Theophron, oder der erfahrne Rathgeber fuͤr die unerfahrne Jugend, von J. H. Campe. Ein Vermaͤchtniß fuͤr seine gewesenen Pflegesoͤhne , und fuͤr alle erwachsnere junge Leute, welche Gebrauch davon machen wollen. Inter opus monitusque maduere genae, Et patriae tremuere manus. Ouidius. Zweiter Theil . Hamburg 1783 bei Karl Ernst Bohn . III. Merkwuͤrdige Lebensregeln aus des Grafen von Chesterfield Briefen an seinen Sohn, in einem zwekmaͤßigen Auszuge und mit noͤthigen Abaͤnderungen. A 2 D er Wunsch, daß alle Menschen sich gefaͤllig gegen uns beweisen moͤgen, ist algemein; eben so algemein solte auch das Bestreben sein, sich andern gefaͤllig zu machen. Dis liegt mit in dem großen Grundgesez aller Moralitaͤt: thue andern, was du wuͤnschest, daß man dir thue. Zwar gibt es wirklich einige hoͤhere, aber keine liebens- wuͤrdigere Pflichten der Sittenlehre; und ich glaube sie ohne Bedenken an die Spize derjenigen Tugenden sezen zu duͤrfen, die Cicero die mil- dern — virtutes leniores nent. Ein wohlwollendes, fuͤhlendes Herz uͤbt diese Pflicht mit Vergnuͤgen aus, und erwekt damit zugleich Vergnuͤgen bei andern. Aber die Großen, die Reichen, die Maͤchtigen der Erde spenden oft ihre Gunstbezeugungen ihren geringern Bruͤdern, so wie ihre uͤbrigen Brokken den Hunden; weder Mensch noch Hund weiß ihnen Dank dafuͤr. Es ist kein Wunder, wenn Gunstbezeugungen, Wohlthaten, und selbst Almosen, die man so un- verbindlich ausspendet, auch wenig oder gar nicht erkant werden. Denn Dankbarkeit ist fuͤr viele A 3 Menschen Menschen eine Buͤrde; sie moͤgen nur zu gern sich davon losmachen, oder wenigstens sie sich erleichtern, so viel sie koͤnnen. Die Manier also, mit welcher wir Dienste oder Wohlthaten erweisen, ist in Ansehung der Wirkung auf den Empfaͤnger eben so wichtig, als die Sache selbst. Wofern du demnach Gelegen- heit hast, dir andre verbindlich zu machen, so huͤte dich, daß du nicht diese Verbindlichkeit durch eine stolze Patronenmine, oder durch ein kaltes unfreundliches Betragen wieder aufhebst: denn dieses erstikt die Erkentlichkeit in der Geburt. Menschlichkeit treibt uns, Religion fodert uns auf, die Pflichten der Sittenlehre verbinden uns, das Elend und die Leiden unsrer Mitgeschoͤpfe zu mildern, so viel wir koͤnnen; aber dis ist noch nicht alles: denn wenn unser Herz wirklich von Liebe und Wohlwollen durchdrungen ist, so wer- den wir gern auch zu ihrer Zufriedenheit, und zu ihrem Vergnuͤgen so viel beitragen, als nur immer auf eine unschuldige Weise geschehen kan. Laß uns also nicht nur Wohlthaten um uns her werfen, sondern auch Blumen streuen, fuͤr unsre Reise- Reisegefaͤhrten auf den rauhen Wegen dieses muͤh- seeligen Erdenlebens. Es gibt Leute, (und besonders in diesem Lande nur zu viel) welche, ohne die mindeste sichtbare Spur von Bosheit und schlechter Gemuͤthsart, doch dem Anschein nach ganz und gar gleichguͤltig sind, und nie den geringsten Wunsch aͤussern, an- dern zu gefallen, so wie sie hingegen auch nie mit Absicht jemand beleidigen. Ob das Traͤgheit, Nachlaͤßigkeit, Unachtsamkeit, ob es duͤstres, melancholisches Temperament, ob es Kraͤnklich- keit, Niedergeschlagenheit, oder ob es ein ge- heimer, muͤrrischer Stolz sei, der aus dem Be- wußtsein einer eingebildeten Freiheit und Unab- haͤngigkeit entspringt, wage ich nicht, zu entschei- den; denn es gibt gar zu mannigfaltige Bewe- gungen in dem Herzen des Menschen, und eben so sonderbare Irthuͤmer in seinem Kopfe. Was indes auch die Ursache davon sein mag, so ist gewiß, daß die Neutralitaͤt, welche die Folge davon ist, solche Leute (wie jede Neutralitaͤt immer thut) veraͤchtlich und zu bloßen Nullen in der Geselschaft macht. Ganz gewiß wuͤrden sie A 4 aus aus ihrer Traͤgheit erwachen, wenn sie einmahl eine ernsthafte Ueberlegung uͤber den unendlich mannigfaltigen Nuzen anstellen wolten, den das Bestreben zu gefallen ihnen gewaͤhren wuͤrde. Dieser Nuzen aber ist, duͤnkt mich, von selbst klar, und braucht keines Beweises. Ich werde mich daher auch nicht dabei aufhalten; ein Wink daruͤber mag genug sein. Derjenige, welcher sich unablaͤßig bestrebt, zu gefallen, leihet sein vielleicht nur kleines Kapital von Verdienst auf hohe Zinsen aus. Welchen Gewin wird nun nicht erst aͤchtes Verdienst unausbleiblich bringen, wenn es auch noch in diesem Schmuk erscheint! Mit Freuden wuͤrde ein kluger Wucherer auf so betraͤchtliche Zinsen und gegen eine solche Sicherheit seinen lezten Schilling austhun. Derjenige, welcher die Kunst versteht, sich Liebe zu erwerben , macht sich beinahe so viel Freunde, als er Bekantschaften macht; Freunde nemlich, im gangbaren Sin des Worts; nicht eben solche innige Herzensfreunde, als Pylades und Orestes, Nifus und Euryalus , u. s. w. einan- einander waren; indes jederman wird ihm wohl- wollen, wird geneigt sein, ihm Dienste zu er- weisen, so lange es ohne Aufopferung seines eignen Vortheils geschehen kan. Hoͤflichkeit ist die Haupterforderniß in der Kunst zu gefallen; sie ist die Frucht der Gutmuͤ- thigkeit und des gesunden Verstandes: aber gibt der Hoͤflichkeit Glanz und feine Lebensart Zierde. Man erwirbt sie sich nur durch Umgang und die sorgfaͤltigste Aufmerksamkeit auf das Betragen der Leute in guten Geselschaften. Ein ehrlicher Landman oder Fuchsjaͤger kan eben so wohl hoͤflich sein wollen, als der feinste Hofman; aber bei den ersten wird die Manier alles verderben; bei dem Manne von Lebensart hingegen giebt die Manier allem, was er sagt oder thut, so viel Schmuk und Wuͤrde, daß oft Muͤnze von schlechtem Gehalt um des schoͤnen Gepraͤges willen gangbar wird. Auch hier kan man mit allem Rechte sagen: ma- teriem superat opus. A 5 Hoͤflich- Hoͤflichkeit ist oft mit einem zeremonioͤsen We- sen begleitet, welches durch Lebensart zwar gemil- dert, aber nicht ganz zur Seite gesezt werden darf. Ein gewisser Grad von Zeremonie ist ein unent- behrliches Aussenwerk fuͤr die guten Sitten, so wie fuͤr die Religion: sie haͤlt den Muthwillen und den Vorwiz in gehoͤriger Entfernung, und der verstaͤndigere und gesittetere Theil der Men- schen dringt demohngeachtet durch diese Vormauer leicht hindurch. Wir lesen in dem Maͤhrchen von der Tonne, daß Peter von Pomp und Zeremonie zu viel, Jakob zu wenig hatte; Martins Betra- gen hingegen scheint ein nachahmungswuͤrdiges Muster in Ansehung des Gottesdienstes so wohl als der guten Sitten zu sein, und eben diese Mit- telstraße betreten Verstand und Lebensart. Die Mittel zu gefallen, mein Lieber, veraͤn- dern sich, nach Zeit, Ort und Personen. Es gibt indes eine algemeine Regel, die jederman kent. Sie heißt: Bemuͤhe dich zu gefallen, und du wirst sicher, wenigstens in einem gewissen Grade, gefallen . Zeige, daß dirs darum zu thun thun ist, dir Freunde zu machen, so hast du die Eigenliebe der Leute ins Spiel gezogen, und an ihr hast du eine maͤchtige Fuͤrsprecherin. Dazu ge- hoͤrt aber, wie fast zu jedem andern Dinge, Auf- merksamkeit, oder eigentlicher zu reden, das, was die Franzosen les attentions genant haben. Ich empfehle dir also die sorgfaͤltigste, genaueste Auf- merksamkeit auf die Umstaͤnde der Zeit, des Orts, und der Person, denn ohne diese laͤufst du Gefahr, zu beleidigen, wo deine Absicht war, zu gefallen: denn die Menschen verzeihen in Dingen, welche unmittelbar ihre eigne Person betreffen, keinen Verstoß und keine Unachtsamkeit. (Die bestaͤndige Ausuͤbung dieser sogenanten attentions ist ein nothwendiger Theil der Kunst zu gefallen. Sie nimt mehr ein, und ruͤhrt staͤr- ker, als Dinge von weit groͤßrer Wichtigkeit. Zur Volbringung der Pflichten des geselligen Lebens ist jeder gehalten; dergleichen Aufmerksamkeiten aber sind freiwillige Handlungen, willige Opfer der Wohlanstaͤndigkeit und Gutherzigkeit, und werden als solche aufgenommen, behalten, und erwiedert. Besonders haben Frauenzimmer ein Recht Recht darauf; und jede Unterlassung in diesem Stuͤkke ist voͤllig ungesittet.) (Hier hast du ein Beispiel von dergleichen Auf- merksamkeiten. Man beobachte z. E. die kleinen Fertigkeiten, das Wohlgefallen, die Abneigung, den Geschmak derer, die man einnehmen wil, und bemuͤhe sich alsdan, ihnen das Gefaͤllige zu ver- schaffen, und sie vor dem Mißfaͤlligen zu verwah- ren, indem man ihnen auf eine hoͤfliche Art zu verstehen gibt, man haͤtte bemerkt, es gefiele ih- nen das und das Gerichte, das und das Zimmer, daher haͤtte man es bereit gehalten; oder im Gegentheile, man haͤtte bemerkt, das und das Gerichte, die und die Person waͤren ihnen zuwi- der, daher haͤtte man Sorge getragen, sie wegzu- lassen. Die Aufmerksamkeit auf solche Kleinig- keiten schmeichelt, wie gesagt, der Eigenliebe mehr, als groͤßere Dinge; denn sie bringt die Leute auf die Meinung, als waͤren sie fast das einzige Augen- merk unsrer Gedanken und unsrer Sorgfalt.) In Geselschaft zerstreut zu sein, ist unverzeih- lich, denn es beweist, daß man sie verachte, und ist ist oben drein eben so laͤcherlich als beleidigend. Es ist wenig Unterschied zwischen einem Todten und einem Zerstreuten, und dieser Unterschied ist noch dazu ganz zum Vortheil des erstern; denn jederman weiß, daß seine Unempfindlichkeit nicht wilkuͤhrlich ist. Es gibt so gar Leute, welche ab- geschmakt genug sind, Zerstreuung zu affektiren; sie glauben nemlich, das sei ein Merkmal von Tiefsin und hoher Weisheit; aber sie irren sich gewaltig; denn Zerstreuung, (das weiß jeder) zeugt, wenn sie natuͤrlich ist, von einer großen Schwaͤche der Sele; und wird sie gar affektirt, so ist sie eine Narheit vom ersten Range. (Aber sie komme nun auch, woher sie wolle, so ist gewiß, daß der Zerstreute ein unangenehmer Geselschafter ist. Er laͤßt es an allen gewoͤhnlichen Pflichten der Hoͤflichkeit fehlen; er scheint heute diejenigen nicht mehr zu kennen, mit denen er gestern vertraut umging. Er nimt keinen Theil an der alge- meinen Unterredung, sondern unterbricht sie viel- mehr von Zeit zu Zeit mit einem ploͤzlichen Einfalle, als ob er vom Traume erwachte. Das ist ein sicheres Merkmal eines Gemuͤths, das entweder so schwach ist, ist, daß es nicht mehr als eine Sache auf einmahl fassen kan, oder so leidenschaftlich geruͤhrt, daß man vermuthen muß, es wuͤrde von großen und wich- tigen Dingen eingenommen und hingerissen. Isaak Newton, Locke und vielleicht seit der Schoͤpfung der Welt, noch fuͤnf bis sechs andre, moͤgen wegen der tiefsinnigen Gedanken, welche die Untersuchung der Wahrheit erforderte, auf diese Zerstreuung ein Recht gehabt haben. Wenn aber ein junger Mensch, zumahl ein Weltman, der keine solche Verhinderungen fuͤr sich anzufuͤhren hat, dieses Recht auf Zerstreuung in Geselschaft fodern und ausuͤben wolte: so solte man seine Abwesenheit des Geistes durch eine immerwaͤhrende Aus- schließung aus aller Geselschaft, in eine wirkliche Abwesenheit, auch dem Koͤrper nach, verwandeln.) (So nichtsbedeutend auch eine Geselschaft sein mag, so zeige ihr doch nicht, so lange du darinne bist, daß du sie dafuͤr haͤltst; sondern nim viel- mehr ihren Ton an; bequeme dich in einigem Grade nach ihrer Schwaͤche, anstat deine Ver- achtung fuͤr sie zu aͤußern! Nichts koͤnnen die Leute weniger ertragen oder verzeihen, als Ver- achtung; achtung; und angethanes Unrecht wird eher ver- gessen, als Beschimpfung. Wilst du daher lieber gefallen als beleidigen, wilst du lieber wohl als uͤbel von dir geredet haben, wilst du lieber geliebt als gehaßt sein: so bedenke fein, daß du bestaͤndig diejenige Aufmerksamkeit haben mußt, die jedes Menschen kleiner Eitelkeit schmeichelt, und deren Abwesenheit, indem sie seinen Stolz kraͤnkt, nie- mahls ermangelt, seine Rachgier, wenigstens seine Ungunst, rege zu machen.) (Zum Beispiel! Die meisten Leute, ich koͤnte sagen, alle, haben ihre Schwachheiten, ihre be- sondre Abneigung oder ihr besonderes Wohlge- fallen in Ansehung dieser oder jener Dinge. Wol- test du also einen Menschen wegen seiner Abnei- gung vor Kazen oder Kaͤse (und diese ist sehr ge- woͤhnlich) auslachen, oder sie aus Muthwillen oder Nachlaͤssigkeit ihm in den Weg kommen lassen, wenn du es doch verhuͤten koͤntest: so wuͤrd’ er im ersten Falle sich fuͤr beleidigt, im zweiten fuͤr geringgeschaͤzt halten, und beides ahnden. Hin- gegen deine Sorgfalt, ihm das, was ihm gefaͤlt, zu verschaffen, und das, was er haßt, von ihm zu zu entfernen, gibt ihm zu erkennen, daß er wenig- stens ein Gegenstand deiner Aufmerksamkeit sei, schmeichelt seiner Eitelkeit, und macht ihn mehr zu deinem Freunde, als ein wichtiger Dienst ge- than haben koͤnte.) Der weise Man ist weit entfernt, die Sin- nen, die er hat, ungebraucht zu lassen; er moͤgte sie lieber vervielfaͤltigen, um alles auf einmahl sehen und hoͤren zu koͤnnen, was in Geselschaft gesagt oder gethan wird. Sei also aufmerksam auf jeden kleinsten Vor- fal in der Geselschaft worin du bist; habe, wie man zu sagen pflegt, deine Augen und Ohren im- mer bei der Hand. Es ist eine sehr naͤrrische und doch so gemeine Ausflucht: “in der That, ich dachte nicht daran„ oder: “ich dachte gerade zu der Zeit an ganz etwas anders.„ Die schiklichste Antwort auf solche sinreiche Entschuldigungen, und die keine weitere Ausrede zulaͤßt, ist: Warum dachtet ihr nicht daran? Ihr wart doch gegenwaͤrtig, als man das sagte, oder that. “Ja! aber, (moͤg’t ihr sagen) ich dachte an etwas ganz anders.„ Wenn das das ist, warum wart ihr nicht an einem ganz an- dern Orte, der dem wichtigen andern Dinge, woran ihr gerade dachtet, angemessen gewesen waͤre? Vielleicht werdet ihr sagen: “die Geselschaft war so einfaͤltig, daß sie eure Aufmerksamkeit nicht verdiente.„ Aber glaube mir, mein Lieber, das ist das Geschwaͤz eines noch einfaͤltigen Menschen; denn der Man von Verstande weiß wohl, daß keine Geselschaft so einfaͤltig ist, die man nicht bei gehoͤriger Aufmerksamkeit auf eine oder die andre Weise fuͤr sich nuͤzlich machen koͤnte. (Derjenige ist weder zu Geschaͤften noch zu Vergnuͤgungen tuͤchtig, der nicht seine Aufmerksam- keit auf die jedesmalige gegenwaͤrtige Sache len- ken, und in gewißer Maaße diese Zeit uͤber alle andre Gedanken aus seiner Sele verbannen kan. Wenn jemand auf einem Balle, bei Tische, oder bei einer Lustreise auf die Aufloͤsung einer Aufgabe aus dem Euklid daͤchte: so wuͤrd’ er gar ein schlechter Geselschafter sein, und unter den andern nur geringes Ansehen erlangen. Daͤcht’ er dage- gen, wenn er in seinem Kabinette der Aufgabe Theophron 2. Th. B nachsint, nachsint, an die Menuet, so wuͤrd’ er, deucht mich, einen armseeligen Mathematiker abgeben.) (Es ist den Tag uͤber Zeit genug fuͤr alles, wenn du nur eine Sache auf einmahl thust; wilst du aber zwei Dinge zugleich vornehmen, so ist in dem ganzen Jahre nicht Zeit genug. Der hollaͤndische Pensionaͤr von Witt verwaltete die ganzen Geschaͤfte der Republik, und hatte doch noch Zeit genug uͤbrig, Abends in Geselschaft zu gehen, und da zu spei- sen. Als man ihn nun fragte: wo er doch moͤg- licher Weise Zeit hernaͤhme, so viele Geschaͤfte zu verrichten, und sich doch auch des Abends zu belu- stigen? gab er zur Antwort: nichts waͤre leichter; man duͤrfte nur immer ein Ding auf einmahl thun, und nichts auf morgen verschieben, das heute koͤnte verrichte werden.) (Diese standhafte, von Zerstreuung entfernte Aufmerksamkeit auf eine einzige Sache ist ein siche- res Merkmal eines erhabnen Geistes; so wie dagegen Uebereilung, Verwirrung und Unruhe untriegliche Zeichen eines schwachen und albernen Verstandes sind. Liesest du den Horaz , so merke auf die Richtigkeit seiner Gedanken, die gluͤckliche Wahl Wahl seiner Ausdruͤcke, die Schoͤnheit seiner Dichtkunst; denke aber nicht zugleich an Puffen- dorfs Schrift von dem Menschen und dem Buͤrger ; und liesest du den Puffendorf , so denke nicht an die Frau von St. Germain ; noch auch an den Puffendorf , wenn du mit der Frau von St. Germain redest.) (Was du nur thust, das thue zu seinem End- zwekke! Thue es voͤllig, und nicht obenhin! Dringe bis unten auf den Grund der Dinge! Ein halb gethanes oder halb gewußtes Ding wird, mei- nes Erachtens, gar nicht gethan, gar nicht gewußt. Ja, es ist noch schlimmer; denn es fuͤhrt oft fehl.) (Kaum gibt es einen Ort, oder eine Geselschaft, wo du nicht Wissenschaft erlangen kanst, wenn du wilst. Fast jeder weiß etwas, und redet gerne von dem, was er weiß. Suche, so wirst du finden; in dieser Welt sowohl, als in der kuͤnftigen. Be- sieh alles, forsche nach allem! Deine Neugier und deine gethanen Fragen kanst du durch die Art entschuldigen mit der du sie thust. Denn bei den meisten Dingen komt es großentheils auf die Art und Weise an. Du kanst zum Beispiel sprechen, B 2 “ich “ich besorge zwar, daß ich ihnen mit meinen Fra- “gen beschwerlich falle; niemand aber kan mich “so gut belehren als Sie;„ oder etwas der- gleichen.) Deine Aufmerksamkeit muß aber (und das kan sie, so bald du wilst) eine gewisse Geschmei- digkeit haben, das ist, du mußt sie augenbliklich von einem Gegenstande auf den andern, von einer Person auf die andere, so wie sie vorkommen, richten koͤnnen. Bedenke, daß du ohne eine solche Aufmerksamkeit nie geschikt bist, in guter Gesel- schaft, oder nur in Geselschaft uͤberhaupt zu leben, und das beste was du in diesem Falle thun koͤntest, waͤre, ein Kartheuser zu werden. Wenn du zum erstenmahl dich in einer Gesel- schaft zeigst, oder von andern eingefuͤhrt wirst, so thue dein Aeusserstes, daß der erste Eindruk, den du machst, so vortheilhaft, als moͤglich sei. Was du dazu thun kanst, besteht in Dingen, welche gruͤndlich denkende Leute Kleinigkeiten zu nennen pflegen, nemlich in der Mine, der Kleidung, der Anrede. Hier, rathe ich dir, flehe die Grazien um um Beistand an. Selbst der an sich geringfuͤgige Umstand, die Kleidung ist keine Kleinigkeit bei solchen Gelegenheiten. Sei du weder der erste, noch der lezte in der Mode. Kleide dich so gut, als Leute von deinem Range gewoͤhnlich thun, und lieber etwas besser, als schlechter; und bist du einmahl gekleidet, so laß auch nicht merken, daß du weißt, du habest ein Kleid an; vielmehr sei jede deiner Bewegun- gen so leicht und ungezwungen, als wenn du in deinem Schlafrok waͤrst. Nur ein Geck schaͤzt sich nach seinem Kleide; aber auch der Man von Ver- stande wird seinen Anzug nicht vernachlaͤssigen, wenigstens in seiner Jugend nicht. Der aͤrgste Gek, den ich je gesehen, war zugleich der groͤßte Schlotterer; denn das affektierte Sonderbare in der Kleidung, auf der einen oder der andern Seite, macht eben den Gekken aus; und doch wird jeder- man den alzuzierlich gekleideten Gekken noch dem schlotterichten vorziehen. (Die meisten der hiesigen jungen Kerle geben durch ihre Kleidung eine oder die andre Denkungs- B 3 art art zu erkennen. Einige stellen sich fuͤrchterlich an, tragen einen großen Hut mit einer gewaltigen Schleife, einen ungeheuren Degen, eine kurze Weste und schwarze Halsbinde. Ich wuͤrde in Versuchung gerathen, mir wider sie Wache zu meiner Vertheidigung geben zu lassen, wenn ich nicht uͤberzeugt waͤre, daß es sanftmuͤthige Esel in Loͤwenhaͤuten sind.) (Andre gehen in braunen Kitteln, ledernen Ho- sen, fuͤhren große eichene Pruͤgel in der Hand, haben keine Schleife am Hute, keinen Puder in den Haaren, und thun es den Stalknechten, Kutschern und Bauertoͤlpeln in ihrem Aeußerli- chen so gut nach, daß ich nicht im geringsten zwei- fle, sie werden ihnen auch innerlich gleich sein.) (Ein verstaͤndiger Man vermeidet alles Beson- dre in seiner Kleidung. Er ist sauber um seiner selbst willen; das uͤbrige alles geschieht wegen andrer Leute. Er kleidet sich eben so gut und auf die nemliche Art, als andre verstaͤndige Leute sei- nes Standes an dem Orte, wo er ist. Kleidet er sich besser, um es ihnen zuvorzuthun, so ist er ein Gek; kleidet er sich schlechter, so ist er auf eine unver- unverzeihliche Art nachlaͤssig. Unter beiden wolt’ ich doch lieber, daß sich ein junger Kerl eher zu gut, als zu schlecht kleidete. Das Uebermaaß auf dieser Seite wird wegfallen, wenn ein wenig Alter und Betrachtung hinzukomt. Ist er aber nachlaͤssig im zwanzigsten Jahre, so wird er eine Sau im vierzigsten sein, und im funfzigsten gar stinken.) Dein Eintrit in die Geselschaft sei bescheiden, doch ohne alle Schuͤchternheit oder Bloͤdigkeit, dreist, ohne Unverschaͤmtheit, frei von Verlegen- heit, als wenn du in deinem eignen Zimmer waͤ- rest. Es ist schwer, sich diese gluͤkliche Fassung zu verschaffen; sie erfodert daher die groͤßte Auf- merksamkeit; es ist nicht wohl moͤglich, sie sich anders, als durch langen Umgang mit der Welt und fleißige Besuchung der besten Geselschaften zu erwerben. Wenn ein junger Man ohne Kentniß der Welt zum ersten male in eine Geselschaft vorneh- mer Leute trit, wo die meisten von hoͤherm Range sind, als er: so ist er entweder vor unzeitiger B 4 Schaam, Schaam, wie vernichtet, oder, wenn er sich er- mannet, und nun glaubt, sich bis zu einer be- scheidnen Dreistigkeit hinaufgearbeitet zu haben, verfaͤlt er in Unverschaͤmtheit, und wird abge- schmakt; er beleidigt, indem er zu gefallen dachte. Trage also immer, so viel du kanst, dieses air de douceur an dir, welches allemahl einen vortheil- haften Eindruck macht, wofern es nicht in ein schales Laͤcheln, oder in ein hoͤhnisches Grinzen ausartet. (Die Menschen werden mehr durch den Schein beherscht, als durch die Wirklichkeit. Es ist daher nicht genug, sanfte, duldsame und milde Gesinnungen im Herzen zu haben; man muß das innerliche Dasein derselben auch durch sein Aeusser- liches an den Tag zu legen suchen. Wenige Leute haben Scharfsichtigkeit genug, mehr als das Aeusserliche zu entdekken, noch Aufmerksamkeit genug, mehr zu beobachten, noch Sorgfalt genug, mehr zu untersuchen. Ihre Begriffe nehmen sie von der Oberflaͤche; tiefer dringen sie nicht. Sie loben den, als den sanftesten, gutartigsten Men- schen, der das einnehmendste aͤusserliche Bezeigen hat, hat, wiewohl sie vielleicht nur einmahl in seiner Geselschaft gewesen sind. Sanftmuth in der Mie- ne, in dem Tone, in den Gesichtszuͤgen, richtet die Sache anfangs allein aus; und ohne weitere Untersuchung, vielleicht gar bei entgegengesezten Eigenschaften, wird ein Mensch, der dieses Aeus- serliche besizt, bis auf weitere Bekantschaft, fuͤr den Sanftmuͤthigsten, Bescheidensten und Gutar- tigsten unter der Sonne ausgerufen.) (Diese Sanftmuth ist nicht so leicht zu beschrei- ben, als zu empfinden. Sie ist die zusammen- gesezte Wirkung von verschiedenen Dingen, von Gefaͤlligkeit, Biegsamkeit der Sitten, die jedoch nicht in knechtisches Wesen ausartet; von einem Ansehen von Milde in der Miene, der Gebehrde, dem Ausdrukke; einem Ansehn, das sich immer gleich bleibt, man mag nun mit demjenigen, mit welchem man umgeht, einstimmig denken oder nicht.) (Beobachte sorgfaͤltig die, welche dieses Sanfte an sich haben, das dich und andere bezaubert; so wird dir dein eigner guter Verstand die verschie- denen Theile, woraus es zusammengesezt ist, bald B 5 ent- entdekken helfen. Besonders mußt du dieses Sanfte anzunehmen wissen, wenn du genoͤthigt bist, etwas von dir Verlangtes abzuschlagen, oder etwas vorzubringen, das an sich selbst den Zu- hoͤrern nicht angenehm sein kan. Alsdan ist es noͤthig, eine ekelhafte Pille zu vergolden.) (Dieses sanfte, einnehmende und zugleich frei- muͤthige Wesen ist der große Vorzug derer, welche jung in gute Geselschaft eingefuͤhrt, und zeitig gewoͤhnt wurden, mit Hoͤhern umzugehen. Wie viele habe ich gesehen, die, nachdem sie die voͤllige Wohlthat einer klassischen Erziehung, beides auf niedrigen und hohen Schulen, genossen hatten, wenn sie dem Koͤnige vorgestelt wurden, nicht wußten, ob sie auf dem Kopfe oder auf den Fuͤßen standen! Redete der Koͤnig zu ihnen, so versanken sie gleichsam in Nichts. Sie zitterten, suchten die Haͤnde in die Tasche zu stekken, konten sie nicht hineinbringen, ließen den Hut fallen, schaͤm- ten sich, ihn wieder aufzuheben, und kurz, sie versezten sich in jede Stellung, nur nicht in die rechte, das ist, in die ungezwungne und natuͤrliche.) Das (Das Kenzeichen eines wohlerzognen Menschen ist, gegen Geringere ohne Uebermuth, gegen Hoͤ- here mit ungezwungner Ehrerbietung zu reden. Er spricht unbesorgt mit Koͤnigen, scherzt mit Frauenzimmern vom ersten Range mit Vertrau- lichkeit, Munterkeit, zugleich aber auch mit Ehrerbietung, und schwazt mit seines Gleichen, er sei mit ihnen bekant oder nicht, von algemei- nen, jedoch nicht ganz albernen Materien, ohne die geringste Unruhe des Gemuͤths, und ohne un- schikliche Stellung des Leibes. Weder jenes noch dieser koͤnnen sich mit Vortheile zeigen, als wenn sie volkommen ungezwungen sind.) Huͤte dich sorgfaͤltig, mein Lieber, vor der Sucht zu demonstriren und zu disputiren, welche manche Leute mit in die Geselschaft bringen, und sich wohl gar noch etwas darauf einbilden. Gehst du in deiner Meinung von andern ab, so behaupte sie mit Bescheidenheit, Kaltbluͤtigkeit, und Sanft- muth; werde nie hizig, vertheidige dich nie mit Geschrei. Findest du, daß dein Gegner anfaͤngt, in Hize zu gerathen, so mache dem Streite durch irgend irgend einen feinen Scherz ein Ende. Denn das kanst du fuͤr ausgemacht annehmen: wenn die beiden besten Freunde mit Hize uͤber eine noch so kleine, noch so unbedeutende Sache streiten, so entfernen sich ihre Herzen wenigstens fuͤr diesen Augenblik von einander. Ueberhaupt sind Strei- tigkeiten, sie moͤgen betreffen, was sie wollen, eine Art von Zweikampf des Verstandes, und koͤnnen nicht anders als zum Nachtheil der einen oder der andern der streitenden Parteien endigen. (Entscheidende Ausspruͤche sind bei jungen Leu- ten dem Wohlstande zuwider. Sie solten selten das Ansehen haben, als behaupteten sie etwas, und dabei allezeit mildernde Ausdruͤkke brauchen; als, “wenn es mir erlaubt ist, so zu sagen; ich “wuͤrde vielmehr glauben, wenn ich mich unter- “stehen darf, mich zu erklaͤren;„ Worte, welche die Art und Weise lindern, den Gruͤnden aber kei- neswegs Eintrag thun. Leute von mehr Alter und Erfahrung erwarten diesen Grad von Achtung, und sind dazu berechtigt.) Doch bin ich auch auf der andern Seite weit entfernt dir zuzumuthen, daß du allem, was du in in Geselschaft sagen hoͤrst, deinen Beifal gebest. Ein solcher Beifal wuͤrde niedertraͤchtig, und in einigen Faͤllen ein Verbrechen sein. Tadle also mit Nachsicht, und belehre mit Sanftmuth. Es ist unmoͤglich, daß ein Man von Verstande den Narren nicht verachte, und daß ein Man von Ehre den Schurken nicht verabscheue; aber so viel mußt du uͤber dich selbst erhalten, daß du weder das eine noch das andere in seinem vollen Maaße aͤußerst. Ich besorge, es sind ihrer zu viel, als daß mans mit ihnen aufnehmen koͤnte; ihre An- zahl macht, daß man sie fuͤrchten muß, obgleich man sie nie ehren kan. Sie haͤngen gewoͤhnlich an einander, weil sie einer des andern zu sehr beduͤrfen. Sei hoͤflich, aber zuruͤckhaltend gegen sie; thue uͤbrigens, als wenn sie gar nicht da waͤ- ren. Wage es nicht, einen Narren ablaufen zu lassen, wie seinwollende Wizlinge gemeiniglich thun, und stoß nicht den Schurken unnoͤthiger weise vor den Kopf; sondern habe lieber mit bei- den so wenig zu schaffen, als moͤglich, und denke immer daran, daß derjenige, welcher mit einem Schurken oder Narren Freundschaft macht, gewiß etwas etwas Boͤses im Sinne, oder gar schon veruͤbt hat und nun zu verstekken sucht. Ein junger Man, vornemlich bei seinem er- sten Eintrit in die Welt, wird gewoͤhnlich nach der Geselschaft beurtheilt, mit der er umgeht, und diese Art zu urtheilen ist voͤllig sicher. Denn wenn es gleich anfangs nicht ganz von ihm ab- haͤngt, zu den besten Geselschaften Zutrit zu fin- den, so hat er es doch ganz in seiner Gewalt, schlechte Geselschaft zu vermeiden. Vielleicht fragst du: welches sind die Merk- male der guten und der schlechten Geselschaft? und ich wil sie dir angeben, so gut ich kan, denn es ist aͤusserst wichtig fuͤr dich, sie unterscheiden zu koͤnnen. Gute Geselschaft besteht aus Leuten von einem gewissen Ansehen (ich meine nicht, aus Leuten von vornehmer Geburt), die dem groͤßten Theile nach, fuͤr Leute von Verstande und gesittetem Karakter gehalten werden, kurz aus Leuten, denen man algemein den Namen guter Geselschaft zugesteht. Es ist moͤglich, vielleicht gar wahrscheinlich, daß in in eine solche Geselschaft sich auch ein oder zwei Narren einschleichen oder ein paar Schurken sich eindraͤngen, die einen, um den Ruf von ein wenig Menschenverstand, die andern, um einen gemein- hin sogenanten ehrlichen Namen zu erhaschen. Indes vbi plura nitent, mußt du, wie Horaz, dich nicht an einige Flekken stoßen. (Verlaß dich uͤbrigens darauf, du wirst bis hinauf oder bis hinunter zu der Geselschaft steigen, mit der du umgehst! Nach dieser werden die Leute von dir urtheilen, und zwar nicht mit Unrecht. Das spanische Sprichwort hat seinen guten Grund: “sage mir, mit wem du umgehst, so wil ich dir sagen, wer du bist.„) (Es sei daher deine Sorge, wo du nur bist, in diejenige Geselschaft jedes Orts zu kommen, die jeder naͤchst seiner eignen fuͤr die beste haͤlt. Das ist die beste Erklaͤrung, die ich dir von der guten Geselschaft geben kan.) (Jedoch auch hier ist Behutsamkeit noͤthig, aus deren Ermangelung viele junge Leute selbst in guter Geselschaft ungluͤklich geworden sind. Sie besteht, wie ich bereits angemerkt habe, aus einer großen großen Mannigfaltigkeit von Weltleuten, deren Gemuͤthsarten und Grundsaͤze zwar verschieden sind; deren Sitten aber so ziemlich uͤberein- kommen. Trit ein junger Mensch, der in der Welt neu ist, zuerst in diese Geselschaft, so thut er ganz recht, wenn er den Entschluß faßt, sich in allem, was zu dem Aeußerlichen gehoͤrt, nach ihr zu richten, und sie nachzuahmen. Nun hat er aber oft den albernen Ausdruk, vornehme Laster und Modelaster , gehoͤrt. Er findet in jener Geselschaft Leute, welche schimmern, und durchgaͤngig bewundert und geschaͤzt werden; zu- gleich bemerkt er, daß diese Leute Hurenjaͤger, Trunkenbolde oder Spieler sind; daher nimt er ihre Laster an, haͤlt ihre Fehler irrig fuͤr Volkom- menheiten, und glaubt, sie haͤtten ihr modisches Bezeigen und ihren Schimmer solchen vornehmen Lastern zu danken.) (Allein gerade das Gegentheil! Diese Leute haben sich ihren Ruf durch ihre Geistesgaben, ihre Gelehrsamkeit, ihr gesittetes Wesen und andre wahre Volkommenheiten erworben; und werden durch solche vornehme, modische Laster in der der Meinung aller Vernuͤnftigen, und mit der Zeit auch in ihrer eignen, nur entehrt und ernie- drigt. Ein Hurenjaͤger beim Speichelflusse oder ohne Nase ist ja wohl eine recht artige, aller Nachahmung wuͤrdige Person! Ein Trunkenbold, der den am Tage hineingeschuͤtteten Wein Abends von sich speit, und den ganzen folgenden Tag hindurch von Kopfweh betaͤubt wird, ist ja wohl ein schoͤnes Muster zur Nachahmung! Ein Spie- ler, der sich das Haar ausrauft, Fluͤche und Got- teslaͤsterungen ausstoͤßt, weil er mehr verlohren hat, als er besizt; ist ja wohl eine recht liebens- wuͤrdige Person!) (Nein, das sind alles Zusaͤze, und zwar starke, die niemahls einen Karakter schmuͤkken koͤnnen, sondern allezeit den besten herabsezen werden. Zum Beweise davon nim an, es sei ein Mensch, der keine Geistesgaben oder andre gute Eigenschaften besizt, ein Hurenjaͤger, Trunkenbold oder Spieler. Wie werden ihn Leute von aller Art betrachten? — Als das veraͤchtlichste, lasterhafteste Thier. Es ist also offenbar, daß bei solchen vermischten Theophron 2. Th. C Karak- Karakteren der gute Theil blos macht, daß man den Boͤsen verzeiht, aber nicht billigt.) (Ich wil hoffen und glauben, daß du keine Laster an dir haben wirst. Soltest du aber zum Ungluͤkke einige an dir haben, so bitte ich dich wenigstens, mit den deinigen zufrieden zu sein, und nicht noch andrer Leute ihre dazu anzunehmen. Ich bin uͤberzeugt, die Annehmung fremder Laster hat zehnmahl mehr junge Leute ins Verderben gestuͤrzt, als natuͤrliche Neigungen.) (Da ich kein Bedenken trage, meine begangnen Fehler zu bekennen, wenn ich denke, daß dieses Bekentniß dir Nuzen bringen kan; so wil ich gestehen, daß ich bei meiner ersten Beziehung der hohen Schule trank und rauchte, ungeachtet ich eine Abneigung vor Wein und Tabak hatte, blos weil ich glaubte, das ließe vornehm, und wuͤrde machen, daß ich wie ein Mann aussaͤhe.) (Als ich auf Reisen ging, kam ich zuerst nach dem Haag , wo das Spiel stark Mode war, und wo ich viele Leute von großem Range und Ansehn spielen sah. Ich war damahls jung und einfaͤltig genug, zu glauben, das Spielen waͤre eine ihrer Volkom- Volkommenheiten. Da ich nun nach Volkom- menheiten trachtete, nahm ich das Spielen fuͤr einen nothwendigen Schrit dazu. Solchergestalt erwarb ich mir irriger Weise die Fertigkeit eines Lasters, das, weit entfernt, meine Gemuͤthsart zu schmuͤkken, ihr, wie ich mir bewußt bin, zu einem großen Schandflekke gereicht hat.) (So ahme denn mit Unterscheidung und Ur- theilskraft die wahren Volkommenheiten der guten Geselschaft nach, darin du kommen kanst! Lerne ihr ihr gesittetes Wesen, ihr Bezeigen, ihre Anrede, die ungezwungne, wohllassende Wendung ihrer Unterredung ab! Merke aber, so schimmernd sie auch sein mag, sind doch ihre Laster, wenn sie anders welche hat, eben so viele Flekken, die du eben so wenig nachahmen mußt, als du dir eine durch Kunst veranstaltete Warze auf das Gesicht sezen wuͤrdest, darum weil ein schoͤn gebildeter Mensch so ungluͤklich waͤre, eine natuͤrliche auf dem seinigen zu haben. Denke vielmehr, wie viel schoͤner er ohne sie gewesen sein wuͤrde!) (Nachdem ich solchergestalt einige meiner Ver- gehungen gestanden habe, wil ich dir nun auch C 2 ein ein wenig von meiner guten Seite zeigen: Wo ich nur war, da bemuͤhte ich mich stets, in die beste Geselschaft zu kommen; und es gluͤkte mir insgemein. Darin gefiel ich einigermaßen, in- dem ich ein Verlangen zu gefallen zeigte. Ich trug Sorge, niemahls zerstreut zu sein, sondern gab vielmehr auf alles Achtung, was in der Ge- selschaft gesagt, gethan oder auch nur gesehen wurde. Ich ließ es auch nie an der kleinsten Hoͤf- lichkeit fehlen, und war niemahls wetterwendisch. Diese Dinge, nicht aber meine Vergehungen, machten mich beliebt.) Schlechte Geselschaft ist die, der nicht jeder- man den Namen der guten zugestehen kan: aber es gibt auch hier, so wie bei der guten, verschiedene Grade; und es ist unmoͤglich zu vermeiden, daß du im taͤglichen Leben nicht dan und wan in schlechte Geselschaft gerathen soltest; aber reiß dich los von ihr, so bald und so gut du kanst. Einige solche Klubs sind so verderblich und so schaͤndlich, daß nach einem zweimaligen Besuch derselben du schon am Verstande und Herzen un- fehlbar fehlbar verlezt sein wuͤrdest. Dahin gehoͤren die Zusammenkuͤnfte der Zaͤnker, Schlaͤger, falschen Spieler, Betruͤger und der Niedertraͤchtigen, die im Weine und mit dem andern Geschlechte aus- schweifen, der Geselschaft der Narren nicht zu gedenken. Huͤte dich aber auch im Gegentheil, gegen dis Gesindel zu deklamiren und zu predigen, wie ein Kapuziner, so lange du jung bist. Das jugendliche Alter hat noch nicht den Beruf des Reformators der Moralitaͤt und der Sitten. Er- halte deine eignen Sitten rein und unbeflekt, und uͤberlaß Leute dieses Gelichters dem gerechten Un- willen oder der Verachtung der Guten. Es gibt eine dritte Art von Geselschaft, welche, wenn gleich nicht so schaͤndlich, doch unter der Wuͤrde eines verstaͤndigen Mannes ist, ich meine nemlich die Geselschaft gemeiner Leute. Junge Leute von Stande und Geburt verfallen bei ihrem ersten Eintrit in die Welt aus einer gewissen Schuͤch- ternheit, unzeitigen Scham und Traͤgheit, die schwer abzulegen ist, leicht dahin, solche Gesel- schaften zu lieben. Wenn du nur ein Jahr lang dahineingeraͤthst, so wirst du dich nimmer daraus C 3 empor- emporheben koͤnnen, wirst immer so unbekant und unbedeutend bleiben, als sie selbst sind. Eitelkeit ist gleichfals eine große Versuchung, sich zu solchen Geselschaften zu halten; denn der Man von Stande ist sicher, daß er die erste Person in der Geselschaft ist, und daß er bewun- dert und geschmeichelt wird, obgleich er vielleicht der groͤßte Narr darin ist. Glaube aber nicht, ich meine, wenn ich von gemeinen Leuten rede, Leute von niedriger Geburt; denn Geburt achte ich fuͤr gar nichts, und ich hoffe, du denkst hierin, wie ich: sondern ich meine mit diesem Ausdruk unbekante, unbedeutende Leute, ungekant und un- gesehn von dem feinern Theile der Welt, Leute, die durch kein Verdienst oder Talent sich auszeichnen, als durch das, den ganzen Abend hindurch beim Kruge zu sizen; denn Trinken ist gemeiniglich die ganze thoͤrigte und unanstaͤndige Beschaͤftigung solcher Leute. Noch gibt es eine andere Art von Geselschaf- ten, die ich dir uͤberhaupt zu vermeiden rathe, ob es gleich unschaͤdlich sein mag, sie dan und wan einmahl zu sehen; ich meine die Geselschaft der Possen- Possenreisser, Wizlinge, Harlekins, Nachaͤffer und lustigen Bruͤder, welche alle gemeiniglich die seichtesten Koͤpfe von der Welt sind. Wenn du einmahl aus bloßer Neugierde in solch eine Gesel- schaft gehst, so kom nicht als ein strenger Philo- soph mit der Mine der Verachtung fuͤr ihre unedle Lustigkeit hinein, sondern begnuͤge dich damit, eine der geringern Rollen unter ihnen zu spielen. Werde mit keiner unter den spielenden Personen vertraut; denn das wuͤrde sie zu Anspruͤchen auf dich berechtigen, die du mit guter Art weder be- friedigen, noch abweisen kanst. Nenne keinen von ihnen bei ihren Vornamen: Hans, Franz u. s. w. sondern sei hoͤflich gegen sie, und rufe ein wenig mehr Zeremonie zu Huͤlfe als mit deines Gleichen; dis ist das einzige wirksame Mittel, solche vor- wizige und muthwillige Burschen in gehoͤriger Entfernung zu erhalten. Schlechte Geselschaft ist leichter beschrieben, als gute; denn alles schlechte ist jederman beim ersten Anblik auffallend, und wer wird jemahls Narheit, Schurkerei, Zuͤgellosigkeit mit Wiz, C 4 Ehre Ehre und Wohlanstaͤndigkeit verwechseln! In der guten Geselschaft gibt es gleichfals Grade, von der blos guten bis zur besten; blos gut heißt noch nicht eben lobenswuͤrdig, sondern nur, wo- wider sich nichts einwenden laͤßt. Strebe nach der besten; aber welches ist die beste? Ich halte dafuͤr, es ist eine solche Geselschaft von Mansper- sonen oder Frauenzimmern, oder auch von beiden zugleich, wo gebildete feine Sitten und Wohlan- staͤndigkeit mit einem hohen Grade von Recht- schaffenheit verbunden sind. Gesittete Frauenzimmer gehoͤren unter die noth- wendigen Ingredienzen guter Geselschaft. Die Auf- merksamkeit, welche man ihnen bezeigt, (ein Tribut, den jeder wohlerzogne Man ihnen gern bezahlt,) dient dazu, den Ton der Wohlanstaͤndigkeit zu unterhalten, und macht die gute Lebensart zur Ge- wohnheit; dahingegen Maͤnner, welche unter sich in Geselschaften, ungemildert von dem sanfteren Geschlechte leben, leicht sorglos, nachlaͤssig und rauh gegen einander werden. In Geselschaft ist der Man, er sei, wer er wolle, dem Frauenzim- mer untergeordnet; er darf sich ihm nicht anders, als als mit Ehrerbietung naͤhern. Eine solche ehrer- bietige Aufmerksamkeit gegen das andre Geschlecht, welche weder unter der Wuͤrde des unsrigen ist, noch irgend einem schadet, ist zu unserm guten Fortkommen in der Welt unentbehrlich. Denn jeder junge Man erhaͤlt, bei seinem Eintrit in die Welt, das Gepraͤge seines Werths fuͤr die Gesel- schaft von dem Frauenzimmer. Suche sie also mit der sorgfaͤltigsten Aufmerksamkeit, und mit der feinsten Hoͤflichkeit zu deinem Vortheil einzu- nehmen. Ich habe oft genug erlebt, daß ihr Ausspruch eine Muͤnze von schlechtem Gehalt guͤltig und gangbar machte; welchen Glanz wird nun nicht aͤchtes Schroot und Korn dadurch er- halten! Frauenzimmer, (obschon man ihnen sonst Verstand beilegt) haben alle, mehr oder weniger, Schwaͤche, Eigensin, Grillen, Launen, und vor- nemlich Eitelkeit: gib ihnen nach, so viel du ohne Niedertraͤchtigkeit oder Verlezung irgend einer deiner Pflichten kanst, und opfere deine eignen kleinen Launen den ihrigen auf. Junge Leute unsers Geschlechts verfallen leicht dahin, ihr Mißfallen, wo nicht gar Abscheu C 5 und und Verachtung fuͤr alte und haͤßliche Frauens- personen merken zu lassen; das ist aber ungerecht und unverstaͤndig zugleich. Denn wir sind dem ganzen Geschlechte ohne Ausnahme ehrerbietige Hoͤflichkeit schuldig; und wie koͤnten Mangel an Schoͤnheit und Jugend jemahls eine gerechte Ur- sache zur Verachtung sein? Laß es uͤberhaupt eine bestaͤndige Regel sein, niemahls die Verach- tung merken zu lassen, die du oft und mit Recht gegen ein menschliches Wesen empfinden wirst; denn das vergibt man dir nimmer. Jede Beleidigung wird eher verziehen, als Spot und Verachtung. (Uebrigens muß man mit Frauenzimmern als mit Leuten reden, die unter den Manspersonen, aber uͤber den Kindern sind. Sprichst du zu ihnen zu tiefsinnig, so machst du sie nur verwirt, und verlierst deine Muͤhe; sprichst du zu ihnen zu taͤndelhaft, so werden sie die Verachtung inne, und entruͤsten sich daruͤber. Der eigentliche Ton gegen sie ist der, den die Franzosen entregent nennen, und der ist auch wirklich die hoͤfliche Sprache guter Geselschaft.) (Laß (Laß mich dir jezt die vorzuͤglichsten Regeln bekant machen, nach denen du dein geselschaftli- ches Betragen einrichten mußt, wenn du Beifal und Wohlwollen zu erwerben wuͤnschest.) (Nim zuvoͤrderst alle Munterkeit und Lustig- keit, aber so wenig Unbesonnenheit der Jugend, als du kanst, mit dir in die Geselschaften! Die erstern werden bezaubern; die leztere wird oft, wiewohl unschuldiger Weise, unversoͤhnlich belei- digen. Forsche nach der Geselschaft Gemuͤths- arten und Umstaͤnden, noch ehe du dem Raum gibst, was deine Einbildungskraft dich antreiben kan zu sagen! In allen Geselschaften gibt es mehr verkehrte, als richtige Koͤpfe, und viel mehrere, die Tadel verdienen, als solcher, welche ihn ertra- gen koͤnnen. Soltest du daher weitlaͤuftig zum Lobe irgend einer Tugend reden, an der es eini- gen in der Geselschaft offenbar fehlte, oder wider irgend ein Laster eifern, mit dem andre offenbar behaftet waͤren: so werden deine Betrachtungen, wenn sie gleich algemein und ohne alle Anwendung vorgebracht worden sind, dennoch, weil sie sich leicht leicht anwenden lassen, fuͤr persoͤnliche und auf solche Leute abgezielte gehalten werden.) (Bei dieser Anmerkung kan ich nicht umhin, dich zu erinnern, daß du auch selbst nicht argwoͤh- nisch und aͤrgerlich sein, noch annehmen darfst, als waͤren manche Reden auf dich abgesehen, darum, weil sie es sein koͤnnen. Die Sitten wohlerzog- ner Leute stellen den, der sie sich zu eigen gemacht hat, vor solchen seitwaͤrts gethanen niedrigen An- griffen sicher. Wenn aber zufalsweise eine ge- schwaͤzige Frauensperson, oder ein unverschaͤmter Gek sich etwas dieser Art verlauten laͤßt: so ist es besser, sich zu stellen, als merkte man es nicht, als darauf zu antworten.) (Huͤte dich sorgfaͤltig, von deinen oder Anderer haͤuslichen Angelegenheiten zu reden. Die deini- gen gehen andere nichts an, und sind ihnen lang- weilig; die ihrigen gehen dich nichts an. Die Materie ist verfaͤnglich; denn es laͤßt sich wetten, daß du den einen oder den andern an seinem schmerzhaften Orte treffen wirst. In diesem Falle darf man dem guten Scheine nicht trauen, wel- cher cher dem wahren Verhaͤltniß zwischen Maͤnnern und Weibern, Aeltern und Kindern, einem Freunde und dem andern, insgemein sehr zuwider ist, daß man bei der besten Absicht von der Welt oft unan- genehme Fehler begeht.) (Merke, daß in den meisten vermischten Ge- selschaften Wiz, Laune und Scherz blos an den Ort gebunden sind! Sie kommen auf dem und jenem Boden fort, lassen sich aber nicht leicht verpflanzen. Jede Geselschaft ist in besondern Umstaͤnden, und hat ihre besondre Sprache. Das kan in derselben Anlaß zu Wiz und Lustigkeit ge- ben, wuͤrde aber in jeder andern mat und un- schmakhaft scheinen, und laͤßt sich daher nicht wie- derholen. Nichts macht, daß man einfaͤltiger aussieht, als eine von der Geselschaft nicht ver- standene oder nicht gebilligte Scherzrede. Findet man nun tiefes Stilschweigen, indem man alge- meinen Beifal erwartet, oder was noch aͤrger ist, wird man ersucht, das Wizige seiner Reden zu erklaͤren: so laͤßt sich der ungeschikte, verlegne Zustand, Zustand, worin man sich alsdan befindet, eher denken, als beschreiben.) (Doch auf das Wiederholen zu kommen! Huͤte dich sehr, das, was du in der einen Geselschaft gehoͤrt hast, (ich meine hier nicht die bloßen Scherzreden) in einer andern zu wiederholen! Dinge, die dem Ansehen nach gleichguͤltig sind, koͤnnen, wenn sie weiter kommen, viel wichtigere Folgen haben, als du denken soltest. Zudem gibt es in der Geselschaft ein algemeines, stilschweigend angenommenes, Vertrauen, kraft dessen jeder gehalten ist, nichts aus derselben auszuplaudern, wenn ihm gleich nicht ausdruͤklich Verschwiegen- heit anbefohlen wird. Ein Ausplauderer dieser Art wird sich ganz sicher in tausend Zaͤnkereien und abgenoͤthigte Erklaͤrungen verwikkeln, und wohin er nur koͤmt, da wird man ihn schuͤchtern und unlustig aufnehmen.) (Du wirst in den meisten guten Geselschaften Leute finden, die ihren Plaz durch ein sehr ver- aͤchtliches Recht behaupten. Wir nennen einen solchen eine gute Haut , die Franzosen nennen ihn un un bon diable . Die wahre Beschaffenheit ist, daß es Leute ohne Geistesgaben und Einbildungs- kraft sind, die keinen eigenen Willen haben, und daher bereit sind, alles was in der Geselschaft gesagt und gethan wird, gutzuheißen oder ihm beizutreten, mit gleicher Munterkeit den tugend- haftesten oder lasterhaftesten, weisesten oder ein- faͤltigsten Entwurf anzunehmen, der nur von dem groͤßern Theile der Geselschaft in Anschlag gebracht wird. Diese thoͤrichte, oft lasterhafte, Gefaͤllig- keit ruͤhrt blos vom Mangel eigener Verdien- ste her.) (Ich hoffe, du wirst deinen Plaz in der Ge- selschaft aus einem edlern Grunde, und zwar (du kanst doch hoffentlich ein Wortspiel ertragen) mit dem Kopfe behaupten. Habe deinen eigenen Willen und deine eigene Meinung, und bleibe standhaft dabei, aber mit aufgeraͤumtem Wesen, mit Wohlanstaͤndigkeit und Hoͤflichkeit! Denn du bist izt noch nicht alt genug, um vorpredigen oder tadeln zu duͤrfen.) (Alle andre Arten von Gefaͤlligkeit sind in guter Geselschaft nicht nur untadelhaft, sondern auch auch nothwendig. Sich das Ansehen zu geben, als naͤhme man die kleinen Schwachheiten, Fehler und Laͤcherlichkeiten der Geselschaft gar nicht wahr, das ist nicht nur erlaubt, sondern auch gewisser maßen eine Pflicht der Hoͤflichkeit. Thust du es, so wird man mit dir zufrieden sein; thust du es nicht, so wird man sich gewiß von dir nicht bessern lassen.) (Du wirst in jeder Gruppe von Geselschaft zwo Hauptfiguren finden, das artige Frauenzim- mer und den artigen Herrn, die schlechterdings, in Ansehung des Wizes, der Sprache, der Mode, des Geschmaks, derselben Geselschaft Geseze vor- schreiben. Bei einem maͤßigen Antheile an Scharf- sin wirst du, noch ehe du eine halbe Stunde in der Geselschaft gewesen bist, diese beiden Haupt- figuren leicht entdekken; sowohl aus der Ehrfurcht, die du der ganzen Geselschaft ihnen erweisen siehest, als auch aus der ungezwungenen, sorglosen, hei- tern Miene, die ihnen das Bewußtsein ihrer Macht gibt. In diesem Falle, so wie in jedem andern, ziele allezeit auf das hoͤchste; wende dich an diese Haupt- Hauptpersonen, gleich bemuͤht, ihnen zu gefallen, und von ihnen zu lernen. Das Aufsuchen des nicht zu erhaltenden philosophischen Steins hat tausend nuͤzliche Entdekkungen veranlaßt, die aus- serdem niemahls waͤren gemacht worden.) (Was die Franzosen mit Recht edle Sitten nennen, das laͤßt sich blos in den allerbesten Ge- selschaften erlangen. Sie sind die unterscheiden- den Kenzeichen volkommener Weltleute. Die von niedriger Erziehung nehmen sie niemahls in einem solchen Grade an, daß nicht ein oder der andre Theil des urspruͤnglichen Poͤbelhaften durchschim- mern solte. Edle Sitten verbieten eben so sehr uͤbermuͤthige Verachtung, als niedrige Eifersucht.) (Schlechterzogene Leute in guten Umstaͤnden, schoͤnen Kleidern und Kutschen, aͤussern uͤbermuͤ- thige Verachtung gegen alle, die sich nicht eben so schoͤne Kleider und Kutschen anschaffen koͤnnen, und nicht, wie sie sich ausdruͤkken, so viel Geld in der Tasche haben. Auf der andern Seite nagt sie der Neid. Sie koͤnnen sich nicht enthalten, ihn gegen diejenigen blikken zu lassen, von denen Theophron 2. Th. D sie sie in irgend einem dieser Stuͤkke uͤbertroffen wer- den, die doch bei weitem keine sichere Kenzeichen des Verdienstes sind. Ferner besorgen sie, man moͤgte sie verachten; daher sind sie uͤberaus arg- woͤhnisch und aͤrgerlich. Sie sind begierig und hizig in Kleinigkeiten; darum, weil Kleinigkeiten anfangs ihre wichtigen Angelegenheiten waren. Edle Sitten enthalten in sich gerade das Wider- spiel von allem diesem. Erlerne sie fruͤhzeitig! Du kanst dir sie nicht zu sehr gelaͤufig und zur Fertigkeit machen.) (Ich sage nichts von dem Tragen und der Geschiklichkeit des Leibes, sondern uͤberlasse das der Sorge deines Tanzmeisters und deiner eignen Aufmerksamkeit auf die besten Muster. Merke dir jedoch, daß es Dinge von Wichtigkeit sind.) (Rede oft; niemahls aber lange! Gefaͤlst du in solchem Falle nicht, so bist du wenigstens sicher, daß du deine Zuhoͤrer nicht ermuͤdest. Be- zahle deine eigne Rechnung, bewirthe aber nicht die ganze Geselschaft! Das Leztere geziemet sich nur in hoͤchst seltenen Faͤllen, weil in den meisten andern andern die Leute nicht bewirthet sein wollen, son- dern jeder voͤllig uͤberzeugt ist, daß er selbst be- zahlen kan.) (Geschichte erzaͤhle selten, und schlechterdings niemahls, als wenn sie uͤberaus artig und sehr kurz sind. Jeden unerheblichen Umstand laß weg, und huͤte dich vor Ausschweifungen! Seine Zu- flucht oft zu Erzaͤhlungen nehmen, das verraͤth einen großen Mangel an Einbildungskraft.) (Fasse niemanden beim Knopfe oder bei der Hand, damit er dich aushoͤren sol! Denn sind die Leute nicht willig, dich zu hoͤren, so mußt du lieber deine Zunge halten, als sie. Die meisten großen Schwaͤzer suchen sich irgend einen ungluͤk- lichen Man in der Geselschaft, (insgemein den, von dem sie merken, daß er am stilsten ist) oder den naͤchsten Nachbar aus, dem sie ins Ohr reden, oder wenigstens leise ein bestaͤndiges Geschwaͤze zufluͤstern koͤnnen. Das ist nun uͤberaus unge- zogen, und gewissermaaßen ein Betrug; denn die Unterredung ist ein der ganzen Geselschaft ge- meinschaftliches Gut.) D 2 (Auf (Auf der andern Seite aber, wenn solche un- barmherzige Schwaͤzer dich ergreifen, hoͤre sie mit Geduld, und wenigstens anscheinender Aufmerk- samkeit aus, wenn es Leute sind, die verdienen, daß man sie sich verbindlich macht. Nichts aber wird sie mehr verbinden, als geduldiges Zuhoͤren; so wie dagegen nichts sie mehr verdrießen wuͤrde, als wenn man sie entweder mitten in ihren Reden sizen ließe, oder seine Ungeduld uͤber die Plage aͤußerte, die man aussteht. Nim vielmehr den Ton deiner Geselschaft an, als daß du ihn ange- ben soltest! Hast du Geistesgaben, so wirst du sie bei jeder Materie mehr oder weniger zeigen. Hast du keine, so thust du besser, du redest ganz ein- faͤltig von andrer Leute Materien, als daß du selbst welche aufbringen soltest.) (Vor allen Dingen, und bei allen Gelegen- heiten, huͤte dich, wo moͤglich, von dir selbst zu reden! Unsrer Herzen natuͤrliche Hoffart und Ei- telkeit ist so groß, daß sie bei aller Gelegenheit, selbst bei Leuten von dem besten Karakter, unter allen allen den mancherlei Gestalten der Eigenliebe, ausbricht.) (Bist du aber genoͤthigt, historisch etwas von dir zu erwaͤhnen, so huͤte dich, daß du dir kein Wort entfallen lassest, das mittelbar oder unmittelbar so ausgelegt werden kan, als gingest du auf Bei- fal aus! Deine Gemuͤthsart sei welche sie wolle, so wird sie bekant werden, aber niemand wird sie auf dein Wort annehmen. Bilde dir nicht ein, daß alles, was du selbst sagen kanst, deine Fehler uͤberfirnissen, oder deinen Volkommenheiten Glanz zusezen werde! Vielmehr kan und wird es neun mahl unter zehn die erstern mehr hervorstechen lassen, und die leztern verdunkeln.) (Schweigst du von dir selbst, so wird weder Misgunst, noch Unwillen, noch Spot den Bei- fal, den du wirklich verdienst, hindern oder ver- ringern. Haͤltst du dir aber deine eigne Lobrede, bei welcher Gelegenheit, unter welcher Gestalt, und so schlau verdekt es auch sein mag: so werden alle sich wider dich vereinigen, und der nemliche Endzwek, nach dem du strebst, wird dir fehl schlagen.) D 3 (Sorge (Sorge dafuͤr, niemahls ein finsteres, geheim- nisvolles Ansehen zu haben! Das ist nicht nur eine wenig liebenswuͤrdige, sondern auch verdaͤch- tige, Gemuͤthsart. Komst du andern geheim- nißvol vor, so werden sie es wirklich gegen dich sein, und du wirst nichts erfahren. Die groͤßte Geschiklichkeit ist, ein offnes, freimuͤthiges An- sehen bei einer klugen Zuruͤkhaltung zu haben; versteht sich, wenn man sich unter Leuten be- findet, bei denen Zuruͤkhaltung noͤthig ist.) (Sieh allezeit den Leuten, mit denen du redest, in das Angesicht! Thut man das nicht, so bilden sie sich ein, es zeige ein boͤses Gewissen an. Zu- gleich verlierst du dabei den Vortheil, auf ihrem Gesichte zu bemerken, welchen Eindruk deine Rede auf sie macht. Um der Leute wahre Gesinnungen zu erfahren, traue ich vielmehr meinen Augen als meinen Ohren. Denn sie koͤnnen sagen, was sie wollen, das ich hoͤren sol; koͤnnen aber selten ver- meiden, das durch ihre Mienen zu verrathen, was ich, ihrer Meinung nach, nicht wissen sol.) Mit (Mit Willen nim keine aͤrgerliche Geschichte an, noch breite sie weiter aus! Denn obschon andrer Verunglimpfung auf einen Augenblik den boshaften Stolz unsrer Herzen befriedigen kan, so wird doch kaltbluͤtige Betrachtung aus einem sol- chen Betragen sehr nachtheilige Folgerungen zie- hen; und im Falle der Verlaͤumdung sowohl als im Falle des Raubs wird der Hehler allezeit fuͤr so schlim gehalten, als der Stehler.) (Ich darf dich, duͤnkt mich, nicht erst ermah- nen, deine Unterredung nach denen Leuten einzu- richten, mit denen du umgehst. Denn ich ver- muthe, du wuͤrdest, auch ohne diese Warnung, nicht von der nemlichen Materie und auf die nemliche Art gegen einen Staatsminister, einen Bischof, einen Philosophen, einen Hauptman und ein Frauenzimmer reden. Ein Weltman muß, wie das Kamaͤleon, im Stande sein, jede verschiedne Farbe anzunehmen. Das ist keines- wegs eine lasterhafte oder niedertraͤgtige, sondern nothwendige Gefaͤlligkeit; denn sie bezieht sich blos auf das Bezeigen, nicht auf die Grundsaͤze.) D 4 (Nur (Nur noch ein Wort wil ich vom Schwoͤren sagen; das ist aber, wie ich hoffe und glaube, mehr, als noͤthig ist. Du wirst zuweilen in gu- ter Geselschaft Leute ihre Reden, zur Verschoͤne- rung, wie sie glauben, mit Schwuͤren durchspikken sehen. Aber du mußt auch anmerken, daß, die das thun, niemahls solche sind, die in einigem Grade dazu beitragen, dieser Geselschaft die Be- nennung einer guten zu verdienen. Es sind alle- zeit geringere Leute, oder von schlechter Erziehung. Denn diese Gewohnheit, außerdem daß man keine Versuchung zu derselben anzufuͤhren hat, ist eben so einfaͤltig und unedel, als gotlos. Genug hievon!) Wenn du nicht so viel Gewalt uͤber dich hast, deine Launen zu unterdruͤkken, (doch ich hoffe, du wirst diese Gewalt haben, und jedes vernuͤnf- tige Geschoͤpf kan sie haben,) so gehe wenigstens nie in Geselschaft, so lange der Paroxismus einer uͤblen Laune waͤhrt. Stat, daß in solchen Au- genblikken eine Geselschaft dich vergnuͤgen solte, wirst du ihr mißfallen, wirst ihr anstoͤssig wer- den, und nie so gute Freunde darin zuruͤklassen, als als du fandest. So oft du also an dir selbst merkst, daß du auf dem Wege bist, muͤrrisch, widersprechend und starkoͤpfig zu werden, so versuche ja nicht, dich ausser deinen vier Waͤnden davon zu heilen: denn das wuͤrde vergeblich sein. Bleib zu Hause, laß deine boͤse Laune ausgaͤhren und sich durcharbeiten. Froͤhlichkeit und gute Laune sind unter allen Eigenschaften eines guten Gesel- schafters die beliebtesten; denn, ob sie gleich nicht immer Gutmuͤthigkeit und feine Lebensart zu Ge- faͤhrten haben, so reichen sie doch hin, die Rolle der leztern recht gut zu spielen, und das ist alles, was in vermischter Geselschaft verlangt wird. Mit dieser Froͤhlichkeit und guten Laune meine ich aber nicht etwa die laͤrmende Lustigkeit und das schallende Gelaͤchter, woran man allemahl den Poͤbel und schlecht erzogne Leute sicher erkent; denn die Froͤhlichkeit dieser Art Menschen gleicht einem Sturm. Merke dir, mein Lieber, der Poͤbel lacht oft uͤberlaut, laͤchelt aber niemahls, indes wohl- erzogne Leute oft laͤcheln, aber seltener aus vollen Bakken lachen. Ein wiziger Einfal erregt nie uͤber- lautes Lachen; er gefaͤlt der Sele, aber er verzert D 5 keine keine Gesichtsmuskel. Eine auffallende Unge- reimtheit, eine handgreifliche Unbesonnenheit, ein drollichter Fehler im Sprechen und dergleichen Dinge mehr, die man gewoͤhnlich komisch nent, koͤnnen unter wohlerzognen Leuten wohl ein La- chen, aber nie ein uͤberlautes oder anhaltendes Gelaͤchter erwekken. (Man sagt mir, du haͤttest viel Lebhaftig- keit. Diese wird dich nicht hindern, in guter Geselschaft zu gefallen, sondern vielmehr dir dazu nuͤzlich sein, wenn sie durch Wohlanstaͤn- digkeit gemaͤßigt, und von Annehmlichkeiten begleitet wird. Aber ich nehme auch an, daß es eine Lebhaftigkeit des Geistes sein sol, nicht eine aus der Leibesbeschaffenheit herruͤhrende Un- ruhe. Die allerunannehmlichste Verbindung, die ich nur kenne, ist die von starken Lebensgeistern mit einem frostigen Verstande. Ein solcher Kerl ist auf eine beschwerliche Art thaͤtig, auf eine nichtswuͤrdige Art geschaͤftig, auf eine thoͤrigte Art lebhaft. Er schwazt viel, und denkt wenig; lacht desto mehr, je weniger er Ursache hat. Hinge- Hingegen ist, meiner Meinung nach, ein muntrer, lebhafter Geist bei einer kaltbluͤtigen Leibesbeschaf- fenheit das Volkommenste in der menschlichen Natur.) Man hat den Jachzorn eine voruͤbergehende Raserei genant: eine Raserei ist er in der That; aber die Anfaͤlle davon kommen bei jachzornigen Leuten so oft wieder, daß man ihn eine fortwaͤh- rende Raserei nennen koͤnte. Soltest du etwa, welches Gott verhuͤten wolle, einen ungluͤklichen Hang dazu bei dir wahrnehmen: so laß es dein bestaͤndiges Bestreben sein, ihn zu unterdruͤkken oder wenigstens zu schwaͤchen. Merkst du, daß dein Zorn aufbrausen wil, so sprich nicht mit der Person, die ihn erregt, und antworte ihr nicht, sondern warte, bis du fuͤhlst, daß der Zorn sich legt, und dan sprich mit Bedacht. Ich habe viel Leute gekant, welche eben durch die Schnel- ligkeit ihrer Zunge unwilkuͤhrlich in Affekt hinge- rissen wurden. Ich wil dir ein kleines, vielleicht in deinen Augen laͤcherliches Mittel, den Ausbruch der Leidenschaft zuruͤkzuhalten, angeben, wovon ich mich mich selbst erinnere, den Nuzen erfahren zu haben. Thue alles, was du thust, im Takte der Menuet; rede, denke, bewege dich immer in diesem Zeit- maaß, gleichentfernt von dem traͤge fortschlei- chenden und dem uͤbereiltgeschwinden Takte. Bei dieser Bewegung wirst du immer einige Augen- blikke gewinnen, vorauszudenken, und die Gra- zien werden begleiten koͤnnen, was du sagst oder thust; denn diese Goͤttinnen werden nie weder laufend, noch kriechend vorgestelt. Bemerke ein- mahl einen Menschen im Augenblik der Leiden- schaft; siehe an seine funkelnden Augen, sein gluͤ- hendes Gesicht, seine zitternden Glieder, seine von Wuth stammelnde Zunge, und dan frage dich ganz kaltbluͤtig: ob du um irgend einen Preis solch eine Bestie in menschlicher Gestalt sein moͤgtest? Solche Geschoͤpfe sind gehaßt und gefuͤrchtet in allen Geselschaften, wo sie frei herumlaufen; niemand befaßt sich mit ihnen, weil niemand in die verdrießliche Nothwendigkeit gesezt sein mag, entweder ihnen den Hals zu brechen, oder sich von ihnen den Hals brechen zu lassen. Bemuͤhe dich dagegen, dir uͤberal eine ruhige, ruhige, kaltbluͤtige Festigkeit eigen zu machen; die Vortheile davon sind unzaͤhlbar, und es wuͤrde zu weitlaͤuftig sein, sie dir vorzurechnen. Durch Sorgfalt und Ueberlegung kan man sich zu dieser gluͤklichen Fassung gewoͤhnen; koͤnte man das nicht, so waͤre wahrlich die Vernunft, welche den Menschen vom Thiere unterscheidet, uns ohne Zwek gegeben. Auch kan das einen Beweis hievon abgeben: ich habe nie einen Quaͤker in Affekt gesehen, und ich besinne mich kaum, von einem gehoͤrt zu haben. In Wahr- heit, es herscht in dieser Sekte eine so genaue Beobachtung des Wohlstandes und eine so lie- benswuͤrdige Einfalt, als ich noch bei keiner an- dern gefunden habe. (Wer sich nicht selbst genug in seiner Gewalt hat, um unangenehme Dinge ohne sichtbare Merk- male des Zorns oder Veraͤnderung der Miene, ingleichen angenehme ohne ploͤzliche Ausbruͤche der Freude und Aufheiterung des Gesichts anzu- hoͤren, der steht in der Gewalt jedes listigen Betruͤgers oder unverschaͤmten Gekken. Der erste wird ihn mit Absicht reizen, oder ihm schmei- cheln, cheln, um behutsame Worte oder Blikke auf;u- haschen, wodurch er leicht die Geheimnisse seines Herzens entdekken wird, woruͤber man den Schluͤs- sel selbst behalten, und keinem andern anvertrauen solte. Der leztere wird durch sein ungereimtes Wesen ohne Absicht die nemlichen Entdekkungen veranlassen, die sich andre Leute zu Nuze machen werden.) Ich kan nicht umhin, dir einmahl uͤber das andere den Rath eines der weisesten Alten aufs ernstlichste zu empfehlen, nemlich diesen: den Grazien taͤglich mit großer Verehrung zu opfern. Du wirst leicht einsehen, was er damit sagen wolte. Wenn sie uns guͤnstig sind, so kleiden sie alles in gefaͤlligen Schmuk, und gewinnen alle Herzen fuͤr uns. Aber haͤngt es von uns ab, uns ihre Gunst zu erwerben? Ja, mein Lieber, wenigstens bis auf einen gewissen Grad, und zwar durch Aufmerksamkeit und sorgfaͤltige Beob- achtung unsrer selbst, und durch taͤgliches Stu- dium der Kunst, sich gefaͤllig zu machen. Es Es gibt Grazien der Seele, so wie des Koͤr- pers; die erstern geben dem Gedanken und dem Ausdruk, die leztern den Bewegungen, Stel- lungen und der ganzen Art sich zu zeigen eine gefaͤllige Gestalt. Es hat sie vielleicht nie ein Mensch alle auf einmahl besessen; ein solcher wuͤrde zu gluͤklich sein. Wenn du aber auf die einnehmenden und gefaͤlligen Manieren, die dir an andern am meisten gefallen, sorgfaͤltig merkst, so wirst du leicht den Schluß machen, was an- dern an dir gefallen koͤnne; du wirst den groͤßten Theil dieser Goͤttinnen auf deine Seite bringen, wirst dich der Mehrheit der Stimmen versichern, und fuͤr einen liebenswuͤrdigen jungen Man er- klaͤrt werden. Es gibt Leute, welche Moliere’s Prezieuse sehr richtig, obgleich sehr affektirt, die Antipoden der Grazien nent; wenn die Natur diese ungluͤklichen Leute mißfaͤllig, plump und widrig gebildet hat, so muß man Mitleid mit ihnen haben, und nicht sie tadeln oder gar be- lachen. Aber die Natur hat wirklich wenig Menschen so sehr enterbt. (Man (Man kan sich die verschiedentliche Wirkung der nemlichen gethanen oder gesagten Dinge, nachdem als sie mit oder ohne Grazien, oder aͤusserliche Annehmlichkeiten sind, nicht genug vor- stellen. Sie bahnen den Weg zum Herzen. Nun hat aber das Herz so starken Einfluß auf den Verstand, daß es gar wohl der Muͤhe werth ist, es auf unsre Seite zu bringen. Die saͤmtliche Frauenzimmerwelt wird fast durch nichts anders geleitet; es hat auch bei Maͤnnern, und selbst den geschiktesten, so viel zu sagen, daß es in jedem Streite mit dem Verstande insgemein den Sieg davon traͤgt. Herr von Rochefoucault sagt in seinen Sittenspruͤchen, “der Verstand wird oft „vom Herzen zum besten gehabt.„ Haͤtt’ er anstat oft , gesagt, fast allezeit ; so waͤr’ er der Wahrheit naͤher gekommen.) (Innerliches Verdienst allein wird es nicht ausmachen. Es gewint dir zwar die algemeine Hochachtung aller, nicht aber die besondre Nei- gung, das ist, das Herz eines einzigen.) (Um die Neigung einer besondern Person zu gewinnen, mußt du, außer und nebst deinem algemei- algemeinen Verdienste, noch ein besonderes um dieselbe Person haben, durch angebotene oder ge- leistete Dienste, durch Ausdruͤkke der Achtung und Hochschaͤzung, durch Gefaͤlligkeit und Auf- merksamkeit fuͤr sie, u. s. w. Die annehmliche Art, alle diese Dinge zu thun, bahnt ihnen den Weg zum Herzen, erleichtert ihre Wirkungen, oder stelt sie vielmehr sicher.) (Bedenke, vermoͤge deiner eignen Beobach- tung, welchen schlimmen Eindruk ungeschikte An- rede, schmuziger Aufzug, unangenehme Ausspra- che, als Stottern, Murmeln und Monotonie, fahrlaͤßiges Bezeigen u. s. w. an einem Fremden beim ersten Anblikke auf dich machen, und wie sehr sie dich wider ihn einnehmen, ob du gleich wissen kanst, daß er innerlich Verstand und Verdienste besizt. Bedenke dagegen, wie sehr das Gegentheil von allen diesen Dingen dich auf den ersten Anblik zum Besten derer einnimt, die sie an sich haben! Du wuͤnschest, alle gute Eigen- schaften an ihnen zu finden; geschieht das nicht, so wird deine Erwartung gewissermaaßen ver- eitelt.) Theophron 2. Th. E (Tau- (Tausend kleine Dinge, die sich nicht beson- ders erklaͤren lassen, treffen zusammen, um die Grazien, das ich weis nicht was auszumachen, das allezeit gefaͤlt. Schoͤne Gestalt, artige Be- wegung, ein gehoͤriger Grad von Kleidung, eine harmonische Stimme, etwas offenes und heiteres in der Miene, deutliche und gehoͤrig abgewechselte Art der Aussprache; diese und viele andere Dinge sind nothwendige Theile von dem zusammengesezten ich weis nicht was , das jederman fuͤhlt, nie- mand aber beschreiben kan.) (Beobachte daher sorgfaͤltig, was dir an an- dern gefaͤlt oder misfaͤlt, und glaube fest, daß uͤberhaupt die nemlichen Dinge an dir auch ihnen gefallen oder misfallen werden!) (Große Geistesgaben und große Tugenden werden dir, wenn du anders welche hast, der Menschen Ehrerbietung und Bewunderung zu- wege bringen. Allein die kleinern Gaben, die Tugenden von der mildern Art, muͤssen dir ihre Liebe erwerben. Erhalten die ersten nicht von den lezten Beistand und Zierde, so werden sie zwar Lob abnoͤthigen, zugleich aber Furcht und Neid Neid rege machen; zwei Regungen, die sich schlech- terdings nicht mit Zuneigung und Liebe vertragen.) ( Caͤsar hatte alle die großen Laster, und Cato alle die großen Tugenden an sich, die nur Menschen haben koͤnnen. Allein Caͤsar hatte zu- gleich die Tugenden von der mildern Art, daran es dem Cato fehlte, die ihn selbst bei seinen Fein- den beliebt machten, und ihm der Menschen Her- zen troz ihrer Vernunft geroannen. Cato war nicht einmahl bei seinen Freunden beliebt, ungeach- tet der Hochachtung und Ehrerbietung, die sie seinen Tugenden nicht versagen konten. Ich bin geneigt, zu glauben, wenn Caͤsarn diese mil- dern Tugenden gefehlt haͤtten, Cato aber sie be- sessen haͤtte: so wuͤrde der erste nicht Roͤms Frei- heiten angegriffen haben, wenigstens nicht mit Erfolge, und der lezte koͤnte sie beschuͤzt haben.) (Addison sagt in seinem Trauerspiele Cato von Caͤsarn , und zwar, wie ich glaube, mit Recht: “verwuͤnscht sollen seine Tugenden sein! „Sie haben sein Vaterland in Verderben ge- „stuͤrzt.„ Er meint darunter die kleinern, aber E 2 einneh- einnehmenden Tugenden der Freundlichkeit, Ge- spraͤchigkeit, Gefaͤlligkeit und des aufgeraͤumten Wesens.) (Die Wissenschaft eines Gelehrten, die Herz- haftigkeit eines Helden und die Tugend eines Stoikers werden zwar bewundert werden. Ist aber die Wissenschaft mit Uebermuth, die Herz- haftigkeit mit Troz, die Tugend mit unbiegsamer Strenge verbunden, so wird man den Man nie- mahls lieben.) ( Karls des zwoͤlften von Schweden Hel- denmuth — wenn anders seine thierische Herzhaf- tigkeit diesen Namen verdient — ward durchgaͤngig bewundert, er selbst aber niemahls geliebt. Hin- gegen Heinrich der vierte von Frankreich, der eben so große Herzhaftigkeit besaß, und weit laͤn- ger in Kriege verwikkelt war, ward wegen seiner geringern geselligen Tugenden durchgaͤngig geliebt.) (Die uͤbermuͤthige Hoͤflichkeit eines Stolzen ist, wo moͤglich, noch anstoͤßiger, als seine Unhoͤflich- keit sein koͤnte. Denn er gibt durch sein Bezeigen zu erkennen, daß er sie fuͤr bloße Herablassung von seiner Seite haͤlt, und seine Guͤte allein dem andern andern das verwilligt, was er zu fodern kein Recht haͤtte. Er gibt seinen Schuz, anstat seiner Freund- schaft, durch ein gnaͤdiges Kopfnikken, anstat ei- ner gewoͤhnlichen Verbeugung, zu erkennen; und deutet vielmehr seine Genehmhaltung an, daß der andre mit ihm gehen, sizen, essen, oder trinken koͤnne, als seine Einladung, daß er es thun solle.) (Die zaͤhe Freigebigkeit eines auf sein Geld stolzen Mannes beschimpft die Duͤrftigkeit, der sie zuweilen abhilft. Er sorgt dafuͤr, daß der andre sein Ungluͤk und den Unterschied zwischen ihrer beider Zustande empfinden muß, und gibt zu verstehen, beides waͤre mit Recht verdient, des andern Armuth durch seine Thorheit, sein eigner Wohlstand durch seine Weisheit.) (Der uͤbermuͤthige Pedant theilt nicht seine Wissenschaft mit, sondern ruft sie aus. Er gibt sie einem nicht, sondern dringt sie auf. Er ist, wo moͤglich, begieriger, andern ihre Unwissenheit, als seine eigne Gelehrsamkeit zu zeigen.) (Ein solches Verhalten pflegt nicht nur in den besondern von mir angefuͤhrten Umstaͤnden, son- dern auch in allen andern, den kleinen Stolz und E 3 die die Eitelkeit zu empoͤren, die jeder in seinem Her- zen hat, und in uns die Dankbarkeit fuͤr erhaltne Gunst zu schwaͤchen, indem sie uns an den Be- weggrund erinnert, der sie hervorbrachte, und an das Bezeigen, mit dem sie begleitet war.) (Diese Fehler weisen auf die ihnen entgegen- gesezten Volkommenheiten, und dein eigner ge- sunder Verstand wird dir sie natuͤrlicher Weise anzeigen.) Wenn Gott dir Wiz gibt, mein Lieber, — wel- ches ich nicht sehr wuͤnsche, wofern er dir nicht ein gleiches Maaß von Urtheilskraft gibt, um den Wiz in Ordnung zu halten — so trage ihn wie dein Schwert in der Scheide, und blize nicht damit zum Schrekken der Geselschaft umher. Wenn du wahren Wiz hast, so wird er willig und von selbst fließen, und du wirst ihn nicht er- zwingen duͤrfen. Denn hier ist die Regel des Evangeliums umgekehrt wahr: suchet, und ihr werdet nicht finden. Wiz ist ein schimmerndes Talent, das jederman bewundert: die meisten streben darnach, alle fuͤrch- ten ten es, und wenige lieben es, ausser an sich selbst. Wer ein großes Maaß von Wiz an andern er- tragen wil, muß selbst ein betraͤgtliches Maaß da- von besizen. Wenn der Wiz sich durch Satire aͤussert, so ist er eine boͤsartige Krankheit der Sele. Zwar darf sich der Wiz allerdings in Satire kleiden; aber Satire ist nicht immer Wiz, wie manche sich faͤlschlich einbilden. Ein Man von Wiz findet tausend bessere Gelegenheiten, ihn zu zeigen. Enthalte dich demnach der Satire aufs sorg- faͤltigste, solte sie auch keine Person in der Ge- selschaft besonders treffen. Sie gefaͤlt auf einen Augenblik vermoͤge der geheimen Tuͤkke des mensch- lichen Herzens; indes, so bald man einige Ueber- legung anstelt, sezt sie alles in Schrekken. Ein jeder denkt, die Reihe werde naͤchstens auch an ihn kommen; und stat dir verpflichtet zu sein fuͤr das, was du von ihm nicht sagst, wird er dich hassen, wegen dessen, was du vielleicht einmahl sagen koͤntest. Furcht und Haß sind die beiden naͤchsten Nachbarn. Je mehr Wiz du hast, desto mehr Gutherzigkeit und Hoͤflichkeit mußt du zei- E 4 gen, gen, damit man geneigt sei, dir deine Ueberlegen- heit zu verzeihen; denn das ist nichts leichtes. Lerne dich in die Sphaͤre der Geselschaft ein- schraͤnken, worin du bist. Stimme in den Ton derselben ein, suche ihn vorzuͤglich gut zu treffen, aber nie nim dir die Freiheit, den Ton anzugeben. Eine gute Geselschaft ertraͤgt eben so wenig einen Diktator, als eine freie Republik. Vielleicht fraͤgst du, und mit Recht, wie du wissen koͤnnest, ob du Wiz habest oder nicht, da Eigenliebe und Eitelkeit, von denen kein Mensch auf Erden voͤllig frei ist, uns so leicht blenden? Die beste Antwort, die ich dir hierauf geben kan, ist diese: Traue nicht deinem eignen Urtheil, denn es taͤuscht dich; auch traue nicht deinen Ohren, denn du wirst immer den Weirauch der Schmei- chelei gern verschlukken, wenn du irgend verdienst, daß man dir raͤuchere; sondern traue blos deinen Augen, und lies, wenn du in guter Geselschaft bist, in den Gesichtern der Anwesenden, ob sie das, was du sagst, billigen oder misbilligen. Gib auch sorgfaͤltig darauf Acht, ob du von guten Geselschaften gesucht wirst, ob man dich bittet, ob ob man in dich dringt, ihr Mitglied zu sein. Und doch ist selbst alles dis noch nicht hinreichend, dir die voͤllige Gewißheit zu geben, daß du Wiz habest. Laß dich also dadurch nicht verleiten, deinen Wiz in Bonsmots, Epigrammen und spizigen Antworten, Schlag auf Schlag, den Leuten an den Kopf zu werfen. Scheine nie mehr, sondern lieber weniger Wiz zu haben, als du hast. Ein weiser Man weiß mit seinem Wiz so wie mit seinen Einkuͤnften hauszuhalten. Begnuͤge dich mit schlichtem Ver- stande und richtigem Urtheil, welche in die Laͤnge allemahl zum Vortheil dessen einnehmen, der sie hat. Komt Wiz oben ein in den Kauf, heiß ihn wilkommen, aber lade ihn nicht ein. Laß dir diese Wahrheit immer gegenwaͤrtig sein: hast du Wiz, so wird man dich bewundern; aber nichts als richtiger Verstand und gute moralische Eigen- schaften machen dich beliebt. Sie gleichen den Altagskleidern. Wiz hingegen ist fuͤr die Gala- tage, wo die Leute sich zeigen, um begaft zu werden. E 5 Es Es gibt eine Art geringern Wizes, wel- cher stark gebraucht, und noch mehr gemisbraucht wird; ich meine die Spoͤtterei. Sie gehoͤrt unter die ungluͤklichsten und gefaͤhrlichsten Waffen, wenn sie in ungeschikte Haͤnde komt; und es ist weit sicherer, sich gar nicht damit zu befassen, als damit zu spielen; und doch spielt fast jeder- man alle Tage damit, ob man gleich alle Tage die Beispiele von Zaͤnkereten und Erbitterungen vor Augen hat, die dadurch veranlaßt werden. In der That sezt jede Spoͤtterei voraus, daß der Spottende sich uͤber den Verspotteten hinwegsezt, und schon die Vermuthung einer solchen Begeg- nung ist jederman unertraͤglich, wenn man gleich andre zuweilen nicht ungern darunter leiden sieht. Oft ist eine Spoͤtterei anfangs ganz unschul- dig und harmlos und beleidigt niemand; aber sie endet selten, ohne beleidigend zu werden: denn dis komt blos auf den Verspotteten an. Wenn dieser sich nicht laͤnger vertheidigen kan, so verfaͤlt er in Grobheiten, und wenn er es kan, so vergißt sich sein Gegner, den es verdrießt, daß der Pfeil auf ihn zuruͤk pralt. Dis ist eine Art von Pruͤ- fung fung des Wizes, wo niemand gern seine Schwaͤ- chen sehen laͤßt. Der Karakter eines Spoͤtters ist algemein gefuͤrchtet und am meisten gehaßt. Ich weiß aus Erfahrung, daß man in der Welt die Ungerechtig- keiten eines schlechtdenkenden Menschen weit eher verzeiht, als die Spotreden eines Wizlings; jener greift unsre Freiheit und unser Eigenthum an, dieser hingegen beleidigt und kraͤnkt den geheimen Stolz, von welchem keines Menschen Herz frei ist. Ich gebe zu, daß es eine gewisse Art Spot gibt, welcher nicht nur nicht beleidigend, sondern so gar schmeichelhaft ist, z. E. wenn man in einer feinen Ironie Leute solcher Fehler beschuldiget, wovon jederman weiß, daß sie sie nicht haben, und ihnen also damit die entgegengesezten Tugen- den beilegt. Du kanst ganz sicher Aristides einen Schurken, oder ein sehr schoͤnes Frauenzimmer heßlich nennen. Aber daß ja der Karakter des Mannes oder die Schoͤnheit des Frauenzimmers nicht im geringsten zweifelhaft sei. Allein diese Art von Spot erfodert eine sehr leichte und zu- gleich feste Hand, um Gebrauch davon zu machen. Ist Ist er nur ein wenig zu stark, so wird er leicht fuͤr eine Beleidigung, und ist er zu suͤß, fuͤr et- was Anzuͤgliches aufgenommen, und das ist ein sehr verhaßtes Ding. (Alle die verbrauchten, wenigstens eben so oft falschen als wahren Spoͤttereien uͤber Nazionen und Berufsarten uͤberhaupt, sind die armseelige Zuflucht von Leuten, die selbst weder Wiz noch Erfindungskraft haben, sondern durch erborgten Flitterstaat in Geselschaften zu schimmern suchen. Ich bringe stets solche unverschaͤmte Maulaffen aus der Fassung, indem ich uͤberaus ernsthaft aussehe, wenn sie erwarten, daß ich uͤber ihren Spaß lachen sol; oder indem ich sage, gut, und weiter ? gleichsam als ob sie noch nicht fertig waͤren, und das Sinreiche erst noch kommen solte. Das macht sie verlegen; denn sie haben keine Huͤlfsmittel in sich selbst, sondern nur eine ge- schlossene Anzahl von Scherzreden, um sich damit zu behelfen.) (Leute von Geist werden zu solchen elenden Huͤlfsmitteln nicht getrieben, sondern verachten sie auf das aͤußerste. Sie finden schikliche Mate- rien rien genug zu nuͤzlicher oder muntrer Unterhaltung. Sie koͤnnen wizig sein, ohne Satire und ver- brauchte Scherze, und ernsthaft, ohne albern zu sein. Die Besuchung feiner und wirklich geist- reicher Geselschaften thut diesem Muthwillen Einhalt; die nothwendige Wohlanstaͤndigkeit und Vorsicht, die sich blos daselbst erlernen laͤßt, ver- bessert solche Unverschaͤmtheiten.) Noch gibt es eine andre Art von — ich darf wohl nicht sagen Wiz, sondern — Luftigkeit und Spaßmacherei, ich meine das Nachaͤffen . Der gluͤklichste Nachaͤffer auf der Welt ist allemahl der abgeschmakteste Kerl, und der Affe ist ihm unend- lich uͤberlegen. Sein Geschaͤft ist, natuͤrliche Maͤngel und Gebrechen laͤcherlich zu machen, die man keinem Menschen zum Fehler anrechnen kan, und durch deren Nachahmung er sich selbst jedes- mahl eben so widrig und anstoͤßig macht, als diejenigen, denen er nachaͤfft. Aber ich mag nicht weiter von diesen Geschoͤpfen reden, die bloß die niedrigste Klasse von Menschen belustigen koͤnnen. Es Es gibt eine andere Klasse menschlicher Ge- schoͤpfe, Hanswurste genant, deren Geschaͤft ist, die Geselschaft uͤbermaͤßig lachen zu machen. Das gluͤkt ihnen sicher allemahl, so oft die Geselschaft aus lauter Narren besteht; aber sie sind auch eben so sehr betroffen, wenn sie sehen, daß sie einem verstaͤndigen Manne auch nicht die Veraͤnderung einer einzigen Gesichtsmuskel abgewinnen koͤnnen. Dis ist ein hoͤchstveraͤchtlicher Karakter, und wird selbst von denen nie geschaͤzt, die albern genug sind, sich von ihnen ergoͤzen zu lassen. Begnuͤge du dich selbst mit gesundem, rich- tigem Verstande und guten Sitten, und gib Wiz oben drein in den Kauf, wo er an seiner Stelle steht und nicht beleidigt. Gesunder Verstand wird dir Achtung, gute Sitten werden dir Liebe er- werben; der Wiz wird uͤber beides einen Glanz verbreiten. In welcher Geselschaft du dich auch befinden, an welchen Vergnuͤgungen du Theil nehmen magst, so trage Sorge, daß du eine ge- wisse persoͤnliche Wuͤrde beibehaltest; ich meine im geringsten nicht damit einen Stolz auf Geburt und Rang, denn das wuͤrde gar zu albern sein; sondern sondern ich meine eine Wuͤrde des Karakters. Er- halte also den Karakter deiner Rechtschaffenheit und Ehre unbeflekt, und sogar unverdaͤchtig. Wenn es irgend einen rechtmaͤßigen und schik- lichen Gegenstand des Spottes gibt, so scheint es der Eingebildete zu sein, weil er sich die gemein- schaftlichen Rechte aller Menschen anmaßt. Der volkommenste Fantast, den ich je gesehen, war ein Man von ausnehmendem Wiz, aber eben dieser Wiz, dessen er sich zu sehr bewußt war, blies und blaͤhte ihn dergestalt auf, daß er fuͤr keine Geselschaft mehr taugte; denn uͤberal wolte er seinen Thron aufschlagen, und den gesunden Verstand verdrengen. Spot scheint die beste Art der Zuͤchtigung fuͤr diese Suͤnder zu sein; aber wisse, es gehoͤrt viel Vorsichtigkeit und Geschiklichkeit dazu, sie zu gebrauchen, sonst moͤgtest du einen Mohren wa- schen, wie man sagt, und dan fiele das Gelaͤchter auf dich. Das sicherste ist, daß man sich um sie ganz und gar nicht bekuͤmmere, und sie aus- reden lasse. Es Es gibt auf der andern Seite manche und vielleicht mehrere, welche durch ihre Bloͤdigkeit und unzeitige Scham sehr verlieren, die sie weit unter dem, was sie wirklich sind, erniedrigt. Bloͤdigkeit haͤlt man uͤberal fuͤr Dumheit, ob sie es gleich meistentheils nicht ist, sondern blos aus Mangel an Erziehung und Umgang in guten Ge- selschaften herruͤhret. Addison war der bloͤdeste und ungeschikteste Man, den ich je gesehen, und das war kein Wunder; denn er war bis zum fuͤnf und zwanzigsten Jahr in den Zellen zu Oxford eingemauert gewesen. La Bruyere sagt, und es ist viel Wahrheit darin: Qu’on ne vauc dans ce monde, que ce que l’on veut valoir, denn in diesem Stuͤk haben die Menschen viel Nachsicht, und schaͤzen uns beinahe ganz nach dem Werth, den wir selbst uns beilegen, es sei denn, daß er gar zu uͤbertrieben waͤre. Ich wuͤnschte, du haͤttest eine kalte unerschrok- kene Dreistigkeit, begleitet mit wahrer Bescheiden- heit, so daß man dich niemahls verzagt, aber auch niemahls vorwizig saͤhe. Furchtsame und ungeschikte Leute, die nicht gewohnt gewesen, gute Gesel- Geselschaft bei sich zu haben, sind entweder auf eine laͤcherliche Weise bloͤde, oder auf eine abge- schmakte Weise unverschaͤmt. Ich habe Leute gesehen, die aus bloͤßer Verschaͤmtheit, unver- schaͤmt wurden, indem sie eine vernuͤnftige Drei- stigkeit zeigen und etwas aus sich erzwingen wolten, was sie fuͤr anstaͤndige Freiheit ohne Verlegenheit hielten. Ein furchtsamer schuͤchterner Man versinkt in guter Geselschaft, vornemlich in Geselschaft der Vornehmern, ganz in Nichts; er weiß nicht mehr, was er sagt oder thut, und es ist ein laͤcherlicher Anblik, Seel und Leib in solcher Unruhe und Verwirrung zu sehen. Vor beiden Fehlern ver- wahre dich, und suche dir Bewustsein deiner selbst, Ruhe und Festigkeit zu erhalten. Sprich mit dem Koͤnige eben so frei von Schuͤchternheit, obgleich mit mehr Ehrerbietung, als wenn du mit deines Gleichen spraͤchest. Das ist der unterschei- dende Karakter des feinen Weltmans. Das Mittel, sich diese Fassung eigen zu ma- chen, ist, daß ein junger Man fleißig, so viel Ge- walt es ihm anfangs auch kosten mag, mit seinen Obern und mit Frauenzimmern von Stande um- Theophron 2. Th. F gehe, gehe, stat, zu niedrigen oder gar schlechten Ge- selschaften, wie manche junge Leute thun, seine Zuflucht zu nehmen, damit er nur den Zwang der guten Lebensart vermeide. Ich gestehe, es ist oft schwer, um nicht zu sagen, unmoͤglich, fuͤr einen jungen Man bei seinem Eintrit in die Welt, so lange er die Art und Weise sich darin zu betra- gen noch nicht kent, nicht ausser Fassung und etwas verlegen zu sein, wenn er unter Leute komt, die die sogenante beste Geselschaft ausmachen. Er sieht, daß aller Augen auf ihn geheftet sind, und wenn sie etwa lachen, so haͤlt er es fuͤr ausgemacht, es gelte ihm. Diese Schuͤchternheit ist nicht zu tadeln, weil sie oft aus lobenswuͤrdigen Ursachen herruͤhrt, nemlich aus einem bescheidnen Mis- trauen gegen sich selbst und aus dem Bewustsein, daß er die Sitte einer guten Geselschaft noch nicht kenne. Wofern er aber nur bei einer wohlanstaͤn- digen Bescheidenheit beharret, so wird er finden, daß alle Leute von eben so gutem Herzen als fei- nen Sitten, ihm anfangs unter die Arme greifen werden, stat uͤber ihn zu lachen; und dan wird ein wenig Umgang mit der Welt und sorgfaͤl- tige tige Beobachtung ihn bald mit allem dem bekant machen, was zur guten Lebensart gehoͤrt. Das ist das Kenzeichen niedriger und schlech- ter Geselschaften, welche gewoͤhnlich aus Spaß- machern und Wizlingen bestehn, uͤber Leute zu lachen, und sie in Verwirrung zu sezen, oder, wie es in ihrer Sprache heißt, einen ehrlichen, beschei- denen jungen Kerl die Schule passiren zu lassen. Wer daran verzweifelt, daß er gefallen werde, wird niemahls gefallen; wer sich einbilden kan, er werde immer und uͤberal gefallen, wohin er auch komme, ist ein Fantast, wer aber zu gefallen hoft und darnach strebt, wird selten seines Zweks verfehlen. (Gemeine, poͤbelhafte Art zu denken, zu han- deln oder zu reden, sezt eine niedrige Erziehung und Gewohnheit eines niedrigen Umgangs voraus. Junge Leute nehmen sie in der Schule oder unter dem Gesinde an, mit dem sie zu oft umgehen. Die mancherlei Arten des niedrigen Wesens sind unendlich. Ich kan mir nicht anmaßen, sie alle F 2 anzu- anzugeben. Doch wil ich einige Beispiele anfuͤh- ren, nach denen du auf das uͤbrige schließen kanst.) (Ein Mensch von niedriger Denkungsart ist aͤrgerlich und argwoͤhnisch, hizig und ungestuͤm bei Kleinigkeiten. Er argwohnt, er wuͤrde ver- achtet, glaubt, daß man ihn bei allem meint, was gesagt wird. Lacht die Geselschaft, so glaubt er fest, sie lache uͤber ihn. Er wird zornig und muͤrrisch, sagt Unhoͤflichkeiten, und zieht sich schlimme Haͤndel zu, indem er, seines Erachtens, gehoͤrige Herzhaftigkeit zeigt, und sein Recht behauptet.) (Ein wohlgesitteter Mensch sezt nicht voraus, daß er das einzige oder vornehmste Augenmerk der Gedanken, Mienen oder Reden der Gesel- schaft waͤre. Er argwohnt nicht, daß man ihn verachte oder verlache, wofern er sich nicht bewußt ist, daß er es verdient. Ist die Geselschaft, was doch selten geschieht, so ungereimt oder ungezogen, eins von beiden zu thun, so kehrt er sich nicht daran, wenn nicht die Beleidigung so grob und deutlich ist, daß sie Genugthuung von einer an- dern Art verdient. Da er uͤber Kleinigkeiten hinweg hinweg ist, aͤußert er ihrentwegen weder Heftigkeit noch Hize; und wo von ihnen die Rede ist, laͤßt er sich lieber alles gefallen, als daß er zanken solte.) (Das Gespraͤch eines gemeinen Menschen verraͤth allezeit stark seine niedrige Erziehung und Geselschaft. Es handelt vornehmlich von seinen haͤuslichen Angelegenheiten, seinem Gesinde, der vortreflichen Ordnung, die er in seinem Hause haͤlt, und von den kleinen Begebenheiten in der Nachbarschaft. Das alles traͤgt er mit großem Nachdrukke als wichtige Dinge vor. Er ist ein geschwaͤziges Weib in maͤnlicher Gestalt.) (Das zweite unterscheidende Kenzeichen nie- driger Erziehung und Geselschaft ist poͤbelhafte Sprache. Ein gesitteter Man vermeidet nichts sorgfaͤltiger, als diese. Sprichwoͤrter und ver- brauchte Ausdruͤkke sind die Blumen der Bered- samkeit eines gemeinen Mannes. Wenn er sagen wil, die Leute waͤren in ihrem Geschmakke ver- schieden, so unterstuͤzt und schmuͤkt er diese Mei- nung durch das gute alte Sprichwort, wie er es ehrerbictiger Weise nent, des einen Kost ist des andern Gift . Wil jemand wizig uͤber ihn F 3 sein , sein , wie er es nent, so gibt er ihm, nach seinem Ausdrukke, wieder etwas auf den Pelz . Er hat stets seine Leibwoͤrter auf einige Zeit, die er, weil er sie oft gebraucht, insgemein misbraucht; als gewaltig zornig, gewaltig guͤtig, gewal- tig schoͤn, gewaltig haͤßlich. Selbst seine Aus- sprache schiklicher Woͤrter ist verkehrt. Er mengt gezwungner Weise harte Woͤrter zum Zierrath ein, und verstuͤmmelt sie gemeiniglich, so wie eine ge- lehrte Frauensperson.) (Ein gesitteter Man nimt niemahls seine Zuflucht zu Sprichwoͤrtern und gemeinen Aus- spruͤchen; gebraucht weder Leibwoͤrter, noch harte Woͤrter, sondern traͤgt große Sorge, richtig nach der Sprachlehre zu reden, und die Woͤrter gehoͤrig auszusprechen, das ist, nach dem Gebrauche der besten Geselschaften.) (Ungeschikte Anrede, unangenehme Stellun- gen und Handlungen, und ein gewisses linkes Wesen, wenn ich so sagen darf, zeugen deutlich von niedriger Erziehung und Geselschaft. Denn es ist unmoͤglich, anzunehmen, es haͤtte jemand gute Geselschaft besucht, und ihr nicht wenigstens etwas etwas von ihren Mienen und Bewegungen abge- lernt. Ein neugeworbner unterscheidet sich im Regimente durch sein ungeschiktes Wesen. Er muͤßte aber unbeschreiblich dum sein, wenn er nicht in einem oder zween Monaten wenigstens die gemeinen Handuͤbungen vornehmen, und wie ein Soldat aussehen koͤnte.) (Selbst die Kleider eines gesitteten Mannes sind einem Menschen von niedrigem Wesen eine beschwerliche Last. Er weiß nicht, was er mit seinem Hute anfangen sol, wenn er ihm nicht auf dem Kopfe steht. Sein Stok, wenn er zum Un- gluͤk einen fuͤhrt, ist in bestaͤndigem Kriege mit jeder Schale Thee oder Kaffee, die er trinkt; erst zerstoͤßt er sie, alsdan faͤlt er mit ihr auf die Erde. Sein Degen ist blos seinen eignen Beinen fuͤrch- terlich, die ihn vielleicht geschwind genug jedem andern Degen aus dem Wege bringen wuͤrden, außer dem seinigen. Seine Kleider stehen ihm so schlecht, und thun ihm so vielen Zwang an, daß er vielmehr ihr Gefangner, als ihr Eigenthuͤmer, zu sein scheint. In Geselschaft trit er so auf, wie ein armer Suͤnder vor Gerichte. Seine F 4 bloße bloße Miene verurtheilt ihn schon. Gesittete Leute werden sich eben so wenig zu ihm, als Leute von gutem Rufe zu jenem halten. Diese Abweisung treibt und erniedrigt ihn in schlechte Geselschaft; ein Schlund, aus welchem, nach einem gewissen Alter, kein Mensch wieder empor gekommen ist.) Ich weiß, mein Lieber, daß du von Natur edel und wohlwollend bist; das ist freilich die Hauptsache, aber doch noch nicht alles. Du mußt es auch zu sein scheinen. Ich meine nicht, du muͤssest damit pralen; aber schaͤme dich nicht, wie manche junge Leute thun, Gesinnungen der Menschlichkeit und des Wohlwollens, die du wirklich fuͤhlst, auch zu gestehen. Ich habe ver- schiedene junge Leute gekant, welche fuͤr Leute von Muth und Herzhaftigkeit angesehen sein wolten, und deswegen eine Haͤrte und Fuͤhllosig- keit affektierten, die sie in der That nicht hatten; sie sprachen nie anders als in entscheidendem und drohendem Tone; sie waren alle Augenblik bereit, Haͤlse zu brechen, Leute zum Fenster hinaus zu werfen, ihnen die Ohren abzuschneiden, u. s. w. und und diese saubern Reden bekraͤftigten sie mit eben so albernen als fuͤrchterlichen Fluͤchen; — alles das um fuͤr Leute von Muth gehalten zu werden. Ein ungeheurer Irthum! und der sie in folgen- des Dilemma verwikkelt: wenn das ihr Ernst ist, was sie sagen, so sind sie Bestien; wo nicht, so sind sie Narren, daß sie’s sagen. Und doch ist dieser Karakter unter jungen Leuten sehr gemein. Vermeide sorgfaͤltig diese Seuche, und begnuͤge dich mit einer ruhigen, sanften, und doch festen Entschlossenheit, wenn du voͤllig uͤberzeugt bist, daß du Recht hast; denn dis ist wahrer Muth. Was man in der Welt gemeiniglich einen Man oder ein Weib vol Muth und Feuer nent, sind die abscheulichsten und veraͤchtlichsten Ge- schoͤpfe unter der Sonne. Sie sind starkoͤpfigt, zaͤnkisch, neidisch, sie beleidigen ohne Ursach, und vertheidigen sich ohne Verstand. Ein Man dieses Gelichters gebraucht bei der geringsten Veranlas- sung sein Schwert, und ein Weib sogleich ihre Zunge; und es ist schwer zu sagen, welches von beiden das schaͤdlichste Werkzeug sei. F 5 Es Es ist in manchen Geselschaften etwas sehr gewoͤhnliches, den Ton der Verlaͤumdung anzu- stimmen; einige thun es, um die Tuͤkke ihres Herzens zu befriedigen; andere glauben, sie zeigen damit ihren Wiz. Ich hoffe, du wirst nie diesen Ton annehmen. Sieh vielmehr allemahl die Sache von der vortheilhaften Seite an, und ohne gerade zu und auf eine beleidigende Weise zu wi- dersprechen, zeige, daß du an der Wahrheit der Sache zweifelst; stelle die Unzuverlaͤssigkeit der meisten Erzaͤhlungen vor, wo wenigstens Privat- haß sich so leicht ins Spiel mischt. Diese Red- lichkeit und Maͤssigung wird der ganzen, obgleich nicht so redlichgesinten Geselschaft gefallen, unge- achtet es eine Art von feinem Widerspruch gegen ihre unguͤnstigen Behauptungen ist; weil sie hof- fen, wenn sie einmahl die Reihe trift, auch einen solchen Fuͤrsprecher an dir zu finden. Es gibt noch eine andere Art von beleidigen- dem Betragen, welches man oft in Geselschaften wahrnimt; nemlich es besteht darin, daß man einen Fingerzeig giebt oder ein Wort hinwirft, das das nur eine oder zwei Personen in der Gesel- schaft auf sich anwenden und fuͤhlen koͤnnen, welche also beide dadurch in Verlegenheit gesezt und um so vielmehr gekraͤnkt werden, weil sie nicht gern merken lassen wollen, daß sie den ge- gebnen Fingerzeig auf sich anwenden. Wache also uͤber dich, daß du nie etwas sagest, was entweder die ganze Geselschaft, oder eine einzelne Person in derselben vernuͤnftiger oder wahr- scheinlicherweise uͤbel aufnehmen koͤnne, und er- innere dich des franzoͤsischen Sprichworts: qu’il ne faut pas parler de corde dans la maison d’un pendu. Gutmuͤthigkeit gefaͤlt algemein, selbst denen, die sie nicht haben, und es ist nicht moͤglich, lie- benswuͤrdig zu sein, ohne gutmuͤthig zu sein und zu scheinen. Ich habe dir, mein Lieber, mehr als einmahl Aufmerksamkeit empfohlen, und ich werde noch oft auf diese Materie zuruͤkkommen, denn sie ist eben so unerschoͤpflich, als sie wichtig ist. Richte Richte deine Aufmerksamkeit und deinen Blik auf jeden, der mit dir spricht; und scheine nie zerstreut oder im Traume zu sein, als wenn du ihn gar nicht hoͤrtest; denn das ist der offenbarste Beweis von Verachtung, und folglich aͤußerst anstoͤßig. Wahr ist es, du wirst durch diese Regel zuweilen genoͤthiget sein, auf Dinge zu merken, die keines Menschen Aufmerksamkeit verdienen; allein dis ist ein nothwendiges Opfer, das man den guten Sitten in Geselschaften brin- gen muß. Eben so nothwendig ist die genaueste Aufmerksamkeit auf Zeit, Ort und Karakter der Menschen. Ein Bonmot in der einen Gesel- schaft hoͤrt auf es in der andern zu sein, und wird wohl gar eine Beleidigung. Scherze nie mit Leuten, die du gerade in dem Augenblik nach- denkend und ernsthaft findest; spiele aber auch nicht den Sittenlehrer in Geselschaften, wo Scherz und Froͤhlichkeit herschen. Manche Leute kommen in Geselschaft ganz vol von dem, was sie in derselben zu sagen ge- denken, ohne die geringste Ruͤksicht auf die An- wesenden, und weil sie sich einmahl bis an den Hals Hals volgepfropft haben, so wollen sie sich nun auch entladen, es koste, was es wolle. Ich habe einen Man gekant, der eine Geschichte von einer Flinte wußte, die er fuͤr artig hielt, und gut zu erzaͤhlen glaubte. Er versuchte ein Mittel nach dem andern, das Gespraͤch auf Flinten zu lenken; allein er verfehlte seinen Zwek. Ploͤzlich sprang er auf von seinem Stuhle, und rief: er habe einen Flintenschuß gehoͤrt; weil aber die Gesel- schaft ihn versicherte, man habe nichts dergleichen gehoͤrt, so sagte er: nun, es kan sein, daß ich mich geirt habe; aber weil wir doch einmahl von Flinten sprechen, — und nun erzaͤhlte er zum groͤßten Verdruß der Geselschaft seine Geschichte. Werde, so weit als Ehre und Unschuld es er- lauben, allen alles, und du wirst dir viel Freunde machen. Sei auch zuvorkommend, und sage oder thue dasjenige, wovon du zum voraus weißt, daß es den Leuten am angenehmsten sein werde, ehe sie noch einen Wunsch daruͤber merken lassen oder es erwarten. Ich wuͤrde nicht fertig werden, wenn ich alle die unzaͤhlbaren Gelegenheiten nahmhaft machen wolte, wolte, die ein junger Man hat, sich gefaͤllig zu machen, wofern er sie nur gebrauchen wil: dein gesunder Verstand wird sie dich leicht finden las- sen, und dein gutes Herz und selbst dein Vortheil wird dich antreiben, sie zu nuzen. Vor allen Dingen ist viel Aufmerksamkeit auf Zeiten und Umstaͤnde noͤthig. Bei Tische z. B. sprich oft, aber niemahls lange hinter einander, denn das alberne Getuͤmmel der Bedienten und das oft noch einfaͤltigere Gespraͤch der Gaͤste, welches groͤßtentheils auf Kuͤchen- und Kellerwaare hin- auslaͤuft, vertraͤgt keine Abhandlung oder zusam- menhaͤngende Erzaͤhlung. Mahlzeiten sind und waren von je her die Erholungsstunden fuͤr die Sele, und daher der ungezwungnen Froͤhlichkeit und geselligen Freude geheiligt. Bequeme dich nach diesem Gebrauch, und zahle deinen Antheil von froͤhlicher Laune; aber laß dich nicht durch die so haͤufigen Beispiele zur Unmaͤssigkeit im Essen oder im Trinken ver- leiten; die erstere hat Dumheit und die leztere gar Tolheit zur unvermeidlichen Folge. Unter- Untersuche bei allem, was du sagen wilst, ob es auch zur Sache dient. Gehst du mit Vor- nehmern um, so vergiß nicht, so ungezwungen und vertraulich du auch mit ihnen sein magst, und sein mußt, den Respekt, den du ihnen schul- dig bist. Im Umgange mit deines Gleichen beobachte eine ungezwungne Vertraulichkeit, und doch zugleich alle Hoͤflichkeit und Wohlanstaͤndig- keit. Aber aus zu großer Vertraulichkeit ent- steht, nach dem alten Sprichwort, oft Verach- tung und manchmahl auch Zaͤnkerei. Ich kenne nichts schwerers im gemeinen Umgange, als der Vertraulichkeit die gehoͤrigen Grenzen zu sezen: zu wenig davon ist ungesellige Formalitaͤt; zu viel zerstoͤret wiederum alle Annehmlichkeiten des geselligen Umgangs. Die beste Regel, die ich uͤber den Gebrauch der Vertraulichkeit geben kan ist diese: sei nie vertrauter mit einem andern, als du ertragen und selbst wuͤnschen moͤgtest, daß er mit dir waͤre. Vermeide aber auch jene un- freundliche Zuruͤkhaltung und Kaͤlte, welche ge- meiniglich das Schild der List oder der Dekmantel der Dumheit ist. Es ist eine weise Maxime der Italiaͤner: Italiaͤner: il volto sciolto, i pensieri stretti, d. i. dein Gesicht sei offen, aber deine Gedanken verschloßen. Gegen solche nemlich, deren Freundschaft du noch nicht bewaͤhrt gefunden hast. Gegen Leute von niederm Range zeige mehr ein herzliches Wohlwollen als eine zu gesuchte Hoͤflichkeit; denn dadurch wuͤrdest du den Ver- dacht erregten, als spottetest du ihrer. Zum Beispiel gegen einen Man vom Lande muß deine Hoͤflichkeit gar sehr verschieden von derjenigen sein, die du gegen einen Man aus der großen Welt beobachtest. Wenn du den ersten em- pfaͤngst, thue es auf eine herzliche und lieber ein wenig baͤurische Weise, damit seine Schuͤchtern- heit ihn nicht verlegen mache. Sei aufmerksam, selbst in der Geselschaft der Narren; denn ob sie gleich Narren sind, so koͤn- nen sie doch wohl einmahl etwas fallen lassen oder wiederholen, was deine Aufmerksamkeit verdient, und dir nuͤzlich werden kan. Sage nie das beste, was du aufbringen kanst, in ihrer Geselschaft; denn sie wuͤrden dich nicht verstehen, und wohl gar gar glauben, du wollest sie aufziehen, wie sie das gewoͤhnlich nennen: sondern sprich nichts als den schlichtesten gesunden Menschenverstand und sehr ernsthaft; denn man darf mit diesem Volke nicht scherzen. Ueberhaupt mit Aufmerksamkeit und dem, was die Franzosen les attentions nennen, wirst du gewiß uͤberal gefallen, und ohne das eben so gewiß uͤberal anstoßen. Vermeide, mein liebster Freund, mit aͤußerster Sorgfalt alle Affektazion an Leib und Sele. Es ist eine eben so wahre als bekante Bemerkung, daß niemand dadurch laͤcherlich wird, daß er das ist, was er wirklich ist; sondern dadurch, daß er etwas zu sein affektiert, was er nicht ist. Kein Mensch ist toͤlpisch von Natur, sondern er wirds erst, wenn er affektiert, artig zu sein. Ich habe so manchen Man gekant, dem es an gesundem Verstande nicht fehlte, und der doch uͤberal fuͤr einen Narren gehalten ward, weil er einen Grad von Wiz erzwingen wolte, den ihm der Himmel versagt hatte. Der Landman ist nichts weniger als toͤlpisch und ungeschikt, wenn er seinen Pflug Theophron 2. Th. G hand- handhabt; aber er wuͤrde sich hoͤchstlaͤcherlich machen, wenn er dabei die Mine und die feinen Manieren des Weltmans affektiren wolte. Du hast tanzen gelernt; aber das geschah nicht, damit du tanzen koͤntest, sondern es geschah, um deinen Minen und Bewegungen diejenige Grazie wieder- zugeben, die sie gehabt haben wuͤrden, wenn die Natur sich in ihnen haͤtte entwikkeln koͤnnen, und sie nicht durch schlimme Beispiele und durch un- geschikte Nachahmung andrer jungen Leute waͤren verdreht worden. Natur kan entwikkelt und ausgebildet werden am Koͤrper so wie an der Sele, aber sie kan nicht durch die Kunst vertilgt werden; und alle Bemuͤ- hungen dieser Art sind abgeschmakt, und dienen blos dazu, einen ergiebigen Stof zum Lachen zu gewaͤhren. Deine Sele und dein Koͤrper muͤssen ganz frei von Zwang sein, wenn sie einen gefaͤl- ligen Eindruk machen sollen; jede Affektazion aber ist ein so gewaltiger Zwang, daß keiner dabei mit Anstand handeln, oder auf eine gefaͤllige Weise unterhalten kan. Glaubst du wohl, daß deine Bewegungen mehr Leichtigkeit und Grazie haben wuͤrden, wuͤrden, wenn du das Kleid eines andern truͤgest, der viel schlanker und groͤßer waͤre, als du? Gewißlich nicht. Eben so ist es mit der Sele, wenn du einen Karakter affektierst, der dir nicht ansteht, und zu dem die Natur dich nie bestimte. Aber glaube ja nicht etwa, daß hieraus folge, du muͤssest deinen ganzen Karakter vor jedermans Augen darlegen, eben weil es dein natuͤrlicher Karakter ist. Nein; in dem besten Karakter muß viel unterdruͤkt, und viel verstekt werden. Du mußt die Natur nie zwingen wollen; aber es ist auch durchaus nicht noͤthig, dich jedes mahl und gegen jederman ganz zu zeigen, wie du bist. Zuruͤkhaltung, diese sichre und zuverlaͤßige Fuͤhrerin durch das menschliche Leben, muß dir zu Huͤlfe kommen; Zuruͤkhaltung, diese unent- behrliche Gefaͤhrtin der Vernunft, und nuͤzliche Waͤchterin des Wizes und der Einbildungskraft. Diese Zuruͤkhaltung lehrt uns das Zwekmaͤßige, das Anstaͤndige beurtheilen, lehrt uns zu rechter Zeit aufhoͤren, und mit ihr komt ein Man von mittelmaͤßigem Verstande weiter, als ein anderer mit den glaͤnzendsten Talenten ohne sie. Sie ist G 2 ein ein ander Wort fuͤr Beurtheilungskraft , obgleich nicht voͤllig einerlei mit ihr. Beurtheilungskraft wird nicht bei allen Gelegenheiten erfodert, aber Zuruͤkhaltung uͤberal. Du mußt nie einen besondern Krakter affek- tiren oder annehmen; das wuͤrde dir nie anste- hen, sondern hoͤchstwahrscheinlich dich zum Ge- laͤchter machen; uͤberlaß es vielmehr deinem Betragen, deinen Tugenden, deinen Sitten und Manieren, deinen Karakter festzusezen. Zuruͤk- haltung wird dich lehren, deine Aufmerksamkeit in einem vorzuͤglichen Grade auf deine Sitten zu wenden. Ich wuͤnschte noch ein bestimteres Wort fuͤr das was ich sagen wil. Ich meine damit eigent- lich das, was Cicero das decorum nent. Indem wir uͤber Worte sprechen, faͤlt mir eine andere noͤthige Regel ein. Studire deine Muttersprache mit mehrerem Fleiß, als die mei- sten Leute thun; erwirb dir die Fertigkeit, dich richtig und angenehm in derselben auszudruͤkken; denn nichts ist widriger, als einen Menschen aus den den gesitteten Staͤnden in allen Barbarismen, Soloͤzismen, und poͤbelhaften Ausdruͤkken eines Stalknechts reden zu hoͤren. Vermeide aber auch eine zu steife und gesuchte Genauigkeit, insbeson- dere das, was die Frauenzimmer hochtrabende Worte nennen, so lange es gangbare eben so tref- fende Ausdruͤkke gibt. Die Franzosen machen die Kunst gut zu erzaͤhlen zu ihrem Studium; nur verfallen sie so leicht dahin, daß sie zu viel erzaͤh- len, und mit einer zu gesuchten Zierlichkeit. — Aber nicht blos deine Worte, sondern auch deine Aussprache und der Ton deiner Stimme muͤssen annehmlich sein. (Was ist wohl die bestaͤndige und richtige An- merkung uͤber alle Schauspieler auf der Buͤhne? Nicht wahr, diese, daß die, welche den meisten Verstand haben, allezeit am besten reden, wenn sie auch zufalsweise nicht eben die besten Stimmen haben solten? Sie werden deutlich, vernehmlich und mit gehoͤrigem Nachdrukke reden, ihre Stim- men moͤgen so schlecht sein, als sie wollen. Haͤtte Roscius hastig und unannehmlich gesprochen, und den Mund zu vol genommen: so bin ich gut G 3 dafuͤr, dafuͤr, Cicero haͤtte ihn nicht der Rede werth geachtet, die er zu seinem Vortheile hielt. Die Worte sind uns verliehen, unsre Gedanken da- durch mitzutheilen. Es ist unbegreiflich unge- reimt, sie auf solche Art auszustoßen, daß die Leute sie entweder nicht verstehen, oder nicht zu verstehen begehren. Ich sage dir aufrichtig, daß ich nach deiner annehmlichen oder unannehmlichen Aussprache von deinen Geistesgaben urtheilen werde. Hast du welche, so wirst du eher nicht ruhen, bis daß du eine Fertigkeit erlangt hast, hoͤchst annehmlich zu reden. Denn ich behaupte, daß das in deiner Macht steht.) (Du wirst deinen Fuͤhrer bitten, daß er dich taͤglich ihm laut vorlesen lasse, und dich, so oft du zu geschwind liesest, die gehoͤrigen Unterschei- dungszeichen nicht beobachtest, oder einen falschen Nachdruk auf ein Wort legest, unterbreche und verbessere. Du wirst Sorge tragen, die Zaͤhne beim Reden von einander zu thun, jedes Wort deutlich auszusprechen, und jeden deiner Freunde zu bitten, dich zu erinnern und anzuhalten, wenn du jemahls auf das hastige, unverstaͤndliche Ge- murmele murmele verfaͤlst. Du wirst sogar allein laut lesen, deine Aussprache nach deinem Gehoͤre stim- men, und anfangs langsamer lesen, als du noͤthig haͤttest, um dir die schaͤndliche Unart abzugewoͤh- nen, geschwinder zu reden, als du soltest. Kurz, wenn du anders recht denkst, wirst du es zu dei- nem Geschaͤfte, zu deiner Sorge und zu deinem Vergnuͤgen machen, wohl zu reden.) Die drei vornehmsten Gemeinoͤrter des Ge- spraͤchs sind, Religion, Staatsangelegenheiten, Neuigkeiten. Alle Menschen glauben sich auf die beiden ersten volkommen zu verstehen, obgleich sie sie nie studiert haben, und es begegnet ihnen daher leicht, daß sie eben so entscheidend als unwissend und folglich mit Hize daruͤber sprechen. Religion ist aber ganz und gar keine schikliche Materie des Gespraͤchs fuͤr eine vermischte Geselschaft; uͤber sie solte man blos unter wenigen, die sie studiert haben, zu gegenseitiger Belehrung sprechen. Sie ist ein zu großer und ehrwuͤrdiger Gegenstand, um eine gewoͤhnliche Gespraͤchsmaterie werden zu koͤnnen. Mische dich also nicht weiter in ein Ge- G 4 spraͤch spraͤch uͤber sie, als um deine algemeine Duldung gegen alle Irthuͤmer in derselben zu aͤussern, wo- fern man sich Gewissenshalber dazu verpflichtet glaubt: denn jederman hat eben dasselbe Recht, wie du, so und nicht anders zu denken, als er wirk- lich denkt; und in der That kan er auch nicht umhin, sich die Dinge so vorzustellen, wie sie sich ihm zeigen. Staatsangelegenheiten liegen schon mehr in jedermans Sphaͤre: und da ein jeder glaubt, daß auch sein Privatinteresse mehr oder weniger darin verwikkelt ist, so traͤgt auch niemand Bedenken, im entscheidenden Tone daruͤber zu sprechen, selbst die Damen nicht, obgleich man hierin mehr den Strom ihrer Beredsamkeit als die Gruͤndlichkeit ihrer Gedanken bewundern muß. Du kanst un- moͤglich vermeiden, in solche Gespraͤche verwikkelt zu werden, denn es werden kaum andre gefuͤhrt; aber sprich wenigstens kaltbluͤtig daruͤber und mit vieler lustigen Laune, und so bald du findest, daß die Geselschaft aus Patriotismus in Hize geraͤth und laut wird, so sei blos ein ruhiger Zuhoͤrer, es sei denn, daß du sie mit irgend einem angeneh- men Scherz unterbrechen und den guten Ton wie- derher- derherstellen kanst. Ich kan nicht umhin, hiebei anzumerken, daß nichts auf der Welt so geschikt ist, verdrießliche und verwirte Haͤndel kurz abzu- schneiden oder ihnen auszuweichen, als ein froͤh- licher und artiger Scherz. Ich habe das durch lange Erfahrung bestaͤtigt gefunden. Doch muß ein solcher Scherz nicht zu weit getrieben werden und in Bitterkeit ausarten; er muß leicht und gefaͤllig und doch nicht frivol sein; verstaͤndig, aber nicht spruchreich; kurz er muß ein gewisses Etwas haben, was jederman fuͤhlen, aber nie- mand beschreiben kan. Ueberhaupt, mein Lieber, glaub ich, daß der- jenige, der nicht groͤßtentheils gefaͤlt, fuͤr die Geselschaft so gut als erstorben ist, und daß ein jeder, der sich anhaltend bestrebt zu gefallen, we- nigstens in einem gewissen Grade gefallen wird. Die Kentniß der Menschen ist eine sehr nuͤzliche fuͤr jederman, aber eine hoͤchstnothwen- dige fuͤr dich, der du zu einer geschaͤftigen, oͤffent- lichen Lebensart bestimt bist. Du wirst mit allerlei Gemuͤthern zu schaffen bekommen; daher G 5 soltest soltest du sie durchaus kennen lernen, um sie ge- schikt zu lenken. Diese Wissenschaft laͤßt sich nicht sistematisch erlernen; du mußt dir sie durch eigne Erfahrung und Beobachtung erwerben. Ich wil dir solche Winke geben, die ich fuͤr nuͤzliche Wege- seulen bei deiner vorhabenden Reise halte. Ich habe dir oft gesagt, und es ist sehr wahr, wir duͤrfen in Ansehung der Menschen keine al- gemeinen Folgerungen aus gewissen besondern Grundsaͤzen ziehen, wiewohl sie, uͤberhaupt ge- nommen, richtig sind. Wir duͤrfen z. B. nicht annehmen, weil der Mensch ein vernuͤnftiges Thier ist, werde er auch allezeit vernuͤnftig han- deln, oder, weil er die und die herschende Leiden- schaft hat, so werde er immer und regelmaͤßig derselben gemaͤß verfahren. Nein, wir sind zusammengesezte Maschinen; und wiewohl wir eine Haupttriebfeder haben, die das Ganze in Bewegung sezt, haben wir doch auch viele kleine Raͤder, die ihrer Seits diese Bewegung verzoͤgern, beschleunigen und zuweilen gar ihr Einhalt thun. Laßt Laßt uns das an Beispielen sehen! Ich nehme an, der Ehrgeiz sei die herschende Leiden- schaft eines Staatsministers, wie er es denn ins- gemein ist; ich nehme auch an, daß dieser Mini- ster ein geschikter sei. Wird er denn darum den Gegenstand dieser herschenden Leidenschaft unver- aͤuderlich verfolgen? Kan ich sicher sein, er werde so und so han- deln, darum, weil er es solte? Nichts weniger! Krankheit oder Niedergeschlagenheit koͤnnen diese herschende Leidenschaft daͤmpfen; Launen und muͤrrisches Wesen koͤnnen daruͤber siegen, auch niedrigere Leidenschaften koͤnnen sie zuweilen uͤber- fallen und unterdruͤkken. Ist z. E. dieser ehrgeizige Staatsman zugleich geizig, so kan ein sich ploͤzlich zeigender großer Gewin das ganze Werk seines Ehrgeizes unter- graben. Ist er zornig, so kan Widerspruch und Reizung, (die zuweilen vielleicht gar aus listigem Vorsaze koͤmt,) hastige, unbesonnene Ausdruͤkke oder Handlungen hervorlokken, die seinen Haupt- entzwek vernichten. Ist er eitel und der Schmei- chelei ausgesezt, so kan ein schlauer, schmeichelnder Guͤnst- Guͤnstling ihn fehlfuͤhren, und die Traͤgheit selbst ihn zu gewissen Zeiten bewegen, daß er die noth- wendigen Schritte nach der Hoͤhe, auf die er gern kommen moͤgte, verabsaͤumt oder unterlaͤßt. Es gibt zwo widersprechende Leidenschaften, die jedoch, wie Man und Frau, einander oft be- gleiten, aber auch, wie so mancher Man und so manche Frau, einander insgemein nur hindern. Ich meine den Geiz und den Ehrgeiz. Der erste ist oft die wahre Ursache des lezten, und alsdan die herschende Leidenschaft. Das scheint er beim Kardinal Mazarin ge- wesen zu sein, der, um nur zu pluͤndern, alles that, sich zu allem verstand, und alles verzieh. Er liebte und suchte die Macht, gleich einem Wu- cherer, darum weil sie Gewin mit sich fuͤhrt. Wer blos nach dem ehrgeizigen Theile der Ge- muͤthsart dieses Mannes seine Meinung gefaßt, oder seine Maaßregeln genommen haͤtte, der wuͤrde sich oft betrogen gefunden haben. Einige, die das bemerkt hatten, machten dadurch ihr Gluͤk, daß sie sich von ihm beim Spiele betruͤgen ließen. Hinge- Hingegen Kardinal Richelieus herschende Lei- denschaft scheint der Ehrgeiz, und sein unermeß- licher Reichthum blos die natuͤrliche Folge von dessen Befriedigung gewesen zu sein. Gleichwohl zweifle ich nicht, daß der Ehrgeiz zuweilen beim Mazarin , und wieder der Geiz beim Richelieu geherscht habe. Der lezte, im Vorbeigehn gedacht, ist ein so starker Beweis des Widersprechenden der mensch- lichen Natur, daß ich nicht umhin kan, anzufuͤh- ren, daß er, indem er seinen Koͤnig und sein Va- terland regierte, und gewissermaßen der Schieds- richter des Schiksals von ganz Europa war, groͤs- sere Eifersucht gegen des Corneille ausgebreiteten Ruf, als gegen die Macht Spaniens, hegte; und es ihm lieber war, fuͤr das, was er nicht war, fuͤr den groͤßten Dichter gehalten zu werden, als fuͤr das, was er gewiß war, fuͤr den groͤßten Staatsman in Europa. Die Staatsangelegen- heiten mußten ruhen, indem er auf Kritiken uͤber den Cid san. Solte man das wohl fuͤr moͤglich halten, wenn man nicht wuͤßte, daß es wahr ist? Sind Sind schon die Menschen alle von gleicher Zu- sammensezung, so haben doch in jedem einzelnen die mannichfaltigen Theile ein so verschiedentliches Verhaͤltniß, daß ihrer nicht zween voͤllig gleich sind, und nicht einer zu allen Zeiten sich selbst gleich ist. Der Kluͤgste wird zuweilen etwas schwachsinniges vornehmen, der Stolzeste etwas niedriges, der Ehrlichste etwas boͤses, und der Gotloseste etwas gutes. Studiere demnach die einzelnen Personen; und wenn du, wie du solst, die staͤrksten Zuͤge von ihrer herschenden Leidenschaft entlehnst, so verspare das lezte Ausmahlen, bis daß du die Wirkungsart ihrer geringern Neigungen, Begier- den und Launen beobachtet und entdekt hast! Eines Menschen algemeine Denkungsart kan die von dem ehrlichsten Man von der Welt sein. Dawider streite nicht; man wuͤrde dich fuͤr nei- disch oder boͤsartig halten. Zugleich aber nim nicht diese Ehrlichkeit in solchem Grade auf Treue und Glauben an, daß du dein Leben, dein Gluͤk oder deinen guten Nahmen in seine Macht steltest! Zergliedere erst diesen ehrlichen Man, so wirst du im im Stande sein, zu urtheilen, in wie weit du ihm mit Sicherheit trauen darfst, oder nicht. Frauenzimmer sind einander viel aͤhnlicher, als Mansleute. Sie haben insgemein nur zwei Leidenschaften, Eitelkeit und Liebe. Das sind ihre algemeinen Kenzeichen. Eine Agrippine kan sie dem Ehrgeize, oder eine Messaline der Geilheit aufopfern. Diese Beispiele aber sind selten; ge- woͤhnlicher Weise zielt alles, was sie sagen oder thun, auf Befriedigung der beiden erstgenanten Hauptleidenschaften ab. Die kleinste Rede oder Handlung, die sich moͤglicher Weise als Gering- schaͤzung oder Verachtung auslegen laͤßt, ist ihnen unverzeihlich, und wird niemahls von ihnen ver- gessen werden. Die Manspersonen sind in dem Stuͤkke eben- fals zaͤrtlich, und werden eher Unrecht als Be- schimpfung vergeben. Einige sind argwoͤhnischer, als andre; einige sind allezeit verkehrten Sins; alle aber haben einen solchen Antheil von Eitelkeit, daß sie sich durch die mindeste Spur von Gering- schaͤzung und Verachtung beleidigt finden. Nicht jeder macht Anspruch darauf, ein Dichter, Ma- thematiker thematiker oder Statsman zu sein, und dafuͤr gehalten zu werden. Jeder aber macht Anspruch auf gemeinen Verstand, und wil seinen Plaz in der Geselschaft mit gewoͤhnlichem Anstande ein- nehmen. Daher vergibt er nicht leicht die Nach- laͤßigkeiten, Sorglosigkeiten und Geringschaͤzun- gen, die diese beiden Anspruͤche in Zweifel zu ziehen, oder sie ihm ganz abzulaͤugnen scheinen. Die Menschen uͤberhaupt vertragen es eher, wenn man sie an ihre Laster und Verbrechen, als wenn man sie an ihre kleinen Fehler und Schwach- heiten erinnert. Die ersten rechtfertigen oder entschuldigen sie, ihrer Meinung nach, in gewisser Maaße durch starke Leidenschaften, Verfuͤhrung und Kunstgriffe andrer. Sich aber seine kleinen Fehler und Schwachheiten vorhalten zu lassen, das sezt eine Schwaͤche des Geistes voraus, die fuͤr die von unsrer Natur unzertrenbare Eigenliebe und Eitelkeit zu kraͤnkend ist. Zieh diejenigen in Verdacht, die irgend eine Tugend auf besonders gezwungne Art annehmen, sie sie uͤber alle andre erheben, und gewissermaßen zu verstehen geben, daß sie sie einzig und allein besaͤßen. Ich sage, ziehe sie in Verdacht, denn sie sind insgemein Betruͤger; aber glaube nicht fest, daß sie es allezeit sind! Denn zuweilen habe ich Heilige gekant, die wirklich from, Praler, die wirklich tapfer, Verbesserer der Sitten, die wirk- lich ehrlich, und Sproͤde, die wirklich keusch waren. Dringe selbst, so tief du kanst, in die geheimen Gaͤnge deines Herzens, und nim niemahls blind- lings eines Menschen Karakter auf den gemei- nen Ruf an, der zwar insgemein in den großen Zuͤgen richtig, allezeit aber in den besondern Um- staͤnden irrig ist. Steh auf deiner Hut vor denen, die dir bei einer geringen Bekantschaft ihre unverlangte und unverdiente Freundschaft aufdringen! Denn ver- muthlich schmeicheln sie dir nur um ihres eignen Vortheils willen. Zugleich aber weise sie, dieser algemeinen Voraussezung halben, nicht mit Un- hoͤflichkeit ab! Theophron 2. Th. H Unter- Untersuche ferner, und sieh zu, ob solche un- erwartete Anerbietungen aus einem warmen Her- zen und einfaͤltigen Kopfe, oder aus einem ver- schlagenen Kopfe und kalten Herzen kommen. Denn Betrug und Thorheit haben oft die nemli- chen Merkmale. Im ersten Falle hat es keine Gefahr, wenn man sie fuͤr so viel annimt, als sie werth sind. Im leztern kan es nuͤzlich sein, wenn man sich das Ansehen gibt, als naͤhme man sie an, indem man gleichwohl bei sich selbst beschließt, ganz und gar nicht darauf zu rechnen, sondern vielmehr gegen den, der sie thut, mit verdoppelter Vorsicht auf seiner Hut zu sein. Es gibt unter jungen Leuten, die sich blos zu gemeinschaftlichen Vergnuͤgungen zusammenge- sellen, eine Unmaͤßigkeit in der Freundschaft, die sehr oft uͤble Folgen hat. Eine Anzahl warmer Herzen und unerfahrner Koͤpfe, durch die Froͤh- lichkeit des Gastmahls, und vielleicht durch ein wenig zu viel Wein erhizt, geloben an, und mei- nen es zu der Zeit in vollem Ernst, fuͤr einander ewige Freundschaft zu hegen, und schuͤtten unbe- sonnener sonnener Weise gegenseitig ihre ganze Sele ohne die mindeste Zuruͤkhaltung aus. Diese Vertrau- lichkeiten werden hernach eben so unbesonnen wie- derholt, als sie Anfangs errichtet wurden; oder aber es zerstoͤren neue Vergnuͤgungen und neue Oerter diese uͤbelbefestigten Freundschaften; alsdan wird von solcher uͤbereilten Vertraulichkeit oft sehr uͤbler Gebrauch gemacht. Spiele du deine Rolle unter jungen Gesel- selschaftern besser. Thue es ihnen, wenn du kanst, in aller der unschuldigen Lustigkeit und Froͤhlich- keit, die der Jugend wohl laͤßt, zuvor! Aber deine ernsthaften Absichten verschweige! Diese vertraue nur einem einzigen gepruͤften Freunde, der erfahr- ner ist, als du, und von dem es, weil er eine von der deinigen ganz verschiedne Lebensart einschlaͤgt, nicht wahrscheinlich ist, daß er deinen Mitbuler abgeben werde. Denn das wolte ich dir nicht rathen, dich so sehr auf die menschliche Helden- tugend zu verlassen, daß du hoffen oder glauben soltest, dein Mitwerber wuͤrde jemahls in der streitigen Sache dein Freund sein. H 2 In In die Augen fallende, bunt gefaͤrbte und voͤllig bestimte Gemuͤthsarten zu erkennen, dazu bedarf man geringe Kentniß und Erfahrung der Welt. Es sind deren wenige, und sie kuͤndigen sich sogleich an. Allein die unmerklichen Schat- tierungen, die nur schwach fortschreitende Stuffen- folge zwischen Tugend und Laster, Verstand und Thorheit, Staͤrke und Schwaͤche, (daraus aber sind die meisten Karaktere zusammengesezt) zu unterscheiden, dazu gehoͤrt einige Erfahrung, viele Beobachtung und scharfe Aufmerksamkeit. Die meisten Leute thun in den nemlichen Faͤllen die nemlichen Dinge; nur mit diesem wich- tigen Unterschiede, auf dem der Erfolg insgemein beruht, daß, wer die Welt studiert hat, weiß, wan sie zu rechter Zeit und am rechten Orte an- zubringen sind. Ein solcher hat die Gemuͤthsarten zergliedert, mit denen er zu thun hat, und richtet seine Anrede, seine Gruͤnde, ihnen gemaͤß ein. Ein Man aber von gemeinem guten Verstande, wie man es nent, der blos bei sich selbst nachge- dacht, nicht mit den Menschen gehandelt hat, bringt alles zu unrechter Zeit, an unrechtem Orte an, an, laͤuft eilfertig und toͤlpisch auf das Ziel zu, und faͤlt unterwegs auf die Nase. Bei den gewoͤhnlichen Sitten des geselligen Lebens weiß jeder von gesundem Verstande die Anfangsgruͤnde der Hoͤflichkeit, die Mittel, nicht zu beleidigen, und wuͤnscht sogar, zu gefallen. Hat er nun wirkliches Verdienst, so wird er in guter Geselschaft aufgenommen und geduldet wer- den. Das ist aber bei weitem noch nicht genug. Denn nimt man ihn gleich auf, so wird man sich doch nicht nach ihm sehnen; wird er gleich nicht anstoͤßig, so wird er doch auch nicht geliebt; wie bei einer kleinen, nichtsbedeutenden, neutralen Macht, an welche groͤssere angrenzen, wird nie- mand weder ihn fuͤrchten, noch seine Gunst suchen, hingegen wird nach der Reihe einer nach dem an- dern ihn anfallen, sobald es ihr Vortheil mit sich bringt. Eine sehr veraͤchtliche Lage! Wer hingegen die mancherlei Wirkungsarten des Herzens und des Kopfs erfahren und sorg- faͤltig beobachtet hat; wer aus einer Schattierung den ganzen Fortgang der Farbe herleiten kan; wer zu gehoͤriger Zeit alle die verschiednen Mittel, H 3 den Verstand zu uͤberreden, und das Herz einzuneh- men, anzuwenden weiß, der kan und wird zwar Feinde, wird aber und muß auch Freunde haben; man kan sich zwar ihm widersezen, er wird aber auch unterstuͤzt werden; seine Geistesgaben koͤnnen bei einigen Eifersucht erregen, sein einnehmendes Wesen aber wird ihn bei noch mehrern beliebt machen; er wird betraͤchtlich sein, und dafuͤr an- gesehen werden. Einen solchen Man zu bilden, ihn zugleich ehrwuͤrdig und liebenswerth zu machen, muͤssen viele verschiedne Eigenschaften zusammentreffen, und die geringste muß mit der groͤßten verbunden werden; diese wuͤrde ohne jene nichts helfen, jene wuͤrde ohne diese nichts werth sein. Gelehrsamkeit wird durch Lesung von Buͤchern erworben; allein die viel nothwendigere Gelehr- samkeit, die Kentniß der Welt, laͤßt sich blos erlangen, wenn man Menschen liest, und alle ihre verschiednen Ausgaben studiert. Insgemein haͤlt man in jeder Sprache viele Woͤrter fuͤr gleich- bedeutend; die aber die Sprache aufmerksam un- tersuchen, werden finden, daß sie es nicht sind; sie werden werden zwischen allen den Woͤrtern, die man ge- woͤhnlicher Weise gleichbedeutend neut, einen kleinen Unterschied entdekken. Das eine hat im- mer mehr Nachdruk, Umfang, Feinheit, als das andre. So ist es auch mit den Menschen. Ueber- haupt sind sie alle einander gleich; aber nicht zwei von ihnen sind es voͤllig. Die sie nicht sorg- faͤltig beobachtet haben, verkennen sie bestaͤndig, bemerken nicht die Schattierung, den stufenweisen Abfal derjenigen Gemuͤthsarten, die sich aͤhnlich scheinen, ohne es zu sein. Geselschaft, mannich- faltige Geselschaft, ist fuͤr diese Wissenschaft die einzige Schule. Welt haben ist, meiner Meinung nach, ein sehr richtiger, gluͤklicher Ausdruk davon, wenn man Geschiklichkeit und gutes Bezeigen hat, und sich in allen Geselschaften gehoͤrig aufzufuͤhren weiß. Es faßt mit Wahrheit in sich, daß ein Mensch, der diese Volkommenheiten nicht besizt, nicht zur Welt gehoͤrt. Ohne sie sind die besten Gaben unwirksam, Hoͤflichkeit ist ungereimt, und Frei- heit anstoͤßig. H 4 Ein Ein großer, in seiner Zelle zu Oxford oder Cambridge verrostender, Gottesgelehrte wird vortrefliche Schluͤsse uͤber des Menschen Natur vor- bringen; er wird Kopf, Herz, Vernunft, Willen, Leidenschaften, Sinne, Empfindungen und alle die Unterabtheilungen der menschlichen Geistes- kraͤfte scharf zergliedern; gleichwohl kent er un- gluͤklicher Weise den Menschen nicht; denn er hat nicht mit ihm gelebt; er weiß nichts von allen den mancherlei Arten, Fertigkeiten, Vorurtheilen und Geschmak, die stets auf ihn Einfluß haben, und oft ihn bestimmen. Er betrachtet den Men- schen wie die Farben auf Sir Isaak Newtons Prisma, wo nur die Hauptfarben zu sehen sind. Ein erfahrner Faͤrber hingegen kent alle ihre man- nichfaltigen Schattierungen und Stuffenfolgen, nebst der Wirkung ihrer Mischungen. Wenige sind von einfacher, bestimter Farbe, die meisten vermischt und schattiert, und wechseln nach den verschiednen Lagen eben so sehr ab, wie spielende Seidenfarben nach dem verschiedentlichen Lichte. Das alles weiß ein Man, der Welt hat , aus eigner Erfahrung und Beobachtung. Der einge- eingebildete, einsiedlerische Philosoph weiß es aus eigner Theorie nicht. Seine Ausuͤbung ist un- schiklich und ungereimt. Er handelt eben so ungeschikt, als derjenige tanzen wuͤrde, der nie- mahls andre haͤtte tanzen sehen, noch bei einem Tanzmeister gelernt, hingegen die Noten studiert haͤtte, in denen izt die Taͤnze, so wie die Melo- dien, niedergeschrieben werden. Beobachte du die Anrede, das gefaͤllige Wesen und die Sitten derer, die Welt haben, und ahme sie nach! Sieh zu, durch welche Mittel sie zuerst guͤnstige Eindruͤkke machen, und hernach vermeh- ren! Diese Eindruͤkke sind weit oͤfter kleinen Ur- sachen, als einem innern Verdienste zuzuschreiben. Verdienst ist nicht so fluͤchtiger Art, und thut keine so schleunige Wirkung. Eine gewisse Wuͤrde der Sitten ist unum- gaͤnglich nothwendig, um selbst der schaͤzbarsten Person entweder Ehre zu verschaffen, oder zu verdienen. Ungeschlifner Scherz, Faustbalgerei, haͤufiges, lautes Gelaͤchter, Possenspiele und eine Gemein- H 5 machung machung ohne Unterschied wird sowohl Verdienst, als Wissenschaft bis zu einem Grade von Verach- tung erniedrigen. Sie machen hoͤchstens einen lustigen Spasvogel aus; ein lustiger Spasvogel aber ist noch niemahls eine ehrenvolle Person gewesen. Gemeinmachung ohn Unterschied be- leidigt entweder hoͤhere, oder macht uns ihnen unterwuͤrfig, zu Jaherrn und Belachern ihrer Einfaͤlle. Geringern gibt sie gerechte, aber be- schwerliche und unschikliche Anspruͤche auf Gleich- heit. Ein Spasvogel ist nahe mit einem Schalks- narren verwandt; und keiner von beiden hat die geringste Verwandschaft mit wahrem Wize. Wer aus andern Gruͤnden, als wegen seines Verdienstes oder seiner Sitten, in Geselschaften zugelassen oder gesucht wird, der wird niemahls darin geehrt, sondern man bedient sich seiner blos. “Wir wollen den und den kommen lassen, denn er singt schoͤn; wir wollen den und den zum Balle einladen, denn er tanzt schoͤn; wir wollen den und den zum Abendessen rufen, denn er scherzt und lacht bestaͤndig; wir wollen den und den hohlen lassen, denn er spielt alle Spiele hoch mit, mit, oder er kan gut zechen.„ Das sind alles erniedrigende Unterscheidungen, entehrende Vor- zuͤge, die allen Begrif von Hochschaͤzung und Achtung ausschließen. Wer nur wegen eines einzelnen Dings gerufen wird, der ist blos das- selbe einzelne Ding; man betrachtet ihn niemahls auf einer andern Seite; folglich wird er niemahls geehrt, sein Verdienst sei so groß, als es wolle. Die Wuͤrde der Sitten, die ich dir empfehle, ist nicht nur eben so verschieden vom Hochmuthe, als wahre Herzhaftigkeit von Pralerei, oder wahrer Wiz von Schwaͤnken; sondern vertraͤgt sich auch ganz und gar nicht mit ihm. Denn nichts entehrt oder erniedrigt mehr, als Hoch- muth. Des Hochmuͤthigen Anspruͤche nimt man oͤfter mit Gelaͤchter und Verachtung, als mit Unwillen auf, so wie man auslachender Weise Handelsleuten ein zu niedriges Gebot thut, die laͤcherlicher Weise zu viel fuͤr ihre Waaren fodern. Gibt aber jemand blos einen gerechten, billigen Preis an, da handeln wir nicht lange. Nieder- Niedertraͤchtige Schmeichelei und ohne Unter- schied gegebener Beifal erniedrigt eben so sehr, als Widerspruch ohn Unterschied und geraͤusch- voller Streit verdrießlich faͤlt. Hingegen be- scheidne Behauptung seiner Meinung, und ge- faͤllige Beistimmung gegen andrer ihre, behaupten die Wuͤrde. Niedrige, poͤbelhafte Ausdruͤkke, uͤbellassende Bewegung und Anrede erniedrigen, weil sie ent- weder niedrige Denkungsart, oder niedrige Er- ziehung und niedrige Geselschaft verrathen. Nichtswuͤrdige Neugier nach Kleinigkeiten, muͤhsame Aufmerksamkeit auf geringfuͤgige Dinge, die weder das Nachsinnen von einem Augenblikke erfordern, noch verdienen, erniedrigen einen Men- schen. Man schließt daraus, und nicht mit Un- recht, er sei groͤßerer Dinge unfaͤhig. Ein gewisser Grad aͤußerlichen Ernstes in Blikken und Bewegungen gibt Wuͤrde, schließt aber Wiz und anstaͤndige Lustigkeit nicht aus, die allezeit allezeit an sich selbst etwas Ernsthaftes haben. Bestaͤndige Lustigkeit auf dem Gesichte und un- ruhige Geschaͤftigkeit des Leibes sind starke An- zeigen von Nichtswuͤrdigkeit. Wer sich unruhig anstelt, der zeigt, daß die vorhabende Sache fuͤr ihn zu groß ist. Eilfertigkeit und unruhiges Wesen sind ganz verschiedne Dinge. Ich habe blos einige von den Stuͤkken er- waͤhnt, welche Leute, die in andern Dingen schaͤz- bar genug sind, in der Meinung der Welt ernie- drigen koͤnnen, und wirklich erniedrigen. Aber ich habe nichts von denen gedacht, die den sitlichen Ruf herunter sezen. Wer sich geduldig hat schla- gen und stoßen lassen, der kan eben so gut auf Herzhaftigkeit Anspruch machen, als der, welcher mit Lastern und Verbrechen beflekt ist, auf Wuͤrde von irgend einer Art. Deine sitliche Gemuͤths- beschaffenheit muß daher nicht nur rein, sondern auch, wie Caͤsars Frau, vom Argwohn frei bleiben. Der geringste Flekken an derselben ist verderblich. Nichts entehrt und erniedrigt mehr; denn es erwekt und vereinigt Verachtung und Abscheu. Abscheu. Demohngeachtet gibt es in der Welt elende Koͤpfe, die so gotlos sind, alle Begriffe vom sitlichen Guten und Boͤsen zu verlachen, zu behaupten, sie schikten sich blos an gewisse Oerter, hingen gaͤnzlich von den Gebraͤuchen und Moden verschiedner Laͤnder ab. Ja, es gibt, wo moͤglich, noch abgeschmak- tere Koͤpfe; ich meine solche, die gezwungner Weise dergleichen ungereimte, schaͤndliche Begriffe predigen und fortpflanzen, ohne sie selbst zu glau- ben. Das sind verteufelte Heuchler. Vermeide, so viel moͤglich, solcher Leute Geselschaft, die allen mit ihnen umgehenden einen Grad von Un- ehre und Schande zuziehen! Da du aber zuwei- len durch Zufal in solche Geselschaft gerathen kanst, so trage große Sorge, daß keine Gefaͤlligkeit, kein aufgeraͤumtes Wesen, keine Hize festlicher Lustig- keit, dir jemahls den Schein gebe, als ließest du solche schaͤndliche Lehren hingehen, weitweniger, als billigtest du sie, oder fielest ihnen bei! Auf der andern Seite streite nicht, und brauche nicht ernsthafte Gruͤnde in einer Materie, die so tief unter denselben ist! Laß es dabei bewenden, solchen solchen Aposteln zu sagen: “Du wuͤßtest schon, sie redeten nicht im Ernste; du haͤttest von ihnen eine viel bessere Meinung, als die sie dir beibrin- gen wolten, und waͤrst sicher, sie wuͤrden die Lehre, die sie predigten, selbst nicht ausuͤben.„ Insgeheim aber zeichne dir sie aus, und meide sie nachher auf immer! Nichts ist so zart, als dein sitlicher guter Name, und an nichts muß dir mehr gelegen sein, als denselben rein zu erhalten. Soltest du in Verdacht der Ungerechtigkeit, Bosheit, Treulosigkeit und Luͤgen kommen, so werden alle Geistesgaben, alle Wissenschaft von der Welt, dir niemahls Hoch- achtung, Freundschaft oder Ehrerbietung ver- schaffen. Ein seltsames Zusammentreffen von Umstaͤnden hat zwar zuweilen sehr boͤse Menschen zu hohen Aemtern befoͤrdert; aber sie sind auf eben die Art aufgestelt worden, wie Missethaͤter an einem Pranger, wo ihre Personen und Ver- brechen, weil sie mehr dem Anblikke ausgesezt sind, nur um so viel mehr bekant, verabscheut, beschimpft und gemißhandelt werden. Die Die einzige Schwierigkeit ist, (ich bin aber sicher, du hast Verstand genug dazu) zwischen den rechten und schiklichen Eigenschaften und den mit ihnen verwandten Fehlern einen Unterscheid zu machen. Denn es gibt nur eine Linie zwischen jeder Volkommenheit und ihrer benachbarten Un- volkommenheit. Du mußt, zum Beispiele, uͤberaus artig und hoͤflich sein, aber ohne das beschwerliche, steife Wesen der Staatsgebraͤuche. Du mußt ehrer- bietig und zum Beifalgeben fertig, darum aber keinesweges knechtisch, noch niedertraͤgtig sein. Du mußt dich offenherzig bezeigen, jedoch ohne Schwazhaftigkeit; mußt zuruͤkhaltend sein, jedoch ohne ein sproͤdes Wesen anzunehmen. Du mußt deines Standes Wuͤrde behaupten, jedoch ohne den geringsten Stolz auf Herkunft oder Rang. Du mußt lustig sein, aber innerhalb aller Schran- ken der Anstaͤndigkeit und Ehrerbietung; und ernsthaft, ohne gezwungne Anmaßung von Weis- heit, die dem Alter von zwanzig Jahren nicht ansteht. Du mußt wesentlich verschwiegen sein, nicht aber dunkel und geheimnißvol. Du mußt standhaft, standhaft, sogar kuͤhn sein, aber mit großer Bescheidenheit. Nichts hat ein junger Mensch bei seinem Ein- tritte in die Welt mehr zu fuͤrchten, und nichts solt’ er daher sorgfaͤltiger zu vermeiden suchen, als daß man ihm nicht etwas Laͤcherliches anhaͤn- gen moͤgte. Das entehrt ihn bei dem vernuͤnftig- sten Theile der Menschen, bei den uͤbrigen aber stuͤrzt es ihn ganz und gar; und ich habe manchen gekant, der dadurch ungluͤklich geworden ist, daß er sich einen laͤcherlichen Beinahmen zuzog. Um aller Welt willen wolte ich nicht, daß du dir einen Beinahmen zuziehen soltest, wenn du nach England zuruͤkkomst. Laster und Verbrechen erregen Haß und Vorwuͤrfe, aber Fehler, Schwach- heiten und Unschiklichkeiten, machen uns laͤcherlich. Nachaͤffende Leute machen sie sich zu Nuze, die, wiewohl sie oft selbst sehr veraͤchtliche Schurken sind, dennoch oft durch ihre Schwaͤnke beßre Leute veraͤchtlich machen. Die kleinen Fehler des Be- zeigens, der Aussprache, Anrede, Miene, selbst der Gestalt, wiewohl hoͤchst ungerechter Weise, Theophron 2. Th. J werden werden Gegenstaͤnde des Gelaͤchters, und Ursachen von Zunahmen. Du kanst dir nicht genug vorstellen, welchen Kummer es mir, und welchen Nachtheil es dir verursachen wuͤrde, wenn man dich, zum Unter- schiede von andern, den murmelnden Stan- hope, den zerstreuten Stanhope, den un- gezognen Stanhope, den toͤlpischen, link- beinigten Stanhope nennen solte. Trage daher große Sorge, es außer die Gewalt des Gelaͤchters selbst zu sezen, dir eins solcher kurzweiligen Bei- woͤrter zu geben! Denn hast du es einmahl, so haͤngt es dir an, wie ein vergiftetes Hemde. Es gibt Leute, die sich eine Art von Luͤgen er- lauben, die sie fuͤr unschuldig halten, und die es auch in einem gewissen Verstande ist; denn sie schadet keinem, als ihnen selbst. Diese Art Luͤgen ist das unaͤchte Kind der Eitelkeit und Thorheit. Solche Leute geben sich viel mit dem Wunder- baren ab. Ist etwas Merkwuͤrdiges in einer Geselschaft oder an einem Orte gethan oder ge- sagt worden, so sind sie alsbald gegenwaͤrtig ge- wesen, wesen, und geben sich fuͤr Augenzeugen davon aus. Sie selbst haben Dinge gethan, die noch von keinem andern jemahls versucht, oder volbracht worden sind. Sie sind stets die Helden ihrer eignen Maͤhrchen, und glauben dadurch Achtung oder wenigstens gegenwaͤrtige Aufmerksamkeit zu gewinnen. Alles jedoch, was sie wirklich davon tragen, ist Gelaͤchter und Verachtung, nebst einem guten Theile von Mistrauen. Denn man muß natuͤrlicher Weise schließen: wer irgend eine Luͤge aus bloßer Eitelkeit vorbringt, der werde kein Bedenken tragen, eine noch groͤßere zu seinem Vortheile zu sagen. Haͤtt’ ich wirklich etwas so Außerordentliches gesehen, daß es fast unglaublich waͤre: so wolt’ ich es lieber bei mir behalten, als jemandem eine Minute lang Anlaß geben, an meiner Wahrheits- liebe zu zweifeln. Es ist ausgemacht, daß einem Frauenzimmer der Ruf der Keuschheit nicht noth- wendiger ist, als der Ruf der Wahrheitsliebe einem Manne. Um Gottes willen halte gewissenhaft und eifersuͤchtig uͤber der Reinigkeit deines sitlichen J 2 guten guten Namens! Erhalte ihn unbeflekt, unbe- scholten, so wird er in keinen Verdacht gezogen werden. Ueble Nachrede und Verlaͤumdung thun keinen wirklich schaͤdlichen Angrif, wo es nicht eine schwache Seite gibt. Sie vergroͤßern wohl, erschaffen aber nicht. Ich kenne in der That nichts lasterhafters, niedertraͤchtigers und zugleich laͤcherlichers als das Luͤgen. Es ist entweder die Wirkung der Bos- heit, oder Feigheit, oder Eitelkeit, und verfehlt insgemein bei jeder dieser Absichten seinen Endzwek. Denn Luͤgen werden allezeit, fruͤher oder spaͤter, entdekt. Wenn ich eine boshafte Luͤge zum Scha- den des Vermoͤgens oder guten Nahmens eines Menschen sage: so kan ich ihm zwar eine Zeitlang schaden; ich kan jedoch sicher sein, daß ich zulezt am meisten dabei leiden werde. Denn so bald man mich entdekt, (das wird aber gewiß geschehen) verliere ich wegen des schaͤndlichen Versuchs, den guten Nahmen eines andern zu beflekken, meinen eigenen, und was nur nachher zu desselben Men- schen Nachtheile gesagt wird, gilt, so wahr es auch sein mag, fuͤr Verlaͤumdung. Wenn Wenn ich luͤge, oder zweideutig rede, (denn das ist das nemliche) um etwas, das ich gethan oder gesagt habe, zu entschuldigen, und die Ge- fahr der Schande, die ich daher befuͤrchte, zu vermeiden: so verrathe ich zugleich beides, meine Furcht und Falschheit, und anstat der Gefahr der Schande zu entgehen, vermehre ich sie nur. Ich zeige mich als den Niedertraͤchtigsten unter den Menschen, und bin sicher, auch so behandelt zu werden. Hat jemand das Ungluͤk, einen Irthum oder Fehler begangen zu haben; so findet sich etwas Edles in der freimuͤthigen Bekennung des- selben. Dis ist der einzige Weg, ihn wieder gut zu machen, und Verzeihung zu erhalten. Hin- gegen zweideutig reden, Ausfluͤchte suchen, und Kunstgriffe gebrauchen, um einer gegenwaͤrtigen Gefahr oder Ungemaͤchlichkeit zu entgehen, ist etwas so Niedriges, verraͤth so viele Feigherzig- keit, daß der, welcher so handelt, allezeit Stoͤße verdient, und oft auch sie bekoͤmt. Merke dir demnach fuͤr dein ganzes Leben, daß nichts als genaue Wahrheit dich ohne Verlezung des Gewissens und der Ehre durch die Welt brin- J 3 gen gen kan! Sie ist nicht nur deine Pflicht, sondern auch dein Vortheil. Zum Beweise davon kanst du allezeit sehen, daß die aͤrgsten Thoren auch die groͤßten Luͤgner sind. Ich meines Orts urtheile nach jedes Menschen Wahrhaftigkeit von dem Grade seines Verstandes. Jede Vortreflichkeit und jede Tugend hat irgend eine Untugend oder Schwachheit zur Verwandtin. Freigebigkeit artet oft in Verschwendung aus, Sparsamkeit in Geiz, Herzhaftigkeit in uͤbereilte Hize, Behutsamkeit in Schuͤchternheit, und so weiter. Ich glaube daher, es erfodere mehr Be- hutsamkeit, unsre Tugenden gehoͤrig auszuͤuͤben, als die ihnen entgegenstehenden Laster zu vermeiden. Das Laster ist in seinem wahren Gesichts- punkte so haͤßlich, daß es uns auf den ersten Blik anstoͤßig wird, und schwerlich jemahls verfuͤhren wuͤrde, wenn es nicht, wenigstens im Anfange, die Larve der Tugend truͤge. Tugend hingegen ist so schoͤn, daß sie auf den ersten Anblik bezaubert, nimt uns bei naͤherer Bekantschaft immer staͤrker ein, und wir halten dabei, so wie bei andern Schoͤn- Schoͤnheiten, das Uebermaß fuͤr unmoͤglich. Da- her ist hier Urtheilskraft noͤthig, um die Wirkun- gen einer vortreflichen Ursache zu maͤßigen und zu leiten. Ich wil gegenwaͤrtig das Gesagte nicht auf eine besondre Tugend, sondern auf eine Vortref- lichkeit anwenden, die aus Mangel an Urtheils- kraft oft die Ursache laͤcherlicher und tadelhafter Wirkungen wird. Ich meine große Gelehrsam- keit, die, wenn nicht gesunde Urtheilskraft sie begleitet, uns oft zu Irthum, Stolz und Pedan- terie verfuͤhrt. Da ich nun hoffe, du wirst diese Vortreflichkeit kuͤnftig in ihrem aͤußersten Um- fange besizen: so werden dir die Winke, die dir meine Erfahrung hieruͤber an die Hand geben kan, wahrscheinlicher Weise nicht unnuͤz sein. Einige auf ihr Wissen stolze Gelehrte reden blos, um zu entscheiden, und geben Urtheile von sich, von denen keine weitere Berufung gilt. Die Folge davon ist, daß die Menschen, durch die Beleidigung aufgebracht, und durch die Unter- druͤkkung beschimpft, sich empoͤren, und, um sich der Tirannei zu entschlagen, sogar ein rechtmaͤßi- J 4 ges ges Ansehen in Zweifel ziehen. Je mehr du weißt, desto bescheidner soltest du sein; und, im Vorbei- gehn gesagt, diese Bescheidenheit ist der sicherste Weg, deine Eitelkeit zu befriedigen, ohngeachtet ich nicht hoffe, daß das dein Bewegungsgrund dazu sein werde. Auch wo du deiner Meinung gewiß bist, da scheine lieber zweifelhaft; thue Vorstellungen, aber keine Ausspruͤche; und wenn du andre uͤberzeugen wilst, so stelle dich selbst bereit- willig, von andern uͤberzeugt zu werden! Noch andre, um ihre Gelehrsamkeit zu zeigen, oder auch vermoͤge der Vorurtheile ihrer Erziehung in der Schule, wo sie nichts anders hoͤrten, reden allezeit von den Alten so, als waͤren sie mehr noch als Menschen, und von den Neuern, als waͤren sie weniger. Sie fuͤhren stets einen oder zwei klassische Autoren in der Tasche. Sie halten sich fest an den alten gesunden Verstand, lesen nichts von dem Gewaͤsche der neuern, und erweisen haar- scharf, daß man seit den leztern siebzehn hundert Jahren in keiner Kunst oder Wissenschaft weiter gekommen ist. Nun Nun wolt’ ich zwar nicht, daß du deine Be- kantschaft mit den Alten ablaͤugnetest; weit weni- ger aber, daß du dich einer vorzuͤglichen Vertrau- lichkeit mit ihnen ruͤhmtest. Rede von den Neuern ohne Verachtung, und von den Alten ohne Abgoͤtterei. Urtheile von ihnen allen nach ihren Verdiensten, nicht aber nach ihrer Zeit! Soltest du von ungefaͤhr einen klassischen Autor von elzevirischer Ausgabe in der Tasche fuͤhren, so zeige ihn nicht vor, und rede nicht davon! Einige große Gelehrte hohlen alle ihre Grund- saͤze, beides im oͤffentlichen und gemeinen Leben, aus dem her, was sie aͤhnliche Faͤlle in den alten Schriftstellern nennen; ohne zu bedenken, daß in Ansehung des ersten seit Erschaffung der Welt niemahls zwei Faͤlle sich gaͤnzlich gleich gewe- sen sind, und daß in Ansehung des zweiten nie- mahls von irgend einem Geschichtschreiber ein Fal mit allen seinen Umstaͤnden ordentlich vorgestelt, oder auch nur gewußt worden ist. Diese Umstaͤnde muß man jedoch wissen, um richtig zu urtheilen. Erwaͤge du den Fal selbst mit den dabei befind- lichen Umstaͤnden, und handle darnach, nicht aber J 5 nach nach Ausspruͤchen alter Dichter oder Geschicht- schreiber! Nim, wenn du wilst, aͤhnlich scheinende Faͤlle dazu, aber blos als Huͤlfsmittel, nicht als Wegweiser! Wir werden durch unsre Erziehung so stark von Vorurtheilen eingenommen, daß, so wie die Alten ihre Helden, also wir ihre Narren vergoͤt- tern, unter die ich, mit aller gehoͤrigen Achtung fuͤr das Alterthum gesprochen, den Leonidas und Curtius als zwei der vorzuͤglichsten seze. Eine und eben dieselbe That kan ruhmwuͤrdiger Heroismus oder Narheit sein, jenachdem die Bewegungsgruͤnde, welche dabei zum Grunde lagen, vernuͤnftig oder thoͤrigt waren. Wer darf sich aber unterfangen, nach zwei, drei tausend Jahren in der Sele eines Mannes lesen zu wollen, von dem die Geschichte blos das, was er that , nicht das, was er dachte , aufbewahrt hat! C. Gleichwohl wuͤrde ein rechtschafner Pedant in einer Rede an das Parlament, die von einer Auf- lage von zwei Pence auf das Pfund bei irgend einer oder der andern Waare haudelte, diese zwei Helden als Beispiele von dem aufstellen, was wir fuͤr unser Vaterland thun oder leiden solten. Ich Ich habe diese Ungereimtheiten von Gelehrten ohne Urtheilskraft so weit treiben sehen, daß es mich gar nicht wundern solte, wenn bei einem unsrer Kriege mit den Galliern irgend ein gelehr- ter Pedant den Vorschlag thaͤte, man solte eine Anzahl Gaͤnse im Tower halten, wegen des unendlichen Nuzens, den im aͤhnlichen Falle die Roͤmer von einer Heerde Gaͤnse im Kapitol gehabt haͤtten. Diese Art zu schließen und zu reden wird stets einen armseeligen Staatsman und kindischen Marktschreier verrathen. Noch gibt es eine andre Art von Gelehrten, die zwar weniger schulgerecht und stolz, aber nicht weniger ungereimt sind. Das sind die geschwaͤ- zigen, schimmernden Pedanten, die ihr Gespraͤch, selbst mit Frauenzimmern, durch gluͤklich ange- brachte Stellen aus dem Griechischen oder Lateini- schen aufstuzen, und sich mit den Schriftstellern in beiden Sprachen so gemein machen, daß sie ihnen gewisse, eine besondere Vertraulichkeit an- zeigende, Namen oder Beiwoͤrter geben; als, der Altvater Homer , der schlaue Vogel Horaz, Maro anstat Virgil , und Naso anstat Ovid . Das Das thun ihnen denn oft Gekken nach, die ganz und gar keine Gelehrsamkeit besizen, sondern nur einige Namen und Brokken alter Schriftsteller auswendig gelernt haben, mit denen sie, geschikt oder ungeschikt, in allen Geselschaften um sich werfen, in der Hofnung, fuͤr Gelehrte angesehen zu werden. Wilst du daher die Beschuldigung der Pedan- terie auf einer, den Verdacht der Unwissenheit aber auf der andern Seite vermeiden, so enthalte dich der gelehrten Pralerei! Rede die Sprache der Geselschaft, in der du bist; rede sie rein, nicht mit Woͤrtern aus einer andern durchspikt! Gib dir nie- mahls das Ansehen, als waͤrest du weiser oder gelehr- ter, als die Anwesenden! Fuͤhre deine Gelehrsamkeit, so wie deine Repetieruhr, in der Tasche! Ziehe sie nicht heraus, und laß sie nicht schlagen, blos um zu zeigen, daß du eine hast! Fragt man dich, um welche Zeit es ist, so sag’ es; ruf’ es aber nicht alle Stunden aus, wie ein Nachtwaͤchter! Das unverlangte Herausziehen der Uhr gibt zu erken- nen, daß du der Geselschaft muͤde bist; die unver- langte langte Auskramung der Wissenschaft macht, daß die Geselschaft deiner muͤde wird. Merke dir uͤberhaupt: die Gelehrsamkeit, ich meine die griechische und roͤmische, ist ein sehr nuͤzlicher und nothwendiger Zierrath, und sie nicht wissen, wird bei einem Menschen, der eine gelehrte Erziehung gehabt hat, fuͤr eine Schande gehalten. Vermeide aber sorgfaͤltig die angefuͤhr- ten Irthuͤmer und Misbraͤuche, die sie nur zu oft begleiten! Auch merke dir, daß große neuere Gelehrsamkeit viel noͤthiger ist, als die alte, und daß es besser waͤre, du wuͤßtest den gegenwaͤrti- gen, als den alten Zustand von Europa; wiewohl ich lieber saͤhe, du kentest beide. Du bist nun zu einem Alter gekommen, das der Ueberlegung faͤhig ist, und ich hoffe, du wirst das thun, was von wenigen in deinen Jahren geschieht, das ist, deine Zeit um deiner selbst willen zur Aufsuchung der Wahrheit und einer gesunden Wissenschaft anwenden. Ich wil gestehen, (denn ich bin nicht abgeneigt, dir meine Geheimnisse zu entdekken) daß es nicht seit vielen Jahren ist, da ich ich mich erkuͤhnt habe, fuͤr mich selbst zu den- ken . Bis auf das sechszehnte oder siebzehnte Jahr hatte ich gar kein Nachdenken; und viele Jahre hernach bediente ich mich dessen nicht, das ich hatte. Ich nahm die Begriffe der Buͤcher an, die ich las, oder der Geselschaft, die ich hielt, ohne zu untersuchen, ob sie richtig waͤren, oder nicht. Lieber wolt’ ich es auf einen leichten Ir- thum wagen, als mir Zeit und Muͤhe zur Unter- suchung der Wahrheit nehmen. Solchergestalt ward ich, wie ich seitdem ge- funden habe, theils aus Faulheit, theils aus Zerstreuung, theils aus uͤbel verstandner Schaam, der Mode gemaͤße Begriffe zu verwerfen, durch Vorurtheile hingerissen, anstat von der Vernunft geleitet zu werden. Anstat Wahrheit aufzusuchen, unterhielt ich ruhig den Irthum. Seit ich mir aber die Muͤhe nahm, fuͤr mich selbst zu denken, und das Herz faßte, zu geste- hen, daß ich das thaͤte, kanst du dir nicht vor- stellen, wie sehr meine Begriffe von Dingen sich geaͤndert haben, aus welchen verschiednen Ge- sichtspunkten ich sie jezt betrachte, da ich sie vorher blos blos nach Leitung des Vorurtheils und Ansehens andrer betrachtete. Ja, es ist moͤglich, daß ich noch viele Irthuͤmer beibehalten habe, die vermoͤge langer Fertigkeit vielleicht zu wirklichen Meinungen geworden sind. Denn es ist sehr schwer, zei- tig erworbne und lange unterhaltene Fertigkeiten von den Ausspruͤchen unsrer Vernunft und der Ueberlegung zu unterscheiden. Mein erstes Vorurtheil (denn von Vorur- theilen der Kinder und Weiber, als da sind Ko- bolde, Erscheinungen, Traͤume, u. s. w. wil ich nicht reden) war meine klassische Schwaͤrmerei, mit der mich die Buͤcher, die ich las, und die Lehrer, die mir sie erkaͤrten, anstekten. Ich ward uͤberzengt, daß sich seit den leztern funfzehn hun- dert Jahren kein gesunder Verstand, keine gemeine Ehrlichkeit in der Welt gesunden haͤtte, sondern daß sie mit den alten griechischen und roͤmischen Reichen voͤllig erloschen waͤren. Homer und Virgil konten keine Fehler haben, weil sie al , Milton und Tasso keine Verdienste, weil sie neu waren. Ich koͤnte in Ansehung der Alten beinah das gesagt haben, was Cicero , auf sehr unge- reimte, reimte, einem Philosophen unanstaͤndige Weise, in Ansehung des Plato sagt, “ich wil lieber mit ihm irren, als mit andern richtig denken.„ Cum quo errare malim, quam cum aliis recte sentire. Nunmehr hingegen habe ich, ohne ausserordent- liche Anstrengung des Verstandes, ausfindig ge- macht, daß die Natur vor dreitausend Jahren die nemliche war, die sie izt ist; daß die Menschen nichts mehr als Menschen waren, damahls so gut wie izt; daß zwar Gewohnheiten und Gebraͤuche oft abwechseln, die menschliche Natur aber stets die nemliche bleibt. Ich kan eben so wenig anneh- men, daß vor funfzehn hundert oder drei tausend Jahren die Menschen besser, tapfrer oder weiser gewesen waͤren, als daß Thiere und Pflanzen da- mahls besser gewesen waͤren, als sie izt sind. Ich getraue mir auch nunmehr, den Goͤnnern der Alten zum Troz, zu behaupten, daß Homers Held Achil zugleich ein wildes Thier und ein Schurke, folglich sehr untauglich fuͤr die Rolle eines Helden im Heldengedichte war. Er trug so wenige Achtung fuͤr sein Vaterland, daß er nicht zu zu dessen Vertheidigung fechten wolte, darum weil er mit dem Agamemnon um eine Hure ge- zankt hatte; und hernach, blos durch eigne Rach- gier angetrieben, ging er herum, und nahm den Leuten niedertraͤchtiger Weise das Leben, denn so wil ich es nennen, weil er sich fuͤr unverlezt hielt. Bei aller seiner Unverlezlichkeit trug er gleichwohl die staͤrkste Ruͤstung von der Welt. Das war aber, wie ich mir demuͤthig vorstelle, ein gewaltiger Irthum. Denn ein Hufeisen, an seine verwund- bare Ferse geschlagen, wuͤrde hinlaͤnglich gewe- sen sein. Auf der andern Seite behaupte ich mit Dry- den , in aller Demuth gegen die Goͤnner der Neuern, daß der Teufel eigentlich der Held in Miltons Gedichte ist. Der Entwurf, den jener anlegt, verfolgt, und zulezt ausfuͤhrt, ist ja der Inhalt des Gedichts. Aus allen diesen Betrachtungen ziehe ich den unparteiischen Schluß, daß die Alten, grade so wie die Neuern, ihre Vorzuͤge und Fehler, ihre Tugenden und Laster hatten. Pedanterie und gezierte Gelehrsamkeit entscheiden deutlich zum Theophron 2. Th. K Vor- Vortheil der erstern, Eitelkeit und Unwissenheit eben so eifrig zum Vortheil der leztern. Meine Vorurtheile in der Religion hielten mit den klassischen gleichen Schrit. Es war eine Zeit, da ich es fuͤr unmoͤglich hielt, daß der ehr- lichste Man von der Welt ausser dem Schooße der englischen Kirche seelig werden koͤnte. Ich bedachte nicht, daß Meinungen nicht auf dem Willen beru- hen, daß es eben so natuͤrlich als zulaͤßig ist, daß ein andrer in Meinungen von mir abgehe, als ich von ihm; daß wir, wenn wir beide aufrichtig sind, auch beide ohne Tadel sind, und folglich gegen- seitige Nachsicht fuͤr einander haben solten. Jezt hingegen sehe ich deutlich ein, daß Irthuͤmer in Meinungen, so grob sie auch sein moͤgen, Mitlei- den verdienen, nicht aber Ahndung oder Gelaͤch- ter! Des Verstandes Blindheit ist eben so sehr zu bedauren, als der Augen ihre; und es ist weder Scherz noch Verschuldung, wenn sich ein Mensch in beiderlei Faͤllen von seinem Wege verirt. Die kristliche Liebe befielt uns, ihm, wenn wir koͤnnen, durch Gruͤnde oder Zureden zurecht zu helfen, zugleich zugleich aber untersagt sie, sein Ungluͤk entweder zu bestrafen oder zu verlachen. Jedes Menschen Vernunft ist ein Wegweiser, und muß es sein. Ich kan eben so gut fodern, daß jeder Mensch von meiner Laͤnge und Gesichts- farbe sein, als daß er gerade so schließen solte, wie ich. Jeder Mensch sucht Wahrheit; Gott allein aber weiß, wer sie gefunden hat. Es ist daher eben so ungerecht, die Leute wegen der verschied- nen Meinungen, die sie nach Ueberzeugung ihrer Vernunft zu hegen nicht umhin koͤnnen, zu ver- folgen, als es ungereimt ist, sie darum zu verla- chen. Wer luͤgenhaft redet oder handelt, der ist strafbar; nicht aber, wer ehrlich und aufrichtig die Luͤgen glaubt. Die Vorurtheile, die ich nun zunaͤchst annahm, waren die aus der galanten Welt. Da ich ent- schlossen war, darin zu schimmern, so hielt ich die sogenanten vornehmen Laster fuͤr nothwendig. Ich hoͤrte sie dafuͤr halten, und glaubte es ohne weitere Untersuchung. Wenigstens wuͤrd’ ich mich geschaͤmt haben, es zu laͤugnen, um mich K 2 nicht nicht dem Gelaͤchter derer auszustellen, die ich als Muster artiger Herrn betrachtete. Izt aber schaͤme ich mich nicht, ohne Scheu zu behaupten, daß diese faͤlschlich so genanten vorneh- men Laster blos so viele Schandflekken selbst an einem Weltmanne und artigen Herrn sind, und ihn selbst in derer Meinung herunter sezen, wel- chen er dadurch zu gefallen gedenkt. Dieses Vor- urtheil geht so weit, daß ich Leute gekant habe, die, anstat ihre wahren Laster sorgfaͤltig zu ver- bergen, sogar noch auf solche Anspruch machten, die sie wirklich nicht an sich hatten. Gebrauche du und behaupte deine eigne Ver- nunft! Erwaͤge, untersuche und zergliedere alles, um ein gesundes, reifes Urtheil zu faͤllen! Laß kein der oder der hat es gesagt deinen Verstand betruͤgen, deine Handlungen fehlfuͤhren, oder dir Vorschriften wegen deines Verhaltens geben! Sei fruͤhzeitig das, was du, wo du es nicht bist, zu spaͤt gewesen zu sein wuͤnschen wirst! Ziehe bei Zeiten deine Vernunft zu Rathe! Ich sage nicht, daß sie allezeit ein untrieglicher Richter sein wird; denn denn menschliche Vernunft ist nicht unfehlbar; aber sie wird der am wenigsten irrende Wegweiser sein, dem du nur folgen kanst. Buͤcher und Ge- spraͤche koͤnnen ihr beistehen. Folge jedoch keinen von beiden blindlings auf Treue und Glauben! Pruͤfe beide nach der besten Richtschnur, die uns Gott zu unsrer Leitung verliehen hat, der Vernunft! Unter allen Bemuͤhungen lehne doch ja nicht, wie viele thun, die zu denken von dir ab! Vom großen Haufen der Menschen laͤßt sich kaum sagen, daß er denkt. Und uͤberhaupt, glaube ich, ist es besser, daß es so ist. Bei der dermaligen Lage, worin dieser große Haufe sich befindet, freilich wohl! Sonst ist es, duͤnkt mich, Laͤsterung gegen den Schoͤpfer, zu behaupten, daß es fuͤr irgend eine Klasse seiner mit Vernunft begabten Geschoͤpfe bes- ser sei, diese Vernunft unangebaut und un- gebraucht zu lassen, als sie zu uͤben und an- zuwenden. C. Denn die gemeinen Vor- urtheile tragen mehr zur Ordnung und Ruhe bei, als die eigne besondre Vernunft dieser Leute, die so wenig ausgebildet und geuͤbt ist, dazu beitra- K 3 gen gen wuͤrde. Aber daraus folgt mit nichten, daß man diese bisher so wenig ausgebildete und geuͤbte Ver- nunft, eben so roh und ungebildet lassen muͤsse, wenn man die Mittel zur Ausbildung in sei- ner Gewalt hat. C. Wir haben in unserm Lande viele solche nuͤzliche Vorurtheile, deren Abstellung mir sehr leid thun solte. Mir nicht; wenn nur kein anderes Vorur- theil, sondern wirklich vernuͤnftige Einsicht an ihre Stelle gesezt wird. C. Die ehrliche Ueberzeu- gung der Protestanten, daß der Pabst der Anti- krist und die babilonische Hure ist, dient unserm Lande zum kraͤftigern Verwahrungsmittel vor dem Pabstthume, als alle von Chillingworth vorge- tragene triftige, unbeantwortliche Gruͤnde. Eine wirklich erleuchtete Vernunft wuͤrde ein noch viel kraͤftigeres Verwahrungsmittel da- gegen sein. C. Das nichtige Maͤhrchen, daß der Praͤtendent in einer Waͤrmflasche zur Koͤnigin waͤre ins Bette gebracht worden, dem es an Wahrscheinlichkeit sowohl als an Grunde fehlt, ist der Sache der Ja- kobiten schaͤdlicher gewesen, als alles, was Lokke und und andre geschrieben haben, um den Ungrund, die Ungereimtheit der Lehren vom unerloͤschlichen Erbrechte und vom unbedingten leidenden Gehor- same darzuthun. Die einfaͤltige, stolze Einbildung, die man sich hier in den Kopf gesezt hat, ein Eng- laͤnder koͤnte drei Franzosen aus dem Felde schlagen, muntert gleichwohl einen Englaͤnder auf, und hat ihn zuweilen in den Stand gesezt, ihrer zween wirklich zu schlagen. Ein Franzose wagt munter sein Leben fuͤr die Ehre des Koͤnigs . Woltest du den Ge- genstand verruͤkken, den man ihn gelehrt hat vor Augen zu haben, und ihm sagen, es goͤlte das Beste des Vaterlandes , so wuͤrd’ er vermuth- lich davon laufen. Dergleichen grobe, an gewisse Oerter gebund- ne, Vorurtheile haben uͤber den großen Haufen der Menschen die Oberhand, betruͤgen aber nicht ausgebildete, unterrichtete und nachdenkende Se- len. Hingegen gibt es eben so falsche, wenn gleich nicht so offenbar ungereimte, Vorurtheile, die Leute von hoͤherem, ausgebildetem Verstande blos darum hegen, weil sie sich nicht die noͤthige Muͤhe K 4 zum zum Untersuchen geben, nicht die gehoͤrige Auf- merksamkeit zum Nachforschen, noch die zur Un- terscheidung der Wahrheit erforderliche Scharfsich- tigkeit anwenden. Das sind Vorurtheile, vor denen du dich durch maͤnliche Anstrengung und Uebung deiner denkenden Kraft verwahren solst. Um nur ein Beispiel unter Tausenden zu be- ruͤhren, die ich dir angeben koͤnte! Es ist ein alge- meines, seit sechzehnhundert Jahren fortgepflanz- tes Vorurtheil, Kuͤnste und Wissenschaften koͤnten unter einer unumschraͤnkten Regierung nicht in bluͤhendem Stande sein; der Geist muͤßte noth- wendig gefesselt werden, wo die Freiheit einge- schraͤnkt wird. Freilich, wenn man Kuͤnste und Wissenschaf- ten in der eingeschraͤnkten Bedeutung nimt, worin der Verfasser sie genommen hat, wie aus dem Folgenden erhellet, so mag diese Mei- nung ein Vorurtheil sein; aber wenn man wahre Aufklaͤrung des menschlichen Gei- stes uͤber diejenigen Gegenstaͤnde, welche ihm die wichtigsten sind , darunter versteht: so ist nichts gewisser, als daß der Despotis- mus, besonders wenn er von Hierarchie begleitet wird, einer solchen Aufklaͤrung grade entgegenarbeitet. C. Das Das klingt nun scheinbar, ist aber in der That falsch. Handwerke zwar, als Feldbau, Manufacturen, u. s. f. werden herunter kommen, wenn wegen der Beschaffenheit der Regierungs- art der Gewin und das Eigenthum unsicher sind. Warum aber die unumschraͤnkte Regierung das Genie eines Meßkuͤnstlers, Sternkundigen, Dich- ters oder Redners fesseln solte, das habe ich, ge- stehe ich gern, niemahls entdekken koͤnnen. Dieses nun wohl freilich nicht; aber auch nicht den forschenden Untersuchungsgeist in religioͤsen, philosophischen und solchen Ma- terien, welche die Rechte der Menschheit betreffen? C. Sie kan zwar Dichtern und Rednern die Freiheit entziehen, gewisse Materien auf die Art, wie sie wuͤnschen wuͤrden, auszufuͤhren; laͤßt ihnen aber noch Materien genug zur Uebung des Genies uͤbrig, wenn sie anders welches haben. Kan wohl ein Schriftsteller sich mit Vernunft beschweren, er waͤre gefesselt, wenn es ihm nicht frei steht, got- teslaͤsterliche, unzuͤchtige oder aufruͤhrische Dinge herauszugeben? Das alles ist ja in den freiesten K 5 Regie- Regierungsarten, wenn es anders weise und wohl geordnete sind, eben so sehr verboten. Das ist nun gegenwaͤrtig die algemeine Klage der franzoͤsischen Schriftsteller; in der That aber nur der schlechten. “Kein Wunder, sprechen sie, daß England so viele große Geister hervorbringt! Die Leute denken dort, wie sie wollen, und geben das heraus, was sie denken.„ Ganz recht! Wer aber hindert denn sie, zu denken, wie sie wollen? Antwort: die Bastille ! dafern sie unvor- sichtig genug sind, ihre Gedanken laut werden zu lassen. C. Freilich, wenn sie auf eine Art denken, die fuͤr alle Religion und Sitlichkeit verderblich ist, oder Unruhen im Staat erregt; so wird gewiß eine unumschraͤnkte Regie- rung sie nachdruͤklicher von der Herausgebung sol- cher Gedanken abhalten, oder sie dafuͤr bestrafen, als eine freie thun koͤnte. Wie kan das aber den Geist eines Heldendichters, Schauspieldichters oder lirischen Poeten fesseln? Oder wie verderbt es die Kunst eines Redners auf der Kanzel oder vor Gerichte? Die Die vielen guten franzoͤsischen Schriftsteller, als Corneille, Racine, Boileau, la Fontaine , die dem goldnen roͤmischen Zeitalter den Preis streitig zu machen schienen, bluͤhten unter der unumschraͤnkten Herschaft Ludwigs des vier- zehnten Aber unter eben dieser Regierung bluͤheten auch Aberglaube und Fanatismus, mit allen ihren Folgen von Dumheit, Verfolgungs- sucht und Grausamkeit. C. . Selbst die beruͤhmten Schrift- steller zu Augusts Zeiten erlangten ihren Ruf nicht eher, als nachdem bereits dieser grausame, unwuͤrdige Kaiser dem roͤmischen Volke die Fesseln angelegt hatte. Die Wiederherstellung der Wissenschaften war auch nicht einer freien Regierung zuzuschreiben, sondern der Aufmunterung und dem Schuze des Pabstes Leo des zehnten , und Franz des ersten von Frankreich. Der lezte war so un- umschraͤnkt, als ein Pabst, der erste ein so wil- kuͤhrlicher Fuͤrst, als nur jemahls einer regiert hat. Versteh mich nicht unrecht, als wolt’ ich, indem ich blos ein Vorurtheil tadle, der wilkuͤhr- lichen lichen Macht das Wort reden! Ich verabscheue sie von ganzer Sele, und betrachte sie als eine grobe, boshafte Verlezung der natuͤrlichen Rechte der Menschlichkeit. Die gelehrte Pedanterie, vor der ich dich nun hinlaͤnglich gewarnt zu haben glaube, erinnert mich an eine andere, welche ich die Geschaͤfts- pedanterie nennen moͤgte, und worauf junge Leute aus Stolz, weil sie jung bei Geschaͤften an- gestelt werden, immer gern zu verfallen pflegen. Sie nehmen eine gedankenvolle Miene an, fuͤhren Klage uͤber die Last der Geschaͤfte, geben geheimnis- volle Winke von sich, und scheinen schwanger von Geheimnissen zu sein, ob sie gleich in der That sich keiner bewußt sind. Rede du vielmehr niemahls von Geschaͤften, als gegen Leute, mit welchen du sie zu verrichten hast; und wenn du am meisten zu verrichten hast, so bemuͤhe dich, dir die Mine eines Muͤßigen zu geben! Noch Noch muß ich dich vor einem sehr gewoͤhn- lichen Fehler junger Leute warnen, der zwar die Sitten nicht unmittelbar betrift, aber doch nicht selten eben so traurige Folgen, als Bosheit und Laster, hat. Das ist die Verschwendung . Ein Thor verschleudert ohne Ruhm und Vor- theil mehr, als ein Man von Verstande mit bei- dem ausgibt. Der lezte wendet sein Geld so an, wie seine Zeit; verthut nie einen Schilling von dem ersten, noch eine Minute von der andern, wenn es nicht fuͤr etwas ist, das entweder ihm oder andern nuͤzt, oder vernuͤnftiger Weise ge- fallen kan. Der Thor hingegen kauft, was er nicht braucht, und bezahlt das nicht, was er noͤthig hat. Er kan nicht den Reizungen eines Pup- penkrams widerstehen. Tabaksdosen, Uhren, Stokknoͤpfe, u. s. w. bringen ihn an den Bettel- stab. Seine Bedienten und die Handwerkslente rotten sich mit seiner eignen Traͤgheit zusammen, um ihn zu betruͤgen. In kurzer Zeit findet er sich mit Erstaunen unter allen den laͤcherlichen, uͤber- fluͤßigen fluͤßigen Dingen in einem Mangel der wahren Nothwendigkeiten des Lebens. Ohne Sorgfalt und Ordnung wird selbst nicht das groͤßte Vermoͤgen, mit ihnen aber wird bei- nahe das kleinste zur Bestreitung alles noͤthigen Aufwandes hinreichen. So viel du kanst, be- zahle alles baar, was du kaufst, und huͤte dich, Rechnungen auflaufen zu lassen! Zahle auch das Geld selbst aus, nicht durch Bediente, die sich entweder einen Schilling vom Pfunde ausbedin- gen, oder ein Geschenk dafuͤr fodern, daß sie, wie sie zu sagen pflegen, ein gutes Wort eingelegt haben. Wo du dir Rechnungen bringen lassen mußt, zum Beispiele, wegen des Essens, der Kleider, u. s. f. da zahle sie ordentlich jeden Monat ab, und zwar mit eignen Haͤnden! Kauf nicht, aus uͤbel verstandner Wirthlichkeit, etwas, das du nicht brauchst, darum, weil es wohlfeil ist, noch auch aus einfaͤltigem Stolze darum, weil es theuer ist! Berechne in einem Buche alles, was du ein- nimst und ausgibst! Ich meine nicht, du solst die Schillinge und halben Kronen berechnen, mit denen denen du die Miethkuͤschen, Opern, u. s. w. be- zahlst. Sie sind der Zeit und Tinte nicht werth, die sie kosten wuͤrden. Solche Kleinigkeiten uͤberlaß albernen Kerlen, denen es um einen Pfennig zu thun ist! Merke dir, daß du in der Haushaltung sowohl, als in allen andern Theilen des Lebens ge- hoͤrige Aufmerksamkeit auf gehoͤrige Dinge wen- den, und gehoͤrige Verachtung gegen kleine hegen mußt. Eine starke Sele sieht die Dinge in ihrem wahren Verhaͤltnisse, eine schwache aber durch ein Vergroͤßerungsglas, das aus dem Floh einen Ele- phanten macht, alle kleine Dinge vergroͤßert, große aber nicht fassen kan. Ich habe gesehen, daß mancher fuͤr einen Geizhals gehalten wurde, weil er einen Pfennig sparte, und um zween Stuͤber strit, da er indessen sich um sein Vermoͤ- gen brachte, indem er mehr verthat, als er ein- nahm, und nicht auf wichtige Ausgaben Acht hatte, die uͤber seinen Verstand gingen. Das sichre Kenzeichen eines gesunden, starken Geistes ist, in jeder Sache die festgesezten Grenzen ausfindig zu machen, uͤber die disseits und jen- seits seits hinaus nichts weiter recht ist Quos ultra citraque nequit consistere rectum. . Sie wer- den durch eine sehr zarte Linie bezeichnet, die blos guter Verstand und Aufmerksamkeit entdekken koͤn- nen, und die fuͤr gemeine Augen viel zu fein ist. Bei den Sitten heißt diese Linie Wohlanstaͤndig- keit; was daruͤber hinaus geht, ist beschwerliches Zeremonienwerk; was darunter zuruͤkbleibt, un- anstaͤndige Nachlaͤßigkeit und Achtlosigkeit. In der Ausuͤbung ist sie die Scheidewand zwischen pralerischer, puritanischer Strenge und einer la- sterhaften Gelindigkeit. In der Religion trent sie Aberglauben von Gotlosigkeit, und kurz, jede Tugend von der mit ihr verwandten Untugend oder Schwachheit. Am meisten huͤte dich vor der Verschwen- dung deiner Zeit , besonders derjenigen, welche deinen Studien oder deinen Geschaͤften geheiliget sein muß. In deinem Alter darfst du dich nicht schaͤmen, denen, welche dich zu unzeitigen Lust- barkeiten verfuͤhren wollen, zu sagen: du muͤß- test um Entschuldigung bitten; denn du waͤrest genoͤthigt, genoͤthigt, diese Zeit mit deinem Hofmeister, Herrn Harte , zuzubringen; ich, dein Vater, wolt’ es so haben; und du duͤrftest nicht anders verfahren. Schieb nur die ganze Schuld auf mich; wiewohl ich uͤberzeugt bin, daß es eben sowohl deine, als meine Neigung ist. Solchen albernen muͤßigen Leuten, denen ihre Zeit zu lang wird, und die gern auch andre um die ihrige bringen wolten, darf man nicht erst Gruͤnde vor- legen; damit wuͤrde man ihnen wirklich zu viel Ehre erweisen. Die kuͤrzeste, hoͤflichste Antwort ist die beste. Ich kan nicht, ich darf nicht; nicht aber, ich wil nicht. Denn woltest du dich mit ihnen auf die Nothwendigkeit des Lernens und auf die Nuͤzlichkeit der Wissenschaften einlassen, das gaͤbe blos Stof zu ihren einfaͤltigen Scherzreden, die du zwar, wie ich verlange, nicht achten, jedoch auch nicht veranlassen solst. Ich wil einmahl annehmen, du befaͤndest dich zu Rom, studiertest jeden Vormittag sechs Stun- den nach einander mit Herrn Harte , braͤchtest deine Abende in der besten Geselschaft zu, beobach- tetest deren Sitten, und bildetest dich nach ihnen. Theophron 2 Th. L Ferner Ferner wil ich eine Anzahl muͤßiger, herumschlen- dernder, ungelehrter Englaͤnder annehmen, deren es insgemein dort einige gibt, die lediglich unter einander leben, in ihren Wohnungen zusammen essen, trinken und spaͤt aufsizen, und wenn sie betrunken sind, Lerm und Haͤndel anfangen. Von diesen artigen Kerlen wil ich einen herausheben, und dir ein Gespraͤche zwischen dir und ihm liefern, so, wie ich wohl sagen darf, daß es auf seiner Seite, und, wie ich hoffe, daß es auf der deini- gen lauten wird. Er. Wollen Sie morgen zu mir zum Fruͤh- stuͤk kommen? Unsrer werden vier bis fuͤnf Lands- leute beisammen sein. Wir haben Wagen bestelt, und wollen nach dem Fruͤhstuͤkke eine Spazier- fahrt auf das Land vornehmen. Du. Es thut mir sehr leid, daß ich nicht kan. Ich muß mich den ganzen Vormittag zu Hause halten. Er. Nun gut, so kommen wir, und fruͤh- stuͤkken bei Ihnen. Du. Das kan auch nicht geschehen. Ich bin bereits versprochen. Er. Er. Nun, so mag es uͤbermorgen sein. Du. Ihnen die Wahrheit zu sagen, so geht es an keinem Tage Vormittags an. Denn vor zwoͤlf Uhr gehe ich nicht aus, und halte auch keine Geselschaft zu Hause. Er. Was den Teufel fangen Sie denn da bis Glokke zwoͤlf allein an? Du. Ich bin nicht allein, Herr Harte ist bei mir. Er. Nun, was Teufel haben Sie denn mit ihm vor? Du. Wir treiben zusammen verschiedne Stu- dien, und unterreden uns. Er. Wahrhaftig, eine artige Zeitverkuͤrzung! Wollen Sie denn etwan ein Geistlicher werden? Du. Nein! aber ich denke, ich muß meines Vaters Befehlen nachkommen. Er. Wie! hast du nicht mehr Wiz, als daß du dich um einen alten Kerl bekuͤmmerst, der tau- send Meilen weit ist? Du. Wenn ich mich nicht um seine Befehle bekuͤmmerte, wuͤrd’ er sich nicht um meine Wech- sel bekuͤmmern. L 2 Er. Er. Damit droht dir der alte Narr? Leute, die bedroht werden, leben deswegen doch lange. Kehre dich niemahls an Drohungen! Du. Ich kan nicht sagen, daß er mir in meinem Leben gedroht haͤtte. Mir deucht aber, ich thue am besten, wenn ich ihn nicht aufbringe. Er. Haha! Sie wuͤrden einen erbosten Brief von dem alten Kerl erhalten; und damit waͤr’ es alle. Du. Sie kennen ihn gar nicht recht. Er thut allezeit mehr, als er sagt. Er ist, so viel ich mich entsinne, Zeit Lebens noch nicht gegen mich erbost gewesen. Solt’ ich ihn aber aufbringen, so bin ich sicher, er wuͤrde mir niemahls vergeben. Er wuͤrde auf eine kaltbluͤtige Art unbeweglich sein. Vergebens wuͤrde ich bitten und flehen, und mich todt schreiben. Er. Nun, so ist er ein alter Schurke; das ist alles, was ich sagen kan. Aber folgen Sie nicht auch fein from Ihrer Kindermuhme — wie heißt sie doch? — Herrn Harte ! Du. Ich kan es nicht laͤugnen. Er. Er. So plagt er Sie also den ganzen ge- schlagnen Morgen mit Griechisch, Latein, und Logik, und solchem Zeuge? Verwuͤnscht! Ich habe auch so eine Kindermuhme; aber niemahls hab’ ich mit ihr in meinem Leben in ein Buch gegukt. Ich habe die ganze Woche nicht einmahl ihr Gesicht gesehen, und fragte den Teufel darnach, wenn ich es auch niemahls wieder sehen solte. Du. Mein Hofmeister verlangt nie etwas von mir, das nicht vernuͤnftig ist, und zu meinem Besten gereicht. Daher bin ich gern in seiner Geselschaft. Er. Klingt ja, auf meine Ehre, recht spruch- reich und erbaulich! Auf diese Art wird man Sie fuͤr einen recht frommen jungen Menschen halten. Du. Nun, das wird eben kein großer Scha- de sein. Er. Wollen Sie denn also morgen auf den Abend zu uns kommen? Mit Ihnen werden un- srer zehn sein. Ich habe gar vortreflichen Wein. Da wollen wir uns recht lustig machen. Du. Ich danke Ihnen recht sehr. Aber ich bin morgen auf den ganzen Abend versprochen. L 3 Erst Erst muß ich zum Kardinal Albani gehen; und darauf bei der venezianischen Gesandtin speisen. Er. Wie zum Teufel koͤnnen Sie daran Ge- fallen finden, bestaͤndig mit den Auslaͤndern um- zugehen? Ich seze keinen Fuß zu ihnen, mit allen ihren verdamten vielen Umstaͤnden! Ich bin in ihrer Geselschaft unruhig, und, ich weiß nicht, wie es koͤmt, aber ich schaͤme mich. Du. Ich schaͤme mich nicht, und fuͤrchte mich auch nicht. Ich bin ganz ruhig bei ihnen; und sie sind ruhig in meiner Geselschaft. Ich lerne ihre Sprache, und bemerke ihre Gemuͤthsarten, indem ich mit ihnen spreche. Das ist ja wohl der Grund, warum wir ausser Landes geschikt wer- den. Nicht wahr? Er. Ich hasse die Geselschaft solcher sitsamen Weiber, solcher Staatsdamen. Ich, meines Orts, weiß gar nicht, was ich zu ihnen sagen sol. Du. Sind Sie denn jemahls mit ihnen umgegangen? Er. Nein, umgegangen eben nicht. Aber ich bin doch zuweilen mit ihnen in Geselschaft gewe- sen, wiewohl gar sehr wider meinen Willen. Du. Du. Wenigstens haben sie Ihnen doch nicht geschadet. Das ist vermuthlich mehr, als Sie von denen Frauensleuten sagen koͤnnen, mit wel- chen Sie umgehen. Er. Ich gestehe, das ist wahr. Aber bei alle dem wolt’ ich lieber ein halbes Jahr lang mit meinem Wundarzte zu thun haben, als ein ganzes Jahr mit Ihren Staatsdamen. Du. Sie wissen, der Geschmak ist verschie- den; und jeder folgt immer gern seinem eignen. Er. Richtig! Aber, Stanhope , du hast einen verteufelt seltsamen Geschmak. Den ganzen Vormittag bist du bei deiner Kindermuhme, den ganzen Abend in Staatsgeselschaften, und den ganzen langen Tag fuͤrchtest du dich vor dem alten Vater in England. Du bist doch ein wunderli- cher Kerl. Ich fuͤrchte, man wird gar nichts aus dir machen koͤnnen. Du. Das fuͤrchte ich wirklich auch. Er. Nun, so mags sein! Gute Nacht! Sie haben doch, hoffe ich, nichts dawider, wenn ich mich heute Abend wakker betrinke? Denn das wird gewiß zutreffen. L 4 Du. Du. Nicht das geringste; auch dawider nichts, wenn Sie sich morgen wakker krank be- finden. Und das wird eben so gewiß zutreffen. Also gute Nacht! Du wirst bemerken, daß ich dir nicht die trif- tigen Gruͤnde in den Mund gelegt habe, die dir, wie ich sicher weiß, bei solcher Gelegenheit beifal- len wuͤrden; als Pflicht und Liebe gegen mich, Achtung und Freundschaft fuͤr Herrn Harte, Sorge fuͤr deinen eignen sitlichen Ruf und fuͤr alle die Pflichten eines Menschen, Sohns, Schuͤlers und Buͤrgers. Diese tuͤchtigen Gruͤnde wuͤrden gegen solche seichte Maulaffen nur weggeworfen sein. Ueberhaupt uͤberlaß sie ihrer Unwissenheit, ihren schmuzigen, schaͤndlichen Lastern! Sie werden Wirkungen derselben strenge empfinden, wenn es zu spaͤt sein wird. Ohne die trostvolle Zuflucht der Ge- lehrsamkeit, und bei aller der Krankheit und den Schmerzen eines zu Grunde gerichteten Magens und faulenden Leichnams ist das Alter, wenn sie ja noch dazu kommen, ein unruhiges und schimpfliches. Das Laͤcherliche, das solche Kerle auf diejenigen zu bringen suchen, die ihnen nicht aͤhnlich sind, sind, ist, nach der Meinung aller Verstaͤndigen, die zuverlaͤßigste Lobrede. Ich predige dir izt nicht, wie ein alter Kerl, uͤber geistliche oder sitliche Texte vor. Ich bin uͤberzeugt, der beste Unterricht dieser Art ist dir entbehrlich. Sondern ich rathe dir blos als ein Freund, als ein Weltman, und als einer, der nicht haben wil, daß du alt in der Jugend wer- den, sondern alle Vergnuͤgungen genießen solst, auf welche die Vernunft weiset, und fuͤr die der Anstand gut sagt. Ich nehme daher an, blos auf einige Zeit, (denn anders laͤßt es sich gar nicht annehmen) es waͤren alle die Laster dieser liederlichen Bursche an sich selbst volkommen un- schuldig: so wuͤrden sie doch immer die, welche sie ausuͤben, heruntersezen und entehren, ihre Erhebung in der Welt durch Erniedrigung ihres Rufs hindern, ihnen niedrige Denkungsart, un- edle Sitten beibringen, die sich gar nicht mit dem Ansehen vertragen, das sie sonst in der gesitteten Geselschaft und in wichtigen Geschaͤften erlan- gen koͤnten. L 5 Diese Diese Betrachtung wird, hoffe ich, nebst dei- nem eignen gesunden Verstande hinlaͤnglich sein, dich wieder die Verfuͤhrungen, Einladungen, oder ruchlosen Ermahnungen (denn Versuchungen kan ich sie nicht nennen) solcher ungluͤklichen jungen Leute zu wafnen. Meide sie aber nicht nur in der That, sondern auch dem Scheine nach, wilst du anders in guter Geselschaft wohl gelitten sein. Denn man wird stets sich scheuen, denjenigen auf- zunehmen, der von einem Orte koͤmt, wo die Pest wuͤthet, solte er auch noch so gesund aussehen. Aber es gibt eine andere Gattung von Ver- fuͤhrern, welche noch unweit gefaͤhrlicher ist, als diese, weil sie sich von einer sehr verbindlichen und einnehmenden Seite darzustellen pflegen. Das sind die schoͤngekleideten und schoͤnredenden Abentheurer und Schmarozer Chevaliers d’industrie. , deren man in jeder großen Hauptstadt, nirgends aber haͤufiger, als in Paris findet. Ich wil dir diese schaͤndliche Brut etwas deutlicher beschreiben. Da Da redet dich ein Herr Marquis oder ein Herr Ritter in einem schoͤnen, mit Spizen besezten Rokke und niedlichen Aufzuge in der Komoͤdie oder an einem andern oͤffentlichen Orte an; gewint auf den ersten Anblik unendliche Achtung fuͤr dich; sieht, daß du ein Fremder vom ersten Range bist; bietet dir seine Dienste an, und wuͤnscht nichts eifriger, als dir, so viel nur in seinem geringen Vermoͤgen steht, zu den Annehmlichkeiten des Orts zu verhelfen. Er kent einige Frauenzimmer von Stande, die eine kleine, annehmliche Ge- selschaft, eine kleine, allerliebste Abendmahlzeit mit rechtschafnen Leuten lieber haben, als den Tu- mult und die Zerstreuung der großen Welt. Er wird mit dem groͤßten ersinlichen Vergnuͤgen die Ehre haben, dich bei diesen vornehmen Damen einzufuͤhren. Gut, wenn du nun dieses freundliche Er- bieten annaͤhmst, und mit ihm gingest, wuͤrdest du im dritten Stokwerke eine schoͤne, ge- schminkte, freche Hure finden, in einem verschos- senen, aus der zweiten oder dritten Hand ge- kauften, ehemahls praͤchtigen Kleide in Gesel- schaft schaft einiger ziemlich wohlgekleideten Gauner, die mit den Titeln Marquis, Graf und Ritter beehrt werden. Das Frauenzimmer empfaͤngt dich auf die hoͤflichste, gefaͤlligste Art. Wiewohl sie die Eingezogenheit liebt, und die große Welt scheut, bekent sie sich doch dem Herrn Marquis fuͤr ver- bunden, daß er ihr einen so unschaͤzbaren, unver- gleichlichen Bekanten, zugefuͤhrt hat, als dich. Ihre Besorgniß ist nur, wie sie dir die Zeit kuͤrzen wil; denn in ihrem Hause gestattete sie niemahls, hoͤher als um ein franzoͤsisches Pfund zu spielen. Koͤntest du dir aber bis zum Abend- essen ein solches niedriges Spiel gefallen lassen, wohl gut! Du sezest dich denn zu dem kleinen Spiele nieder. Deine gute Geselschaft sorgt dafuͤr, dich funfzehn bis sechszehn franzoͤsische Pfund gewinnen zu lassen, und nimt daher Gelegenheit, dein gutes Gluͤk und dein geschiktes Spiel zu ruͤhmen. Nunmehr erscheint das Abendessen; und ein Gutes ist es, weil man sich darauf ver- laͤßt, daß du dafuͤr bezahlen solst. Die Mar- qutsin vertrit auf das artigste die Stelle der Wirthin, Wirthin, schwazt von schoͤnen Gesinnungen und guten Sitten, durchspikt das mit Kurzweile, und gibt dir Seitenblikke, die dir sagen, du duͤrftest mit der Zeit nicht verzweifeln, ihr besonderer Guͤnstling zu werden. Nach dem Abendessen wird zufalsweise von Pharao, Lansquenet oder Quince Erwaͤh- nung gethan. Der Ritter thut den Vorschlag, eins davon auf ein halbes Stuͤndchen zu spielen. Die Marquisin schreit dawider, und schwoͤrt, sie wird es nimmermehr zugeben. Doch laͤßt sie sich zulezt bewegen, weil man ihr versichert, es sol nur um eine Kleinigkeit gespielt werden. Nun ist denn der erwuͤnschte Augenblik ge- kommen. Das große Unternehmen hebt sich an. Du wirst wenigstens um alles dein bares Geld betrogen; und bleibst du spaͤte dort, so maust man dir vermuthlich Uhr und Tabaksdose, oder nimt dir wohl, groͤßerer Sicherheit halben, gar das Leben. Das ist, ich versichere dich, keine uͤbertriebene, sondern eine buchstaͤbliche Beschreibung dessen, was in großen Hauptstaͤdten rohen, unerfahrnen Fremden Fremden alle Tage begegnet. Merke dir, daß du alle diese hoͤflichen Herrn, die auf den ersten Anblik solchen Geschmak an dir finden, sehr frostig aufnehmen mußt, und sorge dafuͤr, daß du allezeit vorher versprochen seist, sie moͤgen dir vorschlagen, was sie nur wollen. Du kanst aber auch zuweilen in sehr großen und guten Geselschaften an verschlagne Leute kommen, die großes Verlangen tragen, folglich auch sicher sind, dir dein Geld abzugewinnen, so bald sie dich nur zum Spielen bringen koͤnnen. Seze es daher als eine unveraͤnderliche Regel fest, niemahls mit Mansleuten zu spielen, sondern nur mit gesittetem Frauenzimmer, und zwar nie- drig, oder auch mit Manspersonen und Frauen- zimmern vermischt. Zugleich aber, wenn man dich noͤthigen wil, hoͤher zu spielen, als du Lust hast, schlage es nicht altklug und spruchreich aus, durch Anfuͤh- rung der Thorheit, das auf das Spiel zu sezen, was doch jeder ungern verlieren wuͤrde, gegen das, dessen Gewinn er nicht noͤthig hat; sondern weiche solchen Einladungen nur lustig und kurz- weilend weilend aus. Sage, du wuͤrdest es vielleicht thun, wenn du sicher voraus wuͤßtest, daß du verlieren wuͤrdest; da du aber eben so gut gewin- nen koͤntest, so scheutest du dich vor der Be- schwerlichkeit des Reichthums, seit der Zeit, da du gesehen haͤttest, wie sehr er dem armen Har- lekin zur Last gefallen waͤre, und du haͤttest daher beschlossen, es niemahls darauf zu wagen, des Tages uͤber zwei Pistolen zu gewinnen. Diese leichte, scherzhafte Art, Einladungen zu Lastern und Thorheit abzulehnen, schikt sich besser fuͤr dein Alter, und richtet zugleich mehr aus, als ernsthafte philosophische Weigerungen. Einen jungen Menschen, der keinen eignen Willen zu haben scheint, sondern alles thut, was von ihm gefordert wird, nent man zwar einen gutherzigen, zugleich aber haͤlt man ihn auch fuͤr einen sehr einfaͤltigen jungen Menschen. Handle du weise, nach tuͤchtigen Grundsaͤzen, aus rich- tigen Bewegungsgruͤnden, behalte sie aber fuͤr dich, und rede niemahls spruchreich! Ladet man dich zum Trinken ein, so sprich: du woltest es zwar gern thun, koͤntest aber so wenig vertragen, daß daß es nicht der Muͤhe werth waͤre, anzufangen. Auf diese oder eine aͤhnliche Weise wirst du die lasterhaften Zumuthungen solcher Unholde ableh- nen, ohne in Gefahr zu gerathen, dich mit ihnen balgen zu muͤssen. Du hast mich oft von Georgen reden hoͤren, dem Sohne meines verstorbenen wuͤrdigen Freun- des, Sir Wilhelm F. Du weißt noch nicht die Schritte, die diesen vormahls vielverspre- chenden Juͤngling ins Verderben gefuͤhrt haben. Da sie nun sehr nuͤzliche Lehren fuͤr dich mit sich fuͤhren: so glaube ich meine Warnung vor jeder Art von Verfuͤhrung und Ausschweifung nicht schiklicher schließen zu koͤnnen, als wenn ich dir von diesen Schritten eine kurze Beschreibung mache. Nachdem Georg von der Einschraͤnkung der Schulzucht frei geworden war, betrat er auf der hohen Schule den Schauplaz des Muͤßig- gangs und der Zerstreuung. Als er zuerst zu den jungen Mitgliedern seiner neuen Geselschaft kam, bemerkte er, daß er uͤberal uͤberal mit der frostigen Miene der Gleichguͤltig- keit, oder dem sorglosen Laͤcheln der Verachtung aufgenommen ward. Es fehlte ihm nicht so sehr an Scharfsicht, daß ihm die Ursache, warum er so wenig galt, lange haͤtte unbekant bleiben sollen. Ein Kopf, der durch nichts als das verschoͤnert war, was ihm die Natur verliehen hatte, einige herabhaͤngende Haarlokken, ein Rok mit Borten, die voͤllig zwei Zol laͤnger waren, als es die Mode des Tages erfoderte, hatten ihn zum Gegenstande einer uͤberaus großen Verachtung gemacht. Er hatte diese Ursachen kaum entdekt, als er sogleich Anstalt traf, sie aus dem Wege zu raͤu- men. Es ward ein Schneider vom besten Ge- schmakke aufgesucht; der brachte ein mit groͤßter Kunst verfertigtes Kleid. Des Haaraufsezers Geschiklichkeit ward verschwenderisch angewandt. Ihm gluͤhte das Herz, als er sich so ausgeruͤstet sah, und mit hizigen Schritten eilt’ er nun zu sei- nen Kameraden. Ermuntert durch den lauten Beifal, der ihm nun an allen Orten, wohin er nur kam, entgegen stroͤmte, beschloß er, sich zum Anfuͤhrer im guten Theophron 2. Th. M Ton Ton auf der hohen Schule aufzuwerfen. Bis dahin hatt’ er sich mit geringfuͤgigen Lustbarkeiten begnuͤgt, die aber unschuldig, und dem Stande eines studirenden Juͤnglings angemessen waren. Allein nunmehr erweiterten sich seine Verbindun- gen, folglich auch seine Absichten. Um den Man voͤllig auszubilden, fand er, daß es noͤthig waͤre, sich durch Thaten hervorzu- thun, die uͤber eines schwachen Schulknaben Kraͤfte hinausgingen. Alsbald ward er, ohne Antrieb der Leidenschaft, ein Wolluͤstling, ohne Liebe zum Weine, ein Trunkenbold. Was war aber die Folge dieser ploͤzlichen Ver- aͤnderung? — An die Stelle unschuldiger Lustig- keit, und einer natuͤrlichen Heiterkeit trat erzwung- nes Laͤcheln und erkuͤnstelter Leichtsin. Wiewohl ihm seine Auffuͤhrung leid war, hatt’ er doch nicht Standhaftigkeit genug, sie zu bessern. Mit Wi- derstreben kehrt’ er zu Vergnuͤgungen zuruͤk, die er in seinem Herzen verabscheute, um den zudrin- genden Gedanken Einhalt zu thun, und sein sit- liches Gefuͤhl immer mehr und mehr abzustumpfen. Erfahrung hatte ihm nunmehr schon genug vom Laster Laster gezeigt, um ihm Abscheu dagegen einzufloͤßen; auch banden ihn die Fesseln der Gewohnheit noch nicht so fest, daß er nicht haͤtte wieder zu seiner Freiheit gelangen koͤnnen. Das war aber auch der entscheidende Zeitpunkt, da es noch moͤglich fuͤr ihn war, zuruͤkzutreten. Allein er ward verabsaͤumt. Durch oͤftere Wiederholung ausgelassener Vergnuͤgungen began der ungluͤkliche Juͤngling jenes Mistrauen zu verlieren, das den Neuling im Laster noch eine Zeitlang zu begleiten pflegt. Wenn er an seine anfaͤngliche Besorgniß und Unruhe zuruͤkdachte, kont’ er nicht umhin, sich uͤber sein voriges kindisches Wesen zu wundern. Die sorg- lose Lustigkeit seiner Kammeraden, deren die mei- sten viel aͤlter als er, und lange schon gegen die Schaamroͤthe der Sitsamkeit, gegen die Empfin- dungen der Unschuld, Fremdlinge geworden waren, bewog ihn, auf der Thorheit Laufbahn fortzuge- hen; und bald that er es den aͤrgsten von der Geselschaft in allen Vorzuͤgen einer voͤlligen Lie- derlichkeit gleich. M 2 Wie Wie wahr ist doch die Anmerkung, daß wir das Gute und das Boͤse in unserm verflossenen Leben nie richtiger beurtheilen, als wenn wir auf das Siechbette gelegt werden! Unser junge Held ward von einem heftigen Fieber befallen, und man that den Ausspruch, er waͤre dem Tode nahe. Nunmehr aͤußerte er unter haͤufigen Seufzern ein Gefuͤhl der Reue, graͤmte sich uͤber die Thorheiten der Jugend, und beschloß, wenn der Himmel ihm die Gesundheit wieder schenken solte, sich der Maͤßigkeit und Tugend zu widmen. Der Arzt machte Hofnung — und es vergin- gen wenig Wochen, so war er, wie vorher, wieder bei Gesundheit und Staͤrke. Hier gab es nun eine anderweitige Gelegen- heit, zu den gelassenen, unschuldigen Vergnuͤgun- gen eines gelehrten Lebens, desjenigen, fuͤr das er bestimt war, zuruͤkzukehren. Die Leidenschaf- ten lagen im Schlafe, die Staͤrke der Gewohn- heit war uͤberwaͤltigt worden, und jede Anlokkung war in der Entfernung. Unser junge Student ergrif den guͤnstigen Augenblik, gluͤhte vom Ge- fuͤhle seiner eigenen Besserung, und kurz, er war gluͤklich. An An Befolgung der Vorschriften des Anstandes laͤßt die lustige Welt es selten fehlen. Die Bekan- ten des Geneseten draͤngten sich herzu, ihm ihre Gluͤkwuͤnsche abzustatten. Anfangs nahm sie der Juͤngling mit der Frostigkeit eines Menschen auf, der alle seine Vergehungen ihrem Beispiele und ihrer Aufmunterung zuschrieb. Nun sahen sie wohl, daß er es an der gewoͤhnlichen lustigen Begruͤßung ermangeln ließe. Das schrieben sie aber der Ermattung der kuͤrzlich uͤberstandnen Krankheit zu. Sie wiederhohlten ihre Besuche, und durch ihr Anhalten uͤbermocht, kehrte er wie- der zu seinen verlassenen Freunden zuruͤk. Nunmehr ward sein Herz wider den Angrif der innern Ueberzeugung unwiederbringlich abgehaͤrtet. Die jugendlichen Laster, denen er bisher nachgehan- gen hatte, kamen ihm veraͤchtlich vor. Sein Genie, so großen Umfang es auch hatte, fand doch im kur- zen am Spieltische reichlichen Vorrath zur Beschaͤf- tigung und Unterhaltung. Die schnel auf einander folgenden Hofnungen und Besorgnisse uͤbten sein Gemuͤth so sehr, und erwekten zur Zeit des Spie- lens so heftige Regungen, daß ihm in der Zwi- M 3 schen schenzeit, da ihn weder Karten noch Wuͤrfel beschaͤftigten, das Leben selbst unschmakhaft und unertraͤglich ward. Die Flasche ist das nie ermangelnde Huͤlfs- mittel solcher, die von der Langenweile genoͤthiget werden, die Kuͤnste der Verschwendung des schaͤz- barsten von allen Guͤtern, der Zeit, zu studiren. Die Wuͤrfel zu schuͤtteln und den Pokal zu bekraͤn- zen, das war nunmehr Georgens ganze Beschaͤf- tigung. Die erstern schwaͤchten sein Vermoͤgen; der leztere richtete seine Gesundheit zu Grunde. Doch ich wuͤrde kein Ende finden, wenn ich die vielen Abwechslungen von Gluͤk und Ungluͤk, von Erhebung und Niedersenkung, denen der Ungluͤkliche ausgesezt war, herzaͤhlen wolte. Es sei genug, dir zu sagen, daß der beklagenswuͤrdige Juͤngling ein mehr als hinreichendes Vermoͤgen verspielte, das ihm im Alter Mittel verschaft haben wuͤrde, in Frieden der Ruhe zu genießen; daß er eine Leibesbeschaffenheit und Selenkraͤfte zu Grunde richtete, die ihn zum schaͤzbaren Mitgliede des Staats haͤtten machen koͤnnen; daß er ohne Achtung lebte, und unbedauert starb. Ich Ich schließe diesen weitlaͤuftigen Unterricht mit einer Betrachtung, welche dich ermuntern wird, jede Vorschrift, die ich dir gegeben habe, nach deinem besten Vermoͤgen in Ausuͤbung zu bringen. Bei allen Lehrgebaͤuden, es sei in der Religion, Staatskunst, Sittenlehre, oder in irgend einer andern Wissenschaft, ist allezeit Volkommenheit der vorgesezte, wiewohl moͤglicher Weise nie zu errei- chende Endzwek. Bis jezt wenigstens hat derselbe noch von keinem Sterblichen erreicht werden koͤn- nen. Allein diejenigen, welche nach diesem Ziele eifrig streben, werden ihm ohnstreitig naͤher kom- men, als die, welche aus Muthlosigkeit, Nach- laͤßigkeit und Traͤgheit, das, was durch Geschik- lichkeit auszurichten waͤre, lieber dem Zufalle uͤberlassen wollen. Dieser Saz laͤßt sich fuͤglich auch auf das ge- meine Leben anwenden. Diejenigen, welche nach Volkommenheit trachten, werden ihr unendlich naͤher kommen, als die verzagten, muthlosen Se- len, die alberner Weise bei sich selbst denken: “volkommen ist ja nun einmahl niemand; Vol- M 4 „kommen- „kommenheit ist ja nun einmahl doch nicht zu er- „reichen; der bloße Versuch ist ein Hirngespinst. „Ich mache es, so gut wie andre; warum solt’ „ich mich bemuͤhen, das zu werden, was ich nicht „werden kan, und nach dem gewoͤhnlichem Laufe „der Dinge nicht zu werden brauche, nemlich „volkommen? Ich weiß sicher, ich darf dir nicht erst die Schwachheit und Thorheit dieses Schlusses aufdekken, wenn er anders den Nahmen eines Schlusses verdient. Er wuͤrde uns ja von der Anwendung aller und jeder unsrer Kraͤfte abhalten, und ihr Einhalt thun. Ein Man von Verstande und Muthe sagt vielmehr zu sich selbst, “wiewohl „das Ziel der Volkommenheit, in Betrachtung „der Unvolkommenheit unsrer Natur, nicht zu „erreichen ist, so sol es doch an meiner Sorge, „Bemuͤhung und Aufmerksamkeit nicht fehlen, ihr „so nahe als moͤglich zu kommen. Taͤglich wil ich „mich ihr mehr naͤhern. Vielleicht kan ich sie zulezt „erreichen. Wenigstens (und ich weiß sicher, das „steht in meiner Macht) wil ich nicht weit davon „bleiben.„ Denk- Denkspruͤche . S chikliche Verschwiegenheit ist verstaͤndiger Leute einzige Heimlichkeit. Geheimniß- volles Wesen hingegen ist die Verschwiegenheit schwachsinniger oder arglistiger Menschen. Wer nichts sagt, oder wer alles sagt, dem wird man ebenfals nichts sagen. Wenn ein Thor ein Geheimniß weiß, sagt er es heraus, darum, weil er ein Thor ist. Wenn ein Betruͤger eins weiß, sagt er es da, wo es sein Vortheil mit sich bringt. Frauenzimmer aber und junge Leute sind sehr geneigt, alle Ge- heimnisse, die sie nur wissen, aus Eitelkeit aus- zuplaudern, blos um sich etwas darauf zu gute zu thun, daß man sie ihnen anvertraut hat. Traue du also in diesem Stuͤkke keinem von beiden. Unachtsamkeit auf das gegenwaͤrtige Geschaͤft, es bestehe worin es wolle, oder der Versuch, zwei Dinge zugleich zu thun — siehe da ein un- triegliches Kenzeichen kleiner, und thoͤrichter Selen! Wer sein Gemuͤth, seine Aufmerksamkeit und Miene nicht in seiner Gewalt hat, der solte sich gar nicht fuͤr einen Man von Geschaͤften halten. M 5 Der Der schwachsinnigste Mensch von der Welt kan sich der Leidenschaften des Weisesten zu Nuze ma- chen. Ein Mensch ohne Aufmerksamkeit kan sein Geschaͤft nicht kennen, folglich auch nicht vol- bringen. Und wer seine Miene nicht in seiner Gewalt hat, der koͤnte eben so gut seine Gedanken hersagen, als er sie herweiset. Muthig ist jezt ein Modewort. Muthig handeln, muthig reden, bedeutet blos so viel als hizig handeln und unbesonnen reden. Ein ver- staͤndiger zeigt seinen Muth durch sanfmuͤthige Worte und entschloßne Handlungen; er ist weder hizig noch schuͤchtern. Wenn von ohngefaͤhr ein verstaͤndiger Man in jenem unangenehmen Zustande ist, da er sich selbst mehr als ein mahl fragen muß: was sol ich thun ? — so wird er sich antworten, nichts ! Wenn seine Vernunft ihm keinen guten Weg zeigt, wenigstens keinen, der weniger schlecht als der andre waͤre: so wird er stehen bleiben, und auf Licht warten. Eine kleine geschaͤftige Sele faͤhrt auf alle Faͤlle fort, muß immer etwas vorhaben, und fuͤrchtet, gleich einem blinden Pferde, keine Gefahr, darum weil es keine sieht. Allein ma n m uß auch Langeweile auszuhalten wissen. Ge- Geduld ist eine sehr noͤthige Eigenschaft zu Geschaͤften. Mancher Mensch haͤtte lieber, ihr hoͤrtet seine Erzaͤhlung an, als ihr bewilligtet ihm seine Bitte. Man muß sich das Ansehen geben, als hoͤrte man die unbilligen Foderungen der Un- besonnenen ohne Befremdung, die langweiligen Erzaͤhlungen der Albernen ohne Ungeduld an. Das ist der geringste Preis, den man fuͤr einen hervorragenden Stand bezahlen muß. Es ist allezeit gut, einen Betrug zu entdekken, und eine Thorheit inne werden; aber es ist oft nicht gut, eine solche Entdekkung merken zu lassen. Ein Man von Geschaͤften solte stets die Augen offen haben, solte aber oft sie geschlossen zu haben scheinen. Ein junger Mensch, sein Verdienst sei so groß, als es wolle, kan niemahls sich selbst allein in die Hoͤhe helfen; er muß sich, wie Epheu um die Eiche, um irgend einen großen Man von Ansehen schlingen. Du mußt erst einige Zeit dem Minister angehoͤren, ehe jemand dir angehoͤren wird. Un- verlezliche Treue gegen diesen Minister, selbst wenn er in Ungnade faͤlt, wird verdienstlich sein, und dich seinem Nachfolger empfehlen. Minister ha- ben Neigung fuͤr ihre Person lieber, als fuͤr ihre Parthei. An An Hoͤfen — und in der großen Welt uͤber- haupt — sind Verschaͤmtheit und Schuͤchternheit an einer Seite eben so schaͤdlich, als Unverschaͤmt- heit und hiziges Wesen an der andern. Stand- hafte Dreistigkeit, kaltbluͤtige Unerschrokkenheit und bescheidnes Aeusserliche, sind die wahre, nothwendige Mittelstraße. Suche nie um etwas an, zu dessen Erhaltung du wenig Wahrscheinlichkeit siehest. Denn wenn du unschikliche, nicht zu erlangende Dinge begeh- rest, gewoͤhnest du die Minister daran, dir so oft eine abschlaͤgige Antwort zu geben, daß es ihnen hernach leicht wird, dir auch die schiklichsten, ver- nuͤnftigsten Bitten zu versagen. Es ist zwar eine gemeine, aber sehr uͤbel verstandne, Regel am Hofe, um alles anzuhalten, damit man wenigstens etwas bekomme. Wahr ists, man bekomt dadurch etwas; dieses Etwas aber ist abschlaͤgige Antwort und Gelaͤchter. Es gibt eine Hofsprache, ein geringfuͤgiges, blos von Kleinigkeiten handelndes Geschwaͤz, das mit vielen Worten wenig oder nichts sagt. Thoren dient es anstat dessen, was sie nicht sagen koͤnnen, verstaͤndigen Leuten anstat dessen, was sie nicht sagen sagen wollen. Es ist die eigentliche Sprache fuͤr Aufwartungen beim Aufstehen und in Vorzim- mern; daher ist es noͤthig, sie inne zu haben. Ein Mensch sei, was er wil, so muß er hoͤflich und gesittet sein. Dieser Mantel bedekt eben so viele Thorheiten, als die kristliche Liebe Suͤnden. Ich kante einen Man von hohem Range, der in einem vornehmen Amte stand, sehr geachtet und geehrt war, dessen groͤßte Eigenschaf- ten darin bestanden, daß er stolz mit Demuth und albern mit Hoͤflichkeit war. Wie vielmehr wird also nicht derjenige ge- schaͤzt werden, der mit diesem hoͤflichen und gesitteten Wesen wirkliche Bescheidenheit und Verstand verbindet? C. Es ist schwer, zu bestimmen, wer der groͤßte Thor ist, der die Wahrheit ganz, oder der gar keine sagt. Verschiedenheit in Meinungen, selbst in Klei- nigkeiten, entruͤstet kleine Geister, zumahl wenn sie von hohem Range sind. Nun ist es aber voͤllig eben so leicht, eines Vornehmen Koch oder Schneider zu loben, als ihn zu tadeln; das erstere ist vielmehr noch kuͤrzer; und Sachen dieser Art verdienen eben so wenig, daß man uͤber sie, als solche Leute, daß man mit ihnen streite. Es ist unmoͤg- unmoͤglich, sie zu unterrichten; hingegen sehr leicht, ihnen zu misfallen. Heiteres, ruhiges Gesicht und Betragen sind bei Hofe, wie uͤberal, sehr nuͤzlich. Thoren werden dadurch bewogen, dich blos darum fuͤr einen gut- herzigen Man, und Arglistige, dich fuͤr einen Men- schen ohne Falsch zu halten. Es gibt wohl Faͤlle, in denen einer sein halbes Geheimniß heraussagen muß, um das uͤbrige zu verbergen; selten aber solche, da er es ganz sagen muͤßte. Da ist nun große Geschiklichkeit noͤthig, um zu wissen, wie weit man gehen, und wo man inne halten sol. Eines Menschen eignes gesittetes Wesen ist seine groͤßte Sicherheit vor andrer uͤbeln Sitten. Niemand hat jemahls dem Herzoge von Marl- borough etwas unverschaͤmtes gesagt. Niemand sagte jemahls Sir Robert Walpolen etwas wirklich verbindliches, ohngeachtet man ihm viele Schmeicheleien sagte. Als zu Koͤnig Wilhelms Zeiten das alte be- schnittene Geld zur Umpraͤgung eingefodert ward, sezten sie, um das Beschneiden zu verhuͤten, auf den Rand der Kronen die Worte, et decus et tuta- tutamen. Sowohl zur Zierde als zum Schuz. Gerade das ist der Fal mit der Artigkeit in den Sitten. Die meisten Kuͤnste beduͤrfen zu ihrer Erlernung langen Fleiß. Hingegen die nuͤzlichste von allen, die zu gefallen, erfodert blos das Verlangen darnach. Es ist zu vermuthen, daß ein Man von ge- meinem Verstande, der nicht zu gefallen begehrt, gar nichts begehre; denn das muß er doch wissen, daß er, ohne zu gefallen, nichts erlangen kan. Ernste, finstre, zuruͤkhaltende, geheimnißvolle Miene verscheucht die Leute; hingegen ein gelas- senes ungezwungnes, und geseztes Ansehen ladet sie zum Vertrauen ein, und laͤßt keinen Raum zum Argwohn. Der Herzog von Suͤlly merkt in seinen Denk- schriften sehr richtig an: nichts haͤtte mehr zu seiner Erhebung geholfen, als jene kluge Spar- samkeit, die er von Jugend an beobachtet, und vermoͤge deren er stets eine Summe Geldes fuͤr dringende Nothfaͤlle vorraͤthig gehabt haͤtte. Es ist schwer, der Sparsamkeit und der Freigebigkeit Grenzen anzuweisen; indes der leidlichste Irthum unter beiden ist auf Seiten der Sparsamkeit. Die- ser laͤßt sich verbessern, der andre nicht. Der Der Ruf der Freigebigkeit muß wohlfeil er- kauft werden. Er haͤngt nicht so sehr von eines Menschen Aufwande im Ganzen ab, als davon, daß er da, wo er geben muß, mit guter Art gibt. Wer, zum Beispiel, in Hamburg den Bedienten des Hauses, worin man ihn zu Tisch geladen, vierzehn Schillinge gaͤbe, der wuͤrde fuͤr geizig, und wer ihnen zwanzig gaͤbe, der wuͤrde fuͤr freigebig gehalten werden; daß also der Unterschied dieser beiden entgegengesezten Benennungen auf sechs Schillingen beruht. 3 ggr. schwer Geld. Eines Mannes Ruf in die- sem Stuͤkke haͤngt großentheils von der Aussage seiner eignen und anderer Bedienten ab. Eine bloße Kleinigkeit uͤber den gewoͤhnlichen Lohn macht diese Aussage zur guͤnstigen. Trage Sorge, deine Einrichtung in Ansehung deiner Einnahme und Ausgabe allezeit so gut zu treffen, daß du immer etwas fuͤr unerwartete Vorfaͤlle und zu einer klugen Freigebigkeit uͤbrig habest. Kaum vergeht im menschlichen Leben ein Jahr, da nicht eine kleine Summe baares Geld zu großem Vortheile angelegt werden kan.