Die Erbschleicher . Ein Lustspiel in fuͤnf Akten von Friedrich Wilhelm Gotter . Captes astutus vbique Testamenta senum; neu, si vafer vnus et alter Insidiatorem praeroso fugerit hamo, Aut spem deponas, aut artem illusus omittas. Horat . Leipzig , im Verlage der Dykischen Buchhandlung. 1789. Personen . Gerhard , ein reicher Privatmann. Sternberg , Advokat, Vetter Wittwe Ungewitter , Muhme Weinhold , Vetter Justine , Haushaͤlterinn Benedikt , Bedienter des Herrn Gerhard. Madam Anker , Lieutenantswittwe. Therese , ihre Tochter. Bieder , Landgeistlicher. Pistorius , Apotheker. Die Handlung geht in einer ansehnlichen Landstadt vor. Etwas uͤber das Aeußerliche der Personen . E in einfarbiger Schlafrock mit dem Guͤrtel, ei- ne weiße Federmuͤtze, mit einer bunten Schleife; ein weißes Halstuch mit langen Zipfeln; breite, steife Manschetten; ein buntseidenes Schnupftuch am Guͤrtel hangend; schwarze Podagristenstiefeln, ein buntseidener Handschuh an der rechten Hand; eine Handkruͤcke; eigensinnige Reinlichkeit im ganzen Anzuge; hypochondrisches Aussehen; grau- schattirtes Haar und Augenbraunen; kraͤnkli- cher Ton und langsame Sprache, die sich jedoch im Affekt verhaͤltnißmaͤßig abaͤndert; ceremonioͤ- ses Wesen; wenig Gesticulation; viel Mienenspiel. Ein Frack mit bunter Weste und schwarzen oder farbigen Beinkleidern, einfach aber modisch; schlichte Frisur; Hut und Stock; leb- hafter Ton; kurze Aussprache; gesetztes Wesen. Schwarze Trauerklei- dung, nach modischem Schnitte; ein Kopfzeug A 2 Ueber die Personen. mit einer großen schwarzen Kappe, die das Ge- sicht halb bedeckt; Halstuch, Faͤcher, Schuhe, Handschuh, alles schwarz; Ueberbleibsel von Schoͤnheit; schmachtender Ton; affektirte Spra- che; zierliches Wesen; in den Scenen mit Wein- hold und im fuͤnften Akte, lebhaftes, etwas ver- trauliches Wesen, schneidender Ton, geschwinde Sprache. Dunkler Oberrock, zugeknoͤpft; ungepuderte Peruͤcke, die ein hereingekaͤmmtes, natuͤrlich lockiges Haar nachahmt; runder Hut mit buntem Bande; Knotenstock; schwarzer Bart und Augenbraunen. Dumpfer, schleichender Ton; feyerliche Sprache; geheimnißvelles Wesen; in den Scenen mit Wittwe Ungewitter und im fuͤnften Akt munteres, etwas plumpes Wesen, soldatischer Ton, nachlaͤßige Sprache; in der letzten Scene, Uniform, nett und knapp; jugendlichere Zuͤge; frisirt. Einfache, weiße Hauskleidung mit Schuͤrze und Halstuch. Nichts von Seide oder Flor; niedrige Dormeuse, oder hereingekaͤmmtes Haar, mit einem Bande gebunden; Strumpf- Ueber die Personen. handschuhe; schalkhafter Ton; schnelle Sprache; geschaͤftiges Wesen; in den Scenen mit Stern- berg und in der zweyten Haͤlfte des fuͤnsten Akts, sanfter Ton, natuͤrliche Sprache, edles Wesen. Abgetragene buͤrgerliche Kleidung, mit schwarzer Weste; weißgepuderte, steife Fri- sur; buntes Halstuch; pedantisch in Ton, Spra- che und Wesen; als Notarius, ein gruͤner Rock mit goldener Tresse, lang, weit und zugeknoͤpft, daß er seine vorige Kleidung verbirgt; ausge- stopfter Bauch; weißes Halstuch; altvaͤterische Haarbeutelperuͤcke; ein Pflaster im Gesichte; ver- stellte Stimme und Aussprache, das ihn unkennt- lich macht; Hut, Stock und kleiner Degen; al- lenfalls auch hinkend. Altmodischer Stoff nach mo- dischem Schnitt; galantes aber geschmackloses Kopfzeug und Halstuch; große Bandschleife vor der Brust; großer Faͤcher; goldne Uhr mit alt- modischer Kette; bunte Handschuhe; starke Zuͤge; maͤnnlicher Ton; schwer accentuirte Sprache; feyerliches Wesen. A 3 Ueber die Personen. Einfarbiger Leibrock ohne Schlep- pe; schwarze Schuͤrze; schwarzes Halstuch, schwar- zer Hut ohne Blumen und Federn; graue Hand- schuh; kleiner Faͤcher; in den Scenen mit der Mutter leiser Ton, schuͤchternes, tanzschulmaͤßi- ges Wesen; mit Gerhard, ohne die Mutter, kin- discher Ton, geschwinde Sprache, taͤndelndes We- sen; mit Sternberg und im vierten und fuͤnften Akte munterer Ton, geschmeidige Sprache, anstaͤn- dig lebhaftes Wesen. Grauer Frack; schwarze Unterkleider; eigenes Haar, rundfrisirt; Hut und Stock; einfa- ches Wesen; sanfter Ton; ausdrucksvolle Sprache, ohne Kanzelmanier. Buntscheckige buͤrgerliche Kleidung; kleine Schnallen; kleiner Degen; kleiner Hut; bunte Handschuhe; Haarbeutelperuͤcke; schwarzsei- denes Halstuch; kupferig und wohlbeleibt; schreyen- der Ton; polternde, gemeine Sprache; unruhiges zudringliches Wesen. Erster Akt . Gerhards Wohnzimmer, mit einer Mittelthuͤr und zwey Seitenthuͤren. Die Mittelthuͤr fuͤhrt ins Haus; die vordere Thuͤr rechter Hand, in ein Kabi- net, die hintere in Gerhards Schreibstube. Altmo- dische Moͤbeln. Vorne ein Krankenstuhl mit Pol- stern und Kißen, vor demselben ein kleiner Tisch mit Arzneyglaͤsern, Toͤpfen, Loͤffeln, einem silbernen Be- cher, einer Klingel und einer Pergamentrolle. An der Wand ein Thermometer. Noch ein Tisch, worauf einige Buͤcher und ein Strickzeug liegen. Erster Auftritt. Benedikt. (allein.) (Steht, und gafft den Thermometer an.) W enn ein Kraut fuͤr den Tod gewachsen waͤre, unser Herr haͤtts lange. Worauf er nicht verfaͤllt, das setzen ihm die sogenannten guten Freunde in den Kopf. — Hm! wer dich erfun- den hat, mag wohl recht gelacht haben. Aber A 4 Die Erbschleicher. wer dich unserm Herrn geschenkt — die super- kluge Frau Lieutenantinn da gegen uͤber — die hat die Hoͤlle an mir verdient. Sonst brummte er doch nur, wenn er fror. Jetzt friert er, wenn das Ding faͤllt. Und steigts so breit, als eine Nadelspitze uͤber den rothen Strich da oben — so will er den Schlag kriegen. Es thaͤte Noth, man kaͤme nicht mehr vom Ofenloche weg. Alle Tage neue Plage! und doch Jahr aus Jahr ein — der alte Lohn! Zweiter Auftritt. Justine . Benedikt . (sieht linker Hand zur hintern Seitenthür herein) Ist Er hier, Benedikt? Guten Morgen, Mamsell Ju- stinchen! (wie vorhin.) Er soll gleich in die Apotheke gehn. Einen schoͤnen guten Morgen an den Herrn Gevatter Pistorius, und der Herr baͤte um die bewußten Tropfen. (faßt sie bey der Hand.) Ih, kom- men Sie doch ein bischen naͤher. Die Erbschleicher. Ich habe keine Zeit. (zieht sie herein.) Stehlen Sie sie, wie ich. Man siehts an dem Tische, daß Er lieber faullenzt, als aufraͤumt. Ist das Ord- nung? (Geht vor, wischt ab, räumt auf, vertheilt die Sachen auf die Tische, u. s. w.) (vertraulich.) Mamsellchen! (in voriger Beschästigung.) Halt Er sich nicht auf! Kann ich etwann zwey Wuͤrfe mit Einem Stein thun? Das heißt — seinen schwachen Ma- gen in der Apotheke staͤrken? Nein, das heißt — einen Te- stamentsschmidt bestellen. O, die Lust laßt euch vergehen. Euch? Wer sind die Euch ? Herr Sternberg und Er. (betroffen.) Was geht mich Herr Sternberg an? Geht, geht! Haltet eure Karten besser an euch! Ihr tretet so leise auf, daß man euch durchs ganze Haus trappen hoͤrt. Der Alte hat euch so gut weg, als ich. A 5 Die Erbschleicher. Das ist mir zu hoch. Ihr wollt ihn erben . Aber nehmt euch in Acht! Er fuͤhrt euch an. Und ich bin die Erste, die euch auslacht. (stutzt.) So? — Ja, Sie haben gut lachen. Wer so mit dem alten Herrn steht, als Sie ! Das kann Jeder, der seine Schul- digkeit thut. (spöttisch.) Schuldigkeit? — Und etwas druͤber! (stolz.) Was schwatzt Er? Gehts bald los mit der Ma- dam ? Darf man gratuliren? (kalt.) Fort in die Apotheke! (im Gehen, vor sich.) Es muß nicht wahr seyn. Sonst thaͤte sie boͤse. (Bleibt stehen und seufzt.) Mamsellchen! Nun? Was hab’ ich Ihnen denn zu Lei- de gethan? Warum? (näher kommend.) Anfangs waren wir so gute Freunde. (Will sie bey der Hand nehmen.) (die Hand zurück ziehend.) Gute Freun- de? Zuviel Ehre! Die Erbschleicher Lieber Himmel! Ich bescheide mich ja gern, daß Sie vornehmer sind, als ich. Ihr Herr Papa war Pfarrer, meiner nur Schul- meister. Aber am Ende stammen wir doch Alle von Adam her, wenns (klopft an die Taschen) hier hohl klingt. Pinsel! Ich kann freylich die Worte nicht so zierlich setzen, als Sie. Aber ein Pinsel bin ich darum auch nicht. Ich bin ein frischer Witt- wer; und im Fall der Noth — steh’ ich meinen Mann, wie ein Anderer. (scherzhaft.) Hier im Hause kennen wir nur die Arzneynoth, und in der laͤßt uns Herr Pistorius nicht stecken. (verdrüßlich.) Mit Ihren Einfaͤllen schneiden Sie Einem immer das Wort ab. — Aber es muß heraus. Wenn Herr Sternberg — weil Sie doch selbst davon angefangen haben — wenn er Universalerbe wird, bekomm’ ich fuͤnf hundert Thaler, das ist schon so gut, als richtig. — Geringer kann er Sie fuͤrwahr nicht abfin- den. Das addirt, und mit einem Nebenver- dienstchen multiplicirt — sollte sich davon nicht leben lassen? — (Schäkernd.) Mir waͤre nicht Die Erbschleicher. bange, und wenn der erste Hausrath dop- pelt und dreyfach kaͤme, hehehe! (ernsthaft.) Musje Benedikt! Wir haben zum letztenmal gespast. Dritter Auftritt. Sternberg . Vorige . (kömmt durch die Mittelthür; im Ein- treten.) Guten Morgen, Kinder! So allein? so muͤßig? (verneigt sich.) Nichts weniger als muͤßig. Wir machen Projekte. Und vertaͤndeln die Zeit. (Dreht ihn herum.) Geh Er seiner Wege! Was waren es denn fuͤr Pro- jekte, Justinchen? (wieder umkehrend.) Wie man sie in unsern Jahren macht, Herr Sternberg. Erst zu erben, und hernach zu heirathen. Will Er sich trollen, oder nicht! Soll ich Ihn beym Herrn verklagen? Nu nu! Nur gnaͤdig, Mamsell Haushofmeisterinn! (Thut, als ob er ginge.) Die Erbschleicher. (zu Justinen.) Wie gehts dem Herrn Vetter? Sehr wohl, Herr Sternberg. (wieder kommend.) Glauben Sie ihr kein Wort! Sie ist bestochen. (Ihm ins Ohr.) Ge- stern war der Knochenmann wieder vor der Thuͤr. Du erschreckst mich. (sieht ihm ins Gesicht.) Wie sehn Sie denn aus, wenn Sie erschrecken? (ihn forttreibend.) Marsch! Marsch! (sich weigernd.) Nur noch ein Woͤrt- chen! — Herr Sternberg, mit dem Anstande zwingen wirs nicht. Wir muͤssen ein Treiben anstellen, oder das Wild geht uns aus dem Re- viere. Mamsell Justinchen prophezeiht uns nichts Gutes; und mir hat diese Nacht so naͤrrisch ge- traͤumt, so naͤrrisch! Kein Wunder! wenn Er traͤumt, wie Er wacht. Nun? laß doch hoͤren! (zu Justinen.) Darf ich? Herr Sternberg hat zu be- fehlen. Der alte Herr lag auf der Bahre. Und, wie die Heuschrecken, kamen Schwadronen Die Erbschleicher. Vettern und Muhmen geflogen. Das war ein Spektakel! Sie theilten nicht; sie pluͤnderten. Und — stellen Sie sich vor! — ich war auch dabey. Und von Rechts wegen! Ich hatte mich an den Stammbaum mit angeklammert. Denn Ihr seeliger Herr Vetter — ich meyne den aͤl- tern Bruder des Herrn Gerhard — der sich — Sie habens wohl mehr gehoͤrt? — der sich, mit Respekt zu sagen, todtpokulirt hat — meine Mutter hatte die Ehre — seine Koͤchinn zu seyn. Zum Ungluͤck stand der gute Herr mit Ei- nem Fuß im Himmel, als ich erst mit Einem Auge in die Welt guckte — und da fiel sein schoͤ- nes Rittergut an unsern alten Brummbaͤr. Aber Leute, die sich sein noch, wie von gestern her, er- innern, haben mich versichert, meine Nase saͤh aus, als waͤre sie ihm aus dem Gesicht geschnit- ten — und darauf, und auf meine durstige Le- ber, die ich auch mit ihm gemein haͤtte, koͤnnt’ ich provociren, wann ich wollte. Diener, Herr Vetter! (Läuft ab, nach der Mittelthür.) (droht ihm nach.) Schaͤker, warte! Die Erbschleicher. Vierter Auftritt. Sternberg . Justine . Der Narr glaubt uns alle zu uͤber- sehen, und ist seiner Sache so gewiß, daß er sich eben foͤrmlich zu meinem Freyer aufgeworfen hat. Ueber die Dummdreistigkeit! — Aber du hast doch - - - Die Sproͤde gespielt? Ey freylich! Aber mehr nicht, als es der Abstand von der Haushaͤlterinn zum Hausknecht, oder besser — die Politik will. Denn das Spruͤchwort sagt. Wer uns nichts nuͤtzt, kann uns schaden. Geschwinde, Schwester! Wie steht es drinnen? Die alte Leyer! Gestoͤhnt, gehustet, kein Auge zugethan, und mit Leuteplagen fortge- fahren, wo er gestern aufhoͤrte. Arme Justine! Aber wenn du ihn selbst fragst, hat er wie ein Ratz geschlafen. Ist er zu sprechen? (Will ab.) (ihn haltend.) Er verbittet alle Staats- visiten. Die Erbschleicher. Das Verbot kann mir nicht gelten. Eben dir. Wie? Ja, es ist mein Ernst. (betreten.) Justine! Du verdirbst es taͤglich mehr bey ihm. Wodurch? Ums Himmelswil- len, wodurch? Richt’ ich mich nicht ganz nach seinem Winke? trag’ ich nicht alle seine Launen? Versaͤum’ ich eine Gelegenheit, ihm meine Erge- benheit zu beweisen? Man kann des Guten auch zu viel thun. Du kennst ihn laͤnger, als ich — und kennst ihn so wenig. Glaubst du, ich haͤtte mich so lange in seiner Gunst erhalten, wenn er wuͤßte, wie nahe ich ihn angehe, und wenn ich ihm nicht alle Stunden zeigte, daß mir an seinem Dienste so wenig liegt, als an einer Stelle in seinem Te- stamente. Du sagst ihm auch zuweilen Dinge — Ein Mistrauischer verzeiht eher Grobheiten, als Schmeicheleyen. Sternberg. Die Erbschleicher. (auffahrend.) Der Henker hole sein Mistrauen! Hat er nicht Bosheit genug erfah- ren? Haben nicht seine naͤchsten Verwandten mit ihm am undankbarsten gehandelt? Ein Schwager, der auf seinen Kredit Schulden machte; ein Vet- ter, der ihm mit der Schatulle durchging; ein Muͤhmchen, das ihn gar vergiften wollte; ein - - - (einfallend.) Muß er darum un- gerecht gegen Andere seyn, die ihm nie Anlaß zum Misvergnuͤgen gaben? Bedaur’ ihn, lieber Bruder! Mir floͤßt er wahres Mitleid ein. Er hat sechzig Jahre lang gesammelt — und weiß nun nicht, fuͤr wen? Er fuͤhlt eine Leere — und kann sie nicht ausfuͤllen. Er moͤchte anfangen zu genies- sen — und hat weder Muth noch Kraͤfte. Er moͤchte uͤber sein Vermoͤgen schalten — und zit- tert, es in schlechte Haͤnde zu spielen. Bey die- sem ewigen Streite mit sich selbst, von Vorboten des Todes heimgesucht zu seyn, und besessen vom Daͤmon der Hypochondrie! Ein Kruͤpel von See- le, und von Koͤrper ein Invalid! Giebts eine klaͤglichere Lage? Ach, wenn ich nicht verliebt B Die Erbschleicher. waͤre — moͤchte der Geizhals meinethalben seine harten Thaler mit in den Sarg nehmen! Meinethalben auch — wenn du nicht waͤrst! (lebhaft.) Nein, ich kann es nicht laͤnger ansehen, daß du um meinetwillen dienest. Aber warte doch, bis ich mich be- klage! Meine Schwachheit fuͤr den Alten erleich- tert mir die Beschwerden dieses Verhaͤltnisses. Und dann, Moritz — (ihm die Hand drückend) auch Schwesterliebe uͤberwindet Alles. (sie umarmend.) Beste Schwester! — O, was seyd Ihr fuͤr trefliche Wesen, du und meine Therese! Es ist, als ob Madam Anker gar nicht zu eurem Geschlechte gehoͤrte. — Woher koͤmmt es aber, Justine, daß die Muͤtter im- mer nur auf Geld sehen? (treuherzig.) Andre Augenlust hat sie verlassen. Ich will ihr den Rath geben, sich lieber selbst zum Erben einsetzen zu lassen. Wer weiß, was sie vorhat? Spaß! Umsonst ist sie nicht in die Nachbar- Die Erbschleicher. schaft gezogen. Umsonst besucht sie uns nicht bey Wind und Wetter, bey Tag und Nacht. Um- sonst schickt sie keine Leckerbißchen. Umsonst hat sie nicht fuͤr jeden Zufall ein Hausmittelchen in Bereitschaft, und verschreibt uns sogar auf eigne Kosten jedes Marktschreyer- arcanum, das die Hamburgischen Zeitungen, oder das Staatsri- stretto ausposaunen. O, das geschieht aus Liebe zu Theresen. Das geschieht Alles, um den Vetter unvermerkt unsern Wuͤnschen geneigt zu machen. Aber weiß ich nicht aus deinem Munde, daß sie sich weiland, als Mamsell Han- nemann, Sterbensmuͤhe gab, ihn zu fangen? Sie schritt von boͤsen zu guten Worten, von Karessen zum Prozesse. Und doch ging der Galan durch die Lappen. Kann den Hagestolzen nicht die Reue anwandeln? kann die gefrorne Liebe nicht wieder aufthauen? (lachend.) Und der verdorrte Stamm wieder gruͤnen und bluͤhen? Ohne Scherz, Bruder! warum werd’ ich seit einigen Tagen immer hinausgeschickt, sobald sie ins Zimmer tritt? Warum schneidet sie mir B 2 Die Erbschleicher. Gesichter, wenn ich bleibe? Warum fluͤstert sie ....? Still! (Hört Gerharden husten, und fährt in verändertem Tone fort.) Ja, es ist freylich kein Wetter zum Waschen. Aber der Herr hats so befohlen; und unser einem darf nicht gleich der Kopf schief stehen, wenn Wetter und Waͤsche sich nicht reimen. Fuͤnfter Auftritt. Gerhard . Vorige . (aus der hintern Seitenthür kommend.) Nu, warum laͤßt man mich denn allein? (Wird Sternbergen gewahr.) Ah so! Die Jungfer hat an- genehme Gesellschaft. (sich verbeugend.) Guten Morgen, Herr Vetter! (an die Mütze rührend.) Gehorsamer Diener! — Justine! Laß sie mir einmal den Herrn Skrupel rufen? Weiß Sie, wo er wohnt? Der Notar, oder der Kuͤster? Der Notarius. In der breiten Gasse. Nicht doch! Im großen Eckhau- Die Erbschleicher. se am Markte. Das Haus gehoͤrt ihm. Er war kaum eingezogen, als ich — mit der damaligen Mamsell Hannemann — bey ihm Gevatter stand. Der Notarius Skrupel ist noch ledig. (ungeduldig.) Alles will Sie besser wissen. Immer und ewig widerspricht sie. Herr Vetter, der Skrupel, den Sie meynen, ist schon zehn Jahre todt. (erstaunt.) Nicht moͤglich? — Ja, ich komme so selten unter Leute; ich bekuͤmmere mich so wenig um Stadtneuigkeiten; ich hoͤre und sehe nichts. Herr Pistorius ist ja unser taͤgli- cher Postreiter . Aber so etwas vergißt sich leicht. (empfindlich.) Seit wann bin ich denn vergeßlich? Ich klage jetzt weit weniger uͤber meinen Kopf, als sonst. (Zu Sternberg.) Schon zehn Jahre todt! Ey ey! Der junge Mann! Er war doch schon hoch in die funfzig — (hitzig.) Lieber gar sechzig! Wir ha- ben in Einer Klasse gesessen. B 3 Die Erbschleicher. (fein.) Das haͤtt’ ich nicht ge- dacht. Nu, er mochte auch wohl ein Paar Jahre aͤlter seyn, als ich. Also der lebendige Herr Skru- pel soll kommen? Er ist auch Notarius, ein Sohn des Alten. Aber doch nicht mein Pathe? Dergleichen Leute machen sonst gleich Praͤtensio- nen. Er heißt Kilian Ruprecht. Und mein Pathe heißt nach mir . — Merke Sie sichs, Justine! Daß sie mir den Rechten bestellen! (im Abgehen, leise zu Sternberg.) Was hat das zu bedeuten? (Ab durch die Mittelthür.) Sechster Auftritt. Gerhard . Sternberg . Wollen Sie sich nicht setzen, Herr Vetter? (Rückt ihm den Sessel näher.) O, inkommodir’ Er sich nicht! (Setzt sich.) Die Erbschleicher. Ich freue mich, Sie so heiter zu finden. Gehorsamer Diener! Setz Er sich doch auch! (setzt sich neben ihm.) Ich hoffe, Sie haben nun gewonnen. Ich hoffs auch. Aber wenn Sie sich gleichwohl einem geschickten Doktor vertrauten! Hab’ ich nicht den Herrn Gevatter Pistorius! (verächtlich.) Ach, der Pillendre- her! (hitzig.) Pillendreher! Pillendreher! Das verbitt ich mir. Der Mann ist geschickt, wenn er gleich nicht promovirt hat. Er kennt meine Natur. Er ist billig. Und eben, weil er bey gewissen Leuten nicht in Gnaden steht, will ich ihn behalten. Der Leibmedicus — ich traf ihn gestern am dritten Orte — er erschrack, als ich ihm ihren letzten Zufall und die Behandlungs- art des Herrn Pistorius erzaͤhlte. „Ihr armer Vetter! (rief er aus,) der Mann hat ihn mit der Hand todtgeschlagen.“ B 4 Die Erbschleicher. Mich todt geschlagen? Und ich lebe noch! Ihre Natur hat Sie gerettet. Ziehen Sie wenigstens den Leibarzt mit zu Rathe! Es ist ein Mann von ausgebreiteter Erfahrung. Viel Koͤche verderben den Brey. Er hat mir von einer Kur er- zaͤhlt, die einen Pazienten Ihres Gleichen von Grund aus hergestellt hat. (hastig.) Wie viel soll sie kosten? Mit Inbegriff des Bades — hoͤchstens hundert Dukaten. Hundert Dukaten! — Ja, die Herrn Leibaͤrzte haben immer nur die fuͤrstliche Schatzkammer im Sinne. Gehorsamer Diener, Herr Leibmedicus! Hundert Dukaten! Aber, Herr Vetter! Was hilft Geld, ohne Gesundheit? Das Haus ist der Reparatur nicht werth. Oder meynt Er, daß ich hundert Dukaten wegzuwerfen habe? Ich muß einen Nothpfennig zuruͤcklegen. Man weiß nicht, wie lange man lebt; und Hunger im Alter thut wehe. — Ich habe jetzt an andere Dinge zu denken. Die Erbschleicher. Siebenter Auftritt. Justine . Vorige . Nach dem rechten Herrn Skrupel ist geschickt, und Herr Pistorius will die Tropfen selbst bringen. Hoͤr’ Er nur, Vetter! Er ist mein naher Verwandter, und es ist billig, daß ich Ihm mein Vorhaben zuerst eroͤffne. Eine Eroͤffnung! Dabey bin ich wohl zu viel? (Will ab.) (mit Laune.) Ob Sie uns zuhoͤrt, oder — behorcht —? So hoͤr ich zu . (Stellt sich hinter Sternbergs Stuhl.) Ich bin leider weit und breit mit Leuten gesegnet, die mir die Ehre thun, mich Herr Vetter zu tituliren — die mir jeden Bißen ins Maul zaͤhlen — und nur darauf Staat machen, mir, sobald ich kalt bin, das Bett unterm Leibe wegzuziehen. Sollt’ es so niedrige Seelen ge- hen? O, ich kenne die Hunde, ich kenne B 5 Die Erbschleicher. sie. Aber ich will mich an ihnen raͤchen. Ich will ihnen einen Streich spielen, daß sie vor Aerger bersten sollen. Ich will mir Ruhe im Leben und im Tode schaffen. Mit Einem Wort, ich habe mir einen gewissen Jemand ins Herz geschlossen, den ich gluͤcklich machen will. Das ist recht, Herr Vetter. Ja, das thaͤt’ ich an Ihrer Stelle auch. So ein Jemand ist dankbar. Das Haͤufchen bleibt huͤbsch beysammen. Der Name des Erblassers ruht darauf in immergruͤnem See- gen; und ein praͤchtiger Leichenstein erzaͤhlt seine exemplarische Menschenliebe in hochtrabenden Wor- ten den Kindeskindern. Aber Verwandte — ich will keiner Seele zu nahe geredet haben, Herr Sternberg — Verwandte, je weitlaͤuftiger sie mit uns befreundet sind, um so mehr halten sie unsern guten Willen fuͤr Schuldigkeit. Sehr wahr gesprochen. (spöttisch.) Sehr verbunden fuͤr die Protestation. (mit stelgender Lebhaftigkeit.) Kein groͤs- serer Spaß, als die Eroͤffnung eines Testaments unter einer Legion solcher Anwarter. Ich bin einmal dabey gewesen. — Da standen sie, die Die Erbschleicher. armen Suͤnder, stier und unbeweglich, und konn- ten vor Harren der Dinge kaum Athem holen, und schielten und durchbohrten einander mit den Augen. — Nun kam der Donnerschlag! nun ging das Ungluͤck los! Eine allgemeine Verwan- delung der Gesichter! Ein Gemurmel, wie bey ei- nem Auflauf! Dem schwoll der Kamm; Jener wurde zur Leiche; hier stampfte einer; dort biß sich einer in die Lippen. Andere konnten sich des Schluchzens nicht erwehren. Und gleich ver- scheuchten Dieben, zogen sie endlich ab, mit spi- tzigem Kinn und einer Nase — so lang. Um die Komoͤdie mit anzusehen, Herr Gerhard, kom- men Sie aus der andern Welt zuruͤck! Bin ich doch noch nicht dort! Ich lobe mir fruͤh gesattelt und spaͤt geritten. Mein Aussehen truͤgt. Laßt mich nur erst den Stock wegwerfen! Ich fuͤhr’ ihn so nur noch pro forma . (schalkhaft.) Ey, mit frischgeputztem Barte und in der Stutzperuͤcke, sehen Sie nicht kraͤnker aus, als ich. (schmunzelnd.) Im Ernste, Justin- chen? Was die Augen unter dem schwar- zen Walde funkeln! Die Erbschleicher. Schwaͤtzerinn! (Zu Sternberg, halb- laut.) Es ist bey allen Fehlern kein uͤbles Maͤd- chen. Ich will sie auch bedenken. Aber das Wichtigste zuerst! (Laut, mit verändertem Ton.) Er kennt meine Nachbarinn, die Frau Lieutenantinn Anker, wie ich hoͤre? ( berreten .) Ja, ich habe die Ehre. (Sternbergen ins Ohr.) Merkst du was? Er besucht sie dann und wann. Ja — dann und wann. Ist eine brave Frau! nicht wahr? O, eine scharmante Frau. (wie vorhin.) Es ist richtig. Und was sagt Er denn von Ih- rer Tochter Therese? (ziehend.) Sie ist ein — ver- nuͤnftiges — angenehmes Frauenzimmer. Nur angenehm ? Allerliebst, daͤcht’ ich, allerliebst! Ich habe sie zwar nie an- ders, als durchs Fenster gesehen. Aber ihre Mutter hat mir so viel ruͤhmliches von ihr gesagt — und wie sie alle Eigenschaften einer guten Hausfrau besaͤße - - - (lebhaft einfallend.) O, gewiß alle Die Erbschleicher. Eigenschaften, das Gluͤck eines ehrlichen Mannes zu machen! (fortfahrend.) Und weil sie meine aͤlteste und beste Freundinn ist, so hab ich mich denn endlich nach Fasten und Gebet entschlossen — mich christlich mit ihr zu verloben. (springt vor Freude auf und faßt ihn bey der Hand.) Mit Madam Anker? Mit ihrer Tochter Therese. (wendet sich schnell seitwärts, unterm Vorwande zu niesen, und hält das Schnupftuch vor das Gesicht.) (indem sie ihm den Stuhl wegrückt, leise und schnell.) Fasse dich! billige! lobe! gratulire! Nu? ihr sagt Beide kein Wort? (sich tief verbeugend, um seine Ver- wirrung zu verbergen.) Verzeihung, Herr Vetter — ich kann keine Worte finden — Ihnen mei- nen Antheil — meine — Freude — Gehorsamer Diener! gehorsamer Diener! (lacht laut.) Hahaha! Was lacht Sie? Ueber den Herrn Sternberg. Ueber mich? Die Erbschleicher. Daß Sie so leichtglaͤubig sind! Leichtglaͤubig? Merken Sie wirklich nicht, daß uns der Herr beide zum Besten hat? (zu Justinen.) Wie so? (Sternberg geht ihm auf die rechte Seite.) (von neuem lachend.) Herr Gerhard wird heirathen! Herr Gerhard! (zu Sternberg, lachend.) Sie glaubts nicht. O, das ist poßierlich! (gezwungen lachend.) Zum Todla- chen! (Gerharden auf die Schulter klopfend.) Gehn Sie doch! Dazu sind Sie viel zu klug. (mit spöttischem Ernst.) Aber ist es denn eine Thorheit, daß der Herr Vetter sich eine liebenswuͤrdige Gefaͤhrtinn zugesellen will, die seinem Hauswesen vorstehe und ihn warte und pflege, wie ein Puthuͤhnchen? (schmunzelnd und ihm die Hand drückend.) Nicht wahr, Vetterchen? (nützt diese Augenblicke, um Sternbergen hinter Gerhards Rücken Beyfall zuzuwinken.) Ists eine Thorheit, daß er sich Die Erbschleicher. einen Erben und Stammhalter aus seinem Blute wuͤnscht ? Nicht wahr, Vetterchen? Giebts ein unschuldigeres Ver- gnuͤgen, als sich von kleinen, niedlichen Puͤppchen liebkosen und Papa! rufen zu lassen? Und sind Kinder nicht eine Gabe des Himmels ? Hat man nicht Beyspiele —? (mit steigender Freude.) Nicht wahr, Vetterchen? (Steht auf und umarmt ihn.) O, es freut mich, daß er die Sache so vernuͤnftig nimmt. Es soll sein Schade nicht seyn. Ich will Ihn darum nicht vergessen. — Nu, Justin- chen! Sie kann nur das Bett besorgen. Das Paradebette? Grober Spaß! Warum spaßen Sie mit Ihrer Haus- haͤlterinn? (ärgerlich.) Ich spaße nicht. Die- sen Abend ist Verloͤbniß — in acht Tagen Hoch- zeit. Und so splendid als moͤglich! Ich will nichts gespart wissen. Was hier nicht zu haben ist, muß verschrieben werden. Verschreiben Sie das Nothwendigste! (Dieß und das Folgende mit der schalkhaftesten Laune.) Die Erbschleicher. Das ist? Jugend und Gesundheit. (aufgebracht.) Justine! ich — ich will mehr Respekt haben. O, so viel Sie befehlen. Wenn die Frau ins Haus koͤmmt, muß Sie sich aͤndern, oder — Aendern Sie sich nur! (schreyend.) Unverschaͤmte! Schonen Sie Ihre Lunge! (stotternd.) Wenn ich — wenn ich mich aͤrgern duͤrfte — ich wollte — (ihn besänftigend.) Herr Vetter! O, lassen Sie ihn! Er darf sich nicht aͤrgern. (außer sich vor Zorn.) Geht mir aus den Augen! (mit tiefem Knix.) Je eher, je lieber! Macht Euer Buͤndel! Zahlen Sie mir meinen Ruͤckstand! Und daß nichts mit eingepackt wird! Ich bin keine Liebhaberinn von An- tiquitaͤten. (Zieht sich in die Tiefe das Theaters.) Achter Die Erbschleicher. Achter Auftritt. Benedikt . Vorige . Madam und Mamsell Anker wol- len aufwarten — (freudig und verlegen zugleich.) Auf- warten? — O, die groͤßte Ehre! — Lieber Him- mel! so fruͤh? — Das groͤßte Vergnuͤgen! — Ich bin noch gar nicht in der Verfassung — (im Abgeben.) Die Frau Lieutenan- tinn nimmts so genau nicht. (Ab.) (ruft.) Justine! (im Hintergrunde.) Sie ist fort. (ängstlich.) Meine Stutzperuͤcke! (läuft ins Kabinet.) Sie macht ihr Buͤndel. (ungeduldig.) Meine Stutzperuͤcke will ich haben — (aus dem Kabinette kommend, mit der Perücke in der Hand.) Hier ist sie schon! (erschrocken, dreht sich gegen die Mit- telthür.) Madam Anker? Ums Himmelswillen! Nein, die Peruͤcke. Ach, der gute Vetter! — Da! C Die Erbschleicher. befrey’ Er mich auch von dem Dinge! (Giebt ihm den Stock, nimmt ihm die Perücke ab und setzt sich.) Na, Justine! (Hält in der einen Hand die Mütze, in der andern die Perücke.) Wollen Sie wohl die Gnade haben? (setzt indessen den Stock bey Seite.) Sie haben mich ja in Gnaden entlassen. Naͤrrchen! — Gieb mir die Hand! (spöttisch.) O, das waͤre wider den Respekt. — Mein Kammerdieneramt will ich zum letztenmale verwalten — (indem sie ihm die Perilcke aufsetzt) Aber dann sehen Sie sich nach einem andern um! Sie soll hier bleiben, sag’ ich. Ich will Sie meiner Brant vorstellen. Neunter Auftritt. Madam Anker. Therese. Benedikt. Vorige. (im Eintreten.) Ihre Dienerinn, mein Herr Gerhard! Ah, gehorsamer Diener! gehorsa- mer Diener! Die Erbschleicher. Sie haben mir erlaubt, Ih- nen meine Tochter vorzustellen. Große Ehre! Viel Vergnuͤgen! (kömmt näher und verneigt sich.) Gehorsamer Diener! (Stumme Begrüßung unter den übrigen Perso- nen. Madam Anker feyerlich; Sternberg kalt- höflich; Justine ihrem Stande gemäß; Therese ohne aufzublicken.) Stuͤhle! (Justine und Benedikt setzen Stühle. Benedikt geht hierauf ab.) (seinen Sessel anbietend.) Meine Frau Lieutenantinn — O, ich bitte ergebenst — (Nimmt den Stuhl daneben.) Ich soll Ihnen also stehend auf- warten? Und ich soll wieder nach Hau- se gehen? Wenn Sie mir so drohen — (Fängt nun an mit Theresen zu komplimentiren.) Aber die Mamsell Tochter — Führen Sie das Maͤdchen nicht in Versuchung! — Setze dich, Therese! (Alle setzen sich; Therese neben ihre Mutter; Stern- C 2 Die Erbschleicher. berg neben Theresen; Beide kehren sich halb den Rücken zu, sehen sich aber zuweilen nach einan- der um. Madam Anker beobachtet Beide, wor- nach sie ihr stummes Spiel einzurichten haben.) (sich setzend.) Sie beschaͤmen mich, Frau Lieutenantinn. Ich habe ungern vernommen, daß Sie nicht wohl geruht haben. Wer? ich? Man kann nicht bes- ser schlafen. (Mit einem zornigen Blick auf Justinen.) Aber es giebt Leute, die mir lieber den ewigen Schlaf goͤnnten. Sie sehen aus, wie die Mun- terkeit, wie das Leben. So schoͤne Gesellschaft koͤnnte ei- nen Todten ermuntern. Mach ein Gegenkompliment, Therese! (verbeugt sich.) Verzeihung, liebe Mama! Das Kompliment ging Sie an. O gehorsamer Diener! Beider- seits. (verneigt sich und setzt sich wieder.) Herr Gerhard, ich habe mei- ne Tochter auf Ihre guͤtige Gesinnung vorbereitet, und wir schaͤtzen uns gluͤcklich — Die Erbschleicher. Gehorsamer Diener! Alles Gluͤck ist auf meiner Seite. Blos und allein auf der un- srigen. O, gehorsamer Diener! (Er greift dann und wann beym Komplimentiren, aus Gewohnheit und Verlegenheit an die Perücke, wie an seine Mütze, und verschiebt sie. Justine, die hinter ihm steht, rückt sie jedesmal wieder zurechte.) Also wollen Sie mich haben, mein schoͤnes Braͤutchen? (mit starkem Accent.) Therese! (verneigt sich tief und setzt sich tief.) (halb aufstehend.) O, gehorsamer Diener! (Zu Madam Anker.) Sie sagt weder ja noch nein. Sie macht meiner Erziehung Ehre. In solchen Faͤllen hat nur die Mutter zu reden. Ich darf mir also schmeicheln, daß die Mamsell Tochter — Es ist noch ein zartes Wachs, das jeden Druck annimmt. Sie wird sich ganz nach Ihrem Wohlgefallen formen. O, gehorsamer Diener! (scherzhaft.) Wer haͤtte das vor achtzehn Jahren gedacht, Frau Mama? C 3 Die Erbschleicher. (gezwungen freundlich.) Ja wohl, Herr Sohn. Ehen werden im Himmel ge- schlossen. Was seyn soll, schickt sich wohl. Wie artig, daß ich noch die Rin- gelchen von damals aufgehoben habe! (spöttisch.) Die moͤchten doch nicht mehr Mode genug seyn. Sobald der Herr Notarius Skru- pel koͤmmt, will ich ihm das Instrument an- geben. Und in Ansehung der Form, Herr Sohn - - -? (einfallend.) Bleibts bey Ihrem Ra- the, Frau Mama. Sie haben Recht. Sie se- hen weiter, als ich. Des Menschen Wille ist veraͤnderlich. Ein Testament kann angefoch- ten werden. Aber Ehepakten stehen fest. Auch ist schon das Wort Testa- ment fuͤr eine Braut so niederschlagend. Die Mamsell Braut wissen doch schon die Hauptpunkte? Mein saͤmmtlicher Nach- laß, sowohl mobilia, als immobilia, mit Aus- Die Erbschleicher. nahme einiger geringen Legate, faͤllt Ihnen der- einst zum Witthum heim. (der indessen mit dem Hute gespielt, und Theresen Gesichter geschnitten hat, leise zu ihr.) Bis dahin haben Sie die lebende Mumie zum Manne . Wenn der Eheseegen ausbleiben sollte, versteht sich. (wie vorhin) O, die herzbrechende Klausel. (leise zu Sternberg.) Sie toͤdten mich! (etwas lauter.) Falsche! Treu- lose! (die alles bemerkt, leise.) Ruͤcke naͤher, Therese! (Therese gehorcht.) (zu Madam Anker.) Was sagt Er? Er ist so hoͤflich, ihr zu gra- tuliren. — (Feyerlich.) Ich empfehle Ihnen mei- ne Tochter, Herr Advokat. (spöttisch.) Unterthaͤniger Diener, Frau Lieutenantinn! Auch Jungfer Justinen em- pfehl ich sie. Madam, mir be fiehlt man nur. Das kleine Ding braucht, wie C 4 Die Erbschleicher. gesagt, noch Unterweisung; und ich weiß, daß niemand verstaͤndiger, niemand der Wirthschaft kundiger, niemand belebter im Umgange ist, als Jungfer Justine. Zu viel Lob ist — Spott. Und daß niemand den Ge- schmack des Herrn Gerhard besser zu treffen weiß. (kurz.) Niemand weniger. Zu viel Bescheidenheit ist — Stolz. Das unlaͤugbarste Zeugniß Ihrer Ver- dienste ist - - - (schnell einfallend.) Mein Abschied. Abschied! (Verwundert zu Ger- hard.) Ist das Scherz? Wie mans nimmt. Die Jung- fer ist naseweis, ich bin hitzig. Ein Wort gab das andere. Aber da ich sehe, daß es ihr leid thut, mich zu verlassen - - - (fällt lachend ein.) Sie zu verlassen? Nein fuͤrwahr nicht! (Geht nach und nach zum Wei- nen über.) Aber daß Sie sich nicht begnuͤgen, mir die Thuͤr’ zu weisen — daß Sie mich fuͤr na- seweis ausschreyen, und mir dadurch den Weg zu weitern Fortkommen versperren — das kraͤnkt mich — (Schluchzend) Das ist unchristlich, Herr Gerhard. Die Erbschleicher. (ungeduldig.) Ich will Sie ja wie- der behalten. (trotzig.) Erst widerrufen Sie Ihr naseweis! (nachgebend.) Es fuhr mir so her- aus — ja doch — ich hab’ Unrecht. (mit verstellter Hitze. Aufstehend.) Nein, Herr Vetter! Justine hat Unrecht. Was hat sie in Ihre Heirath zu reden? (zänkisch.) Ich kann weder heucheln, noch schmeicheln. O, zankt Euch nicht! (persiflirend.) Sie sind kein Her- kules — aber delikate Naturen dauern oft am laͤngsten; und alle Ihre Zufaͤlle sind im Grunde — aber nehmen Sie mirs nicht uͤbel! — Ein- bildung . (Sternbergs Ton nachahmend.) Seine Koliken zum Exempel — Einbildung! seine lah- me Seite — Einbildung! seine Steckfluͤße — Einbildung! seine - - - (steht ärgerlich auf und hält ihr den Mund zu.) O, o, o! (Madam Anker und Therese stehen auch auf.) (fortfahrend.) Sie sind kein Ado- C 5 Die Erbschleicher. nis — aber soll ein ehrbarer, dem schönen Ge- schlechte von jeher ergebener Junggeselle — keine Frau nehmen, weil er in sechzigen steht? (auffahrend.) Steht! steht! — Auf Johanni tret’ ich sie erst an. (zu Justinen.) Da hoͤrt Sies! Er tritt sie erst an. Ist das ein Alter in den Au- gen eines Frauenzimmers von Erziehung? ist das ein Gegenstand des Spottes? (ihres Verdrußes nicht mehr mäch- tig, zu Sternberg.) Aber wie kann man daruͤber nur ein Wort verlieren? Die Haushaͤlterin- nen sind ja privilegirt, sich uͤber die Heira- then ihrer Herren lustig zu machen. Madam — ich fuͤhle den Stich, aber ich darf nicht antworten. (der sich indessen den Angstschweiß ab- getrocknet, und an einem Balsambüchschen gerochen hat, schleicht seitwärts und ruft.) Justine! (ihm nachgehend.) Herr Gerhard! (im Hintergrunde, auf einen Stuhl ge- stützt.) Sieht Sie nicht, daß mir schlimm wird? Einbildung! (immer ängstlicher.) Nein, nein! Das Stehen — der Zwang — die abwechseln- Die Erbschleicher. den Gemuͤthsbewegungen. (Hält sich mir hypochon- drischer Geberde den Kopf.) Hab’ ich meinen Kopf noch? Fest sitzt er nicht mehr. (schwerathmend.) Was ist denn fuͤr eine Kellerluft im Zimmer? Schoͤpfen Sie frische! Wie schickt sich das — jetzt — da —? Wollen Sie vor Hoͤflichkeit in Ohn- macht fallen? (Während dieses Seitengesprächs geht das stum- me Spiel der Uebrigen fort. Sternberg sagt Theresen dann und wann ein Wort verliebten Verdrusses ins Ohr. Therese richtet sich nach den Blicken ihrer Mutter, um Sternbergen ent- weder den Rücken zuzudrehen, oder ihm mit schmachtenden Blicken und flehenden Geberden zu antworten. Madam Anker theilt ihre Auf- merksamkeit uuter beiden Partheyen.) (um sich aus dieser Verlegenheit zu ziehen.) Wir fallen Ihnen vielleicht zur Last, Herr Sohn? (geht wieder vor.) Ey, bewahre mich der Himmel, Frau Mama! — (Stotternd.) Ich — ich hatte nur — ich fragte Justinen — Die Erbschleicher. aber es hat noch Zeit — Die Post — die Post geht spaͤt — Briefe zu schreiben? — O lassen Sie sich durch uns nicht abhalten! (mit zunehmender Verlegenheit.) Nu, wenn die Frau Mama — wenn Sies erlauben wollen — Wir empfehlen uns erge- benst — Gehorsamer Diener! — nein — nicht doch — Vetter Sternberg — vertret Er meine Stelle! Ich habe gleich wieder die Ehre — Ihre Dienerinn! (im Abgehen.) Justine! (Leise.) Mei- nen Stock! (bringt ihm den Stock unter der Schürze.) (leise.) Komme Sie mir nach! — Aber unter einem Vorwande — mit einer Ma- nier — (Ab in die Schreibstube.) (ihm nachrufend.) Befehlen Sie Licht? (Geht ihm nach.) Die Erbschleicher. Zehnter Auftritt. Sternberg. Madam Anker. Therese. (singend, mit Karrikatur.) Einem alten finstern Wiedehopf Stieg einst die Lieb’ in den grauen Kopf. Er wollt’ ein Schwaͤlbchen jung und fein, Ein Schwaͤlbchen wollt’ er freyn. (Mit boshafter Laune.) Kennen Sie das Liedchen, Madam? Es hat mehr Strophen. Die alte Schwalbe koͤmmt auch darin vor. O, das ist eine boͤse, eigennuͤtzige, raͤnkevolle Mutter, so ei- ne leibhafte Komoͤdienmama — Sie wissen schon! (sich in die Brust werfend.) Herr Sternberg, reden Sie nicht so ungereimt ! Ungereimt? O, fordern Sie mich nicht auf, es in Reime zu bringen! Sie sehen, ich habe heute starke Anlage zum Poeten. (Theresen bey der Hand nehmend.) Komm, Therese! Wir wollen uns entfernen. (tritt dazwischen.) Ey! das wuͤrde der Herr Vetter sehr uͤbel nehmen. Ich soll ja seine Stelle vertreten. Die Ehre moͤchte so bald nicht wiederkommen. Ich muß sie nutzen. O, Die Erbschleicher. ich habe Ihnen noch so viel Schoͤnes zu sagen — (faßt Madam Anker unsanft bey der Hand) so viel Schoͤnes, daß Ihnen die Ohren gellen sollen, Sternberg! Was wollen Sie von mir, mein Herr? (Zieht zornig ihre Hand zurück.) (mit edler Heftigkeit.) Was ich will? Ist das Rechtschaffenheit? Ist das Sitte unter Leuten von Gefuͤhl? Hab’ ich das an Ih- nen und Ihrer Tochter verdient? (mit spöttischer Höflichkeit.) Sehr verbunden fuͤr die guͤtige Intention! Aber mir liegt es ob, mein Kind zu versorgen . (spöttisch.) Eine schoͤne Ver- sorgung! Fuͤr ein armes Maͤdchen ein Gluͤck uͤber alle Erwartung! (mit schwärmerischem Ausdruck.) Wenn Reichthum des schmachtenden Maͤdchens Sehn- sucht stillte? Oder vielmehr, wenn die ferne Aus- sicht, reich zu werden, Ersatz fuͤr die Aufopfe- rung ihres Lenzes waͤre, Ersatz fuͤr peinliche Skla- verey und hingetrauerte Tage? (kalt.) Lassen Sie die roman- Die Erbschleicher. haften Ausdruͤcke weg. Meine Tochter versteht sie nicht einmal. Sie ist kein Modedaͤmchen . (mit Innigkeit.) Aber sie hat ein Herz, und das gehoͤrt mir . (mit scheinheiliger Heftigkeit.) Un- gluͤcklicher! Ich hoffte nicht, daß Sie die Un- schuld hinter dem Ruͤcken der Mutter verfuͤhrten? (gelaßen.) Unter Ihren Augen liebten wir uns. (mit Ungestüm in Theresen drin- gend.) Therese! weißt du, was Liebe ist? recht- fertige dich! oder ich erkenne dich nicht mehr fuͤr mein Kind. (erschrocken.) Ich weiß von nichts, lie- be Mama. (tritt dazwischen.) Aber ich weiß, daß Sie mir Ihre Tochter versprochen haben. Versprochen? Das reden Sie, wie ein — Advokat. Versprochen? Ja! doch unter der Bedingung, daß Herr Gerhard Sie zum Universalerben ernennte. Ist das ge- schehen? Es kann noch heute geschehen. Ich liebe in Allem die Ge- wißheit . Durch Schaden wird man klug. Die Erbschleicher. Mein seeliger Lieutenant hoffte auch, einen Vetter zu beerben. In dem Wahne heirathe- ten wir einander, und harrten und darbten, bis der Alte ohne Testament starb. Die Ver- wandten fuhren zu. Die Erbschaft ging in hun- dert Bischen, und von dreyßigtausend Thalern Hofnung — trugs ihm kaum so viel baar, die Equipage zu bestreiten, mit der er nach Amerika ging. Aber mich naͤhrt mein Fleiß? Wie lange? — Und wenn der Herr Advokat die Augen zuthut, mag die Wittwe mit fuͤnf oder sechs Kindern - - - (bitter lachend.) O, Madam, wenn der Himmel einfaͤllt, sind wir Alle be- graben. Ha, der Herr Advokat hat auch Witz! (geht umher und trällert) (die es bemerkt.) Aber desto we- niger Lebensart. (Vor sich) Wo bleibt der Nota- rius? — Ich will ihn selbst aufsuchen — Jeder Augenblick ist kostbar — (Mit einem Seitenblick auf Sternberg und Theresen.) Ob ich das Maͤdchen bey dem Narren lasse? — (Laut.) Therese, mein Schwie- Die Erbschleicher. gersohn schreibt ewig Briefe. Sag ihm, daß ich seine Wuͤnsche zu befoͤrdern eile! — Daß ich ohne Verzug wieder hier bin — (Halb im Gehen.) Und dem desperaten Koridon dort sage, daß du gehorchen gelernt hast, und daß nichts komischer ist, als ein sentimentalischer Advokat, hahaha! (Lachend ab, durch die Mittelthür.) Eilfter Auftritt. Sternberg . Therese . (ihr nachrufend.) Teuflisches La- chen! (ernsthaft.) Sternberg! Es ist mei- ne Mutter, und Sie begegneten ihr un- artig. O, reden Sie ihr nicht das Wort! Vertheidigen Sie sich selbst! Wie war es Ihnen moͤglich, mir dieses Komplot bis zum letzten Augenblicke zu verheimlichen? Man hat sich wohl gehuͤtet, mir selbst es eher zu entdecken. Das glaub’ ein Anderer! (Gehr zornig auf und ab.) D Die Erbschleicher. Ich sag Ihnen die Wahrheit. Glauben Sie, was Sie wollen. — Ich stand heute so vergnuͤgt auf und so fruͤh, daß ich den Mond noch am Himmel fand, als ich, nach meiner Ge- wohnheit, ans Fenster trat, um mich von der frischen Morgenluft anwehen zu lassen. — Der Anblick war mir neu. Ich stand, und gaffte, und traͤumte, und vergaß mich — bis ich im Hause schelten hoͤrte; ein Zeichen, daß sich die Mama erhoben hatte. — Sie hoͤren nicht? (in Gedanken.) O ja! Sie erschien — zu meinem Er- staunen schon angekleidet — und ihr guter Mor- gen war so gnaͤdig, als ob sie ein heiliges Werk vorhaͤtte. — Ich erzaͤhle den vier Waͤnden. Nein, nein! Nun wurde der Thee stumm, wie immer, hinein geschluͤrft, und ich setzte mich schon zu meiner Arbeit, als mir die Mama befahl, mich zum Ausgehn fertig zu machen. (wie vo r hin.) Wie? Sehn Sie wohl, daß Sie taub sind! Fahren Sie nur fort! Wo blieb ich stehen? Die Erbschleicher. (ganz zerstreut) Beym Monde. (lächelnd.) Da moͤgen Sie wohl her- um schwaͤrmen. — Nein, ich stehe vor dem Spiegel, und befestige eben die letzte Nadel an meinem Hute, und werde die Mama hinter mir gewahr. (wird aufmerksam.) Nun? Sie nickte mir mit kleinen Augen zu, und klopfte mich auf beide Backen. (ungeduldig.) Weiter! Ich erschrack. Liebkosungen gehen allemal bey ihr vor einem straͤflichen Mandat her — „Was befehlen Sie, liebe Mama?“ fragte ich. — „Nichts, Therese. Bist du meine gute Tochter?“ — Ich kuͤßte ihr die Haͤnde. — „Meine gute, gehorsame Tochter?“ — Und sie hat fuͤr gehorchen und Gehorsam einen unnachahmlichen Accent. — Ich stotterte: „Von ganzem Herzen“ — „Weißt du auch, wohin ich dich fuͤhren will? Zum Herrn Gerhard.“ Weiter! Weiter! (nähert sich und legt ihre Hand auf seinen Arm.) O Sternberg! — Begreifen Sie, wie mir das Herze pochte, die Wange gluͤhte? Ach, es war die letzte gluͤckliche Minute meines Le- D 2 Die Erbschleicher. bens. — „Herr Gerhard, (fuhr sie fort,) er hat um dich angehalten, und ich habe dich ihm ver- sprochen.“ (hält ihre auf seinem Arm ruhende Hand aͤngstlich fest.) Therese! Und was antworte- ten Sie? Nichts. Ich bedeckte mein Gesicht mit beiden Haͤnden — meine Knie zitterten — ich sank auf einen Stuhl. Die Mama ging mit starken Schritten auf und ab. „Therese!“ don- nerte sie endlich. „Die Nachricht hat dich uͤber- „rascht. Sey kein Kind! Herr Gerhard wartet.“ (faßt sie bey beiden Händen.) Und Sie gingen? Und Sie warfen sich ihr nicht zu Füssen, um — (lächelnd.) Um die Schwere der Hand zu fuͤhlen, die mich den Augenblick zuvor gestreichelt hatte? (läßt die Arme sinken, fährt zurück.) Was sagen Sie? (zuckt die Achseln.) Meine Mutter ist eine Soldatenfrau. Sie haͤlt Mannszucht. Ich bin der Ruthe noch nicht entwachsen. (nachdem er einmal auf- und abgegan- gen, kalt.) Also wollen Sie meinen Vetter heira- then? Die Erbschleicher. (lebhaft.) O, das ist eine andere Frage. (spöttisch.) Wenn Sie sich skla- visch vor Ihrer Mutter fuͤrchten. Der Sklav, der gegen seinen Herrn nicht muchst — (schnell) springt wohl vom Thurm, um sich zu retten. (freudig, mit offenen Armen.) Sprin- gen Sie! ich fange Sie auf. (ernsthaft.) Wie, Sternberg! — Wollten Sie sich mit einem entlaufenen Maͤdchen beladen? Nein! — zucken Sie nur die Achsel uͤber meine Vorurtheile — (edel) nein! ein Geschoͤpf, daß die ersten Pflichten der Natur ver- raͤth, kann unmoͤglich eine gute Frau werden. (ihre Hand mit Feuer küssend) Vor- trefliches Maͤdchen! — Aber die Gefahr, in der wir uns befinden - - - (schnell.) Ist noch zu uͤbersehen. Der Notar ist auf dem Wege. (scherzhaft.) Der Pfarrer muß auch dabey seyn. (empfindlich.) Sie koͤnnen scher- zen? Warum nicht? Sind Sie nicht D 3 Die Erbschleicher. auch froh, wenn Sie das Mittel sehen, einen boͤsen Prozeß zu gewinnen? — Strenge Muͤtter machen listige Toͤchter. — Vielleicht haͤtt’ ich mich besser zum Advokaten geschickt, als Sie. Ich bin getrost — und Sie verzweifeln. Sie wissen keinen Rath — und ich habe meine Rolle schon im Kopf. Im Ernste? Ich will meinem Braͤutigam miß- fallen. (verdrüßlich.) Wie ist das moͤg- lich? Die ganze Welt hat nicht Ihre Augen. — Aber Justinens Schlauheit schreckt mich ab. Wird sie uns nicht verrathen? (lebhaft.) O, fuͤr Justinen steh ich wie fuͤr mich selbst. (bedenklich.) Sie betheuern mir das so lebhaft! Sie unterhalten mich so oft von ih- rem Lobe? Was weiter? Ein huͤbsches Maͤdchen! Die Gelegenheit, sie taͤglich zu sehen! Es beunruhigt mich. Ich koͤnnte Ihnen diese Un- ruhe durch ein einziges Wort benehmen. Die Erbschleicher. Thun Sies! Justine ist — versprochen. Das kam sehr langsam. Stern- berg — fast haͤtt’ ich Lust, meinem Braͤutigam zu gefallen . (Hört kommen) Da ist er! Zwoͤlfter Auftritt. Justine. Nachher Gerhard. Vorige. (halblaut.) Nein, ich bins. Ich hielt es fuͤr rathsam, ihn anzumelden. (im Eintreten.) Ach, nehmen Sies doch ja nicht uͤbel, meine Schoͤnen — (Setzt seinen Stock verstohlen in die Ecke.) Es ist nur noch Eine Schoͤne da, Papachen. (näher kommend.) Wo ist denn die Frau Mama geblieben? (spricht indessen heimlich mit Justinen.) Bin ich Ihnen nicht genug, Pa- pachen? Gehorsamer Diener! Ich wenigstens (mit einem Seiten - blick auf Sternberg) vermiße Niemanden. D 4 Die Erbschleicher. Gehorsamer Diener! (ihm nachspottend.) Und immer: ge- horsamer Diener! Ist das Kompliment keines Handkußes werth? (entzückt.) O, Justine, hoͤre Sie doch! Da, Papachen! (Reicht die Rechte Gerharden, die Linke Sternbergen verstohlen zum Küssen.) Ich hoͤre — und sehe. (streichelt ihm das Kinn.) Sie sind doch nicht boͤse, daß ich Sie Papachen nenne? O ganz und gar nicht, mein Schatz! Meine Mamsell hat mir gesagt, wenn ich einen alten Mann bekaͤme, muͤßt’ ich ihn: mon bon papa! rufen, auf deutsch: Pa- pachen! O, Herr Gerhard, hoͤren Sie doch! Der kleine Engel! Ich bin ganz erstaunt — Warum denn, Papachen? Sie schienen mir vorhin so still — so bloͤde — so - - - Simpel , wollen Sie sagen. Ja, Die Erbschleicher. im Beyseyn meiner Mama ist mir die Zunge, wie gelaͤhmt. Denn des Dreinredens und Zu- rechtweisens ist kein Ende. Aber sobald sie den Ruͤcken wendet, geht das Uhrwerk los. Nicht wahr, Herr Sternberg? (kann das Lachen nicht verbeißen.) Ich glaube, Sie lachen mich aus. Gehn Sie! Spoͤtter brauchen wir nicht. — Apro- pos, Papachen! Meine Mama moͤchte gerne wis- sen, mit wem Sie handeln. (verwundert.) Ich treibe weder Han- del noch Wandel. Aber wo soll sie die Brautsachen ausnehmen? O, bey wem sie will? Und so viel ich will? Warum das nicht, mein Schatz? (zu Sternberg.) Haben Sies ver- standen, Herr Sternberg? Bringen Sie ihr die Antwort! Ich gehorche. (Will ab.) (ihm nachrufend.) Ohne Abschied? — Die jungen Herren wissen jetzt gar nicht mehr, was Galanterie ist. Wenn ich in Romanen lese, wie ehrerbietig sie sonst waren! D 5 Die Erbschleicher. (ihr die Hand küssend.) Und wie sittsam weiland das Frauenzimmer! — (Ab.) Dreyzehnter Auftritt. Justine . Gerhard . Therese . Sittsam? Sittsam? Das soll wohl auf mich gehen? Er siehts gewiß nicht gern, daß Sie mich heirathen? Das laͤßt sich an den Fingern ab- zaͤhlen. Was kann ich dafuͤr? — Aber bes- ser Neider, als Mitleider! (der sich indessen auf seinen Sessel stützt.) Nehmen Sie doch wieder Platz, meine Schoͤne! Ich bin den ganzen Tag auf den Beinen. Herr Gerhard auch, aber auf sechsen. (führt ihn rasch zum Sessel.) O, mit mir keine Komplimente! Comme ça, mon bon papa! (Nöthigt ihn, sich zu setzen.) (indem er zu sitzen kömmt.) O, gehor- samer Diener! Die Erbschleicher. Sagen Sie mir doch! — Wie bald ist die Hochzeit, Papachen? (Tändelt verschämt mit ihrer Schürze) Schmeichelhafte Ungeduld! Treuherzige Frage! In acht Tagen, mein Schaͤtz- chen? Warum denn nicht heute? — Die Mama hat mir zwar verboten, das merken zu lassen. (Immer schneller.) Aber ist es denn eine Suͤnde, sich zu freuen, daß man schoͤne Kleider bekoͤmmt, und die Freyheit, zu reden und zu thun, was man will? — Seh Sie nur Jung- fer Justine! Geh’ ich nicht, wie eine alte Matro- ne? und so, wie ich gehe, muß ich leben — einfoͤrmig und traurig. Armes Kind! Von der Naͤhnadel zum Strickzeug, vom Strickzeug in die Kuͤche! Abends mit den Huͤhnern zu Bette! und zur Belohnung — alle hohe Feste einen Kaffeebesuch bey meiner Frau Pathe, oder ein Spaziergang in der Mittags- hitze. Armes Kind! Das Wort divertissement giebt Die Erbschleicher. mir immer einen Stich ans Herz. Wenn ich ei- nen Komoͤdienzettel sehe, hab’ ich die Augen voll Wasser; und wenn mich des Winters das Rollen der Kutschen aus dem ersten Schlafe weckt, und meine Kammer vom Wiederschein der Fackeln in lauter Feuer steht, ach da stell ich mir die Gluͤck- lichen vor, die zu Musik und Tanz fahren — und werfe mich seufzend in meinem Bettchen herum, und kann vor Sehnsucht und Grillen nicht wieder einschlafen! Armes Kind! (mit steigender Lebhaftigkeit.) Aber nun will ich mich schadlos halten. Nun werd’ ich ei- ne reiche Frau! Nun ruͤhr’ ich keine Hand mehr an, als am Putztische, und sorge fuͤr nichts, als fuͤr Zeitvertreib. (Aeußerst geschwinde) Fruͤhstuͤcke, Diners, Assembleen, Soupees, Konzerte, Komoͤ- dien, Baͤlle, Schlittenfahrten, Landpartien, eins soll das andere jagen. Das ist recht. Aber wir wollen uns nicht mit Ge- faͤlligkeit aͤngstigen, Papachen. Sind Sie krank, so bleiben Sie zu Hause. Schlaͤfern Sie, so ge- hen Sie schlafen. Das ist vernuͤnftig! Die Erbschleicher. O, wir wollen leben wie die Kin- der! Wir wollen genießen und genießen lassen. Man soll mir nicht nachsagen, ich naͤhme Sie nur — um Sie zu erben . O! das ist englisch! (hat sich indessen mehrmalen die Schläfe und Stirn gerieben und gestöhnt.) (als ob sie es eben bemerkte.) Haben Sie Kopfweh, Papachen? Ach nein, mein Schatz. (sich umsehend, wird die Arzneygläser u. s. w. gewahr.) Hier siehts ja aus — wie eine Apo- theke. Was macht das Zeug im Zimmer? Das ist unser Putzgeraͤthe. Fi donc ! Ich kann keine Arzney riechen. Und wir koͤnnen nicht ohne sie le- ben. (sich abermals umsehend.) Ist das Haus Ihr eigen, Papachen? Ja, mein Engel. Mein seeliger Urgroßvater hats gebaut. Gefaͤllts Ihnen? Etwas altvaͤterisch, wie der Erbauer. Aber was mir nicht gefaͤllt, lassen Sie aͤndern. Vor allen Dingen neue Moͤbeln! (Geschwinde.) Die Erbschleicher. Bergèren , Ottomanen, Chissoniè ren, Tru- meaux, Consolen, Vasen, Buͤsten, Basreliefs und Estampen. Wir nehmen das Modejournal zu Huͤlfe. Das ist bald geschehen. — Wo ist der. Saal, Jungfer Justine? Der Kornboden, wollen Sie sagen? Kein Saal im Hause! Aber wo soll ich denn den Hochzeitball geben? Den Hoch- zeitball? (sehen sich einander bedenklich an.) Ja, meinen Freundinnen muß ich Wort halten. Es ist ein gegenseitiges Verspre- chen unter zwoͤlf jungen Demoisellen, die Eine Tanzstunde besuchen. Und mich trift die Ehre, den Anfang zu machen. — Sie tanzen doch, Pa- pachen? Behuͤte der Himmel! (immer muthwilliger.) Aber wie kann man nicht tanzen? Ehemals war ich ein starker Taͤn- zer. Ey was? Ein Braͤutigam spricht nicht von ehemals. Was er war , muß er noch seyn. Die Mamsell hat Recht. Sie muͤs- sen tanzen. Die Erbschleicher. Ich hab’ in dreyßig Jahren nicht getanzt. Durch Uebung koͤmmt die Lust wie- der. Probieren Sies! Ich bin so zum Schwindel ge- neigt — Dickes Blut! Sie muͤssen tanzen. Ich habe einen Krampf in der rechten Seite — Mangel an Bewegung! Sie muͤs- sen tanzen. Angefaßt, Justinchen! Allons! (fassen Gerharden an, schwen- ken sich mit ihm im Kreis herum und singen.) Im May! Im May! Da ist die schoͤnste Zeit! Drum laßt uns alle froͤhlich seyn, Ihr lieben jungen Leut! (ruft dazwischen.) Gnade! — Gna- de! — Ich kann nicht mehr — (Verliert im Schwenken die Perücke.) Vierzehnter Auftritt. Sternberg . Vorige . (der gelauscht hat, läuft dazwischen.) Ihr losen Frauenzimmer, was macht ihr mit Die Erbschleicher. meinem Herrn Vetter? (Befreyt ihn, führt ihn zum Sessel, setzt ihm die Perücke auf.) (sich böse stellend.) Daß Sie auch just kommen muͤssen! (thut auch böse.) Freudenstoͤrer! ( keichend im Sessel.) Ach, ich bin todt — (streichelt Gerharden Gesicht und Hände.) O, liebes Papachen, sagen Sies nur der Mama nicht wieder! Wollen Sie? Sie spricht ohnehin, ich waͤre von der Tarantel gestochen, weil ich Contretaͤnze bey meiner Arbeit singe und zwi- schen durch die große Achte um die Stuͤhle mache. Mamsell, ich melde Ihnen den Mann aller Maͤnner an. (auf Gerhard zeigend.) Hier ist mein Mann! Jener ist auch nicht zu verach- ten. Er ist das Orakel der Mode, der Minister der Grazien, der Erbfeind manches Hausfrie- dens - - - In schlichter Muttersprache — der Schneider . Er will Ihnen das Brautkleid anmeßen. Therese Die Erbschleicher. (hüpfend.) Das Brautkleid! Das Brautkleid! — Auf Wiedersehen, Papachen! Der Schneider darf nicht warten. Putzen Sie sich indessen. Sie sehen aus, wie Knecht Nu- precht . (bietet ihr den Arm.) Kann ich die Ehre haben, Mamsell? Sehr doch! Der junge Mensch bildet sich. Bravo, Herr Vetter! Wenn Sie so fortfahren, mach’ ich Sie vielleicht zu meinem — wie heißt das Ding, das einer huͤbschen Frau uͤberall den Arm giebt? Cicisbeo. Richtig! Allons, Herr Cicisbeo! (Nimmt seinen Arm und geht, kehrt aber wieder um.) Eins versprechen Sie mir noch, Papachen! — Aber ohne Frage! (Nimmt seine rechte Hand.) Topp! — Kutsch und Pferde ! — Meine Freun- dinnen fahren aus der Haut, wenn ich meine Vi- sitenrunde in eigner Equipage mache. (Eine Wei- berstimme nachahmend.) Christian! Was haͤlt unten fuͤr eine Kutsche? (Eine Mannsstimme nachahmend.) Madam Gerhard will aufwarten. (Vorige Stimme.) Madam Gerhard ? In eigner Equipage? Die Naͤrrinn! Abgesagt! (Ihre eigne Stimme.) E Die Erbschleicher. Weiter! Fahr zu Kutscher! (Eilig mit Sternber- gen ab.) Funfzehnter Auftritt. Justine . Gerhard . Herr Gerhard, ein Widerruf ist des andern werth. Ich bitte Ihnen meine Un- art eben so herzlich ab, als ich Ihnen gluͤck- wuͤnsche. Sie haben eine herrliche Wahl getrof- fen. (kleinlaut.) Ich bin zufrieden. Das munterste Maͤdchen in der Stadt! Schlaͤfrig scheint sie nicht. Die wird Ihnen Krampf und Fluß und Melancholie weglachen. (vor sich.) Oder wegaͤrgern. (mit steigender Lebhaftigkeit.) Lob und Dank Ihrem guten Einfall! Nun leb’ ich auch mit auf. Nun liegt meine Koch- und Backkunst nicht mehr brach. Nun krieg’ ich den Tag uͤber andere Gesichter zu sehen, als den Tropf Benedikt und Ihren kupferigen Herrn Gevatter. Nun Die Erbschleicher. hoͤr’ ich bessere Musik des Abends, als mein Spinnrad, Ihr Geschnarche und das Schnurren unsrer alten Katze. Nun heißts: Justine hier! Justine dort! Justine in allen Ecken! Heysa! (Hüpft und will ab) Wo willst du hin? Huͤpfen will ich von Stube zu Kam- mer und von Treppe zu Treppe; Feuer und Bann ankuͤndigen unserm wurmstichigen Hausrathe — Verwandelung der ganzen Barake; an Ihre Geldkasten klopfen, und den Gefangenen zuru- fen: Freut euch! Eure Befreyerinn ist nahe! Schwaͤrmst du? Ohne Schwaͤrmerey. Ich will die Leute bestellen, die unser Kloster zum Pallast der Freude umschaffen sollen. (Will ab.) Bleib! Meine neue Herrschaft hats befohlen. Die alte geht vor. Haben Sies nicht gehoͤrt? Man muß nicht alles hoͤren. (singend.) „Nicht alles hoͤren, noch alles sehen, Ist das Geheimniß gluͤcklicher Ehen.“ Behalten Sie das Reimgebetchen. E 2 Die Erbschleicher. Maͤdchen — du bist ausgelassen . Ihre Braut hat mich angesteckt. (sich im Sessel herum werfend.) Ach, ich wollte — Sie seufzen, daß Sie sich in Staat werfen sollen. Gemaͤchlichkeit ist mein Staat. Aber zum Nachtessen werden Sie doch — (ungeduldig einfallend.) Ich esse ja nie zu Nacht. Ist denn heute nicht Verloͤbniß? O, quaͤle Sie mich nicht! Die Ohren thun mir ohnehin schon so wehe — (Seinen Stock suchend.) Gute Nacht! (lachend.) Am hellen Morgen? Ich hab’ Erholung noͤthig. Kaum aus dem Bette, und schon wieder hinein? Unterstehe Sie sich nicht, mich zu wecken, und wenn der juͤngste Tag kaͤme! (Ab in seine Schreibstube.) (ihm nachsehend.) Geh nur, alter Son- derling, und schlaf’ den Braͤutigamsrausch aus! (Ab ins Kabinet.) Die Erbschleicher. Zweiter Akt . Erster Auftritt. Justine , hernach Pistorius . (aus dem Kabinette kommend.) Da kommt Pistorius! Der soll ihn uns vollends zu Verstande bringen helfen. Zu solchen Liebesdiensten sind die Narren am besten zu gebrauchen, weil sie kein Blatt vors Maul nehmen. (durch die Mittelthür kommend.) Gu- ten Morgen, guten Morgen, Jungfer Justinchen! Ey, Herr Pistorius, Herr Pisto- rius! Ich habe auf Sie gewartet, wie die Schwalben auf den Sommer. Excusiren Sie! Der Herr Ge- vatter ist immer mein erster Gang. Aber zu- weilen bin ich, wie behext. Ich kann nicht vom Flecke. Eine Abhaltung uͤber die andere! Goldene Abhaltungen, Herr Pistorius! Durch solche Hexereyen werden Sie steinreich. E 3 Die Erbschleicher. (indem er Hut, Stock, und Degen und Handschuhe ablegt, das eine hier, das andere dorthin.) Du liebe Zeit! Zum Schelme muͤßt’ ich werden, wenn ich nicht nebenher die Post haͤtte! Kleiner Ort! und erbaͤrmliche Polizey! In so einem Neste drey Apotheken! Ja, wie wir noch den Hofstaat hier hatten, da gings flott, da war noch Nahrung unter den Leuten! Aber jetzt brauchen sie Jahr aus Jahr ein die Hungerkur . Von der sind Sie kein Patron. (den Arzneyvorrath visitirend.) Was macht der Herr Gevatter? nimmt er brav ein? — Hm! Die Pulver sollten gestern Abend alle werden. An den Glaͤsern ist auch nur genippt. — Was heißt das? Da muß ich hinterdrein fe- gen. Friß Vogel oder stirb! heißts in der Mede- zin. Sonst mag er seinen Pnevmatismus be- halten. (Zieht ein Arzneyglas aus der Tasche.) Hier ist die neue Mixtur! Etwas chymisches! (In eine andere Tasche greifend.) Da sind auch frische Pul- ver! — Und hier ein Sälbchen, um sich die Sei- te gelinde reiben zu lassen. Ich wuͤßte wohl ein Paar heilskraͤftige Paͤtschchen dazu. (Will ihr die Hände streicheln.) (schlägt ihn auf die Finger.) Neh- men Sie den ganzen Kram nur wieder mit! Die Erbschleicher. Wie? Wir koͤnnen keine Arzney mehr riechen. Das haben Sie gewiß von Herrn Sternberg gehoͤrt? Der ist auch so ein neumodischer Veraͤchter der Medezin. Alles was ich verordne, ta- delt er. Aber er wird mir sobald nicht wiederkom- men. Ich hab’ ihn abgetrumpft. Herr Stern- berg, sagt’ ich vorgestern zu ihm, der Schuster muß bey seinem Leisten bleiben, und der Advokat beym corporis Iuris hahaha! Im Ernst, Herr Pistorius. Wir sind so wohl auf, als Sie. Ha! Das Wohlseyn kenn’ ich. Heute roth, morgen todt! Was giebts Neues in publecis ? Wenn Sie nichts haben! Dreyßig Febrezetanten hab ich. Dreyßig Kandidaten des Kirchhofs! Ja, es ist epitomia malina . Die Menschen fallen um, wie Fliegen. Zum Gluͤck meistens gemeines Volk! Zum Ungluͤck , wuͤrd’ ich sa- gen. Vornehme Tagediebe koͤnnen am ersten abkommen. E 4 Die Erbschleicher. Endlich zeigen sich doch auch wie- der Blattern. O, schweigen Sie von Ihren Fa- talitaͤten! Wie so? Verwundungen, Quet- schungen, Verrenkungen, Bruͤche, das sind Fa- talitaͤten. Aber Blattern sind eine Krank- heit. Krankheiten sind nothwendige Uebel. Aber die Inucolation hat ein Broddieb unsrer Kunst erfunden. Ich weiß eine lustigere Neuig- keit. Exemplo gratias , eine Heirath? Getroffen. Ein funkelnagelneuer Braͤutigam! Kenn’ ich ihn? (Faßt sie wieder bey der Hand.) (schlägt ihn wieder auf die Finger.) Spre- chen Sie mit dem Maul. — Es ist Ihr Her- zensfreund. (kurz.) Der Herr Gevatter Ger- hard? (verwundert.) Sie errathen ihn aufs erstemal! Das ist etwas altes. Er thut nichts ohne mein Vorwissen. Die Erbschleicher. Und Sie lassen es geschehen? Ich habs ihm verordnet. Verordnet? Zu seiner Leibes- und Seelenru- he. Wo soll denn das schoͤne Vermoͤgen bleiben? O, das wird seinen Mann schon finden. Freylich wohl. Es giebt Liebha- ber genug, die gern bey seinem Leben zugriffen. Bey den Haaren sollte man sie aufhaͤngen, wie Koͤnig Absalom, die Gaudiebe! Sie tragen eine Peruͤcke, nicht wahr? Wenn er heirathet, hat die Jagd ein Ende; und der Mann koͤmmt in Ordnung, Laͤnger taugt die wilde Wirthschaft nicht. Die wilde Wirthschaft? Er muß eine Frau haben. In seinen Jahren! Hab ich doch die zweyte genom- men? Sie, und Er ! Er ist Salve venia ein starker hypercondriacus . Die gewoͤhnliche Maledie al- ter Junggesellen. Als ich meine zweyte Frau E 5 Die Erbschleicher. nahm, dachten meine Herren Collegen, ich wuͤr- de kein Jahr mehr laufen. Aber bis dato hab ich in sechs Jahren siebenmal taufen lassen, und was abermals unterweges ist — (Schlägt sich auf den Mund) St! ich soll nicht aus der Kammer plaudern. (schalkhaft.) Apropos! Was macht denn Ihr schoͤner Provisor? (verdrüßlich.) Ach, der Hasenfuß! Sie haben gewiß schon gehoͤrt, daß er sich auf Micheli setzen will? Ey! Er handelt um eine Apotheke in der Nachbarschaft. Da verlieren Sie eine große Stuͤtze! (treuherzig.) Ja, verlassen kann ich mich auf ihn, das ist wahr. Um alles be- kuͤmmert er sich; alles greift er mit an; er giebt sich sogar mit den Kindern ab . Und was die Apotheke betrift — da sucht er seines Gleichen. Die Arbeit geht ihm so fix von der Hand, daß er immer fertig ist. Und manches Receptchen, das meinen Collegen zugedacht war, fliegt mir zu, wenn die Jungfern das nette Kerlchen in der Die Erbschleicher. Thuͤr stehen sehen. — Was meynen Sie, Justinchen? Soll ich einen Kuppelpelz ver- dienen? (verdrüßlich.) Davon laͤßt sich sprechen. Hier im Hause bleib’ ich keinen Tag laͤnger. Warum? Man dient doch nicht gern zuruͤck. (zuversichtlich.) O, Sie sollen in Stand und Wuͤrden bleiben. Ich bin gut fuͤr die junge Frau. (verwundert.) Sie? Wie man fuͤr euch gut seyn kann. — Es ist ein stilles, sittsames, eingezoge- nes Maͤdchen. Von außen. (mit Feuer.) Und von innen. Sie hat ein Herz so weich, wie Rosenhonig. Aber Mutterwitz, Mutterwitz dabey. Sie ist fein, wie Spiritus vinum . Und doch im Thun und Wesen, wie ein Lamm! So eine Frau, das ist ein Julepp fuͤr einen Patienten, ein Laxetiv der Schmerzen, ein Vometiv der Grillen, kurz, ein wahres uneversalum , wie die Goldtinktur. Sie reden ja von ihr, wie ein Verliebter! Die Erbschleicher. Der Meister soll zwar sein Werk nicht loben. Aber meine Fiecke - - - (mit Gelächter einfallend.) Ihre Fiecke? Sie galloppiren mit den Gedanken, wie mit der Zunge. Was wollen Sie mit Ihrer Fiecke? O thun Sie nur nicht so schlau! — Sie haben den Braten laͤngst gerochen — (Sich auf den Bauch klopfend.) Ich werde der Schwie- gerpapa vom Herrn Gevatter. (spöttisch.) Sie? — Will er vielleicht das Versaͤumte wieder einbringen? Was denn? Will er zwey Weiber auf einmal nehmen? Zwey Weiber? Ihre Fiecke und Mamsell Anker? (betäubt und stotternd.) Mamsell A- A-Ank-kanker? (Vor sich.) Da bin ich schoͤn ge- prellt! (vor sich.) Da hat auch einer die Rech- nung ohne den Wirth gemacht. (sich erholend und in Hitze übergebend.) Mamsell Anker! Die Tochter der großthuerischen Frau Lieutenantinn - - -? (schnell einfallend.) Richtig! Die Erbschleicher. Deren Mann in Amerika — Richtig! Deren Bruder weiland Hofme- dicus - - - Richtig! Titular! Titular! Fuͤr die Hof— hunde . Eine beißige Kundschaft! Der Neidhard hat mich sein gan- zes Leben gedruͤckt und gezwickt und gehudelt. Jetzt ruht er; ruhn Sie auch! (mit neuer Hitze.) Ja, wenn der ruht, hat Beelzebub den Commandostab niedergelegt. Aber wir heirathen ja nicht den todten Onkel. Der ganze Anhang ist verdaͤchtig. Die Mutter war ehmals die Standarte aller ga- lanten Stadtmamsellen — Und ist jetzt die Krone - - - (einfallend.) Aller alten Betschwe- stern. Der Apfel faͤllt nicht weit vom Stam- me. Und das Maͤdchen will der Herr Ge- vatter - - - (Sich selbst mit Lebhaftigkeit unterbre- chend.) Ah! nun faͤllt mirs ein! — Es ist ein Mißverstaͤndniß. Man hat den alten Vetter mit Die Erbschleicher. dem Jungen verwechselt. Herr Sternberg schleppt sich ja schon Jahr und Tag mit ihr. Und Herr Gerhard hat sich vor ei- ner Stunde mit ihr verlobt. Der Mann ist toll. Ach Herr Pistorius, kuriren Sie ihn doch! Lassen Sie mich nur machen! Aber fein glimpflich und bedaͤcht- lich! Das versteht sich pro se . (Eilig.) Wo ist er? Er ruht ein wenig. Ich muß ihn wecken. (Will ab.) (ihn haltend.) Er hats ausdruͤcklich verboten. (schreyend.) Sein Haus brennt! sein Haus brennt! und er kann schlafen? (Reißt sich lös, läuft nach der Thür, und rennt Gerharden an, der eben eintritt.) Die Erbschleicher. Zweiter Auftritt. Gerhard . Vorige . (indem er angestoßen wird.) Auweh! auweh! (ihn haltend.) Excusiren Sie! um Ein Haar waͤren Sie gefallen. (athemlos.) Ey, Herr Gevatter, Sie haben mir das Brustbein - - - Ich richt’ es wieder ein. Und erst wecken Sie mich durch Ihr Geschrey aus - - - (einfallend.) Haben Sie mich ge- hoͤrt? — Nu, so sind Sie nicht taub. Aber Sie phantasiren? nicht wahr? Wie? Ihre Hand! (indem er ihm den Puls befühlt.) Sie wollen heirathen? Zu dienen, Herr Gevatter. Die Mamsell Anker? Zu dienen, Herr Gevatter. (läßt die Hand fahren.) Sie sind in- kurabel. Die Erbschleicher. Herr Gevatter! Herr Pistorius! Sie haben mir ja eine Frau an- gerathen — Verordnet sogar. (sprudelnd.) Den Teufel auch! Eine Krankenwaͤrterinn braucht er. Und dabey ist meine Fiecke hergekommen. So ein Mad- chen finden Sie weder in Europa, noch in Deutschland. Ich kann sie brauchen, wie einen gelernten Provisor. Keinem Hofrath gaͤb’ ich sie. Aber Ihnen haͤtt’ ich sie wohl gegoͤnnt. (betreten.) Herr Gevatter — Da- von hoͤr’ ich das erste Wort. Legen Sie sich nur aufs Laͤugnen! Immer schoͤner! — Hab ich mich nicht zu Ihrem Freyersmann angeboten, he? Ja, aber — Und gesagt, daß ich Ihnen schon Ihr Theil ausgesucht haͤtte, he? Ja, aber — Und daß mir das Maͤdchen so lieb waͤre, als meine leibliche Tochter? Ja, aber — Und haben Sie nicht eingeschla- gen? Gerhard. Die Erbschleicher. Ein unverfaͤnglicher Scherz unter vier Augen! Mit Heirathssachen scherz’ ich nicht. Sie haͤtten sich deutlicher erklaͤren sollen. (höhnisch.) Ihnen meine Fieke auf dem Kredenzteller praͤsentiren? Ich habe ja nicht einmal die Eh- re, sie zu kennen. (spöttisch.) Ich habe das Gluͤck. Sie geht doch alle Tage hier vorbey. Ich schiele nicht mehr nach den huͤbschen Maͤdchen. Es ist freylich kein Laͤrvchen, das in die Augen faͤllt. Mir ist sie erstaunend aufge- fallen. Aber honnett ist sie. Die Kin- derschuhe hat sie auch ausgezogen. Sie scheint sehr gesetzt . Vor jungen Leckern waͤren Sie bey ihr sicher. Ja, darauf wollt’ ich schwoͤren. F Die Erbschleicher. Schade, daß ihr die Zunge nicht so geloͤst ist, als ihrem Herrn Papa! Sie stoͤßt ein wenig an. Um so weniger plaudert sie. Wie gehts denn jetzt mit ihrem Gehoͤre? Alle Tage besser. Sie versteht mich schon auf drey Schritte. Und Sie sprechen so leise! Ja, es thut mir leid, Herr Ge- vatter, daß — Mir ists recht lieb, daß ich sie behalte. Wir haben einander nicht ver- standen. An meinem Verstande liegt die Schuld nicht. Ich will sehen, wie ich meinen Fehler wieder gut mache. (mit steigender Hitze.) Geben Sie sich keine Muͤhe! Es ist nicht das erstemal, daß ich anlaufe. Undank ist der Welt Lohn. Ich habe mehr Schuhe um Ihrentwillen zerrißen, als ich Kreutzer von Ihnen profetirt habe. Fuͤrs halbe Geld hab’ ich Ihnen die Medezin gelassen, und Die Erbschleicher. keine Null pro Studeo et laborem angesetzt. Seit Jahr und Tag haben Sie nicht einmal ein Lausdeum gesehen. Ich habe Sie oft genug erin- nert. (bitter lachend.) Ha! Der alte Nart dacht’ immer: „Willsts stehen lassen! Es bleibt beysammen. Deine Fieke kriegts doch einmal!“ und druͤckte sich, und machte Complimente. Ein andermal seyn Sie nicht so hoͤflich! O, schenken will ichs ihm auch nicht. Noch heute sollen Sie den Extrakt haben. Sehr wohl, Herr Gevatter. Wir bezahlen immer baar. Und damit sind wir geschiedene Leute. Wie? Ey! Von mir bekommen Sie keine Drachme mehr. Herr Gevatter! Herr Pistorius! Ihre Schwelle betret’ ich nicht wieder. F 2 Die Erbschleicher. Herr Pistorius! Herr Gevatter! Keine Feder setz’ ich mehr fuͤr Sie an. Das koͤnnten Sie an mir thun? Wie man gegen mich ist, bin ich wieder. Alte Freunde! Sie werden neue genug be- kommen. Gevatterleute! Und wenn wir reciprocis waͤren! Ihr bester Kunde! Meine Offizin wird ohne ihn bestehn. Ein Patient, der sein Heil und Trost auf Sie setzt! Und wenn ich Sie aus dem Sarge holen koͤnnte! (wirft sich ärgerlich in den Sessel.) Wo bleibt die Menschenliebe? Gewißen geht vor. Ich will nicht meine Schande an ihm dokteriren. Ich habe weder bey Hippokratus noch bey Hallern Collegiis gehoͤrt, aber auch als ein purus, bru- Die Erbschleicher. tus, praxicus bin ich im Stande, ihm die Na- tivetaͤt zu stellen. (thut erschrocken.) Herr Pistorius! (indem er seine Sachen zusammen sucht.) Vor Liebe bekoͤmmt er die Schwindsucht — Herr Pistorius! Vor Unmaͤßigkeit die Wasser- sucht — Herr Pistorius! Vor Schallesie die schwarze Gelb- sucht — Herr Pistorius! Vor Reu’ und Leid den Eras- mus . In vier Wochen ist er weg. Amen. (Schnell ab.) (ihm nachrufend.) Herr Pistorius! Dritter Auftritt. Gerhard . Justine . (im Sessel, kläglich.) Justine! meine Alterationstropfen! Ich habe mich geaͤrgert. (giebt ihm Arzney ein.) Armer Herr Gerhard! — Verwuͤnschter Herr Pistorius! F 3 Die Erbschleicher. (nimmt ein.) Es ist ein grober Pa- tron, der Herr Gevatter. — Zu trinken! (reicht ihm einen silbernen Becher.) So grob, als er breit ist. (Rückt ihm den kleinen Tisch näher.) (nachdem er getrunken.) Aber bey dem allen bin ich uͤbel daran. Sie sind vielmehr ein großes Uebel los. Ich muß mit dem Bader Ve- kanntschaft machen, der zwey Stunden von hier wohnt. Sie werden doch unsre Doktorzunft nicht so beschimpfen. Der Mann soll erstaunende Ku- ren thun. (spöttisch) Ja, er raͤuchert mit Kraͤu- tern, die in der Walpurgisnacht gesammelt sind, bespricht das Fieber, und vergraͤbt die Gicht. O, die Sympathie hat ihr Gu- tes. Aber heute zu Tage sterben die Leute lieber methodisch. Fort muͤssen wir doch. — Und ich denke in meiner Einfalt, wer einmal weg ist, sehnt sich nicht wieder zuruͤck. Die Erbschleicher. Wir wollen von etwas andern reden. (setzt sich an einen andern Tisch, strickt und liest zugleich.) Mein Kapitalienbuch! (indem sie sucht, vor sich.) Das ist im- mer sein Troͤster bey Todesgedanken! (findet und bringts ihm.) (indem er die Brille aufsetzt.) Den wie vielsten haben wir? Den zwanzigsten. (Setzt sich wieder, wie vorhin.) (blättert darin, und liest und spricht vor sich.) „Fuͤnftausend Reichsthaler in Louisd’ors beym Herrn Hofgerichtsrath Wieser“ — Ein ganzer Mann! grundgelehrt! leutselig! und religioͤs! auf den Tag traͤgt er die Interessen ab! — „Zehntausend dito beym Herrn Rittmeister von Spacheim“ — Du wirst auch bald ausgebeutelt haben. Meinethalben! Ich bin gedeckt. — „Zwoͤlf- hundert in Laubthalern beym Kaufmann —“ Der Mann ist gut; aber die Frau — die Frau! — „Fuͤnftausend dito bey Sr. Excellenz, dem Herrn Reichsgrafen —“ Daß’s Gott erbarm! — Schaffen Sie Geld Ihr’ Excellenz! — Acht Gro- F 4 Die Erbschleicher. schen will ich aus Armuth schenken, wenn ich hier ohne Prozeß wegkomme. — „Fuͤnshundert“ — (Zu Justinen.) Aha! Ihr Klient! Vergesse Sie mir nicht an ihn zu schreiben! (im Lesen.) An wen? An den Pfarrer in — Dings — in Rastdorf. In vierzehn Tagen ist seine Ver- schreibung saͤllig; und wenn man die Zehendmaͤn- ner nicht bey Zeiten mahnt, so machen sie Quere- len. Verlassen Sie sich auf sein ehrli- ches Gesicht! (das Buch weglegend.) Auf Ihre Vorbitte hab ichs ihm geliehen. Wenn er nicht Wort haͤlt, weis’ ich ihr die boͤse Schuld an Legats Statt an. Die Anweisung waͤre mir das si- cherste Legat. (Liest fort.) (gähnend.) Das ewige Gelese! Kann Sie mir nicht etwas erzaͤhlen? Neuigkeiten weiß ich nicht. Und zu Mährchen bin ich noch nicht alt genug. Ich will Ihnen vorlesen. Wenn nur die Buͤcher nicht den Kopf angriffen! Und vollends Euer kauderwel- Die Erbschleicher. sches neues Deutsch! Sie liest sich oft heiser, eh ich weiß, ob es meine Muttersprache ist. Der Vetter wird Ihr noch mit dem Zeug den Kopf verruͤcken. Ach, Herr Sternberg thut mit sei- nen Buͤchern gar rar. Wenn Benedikt nicht waͤre - - - (eifrig einfallend.) Benedikt? Laͤßt sich der Hanns Lips auch einfallen zu lesen? Hat er nichts zu thun? Giebts kein Holz zu spalten? Ist der Garten umgegraben? Vierter Auftritt. Benedikt . Vorige . Der Herr Notarius Kilian Ru- precht ist da. Was will er? Er fragt, was er soll? (sich besinnend.) Es ist wahr — ich hatte — ich wollte — Aber heute ist es mir un- moͤglich — Ich lasse mich entschuldigen — Sag Er ihm nur, er waͤre der Unrechte . (Liest fort.) F 5 Die Erbschleicher. Sehr wohl. (Er will ab.) (ruft.) Benedikt! Herr Gerhard! Bist du ein Freund vom Lesen. O, ja! Lesen ist ein galanter Zeitvertreib. Justine hat gestern einen Sack Linsen gekauft. Lies dich satt! (betreten.) Herr Gerhard — Auf Johanni kannst du abziehen. Einen Staatslakeyen brauch ich nicht. (vor sich.) Hum! wer hat mir denn das eingebrockt? Fuͤnfter Auftritt. Gerhard . Justine . Was hat sie denn fuͤr eine Skar- teke? (als ob sie vor sich läse.) Warte! ich will dir einen Text aus dem Kopfe lesen. Hoͤrt Sie nicht? Was beliebt? Ich frage nach Ihrem Buche. Die Erbschleicher. Eine Kronik. Kroniken mag ich leiden. Sie kann laut lesen. Vom Anfang? Lieber gegen das Ende, daß wir bald durchkommen. (thut, als ob sie läse.) „Den 16ten wurde in der St. Juͤrgen Kirche ein seltsames Brautpaar kopulirt. Der Braͤutigam war acht- zehn Jahr alt, und seine schoͤne Braut — acht- zig.“ Der Narr! so ein altes Muͤtter- chen! „Den 24sten trug sich in einer be- nachbarten großen Stadt folgende tragische Ge- schichte zu - - -“ Nun? (Nimmt den Becher und will trinken, setzt aber vor steigender Aufmerksamkeit jedes- mal wieder ab.) „Eine junge Frau, deren Ehgemahl vierzig Jahr aͤlter war, als sie, hatte einen Lieb- haber, und weil ihnen der eifersuͤchtige alte Mann die Zeit zu lang machte, so verabredeten sie sich, denselben aus dem Wege zu raͤumen. Nachdem sie ihm nun einigemal Gift beygebracht hatten, Die Erbschleicher. das aber nicht bey ihm geblieben war, so faßten sie endlich den schrecklichen Anschlag, ihm des Nachts, als er im tiefsten Schlafe lag, mit einer Holzaxt - - - (läßt vor Schrecken den Becher fal- len.) (wirft das Buch auf die Erde und thut über Gerharden erschrocken.) Herr Gerhard! was machen Sie? (schwach.) Mein fataler Schwin- del! — Salz! (hält ihm ein Riechgläschen unter die Nase.) Ich will Ihnen auch gewiß nicht wieder vorlesen. Immer werden Sie unpaß oder — schlaͤfrig. Sie muß Geduld mit mir haben. Es kann nicht ewig waͤhren. Pfuy! Wenn Ihre Braut solche Reden hoͤrte — was wuͤrde sie denken? Was ich von den ihrigen ge- dacht habe. Sechster Auftritt. Sternberg . Vorige . Ihr Diener, Herr Vetter! Die Erbschleicher. Endlich! Ich dachte, er bliebe gar aus. Verzeihen Sie! Ich kenne Ih- re Ordnungsliebe, und habe nur auf die Rech- nungen gewartet, um meinen Bericht damit be- legen zu koͤnnen. Was fuͤr Rechnungen? Von den Brautgeschenken. Wie? (zieht Papiere aus der Tasche.) No. 1. vom Kaufmann, betraͤgt 246 Rthlr. 16 Gr. No. 2. vom Juwelier, 197 Rthlr. No. 3. von der Modehaͤndlerinn 182 Rthlr. 7 Gr. 3 Pf. Be- lieben Sie! (Reicht ihm die Papiere hin.) (ihn starr ansehend.) Was soll ich damit? Den Beutel ziehen. Ich habe nichts ausgenommen. Ihre Braut hat Ihnen die Muͤhe erspart. Sie gebe sich auch die Muͤhe zu zahlen. Das Spaͤßchen machen Sie mit ihr selbst aus! — Hier liegen die Contos. (Legt sie auf den Tisch.) Ich ernpfehle mich. (Will ab.) Die Erbschleicher. Schon wieder fort? Es wartet ein Klient auf mich. (empfindlich.) Leerer Vorwand! Im- mer muß ich nachstehen. Wir haben einen Termin ab- zuwarten. Ich will Ihm die Kosten ver- guͤten. (ceremoniös.) O, sobald der Herr Vetter etwas zu befehlen haben — Gehorsamer Diener! Nur zu bitten . — Trag Er die schoͤnen Nechnungen stehendes Fußes wieder, wohin sie gehoͤren, und sag’ Er, ich ließe mich bedanken - - - Bedanken? Bey wem? wo- fuͤr? Fuͤr die Ehre — das Gluͤck — das gute Zutrauen — Mit Einem Worte, kleid Ers so weitschweifig und zierlich und verbluͤmt ein, als eine Supplik! Ich verstehe keine Sylbe, Herr Vetter. (aufstehend, hitzig.) Versteht Er kein Deutsch? Er soll mir von dem Maͤdchen helfen. Von Ihrer Braut? Die Erbschleicher. Ja! hat Er ein Bret t vor der Stirne? (die Achseln zuckend.) Herr Vetter — ich bin Ihr bereitwilligster Diener. Aber mit so kitzlichen Auftraͤgen verschonen Sie mich! ( är gerlich.) Das sah ich vorher. Wenn man Euch Advokaten nicht die Hand ver- silbert , so - - - (Greift in die Tasche.) Wie viel verlangt Er fuͤr seine Muͤhe? praenumerando, wenns nicht anders ist. Meine Muͤhe koͤmmt nicht in Anschlag. Aber meine Augen sind mir un- schaͤzbar. Und ob ich sie behielte, wenn Mam- sell Anker - - - Ach, die laͤßt sie ihm. Sie ist froh von einem alten Kerl loszukommen. Aber die Herrlichkeiten alle wieder herauszugeben! Justine trift das Fleckchen. Wie viel betraͤgt das Ganze? Summa Summarum etwann 625 Thaler und etliche Groschen. Unerhoͤrt! (Nach einer Pause.) Was ist zu thun? — Und sollt’ ichs vom Juden bor- gen! Sie mag den Plunder behalten. Die Erbschleicher. (der indessen mit Justinen heimlich ge- sprochen hat.) Das geht nicht. (mit Verwunderung.) Geht nicht? Die Geschenke fallen dem Ehe- gerichte heim. (ungeduldig.) Wie koͤmmt denn das Ehegericht mit ins Spiel? Wird die Schwiegermutter die Aufsagung des Handels so gelassen hinnehmen? Eine Prozeßkraͤmerinn, wie Madam Anker! Ich daͤchte, Sie haͤtten es erfahren, Herr Vetter. (verdrüßlich.) Ach, die alte vergesse- ne Geschichte! Das Gedaͤchtniß der Weiber ist eisern , wenn sich Gelegenheit zur Rache zeigt. (hitzig.) Auch gut! Ich setze Haus und Hof daran. — (zieht Gerharden bey Seite, halblaut.) Aber, Herr Gerhard — ist denn kein Mittel zur Guͤte? (spöttisch.) Weiß Sie eines? Wenn Herr Sternberg in Ihre Verbindlichkeiten traͤte? (sie mit den Augen messend.) Legt Sie mir da einen Fallstrick? Justine. Die Erbschleicher. Was denken Sie? Ich denke, daß Sie selbst ein Au- ge auf ihn hat. Ich? nein, so hoch trag’ ich die Nase nicht. Es wird sich zeigen. (Sich schnell zu Sternbergen wendend.) Vetter, will Er mir ei- nen rechten Freundschaftsdienst leisten? (lebhaft.) Wenn ich kann! (ihm vertraulich auf die Schulter klopfend.) Nehm Er das Maͤdchen selbst! Der Antrag ist sehr reizend. — Aber wie oft hab’ ich nicht von Ihnen selbst ge- hoͤrt, daß man bey dem heutigen Luxus die Thorheit zu heirathen nie zu spaͤt begehen kann! Nein, nein! Wer jung freyt, zieht seine Kinder groß. Sie wissen nicht, was Kinder kosten! Und Mamsell Anker und ich befinden uns leider in gleichem Falle. Null zu Null bleibt Null. (ungeduldig.) Will denn jetzt Alles nur nach Geld heirathen? — Eine fette Praxis ist die beste Goldgrube. Er hat Brod genug fuͤr eine Frau. G Die Erbschleicher. Brod allenfalls. Aber um ihr Flor und Band zu schaffen, koͤnnt’ ich mich zu Tode praktiziren. Er muß ihr den Hoffarthsteufel austreiben. Aber gesetzt auch, daß Er ja Zuschuß braucht — wofuͤr bin ich denn in der Welt, he? (mit angenommenen Stolz.) Herr Vetter — ich bin ein naͤrrischer Kautz — ich kann unmoͤglich von fremder Gnade leben. (aufgebracht.) Bin ich Ihm fremd , he? Und wenn ich das Ungluͤck haͤt- te, Sie zu uͤberleben , waͤr’ ich nicht schlim- mer daran, als zuvor? (hastig.) Wenn ich Ihn zum Er- ben einsetze? (mit kurzer Verbeugung, kalt.) Das muß ich depreziren. Depreziren? Das klingt possier- lich. (mit verstelltem Eifer.) Ich bin Ih- nen keinen Grad naͤher, als viele Andere. Ei- nem Advokaten liegt Alles an einem unbescholte- nen Namen. Ich mag fuͤr keinen Erbschleicher passiren. Die Erbschleicher (immer hitziger.) Un d ich will mir nichts vorschreiben lassen. Mein Vermoͤgen ist mein — und Er solls haben! (die Achseln zuckend.) Lieber Herr Vetter - - - (einfallend.) Kein Wort mehr! oder ich vermachs d er K i rche. (spöttisch.) O, schoͤn! Um sich nach- sagen zu lassen, Sie haͤtten alte Suͤnden ab- zubuͤßen? (ernsthaft.) Nein, lieber zum Be- sten des Publikums, als in die todte Hand. — Wir haben noch Mangel an gemeinnuͤtzigen An- stalten. Stiften Sie ein Findelhaus ! (hestig.) Ich, den Ausschweifun- gen Thuͤr und Angel oͤffnen? Ich, fremder Leute Basterte ernaͤhren? Nein, ich habe mir nichts vorzuwersen . Ich habe in meiner Jugend nicht gefreybeutet und gehaust und gesaust, wie Andere. (indem sie sich an ihn schmiegt.) Oder — um das beste aller guten Werke zu thun — statten Sie arme Maͤdchen aus! (schnell. ) Die moͤgen sich das Freyen vergehen lassen! — Haͤtten meine sieben Schwestern die Kautel befolgt, so G 2 Die Erbschleicher. wuͤrd’ ich jetzt nicht von Hungerleidern uͤber- laufen. (mit edler Hitze.) Herr Vetter, hal- ten Sie mich auf, um Beleidigungen zu hoͤren? Er ist auch verdammt empfind- lich. Das unschuldigste Wort zieht Er gleich auf sich! — Nein, das Zeugniß muß ich Ihm und seiner Mutter Felicitas geben: Ihr seyd nie dar- auf ausgegangen, mich zu nutzen. Sie war uͤberhaupt von ihren Schwestern verschieden, wie Tag und Nacht. (Sich nach und nach ereifernd.) — Aber daß sie mich erst ihren Eheprozeß mit schweren Kosten bis zur Scheidung bringen ließ, und dann doch wieder dem Schuft vom Manne nachlief, der’s ihr endlich - - - (bittend.) Herr Vetter — (Drückt Justinen verstohlen die Hand; sie trocknet sich die Augen.) (fortfahrend.) Endlich noch mit Noth und Spott gelohnt hat — nein, das kann ich ihr auch unter der Erde nicht vergeben. Sie haben mir so oft verspro- chen, diese Saite nicht mehr zu beruͤhren. (gutmüthig.) Ja doch, ja. — Warum muß man Ihm aber auch sein Gluͤck aufnoͤthigen? Wohlan, Ihr Wille ist der Die Erbschleicher. meinige. Aber wird mir Madam Anker glauben? Ich wills Ihm schriftlich geben. Komm Er mit auf meine Schreibstube! (Will ab.) (zurückweichend.) Ach, Herr Vet- ter — Was giebts noch? Es koͤmmt mir so sauer an — als ob ich in die Bataille gehen sollte. (im Gehen.) Bah! nur ein kleiner Scharmuͤtzel mit der Frau Mama. Und ein gu- ter Advokat — fuͤr den will Er doch passiren? der muß Amts halber ein Maul am Kopfe ha- ben — wie eine Batterie. (Beyde ab.) Siebenter Auftritt. Justine , allein. (Tief aufathmend.) Sind wir wirklich so weit? — Aber ehe wir Schwarz auf Weiß haben, wag’ ichs nicht mich zu freuen. — Es hat mir so oft getraͤumt, daß ich einen Schaz faͤnde, und wenn ich die Hand ausstreckte, ihn zu heben — weg war der Schaz! G 3 Die Erbschleicher. Achter Auftritt. Benedikt . Justine . Mamsellchen, ich hab etwas fuͤr Sie. (Zeigt einen Brief.) (schnell.) Aus Rastdorf? Vom Herrn Ehren Bieder. (reißt ihm den Brief weg) Geb Er her, geschwinde! (Erbricht ihn und läßt den Um- schlag fallen.) (vor sich.) Hu! Die Freude! (Indem er den Umschlag aufhebt und beguckt.) Mit dem Brief- Commersch ists nicht richtig. (bemerkt seine Pantomime.) Was hat Er mir genommen? Den leeren Umschlag. (reißt ihm auch den Umschlag weg, und fährt fort zu lesen.) Aber sagen Sie mir doch, ob der Herr glaubt, daß er einen Taglöhner an mir hat? Ich kann alle Tage wieder Copist werden. Und ohne das bewußte Plaͤnchen, muͤßte mich der Henker plagen, wenn ich — — Sie hoͤrt und sieht nicht! — Ja, ja, die Schwarzroͤcke schoͤpfen immer das Fett von der Suppe. (Ab.) Die Erbschleicher. Neunter Auftritt. Justine , allein . (Liest laut.) „Theuerstes Justinchen! Ihr letzter Brief hat mich betruͤbt. Bey aller Ihrer Freundschaft seh’ ich des Ausweichens und Aufschie- bens kein Ende; und meine Umstaͤnde machen es mir doch taͤglich mehr zur Pflicht, auf eine ent- scheidende Antwort zu dringen . Ich brauch’ eine Gehuͤlfinn fuͤr mein Hauswesen; meine Specu- lationen gelingen hie und da, aber ich komme doch zuruͤck. Eine Mutter fuͤr meine Kinder! so viel Muͤhe ich mir auch mit ihnen gebe, fangen sie an zu verwildern. Klein, sehr klein ist frey- rich das Gluͤck, das ich Ihnen anzubieten habe; aber grenzenlos die Liebe und Dankbarkeit Ihres Bieder. “ (Küßt den Namen.) Gute, treue Seele! — Ich will ihm ohne Verzug antworten. — Aber was? — Kann ich ihm Entscheidung geben, wo noch nichts entschieden ist? — Ach, die Liebe ist ein Kind; ein gutes Woͤrtchen — und sie schweigt wieder; und die Zeit geht hin. (Ab ins Kabinet.) G 4 Die Erbschleicher. Dritter Akt . Erster Auftritt. Benedikt. Weinhold. Hernach Justine. (rufend.) Mamsell Justinchen! Mamsell Justinchen! (innerhalb.) Was giebts? Kommen Sie geschwinde! Ein fremder Herr — (herauskommend.) Mein Herr — (verneigt sich. Benedikt geht ab.) Zweiter Auftritt. Weinhold . Justine . Man hat mir gesagt, Mam- sell, Sie waͤren die Regentinn dieses Hauses. Regentinn uͤber Huͤner und Gaͤnse — und wen hab’ ich die Ehre zu sehn? Die Erbschleicher. Professor Wassermann heiß’ ich, und komme den Herrn Gerhard zu sprechen. Herr Gerhard ist eben in einem kleinen Geschaͤfte begriffen. Wenn Sie sich ein wenig gedulden koͤnnen — Ich wuͤnschte, sein Geschaͤfte waͤre nicht klein . Wie so, Herr Professor? Um so laͤnger koͤnnt’ ich dann das Gluͤck genießen, mich mit seiner liebenswuͤr- digen Freundinn zu unterhalten. Ungemein galant! Ohnezweifel Professor der schoͤnen Wissenschaften? Ich bekenne mich zu keiner Wis- senschaft. Ich habe den Schulstaub der Fakultaͤ- ten von meinen Schuhen abgeschuͤttelt, mich in die lichten Regionen mystischer Weisheit aufge- schwungen, und dort die Tochter des Himmels umarmt. Und diese himmlische Liebschaft laͤßt Ihnen noch Augen fuͤr uns arme Erdentoͤchter? Die mystische Weisheit, holdes Maͤdchen, verfeinert die Sinne, ohne sie zu toͤd- ten; sie giebt nur der Tendenz unsres Empfin- dungsvermoͤgens eine geistigere Richtung, und G 5 Die Erbschleicher. stimmt die Saiten der Monade bey der leisesten Beruͤhrung zu exstatischem Einklange. O, Herr Professor, steigen Sie wieder von Ihrer Lichtsphaͤre zum niedrigen Dunst- kreis meiner Einfalt herunter, oder ich verstehe Sie kein Wort. Sie sollen — Sie werden mich verstehen lernen, reizende Psyche. Ich lese in Ihren Augen die praͤstabilirte Harmonie unsrer Geister, ich lese darin Ihre Empfaͤnglichkeit fuͤr die Mysterien, in die ich Sie einweihen will. O, weibliche Schuͤlerinnen sind mir immer die willkommensten. Erst diese Nacht habe ich eine Proselytinn gemacht. (vor sich.) Hat der Mensch getrun- ken, oder —? Denken Sie sich die Goͤttinn der Jugend in Gestalt einer Wittwe, die sich die Kriegsraͤthinn Windstill nennt, und mit der mich mein gutes Gestirn auf der vorletzten Station zu- sammen brachte! Denken Sie sich die brennende Atmosphaͤre einer beweglichen Huͤtte sonst Di- ligence genannt) in der zwey gleichgeschaffne Wesen den Aushauch ihrer Empfindungen wonnig- lich einathmen! das Zauberlicht des sympatheti- Die Erbschleicher. schen Mondes rund umher auf der schlummernden Natur verbreitet! die sanfte Nervenerschuͤtterung der leicht fortrollenden Räder! Unwiderstehlich neigten sich unsre Liebescentra gegen einander — Die Augen schwammen — die Besinnung verlor sich in Allentzuͤcken — und kathegorisch schwebte der ewige Theilungstraktat unsrer Seelen auf un- sern Lippen — (hat sich so dicht an sie gedrängt und so nahe hingebeugt, daß er sie eben küssen will.) (schreyend.) Herr Professor! (Stößt ihn zurück, daß er auf einen Sessel taumelt.) Erlau- ben Sie, daß ich sehe, wo Herr Gerhard bleibt. (Schnell ab nach Gerhards Schreibstube.) Dritter Auftritt. Weinhold (allein.) (Im Sessel.) Ein herrliches Maͤdchen! und eben so pfiffig, als huͤbsch! — Daß ich das Ding nicht eher gewußt habe! Daß ich nicht allein auf den Fischfang ausgegangen bin! — Des alten Vetters Goldfische, und dieß Weißfischchen beyher — das waͤr’ ein Zug! Der koͤnnt’ einem braven Soldaten auf die Beine helfen! — (Springt Die Erbschleicher. auf.) Muß mich auch der Satan zur Muhme Ungewitter fuͤhren! — Ey was? — Ich wend’ ihr um; ich schicke sie mit guter Art wieder heim. Und dann, Justinchen, wollen wir Beide schon — (Hört kommen) St! Vierter Auftritt. Gerhard. Justine. Weinhold. (im Eintreten.) Sie darf uns aber nicht allein lassen. Bedenken Sie, daß ich eine Waͤsche im Hause habe! (Will ab.) (rust.) Justine! Herr Gerhard! (leise.) Benedikt soll bey der Hand bleiben. Man weiß nicht, was der Mensch im Schilde fuͤhrt. Mystische Weisheit. (Ab.) Die Erbschleicher. Fuͤnfter Auftritt. Gerhard . Weinhold . (der indessen Gerharden von weitem be- trachtet, nähert sich ihm.) Ich erstaune. Sie sind Herr Gerhard, Sie? (zurück weichend.) So viel ich weiß. Aber man hat Sie mir als ei- nen Sechziger beschrieben, und Sie haben noch nicht vierzig uͤberschritten. Doch. Ey, Sie haben ein gluͤckliches Lineamentenkonzert, eine eiserne Natur, ein uner- schoͤpfliches Temperament. Sie koͤnnen Methusa- lems Ziel erreichen. (heitert sich auf und geht vor.) Ach, die Gerharde werden nicht alt . Mein Vater starb in seinen besten Jahren. Die boͤsen zwey sieben! Aber er hatte eine Frau? Wenn ich sein Sohn bin! Und Sie sind noch ledig? Vielleicht waͤr’ ich gluͤcklicher, wenn ich mich veraͤndert haͤtte. Die Erbschleicher. Ihre Schwester Melusine hat tausendmal das Gegentheil bereut. (auffahrend.) Melusine? Der ge- schah Recht. Manntollheit wars von ihr, mit einem Kerl, wie der Pflegschreiber Weinhold - - - (ihm sanft auf die Achsel klopfend.) Sachte, sachte! Es war mein Herr Papa. (erstaunt.) Was? ist Er der Junge, mit dem sie vier Monate nach der Hochzeit - - - (trocken einfallend.) Ja, Herr Vet- ter! Das fruͤhreife Genie bin ich. Aber Justine nannte mir ja einen ganz andern Namen. Mein Reisename, um die Neu- gierigen irre zu fuͤhren. Und Professor ist Er? Mein Reisetitel; um der Thor- schreiber willen, die niemals glauben wollen, daß man nichts ist. (den Kopf schüttelnd.) Sonderbar! Wie ist sein Vorname? Emmerich Sylvester. Alt? Vier und zwanzig. Was sagt denn mein Stammbaum? Die Erbschleicher. (Entfaltet eine Pergamentrolle, se tz t die Brille auf, und sucht mit dem Finger.) Richtig! Da steht Er! Em- merich Sylvester, natus anno Christi 1764. Ihr Stammbaum sieht ja aus, wie ein Kirchhof. Ist die Familie so zusammen- gestorben? (bedeutend.) Fuͤr mich. Wie? Wen ich kenne , dem setz ich ein Kreuz. So setzen Sie mir auch eins! Warum Ihm? Weil wir uns nun kennen. O, das ist nicht die Meynung. Jeder Mensch hat seine Spra- che, und mir fehlt die Muße, die Ihrige zu studieren. (kalthöflich.) Will Er schon wieder fort? Ich bin auf der Reise. Ah! einen Reisenden darf man nicht aufhalten. (vor sich.) Nun bin ich abgefertigt. (vor sich.) Nun wirds aufs Viati- kum losgehen. Die Erbschleicher. (vor sich.) Ich muß noch einmal anruͤcken. (vor sich.) Er besinnt sich, wie ers vorbringen soll. (laut.) Ich hab einen Umweg von zehn Meilen gemacht, um den Herrn Vetter zu besuchen. (kurz.) Gehorsamer Diener! Das war der Muͤhe nicht werth. Man reist wohl noch weiter um ein Kameel zu sehen. Mir koͤnnen die Affen und Baͤren in die Stube kommen; ich sehe mich nicht um. (Wendet ihm den Rücken zu.) (legt ihm die Hand auf die Schulter, mit schwärmerischer Herzlichkeit.) Und doch fuͤhl’ ich einen unnennbaren Hang zu Ihnen! Und doch komm ich an Ihrem hundertsten Geburtstag wieder! (Wendet sich schnell und geht.) (vor sich.) Ein besonderer Geselle! (Ihm nachrufend.) Wart Er doch! (an der Thür.) An Ihrem hundert- sten Geburtstag ein mehreres! (geht ihm nach, faßt ihn beym Knopfe.) Ernsthaft! Ernsthaft! Wer ist Er eigentlich seines Handwerks? Weinhold Die Erbschleicher. (trocken.) Ich fuͤhre Baͤren und Affen! Nem , Er muß meinen Jahren ein wenig Unfreundlichkeit zu Gute halten. Er muß meine unschuldige Neugierde befriedigen. Koͤnnen Sie schweigen? Wie ein Freymaͤurer, ob ich gleich ferne von der Sekte bin. (führt ihn geheimnißvoll wieder vor.) Ich bin ein Sohn des Lichts — ich bin der Her- metischen einer. (verächtlich.) Ein Goldmacher et- wann, der andrer Leute Gold in seinen Beutel hext? Gott verzeih Ihnen den Ver- dacht! (Mit zunehmender Begeisterung in Miene und Geberden, aber mit dumpfer, leiser Stimme.) Ich la- borire nicht — ich wirke. Mein Ziel ist koͤstli- cher, als alle Metalle und Edelsteine der Welt. Mein Studium ist die Vervollkommung der menschlichen Natur, die Wiederbringung ihrer verlorenen Urkraft, die Ausdehnung und Befesti- gung ihrer Dauer. (tief seufzend.) Ach, du liebe Zeit! Er wirds auch nicht weiter bringen, als Andere. H Die Erbschleicher. Haben Sie nie vom beruͤhmten Saint-Germain gehoͤrt, den es, nach einer Pil- grimschaft von fuͤnf Jahrhunderten, geluͤstete, ei- nen andern Planeten zu bereisen? (ihn anstaunend.) Was? Ein Mensch im neuen Testamente, der fuͤnf hundert Jahre gelebt hat? Und gebluͤht, wie eine Rose. — Ich war so gluͤcklich, ihn von Angesicht zu se- hen. Er druͤckte mich an seinen Busen, schloß mir die Tiefen seiner Kenntnisse auf — ließ mir — dem unwuͤrdigsten seiner Juͤnger — mir sein Menschen begluͤckendes Arcanum . (äußerst gespannt.) Und dieses Ar- canum ? (legt den Finger auf den Mund.) So fragt man Kinder aus. O, laß Er doch ein Wort mit sich reden, Vetter! — Aber vor allen Dingen setz’ Er sich! Ich bekomme den Krampf vor Erstau- nen und Ungeduld. (Setzt sich in seinen Sessel; Wein- hold neben ihm.) Vielleicht koͤnnen wir einen Tausch treffen. Ich hab’ auch bewaͤhrte Specifica . (verächtlich.) Von Zahnaͤrzten oder alten Bademuͤttern? — (Lauter und schnell.) Mein Die Erbschleicher. Arcanum ist auf diesem sublunarischen Himmels- koͤrper das Einzige. Es reinigt die animalische Masse von allen zur Zerstoͤrung qualificirten Theil- chen, elektrisirt das stockende Blut, distillirt den verschleimten Nervensaft, pumpt die mephitische Luft aus den Lungen, und traͤnkt die aͤlternden Lebensgeister mit dem Nektar ewiger Jugend. (versteinert.) Das ist unbegreiflich. Die Sprache aller Profanen! Mir Erleuchteten ist die Untruͤglichkeit dieses Pro- zesses so tief eingepraͤgt, daß, wenn Sie mir ver- sprechen, mir in eben der Sekunde drey mal drey und einen Drittel Tropfen von dieser Essenz (ein kleines Arzneyglas hervorziehend) einzu- floͤßen, so erlaub ich Ihnen (zieht unvermerkt ein großes Messer aus der andern Tasche) mir mit diesem Messer die Kehle - - - (erschrocken, hält ihm mit einer Hand den Arm, mit der andern ste mm t er seinen Krückenstock entgegen und ruft.) Justine! Benedikt! (gelaßen.) Was ist Ihnen? (Steckt das Messer wieder ein.) H 2 Die Erbschleicher. Sechster Auftritt. Benedikt . Vorige . (eilig.) Herr Gerhard! (sich fassend.) Es ist gut. (Winkt ihm zu gehen.) (vor sich.) Der Herr hat heute sei- nen Raps. (Ab.) Siebenter Auftritt. Gerhard . Weinhold . (aufstehend.) Lassen Sie sich nicht stoͤren! Ich muß fort. (ihn beym Rocke haltend.) Unmaßgeb- lich — wie viel kostet denn das Glaͤschen? Ich bin kein Empiricus . Ich nehme kein Geld. Aber umsonst kann ich doch nicht verlangen - - - (setzt das Gläschen auf den Tisch.) Es steht zu Diensten. Aber Ihnen wirds nicht helfen. Die Erbschleicher. Wie? Kanns nicht helfen. Warum nicht? Mein Mittel setzt Glauben vor- aus. Und Sie scheinen ein moderner Freygeist zu seyn. (aufstehend.) Gott bewahre! ich las- se mir weder Teufel noch Hoͤlle nehmen. Und dann haͤng’ ich damit zu- sammen, wie die Kette mit der elektrischen Ma- schine. Mein Auge, mein Athem, mein Ge- fuͤhl muß sich dem Patienten mittheilen. Ich muß - - - (dringend einfallend.) Ach, allerlieb- ster Herr Vetter! wenn Sie sichs doch in meinem Hause gefallen ließen! Ein Potentat des Orients ruft mich von hinnen. Und ein alter Blutsfreund bittet Sie zu bleiben. (Mit Nachdruck.) Ich will er- kenntlich seyn. Zeitliche Vortheile sind in mei- nen Augen — Seifenblasen. Ich bliebe, wenn ich duͤrfte . O, uͤberlegen Sie doch nur — H 3 Die Erbschleicher. Ich thue nichts ohne den Geist meines Meisters. Wie? (in Verzückung.) Still! (zitternd.) Was? Keinen Laut! (vor sich.) O weh! (Will davon schleichen.) (ergreift ihn.) Ich will den Geist fragen (ängstlich.) In meinem Beyseyn? In einer Stunde bring’ ich Ih- nen Antwort. — Ich bitt’ um Ihren Namen. Eusebius Gerhard. Zeichnen Sie mir ihn auf! Wozu? Aber auf ein jungfraͤuliches Blatt, auf ein Blatt, das noch kein Kiel ent- weiht hat. — An heiligen Kerzen opfr’ ichs dem Geiste, und schlucke die Asche. Die Erbschleicher. Achter Auftritt. Justine . Vorige . (eilig eintretend.) Besuch uͤber Be- such! Eine - - - (ihr entgegen.) Ach, Justine! wel- che Freude! Das ist mein Herr Vetter Weinhold, ein Mann - - - (zieht ihn bey Seite.) Silentium ! (vor sich.) Ein Herr Vetter! (Laut.) Herr Gerhard eine fremde, schwarze, schwarze Madam, die sich Niemanden entdecken will, als Ihnen - - - (einfallend.) Eine Bettelprinzessinn ohne Zweifel? Ich habe keine Zeit. Ich bin nicht zu Hause. Sie laͤßt sich nicht abweisen. Sie mag warten. Sie scheint Eile zu haben. (Ab.) H 4 Die Erbschleicher. Neunter Auftritt. Gerhard . Weinhold . Kommen Sie Vetterchen! Auf meiner Schreibstube will ich Ihnen das Ver- langte ausfertigen. (Schlingt den Arm um ihn, im Abgehen.) O, mein lieber, bester, Unvergleichli- cher - - - (mit Eifer, einfallend.) Keine Kom- plimente! Oder Sie jagen mich zum Hause hinaus! (Beide ab, Gerhard voran.) Zehnter Auftritt. Wittwe Ungewitter, Justine, kommen durch die Mittelthuͤr. (im Eintreten.) Justine heißen Sie? Ein schoͤner Name. Ein Name, den der Namenkenner, Shandy , gewiß unter die gluͤck- lichsten gezaͤhlt haͤtte. Madam scheinen eben so belesen zu seyn, als ich unwissend bin. Die Erbschleicher. Lesen — ja — Lesen ist mei- ne Schoossuͤnde. Ach, es war die einzige Schwachheit, die mir der beste der Gatten vor- zuwerfen hatte. Auf nichts war er eifersuͤchtig, der Ewigbeweinte, auf nichts, als auf meine Buͤcher. Ihr Schmerz und Ihre Kleidung sagen mir, daß Ihr Verlust noch neu ist. Bald kuͤhlt der Schnee zum achtenmal sein Grab. Und noch im Wittwenschleyer? Duͤrft’ ich im Sterbekleide ge- hen! Ein fuͤrchterlicher Wunsch! — Aber Sie werden sich schon wieder bekraͤnzen. In Elysium. Unverhoft koͤmmt oft. Sie beurtheilen mich nach un- serm Geschlechte. Aber wissen Sie, Kind, daß mir nichts mehr von ihm uͤbrig ist, als die Tracht! Ich habe mich umgeschaffen. Doch nicht zur Maͤnnerfeindinn? Ja — und nein! Das ist mir zu spitzfindig. Sie wuͤrden es begreifen, Kind, H 5 Die Erbschleicher. wenn Sie wuͤßten, welch ein Unterschied zwischen Mann und Mann ist; wenn Sie eine der Rie- senseelen kennten, an die sich die unsrige an- schmiegt, wie der Epheu an die Ulme. Mir hat meine Großmutter die Leh- re gegeben: schmiege dich weder an Riesen, noch an Zwerge! O, Kind, lassen Sie die sinn- lichen Nebenbegriffe weg! Ich spreche von Maͤn- nern, die ganz Geist sind, von Maͤnnern, wie mir das Schicksal einen zum Begleiter - - - (hastig einfallend.) Sind Sie vielleicht die Frau Kriegsraͤthinn Windstill? (verwundert.) Wie, Kind? Wo- her haben Sie diesen Namen? (sich umsehend.) Herr Gerhard koͤmmt. Eilfter Auftritt. Gerhard . Vorige . eilt ihm mit offenen Armen entge- gen.) Bin ich vor meinem Ende noch so gluͤcklich, liebster, theuerster Herr Vetter — (lehnt sich in der Umarmung auf seine Schulter.) Die Erbschleicher. (vor sich.) Was ist das? Wer sind Sie? (Aengstlich) Ei- nen Stuhl! sie erdruͤckt mich — (führt sie zum Stuhl.) Arme Madam! (in den Stuhl sinkend.) Ich er- liege der Freude — ach, meine Nerven! meine elenden Nerven! Daruͤber klagen jetzt alle schoͤne Weiber. Schmeichle mir nicht, Kind! Sie war die Zeit, wo ich die schoͤne Lukre- zia hieß — der Herr Vetter werden sich dessen noch erinnern — Sie haben mich so groß ge- kannt — Ihrer Schwester Abigail schoͤnes Lu- kerchen — jetzt die trostlose Wittwe Ungewitter. Ists moͤglich? Sind Sie - - - (springt hastig auf.) O, Himmel! Sie stehen, und ich — (erschrocken.) Behalten Sie Platz, Frau Muhme! Ich sitze schon. (Setzt sich in seinen Sessel.) (vor sich.) Ein Vetter! eine Muh- me! so aus den Wolken gefallen! Aber wie kommen Sie denn so unvermuthet auf den Einfall — Die Erbschleicher. Unvermuthet? Von jeher war es mein heißester Wunsch. In mehr als hundert Briefen bat ich um Erlaubniß — (Argwöhnisch.) Sollten der Herr Vetter nicht Einen erhalten haben? Kann wohl seyn. Ich lese keine Briefe mehr. Vielleicht Augenschwaͤche? Nein, ich brauche Gottlob! keine Brille. Aber die Wahrheit zu sagen, des Bit- tens und Bettelns von meinen Verwandten war kein Ende. Gute Menschen werden gemiß- braucht. Nein, bey mir wars heilig beschlossen: lieber mich und meine dreyzehn Kinder in die Ar- me der oͤffentlichen Milde geworfen, als dem Herrn Vetter zur Last gefallen. — Der Himmel hat geholfen! sie sind alle versorgt. (auflebend.) Ey, das freut mich. Und auf was Art? Neune nahm er wieder zu sich. Die drey aͤlteren haben sich dem Wehrstande ge- widmet; und auch das geborne Vaterwais- chen, mein Spaͤtling Benjamin, ist schon der Hel- den-Pflanzschule einverleibt; aber zart gebaut, Die Erbschleicher. wie seine Mutter — versucht ers vor der Hand — mit der Trommel. Sie sind eine gluͤckliche Mutter! O, mein Kind, ich bitte um einen Trunk Wasser. Befehlen Sie Kaffee, Madam? Da muͤßten Sie mich be- graben. Schokolade? Gluͤhwein? Nichts auf der Welt, als Wasser. Wasser in nuͤchternen Ma- gen! — Es ist gleich Mittag. Sie werden doch einen Loͤffel Suppe bey mir annehmen? Haus- mannskost! Wenn der Herr Vetter befeh- len — aber ich waͤre untroͤstlich, Ihnen eine Ueberlast - - - Gehorsamer Diener! (zu Justinen.) In dem Falle, Kind, mag mein Durst sich gedulden. Thun Sie um meiner Existenz willen keinen Schritt! Ich will nur die Existenz der Sup- pe beschleunigen. (Ab.) Die Erbschleicher. Zwoͤlfter Auftritt. Gerhard. Wittwe Ungewitter. Eine treue Haushaͤlterinn ist ein rarer Vogel. Die meisten denken nur auf ihren eignen kuͤnftigen Haushalt. Wo haben der Herr Vetter dieses Kleinod gefunden? Vetter Sternberg hat sie mir empfohlen. Vetter Sternberg? — O, ich kenne ihn — ob ich ihn gleich nicht kenne. Er sorgt fuͤr den Herrn Vetter, wie ein Sohn. Ja, dienstfertig ist er. Er lebt mit Ihnen. Uns An- dern ist dieses Gluͤck versagt. Aber fern oder na- he liebt und ehrt die ganze Familie den Herrn Vetter, als ihr Oberhaupt und ihren Stolz. Gehorsamer Diener! Urtheilen Sie also von der toͤdtlichen Bestuͤrzung, die unlaͤngst gewisse Briefe - - - (einfallend.) Man hat Ihnen ge- wiß meinen letzten Zufall gemeldet? (dringend.) Was fuͤr einen Zufall? Die Erbschleicher. (kalt.) Es ist eben so gut, wenn Sie’s nicht wissen. Leider ist Ihre Gesundheit fuͤr die Familie ein Staatsgeheimniß. Der unge- nannte Correspondent hat es nur mit Ihrem sitt- lichen Verhalten zu thun. (heftig) Wie? Was? Wer hat sich um mein Thun und Lassen zu bekuͤmmern? Was hat er ausgesprengt, der Spion, der Luͤg- ner? O, Herr Vetter! aͤrgern m uͤ s- sen Sie sich nicht. Vor Verlaͤumdung ist nie- mand sicher. Aber so sagen Sie doch! Herr Vetter, wie koͤnnen Sie mir zumuthen — (immer hitziger.) Heraus damit! Ich wills wissen. (steht auf.) Mit Erlaubniß! Ich spuͤre eine Zugluft, die Ihnen — (Visitirt alle Thüren, und setzt sich wieder, indem sie vor sich sagt.) Jetzt sind wir sicher. (Laut.) Wohlan, Ihr Be- fehl uͤberwiegt meinen Abscheu. (Rückt näher.) Das erste Laster, das man Ihnen aufbuͤrdet - - - Laster? Die Erbschleicher. Nennen Sie’s Schwachheit — boͤse Gewohnheit! Zur Zeit des Faustrechts wars eine Rittertugend — der Trunk . Der Trunk? (Holt eine Flasche Tisane.) Da! kosten Sie, was ich trinke. (mit Ekel.) O, ich glaube dem Geruche — (Nimmt ihm die Flasche ab und setzt sie wieder auf den Tisch.) Ich bin uͤberzeugt, daß Sie eben so wenig spielen . (Obgleich Wittwe Ungewitter, seit dem Visiti- ren der Thüren, in Ton und Miene mehr Dreistigkeit und Munterkeit zeigt, so vergißt sie doch nicht, sich fleißig umzusehen, und rückt Gerharden immer unvermerkt näher.) Spielen? — Und ich kenne we- der Karten noch Wuͤrfel. Und eher wollt’ ich mich uͤber- reden, daß der Satan den Tempel besucht, als daß Sie sich in oͤffentlichen Haͤusern her- um treiben. In oͤffentlichen Haͤusern? — Und ich sitze innen, wie ein Kautz. Fragen Sie Ju- stinen, wie ich lebe! (heuchlerisch.) Ach, die arme Justine! Gerhard. Die Erbschleicher. Warum? Auch ihr laͤßt man keinen Schatten Ehre. Was kann man Justinen — Man wirft sie unter die nie- drigste Klasse von ihres Gleichen. Wie? (ihm ins Ohr, aber laut genug.) Kinder ließe sie heimlich erziehen — von Ih- nen. Von mir? Kinder von mir? O, das uͤbersteigt allen Glauben. Uns Verwandten haͤtte sie aus Ihrem Herzen verdraͤngt. Und sie ist die Fuͤrsprecherinn der ganzen Familie! Hundert stuͤnde gegen Eins zu wetten, Sie wuͤrden jene Ausschoͤßlinge dem ed- len Stamme der Gerharde einimpfen - - - Einimpfen? Das versteh ich gar nicht. Sie wuͤrden sich Ihre — Ihre Justine antrauen lassen in articulo mortis . Wie war das? Ein juristischer Ausdruck; soll J Die Erbschleicher. glaub’ ich, so viel heißen, als: auf dem Todbette. Der Briefsteller muß ein Studierter seyn. O, ich errathe den Pasquillan- ten, ich kenn’ ihn. Morgen des Tags belang’ ich ihn Injuriarum. ’ Her mit dem Briefe! Hoͤren Sie erst Alles! Noch mehr? (mit steigender Geschwindigkeit.) Bey diesem aͤrgerlichen Wandel, bey dieser taͤglich zu- nehmenden Verfinsterung Ihres Verstandes, blei- be der Ehre und Wohlfahrt der Familie nichts uͤbrig — wie denn auch alles schon gehoͤrigen Orts eingeleitet sey — als den Herrn Vetter fuͤr einen Verschwender, fuͤr einen Bloͤdsinnigen zu erklaͤren - - - (mit zunehmender Bangigkeit.) Mich? Ihnen einen geschickten und erfahrnen Advokaten zum Curator bonorum zu bestellen - - - Mir einen Curator? Sie selbst aber, zur Verhuͤ- tung verdruͤßlicher Folgen, in sichere Ver- wahrung bringen zu lassen. (außer sich, springt auf.) Mich? Die Erbschleicher. mich? Ach, ich armer Mann! ich ungluͤcklicher Mann! Wie komm’ ich der Verschwoͤrung zuvor? Ich will zum Praͤsidenten, ich will ihm einen Fußfall thun, ich will - - - (steht auch auf.) Ums Himmels- willen kein Aufsehen! gehn Sie so behutsam, als moͤglich, zu Werke! Wer solche Entwuͤrfe spinnen konnte, wagt das Aeußerste, sie durchzusetzen. Das ist kein andrer Mensch, als Sternberg! (heuchlerisch.) Wie? eben der Sternberg, dessen Diensteifer Sie vor einem Au- genblick ruͤhmten? — Herr Vetter! ist es auch nicht alte Empfindlichkeit, die Ihnen diesen Ver- dacht eingiebt? Ich weiß, daß sein Vater wei- land sich auf die boshafteste Art an Ihnen ver- gangen hat. Aber der Sohn — unmoͤglich! — Man pflegt zu sagen: Narren und Verliebte tuͤcken Niemanden. Und Vetter Sternberg soll verliebt seyn. Verliebt? (schnell.) Er heirathet ja. (vor sich.) Die Plaudertasche Justi- ne! (Laut.) Ja, es ist so etwas im Werke — ein neuer Beweis seiner interessirten Absichten . J 2 Die Erbschleicher. Man hat mich des Gegentheils versichert. Sein Maͤdchen waͤre die Tochter ei- ner armen Lieutenantswittwe, Namens Anker? (ungeduldig.) Ach, Sie wissen die Sache weder halb noch ganz — es haͤngt so wunderlich zusammen! — Ich selbst — ich hat- te mich mit der Naͤrrinn eingelassen — ich wuß- te nicht von ihr loszukommen — ich trug sie ihm an — ich warf ein Wort von Vermaͤchtniß hin — und so ließ er sich erbitten, sie mir ab- zunehmen. (mit Hohngelächter.) Abzunehmen? — Ließ sich erbitten? — Hahaha! Er ist schon Jahr und Tag mit ihr versprochen. (versteinert.) Was? Und mit Ihnen wollt’ er sie verkuppeln, um Wittwe und Erbschaft zugleich zu schmausen. (sinkt auf den Stuhl.) Ach, das ist zuviel. Das halt’ ich nicht aus. (ihn unterstützend.) Herr Vetter! Was ist Ihnen? Lassen Sie mich! (Stützt sich auf den Tisch, und bedeckt sein Gesicht.) Die Erbschleicher. Dreyzehnter Auftritt. Sternberg. Madam Anker. Therese. Vorige. (im Eintreten, freudig.) Hier bin ich, Herr Vetter, und meine Braut, meine Schwiegermutter, wir kommen alle, Ihnen - - - (im Eintreten.) Ists wahr, Papachen, daß Sie mich verschenkt haben? (im Eintreten.) Ey, Herr Papa, was sind Sie fuͤr ein Flattergeist! (zieht sich auf Gerhards rechte Hand. Stumme Begrüßung zwischen ihr und den Eintretenden.) (nähert sich Gerharden und stutzt über seine Stellung.) Herr Vetter! (gleichfalls erstaunt.) Was ist das? Sind Sie unpaß, Herr Vet- ter? oder die Ankunft und Kleidung dieser frem- den Dame, hat sie irgend eine Trauerpost zu be- deuten? (wild auffahrend.) Falscher, undank- barer, niedertraͤchtiger Boͤsewicht! (erschrocken.) Herr Vetter! (erschrocken.) Herr Gerhard! J 3 Die Erbschleicher. (zur Wittwe Ungewitter.) Sehn Sie die Verwirrung? (zuckt die Achseln, und scheint, ihn besänftigen zu wollen.) (näher tretend.) Herr Gerhard, Hier scheint ein Mißverstaͤndniß zu herrschen. Haben Sie nicht - - - O schweigen Sie Madam! Sie gehoͤren auch zum Komplot. Komplot? Haben Sie nicht meine Toch- ter Ihrem Vetter abgetreten? (spöttisch.) O, sie steht zu Befehl. Mit dem Versprechen, ihn zum Universalerben - - - Ja, ich will ihn beuniversalerben. (ein Papier hervorziehend.) Wol- len Sie Ihre Hand ablaͤugnen? (immer heftiger.) Wollen Sie auf Lug und Trug pochen? (mit verbißner Hitze.) Herr Ger- hard, es ist unter meiner Wuͤrde, mich zu zan- ken. (Mit einem Seitenblick auf Wittwe Ungewitter) Die Erbschleicher. Noch weniger mag ich fremden Leuten ein Schau- spiel geben. Wenn Sie von dieser neuen Verab- redung nichts wissen wollen, gut, so bleibt es bey Ihrer vorigen Verbindlichkeit. Sie haben sich mit meiner Tochter verlobt, und Sie muͤssen sie nehmen. (bitter lachend.) Wie ich Sie ge- nommen habe? O, ruͤhren Sie Ihre Schan- de nicht selbst wieder auf! Es war der kluͤgste Streich mei- nes Lebens. (mit steigender Heftigkeit.) Sie sind ein Mann ohne Treu und Glauben! Ich vergelte nur Gleiches mit Gleichem. Ein Schwaͤchling, eben so stumpf von Verstand, als von Sinnen. Gehorsamer Diener! Erbittern Sie ihn nicht, Ma- dam! Lassen Sie uns gehen, liebe Mama! Man sollte Sie gaͤngeln, wie ein Kind. J 4 Die Erbschleicher. Gehorsamer Diener! Man sollte Ihnen einen Vor- mund setzen? (bitter lachend.) Warum nicht lieber einsperren? Madam — Liebe Mama, ich fuͤrchte fuͤr Ihre Gesundheit - - - Die setzt man immer bey Euch Maͤdchen zu! Lassen Sie mich versuchen, ihn zu besaͤnftigen! O, sanfte Mittel gehören nicht hieher. Gottlob! Wir haben noch Justitz. — Komm, Therese! (Spöttisch.) Weine nur! — Und Sie, Herr Sternberg — ich ahnde mehr, als ich sagen mag — Betreten Sie mein Haus nicht wieder! (Reißt Theresen mit sich fort, und geht ab.) (schmachtend, im Abgehen.) Sternberg! (bestürzt, will ihnen nach, kehrt wie- der um, nähert sich Gerharden.) Herr Vetter! ich gebe mich schuldig. Es ist die erste Abweichung von meinen Grundsaͤtzen — es ist der erste Be- trug, dessen ich mich jemals — aber der Gedan- Die Erbschleicher. ke, Theresen zu verlieren — Ihr ausdruͤcklicher Befehl — (mit Heftigkeit) O, so wahr ich diese Kniee umfaße — so wahr ich diese Haͤnde - - - (macht sich los, springt auf und versteckt sich hinter Wittwe Ungewitter.) Muhme Ungewitter! Der Mensch will mich umbringen. (tritt mit ausgebreiteten Armen vor.) Vetter Sternberg, schonen Sie seiner grauen Haare! Eher vergreifen Sie sich an mir ! (schleicht durch die hintere Seitenthür ab.) Vierzehnter Auftritt. Wittwe Ungewitter. Sternberg. (Sternberg geht hastig auf und ab und mißt Witt- we Ungewitter mit den Augen; sie sieht ihn starr an.) Madam Ungewitter sind Sie? Ja, Herr Sternberg. Doch wohl nicht die empfindsa- me Madam Ungewitter, die ihrem Manne eilf Monate nach seinem Tode ein lebendiges Monu- ment der Treue setzte? J 5 Die Erbschleicher. Was wollen Sie damit sagen, mein Herr? Wissen Sie nicht, daß die Verzweif- lung einer zaͤrtlichen Wittwe die Ordnung der Na- tur umkehrt? Ich weiß, Madam, daß allzu- zaͤrtliche Frauenzimmer in mehr Stuͤcken uͤber Ordnung und Sitte hinaus sind. Sie haben eine unverschaͤmte Manier, Bekanntschaft zu machen. Besser unverschaͤmt, als tuͤckisch! Ihre Manier ist — hinterm Ruͤcken zusammen zu hetzen. (spöttisch.) Nehmen Sie Pulver ein! Sie haben das Fieber (Will ab.) (sie haltend, mit Hestigkeit.) Mit schalem Witze kommen Sie nicht los. Sie sollen wissen, daß man Sie kennt, daß man Ihre Ab- sichten erraͤth, daß man die Waffen der Rache in Haͤnden hat. Verlaͤumden und kabaliren Sie sich muͤde! — Aber noch haben Sie ihn nicht geerbt. (Ab, nach der Straße.) Die Erbschleicher. Funfzehnter Auftritt. Wittwe Ungewitter , allein. (Ihm spöttisch nachsehend.) Das klang, wie Drohung. — Armer Schaͤcher! — Wer sicher zuschlagen will, muß nicht lange ausholen. — „Waffen der Rache!“ — (Triumphirend.) Ja, wenn dir die Beute aus den Zaͤhnen gerissen ist — dann raͤche dich! Dann prozeßir ’ und schikanire dich muͤde ! — Vielleicht sind wir großmuͤthig genug, dir ein Gnadengeschenk auszuwerfen. — (Hört kommen, und sammelt sich wieder.) Sechszehnter Auftritt. Justine. Wittwe Ungewitter. (durch die Mittelthür kommend.) Ma- dam, die Suppe erwartet Ihren Befehl — Ach, Kind! Hunger und Durst sind mir vergangen. Zu was fuͤr einem Auftritte mußt’ ich kommen! Der arme Vetter Stern- berg! Die Erbschleicher. (sich fr em d stellend.) Wie so, Madam? Haben Sie den Larm nicht ge- hoͤrt? — Ein Wortwechsel! ein Streit! Ohne mich, vielleicht Mißhandlungen! Ich bekuͤmmere mich nur um meine Kuͤche. Ueberdieß sind meine Ohren schon abge- haͤrtet. O, es geht bey uns nicht so still zu, als Sie denken. Krieg und Friede, Bewillkommen und Fortjagen wechseln oft von einer Stunde zur andern. Was sagen Sie? Ach unterm Monde geht doch nichts uͤber Einigkeit! Siebenzehnter Auftritt. Weinhold . Vorige . (im Eintreten.) Was seh’ ich, mei- ne liebenswuͤrdige Reisegefaͤhrtinn! (fast zu gleicher Zeit.) Ih, mein unvergleichlicher Begleiter! — Wo kommen Sie denn hieher ? Ich bin hier zu Hause. Aber Sie ? Ach Sie haben mich ausge- fragt, hochgelahrter Herr Professor. Die Erbschleicher. Oder Sie wollten mich hier uͤberraschen, hochzuverehrende Frau Kriegsraͤthinn? (tritt zwischen Beide.) Verzeihung! Sie sind Beide unrecht. Der Herr Professor Wasser- mann? Die Frau Kriegsraͤthinn Wind- still? (zu Weinhold, indem sie sich verneigt.) Ihre Frau Muhme Ungewitter! (Eben so zur Witt- we Ungewitter.) Ihr Herr Vetter Weinhold. Weinhold! Ungewitter! (mit übertriebener Freude.) Find’ ich in Ihnen den großen Mann, dessen ausgebrei- teter Ruf - - - (gleichfalls mit Uebertreibung.) Ist die geistreiche Frau, deren entzuͤckende Unterhal- tung mich - - - Ich bin meinem Incognito un- endlich verbunden, daß - - - Ich verdanks meinem Genius zwiefach, daß er - - - (Keines von Beiden darf das Andere ausreden lassen.) Die Erbschleicher. Setzen Sie die ruͤhrende Erkennung bey der Suppe fort! kommen Sie! Ach, Kind, ohne Finetten schmeckt mir kein Bissen. Wo ist sie zu finden? Im Posthause. Ihre Jungfer? oder — Mein Loͤwenhuͤndchen. Eine wahre Schoͤnheit des Hundegeschlechts. Gleich soll sie im Triumph gebracht werden. (Ab.) Achtzehnter Auftritt. Weinhold, Wittwe Ungewitter, (treten einander näher und lachen leise.) Das geht vortreflich! Herrlich gehts! Ich habe mit mystischem Bombast und tiefgelehrten Kunstwoͤrtern um mich geworfen, wie ein zweyter Cagliostro. Und ich habe die Anekdoten, die uns Freund Pistorius geliefert hat, mit Aus- legungen und Zusaͤtzen ausstaffirt, trotz der Graͤ- finn de la Motte. Die Erbschleicher. Fuͤr so leichtglaͤubig haͤtt’ ich den Vetter doch nicht gehalten. Er hat sich mir mit Haut und Haar uͤberliefert. Hab’ ichs Ihnen nicht vorher- gesagt? Ein Alter, der sich vor dem Tode fuͤrchtet, glaubt zuletzt an Hexen und Zigeuner. Der Vetter ist unser! Aber die Leute, die um ihn sind - - - Sind nur Marionetten. Ich kenne schon das ganze Theater. Mir entgeht nichts. Ich hab’ Argus Augen. Justinens zwey Augen haben mehr Feuer, als hundert. So muͤssen Sie sich vor ihr huͤten, Vetter, denn Ihr Herz ist brennbar, wie Stroh. Huͤten Sie sich nur vor Vetter Sternbergen! (liebäugelnd.) O, der darf Sie nicht beunruhigen. Nach des Apothekers Beschrei- bung versteht er sich aufs Praktikenmachen. Ich dachte, Sie spielten auf sein Aeußerliches an. — Das Praktikenma- chen hab’ ich ihm schon gelegt. Die Erbschleicher. Muhme Ungewitter, Sie tref- fen, wie der Blitz. (triumphirend.) Morgen stehen wir im Testamente! Ich wuͤnschte, wir saͤßen mit der Erbschaft hinter unserm Ofen. O, ich packe schon im Geiste die vollgestopften Kisten aus. Der Alte ist ja so fertig, als ein ausgebranntes Docht. (Bläst.) Buh! gehts aus. Da wollen wir reiten und jagen! Und jauchzen und springen und hochleben! Aber vor allen Dingen kauf’ ich mir eine Compagnie. Und ich — jedem von meinen Jungen eine Fahne. Muhme Lukrezia, bis diese Fahne weht, giebts noch Berge zu uͤbersteigen. Vetter Emmerich, es sind nur Maulwurfshuͤgel, wie in Junker Hanßens Duo- dezpark. Ein guter Springer setzt druͤber weg. So viel sag’ ich Ihnen: Gehts schief, so krieg’ ich alle hier im Hause beym Kopf, und kuͤße sie, und bitte um Pardon. W. Ungew. Die Erbschleicher. Das waͤre klein! Ich kuͤsse die ganze Familie, wenns gut geht. Das waͤre groß! Seyd keine Narren, sag’ ich. Was wollt ihr? Hagestolzenerbschaft ist ein Freyschießen. Der beste Schuͤtze wird Koͤnig. Muhme Lukrezia, Sie sind - - - (hält ihm den Mund zu.) Gleich und Gleich gesellt sich gern. Kommen Sie nur! (Gehen Arm in Arm ab.) K Die Erbschleicher. Vierter Akt. Erster Auftritt. Justine. Sternberg. (im Eintreten.) Nur herein, Bruder! Wir haben keinen Ueberfall zu fuͤrchten. Sie sitzen noch, wie angezaubert, bey Tische. Warum noͤthigst du mich wie- der in dieses Haus? Ich habe hier nichts mehr zu schaffen. Und nie warst du in diesem Hause unentbehrlicher, als eben jetzt. Ich will dir Ge- legenheit machen, den Vetter ohne Zeugen zu sprechen, und dann — Mit welcher Stirne koͤnnt’ ich ihm nach jenem Auftritte begegnen? Er hat mich zu schnoͤde behandelt. Aber es wird dir nur ein Wort kosten, eine Verlaͤumdung niederzuschlagen, deren Urheber und Absicht so hell am Tage liegen. Um Die Erbschleicher. sich in sein Herz einzunisten, mußten sie freylich damit anfangen, dich heraus zu beißen. Laß sie mir auch Vergehungen angedichtet haben, von denen ich nichts weiß! Ge- nug, daß mich mein Herz Einer Unredlichkeit ge- gen ihn anklagt. Das Uebrige bedarf keiner Un- tersuchung. Strenger Moralist! (hitzig.) O, ich will mich nicht mehr von Weibern lenken lassen. Sie machen sich gar zu gern ihre eigene Moral. Die deinige schmeckt auch zu sehr nach dem Katheder. — Zu was fuͤr einem un- verantwortlichen Schritte haben sie dich denn ver- leitet, die boͤsen Weiber? Sprich selbst! war ich ein Haar besser, als die Korsaren, die den Vetter jetzt um- ringt halten? Ging ich weniger auf Raub aus, als sie? Schaͤme dich der Vergleichung! Der ganze Unterschied ist der, daß Wittwe Ungewitter und ihr Spießgeselle sich plumper bey der Sache benehmen. Aber vielleicht gelangen sie um so eher zu ihrem Zwecke. Das verhuͤte der Himmel! K 2 Die Erbschleicher. Sie hat sonst Gluͤck bey ihren Streichen, die Frau Muhme. Es ist eben das Weib, das ihren Mann durch Untreue und Un- frieden unter die Erde brachte, um sein Vermoͤ- gen mit einem Abentheurer zu verschleudern. Denkt doch! die schoͤne Lukrezia! Und der Abentheurer - - -? (einfallend.) Zog aus, als das Geldchen alle war. Ich denke, Weinhold wirds nicht besser machen. Das mag er. Aber wetten wollt’ ich, daß der ganze Gaunerplan von ihr allein herruͤhrt. (spöttisch.) Ihr habt immer mehr Partheylichkeit fuͤr unser Geschlecht. Es gehoͤrt nur unpartheyischer Be- obachtungsgeist dazu, um ihm weniger Erfahren- heit in Raͤnken zuzutrauen, als ihr. Studentenkniffe koͤnnen ihm nicht fremd seyn. Er ist von zwey Universitaͤten relegirt worden. Was er jetzt treibt, weiß ich nicht. Er schwaͤrmt, und quacksalbert. Ha? so eine Art Monddoktor, Wunderthaͤter, etcetera? — Nicht uͤbel ausge- Die Erbschleicher. dacht! Kluͤgere Koͤpfe, als der Vetter, schwoͤren auf dergleichen Fratzen, und lassen sich prellen! Bruder, wenn du ihm nicht den Staar stechen willst, so thu’ ichs. Ich sag ihm, was ich von dem Volke weiß. Nein, Schwester, ich bitte dich — ich verbiete dirs sogar. Wenn ihm die Au- gen nicht von selbst aufgehen, ist er nicht werth, in bessere Haͤnde zu fallen. Und wenn er stirbt, eh er zur Er- kenntniß koͤmmt? Dann hat die Komoͤdie ein En- de. — Aber du wartest den Ausgang nicht ab. Du ziehst noch heute zu deinem Bruder. (ihn bedenklich anblickend.) Moritz! — Bist du’s, der mir diesen Rath giebt? — Sieh mir in die Augen! (Schalkhast.) Du hast dich mit Theresen entzweyt. (verdrüßlich.) Nein! Aber doch gezankt? Nein! (Kalt.) Ich habe sie seitdem gar nicht gesprochen. Noch schlimmer! Wie ist das ge- kommen? (kömmt nach und nach in Hitze.) Das K 3 Die Erbschleicher. wird sie besser wissen, als ich. Dreymal ging ich unter ihrem Fenster vorbey. Sie that nicht, als ob sie mich bemerkte. Dreymal war ich auf ih- rer Treppe, und gab das Zeichen, worauf sie sonst so schnell und froͤhlich aus dem Zimmer schluͤpf- te. Und sie kam nicht. Weil ihre Mutter es ihr verboten hatte. (bitter.) O, wenn sie mich lieb- te — eine thoͤrichte Mutter verdient keinen Gehorsam! Jetzt begreif’ ich deine Laune. Dem mißvergnuͤgten Liebhaber ist die ganze Welt gleich- guͤltig. — Ich muß dich aufheitern. — Du sprachst von Komoͤdie. Laß uns eine spielen! (Legt ihren Arm auf seine Schulter.) (unwillig.) Ach! Runzele die Stirne, wie du willst. Es ist eine herrliche Posse. (Den Arm in die Seite stemmend.) Hier steht der Autor! — Der Titel ist: Wer zuletzt lacht, lacht am besten. Hoͤr auf! Aber mit dem Rollenlernen wollen wir uns den Kopf nicht zerbrechen. Wir extem- poriren. — Du bist der Notarius. Die Erbschleicher. Schwester, wenn du einen Narren brauchst, nimm Benedikten. Der Einfall ist gut. Benedikt schickt sich besser zum Notarius, als du. Er hat beym alten Skrupel geschrieben, hat noch einige Floskeln im Kopfe, kann vielleicht - - - (ungeduldig einfallend.) Adieu, Ju- stine! (Will ab.) (ihn haltend.) O, lieber, bester Mo- ritz! nur noch einen Augenblick! ich gebe dir auch (ihn küssend) eins, zwey, drey, vier Maͤul- chen. Zweyter Auftritt. Therese. Vorige. (die bey Eröffnung der Thür das Letzte gesehen und gehört hat.) Sechs waren’s. (Schlägt die Thür wieder zu, und verschwindet.) Wer war das? (Läuft hinaus.) K 4 Die Erbschleicher. Dritter Auftritt. Sternberg allein. (Verlegen.) Theresens Stimme! — sie hat uns behorcht — wie wird das ablaufen? — was soll ich ihr sagen? Vierter Auftritt. Justine. Therese. Sternberg. (Theresen herein ziehend.) Sie muͤssen, Mamsell — zur Strafe muͤssen Sie herein. (sich sträubend) Lassen Sie mich los, ich bitte! Sie kommen, wie gerufen. (spöttisch.) Das seh’ ich. Herr Sternberg fing Grillen, daß mir angst und wehe bey ihm wurde. Um ihn zu zerstreuen, wollt’ ich Ihre Person vorstellen. (immer empfindlicher.) Ich danke Ih- nen fuͤr die gute Meynung. Sie glauben also, daß ich mit Herrn Sternberg auf dem Fuße stehe. Die Erbschleicher. (sich fremd stellend.) Auf welchem? Und Sie, Herr Sternberg, bestaͤrk- ten Jungfer Justinen in diesem Glauben? (betreten.) Therese! Wenn Sie auch unedel genug sind, zwey Maͤdchen auf einmal zu betruͤgen, so sollten Sie sich doch wenigstens schaͤmen, die eine auf Ko- sten der andern zu belustigen. (zu Theresen.) Koͤnnen Sie auf seine Schwester eifersuͤchtig seyn? Seine Schwester? wer? (will sie umarmen.) Ich! (sich zurückziehend.) Hm! eine abge- droschene Erfindung! Ich kann Ihren Unglauben nicht tadeln. Ich habe gefehlt, daß ich Ihnen diesen Umstand bis jetzt verschwiegen habe. Aber - - - (aufgebracht.) Womit koͤnnen Sie’s entschuldigen? Ich wollte Ihrem Herzchen die Buͤrde eines Geheimnisses ersparen. Sehn Sie mich fuͤr ein Kind an? Ich fuͤrchtete - - - Nein! es ist und bleibt unverzeih- lich. K 5 Die Erbschleicher. Sie haben Recht. Verzeihen Sie ihm unter acht Tagen nicht! Seinem Maͤdchen nicht einmal Familiensachen zu vertrauen. Und mancher Mann macht seine Frau zum Reichs- und Staatsarchive — Aber mich nehmen Sie doch zur Schwester an? Mein Herz sagt: ja! (sie schnell umarmend.) Und das meini- ge flog Ihnen schon diesen Morgen entgegen. (will indessen Theresens Hand küssen.) (ihn schalkhaft zurück stoßend.) Will Er gehen, mit seiner Advokatenpolitik! (bittend.) Schwester! (indem sie seine Linke und Theresens rechte Hand unvermerkt einander nähert.) Ich heiße Justine und halte auf Gerechtigkeit. Und Sie sollen se- hen, daß ich Ihnen immer gegen den Menschen beystehen werde, wenn er - - - (hascht Theresens Hand und küßt sie.) (tritt auf die Seite.) Sie ergeben sich? Nun scheid’ ich davon. Boͤses Maͤdchen! Ja, die Eifersuͤchtigen sind immer die Schwaͤchsten. Und die Witzigen —? Die Erbschleicher. (einfallend.) Genug geneckt! Welcher gute Geist fuͤhrt Sie her, Therese! Ein Geist, der gern auf Abwege fuͤhrt. — Ich sah ihn herein gehen, ich schloß von meiner Unruhe auf die seinige, und ich kom- me - - - (feurig.) Tausend Dank, liebste Therese! (Indem er sie umarmen will, hört er Ger- hards Stimme und fährt zurück.) (hinter dem Theater.) Justine! (halblaut.) Geschwinde durch dieses Kabinet. (Sternberg und Therese eilig ins Kabinet.) Fuͤnfter Auftritt. Gerhard. Justine. (aus der Mittelthür; munter und geschäf- tig.) Kann Sie nicht antworten, wenn ich rufe? (die Kabinetsthür zumachend.) Ich hielt Sie fuͤr Benedikten. Wo hat sie die Ohren? — Sind die Gastzimmer in Bereitschaft? (kurz.) Ja, Herr Gerhard. Sie hat doch die schoͤnsten Vor- rathsbetten ausgesucht? Die Erbschleicher. Ja, Herr Gerhard. Und die Waschtische mit Silber- geschirr aufgeputzt? Ja, Herr Gerhard. Ist das Gewoͤlbe auch wieder mit dem großen Anwurfe verwahrt? Ja, Herr Gerhard. Vor allen Dingen schaͤrfe Sie Be- nedikten ein, sich kuͤnftig nicht zehenmal aus Ein- schenken erinnern zu lassen, wie diesen Mittag, sondern auf den Wink aufzupaßen, und die Leut- chen zu bedienen, wie Fuͤrsten. Sehr wohl, Herr Gerhard. Aber gehe Sie ihm auch mit gu- tem Exempel vor! Sie muß sich nach der kleinsten Kleinigkeit erkundigen. Um welche Stunde sie das Fruͤhstuͤck befehlen? Was fuͤr eine Sorte Ta- bak der Herr Vetter vorzieht? Ob die Frau Muh- me vielleicht eines Bettwaͤrmers gewohnt ist? Oder einer Magenstaͤrkung zum Schlaftrunke, wie die seelige Schwester Abigail? Auch in An- sehung des Kuͤchenzettels — Doch daruͤber muß ich den Herrn Vetter eigends zu Rathe ziehen. (verdrüßlich.) Haben Sie noch etwas zu befehlen? Die Erbschleicher Was sitzt Ihr im Kragen? Mir? warum? Sie macht ein Gesicht, als ob Ihr ein Schuldmann mit den Interessen ausbliebe. Ich bin froh, wenn mich niemand mahnt. Gesteh Sie’s nur! Die Gaͤste sind Ihr ungelegen. Hoͤchstgleichguͤltig. (aufgebracht.) Sie ist ein Klotz. Kann wohl seyn. Wenn Sie die Liebe fuͤr mich im Herzen haͤtte, die Sie oft zur unrechten Zeit auf der Zunge traͤgt, so wuͤrde Sie sich freuen, daß mir der Himmel so gute Gesellschaft zuschickt. Ich dachte, Sie verlangten weder gute noch boͤse. Alles mit Unterschied. Ich frage nichts nach Spuͤrhunden, die bey Leuten meines Gleichen alle Ecken und Winkel nach einem Le- gatchen durchschnuppern. — Aber meine naͤchsten Verwandten! meine Schwesterkinder! Sie weiß nicht, was ich an den Leutchen habe. Ich werd’s erfahren. Gottlob, daß ich ihrer end. Die Erbschleicher. lich ein Paar antreffe, die mir Ehre ma- chen. Die Ehre wird Ihnen theuer zu stehen kommen. So ein Mann, wie der Vetter, ist mir noch gar nicht aufgestoßen. Jeder neue Vetter ist Ihr Ab- gott. Und die Frau Muhme — es ist eine allerliebste Frau. Sanft — zum Zerschmel- zen! Und dabey so tugendreich und ehrbar, und so redselig! sie spricht, wie ein Buch. Das sind die Rechten! Ich habs mit so einer Schoͤnrednerinn versucht. Ihre Worte tanzten immer in den Wolken; aber desto tiefer krochen ihre Handlungen an der Erde. (ärgerlich.) Es ist Zeit den uͤbrig- gebliebenen Wein aufzuheben. Da werd’ ich nicht schwer zu tragen haben. Aber ich verstehe den Wink. O, bald will ich Ihren neuen Guͤnstlingen voͤllig freyes Feld lassen. — Um indessen mein Gewissen ein fuͤr allemal zu erleichtern — (Tritt ihm näher, langsam, mit übereinander geschlagenen Armen.) Die Leute sind an eben dem Tage, mit eben der Post, Die Erbschleicher. in eben der Absicht angekommen — und wollen einander nicht gekannt haben? — (Klopft ihm auf die Schultet.) Wahren Sie Ihre Schatulle, Herr Gerhard! Es sind Betruͤger! (Ab.) Sechster Auftritt. allein. Betruͤger ? — Sie haben ja Beide ihren Taufschein bey sich! — Vetruͤger . — Die Weiber uͤbertreiben alles. — Aber ein kluger Mann verachtet auch den Rath eines jungen Maͤd- chens nicht. — Ich will bald dahinter kommen — ich will ihnen Fallen, Schlingen legen, de- ren sie sich nicht vermuthen sollen — (Horcht.) Still! sie sinds! — In dem Kabinetchen hab’ ich schon manche Entdeckung gemacht — (Schleicht auf den Zähen ins Kabinet.) Vielleicht — viel- leicht — Siebenter Auftritt. Wittwe Ungewitter. Weinhold. ( in dem sie die Thür öffnet, halblaut.) Sehn Sie ihn schleichen? Die Erbschleicher. (halblaut.) Er will uns behorchen. (Sie gehen vorwärts, indem sie sich einander winken.) (laut.) Die Guͤte des Herrn Vetters druͤckt mich zu Boden. Jungfer Justi- ne hat mir ein Zimmer angewiesen, so geraͤumig, als die Arche Noaͤh. Der Bettumhang von gel- bem Brocat, brennend, wie Gold - - - (einfallend.) Der meinige von ge- wirkten Tapeten, mit Figuren in halber Lebens- groͤße! Und das Bett aufgethuͤrmt, wie ein Fu- der Heu! Auf dem Waschtische eine sil- berne Gießkanne, wie die Kruͤge auf der Hochzeit zu Kanaan! silberne Leuchter, wie - - - (einfallend.) Im Salomonischen Tempel! und ein Becken, wie das eherne Meer! (Beide haben Mühe das Lachen zu verbeißen.) Warum ehrt, warum beschaͤmt mich der Herr Vetter so? In seinem Hause haͤtt’ ich mit einem Dachstuͤbchen vorlieb ge- nommen. Was sollen mir sybaritische Pol- ster? Ein Philosoph, wie ich, gehoͤrt auf die Streue. W. Ungew. Die Erbschleicher. Der Mann soll karg seyn? Und seine Gastfreyheit geht bis zur Verschwen- dung. Mißtrauisch? und sein Herz ent- faltet sich der Freundschaft, wie die Rose der Sonne. Muͤrrisch? Und hat Einfaͤlle, wie Doktor Luthers Tischreden. Eigensinnig? Und dehnt sich, und bequemt sich, wie ein Handschuh. Wer mit ihm nicht auskom- men kann, den muß man aus der menschlichen Gesellschaft ausstoßen. Und wer ihm etwas in den Weg legt, der hats mit mir zu thun. Achter Auftritt. Gerhard. Vorige . (aus dem Kabinette kommend, freundlich.) Schon aufgestanden, meine Lieben? Ihr dauert mich. Ihr seyd nicht satt geworden. Spotten Sie nur, Herr Vet- ter! Ich erroͤthe vor mir selbst. Mein seit acht L Die Erbschleicher. Tagen verschloßener Magen glich heute einem Faß ohne Boden. Aber Sie, Herr Vetter, leben von der Luft. Leider. Wenn ich esse, treibt mirs den Leib auf, wie - - - (jedesmal mit Nachdruck einfallend.) Wie ein Lustballon. So geht mirs just auch. Das Blut steigt mir zu Kopfe — Wie eine Fontaͤne, mir auch! Es flimmert mir vor den Au- gen - - - Wie Raketen und Schwaͤrmer, mir auch! Leg’ ich mich hierauf zu Bette - - - So erdrosselt michs. Ich sehe nichts, als Unholde und Teufelslarven - - - Und die Pulse schlagen mir, wie Drathammer. Arme Frau Muhme. Sie koͤn- nen die Familie nicht verlaͤugnen. Ach, besier Herr Vetter, mit Ihnen troͤst’ ich mich gern. Spasmatische Irregularitaͤten! Die Erbschleicher. Der Mensch muß essen. Diese Pflicht waͤchst mit den Jahren. Denn jemehr sich die Federn und Triebraͤder einer Maschine abnutzen, um so fleißiger muß man sie schmieren. Aber alles koͤmmt auf die Wahl der Nahrung an. Sie sol- len mir noch ein ganzer Lecker werden, Herr Vet- ter. Sie sollen nichts denken und traͤumen, als (Schnell.) Rebhuͤner, Fasanen, Truͤffeln, Lachs, Austern, Hanauer Pasteten, ungarischen Wein, Champagner, Ananas - - - (einfallend.) Ey, Herr Vetter! Das ist eine Diaͤt fuͤr Koͤnige. Unser einer lebt so gern, als ein Koͤnig. Aber mein buͤrgerlicher Beutel wuͤrde die Schwindsucht kriegen. Wollen Sie sparen? fuͤr wen? Fuͤr lachende Erben. Wollt ihr bey meiner Baare lachen? Ach, Herr Vetter, ehe es mit Ihnen dahin koͤmmt, wo werd’ ich armes Gerip- pe seyn? (zu Gerharden.) Und ich sage, ehe wir Beide uns zu der Reife entschließen, L 2 Die Erbschleicher. kommen die Bahren vielleicht aus der Mo- de. Ach, wenn das der Himmel wollte! Aber auf alle Faͤlle, lieben Leutchen, muß ich mit Euch Abrechnung halten. (verwundert.) Abrechnung? Wie kann ich Eure Liebe, Eure Sorgfalt wieder gut machen, als daß ich Euch mein Bißchen Armuth - - - (halb unwillig.) Herr Vetter! Sie kraͤnken uns unaussprech- lich. Noch vor Abend will ich mein Testament - - - Ums Himmelswillen, werfen Sie keinen Zankapfel unter die Familie! Ich habe keine Familie. Ein Testament! Streit und Prozesse ohne Ende! Ich wills schon verklausuliren. Je mehr Klauseln, je mehr Sporteln fuͤr die Advokaten! Ich begreife nicht, wie es noch Narren giebt, die ein Testament machen; sie Die Erbschleicher. sehen ja, wie’s zugeht. Kaiser und Koͤnige muͤs- sen sich’s gefallen lassen, daß die Schikane mit ihrem letzten Willen spielt. Da laͤßt sich ein Riegel vorschie- ben. Ihr nehmt den Praß bey meinem Leben. Ich meines Orts leiste auf diese Großmuth Verzicht. Wenden Sie Alles meiner guten Muhme zu! Ich bin der goldnen Mittel- maͤßigkeit gewohnt. Machen Sie nur meinen wuͤrdigen Vetter gluͤcklich! Ihr seyd ja Phoͤnixe von Unei- gennuͤtzigkeit. (Geht auf die andere Seite, vor sich.) Justine hat Recht. Sie blasen in Ein Horn. (leise.) Muhme, er merkt Unrath. (leise.) Wollen wir uns zanken? (leise.) Recht gern. (leise.) Aber was werfen wir uns aus dem Stegreife vor? (leise.) Wahrheiten. Stoff genug! (sie von weitem beobachtend.) Aha! sie schmieden etwas unter sich. (Näher tretend, laut.) Was habt ihr denn fuͤr Geheimnisse? (spöttisch.) Die Frau Muhme hat die liebe Gewohnheit , ins Ohr zu fluͤstern. L 3 Die Erbschleicher. (empfindlich.) Gleich macht er mirs zur Gewohnheit . So uͤbereilt schließen die Herren Gelehrten. Ey, fangt einander nicht die Wor- te auf! — Ich war in dreyßig Jahren nicht so vergnuͤgt, als heute Frisch, ihr Leutchen! Wer weiß eine Schnacke? Wer bringt ein Histoͤrchen aufs Tapet? Ich will lachen. O, um zu lachen, beleuchten Sie nur die Figur des Vetters Weinhold! Lassen Sie sich nur vom Witze der Muhme Ungewitter kitzeln! Nicht so spitzig, ich bitt’ euch! Aus Scherz wird oft Ernst. Fuͤr mich seyn Sie außer Sor- gen! Ich weiß in den Schranken zu bleiben! Im Hause meines Wohlthaͤters habe ich fuͤr Alles Re- spekt — bis zum Schoshunde. So denk’ ich auch, Frau Muh- me. Die kleinen Kneffer sind immer die falsche- sten. O, ich fuͤrchte mich sonst vor keinem Cerberus. Puh! Das heißt man Katzen- courage ! Die Erbschleicher. Halt! halt! Das war zu stark! (Weinhold und Wittwe Ungewitter gehn heftig auf und nieder.) (begegnet Weinholden in der Tiefe des Theaters, leise.) Bravo! (in der Tiefe des Theaters mit Wittwe Ungewitter zusammentreffend. Leise.) Selbst Bravo! (sich böse stellend.) Dergleichen Auf- tritte verbitt’ ich mir. (Gerharden auf die Seite ziehend.) Er scheint noch wenig in gute Gesellschaft gekom- men zu seyn. (ihn auf die andere Seite ziehend.) Man muß sie anlaufen lassen, um Ruhe zu ha- ben. (wie vorhin.) Er meynt, der Phi- losophenmantel deckt Alles zu. Aber es geht ihm, wie dem Thier in der Fabel. Unter der Loͤwen- haut gucken die langen Ohren hervor. (mit Schadenfreude.) Ich sehs. (wie vorhin.) Vor lauter Schoͤn- geisterey, schwatzt sie mit unter ohne Menschen- verstand Und ehe sie eine Satyre verschluckte, verduͤrbe sie’s lieber mit ihrem Busenfreunde. Das hoͤr’ ich. L 4 Die Erbschleicher. (Sie drängen sich Beide an Gerharden und spre- chen ihm zu gleicher Zeit in die Ohren.) Er scheint ein Pedant — Sie scheint eine Romanennaͤr- rinn — (zur Wittwe Ungewitter.) Ich glaub Ihnen. (Zu Weinhold.) Ich weiß Alles. (Zu Bey- den) Aber ich mag das Sticheln nicht leiden. Ihr seyd Verwandte, Ihr seyd Hausgenossen, Ihr seyd mir Beide gleich lieb. Ich will Frie- den unter Euch stiften, ja, das will ich. (spöttisch) Hm! (verächtlich.) O! Was brummt Ihr? — Wollt Ihr euch die Haͤnde geben, oder nicht? Unversoͤhnlich bin ich eben nicht, aber - - - Ich fange niemals an, aber - - - (Beyde reichen sich mit abgewand- tem Gesichte die Hand.) (gutmüthig.) Kein Wort mehr! Umarmt mich! — Umarmt Euch! Und wer den Andern wieder hohnneckt - - - Ihnen zu Liebe — Ihnen zu beweisen — (Sie umarmen sich alle drey.) Die Erbschleicher. (scherzhaft.) Daß es ja keine fremde Seele erfaͤhrt! Lieber wollen wir uns selbst aus- lachen, als uns auslachen lassen. (Lachen alle drey.) Neunter Auftritt. Justine. Vorige . (zu Wittwe Ungewitter und Weinholden.) Der Postknecht bringt Ihr Gepaͤcke gefahren. Befehlen Sie, daß ichs in Empfang nehme? Erlauben Sie, Kind! Ich will selbst - - - O, Frau Muhme! Dafuͤr ist Justine da. Sehr guͤtig! Aber ich gestehe Ihnen meinen kleinen Eigensinn. Ich habe gern uͤberall die Augen selbst. (Zu Weinholden leise.) Ich habe dem Kerl einen Gulden versprochen, wenn er keicht, als ob er den Berg Atlas schleppte. (laut, als antwortete er ihr darauf.) Bemuͤhen Sie sich nicht, Frau Muhme! Meine Sachen erfodern im Abladen eine gewisse Behut- samkeit, die Niemand kennt, als ich. (zu Gerhard.) Verzeihung, Herr L 5 Die Erbschleicher. Vetter, daß wir Sie um so geringfuͤgiger Ge- schaͤfte willen - - - (einfallend.) Das lob’ ich. Ordnung erhaͤlt die Welt; und Ihr seyd ja hier zu Hause. (Weinhold und Wittwe Ungewitter ab, Justine will folgen.) (ruft.) Justine! Zehnter Auftritt. Gerhard. Justine. Obligirt fuͤr Ihre wohlgemeynte Warnung! Sie ist nicht auf die Erde gefallen. Ich habe die Leutchen ausgeholt - - - (schnell.) Nun? und —? Engel sinds freylich nicht. (freudig.) Nicht wahr, sie stecken un- ter Einer Decke? Ganz das Gegentheil. Die war- me Reisekameradschaft ist im Begriff; unter der Ehre der Verwandtschaft zu erkalten. Sie fan- gen an, sich zu neiden. Es fehlte nicht so viel, so haͤtten sie sich gezankt. O, Ballens spielen sie mit Haß Die Erbschleicher. und Liebe. Ein Taschenspielerkniff, um die Auf- merksamkeit der Zuschauer zu taͤuschen! Nein, nein! Ich kenne sie jetzt durch und durch. — Die Wahrheit zu sagen, seh’ ich unter Hausgenossen lieber Mißverstaͤndniß, als zu enge Vertraulichkeit. Ein Schwert haͤlt dann das Andere in der Scheide. Wenn Sie nicht Sternbergs Hehlerinn gewesen waͤre, haͤtt’ ich den Betruͤger eher entlarvt. (eifrig.) Herr Gerhard! Wenn Stern- berg ein Betruͤger ist, so - - - (einfallend.) Sie will ihn noch ver- theidigen? Das ist lustig. Und er hat Alles ein- gestanden! Was sagt man nicht in der Bestuͤr- zung? Je unschuldiger der Angeklagte ist, um so schlechter weiß er sich oft zu verantworten. O, ich will kein Halsgericht uͤber ihn halten. Es ist vorbey. Ich laß ihn laufen. Aber um ihm allen Muth zu neuen Linksmache- reyen zu benehmen — will ich den Leutchen all mein Hab und Gut verschreiben. (erschrocken.) Herr Gerhard! Verschreiben , nicht verma- chen. Vor seinen Augen! unumstoͤßlich! noch heute! Die Erbschleicher. (dringend.) Herr Gerhard! (immer lebhafter.) Bey meiner Thuͤr heißt es: ganz offen, oder ganz zu! (faßt ihn bey der Hand.) Ich bitte Sie um Alles, was Ihnen lieb und theuer ist, ich bitte Sie mit Thraͤnen - - - (betreten.) Justine! — Wie kommt Sie mir vor? Was will Sie? Was hat Sie? — Fünfhundert Thaler hab ich Ihr zugedacht, und die soll Sie behalten. (mit steigender Innigkeit.) Ach, Herr Gerhard — nicht meinetwegen! Ich bin des Mangels gewohnt, bin gewohnt zu dienen. Um Ihres eigenen Wohls, um Ihrer Ruhe willen! Sie werden es bereuen. Sie werden die Stun- de - - - O, ich mag das Gepinsel nicht. (sich fassend.) Ich wollte ja gerne la- chen — ich besinne mich wohl, wie schadenfroh Sie sonst lachten, wenn Sie von uͤbel angewand- ten Vermaͤchtnissen hoͤrten — aber dazu hab’ ich Sie zu lieb — es geht mir zu nahe - - - (ungeduldig.) Durchaus nichts. Es soll Sie aber nichts angehen - - - Wie oft haben Sie nicht zu mir Die Erbschleicher. gesagt: Justine, wenn du merkst, daß ich mit meinem Testamente umgehe, zupfe mich beym Ermel! hilf mir meine Leute auslernen! hilf mir sie aufs Eis fuͤhren! Man kann nicht mehr thun, als ich gethan habe. Und was haben Sie denn ge- than? (beschämt und verlegen.) Ich bin so weit gegangen — sie — zu behorchen. O, die Fuͤchse koͤnnen den Jaͤger auch wohl gewittert haben. (Pause.) Darf ich Ihnen einen andern Vorschlag thun? — Stellen Sie sich todt! (als ob ers nicht begriffe.) Was? Stellen Sie sich todt! (stutzt.) Todt? — Wie? Voͤllig todt? — So — was man todt nennt! Ja, mich daͤucht, wir werden im Tode manches sehen und hoͤren, was wir lebend nicht ahndeten. (sich schüttelnd.) Je spaͤter, je lie- ber! Aber verstehen Sie mich doch recht! Es ist ja nur vom Stellen die Nede . Die Erbschleicher. Mit dem Tode ist nicht gut spas- sen. Er kann sein Spiel haben. Umgekehrt! Todtgesagt werden, be- deutet langes Leben . (zweifelhaft.) Meynt Sie? Meine Großmutter hats an sich selbst erfahren. (gespannt.) Zum Exempel? Auf was Art? Ein andermal will ichs Ihnen er- zaͤhlen. (sich besinnend.) M! — M! — Sie meynt also —? (immer lebhafter.) Probieren Sie’s auf mein Wort! Gehn Sie hier ins Kabinet! Stre- cken Sie sich sanft auf dem Ruhebette aus! Hal- ten Sie den Athem an sich! Das ists Alles. — (Ihm die Hände küssend.) Nun! bitte, bitte! (halb entschlossen.) Aber, Justine — wenn ich nun auch — ich setze den Fall — was weiter? Ich bringe unsrer Einquartirung die frohe Nachricht, daß Sie zum Testamente zu- schicken wollen. Und dann? Die Erbschleicher. Dann komm’ ich unter irgend ei- nem Vorwande wieder — und sehe — und finde — aber erschrecken Sie nicht, wenn die Waͤnde von meinem Gebruͤlle zittern! Probiren will ichs allenfalls — (ihn vor Freude umarmend.) Wollen Sie? Um Ihres Quaͤlens los zu wer- den. (Sich visitirend.) Ich habe doch alle meine Schluͤssel bey mir? Bis auf den zum Silbergewoͤlbe! (Reicht ihm einen Schlüssel.) (steckt ihn ein und geht nach dem Ka- binet.) Aber — merke Sie sich die Abrede wohl! — nur ein Paar Minuten! (ihn führend.) Ach, es wird Ihnen so wohl gefallen - - - (an der Thür.) Nur ein Paar Mi- nuten! — denn — denn — So wohl — als dem Kaiser, hieß er nicht Karl der Fuͤnfte? — der sich gar zum Spaß begraben ließ - - - (wollte eben hinein gehen, guckt wie- der heraus.) Begraben? — Bey lebendigem Lei- be? Wie war das? Die Erbschleicher. (schnell, im Abgehen.) Ja, mit Sang und Klang und Leichenpredigt, und allem Gugkuk — (Die letzten Worte hinter dem Thea- ter.) (vollends hinein gehend.) Zum Spaß? Gott steh mir bey! Ueber den Spaß! (Die letzten Worte im Kabinette.) Fuͤnfter Die Erbschleicher. Fuͤnfter Akt . Erster Auftritt. allein. Kömmt durch die Mittelthür, und geht eilig nach dem Kabinet.) Alles geht nach Wunsch. — Wenn nur Be- nedikt keinen Budel macht! — (Bleibt an der offe- nen Thür stehen, klopft in die Hände.) Schoͤn! Tref- lich! O, Sie sind ein allerliebster Mann. — Den rechten Arm besser ausgestreckt! Die Muͤtze tiefer ins Gesicht! — So! — Angenehme Ru- he! (Wirft ihm einen Kuß zu.) Aber ums Him- mels willen nicht gehustet! Ersticken Sie lieber! — (Rückt den Sessel in die Mitte des Theaters.) Ich will mir’s bequem machen — ich will recht mit Anmuth in Ohnmacht liegen — (Klingelt und ruft.) Huͤlfe! Huͤlfe! Benedikt! Madam Ungewitter! Herr Weinhold! Huͤlfe! (Sinkt nachläßig in den Sessel.) M Die Erbschleicher. Zweyter Auftritt Benedikt. Justine. (sieht zur Thür herein.) Soll ich kommen? (halblaut.) Wie kann Er noch fra- gen? (mit kaltem Geschrey.) Heda! Wer ruft? Hat sich ein Ungluͤck - - - Thu’ Er doch mehr erschrocken! Stille nur! Ich weiß schon, wie mans machen muß. Es sind ja kaum sechs Mo- nate, daß ich meine alte Haͤlfte transportirt habe. Ins Kabinet! Die Thuͤr offen gelassen! (indem er hinein geht.) Fuͤr Wasser in die Augen ist auch gesorgt. (Zeigt ihr eine Zwiebel.) Die Erbschleicher. Dritter Auftritt. Wittwe Ungewitter. Weinhold. Justine. (vor der Thür.) Was giebts? Was ist vorgefallen? (Stürzen herein, erblicken Justinen, eilen, und schütteln sie, und rufen:) Justine! Justinchen! he! (mit geschlossenen Augen und gebrochener Stimme.) Todt! todt! mausetodt! Sie kann ja noch reden. Wo fehlts Ihr denn? (wie vorhin.) Herr — Ger — Ger- hard — Der Herr Vetter! Wie? wo? Das waͤre der Teufel! Vierter Auftritt. Benedikt. Vorige. (das Schnupftuch vor den Augen, zit- ternd und schluchzend.) Da — da! — sehn Sie zu, ob Sie ihn aufschreyen koͤnnen! M 2 Die Erbschleicher. (indem sie ins Ka- binet stürzen.) Herr Vetter! Herr Gerhard! Fuͤnfter Auftritt. Benedikt. Justine. (halblaut.) Nu? hab ichs recht ge- macht? Ja, zu Schelmereyen ist Er zu gebrauchen. Ein feines Loͤbchen! (im Kabinet.) Allerbester Herr Vetter! Hoͤren Sie mich doch! (im Kabinet.) Er ist und bleibt todt. (zu Benedikt, leise.) Fort! fort! Sie kommen wieder. (Benedikt ab.) Sechster Auftritt. Wittwe Ungewitter. Weinhold. Justine. (mit verschobenem Kopfzeuge und wilder Geberde.) Es ist aus — es ist vorbey — ich bin verloren! Die Erbschleicher. (später kommend und singend.) Valet hat er gegeben, Der argen boͤsen Welt. (heftig.) Sie koͤnnen spotten? Ihm ist wohl und uns besser. Sie sprechen, wie ein Heide — wie die Hottentotten, die den alten Leuten die Kehle abschneiden. Ich wollte — ich weiß nicht was? schuldig seyn, wenn er nur noch eine Stunde gelebt haͤtte. (noch im Sessel, mit schwacher Stimme.) Soll ich nach dem Herrn Gevatter Pistorius schi- cken? Es ist sein Doktor. Ach, es ist nur ein vergebli- cher Gang, den sich der Mensch bezahlen laͤßt. Der Gulden kann gespart werden. Lieber nach dem Feldscheer, zum Seciren! (springt auf.) Warum nicht gar? Um gewiß zu seyn, daß er nicht wieder aufwacht. (mit Uebertreibung.) Nein, ich lasse meinen lieben armen Herrn nicht herum martern. Ans Aufwachen ist nicht zu denken. Er hat keinen Funken Waͤrme mehr. M 3 Die Erbschleicher. Ihre Prophezeihung, Muhme! (Bläst) Buh! gehts aus! (weinerlich.) Die Freude uͤber Ihre Ankunft hat ihm den Rest gegeben. Ach, wie er diesen Mittag einigemale laut lachte, wie er Sie zum Trinken noͤthigte, wie er Ihnen das Quartier anbot, wie er endlich gar vom Testa- mente anfing, da uͤberliefs mich eiskalt. „Ach,“ sagt’ ich zu Benedikten, „das sind Zeichen vor sei- nem Ende!“ (zu Justinen.) Wie uͤberfiels ihn aber? Erzaͤhle Sie doch! War Sie zugegen? (mit zunehmenden Schluchzen.) Ach, ich zittere noch, wie Espenlaub! Ich komme herun- ter — ich find ihn nicht — ich rufe — ich oͤffne das Kabinet — da liegt er! — „Schlum- mern Sie, Herr Gerhard?“ — Keine Ant- wort. — Ich trete naͤher — ich seh ihm ins Gesicht — Ich ergreife seine Hand — Er schlug die Augen auf — „Mu — Mu — Muhme!“ fing er an zu stammeln — Er hielt mich fuͤr Sie — Krak! brach ihm das Herz — Kaum hatt’ ich Zeit, das Fenster aufzureissen, um die arme Seele hinaus zu lassen. (in Verzweiflung.) Ohne ein Te- stament zu machen! Die Erbschleicher. So erben wir ab intestato . Einen Bettel! Aber zehn Jahre fruͤher. Wenns hoch koͤmmt, die Rei- sekosten. Ein armer Teufel nimmt alles mit an. (gegen das Kabinet, indem sie unvermerkt die Thür zumacht.) Ach, du guter, kreuzbraver, goldner Herr! mußt du so fruͤh aus der Welt gehen? Er hat lange genug zusammen gescharrt. Und gewuchert und gegeitzt. Seinen Verwandten zum Trotz gelebt, und zum Possen gestorben! Aber du sollst deine Absicht nicht erreichen, heimtuͤckischer Alter! — (Zu Justinen.) Jungfer Schließerinn, wo sind die Schluͤssel? Zur leeren Speisekammer? Hier! — Die uͤbrigen fuͤhrt der Herr bey sich. Ungluͤcklich! (Halblaut.) Vet- ter Emmerich! visitiren Sie ihn doch! Ich will Ihnen nicht vor- greifen. M 4 Die Erbschleicher. (spöttisch.) Fuͤrchten Sie sich, ei- nen Todten anzuruͤhren? Auf der Wahlstatt wuͤrd’ ich mich nicht bedenken. Wir muͤssen doch das Geld zum Begraͤbniß abzaͤhlen — Meinethalben mag er unbegra- ben liegen bleiben. (Zieht Pfeiffe und Tabaksbeutel aus der Tasche, stopft, schlägt Feuer auf, und fängt an zu rauchen.) Justine! Liebe, beste Justine! was fangen wir an? Wir lassen versiegeln. (wirst sich in den Sessel.) Und se- hen das schoͤne Vermoͤgen in hundert Bißen zer- stuͤckeln! — Uns wars zugedacht. Unser waͤrs in einer Stunde geworden. — (Aufspringend.) Schon die dritte Erbschaft, die mir fehl- schlaͤgt! — Ich bin auch so desperat — Wenn ich eine geladene Pistole haͤtte, ich koͤnnte —! (Schlägt sich mit geballter Hand an die Stirne.) Ich will Ihnen eine holen. Ach, Madam, wenn eine so geist- reiche Dame, wenn eine Gelehrte, wie Sie, sol- che Reden fuͤhrt — was bleibt mir einfaͤltigem Die Erbschleicher. Maͤdchen uͤbrig? — Ins Wasser zu springen. Sechs Jahre Strapatze bey Tag und Nacht! mit einem Spottgeld abgespeist, und immer aufs Le- gatchen vertroͤstet! und nun so kahl und bloß ab- gezogen, als ich ins Haus gekommen bin! (Man hört im Hause klopfen.) (die im finstern Nachdenken auf und ab gegangen ist.) Was bedeutet das? Der Alte spuͤckt. Es will Jemand ins Haus. Abgewiesen! geschwinde! (Justine ab.) Siebenter Auftritt. Wittwe Ungewitter. Weinhold. Jetzt sind wir allein, Vetter Emmerich. (rauchend.) Jetzt stehen die Ochsen am Verge , Muhme Lukrezia. O, keine Wachstuben-Spaͤß- chen! Ich muß sie wieder lernen. Machen Sie Elegien, wenn Sie wollen! M 5 Die Erbschleicher. Ach, lieber Schatz! Wir wer- den magere Bißen schlucken. Lieber Schatz, ich kann die fet- ten nicht vertragen. Wir werden eine kleine Hoch- zeit ausrichten. Gar keine. (kläglich.) Wie, mein Engel? (ihren Ton parodirend.) Ja, mein Engel. (heftig.) Ich sollte um Mann und Erbschaft zugleich kommen? (lebhaft.) Und ich, statt der Erb- schaft, zu einer Frau? (bemerkt, daß er raucht.) Aber ist es Ihnen moͤglich, jetzt zu rauchen? Ich verrauche die Grillen. (reißt ihm die Pfelffe weg.) Ich glaube, Sie haben mich zum Besten, Herr. Richt doch! Der Zufall ists, der uns Beide zu narren beliebt. Die Erbschleicher. Achter Auftritt. Justine. Vorige . (im Eintreten.) Sprechen Sie nicht so laut! Der Notarius ist im Hause. Der Notarius? Er koͤmmt des Testaments wegen. (in Verzweiflung.) Ach, das Te- stament! Er besteht darauf, den Herrn zu sprechen. Ich hab ihn ins Visitenzimmer ge- fuͤhrt. Sie hat ihm doch nicht die Wahrheit gesagt? Der Herr waͤre sehr uͤbel. Ohne Besinnung? ohne Spra- che? Nein, so schlimm nicht. (kläglich.) Vetter Emmerich! (kläglich.) Muhme Lukrezia! Ach! (mit Karrikatur.) Ach! Wollen Sie mich sterben sehen, mein Schatz? Die Erbschleicher. Ich will Ihnen die Standrede halten, mein Engel. (heftig.) Herr, schaffen Sie mir ein Testament! Wenn eines wegzuschaffen waͤre? Wohlan! — Ich will Kopf fuͤr euch alle haben. Weiberlist behielt von jeher den Preis. Ich hab eine Eingebung - - - Nun? Kommt naͤher! — Justine! Kann Sie blind, taub und stumm seyn? Blind und taub? Immerhin Aber stumm? das ist der Knoten. Hundert Louisdors sind auch nicht leicht zu verdienen. O, um den Preis sind manchem Maͤdchen alle Sinne feil. (zu Weinhold.) Allons, Herr Cagliostro! Zeigen Sie Ihre Kunst! Koͤnnen Sie Geister citiren? Dem Alten haͤtt’ ich wohl einen blauen Dunst vorgemacht. Die Erbschleicher. Ich kanns. (Spricht mit Ju- stinen heimlich.) Sie sehen auch aus, wie die Hexe zu Endor. Sogleich. (Ab in Gerhards Schreib- stube.) (hüpfend und in die Hände klopfend.) Vetter Emmerich, der Zufall soll doch nach unsrer Pfeiffe tanzen! Muhme Lukrezia, mir wird bange, Ihr tanzt ins Irrhaus. (kömmt wieder und bringt Schlafrock, Nachtmütze, Halstuch, Puderschachtel, und einige Kißen.) Hier ist Alles! (verwundert.) Wer will sich mas- kiren? (ihm den Schlafrock vorhaltend.) Sie selbst, Herr Vetter. Was —? Ohne Widerrede! kriechen Sie hinein! — Setzen Sie sich! (Stößt ihn auf den Sessel, legt ihm das Halstuch um.) Nun —? Die Muͤtze uͤber die Ohren! (Setzt sie ihm auf.) Die Erbschleicher. Hieher ein Kißen! (Stopft ihm eines unter den Kopf.) Und hieher eines! (Wirst ihm ein Kißen ins Gesicht.) (drohend.) Maͤdchen! Den Pferdefuß versteckt! (Breitet ihm ein Kißen über die Füße.) Und die rothen Backen uͤbertuͤncht! (Pudert ihm das Gesicht ein.) (sprudelnd) Ich ersticke — Hat nichts zu sagen. (ihn betrachtend.) Unvergleich- lich! Der Alte, wie er leibt und lebt! Zum Erschrecken aͤhnlich! (mit Karrikatur.) Schatten des Geitzdrachen Gerhard! ich beschwoͤre dich! Steig herauf, und umschwebe diesen Sessel! Weiber, was habt ihr mit mir vor? (geht in die Fensterkoulißen.) Alle Vorhaͤnge herunter! (Zu Justinen.) Der Notarius soll kommen. Der Herr Vetter will testiren. (ab.) Die Erbschleicher. Neunter Auftritt. Wittwe Ungewitter. Weinhold. Frau Muhme, das geht auf eine Spitzbuͤberey los. Nichts, als die Ergaͤnzung ei- ner elenden Formalitaͤt. Sie sind des alten Vet- ters Sprachrohr. Sie hallen nach, was Sie aus seinem Munde aussingen. Aber unterschreiben thu’ ich nicht. Warum nicht? Ich muͤßte mich vor meinem Seitengewehre schaͤmen. Gut! Wir fuͤhren dem Todten die Hand. Und wenn uns die Justitz auf die Finger klopft? Morgen sind wir ihr aus den Augen. Sie hat lange Arme — Wir haben noch laͤngere Beine. Ich glaube, der Schlafrock steckt an — ich bekomme Herzklopfen — Die Erbschleicher. Desto besser! Es wird mir gruͤn und gelb vor den Augen — Desto natuͤrlicher! (Nimmt ei- nen Stuhl und setzt sich Weinholden zur Rechten.) Zehnter Auftritt. Justine. Benedikt, als Notar. Vorige. (Gerhard kann in diesem und den folgenden Auf- tritten von Zeit zu Zeit an der Kabinetsthüre lauschen; so oft ihn aber Justine gewahr wird, winkt sie ihm, hinter der Wittwe Ungewitter Rücken, sich zurück zu ziehen.) (mit Schreibzeug und zwey Lichtern, geht voran.) Sprechen Sie ein wenig laut, Herr No- tarius. Sein Gehoͤr hat gelitten. (Setzt den Tisch und Stuhl zurechte.) (näher kommend, thut erschrocken. Zu Justinen.) Ey! wie haben sich Herr Gerhard ver- aͤndert! (weinerlich.) Das geht sehr natuͤrlich zu. (Sie tritt neben Weinholds Sessel, zur Linken.) (mit starker Stimme.) Ganz gehor- samster Diener, mein Herr Gerhard! Weinhold Die Erbschleicher. (Gerhards Stimme nachahmend.) Ge- horsamer Diener! Sie haben befohlen — Wie? (noch stärker.) Sie wollen Ihr Haus bestellen? (hält sich die Ohren.) Sachte, sach- te! — Ich will nicht — ich muß — ich moͤchte rasend werden — Lassen Sie darum nicht gleich die Ohren hangen! Ein Testament ist nicht immer das Zeichen zum Abmarsch. Je aͤlter der Fuchs, je zaͤher das Leben. Ich hab der Faͤlle mehr er- lebt. Gehorsamer Diener! Ja, wir sind alle wurmstichige Nuͤsse. (zu Justinen.) Der gute Herr! Er schwatzt ganz uͤbern Berg. Sprechen Sie ja nicht zu viel, lieber Herr Vetter! (leise.) Stoͤhnen Sie mit unter! (mit Karrikatur.) Auweh! Auweh! Armer Herr Vetter! (Halblaut zu Justinen, auf Benedikten zeigend.) Das Contre- bandegesicht hab’ ich schon irgendwo gesehen. N Die Erbschleicher. Doch nicht am Pranger? (der indessen sich in Positur zu schreiben gesetzt hat.) Was belieben Sie fuͤr einen Eingang? Ich geh immer gerade zu. Erlauben Sie! Die Taxe ist ver- schieden, je nachdem er poetisch, moralisch, oder theologisch ist. (bittend.) Herr Notarins, wenn Sie den Eingang hinter her machten! Hinterher? Das ist zwar gegen den Styli curias — indessen — Also zur Sa- che! Belieben Sie zu diktiren! (diktirt.) „Ich Unterzeichneter — (Zur Wittwe Ungewitter.) Wie heiß ich? Er weiß seinen Namen nicht mehr! (bedenklich.) Erlauben Sie! Der Umstand ist - - - (einfallend.) Ein Familienfehler. Er begegnet mir zuwellen auch. (Weinholden ins Ohr.) Eusebius Gerhard. (laut.) Eusebius Gerhard. (schreibend.) „Will und verordne also hiermit zuvoͤrderst —“ Jetzt koͤmmt der Punkt der Beerdigung. Den uͤberhuͤpfen wir. Die Erbschleicher. Erlauben Sie, die Jura Stola - Ja, Herr Vetter! Verlassen Sie sich auf uns! Wir wer- den den letzten Pfennig an- wenden, Ihnen die letzte Eh- re - - - (einfallend.) Nichts von Ehre! Auf gut Kaiserlich! Einen Sack und ein Loch! Er stirbt, wie er gelebt hat. (schreibend.) „Zuvoͤrderst, daß es mit meiner irrdischen Huͤlle, ohne Ehre, und der- gestalt - - - Eilfter Auftritt. Pistorius. Vorige . (Dieser Auftritt erfodert ein vorzüglich rasches und zusammenhängendes Spiel.) (indem er die Thür öffnet.) Diener, Diener, Herr Gevatter! Himmel! Herr Pistorius! (Laufen ihm entgegen.) (stutzt.) Ih! was geht denn hier vor? N 2 Die Erbschleicher. Es darf kein Mensch herein. (Treten ihm in den Weg.) (Wittwe Ungewitter erkennend.) Ih, meine Frau Kriegsraͤthinn - - - Herr Gerhard ist nicht zu spre- chen. Wo kommen Sie denn hieher ? Ein andermal will ich ant- worten. Aber was giebts denn eigentlich? (ungeduldig.) Sehn Sie nicht die An- stalten? Zum Testamente ? ist der Herr Gevatter schlimmer geworden? Wer hat Schuld, als Sie und Ihre Fieke? Ey behuͤte! — Herr Gevatter, was muß ich hoͤren? (in seinem eignen Ton.) Gehn Sie zum Teufel! O, Ihnen sitzt der Tod noch nicht auf der Zunge. (Bey jeder Rede versucht er vorwärts zu gehen, und wird von Wittwe Ungewitter und Justi- nen zurück getrieben.) Aber so gehn Sie doch! Die Erbschleicher. Ich komme nur — Der Rechnung wegen? geben Sie her! Excusiren Sie! Ich komme zu depriciren . In agone fragt man auch nach Komplimenten. Jeder Mensch hat sein tempora- mentum , und bey mir praenominirt die co- leram . Die Kollerader. Aber ein guter Christ, Herr Ge- vatter - - - Laͤßt den andern in Ruhe ster- ben. Gedenken Sie der geistlichen Verwandtschaft! Ja doch! (Sie treiben ihn immer näher an die Thür.) Stiften Sie ein Andenken in die Pistoriussische Apotheke! Ja doch! Ihr Pathe soll auch auf den Pfar- rer studiren. N 3 Die Erbschleicher. Ja doch, ja doch, ja doch! (Trei- ben ihn vollends zur Thür hinaus und halten die Thür zu.) (ruft noch von außen.) Gluͤckliche Nei- se, Herr Gevatter! (ruft durch die Thür.) Baldige Nach- folge, Herr Pistorius! Zugeriegelt, Justine! Zwoͤlfter Auftritt. Wittwe Ungewitter. Weinhold. Justine. Benedikt. Und Sie, Herr Notarius, fahren Sie frisch fort! (der indessen geschrieben und sich vor Pistorius soviel möglich versteckt hat, liest:) „Hiernaͤchst setze ich ein und ernenne zu meinen Universalerben —“ Ists gefaͤllig? „Meine liebe Muhme, Lukrezia Ungewitter - - - (laut schluchzend.) Ach! ach! „Gebohrne — (ihm ins Ohr.) Kapphahn — „Schnapphahn - - - Die Erbschleicher. (laut.) Kapphahn — Ach, Herr Vetter (ihm die Hand küssend) ich bins nicht werth — ich werde Sie nicht lange uͤber - - - (hält ihr den Mund zu.) Stille! „Ferner - - - (der mit Schreiben inne gehalten hat.) Erlauben Sie! Kapp? oder Schnapp? „Kapphahn! Ferner meinen lieben Vetter Emmerich Sylvester Weinhold, und zwar unter der Bedingung — (schreibend.) „Bedingung — „Daß diese Beide einander ehe- lichen, als auf welchen Fall — (schreibend.) „Fall — „Ich dem vorgedachten Wein- hold noch uͤberdieß zehn tausend Reichsthaler — (einfallend.) Herr Better, was wollen Sie? — „Zehn tausend Reichsthaler vor- aus vermache — Allerbester Herr Vetter! Der Mensch weiß nicht mit Geld umzugehen. Er spielt. Er trinkt. Sie bereiten mir eine un- gluͤckliche Ehe. Soll ich die Ehe weglassen? N 4 Die Erbschleicher. Nein, nein! Ich unterwerfe mich ganz Ihrem - - - „Vorausvermache. „Ferner vermach’ und legir’ ich meiner Haushaͤlterinn und Waͤrterinn - - - (einfallend.) Justine Klarbach kuͤßt Ih- nen die Haͤnde - - - „Justinen Klarbach. Einhun- dert Stuͤck vollwichtige Louisd’ors — „Louisd’ors.“ Ferner? (ungeduldig, ausstehend.) Soll er sich die Seele aus dem Leibe legiren? Nichts ad pios usos? Er ist kein Pietist. Quaͤlen Sie ihn nicht! (Schlingt ihren Arm um Weinhold und lehnt ihr Gesicht an sein Kopfkissen.) Belieben Sie demnach zu vollzie- hen! (Steht auf und überreicht ihm Papier und Feder.) Dreyzehnter Auftritt. Gerhard. Vorige. (erscheint an der offnen Kabinetsthür.) (wird ihn gewahr und schreyt.) Ein Ge- Die Erbschleicher. spenst! (Sinkt auf die Knie und verbirgt ihr Gesicht in Weinholds Schlafrock) (fährt auf.) Wa - - - Was? (wird ihn gleichfalls gewahr und schreyt.) Der todte Vetter! (Taumelt zurück und sinkt auf den Stuhl, den sie verlassen hat.) (läßt Papier und Feder fallen.) Der Testator in duplum . (Verkriecht sich hinter Wein- holds Sessel.) (unerschrocken, beugt sich vor, hält die Hand vor die Augen.) Mein Conterfey — oder ich selbst? (Dieser ganze Theaterstreich geht gleichsam in Ei- nem Tempo vor sich.) (tritt näher, mit starker Stimme.) Be- nedikt! (sich halb aufrichtend.) Sind Sie’s leib- haftig? (der indessen Rock, Perücke, Bauch und Augenpflaster abgeworfen hat.) Herr Gerhard! (erstaunt.) Noch eine Verkleidung? (zu Benedikt.) Die Gerichtsdiener! Sehr wohl. (Will ab.) (springt auf und zieht ihn beym Rock- zipfel zurück.) Sehr uͤbel! — (Zu Gerhard.) Will- N 5 Die Erbschleicher. kommen, Herr Vetter! Sind Sie auferstanden? Sehen Sie die Wirkung meiner Essenz? Unverschaͤmter! Da spielen wir Komoͤdie. Seh ich nicht natuͤrlich aus, wie Sie? (zu Benedikt.) Die Gerichtsdiener will ich haben. Wozu das? (Indem er seine Ver- kleidung abwirft.) Von den Herren steht kein Wort im Stuͤcke. Der Knoten wird nicht zerhauen. Er loͤst sich von selbst. Alles kehrt in den vori- gen Stand zuruͤck; der alte Vetter zu seinem Mammon; der junge zum Regimente; die Frau Muhme zur Spinnradsmuse — und der Vor- hang faͤllt. (Will ab.) (ruft.) Haltet ihn auf, den - - - (schnell umkehrend.) Nicht geschimpft! Ich bin Fahnjunker, und darfs nicht auf mir sitzen lassen. Seyn Sie billig! Lassen Sie mich bey Nacht und Nebel abziehen — ich bin bestraft genug — ich schaͤme mich, wie ein begossener Budel — Herr Gerhard! Dieser treuherzige Ton — Ich wollte wetten, daß er noch ein Neu- ling ist. Die Erbschleicher. Ein Neuling eben nicht. Tolle Streiche hab’ ich genug gemacht; aber hole mich Dieser und Jener! Keinen schlechten . Liefen alle Betruͤger bey dem Probestuͤckchen an, wie ich; ihre Kuͤnste wuͤrden bald unter die Ver- lorenen gehoͤren. (Ab.) Vierzehnter Auftritt. Gerhard. Wittwe Ungewitter. Justine. Benedikt. (geht zu Wittwe Ungewitter und faßt sie an.) Nun, Madam Ungewitter? Ist der Schreck voruͤber? wollen Sie zur Ader lassen? (die indessen, wie in einer Ohnmacht gelegen, aber durch Blicke und Mienen von Zeit zu Zeit den folgenden Ausbruch von Leidenschaft vorbereitet hat, stößt sie zurück und springt auf.) Elender Spott! — Sie hat uns uͤberlistet. Aber die Strafe wird nicht ausbleiben. Erleben will ichs, daß auch Ihre Schliche an den Tag kommen, daß die nie- dertraͤchtigen Gefaͤlligkeiten, zu denen Sie sich jetzt herablaͤßt - - - (geht wütend auf sie los.) Sie unter- steht sich noch zu drohen? Die Erbschleicher. (tritt stolz zurück.) Soll ich krie- chen? Vor dem Manne kriechen, der keine Em- pfindung kennt, als Habsucht, und keine Selig- keit, als Geld? der Streit an seinen Verwand- ten sucht, um sich von Verbindlichkeiten loszusa- gen, und ihnen Schwachheiten ablauert, um sie zu verstoßen! — (Verzweiflung in Ton und Blick.) Ich schrie um Brod fuͤr meine Kinder, und er hoͤrte nicht! Ich kam, und heuchelte, und ver- laͤumdete — und fand Eingang! Es war Un- recht von mir — aber Noth kennt kein Gesetz , und Hartherzigkeit fodert zu Betrug auf. — (mit wilder Begeisterung sich ihm nähernd, indessen Gerhard sich zitternd zurück zieht, und in den Sessel sinkt.) Grausamer Mann! Vielleicht schlaͤgt sie dir diese Nacht noch, die Stunde des Abschiedes. Waͤlze dich dann auf deinen Schaͤtzen, und fleh um Gna- de! Verpfaͤnde Hab und Gut dem Himmel, um Aufschub von ihm zu erhandeln! Suche Trost auf den eiskalten Gesichtern deiner Augendiener! und sieh, wie sie dich verschmachten lassen, um das Loos uͤber deinen Raub zu werfen, und stirb in Ver- zweiflung! (Ab) Die Erbschleicher. Funfzehnter Auftritt. Gerhard. Justine. Benedikt. (Gerhard liegt betäubt im Sessel; Justine, gestützt auf die Lehne desselben, verbirgt ihr Gesicht; Benedikt steht verwundert von ferne.) (nach einer Pause, leise.) Benedikt! — Such Er meinen Bruder auf - - - Wen, Mamsellchen? Herrn Sternberg, wollt’ ich sagen — erzaͤhl’ Er ihm, was Er gesehen und gehoͤrt hat — sag Er ihm - - - Da werd’ ich heute nicht fer- tig - - - (fortfahrend.) Daß ich seines Beystan- des bedarf — daß ich ihn und Madam Anker und Theresen — daß ich sie alle bitte, zu kom- men — und fuͤhr’ Er sie ins Kabinet! — Aber was krieg ich denn fuͤr mei- ne Muͤhe? (ungeduldig.) O, geh Er! (indem er die Kleidungsstücke verdrüßlich zusammen rafft.) Ein andermal spiel’ ich auch nicht wieder mit. (Ab.) Die Erbschleicher. Sechszehnter Auftritt. Gerhard. Justine . (sich erholend, mit erstickter Stimme.) Mir das? Mir, der ich wissentlich kein Kind be- truͤbe! — Ich, hartherzig? Haben Sie’s nicht an mich gebracht, sie und ihres Gleichen? — Zu lange schon ließ ich mich von den Blutigeln aussaugen — An meinem eigenen Leibe darbt’ ichs ab, um einst der undankbaren Brut ein Denkmahl meines Nahmens zu lassen — und jetzt! — und so! — (fährt auf.) Das verdamm- te Geld! Es ist ein Fluch des Himmels. Es ist die Quelle alles Unheils, aller Laster unter der Sonne. — (Knirschend.) Ich wills vergraben. — Ich will mich in ein Hospital kaufen. Ich will meine - - - (in Thränen, ihm die Hand auf die Schul- ter legend.) Armer Herr Gerhard! (sie von sich stoßend.) Weg! Ich mag Euer Mitleid nicht. (sanft.) Ich bin Justine. Ihr seyd alle falsch. Ihr steht mir alle nach dem Leben. Auf allen Ge- Die Erbschleicher. sichtern les’ ich nichts, als den Wunsch: geh ins Grab! Fassen Sie sich! (außer sich.) Warum nahm ich nicht ein Weib in meiner Jugend? Oder warum war ich nicht gewissenlos, wie Andere? — O, daß irgend ein Ungluͤcklicher mir das Leben zu danken haͤtte! — Als Sohn wollt’ ich ihn umarmen, und wenn die verworfenste Dirne seine Mutter waͤre! und wenn ich ihn von der Galeere loͤsen muͤßte! (Sinkt erschöpft zurück.) (mit steigender Wärme und Rührung.) Lieber, bester Herr! Lassen Sie sich die Schmaͤ- hungen eines aufgebrachten Weibes nicht zu tief verwunden! Die Verzweiflung sprach aus ihr. — Geben Sie mildern Eindruͤcken Raum! Oeffnen Sie Ihr Herz dem Redlichen! Gießen Sie Wohlthaten uͤber den aus, der sie verdient! Ge- nießen Sie so Ihrer Guͤter! Dankbarkeit ist noch nicht ausgestorben. Die Gluͤcklichen, die es durch Sie geworden sind, werden Ihnen die Buͤrde des Alters tragen helfen, werden Ih- rer wankenden Gesundheit mit unermuͤdeter Sorgfalt pflegen, und mit treuen Haͤnden einst ihr muͤdes Haupt stuͤtzen, wann Sie Die Erbschleicher. im Bewußtseyn guter Handlungen einschlum- mern. Ach, daß ich schon tief — tief unten laͤge! Siebenzehnter Auftritt. Bieder. Vorige . (im Eintreten.) Ergebenster Diener, lieber Herr Gerhard! (eilt ihm entgegen.) Herr Bieder! Der Ihrige, Mamsell Justinchen! Seyn Sie uns tausendmal willkom- men! (Reicht ihm die Hand.) (ihr die Hand drückend, lächelnd.) Weil ich Geld bringe? (Zu Gerharden, der ihn grüßt, ohne aufzustehen.) Sie nehmens doch nicht uͤbel, daß ich vor der Zeit komme? Es war mir just so viel von Fruͤchten und Wolle eingegangen, und ein guter Wirth laͤßt baar Geld nicht gern muͤßig liegen. Auf dem Lande vollends! — Darf ichs aufzaͤhlen? Einen Stuhl! — Nehmen Sie Platz, Herr Pfarrer! Bieder Die Erbschleicher. (nimmt Justinen den Stuhl ab, setzt sich an den Tisch und zählt Geld auf.) Ihr Geld gedeiht. Ich werde mehr anklopfen. Die arm Land- wirthe, denen ich damit unter die Arme gegriffen habe, sind nicht weniger gluͤcklich gewesen, als ich. Das unsichtbare Gute, das unser Einer stiften kann, ist so mißlich, daß ich mich gern an das Sichtbare halte. Ich fuͤhre meine Bauern vor allen Dingen zur Arbeit an. Dem nuͤtzli- chen Weltbuͤrger, denk’ ich, wird der Himmel das Buͤrgerrecht auch nicht versagen. — Belie- ben Sie nachzuzaͤhlen! Ich will Ihre Verschreibung su- chen. Achtzehnter Auftritt. Bieder. Justine . (aufstehend.) Herr Gerhard koͤmmt mir ganz verstoͤrt vor — Und Sie, Justinchen, ha- ben rothe Augen! Es ist nichts — ein haͤuslicher Verdruß. O Die Erbschleicher. Familiensachen? Ihnen kann ichs wohl ver- trauen - - - Ich wills nicht wissen, durchaus nicht. — Wir haben von Dingen zu reden, die mich naͤher angehen. Ich komme die Antwort auf meinen Brief zu holen. Angefangen ist sie — aber, lieber Bieder! Ich kann den alten Vetter nicht verlas- sen. Mein seeliges Weib verließ Aeltern und Großaͤltern, um mir zu folgen. Zweifeln Sie nicht an meinem Herzen! — Aber Sie kennen seine Lage — thun Sie selbst den Ausspruch! Ich bin die Gegenparthey. Waͤr ich ein Fremder, ich wuͤrde sagen, daß Herr Ger- hard reich genug ist, um sich Wartung und Pfle- ge zu verschaffen. Was sind alle Dienstleistungen von Miethlingen gegen die Treue einer Verwandten, die ihn liebt? Hat er nicht Ihren Bruder? Mein armer Bruder! — Er steht Die Erbschleicher. im Begriff Alles zu verlieren! Lassen Sie ihm wenigstens seine Schwester! (bedenklich.) Justinchen! Sie argwoͤhnen doch nicht —? Ich argwoͤhne nichts. Ich finde den Lauf der Dinge ganz natuͤrlich. Als wir uns kennen lernten, waren unsere Aussichten ein- ander gleich. Die Ihrigen haben sich seitdem veraͤndert. Es waͤre Unbilligkeit von mir, auf die Erfuͤllung eines Versprechens zu dringen, das Sie unter so verschiedenen Umstaͤnden thaten. Und von Ihnen waͤr’ es vielleicht Thorheit, sich in die Einsiedeley eines Landpriesters einzusperren, da Sie einst in der großen Welt glaͤnzen koͤnnen. (betreten.) Versteh’ ich Sie recht? Was Sie, edles Maͤdchen, mir seyn koͤnnten — werd’ ich nie wieder finden. Sie wuͤrden meine Huͤtte zum Paradiese machen. Aber — ich muß dem Himmel vertrauen, und Erge- bung und Vergessenheit lernen. (innig gerührt.) Nein, Bieder, wenn Sie so denken — (Lebhaft.) Hier bin ich, und folge Ihnen wann und wohin Sie wollen. (Reicht ihm die Hand.) O 2 Die Erbschleicher. (ihre Hand an sein Herz drückend.) Vor- trefliches Maͤdchen! Darf ichs glauben? Bitten Sie den Vetter um meine Entlassung! Neunzehnter Auftritt. Benedikt. Vorige . (im Eintreten vor sich.) Da ist er ja gar selbst! (Halblaut.) Mamsellchen! (nähert sich ihm.) Nun? Sie wollen alle kommen. Es ist gut. (Gebt wieder zu Biedern und spricht heimlich mit ihm) Richtig! Der Schwarze holt sie! (Ab.) Zwanzigster Auftritt. Gerhard. Bieder. Justine. Hier ist Ihre Verschreibung! (auf den Tisch zeigend.) Und hier meine Die Erbschleicher. Schuld mit dem besten Danke. Aber Herr Ger- hard — was werden Sie von meiner Unbeschei- denheit denken? — ich habe ein neues Anliegen auf dem Herzen - - - Das Kapitaͤlchen noch laͤnger zu behalten? Wenn es weiter nichts waͤre? Brauchen Sie mehr? — Lassen Sie hoͤren, was fuͤr Sicherheit - - - (lebhaft.) O sicher soll der Schatz, den ich von Ihnen begehre, sicher und wohl soll er bey mir aufgehoben seyn, ob ich Ihnen gleich keinen Buͤrgen stellen kann, als mein Herz — (Sich schnell zu Justinen wendend.) Hier! hier! die- ses holde, vortrefliche Geschoͤpf! — Wir lieben uns, und bitten um Ihre Einwilligung. Justine! Ich habe keine Ueberredung ge- braucht. Ich habe meiner Freundinn nichts vorgespiegelt, nichts verhehlt. Die Bedenklich- keiten gegen diesen Schritt, die Ihnen vielleicht jetzt im Sinne schweben — ich habe sie ihr selbst vorgestellt. Sie will die Gehuͤlfinn meiner Sor- gen werden, sie will die kleinen Freuden, die das O 3 Die Erbschleicher. Schicksal hie und da auf meine Laufbahn gestreut hat, mit mir theilen. (gerührt zu Justinen.) Und mich ver- lassen? Herr Gerhard — Genug! — (Zu Bieder.) Sie rauben einem alten kranken Mann seine letzte Stuͤtze — aber ich will — ich darf kein Hin- derniß Eures Gluͤckes werden. — Fuͤr deine Ausstattung hast du nicht zu sorgen — zieh hin! Tausend Dank, guͤtiger Mann! Gott lohn’ es Ihnen, als unserm besten Freunde! (in Thränen.) O, wenn ich Euer Freund bin — wenn Ihr wuͤßtet, wie mir vor dieser Trennung grauet — ich habe niemanden mehr, auf den ich mein Vertrauen setzen koͤnnte — meine Kraͤfte nehmen taͤglich ab — Gott weiß, was aus mir werden wird — Laßt mich mit Euch ziehen! Nehmt mich auf in Eure Frey- statt! Herr Gerhard, das ist wohl nur hypochondrische Laune. Der heisseste Wunsch meines Her- zens! Die Erbschleicher. Kaum kann ichs glauben. Wenn ich Sie mit Thraͤnen darum bitte? Unsere Luft ist gesund, die Gegend reizend. Zur Fruͤhlingskur steht Ihnen mein Haͤuschen zu Diensten. Bis dahin leb ich nicht. Nicht so kleinmuͤthig! Sie koͤnnen mir den Muth wieder geben. Sie wissen nicht, was Sie verlan- gen. Unsre Stuben sind nicht groͤßer, als Vo- gelbauer; die Treppe — eine Huͤnerleiter; das Dach koͤnnen Sie mit der Hand erreichen. Aber unter diesem Dache wohnt der Friede! Und Genuͤgsamkeit, die mit weni- gem vorlieb nimmt. Jahr aus Jahr ein, nicht mehr als Eine Schuͤssel. Aber mit Eintracht und Freude gewuͤrzt! — Lieben Leutchen! Ich will euch kei- ne Ueberlast machen. Ich will mir alles gefal- len lassen. Und mein Kostgeld — mein Kostgeld ist mein ganzes Vermoͤgen. O 4 Die Erbschleicher. Nein, Herr! Dieser Artikel wirft den ganzen Vertrag uͤber den Haufen. Wollen Sie mir verbieten, was die Dankbarkeit von mir fodert? Es ist nichts, als eine verjaͤhrte Schuld; nichts, als ein gerin- ger Lohn fuͤr Justinens unendliche Treue. (gerührt.) Herr Gerhard! (legt die rechte Hand auf Justinens Schulter, faßt mit der andern ihre linke Hand.) Eine Fremde liebte mich, da alle die Meinigen mich verfolgten. Eine Fremde war die Einzige, die mich nie betrog. (in Thränen.) Ach, wenn Sie wuͤß- ten, wie sehr mich dieses Zeugniß demuͤthigt! Bescheidenheit ist die Krone weib- licher Tugend. (knieend.) Niemand betrog Sie so sehr, als ich! (Lehnt ihr Gesicht an ihn.) (stutzt.) Justine! — Du? — waͤr es moͤglich? — (Von der vorigen Empfindung über- rascht.) Doch ich mags nicht wissen — Du hast dich selbst bevortheilt — Steh auf! Ich verzei- he dir — ich nehme dich zur Tochter an. (Umarmt sie.) Die Erbschleicher. (an seinem Hals.) Großmuͤthiger — bester Vater! — Nein — ich verdiene diese Guͤte nicht — bey Gott! nicht. O, laß mir meinen Irrthum! Schlage meinem Herzen keine neue Wunde! — Nimm an, was ich dir so gern gebe! — (Mit ängstlicher Heftigkeit.) Nimm, ehe es mich ge- reut! (mit Feuer.) Aber mein Bruder muß sie mit mir theilen, diese Verzeihung, diese uͤber- schwengliche Guͤte! mein Bruder muß Ihr Sohn werden! (erstaunt.) Dein Bruder? wer ist das? Wollen Sie ihn sehen? Ist er hier? (eilt nach dem Kabinet) Komm her- vor, Moritz! O 5 Die Erbschleicher. Ein und zwanzigster Auftritt. Sternberg. Vorige . (versteinert.) Sternberg! Ich bin seine Schwester. Das juͤngste Kind meiner Schwe- ster Felicitas? Die ungluͤckliche Frucht ihrer thoͤ- richten Aussoͤhnung? Und die unschuldige Erbinn des Haßes, den Sie ihrem Vater geschworen hat- ten! Taͤuscht ihr mich auch nicht? Ausgeschlossen durch meine Geburt von allen Anspruͤchen auf Ihre Zaͤrtlichkeit, blieb mir kein Weg, als Sie durch List zu gewinnen. Aber der Himmel, der mich hoͤrt, wisse nichts von mir, wenn niedriger Eigennutz die Triebfeder war! (fällt Justinen um den Hals.) Justi- ne! — Ha! nun erkenn’ ich ihn, den Zug am Munde, der es mir immer unmoͤglich machte, auf dich zu zuͤrnen. — (Gen Himmel, indem er Die Erbschleicher. Justinen im Arm hält.) Schwester Felicitas? Wir sind versoͤhnt! Ich seegne deine Asche. Und verzeihen ihren Kindern? (mit einem mißtrauischen Blick auf Sternberg.) Wenn sonst nichts dahinter steckt? Zwey und zwanzigster Auftritt. Therese. Vorige . (die an der offenen Kabinetsthüre gelauscht hatte, tritt schnell hervor.) Leider steckt noch etwas dahinter — etwas, dessen Verantwortung ganz allein auf mich faͤllt. Aus Liebe zu mir, wußte Sternberg Sie dahin zu bringen, daß Sie mich ihm abtraten. Aus Liebe zu ihm, hinterging ich meine Mutter durch verstellten Gehorsam, und Sie — durch Verlaͤugnung meines Charak- ters. Ja, Herr Gerhard, ich bin Gottlob! die eitle Naͤrrinn nicht, die ich spielte. Aber ich war ein Thor, daß ich mir einbildete, die Liebe eines jungen huͤbschen Maͤdchens ließe sich erkaufen. Ich danke Ihnen, daß Sie mir die Augen geoͤffnet haben. Die Erbschleicher. Drey und zwanzigster Auftritt. Madam Anker. Vorige. (schnell aus dem Kabinette kommend.) Sie sind nachgiebiger, als ich. Ey, Frau Lieutenantinn! auch Sie hier? — Sie hoͤren wenigstens zu mei- ner Rechtfertigung — daß man mich eben so gut bey der Nase - - - Ich habe verziehen. Folgen Sie meinem Beyspiele! Es war doch auch nicht recht, daß Sie Ihr Kind - - - (einfallend.) Weils so abgelau- fen ist, muß ich wohl. — Da, Herr Stern- berg! nehmen Sie sie hin! Ein Muttertoͤchter- chen bekommen Sie nicht an ihr. Aber — das sag’ ich Ihnen vorher — ihren Kopf laͤßt sie sich nicht nehmen. Ey, wer wollte auch einer Frau den Kopf abreißen? Die Erbschleicher. Liebster, bester Vater! (Umringen und umarmen ihn.) Nennt mich nie anders? — Ich gluͤcklicher Mann! Grau wurd’ ich, ohne die Vaterfreuden zu schmecken — und nun vier Kin- der auf einmal! — Der Himmel seegn’ euch, meine Kinder! Lezter Auftritt. Weinhold, in Uniform. Vorige. (der an der Mittelthür gelauscht hat, in komisch-feyerlichem Ton.) Und bewahr’ euch vor Vettern und Muhmen! (ihm entgegen.) Sieh da! — Vetter Weinhold! In seiner wahren Gestalt. Aber seit wann sind Sie meine Muhme? (sich verneigend.) Seit dem ich Justine Sternberg heiße. Am Ende ist niemand hier im Hause, der er war! Die Erbschleicher. (zu Weinhold.) Er hat noch die Stir- ne, sich unter uns sehen zu lassen? (bleibt in der Mitte des Theaters ste- hen.) Ich habe nur ein Wort mit Vetter Stern- berg zu sprechen. (zu ihm gehend.) Mit mir? Hier ist ein Blanket, das Herr Gerhard heute einem Charlatan ausgestellt hat — (Entfaltet das Papier.) Unterzeichnet! Besie- gelt! Blanket ohne Fehl und Tadel! Ein Ande- rer haͤtte sich daraus einen Wechsel auf ihn fabri- zirt — Ich stell’ es Ihnen zu. (zu Gerhard.) Liebster Vater, die- ser Zug des jungen Mannes — verzeihn Sie auch ihm! (zu Gerhard.) Hoͤren Sie’s, Herr Vetter? — Pardon! Dort liegen hundert Louisd’ors. Streich Er sie ein! (mit ausschweifender Freude.) Ein- streichen! Wer? ich? (Geht zum Tische.) O, ihr allerliebsten Dinger! seyd ihr mein? (Indem er sie in seinen Hut einstreicht.) So reich bin ich in mei- nem Leben nicht gewesen. Jetzt kann ich alle Die Erbschleicher. meine Schulden bezahlen. Jetzt will ich auch ge- wiß ein braver Kerl werden. Sie sollen von mir hoͤren. (Umarmt Gerharden und die Uebrigen.) Dank Ihnen, großmuͤthiger Vetter! und Ihnen! und Ihnen! und Ihnen! und Ihnen! (Zu Madam Anker.) Ey, Mama, Sie muͤssen mich auch kuͤs- sen. — Muhme Ungewitter aͤrgert sich zu Tode. Pardon erhalten! und hundert Louisd’ors! und Alle gekuͤßt! Nein, Muhme Ungewitter soll sich nicht aͤrgern. Sie soll einschen, daß sie uns ver- kannt hat. Sie soll ihre Verwuͤnschung zuruͤck nehmen. Kuͤndigen Sie ihr in meinem Namen ein Jahrgeld von hundert Thalern an! Und von mir eben so viel, wenn sie sich bessert. Das ist brav. Da verdienen Sie Gottes Lohn; wo nicht an ihr, doch an ih- ren armen Jungen. Ich wills ausrichten — wills ihr lieber gleich auf ein Jahr vorschießen. — (An seine Tasche schlagend.) Hundert Louis- d’ors! Ach! wie gluͤcklich macht eine Hand voll Geld! (Eilig ab.) Die Erbschleicher. Der Thor! Ich hatte Geld in Saͤcken, und war ungluͤcklich . Das ist eine Wahrheit, die nur die Reichen predigen sollten. Im Munde eines armen Dorfpfarrers geht sie verloren. Geld macht nicht gluͤcklich. Aber weiser Ge- brauch des Geldes — aber Wohlthaͤtigkeit macht gluͤcklich . Ende .