseres Barfus. Als es sich aber sechs Jahre später darum handelte, Eberhard Danckelmann, den Günstling des Kurfürsten, durch ein combinirtes Spiel, ein für allemal aus der Gunst seines Herrn zu entfernen, reichte es nicht aus, eine sich bietende Situation einfach zu benutzen, son- 7 dern es kam darauf an, durch eine Reihenfolge kleiner in einander greifender Scenen eine Situation zu schaffen . Dazu war Graf Christoph Dohna der Mann. Er begann folgendes Meisterspiel. Er wußte sich eine Medaille zu verschaffen, die Eberhard Danckel- mann — so hieß es wenigstens — sich und seiner Familie zu Ehren hatte schlagen lassen. Sie versinnbildlichte den Ruhm der Danckelmanns. Gewölk hing über Berlin, durch das Gewölk hin- durch aber leuchteten die sieben Sterne Eberhard Danckelmanns und seiner sechs Brüder; das Ganze trug die Inschrift: „Inta- minatis fulget honoribus.“ Christoph Dohna, der die Vorliebe des Kurfürsten für Münzen und Medaillen kannte, wußte es ein- zurichten, daß sich im Vorzimmer des Kurfürsten ein Streit um diese Medaille entspann. Als der Kurfürst heraustrat, um nach der Ursache des Lärms zu forschen, erzählte ihm Dohna, in erkün- stelter Verlegenheit, daß es sich um eine Medaille handle. „Ich wünsche sie zu sehen.“ — „Eure Kurfürstliche Durchlaucht wer- den die Medaille kennen.“ Mit diesen Worten überreichte Dohna das Gewünschte. Der Kurfürst betrachtete die sieben Sterne , biß sich (eifersüchtig wie er war) auf die Lippe und reichte sie mit den Worten zurück: „Ich weiß nichts davon.“ An dieser Scene ging Danckelmann zu Grunde. Ist es wahr, daß Danckelmann selbst von dieser Medaille nichts wußte, und daß sie vielmehr hinter seinem Rücken, auf An- stiften seiner Gegner, geprägt wurde, so haben wir es hier mit einer ziemlich unwählerisch eingefädelten, aber von Anfang bis Ende klug durchgeführten Intrigue zu thun, mit einer Intrigue, die in ihrem glücklichen Ausgang alle Ehren auf unsern Feld- marschall ausschüttete, aber von dem Glückskinde, das die Ehren einheimste, weder jemals hätte erdacht noch durchgespielt werden können. Wenn wir zum Schlusse nun Hans Albrecht von Barfus mit den hervorragenderen jener brandenburgisch preußischen Kriegs- leute vergleichen, die ihm seitdem gefolgt sind, so zeigt er mit kei- nem eine größere Verwandtschaft, als mit dem „alten York.“ Die- selbe Tapferkeit, dieselbe soldatische Schroffheit, dieselbe Strenge im Dienst und gegen sich selbst. Haß gegen französische Sitte, Gleichgültigkeit gegen die Frauen, Verachtung gegen Ausschweifung, gesellen sich als weitere übereinstimmende Züge hinzu. Eben so sind ihre Feldherrngaben nahe verwandt: kalte Ruhe, klares Erkennen der Fehler bei Freund und Feind, glückliche Benutzung des Mo- ments. Was sie aber vor allem mit einander gemein haben, das ist die hohe Meinung von sich selbst und in Folge dieser eigenen (wie immer auch berechtigten) Werthschätzung, eine krank- hafte Reizbarkeit gegen alles das, was neben oder wohl gar über ihnen stand. York in seinem Verhältniß zu Bülow und später zu Gneisenau (oder sagen wir wenigstens „zum Hauptquartier“) er- innert mehr als einmal an „Schöning und Barfus.“ Wenn York nichts desto weniger in hellerem Lichte vor uns steht als Hans Albert, so liegt das — ohne den hohen Verdien- sten Yorks zu nahe treten zu wollen — nicht unwesentlich darin, daß wir die „Convention von Tauroggen“ dankbar in Erinne- rung tragen, den Tag von Szalankament aber, trotz seiner Be- deutung für unsere Geschichte, so gut wie vergessen haben. Ein Anderes kommt hinzu. Der Charakter Yorks ruht allerdings auf einer sittlichen Basis, deren der Charakter Hans Albrechts, wenig- stens in so ausgesprochenem Maße, entbehrt. Aber andererseits dürfen wir diesen Umstand dem alten York nicht allzusehr zum Ruhme und unserem Barfus nicht allzusehr zum Schaden anrech- nen. Das sittliche Element, dessen sich York, im Vergleich zu Hans Albrecht, allerdings als eines Vorzugs erfreut, war überwiegend ein Vorzug der Zeit, in der er lebte, wenigstens jener Jahre, die die Befreiung des Vaterlandes brachten. Es war 1813 leichter als hundert Jahre früher, „selbstsuchtslos im Dienst einer Idee zu stehen.“ Was 1813 möglich war, war 1703 unmöglich. Die Charaktere waren weniger verschieden, als die Zeiten es waren . Mit Hans Albrecht von Barfus starb der letzte jener fünf brandenburgischen Feldherrn, die noch die jungen Tage des gro- 7* ßen Kurfürsten gesehen und die ersten Siege Brandenburgs unter seinen Fahnen erfochten hatten: Sparr, Derfflinger, Görtzke, Schöning, Barfus. Die Derfflinger sind ausgestorben. Glieder der vier andern Familien leben noch, aber von dem alten Besitz ist wenig oder nichts mehr in ihren Händen. Auf den alten Barfus- Gütern ist der Name des alten Geschlechts vergessen; nur „Schloß Cossenblatt an der Spree“ erzählt noch von seinem Erbauer, dem Feldmarschall. Diesem „Schloß in der Oede“ wenden wir uns im folgenden Kapitel zu. Schloß Cossenblatt. Aber führt der Weg den Wandrer An den Ort, den ich besinge, Kann er nicht dem Bangen wehren, Daß es ihm das Herz durchdringe. Lenau. D er Weg nach Cossenblatt führt über Fürstenwalde und Bees- kow. Fürstenwalde ist allerliebst und verdient ein Kapitel für sich; heut aber erreichen wir es spät und begnügen uns mit dem Ein- druck, den die halb im Dunkel liegende Stadt und die freundlich erleuchtete Passagierstube auf uns machen. Passagierstuben sind ein selten trügender Barometer für die Stimmung, das geistige Leben, das in den verschiedenen Städten herrscht, und es hat eine Bedeutung, ob „Schwerins Tod“ oder ein altes Postreglement über dem Sopha hängt. Die Fürstenwal- der Passagierstube zeigt noch auf „schön Wetter“. Es herrscht etwas Anheimelndes in dem Zimmer überhaupt und die gute Stimmung wächst im Hinblick auf eine Gruppe von älteren Männern, die, ein Glas Bier vor sich, am Sophatische Platz genommen haben. Es sind ihrer drei, zwei Bürger und der Wirth. Der letztere bestreitet wie billig die Kosten der Unterhaltung und bemerkt mit freundlicher Würde: „Sie glauben nicht, was alles vorkommt, meine Herren. Bahnhof ist Bahnhof und Post ist Post, aber die Menschen thun immer, als ob Bahnhof und Post all ein und dasselbe wäre. Schreibt mir vorgestern ein Mann aus Dresden, er habe seinen Ueberzieher hier liegen lassen, „über einer Stuhl- lehne“ schreibt er. Ich lache und sage zu Spilleken (der jetzt die Post fährt): „Spilleke, sag’ ich, wenn Sie ’rauskommen, fragen Sie doch auf’m Bahnhof.“ Er fragt auch und am Abend ist der Ueberzieher hier. Wo war er gewesen? „Ueber einer Stuhllehne.“ Alles ganz richtig, meine Herrn, aber — auf’m Bahnhof . So geht es immer.“ Die beiden Zuhörer antworteten durch ein Gemurmel, das halb ihre Uebereinstimmung mit dem Sprecher, halb ihre Mißbilli- gung des Dresdners ausdrücken sollte. Ich aber, um auch mei- nestheils jede Gemeinschaft mit dem letzteren abzulehnen, fuhr mit Ostentation in den neben mir liegenden Ueberzieher, empfahl mich und stieg in den bereits draußen stehenden Postwagen. In demselben fand ich einen Reisegefährten, einen jungen Beeskower, der also dieselbe Tour mit mir machte. Während der Wagen über das Pflaster rasselte und von rechts und links her das helle Licht großstädtischer Gaslaternen in unser Fenster fiel, wandte ich mich, halb überrascht, mit der Frage an meinen Ge- fährten: „Fürstenwalde hat Gas?“ „Ja, und aus Stubben ;“ lautete die Antwort. „Aus Stubben?“ „Ja, aus Stubben.“ Nun erfuhr ich ein Langes und Breites über den Fürsten- walder Stadtforst, über Holzhandel und Wohlhabenheit und zuletzt auch über die „Stubben“, die in einer städtischen Gasanstalt auf Gas verarbeitet würden. Ich gestehe, daß ich Respekt bekam. Wer unsere kleinen Städte kennt, weiß am besten, wie abgeneigt sie sind, auf spekulative Neuerungen einzugehen. Staatsneuerungen, — ja; Stadtneuerungen, — nein. Die Fürstenwalder haben ein Stück städtischen Lebens gezeigt; die meisten unserer Ackerstädte sind todt. Beeskow erreichten wir um Mitternacht. Ich schlief in einem alten Hause, dessen Hinterwand die Stadtmauer bildet, und erfuhr en passant, daß dies Haus ein Ursulinerinnen-Kloster gewesen sei und dann und wann von nicht Ruhe habenden Aebtissinnen und Nonnen besucht werde. Auch der übliche „unterirdische Gang“ wurde mir nicht erlassen. Ich war aber zu müde, um dadurch besonders gestört zu werden, und schlief, bis die Sonne in’s Zim- mer schien. Eine Stunde später schlenderte ich durch die Stadt. Beeskow hat zwei Sehenswürdigkeiten: das „Amt“ und die Kirche. Das „Amt“, auf einer Spreeinsel unmittelbar vor der Stadt gelegen, war in alter Zeit ein Schloß (Schloß Beeskow), dann später, seit 1519, ein bischöfliches Haus, das die Bischöfe von Lebus — die die Herrschaft Beeskow zu Anfang des sechszehnten Jahrhunderts erwarben — gelegentlich bewohnten. Viele der noch jetzt vorhandenen alten Mauern reichen bis in die Zeit von Schloß Beeskow zurück, das im fünfzehnten Jahrhundert (also vor den Bischöfen) ausbrannte. Dies erwies sich 1828, als wegen Bau- fälligkeit das dritte Stockwerk des alten Amtsgebäudes abgetragen wurde. An vielen Stellen fand man doppeltes Mauerwerk. Die Zimmerwände zeigten nach innen zu die Bischofsmütze, waren also nicht älter als 1519; beim Niederreißen dieser Zimmer- oder In- nenwände aber stieß man alsbald auf ältere Außenwände, halb verbrannt und hier und da mit Moos und Asche bedeckt. Diese Außenwände waren Ueberreste des alten Schlosses. In den untern Stockwerken steckt noch einzelnes davon. Die Bücher berichten wenig über „Schloß Beeskow“ und nicht viel mehr über das „bischöfliche Haus“, das sich später an gleicher Stelle erhob. Nur der Umfang und die Festigkeit der Bauten zeigt, daß es eine bevorzugte Stelle war; und mit Recht. Die Lage auf einer Insel, die nicht flach, sondern wie eine natür- liche Hügelfestung sich aus der Spree erhebt, ist fest und malerisch zugleich, und in diesem Augenblick vielleicht malerischer denn je zuvor. Das alte, dunkelfarbige Mauerwerk ist überall von Grün umrankt; braun und grün, die so schön zu einander stimmen, mischen sich hier in allen erdenklichen Schattirungen, und Baum und Strauch wachsen von Wall und Gräben aus in die Gitter- fenster hinein oder über das Portal hinweg. Jenseits des Amts- hofes, auf dessen Tümpel und Pfuhl die helle Morgensonne fällt, steigt der Brennereischornstein aus dem Refektorium des alten Bi- schofssitzes auf; aber wo Tod und Leben, Poesie und Prosa so dicht bei einander wohnen wie hier, stört auch die Rauchfahne nicht, die eben jetzt über dem Refektorium weht. Die Liebfrauenkirche zu Beeskow, ein schöner gothischer Bau aus dem dreizehnten Jahrhundert, war längst eine Zierde der Stadt, eh’ die Lebuser Bischöfe als Neubesitzer und Neuerbauer in Schloß Beeskow einzogen. Sie war dreihundert Jahre vor dem Bischofs- hause da und hat es nun ebenso lange überlebt. Diese schöne Kirche zählt zu den schönsten in der Mark, und der Epheu, der sich an einigen Fenstern bis in den Spitzbogen emporrankt, scheint zu wissen, was er an ihr hat. Der massive Thurm geht in seinem zweiten Stockwerk sehr gefällig aus dem Viereck in’s Achteck über und eine pyramidenförmige Spitze schließt den ganzen Bau ge- fällig ab. Eine 82jährige Küsterfrau führte mich in die Kirche ein, plauderte mit mir, stieg Treppen auf und ab und ich bin ihr das Zeugniß schuldig, daß ich nie einen besseren Führer gehabt habe. Sie zeigte mir Großes und Kleines, Andacht und Stadtklatsch flossen gleichen Tones über ihre Lippen; sie sprach bereits — sie war eben 82 Jahr alt — mit jener unterschiedslosen Ruhe, die so sehr verdrießt, wo man Partei ist, aber so wohlthut, wo der Hörer mit über den Parteien steht. Sie zeigte mir den Gekreuzig- ten und den einen Schächer, die „wegen Unschönheit“ in einen Seitenraum geschafft worden waren, und erklärte mir die Grab- steine vor’m Altar. Der eine war hellbraun und sehr abgetreten. „Das ist unser Pfefferkuchenmann“, sagte sie ruhig, und wirklich, das alte Rathsherrnbild konnte nicht treffender bezeichnet werden. An einem der Pfeiler blieb sie stehen. „Da war früher ein Bild: ein Schachbrett und ein Mohr darüber; es hing da zum Gedächt- niß an eine vornehme Frau, die alles verspielt hatte, bis auf ihr Schachbrett und ihren Mohren.“ Dann ging es treppauf und ab. Wir stiegen in einen Keller, wo dieselbe Küsterfrau vor 56 Jah- ren mit ihrem Mann (der auch noch lebt) ein tiefes Loch gegraben und die Kirchengüter vor Feindeshand gerettet hatte. „Wir fanden bei’m Graben nichts wie Knochen und Schädel.“ Sie sagte nicht „Knochen und Schädel von heimlich Verscharrten“, aber sie meinte es so; das Volk hierlandes denkt sich nun einmal die katholische Zeit als eine Mordzeit; es ist das ein seltsamer Theil unserer Volkspoesie. Dann stiegen wir wieder aufwärts, eine hohe schmale Treppe hinauf, und waren auf einem Chor oder einer Empore, die man zu einer Art Kunstkammer umgeschaffen hatte. Allerhand Raritäten waren hier ausgestellt; aber es war doch schon der Uebergang von der Kunstkammer zur Rumpelkammer. Es hing da z. B. ein Bild der Lutherstatue in Wittenberg, mit der Wartburg als Hintergrund. Die Geschichte des Bildes interessirte mich noch mehr als das ab- sonderliche Bild selbst. Eine reisende Schauspielergesellschaft, deren „erster Liebhaber“ es gemalt hatte, hatte es auf Groschenloose aus- gespielt und der Gewinner war es durch „Schenkung“ an die Kirche los geworden. Daneben hingen drei Porträts, lebensgroß, die Bildnisse dreier Brüder, die einst bei Stadt und Kirche ge- glänzt hatten. Das Rathsherrnbild trug folgende Inschrift: Der Bürger Dankbarkeit und der Zuhörer Pflicht Hat uns drei Treueren dieß Denkbild aufgericht’. Dort jenes graue Paar stirbt in der Kirche Würde, Mich macht das Rathhaus alt und schwerer Zeiten Bürde. Was jene bei der Kirch’ den Seelen gut’s gebracht, Das hab’ ich bei der Stadt, nach Menschen Treu, in Acht. Urtheilt uns nach dem Ambt in dem geführten Leben, So wird ein gutes Lob man uns im Tode geben. Von Beeskow nach Cossenblatt sind noch anderthalb Meilen. Ein leichter Wagen nahm mich auf und in brennender Sonnen- hitze machte ich den Weg. Die Landschaft ist trostlos und die Dörfer sind arm. Ueberall mahlender Sand und Kiefernhaide, dazwischen Brach- und Fruchtfelder, die letzteren so kümmerlich, daß man glaubt die Halme zählen zu können. Auf Meilen hin eine reizlose Oede. Und doch hat der märkische Sand auch seinen Zauber. Ich werde des Wellenterrains zwischen Biesenthal und Prenden nicht leicht vergessen: in den Thaleinschnitten ein Wasser- tümpel und Binsengestrüpp, auf der Höhe hüben und drüben eine Fichte, ein Kieferbusch; der Boden gelb, der Himmel grau und am Wege ein Stein, ein verwehter Tannenapfel; über dem allen aber nichts Lautes und Lebendiges, als eine Krähe und die Schläge der Biesenthaler Thurmuhr, die beide langsam über die Oede hin- ziehen. Wer solchem Bilde begegnet, der hat die Poesie des mär- kischen Sandes kennen gelernt. Aber auf dem Sandwege, den wir heute passiren, empfinden wir nichts davon, vielleicht weil die Oede nicht vollkommen ist und das Sandfeld vielfach den Anlauf nimmt, ein Fruchtfeld zu werden. Solche Anstrengungen haben immer etwas Tristes. Es sind dies die Gegenden der Mark, die ihr den Namen der „ Streu- sandbüchse des heiligen römischen Reiches“ eingetragen haben, ein Name, der muthmaßlich nie entstanden wäre, wenn die Rei- senden „aus dem Reich“ noch etwas anderes von der Mark ken- nen gelernt hätten, als eben jenen breiten Sandgürtel, den sie auf ihrem Wege von Dresden nach Berlin nothwendig passiren mußten. Der Weg war reizlos, aber er wurde mir durch eine Begeg- nung werth, die ich unterwegs hatte. Etwa eine halbe Meile vor Cossenblatt bemerkte ich einen Knaben, der auf einem Feldstein am Wege saß und augenscheinlich sehr ermüdet war. Er mochte zwölf Jahr alt sein. Ich ließ halten und es entspann sich folgen- des Gespräch zwischen ihm und mir: „Willst du mit?“ — „Wo wüllen Se denn hen?“ — „Nach Cossenblatt.“ — „Da will ick ooch hin.“ Nun stieg er auf und setzte sich bescheiden auf den Rand des Wagens. Mich beschäftigte der kleine Vorfall, weil er mir so recht wieder jene nüchterne und mißtrauensvolle Vorsicht zeigte, die unsern Stamm im Guten und Schlechten so sehr charakterisirt. Müde wie er war, sprang er doch weder auf, noch bezeugte er irgend welche Freude; er beantwortete meine Frage durch eine andere Frage, und erst als ich diese meinerseits zu seiner Zufrie- denstellung erledigt hatte, nahm er freundlich an, was freundlich geboten war. Es war übrigens ein allerliebster Junge, der mich von Seidenbau und Seidenzucht sehr verständig unterhielt, was ich besonders hier erwähne, um dabei auf die Vorliebe aufmerksam zu machen, mit der die Seidenzucht von den ärmeren Leuten unserer Provinz betrieben wird. Sie sind mit einer Art Passion dabei und es früge sich, ob diese Art der Industrie nicht noch ener- gischer zu unterstützen wäre. Wir sind nun in Cossenblatt (mein junger Freund hat mich am Eingang des Dorfes bescheidentlich verlassen) und wenige Minuten später halten wir vor der Einfahrt des Amtshofs, wo alle Sehenswürdigkeiten Cossenblatts, auf einen engsten Raum zusammengedrängt, wie zur Auswahl vor uns liegen. Alles liegt rechts von der Dorfstraße und wir unterscheiden: Herrenhaus (jetzt Amtshaus), Schloß und Kirche . Unser nächster Besuch aber gilt dem in Weinlaub versteckten Predigerhause, das von der andern Seite der Dorfgasse her wie eine Laube zu uns herüber blickt. Freundlich wie das Haus sind seine Bewohner, und Platz nehmend unter dem grünen Dach, den Blick auf Herrenhaus und Schloß und Kirche gerichtet, plaudern wir von Cossenblatt und seiner Geschichte. Cossenblatt war immer ein reicher und ausgedehnter Besitz, auch ehe ein Schloß hier stand und Feldmarschälle und Fürsten hier residirten. In sumpfiger Niederung gelegen (Cossinbloth heißt „Krummensumpf“) unterschied es sich immer vortheilhaft von den Sanddörfern der Höhe, und lange bevor es „königlich“ war, hatte es ein Ansehen in der Gegend um seiner Aecker und Wiesen willen. Die Besitzer wechselten oft; im sechzehnten Jahrhundert hatten es die von Weilsdorf. Ein Bruder erstach den andern im Zweikampf, aber auch dieser Vorgang — übrigens eine immer wiederkehrende Geschichte Der ganze mittelalterliche Sagen- und Geschichtenschatz tritt überall vielleicht, sicherlich aber in der Mark, völlig typisch auf. Es giebt Gruppen, Rubriken. Jede Rubrik hat ihre bestimmte Anzahl von Nummern. Rubrik „Teufelssee“ acht Nummern, „heiliger See“ acht Nummern. Dazu gesellen sich noch folgende Rubriken: schwarze Frau, weiße Frau, erstochener Bru- der, stummer Mönch, frommer Abt, der über den See schreitet ꝛc. Die Rubriken „Unterirdischer Gang“ und „vergrabener Schatz“ haben, wie überall, die meisten Nummern. — fesselt uns nicht und wir beginnen mit dem Jahre 1581. Die Geschichte Cossenblatts theilt sich seit der Zeit in drei bestimmte Epochen: in eine Oppensche , eine Barfussche und eine königliche Zeit. Ueber die Oppensche Zeit (von 1581 — 1699) gehen wir schnell hinweg. 1581 kam der brandenburgische Oberkammerherr, Georg von Oppen, in Besitz von Cossenblatt. Es blieb bei der Familie durch drei Generationen hindurch bis 1699. Vom Schloß war damals noch keine Spur vorhanden, vielmehr bewohnten die Oppen das alte Herrenhaus, dessen Kellergewölbe bis diesen Augen- blick vorhanden sind und eine Art Sehenswürdigkeit des jetzigen, im übrigen völlig modernen Amtshauses bilden. Diese hohen Keller- gewölbe, im einfachen Rundbogen, sind aus unbehauenen Feld- steinen aufgeführt und Sachverständige pflegen hervorzuheben, daß die Baumeister damals einen andern, rasch fest werdenden Mörtel benutzt, oder die Gewölbe jahrelang gestützt haben müssen. Diese gewölbten Fundamente gehen bis in die Oppensche Zeit zurück, vielleicht sind sie noch viel älter. Wir lassen aber diese Fundamente sammt einer Anzahl alter Bilder, die ebenfalls der Vorgeschichte Cossenblatts angehören, und wenden uns nunmehr seiner eigent- lichen historischen Zeit zu, die mit Feldmarschall von Barfus beginnt. Im Jahr 1699 kaufte Hans Albrecht von Barfus, wie wir bereits in seiner Lebensgeschichte (siehe das vorige Kapitel: Predikow) bemerkt haben, die Herrschaft Cossenblatt und zahlte dafür die für die damalige Zeit ziemlich beträchtliche Summe von 32,000 Tha- lern und hundert Dukaten Schlüsselgeld. Das Oppensche Herren- haus, das er vorfand, genügte ihm nicht und er beschloß das Jahr darauf (1700) die Aufführung eines Schlosses. Die Arbeiten begannen sogleich; da aber selbst der mittlere und älteste Theil des Schlosses, der Flügelbauten aus noch spä- terer Zeit ganz zu geschweigen, erst im Jahr 1712 beendet wurde, so ist es nicht wahrscheinlich, daß der Feldmarschall, der bereits 1704 starb, jemals einen Theil des Schlosses bewohnt habe. Das Herrenhaus mußte genügen. Die Wittwe des Feldmarschalls, Eleonore, geborene Gräfin von Dönhof (wie wir wissen, seine zweite Gemahlin), übernahm laut testamentarischer Bestimmung die Verwaltung der Güter und führte den Schloßbau glücklich hinaus. Sie war eine stolze Frau, und es geht die Sage von ihr, daß sie ihrem einzigen überleben- den Sohne (sie starb 1728), da sie ihm sein Erbe nicht nehmen konnte, dieses Erbe wenigstens nach Möglichkeit schädigen und ver- ringern wollte. Sie ließ einen holländischen Baumeister kommen, befahl ihm, unterhalb der Keller des Schlosses einen zweiten Keller zu graben und zu wölben, that dann alles hinein, was sie an Gold und Kostbarkeiten besaß, und ließ die Gruft in ihrer Gegen- wart schließen. Sie nahm dem Baumeister alsdann einen Eid ab, die Stelle niemandem zu verrathen. Voll Zweifel aber, ob er den Eid auch halten werde, zog sie, als er schon fort war, das Sichere vor und ließ ihn auf der Rückreise nach Holland verschwinden. Der „Schatz“ war bei Seite gebracht, dem Erben entzogen; aber die Bilder und Möbel waren noch da, die ganze Einrichtung eines reichen Schlosses. Auch das mußte fort. Als sie fühlte, daß es mit ihr zum Letzten ging, ließ sie alles, was das Schloß an kostbarem Hausrath hatte, auf den Schloßhof tragen, und ver- goldete Stühle und Tische, Spiegel und Consolen, Divans und Commoden wurden zu einer Pyramide aufgethürmt. In einem Rollstuhl ließ sie sich an die offene Thür des Gartensaales bringen, gab dann Ordre, zwei Fackeln anzulegen, und starrte eine Stunde lang befriedigt in die aufschlagende Flamme. Sie fühlte das Feuer mehr, als daß sie es sah, denn die helle Mittagssonne stand über dem Schauspiel. Als alles niedergebrannt war, saß sie todt in ihrem Rollstuhl. So erzählt sich das Volk. Die erste Hälfte der Geschichte, das Vermauern des Schatzes, ist das immer Wiederkehrende; aber die zweite Hälfte hat neue Züge, die auf wirklich Vorgekommenes hindeuten. Anhaltepunkte sind da. Ich finde in dem Nachweis über die Söhne des Feldmarschalls von Barfus folgendes: „Die beiden älteren starben jung, der älteste an Wunden, die er in der Schlacht bei Belgrad erhalten hatte. Der dritte und jüngste Sohn war Karl Friedrich Ludwig. Er war der einzige, der seine Mutter überlebte, und es scheint fast, daß seine Erziehung absichtlich ver- nachlässigt wurde, da seine nächsten Verwandten nach dem Besitz des reichen Erbes trachteten.“ Diese Zeilen, so unbestimmt sie gehalten sind, oder vielleicht weil sie es sind, lassen sich unschwer mit der eben erzählten Sage in Einklang bringen. Der Sohn, so darf man annehmen, wurde nicht von der Mutter, sondern von den Verwandten erzogen, und eingesponnen in die Netze der letzteren, traf ihn leicht möglich ein Theil des Hasses mit, den die alte Reichsgräfin gegen die hab- gierig Wartenden unterhielt. Alles dieß indeß will nichts weiter sein als eine Hypothese, als ein Versuch, mit Hülfe von Sage und Tradition, dem Historischen um einen Schritt näher zu kommen. Im Jahr 1728 starb die alte Reichsgräfin, und ihr einziger Sohn, der obengenannte Karl Friedrich Ludwig, folgte im Besitz von Cossenblatt. Aber nur acht Jahre blieb es in seinen Händen; 1736 erstand es König Friedrich Wilhelm I. und machte es zu einem Theil seiner Herrschaft Königs-Wusterhausen. Ueber die Umstände, die den Ankauf des Gutes begleiteten, spreche ich wei- ter unten. Hundert Jahre und darüber sind seit jenem Ankauf vergan- gen und Schloß Cossenblatt ist seitdem ein hohenzollernscher Besitz geblieben, bis auf diesen Tag. Die Barfus, für die der alte Feld- marschall hier eine Stätte bereiten wollte, betraten die Schwelle des Schlosses nicht wieder, das — des sagenhaften Schatzes ganz zu geschweigen — Schätze an Gold verschlungen hatte, um es aufzubauen. Da, während der fünfziger Jahre dieses Jahrhun- derts, trat wieder ein Barfus in das alte Barfusschloß ein. Der Eintretende war ein Urenkel des Feldmarschalls; er kam nicht als Herr, er kam als Gast. Sei es ein romantischer Herzenszug, oder sei es Pietät gegen die Stätte, wo sein Ahnherr gelebt und einen Denkstein seines Ruhms und seines Reichthums hinterlassen hatte, gleichviel, der Enkel hatte das Ansuchen an den König gestellt, einen Sommer lang in Schloß Cossenblatt residiren zu dürfen, und Friedrich Wilhelm IV. , dessen Königs- und Poetenherz histo- rischen Sinn und romantisches Empfinden in jeder Gestalt zu schätzen wußte, hatte dem Ansuchen gern willfahrt. General Barfus, selbst ein alter Soldat, zog ein in das alte Feldmarschallsschloß. Ein Wagen hielt vor der Steintreppe, die rostigen Angeln gaben halb widerwillig nach, und der Enkel stand, ein Gast, ein Fremder, im Haus seiner Väter. Niemand war mit ihm als seine Frau und deren Dienerin. Er bezog die Eckzimmer im Schloß und das Nöthigste an Hausrath wurde herbeigeschafft; aber es war nicht möglich, die Oede des Orts in Wohnlichkeit zu verwandeln. Der Regen fuhr durch die morsch gewordenen Fen- ster und selbst das heitere Sonnenlicht lieh diesem Ort keine Hei- terkeit, denn ungemildert fiel es durch die großen Fenster und sprang heiß und blendend von den kahlen weißen Wänden zurück. Zu dem Bedrückenden der Oede gesellte sich der Mangel an al- lem, was das Leben, selbst ein einfaches Leben, an Unterhalt erfordert. Die Stadt war weit und das Dorf war arm. Die Frauen litten schwer; aber das romantische Herz des Generals trug die Entbehrungen, die ihm Schloß Cossenblatt auferlegte, mit Freudigkeit; sie hoben ihn mehr, als daß sie ihn niederdrückten. Er war nicht nach Schloß Cossenblatt gekommen, um zu banket- tiren; es lag ihm nicht an lustiger Gesellschaft und an lautem Gespräch über den Tisch hin; es lag ihm an stiller Zwiesprach mit denen, die nicht mehr waren, und da war kein Zimmer, das nicht leise zu ihm gesprochen hätte. Ihm waren diese weiten Räume nicht öde, und wenn er Nachts oder am hellen Mittag sie durch- schritt, hörte er’s flüstern und stand still, ob er’s erlauschen könnte. Umsonst hingen die Augen der Frau an ihm und baten um Rück- kehr zu den Menschen; da endlich kam Hülfe, ehe sie erwartet war. Es war Hochsommer und die Hitze des Tags hatte den Ge- neral in die Wald- und Wiesengründe geführt, die den Cossen- blatter See an seinem Südrande umziehen. Es wurde drückend schwül und um die vierte Stunde brach das Unwetter los. Als die ersten Donner heraufzogen, war es, als rollten schwere Wa- gen durch alle Säle und Corridore. Einzelne Windstöße fuhren gegen das Schloß, und die entsetzten Frauen hörten, wie in allen Theilen des Schlosses ein gespenstisches Klappen von Fenstern und Thüren begann. An hundert Stellen zugleich wollte der Böse herein. Das Blitzen wurde immer heftiger; Herrin und Dienerin flo- hen aus ihren Zimmern in den Corridor hinaus, der unten auf den Schloßhof niederblickt. Der Flügel gegenüber stand wie in Nacht. Plötzlich aber war es, als fiele ein Feuer vom Himmel, der Schloßhof stand wie in Flammen und die Dienerin schrie auf: „Dort sitzt sie!“ Es war ihr, als habe sie die alte Reichs- gräfin gesehen, im Rollstuhl unter der Balkonthür sitzend und in die Flammen des Hofes starrend. Dieser Nachmittag entschied; die Gäste verließen Schloß Cos- senblatt und alles war wieder wie zuvor. Die Spinnen begannen ihre stille Wirthschaft und niemand anders sprach ein, als der Wind im Kamin. Die Barfuse waren vergessen an derselben Stelle, an der der alte Feldmarschall sich selbst und seinem Namen eine Art Ruhmeshalle hatte errichten wollen; Schloß Cossenblatt wußte nichts mehr von den Barfusen und viele Barfuse wußten nichts mehr von Cossenblatt. Aber aus der Geschichte unserer Tage haben wir noch einmal zurückzugehen in die Tage des letzten Grafen Barfus und in aller Kürze jener dritten Epoche Schloß Cossen- blatts zu gedenken, der Zeit Friedrich Wilhelms I. Im Jahre 1735 kam König Friedrich Wilhelm I. auf einer Jagd von Königs-Wusterhausen aus in die Gegend von Cossen- blatt, sah das schöne Schloß und trug dem Besitzer, dem mehr- genannten Grafen Karl Friedrich Ludwig von Barfus, an, ihm Cossenblatt käuflich zu überlassen. Als dieser Antrag abgelehnt wurde, setzte der König alles in Bewegung, um seine Absicht den- noch zu erreichen. Es fand sich auch bald ein Weg, da er sich durchaus finden sollte . Der Verlauf war folgender. Nur um den wiederholten Zumuthungen des Königs zu entgehen und letzteren durch eine möglichst hochgegriffene Summe abzuschrecken, äußerte der Graf gegen den Unterhändler des Königs, „daß er die Güter (Cossenblatt, Briescht, Werder und Wiese) für 180,000 Thaler überlassen wolle.“ Dieß genügte. Der König erklärte nunmehr: „da der Graf sich geäußert habe, die Güter verkaufen zu wollen, so hänge es nicht mehr von dem freien Willen desselben ab, den Preis der Güter zu bestimmen, vielmehr müßten dieselben taxirt werden .“ Hiernach kam der Kauf im Januar 1736 zu Stande, ohne daß die belehnten Agnaten befragt worden wären. Der Kö- nig bewilligte 125,000 Thaler, schlug Cossenblatt zur Herrschaft Königs-Wusterhausen und überwies es gleich nach der Uebergabe seinem zweiten Sohne, dem Prinzen August Wilhelm. Ob dieser je dort residirt hat, ist mindestens zweifelhaft. Der Prinz, zu Spandau in Garnison, hatte eine ausgesprochene Vorliebe für das nachbarliche Oranienburg, dessen Park allein ausgereicht haben würde, es über das beinah baumlose und jedenfalls weit abgele- gene Cossenblatt zu erheben. Nichts erinnert mehr daran, daß das letztere jemals im Besitz des Prinzen war, außer der Namenszug A. W. (August Wilhelm) am großen Frontbalkon. Prinz August Wilhelm residirte nicht in Schloß Cossenblatt, aber der König selbst scheint, während seiner letzten Lebensjahre, Wochen- und Monatelang daselbst zugebracht zu haben. Wenn der Ausdruck gestattet ist: er saß hier seine Gicht ab, und Schloß Cossenblatt wurde der Schauplatz jener Kunstübungen, deren Re- sultate die bekannte Inschrift tragen: in tormentis pinxit. 8 Die Bilder, die sich noch gegenwärtig in Cossenblatt befin- den, (neuerdings, Sommer 1863, nach Königs-Wusterhausen ge- schafft) tragen zwar zufällig diese Inschrift nicht ; sie sind aber nichts destoweniger in tormentis gemalt, und sehen auch danach aus. Nach diesen historischen Vorbemerkungen schicken wir uns nun- mehr, unsern Plauderplatz unter der Weinlaube des Prediger- hauses aufgebend, zum Besuch des Schlosses selber an. Die Lage desselben ist nicht günstig. Ein Schloß, ein Her- renhaus, wo die Natur nicht Berg, nicht See geboten hat, muß entweder, nur wenig zurücktretend, sich in gleicher Linie mit der Dorfgasse erheben, oder aber inmitten eines Parks liegen, hinter dessen Bäumen es sich halb versteckt. Das Cossenblatter Schloß thut weder das eine, noch das andere. Der Platz an der Dorf- gasse war schon vergeben (das alte Herrenhaus nahm diesen Platz ein), und so erhebt sich das Schloß hinter dem jetzigen Amtshof, dessen Wirthschaftsgebäude zugleich die Auffahrt zum Schlosse bil- den. Dehnte sich nun unmittelbar hinter dem Amtshof ein Park, ein Wald aus, aus dem das blendend weiße Schloß hier und da hervorschimmerte, so würde durch die sonderbare Art der Auffahrt nicht viel verloren sein, ja sie könnte vielleicht einer poetisch male- rischen Wirkung Vorschub leisten; aber dieser Wald fehlt, und wie auf einer Tischplatte, über die man ein graugrünes Tuch gelegt hat, steht das Schloß da, unvermittelt, ohne Vor- und Hintergrund, wie eine Tempelruine in der Wüste. Dieser Aus- druck aber soll nur das Unvermittelte des Aufsteigens bezeichnen, denn Schloß Cossenblatt, wie viel ihm im Uebrigen fehlen mag, ist jedenfalls keine Ruine, vielmehr liegt es in einer gewissen Stattlichkeit und Wohlerhaltenheit da, die auf den ersten Blick überrascht. Erst ein Eingehen in die Details zeigt, daß dies letztere mehr scheinbar als wirklich ist. Wir stehen nun in Front des fast wie Kreide in der Sonne blitzenden Schlosses, das aus einem Corps de Logis und zwei Flügeln besteht. Der erste Eindruck, wenn wir von dem Un- malerischen der Lage absehen, ist architektonisch kein ungünstiger, und erst die Rückfront des Baues zeigt uns seine Schwächen: die Flügel sind zu lang und der Zwischenraum zwischen denselben, der Schloßhof, ist viel zu schmal. Der ganze Bau erhält dadurch etwas Gefängnißhaftes. Die Rückseite des Schlosses hat die Aus- sicht auf einen schmalen Spreearm, und zugleich auf eine kümmer- liche Baumanlage am andern Ufer des Flusses, die den Namen „Lustgarten“ führt. Früher ging eine Brücke über den Spreearm, aber nur ein einziger Pfahl zeigt noch, wo sie stand. Dieser Lustgarten war es, wohin sich König Friedrich Wil- helm I. in seinem Rollwagen fahren ließ, und die sorglich zu- geschrägte Doppelrampe, die sich in Hufeisenform an die Schloß- flügel anlegt, zeigt am deutlichsten, mit welcher Sorglichkeit ver- fahren werden mußte, um die schlechte Laune des von Gicht und Wassersucht geplagten Königs nicht noch schlechter zu machen. Wir haben das Schloß umschritten und treten nun ein. Der Eindruck, den es in seinem Innern macht, ist der des Stattlichen, aber zugleich der höchsten Trübseligkeit. Es ist ein imposantes Nichts, eine vornehme Oede, eine würdevolle Leere, — die Dimen- sionen eines Schlosses und die Nüchternheit einer Kaserne. Wir steigen zunächst treppan. In den Zimmern der Bel-Etage erreicht die Oede den höchsten Grad. Die hechtgrau angestrichenen Thüren tragen in Manneshöhe allerhand gelbe Oelfarbe-Inschriften, und den Corridor des linken Flügels hinunterschreitend, lesen wir, nach der Analogie von Kasernenstube Nr. 3, Nr. 4: „Ihro Hoheit Kron- prinzessin,“ „Ihre Hoheiten Prinzessin Ulrike und Amalie,“ „Ihre Königl. Hoheiten Prinz Heinrich und Ferdinand,“ „Oberhofmei- sterin,“ „Fräuleins-Kammer“ ꝛc. Das Zimmer der beiden jungen Prinzen, Heinrich und Ferdinand, sieht aus wie ein Gefängniß. Dazwischen immer „Garderobezimmer,“ aber alles in dieselbe weiße Tünche getaucht. Wir kehren nun aus dem ersten Stock in die Zimmer des Erdgeschosses zurück. Hier in den Zimmern des linken Flügels wohnte der König und mancherlei erinnert noch an ihn, an sei- nen holländischen Geschmack, an seine Neigungen und seine Thä- tigkeit. Im großen Eckzimmer sind die Wände bis zu der Höhe, 8* in der sonst Panele laufen, mit kleinen holländischen Kacheln be- kleidet, glasirte Täfelchen mit kleinen blauen Figuren darauf. Dieß war ersichtlich das Staats- und Empfangzimmer während der „Tage in Cossenblatt;“ denn über dem Kamin hängt ein Por- trät Ludwig XIV. im weit nachschleppenden Hermelin. Die Far- ben des Bildes sind halb abgefallen und doch ist der haften ge- bliebene Rest das Einzige, was in dem ganzen weiten Schloß an Kunst erinnert, an Genius mahnt. In demselben Zimmer befindet sich noch ein Dutzend anderer Porträts, aber es sind die in tormentis gemalten Bilder des Königs selbst. Das Mildeste, vielleicht auch das Zutreffendste, was man von ihnen sagen kann, ist: sie verleugnen die Stunde ihres Ursprungs nicht. Freilich haben auch sie ihre Verehrer gefunden, und wenn man so will, mit Recht. Einige unbedingte Friedrich- Wilhelms-Bewunderer haben die ganze Frage auf das Gebiet des Charakters, der Kraft, der Energie gespielt und von ihrem Stand- punkt aus mit Recht gesprochen: „So malte ein Mann, der nicht malen konnte; so malte er unter Schmerzen , und — jeden Tag ein Bild.“ Vor diesem Raisonnement verneigt sich die Kritik. Alle diese Bilder des Königs rühren aus den Jahren 1736, 1737 und 1738 her. Es sind sämmtlich Porträts (Bruststücke), und zwar 41 an der Zahl, von denen sich 32 in den Zimmern, 9 aber im Corridor, alle in Rahmen von gebeiztem Eichenholz, befinden. So häßlich die Bilder sind und so unfähig, ein künstlerisches Wohl- gefallen zu wecken, so wecken sie doch immerhin ein gewisses künst- lerisches Interesse . Der Hang zum Charakteristischen ist unver- kennbar. In dem einen Zimmer hängen z. B. zwei Judenköpfe neben einander. Man sieht deutlich, daß dem König der erste Kopf nicht jüdisch genug erschienen war, und daß er sich zum zweiten mal an die Arbeit machte, um das Charakteristische entschiedener herauszuarbeiten. Einmal ist ihm sogar ( cum grano salis ) ein hübscher Kopf geglückt: die Frau seines ersten Kammerdieners. Außer den Bildern des Königs bewahrt Schloß Cossenblatt auch die Staffelei, auf der diese Bilder gemalt wurden. Daneben steht ein schwerer Eichentisch und um den Tisch herum eine An- zahl schwerer Holzstühle, nach Art unserer jetzigen Gartenstühle. Alles höchst solid gearbeitet, besonders der Tisch, der wie auf Pfeilern ruht. Wir durchschritten auch den Rest der Zimmer; sie waren im Erdgeschoß, wie oben im ersten Stock, groß, öde, weiß; dazu hohe Fenster und hohe Kamine. Sie hatten nur ein charakteristisches Zeichen, und dieses Zeichen mehrte unser Grauen. In jedem Zim- mer lag ein todter Vogel, in manchen auch zwei. In Sturm- nächten hatten sie Schutz gesucht in den Rauchfängen, und tiefer nach unten steigend, waren sie in das Zimmer wie in eine Vogel- falle hinein gerathen. Vergebens einen Ausweg suchend, hin und her flatternd in dem weiten Gefängniß, waren sie verhungert. Spät am Abend, die Sterne waren längst am Himmel, mahlte unser Fuhrwerk wieder durch den Sand den öden Weg nach der Stadt zurück. Es war kühl geworden und der Sternen- himmel gab auch dieser Oede einen poetischen Schimmer. Ich sah hinauf und freute mich der Klarheit, des Glanzes; doch in die heitern Bilder, die ich wachzurufen trachtete, drängte sich immer wieder das Bild von Schloß Cossenblatt hinein. Die weißen Wände starrten mich an, ich hörte das gespenstische Thürenklappen und in dem letzten Zimmer des linken Flügels flog ein Vögelchen hin und her und stieß mit dem Kopf gegen die Scheiben; sein Zirpen klang wie Hülferuf. Aber im selben Augenblick war alles hin, der Schloßhof stand in Flammen und unsichtbare Hände trugen das Schloß ab und warfen es in das Feuer. Königs-Wusterhausen. Finstrer Ort und finstrer Sinn, Nun blühen die Rosen drüber hin. M ehr noch als Schloß Cossenblatt, das ich im vorigen Kapitel geschildert, war, wie männiglich bekannt, Königs-Wusterhausen ein bevorzugter Aufenthalt König Friedrich Wilhelms I. Wir dürfen an diesem (an Wusterhausen) nicht vorbeigehen, nachdem wir jenes (Cossenblatt) kennen gelernt haben und wählen zu unserem Aus- flug das Pfingstfest, das Fest der Maien. Es reist sich schön an einem Pfingstsonnabend in die Welt hinein, es sei wohin es sei. Die Natur, die Dinge, die Menschen, alles lacht; die Sonne geht in Strahlen unter, die Rapsfelder blühen, und selbst die Windmühlenflügel schwenken Maienbüsche durch die Luft. Ricksdorf rüstete sich zum Fest. Die Mägde aufgeschürzt und kurzärmlig, standen auf den Höfen und wuschen und scheuerten; die kupfernen Kessel blinkten wie Gold, und einige Kinder, die eben aus dem Tümpelbade kamen, liefen nackt über die Straße und wirbelten den Staub auf. Der Tümpel blieb ja nah und erlaubte ein zweites Bad. In Rudow schnitten die Jungen Kalmus; über Walters- dorf spannten die Linden ihren Schirm, während sich der Kirch- hof in Hollunderbüschen versteckte; Kiekebusch aber (so ändern sich die Zeiten) kuckte nicht mehr aus Busch und Haide, sondern aus hohen Roggenfeldern hervor. Nun Haiderevier, dann wieder freies Feld, bis plötzlich die Höhe, auf der wir bis dahin fuhren, steil abfällt und eine Nie- derung, zunächst ein Kesselthal vor uns liegt, in das wir hin- unterrollen. Die Postillone blasen (wir haben drei Beichaisen), die ersten Häuser schimmern hinter Bäumen hervor, die Leute vor den Thüren richten sich auf und grüßen, und die Jungen werfen ihre Mützen und schreien Hurrah. Es ist ein Lärm, der einer Residenz zur Ehre gereichen würde, und doch ist es nur Wusterhausen , freilich — zu Pfingsten . Wir halten vor der Post; drüben ist ein Gasthof mit Staub- rouleaux, Waschtoiletten und Klingelzügen, alles großstädtisch, und während mir zwei Lichter auf den Tisch gesetzt werden, richt’ ich unwillkürlich die Frage an mich: ist dies dasselbe Wusterhausen, von dem wir jene klassische, aber freilich wenig schmeichelhafte Be- schreibung haben, die eine Seite in den Memoiren der Mark- gräfin von Baireuth, der Lieblingsschwester Friedrichs des Großen, füllt? Laß doch sehen, was sie schreibt. Ich war wohlweislich nicht ohne dies Buch aufgebrochen, (das, wenn man so will, der „älteste Fremdenführer von Wuster- hausen“ ist), und las wie folgt: „Mit unsäglicher Mühe hatte der König an diesem Orte einen Hügel aufführen lassen, der die Aussicht so gut begrenzte, daß man das verzauberte Schloß nicht eher sah, als bis man herabgestiegen war. Dieses sogenannte Palais bestand aus einem sehr kleinen Hauptgebäude, dessen Schönheit durch einen alten Thurm erhöht wurde, zu dem hinauf eine hölzerne Wendeltreppe führte. (In der ersten Ausgabe heißt es von diesem alten Thurm: „er war ein ehemaliger Diebeswinkel, von einer Bande Räuber erbaut, denen dies Schloß früher gehört hatte.“) Das Gebäude war von einem Erdwall und einem Graben umgeben, dessen schwarzes und fauliges Wasser dem Styxe glich. Drei Brücken verbanden es mit dem Hofe (in Front des Schlosses), mit dem Garten (zur Seite desselben) und mit einer gegenüberliegenden Mühle. Der nach vornhin gelegene Hof war durch zwei Flügel flankirt, in denen die Herren von des Königs Gefolge wohnten. Am Eingang in den Schloßhof hielten zwei Bären Wacht (bei- läufig gesagt sehr böse Thiere), die auf ihren Hintertatzen umher- spazierten, weil man ihnen die vorderen abgeschnitten hatte. Mit- ten im Hof befand sich ein kleiner Born, aus dem man mit vie- ler Kunst einen Springbrunnen gemacht hatte. Er war mit einem eisernen Geländer umgeben, einige Stufen führten hinauf, und dies war der Platz, den sich der König Abends zum Tabackrau- chen auszuwählen pflegte. Meine Schwester (Charlotte; später Her- zogin von Braunschweig) und ich, hatten für uns und unser gan- zes Gefolge nur zwei Zimmer, oder vielmehr zwei Dachstübchen. Wie auch das Wetter sein mochte, wir aßen zu Mittag immer im Freien unter einem Zelte, das unter einer großen Linde auf- geschlagen war. Bei starkem Regen saßen wir bis an die Waden im Wasser, da der Platz vertieft war. Wir waren immer 24 Per- sonen zu Tisch, von denen drei Viertel jederzeit fasteten; denn es wurden nie mehr als sechs Schüsseln aufgetragen und diese waren so schmal zugeschnitten, daß ein nur halbwegs hungriger Mensch sie mit vieler Bequemlichkeit allein aufzehren konnte. Prinzessin Wilhelmine (die Markgräfin) erzählt an einer andern Stelle ihrer Memoiren: „ich war all die Zeit über so leidend, daß ich versichern darf, zwei Jahre lang von nichts anderem als Wasser und trocken Brot gelebt zu haben“. Es scheint fast, daß sie die Entsagung, die ihr ihr Krankheitszustand auferlegte, der Kärglichkeit der Königlichen Tafel zur Last legen will. Es ist nicht sehr wahrscheinlich, daß es so knapp in Wusterhausen hergegangen sein sollte. Der König war ein sehr starker Esser, und alle Personen von gutem Appetit haben die Maxime: „leben und leben lassen“. Außerdem liegen glaubhafte Berichte vor, aus denen sich ganz genau ersehen läßt, was an Königs Tisch gespeist wurde. Es gab: Suppe, gestovtes Fleisch, Schinken, eine Gans, Fisch, dann Pastete. Dazu sehr guten Rheinwein und Ungar. In Wusterhausen kamen noch (weil es die Jahreszeit mit sich brachte), Krammetsvögel, Leipziger Lerchen und Rebhühner hinzu, besonders auch Früchte zum Dessert, darunter die schönsten Weintrauben. Das klingt schon einladender, als die Beschreibung der Prinzessin. .... In Berlin hatte ich das Fegfeuer, in Wusterhausen aber die Hölle zu erdulden.“ So die Markgräfin, die frühere Prinzessin Wilhelmine. Ich schlug das Buch zu und trat an das offene Fenster, durch das der heitere Lärm schwatzender Menschen zu mir herauf drang. Das Zimmer lag im ersten Stock und die Kronen der abgestutzten Lin- denbäume ragten bis zur Fensterbrüstung auf, so daß ich meinen Kopf in ihrem Blattwerk verstecken konnte. An der andern Seite der Straße (etwas zurückgelegen) zog sich der eine Cavalierflügel des Schlosses hin. Die ganze mir zugekehrte Front steckte in wei- ßen und rothen Rosen, die Oberfenster waren geöffnet und Licht und Musik drangen zu mir herüber. Hinter dem Flügel, in schrä- ger Richtung nach rechts hin, standen hohe Baumgruppen, und zwischen dem Laubwerk wurde das Schindel- oder Schieferdach des alten Schloßthurms sichtbar, „des Diebeswinkels, von einer Räuberbande erbaut.“ War es wirklich so arg mit ihm? Er stand da, mondbeschienen, mit der friedlichsten Miene von der Welt, seine Spitze (eine Art Flaggenstock) so krumm wie ein Elephanten- zahn und das Ganze eher an Idyll und goldene Zeit, als an Fegfeuer und Hölle mahnend. Es war noch nicht spät und der Weg nicht zwei Minuten weit; so beschloß ich noch einen Abendbesuch zu machen und die, freilich dämmerumwobene Wirklichkeit des Schlosses mit der Be- schreibung seiner ehemaligen Bewohnerin zu vergleichen. Ich trat in den weiten Schloßhof ein. Da lagen die Flügel rechts und links, vor mir Brücke und Graben, und dahinter, großentheils versteckt, das Schloß selbst. Die Bären fehlten, der Springbrun- nen auch; keine Stufen da, auf der irgend wer seine Abendpfeife hätte rauchen können; nur eine weiße Pumpe stand mitten in einem Fliederbosquet und nahm sich besser aus, als Pumpen sonst wohl pflegen. Ich näherte mich der Brücke und konnte nun die Funda- mente des Schlosses in wenigstens dunklen Umrissen, die Giebel aber, auf die das Mondlicht fiel, in scharfen Linien erkennen; was zwischen Giebel und Grundmauer lag, war hinter Bäumen ver- steckt. Der „Styx“ existirte nicht mehr; halb zugeschüttet war aus dem Graben ein breiter Streifen Wiesenland geworden; die blü- henden Kräuter würzten die Luft, und im Rücken des Schlosses (die Notte fließt dicht daran vorüber) hört’ ich, wie ein Wasser still, breit, melodisch über ein Wehr fiel. Ich kehrte um und setzte mich unter die Linden des Gast- hauses. Das war keine „Hölle,“ die ich gesehen hatte, oder — die Beleuchtung hatte Wunder gethan. Der Wirth setzte sich zu mir, und angesichts des Schlosses, dessen Thurmdach uns argwöhnisch zu belauschen schien, plauderten wir vom Schloß Wusterhausen . In alten wendischen Zeiten stand hier ein Dorf Namens „Wustrow“, d. h. „umflossener Ort.“ Die Bezeichnung findet sich vielfach in der Mark bis diesen Tag, z. B. das Zieten’sche Wu- strau. Als die Deutschen in’s Land kamen, gründeten sie ein Nach- bardorf, das noch existirende Deutsch -Wustrow, zum Unterschied von Wendisch -Wustrow, schließlich aber wurden beide Worte (durch ein angehängtes „hausen“) germanisirt, und Deutsch- und Wendisch-Wusterhausen waren fertig. Wendisch-Wusterhausen — nur mit diesem haben wir es zu thun — wurde eine markgräfliche Burg. Sie vertheidigte, wie „Schloß Mittenwalde,“ von dem wir in einem der nächsten Kapitel sprechen werden, den Notte-Uebergang, d. h. sie war Grenzburg zwischen der Mark und der Lausitz. Wendisch-Wusterhausen blieb markgräfliche Burg bis gegen 1370. Es ist sehr wahrscheinlich, daß der alte Thurm (der „Diebs- winkel“) bis in diese markgräfliche Zeit zurückdatirt. Etwa 1375 kamen die Schliebens in Besitz der Burg, eine Familie, die damals in der Umgegend reich begütert war. Sie besaßen es ein Jahrhundert lang, also namentlich auch während der Quitzow - Zeit, ohne daß besondere Räuberthaten der Burg Wendisch-Wuster- hausen, bekannt geworden wären. 1475 kauften es die Schenken von Landsberg , die damaligen Besitzer der Herrschaft Teupitz, aus deren Händen es (kleiner Mittelglieder zu geschweigen) 1683 in Besitz des Kurprinzen Friedrich , des späteren Königs Frie- drich I. kam. Dieser schenkte es 1698 seinem damals 10 Jahre alten Sohne, dem späteren König Friedrich Wilhelm I. Dieser (Friedrich Wilhelm I. ) nahm Wendisch-Wusterhausen von Anfang an in seine besondere Affektion. Er hielt bei dieser Vorliebe aus bis zu seinem Tode. Was der Ort jetzt ist, ver- dankt er ihm, dem „Soldatenkönig.“ Das Dorf wurde zum Fle- cken; die Straßen und Plätze, die Häuser und Bäume, alles ist sein Werk, und mit Recht hat der Flecken seinen Namen gewechselt und sich aus einem Wendisch-Wusterhausen zu einem Königs - Wusterhausen erhoben. Königs-Wusterhausen ist vielleicht mehr als ein anderer Ort (nur Potsdam ausgeschlossen) mit der Lebens- und Regierungs- Geschichte König Friedrich Wilhelms I. verwachsen. Hier ließ er als Knabe seine „Kadetten,“ und einige Jahre später (von 1705 an, wo er ein Regiment erhalten hatte) seine „Leib-Compagnie“ exerciren. Hier übte und stählte er seinen Körper, um sich wehr- haft und mannhaft zu machen, und hier, zur Regierung gelangt, fanden jene Jagdscenen und waidmännischen Festlichkeiten statt, die Wusterhausen damals zum Jagdschloß par excellence erhoben. Hier auf dem Schloßhof, den jetzt die friedliche Pumpe ziert, war es, wo jedesmal nach abgehaltener Jagd, den Hunden ihr „Jagdrecht“ wurde. Dies „Jagdrecht“ galt als eine Nachfeier zum eigentlichen Fest. Der zerlegte Hirsch wurde wieder mit seiner Haut bedeckt, an der sich noch der Kopf sammt dem Geweih be- finden mußte. So lag der Hirsch auf dem Hof, während hundert und mehr Parforce-Hunde, die durch ein Gatter von ihrer Beute getrennt waren, laut heulten und winselten und nur durch Peit- sche und Karbatsche in Ordnung gehalten wurden. Endlich erschien der König, der Jägerbursche zog nun die Haut des Hirsches fort, das Gatter öffnete sich und die Meute fiel über ihr „Jagdrecht“ her, während die Piqueurs im Kreise standen und auf ihren Hör- nern bliesen. Wenigstens zwei Monate alljährlich wohnte König Friedrich Wilhelm I. in Wusterhausen. Spätestens am 24. August traf er ein und frühestens am 4. oder 5. November brach er auf. Die ersten 8 Tage gehörten der Rebhuhnjagd (vorzüglich auf der Groß- Machenower Feldmark), später dann folgten, freilich zumeist erst im December und Januar, die Jagden auf Roth- und Schwarzwild. Zwei stehende Festlichkeiten im größeren Stil gab es alljährlich während der Wusterhausner Saison: die Jahresfeier der Schlacht bei Malplaquet (am 11. September) und das Hubertusfest am 3. November. Bei Malplaquet war der König, damals noch Kronprinz, zum ersten Mal im Feuer gewesen, das erheischte, wie billig, ein Erinnerungsfest. Das Hubertusfest war zugleich das Abschiedsfest von Wusterhausen. Bei diesen Festen ging es hoch her, zumal beim Hubertusfest. Nur einmal fiel es aus, am 3. November 1730. Am 28. Okto- ber, sechs Tage vor dem Hubertustag, hatte das Kriegsgericht in Schloß Cöpenick gesessen, das über Katte und Kronprinz Friedrich Urtheil sprechen sollte. In Wusterhausen saß derweilen der erzürnte König und war- tete auf „Tod“. Das Kriegsgericht sprach „Schuldig“, aber es verweigerte den Ausspruch „Tod“. Da griff der König selbst in den Gang des Prozesses ein, er stieß das Urtheil um, und jene berühmte Cabinetsordre wurde erlassen, die da schließt: „S. K. M. seynd in der Jugend auch die Schule durch- gelauffen und haben das lateinische Sprüchwort gelernet: fiat justitia et pereat mundus . Also wollen Sie hiermit, und zwar von Rechts wegen, daß der Katte, ob er schon nach denen Rechten verdienet gehabt, wegen des begangenen crimen lae- sae Majestatis mit glühenden Zangen gerissen und auffgehän- get zu werden, Er dennoch nur, in consideration seiner Fa- milie, mit dem Schwert vom Leben zum Tode gebracht wer- den solle. Wenn das Kriegs-Recht dem Katten die Sentenz publicirt, soll ihm gesagt werden, daß es S. K. M. leydt thäte, es wäre aber besser, daß er stürbe, als daß die Justiz aus der Weldt kähme.“ Diese Cabinetsordre trägt als Ort und Datum: Wuster- hausen , d. 1. November 1730. Hier in Wusterhausen spielten später die Intriguen zwischen Schwester und Schwester, (Prinzessin Wilhelmine und Prinzessin Charlotte) und Tochter und Mutter (Prinzessin Wilhelmine und Königin); hier schwankte noch zuletzt die Wage, ob der Erbprinz von Baireuth oder der Prinz von Wales, wie so sehr gewünscht wurde, die Braut heimführen würde; hier endlich, nachdem die Ungewitter sich verzogen und ruhigeren Tagen Platz gemacht hat- ten, theilte der früh alternde König, wenn Gicht und Podagra das Jagen verboten, seine Zeit zwischen Rauchen und Malen, zwischen Pfeife und Pinsel. Es war dann in Wusterhausen wie in Schloß Cossenblatt (seinem eigentlichen Atelier), nur mit dem Unterschied, daß Cossenblatt der auserwählte Ort für Podagra und Malerei gewesen zu sein scheint, während in Potsdam und Wusterhausen nur gemalt wurde, wenn die Gicht wie von unge- fähr d. h. ohne Anmeldung und unerwartet erschien. Dies ist auch der Grund, weshalb sich in Potsdam und Wusterhausen viel we- niger Bilder von der Hand des Königs vorfinden, als in Schloß Cossenblatt. Man könnte vielleicht sagen, daß seine Malerei in Cossenblatt chronisch, in Potsdam und Wusterhausen blos acut gewesen sei. Schon hier übrigens sei bemerkt, daß sich im Wusterhausener Schlosse zur Zeit keine Bilder des Königs mehr vorfinden (seit Sommer 1863 geändert. Vgl. S. 114), doch hän- gen einige auf dem Oberflur des nachbarlichen Posthauses, — Er- innerungsstücke an die Kunst und die Gicht des königlichen Malers. Bei diesem Geplauder war es spät geworden. Die Stille in den Straßen mahnte zur Ruh. Ein schwaches Wetterleuchten zuckte dann und wann am Himmel und versprach einen schönen Tag; so schlief ich ein. Der andere Morgen war Pfingstsonntag. Ich brach früh auf, um das „verzauberte Schloß“ in hellem Tageslicht zu sehen. Ich fragte nach dem Kastellan, — todt; nach der Kastellanin — auch todt; endlich erschien ein Mann mit einem großen alten Schlüssel, der mir als der „Exekutor“ vorgestellt wurde. Dies ängstigte mich ein wenig. Es war ein ziemlich mürrischer Alter, der von nichts wußte, auch von nichts wissen wollte . Seine Nase spielte in’s Röthliche. Wir traten durch eine Seitenthür auf den Schloßhof. Es war schon heiß, trotz der frühen Stunde; die Sonne blendete und die Bosquets sammt der weißen Pumpe waren nicht ganz mehr, was sie am Abend vorher gewesen waren. Wir umschritten zunächst das Schloß, dann nahm ich einen guten Stand, um mir die Architectur desselben einzuprägen. Es ist gewiß ein ziemlich häßliches Gebäude, aber es ist doch mehr originell als häßlich, und weil es (hübsch oder häßlich) so ganz apart ist, ist es nicht ohne Interesse. Der ganze Bau, bis zu beträchtlicher Höhe, ist aus Feldstein aufgeführt, woraus ich den Schluß ziehe, daß der König, bei Ausbau des Schlosses, die Grundform desselben (ein Viereck, mit einem vorspringenden Rund- thurm) beibehielt und nur die Einrichtung und Gliederung völlig veränderte. Der Rundthurm wurde Treppenthurm. Von diesem Thurm aus zog er eine Mauerlinie mitten durch das Feldstein- Viereck hindurch, und theilte dadurch den Bau in zwei gleiche Hälften. Jede Hälfte erhielt ein Giebeldach, so daß jeder, der sich dem Schlosse nähert, zwei Häuser zu sehen glaubt, die mit ihren Giebeln auf die Straße blicken. In Front beider Giebel, an beide sich lehnend, steht der Thurm. Der Thurm ist sehr alt; König Friedrich Wilhelm I. aber hat ihm einen modernen Eingang gegeben, eine Art griechisches Portal (in Mannshöhe), dessen Giebelfeld etwa ein Dutzend in Holz geschnittene Amoretten zeigt. Einige sind wurmstichig gewor- den, andere haben sonstigen Schaden genommen. Beim Eintreten erblickt man zuerst verließartige Kellerräume, darin etwas Stroh liegt, wie eben verlassene Lagerstätten. Dann führt eine Treppe von zehn oder zwölf Stufen in’s Hochparterre, dann eine zweite höhere Treppe in’s erste Stockwerk. Wir verwei- len hier einen Augenblick. Ein schmaler Gang scheidet zwei Reihen Zimmer von einander, deren Thüren sämmtlich (muthmaßlich des besseren Luftzugs halber) kleine Gitterfenster haben, in Folge dessen die Zimmer genau aussehen, wie Gefängnißzellen. Es sind dies ersichtlich dieselben Räume („nicht besser als Dachstuben“), in denen die Prinzessinnen schlafen mußten, wenn sie nicht, was auch mög- lich ist, in den kleinen Giebelstuben untergebracht wurden. Die Gitterfenster gönnen überall einen Einblick. Nur eines der Zimmer schien benutzt; auf dem Boden desselben lagen Aktenbündel ausge- breitet, weiße, grüne, blaue, wohl 80 oder 100 an der Zahl; muthmaßlich eine alte Registratur der Herrschaft Königs-Wuster- hausen. Wir stiegen nun in’s Hochparterre zurück. Hier befindet sich die alte Herrlichkeit des Schlosses auf engstem Raum zusammen. Man tritt zuerst in eine Jagdhalle, die, wie oben der Flurgang, zwischen zwei Reihen Zimmern hinläuft. In dieser Halle befinden sich, nach Art dieser Lokalitäten, 6 oder 8 Hirschgeweihe, an denen nichts Besonderes wahrzunehmen ist. Die frühere Sehenswürdigkeit dieser Halle ist ihr verloren ge- gangen. Es war dies (so geht die Sage) das 532 Pfund schwere Geweih eines Riesenhirsches, der 1636, also zur Regierungszeit George Wilhelms, in der Köpnicker Forst, 4 Meilen von Fürsten- walde, erlegt worden war. Es ist über dies Geweih, auch in neuerer Zeit noch, viel gestritten und obige Gewichtsangabe, wie billig, belächelt worden. Nichtsdestoweniger muß das Geweih etwas ganz Enormes gewesen sein, da Friedrich August II. von Sachsen dem Könige Friedrich Wilhelm I. eine ganze Compagnie langer Grenadiere zum Tausch dafür anbot, ein Anerbieten, das na- türlich angenommen wurde. Das Geweih existirt noch und soll sich auf dem Jagdschloß Moritzburg bei Dresden befinden. An der Stelle (4 Meilen von Fürstenwalde), wo der Hirsch erlegt wurde, befindet sich noch jetzt ein steinernes Monument, welches den Hirsch in liegender Stellung darstellt. Rechts von der Halle sind zwei Thüren. An der einen, zu- nächst der Treppe, steht mit Kreide angeschrieben: „Wachtstube der Artillerie“. Bei Manövern, Mobilmachungen ꝛc. muß nämlich das Wusterhausener Schloß wohl oder übel mit aushelfen und erhält vorübergehend eine kleine Garnison, eine Benutzung, gegen die der „Soldatenkönig“ vielleicht am wenigsten einzuwenden haben würde. Auch stehen die meisten dieser Räume (wenigstens in ihrer jetzigen Gestalt) durchaus nur auf der Stufe von Kasernenstuben. Das erste Zimmer hinter der mit Kreide beschriebenen Thür war ehedem das Schlafzimmer Friedrich Wilhelms I. Es befindet sich in dem- selben — fast das einzige, was diesem Schlosse aus jener Zeit her erhalten geblieben ist — das Waschbecken des Königs, eine Art festgemauertes Wasch faß . Das Ganze, aus Gips gefertigt, gleicht den Abgußsteinen, die man in unseren Küchen findet, und hat in der That eine Oeffnung zum Abfluß des Wassers, in der ein stei- nerner Stöpsel steckt, halb so lang wie ein Arm und halb so dick. Beim Anblick dieses Waschfasses glaubt man allerdings, was all- seits von dem König berichtet wird, daß er einer der reinlichsten Menschen war und „sich wohl zwanzigmal des Tages wusch“. Die andere Thür, ebenfalls zur Rechten der Halle, führt in den Speisesaal . Er mißt 15 Schritt im Quadrat, ist also ziem- lich geräumig. In der Mitte ist ein hölzerner Pfeiler angebracht, der vielleicht mehr schmücken als stützen soll; ist aber zu beidem gleich unfähig. Ein großer Kamin und ein gegipster, steinartiger Fußboden vollenden die Einrichtung dieses Saales; neben dem Kamin sieht man die Ueberreste einer Treppe, die direct in den Küchenanbau führte. Dies ist also der Saal, in dem an jedem 11. September der Tag von Malplaquet und an jedem 3. No- vember das Hubertusfest gefeiert wurde. Es ging dann hier viel heiterer her, als man jetzt, beim Anblick dieser weißgetünchten Oede, glauben sollte. Frauen waren ausgeschlossen; es war ein Männer- fest. Zwanzig bis dreißig Offiziers, meist alte Generals, die unter Eugen und Marlborough mitgefochten hatten, saßen dann um den Tisch herum und Rheinwein und Ungar wurden nicht gespart. Der „starke Mann“ mußte kommen und seine Kunststücke machen; zu- letzt, während das Feuer flackerte und die Piqueurs auf ihren Jagdhörnern bliesen, packte der König den alten Generallieutenant von Pannewitz , der von Malplaquet her eine breite Schmarre im Gesicht hatte, und begann mit ihm den Tanz. Dazwischen Ta- back, Brettspiel und Puppentheater, bis das Vergnügen an sich selbst erstarb. Wir treten aus diesem Eßsaal wieder in die Halle zurück. Zur Linken derselben befinden sich ebenfalls zwei Zimmer, die Zim- mer der Königin . Sie sind verhältnißmäßig noch wohl erhalten und geben einem ein deutliches Bild, wie die „Eleganz“ von Schloß Wusterhausen beschaffen war. Beide Zimmer sind durch eine einfache Eichenthür mit einander verbunden, sowie auch nie- drige Eichenholz-Pannele die Wände umziehen. In den Ecken der Decke sind vier Lyras angebracht, die aber so genirt aussehen, als befänden sie sich lieber wo anders. Mit Unrecht: denn sie haben wenigstens Gesellschaft: zwei Basrelief-Bilder (in jedem Zimmer eins), die sich als Wandschmuck zwischen Decke und Kamin be- finden. Das eine stellt eine „Toilette der Venus“, das andere eine „Venusfeier“ dar. Das erste operirt mit dem alten, wohlbekannten Material: schnäbelnde Tauben, Amoretten, Rosen-Guirlanden ꝛc., das zweite aber thut ein Uebriges. Nackte Gestalten, von ganz un- glaublichen Formen, umtanzen eine Venusstatue, während ein Sa- tyr von hinten her eine Bachantin umklammert hält und die Wi- derstrebende zum Tanze zwingt. An anderem Ort würde dieser lustige Heidenspuk weiter nichts zu bedeuten haben, hier in Schloß Wusterhausen aber nimmt er sich wunderlich genug aus und paßt seltsam zu dem Waschbecken drüben mit dem dicken steinernen Stöpsel. Das erste dieser Zimmer, das sich mit der „Toilette der Ve- nus“ begnügt, führt durch eine Seitenthür auf eine Art Rampe hinaus, die ziemlich steil nach dem Park hin abfällt. Diesen Weg machte wahrscheinlich immer der König, wenn er in seinem Gicht- 9 stuhl in den Garten hinein und wieder zurückgerollt wurde. Be- kanntlich war Treppensteigen nicht seine Sache. Wir treten jetzt, den Blick noch einmal auf die öden Räume gerichtet, ebenfalls in’s Freie hinaus und athmen auf im Son- nenlicht und in dem Wiesenduft, den eine Luftwelle eben zu uns her trägt. Eine mächtige alte Linde, hart zu Füßen der Rampe, ladet uns ein, unter ihrem Zweigwerk Platz zu nehmen. Wir thun’s und befinden uns muthmaßlich unter demselben Blätterdach, „unter dem (um noch einmal Prinzessin Wilhelmine zu citiren) die Damen, wenn’s regnete, bis an die Wade im Wasser saßen“. Die Parkwiese liegt vor uns, Hummeln und Käfer summen dar- über hin, das Mühlenfließ, uns zur Rechten, fällt leise über das Wehr. Träume nehmen den Geist gefangen und führen ihn weit fort in südliche Länder, zu Tempeltrümmern und Götterbildern. Aber ein Satyr lauscht plötzlich hervor; — es ist derselbe, der der tanzenden Bachantin da drinnen im Nacken sitzt, und die Bil- der von Schloß Wusterhausen schieben sich plötzlich wieder vor die Bilder klassischer Schönheit. Hatte die Memoirenschreiberin doch Recht? Ja und nein; ein prächtiger Platz für einen Waidmann und eine starke Natur, aber allerdings ein schlimmer Platz für ästhetischen Sinn und einen weiblichen esprit fort. Teupitz. Winde hauchen hier so leise Räthselstimmen tiefer Trauer. Lenau. C ossenblatt führte uns mittelbar nach Königs-Wusterhausen und Königs-Wusterhausen führt uns nunmehr nach dem nahegelegenen Teupitz. Die alten Herrn des „Schenkenländchens“ besaßen beide Städtchen; — das eine haben wir kennen gelernt, machen wir auch dem andren, dem historisch älteren, unsren Besuch. Teupitz verlohnt allerdings eine Nachtreise (die Posten dahin meiden das Tageslicht), wiewohl diese Hauptstadt des sogenannten „Schenkenländchens“ lange nicht das ist, als was es mir geschil- dert worden war. Die Schilderungen von Teupitz galten seiner Armuth. „Die Poesie des Verfalls liegt über der Stadt,“ so hieß es voll dichterischen Ausdrucks, und die farbenreichen Armuthsbilder, die mein Freund und Gewährsmann vor mir entrollte, wurden mir zu einem viel größeren Reiseantrieb, als die gleichzeitig wieder- kehrenden Versicherungen: „aber Teupitz ist schön.“ Diesen Re- frain überhörte ich oder vergaß ihn, während ich doch die Worte nicht wieder loswerden konnte: „das Plateau um Teupitz herum heißt „der Brand“, und das Wirthshaus darauf führt den Na- men „der todte Mann“. Ich hörte noch allerhand Anderes. Ein früherer Geistlicher in 9* Teupitz sollte unverheirathet geblieben sein, „weil die Stelle einen Hausstand nicht tragen könne“, und ein Gutsbesitzer (so hieß es weiter) habe Jedem, der es hören wollte, erzählt: „wenn ich einem Teupitzer Bettelkinde ein Stück Brod gebe, so ißt es nur die Hälfte davon, die andere Hälfte nimmt es mit nach Haus. So rar ist Brot in Teupitz.“ Diese Geschichten hatten einen Eindruck auf mich gemacht. Zu gleicher Zeit erfuhr ich, König Friedrich Wilhelm IV. habe gelegentlich halb scherzhaft, halb mitleidsvoll hingeworfen: „die Teupitzer sind doch meine Treuesten; wären sie’s nicht, so wären sie alle längst ausgewandert.“ Dies und noch manches der Art weckte eine Sehnsucht in mir, Teupitz zu sehen, das Ideal der Armuth, von dem ich in Büchern nur fand, daß es vor hundert Jahren 258 und vor fünfzig Jahren 372 Einwohner gehabt habe, daß das Personal der Gesundheitspflege (wörtlich) „auf eine Hebeamme be- schränkt sei,“ und daß der Ertrag seiner Aecker 1¼ Sgr. pro Morgen betrage. Angedeutet habe ich übrigens schon (und es sei hier eigens wiederholt), daß ich die Dinge anders fand, als ich nach diesen Schilderungen erwarten mußte. Wie es Familien giebt, die, wiewohl längst leidlich wohlhabend geworden, den guten, be- quemen Ruf der Armuth durch eine gewisse Passivität geschickt auf- recht zu erhalten wissen, — so auch die Teupitzer. Solche viel- bedauerte „Armen“ (wer kennte ihrer nicht!) leben glücklich-ange- nehme Tage, und unbedrückt von den Mühsalen der Gastlichkeit oder der Repräsentation, lächeln sie still in sich hinein, so oft sie dem lieben, alten Satz begegnen, daß „Geben seliger sei denn Nehmen.“ Um 12 Uhr Nachts geht die Post, die dreimal wöchentlich (Montag, Mittwoch, Freitag) die Verbindung zwischen Teupitz und Zossen und dadurch zwischen Teupitz und der Welt unterhält. Zossen ist wie ein Paß für diese Gegenden: „es führt kein andrer Weg nach Teupitz hin.“ Die erste Meile haben wir noch Chaussee, deren Pappeln, soviel die Mitternacht eine Musterung gestattet, nicht an- ders aussehen als anderswo; erst mit dem ersten Morgengrauen biegen wir nach links hin in tiefe Sandgeleise, in die eigentliche Teupitzer Ge- gend ein. Es ist ein ganz eigenthümliches Haideland, vielleicht am meisten unsern Wedding-Parthieen verwandt, wo um den Plötzen- See herum, die Rehberge und die Ausläufer der Jungfern-Haide zusammenstoßen. Auch die Namen klingen ähnlich: „Sandkrug, Spiesberge“ und „der hungrige Wolf.“ Hier wie dort sind es die alten wohlbekannten Elemente: „Sand und See, Kiefer und Kussel,“ die sich zu Landschaftsbildern zusammenstellen; aber so alltäglich die Dinge selber sind, so apart ist ihre Gruppirung, zu- mal in dieser Teupitzer Gegend. Die Kiefer, groß und klein, tritt nirgends (oder doch beinahe nirgends) in geschlossenen Massen auf; nicht en colonne steht sie da, sie bildet Schützenlinien, ein aufgelöstes Gefecht. Die Dämmerung unterstützt die Vorstellung eines Heerlagers. Dort auf der Kuppe stehen drei Alte und lugen aus; am Abhang lagert eine Feldwacht jungen Volks; eine lange Postenkette von Kusseln zieht sich am See entlang und reicht einem andern Lagertrupp die Hand. Dazwischen Sand und Moos und dann und wann ein Aehrenfeld, dünn, kümmerlich, ein bloßer Versuch, eine Anfrage an die Natur. Es ist inzwischen immer heller geworden. Das Grau am Horizont wurde weiß, das Weiß wurde isabell-, dann rosenfarben; nun schießt es wie Feuerlilien auf, der Sand verschwindet, See- und Morgenkühle wehen uns an, und während der Sonnenball hinter der Teupitzer Kirche aufsteigt, fahren wir in die noch stille Straße des Städtchens ein. Der Wagen hält vor der Post, schrägüber vom „goldnen Stern.“ Der goldne Stern ist ein Eckhaus; vor seiner Thür steht ein Akazienbaum und an dem Laubenvorbau lehnt der Wirth, seines Zeichens ein Bäcker. Das ist eine gute Vorbedeutung. Un- ter allen Gewerksmeistern steht doch der Bäcker unserm innern Menschen am nächsten. Freundlich weist er mich zurecht, dem Mü- den ist leicht gebettet, und ich schicke mich an zu einer Stunde Morgenschlaf. Ein frischer Luftstrom zieht durch das Gazefenster, die Akazie draußen bewegt sich leise, die Tauben auf dem einge- rahmten Geburtstagswunsch werden immer größer, nun fliegen sie fort und — meine Träume fliegen ihnen nach. Nicht lange. Das Picken des Nagelschmieds von der Ecke gegenüber weckt mich (beiläufig eine reizende Art geweckt zu wer- den) und während die Frühstücksstunde kommt und die braunen Semmeln neben die braunere Kanne auf den Tisch gestellt wer- den, setzt sich die Sternen-Wirthin zu mir und unterhält mich von Teupitz und dem Teupitzer See. „Ja — so erzählt sie — was wäre Teupitz ohne den See. Wir wären längst ein Dorf, wenn wir das Wasser nicht hätten. Freilich wir dürfen nicht mehr fischen (die Fischgerechtigkeit ist ver- pachtet), aber das Wasser ist uns mehr als die Fische und Al- les, was drin schwimmt. Mit gutem Wind fahren wir in sechs Stunden nach Berlin. Was wir kaufen und verkaufen, alles kommt und geht auf dem See. Wir bringen keine Fische mehr zu Markte, denn wir haben eben keine mehr, aber Garten- und Feld- früchte, Obst und Weintrauben, Holz und Torf. Das giebt so was wie Handel und Wandel, mehr als Mancher denkt und mehr als wir selber gedacht haben. Große Spreekähne kommen und ge- hen jetzt täglich, — das machen die neuen Ziegeleien. Ueberall hier herum liegt fetter Thon unterm Sand, und wenn Sie Nachts hüben oder drüben am See entlang fahren, über Groß-Köris hin- aus bis an den Motzner See, da glüht es und qualmt es rechts und links, als brennten die Dörfer. Oefen und Schornsteine über- all. Meiner Mutter Bruder ist auch dabei; er wird reich, und Alles geht nach Berlin. Viele hunderttausend Steine. Immer liegt ein Kahn an der Ladestelle, aber er kann nicht genug schaffen, so viel wie gebraucht wird. Ich weiß es, daß er reich wird, und An- dere werden’s auch; aber daß sie’s werden können, das macht der See .“ Die Sternwirthin verrieth an dieser Stelle eine unverkenn- bare Neigung, sich über die Vermögensverhältnisse von ihrer Mut- ter Bruder ausführlicher zu verbreiten, weshalb ich (ohne Neugier nach dieser Seite hin) die Frage einwarf: wem denn eigentlich der See gehöre, was er Pacht trage und wer ihn gepachtet habe? „Der See gehört zum Gut. Zum Gut gehören 32 Seen, große und kleine, aber der Teupitz-See ist der größte. Der Fisch- großhändler in Berlin, der ihn vom Gut gepachtet hat, zahlt 800 Thaler, und die Teupitzer Fischer, die hier fischen und die Fische zu Markte bringen, sind nichts als die Dienstleute und Tagelöhner des reichen Händlers in Berlin. Meiner Mutter Bru- der ....“ „Achthundert Thaler,“ unterbrach ich, „ist eine große Summe; ich kenne Seen, halb so groß wie der Teupitz-See, die nur vier Thaler Pacht bezahlen; ist der Teupitz-See so reich an Fischen?“ „Ob er’s ist; die Stadt führt nicht umsonst einen Karpfen im Wappen. Unser See hat viel Fische und schöne Fische, freilich wenn der Zander-Zug fehlschlägt —“ „Der Zander -Zug?“ fragte ich, komisch betroffen durch den an hohe Dinge der Kunst anklingenden Namen. „Ja, der Zander-Zug. Er ist nur einmal im Jahr und von seinem Ausfall hängt Alles ab. In der Regel bringt er 600, oft 1500 Thaler; dann und wann gar nichts. Dann muß das nächste Jahr den Schaden decken. Aber weil es unsicher ist, was der Zan- derzug bringen wird, deshalb können unsere Fischer den See nicht pachten.“ „Wann ist der Zug?“ „Im Januar und Februar; immer im Winter, denn die Netze werden unterm Eis gespannt und gezogen. Es ist jedesmal ein Festtag für Teupitz.“ Die Sternwirthin begann nun mit vieler Lebhaftigkeit mir die verschiedenen Phasen des Zander-Zuges zu beschreiben, unbe- kümmert durch meine Fragen, die übrigens allen Ernstes darauf aus waren, das ganze Verfahren nach Möglichkeit kennen zu ler- nen. Die Handgriffe beim Spannen und Ziehen der Netze aber blieben mir unklar; so viel nur sah ich, daß das ganze Verfahren die größte Aehnlichkeit mit einer Treibjagd und zwar mit einem Kesseltreiben haben müsse. Die Fischer, wohl vertraut mit dem Terrain des See’s, fegen gleichsam den Zander mittelst weitge- spannter Netze in bekannte Kesselvertiefungen hinein, umstellen ihn hier und schöpfen ihn dann, etwa wie man Goldfische aus einem Bassin schöpft, mit Leichtigkeit aus der fischgefüllten Tiefe heraus. Inzwischen erfuhr ich, daß das Boot bereit läge, das mich laut Verabredung auf dem See umherfahren sollte. Ich trat auf den Marktplatz hinaus und passirte einen schmalen Gang, der, unmittelbar neben dem „goldenen Stern“ gelegen, in leiser Schrä- gung dem See zuführte. Rechts und links standen Hof- und Gar- tenzäune, und zwar in jenen seltsamen Biegungen und Wellen- linien, die altes Zaunwerk im Lauf der Jahre anzunehmen pflegt. Ueber die Zäune hinweg wuchsen vielfach die Kronen der Bäume zu einem Laubengange zusammen, was sich zu Ende der Gasse in der Nähe des Wassers am malerischsten ausnahm, wo bereits der See bis hinauf zwischen das Plankenwerk vordrang, und mal höher, mal tiefer mit gelblichem Schaum seine Grenzmarke zog. Hier lag das Boot, in das ich leidlich trocknen Fußes hin- eingelangte. Ein Fischermädchen vom Ufer gegenüber stand aufrecht im Kahn, und während ihr weißes Kopftuch im Winde flatterte, stießen wir ab. Der Teupitz-See ist fast eine Meile lang und eine Viertel- meile breit, an einigen Stellen, wo er sich buchtet, auch breiter. Das Wasser des See’s ist hellgrün, frisch und leichtflüssig; Hü- gel mit Feldern und Hecken fassen ihn ein, und außer der schma- len Halbinsel, die das „Schloß“ trägt und sich bis mitten in den See hinein erstreckt, schwimmen große und kleine Inseln auf der schönen Wasserfläche umher. Die kleinen Inseln sind mit Rohr bestanden; die größeren aber (auch Werder geheißen) sind bebaut und tragen die Namen der beiden Seedörfer, Egsdorf und Schwe- rin, denen sie zunächst gelegen sind. Also der Egsdorfer und der Schweriner Werder. Wir fuhren von Insel zu Insel, von Ufer zu Ufer; abwech- selnd mit Ruder und Segel ging es auf und ab, planlos, ziellos. Die Teupitzer Kirche, der alte Schloßthurm hinter Pappeln, die rothen Dächer der Stadt, das Schilf, die Hügel — alles spie- gelte sich in dem klaren Wasser, aber, so schön es war, mir war doch, als hätt’ ich dies Alles schon einmal gesehen, nur schöner, märchenhafter, und diese Märchenbilder sucht’ ich nun. Lächelnd gestand ich mir endlich, daß ich sie nicht finden würde. Noch ein- mal umfuhr der Kahn die Halbinsel, auf der die Ueberreste des alten Teupitz-Schlosses gelegen sind, dann trieben wir durch den Schilfgürtel hindurch, den Kahn an’s Land. Die Stelle, wo wir landeten, lag in dem Winkel, den Ufer und Landzunge bilden, und das alte Teupitz-Schloß (soviel davon noch da ist) oder mit seinem vollen Namen „das alte Schloß der Schenken von Landsberg und Teupitz“ stieg fast unmittelbar vor uns auf. Ich schritt ihm zu. Das alte Teupitz-Schloß, das in frühe Jahrhunderte zurück- reicht, galt ehedem für sehr fest. Es lag an der Grenze zwischen Mark und Lausitz und scheint abwechselnd eine märkische oder sächsische Grenzfestung gewesen zu sein, je nachdem Verträge oder das Glück der Waffen, zu Gunsten des einen oder andern Theils über den Besitz der Burg entschieden hatten. Im 13. sowie in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts waren die Plötzke’s Her- ren von Teupitz; 1350 etwa kam die Herrschaft Tupitz oder Tuptz, wie sie damals genannt wurde, in Besitz der Schenken von Landsberg und nahm seitdem (abwechselnd mit dem Namen „Herrschaft Teupitz“) den Namen das „Schenkenländchen“ an. Dies Ländchen umfaßte 4 □ Meilen; in seiner Mitte lag Teupitz (die Stadt) mit See und Burg. Die Lehnsverhältnisse des „Schenkenländchens“ blieben noch geraume Zeit hindurch ver- wickelter und schwankender Natur, bis endlich der Einfall der Hus- siten in die Mark den Ausschlag gab und die Schenken von Landsberg und Teupitz veranlaßte, sich in den Schutz des Bran- denburgischen Kurfürsten (Friedrich I. ) zu begeben. Zwar geschah dies zunächst noch mit der Bemerkung: „unbeschadet unserer Un- terthänigkeitsverpflichtung gegen den Kaiser und den Herzog von Sachsen“ — diese Hinzufügung scheint aber nicht allzu ernst ge- meint gewesen zu sein, da Schenk Heinrich von Landsberg schon wenige Jahre später (1440) erklärte, „daß, da der Kurfürst, sein gnädiger Herr, mit ihnen, den Herzögen von Sachsen, in Fehde stehe, auch er (Schenk Heinrich) mit seinen Helfern und Knechten ihnen und ihren Landen den Krieg erklären müsse.“ Die Schenken von Landsberg und Teupitz blieben nah an 400 Jahre im Besitz der Herrschaft. Nachdem Schloß und Land während des 17. Jahrhunderts (zum Theil wohl in Folge des 30jährigen Krieges) sehr vernachlässigt, die Weinberge verwildert, die Haiden verwüstet waren, ging das ganze Schenkenländchen im Jahre 1718 durch Kauf an König Friedrich Wilhelm I. über. Er bezahlte dafür die geringe Summe von 54,000 Thaler, kaufte einzelne verloren gegangene Güter zurück, machte das Schloß, wie überall geschah, zu einem „Amt“ und stellte das Schenkenländ- chen oder die Herrschaft Teupitz, als Außenwerk der Herrschaft Königs-Wusterhausen, unter die Verwaltung einer Amtskammer. Seit einer Reihe von Jahren ist Schloß Teupitz (zu dem jetzt nur noch wenig Ländereien, aber viel Wiesen und die 32 Seen ge- hören) in Privathände übergegangen. Der vorige Besitzer war Herr von Treskow, der gegenwärtige ist Herr von Pappart. Es giebt kein Schloß Teupitz mehr, nur noch ein Amt gleiches Namens. Zu diesem Amt, sehr malerisch an der Stelle des alten Schlosses gelegen, gehören natürlich noch die Ueberreste, die von dem Schloß vorhanden sind. Es ist dies mehr, als auf den ersten Blick erscheint. Alle Wirthschaftsgebäude an der linken Seite des Hofes ruhen auf den alten hochaufgemauerten Fundamenten, in denen sich Gänge und mächtige Kellergewölbe bis diese Stunde vorfinden, während der Eingang in den Amtshof, durch einen viereckigen Thurm, einen sogenannten Donjon, höchst malerisch flankirt wird. Dieser alte Backsteinthurm hat noch beträchtliche Höhe; was seinem Anblick aber einen besonderen Zauber leiht, das ist, daß seine Zinne oder Plattform zu einem völligen Garten geworden ist. In das Erdreich, das der Regen im Lauf der Jahr- hunderte hier niedergeschlagen hat, haben theils die hohen Bäume die rundum stehen, ihre Keime niederfallen lassen, theils haben die Wirbelwinde aus dem zu Füßen gelegenen Garten die Samen- körner bis zur Höhe des Thurmes emporgetragen. Ein Ebreschen- baum stand in der Mitte, und zwischen den Rosensträuchern neig- ten sich gelbe Büschel jenes Unkrauts über das Mauerwerk, das den legendenhaft klingenden Namen führt: „Unserer lieben Frauen Bettstroh.“ Das alte Schloß, so erzählen einige, habe früher auf einer völligen Insel gestanden, und erst die Anschwemmungen hät- ten im Lauf der Zeit die Insel zu einer Halbinsel gemacht. Es ist möglich, aber nicht wahrscheinlich. Man sieht nirgends eine Terrain-Eigenthümlichkeit (wie etwa Schmalheit der Landzunge, abweichende Bodenbeschaffenheit, oder niedriger gelegenes Erdreich), und alles läßt annehmen, daß es stets eine Halbinsel war, die freilich früher, durch einen Graben, der die Landenge durchstach, zu einer Insel gemacht wurde. Nichts ist an dieser Stelle, außer Thurm und Fundament mehr vorhanden, was an die alten Schenken von Teupitz erin- nerte; noch weniger fast bietet die alte Kirche , die zwischen dem Schloß und der Stadt am Nordrande der letzteren gelegen ist. Vor zwanzig oder dreißig Jahren hätte die Forschung noch manches hier gefunden; jetzt aber nach Restaurirung der Kirche ist alles hin, oder doch so gut wie Alles. Die Grundform der Kirche hat zwar wenig unter diesen Neuerungen gelitten, und die eigen- thümliche Art, wie der Thurm aus Dach und Giebelwand auf- wächst, wird auch jetzt noch den Fachmann interessiren; aber die Details im Innern der Kirche sind hin, alle jene Ornamente, Bilder und Gedächtnißtafeln, die in ihrer Gesammtheit vielleicht der ziemlich grau in grau gemalten Geschichte der Schenken von Teupitz etwas Licht und Farbe hätten verleihen können. Bei Oeff- nung der jetzt zugeschütteten Gruft (unter der Sakristei der Kirche) fand man eine bedeutende Anzahl Särge, viele mit Messingtäfel- chen, auf denen neben den üblichen Namen- und Zahlen-Angaben auch einzelne historische Daten angegeben waren. Diese Täfelchen (so erzählt der alte Küster) kamen in die Pfarre, wo sie bei Um- zug und Neubauten längst verloren gegangen sind. Der gegen- wärtige Geistliche, der einen Sinn für die historischen Ueberliefe- rungen seiner Stadt und Kirche hat, hat mit Mühe eine kleine Glasmalerei gerettet, die einen Hergang aus katholischer Zeit (ein Mönch steht predigend auf der Kanzel) darstellt. Sonst ist der Kirche aus der „Schenken-Zeit“ nichts geblieben, als ein einziger Backstein am Hintergiebel, der die eingebrannte Inschrift trägt: nobil. v. Otto Schenk v. Landsb. (nobilis vir Otto Schenk von Landsberg.) Wahrscheinlich war er es, unter dem eine frü- here Restaurirung der Kirche (1566) stattfand. Wir haben den See befahren, das Schloß und die Kirche besucht, es bleibt uns noch eins in Teupitz übrig — der Jeesen- berg , ein Hügel am Südrande der Stadt gelegen, von dessen Höhe aus man das Schenkenländchen panoramatisch überblickt. Wir erreichen die Höhe und haben nach allen Seiten hin, in weit- gespanntem Bogen, eine Kessellandschaft vor und unter uns. Wo- hin wir blicken, vom Horizont zu uns her, dieselbe Reihenfolge von Hügel, See und Haide, und in der Mitte des Bildes wir selbst und der Berg, auf dem wir stehen. Das Panorama ist schön, schöner aber wird das Bild, wenn wir auf den Rundblick verzichten und uns damit begnügen, in die östlich gelegene Hälfte der Landschaft hineinzublicken. Es ist dies die Hälfte, wo Teupitz und sein See gelegen sind. Der Wind weht scharf vom Wasser her, aber eine Hecke von wildem Pflaum- baum giebt uns Schutz, während Einschnitte, wie Schießscharten, uns einen Blick in die Näh und Ferne gestatten. Ein Kornfeld läuft vor uns am Abhang nieder, am Fuß des Hügels zieht sich ein Feldweg hin, dahinter dehnen sich Gärten und Wiesen, hinter den Wiesen steigt die Stadt auf und hinter der Stadt der See mit seinen Inseln und seinen Hügeln am andern Ufer. Aber auch Leben hat das Bild. Wie losgelöste Ackerschollen treiben die In- seln den See entlang (oder scheinen doch zu treiben), ein satter Fischreiher fliegt landeinwärts, die rothen Tücher der Mägde, die beim Heuen beschäftigt sind, flattern im Winde, und die Schul- kinder vom nächsten Dorf, die eben den Feldweg passiren, haschen sich einander und verkürzen sich die Zeit mit Spiel und Neckereien. Die Jungen reißen den rothen Mohn in Büscheln aus dem Korn- feld, und so oft sie damit nach den fliehenden Mädchen schlagen, stäuben die rothen Blätter nach allen Seiten hin durch die Luft. So liegen und träumen wir hinter der Pflaumbaumhecke und spielen Versteckens mit dem Wind, uns duckend, wenn er zu scharf bergan fährt, dann wieder hervorlugend, wenn er pausirt und zu neuem Angriff sich rüstet. Nun aber trägt der Wind die Klänge der Teupitzer Mittags- glocke zu uns her und mahnt zur Rückkehr. Im goldenen Stern wird ein frugales Mahl servirt („wir haben den Karpfen im Wappen, aber nicht auf dem Tisch,“ so sagte die Wirthin) dann spring’ ich noch einmal in’s Boot und fahre über den See. Dies- mal allein. Ich habe selber die Ruder genommen. Die kurzen Wellen tanzen rund umher, das Wasser ist grün, der Himmel grau. Ein Gefühl beschleicht mich wieder, stärker noch als zuvor, als ruhe hier etwas, das sprechen wolle, — ein Geheimniß, eine Geschichte. Ich ziehe die Ruder ein und horche. Die Wellen klat- schen an den Kiel und der Wind biegt das Rohr tief nieder, an dem der Kahn vorübertreibt. Sonst alles stumm. Die Wolken sin- ken immer tiefer; nun öffnen sie sich, und hinter der grauen Wand, die der niederfallende Regen nach allen Seiten hin auf- richtet, verschwindet die Landschaft, Stadt und Schloß. So sah ich den Teupitz-See zuletzt, und ich habe Sehn- sucht, ihn wieder zu sehen. Ist es seine Schönheit allein, oder zieht mich der Zauber, den das Schweigen hat? Jenes Schweigen, das etwas verschweigt. Mittenwalde. „Befiehl Du Deine Wege Und was das Herze kränkt Der allertreusten Pflege Deß, der den Himmel lenkt“ .... Und kaum das Lied vernommen, Ist über sie gekommen Der Friede Gottes aus der Höh’. Schmidt von Lübeck. T eupitz war der äußerste Punkt, bis zu dem uns unser Cossen- blatter Ausflug geführt hat und wir kehren nunmehr auf unser eigentliches Reiseterrain, in die Odergegenden von Barnim und Lebus zurück. Auf dem Rückweg lassen wir es uns angelegen sein, an Mittenwalde nicht ohne Ansprache vorüber zu gehen. Wer reist nach Mittenwalde? eine wohl aufzuwerfende Frage. Und doch ist es ein sehenswerther Ort, der Anspruch hat auf Be- such und Umschau innerhalb seiner Mauern. Nicht als ob es eine schöne und malerische Stadt wäre; aber ob schön und malerisch oder nicht, Mittenwalde ist sehenswerth, weil es alt ist und eine Geschichte hat. Es hat sogar eine Vorg eschichte: allerhand Sagen und Tra- ditionen von einem Alt -Mittenwalde, das, in unmittelbarer Nähe der jetzigen Stadt, auf der westlichen Feldmark derselben, gelegen war. Hier unter Wiesen- und Ackerland finden sich noch Stein- fundamente, und während das Auge des Fremden nur über Schläge und Felder zu blicken glaubt, sprechen die Mittenwald- ner, als stünden die Dinge noch sichtbarlich vor ihnen, von der „alten Stadtstelle,“ vom „Vogelsang,“ vom „Pennings- oder Pfennigsberg,“ vom „Burgwall“ ꝛc. Alle diese Punkte liegen nie- driger als das heutige Mittenwalde und umzirken die Stadt, in nächster Nähe derselben, in einem enggezogenen Halbkreis. Daß hier früher ein anderes Mittenwalde, vielleicht ein Ort mit wendischem Namen stand, scheint unzweifelhaft. Außer Steinfundamenten auf dem Terrain der alten „Stadtstelle,“ fin- den sich Münzen am Pfennigsberg und als (vor Kurzem erst) Canalbauten und Erdarbeiten aller Art beim „Burgwall“ zur Ausführung kamen, stieß man auf der ganzen Strecke, die zwi- schen dem Burgwall und der Höhe liegt, auf Eichenbohlen, die wohl drei Fuß hoch mit Feldsteinen überschüttet waren. Ersichtlich ein Damm, der früher mitten durch den Sumpf hindurch nach dem Burgwall und einer inmitten desselben gelegenen Burg ge- führt hatte. So die Traditionen und so das Thatsächliche, das jene Tra- ditionen unterstützt; aber so gewiß dadurch der Beweis geführt ist, daß auf der westlichen Feldmark der jetzigen Stadt ein anderer längst untergegangener Ort (Dorf oder Stadt) gestanden hat, so wenig ist dadurch auch nur angedeutet, welcher Art der Ort war, der sich dort erhob, und in welchem Verhältniß jene drei Punkte zu einander standen, die sich jetzt „Stadtstelle,“ „Penningsberg“ und „Burgwall“ nennen. Was war es damit? War die Burg ein Schutz der Stadt, oder umgekehrt ein Trutz derselben? Waren Stadt und Burg wendisch oder waren sie deutsch? Be- fehdeten sie einen gemeinschaftlichen Feind, oder befehdeten sie sich untereinander? Alle diese Fragen drängen sich auf und ihre Be- antwortung ist versucht worden. Aber mit sehr unausreichendem Er- folg. Es liegt zu wenig Material vor, um zu anderen als vagen Resultaten gelangen zu können. Die Tradition scheint geneigt, eine alte Wendenstadt anzunehmen, die auf dem „Burgwall“ ihre Burg und auf dem „Penningsberg“ ihre Begräbnißstätte hatte. Ehe Besseres geboten ist, ist es vielleicht am besten, bei die- ser Tradition auszuharren. Ausgrabungen auf dem ganzen großen Stadtfelde, das alle jene Punkte einschließt, würden gewiß zu wirk- lichen Aufschlüssen führen, aber diese Ausgrabungen werden bei uns in unbegreiflicher Weise vernachlässigt. Die Communen entbehren meist des nöthigen Interesses und unsere Gesellschaften und Ver- eine gemeinhin der nöthigen Mittel. So bleibt beinah alles dem Zufall überlassen. Andere Staaten überflügeln uns (ich spreche zu- nächst nur von unserer Mark ) nach dieser Seite hin bedeutend. „Hier, wo nicht viel war, kann auch nicht viel zu finden sein,“ so denken die meisten unter uns und vergessen dabei, daß eben da wo stets nur wenig war, dies Wenige um so weniger entbehrt werden kann. Aber lassen wir das sagenhafte Alt-Mittenwalde und wenden wir uns dem historischen, dem mittelalterlichen Mittenwalde zu, das, trotz Krieg und Feuer, die mehrmals die Stadt verödet ha- ben, in einzelnen Baulichkeiten noch immer zu uns spricht. Da ist die Mauer mit ihren Thorthürmen, da ist die alte Propsteikirche und da ist (mehr ein Platz, als ein Bau) der Schloßberg oder „Hausgrabenberg,“ von dessen Höhe aus (freilich nur muthmaß- lich) „Schloß Mittenwald“ in die Mark und die Lausitz hin- einblickte. Ich sage muthmaßlich, denn die Ueberlieferungen, die an Schloß Mittenwalde anknüpfen, halten die Mitte zwischen Sage und Geschichte. Historisch ist die Existenz des Schlosses, sagenhaft ist die Stelle , wo es stand. Vielfach wird in Urkunden des „festen Schlosses zu Mittenwalde“ Erwähnung gethan; schon 1240 legten die brandenburgischen Markgrafen eine Besatzung hinein, und 1374 verordnete Kaiser Karl IV. vom „Schloß Mittenwalde“ aus, „daß alle Vesten der Mark Brandenburg in gleich guten Stand gesetzt werden sollten.“ All’ dies beweist die Existenz des Schlosses genugsam. Aber wo stand es? Nur mit Wahrscheinlich- keit läßt sich antworten: auf dem „Hausgrabenberg.“ Die Lage des Berges, im Norden eines Flusses (der Notte), dessen Ueber- gang vertheidigt werden sollte, das Fortifikatorische der Anlage, das so sehr an andere Hügelbefestigungen jener Epoche erinnert, würden es freilich halb zur Gewißheit erheben, daß das Schloß Mittenwalde an dieser Stelle und keiner andern stand, wenn nicht andererseits der Umstand, daß, so viel ich weiß, keine Spur von Steinfundamenten innerhalb des Berges zu finden ist, das Urtheil wieder schwankend machte. Die Bewohner des Berges er- zählen sogar, daß die wenigen Feldsteine, die jetzt als Treppen- stufen zu beßrer Ersteigung des Hügels dienen, von anderswoher mühsam herbeigeholt seien. Gleichviel, ein „Schloß Mittenwalde“ gab es, und einen „Hausgrabenberg“ giebt es noch. Was immer auf seiner Höhe gestanden haben mag, jetzt steht ein Häuschen auf demselben, das sich in Weinlaub versteckt; über dem grünumrank- ten Bau aber, als solle er doppelt geschützt werden, wölben sich alte Birnbäume zu einem dichten Dach. Im Spätsommer muß es schön hier oben sein, wenn die blauen Trauben an allen Wänden hängen und die goldgelben Birnen, vom Winde oder der eigenen Schwere abgelöst, polternd über das Dach herunterrollen. Der Hausgrabenberg hat ein reizendes Haus und eine rei- zende Aussicht; der alte Thorthurm der Stadt aber, dem wir uns jetzt zuwenden, bietet baulich ein Interesse. Er liegt nach Nor- den hin, also auf dem Wege nach Cöpnick und Berlin, und führt deshalb den Namen: das Cöpnicker oder Berliner Thor. In der alten Zeit, als Mittenwalde noch „fest“ war, war dieser Thorbau (wie alle seinesgleichen) ein Bau von ziemlich zusammengesetzter Natur und bestand aus einem quer durch den Stadtgraben füh- renden Steindamm, dessen Mauerlehnen hüben und drüben in einen Außen- und Innen-Thurm ausliefen. Der Steindamm, ohne den kein Aus- und Eingang möglich wäre, existirt natürlich noch; das Außenthor und die Mauerlehnen sind ebenfalls noch vorhan- den, aber nur zur Hälfte; das Innenthor fehlt ganz. Eine bloße Maueröffnung, das moderne Zwei-Pfeiler-Thor, ist an die Stelle getreten, und ein alter etwas zur Seite stehender Rundthurm, der einst den Brückenübergang flankirte, blickt wie verwundert auf die kümmerlichen Aenderungen, die ihm zu Füßen vorgegangen sind. Von dem Außenthor steht noch die Front, ein malerisches 10 Ueberbleibsel, das in seiner Stattlichkeit und reichen Gliederung mehr an die berühmten Thorbauten der altmärkischen Städte, als an verwandte Bauten der Mittelmark erinnert. Es scheint, daß das Ganze ein geräumiges, beinah würfelförmiges Viereck war, das auf seinen vier Ecken eben so viele Rundthürme und zwischen diesen Rundthürmen wieder eben so viele Pfeiler trug, die, reich ornamentirt und zierlich durchbrochen, die vier Rundthürme weit überragten. Derselben Zeit, wie dieser Thorthurm, gehört die Mittenwal- der Probstei - oder St. Moritz-Kirche an, wenigstens in ihren älteren Theilen. Die Kreuzgewölbe sind etwas später. Man sieht deutlich, wie die mächtigen alten Pfeiler in bestimmter Höhe, ich möchte sagen rücksichtslos abgebrochen und die alten Tonnengewölbe durch neue, von eleganterer Construktion, ersetzt worden sind. Noch um vieles moderner ist der Thurm, dem nichtsdestoweniger, mit Rücksicht auf das Jahr seiner Entstehung (1781), alles mögliche Lob gespendet werden muß. Er paßt nicht zur Kirche, aber er nimmt sich gut aus. Aehnlich wie die alten schweren Steinpfeiler, die jetzt die Kreuzgewölbe im Innern der Kirche tragen, unverän- dert dieselben geblieben sind, so hat auch der Baumeister von 1781 die Feldsteinwände des alten gothischen Thurmes, bis zu bestimm- ter Höhe hin, als Unterbau fortbestehen lassen. Dadurch ist etwas ziemlich Stylloses, aber nichtsdestoweniger etwas sehr Anziehendes entstanden. Der weiße, schmale Etagenthurm erhebt sich auf dem mächtigen alten Feldsteinfundamente wie eine Statue auf ihrem Piedestal, und die Hagerosen und Hollunderbüsche, die auf der Plattform zu Füßen des eigentlichen Thurmes blühen, schaffen das Ganze zu einem lieblichen Bilde um. Das Innere der Kirche, in das wir jetzt eintreten, ist reich an Bildern und Grabsteinen, noch reicher an Erinnerungen. An den Wänden ziehen sich, chorstuhlartig, die Kirchenstühle der alten Gewerks- und Innungsmeister hin, 45 an der Zahl, jeder einzelne Stuhl an seiner Rückenlehne mit den Gewerks-Emblemen geschmückt. Vor dem Altare liegen die Grabsteine von Burgemeister und Rath, der Altar selbst aber, ein Schnitzwerk aus katholischer Zeit mit Bildern auf der Kehrseite seiner Thüren, ist muthmaßlich ein Ge- schenk, das von Kurfürst Joachim I. der Mittenwaldner Kirche gemacht wurde. Zwischen Altarwand und Altartisch, auf schmalem Raum, begegnen wir noch einem Christuskopf (auf dem Schweiß- tuch der heiligen Veronica), aber das Interesse, das wir eben dem Bilde zugewendet haben, erlischt vor dem größeren, mit dem wir jetzt eines Portrait-Bildes ansichtig werden, das von der Wand des Seitenschiffes her, zwischen den Pfeilern hindurch, zu uns herüberblickt. Es ist nicht das Bild als solches, das uns fesselt, es ist der Mann ; neben der schmalen Sakristeithür, in schlichter Umrahmung, hängt das lebensgroße Bild Paul Gerhardt ’s. Paul Gerhardt war Probst zu Mittenwalde von 1651—1657. Vor etwa 30 Jahren wurde dieses Bildniß Gerhardt’s nach einem in der Kirche zu Lübben befindlichen Originalbild angefertigt und der Mittenwaldner Kirche, zur Erinnerung an die Zeit seines (Gerhardt’s) Wirkens allhier, zum Geschenk gemacht. Es ist ein gutes Bild; die Züge verrathen viel Milde, aber nichts Weichli- ches, und die Unterschrift, ebenfalls vom Lübbener Bilde genom- men, lautet wie folgt: Paulus Gerhardus Theologus in Cribro Satanae tentatus et devotus postea, obiit Lubbenae anno 1676, aetate 70. Rechts daneben befinden sich folgende Distichen: Sculpta quidem Pauli viva est ut imago Gerhardi, Cujus in ore fides, spes, amor usque fuit, Hic docuit nostris Assaph redivivus in oris Et cecinit laudes Christe benigne tuas: Spiritus aethereis veniet tibi sedibus hospes, Haec ubi saepe canes carmina sacra Deo. 10* Also etwa: Ganz wie er lebte sind hier Paul Gerhards Züge zu schauen, Draus nur Glaube allein, Hoffnung und Liebe gestrahlt; Ja, er lehrte bei uns, ein wiedererstandener Assaph, Und er erhob im Gesang, güt’ger Erlöser, Dein Lob. Hoch von den himmlischen Höh’n steigt nieder der heilige Geist uns, Singen die Lieder wir oft, die er gesungen dem Herrn. Probst Straube (1841 †), ein Amtsnachfolger Paul Gerhardts an der Mittenwaldner Kirche, hat die lateinischen Distichen in folgenden Alexandrinern wiederzugeben versucht: Wie lebend siehst Du hier Paul Gerhardts theures Bild, Der ganz von Glaube, Lieb und Hoffnung war erfüllt. In Tönen voller Kraft, gleich Assaphs Harfenklängen, Erhob er Christi Lob in himmlischen Gesängen. Sing’ seine Lieder oft, o Christ, in seliger Lust, So dringet Gottes Geist durch sie in Deine Brust. Paul Gerhardt, wie schon hervorgehoben, war 6 Jahre lang Probst an der Mittenwaldner Kirche und es ist höchst wahrschein- lich (wenn auch nicht mit absoluter Sicherheit zu beweisen), daß die schönsten Lieder, die wir diesem volksthümlichsten aller Lieder- dichter verdanken, während seines Mittenwaldner Aufenthal- tes , in Leid und Freud’ des Hauses und des Amtes gedichtet wurden. Begleiten wir ihn auf seinem Ein- und Ausgang. Paul Gerhardt kam spät in’s Amt. Er war bereits 46 Jahr alt, als die Kirchenvorstände von Mittenwalde, wo der Probst Goede eben gestorben war, sich an das Ministerium der St. Ni- kolaikirche zu Berlin wandten mit der Bitte, einen geeigneten Mann für die Mittenwaldner Probstei-Kirche in Vorschlag zu brin- gen. Die Kirchenbehörden von St. Nicolai waren schnell entschie- den; sie kannten Paul Gerhardt, der seit einer Reihe von Jahren als Lehrer, Freund und Erzieher im Hause des Kammergerichts- Advokaten Andreas Berthold lebte und durch Lieder und Vorträge längst die Aufmerksamkeit aller Kirchlichen, auch der Behörden und Vorstände, auf sich gezogen hatte. Diesen empfahlen sie. Nach zwanzigjährigem Harren sah sich Paul Gerhardt am Ziele seiner innigsten Sehnsucht und mit dem Dankesliede Auf den Nebel folgt die Sonn’, Auf das Trauern Freud’ und Wonn’, verließ er Berlin und trat, mit dem neuen Kirchenjahr 1651, freudig in’s Amt. Freudig begann er es, voll guten Muths, der Gegnerschaf- ten und Widerwärtigkeiten Herr werden zu können, an denen von Anfang an kein Mangel war. Neid, verletztes Interesse, gekränkte Eigenliebe (Diaconus Allborn, seit Jahren an der Mittenwaldner Kirche, hatte erwartet, Probst zu werden) — das waren die Geg- ner, auf die er stieß, aber wenn er dann Abends an dem offenen Hinterfenster seiner Arbeitsstube saß und über die Stadtmauer hin- weg in die dunkler werdenden Felder blickte, während, von der Probstei-Kirche her, der Abend eingeläutet und nach schöner Sitte jener Zeit eine alte Volksweise vom Thurm geblasen wurde, dann ward ihm das Herz weit, und den Athem Gottes lebendiger füh- lend, kam ihm selber ein Lied und mit dem Liede Glück und Er- hebung. Es war die Volksweise: „Insbruck, ich muß Dich lassen“, die Abends vom Mittenwaldner Thurm zu erklingen pflegte, (jene alte Volksweise, von der Sebastian Bach später zu sagen pflegte: „er gäbe all seine Werke darum hin“) und der fromme Gerhardt, der wissen mochte, wie seine Gemeinde an eben diesem Liede hing, trachtete nun danach, der schönen alten Melodie, die Jedem längst Herzenssache geworden war, tiefere Worte, einen anderen, christlichen Text zu Grunde zu legen. So entstand das schöne „Abendlied“: Nun ruhen alle Wälder, Vieh, Menschen, Städt’ und Felder, Es schläft die ganze Welt; — jenes Musterstück einfacher Sprache und lyrischer Stimmung, das durch die kindischen Spöttereien, die es erfahren (z. B. die ganze Welt könne nie schlafen, weil die Antipoden Tag hätten, wenn wir zur Ruhe gingen) an Volksthümlichkeit womöglich noch ge- wonnen hat. Glaube und Liebe richteten ihn wohl auf, wenn die Kümmer- nisse des Lebens ihn niederdrücken wollten, aber die Einsamkeit blieb ihm, und sein Herz sehnte sich nach Genossenschaft, nach einem Herd. Im vierten Jahre seines Amts bewarb er sich um die Hand Maria Bertholds, der ältesten Tochter jenes frommen Hauses, in dem er so viele Jahre glücklich gewesen war, und der Probst Vehr von St. Nicolai, der beide seit lange gekannt und geliebt hatte, legte beider Hände in einander. Um die Mitte Februar 1655 zog Maria Berthold in die Mittenwalder Probsteiwohnung ein. Innige Liebe hatte das Band geschlossen und Paul Gerhardt glaubte nun den Segen um sich zu haben, der alle bösen Geister von der Schwelle seines Hauses fernhalten würde. Glücklich, neu gekräftigt in seinem Glauben, neu gestimmt zur Dankbarkeit, war es um diese Zeit wohl, daß er den hohen Freudensang (den „Anti- melancholicus“ wie ihn einer seiner Ausleger genannt hat) an- stimmte, der da lautet: Warum sollt’ ich mich denn grämen? Hab’ ich doch Christum noch, Wer will mir den nehmen? Wer will mir den Himmel rauben, Den mir schon Gottes Sohn Beigelegt im Glauben? Aber es war anders bestimmt; die Freudigkeit des Gemüths sollte ihm nicht zufallen (auch jetzt nicht), er sollte sie sich er- ringen in immer schwerer werdenden Kämpfen. Ein Töchterlein, das ihm geboren wurde, starb bald, und die Kränkungen, die das immer schroffer werdende Auftreten Allborns für ihn selbst im Ge- leite hatte, zehrten vor allem an Gesundheit und Leben seiner, wie es scheint, zart gearteten Frau. Es waren nicht frohe Tage, die Tage in Mittenwalde; zu Krankheit, Tod und Kränkung gesellte sich Roth, und als der unerschütterlich Gläubige, allem Widerpart zum Trotz, jenes Vertrauenslied anstimmte, das von Strophe zu Strophe ausruft: Alles Ding währt seine Zeit, Gottes Lieb’ in Ewigkeit, da war das Herz der sonst frommen Frau in den Wirrsalen des Lebens bereits bitter und klein genug geworden, um sich abzu- wenden von einer starken Glaubenskraft, die über die Kraft ihres eigenen schwachen Herzens hinausging. Tiefe Schwermuth ergriff sie. Paul Gerhardt selbst aber, in jener Freudigkeit, wie sie das Vorgefühl nahen Sieges, endlicher Erhörung leiht, schlug seine Bibel auf und las die Worte des Psalmisten: „Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn: er wird’s wohl machen“. Wie ein Funken fiel das Wort in seine Brust. Er athmete höher auf; die Stube wurde ihm zu eng, und auf- und abschreitend in den Gängen des Probsteigartens, entstanden die ersten Strophen jenes Trostliedes: Befiehl Du Deine Wege Und was das Herze kränkt. In freudigster Erregung eilte er in das Haus zurück; em- pfand er sich jetzt doch als den Träger einer Botschaft, der kein Herz widerstehen könne, und siehe da, an der schwermüthigen Stim- mung seiner Frau erprobte dies Lied zuerst seine wunderbare Kraft. Alles Leid floß hin in Thränen, alle Trübsal wurde Licht, und eh noch der Rausch gehobenster Empfindung vorüber war, war auch schon die Hülfe da — ein Abgesandter, ein Brief, der den Probst von Mittenwalde als Diakonus an die Berliner Nicolai- kirche berief. Er reichte seiner Hausfrau den Brief und sagte ruhig: „Siehe wie Gott sorget; Befiehl dem Herrn Deine Wege und hoffe auf ihn, er wird’s wohl machen “. Paul Gerhardt verließ Mittenwalde im Juli 1657; dem wei- tern Gange seines Lebens folgen wir an dieser Stelle nicht, aber die Frage drängt sich auf: was ist der Stadt, in der er seine schönsten Lieder dichtete, aus der Zeit seines Lebens und Wirkens erhalten geblieben? sind noch Plätze da, die an ihn mahnen, und welche sind’s? Die Stadt bietet nichts. Das Probsteigebäude, das noch vor fünfzig Jahren bewohnt und noch vor zwanzig Jahren wenigstens eine Ruine war, ist seitdem abgebrochen und ein Schulhaus an seiner Stelle errichtet worden; der Garten aber, in dessen Gängen muthmaßlich das schönste und volksthümlichste aller unserer Lieder entstand, liegt, wüst geworden, ohne Zaun und Einfassung zwi- schen zwei Nachbargärten; eine Kalkgrube in der Mitte, etwas Gänsekraut an den Seiten, das ganze der designirte Turnplatz der Mittenwalder Schuljugend. Die Stadt bietet keine Erinnerungen mehr an ihn, wohl aber die Kirche . Unmittelbar unter seinem Bildniß, dessen ich be- reits ausführlicher erwähnte, ist eine Steintafel in die Wand des Seitenschiffes eingelassen, die folgende Inschrift trägt: Maria Elisabeth — Pauli Gerhardt’s, damahligen Probstes allhier zu Mittenwalde und Anna Maria Bertholds erstgebohrnes, herzliebes Töchterlein, so zur Welt kommen d. 19. Mai Anno 1656 und wieder abgeschieden d. 14. Januar Anno 1657 — hat allhier ihr Ruhebettlein und dieses Täfflein von ihren lieben Eltern. Ge- nesis 47. V. 9. „Wenig und böse ist die Zeit meines Lebens.“ Ein grüner Kranz faßt die Inschrift ein und Engelsköpfe schmü- cken die Ecken der Steintafel. Neben Bildniß und Stein ist die Sakristeithür. In der Sa- kristei selbst finden wir das alte Kirchenbuch von Mittenwalde, ein großes, nach Art der Bilderbibeln in Leder gebundenes Buch, etwa dreihundert Jahre alt. Die Registrirungen in diesem Buch aus der Zeit von 1651 bis Reujahr 1657 rühren alle von Paul Gerhardt selber her. Seine Handschrift ist fest, dabei voll Schwung und Schönheit. Die Aufzeichnungen von seiner Hand schließen mit dem 28. December 1656. Bild und Stein und Buch, sie mahnen an sein Wandeln und Wirken an dieser Stätte, aber fehlten auch diese Zeichen, die direkt seinen Namen oder gar die Züge und das Zeugniß seiner Hand tragen, die Kirche selber, im Großen und Ganzen dieselbe geblieben, würde dastehen zu seinem ehrenden Gedächtniß, — der protestantischen Welt mehr eine Paul Gerhardts- als eine Sankt Moritz-Kirche. Wenig Modernes hat sich seit zweihundert Jahren darin eingeschlichen; die Altarbilder, die Chorstühle, die Grabsteine, es sind dieselben noch, und wohin das Auge sich wenden mag, sein Auge hat darauf geruht. Veränderungen sollen vorgenommen werden; mögen sie mit Pietät geschehen. Paul Gerhardt ist der Glanzpunkt in der Geschichte Mitten- walde’s; aber Mittenwalde hat der historischen Erinnerungen mehr . Am 31. August 1730 traf Kronprinz Friedrich unter starker Bedeckung, von Wesel aus, über Treuenbrietzen (wo er die Nacht vorher gewesen war) in Mittenwalde ein, um daselbst, vor seiner Abführung nach Küstrin, ein erstes Verhör zu bestehen. Das Truppenkommando, das ihn bis Mittenwalde geführt hatte, stand unter Befehl des Generalmajors von Buddenbrock , desselben tapferen Offizters, der zwei Monate später dem mit der Todes- strafe drohenden König mit den Worten entgegentrat: „Wenn Ew. Majestät Blut verlangen, so nehmen Sie meines; jenes be- kommen Sie nicht, so lange ich noch sprechen darf.“ Aehnliche Worte hatte Generalmajor von Mosel am 14. August in Wesel gesprochen. Als der König mit dem Degen auf den Kronprinzen eindrang, warf sich M. dazwischen und rief: „Sire, durchbohren Sie mich, aber schonen Sie Ihres Sohnes“. Ueberhaupt zeigen die Vorgänge jener Zeit, daß hoher Muth an gefährlicher Stelle am besten gedeiht. Kronprinz Friedrich blieb zwei Tage in Mittenwalde, vom 31. August bis 2. September. Das Verhör fand muthmaßlich am 1. statt. Er bestand es vor Generallieutenant von Grumbkow, Generalmajor von Glasenapp, Oberst von Sydow und den Geh. Räthen Mylius und Gerbett und behauptete während dessen eine „kecke und beleidigende Zurückhaltung.“ Als Grumbkow ihm seine Verwunderung darüber bezeugte, antwortete er: „Ich bin auf alles gefaßt, was kommen kann, und hoffe, mein Muth wird grö- ßer sein, als mein Unglück.“ — Garnison stand damals noch nicht in Mittenwalde; es hatte eine solche (Jäger) nur von 1780—1806. Die Stadt war über- haupt noch klein und zählte (1730) nur 952 Einwohner. In welchem Hause der Prinz bewacht wurde, habe ich nicht mehr er- mitteln können; das „Schloß“ existirte längst nicht mehr; das Verhör fand muthmaßlich auf dem Rathhause statt. Das war im September 1730. Fast siebenzig Jahre später, am Sylvesterabend 1799, tritt noch einmal eine historische Figur auf die bescheidene Mittenwalder Bühne, um ihr (sechs Jahre lang, wie Paul Gerhardt) in Leid und Freude anzugehören. Ein Kämpfer wie er, nicht mit mächtigeren, aber mit derberen Waffen. Es genügt, seinen Namen zu nennen — Major von York, der spätere „alte York.“ Unterm 6. November hatte der König an den damals in Johannisburg stehenden Major von York geschrieben: „Mein lieber Major von York. Da die jetzt verfügte Versetzung des Major von Uttenhoven vom Regiment Fußjäger als Com- mandeur zum dritten Bataillon des Regiments von Zenge es nothwendig macht, dem Jägerregiment (in Mittenwalde) einen ganz capablen Commandeur zu geben und Ich Mich überzeuge, daß Ihr die zu diesem wichtigen Posten erforderlichen Eigenschaf- ten in Euch verbindet, so will ich Euch hierdurch zum Comman- deur des Jägerregiments ernennen ꝛc.“ Am Sylvesterabend 1799, an der Neige des Jahrhunderts, traf Major von York in Mittenwalde ein und überraschte seine Herren Offiziers auf dem Sylvesterball. Die erste Begegnung war gemüthlich genug, der dienstliche Ernst kam nach. Das Corps war verwahrlost, er gab ihm einen neuen Geist, und dieser Geist war es, der sich sieben Jahre später ruhmreich in jenen kleinen Käm- pfen bewährte, die einem ruhmlosen Großkampf folgten. Bei Al- tenzaun, dreiviertel Meile oberhalb der Sandauer Fähre, am 26. October, waren es die Mittenwaldner Jäger, die den Elb- übergang des Blücher’schen Corps zu decken hatten. Sie thaten es mit Ruhm und Geschick. Die Jäger kehrten nicht nach Mit- tenwalde zurück; York selbst nur auf wenige Tage (im Januar 1807), Droysen erzählt: „Als York in das Zimmer trat, ward er von seiner Frau, seinen Kindern nicht wieder erkannt. Aber das Vögelchen im Käfig flatterte wie vor Freuden hoch auf und sank dann todt hin“. dann rief ihn die Noth des Vaterlandes dorthin, wo damals allein noch Preußen war, — nach Königsberg. Die Mit- tenwaldner aber waren stolz auf ihren York, und als nach schwe- ren Jahren der Erniedrigung alles Volk in Preußenland zu Ge- wehr und Lanze griff und „Landwehr“ wurde, da griffen die Mittenwaldner zur Büchse und wurden — Jäger . Wenigstens deutet darauf die Gedächtnißtafel in der Kirche hin, wo die Na- men der Gefallenen, fast ausnahmelos die Bezeichnung J., F.-J. und G.-J., d. h. also Jäger, Freiwilliger Jäger und Garde- Jäger tragen. Das Haus, das Major von York bewohnte, existirt noch. Es ist jetzt ein Gasthaus, in der Hauptstraße der Stadt gelegen, und führt, wie billig, den Namen „ Hotel York .“ Ueber der Hausthür befindet sich eine Nische und an derselben Stelle, wo sonst wohl ein „Mohr“ oder ein „Engel“ zu stehen pflegt, steht hier eine Büste des alten York. Auch in den Zimmern findet sich sein Bild. Die Lokalität ist im Großen und Ganzen noch ganz dieselbe wie sie vor 60 Jahren war: hinter dem Hause ein Hof und hinter dem Hof ein Garten, beide, Hof und Garten, von Stall- und Wirthschaftsgebäuden umstellt, an denen sich malerisch die Treppen und Stiegen im Zickzack an den Außenwänden ent- lang ziehen. Im Innern des Hauses hat sich natürlich viel ver- ändert; nur das Zimmer, das er selbst zu bewohnen pflegte, zeigt noch die alten (übrigens höchst einfachen) Stuckverzierungen. In demselben hängt der Kaulbach-Muhr’sche Jeremias über dem So- pha und eine Kamphinlampe von der Decke herab, Beides — Kinder einer andern Zeit. „Wer reist nach Mittenwalde?“ Tausende wallfahrten nach Gohlis, um das Haus zu sehen, darin Schiller das Lied „an die Freude“ dichtete. Mittenwalde ist vergessen, und doch war es in seinem Probstei-Garten, wo ein anderes, größeres Lied an die Freude gedichtet wurde, das große deutsche Tröstelied: „Befiehl Du Deine Wege“. Steinhoefel. Es gab ihm das Geleite ’ne Ehrenkumpanei, Die Britten-Degen sprachen: „nun General, good bye, “ Da sprach er: „Kameraden, grüßt Wellington mir schön, Wer weiß, in Jahr und Tage wir uns mal wie- dersehn.“ Scherenberg. B ei Fürstenwalde haben wir die Spree nach Norden hin passirt und auf unsrem Wege dem Oderbruch und seinen alten und neuen Dörfern zu, erreichen wir zunächst, eine Meile nordöstlich von Fürstenwalde, das Massowsche Gut Steinhöfel. Steinhöfel gehörte mehrere Jahrhunderte lang dem Güter- complexe an, den die Familie von Wulffen (die sich in eine Tem- pelbergsche und eine Steinhöfelsche Linie theilte) hier im Herzen des alten Landes Lebus besaß. Tempelberg, Tempelberg , oder doch wenigstens die Tempelberger-Kirche, weist mehr Erinnerungen an die Wulffen ’sche Zeit auf, als Stein- hoefel. Außer einem Epitaphium zu Seiten des Altars, befinden sich noch 6 Wulffensche Grabsteine in der Kirche, die im Mittelschiff liegen und fast den halben Raum desselben einnehmen. Näheres über diese Grabsteine und ihre Inschriften siehe in den Anmerkungen. Einer derselben zeichnet sich durch eine ganz besondre Sinnigkeit aus. Luisa Lucretia von Wulffen aus dem Hause Steinhöfel, war an einen von Wulffen in Tempelberg vermählt und starb 1720, wahrscheinlich im Kindbett. Am Ober-Ende des Grabsteins bemerkt man zwei Bäume, die ihre Wipfel, wie in Zärtlichkeit, jetzt dem Grafen Hardenberg gehörig, liegt eine Meile nördlich von Stein- höfel. Die Wulffens beider Linien blühten hier mehrere Jahrhun- derte lang, bis, wenn die Sage Recht hat, zu Anfang des vori- gen Jahrhunderts, ein Wendepunkt eintrat. Wenigstens mit Rück- sicht auf die Steinhöfler Wulffens. einander zuneigen. Darunter steht: „Eine gleiche Neigung ver- bindet uns“ . Zu unterst des Steines (nachdem der Tod der jungen Frau gemeldet) steht ein Baum, darunter die Inschrift: Bei meinem fruchtbar sein Da stellet Last sich ein. Ein siebenter Grabstein, der eine Zeitlang auch im Kirchenschiffe lag, steht jetzt an einem der Wandpfeiler. Es ist dies der Grabstein der Frau Anna Lucretia von Goelnitz , einer gebornen von Goetze . Sie lebte, als Wittwe, in dem ihr befreundeten Wulffenschen Hause und wurde, als sie in Tempelberg starb, in der Tempelberger Kirche beigesetzt. Sie hatte aber keine Ruhe unter den Wulffens (trotzdem sie so befreundet mit ihnen war) und sehnte sich zu den Goetzes zurück. Es begann im Tempelber- ger Schloß zu spuken und Margarethe von Wulffen, die Freundin der Verstorbenen, hörte allnachts ein Klopfen und Rufen, und so oft sie in die Kirche trat und nach dem Grabstein hinübersah, war es ihr als ob dieselbe Stimme riefe: „Grete, mach’ auf“. Man nahm endlich den schwe- ren Grabstein fort und stellte ihn an die Wand. Seitdem ward es ruhig. Eine ähnliche Geschichte wird aus einem der Teltow-Dörfer, zwei Meilen südlich von Berlin, berichtet; es ist das die Geschichte vom „ französischen Tambour “. Das betreffende Dorf gehörte damals (1813) der alten Familie v. H. — Vater und Sohn (der älteste) standen im Felde; die Mutter und die jüngeren Geschwister aber lebten, seit dem Tage von Großbeeren , in der nahen Hauptstadt. So war das Herrenhaus verwaist. Der älteste Sohn, unmittelbar nach der Schlacht bei Dennewitz , nahm Ur- laub und kam herüber, um auf dem väterlichen Gut, das viel Einquartierung gehabt hatte, nach dem Rechten zu sehn. Er traf spät Abends ein. Bei seiner Ankunft baten ihn die Leute, nicht im Schloß sondern im Wirthschaftshause zu schlafen: „im Schlosse spuke es seit 14 Tagen“. Herr v. H. nahm natürlich keine Notiz davon und bezog, wie immer, seine Giebelstube im Herrenhaus. Um Mitternacht wurde er durch Trommel- wirbel geweckt und als er aufsprang, hörte er deutlich, daß durch das ganze öde Schloß hin, treppauf treppab die französische Reveille geschlagen wurde. In der nächsten Nacht wiederholte es sich. Herr v. H. stellte nun Nachforschungen an und man entdeckte zuletzt in einem der Keller des Hauses, die Trommel neben sich, einen französischen Tambour, der todt unter Werg und Hobelspähnen lag. Er hatte eine tiefe Kopfwunde. Wie er dort hinkam, wußte niemand zu sagen. Er erhielt nun ein ehrlich Begräbniß und das Trom- meln wurde nicht länger gehört. Die Leute im Dorf erzählen die Sache wie folgt. Der alte Wulffen (Balthasar Dietloff), der damals Steinhöfel, Kersdorf, Goelsdorf und Madlitz besaß, war ein passionirter Jäger. Er un- terhielt große, eingefriedigte Waldstrecken, in denen das Wild ge- hegt und gepflegt wurde. So weit hatte alles seine Richtigkeit. Im Dorf war aber auch ein alter Schäfer und dieser Schäfer hatte die Eigenheit, ein ebenso leidenschaftlicher Sackpfeifer zu sein, wie der alte Wulffen ein leidenschaftlicher Jäger war. Wie der „Dudelsack“ nach Steinhöfel kam, darüber giebt die Tradition keinen Aufschluß; thut auch nichts. Es scheint nun, daß der alte Schäfer mit besondrer Vorliebe eben dann seine Stücke blies, wenn der alte Wulffen auf die Jagd ritt, so daß die Hirsche jedes- mal wußten, was und wen sie zu erwarten hatten, sobald sie den Dudelsack spielen hörten. Es war für die Hirsche wie Hundeblaff und Büchsenschuß. Oft schon hatte der alte Jäger dem alten Schä- fer diese „Meldung in den Wald hinein“ verboten; aber immer vergeblich. Als er ihn nun eines Tages wieder bei seinem Spiel betraf, schoß er ihn nieder . Damit war es indessen nicht abge- than, die Sache machte Aufsehn und die Gerichte d. h. der König Friedrich Wilhelm I. selbst, verurtheilte den alten Wulffen zum Verlust seiner Güter; — nur Steinhöfel ward ihm belassen. So weit die dörfliche Tradition. Daß der Erzählung etwas thatsächliches zu Grunde liegt, ist nicht unmöglich, andrerseits ist kaum zu bezweifeln, daß sich die Sache, wenigstens in ihrem ge- setzlichen Verlauf (Confiskation der Güter) wesentlich anders ver- halten haben muß. Einzelne der obengenannten Güter waren min- destens noch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts in Wulffen’schen Händen und das Epitaphium, das dem alten Bal- thasar Dietloff selbst, in der Steinhöfler Kirche errichtet wurde, führt ihn eigens noch als Erbherrn auf Steinhöfel, Kerstorf, Goelsdorf ꝛc. auf. Dies Epitaphium, außer der oben erzählten kleinen Geschichte, hält bei den Steinhöflern die Erinnerung an die Wulffens über- haupt lebendig. Es ist ein großes und sehr in die Augen fallendes Denkmal. Degen, Flinte, Streitaxt, Lanze, Sponton, Lochaber- Axt, Morgenstern, Keule, Streitkolben, Pauke, Trommel ꝛc. bilden eine Art Trophaee, die wie die Strahlen einer Kriegsglorie das leidlich gemalte Portraitbild des alten Wulffen umzirken. Die In- schrift, die mit den Worten anhebt: „Tugend hat ihr eigen Licht“, schließt verbindlich genug mit den Reimzeilen: Hier ruhet nun der Leib, die Seel hat Gottes Hand, „O daß er lebte noch“ spricht, wer ihn hat gekannt; ein Wunsch, in den, wenn auch sonst ganz Steinhöfel, die Familie des Dudelsackpfeifers (wenn solche je existirte) schwerlich eingestimmt haben wird. Steinhöfel blieb Wulffen’scher Besitz bis 1774; dann nach einem kurzen Interregnum, während dessen der Minister Graf Blumenthal das schöne Gut besaß, ging es durch Kauf, an den Obermarschall von Massow, den jüngsten und einzig überlebenden Sohn des Staatsministers von Massow (Staatsminister unter Friedrich II. ) über. Die vier ältren Brüder des Obermarschalls waren sämmtlich in den Schlachten des siebenjährigen Krieges geblieben. Der Obermarschall besaß Steinhöfel von 1790—1817 und in diese Zeit — trotzdem es die Kriegsjahre waren — fallen zum guten Theil die Anlagen und Neuerungen, die das Gut, auch in seiner Erscheinung, zu einem so ansprechenden Besitze gemacht ha- ben. Das Schloß — kleinere Erweiterungen abgerechnet — blieb allerdings zunächst noch dasselbe, wie es zur Wulffen’schen oder doch zur Blumenthal’schen Zeit gewesen war, der Park aber (da- mals kaum mehr als ein eichenbestandenes Stück Bruchland) wurde im Wesentlichen zu dem gemacht, als was wir ihn jetzt er- blicken. Er zählt zu den schönsten, die wir in der Provinz besitzen, was ihm indessen, fast noch über die Schönheit seiner Linien und Details hinaus, ein besonderes Interesse leiht, das ist der Umstand, daß er der erste Park hierlandes war, dessen Anlage nach Prin- zipien erfolgte, die seitdem in der Park- und Gartenkunde, die herrschenden geworden sind. Es ist dies bekanntlich der Sieg des Natürlichen über das Künstliche, des Gebüsches über den „Poeten- steig“, des englischen, oder wie einige wollen, des alt-chinesischen Geschmacks über den französischen. Der Obermarschall, ohne je in England gewesen zu sein, muthmaßlich sogar ohne jemals über diese Dinge theoretisirt zu haben, durchbrach das bis dahin Gül- tige einfach nach einem ihm innewohnenden künstlerischen Instinkt, und operirte dabei, auch in den Details der Anlage, mit so glück- licher Hand, daß einzelne seiner Anlagen später als Muster gedient und in den Königlichen Gärten z. B. in Paretz eine theilweise Nachahmung erfahren haben. Der Obermarschall hatte 4 Söhne. Wie sein Vater, der Mi- nister, vier Söhne von fünfen, in den siebenjährigen Krieg ge- schickt hatte, so schickte er drei Söhne von vieren in den Be- freiungskrieg . Der erste und zweite kehrte zurück; der dritte (sechszehnjährig) fiel bei Leipzig. Ein auffliegender Pulverwagen nahm ihn mit in die Luft. Der Obermarschall starb 1817; 1835 folgte ihm seine Wittwe und Steinhöfel ging nun an den ältesten Sohn beider, den Major, spätren Generallieutenant Valentin von Massow über. Bei diesem werden wir auf den nächsten Blättern zu verweilen haben. Valentin von Massow. Valentin von Massow wurde am 24. März 1793 zu Berlin geboren. Er erhielt eine sorgfältige Erziehung und theilte diese, so wie den Unterricht der Haus- und Privatlehrer, mit dem Grafen Friedrich Wilhelm von Brandenburg (dem spätren Ministerpräsi- denten), dessen Erziehung König Friedrich Wilhelm III. 1797 dem damaligen Hofmarschall von Massow anvertraut hatte. Außer dem Grafen von Brandenburg war der zweite Bruder unsres Va- lentin, der spätere Hausminister von Massow, der einzige Gefährte seiner Knabenzeit. 11 Dreizehn Jahr alt, machte er, als Junker im Regiment Ru- dorff-Husaren, die unglückliche Campagne von 1806 mit und wurde im Blücherschen Corps bei Lübeck gefangen und auf Ehren- wort in die Heimath entlassen. Sein Ehrenwort band ihn bis zum Tilsiter Frieden. Nach dem Friedensschluß seines Versprechens ledig, trat er ins Brandenburgische Husarenregiment ein, avancirte, besuchte 1810 die Kriegsschule und war im März 1812 unter den 300 Offizieren, die, als Preußen, durch die politische Lage ge- zwungen, sein Contingent zum Feldzug gegen Rußland stellen mußte, ihren Abschied nahmen, um, wo immer es auch auf den Schlacht- feldern Europa’s sein möge, wohl gegen den Unterdrücker, aber nicht für ihn zu kämpfen. Die Mehrzahl jener 300 Offiziere trat in russischen Dienst; unser Massow aber, mit zwei gleichgesinnten Freunden (von Barner und von Scharnhorst, Sohn des Generals) ging nach England und von da, als Offizier in einem Dragoner- Regiment der Englisch-Deutschen Legion, nach Spanien . Er focht unter Wellington und wurde vor Burgos , bei einer Cavallerie- Attacke, durch einen Lanzenstich in die Lunge lebensgefährlich ver- wundet. Er genas indeß und kehrte zunächst nach England, von da nach Preußen zurück. Er trat hier, es war im Juni 1813, bei dem braunen Husaren-Regimente ein, das damals der Obrist von Blücher (Sohn des Feldmarschalls) kommandirte, machte in diesem Regimente die Kämpfe jenes schlachtenreichen Sommers und Herbstes mit und wurde dann, am Schluß des Jahres, in den Generalstab versetzt. 1815 befand er sich im Hauptquartier des Fürsten Blücher, dessen Communicationen mit Wellington, vor und während der Schlacht bei Belle-Alliance , durch unsren Massow vermittelt wurden. Welch besserer Vertrauensmann hätte sich finden lassen als eben er, der schon drei Jahre früher unter den Augen des Herzogs gefochten hatte und dessen volle Kenntniß der Englischen Sprache, damals bei den wenigsten anzu- zutreffen, ihn ohnehin empfahl. Der Niederwerfung Napoleons folgte bekanntlich die Okku- pation Frankreichs durch englische und preußische Truppen. Den Oberbefehl über diese Truppen führte Herzog Wellington, in dessen unmittelbare Umgebung preußischerseits unser Massow kommandirt wurde. Drei Jahre lang, bis 1818, verblieb er in dieser Stellung, in der er sich, durch die Zuneigung und das besondre Vertrauen „des Siegesherzogs“ geehrt sah. Die Berichte, die der Hauptmann von Massow, während dieser 3 Jahre von Paris oder Cambray aus, wo Wellingtons Hauptquartier war, erstattete und die nicht nur militairischen, sondern auch allgemein politischen Inhalts wa- ren, werden noch im großen Generalstab zu Berlin aufbewahrt und gelten für ausgezeichnete Leistungen. Bei Ablauf der Okkupation nach Berlin zurückgerufen, wurde er gegen Ende des Jahres 1818 zum Flügeladjutanten König Friedrich Wilhelms III. ernannt und stieg, immer in unmittelbarer Nähe des Königs verbleibend, von Stufe zu Stufe, bis er, nach langwieriger Krankheit, im Jahre 1843 seinen Abschied nahm und sich in die ländliche Stille von Steinhöfel zurückzog. Hier trieb er mit Eifer Landwirthschaft, erweiterte das Schloß, verschönerte den Park und mehrte und steigerte den Werth des Familienerbes. Er war in weiten Kreisen ein Tröster der Betrüb- ten, ein Wohlthäter der Leidenden, ein weiser Rathgeber Aller, die ihm vertrauend ihr Herz öffneten. Die Ruhe ländlicher Zurückgezogenheit war ihm lieb gewor- den; nur einmal noch wurde er ihr entrissen, um auf kurze Zeit, vielleicht auf Tage nur, die Stille von Steinhöfel mit dem Lärm von London zu vertauschen. Der eiserne Herzog war am 14. September 1852 auf seinem Schlosse Walmer Castle bei Dover, beinah 80jährig gestorben und auf den 15. November war sein feierliches Begräbniß festgesetzt. Fast alle europäischen Armeen schickten Deputationen, um „den Feld- marschall der sieben Reiche“ auf seinem letzten Gange zu begleiten; die preußische Deputation aber bestand aus Graf Nostitz, General von Scharnhorst und unsrem Massow, der in Veranlassung dieser Deputirung zum Generallieutenant ernannt worden war. So folgte dieser denn dem Sarge des großen Feldherrn, unter dessen Augen 11* er, 40 Jahre früher, zuerst das Hochgefühl des Sieges kennen gelernt hatte, und neben ihm schritt General von Scharnhorst, der, von gleichem Haß gegen die napoleonische Herrschaft erfüllt, damals mit ihm nach England gegangen war, um, wo immer es sei, den Unterdrücker seines Vaterlandes zu bekämpfen. Beide waren der Fahne Wellingtons gefolgt, nun folgten beide seinem Sarge . Und welch Leichengefolge das! Ein schönes Gedicht George Hese- kiel’s hat diesen Zug beschrieben: — ein Leichengefolge schließt sich an, So wie’s gehabt noch kein Unterthan! Von sieben Monarchen ist’s deputirt, Für die er den Stab des Feldmarschalls geführt, Die Feldzeichen, die mit Trauerflor wehn, Vertreten die Trauer von sieben Armeen: Rußland, Preußen und Oesterreich Sie klagen heut mit dem brittischen Reich, Niederland, Spanien und Portugal Begraben in London den Feldmarschall; — Aus hundert Fahnen das Leichentuch, Das England um seinen Lord Herzog schlug, Der sich ein Grab in St. Paul ersiegt, Wo Nelson in Lorbeer begraben liegt. Massow, der durch Jahre hin, dem „Old Duke“, so per- sönlich nahe gestanden hatte, war in London mit besondrer Aus- zeichnung empfangen worden, jetzt, nach der feierlichen Beisetzung, kehrte er aus dem Gewoge Londons in die Stille Steinhöfels zurück. Aber eine tiefre Stille harrte seiner bereits. Es war be- schlossen, daß er dem Siegesherzog, dessen Sarge er am 15. No- vember 1852 gefolgt war, nach wenig mehr als Jahresfrist in die Ruhe des Grabes folgen sollte. Am 11. Jan. 1854 erkrankte er, am 18. entschlief er als ein ernster und gläubiger Christ. Auf dem Kirchhof zu Steinhöfel ruht er und ein Granitstein giebt die Daten seines Lebens und Todes. Er war nie vermählt. Steinhöfel fiel an seinen Bruder den Hausminister und nach dessen Tode an den ältesten Sohn desselben, den Rittmeister Valentin von Massow. Dieser ist der gegenwärtige Besitzer. Steinhöfel ist ein schönes und reizend gelegenes Gut. Es liegt an der Stelle, wo der breite Sandgürtel, der sich nördlich von Fürstenwalde hinzieht, in ein frischeres und fruchtbareres Terrain übergeht. Das Dorf selbst, durch das sich Kastanien-Alleen ziehn, macht einen freundlichen und malerischen Eindruck; die Kirche ist alt, das Schloß neu, wenigstens in seiner gegenwärtigen Gestalt. Interessante Bilder von Fr. Gilly (halb landschaftlich, halb archi- tektonisch), die sich bis diesen Tag in einem der Zimmer des Schlosses vorfinden, zeigen uns deutlich wie die ursprüngliche äußere Anlage war. Die innere Einrichtung (einige ältre Bilder und Familien-Werthstücke abgerechnet), stammt aus der Zeit des Generallieutenants Valentin von Massow und seines Vaters des Obermarschalls. Eine tiefe Stille herrscht innerhalb des Schlosses, während doch die heitren, nur in der Einsamkeit wie schwermüthig gewordenen Räume den Eindruck machen, als würden sie’s gern haben, statt der Lichter und Schatten, die auf dem Fußboden um- herspielen, oder statt des Echo’s, das dann und wann durch die lange Zimmerreihe klingt, lebendige, lachende Gestalten zu em- pfangen. Eine Aufzählung der Familienbilder, denen wir sowohl in den Räumen des Erdgeschosses als des ersten Stockes begegnen, geb’ ich in den Anmerkungen; nur zweier alter Portraits, die höchst wahrscheinlich aus der Blumenthalschen Zeit her dem Schlosse verblieben sind, geschehe schon hier in aller Kürze Erwähnung. Es sind das die Bildnisse 1) des Cabinetsministers von Blumen- thal , der zur Zeit des großen Kurfürsten brandenburgischer Ge- sandter in Paris war und 2) des Feldmarschalls von Flanß (geb. 1664, gestorb. 1748), eines besondren Lieblings und Jagd- genossen Friedrich Wilhelms I. Beide Portraits, namentlich das erstere, sind von vorzüglichem Kunstwerth. Einzelne kleinere Bilder, sämmtlich Aquarelle, von denen zwei von Schinkel, fünf von Fr. Gilly herrühren, mögen indessen schon hier eine eingehendere Besprechung finden. Es sind Steinhöfler Landschaften, die theils als Arbeiten jener hervorragenden Künstler, theils aber auch dadurch unser Interesse erwecken, daß sie uns, wie schon angedeutet, Schloß und Park von Steinhöfel in jener Ge- stalt zeigen, wie beide vor 50 oder 60 Jahren waren. Alle sieben Bilder weisen keine Jahreszahl auf, doch ist es sehr wahrscheinlich, daß die beiden Schinkelschen Bilder unmittelbar nach seiner Rück- kehr aus Italien (1805), die Gillyschen (Fr. Gilly starb schon 1800) Ausgangs des vorigen Jahrhunderts gemalt wurden. Die zwei Schinkelschen Bilder sind folgende: 1. La Maison du Vigneron, et Vendange à Stein- hoeffel. Es ist Spät-Nachmittags-Beleuchtung; eine Gruppe rechts sitzt im Schatten der Bäume; auf das laubumrankte Winzerhaus aber, so wie auf den freien Platz davor, fällt ein mildes , heitres Sonnenlicht. Winzer und Bäuerinnen tanzen einen Rund- und Ringelreihn; in der weinumrankten Vorhalle des Winzerhauses, und auf der Treppe, die zu dieser Vorhalle hinaufführt, stehen plaudernde Paare und ein Paar Fiedler, die zum Tanze spielen. Ein reizendes Bild; in seiner derb heitren Stimmung nieder- ländisch , in Beleuchtung und Farbenton italienisch und in so fern allerdings wohl einer gewissen realistischen Wahrheit entbehrend. 2. La Vigne de Steinhoeffel. Dies Bild ist ruhiger als das erste, aber vielleicht noch hübscher und anziehender. Es ist dasselbe Haus, nur mit dem Un- terschied, daß man mehr die Giebel- als die Frontseite sieht. Die Sonne geht eben unter und ein rothbrauner Ton liegt über dem Ganzen. Zwei Bäuerinnen kehren mit Fruchtkörben heim; an der sonnenbeschienenen, rothbraunen Gartenmauer steht eine kurzgeschürzte Winzerin in grünem Friesrock und rothem Mieder und reicht einem Winzer, der oben auf der niedrigen Mauer steht, die abge- schnittnen, schweren Trauben zu. Edeltannen und Silberpappeln im Hintergrund; das Ganze in Auffassung und Beleuchtungston durchaus italienisch. Die Gillyschen Blätter haben mit den Schinkelschen nicht die geringste Aehnlichkeit. Sie führen alle fünf die gemeinschaftliche Unterschrift: Vue de Steinhoeffel und zeigen: 1. das Schloß, wie es sich vor 50 oder 60 Jahren präsentirte, wenn man von der Dorfgasse her in den Park einbog; 2. das Schloß vom Park aus; 3. das japanische Häuschen im Park (nach dem Fr. W. III. das Paretzer aufführen ließ); 4. eine Baum- und 5. eine Was- serparthie (Cascade) aus dem Park. Wenn auf den zwei Schinkelschen Blättern saftgrün und rothbraun vorherrschen und ihnen Kraft und Frische geben, so sind auf den Gillyschen Blättern weiß und ein helles Wassergrün die vorherrschenden Farben. Die Schinkelschen machen den Eindruck moderner, sehr farbenkräftiger Aquarelle, während die Gilly- schen wie Federzeichnungen wirken, die mit dünnen und unkräf- tigen Wasserfarben hinterher fein und sinnig getuscht wurden. Interessanter noch als diese höchst ansprechenden Aquarell- Bilder Fr. Gilly’s und Schinkel’s und vielleicht überhaupt das interessanteste unter allem was sich an Kunstschätzen und Curiosi- täten in Steinhöfel vorfindet, ist ein andrer Rahmen, dessen schlich- ter brauner Holzrand statt eines Bildes, ein vergilbtes Quart- blatt Papier umfaßt. Dies Quartblatt Papier, auf beiden Sei- ten beschrieben, (weshalb der Rahmen hinten und vorn ein Glas hat) ist das Concept eines Briefes (in Versen), den Kronprinz Friedrich, von Königsberg aus, im August 1739, an Voltaire richtete. Im 21. Bande der Oeuvres completes (dem 5. der „Correspondence“) findet sich dieser Versebrief abgedruckt. Ich stelle nun, behufs eines Vergleichs, den gedruckten Brief und die ver- schiedenen Versionen des Steinhöfler Concepts (die Orthographie habe ich an einigen Stellen unverändert gelassen) zusammen, zu- gleich eine Uebersetzung hinzufügend, bei der ich auf eine Markirung der kleinen Unterschiede verzichtet habe. Sublime auteur, ami charmant, Vous dont la source intarissable Nous fournit si diligemment De ce fruit rare, inestimable, Que votre muse hardiment, Dans un séjour peu favorable Fait éclore à chaque moment; Au fond de la Lithuanie, J’ai vu parâitre, tout brillant, Ce rayon de votre génie Qui confond, dans la tragédie, Le fanatisme, en se jouant. J’ai vu de la philosophie, J’ai vu le baron voyageur, Et j’ai vu la pièce accomplie Où les ouvrages et la Vie De Molière vous font honneur. A la France, votre patrie, Voltaire, daignez épargner Les frais que pour l’Académie Sa main a voulu destiner. Erhabner Dichter, liebenswürdger Freund, Du dessen unerschöpflicher Geist (Quell) Uns so fleißig versorgt Mit jener seltnen, unschätzbaren Frucht, Die deine Muse dreist Auch an minder günstigem Ort Jeden Augenblick heranreifen läßt; In der Tiefe Litthauens Hab ich glänzend erscheinen sehn Jenen Strahl Deines Genies Der, spielend, in der Tragödie Den Fanatismus schamroth macht. Ich habe Philosophisches Und habe den „reisenden Baron“ Und habe jene vollendete Arbeit erschei- nen sehn, Worin das „Leben Molière’s“ Und seine Werke Dir zur Ehre gereichen. Erspare, Voltaire, Deinem Vaterlande, Erspare Frankreich die Kosten, Die es hergiebt Für seine Akademie. En effet, je suis sûr que ces quarante têtes qui sont payées pour penser, et dont l’emploi est d’écrire, ne travaillent pas la moitié autant que vous. Les sciences sont pour tout le monde, mais l’art de penser est le don le plus rare de la nature. Cet art fut banni de l’école, Des pédants il est inconnu. Par l’inquisition frivole L’usage en serait défendu, Si le pouvoir saint de l’étole S’était à ce point étendu. Du vulgaire la troupe folle A penser juste a prétendu; Du vil flatteur l’encens vendu En a parfumé son idole; Et l’ignorant a confondu Le froid non-sens d’une parole, Et l’enflure de l’hyperbole Avec l’art de penser, cet art si peu connu. Diese Kunst, von der Schule verbannt, Ist unbekannt den Pedanten; Die schnöde Inquisition Würde den Gebrauch (des Denkens) verboten haben, Wenn die „heilige Macht der Stole“ Sich bis zu diesem Punkt erstreckt hätte. Der tolle Schwarm des Pöbels Hat den Anspruch erhoben richtig zu denken; Der käufliche Weihrauch des niederen Schmeichlers Hat seinen Götzen (den Pöbel) beräuchert Und der Ignorant verwechselt Den kalten Unsinn einer Redensart Und den Schwulst der Hyperbel Mit der Kunst zu denken, dieser so wenig gekannten Kunst. Aimable auteur, ami charmant Vous dont la source intarisable Nous fournit si diligemment De ce fruit rare, inestimable, Que votre Muse sagement Cueillit presque à chaque moment . Les rayons etc. etc. De Molière sont en Honneur A la France votre patrie. Voltaire, daignez épargner Les frets etc. Que votre Muse hardiment Dans un sejour peu favorable Fait éclore à chaque moment. Ich bin in der That sicher, daß diese vierzig Köpfe, die für’s Denken bezahlt werden und von Amts wegen zu schreiben haben, nicht halb so viel arbeiten als Sie. Die Wissenschaften sind für alle Welt, aber die Kunst des Denkens ist die seltenste Gabe der Natur. Cet art fut bani de l’ecolle Aux pedants il est inconnu; Par l’inquisition frivolle L’usage en defendu; Le courtisan toujours a cru Que c’etait l’art de son idolle; Du Vulgaire la troupe folle Sa part même en a pretendu Nos … fols de l’hiperbolle N’y est point non plus parvenu. Enfin un philosophe habile Dans ce monde aveugle est venu Et e’est par son secours utile Que l’art de penser a vaincu Le galimatias imbecile. Si le pouvoir de leur ecole A ce point c’etoit étendu. Du vulgaire la troupe folle Sa part même en a pretendu; Le courtisan toujours a cru Que c’etait l’art de son idole Et souvent on a confondu Le froid non-sens d’une parole Et l’enflure de l’hyperbole Avec l’art de penser, cet art si peu connu. (Mais souvent on a confondu Des mots l’arrogance frivole Comme la frayeur lache et molle Passe pour valeur et vertu.) Entre cent personnes qui croient penser, il y en a une à peine qui pense par elle-même. C’est cet esprit créateur qui sait multiplier les idées, qui saisit les rapports entre des choses que l’homme inattentif n’aperçoit qu’à peine, c’est cette force du bon sens qui fait, selon moi, la partie essentielle de l’homme de génie. Ce talent précieux et rare Ne saurait se communiquer; La nature en parâit avare. Autant que l’on a pu compter, Tout un siècle elle se prepare Lorsqu’elle nous le veut donner. Mais vous le possédez, Voltaire, Et ce serait vous ennuyer Qu’apprecier et calculer L’heritage de votre père. Diese köstliche und seltne Gabe Läßt sich nicht mittheilen; Die Natur scheint damit zu geizen; Soweit wir rechnen können, Bereitet sie sich stets ein Jahrhundert lang Eh sie die Gabe wieder verleiht. Du besitzst sie, Voltaire, Und es hieße Dich langweilen Zu preisen und zu berechnen, Was Erbe von Deinen Vätern ist. Ce qui n’est parvenu de „ Mahomet “ me parâit excellent..... Vous n’avez pas besoin, mon cher Voltaire, de l’éloquence de M. de Valori; vous êtes dans le cas qu’on ne saurait détruire ni augmenter votre réputation. Vainement l’envieux, desséché de fureur Sur vos vers immortels répandant ses poisons, De vos lauriers naissants retarde les moissons. Sous les yeux d’Émilie, élève de Newton Vous effacez de Thou, vous sur- passez Maron. En tout genre d’écrits, en toute carrière, C’est le même soleil et la même lumière. Cet esprit, ces talents, ces qua- lités du coeur Peuvent plus sur mes sens que tout ambassadeur. Vergebens sucht der Neidische, trocken vor Wuth, Auf Deine unsterblichen Verse sein Gift gießend, Zurückzuhalten die Erndte Deines wach- senden Lorbeers. Unter den Augen Emiliens, der Schü- lerin Newtons, Uebertriffst Du de Thou, übertriffst Du Maron. In Vers oder Prosa, auf jedem Gebiet, Es ist immer dieselbe Sonne, dasselbe Licht. Dieser Geist, diese Talente, diese Herzens- gaben, Vermögen mehr über meine Sinne als jeder Gesandte. Je suis avec une estime parfaite, mon cher Voltaire etc. Unter hundert Menschen, die zu denken glauben , ist kaum einer, der wirklich denkt. Dieser schöpferische Geist aber, der die Ideen zu ver- mehren weiß, der da einen Zusammenhang der Dinge wahrnimmt, wo der Unaufmerksame kaum irgend etwas zu entdecken versteht, dieser bon- sens, diese Kraft des gesunden Menschenverstandes ist es, die meiner Mei- nung nach den wesentlichsten Theil eines Mannes von Genie ausmacht. Mais vous le possédez, Voltaire, Et e’est vouloir vous ennuyer Que d’aller longtemps calculer L’heritage de votre père. Was ich vom „Mahomet“ erhalten habe, erscheint mir vorzüglich. Sie, mein theurer Voltaire, bedürfen nicht der Beredsamkeit des Herrn von Valori; Sie sind in der glücklichen Lage, daß Ihren Ruf Niemand weder zu zerstören noch zu steigern vermag. Un poeme immortel des Muses ap- prouvé La Satire, aux abois, de depit con- sumée, Craind d’emousir ses dents sur votre renommée; Et Rival de Virgille, élève de Newton, Cet esprit, ces talents, ces qua- lités du coeur Peuvent plus sur mes sens que tout ambassadeur. Ich bin, mein theurer Voltaire, mit vorzüglicher Hochachtung ꝛc. Was an diesem auf beiden Seiten beschriebenen Quartblatt das interessanteste ist, ist wohl der Umstand, daß uns dasselbe, (eben weil Brouillon) in die Entstehungs-Geschichte dieser, wie ähnlicher Versbriefe des Kronprinzen einführt und uns genau zeigt, wie er arbeitete . Es überrascht dabei einmal eine gewisse Strenge gegen sich selbst, die sich in den doppelten und dreifachen Varianten zur Genüge ausspricht, anderseits ein gewisses prosaisches „sich’s bequem machen“, das die Reimworte nicht mit ahnungs- voller Sicherheit aus dem Gedächtniß rasch heraufbeschwört, son- dern sie aufschreibt , um nun völlig nüchtern und nach Bedürf- niß die Auswahl zu treffen. So finden wir, in kurzen und langen Columnen, unter einander geordnet, erst: hyperbole, parole, dann pretendu, venu, parvenu, dann magnifique, rustique, implique, philosophique, intrique, musique, inique, poe- tique; endlich aprouvé, depravé, annoncé, consumé, alarmé etc., Aufzählungen, die es ersichtlich machen, daß der Kronprinz in vielen Fällen nicht eine Hülle für den Gedanken, sondern einen Gedanken für die Hülle suchte. Uebrigens arbeiten bekanntlich viele Poeten auf ziemlich dieselbe Weise und so unpoetisch, auf den ersten Blick, dieser Weg allerdings erscheinen muß, so ist doch schließlich nicht erwiesen, daß derselbe wesentlich schlechter sei als ein andrer. Er erinnert an die Verfahrungsweise einzelner Maler, be- sonders guter Coloristen, die, zunächst eine bloße harmonische Wir- kung auf die Sinne bezweckend, nicht klare Gestalten, sondern Farben (die dem Reim entsprechen) neben einander stellen. Form und Gedanke finden sich nachher. Wie sie sich finden, — scheinbar zwanglos, oder aber sichtlich erzwungen — davon hängt dann freilich alles ab. Wir haben diesem umrahmten Quartblatt Papier wieder sei- nen Ehrenplatz an der Längswand des Bibliothekzimmers gegeben und treten nun aus dem kühlen schattigen Raume in den sonn- beschienenen Park hinaus. Es ist jener Mittagszauber, von dem es im Liede heißt: Vor Wonne zitternd hat die Mittagsschwüle Auf Thal und Höh in Stille sich gebreitet, Man hört nur, wie der Specht im Tannicht schreitet Und wie durch’s Tobel rauscht die Sägemühle. Hier ist es nicht die Sägemühle, die rauscht, aber ein Bach, der, aus dem Felde kommend, über ein natürliches Wehr von Feld- steinblöcken niedersprudelt und schillernd in Regenbogenfarben, in den hellbeleuchteten Park tritt. Weiterhin dehnt sich der Bach zu einem ruhigen Teich aus, (das flinke Leben ist rasch still geworden) und die umstehenden Bäume werfen ihr Bild in die dunkelklare Tiefe. Durch den Park hin, nach Süden zu, ist eine Lichtung ge- schlagen, und vor die lichte Oeffnung schiebt sich, in Dämmerferne, der Hügelzug der „Rauenschen Berge“. Der scharf gezogene Con- tur ihres Profils mahnt an südlich Land und blauen Himmel. Ueber den Teich hin fliegen Libellen, die einzigen, die um diese heiße Stunde noch munter sind; das macht ihre Flügel sind groß und ihre Leiber sind leicht. Ein seltsam Klingen und Tönen zieht durch die Luft, Jetzt ist die Zeit, wo oft im Schilf ein Wimmern Den Fischer weckt ꝛc. aber eh noch das Klingen ein bestimmter Klang geworden, fällt die Kirchglocke mit ihren zwölf Mittagsschlägen ein; der Mittags- spuk verfliegt und nur der Zauber der Stille und Schönheit bleibt. Buckow. Das Dritte, das Dritte noch wissen wir’s nicht, Doch bleibt es das Best’ an der ganzen Geschicht’, Courage, Courage! Chamisso. B uckow hat einen guten Klang hierlandes und bei bloßer Nen- nung des Namens steigen freundliche Landschaftsbilder auf: Berg und See, Tannenabhänge und Laubholzschluchten, Quellen, die über Kiesel plätschern und Birken, die vom Winde halb entwur- zelt, ihre langen Zweige bis in den Waldbach niedertauchen. Selbst wer Buckow nie sah, freut sich an Wort und Namen und erwie- dert im Ton des Einverständnisses: „ah, märkische Schweiz.“ — Buckow ist schön, aber doch mit Einschränkung. Es hängt alles davon ab, ob wir Buckow die Gegend oder Buckow die Stadt meinen; — allen Respekt vor jener, aber Vorsorge gegen diese . Seine Häuser kleben wie Nester an Abhängen und Hügel- kanten und sein Straßenpflaster (um das schlimmste vorweg zu nehmen) ist entsetzlich. Es weckt mit seiner hals- und wagen- brechenden Passage die Vorstellung, als wohnten nur Schmiede und Chirurgen in der Stadt, die am Ende auch leben wollen. Von Löchern ist längst keine Rede mehr; wo dergleichen waren, sind sie zu einer rinnenartigen Vertiefung geworden und als Friedrich Wilhelm IV. vor einer Reihe von Jahren Buckow pas- sirte, sah sich die Commune veranlaßt, die Hauptstraße der Stadt fußhoch mit Sand bestreuen zu lassen. Dieser Beschluß wurde aber nicht gleich gefaßt. Viele hatten vorgeschlagen „das Pflaster zu lassen wie es sei“ um den König desto eher zu einer milden Beisteuer zu bewegen, in dankbarer Erinnerung an Rettung aus Lebensgefahr. Aber der Vorschlag mußte freilich scheitern, weil niemand den Muth hatte (und nicht haben konnte), im Voraus für sichere Passage zu bürgen. So wurde denn Sand gestreut und das alte Pflaster blieb der Stadt erhalten. Für schwache Achsen ist Buckow dasselbe was Wien für schwache Lungen ist, — keiner kommt heil heraus. Buckow war einmal wohlhabend, aber das ist lange her. Im 14. Jahrhundert, auch später noch, blühte hier der Hopfenbau und gab 33 Hopfengärtnern reichliche Nahrung. Sie gewannen jährlich weit über 1000 Wispel und der Buckower Hopfen war es, der dem Bernauer Bier zu seinem Ruhme half. Noch giebt es Ho- pfengärten in Buckow, aber ihre Bedeutung für die Stadt ist hin und die überall siegreiche Kartoffel erobert auch hier das Terrain. Kümmerlich schlägt sich die Stadt mit Spaten und Hacke durch; Communalvermögen ist nicht da; die vier Jahrmärkte werden nicht besucht und die alte Hügel-Kirche mit reichem Altar und mächti- gen Glocken, würde schwerlich in solcher Stattlichkeit auf die Stadt herabsehen, wenn sie vom jetzigen Buckow gebaut werden sollte. Weiteres über diese Kirche siehe in den Anmerkungen. Die Buckower sind ordentliche, fleißige Leute, die sich’s sauer werden lassen, aber sei es, daß ihre wendisch-deutsche Blutmischung nicht ganz die richtige ist, oder daß sie’s nicht verwinden können vor lieber langer Zeit einmal reich gewesen zu sein, gleichviel sie haben eine Vorliebe für’s Prozessiren und gelegentlich auch wohl für die Selbsthülfe. Es existiren darüber viel heitre und viel traurige Geschichten. Eine Geschichte dieser Art, die lustig und traurig zugleich war, spielte vor Kurzem erst, als die Buckower mit ihrem „Grafen“ (Graf Flemming, Besitzer der Herrschaft Buckow) in Streit geriethen. Dieser Streit nahm ein paar Tage lang den Charakter an, als habe sich ein Vorgang aus dem 15. Jahrhundert in unsre Zeit hinein verirrt; die Bürger zogen zu Felde, schlugen die gräflichen Mannen in die Flucht, nahmen Posseß vom streitigen Terrain und pflanzten ihr Banner auf dem eroberten Grund und Boden auf. Kurzum eine mittelalterliche Fehde in bester Form. Streitobjekt war ein Forst, den der Graf als seine , die Stadt als ihre beanspruchte. Die Gerichte hatten zu Gunsten des Grafen entschieden, aber die Stadt schüttelte den Kopf und so geschah wie eben gemeldet. Ein Bänkelsänger, der just des Weges kam, hörte von dem kaum geschlichteten Streit und das Balladenhafte des Vorganges rasch erkennend, brachte er alles in „neue Reime aus diesem Jahr.“ Ich habe das Blatt zufällig in die Hand bekommen und gebe etliche Strophen daraus. Die Bürger von Buckow saßen bei’m Bier, Das gab ein lärmen und streiten, Sie sprachen vom Grafen und ihrem Prozeß, Von Instanzen, ersten und zweiten. Sie wußten es alle klipp und klar, Daß der Graf die Richter bethörte Und daß der Forst (trotz aller Instanz) Von je zur Stadt gehörte. Drum (hieß es) hätten sie appellirt Und sie wußten aus guten Gründen, Daß über ein Kleines, in Woch oder Tag, Die Sachen ganz anders stünden. So klang es. Nur einer saß am Tisch, Der spielte mit Gabel und Teller, Der rief jetzt: „Heh! zwei Seidel frisch, Zwei bairisch aus dem Keller.“ Er leerte das aufgehobene Glas Mit einem einzigen Zuge (Seine blinzelnden Augen tranken zugleich Aus dem stehen-gebliebenen Kruge); Er strich den Schaum sich aus dem Bart Und wetterte über die Tische: „He, Bürger von Buckow, was immer ihr prahlt, ’s sind alles faule Fische. Ihr habt keinen Muth; dieweil Ihr hie Abschießt eure Pfeile und Bolzen, Läßt draußen der Graf in eurem Forst Die Tannen niederholzen. Ihr habt keinen Muth; ich sprech es mit Scham, Ihr seid wie andre Philister; Wer heute die Orgel spielen will, Der braucht ein tiefer Register. Ihr wißt nichts von der hohen Magie, Von dem Zauber dieser Tage, Der Zauber nennt sich fait accompli Und sein Spruch ist: thu und wage. Ihr kommet nie und nimmer zum Ziel Mit Klagen, Akten und Pakten, Es giebt nur eines, das heut hilft: Thatsachen, Griffe, Fakten. Greift zu, verschafft euch selber Recht Mit euren eig’nen Händen, — Die Schläger des Grafen schlagen im Wald, Wohlan, ihr müßt sie pfänden .“ Nun folgen sechs, acht Strophen, in denen beschrieben wird, wie alles dem Redner zujubelt, wie die Bürger sich rüsten und andern Tages wirklich ausziehen, um die „Pfändung der Gräf- lichen“ vorzunehmen. Drei andre Strophen schildern den Zug selbst; Die drei Strophen, die den Zug schildern, sind folgende: Der Führer ritt einen Scheckenfuchs Er ritt ihn kurz auf Trense, Dann folgten die Schützen; dann allerlei Volks Mit Sichel und mit Sense. Die Schützen trugen manch Rüstungsstück Mit Scharte und mit Beule, Zuletzt nachrückte das Corps d’Armée Mit Knittel und mit Keule. Im Ganzen waren es 50 Mann In Rotten zu sechs und sieben, Nur der Mann der Fakten, des fait accompli, Wat ruhig zu Hause geblieben. dann endlich treten sie in den Wald. 12 Und als sie sich nahten dem streitigen Grund, Vernehmbar aus dem Gehege Herklangen durch die stille Luft Der Holzaxt dumpfe Schläge. Der Tag war heiß, die Luft war still, Der Wald schwieg wie beklommen, Nur leise rauschten die Wipfel sich zu: „Sie sind es; die Buckower kommen.“ Der Kampf ist kurz. Die gräflichen Holzschläger strecken die Waffen und die Sägen und Äxte werden gepfändet. Ein Hurrah klingt dreimal durch den Wald. Aber der Sieg ist von kurzer Dauer. Die Gräflichen verstärken sich und rücken andren Tags, unterstützt durch die ganze Polizeimacht der Kreise Barnim und Lebus in’s Feld. Die Polizei, bekanntlich ein prosaisches Institut und ohne Glauben an Gespenster, hat auch kein Herz für Roman- tik und Mittelalter und schickt die Buckower in sehr bestimmten Ausdrücken heim. Die Buckower sprechen noch immer zu Vom Forst und ihrem Streite; Und doch wo das strittige Waldstück stand, Da stehen jetzt Klafter und Scheite. Und kommt ein Buckower still entlang Halb traurig und halb verbissen, Da singen die Vögel so lustig; warum? Die Vögel werden’s schon wissen. Aber ich habe vielleicht zu lange schon bei den Buckowern verweilt; wenden wir uns wieder ihrer Stadt zu. Buckow und seine Umgebungen bilden die „märkische Schweiz.“ Freilich geht es der Stadt mit diesem Namen und Anspruch nicht viel besser als mit ihrem Forst, denn Freienwalde tritt mit überlegner Miene in die Schranken und sagt: „dieser Name ist mein.“ Dabei ist es (ohne dadurch Freienwalde in den unverdienten Ruf der Eleganz bringen zu wollen) als hörte man Seide rauschen, während Buckow wie im Friesrock bei Seite steht. Wo liegt denn nun aber die wirkliche märkische Schweiz? Wir werden uns einen Dualismus, wie auch sonst wohl, gefallen lassen müssen. Freienwalde ist immerhin eine Dame, Buckow ist eine ländliche Schönheit, die mit nacktem Fuß in den See tritt und unter Weidenzweigen ihr Haar flicht. Nun wähle jeder nach seinem Sinn. Binnen Kurzem wird sich solche Wahl erleichtern. Die neu-projectirte Eisenbahn zwischen Berlin und Küstrin, führt, auf kürzeste Entfernung, an Buckow vorüber und einmal in den Verkehr hineingezogen, wird das „Aschenputtel“ von heute, ihren bevorzugten Schwestern vielleicht schon morgen gefährlich werden. Buckow liegt in einem Kesselthale, dessen Sohle (wir über- sehen dabei zwei kleinere Seen) von einem großen See gebildet wird. Dieser See hat die Form eines abgestumpften Halbmonds, ist also bohnen- oder nierenförmig und heißt der Schermützel- See . Wir werden noch weiter von ihm hören. An der concaven Seite des Sees, ziemlich genau an der Stelle, wo sich das hüg- lige Erdreich in den See hineinbuchtet, liegt die Stadt, von der aus sich in kürzester Zeit und mit leichtester Mühe, die verschie- densten Ausflüge in die Umgegend ermöglichen. Alle diese Ausflüge, verschieden wie sie sind, lassen sich nichts-destoweniger in drei ganz bestimmte Gruppen bringen, in Spazierfahrten über den See, in Besteigung des Bollersdorfer Plateaus, (westlich vom See) oder in Wanderungen durch die Thäler und Schluchten der nach Nord und Ost hin gelegenen „märkischen Schweiz.“ Die Parthieen, die sich innerhalb der letzteren bieten, sind zahlreich und anmuthig, (ich beschreibe dieselben zum Theil im nächsten Kapitel) der eigent- liche Zauber aber, den Buckow übt, besteht nicht in der Schönheit dieser oder jener Details, sondern einfach in dem Blick auf den schönen, tief gelegenen, schon in seiner Erscheinung halb märchen- haften See, der sich von keinem Punkt der umgebenden Höhen her, schöner und malerischer ausnimmt, als von dem Bollersdorfer 12* Plateau aus, das den See nach Westen hin begrenzt. Diesem Bollersdorfer Plateau wenden wir uns jetzt zu. Wir wählen dazu (statt der Fahrt über den See) einen Umweg, durch jene lieblichen Schlucht- und Waldparthieen, die, indem wir zunächst uns nördlich halten, von einem Bergwasser, dem Marienfließ, durchflossen werden. Das Landschaftsbild, das sich vor uns erschließt, ist dasselbe, dem der Reisende in den Wald- und Gebirgsparthieen Mitteldeutschlands so oft begegnet; — wer den Harz, wer Thüringen und die sächsische Schweiz kennt, ist manche liebe Stunde unter gleichen Bildern und Eindrücken bergan gestiegen. Tannen und Lärchenbäume fassen zu beiden Seiten die Hügelabhänge ein, Buchen und Birken sind in das Nadelholz eingestreut, der Kuckuck ruft, der Bach plätschert und auf dem frischen Rasen, der das Wandern so leicht macht, liegen die Tann- äpfel oder spielen die Schatten und Lichter der Nachmittagssonne. So auch hier. Ueber die primitivsten Brücken hinweg (sechs Feld- steine quer durch den Bach gelegt) schreiten wir vom linken auf das rechte und wieder vom rechten auf das linke Ufer, bis wir nach halbstündigem Marsch die nördliche Richtung aufgeben und links den Tann ohne Weg und Steg durchbrechend, plötzlich auf einem weiten Ackerfeld uns erblicken, rundum Raps und grüne Saaten, in der Ferne aber die Giebelwand einer Dorfkirche. Wir befinden uns jetzt auf einem Plateau und zwar auf eben jener „Bollersdorfer Höhe“, die wir, den Wendungen des Baches folgend, fast wie auf einer Wendeltreppe ohne Stufen, erstiegen haben. Aber noch wissen wir es kaum, daß wir uns auf einer Höhe befinden, denn die weiten Ackerfelder dehnen sich, bis zum Horizont, wie eine Ebene vor uns aus und erst nach links hin einer Ackerfurche folgend, die uns an eine Wand von Brombeer- und Weißdornsträuchern führt, blicken wir plötzlich in eine völlig senkrechte Tiefe nieder, — hundert Fuß unter uns der See. Wir nehmen nun unsern Stand und haben vielleicht das schönste Landschaftsbild vor uns, das die „märkische Schweiz“ oder doch der „Kanton Buckow“ zu bieten vermag. Links und rechts, in gleicher Höhe mit uns, die Raps- und Saatfelder des Plateaus, auf dem wir stehn; unmittelbar unter uns der blaue, leis gekräu- selte Schermützel See; drüben am andern Ufer, hügelansteigend, in den Schluchten verschwindend und wieder zum Vorschein kom- mend, die Stadt und endlich hinter derselben, im weitgezogenen Halbkreis, eine Bergwand, hier und dort mit jungem Kiefernholz, in der Mitte aber mit dunklen Schwarztannen bis zur vollen Höhe des Berges besetzt. Die Nachmittagssonne fällt auf die Stadt, die mit ihren rothen Dächern und weißen Giebeln wie ein Bild auf dem dunklen Hintergrund der Tannen steht; das Auge aber, wohin es durch die Mannigfaltigkeit des Bildes auch gelockt wer- den mag, kehrt immer wieder auf den räthselvollen See zurück, der in genau zu verfolgenden Linien halbmondförmig unter uns liegt. Auf den räthselvollen See. Noch wissen wir es nicht, aber wir ahnen es, daß er unter andern Schätzen auch Sage und Geschichte umschließen muß, und unser Führer, ein Buckower Fischer, der uns bis hieher schweigend geleitet, hebt nun mit schlichtem Tone an: „Dort unten liegt die alte Stadt. Drüben am andern Ufer, wo Sie die spiegelglatte Stelle sehen, dort hat Alt-Buckow gestanden. Wir kennen die Stelle ganz genau. Von dem Eck dort, wo die Binsen 100 Schritt weit in den See hineingehen, bis hier g’radüber von uns, wo die Weiden in’s Wasser hängen, — so weit ging die Stadt. Ich spreche nicht von Glocken, die unten klingen, Alt-Buckow hatte schwerlich Gocken, aber das müssen Sie schon glauben, daß wir an klaren Tagen 10 Fuß tief unterm Spiegel allerhand Pfahlwerk stehen sehn, Blockhäuser vielleicht, jedenfalls Zaun und Steg und mancher unter uns hat etwas von dem Pfahlwerk herausgeholt und ihm einen guten Platz im Haus- flur gegeben. Wir denken, es ist ein Segen dabei.“ Der Erzäh- lende machte eine Pause, während er mich scharf ansah, dann fuhr er fort: „Drüben, wo die Stadt stand, ist der See flach, wenig- stens eine kurze Strecke; hier unter uns aber ist er tief, an 100 Fuß und darüber; hier wimmelt es auch von Fischen, aber wir haben wenig davon. Wenn wir hier Netze ziehn, so gehen die Fische tiefer, und wollen wir ihnen nach, so kommen wir in den alten Eichwald, der hier unten steht. Die Maschen zerreißen dann, die Fische schlüpfen durch und ein paar abgebrochne Zacken sind alles, was wir mit nach oben bringen. So hat sich’s geändert; einst war alles Berg hier, und Stadt und Wald standen zwischen hüben und drüben, wie wir beide hier auf dieser Höhe stehn. In einer Nacht war alles vorbei. Der Berg ging nach unten und der See kam herauf.“ Die Sonne ging eben unter, eine kühle Luft wehte über das Feld und ein leises Unbehagen lief mir über den Rücken. Aber ich wußte doch nun, was es war, daß mich der See mit ganz andrem Auge angeblickt hatte wie mancher andre See und ich warf mich nieder und streckte den Kopf über den Abgrund hinaus, wenigstens den Wunsch (wenn nicht mehr) im Herzen, unten ein Eichenskelett bis an den Wasserspiegel heraufragen und die Fische durch die Zackenkronen hindurch huschen zu sehn. Ich sah es auch wirklich, aber mit dem Bewußtsein, daß es Täuschung sei. Wir traten den Rückweg an und plauderten über dies und das. Des See’s Sagen indeß verließen mich nicht und begleiteten mich in die große Stadt, wo ich in Büchern nachzuschlagen und nach der Vorgeschichte des großen Schermützel See’s zu suchen begann. Was ich fand, ist das. Viele unsrer märkischen Seen und seeartigen Vertiefungen sollen durch sogenannte Erdfälle entstan- den sein. Man hat keine andre Erklärung. Plötzlich und unver- mittelt in Mitten eines Plateaus auftretend (wie dies namentlich bei’m Schermützel See der Fall ist) ist es nicht möglich von her- einbrechenden Wasserfluthen, von Flußbett oder Strömungen zu sprechen. Es ist nichts von außen Herantretendes , was die Erklärung geben kann, es muß vielmehr ein innerlicher Vor- gang, ein eminent lokaler sein. Man denkt sich die Sache so. Das Innere der Erde hat Höhlen, deren Wände und Deckenge- wölbe (nach Art der jetzigen Tunnel) die Hand der Natur mit Kalk oder Gipsmassen umkleidet hat. Solche natürlichen Tunnel sind entweder völlig hohl und leer, oder aber, (was häufiger zu sein scheint) mehr oder weniger mit Wasser gefüllt. Ueber solchem gewölbten Riesentunnel liegt Erdreich (wie viel ist gleichgültig) und auf dem Erdreich steht eine Stadt oder wächst ein Wald. So geht es durch ein Jahrtausend. Da plötzlich, sei es durch einen Ruck von unten oder durch sickernde Wasser von oben her, bricht das Tunnelgewölbe ein und wie ein Haus, das seine Bal- kenlage verliert, in den Keller stürzt, so fährt nun das Erdreich, mit allem, was drauf wuchs und lebte, in die plötzlich geöffnete Tiefe herab. War der Tunnel leer, so zeigt sich nunmehr einfach eine Vertiefung, wo sonst eine Fläche war, war der Tunnel aber umgekehrt ein riesiges übermauertes Wasserreservoir, so schlagen nun die freigewordenen Wasser über allem was niedergefahren ist, zusammen und — ein See steht ruhig über Stadt und Wald. Eine geognostische Autorität hat die hübsche Wendung ge- braucht: „daß die Natur, bei der Bildung von Erdfällen nur erst selten auf frischer That ertappt worden sei “, ein Umstand, zu dem wir uns, so interessant und lehrreich das Gegen- theil auch sein würde, doch vor allem zu gratuliren haben. Wäre es anders, wären wir in der Lage, diese „Erdfälle“ wie Stern- schnuppenfälle im August, regelmäßig beobachten zu können, so würde Central-Amerika ein vergleichsweise sichrer Aufenthalt sein; denn was sind „ Erdbeben “ gegen solche „ Erdfälle “, wo die Erde gleichsam sich selbst zu verschlingen beginnt. Sind übrigens die Annahmen, über die Bildung mehrerer unsrer größten und schönsten Seen nur halbwegs richtig, so haben die Vorbewohner der Mark von diesen „interessanten Naturerscheinungen“ mehr denn zur Genüge gehabt. Der Kressinsche See nicht weit von Saar- mund, der Gohlitz-See im Amt Lehnin, der Gudelack-See bei Lindow und der große Paarsteiner-See bei Kloster Chorin, sollen durch solche Erdfälle entstanden sein, der zahlreichen Teufelsseen (die überall vorkommen) zu geschweigen. Wo zwischen zwei abschüssigen Hügelwänden sich plötzlich ein trichterförmiger See einklemmt, der weder Zu- noch Abfluß, wohl aber eine bedeutende Tiefe hat, da liegt immer Grund vor, einen „Erdfall“ zu vermuthen. Erzählt aber gar die Sage von untergegangenen Dörfern und Städten, so ist es gut, dem Volksmund zu glauben und die Zweifel zu Haus zu lassen. Ob die Glocken dann Abends unten klingen oder nicht, — der ist nicht beneidenswerth, der sie schlechterdings nicht zu hören vermag. Der große und kleine Tornow-See. Im Mummelsee, im dunkeln See, Da blühn der Lilien viele. Schnezler. D ie „märkische Schweiz“ um Buckow herum ist zum großen Theil ein Besitzthum der Grafen Flemming und Itzenplitz. Der Itzenplitz’sche Antheil an diesem Stück schöner Natur liegt in Nordwest und Nordost des großen Schermützel-See’s und umfaßt das Areal der Güter Bollersdorf und Pritzhagen . Von dem Bollersdorfer Plateau sprachen wir bereits im vorigen Kapitel; ebenso vom dem schönen Blick, den der abschüssige Rand desselben auf den unten liegenden Schermützel-See gestattet. Das Dorf Bollersdorf selbst, dessen kleine gothische Kirche dem kahlen Plateau einen malerischen Reiz verleiht, ist ohne Bedeu- tung. Seine Besitzer wechselten oft. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts war es Eigenthum des General-Lieutenant von Goertzke, der, nach Ankauf des jetzt Marwitz’schen Friedersdorf, auch noch Kienitz und Bollersdorf an sich brachte. Nach seinem Tode aber scheint es sofort in andre Hände übergegangen zu sein. Die schon genannte Kirche ist alt. Bei einem vor Jahresfrist stattfinden- den Umbau wurden in der geöffneten Gruft die Särge der Familie Loeschebrand gefunden. Ueber den Schnitzaltar, der bei Umbau der Kirche ebenfalls restaurirt wurde, spreche ich in den Anmer- kungen. Es ist ein sehr altes und vor vielen ähnlichen Arbeiten interessantes Werk. 1763 kam Bollersdorf durch Schenkung (wie Friedland) in Besitz des Generalmajors von Lestwitz und theilte seitdem, hinsicht- lich seiner Besitzverhältnisse, das Schicksal des Lestwitz-Itzenplitzi- schen Gütercomplexes (Friedland, Cunersdorff, Bollersdorf, Pritz- hagen), dem es von da ab zugehörte. Pritzhagen liegt mehr östlich und das coupirte Terrain ge- stattet keinen Blick auf den Schermützel-See. Das Dorf selbst ist unbedeutend wie Bollersdorf. Viele Jahrhunderte lang, bis kurz vor der Zeit, wo es Lestwitz erhielt, besaßen es die „Rutze“ oder die „von Reutze“ wie sie später genannt wurden. Schon 1375 (wie das Landbuch berichtet) gehörte Pritzhagen den „Rutze’s und blieb im Besitz dieser alten Familie bis in’s 18. Jahrhundert hinein. Dann starben sie aus. Der letzte, wie es scheint, war „Junker Hans“, ein Waidmann von altem Schrot und Korn, der seine Passion mit dem Leben bezahlte. Sein Name lebt fort in der „Junker Hansens Kehle.“ „Kehle“, in der Gebirgssprache der märkischen Schweiz, ist der gäng und gäbe Ausdruck für „Schlucht“ und „Junker Hansens Kehle“ bedeutet einfach die Schlucht, in die Junker Hans von Rutze bei Verfolgung eines Hirsches hinein- stürzte und den Hals brach. In Pritzhagen erzählt jedes Kind von ihm; aber eine Meile weiter weiß niemand etwas weder von den Rutzes, noch Junker Hans, noch von der „Kehle“, die seinem eignen Halse so verderblich wurde. Ein allerlokalster Ruhm. Pritzhagen bedeutet wenig, aber seine Berge und Schluchten bedeuten viel, selbst seine „Kehlen.“ Einer seiner reizendsten Punkte ist der „Dachsberg“, kaum eine Viertelstunde vom Dorf gelegen und mit Recht ein Lieblingsplatz aller märkischen „Touristen.“ Auch Berliner huldigen ihm. Und das ist doch immer das Ent- scheidende! Der Dachsberg an und für sich ist nichts besonderes; aber die beiden Seen, die zu ihm aufblicken, ebenso wie die Schlucht, die diese Seen verbindet, bilden seine Schönheit. Die beiden Seen heißen der kleine und große Tornow und die Schlucht heißt die „ Silberkehle .“ Die beiden See’n schauen zu dem Berge hinauf, der seiner- seits terrassenförmig ansteigt. Am Fuß der Treppe breitet sich der große Tornow aus, aber auf der mittleren Treppenstufe liegt der kleine Tornow, dunkel, still, in verschwiegener Tiefe. Von der Kuppe des Hügels herab überblickt man nur den kleineren See; Baumparthieen fassen ihn ein und beschränken die Fernsicht. Das Terrassenförmige des Berges kommt wenig zur Erscheinung. Möglich daß das Landschaftsbild an Reiz gewönne, wenn der Blick an dieser Stelle zu erweitern wäre, wenn das Auge des Beschauers, gleichsam die Stufen der Treppen hernie- dersteigend, erst bei dem kleineren Tornow-See, dann endlich tief unten bei der größeren Wasserfläche verweilen könnte. Möglich daß mehr Weite dem Blick auch einen weiteren Zauber liehe; aber auch wie es ist, ist es schön. Der kleine Tornow hat den Charakter der sogenannten „Teufels-Seen“, denen man in der Mark an den Abhängen der Hügel so oft begegnet. Ihr Name bezeichnet ihren Charakter. Das Wasser ist schwarz (von Moorgrund in der Tiefe), dunkle Baum- gruppen schließen es ein, breite Teichrosenblätter bilden einen Ufer- kranz und die Oberfläche bleibt spiegelglatt, auch wenn der Wind durch den Wald zieht. Es ist als hätten diese dunklen Wasser einen besonderen Zug in die Tiefe und als stünden sie fester, unbeweglicher da, als das Wasser anderer Seen. Der schönste See derart im nördlichen Deutschland war vielleicht der Jordan-See auf der Insel Wollin. Still, dunkel, einsam, von Kiefern eingeschlossen, lag er da. Braune, halbverfaulte Baumstämme überragten hier und da seine Fläche, so daß es war, als richteten sich Kro- kodile auf und sögen mit zurückgebogenem Kopf die Nachtluft ein. Die Blätter und Stiele der Nymphäen machten den See unpassirbar. Guter Wille und wenig Geschmack haben dies kostbare Stück Natur zerstört. Die Baumstümpfe sind fort und die Nymphäen auch; statt ihrer ist ein Kahn da, der nun über die glatte, prosaisch gewordene Fläche hingleitet, als wär’ es ein See wie jeder andre. So ist auch der kleine Tornow in Erscheinung eine Art Hertha-See; einer jener Plätze, an denen Sage und Märchen am liebsten verweilen und von Prinzessinnen erzählen, die in der Jo- hannisnacht aus dem See steigen und mit Teichrosen im Haar freundlich-traurig am Ufer sitzen. Nicht so der große Tornow-See, der funfzig Fuß tiefer seine breite und hellere Wasserfläche am Fuß des Berges ausdehnt. Ihm schreiten wir jetzt zu; unser Weg dahin — die Silberkehle. Die Silberkehle ist eine tiefe Schlucht mit abschüssigen Sei- tenwänden und führt ihren poetischen Namen daher, weil überall dort, wo von Moos und Humusdecke entkleidet das eigentliche Erdreich sichtbar wird, eine Wand von Glimmersand zu Tage tritt. Dieser Glimmersand blitzt und glitzert wie Silber und liegt so fest auf, daß es möglich ist, Namen und Figuren, wie in Sandstein hinein zu schneiden. Die Silberkehle hat völlig den Charakter einer Gebirgsschlucht, einer Bergklinse, und zeigt auf ihrem ganzen Lauf ein tiefausgehöhltes Bett mit den Spuren niederstürzender Wasser. Feldsteine, fest in den Sand gerammt, Laubholzbäume rechts und links über den Weg geworfen, Spuren von Wind und Wasser überall. Aber heute wo wir des Weges kommen, ist nichts fühlbar von Wasser und Wind. Wie eine Mühle am Sonntag, so liegt die Silberkehle da, das Triebrad steht still, das Wehr ist gesperrt. Erst im Frühjahr, wenn der Schnee schmilzt oder im Sommer wenn die Regengüsse kommen, dann wird es wieder lebendig hier. Dann jagt das Wasser zu Thale, dann ist es wieder als schäumten und klapperten hundert Mühlen hier, dann werden neue Bäume unterhöhlt und gefällt und die eingerammten Steine, wie Kiesel weiter nach unten gerissen. Wir sahen das Bild bei Herbstesstille. Nur am Fuß des Berges plätscherten ein paar Quellen, so traten wir aus der Enge der Schlucht in’s Freie und blickten auf die Fläche des großen See’s. Er ist dem kleinen Tornow so unähnlich wie möglich. Der kleine Tornow — willfähriger dem Schatten als dem Licht; der große Tornow — sonnenbeschienen, ein Bild heitrer Ruhe. Grün- ansteigende Ufer fassen ihn ein, rothe Fichtenstämme spiegeln sich im Wasser und wenn erst (wie beabsichtigt) der Wasserdruck des höher gelegenen kleinen Sees benutzt sein wird, um mitten auf dem „großen Tornow“ einen natürlichen Springbrunnen steigen zu lassen, so wird dieser Eindruck des Heiteren noch gewachsen sein. Am Ufer des großen Tornow-See’s erhebt sich eine Villa, ein Schweizerhaus. Der Erbauer, in Huldigung gegen den Ort, an dem er den zierlichen Bau entstehen ließ, hat ihm den Namen „Haus Tornow“ gegeben. Das hat einen guten Klang. Stille weilt rundum. Es ist ein Platz für Rast und Ruhe und wer empfände nicht die Sehnsucht danach. Bilder schmücken die Zimmer der Villa und Wein und Blumen ranken sich an Wand und Laubengang empor, aber der schönste Blick, den „Haus Tornow“ gewährt, bleibt doch der Blick auf den See. Ein Kahn liegt bereit und trägt uns darüber hin, leicht und glatt; dies ist kein See der tückischen Mächte. Aus der Tiefe des „kleinen Tornow“ her- auf, könnte uns eine Hand, eine Stimme nach unten ziehn; aber das Wasser des großen Tornow, das eben in tausend Tropfen von unserm Ruder fällt, funkelt heiter in allen Farben des Lichts. Ein Schwarm Tauben blitzt durch die Luft, ein Reh tritt an’s Ufer und blickt uns nach; — es weiß, es darf es wagen. „Friede“ ist die Parole am großen Tornow-See. Das Oderbruch. 1. Wie es in alten Zeiten war . Wasser, Wasser überall, Die Tiefe selbst verfaulte, Schlammthiere krabbeln zahllos rings Auf schlammiger Moderflut. Freiligrath, nach Samuel Taylor Coleridge. A m West-Ufer der Oder, nach rechts hin vom Flusse selber be- grenzt, nach links hin von den Abhängen des Barnim-Plateau’s wie von einem gebogenen Arm umfaßt, liegt das Oderbruch . Es ist eine 7 Meilen lange und etwa 2 Meilen breite Niederung, die, ihrem Hauptbestandtheil nach, in ein hohes und niederes Bruch (das Ober-Bruch und das Nieder-Bruch) zerfällt. An diese beiden schließt sich noch, nach Norden hin, (also flußabwärts) das Mittelbruch . Diese Bezeichnung ist schlecht gewählt und wird die Ursache beständiger Verwechselungen. Als „Mittelbruch“ vermuthet man es zwischen dem Ober- und Niederbruch gelegen, während es doch umgekehrt, am äußersten Flügel des Bruches liegt. Seinen Namen, der besser einem andern Platz machte, hat es wahrscheinlich daher, weil es inmitten zweier Oderarme sich aus- breitet. Neueren Arbeiten, namentlich dem vorzüglichen Aufsatz des Geh. Rath Wehrmann „die Eindeichung des Oderbruches“ ent- nehme ich, daß man angefangen hat, diese schlechte Bezeichnung „Mittelbruch“ ganz fallen zu lassen. Man spricht nur noch von einem Ober - und Niederbruch , und so ist es in der Ordnung. Ohnehin wird dadurch das Bruch in zwei ziemlich gleich große Hälften getheilt. Das Bruch ist ein Bauernland, eine Art Dithmar- schen Die Bewohner des Oderbruchs sind auch an Kraft und Muth, freilich noch nicht an bewährter Freiheitsliebe , (das soll noch erst kommen ), den Dithmarschen verwandt. Die ausgehobenen Rekruten gelten jedesmal als ein besonders treffliches Material. Mit dem Bewußt- sein hiervon geht allerdings viel Uebermuth Hand in Hand und die Brücher, zumal auf den Canton-Versammlungen, lieben es, die „hungrigen Kerle von der Höhe“ zu tyrannisiren. Einer (ein Angermünder Postillon), der mir davon erzählte und seinerzeit unter dieser Tyrannei gelitten haben mochte, fügte hinzu: es wäre mitunter nicht auszuhalten, wenn nicht die Ukermärker wären; „ die bringen alles wieder zurechte .“ ; aber adlige Güter blicken rundum, wie von hoher Warte, in das schöne, fruchtbare Bruchland hinein. Eine ganze Anzahl dieser auf der Höhe gelegenen, altadligen Güter wer- den wir noch in ausführlicheren Schilderungen kennen lernen; nur ihre Namen, so wie die Namen der alten, zum Theil ausge- storbenen Familien, die ihnen im Lauf der Jahrhunderte zu Ruhm und Ansehn verhalfen, mögen schon hier eine Stelle finden. Auch einem neuen Namen werden wir begegnen: Albrecht Thaer . Es wird dem Leser, mit bloßer Hülfe dieser Aufzählung, der Reichthum historischen Lebens entgegentreten, der sich hier, unmit- telbar am Rande des Bruchs, auf dem Raum weniger Meilen zusammenfand. Ich folge der Linie von Nord nach Süd. Hohen-Finow (Sparr. Vernezobre). Cöthen und Falkenberg (von Jena). Freienwalde (Uchtenhagen). Ranft (von Marschall). Möglin (Albrecht Thaer). Batzlow (Barfus). Ihlow (Ihlow oder Illo). Der aus Schiller’s „Wallenstein“ männiglich bekannte Feldmar- schall Illo schrieb sich eigentlich Ilow, oder Ylow, auch Ihlow (alle Ringenwalde (Bredow). Cunersdorf und Friedland (Lestwitz und Itzenplitz). Buckow (von Pfuel. von Flemming). Quilitz (Prittwitz. Hardenberg). Gusow (Derfflinger). Friedersdorf (Görtzke. Marwitz). Lietzen (Johanniter-Comthurei). Hohen-Jesar (Burgsdorf). Reitwein (Finkenstein). Von allen diesen Punkten (selbst von Buckow aus, das am meisten zurückgelegen liegt) ermöglicht sich ein Blick in die frucht- bare Tiefe; dabei wechselt der Charakter der Landschaft so oft und so anmuthig, daß jeder, der am Rande des Plateaus hin, etwa von Freienwalde bis Selow, oder selbst bis Frankfurt hin, diese Fahrt zu machen gedenkt, einer langen Reihe der mannigfachsten und anziehendsten Bilder begegnen wird. Eine solche Fahrt auf der Höhe hin werden wir mehrfach zu machen haben und manche dieser Fahrten (z. B. der Weg von Falkenberg bis Freienwalde), wird uns Gelegenheit wenigstens zu dem Versuch eines Landschaftsbildes geben; heute aber ist es das Bruch selbst, das in der Tiefe gelegene Bauernland, das uns ausschließlich beschäftigt, und wir werden abwechselnd bei den alten Zuständen dieses Sumpflandes, dann bei seiner Eindeichung und Entwässerung, endlich bei seiner Colonisirung zu verweilen haben. drei Schreibarten, und noch einige andre, kommen vor), und war keines- wegs aus Böhmen oder Croatien, sondern aus dem Sternbergischen Kreise in der Neumark gebürtig. Dorf Ihlow im Oberbarnim aber ist muthmaßlich das Stammgut der Familie. Noch jetzt ist das Ihlowsche Wappen, so wie ein Ihlowscher Leichenstein in der Kirche des letztgenann- ten Dorfes zu finden. Kein andres Land war übrigens während des 30jährigen Krieges so ergiebig an Generalen und Kriegsobersten als die Mark. Ich nenne hier nur folgende: Hans Georg von Arnim, von Kö- nigsmark, Otto Christoph von Sparr, Ernst Georg von Sparr, Götz, Illo, Adam von Pfuel, Joachim Ernst von Goertzke und vieler andrer (Klitzing, Rochow, Kracht ꝛc.) zu geschweigen. Alle noch vorhandenen Nachrichten stimmen darin überein, daß das Oderbruch vor seiner Urbarmachung eine wüste und wilde Fläche war, die (vielleicht unsrem Spreewald nicht unähnlich) von einer unzähligen Menge größerer und kleinerer Arme der Oder durchschnitten wurde. Viele dieser Arme breiteten sich aus und ge- stalteten sich zu Seen, deren manche, wie der Liepesche bei Liepe, der Kietzer- und der Kloster-See bei Friedland, noch jetzt, wenn gleich in sehr veränderter Gestalt, vorhanden sind. Das Ganze hatte, im Einklang damit, mehr einen Bruch-, als einen Wald- Charakter , obwohl ein großer Theil des Sumpfes mit Eichen bestanden war. Alle Jahr stand das Bruch zweimal unter Wasser, nämlich im Frühjahr um die Fastenzeit (nach der Schneeschmelze an Ort und Stelle ) und um Johanni , wenn der Schnee in den Sudeten schmolz und Gewitterregen das Wasser verstärkten. Dann glich die ganze Ebene einem gewaltigen Landsee, aus wel- chem nur die höher gelegenen Theile und die Horsten emporrag- ten; ja bei ungewöhnlich hohem Wasser wurden selbst diese über- schwemmt. Wasser und Sumpf in diesen Bruchgegenden beherbergten natürlich eine eigne Thierwelt, und was den Reichthum an Was- ser - und Sumpfthieren angeht, so würden die Berichte darüber allen Glauben übersteigen, wenn nicht urkundliche Beläge diese Traditionen unterstützen. In den Gewässern fand man: Zander, Fluß- und Kaulbarse, Aale, Hechte, Karpfen, Bleie, Aaland, Zär- then, Barben, Schleie, Neunaugen, Welse und Quappen. Letztere waren so zahlreich (z. B. bei Quappendorf), daß man die fettesten in schmale Streifen zerschnitt, trocknete und statt des Kiens zum Leuchten verbrauchte. Die Gewässer wimmelten im strengsten Sinne des Worts von Fischen, und ohne viele Mühe, mit bloßen Hand- netzen, wurden zuweilen in Quilitz an einem Tage über 500 Ton- nen gefangen. In den Jahren 1693, 1701 und 1715 gab es bei Wriezen der Hechte (die als Raubfische sich diesen Reichthum zu nutze machten) so viele, daß man sie mit Händen greifen konnte und mit Keschern fing. Begreiflich unter diesen Umständen, daß in 13 Wriezen und Freienwalde eine eigne Zunft der Hechtreißer existirte. An den Markttagen fanden sich, aus den Bruchdörfern, hunderte von Kähnen in Wriezen ein und verkauften ihren Vorrath an Fischen und Krebsen an die dort versammelten Händler. Ein be- deutender Handel wurde getrieben und der Fisch-Ertrag des Oder- bruchs ging bis Böhmen, Baiern, Hamburg, ja (vielleicht die ge- räucherten Aale) bis nach Italien . Kein Wunder deshalb, daß in diesen Gegenden, unter allem Haus- und Küchengeräth der Fischkessel obenan stand und so sehr als wichtigstes Stück der Ausstattung betrachtet wurde, daß er, nach gesetzlicher Anordnung, beim Todesfall der Frau und bei Erbtheilungen dem überlebenden Gatten verblieb. In großer Fülle lieferte die Bruchgegend Krebse (die Oder- krebse sind noch jetzt berühmt) und in manchen Jahren in solchem Ueberfluß, daß man zu Colerus Zeiten, Ausgangs des 16. Jahr- hunderts, sechs Schock schöne, große Krebse für 6 Pfennige meiß- nerischer Währung kaufte. Zu Küstrin wurde von 100 Schock durchgehender Krebse ein Schock als Zoll abgegeben, und Colerus versichert, daß dieser Zoll in einem Jahre 325,000 Schock Krebse eingetragen habe. Somit wären blos in dieser einen Stadt (Küstrin) in einem Jahre 32½ Millionen Schock Krebse versteuert worden. Im Jahre 1719 war das Wasser der Oder, bei der großen Dürre, ungewöhnlich klein geworden; Fische und Krebse suchten die größ- ten Tiefen auf und diese wimmelten davon. Da das Wasser aber von der Hitze zu warm wurde, krochen die Krebse auf’s Land ins Gras und wo sie sonst Kühlung erwarteten, selbst auf die Bäume, um sich unter das Laub zu bergen, von welchen sie wie Obst herabgeschüttelt wurden. Auch die gemeine Flußschildkröte war im Bruch so häufig, daß sie von Wriezen fuhrenweise nach Böhmen und Schlesien versendet oder vielmehr abgeholt wurde. Ein so lebendiges Gewimmel im Wasser mußte nothwendig sehr vielen anderen Geschöpfen eine mächtige Lockspeise sein. Schwärme von wilden Gänsen und Enten bedeckten besonders im Frühjahr die Gewässer, unter welchen sich häufig die Löffelente, die Quack- ente und die kleine Kriechente befanden. Zuweilen wurden in einer Nacht so viele erlegt, daß man ganze Kahnladungen voll nach Hause brachte. Wasserhühner verschiedener Art, besonders das Bläß- huhn, Schwäne und mancherlei andre Schwimmvögel belebten die tieferen Gewässer, während in den Sümpfen Reiher (besonders bei Freienwalde), Kraniche, Rohrdommeln, Störche und Kibitze in un- geheurer Zahl fischten und Jagd machten. Im Dorfe Letschin trug jedes Haus drei, auch vier Storchnester. Rings um das Bruch und in den Gebüschen und Horsten im Innern desselben fand man Trappen, Schnepfen, Ortolane und andre zum Theil selten ge- wordene Vögel; über dem allen aber schwebte, an stillen Som- merabenden, ein unermeßlicher Mückenschwarm , der besonders die Gegenden von Freienwalde und Küstrin in Verruf brachte. „Sie schwärmten — so erzählt Beckmann — in solcher Menge, daß man in der Luft dicke Säulen von Mücken beobachtete und gaben ein solches Getöse von sich, daß es, wenn man nicht scharf darauf achtete, klang, als würde in der Ferne die Trommel gerührt.“ Biber und Fischottern bauten sich zahlreich an den Ufern an und wurden die ersteren als große Zerstörer der später errichteten Dämme, die anderen als große Fischverzehrer fleißig gejagt; jeder konnte auf sie Jagd machen, worauf sie gänzlich ausgerottet wurden. Die Vegetation stand natürlich mit dem ganzen Charakter dieser Gegenden in Einklang: alle Wasser- und Sumpfpflanzen kamen reichlich vor, breite Gürtel von Schilf und Rohr faßten die Ränder ein und Eichen und Elsen überragten das Ganze. Im Spätsommer, wenn sich die Wasser endlich verlaufen hat- ten, traten, für den Rest des Jahres, fruchtbare Wiesen zu Tage, und diese Wiesen, die ein vortreffliches Futter gaben, sicherten, nebst dem Fischreichthum dieser Gegenden, den Bewohnern des Bruchs ihre Existenz. Darüber hinaus ging es nicht, vielleicht des- halb nicht, weil der enorme Reichthum an Fischen und Heu beides halb werthlos machte. Einzelne benachbarte Cavallerie-Regimenter zogen etwa um die Mitte des vorigen Jahrhunderts von diesem Heureichthum mehr 13* Vortheil, als die Bruchbewohner selbst. Es fand noch die alte Verordnung ihre Anwendung, daß die Escadrons-Chefs selber für die Unterhaltung der Pferde Sorge tragen mußten. Daher bestrebten sich die in den Nachbarstädten, auch in der Residenz selbst garni- sonirenden Rittmeister resp. Obristwachtmeister, ihre Pferde in den Bruchdörfern auf Grasung zu geben. Zu dem Ende wurden die- selben auf Flößen und zusammengebundenen Kähnen dorthin ge- schafft. Hauptsächlich waren es drei Regimenter, welche die übrigen ganz von dieser Quelle abgeschnitten hatten, nämlich das spätre Göckingsche Husaren-Regiment, sowie die Gensdarmes und die späteren Pfalzbaiern-Dragoner. Zuweilen lag in einem Dorfe eine ganze Escadron. Doch hatten die Dorfbewohner, wie schon ange- deutet, wenig Vortheil von solcher Einquartierung, da monatlich (wenigstens in der Regel) nur ein Thaler Futtergeld pro Pferd gezahlt wurde. 2. Die Verwallung . Graben und Wall Haben bezwungen das Element Und nun blüht es von End zu End All überall. F ische und Heu hatten Jahrhunderte lang den einzigen Reichthum der Oderbruchgegenden gebildet; die Bewohner hatten davon ge- lebt, indessen, im Großen und Ganzen, selbst in guten Jahren, kärglich genug. Gute Jahre gab es aber nicht immer. Traf es sich, daß es ein Wasserjahr war, daß die Ueberschwemmungen weiter gingen oder länger andauerten als gewöhnlich, so war Noth und Elend an allen Enden. Zwar wurden schon im 16. Jahrhundert Versuche gemacht, der Wassersnoth durch Eindeichung des linken Oderufers, nament- lich auf der Straße von Frankfurt bis Cüstrin ein Ziel zu setzen, aber alle diese Arbeiten waren theils auf kleinere Strecken be- schränkt, theils mangelhaft in sich. Schon unter der Regierung des Kurfürsten Johann George (1593) hatte man mit solchen Verwal- lungen den Anfang gemacht und Arbeiter aus Holland, Brabant, Schlesien herbeigerufen; die aufgeführten Dämme (zwischen Reit- wein und dem Cüstriner Kietz) bewährten sich aber schlecht, und 1613 brach die Oder von Neuem durch. Auch der große Kurfürst (1653) zog Oldländer (Bewohner der untern Elbe, abwärts von Stade) und Holländer ins Land und speziell auch in diese Bruch- gegenden; ihre sehr beschränkten Mittel reichten aber natürlich nicht aus, eine viele Meilen lange Schutzmauer aufzuführen, ohne welche die Anstrengungen des Einzelnen in den meisten Fällen nutzlos bleiben mußten. Nur einige wenige Dominien, die durch kleine Höhenzüge eines natürlichen Schutzes genossen und vielleicht nur an einer schmalen Stelle eines Damms bedurften, waren darin glücklicher und brachten es dahin, sich zu einer Art Festung zu machen, in die das Wasser nicht hinein konnte. Eine solche kleine Festung, die den Anprall des Wassers glücklich abgeschlagen hatte, lernte König Friedrich Wilhelm I. ken- nen, als ihn eine Reiherbeize, die er bekanntlich sehr liebte, in dem großen Ueberschwemmungsjahre 1736 in diese Gegenden führte. Der König sah die Verheerungen, die das Oderwasser angerichtet hatte, sah aber auch zu gleicher Zeit, daß die geschickt eingedeichten Besitzungen seines Staatsministers von Marschall auf Ranft von diesen Verheerungen wenig oder gar nicht betroffen worden waren. Was er in Ranft im Kleinen so glücklich ausgeführt sah, mußte bei größeren Mitteln und Anstrengungen auf der ganzen Strecke des Oderbruches, zwischen Frankfurt und Oderberg, mög- lich sein und energisch, wie er an’s Werk gegangen war, um das große havelländische Luch trocken zu legen, so war er nun nicht minder entschlossen, auch das Oderbruch zu einem nutzbaren Fleck Landes zu machen. Der König nahm auch wirklich die Sache in Angriff und beauftragte seinen Kriegsrath Harlem (einen Holländer, der sich schon durch ähnliche Wasserbau-Arbeiten ausgezeichnet hatte), ihm ein Gutachten einzureichen, ob das Oderbruch auf seiner ganzen Strecke eingedämmt und gegen Ueberschwemmungen gesichert wer- den könne, oder nicht. Harlem’s Gutachten lautete dahin: „daß das allerdings geschehen könne; daß die Arbeit aber schwierig, weit aussehend und kostspielig sei“. Dem König schien dies einleuchtend, und so vertagte er denn ein Unternehmen, dessen Wichtigkeit er sehr wohl erkannte, mit den Worten: „Ich bin schon zu alt und will es meinem Sohn über- lassen.“ Es läßt sich annehmen, daß Friedrich II. noch als Kron- prinz von dieser Aeußerung seines Vaters Kenntniß erhielt und Veranlassung daraus nahm, bald nach seinem Regierungsantritt, einestheils zur Entwässerung, andererseits zur Eindeichung des Bruchs Veranstaltungen zu treffen. Dies geschah nach Beendigung des zweiten schlesischen Krieges. Der Plan zur Ausführung des Werks wurde sehr wahr- scheinlich von demselben Manne (Kriegsrath von Harlem) entwor- fen, der schon unter Friedrich Wilhelm I. sein Gutachten in die- ser Angelegenheit abgegeben hatte; um aber bei einem Unterneh- men von solchem Umfange möglichst sicher zu gehen, wurde von Seiten des Königs noch eine besondere Commission zur örtlichen Besichtigung und zur Begutachtung des Unternehmens ernannt. Es war dabei der ausdrückliche Befehl des Königs, daß der be- rühmte Mathematiker Bernhard Euler, dazumal anwesendes Mit- glied der Berliner Akademie der Wissenschaften, an den Berathun- gen dieser Commission Theil nehmen solle. Der König hatte guten Grund nach Möglichkeit Autoritäten und berühmte Namen in diese Commission hineinzuziehen, da er im Voraus von dem Wider- stande überzeugt war, dem er, wie immer in solchen Fällen, so auch hier, von den Anwohnern des Bruchs, den adligen und den bäuerlichen, begegnen würde. Etwas von der Opposition, die spä- ter (namentlich von 1748—52) der am Rande des Oderbruches hin reichbegüterte Markgraf Carl machte, mochte schon damals zu Ohren des Königs gedrungen sein. Die Commission ging an’s Werk und stattete ihren Bericht ab. Dieser Bericht (von Schmettau, Harlem und Euler unter- zeichnet) ist umfangreich, aber in Erwägung der Schwierigkeit und Wichtigkeit der Materie verhältnißmäßig kurz gefaßt und läuft, hinsichtlich seiner Vorschläge, auf drei Hauptpunkte hinaus: 1. der Oder einen schnellen Abfluß zu verschaffen, 2. die Oder mit tüchtigen Dämmen einzufassen, 3. das Binnenwasser aufzufangen und abzuführen. Alle drei Aufgaben sind im Wesentlichen gelöst worden. Ad 1. Um der Oder einen schnelleren Abfluß zu verschaffen, wurde ihr auf der Strecke von Güstebiese bis Hohen-Sathen ein neues Bett und zwar zur Abkürzung ihres Laufs gegraben. Die Oder nahm früher, d. h. also vor den Arbeiten von 1746 bis 53, (7 Jahre, weshalb man von einem in der „Stille ge- führten 7jährigen Krieg“ gesprochen hat) auf der eben angegebe- nen Strecke einen andren Lauf als jetzt; sie machte, statt in grader Linie weiter zu fließen, drei Biegungen , und zwar zuerst bei Güstebiese nach Westen, dann bei Wriezen nach Norden, endlich bei Freienwalde nach Osten; so daß sie (dreimal ein Knie bildend) auf ihrem langen Umwege, drei Linien statt einer be- schrieb. Diesem Umwege, der dem raschen Abfluß hinderlich war, sollte abgeholfen werden; mit andern Worten, der Lauf des Flus- ses, der bis dahin etwa diese Gestalt gehabt hatte, sollte durch ein neues Bett nunmehr einfach diese Richtung erhalten. Der Canal wurde gegraben und die Oder fließt seitdem in einem neuen Bett , das nur 2½ Meile statt 6 Meilen Länge hat. Dies ist die sogenannte „ neue Oder “ zwischen Güstebiese und Hohen-Sathen. Aber das alte Bett wurde durch diesen grad- linigen Durchstich, wie sich denken läßt, nicht absolut wasserleer, es blieb vielmehr Wasser genug in der „alten Oder“, um den verschiednen an ihr gelegenen Städten und Dörfern mehr oder weniger ihren alten Wasserverkehr zu erhalten. Erst 1832 kam dieser Wasserverkehr in Gefahr. Die Verwallung, wie sie bis da- hin bestand, hatte im Lauf der Jahrzehnte verschiedene Mängel gezeigt, und namentlich war der untre Theil des Niederbruchs, (das sogenannte Mittelbruch) nach wie vor, vielfachen Ueberschwem- mungen ausgesetzt gewesen. Dem vorzubeugen, entwarf der Geh. Ober-Baurath Cochius schon zwischen 1810 und 1818 einen kühnen Plan, der darauf hinausging, die alte Oder bei Güste- biese zu schließen d. h. also einen Riegel vorzuschieben. Dieser vorgeschobene Riegel (ein Damm, eine Zuschüttung) sollte alles Wasser zwingen im Bett der neuen Oder zu bleiben und ein theilweises Abfließen des Wassers in das Bett der alten Oder unmöglich machen. Der Plan war kühn, weil die dadurch im Bett der neuen Oder sehr wesentlich wachsende Wassermasse leicht Gefahren (Deichbrüche) im Geleite haben konnte. Außerdem war das Aufhören jeder Wasserverbindung, wenn auch das Ganze da- durch gewann, für viele Bewohner des Mittelbruchs eine wenig wünschenswerthe Sache. Alles wurde indessen glänzend hinaus- geführt. Die wachsende Wassermasse der neuen Oder schuf keine Gefahren oder man wußte doch diesen Gefahren zu begegnen, und was ebenfalls wichtig war, eine absolute Trockenlegung der alten Oder erfolgte durch Vorschiebung jenes Riegels eben so wenig, wie sie 70 Jahre früher durch Grabung des neuen Oderbettes erfolgt war. Die Anwohner (namentlich in den Städten Wriezen und Freienwalde, die an der alten Oder liegen) erfreuen sich nach wie vor einer Wasserverbindung, da theils das Grundwasser, theils ein geschicktes, alles Wasser sammelndes Canalsystem das Bett der alten Oder, trotz der Coupirung (Zuschüttung) bei Güste- biese, mit Wasser speist. Ausbaggerungen und Tieferlegung des Betts halfen nach. Man darf sagen, daß sich die Herstellung eines gradlinigen und dadurch verkürzten Oderbetts („die neue Oder“) in allen Punkten bewährt hat, nur vielleicht in dem einen nicht, den man dabei zunächst und vorzugsweise im Auge hatte. Man hatte, wie schon angedeutet, von diesem neuen, kürzeren Bett, eine Ver- besserung des Oderfahrwassers überhaupt erwartet, man hatte ge- hofft, das rasche Fließen des Wassers an dieser Stelle werde das Flußbett vertiefen, den Strom einengen, concentriren und dadurch die Stromkraft steigern. Dies alles ist wenig oder gar nicht in Erfüllung gegangen. Der vielfach versandete Fluß ist nach wie vor mehr breit als tief, die Schifffahrt nach wie vor schwierig (oft ganz unterbrochen) und sogar die Canal-Anlage selbst hat ihren ursprünglichen Charakter zum Theil verloren und ist breiter, aber flacher und sandiger geworden. Ad 2. Die zweite Aufgabe war, die Anlegung von „ tüch- tigen Dämmen .“ Das sogenannte Ober-Bruch, wie wir gesehen haben, hatte solche Dämme schon. Es handelte sich jetzt um Ein- dämmung des Nieder-Bruchs , eine Aufgabe, die dadurch so complicirt wurde, daß es hier nicht nur galt, den jetzigen Oder- strom auf seiner Strecke von Cüstrin bis Sathen an einer Seite (das neumärkische Ufer hat Berge), sondern vor allem die in wei- ten Windungen sich durch das Land ziehende „alte Oder“ an beiden Seiten einzudämmen. Große Anstrengungen und große Geldsummen waren dazu erforderlich. Endlich glückte es. Die Ge- sammtstrecke der hier im Nieder-Oderbruche angelegten Deiche be- trägt über zehn Meilen. Diese Deiche waren nicht gleich Anfangs was sie jetzt sind, weder an Höhe noch Festigkeit. So kam es, daß auch nach Anlage derselben verschiedne große Ueberschwem- mungen stattfanden, z. B. 1786 und 1838. Auch jetzt noch ist die Möglichkeit solcher Ueberschwemmungen nicht ausgeschlossen; ein Dammbruch kann stattfinden oder die Höhe des Wassers (wie 1854 und 1862 nahezu geschah) kann die Höhe der Dämme übersteigen. Indessen verringert sich diese Möglichkeit von Jahr zu Jahr, da die Dämme wie Festungen, die nach immer verbesserten fortifikatorischen Prinzipien gemodelt werden, alljährlich an Aus- dehnung und Widerstandskraft gewinnen. Ad 3. Die dritte Aufgabe war, das Binnenwasser abzu- fangen. Dies war kaum minder wichtig als die Anlegung der Dämme. Die Dämme schützten gegen die von außen her herein- brechenden Fluthen; aber sie konnten nicht schützen gegen das Wasser, das theils sichtbar im Bruche (in Sümpfen, Pfuhlen und sogenannten „faulen Seen“) dastand, theils als Grund- wasser unter dem Erdreich lauerte, jeden Augenblick bereit, zu wachsen und an die Oberfläche zu treten. Um diesem Uebelstande abzuhelfen, ohne den eine eigentliche Trockenlegung nicht mög- lich war, bedurfte es eines ausgedehnten Canalsystems . Auch ein solches wurde geschaffen. Zahllose Abzugsgräben, kleine und große und unter den verschiedensten Namen, wurden gegraben, die alle in den sogenannten „Landgraben“ mündeten und mittelst des- selben bei Wriezen und Freienwalde vorbei in die Oder geführt wurden. Zum Theil sind es auch wohl diese Gräben, die das tiefer gelegene Bett der „alten Oder“ mit Wasser speisen und dasselbe vor völligem Austrocknen schützen. Dies ganze Canal- system, eben so wie die Verwallung, ist im Lauf der Jahrzehnte vielfach verbessert worden und weite Strecken, die noch vor 25 Jah- ren nur eine unsichere Heuerndte gaben, zeigen jetzt um die Som- merzeit die schönsten Raps- und Gerstenfelder. Noch vor Ausbruch des 7jährigen Krieges war alles We- sentlichste der Arbeiten beendet Es heißt, Friedrich der Große habe bei seinem berühmten Flan- kenmarsche, der der Schlacht von Zorndorf vorherging (vgl. Zorndorf) bereits Vortheile von der veränderten d. h. mehr passirbaren Gestalt des Bruchs gezogen. Dies ist jedoch höchst wahrscheinlich eine zu Ehren des Bruchs und seiner Melioration erfundene Geschichte, da die Zorndorfer Schlacht am 25. August stattfand, also zu einer Jahreszeit, wo das Bruch immer trocken und passirbar zu sein pflegte. . Niemand ahnte damals, was im Lauf der Zeit durch den Einfluß von Luft und Sonne, durch den Fleiß der Bewohner, durch Verstärkung der Dämme, durch Erweiterung und bessere Richtung der Abzugsgräben, aus diesem Landestheile werden würde; — man hielt es überwiegend nur zum Graswuchs und zur Weide geeignet. Der Brief eines Rei- senden, der das Bruch im Jahre 1764 passirte, giebt Auskunft darüber. Der Brief lautet: „So angenehm auch diese Gegend geworden (denn es ist die ebenste Pläne, die Wege mit Weiden besetzt, wie auch die Deiche, und zwar mit mehreren Reihen, nicht nur auf dem Kamm, sondern auch auf der Böschung zu beiden Seiten, da- mit sie von den verwachsenen Wurzeln eine mehrere Festigkeit bekommen), so haben die neuen Dörfer doch mehrfach schon durch Ueberschwemmung gelitten, so daß man mit Kähnen die Einwohner retten, oder ihnen doch, da sie auf die Böden ihrer Häuser geflüchtet, zu Hülfe kommen mußte. Der eingedeichte Acker dürfte wohl mit der Zeit der Wische in der Altmark ähn- lich werden; aber noch ist er es nicht..... In den ersten Jah- ren gab der Roggen fast gar kein Mehl, sondern lauter Kleie, und die Gerste taugte gar nicht zu Malz, weil es lauter La- gerkorn gewesen war.“ Seitdem ist es unser eigentliches Gerstenland geworden. Neuerdings (neben Gerste, Raps, Weizen und den feineren Kräu- tern) blüht die Rüben-Cultur. Große Zuckerfabriken existiren auf den Aemtern, und immer neue Unternehmungen treten ins Leben. Der Anblick dieser fruchtbaren Landestheile aber ruft immer wie- der die Worte des großen Königs in unser Gedächtniß zurück: „Hier hab ich im Frieden eine Provinz erobert.“ 3. Die alten Bewohner . Alte Zeit und alte Sitt’ Konnten nicht länger halten Schritt, Aber sieh da, das alte Kleid Hat länger gelebt als Sitt’ und Zeit. D as Oderbruch — oder doch wenigstens das Niederbruch, von dem wir im Nachstehenden ausschließlich sprechen — blieb sehr lange wendisch. Wahrscheinlich waren alle seine Bewohner bis zur Mitte des vorigen Jahrhunderts von ziemlich unvermischter wendi- scher Abstammung. Die deutsche Sprache war eingedrungen (es ist nicht festzustellen wann ), aber nicht das deutsche Blut . Die Gegend war auch nicht dazu angethan, zu einer Uebersiedlung ein- zuladen. Ackerland gab es nicht, desto mehr Ueberschwemmungen und der Fischfang, den die Wenden, wenigstens in diesen Gegen- den, vorzugsweise betrieben, hatte nichts Verlockendes für die Deut- schen, die zu allen Zeiten entweder den Ackerbau oder die Meer- fahrt, aber nicht den Fischfang liebten. Dazu kam, daß die alten Wenden, wie es scheint, von sehr nationaler und sehr exclusiver Richtung waren und den wenigen deutschen Colonisten, die sich hier niederließen (z. B. unter dem großen Kurfürsten), das Leben so schwer wie möglich machten. Ueber die Art nun, wie die wendischen Bewohner hier leb- ten, wissen wir wenig, und das beste Theil unsrer Kenntniß ha- ben wir aus Vergleichen und Schlußfolgerungen zu schöpfen. Di- rektes ist nicht da, oder noch nicht aufgefunden, und kein Haus oder Gehöft existirt, das — einen bestimmten Anhaltepunkt bie- tend — bis in die Wendenzeit, trotzdem diese lange Zeit hindurch ihr Dasein hier fristete, zurückreichte. In der That, alles was im Bruche lebte, war nur Außenposten, oft auch (wenigstens moralisch genommen) verlorner Posten, der mehr und mehr unter deutsche Cultur gerathenen Randdörfer , zu denen sich die Bruch- dörfer, ihrer Mehrzahl nach, wie die verachteten „Kietze“ zu den deutsch gewordenen Städten verhielten. Die damals reicheren, halb- germanisirten Dörfer „auf der Höhe“, kümmerten sich wenig um diese ihre wendischen Bruch-Anhängsel (die Sumpf-Stationen oder Wiesenvorwerke waren), und dieses sich nicht um sie küm- mern, bewahrte ihnen natürlich gewisse alt-wendische Eigenthüm- lichkeiten. Aber freilich diese Indifferenz wurde gleichzeitig auch die Ursach, daß Niemand sich der Mühe unterzog, über diese mehr und mehr von deutschen Elementen eingesponnene Wenden-Insel bestimmte Aufzeichnungen zu machen. Ein geübtes Auge würde vielleicht auch heute noch in der aus den verschiedensten Elementen gemischten Bevölkerung der Bruchdörfer, eine Fülle speziell wen- discher Eigenthümlichkeiten herauslesen können; es gehört aber dazu eine so exakte Kenntniß der verschiedenen slavischen und deut- schen Stammes-Eigenthümlichkeiten, daß ich es nicht wage, mich in solche Scheidungen und Bestimmungen einzulassen. Ich gebe zunächst nun das Wenige, was ich über die alten wendischen Bruchdörfer und ihre Bewohner als direkte Schil- derung aus älterer Zeit her habe auffinden können. „Die Dörfer im Bruch — so sagt eine in Buchholtz Ge- schichte der Churmark Brandenburg abgedruckte Schilderung (Vor- rede zu Band II. ) — lagen vor der Eindeichung und Neu-Be- setzung dieses ehemaligen Sumpflandes auf einem Haufen mit ihren Häusern (d. h. also weder vereinzelt , noch in lang- gestreckter Linie) und waren meistens von gewaltigen, häuser- hohen Wällen — von Kuhmist aufgeführt — umzingelt, die ih- nen Schutz vor Wind und Wetter und vor den Wasserfluthen im Winter und Frühling gewährten und den Sommer über zu Kürbisgärten dienten. Den übrigen Mist warf man aufs Eis oder ins Wasser und ließ ihn mit der Oder forttreiben. Einzeln lie- gende Häuser (wie jetzt) gab es im Bruche nicht ein einziges. Im Frühling, und sonderlich im Mai, pflegte die Oder die ganze Gegend zu 10 bis 12, bis 14 Fuß hoch zu überschwem- men, so daß zuweilen das Wasser die Dörfer durchströmte und niemand anders als mit Kähnen zu dem andern kommen konnte .“ (Dafür, daß das ganze Bruch damals sehr oft unter Wasser stand und keine andre Communikation, als mit- telst Kahn zuließ, spricht auch die Einleitung zu der vorstehenden Schilderung. Diese lautet: „Ich habe das Bruch unzählige Mal durchreist, sowohl ehedem zu Wasser , als auch jetzt, nachdem es urbar gemacht worden ist, zu Lande.“) Diese Beschreibung, kurz wie sie ist, ist doch das Beste und Zuverlässigste, was sich über den Zustand des Bruchs, wie es vor der Eindeichung war, beibringen läßt. Der neumärkische Geistliche, von dem die Schilderung herrührt, hatte die alten Zustände wirk- lich noch gesehn , und so wenig das sein mag, was er in dieser seiner Beschreibung beibringt, es giebt doch ein klares und be- stimmtes Bild. Wir erfahren aus diesem Briefe dreierlei: 1. daß das Bruch den größten Theil des Jahres über unter Wasser stand und nur zu Wasser passirbar war; 2. daß auf den kleinen Sandinseln dieses Bruchs Häusergruppen („in Haufen “ sagt der Briefschrei- ber) lagen, die uns also die Form dieser wendischen Dörfer ver- anschaulichen; und 3. daß es kleine schmutzige Häuser (entweder aus Holzblöcken aufgeführt, oder sogenannte Lehmkathen ) waren, die meistens von Kuhmist-Wällen gegen das andrin- gende Wasser vertheidigt wurden. Man hat dies Bild durch die Hinzusetzung vervollständigen wollen, „daß also, nach diesem allem, die alten wendischen Bruch- dörfer den noch jetzt existirenden Spreewalddörfern muthmaßlich sehr ähnlich gewesen wären“ und wenn man diese Aehnlichkeit auf den Grundcharakter der Dörfer, d. h. auf ihre Art und nicht auf das Maaß der Erscheinung bezieht, so wird sich gegen einen solchen Vergleich wenig sagen lassen. Die Spreewäldler sind Wen- den bis diesen Tag; sie leben zwischen Wasser und Wiese, wie die Oderbrücher vor 100 Jahren, und ziehen einen wesentlichen Theil ihres Unterhalts aus Heumaht und Fischfang; sie leben in stetem Kampf mit dem Element; sie unterhalten ihren Verkehr ausschließlich mittelst Kähnen (der Kahn ist ihr Fuhrwerk), und ihre Blockhäuser (z. B. in den zwei Musterdörfern Lehde und Leipe) sind bis diesen Tag von Kuhmistwällen eingefaßt, die, ganz nach dem Bericht unsres neumärkischen Geistlichen, halb zum Schutz gegen das Wasser, halb zu Kürbisgärten dienen. Daß der Spreewäldler jetzt statt der Kürbisse die besser rentirenden Gur- ken ꝛc. zieht, macht keinen Unterschied. Auch die wendische Tracht der Spreewäldler entspricht den Resten wendischer Tracht, die sich in einigen Oderbruchdörfern erhalten haben und von denen ich noch zu erzählen haben werde. So weit reicht die Aehnlichkeit. Es ist, wie schon angedeutet, eine Aehnlichkeit innerhalb der Gattung, der Art, und es läßt sich annehmen, daß diese Aehnlichkeit eine beinah vollständige sein würde, wenn wir den Spreewald und seine Bewohner noch in solcher Gestalt sehen könnten, wie sie vor 100 Jahren waren. Diese hundert Jahre aber haben auch den Spreewald, trotzdem er wendisch blieb , in seiner Erscheinung verändert, wenigstens, wie schon hervorgehoben, dem Maaß , wenn auch nicht der Art der Dinge nach. Das in Berührung kommen mit einer höhren Cultur, pflegt, je nach den Verhältnissen, die sie vorfindet, eine sehr verschiedne, fast entgegengesetzte Wirkung zu üben. Entweder sie überwuchert und tödtet das Alte (was im Oderbruch geschah) oder sie belebt und veredelt umgekehrt und zeigt ihre Wirksamkeit nur darin, daß sie das, was sie vorfindet, ohne es in seinem We- sen zu verändern, einfach auf eine höhere Stufe hebt. So ge- schah es im Spreewald. Daß der letztere einer massenhaften deutschen Colonisirung, wie sie im Oderbruche stattfand, ebenfalls nicht widerstanden hätte, versteht sich von selbst. Ein Vergleich zeigt übrigens vielleicht am besten, wie ich obigen Satz verstanden ha- ben möchte. Der wendische Oderbruchsrock und der wendische Spree- waldsrock waren in Schnitt und Stoff vor hundert Jahren vielleicht dieselben. Der wendische Oderbruchsrock ist seitdem ver- schwunden, er existirt nicht mehr, weder seinem Schnitt noch sei- nem Stoff nach; die eindringende deutsche Cultur hat ihn, wenn dieser Ausdruck gestattet ist, dem Lande ausgezogen . Nicht so im Spreewald. Hier blieb der Schnitt des Rocks, worin seine Eigenart besteht, nach wie vor derselbe; aber der Stoff wurde feiner , und würde es möglich sein, einen solchen Spreewaldsrock von heute mit einem Oderbruchsrock von damals zu vergleichen, so würde das ohngefähr veranschaulichen, worin das alte Oder- bruch dem jetzigen Spreewald ähnlich und worin es von ihm ver- schieden war. Der oben mitgetheilte Brief hat uns ziemlich anschaulich die Lokalität der Oderbruchdörfer gegeben; die Frage bleibt noch, wie waren die Bewohner (über deren Beschäftigung kein Zweifel sein kann) nach Charakter, Sitte, Tracht. Wie gut auch das Zeugniß ist, das jetzt noch an einigen Stellen des Oderbruchs, den Ueberresten der wendischen Bevölke- rung, im Gegensatz zu den „Pfälzern“ ausgestellt wird, so ist es doch nicht sehr wahrscheinlich, daß es, vor hundert Jahren und drüber, mit diesen von der Welt abgeschnittenen, von jeder Idea- lität losgelösten Existenzen, etwas besonderes auf sich gehabt habe. Es waren vielleicht gut geartete, aber jedenfalls rohe, in Aber- glauben und Unwissenheit befangene Gemeinschaften, Ueber Charakter und Erscheinung der jetzt noch in einigen Bruch- dörfern vorkommenden wendischen Bevölkerung schreibt man mir aus einem dieser Dörfer: „Man giebt hier im Allgemeinen dem Charakter der wen- dischen Bevölkerung vor dem der deutschen Colonisten den Vorzug. Die Wenden sind allerdings schwerfällig, abergläubisch und geistig weniger begabt als die „Pfälzer“ (die allgemeine Bezeichnung für die Deutschen), aber an Kraft, Fleiß und Ausdauer sind sie den Deutschen gleich, während sie dieselben an Treue und Zuverlässigkeit übertreffen. Die Männer haben die trotz 14 ihres christlichen Bekenntnisses mit den alten Wendengöttern nie recht gebrochen hatten. Der Aberglaube hatte in diesen Sümpfen eine wahre Brutstätte. Kirchen gab es zwar in ein oder zwei dieser Dörfer, aber der Geistliche erschien nur alle 6 oder 8 Wochen, um eine Predigt zu halten und der Verkehr mit den glücklicheren Randdörfern oder gar mit den Städten (wohin sie eingepfarrt waren) war durch Ueberschwemmungen und grundlose Wege er- schwert. Man darf mit nur allzu gutem Rechte behaupten, daß die Brücher in allem, was geistlichen Zuspruch und geistiges Leben anging, von den Brosamen lebten, die von des Herren Tische fie- len. Die Todten, um ihnen eine ruhige Stätte zu gönnen (denn die Fluthen hätten die Gräber aufgewühlt), wurden nach Wriezen hin, oder auf den Höhe-Dörfern begraben und die Taufe der Kin- der erfolgte, vielleicht 4 oder 6 mal des Jahres, in ganzen Trupps. Es wurden dann Boten nach der benachbarten Stadt abgefertigt, welche den ganzen Trupp dem dortigen Geistlichen zur Taufe zu überbringen hatten, wobei es sich nicht selten zutrug, daß von die- sen, in großen Körben transportirten Kindern, das eine oder andre auf der Ueberfahrt starb. Die geistige Speise, die geboten wurde, war spärlich und die leibliche nicht minder; Korn wurde wenig oder gar nicht gebaut, die Kartoffel war noch nicht gekannt, oder, wo sie gekannt war, als Feind und Eindringling verabscheut; ein Weniges an Gemüse gedieh auf den „Kuhmistwällen“, sonst — Fisch und Krebse und Krebse und Fisch. Seuchen konnten nicht ausbleiben; dennoch wird eigens berichtet, daß ein kräftiger Menschenschlag (wie jetzt noch) hier heimisch war und daß Leute von 90 und 100 Jahren nicht zu den Seltenheiten zählten. Ein hervorstechender Zug der Wenden, z. B. auch der Spree- wald-Wenden, ist ihre Heiterkeit und ihre ausgesprochene Vorliebe ausdrucksvolle Gesichter, sind nicht schön und mehr hager als beleibt; die Mädchen und jungen Frauen hingegen zeigen vollere Formen, frische Far- ben (nicht den Pergament-Teint andrer Luch- und Bruchgegenden) und sind oft sehr hübsch; die dunklen Augen voll Feuer und Leben.“ für Musik und Gesang. Ob eine solche Vorliebe auch bei den Wenden des Oderbruchs zu finden war? möglich, aber nicht wahr- scheinlich. Eins spricht entschieden dagegen. Volkslieder haben ein langes Leben und überdauern Vieles; aber nirgends im Bruch, auch in jenen Randdörfern nicht, die sich noch einer vorwiegend wendischen Abstammung rühmen, begegnet man alten Volkswei- sen; sie singen was andren Orts gesungen wird; keine Spur wen- discher Eigenart, woraus sich schließen läßt, daß überhaupt wenig davon vorhanden war. In allerneuster Zeit hat sich ein geborner Oderbrücher, der Lehrer Rubehn in Groß-Neuendorf, der dankenswerthen aber freilich schwierigen Aufgabe unterzogen, der wendischen Vorgeschichte des Oderbruchs nachzu- spüren und Material dafür zu sammeln. Dies Material, in das mir ein Blick gestattet war, ist reich und instruktiv; der Sammler indeß scheint mir darin irre zu gehn, daß er geneigt ist, den Sprüchen und Sagen, deren er viele zusammengetragen hat, ein größres Alter beizumessen, als ihnen zukommt. Mit andern Worten, er vermuthet da wendisch-ursprüng- liches oder im Oderbruch gewachsenes, wo nur deutsch-importirtes vorliegt. Die Sagen, die ich seiner Mittheilung verdanke, finden sich, fast ohne Ausnahme, in den Landestheilen (Pfalz, Schwaben, Niedersachsen) wieder, aus denen die Colonisirung des Oderbruchs erfolgte. Eine unter diesen Sagen indeß, wiewohl sicherlich ebenfalls deutsch, mag um ihrer selbst willen einen Platz an dieser Stelle finden. Es ist das die Geschichte vom „ Rothmützeken “: Bei einem Reetzer Fischer vermiethete sich einst ein Knecht, der immer eine rothe Mütze trug, weshalb er im Dorf „ Rothmützeken “ genannt wurde. Alle Sonn- tag, wenn die andern Leute zur Kirche gingen, stieg er auf den Stallboden, wo allerlei kleine Männer, die „Untererdschken“, zu ihm kamen und Spiel und Lärm und lautes Lachen mit ihm vollführten. Wenn dann die Hausleute aus der Kirche zurückkamen, kam „Rothmützeken“ wieder vom Stallboden herunter und war mun- ter und guter Dinge. Das dauerte eine ganze Zeit, wohl über Tag und Jahr. Eines Sonntags, es war der Sonntag nach Weihnachten, stieg er auch wieder auf den Stallboden, während die andern nach der Kirche waren und das Lärmen und Poltern und Lachen nahm wieder seinen Anfang wie früher, nur viel wilder und lauter. So ging es wohl eine Stunde; als aber der Prediger auf der Kanzel eben Amen gesagt hatte, da gab es einen Knall, der die Kirche und alle Häuser im Dorf erschütterte, und als die Leute nach Hause stürzten, fanden sie die Stallboden- thür weit auf die Straße geschleudert, Rothmützeken aber an einem Kreuzbalken er- hängt. Sie begruben ihn in eine Ecke des Kirchhofs. Er hatte aber nicht Ruh im Grabe. Immer in der Sonntagsnacht nach Weihnachten erschien er auf dem Kirch- hof und die Hirten, die damals (wo im Sommer das Bruch unter Wasser stand) oft noch um die Weihnachtszeit ihr Vieh auf die Weide trieben, sahen ihn dann, 14* Das Einzige, was sich, ähnlich wie im Altenburgischen, auch hier im Bruche, länger als jede andre Spur nationalen Lebens erhalten hat, ist die Tracht . Ueber diese noch ein paar Worte. Wir begegnen ihr nicht inmitten des Bruchs, wo doch das Wendenthum bis 1747 sich wahrscheinlich ziemlich unvermischt er- halten hatte, sondern am Rande des Bruchs, wo die Berührung mit der deutschen Cultur doch schon durch Jahrhunderte hin statt- gefunden hatte. Aber dies darf nicht überraschen. Diese Berührung blieb in den Randdörfern eine spärliche, mäßige, wie sie es immer gewesen war, während das, durch Jahrhunderte hin, wendisch in- takt erhaltene Centrum des Bruchs, als diese Berührung über- haupt einmal begonnen hatte, durch Massen-Einwanderung solche Dimensionen annahm, daß das Wendenthum in kürzester Frist darunter ersticken mußte. Die Gäste wurden die Wirthe und gaben nun den Ton an. Anders, wie schon angedeutet, in den Rand- dörfern, wenigstens in einzelnen derselben. Hier am Südwestrande des Bruchs, in einem Winkel, den man, um ihn kurz und cha- rakteristisch zu bezeichnen, den Derfflingerschen-Winkel nennen könnte, liegen noch einige Dörfer, drin sich die alte wendische Tracht, oder doch Ueberreste davon, bis auf diesen Tag erhalten haben. In Vollständigkeit existirt sie nur noch in Quilitz oder Neu-Hardenberg. Diese Tracht, übrigens nur noch bei den Frauen wendisch- national, besteht aus einem kurzen rothen Friesrock mit etwa hand- breitem gelbem Rand; aus einem beblümten, dunkelfarbigen, vorn ausgeschnittenen Leibchen und aus einem weißen Hemd, dessen Aermel bis zum Mittelarm reichen, während Latz und getollter Kragen über Brust und Nacken fallen; dazu Kopftuch und Schürze. Die Tracht ist Alltags und Sonntags dieselbe und nur im Stoff verschieden. Alltags: blaue beblümte Cattun- oder Leinwandschürze und Kopftuch von demselben Zeug; Sonntags: weiße Schürze und wie er auf dem bretternen Kirchhofszaun saß und mit dem Kopf schüttelte. Er war dürr wie ein Skelett, aber er trug immer noch die rothe Mütze. Daran hatten sie auch erkannt, daß es kein andrer sein konnte als „Rothmützeken.“ schwarzseidnes Kopftuch . Der rothe Friesrock ist das ständige und die Schürze ist jedesmal um eine Handbreit länger als der Rock . Wie Alltag oder Sonntag, macht natürlich auch arm oder reich einen Unterschied. Bei den Armen legt sich der Friesrock in wenige, bei den Reichen in viele Falten und er er- reicht seine Höhe (wenigstens sprüchwörtlich, gezählt habe ich sie nicht), wenn er so viele Falten hat, wie Tage im Jahre. Auch das Leibchen ist seinem Stoff nach verschieden: Cattun, Tuch, Manchester (der letztere ein sehr bevorzugter Stoff) wechseln ab, aber immer dunkelfarbig und immer beblümt. Weiße Zwickelstrümpfe vollenden den Anzug und massive silberne Ohrgehänge sind beliebt. Diese wendische Tracht nimmt sich höchst malerisch aus und ist so ziemlich die kleidsamste unter allen Nationaltrachten, die mir in den verschiednen Theilen Deutschlands vorgekommen sind. Es ist damit durchaus kein übertriebnes Lob gespendet, da diese Na- tionaltrachten, so sehr wir sie lieben und so sehr wir ihrer Con- servirung das Wort reden möchten, doch vielfach nichts weniger als schön zu nennen sind. Oft sind sie entschieden häßlich. Wir erinnern nur an die Altenburgerinnen, die wie steif ausgestopfte Bachstelzen einherschreiten. Alle diese Nationaltrachten indeß, ob schön oder häßlich, sind meist sehr kostspielig zu beschaffen und die- ser Umstand hat entschieden mitgewirkt, der städtischen Mode, oder mit andern Worten, dem billigen Cattunkleide den Eingang zu verschaffen. Auch in Quilitz — das, nachdem es dem Staats- kanzler, Fürsten Hardenberg , als Dotation zugefallen war, den Namen Neu-Hardenberg erhielt — würden wir höchst wahrschein- lich dasselbe erlebt haben, wenn nicht jener moralische Zwang, den die Aussicht auf Gewinn und jeglichen Vortheil übt, zu einer halbkünstlichen Conservirung der alten Sitte geführt hätte. Schon der Fürst-Staatskanzler, der ein feines Auge für derlei Dinge hatte, hielt darauf, daß die Frauen und Mädchen des Dorfs in der alten malerischen Tracht vor ihm erscheinen mußten und jede Magd, die einen Dienst im Schlosse will, kann ihn, auch jetzt noch, nur antreten, wenn sie sich zu Mieder, Kopftuch und Fries- rock bequemt. Ohne diesen Zwang, würde sich auch Quilitz schwer- lich noch einer Auszeichnung erfreun, die jetzt allmälig wieder einen Corpsgeist, ein gewisses Selbstgefühl herauszubilden und mittelst desselben, dem zunächst künstlich erhaltenen, neue lebendige Wurzeln zu geben beginnt. Dem gesammten Oderbruch (deutsch oder wendisch) ist, als Hinterlassenschaft aus der Zeit wendischer Tracht her, nur das schwarze seidne Kopftuch geblieben, das, durch die Art, wie es getragen wird, so außerordentlich kleidsam erscheint, und jedem ju- gendlichen Gesichte gut stehend, die Oderbrücherinnen (zum Theil sehr unverdient) in den Ruf gebracht hat, besondere Schönheiten zu sein. 4. Die Colonisirung und die Colonisten . Es fiel zu leicht euch in den Schooß, „ Zu glücklich sein“ war euer Loos. Wie heißt der Spruch im goldnen Buch? „Reichthum ist Segen und Reichthum ist Fluch.“ D ie umfangreichen Arbeiten (Siehe S. 199), die unter Friedrich dem Großen von 1746 bis 53 ausgeführt wurden, kamen dem ge- sammten Oderbruche zu statten; in besonderem Maaße aber doch nur einem Theil desselben, dem Niederbruch . Dies war auch Zweck. Das Oberbruch zwischen Frankfurt und Cüstrin war längst unter Cultur Zum Oberbruch (auch das hohe Bruch genannt) gehörten schon damals folgende Ortschaften: Gusow, Kienitz, Platkow, Quappendorf, Quilitz (jetzt Neu-Hardenberg), Rathstock, Sachsendorf, Tucheband, Mansch- now, Gorgast, Golzow, Zechin, Werbig, Letschin, Genschmar, Langsow, Hathenow, Sietzing, Wuschewir, Friedland, Metzdorf, Kunersdorf, Blies- dorf, Ortwig, Neuendorf, Hacknow, Werder, Wollup (berühmt durch Koppe, der es 30 Jahre lang bewirthschaftete). Diese Ortschaften sind seitdem an Reichthum und Bedeutung gewachsen (Letschin allein hat gegen 4000 Ein- wohner), aber ihre Zahl hat sich, ein paar Ausnahmen abgerechnet, nicht erweitert. Die vorhandenen Dörfer wuchsen in sich, aber es kamen nicht neue hinzu. ; das sumpfige Niederbruch , zwischen Cüstrin und Freienwalde, war der Cultur erst zu erobern. Diese Eroberung des Niederb ruchs, mit dem wir uns hier, wie schon im vorigen Kapitel angedeutet, ausschließlich beschäftigen, geschah, wie ich in dem Kapitel „Die Verwallung“ (S. 197 bis 204) gezeigt habe a ) durch das neue Oderbett, b ) durch die Ein- deichung, c ) durch Abzugscanäle. Das Niederbruch , vor Ausführung dieser Arbeiten, war ein 3 bis 4 □Meilen großes Stück Sumpfland, auf dessen wenigen, höher gelegenen Sandstellen 8 kümmerliche Dörfer lagen. Diese 8 Dörfer waren: Reetz, Meetz, Lebbin, Trebbin, Großbaaren, Kleinbaaren, Wustrow und Alt-Wriezen. So, wie hier aufgeführt, wurden diese 8 Dörfer früher geschrieben. Die Rechtschreibung der Namen ist seitdem zum Theil eine andre geworden: Meetz ist Medewitz , Lebbin ist Lewin , Großbaaren und Kleinbaaren ist Groß- und Klein-Barnim . In der Volks- sprache aber leben die alten Namen oder richtiger vielleicht lebt die alte Aussprache noch fort. Man sagt noch Meetz, Lebbin und jedenfalls Groß- und Klein-Baaren. Diesen acht kümmerlichen Fischerdörfern zu liebe, war nun natürlich, seitens des großen Königs, die Entwässerung von 3 oder 4 Quadratmeilen Sumpfland nicht vorgenommen worden, um so weniger als der König wohl wußte, daß die Reetzer und Meetzer Fischer, wenn er ihnen auch das ganze entwässerte Land mühlos zu Füßen gelegt hätte, doch nach Art solcher Leute, nur über den Verlust ihrer alten Erwerbsquellen (Heumaht und Fischerei) geklagt haben würden. Diese 8 Fischerdörfer kamen also nicht in Betracht, weder mit ihren Klagen, die nicht ausblieben, noch etwa mit ihren Ansprüchen . Der König hatte durch seine Mittel das Land gewonnen und vertheilte das Gewonnene daher nach seinem Belieben. Einen wesentlichen Theil behielt er selbst (Königlicher Antheil), den Rest erhielten die angrenzenden Städte und Rittergüter, Einiges auch die alten Bauerndörfer. Das gewonnene Land betrug im Ganzen etwa 130,000 Morgen, auf welches nun, wie man sonst Bäume pflanzt oder einsetzt, 1300 Familien „angesetzt“ wurden. Das geschah in 43 neugegründeten Colonistendörfern. Die Gründung dieser Colonistendörfer war Sache des Königs auf dem Königlichen Antheil, Sache der Städte und Rittergüter auf den Antheilen, die diesen zugefallen waren. So entstanden königliche, städtische und adlige Colonistendörfer. Die königlichen Colonistendörfer waren von Anfang an die größten und wichtigsten und sind es wohl auch geblieben. Mit Ausnahme von Herrenhof und Herrenwiese führen sie sämmtlich die Namen alter Bruch- und Uferdörfer, denen nur, zur Unter- scheidung, die Sylbe „Neu“ hinzugefügt worden ist. Es sind folgende: Neu Lewin. Neu Barnim. Neu Trebbin. Neu Kiez. Neu Küstrinchen. Neu Glietzen. Neu Lietzegörike. Neu Medewitz. Neu Reetz. Neu Rüdnitz. Neu Tornow. Neu Wustrow. Die meisten Colonisten wurden in den drei erstgenannten Dörfern, in Neu Barnim, Neu Lewin und Neu Trebbin angesetzt und sind diese drei Ortschaften auch die größten und wichtigsten geblieben. Die beiden ersten haben wesentlich über 1000, Neu-Trebbin beinah 2000 Einwohner. Werfen wir noch einen Blick auf jene ersten Jahre nach der Trockenlegung des Bruchs. 1300 Colonisten-Familien sollten an- gesetzt werden, vielleicht waren auch die Häuser dazu (ursprünglich bloße Hütten, die in den Stielen eine Höhe von kaum 7 Fuß hatten) vorweg bereits aufgeführt, aber die Herbeischaffung von 1300 Familien war nichts Leichtes. Eine eigne „Kommission zur Herbeischaffung von Colonisten wurde eingesetzt und diese Kommis- sion ließ durch alle preußische Gesandschaften „fleißige und arbeit- same Ausländer“ zum Eintritt in die preußischen Staaten einladen. Diese Einladungen hatten in der That Erfolg; an Versprechun- gen wird es nicht gefehlt haben. So kamen Pfälzer, Schwaben, Polen, Franken, Westphalen, Voigtländer, Mecklenburger, Oestrei- cher und Böhmen, die größte Anzahl aus den drei erst genannten Ländern. Neu-Barnim ist eine Pfälzer-Colonie, ebenso Neu-Trebbin. Neu-Lewin wurde mit Polen, auch wohl mit Böhmen, jedenfalls mit slavischen Elementen besetzt. Diese Unterschiede zeigen sich zum Theil noch in Erscheinung und Character der Bewohner. In den Pfälzer-Dörfern begegnet man einem mehr blonden, in Neu-Lewin einem mehr brünetten Menschenschlag. Auch von der Ausgelassenheit und dem leichten, lebhaften Sinn der Pfälzer hört man erzählen. Wie die Bewohner, so sind auch die Dörfer selbst, in ihrer Erschei- nung verschieden, doch ist es fraglich, ob sich diese Verschiedenartigkeit auf etwas Nationales zurückführen läßt. Vielleicht sind die Gründe nur lokaler Natur. Das Vorhandensein oder das Fehlen eines Wassers, anderer Zufälligkeiten zu geschweigen, mag solche Unterschiede geschaffen haben. Neu-Barnim (Pfälzer-Dorf) ist langgestreckt, und eine Baum-An- lage, die sich mitten durch die breite Dorfstraße zieht, theilt diese in drei Längs-Theile, in zwei Fahrwege, rechts und links, und einen Baumgang zwischen denselben. Neu-Trebbin ist ähnlich, wenn wir nicht irren. Neu- Lewin (das mit Polen besetzte Dorf) präsentirt sich malerischer. Die Dorf- straße entlang läuft ein Fließ, das auf seiner ganzen Länge von schräg oder auch terrassenförmig ansteigenden Gärten eingefaßt ist. Zwischen den Häusern und diesen Gärten zieht sich rechts und links der Fahrweg. Die Häuser selbst haben vielfach Lauben und Veranden und der Fußwanderer, der hier an einem Sommerabend des Weges kommt und vor den Häu- sern das Singen hört, während die dunklen, schöngewachsenen Mädchen mit den klappernden Eimern zum Brunnen gehen, der vergißt auf Augen- blicke wohl, daß er das verspottete Sumpf- und Sand-Land der Mark Brandenburg durchreist. Jede Familie erhielt 90, 60, 45, 20 und ein größerer Theil 10 Morgen Ackers von dem entwässerten Boden, bei welcher Ver- theilung man, wie billig, auf die Stärke der Familie und die Größe des Vermögens Rücksicht nahm. Jegliche Religionsausübung war frei. Der König ließ sechs neue Kirchen bauen, setzte vier Prediger, zwei reformirte und zwei lutherische ein und gab jedem Dorf eine Schule. Der Unterricht war frei; Pfarre und Schule erhielten Ländereien. Noch andre Vortheile wurden den Ansiedlern gewährt. Allen denen, die sich niederließen, ward eine vollständige Freiheit von allen Lasten auf 15 Jahre gewährt, wie sie denn auch (kein geringes Vorrecht in jenen Tagen) für ihre Person, sammt Kind und Kindeskind von aller Werbung frei waren . Dem König, wie wohlbekannt, lag vor allem daran, seine dünn besäten Staaten reicher bevölkert zu sehen. Nach der Ver- theilung der Ländereien blieben ihm noch 20,000 Morgen, im Hinblick auf welche ein benachbarter Gutsbesitzer dem Könige den Rath gab, „daß sich vorzügliche Domainen-Vorwerke daraus wür- den bilden lassen.“ Der König sah den Rathgeber durchdringen- den Blickes an und bemerkte dann scharf: „wäre ich, was Er ist, so würd’ ich auch so denken; da ich aber König bin, so muß ich Unterthanen haben.“ Er gab auch diese 20,000 Morgen noch fort. Die Colonisten waren nun angesetzt und die Urbarmachung begann. Das nächste, was der Trockenlegung folgte, war die Aus- rodung . Diese Ausrodung führte in den ersten Jahren zu selt- samen Scenen, wie sie seitdem, wenigstens in unsrer Provinz, wohl nicht wieder beobachtet worden sind. Die ausgerodeten Bäume und Sträucher, — da keine Gelegenheit gegeben war, die ganze Fülle dieses Holzreichthums zu verkaufen oder wirthschaftlich zu verwerthen, — wurden zu mächtigen Haufen aufgeschichtet und endlich, nachdem sie völlig ausgetrocknet waren, angezündet und verbrannt. Aber das Austrocknen dieser ausgerodeten Sumpf-Ve- getation dauerte oft monatelang und so kam es, daß diese auf- geschichteten Holz- und Strauchhaufen eine willkommene Zufluchts- stätte für all’ die Thiere wurden, die bei den Ausrodungen rings umher aus ihren Schlupfwinkeln aufgescheucht worden waren. In diesen Holz- und Strauchhaufen steckten nun die Thiere drin, bis der Tag des Anzündens kam. Dann, wenn Qualm und Flamme aufschlugen, begann es, bei hellem Tagesschein, in dem Strauch- haufen lebendig zu werden, und nach allen Seiten hin jagten nun die geängstigten Thiere, wilde Katzen, Iltisse, Marder, Füchse und Wölfe über das Feld. Ebenso wurde ein Vernichtungskrieg gegen Wildpret und Geflügel geführt, und jeder Haushalt hatte Ueber- fluß an Hirschen, Rehen, Hasen, Sumpfhühnern und wilden En- ten. Hasen gab es so viel, daß die Knechte, wenn sie gemiethet wurden, sich ausmachten, nicht öfter, als zweimal wöchent- lich Hasenbraten zu kriegen . Der Boden im Bruch war ein schönes, fettes Erdreich, mit einer großen Fülle von Humus, der sich seit Jahrhunderten aus dem Schlamme der Oder und aus der Verwesung vegetabilischer Substanzen erzeugt hatte. Dies erleichterte die Bewirthschaftung; auch diejenigen Colonisten, die nicht als Ackersleute ins Land ge- kommen waren, fanden sich leicht in die neue Arbeit und Lebens- weise, die, ob ernster oder leichter betrieben, jedem seinen Erfolg sicherte. Man streute aus und war der Ernte sicher. Es wuchs ihnen zu; der Segen kam in’s Haus (halb uneingeladen); alles wurde reich über Nacht. Dieser Reichthum war ein Segen, aber er war zum großen Theil so rasch, so mühelos errungen worden, daß er vielfach ein Fluch wurde. Man war eben nur reich geworden; Bildung, Ge- sittung hatten nicht Schritt gehalten mit dem rasch wachsenden Vermögen, und so entstanden wunderliche Verhältnisse, übermü- thig-sittenlose Zustände, deren erste Anfänge noch der große Kö- nig, der „diese Provinz im Frieden erobert hatte,“ mit erlebte und die bis in unsre Tage hinein fortdauerten. Ein Brief aus dem Jahre 1838 schildert die Zustände des damaligen Oder- bruchs wie folgt: „Die Verhältnisse, die ich hier vorgefunden habe, sind die, durch alle Jahrhunderte hin immer wiederkehrenden Zustände einer Viertel- und Halb-Kultur, Zustände, wie sie zu jeder Zeit und an jedem Orte immer von selber wieder aufwachsen, wo in noch völlig rohe und barbarische Gemeinschaften, ohne Zu- thun, ohne Mitwirkung, ohne rechte Theilnahme daran, ein Stück Kultur von außen her in die Unkultur hineingetragen wird. Das Wesen dieser Art von Existenzen ist die Dishar- monie, der Mißklang, der Widerstreit. Durch den Schein der Bildung, oder eines geistig erhöhten Lebens, bricht immer wie- der die alte Rohheit durch, und im Einklang mit diesem Natur- gesetz begegnet man auch in diesen reichen Oderbruchdörfern, in Aeußerlichem und Innerlichem, einem beständigen Gegensatz von Sparsamkeit und Verschwendung, von Luxus und Ge- schmacklosigkeit, von Kirchlichkeit und Aberglauben, von Ehrbar- keit und Sittenverderbniß. Der Bauer schreitet im langen Rock, ein paar weiße Handschuh an den Händen, langsam und gra- vitätisch nach der Kirche; aber er sitzt am Abend oder Nach- mittag desselben Tages (einige beginnen gleich nach der Kirche) im „Gasthof“ des Dorfes — der Krug ist für die Knechte — und vergnügt sich bei Spiel und Wein. Die Würfel rollen über das Brett, der sogenannte „Tempel“ wird mit Kreide auf den Tisch gemalt, alle Arten von Hazardspiel lösen sich unter einander ab, und um hundert Thaler ärmer oder reicher, wüst im Kopfe, geht es weit nach Mitternacht nach Haus.“ „Derselbe Gegensatz findet sich in jedem einzelnen Haus- halt hier; krasser Luxus und das völlig mangelnde Verständniß für das, was wohlthut und gefällt, laufen neben einander her. In dem Wohnzimmer steht ein großes Sopha mit blauseidnem Ueberzug, aber der Ueberzug ist zerrissen und eingefettet. Der Kupferstich an der Wand hängt völlig schief und kein Auge sieht es. Das Glas des andern Bildes ist mitten durchgesprun- gen und niemand denkt daran es zu ersetzen. Die eine Tochter des Hauses sitzt am Fenster und näht, aber in dem Zimmer, das eben so gut wie ein Sopha und ein Fortepiano, doch auch einen Nähtisch haben könnte, fehlt alles, was an einen Tisch derart erinnern könnte, und auf dem Fensterbrett steht nichts als ein Cigarrenkasten, der als Herberge für Knöpfe und Knäuel, für Lappen und Flicken dient. Nun geht es zu Tisch. Alles reichlich aber auch nichts mehr. Die Magd mit klappenden Holz- pantinen setzt die Speisen auf, das Stück Fleisch liegt, unschön zerhackt, auf der Schüssel; die Teller sind verschieden an Stoff und Form, die Messer und Gabeln sind abgewaschen, aber nicht blank geputzt; von Tischgebet keine Rede. So nimmt man Platz und schweigend, unschön, ohne Dank beginnt und endet die Mahlzeit. So ist es Alltags; einzelnen, für schweres Geld erstande- nen Glanz- und Prachtstücken, wird die Pflicht des Repräsen- tirens auferlegt, die Personen entschlagen sich dessen. Es ist un- bequem. Das Ganze ein bunter Widerstreit von herrschaftlicher Prätension und bäuerlicher Gewohnheit. Die Festtage des Hauses ändern das Bild, aber sie bessern es nicht. Ich habe hier Taufen und Hochzeiten beigewohnt, die mir unvergeßlich bleiben werden. Eine seltsame Mischung des alten Bauernhochzeitsstyls mit dem Apparat vornehmer Leute. Wirth und Gäste wetteifern in Staat. Wagen auf Wagen rollt vor: Chaisen mit niedergeschlagenem Verdeck; die wohl- genährten Pferde tragen Geschirr mit Silber reich beschlagen, der Kutscher ist in Livrée und die Damen, die aussteigen, sind in Sammt und Seide. Musici spielen und die Tische brechen unter der Last der Speisen; die Champagnerpfropfen knallen, der Flur ist mit Zucker bestreut, um die Fliegen von den Ta- felgästen möglichst fern zu halten; dann wildes Juchen; dazu Lichter, halberstickt in Tabaksqualm. Spiel und Tanz und Lärm, und ein Faustschlag auf den Tisch, machen den Schluß des Festes. Bauernhochzeiten zeichnen sich freilich überall durch eine gewisse Reichthums-Entfaltung aus, aber diese selbstbewußte, zur Schau getragene Opulenz, hält sich an andern Orten in- nerhalb gewisser bäuerlicher Traditionen. Hier sind diese Tra- ditionen durchbrochen und jeder versucht es, gleichsam auf eigne Hand, seiner Eitelkeit, und meist nur dieser, ein Genüge zu thun. Auch Gutem und Tüchtigem bin ich in diesen Dörfern vielfach begegnet; aber zumeist doch jener Kraft und jener Tüch- tigkeit nur, die aus einem starken Egoismus, aus richtigen In- stinkten hervorgeht, aus jener Beschränktheit, die, weil sie eine nah gesteckte Linie nicht überschreitet, auch nicht in Gefahr kommt, sich zu verirren. Die Wurzeln aller Kräfte, die hier thätig sind (gute und böse) sind Selbstsucht und Selbst - bewußtsein . Die Zeit soll noch erst kommen, wo die hohen Kräfte des Lebens hier lebendig werden.“ Seit jenem Briefe, der die damaligen (1838) Sittenzustände des Bruchs, eher zu mild als zu streng schildert, sind 25 Jahre vergangen, und dies Vierteljahrhundert hat bis auf einen gewissen Punkt die Wünsche erfüllt, mit denen der Brief schließt. Es ist besser geworden. Der bloße Geld- und Bauern-Stolz hat dem Gefühl von den Pflichten des Reichthums Platz gemacht und an die Stelle jener Selbstsucht, die nur an sich und den engsten Kreis denkt, ist der wenigstens erwachende Sinn für das Allgemeine ge- treten. Es dämmert eine Vorstellung in den Gemüthern von der Gegenseitigkeit der Pflichten, eine Ahnung davon, daß die blanken Thaler einen andern Zweck haben, als bei dem Nachbar Geizhals im Kasten zu liegen, oder vom Bruder Verschwender bei vingt un und „blüchern“ vergeudet zu werden. Die üblen Folgen des „rasch reich geworden seins“ verschwinden mehr und mehr, und die Segnungen festen, soliden, ererbten Besitzes treten in den Vor- dergrund. Man läßt den Schein fallen und fängt an sich des Lacks, der, dünn aufgetragen, überall absplitterte, zu schämen. Man fühlt sich wieder mehr als Bauer (nur an dem Wort nimmt man Anstoß), und will nicht mehr und nicht weniger sein, als man ist. Das Adels- und Standesgefühl, was durch Jahr- hunderte hin die niedersächsischen Bauern so ausgezeichnet hat, fängt auch an bei den Oderbrüchern lebendig zu werden. Mögen sie, nach der wilden Jugend ihres ersten Jahrhunderts, immer fe- ster werden in Schlichtheit, Sitte, Zucht. Moeglin. Das Kleine blieb, Das Große ist vergessen; Die Zeit verfließt; wohl hundert Jahr Verflossen unterdessen. E twa eine halbe Meile vom Westrande des Oderbruchs entfernt, liegt Möglin, ein nur 12 Häuser zählendes, weder durch Größe noch Bodenbeschaffenheit ausgezeichnetes Dorf, dem nichtsdestoweni- ger das Loos zufiel, in alter und neuer Zeit unter den historischen Namen unsres Landes eine Stelle zu finden. Drei Jahrhunderte lang (vorher war es ein Pfuelsches Gut) lebten hier die im Ober-Barnim reichbegüterten Barfuse Zu Anfang des vorigen Jahrhunderts scheinen fast alle Rittergüter des Kreises in Händen der Barfuse gewesen zu sein, da es heißt, daß auf einem 1720 abgehaltenen Kreistage nur zwei Stimmen nicht barfusisch gewesen seien. Diese zwei waren: v. Jena und v. Pfuel. , die sich, wie wir schon an andrer Stelle in Erfahrung brachten, in zwei Linien theilten, in die Barfuse von Predikow, und in die Bar- fuse von Moeglin. Der berühmteste Barfus (Hans Albrecht, vgl. S. 85.) war ein Moegliner Barfus; er verließ aber früh sein väterliches Gut, kehrte nie wieder dahin zurück und ist deshalb der Erinnerung des Dorfs verloren gegangen. Hans Albrecht von Barfus, der Türkenbesieger, ist in Moeg- lin vergessen, aber von einem andern, einem unberühmten Barfus, geht noch die Sage daselbst. Das macht, der lokale Vorfall ist immer siegreich über das historische Ereigniß; die allgemeinen Far- ben verblassen, die besonderen gewinnen an Kraft. Der einzige Barfus, von dem Moeglin und seine Bewohner noch wissen, ist Dietlof von Barfus. Sie wissen von ihm, daß er reich war, daß er 40 Dörfer besaß, und daß er in einer Winter- nacht, als er zu Schlitten von Wriezen kam, seinen plötzlichen Tod fand. Es war Schneetreiben, nicht Weg nicht Steg erkenn- bar. Durch die nächtliche Oede hin, immer gradaus, dem Instinkt der Pferde das beste überlassend, so ging die Fahrt. Schon wa- ren sie dicht am Dorf, da, auf einem überschneeten, mit dünnem Eis bedeckten Sumpfloch, brach der Schlitten ein und alles ging in die Tiefe. Die kleine Feldsteinkirche (ohne Thurm) ist aus der ersten christlichen Zeit und stand hier um vieles früher, als die Barfuse nach Moeglin kamen. In der Kirche selbst aber, aus verhältniß- mäßig später Zeit, hängt ein Wappenschild des alten Geschlechts, schmucklos, grün und roth übermalt und mit der Umschrift: Ale- xander von Barfus, geboren 1580 den 11. Decembris, gestorben den 19. Decembris 1647. (Wahrscheinlich ein Onkel, vielleicht auch der Großvater Hans Albrechts.) Die Pfuels hatten Moeglin 100 Jahre inne, die Barfuse hatten es dreihundert. Dazwischen aber — etwa um die Zeit der beiden ersten Hohenzollern — fand eine Art Interregnum, ein herrenloser Zwischenzustand statt, der 20 oder 30 Jahre gedauert haben mag und von dem wir, mit Hülfe des Schloßregisters von 1450 nur erfahren, „ daß in Moeglin ein Schäfer war .“ Das klingt uns wie eine Verheißung, wie ein heitres Versprechen für die Zukunft, und der Schäfer von 1450 erscheint fast wie der Schatten, den Albrecht Thaer , „der Moegliner Schäfer par excellence “, durch vier Jahrhunderte wirft. Ihm, der die- sem kleinen Fleck Landes zu einem wirklichen Ruhm, weit über die Grenzen unsres Landes hinaus, verholfen hat, wenden wir uns nun ausführlicher zu. 15 Albrecht Daniel Thaer. Ehre jedem Heldenthume, Dreimal Ehre Deinem Ruhme, Aller Thaten beste That Ist: Keime pflanzen für künftige Saat. A lbrecht Daniel Thaer wurde am 14. Mai 1752 zu Celle geboren. Sein Vater, Hofmedicus ebendaselbst, stammte aus Lie- benwerda in Sachsen; seine Mutter war die Tochter des Land- rentmeisters Saffe zu Celle. Seine ersten Studien machte Albrecht Thaer auf dem Gymnasium seiner Vaterstadt, aber er verfuhr da- bei in so unregelmäßiger Art und Weise, daß er z. B. (es sind dies seine eigenen Worte) im 16. Jahre französisch und englisch sprechen konnte, aber kein Wort lateinisch verstand. Die Lehrer ließen es eben gehen. Endlich entdeckte er sich dem Rector des Gymnasiums, nahm Privatstunden und holte in einem einzigen Jahre alles Versäumte so völlig nach, daß er ein Jahr darauf im Stande war, nach Göttingen zur Universität abzugehen. Sein ganzes Wesen damals (im Gegensatz zu seinen reiferen Jahren) war genialisch und excentrisch; er hatte etwas Wunder- kindartiges an Gaben wie an Unarten. Er begann nun mit gro- ßem Eifer Medicin zu studiren und schien namentlich bestimmt, in der Chirurgie Bedeutendes zu leisten. Er verweilte Tage lang, das Secirmesser in der Hand, auf dem anatomischen Saal, sah aber bei der ersten Operation, der er beiwohnte, daß er seltsamer- weise wohl zum Anatomen am leblosen, aber nie und nimmer zum Chirurgen am lebendigen Organismus bestimmt sein könne, denn er fiel in Ohnmacht; — eine Erscheinung, die sich wiederholte, so oft er den Versuch machte, die angeborene Scheu zu überwinden. Er wandte sich nun der Pathologie zu, hörte Collegia bei den be- rühmten Professoren Schröder und Baldinger, die beide ein ganz besonderes Vertrauen zu ihm faßten, und genoß, trotz seiner noch knabenhaften Erscheinung, ein solches Ansehen bei Alt und Jung, daß kein erheblicher Krankheitsfall vorkam, bei dem er nicht zu Rathe gezogen worden wäre. Dies gab ihm, neben vielem Selbstgefühl, auch eine besondere Position, eine Art Mittelstellung zwischen Lehrern und Schülern. Den eigentlich studentischen Kreisen, namentlich seinen speciellen Fachgenossen, wurde er immer fremder und nur Bücher, philoso- phische Studien und philosophische Freunde schienen ihm eines vertrauteren Umgangs werth. Unter den letzteren nahm Johann Anton Leisewitz , der Dichter des Julius von Tarent, den er- sten Rang ein. Thaer selbst schreibt darüber: „Unsere Seelen wa- ren in beständigem Einklang, fast hatten wir nur Ein Herz.“ Ihre Freundschaft wurzelte, neben den Beziehungen des Herzens, in gleichen Interessen und Bestrebungen und wiewohl Thaer, nach unbedeutenden ersten Versuchen, die noch in seine Schulzeit fielen, die dichterische Production nicht als sein eigentliches Feld erkannt hatte, so war er doch, neben philosophischem Scharfblick, mit so viel ästhetischer Fühlung ausgerüstet, daß er dem dichterisch-produc- tiven Freunde als Kritiker hoch willkommen war. Sie lebten drei Jahre mit und neben einander; auch nachdem Beide Göttingen verlassen (1774), bestand ihr Freundschaftsverhältniß fort, und die wenigen Briefe, die, aus einer gewiß sehr lebhaften Correspondenz zwischen den Beiden, noch jetzt existiren, geben Auskunft darüber, welchen Einfluß Leisewitz dem kritischen Freunde auf seine Ar- beiten gestattete. Einer dieser aufbewahrten Briefe enthält eine sehr eingehende Kritik des „Julius von Tarent“ und ein aufmerksames Verfolgen des berühmten Trauerspiels in seiner gegenwärtigen Ge- stalt, zeigt zur Genüge, wie bereitwillig die wohlmotivirten Bemer- kungen Thaer’s von dem Freunde und Dichter benutzt worden sind. Aus dieser Zeit studentischen Zusammenlebens mit Leisewitz datiren aber noch andere Arbeiten Thaer’s, die ihn uns nicht nur auf kritischem, sondern auch auf productivem Gebiete zeigen, freilich 15* auf einem der Kritik verwandten, auf dem der philosophisch-theolo- gischen Untersuchung. Thaer selbst schreibt über diese später (in et- was veränderter Gestalt) so berühmt gewordene Arbeit: „Ich er- schuf mir damals — gleich wenig mit den Orthodoxen, wie mit den neuern sogenannten „Berliner Theologen“ einverstanden — ein selbstständiges, religions-philosophisches System und brachte es flüchtig zu Papier. Es ward wider meinen Willen abgeschrieben, fiel in die Hände eines großen Mannes, der den Styl etwas um- änderte und einen Theil davon, als Fragment eines unbekannten Verfassers, herausgab. Bis jetzt wissen es nur drei lebende Men- schen, daß ich der Urheber bin.“ In diesen Worten Thaer’s wird weder Lessing genannt, noch mit Bestimmtheit angegeben, welches der „Fragmente eines Wolfenbüttelschen Unbekannten“ Thaer für sich in Anspruch nimmt; es ist aber nach den scharfsichtigen und sehr eingehenden Untersuchungen W. Körtes, des Thaer’schen Anver- wandten und Biographen, sehr wahrscheinlich, daß die kleine, bis dahin Lessing zugeschriebene Schrift „über die Erziehung des Menschengeschlechts“ eine Jugendarbeit Albrecht Thaer’s ist, die, von Leisewitz an Lessing übergeben, von diesem theils überarbeitet, theils fortgesetzt wurde. Fast gleichzeitig mit diesem Aufsatz schrieb Thaer seine Doc- tor-Dissertation. Sie erschien 1774 zu Göttingen unter dem Titel: „De actione Systematis nervosi in febribus“; bald darauf kehrte er in seine Vaterstadt (nach Celle) zurück, um sich daselbst als praktischer Arzt niederzulassen. Hier hatte er zunächst durch eine harte Schule zu gehen. Weder gefiel die Stadt ihm, noch er der Stadt. Ihm erschien Alles klein, beschränkt, krähwinklig; er erschien Allen eitel und ein- gebildet. Seine Jugend und das noch Unentwickelte seiner Erschei- nung ließen ihn, bei den Ansprüchen, die er erhob, fast in komi- schem Lichte erscheinen und an die Stelle der Auszeichnungen, die, ihm in Göttingen so reich zu Theil geworden waren, traten nun Kränkungen. Der Prophet galt nichts in der Heimath. Jahre vergingen in Unmuth und Unbefriedigtheit, aber seine bedeutende ärztliche Begabung drang doch endlich siegreich durch und vor Ablauf von 5 oder 6 Jahren sah er sich, als der be- deutendste Arzt in Celle, hochgeehrt und von Allen gesucht. Sein alter Vater selbst (der noch weiter praktizirte) fand einst Gelegen- heit, sich von dem wachsenden Ruhm des Sohnes zu überzeugen. Jener nämlich begegnete, als er eben seine Krankenbesuche begin- nen wollte, einem Bauer auf der Treppe und folgendes Zwiege- spräch griff Platz: Zu wem will Er? Is woll de Dokter Thaer to Huus? Ick bin krank un möcht em spräken. Ich bin der Doctor Thaer. Ja, he es de olle; ick will abersch den jungschen spräken, de is klöger . Vater Thaer lachte und gönnte dem Sohn seinen Triumph. Um diese Zeit (etwas früher) hatte auch Thaer, in Gemein- schaft mit Leisewitz, seine erste Reise nach Berlin gemacht und Spalding, Mendelssohn, Engel, Nicolai , Madame Bam- berger („eine Frau, die über die abstractesten Materien der Phi- losophie rosenfarbenes Licht und Grazie zu verbreiten weiß“) kennen gelernt. Es war von einer Uebersiedelung nach Berlin die Rede, aber es zerschlug sich wieder. Bald nach seiner Rückkehr nach Celle lernte er Philippine von Willich , eine Tochter des Vicepräsi- denten am Oberappellationsgericht zu Celle, Georg Wilhelm von Willich , kennen, und nachdem er das Glück gehabt hatte, sie von einer schweren Krankheit wiederherzustellen, erfolgte 1785 die Verlobung und im folgenden Jahre die Vermählung des jun- gen Paares. Thaer war damals Stadtphysicus und Hofmedicus, und genoß eines großen ärztlichen Ansehens. Aber sein ärztliches Wirken genügte ihm nicht. Er hatte in seiner Dissertation die Heilkunst als das Herrlichste, Angenehmste, innerhalb aller menschlichen Bestrebungen Nützlichste gepriesen; je mehr er fortschritt, desto zweifelhafter wurde ihm der Anspruch auf das Lob, das er gespendet, und desto mehr beschlich ihn die Vor- stellung, daß eine andere, segensreichere Kunst da sein müsse, herr- licher, nützlicher, heilender , als die Heilkunst. Nach dieser Kunst begann sein Herz zu suchen. Er fand sie; aber erst allmälig, von Stufe zu Stufe. Als diese schönste, segensreichste Heilkunst erschien ihm der Ackerbau; ihrem Dienst beschloß er sich zu widmen. Von kleinen Anfängen ging er aus. Er hatte sich in Celle ein geräumiges Haus mit einem sehr großen Hofraum gekauft, welchen er zu einem kleinen Garten benutzte. Er wandte sich alsbald mit Vorliebe der Blumenzucht zu und bezeigte ein besonderes Geschick und eine glückliche Hand im Varüren von Nelken und Aurikeln. Es sprach sich hierin schon dieselbe Neigung für das „Princip der Kreuzung“ aus, das er später, innerhalb der Thierwelt, so glänzend durchführte. Der kleine Raum hinterm Hause genügte dem „Hofmedicus“ bald nicht mehr; er kaufte einen größeren vor dem Thore gelege- nen Garten, mit einem daranstoßenden Kamp von meist dürrem Flugsandboden, aber mit schönen Gruppen alter Eichen und Buchen besetzt. Garten und Kamp umfaßten 16 Morgen und der Bebauung und Verschönerung dieses Fleckchens Erde waren von nun an alle seine Mußestunden gewidmet. Akazien, Lärchenbäume, Pappeln wur- den gepflanzt; Weißdorn- und Büchenhecken zogen sich als le- bendiger Zaun um die Anlage, Rasenflächen wurden geschaffen, und Obstbaum-Plantagen angelegt. Dazwischen Fruchtsträucher aller Art. Gartenbau trat an die Stelle der Pflege von Nelken und Aurikeln, — aus dem Blumisten war ein Gärtner geworden. So ging es eine Weile. Aber wie ihm das Blumenbeet zu kleinlich geworden war, so wurde ihm jetzt der Garten (trotz seiner relativen Größe) zu eng. Er kaufte deshalb in kurzer Zeit noch so viele Ländereien hinzu, daß alles zusammen eine zwar kleine, aber ziemlich anständige Wirthschaft ausmachen konnte. Diese Wirth- schaft lag nur eine Viertelstunde vor dem Thore, zog sich am Aller-Fluß entlang und umfaßte ohngefähr 110 Morgen unterm Pfluge und 18 Morgen natürliche Wiesen. Da er kein Wirth- schaftsgebäude vorfand, so entwarf er einen Plan zu einem „Ge- höft“ und ließ Wohnhaus und Wirthschaftsgebäude nach seinem eigenen Plane aufführen. Er hatte dabei überall nur das Zweck- mäßige, nirgends die Eleganz im Auge und verfuhr ganz nach der Regel des M. P. Cato: „Baue dein Gehöft so, daß es weder den Gebäuden an Ländereien, noch den Ländereien an Gebäuden fehlt.“ Der Boden bestand aus Lehm und Sand; drei Arbeits- pferde und 14 Kühe wurden angeschafft und zwei Knechte und zwei Mägde in Dienst genommen. So war Thaer, nachdem er die Stadien des Blumisten und Gärtners durchgemacht hatte, zum Landwirth geworden. Er blieb noch Arzt, sogar ein beschäftigter, vielfach ausgezeichneter (1796 ward er zum Leibarzt des Königs Georgs III. ernannt), aber sein Herz, sein Sinnen und Trachten gehörte der „Wirthschaft“ draußen und die Sommermonate pflegte er, sammt seiner Familie, auf dem „Gute“ zu wohnen. Sein Leben war ein sehr ange- strengtes; die Frühstunden von 4—7 und der Spätabend gehör- ten seinen landwirthschaftlichen Studien, der Tag seinem ärztlichen Beruf. Nur die Passion half über Alles hinweg. Es lag ihm zunächst daran, seiner Umgebung augenscheinlich darzuthun, daß es einen Ackerbau gebe, der vollkommener und er- giebiger sei, als der, welchen man im Celle’schen Felde betreibe. Er wollte durch sein eignes Beispiel zeigen, wie man den Ackerbau, mit höchstem Unrecht, nur als ein Handwerk, ja oft noch geringer ansehe, in der Meinung, daß weniger Kunst dazu gehöre, einen Acker zu bestellen, als einen Schuh zu machen. Er wollte die Be- treibung dieses wichtigen, verwickelten, dieses unerschöpflich künst- lichen Gewerbes zu wohlverdienten Ehren bringen. Er stellte sich bei seiner kleinen Wirthschaft einen doppelten Zweck: den zum Theil widerstrebenden Boden in eine möglichst hohe Culturstufe zu heben und vor allem eine Experimental-Wirthschaft zu seiner eig- nen Belehrung und Förderung zur Hand zu haben. Selbstdenkend, aber auch Rath nicht verschmähend, wie gute Bücher oder bewährte Landwirthe ihm boten, ging er ans Werk. Er belächelte die Bauernweisheit, die damals, häufiger noch als jetzt, sich in dem Satze gefiel: „Ein günstiger Regen ist besser, als alles Geschreibse der Federfuchser,“ und zu seinen Lieblingssätzen gehörte der Ausspruch Zimmermanns: „Ein Trommelschläger, der in zwanzig Schlachten trommelte, weiß doch weniger vom Kriege, wie König Friedrich, als er eine gewonnen hatte.“ Gegen die Trommelschläger, die in zwanzig Schlachten getrommelt, zog Thaer jetzt zu Felde; auch seine ärztliche Praxis mochte ihm gezeigt ha- ben, daß es mit der „Erfahrung“ untergeordneter Naturen ein eigen Ding ist und daß sie nur da belehrt, wo eine Neigung vor- handen ist, sich belehren zu lassen. Wo diese Neigung fehlt, glau- ben die Männer der Erfahrung wohl an Tücken der Natur, aber nie an Fehler des Systems. Thaer begann die Anfänge einer rationellen Landwirthschaft in seinem Kopfe allmählig auszuarbeiten und fing mit der Auf- stellung gewisser Probleme an. Das erste Problem, dessen Lösung er zustrebte, war folgendes: die größte Masse zur thierischen Nahrung geeigneter Pflan- zen auf einer bestimmten Fläche Landes zu gewinnen. Das zweite nicht minder wichtige Problem bestand darin: die verschiedenen Fruch tkräfte jedes Bodens für die ver- schiedenen ihrer bedürftigen Fruch tarten so viel als möglich und in einer der Regeneration des Absorbirten günstigen Wechselfolge zu benutzen; also die Brache ent- behrlich zu machen. Die Lösung des ersten Problems fand er im Anbau der Fut- tergewächse , ganz besonders der Kartoffel, die Lösung des zwei- ten Problems in der seitdem siegreich durchgedrungenen „Lehre von der Fruchtfolge.“ Für die Kartoffel trat er überall in die Schranken und widerlegte alte Vorurtheile. Er wies darauf hin, daß die Irlän- der die stärksten und ältesten Kartoffelesser und zugleich, unter allen europäischen Racen, vielleicht die gesundeste, kräftigste und schönste seien; und dem Grafen Podewils, der ihn auf diesem Ge- biete freundlich bekämpfte, antwortete er in spätern Jahren: „der Herr Graf ist mein sehr verehrter Freund, aber der Kartoffelbau ist mein Kind.“ Seine Lehre von der „Fruchtfolge“ stieß Anfangs auf vielen Widerspruch und da er seine eignen Felder danach bestellte, pro- phezeihte man ihm, daß seine Aecker nach 4 Jahren völlig ausge- sogen sein würden. Thaer ließ sich das nicht anfechten. Schon Friedrich der Große hatte sich seinerzeit für ein rationelles aber constantes Tragen der Felder ausgesprochen und den Wider- spruch mit den Worten zurückgewiesen: „seh Er doch nur sein Gartenbeet an, wie das alljährlich trägt.“ Thaer war gewillt, die treffende Bemerkung des Königs sich selber gesagt sein zu lassen. Er überzeugte sich alsbald, daß der Acker nicht dadurch ausgesogen wird, daß man ihn alljährlich tragen läßt, sondern dadurch, daß man ihn nicht das tragen läßt, was er zur Wiederherstellung seiner Kräfte bedarf. Es führte das später zu dem Axiom, daß den Acker, wie den Menschen, nichts so sehr entnerve und aussauge, als das Nichtsthun , das Nichttragen ; aber auf das richtige , das ihm passende Tragen kommt es an. Das System des Fruchtwechsels (das die Brache ent- behrlich machte) trat nunmehr siegreich ins Leben, wiewohl zunächst nur mangelhaft und weitab von dem Grade von Vollkommenheit, dem es später entgegenging. Thaer überzeugte sich alsbald, daß es mit dem bloßen Saat - und Fruchtwechsel an und für sich nicht gethan sei, daß vielmehr eine genaue Kenntniß des Bodens voraus gehen müsse, um die für eine bestimmte Oertlichkeit jedes- mal vortheilhafteste Production von vornherein feststellen zu können. Wenn mancher Landwirth immerfort klagte, daß sein Lein fast all- jährlich mißrathe, so lachte Thaer, daß der Betreffende, ohne alle Noth, unverbesserlich darauf aus sei, seinen Lein selber bauen zu wollen und setzte hinzu: „ein Landwirth, der alles baut, was er braucht, ist ein Schneider , der sich seine Schuhe selber macht.“ Thaer verlangte von jedem Boden etwas, aber er verlangte nicht alles von allem, vielmehr machte er es zu einem besondern Gegen- stand seiner Studien, genau festzustellen, welche Producte jeder Boden, nach der ihm innewohnenden Eigenart , d. h. nach seiner chemischen Zusammensetzung, am ehesten hervorbringen könne. Wo — um auf das obige Beispiel noch einmal zurückzugreifen — kein Lein wachsen wollte, da gab er es auf, einen kümmerlichen Ertrag zu erzwingen und den Boden genau untersuchend, der eine Leinerndte verweigerte, stellte er nunmehr fest: auf einem Boden von der und der Beschaffenheit hat sich der Fruchtwechsel in dem und dem Kreise zu drehen, unter Ausschluß von Lein . Glück- licherweise begann eben damals die Wissenschaft, welche ganz be- sonders zur Bodenkenntniß hinführt, die Chemie , sich zu jener Stufe hoher Ausbildung zu erheben, auf der wir sie jetzt erblicken. Thaer widmete ihr die größte Aufmerksamkeit, und die chemische Zusammensetzung der verschiedensten Bodenarten mit ihrer speciellen Tragfähigkeit oder Unfähigkeit vergleichend, glückte es ihm, seine speciellen Erfahrungen zu allgemeinen Gesetzen zu erheben. Die Frucht aller dieser seiner Anstrengungen war, daß er auch seine schlechtesten Felder (indem er sich auf sie verstand) durch Fleiß und Nachdenken einträglich zu machen wußte und jeden Boden, nach Verhältniß seiner Güte und seines Werthes, bei kluger Bewirth- schaftung für einträglich erklärte. In einzelnen Kreisen, wenn auch nicht gerade in nächster Nähe von Celle, begann die kleine Thaer’sche Wirthschaft Aufmerk- samkeit zu erregen, einzelne Besucher kamen, Briefe wurden aus- getauscht, Anregungen gegeben und empfangen. Es ist aber nichts- destoweniger mindestens zweifelhaft, ob Thaer jemals aus seinem engsten Kreise herausgetreten und epochemachend für die Landwirth- schaft geworden sein würde, wenn sich nicht zu seiner praktischen Thätigkeit (deren wissenschaftliche Ausbeute bis dahin nur einem ziemlich eng gezogenen Kreise zu gute gekommen war) eine emsige Beschäftigung mit den Büchern, und als letzte Frucht praktischer Erfahrung und wissenschaftlichen Studiums, ein literarisches Auftreten gesellt hätte. Die deutsche landwirthschaftliche Literatur, die er in all ihren Erscheinungen kannte, hatte ihn im Einzelnen angeregt und be- lehrt, im Ganzen aber unbefriedigt gelassen. Dasselbe galt von den englischen landwirthschaftlichen Schriften, soweit er dieselben aus Uebersetzungen kennen gelernt hatte; er schloß sich dem Spott derer an, die damals von einer „Anglomanie“ (besonders in der Landwirthschaft) zu sprechen begannen und war — etwa gegen Anfang der 80er Jahre — der festen Ueberzeugung, daß auch aus England nichts zu holen sei und daß die deutsche Land- wirthschaft sich selber helfen müsse. Genau um diese Zeit war es, als ein glückliches Ohngefähr ihm einige englische landwirthschaftliche Schriften im Original zuführte. Wie war er freudig überrascht, darin die genauesten Be- obachtungen, die sorgfältigsten Versuche, die auch die kleinsten Ein- zelnheiten beachtenden Berechnungen, die lichtvollsten Verhandlungen und Forschungen zu finden! Das war ja genau, im Großen und Kleinen, was ihm als Ziel einer rationellen Landwirthschaft vor- geschwebt hatte. Das, wonach sein Streben ging, — die Eng- länder hatten es bereits . Seitdem studirte Thaer die englische Landwirthschaft mit solcher Aufmerksamkeit, daß Engländer selbst ihm zugestanden: er kenne England (obgleich er nie da war) wie wenn er es Jahre lang durchreist habe. Die Frucht dieser ernsten und anhaltenden Studien war sein berühmtes Werk, dessen erster Theil 1798 unter dem Titel er- schien: „ Einleitung zur Kenntniß der englischen Land- wirthschaft und ihrer neueren praktischen und theoretischen Fort- schritte, in Rücksicht auf Vervollkommnung deutscher Landwirth- schaft, für denkende Landwirthe und Cameralisten.“ Dies Werk „Einleitung zur Kenntniß der englischen Landwirth- schaft“ ist allerdings theilweis eine Compilation , aber es ist keine Uebersetzung . Thaers Arbeit ist aus der gründlichen Kenntniß und Benutzung von mehr als 100 englischen Werken hervorgegangen. Die englische landwirthschaftliche Literatur lieferte ihm das Material, eine Fülle von Details; das Zusammenfassen, Ordnen, Aufbauen — das Licht hin- eintragen in das Chaos, ist Thaers Verdienst. Der zweite Band folgte 1800 und 1801, der dritte Band 1804. In der- selben Zeit, von 1799—1804 erschienen die „ Annalen der Niedersächsischen Landwirthschaft “ (Sechs Jahrgänge). Das Aufsehen, das diese Bücher und Schriften machten, war ein ganz außerordentliches. Man begreift diesen Erfolg nur, wenn man im Auge behält, daß sich ganz Deutschland eben damals nach einem besseren Ackerbausystem sehnte. „Wie ein leitendes Ge- stirn erschienen diese Werke am Horizont, freudig begrüßt von der landwirthschaftlichen Welt.“ Nicht nur in Schriften, sondern auch in den Salons der Residenzen und in den Wein- und Bierstu- ben der Marktstädte, ward mit Enthusiasmus dafür, mit Wuth (denn auch an Gegnern fehlte es nicht) dagegen gestritten, oft von beiden Seiten gleich unverständig. Seine eignen Erfolge, die von Jahr zu Jahr wuchsen, unterstützten sein Ansehn, so daß ihm ein großer hannöverscher Grundbesitzer schrieb: „wenn ich diesen Abend einen Brief von Ihnen erhalte, daß ich meine Gebäude anstecken soll, so stehen sie vor Nacht schon in Flammen.“ Alles verlangte seinen Rath, erbat seine oberste Leitung, so daß demselben Manne (dazu noch immer „Leibmedieus“), dessen eignes Guts-Areal sich auf kaum 130 Morgen belief, 100,000 Morgen des verschiedensten Bo- dens derart zur Verfügung standen, daß er, in Ansehung der Be- wirthschaftung , damit schaltete und waltete wie mit seinem Eigenthum. Sein Buch aber gewährte ihm vor allem die Befrie- digung: „das Nachdenken besserer Köpfe über Landwirthschaft ge- weckt und zu energischerer Thätigkeit angespornt zu haben.“ Im Jahre 1802 traten auch die Anfänge seiner „ land- wirthschaftlichen Akademie “ in’s Leben. Diese Akademie er- wuchs organisch zwanglos; sie machte sich von selbst und ging mehr aus einem glücklichen Ohngefähr, als aus einem festen Ent- schluß hervor, wiewohl Thaer in seinen Schriften bereits auf das Wünschenswerthe eines landwirthschaftlichen Lehrinstituts hingewie- sen und seine Ideen darüber geäußert hatte. Im genannten Jahre kamen mehrere junge Männer (darunter der später, durch sein Buch „der isolirte Staat“, so berühmt gewordene Herr von Thü- nen ) nach Celle, um an Ort und Stelle die Methode und die Erfolge der Thaerschen Bestellungsart kennen zu lernen. Sie blie- ben den ganzen Sommer über. Um diese jungen Leute nicht un- beschäftigt zu lassen, entschloß sich Thaer ihnen Vorlesungen über Landwirthschaft zu halten und einigen Unterricht in der Natur- kunde, Chemie und Botanik hinzuzufügen. Der Fleiß und Eifer, womit man ihm entgegenkam, übertrafen seine Erwartung, aus den zwanglosen Vorlesungen wurde ein „Institut“, das, im Klei- nen, bereits all die Züge der später so berühmt gewordenen Mögliner Akademie besaß. So kam das Jahr 1804, das unsern Thaer nach Preußen führte. Schon 1799 und 1801 hatte er Reisen in die Mark, be- sonders in die Oderbruchgegenden gemacht und dabei die Frau von Friedland (Tochter des Generals von Lestwitz , der die Schlacht von Torgau entschied), sowie deren Tochter und Schwie- gersohn, den Landrath Grafen von Itzenplitz kennen gelernt. Der Aufenthalt in Kunersdorf, dem schönen Gute der Frau von Friedland, wo diese ausgezeichnete, mit allen Details der Wirth- schaftsführung vertraute Frau lebte, war ihm genuß- und lehr- reich gewesen und vielfach belehrt, erstarkt, ermuthigt, war er nach seinem Landgütchen an der Aller zurückgekehrt. Die Hauptbedeut- samkeit dieser Reisen lag aber darin, daß es die während seines Aufenthalts in Kunersdorf angeknüpften Beziehungen (besonders zum Grafen Itzenplitz) waren, die bald darauf zu seiner Ueber- siedelung nach Preußen führten. Die nächste Veranlassung zu dieser Uebersiedelung entsproß aus der politischen Lage, aus den damaligen großen Weltverhält- nissen. Der Wiederausbruch des Krieges zwischen Frankreich und England hatte zur Besetzung Hannovers (damals englisch) durch die Franzosen geführt. Die Noth des Landes schmerzte ihn tief; zwar hatte er persönlich unter der französischen Okkupation nicht zu leiden, da er durch General Mortiers Anordnungen (der Ge- neral behandelte ihn als Verfasser der „Englischen Landwirth- schaft“ mit besonderem Respekt) vor allem Kriegsunwesen gesichert wurde, allein sein persönliches Gesichertsein konnte ihn nicht trösten über die allgemeine Lage. In dieser Zeit war es, daß Thaer sein Auge auf Preußen richtete, auf Preußen, das er für die einzige feste Vormauer gegen hereinbrechende Anarchie und Despotismus hielt. Die Idee einer Uebersiedelung kam ihm; Briefe, nach Kunersdorf hin gerichtet, sprachen verwandte Wünsche aus und Graf Itzenplitz (übrigens bei Hardenberg und Beyme dem entschiedensten Entgegenkommen begegnend) führte mit Umsicht und Gewandtheit die ganze Ange- legenheit zu einem glücklichen Ende. Schon im Februar 1804 erhielt Thaer, in Folge der von dem bewährten Freunde getha- nen Schritte, einen Brief vom Minister Hardenberg, in dem es hieß: „Für mich würde nichts erwünschter sein, als die Möglich- keit, mich recht oft Ihres angenehmen und lehrreichen Umgangs erfreuen zu können, aber noch weit größer würde meine Zufrie- denheit sein, wenn ich Sie dem preußischen Staate erwerben könnte..... Eröffnen Sie mir freimüthig Ihre Wünsche und die Bedingungen, die Sie verlangen würden.“ Thaer reiste gleich nach Eingang dieses Briefes nach Berlin, um das Eisen zu schmieden, so lang es noch heiß sei. Schon am 19. März erhielt er folgen- des Königliche Schreiben: Mein Herr Leibmedicus! Ich habe mit Vergnügen ver- nommen, daß Sie entschlossen sind, sich in meinen Staaten niederzulassen und Ihr landwirthschaftliches Lehrinstitut hierher zu verlegen, wenn Sie für die mit dieser Veränderung verbundenen Schäden und Kosten entschädigt und in den Stand gesetzt würden, Ihre gemeinnützlichen Arbeiten für die Verbes- serung der Landwirthschaft, welche künftig vorzüglich die Lan- descultur in den preußischen Staaten bezwecken werden, fortzu- setzen. Da Ich Mir nun von Ihrem rühmlichst bekannten Eifer, Fleiße und Kenntnissen, den größten Nutzen für die Landes- cultur verspreche, so habe Ich Ihnen sehr gern die gemachten Bedingungen, wie Sie aus der abschriftlich anliegenden erlasse- nen Ordre ersehen werden, bewilligt und wünsche, daß Sie recht bald im Stande sein mögen, Ihre Niederlassung in Meinen Staaten auszuführen. Bis dahin verbleibe Ich Ihr gnädiger Friedrich Wilhelm . Die beigelegte Ordre enthielt (außer der Aufnahme in die Akademie der Wissenschaften und außer dem Charakter als Gehei- mer Kriegsrath) folgende Zugeständnisse: 1) drei bis vierhundert Morgen Acker des Amtes Wollup in Erbpacht; 2) die Erlaub- niß, diese Erbpacht zu veräußern und ein Rittergut dafür zu kau- fen; 3) Schutz und Begünstigung des landwirthschaftlichen In- stituts. Thaer nahm an; verkaufte den ihm in Erbpacht gegebenen Theil des Amtes Wollup (das später durch Koppe so berühmt wurde), erstand dafür das Rittergut Moeglin nebst dem Vor- werk Königshof , schloß im Herbst (1804) sein bis dahin in Celle fortgeführtes Lehrinstitut, „dem der Ruhm verbleiben wird, die erste landwirthschaftliche Lehranstalt in Deutschland gewesen zu sein“ und wanderte, einige Wochen später, mit 23 Per- sonen in sein neues Vaterland ein. Thaer hatte in Celle zunächst eine Experimental -Wirth- schaft, dann, — nachdem seine Versuche fast durchgängig von Er- folg gekrönt worden waren, — eine Modell -Wirthschaft geführt; in Moeglin wurde die Modell -Wirthschaft zu einer Muster - Wirthschaft. Hierin liegt der alleinige Unterschied zwischen der Cel- ler und der Moegliner Wirthschaftsführung ausgesprochen. Die Modell-Wirthschaft in Celle legte denen, die sie kennen gelernt hatten, die Mühwaltung, oft auch geradezu die Schwierigkeit des Transponirens aus kleinen in große Verhältnisse auf, die Moegliner Wirthschaft hingegen war für die Mehrzahl der Fälle ohne Weiteres ein Muster. Natürlich innerhalb der Grenzen, wie sie sich auf einem Gebiet, das einem lebendigen Organismus gleicht, von selbst verstehn. Moeglin war Muster , Celle war Modell , aber (den räumlichen Unterschied bei Seite gelassen) liefen beide Wirthschaften in ihren Prinzipien und Qualitäten auf dasselbe hinaus. Deshalb werden wir hier, nachdem wir die Celler Wirthschaft und die Prin- zipien, die sie zur Geltung bringen sollte, so ausführlich bespro- chen haben, bei der Moegliner Wirthschaft nur kurz verweilen und nur dasjenige betonen, wodurch sich dieselbe, nicht quantitativ, son- dern sachlich und qualitativ von der Celler Wirtschaft unterschied. Es war dies vorzüglich die Einführung einer veredelten Schafzucht , die Herstellung, mittelst kunstvoller Kreuzung, einer ausgezeichneten Wolle , der besten, die bis dahin in Deutschland producirt worden war. Die Kunst, die Thaer zwanzig oder drei- ßig Jahre früher, halb spielend, geübt hatte, als es sich in seinem Garten zu Celle (lange bevor er eine Wirthschaft hatte) um Ge- winnung immer neuer, immer schönerer Nelken- und Aurikel-Arten gehandelt hatte, — diese Kunst der Kreuzung kam ihm jetzt treff- lich zu Statten. Was ihm innerhalb der vegetabilischen Welt überraschend geglückt war, glückte ihm innerhalb der animalischen doppelt und dreifach. Er schien wie auserwählt für diesen wichti- gen Zweig landwirthschaftlicher Thätigkeit: physiologisches Wissen, angeborene feine Instinkte und eine glückliche Hand — alles ver- einigte sich bei ihm, um zu den überraschendsten Resultaten zu führen. Nicht gleich in den ersten Jahren seines Moegliner Aufent- halts, vielmehr erst 1811—13, nachdem Koppe als Gehülfe und Wirthschaftsführer bei ihm eingetreten war, hatte Thaer eine Schäferei — wozu er Merinoschafe aus Sachsen erhielt — ein- zurichten begonnen. Es ging auch nicht von Anfang an alles vor- trefflich, aber schon 1815 und 16 wurde seine Wolle auf dem Berliner Wollmarkt für die beste erklärt. 1817 schrieb er an seine Frau: „für mich ist der diesmalige Wollmarkt (in Berlin) zwar nicht der pekuniär beste, aber der gloriöseste, den ich erlebt habe. Meine Wolle ist 20 Prozent geringer verkauft, wie im vorigen Jahre, aber um 20 Prozent höher , wie irgend eine Wolle hier und in ganz Deutschland verkauft ist und werden wird. Unter allen Wollhändlern und allen Wollproducenten ist es ganz ent- schieden angenommen, daß meiner Wolle keine in ganz Europa nahe komme , viel weniger ihr an die Seite zu setzen sei. Dies ist so das Tagesgespräch geworden und so über das Gemeine hin- weggehoben, daß ich auch keine Spur des Neides bemerke. Jeder erkennt es an, daß ich das Außerordentliche errungen, worauf kein Anderer Anspruch machen kann. „ Solche Wolle, sagt man, kann man erzeugen , denn Moeglin hat sie erzeugt.“ Wenn ich auf den Markt komme, so steht alles mit dem Hut in der Hand. Ich heiße bereits der Wollmarktskönig!“ Thaer erzielte dies alles durch sein Kreuzungs-Prinzip und die geschickte, scharfsinnige Handhabung desselben. Jedem wäre es freilich nicht geglückt. Einem sehr erfahrenen Wollhändler sagte er: „zeigen Sie mir nur irgend ein Vließ, wie Sie es zu haben wünschen und ich werde Ihnen in der dritten oder vierten Gene- ration einen Stamm herstellen, der nur solche Vließe liefert.“ Man hielt dies für Uebertreibung, überzeugte sich aber bald, daß er nicht zuviel gesagt hatte. Es glückte ihm mit der Wollp ro- duktion, wie dem berühmten englischen Viehzüchter Backwell mit der Fleischp roduktion, der Schafe herstellte, die vor Beleibtheit auf ihren kurzen Beinen kaum gehen konnten, so daß er sich ver- anlaßt sah, allmälig wieder Schafe mit längeren Beinen zu ma- chen. Man sagte von ihm: es sei, als ob er sich ein Schaf nach seinem Ideale schnitzen und demselben dann das Leben geben könne. Dies paßte auf Thaer so gut wie auf Backwell. Es konnte nicht ausbleiben, daß das Thaer’sche Züchtungs- Verfahren, das geniale Operiren mit der Natur, auch Gegner fand. Diese warfen ihm vor, daß er bei seiner Art und Weise der Züchtung am Ende wohl gar die Natur dahin zu zwingen gedächte, wohin sie nicht wolle, und daß er sie dadurch schwächen und ermüden werde. Die Kunst aber werde nie die natürlichen 16 Anlagen ersetzen können. Er rechtfertigte sich mit Shakespeare’s tiefgeschöpfter Lehre (Wintermährchen IV, 3.): „Doch wird Natur durch keine Art gebessert, Schafft nicht Natur die Art; so, ob der Kunst, Die, wie du sagst, Natur bestreitet , giebt es Noch eine Kunst, von der Natur erschaffen . Du siehst, mein holdes Kind, wie wir vermählen Den edlern Sproß dem allerwildsten Stamm; Befruchten so die Rinde schlechtrer Art Durch Knospen edler Frucht: dies ist ’ne Kunst, Die die Natur verbessert , mind’stens ändert : Doch diese Kunst ist selbst Natur .“ Thaer erfuhr Angriffe, aber sie waren vereinzelt und speziell auf dem Gebiete der Schafzucht ward er mehr und mehr eine europäische Autorität. Bei Errichtung (1816) der beiden auf Rech- nung des Staats gegründeten Stammschäfereien zu Franken- felde in der Mark und zu Panten in Schlesien, wurde Thaer zum General-Intendanten derselben ernannt und 1823, als auf seine Veranlassung in Leipzig der erste „Wollzüchter-Convent“ zu- sammentrat, huldigte man ihm nicht nur als dem Präsidenten, sondern speziell auch als dem Meister der Versammlung. Aber der Weg zu diesen Erfolgen war ein weiter und mühe- voller. Unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen waren ihm die ersten Jahre seiner Moegliner Wirthschaftsführung vergangen. Zu den Sorgen und Fehlschlägen, die, namentlich nach dem un- glücklichen Kriege von 1806, alle damaligen Grundbesitzer trafen, gesellten sich für ihn noch ganz besondere Schwierigkeiten: sein relatives Fremdsein in der neuen Heimath und — das „Institut.“ Die Herstellung einer landwirthschaftlichen Lehranstalt war, wie oben bereits erwähnt, bei Thaers Uebersiedelung nach Moeg- lin allerdings in Erwägung gezogen, aber von Seiten der preu- ßischen Regierung mehr als ein Anspruch , den Thaer erheben könne, wie als eine Pflicht , die er zu erfüllen habe, angesehen worden. Thaer ging indeß sofort an die Errichtung eines „Insti- tuts“, ähnlich wie es in Celle bestanden hatte, vielleicht dabei eben so sehr seiner Neigung, wie der Vorstellung folgend, daß ein sol- cher Schritt (ob gefordert oder nicht) eine Pflicht sei, die er gegen seine neue Heimath zu erfüllen habe. Die Anfänge waren auch viel versprechend. Schon im Jahre 1805 traf er Vorbereitungen zum Bau eines Instituthauses; da es ihm indessen zu dem im Ganzen ziemlich kostspieligen Unternehmen an Mitteln gebrach, so machte er den Plan, den Bau auf Aktien zu unternehmen. Von allen Seiten kamen Zuschriften; schon im Juli 1806 konnte er bekannt machen, daß die Unterzeichnung nunmehr geschlossen sei. Ziemlich um dieselbe Zeit berichtete Thaer dem König (der an dem Zustandekommen des Unternehmens den lebhaftesten Antheil nahm), daß die Eröffnung des Moegliner Instituts in der Mitte Oktober erfolgen werde. In der That, das Wohnhaus mit 24 Zimmern, außer dem Souterrain, stand fertig da; 21 junge Leute hatten sich zum Eintritt gemeldet; Alles versprach einen glänzenden Anfang. Aber die Mitte des Oktober 1806 brachte andere Ereignisse; der siegreiche Feind überschwemmte die Marken und statt der an- gemeldeten 21 jungen Leute kamen drei . Im Frühjahr 1807 waren es acht. Die Zahl wuchs zwar später, da aber, bei der völligen Zerrüttetheit aller Geldverhältnisse, viele Söhne sonst wohl- habender Eltern mit ihren Pensionen im Rückstand blieben, an- dere, die Aktien genommen hatten, ihre Aktien-Beiträge nicht zah- len konnten, so entstanden, ohne daß von irgend welcher Seite her eine Verschuldung vorgelegen hätte, die schwersten Verlegen- heiten für Thaer selbst, der, dem guten Sterne Preußens ver- trauend, in freilich schon bedrohter Zeit, dies Institut in’s Leben gerufen hatte. Sechs Jahre später, während des Befreiungskrie- ges, wiederholten sich diese Verlegenheiten. Alles war in den Krieg (auch Thaers drei Söhne) und so kam es, daß die Einrichtung, die doch einmal da war, ohne Verlust weder aufgegeben noch fort- geführt werden konnte. In Noth und Sorge schrieb er seiner da- mals abwesenden Frau: „Wollte Gott, daß ich das Institut nicht 16* angelegt hätte, denn es ist die Quelle aller Verlegenheiten und Sorgen geworden. Aber es ist für unser Land zu wichtig, und nun es einmal da ist, muß es bleiben.“ Ein Glück, daß es blieb. Mit dem Frieden kamen gesegnetere Zeiten und wie Thaer, wäh- rend des letzten Jahrzehnts, das ihm noch zu leben und zu wir- ken vergönnt war, seinen Ruhm wachsen und die verschiedenen Zweige seiner Wirthschaft prosperiren sah, so hob sich auch das „Institut“ (seit 1819 „ Königliche akademische Lehranstalt des Landbaus “) von Jahr zu Jahr an Ausdehnung und An- sehn. Anfangs hatte Thaer es für das Zweckmäßigste gehalten, das Instituthaus auf den Fuß eines Gast - und Logierhauses zu setzen, damit jeder Akademiker nach Vermögen, Geschmack und Ge- wohnheit leben und zehren könne. Allein das erwies sich bald als nachtheilig für alle Theile. Nur ungern entschloß er sich endlich dazu, einen gemeinschaftlichen Mittags- und Abendtisch zu halten. Die Mitglieder des Instituts waren, nach Thaers aus- drücklicher Bestimmung, nicht Studenten im gewöhnlichen Uni- versitätssinne. Am wenigsten waren sie Schüler . Thaer äußerte sich dahin: „Schulmeister können wir nicht sein, sondern müssen unsere Zuhörer wie freie, vernünftige Männer betrachten, die nur allein ein lebhafter Trieb zu den hier zu lehrenden Wissenschaften zu uns geführt. Kein Zwang. Aber freilich würde es andererseits schmerzlich für uns sein, wenn wir uns zu der sonst bewährten Maxime gezwungen sähen: „sumimus pecuniam et mittimus asinum in patriam.“ — Das Institut wurde von einer ähnlichen Bedeutung für unser Land, wie die „Forst-Akademie“ in dem be- nachbarten Neustadt-Eberswalde. Die große Wirksamkeit dessel- ben, so lang es existirte, hat darin bestanden, daß durch die vielen darin gebildeten, später dann zur Selbstständigkeit gelang- ten Männer, eine höhere, umfassendere Ansicht des landwirthschaft- lichen Betriebes weiter und allgemeiner verbreitet worden ist, als je durch Schriften hätte geschehen können . Namentlich hat es das siegreiche Vordringen der Thaer’schen Prinzipien beschleu- nigt und um eins (nicht das Kleinste) speziell hervorzuheben, ein Zurückversinken der landwirthschaftlichen Sprache und Ausdrucks- weise in das alte, wirre Chaos unmöglich gemacht. Etwa seit Jahr und Tag, nachdem es noch im Jahre 1856 das 50jährige Fest seines Bestehens gefeiert hatte, ist das Institut eingegan- gen. Es war das, bei total veränderten Zeitverhältnissen, das Verständigste, was geschehen konnte. Der gegenwärtige Besitzer von Moeglin (Landes- ökonomierath A. Thaer, der jüngste Sohn seines Vaters) hatte die Aka- demie wie eine Ehren-Erbschaft angetreten und hielt es, durch dreißig Jahre hin, für seine Pflicht, die Schöpfung seines Vaters, selbst mit Opfern, aufrecht zu erhalten. Es kam aber endlich die Zeit, wo das Ge- fühl, durch ähnliche Institute, die der Staat mit reichen Mitteln ins Le- ben gerufen hatte, überflügelt zu sein, sich nicht länger zurückweisen ließ und wo die Wahrnehmung eines wachsenden Mißverhältnisses zwischen Aufgabe und Opfer endlich den Rath eingab, diese Opfer einzustellen. Das ist nun geschehen. Es wird der Moegliner Akademie nicht nur das Verdienst verbleiben, als erstes Institut derart und als Muster aller folgenden in Deutschland dagestanden zu haben, es wird sich zu diesem Verdienst auch die Ehre gesellen: zu rechter Zeit vom Schauplatz abgetre- ten zu sein. 773 Landwirthe haben im Lauf eines halben Jahrhunderts ihre wissenschaftliche Ausbildung in Moeglin empfangen, und was die Landwirthschaft in unsren alten Provinzen jetzt ist, das ist sie zum großen Theil durch Thaer und seine Schule. Natürlich sind „die Jungen immer klüger als die Alten“ und der „überwundene Standpunkt“ spielt auch hier seine Rolle; aber selbst unter den Fortgeschrittensten wird niemand sein, der undankbar genug wäre, die schöpferische Bedeutung Thaers und mittelbar auch seiner Akademie in Zweifel zu ziehen. Wir wenden uns zum Schluß noch einmal der literari- schen Thätigkeit Thaers zu. Auch in Moeglin, wie Körte sich ausdrückt, war Thaer eben so thätig am Schreibtisch , wie auf dem Ackerfeld . In den ersten 10 Jahren seines Moegliner Aufenthalts würde es ihm sogar sehr schlimm ergangen sein, wenn der Erwerb seiner Feder nicht dem stockenden Erwerb des Pfluges zu Hülfe gekommen wäre. Mannigfaches erschien in jenen Jahren von ihm; vor allem jedoch sei hier seines Meisterwerkes gedacht, das unter dem Titel „ Grundzüge der rationellen Landwirthschaft “ (4 Bände) 1810—12 veröffentlicht wurde. Das Werk, wie alle Welt jetzt weiß, war epochemachend. Dennoch hätte er sich schwerlich schon damals zur Herausgabe desselben verstanden, wenn nicht die pres- sende Noth, in der er sich befand, ihm keine Wahl gelassen hätte. Er beklagte dies oft, denn wie groß die Freude gewesen war, mit der die landwirthschaftliche Welt dieses Werk begrüßt hatte, ihm selbst genügte es keineswegs . Wir können indeß auf Thaer und sein berühmtes Werk anwenden, was Luther einst bei Tisch vom Melanchthon sagte: „Magister Philippus hätte Apologiam confessionis zu Augsburg nimmermehr geschrieben, wenn er nicht wäre so getrieben und gezwungen worden; er hätte wollen es immer noch besser machen .“ Die „rationelle Landwirthschaft“ hat verschiedene Auflagen erlebt und ist in verschiedene Sprachen übersetzt worden; zu einer Umarbeitung aber ist Thaer nicht ge- kommen, wie sehr dieselbe auch innerhalb seiner Wünsche lag. Die anderweiten Schriften seiner Moegliner Epoche (worunter nament- lich verschiedene Bücher und Brochüren über Schafzucht und Wollproduktion) übergehen wir hier. Es mögen statt dessen von ihm selbst herrührende Worte hier Platz finden, die ihn uns, bis in sein hohes Alter hinein, von einer seltenen Frische des Geistes und von einer steten Geneigtheit zeigen, das Gute durch das Bes- sere zu ersetzen. „Meine Meinung, so schreibt er, habe ich über verschiedene Dinge in meinem Leben oft geändert, und hoffe es, wenn mir Gott Leben und Verstand noch länger erhält, noch mehrmals zu thun. Es freut mich immer, wenn ich Gründe dazu habe, denn so komme ich in meinem Wissen vorwärts. Ich halte den für einen Thoren, der in Erfahrungssachen seine Meinung zu ändern, nicht geneigt ist .“ Wir werfen noch einen Blick auf die letzten Jahre seines Lebens. Nachdem er schon seit 1810 und 11 mittelbar im Staats- dienst thätig gewesen und z. B. 1813 schon eine Gemeinheit- theilungs-Ordnung (eine Angelegenheit, mit der er auch später praktisch viel beschäftigt war) entworfen hatte, wurde er 1819 zum Geheimen Ober-Regierungsrath ernannt. 1823 folgte der schon erwähnte Leipziger Wollconvent, dem er präsidirte; das Jahr darauf (1824) feierte er unter zahlreicher Betheiligung von nah und fern sein Doktor-Jubiläum. Unter den vielen Geschenken und Ueberraschungen, die der Tag brachte, war auch ein Goethe- sches, eigens für diesen Tag gedichtetes Lied: Wer müht sich wohl im Garten dort Und mustert jedes Beet? 1825 auf 26 erweiterte er seinen Besitz durch Ankauf der benachbarten Rittergüter Lüdersdorf und Biesdorf, und der neue Besitz regte seinen landwirthschaftlichen Eifer noch einmal auf das Lebhafteste an. Aber das Feuer war im Erlöschen. Schon das Jahr zuvor hatte er an seinen Schwager Jacobi in Celle ge- schrieben: „Wir haben nun bald unsere Laufbahn auf dieser Welt vollendet. Wir können vor vielen Andern sagen, daß unser Leben köstlich gewesen, aber doch nur ein elend jämmerlich Ding. Mit Sehnsucht erwarten wir ein anderes; Gott erleichtere uns den Uebergang in dasselbe.“ Noch einige Jahre waren ihm gegönnt, aber Schmerzensjahre. Er litt an rheumatischen Beschwerden, end- lich bildete sich ein schmerzhaftes Fußleiden aus, der Alters- brand . Er litt sehr. Des berühmten Dieffenbach Heilversuche schafften vorübergehend Linderung, aber die Uhr war abgelaufen: Thaer entschlief am 26. Oktober 1828. Thaer war von mittlerer Größe, fein und schlank gebaut, in allen Theilen von gutem Verhältniß, und von fester, ruhiger, im- mer bequemer Haltung und Bewegung. Sein Aeußeres war im Ganzen nichts weniger als imponirend, hatte jedoch etwas trocken Ablehnendes, so daß sich der Fremde nicht leicht auf den ersten Blick zu ihm hingezogen fühlte. Seine Züge zeigten nicht viel Beweglichkeit; der Mund war geschlossen, zurückgezogen, schweig- sam, aber mit dem unverkennbaren Ausdruck der absichtslosesten Güte. Seine Augen waren rechte Künstleraugen, sehr bedeutend und von ungewöhnlicher Klarheit; dabei ruhig prüfend, man fühlte, daß er auch den verborgenen Fleck traf. Sein gutes, wei- ches Herz verrieth sich leicht, auch bei geringerer zufälliger Anre- gung. Was man jedoch ein gefälliges Wesen nennt, war ihm so wenig eigen, wie jede Art oberflächlicher Liebenswürdigkeit. Als Schriftsteller innerhalb seines Fachs gehört Thaer in den höch- sten Rang. Er war nicht eigentlich ein erfindendes Genie, aber er fand seine Stärke in der beharrlichsten Anwendung seines gesun- den Verstandes und sehr ausgebildeten Scharfsinns. Daß er gleich anfangs sich einer fast allgemeinen Anerkennung zu erfreuen hatte, verdankte er ganz vorzüglich seiner Aufrichtigkeit und Treue in Erzählung von Thatsachen und der edlen Offenherzigkeit , mit welcher er auch das erzählte, worin er sich früher geirrt hatte. Das Bewußtsein seines großen Ziels machte ihn stark, fest, be- harrlich, muthig; seine Leistungen aber schienen ihm immer unzu- länglich, ja selbst geringfügig gegen das, was seiner Seele vor- schwebte. Ein Jagen nach Berühmtheit, wie es sich bei weniger Begabten so oft findet, blieb ihm durchaus fremd. Untersuchen, forschen, prüfen, war ihm von Jugend auf wie zur zweiten Na- tur geworden und die Verse Hagedorns erschienen wie an ihn gerichtet: Der ist beglückt, der sein darf, was er ist , Der Bahn und Ziel nach eignem Auge mißt; Nie sklavisch folgt, oft selbst die Wege weiset, Ununtersucht nichts tadelt und nichts preiset. Sein Leben, wie er selbst schreibt, war köstlich gewesen, den- noch empfand er zuletzt die „Sehnsucht nach einem anderen“, wo kein Suchen und kein Forschen ist. Wir aber, die wir noch in- mitten des Kampfes stehn, den die Erde von uns heischt, haben ihm zu danken, daß er gesucht und geforscht . Nachdem wir bis hieher dem Manne gefolgt sind, dessen Name unzertrennlich von dem Namen Moeglins geworden, wen- den wir uns nunmehr wieder der Stätte zu, wo er gelebt. Moeglin, auch äußerlich genommen, ist (wenn man den Aus- druck gestatten will) „ nur Thaer “, und in diesem Umstand liegt sein Reiz und seine Eigenthümlichkeit. Im Uebrigen wirkt das ganze Dorf fast wie eine Ueberraschung . Etwas in der Tiefe gelegen und durch keinen Kirchthurm in die Weite hin verrathen, tritt man plötzlich, unter alten Bäumen hindurch, wie in ein Camp, eine Niederlassung ein und hat hier, malerisch gruppirt, alles zusammen, was zur Bedeutung und zur Poesie des Ortes gehört. Den Mittelpunkt des Ganzen bildet ein Teich, den nach rechts hin hohe Schilfwände, nach links hin hohe Erlenbäume umfassen. Diesseits des Teichs, neben der Stelle, wo wir uns selbst befinden, steht die alte Feldsteinkirche, von einer Linde, die nicht viel jünger sein mag als die Kirche, überschattet. Jenseits des Teichs, freundlich blinkend im Schmuck eines angebauten Glashauses, steht das Wohngebäude; dahinter ein Haus von ähnlicher Größe — die ehemalige Akademie. Die Wirthschafts- gebäude, darunter die berühmte Stammschäferei, verstecken sich zum Theil hinter den hohen Bäumen, die den engen Kreis des Bildes (Teich, Kirche, Wohnhaus, Akademie) umzirken. Persönlichkeiten, von zum Theil hervorragender Stellung in Leben oder Wissenschaft, drängten sich an dieser Stelle während der letzten 50 Jahre und so darf es nicht Wunder nehmen, daß jeder Fußbreit Erde hier seine Erinnerungen hat. Am Südrande des Teichs, der Kirche zunächst, fällt uns eine Erdpyramide auf, von Blumen überdeckt und terrassenförmig sich zuspitzend. Es ist ein Grabhügel. Unter ihm ruht Albrecht Thaer, und auf den Treppenstufen des Hügels, der mehr ein Blumengarten als ein Grab ist, blühen, den Sommer hindurch, 400 Blumen jahrein, jahraus. Am Westrande des Teichs bemerken wir den zersplitterten Stamm eines vom Winde abgebrochenen Baumes. Das sind die Ueberbleibsel der „Herzogs-Weide“ die hier stand. Zu den ersten Freunden und Genossen Thaers, bei seiner Uebersiedelung nach Moeg- lin, gehörte der Herzog von Holstein-Beck, damals (1804 auf 5) bereits ein Mann von nah an 50, ein Vertrauensmann des Kaisers Paul, wie er vorher ein Freund des Rheinberger Prinzen Heinrich gewesen war. Der Herzog lebte monatelang als Moegliner Gast, und diese Weide am Teich war sein bevorzugter Aufenthalt, wo er zu sitzen und zu sinnen liebte. Es durfte wohl so sein. Die Zweige des Baumes hingen in den Teich nieder, das blaugraue Laub war doppelt schön auf einem Hintergrund dunkler Erlen, und der an der Wurzel 7 Fuß dicke Stamm theilte sich höher hinauf in zwei Stämme. Zwischen diesen hatte der Herzog seinen Platz. Beim Abschied schrieb er, in dankbarer Erinnerung an die hier verträumten Stunden: Gedenkt auch ihr an dieser Stelle Des Freundes, der hier oftmals saß, Und bei dem stillen Spiel der Welle Die weite Welt um sich vergaß. Es wird sein Geist euch hier umschweben, Sein Dank an eurer Seite sein; Hier erst erfaßt’ er wahres Leben Und lernte, schaffend, glücklich sein. Das Wohngebäude, reich an Erinnerungsstücken aller Art, an Bildern und Büsten, ist fast eben so sehr ein Thaer-Mu- seum , als ein Wohnhaus. Auf Namhaftmachung dieser Erinne- rungsstücke (meist Darbringungen von nah und fern) leisten wir hier Verzicht; ebenso auf eine Schilderung des Akademie-Gebäu- des, der Lehr- und Wohnzimmer, der Bibliothek und der natur- wissenschaftlichen Sammlungen, die sich darin vorfinden. Wir verweilen nicht bei diesen Dingen, die, trotz ihrer sach- lichen Bescheidenheit, an die ersten glänzenden Jahre der Akademie erinnern, wir treten lieber aus den öden Zimmern wieder in’s Freie, wo ein zierlicher in Front des Gebäudes aufsteigender Obelisk an ein schönes Fest (vielleicht das schönste) mahnt, das hier gefeiert wurde; freilich zugleich auch an das Erlöschen der Flamme, die hier einst brannte. Die Inschrift des Obelisken be- zeichnet die Art des Festes. Sie lautet: „Zur Erinnerung an das 50jährige Bestehen der landwirthschaftlichen Akademie zu Moeglin, im Oktober 1856.“ An der andern Seite befindet sich Thaers Reliefbild; darunter die Namen aller Schüler, die zur Errichtung dieses Denksteins beitrugen. Diese Feier, wie sie das halbhundertjährige Bestehen bezeich- nete, und einem 50jährigen Leben galt, bezeichnete doch auch zu- gleich den „Anfang vom Ende“, und die leise Mahnung klang durch, „daß es Zeit sei.“ Vielleicht gab diese Stimmung dem Fest eine besondre poetische Weihe. Viele waren gekommen, alt und jung, um dieser Stätte und dem Gedächtniß des Mannes, der hier in seltenem Maße segensreich gewirkt hatte, ihren Dank dar- zubringen. Dieser Dank fand in dem Liede eines jüngeren Fest- genossen seinen Ausdruck. Das Lied, das wir aus dem Gedächtniß wiedergeben, lautet: Es steht in preuß’schen Landen Ein Kirchlein alt und stumm, Und rings an seinen Wanden Schlingt Epheu sich herum. Und Schatten streut die Linde, Ein uralt mächt’ger Stamm, Die grüne Kron’ im Winde Sie neigt sich dann und wann. Und neben dieser Stelle, Da liegt der schöne Teich, Es plaudern mit der Welle Die Zweige allzugleich. Und zwischen Teich und Linde, In Stufen auf und ab, (Kein schöner Grab ich finde) Da liegt ein Blumengrab. Und drunter schläft in Frieden Nach ruheloser Bahn, Ein Mann, dem viel beschieden, Der viel geschafft, gethan. Er hat den Sieg erstritten In Arbeit und in Ehr, Er ist vorangeschritten — Wir folgen Vater Thaer. Wir aber nehmen Abschied jetzt von dieser Stätte und von Moeglin. Unser Heimweg führt uns an dem Grabhügel vorüber, der in Blumen steht, roth und weiß, als gäb’ es keinen Herbst und kein Scheiden. Die alte Steinkirche daneben, die schon so vieles überdauert, wird vielleicht auch diesen Hügel überdauern, aber nicht das Andenken an ihn , der unter diesem Hügel schläft. Freienwalde. 1. Von Falkenberg nach Freienwalde. Die Stadt. Der Ruinenberg. Monte Caprino . Hier schmucke Häuschen schimmernd Am grünen Bergeshang; Dort Sicheln und Sensen blitzend Die reiche Flur entlang; Und weiterhin die Ebne, Die stolz der Strom durchzieht. … Uhland. Nehmt Kinder, nehmt! es ist kein Traum, Es kommt aus Gottes Haus. W. Müller. F reienwalde — hübsches Wort für hübschen Ort. Seine Recht- schreibung schwankt; aber ob wir Freienwalde schreiben (von „frei im Wald“) oder Freyenwalde (von Freya im Wald), in den Marken giebt es wenig Namen von besserm Klang. „Fehrbellin“ klingt schöner, poetischer vielleicht (wie Trompetensignale hallt es dazwischen), aber Freienwalde ist lachender, hat freundlicheren Klang. Viele Wege führen nach Freienwalde; dies hat es mit be- rühmteren Plätzen gemein. Wir wählen heute nicht die kürzeste Strecke quer über das Plateau des Barnim hin, sondern die üblichste, über Neustadt-Eberswalde, die, trotz des Umwegs, am raschesten zum Ziele führt. Bis Neustadt — Eisenbahn, von da aus Post. Der Neustädter Postillon, einer von den alten, mit zwei Tressen auf dem Arm — bläst zum Sammeln, und während links die weiße Wolke des weiter dampfenden Zuges am Horizont ver- schwindet, biegt unser Postwagen rechts in die Chaussee ein, die uns, auf der ersten Hälfte des Weges, abwechselnd über Thal und Hügel, dann aber, vom schönen Falkenberg aus, am Fuße des Barnim-Plateau’s hin, dem Zielpunkt unserer Reise entgegenführt. Wie oft bin ich dieses Weges gekommen! um Pfingsten, wenn die Bäume weiß waren von Blüthen, und um Weihnachten, wenn sie weiß waren von Schnee; heut aber machen wir den Weg zur Pflaumenzeit und freuen uns des Segens, der lachend und ein- ladend zugleich an den gestützten Zweigen hängt. Es ist um die vierte Stunde, der Himmel klar, und die niedersteigende Sonne kleidet die herbstliche Landschaft in doppelt schöne Farben. Der Wagen, in dem wir fahren, hindert uns nicht, uns des schönen Bildes zu freuen; es ist keine übliche Postchaise mit Ledergeruch und kleinen Fenstern, es ist einer von den großen Sommerwagen, wie sie zur guten Jahreszeit zwischen Neustadt und Freienwalde auf- und abfahren, ein offnes Gefährt mit 20 Plätzen und einem „Himmel“ darüber, der auf 4 Stangen ruht. Dieser „Himmel“ — die Urform eines Baldachins, der Wagen selbst aber dem alten Geschlecht der Kremser nah verwandt, an deren Stelle mehr und mehr das Kind der Neuzeit „der Omnibus“ zu treten droht. In leichtem Trabe geht es auf der Chaussee wie auf einer Tenne hin, links Wiesen, Wasser, weidendes Vieh und schwarze Torfpyramiden, rechts die steilen, aber sich buchtenden Hügel- Wände des Plateaus, deren natürlichen Windungen die Straße folgt. Aber nicht viele befinden sich auf unserem Wagen, denen der Sinn für Landschaft aufgegangen; — Erwachsene haben ihn selten und Kinder beinah nie. Die Besatzung unseres Wagens be- steht aber (drei Mütter abgerechnet) aus lauter Kindern, und wäh- rend mein Auge sich links hält und den Maschen des blauen Wassernetzes folgt, wenden sich die Kinderaugen immer begehrlicher dem näher liegenden Reiz des Bildes — den blauen Pflaumen zu. In vollen Büscheln hängen sie da, eine verbotene Frucht, aber desto verlockender. „Die schönen Pflaumen“ klingt es von Zeit zu Zeit, und so oft unser Kremser den Bäumen nahe kommt, fahren etliche kleine Hände zum Wagen hinaus und suchen die nächsten Zweige zu haschen. Aber umsonst. Die Bewundrung fängt schon an (wie immer in solchen Fällen) in Mißstimmung überzugehen. Da endlich be- schleicht ein menschliches Rühren das Herz des Postillons und auf jede Gefahr, selbst auf die der Pfändung und Anzeige hin, links einbiegend, fährt er jetzt mit dem wachsleinenen Baldachin mitten in die Zweige des nächsten Baumes hinein. Ein Meistercoup. Wie aus einem Füllhorn, fällt es von Front und Seite her, in den Wagen hinein; alles greift zu; der kleinste aber, ein Blondkopf, der vorne sitzt und die Leine mit halten darf, als führ’ er selber, deklamirt jetzt, auf den schmunzelnden Postillon zeigend: Das ist der Daum, Der schüttelt die Pflaum’ und während alle Insassen des Wagens, jung und alt, in den Kinderreim mit einstimmen, geht es an Landhäusern und Wassermühlen, an Gärten und Fischernetzen vorbei, in das hübsche aber holprige Freienwalde hinein. Freienwalde ist eine Bergstadt, aber nicht minder ist es ein Badeort, eine Fremdenstadt . Wir haben erst eine einzige Straße passirt und schon haben wir fünf H ô tels und eine Hof-Apotheke gezählt; noch sind wir nicht ausgestiegen und schon rasseln andere Postwagen von rechts und links heran; das Blasen der Postillone nimmt kein Ende; Herren in grünen Reiseröcken und Tyroler Spitzhüten wiegen sich auf ihren Stöcken und umstehen das Post- haus, blos in der vagen Hoffnung, ein bekanntes oder gar ein hübsches Gesicht zu sehen; Hausknechte erheben ihre Stimme zu Ehren der „drei Kronen“ oder der „Stadt Berlin“, und die ersten Anfänge des Ciceronethums, räthselhafte Gestalten in Flaußröcken und Strohmützen, stellen sich schüchtern dem Neu-Ankommenden vor und erbieten sich ihm die Schönheiten der Stadt zu zeigen. Nur der fliegende Buchhändler fehlt noch, der die „Schönheiten Freienwalde’s“, besungen und lithographirt, mit beredter Zunge anzupreisen verstände. Freienwalde ist ein Badeort, eine Fremdenstadt und trägt den Charakter davon zur Schau; was ihm aber ein ganz eigenthüm- liches Gepräge giebt, das ist das, daß alle Bade- und Brunnen- gäste, alle Fremden, die sich hier zusammen finden, eigentlich keine Fremden, sondern märkische Nachbarn, Fremde aus nächster Nähe sind. Dadurch ist der Charakter des Bades vorgeschrieben. Es ist ein märkisches Bad und zeigt als solches in allem jene Schlichtheit und Leichtbegnüglichkeit, die (einzelne Residenz-Aus- nahmen zugegeben) noch immer einen Grundzug unseres märkischen Wesens bilden. Zum Theil viel mehr noch, als wir selber wissen. Freienwalde ist kein Roulette- und Equipagen-Bad, kein Bad des Rollstuhls und des galonnirten Bedienten, am wenigsten ein Bad der 5 mal gewechselten Toilette. Der breite Stempel, den die ächten und unächten Engländer seit 50 Jahren allen europäischen Badeörten aufzudrücken wußten, hier fehlt er noch, hier ist der complicirte „Breakfast-Tisch“ noch ein kaum geahntes Geheimniß, hier wird noch gefrühstückt , hier sucht noch kein grüner und schwarzer Thee die alte Herrschaft des Morgenkaffee zu untergra- ben, hier herrscht noch die vaterländische Semmel und weiß nichts von Butter-Toast und Muffin, des Luftbrodes ( aêrated bread ) und anderer Neuerungen von jenseit des Kanals ganz zu geschweigen. Und einfach wie die Frühstücksfrage, so löst sich auch die Frage des Kostüms. Der Shawl, der früher eine Mantille, oder die Mantille, die früher ein Shawl war, der Hut mit der neuen „Rüsche“, der Handschuh, der drei mal durch die Brönner-Probe ging, — hier haben sie noch Hausrecht, und das 12 Jahr ge- diente Leihbibliothekenbuch, hier ruht es noch frei und offen, auf dem Antimakassar-Stuhl, mit der ganzen Unbefangenheit eines guten Gewissens. Nichts von Hyperkultur, wenig von Comfort. Während überall sonst ein gewisser Kosmopolitismus die Eigenart jener Städte, die das zweifelhafte Glück haben „Badeörter“ zu sein, abzuschwächen oder ganz zu verwischen wußte, ist Freienwalde eine märkische Stadt geblieben. Kein Wunder. Nicht der Welt- tourist, nur die Mark kehrt hier bei sich selber zum Be- suche ein . Freienwalde, wie wir sahen, ist eine Bergstadt; Bergstädte aber sind selten die Stätten einer glänzenden Architektur. Die Häuser, überall ein „bestes Plätzchen“ suchend, schaffen mehr Gas- sen und Winkel als eigentliche Straßen, und das Beste, was wir von Freienwalde zu sagen wissen, ist, daß es von dem bedenklich- pittoresken Vorrecht wirklicher Bergstädte keinen allzustarken Ge- brauch macht. Die Buden-Gasse, der seidene Beutel, der Köter- oder Rosmarinweg sind freilich Lokalitäten, die dem Klange ihres Namens so ziemlich gleich kommen, aber der Marktplatz mit seiner kahlen Geräumigkeit (nur Raum , nur Weite ) macht vieles wie- der gut. Weite hier und Enge dort, hätten sich gegenseitig aus- helfen können. Die Schönheit der eigentlichen Stadt ist mäßig, ihr Reiz liegt draußen auf den Bergen. Diesen Bergen verdankt es Alles, was es ist: von dort aus kommen seine Quellen und von dort aus gehen die „Blicke“ in’s Land hinein. Diese Quellen aber und diese Aussichtspunkte sind es, die die Stadt zu einem Brunnen- und Fremdenort gemacht haben. Wer nicht kommt, um hier die Eisenquelle zu trinken, der kommt doch um einen Blick in die „märkische Schweiz“ zu thun. Diesen Freienwalder Bergen nun, den Hütern, Wächtern und zum Theil den Ernährern der Stadt, schreiten wir jetzt zu. Zunächst der Ruinenberg . Er erhebt sich unmittelbar im Rücken der Stadt und hat mit dem bekannten Potsdamer „Brau- hausberge“ das eine gemein, daß er, wie dieser, gleichsam die älteste Aussichts-Firma und nach Ansicht vieler noch immer die bestfundirte, repräsentirt. Er ist am leichtesten zu ersteigen; das ist eins, was ihn empfiehlt. Keine Schneckengänge winden sich endlos hinauf, bequeme Terrassen bilden den Weg, und (die Aussicht auf Gärten rechts und links), so erreicht man die Höhe, plaudernd- 17 leicht, als stiege man die Treppen eines Renaissance-Schlosses hinan. Der Blick vom Ruinenberg aus hat nur in Front eine Bedeu- tung, wo man zunächst auf die malerisch in der Tiefe liegende Stadt, dann über die Thürme und Dächer hinweg in die duftige Frische der Bruchlandschaft hernieder blickt. Wie ein Bottich liegt das weitgespannte Oderbruch da, durchströmt von drei Wasserarmen: der faulen, alten und neuen Oder, und eingedämmt von Bergen hüben und drüben, die, wie eben so viele Dauben, die grüne Bottich- tiefe umstehn. Meilenweit nur Wiesen; keine Fruchtfelder, keine Dörfer, nur Heuschober dicht und zahllos, die, immer kleiner und grauer wer- dend, am Horizonte endlich zu einer weidenden Heerde zusammenzu- schrumpfen scheinen. Nur Wiesen, nur grüne Fläche; dazwischen einige Kropfweiden; ’mal auch ein Kahn, der über diesen oder jenen Arm der Oder hingleitet, nur selten ein Fuhrwerk (natürlich mit Heu be- laden) oder ein Ziegeldach, dessen helles Roth wie ein Lichtpunkt auf dem Bilde steht. Der Anblick ist schön in seiner Art, und wessen Auge krank geworden ist in Licht und Staub und all dem Blendwerk großer Städte, der wird hier Genesung feiern und dies Grün begrüßen wie ein Durstiger einen Quell begrüßt; aber der Anblick, so erlabend er ist, leidet doch Einbuße durch seine Mono- tonie. Auf Meilen hin dasselbe. Erst weiter südwärts, nach Frank- furt zu, verändert das Bruch seinen Charakter: Fruchtfelder treten an die Stelle der Wiesen, Dörfer reihen sich aneinander und schaffen ein Bild voll Schönheit und Fruchtbarkeit, wie es die Mark in dieser Vereinigung nicht zum zweiten Male besitzt. Aber diese Landschaftsbilder sind von hier aus noch meilenweit entfernt. Der Ruinenberg blickt weit in’s Bruch hinein, wodurch er sich indessen von den Nachbarbergen am wesentlichsten unterscheidet, das ist sein Blick auf das ihm zu Füßen liegende Freienwalde. Außerdem hat er seine historischen Traditionen; Erinnerungen, denen wir es nicht zum Bösen anrechnen wollen, daß sie sich in sagen- hafte Vorzeit verlieren. Es hat dies folgenden Zusammenhang. Bei Nachgrabungen, die im Spätherbst 1820 hier angestellt wurden, stieß man, etwa 4 Fuß tief unter der Erde, auf Fundamente, die nach sorglicher Ausmessung eine Länge von 136 Fuß ergaben. Es war just die Zeit, wo man hierlandes in die vor-wendische Zeit zurückzusteigen und die alte Mark, als ein ehemaliges ur- germanisches Land, mit Longobarden und Semnonen zu bevölkern trachtete. Das Bade-Comité — wie alle Bade-Comités — stand natürlich auf der Höhe seiner Zeit. Die Folge davon war, daß Seitens desselben das 136 Fuß lange Fundament ohne Weitres als die Seitenwand eines Freya-Tempels festgestellt, zugleich aber (zwei Fliegen mit einer Klappe schlagend) jeder etymologische Zwei- fel über „Freienwalde“ oder „Freyenwalde“ ein für allemal be- seitigt wurde. Das Fundament selbst, alsbald an’s Licht geschafft, erfuhr eine doppelte Verwendung. Die eine Hälfte ward ohne weitres zur Aufführung eines Mauerbruchstücks verwandt, in das eine Marmor- oder Kalksteintafel mit der Geschichte „der Auffin- dung des Freyatempels“ eingelassen wurde; während die andre Hälfte, ebenfalls nach der Sitte der Zeit, als künstlicher „Ruinen- thurm“ in eine neue Phase des Daseins trat. Dieser künstliche Ruinenthurm erhielt, trivial aber wohlmeinend, die Inschrift: „Wie schön ist Gottes Erde.“ Unser nächster Besuch gilt dem Ziegenberg (oder „Zicken- berg“ wie er früher hieß), der sich jedoch an seiner einfachen Er- hebung in’s Hochdeutsche nicht genügen ließ und deshalb jetzt als „Monte Caprino“ auftritt. Von seiner Höhe blickt man ebenfalls in die Bruchlandschaft hinein, aber die Stadt im Vordergrunde fehlt. Dies führt uns darauf hin, die Bergpartieen, wie sie sich um Freienwalde herum gruppiren, auf ihre eigenthümliche Forma- tion hin ein wenig näher anzusehen. Ihre Eigenthümlichkeit besteht darin, daß sie, wiewohl frei und offen daliegend, doch zugleich einen sehr exclusiven Charakter haben und unter einander (landschaftlich) in gar keiner oder sehr geringer Verbindung stehn. Wir beschreiben diese hufeisenförmigen, nach vorn hin geöffneten Thäler vielleicht am besten, wenn wir sie, als ebenso viele Am- phitheater bezeichnen. Da alle diese Amphitheater am Bruche ent- lang liegen und nach vorn hin geöffnet sind, so ist der Blick auf 17* das Bruch das allen gemeinsame ; alles das aber, was sie nach rechts und links hin mit ihren Flanken umspannen, ist ihre Besonderheit, ihre Specialität, und kann nur von den verschiede- nen Plätzen des eignen, nicht aber von den Nachbar-Plätzen des angrenzenden Amphitheaters aus gesehen werden. Freienwalde, wie schon erzählt, schiebt sich in das Amphitheater des Ruinenberges hinein und wird von dem Höhenzuge desselben derart beherrscht und flankirt, daß selbst der zunächst liegende Monte Caprino nir- gends in den umschlossenen Halbkreis des Nachbars hinein zu blicken vermag. Wenn wir den Ruinenberg die „älteste Firma“ nannten, so ist der Monte Caprino die jüngste. Professor Valentini (aus alten Berliner Tagen her manchem unserer Leser bekannt) hat der Stadt, in die er sich zurückzog, vor 10—20 Jahren diesen Berg erobert und die höchste Kuppe desselben in die Liste der Freien- walder Schönheiten eingereiht. Dank ihm dafür. Ob wir ihm auch für das Häuschen zu danken haben, das unter dem Namen „Va- lentini’s Ruh“ sich an höchster Stelle des Berges erhebt und mit blau und rothen Gläsern ausstaffirt, den Besucher auffordert, die Wiesenlandschaft abwechselungshalber auch in blau und roth auf sich wirken zu lassen, — wissen wir nicht; aber wir entsinnen uns Valentini’s und müssen deshalb hinzusetzen: wir fürchten es . Wir fürchten leider auch, daß die poetische Zinkblech-Inschrift, die (doppelspaltig) die eine Wand des Häuschens fünf Fuß hoch bedeckt, auf dieselbe Urheberschaft zurückgeführt werden muß. Wer hier gestanden und diesen Versen gegenüber nach Verständniß ge- rungen hat, denkt mit Wehmuth an den Ruinenberg und den kurzgefaßten Hölty’schen Nachklang zurück. Wenige freilich werden, angesichts dieser lächelnden Land- schaft, Lust bezeugen, unsern alten Professor auf die Monte Ca- prino-Höhe seines mißverstandenen Pantheismus zu begleiten, we- nige werden ihn lesen, und sie thuen Recht daran. Aber eine Auf- gabe, deren sich der freie Wandersmann entschlagen kann, wird zur unabweislichen Pflicht für den ex officio Reisenden, der lesen muß und der in Nachstehendem aphoristisch enthüllt, was er an Ort und Stelle gewissenhaft verzeichnet hat. Das Ganze ist ein in’s Religiöse hinüberklingender Naturhymnus, in dem Logik und Grammatik, wie der Lahme und Blinde, einen wunderlichen Wett- lauf anstellen. „Gott (so hebt die Inschrift an) ist die Seele sei- ner Schöpfung, in der Er sich gleichsam wie in ein herrliches Gewand hüllt.“ Dieser Dativ überrascht; aber Valentini bringt alles wieder in’s Gleichgewicht. „Wie ein freundlicher Talisman (so fährt er fort) erhält uns die Religion über die Wellen im Schiffbruch des Lebens.“ So vollzieht er (in seinem eignen Hym- nus) einen Akt der Gerechtigkeit und zahlt schließlich dem Akku- sativ die Schuld zurück, die er Anfangs bei ihm eingegangen. Denken wir milde darüber, hat er doch selber seitdem die letzte Schuld gezahlt. Auf „Valentini’s Ruh“ rasten jetzt Andere, er selber aber ist, am Fuße des Hügels, längst eingegangen zu dauernder Ruh. 2. Falkenberg . Da liegt zu Füßen, ein schimmernd Bild, An die Berge geschmiegt das weite Gefild, Falter fliegen im Sonnenstrahl. Paul Heyse. E twa wie sich Heringsdorf zu Swinemünde verhält, so verhält sich Falkenberg zu Freienwalde. Ein Dorf, das, durch seine schöne Lage, vielleicht auch durch den schlichten Zauber des Ländlichen bevorzugt, dem eigentlichen Badeort (zu dem es früher nur An- hängsel war) gefährlich zu werden droht. So dort wie hier. Der Vergleich ließe sich ohne Zwang noch weiter durchführen. Die Entfernungen sind so ziemlich dieselben, und wie sich zwischen He- ringsdorf und Swinemünde ein tannenbekränzter Dünenrücken zieht, dessen höchste Punkte einen prächtigen Blick, weit in die grün- liche See hinaus, gestatten, so ziehen sich zwischen Freienwalde und Falkenberg die steilen, Tannen- und Laubholzbesetzten Ab- hänge des Barnim-Plateaus, dessen Kuppen meilenweit in das grüne Bruchland herniedersehen. Der Weg von Freienwalde nach Falkenberg ist begreiflicher- weise derselbe, wie von Falkenberg nach Freienwalde; wir fahren also, am Fuß des Plateaus (jetzt umgekehrt, die Berge links, die Wiesen rechts), denselben malerischen Weg zurück , auf dem wir im vorigen Kapitel Freienwalde entgegenfuhren. Die Pflaumen- bäume sind noch dieselben wie am Tage vorher, aber nicht nur die Kinder fehlen, deren Uebermuth wir gestern schon etwas zu Gute halten durften, auch der Baldachin fehlt, dessen scharfe und ausgezackte Wachsleinwand gestern wie eine Harke in die Bäume fuhr. Ohne Erlebniß, ohne Lärm und Jubel, nur dem stillen Eindruck der Landschaft und der Herbstesfrische hingegeben, beenden wir unsern Weg und biegen jetzt, mit plötzlicher Schwen- kung nach links, in die Falkenberger Dorfstraße ein. Bis dahin am Rand der Berge fahrend, sind wir, durch diese Biegung, wie in das Dorf, so auch in die Berge selbst gerathen. Die steile Wand, die eben noch frei in’s Bruch blickte, blickt jetzt auf eine Bergwand gegenüber ; das Bild hat seinen Charakter ge- ändert, und der nach rechts hin geöffnete Weg ist ein Hohlweg, eine Schlucht geworden. In dieser Schlucht liegt Falken- berg . Die einschließenden Berge gewähren die schönste und wech- selndste Aussicht; die Bergwand rechts blickt in das Bruch, die Wände und Kuppen zur Linken aber blicken in die Verschlingun- gen und Kesseltiefen der eigentlichen Wald- und Berglandschaft hinein. Ehe wir indessen diese Wände und Kuppen ersteigen und nach rechts und links hin Umschau halten, steigen wir in die zu unterst gelegene Gasse des Dorfes nieder, wohin uns die weiße Wand und mehr noch der melodische Lärm einer Wassermühle lockt. Dort sind wir willkommen. Wir nehmen Platz neben der Thür, und die Steinbrücke vor uns, unter der hinweg der Mühl- bach schäumt (pickende Hühner um uns her und Sommerfäden in der Luft), so rasten wir und plaudern von Falkenberg und sei- nen Bewohnern. Falkenberg ist doppellebig. Seine Natur bringt das so mit sich. Die Bruchlandschaft rechts, die Berglandschaft links, da ha- ben wir die Bedingungen dieser Doppellebigkeit. Die Wiesen ma- chen es zu einem Bruchdorf, die Berge mit ihren Quellen und schattigen Plätzen zu einem Brunnen- und Badedorf. Im Ein- klang mit dieser Doppellebigkeit unterscheiden wir denn auch einen Sommer- und einen Winter-Falkenberger. Der Winter-Falkenberger, oder der Falkenberger außerhalb der Saison, ist ein ganz anderer wie der Sommer-Falkenberger, oder der Falkenberger in der Saison. Der Winter-Falkenberger ist ganz Märker, d. h. ein Norddeutscher mit starkem Beisatz von wendischem Blut. Er ist fleißig, ordentlich, strebsam, aber miß- trauisch, eigensinnig und zu quäruliren geneigt. Hört man ihn selbst darüber sprechen, so hat er freilich Recht. Die Wirthschaft (d. h. seine Wiese) bleibt doch immer die Hauptsache, das Fun- dament seines Wohlstandes, und diese Wiese, dies Stück Bruch- land ist mit Abgaben überbürdet. „Die Verwallung, so hebt der Winter-Falkenberger an, hat uns Gutes gebracht, aber auch viel Böses. Sonst stand das Wasser auf unsern Wiesen 11 Fuß hoch, und wir hatten eine unsichere oder auch gar keine Heuernte; jetzt haben wir die Eindeichung und bringen unser Heu trocken herein, aber wir müssen für den Deich, der uns schützt, eine so hohe Ab- gabe oder Beisteuer zahlen, daß Mancher schon gedacht hat: ohne Deich war es besser. Unser ganzes Unglück ist, daß sie „da oben“ die Abgaben und die Beisteuer ungerecht vertheilen. Die Herren von der Regierung sagen: „„wir haben den Damm gebaut und das Oderbruch trocken gelegt. Wo wir das Bruch von vielem Wasser befreit haben, da muß auch viel gezahlt werden, und wo wir es von wenig Wasser befreit haben, da wird auch nur wenig bezahlt.““ Das klingt sehr schön und sehr gerecht, ist aber Unge- rechtigkeit von Anfang bis Ende. Hier bei uns stand das Wasser alle Frühjahr am höchsten, elf Fuß hoch und drüber, während es in anderen Theilen des Bruches (und zwar in den besten und reichsten) nur einen Fuß hoch stand. Was geschieht nun? Wir müssen das Elffache bezahlen, denn man hat uns ja von der elf- fachen Wassermasse befreit. Aber überschwemmtes Land ist über- schwemmtes Land und es ist ganz gleich, ob das Wasser ein Fuß oder elf Fuß hoch auf Wiese und Acker gestanden hat.“ So der Winter-Falkenberger. Ich habe ihm anfänglich alles geglaubt und ihn wochenlang als ein Opfer des Deichverbandes oder gar einer Regierungs-Laune angesehen, bis ich schließlich mich überzeugt habe, daß das „wendische Blut“ ihn doch auf falsche Wege geführt und ihn bittrer und eigensinniger gemacht hatte, als nöthig. Die Sache ist nämlich die: Bruchländereien, in denen das Wasser vordem elf Fuß hoch zu stehen pflegte, genossen das trau- rige Vorrecht, alle Jahre überschwemmt zu werden, während Ländereien mit einem Fuß Wasser, jahrelang von jeder Ueber- schwemmung befreit blieben. Ein Fuß Wasser oder elf Fuß Wasser ist freilich gleichgültig, aber die Elf-Fuß-Wasser-Leute hat- ten eben das Wasser immer , während es die Ein-Fuß-Wasser- Leute vielleicht nur alle elf Jahre hatten. Müssen aber doch all- jährlich ihre Beisteuer zahlen. Der Winter-Falkenberger ist märkisch , der Sommer-Fal- kenberger ist thüringisch , eine Art Ruhlenser: freundlich, gebil- det, entgegenkommend. Der Vorübergehende bietet guten Tag, giebt Auskunft, zeigt den Weg. Ueberall gute Form und gute Sitte, eine „Manierlichkeit“, wie sie sonst in den Marken (zumal in den Odergegenden) nicht leicht betroffen wird. Diese Manier- lichkeit ist zum guten Theil etwas Aeußerliches, ein Kleid, das an- und abgelegt werden kann, aber wenn ich recht gesehen habe, so ist diese thüringisch-mitteldeutsche Art, wie sie einem hier entgegen- tritt, doch nicht blos etwas Angenommenes, sondern guten Theils auch das Produkt einer mitteldeutschen Landschaft, einer Thürin- gischen Umgebung und Natur . Der modelnde Einfluß, den die Wohnstätte des Menschen auf den Menschen selber übt, wird wohl kaum noch bestritten, und hier haben wir ein Beispiel da- von. Die Falkenberger früherer Jahrhunderte, deren Eigenart noch in dem Winter-Falkenberger fortlebt, hatten ihr Auge nur der Wiese und dem Wasser zugewandt, und sie waren und blieben wendisch-märkische Fischersleute durch viele Jahrhunderte hindurch; von dem Augenblick an aber, wo sie sich, zumal um die Som- merszeit, den schönen Bergen zuwandten, begann auch der Anblick des Schönen den Formensinn zu bilden, die Sitte zu modeln, und unter dem Einfluß einer so nah gelegenen und doch so spät erst entdeckten thüringischen Natur entstand etwas von thüringischer Sitte, von sächsischem Schliff. — Welch Unterschied jetzt zwischen einem märkischen Sanddorf und diesem gebirgsdorfartigen Falken- berg! Dort schlummert noch der Sinn für das Schöne; die Ar- muth kennt nur was nöthig, im glücklichsten Fall was nützlich ist, aber sie fragt nicht nach dem, was ziert und schmückt. Zieht sich eine Allee durch solch ein Sanddorf hin, so darf man sicher sein, daß sie ein Befehl in’s Leben gerufen hat; der freie Wille, der eigne Trieb der Dörfler hätte sie nie gepflanzt. Wie anders hier. Jedes einzelne Haus zeigt die Freude an dem, was gefällt. Um die alten Obstbaumstämme rankt sich der sorglich gepflegte Epheu am Gitterdraht, Weingänge laufen an der Rückfront der Häuser hin, der Ebereschenbaum lehnt sich an den Vorbau der Häuser, und Bank und Laube haben ihren bestimmten Platz. Der Brun- nen, das Bienenhaus, Kleines und Großes fügt sich malerisch in das Ganze ein, denn der Sinn für das Gefällige, für alles was ziert und schmückt, ist lebendig geworden und wirkt, ohne Anlauf und Absicht, selbstständig-thätig in jedem Moment. Aber freilich Anleitung und Schulung ging diesem „Selbst- ständig-thätig-sein“ voraus und Anregung, Anleitung, treten noch jetzt, helfend und fördernd, an den Sommer-Falkenberger heran. Ein geläuterter Geschmack, das feinere Verständniß solcher, die we- der mit dem Winter- noch dem Sommer-Falkenberger etwas Be- stimmtes gemein haben, haben hier in Bauten und Anlagen viel- fache Muster geschaffen. Und solcher Muster bedurfte es aller- dings. Die Dinge hier, wie schon angedeutet, waren nicht immer das, als was sie jetzt dem Auge sich darbieten, und aller gute Wille der Falkenberger — selbst nachdem sie gelernt hatten, den Bergen sich zuzuwenden — hätte nie ausgereicht, diese Sandwand zur Rechten in Terrassen und Weingänge und diese Berglehnen zur Linken in Laubholz-Wald zu verwandeln. Ihr Verdienst war: sie folgten , sie hatten ein Auge für das Bessere, sie waren be- reit zu lernen. Das Beste dieser Umwandlungen verdanken die Falkenberger dem Natur- und Schönheitssinn ihres nächsten Nachbars, des Be- sitzers von Cöthen, eines Dorfes, dessen Bergpartieen und Hügel- abhänge gleichsam die malerische Umrahmung des in der Tiefe ge- legenen Falkenbergs bilden. In dies Cöthner Bergterritorium hinein ermöglichen sich nun, als vorzüglichster Reiz eines Falkenberger Aufenthalts, allerhand Ausflüge und Partieen; wir treffen aber wohl das Richtige, wenn wir nur drei Punkte besonders namhaft machen und ihnen den Preis der Schönheit zuerkennen. Es sind dies die Carlsburg , die Idas-Eiche und der Cöthner Park . Einer kurzen Beschrei- bung dieser drei Punkte selbst schick’ ich eine Beschreibung des ihnen gemeinschaftlichen Terrains voraus. Dies Terrain also (im Rücken Falkenbergs) ist ein nach vorn hin geöffnetes Kesselthal und hat die Form eines Hufeisens oder eines griechischen . Auf der geschlungenen Berglinie, die das Kesselthal bildet, befin- den sich Kuppen, die nach den verschiedensten Seiten hin in’s Land hineinsehen, die beiden schönsten Punkte aber sind natürlich die am freisten, am meisten nach vornhin gelegenen: die Carlsburg und die Idas-Eiche ( a und b ). Am meisten zurückgelegen ( c ) liegt Dorf Cöthen. Von ihm aus zieht sich dann, an einem Bach oder Fließ entlang, von Bergwänden eingefaßt, der Cöthner Park bis an die Grenze des Falkenberger Gebiets hin. Die Carlsburg , ein heitres, villenartiges Gebäude, blickt, von dem sogenannten Paschenberg aus, in die Oderbruchlandschaft hinein. Der Punkt ist reizend genug, was aber diesem Paschen- berg als Aussichtspunkt einen besondern Reiz verleiht, das ist die aparte Schönheit seines Vordergrundes, des Dorfes Falkenberg selbst , über dessen Schluchten, Dächer und Thürme hinweg der Blick zu der weiten, grünen Fläche hinüber schweift. Schöner fast noch, als von der Höhe des Berges aus, hat man diese Blicke schon beim Ersteigen desselben, wo mannigfache, durch den Wald geschlagene Laubengänge die schönsten Stellen des Bildes (nament- lich mit glücklicher Benutzung des Falkenberger Kirchthurms) wie in einen Rahmen zusammenfassen. — Leicht vom Dorf aus zu erreichen, eben so heiter in seiner baulichen Anlage, wie in dem Blick, den es uns auf die duftige Bruch-Fläche gönnt, ist die Carlsburg der bevorzugte Platz der Falkenberger Sommergäste, namentlich um die Mittagsstunde. Hier versammelt man sich zu gemeinschaftlichem Mahl, hier in Front des Hauses, unter dem säulengetragenen, geisblattumrankten Vorbau, klingen bei festlichen Gelegenheiten (die sich ja immer finden) die Gläser zusammen, und die bereit stehenden Böller donnern dazwischen und wecken das Echo in den Bergen. Noch schöner ist die Ida’s-Eiche . Der Blick in’s Bruch ist derselbe wie von der Carlsburg aus, der Blick in die Berge aber umfaßt den ganzen Inhalt des zu Füßen liegenden Kesselthals; Berglehnen und geschlungene Wege, Laubholzwald, Häuser und Hütten. Man kann hier von einem Avers und Revers der Land- schaft sprechen; nach beiden Seiten hin ein gleich gewinnendes Bild. Was dieser Ida’s-Eiche indessen die besten Freunde wirbt, ist ein gewisses genrehaftes Beiwerk, dessen sie sich erfreut. Eine breite Treppe windet sich spiralförmig um den alten Stamm der Eiche und mündet oben in einen Rund-Tisch oder poetischer in eine „Tafel-Runde“ aus. Die höchste Krone des Baumes spannt sich als Schirm über dieser gitterumfaßten Plattform und schafft hier einen beneidenswerthen Aufenthalt, zumal um die Zeit des Sonnenuntergangs. — Wenn der Carlsburg, nach altem Her- kommen, der helle Mittag gehört, so gehört der Ida’s-Eiche die Dämmerstunde, der Abend, wo auf am Himmelsbogen die goldnen Sterne zogen. Dann ist diese Plattform ein Balkon, wie ich hierlandes auf kei- nem schöneren gesessen. Aus dem Dunkel des Waldes blinken ein- zelne Lichter herauf, am Horizont (jenseits des Bruches) ziehen lichtweiße Streifen, und verschwinden wieder, — nichts ist wach als der Abendwind, der die Eiche, die uns trägt, in leises Schwan- ken bringt. Einlullend, wie mit magnetischer Hand, berührt uns die Luft, und das Geplauder wird stiller und stiller, bis es end- lich schweigt. Immer heller funkeln die Sterne, immer weiter wird der Blick, bis endlich, wie aus Bann und Märchenschlummer, das Rasseln eines schweren Postwagens uns weckt und das begleitende Posthorn, das, von der Falkenberger Berglehne her, zu uns her- überklingt. Der Cöthener Park . — Von der Ida’s-Eiche bis Dorf Cöthen ist wenig weiter als 1000 Schritt, und die Cöthener Dorf- straße ohne Aufenthalt passirend, führt uns unser Weg unmittel- bar an den Eingang des Parks. Dieser Park ist etwas altfrän- kisch; er stammt noch aus einer Zeit, wo man gewissen perspecti- vischen Künsten den Vorrang einräumte vor der landschaftlichen Schönheitslinie; es fehlt noch eine freiere und natürlichere An- lage, und Tempelchen und Muschelgrotten haben noch ihren Platz. Marmorköpfe, über deren specielle Bedeutung an der Stelle, die sie einnehmen, vielleicht immer ein Dunkel walten wird, blicken räthselhaft aus Felsgemäuer Eine dieser Grotten, so heißt es, ist aus Lava aufgeführt, und die Gegenstände innerhalb derselben stammen von Herkulanum und Pompeji. hervor und Delphine und Löwen speien Wasser und lassen es sich nicht anfechten, daß ihre alabaster- weißen Unterkiefer von Eisenocker längst braun geworden sind. Die alten Künste der alten Parks, von denen wir die Musterstücke noch immer in Schwetzingen und im Wörlitzer Garten finden! Den- noch hat dieser Cöthener Park seine Eigenthümlichkeit, weil das Stück Natur eigenthümlich war, das zu seiner Anlage genom- men wurde. Es ist eine reich mit Laubholz, namentlich mit schö- nen Buchen besetzte Schlucht, durch die sich ein Fließ zieht. Dieses Fließ, das — in seiner künstlichen Verzweigung — dem Park an einzelnen Stellen den Charakter eines Elsbruchs giebt, ist in Wahrheit der Quell seiner Schönheit überhaupt. Ob man wirk- lich mehr Wasser und namentlich rascher fließendes hier hatte als anderswo, oder ob man sich nur besser auf seine Benutzung ver- stand, gleichviel — Wasser überall. Der Bach mit Plätschern und Gemurmel begleitet uns von Schritt zu Schritt, er ist unser Füh- rer durch die labyrinthischen Gänge; aber nicht genug damit, alle Minuten hält er inne, um noch ein Uebriges für uns zu thun. Hier stürzt er sich vom Wehr, aber nur um an nächster Stelle schon als Springbrunnen wieder aufzusteigen; hier treibt er ein Wasserrad, dort speist er eine überlaufende Vase, und aus der langsam sich drehenden Scheibe daneben spritzen seine dünnen Strahlen, zugleich als Schmuck und als treibende Kraft. Am wenigsten glücklich ist der Park in Inschriften . Wir folgen aber, statt bei ihnen zu verweilen, lieber dem plätschernden Fließ, dessen Lauf uns nach einem kurzen Spaziergang, durch die Mitte des umwaldeten Kesselthals, in die malerisch verschlungenen Straßen von Dorf Falkenberg zurückführt. 3. Das Schloß . Dies weiße Häuschen find’ ich zum Entzücken, Die Wand ist sauber bis hinauf zum Dache, Und heitre Fenster sind es, die es schmücken. B. v. Lepel. F reienwalde hatte von Alters her ein „Schloß“, erst ein Uchten- hagensches, dann ein churfürstliches, zuletzt ein königliches. Das Schloß, das die Uchtenhagens hier hatten und in das sie wahrscheinlich einzogen, nachdem ihre Burg auf dem Schloß- berg (siehe das entsprechende Kapitel) zerstört worden war, lag unmittelbar hinter der Freienwalder Kirche und blickte auf die Oder hinaus, die damals bis dicht an die Stadt herantrat. Eine schlichte Abbildung in Philipp v. d. Hagens „Beschreibung der Stadt Freienwalde“ stellt höchst wahrscheinlich dies alte Uchten- hagensche Schloß dar. Woher er dies Bild genommen, habe ich nicht ermitteln können. Es ist ein einfaches, beinah fensterloses Ge- bäude mit einem gothischen Erkerthurm als einzigem Schmuck. Das churfürstliche Schloß (in unscheinbaren Resten noch er- halten) erhob sich an derselben Stelle, wo vorher, durch zwei Jahrhunderte hin, das eben beschriebene Stadtschloß der alten Uchtenhagen gestanden hatte. Der große Churfürst ließ es 1687 zu „künftigem bequemen Aufenthalte daselbst“ erbauen; näheres über diesen Bau aber: wann er beendigt wurde, wer es be- wohnte, hab’ ich nicht mit voller Bestimmtheit in Erfahrung brin- gen können. Die Nachrichten, die man in Freienwalde selbst ein- zieht, widersprechen sich einander, und ein Zuratheziehen der reichen „Freienwalder Literatur“ giebt ebenfalls mehr Abweichendes als Gewisses. Philipp v. d. Hagen schreibt: „In der Stadt ist ein Schloß, von Steinen gebaut, welches der Churfürst um deswillen erbauen ließ, weil er alle Jahre den Brunnen zu besuchen pflegte und als- dann daselbst wohnte .“ Dies letztere aber (wenn es sich auf ein Wohnen in eben diesem Stadtschloß bezieht) ist nicht möglich und wird durch v. d. Hagens Buch an anderer Stelle selbst wi- derlegt. Er schreibt (S. 48): „Der Churfürst logirte (1685) mit seinem Gefolge in der Stadt mit vieler Unbequemlichkeit (d. h. also ohne Schloß) und beschloß beim Brunnen ein Gebäude aufführen zu lassen.“ v. d. Hagen fährt dann fort: „1686 kam der Churfürst nicht nach Freienwalde; als er 1687 sich des Brunnens wieder bediente, wohnte er in dem neuen Brunnen- gebäude (dem jetzigen sogenannten churfürstlichen Flügel), sein Gefolge logirte aber in der Stadt.“ Aus allem diesem geht wenig- stens das eine hervor, daß der große Churfürst niemals im Stadt- schloß zu Freienwalde gewohnt haben kann; 1685 (wo er in der Stadt logirte) deshalb nicht, weil das Schloß damals noch nicht einmal begonnen, geschweige fertig war, und 1687 deshalb nicht, weil er in diesem letztgenannten Jahre überhaupt nicht in der Stadt, sondern auf dem Brunnen wohnte. Landrath v. Reichen- bach schreibt 1824: „das alte königliche Schloß in Freienwalde wurde 1687 von Schlüter begonnen“, eine Notiz, die völlig werth- los ist, da der berühmte Baumeister erst 1691, also 4 Jahre später und drei Jahre nach dem Tode des großen Churfürsten, in den brandenburgischen Dienst trat. v. Reichenbach verwechselt hier das Stadtschloß mit dem „Schloß auf dem Brunnen .“ Am zuverlässigsten ist mir folgende Angabe erschienen, die ich einem 1848 erschienenen Büchelchen entnehme: „König Friedrich I. voll- führte den schon unter seinem Vater 1687 angefangenen Bau des Amts - oder Rathhauses (hinter der großen Kirche), das ur- sprünglich zum Jagdschloß bestimmt war.“ Dies Wort „Jagd- schloß“ ist nicht ganz correkt, sonst aber, wie schon bemerkt, dürfte diese letztcitirte Angabe der Wahrheit am nächsten kommen. Die Sache würde sich danach in Kürze so stellen. Der große Churfürst ordnete den Bau eines „Stadtschlosses“ an, und unter seinem Nachfolger wurde dieser Bau beendet. Dies „Stadtschloß“ ward aber weder vom Churfürsten noch später vom König Friedrich I. je bewohnt, sondern erhielt gleich nach seiner Herstellung die Be- stimmung eines Königlichen Amts - und später (an die Stadt übergehend) eines städtischen Schul- und Rathhauses. Das Haus, wenn auch bis zur Unkenntlichkeit verändert, steht noch, diente (wenigstens bis vor Kurzem) als Schule und Gefängniß und zeigt begreiflicherweise nichts mehr von alter Schönheit und königlichem Glanz. Das königliche oder neu-königliche Schloß Freienwalde liegt nicht innerhalb der Stadt, sondern unmittelbar vor den Tho- ren derselben, auf dem Wege zum Brunnen hinaus, fast am Fuße des ehemaligen „Apothekerbergs.“ Dieser, inzwischen in einen Schloßgarten umgewandelt, führt demgemäß den Namen der „ Schloßgartenberg “; nicht zu verwechseln mit dem Schloß - Berg, der, halben Wegs zwischen Freienwalde und Falkenberg gele- gen, die Ruinen der alten Uchtenhagen-Burg auf seiner Kuppe trägt. Wir werden diesen letztern, den Schloß-Berg, in einem künftigen Kapitel kennen lernen. Auch das neu-königliche Schloß Freienwaldes, wiewohl wenig älter als 60 Jahre, hüllt seine Anfänge wenigstens in so weit in Dunkel, als es mir nicht hat gelingen wollen, das Jahr seiner Entstehung mit voller Gewißheit festzustellen. Eine freundliche Mit- theilung aus Freienwalde selbst lautet wie folgt: „Das hiesige königliche Schloß ist Anfangs der neunziger Jahre von der Gemahlin Friedrich Wilhelms II. erbaut worden. Die Baulichkei- ten sind unverändert geblieben, nur daß 1844 ein am Kirchhofs- rande gelegenes Kammerfrauen-Haus abgebrochen wurde. Der Schloßgarten, an den Abhängen des Berges, ist erst allmählig zu seiner jetzigen Ausdehnung angewachsen. Die Hofdamen wohnten, 18 so lange hier Hof gehalten wurde (bis 1805), in dem Hause, das jetzt die Kastellans-Wohnung bildet. Friedrich Wilhelm IV. hatte vor, die Anlagen des Schloßgartens zu erweitern; die nöthigen Ländereien waren auch bereits angekauft, als sein Hinscheiden dem Plan ein Ende machte.“ Diese Notizen enthalten so ziemlich eine Quintessenz alles Dessen, was in Freienwalde über Geschichte und Entstehung des „neuen Schlosses“ cursirt. Die erste Zeile derselben ist in soweit nicht ganz correkt, als ich nachzuweisen im Stande bin, daß das neue Schloß bis 1795 nicht existirte, also nicht Anfangs der neunziger Jahre, sondern höchst wahrscheinlich erst am Schluß der- selben entstanden ist. Es liegt mir ein Buch aus dem Jahre 1795, „ Dr. Heidekkers Beschreibung der Stadt Freienwalde“ vor, dessen Titelkupfer eine Abbildung aller der Baulichkeiten giebt, die damals auf dem mehrgenannten Berge standen. Es sind dies: der Pavillon der Königin, der Königin Wohnhaus und der Königin Garten- haus, — aber vom „Schloß“ keine Spur, auch nicht einmal die Anfänge desselben. So weit die Vignette des Buches, die indessen möglicherweise täuschen könnte; aber der Inhalt des Buches bestätigt, was die Vignette zeigt, nämlich die Thatsache, daß bis 1795 kein „Schloß“ an den Abhängen des „Apothekerbergs“ zu finden war. Dr. Hei- dekker schreibt in dem genannten Jahre: „Die Gemahlin Friedrich Wilhelms II. fand die Lage dieses Berges so reizend, daß sie von 1790 — 95 alljährlich über 6 Wochen während der Badezeit in Freienwalde zubrachte und die Wohnung des Oberförsters Wiprecht, die zu diesem Zweck erweitert und eingerichtet worden war, be- wohnte. Sie ließ zugleich neben der Oberförster-Wohnung eine geschmackvolle Sommerwohnung bauen, die aus einem Saale, 4 Kabinets und einer Küche bestand, — der jetzige Pavillon .“ Dieser Pavillon existirt noch, ganz in der Gestalt, wie ihn die Vignette zeigt; er wurde später zu Gartenfesten und kleinen Thea- terspielen benutzt, ist aber durchaus nicht das „Schloß.“ Dies „Schloß“ selbst wurde höchst wahrscheinlich im Sommer 1798 zu bauen begonnen. Am 16. November 1797 war König Friedrich Wilhelm II. im Marmorpalais zu Potsdam gestorben, und wie locker immer die Beziehungen zwischen dem König und seiner Gemahlin, Louise, Prinzeß von Hessen-Darmstadt, gewesen sein mochten, nicht gut konnte diese vor dem Tode des Königs, ihres Gemahls, daran denken, ihren Aufenthalt dauernd in Freienwalde zu nehmen. Daß es bis 1795 nicht geschehen war, wissen wir bestimmt. Wir irren also wohl nicht, wenn wir anneh- men, daß sich die Königin bis zum Ende der Saison 1797 mit der oben beschriebenen Sommerwohnung begnügte und erst 1798, — in diesem Jahre Freienwalde zu ihrem Wittwensitze machend — auch ein wirkliches Schloß daselbst zu bauen begann. Der Bau dieses Schlosses nahm wenigstens zwei Jahre in Anspruch, so daß wir aller Wahrscheinlichkeit nach das Richtige treffen, wenn wir uns die Räume des Freienwalder Schlosses nicht vor Eintritt des neuen Jahrhunderts belebt denken. Den Namen des Baumeisters habe ich nicht in Erfahrung bringen können. Die Königin-Wittwe, wenn unsere obigen Zahlen zutreffen, residirte hier fünf Jahre; sie starb am 25. Februar 1805. Die Frage entsteht, wie lebte hier die Königliche Frau, wie verflossen ihr die Tage ihrer Wittwenzeit? Still, und deshalb nicht eingetragen in die Blätter der Geschichte. Aber Einzelnes lebt doch in schriftlicher oder mündlicher Ueberlieferung fort, das uns eini- germaßen in den Stand setzt, uns ein Bild dieser stillen Tage zu entwerfen. Die königliche Frau, ausharrend in ihrer Liebe für die Stadt, der sie seit Jahren ihre besondere Gunst geschenkt hatte, fuhr mit regem Eifer fort, sich die Verschönerung Freienwaldes angelegen sein zu lassen, besonders die Landschaft durch Zugänglich- machung ihrer schönsten Punkte zu erschließen. Zu einem solchen „erschließen“ der Landschaft war auch in Freien- walde damals, wie überall im Lande, noch vollauf Gelegenheit gegeben. Denn der Sinn für „schöne Natur“ ist, wie die „Landschaftsmalerei“ (bekanntlich die jüngste Tochter der Malerkunst), von sehr modernem Da- tum, namentlich aber in der Mark. Die eigentliche märkische Bevöl- Ueberall entstan- 18* den Partieen und Promenaden, Eremitagen und „Tempel.“ Ab- hänge wurden bepflanzt, dichte Waldpartieen gelichtet und gerodet. Sie kaufte den „Poetenberg“, bepflanzte ihn mit Kastanien, mit Pappeln und Akazien, und errichtete, wie uns überliefert wird, ein Haus im japanesischen Geschmack, das (man nahm es damals nicht so genau) den Namen „Otahaiti“ erhielt. Bedenklicher erscheint schon folgende Notiz, die wir ebenfalls unserem Gewährsmann, Dr. Heidekker, entnehmen. „Etwa hundert Schritte von der Papenmühle entfernt, so schreibt er, hat Ihre Majestät die Königin-Wittwe ein Haus auf- führen lassen (mit Saal und verschiedenen Cabineten), das ganz gelb angestrichen ist und oben, gegen das Dach zu, Nischen mit Büsten alter Kaiser und Gelehrten hat, welche abwechselnd von rother und schwarzer Farbe sind. (Wer roth oder schwarz ist, die Kaiser oder die Gelehrten, ist nicht gesagt.) Ihre Majestät die Königin pflegen zu allen diesen äußerst geschmackvollen Anla- gen die Ideen immer selbst anzugeben. Dies eben beschriebene Haus wird das „„gelbe Haus““ genannt.“ Wir könnten noch von vielen Verschönerungen der Art er- zählen, deren Verdienstlichkeit es wenig Abbruch thut, daß das Maaß ihrer Schönheit oft ein höchst bescheidenes oder zweifelhaftes war; wir ziehen es aber vor, uns nunmehr jenen Besuchs- und Familientagen von Schloß Freienwalde zuzuwenden, wo die „Kin- der“ von Berlin herüberkamen: der König, die Königin und mit ihnen die drei ältesten Enkel: Fritz, Charlotte und Wilhelm. Vieles im Schloß erinnert noch an jene Tage stillen Glücks, und beson- kerung hat noch jetzt diesen Sinn beinah gar nicht, wovon sich jeder über- zeugen kann, der an hübschgelegenen Orten einer Vergnügungspartie mär- kischer Stadt- und Dorfbewohner beiwohnt. Sie sind ganz bei ihrem Vergnügen , aber gar nicht bei der „Landschaft“, der sie in der Regel den Rücken zukehren. Der Berliner „Sommerwohner“ ist nicht deshalb so bescheiden in seinen Ansprüchen, weil ihm die märkische Natur nichts bietet, sondern weil es ihm schließlich gar nicht darauf ankommt, ob die Sache so oder so ist. ders ist es „Kronprinz Fritz“, dessen Spuren sich auch hier wieder am deutlichsten verfolgen lassen. Es scheint fast, daß er oft längere Zeit bei der Großmutter zum Besuche war; er drechselte (Einzelnes von seiner Hand wird noch gezeigt), spielte und kletterte im Park umher, und allerhand Anekdoten cursiren noch von alten viel verfolgten Hofdamen, die, besonders an Winterabenden, auf dem Heimweg vom Schloß durch schattenhaftes Hin- und Herhuschen, durch Geraschel in den Zweigen, dann später am Abend durch Kratzen an der Hausthür oder durch leises gespenstisches Klingeln in ihrer Einsamkeit erschreckt wurden. Das interessanteste Ueber- bleibsel aus jener Zeit aber ist ein Leierkasten, der damals dem Kronprinzen zum Geschenk gemacht wurde, und dessen Hauptstück die Papageno-Arie war: „Ein Mädchen oder Weibchen Wünscht Papageno sich;“ eine Arie, die womöglich allabendlich und am liebsten mit Vokal- Begleitung, unter den Fenstern der alten Hofdamen gespielt wurde. 1805 starb die Königin-Wittwe, und das Schloß zu Freien- walde stand, auf viele Jahre hin, leer. Die Invasion, dann die Kriegsjahre, — es waren nicht Zeiten für traulich ruhige Tage in Freienwalde. Erst wieder in den dreißiger Jahren hören wir von bestimmten Besuchern im Freienwalder Schloß. Prinzeß Luise von Radziwill brachte hier die Sommermonate von 1836 zu; sie sehnte sich nach Stille, nach Ruhe, und sie fand sie hier. Seit jenen dreißiger Jahren verging kaum ein Sommer, wo nicht das Schloß am Schloßgartenberg, auf länger oder kürzer, seinen Besuch gehabt hätte; aber eine Residenz, der Sitz eines Hofhalts ist es seit den Tagen der Königin-Wittwe nicht wieder gewesen. Wir treten nun an das Schloß selbst heran. Es hat mehr den Charakter eines stattlichen, geschmackvoll aufgeführten Privat- hauses, als den eines Schlosses. Würden wir es, seinem Styl nach, zu rubriciren haben, so müßten wir es als einen Renaissance- Bau bezeichnen, der sich, in fast zu weit gehender architektonischer Einfachheit, vorgesetzt zu haben scheint, unter Vermeidung jeglichen Ornaments, rein durch die Proportionen, durch das richtige Ver- hältniß der Formen zu wirken. Unter Laub und Blumen gelegen, aus denen, malerisch unterbrochen, die gelben Wände hervorleuch- ten, macht das Ganze einen durchaus heitern Eindruck, und doch heißt es auch von diesen Mauern: „sie haben Leides viel gesehn“, stilles Leid, aber um so tiefer vielleicht, je stiller es getragen wurde. Von dem Innern des Schlosses gilt dasselbe wie von seiner äußern Erscheinung, — es hat überwiegend den Charakter eines Privathauses. Geräumige Zimmer, aber weder breite Treppen, noch lange Corridore, weder Hallen noch Säle; ein Bau für eine Kö- nigin- Wittwe , die sich selber leben will, nicht für eine Königin, die Andren leben muß. Die Ausschmückung und Herrichtung ist die übliche; nur statt des strengeren Stils der Außenseite begegnen wir hier den Anklängen an die viel verurtheilte und doch so be- hagliche Roccoco-Zeit. Chinesische Zimmer und Paradiesvogel-Zim- mer wechseln unter einander ab, dazwischen Rosenstrauch-Tapeten und buntbedruckte Kattune. In den Zimmern zerstreut stehen alte Erinnerungsstücke, oft mehr absonderlich als schön, und mehr be- merkenswerth um der Personen willen, denen sie zugehörten, als um ihrer selbst willen. An solchen eigenthümlichen Werthstücken sind die Schlösser der Hohenzollern reich, und wie in manchem andern, so giebt sich auch hierin eine Eigenthümlichkeit ihres Hau- ses zu erkennen. Sie haben nämlich nicht das Bedürfniß, sich aus- schließlich mit hoher, mit besternter Kunst zu umgeben, sondern mit Bereitwilligkeit, ja mit Vorliebe fast, gönnen sie auch dem Niedrig- gebornen in der Kunst, den mit schüchterner Hand geschehenen Versuchen , den Zutritt in ihr Haus. Wer die Zimmer kennt, die Friedrich Wilhelm III. zu bewohnen pflegte, wird diese Be- merkung am ehesten verstehn. Es spricht sich beides in dieser Er- scheinung aus, — ein Mangel und ein Vorzug . Die Hohen- zollern waren nicht immer ästhetisch-feinfühlig, aber sie waren jederzeit human. Zu diesen Betrachtungen giebt auch Schloß Freienwalde ge- nügende Veranlassung. Da sind complicirte „Stroh-Nähtische“ mit eingeflochtenen Namenszügen, da sind Stühle mit hochzuschrauben- den Lehnen, da sind endlich Tische, aus deren Platten, durch Druck und Zug, sich Stehleitern ( horribile dictu ) vor dem erstaunten Auge aufrichten; lauter Dinge, vor denen der eigentliche Kunstsinn erschrickt, während der milde Sinn, der gelten läßt, sich ihnen zuneigt und des Strebens sich freut. Aber, gut oder nicht, es sind nicht diese Schöpfungen einer ungeregelten Tischler-Phan- tasie, bei denen wir länger verweilen, wir treten lieber aus dem Paradiesvogel-Zimmer auf den Corridor hinaus und steigen einige Stufen treppab, um nach jenem besten Erinnerungsstück des Hau- ses zu suchen, das vor 60 Jahren der Jubel eines heiteren Prin- zen und der Schrecken alter Hofdamen war. Wir meinen natürlich die Drehorgel. Da steht sie verstaubt im Keller. Wir legen die Kurbel an, die sich unter einem Ballen Flachs und Heede findet, und beginnen zu drehen. Aber die Harmonie ist hin. Die heitren Töne springen nicht mehr, wie elastisch, vom Lager auf; lahm, gebrochen, verstimmt ziehen sie langsam durch die Luft und hallen düster von der Kellerwand zurück. Sechszig Jahr — eine lange Zeit. Die Heiterkeit manch’ zarterer Saite, manch’ feineren Instru- ments, schlug um seitdem in Weh und Leid. Schloß Freienwalde ist unbewohnt jetzt. Von Zeit zu Zeit, wie schon erzählt, hat es seine Gäste, aber Laune und Zufall ge- fallen sich darin, die sommerliche Villa vor Allem zu einem win- terlichen Jagdschloß zu machen. Im December, bei grauem Himmel, wenn Weg und Steg unter fußhohem Schnee liegen, dann wird es lebendig hier. Freilich nur auf Stunden. Dann, um Mitternacht, mit Peitschenknall und Schellengeläut, jagen Schlitten durch die Straßen der tiefstillen Stadt, den Berg hinauf, den Park hindurch, bis vor das verschneite Schloß. Fackeln und Windlichter werfen ihren Schein auf die aussteigenden Gäste, — hohe, heitre Gestalten, die den Schnee von ihren Pelzen schüt- teln. Sie treten auf wie Solche, die hier zu Hause sind. Diener mit Taschen und Jagdgeräth, mit Büchsensäcken von rothem Juch- tenleder, fliegen treppauf, alle Fenster werden hell, hinter den herabgelassenen Rouleaux bewegen sich einzelne Schatten, dann wird es stiller und nur von Zimmer zu Zimmer knarrt noch der Ton, womit der müde Fuß aus dem Stiefel fährt. Noch ein kur- zer Befehl, ein „gute Nacht“ und alle Lichter löschen aus. Eh’ der Tag graut, ist das Schloß wieder leer. Nur halb- verwehte Schlittengleise und lange Streifen, die die Spitze der Parforce-Peitsche durch den Schnee zog, zeigen noch den Weg, den die Gäste auf ihrer Weiterfahrt genommen. Das Schloß liegt da, wie immer; stiller, so scheint es, denn je. — Alles was kam und ging war wie ein Traum über Nacht. — 4. Der Gesundbrunnen . Hier an der Bergeshalde Verstummet ganz der Wind, — Die Zweige hängen nieder. Th. Storm. „ D er Freienwalder Gesundbrunnen liegt eine kleine Viertelmeile von der Stadt, gen Süden hin, in einem mit ziemlich hohen Bergen eingeschlossenen, anmuthigen Thal; die Berge sind mit Eichen, Buchen, Fichten, auch niedrigem Baum- und Strauch- werk bewachsen, und haben viele gute Kräuter.“ So schrieb Tho- mas Philipp v. d. Hagen, dem wir die erste Beschreibung Freien- waldes verdanken, vor nunmehr 80 Jahren und wir wüßten nicht, was wir an dieser Darstellung zu ändern hätten. Aber wenn nicht das Brunnenthal selbst, so hat doch der Weg hinaus seinen Charakter verändert; was damals eine „Allee“ war, ist jetzt eine städtische „Straße“ geworden und hinter den schönen Lindenbäumen, die nach wie vor den Weg einfassen, er- heben sich, des Schlosses und Schloßgartens zu geschweigen, aller- hand Villen, Hotels und Gärten, aus denen hervor im Mai die weißen Blüthen und im September die rothen Aepfel lachen. Der ganze Weg zum Brunnen hinaus, der einen oder andern unsrer Thiergarten-Straßen nicht unähnlich! Dieselben Hügelreihen, die den Weg zum Brunnen bilden, bilden schließlich auch das Brunnenthal selbst, das nichts anders ist als eine etwas erweiterte Thal-Schlucht, ein Kessel, zu dem sich der Weg verhält, wie eine schmale Straße zu einem breiten Platz, auf den sie mündet. Es ist ein September-Nachmittag. An Linden und Sommer- häusern, zuletzt an der reizend gelegenen Papenmühle vorbei, über deren stillen Teich die Schwäne ziehn, haben wir unsern Gang von der Stadt aus gemacht und sind nun eingetreten in das stille Thal, das den Namen des Freienwalder Gesundbrunnens führt. Die Saison ist schon vorüber; aber die Quellen sprudeln weiter und die Nachmittagssonne steht ruhig über dem Thal und wärmt mit ihren Strahlen die schon herbstesfrische Luft. Ein Kellner, der die traurige Verpflichtung hat, seine Zeit hier „abzustehen“, bis die de facto bereits beendigte Saison auch de jure geschlossen ist, begrüßt uns, wie der Gefangene den Schmetterling begrüßt, der an seinem Fenster vorüberfliegt — ein bloßer Passant, aber doch immerhin ein Gast. Ohne jegliches Verstimmtsein entreißt sich der an dem Pfeiler Lehnende seinem wachen Traum, der ihn (wir glauben nicht zu irren) so eben an die minder poetischen, aber vergnüglicheren Ufer der Spree getragen hatte, in große Säle mit Gaskandelaber und Spiegelscheiben, mit Palmenkübeln und schmetternder Musik. Wir erschienen ihm wohl wie Boten aus diesem Land seiner Sehnsucht. Jedenfalls ließ seine Willfährigkeit nichts zu wünschen übrig und gemeinschaftlich anfassend, wurde an der sonnigsten Stelle des Gartens ein Kaffeeplatz ohne Zwang und Mühe arran- girt. Die Zusammensetzung erfolgte aus den üblichen Requisiten: einem weißgestrichenen Tisch mit einem Riß in der Mitte und einem Stuhl mit schräg stehender Lehne. Schräg, vom Kippeln. Der Kaffee kam; die Sonne labte uns, alles war heiter, er- quicklich; nur eines ging wie ein Schattenstrich durch dies Bild voll Licht und Labe: der Kellner stand wie angewurzelt an unsrem Tisch. Ich hätt’ ihn wegschicken können, aber auch das erschien mir unthunlich. Es war ersichtlich, er sehnte sich nach dem süßen Laut menschlicher Stimme, einer Stimme, die ihn vergewissern konnte: „Kroll lebt noch und das Odeum ist kein leerer Wahn.“ Ich ließ ihn also stehen und führte eine jener Unterhaltungen, die man im Lauf der Jahre, ohne Wissen und Wollen, führen lernt, und die, einen gewissen öden Mittelkurs innehaltend, dem Ange- redeten das Recht gönnen weiter zu sprechen, aber zugleich durch- klingen lassen: er thäte besser, auf dieses Recht zu verzichten. Die- ser Verzicht trat endlich ein und ich war allein. Ich hatte einen prächtigen Platz inne (der Zufall hatte es glücklich gefügt), und dem sogenannten Kapellenberg, der das Thal schließt, den Rücken zukehrend, überblickte ich die ganze Anlage des Brunnens: den Park, die Gartenpartien, die Baulichkeiten. Diese Baulichkeiten, neurer Anfügungen zu geschweigen, gehören drei verschiedenen Regierungs-Zeiten an und werden danach genannt; man unterscheidet bis diesen Tag ein churfürstliches, ein alt-könig- liches und ein neu-königliches Gebäude. An Schönheit lassen so ziemlich alle drei (auch „Flügel“ genannt) gleichviel zu wünschen übrig; die „Colonnade“ indessen, die sich, unserer Stechbahn nicht unähnlich, unter diesen Flügeln hinzieht, giebt, neben manchem andern alten Hausrath, dem Ganzen einen zugleich aparten und gemüthlichen Charakter, und veranschaulicht uns, auf einen Blick, die Geschichte der verschiedenen Epochen des Bades überhaupt. Diese Geschichte ist in Kurzem folgende. Wann zuerst des Bades Erwähnung geschieht, ist nicht mit voller Gewißheit festzu- stellen. Leonhard Thurneißer , der bekannte Alchymist, schrieb zwar schon um 1572 „Zwischen Freienwalde und Neustadt, am Gebirge, ist ein Flüßlein, das führt Rubinlein mit sich, gar klein aber schön an Farbe“, — es bleibt indessen zweifelhaft, ob unter dem Flüßlein, der Freienwalder Gesundbrunnen zu verstehen ist; wenigstens fehlen jetzt (so viel wir wissen) die „Rubinlein“ die kleinen, wie die großen. Es scheint, daß man in alten Zeiten die Quelle einfach in die Thalschlucht ausströmen und ihren Weg sich suchen ließ. Nur bei den armen Leuten der Nachbarschaft genoß der „Brunnen“ eines gewissen Ansehns und man trank ihn als ein bewährtes Mittel gegen hartnäckige Fieber. Was dabei wirksam war, ist schwer zu sagen. Auch Augenkranke kamen. Sie legten von dem braunen Ockerschlamm auf das Auge, und sahen nach kurzer Zeit wieder klarer und besser. Schwerlich war es der braune Eisen- schlamm als solcher, der so vortheilhaft wirkte, vielmehr die an- haftende Flüssigkeit, die Eisenvitriol enthielt. Gehört doch der Zink- vitriol (eine Art Geschwisterkind des ebengenannten Eisensalzes) bis diese Stunde noch zu den bevorzugten Mitteln der Augen- heilkunde. Jedenfalls war der Ruf und Ruhm des Freienwalder Quells allerlokalster Natur, bis 1684 die Kunde nach Berlin und bis in das churfürstliche Schloß drang, daß in Freienwalde ein „minera- lisches Wasser“ entdeckt worden sei. Einige mit Fieber und Läh- mung Behaftete seien gesund geworden. Der Churfürst (bereits in seinen alten Tagen und von der Gicht schwer geplagt) schöpfte Hoffnung, daß ihm vielleicht das eigne Land gewähren möchte, was ihm so viele Heilquellen bis dahin versagt hatten und er schickte seinen Kammerdiener und Chemikus, den berühmten Kunckel (den Entdecker des Phosphors) nach Freienwalde, um sich von der mineralischen Kraft des neu entdeckten Quells zu überzeugen. Der Bericht lautete günstig und noch im selben Jahre trafen der Churfürst und seine Gemahlin als erste Brunnengäste im Bade zu Freienwalde ein. Nun brachen glänzende Tage an. Der Ruf von der Heilkraft des Brunnens verbreitete sich bis in ferne Gegenden (ferne, nach damaliger Vorstellung) und im nächsten Jahre, 1685, fanden sich 1500 Gäste in Freienwalde zusammen. Freilich diese 1500 Gäste waren nicht sammt und sonders Brunnengäste , vielleicht nur zum kleineren Theile. „Der Churfürst (der auch in diesem Jahre mit seinem Hofe erschienen war), ließ zehn Wispel Getreide ver- backen und die Brote sammt einer Geldbeisteuer wöchentlich zwei- mal vertheilen“ — woraus genugsam zu ersehen ist, daß die chur- fürstliche Gegenwart allerhand armes Volk herbeigelockt hatte, um von der Mildthätigkeit des Fürsten Nutzen zu ziehen. 1686 (in welchem Jahre der Churfürst nicht erschien) wurde das erste und älteste „Brunnenhaus“ gebaut, dasselbe, das unter dem Namen der „churfürstliche Flügel“ bis diesen Tag existirt. Dazu kamen allerhand Vorkehrungen und Einrichtungen: zwei Betstunden täg- lich, zwei Jahrmärkte die Woche; eine Brunnenkapelle und ein Brunnenkoch. Was diesen letztern angeht, so hatte er die Ver- pflichtung, freilich nur für die Armen, für 1½ gr ein „gutes Mittagbrod“ zu liefern. Der Churfürst that in allem, was er konnte; das nächste Jahr (1687) machte er seinen letzten Besuch. Unter der Regierung seines Nachfolgers (König Friedrichs I. ) hielt sich Freienwalde im Wesentlichen auf der Höhe seines An- sehens. Die Heilkraft des Brunnens stand noch in so gutem Ruf, daß das Wasser desselben, behufs mineralischer Bäder für den König, nach Alt-Landsberg und Nieder-Schönhausen gebracht wurde. 1704 und die zwei folgenden Jahre kam er selbst und bezog 1706 das „Schloß am Brunnen“, das schon in dem vor- hergehenden Jahre (1705) vom berühmten Andreas Schlüter für ihn aufgeführt worden war. Dies Schloß, wenn schon ein bloßer Holzbau, war ein prächtiges, mit vielen Säulen geziertes, zwei Stock hohes Gebäude, dessen oberstes Stock (so lautet der Be- richt) aus 64 Säulen bestand, auf denen das Dach ruhte. Eine Beschreibung, die ziemlich phantastisch klingt, mit der es aber doch seine Richtigkeit hat. Beckmann, in seiner „Beschreibung der Chur- mark Brandenburg“, giebt Th. I. S. 595 eine sehr hübsche Ab- bildung dieses Sommerschlosses, das mit seiner Fülle leichter gra- ziöser Säulen von äußerst malerischer Wirkung gewesen sein muß. Im obersten Stock war ein Speisesaal. Dies Schlüter’sche Bau- werk hatte nicht langen Bestand. Regengüsse unterwühlten es schon 1707, so daß der König es rasch verlassen und seine Rückkehr beschleunigen mußte; Ist dieser Bericht zuverlässig, und es liegt kein Grund vor, dies zu bezweifeln, so wirft der hier erzählte Vorgang ein interessantes und 1722 wurde es unbewohnbar gefunden und abgebrochen. Schon während der letzten Regierungsjahre des ersten Kö- nigs hatte das Bad (Friedrich I. scheint es nach jenem Vorfall nicht wieder besucht zu haben) an Ansehen verloren; unter seinem Nachfolger dem „Soldatenkönig“ sank es mehr und mehr. Ein glückliches Ohngefähr indeß wollte es, daß im Jahre 1733 einige von den allerlängsten Potsdamer Grenadieren ihre Gesundheit hier wieder fanden und von dem Augenblick an war das Bad zu Freienwalde dem König bestens empfohlen. Ein neuer Flügel (der alt-königliche) wurde gebaut, die Quellen erhielten eine neue Fas- sung und über der bedeutendsten derselben ward ein auf acht Säulen ruhendes, natürlich hölzernes Brunnenhaus errichtet, das den stolzen Namen „Tempel“ führte und folgende Inschrift er- hielt: Steh’ stille, Wanderer, betrachte diese Quellen, Sie helfen wunderbar in vielen Krankheitsfällen. Eh’ Du von dannen geh’st, gedenk’ an Deine Pflicht, Sei dankbar gegen Gott, vergiß der Armen nicht. Hast Du dies Haus und Bad bewundernd angeschaut Und fragst, warum es denn nach Tempel-Art gebaut, — So wisse, Gott ist ja der Segens-Quell allein, Darum muß unser Herz auch hier sein Tempel sein . Wie der unbekannte Verfasser die Logik dieser letzten Zeile mancherlei erklärendes Licht auf die beinahe gleichzeitigen Vorkommnisse in Berlin. 1706 stürzte am Schloß der von Schlüter (freilich gegen seinen Rath) erbaute Münzthurm ein und von da ab begann die siegreiche Ka- bale seiner Gegner. Das Verfahren gegen Schlüter ist immer als hart und ungerecht verurtheilt worden. Bringt man nun aber andererseits in Anschlag, daß fast unmittelbar darauf, im Sommer 1707, das „Münz- thurm-Malheur“ sich in Freienwalde wiederholte , so erscheint das harte Verfahren gegen Schlüter um vieles verzeihlicher. Die Kabale bleibt verwerflich, aber der König urtheilte nach dem Augenschein. (Neue Arbeiten Professor Adlers haben aus den damaligen Berliner Bauakten ohnehin dargethan, daß Schlüter, bei all seiner Größe und Genialität, doch keines- wegs schuldlos war und daß er in allem, was construktive Kenntniß an- ging, allerdings hinter seinem, ihm sonst in keiner Weise ebenbürtigen Rivalen, Eosander von Goethe, zurückblieb.) hat aufrecht halten wollen, ist schwer einzusehen. Je mehr das Herz ein Tempel ist (so sollte man meinen), je weniger nöthig wurde dieser Holzbau. Gleichviel indeß. Der Holzbau sammt seiner Inschrift ist längst hinüber und seine Alexandriner geben keine Räthsel mehr auf. Auch Friedrich II. fügte ein neues Brunnenhaus (das neu- königliche) den schon vorhandenen Gebäuden hinzu und gab da- durch dem Brunnenthal, wenn wir von feineren Zügen absehen, den Charakter, den es noch jetzt besitzt. Eine besondere Theilnahme scheint der große König dem Bade nicht geschenkt zu haben. An Schönheit der Natur bot ihm die Umgegend Potsdams kaum Ge- ringeres und was die Heilkraft des Brunnens angeht, so war es verzeihlich, wenn er den Skepticismus, der ihn auf allen Gebieten auszeichnete, auch auf den „flüchtigen Schwefel- und Brunnen- geist“, den Spiritus sulphuris volatilis “, der Freienwalder Heil- quelle übertrug. Es war übrigens die Zeit gekommen, wo Private das Bad in ihre schützende Obhut nahmen, besonders Herr We- gely aus Berlin, der unter mannigfach anderem auch Frei-Bäder für die Armen stiftete und deshalb ebenfalls in einer Inschrift verherrlicht wurde, deren Schluß lautete: Was für die Armen hier Herr Wegely gethan, Zeigt dieses Brunnenhaus der fernsten Nachwelt an; eine Aufgabe, der sich das Brunnenhaus seit längerer Zeit nicht mehr zu unterziehen vermag, da es wie der andere „Tempel“ in- zwischen vom Schauplatz abgetreten ist. An die Stelle dieser Werke der Architektur trat inzwischen als Brunnenhüterin ein Werk der Skulptur : eine Najade, mit einem Ruderstück in der Rechten, liegt lässig hingestreckt über dem Heilquell und aus der Urne neben ihr fließt der Wasserstrahl. So weit ist alles gut. Aber eine sonderbare Oekonomie hat darauf gedrungen, daß das Wasser nicht frei in ein Bassin oder eine Rinne strömt, sondern in ein untergestelltes Gefäß, das zwischen Blumenvase und Topf nur nothdürftig die Mitte hält. Der Effekt ist überaus komisch und man begreift den pausbackigen Amorin durchaus, der über die Brust der Najade hinweg, lächelnd in den Topf und auf das fließende Wasser blickt. Das Ganze ist vielleicht ein Unicum heitrer Naivetät und während es, in Form und Ge- genstand, die Antike zu copiren meint, erinnert es doch, dem Geiste nach, der es schuf, durchaus an den Humor des Mittelalters, viel- leicht zumeist an die bekannte kleine Brunnenfigur in Brüssel. Der Reiz dieser Baulichkeiten, aller dieser Werke der Skulp- tur und Architektur, ist nicht groß, und wenn es doch einen Zau- ber hat, in dieses Brunnenthal einzukehren, so muß es ein andres sein, was an dieser Stelle erquickt und labt. Ich glaube zu wis- sen, was es ist. Es ist das Gefühl eines vollen Geschützt- und Geborgenseins, es ist die Stille dieses Thales, vor allem seine Herbstes -Stille. Gewiß, daß es hier auch schön ist, wenn die Saison auf ih- rer Höhe steht, wenn die Brunnenmusik ihre Märsche spielt, wenn die Toiletten einheimischer und fremder Damen ihr Bestes thun, wenn die jungen Paare kichern und die alten Herren ihre eigenen Anekdoten so laut belachen, daß selbst die Blechinstrumente auf Augenblicke dagegen verstummen. Aber wie schön es immer in den Tagen der Saison an dieser Stelle sein mag, wenn die Najade, die sprudelnde Wirthin dieses Thales, umworbener ist als alle ihre Gäste, die jüngsten und reizendsten nicht ausgenommen, — die eigentlichste Zeit dieses Thales ist doch die, wenn der stille Herbst hier einzieht, wenn die letzte Sommerrose hinüber ist und selbst die Malve blaß wird und der Aster das Feld räumt. Ein solcher Herbsttag ist heute. Hoch in der Luft, über die Berge hin, zieht der Herbstwind; mitunter ist es, als kläng’ er bis in’s Thal hernieder, aber wir hören nur den Lüftestreit hoch oben, die Luft unten steht unbewegt. Die Vögel singen nicht mehr oder sind schon fort, nur noch das Sonnenlicht hüpft in den Zweigen. Die Tannenäpfel fallen nieder auf den Kiesweg des Parks, aber nicht losgelöst von der Schüttelhand des Windes, nur losgelöst von Alter und eigner Schwere. Die Quellen rau- schen, die Sommerfäden ziehen, Bilder kommen und gehen; dem Ohre klingt es wie leise Musik. Von wannen kommt sie? Ist es die Luft, die klingt, oder ist es das eigene Herz? 19 5. Der Rosengarten. Der Baasee . Und wo der Rosengarten war, Da soll der Liliengarten werden. Uhland. D as Brunnenthal ist still und windgeschützt, aber in seinem Rücken liegt eine stillere Stelle — der Friedhof. Es ist ein klei- ner, von einer niedrigen Steinmauer eingefaßter, mitten im Wald gelegener Begräbnißort, so recht ein Platz, wo — jeder eitle Kummer, Dir wie ein Traum zerfließt, Und Dich der letzte Schlummer Im Bienenton begrüßt, — ein Platz, der uns mit dem Gedanken des Scheidens versöhnt und uns im Tiefsten empfinden läßt: Die Ruh’ ist wohl das beste Von all’ dem Glück der Welt. Die Pforte, einladend, steht immer offen, die Waldblumen blühen draußen und drinnen und die Buchen legen, von außen her, ihre grüne Hand auf die Gräber, als wollten sie den Schlum- mer Derer, die drunter ruhn, noch ruhiger machen. Es ist dies die Begräbnißstätte nicht für Freienwalde selbst, sondern für Die, die als Gäste kamen, um Genesung zu suchen und — sie an dieser Stelle fanden. Dieser Friedhof heißt der Rosengarten . Er heißt so, nicht aus Laune oder Einfall; der Fleck Landes, der diesen Namen führt, hieß schon so, lange bevor der erste Gast durch das offen- stehende Gitter einzog. Es hat das folgenden Zusammenhang. Die weiten Waldreviere, die Freienwalde nach Westen hin umgeben und alle Thalschluchten mit Laubholz füllen, waren, in alten Zei- ten schon, immer reich an wilden Rosen, an weißen, rothen und gelben, und wer um die Johanniszeit durch diese grünen Schluch- ten zog, dem war es, als flögen Schmetterlinge vor ihm her durch den Wald. Die Stelle aber, wo die Rosensträucher am dich- testen standen und einen kleinen Wald im Walde bildeten, diese Stelle lag im Rücken des Brunnenthals und hieß der „Rosen- garten.“ Die Sträucher verschwanden allmälig, das erste Grab wurde gegraben, andere Gräber folgten, die Steinmauer wurde gezogen, — aber der Name blieb, und von den Gestorbenen heißt es sinnig und ungezwungen: „sie schlafen im Rosengarten.“ Weiter in den Wald hinein, etwa eine halbe Meile im Rücken des Rosengartens, liegt der Baa-See , ein Lieblingsplatz, und mehr denn das, der Stolz der Freienwalder. Sie überschätzen ihn offenbar, was indessen darin seinen guten Grund hat, daß er die einzige, landschaftlich in Betracht kommende Wasserfläche ist, die die schöne aber etwas monotone Freienwalder Landschaft (eine immer wiederkehrende Berg- und Wald-Coulisse) gefällig unter- bricht. Wenn noch ein anderes hinzukommt, was hier eine Repu- tation machen hilft, so ist es vielleicht der Umstand, daß der Baa- See, wie eine vielgesuchte Schöne, sich nicht finden läßt, daß er Versteckens mit seinen besten Freunden spielt, ja daß es oftmals ist, als würd’ er von Kobolden im Walde hin und her getragen. Endlich doch gefunden, wird es seiner Schönheit mit angerechnet, daß er sich überhaupt hat finden lassen. Auch wir suchten ihn, ohne ihn finden zu können. Ermattet warfen wir uns endlich in das Waldmoos, das feucht und schwel- lend um uns her stand. Wir schlossen die Augen, träumten, rie- fen auch wohl den Waldgeist, zusammt der Baa-Nixe, an, es 19* gnädig mit uns zu machen. Als wir wieder aufblickten, sahen wir, waldeinwärts, aber dicht hinter uns, zwei Mädchen-Gestalten, die tief in Farrenkraut standen und nur mit Kopf und Brust über das grüne Blattwerk hinwegragend, lächelnd zu uns herüber sa- hen. Es war wie ein Bild aus den fleurs animées . Wir wußten nicht, ob wir sie anrufen sollten, aus Furcht, die hohen Farrenkräuter möchten die zwei Köpfe wieder einziehen, die nur eben, wie neugierig, in die Welt des Lichts hineingestreckt schienen. Aber die Beiden kamen uns zuvor. Sie traten aus dem grü- nen Gestrüpp heraus, barfuß, hochgeschürzt und riefen uns zu: „Der See liegt da hinauf!“ Dabei machten sie eine Handbewe- gung nach rechts hin und zeigten die Schlucht hinan, durch die wir, auf unsern Irrfahrten, eben herabgestiegen waren. Beide Mädchen waren noch jung, die jüngere, hübschere, noch ein halbes Kind, und nachdem wir Begrüßungsworte mit ihnen gewechselt und uns an dem bescheiden-kecken Ton beider gefreut hatten, wurden wir einig, daß sie uns bis zum Baa-See hin als Führer begleiten sollten. Es ist allzeit schwer, wo immer es sei, mit jungen Dirnen ein einfach Gespräch zu führen, und den klaren, sprudelnden Ton zu treffen, in dem ihrer Seele wohl wird, wie der Forelle im Quellwasser; aber es ist doppelt schwer mitten im Walde, über dem die Mittagsschwüle brütet, nichts vernehmbar als der Specht im Tann und dann und wann das Rufen des Pfingstvogels. Zu der Scheu der Geister kommt eine Scheu der Natur, die Scheu des innersten Ich. Wir versuchten ein Gespräch, aber es scheiterte; die Einsam- keit, die sonst so nahe führt, hier zog sie eine Schranke. So ga- ben wir’s auf, und die beiden Mädchen, nunmehr unbelästigt durch unsere Fragen, schritten vor uns her, die Schlucht hinauf. Es war ein reizendes Bild; zu beiden Seiten stand der Wald und schloß sich über dem Hohlweg, in dem wir gingen; nur ein schma- ler Streifen blauen Himmels sah hindurch. Die Schlucht selbst war tief und vom Regen ausgewaschen. Die Wandungen rechts und links zeigten allerlei Wurzelgeflecht, das dann und wann phantastisch aus der rothen Erdwand hervorsah. Die beiden Mäd- chen blickten sich nicht um, sie sprachen auch nicht, aber es hielt nicht schwer, dem Gang ihrer Gedanken zu folgen. Sie sprachen die Sprache der Bewegung. Beide hatten einen elastischen Gang (eine Tugend, deren sich die Leiber unseres Volkes nur ausnahms- weise zu rühmen haben) und wie bei guten Schlägern nicht die Bewegung des Armes, sondern die Biegung des Gelenks die besten Hiebe führt, so bewegten sich auf dem Bilde vor uns nur Hüfte und Nacken, während der Unterkörper, trotz rüstigen Schreitens, in statuarischer Ruhe zu verharren schien. Die ältere wollte gefal- len, die jüngere dalberte nur, und während jene mit einem ge- wissen koketten Ernst ihre Schritte that, kicherte die andere und erröthete über Ohr und Hals. Nun kletterten sie die Wandung des Hohlweges hinauf und liefen waldeinwärts. Als wir sie wiederfanden, stand die jüngere auf einem steilabfallenden Bergeck und hielt sich mit der linken Hand an einem Wachholderbusch, während sie mit der rechten in die Tiefe zeigte. Unten lag der Baa-See, das ersehnte Ziel unserer Wanderung. Wir traten heran und hielten Umschau. Aber das Bild des Mädchens war schöner als der See; die Staffage ging über die Landschaft. Was den Baa-See zu keiner tieferen Wirkung kommen läßt, ist wohl das, daß er einer gewissen Mischgattung von Seen ange- hört und zu jener Klasse zählt, die zu finster ist, um zu erheitern, und doch wieder zu heiter ist, um den vollen Eindruck des Schauer- lichen zu machen. Viel freilich hängt dabei von der Beleuchtung und noch mehr vielleicht von der Jahreszeit ab. Wir sahen ihn bei Sonnenschein. Lachende Mädchen saßen am Ufer hin und flochten Kränze aus Moos und Wasserblumen; ein Boot mit zwei Jägerburschen fuhr über den See, der eine ruderte, während der andere von Zeit zu Zeit Hornsignale in den Wald blies. Die Mädchen am Ufer richteten sich auf, grüßten mit flatternden Hutbändern und klatschten Beifall; Sonne, Lust und Liebe schienen sich ein Rendezvous an dieser düsteren Stelle haben geben zu wollen. Es war, als ob der Griesgram lachen sollte; aber es ging nicht, es kleidete ihn nicht. Ich fürchte, wir haben den Baa-See zur Unzeit gesehen. Ungleich schöner muß es hier sein, wenn das Laub hin ist und statt der grünen Kronen die grauverzweigten Stämme ihr Bild in den See werfen; am schönsten aber in Sturm- und Winternäch- ten, wenn der Mond grell-eisig am Himmel steht und statt des Jagdhorns des Jägerburschen, das eben verklingt, das Halloh des wilden Jägers über Wald und See zieht. 6. Hans Sachs von Freienwalde . Ich habe schon wieder auf Lieder gedacht, Ich fühle so frisch mich, so jung. Chamisso. D ie Straßen in Freienwalde sind Hügelstraßen und führen berg- auf und bergab. Die belebteste derselben, die Berliner Straße, ha- ben wir eben ihrer ganzen Länge nach passirt und noch immer nicht gefunden, was wir suchen. Aber das muß es sein — es ist das letzte Haus. Ein Berg und eine Kirche bilden den Hintergrund, nach der Straße zu stehen drei Linden und inmitten dieser Land- schafts-Requisiten erhebt sich ein alter Fachwerkbau, an dem ein erkerartig vorspringendes Fenster und zwei Rosenbäume so ziemlich das Beste sind. Die Rosenbäume fassen das Fenster ein, aber sie müssen den schmalen Raum mit zwei Aushänge-Brettern theilen, auf denen wir im Lapidar-Styl lesen: „Schirme reparirt; Drechs- lerarbeit in Holz und Horn.“ Dazu eine große, in Holz geschnit- tene Tabackspfeife, die als Ornament deutungsreich über dem Ganzen schwebt. Das ist allerdings, was wir suchen. Hier wohnt Carl Weise , Poeta und Drechslermeister von Freienwalde, Drechselt Pfeifen in guter Ruh Und macht auch wohl ’nen Vers dazu. Das Ganze hat das Anheimelnde einer Poetenwohnung alten Styls und wir treten guten Muthes ein. Eine Thürklingel — nicht eine von den geräuschvollen, die, einmal in Bewegung gesetzt, wie ein bellender Dorfspitz, gar kein Ende finden können, sondern eine von den leisen, wohlerzogenen — kündigt unser Eintreten an und eh wir uns noch in dem Halbdunkel (für das die draußen- stehenden drei Linden sorgen) zurecht gefunden haben, erscheint aus der Werkstatt her, wo wir eben noch das Schnurren des Rades hörten, ein stattlicher Mann, hemdsärmlich, im Arbeits-Kostüm und sieht uns freundlich fragend an. Er ist ein Vierziger, brünett, groß, breitschultrig, seiner ganzen Erscheinung nach von südslawi- schem Typus und nach Teint, Haltung und Schnurrbart viel eher ein Sereschaner-Hauptmann, als ein Drechslermeister oder Poet. Nichtsdestoweniger ist er beides und in dem friedliebendsten Dialekt der Welt, im reinen Hallensisch, fragt er nach unsrem Begehr. Wir reichen ihm die Hand, sagen ihm, daß wir, als gelegent- lich Versbeflissene, gekommen wären, „um das Handwerk zu grü- ßen“ und daß wir vorhätten, wenn irgend möglich, den Abend mit ihm draußen im Freien zu verplaudern. Unser Poet schlägt ein, die eben untergehende Sonne mahnt ohnehin an Feierabend und sich auf Minuten bei uns entschuldi- gend, führt er uns zunächst in das nebenan gelegene Zimmer, das, mit seinen geschmückten Wänden, die Honneurs des Hauses macht. Wir benutzen diese Pause, uns in dem Putz- und Empfangs- zimmer neugierig umzusehen und sind überrascht von der Sinnig- keit der Anordnung. Wenn das ganze Haus ein Poetenhaus ist, so ist dies das Poetenstübchen. Blumen und Bilder wechseln unter einander ab; Geranium und Primel blicken schüchtern zu einer Flora auf, Epheutöpfe spannen ihren grünen Bogen über Schrank und Spiegel und zwischen allermodernste Farbendrucke drängen sich, in breiten Ebenholzrahmen, ein paar altfranzösische Stiche: „Vue des Environs de Saverne; dedié à Madame la Marquise de Vilette, Dame de Ferney-Voltaire.“ Das scheint nicht zu einander zu passen, aber es paßt alles sehr gut. Was unsere mo- dernen Zimmereinrichtungen so langweilig macht, das ist das Schablonenhafte und das Beziehungslose . Hier hat alles eine Beziehung, eine Geschichte, wäre diese Beziehung auch oft keine andere, als, innerhalb der Kleinwelt, eine mühevolle Eroberungs- Geschichte. Unser Poet hat sich inzwischen reisefertig gemacht und bietet uns freundlich seine Führerdienste an. Wer wäre dazu geeigneter, als er, der nicht nur alle Wege und Stege der Umgegend kennt, sondern auch die schönsten Punkte in Berg und Thal besungen hat; die vorgeschrittene Stunde aber macht es uns wünschenswerth, auf entferntere Touren zu verzichten und unsere Wünsche beschei- dentlich in ein „je näher, je besser“ kleidend, schreiten wir dem unmittelbar vor der Stadt gelegenen Schloßgartenberg zu, dessen bauliche Anlagen (Schloß, Pavillon ꝛc.) wir schon in einem frü- heren Kapitel kennen lernten. Aber heute lassen wir Schloß und Pavillon am Abhang des Berges liegen und steigen höher hinauf, wo schmale durchs Park- holz geschlagene Wege in endlosen Windungen die obere Hälfte des Hügels umziehen. Kein besserer Plauderweg denkbar, als solch ein Schlängelweg. Die gerade Linie, die den Raum mißt, hat auch etwas von einem Zeitmesser, und die 7mal auf- und abge- schrittene Avenue wirkt unwillkürlich wie ein 7mal gerückter Zeiger; aber der Schlängelweg entzieht sich jeder Zeitcontrole und die Frage nach dem „zuviel“ wird rein praktisch durch den ermüdeten oder nicht ermüdeten Fuß entschieden. Die Füße aber ermüden schwer bei guter Unterhaltung und solcher erfreuen wir uns an der Seite unseres Führers und Genossen. Von Zeit zu Zeit, wo eine Lichtung im Park einen Blick ins Freie gestattet, stockt das Gespräch, aber es ist nur ein lässiges Fallenlassen des Fadens, — er ruht nur, er ist nicht abgeschnitten. Ungesucht nimmt sich das Gespräch an selber Stelle wieder auf und in die stille Abendland- schaft, mit ihrem wechselnden Hintergrund, stellt sich immer klarer die Gestalt, das Bild unseres Freundes, wie sein eignes Wort es vor uns entrollt. Er beginnt mit Schilderungen aus seiner Heimath, seiner Kindheit. Am Giebichenstein spielt er umher; er singt und klettert unter Fels und Trümmern, und thut unbewußt seinen ersten Trunk aus Romantik und Märchenwelt. Er singt „des Knaben Berglied“, er hat eine klare Kinderstimme; aber was frommt dem „armer Leute Kind“ Lied und Gesang, wenn beide nicht zu erwerben verstehen? und so finden wir unseren jungen Freund in den dun- keln Straßen Halle’s wieder, — er trägt den Currende-Mantel, und singt um’s Brot. Sei’s drum, es haben es bessere vor ihm gethan. Aber Frau Musika führt einen knappen Haushalt und andere freie Künste müssen helfen. Zunächst die Dichtkunst. Zunft- mäßig tritt er bei ihr ein; Friedrike Schmidt, eine blinde Dich- terin seiner Vaterstadt, diktirt ihm ihre Lieder und gelehrig wie er ist, lernt er der Frau Meisterin die paar Handtirungen ab, die ihre Kunst ausmachen und versucht sich selbst alsbald in seinen ersten Versen. Glückliche Jahre waren es, diese Lehrjahre bei der freien Zunft, aber wirkliche Lehrjahre sollten folgen, die Drechslerkunst löste die Reimkunst ab, und an die Stelle der blinden „Frau Meisterin“ trat ein Meister, der scharf nach dem Rechten sah. Wer indessen, so fragen wir, der gesunden und vor allem poetischen Geistes ist, trüge nicht verhältnißmäßig leicht diese Tage des Lernens und der Laune, diese Tage voll Zwang und Druck und Enge? Auch der Bedrückteste, er sieht ein Ende ab; in wei- ter, aber immer kleiner und kürzer werdender Ferne, jetzt drei Jahre, nun zwei, jetzt nur noch eins , steht es wie ein Lichtschein und wächst und nimmt Gestalt an, und endlich erkennbar gewor- den, sehen wir wie die Gestalt nach außen zeigt, jenseit des Gitterthores, in ein weites Land der Freiheit hinein. Das sind die Wanderjahre, die den Lehrjahren folgen, — ein Wechsel, den das Leben jedem bescheert, er sei hoch oder niedrig geboren, sei „Bursch“ oder Handwerksbursche. Diese Zeit der Freiheit kam endlich auch unserm Poeten, — er wanderte. Er wanderte mit Lust und seine Lieder selbst haben uns ein paar Klänge davon aufbewahrt. Er zog weit umher, arm, glücklich, liederfroh, bis er plötzlich, wie mancher vor ihm, eine Leere und eine Sehnsucht in seinem Herzen wach werden und wachsen fühlte, die ihn nun wieder heimwärts trieb. Er sang: Wir sind nicht blos zum Wandern (Wie’s immer auch gefällt), Wir sind zu manchem andern Und bessrem in der Welt; und mit dieser Betrachtung kehrte er in seine Vaterstadt zurück. Die Heimath nahm ihn wieder auf, und wenn sein Wander- leben poetisch gewesen war, wie es das Vorrecht allen Wander- lebens ist, so war es ihm nun, bei seiner Rückkehr, vor manchem andren Wandrer beschieden, daß er nicht aus der Poesie des Um- herstreifens in die Alltags-Prosa eintrat, sondern daß der Roman seines Lebens nun erst voll begann. Dem lyrischen Vorspiel folgte die dramatische Aktion; an Effekt-Scenen kein Mangel. Die Personen, die in diesem Drama kommen und gehen, leben zum großen Theile noch und so sind uns an dieser Stelle nur Andeutungen gestattet. Verlobungen aus Träumerei und ro- mantischem Ehrbegriff, Trauungen auf dem Todtenbett, räthselhafte Wiedergenesungen, Entsagungen aus phantastischer Opferfreudigkeit und Trennungen aus Liebe, dabei Armuth in Reichthum und Reichthum in Armuth, so jagen sich die wunderlichsten Scenen und Gegensätze, bis wir, nach einem Leben, das „den Roman auf seinem eigenen Felde schlägt“, unsern Freund in die einfachsten Verhältnisse zurückkehren und an der Seite der schlichtesten, aber besten Frau endlich Ruhe finden sehn. Diese Ruhe indessen entbehrte der Sorge nicht. Schwere Zei- ten kamen und in diesen schweren Zeiten begann die Saite wieder zu klingen, die in den Jahren reicher und sich drängender Erleb- nisse geschwiegen hatte. An der Drehbank, unter dem Surren des Rades, fielen mit den phantastisch gekräuselten Flocken auch wieder die ersten Lieder ab. Sie fanden freundliche Hörer, bald auch Leser, und jenen ersten Liedern sind seitdem andere gefolgt. Wir wenden uns hier von unserm plaudernden Freunde, nach dessen Mittheilungen wir diese Skizze zu zeichnen versuchten, ab und statt dessen seinen Liedern zu. In seiner ersten Sammlung, die den fast allzupoetischen Titel „Blumen der Wälder“ führt, erblicken wir ihn nicht auf seinem eigentlichsten Gebiet, überhaupt aber mit einer Aufgabe beschäftigt, die schwerlich jemals von einem Dichter gelöst worden ist. Es han- delt sich in diesen Liedern um eine Verherrlichung der Freienwal- der Natur und die ursprüngliche Absicht des Dichters scheint auf nichts geringeres ausgegangen zu sein, als in einem wahrhaft be- ängstigenden Drange nach Vollständigkeit, jeder Kuppe (er ver- zeihe den Ausdruck) einen poetischen Zettel umzuhängen. Das glückt nie. Eine solche Aufgabe ist unpoetisch in sich und in der- selben Weise wie es unmöglich ist, auf sämmtliche Schiffe der eng- lischen Flotte, oder auf sämmtliche Regimenter der preußischen Ar- mee einen Sonetten-Cyclus zu machen, so verbietet es sich auch, die weitausgespannte Freienwalder Landschaft, Nummer für Num- mer zu besingen. Der Verfasser scheint das schließlich auch selber empfunden und den zweiten, bereits angekündigten Band (der weitere 20 Lieder derart bringen sollte) glücklich unterschlagen zu haben. Was diesen „Blumen der Wälder“ indessen, wenigstens in dem dichterischen Entwickelungsgange unseres Freundes, einen Werth verleiht, das ist ein zufälliger, in gar keiner Beziehung zu den übrigen Liedern der Sammlung stehender Anhängsel, worin der Dichter unserm Altmeister Friedrich Rückert (dem er auch die Sammlung gewidmet hat) seine Huldigung darbringt. Dies Lied nennt sich „Meister Rückert und sein Lehrjunge“ und ist ein sehr glücklicher Griff. Es ist frisch, natürlich, originell. Der geschilderte Hergang ist folgender: Unser Freienwalder Freund hat vor, dem alten Rückert zu seinem 70. Geburtstage in Versen zu gratuliren. Er schickt Frau und Kinder möglichst früh zu Bett und setzt sich bei der sprüchwörtlich gewordenen „Poeten-Lampe“ nieder, um Gedanken und Reime zu Papier zu bringen. Aber auch Poeten- Lampen verzehren Oel und die wackere Hausfrau (die schließlich doch für Alles aufkommen muß) stellt von ihrem Bett aus ein- schneidende Betrachtungen über diesen Gegenstand an. Endlich, auf der Höhe des Conflicts, tritt unser Dichter aus der Wolke des Geheimnisses heraus und erklärt, um was es sich handle. Nun wendet sich das Blatt. „Mit Vater Rückert ist das was andres“; über unsere Poetenfrau kommt ein wahrer Opfermuth, und siehe da „Als durch’s Immergrün umschmückte Nied’re Werkstattfensterlein Gold’ner Frühstrahl mich erquickte, Schloß ihr Kranz mein Liedchen ein; Schüchtern wag’ ich’s darzubringen, — Vieler Lied wird heut’ Dir klingen, Sinn’ger alle wohl wie mein’s, Inn’ger aber doch wohl keins.“ Dies Lied weckte unsrem Poeten viele Freunde, aber was wichtiger ist, es stellte ihn und sein Talent an den rechten Fleck. Er selbst schon, in dunkler Ahnung davon, hatte diesem Liede das Motto gegeben: „ Geh vom Häuslichen aus und verbreite Dich so gut Du kannst über die Welt.“ Wie diese Worte Motto sei- nes Liedes gewesen waren, so wurden sie nun auch das Wort, die Mahnung für sein poetisches Schaffen. Das Haus und sein persönliches Erlebniß innerhalb desselben, vor allem seine blonde Frau, in ihrer Schlichtheit und Häuslichkeit, wurden der Mittel- punkt seiner Dichtung und mit innigem Gefühl konnte er von der letztern singen: Als Bestes wardst Du mir gegeben, Du, die nicht meine Lieder lies’t, Und dennoch Stoff aus ihrem Leben In jedes meiner Lieder gießt. Ein neuer Geist kam in sein Schaffen, das Gezwungene fiel fort, das Natürliche trat an die Stelle und ein Jahr später konnte er der Welt seine erste wirkliche Dichtung bieten. Sie führt den Titel die „Braut des Handwerkers“. Es ist ein Idyll, das uns, in fünf Kapiteln, vom Morgen bis zum Abend des Hochzeitstages führt. Alles was uns ein Menschenherz lieb und werth machen kann, das klingt hier zusammen: Genügsamkeit, kindlich-frommer Sinn, Liebe, Pietät und Gottvertrauen. Die ersten Gesänge (viel- leicht die gelungneren) zeigen uns die Braut, wie sie das „ein- gebrachte Gespinnst“ vor dem Bräutigam ausbreitet, darunter auch ein Leinenstück, bei dessen Anblick ihr unwillkürlich die Thränen aus den Augen brechen. Es erinnert sie an ihre Kinderjahre, an den Tag, wo, nach Feuersbrunst und Noth und Krankheit, die fleißige Hand ihrer Mutter, das Garn zu diesem Stück zu spin- nen begann. Sie entsinnt sich auch der Worte, die damals die Mutter zu ihr sprach und sie wiederholt sie jetzt: Setz auf den Herrn Dein ganzes Hoffen, Laß nie von ihm bei Andrer Spott; Jemehr das Unglück Dich betroffen, Je inn’ger schließe Dich an Gott; Laß Fleiß durch Deine Tage blühen Und heiter lächeln wird ihr Glanz, Hoff’ und vertrau, auf Schweiß und Mühen Legt endlich Gott den Segenskranz. Es wird das Häuschen neu erstehen, Wir werden es nach Gottes Rath Im Schmuck der Reben wiedersehen, — Aus Thränen sprießt die Freudensaat. Und nun, mein Kind, frisch angefangen, Bring Arbeit mir ans Lager her, Beim Schaffen haben Gram und Bangen Auf unser Herz die Macht nicht mehr . Mit diesen Worten, die sich mehr denn einmal auch an unsrem Freunde selber bewährt haben, nehmen wir Abschied von ihm. Noth und Sorge, wie wir gesehen haben, sind ihm nicht geschenkt worden und er liebt es wohl, nicht ohne einen leisen Anflug von Bitterkeit, sein Leben mit dem des Gellertschen Esels zu vergleichen, den alle drei Brüder benutzen und alle drei futtern sollten; „sie benutzten ihn auch alle drei, aber keiner futterte ihn.“ Indessen sei es drum; eben der Segen der Arbeit, von dem jene Strophen sprechen, hat auch ihm über vieles hinweggeholfen; Hu- mor und Dichtkunst haben ein weitres gethan und werden es fer- ner thun. Vor allem aber möge ihm, in Leben und Dichten, der be- scheidne Sinn verbleiben, der ihn an die Spitze seiner ersten Lie- dersammlung die Worte stellen ließ: Wenn Du auch nur Kleines leistest, Wird Dir’s doch zum Ruhm gereichen; Wenn Du nur Dich nicht erdreistest, Es dem Großen zu vergleichen. Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens. „Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel Auf seinen Pfaden hinterdrein.“ Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel. Goethe. Ein Kind aus schwarzer Menge blickt, Es lächelt sterbensweh und nickt Und macht im Saal die Runde. E. Mörike. D ie Hügel sind Freienwaldes Schönheit und sein Schatz. Wer, der je in der märkischen Schweiz war, hätte nicht vom Ruinen- und Kapellenberg, von der Königshöhe und dem Monte Caprino gehört; heute aber an allen diesen Punkten schöner Aussicht vor- übergehend, machen wir den entfernter gelegenen, halb verwilderten Schloßberg zum Gegenstand unsres Besuchs, auf dem laut Sage und Tradition die alte Burg der Uchtenhagens stand. Die Uchtenhagens saßen hier um Freienwalde herum drei, vielleicht auch vier Jahrhunderte lang, und emsiger, neurer For- schung ist es gelungen, die Schicksale dieses Geschlechts, die eine Zeitlang nur noch unklar dämmerten, wieder klar und deutlich an das Licht der Geschichte zu ziehn. Aber die historische Forschung, so viel ihr gelang, vermochte doch nicht, bis auf die Anfänge des Geschlechts zurückzugehen. Diese Anfänge sind im Bereich der Sage geblieben und wir scheiden alles was wir von den Uchtenhagens wissen, richtiger, alles was wir von ihnen zu erzählen haben wer- den, in eine sagenhafte und eine historische Zeit. Die histo- rische Zeit, die etwa gegen Ausgang des 14. Jahrhunderts be- ginnt, findet die Uchtenhagens bereits in Freienwalde vor ; aber die Frage bleibt ungelöst (wenigstens von der Geschichte): wie ka- men die Uchtenhagens nach Freienwalde hin ? Der Lösung dieser Frage unterzieht sich ausschließlich die Sage, ja sie geht noch einen Schritt weiter und beantwortet, ohne historische Skrupel, zugleich die Frage nach dem eigentlichen Ursprung des Geschlechts. Die Sage, selbstverständlich, schwankt in ihren Angaben über diesen Punkt und führt in ihrer einen Version den Ursprung des Geschlechts auf die märkischen Jagows, in der andern Ver- sion auf die pommerschen Wedells zurück, auf die Wedells, deren einer (so erzählt sie) seinen Lehnsherrn, den Pommernherzog, mit- ten in der Schlacht an den brandenburgischen Markgrafen ver- rieth, und für diesen Verrath mit Freienwalde belohnt und be- lehnt wurde. Uebrigens ein Verrath nicht um Goldes willen, son- dern aus Zorn und Rache. Die andre, die Jagow-Version, hat einen einschmeichelnderen Klang und sei darum an dieser Stelle in Kürze erzählt. Hennig von Jagow („klein an Gestalt, aber hoch an Gemüth“, wie es von ihm heißt,) nachdem er sich, verdient oder unverdient, die Un- gnade des Markgrafen zugezogen hatte, war aus dem Lande ver- bannt worden. Ein Preis stand auf seinen Kopf. Jagow indessen, unwillig, das Land zu verlassen, daran er hing, zog sich, bis an die Oder hin, in die Sümpfe und Wälder zurück, die damals die Ostgrenze des markgräflichen Besitzes bildeten, also aller Wahr- scheinlichkeit nach in die Berge und Brüche der Freienwalder Ge- gend. Hier lebte er, mit andren Verbannten und Ausgestoßnen, das Leben der Geächteten, ungekannt, namenlos, aber sicher im Schutz der Wälder. Es war ein Leben voll Kampf und Gefahr, voll Uebermuth, Raub und Poesie, genau so, wie uns alte Bal- laden und Volksgesänge das Leben des Robin Hood, dieses un- erreichten Vorbilds poetischen Wald- und Räuberlebens, geschildert 20 haben. Es war ein Leben voll Poesie; aber unser Jagow trug doch schwer daran, denn es zog ihn unter die Menschen und in die Nähe des Markgrafen zurück und seine Seele trachtete mehr und mehr nach einer Gelegenheit, sich die Gunst seines Herrn, den er liebte, neu zu erwerben. Diese Gelegenheit bot sich endlich. Es kam zu einem Kriege mit den Pommern und um Freienwalde her- um stießen die Heere des Pommern-Herzogs und des Markgrafen auf einander. Man focht Mann gegen Mann ( collato pede wie der Chronist erzählt), und der Sieg neigte sich schon den Pom- mern zu, als Jagow aus der Waldestiefe mit seinen Geächteten hervorbrach. Er faßte den Feind in Flanke und Rücken, und nach tapfrer Gegenwehr wandten sich die Pommern zur Flucht. Aber nur wenige erreichten die Oder; die Mehrzahl wurde niedergemacht und färbte den Boden mit ihrem Blut. Die Stelle, wo die Schlacht stattfand, heißt bis diesen Tag das „rothe Land.“ Ja- gow, vor den Markgrafen geführt, wurde mit dem Lande be- lehnt, auf dem so glücklich gekämpft worden war; — um aber sein Wort zu halten, „daß Henning von Jagow nie mehr vor seinem Auge erscheinen solle,“ nahm er den Namen, der an alte Zeiten und alten Groll erinnern mochte, von ihm und nannte ihn Uchtenhagen, weil er „uht dem Hagen“ d. h. aus dem Walde, zu seiner, des Markgrafen, Rettung herbeigekommen war. So weit die Jagow-Sage. Die andre Version, die, wie schon erwähnt, den Ursprung des Geschlechts auf die Wedells zu- rückzuführen trachtet, hat viel verwandtes damit. Beide haben den Pommernkrieg, den Schlachtengrund um Freienwalde herum und den Umstand mit einander gemein, daß, in einem wie im andren Fall, dem hartbedrängten Markgrafen eine unerwartete Hülfe kam, eine Hülfe, für die er sich, durch Belehnung mit dem Grund und Boden, auf dem gekämpft worden war, dankbar erwies. Das Ab- weichende liegt nur darin, daß uns die eine Sage von einem be- gangenen Verrath, die andre von einer That der Treue erzählt. Wenden wir uns nunmehr der Frage nach dem historischen Gehalt dieser Sagen zu, so hat es damit muthmaßlich nicht viel auf sich. Es ist zwar wahr, daß das Wappen der Uchtenhagen, der Wedell und der Jagow, ein und dasselbe ist (ein rothes Rad im silbernen Felde); aber diese Wappengemeinschaft, so viel, ja so entscheidendes sie für die Zusammengehörigkeit der drei Familien beweist, so wenig beweist sie speciell für einen etwaigen historischen Kern des eben Erzählten. Es giebt ein Dorf Uchtenhagen bis die- sen Tag in der Altmark, und wenn auch bisher noch nicht fest- gestellt werden konnte, wann und unter welchen Umständen das Geschlecht, das jenem altmärkischen Dorf den Namen gab oder ihn, umgekehrt, von ihm erhielt, in die Freienwalder Gegend kam, so scheint doch so viel gewiß, daß das Geschlecht weder aus den Wedells, noch aus den Jagows (wie die obigen beiden Sagen erzählen) erwuchs, sondern von Anfang an, als zu einer gemein- schaftlichen Sippe gehörend, mit und neben ihnen stand. Alles spricht dafür, daß beide Sagen erst in der Nach-Uchtenhagenschen Zeit d. h. also nach dem Erlöschen des Geschlechts entstanden sind. Sie gehören höchst wahrscheinlich der Klasse der bloßen Zurecht- machungen, jenen nachträglichen Erfindungen an, die ihre Wur- zeln nicht auf dem Berge, sondern uns zu Füßen haben, Sagen also, die weniger jenen Epheus gleichen, die natürlich-phantastisch von oben her zu uns herniedersteigen, als jenem Epheu, den wir künstlich am Spaliere von unten nach oben ziehn. Aber das mangelnde historische Fundament soll uns nicht undankbar machen gegen die Sage selbst, die, sie sei jung oder alt, verwirrend oder die rechten Wege führend, um ihrer selbst willen ihre Berechtigung hat. Wir überlassen uns deshalb, eh wir in das Gebiet der Geschichte eintreten, auch jetzt noch ihrer Füh- rung und erfahren von ihr, nachdem wir sorglos ihren heraldi- schen Märchen und ihrer Erzählung von dem Erscheinen der Uch- tenhagen in Freienwalde gelauscht haben, daß der Schloßberg es war, auf dem sich die erste und älteste Burg der Uchtenhagen erhob. Diesem Schloßberg gilt jetzt unser Besuch. Wir haben Freienwalde mit der Nachmittagspost erreicht und 20* einem jener Cicerones, die den Posthof zu umstehen pflegen, ver- traulich mitgetheilt, daß wir noch vor Sonnenuntergang oder doch vor dem Hereinbrechen vollständiger Dunkelheit den Schloßberg zu sehen wünschten, zu Fuß, wenn es nicht allzuweit, zu Wagen, wenn nöthig. Da in den Cicerones von Freienwalde gemeinhin mehrere Aemter cumuliren, mindestens aber die Metiers des Füh- rers und des Fuhrmanns zusammenzutreffen pflegen, so ist die Antwort selbstverständlich und nach einer halben Stunde rollt ein Einspänner vor, der nicht voll bis in die Zeit der Uchtenhagens zurückreicht, aber doch beinah. Der Hintersitz ist leer, auf dem Vordersitz befindet sich unser Führer selbst, nunmehr als Kutscher, und knipst mit der Peitsche, um sich in seinem neuen Amte zu beglaubigen. Er trägt einen hellgrauen Flausrock, dazu eine schwarze Tuchmütze, deren Schirm halb über sein Gesicht fällt. Was auf den ersten Blick überrascht, ist das, daß er nicht raucht. Aber freilich jene eigenthümliche Klasse von Personen, der er zu- gehört, und deren es in jedem Dorfe mindestens einen giebt (auch in kleinen Ackerstädten kommen sie vor), raucht nie. Es sind dies die Träger der Volkspoesie, die Sagenhüter, die Märchenerzähler des Nordens. Sie sind gutgeartet, redselig und schweigsam zugleich, lieben die Scholle, darauf sie geboren, haben einen Anflug von Kränklichkeit und wandern, halb bewundert und halb belächelt, aber wegen ihrer Verträglichkeit wohlgelitten, wie Fremdlinge unter der derberen Dorfbevölkerung einher. Wiewohl gelegentlich von einer phantastischen Scharfsinnigkeit, haben sie in den gewöhnlichen Verhältnissen des Lebens doch nichts von jener Bauernschlauheit, die sprüchwörtlich geworden ist. Das Feld ihres Geistes, überhaupt von bescheidner Tragkraft, ist von der Phantasie überwuchert, und so gleichen sie einem Ackerfeld, das zu schwach ist, um ernste und solide Frucht zu tragen, aber dem schönen Unkraut Platz gönnend, desto üppiger in rothen und blauen Blumen steht. So ist auch unser Führer und Fuhrmann, dessen Einspänner vor uns auf dem Posthof hält. Ueber den Platz, den wir einzu- nehmen haben, sind wir nicht lange in Zweifel. Natürlich über- lassen wir den in Riemen hängenden Hintersitz seinem Schicksal und setzen uns auf das Vorderbrett unmittelbar neben den Flaus- rock, nicht gewillt, eine zweifelhafte Bequemlichkeit auf Kosten bes- serer Unterhaltung zu erkaufen. Denn es unterhält sich schlecht auf den Rücken andrer Leute los. Noch einmal ein Peitschenknips, diesmal nicht in die Luft, sondern in die Weichen des Einspänners, und über das Straßen- pflasters hin, das noch die alten Traditionen des Ortes wahrt, holpert und rasselt unser Wagen, dessen Hintersitz die komischsten Sprünge macht, aus der Stadt hinaus, in den Freienwalder Kiez hinein, bis plötzlich das Holpern und Rasseln einem süßen Gefühl der Glätte und jenem leis knirschenden, im Kiessand mahlenden Tone weicht, den jeder kennt, der aus dem Sturm und Drang schlecht gepflasterter Straßen in den stillen Hafen einer Chaussee eingemündet ist. Der Weg, derselbe, der von Freienwalde nach Falkenberg führte, ist glatt, der Abend schön. Duft und Nebel steigen aus den Wiesengründen auf; der Wald zur Linken, wie es im Liede heißt, steht schwarz und schweigend und nur vor uns, nach Nord- westen hin, glüht noch der Abendhimmel in wunderbaren Farben- spielen durch die Nebel hindurch. Es ist just die Stunde, um den Schloßberg und die Burg der Uchtenhagen zu besuchen; die Landschaft selbst ist wie ein weites Thor aufgethan, roth und gol- den, um in das Land der Sage einzuführen. Es labt uns das Bild und die Frische des Abends, aber endlich haben wir abgeschlossen mit der Landschaft und ihrem Reiz, und fühlen ein leises Unbehagen über das Schweigen unsres Füh- rers, an dessen Seite wir doch Platz genommen, um bequemerer Unterhaltung willen. Die ersten Hügelparthien liegen bereits hinter uns, wir müssen bald halben Weges sein, aber er schweigt noch immer. Da der Berg nicht zum Propheten kommt, so bleibt nichts andres übrig, als das alte Auskunftsmittel, und blindlings in die allerbequemste Form der Unterhaltung hineintappend, beginn ich mit der Frage: Sagen Sie, wie denken Sie über die Uchtenhagens? Der Angeredete läßt sich Zeit, und zweimal mit der Leine auf den Rücken des Pferdes klatschend, um die lange Pause min- der auffällig zu machen, antwortet er endlich in sehr unbestimmten Ausdrücken: Ja, da ist viel. Der Wagen rollt weiter in den stillen Abend hinein, dessen allerstillste Stelle unser Wagen zu werden droht. Ich will aber die Stille unterbrechen, es koste was es wolle, und fahre also fort: Sagen Sie, hier soll ja auch eine große Schlacht gewesen sein, hier hinter den Bergen; ich glaube, sie nennen es das „rothe Land.“ Er nickte mit dem Kopfe. Nun sagen Sie mir, ist denn das Land noch immer roth? „So roth“ antwortete er, halb wie im Echo, auf meine Frage und machte dabei eine Handbewegung, als ob er sagen wollte: lieber Herr, sprechen wir davon lieber nicht. Nichtsdestoweniger hatte diese Frage das Eis gebrochen (ich sah das an seiner veränderten Haltung), und mit der Rechten auf die quadratmeilenweite Niederung deutend, die all einst Uchten- hagenscher Besitz gewesen war, fuhr ich fort: Die Uchtenhagens müssen sehr reich gewesen sein. Er sah unter seinem Mützenschirm zu mir auf, ein halbweh- müthiges Lächeln flog über sein Gesicht, dann wiederholte er nur meine Worte: die Uchtenhagens müssen sehr reich gewesen sein. Es war ersichtlich, daß er einen Nachsatz machen wollte, ihn aber rücksichtsvoll verschwieg; ich kam ihm also auf halbem Wege entgegen und ergänzte: Sehr reich, aber wie ? Dies Wort schien wie ein Erkennungszeichen auf ihn zu wir- ken, an dem er nun Gewißheit zu finden glaubte, daß ich einer von dem romantischen Geheimbund sein müßte, der nach Art andrer Geheimbünde, zwar seine unausgesprochenen, aber nichts- destoweniger seine ganz bestimmten Erkennungszeichen hat. Er wußte nun, daß er sprechen dürfe, ohne Furcht vor Profanation. Er wartete auch keine weitere Frage ab, rückte vertraulich näher und sagte: Wissen Sie denn, was sich die Kiezer hier er- zählen? Da war hier in Freienwalde, in der Uchtenhagenschen Zeit, ein Böttcher, der wohnte neben dem Kirchhof und hieß Trampe. Das Wasser stand damals bis an die Stadt heran, und zwischen Trampe’s Haus und dem Wasser lag nur der Kirchhof. Eines Nachts hörte Trampe ein Knurren und Winseln und er trat an’s Fenster, um zu sehen, was es sei. Er sah aber nichts als den Vollmond, der am Himmel stand. Er legte sich wieder nieder und warf sich eben auf die rechte Seite, um wieder einzuschlafen, da hörte er seinen Namen rufen: „Trampe“, dreimal; dann wurde es wieder stille. In der nächsten Nacht ebenso. Trampe, der sonst nicht furchtsam war, meinte nicht anders, als er werde nun sterben müssen; er ergab sich aber in sein Schicksal und dachte: „wenn es wieder ruft, dann wirst du folgen, es sei wohin es sei.“ Und in der dritten Nacht rief es wieder. Trampe trat nun auf den Kirchhof hinaus, und als er sich umsah, war es ihm, als liefe etwas wie ein Hund zwischen den Gräbern hin und her; er konnt’ es aber nicht genau sehen, denn das Kirchhofgras stand sehr hoch. Trampe folgte der Spur, die nach der Wasserseite des Kirchhofs hinführte, und als er an den Strom kam, sah er einen Kahn, der mit der Vorderhälfte im Wasser, mit der Hinterseite aber auf dem Trock- nen lag. An der äußersten Spitze des Kahns stand ein schwarzer Pudel mit zwei Feueraugen und sah Trampen so an, daß dieser dachte, hier ist Einsteigen das Beste. Kaum, daß er saß, so fuhr der Kahn, als ob er von hundert Händen geschoben würde, wie ein Pfeil in den Fluß hinein und über das Wasser fort. Hier unterbrach sich der Erzähler einen Augenblick, um mir die Linie zu beschreiben, die der Kahn damals gezogen haben müsse und fuhr dann fort: Keiner steuerte, keiner führte das Ruder, aber der Kahn ging rechts und links, immer wie der Pudel den Kopf drehte; so ka- men sie bis an den Schloßberg. Der Kahn lief auf, beide spran- gen an’s Ufer und stiegen bergan. Es war inzwischen dunkel ge- worden, der Mond war unter, aber ob nun der Hund rückwärts bergan lief, oder ob er den Kopf nach hinten zu gedreht hatte, gleichviel, Trampe sah immer die zwei Feueraugen vor sich, die ihm bis oben hinauf den Weg zeigten. Als er in den Burghof trat, standen da wohl hundert Fässer, alle voll Gold; das war so blank, daß es im Dunkeln blitzte. Das Schloß selbst lag da wie in Nacht, nur mitunter glühten die Fenster auf und allerlei Ge- stalten wurden sichtbar, Ritter und Edelfräulein, die kicherten und lachten. Dahinter klang es wie Tanzen und leise Musik. Trampe horchte auf; aber nicht lange, so trat ein Ritter an ihn heran, legte ihm eine schwere Hand auf die Schulter und fragte ihn, ob er der Böttcher aus Freienwalde sei? Dann befahl er ihm die Fässer zuzuschlagen: „Das dreizehnte Faß ist für Dich.“ Nun ging Trampe an die Arbeit und schlug all’ die Fässer zu; das dreizehnte aber, das er bei Seite gestellt hatte, rollte er den Berg hinunter. Er war nun fertig und wollte wieder gehn. Da fuhr es ihm durch den Kopf, „ob nicht der Ritter jedes dreizehnte Faß gemeint haben könnte“, und als er noch so dachte, rollte er leise ein zweites Faß bergab. Als er unten ankam, lag nur ein Faß da. Trampe dachte: „du wirst es noch ’mal versuchen“, stieg wieder bergauf und rollte ein drittes Faß hinunter; niemand hin- derte ihn daran. Als er aber unten ankam, war alles verschwun- den, auch das erste Faß, und nur an der Vorderspitze des Kahns saß wieder der Pudel und sagte: „Trampe, Du hast verspielt.“ Trampe ärgerte sich und dachte, als sie zurückfuhren: „das soll dir auch nicht wieder passiren“; ist ihm auch nicht wieder passirt, denn die Uchtenhagens haben ihn nie wieder holen lassen, wenn sie einen brauchten, um ihre Fässer zuzuschlagen. Diese Geschichte, die bedeutungsvoll mit dem Zusatz, „wie sie sich die Kiezer erzählen“, eingeführt worden war, war kaum zu Ende, so hielten wir auch schon am Fuß des Schloßberges, viel- leicht an derselben Stelle, wo an jenem Abend der bedenkliche Uchtenhagensche Fährmann seinen Kahn gelandet hatte. Wir spran- gen vom Wagen, schirrten aus, schlugen die Leine vorsichtshalber um einen Baumstamm, wiewohl der Charakter unsres Einspän- ners ohnehin Garantieen für sein Wohlverhalten geboten hätte, und stiegen den Berg hinan. Es war inzwischen finstrer geworden, wenigstens waren die Schatten des Waldes um uns her, dunkle Schatten, die durch zwei einzelne Lichter, am Ausgang einer seit- wärts gelegenen Schlucht, nur noch zu wachsen schienen. Es mochte da ein Haus stehen, vielleicht eine Mühle. Unser Führer schritt rüstig vorauf, das Gebüsch wurde immer dichter, und ich folgte nur noch dem Klang seiner Schritte und einem unbestimm- ten Schatten, der vor mir herschwankte. Ich dachte unwillkürlich an Trampe, und dies mochte die Ursache sein, daß ich mich be- eilte, mich wieder an die Seite des Führers zu bringen. Es ge- lang auch; in demselben Augenblicke aber, wo ich seinen Arm streifte, klang es wie Hundeblaff über den Berg hin, und ich zuckte zusammen und stand. Der Führer aber, der meinem Ge- dankengange gefolgt sein mußte, sagte ruhig: „das ist dem Mül- ler seiner; der andre blafft nicht.“ Die Ruhe, mit der er dies sagte, überhob mich jeder Verlegenheit; — so kamen wir endlich auf der Kuppe des Hügels an. Diese Kuppe beschreibt einen Kreis von etwa 40 Schritt Durchmesser. Wir traten zunächst an den Vorderrand des Berges, der sonst einen freien Blick in die Landschaft gestattet, jetzt aber von Bäumen so dicht umstanden ist, daß sich nur mühsam, durch Stämme und Laub hindurch, ein Blick auf das unten liegende Bruch ermöglicht. Auf den Wiesen brauten die Nebel, nicht länger golden durchglüht; nur im Westen säumte noch ein rother Strei- fen den Himmel, während wir selbst in völliger Nacht standen. Wir umschritten nun die Rundung, denselben Kreis, der einst den Burghof einschloß, bis wir an die Rückseite der Hügelkuppe kamen, die ebenso in die tiefen Schluchten eines Bergterrains, wie die Vorderseite in das offne Bruchland herniedersieht. Hier an der Rückseite befinden sich auch die Ueberbleibsel der Burg; halbmanns- hohe Mauerreste von bedeutender Stärke, die es, höchst wahrschein- licherweise, dem Burg- und Bauverständigen immer noch möglich machen würden, den ehemaligen Umfang des alten Schlosses, die theilweise Grundform desselben, ganz besonders aber den Ort zu bestimmen, wo das alte Burgthor war. Die Einfahrt in das letz- tere, fälschlich als Kellereingang gedeutet (weil sich die Phantasie der Kiezer am liebsten mit Kellergewölben und den Trampeschen Fässern beschäftigt), ist noch in aller Bestimmtheit erkennbar. Wir maßen die Ueberbleibsel der alten Umfassungsmauer aus, setzten uns dann, einen Strauch als Lehne, auf die Trümmer- wand, und blickten in die Schlucht nieder, aus der Laubholz und Birkengebüsch so dicht, so still, so schwellend heraufzusteigen schie- nen, wie Blätter aus einem Korbe quellen, in den sie zuvor ge- preßt wurden. Ein Gefühl überkam mich, als wüchsen die Wipfel langsam aber unaufhaltsam wie eine steigende Fluth zu uns her- auf. Unten in der Tiefe klang es wie ein Quell, der über Kiesel fällt. Ich fragte: „ist da ein Wasser unten?“ Ja. „Wie heißt es?“ Das klingende Fließ . Sonst war alles ruhig. Der Füh- rer, längst gesprächig geworden, fing an zu erzählen von Pfingst- und Maiennächten, wenn unten in Thal und Schlucht die Rehe schrein, und hoch über dem Berg (als wäre es der Kyffhäuser) die Dohlen kreisen; aber es war nicht Mai, nicht Pfingsten mehr, kein Reh schrie durch die Nacht, selbst der Hundeblaff in der Mühle schwieg, nur das klingende Fließ klang nach wie vor wie ein Silberton zu uns herauf. So fanden wir den Schloßberg; wir verlassen ihn jetzt, um uns nunmehr der Frage zuzuwenden, was erzählt uns die Ge- schichte (sie, die jede Auskunft über den Schloßberg so be- harrlich verweigert), was erzählt uns die Geschichte von den Uch- tenhagens selbst. Die historische Zeit der Uchtenhagen umfaßt einen Zeitraum von etwa drittehalb Jahrhunderten. 1367 wird ihrer zum ersten Male urkundlich erwähnt, und 1618 erlischt das Geschlecht. Die Schicksale der beiden letzten Uchtenhagen (und zwar in historisch verbürgter Treue und Bestimmtheit) waren all’ die Zeit über, vom Ausgange des Geschlechts bis auf diesen Tag, in der Erin- nerung der Freienwalder lebendig; nicht so die Namen und Schick- sale derer, die diesen beiden letzten des Geschlechts, durch zwei Jahrhunderte hin, vorausgegangen waren. Sie waren todt in der Erinnerung der Nachwelt. Die Urkunden-Sammlungen indeß, die seitdem unter Be- nutzung der verschiedensten Archive veröffentlicht worden sind, ha- ben uns neuerdings in den Stand gesetzt, die Schicksale der Fa- milie mindestens bis zum Jahre 1414, also etwa bis zum Ein- treffen der Hohenzollern in diesen Landen, zurück verfolgen zu können. Wir vermögen mit Hülfe dieser urkundlichen Ueberliefe- rungen herabzusteigen von Vater auf Sohn, und wieder hinanzu- steigen von Sohn auf Vater; wir befinden uns wie auf einer bequemen Treppe, die uns mühelos den Verkehr zwischen oben und unten, zwischen Anfang und Ende gestattet. Wir verdanken diesen Urkunden außerdem werthvolle Mittheilungen von kultur- historischem Interesse; aber was wir denselben leider nicht zu dan- ken haben, das ist die Aufzeichnung, die Ueberlieferung einer wirk- lichen That der Uchtenhagens, einer That, die entweder voll historischer Wichtigkeit damals eingegriffen hätte in die Geschicke des Landes, oder voll eines gewissen poetischen Gehaltes im Stande wäre, noch jetzt unsre Herzen zu berühren. Wir begegnen ihnen weder in Costnitz, noch in Worms; wir sehen sie weder unter Friedrich dem Eisernen vor Bernau, noch zu Joachim Hektors Zeiten bei Mühlberg; wir sehen sie weder gegen die Hussiten, noch gegen die Türken im Felde, und dürfen eben nur annehmen (eine einzige Urkunde von 1599, ein „Aufruf zum Heerdienst“ deutet sogar darauf hin), daß sie nirgends gefehlt haben werden, wo es galt, dem Rufe des Kurfürsten zu folgen oder für die Ehre des Landes einzustehen. Aber wenn diese urkundlichen Ueberlieferungen, nach der Seite der wirklich historischen That hin, wenig oder auch das kaum bieten, so belehren sie uns doch über die Besitzverhältnisse der Familie, und zeigen uns diese letztere in ihren Beziehungen zu ihren Lehnsmännern, Burgleuten und Hintersassen, oder wenn uns der Ausdruck gestattet ist, in den Verwaltungsgrundsätzen, wonach sie die Regierung ihres ziemlich ausgedehnten Besitzes lei- teten, eines Besitzes, der nach Quadratmeilen rechnete und Städte umschloß. Da finden wir denn die Uchtenhagens (allen Sagen, „wie sie sich die Kiezer erzählen“, zum Trotz) als wahre Muster ritterlichen Wandels: fromm, sittig, ehrbar in ihrem Hause, mild, helfend, fürsorglich nach außen hin. Sie bauen Kirchen und schen- ken Glocken, sie schützen die Bürger in ihrem Recht und ihrem Besitz, sie belohnen den Rath Freienwaldes mit neuen Feldmarken, sie vertreten die Stadt vor dem Kurfürsten und erwirken ihr Jahrmarktstage und Freiheit von Zoll und Abgaben. Nichts, was die finstern Märchen rechtfertigte, die in Spinnstuben bis diesen Tag mit Graus und Behagen geflüstert werden, vielmehr in allem die Anzeichen einer Regierungskunst im Kleinen, dabei, in bestem Sinne, das Bewußtsein von den Rechten und Pflichten des Re- giments. Ein Spruch im Freienwalder Stadt-Archiv (bisher noch nicht veröffentlicht) giebt volle Auskunft darüber, aus welchen An- schauungen heraus die Uchtenhagen ihre Herrschaft übten. Dieser Spruch lautet: All Obrigkeit die ist von Gott Und soll handhaben sein Gebot. Es soll ihr gehorchen alle Welt, Nicht leben, wie’s Lust und Laune gefällt. Das Schwerdt gab Gott in Ihre Handt, Damit zu wahren Leute und Landt. Dem Guten soll sie geben Schutz, Den Bösen strafen, dem Guten zu nutz. Eines Vaters Herz aber soll sie ha’n Zu denen, so ihr sind unterthan. So war der Spruch, nach welchem die Uchtenhagen in Haus und Hof ihre Rechte wahrten, ihre Pflicht erfüllten; nichts was auf Fluch und Unthat hinwiese, auf Thaten, die unsühnbar ge- wesen wären. Wohl im Lauf der Jahrhunderte mischte sich auch ein blutbeflecktes Blatt in die Geschichte des Hauses, ein Vetter erstach den andern im Zweikampf oder aus Nothwehr, aber dem Verbrechen folgte die Reue auf dem Fuße, und Kurfürst Albrecht Achill nahm den Bußfertigen wieder in seine Huld und Gnade auf, „gleichweis (wie die Urkunde sagt), als ob die Geschichte nie geschehen wäre.“ Durch sechs Generationen hin, der vorhistorischen Zeit zu ge- schweigen, hatte der alte Stamm geblüht, nicht voll, nicht zahl- reich, aber immerhin geblüht. Da, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, trieb er plötzlich neue Sprossen in Fülle: acht Söhne und fünf Töchter wurden geboren, und Freude war im alten Haus der Uchtenhagen. Aber es war das reiche Blühen vor dem Tod. Eh’ ein Menschenalter um war, noch vor Schluß des Jahrhunderts, waren alle Söhne des Hauses todt bis auf einen, und der überlebende achte, inzwischen vermählt mit Sophie von Sparr, einer Vaterschwester des berühmten Feldmarschalls, schau- kelte ein einzig Kind auf seinen Knien, — ein zartes Kind, die blauen Adern sichtbar unter der feinen Haut. Dies Kind, ein Knabe, war Kaspar von Uchtenhagen, der letzte seines Geschlechts. Er starb neun Jahr alt und wurde in der Kirche zu Freienwalde beigesetzt. Es heißt im Volk, daß er vergiftet worden sei, und die Sage, — die hier wieder für die Geschichte eintritt — erzählt sein Ende so: Einer der Lehnsvettern des Hauses, voll Verlangen nach dem Besitz der Uchtenhagens, wußte dem Knaben eine prächtige Goldbirne zu reichen, die mit einem langsam wirkenden Gifte ver- giftet war. Ein Bologneser Hündchen, das den Knaben auf Schritt und Tritt zu begleiten pflegte, sprang, als dieser die Birne essen wollte, an ihm herauf, halb liebkosend, halb geängstigt, um dem Knaben mit der Vorderpfote die Birne aus der Hand zu reißen, aber Kaspar nannte ihn lachend ein „neidisches Thier“ und aß die Birne. Eine Traurigkeit, so fährt die Sage fort, begann als- bald den Knaben zu beschleichen, seine Lebendigkeit verlor sich, sein Auge wurde matt, so verging er wie eine Blume. Seine Mutter saß in der Sterbenacht an seinem Bett; da richtete er sich noch einmal auf, küßte der Mutter die Hand und sprach sterbend, aber leise-vernehmlich vor sich hin: Alle Liebe ist nicht stark genung, Ich muß doch sterben und bin so jung. So die Sage; eh wir aber auf dieselbe in aller Kürze noch einmal zurückkommen, begleiten wir die Uchtenhagen noch durch ihre letzten Jahre bis zum völligen Erlöschen des Geschlechts. Hans von Uchtenhagen (der überlebende Vater des früh heimgegangenen Kindes) den Freuden dieser Welt für immer ab- gewandt, und ohne tiefres Interesse, das alte Erbe des Hauses zusammenzuhalten, verkaufte, ein Jahr nach dem Tode seines Kin- des, die Stadt Freienwalde, sammt allen seinen sonstigen Gütern, an den Kurfürsten Johann Sigismund, zugleich sich verpflichtend, die reichen Besitzungen jenseit der Oder, die sogenannte Insel Neuenhagen, sofort in churfürstlichen Besitz übergehen zu lassen. Andrerseits ward ihm, dem Hans von Uchtenhagen, die Beibehal- tung aller diesseits der Oder gelegenen Besitzungen, namentlich der Stadt Freienwalde, auf die Dauer seines Lebens zugestanden, auch das Recht ihm eingeräumt, bei etwaiger Geburt eines Erben, gegen Rückzahlung der Kaufsumme, in den alten Besitz wieder ein- treten zu können. Aber kein Erbe wurde geboren, und in das alte, still und freudlos gewordene Haus der Uchtenhagens, das sich, mit Thurm und Zinnen, ein alter gothischer Bau, neben der Freienwalder Kirche erhob, trat nur noch der Engel des Todes. Dem Sohne folgte drei Jahre später die Mutter, bis nach aber- mals 12 Jahren, voll stillen Leids und frommer Betrachtung, auch Hans von Uchtenhagen, aus der Unrast dieser Tage eintrat in das Reich des ewigen Friedens. Das Kirchenbuch berichtet: Anno Domini 1618, am Abend Judica des 21. Martii, zwischen 12 und 1 Uhr, ist der Edle, gestrenge und Ehrenveste Hans von Uchtenhagen, dieses Städtleins Erbherr und Junker und der letzte dieses Geschlechts, selig im Herrn eingeschlafen und verschieden, und danach am Sonntag Exaudi (war der 17. Mai) allhier in St. Nicolaus-Kirche unter den Altar in sein gewölbtes Begräbniß, nach adliger Weise, zu seiner in Gott ru- henden Frauen und Söhnlein gesetzet, da er in seinem gantzen Alter das 64. Jahr erreicht hatte.“ So weit das Kirchenbuch. Helm und Schild waren ihm in die Gruft gefolgt, Freien- walde wurde churfürstlich, und nur das Wappen der Stadt: das rothe Rad im silbernen Felde, deutet bis diese Stunde noch auf die Uchtenhagensche Zeit. Das Geschlecht ist erloschen; aber es bleibt uns noch die Be- antwortung der Frage übrig: was ist noch da, was bieten noch Freienwalde und Umgegend von Erinnerungen an die Uchtenha- gens, von Ueberbleibseln aus ihrer Zeit? Noch mannigfaches; das wohlerhaltene und bis diese Stunde bewohnte Amtshaus des Dorfes Neuenhagen, früher eins der Schlösser der alten, viel- genannten Familie, ist an sich noch, wie es da steht, ein werth- volles Erinnerungsstück aus der Zeit, die uns bis hieher beschäf- tigt hat, und die gewölbte Schloßkapelle mit Stuckaltar und sym- bolischen Figuren, Das Schloß Neuenhagen jenseits der Oder ist verhältnißmäßig wohl erhalten bis auf den heutigen Tag. Es wird noch bewohnt und bietet, wie wir nicht zweifeln, einen besseren Aufenthalt, als mancher mo- derne Bau. Die alten Uchtenhagen-Räume dienen den verschiedensten öko- nomischen Zwecken: das Burgverließ ist ein Wirthschaftskeller, die große Halle eine Waschküche geworden; ein anderes Zimmer (man verzeihe die- sen Excurs), drin ein schwedischer Oberst in der Nach-Uchtenhagenschen Zeit den Amtmann von Neuenhagen über Strohfeuer rösten ließ, um die verborgenen Schätze zu erkunden, diente noch vor kurzem als Schlafzim- mer der jetzigen Besitzer des Hauses. Was aber besser als alles andre er- halten ist und mehr als alles andre interessirt, das ist ein gewölbter Raum, der jetzt als Amtsstube dient, die ehemalige Schloßkapelle der Uchtenhagens. Die Altarwand (noch vollkommen gut erhalten) ist ein um- fangreiches, aus verschiedenen Theilen zusammengesetztes Stuck-Relief, das (nach Art solcher Stuckbilder) nicht einen freistehenden Schrein bildet, sondern in das Mauerwerk selber, wie eine Wandverzierung, eingelassen verlohnte wohl, zu andrer Zeit, eine eingehen- dere Besprechung. Aber wir verweilen nicht bei Beschreibung dieses alten Schlos- ses und seiner sehenswerthen Kapelle, sondern treten vielmehr dort ein, wo die alte Zeit der Uchtenhagens in Bild und Wort am vernehmlichsten zu uns spricht; ich meine die alte Kirche in Freienwalde. Die Uchtenhagens haben sie gebaut, und sie ist das eigentliche und das beste Monument des heimgegangenen Ge- schlechts. Bis vor wenigen Jahren lagen verschiedene Grabsteine, darunter auch die Grabsteine der beiden letzten, vor den Stufen des Altars, unter dem, in gewölbter Gruft, sie selber ruhten; — nun sind die Grabsteine fort und die Gruft ist verschüttet. Aber andres ist geblieben. Ueber der niedrigen Sakristei-Thür, zur Lin- ken des Altars, befindet sich das beinah lebensgroße Bildniß (ganze Figur) Kaspars von Uchtenhagen, desselben, von dem die Sage erzählt, daß Bosheit ihn vergiftet habe. Das Bild ist, mit Rücksicht auf die Zeit, in der es entstand, eine vorzügliche Arbeit. Beschreib ich es. Ein Tischchen steht zur Seite, mit einer rothen Decke darüber; auf dem Tische liegt die hohe Sammetmütze des Knaben, in Form und Farbe den Otterfellmützen nicht unähnlich, denen man noch jetzt in den Oderbruchgegenden begegnet; vor dem Tisch aber steht der Knabe selbst, blaß, durchsichtig, mit schma- len Lippen und rothblondem Haar, ein feines Köpfchen, klug, ist. Es besteht aus einem Christus am Kreuze, zu dem zwei Heilige auf- blicken; dies Hauptstück des Bildes ruht aber auf einer Art Fries, in dessen Feldern wir die symbolischen Figuren des Hahns, des Greifen, des Pelikans und des Wiedehopfs erblicken. Ich habe diese Beschreibung in verhältnißmäßiger Ausführlichkeit gegeben, um (ganz abgesehen von den Uchtenhagens) die Aufmerksamkeit auf ein Kunstwerk zu lenken, das, ohne dem Urtheil von Kennern vorgreifen zu wollen, wenigstens in der Mittel- mark leicht als ein Unicum befunden werden dürfte. — In der Kirche zu Neuenhagen befindet sich noch ein gut erhaltener Grabstein aus der Uchten- hagener Zeit. Seine Inschrift lautet: „Das Blut Jesu Christi reiniget uns von allen unsren Sünden. Johannes 3. Anno Domini 1592 den 13. Dezember. Hier ruhet … die viel tugendreiche Hippolyta von Uch- tenhagen in Gott seliglich entschlafen.“ Hippolyta, dem Bilde nach etwa 40 Jahr, war eine ledig gebliebene Schwester von Hans von Uchtenhagen. und durchgeistigt, aber wie vorausbestimmt zu Leid und frühem Tod. Seine Kleidung zeigt reicher Leute Kind. Ueber dem rothen Unter- kleid trägt er einen grünen Ueberwurf mit reichem Goldbesatz (das- selbe Grün, das auf den Bildern der van Eycks so viele Zauber weckt) und getollte Halskrause, weiße Aermelchen und schwarze Sammetschuhe, vollenden seine Kleidung und Erscheinung. In der Rechten hält er eine schöne, große Birne, während ein Bologneser Hündchen bittend, liebkosend an ihm emporspringt. Die Umschrift aber lautet: „Da ich, Caspar von Uchtenhagen, bin gewest dieser Gestalt, war ich viertehalb Jahr alt, Anno 1597 d. 18. November.“ Es ist ersichtlich, daß dies überaus anziehende Bild, das wirklich eine Geschichte herauszufordern scheint, die äußre Ver- anlassung zu jener Sage gegeben hat, die ich bereits erzählt habe. Die Birne, das Hündchen, der Ausdruck der Wehmuth in den Zügen, dazu der frühe Tod, — es hätte (der Kiezer und ihrer sagenbildenden Kraft ganz zu geschweigen) kein Fünkchen Poesie in den Herzen der Freienwalder lebendig sein müssen, wenn sie sich hätten die Gelegenheit entgehen lassen wollen, aus so dank- barem und so naheliegendem Stoff eine Sage in’s Leben zu rufen. Wir freuen uns, daß die Sage da ist, möchten sie nicht missen, aber sie ist eben Sage und nicht mehr. Der Beweis ist mit Leichtigkeit zu führen. Das Bildniß selbst belehrt uns in sei- ner Umschrift, daß es gemalt wurde, als Caspar von Uchtenhagen ist „vierthalb Jahre alt gewest.“ Er muß also, da wir die Birne auf diesem Bilde bereits erblicken, besagte Birne (vergiftet oder nicht), wenn er sie überhaupt aß, mit vierthalb Jahren, oder wohl gar schon früher, gegessen haben. Caspar von Uchtenhagen starb aber erst 6 Jahre später, und wenn wir nicht annehmen wollen, daß die Mark Brandenburg (die sich, Gott sei Dank, auf das Brauen von Gifttränken nie absonderlich verstanden hat) da- mals eine selbst Italien überbietende Meisterschaft in dieser Kunst besessen habe, so haben wir guten Grund, die Geschichte von der vergifteten Birne (wie fast alle Geschichten von vergifteten Birnen und Aepfeln hierlandes) in das Gebiet der Sage zu verweisen. 21 Caspar von Uchtenhagen, wie uns sein eigen Bild am besten belehrt, starb einfach daran, daß seine Seele, von Geburt an, in einem halbverklärten Leibe wohnte; — er starb und wurde, wie wir gehört haben, in „der Gruft unterm Altar beigesetzt.“ An der hintern Altarwand aber, schlecht übermalt und minder gut erhal- ten als das erste, bereits beschriebene Bildchen, begegnen wir einem zweiten Bilde Caspars von Uchtenhagen, das ihn uns zeigt, wie der nunmehr 9jährige Knabe, blaß und die Ruhe des Todes auf der Stirn, im offnen, blumenüberstreuten Sarge liegt. Er trägt ein weißes Sterbehemd, in dem glattanliegenden Haar einen blü- henden Rosmarinkranz; um den Hals aber schlingt sich leise ein schwarzes Band, daran, bis zur Brust herniedergehend, eine Denk- schaumünze und ein länglich viereckiges Medaillon hängt. Eine Unterschrift giebt Tag und Stunde seines Todes; die Wappen der Sparrs und der Uchtenhagens schieben sich in die obren Ecken des Bildes ein, daneben aber lesen wir, nicht ohne an den Voll- klang lateinischer Kirchenlieder erinnert zu werden: Ah tibi Jesu lectulum In me para mollissimum, Meo quiesce pectore Et intime servabo te; Worte, denen als deutscher Text der 13. Vers von Luthers Liede: „Vom Himmel hoch da komm’ ich her“ beigefügt ist: Ach mein herzliebes Jesulein, Mach Dir ein rein sanfft Bettelein, Zu ruhen in meins Herzen Schrein, Daß ich nimmer vergesse Dein. Noch wenige Worte. Caspar von Uchtenhagen ruhte bereits länger denn zweihundert Jahre in der Gruft seiner Väter; we- nige waren es, die nach dem Bilde hinterm Altar blickten, das blasse Gesicht, der Rosmarinkranz im Haar, rührten kein Herz mehr, und niemand war mehr da, für den die Schaumünze und das Medaillon, die auf dem Herzen des Knaben ruhten, eine Be- deutung gehabt hätten. Man nahm sie als Ornament, als Ein- fall des Malers. Da in den 20er oder 30er Jahren dieses Jahr- hunderts, als ein Umbau nöthig geworden war, stiegen die Uch- tenhagens aus der Gruft, die sie zwei Jahrhunderte lang bewohnt hatten, noch einmal an das Tageslicht hinauf; das Kirchenschiff hinunter, in langer Reihe, standen die Eichensärge, vor dem Altar aber stand ein kleinerer Sarg, der Sarg Caspars von Uchten- hagen. Man nahm den Deckel von dem Sarge, da lag das Kind, ganz wie auf dem Bilde, mit Kranz und Krause; erst bei der Berührung zerfiel alles zu Staub, und Form und Hülle waren hin. Aber das schwarze Seidenband hielt noch, und an dem Sei- denbande hingen, wie das Bildniß es zeigt, eine Schaumünze und ein Medaillon. Beide werden aufbewahrt und sind eine Sehens- würdigkeit von Stadt und Kirche. Die Schaumünze hat das üb- liche Ansehn; das Medaillon aber, etwa anderthalb Zoll lang und ein Zoll breit, ist in zierlichster Weise den Formen eines alten Gebetbuchs nachgebildet, mit geripptem Rücken und mit zwei klei- nen Klammern daran. Diese Klammern sind festgenietet und öff- nen also weder sich selbst noch das Buch; wohl aber bewegt sich an der Stelle, die dem Schnitt des Buches entsprechen würde, ein kleiner Schieber hin und her, und ermöglicht, eine Reliquie oder eine geweihte Hostie in das Büchelchen hineinzulegen. Nichts derart aber wurde an jenem Tage, als die alten Särge noch ein- mal an’s Licht stiegen, in dem goldnen Büchelchen gefunden, nur ein Zettel fiel heraus, auf dem geschrieben stand: Psalm 63, 10. Diese Stelle aber lautet: „Sie stehen nach meiner Seele mich zu überfallen“; und die Hindeutung, die in diesen Worten liegt, hat der alten Sage und dem alten Vergiftungs-Verdachte ein neues Leben gegeben. Ja (ein Zeichen ihres innersten Lebens) die Sage wächst seit- dem. Um Mitternacht, so erzählt sie jetzt, glühen die Fenster der alten Kirche plötzlich in rothem Lichte auf, die Gestalt Caspars von Uchtenhagen in weißem Sterbekleid, mit glattanliegendem 21* Haar, tritt vor den Altar und leise aber vernehmlich ruft er das Kirchenschiff hinunter: Alle Liebe ist nicht stark genung, Ich muß doch sterben und bin so jung. Wenn der Ruf verhallt ist, erlischt der rothe Schein in den Fen- stern und alles ist wie zuvor. So erzählen Sage und Geschichte vom alten Geschlecht der Uchtenhagen. Lichterfelde. (Ein Kapitel von Sparren-Land und Sparren-Glocken.) Sein Name und seiner Glocken Klang Ziehen still die Haid’ entlang. D ie nächsten Nachbarn der Uchtenhagens und vielfach verschwägert mit ihnen waren die Sparrs. Das Land um Neustadt-Eberswalde herum war ihre. Die Güter der Uchtenhagens lagen scheitelrecht (von Nord nach Süd) an der Oder hin, während die Güter der Sparrs sich wagerecht (von West nach Ost) an dem Flüßchen Fi- now entlang zogen. Das schöne Gut Hohen-Finow, das wie ein Kastell in das Oderthal hineinsieht, war der Punkt, wo der Besitz beider Familien rechtwinklig zusammenstieß. Beider Familien hat sich in den Gegenden, in denen sie hei- misch waren, die Sage mit einer besonderen Vorliebe bemächtigt, und wie es nicht möglich ist, in den Freienwalder Schluchten um- herzustreifen, ohne — wo immer man anklopfen mag — dem Uchtenhagenschen Feuerpudel, dem „rothen Land“ und dem Kind mit der vergifteten Birne zu begegnen, so ist es um Neustadt herum selbstverständlich, vom alten Sparr zu hören, wie er hoch durch die Lüfte fährt, so hoch, daß seine niederfallende Peitsche am Bie- senthaler Kirchthurm hängen bleibt. Es ist interessant und lehrreich zugleich, das poetische Bedürfniß und die poetische Gestaltungskraft des Volks innerhalb einer gewissen Oertlichkeit sich so völlig lokali- siren zu sehen. Von den Uchtenhagens hab ich im vorigen Kapitel, von den Sparrs im ersten Bande dieser „Wanderungen“ (Band I. S. 296) bereits ausführlich gesprochen; es bleibt aber doch noch manches nachzutragen und als ein solches Ergänzungs-Kapitel bietet sich das, was ich nachstehend zu erzählen habe. Die Dörfer, die die Sparrs an dieser Stelle (des ukermär- kischen Besitzes zu geschweigen) besaßen, waren folgende: Hohen- Finow, Tornow, Sommerfeldt, Kruge, Klobbicke, Welsickendorf, Prenden, Dannenberg, Heckelberg, Trampe und Lichterfelde. In den sechs erstgenannten Dörfern — zum Theil ein Besitz, den sie am allerfrühsten (schon 1375) inne hatten — ist nichts mehr, was an die alte Familie erinnerte; über Prenden hab ich (Band I. ) ausführlich gesprochen; bleiben noch: Dannenberg, Heckelberg, Trampe und Lichterfelde. In Dannenberg klingt es nur leise noch von den Sparrs ; nur eben ihr Name lebt noch fort in dem „Sparren-Busch“, der unmittelbar vor dem Dorf beginnt und den Reisenden bis in die Freienwalder Haide begleitet. In Heckelberg finden wir schon mehr. Hier begegnen wir den ersten Sparrschen Glocken . Heckelberg war nur kurze Zeit im Besitz der Familie, nur der Feldmarschall besaß es wenige Jahre, aber diese wenigen Jahre waren ausreichend für ihn, um seiner frommen Leidenschaft ein Genüge zu thun und der Kirche entweder neue Glocken zu schenken, oder die alten zu erneuern. Wir finden zwei: eine größere aus dem Jahre 1656, die außer dem Glocken- spruche „Soli Deo Gloria“ noch die Namen des Amtmanns, des Schulzen, des Pfarrherrn und der Kirchenvorsteher, außerdem eine etwas kleinere aus dem Jahre 1663, die den Namen „Otto Chri- stoph Freiherr von Sparr“ trägt. In der Heckelberger Kirche — allerdings ohne alle Beziehung zu den Sparrs — ist auch noch ein Schnitzaltar, dessen ich erwäh- nen möchte; ebenso eines Grabes vor dem Altar. Des Schnitzaltars, der nicht besser und nicht schlechter ist als hundert andre, die sich hierlandes finden, gedenk’ ich nur, um vor Restaurirungen zu warnen, wie deren eine hier stattgefunden hat. Ermöglicht sich keine wirkliche Restaurirung — die mit ihrem reichen Goldschmuck oft sehr kostspielig ist — so thun die Gemeinden am besten, die Sache zu lassen wie sie ist, oder aber, wenn das aus den verschiedensten Gründen nicht geht, dem ganzen Schnitzwerk eine weiße Tünche zu geben. Ich bin diesem Aus- kunftsmittel in mehreren Dorfkirchen begegnet und muß einräumen, daß wenn man das Bessere nicht kann, dies unter dem Schlimmen das mindest Schlimme ist. Die Sachen wirken dann gipsfiguren- haft, was allerdings etwas Kaltes, aber doch nichts direkt Stö- rendes hat. Vor dem Altar ist ein Grab. Einer der Geistlichen ist dort begraben, und die Stelle markirt sich durch nichts, als durch eine schwache muldenhafte Einsenkung des Fußbodens, wodurch die Steine lose geworden sind. Wir äußerten ein leises Befremden darüber, aber der uns begleitende Heckelberger meinte ruhig: wir thun, was wir können; alle paar Jahr schütten wir nach und stampfen’s fest, mörteln auch die Steine wieder ein; aber es hilft nichts, „ er geht immer tiefer “ und eh wir uns versehn, ist die Mulde wieder da. — Ein leiser Schauer überlief uns bei dieser Erzählung. Wir kommen nun nach Trampe . Trampe ist altsparrisch und die eine Linie nannte sich danach. Aber in den Wirrsalen des 30jährigen Krieges ging es theilweis verloren und erst der Feldmarschall (Otto Christoph) eroberte es der Familie zurück. Er scheint ihm eine besondre Vorliebe zugewandt und hier und in Prenden, wenn er nicht in der Hauptstadt war, abwechselnd residirt zu haben. Auf beiden Gütern, in Trampe sowohl wie in Prenden, erbaute er sich ein Schloß; während indeß in Prenden nur noch ein Trümmerhaufen vom alten Sparr erzählt, zeigt sich in Trampe alles wohl erhalten. Schloß und Park existiren noch, verändert, umgebaut zwar, aber in der Grundanlage doch immer noch wie sie damals waren. Im Park, der kostbare alte Bäume und an seinem Flügel eine von Wasser umgebene Burgruine aufweist, befindet sich noch eine seltsam geformte, acht Zifferblätter zeigende Son- nenuhr von Sandstein, die auf mehreren der Zifferblätter den Namen Otto Christophs trägt. Die Kirche enthält ein paar Bilder, aber keine Sparrschen, ebenso keine Grabsteine der alten Familie. Nur die Glocken sind wieder unsre Freunde, die uns von den Sparrs erzählen, diesmal mit einer gewissen Ausführlichkeit und nicht blos von unsrem Otto Christoph, sondern auch von seinen Vettern, die er, wie es scheint, mit heranzuziehen und seiner Glockenpassion dienstbar zu machen wußte. Die Inschrift der ersten Glocke lautet: Der wohledle, geborne Herr Ernst Sparr , Ihrer Kurfürstlichen Durchlauchtigkeit zu Brandenburg Rath und bestallter Hauptmann zu Zechlin und Lindow, Erbherr auf Trampe, Prenden, Behrbaum und Dannen- berg. Dazu das einfache Sparrsche Wappen und: „Goß mich Ja- cob Neuwert zu Berlin 1660.“ (Diese Angabe wiederholt sich auf allen drei Glocken.) Die Inschrift der zweiten Glocke lautet: Ernst George des heiligen Römischen Reiches Graf von Sparr, der Römischen- Kaiserlichen auch zu Pohlen und Schweden Königlicher Majestät Geheimer Kriegsrath, Generallieutenant und Generalfeldzeugmeister, beiderseits Kammerherr und Obrister zu Roß und Fuß; Herr auf Trampe, Prenden, Dannenberg und Beerbaum. Dazu das gräf- lich Sparrsche Wappen. Die dritte Glocke ist die wichtigste; sie ist die größte und rührt von unsrem Otto Christoph, dem Feldmarschall her. Sie ist aber gesprungen und befindet sich deshalb nicht mehr neben ihren zwei Schwestern oben in der Höhe, sondern unten im Thurm, wo man ihre Inschrift mit Bequemlichkeit Es verlohnt sich dies eigens hervorzuheben, denn unter den man- nigfachen kleinen Strapatzen, womit das Hinaufsteigen in alte Thürme und das Hinabsteigen in alte Grüfte verbunden ist, steht das Glocken- inschrift-Lesen obenan. Ohne „Licht und Leiter“ geht es eigentlich kaum, aber beide sind nie zur Hand und so fällt einem das Loos zu, sich zu helfen so gut es geht. Das erste ist, daß alle Schalllöcher geöffnet werden, lesen und neben dem schönen Guß auch, an der Patina, den ersichtlich feinen Erzgehalt der Glocke bewundern kann. Die Inschrift lautet: Otto Christoph Freiherr von Sparr, der Kurfürstlichen Durchlaucht zu Branden- burg Geh. Kriegsrath, Feldmarschall, Obergouverneur der in der Chur und Mark Brandenburg, Herzogthum Hinterpommern und Fürstenthum Halberstadt belegenen Festungen, Obrister zu Roß und Fuß, Herr zu Trampe, Prenden, Lanke und Neustadt an der Dohhl (soll höchst wahrscheinlich Dosse heißen). Darunter das Sparrsche Wappen. Diese Glocke, wie man sonst wohl mit gesprungenen Glocken thut, umzuschmelzen, wäre nicht rathsam, da sie dadurch aufhören würde, die alte Sparren-Glocke zu sein, und zwar, so viel ich weiß, die schönste und reichste, die er hat gießen lassen. Allerhand Sagen knüpfen sich außerdem an diese Glocke, die gleichsam den Feuertod sterben würden, wenn man sich entschlösse, durch Um- schmelzung aus dieser alten Glocke eine neue zu machen. Die eine Sage erzählt die vielfach auch an andern Orten wiederkehrende Geschichte, daß der Glockengießer eine Schlange mit in die Glocken- speise gethan habe und daß seitdem die Schlangen aus der Tram- per Umgegend verschwunden seien. Die andre, von mehr historischem Charakter, meint, daß diese Glocke aus türkischen Geschützen gegos- die nun natürlich einen Zug herstellen, als sollte Wäsche getrocknet wer- den. Den vom Treppensteigen Erhitzten läuft es dabei wie der Tod über den Rücken. Nun sind die Schalllöcher auf und das Licht dringt ein, aber entweder die Distance oder die gothischen Buchstaben oder gar der Schwal- ben-Guano spotten noch immer der Entzifferungskunst des unten Stehenden, der sich nun genöthigt sieht, die Reste seiner Turnerschaft hervorzusuchen. Erst ein Griff nach dem Oberbalken, dann ein Schwung in das Kreuzge- bälk hinein, — so, halb hängend, halb stehend, beginnt die Lektüre. Ist nun der Küster mit in den Thurm hinaufgestiegen, dem sich dann Wort für Wort diktiren läßt, so ist das Schlimmste überstanden, hat er aber, aus diesem oder jenem Grunde, seine kleine Tochter mit hinaufgeschickt, so bleibt einem schließlich nichts andres übrig, als sich, wie der Glöckner von Notre-Dame, seitwärts auf die Glocke zu werfen und die „große Marie“ fest umarmend, auf dem erzenen Nacken derselben die Inschrift abzuschreiben. sen sei, die Sparr während seines Türkenzuges den Ungläubigen abgenommen habe, ja, eine andre Version geht noch einen Schritt weiter und verbürgt sich, daß Sparr die Glocke selbst erobert und später dafür gesorgt habe, daß sie durch Tramper Bauern aus dem fernen Ungarlande herbeigeholt worden. Auch die erstre, eini- germaßen glaubhaftere Hälfte dieser Tradition (das Glockengießen aus türkischen Geschützen) hält allerdings keine Kritik aus, da die Glocke, wie sie selber besagt, 1660 gegossen wurde und „Vater Sparr“ erst 1664 seinen großen Türkenzug (Schlacht bei St. Gott- hardt) machte. Nun endlich Lichterfelde selbst. Die Berührung mit den Sparrs ist hier die intimste, das alte Geschlecht tritt einem in einer Reihenfolge von Dingen am faßbarsten entgegen, in Kirche und Schloß, in Grabsteinen und Kirchenbuch. Sprechen wir zunächst von Kirchenbuch und Kirche. Das Kirchenbuch beginnt mit 1599, aber eine regelmäßige und exakte Führung desselben schließt schon wieder mit 1604. Ein Todesfall, drei Geburten und Taufen, unter Angabe der Taufzeugen, sind eingetragen. Unser Otto Christoph, der, nach seinem Bildniß in der Berliner Marienkirche, im Jahre 1605 in Lichterfelde geboren wurde, befindet sich nicht unter den im Lichterfelder Kirchenbuche verzeichneten Geburten. Dennoch werfen die Angaben dieses Kir- chenbuchs vielleicht ein Licht auf manches Dunkle und gestatten weitere Schlußfolgerungen, weshalb ich diese Angaben in den An- merkungen (siehe daselbst) wörtlich wiedergegeben habe. In der Kirche sind außerdem drei Kinder-Grabsteine aus der Sparren-Zeit. Diese sind sehr abgetreten, einer so völlig, daß von Entzifferung der Inschrift keine Rede mehr sein konnte. Bei den beiden andern entzifferte ich folgendes. Auf dem größeren : „Anno 1606 (oder 1600, wahrscheinlich letzteres) ist geb. Anna Sparr und … 16 … in Gott selig entschlafen; der Seele Gott genade.“ — Auf dem kleineren : „ Anno 1604 d. 2. Januar ist geboren Eli- sabeth Sparrn … entschlafen d. 3. Januar um 12 Uhr in der Nacht.“ Die Glocken, jetzt umgeschmolzen, sind nicht-Sparrisch. Es hieß zwar auch von ihnen (wie eben überall in der Gegend), der Feldmarschall habe sie aus Ungarn mitgebracht, aber alten Auf- zeichnungen zufolge sind sie aus viel früherer Zeit. Die Hauptsehenswürdigkeit von Lichterfelde ist das Schloß . Es heißt von ihm, wie bereits hervorgehoben, daß unser Otto Christoph in demselben geboren wurde. Prenden, wie im ersten Bande erzählt, erhebt zwar einen gleichen Anspruch, es ist indessen mindestens höchst wahrscheinlich, daß dem Lichterfelder Schlosse diese Ehre zufällt. Dieser Umstand allein schon würde dem Schlosse ein Anrecht auf unser Interesse geben, wenn es auch im Uebrigen ein unbe- deutendes oder halb zerfallenes Gebäude wäre, es trifft sich aber, daß dies Schloß, ganz abgesehen von seinen Beziehungen zu den Sparrs, an und für sich ein höchst interessanter Bau ist, groß, eigenthümlich, gediegen und von einer Munificenz der Anlage, wie damals (1567) in märkischen Landen nur für Fürsten gebaut wurde. Nach meiner Kenntniß existirt, aus so früher Zeit her, kein Edelsitz in der Mark, der einen gleich geräumigen und gleich soli- den Schloßbau aufzuweisen hätte. Ueber die näheren Umstände des Baues, über Jahreszahl, Namen der Bauherren und des Baumeisters giebt eine lateinische Inschrift Auskunft, die sich bis diesen Augenblick in Front des Schlosses befindet. Sie lautet: Dominus conserva nos. Psalm 126. Nisi Domi- nus aedificaverit Domum in vanum laboraverant, qui aedificant. Ao. Dni. 1565 Die 26 Julii Arend et Christoff Fratres de Sparn hanc Domum aedifi- care inceperunt, in Ao. 1567 cum gratia Dei patris nostri Jesu Christi consummaverunt per Joachimum de Roncha ex Italia de Manilia. Soli Deo Gloria. Renovat. In Ao. 1580. Also etwa: Der Herr schütze und bewahre uns. Psalm 126. (muß heißen: Psalm 127.) „Wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die dran bauen.“ Anno 1565 haben die Brüder Arend und Christoph von Sparr dies Haus zu bauen angefangen; Anno 1567 haben sie es durch die Gnade Gottes und unsres Heilands Jesu Christi beendigt und zwar unter Leitung Joachims von Roncha aus Ma- nilia in Italien. Ruhm dem alleinigen Gott. Erneuert Anno 1580. Diese Inschrift, wiewohl bis diesen Tag ganz deutlich zu lesen (weil aufgefrischt), hat zwei schwache Punkte, einmal den Namen und Geburtsort des italienischen Baumeisters, dann die Renovirungs-Jahreszahl 1580. Es ist mindestens ungewöhnlich, daß ein überaus solide aufgeführter Schloßbau nach 13 Jahren schon wieder renovirt wird. Dies ist indeß unwichtiger. Wichtiger ist die Frage: wer war dieser Joachim von Roncha aus Manilia in Italien? giebt es ein Manilia, giebt es einen Roncha? oder ist alles Irrthum und Unsinn von Anfang bis Ende? von Moerner hat folgende Lesart vorgeschlagen: per Fra. Chiaramellum (de Gandino) ex Italia de Venetia; wobei er sich auf die That- sache beruft, daß es einen Joachim von Roncha niemals gab, wohl aber einen Francesco Chiaramelo oder Chiaramelli (da Gan- dino), der von 1562—65 die Festung Spandow zu bauen begann. Diese Moernersche Interpretation ist außerordentlich scharf- sinnig und leicht möglicherweise zutreffend; wir lassen sie indessen auf sich beruhen und treten mittlerweile in den Schloßbau sel- ber ein. Im Vorflur empfängt uns ein alter Herr, der Freund und Majordomus des Hauses, der in Abwesenheit des Besitzers die Repräsentation auf sich genommen hat. Wir nennen ihm unsre Namen, er zieht sein Käpsel und mit dem plauder-gemüthlichsten Cicerone-Ton von der Welt, nicht ohne liebenswürdigen Anflug von Humor und Satyre, beginnt er nunmehr: „Sie werden hier einen der sonderbarsten Baustyle aller Zeiten kennen lernen; das Schloß hat weder Treppe noch Küche und besteht ausschließlich aus 12 Zimmern und 12 Closets, Closets in des Worts verwegenster Bedeutung.“ So eingeführt, beginnen wir unsren Umgang durch das Haus. Was nun zunächst den delikaten Punkt angeht, mit dem unser Cicerone seine Eröffnungsrede schloß, so hat es damit aller- dings seine völlige Richtigkeit, wie überhaupt denn eine Total-Be- schreibung des Schlosses in weniger Worten, als die seinigen, schlechterdings nicht gegeben werden kann. Was sich der Baumei- ster, er heiße nun Chiaramelli oder Roncha, eigentlich dabei gedacht hat, ist schwer zu sagen. Ich bin allerdings Schlössern begegnet, z. B. dem berühmten Lochleven-Schloß, in dem Maria Stuart gefangen saß, in denen die enorme Dicke ihrer Mauern ebenfalls zur Herstellung solcher Recesse und Bequemlichkeiten diente; bei all diesen alten Schlössern indeß, die meist nur aus einem runden oder viereckigen Feldsteinthurm bestanden, war diese Einrichtung durch die äußerste Raumbeschränkung geboten. Wenn es nun aber irgend etwas giebt, dessen das Lichterfelder Schloß sicherlich nicht ermangelt, so ist dies eben — Raum, denn der großen Flure und Dielen ganz zu geschweigen, sind die Zimmer selber von so saal- und hallenartiger Ausdehnung, daß eine Viertheilung jedes einzel- nen Raumes immer noch vier hübsche Wohnzimmer, resp. ander- weitig nutzbare Räume geschaffen haben würde. Genug, wir constatiren einfach das Faktum der 12 Recesse (die selbstverständlich ihren früheren Beruf längst eingebüßt haben) und widmen nun der Grundanlage des Baus unsre Aufmerksam- keit. Das Erdgeschoß besteht aus einem breiten Flur, der zu jeder Seite zwei Zimmer hat (im Ganzen also vier); diese selbe Ein- theilung wiederholt sich im ersten und zweiten Stock, so daß wir im Ganzen drei Flure und 12 Zimmer zu registriren haben. Im Erdgeschoß und ersten Stock sind Flur und Zimmer gewölbt. Die Fensternischen sind wie Zimmer für sich und die Dicke der Mauern, — dazu die labende Kühle innerhalb derselben, während draußen die Sonne brennt, — erinnert uns an das hübsche Wort von der Peterskirche, „daß sie Winters und Sommers, unwandelbar wie die Kirche selber, eine immer gleiche Temperatur habe.“ Unser Cicerone sprach aber auch die Worte: „keine Treppe und keine Küche.“ Auch damit hat es seine Richtigkeit, wenigstens sicherlich mit Rücksicht auf die Küche. (Neuerdings geändert.) Was die Treppe angeht, so befindet sich dieselbe bis diesen Tag in einem eignen, von außen angebauten Treppenhause, von dem allerdings die Sage geht, daß es Anfangs nicht vorhanden war, da der alte Arendt Sparr, nach Art ähnlicher Sagenväter, den Zutritt zu sei- ner schönen Tochter durchaus unmöglich machen wollte. Erst nach- dem der Eintritt der bekannten Erscheinungen unsren alten Spar- renvater, wie so manchen Vater vor und nach ihm, von der Un- möglichkeit solcher Isolirung, resp. von der Vergeblichkeit aller sei- ner Anstrengungen überzeugt hatte, entschloß er sich reumüthig, dem Hause das zu geben, was es bis dahin nicht gehabt hatte — eine Treppe . So entstand (laut Sage) das angeklebte Trep- penhaus. Das Schloß, wie seine Inschrift besagt, wurde 1567 gebaut, und 1580 renovirt. Ich vermuthe indeß, wie schon angedeutet, daß diese letztere Zahl etwa 1650 heißen muß. Jedenfalls haben sehr bald nach dem 30jährigen Kriege Renovirungen stattfinden müssen, da, während des Krieges, wie Bekmann berichtet, die Seitengebäude des Schlosses durch den schwedischen General von Dewitz eingeäschert wurden. Natürlich mußte das Schloß selbst bei dieser Einäscherung mit gelitten haben. Wie immer dem sei, die Grundanlage des Schlosses ist seit den Tagen Christophs und Arendts von Sparr unverändert dieselbe geblieben; nur die Einrichtung und Bemalung der Zimmer ist aus späterer Zeit, klei- neren Theils aus der Groebenschen Epoche (siehe die Anmerkun- gen), größtentheils aus der Zeit der Familie Splittgerber, die Lichterfelde von 1760 bis zu Anfang dieses Jahrhunderts besaß. Wir kehren nun zu der schon im Vorübergehen berührten Frage zurück, wurde unser Otto Christoph von Sparr im Schloß zu Lichterfelde geboren oder nicht? Es stehen sich hier zwei An- sichten gegenüber; Koenig sagt: „geboren zu Prenden“, Moerner sagt: „geboren zu Lichterfelde.“ Weil es sich dabei um unsren ersten (brandenburgischen) Feldmarschall handelt, mag eine einge- hendere Untersuchung gestattet sein. Koenig erzählt, daß Otto Christoph am 13. November 1599 zu Prenden geboren wurde und daß seine Geburt seiner Mutter Edell von Sparr das Leben kostete. Er fügt hinzu: „Edell von Sparr wurde am 11. Dezember zu Prenden begraben, wo ihr Martin Junckel die Leichenpredigt hielt, in welcher der Tag ihres Absterbens (13. November) auch eigens als der Tag der Geburt unsres Helden angegeben wird . Dem gegenüber sagt Moerner: „Otto Christoph von Sparr wurde nicht 1599 in Prenden, sondern 1605 in Lichterfelde ge- boren.“ Er giebt es nicht als ganz bestimmt, aber doch als höchst wahrscheinlich. Hierfür sprechen (nach Moerner) verschiedene Dinge: 1) das noch zu Lebzeiten Otto Christophs gemalte Bild des Feld- marschalls im Chor der Berliner Marienkirche, auf dem es in Goldbuchstaben heißt: „geb. 1660 auf (oder auß) dem Hause zu Lichterfelde“; 2) das Kirchenbuch von St. Marien, das bei Gelegenheit der Beisetzung des Feldmarschalls, obige Ortsan- gabe und Jahreszahl im Wesentlichen einfach wiederholt; 3) eine Sparrsche Ahnentafel neben dem Bild des Feldmarschalls, die darthut, daß seine Mutter nicht Edell von Sparr, sondern Emerentia von Seestedt war und 4) eine Angabe in den Lehns- copiarien des Kammergerichts, aus denen hervorgeht, daß Otto Christoph im Jahre 1620 noch entschieden minderjährig war. So weit Moerner. Danach fielen sämmtliche Koenigsche An- gaben zusammen und zwar: 1) Otto Christoph wäre nicht 1599, sondern 1605 geboren; 2) seine Mutter wäre nicht Edell Sparr, sondern Emerentia von Seestedt und 3) sein Geburtsort wäre nicht Prenden, sondern Lichterfelde. Die Moernersche Ansicht ist unzweifelhaft die besser fundirte, und zwar um so entschiedener, als Koenig nicht nur erklärt, die Junckelsche Leichenpredigt blos auszugs- und abschriftsweise in Händen gehabt zu haben, sondern auch noch, wie zum Ueber- fluß, den Fehler begeht, über Geburt, Leben und Tod der Edell von Sparr folgenden Gallimathias drucken zu lassen: „Edell von Sparr,“ so schreibt er, „wurde den 10. Juni 1598 geboren; sie verehelichte sich den 16. Juli 1598 auf dem königlichen Schlosse zu Kopenhagen im Beisein des Hofes und starb den 13. Novem- ber 1599 bei Geburt unsres Feldmarschalls.“ Es ist schwer, in vier Zeilen mehr Thorheit zu sagen. Hiernach wäre also Edell Sparr bei ihrer Verheirathung 36 Tage und bei Geburt ihres Sohnes nicht voll anderthalb Jahre alt gewesen. Nun würde man unter andern Umständen selbstverständlich die Pflicht haben, die Geburts-Jahreszahl einfach für einen Druckfehler zu halten, wenn nicht Koenig selbst wieder einem diese Annahme unmöglich machte und zwar dadurch, daß er, angesichts seiner eigenen Zahlen, ruhig fortfährt: „sie starb also in einem Alter von 14 Jahren und vier Wochen .“ Angenommen nun (wie schon zugegeben), daß bei An- gabe der Geburts-Jahreszahl ein Irrthum mit drunter gelaufen sei, so ist doch ein solcher Irrthum hinsichtlich der Monate nicht gut möglich und die zwischen dem 10. Juni und dem 13. No- vember mitten inneliegende Zeit, gleichviel um welche Jahresz ahlen es sich handeln möge, kann nie vier Wochen betragen. Alles dies läßt die Koenigschen Mittheilungen in einem höchst bedenklichen Lichte erscheinen und dennoch fehlt es den gegenüber- stehenden Angaben wenigstens an einer völlig überzeugenden Kraft. Namentlich gilt dies vom Geburtsjahr 1605. Eine Lektüre der dreitägigen Schlacht bei Warschau, wie der polnischen Campagne von 1656 überhaupt, giebt einem immer wieder den Eindruck, daß unser Otto Christoph in dem eben genannten Jahre bereits ein ziemlich alter Herr gewesen sei. Er heißt damals schon „der alte Vater Sparr“ und dem Schwedenkönig werden eigens die Worte in den Mund gelegt, daß sich der alte Vater Sparr als ein rechter kriegskundiger General erwiesen habe. Wurde nun aber Otto Christoph erst im Jahre 1605 geboren, so war er wäh- rend des polnischen Feldzugs höchstens 51 Jahr alt, — kein Alter, um jemanden einen „alten Vater“ zu nennen. 1657 wurde er bereits Feldmarschall; er hätte also diese hohe Würde mit 52 Jahren erreicht. Auch nicht sehr wahrscheinlich. Endlich drittens war er schon 1638, unter George Wilhelm, mit Bildung einer „brandenburgischen Armee“ betraut worden, die er auch wirklich bei Neustadt-Eberswalde zusammenzog. Es wäre ihm also ein sol- cher Auftrag mit 33 Jahren geworden, was, wenn es zuträfe, wiederum einigermaßen überraschen müßte. Gleichviel indeß, in welchem Jahr und an welchem Ort unser Otto Christoph geboren wurde; wenn er nicht mit Bestimmtheit diesem oder jenem Dorfe angehört, so gehört er doch dem alten „Sparrenlande“ überhaupt an. In jedem der Dörfer, die diesem Landestheile zugehören, ist er gekannt, in dem einen als Zauberer, in dem andren als Türkenbesieger, überall als der „Glocken-Mann“, der sich vorgesetzt hatte, am ganzen Lauf des Finowflusses hin seine Glocken klingen zu hören. Es ist ein poetisches Stück Land, dies alte Sparren-Land. Wer an der Biesenthaler Wassermühle oder weiter aufwärts am Neustädter Eisenhammer den Finowfluß passirt, wer an einem Herbstabend in die stille Dorfgasse von Prenden einfährt, oder bei aufsteigendem Nebel an dem Tramper-Park und seinen Burgtrüm- mern vorüberkommt, der fühlt, daß ihn sein Weg in Gegenden geführt hat, wo es nicht Wunder nehmen darf, daß alte Volks- sagen noch lebendig sind und weiter wachsen und schaffen. Ein Knecht lebt da auf einem der alten Sparrendörfer, der sieht alles voraus was passirt und prophezeiht von einem großen Kriege, der in den 80er Jahren kommen wird. „Dann werden die Menschen so rar werden wie die Störche im Jahre 1857, wo ein großer Sturm sie verschlagen hatte und so viele umgekommen waren, daß man alle 5 Meilen nur einen noch sah. So wird Gott die Men- schen schlagen, wie er damals seinen Gottesvogel geschlagen. Dann werden die Menschen sich freuen, wenn einer den andern sieht.“ 22 Am Werbellin. Ihre Dächer sind gefallen Und der Wind streicht durch die Hallen, Wolken ziehen drüber hin. Franz Kugler. Und eh der Mittag kam, da lag Haufweis das Wild erschlagen. Chevy-Jagd . E ine halbe Meile nördlich von Lichterfelde, schon auf ukermärki- schem Grund und Boden, begegnen wir dem sagenreichen Wer- belliner See, auch wohl in Kürze einfach „der Werbellin“ genannt. Schön wie der Name, so schön ist auch der See, ein Zauber ist um ihn her, und was der „Blumenthal“ unter den Forsten ist, das ist der Werbellin unter den Seen dieses Landestheils. Es scheint, als ob alle Welt, auch in alten Tagen schon, ein Ohr für den Wohlklang dieses Namens gehabt hätte, denn alles, was um den See herum gelegen ist, hat den Namen von ihm entlehnt, und wir unterscheiden außer dem eigentlichen „Werbellin“ (dem See) noch eine Stadt , ein Dorf und ein Schloß glei- ches Namens, wovon sich dann schließlich der Werbelliner Forst , dessen wir schon früher als des kostbarsten Jagdgrundes der Hohen- zollern gedachten, anreiht. [ Die Stadt Werbellin .] Sie ist sagenhaft. Sie soll an der Stelle des jetzigen Sees gestanden haben, so daß wir hier — wenn der Sage irgend etwas Reales zu Grunde liegt — einen jener „Erdfälle“ anzunehmen hätten, über deren Art und Vor- kommen ich in dem Buckow-Kapitel (siehe S. 184) ausführlicher gesprochen habe. Das Terrain indeß ist hier ein wesentlich andres und macht einen Erdfall um Vieles weniger glaubhaft. Uebrigens geräth die Sage mit sich selber in Widerspruch, wenn sie fortfährt: „daß die Einwohner der Stadt lange vorher einen Unfall befürchtet hät- ten, weil der See mehr und mehr die Ufer weggespült und gleich- sam die Stadt unterminirt habe.“ Dies wäre jedenfalls kein „Erd- fall.“ Aller Wahrscheinlichkeit nach hat eine Stadt Werbellin (auch Werblo geheißen) nie existirt. Wenn Fischbach von zwei alten, da- mals im Rathhause zu Neustadt-Eberswalde befindlichen Urkunden spricht, die als Datum den St. Gregors-Tag 1306 und den 19. Februar 1319, als Ausstellungsort aber den Namen Wer- bellin tragen, so ist jetzt erwiesen, daß sich diese Unterschrift auf Schloß Werbellin und nicht auf die sagenhafte Stadt gleiches Namens bezieht. [ Dorf Werbellin ], etwa eine halbe Meile südlich vom See gelegen, ist eine Neu-Schöpfung, eine Pfälzer-Colonie, die 1748, also in den Jahren der großen Pfälzer-Einwanderung in die Mark, angelegt wurde. Es ist von diesem Dörfchen nichts zu sagen; es trägt seinen poetischen Namen ziemlich unverdient. [ Schloß Werbellin .] Unmittelbar am Werbellin-See er- hoben sich zwei Schlösser; eins davon war das eigentliche Schloß Werbellin, das andre hieß Schloß Breden. Schloß Breden war das kleinere, unbedeutendere von bei- den, und selbst über die Stelle wird gestritten, wo es stand. Doch ist es sehr wahrscheinlich, daß es sich an der Mittelbiegung des See’s erhob und zwar dort, wo jetzt malerisch zwischen See und Wald das Dörfchen Altenhof gelegen ist. Unter dem Forst- hause daselbst befinden sich noch alte, gewölbte Keller, die man vor etwa 100 Jahren entdeckte, als der Grund zur Aufführung einer neuen Försterei gelegt werden sollte. Man fand aber nicht blos diese alten Gewölbe, sondern auch kupferne und eiserne Geräth- schaften, die bis diesen Tag in der Försterfamilie (seit über hun- 22* dert Jahren immer dieselbe) aufbewahrt werden. Die dörfliche Tra- dition spricht auch von einem Faß mit Wein, das man damals gefunden habe, ein Faß, dessen Dauben bei der Berührung in Staub zerfielen, während der Wein in der topasfarbenen Wein- steinkruste, die sich seit den Tagen Markgraf Waldemars gebildet hatte, wie in einer Krystall-Bowle unverschüttet stehen blieb. Das eigentliche Schloß Werbellin lag an der Südwestspitze des Werbelliner See’s höchst wahrscheinlich (denn das Terrain ist verändert) auf einer Landzunge, die durch einen Durchstich und ein weites, vor diesem Durchstich gelegenes (übrigens noch vor- handenes) Sumpfland zu einer schwer zugänglichen Insel gemacht wurde. Markgraf Johann I. , der Städte-Erbauer unter den As- kaniern, baute dies Schloß um 1247, und es scheint, daß es unter allen markgräflichen Schlössern jener Epoche das größte, und wohl auch ein bevorzugter Aufenthalt mehrerer unter den Aska- niern war. Hier wurden die obenerwähnten Urkunden ausgestellt, und wohl viele andre mit ihnen. Von Schloß Werbellin aus schickte Markgraf Waldemar seinen Kanzler Nikolaus von Buch an den Rhein, als, nach Kaiser Heinrichs VII. Tode, ein neuer Kaiser gewählt werden sollte, und gab ihm, wie wir heute sagen würden, charte blanche zu wählen nach seinem Ermessen. Nikolaus von Buch gab seine Stimme an Ludwig den Baier, an den einzigen, an den er sie (nach dem stillen Wunsche Waldemars) nicht ge- ben sollte. Der empörte Markgraf, so geht die Sage, ließ den zu- zückkehrenden Kanzler nach dem nach gelegenen Schloß Grim- nitz Schloß Grimnitz, in unmittelbarer Nähe des „Werbellin“ am Grimnitz-See gelegen und fast als ein drittes der Werbellin-Schlösser an- zusehen, war ebenso der bevorzugte Aufenthalt Otto’s IV. , des sogenannten Markgrafen mit dem Pfeil, wie Schloß Breden und Schloß Werbellin die bevorzugten Plätze Markgraf Waldemars waren. „Hier war es wohl, so erzählt F. Brunold, wo Markgraf Otto mit seiner kühnen Gemahlin Heilwig von Holstein am Schachbrett saß, von Spielleuten umgeben, wie es uns ein Bild in der Manessischen Sammlung der Minnesänger noch heute zeigt.“ — 1529 wurde auf Schloß Grimnitz ein Friede zwischen bringen, ihn dort in den Kerker werfen und verhungern. Die Erzählung fügt hinzu, der Markgraf habe täglich frische Aepfel vor das vergitterte Fenster legen lassen, um durch den Anblick der Labefrucht die Qual des Unglücklichen zu steigern. 1319 starb Markgraf Waldemar, es kam eine wilde, eine herrenlose Zeit, auch Schloß Werbellin sank von seiner Höhe. Noch im Laufe desselben Jahrhunderts, oder doch zu Anfang des nächst- folgenden, wurde es zerstört; der eine Bericht sagt „durch die Litthauer “, ein andrer (wahrscheinlicherer), durch die Quitzows , die in Gemeinschaft mit den Ruppiner Grafen die Burg angriffen und brachen. Ihr Zug ging von da aus gegen Chorin. Auf dem Felde zwischen Lichterfelde und dem Werbelliner-See wird noch die Stelle gezeigt, wo der Abt von Chorin den Siegern entgegenging und mit ihnen über gute Bedingungen verhandelte. [Der Werbelliner-Forst ] endlich ist der alte, klangvolle Name des schönen, viele Quadratmeilen großen Wald- und Jagd- Reviers, das den Werbellin- und Grimnitz-See in weitem Halb- kreis umgiebt. Man hat den alten Namen jetzt aufgegeben, und das weite Waldrevier, aus Gründen besserer Verwaltung, in eine westliche und östliche Hälfte getheilt, die nun den Namen „Groß- Schönebecker- und Grimnitzer-Forst“ führen; wir aber behalten den alten Namen bei. Der Werbelliner-Forst, wie schon angedeutet, ist gleich aus- gezeichnet als Wald - wie als Jagd-Grund . Als Waldgrund mag es, auch in unsern Landen, größere und besser gepflegte ge- ben, als Jagdgrund steht er einzig da. Ein Theil des Forstes, die sogenannte Schürf- oder Schorfhaide, die sich eine halbe Meile lang am Nordwest-Ufer des See’s entlang zieht, dient eigens dem Zweck, das Wild zu pflegen, also den Rest des Forstes zu einem der Mark und Pommern geschlossen, der ausdrücklich der Friede zu Grim- nitz heißt, und 1549 brach hier Kurfürstin Hedwig, die Gemahlin Joachims II. (nicht die „schöne Gießerin“ wie andre erzählen), durch den morsch gewor- denen Fußboden des ersten Stockes, wobei sie auf die Hirschgeweihe der darunter befindlichen Halle niederstürzte, und so schweren Schaden nahm, daß sie von der Zeit ab an Krücken gehen mußte. desto reicheren und besseren Jagdgrund zu machen. Der nahe See mit seinem kostbar klaren Wasser (eine Folge seiner Kalk- und Thon-Gründigkeit) macht ihn zur Tränke vorzüglich geeignet, während außerdem Brunnen in den Wald gegraben sind, und überall ausgebreitete Heu- und Moosbetten dem Wilde über die Gefahren und Beschwerden des Winters hinweghelfen. Und das alles nicht einmal mit der hinterlistigen Absicht, den heute noch ge- hegten und gepflegten Hirsch bei nächster Gelegenheit in’s Blatt zu treffen. Der Wildstand hier ist eine Parade-Truppe, und wird auf jede erdenkliche Weise geschont. Letzlingen , so heißt es, ist für den Gebrauch; Werbellin und Grimnitz sind für die Repräsentation . Dort jagten die Hohenzollern um des Jagens willen; in Werbellin jagen sie, ausnahmsweise, an Fest- und Gala-Tagen, um ihren Gästen zu zeigen, was hohe Jagd in den Marken ist. Letzlingen freilich ist auch ein kostbarer Jagdgrund, und in einzelnen Branchen, z. B. an Damm- und Edelhirschen, überragt es seinen Rivalen. Aber an Rothwild bleibt Werbellin à la tête. Die Forsten, die seinem Reviere angehören, umschließen 3000 Hirsche, die größte Anzahl (so weit die Kenntniß davon reicht), die an irgend einem Punkte der Welt, innerhalb eines bestimmt ab- gegrenzten Reviers, gehalten wird. Hier war denn auch, wie selbst- verständlich, der Platz, wo sich die Zahl der getödteten Hirsche (denn trotz des Prinzips der Schonung müssen die alten weg- geschossen werden) auf eine Höhe bringen ließ, gegen die wahr- scheinlich die Thaten des Cooper’schen „Hirschtödters“ zu einem Minimum zusammenschrumpfen. Wildmeister Grußdorf (jetzt im Potsdamer Wildpark) war 30 oder 40 Jahr lang Förster im Werbelliner Forst, und die Leute erzählen von ihm, daß er muth- maßlich derjenige Jäger sei, der in seinem Leben die meisten Hirsche geschossen habe. Es heißt: er kannte nicht nur alle, die über- haupt da waren, er fand auch alle, die er finden wollte (die alten, wegzuschießenden), und traf alle, die er treffen wollte. Nur vom bairischen Grafen Arco erzählt man, daß er möglicherweise unsrem Grußdorf als „Hirschtödter“ gleichkomme. Der Werbellin-Forst umschließt 3000 Hirsche, aber um die Brunstzeit (etwa von Mitte September bis Mitte Oktober) um- schließt er noch tausend mehr. Dann kommen die Wanderhirsche . Sie kommen aus den benachbarten Landestheilen, aus Mecklen- burg, Pommern, Schlesien, selbst aus Polen und Ostpreußen, also fast hundert Meilen weit. Alle diese Gegenden, namentlich die öst- lich und nördlich gelegenen, haben weniger Weibchen in ihren Wäl- dern, und dieser Umstand treibt die Hirsche gen Westen, und speziell an das See-Ufer des Werbellin. Hier ist dann Rendezvous, „Con- vivium“, wie es die Leute nennen. Weil der Weg weit und die Fährlichkeit der Reise groß ist, so machen sich nur die stärksten Thiere auf den Weg; sie wissen auch wohl, daß sie als Eindring- linge kommen, und daß es ohne schwere Kämpfe, ohne den ganzen Zorn erwachter Eifersucht, nicht abgehen wird. Diese Kämpfe finden denn auch wirklich jedesmal statt, aber selten mit den eigentlichen Her- ren des Forst’s, sondern gemeinhin unter den Herbeigekommenen selbst. Sie fechten Eindringling gegen Eindringling, etwa Pole gegen Ostpreuße, oder Schlesier gegen Pommer. Die diesen Kampf aufnehmen, sind, wie schon angedeutet, immer die Stärksten, und die Veranlassung ist jedesmal Rivalität; das Resultat ihrer Kämpfe aber pflegt in den meisten Fällen das zu sein, daß, während die beiden Heroen von außerhalb mit einander kämpfen (auch wohl sich tödten), der einheimische Märker den Liebespreis davonträgt. Die fremden Hirsche bleiben etwa 4 Wochen; dann kehren sie wieder heim. In den letzten 10 bis 15 Jahren hat sich dieser Zuzug von außenher um etwas verringert. Wahrscheinlich ist das Jahr 1848 die Ursach davon, wenigstens bemerkt man seitdem eine Abnahme. Die Jagdfreiheit machte damals den Marsch von Polen oder Preu- ßen bis in die Mark allerdings etwas gefährlicher als in ruhi- geren Zeiten, und die Gefahren jenes Jahres scheinen wenigstens bei den Wanderhirschen unvergessen. Wir treten zum Schluß aus dem Forste heraus wieder an den See , an den „ Werbellin “, der all dieser Umgebung, Wald, Burg, Dorf, seinen Namen gab. Einladend wie der See, so waren auch die Fische, die er beherbergte. Es war ein Muränen-See, vielleicht der größte und schönste unter allen märkischen Seen, die sich mit ihm in die Ehre theilen, ein Muränen-See zu sein. (Muränen-Seen waren zu Bekmanns Zeiten folgende: der Moriner, der Soldiner, der Lychener und der Stechliner, ferner der Lindower und der Schermützel- See. Mehrere davon, wenn nicht alle, haben inzwischen ihre Mu- ränen verloren, ebenso wie der „Werbellin.“) Auch schon in churfürstlichen Tagen wußte man von diesem Reichthum des Werbelliner See’s, und 1565 schrieb Churfürst Joachim an den Magistrat zu Neustadt-Eberswalde und ordnete an: „maßen man gegen Fastelabend etzlich-vieler Fische benöthigt wäre, so viele Muränen und Karpfen, als nur zu bekommen wä- ren, in dem „Werbellin“ fangen und mit zwei Pferden und Wa- gen zur churfürstlichen Küche bringen zu lassen.“ Mit diesen Muränen ging es noch fast dreihundert Jahre; da, vor 10 oder 20 Jahren, nahm es plötzlich ein Ende. Der Cormoran kam . Der Cormoran oder schwarze Seerabe, sonst nur in Japan und China heimisch, hatte auf seinen Wanderzügen auch mal den baltischen Küstenstrich berührt und unter allen For- sten und Seen, die er auf diesem seinem Zuge berührt hatte, schien es ihm „am Werbellin“ am besten gefallen zu haben, denn hier war es, wo er sich plötzlich zu vielen, vielen Tausenden nie- derließ. Der schöne Forst am See entlang bot prächtige Bäume zum Horsten, und der See selbst die schönste Gelegenheit zum Fi- schen. Nun scheint es, waren die Cormorans insonderheit auch Feinschmecker, und statt sich mit all und jedem zu begnügen, was ihnen in den Wurf kam, richteten sie ihr Begehr vor allem auf die Muräne . Sie fischten nach ganz eigenthümlichen Prinzipien, und betrieben den Raub nicht als einzelne Freibeuter (wie etwa die Fischreiher und ähnliche auf niedrigster Stufe der Kriegskunst stehende Thiere), sondern das Geheimniß taktischen Zusammenwir- kens hatte sich ihnen erschlossen. Sie operirten en colonne, in Reih und Glied und lange Chainen quer über den See ziehend, dabei mit Hülfe ihrer Taucherkünste den See auch in seinen ver- schiedenen Tiefen, so zu sagen in allen seinen Etagen beherrschend, glückte es ihnen, überall da, wo sie ihren Stand nahmen, ein lebendiges Netz durch den See zu ziehen: jede Masche ein geöff- neter Cormoran-Schnabel. In China oder Japan, oder vielleicht in beiden Ländern, verstehen es die Bewohner, die Cormorans zum Fischfang abzurichten. Sie be- dienen sich dazu der allereinfachsten Vorrichtung, indem sie dem Cormo- ran, nachdem ihm die Flügel gestutzt wurden, einen Ring um den Hals legen, der die Kehle des Thieres halb zuschnürt . Nun beginnt der Cormoran, mit gewohntem Geschick, seinen Fischfang, da er aber, der halbzugeschnürten Kehle halber, die Fische nicht herunterschlucken kann, so wirft er sie großmüthig in neben ihm befindliche kleine Boote, wo sie die Fischer in Empfang nehmen. Die Fischer mühten sich umsonst sie zu vertreiben; es gab damals Cormorans am Werbellin, wie Flie- gen in einer Bauernstube; ein paar Hundert mehr oder weniger war von gar keinem Belang. Auch der Forst litt, ähnlich wie der See; denn in manchem Baum hatten die Cormorans 10 Nester gebaut, und es war nicht möglich, ihrer Herr zu werden. Da wurde endlich ein Vernichtungskrieg beschlossen; alle Förster aus den benachbarten Revieren wurden mit herangezogen, das Garde- Jäger-Bataillon in Potsdam schickte seine besten Schützen, — so rückte man in’s Feld. Zuletzt waren Pulver und Blei stärker als die Cormorans, und sie blieben entweder auf dem Platze, oder setzten ihren Zug in friedlichere Gegenden fort. Die Cormorans verschwanden; aber ihr Besuch hatte dem Werbellin seine Muränen gekostet. Die Cormorans sind nicht wieder gekommen (das ließe sich ertragen), aber — die Muränen auch nicht. Die Muränen sind hin wie die Schlösser, die den „Wer- bellin“ umstanden, nur der See selber ist der alte geblieben. Bei Altenhof, unmittelbar an dem gelben Kies-Ufer, liegen ein paar Tannenstämme aufgeschichtet, und bilden eine hohe Bank zum Ueberblick über den See. Dort nehmen wir Platz. Kleine Wellen schäumen an’s Ufer, vor uns die breite Wasserfläche, liegt noch im Licht, während nach Norden zu sich blaue Schatten über Wald und See breiten. Dorthin liegen auch die Trümmer des alten, halb Sage gewordenen Grimnitz-Schlosses. Und wenn jetzt ein goldenes Schiff den See herunter käme, und auf dem Deck des Schiffes, unter flatterndem Zeltdach, säße Markgraf Otto mit Heilwig von Holstein, scherzend, lachend über dem Schachspiel, wir ließen es vorübergleiten, vielleicht weniger verwundert über das gol- dene Schiff mit Segel und Zeltdach, wie über das ärmliche Schif- ferboot, das eben mit Netz und Reuse des Weges kommt. Es ist ein Märchenplatz, auf dem wir sitzen, denn wir sitzen am Ufer des „Werbellin.“ Schloß Friedersdorf. Ich kenne die Thürme, die Zinnen, Die steinerne Brücke, das Thor. I n der Nähe von Gusow (dem alten Besitzthum Derfflingers) auf dem Plateau, das den Südwestrand des Oderbruchs begrenzt, liegt Friedersdorf , ein Besitz der Familie von der Marwitz. Die Marwitze, ursprünglich eine neumärkische Familie, kamen gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts in Besitz dieses Guts und haben es seitdem ununterbrochen besessen. Wie die Familie zu den ältesten und angesehensten der Mark ge- hört, so ist es ihr vorbehalten gewesen, auch durch drei Generationen hin, ihren Namen mit der Geschichte des Landes zu verweben, und zum Ruhme desselben beizusteuern. In 150 Jahren gingen mehrere hundert Offiziere aus dieser Familie hervor, darunter acht Generale. Nur wenigen Geschlech- tern (fünf) war es vergönnt die Marwitze nach dieser Seite hin zu über- flügeln: die Kleist weisen 14 auf, die Schwerin 11, die von der Goltz 10, die Bork und die Bredow 9. Vom Städtchen Selow (halben Wegs zwischen Müncheberg und Küstrin) erreicht man Friedersdorf in einer Viertelstunde. Die Landschaft ist reizlos und nur die Bäume des Parks, die man auf einige Entfernung hin hoch aufragen sieht, unterbrechen das flache Einerlei. Unmalerisch wie die Landschaft, ist auch die Einfahrt in das Dorf selbst, und erst in der Mitte desselben, wo wir die Parkbäume, die bis dahin den halbnebligten Hintergrund des Bil- des bildeten, in einem flachen, weit gedehnten Teich sich spiegeln, und die Thürme und weißgrauen Wände des Schlosses durch das ziemlich dichte Laubwerk hindurch schimmern sehen, wird es uns leichter um’s Herz, und der flachen Alltäglichkeit plötzlich überhoben, athmen wir auf wie eingetreten in eine neue, poetische Welt. Unser Wagen beschreibt eine Curve um den Südrand des Teiches herum und führt uns dann durch eine von zwei Obelisken gebildete Ein- fahrt, den Kiesweg des Parks hinauf, bis vor die gastlich geöffnete Thür des Schlosses. Das Friedersdorfer Herrenhaus ist so recht ein Bau, wie ihn die Phantasie sich auszumalen liebt, wenn es gilt, das Schloß einer alten Familie vor Augen zu haben. Die Frage nach dem Maaß der Schönheit wird gar nicht laut; alles ist eigenthümlich, charaktervoll, pittoresk, und dieß genügt. Auch dieses Friedersdorfer Schloß nimmt unser Urtheil sofort gefangen. Das hohe Dach, wo es auf der Schrägung der beiden Seitengiebel aufliegt, ist staffel- förmig mit allerhand Thürmchen besetzt, während aus der Mitte des Dachs ein mächtiger Vordergiebel vorspringt, der wiederum seinerseits mit einer Reihe von kleinen Thürmen geschmückt ist. Die hohen, verhältnißmäßig schmalen Fenster steigern den Eindruck des Eigenthümlichen und die breiten Pfeiler zwischen denselben leihen ein Ansehen voll Festigkeit und Solidität. Rosenbäume um- ranken die Glasthür, die aus der Halle in Park und Garten führt, vor der Front des Hauses aber, inmitten eines Grasplatzes, den Kieswege umzirken und mächtige alte Kastanien überschatten, stehen ein paar gußeiserne Böller (Eroberungen aus alter Zeit) und mah- nen an den kriegerischen Geist, der hier durch viele Generationen hindurch lebendig war. Wir betreten das Haus und verwundern uns über die Fülle von Raum, die uns darin entgegen tritt. Das macht, es ist noch ein Bau aus jener vornehmen Zeit, wo man die vorhandene Ge- sammträumlichkeit in wenige imposante Gemächer theilte, statt wie jetzt die allergrößte Raumfülle durch zahllose Stuben und Stüb- chen hotelartig zu verzetteln. Die Baumeister waren damals noch nicht bei Hauswirthen in die Schule gegangen und hatten noch nicht gelernt, der trivialsten Oekonomie die Schönheit und Statt- lichkeit der Verhältnisse zu opfern. Es war noch die Epoche der Treppen und Corridore, wie sie die, ohne Noth und ohne Ver- ständniß, jetzt vielgeschmähte Zeit der Renaissance überall einführte. Die Halle des Hauses nimmt uns auf. Hohe Fenster blicken auf den Park hinaus, die andern Wände sind mit zahlreichen Bildern, mit Familienporträts jedes Alters und jeder Größe bedeckt. Das stattlichste und in die Augen fallendste ist ein Bildniß über dem Kamin. Es ist das überlebensgroße Porträt des alten General- lieutenants von Goertzke, des sogenannten „Paladins des großen Kurfürsten“, der im Jahr 1652 Friedersdorf erstand, dieses Schloß renovirte und hier in hohem Alter verstarb. Wie derselbe ein halbes Leben lang neben Derfflinger gestanden und den Ruhm des Alten getheilt hatte, so fanden sich die beiden brandenburgischen Helden auch schließlich auf nachbarlicher Scholle hier zusammen: Gusow gehörte dem einen, Friedersdorf dem andern. Eines Goertzke’s Tochter heirathete einen Marwitz und bei den Marwitz ist das Gut seitdem verblieben. Dieses Bildniß des alten „Paladin“ nimmt unser Interesse aus mehr als Einem Grunde in Anspruch. Ganz geharnischt, den Commandostab in der Rechten, die leichte Feldbinde um den Hals, so steht er da. Der Helm ruht neben ihm auf einem Felsenvor- sprung und sein langes Haar fällt dunkel und beinahe lockig herab. Finsterer Ernst und kalte Bestimmtheit sprechen aus seinen Zügen. Es knüpft sich eine hübsche Anekdote an dieses Bild, charakteristisch für den Mann und die Zeit, zumal auch für die Stellung, die die schönen Künste damals in brandenburgischen Landen einnahmen. Goertzke war bei Lützen schwer verwundet worden und hinkte seitdem; sein linker Fuß war zu kurz geheilt worden und eine dicke, handhohe Holzsohle mußte wieder gut machen, was das Unglück oder das Ungeschick des Arztes verschul- det hatte. Es scheint, daß er sich an diesen Holzfuß nicht gern erinnern ließ oder Vorstellungen von der Pflicht des Idealisirens innerhalb der Kunst hatte, die dem romantischsten Vertreter der früheren Düsseldorfer Schule Ehre gemacht haben würden. Als der Maler ihm das Bild brachte, fiel Goertzke’s Auge zuerst auf die breite Holzsohle, die der gewissenhafte Realist an den Fuß seines Helden geheftet hatte, und voll Zorn und Unmuth warf dieser ihn die Treppe hinunter. Eine kaum minder empfindliche Strafe kam nach: der alte Paladin behielt das Bild und verweigerte die Zahlung. Das lebhafte Interesse, das wir an dem Bilde zeigen, führt zu der freundlichen Mittheilung, daß die nahgelegene Kirche ein Steinbild des alten Reitergenerals enthalte, das die beste Gele- genheit bieten würde, zwischen zwei ziemlich gleichzeitigen Darstel- lungen des Paladins (den beiden einzigen, die existiren) einen Vergleich anzustellen. Unsere Neugier ist geweckt und die Kiesgänge des Parks führen uns alsbald in die angrenzende Kirche. Einen Augenblick vergessen wir, was zunächst uns hergeführt (das Steinbild des alten Goertzke), und blicken betroffen in eine Dorfkirche hinein, wie deren die Mark vielleicht keine zweite besitzt. Ein Zusammenwirken von Umständen ist nöthig, um eine Ausschmückung wie diese zu schaffen: lang andauernder Be- sitz und ein Herz für Kirche und Kunst . Saubere Pfeiler von braunem Eichenholz tragen die weit vorspringenden Emporen, und allerhand Bilder, Sprüche und Inschriften umziehen die Brüstung derselben. Ueberall treten aus dem alten Mauerwerk Grabmonumente hervor, und Büsten und Portraits, Sarkophage und symbolische Figuren, die rundum die Wände schmücken, leihen dieser kleinen Kirche etwas vom Anregenden eines Museums und von der schönen Heiterkeit, die überall da waltet, wo die Schö- pfungen der Kunst eine Stätte gefunden. Was diesen Eindruck künstlerischer Heiterkeit noch steigert, das ist das Vorherrschen der Farbe oder doch ein glückliches sich Vermählen der Farbenbuntheit mit dem Weiß des Marmors. Eine Reihe steinerner Grabmonu- mente weckt oft mehr Schauer als Erhebung, hier aber werden die weißen Marmorgruppen zu bloßen Umrahmungen für die Bilder, deren Farbenfrische den Sieg über den kalten Marmor und die kalte Symbolik davon trägt. Der Saturn wird zum ge- müthlichen Alten, wenn er ein Medaillonbild in Händen hält, das in allen Farben des Lebens lacht. Unter solchen Betrachtungen sind wir das Kirchenschiff hin- aufgeschritten und stehen am Altar. Zur Linken erblicken wir nun- mehr das Steinbild des alten Paladin, das zunächst Veranlassung zu unserem Kirchenbesuche gab. Neben ihm, in gleicher Höhe und Größe, ist das Reliefbild seiner Gemahlin, einer geborenen von Schlieben, in den Wandpfeiler eingelassen. Beide Grabsteine lagen früher an anderer Stelle, unmittelbar über der Gruft, und erst bei Renovirung der Kirche hat man sie aufgerichtet und ihnen den Ehrenplatz neben dem Altar gegeben. Vergleicht man dieses Stein- bild des alten Goertzke mit seinem Oelporträt in der Halle, so bemerkt man allerdings Verschiedenheiten. Der Klumpfuß und die Krücke zeigen sich auch hier, eben so tritt einem etwas typisch Märkisches im Ausdruck des Kopfes entgegen, aber hiemit sind die Aehnlichkeiten erschöpft. Wohlwollen, Heiterkeit, Bonhommie nehmen die Stelle des Herben und Martialischen ein, die unverkennbar aus dem Oelbild sprechen. Der Kopf der jungen, schönen Frau (der er sich erst spät vermählte und die er nur kurze Zeit besaß) ist überaus ansprechend und man muß erstaunen, daß es einem Steinmetzen jener Zeit glücken konnte, ein so liebliches Gesicht her- auszumeißeln. Das Charakteristische findet sich immer früher als das Schöne, das hier bereits in deutlichen Anfängen zu uns spricht. Wir sind in die Mitte des Kirchenschiffs zurückgetreten, halten Umschau und bemerken jetzt, daß das Bild des alten Goertzke nur ein Gast in dieser Kirche ist, ein vornehmer Gast zwar, dem man den Ehrenplatz neben dem Altar gegeben, aber doch immer nur ein Gast. Andere sind hier jetzt zu Haus; den Marwitzen gehört das Feld. Vier Generationen sprechen zu uns; zur Rechten Gestalten und Inschriften, die der Epoche vor dem siebenjährigen Kriege angehören, zur Linken die Namen und Bildnisse derer, die seitdem gekommen und gegangen sind. Da sind zunächst (zur Rechten) die Bildnisse Hans Georgs und seiner beiden Frauen, Medaillonpor- träts, wo die feinen, halb träumerischen, halb wehmuthsvollen Züge der einen, das Auge des Beschauers zu suchen scheinen und fesselnd aus dem weißen Kopftuche hervorlugen. Da sind, an der- selben Seite, die Monumente und Bildnisse seiner beiden Söhne, von denen der eine, voll Eifer für die Wissenschaften, jung und unvermählt verstarb, während der andere (August Gebhardt) in die Armee trat und als Gardecapitän den Dienst quittirend, seine Tage auf Friedersdorf beschloß. Von diesem August Gebhardt v. d. Marwitz, dem Urgroß- vater des gegenwärtigen Besitzers, existiren noch ein paar Ueber- lieferungen, die hier Platz finden mögen, weil sie ein anschauliches Bild von dem Leben geben, das ein märkischer Edelmann vor den Tagen des siebenjährigen Krieges zu führen pflegte. August Gebhardt lebte noch völlig als Patriarch. Die Bauern fürchteten sein grimmiges Ansehen und vermieden ihn lieber, als daß sie ihn suchten. Er war etwa der „Soldatenkönig im Kleinen“ und das bekannte „lieben sollt ihr mich“ wurde auch hier mit dem spanischen Rohr auf die Rücken geschrieben. Von besonderer Wich- tigkeit war der sonntägliche Kirchgang. In vollem Staat, gefolgt von Frau und Kindern, erschien dann der alte Gardecapitän auf seinem Chor und theilte seine Aufmerksamkeit zwischen dem Predi- ger und der Gemeine. Sein controlirender Blick war über dem Ganzen. Ein eigens bestallter Kirchenvogt mußte aufmerken, wer von den Bauern ausgeblieben war, von denen jeder, der ohne triftige Ursache fehlte, an seinem Beutel oder seinem Leibe bestraft wurde. Dabei war August Gebhardt ein Lebemann. Sein Haus stand gastlich offen und in heiterer Gesellschaft vergingen die Tage. Man aß von silbernem Geschirr und eine zahlreiche Dienerschaft wartete auf. Der Sommer gehörte dem Leben auf dem Lande, aber der Winter rief alles nach Berlin. In einem mit sechs Heng- sten bespannten Wagen brach man auf und ein Läufer in voller Livrée lief vor dem Zuge her. Auch in Berlin machte August Gebhardt ein Haus; vornehme Gesellschaft ging aus und ein, an- gezogen durch den feinen und geistreichen Ton seiner zweiten Ge- mahlin, einer geborenen von der Goltz. Das Weihnachtsfest führte die Familie auf kurze Zeit nach Friedersdorf zurück, bis mit dem herannahenden Carneval der Läufer und die sechs Hengste wieder aus dem Stall mußten. Das waren die Zeiten August Gebhardts. Die kommenden Jahre trugen von allen Seiten her Verwüstung in das Land und zerstörten die Wohlhabenheit, die die gesunde Basis dieses patri- archalischen Lebens war. August Gebhardt starb 1753. Er hinter- ließ drei Söhne, von denen wir jedem einzelnen zunächst ein be- zeichnendes Beiwort (statt der Verwirrung stiftenden Vornamen) geben wollen. So nennen wir denn den ältesten den Huberts- burg -Marwitz, den zweiten den Hochkirch -Marwitz, den dritten aber, der nicht Gelegenheit fand im Kriege sich auszuzeichnen, ein- fach nach seinem Titel, den Kammerherrn Marwitz. Von jedem mögen hier ein paar Worte stehen. Der Hubertsburg -Marwitz (Johann Friedrich Adolf) war 1723 geboren. Er trat in das Regiment Gendarmes und avancirte von Stufe zu Stufe. Er war ein sehr braver und in großer Achtung istehender Soldat, ein feiner und gebildeter Weltmann, ein Freund der Literatur und der Kunst. Der große König schätzte ihn hoch, besonders auch, weil er das Regiment Gendarmes fast den ganzen siebenjährigen Krieg hindurch, statt des eigentlichen Commandeurs Grafen von Schwerin, mit dem größten Succeß geführt hatte. Bei Zorndorf war er mit unter den besten gewesen. So kam das Jahr 1760. Der König hatte nicht vergessen, daß es sächsische Truppen gewesen waren, die das Jahr vorher Schloß Charlottenburg geplündert hatten, und voll Begier nach Revanche gab er beim Einrücken in Sachsen sofort Befehl, Schloß Hubertsburg (dasselbe, das später durch den Friedensschluß be- rühmt wurde), als Repressalie zu zerstören; das Mobiliar des Schlosses sollte dem plündernden Offizier zufallen. Der Befehl zur Ausführung traf unsern Marwitz, der damals Oberst war. Dieser schüttelte den Kopf. Nach einigen Tagen fragte ihn der König bei 23 Tisch, ob Schloß Hubertsburg ausgeplündert sei? „Nein“, erwie- derte der Oberst. Eine andere halbe Woche verging und der König wiederholte seine Frage, worauf dieselbe lakonische Antwort erfolgte. „Warum nicht?“ fuhr der König auf. — „Weil sich dieß allen- falls für Offiziere eines Freibataillons schicken würde, nicht aber für den Commandeur von Seiner Majestät Gendarmes.“ Der entrüstete König stand von der Tafel auf und schenkte das Mobi- liar des Schlosses dem Obersten Quintus Jcilius, Nach dem Kriege wurde Quintus Jcilius (eigentlich Guichard aus einer Refugiésfamilie) oft zur königlichen Tafel gezogen. Der König fragte ihn einst über Tisch: „Was hat Er denn eigentlich mitgenommen, als Er das Schloß des Grafen Brühl plünderte?“ worauf Quintus Jcilius replicirte: „Das müssen Ew. Majestät am besten wissen, wir haben ja getheilt .“ der bald darauf alles rein ausplünderte. Bei allen Revuen nach dem Frieden war nun der König immer höchst unzufrieden, andere Offiziere wurden dem tapfern Gendarmen- Obersten vorgezogen und Marwitz forderte seinen Abschied. Der König verweigerte ihn. Neue Kränkungen blieben indeß nicht aus und Marwitz kam abermals um seine Entlassung ein. Keine Ant- wort. Da that Johann Friedrich Adolf keinen Dienst mehr und blieb ein ganzes Jahr lang zu Hause. Nun lenkte der König ein und versprach ihm das nächste vacante Regiment; aber vergeblich. Er ließ antworten: er habe so gedient, daß er sich kein passe droit brauche gefallen zu lassen; was geschehen sei, sei geschehen, und könne kein König mehr ungeschehen machen. Zugleich forderte er zum drittenmal seinen Abschied und erhielt ihn nun (1769). Er war damals erst 46 Jahre alt. Das Ende seines Lebens entsprach nicht dem ruhmreichen Anfang. Aller regelnden Thätig- keit überhoben und jener wohlthätigen Disciplin, die der „Dienst“ auf die Kräfte und Leidenschaften starker Naturen ausübt, verfiel er einem glänzenden Müssiggange, den er nunmehr mit derselben Consequenz und Energie wie früher seine soldatischen Tugenden durchführte. Den größten Theil des Tages verbrachte er beim Spiel. Kam er nach Friedersdorf, so war er sicher von seiner „Partie“ begleitet. Unter der großen Linde, welche hinter dem Hause im Garten steht, hatte er sich eine Laube einrichten lassen. Dort saß er schon am Morgen und spielte; dann wurde mit großem Aufwand getafelt, viel und gut und lange getrunken, bis der Abend die Beschäftigung des Morgens wieder aufnahm. Er besaß eine höchst werthvolle Bibliothek, die sich noch jetzt im Frie- dersdorfer Schloß befindet. Alle diese Bücher hatte er partienweise dem Quintus Jcilius im Spiele abgewonnen und sich dadurch nachträglich und auf dem Wege Rechtens in Besitz derselben Bibliothek gesetzt , deren Fortführung aus Schloß Hubertsburg er, als unwürdig eines Marwitz und eines Obersten der Gendar- mes, verweigert hatte. Dieser Johann Friedrich Adolf, oder der Hubertsburg-Marwitz, wie wir ihn genannt haben, starb 1781. Die Friedersdorfer Kirche bewahrt sein Andenken durch einen Grab- stein, auf dem wir die Worte lesen: „Johann Friedrich Adolf. Er sah Friedrichs Heldenzeit und kämpfte mit ihm in allen seinen Kriegen. Wählte Ungnade, wo Gehorsam nicht Ehre brachte .“ Sein jüngerer Bruder war der Hochkirch-Marwitz (Gustav Ludwig). Er diente ebenfalls beim Regiment Gendarmes und focht bei Hochkirch mit solcher Auszeichnung, daß er, unmittelbar nach der Schlacht, vom Rittmeister zum Major avancirte und den Pour le mérite erhielt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Quartier- meister von der Marwitz, dessen Name in noch glänzenderer Weise mit der verhängnißvollen Nacht von Hochkirch verwoben ist. Dieser letztere von der Marwitz, mit der Friedersdorfer Linie nur weit- läufig verwandt, weigerte sich bekanntlich, das Lager, das einen Ueberfall gleichsam herauszufordern schien, an der angewiesenen Stelle abzustecken, und erhielt dafür nicht nur keinen Pour le mérite , sondern fiel in Ungnade. Er starb bereits im folgenden Jahre 1759. „Son mérite et ses services seraient oubliés si ce monument n’en conservait la mémoire“, so schreibt Prinz Heinrich unter den Namen dieses Marwitz (des Quartier- 23* meisters) und reihte diese Inschrift unter die Namen ein, die den Sockel des großen Rheinsberger Obelisken in goldener Schrift umziehen. Unser Hochkirch-Marwitz aber stieg von Stufe zu Stufe, commandirte das altmärkische Kürassierregiment, das zu Salzwedel lag, und starb erst 1797 als Generallieutenant. Die Friedersdorfer Kirche erwähnt seiner nicht. Der dritte und jüngste Bruder war der Kammerherr Mar- witz (Berndt Friedrich August). Sein Leben verlief ohne historische Momente, ohne Thaten nach außen. Kurz vor seinem Tode wurde er als interimistischer Intendant an die Spitze der königlichen Schauspiele berufen. Die Memoiren seines Sohnes äußern sich bei dieser Gelegenheit: „Der Aerger über das scheußliche Komödianten- volk, mit dem er verkehren mußte, vorzüglich aber die unvermeid- lichen Erkältungen während der Vorstellungen, gaben ihm den letzten Stoß.“ Er starb 1793. Seine Gedenktafel in der Frieders- dorfer Kirche fügt seinem Namen einfach die Worte hinzu: „Grad, bieder, rechtschaffen.“ So war er. Es ward ihm nicht gegeben, zum Ruhm seiner Familie durch andere, als durch stille Thaten beisteuern zu können, aber was ihm versagt blieb, wurde seinen drei Söhnen um so reichlicher gewährt. Diese drei Söhne waren: August Ludwig, Alexander und Eberhard . Nur dem Na- men des Aeltesten begegnen wir in der Friedersdorfer Kirche. Ueber der Eingangsthür, in ziemlicher Höhe vom Beschauer, befindet sich ein reicher, in drei Felder getheilter Goldrahmen, in dessen Mittel- feld wir das Bildniß August Ludwigs von der Marwitz, rechts und links aber die Bildnisse seiner beiden Frauen erblicken. Er war zweimal verheirathet; das Bildniß seiner ersten Frau, einer geborenen Gräfin Brühl, zeichnet sich durch einen Ausdruck ge- winnender Liebenswürdigkeit aus und prägt sich dem Gedächtniß des Beschauers ein. Ueber den Charakter und reichen Lebensinhalt dieses für die Entwickelungs-Geschichte unseres Vaterlandes bedeutungsvollen Mannes, spreche ich ausführlicher in dem folgenden Kapitel. Das vorligende betrifft mehr die Dinge als die Personen, mehr das Kleid als den Mann . Aber auch diese Außendinge sind nichts Zufälliges; die Schale bildet sich nach dem Kern, und diese Er- wägung ist es, die uns nach einem nochmaligen Umblick in der schönen Kirche, in die Räume des Schlosses zurückführt. Die hohe, schwere Eichentreppe hinauf, treten wir alsbald in das Wohn- und Arbeitszimmer August Ludwigs von der Marwitz, des Vaters des gegenwärtigen Besitzers, ein Zimmer, das uns auf den ersten Blick die originelle Eigenart seines früheren Bewohners verräth. Die Pietät gegen den Hingeschiedenen, hat es in seiner ganzen Einrich- tung so ziemlich unverändert erhalten. Es ist ein großer luftiger Raum, einfach in seinem Mobiliar und nur an den Pfeilern der Fensterwand mit Familienbildnissen geschmückt, zumeist mit den Porträts derer, die wir als Zeit- und Kampfgenossen des großen Königs bereits kennen gelernt haben. Sein charakteristisches Element erhält das Zimmer durch eine fort- laufende Reihe von Wandschränken, die ein an Thüren und Ab- theilungen reiches Ganze bilden und wie eine Birkenmaserpanelli- rung die Wände des Zimmers umziehen. Hier entstanden jene Arbeiten, die, nach der Seite des Wissens und Talents nicht ver- ächtlich, in hohem Maße hervorragen durch ihren Muth und ihre Selbständigkeit und der Mittelpunkt für Bestrebungen gewor- den sind, die sich, nach langem Kampf gegen die herrschende Strö- mung, wenigstens das Recht der Existenz erobert haben. Unsere Aufmerksamkeit gehört aber in diesem Momente nicht der Wirksamkeit des Mannes, sondern dem Orte , an dem er thätig war. Die Wandschränke bergen in ihrer Tiefe den besten Theil jener mehrerwähnten Bibliothek, die der Hubertsburg-Mar- witz dem Quintus Jcilius bändeweis im Spiele abgewonnen, während die vielen Thürfelder die Umrahmung für ebenso viele Kupferstiche bilden. Diese originelle Benutzung der Schrankthüren zur Aufstellung einer kleinen Kupferstichgallerie macht einen eigen- thümlichen und sehr gefälligen Eindruck, der unter der Wahrneh- mung wächst, daß die Auswahl der Stiche entschieden mehr nach kleinen Liebhabereien, als nach irgend welchem Kunstprincip erfolgt ist. Neben den Abenteuern des Donquixote begegnen wir ernsten und heitern Scenen aus der Zeit der Befreiungskriege; alte fran- zösische Stiche und moderne Lithographien lösen sich ab. Interes- santer aber als diese Schränke selbst ist die bunte Reihenfolge von Dingen, die auf dem Oberbrett derselben, wie auf einer fortlau- fenden Reihe von Consolen stehen. Da haben wir, an die dunkle Hinterwand des Zimmers gelehnt, zunächst alte Familienporträts aus dem Hause Holstein-Beck, während am entgegengesetzten Ende, dem Fenster zunächst, sich das lebensvolle Oelbild Georgs von Derfflinger, des Sohns des berühmten Feldmarschalls präsentirt. Die Familien Derfflinger und Marwitz waren damals viel ver- schwägert und Gusow war eine Zeitlang, und zwar unmittelbar nach dem Tode des alten Derfflinger, Marwitzscher Besitz. Zwei Töchter des alten Reitergenerals waren an zwei Marwitze verheirathet; dieß, wie die Nähe der Güter, mag es erklären, daß sich dieses Porträt an dieser Stelle befindet. Der Sohn Derff- lingers stellt sich auf diesem Bilde als ein Mann von sehr gefäl- liger Erscheinung dar, ein leuchtendes überaus freundliches Auge, das an Seidlitz erinnert, wie man ihn auf dem bekannten Roß- bachbilde sieht. Er trägt die Uniform vom Dragonerregiment seines Vaters, weiß mit rothen Aufschlägen, und den Küraß unter dem offen stehenden Rock. Neben diesem Porträt fesseln zwei Kopfbedeckungen unsere Aufmerksamkeit: die eine ein Reitercasquet, die andere ein sonder- bar geformter breitkrämpiger schwarzer Wachstuchhut, dessen nach hinten zu herabhängende Krämpe an die Helgoländer Schifferhüte erinnert. August Ludwig trug diesen Hut in der Schlacht bei Jena, die er, als Adjutant des Prinzen von Hohenlohe, an der Seite dieses unglücklichen Fürsten mitmachte und deren Verlauf und Katastrophe er in einer meisterhaften Darstellung geschildert hat. Der Hut, zumal die aufrechtstehende Vorderkrämpe, ist von Kugeln durchlöchert. Der elegante, reich mit Goldblech beschlagene Reiter- helm, der neben diesem unscheinbaren Wachstuchhute steht, ist eines der Casquets, wie sie die österreichischen Chevauxlegers im Kriege von 1809 trugen. Das Frontschild zeigt ein F. I. Diesen Helm trug Eberhard von der Marwitz, der jüngste der drei Brüder, in der Schlacht von Aspern, in der er, erst achtzehn Jahre alt, tödtlich verwundet wurde. Er starb zu Nikolsburg in Mähren. Seine ruhmvoll begonnene Laufbahn schloß sich zu rasch, um ausreichendes Material für eine eingehendere Biographie zu bieten: nur in den Anmerkungen (vgl. daselbst) habe ich seiner in aller Kürze gedacht. Dem reichen Lebensinhalt der beiden ältern Brü- der aber, wenden wir uns nunmehr in den beiden folgenden Kapiteln zu. Friedrich August Ludwig von der Marwitz. Er hats verschmäht sich um den Kranz zu mühen, Den unsre Zeit, die feile Modedirne, Geschäftig flicht für jede flache Stirne, — Er sah nach oben, wo die Sterne blühen. D ie Marwitze haben dem Lande manchen braven Soldaten, manchen festen Charakter gegeben, keinen aber braver und fester, als Friedrich August Ludwig von der Marwitz, dessen Leben und Auftreten einen Wendepunkt in unserem staatlichen Leben bedeutet. Erst von Marwitzs Zeiten ab existirt in unserem Lande ein politi- scher Meinungsk ampf, eine principielle Opposition. Das acht- zehnte Jahrhundert mit seinem rocher de bronze hatte in mär- kischen Landen überhaupt keinen Widerstand, keine Auflehnung irgend welcher Art gekannt, und die Opposition, die während der drei vorhergehenden Jahrhunderte, von den Tagen der Quitzows an bis zum Regierungsausgang des großen Kurfürsten existirt hatte, war einfach eine Opposition des Rechts oder der Selbstsucht gewesen. Ein Ideenk ampf auf politischem Gebiet lag jenen Tagen fern. Das geistige Leben der Reformationszeit und der Epoche, die ihr folgte, lag innerhalb der Kirche . Erst die französische Re- volution (die englische war ohne Einfluß auf unser Land geblieben) schuf politische Ideen und aus der Auflehnung gegen den siegreichen Strom derselben, aus dem ernsten Unternehmen (allerdings von einem bestimmten Rechtsfundament ausgehend), Idee mit Idee und gei- stige Dinge mit geistigen Waffen bekämpfen zu wollen, gingen wahr- haft politische Parteien und ein wirklich politisches Leben hervor. Derjenige, der vielleicht zuerst den Muth hatte, diesen Kampf aufzunehmen, war Marwitz . Ich gedenke (zum Theil nach seinen eigenen Worten und Aufzeichnungen) zunächst die äußern Fakten seines Lebens und im Anschluß daran eine Schilderung seines Cha- rakters zu geben. Die gereifteren und deshalb ruhigeren Anschau- ungen, zu denen wir uns, zumal im Laufe der letzten zehn Jahre, hindurch gearbeitet haben, gestatten uns, mit Unbefangenheit an die Schilderung eines Charakters wie der Marwitzsche zu gehen. Wie viele auch, mit größerem oder geringerem Recht, bestrebt sein mögen, die einzelnen Doktrinen des Conservatismus zu bekämpfen, das Princip selbst ist von jedem Denkenden anerkannt. Die Tage des Kampfes sind nicht vorbei und sollen nicht vorbei sein, denn Kampf ist Leben; aber die Tage der Verdächtigung sind hoffentlich vorüber. Wir wünschen frischen und freien Wind in den Segeln unseres Staatsschiffs, aber wir brauchen auch den rettenden Anker, der auf tiefem Grunde mit seinem Eisenzahn uns festhält, so oft die frische Brise zum Sturme zu werden droht. Mit solchem Anker und solchem Eisenzahne haben wir es in Nachstehendem zu thun. Friedrich August Ludwig von der Marwitz wurde am 29. Mai 1777 zu Berlin geboren, wo seine Eltern (die nur den Sommer in Friedersdorf zuzubringen pflegten) ein Palais in der Wilhelms- straße bewohnten. Das bedeutendste Erlebniß seiner frühen Kinder- jahre waren mehrmalige Begegnungen mit dem großen Könige, das erstemal in Dolgelin, einem Dorfe in der Nähe von Frieders- dorf. Er selbst hat diese Begegnung in höchst anschaulicher Weise beschrieben. Der Wagen hielt und der König fragte: „Ist das Dolgelin?“ — „Ja, Ihro Majestät“, lautete die Antwort. Dabei wurde um- gespannt. Die Bauern, welche von weitem ganz still mit ehrerbie- tig gezogenen Hüten standen, kamen sachte näher und schauten den König begierig an. Eine alte Semmelfrau aus Lebbenichen nahm mich auf den Arm und hob mich gerade am Wagenfenster in die Höhe. Ich war nun höchstens eine Elle weit vom König entfernt, und es war mir, als ob ich den lieben Gott ansähe. Er sah ganz gerade vor sich hin durch das Vorderfenster. Er hatte einen ganz alten dreieckigen Montirungshut auf; dessen hintere gerade Krempe hatte er nach vorn gesetzt und die Schnüre losgemacht, so daß diese Krempe vorn herunter hing und ihn vor der Sonne schützte. Die Hutcordons waren losgerissen und tanzten auf dieser herun- ter gelassenen Krempe umher, die weiße Generalsfeder am Hut war zerrissen und schmutzig, die einfache blaue Montirung mit ro- then Aufschlägen, Kragen und goldenem Achselband alt und be- staubt, die gelbe Weste voll Tabak; dazu hatte er schwarze Sammt- hosen an. Ich dachte immer, er würde mich anreden. Ich fürchtete mich gar nicht, hatte aber ein unbeschreibliches Gefühl von Ehr- furcht. Er that es aber nicht, sondern sah immer gerade aus. Die alte Frau konnte mich nicht lange hoch halten und setzte mich wie- der herunter. Da sah der König den Prediger, winkte ihn heran und fragte, wessen das Kind sei? „Des Herrn von Marwitz auf Friedersdorf.“ — „Ist das der General?“ — „Nein, der Kam- merherr.“ — Der König schwieg, denn er konnte die Kammer- herrn nicht leiden. Das zweite Mal (es war im Mai 1785) sah unser Mar- witz den König in Berlin. Die Schilderung, die er uns davon gegeben hat, ist fast noch plastischer als die vorhergehende. „Er kam geritten auf einem großen weißen Pferde, ohne Zweifel der alte Condé, der nachher noch zwanzig Jahre lang das Gnadenbrod auf der école vétérinaire bekam. Sein Anzug war derselbe wie früher auf der Reise, nur daß der Hut ein wenig besser conditionirt, ordentlich aufgeschlagen und mit der Spitze nach vorn, echt militärisch aufgesetzt war. Hinter ihm waren eine Menge Generale, dann die Adjutanten, endlich die Reitknechte. Das ganze Rondel (jetzt Belle-Alliance-Platz) und die Wilhelmsstraße waren gedrückt voll Menschen, alle Fenster voll, alle Häupter entblößt, überall das tiefste Schweigen, und auf allen Gesichtern ein Aus- druck von Ehrfurcht und Vertrauen, wie zu dem gerechten Lenker aller Schicksale. Der König ritt ganz allein vorn und grüßte, in- dem er fortwährend den Hut abnahm. Er beobachtete dabei eine sehr merkwürdige Stufenfolge, je nachdem die aus den Fenstern sich verneigenden Zuschauer es zu verdienen schienen. Bald lüftete er den Hut nur ein wenig, bald nahm er ihn vom Haupte und hielt ihn eine Zeit lang neben demselben, bald senkte er ihn bis zur Höhe des Ellbogens herab. Aber diese Bewegung dauerte fort- während, und so wie er sich bedeckt hatte, sah er schon wieder an- dere Leute und nahm den Hut wieder ab. Er hat ihn vom Halle- schen Thore bis zur Kochstraße gewiß 200mal abgenommen. Durch dieses ehrfurchtsvolle Schweigen tönte nur der Hufschlag der Pferde und das Geschrei der Berlinischen Gassenjungen, die vor ihm her tanzten, jauchzten, die Mützen in die Luft warfen, oder neben ihm hersprangen und ihm den Staub von den Stiefeln abwisch- ten. Bei dem Palais der Prinzessin Amalie angekommen (das jetzt dem Prinzen Albrecht gehört), war die Menge noch dichter, denn sie erwartete ihn da. Er lenkte in den Hof hinein, die Flügelthü- ren gingen auf und die alte, lahme Prinzessin Amalie, auf zwei Damen gestützt, die Oberhofmeisterin hinter ihr, wankte die flachen Stiegen hinab, ihm entgegen. So wie er sie gewahr wurde, setzte er sich in Galopp, hielt, sprang rasch vom Pferde, zog den Hut, umarmte sie, bot ihr den Arm und führte sie die Treppe wieder hinauf. Die Flügelthüren gingen zu, Alles war verschwunden, und noch stand die Menge, entblößten Hauptes, schweigend, alle Augen auf den Fleck gerichtet, wo er verschwunden war, und es dauerte eine Weile, bis jeder sich sammelte und ruhig seines Weges ging.“ In seinem achten Jahre erhielt Marwitz einen Hofmeister. Er hieß Herr Rosa, war ein völliger Ignorant, aber ein rechtschaffener Mann. Die Unterrichtsmethode, nach der er verfuhr, erwies sich als die einfachste von der Welt, bewährte sich aber durchaus. Schroeckhs allgemeine Weltgeschichte (um ein Beispiel für seine Methode zu geben) wurde vorgelesen, was ohngefähr ein Jahr lang dauerte. War die letzte Seite gelesen, so wurde mit der ersten wieder angefangen. Der Sonnabend gehörte der Repetition. Nach- dem Marwitz seinen Schroeckh zweimal durch hatte, fingen diese Repetitionsstunden an eine Redeübung zu werden. Marwitz, mit gutem Gedächtniß ausgerüstet, hatte den Inhalt des Buches bei- nahe wörtlich im Kopfe und sah sich dadurch in den Stand ge- setzt, den Inhalt eines Kapitels wie eine Erzählung vorzutragen. Der Vortheil, der dadurch gewonnen wurde, war ein doppelter: die Dinge saßen fest fürs Leben und die Gewohnheit des Vor- traghaltens gewann ihm (nach Marwitz’s eigenem Zeugniß) die nicht hoch genug zu schätzende Fähigkeit, aus dem Stegreif zusam- menhängend reden zu können. Dreizehn Jahr alt trat Marwitz als Junker in das Regiment Gensdarmes, also in dasselbe Regiment, in dem schon so viele Marwitze (darunter zwei seiner Oheime) gedient und Ruhm und Auszeichnung gefunden hatten. Dieser Eintritt verstand sich ganz von selbst; an die Möglichkeit eines andern Berufs war im Va- terhause nie gedacht worden. Marwitz hatte dessen noch in seinen alten Tagen Dank, denn wie wenig auch die Verhältnisse ihm zu Gunst und Willen gewesen waren, immer blieb er dabei, daß das Leben des Kriegers das schönste und der Krieg der Prüfstein des Mannes sei. In etwas einseitiger, aber charakteristischer Auffassung schrieb er darüber noch kurz vor seinem Tode: „Zu vieles Lernen ertödtet den Charakter. Im Kriege nur fallen all die Künste weg, welche den Schein an die Stelle des Verdienstes setzen. Diese Eigenheit des Krieges wird nicht genugsam erkannt. Blick und Urtheil unter erschwerenden Umständen, Tapferkeit und Ausdauer können nirgends anders als im Kriege gezeigt und erprobt wer- den. Nur hier kann man mit Sicherheit auf den Charakter des Menschen schließen.“ Marwitz war also Junker im Regiment Gensdarmes. Wie er zeitlebens alles ernst nahm, so auch den Dienst. Der noch knaben- hafte Körper mußte dem starken Willen gehorchen, und der Junker avancirte zum Cornet und Offizier. Klein wie er war, machte ihm das Reitenlernen die größte Schwierigkeit, aber je mehr er diese Schwierigkeit empfand, desto mehr war er bestrebt, sie zu überwin- den. Zu jeder Tageszeit saß er zu Pferde, gab aufs genauste bei denen Acht, die als die besten Lehrer und Stallmeister galten, und fragte, versuchte und quälte sich so lange, bis er endlich völlig triumphirte und zu einem der besten Reiter des Regiments wurde. Das wollte damals etwas sagen; denn wenn man den Erzählun- gen und Berichten Glauben schenken darf, die Marwitz über diesen Gegenstand, dem er auch in späterer Zeit noch besondere Aufmerk- samkeit widmete, hinterlassen hat, so war die Kunst des Reitens nur in der alten Armee zu Hause und wurde in die neue Hee- resorganisation nicht mit herüber genommen. Während des Krieges und nach demselben saß man noch zu Pferde, aber man ritt nicht mehr. Mit wahrer Begeisterung gedachte deshalb Marwitz seiner Lieutenantstage, wo diese Kunst noch geblüht hatte, und er- zählte mit Vorliebe von den Jagdspielen, die damals von Kaval- lerieoffizieren der Berliner Garnison im Thiergarten aufgeführt wurden. Lieutenant Rothkirch von den Gensdarmen („ein gewalti- ger Reiter, wie es keinen mehr giebt“, setzt er hinzu) machte den Hirsch und verbarg sich im Walde; die andern waren Jäger und Hunde. Es wurde parforcemäßig lancirt und dann gejagt; der Hirsch sollte gegriffen werden, was aber fast niemals gelang. Das letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts brachte Krieg, Mar- witz machte 1790 den resultatlosen polnischen Feldzug, 1793—95 die Rheincampagne mit; wichtiger aber als diese Kriegsereignisse, an denen er bei seiner Jugend keinen hervorragenden Antheil neh- men konnte, war für ihn, besonders für seine geistige Entwicklung, die Rückkehr des Obersten Barons von der Goltz, der eine lange Reihe von Jahren hindurch, in Paris als preußischer Gesandter gelebt hatte. Baron von der Goltz war ein sehr naher Verwandter der Marwitzschen Familie, und da, während seiner beinahe dreißig- jährigen Anwesenheit in Paris, die Reihen der Berliner Freunde und Verwandten sehr gelichtet worden waren, so war das Mar- witzsche Haus dasjenige, in dem er fast täglich die Abende zuzu- bringen pflegte. Die französische Revolution und ihre Ursachen bil- deten natürlich einen unerschöpflichen Stoff für die Unterhaltung. Der ehemalige Gesandte, der ein Vierteljahrhundert und länger den Ereignissen der französischen Hauptstadt gefolgt war und mit scharfem Auge die Schwächen und Fehler des Hofes, die Machi- nationen der politischen Gegner und die Verworfenheit, Keckheit und dämonische Zuchtlosigkeit der Volksmassen und ihrer Führer beobachtet hatte, war natürlich schon damals befähigt, Aufschlüsse über die Triebfedern und eine Gesammtdarstellung des großen Er- eignisses zu geben, wie es der Geschichtschreibung, die einen Wust von traditioneller Lobpreisung zu überwinden hatte, erst in viel späteren Jahren möglich geworden ist. Er hatte alle kleinen und schlechten Leidenschaften in dem Hexenkessel thätig gesehen und mußte natürlich, durch die Lebendigkeit seiner Schilderungen und die Ueberlegenheit seines politischen Urtheils, Anschauungen befestigen, zu denen die Keime ohnehin von Anfang an im Gemüth unseres Marwitz gelegen hatten. Er war von Natur Royalist, von da ab begann er es auch mit Bewußtsein zu werden. Noch zehn Jahre lang blieb Marwitz beim Regiment, endlich (der Vater auf Friedersdorf war inzwischen gestorben) nahm er im August 1802 seinen Abschied. Was ihn direkt dazu bestimmte, ist schwer zu sagen. Waren es Vorgänge im Regiment, die ihm den Dienst verleideten, war es der frivole Ton der Residenz, der sei- nem auf Ernst und Wahrheit gestellten Wesen widerstand, oder war es seine Verlobung mit der schönen Gräfin Franziska von Brühl, die im Juli desselben Jahres stattgefunden hatte, gleichviel, er quittirte den Dienst und zog sich nach Friedersdorf zurück. Die Sehnsucht nach der väterlichen Scholle war erwacht; der Pflug trat an die Stelle des Schwertes. Sein ganzes Wesen ließ keine Halbheit zu, und mit demselben Ernst, mit dem er Soldat gewe- sen war, ging er jetzt an die Bestellung seiner Aecker, an die Pflege seines Guts. 1803 vermählte er sich, aber trübe Sterne waren über Schloß Friedersdorf aufgegangen und der Tod trennte nach kaum Jahresfrist ein Band, das die innigste gegenseitige Nei- gung geschlossen hatte. Marwitz bestattete die geliebte Frau, die sein Stolz und sein Glück gewesen war und schrieb auf den Grab- stein: „Hier ruhet mein Glück.“ „Hier ruhet mein Glück,“ und in der That, es war, als habe Marwitz sein Glück begraben. Ueberall, wo sein Herz am ver- wundbarsten war, da wurde es verwundet. Was von dem Gang der großen Weltereignisse in seine Einsamkeit drang, steigerte nur die Niedergedrücktheit seines Gemüths. Endlich kam ein großer Schlag, und die politischen Vorgänge, die bis dahin nur Bitteres zu Bitterem gefügt hatten, jetzt schufen sie einen leidenschaftlichen Groll in seinem Herzen, und die Flamme hellen Zorns, die auf- schlug, wurde ihm zum Gegen, indem sie ihn seinem Brüten entriß. Der napoleonische Uebermuth hatte Schmach auf Schmach gehäuft, neutrales preußisches Gebiet (Anspach) war in herausfor- dernder Weise verletzt worden; das durfte, das konnte nicht getra- gen werden. Oesterreich und Rußland standen bereits im Felde; Preußen mußte seine Truppen zum Heere beider stoßen lassen, der Krieg war sicher — wenigstens in Marwitz’s Augen. Er riß sich heraus, suchte beim König seinen Wiedereintritt nach, erhielt ihn und wurde, mit dem Range eines Rittmeisters, zum Adjutanten des Fürsten von Hohenlohe ernannt. Aber nicht Jeder in preußischen Landen war damals ein Marwitz. Viele wurden durch Furcht und selbstsüchtige Bequem- lichkeit in ihren Ansichten bestimmt, andere trieben das traurige Geschäft der „Staatskünstelei.“ Noch viele Jahre später konnte Marwitz in nur zu gerechtfertigtem Unmuth ausrufen: „Was redet man beständig von dem edlen Enthusiasmus von 1813? 1805 war es Zeit, edlen Enthusiasmus zu zeigen. Damals galt es, noch ehe man selbst, in Großem und Kleinen, etwas verloren hatte, Schmach und Verderben vom Vaterlande fern zu halten. Wie nachher, zur gerechten Strafe, ein Jeder in seinem Hause geplagt und gepeinigt und, um ein Wesentliches nicht zu vergessen, die französische Armee in Rußland durch die Strafgerichte Gottes ver- nichtet war — da war es keine Kunst, Enthusiasmus zu zeigen.“ Der Tag von Austerlitz brach an, ehe Preußen sich entschlos- sen hatte; nach diesem Tage war es unnöthig, noch kriegerische Entschlüsse zu fassen. Es blieb Friede (freilich ein Friede wie Ge- witterschwüle), und Marwitz, nachdem er zum zweitenmale seinen Abschied genommen, kehrte nach dem väterlichen Gute zurück. Die Erfahrungen der letzten Monate, die Schwäche, die Halb- heit, die Indifferenz, ja die ausgesprochene französische Gesinnung, der er fast überall in der Hauptstadt begegnet war, während schon die napoleonischen Adler, stoßbereit, über Preußen schwebten, alles das hatte wenig dazu beitragen können, seinem Gemüth den Muth und die Freudigkeit zurückzugeben, die ihn zehn Jahre früher er- füllt hatten, wenn er bei „Hirsch und Jäger“ im Berliner Thier- garten einer der eifrigsten gewesen war. Trübes Gewölk hing jetzt über ihm, und wenn auf länger oder kürzer das Wetter verschwun- den schien, das drohend über dem Lande stand, so traf es ihn doppelt hart am eigenen Herd. Das Kriegsfeuer, das die Luft hätte reinigen können, war dem Lande zur Unzeit erspart worden, aber auf seinem eigenen Hofe brach ein Feuer aus und zerstörte Ställe und Scheunen und die Ernte des letzten Jahres. Zu der innerlichen Noth gesellte sich die äußere Bedrängniß; was ihn aufrecht hielt, war ein starkes Gottvertrauen und das bestimmte Gefühl, daß neue Noth und neue Kämpfe bevorstünden, gegen die es geboten sei, sich zu waffnen. Das Unglück, das ihn traf, rüstete ihn gegen größeres. Dieses „größere“, wer kennt es nicht! Die Kaiserkatze, die so lange mit der Maus gespielt hatte, jetzt war sie des Spieles müde und hob die Tatze, um tödtlich zu treffen. Der Kampf war un- vermeidlich geworden. Zum dritten Mal trat Marwitz ein; er hoffte nichts, aber gleichviel, er liebte es, da zu stehen, wohin ihn Pflicht und Ehre stellten, unbekümmert darum, ob ihm auch die Hoffnung zur Seite stehe oder nicht. Fürst Hohenlohe, der ihn schätzen gelernt hatte, erbat ihn sich abermals als Adjutanten. Der König willigte ein. So kam der Nebelmorgen jenes vierzehnten Oktober, der so viel Schmach und Elend in seinen Schleiern barg. An Marwitz lag es nicht, daß der Ausgang des Tages war, wie er war; das Pferd wurde ihm unterm Leibe getödtet, sein Hut von Kugeln durchlöchert, mehr als einmal führte er wankende Regi- menter in die Schlachtreihe zurück, — umsonst, die Anstrengungen der Einzelnen vermochten nichts. Geist, Leben, Siegeszuversicht waren, wie aus Land und Volk überhaupt, so auch aus jener stolzen Schöpfung gewichen, die sich die Armee Friedrichs des Gro- ßen nannte, und was längst todt war, wurde an jenem Tage sicht- lich zu den Todten geworfen. Die gesunden Elemente, so weit sie jener Tag nicht mit begrub, retteten sich in eine neue Zeit hinüber. Ist es nöthig zu sagen, daß Marwitz unter diesen gesunden Elementen war? Er glaubte an die Wiedererstehung Preußens und arbeitete daran. Die Mittel und Wege, die ihm dazu die rechten dünkten, waren freilich völlig abweichend von dem, was in den Augen der Neugestalter Preußens als das Richtige galt. Er konnte und wollte sich nicht überzeugen, daß Adel und Bürgerthum als solche, oder ihr Verhältniß zu einander, das Unglück des Landes verschuldet haben sollten, umgekehrt erschien es ihm, als sei das Unheil hereingebrochen, weil beide Stände ein halbes Jahrhundert lang aufgehört hatten, ein ächter Adel, Noch auf dem Stettinschen Landtage im Jahr 1602 hatte die Ritterschaft feierlich geschworen, denjenigen, der sich künftig weigern werde, richtige Schulden prompt zu bezahlen, für einen Unmann, Schelm und Bösewicht zu halten und mit ihm weder essen noch trinken zu wollen. Versündigung am Vaterland, Höhnung des Gottesdienstes, grobe Insolenz, muthwilliger Bankerott sollten der ritterschaftlichen Vorrechte verlustig machen und den Gutsbesitz auf den würdigeren Agnaten bringen. In sol- chem wahrhaft ritterlichen Sinne hatten der pommersche und brandenbur- gische Adel ihre Kinder meist in spartanischer Genügsamkeit für den Dienst des Königs erzogen, und die Schlachtfelder, auf denen Preußen seine Ebenbürtigkeit mit den großen Mächten errungen, hatten dem Stande den ersten Rang nach dem regierenden Hause gegeben. (Pertz, Leben Steins.) Marwitz selbst schreibt über denselben Gegenstand: „In der That hat es niemals eine Institution gegeben, in welcher das Ritterthum ähnlicher wieder aufgelebt wäre, als in dem Offizierstande Friedrichs des Zweiten. Dieselbe Entsagung jedes persönlichen Vortheils, jedes Gewinnstes, jeder Bequemlichkeit, — ja, jeder Begehrlichkeit, wenn ihm nur die Ehre blieb; dagegen jede Aufopferung für diese, für seinen König, für sein Vaterland, für seine Kameraden, für die Ehre der preußischen Waffen. Im Herzen Pflichtgefühl und Treue, für den eigenen Leib keine Sorge.“ ein rechter Bürgerstand zu sein. Die alten Stände des Landes sollten sich selber wieder- finden; der Egoismus sollte ausgefegt, die Zugehörigkeit zum Staat und das Bewußtsein davon neu geboren werden. An die Stelle des Schlendrian und der Laxheit sollte Umsicht, Pflichtge- 24 fühl und Rechtsbewußtsein, an die Stelle der Frivolität eine frische Glaubenskraft treten. In diesem Sinne wollte Marwitz reformiren. Gegen den Plan wird sich nichts sagen lassen; ob es möglich war, ihn auszuführen, diese Frage werde ich später berühren. Die Stein- sche Gesetzgebung erschien ihm unpraktisch und revolutionär, aber er respektirte sie in so weit, als sie die Gebrechen des alten Staats in dem Fehlen alles geistigen Lebens und Inhalts erkannte und durch geistige Mittel helfen wollte. Nur die Mittel selbst schienen ihm nicht richtig gewählt. Marwitz liebte den rheinischen Freiherrn (Stein) nicht, aber er respektirte ihn. Anders stand er zu Hardenberg. Dieser war ihm ein Gegenstand entschiedenster Abneigung, seine ganze Natur lehnte sich gegen ihn auf. Hardenberg, im Gegensatz zu Stein, wollte das Wohl des Staats aus der sogenannten „Staatswohlfahrt“ gewinnen. Nicht der Geist sollte helfen, sondern das Geld . Diesen Staatswohlfahrtstheorien gegenüber — die in der finanziellen Be- drängniß des Landes ihre Entschuldigung fanden, wenn sie über- haupt der Entschuldigung bedürfen — legte sich Marwitz die Frage vor: beruht das Heil des Staates auf ökonomischen oder auf moralischen Prinzipien? Ist der reichste Staat seines Reichthums wegen der glücklichste? Oder verdient der glücklich genannt zu werden, in welchem die Freiheit der Bürger am festesten gegründet ist, und in welchem die Bürger am ehesten fähig sind, ihr persön- liches Wohl dem des Staates nachzusetzen? Und wenn ein Staat durch die Unbürgerlichkeit seiner Bürger (Adel, Bürger, Bauer) gefallen ist, kann ihm durch ökonomische Maßregeln geholfen wer- den? Wird es nicht vielmehr darauf ankommen, ob man das verlassene, das abgefallene Volk zur Bürgerlichkeit wieder zurück- führen könne oder nicht? Wenn man endlich den entbürgerten, also selbstsüchtigen Individuen Reichthum darreicht, werden sie da- durch bürgerlicher werden oder noch selbstsüchtiger? Diese Fragen waren es, die sein Herz bewegten, und im Sinn und Geist der- selben stellte er sich Hardenberg gegenüber. Möglich, daß diese Ideen nie über Schloß Friedersdorf hin- aus laut geworden, nirgends als ein Saatkorn in die Gemüther anderer gefallen wären, wenn nicht bestimmte Ereignisse des Jah- res 1811 unsern Marwitz auf die Schaubühne gerufen und in den Vordergrund politischer Kämpfe, welche er selbst in’s Leben rief, gestellt hätten. Wie es immer in solchen Fällen sein muß, ging er , der den Streit aufnahm, vom zunächst Liegenden auf das Große und Allgemeine über. Der Rechtskampf führte zum Prinzipienkampf . So war es immer, wo Ernstes und Nachhaltiges erstritten wurde. Das bloße sich Verlieben in Prin- zipien, so oder so, bleibt ein energieloses Ding; erst aus dem Ge- fühl verletzten Rechtes geht der heilige Ernst des Kampfes hervor. Die erwähnten Ereignisse aber, die für Marwitz’s späteres Auftreten entscheidend wurden, waren die folgenden. Hardenberg war entschlossen, die Macht der Stände zu bre- chen, ihre Existenz zu streichen, Schlag auf Schlag fiel gegen die alte Landesinstitution. Er verfuhr nach bester Ueberzeugung, aber völlig revolutionär, alles mit dem Zwang und Drang der Um- stände (nicht ohne Grund) oder mit einer höheren Staatsraison entschuldigend. Aeußerste Dinge geschahen. Königliche Domänen, die an die Stände verkauft waren, also für ständisches Geld stän- disches Eigenthum geworden waren, wurden zum zweitenmal an Privatleute verkauft; ein großer ständischer Fonds, den die Stände unter Friedrich II. aus politischem Eifer gebildet hatten, um die endliche Tilgung landesherrlicher Schulden herbeiführen zu können, wurde eingezogen, aber nichts desto weniger die Pflicht der Schuldentilgung und Verzinsung bei den Ständen belassen; end- lich drangen Regierungsbeamte in Begleitung von Landreitern in das Landschaftshaus ein, erbrachen, als man ihnen die Schlüssel verweigerte, die Kassen des Landarmeninstituts und führten die deponirten Summen ständischen Eigenthums gewaltsam fort. Dies alles war geschehen gegen Recht und Billigkeit, ja im Widerspruch mit einer Anerkenntniß, die man erst vier Monate früher gegen die Loyalität und Opferfreudigkeit der Stände ausgesprochen hatte. Damals hatte es wörtlich, in einem von Hardenberg contrasignirten 24* Erlaß geheißen: „Mit Rührung haben wir die Beweise von Anhänglichkeit aller Klassen unserer getreuen Unterthanen an Unsere Person bemerkt, insonderheit auch die Hülfe erkannt , welche uns, bei der Sicherstellung der Contribution an Frankreich und bei der Aufbringung der einstweilen nöthigen Fonds, von unsern getreuen Ständen mit größter Bereitwilligkeit geleistet worden ist .“ — Und nnn ? mit Gewaltmaßregeln hatte man ge- glaubt, der weiteren Hülfebereitschaft der Stände nachhelfen zu müssen. Die Gewalt lag vor. Viele empfanden die Unbill, die Bitterkeit des Unrechts, aber wenige hatten den Muth, auszuspre- chen, was sie fühlten. Unter diesen wenigen stand Marwitz obenan. Er war der bewußteste und der selbstsuchtsloseste, er konnte ener- gischer auftreten als andere, weil er im eigenen Herzen empfand, daß er den Kampf nicht um äußern Vortheils, nicht um einer „Kasse“ willen aufnahm, sondern um des Rechtes willen. Er stellte sich an die Spitze der Lebusischen Stände und protestirte . Er bat nicht, er bettelte nicht, er betonte das stän- dische Recht . Das war dem Minister zu viel; er wollte das Wort nicht hören. Je mehr er fühlen mochte, wie schwer der be- gangene Rechtsbruch sei, desto mehr empfand er die Nothwendig- keit, die Klage stumm zu machen. Einschüchterung sollte helfen. Marwitz und Graf Finkenstein, die den Protest abgefaßt hatten, wurden zu „warnendem Exempel“ auf die Festung Spandau ge- schickt. Das Kammergericht selbst, als öffentlicher Ankläger auftre- tend, verfügte die Verhaftung beider, ohne daß ein Verhör oder eine wirkliche Gerichtsverhandlung stattgefunden hätte. So war denn auch der Anruf der Gerichte den vorweg Verurtheilten ab- geschnitten. Marwitz, in seiner Bitterkeit, erklärt dies allerdings überraschende Verfahren daraus, daß der Justizminister Kircheisen eine „Creatur Har- denbergs“ gewesen sei. Die eigentliche Erklärung, wie überhaupt bie Er- klärung alles dessen, was an Rechtsverunglimpfungen vorausgegangen war, liegt aber wohl darin, daß in der allgemeinen Anschauung des Volks, an der eben jeder mehr oder weniger theilnahm, ein ständischer Staat Dies entschied für Marwitz’s Lebenszeit, und vor seiner Seele stand von jetzt an das aide toi même. Das alte gekränkte Recht des Landes, den ständischen Staat, der nicht auf dem Wege Rech- tens beseitigt war, gegen jeden Angriff zu halten, wurde von nun an seine Aufgabe, sein letztes Ziel. Da andere Schultern zu schwach oder zu träge waren, die Last auf sich zu nehmen, so that er es. Den offenen Widerstand gab er auf, aber er schärfte sich die Waffen des Geistes für einen kommenden Kampf, und die Schwächen der Hardenbergschen Verwaltung sind vielleicht nirgends klarer und scharfsinniger erkannt und rücksichtsloser aufgedeckt wor- den, als in den ziemlich zahlreichen Denkschriften Marwitzens, die wir jener Epoche stiller, aber energischer Gegnerschaft verdanken. Es sind Musterstücke nach der kritischen Seite hin, auch an Ideen ist kein Mangel; aber um praktisch-unmittelbar zu helfen, dazu waren diese Ideen zu allgemeiner Natur und ihr Bestes ist die ideelle Anregung geblieben, die sie in reichem Maaße gege- ben haben. Marwitz’s Gefangenhaltung hatte im Juli 1811 stattgefun- den. Mehr gehoben als gedemüthigt war er nach Friedersdorf zurückgekehrt, voll des Gefühls, einen guten Kampf gekämpft zu haben. Mit gerechtem Selbstbewußisein schrieb er später die Worte nieder: „Ich genoß seitdem eine weit verbreitetere Achtung und ward von allen Erbärmlichen geflohen als einer, in dessen Nähe man sich leicht verbrennen kann.“ So kam der Winter 12 auf 13. Die französische Armee war vernichtet. Marschall Macdonald hatte ausgerufen: „Où est la grande armée? La grande armée, c’est le dixième corps.“ Die berühmte Capitulation von Tauroggen war geschlos- sen; Alexander von der Marwitz, der jüngere Bruder, der damals seit lange nicht mehr existirte. Die Stände hatten neben der absoluten obersten Regierungsgewalt eine Art geduldetes Dasein geführt; die Könige waren so viel und die Stände so wenig gewesen, daß, als der Moment kam, wo die unzweifelhaft in ihrem Recht gekränkten Stände wieder etwas sein wollten, niemand mehr einen rechten Glauben an die Rechtmäßigkeit ihres Rechtes hatte. in Potsdam lebte, brachte die Nachricht in fliegender Eile nach Friedersdorf. „Jetzt oder nie!“ Beide Brüder waren einig, daß ein rasches und entschiedenes Parteiergreifen die Vernichtung des kaiserlichen Heeres, den Sturz Napoleons nothwendig im Gefolge haben müsse; aber man war auch einig darin, daß es zweifelhaft sei, ob man in Berlin zu einem entschiedenen Parteiergreifen sich entschließen werde. Der jüngere Bruder drang in den älteren, Schritte zu diesem Zwecke zu thun, rasche Entschlüsse zu fördern, die Schwankenden fest zu machen. „Du mußt nach Berlin, zu — Hardenberg.“ Marwitz stutzte; der Bruder aber mit siegender Be- redsamkeit fuhr fort: „Dies ist kein Moment der Abwägungen; eile! Hardenberg ist bestimmbar und in Einem ehrlich — in sei- nem Haß gegen Frankreich. Vielleicht bedarf er nur eines Anstoßes; schon dein Erscheinen nach der unwürdigen Behandlung, die du von ihm erfahren und die du mit Würde getragen, wird einen tiefen Eindruck auf ihn machen. Es muß wirken; viel ist gewon- nen, sobald du mit eingreifst.“ Marwitz ging wirklich. Er ließ sich melden und trat ein. Diese merkwürdige Begegnung mit seinem alten Gegner hat er selbst be- schrieben. „Ich kann nicht sagen, welchen Eindruck mein Eintritt auf ihn machte, Erinnerung dessen, was er mir und andern per- sönlich so oft versprochen und nicht gehalten hatte, Scham über sein Betragen gegen das Land und gegen mich, und das Bestreben, in diesem hochwichtigen Moment mir nicht abermals nichtswürdig zu erscheinen, brachten in seinem Betragen eine seltsame Mischung von Verlegenheit und zuvorkommender Höflichkeit hervor. Ich sagte ihm: der gegenwärtige Augenblick müsse jeden Preußen und jeden Deutschen ergreifen; jetzt komme es darauf an, den Schaden wie- der gut zu machen, den man dem Lande zugefügt; wenn die Re- gierung sich jetzt würdig betrage, werde alles Vergangene vergessen werden. Ich käme also, um zu vernehmen, wie er denke, und um zu allem Vaterländischen die Hand zu bieten.“ Aber Marwitz sah sich wieder getäuscht — nicht rascher, ehr- licher Kampf war es, was man wollte, wieder wurde von Abwar- ten, von Verhandlungen gesprochen; mit Bitterkeit im Herzen kehrte er nach Friedersdorf zurück. „Kein Krieg!“ schien die Losung sein und bleiben zu wollen. Doch der Himmel hatte es anders beschlossen; es wurde Krieg. Sechs kostbare Wochen waren versäumt, viel war verloren, aber nicht alles; noch war es nicht zu spät. Brauch’ ich zu erzählen, daß Marwitz wieder zu den Fahnen eilte! Noch weit bitterere Krän- kungen und Erfahrungen hätten es nicht vermocht, ihn in solchem Augenblick in seiner Einsamkeit zurück zu halten. Mit dem Range eines Majors trat er ein und wurde Anfang April mit der Bildung einer Landwehrbrigade betraut. Diese Bri- gade bestand aus vier Bataillonen des dritten kurmärkischen Land- wehrinfanterie-Regiments und aus eben so viel Schwadronen Land- wehrkavallerie. Selber mit Eifer und Vorliebe Kavallerist, ließ er sich die Ausbildung dieser vier Schwadronen besonders angelegen sein. Mit jenem gesunden Sinn, der ihn immer ausgezeichnet hatte, erkannte er auf der Stelle, daß hier unter „Ausbildung“ etwas anderes verstanden werden müsse, als das Reit- und Exercierregle- ment in langen Paragraphen vorschrieb. Was er that, auch auf diesem relativ untergeordnetem Gebiet (denn es handelte sich dabei um höchstens vierhundert Reiter), scheint mir wichtig und charakte- ristisch genug, um einen Augenblick dabei zu verweilen. Die Rasch- heit und Selbstständigkeit des Urtheils, die jeder neuen Situation auch ein neues Benehmen anzupassen weiß, das ist es ja vor allem, was den fähigen Offizier von dem blos braven Soldaten unter- scheidet, und in ähnlicher Weise, wie einst Lieutenant von dem Knesebeck während des Feldzugs in der Champagne einen halben Brodtransport dadurch zu retten gewußt hatte, daß er nicht An- stand nahm, die andere Hälfte (ein paar tausend Commisbrode) in einen sonst unpassirbaren Sumpf zu versenken, so war auch Marwitz, seiner Landwehrkavallerie gegenüber, rasch entschlossen, das erreichbar Unvollkommene einer unerreichbaren Vollkommenheit vor- zuziehen. So sehr er die Reitkunst verehrte und als unentbehrlich für eine echte, eigentliche Reiterei betrachtete, so klar erkannte er doch auch, daß unter den gegebenen Verhältnissen diese Reitkunst nicht gehegt und gepflegt werden konnte, ohne alles zu verderben. Die Landleute und Bauernknechte, die auf ihren kleinen, magern Gäulen vor ihm im Sattel saßen, konnten reiten, freilich schlecht genug; aber gut oder schlecht, er hielt es für das beste, sie bei ihrer Reitart zu belassen. Er sagte sich sehr richtig, daß wenn ein Naturalist zur Rei tkunst dressirt werden soll, er Anfangs noth- wendig schlechter und ungeschickter reitet als vorher, weil er seine alten Gewohnheiten aufgeben soll und sich die neuen nicht schnell genug zu eigen machen kann. So ließ er es denn beim Alten, be- fahl die Pferde mit bloßer Trense zu zäumen, gab jedem Reiter einen Kantschu statt der Sporen und beschränkte seine ganze For- derung darauf, daß Jeder im Stande sei, dahin zu reiten, wohin er wolle. „Gewalt über das Pferd“ war die einzige Forderung; wie und durch welche Mittel war gleichgültig. Mit dieser Reiterei, die, abgesehen von der Lanze und einem ärmlichen Uniformstück, nicht viel anders aussehen mochte als Bauernjungen und Pferdeknechte, die Abends zur Tränke reiten, war Marwitz, weil er den Geist zu wecken gewußt hatte, nichts- destoweniger im Stande, am 7. Juni ein siegreiches Gefecht vor den Thoren Wittenbergs zu bestehen und eine Abtheilung polni- scher Uhlanen (bekanntlich eine berühmte Reitertruppe) zu werfen und Gefangene zu machen. Eine Paradetruppe waren seine Land- wehrreiter freilich nicht, und als während des Waffenstillstandes auf dem Tempelhofer Berge eine große Musterung vor dem Kö- nige stattfand, ging das ganze Regiment, dessen kleine Klepper An- gesichts der Zuschauermenge scheu wurden, bis auf den letzten Mann durch. Was der Anblick des Feindes nicht vermocht hatte, vermochte der Anblick der Berliner Beaumonde. Der König ritt an Marwitz heran und sagte lächelnd: „Ein Glück, daß die Mauer so fest stand.“ Der Spott war empfindlich; Marwitz aber blieb unerschütterlich bei seinem System. Und mit Recht. Wie seine Leute sich bei Wittenberg bereits bewährt hatten, so vor allem auch am 27. August in dem berühmt gewordenen Gefecht bei Hagelsberg (bei Belzig). Den Ausschlag an diesem Tage gab freilich das Fußvolk. Es traf sich glücklich für unsern Marwitz, der an diesem Tage die Reserve commandirte, daß er mit seinen drei Bataillonen die schon verlorene Schlacht zum Stehen bringen und endlich siegreich hinausführen konnte. Den entscheidenden Stoß that sein Lebuser Bataillon (Frieders- dorf liegt im Lande Lebus), was zu der Freude, die er an die- sem Tage über die tapfere Haltung seiner ganzen Brigade em- pfand, auch noch eine gewisse lokalpatriotische Befriedigung fügte. Die Verluste seines Truppentheils waren nicht unbedeutend gewe- sen, er selbst kam gesund heraus und erhielt nur, ähnlich wie bei Jena, wo sein Hut mehrfach durchlöchert worden war, eine Kugel durch den Mantel. Das Gefecht von Hagelsberg war während des Feldzugs von 1813 und 14 das einzige, wo es, wenn wir von einer Reihe glücklich ausgeführter Streifzüge absehen, Marwitz vergönnt war, sich persönlich und in mehr oder minder entscheidender Weise her- vorzuthun. Die Einschließung Magdeburgs, wozu auch seine Bri- gade verwendet wurde, hielt ihn vom großen Kriegsschauplatz fern. 1815 war er bei der Blücherschen Armee und focht mit Auszeich- nung bei Ligny und Wavre. Bei Wavre, wo so viel auf dem Spiele stand, hielt er mit dem achten Uhlanenregiment während des ganzen 19. Juni den exponirtesten Posten. Er hatte das Seine gethan; an mäßige oder zögernde Anerkennung war er gewöhnt. Der Friede kam und in Marwitz, der inzwischen zum Ober- sten (1817 zum General) aufgestiegen war, entstand die Frage: bleiben oder gehen . Die Neigung seines Herzens zog ihn zurück in die ländliche Stille, aber andere Erwägungen — „das schlech- teste aller Motive, das Geld,“ wie er sich selbst ausdrückt — hiel- ten ihn bei der Armee. Während der Kriegsjahre war daheim alles rückwärts gegangen, der Wohlstand zerstört, die Erträge des Guts auf ein Minimum reducirt; so blieb er denn, weil er sich gegen Frau und Kinder verpflichtet hielt, seinen Generalsgehalt nicht ohne Nöthigung aufzugeben. Möglich, daß er doch darauf verzichtet hätte, wenn nicht die Kavalleriebrigade, deren Commando er hatte, ihre Garnisonen in den Nachbarstädten des Lebusischen Kreises gehabt hätte, so daß es ihm möglich wurde, von Friedersdorf aus die dienstlichen Geschäfte zu leiten. Zu gleicher Zeit blieb er ein schar- fer Beobachter der politischen Vorgänge, immer bereit, mit Wort und Schrift einzugreifen, wo es nöthig war, im Dienst der con- servativen Sache (zumal gegen Hardenberg) ein Zeugniß abzu- legen. Zehn Jahre lang führte er die Brigade. 1827, als ihn der Zusammentritt des brandenburgischen Landtags nach Berlin führte, dem er als Vertreter des erkrankten Landtagmarschalls zu präsidi- ren hatte, wurde ihm die Division in Breslau an Stelle der bis- her commandirten Brigade angeboten. Nach kurzem Schwanken lehnte er das Anerbieten ab. Er war müde geworden im Dienst, an Aergernissen hatte es nicht gefehlt, was aber den Ausschlag gab, war die Erwägung, daß die Uebernahme eines fast vierzig Meilen von Friedersdorf entlegenen Commandos ein längeres Verweilen in seiner „Väter Schloß“ unmöglich gemacht haben würde. So forderte er den Abschied und erhielt ihn. Der König ließ ihn rufen, um ihm ein Abschiedswort zu sagen. Es war eine Begegnung voll tiefpoetischen Gehalts. Der alte märkische Edel- mann, der, wie kaum ein anderer vor ihm, sein eigenes Recht neben dem königlichen Recht von Gottes Gnaden zu behaupten ge- wagt hatte, trat jetzt am Ende seines Lebens vor seinen König hin, den er immer geliebt und verehrt und doch in entscheidenden Momenten des staatlichen Lebens aus der Ueberzeugung seines Herzens heraus bekämpft hatte. Es war im Potsdamer Schlosse. Der König, der von seinem Beinbruche kaum wieder hergestellt war, ging ihm durch den hal- ben Saal entgegen, reichte ihm fest die Hand und sagte dann laut, in Gegenwart aller Umstehenden: „Mir sehr leid gethan, einen so ausgezeichneten General zu verlieren.“ Marwitz, leise den Punkt berührend, wo Herr und Diener auseinander gegangen waren, antwortete mit der Versicherung unverbrüchlicher Loyalität. „Mir sehr wohl bekannt, immer nach Grundsätzen gehandelt ha- ben ,“ antwortete der König mit gnädiger Verbeugung. So trennte man sich. „Immer nach Grundsätzen gehandelt haben“ — unter Wie- derholung dieser königlichen Worte, die die ganze Würde und Be- deutung dieses Mannes in einen Satz zusammenfassen, nehmen auch wir von Marwitz Abschied. „Immer nach Grundsätzen gehan- delt haben“, das war es, was er in einer Zeit, die in ihren Grundsätzen sehr schwankend war, vor geistig höher Begabten, vor Weiterblickenden, namentlich wohl auch vor Glücklicheren, voraus hatte; das war es, worin seine Bedeutung wurzelte. An Wissen, an Talent, mochten ihm viele überlegen sein — nicht an Charak- ter. Nicht ein reaktionäres Wesen schuf er, nicht ein albernes Jun- kerthum; er war es, der den Muth einer Meinung hatte, längst ehe dieses Wort gemünzt und in Curs gekommen war. Er war kein Reaktionär, der eifersüchtig und mißmuthig auf jeden Fort- schritt geblickt hätte, er war nur mißtrauisch gegen das alleinige Recht der Neuerungen, er war der Mann des Rechtsbodens, der loyalen Opposition. Nach dieser Seite hin ihn gezeichnet, seinen hohen Werth auch seinen politischen Gegnern dargelegt zu haben, war der Zweck dieser Zeilen. Am 7. December 1837 ging er aus einem Leben voll Un- ruhe in die ewige Ruhe ein. Drei Tage später ward er neben sei- ner ersten Gemahlin begraben. Den Sonntag darauf ward ihm die Gedächtnißpredigt gehalten, gemäß den Anweisungen seines letz- ten Willens. Diese Anweisungen lauteten: „Der Prediger soll mich nicht loben wegen dessen, was ich auf Erden gethan, sondern soll zeigen, wie das irdische Leben nur eine Vorbereitung ist zu dem ewigen. Er kann aber sagen, daß ich gestrebt habe mein Leben lang, die mir auferlegten Pflichten und Arbeiten treulich zu erfüllen, da- bei mein eigenes irdisches Wohlsein für nichts achtend; er darf das sagen, weil es wahr ist .“ Wohl jedem, der mit gleichem Bewußtsein aus der Welt scheiden kann! Ein Bild Marwitz’s, eingefaßt von den Seitenbildnissen sei- ner beiden Frauen (die zweite war eine geborene Gräfin Moltke, gestorben am 18. November 1848) schmückt, wie bereits erzählt, die Friedersdorfer Kirche. Ich habe in Vorstehendem die äußeren Lebensfakten Marwitz’s gegeben und versuche zum Schluß eine Charakteristik, eine Kritik. Ich knüpfe zu diesem Behuf an die Vorgänge des Jahres 1811 an. Das Auftreten Marwitz’s in jener Epoche, wenn man ihm irgend wie gerecht werden will, muß von zwei Gesichtspunkten aus betrachtet werden, — juristisch und politisch . Das Urtheil über dieselben Vorgänge wird sich danach sehr verschieden gestalten. Was zunächst die juristische Seite angeht, so hatte Harden- berg selbst das Recht der Stände anerkannt und mehr denn ein- mal der patriotischen Haltung derselben die königliche Anerkennung ausgesprochen. Nichts konnte deßhalb falscher und begriffsverwirren- der sein, als das Eintreten für ein derartig anerkanntes Recht auf Rebellion zu deuten. Daß es doch geschah, mag (wo nicht poli- tische Berechnung und reformatorischer Eifer ein richtigeres Urtheil trübten) als Beweis dienen für den Servilismus und die Indo- lenz jener Zeit. Noch einmal, das Recht war unbestreitbar auf Seiten der Stände und dieses ständische Recht war verletzt. Gegen diese Ver- letzung hatte Marwitz protestirt. Dieser Protest war muthig und ehrenhaft; aber freilich, wenn er, außer dem Zugeständniß, muthig und ehrenhaft gehandelt zu haben, auch noch Sympathien für die Sache wecken wollte, so mußte sich das Festhalten am Princip über den Schein und Verdacht einer Donquixoterie, einer bloßen Rechtsmarotte , erheben. Auch das beste Recht, wenn es sich sträubt, einem neuen Platz zu machen, muß den Beweis beibrin- gen, daß es mehr ist als ein todter Buchstabe, als eine Last, ein Hemmniß. Es bleibt „Recht“ auch ohne diesen Beweis, aber ein Recht, dem jeder wünscht, daß es dem Unrecht unterliegen möge. Das fühlte Marwitz sehr wohl. Er vertheidigte also das Stän- dische als ein äußerlich ererbtes Gut, aber er hielt es auch auf- recht im vollen Glauben an die innerliche Berechtigung desselben. Dieß führt mich von der einfachen Rechtsfrage auf das politi- sche Gebiet. Mußte der alte ständische Bau fallen, oder nicht? Millionen sagten ja, Marwitz sagte nein. Für ihn handelte sich alles um Wiederbelebung ; nicht Tod, nur Lähmung war über den alten, kräftigen Organismus des Landes gekommen; es galt einen Bann, eine Krankheit von ihm zu nehmen, und alles war wieder gut. Nicht die Paragraphen und Institutionen, die Herzen der Menschen wollte er wandeln; an die Stelle kleiner Gesinnung sollte hohe Liebe und idealer Schwung, an die Stelle philiströser Beschränktheit eine opferfreudige Begeisterung treten, — so wollte er reformiren. Vortrefflich; aber wie? wodurch? Um die Weckung oder Mehrung dieser Dinge hat es sich immer gehandelt. Wie aber wollte Marwitz an die Herzen heran, wie wollte er das Wunder vollziehen? Die Antwort auf diese Frage ist er schuldig geblieben. Er zeigte das Ziel, aber nicht den Weg. Die bloße Bußpredigt und ein langes Sündenregister haben noch nie geholfen. Hier liegt sein Fehler, sein politischer Fehler. Das Alte, ob mit Recht oder Unrecht, war jedem ein Gräuel geworden; es war unmöglich, wenigstens damals unmöglich, eine Begeisterung dafür wach zu rufen; wenn Leben überhaupt geweckt werden sollte, so mußte es für etwas Neues geweckt werden, selbst auf die Gefahr hin, daß es sich als ein Falsches erweisen würde. Es handelte sich in diesem Augenblick nicht um gesunde Nahrungs- , sondern um Bele- bungs- und Erweckungsmittel . Dieß wußte Hardenberg, in dem Sinne handelte er und dafür haben wir ihm zu danken, sei er im übrigen wie er sei. Der alte ständische Staat hatte dem Sturm nicht widerstan- den und ein neues Haus mußte bezogen werden, wenigstens auf Probe . Möglich, daß der Zusammensturz nicht an der Schlechtigkeit des alten Baus, sondern an der Heftigkeit des Sturms gelegen hatte; möglich das alles, aber die Verhältnisse gestatteten damals nicht, solche Möglichkeiten in Frage zu ziehen oder ruhig darüber zu discutiren. Rasche Hülfe war nöthig. Zwan- zig oder dreißig Jahre später durfte geschehen, was 1811 eine Unmöglichkeit war, und dem einsichtsvollen und gerechten Fürsten, den wir eben verloren haben, stand bei seinem Regierungsantritt allerdings das Recht zu, den ständischen Staat, der unter’m Drang der Umstände kritiklos bei Seite geworfen war, auf seinen Werth und seine Stichhaltigkeit noch einmal zu prüfen. Das Jahr 1846 brachte uns die vereinigten Landtage. Ob die Formen , unter denen der vereinigte Landtag in’s Leben trat, ob namentlich die rheinische Bourgeoisie und ihr großer Einfluß, dem Marwitz’schen Ideale entsprochen hätte, muß freilich dahin gestellt bleiben. Diese nur allzu begründeten Zweifel führen mich auf Mar- witz zurück und zwar auf seine angreifbarste, wenn auch mit Rück- sicht auf die Zeit, in der er lebte, wenigstens halb erklärliche, halb zu entschuldigende Seite. Ich meine sein Verhältniß zum Bür- gerstand . Er ließ den „Bürgerstand“ gelten, so weit er in die alte ständische Institution hineinpaßte, aber er haßte die „Gebilde- ten.“ Da die Bürgerlichen zu jener Zeit überwiegend die Träger dieser Bildung waren, so wurde daraus eine Verkleinerung, eine völlig schiefe Stellung zum Bürgerthum überhaupt. Daß das damalige, von Freigeisterei und Revolutionsideen erfüllte Bürger- thum, das, theilweise wenigstens, die Niederlage von Jena mit Befriedigung verkündigt hatte, ihn wenig mit Freude und Hoch- achtung erfüllen konnte, war eben so begreiflich wie berechtigt, aber er verharrte in dieser Abneigung auch noch, als die Ereig- nisse des Jahres 1813, und zwar nicht nur die Erhebung des Volks (von der er, als von einer Massene rhebung, nicht einmal besonders hoch dachte), sondern speciell die Begeisterung der „Ge- bildeten“ ihm den Beweis geliefert hatte, daß auch ein Gebildeter für eine gute Sache zu fechten und zu sterben verstehe. Er selbst gab diese Dinge im Einzelnen zu (z. B. in seiner Darstellung des Hagelsberger Gefechts), aber dem ganzen Stande gegenüber blieb die Abneigung, das aristokratische Vorurtheil. Der Adel nahm in seinen Augen nicht nur politisch und gesellschaftlich, sondern auch moralisch und nach der Seite der Charakterbildung hin, eine über- legene Sonderstellung ein; seine Gesinnung war besser und eben so seine äußere Haltung, und so viel Wahrheit, so viel Berechtig- tes, namentlich Angesichts der Kleinheit und Spießbürgerei unseres märkischen Bürgerstandes — der ein großes Hansagefühl nie ge- kannt hatte — in dieser Auffassung liegen mochte, so führte die Ausgesprochenheit dieser Ansicht doch gelegentlich zu den allerbe- denklichsten Consequenzen. Eine Anekdote mag dieß zeigen. Im Jahre 1806 traf er, wenige Tage vor der Jenaer Schlacht, im Schloß zu Weimar mit Goethe zusammen. Wie schildert Marwitz diesen? „Er war ein großer, schöner Mann, der stets im gestickten Hofkleide, gepudert, mit einem Haarbeutel und Galanteriedegen, durchaus nur den Minister sehen ließ und die Würde seines Ranges gut repräsentirte, wenn gleich der na- türlich freie Anstand des Vornehmen sich vermissen ließ .“ Also auch Goethe konnte sich, in Haltung und Erscheinung, nicht bis zur Ebenbürtigkeit erheben. Er war ein anstandsvoller Minister und ein großer Poet, war der Freund seines Fürsten und der leuchtende Stern des Hofes, aber geboren als ein Bür- gersohn zu Frankfurt, ließ er doch den „freien Anstand des Vor- nehmen“ vermissen, es fehlte ein unaussprechliches Etwas, vielleicht — und diese Worte sind nicht ironisch gemeint — die hohe Schule des Regiments Gendarmes. Es sei hier ein kleiner Exkurs gestattet. Es ist mit diesen Dingen, mit der Kunst des Anstands und feiner Sitte, wie — man verzeihe den Vergleich — mit der Kunst des Reitenkönnens und am Ende mit vielen andern Künsten. Jeder, Individuum wie Nationen, glauben im Besitz des Rechten zu sein. Die englischen Gentlemen sagen zu deutschen Cavalieren: „Ihr seid die besten Reiteroffiziere, aber — ihr könnt nicht reiten,“ und die deutschen Cavaliere erwiedern dem englischen Gentleman: „Ihr versteht euer fox hunting und steeple chase aus dem Grunde, aber — enfin, ihr könnt nicht reiten.“ Ein stilles Bedenken mischt sich, von rechts und links her, in beide Urtheile mit ein, eine leise An- deutung, daß dem perfecten Cavalier, dem perfekten Gentleman, doch noch dieß und das zu seiner Vollkommenheit fehle. Wie es mit der Kunst des Reitens ist, so mit der Kunst der feinen Sitte. Die Gesetze derselben sind überall verwandt, ein Gemeinsames liegt ihnen zu Grunde, aber ihre Formen weichen ab, sind wenigstens nicht überall dieselben. Da wo noch an eine ausschließliche Form der Sitte geglaubt wird, hat die Sitte selbst ihre höchste Blüthe und Verfeinerung noch nicht erreicht. In Standesvorurtheilen, wie sie das Urtheil über Goethe zeigt, war und blieb Marwitz befangen; aber der gute Glaube, die volle Ueberzeugung, mit der er seine Ansichten äußerte, nahmen seinen Angriffen den Stachel des persönlich Verletzenden. Zudem hielt es nicht schwer, die Wurzel des Irrthums zu erkennen, woraus seine harten und zum guten Theil ungerechten Ansichten über den Bürgerstand empor wuchsen. Während er nämlich sich selbst als Repräsentanten des Adels nahm, nahm er den ersten besten Bürgerlichen als Repräsentanten des Bürgerstandes. Der Zufall wollte, daß er in sich selbst einen so vollkommenen Vertreter ade- liger Gesinnung zur Hand hatte, daß, bei einem Herausgreifen auf’s Geradewohl aus der Reihe der Bürgerlichen, die letztern mit großer Wahrscheinlichkeit zu kurz kommen mußten. Er vergaß (viel- leicht in Bescheidenheit), daß nicht jeder Adelige ein Marwitz war, und daß viele Eigenschaften die er an den „Gebildeten“ haßte, nicht Sondereigenschaften des Bürgerstandes, sondern allgemeine Eigenschaften der ganzen Epoche waren. Er geißelte das Auftreten des eitlen, leckern, gesinnungslosen Johann v. Müller (des berühm- ten Historikers) mit verdientem Spott, aber andere bürgerliche Namen, die auf solche Geißelung keinen Anspruch hatten, hätten ihm eben so nah oder näher gelegen. Hätte er Fichte, der eben damals durch seine begeisterten, aus Muth und Gesinnung her- ausgeborenen Reden, selbst wieder Muth und Gesinnung in alle Herzen goß, hätte er Fichte als Repräsentanten deutschen Bürger- thums und deutscher Bildung gewählt, sein Urtheil würde sich anders gestaltet haben. So aber sah er nur die weite Kluft, die allerdings zwischen seinem eigenen Empfinden und jener schnöden Niedrigkeit lag, die sich (in Berlin) danach drängte, als „Bürger- garde Marschall Victors“ zu antichambriren und Schildwache zu stehen. Aengstliche Rücksichtnahme war nicht seine Sache, wo es die Wahrheit galt, oder wenigstens das, was ihm als Wahrheit erschien. Durch Freund und Feind hin ging er seinen Weg; die Furcht, anzustoßen, war nicht seine Furcht. Selbstbewußtsein durch- drang ihn und durfte ihn durchdringen, denn die Worte seines Testaments, „daß er die ihm auferlegten Pflichten treulich erfüllt und dabei sein eigenes irdisches Wohlsein für nichts erachtet habe“, waren Worte der Wahrheit. Verkannt, zurückgesetzt, verleumdet, hatten die Kränkungen, die er erfahren, doch nie schwerer in seinem Herzen gewogen, als das Gefühl seiner Pflicht. So oft es galt, war er da. Alles gab er auf, alles setzte er ein, so oft die großen Interessen des Vaterlandes auf dem Spiele standen. Das Ein- stehen für das Ganze war seinem Herzen Bedürfniß, und die höchsten Kräfte des Menschenherzens, Treue, Pietät und Opfer- freudigkeit waren in seiner Seele lebendig. Er war schroff nach außen, aber feinfühlig im Gemüth. Das Leben, ungehoben und unverklärt durch geistigen Gehalt, war ihm eine leere Schale; die Idee allein gab allem Werth und im Kampf für sie hat er sein Leben hingebracht. Möglich daß sein Kampf unbewußt im Interesse eines Irrthums, eines politischen Fehlers geführt wurde; aber selbst wenn dem so wäre, so würde es wenig ändern in der Werthschä- tzung des Mannes selbst. Denn jedem selbstsuchtslos geführten gei- stigen Kampfe gelten unsere Sympathien. „Es irrt der Mensch, so lang er strebt.“ Erst aus Streben und Irren gebiert sich die Wahrheit. Auch der Kampf, den Marwitz kämpfte, hat uns dieser näher geführt. „Er war“, so schließt ein Nekrolog, den befreundete Hand geschrieben, „ein Mann von altrömischem Character, eine kräftige, 25 gediegene Natur, ein Edelmann im besten Sinne des Worts, der in seiner Nähe nichts Unwürdiges duldete, allem Schlechten ent- schieden in den Weg trat, Recht und Wahrheit vertheidigte gegen jedermann, der die Furcht nicht kannte und immer in den Reihen der Edelsten und Besten zu finden war. Alles Versteckte, Unklare und Erheuchelte war ihm von Herzen zuwider. Wie er streng war gegen sich selbst, war er es auch gegen andere. In Fleiß und guter Wirthschaft, in Frömmigkeit und strenger Sittlichkeit, in einem rechtschaffenen Wandel strebte er seiner Gemeinde ein Vor- bild und Muster zu sein.“ An ernstem Streben, an Ringen nach der Wahrheit, an selbstsuchtsloser Vaterlandsliebe sei er Vorbild und Muster auch uns . Alexander von der Marwitz. Du hoffst umsonst vom Meere Vom Weltgetümmel Ruh; Selbst Lorbeer, Ruhm und Ehre Heilt keine Wunden zu . Waiblinger. Blühend blieb mir im Gedächtniß Diese schlanke Heldenblume; Nie vergeß ich dieses schöne Träumerische Jünglingsantlitz. H. Heine. A lexander von der Marwitz war der jüngere Bruder des Generallieutenants Ludwig von der Marwitz, dessen Leben und Charakter ich im vorhergehenden Kapitel zu schildern versucht habe. Der Anfang dieses Jahrhunderts war eine Epoche der Dioskuren, der glänzenden Brüderpaare: die beiden Humboldt, die beiden Schlegel, die beiden Tieck, die beiden Bülow — zu ihnen gesellten sich die beiden Marwitz . Beide Brüder waren von verwandter Naturanlage, von gleichem Temperament; sie hatten dasselbe Blut. Beider Herz war groß und hatte jenen hohen Vollschlag, der die Freiheit bedeutet. Sie hatten eine verwandte Naturanlage, aber sie waren doch verschieden. Wie ein Adler war der ältere Bruder. Himmel und Einsamkeit um sich her, sah er auf die irdischen Dinge wie auf etwas Fremdes herab, wie auf das Treiben eines Lagers, das morgen abgebrochen wird; Ziel und Heimath lagen ihm über der Welt, nicht auf ihr. Wie ein Falke aber, ein früh gezähmter, war das Herz des jüngeren Bruders. Früh an die Menschenwelt gewöhnt, ein Theil von ihr geworden, blieb er in Zwiespalt, wo seine Heimath sei, ob hinter Gitterstäben, wo die schöne Hand der Herrin ihm Spielzeug und Schmeichelworte reichte, oder dort oben in jauchzender Freiheit und Einsamkeit. So oft er 25* in den Lüften war, zog ihn die süße Gewohnheit zur Erde zurück, so oft er auf der Erde war, zog ihn die eingeborene Natur nach oben. Als er auf dem Punkte war, die Gegensätze zu versöhnen und in Freiheit zu dienen , traf ihn der Tod. So starb er, „ein hoffnungsvoller, ein vielgeliebter“, wie die kriegsgeschichtlichen Tagebücher jener Zeit ihn nennen. Alexander von der Marwitz wurde am 4. Oktober 1787 zu Berlin (nach einer andern Angabe zu Friedersdorf) geboren. Seine erste Erziehung erhielt er im elterlichen Hause, theils in Berlin, theils auf dem Familiengut. Seinen Vater verlor er früh (1793), und sein zehn Jahre älterer Bruder, Friedrich August Ludwig, wurde, wenn auch nicht dem Namen, so doch der Sache nach, sein Vormund. Das stete Wechseln im Aufenthalt zwischen Berlin und Friedersdorf erwies sich als nicht günstig für die Erziehung des jüngeren Bruders, und so wurde derselbe im Sommer 1794 zum Hofprediger Arens in Küstrin in Pension gegeben. Arens, wohl unterrichtet, streng und gewissenhaft in seiner Methode, legte den Grund zu dem späteren ausgezeichneten Wissen seines Zöglings. Kaum vierzehn Jahre alt, verließ dieser die Küstriner Schule, nahm in einer noch aufbewahrten, durch Gedankenreife überraschenden Rede von Lehrern und Schülern Abschied und ging nach Berlin, wo er noch dritthalb Jahre lang das damals unter Gedikes Lei- tung stehende höchst ausgezeichnete Gymnasium „zum grauen Kloster“ besuchte. Er fand hier gute Gesellschaft. Unter seinen Mitschüleru befanden sich zunächst die Söhne von Büsching, Biester, Adelung und Koepke, ferner der älteste Sohn des damaligen Obersten von Scharnhorst (welcher letztere eben damals in preußische Dienste getreten war) und endlich der Sohn der Frau von Sta ë l-Hol- stein, Es heißt über ihren Sohn im Schulprogramm (1804) des grauen Klosters: „von Sta ë l-Holstein, aus Paris, empfahl sich die kurze Zeit, daß er die erste Klasse des Gymnasiums besuchte, durch ein gesittetes Betragen und einen lobenswerthen Fleiß. Der unerwartete Tod seines Großvaters, des ehemaligen Finanzministers Necker, veranlaßte seine Mut- die, 1803 nach Deutschland gekommen, ihren Wohnsitz in Berlin genommen hatte. Sprachliche und historische Studien waren es, denen sich Marwitz schon damals mit ganzer Seele hingab. Johann von Müllers Schweizergeschichte machte einen solchen Ein- druck auf ihn, daß er, kaum sechzehn Jahr alt, den berühmten Historiker aufsuchte, um ihm seinen Dank und seine Bewunderung auszudrücken. Dieser Schritt, unscheinbar, wie er auf den ersten Blick er- scheinen mag, gab ihm doch Gelegenheit, zuerst die Selbstständigkeit seiner Denk- und Handelsweise zu zeigen, die ihn später so sehr auszeichnete. Sein älterer Bruder mißbilligte diese Bekanntschaft, wie aus der ziemlich unzweideutigen Beschreibung hervorgeht, die uns derselbe von der Person Johann von Müllers hinterlassen hat. „Johann von Müller“, so schreibt er, „war ein kleines, grundhäßliches Kerlchen mit einem Spitzbauch und kleinen Bein- chen, einem dicken Kopf, immer glühend von vielem Fressen und Saufen, mit Glotzaugen, die weit aus dem Kopf heraus standen und beständig roth unterlaufen waren ꝛc.“ Aber so wenig der berühmte Historiker nach dem Geschmack des älteren Bruders sein mochte und so gern bereit der jüngere Bruder war, diesen Ge- schmack als berechtigt gelten zu lassen, so wenig war er doch ande- rerseits geneigt, sich durch fremde Sympathien oder Antipathien bestimmen oder in dem beirren zu lassen, was seiner Seele Be- dürfniß war. Neben der Selbstständigkeit seines Charakters trat hierin zuerst auch jener andere Zug seiner Natur hervor, der ihn, in Freud ter zur eiligen Abreise in die Schweiz, der er folgte.“ — Diesem Schulpro- gramm entnehme ich auch eine Notiz über die Dichtungen , die Michae- lis 1804 und 1806 bei Gelegenheit der öffentlichen Prüfung von den Schülern der Oberklassen deklamirt wurden. Es waren: 1) Monolog des Brutus aus der Voltaire’schen Tragödie „Cäsar“. 2) Elegie an Rosalie, von Tiedge. 3) Der Führer, ein Gedicht von Luise Brachmann. 4) Arion, von A. W. von Schlegel. 5) Kassandra, von Schiller. 6) Der Taucher, von Schiller. 7) Die Macht des Gesanges, von Schiller. 8) Hero und Leander, von Schiller. 9) Schillers Tod, eine Elegie. und Leid, unter den wechselndsten Schicksalen und Stimmungen beherrschte: der Zug und Hang nach dem Geistreichen . Die- ser Hang nahm, bevor die letzten Jahre seines Lebens eine Klä- rung und die Ruhe einer größeren Reife schufen, fast die Form einer Krankheit an. Alles verschwand daneben. Um dieß in ganzem Umfang zu verstehen, ist es nöthig, sich in die Genialitätsbestrebungen, in die geistige Genußsucht jener Zeit zurückzuversetzen. Der bekannte Ausspruch Friedrichs des Großen, „daß er der Beschäftigung mit guten Büchern und gescheidten Leuten die genußreichsten, wo nicht die einzig genußreichen Stun- den seines Lebens verdanke“, schien plötzlich die Anschauung aller feinen Köpfe geworden zu sein; sie lebten wie im Theater und horchten auf die besten Stellen . Die Personen waren nicht mehr Personen, sondern Akteurs ; alles kam auf die Unterhal- tung, die Belehrung an, die sie gewährten. Der Witz, die geist- reiche Sentenz, der Strom des Wissens, der Zauber der Rede lösten sich wie selbstständige Kunstwerke vom Sprecher los, und in derselben Weise, wie es uns, Angesichts eines schönen Landschafts- bildes, nicht im geringsten kümmert, wer es gemalt hat, ob ein Vornehmer oder Geringer, ob eine saubere oder unsaubere Hand, so wog damals der Glanz geistiger Gaben alles auf. Ein Höcker, physisch oder moralisch, war gleichgültig, wenn es nur ein Aesop war, der ihn trug. Ein brennender Durst erfüllte die Geister, und wer diesen Durst stillte, der war willkommen. Es hätte für Vor- urtheil, für kleinlich und altfränkisch gegolten, moralische Bedenken zu unterhalten. Erst der Kriegssturm reinigte wieder die Atmosphäre. Die Gestalt des Prinzen Louis Ferdinand wird immer jene Zeit hoher Vorzüge und glänzender Verirrungen wie auf einen Schlag charakterisiren. Alexander von der Marwitz war ihm ähnlich. Der Unterschied zwischen beiden war nur der, daß die Genußsucht des Prinzen (wie viel auch zur Erklärung und Ent- schuldigung desselben gesagt worden ist) seinen Charakter beeinflus- sen und beschädigen durfte, während Marwitz, in wunderbarer Weise, eine getrennte Wirthschaft, eine doppelte Oekonomie zu führen verstand. Das Bedürfniß geistiger Nahrung war allerdings so groß in ihm, daß er, wie sein älterer Bruder von ihm erzählt, ohne geistreiche Gesellschaft nicht leben konnte und selbst zum Stu- diren und Arbeiten durch solchen Umgang angeregt werden mußte; er schreckte dabei vor „alten Schläuchen“ nicht zurück, wenn es nur eben ein alter, feuriger Wein war, den sie ihm boten. Aber alles dieß blieb bei ihm nur Sache der Zerstreuung, des Studiums, des Kennenlernenwollens. Die geistigen Anregungen, sobald sie eines gesunden Kernes entbehrten, waren ihm wie der Genuß eines berauschenden Getränks, aber auch nicht mehr. Sie gewannen nicht Einfluß auf seine Ueberzeugungen, am allerwenigsten auf seine Haltung und Führung. Das Gemeine blieb machtlos über ihn, und so ging er durch’s Leben, wie gefeit durch den Adel seiner Gesinnung. Zu diesen Bemerkungen, die darauf aus sind, die Gesammt- erscheinung Alexanders von der Marwitz in’s Auge zu fassen, glaubte ich gleich Anfangs schreiten zu dürfen, und der Name Johann von Müllers bot die beste Gelegenheit dazu. Eben dieser war die vollendete Vereinigung von geistiger Kraft und Charakter- schwäche, von hohem Erkennen und niederem Handeln. Marwitz übersah in Milde, was ihm nicht paßte, und bewunderte, was ihm der Bewunderung werth erschien. Auch die Antipathien des älteren Bruders störten ihn hierin nicht. Um Ostern 1804 verließ er das graue Kloster und bezog die Universität Frankfurt, um daselbst die Rechte zu studiren. In dem bereits citirten Schulprogramm des genannten Jahres heißt es: „Alexander von der Marwitz bildete bei uns seine glücklichen Na- turanlagen mit rühmlichem Fleiße aus und empfahl sich durch ein feines und anspruchloses Betragen. Er hat in den meisten Fächern des Unterrichts, besonders in der alten Literatur, glückliche und ausgezeichnete Fortschritte gemacht.“ Er blieb nur ein Jahr in Frankfurt, dessen Stern sich damals bereits im Niedergang be- fand. Halle lockte ihn, und in Halle vor allem der Name Wolfs. Johann von Müller schrieb an den letzteren: „Diesen Gruß bringt Ihnen Alexander von der Marwitz. Ich brauche ihn nicht zu empfehlen, weil Sie selbst bald sehen werden, wie viel in ihm ist.“ Mit immer wachsendem Eifer ging er hier an das Studium der Alten; daneben beschäftigten ihn Geschichte und Philosophie, und wie er zwei Jahre zuvor unter den Schülern des grauen Klosters der tonangebende gewesen war, so arbeitete er sich auch hier zu gleichem Ansehen durch. Die Commilitionen weder meidend noch suchend, immer er selbst, ernst ohne Hochmuth, freundlich ohne Vertraulichkeit, so beherrschte er sie, gleich angesehen an Wis- sen wie an Charakter. Diese Herrschaft war das natürliche und deßhalb unvermeidliche Resultat seiner Ueberlegenheit; dennoch be- klagte sein älterer Bruder in späteren Jahren diese frühen und unbedingten Erfolge, die zuletzt ein Hochgefühl des eigenen Werthes groß zogen, das schwindlich machte. In Halle war Marwitz anderthalb Jahre. Kurz vor der Jenaer Schlacht verließ er die Universität und begab sich nach Friedersdorf, um in Abwesenheit des älteren Bruders (der wieder in die Armee getreten war, um als Adjutant des Prinzen Hohen- lohe den Feldzug mitzumachen) die Verwaltung des Guts zu über- nehmen. Mit der Kraft und raschen Umsicht, die ihm überall, damals wie später, zu Gebote stand, auch wo es die praktische Seite des Lebens galt, griff er in die Wirthschaftsführung ein, und ohne jemals vorher sich um landwirthschaftliche Dinge im Geringsten gekümmert zu haben, übersah er die Verhältnisse sofort und setzte später den heimkehrenden Bruder durch die Ordnung, die dieser vorfand, in Erstaunen. Seine Wirthschaftsführung wäh- rend eines vollen Jahres war eine musterhafte gewesen, nur sein überaus reizbares Temperament hatte im Winter 1806 auf 7 die Verwaltung des Guts und mehr denn das, sein eigenes Leben in Gefahr gebracht. Wir lernen hier eine neue Seite seines Charakters kennen. Die Beschäftigung mit den Wissenschaften, weit entfernt davon, ihm „die Blässe des Gedankens anzukränkeln“ oder das innere Feuer, das nach Thaten dürstete, zu dämpfen, hatte seine ganze, leidenschaftlich angelegte Natur nur noch glühender und leidenschaftlicher gemacht. Die angeborene Herrschsucht und Cha- rakterü berlegenheit hatte aus dem immer lebendiger-werdenden Gefühl auch geistiger Superiorität neue Kraft und neue Nah- rung gesogen, und was ein aufbrausendes Wesen in ihm begann, das hielt er hinterher mit unbeugsamen Willen fest. Gegen die Ueberlegenheit des Geistes und Charakters, wo er sie fand , ver- hielt er sich wie ein junger Königstiger, der ruhig wird in der Nähe des Löwen, aber freilich, er fand diese Ueberlegenheit selten. Sein auflodernder Zorn verleitete ihn auch während seiner Gutsverwaltung zu einer raschen That, die den Stempel der Un- gerechtigkeit breit an der Stirn trug und nur aus Jugendsinn und der Leidenschaftlichkeit seines Charakters erklärt werden kann. Eine durch Nachbarn ihm zugefügte Unbill nahm er nicht Anstand in einer Weise zu rächen, die als ein Mißbrauch der Gewalt und des Namens der Franzosen (die eben damals die Landesobrigkeit bildeten), von diesen gestraft werden mußte. Er wurde Nachts durch französische Gendarmen vom Gute fortgeholt und in Fesseln nach Küstrin abgeführt. Man hielt ihn schon für verloren, doch wurde die Sache durch vielfach thätige Verwendungen schließlich auf gütlichem Wege beigelegt. Die Details über diesen Vorgang fehlen. Ende Oktober 1807 traf der ältere Bruder wieder in Frie- dersdorf ein. Der Tilsiter Friede hatte zur Entwaffnung so vieler Regimenter geführt, natürlich auch zur Entlassung jenes Truppen- theils, der unter dem Namen des „Marwitz’schen Freicorps“ in Preußen und Pommern gebildet worden war. Der jüngere Bru- der verließ nun Friedersdorf wieder und ging nach Memel, wo sich damals der preußische Hof befand. Empfehlungsbriefe führten ihn bei dem Minister Stein ein, Niebuhr schenkte ihm Aufmerk- samkeit und Interesse, und sein überaus gewinnendes Wesen, das ihn überall, wo er sich sympathisch berührt und geistig heimisch fühlte, die Herzen wie durch einen Zauber erobern ließ, bewährte sich auch hier. Aeußerliche Mittel unterstützten seine Erfolge. Er war groß und schlank, mit seinem jugendlichen Gesicht, und die schönen dunkeln Augen voll Leben und Ausdruck. Wie auf Schule und Universität, so herrschte er alsbald auch hier, wo die Männer des „Tugendbundes“ ihn in ihre Mitte zogen. Er belächelte vieles, was er geschehen sah, der gemeinschaftliche Franzosenhaß aber und noch mehr vielleicht der Umstand, daß es gescheidte Leute waren, mit denen er eine Stunde geistvoll plaudern und Anregung zu neuen Studien mit heim nehmen konnte, ließen ihn die Kluft ab- sichtlich übersehen, die zwischen ihm und ihnen lag. Es scheint (es fehlen hierüber bestimmte Angaben), daß er bis Weihnachten 1808 in Memel blieb und dann nach Berlin zurückkehrte. Sein Umgang hier gestaltete sich im Einklang mit den Bekanntschaften, die er in Memel und Königsberg angeknüpft hatte, nur kehrte er jetzt, wo das Leben und Treiben der größeren Stadt für den, der Ruhe und Zurückgezogenheit suchte, auch bei- des leichter gestattete, mit verdoppeltem Eifer zu seinen Büchern zurück. Politik wurde gelesen und gesprochen, und die staatsökono- mischen Sätze Adam Smiths, dessen berühmtes Buch vom „Reich- thum der Nationen“ auch das Geheimmittel enthalten sollte, wie dem ruinirten preußischen Staate wieder aufzuhelfen sei, wurde der Gegenstand der eingehendsten Studien und Debatten. Schon da- mals verhielt er sich mehr kritisch als bewundernd gegen das Buch, das die Hardenberg’sche Schule zur Panacee für alle Uebel stem- peln wollte, und wurde nicht müde, auf den Unterschied zwischen einem reichen und freien England und einem armen und unter- jochten Preußen hinzuweisen. Er trieb diese Studien mit einem solchen Ernst und verfügte neben dem klar blickenden Geiste, den ihm die Natur gegeben, über ein so umfangreiches Wissen auf diesem schwierigen und bis dahin wenig cultivirten Gebiete, daß ihm, dem zweiundzwanzigjährigen, von Niebuhr selbst, der nicht leicht in Verdacht kommen wird, aus Leichtsinn oder Uebereilung gehandelt zu haben, im April 1809 ein Staatsrathsposten angetragen wurde. Schon im Sommer 1808 (also wahrscheinlich noch in Memel) Die Sache war noch nicht entschieden, als der Schill’sche Zug dazwischen trat und die Unterhandlungen abbrach. Marwitz schloß sich dem Zuge an, und wiewohl er wenige Wochen später (unmittelbar vor oder nach dem Gefecht von Dodendorf) nach Berlin zurückkehrte, weil er das Kopflose des ganzen Unternehmens erkannt hatte, so wurden doch die einmal abgebrochenen Unterhandlungen nicht wieder aufge- nommen. Beinahe unmittelbar nach seiner Rückkehr vom Schill’schen Zuge machte Marwitz die Bekanntschaft der Rahel Levin . Er war dem Prinzen Louis Ferdinand an ritterlichem Sinn, an Schönheit der Erscheinung, an künstlerischem Bedürfniß und vor allem auch in jenem Selbstgefühl verwandt, das das Vorurtheil des Standes überwunden hat, und so ergab sich diese Bekannt- schaft mit einer Art von Folgerichtigkeit. Wie diese Bekanntschaft ihm selber zu hoher Befriedigung gereichte und ihm in schweren Tagen eine Stütze, in dunkeln Tagen ein Sonnenstrahl war, so haben auch wir uns dieses Freundschaftsverhältnisses zu freuen, weil wir dem Briefwechsel, der sich zwischen beiden entspann, das beste Theil alles dessen verdanken, was wir über den Charakter und selbst über die äußern Lebensschicksale des Mannes wissen. Ihre Bekanntschaft begann im Mai 1809, und noch vor Ablauf desselben Monats trennten sich die schnell Befreundeten wieder, um erst nach länger als Jahresfrist die alten Beziehungen wieder anzuknüpfen. Ein gegenseitiges Verständniß scheint sich fast augenblicklich zwischen ihnen gebildet zu haben. Schon am 13. Juli 1809 konnte Rahel schreiben: „Ich ging in den Park hinunter, schön waren Wiesen und Feld. Tausenderlei sah ich um mich her, und alles hätte ich Marwitz gern gezeigt; er war der Letzte, den ich sah, der so etwas verstand .“ Und um dieselbe Zeit schrieb sie an Fouqu é : „Ich habe Marwitz nur vierzehn Tage ge- war ihm ein ähnlicher Antrag geworden; er hatte ihn aber mit dem Be- merken abgelehnt, daß er zuvor mehr sehen und lernen wolle. Nur in Zeiten wie die damaligen, wo nichts so niedrig stand wie das Ancienne- tätsprincip, waren solche Dinge möglich. kannt und mein ganzes Herz liebt ihn; seine Existenz ist ein Trost für mich. Sie wissen, er ist mit Varnhagen hin nach dem Krieg.“ Marwitz war „nach dem Krieg“; er war Ende Mai nach Oesterreich gegangen, um an dem Kampf gegen Napoleon Theil zu nehmen. Was ihn fort trieb, war ein Mannichfaches: zunächst die Nachricht, daß sein jüngerer Bruder Eberhardt, der seit 1808 in österreichischen Diensten stand, in der Schlacht bei Aspern schwer verwundet worden sei; dann aber vor allem sein Haß gegen Na- poleon, die Ueberzeugung, „daß — um die Worte seines Bruders zu wiederholen — die Freiheit das allein Werthvolle sei, und alles Wissen in einem Sklavenlande nicht gedeihen, nicht ächte Frucht treiben könne .“ Zudem war die Theil- nahme am Kampf halb Ehrensache für ihn geworden. Er hatte Schill verlassen, weil er das Kopf- und Planlose des Zuges sofort erkannt hatte, aber er hatte dadurch gleichzeitig die stillschweigende Pflicht auf sich genommen, jedem Unternehmen seine Kräfte zu leihen, das mit ausreichenderen Mitteln begonnen, irgend welche Aussicht auf Erfolg bieten konnte. Ein solches Unternehmen war der österreichische Krieg. Marwitz trat in das berühmte Chevaux- legersregiment Graf Klenau ein, dasselbe Regiment, in dem sein Bruder gedient hatte, und machte die letzten Kämpfe des Krieges, die Schlachten bei Wagram und Znaym mit. Auch nach dem Friedensschluß blieb er bis zum Herbst 1810 in österreichischem Dienst. Gleich die ersten Wochen nach dem Frieden wurden ihm schwer vergällt. Krank war er nach Ollmütz gekommen, wo er Quartier in einem Gasthof nahm. Der Wirth, ein roher und heftiger Gesell, erging sich, aus Motiven, die nicht klar geworden sind, vermuthlich aber ohne alle und jede Veranlassung, in hefti- gen Insulten gegen Marwitz und drang endlich auf diesen ein. Marwitz zog den Degen zu seiner Vertheidigung und stieß den Angreifer endlich nieder. Dieser Vorgang machte großes Aufsehen und auf Marwitz’s Gemüth einen tiefen und nachhaltigen Eindruck. Denn wiewohl er nur Nothwehr gebraucht und den Ausspruch der Gerichte sowohl wie die öffentliche Meinung für sich hatte, so suchte er doch seitdem die Reizbarkeit und den Jähzorn seines Charakters strenger zu bewachen. Das Kriegsleben war etwas, wie es zu Marwitz’s inner- stem Wesen stimmte, aber das Garnisonsl eben war wenig nach seinem Sinn. Alsbald fehlten die Anregungen, ohne die er, wenn der Krieg nicht seine Würfel warf, nicht leben konnte. Wie viele Leute gab es in Olmütz und Prag (wo er sich abwechselnd auf- hielt), die ihm ein Gespräch mit Johann von Müller, mit Niebuhr oder mit Rahel Levin hätten ersetzen können! Während des Waf- fenstillstandes, so lange die Wiederaufnahme des Krieges noch eine Möglichkeit war, beschäftigten ihn militärische Arbeiten, an deren Ausarbeitung er mit einer Raschheit und einem Scharfsinn ging, als habe irgend ein Hauptquartier ihn groß gezogen und nicht der Hörsaal oder der Salon. Er entwarf unter anderem ein Expos é , wie, bei Wiedereröffnung des Kampfes, die österreichische Armee zu operiren habe, eine umfangreiche Arbeit. Ueber den strategischen Werth, ja nur über die Ausführbarkeit des ganzen Planes schweige ich; sie entzieht sich der Kritik eines Laien, aber die Klarheit der Darstellung ist bewundernswerth und fast mehr noch die kühne Selbständigkeit, die ihm die Idee eingab, durch eine Flankenbe- wegung, in weit gespanntem Bogen, der Napoleonischen Armee den Rücken abzugewinnen . Er drückt das durch die Worte aus: „Eine veränderte Frontstellung muß unser strategisches Prin- cip sein; Front gegen Osten oder Nordosten — so müssen wir den Angriff erwarten.“ Aber der Waffenstillstand führte zum Frieden und mit dem Frieden schwand, ganz abgesehen von jener Aufregung und jener Poesie der Gefahr, die ihm Bedürfniß war, auch jene auf’s Ganze und Große gerichtete Thätigkeit, die das geringste war, dessen er als Ersatz für Besseres bedurfte. Das Einerlei des Dienstes fing an ihn zu drücken. Eine Correspondenz, darunter auch der Aus- tausch einiger Briefe mit Rahel, war kein Ersatz für Alles, was fehlte, und so nahm er denn den Abschied; im Herbst 1810 war er wieder in Berlin . Das alte Leben, das ihm so theuer war, nahm hier auf’s neue seinen Anfang. Die Bücher, die Studien, der gesellige Ver- kehr, der Austausch, die Friktion der Geister, das Blitzen der Ge- danken — er hing an dieser Art der Existenz, und doch, wenn er sie hatte, genügte sie ihm nicht . Er kam zu keinem Glück, wenigstens damals nicht. Das Gegenwärtige immer klein findend, von der Zukunft und sich selber das Höchste wollend, rang er einer Traumwelt nach und verlor die wirkliche Welt unter den Füßen. Er gehörte so recht zu denen, die den Genuß nicht genie- ßen, weil sie selbst im Besitz des Höchsten und Liebsten die Vor- stellung nicht aufgeben mögen, daß es noch ein Höheres und Lie- beres giebt. In diesem Sinne schreibt Rahel zu Anfang des Jahres 1811. „Und wie treibens unsere Besten? Ruhm wollen sie, wollen zeh- ren, ohne beizutragen, und — nichts kriegen sie. Besseres noch, so denken sie, werden sie finden, und — nichts finden sie. Statt ihren wahren Freunden selbst Freund zu sein, statt ihnen etwas zu leisten und sich des Glückes zu freuen, das sie durch Opfer und Gutthat geschaffen, vergeuden sie ihre beste Kraft in der Beschäf- tigung mit ihren Plänen, im Kampf mit Phantomen. Marwitz hab ich dies noch nie gesagt, weil ich ihn zu sehr liebe und es zu persönlich würde .“ So klagte Rahel über ihren „liebsten Freund“ zu einer Zeit, wo täglicher Verkehr und rückhaltloses Vertrauen ihr die beste Ge- legenheit gab, einen Einblick in die Vorgänge seines Herzens zu gewinnen. „Er war des Lebens früh überdrüssig und durchaus ermüdet vom täglichen Einerlei, wenn das Gewaltigste sich nicht von Tage zu Tage jagte.“ So beschreibt ihn sein älterer Bruder. Er war ruhelos, unbefriedigt, unglücklich. Aber wir würden ihm Unrecht thun, wenn wir dieses Unbefriedigtsein, diesen Lebensüberdruß (Er- scheinungen, die freilich mitunter an die krankhaften Stimmungen Heinrich von Kleists erinnerten) ausschließlich auf Rechnung eines überreizten Gemüthes setzen wollten. Er war unstät, ruhelos, weil er einem Höchsten nachjagte, das sich nicht erreichen und erringen ließ, aber er litt auch in aller Wahrheit und Wirklichkeit unter der Wucht schwerer Schläge, die ihn betroffen. Wenn sich eigene Schuld mit einmischte, um so schlimmer. Er hatte ein Recht, eine Befugniß, ernster drein zu schauen, als mancher andere. Es waren zum Theil höchst reelle Dinge, die an seinem Herzen nagten und zehrten, Dinge, die mit dem unruhvollen Jagen nach einer Fata Morgana nichts zu schaffen hatten. Die Schmach des Vaterlandes, die Eisenhand des Unterdrückers, die Hoffnungslosigkeit für jenes, nachdem Oesterreich abermals niedergeworfen war, das alles waren sehr wirkliche Dinge, die damals manches Herz mit Schwermuth oder Fanatismus erfüllten. Vor Marwitz’s Seele aber stand noch ein Anderes : sein Traum brachte ihm die Gestalt des polternden, zornrothen und dann so still und blaß gewordenen Wirths, und wenn die Gestalt verschwand, in Traum und Wachen stand die Gestalt einer Frau vor seiner Seele, zu der er sich mit glühender, immer wachsender Leidenschaft hingezogen fühlte. Der Tag ist noch nicht da, über dieses Verhältniß, das übrigens zu keiner häßlichen Verirrung führte, ausführlicher zu sprechen; vielleicht wird die Pietät gegen einen unserer gefeiertsten Namen es für immer ver- bieten. Zorn und Liebe, Gewissensangst und Leidenschaft rangen auf und ab in Marwitzens Herzen, und es hätte des heißen Ver- langens nach Ruhm und Auszeichnung, nach einem unbestimmten Höchsten nicht bedurft, um jene Ermüdung zu schaffen, die ja nichts anderes ist als das Verlangen nach Ruhe. Im Mai 1811 ging Marwitz auf kurze Zeit nach Frieders- dorf. Die Veranlassung dazu war nicht angethan, ihm die Heiter- keit zurückzugeben, deren er so sehr bedurfte. Das Eintreten des älteren Bruders für das ständische Recht hatte zu seiner Verurthei- lung geführt, und während er nach Spandau ging, um daselbst seine Haft anzutreten, trat der jüngere Bruder für ihn ein, um, wie fünf Jahre früher, die Verwaltung des Guts zu übernehmen. Dieser nur kurze Aufenthalt in Friedersdorf scheint eine Zeit der Krisis für ihn gewesen zu sein. Während die Briefe, die während dieser Zeit zwischen ihm und Rahel gewechselt wurden, ihn anfäng- lich noch auf einem Höhenpunkt der Schwermuth und Rathlosigkeit zeigen, klärt sich gegen das Ende hin die Situation plötzlich auf. Das Gewitter scheint vorüber und wir blicken wieder in klareren Him- mel. Einzelne Briefbruchstücke aus jener Zeit mögen diesen Ueber- gang vom Trübsinn bis zur neu erwachenden Hoffnung zeigen. „Mit mir wird es besser. Zwar will mir das Herz noch zu- weilen erkranken, aber ich gebiete ihm Ruhe. Wille und Thätigkeit bändigen es. Machen Sie sich meinetwegen keinen Kummer. Unter- gehen kann ich, aber mir zum Ekel, andern zur Last leben, das kann ich nicht . Und das ist doch noch sehr glücklich. Ich habe in dieser Zeit zuweilen an den Selbstmord gedacht, aber immer ist er mir vorgekommen wie eine verruchte Rohheit.“ „Ich bin bis jetzt hier geblieben, theure Rahel, und hatte vor, noch einen Monat hier zu bleiben, weil, ungeachtet der Ge- spenster, die in meinem Innern herum wandeln, doch eigentlich der Körper durch Landluft gedeiht und ich jene durch Thätigkeit zu verscheuchen hoffte. Aber ich traue nicht mehr, denn gesunder bin ich zwar, aber nicht weniger reizbar. Ein einziger Moment kann mich dahin zurückwerfen, wo ich war, und was am Ende aus dem finstern Brüten werden kann, übersehe ich nicht. Nun sehe ich zwei Auswege. Der eine ist, mit Ihnen nach Töplitz zu gehen (unbeschreiblich reizend), der andere ist eine Reise nach England und von dort aus weiter nach Spanien, wo ich Dienste nehmen kann. Wäre es so unrecht, die Kraft der südlichen Sonne an mir zu prüfen?“ Diese Bruchstücke zeigen zur Genüge, daß er unmittelbar vor seinem Abgange aus Berlin einen Entschluß gefaßt hatte. Er will den Anblick fliehen, der so viele Gefahren in sich birgt; darum dehnt er auch den Aufenthalt in Friedersdorf aus. Er will nicht nach Berlin zurück, denn „er traut sich selbst nicht und fürchtet, daß er dahin zurückgeworfen werden könne, wo er war.“ Er bangt vor der Möglichkeit neuen Brütens, neu aufsteigender Gespenster, und er will fort, weit fort — nach Spanien. Er will Dienste nehmen und das Nothwendige und Nützliche zugleich erfüllen, nothwendig ihm allein, aber nützlich der Allgemeinheit, der gu- ten Sache. Rahels Worte aber halten ihn in der Heimath und führen ihn endlich aus seiner Friedersdorfer Verbannung wieder in die Welt zurück. „Sie dürfen nicht vereinsamen. In Friedersdorf ist keine Gesellschaft für Sie, und die müssen Sie haben, lebendigen alles anregenden Umgang. Sie gehen da in Ihren eigenen Stim- mungen wie in einem Zauberwald umher und werden bald nichts mehr vernehmen können.“ Zuletzt hat er überwunden, Weichheit, ein neues Leben scheint sein Herz beschlichen zu haben, und er schreibt, frühere Briefworte Rahels in seiner Antwort wiederholend: „Leben, lieben, studiren, fleißig sein, heirathen, wenns so kommt, jede Kleinigkeit recht und lebendig machen, dies ist immer gelebt und dies wehrt niemand.“ — Ja, Sie haben Recht, liebe Rahel. Ja, ich weiß das jetzt . Fernab sind mir jetzt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutsamkeit; führt mich das Schicksal dahin, wo ich in großen Kreisen zu wirken habe, so will ich auch das können, aber meine Hoffnungen, meine Plane sind nicht darauf gestellt. Ich klage auch nicht länger über die Zeit; ganz dumm ist, wer das thut. Wem das Herrliche im Gemüth gegeben ist, dem wird alle Zeit herrlich.“ Mit diesem Briefe sehen wir Marwitz nach Berlin zurückkeh- ren, und ein neues, klareres Leben beginnt. Es ist plötzlich, als habe der Most ausgegohren. Viele Ideale sind hin, aber das Schillersche Trostwort: „Beschäftigung, die nie ermattet“, wird auch ein Trostwort für ihn. Ernst, Arbeit nehmen von ihm Besitz, das wirkliche Leben, wie es ist, wohl oder übel, ist plötzlich für ihn da, er stellt sich zu demselben und tritt mitwirkend, mitstrebend an dem Nächstliegenden in dieses wirkliche Leben ein. Marwitz verließ Friedersdorf etwa im Juli 1811, aber nicht, um in Berlin seinen Wohnsitz zu nehmen, sondern um in Potsdam bei der dortigen Regierung als Hülfsarbeiter einzutreten. Zugleich beschäftigten ihn Vorarbeiten zu einem juristischen oder kameralisti- 26 schen Examen, das er noch zu absolviren hatte. Es heißt, als er einige Monate später wirklich an die Absolvirung dieses Examens ging, hätten die Examinatoren offen erklärt, „daß es sich bei dem glänzenden und vielseitigen Wissen des zu Examinirenden nur um die Erfüllung einer Form handeln könne, deren Innehaltung ihnen Verlegenheit bereite.“ Marwitz blieb in Potsdam etwa anderthalb Jahre, vom Sommer 1811 bis zum Schluß des Jahres 1812. Wir können diesen Zeitraum, wie auch das Jahr 1813, das er draußen im Felde zubrachte, besser überblicken als irgend eine andere Epoche seines Lebens, und haben den Eindruck einer nicht länger in’s Weite schweifenden Existenz. Die Richtung auf das „Immense“ ist aufgegeben und das Bestreben wird sichtbar, von einem bestimmten Punkt aus, nach der ihm gewordenen Kraft zu wirken und zu ge- stalten. Er hat nicht das Glück, aber doch Bescheidung und Ergebung gefunden ; die Leidenschaften sind gezähmt. Eine gerade in dieser Zeit besonders lebhafte Correspondenz zwischen ihm und Rahel läßt uns Einblick in wenigstens Eine Seite seines Thuns und Treibens gewinnen. Politische Dinge werden wenig berührt, oder doch nur in philosophisch abstracter Weise; Persön- lichstes aber kommt ausführlich zur Sprache und ästhetische Fragen werden mit Vorliebe behandelt. „Antworten Sie gleich, Ihre Briefe sind mir unentbehrlich,“ schreibt Marwitz und fährt an einer an- dern Stelle fort: „O wüßten Sie, wie ich Ihre Briefe empfange! Ich lese sie drei-, viermal hinter einander, und dann laufe ich im Zimmer umher und lasse den Inhalt Ihrer Zeilen in mir nach- klingen.“ Tagebuchartig werden die Briefe geführt, was der Tag bringt und verweigert, wird besprochen. „Mit welchem Herzensan- theil verfolg’ ich Ihre Spaziergänge in Sanssouci, wie gerne nähme ich Theil daran!“ schreibt Rahel und Marwitz antwortet: „Auf Sanssouci war ich lange nicht, es ist jetzt dort stürmisch und öde; öfters ging ich im neuen Garten, wo der fluthende See und die vielen dichten Tannengebüsche es lebendiger machen und die Marmorhalle vor dem Hause mir ernste, rührende und schwer- müthige Gedanken erweckt.“ Aesthetische Dinge werden berührt, zur Arbeit wird ermuthigt. „Nur ans Werk, wir warten hier auf Ihre Arbeit über die Propyläen und über die Politik des Aristo- teles.“ Daran schließen sich die Vorkommnisse der großen Stadt; Reflexionen ranken sich um Großes und Kleines. — „Gern hätte ich Ihnen gestern schon geschrieben, wenn mich nicht die Nachricht von Heinrich Kleists Tod völlig eingenommen hätte. Ich kenne nicht die näheren Umstände seines Todes; aber es ist und bleibt ein Muth. Wer bangte nicht vor jenen „dunkeln Möglichkeiten?“ Forsche ein jeder selbst, ob es viele oder wenige sind.“ So schreibt Rahel, wohl in Vergessenheit, daß sie die Antwort auf diesen Brief vorweg empfangen hatte, als ihr Marwitz von Friedersdorf aus die schon citirten Worte schrieb: „Mir ist der Selbstmord immer wie eine verruchte Rohheit vorgekommen.“ So läuft das briefliche Geplauder zwischen den Befreundeten hin, einmal heiter, einmal paradox, einmal tief, wie Stimmung und Ereigniß das Wort gestalten; aber die Plaudereien beider, wie sie der Briefwechsel der Freunde zeigt, zeigen uns, wie schon angedeutet, das Leben, das Marwitz in jener Epoche der Ruhe, der Sammlung, der innerlichen Genesung und Consolidirung führte, nur von Einer Seite. Die Abendstunden, die er sonst wohl am Theetisch der Freundin zu verplaudern pflegte, gehörten jetzt der Correspondenz mit ihr, aber der Tag gehörte der Arbeit. Fach- studien und Neigungen verwoben sich hier zu einem Ganzen. Die Marwitz’sche Familie ist noch im theilweisen Besitz umfangreicher Memoires, kritischer Abhandlungen und Gutachten, die jener rei- fen Zeit ihre Entstehung verdanken. Alle diese Arbeiten theilen sich in zwei Gruppen, in politische und staatswissenschaftliche. Den Charakter und die Eigenart Napoleons zu studiren, schien er sich zu einer besondern Aufgabe gestellt zu haben, und man erstaunt billig über die Reichhaltigkeit der Studien, die er muthmaßlich zu keinem andern Zweck gemacht hatte, als um seine Kenntniß zu erweitern und gestützt darauf schärfere Schlüsse über den Charakter des Mannes ziehen zu können. Alles, was erschien, wurde gelesen 26* und excerpirt und unter der Ueberschrift „Bonapartiana“ zusam- mengestellt. Dazu gesellten sich mündliche Mittheilungen und Aus- züge aus Briefen. Was der Tag brachte, wurde in bunter Rei- henfolge registrirt, und Oberst Spiegel, Genz, Brinkmann, Fürst Lichtenstein, Oberst Bentheim, Itzenplitz, Müffling, General Kruse- mark (1812 preußischer Gesandter in Paris) fanden sich hier auf denselben Blättern zusammen. „Chassez moi cette Canaille lá!“ (so erzählt Oberst Spiegel) donnerte Bonaparte einem sei- ner Kammerherrn zu, als er bei einer großen Cour jene dreizehn Cardinäle erblickte, die sich in der Scheidungs- und Wiederver- mählungsfrage gegen ihn erklärt hatten; und wenige Tage spä- ter — so fährt derselbe Oberst Spiegel fort — spuckte der Kai- ser, mit unverkennbarer Absicht, mitten in die Reihe der Könige hinein, die bei der großen Vermählungsceremonie (mit Marie Luise) unmittelbar hinter ihm standen. Von besonderem Interesse unter diesen Aufzeichnungen ist die Ansprache Napoleons an eine Deputation märkischer Stände, die, wenn ich nicht irre, zu Dresden auf sein spezielles Geheiß vor ihm erschienen war. Es ist ersichtlich, daß der Kaiser die Deputirten, wenigstens einen Theil derselben, durch liberale Phrasen kir- ren und an sich und seine Sache fesseln wollte. Er sagte mit jener rücksichtslosen Offenheit, die er eben so gut wie List und Verschlagenheit zu handhaben wußte: „Vous êtes gouvernés que cela fait pitié. Votre roi est — Si l’empereur Ale- xandre avait tardé de trois jours de faire sa paix, j’au- rais détrôné votre —, et je vous aurais fait une consti- tution, qui vous manque. Nous sommes tous des Romains, les Français, les Italiens et les Allemands, nous sommes la même nation. Je vous aime, vous êtes de bons enfants. Mais par exemple je ne fais pas cas de vos militaires. D’un côté ils ne sont pas des héros, et de l’autre ils ont marché sur les têtes des bourgeois . — Je suis militaire, et ce n’est pas moi, qui voudra jamais déroger aux privilèges du militaire, mais je ne permettrai jamais que mes soldats traitent les citoyens français comme les votres vous ont traités.“ Itzenplitz, der ein Mit- glied der Deputation war, hat diese Worte aufgezeichnet. Marwitz sammelte dergleichen zu doppeltem Zweck, zu seiner Instruktion und zur Nährung seines Hasses. Aber Hand in Hand mit diesen losen Collectaneen, bei deren Durchblätterung die ganze Epoche, der sie angehören, wieder leben- dig vor uns hintritt, gingen abgerundete, tief durchdachte Arbei- ten, von denen uns wenigstens Eine über die sogenannte „Se- paration“, d. h. „die Theilung der Gemeinheiten“ in aller Voll- ständigkeit aufbewahrt worden ist. Marwitz ist gegen die Separa- tion. Er sucht zu beweisen, daß die „Theilung der Gemeinheit“ und das sogenannte „Abbauen der Dörfer“ ein Fehler sei; ein Fehler deßhalb, weil es den Egoismus des Einzelnen steigere, statt ihn zu mindern. Dieser Egoismus erscheint ihm als der Wurm, der den Geist der Nationen, diese eigentlich produktive Kraft, zerstört. Lassen wir ihn selber sprechen. „Die Nationalkraft ist der Urgrund alles Producirens. Selbst wenn unsere Zustände, wie sie jetzt sind, sich befestigen sollten, selbst wenn wir Zeiten der Ruhe entgegen gingen, die einen un- gestörten Auf- und Ausbau dessen zulassen, was ihr einzuführen gedenkt (Separation und Dörferabbau), so ist damit wenig ge- wonnen. Die Welt hat solche Zeiten schon einmal gesehen. Es waren die Zeiten der besseren römischen Kaiser. Friede herrschte von den Säulen des Hercules bis zu den Ufern des Euphrat; das Recht war genau bestimmt und wurde strenge gehandhabt, es wurden manche Rohheiten der früheren Zeit verbannt durch die milde Gesinnung der Herrscher und überhaupt alle Störungen entfernt, die dem Wohlsein der Einzelnen entgegen stehen mochten. Und doch waren dieß dieselben Zeiten, in denen in den höheren Regionen des menschlichen Daseins völlige Oede herrschte, Zeiten, in denen weder Wissenschaft noch Religion, noch Vaterland die Menschen begeisterten. Aber mehr denn das ( mehr in den Augen derer, die sich durch die Erscheinung bestechen lassen), auch der äußere Glanz verfiel. Schon unter Augustus verödeten ehemals berühmte Städte, und unter Trajan, dem besten der Kaiser, wur- den im ganzen Peloponnes weniger Menschen gezählt, als früher in der einzigen Stadt Athen. So wahr ist es, daß nicht der Einzelne producirt, sondern der Geist der Nationen , und daß, wo dieser erstorben, und mit ihm Lebenslust und Freude an der Gegenwart entschwunden ist, da auch das äußere Dasein allmählich in eine kümmerliche und barbarische Entartung zurück sinkt. Auf den Gemeinsinn, auf die Gesammtkraft kommt es an; diese zu wecken, ist Aufgabe, und alles, was die Kleinheit der Gesinnung und den Egoismus nährt (Dörferabbau), das schwächt die nationale Kraft und mindert dadurch den wahren und zuletzt auch den alleräußerlichsten Reichthum des Landes. Wohin der Dör- ferabbau führt, das läßt sich nirgends besser studiren als im Oderbruch. Es giebt kaum ein ruchloseres Geschlecht; weder vor göttlichen noch vor menschlichen Dingen haben sie Ehrfurcht, we- der den Nachbarn wollen sie helfen, noch dem Staate dienen: das letztere mit einigem Recht, denn sie verdanken ihm nichts; im Ge- gentheil hat er sie ausgestoßen und sie ihrer eigenen heillosen Roh- heit preisgegeben.“ So waren Marwitz’s Gedanken über diese hochwichtige Frage. Er suchte sie nicht als ein „Praktiker“, sondern von einem höhe- ren Gesichtspunkt aus zu lösen. Nicht in allem hat er Recht be- halten; die Separation, die Theilung der Gemeinheiten ist erfolgt und dem Lande — wie sich kaum bestreiten läßt — zum Segen ausgeschlagen; aber wenn auch die Gesammtheit seiner Aufstellun- gen seitdem widerlegt sein sollte (was nicht der Fall ist), es würde dieß keinen Grund abgeben, unsere Schätzung des Mannes, der diese Fragen von einem idealen Standpunkt aus zu lösen trach- tete, irgendwie zu beeinträchtigen. Nicht als ein Richtiges, praktisch Unangreifbares habe ich seine Aussprüche citirt, sondern nur um die hohe Art eines Charakters zu zeichnen, der es verschmähte, Fragen nach dem Tagesresultat zu beurtheilen. Sein Blick drang in Zeit und Raum über das Zunächstliegende hinaus. Unter solchen und ähnlichen Arbeiten, nur unterbrochen, wenn ein Besuch bei den Freunden ihn nach Berlin hinüber führte, ver- floß das Jahr 1812. Der November und die ersten Wochen des December vergingen in wachsender Aufregung; die aus Rußland eintreffenden Nachrichten meldeten den sich vorbereitenden Untergang des Napoleonischen Heeres. Wie ihn das erfaßte! Ein Hoffnungs- strahl dämmerte wieder. Die Studien, die Bücher waren ihm viel, aber der Krieg war ihm mehr, wenigstens ein solcher Krieg. „Alles Wissen war werthlos in einem Sclavenlande.“ Krieg war gleichbedeutend mit Freiheit. Etwa am 18. December traf in Ber- lin die Nachricht vom Beresinaübergang ein. Marwitz war wie elektrisirt. Es war ihm klar, daß Preußen sich auf der Stelle er- heben, die Reste der großen Armee gefangen nehmen und dadurch auf Einen Schlag die Niederlage des Kaisers vollenden mußte. Die eigene Wiederherstellung ergab sich dann von selbst. Aber wie das in’s Werk setzen? Er kannte zu gut die Halbheit, die Unent- schiedenheit, die in den höchsten Regierungskreisen maßgebend war; wie war dieser Geist der Schwäche zu bannen? Er beschwor zu- nächst seinen älteren Bruder, alles alten Grolls uneingedenk zu sein, und bestimmte ihn zu jener Audienz bei Hardenberg, die ich im vorhergehendeu Kapitel ausführlicher geschildert habe. Die Au- dienz verlief, wie sich erwarten ließ, die Politik des Abwartens war noch nicht zu Ende. Beide Brüder empfanden die Vertröstungen, die doch so trost- los waren, mit gleicher Bitterkeit; während aber der ältere Bru- der nach Friedersdorf zurückehrte, „auf Gott vertrauend, daß er sein großes begonnenes Wunder auch vollführen werde“, brannte dem jüngeren der Boden unter den Füßen. Er konnte sich nicht länger zur Unthätigkeit verdammt sehen, und wenn Hardenberg nicht konnte oder wollte, so wollte er . In den ersten Tagen des Januar eilte er nach Ostpreußen. Hier wirkte er mit, daß sich die Provinz für Rußland und den General York erklärte und ihre Landwehr zu errichten begann. Als die ersten Reitercorps der Russen über die Weichsel gin- gen, schloß er sich dem Oberst Tettenborn an. Diesen suchte er, als man in die Nähe der Oder gelangt war, zu kühnen Streif- zügen gegen Frankfurt, Selow und andere kleine Städte zu ver- anlassen, in denen die Trümmer der französischen Armee Posto gefaßt hatten; Tettenborn aber, der sehr eitel war und durch einen nichtssagenden Streifzug gegen Berlin nur von sich reden machen wollte, opferte wirkliche Vortheile seiner Eitelkeit auf. Marwitz durchschaute dieses Spiel sehr bald und ging nach Bres- lau, um seinen Eintritt in die preußische Armee zu betreiben. Hier aber ging alles langsam, und bei der Unruhe, die ihn verzehrte, konnte er dieses Hingehaltenwerden, dieses Abwickeln großer Dinge nach der Nummer, nicht länger ertragen. Er verließ Breslau wie- der, gesellte sich abermals zu den Russen (zu Dörnberg, damals in russischen Diensten) und wohnte dem Gefechte bei Lüneburg bei, das mit der Vernichtung des Morand’schen Corps endigte. Darauf begab er sich zu Czernicheff, wurde dem General Benken- dorf attachirt und zeichnete sich bei Halberstadt und Leipzig aus, wo er dem ganzen Corps sehr wesentliche Dienste leistete. So kam der Waffenstillstand. Jeder wußte, hoffte wenigstens, daß die Fortsetzung des Kampfes nahe sei. Wie sich denken läßt, konnte Marwitz den Gedanken nicht aufgeben, diesen schönsten Kampf, der je gekämpft worden, auf preußischer Seite mitzu- kämpfen. Im Jahre 1809 hatte er im österreichischen Heere ge- standen, jetzt war er in russischem Dienst — war auch der Feind ein gemeinsamer, es schmerzte ihn doch, halb unter Fremden die- sen Freiheitskampf mitkämpfen zu sollen. Er bat also abermals um Anstellung im vaterländischen Dienst; da man ihn aber nur bei der Infanterie verwenden zu können meinte, und dieser Dienst weder seiner Neigung (er war immer Cavallerieoffizier gewesen), noch seiner Körperconstitution entsprach, so zerschlugen sich die Un- terhandlungen abermals und er blieb bei den Russen. Gleich nach dem Waffenstillstand, am 21. oder 24. August, war er mit Czernicheff in der Nähe von Wittenberg (bei Bos- dorf) und griff mit den Kosaken ein Carré polnischer Infanterie an. Das Pferd wurde ihm unter’m Leibe erschossen, die Kosaken kehrten um und ein Pole, der aus dem Carré heraustrat, hieb jetzt mit seinem kurzen Säbel auf ihn ein. Marwitz schützte sich mit seinem Arm, welcher ihm, sammt der Hand, bei der Gelegen- heit völlig zu Schanden gehauen wurde. Endlich trat ein Offizier heraus und rettete ihn. Er wurde in das Carré genommen und so Angesichts der Seinigen, da die Kosaken nicht wieder zum An- griff zu bringen waren, nach Wittenberg geführt, von da nach Leipzig, wo er schlecht behandelt, eng eingesperrt und seine Wun- den vernachlässigt wurden. Zu Ende September nach Mainz ab- geführt, rettete er sich unterwegs unter vielen Gefahren und Abenteuern nach Prag. Hier wurden seine Wunden geheilt, aber die Hand blieb steif und unbrauchbar. In Prag traf er seine Freundin wieder — Rahel. Sie selbst hat diesen Moment des Wiedersehens in Briefen an Robert und Varnhagen in sehr anschaulicher Weise beschrieben. Ich gebe diese Stelle, füge auch die Worte hinzu, worin sie, nach Marwitz’s eigener Erzählung, die Vorgänge bei Bosdorf beschreibt: „Gestern führte Tieck einen freiwilligen Jäger, einen Enkel des Staatsraths Albrecht (aus Berlin) bei mir ein. Als ich eben mit Tieck und dem jungen Jäger verhandle, geht meine Thür auf und — Marwitz steht vor mir. Den Arm in einer Binde, ruppig, ab- gemagert, steht er da, einen zerrissenen Bauernkittel an und ein Stück Commisbrod in ein grobes Schnupftuch eingewickelt, in der linken Hand. Welcher Jubel! Er lebt, ist der Alte, ist gesund, hat aber acht Wunden. Sein Pferd fiel auf ihn und quetschte ihn. Polen fielen über ihn her und stießen ihn mit Kolben, wovon ihm der Degen entsank; ein anderer packte ihn und gab ihm drei Hiebe in Hand und Arm, ein dritter einen Lanzenstich, ein vierter setzte ihm das Gewehr an den Kopf und schoß los, aber der Schuß versagte. Der Oberst der Polen sprang vor und rettete ihm das Leben. Gefangen war er aber und ist nur durch tausend Aventüren entkommen, und endlich hier. Er ist einfach, gut, wahr, still, mild wie immer, ohne alles Vorurtheil über irgend etwas, was vorgefallen ist.“ „Nachschrift. Der polnische Offizier, der Marwitz gerettet hat, ist der Obristlieutenant Skrzynecki; Es ist dies derselbe Skrzynecki, der 1831 als polnischer Genera- lissimus berühmt geworden ist. er bot Marwitz seine Börse an, ein gleiches that Obrist Szymanowsky. Ich schreibe dir dieß, weil der Krieg wunderbare Begegnungen schafft und man wissen muß, wo man Gutes mit Gutem zu vergelten hat.“ Am 15. September war Marwitz in Prag eingetroffen; die Heilung seiner Wunden verzögerte sich und er blieb daselbst bis Mitte December. Dieses Vierteljahr, das letzte das ihm zu leben be- stimmt war, ging wie ein Friedensschein über der Unrast seines Herzens auf. Den Frieden, dem er nachgeeilt war, ohne ihn fin- den zu können, hier fand er ihn, und hier durfte er ihn finden. Die heilige Sache der Freiheit und des Vaterlandes drang sieg- reich vor, und ein Blick auf seine Wunden, das hohe Gefühl, selbst für diese Freiheit gekämpft und geblutet zu haben, gab ihm ein Anrecht, ohne Vorwurf und mit ungetrübter Freude dem Sie- geszuge der Verbündeten zu folgen. Die Plauderstunden mit der Freundin, in deren stillen Genuß sich sonst vielleicht ein Wer- muthstropfen, das demüthigende Gefühl: „du solltest wo anders sein“, gemischt hätte, er durfte sie, um seiner Wunden willen, ganz und voll genießen, und er genoß sie wirklich. Die Briefe Rahels aus jener Zeit an Robert, an Varnhagen und andere Freunde lassen keinen Zweifel darüber. „Marwitz“, so schreibt sie an Varnhagen, „wohnt mit uns in demselben Hause. Die Wirthin nahm ihn gleich auf, aus Ra- hel und aus Preußenliebe. Er hat es en prince und ißt bei uns. Ich und ein Stücker sechs bis acht Domestiken warten ihm auf.“ — „Du fragst wegen Marwitz. Er hat keinen Orden, aber — Tieck las ihm gestern den Hamlet vor. Niebuhr, den Tieck den Muth hatte für hübsch ausgeben zu wollen, nennen wir seit- dem „Venus“ und Marwitz heißt schlechtweg der „Sklave“. Er rief mir nämlich zu: „Soll ich noch mehr Ihr Sklave sein?“ was uns alle zum herzlichsten Lachen stimmte; denn er ist ganz despotisch.“ — „Wir plaudern hier oft über Goethe und meiner Liebe und Bewunderung hab’ ich nicht Hehl. Marwitz, mit dem ich hier über alles die knetendsten, herrlichsten Gespräche führe , sagt auch: kein Mensch liebe ihn mehr als ich.“ Diese wenigen Auszüge gönnen uns einen Einblick in das heitere, bewegte und angeregte Leben, das jene Prager Herbst- und Wintertage ausfüllte. Endlich gegen Schluß des November heißt es: „Marwitz verläßt uns bald“, und wenige Tage später brach er wirklich auf. Er ging zunächst nach Wiesbaden, dann nach Frankfurt am Main, wo er bei der ersten Brigade des York’schen Corps eintrat und als dienstthuender Adjutant zum General Pirch II. commandirt wurde. Hier war er endlich voll an sei- nem Platz . Die Idee eines großen Kampfes war nirgends leben- diger ausgeprägt, als im York’schen Corps, und ein Feuergeist, wie Marwitz, mußte sich da am ehesten heimisch fühlen, wo im gering- sten Landwehrmann ein Theil jener treibenden Kraft, jenes Blü- cher’schen Geistes zu finden war, ohne welchen jener schöne Kampf nie und nimmer siegreich hinausgeführt worden wäre. Am 1. Januar ging es über den Rhein. Die Gefechte bei Brienne und la Rothière eröffneten den Kampf auf französischem Boden. Der Sieg schien bei den Fahnen der Verbündeten blei- ben zu wollen, da kamen die Unglückstage von Champaubert und Montmirail. Der Kaiser warf sich auf das russische Corps unter General Sacken und war im Begriff es zu vernichten, als Sacken selbst, der leichtsinnig dieses Unheil herauf beschworen hatte, an York die dringende Bitte stellte, den Feind in der linken Flanke zu fassen. An Sieg war nicht zu denken, aber die Rettung der Russen mußte wenigstens versucht werden. Die erste (Pirch’sche) Brigade, bei der Marwitz stand, erhielt Befehl zum Angriff. Ge- neral Pirch selbst setzte sich an die Spitze der ost- und westpreu- ßischen Grenadiere, zwei Landwehrbataillone folgten als Soutien; so drang man im Sturmschritt gegen das Gehölz von Bailly vor. Aber der Angriff scheiterte; die Führer der Bataillone fielen, Ge- neral Pirch wurde verwundet, und Marwitz sank tödtlich getroffen. Es scheint, daß eine Flintenkugel ihn in die Schläfe traf. Sein Tod („der Tod unseres hoffnungsvollen und sehr geliebten Marwitz“, so schreibt Schack in seinem Tagebuch) galt für ein Ereigniß selbst in jenen Tagen, wo jede Stunde die Besten als Opfer forderte. Seine Leiche wurde nicht gefunden und dieser Um- stand gab Veranlassung, daß man geraume Zeit hindurch glaubte, er sei abermals, schwer verwundet, dem Feinde in die Hände ge- fallen. Auch Rahel theilte diesen Glauben. Noch am 26. April schrieb sie von Prag aus: „Nun fehlt nur noch Marwitz. Aber ich hoffe. Der kommt wieder, ganz durchlöchert an Körper und Wäsche.“ Aber er kam nicht; er lag, eingescharrt mit hundert an- dern, auf dem Sandplateau von Montmirail. „Jeder seiner Freunde fühlte seinen Tod nach Maßgabe des eigenen Werthes “, so schrieb Rahel im Juni, als sein Tod nicht länger zweifelhaft sein konnte, und Marwitz’s älterer Bruder schrieb die Worte nieder: „Die Welt erlitt an ihm einen großen Verlust. Er war ein außerordentlicher Mensch im Wissen wie im Handeln. Er würde das Höchste geleistet haben, wenn er erst zur inneren Beruhigung gelangt wäre .“ Vielleicht war er dieser „inneren Beruhigung“ näher, als der Bruder vermuthen mochte. Die Unruhe, die Kämpfe, die Lei- denschaften, die ihn bis zu jener Epoche (Sommer 1811), die ich ausführlicher zn schildern versucht habe, verzehrt haben mochten, hatten seitdem ruhigeren Anschauungen Platz gemacht, Anschau- ungen, die freilich mehr oder minder dem älteren Bruder ein Ge- heimniß geblieben waren. Sie sahen sich damals zu selten, als daß es diesem hätte möglich sein können, solche Wandlungen zu beobachten. Er hatte bis zu jener Zeit ganz und gar den genia- lischen Leuten unserer politischen Sturm- und Drangperiode an- gehört; aber gegen jedes krankhafte Uebermaß in Hoffen und Wol- len hatte endlich seine angeborene gute und gesunde Natur reagirt, und die Handelweise seiner letzten Lebensjahre würde ausrei- chend sein, uns darüber aufzuklären, wenn es nicht direkte Worte thäten, die er darüber an seine Freundin richtete. „Fernab sind mir jetzt alle Träume von Heldengröße und äußerer Bedeutsam- keit. Führt mich das Schicksal dahin, wo ich in großen Kreisen zu wirken habe, so will ich auch das können, aber meine Hoff- nungen, meine Plane sind nicht länger darauf gestellt.“ So hatte er an Rahel geschrieben und diese schon oben citirten Worte be- zeichneten in Wahrheit einen Wendepunkt in seinem Leben, den ersten Moment der Genesung . Der ältere Bruder kannte we- der diese Worte, noch die Wandlung des Gemüths, der sie Aus- druck liehen. Marwitz, als ihn der Tod ereilte, hatte den Hang und Drang nach dem Unerreichbaren aufgegeben, er stand nicht mehr kritisch und ironisch außerhalb des Kreises, sondern mitschaf- fend und mitgestaltend innerhalb desselben. Was er wollte, war ein Erreichbares geworden. Ob die Wege, die Preußen einschlug, nachdem die Gefahr von außenher beseitigt und die Triebkraft der Nation, auf Dezennien hin, in harten Kämpfen verzehrt war, muß freilich billig bezweifelt werden, und in diesem Sinne (aber auch nur in diesem) stehen wir nicht an, die Worte des älteren Bru- ders auch zu den unsrigen zu machen: „Es war ein Glück zu nennen, daß Gott ihm verlieh, in seinem siebenundzwanzigsten Jahre für das Vaterland zu sterben.“ Auf dem Friedhof zu Frie- dersdorf hat die Liebe des Bruders auch ihm, neben Eberhard von der Marwitz, der bei Aspern fiel, einen Denkstein errichtet, der die Inschrift trägt: „Christian Gustav Alexander v. d. Marwitz, geb. den 4. Oktober 1787. Lebte für die Wissenschaften. Erstieg deren Gipfel. Redete sieben Sprachen. Wahrete dieses Vatergutes 1806 und 1807, wie der Bruder zu Felde lag. Von Freiheitsliebe ergriffen, focht er 1809 in Oesterreich bei Wagram und bei Znaym. Diente 1813 dem Vaterlande. Schwer verwundet und gefangen, befreite er sich selbst. Wieder genesen focht er in Frankreich und fiel dort bei Montmirail den 11. Februar 1814. Sein Vater war Behrend Friedrich August v. d. Marwitz, seine Mutter Susanne Sophie Marie Luise von Dorville. Hier stand er hoch, dort höher. Sei- nem Andenken gesetzt von seinem Bruder.“ Quilitz oder Neu-Hardenberg. Nun König Edward flieh, Hier halt’ ich fest die Feinde dein, Hier glückt es, oder nie. G. Hesekiel. Selig, wem Thatkraft und behaglichen Sinn leiht Gegenwart, Wer neu sich fühlt, Neues zu bilden bedacht ist. Platen. D ie Geschichte von Quilitz bis zum Jahre 1763 hin ist arm und dunkel. Der Besitz (wie es scheint immer ein getheilter) wech- selte vielfach, so daß wir einer Menge von Namen begegnen, ohne weiter etwas zu haben als diese Namen. Zu Anfang des 15. Jahr- hunderts, also zur Zeit als die Hohenzollern in’s Land kamen, finden wir in Quilitz die Höndorps, Beerfeldes und Schapelows; gegen Ausgang desselben Jahrhunderts haben sich die Besitzver- hältnisse geändert und wir hören von den Eyckendorps, Pfuels und Barfus. Lauter Familien, die mit Ausnahme der beiden letz- tern, in Barnim und Lebus nicht länger existiren. Um 1685 kam Quilitz, und auch wohl das benachbarte Kloster Friedland, in Be- sitz der markgräflichen Linie des Hauses Brandenburg, und verblieb bei dieser Linie bis zum Tode des Markgrafen Carl von Schwedt, 1763. Alles dies sind nur Namen und Zahlen und die üblichen Details über Besitzverhältnisse, Hufen-Zahl, Hebungen, Verpfän- dungen ꝛc., die wir den spärlich vorhandenen Urkunden entneh- men könnten, würden das Bild wohl erweitern, aber nur noch farbloser machen. Die Urkunden bieten nichts Berichtenswerthes, und was schlimmer ist, auch die anderen Quellen, die wir sonst wohl heranzuziehen gewohnt sind: die Grabsteine in der Kirche, die Sagen und Traditionen im Dorfe selbst, sie alle versagen glei- cherweise den Dienst. Die Kirche hat aufgeräumt mit den alten Hinterlassenschaften (wenn sie deren jemals besaß) und nur dunkle, nebelhafte Erinnerungen leben noch fort an das am meisten zu- rückliegende, an die alte Wendenzeit. Traditionen kann man diese dunklen Erinnerungen kaum noch nennen, dazu sind sie zu vager Natur, aber das Dorf selbst, zum mindesten die Tracht seiner Bewohnerinnen , ist noch wie eine Art Tradition aus der Wendenzeit her. Quilitz ist so ziemlich der einzige Ort am Rande des Oderbruchs, der sich die wendische Tracht erhalten hat; Frauen und Mädchen tragen noch den rothen, vielgefalteten Friesrock, das dunkle, geblümte Mieder, den breiten Ueberfallkragen, das ganze malerische Costüm, das ich an anderer Stelle bereits (Siehe S. 212 und 213) ausführlicher beschrieben habe. Einigermaßen Leben und Farbe gewinnt die Geschichte von Quilitz erst mit dem Jahre 1763, und wir wenden uns deshalb, mit Uebergehung alles dessen was vorher liegt, nunmehr dieser Epoche zu. [ Quilitz von 1763 — 1814.] Nach dem Tode des Markgrafen Carl fielen die am Rande des Oderbruchs gelegenen Güter desselben, Friedland und Quilitz, an die Krone zurück. Sie blieben aber nicht lange bei der Krone; Friedrich II. verschenkte sie im selben Jahre noch, und zwar gab er Friedland an den damaligen Major von Lestwitz, „den Sieger von Torgau“, und Quilitz an den Oberstlieutenant von Prittwitz, der in der Schlacht bei Cunersdorf, als Rittmeister bei den Zie- ten’schen Husaren, den König vor sicherer Gefangenschaft gerettet hatte. Gegen beide Offiziere unterhielt der König seit den genann- ten beiden Tagen ein verwandtes Gefühl besonderer Dankbarkeit: „Lestwitz hat den Staat , Prittwitz hat den König gerettet“, so hieß es damals sprichwörtlich. Lestwitz a sauvé l’etat, Pritt- witz a sauvé le roi. Die Rettung des Königs durch Prittwitz wird verschieden er- zählt; die gewöhnliche Darstellung des Hergangs ist folgende: „Als gegen Abend die Preußischen Truppen nach übermensch- licher Anstrengung und Tapferkeit, durch die feindliche Uebermacht endlich zurückgeworfen waren, und fast aufgelöst das Schlachtfeld verließen, war der große König in Verzweiflung, und man hörte ihn die Worte rufen: „Kann mich denn heut keine verwünschte Kugel treffen.“ Zwei Pferde waren ihm unter dem Leib erschossen worden, und eine dritte Kugel hatte ihm ein goldenes Etui in seiner Westentasche zerdrückt. Etui und Kugel existiren noch und werden, unter andern Erinne- rungsstücken der Art, auf dem Stadtschloß zu Potsdam gezeigt. Das Etui (Gold und Emaille) hat die Form einer Schachtel und steckt in einem mit Sammt gefuttertem Gehäuse. Die Kugel ist ganz platt gedrückt. Nach dem schnellen Rückzuge des Heeres streifte, als einer der letzten Preußen, noch Joachim Bern- hard von Prittwitz mit einem Trupp von etwa 50 seiner Zieten- schen Husaren, die wahrscheinlich am Kampfe noch nicht Theil ge- nommen hatten, auf dem Schlachtfelde umher. Als auch er end- lich sich vor den andrängenden Kosackenschwärmen zurückziehen wollte, rief ihm plötzlich der Unteroffizier Velten, der später gea- delt als Major in der Rheincampagne fiel, zu: „Herr Rittmeister, da steht der König .“ Sich umwendend, erblickte er den König, der fast allein, nur in Begleitung eines Pagen, welcher sein Pferd hielt, auf einem Sandhügel des sogenannten Mühlberges stand. Er hatte seinen Degen vor sich in die Erde gestoßen und blickte mit verschränkten Armen dem herannahenden Verderben entgegen. Eilig sprengte Joachim Bernhard auf ihn zu, doch nur mit Mühe konnte er ihn überreden, sich auf’s Pferd zu werfen und auf seine Rettung bedacht zu sein. Endlich folgte der König seinen Bitten, indem er rief: „Nun Herr, wenn Ihr meint, vorwärts.“ Aber schon waren die Kosaken ganz nahe gekommen. Joachim Bernhard 27 wandte sich um und schoß den feindlichen Offizier vom Pferde. Dies machte die Verfolger einen Augenblick stutzen, der König ge- wann mit seiner kleinen Schaar einen Vorsprung, und jene ver- mochten ihn nicht wieder einzuholen. Mehrmals rief er dabei aus: „Prittwitz, ich bin verloren.“ Auf diese Weise rettete sich Friedrich der Große vom Mühlberg herab in das Thal, über die sogenannte große Mühle, hinter deren Defileen er vorläufig sicher war. Hier ritt er auf die erste Anhöhe und betrachtete mit Wehmuth seine zurückeilenden Truppen. Mit Thränen in den Augen rief er ihnen zu: „Kinder verlaßt heute mich, euren König, euren Vater, nicht.“ Dann ritt er weiter und kam, es war spät am Abend, nach dem Dorfe Oetscher. Auf dem Rücken Joachim Bernhards schrieb er mit Bleistift an den Minister Finkenstein in Berlin die Worte: „Alles ist verloren, retten Sie die Königliche Familie, Adieu für immer.“ Während in Oetscher der unglückliche König, nur von wenigen Getreuen umringt, sich auf’s Stroh warf, sammelte Joa- chim Bernhard die aufgelösten Trümmer der Armee, etwa 3 bis 4000 Mann, so daß ihm nicht nur der Ruhm gebührt, den Kö- nig, sondern auch den Rest der Armee gerettet zu haben; denn wurden die Truppen nicht in der Nacht nach Oetscher, wo die Schiffsbrücken waren, dirigirt, so waren sie auf dem rechten Oder- ufer verloren. Als er dem Könige melden wollte, daß sich einige Bataillone gesammelt hätten, verhinderten ihn die Adjutanten da- ran, die bei der verzweifelten Stimmung des Königs fürchteten, derselbe werde, sobald er erführe, er habe noch Truppen in Hän- den, den unglücklichen Kampf von Neuem beginnen.“ So erzählen die meisten zeitgenössischen Schriftsteller die Ret- tung des Königs. Etwas abweichend davon, berichtet Frau von Blumenthal in ihrer trefflichen Lebensbeschreibung Zietens, über denselben Hergang, und in Erwägung des Umstands, daß Pritt- witz selbst eine Vorrede zu dieser Lebensbeschreibung schrieb (also das Buch, wenigstens aber doch diese , ihn selbst so nah angehende Stelle gelesen haben muß), können wir nicht umhin, dieser an- dern Darstellung der Kunersdorfer Schlacht, eine vorzugsweise Bedeutung beizulegen. In dieser Darstellung heißt es: „Am Abend der unglücklichen Schlacht stand das Detache- ment von Zieten-Husaren zur Rechten des Königs, als der Mo- narch für seine Person noch nicht die Hoffnung zum Siege auf- geben wollte, obgleich schon aller Anschein dazu verloren war. Der König warf sich mit etwas Infanterie in das stärkste Feuer. Ihm wurde das Pferd, das er ritt, erschossen; sein Adjutant, der Oberst von Goetz, gab ihm zwar das seinige, allein jetzt drängte auch die Oestereichische Reiterei des General Laudon mächtig auf ihn ein, und Friedrichs Person gerieth in augenscheinliche Gefahr, um so mehr, da er nicht zurückgehen und auf seine Sicherheit bedacht sein wollte. In diesem furchtbaren Augenblick, an dem Preußens Glück und Ehre hing, sprengten, entflammt von Rache und Wuth, die Zieten’schen Husaren herbei, hieben mit Nachdruck in die öste- reichische Reiterei, und hielten sie von dem Regiment von Diricke, an dessen Spitze der König stand, bis zu seiner Rettung glücklich entfernt. Unter ihnen zeichnete sich besonders der Lieutenant Velten dadurch aus, daß er der Erste war, der einen Trupp Oestereichischer reitender Grenadiere zurückwarf, die schon den König umringen wollten. Der Rittmeister von Prittwitz, nachmaliger General der Kavallerie, hatte unterdessen den Muth, daß er sich ohne Anfrage zum Geleitsmann des Königs aufwarf, ihn halb mit Gewalt aus dem Feuer herauszog, und ihn über das Defilee bei der Mühle bis zur Schiffbrücke bei Goeritz durchbrachte, wo sich die Armee bald darauf wieder formirte. So wurde jener (Prittwitz) der Ret- ter Friedrichs und der Retter des Vaterlandes. (Andere Mitthei- lungen über Prittwitz siehe in den Anmerkungen.) Der Krieg war zu Ende, und Prittwitz, damals noch Oberst- lieutenant, war Herr auf Quilitz. Es war ein schönes Gut, aber unwohnlich wie alle Güter, die lange in Pächterhänden sind, und da Prittwitz, der kurz zuvor (1762) eine Freiin Seherr-Thoß geheirathet hatte, standesgemäß zu leben gedachte, so mußte er vor allem darauf aus sein, ein Haus aufzuführen, das den Ansprü- 27* chen seiner übrigens auch in Schlesien begüterten Gemahlin ent- sprach. Der Bau wurde unverzüglich begonnen, und war schon bis zu den ersten Steinen des ersten Stocks (der Belle-Etage) gediehn, als König Friedrich des Weges kam, sei es auf einer seiner Revue-Reisen in die östlichen Provinzen, oder eigens zu dem Zweck, das Oderbruch, an dessen Melioration auch nach dem Kriege noch gearbeitet wurde, zu inspiciren. „Prittwitz, Er baut ja ein Schloß ; Er will ja hoch hinaus“, waren die nicht allzu gnä- digen Worte, mit denen der König sich an den zur Seite stehen- den Oberstlieutenant wandte, der nun seinerseits nichts eiligeres zu thun hatte, als dem Wunsch und Wink des Königs nachzukom- kommen, und unter Fortlassung einer Belle-Etage sofort das Dach auf das Erdgeschoß setzen zu lassen. Erst in den zwanziger Jahren dieses Jahrhunderts wurde durch Schinkel ein Umbau des Schlos- ses vorgenommen. Stell’ ich nunmehr zusammen, was in Quilitz noch an die Prittwitz-Zeit erinnert, oder aus derselben herstammt. Die Einrich- tungen, die Zimmer des Erdgeschosses sind im Wesentlichen die- selben geblieben, namentlich gilt das von dem großen, mit Stuck- Reliefs geschmückten Gartensalon, der auf eine Parkwiese, und jen- seits derselben auf die Wasser- und Baumparthieen des Parkes blickt. Auch dieser Park selbst stammt aus der Prittwitz’schen Zeit, wenn schon derselbe seitdem wesentlichen Veränderungen unterzogen wurde. An verschiedenen Stellen des Parks befinden sich Gedenk- steine, von denen zwei ebenfalls jener Epoche angehören. Der eine derselben ist ein unscheinbarer Grabstein, unter dem der Schimmel begraben wurde, den Rittmeister von Prittwitz in der Schlacht bei Kunersdorf ritt, der also den historischen Moment der Rettung des Königs mit erlebte, resp. seinen Antheil daran hatte. Der Grabstein ist jetzt seinerseits wieder unter Laub und Moos halb vergraben, so daß es unmöglich ist, eine Inschrift zu entziffern, wenn eine solche überhaupt jemals vorhanden war. Dies Fehlen einer Inschrift hat denn auch dahin geführt, daß man die ganze Erzählung von dem im Park bestatteten Schimmel in Zweifel ge- zogen hat. Aber gewiß mit Unrecht. Aeußere und innere Gründe sprechen dafür. Der Stein hat ganz die Form eines Grabsteins; außerdem ging der König, der auf der obersten Terrasse von Sanssouci nicht nur sein Pferd und seine Lieblings-Windspiele be- graben ließ, sondern auch inmitten derselben begraben sein wollte, seinen Generalen mit dem entsprechenden Beispiel voran. Man liebte damals dergleichen. Ebenfalls im Park, dem Gartensalon gegenüber, und eine Wand dunkler Bäume als Hintergrund, erhebt sich malerisch das Marmor-Denkmal, das Prittwitz im Jahre 1792 dem Andenken des großen Königs errichten ließ. Die Zeichnung zu diesem Denk- mal wurde von Johann Meil, dem damaligen Vice-Direktor der Berliner Akademie der Künste entworfen, die Ausführung in car- rarischem Marmor aber einem Bildhauer in Lucca, Namens Jo- seph Martini, anvertraut. Die Worte, die dieser an der linken Seite des Denkmals eingravirt hat, lauten: Joseph Martini Lucensis inventor faciebat 1792; also etwa: Joseph Martini von Lucca hat es erfunden und ausgeführt (oder erdacht und gemacht) im Jahre 1792. Das Wort inventor muß hier über- raschen, wenn man es mit der (der Schadow’schen Autobiographie entlehnten) Notiz zusammenhält, daß Meil den Entwurf gemacht habe, also mit anderen Worten der Inventor gewesen sei. Die Composition ist etwas steif, etwas herkömmlich und in vielen Stücken angreifbar, aber dennoch eine gute Durchschnitts-Arbeit. Damals, wenigstens hier zu Lande, war sie unzweifelhaft ein Mei- sterstück. Ein Säulenstumpf trägt das Reliefbild des großen Kö- nigs; ein trauernder Mars, knieend, umklammert von der einen Seite her die abgebrochene Säule, während eine aufrecht stehende Minerva sich von der andern Seite her an den Säulenstumpf lehnt. Das Hauptinteresse, das diese Gruppe einflößt, ist das, daß es das erste Denkmal ist, das dem Andenken des großen Kö- nigs errichtet wurde. Schadow’s Friedrichsstatue auf dem Stetti- ner Exercierplatz ist erst das zweite Monument. Allerhand kleine Anekdoten knüpfen noch an dies Denkmal an. So heißt es, daß eine Eule längere Zeit im Schutz der Minerva genistet habe. Fraglich. Aber bis diesen Tag ist die Statue, namentlich der offen am Boden liegende Helm des Mars, der bevorzugte Platz nester- bauender Schwalben. Am Anziehendsten ist die einfache Ausle- gung, die die Quilitzer den Gestalten des Mars und der Minerva gegeben haben. Sie sagen, „es sei Prittwitz und seine Frau, die um den alten Fritzen trauern.“ Wir begegnen der Prittwitz-Zeit, oder doch einer Mahnung an dieselbe, auch noch in der alten, übrigens durch Schinkel völ- lig umgebauten Kirche. Einige Schritte vor dem Altar, ist, an Stelle eines Grabsteins, eine Erztafel in die rothen Ziegel des Fußbodens eingelassen, eine Tafel, auf der wir in Vergoldung ein kurzes römisches Schwert erblicken, um das sich ein Lorbeer windet. Darunter lesen wir: Joachim Bernhard von Pritt- witz , K. Pr. General der Kavallerie, Ritter des schwarzen Adler- und St. Johanniter-Maltheser-Ordens, geb. 3. Febr. 1727, ge- storb. 4. Juni 1793; und seine Gattin Maria Eleonora von Pritt- witz, geb. Freiin von Seher-Thoß, geb. 1739, gest. 1799. Un- ter dieser Tafel befindet sich höchst wahrscheinlich die Gruft, in der das Prittwitz’sche Paar beigesetzt wurde; die Tafel selbst aber stammt ersichtlich aus den ersten zwanziger Jahren dieses Jahr- hunderts, wo die Kirche restaurirt wurde. 1793 hatte man noch die altherkömmlichen Grabsteine; die Benutzung von Gußeisen (des lorbeerumwundenen kurzen Römerschwerts ganz zu geschwei- gen) deutet unverkennbar auf die Schinkel’sche Zeit. Zum Schluß nennen wir noch zwei Portraits, denen wir in einem der Zimmer des Schlosses begegnen, und die höchst wahr- scheinlich der Prittwitz’schen Hinterlassenschaft angehören. Es sind dies: der alte Fritz und der alte Prittwitz selbst. Das erste Bild wurde 1786, kurz vor dem Tode des Königs, von Bardou ge- malt. Die Auffassung weicht ab von dem Herkömmlichen. Neben dem Ausdruck des Leidens, ist es ein Zug milder Schwermuth, der den Kopf charakterisirt und anziehend macht. Das Portrait des alten Prittwitz (ebenfalls Brustbild) zeigt uns den General wahrscheinlich in der Uniform des Regiments Gensdarmes, dessen Commandeur en Chef er seit 1775 war. Auf dem rothen (pfir- sichblüthfarbenen) Frack ruht das breite Orangeband des schwar- zen Adlerordens. Die Farbe des Ordensbandes wirft einen gelben Reflex auf das ohnehin leberfarbene, wenig anziehende Gesicht des alten Generals, dessen Griesgrämigkeit unter diesem Reflex noch zu wachsen scheint. 1793 starb General von Prittwitz, 1799 seine Witwe; Qui- litz blieb aber noch eine Reihe von Jahren hindurch in Händen der Familie und zwar im Besitz des Geh. Finanzraths Friedrich Wilhelm Bernhard von Prittwitz, geb. 1764, gest. 1843, ältesten Sohnes des Generals. Herr von Prittwitz stand zu Hardenberg und Stein in naher Beziehung, nahm aber 1808 seinen Abschied und lebte seitdem ganz in Quilitz, bis er die Herrschaft 1810 an den Staat verkaufte (mittelst Tausch), und dafür die frühere Probstei Casimir im Leobschützer Kreise Oberschlesiens erwarb. Aus diesen Jahren, wo von Prittwitz der jüngere, die Herr- schaft inne hatte, wissen wir wenig von Quilitz zu erzählen, es sei denn, daß in den Jahren von 1801 bis 1803, der damals 20jährige Schinkel hier seine ersten architektonischen Versuche machte. Er begann mit dem Kleinsten, und zwar mit zwei Wirthschafts- gebäuden, von denen das eine auf dem Vorwerk Stuthof , das andere auf dem Vorwerk Bärwinkel errichtet wurde, — zwei Ortsnamen, die fast noch weniger, wie die Aufgabe selbst, im Stande waren, seinen Genius zu beflügeln. Aber dieser war eben da und bewies sich im Kleinen, wie er sich später im Großen be- wies. Wenn an diesen frühsten Bauten Schinkels (nur ein Gar- tensaal im Flemming’schen Schloß zu Buckow ist noch älter) etwas zu tadeln ist, so ist es das, daß der Genius des jungen Baumei- sters, der Zug nach idealeren Formen sich hier an der unrechten Stelle zeigt. Diese Wirthschaftsgebäude machen etwa den Eindruck, wie wenn ein junger Poet einen wohlstylisirten und bilderreichen Brief an seine Wirthsfrau oder deren Tochter schreibt. Der Styl, die Sprache, sind an und für sich unangreifbar, nur die Gelegen- heit für den poetischen Ausdruck ist schlecht gewählt; Gemeinplätze wären besser. Schinkel selbst, der ja in späteren Jahren so vor- zugsweise die Anlehnung an das Bedürfniß predigte, würde diese, einer höheren Form huldigenden Wirthschaftsgebäude, speciell das auf dem Vorwerk Bärwinkel, zwar mit Interesse, aber sicherlich auch mit Lächeln wieder betrachtet haben. Indessen, wie jugendlich immer, ex ungue leonem. Je unverkennbarer dies hervortritt, um so auffallender ist es, daß eine Zuschrift an Herrn von Wolzo- gen, den Herausgeber der Schinkel’schen Briefe, gerade dieses in- teressante, aus Raseneisenstein und Eisenschlacken (als Ecken-Gar- nirung) errichtete Wirthschaftsgebäude in Bärwinkel, dem Zimmer- meister Tietz aus Friedland und dem Maurermeister Neubarth aus Wriezen hat zusprechen wollen. Herr von Wolzogen hält dieser Zuschrift gegenüber seine ursprüngliche, auf einen Ausspruch Waa- gens gestützte Ansicht zwar aufrecht, aber doch mit einer gewissen Unsicherheit, die, wir zweifeln nicht daran, beim Anblick des Ge- bäudes selbst, sofort der festen Ueberzeugung Platz machen würde: dies ist von Schinkel , und von niemand andrem. Es ist sehr die Frage, ob die architektonischen Kräfte zweier kleiner Städte auch jetzt selbst, nachdem Schinkel eine Schule in diesen Landen herangebildet hat, fähig sein würden, einen so originellen, alle überkommene Schablone vielleicht nur allzusehr verleugnenden Bau aufzuführen, damals aber (1803) vermochten es die verein- ten Baukräfte von Friedland und Wriezen sicherlich nicht . Ich neige mich sogar der Ansicht zu, daß die originelle Verwendung von Schlacke und Raseneisenstein, eines Materials, das hierlandes nie als Baumaterial verwendet worden ist, dort aber zufällig zur Hand war, allein schon als Beweis dafür dienen darf, daß der Bau von Schinkel herrühren muß. Gerade in dieser genialen Be- nutzung des zufällig Gebotenen war er ja so hervorragend. Das Ganze (ein Molkenhaus) hat die Form einer Basilika: ein Hochschiff und zwei niedrige Seitenschiffe. Wenn aber eine Basi- lika die prachtvolle breite Giebelwand nach vorne stellt, und dieselbe als Portal benutzt, so hat Schinkel bei diesem Bau das umge- kehrte Arrangement getroffen. Er hat die Giebelwand als Hinter- grund (woran sich nun das Gebäude lehnt), die Apsis aber nach vorne genommen, die nun als Eingang dient. Was alles auch sich gegen solches Basilika-Molkenhaus sagen lassen mag, darüber kann kein Zweifel sein, daß Friedland-Wriezen damals solchen Einfalls nicht fähig war. [Neu-Hardenberg (Quilitz) seit 1814.] 1810, wie bereits erwähnt, war Quilitz aus den Händen des jüngeren Prittwitz in den Besitz der Krone übergegangen, aber nur auf kurze Zeit verblieb es bei derselben. Wie 1763 dem Ge- neral von Prittwitz, so wurde Quilitz im November 1814 dem Fürsten-Staatskanzler von Hardenberg als Dotationsgut verliehen, und der alte Name Quilitz, ihm zu Ehren, in Neu-Harden- berg umgeändert. Der Fürst besaß es sammt 13 andern Gütern, die zusammen die „Herrschaft Neu-Hardenberg“ bilden, bis zu sei- nem am 26. November 1822 in Genua erfolgten Tode; um welche Zeit, nach dem Recht der Erstgeburt, der gesammte Besitz an den Sohn des Staatskanzlers, den Dänischen Geheimen Con- ferenzrath Grafen von Hardenberg-Reventlow kam. Dieser starb am 16. September 1840 ohne männliche Nachkommen, und die Herrschaft fiel nunmehr dem nächsten Erbberechtigten, dem Grafen Carl Adolf Christian von Hardenberg, zu. Dieser, ein Neffe des Fürsten Staatskanzlers, ist der gegenwärtige Besitzer des gesamm- ten Gütercomplexes. Der Fürststaatskanzler war 8 Jahre lang im Besitz von Neu- Hardenberg; es scheint jedoch, wenn wir (was ohne große Schwie- rigkeit möglich ist) den Verlauf seiner letzten Lebensjahre von Mo- nat zu Monat verfolgen, daß er nicht allzuviele Mußetage für eine Villeggiatur auf seinen Gütern fand. Nur von wenigen Fäl- len haben wir eine bestimmte Kunde, z. B. von seinem Einzug in Quilitz (wahrscheinlich im Sommer 1816) und von der Feier seines 70jährigen Geburtstages am 31. Mai 1820. Ueber den Einzugstag leben noch einige Traditionen fort, dämmernde Bilder von Triumphbogen und Eichenlaubguirlanden, von Spalierbilden- der Jugend und plattdeutschen Empfangsgedichten, — die letzteren von den zwei hübschesten Mädchen des Dorfs in ihrer wendischen Nationaltracht vorgetragen. Aber hiermit schließt die Reihe der halbverblaßten Bilder ab, die in der That nur durch den Qui- litzer rothen Friesrock ein bestimmtes Colorit erhalten. Mehr schon wissen wir von dem 70. Geburtstag, wiewohl der Fürst beschlossen hatte, ihn in Stille zu feiern. Mancher Gratulant traf ein; unter diesen Beglückwünschenden, freilich brieflich nur, auch Goethe . Die Zeilen die er schrieb (wie wir offen gestehen müssen, von min- destens schwerverständlicher Natur) waren folgende: Wer die Körner wollte zählen, Die dem Stundenglas entrinnen, Würde Zeit und Ziel verfehlen Solchem Strome nachzusinnen. Auch vergehn uns die Gedanken, Wenn wir in Dein Leben schauen, Freien Geist in Erdesschranken, Festes Handeln und Vertrauen. So entrinnen jeder Stunde Fügsam glückliche Geschäfte. Segen Dir von Mund zu Munde! Neuen Muth und frische Kräfte. Am 13. Oktober 1817 hatte die festliche Einweihung der durch Schinkel restaurirten Neu-Hardenberger Kirche Statt, und das Interesse das der Staatskanzler von Anfang an dieser Kirche wid- mete (er vermachte ihr eine Dotation und fehlte nie beim Gottes- dienst), läßt darauf schließen, daß er bei dieser Einweihung zuge- gen war. Auch ein anekdotenhafter Vorfall mit seinem Schwiegersohn, dem Fürsten Pückler, zeigt uns den Fürsten in seinem Harden- berger Schloß. Der Park hinter dem Hause war bei jedem Besuch ein Punkt freundschaftlichen Disputs zwischen Schwiegervater und Schwiegersohn. Das feine Auge des letztern hatte seit lange gegen die altfränkisch-steife Anlage, die damals noch existirte, protestirt, und das in andrem Sinne feine Gefühl des Schwiegervaters hatte mit gleicher Beharrlichkeit die Neuerungen abgelehnt, weil diese Neuerungen gleichbedeutend waren mit Entfernung eines Dutzend der allerschönsten Bäume. Davon wollte der Staatskanzler nichts wissen; man sieht, er hatte auch seine Pietät. Der Schwiegersohn, da jegliche Ueberredung scheiterte, schritt endlich auf jede Gefahr hin zur That und Abhülfe. Ein Kreis der Nächststehenden war bei Tisch versammelt, und in dem schon erwähnten Gartensalon aus der Prittwitz-Zeit herrschte jene Tafelheiterkeit, an der das Herz des Fürsten hing und auf deren Pflege und Hervorrufung er sich so wohl verstand. Nun war das Mahl beendet und Wirth und Gäste traten auf die Veranda hinaus, die den Blick hat auf Wiese und Park und Monument. Der alte Fürst stand wie ge- troffen, — das war der Park nicht mehr, wie er noch vor drei Stunden gewesen war, ja, dessen große Allee er noch vor Tisch in heitrem Geplauder durchschritten hatte. In der That, der Park war während der Stunden des Diners ein andrer geworden, ein solcher, wie er jetzt ist, wie er nach des Schwiegersohns Ansicht werden mußte . Eine Allee war verschwunden und wo ein Els- bruch war, war eine Parkwiese entstanden, an deren Ausgang das Wasser des Canals blitzte. Der Fürst, im ersten Augenblick sicht- lich unangenehm berührt, war doch guter Wirth und guter Schwie- gervater genug, um gute Miene zum bösen Spiele zu machen und die jetzigen Besucher mögen sich des Einfalls freuen. Wir entneh- men dieser kleinen Scene aber unter anderm abermals das Fak- tum einer längeren oder kürzeren Anwesenheit des Staatskanzlers auf seinem Neu-Hardenberger Schlosse. Gleichviel indeß, wie oft und wie lange er zu einem Aufent- halte in Neu-Hardenberg Muße fand, jedenfalls war von Anfang an sein Auge, seine Sorgfalt diesem neuen Besitze zugewandt und Schloß, Park, Kirche sind in ihrer jetzigen Gestalt seine Schöpfung. Machen wir zunächst einen Rundgang durch die Zimmer des Schlosses. Wir werden hier einer reichen Anzahl von Kunstschätzen begegnen, denen wir unsere Aufmerksamkeit zuzuwenden haben. Das Schloß erinnert, nach dieser Seite hin, zumeist an Schloß Tegel, wiewohl das letztere sowohl der Zahl, als dem Werth der Kunstschätze nach, vor Neu-Hardenberg den Vorrang behauptet. Viel- leicht wäre dies anders, wenn das Schloß alle die Kunstschätze um- schlösse, die dasselbe umschließen könnte und umschließen würde, wenn nicht eine großmüthige Laune des Staatskanzlers, diesen um einen derartigen Besitz gebracht hätte. Es hat das folgenden Zusammenhang. Der Staatskanzler hatte — lange bevor ihm die Herrschaft Neu-Hardenberg zufiel — bereits im Jahre 1804 das im Lebusischen Kreise gelegene Gut Tempelberg käuflich an sich gebracht und daselbst ein Schloß auf- geführt, das zu altem anererbten Hardenbergschen Familienbesitz auch noch jene Fülle von Kunstschätzen umschloß, die der kunstlie- bende Fürst auf seinen Wanderungen durch Europa an sich gebracht hatte. Es war dies eine Fülle von Dingen. Vieles, namentlich Bilder und Stiche, hatte er in früheren Jahren schon in England gekauft, an- dres rührte aus der Zeit seiner Anspach-Baireuther Verwaltung her. Es ist bekannt, mit welchem Eifer er die Archive jener Landestheile durchfor- schen ließ; von allem nahm er Abschrift; eins der wichtigsten Resultate dieser Untersuchungen war die Auffindung der „Memoiren der Markgräfin von Baireuth.“ Ein feiner, literarisch-aesthetischer Sinn, ein Sinn für das Sammeln historischer Erinnerungsstücke, oder auch bloßer Curiositäten, begleitete ihn durchs Leben. In sehr charakteristischer Weise zeigte sich dies im Jahre 1786, unmittelbar nach dem Tode Friedrichs des Großen, wo er (damals in Diensten des Herzogs Ferdinand von Braunschweig) das in Braunschweig deponirte Testament des Königs nach Berlin brachte und sich als Belohnung lediglich eins der Windspiele des großen Königs erbat. Es war dies eine außerordentlich werthvolle Sammlung. Das Beste derselben ging nach der Schlacht bei Jena verloren. Davoust, auf seinem Raub- und Siegeszuge durch die Mark, ließ vier Wagen voll dieser Kunstschätze nach Paris schaffen Davoust war wohl kein Mann der Literatur. Dieser Umstand mag es erklären, daß er sich mit der Wegführung glänzender, als werth- voll in die Augen springender Kunstwerke begnügte und die 16,000 Bände zählende Bibliothek in Tempelberg zurückließ. Ebenso entging seinem Auge und als im Jahre 1814 die Rückgabe all’ dessen erfolgte, was Napoleon in zehn Siegesjahren mit nach Paris geschleppt hatte, leistete der Fürststaatskanzler auf die Rückforderung dessen, was ihm genom- men worden war, Verzicht. Welche Gründe ihn dabei leiteten, ist nicht recht klar; doch scheint es, daß er in jener vornehmen Fein- fühligkeit, die ihm allerdings eigen war, von Rückforderung des Seinigen Abstand nahm, um die Wiedererstattung dessen, was an- deren (auch dem Staate) genommen worden war, mit um so mehr Nachdruck, weil mit größerer Unbefangenheit betreiben zu können. So blieb denn der größte Theil jener Kunstschätze, die einst die Säle von Schloß Tempelberg geschmückt hatten, in Paris zurück, und nur die durch Davoust zurückgelassenen Reste wurden 1814 von Tempelberg nach Neu-Hardenberg hinübergeschafft. Al- lerdings wurde um dieselbe Zeit, so wie auch in den folgenden Jahren bis zum Tode des Staatskanzlers, diese Sammlung durch einzelne Ankäufe und Geschenke (wir werden mehrere derselben ken- nen lernen) wieder erweitert, aber immerhin blieb sie nur ein Bruchstück der alten Herrlichkeit. Wir schreiten nun dazu, diese Bruchstücke, zumal Portraits und Bilder, in Augenschein zu nehmen. Im Billardzimmer . 1) Alte Familienportraits des freiherrlichen Hauses Harden- berg, bis zurück ins 16. Jahrhundert. Das älteste und deshalb interessanteste dieser Bilder ist klein, nicht ganz handhoch und zeigt die Jahreszahl 1558. Es stellt dar: Eler Hardenberg, seines Al- ters 62 Jahr. 2) Portrait des Staatskanzlers; von dem französischen Maler Quinzon. (Naglers Künstlerlexicon bringt diesen Namen nicht , auch keinen ähnlich klingenden, so daß ich, hinsichtlich der Recht- schreibung nicht sicher bin.) eine Anzahl Mappen mit alten, zum Theil seltnen Stichen gefüllt. Bi- bliothek und Kupferstich-Mappen befinden sich noch im Neu-Hardenberger Schloß. 3) Portrait des Sohnes des Staatskanzlers, damals etwa 15 Jahr alt. Ein sehr hübsches Bild. ( Christian Heinrich August Graf von Hardenberg-Reventlow, einziger Sohn des Fürsten-Staatskanzlers aus seiner ersten Ehe mit Friederike Ju- liane Christiane Gräfin von Reventlow, wurde am 19. Februar 1775 geboren und starb als dänischer Hofjägermeister und Gehei- mer Conferenzrath am 16. September 1840. Er war von Jugend auf in den dänischen Dienst getreten. Im Jahre 1814 führte dies zu einer eigenthümlichen Begegnung, wie sie die Annalen der Di- plomatie vielleicht nicht zum zweiten Male aufzuweisen haben. Am 25. August des genannten Jahres wurde zwischen Preußen und Dänemark (das bekanntlich auf französischer Seite gefochten hatte) der Friede zu Berlin geschlossen. Die Beauftragten waren Vater und Sohn : der Staatskanzler Fürst Hardenberg für Preußen, der Geheime Conferenzrath Graf Hardenberg-Reventlow für Däne- mark. Der letztere verblieb in dänischem Dienst und ging darin so weit, daß er sogar auf den Fürstentitel verzichtete, als ihm, nach dem im November 1822 erfolgten Tode seines Vaters, die Herrschaft Neu-Hardenberg zugefallen war. Man hat preußischerseits dies kühle ablehnende Verhalten getadelt, eine Ablehnung, die im Wesentlichen sagte: „ich zieh’ es vor, ein dänischer Graf zu blei- ben.“ Aber wenn es diesem Verhalten des Sohnes allerdings an Verbindlichkeit gegen Preußen gebricht, so geziemt sich doch andrer- seits die Frage: war der Sohn zu solcher Verbindlichkeit überhaupt verpflichtet? Man darf wohl antworten: „nein“. Der jüngere Hardenberg war ein geborner Hannoveraner, seine Mutter war eine Dänin. Als sein Vater (der spätere Fürst) in den preußischen Staatsdienst trat, gehörte er (der Sohn) bereits mit Leib und Leben dem dänischen Staate an. Wenn durchaus eine Schuld ge- funden werden soll, so liegt sie jedenfalls nicht bei dem Sohne, sondern in häuslichen Verhältnissen, die er am wenigsten ändern konnte. 1787 oder 88 trennten sich bereits die Eltern und die begleitenden Umstände, vor allem die bald erfolgende Wiederver- heirathung des Vaters, ließen es rathsam oder selbst geboten er- scheinen, daß der erst 12jährige Sohn der Mutter folgte. Unter Einfluß und Leitung des Vaters wäre er natürlich preußisch geworden, dieser Leitung indeß enthoben, war es selbstverständlich, daß die dänische Aussaat auch dänische Frucht trug.) Neben dem Billardzimmer . 1) Die alte Burg Hardenberg im Hannoverschen, wie sie noch vor etwa 150 Jahren war. 2) Die jetzige Burg Hardenberg (Ruine). 3) Ein eingerahmtes Blatt mit den oben mitgetheilten Versen Goethe’s, die derselbe zum 70jährigen Geburtstag des Staatskanz- lers an diesen richtete. Im Gartensalon und dem angrenzenden Zimmer . 1) Große Malachit-Vase; Geschenk des Kaisers von Rußland. 2) Portrait Friedrich des Großen; von Bardou (schon er- wähnt; vielleicht aus der Prittwitz-Zeit). 3) General von Prittwitz. 4) Portrait des Staatskanzlers aus der Zeit seines ersten oder zweiten Aufenthalts in England (1772 oder 81). Ein Pa- stellbild von Benjamin West. 5) Napoleon; von Gerard. 6) Blücher; ein Geschenk von diesem selbst an den Staats- kanzler. 7) Friedrich Wilhelm III. (jung) in österreichischer Husaren- uniform. 8) Ein prachtvoller Mosaikkopf, der, von Hardenberg etwa zwischen 1790 und 1805 angekauft, durch einen Zufall dem Auge Davoust’s entging und der Tempelberger Sammlung verblieb. Von dort kam er 1814 nach Neu-Hardenberg. Es ist eine vor- zügliche Arbeit: ein Frauenkopf (halb Profil) von weißem Teint und dunkelblondem Haar. Die Lippen sinnlich, die Augen groß und schwärmerisch; dazu (als einziger Schmuck) ein Halbmond auf der schönen Stirn. Ich habe nicht in Erfahrung bringen kön- nen, welcher Zeit das Bild angehört, auch nicht, wen es darstellt. Doch glaube ich nicht zu irren, wenn ich es für einen Kopf der Beatrice Cenci halte, die hier im Costüm der Diana auftritt. 9) Ein großes Mosaikbild: Die Tempelruinen von Paestum. Ein Geschenk, das Papst Pius VI. etwa um 1820 an den Fürsten-Staatskanzler machte. Das Bild ist etwa 4 Fuß lang und 1 Fuß hoch. Ein breiter Rahmen umgiebt es, der oben, als beinah fußhohes Ornament, das päpstliche Wappen trägt. Die drei Tempelruinen nehmen die Mitte des Bildes ein; rechts Baum- gruppen in frischestem Grün, links Trümmerreste unter wucherndem Strauchwerk; im Hintergrund Bergzüge, vorn ein paar Gestalten. Das Bild wurde bei seinem Eintreffen in Berlin so schön gefun- den, daß König Friedrich Wilhelm III. ein gleiches oder ähnliches zu haben wünschte, und deshalb in Rom unter der Hand anfragen ließ: was der Preis eines solchen Mosaikbildes sei? Die Rückant- wort (wahrscheinlich Niebuhrs) lautete: 6000 . Als bei Hofe über diese Summe gesprochen wurde, soll der alte General von Rohr halb erschrocken, halb treuherzig bemerkt haben: „aber doch mit dem Rahmen.“ Im Eßzimmer . 1) Eine Landschaft von Schinkel . Im Hintergrunde die Ruinen der Burg Hardenberg. Ein Festzug (Landvolk, geschmückte Stiere ꝛc.) kommt den Hügel herab und bewegt sich, an einer al- ten Eiche vorbei, einem Ceres- oder Pomona-Bilde entgegen. (Eine Copie befindet sich in der Wagner-Gallerie zu Berlin.) 2) Eine Mondlandschaft von van der Neer. Ein vorzügliches Bild (braun im Ton), von Schinkel, bei seinen Besuchen in Neu- Hardenberg, immer sehr bewundert. 3) Luther; von Holbein. 4) Katharina von Bora; von Holbein. Auf der Rückseite dieses Bildes (auf Holz gemalt) befindet sich ein zweites Bild und zwar ein Todtenkopf. Unter demselben stehen, auf einem sauber gemalten Zettel, folgende Worte: Entgèn den tot is kein schilt Darum leebe als Du sterve wilt. „Entgen“ meint entgegen oder gegen; „schilt“ ist Schild. 5) Eine Maria mit dem Kinde. Wie es heißt, von Rubens , aber andern Bildern des Meisters sehr unähnlich. 6) und 7) Zwei kleine Landschaften (sehr blau im Ton) vom Landschafts-Breughel. 8) und 9) Zwei Landschaften von Nicolaus Berghem. 10) Die Feuerprobe der Kaiserin Kunigunde (Gemahlin des Gegenkaisers Rudolph); ein figurenreiches Bild von Lucas Kranach . Der Kaiser, ein Bischof, Rathsherrn und Edelfräulein stehen zur Seite der Kaiserin; diese, als Zeichen ihrer Treue, legt eben ihre Finger in den Rachen eines „glühenden Löwen.“ 11) Violinspieler; von van den Bosch . 12) Wirthshausscene; von Teniers . Ein Stammgast der niedrigsten Sorte legt, voll bedenklichen Einverständnisses, seine Hand auf die Schulter der Wirthin, einer runzlichen alten Weibs- person, deren Kopf in einer Nachtmütze steckt. Der Stammgast und wie es scheint Galan, hält ihr das Glas hin und sie schenkt ein. Ein Alter, muthmaßlich der Ehemann, blickt aus einem kleinen Alkoven-Fenster, mit sauersüßem Gesicht, der Scene zu. Die Alte in der Nachtmütze ist vortrefflich. 13) Ein Bürger- oder Rathsherrnkopf; von Rembrandt . Das Prachtstück der Sammlung. 14) Die Adamiten; von Rubens . Etwa 12 Weiber und 3 oder 4 Männer sind gemeinschaftlich, wie es die Sekte vor- schreibt, im Bade. — Als im Jahre 1840, bei Uebernahme des Schlosses, auch die Bildergallerie gerichtlich taxirt wurde, hatte der Wriezener Aktuarius dieses Bild wie folgt bezeichnet: „Nackte Weibsbilder von einem gewissen Rubens. 15 Sgr.“ Unser letzter Besuch gilt der Kirche . Sie wurde, wie schon bemerkt, in den Jahren 1816 und 1817 durch Schinkel restaurirt und im October 1817 eingeweiht. Schinkel ließ von dem alten Bau wohl nur die Umfassungsmauern stehen; — der Thurm (wenigstens die obere Hälfte desselben), das Mausoleum und die innere Einrichtung der Kirche selbst, sind sein 28 Werk. Der Thurm ist ein Curiosum; auf dem Unterbau desselben, der etwa bis an den Dachfirst reicht, hat er eine niedrigere Etage aufgesetzt, dieser Etage aber nicht die Form eines Würfels, sondern eines niedrigen, von zwei Seiten her zusammengepreßten Cylinders gegeben. Das Ganze sieht etwa aus, und entspricht auch ziemlich den Proportionen, wie wenn man ein ovales Serviettenband auf eine oblong geformte Theebüchse stellt. Wie Schinkel zu diesem Curiosum gekommen ist, ist schwer zu sagen. Er hielt, der bloßen Theorie gegenüber, viel vom ausprobiren ; erwiesen ist es, daß er Dinge, die in der Zeichnung seinen Beifall hatten, hinterher änderte, weil er fand, daß sie in Substanz und Wirklichkeit sich anders ausnahmen, als im Bilde. Diese oft gemachte Erfahrung konnte ihn, in einem einzelnen Falle, leicht dahin führen, überhaupt sich mal auf’s Probiren zu legen und etwa zu sagen: „so vieles, was die Theorie gut heißt, macht sich hinterher schlecht; sei es des- halb mal versucht, ob nicht das, was die Theorie verwirft, sich hinterher gut präsentirt.“ So setzte er (wenn wir überhaupt rich- tig erklärt haben) eine elliptische Etage auf einen oblongen Unter- thurm. Aber freilich war es ein mißglückter Versuch. Wir zweifeln nicht, daß er ihn später selber als solchen angesehen hat. An der entgegengesetzten Giebelwand der Kirche befindet sich das Mausoleum . Es ist, wie alle ähnlichen Werke Schinkels, ein durchaus griechischer Bau: dorische Säulen tragen ein Giebel- feld. Die Anlage ist in gewissem Sinne eigenthümlich und verhält sich zu einem frei und selbstständig dastehenden Mausoleums-Bau (etwa nach Art des Chorlottenburgers), wie sich ein Hautrelief zu einer vollen, plastischen Figur verhält. Der Bau steckt nämlich scheinbar in der Kirchenwand und springt aus derselben nur zum kleinsten Theil hervor. Es ist die bloße Front eines Mausoleums. Das Innere der Kirche, — bis zu einem gewissen Grade an den Berliner Dom erinnernd, und in der That genau um dieselbe Zeit (1817) aufgeführt, in der Schinkel die Restaurirung des alten Doms leitete, — ist hell, geräumig, lichtvoll, ein wenig nüchtern; das Ganze mehr ein Betsaal, als ein Kirchenschiff. Eigen- thümlich ist der Altar. Hinter demselben, die Kirche chorartig schlie- ßend, erhebt sich eine hohe Nischen-Wand, deren halbkreisförmige Fläche durch gemalte Säulen in verschiedene Felder getheilt wird. Es sind ihrer fünf. Aus dem Mittelfelde springt die Kanzel her- vor, nach rechts und links hin von den vier andern Feldern flan- kirt. In diesen vier Feldern befinden sich die Colossalfiguren der vier Evangelisten, und zwar Johannes und Lucas zur Linken, Matthäus und Marcus zur Rechten der Kanzel. Die Bilder sind von ungleichem Werth; Matthäus, Johannes, Lucas lassen viel zu wünschen übrig; der Marcus, wenn ich nicht irre, nach Michel Angelo, ist vorzüglich. Sie rühren von einem gewissen Bertini her, den der Staatskanzler (bekanntlich ein Mäcen der schönen Künste) nach Italien schickte, um diese Bilder nach den Vorbildern großer Meister zu fertigen. Sie sind, wie gesagt, nicht alle gut, aber auch wie sie sind, bilden sie jedenfalls einen Bilderschmuck, wie er derart , nach der Seite des Künstlerischen hin, in mär- kischen Dorfkirchen schwerlich zum zweiten Male angetroffen wird. Der Altar der Kirche birgt noch eine andre Sehenswürdig- keit: das Herz des Fürsten-Staatskanzlers. Auf einem Kissen ruht es, von einer Glasglocke umschlossen. Der Schrein aber, der das Ganze einschließt, trägt an seiner Außenseite folgende Ottaverim- Strophe als Inschrift: Des Fürsten Herz , das liebend treu geschlagen Für seinen König und für’s Vaterland, Das — in den schweren, blut’gen Kampfestagen, Wo vielen auch die letzte Hoffnung schwand — Durch Muth und Weisheit stark, in kühnem Wagen Des Vaterlandes Ruhm und Rettung fand, Und nach vollbrachtem Werk, gebaut dem heilgen Worte Des Herrn den Tempel hier — das ruht an diesem Orte. Diese Strophe, die dem Andenken des Fürsten eine maßvolle und wohlverdiente Huldigung darbringt, böte eine schickliche Gele- genheit, wenigstens den Versuch einer Charakteristik zu wagen. Ich nehme aber Abstand davon. Was ich sagen könnte, ist oft gesagt; 28* Neues, Schärferes, Zutreffenderes kann nur von denen gesagt werden, die im Vollbesitz des Materials sind und zu voller Ein- sicht in den Charakter, auch einen wirklichen direkten Einblick in alles Geschehene, in die Dinge und ihre Motive mitbringen. Eine solche Charakteristik des Fürsten gehört der Zukunft an. Eines aber möge hier, wie ein nicht abzuweisendes Bekenntniß, seinen Ausdruck finden, die Ueberzeugung, daß, soweit menschliches Wissen und Erkennen reicht, Hardenberg ein auserwählter Mann war, ein Mann, dem nach dem Rath und Willen Gottes die Aufgabe zu- fiel, die Rettung unseres Vaterlandes glücklich durchzuführen. Selbst seine Schwächen leisteten dieser Aufgabe Vor- schub . Ein bloßer sans peur et sans reproche (etwa wie Stein oder Marwitz , zu denen wir freilich freudiger und geho- bener aufblicken) hätte es muthmaßlich nicht vermocht. Der Fürst war kein sans reproche; seine Fehler liegen zu Tage. „Man braucht kein moralischer Herrschel zu sein (wie sein Biograph sich ausdrückt), um diese Fehler mühlos zu entdecken.“ Aber diese Mi- schung von Edlem und minder Edlem, von Schlauheit und Offen- heit, von Nachgiebigkeit und Festigkeit, war genau das, was die Situation erheischte. Eigensinn und Prinzipienreiterei hätten uns verdorben. Sein Leben (Vorbild oder nicht) hat uns gerettet; wie er selber in Bescheidenheit hinzusetzen würde: durch die Gnade Gottes . Friedland. Der Nixen muntre Schaaren, Sie schwimmen stracks herbei, Nun einmal zu erfahren Was in den Mauern sei. Uhland. A lt-Friedland, vormals Kloster-Friedland, bildet die zweite Hälfte des Besitzes, den Markgraf Carl von Schwedt in diesen Gegenden, d. h. am Rande des Oderbruchs inne hatte. Die an- dere Hälfte war Quilitz (Neu-Hardenberg) von dem wir im vo- rigen Kapitel gesprochen. Friedland war in alten Zeiten ein Nonnenkloster des Cister- zienser-Ordens, desselben Ordens, der die ersten Anfänge der Cul- tur in das Land zwischen Elbe und Oder trug, den Ackerbau schuf und, wie das Land wirthbar machte, so auch das Volk be- lehrte und unterwies. Was die Geschichte dem Cisterzienser-Orden im Allgemeinen nachrühmt, das traf innerhalb der Marken (d’rin alles „wüst und leer“ war) in verdoppeltem Maße zu. „Die Cisterzienser waren frei von jener geistigen Zerstreutheit , welche damals die gewöhnliche Folge scholastischer Streitig- keiten war. Sie waren ausgezeichnete Landwirthe, immer voran mit ihrer Hände Arbeit. Aber ihrer Hände Arbeit bestand nicht blos außerhalb der Klostermauern im Ausroden des Waldes, im Fällen der Bäume, im Umgraben der Erde, sondern auch in- nerhalb des Klosters im Abschreiben der Bücher . Sie brach- ten nicht nur das Christenthum, sie brachten auch die Cultur: sie bauten, sie lehrten . Dabei waren sie vor anderen ausgezeichnet in der Kunst der Bekehrung .“ So beschreibt sie die Geschichte des Ordens. Wann Kloster Friedland gegründet wurde, ist nicht mehr mit Bestimmtheit festzustellen, da im Jahre 1300 das alte Kloster (zum Theil) sammt seinen Urkunden verbrannte. Doch läßt sich nachweisen, daß es bereits ziemlich lange vor 1271 bestand, also durchaus in die erste Zeit der Germanisirung dieser Landestheile zurückreicht. Der Evangelist Johannes war der Schutzheilige des Klosters ; die Kloster kirche war der heiligen Jungfrau geweiht. Wahrscheinlich in demselben Jahre (1300), in dem das alte Kloster niederbrannte, wurde auch bereits mit dem Aufbau eines neuen begonnen. In eben diesem Jahre wurde eine Urkunde aus- gestellt, worin Markgraf Albrecht dem Kloster seinen alten Besitz bestätigte. Wir ersehen daraus, daß Kloster Friedland damals fol- gendes besaß: das Städtchen (jetzt Dorf) Friedland ; ferner die Dörfer Ringenwalde , Biesdorf und Lüdersdorf; ferner Antheile an den Dörfern Metzdorf, Löwenberg, Beiersdorf, Börnecke, La- deburg, Klein-Barnim und Marzahne; ferner (ganz oder theil- weis) die Alebrand -Mühle bei Friedland, die Lapenow’sche Mühle bei Ringenwalde und die Dornbusch-Mühle bei Bliesdorf. Besonders reich aber war Kloster Friedland an schönen Seen , deren Fisch-Ertrag für die frommen Jungfrauen ausgereicht haben würde, wenn auch das ganze Jahr aus Fasttagen bestanden hätte. Das Kloster besaß nämlich: den Kloster- und Kiezer-See bei Friedland, den Großen und Kleinen Tornow-See bei Probsthagen (jetzt Pritzhagen), den Griepen-See, den Buckow’schen See, den Weißen-See und zum Theil den Großen Schermitzel-See, alle vier bei Buckow gelegen. Dazu gesellte sich ein Weinberg bei Wriezen und von Seiten der obengenannten Dornbuschmühle die Verpflich- tung: den Nonnen zu Friedland täglich vor Sonnen- aufgang eine warme Semmel zu liefern . Diese „warme Semmel“ gönnt uns Einblick in die gemüthliche Seite des Klo- sterlebens. Es scheint indessen bei diesen und ähnlichen Gemüthlichkeiten nicht sein Bewenden gehabt zu haben, denn die nächste Urkunde (freilich 85 Jahre später) ist bereits darauf aus, durch Ordinatio- nen und Befehle dem um sich greifenden Sittenverfall zu steuern. Es war die Zeit, wo die strenge Klosterregel überall einer „mil- den Praxis“ zu weichen begann, ganz besonders in der Mark, wo die ursprüngliche, kaum gezähmte Wildheit der Bewohner, unter der bairischen und luxemburgischen Herrschaft, neu hervor zu bre- chen begann. Auch die Klöster wurden davon berührt. Einst war das Leben innerhalb derselben stark genug gewesen, nach außen hin bildend und sittigend zu wirken, jetzt, schwach geworden, drang, fast ohne auf Widerstand zu stoßen, der allgemeine Sittenverfall von außen her in die Klostermauern ein. Das ersehen wir mit aller Bestimmtheit aus der zweiten Urkunde (vom 3. Juli 1381), der Riedel die Ueberschrift gegeben hat: „Dietrich, Bischof von Brandenburg, ordnet die Einrichtungen des Klosters Friedland.“ Sie ist die wichtigste unter allen Urkunden, die auf das Kloster Bezug nehmen, weshalb wir uns ausführlicher mit derselben be- schäftigen. Es ist dreierlei, was wir aus dieser Urkunde ersehen: 1) das Regiment des Klosters; 2) die Thatsache des Verfalls; 3) die Mittel und Wege diesem Verfall zu steuern. 1. Die Urkunde beginnt, Einblicke in das „Regiment des Klosters“ gönnend, wie folgt: Dietrich durch die Gnade Gottes und des heiligen Stuh- les Bischof von Brandenburg, entbietet der in Christo ge- heiligten Abbatissin, der Priorin und dem ganzen Kloster der heiligen Frauen in Fredelant, so wie auch dem sehr ehrenwerthen Praepositus derselben (d. h. dem Probst) Gruß im Herrn und ermahnt sie unseren Statuten, Or- dinatorien und Mandaten fest und treu zu gehorsamen. Gleich dieser erste Satz der Urkunde belehrt uns über man- ches Abweichende. Wir sehen zunächst das Kloster unter dem Bischof stehen. Dies war nicht das Herkömmliche. Wir finden in der Geschichte des Cisterzienser-Ordens folgendes: Der heilige Ste- phan (Stephan Harding, ein Engländer) hatte mit den Bischöfen, in deren Diöcesen die Klöster standen, einen wichtigen Vertrag ge- schlossen. Er versprach ihnen nämlich, daß in ihren Sprengeln nie ohne ihre Gutheißung ein Kloster errichtet werden sollte, und sie gaben ihm ihrerseits wiederum die Versicherung, daß sie freiwil- lig auf ihr Recht hinsichtlich der Beaufsichtigung ver- zichten wollten . So weit die Geschichte des Ordens. Doch ist es möglich, daß in der Mark Brandenburg von Anfang an diese Dinge sich anders (oder wenn man so will, wieder im Einklang mit den früheren Zuständen des Ordens) gestalteten und die Klöster, ohne Cisteaux und das französische Herkommen zum Mu- ster zu nehmen, in eine Abhängigkeit von den Bischofsitzen ein- traten. Das andere, was in diesem Eingangssatz der Urkunde auf- fällt, ist das Vorhandensein — neben der Aebtissin und dem Prä- positus — einer besonderen Priorin, während doch die Klöster im Allgemeinen nur eine Aebtissin oder Priorin, aber nicht beides zugleich kannten. Ja (das sei schon hier bemerkt) unser Kloster Friedland scheint in der Folge noch um einen Schritt weiter ge- gangen zu sein, indem wir aus dem Jahre 1486 einer andern Urkunde begegnen, in der nicht nur von einem Präpositus, einer Aebtissin, einer Priorin, sondern auch noch von einer Subprio- rin gesprochen wird. Es scheint fast, daß sich die Einrichtungen in diesen, vom Mittel- und Ausgangspunkte des Ordens (Ci- steaux) weit abgelegenen Klöstern, sehr wesentlich anders gestalte- ten, als in Gegenden, die diesem Mittelpunkte näher lagen. 2. Die Urkunde fährt nun (die Thatsache des Verfalls constatirend) folgendermaßen fort: Wir wissen und haben aus der Evidenz der Thatsachen erfahren, daß überall, wo die Herrschaft der Zucht verach- tet wird, die Religion selber Schiffbruch leidet. Wir haben daher Vorsorge getroffen, damit nicht durch Verachtung dieser Zucht, an denen die sich Christo verlobt haben, Un- passendes wahrgenommen werde, was angethan ist, dem Ruhm der Tugend und Ehrbarkeit einen Makel anzuhef- ten, oder die göttliche Majestät zu beleidigen. So denn haben wir, mit Uebergehung geringerer Dinge, in Nach- stehendem in Betracht gezogen, wie euer Zustand würdig und angemessen zu reformiren sei . Der Zustand des Klosters war also der Reform bedürftig. Es scheint aber fast, daß er derselben sogar dringend bedürftig war, denn der letzte Satz der Urkunde (nachdem aufgezählt ist, in welcher Weise die Zucht und Sitte wieder hergestellt werden soll) schließt mit folgender Androhung: Wer aber unter euch, sei es im Einzelnen oder in all und Jedem, noch 12 Tage nachdem diese Statuten, Or- dinationen und Befehle zu eurer Kcnntniß gelangt sind, als frecher Verletzer oder freche Verletzerin sich erblicken läßt, erfährt die Sentenz der Excommunikation, von wel- cher der Betroffene, es sei denn er stürbe ( nisi in mortis articulo ), nicht ohne unsere specielle Erlaubniß absolvirt werden wird. 3. Den Hauptinhalt der Urkunde bildet aber die Aufzählung der verschiedenen Punkte, die der Reform bedürftig sind und die Angabe des Guten, der Ordensregel Entsprechenden, das an die Stelle eingerissener Unordnung zu setzen ist. Die Urkunde sagt darüber: a ) So denn, nach fleißiger Berathung und Verhandlung, setzen wir fest, ordiniren und befehlen wir, in wieweit ihr Nonnen unter fester Clausur zu verbleiben habt. Zu allen Thüren, deren Eingang und Ausgang erforderlich ist, sollt ihr zwei verschiedene Schlüssel haben, der eine, von innenher, für euch Abbatissin, der andere, von außen- her, für euch Herr Präpositus, so daß Niemand ein- oder ausgehen kann, ohne Wissen und Zulassung von euch bei- den. Wir ordnen dabei ferner an, daß keine der Nonnen, unter was immer für Vorwand, Erlaubniß haben soll, außerhalb des Klosters wohnende Freunde, noch auch über- haupt draußen Lebende zu besuchen, so wie wir auch be- fehlen, daß niemand ohne specielle Erlaubniß der Abbatissin (von innen her) oder des Präpositus (von außen her) an das Küchenfenster ( ad fenestram collationi ) heran- treten soll. Auch soll keine der Nonnen eine besondere Wohnung ( habitaculum ) oder sonstige Bequemlichkeit haben, noch auch außerhalb des gemeinschaftlichen Refek- toriums oder eines andern gemeinschaftlichen Eßraums ( cenaculum ) zu Mittag oder zu Abend essen. Diese Verordnungen waren gewiß um so nöthiger (aber freilich um so schwieriger durchzuführen), als alle solche Klöster, die, wie Kloster Friedland, nur eine lokale Bedeutung hatten, oder einem lokalen Bedürf- niß entsprachen, wie von selber, aus einem kirchlichen, zugleich auch zu einem gesellschaftlichen Mittelpunkt des Kreises wurden. Die Pfuels und die Ilows, die Eickendorps und die Hoendorps, die Strantze, Bar- fuse und Wulffens, wie sie ihre Güter in nächster Nähe um Kloster Friedland herum hatten, so hatten sie ihre Töchter in demselben. Die einfache Folge davon war, daß das Kloster, im besten Sinne des Worts, zu einem Rendezvous-Platze wurde, wohin die adligen Insassen des Krei- ses ihre Neuigkeiten trugen, um sie gegen andere umzutauschen. Die Welt innerhalb und außerhalb der Klostermauern war dieselbe. Alles war ver- sippt, verschwägert und die Cordialität, die Familien-Zugehörigkeit mußte natürlich die Aufrechthaltung der Disciplin erschweren. Nur in gewissen Fällen wird die Abbatissin von dieser Anordnung Abstand nehmen können, aber doch immerhin so nur, daß alsdann an einem andern, eigens und speciell dazu bestimmten Orte, die Mahlzeit eingenommen werden muß. b ) Im Uebrigen, in Gemäßheit der zweiten Ordensregel und nach alter löblicher Gewohnheit dieses Klosters, sollt ihr der Abbatissin in allem folgsam und gehorsam sein. Und wenn eine unter euch, wegen Ausschreitung und Unterlas- sung, Mahnung oder Strafe verdient, so soll sie dem Aus- spruch der Abbatissin, in Gemäßheit der Ordensregel Ge- horsam leisten, soll auch nicht von irgend einer andern bei diesen Vorgängen gegen die Abbatissin vertheidigt werden, außer wenn es die Ordensregel gestattet. c ) Und ihr sollt ferner keine Mägde oder besondere weltliche Dienerinnen, weder innerhalb des Klosters, noch auch außerhalb desselben, zu diesem oder jenem Geschäft haben, außer solche, welche durch euren Präpositus zugelassen und zu eurer Bedienung speciell erlesen sind; noch auch soll euch gestattet sein unter was immer für Vorgabe, irgend eine weltliche Jungfrau in euer Kloster auf längere oder kürzere Zeit als Mitbewohnerin aufzunehmen, es sei denn auf specielle Erlaubniß. Und wenn ihr in Folge un- serer Erlaubniß eine solche unter euch aufgenommen habt, so soll sich diese Aufgenommene ( suscepta ) kleiden wie ihr, in ein eben solches Kleid und eine graue Tunica darüber. Und einmal aufgenommen soll sie das Kloster nicht wieder verlassen, unter was immer für Vorgabe, vor Ablauf einer vorher festgesetzten Zeit, es sei denn, daß sie unsere Erlaubniß dazu erhielte. Und für den Fall, daß etwas für die Kosten solcher Mitbewohnerin beigesteuert wird, so sollt ihr dies dem Präpositus geben oder irgend einem andern, in den ihr Vertrauen setzt. — d ) Im Uebrigen sollt ihr eine Lehrschwester oder Schul- meisterin, so wie auch eine Gemeindeschule für Knaben und Mädchen ( ad omnes moniales juniores ) haben, und zwar dergestalt, daß die Knaben von Seiten der Lehr- schwester oder Schulmeisterin zu bestimmten und herkömm- lichen Zeiten unterrichtet werden, wobei sie (die Knaben) nach Schul- und Lehrordnung, in allem was Zucht und Schulwissenschaft angeht, der Lehrschwester zu gehorchen haben. e ) Und keine unter euch soll über Bedürfniß oder anders, als durch den Präpositus verabreicht wird, Speise und Trank fordern oder nehmen, sondern soll zufrieden sein mit dem, was durch den Präpositus gegeben wird. — Außerdem sollt ihr bestrebt sein, durch Tracht und Kleid ( vestitu et habitu ) in Schuhen, in Haarschleifen, in eng schließenden Gürteln, in Gürtelschnebben keinen andern Schmuck zu haben, als solchen, welchen die Kirche zuläßt; noch sollt ihr, weil es der Scham, der Sitte und eurem Geschlecht widerstreitet, Maskenspiel und Maskenscherze trei- ben, noch auch sollt ihr die Geburtstage oder andere jähr- lich wiederkehrende Feste besonders halten und festlich be- gehen. f ) Ebenso, wenn es sich trifft, daß ihr gemeinschaftlich aus- gehet und in Procession das Cimiterium umschreitet, so werde keine von irgend wem berührt oder nach Sitte welt- licher Frauen an Hand oder Arm geführt, vielmehr kehret alle, nach dem Umgang in euer Kloster zurück, so daß kein anderer Zutritt zu euch offen steht, wie der, der oben beschrieben wurde. g ) Im Uebrigen, auf daß ihr aufmerksamer den heiligen Ge- bräuchen ( divino cultui ) obliegen könnt, sollt ihr nicht versuchen, Brote oder Backwerk zu Hochzeiten oder andern Festlichkeiten zu machen, zu kochen oder zu schicken. Dann wird der Präpositus ermahnt, auch seinerseits das Rechte und Billige zu thun, niemand darben zu lassen, nieman- dem Grund zur Klage zu geben. Jedes Klostermitglied aber, das alsdann noch zu Uebertretungen schreitet und Gehorsam weigert, wird (wie oben schon wörtlich mitgetheilt) mit Excommunication bedroht. Ob und inwieweit dieser Erlaß des Brandenburgischen Bi- schofs der eingerissenen „milden Praxis“ ein Ziel setzte, das er- fahren wir nicht. Zwar sind es noch verschiedene Urkunden, denen wir auf dem langen Wege von 1381 bis zur Aufhebung des Klosters begegnen, aber außer den Namen einzelner Aebtissinnen, Priorinnen und Pröbste, entnehmen wir denselben nichts weiter, als daß gelegentlich ein Pfuel oder Wulffen eine Schenkung machte, oder ein Ilow, ein Platen, dies oder das — meist Zölle und Hebungen — an das Kloster Friedland (das immer, wie es scheint, bei Kasse war) verpfändete. So gingen die Dinge bis zum Jahre 1540, wo — nach Anschluß des Kurfürsten an die Lehre Luthers — die Säculari- sation von Kloster Friedland erfolgte. Man zog die Klostergüter ein, respektirte aber die Personen, d. h. beließ die Nonnen (spit- telfrauenhaft) in ihren Zellen und wartete ihr Aussterben ab. Dies Aussterben ließ aber lange auf sich warten (die Luft um Friedland herum war gesund). Das Kloster ging inzwischen, gleich in den ersten 20 Jahren, aus einer Hand in die andere über, wobei die Nonnen, wie ein altes Inventarium, immer mit überliefert wurden. 1568 endlich regelten sich die Dinge in einer zufriedenstellenden Weise. Vier Jahre früher schon hatte Joachim von Roebel die gesammten Klostergüter durch Kauf an sich gebracht; jetzt (1568) gelang es ihm auch, die Nonnen zu einem Aufgeben ihrer Woh- nungs-Ansprüche zu vermögen. Eine Urkunde darüber wurde auf- genommen, die noch existirt. Es heißt darin, mit einem leisen Vor- wurf gegen den säkularisirenden Kurfürsten: Und dieweil hin und wieder in der Welt, sonderlich auch im heiligen römischen Reiche allerhand Permutationen hinsichtlich der Klöster und geistlichen Güter vorgefallen sind ( Veränderungen, die wir diejenigen verant- worten lassen, denen es gebührt und zugesteht ), so haben wir gedachtem Joachim Röbel, unserm Schwa- ger, Freund und Landsmann, dieses Kloster gegönnt und ihm Brief, Siegel und Wohnung abgetreten. Aus eben dieser Urkunde lernen wir auch die Namen der- jenigen Damen kennen, die damals noch, wie eine Hinterlassenschaft aus der katholischen Zeit her, als Nonnen von Kloster Friedland existirten. Es waren: Ursula von Barfus, Priorin. — Anna von Krum- mensee, Schaffnerin. — Ursula von Pfuel. — Mar- garethe von Stranz, Küsterin. — Ursula von Bar- fus II. , Nonne. — Magdalene von Löwenberg. — Ursula von Hoppenrade . Die Letztgenannte war die Jüngste . Sie war 42 Jahre früher als letzte Nonne aufgenommen worden, jetzt also, bei Unterzeich- nung der Urkunde, muthmaßlich eine Dame von einigen sechzig Jahren. Es drängt sich unwillkürlich die Frage auf, wie alt die älteste gewesen sein möge. Kloster Friedland blieb zwei, vielleicht nur anderthalb Jahrhun- derte lang im Besitz der Roebels. Etwa um die Mitte des vorigen Jahr- hunderts kam es, wie bereits Eingangs erwähnt, zusammen mit Quilitz, an den Markgrafen Karl, der sich wenigstens vorübergehend, hier aufzuhalten pflegte. Seine bevorzugte Geliebte, eine Mamsell Sie- bert (der er in der Cöpnicker-Straße zu Berlin ein schönes Haus bauen ließ) war eine Tagelöhnertochter aus Friedland. Wie Friedland endlich an den General von Lestwitz und dadurch an die Familie Itzenplitz kam, erzähle ich im folgenden Kapitel, unter Cunersdorf. Die Lage Kloster Friedlands, — auf einem schmalen Land- streifen zwischen zwei Seen, dem Kloster- und dem Kiezer-See — muß von nicht gewöhnlicher Schönheit gewesen sein, als die umgebende Bruchlandschaft noch ihren alten Charakter hatte und die hohen Giebel der Klostergebäude abwechselnd in den einen oder andern See ihre Schatten warfen. Aber ein solches Bild bietet sich dem Auge nicht länger dar, und die Trümmer verschiedener anderer märkischer Klöster machen einen tieferen und mehr poeti- schen Eindruck, theils, weil die Trümmer selber pittoresker, theils, weil ihre Umgebungen (bei sonst mannigfach Verwandtem) anspre- chender sind. Die Lage z. B. des zur Schwedenzeit durch Feuer zerstörten Jungfrauen-Klosters zu Lindow, zwischen dem Wutz- und Gudelack-See, ist der Lage Kloster Friedlands nahe verwandt, aber die epheuumrankten Mauern, die Storchnestgeschmückten Gie- bel, vielleicht auch die Hügel -Lage zwischen den Seen, leihen jener Klosterruine im Ruppinschen einen romantischen Reiz, dessen Kloster Friedland entbehrt. Kloster Lindow ist schöner gelegen, vielleicht auch malerischer in sich selbst, als Kloster Friedland, aber dies letztere ist besser er- halten, und die Umfassungsmauer z. B., ferner das Haus des Probstes, ein Stück Kreuzgang, vor allem das Refektorium, zeigen sich zum Theil in noch gutem Zustand. Das Refektorium, jetzt als Malzplatz benutzt, läßt sich in seinen baulichen Einzelheiten noch genau verfolgen. Es scheint der Styl früherer Gothik und der Bau, wie er da ist, dürfte der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts angehören. Das alte Klo- ster, das 1300 großentheils durch Feuer zerstört wurde, war zweifellos ein romanischer Bau Die größte unter den Filial-Kirchen des Klosters war die zu Ringenwalde, eine alte, im romanischen Style aufgeführte Feldstein- kirche, die sich bis diesen Tag trefflich erhalten hat und — wie sie muth- maßlich uns veranschaulicht, wie die alte Klosterkirche zu Friedland war — zugleich als Muster dafür dienen kann, wie vor 600 Jahren von den Christenthum und Cultur bringenden Cisterziensern, märkische Dorfkirchen gebaut wurden. Alles zeigt noch durchaus den Charakter der „geistlichen Burg“: hoch hinaufgehende Feldsteinmauern, dann, ziemlich dicht un- term Dach, kleine, rundgewölbte Fenster, mit Oeffnungen wie Schieß- scharten. . Der Neubau aber, der nun an die Stelle des niedergebrannten trat, wurde höchst wahrscheinlicher- weise in demselben Style aufgeführt, in dem wir bis diesen Augenblick noch das Refektorium erblicken. Vielleicht ist dies Re- fektorium auch derjenige Theil des Gebäudes, der das Feuer vom Jahre 1300 überdauerte. Die gewölbte Decke desselben wird von drei Säulenpfeilern getragen. Zwei dieser Pfeiler sind rund, der dritte (mittelste) 4 oder 6eckig. Die Gewölbe, die auf den Pfei- lern stehen, sind vielgeribbt, so daß immer 16 Ribben auf einem Pfeiler ruhen, oder aus demselben palmenhaft aufwachsen. Der Raum zwischen den Pfeilern ist verschieden, und von oben nach unten zu abgeschritten, bemerkt man, daß der Zwischenraum von Pfeiler zu Pfeiler immer von 1 bis 2 Fuß kleiner wird. Es stehe dahin, ob dies Absicht oder Zufall ist. Neben dem Kloster, und vielleicht früher in unmittelbarem Zusammenhang mit demselben, steht die ehemalige Klosterkirche, jetzt die Dorfkirche. Sie ist nicht mehr was sie war. Der Thurm ist kein eigentlicher Thurm mehr, (wird jetzt neu und massiv erbaut) und die Kirche selbst hat unter den verschiedenen Umbauten, denen sie unterworfen wurde, ihren gothischen Charakter fast völlig verloren. Sie besitzt aber aus alter ka- tholischer Zeit her noch mehrere Werthstücke, unter denen, in Kugler’s Kunstgeschichte, vor allem eines Taufbeckens Erwäh- nung geschieht. Ich glaube indessen — irrthümlich. Möglich, daß damals, wo man sich der Mühe des Umherreisens, der Special- forschung in den Provinzen (besonders auch in unsrer Mark) noch wenig unterzogen hatte, ein solches Taufbecken, das zufällig in die Hand eines Kunstforschers kam, als etwas Besonderes angesehen wurde, ähnlich wie noch vor Kurzem die vergoldeten Bilder-Al- täre, von denen einige in Berlin ausgestellt waren, eine gewisse Verwunderung hervorriefen. Ebenso gewiß indeß, wie nunmehr die Existenz von hunderten solcher Bilder-Altäre aus katholischer Zeit her, nachgewiesen ist, ebenso gewiß giebt es auch hunderte solcher Taufbecken, wie sie die Friedländer Kirche aufweist. Was aber nicht nach hunderten anzutreffen ist, und was in der That eine Sehenswürdigkeit in Friedland bildet, das sind drei reichvergoldete Abendmahlskelche, die noch, als Werth- und Erinnerungsstücke aus der vorlutherischen Zeit her, im Pfarrhause aufbewahrt werden. Alle drei sind von verwandter Form und nur der Größe nach verschieden. Auf einem breiten Fuß ruht ein tul- penförmiger Kelch, in der Mitte des kurzen Stiels aber, der diese Kelchtulpe trägt, legt sich ein sechseckiges Ornament, ringförmig um den Stiel herum. Eins dieser sechseckigen Ornamente ist hohl und von durchbrochener Arbeit; innerhalb desselben klappert eine Reliquie, ein Knochensplitter oder der Zahn eines Heiligen. Der- selbe Kelch (einer der kleineren) trägt auf seinem Fuß die Na- men: Martha. Johannes. Welsickendorp. Ein anderer (der größte und schönste) zeigt, statt der Namen, drei sauber einradirte Ma- rienbilder, nach Stellen aus der Offenbarung und abwechselnd mit diesen drei Radirungen, drei kleine Goldskulpturen, hautrelief- artig auf den Fuß des Kelches aufgelöthet. Diese kleine Gold- figürchen stellen „Maria und Johannes zu beiden Seiten des Ge- kreuzigten“, ferner „St. Georg, den Drachen tödtend“ und schließ- lich noch ein Drittes dar, dessen Entzifferung mir nicht gelun- gen ist. Diese Kelche beweisen zur Genüge (und mehr als alles an- dere, was vom Kloster übrig geblieben ist), daß Kloster Friedland zu den reicheren Stiftungen des Landes gehörte. Es darf auch nicht wundern: zählten doch die Barfus, die Pfuels, die Krummensee und Ilows, deren Töchtern wir, wie mehrfach hervorgehoben, vorzugsweise im Kloster Friedland begegnen, zu den begütertsten und angesehensten Familien des Landes. Ueber den Ort, wo die Kelche herstammen, ist Nichts bekannt. Man denkt natürlich zuerst an Augsburg oder Nürnberg; doch sind sie, neben der Sauberkeit und Sorglichkeit der Ausführung, auch na- mentlich von solcher Grazie der Form, daß ich annehmen möchte, ihre Heimath liege noch weiter südlich. Wir hoben schon hervor, daß die Geschichte „Kloster Fried- lands“ mit dem Eingehen des Klosters nicht ihre Endschaft er- reichte. Die Roebels und der Markgraf Karl von Schwedt folg- ten im Besitz; aber keiner von ihnen hat nachträglich dem alten stillen Klosterdorf einen veränderten Charakter aufzudrücken ver- mocht. Es konnte auch kaum anders sein. Die Roebels lebten in Buch (bei Berlin), das ihnen schon, um der Nähe der Hauptstadt willen, lieber sein mußte und scheinen in Friedland niemals dau- ernd Wohnung genommen zu haben. Der Markgraf war aller- dings von Zeit zu Zeit hier anzutreffen; aber seine Besuche wa- ren doch zu flüchtig und zu selten, als daß der Wunsch in ihm hätte lebendig werden können, ein Schloß an dieser Stelle auf- führen zu lassen. Ein einfaches Wohnhaus genügte dem Bedürf- niß. Dies Wohnhaus existirt noch und in ihm, als ein einziges 29 direktes Erinnerungsstück an die Zeit des Markgrafen, ein trefflich gemaltes Bildniß desselben (halbe Figur). Ich weiß nicht, ob an- dere Porträts von ihm vorhanden sind; wäre es das einzige, so dürfte es schon um deshalb einen gewissen historischen Werth be- anspruchen können. Das Bild erinnert noch an Markgraf Karl und — nicht zu vergessen — ein andres noch: eine Glocke, die er der Kirche seiner Zeit zum Geschenk machte. Sie führt nicht den Namen eines Heiligen, sondern heißt: „Markgraf Karl .“ Ob er selber, durch Beispiel und Mahnung, die Dörfler jemals zur Kirche ge- rufen, ist mindestens zweifelhaft (es waren nicht die Zeiten danach), aber die Glocke thut es jetzt statt seiner, und so oft sie am Sonn- tag Morgen erklingt, heißt es im Dorf: Markgraf Karl ruft . Cunersdorf. Und Welchen Gott so reich bedacht, Daß er ein Held ist in der Schlacht Und hat dazu ein gläubig Herz, Dem kann man trauen allerwärts. Otto Roquette. C unersdorf ist Nachbargut vom Kloster Friedland und gehört, wie dieses, der Itzenplitzischen Familie an. Es ist zunächst, ohne seinem eignen Ruhme zu nahe treten zu wollen, nicht zu verwech- seln mit dem berühmteren Schlachten-Kunersdorf (zum Un- terschied gewöhnlich mit einem K geschrieben), das, weiter östlich, eine halbe Meile jenseits Frankfurt gelegen ist, während unser Cunersdorf diesseits der Oder, zwischen Wrietzen und Selow liegt. Um über Cunersdorf zu schreiben, ist es nöthig noch einmal auf Kloster Friedland und das Jahr 1763 zurückzugehn, in wel- chem Jahre — wie schon früher hervorgehoben — die bis dahin Markgraf Carl ’schen Güter Quilitz und Friedland, an die Krone zurückfielen. Sie blieben aber nicht lange bei der Krone, indem der König im selben Jahre noch beide Güter als Dotationsgüter an zwei seiner Lieblings-Offiziere verlieh. Quilitz schenkte er an den damaligen Obristlieutenant von Prittwitz; Friedland er- hielt der Major (oder Obristlieutenant) von Lestwitz . Noch einmal sei hier das Wort citirt: Prittwitz a sauvé le roi, Lestwitz a sauvé l’état. 29* Lestwitz besaß nun Friedland; wie aber kam er zu Cu- nersdorf ? Das geschah so. Lestwitz war in Zweifel darüber, ob er Friedland als Lehn oder als Allodium erhalten habe und scheute sich doch, bei dem König deshalb anzufragen. War es Lehn, so fiel das Gut, da er keinen Sohn hatte, nach seinem Tode an die Krone zurück. In dieser Verlegenheit — einerseits von dem lebhaften Wunsche erfüllt, seiner einzigen Toch- ter ein Gut als Erbe zu hinterlassen, und andrerseits von der berechtigten Vorstellung ausgehend, daß es mißlich sei, ohne aus- drückliche Erklärung des Königs, Friedland als Allodium und freien Besitz anzusehen — entschied er sich dafür, das benachbarte, vormals von Barfus ’sche Gut Cunersdorf anzukaufen und sich dadurch in die Lage zu bringen, seiner Tochter, wie immer später- hin auch die Ansicht des Königs sich herausstellen möge, doch jedenfalls ein Gut hinterlassen zu können. Er kaufte also Cu- nersdorf Bald darauf sah Lestwitz die Nothwendigkeit ein, sich auf einem seiner Güter standesgemäß einzurichten, d. h. ein Schloß zu bauen. Da ihm der dauernde Besitz Friedlands (dauernd über seine eigene Lebenszeit hinaus) zweifelhaft war, so entschied er sich selbstverständlich dafür, das Schloß in dem neu erworbenen Cu- nersdorf In Cunersdorf war zwar noch, aus der Barfus -Zeit her, ein Herrenhaus, aber weder geräumig genug, noch ausreichend in seiner Ein- richtung. Dies alte Barfus ’sche Herrenhaus existirt noch (es steht dem Schloß gegenüber) und veranschaulicht sehr gut, wie der Adel vor 200 Jahren lebte. aufführen zu lassen. Als der Bau halb fertig war, kam der König auf einer seiner Inspectionsreisen des Weges. „ Lestwitz, warum baut Er denn in Cunersdorf und nicht in Friedland ?“ Jetzt war der Moment der Erklärung gekommen. Lestwitz antwortete, daß er keine Söhne und nur eine Tochter habe, und davon ausgegangen sei, daß Friedland nach seinem (Lestwitz’s) Tode, an den König zurückfallen werde. „Ich weiß ja, daß Er keine Söhne hat“, antwortete der König gnädig, „ es soll Alles Seiner Tochter verbleiben .“ So kamen Cunersdorf und Friedland an die Familie Lest- witz, Friedland als freier Besitz aus Königs Hand, Cunersdorf durch Kauf. Friedland, das einst eine glänzende Zeit gehabt hatte, verlor mehr und mehr. Nur Kirchdorf blieb es. In Schloß Cu- nersdorf aber lebten die Lestwitze und nach ihnen die Itzen- plitze, von denen beiden ich in Nachstehendem zu erzählen haben werde. [ Hans Georg Sigismund von Lestwitz, von 1763 — 1788.] Lestwitz ebenso wie auch Prittwitz gehört in die Reihe der- jenigen Offiziere des großen Königs, denen es, bei verhältniß- mäßig noch jungen Jahren, vergönnt war, durch irgend eine glän- zende Kriegsthat in die Geschichte einzutreten, denen wir aber, während der letzten 30 Jahre ihres Lebens, wo sie zu hohen Stellungen gelangten, kaum wieder begegnen, weil der andauernde Friede jede Gelegenheit zu Thaten verbot, die der historischen Auf- zeichnung werth gewesen wären. Ich gebe hier alles, was ich über Lestwitz habe in Erfahrung bringen können. Hans Sigismund von Lestwitz wurde am 19. Juni 1718 zu Kontop im Glogauschen geboren. Sein Vater war der spätere General-Lieutenant Johann George von Lestwitz, seine Mutter, Helene, geb. Freiin von Kottwitz . Die Lest- witze, die im Mannesstamme, mit unserm Hans Sigismund ausstarben, gehörten den vier alten schlesischen Familien an (die Lestwitze, die Prittwitz, Strachwitz und Zedlitz ), die schon bei Liegnitz in der Mongolenschlacht gefochten hatten. Hans Si- gismund machte seine Studien auf der Universität zu Frank- furt a. d. O., und trat 1734 als Fahnjunker in das daselbst garnisonirende Schwerin ’sche Regiment. Er machte die beiden schlesischen Kriege mit, focht bei Molwitz, Chotusitz (Czaslau), Hohenfriedberg und Sorr mit Auszeichnung, und erhielt gleich in der ersten Schlacht des 7jährigen Krieges (bei Lowositz) den Pour le mérite. 1757 wurde er Major im Regiment Alt-Braunschweig. Er war noch Major in eben diesem Regiment, als die blutige Schlacht bei Torgau (am 3. November 1760) ihm Gelegenheit gab, sich in besonderem Grade auszuzeichnen. Eine vortreffliche Schilderung der „Schlacht bei Torgau“ (von Graf Waldersee ) sagt darüber im Wesentlichen Folgendes: „Der Flügel des Königs war geschlagen; nur vier Ba- taillone vom Regiment Schenkendorf standen noch in Reserve; unter ihrem Schutze sollte sich die Armee wieder sammeln. Der König fühlte sich durch den Einfluß seiner Kontusion (eine Kar- tätschenkugel hatte ihn besinnungslos vom Pferde geworfen), so ermattet, daß er sich nicht mehr fähig hielt, das Commando der Armee fortzuführen. Er trat es also (auch Markgraf Karl war blessirt) an den General-Lieutenant von Hülsen ab. Er selbst zog sich aus dem Getümmel zurück. Um diese Zeit war es, daß einzelne Offiziere die Mannschaf- ten wieder zu sammeln suchten. Besonders zeichnete sich der Major von Lestwitz vom Regiment Alt-Braunschweig dabei aus. Es war ihm bereits gelungen, einige hundert Infanteristen von ver- schiedenen Regimentern und eine Anzahl Tambours in eine Masse zu formiren, als der König, in der Absicht das Schlachtfeld zu verlassen, vorüber ritt. „Wer ist Er und was will Er hier machen?“ fragte der König. „Ew. Majestät, ich bin der Major Lestwitz von Alt-Braun- schweig und sammle Offiziere und Leute, um mit ihnen die Höhen zu stürmen.“ „Na, Herr, das ist brav, sehr brav, da mache Er nur ge- schwind und formire Er einige Bataillone.“ Beim Fortreiten wandte der König sein Pferd noch einmal um und sagte: „Höre Er, mein lieber Lestwitz, sei Er versichert, daß ich Ihm dies nie vergessen werde .“ Der König mochte sich erinnern, daß der Major von Lest- witz, der Sohn des General-Lieutenants von Lestwitz Der Vater (von dem es heißt, daß er an militairischen Gaben den Sohn überragte) war durch die Capitulation von Breslau (1757) in Un- gnade gefallen und wurde durch den erzürnten König auf die Festung ge- schickt. Er verblieb indessen, vielleicht mit Rücksicht auf sein hohes Alter (er war bereits 70), nur kurze Zeit in eigentlicher Haft und erhielt von da ab bloßen Stadtarrest . Er durfte nunmehr in Berlin leben, war aber durch Ehrenwort verpflichtet, nie das Stadtviertel zu verlassen, das durch die Koch- und Zimmerstraße gebildet wird. Hier starb er auch (1767) Nur einmal erhielt er Urlaub . Als sein Sohn, der spätre General- major, zum ersten Male nach Amt-Friedland reiste, um von dem schönen Gute Besitz zu nehmen, durfte ihm der alte Lestwitz dahin folgen, um Zeuge von dem Glück seines Sohnes zu sein. Der König, der ein Inter- esse an diesem Ereigniß nahm, hatte ihm eigens zwei Adjutanten mitge- geben, damit der Alte, an diesem Ehrentage seines Sohnes, auch seiner- seits in allen Ehren eines General-Lieutenants erscheinen könne. Anderen Tages kehrte der 76jährige Herr nach Berlin zurück und trat wieder seinen „Stadtarrest zwischen Koch- und Zimmerstraße“ an. war, den wegen der unglücklichen Capitulation von Breslau (1757) die Ungnade des Königs und die ganze Schwere der Militair- gesetze betroffen hatte. Es glückte Lestwitzen in der That, aus den Zersprengten drei Bataillone zu bilden, zu denen sich nun die vier noch intakt gebliebenen Bataillone des Regiments Schenkendorf gesellten. Diese sieben Bataillone waren es, die, als spät am Abend Zieten die Süptitzer Höhen in der Front attackirte, diesen Frontangriff durch einen Flanken-Angriff unterstützten und dadurch den Tag ent- schieden. Der König schrieb (vielleicht nicht ohne eine gewisse Ungerech- tigkeit gegen Zieten, den er übrigens andern Tags unter Thrä- nen umarmte) den Erfolg dieses Gefechtes, nächst dem Major von Lestwitz, dem Regimente Schenkendorf zu. Er vergaß auch Lest- witzen nicht . Unmittelbar nach dem Kriege, wie wir bereits ge- sehen haben, erhielt dieser Amt Friedland, also die Hälfte des ehe- mals Markgraf Karl ’schen Besitzes, und der König, wie um zu zeigen, daß Prittwitz und Lestwitz seinem Herzen gleich nahe ständen, verfuhr bei der Theilung mit solcher Gewissenhaftigkeit, daß er z. B. dem etwas kleineren Amt Friedland noch einige Quilitzer Höfe hinzufügte. 1765 wurde Lestwitz Oberst, 1766 Chef des Leib-Grena- dier-Bataillons, 1767 Generalmajor. Er blieb ein Liebling König Friedrichs, der ihn oft in seine Gesellschaft zog. Auch das Te- stament des Königs (vom 8. Januar 1769) erwähnt seiner we- nigstens mittelbar. Es heißt darin §. 28: „Einem jeden Stabs- offizier von meinem Regiment und von Lestwitz, wie auch von der Garde du Corps, vermache ich eine goldene Denkmünze, die bei Gelegenheit unserer glücklichen Waffen und der Vortheile, die unsere Truppen unter meiner Anführung erhalten haben, geprägt worden.“ 1779, wahrscheinlich unmittelbar nach dem bairischen Erb- folgekrieg (an dem er noch Theil nahm) zog er sich aus dem Dienst zurück. Er starb 1788 am 16. Februar. [ Frau von Friedland . 1788—1803.] Hans Sigismund von Lestwitz war am 16. Februar 1788 zu Berlin gestorben, seine Leiche aber nach Cunersdorf übergeführt worden. Da ihm, wie wir gesehen haben, Amt Fried- land als freies Eigenthum von Seiten des Königs verliehen wor- den war, so ging nun die ganze Herrschaft Friedland, die bereits eine ganze Anzahl von Gütern zählte, auf seine Erbtochter über, die damals schon den Namen „Frau von Friedland “ führte. Mit diesem Namen hatte es folgende Bewandtniß: Helene Charlotte von Lestwitz, geb. am 18. November 1754, vermählte sich 1771 (also kaum 17 Jahre alt) mit Adrian Heinrich von Borcke, Königl. Gesandten in Dresden, später in Stockholm. Die Ehe war jedoch, durch Schuld des Ge- mahls, keine glückliche und wurde, bald nach der Geburt einer Tochter ( Henriette Charlotte, spätere Gräfin von Itzenplitz ) wieder getrennt. Da die Geschiedene so wenig wie möglich an eine Ehe erin- nert sein wollte, die ihr eine Last und Kränkung gewesen war, so nahm sie unter Zustimmung des Königs den Namen einer Frau von Friedland an und führte das Lestwitz ’sche Wappen fort. Bei ihrer Trennung von Adrian Heinrich von Borcke lebten die Eltern der Frau von Friedland noch. Diese kehrte nun- mehr in das väterliche Haus nach Schloß Cunersdorf zurück und lebte daselbst ausschließlich der Erziehung ihrer Tochter und der Ausbildung ihres eigenen Geistes. Nach dem Tode des Generals, ihres Vaters, übernahm sie sofort die Verwaltung der beiden Güter, und da es ihrem scharfen Auge nicht entging, daß die Be- wirthschaftung, um zu größeren Erfolgen zu gelangen, vor allem eines größeren Betriebskapitals als bisher bedürfe, so verkaufte sie ihren Schmuck und ihre Juwelen, um sich in den Besitz eines solchen Kapitals zu bringen. Dieser erste Schritt, mit dem sie die Verwaltung ihrer Güter begann, zeigt am besten, welch rascher und energischer Entschlüsse sie fähig war. Es war eine seltene und ganz eminente Frau; ein Charakter durch und durch. General v. d. Marwitz auf Frie- dersdorf, der ihr Gutsnachbar war, hat uns in seinen Memoiren eine Schilderung dieser ausgezeichneten Frau hinterlassen. Er schreibt: „Das Meiste in der Landwirthschaft (ungefähr alles, was ich nicht schon aus der Kindheit wußte, und nachher aus der Er- fahrung erwarb) habe ich von einer sehr merkwürdigen Frau in unserer Nachbarschaft gelernt, von einer Frau von Friedland . Wie ich sie kennen lernte (1802) war sie ungefähr 12 Jahre im Besitz der Güter und führte Alles mit beispielloser Ausdauer und Geschick. Es waren sechs große Wirthschaften, die sie selbst leitete; Unterbeamte hatte sie keine anderen als Bauern, die sie selbst dazu gebildet hatte. Nicht nur war der Ackerbau im blühendsten Zu- stande, sondern sie hatte ihre Wälder aus sumpfigen Niederungen, auf bisher öde Berge versetzt, diese Niederungen aber in Wiesen verwandelt, und so in allen Stücken. Ein solches Phänomen war natürlicher Weise weit und breit verschrieen. Man sagte, sie ritte auf den Feldern umher (das war wahr) und hätte beständig die Peitsche in der Hand, womit sie die Bauern zur Arbeit treibe — das war erlogen. Ich fand im Gegentheil eine wahre Mutter ih- rer Untergebenen in ihr. Wo sie sich sehen ließ, und das war den ganzen Tag bald hier bald dort, redete sie freundlich mit ihnen, und den Leuten leuchtete die Freude aus den Augen. Aber gehor- chen mußte Alles. Sie war aber nicht bloß eine Landwirthin, sondern eine höchst geistreiche und in allen Dingen unterrichtete Frau. Ich schulde ihr sehr viel; sie hatte mir, als ich Frieders- dorf übernahm, die nöthigen Wirthschaftsbeamten verschafft und die Rechnungsbücher einrichten lassen.“ So weit Marwitz über Frau von Friedland . Sehr ähn- lich, aber noch lebhafter, wärmer, begeisterter, äußert sich Thaer über dieselbe, der sie im Sommer 1801 (nachdem er schon 1799 ihre erste Bekanntschaft gemacht hatte) bei seinem zweiten Besuch in der Mark näher kennen lernte. Er schreibt: „auf der Grenze ihrer Herrschaft kam uns Frau von Friedland, eine der merk- würdigsten Frauen, die je existirt haben, in vollem Trabe entge- gen, sprang vom Pferde, und setzte sich zu uns in den Wagen. Nun ging es in vollem Galopp über Dämme und Gräben weg. Wir fuhren vier volle Stunden von einem Orte zum andern. Fünf bis sechs Verwalter, Schreiber u. s. w. waren immer neben und hinter dem Wagen, und mußten bald eine Heerde Kühe, bald eine Heerde Schafe oder Schweine herbei holen. Da indessen einige der Gesellschaft nicht länger verhehlen konnten, daß ihnen nach einem Imbiß verlange, sagte Frau von Friedland: „wir sind sehr bald zu Hause; wollen Sie aber im Freien essen, kann ich Ihnen sogleich etwas schaffen.“ Als wir letzteres versicherten, ging es sofort in einen prächtigen Wald hinein, einen steilen Berg hin- auf, wo wir erst ein Feuer, und bald darauf eine gedeckte Tafel erblickten, auf einem Platze, wo wir im Vordergrunde dichte Wal- dung, zur Seite einen großen See und in der Ferne eine weite Aussicht in das herrliche Oderbruch hatten. Eine Menge von Schüsseln, die schönsten Weine, und ein Dessert von Ananas, Weintrauben u. s. w. ward aufgetragen. Aber sie ließ uns zum Essen und Trinken nicht eben viel Zeit. Es ging bald wieder fort, von einer Feldflur zur andern, und so waren wir gewiß 15 Mei- len die Kreuz und Quer gefahren, ehe wir auf ihrem gewöhnlichen Wohnsitze, auf Schloß Cunersdorf ankamen. Sie hat außerdem noch 7 bis 8 völlig eingerichtete Wohnungen, wo sie, wie es ihr einfällt, Mittag oder Nachts bleibt. Ihre Leute wissen es keine Stunde vorher, wo sie essen oder schlafen will.“ Im weitern Verlauf der Schilderung, die Thaer von ihr entwirft, heißt es an anderer Stelle: „Heute von Morgens 6 Uhr an, bis jetzt, Abends 10 Uhr, hat sie uns nicht fünf Minuten Ruhe gelassen. Wir haben gewiß vier Spann Pferde müde gefahren. So etwas von Aktivität ist mir noch nie vorgekommen. Sie hat über ein Dutzend Verwalter, Schreiber und Meier, und dennoch kennt sie jeden kleinen Garten- fleck, jeden Baum, jedes Pferd, jede Kuh, und bemerkt jeden klei- nen Fehler, der in der Bestellung vorgefallen ist, jede Lücke in einer Hecke, jeden falschgestellten Pflug. Sie hat nicht nur mehrere große Branntweinbrennereien und Brauereien, sondern betreibt auch ein starkes Mühlengewerbe, weshalb sie sich förmlich in das Mül- lergewerk hat einschreiben lassen, so daß sie das Meisterrecht hat, und Lehrburschen ein- und losschreiben kann.“ Diese Schilderungen, sowohl die Thaer ’schen wie die von Marwitz herrührenden, deuten bereits den Punkt an, worin Frau von Friedland ganz besonders hervorragte; ich meine ihr Or- ganisations- und Erziehungs-Talent, ihre Gabe, Leute aus dem Bauernstande zu treuen und tüchtigen Verwaltern, Förstern und Jägern heranzubilden. Sie zeigte dabei eben so viel Menschen- kenntniß, wie sie zugleich Gelegenheit hatte, die Bildungsfähigkeit der hier lebenden deutsch-wendischen Mischrace anzuerkennen. Die meisten und besten Grundstücke der Herrschaft Cuners- dorf-Friedland gehörten (und gehören noch) zu jenem Theil des Oderbruchs, der erst durch die von Friedrich dem Großen, während der in den vierziger und fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts aus- geführten Odermelioration, dem Wasser und Sumpf abgerungen wurde. Diese Grundstücke waren nicht sofort fruchtbar; mehrere Decennien vergingen, ehe, bei dem damaligen mangelhaften Zu- stande des Ackerbaues in unserer Provinz, diesem eroberten Grund und Boden sehr mäßige Erndten abgerungen werden konnten. Hier treten uns die ganz besonderen Verdienste der Frau von Fried- land entgegen. Aber auch verwandten Gebieten wandte sie ihre Aufmerksam- keit und ihren Eifer zu. Ihre Baumschulen, ihre Pflanzungen er- regten Erstaunen, so wie denn z. B. im Frühjahr 1803 (bei ihrem Tode) ein Vorrath von 25 Wispeln Kienäpfel zur Aussaat sich vorfand. Auch auf Verschönerungen war sie, feinen Sinnes, bedacht, und die reizenden Partien zwischen Buckow und Pritzhagen, die „Springe“, die „Silberkehle“ und andere Glanz- punkte der märkischen Schweiz, sind in ihrer ersten Anlage ihr Werk. Durch Umsicht, Sorgsamkeit und Anspannung aller Kräfte, über die sie Verfügung hatte, die Schätze dieses Bruchbodens ge- hoben und seine Naturkräfte lebendig gemacht zu haben, wird im- mer ein besonderes, nicht leicht zu überschätzendes Verdienst dieser ausgezeichneten Frau verbleiben. Was sie that, wurde Beispiel, weckte Nacheiferung und wurde, wie ihr zum Nutzen, so dem gan- zen Landestheil zum Segen. Sie starb, noch nicht 49 Jahr alt, am 23. Februar 1803 in Folge einer heftigen Erkältung, die sie sich, zu rascher Hülfe herbeieilend, bei einem, auf einem ihrer Gü- ter ausgebrochenen Feuer zugezogen hatte. Ihr Gedächtniß lebt segensreich in jenen Oderbruchsgegenden fort, die ihrem Vorbild, ihrem Rath und ihrer Hülfe so viel verdanken. [ Graf und Gräfin Itzenplitz von 1803 bis 1848.] General Lestwitz hatte eine einzige Tochter (die Frau von Friedland) gehabt, an die Cunersdorf-Friedland und die dazu ge- hörigen Güter übergegangen waren; Frau von Friedland hatte ebenfalls eine einzige Tochter (Henriette Charlotte), die nun das reiche Erbe antrat. Diese einzige Tochter, Henriette Charlotte von Borcke , geb. zu Potsdam am 18. Juli 1772, vermählte sich am 23. Sep- tember 1792 mit dem eben damals zum Kriegs- und Domainen- rath ernannten Peter Alexander von Itzenplitz (geb. am 24. August 1768 zu Groß-Bähnitz im Havelland), und in Folge dieser Vermählung ging das Lestwitz-Erbe an die Familie Itzen- plitz über, die sich, zugleich mit älteren Familiengütern in der Altmark und im Havellande, bis diesen Augenblick im Besitz der schönen Herrschaft Cunersdorf-Friedland befindet. Gleich nach sei- ner Vermählung trat das junge Paar eine vorzugsweise auch auf landwirthschaftliche Zwecke gerichtete Reise nach Holland und Eng- land an. Während dieses Aufenthaltes in England schrieb von Itzenplitz , auf ausdrücklichen Wunsch des damaligen Ministers von Struensee , verschiedene Berichte über landwirthschaftliche und commercielle Fragen, worin er seine Beobachtungen und seine Ansichten über das, was sich seinem Auge dargeboten hatte, nie- derlegte. Diese landwirthschaftliche Reise durch die verschiedenen Länder West-Europa’s dehnte sich bis in’s zweite Jahr hinein aus. Das junge Paar würde gern auch Frankreich besucht und die Agrikultur-Verhältnisse dieses Landes kennen gelernt haben, wenn nicht die französische Revolution, die eben damals auf ihrer Schre- ckenshöhe stand, die Ausführung dieses Planes verhindert hätte. Uebrigens erwies sich diese Reise (auch ohne daß Frankreich berührt worden war) von den segensreichsten Folgen für die Bewirthschaf- tung der eigenen Güter. Besonders waren die englischen Landwirth- schaften als mustergültig erkannt worden und ihnen wurde nun als Vorbild nachgestrebt. Darin wurde von Itzenplitz von sei- ner Gemahlin unterstützt, die den Geist ihrer Mutter geerbt hatte und namentlich nach dem Tode dieser (der Frau von Friedland) die Verwaltung der Güter mit einer dort heimisch gewordenen Um- sicht und Energie betrieb. Von 1794 bis 1804 war von Itzenplitz Landrath des Havelländischen Kreises. In dieser Zeit machte er auch die Bekannt- schaft Thaers , der 1799 seine erste, 1801 seine zweite Reise in die Mark antrat. Thaer lernte das junge Itzenplitz ’sche Paar auf Schloß Cunersdorf im Hause der damals noch lebenden Frau von Friedland kennen und die Beziehungen wurden so freund- schaftlicher Natur, daß im Jahre 1803, als Hannover von den Franzosen besetzt wurde, Thaer seine Frau und Töchter zu grö- ßerer Sicherheit nach Cunersdorf schicken konnte, wo sie von dem Itzenplitz ’schen Ehepaar (Frau von Friedland war im Februar desselben Jahres gestorben) auf das fürsorglichste aufgenommen wurden. An anderer Stelle habe ich ausführlicher erzählt, wie es vorzugsweise die freundschaftliche Vermittelung Itzenplitz ’s war, die im Jahre darauf (1804) zur Uebersiedelung Thaers von Celle nach Möglin führte. Itzenplitz befürwortete jene günstigen Be- dingungen, ohne welche Thaer seine alte sichere Stellung nicht hätte aufgeben können, um eine neue, immerhin unsichere, an- zutreten. 1804 legte von Itzenplitz sein Landrathsamt nieder, um sich ausschließlicher der Verwaltung seiner Güter, zu denen eben jetzt nach dem Tode der Frau von Friedland die Herrschaft Friedland hinzugekommen war, widmen zu können. 1810 indeß zum Geheimen Staatsrath und General-Inten- danten der Domainen und Forsten ernannt, gab er sich ganz die- ser schwierigen Verwaltungsthätigkeit hin, doppelt schwierig und verantwortungsvoll eben damals, wo die Kriegsdrangsale die Ver- äußerung der Königlichen Domänen nöthig machten. Er blieb in dieser verantwortungsvollen, das höchste Vertrauen bekundenden Stellung bis 1814, wo er ausschied, nachdem Herr von Bülow zum Finanzminister ernannt worden war. Das Jahr darauf indeß (1815) wurde er wegen seiner in den Kriegsjahren bethätigten, aufopfernden Vaterlandsliebe in den Grafenstand erhoben und auf seinen und seiner Gemahlin Wunsch das Wappen des inzwischen ausgestorbenen Lestwitz ’schen Geschlechts mit dem Itzenplitz ’schen Wappen vereinigt. Seit 1815 lebte Graf Itzenplitz auf seinen Gütern, nament- lich auf Cunersdorf. Das Beispiel, das seine und seiner Gemah- lin Art der Güterbewirthschaftung, sowohl in der Mark wie in Pommern gab, hat in beiden Provinzen höchst segensreich gewirkt und die Agrikultur weiter Distrikte auf eine höhere Stufe gehoben. Aber der im besten Sinne reformatorische Eifer des gräflichen Paares beschränkte sich nicht auf Ackerbestellung und Bodenkultur, auch die schwierigen Verhältnisse der Gutsherrschaft zu den Bauern wurden auf den Itzenplitz ’schen Gütern durch freies Ueberein- kommen geregelt und die Hofedienste in mäßige Geld- und Korn- Abgaben umgewandelt, lange bevor an eine Gesetzgebung von 1811 gedacht wurde. Ebenso sind bei allen Gemeinheitstheilungen und Servitutsablösungen die Itzenplitz ’schen Güter immer Muster und Vorbild gewesen. Graf Peter Alexander von Itzenplitz starb am 14. Sep- tember 1834 zu Groß-Bähnitz im Havellande; seine Gemahlin zu Berlin am 13. April 1848. Die Herrschaft Friedland ging an den zweiten Sohn, den Grafen Heinrich August Friedrich von Itzenplitz (geb. den 23. Februar 1799), jetzigen Minister des Handels über. Nachdem ich bis hierher in biographischer Weise die Perso- nen vorgeführt habe, die seit 1763 in Cunersdorf heimisch waren, versuche ich nunmehr die Lokalität und anknüpfend an diese, die lokalen Ereignisse während eines halben Jahrhunderts zu schildern. Lestwitz baute das Schloß. Wie er es baute, ist es noch. Eine Einfahrt von der Dorfgasse her bildet zugleich die Scheide- linie zwischen den ausgedehnten Wirthschaftsgebäuden zur linken und den Wohngebäuden zur rechten Seite. Das Schloß ist in jenem Styl gebaut, der damals in der Mark ausschließlich Gel- tung hatte, und am richtigsten als „verflachte Renaissance“ bezeich- net worden ist. Ein Erdgeschoß, eine Belle-Etage, eine Rampe, ein geräumiges Treppenhaus, ein Vorflur, dahinter ein Gartensalon und von dem Salon aus ein Blick in den Park. Das Ganze breit, behaglich, gediegen. 1765 hatte der damalige Oberst von Lestwitz Cunersdorf gekauft, aber erst 1773, wie die Jahreszahl über dem Portal besagt, wurde der Schloßbau beendet. Bis zu diesem Jahre also haben wir unseren Lestwitz , kurze Besuche be- hufs Inspicirung des Baues abgerechnet, schwerlich in Cunersdorf zu suchen; ohnehin hielt ihn der Dienst bei dem Bataillon Garde, das er commandirte, in Potsdam fest. Dieser Dienst gestattete auch wohl, von 1773 ab, nur kurze Besuche, und von einem wirklichen Beziehen des Schlosses, von einem heimisch werden darin konnte wohl erst die Rede sein, nachdem unser Lestwitz (inzwischen zum General-Major avancirt) den Dienst überhaupt quittirt hatte. Dies war 1779. Von da ab bis zum Tode des Generals (1788) ge- hörten die Sommermonate einem Aufenthalt in Cunersdorf, wäh- rend der Winter in der Hauptstadt zugebracht wurde. Die Stadt- wohnung war das wohlbekannte Nicolai’sche Haus in der Brü- derstraße. Vielleicht das wichtigste Ereigniß, das in diesen neun Jahren Schloß Cunersdorf und seine Bewohner traf, war die große Oderüberschwemmung im Jahre 1785. Es war das dieselbe Ueber- schwemmung, die in dem benachbarten Frankfurt dem opfermuthi- gen Herzog Leopold von Braunschweig den Tod brachte. Weder vorher (so weit Berichte reichen) noch nachher hat das Oderwasser in diesen Gegenden eine gleiche Höhe erreicht. Ein Pfeil am Cu- nersdorfer Schloß zeigt noch, wie hoch damals das Wasser stand. Die Fluthen strömten in die Küche ein und mit ihnen kamen al- lerlei Fische, groß und klein, und plätscherten ungefährdet und wie zum Spott in den eingemauerten Kesseln umher, aus denen sie dann bei guter Zeit ihren Rückzug antraten. Der Park stand unter Wasser und in halber Höhe der Rampe, auf der sonst die Equi- pagen vorfuhren, legten die Kähne an. Das war ein Ereigniß. Sonst vergingen die Tage in jener stillen Weise, die das Leben alter Militairs, vielleicht nach einem Naturgesetz, so oft kennzeichnet; der Lärm und die Leidenschaften des Kriegshandwerks machen sie doppelt begierig nach der Stille des Friedens und des Alters. So war es auch hier. Alte Kame- raden kamen oft und waren gern gesehen; im Wort lebte wieder auf (auch wohl ausgeschmückt), was einst That gewesen war. Die großen Tage wurden wieder lebendig. Ein Gang durch den Park, ein Ritt in’s Feld, die Freuden der Tafel, auch Billardspiel füll- ten den Tag aus (zur Jagd war man zu alt, auch war sie nicht Mode unter dem großen König); der Abend gehörte dem Tarock oder dem Geplauder. Festtage waren die Besuchstage in der Um- gegend, zumal bei „ Prittwitzens “ in dem nahe gelegenen Qui- litz. Mit allen Dehors, die dem gegenseitigen Range gebührten, ging man dabei zu Werke; 6 Pferde (nie weniger) wurden vor die Staatskarosse gelegt, der Staub auf dem ziemlich öden und sandigen Wege wirbelte auf und der Kutscher beschrieb mit mög- lichster Eleganz die Curve, die das langgespannte Gefährt auf die Rampe des Quilitzer Schlosses führte. Aber solche Besuche fanden nicht häufig statt. Prittwitz spielte hoch (noch 1790 nahm er dem Herzog von Mecklenburg 30,000 Thaler in einer Nacht ab) und Lestwitz war ein guter Wirth und frommer Christ. So vergingen die Tage in Schloß Cunersdorf bis 1788, vielleicht auch noch bis 1793, wo die Generalin von Lestwitz ihrem Gatten folgte. Von da ab wurde es anders. Sinn und Geschmack der Frau von Friedland lagen nach anderer Seite hin, und statt der „alten Kameraden“, die nichts hatten als ihre Erinnerungen und nichts liebten als ihre Spielparthie, wurden nun — gleichsam eine andere Hinterlassenschaft aus der Fridricia- nischen Zeit her — die Berliner Savants, die Akademiker und Philosophen in Schloß Cunersdorf heimisch. Zum Theil mochte das Nicolai ’sche Haus (in welchem Frau von Friedland ihre Stadtwohnung beibehielt) eine äußerliche Veranlassung dazu bieten, was aber den Ausschlag gab, das lag tiefer. Die Epoche der geist- reichen Cirkel, die, zehn Jahre später, in der Prinz Louis Fer- dinand -Zeit ihren Höhepunkt erreichte, war eben angebrochen; Geburt war nicht viel (oder sollte nicht viel sein), Talent war alles. Diese Anschauung, damals die herrschende, herrschte auch in Schloß Cunersdorf. An Stelle der Obersten und Generale traten mehr und mehr die Gelehrten und Akademiker in den Vor- 30 dergrund; Buttmann und Bode, Engel und Spalding, Biester und Nicolai waren gern gesehene Gäste und die Vertreter berühmter Namen galten wenig, wenn sie nicht ihres Theils gewirkt und ge- schafft und das ererbte Pfund durch eigene Kraft gemehrt hatten. Der Tod der Frau von Friedland änderte hierin nichts Wesentliches; die Gräfin Itzenplitz (Frau von Friedlands Toch- ter) trat eben in jedem Sinne die Erbschaft der Mutter an und alles was hervorragte, sei es in Staat, in Leben, in Wissenschaft, fand nach wie vor die gastlichen Thore von Schloß Cunersdorf offen. Wenn sich ein Unterschied zeigte, so war es vielleicht der, daß die einseitige Bevorzugung des Talents, des Wissens, wie es die Mode, die Zeitströmung mit sich gebracht hatte, nunmehr einer nach allen Seiten hin gerechteren Würdigung des Lebens und seiner tausend Kräfte Platz machte. Die persönlichen Neigungen der Tochter lagen im Wesentlichen nach derselben Seite hin, wie die der Mutter, die Wissenschaften standen in erster Reihe (unter diesen wieder Botanik und die Naturwissenschaften obenan) und Klap- roth, Willdenow, Lichtenstein, Ermann , beide Humboldt ’s, Leopold von Buch , dazu Savigny, Ranke, Knesebeck, Reden, Marwitz , Oberst von Romberg , vor allem der alte Oberpräsident von Vincke , waren Freunde und Gäste des Hau- ses. Aber, wie schon angedeutet, der Kreis war doch ein weiter gezogener als zu den Lebzeiten der Mutter, und die Kunst , deren erstes Dämmern in diesem Lande Frau von Friedland nur eben noch erlebt hatte, fand ein eingehenderes Verständniß, und soweit es die Zeitverhältnisse und die Mittel eines Privathauses überhaupt gestatteten, auch Pflege und Förderung bei der Tochter. Rauch, Friedrich Tieck, Wach (der beiden Altmeister Schadow und Weitsch zu geschweigen) traten, theils menschlich, theils künstlerisch, in nähere Beziehung zu dem Itzenplitz ’schen Hause, und der Verlauf dieses Aufsatzes wird mir noch Gelegenheit geben, ihre Werke, soweit sie auf Schloß Cunersdorf Bezug haben, an dieser Stelle aufzuzählen. Die eben genannten Namen haben uns bereits bis an die Grenze der Gegenwart geführt, aber noch haben wir in aller Kürze von Tagen zu erzählen, die dem Anfange dieses Jahrhunderts an- gehören; ich meine die Kriegs- und die Franzosenzeit, die ganze Epoche von Jena bis Leipzig. Auch Cunersdorf hat seine Erinne- rungen und sogar seine kleinen historischen Momente aus jener Zeit her. Die Schlacht von Jena war geschlagen und die Sieger gin- gen wie eine Welle über das Land hin. Von dieser ersten Kriegs- noth scheint Cunersdorf wenig oder gar nicht berührt worden zu sein, erst der Rückschlag der Welle (wie er dem Frieden von Tilsit folgte) brachte den Feind auch in diese Gegenden. Die Marken, unter allerhand Vorwand, blieben okkupirt, trotzdem der Wortlaut des Friedens alles Land östlich der Elbe dem besiegten Preußen gelassen hatte und von den okkupirenden Truppen kamen die be- rühmten Kavallerie-Regimenter, die die Division Nansouty bildeten, in die Oderbruchdörfer zu liegen. Die Wahl war gut getroffen; wo hätten die 10,000 Pferde sich wohler fühlen können, als in der Kornkammer der Provinz? In Schloß Cunersdorf allein lagen 48 Franzosen in Quartier, darunter wenigstens zehn Offiziere. Einzelne gehörten guten Familien an, die meisten aber waren roh und ungebildet und machten es der Itzenplitz ’schen Familie un- möglich, mit ihnen zu leben. Zehn Monate lang lag diese „schwere Cavallerie“ (schwer in jedem Sinne) in den Oderbruchdörfern; endlich rückte sie westwärts. Liebesaventuren, Händel, Hazard und Pistolenschießen hatten plötzlich ein Ende, und Schloß Cunersdorf wurde gelüftet und gebadet, als wäre der Böse darin gewesen. Die Regimenter zogen nach Spanien, später, wenigstens theilweis, nach Rußland. Aber wenn man im Oderbruch und speciell in Cunersdorf dieser schweren Kavallerie nicht vergaß, so vergaß diese auch ihrer- seits nicht, wie „fette Weide“ diese Gegenden für Roß und Reiter geboten. Im Januar 1813 kamen Quartiermacher durch das Dorf und gaben Zettel im Schloß und auf dem Schulzenamt ab, in denen die nahe Ankunft der „Nansouth’schen“ und ihrer Anverwandten 30* (nunmehr, wenn wir nicht irren, unter dem Oberbefehl des Ge- nerals Sebastiani) fast wie ein Wiedersehn, wie ein bevorstehendes freudiges Ereigniß angekündigt wurde. Aber ob nun diese nach- rückenden Reiter, die meist keine Reiter mehr waren, eine andere Route nahmen, oder ob diese Zettel nur gleichsam Bülletins im Kleinen darstellten, darauf angelegt, die Gegenden, durch die man kam, noch an das Vorhandensein der grande armée glauben zu machen, gleichviel, die schwere Kavallerie kam nicht. Wer kam, das waren andere. Am 18. Februar, als man es freilich längst aufgegeben hatte, die ehemalig Nansouty’schen noch zu sehen, hielten plötzlich, unver- muthet, unangemeldet, struppige Pferde vor jedem Ausgang des Dorfes und auf den kleinen, abgetriebenen Gäulen saßen seltsame Leute mit Pelzmützen und Piken, wie sie seit den Tagen von Zorn- dorf und Schlachten -Kunersdorf in diesen Gegenden nicht mehr gesehen worden waren. Es waren Kosaken . Damit hatte es folgenden Zusammenhang. General Tscher- nitscheff , der Führer der russischen Avantgarde, nachdem seine Vorhut unter Oberst von Tettenborn bereits am Tage zuvor bis Werneuchen und Alt-Landsberg vorgedrungen war, hatte am 18. in der Mittagsstunde die Oder passirt. „Ein Alliirter von Rußland her,“ so erzählt Friedrich Adami , „hatte ihm und seinen 2000 Pferden die Brücke dazu gebaut. Die Oder trug noch ihre Eisdecke. Wenige Stunden später, um 4 Uhr Nachmittags, brach das Eis, auf dem drei russische Regimenter (Kosaken, Dra- goner und Husaren) nebst einigen Kanonen über die Oder mar- schirt waren. Es hatte, so schien es, nur eben noch die Landsleute des harten, nordischen Winters hinüber lassen wollen. Diese 2000 Reiter erschienen jetzt in den Dörfern zwischen Wriezen und Möglin; Tschernitscheff selbst übernachtete in Schloß Cunersdorf.“ In Schloß Cunersdorf selbst erzählt man den Hergang etwas abweichend. Danach erschien Tschernitscheff nicht spät Nachmit- tags, sondern bereits früh am Morgen, übernachtete auch nicht im Schloß, sondern brach nach kurzer Rast und nachdem alle 2000 Reiter im Dorfe gefuttert hatten, in der Richtung von Straus- berg und Herzfelde auf. Dafür, daß alle 2000 Reiter Cunersdorf passirten, scheint allerdings der Umstand zu sprechen, daß, nach einer noch fortlebenden Erinnerung, an jenem einen Vormittage 17 Wispel Hafer verfuttert wurden. Das Jahr 1813 brachte noch einen andern Gast nach Schloß Cunersdorf und mit seinem Besuche schließen wir, wie mit einem kleinen Idyll. Dieser Gast war Chamisso . Chamisso , bekanntlich in Folge der französischen Revolu- tion aus Frankreich (Schloß Boncourt in der Champagne) emi- grirt, Zwei ältere Brüder Adalberts von Chamisso (Hippolyt und Karl ) waren Leibpagen im Dienste Ludwigs XVI. und Karl war unausgesetzt um die Person des unglücklichen Monarchen in dessen bedrängtesten Lagen, namentlich am 10. August 1792. Bei einem Auflauf zerschlagen und verwundet, wurde Karl von Chamisso nur mit Mühe gerettet. Der König verkannte das Verdienst nicht, das sich der Page um ihn erworben hatte und fand Gelegenheit, ihm einen Degen zuzustecken, den er, der König, in glücklicheren Jahren getragen hatte. Zu gleicher Zeit schrieb er auf einem nur etwa thalergroßen Zettelchen: „Ich empfehle Herrn von Chamisso , einen meiner treuen Diener, meinen Brüdern. Er hat mehrere Male sein Leben für mich auf das Spiel gesetzt. Lud- wig .“ Dies Zettelchen und der Degen befinden sich bis diesen Tag in Händen der Familie; der älteste Sohn (preußischer Offizier) Adalbert von Chamissos besitzt Beides. hatte als preußischer Offizier die unglückliche Campagne von 1806 und speciell die Kapitulation von Hameln mit durchge- macht. Seitdem lebte er ausschließlich den Wissenschaften, besonders dem Studium der Botanik. Im Frühjahr 1813 waren seine Mit- tel erschöpft und Professor Lichtenstein , dem Itzenplitz ’schen Hause befreundet, empfahl den jungen Botaniker (eben unsern Chamisso ) nach Cunersdorf hin, wo er, nach bald erfolgtem Eintreffen, die Anlegung einer großen Pflanzensammlung unter- nahm, eines Herbariums, das einerseits die ganze Flora des Oder- bruchs, andererseits alle Garten- und Treibhauspflanzen des Schlosses selbst enthalten sollte. Chamisso verweilte einen Som- mer lang in dieser ländlichen Zurückgezogenheit, und unterzog sich seiner Aufgabe mit Gewissenhaftigkeit. Das von ihm herrührende Herbarium existirt noch. Die Mußestunden gehörten aber der Dicht- kunst, und im Cunersdorfer Bibliothekzimmer war es, wo unser Chamisso , am offenen Fenster und den Blick auf den schönen Park gerichtet, den „Peter Schlemihl“, seine vielleicht bedeutendste und originellste Arbeit niederschrieb. Einige Stellen aus Briefen, die er damals an Varnhagen und Itzig richtete, mögen hier auszugsweise einen Platz finden. Er schreibt an Varnhagen (Cunersdorf, den 27. Mai 1813): „Lieber Varnhagen , thun und lassen war für mich gleich schmerzhaft; durch den Machtspruch von Ehrenmännern in Unthätigkeit gebannt, bring’ ich den Sommer bei dem Herrn von Itzenplitz auf seinen Gütern zu (in Cunersdorf bei Wriezen) und beschäftige mich allein mit Botanik, wozu ich die herrlichsten Hülfen habe. Ich helfe hier übrigens auch den Landsturm exerciren und kommt es zu einem Bauernkrieg, so kann ich mich wohl darein mischen — pro aris et focis. — Mit euch unterzugehen, will ich nicht verneinen .“ Er fühlte sich, trotz der natürlichen Bande, die ihn an Frankreich knüpften, so ganz als Deutscher, daß er im Jahre 1818 bei seiner Rück- kehr von der „Reise um die Welt,“ die er unter Otto von Kotzebue an Bord des „Rurik“ gemacht hatte, auf der Rhede von Swinemünde schreiben konnte: Heimkehret fernher, aus den fremden Landen, In seiner Seele tief bewegt der Wanderer; Er legt von sich den Stab und knieet nieder, Und feuchtet deinen Schooß mit stillen Thränen, O deutsche Heimath! — Woll’ ihm nicht versagen Für viele Liebe nur die eine Bitte: Wann müd’ am Abend seine Augen sinken, Auf Deinem Grunde laß den Stein ihn finden, Darunter er zum Schlaf sein Haupt verberge. An Hitzig (Cunersdorf, Juni 1813): „Ich arbeite immer an meinen Pflanzen, gehe mit meinem Gärtner botanisiren, vergleiche meine Kataloge, corrigire die fran- zösischen Aufsätze der jungen Leute, unterweise sie etwas in der Botanik.... Das war ein schwerer Mai (Lützen und Bautzen). Wie klingt doch so seltsam mit einem Male in mir das Wort Fouqué’s: Im Mai, im Mai, im jüngsten Mai, Wo alles Leben sonst geht auf, Da ist des jungen Helden Lauf Ganz wider Blumenart vorbei. O Gott, möchte er es nicht von sich selber gesungen haben! Grüß mir die Bekannten und Freunde, die Dir in den Wurf kommen. Gott verzeihe mir meine Sünden; aber es ist wahr: Das ist die schwere Zeit der Noth, Das ist die Noth der schweren Zeit, Das ist die schwere Noth der Zeit, Das ist die Zeit der schweren Noth. Da hast Du ein Thema. An Hitzig (Cunersdorf; wahrscheinlich im September). „.... Du hast nichts weniger von mir erwartet als ein Buch! Lies das Deiner Frau vor, heute Abend, wenn Du Zeit hast. Wenn sie neugierig wird zu erfahren, wie es Schle- mihl weiter ergangen und besonders, wer der Mann im grauen Kleide war, so schick mir gleich morgen das Heft wieder, auf daß ich daran schreibe; — wo nicht, so weiß ich schon was die Glocke geschlagen hat. Vom dritten Kapitel ist das erst der An- fang; dies und das folgende sind mir sehr beschwerlich — es stehen die Ochsen am Berge.“ An Hitzig (Cunersdorf, Spätherbst 1813). „Dieses zur Erinnerung, daß Du einen Freund in Cu- nersdorf hast, dem Du eben nicht sehr oft schreibst. Es ist eine ganz fatale Empfindung, wenn alle Tage der Postbote einläuft, und die Austheilung der Briefe im Salon geschieht und für einen Jeden etwas da ist, und für den Herrn von Chamisso — nischt niche! .... Ich kratze immer an meinem „Schlagschatten“, und wenn ich’s Dir gestehen muß, lache und fürchte ich mich manch- mal darüber, so wie ich daran schreibe; — wenn die Andern nur für mich nicht darüber gähnen. Mein viel gefürchtetes vier- tes Kapitel habe ich mir, nach vielem Kauen, gestern aus einem Stücke, wie eine Offenbarung, aus der Seele geschnitten und heute abgeschrieben. Es ist auch schon eher Morgen als Nacht, darum ade. Das Blitz-Prosa-schreiben wird mir ungeheuer sauer, mein Brouillon sieht toller aus als alle Verse, die ich je gemacht.“ Bald nach diesem Briefe scheint Chamisso nach Berlin zu- rückgekehrt zu sein. Es wird zwar in Cunersdorf erzählt, er habe sich zunächst nach Nennhausen hin, zu Fouqué , auf den Weg gemacht, um diesem seinen Schlemihl vorzulesen; es liegen aber doch wohl Monate dazwischen, da, wie wir aus dem letztcitirten Briefe ersehen, bis etwa Mitte Oktober, erst vier Kapitel von elf beendigt waren. Uebrigens stand Fouqué damals auch wohl im Felde. So waren die Erlebnisse von Schloß Cunersdorf, so waren die Personen, die, während eines halben Jahrhunderts und darüber, dort kamen und gingen. Wir durchschreiten jetzt zunächst die Säle und Zimmer des Erdgeschosses und verweilen vor älteren und neueren Familienpor- träts von zum Theil künstlerischem Interesse. Die Aufzeichnung dieser Bilder aber an andrer Stelle gebend (Siehe die Anmer- kungen), wenden wir uns nunmehr dem im obern Stockwerk ge- legenen Bibliothekzimmer zu, wo wir zunächst den Bildnissen derer begegnen, die einst Freunde des Cunersdorfer Hauses waren: Thaer, Wildenow, Alexander von Humboldt, Reil ꝛc. Was aber unser Interesse lebhafter in Anspruch nimmt, das ist ein großer pultartiger Schrank, der in seinen verschiedenen Kästen und Fächern alles das umschließt, was sich auf den Generalmajor von Lestwitz bezieht. Das ganze Arrangement erinnert mehr oder weniger an die großen Glaskästen, in denen man in England (im Britischen Museum, im Greenwich-Hospital, in Abbotsford ꝛc.) allerhand Erinnerungsstücke an historische Persönlichkeiten, z. B. an Nelson, Walter Scott oder Sir John Franklin aus- zustellen pflegt. Auch unsere „Kunstkammer“ hat ähnliches. In diesem Lestwitz -Schrank, dessen oberer Theil eben aus einem solchen Glaskasten besteht, befinden sich folgende Gegen- stände: 1) Die beiden Degen des Generalmajors von Lestwitz , jeder mit Draht-umsponnenem Griff und einfacher Lederscheide. 2) Der Schlachtplan von Torgau („der Lestwitz -Tag“) groß und in sauberster Ausführung. Dazu: Ausführlicher Be- richt, wie die merkwürdige Schlacht bei Siptitz, ohnweit Torgau, am 3. November 1760 geschehn ist. Leipzig, bei Christian Gott- lieb Hilscher . 3) Charten und Manöverpläne, die der Generalmajor von Lestwitz selbst gebraucht. 4) Charten, die auf den siebenjährigen Krieg Bezug haben bis 1763. 5) Militairische Pläne und Charten seit 1763. Alle unter 3, 4 und 5 angeführten Charten und Pläne be- finden sich in großen Mappen und sind zum Theil für den Lest- witz ’schen Privat-Gebrauch gezeichnet und getuscht, theils im Buch- handel erschienen. Bei den letztern lesen wir abwechselnd: „Zu finden in Johann Jacob Korns Buchhandlung in Breslau“, oder: „gestochen von Glaßbach in Berlin.“ In demselben Schrank finden wir noch ein anderes histori- sches Werthstück, das freilich nicht mehr der Lestwitz -Zeit ange- hört, sondern vom Grafen Peter Alexander von Itzenplitz, von Groß-Bähnitz im Havellande her, mit nach Cunersdorf gebracht wurde. Es ist dies 6) der Flötenkasten Friedrichs des Großen , den, bald nach dem Tode des großen Königs, Friedrich Wilhelm II. an seinen Minister Wöllner zum Geschenk machte. Der Minister Wöll- ner war mit einer Itzenplitz vermählt, wodurch dies historische Werthstück (da das Wöllner’sche Paar kinderlos starb) in die Itzenplitz’sche Familie kam. Es ist ein weißer, in der geschmackvollsten Weise mit Rosen, Erdbeeren und allerlei Blumenguirlanden bemalter Porzellankasten, von etwa 5 Zoll Höhe, bei 7 Zoll Breite und 11 Zoll Länge. In diesem Kasten, der zwei Etagen hat, und mit rothem Sammt ausgeschlagen ist, liegt die Ebenholz-Flöte des Königs. Sie besteht aus 8 Stücken: einem Mundstück, einem Klappenstück und 6 Ein- satzstücken, jedes Stück von einem Elfenbeinrande eingefaßt. Dazu gehört noch (zugleich als Autograph von der Hand des Königs) eine 7 Seiten lange Partitur. Die Ueberschrift derselben lautet: Aria per il Paulino del Opera di Demofonté, allegro di molto non odi consiglio. Rechts oben in der Ecke: di Fre- derico. Vielleicht die größte Sehenswürdigkeit von Schloß Cuners- dorf ist die Begräbnißstätte für die Familie Lestwitz-Itzen- plitz . Dieselbe liegt an der anderen Seite der Dorfstraße und die verschlungenen Pfade eines Obstgartens, an Blumenbeeten und dem hohen Schilf eines kleinen Teiches vorbei, führen zu dieser Stätte hin. Eine hohe Schwarztanne, deren Zweige weit in den Friedhof hineinragen, bezeichnet den Eingang. Dieser Friedhof, den eine ziemlich niedrige Feldsteinmauer einfaßt, erinnert zumeist an die Begräbnißstätten der Familie Marwitz in Friedersdorf und der Familie Humboldt in Tegel. Mit beiden hat er eine gewisse Eigenthümlichkeit der Anlage gemein, und wenn er viel- leicht einerseits hinter der christlich-poetischen Schlichtheit des einen, wie anderseits hinter der klassisch-ästhetischen Feinfühligkeit des andern zurückbleibt, so übertrifft er doch beide durch Mannigfal- tigkeit und den Reichthum des künstlerisch Gebotenen. Die Anlage (wenn ich nicht irre, von Frau von Friedland herrührend, die auch hierin die Selbstständigkeit ihres Wesens zeigte) ist folgende. An der Einfassungsmauer entlang, aber diese bedeutend über- ragend, zieht sich, wie ein solider Wandschirm, ein Stück Mauer- werk entlang, dessen Rückseite glatt ist, während die Front (der Begräbnißstätte zugekehrt) eine Anzahl von Nischen zeigt. Einfache Säulen fassen nach links und rechts diese Nischen ein und tragen einen wenig vorspringenden Sims. Zu Füßen jeder Nische liegt ein Grabstein, während, in der Nische selbst, die Aschenkrüge mit den Reliefbildnissen der Verstorbenen oder sonstige Mementos ste- hen. Um die Grabsteine rankt sich Epheu; Geisblatt und Immer- grün steigen zu den Säulen empor. Die ganze Anlage hat den Vortheil, daß sie sich ohne Mühe, durch Anbau einer nenen Nische erweitern läßt. Der Bau, wie er jetzt ist, besteht aus neun Ni- schen, und die Mitglieder der Lestwitz-Itzenplitz ’schen Familie, die hier ihre Ruhestätte gefunden haben, sind (ich gebe die In- schriften wörtlich) folgende: 1) „Gruft des irdischen Ueberrests von Hans Sigismund von Lestwitz , Königl. Preußischen General-Majors der Infan- terie. Geboren zu Kontop in Schlesien am 19. Junius 1718; gestorben zu Berlin am 16. Februar 1788.“ Denkmal : eine über zwei Fuß hohe Urne von grauem schlesischem Marmor; in Front der Urne der Reliefkopf des Generals; oben auf der Urne, Helm, Schwerdt, Handschuh. Von Schadow zwischen 1790 und 1803 ausgeführt. 2) „Dies Denkmal bedeckt den sterblichen Theil von Ca- tharina Charlotte von Lestwitz , geb. von Treskow . Ge- boren zu Schlagentin im Magdeburgischen am 3. Januar 1734, gestorben zu Berlin am 14. Januar 1789.“ Denkmal : Urne von grauschwarzem Marmor mit Reliefbild. Ebenfalls von Schadow . 3) „Dem thätigen Geiste, der diese Fluren belebte, ordnete und nun schützt, Helenen Charlotten von Friedland , ge- bornen von Lestwitz . Geb. zu Breslau 18. November 1754, gestorben zu Cunersdorf den 23. Februar 1803.“ Denkmal : Ein Säulenabschnitt, an dem sich das Reliefbild der Heimgegan- genen befindet, trägt eine Marmor-Urne. Diese Urne zeigt am oberen Rande, auch reliefartig, die Attribute der Landwirthschaft: Pflug, Egge, Sense, Sichel, Harke. Darunter ein Genius, mit dem Schmetterling in der Hand; im Hintergrund zwei weibliche Figuren, von denen die eine einen Blüthenzweig, vielleicht eine Lotosblume, oder doch eine Blume von ähnlicher allegorischer Be- deutung, in der Hand hält, während die andere sich, durch eine Scheere in ihrer Rechten, als eine der Parzen kennzeichnet. Dies Denkmal, von Enrigo Keller in Rom herrührend, gilt für ein ausgezeichnetes Kunstwerk. Die Basreliefs an der Urne sind nach antiken Vorbildern ausgeführt Wilhelm von Humboldt wurde durch die befreundete Itzen- plitz ’sche Familie aufgefordert, die Anfertigung eines Grabdenkmals, am besten durch einen italienischen Künstler, zu vermitteln. Humboldt un- terzog sich gern dieser Aufgabe und schrieb an Enrigo Keller : „Auf der Urne wünscht man ein allegorisches Basrelief, wozu das bekannte Bas- relief von dem Genius und dem Schmetterlinge und zwei andern allegorischen Figuren, das sich auf der Vase im Palast Chigi befindet, das beste und schicklichste wäre.“ . Ich bekenne indeß, daß ich die hohe Schönheit speciell dieses antiken Reliefbildes (der Genius mit dem Schmetterlinge gleicht einem Amor, den eine Biene gestochen hat) nicht habe empfinden können. Der unten in der Anmerkung abgedruckte Brief Wilhelm von Humboldt ’s widerlegt mich, — ohne mich zu überzeugen. 4) „ Peter Alexander Graf von Itzenplitz . Zu Groß- Bähnitz geboren den 24. August 1769, gestorben den 18. Sep- tember 1834. Sein Herz, reich an umfassender Liebe, sein Geist voll Durst nach Wissen, wirkte mit lebendiger Einsicht und be- harrlicher Kraft, was in dauernder Frucht uns trostvoll umgiebt. Denkmal : Ein zugeschrägter griechischer Altar, trägt zuoberst das Reliefporträt des Grafen. Darunter ein anderes Reliefbild, das alte und das neue Oderbruch (d. h. den Zustand wie er war , und den Zustand wie er ist) allegorisch darstellend. Wasser ent- strömt der Urne der Najade, und Eiche, Storch und Reiher, die im Sumpf ihre Heimath haben, bezeichnen das alte Oderbruch. Aber das abgewandt entströmende Wasser legt den Vordergrund trocken und ein pflügendes Stiergespann, Apfelbaum und Garbe versinnbildlichen das Oderbruch, wie es jetzt ist. — Von Rauch herrührend. 5) „ Henriette Charlotte Gräfin von Itzenplitz , Ge- borne von Borcke , genannt von Friedland , geboren zu Pots- dam 18. Juli 1772, vermählt zu Cunersdorf, 23. September 1792, gestorben zu Berlin 13. April 1848.“ Denkmal : Eine zugeschrägte Marmortafel trägt die entsprechenden Reliefs. Gräfin Itzenplitz sitzt, mit dem Ausdruck heiterer Ruhe, auf einer Bank. Neben ihr ein Fruchtkorb, auf dem die Linke ruht; in der Rechten hält sie ein aufgeschlagenes Pflanzenbuch, zum Hinweis auf ihre Vorliebe für Garten- und Pflanzenkunde. — Ebenfalls von Rauch . 6) Gräfin von Itzenplitz , geb. Gräfin von Bernstorff. Denkmal : Der Engel des Todes entführt die Mutter ihren Kin- dern; aber noch im Scheiden sucht sie schützend ihren Schleier um alle die zu breiten, die sie zurückläßt. — Eine vortreffliche Arbeit von Friedrich Tieck . 7) Gräfin von Itzenplitz , geb. von Sierstorpff. Denk- mal : ein einfaches Marmorkreuz. 8) Gräfin von Itzenplitz , geb. von Kroecher. Denkmal : die Sterbende preßt das Kreuz an ihre Brust, während ihr der Engel des Todes den Kranz reicht. — Von Hugo Hagen . Der Platz der neunten Nische ist noch frei. Graf Heinrich von Itzenplitz , der gegenwärtige Besitzer der Herrschaft, hat ihn für sich reservirt, um hier an der Seite der Seinen zu ruhen. Der Friedhof selbst aber, von dem wir jetzt Abschied nehmen (und von dem wenige wissen), bildet eine Sehenswürdigkeit unserer Mark auch nach der Seite des Künstlerischen hin. Die besten bild- nerischen Kräfte, die unser Land hervorgebracht, hier waren sie thätig: Schadow, Rauch, Tieck . Und keiner von ihnen ist an dieser Stelle hinter sich selbst zurückgeblieben. Die schönste Stunde im Schloß ist die Morgenstunde. Noch ist Alles still; draußen leuchtet ein klarer Septemberhimmel, Luft und Sonne strömen durch das offene Fenster ein. Unter dem Fenster hin zieht sich ein Garten, mit Rasenplatz und Blumen-Rondel. Die Gänge sind frisch geharkt; keine Fußspur unterbricht die glat- ten Furchen; nur hier und da sieht man ein Gekräusel im Sand, von einem Huhn herrührend, das sich aus dem Hof in den Gar- ten stahl. Die Bosquets sind abgeblüht; die Spätlinge des Jah- res, meist rothe Verbenen, haben an der Rampenwand ein war- mes Plätzchen gesucht; dort trifft sie eben die volle Morgensonne. Hinter dem Garten steigt der Park auf und mitten durch den Park hin (in gerader Linie auf das Schloß zu) zieht sich, canal- artig, ein breiter Teich. Die Bäume zur Rechten des Wassers stehen dicht und dunkel; aber nach links hin lichten sie sich, und durch die Lichtungen hindurch, über weiße Birkenbrücken hinweg, blicken wir weit in das offene Wiesenland hinein. Friede ringsum. Auf das Fensterbrett vor mir setzt sich ein Spatz und zwitschert und sieht mich an, als erwart’ er sein Mor- genbrod von mir. Er pickt die Krume auf, die ich ihm hingewor- fen, und unterwegs seine Flügel in’s Wasser tauchend, fliegt er über die Breite des Teiches hin. Einzelne Sträucher lachen mit rothen Beeren aus dem Un- terholz des Parkes hervor; die große Linde, halb herbstlich schon, streut bei jedem Luftzug ein gelbes Blatt auf die Gänge nieder; aber im Fallen zögern die Blätter wieder und raffen sich auf, als überlegten sie, ob sie nicht lieber steigen sollen. Vereinzelte Vogel- stimmen singen in den Morgen hinein; sonst alles still; nur das Wasser, nun fast ein Jahrhundert schon, fällt an derselben Stelle melodisch-einförmig über das Wehr, wie ein Ewiges, das die Bil- der der Zeitlichkeit umschließt. Das Pfulen-Land. Ich lese gern von mancher tüchtgen Kraft, Die kühn gefolgt der Größten ew’gem Schimmer. H. v. Blomberg. W ie um Neustadt-Eberswalde herum ein „Sparren-Land“, so gab es, im Lauf des 16. und 17. Jahrhunderts, um Buckow herum ein Pfulen -Land. Hier an der Grenze zwischen Barnim und Lebus hatten, von kleinen Anfängen ausgehend, die Pfuels, die muthmaßlich mit den Askaniern in’s Land gekommen waren, ihren Haupt-Besitzstand aufgebaut, einen Besitz, der, zur Zeit der höchsten Blüthe der Familie, bis weit in die genannten beiden Landestheile hineinreichte und wenige Enclaven abgerechnet so ziemlich einen Kreis von 2 bis 3 Meilen Durchmesser bildete, — Buckow als Mittelpunkt. Die Pfuels kamen so früh in’s Land, daß sie schon im Jahre 1603 in einer Leichenpredigt, die beim Hinscheiden eines der Ihri- gen gehalten wurde, nicht nur ein „fürtreffliches“, sondern auch ein „ uraltes Geschlecht“ genannt werden konnten, ein Geschlecht, „aus welchem equestris et literati Ordinis viri, fürtreffliche Kriegsschilde, auch wohlgelahrte, verständige und versuchte Män- ner“ hervorgegangen sein. Diesem alten Ruhme hat die Familie in den Dritthalbhundert Jahren, die seitdem vergangen sind, ge- treulich nachgelebt, und der Verlauf dieses Aufsatzes wird verschie- dentlich Gelegenheit bieten, wie auf eine ganze Anzahl „fürtreff- licher Kriegsschilde“, so auch auf „wohlgelahrte, verständige und versuchte Männer“ hinzuweisen, die, wie vor so auch nach 1603, dem alten Hause entsprossen sind. Einige waren „Kriegsschilde“ und „wohlgelahrte Männer“ zugleich; keiner glänzender vielleicht als Jener eine, der noch, als „Jüngling-Greis“, unter uns weilt und, ein halb Jahrhundert zurück, in großen, begeisterten Tagen, die bessere Kämpfe als den der Tagesmeinung kämpften, hoffnungsreich, geliebt, bewundert, in das Leben und in die Schlacht trat. Aber ich habe von den Pfuels vergangener Jahrhunderte zu berichten. Sie gehörten zu den Schloß-gesessenen Geschlechtern der Mark, insoweit sie Besitzer der damals, im 15. und 16. Jahr- hundert, festen Schlösser Quilitz, Ranft und Leuenberg waren, und ihr Ansehen war bedeutend genug, um noch am Ende des 15. Jahr- hunderts, also 100 Jahre später als die Quitzows, wegen ange- thaner Beileidigung (eine rückgängig gemachte Verlobung) eine zehnjährige Fehde mit den Mecklenburger Herzögen führen zu können. Diese Zeiten liegen zurück; der reiche Besitz ist zusammen- geschmolzen, aber was die Familie an altem Besitz noch inne hat, das hat sie an alter Stelle, in Barnim und Lebus . In beiden Landestheilen haben die Besitzverhältnisse im All- gemeinen vielfach gewechselt; nur drei alte Familien sind auf alter Scholle geblieben, die Barfuse in Ober-Barnim, die Burgsdorffs in Lebus, die Pfuels in beiden . Der alte Besitz der Pfuels betrug, zur Zeit des höchsten Glanzes der Familie, vielleicht das Zehnfache von dem, was sie jetzt inne haben und umfaßte, zwischen 1550 und 1650, folgende Güter theils ganz, theils antheilsweise: Dannenberg, Leuenberg, Steinbeck, Alt-Ranft, Schulzendorf, Hohenfinow, Prötzel, Tiefen- see, Werftpfuhl, Hasenholz, Garzin, Garzau, Dahmsdorf, Obers- dorf, Quilitz, Friedersdorff, Kinitz, Münchehofe, Jahnsfelde, Gielsdorf und Wilkendorf . Von diesem ganzen reichen Besitz sind der Familie nur drei Güter geblieben und zwar die drei letztgenannten: Jahnsfelde , bei Müncheberg und Gielsdorf-Wilkendorf bei Straußberg. Der Name des alten Geschlechtes aber lebt noch überall in den alt-pfulischen Dörfern auf Grabsteinen, Bildern und Glocken fort, so daß wir in Nachstehendem von Dorf zu Dorf, von Kirche zu Kirche, zu wandern und dabei aufzuzeichnen haben werden, was dem Pfulen-Lande noch an Erinnerungsstücken aus alter Zeit ge- blieben ist. 1. Schulzendorf . Schulzendorf, eine halbe Meile westlich von Wriezen, kam bald nach 1450 in Pfuel’schen Besitz. Es blieb lange bei der Familie; erst 1837 ist es in andre Hände übergegangen. Die Feldsteinkirche ist alt und enthält außer einem weißgetünchten Schnitzaltar (die Kriegs- knechte würfeln um Christi Mantel) ein großes, sehr interessantes Bild aus der Pfuel’schen Zeit her. Dies Bild, zu Ehren eines Quilitzer Pfuel gemalt und aufgestellt, befand sich demgemäß ursprünglich in der Quilitzer Kirche. Nachdem indeß diesem Zweige der Familie Quilitz verloren gegangen und nur Schulzendorf noch geblieben war, hatten die spätren Repräsentanten der Quilitzer Linie den Wunsch, das Ehren-Bild ihres Ahnherrn nicht mehr in einer ihnen fremd gewordenen Kirche zu sehen. Sie erkauften da- her das Bild und stellten es in der Schulzendorfer Kirche auf. Das Bild ist sehr groß, wenigstens 6 Fuß zu 4, und stellt eine Kreuzigung Christi dar. Zu Füßen des Kreuzes kniet in blanker Rüstung der alte Pfuel, dem zu Ehren das Bild errichtet wurde, und blickt betend zu dem Gekreuzigten auf. Weiter unterhalb die Donatoren: 4 weibliche und 2 männliche Figuren. Dies wäre das Herkömmliche. Wodurch sich aber das Bild von dem tradi- tionell Ueblichen unterscheidet, das ist der Umstand, daß die Ge- stalten des Heilands und des in blanker Rüstung knieenden Pfuel nicht gemalt, sondern basreliefartig in Holz geschnitten und nun erst an der ihnen zukommenden Stelle auf dem Bilde befestigt sind. Es ist dies das erste und einzige Beispiel der Art, dem ich begegnet bin. Es ist mehr eigenthümlich, als schön; man könnte es praktisch nennen, indem es die Aufmerksamkeit des Be- 31 schauers auf die beiden Gestalten hinzwingt , auf die es an- kommt: auf den Gekreuzigten und den betenden Pfuel. Die blanke Rüstung des letzteren ist — ganz wie es sich für eine kleine Re- lief-Figur geziemt — nicht durch Farbe, sondern durch Belegen mit Silberschaum hergestellt. Das Bild hat drei Inschriften: eine erste , die von dem bildlich dargestellten „alten Pfuel“ (Vornamen fehlen) handelt; eine zweite , die von dem Aufsteller des Bildes in Quilitz und eine dritte , die von der Uebersiedlung des letztern nach Schul- zendorf spricht. Die erste Inschrift, am obersten Rande des Bildes, ist un- leserlich geworden. Zweite Inschrift : Dies Epitaphium ist von dem edlen und ehrenvesten Jürgen Pfulenn seinem seligen Vater zum Gedächtniß gesetzet worden. Welchen auch (den ehrenvesten Jürgen Pful) der Allmächtige Gott in wahrer Erkenntniß seines allerliebsten Sohnes Jesu Christi bis an sein Ende erhalten wolle. Amen. Dritte Inschrift : Aus schuldiger Hochachtung vor dem Stammvater der anitzo im Segen lebenden dreien Gebrüder, als Heine Friedrich Wilhelm, Georg Ludwig Ditloff und Carl Chri- stoph August von Pfuhll, Königlich Preußischer Lieutenants, ist dies Epitaphium von ihnen aus der Quilitz’schen Kirche erkaufet und allhier zum beständigen Andenken aufgerichtet worden den 20. September 1747. 2. Garzin . Garzin war bis vor Kurzem noch reich an Erinnerungsstücken aus der Pfuel’schen Zeit. Die Mehrzahl dieser Gegenstände (zu- meist Bilder) hat indessen der gegenwärtige Besitzer von Jahns- felde, ältester Sohn des 1846 verstorbenen Generallieutenants von Pfuel, käuflich an sich gebracht und sie seiner höchst interessanten Familien-Gallerie eingefügt. Das bemerkenswertheste, was der Garziner Kirche geblieben ist, ist seine 1654 in Hamburg gegossene Glocke . Dieselbe ist einerseits durch ein tellergroßes, in die Glockenwandung eingeschmol- zenes Medaillon das „ Urtheil des Paris “ darstellend, andrer- seits durch ihre plattdeutschen Inschriften interessant. Diese sind freilich nur zum Theil verständlich. Die untre, einreihige Inschrift lautet: „Gegaten tho Hamborch Anno Domini 1654 Junius.“ Dazu: In Gades Namen bin ick geflaten (geflossen) Hans vam Damme heet mi gegaten. Die obere Inschrift ist viel länger und schwer zu entziffern. Ick bin gegaten in Gottes Ehr; . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wenn ick klinge, so denk zur Stundt Daß Christ mit der Baß Dir bassunen kumpt , Zu fordern alles vor Gericht, — Drumb halte Di und sundige nicht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vor alle Sunde de Du begahn Lath Christum den Vorloser (Erlöser) stahn. Die Zeile „daß Christ mit der Baß Dir bassunen kumpt“ ist voll originaler Kraft. — In Garzin lebte Anfang des 17. Jahr- hunderts „ Melchior von Pfuel, der Nekromant“, dessen Bildniß wir später begegnen werden. Es scheint, daß er vorzugsweise in Garzin seine alchymistischen Versuche machte. 3. Buckow . Die Stadt Buckow und ihre schönen Umgebungen habe ich an andrer Stelle (Vgl. S. 180 ꝛc.) ausführlich beschrieben. Das Schloß — gräflich Flemmingsch — enthält neben andern Sehens- würdigkeiten einen bemerkenswerthen Speisesaal, eine Jugendarbeit Schinkels. Dieser Saal zieht sich, nach Art einer rundgewölbten Halle, quer durch die Mitte des Schlosses hindurch, das an der betreffenden Stelle, nach vorn und hinten zu, um einige Fuß vor- springt. Cassetten schmücken die Decke des Saals, der mittelst einer großen Glaswand, die den Bau nach der Gartenseite zu abschließt, das nöthige Licht empfängt. Ueber der Halle, in einem Saal von gleichen Dimensionen, befindet sich die Bilder-Gallerie. 31* Schloß Buckow, wie alles was es enthält, ist aus verhält- nißmäßig später (Flemming’scher) Zeit und nur die Buckower Kirche, die sich malerisch auf einem der Hügel am Ausgang der Stadt erhebt, weist noch einzelne Pfuel’sche Reminiscenzen auf. Links neben dem Altar, an einem der hohen Wandpfeiler Gegenüber dem Wandpfeiler, der diese Trophäe trägt, befindet sich, in gleicher Höhe mit den Emporen der Kirche, der ehemalig Pfuelsche Chorstuhl oder Kirchensitz. An seiner Vorderwandung bemerken wir drei oder vier in einander verschlungene Goldbuchstaben, die aller Entzifferung spotten, höchst wahrscheinlich aber einen Pfuelschen Namenszug darstellen. Der Kirchenstuhl selbst — der sich geräumig, nach Art eines Zimmers — hinter diesem Namenszug befindet, hat etwas unheimlich Geheimnißvolles. Die Fenster sind ausgenommen und wenn man auf die Brüstung einer der Neben-Emporen steigt, um von der Seite her hineinzulugen, so er- blickt man nichts als einen rostigen Kamin, Spinneweb und verstaubte Gewölbekappen, die unter den aufgerissnen Dielen sichtbar werden. Der Aufgang zu diesem Chorstuhl ist vermauert (man erkennt noch die Stelle, wo die Treppe mündete) und wie die Jahre wachsen, so wächst der Reiz der Frage: Wer hat diese Dielen aufgerissen? Wer bangte vor diesem Platz? Wer hat ihn vermauert? , be- findet sich eine große, 7 bis 8 Fuß hohe, sogenannte „Trophäe“, die sich aus in Holz geschnitzten Kanonen, Trommeln, Fahnen, Standarten ꝛc. zusammensetzt und in seiner Mitte das Pfuelsche Wappen trägt. Das Ganze eine ziemlich rohe, bunt bemalte Ar- beit mit folgender Inschrift: „Der Hochedelgeborne Herr, Herr George Adam von Pfuel , Sr. Churf. Durchlaucht zu Bran- denburg, hochwohlbestallter General-Major, Gouverneur und Ober- hauptmann der Veste Spandau, auch Obrister zu Roß und Fuß, auf Groß- und Klein-Buckow, Obersdorf, Möschen, Garzin, Sie- versdorff, Hasenholz, Damsdorf und Münchehofe, geb. den 15. No- vember 1618, gestorben im Juli Anno 1672, seines Alters 54 Jahr weniger 5 Monat.“ Dieser Georg Adam von Pfuel, der in der noch zugängli- chen Gruft der Buckower Kirche ruht, machte während des 30jäh- rigen Krieges, unter seinem berühmteren Oheim Adam von Pfuel die erste Kriegsschule durch. Er kommandirte später selbstständig, war ein Zeitgenosse Sparrs, Görtzke’s, Derfflingers, und zeichnete sich während des polnischen Krieges, später während des Zuges nach Holstein aus. Die glänzendste Zeit des großen Churfürsten (von Fehrbellin an) erlebte er nicht mehr. Außer der Herrschaft Buckow besaß er auch die Dörfer Dalem und Marzahne in der Nähe von Berlin. Sein Bildniß befindet sich in Jahnsfelde. Durch die Tochter Georg Adams, die den später in sächsi- schen und preußischen Diensten so berühmt gewordenen Feldmar- schall Heino Heinrich von Flemming heirathete, kam Buckow an die Flemmings, die es also seit fast 200 Jahren besitzen. Nach andrer Angabe war der Feldmarschall von Flemming ein Sohn aus der Ehe der Pfuel’schen Erbtochter mit einem Flemming. 4. Wilkendorf . Wilkendorf, eine halbe Meile nördlich von Straußberg, ist seit vor 1536, in welchem Jahre ihnen der Lehnsbesitz bereits erneut und bestätigt wurde, im Besitz der Pfuels. Das reizend am Abhang gelegene, in eine Thalwiese niederblickende Herrenhaus ist neu und unter den mannigfachen Kunstschätzen befindet sich nichts, was bis in frühere Jahrhunderte zurückreichte. Einige ältere Fa- milienporträts sind ohne Belang. Die Kirche ist alt und zeichnet sich durch einen mit Geschmack und Pietät restaurirten Schnitzaltar aus. Das Mittelstück besteht aus drei Figuren: Jungfrau Maria, mit Joseph (oder den heili- gen Rochus) und ihrer Mutter Anna zur Linken und Rechten. Die Anna hält zwei Kinder auf ihren Armen, und zwar auf dem rechten die Jungfrau Maria (so daß diese zweimal auf dem Bilde ist, einmal groß und einmal klein), auf dem linken das Christkind. Die Jungfrau ist etwas größer als das Christkind und trägt, eminent puppenartig, das Kleid der Himmelskönigin. Interessanter noch als dieser Schnitzaltar ist der aus einem großen Granitblock ausgemeißelte Taufstein , der vor dem Altar steht. Er ist ungewöhnlich groß und hat (die bloße Steinschale) über drei Fuß Höhe bei zwei Fuß Durchmesser. Solche granitnen Taufsteine waren in der ersten Zeit der Christianisirung des Lan- des gewiß sehr häufig; die überall auf den Feldern umherliegenden Rollsteine, wie sie das Material zu den Kirchen selber boten, wur- den ausgehöhlt und die „Taufe“ war fertig. Die Bearbeitungs- kunst bleibt unter allen Umständen anstaunenswerth, wenn man erwägt, wie geringe technische Hülfsmittel damals zu Gebote stan- den. Jetzt begegnet man solchen „Taufen“ nur sehr selten noch. Beides, Schnitz-Altar wie Taufstein (der letztere gewiß), stammen aus Pfuelscher Zeit. 5. Gielsdorf . Gielsdorf, nur durch den schönen Ihland-See und seine Um- gebungen von Wilkendorf getrennt, ist seit 400 Jahren im Besitz der Familie. In einen der alten Kirchenpfeiler wurde, mit Bezug- nahme darauf, eine Steintafel eingemauert, die die Inschrift trägt: Zur Erinnerung an die 1460 unter Churfürst Friedrich geschehene Belehnung des Werner Pful mit Gielsdorf und an den vier- hundertjährigen Besitz seiner Erben. Gustav von Pfuel, 1860.“ Auch in der Gielsdorfer Kirche befindet sich ein ausgemei- ßelter Taufstein, doch ist derselbe ersichtlich aus spätrer Zeit, nicht so groß wie der Wilkendorfer, und statt in Granit in bloßem Kalkstein (wahrscheinlich aus dem benachbarten Rüdersdorf) aus- geführt. In Front trägt der Stein ein flach gearbeitetes Kreuz, und als Umschrift um dasselbe, in Form eines Kranzes, die Worte: NON GLORIOR NISI IN CRUCE DOMINI. Die Emporen der alten Kirche ruhen auf kurzen, grob- geschnitzten Holzpfeilern; in einen derselben sind die Worte ein- geschnitten: BERTRAMB V. PFUEL. ANNO MDCX. Dieser Bertramb von Pfuel war ein Vetter Curt Bertrams v. Pf., der während des 30jährigen Krieges eine Rolle spielte und auf den wir noch weiter unten zurückkommen. Unter dem Altar der Gielsdorfer Kirche soll ein anderer Pfuel (Christian Friedrich) bestattet sein. Eine Stückkugel riß ihm beim Sturm auf Kaiserswerth (1702) den Kopf weg und Rumpf und Glieder wurden in Gielsdorf begraben. Er war Oberst in einem Infanterie-Regiment. Sein Bild befindet sich in Jahnsfelde. Ein Spruch in der Jahnsfelder Kirche gedenkt sein. Dieser Spruch (wie verschiedne andre in der eben genannten Kirche, von Friedrich La Motte Fouqué herrührend) lautet: Italien hat und Niederland Den edlen Kämpfer oft geschaut. In vieler wilden Schlachten Brand Hat er das Feld mit seinem Blut bethaut. Als letzter Kranz ward ruhmvoll ihm bescheert Zu sterben, vorbewußt , im Sturm auf Kaiserswerth. Dieses „vorbewußt“ bezieht sich auf folgenden Vorfall, der als Tradition in der Familie fortlebt. Am Tage vor der Schlacht (Sturm auf Kaiserswerth) will von Pfuel in sein Zelt treten. Die vor dem Zelt stehende Schildwacht salutirt nicht, erblaßt aber sichtlich und zeigt nur auf das Innere des Zelts; von Pfuel tritt jetzt ein und sieht sich selber, schreibend, am Tisch sitzen. Er tritt hinter die Gestalt, blickt dem ruhig Weiterschreibenden über die Schulter und liest sein Testament. Dann verschwindet die Gestalt. von Pfuel wußte jetzt, daß er andren Tages sterben werde. Er setzte sich auf den Feldstuhl, auf dem eben sein Doppelgänger ge- sessen, schrieb an seine Frau und nahm Abschied von ihr. Andren Tages fiel er an der Spitze seiner Sturmkolonne. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Geschichte Chamisso’n zu seinem schönen Gedichte „die Erscheinung“ Veranlassung gab. We- nigstens die Situation ist dieselbe. Chamisso war mit Fouqué be- freundet und Fouqué seinerseits kannte die Familientradition des ihm verwandten Pfuel’schen Hauses. 6. Jahnsfelde . Jahnsfelde ist seit 1449 in der Pfuel’schen Familie, also noch elf Jahre länger als Gielsdorf. Die hübsche Inschrift über der Thür des Herrenhauses nimmt Bezug darauf und lautet: Glück herein, Unglück heraus, Dies ist der Pfuel ritterlich Haus Seit vierhundert Jahren, — Gott wolle bewahren Geschlecht und Haus. Dies Herrenhaus selbst ist neu, doch ruht es auf den Fun- damenten eines alten Gebäudes, das hier stand. Der Park, der das Herrenhaus von allen Seiten malerisch umschließt, ist eine neue Schöpfung des Generallieutenant von Pfuel, der 1846 verstarb. Auch der unmittelbar angrenzende Friedhof konnte mit in den Park hineingezogen werden, da die Hinauslegung des Begräbniß- platzes ohnehin geboten war. War doch schon seit 1244 an der- selben Stelle begraben worden. Grab über Grab. Der gegenwärtige Besitzer von Jahnsfelde, ältester Sohn des Generallieutenants, hat voll historischen Sinnes und zugleich voll Pietät gegen die ruhmreiche Vergangenheit seines Geschlechts, die untren Räume des Hauses nach Art eines Familien-Museums ein- gerichtet. Erinnerungsstücke aller Art, Wappenschilde, Waffen, zu- mal Bildnisse, wohl mehr als 50 an der Zahl, finden sich hier auf engstem Raume zusammen. Sie alle namhaft zu machen liegt jenseits der Zwecke dieses Buchs; aber wenigstens der ältesten und interessantesten geschehe in Kürze Erwähnung. 1) Anna von Pfuel . Ein interessantes Bild aus der Gar- ziner Kirche. Es stellt eine junge, reichgeschmückte Frau dar, lebens- groß, ganze Figur; im Haar scheint sie eine Brautkrone oder etwas derartiges zu tragen. Ort und Jahreszahl lauten: Garzin, 1594. Dies ist das älteste Bild der Sammlung. Die Behand- lung, besonders der Gewandung, ist noch steif und faltenlos. 2) Heino von Pfuel im Jahre 1602. Aetatis suae 58. Eine kriegerische Gestalt in Eisenrüstung und hoher Halskrause, dazu roth und weiße Schärpe. Die Unterschrift des Bildes, vom alten Maler selbst herrührend, lautet: Heino v. Pfuhl ich ward genannt, Ein Obrister über Reuter und Knecht, In Ungarland Und mannigen Orts sonst wohlbekannt. Es heißt von ihm, daß er ein brandenburgisches Hülfscorps gegen die Türken kommandirt und sich überhaupt im Felde wie bei Hofe ausgezeichnet habe. Auch er hat ein Schild in der Jahns- felder Kirche und auf demselben einige Fouqué ’sche Reimzeilen. 3) Erneste Friedrich von Phull . Wenn ich nicht irre, ebenfalls aus der Garziner Kirche nach Jahnsfelde gebracht. Stellt einen ältren Mann mit weißem Bart, von ernstem, fast schwer- müthigen Gesichtsausdruck dar. Auf dem Bilde das Pfuel’sche und Bismark’sche Wappen. Spruch: Wer Gott allezeit vertrauen kann, Der bleibt ein unverdorbner Mann. Dann folgende Unterschrift: Der edle, feste Erneste Friedrich von Phull, ein Bruder Heinonis (d. h. Heino von Pfuhls), auf Garzin, Trebnitz und der neuen Langenwische Erbherr, starb allhier (wo?) den 8. Oktober Anno 1613 früh, seines Alters 64 Jahr. Ward den folgenden 4. Novembris in das Begräbniß gesetzet und wartet der fröhlichen Auferstehung. 4) Melchior von Phull . Ein vortreffliches Bild, das einen Mann in besten Jahren, in schwarzer Kanzler- oder Geheimeraths- Tracht darstellt, mit großem, schönen Spitzenkragen, Handmanschetten und Kanzlerkette. Links (oben in der Ecke) das Pfuel’sche Wappen, rechts das Wappen der alten Familie von Menlishoff . Unter dem Pfuel’schen Wappen lesen wir: Melchior v. Phull, Con- siliarius Brandenburgensis. In Garzin, Garzo, Hasenholtz et Trebnitz. Pie Obit. 18. November Anno 1609. Unter dem Menlishoffer Wappen steht: „Ist Gott mit uns, wer mag wider uns sein.“ Melchior selbst legt seine rechte Hand auf ein aufgeschlagenes Buch mit rothem Rand; auf der weißen Seite steht: „Wer meine Gebote hat und hält ꝛc. Johannes 14. V. 21.“ Anno Domini 1610. An andrer Stelle nochmals: Melchior v. Phull Aetatis suae 35. Anno 1609. Discite mortales fugitivam noscere vitam. Dieser Melchior von Pfuel ist derselbe, der sich auch als Nekromant einen Namen machte. 5) Adam von Pfuel . Brustbild. Ein älterer Mann, ernst, prononcirt martialisch. Er zählt zu den bekanntesten Mitgliedern der Familie. Adam von Pfuel wurde 1604 geboren. Er folgte 1620 seiner Schwester, einer Hofdame Marie Eleonorens (bei Vermählung dieser mit Gustav Adolf), nach Stockholm. Diese Schwester heirathete später den berühmten Bannier und wurde die Ahnmutter des gleichnamigen Geschlechts. Ihr Bruder unser Adam von Pfuel, trat als Page bei Gustav Adolf in Dienst, be- gleitete ihn nach Deutschland und brachte, nach der Lützener Schlacht, des Königs Leiche von Weißenfels nach Stettin, von wo sie nach Stockholm eingeschifft wurde. Seine nahen, schon an- gedeuteten verwandtschaftlichen Beziehungen zu Bannier machten es, daß er auch in der Folge der Parthei dieses wüsten aber ge- nialischen Feldherrn zugehörte. 1634 führte er zuerst, als Com- mandeur eines Regiments, einen selbstständigen Zug nach Thürin- gen hin aus und deckte die Flanke des Heeres. Auf diesem Zuge war es, wo sich der damals noch jugendliche Derfflinger seine ersten Sporen im Pfuel’schen Regiment verdiente. Später stieg Pfuel zum Avantgardenführer des schwedischen Heeres auf und eroberte sich als solcher den allerdings zweifelhaften Ruhm, 800 böhmische Dörfer niedergebrannt zu haben. Nach Banniers Tode war es Pfuel, der in Gemeinschaft mit einigen andern Kriegs- Obersten die Schlacht bei Wolfenbüttel schlug. Er stand damals hoch genug in Ansehn, um hoffen zu dürfen, das Ober-Commando werde ihm übertragen werden. Er scheiterte aber, weil er Aus- länder war, und Torstenson (ihm freilich hoch überlegen) erhielt den Oberbefehl. Als ihm auch Lilienhoeck vorgezogen wurde, nahm er den Abschied. Dies war 1642. Wo er von da ab bis 1652 war, ist unbekannt. In spätren Jahren kaufte er sich die Güter Helffte und Polleben im Mansfeldischen und gründete eine neue Linie. Auf seinem Bilde in Jahnsfelde trägt er die goldne Kette, die ihm Gustav Adolf geschenkt hatte. Er starb als schwedischer Generallieutenant 1659 zu Polleben. Hat auch in der Kirche Schild und Spruch. 6) Curt Bertram von Pfuel . Brustbild. Dieser Curt Bertram war kurbrandenburgischer General-Kriegs-Commissar wäh- rend des 30jährigen Krieges, und wurde von Seiten George Wil- helms mehrfach zu diplomatischen Sendungen verwandt, namentlich an Wallenstein, als dieser zuerst an den Grenzen der Mark erschien. Unser Curt Bertram war damals „Kammerjunker“. Seine erste Mis- sion an Wallenstein fällt in das Frühjahr 1626. Es scheint, daß er den Friedländer in Halberstadt traf und ihn, im Auftrage des Churfürsten zu bitten hatte, nicht in die Mark einzurücken. Wal- lenstein antwortete: „So wahr ich ein ehrlicher Mann bin, will ich dem Kurfürsten kein Widriges erweisen, nur bitte ich ihn um Gottes Willen, die Mansfeld’sche Armee (die in der Priegnitz hauste) auszuschaffen, sonst muß ich nachrücken, um den Feind zu suchen, wo ich ihn treffe.“ Im August traf Wallenstein mit 16 Regimentern in Cottbus ein. Der Kurfürst hatte den später so berühmt gewordenen Conrad von Burgsdorf zum Marschall bei ihm bestellt, und es verlautet nicht, daß unser Curt Bertram bei dieser Gelegenheit weitere Verhandlungen mit Wallenstein ge- habt habe. Er war indessen einige Wochen vorher in Cottbus gewesen, um, gemeinschaftlich mit einem von Rochow, die Em- pfangsvorbereitungen zu regeln. Curt Bertram sah den Friedlän- der erst später wieder, und wie es scheint, unter ziemlich mißlichen Umständen. In Prag, als er dem Gefürchteten eine Vorstellung zu überreichen hatte, fuhr ihn dieser an: „ich werde schiefericht (etwa das, was wir heute „nervös“ nennen würden), wenn ich solche Schriften sehe“, und im Juni 1628 berichtete Pfuel von Frankfurt a. O. nach Berlin: er habe den General nicht sprechen können, denn dieser habe just seinen Schiefer gehabt, und nicht nur kurz vorher den Sekretair, den Kammerdiener und Edelkna- ben abprügeln lassen, sondern auch das Glockenläuten verboten und zugleich befohlen, alle Hunde von der Gasse zu schaffen. Diese Missionen, wie wir hieraus genugsam ersehen können, waren ver- antwortungsvoller Natur und forderten ihren Mann. Curt Bertram, dessen Bruder (Adam) und Neffe (Georg Adam) direkt in schwedischen Diensten standen, gehörte selbstver- ständlich der Anti-Schwarzenberg’schen Parthei an. Schwarzenbergs Einfluß setzte es schließlich durch, daß Curt Bertram seiner Aemter enthoben und seine Güter eingezogen wurden. Nach dem Tode Kurfürst George Wilhelms aber wendete sich das Blatt; er erhielt seine Güter zurück und wurde ausersehn, den Adam Schwarzen- berg gefangen zu nehmen. Später kaufte er sich in Sachsen an und wurde, durch weitre Verzweigung, der Stammvater der noch blühenden Würtemberg’schen Linie. Das Bild Curt Bertrams be- findet sich in Jahnsfelde. Er ist ein schöner Mann, blühend, noch jung, voll klugen und energischen Ausdrucks. Seine Tracht, in Koller und Klapphut, ist im Wesentlichen die eines schwedischen Kriegsobersten. Die andern Bilder — und auch unter ihnen nur eine Aus- wahl — geb’ ich in den Anmerkungen. Was der Jahnsfelder Porträt-Gallerie einen Reiz verleiht und ihr unterscheidendes Merk- mal bildet, ist, daß sie das Frostige eines sogenannten „Ahnen- saals“ durchaus vermeidet. Man steigt nicht erst treppauf, man zieht nicht erst die verschoßnen Gardinen zurück, man sorgt nicht erst, abstäubend und Fenster-öffnend, für Luft und Licht, — in Jahnsfelde lebt man mitten unter ihnen . Diese alten Herren in Rüstung oder Perrücke, hier sind sie nicht zu steifer Repräsen- tation da, sie sind nicht Fremde am eignen Heerde, man hat sich häuslich-familiär mit ihnen eingerichtet; man kennt sie, man liebt sie. Ein täglicher Verkehr hat Platz gegriffen zwischen denen die waren und zwischen denen die sind ; Aeltestes und Neustes reichen sich die Hand; wie ein ununterbrochener Strom wandert das Leben weiter von Geschlecht zu Geschlecht. Wohl mahnen auch hier die Bilder berühmter Ahnen an das Vergängliche alles Irdi- schen, aber sie predigen zugleich auch den Sieg des Geistes über den Leib und entfalten still die Fahne, auf der als Zuruf und Richtschnur das Dichterwort geschrieben steht: „Und ein berühmter Name nach dem Tode!“ Kienbaum. Ich hatt als Kind eine Tanne lieb, Die groß und einsam übrig blieb An flachem Wiesensaume. Laufkäfer hasten durchs Gesträuch In ihren goldnen Panzerröckchen, Die Bienen hängen Zweig um Zweig Sich an der Edelhaide Glöckchen; Die Kräuter blühn; der Haideduft Steigt in die blaue Sommerluft. Th. Storm. A m Ausgang der Liebenberger Haide, am linken Ufer des Flüß- chens Loecknitz, das hier die Grenze zwischen dem Lande Lebus und dem Nieder-Barnim zieht, liegt das Dorf Kienbaum . Seinen Namen (so erzählt man sich) hat es von einem Kienbaum , der ehedem ziemlich inmitten des Dorfes stand und nach Erzählung der Bewohner bis in die allerfrühsten Zeiten deut- scher Colonisirung zurückreichte. Man ließ ihn damals bei der Aus- rodung der Waldstelle stehen, und während der Kienbaum selber neue Jahresringe anlegte, legten sich neue Häuser und Höfe um den ursprünglichen Kern des Dorfes herum. Jahrhunderte lang hielt man ihn, wie einen Hüter und Talisman, wie einen alten Pathen, der dem Dorfe den Namen gegeben, in Ehren und kaum 20 Jahre mögen vergangen sein, seit er umgehauen wurde. Das ganze Dorf, das überhaupt einen guten Sinn hat, sträubte sich dagegen, aber die egoistische Beharrlichkeit des Einzelnen (auf des- sen Grundstück der Baum stand) blieb schließlich doch siegreich und der Kienbaum, das Wahrzeichen des Dorfes, fiel. Leute im Dorfe haben mir den Baum beschrieben; sie empfinden es wie eine Schuld, daß er nicht mehr da ist. Es war eine alte knorrige Kie- fer, noch aus der Zeit her, wo man die Bäume nicht schwächlich- schlank heranzog , sondern sich knorrig-original entwickeln ließ. Der Stamm war nur wenig über mannshoch, aber von über drei Ellen Umfang; dabei lag er schräg und sein flaches, ineinander geflochtenes Zweigwerk bildete einen korbartigen grünen Schirm. Sein Inneres war ausgehöhlt; nur die Kienstellen hatten sich ge- halten, und als man ihn der Länge nach durchsägte, bildete jede Hälfte eine Art Trog oder Mulde. Dorf Kienbaum hat sein Wahrzeichen verloren, aber es ist doch immer noch ein interessantes Dorf. Es zählt zu jenen stillen Haidedörfern, um die ein ganz besondrer Zauber waltet, jenes an- heimelnde Stück Romantik, das in der Oede und Abgeschiedenheit, vor allem aber in dem Hospiz-Charakter dieser Dörfer begründet liegt. Es sind die geborgnen Plätze in der Wildniß, und jeder, den sein Weg irgend einmal, zumal in naßkalten Spätherbsttagen, über Wald und Haide geführt hat, muß diesen Zauber an sich selbst empfunden haben. Es ist vielleicht im November, der Ne- bel sprüht und die Haide, so dünkt Dir’s, nimmt kein Ende. Erst Kusseln, dann Kiefern, nun wieder Kusseln. Jedes leiseste Strei- fen an Baum oder Busch schüttet ein Schauerbad über Dich aus und das nasse, vergilbte Haidekraut, durch das Du hindurch mußt, spottet der festesten Sohle und macht Dich frieren bis auf’s Mark. Nichts begegnet Dir außer einem schiefstehenden Wegweiser, der seine müden Arme schlaff zu Boden hängen läßt, oder eine Krähe, die den Kopf in das nasse Gefieder einzieht und sich trübselig matt besinnt, ob sie auffliegen soll oder nicht. So geht es stundenlang. Endlich lichtet sich’s und Du trittst auf eine offne Stelle hinaus, eine kümmerliche Sandscholle, die freilich wenig mehr als hundert Schritt mißt und hinter der Du die dunkle Kiefernwand sich aber- mals aufrichten siehst. Aber auf dem freien Stück Felde, unter Ebreschenbäumen, an denen noch die letzten rothen Büschel hängen, steht ein Dutzend Lehm- und Fachwerkhäuser, um die herum sich ein brauner Weg mit tief ausgefahrenem Geleise schlängelt. Das erste Haus ist eine Schmiede; Dein fröstelnd Herz sieht wie mit hundert Augen in die sprühende Gluth hinein und das Picken und Hämmern, gedämpft durch die nebelfeuchte Luft, klingt märchenhaft leise zu Dir her. Ein Gefühl beschleicht Dich, als trätest Du in ein Feen- und Wunderland, als läge die Insel der Glücklichen vor Dir. Das ist der Zauber eines „Dorfes in der Haide“. Solch ein Dorf (sie werden immer seltner) ist Kienbaum , Grund genug, ihm einen kurzen Besuch zu machen. Was uns aber heute, noch um die Sommerzeit, diesem Haidedorfe zuführt, das ist nicht die Poesie seiner stillen Häuschen, auch nicht das Verlangen, den Baum zu sehen, oder doch von ihm zu hören, der einst dem Dorfe den Namen gab, das ist vielmehr der Umstand, daß Dorf Kienbaum vor hundert Jahren und drüber eine Art Congreßort war, wo die märkischen Bienenzüchter , jeden- falls aber doch die Bienenwirthe von Lebus und Barnim, so wie der Neumark und der Lande Beeskow-Storkow, zur Berathung ihrer Angelegenheiten zusammenkamen. Was diesem kleinen Dörflein die Ehre einbrachte, ein solcher Congreßort zu sein, ist nicht mehr mit Bestimmtheit zu sagen; wahrscheinlich wirkte Verschiednes zusammen, unter andern auch seine günstige Lage, ziemlich genau in der Mitte der Provinz. Gleichviel indeß, was es war, alljährlich im Monat August oder September kamen hier die „Beutner und Zeidler“ zusammen und alle Höfe im Dorf, besonders aber der Schulzenhof, der durch Jahrhunderte hin ein Hauptbienenhof war, öffneten gastlich ihre Thore. Ueber das, was auf diesem Convent verhandelt wurde, er- fährt man an Ort und Stelle nur wenig Bestimmtes, zum Theil Widersprechendes. Alle diese Dinge klingen nur eben noch halb sagenhaft in Kienbaum fort, wobei sich dann wie immer die Be- merkung wiederholt: „ja, wenn die alte Kettlitzen oder die alte Stengelbergen noch lebte, die wußte es ganz genau“. Aber „die alte Stengelbergen“, auf welchem Gebiet es auch immer sein mag, ist jedesmal todt. Stelle ich nachstehend alles zusammen, was ich theils in Kienbaum mündlich erfahren, theils aus Büchern ersehen konnte, so erscheint es, daß der Charakter dieses Bienenconvents im Lauf der Jahrhunderte wechselte, und während es sich in den früheren Jahrhunderten sehr wahrscheinlich um allerhand geschäftliche Regulirungen handelte, war dieser Convent, im vorigen Jahrhun- dert, theils eine Art Ausstellung, theils eine Fachmänner-Versamm- lung (nach Art moderner Versammlungen der Art), wo man sich Produkte zeigte, Resultate mittheilte und über Bienenzucht, nach gemachten Erfahrungen, wissenschaftlich-praktisch berieth. Dieser totale Wechsel, der vielleicht mit Anfang des vorigen Jahrhunderts eintrat, hatte muthmaßlich darin seinen Grund, daß um die genannte Zeit der Honigbau ein freies, nach Wunsch der Regierung von jedem Bauer und Kossäthen zu betreibendes Ge- werbe wurde, während er bis dahin als ein besondres Recht an einem bestimmten Grund und Boden gehaftet und alle diejenigen, die als Pächter dieses Grund und Bodens den Honigbau betrie- ben, in ein Abhängigkeits-Verhältniß von dem betreffenden Grund- herrn gebracht hatte. Diese Zins- und Pacht-Verhältnisse waren es nun wahr- scheinlich, die in früheren Jahrhunderten — in denen man nur die Waldbienenzucht kannte — in Kienbaum geschäftlich regulirt wurden. Man einigte sich über allgemeine Sätze und Normen, über das, was man pachten könne und was nicht; neben dem All- gemeinen aber waren es auch die speciellen Verhältnisse Kienbaums, die zur Sprache kamen, und mit diesen beschäftigen wir uns hier ausschließlich. Kienbaum gehörte in alten Zeiten zu Kloster Zinna, später, nach der Säkularisation, zu Amt Rüdersdorf; Amt Rüdersdorf war also Grundherr . Dieser Grundherr nun, wie er in an- dern Dörfern neben Ackerland Viehweide verpachtete, verpach- tete in Kienbaum Bienenweide , d. h. einen Wald, auf dem die Bienen der Kienbaumschen Beutner und Zeidler weiden konnten. Selbstverständlich gehörte dazu auch das Recht, das Resultat dieser Weide, den Honig , auf hergebrachte Weise zu erbeuten. (Die Kunst der Beutner bestand darin, den in die hohlen Bäume ge- legten Honig, die sogenannte Honigbeute, zu gewinnen.) Diese Beutner oder Zeidler nun stellten sich wahrscheinlich an einem be- stimmten Tag im Jahre bei ihrem Kienbaumer Lehnschulzen ein, der als eine Art Beauftragter des „Amts“ handelte. Sie kündig- ten oder erneuten ihre Pacht, äußerten ihre Wünsche und Be- schwerden (oder nahmen solche entgegen) und bezahlten ihren Zins, theilweis in Geld, theilweis in Honig. So hatten sie unter an- derm für ihre Bienen- oder Zeidelweide am „Gerichtstage“ eine Tonne Honig zu entrichten, wogegen das Amt die Pflicht hatte, sie an diesem Tage mit einem Hammel, einer Tonne Bier und einem Scheffel Brod zu verpflegen. Später wurde der Pachtzins wahrscheinlich ausschließlich in Geld geleistet, weshalb wir von einer Kasse sprechen hören, die sich auf dem Schulzenhof in Kien- baum befand und daselbst verwaltet wurde. Diese Kasse entsprach also zunächst einer kleinen Rentamtskasse , deren Erträge von Zeit zu Zeit einfach an das Amt selber abgeführt wurden. Dane- ben aber, wenn man dem Geplauder der lebenden Kienbaumer trauen darf, scheint diese „Kasse im Schulzenhof“ vor allem auch eine Darlehns - und Prämien-Kasse gewesen zu sein. Wer den besten Honig vorzeigen konnte, der wurde prämirt, und wer die nöthigen Garantien bot, der erhielt Darlehne, um irgend etwas Neues, von dem er sich Resultate versprach, in’s Werk zu setzen. Das ist alles, was ich aus Mund und Schrift über die Kienbau- mer Bienenconvente habe in Erfahrung bringen können. So wenig es ist, es spricht sich Leben, Eifer und ein gewisses Organisations- talent darin aus. Die Bienenzucht in Kienbaum, darüber scheint kein Zweifel, war von besonderer Vorzüglichkeit, und dieser Umstand, neben der günstigen Lage des Dorfes, hatte wohl Theil daran, daß Kien- baum zu einem regelmäßigen Sammelort der Bienenwirthe wurde. 32 Diese Vorzüglichkeit der Bienenwirthschaft nun war das na- türliche Resultat einer vorzüglichen Bienen lokalität , d. h. einer andauernden, nie erschöpften Bienenweide. Solche Lokalitäten, wenn man die höchsten Anforderungen stellt, sind nicht eben allzu- häufig, da es sich darum handelt, durch fast volle 6 Monate hin den Bienen immer Pflanzen zu bieten, aus denen sie sammeln können. Wo Raps blüht, da ist für die Bienen während des Mai und Juni, und wo die Linden blühn für den Juli gesorgt; aber erst aus dem Vorhandensein mannigfachster Bäume, die sich im Blühn unter einander ablösen und vom April bis in den September hinein eine immer wechselnde Bienennahrung bieten, erst aus dem Vorhandensein solcher Mannigfaltigkeit ergiebt sich das eigentliche Bienen- und Honig-Terrain. Ein solches Terrain nun war Kienbaum in eminenter Weise. Ein viele Quadratmeilen großer Kiefern-Forst schloß es ein, und mitten durch diesen Forst hindurch schlängelte sich die Loecknitz, Die Loecknitz ist eines jener vielen Wässerchen in unsrer Mark (wie z. B. die Nuthe, die Notte, die Finow, der Stobber oder Stobberow), die, plötzlich aus einem See oder Luch tretend, auf die kurze Strecke ihres Laufes hin ein grünes Wiesenband malerisch durch das Sand- und Haideland ziehn. Keines unter allen diesen Wässerchen ist vielleicht reiz- voller und unbekannter zugleich als die Loecknitz, die, aus dem rothen Luche kommend, in einem der Seen zwischen „Erkner“ und den Rüders- dorfer Kalkbergen verschwindet. Die Loecknitz ist nur 4 Meilen lang, aber auf ihrer ganzen Länge führt sie einen sich schlängelnden Streifen von ein Flüßchen, das auf Mei- len hin Wiesen und honigreiche Wiesenblumen zu seiner Rechten und Linken hatte. Unmittelbar das Flüßchen entlang zogen sich Werft und Haselbüsche, die den Bienen, im März und April schon, eine bevorzugte Nahrung boten; im Mai dann begannen sommerlang die Wiesen zu blühn, bis endlich, vom August an, die weiten Strecken voll Haidekraut, gelegentlicher weißer Kleefelder zu geschweigen, eine nicht auszunutzende Nahrungsquelle boten. Die Erträge waren zu Zeiten sehr bedeutend, und das Dorf, das fast aus lauter Zeidlern und Beutnern bestand, erfreute sich trotz seiner Ackerarmuth einer gewissen Wohlhabenheit. Der Schul- zenhof hatte 99 Stöcke und so, im Verhältniß, bis zum Büdner und Tagelöhner herab. Ein Stock entsprach in guten Jahren einem Eimer voll Honig. Den Eimer zu 10 Quart gerechnet, hätte also der Schulzenhof in guten Jahren 990 Quart Honig gewonnen. Von dieser Höhe ist nun Kienbaum seitdem herabgestiegen. Der Bienenconvent tagt nicht mehr inmitten des Dorfs, und der Schulzenhof, der es sonst bis auf 99 Körbe brachte, begnügt sich jetzt mit 9. Der gewonnene Honig hat längst aufgehört ein Han- delsartikel und eine besondere Einnahme zu sein, er spielt nur noch die Rolle eines Surrogats. Er vertritt den Zucker und die Butter, welche letztere in einem armen Sand- und Haidedorf, das seinen Viehstand schwer über eine Schafheerde hinaus bringt, be- greiflicherweise zu den Luxusartikeln zählt. Das alte Wahrzeichen Kienbaum’s ist hin und seine Bienen- herrlichkeit nicht minder, aber an die letztre erinnert doch noch vie- les. Die Lokalität, die ich oben zu beschreiben suchte, ist eben im Wesentlichen dieselbe geblieben. Noch steht der Wald, noch blüht das Haidekraut roth über die Haide hin, noch schlängelt sich die Loecknitz durch das grüne Wiesenband hindurch, und die größte Park- und Gartenland neben sich her, zu dessen beiden Seiten der Wald wie eine Terrasse langsam ansteigt. Immer dieselben Requisiten, wenig Wechsel im Material und doch, wer hier am späten Nachmittag an der Grenzlinie zwischen Wald und Wiese hinfährt, dem eröffnet sich eine Reihe der reizendsten Landschaftsbilder. Hier dringt der Wald von beiden Sei- ten hervor und schafft eine Schmälung, hier tritt er zurück und der schmale Wiesenstreifen dehnt sich entweder zu einer Waldwiese aus oder das Flüß- chen selber wird zu einem Teich, auf dem im Schimmer der untergehen- den Sonne die stillen Nymphaeen schwimmen. Dann und wann eine Sägemühle, ein rauschendes Wehr, dazwischen Brücken, die den bequemen Wald- und Wiesenweg bald vom rechten auf’s linke und wieder vom linken auf’s rechte Ufer führen. Selbst die Ortsnamen werden poetisch: Liebenberg und Alt-Buchhorst, Klein-Wall und Gottesbrück, daneben der Werl- und Möllen-See. Unmittelbar dahinter beginnt schon wieder die Prosa und der nächste See heißt beispielsweise „der Dämeritz“. Freilich auch „ Loecknitz “ selber könnte wohlklingender sein, aber freuen wir uns wenigstens des ck und adoptiren wir nie die Aussprache der Anwohner des Flusses, die breit und häßlich „die Loeknitz“ sprechen. 32* und bunteste dieser Wiesen führt bis diesen Tag noch den Namen der Zeidelwiese . Vielleicht, daß auch dies bald anders wird. Schon ist die Zeidelwiese nicht mehr die alte Zeidelwiese von vor- mals, man hat sie halbirt und die eine Hälfte zu einer Art Kü- chengarten gemacht. Aber wenn auch Name und Sache ganz ver- schwinden sollten, das Dorf in der Haide, das abseits liegt, und in seiner Armuth niemanden auffordert, das Sand- und Haide- land in den großen Verkehr hineinzuziehen, wird noch lange ein Plätzchen bleiben, dessen still aufsteigender Rauch den Reisenden nach stundenlanger Oede anheimeln und dessen erstes „Mütterchen am Zaun“ ihn dankbar empfinden lassen wird: Wie wohl thut Menschenangesicht Mit seiner stillen Wärme. Anmerkungen. Von Frankfurt bis Schwedt. [ Eine Correktur .] S. 11, wo von der „Instruktion“ gesprochen wird, die Friedrich II. nach der Kunersdorfer Schlacht in Reitwein auf- setzte, muß es nicht heißen: „ebenfalls an Finkenstein gerichtet“ sondern: „an General Fink gerichtet.“ Tamsel. Benutzt: K. v. Schoenings Leben des Feldmarschalls Hans Adam v. Schoening. K. v. Schoening , Papiere die Familie v. Schoening betreffend (als M. S. gedruckt). Das Tamsler Archiv. Ungedruckte Memoiren der Gräfin Schwerin , geb. Gräfin v. Dönhoff. Mündliche und briefliche Mittheilungen. 1. Die Besitzverhältnisse Tamsels seit 1510. Tamsel war Ordensgut (des Johanniter-Ordens) und gehörte zur Commende Quartschen. Die Familie von Schoenbeck besaß Tamsel und Warnick (Nachbargut) bereits 1510; von diesem Jahre datirt sich ein Lehn- brief. Sie hatten es zu Lehn vom Orden. Die Schoenbecks bleiben im Besitz von Tamsel und Warnick bis zum 16. Mai 1653. An diesem Tage kauft es Hans Adam v. Schoe- ning (zum Unterschied Hans Adam I. genannt) von seinem Stiefvater Asmus von Schoenbeck. Von 1653—65 besitzt es Hans Adam I. — Von 1665—96 besitzt es Hans Adam II. (der Berühmte, der Türkenbesieger). Bis 1685 besaß er nur halb Tamsel zu Lehen und die andere Hälfte sowie Warnick pfandweise. Auf seine Vorstellung aber, daß er zur Verbesserung der Güter mehr angewandt habe, als sie vorher werth gewesen seien, wird er nun mit dem Ganzen beliehen. ( 1693 wird durch den Herrenmeister Carl Philipp zu Brandenburg das Recht zur Belehnung in weiblicher Descendenz ausgesprochen.) Von 1696—1714 besitzt es Hans Ludwig v. Schoening, der Sohn des Berühmten. 1714 geht es an Hans Ludwigs einzige Tochter, an Luise Eleonore v. Schoening, vermählte v. Wreech über. Sie wird 1724 belehnt, laut des durch den Herrenmeister Carl Philipp zu Brandenburg 1693 ausgesprochenen Rechts: „wenn keine männlichen Lehnserben mehr am Leben, dann fallen die Lehne an die Descendenten weiblichen Geschlechts.“ Frau v. Wreech stirbt 1766. Von 1766—1785 Hofmarschall Friedr. Wilh. Theodor v. Wreech. Von 1785—1796 Domherr Ludwig Alex. v. Wreech. (Der letzte Wreech.) Graf Ludwig v. Wreech hatte Tamsel und Warnik an den Grafen Bogislaus v. Dönhoff auf Dönhoff- städt, den einzigen Sohn seiner Schwester, einer vermählten Gräfin Dönhoff vermacht, der seinerseits eine Schwerin zur Frau hatte. Von den 5 Töch- tern des Grafen B. v. Dönhoff war wiederum eine an einen Schwerin (Graf Hermann Schwerin-Wolfshagen) verheirathet. Durch diese Verheira- thung kam Tamsel an die Schwerins. Der gegenwärtige Besitzer, Graf Bogislav, ist ein Sohn des Grafen Hermann Schwerin-Wolfshagen. 2. Der Tamsler Park. Ueber die schöne Lage Tamsels habe ich schon S. 15 einige kurze An- deutungen gegeben. In früheren Zeiten hieß es die „Oase in der Wüste“ und noch jetzt hat es Anspruch auf jede rühmende Bezeichnung, wenn auch freilich die dem Ackerbau und wenigstens dem üppigsten Wiesewachs ge- wonnenen Gegenden des Warthebruchs, für die Umgebung Tamsels die Be- zeichnung „Wüste“ nicht länger zulässig erscheinen lassen. Das Terrain, auf dem Tamsel liegt, hat viel Aehnlichkeit mit den schönen Oderbruch-Parthieen zwischen Falkenberg und Freienwalde. Im Rücken eine Bergwand, mehr oder weniger steil, hier und dort durch eine Schlucht durchbrochen und überall mit Laub- und Nadelholz bestanden; am Fuß dieser Bergwand ein Dorf und zu Füßen des Dorfs ein Wiesen- grund, oft überschwemmt und immer von Flußarmen durchzogen. So ist das Freienwalder Terrain; so ist auch die Landschaft um Tamsel her. Das Dorf Tamsel zieht sich unmittelbar am Fuß des Hügels hin, zu Anfang und Ende wie ein Quersack sich ausbreitend, in seiner Mitte aber zu einer schmalen Straße sich verengend, weil eben hier der Park mit Schloß und Kirche sich einschiebt. Eigentlich theilt der Park, der in einen Außen- und Innenpark zerfällt, das Dorf in eine östliche und west- liche Hälfte, eine Theilung, die aber wenig bemerkt wird und noch weniger stört, da der Dorfverkehr unbehindert am Park entlang oder auch durch diesen hindurch geht. Ein solches Zusammengewachsensein von Dorf und Schloß thut immer wohl und jeder Theil, zunächst nur malerisch genom- men, hat den Vortheil davon. Der Park kommt der Dorfstraße und diese wiederum dem Park zu Gute. Der Park giebt Schönheit und empfängt Leben und Heiterkeit zurück. Der Park, wie schon angedeutet, zerfällt in einen Außen- und Innen- Park. Der Außen-Park ist jene Waldparthie, die vom Fuß des Hügels an bis zur Kuppe desselben aufsteigt und die Schlußcoulisse des ganzen Bildes, den Hintergrund für ganz Tamsel bildet. Auf der Höhe des Hügels erhebt sich einer jener griechischen Tempel, wie sie die Roccoco-Zeit zu bauen liebte, während weiter abwärts eine Schlucht die Hügelwand durch- bricht, eine Thalrinne, durch welche der Weg nach Zorndorf führt. In dieser Schlucht war es, wo in den 80er Jahren dem Prinzen Heinrich zu Ehren, die Erstürmung oder Forcirung des Passes von Gabel (die letzte Kriegsthat des Prinzen) noch einmal, bei bengalischem Feuer, friedlich in Scene gesetzt wurde. Die Schlucht wurde zu diesem Behufe überbrückt; Minerva (die schöne 20jährige Gräfin Dönhoff) führte den Prinzen mit begeisternder Anrede über die Brücke, an deren anderem Ende der Prinz von drei Johanniter-Rittern (von Schack, Graf Dönhoff, Graf Tauenzien) in voller Ordenstracht begrüßt und mit den schon an anderer Stelle mitge- theilten Worten empfangen wurde: Henry parait! il faut se rendre! Vous frémissiez fiers Autrichiens! Si vous pouviez le voir, si vous pouviez l’entendre Vous beniriez le sort qui vous met daus ses mains. Also etwa: Heinrich erscheint und vor seinem Begegnen Zittert Oestreich und unterliegt; — Kenntet ihr ihn, ihr würdet es segnen, Stolze Feinde, daß Er euch besiegt. Zur Erinnerung an diesen Tag wurde gleich nach der Festlichkeit selbst ein Obelisk an eben der Stelle aufgerichtet, wo die drei Johanniter den Prinzen begrüßt hatten und diesem Obelisk die Inschrift gegeben: En Memoire du Passage de Gàbel en Bohème par le Prince Henri de Prusse, le 31. Juillet 1778. Darunter: Ce marbre véridique aux siècles à venir Du héros de notre siécle attestera la gloire, Mais tout ce qu’il peut contenir N’est qu’un feuillet de son histoire. Dieser Obelisk steht noch. Der Innen-Park ist sehr reich an Statuen und Gedenksteinen und soll, vor nicht allzu langer Zeit, noch viel reicher daran gewesen sein. Auch hier wieder ist Prinz Heinrich der vor Allem Gefeierte. In einer der Ecken des Parks erhebt sich ein Altar mit den beiden Büsten des „Prince Henri“ und des großen Kurfürsten, und französische und deutsche Verse wetteifern, theils in unmittelbarer Huldigung gegen den Prinzen, theils (mittelbar) in Vergleichen und Parallelen, die sie zwischen dem Ahn und dem Enkel zieh’n. „Il a tout fait pour l’etat“ heißt es an erster Stelle; aber dem einfachen Ausspruch folgen Verse (des Chevaliers de Boufflers ) auf dem Fuß: Dans cette Image auguste et chère Tout Heros verra son Rival, Tout Sage verra son Égal Et tout homme verra son frère. Nun beginnen die Parallelen mit dem großen Kurfürsten. Zuerst französisch: Grands dans la paix, grands dans la guerre, Tous deux, par de fameux exploits, Devinrent et l’exemple et la leçon des rois. D’infortunés proscrits le premier fut le père, Le second, par son art d’etonner et de plaire, Mit des Français tous les coeurs sous ses loix. Dann folgen deutsche Distichen: Mächtig erhub sich der Staat durch Wilhelm, der ihm zu Lehrern Jeder friedlichen Kunst Galliens Flüchtlinge gab; Mächtig beschützt ihn (den Staat) der Sieger bei Freiberg, der in die Lorbeern Früh sich des feinen Geschmacks gallische Lilien wand. Endlich (im lapidarsten Lapidarstil) machen lateinische Worte den Schluß. Zuerst (dem Kurfürsten geltend): Fridericus Guilielmus vere Magnus . Civium Parens. Hostium Victor. Libertatis Germanicae Vindex. Fidei Exulis Perfugium. — Dann (dem Prinzen geltend): Henricus Militum Amor. Hostium Terror. Gallicae Gentis Deliciae. Musarum Altor. Ad Freibergam Victor. Hiermit schließen die Inschriften zu Ehren des Prinzen Heinrich ab, aber nicht die Denksteine und Inschriften überhaupt. „Rose elle a vécu ce que vivent les roses, — l’espace d’un matin“, so lauten die Worte auf einem halb unter Rasen verborgenen Sandstein, der zugleich den Namen der Frühgeschiedenen trägt: Lisette Tauenzien. Weiter abwärts die Gänge des Parks begegnen wir einem Epitaph mit Bild und Urne „dem Ge- dächtniß seiner zwei Geschwister errichtet von Grafen Ludwig Alexander Wreich.“ ( Complaints de Louis Alexandre Comte de Wreich sur la perte de sa soeur et de son frère. ) Darunter folgende Verse: Naissez mes vers, soulagez mes douleurs Et sans efforts coulez avec mes pleurs! Pour vous pleurer je devance l’aurore, L’eclat du jour augmente mes ennuis, Je gémis seul dans le calme des nuits, La nuit s’envole et je gémis encore. Vous n’avez point soulagé mes douleurs, Naissez mes vers, laissez couler mes pleurs. Noch weiter abwärts erhebt sich das Denkmal, das ebenfalls Graf Ludwig Wreich dem Andenken seines Lehrers Fahndorff errichtete, des- selben, der am 24. August 1758 von den plündernden Russen ermordet und unter die Bäume des Parks geworfen wurde. Noch vieles andere ist an Tafeln und Inschriften da, aber wir ver- weilen dabei nicht länger und wenden uns vielmehr der Stelle zu, wo im Mittelpunkt des Parks , en vue des Schlosses, vom Grafen Hermann Schwerin der große Denkstein errichtet wurde, dessen ich schon S. 59 flüchtig erwähnte. Mir bleibt hier nur noch übrig, das Denkmal selber ausführlicher zu beschreiben. Es ist ein Stein-Obelisk von etwa 30 Fuß Höhe, der sich auf einem gegliederten Postamente erhebt und seinerseits wieder eine vergoldete Victoria trägt. An den Seiten und der Rückfront des Postamentes befinden sich drei, auf den Küstriner Aufenthalt des Kronprinzen Bezug nehmende Basreliefs: ein Studirzimmer mit Büchern, Noten und Karten; ein strahlender Jüngling, der den Wagen zur Sonne lenkt; Küstrin mit der alten Oderbrücke; während die Vorderfront fol- gende Inschrift trägt: Eh die Sonne (mit des Schöpfers Macht im Bunde) Sendet ihren Glühstrahl über Welt und Ocean, Geht des Frühlingsmorgens Nebelstunde Thränenschwer, doch Segen bergend, ihr voran. Weitere Inschriften, am Obelisken selbst befindlich, knüpfen ebenfalls an den Aufenthalt des Kronprinzen in Küstrin und Tamsel an. Vorderfront : Hier fand Friedrich II. als Kronprinz von Preußen in seinem Duldungsjahre 1731 erwünschte Aufheiterung in länd- licher Stille. Rückfront : Es ist ein göttlich Ding einem Manne, daß er das Joch in seiner Jugend trage. Klagelieder Jeremiä 3, 27. An einer der Seitenfronten befinden sich die Worte, die auf die Er- richtung des Denkmals Bezug nehmen: „Dem erhabenen Verklärten Anno 1840, nach 100 Jahren seiner Thronbesteigung, geweiht vom Grafen Herr- mann von Schwerin.“ Ein Gitter und Rosenbüsche fassen das Denkmal ein. Es ist an derselben Stelle errichtet worden, an der (laut Aussage alter Fischersleute) der Kronprinz, wenn er im Tamsler Park spatzieren ging, vorzugsweise gern zu verweilen und unterm Laubdach der Bäume zu lesen pflegte. Die Enthüllung des Denkmals war ein Fest für die ganze Gegend. Friedrich Wilhelm III. (der 7 Tage später starb) hatte noch den größten Antheil daran genommen und acht Invaliden, aus der friedricianischen Zeit, zur Erhöhung des festlichen Eindrucks, nach Tamsel geschickt. Die Uniformirung war eigens nach Angaben des Königs erfolgt. Dies Denkmal, das vom Warthebruch und zugleich auch von dem hohen Eisen- bahn-Damm aus gesehn werden kann, der dicht bei Tamsel das Bruch durchschneidet, 3. Die Kirche in Tamsel. Die Tamsler Kirche steht ebenfalls im Park. Es ist ein alter, gothi- scher Bau, der durch Schinkel restaurirt und — wenn sich auch nicht Alles loben läßt — doch jedenfalls zu einem Bau umgestaltet wurde, der sich sehr malerisch in die Landschaft einfügt . Dies malerische Element, das Bestreben, einer sterilen Landschaft aufzuhelfen oder eine hübsche Landschaft noch hübscher zu machen, spielt bei allen Schinkelschen Dorfkirchen eine sehr wesentliche Rolle. Die Kirche ist eine einfache Kreuzkirche. Das linke Querschiff ist eine mit Statuen und Waffentrophäen geschmückte Ruhmeshalle für die Schoe- nings . Hier befinden sich, in einer Doppelnische, die überlebensgroßen Steinbilder des Feldmarschalls Hans Adam v. Schoening und seiner Gemahlin. Zur Linken beider steht die Marmorbüste des Soh- nes (Johann Ludwig † 1713) und trägt folgende Inschrift: „Der Hoch- wohlgeborne Herr, Herr Johann Ludwig v. Schoening , des St. Jo- hanniter Ordens Ritter und designirter Commendator zu Lago, Sr. Königl. Majestät in Polen und churfürstlichen Durchlaucht zu Sachsen gewesener Kammerherr, Herr zu Tamsel, Warnick, Groß und Klein Kamin, Birck- holz und Schönhoff, ist geboren zu Küstrin den 25. Dezember St. vet. anno 1675 und auf dem adligen Gute zu Neuendorf in dem Für- stenthum Halberstadt anno 1713, den 29. Oktober, selig in dem Herrn entschlafen, seines Alters 37 Jahr, 10 Monate und 10 Tage.“ Andere Statuen enthält die Kirche nicht, wohl aber zwei Oelbilder zur Rechten und Linken des Altars. Das eine, von Wach gemalt, ist eine „Himmelfahrt“; das andere, ein „Christus am Kreuz“, wurde von Wach restaurirt. Dies zweite Bild ist wesentlich besser und gilt für werthvoll. Es heißt „der Feldmarschall habe es nach seinem Türkensiege aus Ungarn mitgebracht“, doch ist das mindestens höchst unwahrscheinlich. Alles was sich in den Schlössern und Kirchen unserer „Türkenbesieger“ vorfindet, (wie ich das in dem Kapitel „Lichterfelde“ ausführlicher gezeigt habe) ist allemal „aus Ungarn mitgebracht.“ Ich halte mich überzeugt, daß auch die S. 16 bereits erwähnten, berühmten Stuckarbeiten im Tamseler Schloß einfach von Berliner Künstlern herrühren, an denen unter der Regierung Churfürst Friedrichs III. (des spätern Königs Friedrich I. ) in der bran- denburgischen Hauptstadt durchaus kein Mangel war. Der „Christus am Kreuz“ konnte allerdings damals von keinem Berliner Maler gemalt gereicht dem Park jeder Zeit zu einer besonderen Zierde; seinen schönsten Moment aber hatte dies Denkmal wohl, als in der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober 1861 König Wilhelm I. , von seiner Krönung in Königsberg zurückkehrend, im Eilzuge an Tamsel und seinem Park vorüberfuhr. Signale (vom Eisenbahn-Damm aus) wurden gegeben und in demselben Augenblick, in dem der Zug an der Park-Lichtung vorüber- glitt, strahlte das Victoriabild des Obelisken in bengalischen Feuern. Dahinter stiegen, einen Moment nur, die Umrisse des Schlosses auf; dann sank alles wieder in Nacht. werden und stammt wahrscheinlich aus Dresden, wo, wie wir gesehen haben, (vergl. S. 36) Feldmarschall Schoening von 1691 an lebte und 1696 starb. Die Kirche hat zwei Erbbegräbnisse ; das eine, ein neurer Anbau , hinter dem Chor der Kirche, das andere eine gewölbte Gruft aus der Zeit der Schoenings und noch früher. Der neuere Anbau ist das Dönhoff’sche Erbbegräbniß . Es wur- den darin beigesetzt: 1) Graf Dönhoff (an den, nach dem Tode des letz- ten Wreech, Tamsel als Frauenerbe fiel); 2) Gräfin Dönhoff, geb. Gräfin Schwerin; 3) und 4) zwei junge Grafen Dönhoff, von denen der eine als Kind starb, der andere, kaum 21 Jahr alt, von seinem Freunde, dem Grafen Saldern, im Duell erschossen wurde. Das Duell fand in Göttingen statt (1816), wo Beide studirten. Graf Dönhoff hatte in den Kriegsjahren als Garde du Corps-Offizier die Campagne mitgemacht. — Außer diesen vier Särgen befinden sich noch zwei ältere in dem Erbbegräbniß, und zwar die Särge des Freiherrn Dodo Heinrich v. Inhausen und Knyphausen (Erbherr der Herrlichkeit Jenelt und Visquet) und seiner Gemahlin, einer gebornen Baronesse v. Wreech. Er, der Freiherr, war am 5. August 1729 geboren und starb am 31. Mai 1789. Die Gruft scheidet sich in zwei gewölbte Räume. In der ältern, mehr zurückgelegenen Gruftkammer befinden sich die Särge der Familie Schoenbeck und anderer Vorbesitzer Tamsels. In dem andern Gewölbe stehen elf zum Theil sehr prachtvolle Särge, darunter der der schönen Frau v. Wreech (Luise Eleonore) Da über verschiedene Daten aus dem Leben dieser Frau, namentlich über das Jahr ihrer Geburt und ihrer Verheirathung, abweichende Angaben vorkommen, so lasse ich hier nachstehendes folgen: Luisa Eleonora v. Schoening wurde (dem Küstriner Kirchen- buch zufolge) durch den Küstriner Hofprediger am 6. Juli 1721 in Tamsel zum heiligen Abendmahl admittirt, ihres Alters vierzehn Jahre , sowie durch denselben am 25. Mai 1723 mit dem Obersten Adam Friedrich v. Wreech (gest. 1746) copulirt. Sie war also bei ihrer Verheirathung 16 Jahr alt und 24 Jahr bei dem ersten Besuch des Kronprinzen in Tamsel. Aus ihrer Ehe mit dem Obersten v. Wreech hatte sie wenigstens sieben Kinder, wahrscheinlich aber mehr. Das Küstriner Kirchenbuch nennt folgende fünf: 1) Eleonore Charlotte Amalie, geb. den 21. Dezember 1724. 2) Juliane Luise, geb. den 22. März 1726. 3) Friedrich Ludwig , geb. den 31. Juli 1727. (Getauft den 7. August; zählt unter seinen Pathen den König, den Kronprinzen und den Fürsten von Anhalt-Dessau). 4) Carl Albrecht Adam ; geb. den 27. November 1728. 5) Sophie Friederike ; geb. den 28. Mai 1730. (Zählt unter ihren Pathen die Prinzessin von Anhalt-Zerbst, die Feldmarschälle Graf v. Wartensleben und v. Natzmer). Sie war es, die sich am 7. September 1752 mit dem Grafen Stanislaus Gerhardt v. Dönhoff (später, in zweiter Ehe, mit dem Baron Dodo von Knyphausen) vermählte, durch welche erstre Vermählung Tamsel zunächst an die Dönhoffs, dann an die Schwe- rins kam. Fr. Förster spricht noch von einer am 27. Mai 1732 gebornen Tochter, doch ist , der beiden letzten Wreechs und des Feldmarschalls Hans Adam v. Schoening. Der Sarg der schönen Frau v. Wreech hat keine Inschrift, wohl aber befinden sich solche auf den Särgen ihrer beiden Söhne, der „beiden letzten Wreechs.“ Diese Inschriften lauten: 1) Friedrich Wilhelm Feodor , Freiherr von Wreich, Sr. K. Majestät von Preußen wirklicher Kammerherr und Hofmarschall bei Sr. K. Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen, sind geboren zu Berlin den 29. Januar 1733 und gestorben zu Berlin den 23. Mai 1785. 2) Ludwig Graf v. Wreich , der letzte seines Stammes, Königl. Preuß. Kammerherr und Hofcavalier Sr. K. Hoheit des Prinzen Heinrich von Preußen, Erb- und Gerichtsherr auf Tamsel ꝛc., Ritter des Johanniter- Ordens und Domherr des Stifts zu Magdeburg, ward geboren im Jahre 1734 zu Kyritz in der Altmark und starb den 20. Juni 1795 zu Ra- thenow im 61. Jahre seines ruhmwürdigen Lebens. Der Sarg des Feldmarschalls Hans Adam v. Schoening ist sehr groß und prächtig, und ganz von Kupfer. Ein goldenes (oder silbernes) Crucifix liegt oben auf; das Wappen befindet sich oberhalb, der Namens- zug unterhalb dieses Crucifixes. Die Seitenwände basreliefartig mit Fah- nen geschmückt; dazwischen folgende Inschrift: „Der hochwohlgeborne Herr, Herr Hans Adam v. Schoening auf Tamsel, Warnick, Birkholz, Chur- fürstl. Sächsischer wohlbestallt gewesener General-Feldmarschall, wirklich Gehei- mer und Geheimer Kriegsrath, Obrister der Leibgarde zu Fuß, wie auch über ein Regiment Cürassiers und ein Regiment Dragoners, ward geboren zu Tamsel den 1. Oktober 1641, starb selig zu Dresden den 28. August 1696.“ Die Rückseite dieses Sarges enthält die Bibelstelle: Psalm 18, Vers 32—36. — Der Deckel ist fest aufgelöthet und macht ein Oeffnen sehr schwierig. Zu Lebzeiten des Generals und Historiographen der Armee, Kurd v. Schoening , der alljährlich, am Geburtstag seines berühmten Ahnherrn, in Tamsel zu erscheinen und in der Gruft daselbst zu verweilen liebte, war öfters von Oeffnung des Sarges die Rede, aber sie unterblieb jedesmal, einmal weil die Sache große Schwierigkeit hatte und andrerseits ziemlich ersichtlich, daß hier eine Zahlenverwechslung vorliegt, und daß er die obige, am 28. Mai 1730 geborene Tochter (Sophie Friederike) meint. Auf diese Tochter bezieht sich auch die Stelle eines etwa Mitte Dezember 1731 geschriebenen Briefes des Kronprinzen an Frau v. Schoening, die Mutter der Frau v. Wreech: „Je l’ai vu, Madame, votre fille (Frau v. Wreech) et elle sait que Vous et sa fille (eben jene Sophie Friederike) se portent bien.“ Nach dieser Zeit, d. h. in Jahren, die der Anwesenheit des Kronprinzen (1731) folgten, wurden jedenfalls noch zwei Kinder geboren: 6) Friedrich Wilhelm Feodor v. Wreech, geb. 1733, gestorb. 1785; und 7) Ludwig Alexander v. Wreech, geb. 1734, gestorb. 1795. (Nach einer andern Angabe schon 1794.) Diese beiden sind im Küstriner Kirchenbuch nicht verzeichnet. Es ist nicht unwahr- scheinlich, daß die Zahl der Kinder der schönen Frau noch größer war. weil man sich scheuen mochte, die so wohlverwahrte Ruhe des Todten zu stören. Handelte es sich dabei doch ohnehin nur um Befriedigung einer freilich verzeihlichen Neugier. Man wollte nämlich in Erfahrung bringen, ob er mit dem mit Diamanten besetzten Degen, den ihm Kaiser Leopold nach der Einnahme von Ofen zum Geschenk machte, begraben sei oder nicht. Dieser Degen war bis jetzt nirgends zu finden. 4. Das Schloß. Es ist, seinen Umfassungsmauern nach, noch das alte Schloß, wie es von Feldmarschall von Schoening gebaut wurde. Auch in der innren Einrichtung hat sich noch manches erhalten, z. B. das Treppenhaus und der Ahnensaal (die Bildergallerie). Selbst von den berühmten Stuckarbeiten des Schlosses, die namentlich in der Bildergallerie höchst merkwürdig durch die Kühnheit ihrer Befestigung gewesen sein sollen, befindet sich noch ein Ueberbleibsel in einem der kleinen Seitengemächer. Sonst ist ein völliger Um- und Ausbau vor etwa 20 Jahren vorgenommen worden, bei welcher Gelegenheit das schräge, gothische Dach der Schoening’schen Zeit beseitigt und nach Aufsetzung eines neuen Stockwerks, durch ein Flachdach ersetzt wurde. Der Charakter des Hauses ist dadurch natürlich ganz verändert worden. Das Schloß ist reich an Bildern und Skulpturen aller Art; wir ver- weilen jedoch nur bei den historisch-interessantesten, wie sie sich im Billard- zimmer und im Ahnensaal vorfinden. Im Billardzimmer . 1) Portrait Friedrich des Großen . (Kniestück.) Vorzügliches Bild; wenn nicht von Pesne selbst herrührend, so doch wahrscheinlich unter seiner Leitung gemalt. Es erinnert wenigstens in Ton und Auffassung an andre Friedrichsporträts dieses Meisters. Der König ist auf diesem Bilde etwa 30 Jahr alt; er trägt weißgepudertes, natürliches Haar; um das noch volle Kinn herum bemerkt man einen bläulichen Bartton. Neben ihm liegt ein Hermelinmantel und ein mit Lorbeer geschmückter Helm. Er trägt einen eleganten blauen Rock mit rothem Futter und Goldbrokat-Besatz, weiße Aermel, die unter den kurzen Rockärmeln hervorkommen, den Stern und das Orangeband des schwarzen Adlerordens, Küraß und Schärpe. 2) Porträt des Prinzen Heinrich . Der Prinz in Generals- Uniform, die Aermelaufschläge von Tigerfell. Neben sich den Plan der Schlacht bei Freiberg (die Prinz Heinrichs-Schlacht); im Hintergrunde die Schlacht selbst. 3) Das Schloß zu Cölln an der Spree im Jahre 1602 . Höchst interessantes Bild; 5 Fuß hoch, 6 Fuß breit; der Name des Ma- lers nicht bekannt. Das Bild zeigt die der Breiten- und Brüder-Straße zugekehrte Front; kaum irgend etwas auf dem Bilde erinnert an die Schloß-Fa ç ade, wie sie jetzt dem Auge sich darbietet. Der Bau ist noch durchaus mittelalterlich; in Front zeigen sich vier gothische Giebel, wie an Privathäusern. In der Mitte der Fa ç ade und in Höhe des ersten Stocks bemerkt man einen eigenthümlich geformten, kunstreich gegliederten Bal- kon . In Höhe des Erdgeschosses zieht sich an der ganzen Front hin eine Colonnade , nach Art der noch jetzt existirenden Stechbahn. Diese Co- lonnade ist von röthlichem Stein; der Rest des Bildes zeigt einen grauen Ton. — König Friedrich Wilhelm IV. , als er bei seinem Besuche in Tamsel (etwa 1845) dies Bild sah, nahm das größte Interesse daran und ließ eine Copie anfertigen, die sich jetzt im Berliner Schloß befindet. Das Ori- ginal wurde vor etwa 25 Jahren nur durch einen glücklichen Zufall vom Untergange gerettet; man fand es verstaubt, geschwärzt, zerrissen auf einem Boden oder Seitengelaß des Schlosses. Im Ahnensaal . Unter den verschiednen Porträts, die sich hier vorfinden, sind die fol- genden die wichtigsten: 1) Hans Adam von Schoening , der Türkenbesieger. Großes Bild, 9 Fuß hoch, 10 Fuß breit. Hans Adam sitzt zu Pferde und trägt (wie es scheint) einen gelbledernen Waffenrock, rothe Gamaschen, eine kurze braune Perrücke, Dreimaster mit weißen Straußenfedern und Galanterie- Degen. Die rothe Satteldecke ist reich mit Gold und Silber gestickt. 2) Die Gemahlin Hans Adams von Schoening . Das Pendant zum vorigen Bilde, also ebenso groß. — Die Feldmarschallin ist noch jung, mit weißgepuderten Locken und Perlen darin. Sie trägt ein weißes Atlaskleid mit Goldstickerei; eben solche Schuhe. Vier Kinder spielen um sie her, ein fünftes ruht auf ihrem Schooß. Das älteste der Kinder, ein junges Mädchen, ist im Diana-Kostüm, ein Windspiel ihr zur Seite; ein andres Kind trägt ein Füllhorn, ein drittes spielt mit einem Lamm; da- zwischen Windspiele und Bologneserhündchen. Links in der Ecke des Bildes Genien mit Kränzen und Palmen. Im Hintergrunde Schloß Tamsel vor 1686. 3), 4), 5) Drei Bilder des Generals von Wreech , des Gemahls der schönen Luise Eleonore. 6) und 7) Die Bilder des Ministers von Brandt (wahrscheinlich des bekannten Eusebius von Brandt) und seiner Gemahlin. 8) Frau von Wreech (Luise Eleonore). Kniestück. Sie ist auf die- sem Bilde 28 bis 30 Jahr alt, also ein Bild, das noch zu Lebzeiten ihres Gemahls gemalt wurde. Sie ist noch sehr hübsch, frisch, üppig, die Augen voll Leben und Klugheit. Sie trägt ein weißes Brokatkleid, mit natürli- chen Blumen aufgesteckt, dazu eine hellblaue, silber- oder weißgestickte Ueber- jacke; Granatblumen im weißgepuderten natürlichen Haar und Perlen- Ohrgehänge. 9) Frau von Wreich im Witwenkleide; halbe Figur. Sie ist auf diesem Bilde etwa 38 bis 40 Jahr alt. Sie trägt ein schwarzes Kleid, und über dem schönen Nacken einen weißen, durchsichtigen Tüllkragen, mit einer kleinen Halskrause daran. Die schwarze Schnebbe der Witwenhaube geht bis tief in die Stirn; an der Haube hängt der schwarze Witwenschleier. 10) Frau von Wreich (drittes Porträt). Brustbild, lebensgroß. Sie ist auf diesem Bilde etwa 40 bis 41 Jahr alt, und scheint dasselbe um die Zeit gemalt zu sein, wo sie die Witwentrauer ablegte. Sie trägt ein ausgeschnittenes, weißes Atlaskleid, kurze Aermel, breite Fall-Unter- ärmel, eine Halskrause (trotz des tief ausgeschnittnen Kleides) und eine schwarze Sammetjacke, mit buntem Futter, über die eine Schulter geworfen. In der Hand hält sie eine Tabati è re. Dies Bild macht einen sehr ange- nehmen Eindruck: eine vornehme, zugleich anspruchslos-hausmütterliche Dame, noch hübsch, aber ohne besondere Schönheit. — An Kunstwerth ist ihr zweites Porträt (im Witwenkleid) das beste; auch tritt sie einem auf eben diesem Bilde am meisten als „schöne Frau“ entgegen. An dieser Stelle sei übrigens noch der Frau Karschin , der bekannten Dichterin, erwähnt, die jahrelang zu Frau v. Wreech in freundschaftlichen Beziehungen stand. Die Karschin war längere Zeit in Tamsel zu Besuch. Im Tamsler Archiv befinden sich ver- schiedne Gedichte der Karschin, an Frau v. Wreech gerichtet, und Briefe (gewöhnlich in Versen), die beide Damen wechselten. Leider bot sich mir nur Gelegenheit, diese Papiere zu lesen, nicht sie zu benutzen; — sie geben ein vortreffliches Zeitbild. 11) Generalfeldmarschall Graf Kurt von Schwerin (der bei Prag fiel). Kniestück. Sehr gutes Bild, lebensvoll; der Gesichtsaus- druck freundlich, klug, fest und schlicht. Er ist in volle Rüstung gekleidet (mehr Ritter als Kürassier) und trägt über der linken Schulter als bloße Drapirung einen Purpur-Sammet-Ueberwurf, auf dem der schwarze Adler- orden sichtbar ist. Dies Bild, das sich früher im Besitz des Generals Kurt von Schoe- ning (in Potsdam) befand, kam auf folgende Weise nach Tamsel. General Kurt von Schoening, bei seinen gelegentlichen Besuchen in Tamsel, hatte nie versäumt, seines Ahnherrn Hans Adam von Schoe- nings Bild (den Reiter mit den blutrothen Gamaschen) mit lebhaftem Interesse zu betrachten, und Graf Herrmann Schwerin nahm deshalb Ver- anlassung, eine Copie des großen Bildes anfertigen zu lassen und diese dem General von Schoening zum Geschenk zu machen. Ein Schwerin also hatte einem Schoening das Bildniß des berühmtesten Schoening’schen Ahnherrn überreicht. Jahre vergingen; General von Schoening starb. Bei Oeffnung seines Testaments fand man in demselben folgendes: „§. 12. Das Bild vom Generalfeldmarschall Grafen Schwerin erhält der liebenswürdige, edle Herr Graf Schwerin auf Tamsel. Nur wenn derselbe eher als ich das Zeitliche segnen sollte, erhält es das Schloß von Tamsel, in Aner- kennung der treu-bewahrten Alt-Schoening’schen Erinnerungen über und unter der Erde.“ So kam das Bild nach Tamsel. Ein Schoening hatte nunmehr einem Schwerin das Bildniß des berühmtesten Schwerin’schen Ahnherrn, als Gegengeschenk überreicht . Ich habe geglaubt bei Aufzählung alles dessen, was Tamsel, wie an historischen Erinnerungen, so auch an Kunstschätzen (Bilder, Statuen, In- schriften) aller Art bietet, ausführlicher verweilen zu dürfen, weil diesem schönen Landsitz, durch länger als ein Jahrhundert hin, die Rolle zufiel, nicht nur ein historischer Schauplatz, sondern auch eine Pflegestätte für die Künste zu sein. Wir haben Punkte in unsrer Provinz, die, vorübergehend, wenn ich mich des Ausdrucks bedienen darf, ein inten- siveres Leben geführt und glänzender debütirt haben, aber was dem Ruhme Tamsels an Intensität abgehen mag, das ersetzt er durch Dauer, durch ein consequentes sich halten auf hohem, wenn auch freilich nicht höchstem Niveau. Es giebt eine ganze Anzahl von märkischen Schlössern, aus denen berühmtere, oder doch eben so berühmte Feldherrn als Feld- marschall von Schoening, aus denen schönere Frauen als Frau von Wreech und glänzendere Poeten als Graf Ludwig Wreech oder Graf Herrmann Schwerin hervorgegangen sind, aber es giebt in der Mark wohl keinen zweiten Landsitz, der, wie Tamsel, durch sechs Generationen hin, in be- wußter Pflege und Ausübung jeglicher Kunst, sich immer gleich geblie- ben wäre. Schloß Rheinsberg (mit dem es überhaupt vieles gemeinsam hat) steht ihm hierin am nächsten, da die Zeit seiner Blüthe 70 Jahre umfaßt; alle übrigen Punkte aber, die hierlandes den schönen Künsten das Thor öffne- ten, sei es um die Kunst selber zu üben, oder ihr ein Hausrecht einzu- räumen, sahen die Muse nur zeitweilig in ihren Mauern. Sie kam und ging. Tegel (die Humboldts), Blumberg (Canitz), Wiepersdorf (Achim von Arnim), Nennhausen (Fouqu é ), Madlitz und Ziebingen (Tieck) — sie alle hatten ihre Zeit und die literarische Bedeutung dessen, was in ihnen ge- boren wurde, ging weit über das hinaus, was Tamsel hervorbrachte. Aber dilettantisch wie alles sein mochte, was Tamsel entstehen sah, klein wie das Feuer war, es losch nie aus . Der Besitz wechselte vielfach und ging durch Erbschaft auf immer neue Namen über, jeder folgende aber empfand sich stets als Erbe gewisser Traditionen, und die Schoenings, die Wreechs, die Dönhoffs, die Schwerins, wie verschieden sonst auch, sie waren einig in Pflege der Kunst. Diese Eigenthümlichkeit Tamsels zur Geltung zu bringen, bedurfte es einer Aufzählung des reichen Materials, das sich da- selbst in Schloß und Park und Kirche zusammenfindet. 5. Briefe des Kronprinzen Friedrich an Frau v. Wreech. 1731—32. ( Lettres et Vers de certain grand prince. ) I. Madame. Je Vous ai trop d’obligations pour ne pas Vous en té- moigner ma reconnaissance. Vous êtes la cause que tout le monde ne parle que de Tamsel, Vous pouviez bien croire que ce n’est pas tant par rapport à l’endroit, que par rapport à l’aimable hôte, et l’incompa- rable hôtesse de ce lieu. S’il dependroit de moi plus vite que ces lignes, je mes rendrois en personne chez Vous et je Vous marquerois Madame, le plaisir que j’ai à Vous rendre mes devoirs. Au premier jour je me laisserai pourtant vaincre par ce penchant et comme Vous avez eu la bonté de me le permettre, je puis le faire impunément je crois que je vôlerai plutot par ce chemin que ne marcherai; l’impatience, le desir d’arriver, la joie que l’on se promet et plus que tout la satisfaction de voir des personnes qui Vous sont chères, encouragent en pareille occa- sion, on surmonte les plus terribles montagnes, dont Natzmer dit que l’on s’y peut casser le cou comme une vieille femme. Mais gare alors! Vous savez Madame que l’homme est un animal de coutume et comme je suis de ce genre, je m’accoutumerai si bien chez Vous qu’il faudra me chasser comme les chiens de l’église. Mes complimens, s’il Vous plait, à Mr. Votre époux. Si les oreilles ne Vous cornent pas à tous deux, il faut que Vous ayez perdu l’organe de l’ouie, car les verres car- rilloneront ce midi à Vos santés, que cela sera une bénédiction. Voilà tout ce que nous pouvons faire pour Votre service — ce n’est pas grand chose à la vérité mais d’un mauvais payeur il faut prendre ce que l’on peut. Il faut regarder au coeur — pour le miens je Vous en réponds, il est rempli de beaucoup de bonnes intentions, accom- pagnées de beaucoup d’impuissance. A propos du coeur, il faut se souvenir de sa promesse. Je me resouviens Madame de la mienne et je n’attends que Vos ordres pour la mettre en éxécution. Si Vous voulez ma figure en grand , en milieu ou en miniature? L’original est entièrement à Votre disposition. Pour les copies je crois que la plus petite miniature sera la meilleure car un petit mal vaut mieux qu’un grand. Il ne tiendra pourtant qu’à Vous à disposer et je saurai obéir à condition que Vous me fassiez toujours le plaisir de croire que je suis avec une affection et une estime particulière, Madame Votre parfait ami à Vous servir Fréderic . II. Madame. Les sauterelles qui désolèrent ce pays ont toujours eu assez d’égards pour Vous, qu’elles ont ménagé Vos terres. Un nombre innombrable d’insectes plus vilains et plus dangereux que celles-ci de- vant nommées, vont se rendre chez Vous, Madame et non contens de déserter le pays, ces animaux auront la hardiesse de Vous attaquer jusque dans Votre propre château. On les appelle „ Vers “, ils ont quatre pieds, des dents aigues, un corp fort long et une certaine cadence fait leur premier principe et leur donne la vie. Ceux-ci sont de fort mauvaise race, ils sont venus tout rècemment du parnasse, où le bon gout les a chassés. Je suis persuadé qu’ils auront un sort égal à Tamsel , endroit que les 9 muses et Apollon même pourraient choisir afin de s’y faire 33 juger et dont le jugement seroit certainement juste. Je me réjouis fort cependant de voir que le soin paternel du Sieur Apollon se réveille et qu’il prend aprésent soin de purger le Parnasse des mauvaises produc- tions faites par des chetifs poêtes. Je crois que cela lui doit aller fort bien, quand avec une grande chambrière, il se met à chasser ces monstres poëtiques. Comme je suis du nombre de ceux qu’il a étrillés, je peux Madame, Vous en donner des nouvelles. J’assure qu’à le voir il étoit l’ébauche vivante d’un de ces gens, qui chassent les chiens des églises. Ce n’est pas par rancune que je lui donne cette épith èthe, quoiqu’en quelque façon j’aye lieu d’en avoir, car mes intentions depuis que je me mêle de la poëtique ont été pour l’ordinaire de priser la beauté des dames, d’y mêler un peu de tendre et je crois que cette manière fait que l’on a beaucoup de support pour la rime. Soit ce qu’il en soit, je lui pardonne les coups et tout. Mais comme la récompense du bien ac- compagne toujours la punition du mal, je suis persuadé, Madame, que les beaux progrès que Vous avez fait dans ce même art, ne reste- ront pas sans être recompensés. Je suis de plus persuadé, que les doctes soeurs Vous adopteront pour dixième. Gare seulement que Vous ne leur donniez trop de jalousie, car si elles avoient l’honneur de Vous connoitre comme je l’ai, Votre esprit, Votre mérite, Votre beauté, qui les surpasse de beaucoup, seroit l’unique raison qui pourroit altérer ce projet. En cas que Vous profitiez de leur ignorance je Vous supplierois, Madame, de faire des remonstrances au Sieur Appollon de ses manières d’agir — dites lui s’il Vous plait qu’il ne sied pas bien à un directeur des arts et sciences de maltraiter une personne d’honneur et que ses coups de „ gaule ?“ n’étoient point du tout polis. Je lui suggérerois volontiers un moyen de me punir dorénavant de façon qui ne me fera aucune peine ni à tout autre poête. Qu’il crée un ordre de Chevallerie. Il pourra les nommer „ Chevaliers de la mauvaise rime .“ En nous en donnant les insignes, il dépendra de lui de nous étriller comme bon lui semblera, et l’honneur de la chevallerie nous fera endurer les coups patiemment. J’ai la confiance en Vous, Madame, que Vous me ferez ce plaisir, ou si Vous voulez me tirer de cette difficulté Vous le pouvez sans peine. — Permettez seulement que j’ose faire mes vers sans Vos auspices et que je puisse Vous invoquer pour les faire. Lors je ne pourrai rien faire de mauvais au nom d’une personne si parfaite. J’at- tends mon arrêt, Madame, sur ma prière, je l’attends avec impatience mais aussi avec résignation. Faites et disposer comme il Vous plaira mais permettez moi seulement d’oser Vous assurer que je serai, tant en prose qu’en vers, avec beaucoup d’estime et de vénération Madame Votre parfaitement fidèle ami et serviteur Fréderic . Ode. Permettez-moi, Madame, en Vous offrant ces lignes Que je Vous fasse part de cette vérité: Depuis que je Vous vis j’ai été agité Vous êtes un objet qui en êtes bien digne. Mon coeur a ressenti qu’un trait trop plein d’addresse Est trop capable hèlas d’ôter la liberté; Quoique je sois à cette heure au tems de puberté Le monde dit pourtant que c’est une faiblesse. Ma faiblesse me plait et semble préférable A des coeurs qui sont durs et semblables au rocher Et quand l’on me diroit, que ce seroit pêcher Vous valez un pêché, Vous êtes trop aimable. Je ne me trouve pas moi même assez capable De Vous faire sentir ce qu’éprouve mon coeur: Aimer est un bonheur, aimer est un malheur! Tantôt l’on est content, tantôt cela accable. Tirez moi donc de peine et soyez mon arbitre Car je n’attends de sort que sorti de Vos mains, Je suis dans l’esclavage, je suis dans Vos liens Et ne demande pas jamais un autre titre. N’en ai-je pas trop dit? reprimez ma hardiesse. Du moins n’ai-je parlé quand Vous fûtes ici, Mais j’avois tant à voir dont j’étois en souci, Car Vous me paroissiez ainsi qu’une déesse. Recevez donc Madame, un coeur qui est trop tendre, Qui attend impatient seulement la permission De Vous faire souvent ces douces soumissions Et qui a balancé à cette heure (asteur) de l’entreprendre. Je compte les momens, je compte les minutes Afin de recevoir de Vous la décision Sur quoi je rêglerai toutes mes actions. Mais je crains ce malheur qui trop me persécute Qu’il me soit donc contraire en m’offrant des traverses Vous verrez que malgré je peux être constant Et si je n’ai pas lieu, d’en être trop content Il faut que la patience à la fin pourtant perce Mais j’en ai écrit trop et ma passion m’emporte Je crois Vous ennuyer Vous priant à la fin De croire que ce coeur de Vous rempli et plein Y perséverrera toujours de même sorte. Friederich . 33* Auf der leeren Rückseite dieser Ode finden sich folgende Verse von der Hand der Frau von Wreich — wahrscheinlich Abschrift oder brouillon ihrer Antwort. Réponse. Quel prodige, grands Dieux, confond donc mes lumières Est-ce le grand Frédéric qui s’abaisse aujourd’hui A composer des vers, pour moi, et les produit? Pourrai-je y repondre sans être téméraire Non, je n’en ferai rien — mon coeur embarrassé Efface avec dépit ce qu’il avoit tracé. — Car je ris quelquefois quand souvent j’entends dire Qu’il suffit pour parler que le coeur nous inspire Pour bien repondre à Toi, grand prince qualifié Il faut être l’Echo de Tes mots prononcés. Je revère Tes actions — jusqu’à la raillerie Qui d’un autre que Toi m’auroit scandalisé Puisqu’alors le sujet autrement expliqué Auroit trop effacé la tournure jolie Qu’il n’apartient qu’à Toi d’y avoir pu donner. Et comme il sied fort bien à la grande prestance D’accompagner Tes pas de graces et d’obligeance, Je comprends pleinement les sens des gracieux vers Dont l’excès de faveur surpasse trop ma sphère. Ce qui me reste à dire c’est que je Te revère Plus que sujette fit jamais dans l’univers. Jette un oeil sur cecy qui me devient propice C’est par Ton ordre hèlas que ce pauvre impromptu Te marque: qu’ obéir vaut mieux que sacrifice Et si ces lignes ici de tout art dépourvues Osent mettre à Tes pieds de mes voeux les complices — C’est toute ma maison qui y a concouru. Diese dunkle Stelle wird so wohl am besten erklärt: Ich wollte das Opfer bringen, Dir nicht zu antworten, aber Mutter und Gemahl verlangten es, und so scheint mir gehorchen besser als Opfer bringen. III. Madame. M’allant promener hier aux bords de notre Oder et rê- vant à la beauté et au mérite des divins objets qui avoit été ma moitié la fête dernière, je m’entendis apeller et dans un buisson, proche de l’endroit où j’étoit, j’aperçus la muse Uranie, qui me dit que j’étois in- sensé et allemand de louer des choses dans le fond de mon âme qui meritoient de l’être de l’univers entier. Je lui repartis que la beauté dont j’avois le coeur rempli n’avoit besoin que de son propre mérite pour recevoir un concert d’aplaudissements universels. Sur quoi, elle me dit, que je devois me distinguer de la multitude et exprimer mes pen- sées qui paroitroient avec plus de grace, si elles étoient embellies de la rime. Je ne cherche lui disois-je aucune beauté ni agrémens de mes vers, que venant par reverbération de l’objet qui me les cause; sur quoi la muse me dit: „Je sais que Votre faible voix n’est pas proportionnée à la beauté de l’objet que Vous voulez chanter. J’y suppléerai. Mais prenez un crayon et écrivez.“ Je fis ce qu’elle me dit, et voici Madame les vers qu’elle me dicta où je n’ai rien de propre que les pensées. Stances. Charmé de Vos divins appas’ Et charmé de Votre écriture L’on braveroit tous les trépas Pour Vous voir, Iris, je le jure. Car Vos yeux, dont les loix soumettent tous les coeurs Sont partout reconnus pour maitres et pour vainqueurs. La vertu et ses loix austères Dont Vous Vous faites un devoir Vous font, quoique beauté sévére, Respecter de notre pouvoir Et cette réunion, si belle mais si rare, A Vous louer toujours fait que l’on se prépare. J’ai l’honneur d’être, Madame Votre parfait ami et serviteur Fréderic. IV. Ce 5 de Sept. 1731. Madame ma très chère Cousine! Je mériterois bien d’être puni de la manière la plus énorme, d’avoir blasphemé Votre présence par ma bêtise, si je n’avois d’assez bonnes ex- cuses, et qui je crois sont valables. Mr. le Comte m’ayant dit beaucoup de choses qui ne me faisoient nullement plaisir et que je ne pouvois digérer si vite. J’ai donc bien raison de Vous demander pardon ma char- mante cousine, de m’avoir conduit si sottement. Vous me permettrez de reparer ma dernière visite par une autre, où je tâcherai, s’il m’est possible d’effacer mon sot maintien. J’aurois lieu de Vous demander en- core mille excuses si je n’étais pleinement convaincu de Votre support et de Votre condescendance. Permettez-moi donc pour cette fois de finir en Vous priant de faire mes complimens à Madame Votre mère et de croire que je suis avec beaucoup de passion et d’estime Madame, ma très chère Cousine, le très-humble et parfait ami, cousin et serviteur Fréderic. V. Ma très-chère et digne Cousine. Comme je crois que Vous êtes une de mes meilleures amies de ces cantons je n’ai pas voulu omettre de Vous communiquer un plan qui se dresse actuellement sur mon entrée à Berlin. Il est à peu près tel que j’aurai l’honneur de Vous dire. Premièrement je serai précédé d’un trou- peau de cochons, qui auront ordre de crier de toutes leurs force selon que leur instinct leur suggère. Ce troupeau sera mené par un de mes laquais respectifs, qui aura soin de leur éducation, chemin faisant. En- suite de quoi viendra un troupeau de brebis et de moutons mené de même par un de mes valets. Ceux-ci seront suivis d’un troupeau de boeufs de Podolie, qui me précédera immédiatement. Mon équipage sera tel: Monté sur un grand âne dont le harnois sera simple au possible. Au lieu de pistolets j’aurai deux sacs remplis de diverses semences à leur place. Au lieu de selle et de housse j’aurai un sac de farine où ma noble figure sera assise dessus tenant au lieu de fouêt un gauli dans la main et ayant au lieu de casque un chapeau de paille en tête. A chaque côté de mon âne au lieu d’estafier seront une demie douzaine de paysans tant avec des faux que des charues et autres instrumens de l’agriculture qui marcheront en cadence avec la gravité requise. Succes- sivement après viendra, perché sur un grand chariot de fumier, l’héroique figure du Sieur de Natzmer, qui crainte d’accident sera tirée par quatre boeufs et une jument. Après lui l’on remarquera au haut d’un chariot de foin, l’effrayante figure du terrible Rovedel, qui tiendra le Crinomènon d’une et le Criterion de l’autre main. Cette marche sera conclue par le Sieur de Wolden qui aura la bonté de passer son tems sur un chariot rempli d’orge et de froment. Je Vous supplie ma très digne Cousine, de vouloir assister à cette rare cérémonie. En mon particulier, j’aime toujours mieux, que l’on se mocque de moi avec connoissance de cause que de subir les huées d’une multitude de peuple effrenée. Je prépare tout ce qu’il faut pour cette entrée et n’attends que les ordres pour les mettre en oeuvre. Dernièrement j’ai été à Lebus , où en revenant, j’ai essuyé chez le Sieur de Borsdorf , une multitude terrible d’incivils com- plimens. L’on voulait me garder à souper. Mais l’échantillon de leur eccessive politesse, qu’ils me donnoient, m’en dégouta si bien que je me serois plutôt fait couper les deux oreilles que d’y rester. Je mé- ditai donc quelqu’honnête retraite et en ayant trouvé je louai Dieu de m’avoir sauvé d’un déluge de pareilles civilités mal digérées. Le Prince Carle a été hier ici. L’on a peu bu, mais en revanche fait beaucoup de bruit, cassé quelques fenêtres, brisé quelques fourneaux etc. etc. Un petit non plus ultra, a arrêté mon voyage de Sonnenburg. Je ne m’en soucie guères, espérant de mieux employer mon temps . Je ne puis toujours mieux l’employer qu’en Vous assurant ma très-chère cousine que je suis et serai jusqu’au tombeau, avec une constante et parfaite estime Votre très parfait ami, cousin et serviteur Fréderic . Mille excuses de fautes d’écriture, mais la raison en est que j’ai écrit au lit. VI. Der folgende Brief, auch ganz ohne Ort und Datum, ist aber offen- bar nach einem Aufenthalt in Berlin, an die Frau von Schoening , die noch lebende Mutter der Generalin Wreich, nach Tamsel hin adressirt. Aller Wahrscheinlichkeit nach, wurde er, gleich nach der Versöhnung in Berlin in den ersten Tagen des Decembers 1731, bei seiner Rückkehr nach Küstrin ge- schrieben. Die glänzenden Hoffeste, deren er erwähnt, und bei denen die schöne junge Frau gewiß nicht fehlen konnte, bezeichnen wohl unverkennbar die Vermählungs-Feierlichkeiten seiner Schwester. In keinem drückt sich sein Gefühl so unverkennbar aus. Madame. J’ai eu le plaisir de voir Madame Vôtre fille, à Berlin. Je l’ai vu, Madame, mais sans pouvoir à peine lui dire bonjour et bon chemin. Cependant elle sait que Vous et sa fille se portent bien. Elle se distinguoit par dessus toutes les dames qui forment la cour — et quoiqu’il y eut une foule de princesses qui la surpassoient en magnifi- cence, je Vous assure qu’elle effaçoit tout cela par sa beauté, son air majestueux, son port et enfin par toutes ses manières. J’étois alors un vrai Tantale, toujours tenté de parler à une si divine personne et néans- moins toujours obligé de me taire. Enfin sa beauté a triomphé de toutes celles qui s’étoient assemblées du Nord et du West, et tous ceux de la cour d’une voix unanime ont avoué que Madame de Wreich emportait le prix de la beauté, de l’air, des manières etc. etc. Je crois que tout ceci Vous doit flatter agréablement — parceque cette aimable personne Vous appartient de si près. Mais, Madame, je Vous assure que Vous ne pouvez y prendre plus de part que moi qui aime tout ce qui appartient à cette charmante famille et qui suis et serai toujours, Madame, Votre parfait ami, Neveu et serviteur Fréderic . VII. à Custrin ce 20 de Fevr. 1732 . Madame, ma très chère Cousine. Je serois bien ingrat si je ne Vous témoignois ma reconnoissance de la peine que Vous avez prise de venir à Tamsel et je devrois bien Vous remercier encore pour les charmans vers que Vous avez eu la bonté de me faire. J’aurois cru faire un pêché, si, me dérobant un moment de Vôtre aimable entretien, je l’eusse employé à lire Vos vers. Hier au soir solitaire j’eus le plaisir de les admirer à mon aise, et sans être empêché de rien au monde. M’en voilà, Madame, aux redites, car tout ce que Vous faites oblige à admirer tant Votre esprit que Votre poli- tesse. Je coupe court sur cette matière — il me semble déjà que Vous rougissez et pour épargner Votre modestie je change de matière et pour Vous donner encore une preuve de mon obéissance aveugle je Vous en- voie, ce que Vous m’avez demandé. J’espère que cela servira au moins à Vous faire quelquefois souvenir de moi et que Vous direz: „C’étoit un assez bon garçon , mais il me lassoit, car il m’aimoit trop, et me faisoit souvent enrager avec son amour incommode!“ Que je seroit heu- reux, Madame, si Vous me connoissiez autant et que si persuadée de la constance éternelle de mes sentimens, Vous me faites toujours la justice de me croire avec une estime sincère et avec beaucoup de passion Votre parfaitement fidèle ami, Cousin et serviteur Fréderic . Sonnet . Ce portrait, ma cousine est mon ambassadeur Et ce sonnet lui sert de timide interprête Car il devoit te dire, ainsi qu’à mon vainqueur Que je suis un de ceux dont tu fis la conquête. Que tes charmes divins m’ont enlevé le coeur Que seroit-ce pourtant, quelle joie quelle fête Si comme ma copie j’eus le parfait bonheur — — Mais — halte là ma plume, il faut que je t’arrête — Si tu en disois trop, sans voir ton créditif Tu serois renvoyé, errant et fugitif. Laisse donc deviner ce que tu n’ose dire. Et garde toi surtout de ne parler d’amour, De dire que tu aimes et aimeras toujours Mais puisqu’il faut mourir — meurs — cèlant ton martyre. Dieser Brief mit den ihm beigefügten Versen und der Sendung des Portraits scheint mir offenbar ein Abschiedsbrief und der letzte in der Reihe sein zu müssen. 6. Briefe König Friedrichs an Frau v. Wreech. 1758—61. I. à Tamsel ce 30. d’Août 1758. Madame. Je suis venu ici après la bataille du 25. J’ai trouvé la désolation dans ce pauvre endroit. Vous pouvez être assurée que je ferai ce qui sera possible pour conserver ce qu’il-y-a encore. Mon armée a été obligée de fourager ici, et quoique dans les facheuses circonstances où je me trouve je ne sois guère en état de bonifier le mal que l’ennemi a fait, je ne veux du moins pas qu’il soit dit que j’ai contribué à la ruine de personnes que mon devoir m’oblige de rendre heureuses. Je crois que Vous pouvez Vous même manquer du nécessaire et cette considération m’a engagé surtout à Vous bonifier incessement le tort que nous Vous avons fait par nos fourages. J’espère que Vous prendrez cette attention comme une marque de l’estime avec laquelle je suis, Madame, Votre affectionné ami Féderic . II. J’ai reçu avec plaisir Votre lettre du 1er de ce mois, par laquelle Vous me témoignez Votre reconnaissance de la somme que je Vous ai fait remettre en dernier lieu à titre d’indemnisation et quoique je sou- haiterois d’aider dès à présent Vos paysans pour les remettre en train, selon que Vous m’en priez, je me vois cependant obligé de différer la- dessus mes bonnes intentions, jusqu’à ce que les Russes soyent entière- ment hors du pays, après quoi je ferai pour eux ce que mes facultés voudront pour lors me permettre. Sur ce je prie Dieu, qu’il Vous ai en sa sainte et digne garde. A Schönfeld près de Dresde ce 17. de Sep- tember 1758. Féderic . III. La lettre que Vous avez voulu me faire le 8. de ce mois m’est bien parvenue. Vous pouvez être persuadée, que je suis véritablement pénétré de la situation où Vous vous trouvez et que je ressentirois la plus sensible satisfaction, si je pouvois Vous soulager autant que je le souhaiterois. Mais je Vous donne à penser, si, pendant que je suis hors d’état de faire payer les appointements et les pensions de l’état civil, je puis avoir des capitaux à placer sur intérêts. Si j’avais de l’argent à avancer, Vous pouvez compter que je Vous fournirois la somme que Vous demandez, non à deux pour cent, mais sans aucun intérêt. Les fraix de la guerre présente me lient trop les mains de sorte que ma bonne intention ne sauroit être secondée des effets. Le soulagement de la nouvelle Marche en général et de la ville de Cüstrin, m’a déjà couté les derniers efforts et je suis hors d’état de pouvoir pousser plus avant. Selon mon avis, je crois que Vous feriez bien de ne songer pendant les circonstances présentes qu’à faire vivoter Vos gens, pour ainsi dire du jour à la journée et tâcher d’ensemencer Vos terres sans penser à d’autres rétablissemens mais de les suspendre entièrement jusqu’à la conclusion de la paix. Sur ce je prie Dieu qu’il Vous ait en sa sainte et digne garde. à Breslau le 14. Janvier 1759. Darunter eigenhändig: Vous vous représentez Madame les choses bien différentes qu’elles ne sont. Songez que depuis un an je ne peux payer ni gages ni pen- sions, songez aux provinces qui me manquent, à celles qui sont rava- gées, à la dépense énorme que je suis obligé de faire et j’espère qu’alors Vous n’attribuerez mes refus qu’à l’Impuissance où je suis de Vous ren- dre service — si cependant les choses changent, je ferai pour Vous ce qui me sera possible. Fr . IV. J’ai ressenti une vraie douleur à la lecture de Votre lettre du 29. Décembre dernier. Je connoissois sans cela toute l’étendue des maux que les conjontures des tems avoient attiré sur Vos terres, et nous sommes tous dans le même cas. J’y suis d’autant plus sensible que les circon- stances ne paroissent point conseiller et même permettre d’y porter encore quelque remède, ou, que tout ce que je pourrois faire actuelle- ment à ce sujet, ne seroit qu’à pure perte, les affaires étant encore si fort sujettes à l’aventure. Il faudra donc indispensablement attendre, jus- qu’au retablissement de la paix, où Vous pouvez compter que je ferai pour Vous ce que je ferai pour tout autre, selon que l’état de mes af- faires le pourra permettre. Sur ce etc. etc. à Leipzig a 12. de Janvier, 1761. Féderic . V. Madame, je suis faché de ne pouvoir pas faire pour Vous tout ce que je desire, ni ce que Vous souhaitez. Mais j’ai ordonné à Köppen de Vous remettre ce qui s’est trouvé en mon pouvoir. Je Vous prie de l’accepter comme une marque de l’estime avec laquelle je suis Votre sin- cére ami Féderic . Zorndorf. Benutzt : Varnhagen’s Leben des Generals v. Seidlitz. Schlachtbericht. Mündliches. Blumenthal. Benutzt : Prediger Lehmanns in Prötzel Bericht über die „Stadtstelle im Blumenthal“. Mündliches. ( Wüstgewordene Flecken und Dörfer ) giebt es in der Mark sehr viele und um so mehr muß es überraschen, daß Klöden, der besser als jeder andre davon wissen konnte, sich so beharrlich sträubte, eine „wüst- gewordene Stadt Blumenthal“ im Blumenthal-Walde anzunehmen. Diese „wüste Stadt- oder Dorfstelle“ ist sogar nicht die einzige im „Blumen- thal“; — auch Biesow , ein Dorf, das eine halbe Meile nördlicher gele- gen ist, wurde wüst. Der jetzt diesen Namen führende Ort liegt an andrer Stelle wie das alte Biesow. Als Regel kann man aufstellen, daß überall da, wo einem auf einem Ackerfelde eine Stelle gezeigt wird, die den Namen: wüste Heiners- oder Sievers- oder Dietrichsdorf führt, diese Bezeichnung soviel ausdrückt als wie: „an dieser Stelle hat einmal ein Dorf dieses oder jenes Namens gestanden“. Oft haben sich die Dörfer (dann gemeinhin an andrer Stelle, eine Viertel- oder halbe Meile von der alten entfernt) wieder belebt ; ebenso oft aber sind sie ganz verschwunden und es existirt eben nur noch der Name. „Der Pflug geht drüber hin“. Der Ober-Barnim, vielleicht weil er durch den Hussiten-Zug ganz be- sonders zu leiden hatte, ist reicher an solchen „wüsten Stellen“ wie andre Landestheile. Es mögen wohl ein Dutzend vorhanden sein; vielleicht noch mehr. Drei Perioden waren diesem Landestheile besonders verderblich: der schwarze Tod (etwa 1350), die Hussiten (1430) und der dreißigjährige Krieg. Kaprow, Karutz, Richardsdorf, Kunkendorf, Sonnenburg und Stein- beck wurden wahrscheinlich um 1350, Biesow und Kensdorf um 1430, Tempelfelde zwischen 1630 und 48 zerstört; einzelne dieser Dörfer wurden an andrer Stelle wieder aufgebaut, andre blieben wüst . Predikow. Benutzt: v. Barfus-Falkenberg Biographie des Feldmarschalls Hans Albrecht v. Barfus. K. v. Schoenings Leben des Feldmarschalls Hans Adam v. Schoening. Graf Christoph Dohna’s Memoiren. Poellnitz’s Memoiren. Mündliche und briefliche Mittheilungen. Cossenblatt. Benutzt: v. Barfus-Falkenberg Biographie des Feldmarschalls Hans Albrecht v. Barfus. Berghaus Landbuch der Mark Brandenburg. Mündliche und briefliche Mittheilungen. Friedrich Wilhelm I. in Cossenblatt. „Vom Jahre 1736 an hat Friedrich Wilhelm I. bis zu seinem Tode alljährlich sich einige Zeit in Cossenblatt aufgehalten , zum letzten Male im November 1739. Bei diesem Aufenthalt hier hat der König dann auch die Kirche besucht und dem Gottesdienst beigewohnt, hat auch mit kritischem Ohre die Predigt gehört, worüber einige Notizen vorliegen. Am 13. Sonntage nach Trinitatis im Jahre 1736 (26. August) hat der König in der hiesigen Kirche eine Predigt von dem damaligen Prediger in Wulfersdorf (stellvertretend für den hiesigen, welcher krank gewesen ist) gehört, welche seine höchste Unzufriedenheit erregt hat; — und da er nicht lange vorher mit einer in Rheinsberg gehörten Predigt ebenfalls unzufrie- den gewesen ist, so haben diese beiden Prediger nach Berlin kommen und über vorgeschriebene Texte predigen müssen. Auch hat der König einen Cabinetsbefehl erlassen, in Folge dessen sämmtliche Prediger aus der Alt- mark, Priegnitz, Mittel-, Uker- und Neumark durch das Consistorium nach Berlin berufen worden sind, „um ein Monitorium und Instructorium zu vernehmen“. Zugleich sind durch neue Befehle die Inspectoren (Superin- tendenten) angewiesen worden, jährliche Conduitenlisten über die Prediger ihrer Diöcesen einzureichen. Am 23. Sonntage nach Trinitatis (9. Nov.) 1738 ist der König wiederum mit einer Predigt des damaligen hiesigen Predigers unzufrieden gewesen und hat auf einen ihm gemachten Vorschlag den Prediger aus Teupitz kommen lassen; — aber auch dieser hat ihn nicht zufriedenstellen können.“ (Mittheilung des Predigers Stappenbeck in Cossenblatt.) ( Ein großes Gemälde in der Kirche ) fesselte sofort beim Ein- treten meine Aufmerksamkeit, weil ich darin eine Copie des großen Familienbildes in der Meseberger Kirche (Vgl. Band I. S. 129) zu erkennen glaubte. Nur Nebensächliches — z. B. die Hintergrunds-Architec- tur — wich ab. Auf meine eingezogenen Erkundigungen habe ich nun aber erfahren, daß sich die Sache umgekehrt verhalten und daß das Bildniß in der Meseberger Kirche eine Copie dieses Cossenblatter sein soll . General v. Barfus, der das Bild sehr genau kennt und für seine Restaurirung Sorge getragen hat, schreibt darüber (nachdem ich mir Anfangs einen leisen Zweifel erlaubt und das Groebensche Bild in Mese- berg als Originalbild angesehen hatte): „Meiner Ansicht bleibe ich getreu: das Bild in der Kirche zu Cossen- blatt stellt vor George v. Oppen , Kurbrandenburgischen Oberkämmerer, und seine Gemahlin, eine geb. v. Maltitz , dazu die 12 Kinder beider. Unter den Töchtern befand sich Katharina v. Oppen, später die Gattin Ditlofs v. Barfus auf Möglin und Reichenow, des berühmten Reiter- Obersten und Großvater des Feldmarschall Johann Albrecht v. Barfus. Eine andre Tochter vermählte sich mit Herrn v. d. Groeben auf Mese- berg , welcher letztre das Cossenblatter Familienbild, aus Pie- tät gegen seinen Schwiegervater copiren ließ .“ Königs-Wusterhausen. Benutzt : Die Memoiren der Markgräsin von Baireuth. Fr. Förster ’s Friedrich Wilhelm I. Mündliches. Teupitz. Benutzt: Berghaus Landbuch. Fidicin’s Teltow. Mündliches. Mittenwalde. Benutzt: Fidicin’s Teltow. Victor Strauß’ Paul Gerhardt. Förster’s Friedrich Wilhelm I. Droysens Leben Yorks. Steinhöfel. Benutzt: G. Hesekiels Biographie des Generals Valentin v. Massow. Oeuvres de Frederic le Grand (Tome XXI.) Mündliche und briefliche Mittheilungen. (Bilder im Steinhöfler Schloß.) 1) Minister von Blumenthal. 2) Feldmarschall von Flanß. 3) General von Massow aus der Zeit Friedrich Wilhelms I. 4) von Massow, Minister unter Friedrich II. 5) Seine Gemahlin. 6) von Massow, Obermarschall unter Friedrich Wilhelm II. und III. 7) Seine Gemahlin. 8) von Massow, Hausminister. 9) Seine Gemahlin. 10) Generallieutenant Valentin von Massow, als junger Mann in Civil. In den Sälen des Schlosses findet sich noch eine große Anzahl andrer Bilder und Porträts, z. B. eine Büste (mit kunstvollem Marmorschleier) und ein andres sehr liebliches Bildniß der Königin Luise. Diese wenigen, die ich hier namhaft gemacht habe, zeichnen sich entweder durch künstlerische Vortrefflichkeit aus, oder sind Familienbilder im engeren Zirkel. (Der Waffenschrank.) 1) Säbel des Generallieutenants Valentin von Massow, den der- selbe, 13 Jahr alt, als Junker bei Rudorff-Husaren (1806) führte. 2) Säbel eben desselben, im Kriege gegen Frankreich, in Spanien 1812 und in den Befreiungskriegen 1813—15. 3) Säbel des Hausministers von Massow, den er als Offizier im ersten Garde-Regiment 1813, 14 und 15 geführt hat. 4) Büchse und Schärpe von Carl von Massow, der 15 Jahr alt als freiwilliger Jäger mit auszog, bei Lützen und Bautzen focht, und bei Leipzig (16. Oktober) durch einen auffliegenden Pulverwagen seinen Tod fand. Buckow. Benutzt: Berghaus Landbuch. Mündliches. ( Ein Erdfall .) S. 183 habe ich von den „Erdfällen“ in der Mark gesprochen und dabei den Ausspruch einer geognostischen Autorität citirt, „daß die Natur bei der Bildung von Erdfällen nur erst selten auf frischer That ertappt worden sei .“ Es hat inzwischen, seit- dem ich den Aufsatz über „Buckow“ und über Erdfälle in diesen Gegenden schrieb, wirklich ein solcher Erdfall stattgefunden; zwar nicht unmittelbar in der Mark, aber doch in unserer Nachbarschaft, in Thüringen . Aus Sachsenburg wurde neuerdings berichtet: Hier hat am 11. September ein „Erdsturz“ alle Gemüther erschreckt. Nach- mittags 3 Uhr versank auf einem Rasenplatze in der Nähe der Kirche, unter donnerartigem Krachen, ein Stück Erde, und unmittelbar darauf schlugen die Wasser aus der Tiefe in die Höhe. Am Abend betrug die Länge der eingestürzten Fläche bereits 18 Fuß und die Breite 16 Fuß; seitdem vergrößert sich die Versenkung täglich. Die Tiefe des entstandenen Loches mißt 174 Fuß und das Wasser stand 160 Fuß. Man ist sehr be- sorgt um die neugebaute Kirche, welche etwa 150 Fuß von dem einen Ende des Erdsturzes entfernt ist. Der Communicationsweg zwischen Bilzingsleben und Sachsenburg ist bereits erfaßt, so daß er an dieser Stelle — wenig- stens mit Fuhrwerk — nicht ohne Gefahr passirt werden kann. Der große und kleine Tornow-See. Der Schnitz-Altar in der Bollersdorfer Kirche. Der schöne alte Schnitz-Altar in der Bollersdorfer Kirche, dessen Re- staurirung (durch den Maler Holbein) ganz vor Kurzem durch den Grafen Itzenplitz veranlaßt wurde, zeigt in seinem Mittelstück, dem sogenannten „Schrein“, die Kreuzigung, jedoch nur mit Maria, Johannes und Magda- lena. Der landschaftlich gemalte Hintergrund mußte, da nur unverständ- liche Ueberreste vorhanden waren, neu erfunden werden. Die beiden Flügel des Altars zeigen in ihrer obern Reihe hier Petrus und Paulus, dort Johannes und St. Georg, die der untern die vier Evangelisten mit ihren Symbolen. Sonderbarer Weise stammt das Ganze nicht aus einer und der- selben Zeit. Der größere Theil, die Kreuzigung sammt den 4 Evangelisten, zeigt nämlich den manierirten Stil, der sich in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts durch den Einfluß der italienischen Kunst in Deutschland bildete, während die anderen vier Heiligen ziemlich gute Arbeiten deutschen Kunsthandwerks vom Anfange desselben Jahrhunderts sind. Wie diese Ver- bindung heterogener Theile entstanden und ob diese älteren Figuren gleich bei der Anfertigung des neuen Altars oder erst später in denselben auf- genommen, muß zwar dahingestellt bleiben; jedenfalls ist aber die Thatsache bemerkenswerth, daß man hier, noch in sehr später Zeit und nach Einführung der Reformation , diese Technik in Anwendung brachte und dabei keinen Anstand nahm, diese ältern, vielleicht aus einem verfallenen Altare herrührenden Statuetten zu benützen, obgleich sich unter ihnen neben Aposteln auch der etwas problematische und jeden- falls auf einem evangelischen Altare bedeutungslose St. Georg befand. Das Oderbruch. Benutzt: Beckmann historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg. Buchholtz , Versuch einer Geschichte der Chur- mark Brandenburg. Berghaus Landbuch. Christiani „das Oderbruch.“ Wehrmann die Eindeichung des Oderbruchs. Mündliche und briefliche Mittheilungen aus Letschin, Gusow, Quilitz, Friedersdorf, Groß-Neuendorf, Neu-Barnim ꝛc. (Die letzten Wenden-Reste in Sachsen und Preußen.) Ueber die letzten Wendenreste brachte die National-Zeitung im September d. J. folgende interessante Zuschrift aus Bautzen, dem alten wendischen Budissin. „Ein seinem sicheren Untergange zutreibender Rest eines ehemals großen, mächtigen Volkes hat immer etwas Tragisches und verdient auch die Theilnahme des Siegers. Diesem Untergange gehen jetzt sichtlich und sicher die sächsischen und preußischen Wenden zu, deren ohn- mächtige Agitation in neuester Zeit vorwiegend durch die panslavistischen Umtriebe und zuletzt durch die polnische Revolution Ursprung und Nah- rung erhielt. Vor wenigen Tagen waren die slavischen Gelehrten Graf Eustachius Tyschkewitsch und Antonius Drugalsky aus Wilna und der slowakische Professor Michael Chrastek aus Neusohl in Ungarn, in unserer alten Wendenstadt („Budissin“), die auch in ihrem finsteren Aeußern noch bis heutigen Tag ihren nationalen Ursprung nicht verleugnen kann. Jene drei Gelehrten sind Männer von Ruf in der slavischen Literatur und ka- men, um nach ihren Brüdern zu sehen, die, in Enclaven um Bautzen und östlich von Görlitz mitten in dem sie umgebenden Deutschland, das letzte Jahrhundert des Wendenthums erleben. Wie ein verlöschendes Licht noch einmal aufflackert, so sind in jüng- ster Zeit wendische Gesangvereine, Blätter, Gesellschaften entstanden und doch wird dies den Prozeß nicht aufhalten. Ein Stück nach dem andern reißt das Deutschthum an sich. Der wen- dische Vater schickt seine Töchter in die Stadt, damit sie dort deutsch ler- nen, und schon nach kurzer Zeit legen sie die nationale Tracht ab, ver- leugnen ihre Sprache und sind froh, wenn sie es sprachlich dahin gebracht haben, daß man ihnen die wendische Abkunft nicht mehr anmerkt. In der Ober-Lausitz leben nach Angabe eines wendischen Gelehrten ungefähr noch 101,000 Wenden; von dieser Zahl kommen etwa 56,100 Köpfe auf Sachsen, 45,000 auf Preußen. In der Nieder-Lausitz giebt es ungefähr noch 50,000 Köpfe. In Sachsen geht die Wendei von Löbau nordwärts über Bautzen bis Kamenz. Bis in die neuere Zeit waren die Schulen fast nur Anstalten zur Erlernung der deutschen Sprache und die Pflege der übrigen Elementargegenstände mag darunter wohl vielfach ge- litten haben. Es hat deshalb die Regierung angeordnet, daß der Religions- Unterricht wendisch ertheilt werde, Lesen und Schreiben aber sowohl wen- disch wie deutsch zu treiben ist. Unter den gebildeten Wenden regte sich zuerst mit der allgemeinen dem Jahre 1848 vorangehenden Gährung die Liebe zur nationalen Sache und Sprache, und so entstand schon im Jahre 1846 die „Macica Serbska“, ein Verein nach Art des Zwickauer Volksschriftenvereins mit dem Zweck, weitere Kreise mit lehrreicher Unterhaltungslektüre zu versorgen. Der Buch- handel hatte dem Bedürfniß nach wendischer Lektüre bisher fast gar nicht Rechnung getragen. Seit dem Bestehen der Macica sind 35 dergleichen Schriften, in einer Auflage von 500 Exemplaren von derselben herausgegeben und vertrieben worden, einige sogar in zweiter Auflage erschienen. Außer den Volksschrif- ten, zu denen auch ein wendischer Kalender in einer Auflage von gegen 4000 Exemplaren gehört, giebt die Macica auch eine gelehrte Zeitschrift, jährlich 2 Hefte, unter dem Titel „Casopis“ heraus, welche historische, lin- guistische, archäologische, naturwissenschaftliche ꝛc. Aufsätze enthält; eben so ferner ein Wörterbuch, dessen wendisch-deutscher Theil (63 Bogen) fast voll- endet ist. Sodann enthält die Gesellschaft jetzt besondere Sektionen, und zwar eine Sektion für wendische Sprachforschung, eine archäologisch-historische Sektion, eine naturwissenschaftliche und eine belletristische Sektion. Was die wendische Literatur im engeren Sinne anlangt, so haben die Wenden aus den früheren Jahrhunderten eine solche nicht aufzuweisen, ein genügendes Zeichen, daß wir es hier mit dem Rest eines Volkes zu thun haben, welches nur die Waffen und den Pflug führte, und heute die Bil- dung seiner Enkel durchaus dem Deutschthum verdankt. Außer Bibel, Ge- sangbuch, Katechismus, frommen Hauspostillen und einer Anzahl Erbau- ungsschriften gab es bis auf die neuere Zeit keine wendischen Bücher. Auch hier hat die Macica neben Buchhändlern und einzelnen Privatpersonen sich das Verdienst erworben, nach allen Richtungen hin eine junge Literatur ins Leben zu rufen, sowohl im Gebiet der Prosa als Poesie. Das Meiste ist natürlich Uebersetzung. Unter den neueren Erscheinungen sind Gedichte und Liedersammlungen, Geschichtsbücher, Grammatiken, Chrestomathien und Lesebücher, geographisch-statistische Abrisse der Wendei zu nennen. Die säch- sische Regierung, welche den nationalen Prozeß sich ruhig vollziehen lassen kann und den Vorwurf der gewaltsamen Germanisirung deshalb nicht auf sich zu laden braucht, hat aus eigenem Antriebe die Herausgabe wendischer Schulbücher in die Hand genommen. So erschien bereits vor mehreren Jahren eine „Biblische Geschichte.“ Was die periodische Literatur der Wenden betrifft, so ist die Haupt- zeitung die „Serbske Noviny“, welche in Bautzen in einer Auflage von ungefähr 1200 Exemplaren erscheint, und neben dem politischen Theil auch Unterhaltendes und Belehrendes giebt. Hierneben bestehen noch drei Mo- natsschriften „Luzican“, für die Gebildeten geschrieben und zu Bautzen in 300 Exemplaren erscheinend, und das wendische Missionsblatt „Missionski Posot“ und sein konfessioneller Konkurrent der (katholische) „Katholski Posot.“ Außerdem versorgen der „wendisch-lutherische Bücherverein“ ( serbske lutherske knihowne towarstwo ) und der „Verein zum heiligen Cyrillus und Methodius“ ( towarstwo SS. Cyrilla a Methodija ) ihre Gemeinden mit Gebet- und Erbauungsschriften. Um nun aus der Isolirung herauszutreten, sind in neuerer Zeit auch Verbindungen mit Literaten anderer slavischer Stämme von Seiten der wissenschaftlich gebildeten Wenden angeknüpft worden, und diese haben die Genugthuung, daß man ihnen mit großer Liebe und zugleich Achtung, wie einem verlassenen Bruderstamm die Hand gereicht hat. Die Achtung aber basirt wesentlich auf den tüchtigen etymologischen und ethnographischen Arbeiten, welche die obgengenannten wendischen Monatsschriften aus- zeichneten. Die Wenden sind über das neue Aufflackern ihrer Nationalität nur ungern gegen Deutsche mittheilsam. Sie gestehen sich selbst, daß, um ein originales Bild eines Wenden hier wieder zu geben, „ihre Nationalität, Sitte und Sprache dem Felsen Helgoland gleiche, von dessen Gestade die umgebenden Wogen (des Deutschthums) alljährlich ein Stück nach dem an- dern an sich rissen, bis die unglückliche Insel verschlungen sei.“ Der Vernichtungsprozeß beschleunigt sich aber besonders dadurch, daß alle Söhne der gebildeten Wenden auf den deutschen höheren Schulen durch die deutsche Wissenschaft binnen kurzer Zeit germanisirt werden, da den wendischen Enclaven eine höhere wendische Bildungsanstalt ganz fehlt. So dringen denn auch von Jahr zu Jahr mehr deutsche Wörter in die wendische Sprache, selbst in die gewöhnliche Umgangssprache. Die wen- dischen, zum Theil sehr malerischen Trachten und Sitten verschwinden mehr und mehr, und es kostete beim Besuch des sächsischen Kronprinzen vor einigen Jahren den Bautzener Behörden viel Mühe, ein Brautpaar zur Hochzeitsfeier nach altwendischem Brauch in ganz wendischen Trachten zu bewegen. Der gebildete Wende sieht schweigend dem Abschluß der Geschichte sei- 34 ner Nation zu, einer Nation, die schon im 6. Jahrhundert im nördlichen und östlichen Deutschland seßhaft war von der Elbe längs der Ostsee bis zur Weichsel, südwärts bis an Böhmen sich erstreckte, in Mecklenburg herrschte, in Ostpreußen und den brandenburgischen Marken einen tapferen Widerstand gegen Albrecht den Bären leistete und in einzelnen Theilen Deutschlands den jahrhundertlangen Kampf gegen die gewaltsame Vernich- tung trotz ungleicher Waffen zäh aushielt. Das gewöhnliche Volk ahnt die Zukunft und kennt recht wohl seinen Vergewaltiger. Der in der Wendei Reisende muß sich deshalb immer auf eine falsche Berichtung des etwa er- fragten Weges oder auf einen Schabernak gefaßt machen, den der Wende dem Deutschen besonders dann gern spielt, wenn sich Letzterer nach wen- dischen Worten und Redensarten erkundigt. Er erhält alsdann arglos von dem gemeinen dummpfiffigen Wenden die gemeinsten Ausdrücke angelernt. Die Sprache der Wenden ist überaus bildungsreich, melodisch und kräftig, sie klingt im Gesang besonders schön. Im 30jährigen Kriege suchte man sie gewaltsam zu unterdrücken und gab den Gemeinden nur noch deutsche Prediger, erst die humanere neuere Zeit hat hier Gerechtigkeit ge- übt und das angestammte Recht der nationalen Sprache wieder hergestellt. Da das Deutschthum sich wie ein Keil zwischen die Wenden-Ueberreste gedrängt hat, so sind bereits Dialekte entstanden mit neuen Wort- und Satzformen, welche das Verständniß der zersprengten Posten schon zu er- schweren beginnen. Als die Russen in den Freiheitskriegen hier plötzlich eine verwandte Sprache fanden, war ihre Freude so exaltirt und zugleich naiv, daß sie später die deutschen Dörfer schlecht behandelten, in der Meinung, die deutsche ( sächsische , damals im Bunde mit Frankreich) Bevölkerung wolle sie nur aus Feindseligkeit gegen die Verbündeten nicht verstehen! Was die rohe Gewalt nicht vermocht hat, das wird in kürzerer Zeit die Uebermacht unsrer Kultur vollbringen. Ein Jahrhundert noch, und die Wenden haben aufgehört zu existiren. Uns ziemt, obwohl wir die Sieger sind, immerhin einige Theilnahme, denn es geht ein einstmals mächtiges Volk seinem Ende entgegen!“ („Die Unnererdschken“ eine Sage aus Alt-Reetz. Vgl. S. 211.) Im Montag ’schen Hause in Alt-Reetz — so erzählen sich die Reetzer — trug sich folgendes zu: An einem Weihnachtsabend waren alle, außer der Hausfrau, welche im Wochenbette lag, nach der Kirche gegangen. Plötz- lich vernahm diese von ihrem Himmelbette aus ein summendes Geräusch, und indem sie die Gardinen zurückzog, ward sie zwischen Ofen und Wand viele kleine Gestalten gewahr, welche sich anschickten, Stühle an den Tisch zu rücken, diesen zu decken und kupferne Schüsseln, reichlich gefüllt, zin- nene Teller, Krüge und Löffel aufzutragen. Hierauf erschienen, hinter dem Ofen hervorkommend, 20 bis 30 Personen paarweise, als ob irgend ein Fest gefeiert werden sollte, hielten einen Umzug und begannen das Mahl. Man hatte zwar kein Licht auf die Tafel gestellt, doch war das Zimmer so erhellt, daß man jeden Gegenstand ganz deutlich erkennen konnte, und es schien, als ob die Helle den Geräthen entströmte. Die Wöchnerin sah dies Alles mit pochendem Herzen an, denn sie wußte wohl, was man sich erzählte, daß häufig Kinder, besonders Säuglinge, verschwunden waren, von denen es hieß, daß die „Unnererdschken“ sie geraubt hätten. Ein Raub ihres Säuglings erschien ihr um so unvermeidlicher, als das Kind eben jetzt zu schreien anfing. Die Unnererdschken horchten auf, beriethen sich und schienen in Zank zu gerathen, wahrscheinlich, weil eine Partei das Kind entführen, die andere es dagegen der Mutter belassen wollte. Endlich be- ruhigten sie sich wieder und speisten weiter. Inzwischen war eine geraume Zeit verflossen, so daß die Kirchgänger zurückkehrten. Die Zwerge vernah- men ihre Annäherung und dachten an Rückzug. Einige aber eilten nun an das Himmelbett und wollten die Gardinen auseinanderziehen, um, während die andern die Sachen einpackten, das Kind zu rauben und mitzunehmen. Die Frau hielt aber die Gardinen fest zusammen. Endlich waren alle hin- ter dem Ofen verschwunden; nur einige leere Schüsseln hatten sie in der Eile stehen lassen, die man viele Jahre lang in dem Hause aufbewahrte. Zu Anfang dieses Jahrhunderts ließen die Hausbewohner eine Ofenthür daraus machen, die noch jetzt vorhanden ist. Moeglin. Benutzt: Koerte ’s Albrecht Thaer, sein Leben und Wirken. Mündliche und briefliche Mittheilungen. Freienwalde. Benutzt: Thomas Philipp von der Hagen Beschreibung der Stadt Freienwalde. Dr. Heydecker’s Beschreibung des Gesundbrun- nens und Bades zu Freienwalde. Bekmann’s Historische Beschreibung der Chur und Mark Brandenburg. Freien- walde und seine Umgegend (Berlin, bei Schropp). von Rei- chenbach Statistisch-topographische Alterthumskunde der Stadt Freienwalde. Mündliche und briefliche Mittheilungen. Ein Hexen-Prozeß in Freienwalde. (1644.) Freienwalde hatte im 17. Jahrhundert eine ganze Anzahl von Hexen- prozessen. Von vieren wissen wir mit Bestimmtheit. 1) Kurz vor 1628 34* wurde eine Frau Pfennig als Hexe verurtheilt und verbrannt. 2) Anno 1628 wurden Judith Hoppe und ihre beiden verheiratheten Töchter Anna Liebenwall und Gertrud Puhlmann verurtheilt und hin- gerichtet. 3) Kurz nach 1628 wurde eine Anna Koch als Hexe verur- theilt; ob verbrannt ist ungewiß. 4) Anno 1644 wurde Ursula Hensel als Hexe verurtheilt. Sie starb unter der Tortur. Ueber den ersten und dritten Fall fehlen alle näheren Details; da- gegen hat sich über den zweiten und vierten Prozeß allerhand Sa- genhaftes und Historisches erhalten. Der Fall mit der Judith Hoppe und ihren beiden Töchtern (1628) war wahrscheinlich der interessanteste und dramatischste unter allen. Das Aktenstück darüber, das lange Zeit aufbewahrt wurde, ist schließlich verloren gegangen. Die eine Tochter (Gertrud Puhlmann) starb schon wäh- rend der Prozedur auf der Folter. Gegen die beiden andern, d. h. gegen Judith Hoppe und Anna Liebenwall , wurde von Seiten der Frankfurter Rechts-Fakultät das Urtheil gefällt. Es lautete dahin: „daß Judith mit glühenden Zangen auf beiden Brüsten gezwickt und verbrannt, Anna aber mit Feuer vom Leben zum Tode gebracht werde.“ Beide Urtheile wurden bestätigt und dem Amtsschreiber der Befehl zur Ausführung gegeben. Judith Hoppe (die Mutter) starb unter den Mar- tern; Anna Liebenwall wurde wirklich verbrannt an der Stelle, wo jetzt, eine Strecke vor der Stadt, dicht an der Berliner Chaussee, die so- genannte Brandfichte steht. Anna Liebenwalls letzte Worte waren: „Im Angesicht des Todes betheure ich meine Unschuld. Zum Beweise desselben soll aus der Asche dieses Holzstoßes ein Keim aufgehen, wachsen, grünen. Gott, nimm mich gnädig auf.“ In der That erwuchs der Brandstätte an- dern Jahres schon ein Reis, und der wachsende Baum wurde „Brand- fichte“ genannt. Der jetzige ist nicht der alte, der morsch wurde und end- lich zusammenbrach, sondern ein an derselben Stelle gepflanzter Ersatz- mann. Ueber den Prozeß der Ursula Hensel existirt noch im Freienwal- der Stadtarchiv ein ziemlich umfangreiches Aktenstück. Leider ist es nicht mehr vollständig; sehr Wesentliches fehlt darin. Interessant aber ist die vom Freienwalder Rathsschreiber gefertigte Darstellung des Sachver- halts , die an die Juristen-Fakultät in Frankfurt a. O. eingeschickt wurde. Mit dieser „Darstellung“ beginnt das Aktenstück und ich lasse dieselbe, nur unwesentlich abgeändert, hier folgen. Einzelnes in dieser Darstellung ist häßlich und nichts weniger als eine angenehme Lektüre. Der Leser darf aber eben nicht vergessen, daß es sich hier um einen Hexenprozeß handelt, also um eine Angelegenheit, die man nicht mit Lawendelwasser abwaschen darf, um sie hübsch und sauber erscheinen zu lassen. „Edle, wohlehrenfeste, großachtbare, hochgelehrte und hochbenahmete Herrn Decane und Doctores facultatis juridicae der hochlöblichen Univer- sität zu Frankfurt a./O., neben Entbietung unseres freundlichen Grußes und stets willigster Dienste, müssen wir, Amtschreiber, Richter und Schöp- pen allhier in Freienwalde, tragenden Amtes halber, Euch zu vernehmen geben, wie daß ein Geschrei und Gerüchte allhier ausgebrochen, als sollte ein Weib am Ostermontage, nachdem sie das gesegnete Brod empfangen, selbiges hinter dem Altar wieder ausgespuckt haben. Darauf wir denn, auf angestellte Inquisition, von Ursula Seiden- schwanz, Hans Berlins Ehefrau, sowie von Gertrud Braatz, Hans Krau- sens Hausfrau allhier, den 2. Mai vernommen, daß sie beide, nachdem sie auch am Ostermontage zum Tisch des Herrn gegangen, mit ihren Augen angesehen, daß Ursula Heinrichs , Hans Hensels , Bürgers und Krämers allhier eheliche Frau, da sie hinter dem Altar kommen, stark von sich gespucket. Wir haben darauf alsbald gedachte Ursula Heinrichs (oder Hensel) den 4. Mai, um sie darüber zu vernehmen, zu Rathhause fordern lassen. Weil sie aber nicht zu Hause gewesen, ist sie alsbald wie sie heimge- kommen und erfahren, daß sie zu Rathhaus wäre gefordert worden, zum Bürgermeister ins Haus kommen und hat zu erfahren begehret, was sie zu Rathhause thuen solle. Darauf sie auf Montag wieder zu Rathhaus ge- fordert, wobei sie wohl würde inne werden, warum sie dahin beschieden. Den 5. Mai, Sonntags Misericordias Domini, nachdem sie die Predigt angehöret, hat unser Herr Diaconus auf der Kanzel solche Sünde mit diesen formalibus taxiret: „Wie hoch ich auch erfreuet bin, daß ich seit Sonntag Palmarum bis heutgen Sonntag Misericordias Domini auf der guten Weide des heilgen Sacraments des hochwürdigen Abendmahls 172 Schäflein geweidet, also hoch und vielmehr betrübe ich mich, daß ich erfahren muß, als sollte ein stinkender Bock unter solchen 172 Schäflein sein erfunden worden, der das gesegnete Brod hinter dem Altar wieder soll ausgespucket haben.“ Ursula Heinrichs höret solches, zeucht sich solches an, gehet nach geendeter Predigt zum Herrn Diaconus ins Haus und setzet ihn zur Rede, warum er sie auf der Kanzel also angegriffen? er hätte sie damit gemeinet, daß sie den wahren Leichnam ausgespucket. Sie hätte aber böse Zähne, da- ran sie nichts leiden könne und hätte mit der Zungen daran gestoßen, in- dem sie den Oblat hätte herunter schlucken wollen. Darüber habe sie so viel Schlamm im Mund bekommen, und hätte sie nicht ausgespieen, so hätte sie brechen müssen. Dieses sie auch zum Bürgermeister (zudem sie alsbald, wie sie vom Herrn Diacono weggegangen, gekommen und geklaget,) ebener- maßen ausgesaget hat. Als sie nun den 6. Mai herüber auf dem Rathhause war und vor dem Rath Zurede gesetzt worden, hat sie sich anfangs hoch vermessen, sie wäre unschuldig. Jesus Christus hätte auch unschuldig gelitten, dem wollte sie solches befehlen und leiden und Gott um Geduld bitten; daneben aber gestanden, daß sie am Ostermontage, als sie zum Tisch des Herrn gegan- gen und das gesegnete Brod empfangen, hinterm Altar ausgespieen. (Nun folgt, unter Zuthat einiger sehr häßlicher Details, eine Wiederholung ihrer vor dem Diaconus gemachten Aussagen, d. h. also Aufzählung der Gründe, weßhalb sie nicht umhin gekonnt habe, die Oblate auszuspeien.) Darauf sie, wie sie vom Rathhause gelassen worden, angefangen: „wenn sie ihren Sohn nicht bedächte, so wollte sie h.... weise oder schelmisch-die- bischerweise aus der Stadt laufen; denn ihr Mann wollte sich ihrer nicht annehmen.“ Als sie folgenden Tages, den 7. May, wiederumb zu Rathhause gefordert worden, seind ihr beide Zeugen, so es gesehen, daß sie (die Krä- merin) hinterm Altar ausgespucket, gegenüber gestellt worden. Es ist ihr auch vom Bürgermeister vorgehalten, warum sie des vorigen Tages auf dem Rathhause gesaget: „wenn sie es ihres Sohnes halber nicht thäte, so wollte sie h.... weise davon laufen;“ worauf sie solcher Worte auch jetzt noch geständig gewesen ist und geantwortet hat „darumb, daß sich ihr Mann ihrer nicht wollte annehmen.“ Hierauf haben wir sie alsbald den 7. Mai gefänglich einziehen und in Fußeisen auf unserm Stad Keller mit bürgerlicher Wache verwahren lassen. Da sie denn alsbald, wie sie gesponnen, sich hinter den Tisch gesetzet, angefangen zu spucken und etzliche mal zu sich gesagt: „spucke, spucke u. s w.“ und auch geredet „wenn zehn Büttels über sie kämen, wollte sie nichts bekennen.“ Da auch der Mann zu ihr gekommen und Essen gebracht, ihn angefah- ren: „Du lahmer Hund, ich begehre dein Essen nicht, du hast Schuld da- ran, daß ich hier sitze; du willst dich meiner nicht annehmen.“ Hat sich auch von einem Weibe lassen einen Kubben (Kübel) in der Stuben brin- gen, darinnen sie reverenter excerniret; hernach mit dem Vorderfinger um- gerühret, darin dreimal gespuckt und wegtragen lassen. — Da sich denn dieses in der Wahrheit und nicht anders also verhält, zudem auch berührte Ursula Heinrichs außer diesem, vor etzlichen Jahren, der Zauberei halber bei jedermann verdächtig und berüchtiget gewesen ist, auch aus vielen Dingen nochmals verdächtig gehalten wird, als daß sie 1) Mit vielen Leuten sich gezanket und daher sich fast ein jeder vor ihr gefürchtet. 2) ehrliche Leute, welchen sie nicht gewogen, nicht gegrüßet, noch wo sie gegrüßet wird, sich bedanket, sondern wol auf einen Gruß einen garstigen Strepitum fahren lassen, daß es über die ganze Gasse erschollen, und etzlichen Leuten in den Fußtapfen nachgespucket. 3) Ehrlichen Leuten, denen sie nicht gewogen, oftmals vor Geld nicht lassen wollen, was sie doch zu Kauffe gehabt, und wenn die Betreffenden dann andrer Leute Gesinde oder Frauen abgeschicket (da man vermeinet, sie würde es dann nicht versagen,) hat sie alßbald gewußt, wem sie’s holen wollten und gesagt „gehe nur, du holest es dem und dem, ich lasse dir’s nicht.“ 4) Velten Sternbecks, Baders allhier Söhnlein, Gottfried genannt, ungefähr anno 1636, Oster-Kuchen gegeben. Wie das Kind mit dem Kuchen zu Hause kommt, fanget es an zu schreien und klaget, der Bauch thu ihm wehe. Wie die Mutter des Kindes erfahret, daß das Kind den Kuchen von der Kramerin bekommen, gehet sie zu ihr und hält ihr vor, daß ihr Mann schelte und sage, das Kind habe die Wehetage von ihrem Kuchen bekommen. Darauf sie, die Krämerin, geantwortet, es wäre Honig und Mandeln in dem Kuchen gewesen, das würde das Kind nicht vertra- gen können, sie sollte ihm einen venedischen Theriack eingeben, es würde wohl besser werden. Wie nun die Mutter vor einen Groschen Theriack von der Krämerin gekauft und dem Kinde eingegeben, schlaget das Kind aus, daß es so bunt auf dem Leibe wurde, wie eine Kröte. 5) eine Thabel, (d. i. Kober) so feste zugebunden gewesen, ihres Soh- nes damaliger Braut gegeben, die sie mit nach Oderberg nehmen sollen; selbigen Kober hat sie bei dem Bader eingesetzet und gebeten, weil sie noch etwas zu bestellen hätte, sollte man unterdessen die Thabel zu Kahne tragen. Wie man nun die Thabel zu Kahne tragen wollen, hat sie keiner von der Stelle heben können, wie denn noch Leute am Leben, so es versuchet, also daß auch das Strick zerrissen und die Thabel müßen stehn lassen. Da aber ihres Sohnes Braut die Thabel angefasset, hat sie dieselbe können unterm Arm nehmen, und dem Schiff zutragen. 6) Mit ihrem eigenen Sohne ohngefähr vor 6 oder 7 Jahren, dergestalt wegen eines Ringes, so sie ihm verehrte und er ihr denselben sollte wieder- geben, in Haß gelebet, daß sie nicht einmahl zu seinem Kinde, wie es so sehr krank gewesen, daß es weder leben noch sterben können und er sie da- rum gebeten, nicht Kommen wollen, er habe ihr denn den Ring wiederge- geben und ist das Kind alsbald, wie sie bei ihm kommen, sanft abge- schieden. 7) Auf einem Sonntag Anno 1640 an Herrn Michael Mielentzes Pfarrers (so sich allhier aufgehalten) Thür, des Morgens gar früh, wider ihre Gewohnheit — da sie in großem Haß mit ihm gelebet und zu seiner Thür niemals kommen — etzliche mal angeklopfet und wie sie die Magd ansichtig worden, gefraget, was sie (die Magd) ihrer Henne gethan hätte, da sie nicht hätte legen können; sie hätte auch eine Ente, der es gleich also ginge. Wie die Magd in der Stuben gangen zu der Ehefrau, so vorigen Tages eines Söhnleins genesen und es ihr angesaget: daß die Kramerin vor der Thür wäre und hätte nach solcher Sache gefraget, ist die Frau erschrocken und wie sie ihre Schwester hinausgeschickt die Kramerin einzu- lassen, ist die Kramerin schon etzliche Haus weit davon gewehsen und da hinter ihr hergerufen worden, sich umgesehen und fortgangen. Darauf die Kindesbetterin Nachmittag so unvermögend worden, also daß man keine Vernunft bei ihr spüren können. So bald aber die Kramerin zu ihr kom- men, sie an’s Bein getastet und geflüstert, ist die Kindesbetterin still wor- den, hat sich auch wieder vernehmen lassen, daß sie, die Kramerin, kommen könne, und ist hernach besser mit ihr worden. — 8) ohngefähr An. 1635 hat der Herr Amtsschreiber alhier, Johannes Nebentisch, ihr, der Kramerin, Flachs, den sie in der heißen Stuben dessel- bigen gehabt, nehmen und in die Amtstube bringen lassen; da springet aus dem Flachs ein lang Gewürmb, wie eine Blindschleiche, heraus, läuft in der Stuben herum und wie sie danach schlagen, kriecht es wieder in den Flachs; darauf ihr der Amtschreiber den Flachs wieder ins Haus bringen lassen und nichts mit ihr wollen zu thun haben, weil das Gerücht zu der Zeit so groß von ihr gewesen, daß sie des Sontags unter der Predigt einmahl einen schwarzen Bock vor dem Spinde gespeiset und eben auch sehr unruhige Zeit gewesen. 9) ohngefähr An. 1638, der damahligen Frau Amtschreiberin allhier, so noch lebet, eine Schüssel voll Mohn gebracht. Wie sie nun den Mohn, so in einem Reibenapf weggesetzet worden, besah, sitzet eine große Kröte im Mohn, welche mit einem spitzigen Stock durchstochen, aufgespießet und mit dem Stock hinter der Hütten aufgestecket worden. Nicht lange darnach wie sie wieder zum Mohn kommen, sitzet wieder eine große Kröte auf dem Mohn, darob sie sich verwundern und hingehn, zu sehn ob die aufgesteckte Kröte noch vorhanden. Und siehe, sie finden zwar den Stock noch stecken, aber die Kröte ist davon. 10) ohngefähr vor 4 Jahren des Nachts in ihrem Hause, da sie ganz allein darin gewesen, in die Hände geklopfet und gesungen: domica dondei, domica dondei, so sie etzliche Male wiederhohlet, und nicht anders von einer Magd und Weib (so hart an ihrer Schlafkammer, das nur ein klei- ner Gang dazwischen gewesen) angehöret worden, als wenn sie gesprungen und getanzet hätte. 11) Vor etzlichen Jahren Planken in Baders Zaun aufgerissen, da- durch ihre Schweine in des Baders Garten kommen; wie nun der Bader sich mit ihr gezanket und die Schweine mit einem Hopfstangen heraus ja- gen wollen, ist er so oft bei’m Zuschlagen auf das Gesicht niedergefallen und hat die Schweine gar nicht treffen können. Und dieses alles nun ihr kann dargethan und bewiesen werden. Also ergehet hiermit an die Herrn Decane und Doktores ꝛc. unser dienstfreund- liches Suchen und Bitten, uns hiernach Rechtens zu belehren, ob die be- meldete Ursula Heinrichs mit hartem Gefängniß anzugreifen und wie fer- ner mit ihr zu verfahren. Freienwalde den 10. Mai 1644. Erhardt Kühnemann Amtsschreiber. Baltzer Richter-Schöppe. Justus Schorr (?) Richter. Noch zwei Schöppen. Johannes Heinrich Schöppe. Andreas Fischer Schöppe. Joachim Heinrich Schöppe. Dieses Anklage-Stück des Freienwalder Amtsschreibers giebt ein ziem- lich trauriges Bild damaliger Zustände. Die Freienwalder Tage von 1644 müssen weniger heiter und harmlos gewesen sein, als die heutigen. Ersicht- lich war Ursel Heinrichs ein böses, zänkisches, verbittertes altes Weib und weiter nichts. Der Rest ist Nachbars- und Barbier-Klatsch. Im Lauf des Prozesses ergiebt sich, daß der Bader immer aufs Gesicht fiel und beim Zuschlagen die Schweine nicht treffen konnte, — weil er betrunken war. Dennoch kam Ursel auf die Folter. Der Schloßberg bei Freienwalde und die Uchtenhagens. Benutzt : von der Hagen ’s Freienwalde. Riedel ’s Codex diplomat. Bran- denb. — W. Melcher ’s Neu-aufgefundener Stammbaum des Geschlechts derer von Uchtenhagen. (Ein Aufsatz von Dr. W. Melcher im Ober-Barnimer Kreis-Anzeiger.) Rindfleisch Sagen von Freienwalde. Mündliche und briefliche Mitthei- lungen. Drei Sagen von den Uchtenhagens. 1) Der Fluch . Der erste Uchtenhagen hatte dem Markgrafen große Dienste geleistet und so versprach ihm dieser: er (der Uchtenhagen) solle so viel Land zu Lehn besitzen, als er zu Roß an einem Tage umreiten könne. Uchtenhagen ritt mit Sonnenaufgang von Freienwalde aus; mit Sonnenuntergang kam er bei dem Dorfe Neu-Wubiser (jenseit der Oder) an, als der Hirt eben seine Heerde nach Hause trieb. Diesen erstach er, um später beweisen zu können, wie weit er auf seinem Ritte gekommen sei. Aber von diesem Au- genblicke an ruhte auf den Uchtenhagens der Fluch, der sich an dem letzten ihres Hauses erfüllen sollte. Dieser starb, ein Kind noch, einer Wahrsagung gemäß, in die der Fluch späterhin sich kleidete, an Gift, und so sühnte denn die Kindes-Unschuld des letzten des Geschlechts, die Blutschuld, die der erste begangen. 2) Werners von Uchtenhagen unseliges Ende . Im Jahre 1575 belehnte Werner von Uchtenhagen, laut einer noch vorhandenen Urkunde, in Gemeinschaft mit seinem Bruder Hans, den ehr- samen Rath von Freienwalde, mit der halben Dorfstätte Torgow, jetzt Torgelow genannt. Noch in demselben Jahre theilte er sich mit seinem Bruder in die Güter des Vaters, wonach er Neuenhagen, Hans aber Freienwalde erhielt. Die Schiedsrichter bei dieser Angelegenheit waren Otto von Krummensee (auf Krummensee), Eustachius von Schönebeck (auf Döltzig), Jochen von der Schulenburg (auf Löckenitz), Jochen von Buch (auf Stolpe), Matthias von Arnim (auf Biesenthal). An dem noch vor- handenen Theilungsvertrags-Briefe vom 18. März 1575 sind die Ecken eines jeden Blattes, der größeren Sicherheit wegen, umgeklappt und mit einem Siegel befestigt. Werners Ende war betrübender Art: er gerieth mit seinem Schwager in Streitigkeiten und erstach ihn, wurde aber dabei so schwer verwundet, daß er wenige Stunden später ebenfalls verschied. Man erzählt sich über Werners Ende folgendes: Werner von Uchtenhagen war ein ehrsamer, sehr frommer Mann. Einmal (es war auf Tag und Stunde ein Jahr vor seinem Tode) war er beim Gebet; da tropften plötzlich drei Tropfen Bluts von seiner Stirn und fielen auf das Gebetbuch, auf dessen aufgeschlagenem Blatt sie ein schreckenerregendes Zeichen bildeten. Wie dies Zeichen war, das weiß nie- mand; aber es stand von jetzt an Tag und Nacht vor Werners Seele und peinigte und ängstigte ihn. Es bildete sich in seinem Innern eine Ahnung von kommendem Unheil, und diese Ahnung hatte Recht. Ein Jahr, nach- dem er jenes Zeichen gesehen, beging seine Schwester das Fest ihrer Ver- mählung. Werner war auch unter den Gästen. Am dritten Tage des Festes saßen Werner und sein neu-vermählter Schwager bei einander, und beide scherzten und lachten und sprachen dem Weine gut zu. Die Sinne beider waren schon berauscht, da fiel es Werners Schwager ein, über einige Glau- benssätze der christlichen Kirche spöttische Bemerkungen zu machen. Hier- durch verletzt, sprang Werner von Uchtenhagen auf, ein lauter Wortwechsel entstand, zuletzt ein Zweikampf. Der Weinrausch machte, daß sie unsichere Hiebe führten, von beiden Seiten ward blind zugeschlagen, bis Werner eine tödtliche Wunde erhielt. Aber fast in demselben Augenblicke durch- bohrte er seines Schwagers Brust, der nun leblos zu Boden stürzte. Als die Gäste herbei eilten, war es zu spät. Werner starb selben Tages noch in bitterster Reue, die Neuvermählte bald darauf vor Gram. Zu derselben Stunde aber, als Werner seinen Schwager durchbohrte, geschah in einer Stadt, die sechs Meilen von Freienwalde entfernt ist, etwas Wunderbares: ein junges Mädchen sprang plötzlich von ihrem Lager auf, und ihre Hand nach Freienwalde hin ausstreckend, rief sie: „Seht, wie sie mit gezückten Schwertern auf einander rennen und sich beide morden!“ Dies hörten ihre Eltern, aber sie verstanden es nicht. Die Stadt, wo das Mädchen diese Worte sprach, war wahrscheinlich Sonnenburg, das geraume Zeit den Uchtenhagens gehörte. All dies geschah aber um 1580. 3. Der große Kurfürst und der alte Uchtenhagen bei Freienwalde . Auf dem Schloßberge hat Uchtenhagen’s Schloß gestanden; noch jetzt sieht man die alten Keller oben und die vielen Verwallungen an den Ge- hängen der Berge. Einer davon heißt der Räuberberg, da waren die Höh- len für seine Leute. Er ist nämlich ein Räuberhauptmann gewesen und der „große Kurfürst“ hat ihn freigegeben. Wie der nämlich gegen die „ Russen “ Wie Sagen in der Tradition die Scenerie wechseln, und namentlich an näher- liegende Persönlichkeiten stets angeknüpft wird (so äußert sich Prof. W. Schwartz , der obige Sage erzählt), ist bekannt. So zieht also diese Version der Uchtenhagen-Sage den großen Kurfürsten hinein, während sie sonst gewöhnlich in weit frühere Zeit gesetzt wird. Wenn die Sage im Ruppiner Lande spielte, würden ferner in ihr unbedenklich die Schweden als die Feinde auftreten, hier aber in den Odergegenden hat die Russen- zeit des siebenjährigen Krieges in der Tradition ihre Spur zurückgelassen, und da das Volk schwer die Zeiten auseinanderhält, figuriren die Russen ganz ruhig so neben den Franzosen im Gedächtniß als Feinde überhaupt. Als ich ein altes Mütterchen fragte, woher die Ruinen auf dem Capellenberge stammten, gab sie mir die in jeder Hinsicht naive Antwort: „Das ist noch so aus alten Zeiten, da sind sie immer hinaufgeklettert, um zu sehen, ob die Russen oder Franzosen kämen“. Diese Vermischung der Zeiten tritt überall in der Tradition hervor. So gab neulich ein sonst gebildeter Mann die gefesselten Männer am Piedestal der Statue des großen Kurfürsten zu Berlin für „alte Wenden- fürsten“ aus, der große Kurfürst wurde ihm zu einer Art von Markgraf Gero . Selbst ein tüchtiger, noch jüngerer Dorfschullehrer sagte mir neulich, die böhmische Gemeinde der Nachbarschaft sei zur Zeit der „großen Völkerwanderung“ hier eingewandert. zu Felde lag, kam Uchtenhagen zu ihm und sagte, er wolle die Feinde schlagen, wenn er ihn freigebe. Da hat ihn der Kurfürst ge- fragt, wie viel Leute er denn hätte. Uchtenhagen hat gesagt: „ein und sechzig.“ Da hat sich der Kurfürst verwundert, daß er es unternehmen wollte, es aber ihm versprochen, wenn es ihm gelänge. Nun hat Uchten- hagen seine Leute in der Nacht zusammengerufen und ist über die Russen hergefallen, hat ihnen die Kanonen vernagelt und dann sich an sie selbst gemacht. Wie es Morgen geworden, ist der Kurfürst gekommen und hat sich gewundert über das furchtbare Blutbad, der Feind ist aber schon auf der Retraite gewesen. Das Feld heißt noch heut zu Tage das rothe Land , es liegt vom Freienwalder Brunnen nach Dorf-Sonnenburg zu. Lichterfelde. Benutzt: Koenig ’s Otto Christoph v. Sparr. v. Moerner , mär- kische Kriegsobersten. Fischbach , Topographie. Fidicin , Ober-Barnim. Mündliche und briefliche Mittheilungen. (Die Brüder Christoph und Arendt v. Sparr ), von denen der letztere der Vater des späteren Feldmarschalls Otto Christoph v. Sparr war, besaßen Lichterfelde Ausgangs des 16. und Anfang des 17. Jahrhunderts. Das alte Lichterfelder Kirchenbuch, das von 1599 bis 1604 regelmäßig und wie es scheint gewissenhaft geführt wurde (nachher kommen Lücken, die sich über ganze Jahrzehnte ausdehnen), enthält verschiedene Angaben, die sich auf jenes Brüderpaar beziehen. Auf Christoph v. Sparr beziehen sich 5 Notizen, aus denen wir Folgendes ersehn: a ) Er und seine Frau lassen zweimal taufen. b ) Seine Frau steht Gevatter beim Geistlichen. c ) Sein Töchterchen Anna stirbt. d ) Er selber stirbt. Die Notizen selbst sind folgende : 1) 1599, den 15. April Herrn Christoph Sparrens Sohn Adam geboren, den 22. hujus getauft. Pathen: Hans v. Uchtenhagen, Joachim v. Sparr von Greiffenberg, Jürgen v. Trotta, Caspar Sparrens Wittib von Trampe, Arendt Sparrens Hausfrau, Levin Trottens Hausfrau und Bürgermeister Johann Sorge von Neustadt-Eberswalde. 2) 1600, 30. September , geboren Christoph v. Sparrens Tochter Sophia , den 15. Oktober getauft. Pathen: Joachim v. Krum- mensee, Hans v. Bredows Wittibe, v. Holzendorfs Wittibe, Jakob Pfuels Hausfrau, Christoph Lindstedts Hausfrau und Jungfrau Anna v. Sparr auf Trampe. 3) Anno 1600 hat auch Herr Pastor Petrus Hartwig taufen lassen. Unter den Gevattern befindet sich „Herrn Christoph Sparrens Ehe- liebste.“ 4) 1600, den 22. Martii ist Christoph v. Sparrens Tochter Anna v. Sparr verstorben. 5) 1604, den 16. Oktober ist Christoph Sparr im Herrn entschlafen und den 20. zur Erde, nach seinem adlichen Stand, ehrlich und zierlich be- stattet und von vielen Adelspersonen, Junkern, Frauen und Jungfrauen begleitet worden. (Nach v. Moerner ist er 1609 gestorben.) Auf Arendt v. Sparr bezieht sich nur eine Notiz, aus der wir ersehen, daß er 1604 eine Tochter taufen ließ. Die betreffende Stelle lautet: 1604 den 11. Mai ist Arendt v. Sparrens Tochter Edele (Adele) geboren. Compatres waren: Hans Jürgen v. Ribbeck, Levin Trotta, Herrn Ernst Sparrens Frau von Trampe, Dietrich v. Holzendorfs Wittibbe, Hans v. Bredows Hausfrau, Alexander v. Bredows Hausfrau und Bür- germeister Johann Sorge. Lichterfelde und die Groebens. Lichterfelde, nachdem es Jahrhunderte lang ein Sparrsches Gut gewe- sen war, kam 1620 an die Groebens . Dieser Zweig der Groebens war eigentlich im Ruppinschen ansässig und besaß daselbst das später an die Wartensleben, noch später an den Major v. Kaphengst (vgl. Bd. I. S. 129) übergehende schöne Gut Meseberg ; als damaligen Erbjägermeistern des kurfürstlichen Hofes aber mochte den Groebens wohl daran gelegen sein, in der unmittelbaren Nähe der großen Waldreviere (der Grimnitzer und Werbelliner Forsten) begütert zu sein, in denen die Kurfürsten vorzugsweise zu jagen liebten. So erstanden die Groebens Lichterfelde, dessen Feldmark wenigstens damals an jene Waldreviere grenzte. In der Kirche befinden sich noch drei Groebensche Todten-Banner oder Gedächtnißfahnen, die erste zur Erinnerung an Otto v. d. Groeben, † 1655, die zweite zur Erinnerung an Hans Ludwig , † 1669, die dritte zur Erinnerung an Friedrich Otto v. d. Groeben, Obrister und Erbjägermeister, † 1697. Dieser letztre hat auch ein Grabdenkmal links zur Seite des Altars, in Sandstein. Dies Denkmal, von ziemlich bedeutender Größe, besteht aus zwei Hälften, von denen die eine Hälfte blos eine Inschrift und den Namen seiner Gemahlin (Maria v. d. Loe), die andre Hälfte die Portraitstatue (Hautrelief und buntbemalt ) Friedrich Ottos v. d. Groeben zeigt. Er trägt Kürassier-Uniform, Feldbinde, Perrücke, Commandostab. Dazu Sprüche und Inschriften. — Die Groebens besaßen Lichterfelde bis 1721. Am Werbellin. Benutzt: Fischbach , Topographie. Beckmann , Churmark. F. Bru- nold , „Abseits vom Wege“ (ein Aufsatz in einem der Bar- nim’schen Anzeiger). Mündliches. Friedersdorff. Benutzt : General v. d. Marwitz , Memoiren. Papiere des v. d Mar- witz ’schen Familien-Archivs. Mündliches. August Ludwig v. d. Marwitz. Benutzt : General v. d. Marwitz , Memoiren. Pertz Leben Steins. Mündliches. Alexander v. d. Marwitz. Benutzt: Marwitz ’s Memoiren. Rahels Briefe. Papiere des v. d. Marwitz ’schen Familien-Archivs. Droysen Leben Yorks. Programme des „grauen Klosters“ von 1804 und 1805. Mündliches. Eberhard von der Marwitz. Anton Eberhard Constantin von der Marwitz wurde am 2. Decem- ber 1790 zu Berlin geboren. Er befand sich als Schüler (kaum 16 Jahre alt) in der école militaire, als der unglückliche Ausgang der Jenaer Schlacht die Franzosen nach Berlin führte. Der Gouverneur der Anstalt schoß sich todt, der Vicegouverneur verlor den Kopf und überantwortete sich und seine Anstalt (die er ohne Mühe noch hätte retten können) der Gnade der Sieger. Diese schwankten, wie sie sich den halberwachsenen Schü- lern dieses Militärinstituts gegenüber verhalten sollten, zogen aber schließ- lich das Sichere vor und machten sie zu Gefangenen. Unter diesen war Eberhard von der Marwitz. Er wurde streng bewacht, Urlaub nur gegen Ehrenwort gegeben. So galt es denn zu fliehen. Er und ein befreundeter Mitschüler brachen zusammen auf. Vorher schon hatten sie sich ein Pferd zu verschaffen gewußt und passirten glücklich das Thor. Ohne alle Rast setzten sie ihren Weg fort, immer abwechselnd der eine zu Fuß, der andere zu Pferde, so daß sie schon nach vierundzwanzig Stunden die zwanzig Meilen bis Lenzen an der Elbe und über die mecklenburgische Grenze zurückgelegt hatten. Nach kurzem Aufenthalt wanderten sie weiter ins Holstein’sche. Erst hier waren sie in Sicherheit, aber das Pferd auch so ruinirt, daß sie es verschen- ken und beide zu Fuß gehen mußten. In Kiel fanden sie ein Fischerboot, vertrau- ten sich in demselben dem Meere an und trafen, sechs Tage nachdem sie Berlin verlassen hatten, trotz dieses weiten Umweges, auf der Insel Rügen ein, wo Eberhards ältester Bruder eben in der Errichtung eines Freicorps be- griffen war. Er trat in dasselbe als Lieutenant ein. Bei der bald erfol- genden Auflösung des Corps nahm er den Abschied, aber nur, um im folgenden Jahre nach Oesterreich zu gehen, wo alles auf die baldige Wieder- aufnahme eines Krieges gegen den Eroberer hindeutete. Er trat als Cornet (Standartenjunker) in das berühmte Chevauxlegersregiment Klenau ein und avancirte in kürzester Frist. Bei Regensburg (am 20. April) zeichnete er sich aus, bis der mörderische Tag von Aspern seiner so früh und so brav begonnenen Laufbahn ein Ziel setzte. Er erhielt an diesem denkwür- digen Tage gleich zu Beginne der Schlacht den Auftrag, mit einer Abthei- lung von zwanzig Reitern an das vom Feinde besetzte Dorf Aspern heran- zujagen. Er gehorchte und machte die Attake. Vierzig Schritte vor dem Dorfe traf ihn eine Kanonenkugel, tödtete sein Pferd und verwundete ihn schwer am rechten Oberschenkel. Man brachte ihn als Gefangenen nach Nikolsburg in Mähren. Sein Schicksal weckte Theilnahme und die liebevollste Pflege ward ihm zu Theil, besonders nachdem sein Bruder Alexander Berlin verlassen hatte, um in dasselbe Regiment einzutreten. Es schien auch eine Zeitlang, als werde er dem Leben erhalten werden, der zertrümmerte Knochen hatte sich bereits handbreit erneuert, da stellte sich ein Zehrfieber ein und nahm ihn fort. Am 9. Oktober starb er, am 10. wurde er beerdigt. Eine Compagnie des 30. französischen Infanterieregiments gab bei der Gruft drei Salven und der Stadtkommandant, sowie vierzig französische und mehrere verwundete österreichische Offiziere geleiteten ihn zu Grabe. Er ruht auf dem Kirchhofe zu Nikolsburg in Mähren, „hingeopfert dem unsinnigen Befehle eines schwachköpfigen Untergenerals.“ So lauten die entrüsteten Worte seines ältesten Bruders. Die irdischen Ueberreste des so jung Hingeschiedenen sind der fremden Erde geblieben, seinem Andenken aber hat August Ludwig auf dem stillen Begräbnißplatz der Familie einen Denkstein errichten lassen, der die Inschrift trägt: „Anton Eberhard Constantin von der Marwitz, geb. zu Berlin den 2. December 1790, widmete sich früh den Waffen, sah den Fall seines Vaterlandes 1806, kämpfte für dasselbe, sah es in Sklaverei und floh, den Kampf für deutsche Freiheit suchend, 1808; fand ihn (den Kampf) 1809 mit Ruhm bei Regensburg den 25. April, fiel bei Aspern den 21. Mai 1809, duldete unaussprechlich bis zum 9. Oktober in Nikols- burg in Mähren, wo er starb, von den Seinigen betrauert, von den Fein- den geehrt.“ Quilitz oder Neu-Hardenberg. Benutzt: v. Prittwitz-Gaffron „Leben Joachim Bernhards v. Prittwitz und Gaffron.“ (Soldatenfreund, Märzheft 1863.) Schadow ’s Biographie, unter dem Titel: „Kunstwerke und Kunst-Ansichten Gottfried Schadows.“ v. Wolzogen , „aus Schinkels Nachlaß.“ Dorows Denkwürdigkeiten. Klose ’s Leben des Staatskanzlers Fürsten Hardenberg. Mündliches. (Joachim Bernhard v. Prittwitz und Gaffron.) Joachim Bernhard v. Prittwitz wurde am 3. Februar 1726 auf sei- nem väterlichen Gute Laserwitz bei Stroppen in Schlesien geboren. Sein Vater war Hauptmann in preußischen Diensten. Joachim Bernhard besuchte bis zu seinem 15. Jahre das Gymnasium zu Oels; als aber Friedrich der Große Schlesien erobert und der protestantischen Partei zum Siege verholfen hatte, verließ der junge Prittwitz, dessen protestantische Familie, mit sehr wenigen Ausnahmen, den Kaiserlichen Dienst stets ver- schmäht hatte, das Gymnasium, um in die preußische Armee einzutreten. Noch während des ersten Schlesischen Krieges, 1741, wurde er in das Cadettenhaus in Berlin aufgenommen, trat aber schon im November des- selben Jahres als Fahnenjunker in das Dragoner-Regiment von Posa- dowski, bei welchem er den Winterfeldzug nach Mähren, im Jahre 1742, mitmachte. Im zweiten Schlesischen Kriege focht er 1745 als Fähnrich in der Schlacht bei Hohenfriedberg gegen die Oestreicher und Sachsen, in deren Reihen sein einziger Bruder, bei Strigau schwer verwundet, seinen Tod fand. Als Fähnrich hatte Joachim Bernhard, nach damaligen Verhältnissen, Offizierrang, Lieutenant wurde er erst 1751, nach zehnjähriger Dienstzeit. Im siebenjährigen Kriege wurde er in der Schlacht bei Collin 1757 verwundet, außer ihm drei andre Prittwitze. Noch in demselben Jahre zum Stabsrittmeister ernannt, erkämpfte er sich bei Zorndorf den Orden pour le mérite. Den 20. December 1758 wurde er als Rittmeister und Chef der erledigten Escadron des gefallenen Oberst v. Seel , auf den Wunsch des Gene- rals v. Zieten , in dessen Husaren-Regiment versetzt, das den größ- ten Theil seines Ruhms, nächst Zieten, ihm verdanken sollte. Mit Zieten- schen Husaren begleitete er 1759 den General v. Wobersnow bei seinen Zügen nach Polen und nahm an dem Gefecht bei Kay Theil. Es folgte dann die Schlacht bei Kunersdorf, in der es ihm (vgl. S. 417) vergönnt war, sich durch Rettung des Königs einen unvergänglichen Ruhm zu er- werben. In dem folgenden Jahre 1760 nahm Joachim Bernhard an der Schlacht bei Liegnitz am 15. August und bei Torgau am 3. November thätigen Antheil und rückte dann im Winter 1761 an der Spitze von 300 Zietenschen Husaren zu dem Detachement des Obersten v. Loellhoefel, wel- cher mit drei Frei-Bataillonen und zwei Reiter-Regimentern den Raum zwischen der preußischen Armee in Sachsen und der Armee der Alliirten bei Göttingen ausfüllen sollte. Joachim Bernhard bestand ein siegrei- ches Gefecht bei Schlotheim in der Nähe von Sondershausen und wurde Major . Hervorragenden Antheil nahm er an dem Gefecht bei Langen- salza , das am 15. Februar gegen 9 Bataillone Sachsen unter Graf Solms geschlagen wurde und ganz Thüringen den Preußen überlieferte. Einen ähnlich glücklichen Kampf bestand er im April gegen einzelne Detachements der Reichsarmee in der Nähe von Saalfeld . Es waren klugberechnete und kühnausgeführte Attacken nach der Zietenschen Art. Außer diesen De- tachirungen, bei denen Joachim Bernhard selbstständig commandirte, war er bei den zahlreichen und glänzenden Gefechten des Zietenschen Hu- sarenregiments selbst, in diesem und dem folgenden Jahre zugegen. Details darüber fehlen. Am 7. November 1762 lieferte er den Oestreichern ein glänzendes Gefecht am Landsberg und wurde in Anerkennung dafür zwei Tage später und außer der Tour zum Oberst-Lieutenant und Commandeur des zehn Schwadronen starken „ Leib-Husaren-Regi- ments von Zieten Nr. 2“, das vor allen andern Husaren-Regimentern rangirte, ernannt. Am 16. December 1762 vermählte er sich, in Berlin, mit der ver- wittweten Frau Marie Eleonore v. Parzewski-Temzin, geborenen Freiin v. Seherr-Thoß, die damals erst 23 Jahr alt war. Nach dem Hubertsburger Frieden, am 27. März 1763, hatte, wie Kurd v. Schoening erzählt, die Residenz Berlin das glänzende Schauspiel, das berühmte Zietensche Husaren-Regiment, von seinem Chef (dem „alten Zieten“) und vom Commandeur v. Prittwitz geführt, unter Pauken und Trompeten- schall und bei unermeßlichem Jubel des Volkes, einziehen zu sehn. Joachim Bernhard blieb mit seinem Regimente zu Berlin in Garnison. (Die alte Kaserne in der jetzigen „Alexandrinen-Straße“ und die Stallgebäude am Belle-Alliance-Platz gehörten dem Zietenschen Husaren-Regiment.) 1768 wurde Joachim Bernhard zum Obersten, 1774 zum General- Major und 1775 zum Commandeur en chef des Regiments Gensd’armes ernannt. Dies stolze Cürassier-Regiment, das bis 1740, wo das Regiment Garde du Corps formirt wurde, das erste Regiment der Hausgarden ge- wesen war und im siebenjährigen Kriege mit großem Ruhme gekämpft hatte, rangirte in der Kavallerie gleich nach dem Regiment Garde du Corps und hatte in der Hauptstadt seine Garnison. Erst 1785 wurde Joachim Bernhard zum General-Lieutenant und 1789 zum General der Kavallerie ernannt. 1790 nahm er seinen Abschied; er starb am 4. Juni 1793. — An der Reiterstatue Friedrichs des Großen in Berlin steht er lebensgroß in Husaren-Uniform, im Gespräch mit Lestwitz, dem Beschauer halb den Rücken zukehrend. Am bekanntesten ist er durch den Kupferstich geworden, der die Rettung des Königs durch Zietensche Husaren am Tage von Kunersdorf darstellt. (Die Frauen und Kinder des Fürsten Hardenberg.) Der Fürst war dreimal vermählt : a ) mit Friederike Juliane Christiane, Gräfin v. Reventlow , am 11. Juni 1774 vermählt; getrennt 1787; gestorben 1792 in Re- gensburg. b ) mit Sophie v. Lenthe , geb. v. Heßberg , 1787. Lebte nach vielen Abenteuern erst in Genua, dann in Neapel, und ist auch wahrscheinlich dort gestorben, c ) mit Charlotte Langenthal , geb. Schönemann (Schauspie- lerin). Er lebte mit ihr etwa seit 1800. Wann er sich mit ihr vermählte, habe ich nicht finden können. Doch wurde die Ehe 1821 durch privates Uebereinkommen getrennt. Nach diesem Uebereinkommen hatte sie jährlich 6000 und Glinike bei Potsdam als Wittwensitz. Man rühmt ihr einen uninteressirten Charakter nach und erzählt, daß sie auf einen we- sentlichen Antheil ihrer Ansprüche freiwillig verzichtete. Der Fürst hatte nur zwei Kinder, beide aus seiner ersten Ehe mit der Gräfin Reventlow: a ) den Grafen Hardenberg-Reventlow, (Christian August Heinrich, geb. 19. Februar 1775); siehe den Aufsatz S. 430. b ) Anna Luzie Christine Wilhelmine v. Hardenberg, geb. am 9. April 1776. Vermählt α) mit dem bairischen Grafen Pappenheim am 26. Juni 1796. β) mit dem Fürsten v. Pückler-Muskau am 9. Oktober 1817. Auch diese zweite Ehe wurde getrennt. Ein Nekrolog des Fürsten-Staatskanzlers steht in der „ Preußi- schen Staatszeitung “ vom 17. December 1822. 35 Friedland. Benutzt: Riedels Codex diplomaticus Brandenburgensis. Fidicin Ober-Barnim. Geschichte des Cistercienser-Ordens. Mündliche und briefliche Mittheilungen. Cunersdorff. Benutzt: Pauli ’s Leben großer Helden. Graf Waldersee ’s Schlacht bei Torgau. Adami ’s „vor fünfzig Jahren“. Hitzig ’s Leben Chamisso’s. Mündliche und briefliche Mittheilungen. ( Johann George v. Lestwitz ), der Vater unseres Johann Sigismund v. Lestwitz auf Friedland und Cunersdorff, wurde 1688 in Schlesien geboren, machte unter den beiden ersten Königen den spanischen Erbfolgekrieg und den Krieg in Pommern mit. Beim Sturm auf die Con- trescarpe von Stralsund (1715) wurde er schwer verwundet. Während der beiden schlesischen Kriege zeichnete er sich aus, besonders bei Kesselsdorf 1745 ward er Generalmajor; 1746 Chef des Schwartz-Schwerinschen Re- giments; 1754 Generallieutenant und Ritter des schwarzen Adlerordens. Der König, der ihm besonders gnädig war, hatte ihm schon vorher eine Präbende im Jülichschen und die Amtshauptmannschaft zu Lyck in Ost- preußen verliehn. Bei Ausbruch des 7jährigen Krieges rückte er mit in Sachsen ein und focht im nächsten Jahre (1757) bei Prag, Collin und Rei- chenberg. Besonders in letzterer Schlacht zeichnete er sich aus und entschied sie. (?) Der König ernannte ihn darauf zum Kommandanten von Breslau , dessen Belagerung durch die Oesterreicher unmittelbar folgte. Lestwitz konnte jedoch die weitläuftige Stadt mit seiner schwachen Garnison nicht halten und übergab sie daher den Oestreichern nach einer den 24. November ge- schlossenen Kapitulation, vermöge welcher er nebst seiner Besatzung freien Abzug erhielt, sich aber verbinden mußte, im damaligen Kriege wider die Kaiserin-Königin nicht weiter zu dienen. Der König war mit dieser Ueber- gabe sehr unzufrieden und Lestwitz (ähnlich wie General Fink nach der Kapitulation von Maxen) fiel in Ungnade. Nur Fink’s Loos war freilich härter und unverdienter, er hatte dem Könige viel näher gestanden und die Zeichen der Mißachtung trafen ihn viel entschiedener. Lestwitz (wie S. 455 erzählt) kam noch erträglich davon. Er starb 80 Jahre alt, nach 63jähriger Dienstzeit, am 27. Juli 1767. Portraits in Schloß Cunersdorff. 1) Portrait des Generallieutenants Johann George v. Lestwitz; (dessen, der nach der Kapitulation von Breslau in Ungnade fiel). 2) Seiner Gemahlin, einer geb. v. Kottwitz. 3) Portrait des Generalmajors Hans Sigismund v. Lestwitz; (des Siegers von Torgau). 4) Seiner Gemahlin, einer geb. v. Treskow. 5) Frau v. Friedland ; Pastellbild, en profile. 6) Staatsminister Adrian v. Borcke ; (Gemahl der Frau v. Friedland). 7) Graf Peter Alexander v. Itzenplitz . 8) Gräfin Itzenplitz (geb. v. Borcke). Sie trägt nicht Frauentracht, sondern — bei kurzem, gekräuseltem Haar — einen blauen, weiten Sammt- Hausrock mit Pelz besetzt und hochstehendem Pelzkragen, über den noch eine getollte Fraise hinausragt. Das Ganze sehr eigenthümlich. 9) Ein Portrait von Albrecht Thaer. Der künstlerische Werth dieser Portraits ist nicht groß; kleinere Bilder, nach denen die größeren Oelportraits ausgeführt wurden (zum Theil vom alten Professor Weitsch) sind meist besser. Am meisten Werth dürften die Portraits der jüngeren Frau v. Lestwitz, geb. v. Treskow, und des Staatsministers Adrian v. Borcke haben. Das Pfulen-Land. (Portraits im Herrenhause zu Jahnsfelde.) Ernst Ludwig v. Pfuel, Generalmajor (1718—1789). Ernst Ludwig v. Pfuel, General-Lieutenant (1714—1803). Johanne v. Pfuel (gest. 1782). Adelheid v. Pfuel geb. v. Belzig. Clara v. Pfuel geb. v. Rochow. Friedrich Ehrenreich v. Rochow (1722—1771). Friedrich v. Pfuel, Generallieutenant (1781—1846). Arthur Heino Julian v. Pfuel. (Geb. 5. Mai 1815, gest. zu Carls- ruh in Baden den 31. December 1844.) Außerdem noch viele andre Bildnisse. Unter den hier angeführten sind die Damenportraits und das des Friedrich Ehrenreich v. Rochow , das mit Eleganz und einer gewissen Bravour gemalt ist, die besten. Die Porträts in Wilkendorf sind zum Theil aus der alten, nun- mehr ausgestorbnen v. Briest ’schen Familie. Der letzte Sproß der Familie, eine Tochter, war an Friedrich de la Motte Fouqu é vermählt. (Landrath v. Briest , auf Nennhausen im Havelland, bekannt durch den klugen Bei- stand, den er der Armee des großen Kurfürsten erst bei der Ueberrumpe- lung von Rathenow und dann später auf ihrem Marsche nach Fehr- bellin leistete.) Kienbaum. (Dorf und Kloster Kagel.) In nächster Nähe von Kienbaum, am Liebenberger See, liegt das alte Dorf Kagel (früher, wie Kienbaum, dem Kloster zu Zinna zugehö- rig), das in neuerer Zeit zu einer interessanten Controverse Veranlassung gegeben hat. Nach Ansicht der Einen wäre es dies alte Dorf Kagel, in dem sich das allererste märkische Kloster befunden hätte und zwar ein sogenanntes „Feldkloster“, das im Jahre 1160, so meinen sie, durch den zum Christenthume übergetretenen Wendenfürsten Jaczko gegründet und mit Cistercienser-Mönchen besetzt wurde. Die Mönche dieses Feldklosters in Kagel waren es dann, die 11 Jahre später (1171) das neugegründete, grö- ßere und besser dotirte Kloster in Zinna besetzten. v. d. Hagen und Berg- haus theilen diese Ansicht; Fidicin hingegen will von der Priorität eines „ Klosters Kagel “ nichts wissen und meint, daß die betreffende Stelle im Zinnaer Erbregister von v. d. Hagen falsch ausgelegt worden sei. Druck: Kislings che Buchdruckerei in Osnabrück.