Psychologie als Wissenschaft, neu gegründet auf Erfahrung, Metaphysik, und Mathematik. Von Johann Friedrich Herbart , Professor der Philosophie zu Königsberg . Zweyter, analytischer Theil. Königsberg , 1825. Auf Kosten des Verfassers, und in Commission bey August Wilhelm Unzer . Vorrede . M an wird sich erinnern, dass gleich im Anfange des ersten Theils von einer natürlichen Umwand- lung gewisser Begriffe gesprochen wurde, welche den Philosophen unwillkührlich begegne, wäh- rend sie dieselben bearbeiten. Mit Recht erwar- tet man im vorliegenden zweyten Bande genauere Auskunft darüber, wie die Möglichkeit solcher Umwandlung, so fern sie nicht absichtlich voll- zogen wird, in den allgemeinen psychologischen Gesetzen gegründet ist. In der That werden wir die Formen der Erfahrung, — welche bloss darum a priori in uns zu liegen scheinen, weil sie, von der Materie der Empfindung unabhängig, die Resultate der Complicationen und Verschmelzungen aus- drücken, — allmählig vor unsern Augen hervor- treten, und der Wissenschaft zu fernerer metho- discher Umarbeitung gleichsam entgegenkommen sehen. Aber ein besonderer Fall, wiewohl er nur dem Gebiete der Meinungen angehört, ver- dient schon hier, in der Vorrede, die sich na- türlich an das jetzige Publicum wendet, eine Erwähnung. * 2 Als Jakobi sich entschloss, sein berühmtes Gespräch mit Lessing bekannt zu machen: da musste er darauf gefasst seyn, dass die Leser sich in zwey Partheyen theilen würden, je nach- dem seine, oder Lessings Auctorität bey ihnen grösser, und sie selbst entweder mehr dem Den- ken, oder dem Fühlen geneigt wären. Die bey- den Partheyen haben sich gebildet; und stehn bis heute einander gegenüber. Nun muss jede neue Lehre sich gefallen lassen, bey Allen, die von ihr hören, irgend eine Befangenheit in die- sen Streit anzutreffen; und das ist hier um desto gewisser der Fall, weil die Partheyen gar wohl wissen, dass die Psychologie, deren Zu- stimmung nicht fehlen darf, wofern die von ihnen angegebenen Erkenntnissweisen als zuläng- lich betrachtet werden sollen, für sie keineswe- ges gleichgültig seyn kann. Daher so verschie- dene Lobreden auf die Vernunft; die fast klin- gen, als wäre sie ein Orakel, das man bestechen muss, damit es weissage wie man verlangt. Die Psychologie war schwach genug, logische Klas- senbegriffe der innern Ereignisse für reale See- lenvermögen zu halten; darum hofft man noch einmal auf ihre Schwäche; man spart keine Zu- dringlichkeit, sie auch noch für intellectuale An- schauungen und Ahndungen zu gewinnen, die freylich noch etwas weiter als jene von der Wahr- heit entfernt seyn würden. Was aber war der Gewinn, welchen die ge- lehrte Welt erlangte, als sie erfuhr, Lessing sey Spinozist gewesen? Dies, wenn das Gewinn heissen kann, dass der Spinozismus allgemeiner bekannt wurde. Früher war er, wie ein Gespenst, von Wenigen im Dunkeln mit Grauen gesehen worden; jetzt zeigte es sich, dass er bey hellem Mittage gewissen kirchlichen Lehrsätzen nach- folgt wie ihr Schatten. Diejenige Umwandlung der Begriffe nun, welche hiebey unwillkührlich vorgeht, könnte heutiges Tages, wo der Spino- zismus für die Religion der Aufgeklärten gilt, und wo Jeder entweder klug wie Lessing , oder doch unterrichtet wie Jakobi seyn will, ohne Bedenken ausführlich vorgetragen werden; allein um eindringlicher zu reden, verweise ich lieber auf die Geschichte. Man weiss, dass Spinoza durch Des-Cartes seine philosophische Bil- dung empfing. Wer nun die Werke des Des- Cartes lieset, der sieht, dass derselbe, nachdem er seine ersten Zweifel überwunden hat, gar bald wiederum sich den gewohnten Jugend-Eindrük- ken überlässt, und dass er ganz auf ähnliche Weise, wie die Kirche zu thun pflegt, die er- sten Religionsbegriffe entwickelt. Anfangs wird Gott als ausserweltliches Wesen vorausgesetzt. Wie könnte man anders? Den Menschen, der eignen Willen hat, und der stolz darauf ist, den eignen Sinn durchzu- setzen, weiset ja die Kirche hin zu Gott; sie sucht dabey durch die stärksten Motive auf den Willen zu wirken; also ist sie weit entfernt, zu glauben, dieser Wille, so roh wie sie ihn an- trifft, sey schon ein göttliches Leben im Men- schen. Um aber den Sünder zu demüthigen, um den Gläubigen zu stärken, ist ihr kein Aus- druck zu hoch, kein Geheimniss zu wunderbar; einzig beschäfftigt mit ihrem Zwecke, bemerkt sie nicht, dass es für sie eine Gefahr der Ueber- treibung giebt. Und doch, wie leicht wäre es, einen überspannten Theismus aufzustellen, aus welchem sich geradezu ergäbe: eine solche Sin- nenwelt, wie die unsrige, mit ihrer Zeitlichkeit, Vergänglichkeit, Schwäche, mit ihrem unsichern, von Manchen ganz abgeleugneten Fortschritte zum Bessern, — der, wenn er auch geschieht, doch nur allmählig, vielfach unterbrochen, mit steter Gefahr der Rückfälle, zu Stande kommt, und niemals vollbracht wird, — könne gar nicht existiren; dürfe nicht einmal in der Erscheinung vorkommen. Denn die Allmacht und Weisheit, ganz abgewendet vom Todten und vom Schlech- ten, schaffe nur vollkommen reine Geister; auch diesen aber lasse sie nichts übrig zu thun; in- dem sie nichts Fehlendes dulde, vielmehr alles selbst vollbringe, damit es richtig vollbracht werde. — Ein solcher Theismus ist consequent! Aber wachend kann man ihn nicht vesthalten; denn es ist das Wesen des Wachens, dass man empfänglich sey für die Erfahrung; die ihn wi- derlegt. Eben so leicht nun kann es geschehen, dass man die Schöpfung und Erhaltung der Welt so stark sublimire, bis die Welt sich von ihrem Urheber nicht mehr sondern lässt. Sind die Dinge nichts ohne ihn, so verliert in Hinsicht ihrer, (wie Des-Cartes bemerkte) das Wort Substanz seinen wahren Sinn. Man braucht alsdann nur noch, mit Spinoza , denselben Ge- danken anders auszusprechen : so ist Gott die einzige Substanz. Folglich sind die Dinge nur eine Form seines Daseyns; und aus der Weltschöpfung wird eine blosse Umwandlung des einzig wahren Seyns. Dahin ging ganz und gar nicht die Absicht der Lehre; aber das findet in ihr unwillkührlich die erste Reflexion, die sich auf sie richtet! Noch ohne Rücksicht auf den Streit, der sich hier erhebt, und, achtlos auf fremdes Ei- genthum, auch über die Fluren der Psychologie sich fortwälzt, kann man nicht umhin zu be- dauern, dass sich das wahre Verhältniss der Kirche zur Religions-Philosophie so sehr ver- schoben hat. Was wollte denn eigentlich die Kirche? Gewiss wollte sie mehr ermahnen, als lehren; wenigstens wollte sie einen sehr allge- meinen Unterricht für Jedermann ertheilen, um die Menschen in der Gesinnung zu vereinigen, wenn sie auch im Denken von einander abgin- gen. Hier nun befindet sie sich in dem Falle des Redners; der den Affect, welchen er aufre- gen will, zwar allerdings selbst empfinden muss, doch aber sich von ihm nicht darf überwältigen und fortreissen lassen, sondern vor allen Dingen für die Aufrechthaltung seiner eigenen Beson- nenheit zu sorgen hat. Diese Besonnenheit, die- ser Verstand der Kirche sollte die Religionsphi- losophie seyn. Sie ist es aber freylich nicht, wenn sie das Alles, was die Kirche in ihrer Be- geisterung geredet hat, buchstäblich vesthält, statt es auf seine ursprüngliche Absicht und Mei- nung zurückzuführen. — Schon Platon wusste das Princip der Endlichkeit, dessen auch der reinste Theismus nicht enthehren kann, wenn er für diese Erde taugen will, — so zu fassen, dass dadurch keine andern, keine engeren Schran- ken, als nur diejenigen, welche das sichtbare Universum nun einmal unwiderleglich darthut, herbeygeführt wurden; er hielt die Dinge, (wie man gegen Spinoza durchaus thun muss,) dem Seyn nach ausser Gott; und doch in Hinsicht dessen, was sie sind, wenigstens was sie für uns sind, bedeuten, und werth sind, — un- terwarf er sie der Vorsehung. So war der Pan- theismus, dieser gefährliche Feind, den die Kirche unvermerkt in ihrem eignen Schoosse hervor- bringt und ernährt, vermieden. Nun wird zwar wohl die Kirche niemals die Sprache des Pla- ton reden; sie kennt aus der Geschichte die Misdeutungen, welche daraus entstehn können. Aber wenn einmal nicht gefragt wird, was man in Reden, die sich an Viele wenden, sagen solle, sondern was die Denkenden denken werden, dann findet es sich, dass die Lehre des Platon besser ist, während die des Spinoza besser klingt. Und dieses findet sich um desto gewis- ser, da die Kirche nicht bloss dem Pantheismus abgeneigt ist, welcher das Princip der Endlich- keit in Gott hineinversetzt, sondern auch, und zwar nicht minder, demjenigen überspannten Theismus, der, um jenes für lästig gehaltene Princip zu verflüchtigen, oder vielmehr zu igno- riren, (denn das Verflüchtigen gelingt nicht,) sich von der Erfahrung absichtlich hinwegwen- det, und in allerley Formen sich durch eine vorgeschützte Unwissenheit zu helfen sucht. Kann die Kirche eine solche Hülfe annehmen? Sie will ja leben und wirken in unserer Welt! Sie weiss sehr gut, dass sie auf dem irdischen Bo- den steht; ja noch mehr, sie hat eine alte, noch jetzt nicht ganz erloschene Neigung, das Princip der Endlichkeit sogar zu idealisiren und zu per- sonificiren. Daher die Hölle und der Teufel. Der Magnetismus im menschlichen Geiste — kein neues, magisches, sondern ein natürliches und wirksames Princip, nämlich das bekannte Streben nach Effect, welches nicht eher ruht, als bis die Gegensätze zu ihrem Maximum ge- steigert sind, — macht sich überall Pole, auch wo man keine sieht; wie hätte er den Gegenpol des Himmels weglassen können? Platons Lehre nun ist nichts als die äusserste Milderung dieser Polarität. Hingegen der freye Abfall der bösen Geister, (eine förmliche Rebellion im Reiche Gottes,) ist deren schärfste und härteste Spitze; nicht bloss Gegensatz, sondern Trotz wider den Allerhöchsten! Gewiss ein poetischer Trotz! Aber consequent ist dessen Zulassung für den Begriff des heiligsten Wesens eben so wenig, als der Pantheismus; vielmehr muss man eingestehen, dass die Langmuth gegen den Fürsten der Fin- sterniss, um das Gelindeste zu sagen, die unbe- greiflichste aller göttlichen Eigenschaften, das geheimste der Geheimnisse seyn würde. Wir blicken jetzt zurück auf jene streiten- den Partheyen, und überlegen, welches Schick- sal sie wohl der Philosophie bereiten mögen? Jede von beyden will siegen; aber schon der erste Anfang des Streits konnte zeigen, dass die Burg des Pantheismus eben so vergeblich bela- gert als vertheidigt wurde. Vergebens schmei- chelt man sich, die Schellingi sche Schule werde allmählig verstummen; denn lange vor Schelling , und unabhängig von Lessing , ha- ben sehr ausgezeichnete Köpfe das vergötterte Weltall des Spinoza für den erhabensten Ge- danken gehalten, dessen die menschliche Ver- nunft mächtig werden könne. Für die blosse Contemplation ist Gott ohne Welt ein völliges Dunkel; sie will Etwas erblicken; sie will Vieles umfassen; sie will Alles vereinigen. Sie sucht für die schon anderwärts erworbenen Kenntnisse einen Ruhepunct des Wissens. Sie verlangt auch eine Art von Gefühlsphilosophie; aber das Gefühl der blossen Betrachtung will sich nicht vermengen mit den andern, dem menschlichen Leben entsprossenen Gefühlen, denen die Vor- sehung Bedürfniss und Linderung ist. Den- noch lassen auch diese Gefühle sich nicht hin- wegschaffen; das Leben erzeugt sie jeden Au- genblick von neuem. Daher wird der Streit fortdauern; und die Philosophie wird in diesem Falle schwach bleiben durch innern Krieg! Oder wollen wir annehmen, eine von beyden Partheyen besönne sich auf ihr eigenes Unrecht, und ginge freywillig über zu der andern? Vielleicht füh- len die in der Burg, dass sie Unrecht haben; dass sie engherzig einem lediglich contemplati- ven Wohlbehagen sich hingaben; vielleicht er- weitert sich ihr Gemüth, und sie lassen nun das wärmere Gefühl gelten für das wahre. Was wird daraus entstehn? Man verbannt die Klar- heit der Reflexion, unterjocht den kalten Ver- stand; es giebt alsdann nur positive Auctoritä- ten im geistigen Gebiete; man glaubt und ahn- det, weil man glauben und ahnden will. Die Philosophie wird in diesem zweyten Falle un- vermeidlich eine alte Geschichte, eine veraltete Sitte. Redekünste treten an ihre Stelle; man disputirt höchstens noch zum Schein; der klügste Redner überlistet den, welcher sich weniger auf die Kunst versteht, den Geist durchs Gemüth zu beherrschen. Oder endlich, setzen wir den dritten Fall, dass die Belagerer der Burg frey- willig die Hand zum Frieden bieten, weil sie einsehn , dass sie, für ihre Personen, Unrecht haben zu streiten, während ihre innersten Ge- danken, bey aufrichtiger Entwickelung, dem Pantheismus zustreben. Dann wird in der Burg ein Versöhnungsfest gefeyert werden, wobey der gefährlichste Feind vergessen ist; nämlich der Boden selbst, auf welchem die Burg erbauet wurde. Dieser Boden ist vulkanischer Natur. Auch der Pantheismus hat seine innere Gährung, seine nothwendige Umwandlung; er ist nicht das Palladium des Wissens. Denn ein Urwesen, das sich ohne Noth und Zweck aus einer Form in die andere wirft, ist ein ungereimtes Ding; es existirt nicht; es kann nicht einmal gedacht werden. Da jedoch die nothwendigsten Um- wandlungen der Begriffe oft gerade diejenigen sind, welche die menschliche Trägheit am spä- testen vollzieht: so wollen wir uns für jetzt den Pantheismus als Sieger denken, und nur fragen, was alsdann die Philosophie zu erwarten habe? Was anderes werden die Sieger thun, als ihre Ansicht überall anbringen, durchführen, die ganze Natur derselben unterwerfen, und in den Meta- morphosen der Dinge, wovon uns ohnehin die Erfahrung belehrt, lauter offenbare Bestätigun- gen ihrer Lehre erblicken? Aber die Lehre wird alsdann den Punct erreicht haben, wo sie, gleich Fichtes Staate, sich selbst überflüssig macht und aufhebt. Denn um die Dinge so veränder- lich, und in der Veränderung dennoch behar- rend, zu sehen, wie sie sich wirklich den Sinnen darstellen, dazu braucht man keine Lehre; das blosse Auge verbunden mit witzigen Combina- tionen, die sich von selbst darbieten, sieht davon genug für Den, welchem so etwas genügen kann. Also auch in diesem Falle ist es mit der Philo- sophie zu Ende; denn ihr Werk ist abgethan, und man kann sie weiter nicht gebrauchen. Wer wird sich verhehlen, dass alle drey Fälle schon längst wirklich neben einander statt finden, weil ihre Voraussetzungen theilweise zu- gleich erfüllt wurden? Schon während man noch stritt, hatte man zugleich den Empirismus und der Schwärmerey Thür und Thor geöffnet; man hatte nach allen Seiten hin Blössen gegeben. Jetzt wird die philosophirende Symbolik von den Philologen, das Naturrecht von den Rechts- historikern, die Naturgeschichte Gottes So nannte der treffliche Krause (früher in Königs- berg, dann in Weimar, wo er starb,) die Schellings che Re- ligionslehre. von den Supernaturalisten, die Naturphilosophie von den Physikern zurückgewiesen und überflügelt! Es fehlte nur noch, dass eine philosophische Schule selbst auf den Einfall kam, alles Denken sey blosse Wiederhohlung des unmittelbaren Wissens, und könne die Erkenntniss nicht im Geringsten erweitern; auch diese Behauptung, die bloss die Frage übrig lässt, warum denn nicht Alles sich von jeher von selbst ver- stand ? wird jetzt laut gepredigt! — Das ist die Geistesnahrung, wovon das Publicum lebt, wel- chem nunmehr dieses Buch muss übergeben werden! Und zwar in einem Zeitpuncte, wo es an allen Orten Psychologien und Anthropolo- gien geregnet hat. Dass die Schulen ihren alten Irrthum in allerley Formen giessen, und ihm unter andern, zur Abwechselung, einmal solche Namen geben, die von der Seele, und vom Menschen, herge- nommen sind, dies ist eine gleichgültige Sache. Daher ist nicht nöthig, hier einzelne Beyspiele anzuführen. Wiewohl, was könnte mich hin- dern, ein paar Bücher, die mit jenen Titeln ver- sehen sind, näher zu bezeichnen, worin die Un- kenntniss des geistigen Thuns und Wesens sich versteckt hinter transscendentalen Kosmogonien, und hinter Hypothesen über den Kern der Erde? Und ein drittes, worin die Psychologie verbo- gen ist durch den Zweck, sie einem längst fer- tigen Systeme, dessen Vorurtheile sollten beybe- halten werden, als Grundlage unterzuschieben? Und ein viertes, dessen Verfasser sich mit sei- nem Recensenten in der unvermeidlichen Am- phibolie der transscendentalen Freyheitslehre her- umdreht, vermöge welcher in einem Augenblicke der freye und der gute Wille identisch gesetzt werden, im nächsten aber, wann man das Böse erklären will, die Freyheit sich in ein völlig ge- setzloses Vermögen verwandelt, welchem zwar die Vernunft ein Gesetz vorhält, aber dergestalt, dass der Erfolg rein zufällig bleibt. Und ein fünftes, sechstes, siebentes, deren Verfasser zwar mit Recht auf die Seite durchgängiger Naturord- nung treten, aber keinen Begriff haben von gei- stiger Natur, nichts kennen als Materie, und selbst diese verkennen; daher sie um so mehr den Geist verletzen und beleidigen. Und ein achtes, worin mein Lehrbuch der Psychologie nachgeahmt und entstellt, aber nicht angeführt wird. Und ein neuntes, zehntes, und wer weiss wie viele sonst, worin die Abtheilung der See- lenvermögen (die freylich Niemandem genügen kann) zwar verändert wird, aber mit erkünstel- ten Theilungsgründen; und mit Beybehaltung der Meinung, Alles komme auf innere Wahr- nehmung an , — als hätten wir heute einen schärfern innern Sinn, wie Kant oder Locke ! Den guten Willen aller dieser Schriftsteller be- zweifle ich nicht; wenn aber dereinst ein Ce- schichtschreiber ein hartes Urtheil fällt, und etwa von ihnen sagt: sie wussten, dass die Psy- chologie schwach war; darum gingen sie statt behutsamer, desto dreister mit ihr um , dann fragt es sich, ob ihre Werke sie vertheidigen können, worin das Schwerste und Wichtigste leicht genommen ist? Das einzige Bedeutende, was der Psycholo- gie neuerlich begegnet ist, besteht in jenen vor- erwähnten, ihr zugemutheten Anschauungen, Offenbarungen, Ahndungen, die jede Parthey nach ihrer Art näher bestimmt, um ihre Reli- gionsansichten dadurch zu sichern. Diese Zumu- thungen sind für jede nüchterne, wenn auch nur empirische Psychologie, so durchaus unerträglich, dass man hoffen kann, sie werden nützlich seyn durch Hervorrufung einer kräftigen Reaction Dass überhaupt die Psychologie, so sehr sie auch durch das von ihr ausgehende Licht alle andern, zur Metaphysik im . Man glaube nicht, dass die Kirche sie dagegen beschützen werde! Ihr sind die Vernunftoffenba- rungen oft genug angeboten worden; sie kennt deren wandelbare Natur, und empfindet sehr stark das Bedürfniss der Vestigkeit in diesen ohnehin wandelbaren Zeiten. Man glaube eben so wenig, dass der innere, selbstständige Werth der Gefühle, aus welchen jene Zumuthungen hervorgehn, ihnen Nachdruck geben werde. Denn dieser Werth wird gar nicht angefochten, viel- mehr sehr gern anerkannt; aber geleugnet wird, dass er der Werth eines Beweises sey. Sehr gut gemeint, sehr schön empfunden ist Manches, was gleichwohl nur einen poetischen, keinen wissenschaftlichen Werth besitzt. Sehr tiefe Ge- fühle kann ein Individuum in sich erzeugen, ohne dass darum die Lehre vom Gefühlvermö- gen, oder gar die vom Anschauen und Erken- nen nur den geringsten Zusatz bekäme. Die subjective, individuale Natur der Gefühle, ihr inniger Zusammenhang mit der Zeitgeschichte, und mit den Partheyungen, die sie herbeyführt, ist eben so bekannt, als die eigenthümliche Weich- heit derjenigen Charaktere, die sich darin gefal- len, Gefühle zu Grundlagen ihrer Ueberzeugung zu machen. Der Leser weiss übrigens schon aus dem ersten Theile dieses Werks, dass es viel zu alt weitesten Sinne gehörigen Untersuchungen erleichtert, doch nicht die Stelle derselben vertreten kann: dies wird der Leser vielfältig wahrzunehmen Gelegenheit haben. Ganz umsonst sucht man in Lehren über Sinn, Verstand und Vernunft, den Ersatz für das, was man anderwärts versäumte und verdarb. ist, viel zu lange im Pulte gelegen hat, um die Absicht einer Reaction gegen die heutige Zeit in sich zu tragen. Der Schluss dieses Buchs wurde im Jahre 1814 geschrieben. Seitdem sind all- mählig manche Zusätze gemacht worden; so dass ein kritischer Geist, wie sie heute sind, wohl auf den Einfall kommen könnte, verschiedene Federn nachzuweisen, die daran geschrieben und interpolirt hätten. Wohl nicht sicherer, als eine solche Kritik, ist das Vorgefühl des Verfassers, dieses Buch werde nach einem oder ein paar Jahrzehenden anfangen zu wirken, wann die Umwandlung dessen was jetzt die Köpfe trübt, soweit wird vorgeschritten seyn, dass die Natur der Sache einen und den andern von selbst auf die Bahn hinleiten kann, die man hier zuerst betreten, und soweit es gelingen wollte, verfolgt sieht. So späte Ereignisse können den Verfas- ser für seine Person wenig interessiren. Nichts desto weniger hegt er den Wunsch, dass die seltenen Menschen, welche im Stande sind, sich von den Einflüssen des Zeitalters frey zu erhal- ten, die zuvor beschriebene Lage der Philoso- phie, — worin sie durch Diejenigen, die ihre Pfleger seyn wollten, nun einmal ist versetzt worden, — vest ins Auge fassen, und wohl be- herzigen mögen; denn ihre Pflichten sind um desto grösser, je schwerer ihnen die Erfüllung derselben von allen Seiten gemacht wird! Sie sollen bedenken, dass jedes System, je weniger es von der nothwendigen Umwandlung der Be- griffe erkennt, desto weniger dieselben leiten kann, und desto sicherer von ihr ergriffen und fortgerissen wird. Sie sollen ferner bedenken, dass dass ein Publicum, welches die Nothwendigkeit solcher Umwandlung nicht einsieht, gerade des- halb die wechselnden Systeme für bloss spie- lende Erscheinungen hält. Sie sollen durch die Geschichte belehrt seyn, dass der Faden dieser Umwandlungen Gefahr läuft, vor der Zeit sei- ner Abwickelung zerrissen zu werden, sobald ein öffentlicher Unglaube an Systeme als solche, dahin strebt, dieselben im Entstehen zu vernich- ten. Griechenland verlor den Faden, als seine besten Köpfe Skeptiker wurden; sie wurden es aber, als die Anregung, welche die Natur dem Denken giebt, überwogen wurde von dem Ab- schreckenden, welches der Streit der Lehrmei- nungen mit sich bringt. Deutschland steht jetzt auf demselben Puncte! Und die Fluth der Jour- nale, welche den Tag beherrschen, weil es für die Jahrzehende keine sichere Herrschaft mehr giebt, steigert bey uns das Uebel noch weit hö- her. — Die Philosophie gilt in solchen Zeiten für einen geistigen Luxus; und es finden sich Menschen genug, deren rasche Federn sich zu Dienerinnen dieses Luxus herabwürdigen. Diese geben der Philosophie den letzten Stoss. Sie werden sie auch bey uns vernichten, wenn nicht der reinste Wille, verbunden mit ächter specu- lativer Kraft, sich entgegenstemmt, und in dem- selben Geiste fortarbeitet, welcher die grossen Denker der Vorzeit getrieben hat. Ganze Jahrhunderte können philosophiren, und mit allem Fleiss und Eifer sich streiten und Schulen bilden, ohne dass darum die Philoso- phie selbst (die nur Eine ist, soviel auch von Philosophieen in der Mehrzahl geplaudert II. ** wird,) nur einen Schritt weiter käme. Hätte der ächte Tiefsinn der Eleaten sich mit dem richtigen Geschmack des Platon und der logi- schen Uebung und Gelehrsamkeit des Aristo- teles vereinigt: so würden die Griechen die wahre Philosophie gefunden haben. Statt des- sen ging nach Aristoteles die Wissenschaft stets rückwärts. Die Stoiker predigten und die Epikuräer conversirten nur, um die Skepsis zu ernähren; Arkesilaus und Carneades waren die eigentlichen Häupter ihrer Zeit; ihr Saamen wuchs auf, wie Cicero und Sextus Empiri- cus es bezeugen; die frühern richtigen Anfänge waren unwiederbringlich verloren. Die Skepsis fand endlich ihr Grab in der Schwärmerey. So verwandelt sich der bis zur Demokratie verdor- bene Staat endlich in die Tyranney; wie Pla- ton längst gelehrt hat. In diesem Spiegel mag auch die heutige Zeit sich beschauen. Das Ende des vorigen Jahrhunderts erzeugte eine hohe Fluth, welche das Schiff hätte über die Klippen tragen können; aber ungeschickte Lootsen trie- ben es aus dem Fahrwasser. Der rechte Augen- blick ist verloren gegangen. Gleichwohl besitzt dieses Zeitalter unermessliche Hülfsmittel, wie kein früheres; und der rechte Augenblick würde sogleich wieder da seyn, wenn man sich ernst- lich anstrengen wollte! Aber die Faulheit , nach Fichten das Grundlaster des Menschen, lässt es dahin nicht kommen. Deutschland ist nur für positive Gelehrsamkeit regelmässig flei- ssig; für eigentliche Kunst oder Wissenschaft hat es Anwandlungen, welche kommen und wie- der gehn. Hätte nun bey den Griechen zu jener Zeit, da die Stoiker mit angenommenem Ernst, in der That aber nach Art der Modephilosophie aller Zeiten, ein Gemenge aus Reminiscenzen berei- teten, indem sie Weltseele und Vorsehung, Na- turphilosophie und Divination, magere Trug- schlüsse und aufgeblasene Paradoxa durchein- ander wirrten, — hätte damals Einer versuchen wollen, ein ächtes, in sich zusammenhängendes Denken zurückzuführen: welcher Weg würde ihm zu diesem Versuche offen gestanden haben? Doch wohl kaum ein anderer, als Zurückwei- sung zu den alten, zwar noch verehrten, aber doch grossentheils vergessenen, Denkern; nicht um ihre Lehrsätze (denn die waren nicht ver- loren, sie waren vielmehr das Metall, was man fortwährend umprägte, um die neuen Münzen zu verfertigen,) sondern um die Art ihres For- schens, die Antriebe ihres Strebens zu erneuern; und um eben in den Puncten durchzudringen, wo sie mitten in den Schwierigkeiten stecken geblieben waren. Damit möchte sich denn ganz natürlich die Ermahnung verknüpft haben, den Glauben an die gütige und gerechte Vorsehung lieber in seiner sokratischen Einfachheit und Natürlichkeit zu lassen, als ihn durch dialektische Künste zu ängstigen, und in Streitigkeiten zu verwickeln; das Lob des philosophischen Erfin- dungsgeistes dagegen lieber auf den Feldern des eigentlichen Wissens zu suchen, wo noch genug Arbeit zu verrichten, genug zu säen und zu ärndten sey. Was diese Andeutung sagen will: wird ohne grossen Commentar verständlich seyn. Schon ** 2 die Vorrede des ersten Theils enthielt die Bitte, der Leser wolle sich zurückversetzen in die Pe- riode, da Kant, Reinhold , und Fichte blü- heten; den gegenwärtigen zweyten Theil wird schwerlich Jemand verstehen, ohne diese Bitte zu erfüllen! Insbesondere mit Kant wird man den Verfasser so lebhaft beschäfftigt finden, als ob es noch nie Jemanden hätte einfallen kön- nen, zu behaupten, dass heut zu Tage Kants Schriften wenig mehr gelesen würden, und der jetzigen Generation nur noch obenhin bekannt seyen. Gute Beobachter wollen zwar so etwas bemerkt haben; vielleicht aber ist es noch eben Zeit, sich zu stellen, als ob man davon nichts wüsste. Fortdauernde Beschäfftigung mit den Werken eines grossen Mannes ist die Art von Ehrenbezeugung, die ihm gebührt; jede andre kann er entbehren. Sehr leicht wäre es sonst gewesen, die häufige Polemik gegen Kant , den Worten nach weit mehr zu mildern, als für nö- thig ist erachtet worden; ohne dabey der Auf- richtigkeit im mindesten Abbruch zu thun. Zum Ueberflusse sey indessen hier noch bezeugt, dass, indem der Verfasser während der letzten Ueber- arbeitung dieses Buchs die Kritik der reinen Vernunft von neuem durchlief, die Grösse des mit Recht hochberühmten Werks so deutlich, wie noch niemals zuvor, in den einfachen, wür- devollen Umrissen desselben vor ihn hintrat. Weit mehr, als der Inhalt verlieren konnte, ge- wann die Form. Und selbst die Seelenvermö- gen ertheilten nun dem Ganzen einen ähnlichen Reiz, wie durch einen Mythenkreis das darauf gebauete Epos zu erhalten pflegt. Leser, welche im Stande sind, diesen Reiz zu empfinden, wer- den das vorliegende Buch nicht darum der Ver- kleinerungssucht beschuldigen, weil es, seinem Hauptzwecke gemäss, der Vernunftkritik beynahe Schritt für Schritt auf dem Fusse folgen musste. Im Allgemeinen wird dieser zweyte Theil meiner Arbeit einer weit grössern Menge von Lesern zugänglich seyn, als der erste, dessen Metaphysik und Mathematik nur auf einen klei- nen Kreis rechnen kann. Wenn man es nicht verschmäht, durch Seiten- und Hinter-Thüren in ein Gebäude einzugehen, dessen Hauptein- gang eine etwas steile Treppe unvermeidlich for- derte: so wird man solcher Nebenthüren hier eine grosse Menge antreffen. Denn hier ist von sehr bekannten Gegenständen die Rede; und man wird die Bemühung des Verfassers nicht verkennen, durch auffallende, aus der Mitte der Erfahrung gegriffene Züge dasjenige deutlich vor Augen zu stellen, was der Analyse sollte unterworfen werden. Freylich verträgt auch die- ser Theil nicht das gedankenlose, halb träu- mende Lesen, woran Manche durch eine Un- zahl von schlechten Büchern, die nicht anders gelesen werden können, sich gewöhnt haben; wie sie durch ihre ewigen Misverständnisse ver- rathen. Aber hinweggesehen von Denen, die von philosophischen Schriften nur die äussern Umrisse sehn, und den Ton hören wollen: giebt es doch immer noch eine Menge von achtungs- werthen Männern, welche zum Verstehen so- wohl den Willen als die Kraft besitzen, und de- nen an der Sache gelegen ist! Diese nun er- suche ich, zu bedenken, dass die natürliche Ver- wickelung der psychologischen Erfahrungen durch keinen wissenschaftlichen Vortrag auf einmal kann dargestellt werden; sondern dass man sich bald unbequeme Trennungen, bald auch ein Hinüber- greifen aus einem Gegenstande in den andern muss gefallen lassen; wobey freylich bald die Sache, bald die logische Ordnung scheinen kann, verletzt zu werden. So habe ich es nicht ver- meiden können, die Lehre von den Begierden gleich Anfangs zwar zu berühren, aber sehr viel weiter nach hinten erst fortzusetzen; und dage- gen von den Gefühlen ausführlich schon in den ersten Paragraphen zu handeln. Denn jene muss- ten vorzugsweise in ihrem Gegensatze gegen die sogenannte praktische Vernunft betrachtet wer- den; hingegen bey den Gefühlen kam es haupt- sächlich darauf an, die räthselhafte Verbindung zwischen Gemüth und Vorstellungsvermögen zu erklären; und diese Erklärung hielt ich für ein so dringendes Bedürfniss, dass ich, um die in- nere Erfahrung klar genug zu vergegenwärtigen, gleich Anfangs den ganzen Gefühlszustand des Menschen zu schildern suchte, ohne mich darum zu bekümmern, ob hiebey von den Gefühlen des höher gebildeten Menschen, oder von den nie- dern gesprochen werde, die eigentlich allein in diesen Vordergrund gehören. Bey solchen Li- cenzen wird natürlich auf die Gefälligkeit des Lesers etwas gerechnet; der, wenn er die Sache aus andern Gesichtspuncten betrachten, z. B. den Zusammenhang der Begierden mit den Gefüh- len genauer verfolgen will, sich alsdann die im Vortrage getrennten Theile nach dieser seiner Absicht näher zusammenrücken muss. Das Haupt- Augenmerk des Verfassers konnte kein anderes seyn, als überall die psychologische Analyse in die Bahn der synthetischen Untersuchung zurück- zulenken; aus welcher, sobald man sie anzuwen- den weiss, die Erfahrung begreiflich wird. Der Selbstthätigkeit solcher Leser, die dem Buche von vorne herein nicht überall folgen konnten, bleibt es überlassen, sich das ganze Werk nach ihrem Bedürfnisse umzuwenden ; dergestalt, dass sie aus der Analyse auf die dazu gehörige Synthesis zurück schliessen, und aus jener sich diese, soweit sie können, verständlich machen. Dies wird ihnen grossentheils gelingen; denn man braucht weniger die Rechnung selbst, als den allgemeinen Begriff derselben, um wenig- stens von dem gröbern Theile der bisher herr- schenden Irrthümer sich zu befreyen. Hingegen vollkommenere Ausführung des Ganzen wird durchaus einen sehr gebildeten mathematischen Geist erfordern; der sich aus den synthetischen Principien mancherley mögliche Fälle zu con- struiren vermöge, um diejenigen auszuwählen, die zu gegebenen psychologischen Phänomenen passen. Der Verfasser hat sich nie für einen Mathematiker gehalten; er weiss nur zu gut, wie- viel er Andern zu thun übrig lässt. Was der Aufmerksamkeit des Lesers am meisten muss empfohlen werden, ist das Stu- dium der Lehre von den Reihenformen; auf welche, gewiss gegen die allgemeine Erwartung, beynahe die ganze Untersuchung über die soge- nannnten Kategorien zurückführt Man hätte dies gleichwohl schon längst vor der ge- ; und ohne welche selbst über Verstand und Vernunft sich nichts Deutliches sagen lässt. — Die Abhand- lung über diese vermeinten Seelenvermögen wird dem minder geübten Leser auf den ersten Blick sehr zerrissen scheinen; denn, abgesehen von den vorbereitenden Betrachtungen der Ein- leitung, findet sich ein Theil derselben im vier- ten Capitel des ersten Abschnitts, ein anderer Theil erst im dritten und vierten Capitel des zweyten Abschnitts. Allein wenn dies Unord- nung scheint, so liegt die Schuld an der bishe- rigen übeln Gewohnheit der Psychologen. Die Erklärung des gemeinen Denkens, und seiner Hauptbegriffe, ist ein durchaus verschiedener Gegenstand von der Frage nach der Möglichkeit des eigentlichen Wissens, und schon des Stre- bens nach diesem Wissen mit Gefahr eines man- nigfaltigen Irrthums. Die gewöhnlichen Lehren, welche dies und jenes vermengen, stellen den gemeinen Verstand zu hoch; den wissenschaftli- chen zu niedrig. Daraus entsteht erstlich eine zu grosse Kluft zwischen Mensch und Thier, die zwar unserm Stolze schmeichelt, aber von der Erfahrung nicht bestätigt wird; — zweytens eine ganz ungebührliche Erniedrigung des menschli- chen Wissens, dessen speculativer Aufschwung sich in eine nicht bloss lächerliche, sondern ge- radezu unmögliche Thorheit verwandeln würde, wenn nichts anderes, als ein Kategorien-Ver- stand nauern Untersuchung erwarten sollen. Denn die Sprache ver- räth die Sache. Die Worte: Substanz und Inhärenz , sind vom Raume entlehnt; und eine Logik zu liefern ohne räumliche Metaphern, wie Umfang, Inhalt , u. s. w. ist ganz unmöglich. stand und eine glaubende Vernunft dabey zum Grunde läge. Die gemeine Psychologie hat den Menschen zugleich nach Oben und nach Unten gezerrt; ihn mit eben soviel Unmuth als Ueber- muth erfüllt, die wahre Psychologie muss das doppelte Unheil dieser falschen Selbstbetrach- tung wieder gut machen. Insbesondere muss der Metaphysik, die so wenig zum Dogmatismus er- starren, als in sublimer Schwärmerey davon flie- gen darf, ein, zwar bescheidener, jedoch vester Muth zu einer regelmässigen Bewegung zurück- gegeben werden. Für den Glauben wird immer noch ein unendlich weiter Raum übrig bleiben, wohin jene Bewegung des Wissens gar nicht einmal gerichtet ist. Soll ich endlich noch einige Worte sagen über den Anstoss, den Mancher nehmen könnte, weil in der Einleitung dem Herrn v. Haller , der jetzt das allgemeine Vorurtheil wider sich hat, einige Auctorität in seiner Sphäre , der Politik, ist eingeräumt worden? Wohl eher hätte man Ursache zufrieden zu seyn, dass hier auf ein merkwürdiges psychologisches Phänomen hingewiesen wird; denn Herr v. Haller ist ein solches. Nicht eifrige Kunstliebe, nicht Fröm- meley, nicht politischer Egoismus erklärt die bekannten Schritte dieses Mannes. Das aber ist gewiss, dass die Vaterlandsliebe des Schwei- zers schwer verwundet wurde durch jene Staats- umwälzung, welche Frankreich mit Arglist und Gewalt erzwang. Und womit endete die Bitter- keit, die sich, auf gerechte Weise veranlasst, seit- dem in ihm vestsetzte? Nicht bloss damit, ihn der Römischen Kirche zuzuführen; sondern sie hat II. *** ihn dahin gebracht, sein Vaterland zu mei- den ; und selbst französisches Bürgerrecht an- zunehmen, wenn anders eine neuerlich gedruckte Notiz ganz sicher ist. — Möchten doch Dieje- nigen, die es nicht fassen können, dass der Mensch sich theoretisch widersprechende Vor- stellungsarten bildet, indem er auf nothwendige Beziehungen nicht achtet, — sich vorläufig ein- mal darin üben, die häufig vorkommenden Fälle im praktischen Leben genau zu betrachten, wo sich Einer mit offenen Augen Schicksale berei- tet, denen zu entgehen, vermöge der ursprüng- lichen Natur seiner Motive, durchaus seine grösste Sorge hätte seyn müssen. Solche Fälle wird man natürlich finden; aber nicht minder natür- lich sind jene ersteren. Die Erfahrung hat Man- ches längst gesagt, was die Theorie nur deutli- cher ausspricht. Aber wie Viele sind wohl De- ren, die mit vollem Rechte den Vorwurf ableh- nen dürften, dass sie ihre Vorurtheile mehr lie- ben, als Theorie und Erfahrung? Mag daher auch immerhin dies Buch nur für Wenige les- bar seyn; wer es darauf ankommen lässt, man solle ihm seine Vorurtheile gewaltsam entreissen, der mag sie behalten! Inhalt des zweyten Bandes. Einleitung . Zweyter, analytischer Theil . Erster Abschnitt . Vom geistigen Leben überhaupt. Erstes Capitel . Ueber die Verbindung der sogenannten drey Hauptvermögen der Seele. §. 103 — 105. Zweytes Capitel . Von den Affecten und den Leidenschaften, nebst Rückblicken auf das Vorige. §. 106 — 108. Drittes Capitel . Vom räumlichen und zeitlichen Vorstellen. §. 109 — 116. Viertes Capitel . Von den ersten Spuren des sogenannten obern Erkenntnissvermögens. §. 117 — 124. Fünftes Capitel . Von der Apperception, dem innern Sinne, und der Aufmerksamkeit. §. 125 — 128. Zweyter Abschnitt . Von der menschlichen Ausbildung insbesondere. Erstes Capitel . Von den Hülfsmitteln der Ausbildung, welche dem Menschen von Natur eigen sind; und von deren Erfol- gen, den Kategorien der innern Apperception. §. 129 — 131. Zweytes Capitel . Vom Selbstbewusstseyn. §. 132 — 138. Drittes Capitel . Von unserer Auffassung der Welt, und den da- mit verbundenen Täuschungen. §. 139 — 145. Viertes Capitel . Von der höhern Ausbildung. §. 146 — 152. Dritter Abschnitt . Von den äussern Verhältnissen des Geistes. Erstes Capitel . Von der Verbindung zwischen Leib und Seele. §. 153 — 159. Zweytes Capitel . Von denjenigen Geisteszuständen, worauf der Leib einen bemerkbaren Einfluss hat. §. 160 — 168. Schluss. Einleitung . V on der Erfahrung sind wir ausgegangen, zur Erfah- rung kehren wir zurück. Denn alle Speculation, die nicht auf einem vesten, das heisst, unbestreitbar gege- benen Grunde beruht, ist leeres Hirngespinst; und selbst als Uebung im Denken nur von zweydeutigem Werthe. Allein in der Behandlung der Erfahrung zeigt sich ein bedeutender Unterschied zwischen dem synthetischen, und dem jetzt folgenden analytischen Theile der Psychologie. So wie die mathematische Physik, wollte sie gleich Anfangs die ganze Masse der Erfahrungen, die wir über die Körperwelt besitzen, zu ihrem Gegenstande machen, — wollte sie von chemischen, elektrischen, magnetischen, Kräften, von Licht und Wärme, von tropfbaren und ela- stischen Flüssigkeiten auf einmal reden, — sich in die unheilbarste Verwirrung stürzen würde; wie sie dagegen fürs erste sich begnügt, unter allen bewegenden Kräften nur Eine, die Schwere nämlich, in Untersuchung zu neh- men: eben so haben wir aus dem unermesslichen Vorrath empirisch-psychologischer Thatsachen das einzige Factum des Selbstbewusstseyns herausgehoben, und in ihm den Stoff und die Aufforderung zu einer langen, noch jetzt nicht geendigten Arbeit gefunden. Es kommt nicht allein darauf an, die Erfahrung aufzufassen, sondern sie zu ver- arbeiten. Die Speculation muss nicht bloss Grund haben, sondern sie muss in dem Grunde kräftig wurzeln, und die Wurzel muss einen fruchtbaren Baum erzeugen. Dazu gehört Zeit; in der That mehr Zeit als die Lebensdauer II. A eines einzelnen Menschen. Mag indessen der Baum fer- ner wachsen; für mich ist es nöthig, meine Bemühungen nunmehr auf andre Weise fortzusetzen. Dem analytischen Theile der Psychologie, der sich, was die Tiefe der Untersuchung anlangt, auf den syn- thetischen verlässt, kommt es zu, sich einen Werth von anderer Art zu verschaffen, nämlich durch die Weite des Gesichtsfeldes, das er umspannt. Er muss das gei- stige Leben im Ganzen auffassen; daher gehört eigent- lich das ganze Thierreich in seine Sphäre; und es ist das erste Kennzeichen mangelhafter psychologischer Darstel- lungen, wenn man ihnen ansieht, dass sie bei Gegenstän- den, in Ansehung deren sich Menschen und Thiere gleich- artig zeigen, doch von der Beobachtung jener erstern al- ein abgezogen sind, und auf die letztern nur mit Zwang übertragen werden können. Andererseits ist freylich alle Beobachtung der Thierwelt so beschränkt, so unsicher, und besonders so innig mit physiologischen Dingen ver- webt: dass ich wenigstens für mich darauf Verzicht thue, einen positiven Gewinn aus dieser grossen Klasse von Thatsachen zu ziehen; genug wenn es mir glückt, einer natürlichen Auslegung dessen, was die Thiere uns zeigen, nicht durch übereilte Behauptungen in den Weg zu treten. Je gewisser ich nun in dieser Hinsicht eine Unvoll- ständigkeit meiner Arbeit voraussehe: desto mehr wünschte ich, nach einer andern Richtung hin die psychologische Untersuchung zu erweitern. Der Mensch ist Nichts ausser der Gesellschaft. Den völlig Einzelnen kennen wir gar nicht; wir wissen nur soviel mit Bestimmtheit, dass die Humanität ihm fehlen würde. Noch mehr: wir kennen eigentlich nur den Menschen in gebildeter Gesellschaft. Der Wilde ist uns nicht viel klärer wie das Thier. Wir hören und lesen von ihm; aber wir fangen sogleich un- willkührlich an, unser eignes Bild in ihm, als einem Spie- gel, wieder aufzusuchen. Eine schlechtere Art, zu beob- achten, kann es nun gar nicht geben; denn wenn das Wort Erschleichen irgend einen Sinn hat, so hat es diesen: in ein fremdes, gegebenes Phänomen so- gleich die alten bekannten Dinge wieder hin- einzudenken . Uebrigens, wenn wir auch diesen Feh- ler zu vermeiden stark genug wären: wie Viele von uns, die wir uns mit Psychologie beschäftigen, sind in Neu- Seeland gewesen? Wie Viele haben Gelegenheit, die Wilden in ihren Wohnsitzen zu beobachten? — Wir müssen uns begnügen, den heutigen gebildeten Menschen zum unmittelbaren Gegenstande unserer Be- trachtung zu machen. Aber diesen wenigstens müssen wir so vollständig als möglich auffassen. Er ist ein Pro- duct dessen, was wir Weltgeschichte nennen. Wir dürfen ihn nicht aus der Geschichte herausreissen. In ihm setzt sich eine geistige Production fort, de- ren Anfang nicht in ihm liegt. Anregungen, die jetzt allgemein an Jeden gelangen, der nicht etwa zu den Zi- geunern gehört, waren ursprünglich höchst seltene Er- zeugnisse der ausserordentlichsten Geister, oder auch grosser Massen von Menschen, die sich innig berührten, oder heftig zusammenstiessen. So kann es wenigstens seyn, und schon auf die blosse Möglichkeit müssen wir Rücksicht nehmen. Dieser Umstand macht, dass man sich einer richti- gen Auffassung der psychologischen Thatsachen nicht auf einmal, und auf einem geraden Wege fortgehend, sondern nur allmählig, mit abwechselnd hin und her ge- lenkten Schritten wird annähern können. Der Einzelne ist nicht vollständig aufgefasst ohne die Geschichte; aber die Geschichte entsteht rückwärts aus der Zusammenwir- kung der Einzelnen; und aus diesem Grunde sollte die Psychologie zuerst das Individuum erklären, und erst später zur Geschichte kommen. Allein wir können die Erfahrungsgegenstände nicht aus ihren einfachen Bestand- theilen zusammensetzen; und wie der Krystall zuerst seine Gestalt in einer grössern Masse offenbart, aus welcher dann auf die Grundform der kleinsten Theile geschlos- A 2 sen wird, eben so zeigen sich manche psychologische Gesetze wirklich deutlicher in den grossen Umrissen der Geschichte als bey dem einzelnen Menschen; und manche irrige Vorstellungen, deren Widerlegung nicht leicht ist, so lange sie den Einzelnen treffen, entblössen sich von selbst, wenn sie auf ein grösseres Ganzes angewendet werden. So ist z. B. das Gleichgewicht von Eu- ropa ein längst bekannter Gegenstand, obgleich die Un- tersuchung über das Gleichgewicht der Vorstellun- gen in uns , manchem neu und fremd klingen mag. Auch hat, meines Wissens, noch niemand daran gedacht, einer Familie, oder gar einem Staate, die transscen- dentale Freyheit beyzulegen; während dieser Irrthum in Ansehung des einzelnen Menschen sich unter den Philosophen des Zeitalters in Deutschland allgemein ver- breitet hat. — Wir werden daher den einzelnen Men- schen nicht bloss vollständiger auffassen, wenn wir ihn als einen Theil des Menschengeschlechts ins Auge nehmen, sondern wir werden ihn auch leichter erken- nen, wenn wir zuerst sein vergrössertes Bild im Staate beschauen. Wem wird hier nicht Platons Republik einfallen? Bekanntlich ist dies Werk eigentlich keine Staatslehre, sondern eine Untersuchung über den Begriff dessen, was Recht sey. Allein nachdem im ganzen ersten Buche, und in einem Theile des zweyten, die Schwierigkeit, das Recht zu bestimmen und in seiner unbedingten Würde darzustellen, ist erwogen worden: wendet sich Platon zum Staate wie zu einer grössern, und leichter lesbaren Abschrift dessen, was im Original für schwache Augen mit allzukleinen Buchstaben ausgedrückt sey. Es ist nun auch meine Absicht, einige Grundzüge der Politik zu benutzen, um dadurch den entsprechen- den psychologischen Gesetzen, die im ersten Theile die- ses Werkes entwickelt worden, mehr Deutlichkeit zu verschaffen; weil ich keine lichtvollere Anwendung der- selben zu finden weiss, und gleichwohl sehr viel daran gelegen ist, dass sich der Leser erst jene psychologischen Gesetze, wie sie durch Rechnung gefunden worden, ge- läufig mache, ehe ich nach Art der Vernunft-Kritiken unternehme, die Psychologie zur Aufhellung der Meta- physik zu benutzen. Dies Letztere ist mein eigentlicher Hauptzweck in dem vorliegenden zweyten Theile; jenes erstere ist nur das Mittel zum Zwecke. Daher werde ich keinesweges, dem Platon nachahmend, mich in die Staatslehre vertiefen; sondern bloss soviel aus diesem Ge- biete entlehnen, als mir zur Einleitung, und zur Vorberei- tung auf schwierigere Gegenstände nützlich seyn kann. Jedoch darf ich mich nicht so eng beschränken, dass aus der Kürze Dunkelheit entstehen könnte, die leicht zu irrigen Auslegungen Anlass geben möchte. Um Mis- deutungen zu begegnen, schicke ich zwei Bemerkungen voran. Erstlich: ich werde hier nur eine Seite der Staats- lehre in Betracht ziehn; die rein theoretische, welche viel- leicht Mancher die Kehrseite nennen möchte. Diese Einseitigkeit darf ich mir erlauben, weil ich längst die andre Seite, die der praktischen Ideen, beleuchtet habe; nämlich in meiner praktischen Philosophie; und zwar auf eine Weise, wodurch Niemand zum politischen Schwär- mer verbildet, wohl aber vielleicht hie und da Jemand vor Schwärmerey ist gehütet worden. Zweytens: um jeden Gedanken, als ob ich versteck- ter Weise auf die heutigen Staaten zielte, rein abzu- schneiden: will ich offen anzeigen, wie ich, falls dies meine Absicht wäre, zu Werke gehn würde. Alsdann nämlich wäre nach meiner Ueberzeugung zuerst von dem Umstande zu reden, dass die heutigen europäischen Na- tionen zu ihrer Sicherheit einer stehenden Kriegsmacht bedürfen. Daher würde ich den Grad der militärischen Spannung eines jeden Staates untersuchen; und hiebey unterscheiden, welche Staaten in einer solchen Spannung sich ihrer Lage nach befinden müssen, welche andre dies nicht nöthig haben, und wiederum welche zu schwach sind, um dadurch etwas Wesentliches erreichen zu kön- nen. Hieraus würde sich der natürliche innere Zustand der verschiedenen Staaten grossentheils entwickeln las- sen; besonders wenn man hinzunähme, dass zur Kriegs- macht nicht bloss Truppen, sondern auch Geld und Ver- stand gehört; und dass der Erwerb dieser drey Requisite an sehr verschiedene Bedingungen geknüpft ist. So fruchtbar nun diese Betrachtungen werden könnten, so wird man sie doch in dem Nachfolgenden nicht finden. Sie gehören nicht hieher; und ich empfinde kein Bedürf- niss, Alles zu sagen, was ich denke; am wenigsten über Dinge, die hundert Andre besser verstehn. Platon musste seiner Absicht gemäss, den Staat von der Seite der praktischen Ideen auffassen; und wirklich hat er eine der Ideen, die der Harmonie zwischen Einsicht und Wille , (die nämliche, welche ich in- nere Freyheit nenne,) trefflich entwickelt. Sein Hauptgedanke ist, dass die Einsichtsvollen re- gieren, die Starken sie unterstützen, und das Volk ge- horchen solle; so dass Jeder das Seinige thue , und sich auf seinen Beruf beschränke . Hingegen Viel- geschäftigkeit ist beym Platon soviel als Ungerech- tigkeit . Darüber ist nun die eigentliche Idee des Rechts bey ihm im Dunkeln geblieben; desgleichen die übrigen praktischen Ideen, welche alle gleichmässig ins Licht zu setzen, und gehörig zu verknüpfen, eigentlich seine Auf- gabe gewesen wäre. Jedoch, so fern er nicht den Staat in der Wirklichkeit, sondern nur die Idee desselben zeichnen wollte, (freylich ist er diesem Vorsatze nicht ganz getreu geblieben, sondern hat mit angenehmer Nach- lässigkeit sich gehen lassen,) kann man ihn nicht sowohl einseitig, als unvollständig nennen; denn die Idee der innern Freyheit ist wirklich die erste von allen; und diejenige, welche sich auf alle übrigen bezieht, um sich in ihnen zu realisiren, so fern man von Realität in der Ideenwelt über- haupt reden kann. Ueber dies Alles bitte ich meine prak- tische Philosophie nachzusehn, und gehörig zu vergleichen. Meiner jetzigen Absicht gemäss sollte ich am näch- sten mit einem andern Manne, dem bekannten Anti-Pro- testanten, Herrn von Haller , zusammentreffen; in des- sen Handbuche der allgemeinen Staatenkunde, des darauf gegründeten allgemeinen Staats- rechts, und der allgemeinen Staatsklugheit , von religiöser Schwärmerey eben so wenig als von eigentli- chem Staatsrechte, etwas zu finden ist; der aber dage- gen näher, als irgend ein andrer mir bekannter Schrift- steller, dabey war, den wirklichen Staat im Allge- meinen richtig darzustellen; ein grosses Verdienst, wenn er wenigstens dieses Ziel völlig erreicht hätte. Für ei- nen Schmeichler muss man ihn nicht halten; sein Patri- monial-Fürst soll kein Recht einer directen willkührlichen Beschatzung der Unterthanen haben, sondern in der Re- gel seine Ausgaben aus eigenem Vermögen bestreiten; die Beyhülfe der Unterthanen muss gesucht und bewil- ligt werden Handb. der Staatenk. §. 25. Auf dies Buch allein beziehn sich die nachfolgenden Bemerkungen. . Die Conscription ist nach ihm ein Ge- schenk des philosophisch genannten Jahrhunderts, des erdichteten speculativen Staatssystems, das sich für Frey- heit-bringend verkündigte, und Sclaverey gebracht hat; er will dagegen, dass die Hülfsleistung von Seiten der Unterthanen im Kriege des Fürsten nur auf moralischer Pflicht, auf eigenem Interesse, und auf besondern Dienst- verträgen beruhen soll A. a. O. §. 22. . Sein Fürst ist eigentlich ein sehr reicher Herr, an den sich die Dürftigen freywillig angeschlossen haben, so dass sie nun zu seinem Hause gehören. „ Jeder Mensch, den Glück und Um- „stände vollkommen frey machen, wird eo „ipso ein Fürst . Das aliis imperare ist, um sich nach „Art der Logiker auszudrücken, nur das genus proxi- „mum , das nemini parere der character specificus eines „Fürsten oder einer Republik. Es ist daher unrichtig, „und führt zu gefährlichen Verirrungen, beyde nur Re- „ genten und Regierungen zu heissen, und so die „Benennung nur von einem einzelnen Nebenumstande , „und nicht, wie ehemals, von dem Wesen der Sache herzunehmen Ebendaselbst §. 14. .“ Es scheint doch, dass die Fürsten und die Republiken anderer Meinung sind. Denn warum führen sie Löwen, Adler, Leoparden und andere dro- hende Zeichen in ihren Wappen, — warum ging schon bey den alten Deutschen der freye Mann stets in Waf- fen, als deshalb, weil die Unabhängigkeit behauptet seyn will durch Gewalt, und durch die Anstrengung des Herr- schens? Vollkommene Unabhängigkeit, die keiner Ge- walt bedürfte, und von der kein Theil der Kraft durch die Anstrengung des Herrschens gebunden oder ver- braucht würde, ist überirdisch, so lange es wahr bleibt, dass ein Mensch den andern fürchtet, und des andern bedarf. Schon diese Probe kann zeigen, dass auch Herr von Haller , bey allem Schelten auf die Philosophen, doch immer noch ein wenig in den Lüften schwebt, und sich noch nicht ganz auf den rauhen Boden der Erde herabgelassen hat. So gehts, wenn Einer, der über Staatsklugheit schreibt, sich vom Staatsrechte nicht los- sagen will! Das unselige Vermengen der theoretischen und der praktischen Philosophie hat von jeher beyde zu- gleich verdorben; und deshalb ist an gesetzmässige Verbindung beyder nun vollends nicht zu denken. Eine solche Unabhängigkeit und vollkommene Freyheit, wobey das Regieren und Herrschen zum Nebenum- stande herabsänke, wäre freilich eine schöne moralische Aufgabe; aber sie kann auch nur durch moralische Kräfte gelöset werden. Unter guten und gebildeten Menschen ist sie längst gelöset; gegen sie bedarf es keiner Anstren- gung des Herrschens. Jedoch an den Fragepunct, der mir hiebey im Sinne liegt, und den man in meiner Untersuchung über die Wirkungsart roher, nicht moralischer Kräfte , wie sie etwa in den Zeiten des Faustrechts waren, weiter- hin leicht erkennen wird, — hat vielleicht Herr von Hal- ler nicht einmal gedacht. Seine Aufmerksamkeit ist ei- gentlich auf einen andern, wiewohl mit jenem eng ver- bundenen Gegenstand gerichtet. Er nennt seine Fürsten und Republiken darum vollkommen unabhängig, damit ihre Gewalt ursprünglich sey, und nicht erst über- tragen . In diesem Puncte, über welchen er eifrig ge- gen die von ihm sogenannten Philosophen streitet, werde ich ihm nicht widersprechen. Vielmehr, wenn vom wirk- lichen Staate die Rede ist, bin ich völlig der Meinung, dass übertragene Macht nicht veststehn, folglich nicht Macht seyn würde. Und selbst vom Standpuncte der praktischen Philosophie aus betrachtet, kann man sagen: es ist im Allgemeinen, und hinweggesehen von Orten und Zeiten, für den Staat gleichgültig, woher die Macht stammt, wenn sie nur da ist, und richtig gebraucht wird. Der Bürger, der Unterthan, gehorcht der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat; er beurtheilt nicht das Recht des Herrschers; ihm liegt nur an der Wirkung der Herr- schaft. Und warum sollte man Herrn von Haller wi- dersprechen, wenn er behauptet: „ der Mächtigere „herrschet, sobald man seiner Macht bedarf ;“ ja wenn er sogar ausdrücklich hinzusetzt: „ Die Macht „allein giebt nur Ansehen, und noch keine „Herrschaft; zur Bewirkung der letztern muss „ein Bedürfniss hinzukommen A. a. O. §. 10. . Diese Worte sind zwar keine scharfe Bezeichnungen eines Rechts- Verhältnisses; und noch weniger genügen sie als Aussa- gen dessen, was, laut Zeugniss der Geschichte, sich zu ereignen pflegt: jedoch können sie kein Motiv abgeben, um Herrn von Haller in Hinsicht seines grossen Eiferns wider die Philosophen, Gleiches mit Gleichem zu ver- gelten. Vielmehr könnte daraus leicht ein Streit entstehn, der am Ende nicht viel mehr als Wortstreit wäre. Das bisher Angeführte zeigt ein Schwanken zwischen Staatsrecht und Staatsklugheit; es ist billig und nützlich, ein paar andre Züge bemerklich zu machen, woraus die richtige Beurtheilung des wirklichen Staats hervorgeht. Nachdem Herr von Haller den Misbrauch der Macht darein gesetzt hat, dass sie Bedürfnisse schaffe , statt sie zu befriedigen : fährt er fort: „Allein den „möglichen Misbrauch der höchsten Gewalt, d. h. derje- „nigen, die keine höhere über sich hat, durch mensch- „liche Einrichtungen hindern zu wollen, ist ein Pro- „blem, welches sich selbst widerspricht .“ Genau dieses Nämliche habe ich gleichzeitig mit Herrn von Hal- ler , und unabhängig von ihm, gelehrt, und noch etwas weiter ausgeführt In meiner praktischen Philosophie, S. 348.; wo aber der ganze Zusammenhang muss nachgesehen werden. . Ueber das bekanntlich vorgeschla- gene Mittel, die Theilung der Macht, urtheilt Herr von Haller folgendes: „Es ist unbegreiflich, wie die von „Montesquieu erdichtete Idee von einer Theilung der „Gewalten in gesetzgebende und vollziehende (und „ richterliche ) so sehr in alle Köpfe hat eindringen „können. Allein bey der Unwissenheit von den Dingen „selbst, sucht man sich mit dergleichen, bloss logi- „schen , Distinctionen, herauszuhelfen, die ohne Reali- „tät einen leeren Schein von Wissenschaft an sich tra- „gen.“ Vollkommen wahr! Die Politik befindet sich mit dieser Theilung der Gewalt genau in demselben Falle, wie die Psychologie mit ihren Seelenvermögen; sie kann die drey Gewalten nicht als eine vollständige Thei- lung deduciren; sie kann die Grenzen zwischen ihnen nicht vestsetzen; sie kann das Causalverhältniss unter denselben weder seiner Möglichkeit nach begreiflich ma- chen, noch angeben wie es seyn sollte; sie kann daher das Getrennte nicht wieder vereinigen. Sie hat bloss zerrissen , und keinesweges getheilt. Denn es ist son- nenklar, dass eine bloss gesetzgebende Macht, wenn sie nichts ausführen soll, gar keine Macht ist, weil sie gar nichts wirkt. Es ist eben so klar, dass eine bloss aus- führende Macht, ganz abhängig von der ihr entfremde- ten Gesetzgebung, nichts anders ist, wie die Armee ohne den König; diese ist bekanntlich keine Macht; und es ist viel daran gelegen, dass sie es niemals werde! Es ist wiederum klar, dass der Richter abhängt von dem, welcher ihn einsetzt, so wie von dem, welcher seinen Richterspruch vollziehen wird; ja dass er überhaupt nur durch die Duldung und den guten Willen Dessen exi- stirt, der wirklich die Macht , — die eine und untheil- bare, — in Händen hat. Auf einem Boden kann nur eine Macht seyn; das ist der evidenteste Satz der ganzen Politik. Sind ihrer mehrere, so kann man sich auf keine verlassen; ihr Streit steht bevor, oder bricht aus, vernichtet eine, oder die andre, oder beyde. Die Unbegreiflichkeit, welche Herr von Haller darin findet, dass so viele sonst gute Köpfe sich mit jener offenbaren Ungereimtheit getragen haben, lässt sich näher beleuchten; und indem ich es thue, wird der Leser meine Absicht, weswegen ich gerade hier — scheinbar am un- rechten Orte — von diesen Dingen rede, deutlich ein- sehen. Zuvörderst: der Begriff des Staats, als einer Gesell- schaft, die geschützt sey durch eine in ihr selbst lie- gende Macht , ist ein vollkommener Widerspruch. Denn die Macht kann eben so gut zerstören , als schützen. Sollte die Gesellschaft dagegen gesichert seyn, und zwar durch eine in ihr selbst liegende Macht, so wäre diese Macht, a ) nothwendig sehr viel stärker als die erste, denn sonst entstünde ein Kampf mit zwei- felhaftem Ausgange, also kein Schutz; b ) dadurch würde die vorige Macht gebunden, also unnütz, und c ) die zweyte Macht wäre nun noch gefährlicher, als die erste; und das Bedürfniss des Schutzes wäre nicht befriedigt, sondern gesteigert. Zweytens: Wenn der Staat, schon seinem Begriffe nach, unmöglich ist, so kann er nicht existiren, und hat niemals und nirgends existirt. Drittens: Hier widerspricht die Erfahrung! Es gab und giebt Staaten; wir alle leben in ihnen, und empfin- den keinesweges eine solche Furcht, wie wir nach obi- ger Entwickelung nothwendig müssten. Also viertens: Der obige widersprechende Be- griff des Staats ist kein richtiger Ausdruck des Wirklichen. Er muss sich versteckter Weise beziehen auf Merkmale, die in ihm nicht ge- dacht wurden, die ihm aber gleichwohl zukom- men und das Widersprechende in ihm auf- heben . Derjenige, welcher den ersten Theil dieses Werkes aufmerksam gelesen hat, weiss nun ohne Zweifel, was ich will. Nicht Politik zu lehren, ist meine Absicht, son- dern eine Wiederholung dessen zu veranlassen, was ich oben, in dem ganzen ersten Abschnitte des ersten Theils, gelehrt habe. Der Begriff des Staats ist nur ein neues, sehr auf- fallendes Beyspiel von solchen Begriffen, die gegeben sind in der Erfahrung, und die sich gleichwohl wider- sprechen. Dass man die Ungereimtheit dieses Begriffs, so lange er seine nothwendigen Beziehungspuncte noch nicht gewonnen hat, und durch sie ist ergänzt worden, nicht wahrnimmt, nicht eingesteht, nicht entwickelt, nicht hin- wegräumt; — dass man sich dagegen in unnütze Strei- tigkeiten verwickelt, sich in Partheien theilt: — das ist nichts als ein neues Beyspiel zu jenen metaphysischen Streitigkeiten, über das Ich , über die Substanz , über die Causalität , über das Continuum , ja selbst über das Universum . Alte Gewohnheit, und alte Gemäch- lichkeit, das ist die nächste, und allgemeinste Erklärung, nicht bloss jener Unbegreiflichkeit, wie man sich bey der bloss logischen Distinction der drey Gewalten habe be- ruhigen können, (worüber Herr von Haller klagt,) son- dern der noch viel weiter reichenden Unbegreiflichkeit, wie man, mit und ohne Logik, eine Metaphysik Jahrtausende lang hat suchen können, ohne auch nur den ersten, einzig nothwendigen Schritt zu thun, durch welchen man sich ihr hätte nähern können. Indessen findet sich doch ein sehr wichtiger Unter- schied zwischen dem Begriffe des Staats, und den me- taphysischen Begriffen. Der Staat ist ein unendlich wich- tiger praktischer Gegenstand; er ist von den grössten, rechtschaffensten, würdigsten und klügsten Männern nicht bloss besprochen, sondern auch behandelt worden; und zwar bey den verschiedensten Verfassungen, in ruhigen sowohl als in unruhigen Zeiten. Die Ansichten dieser Männer waren freylich höchst verschieden; aber wie un- zulänglich auch ihre Theorieen im Allgemeinen seyn mochten, in der Praxis konnten sie nicht dasjenige, wor- auf die ganze Möglichkeit des Staats überhaupt beruht, verfehlen; sie müssen es im Einzelnen erkannt haben, wenn sie es auch nicht mit wissenschaftlicher Genauig- keit ausgesprochen haben. Fragt man den gemeinen, verständigen Bürger, warum er nicht den Wahnwitz des Caligula, nicht die Grau- samkeit des Nero, — und überhaupt keinen orientali- schen Despotismus fürchte; so wird er antworten: „das „kommt bey uns nicht vor! Es ist nicht Sitte. Es fällt „dem Fürsten nicht ein; oder setzen wir den äussersten „Fall, es fiele ihm, wie ein böser Traum, so etwas ein, „so würde er sich dennoch enthalten, die Nation in Ver- „suchung zu führen.“ Und fragt man den grossen, vom Herrn von Hal- ler so hart angeklagten, Montesquieu, wie denn seine vertheilten Gewalten zusammen wirken sollen: so antwor- tet er in dem berühmten Capitel von der englischen Verfassung Esprit des loix, liv. XI., chap. VI. , gegen das Ende. , Ces trois puissances devroient former un repos, ou une inaction. Mais comme, par le mouve- ment nécessaire des choses, elles sont contraintes d’aller, elles seront forcées d’aller de concert . In beyden Aussagen liegt die Andeutung derjenigen psychologischen Kräfte, worauf der Begriff des Staats sich versteckter Weise bezieht; dergestalt, dass er in dem Grade realisirt wird, als in welchem Grade diese Kräfte in ihm sind und wirken. Die Beziehungs-Puncte aber sind: theils die Sitte, theils die Nothwendigkeit, dass die Geschäfte gehen, sammt der Anerkennung und Ein- sicht, dass sie gehen müssen. Diese Nothwendigkeit selbst aber ist theils eine innere, theils eine äussere. Es wird am deutlichsten seyn, wenn ich von der letztern zuerst rede. Viele Staaten können gar nicht begriffen, und ihrer Möglichkeit nach erklärt werden, wenn man nicht ihre äussern Verhältnisse zugleich mit in Betracht zieht. Von der Art war das alte republicanische Rom. In ihm war in der That die Gewalt getheilt; und eben darum erblickt man in seinem Innern während ganzer Jahrhunderte nichts als einen Staat, der in jedem Augenblick im Begriff steht, sich durch bürgerliche Unruhen aufzulösen. Man preise nur ja nicht die Verfassung des alten Roms; sie taugte gar nichts; denn sie ernährte fortwährend zwey Par- theyen, deren jede beständig auf gelegene Zeiten hoffte, um das Uebergewicht zu erlangen. Diese Partheyen wa- ren auch nicht in Ruhe, wie Montesquieu meint oder will, sondern sie regten sich, wann sie konnten; und das werden alle Partheyen zu allen Zeiten thun. Aber es gab dort eine sehr nothwendige „Bewegung der „Dinge“ ; wodurch die streitenden Kräfte „gezwungen“ wurden, ( forcées! ) eine gemeinsame Richtung zu neh- men; welches sich denn zum Theil in Sitte und Ge- wohnheit verwandelte. Rom war nämlich der allge- meine Feind aller Nachbarn. Und die glücklichen Krie- ger waren Eins in dem Stolze des Sieges, wie in der Noth vorübergehender Unfälle. Der Baum lebte, so lange er wuchs. Als der Druck, der von aussen her Alles zu- sammenhielt, nachliess, brach das Unheil los. Blutver- giessen in den Strassen Roms wurde nun Sitte. Die Im- peratoren setzten die Sitte fort, so lange sie sich fürch- teten. Die Furcht hörte späterhin auf, Ruhe trat ein, (für eine Zeitlang,) aber kein wahrer Staat. Ein solcher war auch nie vorhanden gewesen. Die erste Probe des wahren Staates ist die, dass er den Frieden ertragen könne. Will man nun die Geschichte der Staaten begreifen: so fange man vor allen Dingen damit an, die Kriege, welche sie geführt haben, abgesondert zu betrachten, und so genau als möglich die Wirkung des Druckes zu schätzen, die dadurch angezeigt wird. Man gehe weiter, und überlege die Furcht vor dem äussern Drucke, welche mitten im Frieden, mitten im grössten Glanze noch übrig bleibt. Und man wird finden, dass die meisten Staaten eigentlich gar nicht wissen, was sie seyn würden, wenn sie ganz allein stünden, ganz sich selbst überlassen wä- ren. Eben so, wie der Mensch nicht weiss, wer er seyn würde ausser aller Gesellschaft. Es steht uns nun allerdings frey, in der Idee ei- nen ganz allein stehenden Staat auszusinnen. Wollen wir uns ein speculatives Vergnügen machen, — und uns dabey vor übereilten Anwendungen auf die Wirklichkeit hüten, — so können wir auch überlegen, wie wohl eine Kraft beschaffen seyn müsste, die gegen den Misbrauch der Macht den gesuchten Schutz leistete. Eine solche Kraft müsste gar nicht von selbst activ seyn (wie die Römischen Tribunen so oft gegen den Senat wirkten,) sondern nur auf ausserordentliche Reizungen müsste sie einen Gegendruck leisten, der seiner Natur nach nicht über den vorgeschriebenen Punct hinausgehn könnte. — Hiebey fallen mir die Gesetze der Verschmelzungshülfen ein, die ich im ersten Theile beschrieben habe. Aber wenn es auch gelingen könnte, daraus die psychologische Natur der Sitte begreiflich zu machen: so ist doch der Leser noch lange nicht genug vorbereitet, um eine solche Untersuchung anzustellen. Nachdem ich über den Begriff des Staats, als einen widersprechenden, gleichwohl in der Erfahrung gegebe- nen, und in so fern auflösbaren Begriff, der durch Nachweisung seiner verborgenen Beziehungen muss er- gänzt werden, so viel gesagt habe, als zur Erinnerung an die ähnlichen metaphysischen Probleme des ersten Theils dienlich war: setze ich meinen Weg weiter fort zu den Grundsätzen der Statik und Mechanik; die es wohl noch mehr, als jene, bedürfen werden, durch eine auffallende Anwendung geläufiger gemacht zu werden, ehe ich sie für die eigentliche Psychologie benutze. A . Bruchstücke der Statik des Staats. Die im zweyten Abschnitt des ersten Theils aufge- stellten Lehren sind nicht unmittelbar aus dem Be- griff eines erkennenden Wesens abgeleitet; sie passen vielmehr auf alle innern Bestimmungen irgend welcher Gegenstände, so fern dieselben unter einander entgegen- gesetzt sind, und dergestalt zusammentreffen, dass sie nach dem Maasse ihres Gegensatzes einander hemmen, dass ihr Gehemmtes sich in ein Zurückstreben zum vo- rigen Zustande verwandle, und dass die noch ungehemm- ten Reste zu Gesammtkräften verschmelzen. Die in der Gesellschaft wirksamen Kräfte sind un- streitig ihrem Ursprunge nach psychologische Kräfte. Sie treffen zusammen, so fern sie sich darstellen durch Sprache, und durch Handlungen in der gemeinsamen Sinnenwelt. In der letztern hemmen sie einander; das ist das allgemeine Schauspiel streitender Interessen, und gesellschaftlicher Reibungen. Auch die Verschmelzung ist ohne Zweifel vorhanden; doch um diese kümmern wir uns für jetzt noch nicht. Das Zusammentreffen hängt hier von sehr verschie- denartigen Bedingungen ab, unter denen die räumliche Nähe Nähe oder Entfernung der Menschen am auffallendsten ist. So gewiss, wie das Zusammenwirken der Vorstel- lungen im Bewusstseyn, ereignet es sich niemals. Und man muss deshalb darauf gefasst seyn, die Resultate nach den Umständen mannigfaltig beschränkt zu finden. Auch der Hemmungsgrad ist hier sehr veränderlich. Und wo physische Gewalt ins Spiel kommt, da geht die Hemmung nicht bloss bis zur Unterdrückung, sondern manchmal bis zur Vernichtung der Kraft. Alles dies hat Einfluss; aber indem man sich vorbehält, denselben in Abrechnung zu bringen, kann man dennoch im Allge- meinen die Statik des Geistes auch dann zur Grundlage der Betrachtung machen, wann es darauf ankommt, das Gleichgewicht in der Gesellschaft zu bestimmen. Man lernt dadurch wenigstens beobachten, wenn sich auch sehr wenig a priori erkennen lässt; man lernt fragen; und die Erfahrung wird antworten. Wir nehmen also an, dass unter zusammenlebenden Menschen dieselben Verhältnisse eintreten, die nach dem Obigen unter Vorstellungen in Einem Bewusstseyn statt finden. Wir untersuchen die Folgen der gegenseitigen Hemmung. Diese Hypothese ist von dem bekannten bellum omnium contra omnes eben so weit entfernt, als von ih- rem Gegenstücke, dem ursprünglichen Gesellschafts-Ver- trage. Man wird die Resultate am leichtesten finden, wenn man die Menschen nicht mehr ganz einzeln ste- hend, sondern durch die natürliche Geselligkeit schon in verschiedene, grössere und kleinere Gruppen vereinigt, annimmt. Alsdann werden viele, sehr ungleiche Kräfte in Conflict gerathen. Doch eben dies findet, wiewohl nicht in dem Grade, auch schon da statt, wo leibliche und geistliche Anlagen, Vortheile und Beschwerden des verschiedenen Lebensalters, des Geschlechts, der Glücks- umstände, vorhanden sind. Das Erste nun, was dem Leser einfallen wird, sind die bekannten Schwellen des Bewusstseyns ; die II. B sich hier in Schwellen des gesellschaftlichen Einflusses verwandeln. Es leuchtet nämlich unmittel- bar ein, dass wenige stärkere , oder von Anhängern unterstützte Personen, eine wie immer grosse Zahl von schwächern , einzeln stehenden Individuen, bey nur einigermaassen starkem Conflicte aller Kräfte gegen- einander, nach den oben entwickelten Rechnungen, völ- lig unwirksam machen können und müssen. Alsdann bleibt aber zwischen den stärkern Personen oder Par- theyen ein Druck und Gegendruck, wie wenn jene Schwa- chen gar nicht vorhanden gewesen wären. Von der Thä- tigkeit eines Jeden wird ein Theil gebunden; Niemand bleibt ganz frey von der Hemmung. (Der völlig und absolut-Unabhängige des Herrn von Haller ist nirgends in der Rechnung zu finden.) Auch kann Einer, oder Eine Parthey, die ganz allein aus der Menge hervorragt, die Schwächern, wenn sie einander nahe gleich sind, niemals ganz zu Boden drücken, sondern es müssen der Mächtigern Mehrere, einander entgegenstrebende, vorhan- den seyn, wofern das Angegebene erfolgen soll. Die mathematischen Beweise dieser Sätze liegen, un- ter Voraussetzung unserer Hypothese (welche mehr oder weniger zutreffen wird) vollständig, und ohne irgend ei- ner Erläuterung zu bedürfen, in den §§. 41—56. Man muss aber die Hypothese nicht unbehutsam dem heutigen gesellschaftlichen Zustande europäischer Län- der anpassen wollen; denn von unsern ausgebildeten ge- sellschaftlichen Verknüpfungen, welche als das Gebäude über dem Grunde errichtet sind, und ihn gleichsam be- decken, und verbergen, ist hier durchaus nicht die Rede. Vielmehr ist das Vorstehende ein Hülfsmittel, um von dem Zustande solcher Zeiten einen Begriff zu erlangen, in welchen es eine Menge ganz kleiner Ortschaften und Gemeinden gab, die einander fremd waren, und für die Fremder und Feind gleich galten; — oder besser, in welchen selbst die kleinsten Gemeinden noch fehlten, und eben im Begriff waren zu entstehen. Sie entstanden aber aus der Verschmelzung nach der Hemmung. Es vereinigten sich die, welche nicht bis zur Schwelle herabgedrückt waren. Hingegen die völlig Un- terdrückten konnten an der Vereinigung keinen Theil nehmen. Und die Vereinigung unter jenen war weder eine gleiche, noch eine vollständige; sondern ihr Werth für jeden Einzelnen bestimmte sich nach den Pro- ducten aller Reste, paarweise genommen. (Vergleiche §. 63—70.) Zu diesem einfachen Grundtexte der Statik des Staats mögen nun noch einige Bemerkungen kommen. 1) Das Wort Staat bezeichnet einen vesten Stand der gegenseitigen Lage der Menschen. Die Vestigkeit ist das Gegentheil der Schwankung; der Staat ist Gleich- gewicht, im Gegensatze der Unruhe. Dass aber das Gleichgewicht niemals vollkommen, jedoch sehr bald bey- nahe eintreten könne: wissen wir aus der Mechanik des Geistes. (§. 74.) 2) Die vorausgesetzte Ungleichheit der Kräfte, ein Werk der Natur, des Glücks, der Umstände — kann auf die verschiedenste Weise angenommen werden. In den allermeisten Fällen wird sie so gross seyn, dass, wenn man successiv die stärkste Kraft, und die nächste, und so fort, hinwegdenkt, doch immer noch die Uebrig- bleibenden unter einander in ein solches Gleichgewicht treten würden, wodurch eine Menge der Schwächeren unter die Schwelle des gesellschaftlichen Einflusses fallen müsste. Man erinnere sich hiebey an solche Perioden der Geschichte, wo das Oberhaupt fiel, und mit ihm die edelsten Geschlechter untergingen. 3) Diejenigen, welche unter die Schwelle fallen, müs- sen ihrer Bedürfnisse wegen, sich aufs Bitten legen, sie werden sich zum Dienen gebrauchen lassen. Sie schlie- ssen sich also bestimmten Personen an, die auf ihre Dienste zählen. So lange nun nicht die Gemeinde (die nach der Hemmung Verschmolzenen sich ihrer annimmt, gehören sie jenen, als ihren Herrn; sie werden von den- B 2 selben als ein nutzbares Eigenthum betrachtet; und hie- gegen haben sie kein Mittel, als den Versuch, zu ent- fliehen, ohne zu wissen, wohin. So entsteht das Ver- hältniss der Freyen und Unfreyen . 4) Vermöge eines psychologischen Grundes entsteht unter denen, welche die Gemeinde bilden, eine neue Ab- theilung. Die Mitglieder derselben beobachten einander; das heisst, jeder erzeugt in sich die Vorstellungen aller Andern. Gesetzt, diese Vorstellungen seyen ihrer Stärke nach ursprünglich in demselben Verhältnisse, wie die, nach der Hemmung noch frey gebliebene, und daher noch sichtbare , Kraft der vorgestellten Personen: so beginnt nunmehr in dem Geiste eines je- den Beobachters eine neue Hemmung unter diesen Vor- stellungen. Auch hier ereignet es sich abermals, dass die Reste der Vorstellungen bey weitem ungleicher aus- fallen, als die Vorstellungen ursprünglich waren; und dass Viele unter die Schwelle des Bewusstseyns fallen, neben wenigen Hervorragenden. So scheiden sich diese We- nigen, die Angesehenen , von denen, die nicht beach- tet werden, den Gemeinen . 5) Da jedoch die Kräfte nicht wirklich so un- gleich sind als sie scheinen: so fühlt Jeder für seine Person, dass er mehr ist, als er gilt. Hingegen täuscht er sich über die, welche ihm gleich sind, er hält sie für schwächer, als er sich fühlt . Daher verschmilzt, in seinem Bewusstseyn, sein Selbstgefühl viel näher, als es der Wahrheit nach sollte, mit der Vorstellung Des- sen, der in der Gemeine das höchste Ansehn hat. Für diesen Angesehensten nun, dem Alle sich nähern, ent- steht hieraus ein neuer Vortheil; sie richten sich nach seinen Bewegungen; er ist Fürst , selbst noch ehe er es wollte. Mit ihm sind Alle mehr verschmolzen, als unter einander; sie hängen an ihm; er findet sie lenksam. Das ist die älteste, die natürliche Monarchie; keine ab- solute, denn die Lenksamkeit hat ihren bestimmten Grad, und sie kann sehr leicht durch Unbehutsamkeit verdor- ben werden; keine beschränkte, denn es giebt noch keine Gesetze. Man denke an Odysseus, oder Nestor, oder an die Häuptlinge der schottischen Clane. 6) Der Fürst steht nun in zweyen merkwürdigen Verhältnissen zu seinem Adel — denn das sind die An- gesehenen neben ihm, so fern er sie dafür erkennt, — und zu den Gemeinen. Am lenksamsten für ihn sind die Gemeinen; denn bey ihnen weicht die scheinbare Kraft am meisten ab von der wahren; ihr Selbstgefühl erhebt sie am weitesten über ihre Geltung, und nähert sie dadurch am entschiedensten dem Fürsten. Aber die Gemeinen würden in ihrer Geltung nicht so herabge- drückt seyn, und folglich der Fürst nicht so hoch über ihnen stehn, ohne den Adel. Daher sind Adel und Ge- meine auf ganz verschiedene Weise wichtig für den Fürsten. Es kann nicht fehlen, dass er dies im Laufe der Zeit wahrnehme, und dem Adel eine gewisse mitt- lere, vortheilhafteste Stellung zu geben suche. — Man vergleiche hier im §. 55. die beyden Gleichungen A und B ; welche zeigen, dass die mittlere Kraft b zwischen zweyen ziemlich nahen Gränzen liegen muss, um nicht unnöthig gross, und doch stark genug zu seyn, damit c neben a und b auf der Schwelle verharre. 7) Der natürliche Gegenstand der Besorgniss für den Fürsten sind die Ersten neben ihm; denn sie kön- nen durch die kleinste Veränderung ihm gleich werden. Das natürliche Hülfsmittel ist, dass er diejenigen, welche er am lenksamsten und am wenigsten gefährlich findet, — die Gemeinen, — nicht zu heben, aber in eine nähere Verbindung unter einander zu bringen sucht. Ruft er sie nun zusammen, giebt er ihnen gemeinsame Angele- genheiten: so verschmelzen sie weit inniger; sie werden Bürger . Man denke an die Geschichte; an das, von den Fürsten begünstigte Emporkommen der Städte. Anmerkung . Wie man dem Gebirge ansieht, es sey ehedem Meeresboden gewesen: so kann man es dem Bürger- verein ansehn, dass er sich unter einem Drucke stärkerer Kräfte gebildet hat. Die bürgerliche Gleichheit ist kein ursprüngliches Natur-Product; die natürlichen Ungleich- heiten sind nicht bloss an sich zu gross, sondern sie wachsen durch die angegebenen psychologischen Gründe in ihren Folgen immer höher; und es findet sich keine Gegenkraft, welche eine rückgängige Bewegung hervor- bringen könnte. Republiken sind nur möglich, wenn ein Druck vorhanden war, der zwar späterhin verschwunden ist, aber erst, nachdem er die Ungleichheiten zurück ge- drängt, und den Boden gleichsam geebnet hatte; also wenn der Bürgerverein bleibt, nachdem das regierende Haus entweder unterging, oder sonst irgendwie von ihm getrennt wurde. Auch muss die bürgerliche Gleichheit immer mit Absicht, mit gutem Willen oder mit Kunst, erhalten werden, oder sie hört bald auf; denn sie hat stets den inneren Widerstand zu überwinden, den die wahre, noch vorhandene oder neu entstandene Ungleich- heit der Bürger entgegensetzt, die sich ins Gleichgewicht zu setzen sucht. Darum ist das Leben in Republiken an gar manche Beschränkungen gebunden, die in Monarchien wegfallen. Man vergleiche z. B. Montesquieu im esprit des loix, liv. V., chap. 5. u. s. w. 8) Wird aber der Bürgerverein dem Fürsten zu mächtig: so ist natürlich, dass er nun auch dem Adel eine innere Verknüpfung zu geben, ihn in ein Corps zu verwandeln sucht. Es ist aber diese Verknüpfung nicht bloss die spätere, sondern auch weit weniger innig. Denn persönliches Selbstgefühl des Individuums liegt in der Natur des Adels; auch sind seine Glieder weniger zahl- reich, und der Gewinn der Verbindung nicht so gross als bey den Bürgern durch ihre Menge. Anmerkung . Wenn der Fürst beyde corpora hatte bilden helfen, und er alsdann verschwindet: so sollte die Aristokratie an seine Stelle treten. Aber aus obigem Grunde wird sie schwerlich verhindern, dass nicht neben ihr die De- mokratie sich erhebe; wie in Rom, nachdem die königli- che Macht sich durch ihren eignen Misbrauch vernichtet hatte. — Man weiss, wie viel Anstrengung sie aufbot, um sich in Venedig zu erhalten. Indessen versteht sich von selbst, dass besondere Umstände dies alles sehr stark modificiren können. Alle psychologischen Kräfte sind höchst beweglich; kommt eine fremde Kraft hinzu, so verrückt sie das Gleichgewicht wenigstens für den Au- genblick; unterdess kann sich leicht etwas ereignen. 9) Eine völlige Umänderung des Vorstehenden ent- steht oftmals durch Krieg und Eroberung. Doch muss man hier drey Fälle unterscheiden. Der Krieg wird ent- weder geführt als eine Jagd im Grossen, aus blosser Lust, das Leben zu zerstören, und den Raub zu geniessen. Oder ein Volk sucht bessere Wohnsitze, um dieselben anzubauen; sein Kriegszug ist eine Wanderung. Oder endlich, es strebt, seine Macht zu erweitern und zu be- vestigen. Der erste dieser drey Fälle gehört gar nicht hieher; denn die Wuth des Zerstörungsgeistes, wie sie sich im Orient zu zeigen pflegt, erlaubt den Kräften nicht, ins Gleichgewicht zu treten, sondern vernichtet sie; oder lässt sie höchstens so lange fortarbeiten, bis zum neuen Raube die Beute reif und beysammen ist. Weit eher können wir die andern Fälle mit den psycho- logischen Grundsätzen vergleichen. 10) Ein wanderndes Kriegsvolk hat einen gemeinsa- men Zweck; dadurch bildet es eine Gesellschaft im eigentlichen Sinne; und die Einzelnen sind hier nicht erst nach , sondern vor der Hemmung verschmolzen. (§. 67. und 71.) Wenn diese Gesellschaft sich als Gefolge oder Geleite eines Heerführers darstellt, so ist dies ei- nestheils die Wirkung des Umstandes, dass der Heer- führer den Aufwand vorläufig bestreitet, theils davon, dass die Gefahr in dem fremden Lande, welches erobert wer- den soll, zur Einheit der kriegerischen Maassregeln zwingt, mithin nur Ein Oberbefehl kann anerkannt werden. Ist aber der Zweck erreicht: dann verschwindet das Band der Gesellschaft: oder es muss von neuem geknüpft wer- den. Sind die neuen Wohnsitze gewonnen: so will Je- der bequem wohnen; der Heerführer theilt den Gewinn, die Einzelnen nehmen ihre Loose in Empfang; und die Gesellschaft würde aufgelös’t seyn, nachdem Jeder mit seinem Antheil an der Beute davon ging, — wenn man in dem neuen Lande gefahrlos wohnen könnte. Man kann es nicht, die Gesellschaft sollte also erneuert wer- den, mit verändertem Zweck, nämlich dem des Schutzes wider die besiegten Feinde. Sie erneuert sich wirklich; unter dem nämlichen Oberhaupte, dem noch stets krie- gerisch gerüsteten Heerführer; aber sie kann nicht wie- der die vorige Innigkeit der Verbindung erlangen; denn das Kriegsheer ist verändert. Wer auf seinem Loose, (dem Allodial- Gute) wohnen will, der muss sich hal- ten gegen die Feinde, mit denen er getheilt hat; dahin geht die Richtung seiner Kraft. Das Oberhaupt hat das grösste Loos, folglich die meisten Feinde, nämlich an der alten Bevölkerung; seine Spannung ist schon des- halb die grösste; überdies kommt ihm zu, für Alle zu wachen. Auf Jene, die mit ihren eignen Loosen be- schäftigt sind, kann er nicht mit Sicherheit zählen. Sein eignes Besitzthum, und seine nächsten Getreuen, müssen ihm aushelfen. Diesen Getreuen, die sich dergestalt an ihn angeschlossen haben, dass sie nicht neben ihm als Glieder der Gesellschaft zu gelten, sondern, ohne alle Hemmung , seiner Person anzugehören, und dieselbe unmittelbar zu verstärken begehren, — diesen Dienern , oder dienstwilligen Freyen , theilt er von seinem Gute mit, doch unter Bedingungen, wie es die Umstände erfordern. In diesem Kreise seiner Vasallen ist er nicht bloss Fürst , sondern Herrscher in strengem Sinne. — Die Diener ahmen nun allmählig dem Herrn nach; sie selbst werden Herren. Die Allodien weichen den Lehnen ; und gegen die zu hoch gestiegenen Lehns- träger erheben sich aus dem Schoosse der Macht, jün- gere Kinder, nämlich Ministerialen und Briefadel . Die Geschichte lehrt dies ausführlicher. 11) Bey weitem einfacher ist der dritte Fall. Hat sich der Sitz der Macht nicht verändert durch die Erobe- rung: so wird zwar der fortdauernd zu besorgende Wi- derstand die Spannung der Macht um etwas vermehren; doch bey weitem weniger als im vorigen Falle, wo Freunde und Feinde vermischt wohnten. Der Machthaber wird dadurch nur mehr Herrscher als zuvor, denn der Vor- theil der Eroberung ist für ihn. Es versteht sich, dass von so verwickelten Verhältnissen, wie wir heute kennen, nicht die Rede ist; sonst müsste überlegt werden, ob nicht manchmal die wachsende Spannung bedeutender sey als der Vortheil? 12) Die allgemeinste Wirkung des Krieges ist die, dass er grosse Staaten bildet. Denn nur durch seine heftigen Bewegungen kommen die Kräfte, welche in ent- fernten Gegenden erzeugt wurden, in Berührung. Allein obgleich nach der Hemmung allemal Verschmelzung der Reste folgt, so reicht doch dieser Begriff nicht zu, um die Verbindung weit getrennter Provinzen zu bezeichnen, die in spätern Zeiten darum noch zu Einem Staate ge- hören, weil einst der Krieg sie zusammengedrückt hat. Vielmehr passt hier, wo keine gegenseitige Hemmung statt findet, der Begriff der Complication (§. 57. u. s. f.) die jedoch theils mit der wachsenden Entfernung im um- gekehrten Verhältnisse steht, theils durch sehr viele andre Umstände veränderlich ist. In Zeiten, wo es für ein Wagestück galt, funfzig Meilen weit zu reisen, Vergl. Herrn v. Rotteck ’s Allgemeine Geschichte, Bd. 5., S. 491. 492. »In einigen Ländern waren die Fremden völlig rechtlos. Fremd aber war der Genosse desselben Staates; kam er nur aus einer andern Provinz. Als unter den schwachen Karolingern die Kü- stenbewohner Frankreichs, von den wilden Normännern gedrängt, schaarenweise ins innere Land flohen, machte man sie da zu Sklaven!« — konnte die Kraft der Complication kaum vergleichbar seyn mit der in unsern Tagen, wo nicht bloss Chausseen und Ei- senbahnen, sondern auch ein gleichartiger Unterricht, und eine durchgehends ähnliche conventionelle Bildung, den geistigen wie den leiblichen Verkehr unterhalten. Den- noch verlangt man offenbar zuviel, wenn man hofft, der Bürgersinn, wie ihn eine Stadt erzeugt, solle in einem grossen Reiche gleichmässig verbreitet seyn. Jede Stadt behält ihren Radius, in dessen Weite ihre Anziehung merklich ist. Aus den Städten sammt ihren Umgebungen, besteht jede Provinz, aus den Provinzen der Staat. Und das Oberhaupt des Staats ist vermöge der Geschäfte weit inniger mit jeder einzelnen Provinz verbunden, als diese unter einander. Im Mittelpuncte der Geschäfte aber er- zeugt sich eine ganz andre Art von Complication und von Trennung; es ist die logische, nach den verschiede- nen Verwaltungszweigen, unter den Räthen, welchen die- selben zugetheilt werden. Dies erinnert an denjenigen Theil der Politik, wel- chen ich hier zu berühren keine Veranlassung habe. Er begreift alle künstlichen, absichtlich gemachten Verhält- nisse, die ganze Wirkung der Gesetze , die aus der Reflexion, aus dem Selbstbewusstseyn des Staats hervor- gehn; sammt denjenigen Verfassungen, die sich vertrags- mässig mögen gebildet haben. Meine Absicht war, an die Hauptbegriffe der Statik des Geistes zu erinnern, ich komme jetzt zur Mechanik. B . Bruchstücke der Mechanik des Staats. Wir haben im §. 74. das allgemeine Grundgesetz gefunden, nach welchem die Hemmungssumme allmählig sinkt. Dieses heisst hier soviel als: Die Ungleichheit im Staate nimmt immer zu, so lange ein gege- benes System von Kräften, die zugleich anfin- gen ins Gleichgewicht zu treten, unverändert das nämliche bleibt . Dabey sinkt eine der schwä- chern Kräfte nach der andern zur statischen Schwelle; und so oft dies geschieht, beschleunigt sich die Bewe- gung für jede der übrigen plötzlich. Im Ganzen aber wird die Bewegung stets langsamer, und nä- hert sich ins Unendliche einer Gränze, die nie- mals vollkommen erreicht wird Ich setze Leser voraus, die Mathematik genug verstehn, um sich hier nicht an den Worten zu stossen; und die wenigstens die Reihe , , , … in infinit . zu summiren wissen. . — Es wird nicht nöthig seyn, historische Belege anzuführen. So viele Modificationen auch das Gesagte durch hinzukom- mende Umstände leidet, so bin ich doch überzeugt, dass man es ohne Mühe in der Geschichte wieder erken- nen wird. Anders verhält es sich, wofern das System der Kräfte nicht das Nämliche bleibt. Kommt zu denen, die schon nahe im Gleichgewichte waren, eine neue: so sicht man die Regel der nunmehr entstehenden Bewegung in dem Capitel von den mechanischen Schwellen . (§. 77. bis 80.) Die älteren Kräfte scheinen Anfangs grossen Verlust zu erleiden, allein sie gerathen in stärkere Span- nung; dadurch erheben sie sich wieder; und oftmals kön- nen sie, nachdem sie schon völlig unterdrückt zu seyn schienen (auf der mechanischen Schwelle waren) sich voll- kommen wieder zu ihrem alten Stande erheben, mit wirk- licher Unterdrückung der neu hinzugekommenen Kraft. Es mag der Mühe werth seyn, ein paar leichte Corolla- rien hier beyzufügen. 1) Man täuscht sich leicht, wenn man politische Kräfte schätzen will, die sich mit andern entgegengesetz- ten schon ins Gleichgewicht gesetzt hatten. Sie sind dann allemal weit stärker als sie scheinen. Man sieht nämlich nur ihre Reste nach der Hemmung; gleichsam den über der Oberfläche des Wassers hervorragenden, nicht aber den eingetauchten Theil; und doch richtet sich ihre Wirksamkeit nach ihrer ganzen Stärke, die sogar noch durch Verschmelzungshülfen (wegen Verbindung der Reste aus früherer Hemmung,) vergrössert seyn wird. 2) Man kann sich abermals täuschen, und noch leichter wie zuvor, — wenn man die erste grosse Nach- giebigkeit wahrnimmt, mit welcher sie auf den Impuls der neu hinzukommenden Kraft anfangen zu sinken. Ge- rade dann, wann sie ganz unterdrückt scheinen, haben sie ihre grösste Spannung. 3) Eine Täuschung von anderer Art würde erfolgen, wenn man die Geschwindigkeit der anfänglichen Bewe- gungen, sey es des Steigens oder des Sinkens, für gleich- förmig halten wollte. Alle psychologischen Kräfte, deren Wirkungsart nicht besonders verwickelt ist, bringen solche Veränderungen hervor, deren Lauf eine kurze Zeit lang nahe gleichförmig ist, aber sehr bald langsamer wird, wiewohl niemals völlig zum Stillstande kommt. Bevor ich weiter gehe, müssen ein paar allgemeine Bemerkungen Platz finden. Es ist der beständige Fehler der falschen Politik, Kräfte niederzudrücken, mit denen man sich besser ver- binden sollte. So macht es nicht bloss die türkische Despotie, sondern auch die hässliche Demokratie zu Athen (die weder dem Xenophon noch dem Platon gefiel,) wusste nichts besseres als ihren Ostracismus. Klüger wenigstens war Napoleon , der seine Herrschaft durch Verbindung mit allen Partheyen bevestigte; so jedoch, dass Er selbst der allgemeine Mittelpunct blieb. — Wird eine Kraft niedergebeugt, so wird sie entweder vernichtet; dann schwächt sich der Staat, denn er kann die Kräfte nicht nach Belieben schaffen, sondern nur benutzen; oder sie geräth in Spannung; dann ist ein verborgener Feind geschaffen, mit dem man irgend einmal wird strei- ten müssen. Da nun der Staat an seiner Gesammtstärke alle die, gewöhnlich sehr zahlreichen, Kräfte verliert, welche, ver- möge der Ungleichheit, unvermeidlich auf die statische Schwelle fallen, (denn seine Stärke resultirt nur aus der Verschmelzung nach der Hemmung,) was soll geschehn? Will man, dass die stärkeren Kräfte geschwächt werden, um mit den andern ins Gleichmaass zu treten? Das ist jener Berührungspunct der Extreme, des revolutionären und despotischen Geistes. Will man, dass die schwä- cheren sich stärken? Das lässt sich zum Theil bewirken, oder wenigstens veranlassen, durch Hinwegräumung von Hindernissen; aber man bekommt es niemals ganz in seine Gewalt. Die natürlichen Ungleichheiten bleiben, und wirken fort. Jedermann weiss, dass Weiber und Kinder niemals mit den Männern, Lohnknechte und Fa- brik-Arbeiter niemals mit den Herrn auf dieselbe Linie können gestellt werden; anderer Beyspiele nicht zu ge- denken; die meistens darauf hinaus laufen, dass die Ar- beit vollbracht werden muss durch Menschen die sich ihr widmen. Man kann also nur die schwächern Kräfte mit den stärkern in Verbindung setzen; man muss suchen, den Hemmungen durch die Complicationen und Verschmel- zungen zu begegnen; indem man zugleich die Hemmungs- grade (die streitenden Interessen) möglichst vermindert; und die Berührungen der zu stark und zu entschieden entgegengesetzten Kräfte zu vermeiden sich bestrebt. (Das letztere geschieht vorzüglich, indem man Jedem eine eigenthümliche Sphäre seines Wirkens anweiset; wovon die Beschützung der Rechts-Gränzen durch gute Justizpflege das bekannteste Beyspiel ist.) Dahin nun streben längst alle geordnete Staaten; aber es lässt sich nicht ganz vollbringen. Nicht Alles kann sich mit Allem compliciren und verschmelzen. Es bleibt die Entfernung durch weite Räume in grossen Staa- ten; Verschiedenheit der Gewohnheiten und Meinungen in verschiedenen Ständen, u. s. w. Also erzeugt sich, anstatt Einer allgemeinen Verbin- dung Aller mit Allen, eine Menge von kleineren Grup- pen; anstatt einer unmittelbaren Verknüpfung giebt es einen Zusammenhang durch Mittelglieder ; die Men- schen ordnen sich in Reihen und in Gewebe von Reihen ; so dass Jeder seinen Platz habe in einem klei- nen Kreise, dessen Radien jedoch weiter fortlaufen, und einen Weg zeigen, den man durch das Ganze der Ge- sellschaft verfolgen könne. Dies nun ist der Punct, den ich erreichen wollte. Der wichtigste Theil der ganzen Mechanik des Gei- stes ist die Lehre von den Vorstellungsreihen . (§. 86 bis 92. und §. 100.) Dort ist der Grund aller Ord- nung im menschlichen Geiste nachgewiesen; die An- wendung davon auf die Gesellschaft würde zeigen, wie es zugeht, dass jeder Mensch sich an einer bestimmten Stelle unter den übrigen findet, die ihm in den verschie- denen Reihen der Unterordnung und Nebenordnung zu- kommt. Wohlgeartete Bürger im wohl eingerichteten Staate halten sich selbst an dieser ihrer Stelle; sie wir- ken an ihrem Platze, sie wirken das, was sie zu thun haben, indem sie zugleich das erreichen, erwerben, ge- niessen, was dieser ihrer Stelle zukommt. Sie greifen Andern nicht vor; allein sie setzen voraus, dass die frü- hern Glieder in der Reihe, so weit sie dieselbe überse- hen können, schon gehandelt haben, und es ist in ihnen ein Streben, dass zu den nachfolgenden Gliedern die all- gemeine Thätigkeit, wozu sie ihren Beytrag geben, wei- ter fortlaufen möge. Vermöge dieses Zusammenhangs wirkt der Reiz, welcher an irgend einem Puncte in der Gesellschaft angebracht ist, dergestalt fort, dass er sich durch das Ganze verbreitet; die vorhandenen Reihen und deren Verwebungen sind die Conductoren, an denen er fortläuft. Jenes merkwürdige Weiterstreben , das wir im §. 100. gefunden haben; jenes Wirken wider sich selbst, um andern Platz zu machen , lässt sich hier, wo vom wohlgearteten Staatsbürger die Rede ist, leich- ter anschaulich machen, als dort, wo es in den Vorstel- lungen, den Gliedern der Reihen, gefunden wurde. Dem Menschen in der Gesellschaft ist zwar von Natur ein eben solches vordringendes Streben eigen, wie den Vor- stellungen; aber theils will er nicht allein vordringen, sondern in Verbindung mit Anderen, die ihm nahe stehn, — theils, was hier die Hauptsache ist, richtet sich sein Streben dergestalt auf das Gesammtwirken Aller, welche mit ihm in Verbindung stehn, dass er selbst zurücktritt, wenn an den Andern die Reihe ist, sich hervorzuthun. Man könnte in Versuchung gerathen, darin eine Aeusse- rung der Moralität zu suchen; allein dies Zurücktreten ist nichts mehr als das Pausiren des Musikers, welcher voraussetzt und will, dass die übrigen Stimmen fortfah- ren, damit das Tonstück, was ihm vorschwebt, vollstän- dig, im rechten Tacte und Vortrage, herauskomme. Weder in dem Musiker, noch in dem Staatsbürger, könnte ein solches Streben seyn, wäre es nicht zuvor, nach den, im ersten Theile entwickelten, mathematisch-psychologi- schen Gesetzen, in den Vorstellungen begründet. Denn der Musiker spielt seine Noten in solcher Ordnung, sol- chem Rhythmus, wie er sich die Töne denkt; sein Vor- trag ist der unmittelbare Ausdruck des Strebens in sei- nen Vorstellungen. Der Bürger fühlt sich auf gleiche Weise getrieben zum regelmässigen Handeln mit Andern, und in Uebereinstimmung mit Andern; dergestalt, dass, wenn sie säumten, er sie ermahnen würde, das Ihrige zu thun; darum, weil für ihn in dem Gedanken seines eignen Thuns schon das dazu gehörige Thun der ihm nahe Stehenden mit inbegriffen, mit einbedungen ist. Der Lauf seiner Vorstellungen wird aufgehalten, das darin wirk- same Streben erleidet eine Hemmung , wofern er seine Nächsten nicht vollführen sieht, was ihnen zukommt. Was nun hier, als ob es die Wirkung eines Na- turtriebes wäre, vor Augen liegt, das muss erklärt und begriffen werden aus jenen Gesetzen der Mechanik des Geistes. Die Kraft der Ordnung im Staate ist nun die Gesammtkraft aus allen den einzelnen Kräften, welche sich in den einzelnen Staatsbürgern regen, um ein Theil- chen der allgemeinen Ordnung im nächsten Kreise, worin Jeder steht, zu erzeugen oder zu erhalten. Unmöglich könnte von einem, oder von wenigen Puncten aus, eine so grosse Masse von Menschen in Ordnung gehalten werden, wenn nicht in Allen, oder doch in den Meisten ein solches Streben wäre. Der geringste Wind würde diese Masse, wenn sie nicht durch sich selbst verbunden wäre, aus einander stäuben; und bey der geringsten ent- standenen Unordnung würde das Gebäude, da es aus so beweglichen Steinen besteht, wie die Köpfe und die Ge- müther der Menschen sind, in allen Puncten aus einan- der fahren. Statt dessen zeigt bekanntlich jeder, nur leidlich geordnete Staat, eine ungeheure Kraft, sich nach den heftigsten Erschütterungen wieder herzustellen. Aber diese Kraft ist bey weitem nicht in allen Staa- ten und zu allen Zeiten die nämliche; sie ist gerade so verschieden an Art und Grösse, wie die Structur der Reihen, die sich im Staate aus Menschen, — in den Köpfen der Menschen aus Vorstellungen gebildet haben. Schon im ersten Theile ist erwähnt worden, dass die Reihen, und so auch die Reihen von Reihen , ja die Reihen von Complexionen , und deren Verwebun- gen, höchst mannigfaltige Gestalten haben, dass sie ver- dorben werden können, und dass sie in ihrem Ablaufen sehr häufig wider einander anstossen. Dies erwartet die Kunst des Staatsmannes ! — Wohl zusammen ge- fügte Reihen sind der Sitz des Lebens und der Gesund- heit für den Geist und für den Staat; das Gegentheil droht Krankheit und Tod. Man redet von der Organisation des Staats; hier hat man das rechte Wort; aber darum noch nicht den rechten Begriff. Denn was ist ein Organismus? Worin besteht das organische Leben? Wem es Ernst ist, dies erforschen zu wollen: der fange damit an, sich umzu- sehn im Staate! Hier kann er weit mehr lernen, als je- mals der Staatsmann lernen wird vom Anatomen und vom vom Physiologen. Denn der Staat besteht ganz deutlich aus einer endlichen Zahl von Menschen; diese sind zufällig in demselben beysammen; man kann auch Je- den, einzeln genommen, befragen um seine Gesinnung, und beobachten in seinem Handeln. Hingegen die leben- digen Leiber bestehn aus Materie ; diese ist nach dem irrigen Vorgeben fast aller Physiker und Metaphysi- ker ins Unendliche theilbar; aus diesem Irrthume hilft keinesweges die Erfahrung; man kann die einzelnen Theile nicht beobachten; man sieht zwar, dass die Nahrungsmit- tel zufällig hineinkommen, aber es ist schwer, diesen Wink der Erfahrung zu verstehen; und unsre Zeit hat sich nun vollends in die Unwahrheit verliebt: im Or- ganismus gehe das Ganze den Theilen voran . Sollte sich jemals ein Staatsmann dahin verlieren, diesen Irrthum auf den Staat zu übertragen, so wird er wenigstens den Zwang fühlen müssen, den ihm unauf- hörlich die Erfahrung entgegensetzt. So gewiss aber, allen falschen Auslegungen zum Trotz, die Analogie zwischen dem Staate, dem Organis- mus, und dem System der Vorstellungen im denkenden Geiste, wirklich vorhanden ist: eben so gewiss wird auch dereinst die wahre Psychologie bis dahin durchdringen, wo jetzt noch, im Scheine von Irrlichtern, Gespenster umherschweben. Das heisst: die nämlichen Grundsätze der Mechanik des Geistes, welche die Reizbarkeit der Vorstellungsreihen erklären, werden auch das organische Leben, als eine Verkettung einfacher Wesen, und die lebendige Kraft des Staats, als einer Verbindung von einzelnen Menschen, auf ähnliche Weise begreiflich ma- chen. Dann wird man die Kunst des Staatsmanns bes- ser schätzen, — aber auch die unendlich höhere Kunst, welche das organische Leben schuf, reiner verehren als heute. Ungeachtet der erwähnten Analogie zwischen dreyen Gegenständen, die beynahe das Wichtigste sind, was in die Sphäre der menschlichen Untersuchung fällt, muss II. C man sich doch hüten, die Aehnlichkeit zu übertreiben. Dahin gehören folgende Bemerkungen: 1) Weder der menschliche Geist noch der Staat haben ursprünglich die Beschaffenheit eines bestimm- ten organischen Keims Diesen Satz will ich hier nicht beweisen; in Ansehung des menschlichen Geistes geht er sehr leicht aus der allgemeinen Meta- physik, und mit vermehrter Evidenz aus dem Ganzen dieses Werks hervor. — Vor nicht langer Zeit erscholl gegen mich von zweyen, oder gar von mehrern Seiten der Vorwurf: » Nichts bewiesen !« Diejenigen, welche den Ruf ertönen liessen, führten durch den ganzen Zusammenhang den factischen Beweis, dass sie sich nicht die geringste Mühe gegeben haben, meine längst geführten Beweise in meinen frü- hern Schriften aufzusuchen, und verstehen zu lernen. Wer wissen will, was ich bewiesen oder nicht bewiesen habe, der muss meine praktische Philosophie, meine Hauptpuncte der Metaphysik, die Ab- handlungen de attractione elementorum und de attentionis mensura , nebst meiner Einleitung in die Philosophie, und dem gegenwärtigen Werke, genau kennen. Er versuche, zu widerlegen! — Uebrigens die- nen deutlich ausgesprochene Behauptungen, ohne Beweis, zwar nicht statt der Beweise; wohl aber zum Verstehen ; auch ist das Ver- trauen, der Leser werde sehr nahe liegende Mittelglieder eines Bewei- ses selbst finden, in mathematischen Schriften längst üblich. . Hätten sie ihn: so würden Erziehungskunst und Staatskunst sich in eine Art von Gärtnerey verwandeln, die nur dem Keime Gelegenheit giebt, sich zu entwickeln, ihn aber nicht umschaffen kann. Aber beyde, der Geist und der Staat, nähern sich allmählig der Natur eines organischen Wesens; indem jeder Grad von schon empfangener Bildung dazu beiträgt, die Art von Assimilation zu bestimmen, wodurch das Neue vom Alten angeeignet wird. 2) Der lebende Organismus hat seine Perioden des Wachsens und Abnehmens; man hat dies oftmals auf Staaten übertragen, als ob sie schwach würden vor Alter. Da ich hier die Grundsätze der Mechanik des Geistes angewandt habe, so könnte ich in Versuchung gerathen, eben dieselbe Behauptung anzuknüpfen an die Lehre von der abnehmenden Empfänglichkeit (§. 94—99.). Allein dazu ist kein Grund vorhanden. Die Einheit des Staats ist zusammengesetzt aus den Individuen, den absterben- den und heranwachsenden. Hingegen die Einheit der Seele ist die strengste, die es geben kann, und gerade daher rührt, wie am gehörigen Orte gezeigt worden, die Abnahme der Empfänglichkeit. (Jede vollkommene Selbst- erhaltung, um dies nochmals kurz zu wiederhohlen, ist einfach, wie das einfache Wesen, das sich selbst erhält; denn es ist in ihr sich selbst vollkommen gleich . Darum ist sie eine absolute Einheit, die eben so wenig wachsen kann, als sie aus Theilen besteht. Wenn aber ihre Bedingung, das Zusammen, nur unvollkommen ein- tritt: dann erzeugt sie sich Anfangs in minderem Grade; und dieser Grad kann erhöht werden, bis er der Einheit gleich wird, nur nicht weiter. Die Möglichkeit der Er- höhung bis zur vollen Einheit ist die in jedem Augen- blicke noch übrige Empfänglichkeit. Das Gesetz, nach welchem dieselbe continuirlich abnimmt, findet sich im §. 94.) Was in der Gesellschaft, folglich mittelbar im Staate, altert und sich abstumpft, das ist die Empfänglichkeit für öfter angewendete Formen der Kunst und der Wissen- schaft. Die lebhafte, allgemeine Aufregung, welche ehe- dem Wieland und Klopstock hervorbrachten, kann sich auf die nämliche Weise nicht wiederhohlen. — Wenn der Staat die neuen Eindrücke fürchtet (wie die Alten den neuen Tonweisen der Musiker eine gefährliche Wichtigkeit beylegten,) so kann ihn die Abstumpfung trösten. Kunst und Wissenschaft wirken weder so viel , als der erste Eifer, der erste Stoss neuer Eindrücke, zu ver- sprechen scheint; noch so wenig , als die nachmalige Kälte glauben macht, denn theilweise gehemmte Kräfte wirken noch immer in dem Verhältnisse ihrer vollen Stärke, nur ruhiger. Wenn aber im Staate die Ungleichheit dergestalt anwächst, dass ganze Klassen unterdrückt werden, weil C 2 ihnen Niemand half, und weil das Glück freyes Spiel fand, Güter und Vorrechte auf wenigen Puncten anzu- häufen: dann freylich befällt den Staat die Auszehrung; aber man muss darum nicht sein höheres Alter anklagen. Nicht die Jahre schaden ihm, sondern Mangel an Vor- sicht in den wichtigsten Puncten. Diese Bruchstücke der Mechanik des Staats schliesse ich mit derselben Erinnerung, wie jene der Statik; ich habe nämlich nicht vom künstlichen, sondern vom kunst- losen Mechanismus des Staats zu sprechen Veranlassung gehabt. Alle Wirkung der Reflexion, folglich der po- sitiven Gesetze , musste bey Seite gesetzt werden, weil die psychologischen Vorarbeiten des ersten Theils darüber noch kein Licht geben. Nur die allgemeine Be- merkung will ich beyfügen: dass die Gesetze, indem sie den natürlichen Neigungen der Menschen einen Zügel anlegen, die Continuität unterbrechen, womit der Na- tur-Mechanismus, sich selbst überlassen, fortwirken würde. Aber er gleicht dem Strome, der anschwillt vor dem Damme. Hat er dessen Höhe erreicht, so stürzt er hin- über, und reisst ihn fort. Der kluge Staatsmann lässt es dahin nicht kommen; seine Kunst gleicht der des Was- serbaues. Das Vorstehende konnte dienen, durch eine auffal- lende Anwendung auf vielbesprochene Gegenstände die Erinnerung an den ersten Theil zu beleben und zusam- menzudrängen. Aber noch eine andre Vosbereitung ist nöthig für diesen zweyten Theil; der bey seinen Haupt- gegenständen nur in so fern die Anwendung der frü- hern Lehren auf die Erfahrung gestattet, als diese letz- tere durch Analyse dafür empfänglich gemacht wird. Wenn ein Kasten vor uns stände, in welchem etwas eingepackt läge, das wir einzeln besehen wollten: so würden wir es unmöglich in der Ordnung auspacken können, in der es hineingekommen war; sondern nur in der umgekehrten. Oben auf liegen würde das, was zu- letzt hineingelegt war; und wollten wir nicht Alles durch einander werfen, und es mannigfaltiger Beschädigung aussetzen, so müssten wir das, was beym Einpacken sei- nen Platz am Boden gefunden hatte, nicht zuerst her- ausreissen, sondern zuletzt herausnehmen. Die Erfahrung zeigt den Menschen in zeitlicher Ent- wickelung begriffen. Als reife Männer beobachten wir uns zum Behuf der Psychologie; aber für diejenigen Zu- stände, in welchen wir als kleine Kinder die ersten räum- lichen und zeitlichen Sinnes-Anschauungen bildeten, die Muttersprache uns aneigneten, uns selbst von den Din- gen unterschieden, die Begriffe von Ursachen und Wir- kungen in uns erzeugten, u. s. w. haben wir die Erinne- rung völlig verloren. Und doch beginnen die empiri- schen Psychologien von dem, in Hinsicht dessen für Jeden die einzig ächte, nämlich seine eigne unmittelbare Erfahrung, unwiederbringlich entflohen ist! Die Sinn- lichkeit , meint man, sey das gemeinste, darum das leichteste! Freylich jetzt und hier, da wir die Grundlinien der Statik und Mechanik des Geistes schon haben, ist es auch richtig, von dem auszugehn, was sich zuerst durch den psychologischen Mechanismus bildet; und so werden wir tiefer unten wirklich verfahren. Aber wo hätten Die- jenigen anfangen sollen, die nun einmal das undankbare Geschäft, mathematische Gegenstände ohne mathemati- sches Auge zu betrachten, über sich nahmen? Unstreitig da, wo die hellste Gegend der Erfahrung ist; da, wo die Dichter sich am freyesten bewegen; mitten im Leben, worin der Mann sich mit seines Gleichen vereinigt findet; und bey den obersten der sogenannten Seelenvermögen am liebsten; denn was man ihnen zuschreibt, das ist das Neueste, was entstand; und im Kasten liegt es oben auf. Auch von Vernunft und Verstand ist zwar genug geredet worden; aber es ist nicht überflüssig, auch hier noch davon zu reden. Der Weg muss gezeigt werden, der für Andre offen lag; wir brauchen zu dem Ende nur wenige Schritte auf diesem Wege zu gehn, und wenn er gleich zunächst nur zu Namen-Erklärungen , und zu Erläuterungen von nicht grösserem Werthe führt, so wird doch dadurch gar mancher Irrthum, der späterhin blenden könnte, im Voraus abgelehnt. Wir versetzen uns demnach für eine kleine Weile auf den Standpunct der empirischen Psychologie; um von dort aus die obern Vermögen zu betrachten. Beruft man sich auf Erfahrung: so muss man sie in sinnlicher Klarheit hinstellen; wenige scharfe Züge reichen zu. Verstand hat der Mann; Unverstand zeigt das Kind und der Knabe; ihm ähnlich ist der, welcher den Ver- stand verlor. Dort schlägt das kleine Mädchen ihre Puppe mit der Ruthe; denn die Puppe ist unartig! Dort spielen die kleinen Knaben mit bleyernen Soldaten; die grösseren tragen selbstgeschnitzte Weidenzweige statt der Degen an der Seite, einige spielen Pferde; sie haben den Bind- faden in den Mund genommen, um Zaum und Zügel vorzustellen. Wenn der Mann das thäte: so würde man sagen, er habe den Verstand verloren . Die Scheiterhaufen der Inquisition nennt man nicht unverständig , sondern vernunftwidrig ; denn der Verstand des Egoismus leuchtet hervor neben der Schwär- merey; aber diese Art des Cultus ist gerade so vernünf- tig wie der Dienst des Moloch, in dessen glühende Arme das Kind von der Mutter geworfen wurde. Auch wer die Lehren der Astronomie leugnet (um ein rein theo- retisches Beyspiel anzuführen), ist unvernünftig. Und nicht minder unvernünftig Jeder, der wissentlich, und un- berufen, in sein Verderben rennt. Am empörendsten für die Vernunft ist eine vollendete, vorbedachte Schandthat eines gleichwohl nicht schändlichen Menschen. Mit Ent- setzen und Schaudern denke ich an den unglücklichen Sand . Man fühlt sich zerrissen, wie man seine That auch überlegen möge. Doch hinweg von diesem Bilde! Zurück zu gewöhnlichen, zu gemeinen Dingen! — — In Gesellschaft findet man unverständig denjenigen, der sich bekannter Beziehungen, wodurch sein Gespräch doppelsinnig wird, nicht erinnert; hingegen den, welcher ohne Grund wissentlich Andere reizt, nennt man un- vernünftig. Die unartige Puppe, die bleyernen Soldaten, wo- durch verstossen sie wider den männlichen Verstand? Durch ähnliche Ungereimtheit, wie der Traum wider das Wachen. Diese Ungereimtheit sieht das Kind nicht; es sieht nicht Bley, nicht Holz; es denkt nicht an die Weich- heit des Metalls; von dem harten Krieger und seiner Span- nung weiss es noch wenig; es ist ihm nicht geläufig, Holz und Mensch wie Stoff und Kraft gegen einander zu stel- len. Es ist vertieft in die Bedeutung seines schlechten Symbols, so weit es sie kennt; und bedarf nicht mehr zur Illusion und zur Unterhaltung. Es betrachtet nicht die wahre Qualität des Gegenstandes; so wenig wie derjenige, der Unkluges redet, indem er Ort und Zeit und Gesell- schaft aus den Augen verliert. Thäten die Vorstel- lungen ihre volle Wirkung , erhielten sie ihre ganze Entwickelung, so wie es den vorgestellten Gegen- ständen angemessen ist, so würde der Unverstand fühl- bar werden. Kluge Maassregeln gehn aus von der Um- sicht, berichtigen sich durch Beobachtung, erweitern sich durch Berechnung der möglichen Erfolge, gelangen zur Ausführung durch stete Besonnenheit und Gegenwart des Geistes. Darum stellte ich längst die Definition auf: Ver- stand ist das Vermögen, uns im Denken nach der Qualität des Gedachten zu richten Man vergleiche den Anfang der Logik, in meiner Einleitung in die Philosophie; desgleichen mehrere hieher gehörige Stellen meines Lehrbuchs der Psychologie. . Hingegen Vernunft ist das Vermögen, dasjenige zu vernehmen, wofür der Unvernünftige taub ist; und das sind — Gründe . Also: Vernunft ist das Vermö- gen, zu überlegen, und nach dem Ergebniss der Ueberlegung sich zu bestimmen . Dem Unvernünftigen (z. B. dem Inquisitor) muthen wir an, dass er anderen Betrachtungen Gehör gebe; dem Unverständigen, dass er seine eigenen, schon vorhandenen Gedanken vollends entwickele . Kein Wunder, dass man Begriffe dem Verstande zueignet, und Schlüsse der Vernunft. Jene bestimmen die Qualität des Vorgestellten; diese fügen eins zum an- dern, den Untersatz zum Obersatze. Aber dadurch allein würde noch keine brauchbare Namenerklärung gewonnen seyn; wie tiefer unten ausführlicher soll gezeigt werden. Hier kümmern wir uns nicht um die Bestimmungen der Schulen, sondern um den Sprachgebrauch; denn wir reden nicht von wirklichen Dingen, sondern vom Sinn der Worte, von den allgemein vorhandenen Auffassun- gen, die durch sie angezeigt werden. Wir meinen dem- nach nicht, es gebe nun wirklich ein besonderes Vermögen, das dazu bestellt sey, die Gedanken nach der Qualität des Gedachten zurechtzustutzen; auch nicht, es sey wirklich die Sache eines eignen Vermögens, zur Ueberlegung, zur innern Berathschlagung die sämmtlichen stimmfähigen Meinungen und Absichten zu berufen, wäh- rend ihres Votirens und Streitens das Protokoll zu füh- ren, und das letzte Resultat in die innere Gesetzsamm- lung einzutragen: wohl aber bemerken wir, dass etwas dem ähnliches wirklich in uns vorgeht; wir fassen es auf, heben es weg, und sehen nach, was tiefer darunter ver- borgen liegen möge? A. Vorläufige Betrachtung des Verstandes nach seinen Beziehungen. Da der Verstand die Fähigkeit ist, sich im Vorstel- len nach der Qualität des Vorgestellten zu richten; da ferner der Verstand spät erwacht, sich langsam entwik- kelt, bey den Thieren fast ganz zu fehlen scheint: so richten sich nicht immer, nicht ursprünglich und von selbst, die Vorstellungen nach der Qualität des Vor- gestellten. Nun ist zuvörderst klar, dass hier nicht von jenen einfachen Vorstellungen die Rede seyn kann, die wir im ersten Theile meistens betrachteten, und etwa mit a, b, c , bezeichneten; um sie als Grössen in der Rech- nung zu behandeln. Denn diese einfachen Vorstellun- gen, — die man Empfindungen nennt, wenn man auf den Augenblick ihres ersten Entstehens hinweisen will, — haben kein Vorgestelltes ausser sich selbst , mit dessen Qualität sie zusammenstimmen könn- ten oder auch nicht. Es sind innere Zustände der Seele, die man nur uneigentlich Vorstellungen nennt, da sie kein Bild eines Gegenstandes geben. Demnach sind wir in der Region der zusammen- gesetzten Vorstellungen. Und es wird noch überdies ein Unterschied angenommen zwischen dem zusammen- gesetzten Vorgestellten , wie es sey, unabhängig vom Vorstellen; und dem wirklichen Geschehen eben dieses Vorstellens , das mit jenem übereinstimmt oder auch nicht. Nach diesem Unterschiede brauchen wir nicht weit zu suchen. Die Erfahrung erinnert uns fürs erste an unzählige Gegenstände, denen es zukommt, auf bestimmte Weise vorgestellt zu werden , indem sie sich zur Wahrnehmung darbieten; so dass, wenn einmal Einer sie anders vorstellt, ihm sogleich hundert andre Men- schen zurufen, er habe sich geirrt. Aber zweytens wissen wir aus der Lehre von den Complicationen und Verschmelzungen, dass der wirkliche Actus des Vorstellens allemal von bestimmten Repro- ductions-Gesetzen abhängt, die sich sogleich bilden, in- dem die einfachen Empfindungen zusammen kommen, und sogleich wirken, indem, sey es auch nur nach der geringsten augenblicklichen Hemmung, die Vorstellungen sich wieder heben. Wir wissen, dass hier alles auf die Ordnung und Stärke der Auffassungen ankommt; und überdies, dass zufällige Hemmungen die Reprodu- ction der Reihen, und ihrer Verwebungen, sehr leicht verkürzen und verkümmern, — ja dass eine Reihe, an welcher einige Glieder fehlen, neue falsche Verbin- dungen eingehn kann, die sie nicht würde zugelassen haben, wenn sie sich im Bewusstseyn vollständig ent- wickelt hätte. (So gehts im Traume.) Wir werden uns also nicht wundern, wenn ein zer- streuter Mensch, der nicht recht zuhört und zusieht, ab- weicht von der Qualität des Vorgestellten, wie der ge- naue Beobachter es findet; oder wenn ein Trunkener oder Träumender, dessen Vorstellungsreihen einer unge- wöhnlichen Hemmung unterworfen sind, Zeichen des Un- verstandes giebt. Was aber die Kinder angeht, so können sie mitten in Kinderspielen doch für ihre Jahre verständig genug seyn. Nur den Verstand der Männer muss man von ihnen nicht fordern, aus dem einfachen Grunde, weil es bey den Männern eine Menge von Verbindungen , und gerade deshalb von Gegenkräften unter den Vor- stellungen giebt, welche zu erwerben jene noch nicht Zeit und Gelegenheit hatten. Dasselbe gilt von den Thieren, die auch in ihrer Art verständig genug seyn können, obgleich sie dem Menschen, der sie mit frem- dem Maasse misst, unverständig dünken. Der Verstand bezieht sich also auf die Zusammen setzung der Vorstellungen, sammt den davon abhängen- den Reproductions-Gesetzen; und das Verständig-Wer- den bezieht sich auf die fortschreitende Vermehrung und Berichtigung der vorhandenen Vorstellungsreihen. Bey jeder solchen Berichtigung muss ein Stoss erfolgen, denn die ablaufende Reihe wird dadurch in dem Puncte ge- hemmt, wo die Berichtigung eintritt; sie wird genöthigt, hier ein neues Glied aufzunehmen. Wir kennen diese Stösse aus der Erfahrung; es sind die Urtheile , wodurch den Subjecten wider Erwarten Prädicate gegeben werden. Wäre hiebey kein Stoss erfolgt, so würde die Vor- stellung, welche das Prädicat ausmacht, ohne Weite- res mit der des Subjects verschmolzen seyn. Das heisst: man könnte die Fuge oder den Kitt zwischen beyden nicht wahrnehmen, welchen man gewöhnlich die copula nennt; sondern es wäre ganz unmerklich eine solche Verbindung eingetreten, wie wir sie unzählig oft zwischen den Partial-Vorstellungen einer Anschauung finden. Wie wenn Einer sich das Gesicht eines Andern merkt, ohne sich die Verbindung der Nase, der Augen, des Mundes, u. s. w. in eben so vielen Urtheilen auseinan- derzusetzen, als wie viele Combinationen darin liegen. Also in jedem Falle, in welchem der sogenannte Actus des Urtheilens merklich wird, muss ein solcher Stoss, wie zuvor beschrieben, statt finden. Das Subject, welches ein Prädicat eben jetzt bekommt, muss zuvor eine anders bestimmte Vorstellung gewesen seyn; jedoch pflegen wir dieselbe in den meisten Fällen eine unbestimmte zu nennen, nämlich wenn die Bestim- mung im Dunkeln blieb. Hier kann wiederum die Erfahrung zu Hülfe kom- men. Sie versorgt uns mit unzähligen Vorstellungen, denen Unbestimmtheit, das heisst, eine Frage nach Bestimmungen , anklebt, darum, weil sie vielfach und entgegengesetzt sind bestimmt worden . Aus einer Menge grossentheils gleichartiger Anschauungen, erzeugt sich eine Gesammt-Vorstellung, welcher das Streben inwohnt, alle ungleichartigen Nebenbestimmun- gen mit sich hervorzuheben, die den einzelnen Fällen eigen waren. Dies Streben ists, welches den Stoss des Prädicats auffängt, sobald die Gesammtvorstellung von neuem Subject eines Urtheils wird. Man kann das Ge- sagte unmittelbar anknüpfen an den §. 101. Es ist dort gezeigt, dass gerade das Uebermaass entgegengesetzter Verbindungen es ist, wodurch eine Vorstellung dahin gelangt, dass sie für isolirt gelten kann, und nunmehr für neue Verbindungen bereit liegt, wobey bloss ihre Qualität die bestimmende Ursache aus- macht; welches denn bey den logischen Anordnungen der Begriffe geschieht. Davon wird weiter unten aus- führlich geredet werden. Aber es ist einer der ärgsten, wie der gemeinsten, Misgriffe, deren sich die empirische Psychologie schuldig gemacht hat, den Verstand für das Vermögen der Begriffe (oder auch, Vermögen, durch Begriffe die Gegenstände zu denken) zu erklären (wo- bey noch obendrein, um einen zweyten Fehler zu be- gehn, Begriffe für allgemeine Vorstellungen aus- gegeben werden, als ob es keine einzelnen Begriffe gäbe). Diese Definition ist viel zu eng; und sie taugt deshalb Nichts; auch dann noch, wann wir von dem Vorurtheil der Seelenvermögen ganz hinwegsehn. Die empirische Psychologie muss dem Sprachgebrauche genü- gen; und dieser erlaubt schlechterdings nicht, nach der Cultur der Begriffe die Grösse des Verstandes abzumes- sen. Frauen, Staatsmänner, Feldherrn, Künstler, Kauf- leute, suchen den Verstand in keiner logischen Schule; obgleich sie hier allerdings diejenige, zwar wichtige, aber ziemlich eng beschränkte species des Verstandes suchen sollten, welche von der Anordnung und scharfen Bestim- mung der Begriffe abhängt. Der logische Zuschnitt der Gedanken ist nicht ihre Bewegung, und doch ist diese noch nöthiger als jener, wenn sie sich nach der Qualität des Gedachten richten sollen. Wenigstens im Leben; denn anders verhält sichs in der Wissenschaft, der nicht vorgeschrieben ist, sie solle an einem bestimmten Tage fertig seyn. Daher sind die Köpfe, welche viel Verstand in einer gegebenen Zeit haben, weit verschieden von grossen Denkern, de- nen er leicht fehlen kann in dem Augenblick, wo man ihn fordert; denn die Vertiefungen des wissenschaftlichen Denkens richten sich zwar nach den Begriffen, aber nicht nach der Uhr. Man gewöhne sich endlich gleich hier an eine Un- terscheidung, die öfters nöthig ist; die des Absichtli- chen und Unabsichtlichen . Es giebt ohne allen Zweifel eine starke Selbstbeherrschung, durch welche man sich zwingt , seine Gedanken nicht von der Quali- tät des Gedachten abschweifen zu lassen; diese Selbst- beherrschung ist der Nerv des Philosophirens. Aber sehr mit Unrecht würde man den ganzen Verstand auf diese Absicht zurückführen. Die natürliche Leichtigkeit, womit kluge Köpfe das Verwickelte richtig durchschauen und behandeln, ist auch Verstand; und darüber können sich nur diejenigen wundern, welchen im Ernste jedes Seelen- vermögen Eins und ein Ganzes ist, das man denn frey- lich nicht zerstückeln und zersplittern darf! B. Vorläufige Betrachtung der Vernunft nach ihren Beziehungen. Die Analyse der Vernunft ist merklich schwerer, als die des Verstandes. Zum Theil schon deswegen, weil man sich leicht versucht fühlt, die Betrachtung sogleich auf die species , theoretische und praktische Vernunft, zu richten, und darüber den allgemeinen Charakter dessen, was Vernunft heisst, nämlich Ueberlegen und Ent- scheiden zu verfehlen. Das erste Merkmal der Ueberlegung nun ist, dass sie Zeit braucht, damit sich eine Reihe von Vorstellun- gen entwickeln. Also bezieht sich die Vernunft (nämlich die endliche , die ein empirischer Gegenstand ist,) wiederum auf die Reproductionsgesetze, die wir aus der Mechanik des Geistes kennen. Allein es kommt etwas hinzu, wodurch das Ueberle- gen sich vom Reproduciren des Gedächtnisses und der Phantasie unterscheidet. Zuvörderst: die Reproduction wird innerlich beobach- tet. Nun beruht alle Beobachtung auf einem unbestimm- ten Erwarten dessen, was kommen könnte. Also ist hier ein unbestimmtes Vorstellen zugegen, dergleichen nur eben zuvor beym Verstande, und seinem Uebergange ins Urtheilen, bemerkt wurde. In der That kann man den Gegenstand, welcher überlegt wird, — den Frage- punct, — ansehn als ein noch unbestimmtes Subject, dem ein Prädicat bevorsteht. Die Vernunft bezieht sich also auf eine Theilung des geistigen Thuns in wenigstens zwei Theile, die sich verhalten wie Beobachtetes und Beobachter; oder kürzer, wie Object und Subject. Zweytens: der Ueberlegende beobachtet nicht bloss in sich die Reproduction einer bekannten, oder einer zu- fällig neu entstehenden Reihe, — wie wenn er das frü- her Memorirte wiederhohlen, oder dem Spiele seiner Phantasie zuschauen wollte, — sondern er erwartet ein Ereigniss, das sich innerlich zutragen soll, wodurch eine noch nicht vorhandene Bestimmung seiner Gedanken ein- treten wird. Dazu kann eine Reihe allein nicht hinrei- chen; es müssen deren zwey, oder mehrere seyn, die auf einander treffen; die irgendwie zusammenstossen. Die Vernunft bezieht sich also nicht bloss auf die Theilung des Objects und Subjects, sondern auch auf eine Theilung in dem Objecti- ven, welches zusammenstossen soll . Hieraus sieht man, dass der Syllogismus eins der leichtesten Beyspiele für das Thun der Vernunft darbie- tet, aber das Beyspiel ist nicht der Begriff selbst; und es war eine sehr enge Definition, da man die Vernunft für das Vermögen zu schliessen erklärte. Indem wir die Erfahrung zurückrufen, und uns der oftmals langen und zweifelnden Ueberlegungen erinnern, sehn wir, dass die Entscheidung keinesweges immer so rasch erfolgt, wie in einem gewöhnlichen Schulbeyspiele der Logiker. Dies liegt zum Theil an der Länge der Reihen, die sich nur allmählig entwickeln, und oft rück- wärts und seitwärts sich ausbreiten, (wie wenn Beweise und Beläge der Prämissen gesucht werden;) oftmals aber tritt der Beobachter hervor; er ist afficirt worden von dem Zusammenstoss; er nimmt Parthey, weil Streit unter den Reihen war, und es erfolgt ein Machtspruch statt der Entscheidung. Oder er sondert die Partheyen, um sie zu vereinigen. Kurz, es geht im Innern, wie in be- rathschlagenden Versammlungen. Auch bleibt oft der Mensch selbst nach der Ueberlegung noch innerlich in Zwiespalt; hesonders wenn dieselbe nicht vollständig war; das heisst, wenn nicht alle Gedankenreihen, die zu- sammenstossen konnten, sich entwickelt haben, und die säumigen erst später nachkommen. Ist nun die Vernunft ein Seher, der Offenbarungen, oder ein Monarch, der Befehle ertheilt? Ich glaube, sie begnügt sich mit dem bescheidenen Titel eines Präsiden- ten, oder beständigen Secretairs. Bestimmter darf ich hier nicht sprechen, denn ich befinde mich im Felde der Namen-Erklärungen, und davon abhängiger Analysen, wodurch Untersuchungen nur vorbereitet, aber nicht ab- geschlossen werden können. Zum mindesten aber ist hier der Sprachgebrauch dergestalt beobachtet worden, dass nun alles Gesagte mit gleicher Leichtigkeit bezogen werden kann auf die theo- retische, wie auf die praktische Vernunft. Denn die Beschaffenheit der Reihen, welche sich entwickeln sollen, ist unbestimmt geblieben. Und die Vernunft, als solche, bezieht sich demnach nicht auf bestimmte Reihen, noch auf einen bestimmten Ur- sprung derselben. Wir haben freylich etwas vernommen von einer reinen Vernunft, die einen Vorrath von Ideen und Befehlen in sich trage; aber die Thatsache gehört zu den bestrittenen; und dergleichen muss man in empirischen Untersuchungen nicht mit den unbestrittenen vermengen; auch können wir dieselben für jetzt noch nicht füglich mit den Grundsätzen der Statik und Me- chanik des Geistes in Verbindung bringen; viel weniger die Erklärung zulassen: die Vernunft sey das Ver- mögen der Principien . Aus dem Vorstehenden wird der Leser nun ohne Zweifel den Satz klärlich einsehn: der Verstand hat Vernunft . Denn wie könnte man immer seine Gedan- ken nach der Beschaffenheit des Gedachten einrichten, ohne manchmal Ueberlegung zu Hülfe zu nehmen? — Eben so klar ist ein zweyter Satz: die Vernunft hat Verstand . Denn wie könnte die Ueberlegung zur rich- tigen Entscheidung führen, wenn die Gedankenreihen, die in der Ueberlegung sich entwickeln, nicht der Beschaf- fenheit des Gedachten gemäss wären? Eben so leicht würde man beweisen können, dass beyde, Verstand und Vernunft, auch ein Gefühlvermögen und ein Begehrungs- vermögen haben; da beyde sich bestreben , zu denken; und es fühlen , wenn sie zum Ziele ihres Strebens ge- langen. Wer wird sich darüber wundern? Jedes See- lenvermögen ist längst in unsern Psychologien gewohnt, als eine vollständige Person handelnd aufzutreten; es fehlt nur noch, dass der Verstand neben den andern Vermö- gen, die er schon hat, auch noch Verstand — die Ver- nunft neben den übrigen Vermögen, die sie schon längst besitzt, auch noch Vernunft bekomme! Doch ich würde den Leser beleidigen, wenn ich die- sen Scherz verlängern wollte. Die nächste Absicht der zuvor gegebenen Analysen des Verstandes und der Ver- nunft, — das heisst, der Begriffe, welche der Sprachge- brauch mit diesen Worten verknüpft, um ein paar na- türliche Ansichten des geistigen Lebens damit zu bezeich- nen, nen, — wird erreicht seyn, wenn man aus der kurzen Probe gesehn hat, wie eine blosse Zergliederung des em- pirisch-Gegebenen dann aussieht, wann sie ohne Ein- mischung von Hypothesen angestellt wird; und wie wenig auf diesem Wege kann gewonnen werden. Sie giebt nämlich dann keinen Irrthum, aber auch wenig Wahr- heit; nichts besseres und nichts schlechteres ist von der eigentlichen empirischen Psychologie zu sagen. Die Ana- lysen der übrigen sogenannten Vermögen sind leichter, bey einiger Aufmerksamkeit kann Jeder sie selbst fin- den, es mag auch nützlich seyn, sie von den obern Ver- mögen zu den niedern fortschreitend (aus dem oben an- gedeuteten Grunde,) weiter zu vollführen; allein ich werde mich nicht dabey aufhalten. Es wird jetzt schon soviel Licht auf einige wichtige Puncte des bevorstehenden Weges gefallen seyn, als nöthig ist, um ihn anzutreten; insbesondre liegt uns nunmehr als Thatsache vor Augen, dass in unserm Geiste mehrere Vorstellungsmas- sen zusammen wirken, wenn wir auch noch nicht ein- sehn, in wie fern sie gesondert, oder verknüpft seyn mö- gen. Die eigentlichen Aufschlüsse hierüber lassen sich nicht anders erlangen, als indem wir mit der Analyse allemal sogleich bey ihrem Anfange diejenige Hülfe ver- binden, die wir uns im synthetischen Theile bereitet ha- ben. Und dies nun ist unser Vorsatz. Wie schon oben bemerkt, können wir mit unserm vollen Rechte die Analyse da anfangen, wo wir die frü- hesten Producte des, seinen Grundgesetzen nach uns schon bekannten, geistigen Mechanismus erwarten dürfen. Die obige Analyse des obern Vermögens, — womit jede nackte, von keiner synthetischen Nachforschung unter- stützte, empirische Psychologie anfangen sollte — gehört demnach nicht mit in die Reihenfolge der bevorstehen- den Untersuchungen; welche dort, wo sie auf Verstand und Vernunft zurückführen, schon mit mehreren Hülfsmit- teln ausgerüstet seyn müssen. Sondern wir beginnen in der gewöhnlichen Ordnung von dem, was man das Un- II. D terste im menschlichen Geiste nennt, nur nicht von dem blossen sinnlichen Vorstellungs vermögen, welches eine Abstraction ist, sondern von der Gesammt-Erschei- nung des Vorstellens, Fühlens, und Begehrens, wie sie bey allen lebenden Wesen, so fern wir sie beobachten können, angetroffen wird. Man wird in dem gegenwär- tigen Werke, welches die Psychologie neu begründen, aber nicht bis ins kleinste Detail verfolgen soll, keine Abhandlung über die einzelnen Sinne und sinnlichen Ge- fühle erwarten, — wir können überall nur die grössern Parthien, und deren gegenseitige Verhältnisse im Auge haben. So werden wir nun auch an jene Gesammt-Er- scheinung des Vorstellens, Fühlens und Begehrens, zwar sogleich eine Betrachtung der wichtigsten Klassen der Gemüthszustände anknüpfen; aber nur das Allgemeinste erwägen, ohne uns um die Arten der Affecten, der Lei- denschaften, u. s. w. zu bekümmern. — Fast gleich- zeitig mit den ersten Gefühlen und Begehrungen beginnt auch der psychologische Mechanismus schon die Rei- hen der Vorstellungen zu produciren, deren Formen un- ter den Benennungen Raum und Zeit am meisten be- kannt sind; sie werden uns ziemlich lange beschäftigen, und uns sehr bestimmt an die Mechanik des Geistes er- innern; ohne mehr als die ersten Elemente einer unab- sehlichen Untersuchung darzubieten, welche auf andere Arbeiter wartet. Darauf wenden wir uns zu denjenigen Anfängen des obern Vermögens, von denen man nicht hinreichenden Grund hat, sie ausschliessend dem Men- schen beyzulegen; und wir rechnen hieher auch den in- nern Sinn, dessen Verwandtschaft mit der Vernunft schon oben, bey der vorläufigen Analyse der letztern, wird aufgefallen seyn. Vom Gedächtniss und der Phan- tasie werden wir aber nicht besonders sprechen; denn die Reproduction ist in Hinsicht ihrer ersten Gründe und Gesetze sehr sorgfältig im ersten Theile behandelt wor- den; und das Detail müssen wir überall weglassen. Die erwähnten Untersuchungen zusammengenommen nun geben die Hauptumrisse eines Bildes vom geistigen Leben überhaupt; ohne Unterschied zwischen dem Men- schen und den höheren Thieren. Und ein solches Bild muss der bestimmteren Schilderung des menschlichen Geistes nothwendig vorausgehn, wenn man aus der Ver- wunderung über den Menschen, in welchem soviel Un- gleichartiges beysammen zu wohnen scheint, jemals her- auskommen will. Es ist eine alte Bemerkung, dass sich das Thier einer weit vollkommenern Einheit mit sich selbst zu erfreuen scheint, als der Mensch; auch sind die Thiere von einer Art einander sehr ähnlich, während beym Menschen beynahe jedes Individuum seine eignen Kennzeichen hat, und die Menschheit, in Hinsicht des Geistigen, nur ein Abstractum ist, das man aus den ver- schieden gearteten Exemplaren kaum herauszufinden ver- mag. Daher scheint der Mensch das Product einer neuen Gährung zu seyn, welcher der psychologische Me- chanismus sich nicht nothwendig zu unterwerfen braucht; und deren wichtigste Ursachen wohl in den geselligen Reibungen liegen dürften. Könnte man nun die Ruhe- puncte finden, bey welchen, ohne Aufregung durch das gesellschaftliche Leben, der psychologische Mechanismus stehen bleiben würde; so hätte man den Begriff einer sich selbst genügenden geistigen Existenz, ohne thierische Instincte, welche aber als das Urbild, als das Beste an- gesehen werden möchte, was dem Thiere erreichbar wäre, ohne in die Unruhe des Menschen hineinzugerathen. Für diesen Begriff giebt es keine Erfahrung. Die edlern Thiere, die wir kennen, haben eine so frühzeitige Pubertät, und die Entwickelung derselben ist bey ihnen so gewaltsam, dass eine rein psychologische Vergleichung mit dem Menschen unmöglich ist. Und eine solche Existenz müsste sich aus den Principien der Statik und Mechanik ableiten lassen, für welche dann die hinzutretenden Bedingungen des Lebens, wie sie bey den einzelnen Thiergeschlechtern sich finden, nur Be- schränkungen wären. Der erste Abschnitt dieses zweyten D 2 Theils, welche die angedeuteten Untersuchungen in sich fasst, mag als Vorarbeit dazu angesehen werden. Dem unruhigen Daseyn des Menschen ist alsdann der zweyte Abschnitt gewidmet. Nach den ersten Be- trachtungen über die natürlichen Vorzüge des Menschen folgt daselbst die erneuerte Untersuchung über das Ich, wodurch der erste Abschnitt des ersten Theils ergänzt wird. Man wird eine sehr unruhige, sehr wandelbare Ichheit darin finden. Hieran knüpfen sich eben so wan- delbare Auffassungen der Welt, die sich, wie schon am Ende des ersten Theils bemerkt, in keine veste Katego- rien einschliessen lassen; so wenig, als die höhere Aus- bildung, von der zuletzt gesprochen wird, eine veste Richtung und Begränzung in sich trägt. Hiemit schliesst der zweyte Abschnitt, und mit ihm die eigentliche Psy- chologie. Glücklich, wenn auch das Buch damit schlie- ssen dürfte! Aber das erlaubt die heutige Zeit nicht. Durch eine Physiologie, die nicht bloss empirisch ist, und die neuerlich einen wundernswürdig raschen Lauf genommen hat, wird die Psychologie in Gefahr gesetzt, umgerannt zu werden, wenn sie sich nicht hütet. So lange als möglich habe ich gesucht, ihr auszuweichen; und schon dies allein würde mich abgehalten haben, mei- nem Buche den jetzt üblichen Titel einer psychischen Anthropologie zu geben, wenn ich auch nicht andre Gründe dagegen hätte. Der Titel würde passen, wenn eine wissenschaftliche Psy- chologie aus der Anthropologie als ein Theil derselben könnte heraus- gehoben werden. Aber die Psychologie ist ein Theil der Metaphysik; und die Somatologie ist es auch; die Anthropologie aber besteht aus beyden, in ihrer Beschränkung auf den Menschen. Aber am Ende fand ich doch nöthig; die allgemeinen Untersuchungen, welche ich über die Materie angestellt habe, hier zu benutzen, um den heutigen Biologen wenigstens etwas mehr Vorsicht zu empfehlen; indem es noch Ansichten — und auch Gründe dafür — in Ansehung des materiellen Daseyns und des leiblichen Lebens giebt, an die sie in der That nicht aufs entfernteste gedacht haben. Indess mache ich mir wenig Hoffnung, diese Herrn zu überzeugen. Die Meta- physik ist so oft todt gesagt worden, dass sich das Le- ben längst ihrer Aufsicht entbunden glaubte, und um desto williger, in der Theorie wenigstens, mit sich spie- len liess. Nun ist zwar schon Mancher des Spiels müde geworden; aber man findet in der Regel, dass Diejeni- gen, die sich einmal das Geständniss ablegen mussten, in der Theorie geirrt zu haben, von diesem Zeitpuncte an bloss noch auf reine Erfahrung hören mögen; für jede neue Theorie aber taub sind. Und dies ist einer von den Gründen, weshalb ich den letzten Abschnitt dieses Buchs nicht ausführlicher bearbeitet habe. Die Leser, für welche ich schrieb, wissen ohne Zweifel, dass man den Geist nicht herleiten kann aus dem Leibe; und um der Versuchung, in welche sie durch falsche Theorien gerathen könnten, Widerstand zu leisten, dazu werden sie am Ende dieses Buchs mehr Hülfe finden, als sie brauchen. Eine philosophische Beleuchtung der Physio- logie erfordert durchaus die genaueste metaphysische Aus- einandersetzung der Lehre von der Materie und vom in- telligibeln Raume; diese aber ist den psychologischen Untersuchungen völlig fremdartig; und wer sie in einem Anhange zu den letztern vollständig verlangt, der weiss nicht, was er fordert. Anmerkung . Die Anmaassung der Physiologie gegen die Psycho- logie, als ob sie dieselbe ihren höchst schwankenden Meinungen, die im besten Falle mit den offensten Be- kenntnissen der Unwissenheit gerade in den wichtigsten Puncten zu endigen pflegen, — unterordnen könnten: ist heut zu Tage so allgemein, dass man sie nicht etwa bloss bey den sogenannten Naturphilosophen, sondern auch bey solchen Schriftstellern findet, welche sich durch kritischen Geist und geordnete Schreibart eben so sehr als durch grosse Gelehrsamkeit und Erfahrung auszeich- nen. Ihre Entschuldigung liegt freylich in der Schwäche der Anthropologien, die sie vorfanden; allein ich kann mich damit nicht begnügen; wer sich von jenen Anmaa- ssungen imponiren lässt, für den habe ich umsonst ge- schrieben. Daher werde ich sogleich dieser Einleitung ein paar Worte beyfügen, die wenigstens dazu dienen können, mich mit jenen Herrn auseinanderzusetzen. Herr Professor Rudolphi spricht in der Vorrede zu seiner Physiologie folgendes merkwürdige Wort: „Wenn alle Verfasser physiologischer Werke befragt „werden sollten, welches darunter sie für das Erste hiel- „ten, so kann Niemand etwas dagegen haben, wenn sie „das ihrige nennen; allein, wenn man sie weiter fragt, „welches sie für das zweyte halten, so bin ich überzeugt, „dass sie alle ohne Ausnahme Hallers Physiologie nen- „nen werden. Was allen Verfassern aber das zweyte „ schein , ist gewiss das Erste.“ Demnach wird es ja wohl nicht unschicklich seyn, wenn ich Hallers Physiologie in Beziehung auf das Verhältniss zwischen Seele und Leib hier anführe. In den primis lineis physiol. Cap. VII. , §. 556., sagt er von der Fortpflanzung der Empfindung des Nerven in die Seele: Nihil ultra scitur, nisi nasci in anima cogita- tionem novam, quotiescunque mutatio, in quocunque sen- sorio nata, ad primam eius nervi originem perfertur, qui patitur . Und im §. 569.: aliam naturam animae esse a corpore , infinita demonstrant, maxime ideae, et adfectiones animae, quibus nihil in sensu respondet. Quis enim superbiae color, aut quaenam magnitudo est invidiae? curiositatis? cuius nihil simile in animalibus est; neque id bonum, quod concupit, gloria, novarum idearum quasi adquisitio, ad aliquam corpoream vvluptatem referri potest. Potestne corpus ita duplices vires adi- pisci, ut eius infinitae particulae in unam mas- sam coalescant, quae non suas adfectiones so- las conservent, sibique repraesentent, sed in unam, communem, totalem cogitationem consen- tiant, quae ab omnium attributis differat, omnia tamen ea attributa recipiat, et comparet? Estne aliquod exemplum corporis, quod absque externa causa ex quiete in motum transeat, mo- tus directionem absque occurrente alia causa mutet, reflectat, ut in anima observatu facilli- mum est ? — Et tamen haec anima, adeo diversa a corpore, arctissimis cum eo ipso conditionibus religatur. Und wie endet der grosse Mann sein Werk? Mortui hominis cadaver putredini traditur. Ita adeps et aqua, et gluten, resoluta avolant; terra suis destituta vinculis sensim dilabitur, et ad humum se admiscet: Anima eo abit, quo Deus iusserit , quam in morte non de- strui vel ex frequente phaenomeno arguas: plurimi enim mortales, quando nunc corporis vires dissolutae dilabun- tur, serenissimae et vegetae, et laetae demum mentis signa edunt . Mit dieser, nicht von mir aufgestellten, Auctorität mögen nun ein paar entgegengesetzte Meinungen vergli- chen werden; man sehe zu, welche von beyden ihr am nächsten kommt! Herr Prof. Rudolphi sagt in seiner Physiologie, §. 3. folgendes. „Der Organismus ist nicht nur die Quelle der körperlichen, sondern auch der geistigen Thätigkeit. — Sollte jedoch die psychische Seite des Lebens hier eben so ausführlich behandelt werden, wie die physische, so würde es die Gränzen einer — Vorlesung überschreiten!“ §. 225. dagegen lautet: „Ausser der geistigen Kraft, die ganz für sich steht , scheint es mir hinreichend, von der allgemeinen Erregbarkeit die Spannkraft, Mus- kelkraft, und Nervenkraft zu unterscheiden.“ §. 227. „Das Daseyn oder Hinzutreten eines Geistes oder einer Seele zum Körper erklärt uns das Leben nicht im Geringsten,“ (Sehr wahr! Die Seele ist nicht zum Dienste der Physiologie vorhanden.) Blicken wir nun in den zweyten Theil jenes Wer- kes hinein: so sehen wir sogleich, dass das Versprechen, die geistige Kraft allein für sich hinzustellen, nicht ge- halten worden, vielmehr dieselbe wirklich wie eine psy- chische Seite des Lebens (das heisst, wie ein Stück- chen Modephilosophie,) der Physiologie eingemengt ist. Denn es wird dort der Plan der Untersuchung so ange- legt, dass die Lehre von dem Empfindungsleben zerfällt in die vom Nervensystem, von der Empfindung, von den äussern Sinnen, und — viertens! — von dem Seelenleben . Da ist denn wirklich in bunter Reihe, untergeordnet dem Empfindungs- Leben, die Rede von der Urtheilskraft so gut als von den Thierseelen, und von dem Willen ebensowohl als vom Schlaf- Wandeln! So lange die Physiologie so aussieht, kann die Psy- chologie mit ihr in keine Gemeinschaft treten. Das Seelenleben ist — ein verführerisches Wort, aber kein Begriff, der ein wissenschaftliches Gepräge hat. Freylich beginnt hier der Sprachgebrauch die Verwirrung, indem er den Ausdruck Leben für zwey ganz und gar — nicht entgegengesetzte, — sondern disparate, keiner Ver- gleichung fähige, Begriffe, zugleich anwendet. Alle phy- siologischen Erscheinungen , sowohl jene, vermöge deren die Nerven als Leiter der Sinnes-Affectionen und der Willens-Regungen betrachtet werden, als die der Irritabilität und der Ernährung, fallen in den Raum . Aber alle Fragen, wie Materie, gleichviel ob todt oder belebt, im Raume existiren und wirken könne, fallen in die Metaphysik. Wenn dieses forum seine Schuldigkeit nicht thut, so haben das die Physiologen nicht zu ver- antworten; wollen sie aber über jene Fragen nicht bloss mitreden, sondern mit untersuchen, so müssen sie — das ist unerlasslich! — erst Metaphysiker werden. Alles, was sie, ohne diese Bedingung zu erfüllen, darüber vorbrin- gen, ist so beschaffen, dass statt dessen nichts anderes als ein ganz reines, unumwundenes Bekenntniss der völ- ligen Unwissenheit am rechten Platze gewesen wäre. Vollends aber die psychologischen Untersuchungen mit den physiologischen vermengen, ist nicht bloss ein metaphysischer, sondern ein logischer Fehler. Die psy- chologischen Erscheinungen fallen nicht in den Raum; sondern der Raum selbst, mit allem, was in ihm wahrge- nommen wird, ist ein psychologisches Phänomen; und zwar eins der ersten und zugleich der schwersten für die Psychologie, die sich in der Behandlung desselben sehr ungeschickt benehmen würde, wenn sie dabey von der Nervenkraft zu reden anfinge. Denn ihre Frage ist nicht, woher die Empfindungen kommen? sondern, wie die Empfindungen, wenn sie da sind , gleichviel woher? ja sogar gleichviel was auch das Empfundene sey? — als dann die räumliche Form annehmen mögen. Nun aber behaupte ich weiter, dass der Unterschied zwischen todter und belebter Materie, das heisst, zwischen Physik und Physiologie, nicht eher begriffen werden könne, als bis man den Geist durch Hülfe der Psycho- logie kennt. Denn in jedem der unzählbaren (nicht un- endlich-vielen) Elemente des organischen Leibes — so- wohl in der Pflanze als im Thiere, — ist ein Analogon der geistigen Ausbildung, welches man unmöglich auf der Oberfläche der Erscheinungen finden kann. Ein Fragment unserer eignen geistigen Bildung nehmen wir innerlich wahr; dieses Fragment ergänzt die specula- tive Psychologie, gestützt auf Metaphysik, zu einer wis- senschaftlichen Einsicht; alsdann kommt ihr eine andre, gleichfalls metaphysische Wissenschaft, die Naturphilo- sophie, mit dem Begriffe der Materie entgegen; einer solchen Materie nämlich, wie man sie durch Chemie und Mechanik kennt; nun erst lässt sich weiter fragen, wie wohl eine Materie beschaffen seyn würde, deren einzelne Elemente nicht bloss durch ihre ursprüngliche Qualität, sondern auch durch eine, der geistigen analoge, Bildung, bestimmt wären? Nun lässt sich einsehen, dass eine so geartete Materie im Raume durch Bewegungen erschei- nen müsse, die nicht bloss nach mechanischen und che- mischen Gesetzen geschehen können. Und dann endlich tritt die Erfahrung hinzu mit ihrer Aussage, es gebe wirklich solche Materie, an der die Erklärungen der Me- chanik und Chemie nothwendig scheitern müssen; es gebe aber sehr verschiedene Stufen, in welchen sich dieselbe über die chemischen und mechanischen Gesetze erhebe; diese Stufen seyen nicht bloss an den Pflanzen und Thie- ren überhaupt, sondern an den einzelnen Theilen und Systemen derselben verschieden; auch steige in der so- genannten Assimilation solche Materie, die als Nahrungs- stoff aufgenommen worden, continuirlich höher in ihrer Bildung; wie denn dieses Alles nach jenen, a priori ge- fundenen, Gründen nicht anders zu erwarten war. Aber der Sprachgebrauch benennt mit dem Worte Leben — erstlich die innern Erscheinungen der gei- stigen Bildung, welche wir in uns wahrnehmen; zwey- tens die räumlichen Erscheinungen, wodurch Pflanzen und Thiere sich über Metalle und Steine, Luft und Wasser erheben. Wenn nun diese räumlichen Erschei- nungen (wie so eben gesagt) nichts anders sind als Re- sultate der innern Bildung; die nicht erscheinen kann, ausser in unserm Bewusstseyn von dem, was in uns vor- geht: so ist in dem Worte Leben die schlimmste Ver- mengung, die nur irgend sich denken lässt. Nicht an- ders, als ob Einer die Gedanken eines Individuums verwechseln wollte, mit den Worten anderer Indivi- duen; oder genauer, das Innere des Einen mit den äu- ssern Zeichen vom Innern nicht bloss Eines An- dern, sondern Vieler, ja unzählig vieler zusammen- wirkender Andern . Diese Verwechselung ist um de- sto ärger, je unvollkommner einerseits unser Wissen von uns selbst, so wie die dunkele innere Wahrneh- mung es darbietet; je mangelhafter andererseits unsre Kenntniss der physiologischen Thatsachen; je entfern- ter endlich die Analogie unseres Innern mit dem, was in den einzelnen Elementen der Thiere und Pflanzen auf allen den unzähligen Bildungs- stufen derselben vorgeht. Ja! kennten wir dieses letztere genau, dann erst würde die ungeheure Schwie- rigkeit hervortreten, aus den innern Zuständen die äussern, räumlichen Veränderungen zu erklä- ren . Und das grösste Unglück ist, dass unsre Physiker von dieser Aufgabe nicht einmal den ersten Begriff ha- ben. Sie wissen gar nicht, dass Materie überhaupt, gleichviel ob todte oder lebende, nichts anders ist als das Resultat der innern Zustände, worein sich die einfachen Elemente gegenseitig versetzen . Sie wissen es nicht, obgleich es ihnen schon Chemie und Mineralogie so deutlich vor Augen legen, als die Erfahrung dergleichen Dinge aussprechen kann. Ein paar dürftige Hypothesen von Polaritäten, elektrischen Kräften, — und das allmächtige Wort Leben , — diese sollen alle jene ungeheuren Klüfte und Lücken unseres Wissens bedecken; damit ja Niemand sich einfallen lasse, zu Fleiss und Genauigkeit im speculativen Denken auf- zufordern! Aber ich lasse mich dadurch nicht abhalten. Herr Professor Rudolphi wird mir nach diesen Erklärungen verzeihen, wenn ich den Streit, den er in seinem §. 324. mit mir angefangen hat, nicht fortsetze. Es gereicht mir zur Ehre, dass er auf mein Lehrbuch der Psychologie einige Rücksicht hat nehmen wollen; allein so sehr ich wünschte, mit einem so ausgezeichne- ten Gelehrten in Untersuchung gemeinschaftlich eintreten zu können, so müssten doch die Anfangspuncte unserer Discussion ganz anders gewählt werden, wenn einige Hoffnung des Erfolgs vorhanden seyn sollte. Auf jeden Fall aber ist gerade Herr Prof. Rudolphi derjenige un- ter den Physiologen, (so weit ich sie kenne,) dem ich noch am ersten mich nähern könnte; denn jene Puncte, worin er von meiner Ansicht sich freylich weit entfernt, charakterisiren, wie es mir scheint, nicht sowohl ihn, als vielmehr die jetzige Lage der Wissenschaft, der jeder ein- zelne Gelehrte natürlich mehr oder weniger nachgeben wird. Diejenigen aber, welche dem Empirismus zugethan sind, könnten, wenn sie wirklich für die Lehren der Er- fahrung Empfänglichkeit besitzen, aus dem heutigen Zu- stande der Physiologie lernen, wie viel, oder vielmehr wie wenig, die blosse Erfahrung leiste. Als empirische Gelehrsamkeit steht die Physiologie auf einer Höhe, die Niemand verachten wird, sie wandelt überdies im Lichte der heutigen Physik; gleichwohl hat sie begierig, wie der Schwamm das Wasser, jene Naturphilosophie in sich gesogen, die eben deswegen nichts weiss, weil sie damit anfing, das Universum a priori zu construiren. Gegen diesen Irrthum hat keine andre Wissenschaft sich so schwach, so zu allem Widerstande unfähig gezeigt, als eben die Physiologie. Das Gerede vom Leben ist das todte Meer geworden, in welchem der philosophische Untersuchungsgeist ertrunken liegt, so dass er jetzt, wo- fern überhaupt eine Art von Auferstehung für ihn zu hof- fen ist, sich in ganz unbefangenen Köpfen von neuem erzeugen muss. Zweyter, analytischer Theil . Erster Abschnitt . Vom geistigen Leben überhaupt. Erstes Capitel . Ueber die Verbindung der sogenannten drey Hauptvermögen der Seele. §. 103. V orstellen, Fühlen, und Begehren, sind bekanntlich die drey obersten Klassenbegriffe, durch deren Zusam- menfassung man das geistige Leben, ohne Rücksicht auf den Unterschied zwischen dem Menschen und den Thie- ren (welchen wir in diesem ersten Abschnitte noch bey Seite setzen,) glaubt bezeichnen zu können. Allein, wie man sie zusammenfassen müsse, um die Einheit des gei- stigen Lebens richtig zu erkennen? Das ist die Frage, welche man aus blosser Erfahrung nicht beantworten konnte; und woran wir nun zuerst uns wagen wollen, um zu sehen, ob unsre synthetischen Untersuchungen etwas Brauchbares zur Verzeichnung der äussersten Umrisse der Psychologie geleistet haben? Denn hoffentlich wird für jetzt noch Niemand verlangen, dass wir den Faden der Nachforschung über das Selbstbewusstseyn, schon hier wieder aufnehmen sollten; die ausserordentlich gro ssen Schwierigkeiten dieses Gegenstandes, (den wir dem folgenden Abschnitte vorbehalten,) werden in frischem Andenken seyn; und es will sich noch nicht zeigen, dass die Statik und Mechanik des Geistes dieselben erleich- tert hätten. Nothwendig aber müssen wir einen Augenblick bey der Vorfrage verweilen: ob wohl Jemand jetzt noch ge- neigt sey, die Seelenvermögen wieder herbeyzubringen, und sie mit den zuvor nachgewiesenen Kraft-Aeusserungen der Vorstellungen selbst in Verbindung zu setzen. Die Lehren vom Gedächtniss und von der Einbildungskraft, von der Sinnlichkeit und der Vernunft, werden ohne Zweifel noch lange ihre Liebhaber behalten; allein hier kommt es nur darauf an, ob wohl mit und neben den Gesetzen der Mechanik von der unmittelbaren und der mittelbaren Wiedererweckung der Vorstellungen, an eine Wirksamkeit solcher besondern Vermögen, wie Gedächt- niss und Einbildungskraft, könne gedacht werden? Hier möchte denn doch wohl Jedermann in Verlegenheit ge- rathen, wenn er angeben sollte, wie die Seelenvermögen eingreifen in die schon in vollem Gange begriffene Thä- tigkeit der Vorstellungen selbst! Nach welchen Ge- setzen sollte es doch geschehen, dass die, schon gesetz- mässig wirkenden, Vorstellungen gestört würden von je- nen, ihnen fremden, Gewalten? — Vermuthlich nach gar keinen Gesetzen; denn bekanntlich ist an genaue Bestimmung der Bedingungen, wann, wie, und wie stark sich irgend eins der Seelenvermögen rege oder nicht, noch niemals in den Psychologien zu denken gewesen; die Vermögen sind sammt und sonders lauter transscen- dentale Freyheiten. Wenn man nun fürs erste auch nur soviel einsieht, dass wenigstens einige Functionen des Gedächtnisses und der Einbildungskraft ohne die dazu bestimmten Vermö- gen von Statten gehn; — und dass sich der hierüber aufgestellten Theorie die genannten Vermögen nicht schicklich mehr anfügen lassen: so wird man ein gerech- tes Misstrauen auch gegen die andern Seelenvermögen, deren vermeinte Functionen noch nicht erklärt sind, zu fassen nicht umhin können. In In der That aber sind wir schon um ein Beträchtli- ches weiter vorgerückt. Denn wenn man die Statik und Mechanik aufmerksam durchläuft: so findet man darin nicht bloss Spuren des sogenannten Erkenntnissvermö- gens, sondern auch Nachweisungen solcher Gemüths- zustände, die zu den Gefühlen müssen gerechnet wer- den. Hierüber sind nur noch einige Erläuterungen nö- thig, welche der folgende §. enthalten soll. Mit den Gefühlen hängen die Begierden sehr nahe zusammen. Auch von diesen werden wir die einfache- ren Regungen bald kennen lernen. Demnach ist die Frage: ob die Vermögen des Vor- stellens, Fühlens und Begehrens nur zufällig beysammen seyen, oder ob sie wesentlich zusammengehören? schon so gut als beantwortet; und es wird sehr bald einleuch- ten, dass man dieselben bis zu den niedrigsten Thieren hinab stets verbunden zu finden erwarten müsse; wie die- ses auch der Erfahrung entspricht. Aber man findet auch durch das ganze Thierreich die Wahrscheinlichkeit, dass alle geistig lebende Wesen etwas von den Vorstellungen des Räumlichen und Zeit- lichen besitzen. Man findet bey höheren Thieren sogar Spuren von allgemeinen Begriffen, wenigstens von Er- wartung ähnlicher Fälle; desgleichen vom Verstehen der Zeichen, die man ihnen giebt; wobey zu bemerken, dass nicht alle Sprache nothwendig Wortsprache seyn muss; und, was den innern Sinn anlangt, so hat man keinen zureichenden Grund, ihnen diesen gänzlich abzusprechen. Die natürliche Vermuthung, dass zu der ursprünglichen Verknüpfung des Vorstellens, Fühlens und Begehrens auch die eben genannten Vorstellungsarten mit gehören, wird im Folgenden bestätigt werden. Hingegen die eigentlich sogenannten oberen Vermö- gen, durch welche der Mensch sich über das Thier er- hebt, werden wir zwar nicht als einen unabhängigen, selbstständigen Zuwachs zum niederen Vermögen, jedoch als eine weitere Entwickelung kennen lernen, die bey den II. E Thieren nicht genug begünstigt, vielmehr so sehr er- schwert ist, dass sie nicht merklich werden kann. Bey allen Aufschlüssen hierüber wird dies der wich- tigste Umstand seyn, dass wir uns der Frage nach dem Causal-Verhältnisse der Seelenvermögen, nach ihrem Einflusse auf einander, im Voraus überhoben finden; in- dem jene, aus der innern Erfahrung bekannte, rasche und beständige Abwechselung des Vorstellens, Fühlens, Begehrens, mit allen dazu gehörigen Modificationen, wo- bey keins dieser Drey die andern ganz verdrängt, viel- mehr jedes fast immer zugleich auch die übrigen beyden in sich schliesst, so dass eigentlich nur das Uebergewicht unter ihnen wechselt, — sich uns von selbst als der ein- zig natürliche und nothwendige Verlauf der geistigen Er- eignisse wird zu erkennen geben. In der That sind es nur Abstractionen, denen wir uns hingeben, — es sind Benennungen a potiori , mit denen wir uns behelfen, wenn wir sagen, ich fühle, oder ein andermal, ich begehre, oder wiederum ein andermal, ich denke. Denn jedesmal, indem wir fühlen, wird irgend etwas, wenn auch ein noch so vielfältiges und verwirrtes Mannigfaltiges, als ein Vorgestelltes im Bewusstseyn vor- handen seyn; so dass dieses bestimmte Vorstellen in die- sem bestimmten Fühlen eingeschlossen liegt. Und je- desmal, indem wir begehren, fühlen wir zugleich die Entbehrung, und haben auch dasjenige in Gedanken, was wir begehren; so wie jedesmal, indem wir denken, eine Thätigkeit wirksam ist, die, wenn sie aufgehalten würde, wenn sie sich durch Hindernisse durchdrängen müsste, alsbald sich als ein Begehren, den Gedanken hervorzuhohlen, verrathen würde. Gedanken, kann man sagen, sind die Begierden, die im Entstehen sogleich erfüllt werden; Begierden hingegen sind aufgehaltene Gedanken, die sich dennoch ins Bewusstseyn drängen; Gefühle endlich sind zusammengewachsene Begierden, die einander entweder aufheben oder befriedigen. Doch in die- sen Ausdrücken liegt keine wissenschaftliche Genauigkeit. Bevor wir dies alles mit mehr Bestimmtheit erörtern, soll hier noch eine allgemeine Erinnerung statt finden, welche nicht vergessen werden darf, wenn man sich in psychologischen Untersuchungen wissenschaftlich orientiren will. Diese nämlich, dass eine nicht geringe Vertraut- heit mit den Ansichten des Idealismus nöthig ist, um die psychologischen Probleme richtig aufzufassen. Es giebt überhaupt keinen gründlichen Realismus, als nur allein den, welcher aus der Widerlegung des Idealismus hervorgeht. Wer unmittelbar auf das Zeug- niss der Sinne sich beruft, wenn von der Realität der Aussendinge die Rede ist, der ist unwissend in den er- sten Elementen der Philosophie. Die Welt, welche uns erscheint, ist unser Wahr- genommenes; also in uns. Die reale Welt, aus welcher wir die Erscheinung erklären, ist unser Gedachtes; also in uns. Dem gemäss sollten wir unser eignes Ich, Allem zu Grunde legen. Aber hievon ist die Unmöglichkeit und völlige Ungereimtheit, im Anfange des ersten Theils dieses Buchs ausführlich nachgewiesen; und diese Unge- reimtheit würde nur noch grösser werden, wenn man (nach Fichte ) das reine Ich zugleich denken wollte als ursprünglich setzend ein Nicht-Ich. Daraus entspringt die Ueberzeugung, dass wir, um uns selbst , sammt unsern Vorstellungen von der Welt, denken zu können; und um hiebey nicht in eine bodenlose Tiefe des Unsinns zu gerathen, ein mannigfaltiges Reales in allerley Verhältnissen und Lagen, voraussetzen müssen; dessen Bestimmungen die allgemeine Metaphysik soweit beschreibt, als sie zur Denkbarkeit der Erfahrung nö- thig sind. So gewiss nun solchergestalt die wahre Philosophie streng und vollkommen realistisch ist: so bleibt es den- noch wahr, dass alle Gegenstände des gemeinen und des philosophischen Wissens lauter Vorstellungen sind; dass alles Anschauen und Denken, alle Entbehrung und Be- friedigung der Begierden, alle Lust und Unlust, in die E 2 Eine grosse Klasse der psychologischen Ereignisse fällt, und also auch einer psychologischen Erklärung bedarf. Obschon die allgemeine Metaphysik lehrt, dass man auch die von uns unabhängige, reale Welt durch Begriffe des Raums und der Zeit denken müsse, so darf man sich doch nicht einbilden, dass dieser Raum und diese Zeit gleichsam von aussen her in die Seele kämen, und in die Wahrnehmungen der Sinne hinübergingen; son- dern in dem ganz unreimlichen Vorstellen müs- sen die räumlichen Bestimmungen des Vorgestellten sich von vorn an erzeugen. Obschon zur Befriedigung unserer Begierden wirkliche, reale Gegenstände nöthig sind: so dringen doch diese Gegenstände nicht in die Seele; was uns unmittelbar befriedigt, das ist eine blosse Vorstellung, in einem psychologisch zu bestim- menden Verhältnisse zu andern, schon vorhandenen Vor- stellungen. Obschon wirkliche Schwingungen von Kör- pern ausser uns nöthig sind, damit wir harmonische Ver- hältnisse von Tönen mit Lust vernehmen können: so ge- schieht doch nicht das Mindeste, was mit diesen Schwin- gungen auch nur die entfernteste Aehnlichkeit hätte, in der Seele selbst; sondern etwas ganz Heterogenes (Ver- schmelzungen vor der Hemmung) muss in uns geschehn, woraus diese, und auf ähnliche Weise auch andere Lust- gefühle, sich rein psychologisch erklären lassen. Mit ei- nem Worte, die Psychologie hat mit dem Idealismus alle Fragen gemein; nur nicht die Antworten. Und die Seele wohnt zwar in einem Leibe, auch giebt es corre- spondirende Zustände des einen und der andern; aber nichts leibliches geschieht in der Seele, nichts rein-gei- stiges, das wir zu unserm Ich rechnen könnten, geschieht im Leibe; die Affectionen des Leibes sind keine Vor- stellungen des Ich, und unsre angenehmen und unange- nehmen Gefühle liegen nicht unmittelbar in dem begün- stigten und gehinderten organischen Leben Mangel an Uebung in den Ansichten des Idealismus ist gerade der Hauptgrund, weshalb selbst scharssinnigen Physiologen die Be- . §. 104. Wir gehn nunmehr an das Geschäfft, die Gefühle und Begehrungen in dem Kreise des Bewusstseyns auf- zusuchen; das heisst, in der Mitte desjenigen Vorstellens, was in jedem Augenblicke von der schon geschehenen Hemmung noch übrig ist. Eine negative Bestimmung muss vorausgehn, um die Gränzen abzustecken, inner- halb welcher man die positiven zu suchen hat. Die Zustände des Vorstellens, Begehrens und Füh- lens, sind sämmtlich Zustände des Bewusstseyns; folglich kann ihre unmittelbare Erklärung nicht liegen in demjenigen, was die Statik und Me- chanik von Vorstellungen lehrt, sofern sie sich nicht im Bewusstseyn befinden . Dahin nun gehört zuvörderst alles dasjenige, was wir oben ein Streben vorzustellen genannt haben. Wenn demnach im gemeinen Leben, oder auch wohl in philosophischen Untersuchungen, von Bestrebungen gesprochen wird, deren man sich bewusst sey, so sind diese niemals geradezu selbst jenes Streben vorzu- stellen, wenn sie schon darin ihre nächste Ursache fin- den können. Das wirkliche Streben vorzustellen, ist, wie wir längst wissen, nur in so fern vorhanden, als die Vorstellungen nicht wirklich von Statten gehn, als ihr Object verdunkelt ist, oder mit andern Worten, als sie aus dem Bewusstseyn verdrängt sind, und folglich nicht mehr im Kreise der innern Wahrnehmung liegen. Hin- gegen die Bestrebungen deren man sich bewusst ist, kön- nen überall nicht unmittelbar für wirkliche Bestrebungen gelten; sie sind Phänomene , über deren Realität erst ihre Erklärung den Ausspruch thun muss. Manche Philosophen stehn in dem Wahne, der ei- gentlich reale Begriff der Kraft komme uns im Selbst- handlung psychologischer Gegenstände so schlecht gelingt. Sie kleben immerfort am Räumlichen; Uebersinnliches, und genaues Denken, sind ihnen entgegengesetzte Pole. gefühle, im Gefühle des eignen Strebens, Wollens, und Handelns. Daraus entsteht eine heillose Pfuscherey in der allgemeinen Metaphysik, die an Psychologie nur gar nicht mehr erlaubt zu denken. Metaphysische Begriffe können überall nicht durch Gefühle bestimmt werden; in der Psychologie aber muss man sich sehr hüten, die noch ungeläuterten metaphysischen Begriffe, die wir aus dem gemeinen Denken auf uns selbst zu übertragen pflegen, nicht in dieser rohen Gestalt für Offenbarungen des Selbstbewusstseyns zu halten; da sie nicht einmal zu richtigen Ausdrücken der Phänomene taugen, welche sich der innern Wahrnehmung darbieten. Wir können von realen Kräften, Vermögen, Strebungen, gar Nichts un- mittelbar in uns wahrnehmen; und alle Einbildungen der Art, von der rohen Leibeskraft bis zur transscendentalen Freyheit, sind nur Beweise, dass es eben an der Wis- senschaft fehle, die wir hier suchen. Es folgt nun, zweytens, von selbst, dass auch das Sinken unserer Vorstellungen nicht unmittelbar dasje- nige seyn kann, worin die Zustände des Vorstellens, Wollens, und Fühlens bestehn. Denn die sinkenden Vorstellungen verschwinden aus dem Bewusstseyn gerade in so fern und gerade um so viel, als sie sinken. — Schon oben ist daran erinnert worden, dass man sein eignes Einschlafen nicht wahrnehmen kann; dasselbe gilt von dem Einschlafen jeder einzelnen Vorstellung auch während der Zeit, da der Mensch übrigens wacht. Ja es gilt von jedem Grade der Verdunkelung einer noch zum Theil wachenden Vorstellung. Und daher ist kein Uebergang zu einem mehr gehemmten Zustande für sich selbst fähig, eine Bestimmung dessen abzugeben, was in uns geschieht, in so fern dieses genau das nämliche seyn soll, was wir in uns wahrnehmen. Es bleibt also zur nächsten Erklärung des Vorstel- lens, Begehrens und Fühlens nichts anderes übrig, als nur das Bestehen unserer Vorstellungen im Bewusstseyn, und das Emporsteigen derselben zu einem kläreren Be- wusstseyn. Denn von den vier möglichen Bestimmungen der Vorstellungen, dass sie entweder im Bewusstseyn ste- hen, oder sich im gehemmten Zustande befinden, oder dass sie steigen, oder dass sie sinken, — hievon sind zwey abgewiesen; und wir müssen nun nachsehn, was die übrigen beyden leisten können. Dass eine Vorstellung im Bewusstseyn bestehe, heisst bekanntlich nichts anderes, als nur, dass sie eben jetzt ihr Object wirklich vorstellt. Besteht eine Vorstellung des Blauen im Bewusstseyn, so wird das Blaue nun wirklich vorgestellt. Desgleichen, dass eine Vorstellung steige, heisst nichts anderes, als, dass sie ihr Vorgestell- tes jetzo klärer, mit mehr Intension vorbilde, als unmit- telbar zuvor, da sie noch in einem mehr gehemmten Zu- stande war. Offenbar bezieht sich dieses alles bloss auf das soge- nannte Vorstellungsvermögen; und es möchte bald schei- nen, als müssten wir doch am Ende noch auf ein eignes Vermögen des Begehrens und Fühlens zurückkommen. Doch die scheinbare Verlegenheit verschwindet durch folgende Bemerkungen: 1) Wenn eine Vorstellung steht im Bewusstseyn, so ist ein Unterschied, ob sie selbst mit den hemmen- den Kräften im Gleichgewichte ruht, oder aber ob sich an ihr eine hemmende und eine emportreibende Kraft das Gleichgewicht halten. Im ersten Falle befindet sie sich in Hinsicht des vorhandenen Grades von wirklichem Vorstellen, in einem unangefochtenen Zustande; denn da sie im Gleichgewichte ruht, so muss die Hemmungs- summe gesunken, das heisst, der Nöthigung zum Sinken Genüge geleistet seyn. — Hingegen im zweyten Falle ist der Nöthigung zum Sinken keinesweges Genüge ge- schehn; die Vorstellung besteht vielmehr wider diese Nöthigung, und trotz derselben, indem eine andre mit- wirkende Kraft, z. B. eine Verschmelzungshülfe, oder eine ganze Summe solcher Hülfen, ihr nicht erlaubt, dem Drucke, von dem sie getroffen wird, nachzugeben. — Dieser Unterschied ist kein Unterschied für das Vorstel- len; vielmehr das Vorgestellte hat im einen und im an- dern Falle die gleiche Klarheit. Dennoch ist dieser Un- terschied für das Bewusstseyn vorhanden, denn er be- trifft die Vorstellung gerade in wie fern sie wacht, und nicht gehemmt ist. Mit welchem Namen sollen wir nun die letztere Bestimmung des Bewusstseyns, da ein Vor- stellen zwischen entgegenwirkenden Kräften eingepresst schwebt, benennen, zum Unterschiede von jener ersten Bestimmung, da dasselbe, nicht hellere und nicht dunk- lere Vorstellen, vorhanden ist, ohne eine Gewalt zu er- leiden? Wie anders werden wir den gepressten Zustand bezeichnen, als durch den Namen eines mit der Vorstel- lung verbundenen Gefühls ? 2) Wenn eine Vorstellung steigt: so ist ein Unter- schied, ob sie sich selbst überlassen steige, (etwa nach dem Gesetze des §. 81.) oder ob ihr in diesem Steigen ein Hinderniss begegnet, das nur nicht völlig stark genug ist, ihr das Steigen gänzlich zu verwehren; oder ob noch antreibende, vielleicht auch nur begünstigende Kräfte (nach §. 87.) mitwirken. Die nähern Modificationen hie- von können sehr mannigfaltig seyn, wie schon die obi- gen, zur Mechanik des Geistes gehörigen Untersuchun- gen deutlich genug zeigen. Auch diese Unterschiede können nicht unbewusst bleiben, denn sie betreffen das wirkliche Vorstellen. Aber sie sind nicht Gegenstände des Vorstellens, sondern Arten und Weisen, wie das Vorstellen sich ereignet; diese Bestimmungen des Be- wusstseyns, in so fern sie über das blosse Vorstellen hin- ausgehn, können nur Gefühle heissen. Dabey nun sind sie die Begleiter aufstrebender , und eben deshalb wirksamer Vorstellungen, es verbinden sich also mit den schon erwähnten Bestimmungen des Bewusstseyns noch Wirkungen und Abänderungen theils in andern Vorstellungen und Gefühlen, theils vielleicht in der Wahrnehmung, wenn nämlich ein äusseres Handeln, also eine Thätigkeit des Organismus nach physiologi- schen Gründen hinzugekommen ist. — Mit welchem Namen sollen wir nun die fortlaufenden Uebergänge aus einer Gemüthslage in die andre bezeichnen, deren her- vorstechendes Merkmal das Hervortreten einer Vorstel- lung ist, die sich gegen Hindernisse aufarbeitet , und dabey mehr und mehr alle andern Vorstellungen nach sich bestimmt, indem sie die einen weckt, und die andern zurücktreibt? Man wird keinen andern Namen finden, als den des Begehrens . Die Hauptsätze über das Begehren finden sich im §. 150. Denn dieses eben unterscheidet sich von dem Gefühle, so wie vom Vor- stellen, dadurch, dass es nicht als ein Zustand, sondern nur als eine Bewegung des Gemüths gedacht werden kann; wie daraus klar ist, dass es bey gegebener Gele- genheit sogleich handelnd ausbricht, oder, wenn die Ge- legenheit fehlt, wenigstens Pläne zum künftigen Handeln hervorruft. Diese Pläne aber sind nichts anders als zu- sammengetriebene Vorstellungen, welche wegen ihrer Verschmelzungen und Complicationen mit jener aufstre- benden, sich sämmtlich nach ihr richten, ja sich so zu- sammenfügen müssen, dass aus ihnen keine, oder doch die geringste mögliche Hemmung, für jene vorherrschende, entspringe. — Will man aber, um hiegegen Einwürfe zu machen, den Versuch anstellen, sich eine unbewegte, völlig vestgehaltene Begierde zu denken, so wird man leicht bemerken, dass hiebey Verwechselungen vorgehn. Zwar giebt es allerdings Stillstände im Begehren, (so- bald die hemmenden Kräfte Spannung genug erlangen,) und nach denselben neue Ausbrüche, (durch neu gege- bene oder erweckte Vorstellungen); aber die Stillstände sind unbehagliche Gefühle, und die neuen Ausbrüche sind neues Begehren . Jene sind Pausen im Begeh- ren; und nur dann, wann sie von kurzer Dauer sind, werden sie so wenig bemerkt, dass man die Begierde als fortdauernd ansieht. 3) Wenn eine Vorstellung sinkt: so ist ein Unter- schied, ob sie ohne Weiteres den hemmenden Kräften nachgiebt; oder ob sie, zwar sinkend, und vielleicht durch immer zunehmende Hemmung fortgetrieben, doch durch Verbindungen gehalten, oder durch neue Wahrnehmun- gen verstärkt, noch zaudert , aus dem Bewusstseyn vol- lends zu entweichen. Auch dieser Unterschied muss sich im Gefühle verrathen; und überdies ist hieraus das Ver- abscheuen herzuleiten. Dieses ist eigentlich auch ein Begehren; aber nicht ein Begehren, das in irgend einer einzelnen, hervorragenden Vorstellung seinen Sitz hätte, wie die Begierde im gewöhnlichen Sinne. Vielmehr liegt es in dem ganzen Systeme zusammenwirkender Vorstel- lungen; die sich wieder eine einzelne, sie alle drückende Vorstellung, in Freyheit zu setzen streben, und die da- mit aus irgend einem Grunde nicht sogleich zu Stande kommen können. Begierde und Abscheu kommen darin überein, dass in beyden gewisse Vorstellungen gegen ein- ander drängen. Aber sie unterscheiden sich durch das Object, das in ihnen am lebhaftesten vorgestellt wird. In der Begierde ist die Vorstellung des begehrten Gegenstandes zugleich die lebhafteste und die herr- schende; im Abscheu ist die einzelne Vorstellung des verabscheuten Gegenstandes klärer als jede einzelne der gegenwirkenden Vorstellungen; aber alle gegen- wirkenden zusammengenommen ergeben ein herr- schendes Totalgefühl, und bilden eine Gesammtkraft, durch deren Thätigkeit die Gemüthslage auf ähnliche Art in einen continuirlichen Uebergang versetzt wird, wie beym Begehren. Zu allem diesem kommt nun noch 4) die ganze Mannigfaltigkeit solcher Gemüthszu- stände, welche aus der Verschmelzung vor der Hem- mung, oder dem dahin zielenden Streben, entspringen müssen. Man vergleiche hier die §§. 71. und 72. Man gehe ferner zurück zu §. 61; 66; und besonders zum §. 87. Allein um hierüber deutlicher zu sprechen, ist eine Analyse nöthig, die wir dem Folgenden vorbe- halten. Genug, wenn man jetzt einsieht, nicht bloss dass die Zustände des Vorstellens, Begehrens und Fühlens in der innigsten Verbindung stehn, und mit einander zum geistigen Leben gehören: sondern auch, wie sie verbunden sind, indem die Begierden und Gefühle nur Arten und Weisen sind, wie unsre Vorstellungen sich im Bewusstseyn befinden. Allein das Ungewohnte dieser Ansicht steht ihr im Wege. Es wird nöthig seyn, zu dem Gewohnten zurück zu gehn, und es mit dem so eben Vorgetragenen zu ver- gleichen. Machen wir zu einer solchen Vergleichung einen kurzen Versuch, bloss in einer kleinen Probe. Ich nehme eins der neueren, mit Achtung aufgenommenen, psycho- logischen Werke zur Hand; Maass von den Gefüh- len ; nicht in der Absicht, gegen dieses Werk zu pole- misiren, da man in hundert älteren und noch neueren Schriften eben so grosse, und grössere, Fehler finden würde; sondern damit der heutige Zustand der Wissen- schaft zu Tage komme; und weil die Gefühle in einem, ihnen insbesondere gewidmeten Werke doch am er- sten erwarten können, mit Anfmerksamkeit behandelt zu werden. Gleich im Anfange des ersten Abschnitts, S. 14. u. s. w. lese ich folgendes: „Die grösste Stärke haben Gefühle, „(so wie alle Empfindungen überhaupt,) unter übrigens „gleichen Umständen, alsdann, wann sie uns noch neu „und ungewohnt sind.“ Schon hier ist eine starke Verwechselung ganz hete- rogener Dinge. Die Neuheit der Empfindungen, wenn die Rede ist von Wahrnehmungen, begünstigt darum ihre Stärke, weil die Empfänglichkeit (welches Wort in dem obern genau bestimmten Sinne zu nehmen ist,) dafür noch nicht erschöpft ist. (Vergleiche oben §. 94., wo wir die s en Gegenstand der Rechnung unter- worfen haben.) Die Neuheit der Gefühle , nämlich von Lust und Unlust, ist deshalb für ihre Stärke wichtig, weil die Gemüthslage, die aus den wider einanderwirken- den Vorstellungen entspringt, nicht haltbar ist, sondern sich, eben durch die Thätigkeit dieser Vorstellungen selbst, insbesondre durch das Sinken der Hemmungs- summen, allmählig in einen ruhigern Zustand verlieren muss. Uebrigens kann Niemand behaupten, dass die Ge- fühle gerade im Augenblicke des Entstehens ihr Maxi- mum hätten, wie dieses von der Stärke der augenblick- lichen Wahrnehmung gilt, nach obigen Lehrsätzen. Herr Professor Maass fährt fort: „Denn 1) Je mehr ein Gefühl noch neu und unge- „wohnt ist, desto weniger Fertigkeit hat das Gefühlver- „mögen schon erlangt, dasselbe aufzufassen, und desto „mehr muss es sich also dabey anstrengen. Je mehr „dies aber der Fall ist, desto mehr beschäfftigt uns das „Gefühl, und desto stärker ist es also.“ Sollen wir dies wörtlich nehmen: so ist das Gefühl- vermögen nicht etwan ein Vermögen, Gefühle zu er- zeugen , sondern irgend welche, vermuthlich schon vor- handene, Gefühle aufzufassen . Wir wollen nicht fra- gen, woher denn die aufzufassenden Gefühle kommen, und wie sie in das Gefühlvermögen hineinkommen mögen. Nur folgendes dringt sich auf: Eine Fertigkeit macht ihren Besitzer geschickter zu seinem Geschäfft, und das Werk dieser Fertigkeit wird durch sie selbst grösser und vollständiger. Hier aber lernen wir ein Vermögen (näm- lich das Gefühlvermögen,) kennen, das seine Sachen um so besser macht, je weniger Fertigkeit es hat; und des- sen Product, (das Gefühl,) um so geringfügiger ausfällt, je mehr die Fertigkeit zunimmt! „2) Alles Neue spannt die Aufmerksamkeit an, und „setzt die Kräfte in Bewegung. Denn es giebt, oder „verspricht, (wenn auch oft nur dem Scheine nach), eine „Erweiterung unserer Erkenntniss und eine Vermehrung „von Gegenständen des Gefühls und des Begehrens. „Alle Kräfte aber haben ein angebornes Bestreben, sich „zu äussern, und regen sich, sobald sich nur Veranlas- „sung darbietet. Daher muss alles Neue, und folglich „auch ein neues Gefühl, bloss darum, weil es neu ist, die „Aufmerksamkeit anspannen, und alle unsre Kräfte in „Bewegung setzen.“ Wir lernen hier, dass nicht bloss die Seele ange- borne Kräfte besitzt, sondern dass den Kräften wiederum Bestrebungen angeboren sind; daher vermuthlich aber- mals den Bestrebungen gewisse fernere Bestimmungen wer- den angeboren seyn. Es ist ein schlimmes Zeichen für eine Kraft, wenn sie, statt ohne Weiteres zu thun , was ihres Amts ist, erst noch ein Bestreben hat, und auf Veran- lassungen wartet. Solche wartende Kräfte sind gar nicht, was ihr Name verheisst; sie sind misgeborne Kinder ei- ner falschen Physik oder Metaphysik; dergleichen frey- lich in der Bücherwelt genug herumlaufen. Das Schei- dewasser im Glase wartet nicht, dass ein Metall sich darbiete, um aufgelöset zu werden; sondern der Physiker ists, welcher die wartende Kraft in das Scheidewasser hineindichtet; die wahre Metaphysik aber könnte ihn ei- nes Bessern belehren. Warum denn mögen die neuen Gefühle stärker seyn, die älteren schwächer? Verliert sich etwa das angeborne Bestreben mit der Zeit? Gesetzt, der Magnet habe ein angebornes Verlangen nach Eisen: so wird dies Verlan- gen gewiss stärker, je länger man ihm sein Eisen lässt; denn bekanntlich trägt er je länger desto mehr! Warum ist es anders mit dem Streben des Gefühlvermögens, Gefühle aufzufassen? — Man sieht, der zweyte Grund ist = o ; daher bleibt es bey dem ersten; die Fertigkeit zu Fühlen wird grösser, darum werden die Gefühle — schwächer ! Weiterhin kommt bey Herrn Maass noch die Be- merkung vor, das Gefühlvermögen halte die zu starken Gefühle nicht lange aus, weil jede endliche Kraft, je stärker sie angespannt wird, um so eher wieder nachlas- sen und erschöpft werden muss. Wäre es mir um eine Instanz zu thun: so würde ich verschweigen, dass meine Metaphysik alle räumlichen, anziehenden und abstossenden Kräfte verwirft; und als- dann fragen, ob denn die anziehende Kraft der Sonne gegen die Erde, oder die anziehende Kraft des Sauer- stoffs gegen den Wasserstoff, etwan unendliche Kräfte, und darum ausgenommen sind von der Regel, dass an- gespannte Kräfte nachlassen müssen? Jetzt aber will ich lieber fragen, was für ein Begriff hinter dem Worte Anspannung verborgen sey, — welches bekanntlich zunächst nur auf die Körperwelt, auf vergrösserte räum- liche Ausdehnung passt; und dessen Anwendung auf das Gefühlvermögen zwar vortrefflich ist im rhetorischen Ge- brauche, aber sehr mislich an den Orten, wo es der empirischen Psychologie nach ihrer Laune beliebt, nun einmal nicht bloss empirisch seyn, sondern auch etwas erklären zu wollen. Ich selbst habe mich oben des Ausdrucks Spannung auch für geistige Kräfte bedient; aber diesen Ausdruck schon im §. 42. genau erklärt, woraus unter andern hervorgeht, dass die Spannung der Vorstellungen ihre Kraft im geringsten nicht vermindert, erschöpft, oder abnutzt, sondern stets auf gleiche Weise die Bedingung ihrer Wirksamkeit ausmacht. Und so gebührt sichs für Alles, was mit Recht den Namen der Kraft trägt. §. 105. Wir können nunmehr die Analyse der Gefühle un- ternehmen, so weit sie für diesen Abschnitt gehört. Da- bey muss aber vorausgesetzt werden, dass der Leser sich in die Beobachtung seiner selbst versenke; das Fühlen ist seine eigne Sache; und nur zur Reflexion darüber, zur Sonderung des sehr verwickelten Mannigfaltigen, wel- ches er finden wird, kann die Theorie ihn leiten. Man erinnere sich zuerst der Bemerkung, welche schon in der Einleitung, den vorläufigen Analysen des Verstandes und der Vernunft voranging; dass man nicht anfangen muss bey dem Ersten und Frühesten, welches in unserer Kindheit entstand, als wir noch nichts in uns beobachten konnten; sondern bey dem Neuesten, eben jetzt im Werden Begriffenen, welches eben darum, weil es gegenwärtig geschieht, sich auch gegenwärtig beobach- ten lässt. Dies muss erst gleichsam oben abgehoben werden, ehe man das tiefer Liegende, gleichsam Ver- schüttete, heraus hohlen kann, welches man verunstalten würde, wenn man es voreilig ergreifen wollte. A. Nun findet sich jeder Mensch an irgend einem Platze in der Gesellschaft . Er gehört ent- weder zu den Dienenden, oder zu den gemeinen Freyen, oder zu den Angesehenen, oder er steht an der Spitze; (man vergleiche die Sätze über die Statik des Staats in der Einleitung;) welche Bestimmungen mancher Modifi- cationen fähig sind, die Jeder für sich selbst aufsuchen kann. Hievon hängt der äussere Umriss seines Gefühls- zustandes ab. Er ist nämlich bis auf einen gewissen Grad eingetaucht in die allgemeine gesellschaftliche Hem- mung. Gewisse Hoffnungen sind ihm abgeschnitten, und Aussichten versperrt; hiedurch ist die Möglichkeit solcher Gefühle, wie sie aus den ganz gehemmten, demnach für ihn so gut als nicht vorhandenen Vorstellungen, hätten entstehen können, aufgehoben. Der ganz Arme kennt nicht die Gefühle des Reichen als solchen; er ist frey von den Sorgen der Güterverwaltung; der Unwissende weiss nichts vom literarischen Ehrgeize; dem Bauern kann nicht die Empfindlichkeit des Angesehenen für die Kränkungen der Ehre beywohnen. Es giebt zwar Ein- zelne, die sich in höhere Stände hinein phantasiren; allein die grossen Dichter wären nicht so ausserordent- lich selten, wie sie wirklich sind, wenn jenes Phanta- siren, welches die gesellschaftliche Hemmung abzuwer- fen scheint, in den wirklichen Zustand, in die wah- ren Gefühle der Höheren einzudringen fähig wäre, ohne sich den mannigfaltigsten Täuschungen zu unter- werfen. Was die Hemmung übrig lässt, das bestimmt eben sowohl das Feld der Gefühle, als den Horizont der Vor- stellungen. Jeder fühlt sich mit der ihm noch übrigen Regsam- keit seiner Vorstellungen irgendwo, in bestimmten Punc- ten, geklemmt von der Gesellschaft. Man erinnere sich an das Stehen und Steigen der Vorstellungen wider eine Hemmung; wovon im vorigen §. die Rede war. Man begreift nun sogleich, dass diese grosse Klasse von Gefühlen in verschiedene Arten zerfällt, je nachdem das Streben, was gegen die Gränze drängt, an sich be- schaffen ist. Anders fühlt sich der moralische Mensch gedrückt von der Last des Bösen in der Welt; anders der wagende Kaufmann von denen, die neben ihm spe- culiren; anders der Gelehrte und Denker in der Mitte entgegenstehender Theorien; anders der Feldherr, wel- cher zwischen Sieg und Niederlage schwebt. Aber ge- nau besehen, ist das Gefühl, geklemmt zu seyn, in allen solchen Fällen von einerley Art; und die Verschieden- heit liegt nicht in diesem Gefühle selbst, sondern in der Beymischung irgend eines andern Gefühls, was in der Vorstellungsmasse, die gegen die Hem- mung drängt, schon an sich enthalten ist . So liegt ein eigenthümliches Gefühl in dem sittlichen Ge- dankenkreise des Menschen, welches das nämliche bleibt, auch wenn die Gesellschaft der Guten und Bösen ganz weggenommen wird, ein anderes Gefühl in dem Suchen und Erlangen oder Verlieren des Reichthums, welches von der Reibung wider Andre, die eben dahin streben, nicht abhängt, eben so hat die wissenschaftliche Evidenz, und der Besitz der Kenntnisse, eigne, starke Gefühle, die (glücklicherweise!) von dem Getöse des literarischen Markts zwar für Augenblicke unterbrochen werden, aber in sich unverändert bleiben; und selbst der Feldherr, ob- gleich dessen Spannung ganz vom Kriege abzuhängen scheint, scheint, wird doch noch ein Gefühl der Zuneigung für den vaterländischen Boden, oder eine Abneigung gegen den fremden, in sich haben können, welches in das Ge- fühl der Krieg-Führung sich zwar einmischt, so lange der Krieg dauert, aber früher entstand und später nach- bleibt. — Die Unterscheidung, welche wir hier gemacht haben, bietet uns eine sehr wichtige Analogie dar für das Folgende. B. Den äussern Hemmungen in der Gesell- schaft ähnlich sind die inneren zwischen den verschiedenen Vorstellungsmassen . Hier gehe man zurück zu der, in der Einleitung gegebenen, vor- läufigen Analyse der Vernunft. Man vergegenwärtige sich den Zustand der Ueberlegung. Es sey z. B. ein ungerechter Angriff abzuwehren. Soll es mit Worten, soll es mit Gewalt geschehen? Was ist zu hoffen von der Gewalt? Wird sie nicht die Kräfte des Gegners noch mehr concentriren und spannen? Was ist zu er- langen durch Worte? Lässt sich der Gegner versöhnen? Kann man sogar den Feind umschaffen in den Freund? Könnte man ihn vielleicht bloss durch Satyre demüthi- gen? Könnte man ihn durch Grossmuth beschämen? Oder ist es rathsamer, ihn zu beschäfftigen, ihm ander- wärts zu thun zu geben, seine Hülfsmittel zu theilen, ihn in neue Feindschaften zu verwickeln, ihm Freundschaft zu heucheln, und alsdann mit Arglist und Trug ihn im Netze zu fangen? — Aber hier erhebt sich das mora- lische Urtheil; und in die Ueberlegung mischt sich der Schreck! Konnte ein so schändlicher Gedanke in mir aufsteigen? Bin ich ein Neuling, ein Schwächling im Dienste der Tugend, so sehr, dass die ersten Grund- sätze des ehrlichen Mannes in mir wanken? Welche Abwesenheit des Geistes? Wohin könnte sie führen! Zurück zu andern Gedanken, andern Mitteln, Auswegen, Plänen! Sie müssen sicher, kräftig, aber tadelfrey, schick- lich, würdig seyn, und vor allen Dingen den Streit nicht noch mehr aufregen, sondern ihn möglichst besänftigen. — II. F Nachdem nun solche Mittel und Maassregeln gefunden sind, welche allen Rücksichten Genüge leisten, endigt die Ueberlegung in ein Gefühl der innern Harmonie, und der Entschluss stellt sich vest; auch beginnt nun von neuem das gewohnte Handeln in den Kreisen des täglichen Lebens, welches, so lange die Ueberlegung dauerte, war gehemmt worden; nicht ohne ein Gefühl eines Druckes wie von aussen her ; indem die täglichen, gewöhnlichen Geschäffte gleichsam ungeduldig wurden, und nicht länger warten wollten. Diese unvollkommne Skizze hat längst von den Dich- tern ihre mannigfaltige Ausmalung erhalten. Aber hier kommt es nicht an auf den Schmuck, sondern auf Un- terscheidung der verschiedenen, zusammenstossenden Ge- dankenzüge; deren jeder, in gewissem Grade, den an- dern widerstrebt; und zwar so, dass jeder von den an- dern eine gewisse neue Aufregung und Lenkung annimmt; nur allein das moralische Urtheil ausgenommen, welches, so fern es wacht, unbiegsam vest steht; dagegen aber Gefahr läuft, mit Glimpf oder Gewalt — durch Sophi- sterey oder durch die Begierde, ja oftmals und ganz be- sonders, durch die grosse Geläufigkeit des weltklugen Handelns, niedergedrückt zu werden. Dass der letztere Fall wiederum zwiefach ist, indem das moralische Urtheil entweder betäubt, oder verachtet wird (der Unterschied der Schwäche und des Bösen,) gehört nicht hieher. Ueberhaupt ist die Gegenwart des moralischen Ur- theils für unsre jetzige Untersuchung nichts Wesentli- ches, sie dient hier bloss als ein bekanntes und vorzüg- lich passendes Beyspiel für den Stoss, den eine Vor- stellungsreihe von der andern erleidet , und für das Gefühl, welches daraus entsteht . Vergleicht man aber diesen Stoss mit jener gesellschaftlichen Hem- mung, von welcher vorhin die Rede war: so wird auf- fallen, dass jetzt beyde wider einander wirkende Kräfte in Einem und demselben Bewusstseyn vorhanden sind; während dort die Gesellschaft von aussen her wirkte und klemmte. Welche von zweyen zusammenstossenden Vor- stellungsreihen wollen wir nun vergleichen mit der äu- ssern hemmenden Kraft; und welche andre mit dem Gegenstreben, worin, nach dem Obigen, das Gefühl der Klemmung enthalten war? Offenbar können wir sie beyde mit dem letzteren vergleichen. Also entsteht auch hier das nämliche Gefühl der Klemmung, aber nicht einmal , sondern zweymal . Und nun muss noch be- dacht werden, dass jede der geklemmten Vorstellungsrei- hen, gerade so wie oben, ihr eigenthümliches Ge- fühl in sich selbst enthalten kann. Also haben wir ein vierfaches Gefühl, wenn zwey Vorstellungsreihen zu- sammenstossen, und ein schnell wechselndes, wenn, wie in der vorhin kurz bezeichneten Ueberlegung, ihrer viele schnell nach einander hervordringen. In jenem Beyspiele war nun noch etwas mehr ent- halten, nämlich nach der Klemmung während der Ueber- legung noch die Harmonie, worin sie sich auflöset. Darauf werden wir später zurückkommen. C. Das Gegenstück zu der zwiefachen Klemmung, sowohl in der Gesellschaft, als in unserm eignen Innern, ist das Lebensgefühl , welches uns immer, wenn gleich oft bis zum unmerklichen geschwächt, begleitet. Ich rede hier nicht von dem organischen Gemeingefühl der Phy- siologen. Was den beschäfftigten und gesunden Mann nur selten so stark anwandelt, dass es sich über der Schwelle des Bewusstseyns halten könnte, während es freylich den Hypochondristen (und vielleicht nicht viel minder den sanguinischen Lüstling) unaufhörlich necken mag. Der Anfangspunct meiner Untersuchung liegt im Gebiete der Psychologie, und zwar im Capitel von der unmittelbaren Reproduction; (§. 81—85;) und auch die mittelbare Wieder-Erweckung hängt damit zusammen. Was wir geistiges Leben nennen, das ist ohne Zwei- fel jenes fast continuirliche Hervorquellen neuer Gedan- ken, die freylich auch der lebhafteste Kopf nicht aus sich selbst allein schöpft, die er aber doch veranlasst, F 2 indem er die Anreizung dazu, die man Unterhaltung und Beschäfftigung nennt, in der Aussenwelt aufsucht. Auf den ersten Blick möchte man glauben, dieses Hervorsteigen der Vorstellungen, die nach aufgehobener Hemmung sich in Freyheit setzen, und mit ihren Ver- schmelzungshülfen auch andre emporheben, — werde un- mittelbar gefühlt. Allein das Gegentheil ist im vorigen §. gezeigt. Aufhören der Hemmung ist Aufhören der Ver- dunkelung, also Vermehrung des wirklichen Vorstellens, aber schlechthin nichts weiter. Um jenes Lebensgefühl zu begreifen, wollen wir ein ähnliches Verfahren anwen- den, wie zuvor; nämlich zuerst ein äusseres Verhält- niss in Betracht ziehn, um alsdann das innere analoge, leichter zu verstehen. a ) Wenn Jemand im äussern Handeln (dessen Möglichkeit wir hier nicht zu erklären haben) seine Ge- danken realisirt, und ihm nun diejenigen Anschauungen zu Theil werden, die jenen Gedanken entsprechen: so verliert er darum nicht die Erinnerung an den frühern Zustand der Dinge. Vielmehr, die ganze Umgebung, und von den Merkmalen des behandelten Ge- genstandes alle diejenigen, die unverändert ge- blieben sind, reproduciren ihm denselben Zu- stand seiner Vorstellungen, welcher zuvor, durch die frühere Lage der jetzt abgeänderten Dinge, war gebildet worden . Die Folge ist, dass auch der Zustand des Begehrens, dessen Ausdruck die Handlung war, zurückgerufen wird. Dieses Begehren nun, so vielfältig und mannigfach wie es in den sämmt- lichen frühern, jetzt reproducirten Zuständen war, löset sich auf in die Anschauung des Vollbrachten, oder glück- lich Gewonnenen; und die Befriedigung, welche in dem Uebergange dieser Auflösung gefühlt wird, ist desto stär- ker, je weiter der Mensch zurückschaut zu einem länger vergangenen Zeitpuncte; je mehrere Bestrebungen, die seitdem sich realisirt haben, er zusammenfasst. — Um dies richtig zu verstehn, muss man in den vorigen §. zu- rückblicken, und das unter 1) und 2) dort Gesagte hier anwenden. Es kommt nämlich darauf an, dass wir uns das Streben der Vorstellungen, welches zuerst gerade als derjenige Zustand derselben bezeichnet wurde, da sie aus dem Bewusstseyn verdrängt sind, jetzt in das Bewusstseyn herein versetzt denken. Sonst könnte es nicht ein Gefühl ergeben, welches ohne Zweifel im Bewusstseyn ist. Nun wissen wir längst, dass die For- derung sehr leicht, sehr stark, und sehr mannigfaltig kann erfüllt werden, wenn eine Vorstellung mit Vielen andern verbunden ist; weil alsdann der Druck, den sie leidet, sich jenen Verbundenen mittheilt, von welchen gleichsam getragen, sie unter dem Drucke besteht Dies ist schon am Ende des §. 61. erwähnt worden, und man wird wohl thun, ihn mit §. 104. zu vergleichen. . So gewiss dieses Bestehen eine Bestimmung der Art und Weise abgiebt, wie die Vorstellung im Bewusstseyn ist: eben so gewiss macht auch die Erlösung aus dem nämlichen Drucke eine Bestimmung der Art und Weise aus, wie die Vorstellung im Bewusstseyn ist. In dieser Erlösung liegt die Befriedigung des Begehrens. So oft, und so vielfach man sich in die frühere Lage des Begehrens zurückversetzt, eben so oft erneuert sich die Befriedigung. Und eben dies thut der Mensch un- aufhörlich, weil ihm immer eine kürzere oder längere Strecke seines frühern Lebens vorschwebt; wäre es auch nur, dass er einen Brief schriebe, dessen schon hinge- schriebene Worte ihm beym Ueberblick über das nächst- vorhergehende stets alle Momente des Begehrens, ver- möge dessen er schrieb, gegenwärtig erhalten. — Daher fühlt sich der Mensch in jedem Augenblicke seines Da- seyns als vorwärts oder rückwärts gehend; mit bestimm- ter Geschwindigkeit, und folglich auch mit entsprechen- der Intensität des frohen oder beklommenen Lebensge- fühls. Hiezu jedoch giebt nun auch das Folgende einen höchst wichtigen Beytrag. b ) Wir versetzen jetzo wiederum das äussere Ver- hältniss ins Innere. Wir wissen schon, dass es im In- nern verschiedene Vorstellungsmassen giebt, und Jeder kann sich dies durch Beobachtung seiner selbst leicht näher bestimmen. Wer im Begriff ist, irgend eine gei- stige Arbeit (etwa des Rechnens, oder des Denkens, oder des Dichtens,) zu unternehmen: der wartet nun auf die Gedanken, welche ihm kommen werden. Er hat sich im Allgemeinen durch den Zweckbegriff von seiner Arbeit bestimmt, zu welcher Klasse die Gedanken gehören sol- len; er weiss im Allgemeinen, wie und wozu er sie ge- brauchen will. Dieses Wissen ist eine Vorstel- lungsmasse für sich allein . Nun kommen die Ge- danken, oder sie bleiben aus. Das Kommen an sich, so fern es lediglich nach den Reproductionsgesetzen geschieht, ohne nähere Bestimmung, wird eben so wenig gefühlt, als das Ausbleiben. Aber aus den gesammelten und ge- fügten Gedanken entsteht allmählig ein Ganzes, welches den Umriss ausfüllt, den der Zweckbegriff bestimmte. Dies geschieht mit bestimmten Graden von Geschwindig- keit und Genauigkeit. Dadurch befriedigt sich das Be- gehren, was im Zweckbegriffe lag. Der Mensch fühlt, dass er in seinem Innern weiter kommt. Er wird es desto mehr fühlen, je weiter er zurück schaut, je mehr er sich in den Zustand seines frühern Wartens auf sich, seiner Ansprüche an sich, zurückversetzt. Ja er trägt oft ge- nug ein solches Begehren, und solche Ansprüche, in späterer Zeit auf eine frühere hinüber, als ob er sie da- mals schon gemacht hätte, und sie nunmehr erfüllt fände. — Im Zusammenwirken mit Andern, und schon im Gespräch, wodurch auch eine Art von gemeinschaft- lichem Werke entsteht, geht Alles schneller und leich- ter; das gesellige Lebensgefühl hat daher weit mehr In- tensität als das des Einzelnen, allein das Phänomen ist mehr zusammengesetzt. D. Sowohl für jene, unter A und B erwähnten Gefühle der Klemmung, als für diese, unter C bezeich- neten, des Fortkommens, müssen nun die nähern Be- stimmungen dadurch aufgesucht werden, dass man die eigenthümlichen Gefühle unterscheidet, welche schon, unabhängig vom Zusammenstoss oder von der Förderung, in den Partial-Vorstellungen liegen, aus denen die Massen und Reihen bestehn. Auf das Verdienst, dieselben vollständig aufzuzählen, mache ich nicht An- spruch; allein es ist offenbar, dass dahin diejenigen Ge- fühle gehören, welche man Lust und Unlust, Ange- nehmes und Unangenehmes , und ästhetische Ge- fühle nennt. Was ich darüber im Allgemeinen sagen kann, besteht in Folgendem: 1) Jede Vorstellungsreihe, welche nach den im §. 100. angegebenen Gesetzen sich zu evolviren im Be- griff ist, wird in der Regel unter den mannigfaltigen, gleichzeitig gegenwärtigen Vorstellungen und Zuständen irgend etwas antreffen, wodurch ihre Bewegung, wenn nicht ganz gehindert, so doch mehr oder weniger er- schwert wird. Trifft es sich nun, dass zugleich auch eine andre Reihe sich entwickelt, welche wider das nämliche Hinderniss wirkt, so begünstigen sich beyde Reihen ge- genseitig durch Besiegung dieses Hindernisses. Sie sind nämlich beyde in so fern als Begierden zu be- trachten, wiefern sie sich gegen das Hinderniss hervorar- beiten; und beyde Begierden werden hier eine durch die andre befriedigt , in so weit sie einander zu Hülfe kommen. 2) So oft ein paar Vorstellungen durch den Lauf der übrigen dergestalt zusammengeführt werden, dass sie in ihrem Begegnen sogleich verschmelzen: so entsteht aus ihnen eine neue Gesammtkraft, wodurch das statische Gesetz, von welchem ihr Bestehen unter den Hindernis- sen abhängt, zu ihrem Vortheile verändert wird. So- gleich gewinnt also das Ablaufen der mit ihnen verbun- denen Reihen eine neue Energie; und die, nach dem eben zuvor Gesagten, darin liegende Begierde, erhält eine Befriedigung. Dies erkennt man ohne Mühe in dem erhöhten Lebensgefühl, welches mit jedem neu ge- bildeten Syllogismus, ja mit jeder neuen Combination jeder neu gewonnenen Ansicht verbunden ist. 3) Es scheinen nun zuvörderst alle Gefühle der Lu- stigkeit und Munterkeit zu dem ersten, und theilweise auch zu dem zweyten der beyden hier angegebenen Fälle zu gehören, denn eine oft schnelle, manchmal auch lang- samere, stets aber aus mehrern , correspondirenden Vorstellungsreihen zusammengesetzte Bewegung und neue Aufregung des Geistes ist leicht darin zu spüren. Diese Gefühle sind es, welche ich, sammt ihrem Gegen- theile, ganz eigentlich durch die Worte Lust und Un- lust , dem Sprachgebrauche gemäss glaube bezeichnen zu müssen. Weiter unten mehr davon! 4) Es giebt eine Menge von Gegenständen , de- ren eigenthümliche Beschaffenheit es mit sich bringt, ja von denen ein Theil sogar künstlich darauf eingerichtet ist, dass ein auffassender Geist, ein Zuschauer, wenn er sich ihnen hingiebt, und nicht schon von entgegenwir- kenden Gedanken angefüllt ist, in mehrere Vorstellungs- reihen eingeführt werden muss, deren correspondirendes, sich gegen Hindernisse gemeinsam aufarbeitendes Ablau- fen, die zuvor beschriebene gegenseitige Befriedigung mit sich bringt. Es giebt ferner Beschäfftigungen , die darauf eingerichtet sind, dass sie mancherley, zum Theil dem Zufall überlassene, Combinationen von ähnlicher Wirkung, wie jene Gegenstände, hervorbringen können. Solche Beschäfftigungen, in so weit sie ausserdem kei- nen Zweck haben, nennt man Spiele ; jene Gegenstände aber, in so fern sie von der Wirkung, auf die sie be- rechnet sind oder scheinen, ein Prädicat erhalten, gehö- ren zu der Klasse der ästhetischen Gegenstände ; und ihre Aehnlichkeit mit dem Spiele ist durch die Sprache längst anerkannt, denn man redet vom Spiele eines Künstlers , vom Schauspiele , u. d. gl. 5) Damit ist aber nicht gesagt, dass Alles Aesthe- tische nur Spiel sey , wie Manche sich einzubilden scheinen. Das Wort Spiel drückt nur die Abwesenheit des ernsten, vestgestellten, nothwendigen Zwecks aus. Aber die ästhetische Natur, selbst des Spiels, liegt nicht in dieser Negation, sondern sie ist rein positiv, und be- steht eben so gut mit dem tiefsten, strengsten, heiligsten Ernste, als mit derjenigen Entfernung von Sorgen, wor- auf der Künstler bey seinem Zuhörer rechnet. Diese Beseitigung der Angelegenheiten und Pflichten des täg- lichen Lebens dient nur, um Platz zu gewinnen für den neuen Ernst, den die, keinesweges immer scherzende und schmeichelnde, Kunst, an die Stelle setzen will. Alle Künste weihen sich der Religion; und wenn sie nun in ihrer Zusammenwirkung den Menschen wirklich über das Irdische emporgetragen haben, wollen wir dann sa- gen, sie haben gespielt ? 6) Im §. 71. und 72. war die Rede von der Ver- schmelzung vor der Hemmung . Es wurde gezeigt, dass dieselbe von einer ganz eigenthümlichen Art des Strebens der Vorstellungen abhänge, wobey ihre Stärke ganz und gar nicht, sondern bloss ihr Hemmungsgrad in Betracht kommt. Das Gegentheil desselben ist der Grad der Gleichartigkeit ; und man wird sich erin- nern, dass Vorstellungen, in so fern sie als gleichartig zu betrachten sind, in ein völlig ungetheiltes Eins zusam- menfliessen müssen; dass eben deshalb solche Paare von Vorstellungen, die sich, eine mit der andern verglichen, in Gleichartiges und Entgegengesetztes zerlegen lassen, in Hinsicht des Gleichartigen zusammenfliessen sollten , welches sie jedoch nicht können, weil sich das Gleichar- tige vom Entgegengesetzten nicht in der Wirklichkeit, sondern nur in Begriffen — durch zufällige Ansich- ten — trennen lässt Man hat Ursache, sich hiebey an die Metaphysik zu erinnern; aber man hüte sich vor Verwechselungen! Vorstellungen sind nicht einfache Wesen; und vice versa . . Hieraus entsteht ein innerer Streit zwischen der Kraft, die zur Verschmelzung treibt, und den entgegengesetzten Kräften; und es giebt ver- schiedene Resultate dieses Streits, je nachdem die Kräfte grösser oder kleiner, das heisst, je nachdem der Grad der Gleichartigkeit, folglich der Hemmungsgrad, grösser oder kleiner angenommen wird. Die Berechnung darüber ist in den angeführten Paragraphen, wenigstens zum Theil, geführt worden. Aber auf welchen Gegenstand soll sie angewendet werden? — Schon dort wurde erin- nert, dass sie auf die Intervalle einfacher Töne , auf die ersten Elemente der Musik passt. Gleichwohl ist offenbar, dass die Töne, als solche, gar kein besonde- res Vorrecht haben, sich die Anwendung jener Rech- nungen ganz allein zu vindiciren. Die Sphäre derselben muss weit grösser seyn; denn der Begriff des grössern oder kleinern Hemmungsgrades gehört zu den allgemein- sten, die es für die ganze Psychologie nur geben kann; und bloss das ist dabey zu bedenken, dass hier von ein- fachen Vorstellungen, die wir Empfindungen zu nennen pflegen, die Rede ist; also nicht von jenen Rei- hen und Geweben, wobey allemal die Reproductionsge- setze, und das in ihnen liegende Begehren, zunächst das Gefühl bestimmen. Nun hat man zwar sehr Ursache, die Anwendung der allgemeinen Gesetze aller Verschmelzung vor der Hemmung , zuerst bey den Verhältnissen der Töne zu versuchen. Denn dieser Gegenstand ist bey weitem am einfachsten, und am bekanntesten. Es ist auch ganz unwidersprechlich, dass die Unterschiede der Consonanz und Dissonanz in der Musik einzig und allein durch das Intervall jedes Paars von Tönen, das heisst, durch den Hemmungsgrad, bestimmt wird; diese Thatsache liegt deutlich vor Augen. Man mag nachsehn, was ich in den Hauptpuncten der Metaphysik, und im zweyten Heft des Königsberger Archivs darüber gesagt habe. Allein es ist nicht erlaubt, hiebey stehn zu bleiben. Die Farben sind ja auch einfache Empfindungen mit be- stimmten Hemmungsgraden zwischen jedem Paare. Sollte es denn für sie keine Verschmelzung vor der Hem- mung geben? — Man hat wohl von Farbenklavieren gehört; und es hat demnach gewiss Menschen gegeben, welche den Farben-Contrast, der in der Malerey so un- streitig wirksam ist, nach Analogie der Tonkunst benut- zen wollten. Warum das nicht gelingen konnte, liegt am Tage. Das Farbenklavier musste irgend welche ge- färbte Figuren abwechselnd dem Auge darbieten. Aber die Wahl dieser Figuren war in jedem Falle wichtiger als die Wahl der Farben; wegen der ästhetischen Be- urtheilung des Räumlichen, welcher man nicht auswei- chen konnte, und doch hätte ausweichen müssen, wenn die Farben hätten die Rolle der Töne in der Musik übernehmen sollen. Also ist es die fremdartige Einmischung eines an- dern Aesthetischen, welches die, aus der Verschmelzung vor der Hemmung sonst entspringende, ästhetische Be- urtheilung, im Gebiete der Farben verdunkelt; da man niemals Farben ohne Formen wahrzunehmen im Stande ist. Hiezu kommt nun allerdings noch der eigenthüm- liche Unterschied der Tonlinie, die nach zwey Seiten ins Unendliche geht, und der Farben, die nur ein begränz- tes, obwohl flächenförmiges, und in so fern grösseres Continuum bilden; doch hieraus allein würde man die Unbedeutsamkeit der Farbenspiele im Vergleich mit den Tonspielen um so weniger begreifen, da ja auch die Musik eigentlich nur der Octave bedarf, innerhalb wel- cher sie alle ihre Verhältnisse beysammen findet. — Wir müssen aber unsern Weg noch weiter fort- setzen. Denn es giebt ausser den Tönen und den Far- ben noch unzählig viele andre Empfindungen. Nur nicht einfache Empfindungen! wird man sagen, und dies gerade ist der Punct, auf den wir zielten. Geruch und Geschmack vermögen schon nicht mehr, die Em- pfindungen gesondert darzubringen; aus Essig und Zucker, aus dem Duste der Lilie und Nelke, wird ein Mittleres für die Zunge und die Nase. Es ist also die Frage, ob sie je ein wahrhaft Einfaches dargeboten haben. War nicht schon der saure Geschmack, und eben so, der süsse, ein Zusammengesetztes? Desgleichen der Geruch der Lilie ein Gemisch aus Empfindungen, die wir nicht scheiden können; und der Duft der Nelke ein anderes Gemisch? — Diese Frage lässt sich aus einem metaphy- sischen Grunde bestimmt bejahen. Alle einfachen Selbst- erhaltungen der Seele müssen gerade so einfach seyn, wie sie selbst. Dafür nun kann man wohl den einfachen Ton, die reine Farbe, annehmen; allein nicht den Ge- ruch und Geschmack, sobald sie sich nicht mehr begnü- gen, irgend ein Empfundenes als dieses oder jenes , das man wieder zu erkennen und von andern zu unter- scheiden vermöge, darzustellen, sondern es uns auch noch obendrein als ein Angenehmes oder Unan- genehmes aufdringen. Hier ist schon Ueberfluss, schon keine reine Einfachheit, sondern Mischung aus anderm Einfachen, das wir nicht kennen . — Wie aber, wenn es uns bekannt würde? Dann ohne Zweifel wür- den wir die Gesetze der Verschmelzung vor der Hem- mung darauf anwenden. Dann würden, wie bey den Tönen, und minder deutlich bey den Farben, einige Zu- sammensetzungen uns gefallen, andre misfallen. — Dür- fen wir uns denn wundern, wenn die Mischungen, welche Geruch und Geschmack aus unbekannten Ingredienzien zusammensetzen, uns bald angenehm sind, bald unange- nehm? Was wir erwarten mussten, trifft zu. Es fehlt bloss die Möglichkeit, die Bestandtheile der Mischungen einzeln zu betrachten, die Hemmungsgrade derselben zu untersuchen, und darnach, wie in der Musik, mit eigner Wahl die Zusammensetzung anzuordnen. Darum ver- schmilzt bey diesem Angenehmen, und seinem Gegen- theil, die Summe der einfachen Empfindungen mit dem Gefühl der Annehmlichkeit oder Unan- nehmlichkeit Man vergleiche hier meine praktische Philosophie, in der Ein- leitung, S. 32—37. . Und da wir das Gefühl nicht Uns gegenüber stellen können, findet sich auch hier kein vestbestimmter Gegenstand, den wir zum Sub- ject eines Urtheils machen könnten ; folglich tritt an die Stelle des ästhetischen Urtheils hier das blosse Fühlen; und hiemit ist das Angenehme getrennt vom Gebiete des Schönen . Ungeachtet nun auf diese Weise das sinnlich An- genehme und Unangenehme, mit allen dahin gehörigen körperlichen Sensationen, (denn das Gesagte ist nicht nothwendig auf Geruch und Geschmack eingeschränkt,) seine höchst wahrscheinliche Erklärung im Allgemeinen erhält: so zeigt sich doch auch eben hierin die Unmög- lichkeit, demselben jemals näher auf die Spur zu kom- men. Denn kein Rosengeruch und kein Zahnschmerz lässt sich analysiren; und kein Einfaches ist gegeben, woraus man unternehmen könnte, beydes zu construiren. Physiologische Erklärungen aber würden hier ganz am unrechten Orte seyn, da wir zuerst wissen wollen, was sich im Bewusstseyn ereigne, ehe uns die Frage in- teressiren kann, wie die Bedingungen desselben, welche ausserhalb des Bewusstseyns liegen mögen, beschaffen seyen. Diese zweyte Frage hat gar keinen Beziehungs- punct, bevor die erstere beantwortet ist. Also ist die Sinnlichkeit — zu welcher man das Entstehen der einfachen Empfindungen, der Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen, und die Auffassungen des Räumlichen und Zeitlichen rechnet, — kein so leich- ter Gegenstand, dass die Psychologen, welche ihre Ana- lysen hier, als bey dem leichtesten Puncte, anfingen, be- sonderes Lob verdienten. Die Entstehung der einfachen Empfindungen muss aus der metaphysischen Lehre von den Selbsterhaltungen erklärt werden. Die Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen erfordern die, nicht eben leichte, Betrachtung über die Verschmelzung vor der Hemmung. Und die Vorstellungen des Räumli- chen und Zeitlichen, die wir bald näher ansehen wol- len, beruhen auf der Verschmelzung nach der Hem- mung, und den daraus entspringenden Reproductions- Gesetzen. 7) Die Verschmelzung vor der Hemmung kann nun zwar bey sinnlichen Empfindungen vorkommen, und dieselbe in ein Gefühl verwandeln: aber sie ist kei- nesweges an die Sinnlichkeit (als eine Receptivi- tät, und Passivität gegen den Leib,) gebunden . Man gehe in den §. 72. zurück, und man wird finden, dass durchaus Nichts auf die Frage ankommt, woher die ver schmelzenden Vorstellungen stammen, sondern Alles le- diglich darauf, dass sie da seyen. Wären die Vorstel- lungen aller Töne in der Tonlinie dem Menschen ange- boren, könnte er durch blosse Spontaneität je zwei und je drei oder vier solcher Vorstellungen ins Bewusstseyn bringen; hörte er dagegen niemals ein Instrument, nie- mals eine Singstimme: gleichwohl würde, gerade wie jetzt, für ihn die Octave das Verhältniss des vollen Gegen- satzes, die Quinte (deren Gleichartigkeit ne- ben beyden Gegensätzen gerade auf die stati- sche Schwelle fällt, also unwirksam gemacht wird,) das der Octave in Hinsicht der Consonanz am nächsten ste- hende Intervall seyn; die falsche Quinte, deren Gleich- artigkeit den Gegensätzen gerade gleich ist, die stärkste Dissonanz ergeben, (wegen des stärksten möglichen, un- ausgeglichenen Widerstreits zwischen den drey durch die Zerlegung entstandenen Kräften;) ja es würden sich auch für ihn die Töne des reinen Accordes gegenseitig in drey Kräfte brechen, nahe im Verhältniss der Zahlen 3, 4, und 5, oder genauer so, dass auch hier die schwächste, in der Brechung entstehende Kraft, neben den andern auf der statischen Schwelle sey Die Art der Brechung, welche hier gemeint, und im zwey- ten Heft des Königsberger Archivs (von 1811) entwickelt ist, kann der Leser zunächst in gegenwärtigem Werke §. 98., gegen das Ende, nachsuchen. ; und auch für ihn würde es nicht mehr und nicht weniger als zwey reine Accorde geben können. Denn die Gründe, warum dies alles so seyn muss, sind ganz allgemein, und für den körperlosen Geist genau die nämlichen wie bey uns sinn- lichen Menschen; trotz allen den thörichten Versuchen, Dinge dieser Art von Schwingungen der Nerven, oder gar der Saiten und Luftwellen abhängig zu machen; da- mit ja die Psychologie auf immer die Sclavin der Phy- siologie und der Physik bleiben möge! Dasselbe, was hier von den Gefühlen in der Ver- schmelzung vor der Hemmung bemerkt worden, gilt nun auch, und sogar noch auffallender, von jenen andern Gefühlen, deren Sitz in den zugleich ablaufenden Rei- hen, ihrer gegenseitigen Begünstigung oder Hem- mung , zu suchen ist. So gewiss diese bey sinnlicher Lust und Unlust, während aller rauschenden Vergnügun- gen, aller flüchtigen, aus vorübergehendem Kitzel entste- henden Geniessungen, zutrifft; und so weit man auch das Symbol solcher Lust, nämlich Tanz nach der Musik , ausdehnen kann in seiner Bedeutung: eben so gewiss können die zugleich und in Verbindung ablaufenden Reihen auch eben so wohl ganz un- abhängig seyn von den Sinnen ; und alsdann das reinste geistige Wohlseyn, oder sein Gegentheil er- zeugen. Daher jene Harmonie nach geendigter Ueberle- gung, oder beym Ueberblick wohldurchlebter Jahre, oder beym Durchdenken consequenter Systeme, zusammen- stimmender Beweise, kluger, nützlicher, und wohlthätiger Anstalten und Einrichtungen. 8) Daher darf man sich gar nicht wundern, in der Reihe der, aus der letztern Quelle entspringenden Ge- fühle auch jene einfachen und ursprünglichen Billigungen und Misbilligungen zu finden, auf deren Hervorhebung und deutlichen speculativen Darstellung die praktische Philosophie beruht. Mehrmals hat man von mir die psychologische Erörterung des Ursprungs der praktischen Ideen gefordert; meist mit einem Vorurtheil, welches die mindeste Bekanntschaft mit ästhetischen Gegenständen irgend einer Art hätte widerlegen können; nämlich als ob die ästhetische Evidenz durch psychologische Erklä- rung derselben irgend etwas an Sicherheit und Stärke gewinnen könnte; obgleich man längst weiss, dass ein Gedicht, wenn es nur verständlich ist, sich von Analysen und Commentaren keinesweges eine grössere Wirkung zu versprechen hat; und dass Aufklärungen über die Ent- stehung und Verfertigung der Kunstwerke zwar wohl dem Künstler, aber nicht dem Werke, eine grössere Bewun- derung schaffen können. Und wahrlich! die praktische Philosophie wird, in Ansehung ihrer ersten Gründe , der Psychologie niemals den geringsten positiven Zusatz an Kraft und Werth verdanken, aber sie ist den neu- gierigen Blicken der letztern einmal ausgesetzt; sie leidet überdies von hineingetragenen Irrthümern falscher Psy- chologie, die nur durch wahre Psychologie können fort- geschafft werden. Daher will ich es nicht vermeiden, Denjenigen, welche in diesem Puncte mehr Neugierde haben als ich, wenigstens meine Meinung zu sagen, wie sie ihre Untersuchung anzustellen haben, wenn sie sich nicht in Täuschungen über die wichtigsten Gegenstände verwickeln wollen. Zuerst haben sie zu verhüten, dass sie hier nicht die Frage von der wahren Natur des Willens einmengen. Diese müssen sie nothwendig ganz unbestimmt lassen; denn, wie Kant sehr richtig bemerkt hat, die Sittenlehre muss nicht bloss für Menschen gelten; sie muss uns so- gar in unserer Gottesverehrung Licht geben; der gött- liche Wille ist aber sicherlich kein Gegenstand einer menschlichen Psychologie. Auch liegt in den ersten Grundgedanken der prak- tischen Philosophie nicht der mindeste Anspruch, den wirklichen Willen zu lenken, und auf ihn zu wirken; welches, wenn es Statt fände, freylich die Forderung herbeyführen könnte, man müsse den Willen, um über ihn Gewalt zu erlangen, erst seiner wahren Beschaffen- heit nach kennen. Allein die Grundgedanken der prak- tischen tischen Philosophie sind keine Befehle, sondern Urtheile des Lobes und Tadels, über einen Gegenstand, nicht wie er ist , sondern wie er gesehen wird . Darum muss zuerst die Frage so gestellt werden: Wie wird der Wille gesehen? Wofür wird er allgemein gehalten? Welche Vorstellung von ihm liegt den Urtheilen zum Grunde, durch welche er gelobt und getadelt wird ? Nun ist offenbar, dass der Wille als Anfangs- punct von Reihen betrachtet, und dass sein Sitz mit- ten im Wissen gesucht wird. Die Handlungen näm- lich, welche man ihm zuschreibt, sind die ersten Glieder gewisser Reihen von Ereignissen. Der Anfangspunct von Reihen ist nach gemeinen Begriffen so viel als eine erste Ursache , worüber vorläufig §. 102. zu vergleichen ist; tiefer unten wird mehr davon vorkommen. Aber man sucht keinen Willen da, wo kein Wissen ist; und ob- gleich der Wille allerdings für einen Anfangspunct ge- halten wird, so setzt man doch voraus, das Wissen sey der Boden, in dem er entspringe; und hiedurch unter- scheidet man ihn von allen blind wirkenden, keiner Aus- wahl fähigen Kräften. In diesem Begriffe wird sogleich ein Widerspruch gefühlt, wenn das Wissen einen andern Weg zeigt, als das Wollen geht. Eine solche Erscheinung bietet dem Zuschauer zwey Reihen dar, deren Ablaufen zu vereini- gen ihm nicht gelingt; während im Gegentheil, wenn das Wissen sich gleichlautend ausspricht, wie die Handlun- gen den Willen verkündigen, alsdann die Reihen in der Beobachtung des Zuschauers einander begünstigen. Ferner zieht der Wille selbst mehrere Linien; er tritt auch in Verhältnisse zu andern Willen, die gleich- falls dem Zuschauer als Anfangspuncte von Reihen vor Augen stehn. In allen Fällen dieser Art, (von denen die praktische Philosophie die allgemeinen Begriffe voll- ständig zur Beurtheilung vorlegt) entspringen für den Zuschauer gewisse bestimmte Gefühle, die von der eigen- II. G thümlichen Art und Weise abhängen, wie in ihm die Reihen mit einander gehen oder wider einander stossen. Dass der Zuschauer völlig unbefangen sey, wird da- bey vorausgesetzt. Es soll nicht an ihm, sondern le- diglich an der jener ihm dargebotenen Reihen liegen, welches Gefühl sie in ihm erregen. Darum spricht er seine Gefühle in der Form einer Beurtheilung des Gegenstandes aus. Und der Gegenstand heisst aus eben diesem Grunde mit Recht ein ästhetischer. Denn was ist ein ästhetischer Gegenstand? Nichts anderes als ein solcher, dessen blosse Vorstellung geeignet ist, in dem ihm hingegebenen, affectlosen Zuschauer ein bestimmtes Gefühl zu erregen . Uebrigens versteht sich von selbst, dass in der Be- trachtung der Willens-Verhältnisse, aus deren Beurthei- lung die praktischen Ideen entspringen, der Wille nicht so erscheint, als ob wirkliche, bestimmt anzugebende Reihen, die aus einzelnen Gliedern bestünden, von ihm abliefen. Er ist nur der Anfangspunct möglicher Rei- hen; und Alles beruht hier auf dem ihm zugeschriebenen nisus , gewissen Reihen, die aus ihm hervorzutreten im Begriff sind, ihre Richtungen anzuweisen. — Im gegenwärtigen Paragraphen musste Mancherley berührt werden, das erst weiterhin mehr entwickelt wer- den kann. Der fühlende Mensch sollte sich in der ge- gebenen kurzen Darstellung so viel als möglich wieder erkennen, zu diesem Behuf war nöthig, das Knäuel so zu nehmen, wie es vorliegt; und nicht gar zu ängstlich diejenigen Gefühle abzusondern, die nur erst bey höhe- rer Ausbildung entstehen können. Zweytes Capitel . Von den Affecten und den Leidenschaften; nebst Rückblicken auf das Vorhergehende. §. 106. Eine vollständige, und möglichst sichere, Analyse der Begehrung und des Gefühls würde sich nicht unmit- telbar an die allgemeinen Begriffe vom Begehren und Fühlen wenden dürfen. Denn diese Begriffe sind aus Erfahrungen durch eine weit fortgesetzte Abstraction gewonnen worden. Sondern die Wissenschaft würde von unten auf steigend, zuerst die ganz speciellen Arten der Begierden und Gefühle aus den unmittelbar ge- gebenen Thatsachen , den ächten Erfahrungs-Prin- cipien, zu erkennen suchen; und alsdann die höhern abstracten Begriffe allmählig bilden, nicht aber dieses Geschäfft als vom gemeinen Verstande schon vollbracht, voraussetzen, wobey mancherley Fehler können mit un- tergelaufen seyn, wenigstens die Begriffe selbst keine völlige Bestimmtheit erlangen werden. Dies ist der Gang, der ganz besonders die weitläuftigen, ins Einzelne ge- henden, Abhandlungen ziemen würde, dergleichen jener zuvor genannte Psychologe über die Leidenschaften und über die Gefühle geschrieben hat; dies das Verfahren, woraus man das Streben nach einer ächt analytischen Methode erkennen sollte, die vor allem Anderen dahin sehen muss, dass sie die zu analysirenden Be- griffe unmittelbar aus der Quelle schöpfe . Ein- gestreute Beyspiele machen den Fehler nicht gut, der in der ganzen Anlage steckt, wenn die Analyse, anstatt ge- bührender Maassen von den eigentlichen Thatsachen zu den Begriffen und allgemeinen Sätzen, vielmehr ge- rade verkehrt vom Allgemeinen zum Besondern hin, gleich einer synthetischen Nachforschung über Gegen- stände des reinen Denkens, ihre Richtung nimmt. — Aber die Auffassung der einzelnen Thatsachen, wor- aus die allgemeinen Begriffe von Begierden und Gefüh- len erhalten werden, ist vermischt mit physiologischen Beobachtungen; ja diese Thatsachen sind eben sowohl physiologische als psychologische Thatsachen, in so fern wir sie als Erkenntnissgründe gebrauchen, und von ihnen auf ihre realen Bedingungen und Ursachen schliessen wollen. Daher führen sie in einen dichten Wald der mannigfaltigsten Nachforschungen; der schwerlich wird G 2 durchdrungen werden, wenn man nicht vorläufig das Bekannteste der Thatsachen des Bewusstseyns nach seinen klärsten Merkmalen, mit den synthetischen Principien der Statik und Mechanik vergleicht, um nach- zusehen, in wiefern man von diesen die Erklärung des Vorgefundenen erwarten kann, und wie sich mit ihnen die physiologischen Gründe verbinden lassen. Es ist wichtig, dass man in schwierigen und verwickelten Un- tersuchungen immer von demjenigen anfange, welches am unmittelbarsten einleuchtet, und am wenigsten Zwei- fel aufregt. Einen solchen Punct von vorzüglicher Klar- heit aber hoffen wir jetzt zu finden, indem wir zu den Affecten fortgehn, deren Erklärung aus den Gründen der Mechanik und Statik des Geistes sich beynahe nicht verfehlen lässt. Bekanntlich sind es die Affecten und die Lei- denschaften , die man als die stärksten Aeusserun- gen des Fühlens und Begehrens betrachtet. Wir kön- nen also hoffen, in ihnen vorzüglich deutliche Merkmale für die Analyse und zur Vergleichung mit der Synthese anzutreffen. Sogleich kommen uns die ersteren mit ihrer Einthei- lung in rüstige und schmelzende Affecten entgegen; oder, wie Carus sie besser nennt, entbindende und beschränkende Affecten. Die Eintheilung selbst giebt hier das Hauptmerkmal des eingetheilten Begriffs zu er- kennen; die Affecten nämlich sind Gemüthsla- gen, worin die Vorstellungen beträchtlich von ihrem Gleichgewichte entfernt sind ; und zwar dergestalt, dass die rüstigen Affecten ein grösseres Quantum des wirklichen Vorstellens ins Bewusstseyn bringen , als darin bestehen kann, die schmelzenden ein grösseres Quantum daraus verdrängen , als wegen der Beschaffenheit der vorhandenen Vorstellungen dar- aus verdrängt seyn sollte. Sind aber wohl die Affecten, genau genommen selbst die Kräfte, von denen die Vorstellungen sich regieren lassen? — Nach unsern vielfältigen Erörterungen bedarf dies gar keiner neuen Widerlegung. Vielmehr liegt die Kraft in den Vorstellungen selbst; nicht die Affecten sind das Bindende und Entbindende, sondern, wenn durch gewisse Vorstellungen andere entbunden werden, so dass sie ihre statischen Puncte weit übersteigen, dann bezeichnet man die hieraus entspringende Gemüthslage mit dem Namen des rüstigen Affects; wenn im Gegen- theil durch einige Vorstellungen andere tief unter ihre statischen Puncte herabgedrückt werden, — wenn wohl gar eine Menge derselben auf der mechanischen Schwelle verweilen muss, — alsdann bekommt die so entstandene Gemüthslage die Benennung des beschränkenden Affects. Hieraus ergiebt sich augenblicklich das Vorüberge- hende aller Affecten. Die Gemüthslage muss sich dem Gleichgewichte vermöge der allgemeinsten Gesetze des psychologischen Mechanismus wieder nähern, sobald die Spannung der Vorstellungen gross genug wird, um die den Affect erregenden Ursachen zu überwinden. Hieraus erklärt sich ferner das körperlich Angreifende aller Affecten, sobald überhaupt ein Zusammenhang zwi- schen Gemüthslagen und dem Organismus eingeräumt wird. Denn man bedenke die Gewalt, welche auf einer Seite eine ausserordentlich vergrösserte Hemmungssumme, (bey den rüstigen Affecten); oder auf der andern Seite eine Menge von Vorstellungen, die auf der mechanischen Schwelle, oder derselben nahe sind (bey den schmelzen- den) ausüben muss. Die Gesetze, nach welchen dadurch die Geschwindigkeit in der Veränderung der Gemüths- lage zunimmt, sind in den obigen Untersuchungen zu erkennen; und von dieser Geschwindigkeit hängt ohne Zweifel die Anstrengung ab, welche dem Organismus in seinen begleitenden Bewegungen angemuthet wird. Am alleroffenbarsten passt die gegebene Erklärung auf den Schreck . Was hier durch eine plötzliche, den vorhandenen Vorstellungen fremdartige, neue Wahrneh- mung im Gemüthe bewirkt werde, das wird sich beynahe gänzlich aus §. 77. u. s. f. erkennen lassen. Nicht min- der verräth sich beym Zorne der Anwachs entbundener Vorstellungsmassen, bey der Furcht das Drängen ver- haltener Vorstellungen gegen die wenigen noch im Be- wusstseyn vorhandenen. Es zeigt sich ferner eben in den angegebenen Merkmalen das Aehnliche des Zorns und der Begeisterung, so wie das Unterscheidende der Furcht von der Behutsamkeit. Allein um die Affecten näher kennen zu lernen, müssten wir ohne Zweifel die Qualität der verschiedenen Gefühle in Betracht ziehn, durch welche sich die Affecten unterscheiden. Dieses erinnert an die oben erwähnte, den Psycholo- gen gewöhnliche Ansicht, die Affecten seyen gesteigerte Gefühle. Verhält es sich also, alsdann muss es so viele Affecten geben als Gefühle, und das Maass der Gefühle muss zugleich das Maass der Affecten seyn. Oben ist bemerkt worden, dass die Gefühle in ge- wissen Arten und Weisen, wie unsre Vorstellungen sich im Bewusstseyn befinden, ihren Sitz haben; indem an- dere hemmende und emportreibende Kräfte darauf ein- wirken. Hiebey kommt es nicht darauf an, wie viele Vorstellungen im Bewusstseyn vorhanden seyen; auch nicht darauf, ob diejenigen Vorstellungen, welche die Einwirkung erleiden, sich gerade in einem mehr oder minder gehemmten Zustande befinden, welcher Unter- schied sich vielmehr auf das Vorstellen als auf das Füh- len bezieht; sondern darauf, wie stark das Drängen der mit einander und wider einander wirkenden Kräfte aus- falle. Mit Beyseitsetzung mancher nähern Bestimmun- gen, die hier noch nicht eingesehen werden können, lässt sich das Wesentlichste durch folgendes Gleichniss er- läutern: man denke sich einen Hebel, und die Bedingun- gen seines Gleichgewichts. Gesetzt, dies Gleichgewicht wäre verletzt: so neigte sich derselbe nach der einen oder andern Seite; damit vergleiche man das Steigen und Sinken der Vorstellungen also die objectiven Bestimmun- gen des Bewusstseyns, welche nicht Gefühle genannt werden. Aber das Gleichgewicht kann bestehn, während sehr verschiedene Gewichte, in sehr verschiedenen Ent- fernungen von der Stütze des Hebels, an ihm angebracht werden. Diese drehen den Hebel nicht; gleichwohl würde er sie fühlen , wenn er Bewusstseyn hätte; und immer anders und anders fühlen, je nachdem grössere oder klei- nere Gewichte an ihm so oder anders angebracht wären. Ja auch alsdann, wenn er wirklich gedreht würde, müsste mit jeder seiner Lagen ein gar mannigfaltig verschiede- nes Gefühl verbunden seyn, je nachdem er von vielen oder wenigen, starken oder schwachen, mit oder wider einander wirkenden Kräften gedreht würde. Also bey den Gefühlen soll es nicht vorzugsweise darauf ankommen, wie viele und wie weit gehemmte Vor- stellungen sich im Bewusstseyn befinden; ganz andre Umstände sollen die Stärke der Gefühle bestimmen. Hin- gegen bey den Affecten kommt es nach dem Obigen gar sehr darauf an, ob mehr oder weniger Vorstellungen wach seyen, als mit ihrem Gleichgewichte bestehen kann. Folglich ist es unrichtig, dass die Affecte ge- steigerte Gefühle seyen; es giebt ein verschie- denes Maass für Affecten und Gefühle; ja die ersten und die andern gehören gar nicht zusam- men wie Art und Gattung; sondern es sind ver- schiedenartige, wiewohl sehr häufig und man- nigfaltig verbundene, Bestimmungen der See- lenzustände . Was hier mit Hülfe synthetischer Principien ge- schlossen wurde, das liegt schon bey blosser Analyse so klar vor Augen, dass es nie hätte können verfehlt wer- den, wären die allgemeinen Klassenbegriffe, Vorstellen, Wollen und Fühlen, denen alles sollte untergeordnet werden, nicht schon im Voraus hingestellt gewesen. Die Affecten sind freylich weder Vorstellungen noch Begeh- rungen; also (meinte man,) müssen sie wohl Gefühle seyn! — Anders schloss Wolff ; er hatte noch kein eignes Fachwerk für die Gefühle; darum sind seine Affecten, Begehrungen und Verabscheuungen Affectus sunt actus animae, quibus quid vehementer vel ap- petit, vel aversatur; vel sunt actus vehementiores appetitus sensitivi et aversationis sensitivae. Wolfii Psych. empirica §. 603. . Wie sehr Unrecht thut man doch gerade den edel- sten Gefühlen, indem man sie zu einem, noch obendrein unbestimmbaren, Mittelmaass verurtheilt, auf dass sie nicht in Affect übergehn! Man betrachte das Selbstgefühl, mit welchem Jemand sich bey empfangener Kränkung vor Gegen-Beleidigungen hütet, indem er die Hoffnung fasst, seine Ehre werde vest genug stehn, und er dürfe ver- zeihen! Wenn dieses Selbstgefühl auch nicht ohne Affect ist, so wird doch Niemand den Affect für so stark hal- ten, wie dieses höchst lebhafte Gefühl. Oder man nehme das reinste, zugleich äusserst süsse, Gefühl der Freund- schaft, besonders in Augenblicken, nicht der Noth und Dienstleistung, sondern des blossen Gesprächs, welches eine vollkommene Zusammenstimmung der innersten Ge- sinnungen entfaltet. Kein anderes Gefühl wird mehr als dieses, beglücken; aber der Affect, der es begleitet, ist äusserst gelinde; die Seele kommt dadurch eher in Ruhe als aus der Ruhe. Man nehme endlich die Gemüths- stimmung aller charactervollen Männer, in den Augen- blicken, da sie etwas wichtiges vest beschliessen: gewiss ist der Entschluss vom lebhaftesten Gefühle begleitet; aber Affecten konnten sich eher in die vorgängige Ue- berlegung mischen; in den Abschluss der Ueberlegung kann bey dem besonnenen Manne sich der Affect nur durch einen Rest menschlicher Schwäche einen geringen Einfluss verschaffen. §. 107. Wie der Affect zum Gefühle, so soll sich die Lei- denschaft zur Begierde verhalten Carus Psychol. S. 306. . Werden wir das zweyte Verhältniss gesunder finden als das erste? Kant , so viel ich weiss, war der erste, der über- haupt Affecten und Leidenschaften, die bis dahin ver- wirrt unter einander gelegen hatten, gehörig sonderte. Bey Wolff steht noch die Ruhmsucht zwischen der Reue und der Schaam; ja es heisst bey ihm: gloria est affectus , u. s. w. Seitdem nun sind die Leidenschaften zu den Be- gierden gezogen, und zwar zu den sinnlichen Begier- den Unter andern bey Maass über die Leidenschaften , S. 58., und überhaupt in diesem Werke. , wodurch der Begriff der Sinnlichkeit eine Aus- dehnung bekommt, die statt aller Widerlegung dienen sollte. Denn so gehören die Wahrnehmungen nach Ver- hältnissen des Raums und der Zeit in eine Klasse mit den Strebungen des Lüstlings, und zugleich mit dem, nur all zu oft leidenschaftlichen, Enthusiasmus für Frey- heit und Vaterland, ja für Religion und Wissenschaft; und die Sinnlichkeit muss sich in vielen Fällen geradezu in das Gebiet der Vernunft versteigen, um durch diese die Gegenstände der Leidenschaften nur erst kennen zu lernen , während sie sonst gewohnt ist, selbst die ersten Anfänge der Erkenntnisse darzubieten! — Wie bey allen Erfahrungsbegriffen, wird auch hier die Analyse erleichtert werden, indem wir in den Umfang des Begriffs der Leidenschaft hinabsteigen, wodurch wir der Erfahrung, also der Erkenntnissquelle, näher kommen. Fassen wir auf der einen Seite die Leidenschaften für sinnliche Genüsse, die Spielsucht, die Sucht nach Neuigkeiten, Curiositäten, u. s. w. zusammen, auf der andern die Rachsucht, Eifersucht, Ruhmsucht, und ihres Gleichen: so fällt leicht der Unterschied ins Auge, dass jene in etwas Aeusseres versinken, diese das eigne Selbst hervorheben, und dagegen das Aeussere herabdrücken. Daneben findet sich alsdann eine dritte Klasse, die bey- derley Kennzeichen vermengt. Der Geiz ist versunken in das Geld, und zugleich in das eigne Selbst, in die Anschauung der eignen Person als des Besitzers; die Habsucht erhöht noch dazu das eigne Selbst vor Anderen, die sie beraubt; der Fanatismus aller Art ist versunken in Verehrung seines Götzen, und zugleich will er die Verehrer dieses Götzen, die Seinigen , allein glänzen sehn, und den Anblick eines andern Cultus nicht dulden. Nehmen wir nun rückwärts den Weg der Abstraction, so sehen wir, dass im Allgemeinen jeder Leiden- schaft eine herrschende Vorstellung zum Grunde liegt, die nicht etwan nur einmal, nur auf Ver- anlassungen, sondern fortwährend, und ver- möge einer bestehenden Disposition des Ge- müths, sich als Begierde äussert . Wo die Vor- stellung des begehrten Gegenstandes nicht selbst die herrschende ist, wo vielmehr ihr Hervorstreben grossen- theils durch andre, mit ihr verbundene bestimmt wird, da ist keine Leidenschaft. Die Begehrungen des Sinnengenusses sind alsdann nicht Leidenschaften, wenn sie nur zu Zeiten, durch Naturbedürfnisse veranlasst, hervortreten. Die Sorge für Ehre und Geld ist nicht an sich selbst Leidenschaft, wenn sie ausgeht von der Nothwendigkeit, Vertrauen zu besitzen für eine Wirksamkeit und für den Umgang un- ter Menschen, die Kosten bestreiten zu können für einen anständigen Lebensunterhalt. Die Regungen des Fana- tismus werden sich legen, so bald die Untersuchung sei- nes Gegenstandes beginnt; und derjenige wird nicht fa- natisch verfahren, der aus Einsicht in die Gründe seines Cultus handelt. Was ist es, das durch die Leidenschaften zunächst leidet ? Es ist die Fähigkeit, sich nach Motiven zu be- stimmen, sich nach den Umständen zu richten, in wie- fern diese ein solches Handeln widerrathen, wozu die Leidenschaft antreibt. — Verwandelt man diese Fähig- keit in ein Gemüthsvermögen, etwan unter dem Namen des Verstandes oder der Vernunft, so kommt sogleich die Ungereimtheit zu Tage, dass die Leidenschaften das- selbe Vermögen unterdrücken, welches sie doch auch zu ihrem Dienste gebrauchen; als ob die Metapher, der Verstand sey ein Sklave der Leidenschaften geworden, ein exacter philosophischer Begriff wäre, und als ob man dem Verstande, gleich dem Sklaven, einen Willen und einen zweyten Verstand beylegen könnte, vermöge deren er sich in die Sklaverey, in die er unglücklicher- weise gerathen, nun auch zu schicken wisse! Um den Begriff einer Leidenschaft gehörig fassen zu können, bedarf es keines Vermögens, wogegen die Leidenschaft sich stemme, und eben so wenig eines an- dern Vermögens, woraus sie selbst hervorgehe; denn ihre Gewalt ist offenbar und geradezu die Ge- walt der herrschenden Vorstellung Es versteht sich von selbst, dass hier nicht von einer einfa- chen Vorstellung, sondern von der ganzen Masse und Verbindung ein- facher Vorstellungen die Rede ist, die den Gegenstand der Leiden- schaft betreffen. selbst, die sich gegen eine stets erneuerte Hemmung auf- arbeitet . Wohl aber bedarf es der Voraussetzung ei- ner richtigen Verbindung und eines richtigen Verhältnis- ses der verschiedenen Vorstellungen unter einander, wel- ches vorhanden seyn sollte , so dass im Gegensatze mit demselben die Leidenschaft aus einer übermä- ssig starken und übel verbundenen Vorstellung oder Vorstellungsmasse entspringe. Leidenschaften sind demnach nicht selbst Begierden (Acte des Begehrens,) sondern Dis positionen zu Be- gierden, welche in der ganzen Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben . Und aus diesem Grunde lässt sich begreifen, dass es nicht bloss einzelne Leidenschaften, sondern leidenschaftliche Naturen giebt, ja dass überhaupt der Zustand der Roh- heit in der Regel mit allgemeiner Leidenschaft- lichkeit behaftet ist . Denn je mehr die Vorstellun- gen vereinzelt geblieben, je weniger sorgfältig und regel- mässig sie unter einander verknüpft sind, desto gewaltsa- mer wirkt jede für sich allein, sobald sie aufgeregt ist; und erweckt und erträgt nur diejenigen, welche, ohne sie zu hemmen, mit ihr in Verbindung treten können. Man vergleiche hier den §. 76. Was Wunder, dass wilde Völkerschaften der Leidenschaftlichkeit unterliegen; dass in der Barbarey gerade die Leidenschaften zuerst anfan- gen verständig zu werden, indem die herrschenden, und selbst nicht beherrschten Vorstellungen sich allmählig die übrigen Vorstellungen unterwerfen, sie mit sich, und da- durch sie unter einander verbinden, und sie nach sich discipliniren? Diesen Durchgang durch die Barbarey, dessen Ue- bergang in wahre Cultur höchst unsicher, und keineswe- ges nothwendig ist, erspart den Kindern gebildeter Men- schen die Erziehung. Und eben darin unter anderm zeigt sich die gute Erziehung der frühesten Jahre, dass sie den Kindern die Leidenschaftlichkeit unmöglich macht, indem sie jeder Spur davon sogleich Zwang entgegen- setzt, und die ganze Masse der Vorstellungen schon während des Entstehens in einen solchen Fluss bringt, dass keine einzelne zu einer heftigen Aufregung gelan- gen kann. Was Wunder endlich, dass auch selbst die wahre Cultur, dass die ächt moralische Gesinnung ihre Leiden- schaften hat? Die Vorstellung der Gottheit, ja die abs- tracte Vorstellung der Tugend, oder des Rechts, der Freyheit, der Gleichheit, oder selbst jeder erste beste theoretische Begriff irgend einer Wissenschaft, habe eine vorzügliche Stärke erlangt; sey aber entweder gar nicht oder schlecht verbunden mit den Begriffen von den ge- sellschaftlichen Verhältnissen der einzelnen, wirklichen Menschen unter einander: alsbald wird man sehen, wie unvernünftig bey gegebener Gelegenheit die letztern ge- mishandelt, wie ungestüm die erstern durchgesetzt, und wie dabey den niedrigsten Affecten, diesen gewöhnlichen Gesellen der aufgeregten Leidenschaften, so viele Frey- heiten zugestanden werden! §. 108. Nachdem wir die Affecten von den Gefühlen unter- schieden, die Leidenschaften vielmehr für Dispositionen zu Begierden als für stärkere Acte des Begehrens er- kannt haben: bleibt in dieser Gegend der Untersuchung noch Einiges theils nachzuhohlen, theils zu ergänzen übrig, wodurch die vorigen Paragraphen, (besonders §. 105.) nicht noch mehr sollten angeschwellt werden. Zuerst muss ich von dem Cirkel sprechen, in welchem bey manchen Schriftstellern Gefühl und Begierde sich zu drehen scheinen. Fragen wir hierüber Herrn Maass , so antwortet er uns in seinem Werke über die Gefühle (Th. I. S. 39.) „Ein Gefühl ist angenehm, so fern es um sein selbst „willen begehrt, unangenehm, so fern es um sein selbst „willen verabscheuet wird.“ Aber in dem Werke über die Leidenschaften (Th. I. S. 2.) lernen wir, man be- gehre, was als gut , man verabscheue, was als böse vorgestellt werde; und weiterhin, (S. 7.) die Sinnlichkeit stelle das als gut vor , wovon sie angenehm afficirt werde, das Gegentheil als böse . So sind wir im Cirkel herumgeführt, das Angenehme ist das Begehrte, das Begehrte ist das Angenehme. Wobey wir billig fra- gen müssen, ob denn dieses oder jenes ursprünglich be- stimmt sey? Ob das Begehrungsvermögen zuerst begehre, und sein Begehrtes nun angenehm empfunden werde; oder ob das Gefühl zuerst das Angenehme vom Gleich- gültigen und vom Unangenehmen unterscheide, und als- dann sich die Begehrung zu dem Herausgefühlten hin- lenke? Es ist offenbar, dass eben die Schwierigkeit dieser Frage den obigen Cirkel veranlasst hat. Carus , (in seiner Psychologie S. 399 u. s. w.) nachdem er mehrere irrige Meinungen geprüft hat, er- klärt sich also: nur das Gefühl werde angenehm, was unser Selbst gefühl verstärke, und dies geschehe nur durch inniges Inne-Werden unsrer eignen im Fortschreiten begriffenen Verstärkung unsrer Kraft . Aber hier ist das Klärere durch das Dunklere erklärt; und man darf wohl von den angenehmen Gefüh- len behaupten, dass sie es sich nur gefallen lassen, von der Reflexion hintennach als Selbstgefühle in uns hin- ein versetzt zu werden, indessen sie selbst uns gar oft aus uns heraus versetzen. Eberhard in seiner Preisschrift: allgemeine Theorie des Denkens und Empfindens Dies schätzbare Buch kommt in meinen Augen dem Geiste einer ächten psychologischen Forschung bey weitem näher, als das meiste Neuere, mir Bekannte. Es ist vom Jahre 1776; und hält sich an Leibnitzens Lehren; ein Umstand, der für Psychologie in man- cher Hinsicht wohlthätig seyn muss. , S. 78. der neuen Aus- gabe, spricht von einer Vereinigung der geringe- ren Perceptionen , woraus das Angenehme entspringe. Hierbey bemerkt er Abstufungen der Vereinigung, mit deren Hülfe er aus dem nämlichen Princip die Auf- fassungen des Angenehmen, Schönen, Guten , und Wahren erklärt. Darin liegt eine richtige Ahndung, die wir mehr ins Licht zu setzen haben. Die Gefühle der Lust und Unlust sind specifisch verschieden vom Angenehmen und Unangenehmen. Nicht auf die erstern passt die Zusammenstellung mit dem Schö- nen, Guten, und Wahren; wohl aber passt sie auf das Letztere. Die Gefühle der Lust und Unlust sind es, welche von der Art und Weise abhängen, wie sich unsre Vor- stellungen im Bewusstseyn befinden; und zum reihenför- migen Ablaufen angeregt sind. Den Vorstellungen selbst, (insofern sie nicht etwa schon eine veste Construction erlangt haben,) ist eine solche Art und Weise zufällig; die daraus entspringenden Gefühle sind ihnen alsdann eben so zufällig. Wie es einer Vorstellung vermöge ihrer Verbindun- gen und der hinzukommenden Aufregungen begegnen kann, dass sie sich als Begierde äussert, eben so trifft es sich wohl auch, dass mit ihren verschiedenen Stellun- gen im Bewusstseyn heute Lust, morgen Unlust verbun- den ist, ohne dass darum sie selbst etwas mehr als ein gleichgültiges Object ins Bewusstseyn zu bringen hätte. Dergleichen bemerken wir bey allen Gegenständen unsrer Beschäfftigung; sie kommen uns bald gelegen, bald un- gelegen, nach den Umständen. Ganz anders verhält es sich mit dem eigentlich An- genehmen und Unangenehmen. Wem es in diesem Au- genblicke völlig ungelegen ist, sich zu baden, der kann gleichwohl mit dem eingetauchten Finger prüfen, ob das schon bereitete Bad eine angenehme Wärme habe. Wer Wohlgerüche scheut, als ungesund, oder sie verachtet, der kann dennoch einen Ausspruch darüber thun, ob dies oder jenes angenehmer rieche. Wer einen körperlichen Schmerz höchst gelassen erduldet, wird ihn dennoch un- angenehm nennen, so dass der Schmerz ein Prädicat be- kommt, was vom Erdulden desselben unabhängig besteht. Auf diese Weise giebt es eine, nicht eben gar grosse, Anzahl von Gefühlen, denen ihre Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit wesentlich zugehört. Jede solche Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit ist von eigner Art , jede hat ihren eignen Grad; der darum nicht grö- sser noch kleiner wird, ob man ihr viel oder wenig Wichtigkeit beylege; wofern nicht etwa die Empfänglich- keit des Fühlenden sich ändert, welches nicht hieher gehört. Es fehlt nicht viel daran, dass die Aussage von sol- cher Annehmlichkeit oder Unannehmlichkeit die Form eines Urtheils bekomme. Wirklich spricht man oft: die- ser Wind ist unangenehm, der elektrische Schlag ist un- angenehm. Allein bey genauer Prüfung zeigt sich ein Fehler im Subjecte solcher Sätze. Nicht der bewegten Luft, nicht dem hervorspringenden Funken, kommt jenes Prädicat zu; auch ist es nicht so gemeint, sondern unsrer eignen Empfindung beym Eindringen jener Luft oder die- ses Funkens, schrieben wir die Annehmlichkeit oder Un- annehmlichkeit zu. Nun lässt sich aber die Empfindung gar nicht vorstellen, ausser als angenehm oder unange- nehm. Sie, als das wahre Subject des Satzes, schliesst dergestalt das Prädicat in sich, dass nicht einmal Raum ist für einen analytischen Actus der Aufmerksamkeit, der- gleichen sonst vorgeht, wo ein Subject unter eins seiner Merkmale subsumirt wird. Daher kann man jene Sätze beynahe tautologisch nennen; besonders da der Begriff des Unangenehmen, in seiner Allgemeinheit, äusserst dunkel ist, und man sich fast nothwendig auf etwas un- mittelbar Gefühltes besinnen muss, um ihn zu verstehen; welches denn im Falle jener Sätze nichts anderes seyn wird als eben ihr Subject. Merkwürdig aber bleibt immer die Neigung, den Be- griff des Angenehmen oder des Unangenehmen als Prä- dicat zu gebrauchen. Gesetzt, es wäre möglich, das Sub- ject für dies Prädicat anders aufzufassen , so, dass in dem Denken des Subjects nur nicht unmittelbar das Prädicat schon läge, sondern dass noch eine Fortrückung möglich bliebe vom Denken des Subjects zum Denken des Prädicats, dass also in der That der Actus des Ur- theilens könnte ausgeübt werden: alsdann käme eine Klasse von Urtheilen zum Vorschein, die in psycholo- gischer Hinsicht den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen nahe verwandt wäre, wenn sie schon in ihren Folgen sich weit von ihnen entfernen möchte. Dieses nun ist wirklich der Fall, und zwar bey den ästhetischen Urtheilen . Man prüfe das Urtheil: dieses Bild ist schön . Zuvörderst, nicht die Lein- wand, oder die Pigmente, oder die dadurch reflectirten Lichtstrahlen sind schön, sondern unsre eigne Vorstel- lung, in welcher die Auffassungen aller Theile des Bil- des sich vereinigen. Diese nähere Bestimmung ist ganz ähnlich jener, da wir das Unangenehme nicht dem Winde noch noch dem Funken, sondern unserem Gefühle zuschrie- ben. Allein nun tritt die Verschiedenheit hervor. Unsre Vorstellung des Bildes lässt sich zerlegen in die ganze Summe ihrer Theil-Vorstellungen; aber von allen ein- zelnen gefärbten Puncten, die wir sahen, ist kein einzi- ger schön; also auch nicht ihre Summe, so lange sie bloss als Summe gesehen wird. Nun kann man aber wirklich das Bild sehen als eine blosse Summe sichtba- rer Stellen; und ohne Zweifel wird es also gesehen von Thieren, von Kindern, vom rohen Volke, das, wie man zu sagen pflegt, keinen Sinn hat für das Schöne. Und auch der Kenner muss einen Uebergang machen von dem Sehen des Aggregats von Farben zu dem Sehen des Schönen in dem Bilde; er muss sich die Verhältnisse erst herausheben, er muss der Vorstellung dieser Ver- hältnisse eine kleine Weile zu ihrer Ausbildung gönnen, ehe der Unterschied zwischen seinem Sehen und dem des Volkes fertig wird. Dieser Uebergang gleicht dem vom Subjecte zum Prädicate im ästhetischen Urtheile; jenes ist die blosse Materie des Wahrgenommenen, die- ses entspringt in der Auffassung der Form. Was aber mag leichter seyn zu ergründen, das, was beym ästhetischen Urtheile, oder was bey den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen in der Seele vor- geht? Offenbar das erste. Denn beym ästhetischen Ur- theile sind uns die Partial-Vorstellungen gegeben, die zusammen das Schöne ausmachen; auch können wir mit ihnen experimentiren, sie mannigfaltig abändern, und be- merken, wie dadurch das Schöne sich ins Schönere oder ins Hässliche verwandelt. — Es giebt ja so einfache ästhetische Urteile, dass sich bey ihnen alles, was ihr Gegenstand ins Bewusstseyn bringt, der Rechnung un- terwerfen lässt; daher es möglich seyn muss, alles aufs vollständigste kennen zu lernen, was bey diesen Urthei- len in der Seele sich ereignet. Dieses sind bekanntlich die Grund-Urtheile der Musik, über das Consonirende oder Dissonirende zweyer und dreyer Töne. II. H Die Vergleichung dieser ästhetischen Urtheile mit den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen wirft, wie schon oben gezeigt worden, ein Licht auf die Natur der letztern; nämlich iu Rücksicht auf die Frage: was doch bey ihnen das Gefühlte vor einem blossen Vorge- stellten auszeichnen möge? Worin der Grund des Vor- ziehens und Verwerfens liegen möge, welches bey ihnen Angenehmes vom Unangenehmen, so wie dieses beydes vom Gleichgültigen, dem blossen Vorgestellten, — un- terscheide? Wir kennen schon folgende Antwort: Das Vorgestellte im Gefühl des Angenehmen oder seines Gegentheils, ist nicht einfach, sondern zusammengesetzt aus Partial-Vorstellungen, die sich von einander im Bewusstseyn nicht ab- sondern lassen, die aber unter einander in ähn- lichen Verhältnissen stehn, wie die Partial- Vorstellungen bey ästhetischen Gegenständen . Kennt man daher die letzteren, so wird man sich einen Begriff machen können von jenen. Dem gemäss wird sich auch über die, anfangs aufgeworfene Frage wegen des Cirkels, worin das Angenehme und das Begehrte sich zu drehen scheinen, etwas bestimmteres sagen las- sen. Nämlich das eigentlich Angenehme und sein Gegentheil gehen der darauf sich richtenden Begierde voran ; (abgesehen davon, dass auch dieses, so wie jedes Gleichgültige, zufälliger Weise ein Ge- genstand der Begierde werden kann, wobey zu bemerken, dass der Erfahrung gemäss gar nicht selten sogar das an sich Unangenehme begehrt wird, z. B. wenn es den Reiz der Neuheit hat.) — Allein das bey weitem grösste Quan- tum der Lust und Unlust, die im menschlichen Leben vorkommt, hängt nur in geringem Grade ab von dem eigentlich Angenehmen und Unangenehmen; indem dar- über viel öfter die im §. 104. unter Nro. 1. 2. 3. bezeich- neten Gemüthslagen entscheiden; aus denen Gefühle und Begierden zugleich entspringen, welche an gar keine Qualität des Vorgestellten gebunden sind, sondern sich nach dem durch Umstände bestimmten psychologischen Mechanismus rich- ten . Hier ist die Entbehrung mit Unlust verbunden; die Befriedigung aber darum mit Lust, weil die Begierde voranging , die ihrem Gegenstande einen ihm au- sserdem nicht zukommenden Werth beylegte. Hievon wollen wir nun eine kurze Anwendung ma- chen auf die Leidenschaften, von denen wir wissen, dass sie die Stämme sind, aus denen ein heftiges Begehren, sich gleichartig wiederhohlend, hervorwächst. Es kann uns nämlich jetzt nicht mehr wundern, wenn wir sehen, dass die Leidenschaften den seltsamsten und widrigsten Contrast nicht bloss mit dem bilden, was wirklich zum Wohlseyn des Menschen gehört, sondern auch mit dem, was er als sein wahres Glück anerkennt, was er bey ru- higer Ueberlegung wirklich anstrebt, ja selbst was er in seinen Phantasien sich als heitern Lebensgenuss ausmalt. Dies könnte nicht Statt finden, wenn die zu Leidenschaft ten gesteigerten Begierden in irgend einem wesentlichen Zusammenhange stünden mit den Gefühlen des Ange- nehmen und Unangenehmen. Weit davon entfernt, stören sie noch überdies das heitere Spiel mannigfaltiger Vorstellungsreihen, woraus die Lustgefühle hervorgehn. Die Leidenschaften sind vielmehr der Ausdruck des rohen psychologischen Me- chanismus, wie er sich da erzeugt, wo natürliche Begier- den lange unbefriedigt bleiben; wo alte Gewohnheiten ohne Schonung Gewalt erleiden; wo betäubende Genie- ssungen oftmals wiederkehren; wo einerley Affect sich unbewacht und ungedämpft durch fortwährende Reizung erneuert; wo das wahre ästhetische Urtheil ungebildet hlieb, und dagegen vorgespiegelte Güter und Uebel den Geist lange beschäfftigen; und wo die Spannung, der Krampf, welcher in solchen Lagen entstand, die Vor- stellungsreihen hier hemmte, dort verknüpfte, so dass die Reproductionsgesetze sich darnach einrichten, von allen Seiten auf denselben Punct zurückführen, und hiedurch H 2 unter wechselnden Umständen doch immer dasselbe Lei- den erneuern. Hat sich nun früherhin die gesunde Ue- berlegung ausgebildet: so ist so lange noch Hülfe gegen die Leidenschaft, wie lange sie nicht durch ihre Regun- gen bis zum eigentlichen Affecte aufsteigt, in welchem, weil die Vorstellungen aus dem Gleichgewichte kamen, auch der Leib — die Nerven und das Blut — in eine Aufregung gerathen, die nicht sogleich vorübergeht, son- dern gegen den Lauf der Vorstellungen hemmend zu- rückwirkt. Kommt es erst dahin: so gleicht der Anfall der Leidenschaft mehr oder weniger dem Traum und dem Wahnsinn; das Uebel lässt zwar nach, aber nur um künftig desto furchtbarer wiederzukehren. Der Mensch bedarf alsdann Hülfe von aussen: und nur zu oft über- liefert ihn das Bewusstseyn dieses Bedürfnisses solchen Seelenärzten, die das Schlimme noch schlimmer machen. Man hat unter mancherley nähern Bestimmungen oftmals, nicht bloss gerathen, sondern versucht, eine Lei- denschaft durch die andre zu bezwingen. Es giebt ja so- gar Lobredner der Leidenschaften; es finden sich Leute, die zum Beyspiel einer Nation, welche bis dahin von politischen Leidenschaften wenig wusste, gern dergleichen einimpfen möchten! — — Dass auch gute Aerzte zuweilen durch ein künstli- ches Geschwür, — welches sie wieder heilen können, und das in ihrer Gewalt bleibt — dringende Gefahren vorläufig abwenden, ist bekannt. Wer sich aber ein- bildet, man könne aus entgegengesetzten Leidenschaften die moralische Gesundheit erzeugen, der gleicht den Po- litikern, welche im Ernste zwey Mächte auf Einem Bo- den begehren. Nicht Ruhe, sondern völlige Zerrüttung ist davon die nothwendige Folge. Weit besser ist ein anderes Mittel, welches unsre Moralisten seit Kant zu sehr verschmäht haben. Es ist eine verständige Glückseligkeitslehre, welche das Be- wusstseyn des wahrhaft Angenehmen und Erfreulichen zurückführt. Ein Mensch, der ein anhaltend genussrei- ches Leben führt, ist darum keinesweges gut und edel, aber er ist gesund! Hierauf werde ich weiterhin, bey den Betrachtungen über die Ausbildung der Maximen, zurückkommen. Am sichersten ist es ohne Zweifel, der Entstehung von Leidenschaften vorzubeugen. Dazu ist aber nicht bloss die eigne Aufmerksamkeit des Menschen auf sich selbst, sondern auch eine solche äussere Lage und Be- handlung nöthig, die ihn vor heftigen Reizungen, und vor dem Mangel des Unentbehrlichen schütze. Barbari- sche Behandlung macht Barbaren! Man kennt die Schil- derungen der heutigen Griechen. — Dagegen hat man neuerlich die unerwartete Erfahrung gemacht, dass selbst reissende Thiere durch gute Pflege, welche ihren Bedürf- nissen abhilft und zuvorkommt, sanftmüthig erhalten wer- den können. Was hindert uns, anzunehmen, dass die Raubsucht des Tigers und der Hyäne eine Leidenschaft sey, die aus unbefriedigtem heftigen Hunger entstand, und alsdann habituel wurde? Zwar hat man den Thieren die Leidenschaften abgesprochen; z. B. Herr Hofrath Schulze , (Psychische Anthropologie S. 382.) weil Hemmung des Verstandesgebrauchs ein wesentliches Merkmal der Leidenschaften sey. Eher würde ich mich darauf berufen, dass die Vernünfteley, die wahnwitzige Ueberlegung des leidenschaftlichen Men- schen, bey den Thieren fehle. Allein die Disposition zur Begierde, die Reizbarkeit zum Affecte, findet sich doch vor; und die Abwesen- heit eines negativen Merkmals dürfte wenig Gewicht haben, wenn man nicht um Worte streiten will. Wir sehen wenigstens, dass der Kettenhund, durch sein langes Leiden, eben so wohl bösartig gemacht wird, als dies beym Menschen der Fall seyn würde. Dies erinnert an eine andre Aehnlichkeit zwischen Menschen und Thieren in Ansehung des Tempera- ments Wegen dieses Puncts kann §. 90. meines Lehrbuchs der Psy- chologie nachgesehen werden. Ich glaube nicht, alle Einzelnheiten aus jenem Buche hier wiederhohlen zu müssen. , welches auf Affecten und Leidenschaften ei- nen so grossen und unläugbaren Einfluss hat. Bekannt- lich ist das Temperament nicht bloss bey einzelnen Thieren, sondern noch weit auffallender bey den Thier- gattungen verschieden. Das phlegmatische Rind, der sanguinische Sing-Vogel, der cholerische Hund, — und soll ich sagen, die melancholische Eule? — sind stark von der Natur gezeichnet; und wir können uns nicht weigern anzuerkennen, dass der Organismus seinen mäch- tigen Einfluss auf Gemüthsbewegungen hiedurch sehr deut- lich documentirt. Die Folgen solcher Verschiedenheiten greifen ins Leben tief genug ein. Wenn wir aus einem Hause ins andre ziehn, so geht der Hund willig mit uns, und lässt sichs beym neuen Ofen eben so wohl seyn als beym alten, sobald er nur die Erlaubniss hat, in Ge- sellschaft seines Herrn zu leben; — aber die Katze will uns nicht folgen; sie bleibt in der alten Wohnung, ge- treu dem Heerde und den Schlupfwinkeln, die sie kennt, anhänglich mehr für das Todte als für das Lebendige. Warum? Ohne Zweifel hat die Katze niemals ganz den ersten Affect überwunden, den der Mensch ihr bey der ersten Annäherung einflösste; und das war die Furcht. Beym Hunde hingegen ist es der Zorn, der seiner Natur nach schneller vorübergeht. Daher bleibt der Hund stets unvorsichtig; die Katze aber hütet sich; sie ist schlau, weil sie sich fürchtet. Wir wollen die Physiologen nicht fra- gen, welches von den beyden Thieren hierin Recht oder Unrecht habe? Sie würden sonst ohne Zweifel die Katze loben müssen, die, viel klüger als der Hund, sich gewis- sen grausamen Experimenten entzieht, so lange sie kann. Sollte aber wohl die vergleichende Anatomie jemals da hin kommen, uns über den Grund, weshalb das Tempe- rament und der erste natürliche Affect bey Verschiedenen verschieden sind, Aufschluss zu geben? Wenn die Phy- siologen es dahin bringen, so werden sie uns etwas von dem lehren, was wir zu wissen verlangen; während sie bisher (z. B. in der Angabe des Sitzes verschiedener Seelenvermögen,) freygebig gewesen sind mit Antworten, zu denen in der wahren Psychologie leider! die entspre- chenden Fragen nicht angetroffen werden. Im dritten Abschnitte wird gezeigt werden, dass, un- geachtet das Leben des Geistes und das Leben des Ge- hirns zwey durchaus verschiedene Dinge sind, dennoch wegen des Causalverhältnisses zwischen Leib und Seele, die Abhängigkeit der letztern von jenem noch ohne allen Vergleich grösser müsste erwartet werden, als sie sich in der Wirklichkeit findet. Dem gemäss müsste auch der Mensch, in welchem Grade er über die Thiere hervorragt, in demselben Grade stärker einen entschie- denen Gattungscharakter in Hinsicht des Temperaments und des ersten Affects zeigen, als dieses bey den Thier- gattungen der Fall ist. Aber gerade das Gegentheil! Was wir beym Menschen in der zu erwartenden Ver- grösserung antreffen, und mit den Namen der verschie- denen Temperamente belegen, das ist nichts anderes als die vergrösserte Verschiedenheit, die sich bey den ein- zelnen Thieren von einerley Gattung ganz deutlich vorfindet. Ich habe nicht Lust, von meinen zwey Hun- den zu erzählen; man wende sich an Jäger, und an Pferdekenner, und man wird von jener Verschiedenheit genug zu hören bekommen. Die Unterschiede des Tem- peraments sind beym Menschen unbegreiflich gering ge- gen die scharfe Zeichnung des allgemeinen mensch- lichen Temperaments, (das, wenn wir die individualen Verschiedenheiten gegen einander aufheben, wohl gleich Null seyn dürfte,) welche statt finden müsste, wenn psychische Anthropologie das rechte Wort wäre statt Psychologie . Aber gesetzt, der Mensch fehlte auf der Erde: dann würde kein Zuschauer aus den übri- gen Thieren eine zusammenhängende empirische Psycho- logie herausdeuten können; er müsste sich mit einer psy- chischen Zoologie begnügen. Denn je tiefer wir zu den niedrigern Thierarten herabsteigen: desto mehr ver- liert sich die Psychologie in die Physiologie. Drittes Capitel . Vom räumlichen und zeitlichen Vorstellen. §. 109. Begierden und Gefühle sind so sehr mit unsern Vorstellungen des Umgebenden verflochten, dass eine tiefer eindringende Untersuchung der einen und der an- dern sich unvermeidlich in Erörterungen über unsre Art und Weise, die Dinge in der Welt aufzufassen, ver- wickeln muss. Aber das Verwickelte wird nur verständ- lich nach vorgängiger Kenntniss des Einfacheren. Daher lassen wir die bisher gelieferten Anfänge der Untersu- chung über Begierden und Gefühle jetzt fürs erste lie- gen Die Fortsetzung dieser Materie kann erst im §. 150. atz finden. und wenden uns zu den Hauptformen der weltli- chen Vorstellungsarten; unter denen bekanntlich die räum- lichen und zeitlichen sich zu allererst zur Analyse dar- bieten. Hier bemerke man zuerst den Unterschied zwischen räumlichen und zeitlichen Vorstellungsarten auf einer Seite, und Vorstellungen des Raumes und der Zeit auf der andern. Jene sind unstreitig allen Menschen eigen, dergestalt, dass Niemand ihre erste Entwickelung in frü- her Kinderzeit nachzuweisen unternimmt, da sie jenseit der ersten Puncte liegt, die das Gedächtniss zu erreichen vermag. Allein wenn Manche behaupten, Raum und Zeit selbst, diese leeren Formen für Körper und Be- gebenheiten, würden als unendliche gegebene Grössen von uns vorgestellt: so muss man sich dabey sogleich erinnern, dass das Unendliche eine wissenschaftliche Vor- stellungsart ist, zu der sich ungebildete Köpfe nicht er- heben, wenn sie gleich von einem Etwas jenseit der ihnen bekannten Sinnensphäre eine Ahndung haben. Nicht einmal die drey Dimensionen des Raumes und des Räumlichen werden ursprünglich unterschieden; wer dies annimmt, erschleicht eine Thatsache, die sich nicht nachweisen lässt. Setzen wir nun fürs erste die Vorstellungen des Raumes und der Zeit ganz bey Seite, und halten uns an denen des Räumlichen und Zeitlichen: so scheint es zwar auf den ersten Blick, als hätten wir hier einen recht klaren Gegenstand, welchem die Analyse ohne Mühe seine Merkmale abgewinnen werde. Denn das Räum- liche und Zeitliche lässt sich ja messen und zählen! Es lässt sich im eigentlichen Verstande mit Händen greifen, und wird durch die Worte unserer Sprachen unmittelbar, ohne Metaphern, (die vielmehr von ihm entlehnt sind), bezeichnet! Auch haben wir es nur mit den gemeinsten Vorstellungsarten zu thun; und die metaphysischen Fra- gen, nach dem wahren Wesen des Körperlichen, nach der Möglichkeit des Veränderlichen bekümmern uns hier gar nicht. So wahr dieses ist: eben so bekannt ist dagegen auch, dass der Sinn für räumliche Auffassungen in den frühesten Kinderjahren eine Uebung erlangt, die ursprüng- lich nicht vorhanden war, welche aber, einmal ange- nommen, sich nicht wieder abstreifen lässt . Die Hand des Kindes lernt erst greifen, das Auge lernt erst sich gehörig richten; aber der Erwachsene vollzieht unwillkührlich, was er gelernt hat; er trübt sich unwill- kührlich die reine sinnliche Wahrnehmung durch Zu- sätze, die seine vorhandene Ausbildung hineinmischt. Wie mit dem Räumlichen, also auch mit dem Zeitlichen. Wir messen die Zeit, durch Vergleichung mit bekannten Zeit- grössen, mit Secunden, Minuten, Stunden, Tagen; wir theilen kleine Zeitabschnitte mit Leichtigkeit in Hälften und in Dritttheile; und wer einmal an rhythmische Auf- fassungen gewöhnt ist, bey dem stellen sie sich überall ein, ohne sein Wollen und Zuthun. Aber es giebt Men- schen ohne solche Uebung und Gewöhnung; es giebt deren, die über die rohesten Unterscheidungen des Lang- samern und des Schnelleren nicht hinauskommen. Uns in den Gemüthszustand derselben zurück zu versetzen, nachdem wir ihn einmal überschritten haben, wird uns nicht gelingen; dagegen werden wir uns um so eher von der Einbildung hinreissen lassen, als sey eine so ausge- bildete, ja künstliche Auffassung des Zeitlichen und des Räumlichen, wie uns nun einmal anklebt, eine wahrhaft ursprüngliche menschliche Anlage. — Diejenigen endlich, welche mit heutiger Schul-Phi- losophie sich zu beschäfftigen gewohnt sind, müssen sich an diesem Puncte die dringende Warnung gefallen las- sen, nicht in die gemeine Verwechselung zweyer gänzlich verschiedenen Untersuchungen zu gerathen. Die Frage, wie wir zu unsern Vorstellungen des Räumlichen und Zeitlichen kommen mögen, nämlich zu den gemeinen, und von Kindheit auf gehegten Vorstellungen, — eben die Frage, die uns hier beschäfftigt, — muss nothwendig gesondert werden von der völlig heterogenen Frage, ob wirklich etwas ausser uns in räumlichen Verhältnissen existire? Was diese letztere Frage anlangt, die in die allgemeine Metaphysik (oder, mit dem alten Namen, in die Ontologie,) hineingehört: so wird sie von Leibnitz bejahet, während Kant alle positive Beantwortung der- selben verbietet. Aber was sind Kants Gründe? Er sucht zu beweisen, die räumlichen Formen entspringen aus einer Urform unserer Sinnlichkeit, sie kommen kei- nesweges von aussen in uns hinein. Gesetzt, das werde eingeräumt: ist nun damit Leibnitz widerlegt? So we- nig, dass er vielmehr gerade das nämliche auf das be- stimmteste behauptet. Denn nach der prästabilirten Har- monie entspringen alle unsere Vorstellungen in uns selbst, aus der eigenen Anlage unserer Seele, ohne den gering- sten Causal-Zusammenhang mit dem, was draussen ist. In Leibnitzens Lehre bestehen zwey ganz verschiedene Behauptungen völlig mit einander; die eine psychologische: Raum und Zeit sind Vorstellungen, die sich lediglich aus unserer ursprünglichen Anlage entwickeln, (so wie alle unsere Vorstellungen;) die zweyte allgemein-meta- physische, die wahren Wesen, welche von uns abhängig existiren, sind wirklich auf räumliche Weise ausser uns, und ausser einander; die wahren Begebenheiten, welche theils ausser uns, theils in uns vorgehen, sind wirklich zeitliche Begebenheiten, und das Zeitliche ist keineswe- ges eine bloss menschliche, sondern in der wahren Er- kenntniss eines jeden Vernunftwesens unentbehrliche Vor- stellungsart. — Ich behaupte mit Leibnitz den letztern, metaphysischen Satz; ich behaupte wider Leibnitz und Kant das Gegentheil jenes erstern, psychologischen Satzes; ich werde über meine psychologische Behaup- tung hier Rechenschaft ablegen, während mich der allge- mein metaphysische Satz, über den ich anderwärts ge- sprochen In den Hauptpuncten der Metaphysik, und in der Abhand- lung de attractione elementorum . , hier gar nichts angeht. Dennoch wird es im Anfange meiner Entwickelung scheinen, als müsse ich mit Leibnitz uud Kant gerade in dem Puncte zusammenstimmen, worin ich ihnen bey- den widerspreche. Der Leser aber wird mich am leich- testen verstehn, wenn er es über sich erhalten kann, we- der an Leibnitz noch an Kant zu denken, sondern lediglich dem Faden meiner Untersuchung zu folgen. §. 110. Schon im §. 103. wird aufmerksam gemacht auf die vollkommne Intensität alles unseres Vorstellens, wegen der völligen Einheit und Einfachheit der Seele. Alle Unterschiede des Rechts und Links, Oben und Unten, die in unserem Vorgestellten vorkommen, verschwin- den gänzlich, sobald von dem Actus des Vorstellens selbst die Rede ist. Oder vielmehr — da doch das Vor- stellen dem Vorgestellten vorauszusetzen ist, — sie sind in dem Vorstellen noch gar nicht vorhanden; dieses ruhet in dem Einen und untheilbaren Schoosse der Seele; und es bleibt auch in demselben; es kann gar nicht aus demselben heraus — folglich auch gar nicht wirklich auseinander treten. Mag also immerhin die allgemeine Metaphysik ihren Satz behaupten, es gebe wirklich Wesen ausser uns, und ausser einander; mag, auf irgend eine, rechtmässige oder unrechtmässige Weise, die Physiologie sich mit jener in Verbindung setzen, und erzählen von dem Bilde auf der Netzhaut des Auges, worin alle Proportionen der äusse- ren, wirklichen Gegenstände, sich unverändert wiederfin- den: das alles fällt zusammen, es wird ein ungeschiede- nes Chaos, sobald daraus ein wirkliches Vorstellen in der Seele entspringt. Sie, die Seele, muss nun ganz von vorn an die völlig vernichteten Raum-Verhältnisse er- zeugen; und dieses muss sie leisten, ohne ihre Vorstel- lungen nur im allergeringsten auseinanderrücken zu kön- nen; sie muss es so leisten, dass, während das Vorstel- len intensiv bleibt, sein Vorgestelltes doch auseinan- der trete. Allein das Vorgestellte ist eben weiter nichts als nur ein Vorgestelltes; es ist nichts wirkliches; also tritt auch nicht wirklich etwas auseinander; sondern das wirkliche psychologische Ereigniss des räumlichen Vorstellens ist etwas völlig Unräumliches. — Man kann leicht zeigen, dass auch das Vorstellen des Zeitlichen etwas solches st, worin sich Nichts von der dadurch vorgestell- ten Zeit befindet. Dabey aber entstehn leicht Verwech- selungen zwischen dem successiven Vorstellen und dem Vorstellen des Successiven; daher bleiben wir fürs erste beym Vorstellen des Räumlichen; welches im- merhin, ohne Sorge wegen eines möglichen Misverstandes auch räumliches Vorstellen genannt werden kann, eben darum, weil es kein Vorstellen giebt, das selbst etwas Räumliches wäre. Nun muss aber doch das Vorstellen des Räumlichen gewisse Aehnlichkeiten haben mit dem Räumlichen selbst, weil sonst das Vorgestellte dieses Vorstellens eher alles andere als ein Räumliches seyn würde. Ohne Mühe sieht man: es muss ein mannigfaltiges Vorstellen seyn; ferner ein verbundenes und geordnetes. Ja die Ordnung lässt sich näher bestimmen. Sie muss für jede Dimension gleichen der Ordnung der Buchsta- ben a , b , c , d , e , u. s. w.; dergestalt, dass jeder von diesen der erste seyn könne, aber dass zwey bestimmte andre, (die nächsten zu beyden Seiten,) mit ihm zuerst verbunden seyen, noch zwey andre nur mit der Ver- bindung jener mit ihm , und so ferner. Sey c der erste; mit ihm sind ohne weiteres verbunden b und d; hingegen a und e nur mit der Verbindung des b mit c , und des d mit c . Sey b der erste; so ist mit ihm ohne weiteres verbunden c , aber d mit b nur so fern c mit b verbunden ist. Doch diese analytische Betrachtung des räumlichen Vorstellens, und der Erscheinung eines Neben einan- der geordneten, würde entweder gar nicht, oder nur mit grossem Aufwande künstlicher Speculation so weit fort- geführt werden können, bis sich aus ihr die wirkliche geistige Thätigkeit, die dabey zum Grunde liegt, mit Be- stimmtheit erkennen liesse. — Die Synthesis muss uns zu Hülfe kommen; ja sie bietet sie uns dar, auf eine völlig unzweydeutige Weise. §. 111. Wir wollen zuvörderst versuchen, den Leser so schnell und so gerade als möglich auf den Hauptpunct hinzuweisen; ohne uns gleich in das Einzelne der nöthi- gen Erläuterungen zu verlieren. Aus der so eben angestellten analytischen Betrach- tung (die übrigens auf die Zeit und die Zahl eben so gut passt als auf den Raum,) lässt sich wenigstens so viel erkennen, dass auf Abstufungen in der Verbin- dung der Vorstellungen alles ankommen müsse. Diese haben wir aber in der Mechanik des Geistes, (§. 86—91. und §. 100.) mit einer früherhin niemals er- reichten Genauigkeit kennen gelernt. Und hieher sind wir demnach durch die Analyse gewiesen; es fragt sich nur, welche Modificationen die dortige allgemeine Unter- suchung annehmen könne und müsse, um die gesuchten Erklärungen zu liefern. So viel leuchtet gleich von selbst ein, dass eine geringe Anzahl von Vorstellungen, wie die dortige P, π , π′ , π″ , u. s. w. und eine eben so kleine Anzahl bestimmt verschiedener Reste r , r′ , r″ , u. s. w., hier nicht zureichen könne; denn beym sinnlichen Auf- fassen des Räumlichen giebt jede kleinste, farbigte oder betastbare, Stelle, ihre eigne Vorstellung; und jede Vor- stellung verschmilzt mit allen andern. Es muss also die Anwendung jener allgemeinen Lehren eine unermessliche Mannigfaltigkeit in sich schliessen. Nun ist es gewiss, dass, während wir sehen und tasten, eine unermessliche Menge, nicht bloss von Vor- stellungen , sondern auch für jede einzelne unter ihnen, (wenn man anders eine einzelne herausheben kann, wel- ches z. B. beym Anblick des gestirnten Himmels, unter Voraussetzung eines guten Auges, allerdings eintritt,) eine unermessliche Menge von Abstufungen ihres Verschmelzens mit den übrigen entsteht. Folglich ist so viel unzweifelhaft, dass wirklich die Reproductionsge- setze, welche in der Mechanik nachgewiesen worden, hier zur Anwendung kommen. Gesetzt demnach, wir dächten nicht daran, eine Erklärung des räumlichen Vorstellens zu suchen: so müssten wir doch schon der Theorie we- gen, und bloss a priori , irgend eine Folge von diesen Reproductionsgesetzen, die nicht unterlassen könne, im empirischen Bewusstseyn merklich zu werden, erwar- ten und durch die innere Erfahrung aufzufinden uns bemühen. Unter welchen Bedingungen aber entstehn die ver- schiedenen Abstufungen des Verschmelzens einer jeden Vorstellung mit allen übrigen? — und unter welcher neuen Bedingung gelangen die aus den verschiedenen Abstufungen entstandenen Reproductionsgesetze zur Wirk- samkeit? Die ganz einfache Antwort auf beydes zugleich ist: wenn man das beschauende Auge und den tastenden Finger vorwärts und rückwärts bewegt. Denn beym Vorwärtsgehn sinken allmählig die er- sten Auffassungen, und verschmelzen, während des Sin- kens sich abstufend, immer weniger und weniger mit den Nachfolgenden. Beym mindesten Rückkehren aber gera- then sämmtliche früheren Auffassungen, begünstigt durch die eben jetzt hinzukommenden, die ihnen gleichen, ins Steigen; und mit diesem Steigen ist ein nisus zur Repro- duction aller übrigen verbunden, dessen Geschwindigkeit genau dieselben Abstufungen hat wie die zuvor gesche- hene Verschmelzung. Dies nun ist das Wesentliche, was der Leser su- then muss sich gleich jetzt so deutlich zu denken, als es ihm gelingen will. Er wird alsdann gewahr werden, dass jede Vorstellung allen ihre Plätze anweis’t, in denen sie sich neben und zwischen einander lagern müssen; während doch der Actus des Vorstellens rein intensiv ist und bleibt. Das ruhende Auge aber sicht keinen Raum. Dies ist in der Erfahrung etwas schwer zu erkennen, weil wir so leicht den längst bekannten Raum erschleichen und einschieben. Doch versuche man, ganz starr vor sich hinzusehen; man wird spüren, dass der Raum schwindet, und dass, im Bemühen, ihn wieder zu gewinnen, man sich über einer kaum merklichen Bewegung des Auges ertappen kann. Beym Beschauen neuer Gegenstände ist übrigens die unaufhörliche Regsamkeit, womit der Blick die Gestalt umläuft, sehr leicht wahrzunehmen. Die räumliche Auffassung liegt also nicht in der allerersten, unmittelbaren Wahrnehmung, hier kann sie nicht liegen, denn es ist evident, dass die vollkommne Intensität des Vorstellens, so lange noch die Vorstellun- gen in eine einzige Masse zusammenschmelzen, und so lange jede für alle nur einen einzigen, gleichen nisus der Reproduction aufzubieten hat, alle Räumlichkeit auf- hebt. Vielmehr kommt allerdings aus dem Innern etwas hinzu, welches der Wahrnehmung die räumliche Form giebt. Aber dieses Etwas ist nicht ein Seelenvermögen: sondern es sind die schon vorhandenen Vorstellungen, welche in ihrem Wieder-Hervortreten ein gewisses Ge- setz befolgen; ein Gesetz der Ordnung, nach welchem jede auf das Hervortreten der Mit-Verbundenen wirkt. Sofern nun die augenblickliche Wahrnehmung mit diesen schon geordneten Vorstellungen verschmilzt, wird sie selbst geordnet; und ist daher allerdings die fortdauernde Wahrnehmung in einem beständigen Uebergange zur räumlichen Form begriffen. Man kann nun das Auge und den Finger aus der Voraussetzung weglassen: so bleibt übrig, dass die Seele auf irgend eine Weise, (wenn man will, bloss aus sich selbst,) Vorstellungen erzeuge, die auf die nämliche Weise, wie jene, mit einander zuvörderst verschmelzen; worin noch nichts Räumliches liegt; dass alsdann andere und wieder andere Vorstellungen eintreten, während jene, nun auch verschmelzend mit den hinzukommenden, im Bewusstseyn sinken, (statt der vorigen Annahme, das Auge bewege sich vorwärts;) dass die Seele noch einmal neue, aber den erstern völlig gleichartige, Vorstellungen erzeuge, (vorhin: dass das Auge rückwärts gehe;) woraus denn folgt, dass die Gesunkenen wieder hervortreten. Wenn man nun alle Umstände so annimmt, dass die Verschmelzung die nämliche werde, wie unter Voraus- setzung des sehenden Auges und des tastenden Fingers: so wird der Erfolg ebenfalls der nämliche seyn müssen; indem jede Regung einer Vorstellung in ihrem eignen Hervortreten zugleich alle, von ihr ausgehenden, Ver- schmelzungshülfen anregt. — Diese Erklärung kann also auch der Idealist und der Leibnitzianer gebrauchen; aber die besondere angeborne Anlage, nach welcher die mensch- liche Seele nun einmal eigensinniger Weise soll genö- thigt worden seyn, sich alles räumlich vorzustellen, was ihr Sichtbares und Fühlbares vorkommt, diese muss er weglassen. Im [Im Zusammenhange der ganzen Metaphysik kann es übrigens bestimmt behauptet werden, dass wir die äussern Gegenstände darum räumlich geordnet wahrnehmen, weil sie wirklich räumlich geordnet sind. Denn jenes Repro- ductions-Gesetz hängt von den vielfach abgestuften Ver- schmelzungen ab; die Verschmelzungen hängen von der Wahrnehmung ab; woher kommt nun der Wahrneh- mung dieses Abgestufte? Aus der allgemeinen Meta- physik weiss man, dass in der Seele gar nichts dafür prädisponirt seyn kann, dass vielmehr die Wahrnehmun- gen sich nach Störungen der Seele durch von ihr ver- schiedene Wesen richten, dass in diesen Störungen keine andre Regelmässigkeit seyn kann, als solche, die ausser der Seele, und unabhängig von ihr, begründet seyn muss, man weiss endlich eben daher, dass man den Wesen ei- nen intelligibelen Raum zugestehen muss, in welchem sie sich bewegen, und dass nach ihren Bewegungen sich ihre Störungen unter einander, folglich auch diejenigen Stö- rungen richten, welche die Seele erleidet. Dem gemäss entscheidet die Räumlichkeit, welche den Wesen (zwar nicht als reales Prädicat) zukommt, auch über diejenige erscheinende Räumlichkeit, welche die Seele ihren sinnlichen Vorstellungen zuschreiben muss.] Die gegebene Erklärung ist noch nicht entwickelt; man kann sie aber entwickeln vermittelst der Bestimmung des Reproductionsgesetzes, das sich aus den schon an- geführten Untersuchungen der Mechanik des Geistes er- geben wird. Es ist also in unserer Gewalt, dasjenige nachzuweisen, was bey den räumlichen Auffassungen in uns vorgeht; ja es muss möglich seyn, für jede Figur, die wir im Raume wahrnehmen, das besondere, ihr zugehörige Gesetz anzugeben, vermöge des- sen sie gerade als diese und als keine andere Figur erscheint . Dies ist der Punct, woran die Er- klärung aus vorausgehenden angebornen Formen in der Seele, nothwendig scheitert, indem daraus nicht klar wird, II. I warum ein Wahrgenommenes so , ein anderes anders geformt erscheine. In die unabsehliche Weite dieser Untersuchungen mich zu verlieren, kann hier nicht meine Absicht seyn; nur etwas weniges werde ich hinzufügen, um die Gründe und das daraus zu Erklärende näher zusammen zu rücken. §. 112. Die Reproductionsgesetze, worauf hier alles beruht, lassen sich zwar bey gehöriger Vergleichung unserer An- nahme mit den angeführten Sätzen aus den Grundlinien der Mechanik des Geistes, deutlich genug erkennen. Leichter fasslich aber lässt sich der ganze Gegenstand machen, wenn wir eine minder verwickelte Frage, deren Beantwortung zwar schon im §. 100. gegeben worden, uns hier noch einmal vergegenwärtigen. Es ist bekannt, dass eine Reihe von Wahrnehmun- gen nicht bloss in Hinsicht der Materie des Gegebenen (der einzelnen sinnlichen Empfindungen), sondern auch als Reihe , als bestimmt geordnete Folge, vom Ge- dächtnisse aufbehalten wird. So beruhen die Worte nicht bloss auf Sprachlauten, sondern auf bestimmten Fol- gen von Sprachlauten; als solche werden sie behalten und verstanden, keinesweges aber verwechselt mit den mancherley Anagrammen, die man daraus machen kann. Wie geht es nun zu, — wie ist es nur denkbar, dass dergleichen Reihenfolgen gemerkt und reproducirt werden? Nachdem die Total-Auffassung der gegebenen Reihe von Wahrnehmungen geendigt ist: machen alle dazu gehörige Partial-Vorstellungen ein intensives Eins. Und in dieses Intensive würde gerade dasselbe hineinge- kommen seyn, wenn in einer andern Folge die nämli- chen und gleich starken Wahrnehmungen wären gege- ben worden. Auch alsdann wären alle die nämlichen Vorstellungen in der Seele gewesen, geblieben, aufbe- halten; auch alle mit allen verbunden; was unterscheidet denn noch jetzt, nachdem die Wahrnehmung sammt der ihr eigenthümlichen Succession vorbey ist, den davon zurückgebliebenen Seelen-Zustand von allen andern, die durch eine andere Succession der nämlichen Wahrneh- mungen konnten hervorgebracht werden? Ja was bewirkt eine so feine Unterscheidung, dass wir sogar den Rhyth- mus, in welchem die gegebene Reihe der Wahrnehmun- gen fortschritt, mit aufbehalten? Um die Antwort zu finden, überlegen wir zuerst bloss die Art der Verschmelzung für zwey auf einander folgende Wahrnehmungen; und halten uns der Kürze wegen an die Formel: , im §. 86., worin das Wesentlichste dessen, was die nachfolgenden Untersuchungen lehren, gleichsam vorbedeutet ist. Die Wahrnehmung P gehe voran; die Wahrneh- mung Π folge nach. Jede von beyden besteht aus einer Menge von momentanen Auffassungen während der Dauer des Auffassens. Jede momentane Auffassung von P be- ginnt augenblicklich zu sinken, nachdem sie gegeben war; (§. 95.) und alle sind um etwas gesunken, — die frühern mehr als die späteren, indem Π eintritt. Die momentanen Auffassungen von Π sind im ungehemmten Zustande, indem sie schon anfangen, mit den zum Theil gehemmten von P zu verschmelzen. Folglich ist gewiss am Ende, der Rest ρ von Π, grösser als der mit ihm verschmolzene Rest r von P; wenn wir übrigens P und Π gleich setzen. Nun mögen beyde Vorstellungen im Be- wusstseyn sinken. Gesetzt aber, es erhebe sich eine von beyden aufs neue: so wird ein Unterschied seyn in der Reproduction der einen durch die andre, je nachdem sich P oder Π wieder erhob. P trete zuerst hervor: so strebt es, das Quantum ρ zu reproduciren, die Kraft aber, die es anwendet, ist nur = r . Diese schwache Kraft soll ein grosses Werk vollbringen; dazu nimmt sie sich viel Zeit , wie in der Formel zu erkennen ist. Π trete zuerst hervor: so strebt es, das Quantum r zu reproduciren. Die Kraft, die es dazu anwendet, ist = ρ ; I 2 und statt ρ kommt nun r . Die Wirkung der stärkeren Kraft eilt jetzt viel schneller ihrer minder weit gesteckten Gränze zu . Statt P und Π nehmen wir jetzt eine Folge von Wahrnehmungen, a , b , c . Hier wird das sinkende b zugleich mit dem mehr gesunkenen a und dem minder gesunkenen c verschmolzen seyn. Gesetzt, nach einer Weile werde eine, dem b gleichartige Vorstellung neu gegeben: so erhebt sich b , und mit ihm zugleich a und c , aber auf verschiedene Weise. Nämlich b ist jetzt für a , was zuvor Π für P , aber zugleich ist b für c , was vor- hin P für Π. Also b hebt a schneller, aber min- der hoch; es hebt zugleich c langsamer, aber höher . Dadurch wird a wie ein vorangehendes, c wie ein nachfolgendes vorgestellt. Oder aber, es werde eine, dem a gleichartige Vor- stellung neu gegeben. So hebt sich a; und mit ihm stei- gen b und c ; aber in so fern auf verschiedene Weise, als von a mehr verschmolzen ist mit b wie mit c , da- her es b schneller, aber darum nicht höher hebt als c . So läuft hier die Reproduction in der nämlichen Folge, worin die Wahrnehmung gegeben war. — Die- ses muss man näher bestimmen durch die Untersuchun- gen über das Maximum und das nachfolgende Sinken der reproducirten Vorstellung (§. 88. u. s. w.) Oder endlich, es werde eine dem c gleichartige Vor- stellung neu gegeben: so erhebt sich c , und reproducirt a und b . Nun war c mit diesen beyden zugleich ver- schmolzen; dabey befand es sich selbst in einerley Zu- stande, allein ein grösseres Quantum von b , ein kleine- res von a ist mit c verschmolzen. Die Geschwindigkeit also, welche c dem a und dem b ertheilt, ist eine und dieselbe Function der Zeit, allein mit einer verschiedenen Constante; und es wird dadurch ein grösseres Quantum von b als von a gehoben . Die Erinne- rung an das Mehr-vergangene ist schwächer als die an das Näherliegende. Diese Reproductionsgesetze müssen ganz genau gemerkt werden . Nun wird man auch die Reproduction der Rhyth- men begreifen können. Man mag a , b , c , als Noten von verschiedenem Zeitwerthe betrachten: so ist nur nö- thig zu bedenken, dass bey längern Noten die ersten momentanen Auffassungen, (welche wegen der abneh- menden Empfänglichkeit die stärksten sind,) mehr Zeit haben zu sinken, bevor sie mit den nachfolgenden No- ten verschmelzen, und dass sie eben deshalb langsamer reproduciren; dagegen die kürzeren Noten aus dem um- gekehrten Grunde eine schnellere Reproduction des Nach- folgenden bewirken. Uebrigens ist wohl zu bemerken, dass wir hier nur eine Reproduction in ähnlicher Folge haben, als worin die Wahrnehmung gegeben wurde; also eine Vorstel- lungs-Reihe; aber noch keine Vorstellung des Suc- cessiven als eines solchen, vielweniger eine Vorstellung der Zeit selbst. Dies muss unter andern deshalb beach- tet werden, damit es nicht scheine, als ob die Vorstel- lung des Räumlichen, die auf einem successiven Vor- stellen beruht , deshalb die Vorstellung von etwas Suc- cessivem als Merkmal enthalte . §. 113. Von dem Vorstehenden die Anwendung auf das Räumliche zu machen, ist leicht. Eine bunte Fläche gehe in gerader Richtung vor dem Auge vorüber, — oder auch, es sey das Auge, was sich umgekehrt bewege, und die Fläche bleibe in Ruhe: so würde hiebey, ganz wie oben, eine Folge von Wahrnehmungen entstehen, wenn jedesmal nur der Mittelpunct des Gesichtsfeldes sichtbar wäre, und alles Umgebende völlig finster. Statt dessen ist der mittlere Theil des Gesichtsfeldes am meisten sichtbar; das seitwärts Liegende aber ist um desto un- bedeutender, weil nach der Hemmung die Reste der Vorstellungen verhältnissmässig noch weit mehr an Stärke verschieden ausfallen, als die Vorstellungen selbst. (Man vergleiche §. 44.) So nun entsteht zwar etwas mehr ver- wickeltes, aber doch ähnliches, wie vorhin. Aber das Auge, wenn es eine Gestalt auffassen will, bewegt sich, wie schon oben erinnert, nicht in Einer ge- raden Linie, sondern es läuft hin und wieder. Durch jede Bewegung vorwärts erzeugt sich eine Menge von Reproductionsgesetzen; durch jede Bewegung rückwärts werden sie wirksam, wegen des erneuerten Anblicks des früher Geschehenen. Was ist schneller, als die Bewe- gungen eines geübten Auges Hiebey darf man nicht gerade voraussetzen, das Auge gehe genau auf einer Linie vorwärts und rückwärts; welches vielmehr sehr selten geschehn wird. Aber jede, auch die kleinste, krummlinigte Bewegung geht vorwärts und rückwärts in Ansehung des Perpendikels auf die Sehne des Bogens. ; und was also wird schnel- ler fertig als eine räumliche Auffassung? Da aber der Begriff des Raumes auf dem Merkmale des Aussereinander beruht, so wollen wir jetzt noch genauer die psychologische Möglichkeit erwägen, dass et- was als aussereinander könne wahrgenommen werden. Das Aussereinander erfordert einen Punct ausser dem andern ; und strenge genommen weiter gar Nichts, nicht einmal ein Mittleres zwischen beyden ; wie sogleich daraus erhellt, dass, wofern ein solches Mittleres vorhanden ist, alsdann dasselbe sich ausser Jedem der beyden , dadurch getrennten, Puncte, befindet, folg- lich zur Darstellung des Aussereinander nun schon Einer der beyden Puncte überflüssig wird, und die einfachste Darstellung des Aussereinander schon überschritten ist. Woher es nun komme, dass dennoch die Phantasie sich sträubt, sich etwas als Aussereinander vorzustellen ohne ein Mittleres dazwischen, — wobey ihr noch obendrein Geometer und Philosophen so kräftig als möglich das Wort geredet haben, — davon wird sich der Grund auf dem Wege der psychologischen Forschung entdecken. Ferner, das Aussereinander erfordert gleichmässi- ges Vorstellen beyder , aussereinander gelegenen Puncte. Denn es seyen a und f die beyden Puncte: so ist nicht minder f ausser a , als a ausser f; beyde tra- gen gleichviel bey zu dem Aussereinander; und dasselbe schliesst die Vorstellung beyder in gleichem Grade in sich. Es kann scheinen, als würde dieser letzte Umstand sich aus den erwähnten Reproductionsgesetzen nicht hin- reichend erklären lassen. Denn das beschriebene succes- sive Vorstellen reproducirt zwar von jedem Puncte aus die übrigen, näheren und entfernteren, in ihrer Ordnung; aber dabey ist die Vorstellung Eines Punctes die repro- ducirende, diejenige also auch, welche vor allen andern lebhaft hervortritt, während da, wo wir zweyer Puncte Entfernung auffassen, unserer Meinung nach keiner von beyden vorherrschend soll aufgefasst werden. Dennoch gebe man Acht auf sich selbst, was da vorgehe, wo man die Entfernung zweyer Puncte mit den Augen messen will. Man wird wohl wahrnehmen, dass es Mühe kostet, den einen Punct nicht mehr noch we- niger als den andern zu sehen, und einen ruhigen Blick auf beyde gleichmässig zu vertheilen. Man wird sich leicht überzeugen, dass ursprünglich das Auge zwischen beyden hin und hergeht, dass es die Entfernung vorwärts und rückwärts durchläuft; dass dadurch zwey Repro- ductionsgesetze gebildet werden, indem jeder von beyden Puncten , erst das Mittlere, Zwischenliegende, und dann den andern Punct reproducirt. Man wird ein- sehn, dass erst nachdem das hiemit verbundene zwie- fache successive Vorstellen sich ins Gleichgewicht ge- setzt hat, erst nachdem beyde entgegengesetzte Reproductionen wider einander zu laufen be- ginnen , jene gleichmässige Vorstellung des Ausserein- ander möglich wird; die also noch weiter von der ur- sprünglichen, gegebenen Empfindung absteht, als das erste Auseinandertreten, die erste räumliche Ausbreitung des Wahrgenommenen. Daher würde man das eigent- liche und vollkommene Aussereinander besser einen Be- griff , als eine Anschauung nennen. In dieser Erläuterung haben wir nun schon ange- nommen, es gebe zwischen den beyden Puncten ein Mitt- leres; dieses Mittlere werde durch die Vorstellung eines jeden seiner Endpuncte eiliger reproducirt, als der an- dere Endpunct; und so schiebe eine jede Reproduction das Mittlere gerade so zwischen die Endpuncte, wie es wirklich dazwischen liegen möge. Sollten wir nun dieses Zwischenliegende gar nicht entbehren können? Sollten die Puncte wirklich in einander schwinden, wenn das Zwischenliegende wegfiele? Und ist es denn wirklich nicht möglich, sich zwey nächste Puncte, genau an ein- ander liegend, vorzustellen? Gewiss ist es unmöglich, so lange wir in dem Kreise der hier beschriebenen, sinnlichen Vorstellungsart ver- bleiben. Denn das räumliche Vorstellen beruht, wie wir ge- sehen haben, auf einer abgestuften Verschmelzung einer Vorstellung mit einer Reihe anderer Vorstellungen. Wenn nun die Vorstellung a verschmolzen ist durch ihren Rest r mit b, durch ihren kleineren Rest r′ mit c, durch ihren noch kleineren Rest r″ mit d, u. s. w. was würde nöthig seyn, damit c und d so nahe erschienen, dass nichts mehr dazwischen Platz hätte? Nichts geringeres, als dass zwischen den Resten r′ und r″ kein mittlerer, folglich zwischen den durch sie bestimmten Reproductionsgesetzen für c und d ebenfalls kein mittleres Statt finden könnte. Nun aber besteht die Vorstellung a gewiss nicht aus den Differenzen ihrer Reste; sie besteht überhaupt nicht aus Theilen; sondern verschiedene Grade der Verdunkelung erleidet sie zufälligerweise durch andre Vorstellungen; und sie kann deren unendlich viele erleiden. Und diese unendlich vielfache Möglichkeit, zwischen je zwey Resten, wie r′ und r″ , noch unzählige andre zu bestimmen, die ebenfalls ihre Verschmelzun- gen eingegangen seyn könnten, ist der Grund der unendlichen Theilbarkeit des sinnlichen Raums . Dieser psychologische Grund hat mit den geometri- schen Gründen für die unendliche Theilbarkeit des Raums nicht das geringste gemein; aber er unterstützt, unerkannt, den Glauben an die letztern auf das kräftigste, indem jede Bemühung, sich ein sinnliches Bild von anein- ander liegenden Puncten zu machen, unfehlbar mislingt; welches denn, etwas übertrieben, so ausgesprochen zu werden pflegt: wir können uns keine aneinander liegen- den, und doch gesonderten Puncte gedenken . — Wenn nun auf der andern Seite die Metaphysik zeigt, dass man sich ein Continuum nicht denken könne, und dass der Begriff des Aussereinander völlig verdorben werde, sobald man sich erlaube, aneinander liegende Puncte für inein- ander schwindend auszugeben, wobey man Extension und Intension vermische: so ist es nicht die grössere Gründ- lichkeit der Geometrie, sondern es ist ein psychologisch erklärbares Vorurtheil, welches die Untersuchungen der Metaphysik zurückweis’t. Eigentlich ist gar kein Streit zwischen der Geometrie und Metaphysik über das Con- tinuum; denn auch die Metaphysik kommt in ihren Con- structionen auf dasselbe; sie kann es nur nicht als pri- märe Vorstellungsart zulassen, sondern muss es in den Rang der secundären verweisen; daher sie denn auch nicht duldet, dass geometrische Raumbegriffe unmittelbar auf die Materie, als das, wenigstens scheinbare, Reale im Raume, angewendet werden De attractione elementorum , §. 17—27. . §. 114. Jetzt noch einige, zum Theil sehr nothwendige, und für die richtige psychologische Theorie des Raums un- entbehrliche Bemerkungen über das Auffassen der be- stimmten Gestalten im Raume. Erstlich: Keine Gestalt wird gesehen, ohne Gegen- sätze im Farbigten. Man denke sich eine Figur mit unsichtbarer Tinte gezeichnet. Die Figur ist vorhanden; ihr Umriss wird auch gesehen , aber er wird nicht eher unterschieden , als bis durch ein hinzukommendes Mittel die Zeichnung eine, von der übrigen Fläche ab- stechende Farbe bekommt. Diese abstechende Farbe hält den Blick an, der über die Fläche forteilen will; sie fängt gleichsam das Auge innerhalb des Umrisses, und macht es an demselben herumlaufen; dadurch wird die Gestalt erkannt. Zweytens: schon ein einziger abstechender Punct wird bemerkt auf einer gleichfarbigen Fläche Ohne abstechende Puncte würde ursprünglich gar keine Fläche gesehen; denn die Stellen der Fläche unterscheiden sich nur durch die verschiedene Verschmelzung mit dem Abstechenden. ; und ein einziger Flecken wird um so auffallender, je reiner übri- gens die Fläche ist. Was geht hier vor? Diese Frage kann durch die blosse Erwähnung des Contrastes nicht beantwortet werden; denn wenn man auch mit dem Worte Contrast einen hestimmten Begriff verbindet, so muss man sich doch wundern, dass die ganze Masse des Vorstellens, welches die Auffassung einer weissen Fläche erzeugt, nicht die schwache Vorstellung eines kleinen, dunkeln Punctes beynahe gänzlich hemme; man muss sich wundern, dass, scheinbar gegen alle statische Gesetze, die schwache Vorstellung sogar vorzugsweise heraustrete. Wir erinnern uns hier vor Allem der ab- nehmenden Empfänglichkeit für die Wahrnehmung der, überall entgegenkommenden Farbe der Fläche; der mehr geschonten Empfänglichkeit für die Auffassung des ein- zelnen Punctes. (Vergl. §. 94.) Ferner: indem der Blick, die Fläche durchlaufend, an den Punct stösst, er- leidet die Vorstellung der Farbe der Fläche ein plötzli- ches Sinken, (§. 77.) Ueberdies verschmilzt die Vor- stellung des Punctes mit jener der Fläche, (nämlich mit jeder Stelle der Fläche in einem eigenen, bestimmten Grade,) und zwar erhält sie hier eine sehr beträchtliche Verschmelzungshülfe, (vergl. §. 69.) Rückt also der Blick wieder über den Punct hinaus, oder fasst er auch nur zugleich mit demselben das Umliegende auf: so trei- ben doch, wegen der Verschmelzung, alle neuen Auffas- sungen der Fläche die, zwar zum Sinken gedrängte, Vor- stellung des Punctes wieder hervor, in so fern sie die frühern, ihnen gleichartigen, aber mit jener verschmolze- nen, Vorstellungen fortdauernd beleben. Hieraus kann man erkennen, was in der Seele vorgehe, indem sie be- schäfftigt ist im Merken auf den Punct in der Fläche. Drittens: die Richtung des fortlaufenden Blickes durchschneide eine auf der Fläche gezeichnete Linie (oder auch den Umriss einer Gestalt). Das Auge wird an der Linie fortlaufen; und zwar in einem stumpfen Winkel gegen seine vorige Richtung. Denn es wird Anfangs, indem der Blick die Linie schneidet, gleichsam von zwey Kräften getrieben; eine davon ist eben jene Verschmelzungshülfe, welche auch schon auf den einzel- nen Punct das Auge zurückwirft; die aber jetzt nur nö- thig hat, senkrecht auf die, überall gleichgefärbte Linie das Auge, nachdem es die Linie durchschnitten hatte, oder zu durchschneiden im Begriff war, zurückzuwenden; anstatt der andern Kraft dient die einmal vorhandene Geschwindigkeit des forteilenden Blickes. Diese Zusam- menwirkung ändert unaufhörlich, und sehr schnell, die Direction, in welcher der Blick fortgeht, bis die letztere mit der Linie zusammentrifft. Man muss dabey beden- ken, dass der Anfang der Abänderung nicht erst dann geschieht, wenn der Mittelpunct des Gesichtsfeldes auf die Linie trifft, sondern sobald der Contrast zwischen der Linie, und dem jenseits gelegenen Theile der Fläche merklich werden kann. Viertens: in geringer Entfernung von der Linie sey gleich Anfangs ein Punct aufgefasst, und dessen Vorstel- lung, wie sich versteht, verschmolzen mit den übrigen Auffassungen. Indem das Auge an der Linie fortläuft, entfernt es sich von diesem Puncte; die Vorstellung des- selben wird gehemmt, aber eben dadurch gespannt, und dasselbe begegnet der Verschmelzungshülfe. Zugleich nimmt die Empfänglichkeit für die Auffassung der überall gleichfarbigen Linie ab. Abgesehen nun von andern, etwa störenden Umständen, kommt ein Augenblick, wo die Vor- stellung des Punctes mächtiger vordringt, als dass die fort- gehende neue Auffassung sie zurückhalten könnte; dann sucht das Auge den Punct; es kehrt zurück, und fasst ihn mit der durchlaufenen Strecke der Linie zusammen. Fünftens: das eben beschriebene wird mannigfaltiger und verwickelter, wenn mehrere Puncte der Linie gegen- über stehn; wenn mehrere Linien neben einander sicht- bar sind; wenn diese Linien zusammenhängen, oder in allerley Richtungen einander kreuzen. Es wird nicht bloss mannigfaltiger, sondern auch bequemer, wenn die Linien gekrümmt sind, so dass sie das an ihnen fortlau- fende Auge von selbst auf die gesuchten Puncte zurück- führen; wie z. B. die Kreislinie, die das Auge niemals weiter vom Mittelpunckte entfernt. Hieraus kann man beurtheilen, was geschehn müsse, wenn in einem Kreise ein Punct sichtbar ist, aber nicht in der Mitte; oder wenn der Kreis unrichtig gezeichnet ist. So etwas ist hässlich ; und wir sind also hier an der Pforte der ästhetischen Urtheile über das Räumliche. Ueberhaupt aber ist kein Zweifel, dass es müsse a priori bestimmt und berechnet werden können, welche Bewegungen, welches Umherlaufen des Blickes, einer jeden Gestalt zukomme, unter der Voraussetzung, dass das Auge sich der Gestalt hingebe, und keinem fremden Antriebe folge. Eben so gehört zu jeder Gestalt ein end- licher Ruhepunct für das Auge, dem es im Umherlaufen sich wenigstens annähern soll. Wäre jenes und dieses bekannt, so würde man dem ungeübten Auge seine Wege vorzeichnen, es würde einen Unterricht im Sehen geben können. Wäre die Pädagogik weiter ausgebildet, als sie ist, so müsste man hierauf in Rücksicht der Anschauungs- übungen aufmerksam machen. Uebrigens liegt in dem Ganzen dieser Bemerkungen eine physiologische Voraussetzung, nämlich dass sich das Auge dem Antriebe der Vorstellungen ge- mäss bewege . Dies geschieht eben so gewiss, als wir die Hand nach den begehrten Gegenständen ausstrecken; die Gründe des einen und des andern aber werden eine allgemeine Beleuchtung erhalten im letzten Abschnitte dieses Buchs. Man wird nach diesen Vorerinnerungen nun leichter die Wirkung derjenigen, aus der Erfahrung bekannten, Umstände beurtheilen können, von welchen die Auffas- sung eines räumlichen Ganzen abhängt. Deren sind, nach Beyseitsetzung der Begriffe, die etwan auf einen Gegenstand möchten übertragen werden, — hauptsäch- lich vier, die geschlossene Gestalt, die gegen den Hintergrund abstechende Farbe, die Beschäfftigung des Auges innerhalb des Umrisses, und, was am wichtigsten ist, die Bewegung des Ganzen vor dem Hinter- grunde . In Ansehung der geschlossenen Gestalt können die- jenigen Figuren Zweifel erregen, deren Umriss nur durch nahe stehende Puncte angedeutet wird. Das Auge springt hier leicht über die Zwischenräume weg; man könnte fast sagen, es fülle sie aus; wenn sie nicht um gar zu grosse Abstände von einander entfernt sind. Verschiedene Ur- sachen wirken dabey zusammen. Theils verschmilzt so- gleich die Vorstellung eines Puncts mit den nächsten des Hintergrundes, wohin das Auge von ihm kommt; theils wird der Punct noch fortdauernd gesehen, weil das Ge- sichtsfeld nicht aufs Centrum beschränkt ist; und, da- durch gehoben, wird die Vorstellung des Puncts, die zu- gleich wegen der Auffassung des Hintergrundes sinken soll, in den Zustand des Begehrens versetzt (§. 104.), theils endlich giebt es eine physiologische Nachwirkung des Reizes im Auge, wie jene, vermöge deren eine glü- hende Kohle, im Kreise geschwungen, den ganzen Kreis leuchtend auszufüllen scheint. — Kommt das Auge aus der Mitte der Figur gegen die Gränze hin: so bewegt sich das ganze Gesichtsfeld, als eine ungetheilte Einheit; da- her können selbst Puncte die Fortschreitung aufhalten. Was die Färbung anlangt: so dürfte man beynahe den Satz aufstellen, dass entweder der Gegenstand, oder der Hintergrund, schlicht seyn müssen, damit die Figur zusammengefasst werde. Sind beyde bunt: so giebt es keine zulängliche Bevestigung der Gränzen, an welche anstossend, der Blick zurückkehren sollte. Dies wird am stärksten dann empfunden, wenn viele krumme Linien sich in einander einwickeln. Wer kennt nicht das Ge- schlinge der Himmelskarten, und die Beschwerde, die man überwinden muss, um die Figuren aus dem allge- meinen Gewirre herauszusondern? Die Beschäfftigung des Auges innerhalb der Figur setzt voraus, dass Figur in Figur , eine Zeichnung in der andern, enthalten sey; wodurch der Blick selbst in- nerhalb des Umrisses vielfältig aufgehalten, zurückgewor- fen, umhergeführt wird; wie es bey den allermeisten sinn- lichen Gegenständen der Fall ist, über die man nicht so leicht hinwegkommt, wie über eine einfache geometrische Zeichnung. Die Wirkung der in einander eingeschalte- ten Figuren ist im Allgemeinen eine verstärkte Auffas- sung durch die Verweilung; während über eine ganz ein- farbige Fläche das Auge sehr schnell hinweggleitet; da es mit schon erschöpfter Empfänglichkeit noch immer dasselbe sieht: die nähern Bestimmungen dieser Wir- kung können sehr mannigfaltig seyn. Es kommt alles darauf an, wie die verschiedenen Reproductionsgesetze, welche aus den einzelnen Zügen der Zeichnung entstehn, zusammen passen. Je nachdem sie einander im Ablau- fen der Reihen begünstigen oder widerstehen, ist der Gegenstand schön oder hässlich . Ein leichtes Bey- spiel der Begünstigung geben die vielen Parallelen in Werken der Architectur, die durch ein einziges schief liegendes Parallelogramm könnten entstellt werden, wie etwa durch ein schiefes Fenster, u. d. gl. Endlich die Bewegung des Ganzen vor seinem Hin- tergrunde, (sey sie auch nur scheinbar, wie wenn uns im Spazierengehn ein Baum vor der dahinter liegenden Landschaft vorüberzuwandeln scheint,) hat offenbar die Folge, dass sich das Ganze losreisst von der Umgebung. Allein diesen Punct müssen wir, der Folgen wegen, ge- nauer überlegen. Aehnliche Reproductionsgesetze, wie die zwischen den Partialvorstellungen des Ganzen, verknüpfen auch die Vorstellung des Ganzen mit denen der Umgebung. Wer den Spiegel an der Wand erblickte, der wird an der Wand zuverlässig vermöge der Reproduction den Spie- gel vermissen und suchen, nachdem derselbe weggenom- men ist. Hängt aber nunmehr der Spiegel an einer neuen Wand: so entsteht eine neue Verschmelzung. Wird die Stelle des Spiegels abermals verändert: so sollten jene beyden Wände, als seine Umgebung, zu- gleich reproducirt werden; allein schon jetzt entsteht eine Hemmung unter den Reihen, welche stets grösser wird, wenn der Spiegel seinen Platz noch öfter verändert. Von der solchergestalt allmählig vollständiger erfolgenden Iso- lirung der Vorstellungen war schon im §. 101. die Rede; allein dort konnte noch nicht derjenige Hauptumstand ins Licht gesetzt werden, welcher die Vorstellungen des Räumlichen als solche betrifft. Es bewege sich ein Gegenstand continuirlich vor ei- nem bunten Hintergrunde vorüber. Da seine stets ver- änderte Umgebung immer mit ihm verschmilzt; so muss in der gesammten Reproduction aller Umgebungen sich endlich jede bestimmte Zeichnung und Färbung durch gegenseitige Hemmung auslöschen; aber das Gemeinsame aller dieser Reproductionen, nämlich die Ordnung des Zwischenliegenden, also die Räumlichkeit, muss dennoch bleiben. Daher nun der Raum selbst , in welchem wir jeden sichtbaren oder fühlbaren Gegenstand, als in eine unbestimmte Umgebung, hineinversetzen, sobald wir ihn denken! Was ist dieser Raum? Nichts anderes als eine unzählbare Menge höchst gehemmter Reproductionen, die von dem Gegenstande nach allen Richtungen ausgehn. Nachdem für eine Menge gesehener Gegenstände ein solcher Umgebungs-Raum in der frühesten Kindheit ein- mal war erzeugt worden: konnte es nicht fehlen, dass jede neue Gesichtsvorstellung, indem sie ihre ganz oder nahe Gleichartigen zurückrief, sich auch in deren Umge- bungsraum versetzte, sich etwas davon aneignete. Für das reifere Alter hat sich ein solcher Ueberfluss an lee- rem Raume gesammelt, dass wir gegenwärtig auf ihm alle unsre Bilder zeichnen, ihn durch sie bestimmen. Hierauf nun endlich gründet sich ein sehr merkwür- diges psychologisches Phänomen, nämlich die Repro- duction wegen der Gestalt . Sie ist etwas so All- tägliches, dass man sie an einem ganz leichten Beyspiele zureichend erkennen wird. Es ist uns gleich, ob eine Schrift schwarz auf weiss, oder (auf der Schiefertafel) weiss auf schwarz vor unsern Augen liegt; wir lesen sie auch eben so leicht, wenn sie mit rother Tinte, oder mit goldenen Buchstaben geschrieben ist. Wie kann das seyn? Sicherlich nur durch eine Reproduction der ein- mal bekannten Zeichen. Aber wer die schwarzen Buch- staben gelernt hat, wie können dem diese schwarzen Fi- guren wieder einfallen, wenn er die rothen oder die gold- nen sieht? Zwischen den einfachen Empfindungen roth und schwarz ist Hemmung; das Gegentheil der Repro- duction. Diese letztere konnte unmittelbar durchaus nicht erfolgen; gleichwohl geschieht sie mit grösster Leich- tigkeit. Also ist ein Mittelglied dazwischen getreten; und dies ist eben jenes dunkle Raumbild, welches sich auf gleiche Weise an Rothes und Schwarzes anschliesst, und aufgerufen vom einen, sogleich das andere herbeyführt, von welchem es eine ähnliche Bestimmung erhielt. Es ist der gemeinste Stoff, den wir haben, viel wohlfeiler als alle sinnlichen Empfindungen; wir verarbeiten ihn unauf- hörlich, mengen, versetzen und verfälschen alles mit ihm, — und kennen ihn doch nicht, wenn er uns in in der Metaphysik als ein unendliches Nichts entge- gentritt! Dass nun mit der Reproduction wegen der Ge- stalt auch Hemmung wegen der Gestalt verbunden seyn kann, versteht sich von selbst. Und hier schliesst sich diese Untersuchung an jene gegen das Ende des §. 100. Anmerkung. Ueber räumliche Constructionen . Der Raum hat in seinem Ursprunge nur zwey Di- mensionen ; er ist eine Ebene. Beym ersten Entstehen des räumlichen Vorstellens bildet sich sogar nur eine Linie , und zwar eine gerade ; denn das erste Repro- ductionsgesetz erzeugt sich nur in so fern, als in der Bewegung des Gesichtsfeldes ein Vorwärts und Rück- wärts angenommen werden kann (§. 111.). Und dieses Reproductionsgesetz ist Anfangs nur eins; seinem Wege kann man nur zwey völlig entgegengesetzte Richtungen zuschreiben. Allein das räumliche Auffassen des Gefärb- ten oder Betasteten ist noch keine Vorstellung des Raumes selbst ; der, wie vorhin gezeigt, erst von der Bewegung der Gegenstände auf ihrem Hintergrunde all- mählig erzeugt wird. Wenn es dahin kommt: dann ist längst das Vorwärts und Rückwärts nach allen Richtun- gen in der Ebene des Gesichtsfeldes geläufig geworden. Hingegen die dritte Dimension kann bekanntlich ursprüng- lich nicht gesehen werden; man muss sie als etwas hin- zukommendes um so mehr betrachten, da die Vorstel- lung des ganzen vollständigen Raumes sich in die drey Combinationen: Länge und Breite, Länge und Dicke, Breite und Dicke , immer wieder auflöset. Man setze nun einen Punct auf die Ebene . Dieser Punct, als im Raume befindlich, ist der Anfang aller möglichen Richtungen in der Ebene; und die Vor- stellung desselben steht im Begriff, nach allen Richtun- gen gleichmässig auseinander zu gehn. Der Punct ist II. K nichts anders als ein concentrirtes System aller Repro- ductionen, die zur Darstellung des Aussereinander geeig- net sind. Wer daran nicht glauben will: der versuche einmal den Punct ohne die Ebene, und überhaupt ohne alle Umgebung — das heisst, ohne alle davon ausge- hende reihenförmige Reproduction zu denken. Das wird nicht gelingen; man kann den Punct nur irgendwo denken. Man ziehe eine Linie . Das heisst, man bewege den Punct. Im ersten Beginnen dieser Bewegung wird demnach aus allen möglichen Reproductionen, die von ihm ausgehn konnten, eine hervorgehoben; aber die nunmehr hervortretende Vorstellung gleicht vollkommen der vorigen, daher betrachtet man sie als dieselbe, als den nämlichen Punct, von dem man sagt, er, der eine und gleiche , bewege sich . Also ist das ganze System von Richtungen, die von ihm ausgingen, von einerley Vorrückung ergriffen, und alles, was darin mag unter- schieden werden, ist um gleich viel von der Stelle ge- kommen. — Soll nun die Vorrückung eben so gleich- mässig fortgesetzt werden: so wird die Linie gerade . Und die gerade Linie ist diejenige, deren Nor- malen (oder andre von ihr seitwärts ausgehende Rich- tungen) sich stets parallel fortbewegen während sie selbst gezogen wird . Es mag wohl sehr befremden, dass ich den für so räthselhaft gehaltenen Parallelismus ganz unbedenklich in die Erklärung Eine logische Erklärung soll es überhaupt nicht seyn, son- dern eine psychologische Bezeichnung des nisus in unsern Vorstel- lungen. der geraden Linie hineinbringe. Allein mit allem Respect gegen die Mathematiker, mit denen ich hier nicht gern streiten möchte, bitte ich, dass man auf sich Acht gebe, was man thue, wenn man in Ge- danken eine Linie zieht. Jedermann wird bekennen, dass ihm dabey ein Raum vorschwebe, der seitwärts von der Linie liegt, und den sie selbst in der Mitte durchschnel- det. Dieser Raum gehört nun freylich nicht in die Er- klärung, die man von der Linie gern geben möchte , um bloss die in ihr liegenden Merkmale anzugeben; aber er gehört sehr wesentlich zur psychologischen Beschrei- bung dessen, was im Geiste während des Ziehens der Linie vorgeht; denn die Puncte, zu denen man gelangt, wären nicht Raumpuncte, wenn sie nicht den nisus in sich trügen, nach allen Seiten zu reproduciren. Bewegt sich ein Punct, so nimmt er diesen nisus überall hin mit, wohin er kommt. Soll er sich selbst in diesem nisus nicht stören: so muss die Linie gerade fortgehn, wie so- gleich noch klärer werden wird. Man ziehe zwey convergirende Linien . Bey der mindesten Convergenz, und indem man nur anfängt, ihr gemäss den Zug zu beginnen, drängen und streiten schon die seitlichen Reproductionen wider einander, denn die Forderung der Convergenz bedeutet gerade so viel, als: man soll im Fortgange das, von beyden Linien her sich begegnende, Zwischen-Schieben (durch die Reproductionsgesetze) nunmehr vermindern; wodurch diesen Gesetzen offenbar Abbruch geschieht. — In dem Augenblicke, wo die Linien sich schneiden, wird den Reproductionen die grösste Gewalt angethan; nach dem Durchkreuzen hingegen werden sie wiederum in Freyheit gesetzt. Und nun folgt eine andre Art von Anstrengung. Man muss nämlich, um die sich immer weiter entfernen- den Linien doch noch in Gedanken zusammenzuhalten, immer mehr zwischen sie einschieben; das heisst, man muss sie selbst langsamer vorrücken lassen, damit den seitlichen Reproductionen Zeit gelassen werde, einander zu begegnen. Zieht man die Linien zu rasch: so ent- läuft eine der andern. Man ziehe eine krumme Linie . Man soll also die Richtung, in der man fortgeht, jeden Augenblick än- dern. Beym ersten Beginnen hatte man ohne Zweifel eine Richtung, das heisst, ein gleichmässiges Fortgehen K 2 des Anfangspuncts mit allen seinen Reproductionen. Jede solche Reproduction, die, wenn man sie ins Bewusstseyn höher hebt, selbst eine Seitenlinie ergiebt, und nun wie- derum von jedem ihrer Puncte aus seitwärts re- producirt , — war um gleichviel fortgeschoben; das heisst, sie war zum zweytenmale dargestellt, und so ne- ben sich selbst gelegt, dass die zuvor beschriebene Con- vergenz oder Divergenz nicht eintreten konnte. — Jetzt aber soll die erste Linie sich krümmen. Also müssen ihre correspondirenden Seitenlinien nunmehr die vorige Negation der Convergenz oder Divergenz verlieren; das heisst, sie müssen convergiren und divergiren; wobey eine Gewalt, die wir unsern Vorstellungen anthun, dunkel gefühlt wird. Daher wird das Krumme zum Symbol des Falschen und des Bösen; hingegen das Gerade zum Symbol des Rechten. Man ziehe Parallelen, gleichviel ob krumme oder gerade . Hier kommen uns glücklicherweise die Mathematiker zu Hülfe; die den Parallelismus krummer Linien längst auf die seitliche gleich grosse Reproduction zurückgeführt haben, indem sie fordern, man solle alle Normalen einer Curve ziehen, hierauf gleiche Stücke ab- schneiden, und die Endpuncte verbinden, um die Paral- lele jener Curve zu haben. Warum denn bey den ge- raden Linien so grosse Umstände? — Die Geometrie nimmt den Punct, als liegend in der Ebene, und als beweglich in derselben , an. Dieses ihr erstes Gegebenes, um dessen Ursprung sie sich nicht kümmert, sollte sie gleich Anfangs doch wenigstens analysiren . Statt dessen springt sie ab von der Sache; sie construirt zwey, drey, von einander unab- hängige Linien, lässt sie zum Dreyecke zusammen stossen, und meint nun erst recht in ihrem Elemente zu seyn, wenn sie anfangen kann, von der Congruenz der Dreyecke zu reden. Kein Wunder, dass ihr hinterher die Begriffe fehlen, die sie übersprang, als es Zeit war, sie zu ent- wickeln. Bekanntlich kommen bey den Parallelen drey Umstände vor, die zusammen gehören: das Nicht- Schneiden, der gleiche Abstand, und die gleiche Richtung . Diese drey Umstände mussten gleich in der Construction der Parallelen mit gleicher Deutlichkeit, und in ihrer nothwendigen Verbindung, zugleich hervortreten; aber die künstlichen Mittel, durch die man sie hinten- nach zusammenfügen will, sind nichts als Nothbehelfe, welche selbst dann, wenn sie vor der geometrischen Kri- tik sich rechtfertigen könnten, (wenn das, was die Geo- meter unter dem Namen einer Parallelentheorie noch im- mer suchen, gefunden würde,) die frühere Vernachläs- sigung nicht wieder gut zu machen im Stande wären. Ich weiss nicht, ob ich es den Geometern werde recht machen können; aber auf folgendes will ich aufmerksam machen. Die Ebene umgiebt den Punct, der in ihr liegt; und man kann aus ihm in sie treten. Man vollziehe dies Heraustreten mit der mindesten Bewegung, aber auf eine bestimmte Weise. Alsdann ergiebt sich: 1) Der Punct, den man verliess, liegt nun mitten zwischen der Stelle, wohin man gelangt ist, und einer andern, von der man sich genau um eben soviel entfernt hat, als um wieviel man fortrückte. Geht man rückwärts, das heisst, tritt man wieder in den Punct, aus dem man kam, so nähert man sich jener Stelle um eben- soviel. 2) Bey der ersten Fortrückung hat man einen Theil der Ebene dergestalt durchschnitten, dass dieselbe zu beyden Seiten liegen blieb; und man ist neben dem, was zerschnitten wurde, vorübergegangen. Ohne Zweifel konnte man auch in dieses Nebenliegende der Ebene aus dem Puncte übergehn; man kann also auch jetzt den gemachten Uebergang dergestalt verändern, dass er in das Nebenliegende der einen oder der andern Seite ein- trifft. Aber diese beyden Veränderungen sind entgegen- gesetzt; der erste Uebergang liegt mitten zwischen ihnen, die Veränderung nach der einen Seite hin ist also Entfernung von der andern. Oder mit andern Worten: auch für die Drehung giebt es zwey Richtungen. 3) Jeder Uebergang liegt auf diese Weise zwi- schen zweyen andern. Die Ebene aber umgiebt den Punct gleichförmig. Also ist die Möglichkeit der Verän- derung des Uebergehens allenthalben um den Punct herum gleichförmig; oder kurz, die Radien des Kreises um den Punct liegen allenthalben gleich dicht. 4) Alle Krümmung ist Drehung; die gerade Linie aber verfolgt eben in so fern einerley Richtung, in wiefern sie die Drehung vermei- det . Um dies einzusehn: überlege man nur die ein- fachste, — wenn man will, unendlich kleine Fortrückung. Da der Punct, welcher eine Linie beschreibt, jede Stelle, die er durchläuft, fortdauernd bezeichnet, (er wird näm- lich in Gedanken überall da, wo er war, auch vestgehal- ten; sonst würde die gezogene Linie hinter ihm verlö- schen): so versetzt er sich mit allen von ihm ausgehen- den Richtungen von einem Orte zum andern. Beym Fortrücken nun zieht er jene eben zuvor (1) bezeichnete Stelle, von der man sich um eben soviel entfernt, als das Fortrücken beträgt, — hinter sich her; sie muss in den vorigen Ort des Puncts fallen, welcher genau die Mitte ist zwischen ihrem vorigen und seinem jetzigen Platze. Dies liegt unmittelbar in dem Grundbe- griffe des Zwischen , welcher der wahre Ursprung aller Reihenformen ist . Wiederholt sich das Fort- rücken: so zieht entweder der Punct wiederum dieselbe Stelle hinter sich her; — oder eine andre. Im letztern Falle geschicht zweyerley zugleich; vorn eine Krümmung, hinten eine Drehung. Im ersten Falle bleibt hinten die Richtung, und vorn geht die Linie gerade fort. 5) Man betrachte den Punct an zweyen Orten auf der geraden Linie, die er beschrieben hat. Man verän- dere an beyden Orten die Richtung um gleichviel; nach einerley Seite abwärts von der geraden. So ist die Rich- tung, die man beydemale erhält, ehen so gewiss dieselbe, als der Punct noch derselbe ist; weil auch alles Uebrige gleich ist. Zieht man nun gerade Linien in die zweymal erhaltene Richtung hinaus: so muss auch diese Handlung des Ziehens als eine und dieselbe angesehen werden, und beyde Linien müssen stets gleich lang seyn. Sie können sich nie schneiden, ja, ohne besondere Anlässe kann nicht der Gedanke ihres Schneidens entstehn, weil im Durchschnittspuncte verschiedene Richtungen zusam- menstossen mussten; es soll aber keine Krümmung, also auch keine Drehung vorgefallen seyn. Der Eine, unge- theilte Actus des Ziehens beyder zugleich, führt die an- fängliche Linie, welche ihre Entfernung zuerst bestimmte, (gleichviel ob unmittelbar oder vermittelst eines davon ab- hängenden Perpendikels) stets mit sich fort, so dass von ihr die Fläche eines wachsenden Parallelogramms beschrie- ben wird. Dabey kann nie eine Drehung vorfallen. Denn jede der beyden Linien zieht immer nur einerley Stelle hinter sich her, deren Winkel gegen die anfäng- liche gerade, ein für allemal bestimmt ist. Geschähe aber das Ziehen ungleichmässig: dann freylich würde die Linie zwischen den jedesmaligen Endpuncten sich, indem sie die Fläche beschreibt, zugleich drehen; und dies müsste sich verrathen, indem man diejenigen Endpuncte zusam- menfasste, die durch den gleichmässigen Zug hätten ent- stehen sollen. Ohne Zweifel wird man diesen Gedanken ein mehr geometrisches Kleid geben können; allein darauf kommt es mir nicht an. Auch muss der Gegenstand in der Me- taphysik noch etwas anders behandelt werden wie hier. Doch in der Erklärung der Parallelen kommen beyde Untersuchungen überein; es sind vervielfältigte Dar- stellungen Einer Richtung . Darauf gründet sich das Nicht-Schneiden und der gleiche Abstand ganz unmittel- bar; die Unmöglichkeit des Schneidens ist die Identität der Richtung; und der Abstand (oder statt seiner die dritte durchschneidende Linie, welche das Parallelogramm schliessen hilft) hält die Darstellungen dieser Richtung als ein Vieles auseinander. Lässt man den Abstand schwin- den, so fallen die Parallelen in Eine Linie zusammen; gestattet man das Schneiden, so entzweyt man die Rich- tung. Der psychologische Ursprung der Parallelen ist das Vesthalten des allgemeinen Begriffes der Rich- tung; während der Punct, von dem man ausgeht, an ver- schiedene Orte zugleich hinversetzt wird. Könnte man den allgemeinen Begriff der Richtung auf der Tafel zeich- nen, so würden die Geometer schwerlich je über Paral- lelen gestritten haben; da man es nicht kann, werden sie vielleicht ewig darüber streiten. Die übrigen räumlichen Constructionen lassen sich zum Theil aus dem Vorigen leicht ableiten (so ist z. B. das Perpendikel auf eine Linie, psychologisch be- trachtet, nichts anders als die von derselben seitwärts gehende Reproduction, nachdem in ihr alles Entgegen- gesetzte sich gehemmt hat, wie man aus der Zerlegung der Richtungen sogleich findet;) theils würden sie hier zu weitläuftig werden. Aber merkwürdig ist, dass, nachdem einmal geome- trische Constructionen auf dem leeren oder als leer be- trachteten Raum in Gang gekommen sind, sie sich über- all, mit und ohne Willkühr einschieben; — so wird eine Reihe von Bäumen als eine gerade Linie, ein Polygon von mehr als etwa sechs Seiten als ein Kreis gesehen, — ja dass sie sich aufdringen, als das, was seyn sollte , im Gegensatz der Sinnendinge wie sie sind. Dies ist zu- nächst nur ein Zeichen des Uebergewichts der ältern, längst vielfach verknüpften und ausgebildeten Vorstellungs- massen über die momentanen, mit schwacher Empfäng- lichkeit erzeugten, neuen Wahrnehmungen; ästhetische Urtheile können noch hinzukommen, und das eigentliche Sollen herbey bringen, welches allemal, wo es vorkommt, von ihnen ausgeht, und ihren Gegensatz gegen das Wirkliche bezeichnet. §. 115. Betrachtungen über die dritte Dimension bis zu denen über das Solide Im §. 143. versparend, kommen wir jetzt auf die Vorstellungen des Zeitlichen. Diese sind offenbar mit denen des Räumlichen sehr nahe verwandt; daher wird das Vorstehende hier nur einige Modificationen erhalten. Das Zeitliche, mit seinem bestimmten Unterschiede des Vorher und des Nachher, gestattet keine solche, auf gleiche Weise wider einander laufende, Reproductions- folgen, wie das Räumliche (§. 113.). Dennoch genügt auch hier nicht das einfache Ablaufen einer Vorstellungs- reihe, welches von einer einzigen reproducirenden Vor- stellung ausgehn könnte, nach §. 112. Vielmehr, die Vorstellung des Zeitlichen als eines solchen kommt darin mit der des Räumlichen überein, dass eine Strecke desselben auf einmal vorliegen muss, wie sie eingeschlossen ist zwischen ihrem Anfangs- und Endpuncte . Ein fliessendes Vorstellen, fortgleitend von dem Anfangspuncte zum Endpuncte, würde zwar selbst Zeit verbrauchen; aber es würde die Zeit nicht darstellen, indem es von dem Successiven einen Theil über dem andern fahren liesse, anstatt das ganze Succes- sive zusammenzufassen. Beyde, der Anfangs- und der Endpunct, gehören gleich wesentlich zur Auffassung des Zeitlichen, und müs- sen darin mit gleicher Klarheit vorkommen. Dass sie aber mit einander nicht verwechselt werden, dafür sorgt schon die Wahrnehmung selbst, welche das Zeitliche zu unserer Kenntniss bringt. Denn sie gestattet nicht, dass wir in ihr, wie in der räumlichen Auffassung, jeden be- liebigen Punct zum ersten machen, und die Reproductions- folgen nach Gefallen rückwärts und vorwärts kehren. Vermöge der Verschmelzung, die in dem zeitlich wahr- genommenen entstehen muss, reproducirt zwar jeder Punct sowohl Vorhergehendes als Nachfolgendes, aber jedes auf verschiedene Weise. Hierüber ist im §. 112. ausführlich geredet worden. Wir brauchen also nur eine Voraussetzung anzu- nehmen, unter welcher der Anfangspunct und der End- punct einer Zeitstrecke gleiche Klarheit im Bewusstseyn erlangen können; alsdann wird sich das Uebrige von selbst finden. Gesetzt demnach, von einer Reihe wohl verschmolzener successiver Wahrnehmungen werde am Ende die erste und die letzte wiederholt: so reproducirt jede von beyden das zwischenliegende, aber jede nach ihrer Art. Die Reproduction des Endpuncts stellt die ganze Reihe auf einmal vor Augen, aber mit rückwärts abnehmender Stärke, so dass die vordersten Glieder der Reihe wie in einen dunkeln Hintergrund treten. Zugleich durchläuft die Reproduction des Anfangspunctes alle Glieder von vorn nach hinten: oder eigentlich, sie wirkt auf alle zugleich, aber lässt die frühern eiliger als die spätern hervorkommen, so dass die ganze Reihe in ei- nem solchen unaufhörlichen Uebergehn in allen ihren Theilen schwebend erhalten wird, wie es der wirklichen successiven Wahrnehmung analog ist. Indem nun jene erste Reproduction gleichsam eine Perspective in die Ferne eröffnet, und die zweyte aus dieser Ferne etwas näher kommen lässt: fehlt noch das Merkmal, das Entfernte sey nicht; es fehlt die Negation in dem Begriffe des Aufhörens. Aber wenn man von dem Zeitlichen als einem Sinnlichen und Anschaulichen redet, so wird man dieses Merkmal in dem Nacheinan- der nun schon entbehren müssen. Denn wie auch der Un- terschied zwischen Anschauungen und Begriffen möchte bestimmt werden, so wird doch Niemand behaupten, dass eine Negation könne angeschaut werden. Daraus ergiebt sich, dass, wie oben von dem Aussereinander im eigent- lichsten Sinne, eben so hier von dem Nacheinander zu sagen ist, die Vorstellung desselben sey vielmehr ein Be- griff als eine Anschauung. Bis an die Gränze der Be- griffe aber haben wir beyderley Vorstellungen nunmehr verfolgt und ihren Ursprung psychologisch erkannt. Es bleiben nun noch einige Bemerkungen über die Zeit zu machen übrig, welche theils jenen frühern über den Raum analog sind, theils ihrerseits Veranlassung ge- ben können, den Raum genauer zu untersuchen. Am Ende des §. 114. haben wir gesehen, wie die Vorstellung des Raumes selbst , verschieden von de- nen des Räumlichen entsteht. Das dunkle Bild des leeren Raums ist ursprünglich das Gemisch der gegenseitig bey- nahe gänzlich sich hemmenden Reproductionen, welche von der Vorstellung eines Gegenstandes ausgehn, des- sen Bewegung vor einem bunten Hintergrunde man zu- vor beobachtet hat. Natürlich bildet sich auf ähnliche Weise eine Vorstellung der leeren Zeit. Um den Ge- genstand so deutlich als möglich in der Erfahrung zu erblicken: erinnern wir uns, dass die leere Zeit am stärk- sten dann wahrgenommen wird, wenn sie als Pause in der Rede oder in der Musik vorkommt. Gesetzt, der Prediger auf der Kanzel, der Lehrer auf dem Katheder, stocke mitten in seinem Vortrage; oder es sey in einem Tonstück (wie die Componisten zuweilen absichtlich thun) ein ganzer Tact Pause für alle Instrumente absichtlich angebracht: so wird jeden Augenblick der Fortgang des Vortrages erwartet; und in diesem Erwarten mehr als je- mals sonst, die leere Zeit wahrgenommen. Man kann auch das letzte Beyspiel abändern. Mitten in einer sehr vollstimmigen Musik, worin, wie etwan in der Fuge, ein Gewühl von Melodien gleichzeitig durcheinander fuhr, sey auf einmal nur eine Stimme hörbar, welche eine lange Note aushält, während alle übrigen Stimmen schweigen. Hier wird nicht leere Zeit eintreten, denn man hört fort- während die ausgehaltene Note. Aber dagegen wird die- ser eine Ton als dauernd wahrgenommen; warum? weil auf ihn die Töne der andern Instrumente, welche man erwartet, aber nicht hört, übertragen werden. Der Grund liegt hier ganz klar am Tage. Die Bewegung des bis dahin vernommenen Vortrags hat die Vorstellun- gen dergestalt aufgeregt, dass sie alle mit einem unbe- stimmten Streben zur Reproduction fortwirken. Un- bestimmt ist es jedoch nur in so fern, als die zuletzt auf- gefassten Theile des Vortrags früher schon mannigfaltig mit andern Vorstellungen in den verschiedenen Abstu- fungen ihrer Reste verschmolzen waren. Aus dieser Ur- sache löschen sich die Reproductionen beynahe aus, und es bleibt nichts als die Form derselben, das Nacheinan- der, noch merklich. Anders verhält es sich, wenn mit- ten in einer bekannten Melodie die Pause eintritt. Hier ist die Reproduction bestimmt; sie ruft den gewohn- ten Fortgang herbey. Jedermann weiss, dass mit dem Warten sich ein sehr unangenehmes Gefühl verbinden kann. Wenn in dem bekannten Vortrage (eines Liedes, eines Ge- dichts, eines Schauspiels) eine Stockung eintritt: so er- gänzt zwar der Hörer sogleich das Nächstfolgende; allein eben dadurch rückt in ihm die bekannte Reihe weiter vor; fängt nur der Redner oder Sänger nach seiner Ver- spätung da wieder an, wo er vorhin stehn blieb, so ver- schiebt sich die Reihe der Wahrnehmungen gegen die der Reproductionen; die Glieder beyder Reihen, welche gleichmässig ablaufen mussten, treffen falsch auf einan- der; und dies stört nicht bloss die Vorstellungen einzeln genommen, sondern auch das an sie geknüpfte, von ihnen fortwährend ausgehende Streben zum fernern Repro- duciren. Aber auch wenn die Reihe der Wahrnehmungen noch nicht zuvor bekannt war: so ist dennoch ihre Un- terbrechung widrig. Das Gefühl der leeren Zeit ist an sich unangenehm . Warum? Weil es aus Reproductionen von entgegengesetzter Art entsteht, die sich, eben indem sie ins Bewusstseyn fortwährend vor- dringen, gegenseitig Gewalt anthun. Hieher gehört das peinliche Gefühl der Langenweile ; analog dem des wüsten leeren Raums. Die Pause in der Musik gleicht einer leeren Stelle in einem alten Gemälde, von welchem hie und da die Farbe abgeschabt ist; oder auch dem Loche in einem Kleide. Gesetzt, wir haben ein Gespräch geführt, das oft- mals abbrach; und immer von neuem angesponnen, doch niemals recht in Zug kam: so sagen wir am Ende, die Zeit sey uns lang geworden. Hier kommt nun zu den unangenehmen Empfindungen während der Pausen noch etwas anderes. Wir irren uns in Hinsicht der verflosse- nen Zeit; wir schätzen sie unrichtig; unsre Uhr sagt uns, es sey nicht, wie wir meinten, eine ganze, sondern nur eine halbe Stunde verflossen. Dagegen, wenn ein Ge- spräch so fortläuft, dass sein Anfangspunct uns während der ganzen Zeit mit allem, was hinzukommt, wohl ver- schmelzend noch gegenwärtig bleibt am Ende: dann täu- schen wir uns auf entgegengesetzte Weise; wir haben Mühe, zu glauben, dass schon soviel Zeit verlaufen sey. Um dies zu erklären: erinnere man sich an die Eigen- thümlichkeit der rückwärts gerichteten Reproduction. In der Reihe a, b, c, d, e, stehe man am Ende bey e . Diese letzte Vorstellung ruft die vorhergehenden jedesmal simultan zurück; aber abgestuft; so weit die Verschmel- zung reicht. Waren damals, als e eintrat, a und b schon ganz gesunken: so kann jenes nur d , und minder c her- vorrufen. Indem, hiedurch freyer von der Hemmung, sich nun durch eigne Kraft c höher hebt: steigen allmählig auch a und b . Aber eben diese Vorstellungen konnten auch unmittelbar von e hervor gehoben werden, wenn nur damals, als die Reihe sich bildete, a und b noch im Bewusstseyn gegenwärtig blieben, indem e hinzutrat. Ueberdies fällt die Abstufung verschieden aus, je nach- dem die Reihe in ihrem Entstehen sich zusammenfügt. Wäre das ganze a , das ganze b , und so ferner, völlig ungehemmt gewesen, als e , das letzte Glied, hinzukam: so würde gar keine Abstufung in der Reproduction seyn; und e würde die vorigen Glieder gar nicht als ein Ver- gangenes, sondern als ein Gegenwärtiges reproduciren. Dieser Aufhebung der Zeitform nähert sich nun die Re- production um so mehr, je grössere Reste der frühern Glieder sich mit den späteren vereinigt haben; die ver- flossene Zeit erscheint also in diesem Maasse kürzer; im umgekehrten Falle desto länger. Es ist nun nicht schwer einzusehn, dass die Lange- weile zwey entgegengesetzte Ursachen haben kann. Steht der Zuhörer hoch über dem Vortrage, der ihm gehalten wird, so langweilt er sich; steht er tief darunter, so be- gegnet ihm dasselbe. — Im ersten Falle schiebt er als gedankenreicher Kopf seine eignen, schnell hervorsprin- genden Vorstellungen überall zwischen ein, und drängt hiedurch die Glieder der ihm dargebotenen Reihe gleich- sam auseinander, so dass sie nicht gehörig verschmelzen kann; überdies hemmt er als Kritiker durch seinen Ta- del die einzelnen Glieder, welches die vorige Einwirkung noch vermehrt. Der Ungebildete würde sich dem Vor- trage hingegeben, und die ihm dargebotene Unterhaltung fröhlich genossen haben. Dagegen wenn auf gebildete, kenntnissreiche Männer eine Unterhaltung berechnet ist: so gehören zu der dargebotenen Reihe alle die Gedan- ken, die sie selbst hinzuthun sollen. Man redet mit ihnen eine bekannte Sprache; die aber für den Unkundigen nichts bedeutet. Das Unverstandene giebt dem Letzte- ren verworrene Reproductionen; und eben diese sind der Sitz der Langenweile. Wir können hier noch die Frage berühren, wie weit überhaupt die psychologische Möglichkeit reiche, den Unterschied der Zeiten wahrzunehmen. Es ist gewiss, dass wir diese Möglichkeit als in sehr enge Gränzen ein- geschlossen betrachten müssen. Wenn eine Folge von Vorstellungen in solchen Zeitabschnitten gegeben wird, welche dem Vorrücken des Erdballs um einen Fuss, oder gar dem Fortschritte des Lichts um einen Zoll, entspre- chen: so ist kein Zweifel, dass hunderte solcher Vorstel- lungen, wiewohl sie nach einander eintreten, für uns als absolut gleichzeitig zu betrachten sind. Um nun wenig- stens etwas Licht auf diesen dunkeln Gegenstand zu wer- fen: mache ich zwey Bemerkungen: 1) Während eine Vorstellung allmählig sinkt, und mit ihren verschiedenen Resten sich den nachfolgenden anschliesst: welche von diesen Resten sind geschickter, die Zeit fein zu zertheilen, die ersten, grösseren, oder die letzten, kleineren? Offenbar jene. Denn wir wissen, dass die Bewegung des Sinkens Anfangs am geschwinde- sten geschieht; daher werden die Unterschiede der grö- ssern Reste beträchtlicher, als die der kleinern, wenn übrigens die nachfolgenden Vorstellungen im gleichblei- benden Zeitmaasse gegeben werden. Also werden auch die davon abhängenden Geschwindigkeiten der Repro- duction mehr verschieden seyn; worauf ganz allein der bemerkbare Unterschied der Zeiten beruht. 2) Kann denn auch die feinste Zertheilung der gröss- ten Reste einer Vorstellung im Bewusstseyn merklich werden? Die Antwort fällt verneinend aus. Soll die Re- production mit verschiedener Geschwindigkeit, gemäss der Grösse der Reste, erfolgen: so müssen diese Reste wirk- sam seyn können; das heisst, die ganze Vorstellung muss wenigstens bis auf den Grad ins Bewusstseyn ungehemmt hervorgetreten seyn, welcher dem grössten derjenigen Reste gleich ist, deren gesondertes Wirken man verlangt. Also müsste sie ganz und gar ungehemmt wieder her- vortreten können, wenn auch die Unterschiede unter den grössten ihrer Reste, die ihr selbst beynahe gleich sind, einen merklichen und entsprechenden Unterschied in den Geschwindigkeiten der davon abhängenden Reproductio- nen ergeben sollten. Aber sie kann niemals ganz un- gehemmt wieder hervortreten, wie wir schon im §. 82. gesehn haben. — Die kleinsten Zeittheilchen, welche Jemand unterscheiden kann, hängen demnach davon ab, wie hoch er seine Vorstellungen ins Bewusstseyn wieder zu erheben vermöge. Wenn nun zu den allgemeinen psychologischen Hindernissen noch besondere individuelle hinzukommen: so nähert sich sein Zustand theils dem des Schlafenden, welchem gar keine Zeit fliesst, theils dem, welcher aus einer fixen Idee oder fixen Begierde hervorgeht. Denn sobald irgend eine Art von Erstarrung anstatt des gewöhnlichen Flusses der Vorstellungen ein- tritt, so kann die Zeit nicht mehr wahrgenommen werden. §. 116. Beynahe so wichtig, als das Entstehen der Reihen, ist das Abbrechen und Verändern derselben. Eigentlich sollten alle successive Vorstellungen während des gan- zen Lebens eine einzige Reihe bilden. Aber oft genug werden wir innerhalb eines zusammengefassten Ganzen beschäfftigt und aufgehalten (§. 114.); oft genug dringen Vorstellungen aus unserm Innern hervor, welche das fer- nere Merken auf die Wahrnehmung abschneiden (§. 95 bis 97., wenn S\>β φ); endlich, was am merkwürdig- sten ist, wenn eine Reihe durch Versetzung ihrer Glieder verändert wird, so ändern sich die dadurch be- stimmten Reproductionen. Durchläuft die Ternion a b c alle ihre sechs Versetzungen: so verschmilzt jedes Glied auf gleiche Weise mit allen, und die Reproductionen kreuzen sich nach allen Richtungen; das bestimmte Zwi- schen verschwindet; es erzeugt sich dagegen die unbe- stimmte Vorstellung des Vielen . Der Anblick einer Heerde , einer Schaar von Menschen , oder selbst nur unser Umhergehn unter einer Menge von Gegen- ständen, giebt die Beyspiele dazu. — Das Viele wird näher bestimmt theils durch den allgemeinen Begriff des in ihm vorhandenen Gleichartigen, theils durch Zahl- begriffe . Von allgemeinen Begriffen handelt das nächste Capitel. Hier aber mag ein schicklicher Ort seyn, um im Vorübergehn etwas über die Vorstellung von der Zahl zu sagen. Ein Gegenstand, der zwar in der That noch zu früh kommt, den aber ein ziemlich gangbarer Irrthum hieher versetzt. Denn seit Kant hat man oft genug wiederholt, die successive Addition von Einem zu Einem ergebe diese Vorstellung, welche hiemit an die Zeit gebunden sey. Zu dieser Meinung hat offenbar die gemeine Ope- ration des Zählens den Anlass gegeben, in welcher die Zahl Zahl n +1 erzeugt wird aus der nächstvorhergehenden Zahl n, durch Zusetzung der Einheit. Dem gemäss denkt man sich die Zahlen bestehend aus Einheiten; allein die Eins selbst weiss man nicht zu erklären; und wenig fehlt, dass man sie gar für eine an- geborne Idee halte. Es ist hier einer von den Fällen, wo eine Verlegen- heit entsteht, weil man vergisst, zu einem Beziehungsbe- griff seinen Beziehungspunct aufzusuchen, und diesen als- dann genau vestzuhalten. Man besinne sich nur zuvör- derst, dass beym Zählen allemal Etwas vorhanden ist, welches gezählt wird; und dass die Vorstellung von die- sem Etwas immer gleichartig bleiben muss, indem be- kanntlich ungleichartige Dinge, z. B. Federn, Papierbo- gen, Siegellackstangen, sich nicht zusammenzählen lassen, es sey denn, dass man sie als gleichartig (durch den allgemeinen Begriff der Schreibmaterialien) auffasse. Jede Zahl nun bezicht sich auf solche Weise auf einen allge- meinen Begriff des Gezählten; dieser Begriff aber kann ganz unbestimmt bleiben, indem für die Zahlbestimmung es gänzlich gleichgültig ist, was man zähle. Gleichwohl muss man die Beziehung auf diesen unbestimmten Be- griff stets vor Augen behalten, sonst wird man verleitet zu jener falschen Vorstellungsart, von Einheiten als Be- standtheilen der Zahlen. Zu der Zahl 12 denke man hinzu den allgemeinen Begriff eines Stuhls, oder eines Thalers, so wird man gewahr werden, dass sich die Zahl- bestimmung ungetheilt, und auf einmal, dem Begriffe an- schliesst; und dass es unter den zwölf Stühlen nun weder einen ersten, noch einen zwölften Stuhl giebt, weil der Gedanke von allen zusammen schlechthin zugleich gefasst wird. Uebrigens kann man allerdings das Dutzend suc- cessiv durchzählen, und es besteht alsdann auch aus allen einzelnen Stühlen; aber die Zahl zwölf besteht darum doch nicht aus zwölf Einheiten, denn die Einheit würde auf diese Weise in den Platz des allgemeinen Begriffs von dem Zählbaren treten, (also das sich Beziehende II. L in den Beziehungspunct verwandelt werden;) wäh- rend die Eins vielmehr selbst eine Zahl ist, das heisst, eine von den möglichen Antworten auf die Frage: wieviel? Es entstehn die grösseren Zahlen nicht aus der Eins, sondern gerade umgekehrt die Eins aus der Mehrheit. Denn wenn ein Gegenstand nur einmal vorhanden ist, so fällt der allgemeine Begriff, und dessen Anwendung, zusam- men; und nur in den Fällen einer Mehrheit des Gleich- artigen kann der Gattungsbegriff desselben, welcher der Beziehungspunct und folglich die conditio sine qua non des Zahlbegriffs ist, von den einzelnen Gegen- ständen ursprünglich unterschieden werden. Sind aber schon Begriffe einer Mehrheit, wenn auch noch nicht völlig bestimmte Begriffe der grössern Zahlen, vorhan- den, dann bedarf man auch der Eins, die nun das Einzelne bezeichnet, was man aus der grössern Menge absondert oder ihr entgegensetzt . Wenn aber auch eingeräumt werden könnte, dass die Zahlen durch successive Addition von Einheiten ent- ständen; so würde daraus noch ganz und gar nicht fol- gen, dass irgend etwas von Zeitbestimmung oder Succes- sion in den Vorstellungen der Zahlen enthalten sey. Vielmehr fordert die Zahl die vollkommenste Simultanei- tät, und löscht die Succession des Durchzählens, wodurch man bis zu ihr gelangt seyn mag, gänzlich aus. Die Zahl hat demnach mit der Zeit nicht mehr gemein, als hundert andre Vorstellungsarten, die auch nur allmählig konnten erzeugt werden. So gelangen wir auch im Raume aus einer bekannten Gegend nach und nach durch Er- weiterung unseres Gedankenkreises in die unbekannten und entlegenen; das Erstaunen über die Entfernung der Sonne, der Fixsterne, der Nebelflecke, ist noch weit stär- ker als das über Trillionen oder Centillionen in Zahlen; zum Zeichen, dass wir in den entfernten Räumen nicht heimisch sind, sondern langsam und mühsam uns dahin- aus fortbewegen. Wer wird darum zweifeln, dass im Raume Alles zugleich sey? Oder wer wird die Vor- stellung des Raums von der Vorstellung der Zeit ab- hängig machen? Endlich der eigentlich wissenschaftliche Begriff der Zahl, welcher kein andrer als der des Mehr und Min- der, und dabey empfänglich ist nicht nur für alle Brüche, sondern auch für alle irrationale Grössen: dieser ist von noch früherem Ursprunge als die ganzen Zahlen. Denn das Mehr und Minder erkennt man gar leicht an Raum- grössen. Einerley Reproduction giebt einerley Raum- grössse; darauf beruht das Messen mit dem Auge; aber wenn die Reproduction entweder nicht ausreicht, um sich einem Gegebenen anzupassen, oder wenn sie sich gehemmt findet, ehe sie zu Ende kommt, so wird in jenem Falle ein Mehr, in diesem ein Minder bemerkt . Die allgemeinen Begriffe hievon, und mit ihnen auch die bestimmten Zahlbegriffe, bilden sich allmählig aus wie alle andern allgemeinen Begriffe; wovon das Weitere im nächsten Capitel. Viertes Capitel . Von den ersten Spuren des sogenannten obern Erkenntnissvermögens. §. 117. Vorwärts schreitend in der Richtung, die wir im Anfange des dritten Capitels genommen, trifft die Ana- lyse jetzt zunächst auf das Factum, dass wir nicht bloss ein Räumliches und Zeitliches überhaupt, sondern räum- liche Dinge und zeitliche Begegnisse, die sich mit den Dingen zutragen , wahrzunehmen glauben. Nun kann zwar auf keine Weise eingeräumt werden, dass in den gemeinen Vorstellungen der Dinge schon der Be- griff der Substanz , in denen der Begegnisse der Be- griff von Wirkungen gewisser Kräfte , enthalten sey; L 2 und eben so bestimmt muss geläugnet werden, dass nach Kants Behauptung, (§. 15. der Kritik der reinen Ver- nunft,) eine besondere Verstandeshandlung nöthig sey, um das Mannigfaltige einer Anschauung zur Einheit eines Objects zu verbinden. Allein die Psychologen, welche sich durch Unterscheidung der Seelenvermögen ein Verdienst zu erwerben glaubten, haben nun einmal den Verstand in die Auffassung der Dinge eingemischt; sie rechnen auch einstimmig den Verstand zum obern Erkenntnissvermögen; daher wird nach dem gangbaren Sprachgebrauche die Ueberschrift dieses Capitels nicht unpassend seyn für die darin abzuhandelnden Gegen- stände. Zur bequemeren Uebersicht erst einige Vorerinne- rungen! Wir beschäfftigen uns in diesem ganzen Ab- schnitte mit dem geistigen Leben überhaupt, also noch nicht mit dem Eigenthümlichen der menschlichen Ausbil- dung. Da nun das obere Vermögen der Vorzug des Menschen vor den Thieren seyn soll: so müssten wir dieses Vermögen hier noch gar nicht berühren. Allein die ganze Unterscheidung zwischen Mensch und Thier ist so höchst schwankend, dass die Psychologen sogar ausdrücklich den Thieren ein analogon rationis einräu- men; gleichsam eine schwache Nachahmung der mensch- lichen Vernunft; während doch ohne Zweifel jedes Thier in seiner Art eine ursprüngliche Vollständigkeit besitzt, so gut wie der Mensch. Ferner: drey Hauptpuncte sind es, welche wir in diesem Capitel betrachten werden; die Vorstellungen von Dingen, die Gesammt-Eindrücke gleichartiger Gegen- stände, und die Urtheile. Hiebey ist vorläufig zu mer- ken, dass die Ausbildung der ächten allgemeinen Begriffe, welche mit den Gesammt-Eindrücken ähnlicher Gegen- stände nicht verwechselt werden dürfen, den Urtheilen nicht vorangeht, sondern erst durch dieselben zu Stande kommt, und also ihnen nachfolgt. Eben so nöthig ist es, zu merken, dass das An- schauen, welches gewöhnlich zur Sinnlichkeit gerechnet wird, erst viel tiefer unten, nach der Lehre vom Selbst- bewusstseyn, kann in Betracht gezogen werden. Desgleichen wolle man hier nicht nach dem innern Sinne fragen. Er soll den Gegenstand des folgenden Capitels ausmachen. Für jetzt haben wir andre, noch dringendere Angelegenheiten zu besorgen. Zur Uebersicht kann es nützlich seyn, wenn ich an diesem Orte die schon in der Einleitung gegebenen Ana- lysen von Verstand und Vernunft wieder in Erinne- rung bringe; und daran noch ein paar Nebenbestimmun- gen knüpfe. Verstand nenne ich das Vermögen, sich im Denken nach der Qualität des Gedachten zu richten. Das Gegentheil hievon ist der Unverstand, der sich als Mangel an Fassungskraft, als Zerstreutheit, Thorheit, Verblendung durch Affecten äussert. Die Qualität des Gedachten ist unabhängig von der Stärke, welche zufällig eine Vorstellung vor andern be- sitzt, und eben so von ihrer momentanen Aufregung. Aber zur Qualität des Gedachten gehört 1) die Achnlichkeit und Verschiedenheit in demsel- ben. Daher ist der Verstand ein logisches Vermögen. 2) Die Verknüpfung. Daher ist dem praktischen Verstande stets die ganze Lage der Dinge gegenwärtig; daher auch werden Zeichen verstanden, Sprachen ge- lernt, u. dgl. m. Vernunft nenne ich das Vermögen der Ueberlegung. In dieser aber werden mehrere Vorstellungen, oder de- ren schon vorhandene Verbindungen, im Bewusstseyn zusammen gehalten; sie durchdringen sich gegenseitig und geben ein gemeinschaftliches Resultat. Das Gegentheil hievon ist die Unvernunft, die keine Gründe hören will oder kann; daher auch die Schwäche der Kinder und der Thiere, die sich über den Eindruck des Augenblicks nicht erheben können; und die Verblen- dung der Leidenschaften mit ihrer falschen Vernunft. Die Ueberlegung kommt vor 1) bey Prämissen eines Schlusses. Daher ist auch die Vernunft ein logisches Vermögen. 2) Bey der Erweiterung der Begriffe zum Unendli- chen und Unbedingten. Nach einer gegebenen Regel des Fortschritts werden hier einige Fortschreitungen wirk- lich gemacht, und dann die Möglichkeit der noch zu machenden in einen Gedanken zusammengefasst. 3) Beym Wählen unter Zwecken; also bey der Veststellung praktischer Maximen. Daher ist die Ver- nunft ein moralisches Vermögen. Die Erläuterungen hievon werden sich allmählig dar- bieten. Soviel sicht man auf den ersten Blick, dass nach diesen Erklärungen Verstand und Vernunft einander nicht coordinirt werden können, weil sie sich nicht mit Ge- nauigkeit ausschliessen. Allein darin eben liegt der Feh- ler, den man begeht, dass man sie coordiniren will, um daraus reale Seelenvermögen machen zu können. Gute Namenerklärungen müssen dem Sprachgebrauche ange- messen seyn; und der geht nicht darauf aus, dass die Begriffe einander vollkommen ausschliessen sollen; er bezeichnet oftmals nur verschiedene Gesichtspuncte für einerley Erscheinungen, durch die Verschiedenheit der Worte. Jetzt kehren wir zurück in den Zusammenhang des Vortrags. §. 118. Die Gränze zwischen dem obern und untern Erkennt- nissvermögen wird durch eine Verschiedenheit der Erklä- rungen darüber, die sich bey Wolff und Kant , den hauptsächlichsten Absonderern der Seelenvermögen, fin- det, — nicht wenig zweifelhaft gemacht. Wolff setzt die Deutlichkeit der Erkenntniss zum Scheidepuncte; da- her beginnt auch seine Lehre vom obern Erkenntnissver- mögen mit der Aufmerksamkeit , welche die Theil- vorstellungen einzeln hervorhebe. Kant (in der Anthro- pologie, S. 25.,) ist hiemit sehr unzufrieden; er beschul- digt Leibnitzen , als Platoniker angeborne reine Ver- standesanschauungen (Ideen) angenommen, und in de- ren Beleuchtung und Verdeutlichung alle wahre Erkennt- niss gesetzt zu haben Wie schlecht dies zur prästabilirten Harmonie passt, nach welcher Alles ohne Ausnahme angeboren ist, springt in die Au- gen. Ich kann mir manche verfehlte Aeusserungen Kants gegen Leib- nitz kaum anders erklären, als durch die Voraussetzung, Kant habe sich dem Eindrucke, den Leibnitzens nouveaux essays wohl machen können, zu sehr hingegeben; und nicht auf die Accommodation an Locken geachtet, über die sich Leibnitz gleich im Anfange dieses Werks erklärt. Auch scheint Kant nicht genug Unterschied zwischen Leibnitz und Wolff zu machen. ; er will dagegen, dass die Pas- sivität der Sinnlichkeit, die Spontaneität des Ver- standes, den Unterschied machen solle. Hieher gehört jener §. 15., u. s. w. der Kritik der reinen Vernunft, wo Kant etwas sehr wichtiges zu lehren glaubt, indem er erinnert, aller Analysis müsse eine Synthesis vorangehn; und diese sey eine Handlung des Verstandes, auch wenn sie nur das Mannigfaltige der Anschauung in die Vorstellung Eines Objects vereinige. In der That ist dieses ein sehr wichtiger, sehr durch- greifender und verderblicher Irrthum für die ganze Kantische Lehre. Denn freylich mussten wohl Seelen- vermögen angenommen und abgetheilt werden, wenn das Mannigfaltige der Anschauung nicht anders zusammen- kommen, nicht anders Objecte zu erkennen geben konnte, als nachdem sua sponte gleichsam ein höherer Geist, der Verstand, den sinnlichen Stoff ergriffen und geformt hatte! Schwerlich giebt es im ganzen Gebiete der Wis- senschaften ein stärkeres Beyspiel von unnützer Bemü- hung, das zu erklären, was sich schlechthin von selbst versteht. Wie sollen denn wohl die mehrern Vorstellungen Eines erkennenden Subjects es anfangen, getrennt zu bleiben? Was denkt man sich bey dieser Trennung? Etwa dass die Vorstellungen ausser einander liegen? Und was denkt man sich bey der Verbindung der zuvor Getrennten? Etwa dass irgend ein besonderes, neues Bindungsmittel dazu komme? Das wohl nicht; aber was denn sonst? — — Alle unsere Vorstellungen, bloss und ledig- lich darum, weil sie in uns beysammen sind, würden ein einziges, aus gar keinen Theilen be- stehendes, gar keiner Art von Absonderung fä- higes, Object vorstellen, — und zwar eben so- wohl ein unzeitliches als ein unräumliches Ob- ject; — wenn die bekannten Hemmungen und Gegensätze der Vorstellungen nicht wären . Was nun die Hemmungen nicht trennen , (unmittelbar oder mittelbar,) das bleibt beysammen, und wird vorgestellt als Eins . Man frage also gar nicht, wie es zugehe, dass, wenn wir z. B. eine Glocke wahrnehmen, und sie durch ihre verschiedenen Merkmale als Ein Ding auffassen, die Farbe und Gestalt der Glocke mit ihrem Klange und ihrer Härte und Kälte zusammengefasst werde. Man frage auch nicht, welche Verstandeshandlung aus Blättern und Zweigen, Blüthen und Früchten, den Aesten und dem Stamme, einen Baum construire. Sondern man frage lieber, warum nicht die Glocke auch noch mit dem Gebälke, woran sie hängt, der Baum auch noch mit dem Boden, worin er steht, zusammengefasst, und für ein einziges Ding gehal- ten werde? Darauf ist alsdann die Antwort, dass aller- dings diese letzte Art der Auffassung die ursprüngliche ist; dass wir die gleichzeitige Umgebung nur bloss darum nicht als Ein Ding, sondern als eine Summe von Din- gen ansehen, weil diese Umgebung zerreisst, indem die Dinge von ihren Plätzen rücken, oder auch der Sinn bald mehr bald weniger von ihnen zusammen fasst, oder endlich der Standpunct des Wahrnehmenden geändert wird; wobey neue Complexionen von Vorstellungen ge- bildet werden, die mit den früheren in mancherley Hem- mungsverhältnisse gerathen. Nichtsdestoweniger aber blei- ben auch die früheren Complexionen noch wirksam; so entstehen Ganze und Theile ; so bleibt, in unserer Vorstellung, der Baum im Walde, und der Wald in der Landschaft. — Ganz auf die nämliche Weise geht es mit denjenigen Associationen, worauf die Erwartung ähnlicher Fälle beruht. Diese verknüpft eben so gut für den Wahrsager das Zeichen mit dem vorbedeuteten Erfolge, als für den Physiker die Wirkung mit der Ur- sache. Ursprünglich ist jedes Vorhergehende ein Vorzeichen , lediglich darum, (und ohne alle andre Bedeutung, als) weil die Vorstellung desselben mit der des nachfolgenden in Ein Bewusstseyn zusammenkommt und verschmilzt . Bey fortgehen- der Erfahrung aber zerreisst auch hier das Band an gar vielen Stellen; Vorstellungsfolgen von entgegengesetztem Ausgange bey gleichem Anfange müssen in der Wahr- nehmung sich bilden und in der Seele sich hemmen; da- gegen verstärken einander die vielemal wiederhohlten gleichartigen Vorstellungsfolgen, und machen die Grund- lage der gemeinen Lebensklugheit. Soll nun dergleichen Synthesis den Hauptcharakter des Verstandes bestimmen, so giebt es in der ganzen Psychologie kaum etwas, das sich so sehr von selbst verstünde als der Verstand. Auch ist alsdann das Fun- dament der Lehre vom Verstande enthalten in den Ca- piteln der Statik des Geistes, die von Complicationen und Verschmelzungen handeln; und bey denen wir uns schon auf die Einheit der Seele , als auf den für sich vollständigen und zulänglichen Erklärungsgrund der Ver- bindung, gestützt haben. Soll aber der Verstand sich als Eigenthümer der Begriffe von Substanz und Ursache zei- gen, so werden wir einen solchen wohl als etwas aus- schliessend menschliches betrachten, und demnach für jetzt noch zur Seite lassen müssen. Denn eine Substanz ist etwas ganz anderes als ein sinnliches Ding, das heisst, als eine Complexion von Merkmalen, bey der noch nach keinem Prineip der Einheit gefragt ist, weil das Ding ohne Weiteres für Eins gegolten hat. Eben so, eine Ursache ist etwas ganz anderes als ein Vorzeichen, an dessen Zusammenhang mit dem Erfolge ohne Umstände geglaubt wird, weil der psychologische Mechanismus die eine Vorstellung nach der andern vermöge einer Ver- schmelzungshülfe zu Tage fördert. Während nun Kant sich viel zu viel Mühe macht mit denjenigen Verknüpfungen, wodurch das Mannigfal- tige der Empfindung gruppirt wird zu Dingen und Bege- benheiten: ist er dagegen bis zur äussersten Vorschnel- ligkeit freygebig mit dem: Ich denke , welches, wie er sagt, alle unsre Vorstellungen muss begleiten können . Bey diesem Können dringt sich die Frage auf, warum es sie denn nicht wirklich überall begleitet ? Wann und unter welchen Umständen, nach welchen Ge- setzen , diese Begleitung wirklich eintritt? Nach wel- chen andern Gesetzen sie unter andern Umständen aus- bleibt? Eine Frage, die freylich eine allgemeine Satyre auf alle Seelen vermögen enthält. — Wir aber haben oben gesehen, (ganz im Anfange des ersten Theils die- ses Buchs,) dass der Begriff des Ich an innern Wider- sprüchen leidet; daher es sogar um das Begleiten- Können eine bedenkliche Sache ist. Denn entweder ist das Begleitende wirklich die ächte Vorstellung des Ich, — so fragt sich, woher denn diese widersprechende Vorstellung ihren Ursprung nehme, und warum sie sich den Wahrnehmungen anhängen möge: oder es ist nicht die ächte Vorstellung des Ich, als der Identität des Ob- jects und Subjects; — dann fragt sich, welche Verwandt- schaft sie mit derselben habe, warum sie mit jener ver- wechselt werde, — und überdies noch wie oben, wie es zugehe, dass sie sich mit den übrigen Vorstellungen ver- knüpfe. Dass man alle diese Fragen hat überspringen können, beweiset nichts anderes, als dass man von einer Psychologie zwar viel redete, aber nicht einmal die ersten Bedingungen überdachte, unter denen sich Jemand schmei- cheln dürfte, diese Wissenschaft zu besitzen. Uebrigens ist die Erwähnung des Selbstbewusstseyns völlig unnöthig da, wo man nur wissen will, wie unsre Vorstellun- gen von Objecten sich ursprünglich aus den einfachen Empfindungen der einzelnen Sinne zusammensetzen ; und die überflüssige Einmischung dient nur, diese Frage, die wir eben zuvor beantwortet haben, zu verdunkeln. §. 119. Wie das Factum zwar seine Richtigkeit hat, dass die einzelnen sinnlichen Vorstellungen im Bewusstseyn vereinigt (eigentlich gruppirt) werden; aber Kants An- nahme eines vereinigenden Vermögens unzulässig ist: eben so unterliegt zwar die Thatsache keinem Zweifel, dass aus Wahrnehmungen Begriffe , und aus undeutli- chen Begriffen deutliche Begriffe entstehen; aber eine eigentliche Scheidewand zwischen einem untern und obern Erkenntnissvermögen, wie dergleichen Wolff hier zu finden glaubte, — so dass es wohl Wesen geben könne oder gar wirklich gebe, die das eine besässen und das andere entbehrten, — ist ein Hirngespinnst; und der Deus ex machina, den man Verstand nennt, und der sogar (z. B. von Hoffbauer ) als ein productives Vermögen beschrieben wird, kommt der Wissenschaft um nichts gelegener, wenn er Begriffe erzeugen, als wenn er die Synthesis der Wahrnehmungen besorgen will. Allein die Masse der in einander verstrickten Irrthü- mer, mit denen uns sogar die gangbaren Logiken ent- gegenkommen, nöthigt uns, hier etwas weitläuftiger zu werden als bey dem vorigen Gegenstande; und mit einer Vorerinnerung anzufangen. Wenn wir auch von dem Verstande und der Vernunft nur Worterklärungen verlangen: so finden wir gerade heutiges Tages die ärgste aller nur immer denkbaren Verwirrungen. — Die entferntern Ursachen zu dieser Verkehrtheit haben schon die frühern bessern Denker gegeben. Diesen schien es bequem, sich hier, wie anderwärts, an die Logik zu lehnen, ohne zu über- legen, ob es denn auch die Sache der Logik sey, das Verlangte zu leisten, und für die ihr angehängten Mei- nungen Bürgschaft zu übernehmen. Die Logik redet von Begriffen, Urtheilen, Schlüssen. Daraus machte man drey verborgene Qualitäten der Seele, ein Vermögen zu begreifen, ein anderes zu urtheilen, ein drittes zu schlie- ssen. Nun fanden sich in der gemeinen Sprache die Worte Verstand und Vernunft ( intellectus et ratio ); diese mussten doch etwas bedeuten, sie mussten zu etwas gebraucht werden. Wie konnte man sie besser anwen- den, als indem man dem Verstande das Begreifen, der Vernunft das Schliessen auftrug. Ein neuer Name für das mittlere Vermögen zwischen beyden war nöthig — und die Urtheilskraft wurde geschaffen. Ein wenig später besann man sich, dass noch einiges Andere in dem menschlichen Vorstellen und Denken sich ereigne, wofür auch Namen da seyn müssten. Das Handeln nach Ueberlegung, nach Gründen, besonders nach sittlichen Maximen, wird im gemeinen Leben vernünftiges Handeln genannt; also musste die Vernunft nicht bloss theoretisch seyn, sondern auch praktisch. So wurde das Vermögen zu Syllogismen, zugleich das Vermögen der obersten praktischen Gesetzgebung, — und nun entstand die Auf- gabe, nachzuweisen, was für eine wirkliche, nicht bloss logische, Gemeinschaft, was für eine reale Einheit sich möge ausdenken lassen, woraus der Syllogismus und das Gewissen zusammengenommen hervorgehn könnten, so jedoch, dass dabey keinem andern Seelenvermögen etwas von seinem schon angewiesenen Eigenthum geraubt werde. Weder das Gewissen noch der Syllogismus besitzen Ge- wandtheit genug, um sich in eine für sie nicht passende Gesellschaft zu fügen und zu schicken; eine solche aber schienen diese beyden, einander gewiss sehr ungleichar- tigen Gegenstände, jeder dem andern, zu leisten; was Wunder also, wenn endlich beyde den Platz räumen mussten, und der neuerdings erfundenen intellectualen Anschauung überlassen wurde, das Wort Vernunft zu ihrem Schmuck zu gebrauchen. — Nach solchem Beyspiele haben denn auch die Urtheilskraft und der Verstand sich manches ähnliche müssen gefallen lassen. Jene, die ihr Wesen in der Bejahung und Verneinung hatte, bekam noch das Geschäfft, Schönes und Hässli- ches zu erkennen; welches in der That mit dem gram- matischen Geschäffte, Sätze und Perioden zu bilden, un- gefähr so viel Aehnlichkeit hat, als das Gewissen mit dem Syllogismus. Der Verstand aber musste neben den übrigen Begriffen, ihren Gegensätzen und Unterordnun- gen, noch Kategorien aufnehmen, und in diese, man weiss nicht, nach welcher Regel, das Mannigfaltige der räumlichen und zeitlichen Wahrnehmungen vertheilen. So ist das Fachwerk beschaffen, welches man als Regulativ für die wichtigsten Untersuchungen ausstellte, und lange Jahre hindurch, in der Meinung, hierin die Erkenntniss der geistigen Natur, wie sie sey und wirke, zu besitzen; — ehrfürchtig anwendete! Weit entfernt, dass die Logik sich dafür verbürge, hat vielmehr sie selbst, wenigstens in der Darstellung, darunter leiden müssen. Wo ist die Logik der neuern Zeit, die nicht mit psychologisch seyn sollenden Erzäh- lungen von dem Verstande und der Vernunft anhübe? Gleichwohl ist dieser Fehler gerade so arg, als wenn eine Sittenlehre mit einer Naturgeschichte der menschlichen Neigungen, Triebe, und Schwachheiten beginnt. Beyde, Logik und Ethik, haben Vorschrif- ten aufzustellen , nach welchen sich, hier das Denken, dort das Handeln richten soll , obgleich es sich eins wie das andere, aus psychologischen Gründen gar oft in der Wirklichkeit nicht darnach richtet, und nicht darnach richten kann . Die Schärfe dieses Gegensatzes zwischen dem Sollen und dem Können ist die schneidendste, die es giebt; unsre Moralisten aber eben so wenig als unsre Logiker sind bis heute dahin gekommen, sie gehörig zu begreifen. Jene stumpfen sie ab durch die transscenden- tale Freyheit, welche vorgeblicherweise alles kann, was sie will; und diese verderben sie, indem sie meinen, die Lehre von den Begriffen vorbereiten zu müssen durch die vom Verstande, gleich als ob in der Reihe unserer Erkenntnisse der Verstand den Begriffen voranstünde, während kein Mensch vom Verstande reden würde, wüsste er nicht zuvor, was Begriffe sind, und was begreifen und verstehen heisst. Man kann, wenn es nöthig scheint, durch eine vollständige Induction beweisen, dass keine einzige von allen, der reinen Logik unbestreitbar ange- hörigen Lehren, von den Oppositionen und Subordina- tionen der Begriffe bis zu den Kettenschlüssen, irgend etwas psychologisches voraussetze. Die ganze reine Lo- gik hat es mit Verhältnissen des Gedachten , des Inhalts unserer Vorstellungen (obgleich nicht speciell mit diesem Inhalte selbst) zu thun; aber überall nirgends mit der Thätigkeit des Denkens , nirgends mit der psy- chologischen, also metaphysischen, Möglichkeit desselben. Erst die angewandte Logik bedarf, gerade so wie die angewandte Sittenlehre, psychologischer Kenntnisse, in so fern nämlich als der Stoff seiner Beschaffenheit nach erwogen seyn muss, den man, den gegebenen Vorschrif- ten gemäss, bilden will. Damit nun aber doch in die Worte Verstand und Vernunft ein Sinn hineinkomme, oder besser, damit man denjenigen Sinn dieser Worte erkenne, welcher allen denen gemeinschaftlich vorschwebt, die sich übri- gens mit ganz verschiedenen Neben-Bestimmungen der- selben bedienen: wäre es dienlich gewesen, zu bedenken, dass man den Verstand von der Sinnlichkeit als etwas Höheres zu unterscheiden , die Vernunft aber der- selben als etwas sie besiegendes entgegenzusetzen pflegt. Verstand und Sinnlichkeit bestehen mit einan- der, indem jener ausarbeitet , was diese darbietet. Ver- nunft und Sinnlichkeit dürfen einander nicht zu nahe kommen, sonst leugnet jene, was diese behauptet; und verbietet die eine, was die andere fordert. Hiemit tref- fen die im §. 117. und schon in der Einleitung gegebe- nen Erklärungen zusammen; in so fern nach denselben der Verstand seinen Stoff nicht ändert, die Vernunft aber aus der Ueberlegung neue Resultate ziehen kann. §. 120. Um nun näher zur Sache zu kommen, müssen wir zuerst eine Sonderung machen zwischen Begriffen in lo- gischer, und in psychologischer Bedeutung. Jedes Gedachte , bloss seiner Qualität nach betrachtet, ist im logischen Sinne ein Begriff . Dabey kommt es zuvörderst nicht an auf den Umfang der Begriffe, denn es giebt sowohl einzelne Begriffe, d. h. solche, denen kein Umfang zukommt, als solche, unter denen andere enthalten sind Fälsehlich sind von einigen neuern Logikern die einzelnen Begriffe geleugnet worden; hier sollte ein Fehler den andern decken. . Ferner kommt Nichts an, auf das denkende Subject; einem solchen kann man nur im psychologischen Sinne Begriffe zueig- nen, während ausserdem der Begriff des Menschen, des Triangels, u. s. w. Niemanden eigenthümlich gehört. Ueberhaupt ist in logischer Bedeutung jeder Begriff nur einmal vorhanden ; welches nicht seyn könnte, wenn die Anzahl der Begriffe zunähme mit der Anzahl der, dieselben vorstellenden Subjecte, oder gar mit der An- zahl der verschiedenen Acte des Denkens, wodurch, psy- chologisch betrachtet, ein Begriff erzeugt und hervorge- rufen wird. Für Manche wird dieser, freylich gar nicht schwie- rige, Gegenstand, dadurch am geschwindesten klar wer- den, wenn ich bemerke, dass die entia der ältern Philo- sophie, selbst noch bey Wolff , nichts anderes sind, als Begriffe im logischen Sinne. Wolffs Ontologie enthält eine Menge von logischen Sätzen, die in eine Metaphysik gar nicht gehören; sie enthält unter andern ein ganzes Capitel de ente singulari et universali . Die Einmengung dieser Universalien in die Metaphysik hängt mit einem, durch das Mittelalter hindurch stets wirksa- men Reste des Platonismus zusammen, wovon auch bey Locke sich Spuren finden, nämlich in den Meinungen, die er anführt, um sie zu bestreiten, wie im dritten Ca- pitel des dritten Buchs, wo er klagt: the former of these opinions, which supposes these essences, as a certain number of forms or molds, wherein all natural things, that exist, are cast, and do equally partake, has, I ima- gine, very much perplexed the knowledge of natural things . Locke selbst aber, mit seiner real and nominal essence , unterwirft sich dem Misbrauche des Wortes, den er in folgenden Ausdrücken rügt: the learning and disputes of the schools having been much busied about genus and species, the word essence has almost lost its primary signification, and instead of the real constitution of things, has been almost wholly applied to the artificial constitu- tion of genus and species . — Auch der alte Satz: essen- tiae rerum sunt immutabiles , gehört hieher. Er bedeutet nichts anderes, als: die Begriffe sind etwas völlig Unzeitliches ; welches von ihnen in allen ihren logi- schen Verhältnissen wahr ist, daher auch die aus ihnen gebildeten wissenschaftlichen Sätze und Schlüsse für die Alten so wie für uns, — und am Himmel wie auf Er- den, — wahr sind und bleiben. Aber die Begriffe in diesem Sinne, in welchem sie ein gemeinschaftliches Wissen für alle Menschen und Zeiten darbieten, sind gar Nichts psychologisches. Im Gegentheil, wir werden in Hinsicht der allgemeinen Begriffe bald erkennen, dass der Zustand eines Menschen, in welchem das Gedachte scines in- dividuellen Denkens ein Gattungs- oder Art- Begriff im strengsten Sinne seyn würde, etwas idealisches ist, welches niemals vollkommen zu erreichen steht . Doch wir müssen die Allgemeinheit, welche einigen Begriffen zukommt, für jetzt noch ganz bey Seite lassen. In psychologischer Hinsicht ist ein Begriff diejenige Vorstellung, welche den Begriff in logischer Bedeutung, zu ihrem Vorgestellten hat; oder, durch welche der letz- tere tere (das Vorzustellende) wirklich vorgestellt wird. So genommen hat nun allerdings ein Jeder seine Begriffe für sich; Archimedes untersuchte seinen eignen Be- griff vom Kreise, und Newton gleichfalls den seinigen; es waren dies zwey Begriffe im psychologischen Sinne, wiewohl in logischer Hinsicht nur ein einziger für alle Mathematiker. — Auf den ersten Blick scheint vielleicht diese Unterscheidung eine müssige Subtilität; das Gegen- theil wird sich bald zeigen. Zuvörderst müssen wir jetzt den Begriff in psycho- logischer Bedeutung entgegensetzen der Empfindung, der Einbildung, der Erinnerung; dann wird das Eigenthüm- liche des Begriffs besser hervortreten. Gesetzt, es sey in irgend einer Seele ohne Weite- res eine gewisse Vorstellung, — so wie wir in den Grund- linien der Statik des Geistes anzunehmen pflegten, ohne uns darum zu bekümmern, woher diese Vorstellung ent- sprungen, und wie sie ins Bewusstseyn gekommen sey, — alsdann ist diese Vorstellung ein Begriff; und wäre es auch nur die Vorstellung der rothen Farbe, ja selbst nur die einer bestimmten Nüançe derselben mit einer bestimm- ten Gestalt des Gefärbten. Denn Allgemeinheit ist gar kein wesentliches Erforderniss zu einem Begriffe. Nun aber findet sich in keiner Seele so ganz von selbst eine Vorstellung; die Seele ist vielmehr ursprüng- lich eine vollkommene tabula rasa , ohne alles Leben oder Vorstellen. (§. 32.) Demnach giebt es keine ur- sprünglichen Begriffe, auch keine Anlagen dazu; sondern alle Begriffe sind etwas Gewordenes . Das erste Werden einer Vorstellung erfordert eine Selbsterhaltung der Seele gegen eine ihr fremdartige Störung. (§. 94.) Die werdende Vorstellung nun heisst Empfindung oder Wahrnehmung . So nennt man sie während der gan- zen Dauer der Störung, (des sinnlichen Eindrucks), ohne in der gemeinen Sprache darauf Acht zu geben, dass eigentlich nur die momentanen Auffassungen den Zustand des Empfindens ausmachen, während das dadurch erzeugte II. M Vorstellen in der Seele bleibt, und sich in so weit zu einer Totalkraft sammelt, als die von Anfang an eintre- tende Hemmung es gestattet. Wenn bey gegebener Gelegenheit diese Totalkraft, nachdem sie schon völlig gehemmt war, ihr Vorgestelltes wieder ins Bewusstseyn bringt, (nach §. 81—93.) dann heisst sie Einbildung ; und hieraus kann Erinnerung werden, wofern dieselbe in Verbindung mit einer ganzen Reihe verschmolzener Vorstellungen, vollends wenn die- selben etwas Zeitliches zu erkennen geben, (§. 116.) wie- der hervortritt. Sehen wir nun auf die Art und Weise, wie unsre Vorstellungen ins Bewusstseyn kommen, so sind diesel- ben immer , entweder Wahrnehmungen oder Einbildun- gen, von welchen letztern die Erinnerungen nur eine Spe- cies ausmachen. Wann denn haben wir Begriffe ? Wir haben dieselben nicht irgend einmal , zu einer gewissen Zeit; wir haben sie nicht neben und ausser den Wahrnehmungen und Einbildungen Zu den Einbildungen kann man auch die Erzeugungen neuer Begriffe rechnen, wovon tiefer unten die Rede seyn wird. Uebrigens ist in der wissenschaftlichen Sprache Einbildung nicht Täuschung , sondern es hat dies Wort den nämlichen Sinn wie in dem Ausdrucke Einbildungskraft . , son- dern wir schreiben uns Begriffe in so fern zu, in wiefern wir abstrahiren von dem Eintritt unse- rer Vorstellungen ins Bewusstseyn , und dagegen darauf reflectiren, dass sie sich darin befinden, und ihr Vorgestelltes (den Begriff im logischen Sinne) nun in der That erscheinen lassen. Allein mit dieser Erklärung wird man noch nicht ganz zufrieden seyn. Denn man ist nicht gewohnt, sich vermöge einer willkührlich vorzunehmenden, oder zu unterlassenden, Abstraction, seine eignen Vorstellungen bald als Begriffe, bald als Einbildungen zu denken. — Aber eine willkührliche Abstraction geht nur hier, in der Wissenschaft vor. Was die gemeine Auffassung anlangt, so liegen in unserm Vorstellen selbst, Unterschiede, ver- möge deren die Art ihres Eintritts ins Bewusstseyn sich bald verräth, bald unbemerkt bleibt. Nämlich so lange die Vorstellungen mit ihren räum- lichen und zeitlichen Associationen behaftet ins Bewusst- seyn kommen, verrathen sie sich als reproducirte Wahr- nehmungen, als Einbildungen. Bringt aber eine Vor- stellung nichts als sich selbst : dann bedarf es kei- ner Abstraction, denn die Thätigkeit ihrer Wiedererhe- bung ist ohnehin kein Gegenstand des Bewusstseyns. — Uebrigens gehört die Frage, wie wir es machen , unsre Vorstellungen zu beobachten, und sie entweder als Einbildungen, oder als Begriffe anzuerkennen, noch gar nicht hieher. Die Hauptfrage aber, worauf die Untersuchung über den Ursprung der Begriffe zu reduciren ist, lässt sich aus dem eben Gesagten schon erkennen. Es ist diese: wie kommen unsre Vorstellungen los von den Com- plicationen und Verschmelzungen, in welche sie bey ihrem Entstehen, und bey jedem Wie- dererwachen unvermeidlich gerathen ? Offenbar ist diese Frage um so schwerer, je einfa- cher die Begriffe sind, auf welche man sie anwendet. Die zusammengesetztern Begriffe sind aus wenigeren Verbindungen frey geworden, und bilden sich daher leich- ter und früher. Die Frage wird in ihrer Wichtigkeit fühlbarer, und in Verbindung mit einigen Nebenfragen gesetzt werden, wenn wir die Forderung, dass der Begriff im psycholo- gischen Sinne den logischen Begriff zu seinem Vorgestell- ten haben solle, noch näher betrachten. 1) Sehen wir auf den Inhalt eines logischen Begriffs: so wird derselbe, wofern er nicht einfach ist, mehrere Merkmale einschliessen. Jedes dieser Merkmale ist ihm gleich wesentlich wie die übrigen; keins gehört mehr oder weniger zu ihm, als die andern. Nun soll der psy- chologische Begriff zu diesem logischen sich verhalten M 2 wie die Vorstellung zu ihrem Vorgestellten. Folglich wird jener um so unvollkommner seyn, je ungleicher die Stärke ist, mit welcher die Elemente des complicir- ten Vorstellens sich beysammen finden. 2) Die Merkmale des Begriffs gehören, logisch ge- nommen, alle vollkommen genau zu einander. Aber die Psychologie kennt unvollkommne Complicationen, (§. 63. etc.), diese werden, als Begriffe betrachtet, ent- weder zu viel oder zu wenig Verbindung darbieten. 3) In logischer Hinsicht hat jeder Begriff seine Stelle unter den übrigen, die ihm durch irgend eine Clas- sification angewiesen wird. Uebersetzen wir dies in eine psychologische Forderung: so sollen die Begriffe, aus ihren zufälligen Verschmelzungen nicht bloss her- aus , sondern in andre , ihnen wesentlich zukommende, hineingerückt werden. 4) Der Classification gehören alle Begriffe, die auf dergleichen Subordinationsstufe stehen, in gleichem Grade an. Alle ungleichmässige Auffassung der verschiedenen coordinirten Gegenstände bringt also einen Fehler in das psychologische System der Begriffe. Betrachten wir dagegen den psychologischen Ursprung der Vorstellungen, so bemerken wir: 5) Unsre Vorstellungen erwachsen allmählig aus mo- mentanen Auffassungen, aus gleichartigen, wiederhohlten, und zum Theil verschmolzenen Wahrnehmungen, bey welchen noch obendrein verwickelte Gesetze der abneh- menden und erneuerten Empfänglichkeit Statt finden. Alles Eigne und Zufällige, was ein gewisses gleichartiges Vorstellen vermöge der Elemente und Umstände, aus und unter denen es zusammengeflossen ist, noch an sich tragen mag, müsste es billig ablegen, um bloss und ganz das Vorstellen seines Vorgestellten, und sonst nichts , zu seyn; alle Zustände des Begehrens und Füh- lens, in die es gerathen kann, müssten wegbleiben, wenn es vollständig die Function eines Begriffs im psychologi- schen Sinn erfüllen sollte. — Wo, nach gewohnter Redensart, der Verstand vom Affecte verdunkelt wird, da ist nicht eine gewisse Kraft, Verstand genannt, un- wirksam geworden, sondern grossentheils sind es die Vorstellungen selbst, welche sonst ganz ruhig ihr Vor- gestelltes ins Bewusstseyn bringen und alsdann Begriffe heissen, jetzt aber vermöge einer Spannung, in die sie gerathen, nach ganz anderen Gesetzen wirken, als nach solchen, die sich aus den logischen Verhältnissen ihrer Vorgestellten würden erklären lassen. Man sieht hieraus, was es für eine Aufgabe ist, Ver- stand zu haben; vollends wenn wir noch hinzunehmen, dass auch das Denken, oder der fortgehende Fluss unse- rer Begriffe, sich nach der Qualität des Gedachten, oder der Begriffe im logischen Sinne, richten soll. §. 121. Alles Bisherige diente nur, die blosse Frage nach dem Ursprung der Begriffe deutlich zu machen. Jetzt müssen wir die Mechanik des Geistes zu Rathe ziehn, um zu vernehmen, wie viel wohl der psychologische Me- chanismus, so weit wir ihn bis jetzt kennen, für die Er- zeugung der Begriffe thun möge. Im §. 99. haben wir gesehn, dass, wenn einerley Vorstellung vielemal mit solchen Pausen gegeben wird, in denen die frühere Auffassung jedesmal zur statischen Schwelle sinken kann; alsdann die während jeder Pause erneuerte Empfänglichkeit zwar anfänglich einen beträcht- lichen Zuwachs durch neue Auffassung gestattet, aber endlich die Empfänglichkeit beynahe plötzlich wieder er- lischt, weil eine sehr beträchtliche Summe des Vorstellens aus den früheren Wahrnehmungen sich sogleich beym Eintritte der neuen Wahrnehmung her- vordrängt. Hiemit wollen wir verbinden, was wir von den Com- plicationen und Verschmelzungen wissen; dergleichen bey jeder einzelnen unter den wiederhohlten gleichartigen Wahrnehmungen werden vorgekommen seyn, und zwar bey jeder auf andre Weise, weil zu verschiedenen Zei- ten nicht alle begleitenden Umstände gleich zu seyn pflegen. Stehen wir nun zuvörderst still bey zweyen gleichar- tigen Wahrnehmungen: so ist offenbar, dass während der zweyten sich die erste als Einbildung reproducirt, und zwar sammt den Verschmelzungen und Complicatio- nen, in die sie als Wahrnehmung gerathen war. Na- mentlich also werden die räumlichen Associationen wie- der ins Bewusstseyn kommen. Gehen wir zur dritten unter den gleichartigen Wahr- nehmungen, so reproduciren sich die erste und zweyte, jede mit ihren Verbindungen. Aber hier giebt es schon eine Hemmung, indem die Verbindungen der einen und der andern sich nicht gleich seyn werden. Gehn wir aber zur zehnten, zur hunderten, zur tau- senden jener wiederhohlten Wahrnehmungen: so ist offenbar, dass die verschiedenartigen Associationen aller vorhergehenden sich bey deren Reproduction so gut als auslöschen müssen. Dabey kann denn freylich auch von jeder einzelnen unter den gleichartigen Reproducirten nur ein geringes Quantum ins Bewusstseyn kommen, weil auf sie die Hemmung, die ihre Verschmolzenen leiden, zum Theil fortwirkt. Allein alle zusammengenommen ergeben dennoch ein bedeutendes Quantum, welches eine einzige Totalkraft ausmacht. Das Vorgestellte dieser Totalkraft nun wird einem Begriffe sehr nahe kommen. Hiemit hängt die Untersuchung des §. 101. zusammen. Wenn zwey Reihen von gleichartigen Anfangspuncten zu entge- gengesetzten Gliedern fortlaufen: so entsteht eine wach- sende Hemmung; je öfter dies unter mehrern Reihen sich wiederhohlt, desto mehr verkürzen sich die Rei- hen, weil durch die Hemmung die hintern Glieder un- merklich werden; endlich geht die Verkürzung beynahe in Isolirung über, wenn sich die hintern Glieder so gut als ganz aufheben. Man mache sich nun dieses durch Beyspiele klärer. Wir haben einen und denselben Menschen, in allerley Stellungen, mit verschiedener Miene und Kleidung, an verschiedenen Orten gesehen. Wir sehn ihn noch ein- mal, — oder nur sein Name wird genannt; — die To- tal-Vorstellung von diesem Menschen, welche nun hervortritt, ist der Begriff desselben; wohl unterschie- den von dem Bilde oder der Einbildung, welche wird hervorgerufen werden, sobald durch Angabe gewisser Zeit-Umstände an eine bestimmte Situation erinnert wird, in der wir den nämlichen Menschen irgend ein mal gesehen haben. Denn in solchem Falle reproducirt sich die damals gewonnene Vorstellung in vorzüglicher Stärke mit allem ihrem Beywesen; und nun sehen wir den Menschen gerade in der Kleidung, mit der Miene und Gebehrde, worin er sich eben damals darstellte. — Eigentlich sollte der Begriff dieses Individuums ganz frey seyn von den Zufälligkeiten, deren schwache Beymischung auch der vorhin erwähnten Total-Vorstellung immer noch anhängt. Man sieht leicht ein, dass es dahin nicht eher kommen kann, als wenn eine Handlung des Entgegen- setzens vorgeht, welche die Zufälligkeiten ausdrück- lich für etwas abzusonderndes erklärt. Allein die Mög- lichkeit einer solchen Handlung liegt für jetzt noch fern. Sie setzt voraus, dass eine höhere Reflexion die eigne Vorstellung zu ihrem Vorgestellten mache, und sie als solche bearbeite. §. 122. Ganz analog dem ersten Entstehen der individuellen Begriffe ist das der allgemeinen. Eine Menge ähnlicher Gegenstände wird wahrgenommen. Die daraus entsprun- genen Vorstellungen schmelzen zusammen; nach gegen- seitiger Hemmung durch die widerstreitenden Bestimmun- gen. Das Gleichartige erlangt in der Total-Vorstellung ein bedeutendes Uebergewicht über dem Verschieden- artigen. Hiebey ist jedoch zu bemerken, dass die Merkmale, durch welche ein einzelner Gegenstand wahrgenommen wird, meistens eine vollkommene Complexion bilden werden; indem sie wenigstens grossentheils gleichzeitig, und überdies durch verschiedene Sinne aufgefasst werden, deren Vorstellungs-Reihen sich unter einander nicht hem- men. (Vergl. §. 57. u. s. w.) Aber vollkommene Com- plexionen bleiben sich in allen ihren Zuständen immer ähnlich. (§. 61.) Daher kann in der Total-Vorstellung aller ähnlichen Gegenstände das Unähnliche aus den voll- kommenen Complexionen nicht nur nicht entweichen; es kann auch nicht einmal zu dem mit ihm complicirten Aehnlichen ein anderes, als sein ursprüngliches Verhält- niss annehmen. Aus diesem Grunde bleibt immer viel fremdartiger Zusatz bey der Total-Vorstellung, der sie hindert, dem wahrhaften allgemeinen Begriffe recht nahe zu kommen. Um diese zu erreichen, bedarf es hinten- nach einer absichtlichen, ja selbst einer wissenschaftlichen Bearbeitung. Allein eine merkwürdige Annäherung an das Allge- meine durch die Vorstellungsart des Viclfältigen darf hier nicht übergangen werden. Zuerst sey von einer gewissen Art von Dingen ein einzelnes Exemplar wahrgenommen. Dann werde von der nämlichen Art eine Menge beysammen gefunden. So verschmilzt die einzelne frühere, jetzt reproducirte Vorstellung, mit jeder von den jetzt gegebenen. Wie- derum erscheine ein einziges Exemplar derselben Art. So verschmelzen sämmtliche zuvor gegebene mit diesem einzelnen. Es ist sichtbar, wie sich hier die Vorstellung von Vielem , und von Einem unter Vielen erzeugt. Und gewiss ist dieses der Nothbehelf, dessen sich der ungebildete Mensch anstatt der allgemeinen Begriffe durchgängig bedient. Er sieht ein Haus, und erkennt es für ein Haus; aber schon die Sprache erinnert durch den unbestimmten Artikel, dass hier keine logische Subsum- tion des Hauses unter den zugehörigen, streng-allgemei- nen Begriff, vor sich gehe; sondern dass dieses Haus als Eins unter Vielen, aufgefasst werde; als Eins, wobey die Bilder vieler zuvor gesehenen Häuser sich ins Be- wusstseyn drängen, die sich nur nicht entwickeln können wegen der Hemmung durch ihre Gegensätze, daher es bey der vorhin beschriebenen Total-Vorstellung blei- ben muss. Solche Total-Vorstellungen können ganz eigentlich verworrene Vorstellungen heissen, in Ansehung des nach der Hemmung verschmolzenen Ungleichartigen, was sie mit sich führen. Da sie nun gleichwohl im gemeinen Denken die Stelle der ächt-allgemeinen Begriffe vertre- ten, so finden sie in den Philosophen aller Zeiten ihre beständigen Widersacher und Verfolger. Nichtsdestowe- niger sollen wir anerkennen, dass auch die deutlichen Begriffe, in welchen der Gegensatz des Allgemeinen ge- gen jedes ihm unterzuordnende Besondere ausdrücklich zum Bewusstseyn gebracht wird, sich aus dem Schoosse jener natürlichen Verworrenheit zuerst haben entwickeln müssen Die Fortsetzung der Untersuchung über die Begriffe folgt im §. 147. Man vergleiche auch den §. 139. . Wir sind jetzt mit den Begriffen ungefähr so weit, wie oben (§. 118.) mit den Vorstellungen von Dingen und Begebenheiten. Es ist Zeit nachzusehn, wie weit wir in die Nähe der Urtheile und Schlüsse werden vor- dringen können, ohne mehr als das bisher Bekannte vor- auszusetzen. §. 123. In der Logik habe ich die Lehre von den Urtheilen angefangen von der Betrachtung der Frage Lehrbuch zur Einleitung iu die Philosophie, im zweyten Abschnitte, §. 52. 53. ; indem die Bejahung oder Verneinung, welche das Wesentliche jedes Urtheils ausmacht, sogleich zwey Arten der Urtheile von einander scheidet: so dass man gleich mit der Ein- theilung anheben müsste, wenn man nicht dasjenige Bey- sammenseyn des Subjects und Prädicats zuvor erwägen wollte, in welchem dies letztere jenem gleichsam begegnet, ohne ihm noch zugeeignet oder abgesprochen zu seyn. Der Logik ziemt ein solcher Gang, eben darum weil sie nicht Psychologie ist, und es ihr ganz gleich gilt, ob wirklich im menschlichen Denken jedem Urtheile die Frage vorangehe, deren Entscheidung es enthält, oder nicht. Hingegen in der Psychologie kommt es nicht unmit- telbar darauf an, was in dem Urtheile das Gedachte, sondern welcher der Lauf des Denkens sey. Dieser nun hebt so wenig allemal von einer bestimmten Frage an, dass vielmehr sein Wesentliches viel tiefer liegt, und viel häufiger vorkommt, viel ursprünglicher sich ereignet, als alles, was eine kenntliche logische Form an sich trägt. Man betrachte zuerst die ganz einfachen Ausrufun- gen, wie: Feuer! — Land! — Der Feind! — Der König ! — Hoffentlich wird man diese nicht nach Art der Grammatiker für blosse Ellipsen erklären, bey denen der Rufende eigentlich dächte: Dort steht ein Haus in Flammen! Dort wird eine Küste sichtbar! Der Feind rückt heran! Der König kommt oder steht dort ! — So viel Weitläuftigkeit machen die Ge- danken des Rufenden nicht. Sondern er bezeichnet ein blosses Erkennen des Gesehenen. Der Anblick geht voran, die Vorstellung, die er unmittelbar giebt, weckt eine frühere Vorstellung, welche mit jener verschmilzt; dieser früheren gehört, wie der Name, so das Furchtbare oder Erfreuliche, was den Rufenden in Affect versetzt. Denn der blosse unmittelbare Anblick einer Flamme ist nicht so gar schrecklich, so wenig wie die Gesichts-Vor- stellung einer entfernten Küste besonders erheiternd. — Ob nun gleich in jenen Ausrufungen weder Subject noch Copula abgesondert hervortreten, so sind sie doch sehr leicht psychologisch zu erkennen, während sie im logi- schen Sinne wirklich fehlen. Die unmittelbare Wahr- nehmung giebt das Subject; die Verschmelzung ist das, was die Copula zu bezeichnen hätte; die frühere, erwa- chende und mit jener ersten verschmelzende Vorstellung nimmt die Stelle des Prädicats ein. Aber eben darum, weil die Verschmelzung plötzlich geschieht, und schon vollzogen ist, ehe sie einen Ausdruck findet, kann die Logik das in Eins Verschmolzene nicht als Beyspiel eines Urtheils brauchen, denn in einem solchen müssen die constituirenden Bestandtheile deutlich zu unterscheiden seyn. Offenbar nun giebt es zahllose Fälle, die jeden Au- genblick vorkommen, in welchen alles sich genau so ver- hält wie in jenen Ausrufungen, nur dass der Affect fehlt, und deshalb auch sein Ausbruch durch die Sprache un- terbleibt. Jedes bekannte Ding, das uns eben jetzt zu Gesichte kommt, bewirkt eine Wahrnehmung, eine Wie- der-Erweckung, und eine Verschmelzung, ohne dass uns darum ein Laut entführe, vollends ohne dass wir den höchst einfachen Vorgang in eine logische Form bräch- ten. Die Sache geschieht unbemerkt; und nachdem sie geschehn ist, erkennt Niemand mehr die Fugen, in wel- chen die frühere und die neue Vorstellung an einander geschmolzen sind. Fragt man nun weiter, unter welchen psychologi- schen Bedingungen denn die logische Form des Urtheils wirklich zum Vorschein komme: so bietet sich die Ant- wort von selbst dar. Dann ohne Zweifel, wann die Ver- schmelzung durch irgend einen Umstand erschwert und verzögert wird, so dass bey ihr Anfang, Mittel, und Ende sich hinreichend aus einander sondern, um jedes für sich zum Worte kommen zu können. In den Anfang stellt sich alsdann das Subject; denn es ist die zuerst vorhan- dene Vorstellung, vielleicht schon im Sinken begriffen, während die des Prädicats noch steigt; jedoch so, dass die vom Subject ausgehenden Reihen eben in ihrem Stre- ben zur Evolution begriffen sind, indem das Prädicat hinzukommt, und hiemit einen Theil jenes Strebens be- friedigt, einen andern hemmt, oder überhaupt entschei- dend auf dasselbe einwirkt. In der Mitte zeigt sich die Copula, der Ausdruck derjenigen Veränderung der Ge- müthslage, welche sich in der Verschmelzung ereignet. Zuletzt kommt das Prädicat, eben darum weil dessen Vorstellung erst noch im Steigen begriffen ist. — Leichte Beyspiele von der erschwerten und verzögerten Verschmel- zung sind die, wo das Subject in einer Veränderung eines seiner Merkmale beobachtet wird; z. B. der Feind flieht , oder wo das Urtheil einen Beweis erfordert, das heisst, wo die Verschmelzung nur mit Hülfe eines Mittelgliedes geschehen kann. Im ersten Falle entsteht eine Hem- mung zwischen dem neuen Merkmale und dem frühern entgegengesetzten, das jetzt entweicht. Im zweyten Falle haben andre mögliche Vorstellungsarten so lange die Freyheit, sich einzudrängen, bis der Beweis geliefert und durchdacht ist. Wenn indessen die andern möglichen Vorstellungsarten nicht erwachen, vielleicht weil sie noch gar nicht vorhanden sind, so geschieht auch hier die Verschmelzung bald genug, wie sich bey der Leichtgläu- bigkeit zeigt, die nicht urtheilt, sondern eine einfachere Wirkung des psychologischen Mechanismus ist. Man denke sich demnach überhaupt das Subject als eine un- bestimmte Frage; das heisst, als eine solche, die kein bestimmtes Prädicat angiebt; denn wenn auch dieses in manchen Fällen angegeben wird, (in der bestimmten Frage), so hängt doch davon die Bildung des Urtheils nicht ab. Wohl aber musste das Subject selbst irgend welchen Bestimmungen zustreben. Hier ist auch der Ort für die wichtige Untersuchung über den Ursprung des Begriffs der Verneinung . Denn für angeboren kann derselbe eben so wenig gelten, als irgend ein anderer; gegeben werden kann er auch nicht, denn alles Wahrgenommene ist ein Positives. Für sich allein ist er bedeutungslos; er muss auf etwas bezogen werden, das er verneine. Und selbst der Ge- danke eines blossen Non A würde in keines Menschen Kopf kommen, so lange keine Veranlassung wäre, den bis dahin positiv gedachten Begriff von A jetzt auf ein- mal als ein aus irgend einem Gedanken Auszustossendes, Wegzuschaffendes, oder auch nur als ein daran Fehlen- des vorzustellen. Es kann also wohl kein Zweifel seyn, dass der Begriff der Negation seinen Sitz in einer Abs- traction von den negativen Urtheilen habe. Und wann denn entstehen negative Urtheile? Zuerst lässt sich an ihnen bemerken, dass ihr Prä- dicat nicht durch die unmittelbare Wahrnehmung kann dargeboten seyn, dass es also aus dem Vorrathe der Seele, von innen her zu dem Subjecte hinzukommen muss. Aber es würde nicht hinzukommen, wenn nicht das Subject, als die vorangehende Vorstellung, es her- beyriefe, die Vorstellung desselben erweckte. Wie kann nun ein Subject eine solche Vorstellung erwecken, die ihm als Merkmal nicht zukommt? Unmittelbar gewiss nicht. Wer in diesem Augenblicke etwas Weisses sieht, dem wird nicht das Urtheil einfallen: Weiss ist nicht schwarz ; denn die Vorstellung des Schwarzen wird viel- mehr gehemmt durch die des Weissen. Nothwendig also muss da, wo ein negatives Urtheil auf natürlichem Wege entspringen soll, die zuerst erweckte Vorstellung eine andere seyn, welcher aber vermöge einer Complication oder Verschmelzung jene anhängt, die den Platz des ne- gativen Prädicats einnehmen soll. — Ich gehe beym Eintritt des Winters aufs Feld. Mir fällt ein bekannter Baum auf, weil er jetzt entlaubt da steht. Hier erzeugt sich das Urtheil: der Baum hat keine Blätter; er ist nicht belaubt . Nämlich der Anblick des Baums erweckt die frühere Vorstellung desselben, also auch die des Laubes, mit welchem er ehedem bekleidet war. Diese tritt hervor wider die Hemmung durch den Anblick, und wird auf diese Weise ein Verneintes. Hiebey wird man sich erinnern an die obige Erklä- rung der Begierde; die gerade auch in dem Aufstreben wider eine Hemmung ihren Sitz hat (§. 104.). Und in der That ist es bekannt, dass eben das Vermisste, das Versagte, schon als solches das Begehrte zu seyn pflegt. Dass aber nicht alles Verneinte begehrt wird, liegt, wie leicht einzusehen, an zweyen Gründen; erstlich und haupt- sächlich daran, dass die verneinte Vorstellung bey weitem nicht immer die vorherrschende, das Gemüth im Ganzen genommen bestimmende ist; zweytens auch daran, dass, wenn diese Vorstellung stark genug, und mit andern starken Vorstellungen wohl complicirt ist, sie alsdann fast ungehindert ins Bewusstseyn treten, und nur bloss nicht verschmelzen wird mit der momentanen Auffassung, die ihr entgegengesetzt ist. In diesem letztern Falle wird dagegen die momentane Auffassung sogleich nach ihrer Entstehung stark gehemmt werden, und es wird eine Weile dauern, ehe sie sich zu einer bedeutend wirksa- men Totalkraft ansammeln kann. (Vergl. §. 95.) Die Folge davon wird man sogleich in einem Beyspiele er- kennen. Ein blühender Baum wurde gesehen; jetzt sind die Blüthen gefallen, aber die Früchte angesetzt. Wer ihn jetzt wieder sicht, der urtheilt zuerst negativ: der Baum ist ohne Blüthen , und hintennach erst positiv: er hat aber Früchte . — Wer dagegen zum ersten- mal in seinem Leben einen Baum, und diesen sogleich voll von Früchten sähe, der würde keins jener beyden Urtheile fällen. Welche Urtheile ihm wirklich in den Sinn kämen, die würden bestimmt seyn durch andre, früher gekannte baumähnliche Dinge. Hätte derselbe früherhin Schiffe mit Masten und Segeln gesehen, so würde er jetzt urtheilen: dieser Mast hat keine Se- gel; er hat aber Aeste, Laub, Früchte , u. s. w. Man glaube nicht, dass eine solche Reminiscenz zu weit hergehohlt sey. Kinder übertragen noch viel heteroge- nere Erinnerungen auf ihre jetzigen Wahrnehmungen; und es ist das geringste, wenn ihr Bilderbuch ihnen in jeder nur irgend menschenähnlichen Figur diese oder jene bekannte Person vergegenwärtigt. Erst nachdem ein gro- sser Reichthum von Vorstellungen angesammelt ist, fügen sich die passenden zusammen, und verdrängen die Ur- theile nach entfernten Aehnlichkeiten. — Nach diesen Auseinandersetzungen wird es nun klar seyn, dass wir das Wesentliche in dem Act des Urthei- lens, so wie das Ursprüngliche der Begriffe, (§. 121. 122.) eben so wohl bey Thieren erwarten müssen, als bey Menschen. Denn die Grundbedingungen für den Ur- sprung der Begriffe und Urtheile liegen ganz allgemein in dem Mechanismus der Vorstellungen überhaupt, und erfordern, wenn wir den Sprach-Ausdruck abrechnen, noch nichts ausschliessend Menschliches. Anders verhält es sich mit dem Aufbewahren der Urtheilsform. Diese geschieht erst durch die Sprache; welche den, an sich flüchtigen, Uebergang vom Subjecte zum Prädicate fixirt. Auch liegt in der Vieldeutigkeit der Worte ein Grund, die Urtheilsform häufiger anzuwenden ; indem das Wort, wodurch man einen vorliegenden Gegenstand benannt hat, in einer Unbestimmtheit schwebt, welcher durch Angabe eines oder mehrerer Prädicate muss nach- geholfen werden, um den Ausdruck für die Sache ein- zurichten. §. 124. Fast unvermerkt finden wir uns hier auf die be- rühmte Lehre von den Kategorien und Kategoremen geführt, die nach der gangbaren Vorstellungsart ein ur- sprünglicher Schatz seyn sollen; ja das unentbehrliche Mittel, um Erfahrung aus den Empfindungen zu bereiten, welche (so meint man) dergleichen Begriffe dem Ver- stande auf keine Weise zuführen konnten. Verhielte es sich wirklich so, dann wäre hier ganz der unrechte Ort, davon zu reden. Nicht dem geistigen Leben überhaupt, sondern nur den Vernunftwesen würden die Kategorien angehören. Die Erfahrung der Thiere wäre nicht nach Quantität und Qualität bestimmt; denn sie hätten nicht die Begriffe von Einheit und Vielheit, nicht die des Wirklichen und Fehlenden (Realität und Negation); auch nicht des Handelnden und Leidenden (Causalität), nicht des Möglichen und Unmöglichen, in ihre Empfindung hineintragen können; da sie von dem Besitze des Ver- standes und seiner ursprünglichen Ausstattung ausgeschlos- sen sind. Das einzige, was die empirische Psychologie darüber zu sagen nöthig hat, ist: beobachtet die Hunde ! — Aber die wissenschaftliche oder speculative Psychologie darf so lakonisch nicht reden. Sie muss zei- gen, dass die Erfahrung sich nothwendig so bildet, wie es, auf dem Standpuncte der Reflexion, den Kategorien gemäss gefunden wird; dergestalt, dass aus der gebilde- ten Erfahrung allerdings durch Reflexion die erwähnten Begriffe herausgehoben werden können, nicht, weil sie zuvor in die Erfahrung hineingetragen wären, (als ob sie früher, unabhängig von derselben, vorhanden gewesen wären,) sondern weil sie nichts anderes anzeigen, als die allgemeine Regelmässigkeit der Erfahrung nach den Ge- setzen des psychologischen Mechanismus. Ich behaupte, dass die Kategorien unabhängig von den Empfindungen darum zu seyn scheinen, weil zu der, ihnen entsprechenden, Form der Erfahrung, die Eigen- thümlichkeit unserer Empfindungen von Farben, Tönen, Gerüchen, u. s. w. nichts Wesentliches beyträgt. Hät- ten wir ganz andere Sinne und durch dieselben ganz an- dere Klassen von Empfindungen, — so jedoch, dass die Empfindungen jeder einzelnen Klasse unter einander ent- gegengesetzt wären, und einander hemmten, wie jetzt; die Empfindungen verschiedener Klassen aber sich complicir- ten, wie jetzt; auch das Zusammentreffen und das suc- cessive Eintreten der Empfindungen eben so geschähe, wie jetzt: dann würde unsre Erfahrung einen ganz an- dern Inhalt, aber die nämliche Form haben, wie jetzt; und die hinzukommende höhere Reflexion würde die näm- lichen Kategorien daraus absondern, wie jetzt. Wäre aber die Gleichzeitigkeit und die Folge der Empfindungen beträchtlich verändert: dann würde auch die Form der Erfahrungen sich verändert haben. Unser Denken correspondirt mit den Erscheinungen darum, weil ihre Regelmässigkeit ihm die seinige gegeben hat; denn es ist durch sie und für sie gebildet worden. Wä- ren dagegen in einer Seele nur drey einfache Empfindun- gen, und es kämen keine neue hinzu: so würde in Hin- Hinsicht ihrer die ganze Psychologie sich auf die ersten Gründe der Statik und Mechanik, jene Lehren von den Schwellen des Bewusstseyns und vom Sinken der Hem- mungssumme, beschränken; an Kategorien aber wäre nicht zu denken; der psychologische Mechanismus würde zu solchen Erzeugnissen weder Gesetze noch ein Vermö- gen in sich tragen. Den Beweis dieser meiner Behauptungen soll man nun schon längst nicht mehr verlangen; er liegt deutlich genug im Vorhergehenden. Einige Auseinandersetzungen kann man wünschen; und ich werde sie geben. Die erste nothwendige Bemerkung ist, dass hier von dem metaphysischen Werthe der Kategorien, das heisst, von ihrer Fähigkeit, wahre Erkenntnisse zu schaffen, nicht im Geringsten die Rede ist. Sie bezeich- nen die Form, welche unsre gemeine Erfahrung hat; und das reicht vollkommen hin, um sie sehr wichtig und sehr interessant zu machen. Wir wollen unsern Geist kennen lernen, wie er wirklich ist; und wir halten uns weit entfernt von idealischen Träumen, wie wir ihn gern haben möchten, wenn wir uns selbst beliebig machen und einrichten könnten. Die zweyte Bemerkung: Es mag wohl seyn, dass aus den Kategorien etwas mehr werden kann, wenn man sie absichtlich bearbeitet. Aber in solcher Arbeit sind sie schon nicht mehr die Formen des Denkens, das heisst, die Bestimmungen der Art und Weise, wie das Denken wirklich geschieht: sondern Objecte desselben; und da- von kann hier nicht die Rede seyn. Die dritte Bemerkung: Nur in der Abstraction kann man die Kategorien von den Reihenformen trennen: ihre wirkliche Erzeugung ist mit den Reproductionsgesetzen, wodurch Raum und Zeit entstehn, auss innigste verwebt In den Prolegomenen, S. 119, wünscht Kant sich Glück, die Formen der Sinnlichkeit von denen des Verstandes rein gesondert zu haben. Gerade das ist ein Hauptgrund seiner Täuschungen. Er kannte . II. N Und die vierte Bemerkung: Eben darum darf man nicht hoffen, sie vollständig zu besitzen, wenn die auffal- lendsten derselben in einem kleinen Täfelchen symme- trisch beysammen stehn. Die Constructionen, wozu die Reihenformen veranlassen, sind unerschöpflich; und an diesem Reichthum nehmen die Kategorien Theil. Auch schreitet die Reflexion im weitern Ausbilden der einmal gewonnenen Begriffe unmerklich und ohne Ende fort. Das, was dem Versuch, die Kategorien vollständig zu finden, voran gehn, oder ihn wenigstens begleiten müsste, wäre eine allgemeine Grammatik; welche vollendet zu be- sitzen wohl Niemand glauben wird. Aristoteles suchte mit grossem Rechte die Kategorien in der Sprache. Der eben genannte Denker ist wohl unstreitig der erste, welcher überhaupt von Kategorien geredet hat. Bey der Frage: was sind Kategorien ? wird also zu- erst und vorzüglich seine Auctorität in Betracht kommen; besonders wenn die spätere Bearbeitung so voll von Feh- lern ist, wie die Kantische . Aristoteles nun deutet zuerst an, er wolle nicht von Urtheilen reden, sondern von unverbundenen Begrif- fen. Jeder von diesen aber zeige entweder ein Ding an, oder ein Wieviel , oder u. s. w. Man sieht, Ari- stoteles suchte das Allgemeinste, wodurch sich angeben lasse, was unser Vorgestelltes sey . Er suchte die Klassen der Begriffe . Von diesen han- delt er nur vier eigentlich ab, nämlich Realität, Quan- tität, Relation , und Qualität . Andere werden bloss genannt; unter ihnen das Wo und das Wann ; woraus sich zeigt, dass er zwar nicht die Reihenformen selbst, wohl aber die Bestimmung der Gegenstände in Anse- hung ihrer, mit zu den Kategorien rechnete. Auch durch die Kantischen Kategorien sollen Ob- jecte der Anschauungen gedacht werden; so lautet den Ursprung der Reihenform nicht, und schätzte deren Sphäre viel zu klein. wörtlich Kants Erklärung gleich hinter der Aufzählung der Kategorien. Um desto mehr hätte Kant Ursache gehabt, wenig- stens die erste der Aristotelischen Kategorien unverrückt an ihrem Platze zu lassen, nämlich das Ding , die Sache (οὐσία). Denn das gerade ist die einzige gemeinschaft- liche Voraussetzung, wovon er mit dem Aristoteles aus- gehn konnte: es solle von Erkenntniss — Begriffen (gleichviel ob in Bezug auf wahre oder bloss schein- bare Erkenntniss) die Rede seyn; sonst hätte Aristo- teles eben so gut die sogenannten Prädicabilien, welche in die Logik gehören, oder die allgemeinsten Klassenbe- griffe der Aesthetik, Schön, Hässlich, Gut, Böse , mit unter die Zahl der Kategorien versetzen können; da sie allerdings zu den allgemeinsten Bestimmungen des Vorgestellten zu rechnen sind. Damit nun gleich die erste Kategorie das anzeige, wovon hier überhaupt die Rede ist: stelle ich mit Ari- stoteles die οὐσία an die Spitze; auf Deutsch, das Ding überhaupt; denn von Substanz im metaphysischen Sinne wissen wir hier noch nicht das Geringste, und es ist einer von Kants stärksten Misgriffen, in diesem Puncte der gemeinen falschen Uebersetzung des Worts οὐσία nachgegangen zu seyn. Das Wort sagt nichts weiter als: das Wirkliche ; und damit man ja nicht etwa sich hier, am unrechten Orte, in tiefsinnige Meta- physik verirre, sagt Aristoteles recht deutlich: seine ersten οὐσίαι seyen zum Beyspiele dieser bestimmte Mensch, dieses bestimmte Pferd; die zweyten οὐσίαι aber seyen Arten und Gattungen, wie Mensch, Pferd, Thier. Ganz so muss die Sache genommen werden, wenn von der ur- sprünglichen Bildung unserer Erfahrung, von den ersten, gemeinen Begriffen der sinnlichen Objecte die Rede ist. Nur freylich ist der Weg von hier bis zur Kritik der Vernunft etwas weiter, als ihn Kant sich gemacht hat. Die andern hieher gehörigen Kategorien sind nun bloss in so fern Kategorien, als sie im Dienste der er- N 2 sten stehn; sich auf sie beziehen; kurz, als sie anzeigen, wie denn ein Ding gedacht werde. Nun ist im Begriffe des Dinges noch unbestimmt gelassen, was es sey. Es kommt aber gar kein Vorgestelltes zu Stande, wenn nicht irgend Etwas vorgestellt wird als ein Solches und kein Anderes. Demnach ist nothwendig die zweyte Kategorie die der Eigenschaft . Wobey zu bemerken, dass die Eigenschaft entweder durch die Elementar-Vorstellungen, woraus die ganze Vorstellung des Dinges besteht, unmit- telbar bestimmt wird, oder durch deren reihenförmige Verbindung. Im ersten Falle heisst die Eigenschaft im engern Sinne Qualität , im zweyten Quantität . Allein die Vorstellungen, welche das Wie des Din- ges anzeigen, können noch über das eigentliche Was hinausreichen. Oder, die Vorstellung des Dinges kann einen bestimmten Grund des Ueberganges zu andern Vorstellungen in sich tragen. Dies ergiebt die Kategorie der Relation , mit ihren Unterarten. Endlich gehört hieher noch der in der Urtheilsform ent- springende, aber von da auf Begriffe vielfältig übertragene Begriff der Verneinung ; welchen Kant ausdrücklich, obgleich am unrechten Orte, unter den Kategorien auf- zählt; während Aristoteles zwar Anfangs, da er nur von unverbundenen Begriffen reden will, ihn bey Seite setzt, späterhin aber doch, bey Gelegenheit der Gegen- sätze und der Veränderung in seine Abhandlung auf- nimmt Aristotelis categoriae cap. 8. et 11. . Sollen nun bloss die allgemeinsten Klassen der Be- griffe von Gegenständen, die in der äussern Anschauung können gegeben werden, nachgewiesen, und deren Ueber- schriften mit dem Namen der Kategorien benannt wer- den: so möchte man schwerlich mehr derselben finden als die angezeigten. Denn dass Einheit, Vielheit, Allheit, der Quantität untergeordnet sind, dass Wo, Wann, Lage, Thun, Leiden , zur Relation gehören, dass Unmöglichkeit , mit ihren beyden in verschiedener Beziehung genommenen Gegentheilen, der Möglichkeit und der Nothwendigkeit Man erinnere sich, dass Nothwendigkeit Unmöglichkeit des Gegentheils ist. , nur eine nähere Bestimmung der Verneinung ist; dies ist so einleuchtend, dass es kaum der Entwickelung bedarf. — Will man dagegen sich einmal auf das Untergeordnete einlassen, so kann man unterordnen ohne Ende; wie sowohl Aristoteles als Kant gethan haben; jener durchgängig in der gan- zen Abhandlung, dieser im §. 10. der Vernunftkritik. Mit einigen der bekanntesten Unterordnungen kann man die Tafel der Kategorien nunmehr so stellen: Hier stehn Ding und Verneintes einander mit bes- serm Rechte gegenüber, als bey Kant die Quantität und die Modalität; denn das Ding ist überhaupt das Gesetzte, Positive . Eben so Eigenschaft im weitesten Sinne, und Verhältniss, wovon jene die innern Bestimmungen im Be- griffe des Dinges selbst, dieses die äussern, in der Zu- sammenstellung desselben mit andern, bezeichnet. Fer- ner sind hier nicht vier Titel zu Kategorien, sondern vier Haupt- oder eigentliche Kategorien aufgestellt, deren Untergeordnetes unter einander keine Symmetrie bildet, noch irgend erwarten lässt; eben darum, weil die Haupt-Kategorien unter einander völlig verschieden sind. Alle Symmetrie würde in meinen Augen unter solchen Umständen nur Verdacht erregen. Wie entstehn nun die Kategorien? Erstlich: wie entsteht die Vorstellung des Dinges? — Soll die Frage sich auf die Zusammenfassung der Merk- male des einzelnen Dinges beziehen: so liegt der Grund in der Complication der Partial-Vorstellungen wegen der Einheit der Seele; so dass der Actus des Vorstellens nur Einer ist, so weit die Verbindung reicht. Soll aber der Ursprung der Vorstellung vom Dinge überhaupt ange- geben werden: so muss man zurückgehn zum Gesammt- Eindrucke, der aus den Reproductionen unzähliger, zum Theil ähnlicher Dinge sich allmählig zusammen zu setzen nicht umhin konnte. Dieser Gesammt-Eindruck über- trägt sich auf unvollkommne, neue Wahrnehmungen am leichtesten. Ein verschlossener Kasten erregt die unbe- stimmte Vorstellung dessen, was darin seyn möge; ein von fern gesehener Gegenstand lässt errathen, was man bey der Annäherung finden werde; eine Reise verspricht viel Neues, man weiss noch nicht was; aber die aufge- regten dunkeln Bilder sind ganz unstreitig nichts anderes als Zusammensetzungen aus altem Stoffe. Vermuthun- gen, was doch das Unbekannte seyn möge, haben oft getäuscht; die Besorgniss neuer Täuschung schlägt nun die bestimmteren Züge, welche man dem Unbekannten zu leihen geneigt ist, vollends nieder; nnd nach der Ver- neinung aller besondern Bestimmungen soll bloss ein Vorstellen, dessen Vorgestelltes sich ausgelöscht hat, übrig bleiben. Diese Zumuthung wird niemals völlig er- füllt; aber die Vorstellung gilt nun für die ganz allge- meine des Dinges überhaupt. — Das nämliche kommt vor, wenn wir ein Wort in einer uns unbekannten Sprache hören, oder unbekannte Schriftzüge erblicken; auch hier ist ein Gemisch von Vorstellungen im Begriff hervorzu- treten; aber alle nähere Bestimmtheit wird zurückgewie- sen, es bleibt das ganz unbestimmte Streben, irgend et- was zu setzen, welches durch das Wort bezeichnet werde, noch übrig; ein Beyspiel zu dem Begriffe des gedach- ten Dinges, so wie die frühern zu dem des gegebe- nen gehörten. Uebrigens ist es Aristoteles , dessen δεύτεραι οὐσίαι mich veranlassen, des gedachten Dinges neben dem gegebenen zu erwähnen; er versteht nämlich darunter die Arten und Gattungen. Zweytens, wie entsteht die Vorstellung der Eigen- schaft? Die Antwort ist bey der Lehre vom Ursprunge der Urtheile gegeben; und hängt mit dem nächst-Vor- hergehenden unmittelbar zusammen. In der Vorstellung des Dinges liegt fortwährend das Aufstreben bestimmter, aber entgegengesetzter, und einander hemmender, frü- herer Wahrnehmungen. Sobald nun die zuvor unbe- kannten Gegenstände theilweise bekannt werden, entstehn Urtheile; die gefundenen Merkmale werden Prädicate eben in so fern, als sie von jenem Entgegengesetzten, das zugleich aufstrebte, Einiges hervortreten lassen mit Zurückdrängung des Uebrigen. Je öfter durch derglei- chen Urtheile jener unbestimmte Begriff des Dinges, (oder auch andre, unter ihm stehende, minder allgemeine Be- griffe gewisser Gattungen und Arten,) sind bestimmt worden: desto mehrere werden der Vorstellungen, welche den Platz und Rang von Prädicaten einnehmen; ein Process, der im Laufe des Lebens immer fortgeht, ohne dass es möglich wäre, für ihn besondere Epochen vest- zutetzen. Die geistige Ausbildung macht, der Erfahrung zufolge, nur kleine, kaum merkliche Schritte. Etwas schwerer zu erklären ist der Begriff der Quan- tität, so fern derselbe allem Uebrigen, was Eigenschaft heissen kann, gegenüber tritt. Hier muss man sich zuerst erinnern, dass viele Auffassungen zusammengenom- men keineswegs ursprünglich als Vieles aufgefasst werden; und zwar gerade wegen der Verbindung, die sie eingehn. Ohne die Reproductionsgesetze, die Eins zwi- schen Anderes setzen, würde es eben so wenig jemals eine Kategorie der Quantität gegeben haben, als einen Raum und eine Zeit; denn die Einheit der Seele würde die Theile des Vielen so völlig verschlingen, und in sich versenken, dass gar kein Mannigfaltiges mehr in ihm könnte geschieden werden; — genau so, wie die Einheit jedes einzelnen Dinges zu Stande kommt, wie gross auch die Anzahl und die Verschiedenheit der Merkmale seyn möge, deren Vorstellungen zusammengenommen die Vor- stellung des Dinges selbst sind. Man muss sich daher dasjenige vergegenwärtigen, was oben über Raum, Zeit, und Zahl gesagt worden; und man muss dies alles jetzt näher bestimmen durch die allgemeine Ueberlegung, dass Gesammt-Eindrücke des Aehnlichen, wie zu allen Be- griffen, eben so auch zu Grössenbegriffen die Grundlage abgeben können. Am Ende des §. 114. war von der Reproduction wegen der Gestalt die Rede. Man erwei- tere dies auf die Reproduction gleicher Rhythmen, und gleicher Fortschreitungen unter den Zahlen; man bedenke, welche Verschmelzung oft wiederhohlter, ähnlicher Grö- ssen-Vorstellungen nothwendig vor sich gehn müsse; man wird auf diese Weise den Weg zu den Grössen- Begriffen geöffnet finden. Was insbesondere die Zahlen anlangt: so scheint hier alles Zwischen-Liegende, welches die darin enthal- tenen Einheiten trennen könnte, zu mangeln; daher denn, nach der obigen Bemerkung, ihre Vielheit ganz zusam- men fallen, und jede Zahl gleich Eins werden sollte. Allein gerade dies beweis’t, dass die Zahlbegriffe nichts Primitives sind, und dass ihnen eine dunkle Voraus- setzung anklebt, die man nachweisen muss, um sie zu verstehn. Die ursprünglichen Zahlen sind Anzahlen ge- sonderter Gegenstände; wie zwölf Stühle, zwölf Personen. Zwischen diesen lag ein Raum, als sie wahrgenommen wurden, aber ihre Anordnung war veränderlich, sie zeig- ten sich den Versetzungen unterworfen. Also hemm- ten sich die bestimmten Reihen, welche die Wahrneh- mung erzeugt hatte. Dennoch blieb das Streben, ver- möge dessen die Vorstellung eines jeden Einzelnen im Begriff war, zu den andern überzugehn; und wiewohl ein so sehr sich selbst verdunkelndes Streben sich kaum in- nerlich beobachten lässt, so darf daran doch nicht ge- zweifelt werden, da sich die Sache unzweydeutig aus der Theorie der Reihenformen ergiebt. — Nachmals bilde- ten sich die allgemeinen Begriffe des Stuhls, der Per- son, überhaupt des gezählten Gegenstandes. In ihn soll- ten nun die einzelnen Vorstellungen zusammenfallen; denn er wird auf alle übertragen. Aber gerade umgekehrt muss dies Drängen zur Einheit die Spannung jenes Stre- bens, welches die Einzelnen gesondert hält, vermehren. Und das Uebergehn von der Einheit des allgemeinen Begriffs zu der Sonderung des Einzelnen, unter ihm Ent- haltenen, ist das Wesentliche des reinen Zahlbegriffs, des ächten Multiplicators; denn die reinen Zahlen sind nichts anderes als eben Vervielfältigungen, die selbst wiederum durch allgemeine Begriffe gedacht werden, in welchen das Entgegengesetzte der gezählten Gegenstände sich nahe ausgelöscht hat. — Uebrigens ist doch jenes, den Zahlen inwohnende Streben zur Sonderung allerdings auch in der Erfahrung leicht genug zu erkennen, nämlich an seinen Wirkungen. Alle Zahlen suchen sich ausein- anderzusetzen; sie streben zur Gestaltung. Daher die allgemeine Neigung, sie bald als Abscissen und Ordina- ten darzustellen, bald als figurirt zu betrachten; bald so- gar ihnen mystische Eigenschaften beyzulegen, denen ästhetische Urtheile versteckt zum Grunde liegen, ähnlich jenen, worauf das räumliche und rhythmische Schöne be- ruht (§. 114.). Alle geraden Zahlen zum Beyspiel ha- ben einen fühlbaren Vorzug vor den ungeraden, weil sie sich in correspondirende Hälften zerlegen lassen. Aber die Zahlen sieben, dreyzehn , und andre Primzahlen, gelten für unglücklich; so sehr, dass der dreyzehnte Mensch, als überflüssig neben der so leicht anzuordnen- den Zahl zwölf, sterben muss, wenn er das harmonische Dutzend gestört und gleichsam auseinander gedrängt hat. — Solche mystische Thorheit ist zu allgemein, um nicht aus einem psychologischen Grunde zu entspringen. — Die grossen Zahlen sind bekanntlich für uns blosse Namen, denen wir ohne das künstliche Hülfsmittel der Potenzen und Producte gar keine Bedeutung würden geben kön- nen. Doch klebt ihnen das Gefühl der Schwierigkeit an, die in ihnen liegenden Reihen ganz zu durchlaufen. Drittens: Die Vorstellung des Verhältnisses erfordert, dass zwey Puncte einer Reihenform gegen einander ge- halten werden, um den Uebergang von einem zum an- dern zu bestimmen. Dies kann so vielfältig geschehen, als Reihenformen sind gebildet, und die Arten des Ue- berganges bestimmt worden. Wollten wir, im gegen- wärtigen Zusammenhange, Ort und Lage auslassen: so würde gerade dasjenige mangeln, was sich zuerst und von selbst darbietet, denn die bekannteste aller Reihen- formen ist der Raum; die übrigen Reihenformen sind alle nur Analogien desselben, und minder ausgeführte Pro- ductionen. Auch das arithmetische und geometrische Verhältniss im Zahlen-Gebiete kann als analog jenen räumlichen Verhältnissen angesehen werden; es wird nicht nöthig seyn, so leichte Sachen zu erläutern. Schwerer ohne Zweifel scheint das Verhältniss der Aehnlichkeit, oder das noch einfachere zwischen Bild und Original, wovon jenes die nähere Bestimmung ist, denn Aehnliche verhalten sich gegenseitig wie Abbild und Urbild. Hier muss man, wie bey der Zahl, bemerken, dass die Vor- stellungen zweyer durchaus Aehnlichen in der Einheit der Seele völlig zusammenfallen würden, wenn nicht irgend eine Nebenvorstellung sich dazwischen schöbe. (Man wird dabey an Leibnitze ns unrichtiges, doch nicht ganz ohne psychologischen Grund behauptetes, principium in- discernibilium denken.) Ferner soll das Bild ein zwey- tes, das Original ein Erstes seyn. Wer aber das Bild erblickt, der erkennt darin das Original; zurückschauend vom Zweyten auf das Erste. Also geht hier die Bewe- gung in der Reihenform rückwärts; welches nur möglich ist, wenn die ganze Vorstellung des Bildes verschmol- zen ist mit einem Theile der Vorstellung des Origi- nals (§. 100. und 112.). Davon kann nun der Grund schon in der Zeitfolge gesucht werden; denn in der Re- gel ist das Original (wie schon das Wort sagt) das frü- here, und das Bild erst nach ihm gemacht. Allein dies reicht nicht aus. Es giebt auch Vorbilder, Modelle, nach denen das Hauptwerk gearbeitet wird. Der Begriff des Bildes beruht eben so wenig auf der Zeitfolge, als auf dem Umstande, dass Eins sich nach dem Andern richten solle; denn beydes leidet eine Umkehrung. Das Vorbild, wie das Nachbild, weiset auf den Hauptgegen- stand; beyde sind um so vollkommener, je mehr, über ihm, sie selbst vergessen werden. Man denke an die Illusion im Panorama, im Schauspiel. (Wobey freilich nicht zu überschen ist, dass während der Illusion der Begriff des Bildes wegfällt.) Nach diesen Vorerinnerungen wird nun diejenige Art von Reihenformen leichter ins Auge fallen, worin das Bild und sein Gegenstand einander gegenüber stehn. Es ist die Reihe des Wichtigern, und des minder-Bedeu- tenden; oder, am einfachsten, der stärkern und der schwä- cheren Vorstellungen; allein die Art, wie sich daraus eine Reihe bildet, bedarf einer Erläuterung. Wenn meh- rere Gegenstände sich zugleich zur Wahrnehmung dar- bieten, so wird derjenige; dessen Eindruck der stärkste ist, zuerst aufgefasst, er giebt den Anfangspunct der Reihe. Erst nachdem die Empfänglichkeit für ihn bis auf einen gewissen Grad abgenommen hat, (§. 94.) und die entstandene Vorstellung mit den frühern, hemmenden, weit genug ins Gleichgewicht getreten ist: können auch die schwächern Wahrnehmungen anderer Gegenstände durch gehörige Verschmelzung ihrer Elemente zu einer endlichen Stärke anwachsen; (man weiss aus den Unter- suchungen der §§. 94—97., dass S \< β φ seyn muss, wenn nicht die Perceptionen im Entstehen erdrückt wer- den sollen Der Leser wird wohl nöthig finden, meine ausführliche Ab- handlung de attentionis mensura zu Hülfe zu nehmen, um sich die Untersuchung des §. 95. geläufiger zu machen, und sie in ihren An- wendungen bequemer zu verfolgen. ); und indem solchergestalt ein Gegenstand nach dem andern dazu gelangt, sich hinreichende Auf- merksamkeit zuzueignen: ordnet sich die Succession, worin das gleichzeitig Gegebene zusammentritt, nach der Stärke des Eindrucks und der Empfänglichkeit; welche beyden Grössen hier als ein Product ( β φ ) in Betracht kommen. — In dieser Reihe nun nimmt der Gegenstand des Bildes einen frühern Platz ein, als das Bild selbst; und das Verhältniss zwischen beyden prägt sich um desto bestimmter aus, je weiter die Distanz von jenem zu die- sem ist. Um desto mehr nämlich schiebt die Vorstel- lung des Gegenstandes zwischen sich und das Bild, wenn sie ja noch in ihren Reproductionen bis zu demselben hingelangt; hingegen die Vorstellung des Bildes reprodu- cirt wegen der Aehnlichkeit unmittelbar jene des Gegen- standes, womit sie, in ihrer ganzen Stärke, verschmilzt. — Wenn zwey Brüder einen gleich starken Eindruck auf uns machen, so wird für uns keiner das Bild des an- dern, sondern nur der zweyte, den wir später sehen, er- innert an den früher Gekannten. Aber der Bruder eines grossen Mannes bleibt immer der Bruder ; das Bild von jenem. Im metaphysischen Sinne ist das Bild die blosse Qualität des Gegenstandes ohne seine Realität. Da ist die Distanz beyder, die zwischen Etwas und Nichts; das heisst, sie ist unendlich. Dass hiemit der Werth des Bildes, welcher ihm zugesprochen werden mag, wenn ästhetische Urtheile hinzukommen, in keiner nothwendi- gen Gemeinschaft stehe, sondern davon ganz unabhängig seyn könne, leuchtet von selbst ein. Gleichwohl hat der ästhetische Werth der Ideen einen sichtbaren Einfluss auf Platons Welt-Ansicht gehabt, nach welcher die Ideen, wie das Vornehmste, so auch das eigentliche Reale sind, wozu unsre sogenannte wirkliche Welt nur den Widerschein hinzufügt. — Vielleicht findet man ei- nen Einwurf in solchen Bildern, die aus kostbaren Stof- fen bestehen; dergleichen ein goldenes Kalb seyn würde. Aber hier ist das Gold nicht das Bild, und das Bild nicht das Gold, sondern überhaupt eine todte, träge Masse, und als solche weit unter der Würde des leben- den Thieres. Indessen könnte Einer die Sache umge- kehrt betrachten; verliebt in die grosse Masse Goldes, und durch jedes lebende Kalb an sie erinnert, könnte er auch alle Kälber als Bilder jener Masse ansehn. — Es giebt auch Bilder; die den Originalen zum Erschrecken ähnlich sind, wie bemalte Statuen und Wachsfiguren, todte Körper, die sich, Gespenstern gleich, in den Kreis der Menschen drängen, und die Vorstellung des Abgebil- deten so stark hervorheben, dass die Erwartung mensch- lichen Handelns, Sprechens, Fühlens, gewaltsam wider die starren Bilder anstossen muss. Doch hierin ist vieles abhängig von der Gewohnheit. Wer die Bilder als Bil- der betrachtet, erschrickt nicht; hingegen Kinder erschrek- ken selbst vor Gemälden, weil sie nicht einmal hier da- hin gelangen, die Distanz von dem Menschen zu der be- malten Leinwand zu durchlaufen, sondern sich von den Augen des Bildes wirklich gesehen glauben. — Bey bloss ähnlichen Gegenständen, von welchen nicht mit Bestimmtheit einer als das Bild des andern angese- hen wird, geht die Vergleichung rückwärts und vorwärts; das heisst, es wird zufälliger weise der eine als der zweyte aufgefasst, welcher an den andern, den ersten, erinnere; und so wechselsweise. Dies lässt sich leicht erkennen bey den Abweichungen von der Aehnlichkeit. Hier ist der eine Gegenstand ein abweichender, wenn der andre die Regel giebt, wornach er müsste verändert werden, um die Aehnlichkeit vollständig zu machen; aber er selbst kann eben so gut zur Regel dienen für den andern, falls derselbe soll als nachgiebig und veränderlich gedacht wer- den. Den Vorzug, die Regel und das Original zu seyn, und die Zurücksetzung, nur ein Bild zu seyn, ertheilt man also hier nach Belieben und abwechselnd, oder viel- mehr durch unbemerkbare Umstände veranlasst, dem ei- nen oder dem andern. Die übrigen Verhältnissbegriffe sind ihrem Ursprunge nach aus dem Vorhergehenden leichter zu erklären. Aller Besitz, alles, was die Sprache durch den Genitiv aus- drückt, wie Vater, Sohn, Herr, Diener, Sache und Ei- genschaft in ihrem gegenseitigen Verhältnisse, bezeichnet, dass der Gegenstand, dem etwas zugeschrieben wird, in so fern als der Boden anzusehen ist, der dem Zu- geschriebenen Platz darbietet, wohin es könne gesetzt werden. Man erkennt hier sogleich die dunkel gedachte Flächenform , welche daher rührt, dass der Besitzer, — der, welchem etwas zugeschrieben wird, als Anfangspunct mehrerer Reihen ist gedacht worden, die, wenn sie nicht zusammenfallen sollen, so vorgestellt werden müssen, als ob sie etwas zwischen sich schöben (wie schon im §. 100. bemerkt worden). Daher die alten Ausdrücke: ὑποκει- μενον, subjectum, Unterliegendes , welches erwartet, dass man etwas darauf setzen werde, was darauf ruhen könne. So ruhet das Prädicat auf dem Subjecte, nicht wie ein schwerer Körper, der fallen will, sondern weil es die aus dem Subjecte hervorstrebenden Reihen, wodurch dasselbe ein Bestimmbares ist, niederdrückt bis auf eine, der es Freyheit giebt sich zu entwickeln. — Die Inhä- renz (des Merkmals in der Complexion, wit welcher zu- sammen es für ein Ding gilt,) ist hievon ein speciel- ler Fall. Das Wirken und Leiden bedeutet auf dem Stand- puncte dieser Betrachtung noch nichts weiter, als was der bekannte Ausdruck: das kommt davon ! anzeigt, worüber im §. 102. schon gesprochen worden, und wo das Wort selbst die ablaufende Reihe deutlich aus- spricht. — Viertens: Vom Ursprunge der Verneinungen ist oben geredet worden (§. 123.). Dieselben erzeugen sich in den Urtheilen; allein mit diesen übertragen sie sich auf Begriffe, sobald letztere auf eine unpassende Weise als Subjecte und Prädicate zusammengerückt werden; und die Begriffe treten alsdann als Entgegengesetzte aus- einander. Man achte hier zuerst auf das Wort Gegen , adversus, contra; und auf den Ausdruck Opposition . Alle diese Worte verkündigen die Reihenform, die bey der Verneinung hinzugedacht wird. Schon im §. 100. wurde erwähnt, dass, wenn die Vorstellungen Gelegen- heit haben, nach ihrer Qualität zu verschmelzen, dasselbe dem Hemmungs Grade umgekehrt gemäss geschieht. Solche Gelegenheiten finden sich allmählig für die Be- griffe; will man daher z. B. Schwarz und Weiss vereini- gen, so trennen sie sich gewaltsam, indem sie alle mitt- lern Farben, (hier die verschiedenen Nüançen des Grau), mit denen jedes von beyden näher verschmolzen ist, zwi- schen sich schieben, und nun wie in bestimmter Entfer- nung aufgestellt, einander gegenüber stehn; oder, wenn bloss das Streben, in solche Entfernung auseinander zu treten, gefühlt wird, einander entgegen gesetzt werden; welcher Ausdruck unbestimmter lautet, weil dem Streben nicht gelingt, ein klares Bild des Zwischenliegenden her- vorzubringen. Dies hätte man schon längst aus blosser Analyse der Sprache erkennen sollen. Es ist aber vorzugsweise die Veränderung der sinnlichen Dinge, welche zur Entgegensetzung Veranlas- sung giebt. Denn sie muthet uns an, einem Subjecte, in welchem ein gewisses Merkmal schon liegt, jetzt des- sen entgegengesetztes zuzueignen. Hier wird eine Unmöglichkeit gefühlt; und in dem sogenannten Satze des Widerspruchs ausgesprochen, es ist unmöglich, dass ein Ding Entgegengesetztes zugleich sey ; wo das Wort Zugleich die Reihenform der Zeit zu Hülfe nimmt, um doch auf irgend eine Weise die geforderte Auseinandersetzung zu gewinneu . Bey sichtbaren Dingen leistet der Raum dieselben Dienste; es ist unmöglich, dass ein Ding an der nämlichen Stelle schwarz und weiss, rund und eckigt sey; hinge- gen an verschiedenen Stellen ist beydes neben einander möglich (weil diese Verschiedenen nicht wirklich Ein Ding sind). Soviel über die Kategorien. Einen Nachtrag wird man im folgenden Abschnitte finden. — Es würde ein unangenehmes Geschäfft für mich seyn, die Kantis che Lehre über diesen Gegenstand vollständig zu beleuchten. Soviel springt in die Augen, dass bey Kant die Qualität nur dem Namen nach dasteht, denn er hat ihr nichts anderes untergeordnet als Realität und Negation, die nichts weniger sind als Qualitäten; und dass die Rela- tion viel zu eng beschränkt ist. Von Substanz und Ur- sache wird weiterhin ausführlich zu reden seyn. Kants Irrthum, als ob er das Vermögen des menschlichen Ver- standes ausgemessen hätte, gab der Philosophie viel Muth und viel Uebermuth; und wird deshalb in der Ge- schichte der Wissenschaft auf immer denkwürdig blei- ben. Wer weitern Stoff zum Nachdenken wünscht, kann ihn in dem zwar nicht sonderlich geordneten, aber reich- haltigen Aufsatze des Aristoteles finden. Die sogenannten Prädicabilien, Gattung, Art, und was dahin gehört, sind nicht eben schwer zu erklären. Ein Ding zeige sich veränderlich; so wird es in seinen verschiedenen Zuständen mit sich selbst verglichen. Zwi- schen mehrern Dingen bildet sich die Vergleichung der- gestalt aus, dass verschiedene Individuen dersel- ben Art , und weiterhin verschiedene Arten der- selben Gattung , eben als solche erkannt und betrach- tet werden. Man begegne z. B. einer Menge von Hun- den. Jeder folgende reproducirt die ganze Masse von Vorstellungen, die der vorhergehende dargeboten hatte. Der eben jetzt gesehene bildet nun das Subject für die nega- negativen Prädicate, die ihm zukommen, weil er nicht so gestaltet, nicht so gefärbt ist, wie die vorigen; dann für die positiven, weil er anders gebaut, anders ge- färbt ist, u. s. w, Indem aber die Aehnlichkeiten aller Hunde dennoch vorwiegen, und jeder als Einer unter Vielen vorgestellt wird, (§. 122.) behalten die sämmtli- chen Subjecte der entstehenden Urtheile immer die Be- stimmung, dass sie Hunde vorstellen, durch ihre Prädi- cate aber werden daraus Hunde von verschiede- ner Art . Es werde ferner eine kleinere Masse von beständi- gen Merkmalen jener grössern Masse gegeben, ohne hemmende Zusätze. So reproducirt sich zunächst die ganze Masse auch mit den übrigen beständigen Merkma- len; dann aber treten auch diejenigen Bestimmungen her- vor, welche früherhin solchen Massen bald negativ, bald positiv sind beygelegt worden. Dies giebt den Gemüths- zustand des Fragens , ob auch diese oder jene Bestim- mung zugegen seyn möge. — Wir sehen z. B. ein blü- hendes Gewächs. Wir setzen sogleich voraus, das Ge- wächs habe eine Wurzel irgend einer Art; denn dies gehört zu den beständigen Merkmalen der Vorstellungs- masse, die hier reproducirt wird. Aber ob die Blüthe auch rieche, ob sie angenehm rieche, ob die Wurzel etwan eine Zwiebel sey, u. d. gl. das sind die Fragen, welche entstehn, indem in diesen Hinsichten sich meh- rere entgegengesetzte Merkmale in der Erinnerung dar- bieten. Fünftes Capitel . Von der Apperception, dem inneren Sinne, und der Aufmerksamkeit. §. 125. Der innere Sinn gehört für den Psychologen zu den gefährlichen Klippen, denen er sich nur mit grosser Vor- II. O sicht nahen darf. Das kann man schon schliessen aus den Widersprüchen, die wir gleich Anfangs im Begriff des Selbstbewusstseyns nachgewiesen haben. Aus dieser Ursache wird es nicht zu sehr befremden, dass so vieles Andere und Leichtere vorangeschickt wurde, und wir erst jetzt an die Erklärung desjenigen Gegenstandes gehn, den die Meisten (unter ihnen Wolff und Kant ,) in die ersten Zeilen bringen; nicht eben in der Meinung, ein Problem aufzustellen, sondern vielmehr den Grundstein zu allem nachfolgenden zu legen Kant erklärt sogar, er sehe nicht ein, wie man so viel Schwie- rigkeit darin finden könne, dass der innere Sinn von uns selbst afficirt werde. Krit. d. r. V. S. 156. . Wenn der innere Sinn ein Vermögen ist, das die Seele so geradehin unter andern Vermögen auch noch hat , so müssen wir hier die schon oft erhobene Frage wiederhohlen: wann wirkt denn dies Vermögen, und wann bleibt es unthätig? Nach welchen Gesetzen ereignet sich eins und das andere? — Und da der innere Sinn ein Vermögen der Selbst-Beobachtung seyn soll, diese aber auf höhere Potenzen ohne Ende steigen kann, indem der Actus des Beobachtens sich wiederum beob- achten lässt, und dies neue Beobachten abermals beobach- tet werden kann, und so fort, — warum schliesst der in- nere Sinn, der sich über die erste Potenz, der Erfah- rung gemäss, zuweilen wirklich erhebt, nicht auch alle andern Potenzen in sich? Warum ist es sogar um die einfache Selbstbeobachtung, wenn sie anhaltend und ha- bituell wird, ein so äusserst misliches Ding, dass Kant (im Anfange der Anthropologie,) denjenigen, der ein Ge- schäfft daraus macht, sich selbst zu belauschen, aus triff- tigen Erfahrungsgründen vor dem Irrenhause zu war- nen nöthig findet? Aus dem allgemein-metaphysischen Princip, dass kein Wesen, auch die Seele nicht, eine ursprüngliche Mannigfaltigkeit von Anlagen enthalten kann, folgt so- gleich, dass die Wahrnehmung unsrer eignen Zustände und Vorstellungen gar nicht auf einer besondern Prädis- position beruhe; dass sie vielmehr auf eben so natürli- chem Wege, wie alles Andere, in der Seele erst wer- den muss, und dass sie alsdann gerade so weit und nicht weiter reicht, als wie weit sie geworden ist. Ein ge- wisses Quantum von Selbst-Beobachtung erzeugt sich unter gewissen Umständen aus gewissen Ursachen; als- dann geschicht die Selbst-Beobachtung wirklich , und in andern Fällen unterbleibt sie, weil keine Möglichkeit ihres Geschehens vorhanden ist. Wenn nun die Selbstbeobachtung wirklich vor sich geht, wer ist alsdann der Beobachtende, und wer wird beobachtet? Hoffentlich wird man nicht antworten: Ich selbst bin das eine und das andere . Denn dieser Ich , der da Object und Subject zugleich seyn will, ist als ein völliges Unding nun einmal bekannt. In der Seele sind nur Vorstellungen; aus diesen muss alles zusammen- gesetzt werden, was im Bewusstseyn vorkommen soll. Also: Eine Vorstellung, oder Vorstellungs- masse, wird beobachtet; eine andere Vorstel- lung, oder Vorstellungsmasse, ist die beob- achtende . So paradox dieser Satz allen denen klingen muss, die in unerkannten Widersprüchen nun einmal leben und weben: so leicht fügt er dem Ganzen unserer Grund- sätze sich an; und so passende Aufschlüsse giebt er über die Thatsachen, die den innern Sinn charakterisiren. Wir haben bisher vielfältig, und noch ganz zuletzt in der Betrachtung über das Entstehen der Urtheile, von der Wirkung gesprochen, welche eine neu eintretende Wahrnehmung auf die schon vorhandenen älteren Vor- stellungen haben muss, die sie erweckt, mit denen sie verschmilzt, die sie aber auch hemmt, und von denen sie gehemmt wird, insofern ein Gegensatz zwischen der neuen Vorstellung und der älteren vorhandenen oder er- weckten sich bildet. O 2 Es ist ganz offenbar, dass alles dies eine Erweite- rung leidet, auf den Einfluss, den mehrere, in der Seele vorhandene, und im Bewusstseyn sich gleichzeitig entwickelnde, Vorstellungsreihen, unter einander ausüben müssen . Es gebe eine Reihe von Vorstellungen m, n, o, p, q, … die bey ihrem Entstehen successiv gegeben sind, und sich nun bey der Reproduction in der nämlichen Folge wie- der zu entwickeln streben, nach §. 112. Zugleich sey eine andre Reihe in der Seele vorhanden, P, P, p, π, … und jetzt werde wahrgenommen eine Complexion P m, oder P n, oder P m, oder irgend eine dergleichen, die aus jeder der Reihen ein Element enthält. Sogleich be- ginnen zwey Reproductionen, jede mit dem Bestreben, sich nach ihrem eignen Gesetze zu entfalten. Aber jede von beyden enthält die Vorstellung p; es sind nämlich zwey gleichartige Vorstellungen, die wir beyde p nennen; eine in der ersten Reihe, die andre in der zweyten. Nothwendig müssen sie, während sie sich allmählig er- heben, in Verschmelzung eingehn; und dadurch sich ge- genseitig verstärken. Denn es ist für jede von beyden gerade soviel, als ob in äusserer Wahrnehmung etwas gleichartiges gegeben würde. Zugleich wird hiedurch eine Veränderung in dem ganzen Verhältniss der wir- kenden Kräfte hervorgebracht, weil eben durch die Verschmelzung eine neue Gesammtkraft erzeugt wird; und die Reproductionen können nicht ganz so fortlaufen, wie eine jede nach ihrem inwohnenden Gesetze gesollt hätte. Diese Annahme lässt sich nun auf die mannigfaltigste Weise abändern. Man kann — ja man muss, um das zu erreichen, was jeden Augenblick wirklich in uns vor- geht, — ganze Complexionen setzen statt der einfachen Vorstellungen m, n, o, p, … und P, P, p, … Diese Complexionen mögen gleichartige, beynahe gleichartige, mehr oder weniger entgegengesetzte Elemente enthalten. Das wird die mannigfaltigsten Perturbationen in dem Ab- laufen der Vorstellungsreihen bewirken. Ehe wir weiter gehn, muss hier im Vorbeygehn an- gemerkt werden, dass die angenommenen Umstände reich an Veranlassungen zu sehr mancherley Gefühlen seyn werden. Denn die ablaufenden Reihen mögen nun ein- ander begünstigen, etwa nach §. 87., oder hindern: so entstehen hieraus Gefühle der Lust und Unlust eben in so fern, als dadurch noch andere Zustände der Vorstel- lungen bestimmt werden ausser dem Steigen und Sinken der letztern. (§. 104—106.) Ja diese Gefühle sind als ästhetische Prädicate von Gegenständen zu betrach- ten, wenn die mehrern, zugleich aufgeregten Reihen auf bestimmte Weise aus der nothwendigen Auffassung der Gegenstände hervorgehn. So ist das räumliche und rhythmische Schöne ohne allen Zweifel hieher zu rechnen, weil in demselben alles darauf ankommt, wie mehrere, zugleich in Gang gesetzte, Reproductionen in ihrem Ablaufen einander begegnen. (§. 114.) Um aber unserem jetzigen Zielpuncte uns zu nähern, setzen wir endlich, statt der blossen Reihen von Vorstel- lungen oder Complexionen, ganze Massen , oder solche Mengen von Vorstellungen, die zum Theil vollkommen, zum Theil unvollkommen complicirt und verschmolzen sind, und in denen viele Reihen, wie man will, mit ein- ander verwebt und verwickelt seyn mögen. Aber hier müssen wir zuerst die Möglichkeit nachweisen, dass in einem menschlichen Geiste mehrere solche Massen vor- handen seyn können, ohne sich so in einander zu ver- weben, dass sie zusammen nur eine Masse ausmachen würden. Denn dies ist ohne Zweifel der Zustand, wohin sie, wegen der Einheit der Seele, sich fortdauernd neigen. Man wird sich am leichtesten orientiren, wenn man sich die Gedanken vergegenwärtigt, zu denen verschie- dene Orte und Beschäfftigungen veranlassen. Z. B. die Kirche, das Schauspielhaus, das Büreau, der Garten, das Schachbrett, das Kartenspiel, u. d. gl. Man wird nun sogleich wahrnehmen, dass jedem dieser Dinge eine eigene Vorstellungsmasse entspricht, welche, wenn sie im Bewusstseyn Platz nimmt und sich mit allen ihr zugehö- rigen Vorstellungsreihen ausbreitet, dann gegen jede andre eine hemmende Gewalt äussert, die nicht bloss von der Qualität der einzelnen, in ihr enthaltenen Vorstellungen, sondern ganz besonders von dem Rhythmus der ganzen Vorstellungsreihen nach §. 112., und von den eigenthüm- lichen Gefühlen, die damit verknüpft sind, abgeleitet wer- den muss. Daher hönnen die mehrern Massen nur in schwache Berührung kommen, wenigstens nicht leicht so innig sich verweben, dass nicht die eigenthümliche Wir- kungsart einer jeden noch deutlich erkennbar bliebe. Wie oft aber eine Berührung unter ihnen entsteht, — besonders wenn eine der Massen beträchtlich stärker oder aufgeregter ist als die andre, — so oft ereignet sich et- was, wobey die gemeine Psychologie eine Wirksamkeit des innern Sinnes zu Hülfe ruft. Der Deutlichkeit wegen erinnern wir zuerst an den äussern Sinn. Die Auffassungen desselben werden apper- cipirt oder zugeeignet, indem ältere gleichartige Vorstel- lungen erwachen, mit jenen verschmelzen, und sie in ihre Verbindungen einführen. Angeregte Erwartung befördert die Apperception; so beobachten wir ein Schauspiel, indem gleich der Anfang desselben eine Menge von Vorstellun- gen in Bewegung bringt, wie das Stück wohl fortgehn könnte ; mit welchen alsdann der wirkliche Verlauf in allerley Verhältnisse der Hemmung und Verschmel- zung eintritt. — Dasselbe nun geschieht auch inner- lich ; ohne dass die Auffassungen von aussen gegeben werden. Wenn wir rechnen, so beobachten wir die Zah- len, die sich aus der Rechnung ergeben. Alle Zahl-Vor- stellungen sind aufgeregt; von diesen unabhängig bringt die Rechnung selbst gewisse Zahlen zum Vorschein; so wie aber die letztern herauskommen, treffen sie auf jene schon wartenden Vorstellungen, theils hemmend, theils sich mit ihnen verbindend. Hier ist der innere Sinn vorhanden, wenn auch die appercipirte Vorstellung nicht immer als unsere Vor- stellung Uns zugeeignet wird, wovon tiefer unten. §. 126. Eine Verschiedenheit jedoch zwischen der Apper- ception der innern Wahrnehmung und der äussern dringt sich auf, die uns den Weg zu versperren scheint. Nämlich bey der äussern Wahrnehmung ist offenbar diese selbst das Appercipirte; und die aus dem Innern hervorkommende, mit ihr verschmelzende, Vorstellungs- masse ist das Appercipirende. Die letztere ist die bey weitem mächtigere; sie ist gebildet aus allen frühern Auf- fassungen; damit kommt die neue Wahrnehmung auch bey der grössten Stärke der momentanen Auffassung nicht in Vergleich, zudem wegen der abnehmenden Empfäng- lichkeit; — und deshalb muss sie sich gefallen lassen, hineingezogen zu werden in die schon vorhandenen Ver- bindungen und Bewegungen der älteren Vorstellungen. Aber bey der innern Wahrnehmung, wo beydes, das Appercipirte und das Appercipirende, innerlich ist, kann man wohl anstehen und fragen: welche Vorstellung wird hier zugeeignet , und welche ist die zueignende ? Bey ein paar Vorstellungsreihen, wie wir oben, ohne weiteren Unterschied, angenommen haben, muss dieses schlechterdings zweifelhaft bleiben; und daraus sehen wir, dass in denjenigen Fällen, wo sich deutlich dasjenige offenbart, was man den innern Sinn zu nennen gewohnt ist, noch eine nähere Bestimmung hinzukommen werde. Wir haben hier Ursache, der Analogie mit der äu- sseren Wahrnehmung nachzugehen. Denn offenbar ist der psychologische Begriff des inneren Sinnes ein nachgebildeter Begriff, der die Aehnlichkeit gewisser Thatsachen des Bewusstseyns mit denen der äusseren Wahrnehmung ausdrücken soll. Die zuerst vom innern Sinne redeten, erfuhren in sich selbst etwas, das sie nur mit den Auffassungen durch Auge und Ohr und Getast, zu vergleichen wussten. Eine Aehnlichkeit also muss da seyn; und wir werden sie leicht finden, wenn wir uns das Verhältniss einer innern Vorstellungsreihe zu einer andern analog denken mit dem Verhältnisse des äu- sserlich Wahrgenommenen zu den ihm von Innen her entgegenkommenden Vorstellungsmassen. Erstlich also: die Perception geht allemal voran vor der Apperception; hingegen die letztere ist das nachblei- bende. Sie gleicht dem langsam, aber sicher, fortgehen- den Geschäffte der Assimilation. Dies zeigt sich ganz klar bey der äussern Wahrnehmung. Das neu Aufge- fasste drückt Anfangs auf die vorhandenen Vorstellun- gen; es drängt sie gegen die mechanische Schwelle hin, (§. 77.) so fern sie ihm entgegengesetzt sind; es hebt die ihm gleichartigen vorhandenen Vorstellungen im er- sten Anfange nur langsam hervor, (§. 82. 97.); allein sehr bald wird dies Hervortreten lebhafter, (ebendaselbst); dagegen wird die momentane Auffassung schwächer we- gen der abnehmenden Empfänglichkeit, (§. 94.) und das Aufgefasste wird mehr und mehr gehemmt, wenn nicht das ihm entgegenkommende Gleichartige es verstärkt und aufrecht hält. Zweytens: die von Innen her entgegenkommenden Vorstellungsmassen sind die stärkeren, die dominirenden; und die neu Aufgefasste, wie schon oben bemerkt, muss sich gefallen lassen, von diesen an ihren Platz gestellt zu werden. Beydes wollen wir nun anwenden auf die innere Wahrnehmung. Wir setzen also voraus: eine schwä- chere, weniger tief in dem ganzen Gedankenkreise eingewurzelte Vorstellungsreihe, sey aufgeregt, und ent- wickele sich nach ihrer Art im Bewusstseyn; dabey sey eine andere, stärkere, tiefer liegende , obgleich jetzt mehr im Gleichgewichte mit sich selbst und mit den übri- gen Vorstellungen ruhende Gedankenmasse, entweder schon im Bewusstseyn, oder sie werde eben durch irgend welche Glieder jener vorigen geweckt, und in Bewegung gebracht; (wobey man immer die Reproductionsgesetze der §§. 81—91. und besonders noch des §. 112. sich gegenwärtig erhalten muss.) Wiefern nun zwischen bey- den Vorstellungsreihen etwas entgegengesetztes ist, folgt Anfangs jene erstere, mehr aufgeregte, ihrem eigenen Zuge; sie drängt die andre zurück, nämlich in Hinsicht auf diejenigen Elemente, die gerade den Gegensatz bil- den; eben dadurch aber setzt sie dieselbe in Spannung, und nur um so kräftiger dringt nun die andre, ohnehin aufgerufen durch das Gleichartige beyder, hervor; jetzt formt sie die erstere nach sich , indem sie an den gleichartigen, mit ihr verschmelzenden Elementen sie gleichsam vesthält, in andern Puncten sie zurücktreibt, und ihr dadurch eine Menge von passiven Bewegungen ertheilt, bey denen dieselbe weder hoch ins Bewusstseyn emporsteigen, noch gegen die Schwelle herabsinken kann, sondern still stehen muss; während die stärkere sich nach eigenen Gesetzen entwickelt, und von immer mehreren Seiten an die erstere anschlägt. So geschieht es, wenn wir einen plötzlichen Einfall, den irgend ein verborgener psychologischer Mechanismus hervortreibt, (man sehe zum Beyspiel §. 85. gegen das Ende,) näher besehen, ihn wie ein Object fixiren, ihn der Prüfung unterwerfen. So geschieht es, wenn ein Affect anfängt sich abzukühlen, (vergl. §. 106.); wenn nun die durch ihn zurückgedrängten Vorstellungen ihren Platz wieder einnehmen, aber zugleich aus der schon schwindenden Vorstellungsmasse des Affects die gleich- artigen Elemente hervorhohlen, und damit die ganze Masse in ihrer sinkenden Bewegung anhalten, sie wieder vorführen, ohne sie doch ihrer eigenen Entwickelung zu überlassen; woraus eine Menge von peinlichen Ge- fühlen entstehen kann, indem nur alle Elemente, die zu der Vorstellungsmasse des Affects gehören, einge- klemmt sind zwischen den andern der gleichen Masse (die durch alle ihre Complicationen und Verschmelzungen ei- nen beständigen Einfluss auf einander auszuüben streben,) und zwischen der überwiegenden Gewalt der wiederge- kehrten stärkeren Vorstellungen. Hierin liegt eine Be- stätigung dessen, was oben über die Gefühle gesagt ist; s. §. 104. — So geschieht es vollends bey der morali- schen Selbstkritik, bey dem Rückblick auf ganze Reihen- folgen von Gesinnungen und Handlungen. Die zu die- sen Reihenfolgen gehörigen Vorstellungen erleiden schon dadurch eine Gewalt, dass sie als eine Zeitstrecke be- trachtet und gemustert werden, welches geschieht, indem die jetzt herrschende Vorstellungsmasse in verschiedene Puncte jener Reihenfolgen zugleich eingreift, und da- durch die in denselben wirksamen Reproductionsgesetze auf mehr als Eine Weise in Thätigkeit setzt. (§. 115.) Hiezu kommt nun noch das Widerstreben der nämlichen Reihenfolgen wegen ihres Inhalts; die Anstrengungen von Begierden und Affecten, welche in ihnen gegründet sind, verbunden mit der Bändigung eben dieser Aufregungen durch die Macht der sittlichen Ueberzeugungen, aus de- nen ein ganzes Gemälde dessen hervorgeht, was hätte gedacht, gewollt, und gethan werden sollen, während das Gegentheil als wirklich geschehen der Erinnerung vor- schwebt. In einem solchen Kampfe der Vorstellungsmas- sen gegen einander, können die bitteren Schmerzen der Reue nicht ausbleiben. Sie erzeugen sich daraus, dass die Vorstellungen von dem, was geschehn ist, in sehr vielen Puncten verschmelzen müssen mit den Vorstellun- gen von dem, was hätte geschehen sollen; dass sie aber dieser Verschmelzung nicht nachgeben können, weil sie dabey aus ihren eigenen Complicationen und Verschmel- zungen herausgerissen werden. Der Conflict, der hier entsteht, ist schon dann schmerzlich fühlbar, wenn alte angenommene Meinungen eine Berichtigung erleiden sol- len; die sie so lange als immer möglich von sich stossen; dergestalt, dass eine solche Berichtigung selbst dann nicht immer von Statten geht, wenn moralische Grundsätze einer pflichtmässigen Wahrheitsliebe hinzukommen. §. 127. Jetzt können wir uns mit der Frage beschäfftigen, unter welchen Umständen die innere Wahrnehmung wirk- lich erfolge, unter welchen andern sie ausbleibe. Die gemeine Meinung unterscheidet bey der ausblei- benden innern Wahrnehmung Fälle, in denen sie hätte erfolgen können und sollen, von andern, in welchen sie nicht sey zu verlangen gewesen, oder auch sich gar nicht denken lasse. Z. B. Jemand übereilt sich, er erzählt, was er verschweigen sollte, er lacht oder gähnt, wo da- durch der Anstand verletzt wird. Hier hätte er die er- sten Regungen bemerken, und ihnen widerstehen sollen. Dasselbe kommt bey Affecten und Leidenschaften vor, in dem Augenblicke, wo sie den Menschen seinen bes- sern Gesinnungen entführen. — Dagegen erwartet man das Aufmerken auf seine innern Zustände nicht von dem schwachen und ungebildeten Menschen; nicht von dem Kinde; am wenigsten von dem Thiere. Aber auch von dem gebildeten Manne verlangt man es nicht in Zustän- den der Begeisterung; man hält es nicht für möglich, dass ein Dichter und Erfinder über die Gedankenfolge Rechenschaft ablege, die ihn allmählig bis auf den Punct geführt habe, worauf er bewundert wird. Und man würde Demjenigen nicht einmal glauben, der da vorgäbe, alle Motive seiner Handlungen vollständig aufzählen und ab- wägen, die Falten seines eignen Herzens gänzlich durch- schauen zu können. Vergleichen wir hiemit unsre zuvor aufgestellte Theo- rie: so sehen wir, dass Alles darauf ankomme, ob die appercipirende Vorstellungsmasse vorhanden, ob sie stark genug war, theils um der zu appercipirenden in ihrem Steigen zu widerstehen, theils um dieselbe in ihrem Sin- ken vestzuhalten, ob sie dazu genug Berührungspuncte mit jener, genug Gleichartiges hatte Denn man vergesse nicht, dass das Vesthalten durch Ver- schmelzungen geschieht, und dass die Verschmelzungen von der Gleich- artigkeit der Vorstellungen abhängen. ; endlich wie bald sie in Wirksamkeit trat, wie schnell sie sich der andern bemächtigte, oder im Gegentheil, wie lange sie dieselbe noch einer eignen freyen Bewegung überliess. Die appercipirende Vorstellungsmasse kann nicht aus neuen, noch in wenigen Verbindungen befindlichen Vor- stellungen bestehn; nur in den vielfach zusammengeflos- senen und durch einander verstärkten Totalkräften wird man sie suchen dürfen. Also vorzüglich in den Begrif- fen, (§. 121.) und in den daraus gebildeten Urtheilen, die man auch Maximen nennen kann. Von dem ge- bildeten Menschen verlangt man, dass er Maximen habe; man muthet ihm an, dass diese stark genug, dass sie rasch und lebendig und in ihrem Wirken unermüdet seyen, um ihm gegen das Unkluge, Unanständige, Un- sittliche, was freylich in einem jeden Menschen sich re- gen könne, zuverlässigen Schutz zu gewähren. Aber so genau kennt man den psychologischen Mechanismus nicht, um zu wissen, wie viel Kraft die Maximen haben müs- sen, und wie wenig stark die Phantasien und Affecten seyn müssen, wenn diese von jenen sollen schnell genug wahrgenommen, und zum Gegenstande der Betrachtung gemacht werden. Auf jeden Fall lässt sich zu jeder Stärke der roheren Aufregungen eine andere Stärke der entge- genwirkenden Vorstellungen hinzudenken, welche hinrei- chen würde, um jene zu überflügeln, zu fixiren, zu be- herrschen. Und dies sind also diejenigen inneren Wahr- nehmungen, deren Möglichkeit man im allgemeinen vor- aussetzt. Hingegen bey einer schnellen, rasch vorübergehen- den, sehr mannigfaltigen, sehr neuen Entwickelung von Gedanken; oder auch bey sehr schwachen Vorstellungen, welche von dem geringsten Drucke auf die Schwelle ge- worfen werden: da ist die innere Wahrnehmung weder möglich, noch auch wird sie für möglich gehalten. Hier- über belehrt die allgemeine Erfahrung einen Jeden deut- lich genug. Höchstens wird in solchen Fällen etwas ge- fühlt, das sich nicht aussprechen lässt . Das heisst, die andern, stärkeren, älteren, ruhiger liegenden Vorstel- lungsreihen, gerathen durch jene in eine ungewöhnliche Bewegung; es verschmilzt mit ihnen etwas unbedeutend Weniges von jenen; sie erhalten einen leichten Anflug, und treten, mit diesem behaftet, höher ins Bewusstseyn hervor; aber die Verschmelzung isst zu schwach, als dass durch Hülfe derselben das schon Entflohene könnte voll- ständiger zurückgerufen, und in allen seinen Theilen ei- ner genauern Bestimmung, einer weitern Formung durch die mächtigern Vorstellungsmassen unterworfen werden. Diesen Fällen gegenüber stehn diejenigen, wo die Schuld der mangelnden inneren Wahrnehmung an den Vorstellungsmassen liegt, die die Apperception bewirken sollten. In den früheren Kinderjahren sind dieselben noch gar nicht gebildet; darum bleibt hier der einfachste, ro- heste Mechanismus der kaum gewonnenen Vorstellungen sich selbst überlassen, es ist kein Faden vorhanden, woran die zufälligen Aufregungen derselben könnten aufgerichtet werden. Erleidet der Geist einen Druck durch Organi- sationsfehler: so werden die vorhandenen älteren und mächtigern Massen in ihrer Wirksamkeit gegen die jün- geren unaufhörlich gestört; dasselbe geschieht in Zustän- den der Berauschung und der entflammten Leidenschaf- ten. Sind endlich diese Massen im eigentlichsten Ver- stande nur blosse Massen, blosse Anhäufungen ohne innerliche Ausbildung und Anordnung, wie bey rohen Menschen: so können sie unmöglich auf das ihnen im Bewusstseyn Begegnende eine solche Wirkung äussern, wie dies bey dem gebildeten Manne sich ereignet. Uebrigens ist nun klar, dass die innere Wahrneh- mung allemal geschieht, wann und in wie weit sie ge- schehn kann; und dass sie nur dann ausbleibt, wenn sie aus irgend einem Grunde verhindert, oder durch gar kei- nen Grund hervorgebracht war. Für die gesetzlosen Spiele der sogenannten transscendentalen Freyheit ist hier kein Platz; man kann aber schon ahnden, worauf das- jenige beruht, was man mit Recht Freiheit des Willens, der Aufmerksamkeit, der Besonnenheit, nennen mag; ein Gegenstand, zu welchem wir uns jetzt allmählig im- mer näher werden hingeführt finden. Unter den ferneren Bemerkungen, die sich uns dar- bieten, ist die nächste ohne Zweifel die, dass nicht bloss zwey Vorstellungsmassen, sondern auch drey oder mch- rere einander im Bewusstseyn begegnen, wecken, formen und über einander herrschen können. So geschieht es, dass der Mensch nicht bloss den letztvergangenen Gedan- ken tadelt, sondern wiederum des Tadels spottet, und den Spott bereut. — Ferner, unter den mehreren Vorstellungsmassen, deren jede folgende die vorherge- hende appercipirt, oder von denen wohl auch die dritte sich die Verbindung oder den Widerstreit der ersten und zweyten zu ihrem Gegenstande nimmt, muss irgend eine die letzte seyn; diese höchste appercipirende wird nun selbst nicht wieder appercipirt . Weiter: blicken wir auf die früher betrachteten Ge- genstände zurück; so findet sich keiner, der nicht nähere Bestimmungen bey Gelegenheit der innern Wahrneh- mung erhielte. Dass Gefühle, Affecten, Begierden, durch sie gemildert werden, ist schon bemerkt; offenbar aber müssen auch dieselben dadurch vermehrt und mannigfal- tiger werden. Welche Ausbildung, welche Ausgleichung und Erhebung zu Normal-Gestalten (dergleichen die Geometrie zu ihrem Gegenstande macht,) die räumlichen Vorstellungen gewinnen, wenn die jüngeren durch die früher erworbenen appercipirt werden: dies wäre eine sehr interessante Untersuchung, wenn wir uns hier damit be- fassen könnten. Dass die Begriffe bey innerer Wahr- nehmung gleichsam chemisch auf einander wirken, dass sie einander zersetzen, und in neue Verbindungen ein- gehn müssen, dass dabey Urtheile in Menge zum Vor- schein kommen werden: dies alles lässt sich gleichsam in der Ferne erkennen; es mag aber für künftige Untersu- chungen dahingestellt bleiben. Endlich müssen wir jetzt aussprechen, was sich ohne Zweifel dem Leser längst aufgedrungen hat, nämlich dass wir hier in der Nähe des Selbstbewusstseyns uns befinden. Die früherhin so mühsam gesuchte Ichheit kann sich uns nicht lange mehr entziehen. Und wahr- scheinlich werden die Meisten es sehr beschwerlich finden, dieses Centrum, ja diese Seele bey den bisher erwähn- ten Gegenständen zu entbehren. Sie werden fragen, ob es denn Begriffe, Urtheile, und innere Wahrnehmungen geben könne, ohne Selbstbewusstseyn? Ob auch nur ir- gend ein räumliches Object sich auffassen lasse ohne Subject, dem es gegenüber stehe? Die nun solchergestalt eine Menge leicht vorherzu- sehender Einwendungen gegen unsre Darstellung im Sinne tragen, diese mögen mit sich selbst überlegen, was denn wohl für einen Begriff von dem Vorstellungs-Kreise der Thiere, und insbesondere der edleren Thiere, sie sich zu machen geneigt seyen? Wollen sie deuselben eine vollkommene Ichheit zugestehn? dergleichen nach allen äussern Zeichen sogar dem menschlichen Kinde eine ge- raume Zeitlang fehlt! Aber räumliche und zeitliche Vor- stellungen, die erstern in beträchtlicher Ausbildung, fer- ner die roheren Anfänge von Begriffen, Urtheilen, und selbst von inneren Wahrnehmungen, können den edlern Thieren nicht abgesprochen werden. Daher gehört dies alles in die Sphäre derjenigen allgemeineren Betrachtun- gen, welchen dieser erste Abschnitt gewidmet war. §. 128. In den Kreis der Apperceptionen fällt auch ein gro- sser Theil dessen, was man Aufmerken nennt. Allein hier müssen verschiedene Bedeutungen des Worts von einander gesondert werden. Dass die Aufmerksamkeit in die willkührliche und unwillkührliche zerfällt; dass die letz- tere wiederum zum Theil von der Reproduction abhängt, zum Theil auch hievon unabhängig, durch zwey positive Ursachen, die Stärke des Eindrucks und die Empfäng- lichkeit, und durch zwey negative, den Hemmungsgrad und die Abweichung vom Gleichgewichte der frühern Vorstellungen, bestimmt wird: dies muss aus der Abhand- lung de attentionis mensura als bekannt vorausgesetzt werden; deren grösster Theil nur genauere Berechnung des im §. 95. behandelten Problems ausmacht. Doch ei- nen Hauptgedanken muss ich daraus hier anführen. Ursprünglich ist Aufmerksamkeit nichts anderes als die Fähigkeit, einen Zuwachs des Vorstellens zu erzeu- gen. Die Grösse dieser Fähigkeit sey = X , so ist Xdt der Zuwachs im Zeitlichen dt; aber eben derselbe ist auch gleich dem Anwachs des Ueberschusses, um wel- chen die Wahrnehmung in der Zeit t grösser ist als de- ren Gehemmtes, also = d ( z—Z ) in der Bedeutung des §. 95. demnach aus Xdt = d ( z—Z ) folgt , und die Berechnung dieses veränderlichen Differential- quotienten ist unmittelbar die Bestimmung der Aufmerk- samkeit; welche meistens in einem nothwendigen Abneh- men begriffen, doch auch in seltenen Fällen Anfangs eine kleine Zeitlang wachsend befunden wird; wie in der ge- nannten Abhandlung ausführlich ist dargethan worden. Auf diesen Begriff der, von den primären Ursa- chen bestimmten, Aufmerksamkeit wird aber derjenige nur mit Mühe kommen, der sie auf analytischem Wege un- tersucht. Er hat erstlich zweyerley abzusondern und bey Seite zu setzen, nämlich den Entschluss , aufzumerken, welcher der Auffassung vorangeht, und das innerliche Wiederhohlen des Gemerkten, (das Memoriren,) wo- durch die schon geschehene Auffassung eingeprägt wird. Dann muss noch abgeschieden werden das Merken aus Begierde (zum Theil blosser Neugierde), und der Zu- stand gereizter Empfindlichkeit , mit dem öfter eine falsche Aufmerksamkeit des Erschleichens und Misverste- hens, als die wahre Sammlung des Gegebenen, verbun- den zu seyn pflegt. Endlich bleibt nun die bloss apper- cipirende Aufmerksamkeit übrig, von der wir hier haupt- sächlich zu reden haben; würde aber auch die Apper- ception hinweggedacht, dann erst käme jene zuvor er- wähnte, bloss von den vier primären Ursachen abhän- gende gende Aufmerksamkeit zum Vorschein. Man sieht, dass wir hier mit einem sehr zusammengesetzten Gegenstande zu thun haben. Das appercipirende Merken, welches Reproduction ei- ner älteren Vorstellungsmasse voraussetzt, ist am bekann- testen und auffallendsten bey den Meistern jeder Kunst und Wissenschaft, die sogleich den gegen die Regeln derselben begangenen Fehler spüren. Wie schneidet ein Sprachschnitzer ins Ohr des Puristen! Wie beleidigt ein Miston den Musiker! oder ein Verstoss gegen die Höf- lichkeit den Weltmann! Wie schnell sind die Fortschritte in einer Wissenschaft, deren Anfangsgründe so scharf eingeprägt waren, dass sie sich mit grösster Leichtigkeit und Bestimmtheit reproduciren lassen; wie langsam und unsicher hingegen werden die Anfänge selbst gelernt, wenn nicht die noch einfachern Elementar-Vorstellungen gehörig dazu prädisponirt waren. — Das Merken durch Apperception zeigt sich schon bey kleinen Kindern sehr deutlich, wenn sie in der ihnen noch unverständlichen Rede der Erwachsenen die einzelnen bekannten Worte plötzlich auffassen und nachlallen; ja schon bey dem Hunde, der den Kopf umwendet und uns ansieht, indem wir von ihm sprechen und seinen Namen nennen. Nicht weit davon entfernt ist das Talent zerstreuter Schulkna- ben während der Lehrstunde, den Augenblick wahrzuneh- men, wo ein Geschichtchen erzählt wird; ich erinnere mich an Schulklassen, worin während eines wenig inter- essanten Unterrichts bey schlaffer Disciplin beständig ein summendes Plaudern zu hören war, das jedesmal eine Pause machte, so lange die Anekdoten dauerten. Wie konnten die Knaben, da sie gar nichts zu hören schie- nen, den Anfang der Erzählung ergreifen? Ohne Zwei- fel hatten die Meisten stets wenigstens Etwas von dem Lehrvortrage vernommen; es fehlte aber demselben die Anknüpfung an frühere Kenntnisse und Beschäfftigungen, daher fielen die einzelnen Worte des Lehrers, so wie II. P sie gesprochen wurden, der Hemmung anheim, und die Auffassungen blieben unverschmolzen; sobald hingegen alte Vorstellungen erwachten, deren starke Verbindung Reihen hervorzurufen im Begriff war, mit welchen sich das hinzukommende Neue leicht vereinigte, entstand eine Totalkraft aus Altem und Neuem, wodurch die zerstreu- enden Gedanken wenigstens auf die mechanische Schwelle getrieben wurden. Ich will mich hier nicht bey pädago- gischen Dingen aufhalten; sonst wäre leicht zu zeigen, wie nothwendig es für die Kunst des Unterrichts ist, alle Parthien desselben, — aber besonders die grössern Um- risse, — dergestalt im Voraus anzuordnen, dass die Mög- lichkeit des Merkens auf das Nachfolgende aus den früher gewonnenen Kenntnissen hervor gehe; und dass diese Möglichkeit, so weit sie vorhanden ist, stets aufs Vortheilhafteste benutzt werde. (Diejenigen, welche sich noch heute mit der höchst thörichten Streitigkeit zwi- schen Humanismus und Philanthropinismus tragen, würden davon ohnehin nichts verstehn.) Keineswegs bloss für den Erzieher, sondern in einer viel weitern Sphäre gilt die Erinnerung: man müsse vor allen Dingen überlegen, dass Jeder, während er einem Vortrage zuhört, in der- selben Zeit irgend etwas Anderes denken würde, wofern der Vortrag nicht wäre; denn dieses Andere bildet die hemmende Kraft, welche muss überwunden werden, wenn das Merken möglich seyn soll. Das Umgekehrte zeigt sich dann, wann wir an den Abschnitt eines interessan- ten Buches gekommen sind, und uns noch für eine kleine Weile in dem Eindruck so gefangen fühlen, dass wir zu eigenen Betrachtungen nicht kommen können. Die hem- mende Kraft ist hier völlig verschwunden, das anziehende Buch hat durch lebendige Darstellung (besonders durch das Poëtisch-Anschauliche eines Homer , — oder eines Walter Scott ,) unsere Gedankenreihen so entfaltet, so fortgelenkt, wie sie, ihrem innern Triebe nach, sich zu entwickeln bereit waren; dann ihren Strom, wenn er stark genug aufgeregt war, durch Hindernisse verdichtet, (ein Punct, wovon anderwärts Im §. 150. die Rede seyn wird,) um ihn theilweise wieder frey zu lassen, und ihn mit hin- reichender Energie nach verschiedenen Richtungen zu spalten, zu verbreiten, nach mancherley Wechseln wie- der zu sammeln und in einem geräumigen Bette fortflie- ssen zu lassen. Fortwährend ist hier die Apperception thätig gewesen; immer hat das Neue gepasst zum Frühe- ren, immer war es darauf eingerichtet, die aufgeregten Fragen zu beantworten Wenn Erwartung mit dem Merken verbunden ist, so wird durch die ins Bewusstseyn getretenen Vorstellungen, welche innerhalb der Sphäre der Erwartung liegen, ein beträchtlicher Theil der Em- pfänglichkeit im Voraus erschöpft, hingegen wird der Gegensatz ver- mindert, nämlich für den Fall, wenn die Erfolge der Erwartung ent- sprechen. Ein unerwarteter Erfolg findet mehr Gegensatz, aber auch mehr Empfänglichkeit. Vergl. §. 98. , um uns in neue Fragen zu verwickeln; nie war das Eine gleichgültig für das Andere; und indem selbst anscheinende Kleinigkeiten späterhin die Anknüpfungspuncte für wichtige Folgen abgaben, gewann dadurch die nämliche Vorstellungsmasse eine neue Wir- kungsart, und eine andre Form ihrer Verwebung, um sich das Hinzukommende in vielen Puncten zugleich anzueig- nen. — Dass nun eine solche Apperception nicht bloss eine äussere seyn kann, sondern auch eine innere: be- darf nach dem, was zuvor über den innern Sinn gesagt worden, keiner Erläuterung mehr. Ohne Zweifel musste sie bey dem Dichter früher eine innere seyn, ehe sie für den Leser eine äussere werden konnte. Hätte nicht der Dichter seine zuströmenden Gedanken appercipirt, so hätte er nicht wählen, verwerfen, nicht ordnen und aus- bilden können, und der Leser würde in ihm nur den ge- schmacklosen Phantasten erblicken. Die vorhergehenden Capitel wiesen hin auf das All- gemeine, was der psychologische Mechanismus schon bloss darum aus den Empfindungen bereitet, weil die ver- schiedenen Klassen derselben in der Einen Seele mit P 2 ihren Gegensätzen successiv so zusammentreffen, wie die Ordnung der äussern Natur es mit sich bringt. Daher Raum, Zeit, Zahlen, Kategorien; die nämlichen für Alle; selbst wenn die Sinne nicht die nämlichen wären. Darin treffen Menschheit und Thierheit zusammen, und der Unterschied liegt bloss in dem Mehr oder Weniger der Entwickelung; die bey unsern bekannten Thieren auf der Erde allerdings durch mancherley Nebenumstände gehin- dert ist, wovon man den Begriff des thierischen Daseyns im Allgemeinen wohl befreyen könnte, ohne gerade das eigenthümliche Gebiet der menschlichen Cultur zu be- rühren. Das Gegenstück fängt an sich jetzt zu offenbaren. Zwar nicht alle innere Apperception können wir mit Grunde den Thieren absprechen. Aber dass wir uns hier in einer ganz andern Sphäre befinden, das verräth sich schon durch das minder Bestimmte der Resultate, die wir erhalten. Die Apperception richtet sich nach den älteren, den früher erworbenen und seit längerer Zeit ge- bildeten Vorstellungsmassen in ihrem Verhältniss zu den späteren, minder starken, minder verschmolzenen, welche eben darum zu jenen in einem Verhältnisse der Abhän- gigkeit stehen. Wer kann denn sagen, wie diese ver- schiedenen Vorstellungsmassen eigentlich beschaffen seyen? Und wie sie dem gemäss wirken? Das Allgemeinste hie- von wird im nächsten Capitel dargestellt werden. Aber die zufälligsten Umstände des äussern Lebens, in Ver- bindung mit der Organisation, können und müssen dar- auf einfliessen. Die Erfahrung bestätigt das. Sie zeigt uns in dem Merken, dem Appercipiren der Menschen die grössten Verschiedenheiten. Einige Menschen sehen und hören Alles, was in ihre Umgebung kommt; man darf sie nur rufen, wenn etwas verloren ist, so finden sie es; aber sie werden gefürchtet von denen, die etwas zu verbergen haben. Sehr sichtbar kommt nicht bloss die Beschaffenheit und Verknüpfnng der appercipirenden Vor- stellungsmassen hiebey in Betracht, sondern auch ganz besonders die Frage, wieviel davon zugleich über der Schwelle des Bewusstseyns sich erhalten kann. Physio- logische Hemmung, reizbares Temperament, Vertiefung in gewisse Fragen oder Sorgen, die fortdauernd den Kopf einnehmen, sind gegenwirkende Kräfte, welche die Sphäre der Apperception enger beschränken. — Wir sehn hier ein wichtiges Princip der Individualität . Sogar der Einzelne ist in diesem Puncte von sich selbst verschie- den, nach Alter und Geschlecht, nach Lagen und Lau- nen; sein Merken und Nicht-Merken, sammt Allem was davon abhängt, bleibt ihm Zeitlebens ein Räthsel. Für den aufmerksamen Erzieher wird dies Räthsel noch bey weitem grösser. Die offenen Augen und Ohren der einen, der Stumpfsinn der andern, in Allem was Beobachtung erfordert, bey gleicher Behandlung unter gleichen Um- ständen, — dieser Unterschied ist eine unläugbare That- sache, die den Erfolg der sorgfältigsten Behandlung im hohen Grade ungewiss macht. Fasst man die Menschheit überhaupt ins Auge: so verschwinden diese Unterschiede als unbedeutend gegen den Abstand des Menschen und des Thiers. Die Mensch- heit ist ein Individuum nach vergrössertem Maassstabe. Die Stärke und Thätigkeit der Reflexion, (einer nähern Bestimmung der Apperception,) ist der Sitz, wiewohl nicht der erste Grund, ihrer geistigen Ueberlegenheit. Zweyter Abschnitt . Von der menschlichen Ausbildung insbesondere. Erstes Capitel . Von den Hülfsmitteln der Ausbildung, welche dem Menschen von Natur eigen sind; und von deren Erfolgen, den Kategorien der innern Apperception. §. 129. W eder beweisen noch auch nur wahrscheinlich machen lässt sich die Hypothese, dass die menschlichen Seelen eine eigene Art von Seelen ausmachen, in deren Be- schaffenheit ursprünglich die menschliche Ausbildung vor- bestimmt sey. Vollends eine Mehrheit von Anlagen in dem einfachen Wesen der Seele, ist eine metaphysische Ungereimtheit; wie wir mehrmals erinnert haben. Die analytische Untersuchung über das Eigenthüm- lich-Menschliche muss von solchen Thatsachen ausgehn, die zu den unbezweifelten Grund-Charakteren der Mensch- heit gehören. Sie muss zuerst die nächsten und offen- barsten Folgen derselben hervorheben, und alsdann zu- sehen, welche nähere Bestimmungen sich aus deren Ver- bindung mit der allgemeinen Beschaffenheit des geistigen Lebens ergeben. Der Mensch hat Hände ; er hat Sprache . Er durchlebt eine lange, hülflose Kindheit ; und nur da, wo diese Kindheit von erwachsenen Menschen gepflegt ist, sieht man ihn beträchtlich über das Thier sich erhe- ben. Von der Gesellschaft, in welcher er heranwächst, ist er äusserst abhängig in Ansehung des Grades von Bildung, den er erreicht. Das Wesentliche ist hier die Masse von Vorstellun- gen, und die Verarbeitung derselben, welche aus den angezeigten Eigenthümlichkeiten des Menschen entsprin- gen muss. Die Betrachtungen, welche sich darüber an- stellen lassen, sind bekannt genug; und wir dürfen ihrer nur erwähnen, um sie mit unsern frühern Untersuchun- gen in Verbindung zu setzen. Beachtet man ein junges Thier, zu der Zeit, wo es spielt , wie wir sagen, oder besser, wo es die äussern Gegenstände nach seiner Art betastet, sie hin und her wirft, und ihnen die mannigfaltigen Erscheinungen, welche sie darbieten können, abzugewinnen sucht: dann muss es auffallen, wie sehr dem Thiere die Hände fehlen, schon bloss in so fern dadurch die Dinge genöthigt werden, ihre sinnlichen Kennzeichen zu offenbaren. Das Thier kann nichts eigentlich greifen, nichts bequem zur Anschauung hinstellen; es erfährt nichts von allen dem, was durch den Gebrauch der Hände das menschliche Kind aus den Versuchen lernt, die es mit den Dingen vornimmt. Deshalb bleibt der Vorstellungskreis des Thiers schon in seinen allerersten Anfängen hinter dem menschlichen zu- rück. Hier macht der Elephant mit seinem Rüssel, so wie der Affe mit seinen, der Hand ähnlichen Werkzeu- gen, gewissermaassen eine Ausnahme, die offenbar ihre bedeutenden Folgen hat. Dabey müssen wir die Frage erheben, ob das Thier so mannigfaltiger Sensationen durch die gleichen Sinne fähig sey wie der Mensch? Der scharfe Geruch mancher Thiere scheint dennoch das Wohlriechende nicht zu ken- nen. Auch das Bunte der Farben macht auf sie nicht den Eindruck, den man erwarten müsste, wenn sie die Farben wie wir unterschieden. Da es sogar Menschen giebt, die nach Kants Ausdruck alles gleichsam im Kup- ferstich sehen Kants Anthropologie S. 55. , so ist leicht zu erwarten, dass wenig- stens vielen Thiergattungen keine vollkommnere Sinnes- empfindung zugetheilt seyn möge; — wodurch wiederum der ursprüngliche Vorrath an Elementar-Vorstellungen eine sehr bedeutende Verminderung erleidet. Vereinigt sich nun beym Menschen die Hand mit den für mannigfaltigere Eindrücke empfänglichen Sinnen, um an jedem Dinge eine bedeutend grössere Zahl von Merkmalen ursprünglich aufzufassen: so ist doch noch wichtiger das Handeln , welches von der Hand den Na- men wie die Möglichkeit erhalten hat. Mit denjenigen Gefühlen, die unmittelbar aus den Bewegungen und Beugungen der Hand und ihrer Finger entstehen, compliciren sich die Vorstellungsreihen, wo- durch die Veränderungen der durch jene Bewegungen behandelten Gegenstände aufgefasst werden. Aus den Com- plicationen entstehen Reproductionsgesetze, nach welchen wiederum rückwärts auch die Vorstellungsreihen, durch wel- che eine ähnliche Veränderung der Gegenstände gedacht oder begehrt wird, die zugehörigen Gefühle hervorrufen. Hieraus erklärt sich das Handeln , wenn wir noch den physiologischen Umstand hinzunehmen, dass mit dem Wieder-Erwachen der Gefühle, welche früherhin durch die Bewegung der Hand hervorgebracht wurden, auch ein Austoss gegeben ist, der nun rückwärts dieselbe Be- wegung hervorbringt. Was diese Verbindung des Lei- bes und der Seele anlangt, so wird darüber im folgenden Abschnitte etwas gesagt werden. Hier haben wir es noch bloss mit den Verbindungen der Vorstellungen unter ein- ander zu thun. Das eben bemerkte gilt nun zwar von allen beweg- lichen und zugleich empfindlichen Theilen des Leibes, von allen Gliedmaassen, der Thiere sowohl als der Men- schen; und es erklärt sich daraus jede Art des leiblichen Handelns, auch ohne Hände. Aber die menschliche Hand, durch ihre ausgezeichnete Geschicklichkeit, bewaffnet die Strebungen und Begehrungen des Geistes ungleich voll- ständiger, ungleich erfolgreicher, als dies bey den Thier- geschlechtern der Fall seyn kann. Die Hand macht aus jeder körperlichen Masse einen Diener und Verkündiger des Willens; ja sie macht aus einem Klotze vermittelst eines andern Klotzes durch Schlagen, Stossen, Reiben, endlich ein passendes Werkzeug für bestimmte Absich- ten; aus den ersten Werkzeugen werden andre kunstrei- chere; und aus der Zusammensetzung der Werkzeuge werden Maschinen. Auf diesem Wege bilden sich zahl- lose Beobachtungen und Erfahrungen, die den Gedan- kenkreis bereichern; und beynahe an jede Begehrung knüpft sich die Vorstellung eines Mittels , wodurch die- selbe könnte befriedigt werden. §. 130. Das Sprechen ist ursprünglich eine Art des Handelns. Anfangs schreyet das Kind, anstatt zu sprechen; und be- sonders bey eigensinnigen Kindern, deren Wünsche auf ihr Geschrey mehrmals sind befriedigt worden, sieht man deutlich, wie die Begierde das Schreyen in Dienst nimmt, und dasselbe gerade wie ein Werkzeug gebraucht. Auf ganz ähnliche Weise werden späterhin die articulirten Laute angewendet, welche mit den Vorstellungen der Gegenstände und ihrer Veränderungen sich compliciren. Denn es bedarf kaum einer Erinnerung, dass die Worte der Muttersprache mit ihren Bedeutungen vollkommene Complexionen bilden; deren Bewegungen aus den da- hin gehörigen Gesetzen der Statik und Mechanik des Geistes zu erklären sind. Die Hemmungen unter Complexionen hängen be- kanntlich von den Hemmungen unter ihren Elementen ab. (§. 58. u. s. w.) Also müssen auch die Hemmungen der Vor- stellungen von Dingen bedeutende Modificationen anneh- men wegen der Hemmung unter den Vorstellungen der blo- ssen Worte. Und was das auffallendste ist: auch solche Vorstellungen, die einander für sich allein nicht hemmen, wie schwarz und süss , oder wie ein Ton und ein Geruch, gerathen doch in eine Hemmung durch die an sie ge- knüpften Zeichen; indem sowohl die Vocale als die Con- sonanten der zugehörigen Benennungen, ja endlich die dazu nöthigen Schriftzüge, unter einander entgegengesetzt sind. — Noch mehr: die ganzen Massen und Reihen von Vorstellungen, welche auf einmal, oder doch mit mancherley gleichzeitigen Bewegungen ins Bewusstseyn treten, können nicht eben so zum Worte kommen; sie müssen sich, um ausgesprochen zu werden, in eine Rei- henfolge ausstrecken; und sie können, nachdem sie aus- gesprochen sind, als eine Zeitreihe überschaut werden. — Das Sprechen ist eine Arbeit . Wie diese von einer Vorstellungsmasse abhängt, in welcher der Begriff des Zweckes herrscht und beharrt, während die Vorstellun- gen der successiv anzuwendenden Mittel in einer bestimm- ten Folge ablaufen: so auch muss der ganze auszuspre- chende Gedanke dem Sprechenden beständig vorschwe- ben, doch so, dass die hineingehörigen Theilvorstellungen, und besonders die der hervorzubringenden Sprachlaute, sich in einer regelmässigen Succession entwickeln. Dies muss mannigfaltigen Einfluss auf die Gedanken selbst haben. Doch die wichtigste Wirkung erfolgt erst da, wo die Sprache zum Gespräch wird; sie erfolgt in der Ge- sellschaft . Durch das Gespräch kann nämlich eine anhal- tende und zusammenhängende Beschäfftigung des Geistes mit dem Abwesenden und Vergan- genen entstehen. Wenn Einer die zufällige Erinnerung an ein Abwesendes ausspricht: so erwachen in dem An- dern Associationen, welche, abermals ausgesprochen, dem Ersteren zur Verlängerung des Fadens Gelegenheit ge- ben, an welchem sie von nun an beyde fortspinnen. Die hörbaren Worte, und die Gegenwart einer mitredenden Person, leihen auch dem Abwesenden eine Art von Ge- genwart; und das Abweichende der zusammenstossenden Vorstellungsarten nöthigen einen Jeden zu einer neuen Bearbeitung der eigenen Gedanken. Hiebey leistet sowohl das Aussprechen und Heraus- sagen, als die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen, wesentliche Dienste. In dem Augenblick des Aussprechens hebt sich die Vorstellung gerade dessen, was eben jetzt ausgesprochen wird, zu einer Höhe im Bewusstseyn, auf der sie allein steht, indem sie für diesen Augenblick allem Uebrigen den Zugang zum Worte versperrt. Auf dieser Höhe kann sie sich nicht nur nicht halten, sondern sie sinkt auch unfehlbar um so tiefer zurück, je mehr Gewalt sie gegen die übrigen Vorstellungen ausgeübt, oder je mehr sie nach unserm gewohnten Ausdrucke, dieselben in Spannung gesetzt hat. Nach ihr erhebt sich die jezt am meisten gespannte, oder durch den herrschenden Haupt- gedanken hervorgetriebene, nun um so freyer, da das vorige Steigen jener, sie nicht mehr hindert. So kommt nach und nach an alle die Reihe, ausgesprochen zu wer- den. Und die ganze Reihe wird Gegenstand der innern Wahrnehmung, indem die ausgesprochenen Worte und der Sinn, den sie als Worte geben können, gleichsam wieder aufgefangen wird von der nämlichen Vorstellungs- masse, welche in diesen Worten, passender oder un- passender, vollständiger oder unvollständiger, ihren Aus- druck gefunden hat. Die Absicht, dem Andern etwas mitzutheilen, bringt vollends Ordnung in die Rede, und unterscheidet sie von zerstreut ausgestossenen Lauten. Gerade so, wie über- haupt jede Arbeit dadurch in einen regelmässig fortlau- fenden Zug gebracht wird, dass in jedem Augenblick das Schon-Vollführte unterschieden wird von dem noch zu Vollbringenden. Indessen wegen der Voraussetzung, dass der Andere, dem etwas mitgetheilt werden soll, schon als Person aufgefasst sey, können wir an diesem Orte noch nicht deutlich entwickeln was dabey vorgche; vielmehr gehört der Gegenstand zum Theil in das fol- gende Capitel. Wie äusserst folgenreich aber die Verweilung bey dem Abwesenden und Vergangenen, wovon gespro- chen wird, ausfallen müsse, dies ist nicht schwer einzu- sehn. Dadurch wird die Last der unmittelbaren sinnli- chen Gegenwart, welche ohne Zweifel das Thier fort- dauernd drückt, hinweggehoben; dadurch werden die älte- ren Vorstellungen in sehr viele neue Verbindungen ge- bracht, und eben durch diese Verbindungen in ungleich stärkere Totalkräfte umgewandelt. Man erinnere sich hiebey der Grundsätze über Verschmelzungen und Com- plicationen; und auch des Umstandes, dass zugleich stei- gende Vorstellungen inniger verschmelzen, als zugleich sinkende; (§. 93.). Dieses nun ist ohne Zweifel die we- sentlichste Grundlage der eigentlich menschlichen Ausbil- dung, dass es für den Menschen eine innere Welt giebt, die, wenn sie gleich Anfangs selbst nur äussere Dinge vorstellt, doch dem eben jetzt sinnlich Gegen- wärtigen widersteht; so dass der Mensch aus dem Strome der Zeit einen Fuss herauszusetzen, und den Augenblick zu vergessen vermag, dessen Eindrücke sonst nur abge- rissene Reminiscenzen aus der Vergangenheit zugelassen, aber eben durch das Abreissen die Vergangenheit selbst zerstört haben würden. Oder giebt es für das Thier eine Vergangenheit? Kann es die jetzige Zeit unbemerkt fliessen lassen, um sich in der früheren einen Standpunct zu wählen, von wo es vorwärts und rückwärts schaue? — Besässe das Thier eine Vergangenheit, so hätte es auch eine Zukunft. Denn es ist leicht zu sehen, dass nur die einmal gebil- dete Vorstellung von einer längern Zeitstrecke, auf ver- schiedene Zeitpuncte als auf Anfangspuncte darf übertra- gen werden, um auch über den gegenwärtigen fortgescho- ben, die Aussicht in die Zukunft, mit allen ihren Erwar- tungen, Hoffnungen, Befürchtungen, in eine unbestimmte Form hinaus zu eröffnen. Das Gespräch kann die Vorstellungen des Vergan- genen und Abwesenden vesthalten, stärken, ausbilden; aber ob dieser Keim der Menschheit sich entwickeln solle oder nicht: das hängt von tausend Nebenumständen ab. Erinnert man sich der wilden Nationen, z. B. der Busch- männer an der Südspitze von Afrika, so sicht man wohl, dass im Menschen nicht allemal die Menschheit gedeiht. Doch hat die Natur noch eine wichtige Veranstaltung getroffen, welche hiebey dem Menschen weit wohlthätiger wird als dem Thiere. Sie beschäfftigt durchgängig das Erwachsne mit den Bedürfnissen des Neugebornen; aber den Menschen zeichnet sie aus durch seine Nacktheit, seine Schwäche und Unbehülflichkeit, durch die Lang- samkeit seiner Entwickelung. So spannt sie die Sorgfalt der Mutter, und bey der geringsten Bildung auch des Vaters, weit höher; sie hält Kinder und Eltern weit län- ger zusammen; sie nöthigt das menschliche Geschlecht zu einem mehr geselligen Leben, und zu gegenseitigen Diensten. In der langen Kindheit sammeln sich überdies die Vorstellungen weit mehr an, bevor aus dem Handeln in der Aussenwelt eine Routine entsteht, an die sie fortan gefesselt werden könnten. Das menschliche Kind weiss viel mehr als das Thier, wann beyde in Hinsicht der Versuche mit ihren Gliedmaassen, auf dem gleichen Puncte stehn. Daher sind die Versuche des ersteren weit man- nigfaltiger und belehrender. Sie dauern auch länger fort, je weniger sie Anfangs der Bedürftigkeit entsprechen, der sie abhelfen sollten. In den gebildeten Zuständen endlich macht allein die lange Kindheit eine regelmässige Erziehung möglich. Hieraus erklärt es sich grossentheils, warum gerade die schönsten Länder der Erde, bey abgekürzter Kindheit, weniger menschliche Bildung erzeugen. Doch genug von Betrachtungen, die jeder Unterrich- tete nach Belieben verlängern kann. Fragt man nach einem specifischen Charakter der Menschheit, der sie nicht körperlich, sondern in Ansehung des geistigen Lebens, ursprünglich und allgemein auszeichne; und der nicht auf einem Mehr oder Weniger beruhe: so gestehe ich, dass ich einen solchen nicht kenne, und für nicht vorhanden halte. Ich berufe mich dabey nicht auf die Unmöglichkeit, in eine Thierseele hineinzuschauen; ob- gleich manches darin vorgehn kann, das wir nicht einmal ahnden; und obgleich vieles sehr wahrscheinlich darin vorgeht, was diejenigen gern läugnen möchten, die den Menschen durch eine scharfe Linie meinen vom Thiere absondern zu müssen. Ich berufe mich auch nicht auf die grossen Verschiedenheiten der zahlreichen Thierge- schlechter unter sich; indem ich vielmehr gern einräume, dass hier nur von den wenigen edlern Thiergattungen die Rede seyn könne, welche dem Menschen zunächst ste- hen; weil ein Unterschied, der über sie erhebt, ohne Zweifel vor dem ganzen Thierreiche Auszeichnung giebt. Wohl aber besorge ich, dass man die grossen Unter- schiede, die aus dem Mehr und Weniger, in Rücksicht des Vorraths und der Verbindung der Vorstellungen, entstehn müssen, niemals ernstlich genug erwogen habe; und zudem bin ich völlig überzeugt, dass man viel zu voreilig das Selbstbewusstseyn, die sittlichen Gesetze, die Begriffe vom Unendlichen und von der Gottheit, nebst andern ähnlichen, für etwas ursprüngliches, nicht weiter abzuleitendes gehalten, und dadurch die Speculation nicht gefördert, sondern beschränkt und gehindert habe, ihr Werk gehörig durchzuführen. Denn es ist reiner Ver- lust für die Speculation, wenn man das zu Erklärende absolut hinstellt, und es der Frage, warum es also sey, und wie es mit Anderem zusammenhänge, ohne weiteres durch die Behauptung entzieht, es sey nun einmal so und nicht anders . — Nicht einmal der am Ende des vorigen §. angegebene Charakter, der Blick in die Zu- kunft, ist für den Menschen schlechthin unterscheidend. Denn jedes Thier wird schon durch seine Begierden we- nigstens um etwas über den gegenwärtigen Moment hin- ausgeführt; da die Befriedigung der Begierde nothwendi- gerweise als etwas künftiges vorgestellt, wenn gleich kei- nesweges durch einen abgesonderten Begriff des Künftigen, gedacht werden muss. — Noch weniger aber können jene Begriffe vom Ich, vom Unendlichen, u. s. w. die Menschheit allgemein charakterisiren. Das Kind in seiner frühesten Periode hat sie nicht; der Wilde kommt ihnen vielleicht nicht so nahe als manches Thier. Aber, sagt man, die Anlage dazu ist doch vorhanden! Das sagt man, nämlich in der Hoffnung, die Metaphysik werde so geduldig seyn, sich die ursprünglichen Anlagen gefallen zu lassen. Wenn sie nun nicht so geduldig ist, so wird man es schon darauf müssen ankommen lassen, ob vielleicht eine fortschreitende Psychologie dies alles als Producte einer Veredelung erklären könne, zu welcher der Mensch wegen der vorzüglichen Hülfsmittel gelangt, die von der Gunst seines höchsten Bildners ihm sind zu- getheilt worden. Anmerkung . Es ist eine herrschende Liebhaberey, die Vorzüge des Menschen vor den Thieren nicht bloss zu bemerken und anzuerkennen, sondern zu bewundern und zu über- treiben. Wie man früher die Rasse der europäischen Menschen anpries, und andre Rassen, als seyen sie zu unedel, aus der Gemeinschaft des gleichen Ursprungs mit jenen ausschloss, ohne dazu hinreichende Gründe zu ha- ben Wenigstens nach dem Urtheile des Herrn Hofr. Schulze, in der Anthropologie §. 37. Meine Sache ist es nicht, Parthey zu nehmen, wo ich keine hinreichenden Entscheidungsgründe sehe. : so thut man jetzt so spröde gegen die Thiere, als ob die Psychologie (nicht etwan wegen unserer sub- jectiven Beschränktheit des Wissens, sondern an sich, und in der Wahrheit,) nichts anderes wäre als Anthro- pologie, und als wenn z. B. die Aufmerksamkeit des Jagdhundes, die Fähigkeit des Pferdes, den rechten Weg zu finden, wenn der Reiter ihn verloren hat, lauter Dinge wären, die sich von selbst verstünden, oder die man wohl den Physiologen überlassen könne. Ich ersuche den Leser, bloss zur Probe den §. 128. in seinen Bezie- hungen auf die Mechanik des Geistes zu durchdenken; und dann nach diesem geringen Maassstabe, einmal die Grösse der Unwissenheit, wenn auch nur obenhin, zu schätzen, worin sich Diejenigen befinden, die über die Thiere so leicht hinwegkommen! Diese Unwissenheit, die schon anfängt beym Begriffe der rohen Materie, und alsdann fortwächst durch alle Stufen bis zum Menschen hinauf, erzeugt das Vornehm- thun des Menschen; und zugleich die grosse Bewunde- rung, womit er sich selbst deshalb anstaunt, weil ihm zur Erklärung seines eignen Daseyns alle Vorbegriffe fehlen. Insbesondere ist bey einigen Physiologen, wie es scheint, eine Neigung vorhanden, das, was sie ander- wärts verderben, hier wieder gut zu machen. In ihrer Einbildung ist das Gehirnleben ein geistiges Leben; da man ihnen nun wegen ihres Materialismus gerechte Vor- würfe macht, so suchen sie sich herauszuhelfen, indem sie das menschliche Gehirn als etwas ganz besonders Vortreffliches auszeichnen, obgleich jeder Unbefangene einsieht, dass eben hier, in der Gemeinschaft der Gehirne, deren Bau nur solche Unterschiede zeigt, die gegen die Aehnlichkeit beym Menschen und bey den höhern Thieren geringfügig sind, ganz offenbar Menschheit und Thierheit nahe zusammen gränzen; so dass man die Kluft, die sich zwischen beyden findet, an ganz andern Stellen auf der Leiter der organischen Wesen erwarten sollte. Früherhin glaubte man, dass denjenigen Thieren, die zunächst auf den Menschen folgen, die Sprachwerk- zeuge fehlten; und hierin schien ein Hauptgrund des Unterschiedes zu liegen, da die Sprache der Anfang aller ge- gesellschaftlichen Bildung ist. Wenn man den Hund bellen, das Pferd wiehern hört, so kann man wohl auch nicht auf den Gedanken kommen, dass diesen sonst klu- gen Thieren das Sprechen mechanisch möglich wäre; vielmehr liegt die Erwartung nahe, sie würden, wenn ihre Stimmritze nur einige Gelenkigkeit besässe, daraus etwas machen, das ihrem übrigen Betragen angemessen wäre, und hierin das Hülfsmittel zwar nicht einer menschli- chen, doch einer höhern Ausbildung finden, als sie jetzt besitzen. Sehr auffallend war mir daher bey Rudolphi (Phy- siologie §. 32.) die Behauptung: „ mechanische Hin- dernisse sind gewiss nicht Schuld daran, dass die Thiere keine Sprache besitzen .“ Ich weiss nicht, ob ich dieselbe recht verstehe. Nicht mecha- nisch; also psychisch ; — das scheint, nach dem Zusammenhange zu urtheilen, der beabsichtigte Sinn zu seyn. Soll sich nun wirklich dieser Satz auch auf die Hunde beziehen? Auf sie, die auf so mancherley Weise an menschlichen Angelegenheiten Theil nehmen; die dem Menschen so gern Folgsamkeit beweisen, und ihm Hülfe leisten? Also während Papageyen und Elstern auf mensch- liche Töne merken, und sie nachahmen, ohne von dem, was der Mensch wünscht und will, das Geringste zu fas- sen, kann der Hund, des Jägers und des Hirten treuer und geschickter Gehülfe, nur bellen und heulen, — oder vielmehr, er könnte sprechen, und versucht es doch niemals auch nur im Geringsten? — Herr Professor Rudolphi redet an jener Stelle ei- gentlich von den Affen; und es scheint fast, als habe er an Hunde, Pferde, Elephanten, nicht gedacht. Dass aber die turpissima bestia , welche dem Menschen am meisten ähnlich seyn soll, sich doch wohl mehr äusserlich als im Wesentlichen, (in Hinsicht des Nervensystems, und des Einflusses desselben auf den Geist,) dem Menschen nähere, schliesse ich aus dem Umstande, dass die Affen II. Q der heissen Zone angehören, und dass keine einzige Art dieses zahlreichen Geschlechts sich weiter verbreitet hat, während ein ganz besonderer Vorzug des menschlichen Leibes in seiner Biegsamkeit für die verschiedenen Kli- mate liegt. Die Biegsamkeit und Nachgiebigkeit des Or- ganismus ist aber, wie sich im dritten Abschnitte zeigen wird, gerade die Hauptsache; er braucht nur den psy- chologischen Mechanismus nicht zu hindern; alle posi- tive Mitwirkung wollen wir ihm gern erlassen; wenn näm- lich vom Nervensystem die Rede ist; und hinweggesehen von der bekannten Verknüpfung des Geistes mit der Au- ssenwelt durch Empfindung und Bewegung. Daher halte ich den Einfall eines Franzosen, die Affen sprächen nicht, weil sie nichts zu sprechen hätten, wenigstens nicht für geeignet, auf alle Thiere ohne Un- terschied ausgedehnt zu werden. — Ich kann mich nicht rühmen, die Hunde genauer zu kennen, als Jeder sie kennt, oder kennen lernen könnte, der ein paar derglei- chen um sich hat; allein auf diesem ganz gemeinen Wege, und bey einiger Aufmerksamkeit auf die übrigen bekannten Hausthiere, bin ich — ganz unabhängig von aller Theorie, und mit absichtlicher Abstraction von der- selben, zu der Meinung gekommen, dass nicht bloss die Hunde sprechen würden, wenn sie Sprachwerkzeuge hät- ten Es ist übrigens sehr gut, dass sie nicht sprechen können. Ihre Sprache würde höchst unvollkommen bleiben, wegen der übrigen früher angeführten Gründe; und höben sie sich ja merklich über ihren jetzigen Standpunct, so würde der Mensch sie nicht mehr neben sich leiden. , sondern auch, dass andre Thiere, die schon weit hinter ihnen stehn, noch mehr durch das Unbehülfliche ihrer äussern Organe, als in geistiger Hinsicht be- schränkt sind. Die Einbildung aber, als ob die Ehre des Menschen bey solcher Ansicht etwas leiden könne, ist eine so lä- cherliche Schwachheit, dass ich nicht Lust habe, darüber noch ein Wort zu verlieren. Und die Erfahrungen, auf welche es hiebey ankommt, sind so unabhängig von dem grossen Werkzeuge der physiologischen Entdeckungen, — dem anatomischen Messer, — dass es sich sogar noch fragt, ob Derjenige, der sich zu einer Vivisection entschliessen kann, jemals Gelegenheit haben wird, einen Hund genau zu beobachten. Denn wie fein dies Thiergeschlecht die Menschen unterscheidet, wie bestimmt es das Benehmen zurückgiebt, was ihm widerfährt, das sieht man desto deutlicher, je sorgfältiger man darauf merkt. Uebrigens ist meine Meinung von den Thieren nur eine Meinung: mehr Nichts als das sind aber auch die positiven Behaup- tungen, die man in den Anthropologien zu lesen pflegt: „alle Laute, welche die Thiere von sich geben, wenn sie auch einander dadurch anlocken oder warnen, seyen nur mechanische Zurückwirkungen ihres Körpers auf ei- nen in demselben erregten Reiz; und werden von ihnen ohne Absicht auf Mittheilung der Erkenntnisse hervor- gebracht.“ Diese Worte (die Sache ist allbekannt,) schreibe ich ab aus Schulzens Anthropologie; mit einigem Be- dauern, dass auch dort von dem Wunderbaren der Sprache, mit Beyfalle für Herdern, in Ausdrücken ge- redet wird, die mir zu stark scheinen. Worin liegt denn das Wunderbare der Sprache? In ihrem Ursprunge oder in ihren Wirkungen? Wir wollen beydes näher ansehn; vorläufig bemerke ich nur, dass schon Herr Hofrath Schulze selbst die Erklärung des Ursprungs angedeutet hat. Wenn Sprache, ihrem Begriffe nach, absichtliche Mittheilung der Gedanken durch willkührliche Zeichen ist, so konnten die ersten Mittheilungen unmöglich durch Sprache geschehn. Denn willkührliche Zeichen müssen verabredet werden, sonst würden sie entweder nicht verstanden, oder höchstens errathen werden; auf das Er- rathen aber kann der Sprechende nicht rechnen. Die Sprache setzt also Verabredung, diese aber setzt Sprache voraus; mithin drehen wir uns im Kreise. Man schlage Q 2 nun den Weg ein, den man durch die Methode der Be- ziehungen kennt; das heisst, man entschlage sich des ungereimten Gedankens; und setze dessen Gegentheil an die Stelle. Die ersten Mittheilungen also geschehen ent- weder nicht absichtlich, oder nicht durch willkührliche Zeichen; sie waren nicht Sprache. Gleichwohl verstand man einander; und glaubte sich verstanden. Dies errieth man aus dem zusammenstimmenden Handeln, welches den gemeinsamen Gedanken gemäss war; es konnte aber leicht zusammenstimmen, wenn man unter gleichen Um- ständen gleiche Bedürfnisse hatte. Die Naturlaute, oder zufälligen Aeusserungen bey Gelegenheit des gemeinsa- men Handelns, reproducirten sich bey Jedem in wieder- kehrender Lage; riefen Jedem den nämlichen Gedanken zurück; und waren mit Erwartung eines ähnlichen ge- meinsamen Handelns von beyden Seiten ohne weiteres Fragen und Zweifeln verknüpft. Wie es zugehe, dass Einer den Andern verstehe; und ob er wohl verstehn oder misverstehn werde? Das wurde nicht gefragt noch bedacht; sondern das Handeln war es, worauf, ohne alles Denken an das Denken des Andern, die Erwartung und die Aufmerksamkeit sich richtete. Blieb nun aber das erwartete Handeln des Andern aus, dann legte man mehr An- strengung in den damit complicirten Laut, auf eine Weise und aus einem Grunde, worauf im §. 150. mehr Licht fallen wird. Da fing die Absichtlichkeit des Sprechens an; die Willkühr in der Ursprache aber ist eine Fiction, wie die Contracte, worauf die Staaten ursprünglich sol- len gegründet seyn. Die einmal verstandenen Zeichen veränderten sich durch Abkürzung, und durch Zusam- mensetzung; beydes wechselsweise; so dass aus abgekürz- ter Zusammensetzung die Flexionen und Derivationen entstanden. Dass späterhin die Sprache sich fortbildete wie die Werkzeuge, deren roheres stets das bessere verfertigen hilft, versteht sich von selbst, und bedarf keiner Erläuterung. Die Willkühr nahm Platz, als die Sprache schon nicht mehr Ursprache war, so wie die Contracte in die Staaten kommen, nachdem sie schon stehen. Etwas schwerer mag die Frage von der Wirkung der Sprache seyn; doch hat man auch hievon zu viel Aufhebens gemacht. Dass man vermittelst der Sprache denke , ist ganz unrichtig. Man kann nicht ohne die Worte denken, nachdem die Vorstellung der letztern mit den Begriffen complicirt ist, weil der psychologische Me- chanismus an die Complication gebunden ist, und voll- kommne Complicationen unter gar keinen Umständen können getrennt werden; so, dass mit Sicherheit aus der Trennung auf die Unvollkommenheit der Verbindung zu schliessen ist. Die Summe aber, oder der Grad des Vor- stellens, oder die Innigkeit der Verbindung unter den Merkmalen eines Begriffs, dies alles, worauf die Wirk- samkeit unserer Vorstellungen beruht, wächst nicht im geringsten durch das angeheftete Zeichen. Eine Täu- schung, als ob ein Ding ohne Namen nur unvollständig erkannt wäre, kann daher entstehn, weil, nachdem alle andere Dinge den Ballast eines Worts an sich tragen, dem Namenlosen ein Zusatz zu fehlen scheint, wenn es mit jenen ins Gleichgewicht treten soll. So bildet sich wohl auch Einer, der eine fremde Sprache, noch ausser der Muttersprache gelernt hat, ein, es fehle ihm etwas an der Kenntniss des Gegenstandes, den er in die fremde Zunge nicht übersetzen kann! Aller Vortheil der Sprache beruhet auf dem geselli- gen, gemeinsamen Gebrauch; auf der Verlängerung und Berichtigung der eignen Gedanken durch die der Andern. Aber für den Einzelnen ist das Anheften der Gedanken an die Sprache sogar nachtheilig. Denn hiedurch treten für ihn die mehr und die minder verstandenen Worte, — diejenigen, die für ihn mehr und weniger Sinn haben, — scheinbar in Einen Rang. Daher so viel thörichter Wortkram, und so viel Eitelkeit, Unlauterkeit, falsche Schätzung des Wissens, Dreistigkeit des sinnlosen Plau- derns! Eher würde dem Einzelnen die Schrift behülflich seyn können. Diese fixirt wirklich manchmal die Gedan- ken, um sie zu Objecten des weiter fortschreitenden Den- kens zu machen. Das zeigt sich jedoch weit mehr beym Rechnen, und beym Aufbehalten des Geschichtlichen, als beym Philosophiren, dem vielmehr das voreilige Nieder- schreiben unreifer Einfälle unsäglichen Schaden zufügt. Man weiss, wie Platon die Buchstaben verklagt; und Homer bedurfte ihrer nicht. Diejenigen, welche die intellectuale Anschauung an- preisen, und das discursive, in der Sprache ausgedrückte Denken herabsetzen, haben in so fern nicht ganz Un- recht, als das Kleben am Symbol, wenn man sich darauf lehnt und stützt, das wahre Wissen zerbröckelt, und das Scheinwissen einschwärzt. Es wäre nur zu wünschen, dass jene selbst sich aus dem Wust ihrer Worte her- auszuarbeiten verstünden. Gäbe es eine intellectuale An- schauung: so würde ihr Angeschautes unaussprechlich seyn. Gerade dieselbe Eigenschaft hat aber auch das wahre Wissen, welches aus dem discursiven Denken am Ende hervorgeht. Resultate vieljähriger Forschungen be- dürfen vieler Worte, um vorgetragen zu werden, aber der Vortrag, der alle diese Worte auf Einen langen Fa- den reihet, ist nicht das Wissen selbst, welches in bey- nahe ungetheilter Ueberschauung die ganze Kette der allmählig ausgebildeten Gedanken trägt und vesthält. §. 131. So wenig nun auch eine scharfgezogene Gränzlinie zwischen Mensch und Thier kann gerechtfertigt werden: so bestimmt lässt sich gleichwohl der Grund angeben, weshalb in dem Gedankenkreise des gesellschaftlich le- benden Menschen sich Keime entwickeln müssen, deren Ausbildung beym Thiere so unmöglich ist, dass eine un- geheure Kluft in der Gesammt-Erscheinung der Mensch- heit und Thierheit daraus nothwendig entstehen muss. Um dies zu begreifen, gehe man zurück zur innern Ap- perception. Es ist nämlich klar, dass auch die innere Wahr- nehmung, wenn sie durch die äussere nicht gestört wird, und wenn der Wechsel der aufsteigenden Vorstellungen einigermaassen lebhaft ist, — ihre Reihen bilden muss, die aus der Succession und Verschmelzung jener Vor- stellungen entspringen; gerade so wie die äussere Wahr- nehmung diejenigen Reihen bildet, die uns die Aussen- welt bereitet. Nur hängt das innere Erscheinen der Vor- stellungen vom psychologischen Mechanismus ab, dessen continuirliche Bewegung keine so scharf abgeschnittenen, so plötzlich ganz hervortretenden, und in grosser Fülle gleichzeitig beharrenden Objecte liefern kann, wie sich dergleichen, den äussern Sinnen, und besonders dem Auge, darzubieten pflegen. Dagegen wird die Reihe des- sen, was im Innern erscheint, gleichmässiger fortlaufend die Zeit ausfüllen können; statt dass auf eine ganz un- bestimmte Weise die Aussendinge bald sehr rasch wech- selnd, bald wieder ohne irgend eine merkliche Abände- rung während mehrerer Stunden, kommen und gehen, oder stehen und beharren. Auch werden sich Reihen aus dem was innerlich erscheint, und dem was äusserlich hinzukommt, zusam- mensetzen, wenn das letztere den Fluss des Vorherge- henden zwar unterbrechend, aber doch nicht gewaltsam verderbend, sich einmischt. Die stärkeren Vorstellungs- massen werden alsdann Eins mit dem Andern appercipi- ren und formen. — Unterbrechungen der Art entstehen natürlich dann, wann etwas gesehen, gehört, gefühlt wird, das mit den eben in Bewegung begriffenen Vorstellungs- reihen sich näher verbinden kann. Gesetzt nun, es gäbe für diese, entweder gnnz oder zum Theil aus dem innern Flusse der Vorstellungen er- zeugten Reihen, ähnliche Gesetze, wie für die, welche gemäss der Succession der Empfindungen zusammenschmel- zen: so würden für dieselben Reihen nicht bloss Zustände der Involution und Evolution eintreten; sondern auch eine vielfältige Reproduction und Verschmelzung solcher Rei- hen, die gleiche Anfänge haben; daher aber auch eine ähnliche Verkürzung und Isolirung , wie wir schon im §. 101., und wieder im §. 121., wo von den Begrif- fen die Rede war, bemerkt haben. Wenn wir nun hier auch unter Begriffen nur Gesammt-Eindrücke des Aehn- lichen verstehn: so ist doch vorauszusehn, dass die nämli- che logische Cultur, wodurch die sinnlichen Gesammt-Ein- drücke zu Begriffen im eigentlichen Sinne verarbeitet wer- den, auch Begriffe der innern Apperception erzeu- gen könne, wofern nur erst der Stoff dazu vorhanden ist. Indessen fehlt es hier nicht an Schwierigkeiten. Sind wir denn auch mit den gleichartigen Vorstellungen, die sich im Innern erheben, im nämlichen Falle, wie mit gleichartigen Empfindungen? Wir wollen uns einmal das Vorstellen als eine Masse denken, welche im Laufe der Zeit anwächst, und sich in der Seele sammelt. Wenn nun eine Empfindung reproducirend wirkt auf eine ältere gleichartige Vorstellung, und mit derselben verschmilzt, (nach §. 82. u. s. w.), so wissen wir gewiss, dass die Verschmelzenden zwey verschiedene Portionen dieser Masse ausmachen. Die ältere Vorstellung konnte nicht wieder Empfindung werden, (§. 82.) es ist aber Empfin- dung hinzugekommen, wozu ein bestimmtes Quantum der Empfänglichkeit nöthig war, (§. 94.); also bildet sich ge- wiss in der Verschmelzung beyder eine neue Gesammt- kraft aus zweyen , zuvor nicht identischen Theilen. Aber bey den, im Innern wiederhohlt aufsteigenden gleichartigen Vorstellungen, ist dieses nicht eben so deutlich. Hier ist keine Empfindung. Dagegen kann eine und dieselbe Portion des Vorstellens sich zu verschiedenen Zeiten ins Be- wusstseyn erheben. Wer nun glaubte, hier seyen zwey verschiedene Massen des Vorstellens in Bewegung, der müsste freylich schliessen, die zweyte werde reproduci- rend wirken auf die erste, (durch Hinwegräumen der hemmenden Kräfte, wie immer,) darauf werde Verschmel- zung, und Erhebung der von jenen beyden ausgehenden Reihen, endlich Verkürzung dieser Reihen, Isolirung, und Bildung eines allgemeinen Begriffs folgen. Aber dies Alles wären Trugschlüsse, wofern die vermeinten zwey verschiedenen Massen des Vorstellens vielleicht nur eine einzige wären, die sich mehrmals ins Bewusstseyn zu er- heben Gelegenheit gefunden hätte. — Unstreitig müssen wir vor dieser Verwechselung auf der Hut seyn, denn es kann sich so ereignen. Aber es kann auch, und wird vielfältig der andere Fall wirklich eintreten. Denn die Massen der sinnlichen Empfindungen, welche diesem Allen zum Grunde liegen, und woraus eben die Reihen, von denen wir reden, sich wieder erheben, — bilden sich bey sehr verschiedenen Gelegenheiten; und bieten einen sehr reichen Vorrath dar, der keinesweges bey sei- nem Entstehen schon sich mit allen seinen gleichartigen Theilen so vereinigt, dass dieselben keine gesonderte Bewegung mehr haben könnten. Davon war schon im §. 125. die Rede, wo die Möglichkeit mehrerer Vorstel- lungsmassen gezeigt wurde; und es kam nur darauf an, wiederum hieran zu erinnern. Wichtiger scheint eine andre Schwierigkeit. Wenn die reproducirende Vorstellung eben jetzt durch den äu- ssern Sinn gegeben wird, so ist sie im ungehemmten Zu- stande, und kann hiedurch einen starken Druck ausüben, wodurch das Hemmende zurückgetrieben, und der ältern gleichartigen Vorstellung freyer Raum geschafft wird. Allein wie wenn alles bloss innerlich vorgeht? Die re- producirende Vorstellung ist dann selbst eine vorüber- schwindende Reihe; kaum wird sie Zeit haben, eine andre gleichartige so hoch emporsteigen zu machen, dass eine bedeutende Verschmelzung erfolgen könnte, sie wird schon zu ihren mittlern Gliedern vorgerückt seyn, während nur eben die ersten Glieder der andern sich regen; und die mindeste Hemmung zwischen ihnen, wird beyde herab- drücken. Oder ist die andre stark genug, so überflügelt sie jene; sie wird nun die vorzugsweise vergegenwärtigte, und es erfolgt wiederum keine merkliche Verschmelzung. Alles ist hier zu unstet und flüchtig. Dieser Nachtheil, worin die Bildung von Begriffen dessen was bloss innerlich vorgeht, sich gegen die der Aussendinge befindet, ist so offenbar, und zugleich so fühlbar, wenn wir unsre Gedanken absichtlich bearbeiten wollen: dass ein sehr grosser Unterschied eintreten muss, wenn in einem Falle besondere Hülfsmittel vorhanden sind, um die Verschmelzung zu begünstigen, während in andern Fällen dieselben mangeln. Wenn nun der Mensch durch die Werke seiner Hand, und noch weit mehr im Gespräch, veranlasst wird, sich solche Zustände, da Vorstellungen ursprünglich von innen heraus thätig waren und sind, länger gegenwärtig zu erhalten, und durch Beschäfftigung mit dem Abwe- senden und Vergangenen öfter zurückzurufen, so muss er dadurch einen ausserordentlichen Vorzug in Hinsicht der Begriffe von innern Ereignissen, vor andern leben- den Wesen erlangen, welchen die erwähnten Veranlas- sungen fehlen. Und so finden wir es wirklich. Wir haben keine deutlichen Zeichen, dass die Thiere sich von dem, was in ihnen vorgeht, Gesammt-Eindrücke bil- deten; vielmehr überwiegt bey ihnen die Auffassung der Aussendinge, wie es zu erwarten war. Aber beym Men- schen, selbst auf niedern Culturstufen, ist Beschäfftigung mit innern Ereignissen das Vorherrschende des ganzen Gedankenkreises; denn Jeder sucht die Gesinnungen der Andern zu erkennen; ihr Empfinden, Streben und Wirken giebt ihm mehr zu denken als Steine und Bäume; er lebt gesellig, freundlich oder feindlich; und das könnte er nicht ohne Begriffe von innern Zuständen. Aus den verschmolzenen Reihen, die sich in ihm er- zeugten, sind mächtige Vorstellungsmassen gebildet; in diesen liegt nun die appercipirende Kraft, womit er beob- achtet und deutet, sowohl was in ihm selber fernerhin sich ereignet, als auch was die Andern neben ihm thun, und was in ihnen vorgeht. Sollen nun die allgemeinsten Begriffe, die zur Ap- perception dienen, Kategorien heissen, — und das sind offenbar in Hinsicht der Aussendinge die gewöhnlich so- genannten Kategorien, — so wird es deren eben so wohl für die innern Ereignisse, als für die Aussen-Welt ge- ben. Nur mit dem sehr natürlichen Unterschiede, dass sie nicht Dinge — etwas Stehendes, Beharrendes, — sondern ein Geschehen andeuten werden; weil alles Innerliche im steten Vorüberschwinden ist, und nur als ein Fliessen, Uebergehn, als eine Reihe von nicht deut- lich getrennten Gliedern, kann vorgestellt werden. Doch kann hier nicht der Begriff des Geschehens an die Spitze gestellt werden, weil dieser nicht auf das Innere allein beschränkt ist; wohl aber können folgende Hauptbestim- mungen des innern Geschehens als Kategorien der innern Apperception angesehen werden: Wegen der Worte Handeln und Sich bewegen bedarf es wohl kaum noch der Bemerkung, dass diesel- ben hier in dem Sinne gebraucht werden, wie man sie auf lebende Wesen bezieht, um deren innere Aufregung zu bezeichnen, wovon die äussere Causalität nur das Zei- chen ist. Der Leitfaden, nach welchem die vier Haupt-Kate- gorien gefunden sind, ist leicht zu entdecken. Das Em- pfinden verhält sich zum Handeln wie Herein und Her- aus ; Wissen und Wollen sind Darin ; doch jenes ge- gen den Eingang, dieses gegen den Ausgang (als bevor- stehendes Handeln) hingewendet. Die untergeordneten Begriffe sind hier eben so wenig, als bey den obigen Kategorien, die sich auf Dinge beziehen, vollständig an- zugeben. Es ist der Mühe werth, zu fragen, wofür doch die Kategorien der innern Apperception jenen Männern gel- ten mögen, die in den Kategorien ein ursprüngliches Ei- genthum des Verstandes zu erblicken glauben. Etwa für empirische Begriffe? Doch wohl nicht in dem Sinne, als ob dieselben unmittelbar in der Erfahrung gegeben wären? Welche Erfahrung giebt denn wohl (um nur vom Leichtesten zu reden,) den Begriff des Sehens ? — Jedermann weiss, dass das Auge sich selbst nicht sieht. Gerade so wenig sieht das Sehen sich selbst; es sieht die Farbe; diese ist sein einziger Gegenstand. Oder meint man, das Sehen werde als eine innere Handlung wahrgenommen? Wie sieht denn diese innere Handlung aus ? Man beschreibe doch das, was der innere Sinn thue, oder empfange, in demselben Augen- blick wo der äussere Sinn — der, so viel man bemerken kann, während des Sehens ganz allein thätig ist, — sich in die Farbe vertieft! Dasselbe gilt vom Hören, vom Fühlen, und so weiter. Wäre nun der Umstand, dass man den Ursprung unserer Vorstellungen aus der Empfindung nicht so gar leicht entdecken und erklären kann, schon ein zureichen- der Grund, gewisse Begriffe für angeboren, oder für ur- sprüngliche Formen unseres Erkenntnissvermögens zu hal- ten: so möchte man nur immerhin den Begriff des Em- pfindens, der unmittelbar gar nicht empfunden werden kann, sammt allen seinen untergeordneten, sogleich auch für eine solche ursprüngliche Form ausgeben. Als Kant die Geometrie aus der reinen Anschauung des Raums erklärte, da vergass er die Musik mit ihren synthetischen Sätzen a priori von den Intervallen und Accorden; die er eben so aus der Tonlinie hätte erklä- ren müssen. Als er die dinglichen Kategorien aufstellte, da vergass er die sämmtlichen Begriffe des innern Ge- schehens, gleich als ob sein an Kategorien gebundener Verstand nicht nöthig hätte, sich von dem, was in uns vorgeht, Begriffe zu bilden. Hatte denn von allen sei- nen zahlreichen Nachfolgern keiner eine hinlängliche Ver- anlassung, diese Lücke wahrzunehmen? Oder wer hat sie wahrgenommen? Wann eine Farbe in der Empfindung gegeben wird: dann ist vor ihrem Eintreten irgend ein inneres Vor- gestelltes dem Bewusstseyn gegenwärtig. Wird dieses nicht zu heftig gehemmt: so verschmilzt es mit der Em- pfindung, und es entsteht eine Reihe von wenigstens zweyen Gliedern. Wird späterhin dieselbe Farbe noch- mals gegeben; so reproducirt sich nicht bloss die ältere Vorstellung der Farbe, sondern auch das vorhergehende Glied, und zwar als ein Vorhergehendes; es reproducirt sich ein Uebergehen, und die Farbe wird als eintre- tend nach etwas Anderem, vorgestellt. — Unzählige Vorstellungen solches Eintretens verschmelzen; und ge- ben den Gesammt-Eindruck, aus welchem der Begriff des Sehens, das heisst zunächst, des Erscheinens der Farbe, sich späterhin bildet. Eben so das Erscheinen des Tones, das Eintreten des Gefühls, und so ferner. Diese Betrachtung reicht weiter. Wer des Andern Stimme hört, weiss hiemit und hiedurch, dass derselbe in der Nähe ist; und allgemein: durch das Zeichen er- fährt man die Sache. Wenn nämlich die Empfindung einen Theil einer Complexion oder Reihe schon früher ausmachte, so ist ihr erneuertes Erscheinen zugleich das Erscheinen, das Eintreten des mit ihr Verbundenen. — Während nun das Wissen nur sein Gewusstes weiss, gerade wie das Sehen nur die Farbe sieht: bildet sich doch auf diesem Wege der Begriff vom Eintreten des Gewussten , und sehr häufig vom Beantworten einer Frage (nach §. 124. am Ende). Also wiederum der Begriff vom Uebergehen aus der Frage ins Entschei- den derselben. Noch deutlicher sieht man die Vorstellung einer Reihe in den Begriffen des Begehrens oder Anstre- bens , und des Verabscheuens, oder Zurückstossens ; womit sich ausser den Gemüthszuständen noch eine Reihe äusserer Anschauungen zum Begriffe des Handelns ver- binden kann. Allein es ist kaum möglich, sich über diese Gegen- stände deutlich auszudrücken, ohne das Selbstbewusstseyn dabey mit in Rechnung zu bringen. Wir sind an den Punct gekommen, wo die Lehre vom Ich nunmehr an- fängt, sich gleichsam herbeyzudrängen. Oder wer kann vom Sehen, vom Denken, vom Wollen reden, ohne dass einem Jeden das: Ich sehe, ich denke, ich will , da- bey einfällt? Daher soll hier das Vorstehende nur in so fern er- läutert werden, als die unmittelbare Vorbereitung zur Untersuchung des Ich darin enthalten ist. Man achte zuerst genau darauf, in welcher Richtung die vorbeschriebenen Reihen laufen, um nichts miszuver- stehn. Wir reden von einer Reihe wie a, b; aber der- gestalt, dass wir zuerst des zweyten Gliedes b erwähnen. Ohne uns nun darum zu bekümmern, wie die Reihe von b zu c, d, e , fortlaufen möge, bemerken wir nur, dass b ein vorhergehendes Glied, a, simultan, aber nicht suc- cessiv, so weit hervorhebe, wie das Vorhergehende mit ihm verschmolzen ist. Hier ist also kein wirkliches Ab- laufen, welches sonst rückwärts gehen würde, sondern ein Voraussetzen , so, wie jedes spätere Glied seine vorhergehenden voraussetzt. Würde hingegen ein an- dermal zuerst a ins Bewusstseyn kommen, alsdann liefe wirklich die Reihe von a zu b, c, d , successiv fort. In unserm Falle ist b die Farbe, oder der Ton, als ein eben jetzt Eintretendes; weil nun dergleichen einfache Empfindungen schon sehr oft auf irgend ein innerlich Vorgestelltes, welches a heissen mag, gefolgt sind, so bringen sie, bey jeder Erneuerung, durch Reproduction der frühern ähnlichen ein dunkel Vorausgesetztes mit sich ins Bewusstseyn; welches für sie einen Anfangspunct bil- den könnte . Da sich dies unsäglich oft wiederhohlt, so bekommt die zwar dunkle Vorstellung des Vorausgesetz- ten eine sehr grosse Stärke; ähnlich jener des Umge- bungsraumes für jeden sichtbaren Gegenstand, (§. 114.). Aber gerade wie auf dem Raume ein Punct wahr- genommen werden kann, als Bestimmung desselben, (alsdann nämlich ist die Vorstellung des Raumes die appercipirende, und die des Puncts die appercipirte,) so kann auch jenes dunkel Vorausgesetzte eine Be- stimmung sich aneignen, wenn eben besonders lebhafte Vorstellungen oder Gefühle gegenwärtig sind, indem das Gesehene, Gehörte, oder überhaupt das Empfundene, ein- tritt. Dieses Empfundene reproducirt nun, wie immer, sein Vorausgesetztes; und gerade als mit einem sol- chen , verschmilzt es zugleich mit jener lebhaften, wie immer sonst beschaffenen Vorstellung. Also wird diese letztere von dem Vorausgesetzten, dem gleichsam dun- keln Grunde, ergriffen und angeeignet. Jetzt wollen wir noch von den übrigen Kategorien der innern Apperception jene des Denkens näher be- trachten, weil das Ich, dem wir entgegengehen, als das Sich-Denkende anzusehen ist. Mit einer Reihe a, b, c, d, sey eine Vorstellung A in allen Gliedern verschmolzen. Wenn die letztere sich hebt, muss jene sich evolviren; denn es ist alsdann für alle Glieder der Reihe gleich viel Grund des Hervortre- tens vorhanden (§. 100.). Nun gebe es für A noch andre Vorstellungen B, C, u. s. w. (die auch mit ihren Rei- hen verbunden seyn mögen); und zwar so, dass A, B, und C, in einem gelinden Schweben gegen einander be- griffen seyen, wie Vorstellungen, die wenig an Stärke verschieden, zusammen im Bewusstseyn bestehen können. (Man denke hier zurück an §. 44., und §. 74.). Wäh- rend die Reihe a, b, c, d, abläuft, bietet sie sich der Apperception durch B und C dar, wofern nur die, an B oder C geknüpften Reihen, irgend welche Glieder der Reihe a, b, c, enthalten. Dass in einem solchen Flie- ssen und Auffangen der eignen Vorstellungen, welches sich mannigfaltig wiederhohlt, drängt, und durchkreuzt, das Denken bestehe, kann Jeder in sich selbst beobach- ten. — Es kömmt nun sehr häufig zu diesem , eben in Gang gesetzten, oder schon im weitern Verlaufe Be- griffenen, Denken, das Empfinden hinzu; dessen Voraus- gesetztes alsdann, nach der obigen Auseinandersetzung, zu dem Denken in das Verhältniss der Apperception tritt. Mit Recht können wir nun dem Empfundenen den Namen des Objects geben. Denn es schwebt im Be- wusstseyn als zweytes Glied einer Reihe, deren erstes, das Vorausgesetzte, jetzt bestimmt durch das Denken charakterisirt ist. Nur nicht allein und ausschliessend durchs Denken; denn an der Stelle desselben, oder mit ihm verbunden, wird sich eben so oft das Wollen und das Fühlen befinden. Dies Alles nun zusammengenom- men ergiebt die Complexion, die sich allmählig in der Stelle jenes von der Empfindung Vorausgesetzten bilden muss. Das Vorausgesetzte, oder das Subject , ist dem- nach nicht bloss das Denken , sondern ein Denken- des ; weil Denken nur ein Bestandtheil der ganzen Com- plexion ist. Das nämliche Subject wird nun auch als dasjenige vorgestellt, zu welchem das eintretende Em- pfundene, Sichtbare, u. s. w. hinzukommt; und dies Hinzukommen zum Subjecte ist eigentlich der Begriff des Empfindens , des Sehens , u. s. f. Noch vor allen weitern Entwickelungen mag man hie- mit die auffallende Bemerkung verbinden, dass gerade die Empfindungen des äussern Sinnes es sind, welche sich am am kräftigsten zeigen, um dem in Traum oder Träumerey Versunkenen das nüchterne und klare Selbstbewusstseyn zurückzurufen. Wie können sie das, da sie doch gar nicht Theile unserer Vorstellung von Uns selbst ausma- chen? Sie führen ihr uraltes Vorausgesetztes, wie es sich durchs ganze verflossene Leben gebildet hat, dun- kel und stark zugleich mit sich herbey; nun liegt der Bo- den vest, nun ist die Unterlage (das Subject) vorhan- den, auf welche die eben jetzt gegenwärtigen Gedanken und Gefühle sich übertragen, um den jetzigen Zustand des Subjects näher zu bestimmen. So bekommt dieses Subject zugleich ein Prädicat und ein Object; und ist demnach Subject in doppeltem Sinne. Nachdem wir Object und Subject haben, wollen wir das Ich suchen. Zweytes Capitel . Vom Selbstbewusstseyn . §. 132. Das Ich soll die erste Person seyn, der jede zweyte, vollends jede Sache, gegenüber steht. Gleichwohl wissen wir aus den Untersuchungen des ersten Theils, dass die Vorstellung des Ich, wenn man sie losreisst aus ihren Reihen, gar kein Object hat. Daher liegt jetzt ganz sichtbar folgendes vor Augen: Das Ich ist ein Punct, der nur in so fern vorgestellt wird und werden kann, als unzählige Reihen auf ihn, als ihr ge- meinsames Vorausgesetztes, zurückweisen . Kein Wunder, dass es ein dunkler Punct ist! Ein natürli- ches Geheimniss, wie ein Schriftsteller es nennt, der es als ein Vorstellendes noch obendrein viel zu früh meinte begriffen zu haben Reinhold in der Theorie des Vorstellungsvermögens. S. 338. Dies Buch verdient hier verglichen zu werden; es kann zwar nicht zur Erklärung, aber zur analytischen Deutlichkeit der Sache beytragen. . Man mag es auch eine dunkle II. R Gegend nennen, oder ein dunkles Behältniss, aus dem gar Mancherley herausragt, das man rückwärts, bis ins Innere verfolgen möchte, aber nicht kann; selbst in der Wissenschaft nicht, denn diese bringt es höchstens bis zu allgemeinen Formeln, die das Individuelle zwar unter sich, aber nicht in sich fassen. — Wir standen am Ende des vorigen Capitels bey der Brücke zwischen Object und Subject. Das hellste Licht fällt auf diese Brücke von der Seite der Objecte her. An die Seite des Subjects stellt die Apperception sehr Vieles, was wir weiterhin mit analysirender Aufmerksam- keit, die sich nicht scheuen darf, selbst ins Kleine zu gehn, verweilender betrachten wollen. Aber was auch dasselbe seyn möge: jene Reihe, worin das Empfundene mit seinem Vorausgesetzten liegt, muss dazu gelangen, wirklich abzulaufen, so dass zuerst das Vorausgesetzte als ein wahrhaft Erstes hervortrete. Durch Regungen des Wollens und Handelns, worin die Bewegung auf jener Brücke von der Seite des Subjects zum Objecte hinläuft, geschieht das am leichtesten. Sehr natürlich erklärte daher Fichte , in der Sittenlehre: das Ich finde sich ursprünglich als wollend. Und sehr häufig bedeutet das Ich im gemeinen Leben nichts weiter, als die mit den Objecten zusammenstossende Regsamkeit, in dem beständigen Verkehr auf jener Brücke. Nicht allemal er- scheint das Ich als getheilt in Object und Subject. — Indessen erfordert der vollständige Begriff des Ich nicht minder, dass Jenes, was wir bisher nur als Subject, als Vorausgesetztes der Objecte kennen, auch selbst in den Platz des Objects, folglich das Subject, als das Voraus- gesetzte, ihm gegenüber trete. So geschieht es vorzugs- weise in den Fällen, wo der Mensch sich selbst anredet, von sich etwas verlangt; oder wenn die Dinge eine Auf- gabe zu enthalten scheinen, einen Gedanken von einer Veränderung darbieten, die mit ihnen vorgehn könnte oder sollte. Hieraus entsteht eine Zumuthung, dazu die schon ehemals in ähnlichen Fällen angewendete Thätig- keit zu erneuern. Die Vorstellung eines solchen Thuns ist unabhängig von dem jetzigen Fühlen und Begehren; sie wirkt aber aufregend auf dasselbe, wenn auch ein Zurücksinken nachfolgt. Hier ist das Ich innerlich ge- theilt; es steht dennoch als ein einziges Subject den äu- ssern Objecten gegenüber. Am vollständigsten wird die Theilung des Ich im Moralischen. Da geht die Zumu- thung, zu handeln oder nicht, von den ästhetischen Ur- theilen aus, oder (wenn man das Wort moralisch in einem weitern Sinne zu nehmen sich erlaubt,) von Be- rechnungen der Klugheit. Während solcher Beurthei- lung oder Berechnung liegt entweder im Menschen selbst ein sehr grosser Theil derjenigen Vorstellungen, die in ihm aufgeregt werden können, ganz ruhig, und kann eben deshalb durch die Zumuthung gleich einer zweyten Per- sönlichkeit in Bewegung gerathen, — oder, was bey wei- tem leichter und ursprünglicher sich ereignet, die Zumu- thung kommt von einem Andern, einem Gefährten; sie bildet sich in der Gesellschaft, und wird nur innerlich verstanden und nachgeahmt. — Und noch auf eine andre Weise wirkt die Gesellschaft auf die Ichheit; sie nimmt in ihr einen pluralis an; es giebt ein Wir . Theils in- dem Mehrere gemeinschaftlich einem andern Haufen, oder einem Werke gegenüber stehn; theils sogar indem jene Theilung des Ich, in Allen gemeinschaftlich vorkommt; denn auch an Gesellschaften richten sich Zumuthungen, und werden von ihnen mit vereintem Thun erfüllt. Ja sogar auf den Einzelnen verpflanzt sich dieses Wir . Ursprünglich erscheint ihm alsdann eine innere Mannig- faltigkeit seines Könnens. Daher endlich die Höflichkeit der neuern Sprachen, die selbst den Einzelnen als eine vielfältige Persönlichkeit anredet. — Diese Vorerinne- rungen können vielleicht dienen, um unsern Gesichtskreis vorläufig zu erweitern. Wir wollen jetzt mit dem Leich- testen den Anfang machen, um uns das Schwere nicht noch zu erschweren. Kant beginnt seine Anthropologie mit dem Lobe R 2 der Ichheit, als eines unendlich wichtigen Vorzuges des Menschen vor allen andern auf Erden lebenden Wesen. Wiewohl er nun gar nicht zweifelt, dass derjenige, der das Ich noch nicht sprechen kann, es dennoch in Ge- danken habe: so fügt er doch mit der, dem wahrhaft vortrefflichen Denker natürlichen Aufrichtigkeit, Folgen- des hinzu: „Es ist aber merkwürdig, dass das Kind, was „schon ziemlich fertig sprechen kann, doch ziemlich spät „(vielleicht wohl ein Jahr nachher) allererst anfängt durch „Ich zu reden, so lange aber von sich in der dritten Per- „son sprach, (Karl will essen, gehen, u. s. w.) und dass „ihm gleichsam ein Licht aufgegangen zu seyn scheint, „wenn es den Anfang macht durch Ich zu sprechen; von „welchem Tage an es niemals mehr in jene Sprechart „zurückkehrt. — Vorher fühlte es bloss sich selbst, „jetzt denkt es sich selbst. — Die Erklärung dieses „Phänomens möchte dem Anthropologen ziemlich schwer „fallen.“ Ein minder grosser Philosoph hätte vielleicht geglaubt, die Erklärung sey schon geleistet durch den angegebe- nen Unterschied zwischen dem Sich fühlen und Sich denken. Kant im Gegentheil vermisst noch immer die Erklärung, er vermisst sie gerade an der Stelle, wo er jene Unterscheidung gemacht hat. Und wahrlich! er zeigt sich in diesem Vermissen mehr in seinem Lichte, als an andern Stellen, wo er mit dem Ich, als der ärmsten und gehaltlosesten aller Vorstellungen, und mit dem Ich denke , das alle andre Vorstellungen soll begleiten kön- nen, so gar leicht fertig wird. Wir haben unsre Untersuchungen mit Nachweisung der Widersprüche in dem Gedanken: Ich , begonnen; und wenn wir noch immer nicht wüssten, was denn an dem Ich eigentlich das Denkbare sey, möchten wir wohl noch weniger wissen, was denn das Fühlbare am Ich seyn möge. Ich hoffe, dass keiner meiner Leser geneigt sey, sich in diesen Schlupfwinkel eines unbestimmten Gefühls zu verkriechen. Dagegen aber werden wir uns erinnern, dass wir jetzo auf analytischem Wege wandeln; dass es sich ge- bührt, die Gegenstände der Analysis so zu nehmen, wie sie gefunden werden; dass also auch jenes: Von sich selbst in der dritten Personreden , welcher Sprech- art ohne allen Zweifel auch eine ihr angemessene Denk- art zugehört, aus der sie ihren Ursprung nimmt, — uns am füglichsten zuerst beschäfftigen werde; indem die Erfah- rung vermuthen lässt, dass hierin eine Vorbereitung zur eigentlichen Ichheit liegen möge. Vielleicht wird die Er- klärung dieses Phänomens nicht so schwer fallen, als die Nichtbeachtung desselben die Erklärung des Selbstbewusst- seyns schwer machen würde. Die dritte Person, als welche das Kind sich selbst bezeichnet, findet ihre erste Grundlage in der Auffassung des Leibes, sowohl im Sehen und Betasten der eignen Gliedmaassen als durch die körperlichen Gefühle. Hier- aus entsteht eine höchst zusammengesetzte Complexion; ganz eben so wie sich die Vorstellungen der Dinge um uns her bilden, welche ursprünglich auch nichts anders sind als Complexionen von Merkmalen, oder, wie man in Hinsicht des Vorgestellten, (nur nicht in Hinsicht des Vorstellens, und seines Mechanismus,) auch sagen kann, Aggregate von Merkmalen. Denn die Merkmale (das darf man nie vergessen,) werden durch gar kein Band verknüpft, sie werden auch durch gar keine Hand- lung der Synthesis zusammengefügt; lediglich wegen der Einheit der Seele, und wegen der stets gleichzeitigen, oder doch beynahe gleichzeitigen, Auffassung, compliciren sich alle Vorstellungen dieser Merkmale zu einem einzi- gen ungetheilten Actus des Vorstellens, zu einer einzi- gen Totalkraft. Dass das Vorgestellte dieser Totalkraft ein Mannigfaltiges, ein Zusammengesetztes ist, wird ur- sprünglich gar nicht bemerkt; der gemeine Verstand fragt nicht nach einem Grunde der Einheit, vermöge deren die Summe der Merkmale für Ein Ding gelte; er fragt nicht, mit welchem Rechte man diese usurpirte Einheit ohne alles Band, das sich aufweisen liesse, ferner bestehen las- sen solle. Alles dieses zu fragen bleibt der Philosophie überlassen; die sogar selbst sich lange und nur zu lange in dieser Frage verwickelt, ehe sie dieselbe nur rein aus- sprechen lernt. Man vergleiche §. 118. Gerade so nun, wie überall bey der Vorstellung ei- nes jeden Dinges die Merkmale im gleichzeitigen Vor- stellen eine Complexion bilden, wie diese Complexion vielemal wieder ins Bewusstseyn gerufen wird, und als- dann neue Merkmale aufnimmt; wie sie zu Urtheilen , bald positiven bald negativen, das Subject darbietet, (§. 123.) — so verhält es sich auch mit derjenigen ersten Vorstellung von uns selbst, die aus der Wahrnehmung unseres Leibes, und unserer Gefühle entspringt. Nur ist dabey zu bemerken, dass unsre Gefühle sich ursprünglich in diejenigen Vorstellungen hineincompliciren, welche den äussern Dingen angehören. Darum wird das Feuer heiss genannt, obgleich die Hitze lediglich unser unangenehmes Gefühl ist. Eben so bezeichnen die Worte hart und weich , und zahllose andre, eigentlich unser Gefühl bey der Berührung gewisser Körper; und gelten dennoch für Prädicate dieser Körper. Allein da die Hand, oder ein andrer Theil des Leibes, erst dem heissen oder harten Körper nahe kommen muss, wenn die Wahrnehmung dieser Prädicate des Körpers eintreten soll: so bekommt auch die Hand das Merkmal, dass es sie schmerze; und dies um so mehr, da der Schmerz noch dauert, wenn schon jener Körper entfernt ist. — Auf ähnliche Weise nennt man die Farben hell und dunkel ; ja sogar Orte, Zimmer, u. d. gl. werden so unterschieden; obgleich dies sich bloss auf unser Sehen bezieht. Nichtsdestoweniger complicirt sich das Erscheinen der Gegenstände auch mit dem Gefühl des Oeffnens der Augenlieder, und das Ver- schwinden jener mit dem Gefühl der Schliessung der letz- teren. Sehr viele Erfahrungen sind nöthig, um diejeni- gen Empfindungen, welche zuerst auf die Gegenstände als deren Merkmale übertragen wurden, auch noch in einem andern Sinne mit der Auffassung des Leibes, der übrigens für ein Ding gilt wie die andern , zu verbin- den. Dass der Leib seine Gefühle mit sich herumträgt, während die übrigen Aussendinge an ihren Plätzen blei- ben, ist hiebey die Hauptsache. Denn hier wie bey allen Vorstellungen für sich bestehender Dinge, kommt es dar- auf an, dass die Anfangs zu viel befassenden Com- plexionen späterhin auf dasjenige beschränkt werden, was bey der Bewegung beysammen bleibt . Auf das Zerreissen der Umgebung, und die da- durch entstehende Sonderung der Dinge, ist schon oben aufmerksam gemacht worden. (§. 118.) Wir hätten nun jene dritte Person, wenn wir nur erst eine Person überhaupt hätten. Hier wird man sich erinnern, dass die Auffassung der eignen, und der frem- den Personen, der Erfahrung gemäss so ziemlich gleich- zeitig erfolge. Ursprünglich unterscheidet gewiss das Kind nicht zwischen Sachen, Thieren, und Menschen. Wir werden jetzt suchen, uns von dieser Seite der Auflösung des Problems zu nähern. §. 133. Voran folgende Frage: was mag wohl leichter, und eher ausgebildet werden, die Vorstellung des Todten oder des Belebten? Vielleicht sagt man: die des Todten, denn sie ist einfacher, und also fasslicher. Allein man be- denke die Complexionen, welche aus der eignen Empfin- dung beym Berühren der Gegenstände, vollends beym Anschlagen an dieselben entspringen. Das Kind sey von einem fallenden Körper getroffen: so oft es denselben von neuem fallen sieht, reproducirt sich die Erinnerung an den Schmerz; und nach einigen Erfahrungen über den Zusammenhang des Schmerzes mit der getroffenen Stelle, wird in jeden Gegenstand, auf welchen dieser Körper fallen möchte, auch dieser Schmerz hineingedacht. Auf diese Weise ist es natürlich, dass Anfangs alle Gegen- stände für empfindende gehalten werden. Allein in derselben Betrachtung ein wenig weiter fortschreitend, können wir leicht die ersten Unterschei- dungen des Lebenden und des Todten entdecken. Der Schmerz bringt Aeusserungen durch Ton und Bewegung hervor; auch von diesen complicirt sich die Vorstellung mit jenen ersten Auffassungen. Welcher fremde Gegen- stand nun die nämlichen Aeusserungen zu erkennen giebt, der ruft die Erinnerung an den Schmerz nur um so leb- hafter herbey; hingegen andre Gegenstände, die sich tref- fen und schlagen lassen, ohne solche Zeichen zu geben, erhalten dadurch zuvörderst das negative Prädicat, dass bey ihnen diese Aeusserungen vermisst werden; und in diese Negation verwickelt sich auch der Schmerz selbst, so fern er mit seinem Zeichen vollkommen complicirt ge- dacht wurde. Das heisst, diese Gegenstände werden als unempfindlich angesehen. Nachdem dieser Unterschied des Empfindenden vom Unempfindlichen einmal gemacht ist, bedarf es nur noch eines Schrittes, um auch den ersten Begriff zu fassen von Dingen, welchen Vorstellungen von andern Dingen inwohnen ; — ein roher Ausdruck, durch den ich absichtlich die erste Rohheit dieser Auffassung be- zeichne. Mit dem Bemerken der getroffenen und empfindli- chen Stelle, z. B. der Hand oder des Fusses, werden sich die übrigen räumlichen Auffassungen verbinden. Daher zieht das Kind die Hand weg, auf dass sie nicht von einem Schlage, der sie bedroht, getroffen werde; und so läuft auch das Thier vor der nahenden Gefahr. Nun beobachte Eins das Andre, das eine Bewe- gung macht, durch die es dem Schmerze ent- geht . Zuverlässig begreift jenes die Absicht des andern. Es begreift, dem Andern müsse inwohnen ein Schmerz, den es noch nicht empfinde; d. h. eine Vorstellung des künftigen Schmerzes, dem es sich entziehe. Noch mehr: auch ein Bild des drohenden Gegenstandes müsse ihm inwohnen, da es sonst den Schmerz, der ihm bevorstand, nicht hätte ahnden können. Allgemein ausgedrückt lau- tet dieses so: diejenigen Gegenstände, welche nicht bloss, wenn sie berührt werden, zurückwirken, sondern auch bey, und selbst nach Annäherung eines andern entfern- ten Gegenstandes, sich in einer solchen Bewegung zei- gen, welche durch die Eigenthümlichkeit desselben Ge- genstandes genau bestimmt scheint: diese werden nicht bloss als empfindend und vernehmend, sondern als er- kennend , d. h. als empfangend die Beschaffenheit des Gegenstandes, als besitzend und bewahrend sein, ihm ähnliches, Bild , angesehen. So halten wir für todt, was sich nicht rührt, wenn wir ihm einen andern Körper nahe bringen; hingegen für empfindend und wahrnehmend, was sich nach dem angenäherten zu richten scheint. Das Kind sehe den Hund, der heulend vor dem auf- gehobenen Stocke läuft. Unfehlbar denkt das Kind den Schmerz vom Schlage in den Hund hinein; aber als ei- nen künftigen , denn, noch ist der Hund nicht geschla- gen. Es denkt überdies den Stock in den Hund hinein, denn vor diesem läuft der Hund; aber nicht den wirk- lichen Stock, denn der ist ausser dem Hunde; also den Stock ohne seine Wirklichkeit ; d. h. das Bild des Stockes. Denn es ist schon oben erinnert, dass eben dadurch ein Bild vom abgebildeten Gegenstande sich un- terscheidet, dass es der Realität desselben entbehrt, wäh- rend es ihm übrigens in allem gleicht. So ist also das Kind dahin gekommen, dem Hunde die Vorstellung des Stockes beyzulegen, und diese Vorstellung von de- ren Gegenstande zu unterscheiden . Das Kind hat nun eine Vorstellung von einer Vorstellung ; ein sehr wichtiger, wiewohl sehr leichter Fortschritt, und eine unentbehrliche Vorbereitung zum Selbstbewusstseyn. Man glaube ja nicht, dass hiemit eine Ueberlegung verbunden sey, wie doch das zugehn möge, dass dem Hunde ein Bild des Stockes inwohne. Es gehört gereif- tes Nachdenken dazu, um es wunderbar zu finden, dass einem Leibe, einem Körper, die Vorstellungen äusserer Dinge inwohnen können. Mit dieser Frage auf gleicher Stufe steht die andre, wie doch die mancherley heteroge- nen Eigenschaften des nämlichen Dinges mit der Sub- stanz desselben verbunden seyn mögen. Aber auf jener niedrigen Stufe, wo zuerst vorstellende, lebendige We- sen, als solche aufgefasst werden, da ist diese Auffassung nichts anderes als eine blosse Complexion, die unter an- dern Merkmalen auch dieses enthält, dass in ihr Bilder seyen von den äussern Dingen, durch welche ihre Bewe- gungen bestimmt werden. An einen Grund des Zusam- menhangs dieser Bilder mit den übrigen Bestimmungen der nämlichen Complexion, wird hier noch nicht gedacht, also auch nicht darnach gesucht. Wo nun immer in irgend eine Bewegung sich eine Absicht derselben hineindenken lässt: da wird das Kind, und der kindliche Mensch, sie hineindenken. Einmal in dieses Gleis hineingerathen, verlässt die Association der Ge- danken es nicht leicht wieder. Wenn Kinder: Warum ? fragen, so zielt die Mehrzahl dieser Fragen nach einer End-Ursache; und die roheren Nationen bevölkern Wald und Flur und Himmel und Meer mit Gottheiten, weil ihnen Alles um Alles sich zu bekümmern, also auch Al- les von Allem zu wissen scheint. Eigentliche Kräfte, vol- lends mit mathematischer Regelmässigkeit, sind viel schwe- rer zu fassen; — und noch heute ist, anstatt derselben, die transscendentale Freyheit, die nach ihrem praktischen Gesetze sich ohne Gesetz entweder richtet oder auch nicht, das Schoosskind unserer Philosophen. Es erhält demnach die Vorstellung von dem Vorstellen, und von vorstellenden Wesen, die wir in einem weiteren Sinne des Worts, Personen nennen können, frühzeitig eine vorzügliche Stärke; und bildet sich zu einem, zwar noch rohen, allgemeinen Begriffe , nach der Ansicht des §. 121. und 122. An alles Vorkommende knüpft sich dieser Begriff, je nach den Veranlassungen, entweder als positives, oder als negatives Prädicat. Es ist kein Zweifel, dass er auch die im vorigen §. betrachtete Complexion, deren erste Elemente die Wahrnehmung des eignen Leibes darbie- tet, gar bald zu einer Person erheben werde; aber frey- lich noch nicht zu einer ersten Person, auch nicht zu einer zweyten, und sogar nicht eher zu einer dritten Per- son im strengeren Sinne, als bis in diese Person auf irgend eine Weise ein Selbst hineingedacht wird; das wir nun näher zu untersuchen, und von einem Ich noch zu unterscheiden haben. §. 134. Es giebt nicht bloss ein Ich selbst , sondern auch ein Du selbst ; ja auch ein Er selbst und Es selbst . Das Wasser bahnt sich selbst seinen Weg, — die Blu- men, die Saamenkapseln öffnen sich selbst, — der bren- nende Körper zerstört sich selbst: — was bedeutet in allen diesen Fällen das Selbst? Offenbar giebt es hier zwey zusammenhängende Ge- dankenreihen, die einerley Vorstellung aufregen. Das Wasser fliesst in einem vertieften Wege fort; die Ver- tiefung muss durch irgend eine Kraft entstanden seyn; diese Kraft nun gehört dem nämlichen Wasser, welches in dem ausgehöhlten Bette fliesst. Daher die Reciproci- tät in jenem Satze: das Wasser selbst bahnt sich sei- nen Weg. — Allgemein: Es werde vorgestellt eine Com- plexion a A α; von a laufe eine Gedankenreihe a, b, c, fort; dadurch werde eine zweyte Reihe c, β, ά hervorge- rufen: so muss, wegen der Gleichartigkeit des ά mit α , nach dem bekannten Mechanismus der Vorstellungen mit α die ganze Complexion a A α im Bewusstseyn steigen; ja die Bewegung würde im Cirkel unablässig fortlaufen, würden nicht andre Vorstellungen dadurch gespannt; und darunter gar leicht auch solche, die fähig sind, diese ganze Vorstellungsmasse zu appercipiren, und ihre freye Bewegung zu hemmen, ohne sie ganz zu unterdrücken. (§. 126. 127.) Eine solche dritte Vorstellungsmasse, welche das Zusammenfallen jener beyden Reihen in einem identi- schen Puncte, appercipirt, ist gewiss dann vorhanden, wann das Wort Selbst, der Ausdruck eines allge- meinen Begriffs solcher Identität , auf den vorkom- menden Fall angewendet wird. Ursprünglich aber musste sich der Begriff des Selbst erst erzeugen ; und zwar gerade aus jenem Zusammenfallen, Verschmelzen, und mit vereinter Kraft Hervortreten der beyden gleich- artigen Elemente zweyer in einander zurücklaufenden Vorstellungsreihen. Es versteht sich, dass solcher Fälle sehr viele vorkommen und sich unter einander im Be- wusstseyn verbinden müssen, ehe der allgemeine Begriff der Identität und Reciprocität, die das Selbst ausdrückt, sich bilden kann. Dass nun lebende Wesen jeden Augenblick zu sol- chen Beobachtungen Gelegenheit geben, die nur mit Hülfe des Begriffs vom Selbst können gedacht werden, liegt offenbar vor Augen. Jedes absichtliche Han- deln , wie es unmittelbar aus einer Begehrung hervor- geht, (§. 129. gegen das Ende), zeigt dem Beobachter einen Handelnden, der für sich selbst etwas zu errei- chen sucht; denn wessen die Thätigkeit ist, des- sen wird auch die Befriedigung seyn . Das Thier sucht nach Nahrung; es selbst wird sie geniessen. Je- mand öffnet eine Thüre; er selbst wird hinausgehn. — Noch mehr: der Mensch bewegt Hand und Fuss; er selbst sieht diese Bewegung. Oder umgekehrt: er sieht einen Gegenstand, den er durch seine Bewegung vermei- den muss; er selbst macht die vermeidende Bewegung. Kommt zu dergleichen Handlungen die innere Wahr- nehmung (§. 126. u. s. w.) so kann es nicht fehlen, dass auf die mannigfaltigste Weise das Selbst angewendet werde zur Bestimmung derjenigen Complexion, deren Grundlage die Auffassung des eignen Leibes darbietet, und die ausserdem nach dem vorigen §. schon als ein Ding, dem Vorstellungen anderer Dinge beywohnen, be- kannt ist. Das Kind, welches sein: Karl will essen, gehen , u. s. w. ausspricht, findet in jedem Augenblicke sich selbst als den Mittelpunct seiner Bestrebungen, Ge- niessungen und Beobachtungen. Und nun lässt sich je- nem Ausdrucke: es fühlt sich selbst , noch ehe es sich denkt , wenigstens ein leidlicher Sinn unterlegen. In dem Mechanismus der Vorstellungen entsteht jedesmal eine Veränderung, indem die Vorstellungsreihen in sich selbst zurücklaufen. Die gleichartigen, zusammentreffen- den und verschmelzenden Elemente bilden eine Total- kraft, welche sich ins Bewusstseyn höher hebt. Dabey wird überdies der schon durch frühere ähnliche Ereignisse entstandene Begriff von dem eignen Selbst wieder her- vorgerufen, und erhält hiemit eine neue Verstärkung. Das Ganze dieser Gemüthsbewegung, da dieselbe kein einzelnes, bestimmtes Object ins Bewusstseyn bringt, wohl aber vielerley Vorstellungsreihen in eine, wiewohl schwache, Aufregung versetzt, — kann allerdings ein Gefühl genannt werden; wie man so oft sagt, man habe etwas dunkel gefühlt, wenn irgend eine Verbindung von Vorstellungen vorgeht, die zu schwach, um sich beträcht- lich über die Schwelle des Bewusstseyns zu erheben, den- noch unter den übrigen, vorhandenen Vorstellungen auf einen Augenblick das Gleichgewicht verrücken. Dieser Gegenstand muss durch fortgesetzte Untersuchungen der Mechanik des Geistes auch fernere Aufklärungen erhal- ten. Soviel aber ist gleich hier offenbar, wie in der Vorstellung des Menschen von sich selbst, nothwendig das Selbst den Kern des Sich abgeben müsse; indem fast alle die gemeinsten Wahrnehmungen und Gefühle des eigenen Leibes in dem Kreise der Reciprocität um- laufen. Man denke sich ein paar Kinder, die um ein Stück Brod streiten: jedes will das Brod für sich ; und so ist ihm das eigne Selbst, und auch das Selbst des Anderen, vollkommen klar. Anmerkung . Der Begriff der Selbstheit, und wenn man will, der Selbstbestimmung, hätte weit eher einen Platz unter den Kategorien verdient, als der Begriff der Gemeinschaft , welches Wort, ganz wider den Sprachgebrauch, bey Kant soviel heissen soll, als Wechselwirkung . Diese letztere ist ihrem wahren Begriffe nach nichts als Cau- salität zweymal gedacht, rückwärts und vorwärts zwischen zwey Dingen. Daran knüpfte Kant sogar den ganz un- erträglichen, durch ein blosses Sophisma eingeführten, für die Metaphysik und Physik grundverderblichen Satz von einer allgemeinen Wechselwirkung aller Substanzen im Raume. Doch von Kants falschen Causalitäts-Be- griffen wird tiefer unten die Rede seyn. Wie es mög- lich war, dass er, sammt allen seinen Nachfolgern, den seiner Schule so wichtigen Begriff der Selbstbestimmung, oder, wie Fichte sagte, der in sich zurückgehen- den Thätigkeit , bey den vorgeblichen Stammbegriffen des menschlichen Verstandes mit aufzuführen vergass, ist kaum zu begreifen. Oder soll man glauben, er habe ihn absichtlich ver- schmäht, als von Kategorien die Rede war? Er habe diesen Schatz für die moralischen Begriffe aufbehalten wollen? Freylich ist in seiner Antinomien-Lehre, wo der Begriff der transscendentalen Freyheit, mit sehr löb- licher Vorsicht, als ein bloss theoretischer Begriff, ohne praktische Beziehung behandelt wird, noch von keiner Selbstbestimmung im strengen Sinn die Rede. Er lässt hier die Freyheit zwar von selbst anfangen, das heisst aber noch nicht soviel als durch sich selbst ; jenes von selbst ist nur absolutes Werden, hingegen der Be- griff der Selbstbestimmung erfordert ganz ausdrücklich eine Activität des Bestimmens, woraus eine Passivität des Bestimmt-Werdens in dem nämlichen Subjecte entstehe Man vergleiche den vierten Abschnitt meiner Einleitung in die Philosophie. . Aber wenn dies eine absichtliche Scheidung war, damit die praktische Vernunft allein als die Activität der Selbst- bestimmung in der moralischen Freyheit auftrete: so blieb diese Scheidung immer ein offenbares Versehen. Denn die Kategorien mussten wenigstens für die Erfahrung zu- reichen; und schon in dieser brauchen wir den Begriff der Selbstbestimmung höchst nöthig zur Unterscheidung des Lebenden vom Todten. Wir sehen einen Körper in Bewegung. Dazu ist, nach den empirischen Begrif- fen, worüber die Kategorien herrschen, eine Ursache nö- thig; (für die Metaphysik würde diese Behauptung, wenn sie in voller Allgemeinheit ausgesprochen wird, eine arge Uebereilung seyn; allein das gehört nicht hieher.) Wo liegt nun diese Ursache? Wächst die Pflanze, und be- wegt sich das Thier, weil ein äusserer Anstoss geschah? Wir beobachten; und finden die Antriebe, welche von aussen kommen, bey weitem nicht genügend, um die Be- wegungen zu erklären. Also verlegen wir die gesuchte Ursache in den Gegenstand selbst hinein; wir denken uns den Keim als antreibend sich selbst zur Entwicke- lung; das Thier als aufregend sich selbst, um von der Stelle zu kommen. Hier ist der Begriff der Selbstbe- stimmung, mit dessen Bejahung wir Leben, mit dessen Verneinung wir das Todte setzen; so dass er überall zur Anwendung kommt. Ueber den psychologischen Mechanismus in der Vor- stellung der Selbstbestimmung lässt sich noch etwas hin- zusetzen. Wenn die Complexion a A α , mit welcher eine Reihe a, b, c, β, α verbunden ist, sich hebt: so ge- schieht zweyerley zugleich. Die Reihe wird durch α si- multan, aber abgestuft, rückwärts (von α nach a hin) gehoben; und zugleich läuft sie successiv von a nach α ; diese Bewegungen müssen in jedem Gliede auf eigne Weise einander begegnen. Wenn wir einen Cirkel an- schauen, und auf der Peripherie mit unserm Blicke um- herlaufen: so schwebt uns zugleich von dem Puncte her, wo wir ausgingen, auch schon der Theil des Umkreises dunkel vor, zu dem wir erst kommen sollen; und das Zusammentreffen geschieht nicht plötzlich im Ausgangs- puncte, sondern schon vorher allmählig. §. 135. Man betrachte nun noch einmal die Complexion von Merkmalen, welche sich zusammensetzt aus den Wahr- nehmungen des eignen Leibes, den Gefühlen der kör- perlichen Lust und Unlust, den Vorstellungen von Bil- dern äusserer Dinge, welche Bilder als dem Leibe in- wohnend, und mit ihm umherwandernd, angesehen wer- den; endlich den Bemerkungen jener nur eben zuvor be- schriebenen Selbstheit: man erwäge, wie diese Comple- xion sich beym Menschen weiter und anders ausbilden werde als beym Thiere, vorausgesetzt dass der Mensch nicht ganz allein, und im Stande der Wildheit, sondern unter Bedingungen der Ausbildung überhaupt lebe und gedeihe. Zuvörderst, die Wahrnehmungen des eignen Leibes machen dieselbe Complexion zu einem räumlichen Mit- telpuncte aller Ortsbestimmungen ; und nach den Entfernungen von diesem wird die Erreichbarkeit be- gehrter Gegenstände geschätzt. Zweytens, die körperlichen Gefühle bezeichnen un- aufhörlich ein Etwas , das an diesem Orte gegenwär- tig , und doch nicht ein blosses Raum-Erfüllendes sey, und das nur an diesem, zwar selbst unter den übrigen Dingen beweglichen Orte sich antreffen lasse. Sie un- terscheiden dieses Etwas von allem Anderen, das sich ausser diesem Orte befindet. Drittens: der nämliche bewegliche Ort ist der Sam- melplatz aller der Bilder von äussern Dingen, die ihm inwohnen; diese Bilder werden eben dadurch ein Inne- res im Gegensatze gegen die äusseren Dinge, die übri- gens an ihren Orten vest stehen bleiben, (wenigstens grösstentheils,) während jenes Innere sich unter ihnen umherbewegt. Viertens: dieser Sammelplatz der Bilder umgiebt sich mit ausfahrenden und eingehenden Strahlen, vermöge der Verabscheuungen und Begehrungen; denn alles Ver- abscheuete soll sich von da entfernen, alles Begehrte näher heran kommen . Dieses Sollen wird durch durch die Hand und ihre Bewegungen jeden Augenblick sinnlich dargestellt. Fünftens: Ebendaselbst erscheint auch der Anfangs- punct aller der Bewegungen , die physiologisch mit körperlichen Gefühlen, und durch diese psychologisch mit den Regungen des Begehrens zusammenhängen, (man sehe §. 129. gegen das Ende;) und die eben dadurch als Handlungen aufgefasst werden, dass sich mit ihnen das Begehrte als Erfolg complicirt. Demnach wird der Sam- melplatz der Bilder zugleich als der Mittelpunct für Be- gehrtes und Verabscheutes, und hiemit in engster Ver- bindung auch als Principium von Veränderungen in den äussern Dingen, also als äusserlich thätig vor- gestellt. Sechstens: Ebendahin wird auch das innerlich Wahr- genommene mit allen seinen nähern Bestimmungen ver- legt werden, wofern die Bestandtheile des innerlich Wahrgenommenen als Bilder äusserer Dinge erkannt werden, wie nach §. 133. leicht geschieht, sobald zugleich die äussere Wahrnehmung ihren Fortgang hat. Das letz- tere fehlt im Traume; daher gaukelt dieser eine Aussen- welt vor, die beym Erwachen sogleich nach Innen ver- legt , und zu dem Sammelplatze der Bilder hin verwie- sen wird, auch wenn der Traum nichts ungereimtes enthält. — Nun überlege man, wie diese Complexion, die im Laufe der Zeit unaufhörlich neue Zusätze bekommt, und für die es beym Menschen eine Vergangenheit und eine Zukunft giebt, sich weiter ausbilden müsse. Die Wahrnehmungen des eigenen Leibes sind ohne Zweifel Anfangs sehr mannigfaltig und mächtig; allein nachdem ihr Kreis durchlaufen ist, ermattet die Empfäng- lichkeit für sie, und sie bilden eine wenig auffallende, ziemlich ruhige Grundlage für das Ganze. Etwas ähnli- ches begegnet mit den körperlichen Gefühlen, die wenig mehr als eine augenblickliche Gewalt haben, und nur da- durch mächtig werden, wenn sie lange Zeit gegenwärtig II. S bleiben, oder sich oft und periodisch wiederhohlen, wie die Gefühle von Hunger und Durst. Hingegen der Sammelplatz der Bilder, der beym Menschen von seinem ersten Entstehen an ungleich rei- cher werden muss, als beym Thiere (§. 129.), dieser ge- winnt unaufhörlich bey dem Kinde in gebildeter mensch- licher Gesellschaft; er gewinnt fortdauernd beym Knaben, dem Jüngling und dem Manne. Denn es giebt immer etwas Neues zu sehen, zu hören und zu lernen; und al- les Gesehene, Gehörte und Gelernte kommt zu dem Vorrathe der Bilder, die in dem Inneren , entgegengesetzt allem Aeusseren, ihren Platz haben. (Denn in der Au- ssenwelt kann ihnen kein Platz angewiesen werden.) In der ganzen Complexion also, welche der Mensch als sein eignes Selbst denkt, ragt über die andern Bestimmungen diejenige hervor, dass dieses Selbst ein vorstellendes, ein wissendes, ein erkennendes sey; und das Uebergewicht dieser Bestimmung wächst immer mit den Fortschritten der Bildung. Nach den Umständen kann auch in der nämlichen Complexion jede der noch übrigen Bestimmungen immer mehr Stärke bekommen. Begehrungen und Verabscheuun- gen vervielfältigen sich gar sehr bey fortschreitender Aus- bildung; nicht weniger wächst das Kraftgefühl dessen, der seine Hände gebraucht, und sie mit Werkzeugen und Maschinen bewaffnet, — ein Gefühl, das in der Schnel- ligkeit seinen Sitz hat, womit im Augenblick des Begeh- rens sich auch sogleich die Vorstellung einer Thätigkeit darbietet, durch welche das Begehrte sich realisiren werde. Aber nicht in gleichem Verhältnisse mit der Masse der Vorstellungen von eigner äusserer Thätigkeit, wächst die Menge der inneren Wahrnehmungen, deren Entwik- kelung dagegen mehr bey einer ruhigen Existenz ge- dacht, und alsdann dem Selbstbewusstseyn eine merklich andre Farbe giebt, als bey den äusserlich sehr geschäfti- gen Menschen. Erinnern wir uns jetzt noch an die Wirkung des Gesprächs , dass es beym Abwesenden und Ver- gangenen verweilen macht (§. 130.), so sehen wir hierin erstlich das Mittel, wodurch der Mensch sich die Vor- stellung der Zeit ungleich weiter und vollkommner als das Thier, auszubilden vermag; denn indem er bey ver- schiedenen vergangenen Ereignissen verweilt, entstehn zwischen den Zeitpuncten dieser Ereignisse, Zeitreihen, (§. 115.), deren mehrere aneinandergefügt, eine immer grössere Zeitstrecke ergeben werden, und aus deren To- tal-Vorstellungen sich etwas, einem allgemeinen Begriffe ähnliches, (§. 122.), nämlich eine Vorstellung von einem Laufe der Dinge überhaupt, erzeugen muss, das vermöge der Associationen auf verschiedene Zeitpuncte fortgetra- gen, sowohl in eine frühere Vergangenheit als in die Zukunft hinausreicht. — Eben so muss auch alles räum- liche Vorstellen sich ausbilden durch das Verweilen beym Abwesenden, durch das Verknüpfen der verschiedenen räumlichen Reproductionen, die von mehrern entlegenen Gegenständen in Gedanken ablaufen. (Vergl. §. 113. 114.) Durch den letztern Umstand wächst die äussere Welt; es wächst auch ihr Gegensatz gegen die innere; es wächst das Verlangen, immer mehr Bilder von der äussern Welt einzusammeln. Allein bey weitem wichtiger für die Ausbildung des Selbstbewusstseyns ist jenes Schauen in Vergangenheit und Zukunft. Seine früheren Zustände als frühere , und in diesen Zuständen sein eignes Individuum erblik- kend, findet der Mensch dieses Individuum mit anderen Gefühlen, als mit den jetzt gegenwärtigen; dadurch er- scheinen die jetzigen sowohl als die ehemaligen, zufäl- lig , denn sie erscheinen als wechselnd , indem sie ver- mittelst negativer und positiver Urtheile (§. 123. 124.) für verschiedene Zeiten demselben Individuum sowohl ab- gesprochen als zugesprochen werden. Hiemit wird auch das Ungewisse der zukünftigen Zustände eingesehen, de- nen nun das Individuum selbst als das bleibende entge- gensteht. S 2 Die Auffassung des Abwesenden und Vergangenen zusammengenommen vollendet auch erst die Ablösung der eignen Person von der Umgebung . Jemand, der immer nur in Einem Zimmer gelebt hätte, würde zwar, wegen seiner Beweglichkeit im Zimmer, nicht seine Per- son und die Sachen im Zimmer für Ein Ding halten, (§. 132. am Ende, und §. 118.); aber doch würde er sich und diese Sachen immer wenigstens in unvollkomm- nen Complexionen (§. 63.) vorstellen, so lange er sich nicht in andern Umgebungen befunden hätte. Das Kind weint, wenn es allein an einem unbekannten Orte bleibt, nicht bloss seiner Bedürftigkeit wegen, sondern weil die Vorstellungen der bekannten Umgebung jetzt, in der un- bekannten, eine Hemmung erleiden, die sich vermöge des Mechanismus der Complexionen, auf die Vorstellung von seiner eignen Person fortpflanzt. Selbst der mehr herangewachsene Mensch empfindet eine ähnliche Hem- mung im Dunkeln; er singt, er spricht und schreyet, um etwas von sinnlicher Wahrnehmung zu haben, das mit der Vorstellung von ihm selbst zusammenhänge. Sogar unsre Kleidung wächst mehr oder weniger mit dem Ich zusammen. — Indem aber der Mensch sich in mancher- ley Umgebungen bewegt, und in jeder neuen sich der abwesenden und vergangenen erinnert, wird ihm für sein eignes Selbst jede Umgebung mehr und mehr als zufällig erscheinen. Ist er ferner dahin gekommen (durch Erfahrungen und Erzählungen), dass ihm ein ganzes menschliches Le- ben in Einer Zeitstrecke erscheint, worin der Leib seine Gestalt und Grösse verändert: so lös’t sich auch einiger- maassen die Auffassung des eigenen Leibes, wie sie jetzt ist, ab von der Complexion, deren Grundlage sie An- fangs hergab. Doch als ganz zufällig für die eigne Per- sönlichkeit erscheint der Leib erst auf höheren Culturstu- fen, nachdem der Tod den Verfall des Leibes vor Au- gen gelegt, und sich eine Ahndung von Fortdauer auch ohne diesen Leib gebildet hat, — welches bekanntlich am leichtesten durch die Träume geschieht, worin, zwar noch mit einem Schatten des Leibes, ein Verstorbener wieder erscheint. Ein Mittelglied geben hier die Erfah- rungen vom Fortleben nach Verstümmelungen; wodurch zunächst die Zufälligkeit einzelner Gliedmaassen für die Persönlichkeit offenbar wird, und dann die Frage ent- steht, ob nicht vielleicht jeder Theil des Leibes entbehr- lich wäre in der Complexion, die nun noch aus den Bil- dern der äussern Dinge, aus dem Begehren und Verab- scheuen, und aus dem Uebrigen besteht, was die innere Wahrnehmung darbietet. Wie selten jedoch der Mensch sein Ich vom Leibe ganz losreisst, das mögen die häufi- gen Verordnungen auf den Todesfall beweisen, welche so lauten: Hier, und auf diese Weise, will Ich begraben seyn ! Auf der andern Seite aber zeigen sich auch die Bil- der äusserer Dinge, sammt der Möglichkeit dergleichen aufzunehmen, und sammt dem Begehren, Wirken, und inneren Wahrnehmen, als etwas zufälliges für den Leih ; sobald aus Beobachtungen schlafender Men- schen der Zustand des Schlafes genauer bekannt gewor- den ist, den Jeder auch bei sich selbst vorauszusetzen, Ur- sachen genug findet. Doch die Erfahrungen vom Eintritt des Schlafes nach der Ermüdung, und von der Möglich- keit, den Schlafenden aufzuwecken, lassen bald erken- nen, dass hier ein leiblicher Zustand obwalte, der die Bilder der äussern Dinge nicht vertilge , sondern sie, die noch vorhandenen, nur in ihrer Wirksamkeit hem- me. Immer sind sie also, diese Bilder oder Vorstel- lungen, im Grunde dasjenige, was als das am meisten Beständige, Veste und Beharrende in der ganzen Com- plexion angesehen wird. Jedoch kann dieses nicht von irgend einem einzelnen unter den Bildern, gesagt werden; denn sobald die innere Wahrnehmung eine Zeit- strecke überschaut, findet sie die Bilder als kommend und gehend , im mannigfaltigsten Wechsel. Aber eben dieser Wechsel selbst, nämlich der Lauf der Vorstel- lungen, oder das Vorstellen überhaupt , und endlich als das am meisten Beharrliche erkannt; und so bekommt nun dieselbe Complexion, die anfangs über den Wahr- nehmungen des eignen Leibes sich zusammenhäufte, zu ihrem Haupt-Charakter das Vorstellen , sammt dem, damit innigst verflochtenen, Begehren und Fühlen . Dieser Haupt-Charakter ist demnach etwas in seinen nä- hern Bestimmungen, (was für Gegenstände vorgestellt werden,) unaufhörlich wechselndes; das Beständigste ist etwas durchaus Flüchtiges, das nur, in einem allgemeinen Begriffe gedacht, für ein Beständiges kann angesehen werden. Fassen wir alles zusammen: so ergiebt sich eine Complexion, von der alle ihre Grundbestand- theile können verneint werden, so dass keiner derselben ihr wesentlich zu seyn scheint . Wie wichtig diese Bemerkung zur Erklärung des Ich sey, wird sich zeigen, indem wir in den §. 28. zurückblicken. Dort wurde schon gefunden, dass die Ichheit auf einer man- nigfaltigen objectiven Grundlage beruhe, wovon jeder Theil ihr zufällig sey, in so fern die übrigen Theile noch immer das Ich stützen würden, falls jener weggenommen wäre. Auch erinnert man sich hier vielleicht jener Meinung eines andern Schriftstellers, nach welcher von einem Be- wusstseyn des Gegenstandes geredet würde, nicht wie er ist, sondern dass er ist (§. 21.). Einem solchen Ge- genstande sieht allerdings eine Complexion, von der alle Merkmale können verneint werden, ähnlich genug. Aber wenn sie wirklich alle auf einmal verneint werden, so fällt der ganze Gegenstand weg. Wenn hingegen eine Com- plexion bezeichnet wird mit … m n o p ...., wo die Puncte bedeuten, dass etwas weggelassen ist, statt dessen auch m n o p konnten hinweggenommen werden, wofern dagegen etwa d e f , oder f g h , blieben: so bietet eine solche Com- plexion immer noch für ein hinzutretendes x oder y , einen Punct der Anknüpfung dar. Hiemit mag vorläufig die Anmerkung des §. 27. verglichen werden; wenn man hinzudenkt, dass die Merkmale m n o p in ihren verschie- denen Reihen liegen. §. 136. Jetzt wollen wir versuchen, das Selbstbewusstseyn zu beschreiben, wie es wirklich ist; nur nicht etwan wie es seyn müsste, um ein Reales (die Substanz der Seele) zur Erkenntniss zu bringen. — Wir verhehlen uns hiebey nicht, dass das wirkliche Ich ein Raum- und Zeit-We- sen ist; aber mit folgenden nähern Bestimmungen: 1) In wiefern der eigne Leib zum Ich gerechnet wird, befindet sich die Vorstellung desselben nicht im Zu- stande der Evolution, sondern der Involution. Man weiss aus der Lehre vom Raume, dass alle Räumlichkeit auf Verwebung von Reihen beruht. Wenn diese sich evolviren, so werden die Theile des Räumli- chen auseinander gesetzt, sie kommen als ein Vieles ne- ben einander zum Bewusstseyn. Geschieht dies in An- sehung des Leibes, so kommen Vorstellungen, wie: mein Kopf, mein Arm, mein Fuss , zum Vorschein. Keiner dieser Theile ist je für das Ich gehalten worden; sondern diese Vereinzelung hat auf die Frage vom Sitze des Ich, des Geistes, der Seele geführt. Und je bestimm- ter ein solcher Theil sich einzeln ausgedehnt und beweg- lich zeigt, desto weniger wird man ertragen, ihn als den Sitz der Seele zu betrachten. Der Mensch sucht densel- ben nicht auf der Oberfläche, die er sieht, sondern in- wendig; und am liebsten im Kopfe, den das Auge un- mittelbar nicht gewahr wird. — Involvirte Reihen dagegen gelten für Einheiten, wie schon im §. 100. (in der An- merkung) gesagt wurde. Und wer von Sich redet, der denkt in der Regel nicht an jene Frage vom Sitze der Seele; unterscheidet auch nicht Leib und Seele. 2) Als Zeitwesen hat Jeder seine Lebensgeschichte, aber die Vorstellung Ich erzählt keine Geschichte; zu ihr gehört das Präsens: Ich bin ! Demnach steht sie in der Gegenwart; aber nicht als ein Neues, sondern als ein längst Bekanntes und Vorhandenes. Die Zeitreihe wird nicht als ablaufend, sondern als abgelaufen vorgestellt; so, dass ein geringer Theil derselben, rückwärts genom- men, genügt; indem die frübern Glieder unmerklich sich im Dunkeln verlieren. Man kennt schon aus §. 100. die rückwärts gerichtete, nicht successive, sondern simultane, aber abgestufte Reproduction; und ihren Unterschied von der vorwärts gehenden, wirklich ablaufenden. Soll hin- gegen die Lebensgeschichte hinzugedacht, und das Ich wirklich als Zeitwesen vorgestellt werden, so gehört dazu eine Verbindung beyder Arten der Reproduction. (§. 115.) 3) Gleichwohl liegt in den wichtigsten geistigen Ele- menten der Vorstellung Ich, im Empfinden, Erfahren, Begehren, ursprünglich, sobald das Subject gesetzt wird , ein Vorwärtsgehen, wenn auch nur durch eine unendlich kleine Reihe; wie die Reihe a b im §. 131. Wiewohl nun solche Reihen keine bestimmte Succession, und am wenigsten von endlicher Grösse, anzeigen, so wird doch durch sie das Ich als ein Trieb gedacht, wenn auch ganz unbestimmt, ohne Angabe des Woher und Wohin. 4) Soll die dunkle Vorstellung dieses sehr zusam- mengesetzten Triebes deutlich hervortreten: so muss sie sich entwickeln als ein Trieb zum Empfinden, zum Er- fahren, zum Denken, zum Handeln u. s. w., nach den Kategorien der innern Apperception. Allein hier fehlt immer zur vollen Deutlichkeit die bestimmte Richtung des Triebes von einem Puncte zum andern. Um sie zu gewinnen, muss ein äusserer Punct, ein Gegenstand gesetzt werden, zu welchem hin , eine Reihe sichtbarer Veränderungen gehe. Am deutlichsten also wird das Ich erscheinen in äusserer Thätigkeit. Diese aber kann hier kein blindes Wirken seyn. Die Elemente der Vorstellung Ich, und deren Complica- tion, bringen es mit sich, dass das Thun angesehen werde als Eins mit dem Abbilden desselben, dem Wis- sen. Und das hat eine zwiefache Bedeutung; denn das Thun ist zugleich ein Geschehen . Das Thun, durch- drungen vom Wissen, ergiebt das Wollen; das Gesche- hen, durchdrungen vom Wissen, ergiebt das Verneh- men und Fühlen dessen, was gethan worden. Das Ich ist vorstellend im Handeln; und vorstellend nochmals, indem es für sich gehandelt hat. Es weiss, was es zu thun im Begriff ist, und weiss auch, was es that. 5) Man bemerke nun, dass hieraus durch eine Ab- straction der reine Begriff des Ich in aller Strenge sehr leicht zu erhalten ist. Es braucht nur das äussere Handeln weggelassen zu werden. Alsdann bleibt statt der nach aussen gehenden Thätigkeit ein blosses Wissen, das nun keinen Gegenstand mehr hat; und statt des Vor- nehmens und Auffassens der äussern Thätigkeit ein Ver- nehmen jenes Wissens; welches letztere sich demnach in ein Gewusstes verwandelt. Solchergestalt bekommen wir den Begriff vom Wissen des Wissens, welches, da es ohne irgend einen Unterschied in Einem Puncte lie- gen soll, identisch gesetzt wird, bloss behaftet mit dem Gegensatze des Objects und Subjects, oder des Wissens und Gewusst-Werdens. Also haben wir den Stoff gefunden, aus welchem sich die Schule ihr Abstractum bereitet. Hier sind wir angelangt auf Fichte’s Gebiet. 6) Aber die Schule würde die Abstraction, die sie selbst gebildet, leicht erkennen, wenn nur ein willkührli- ches Denken darin läge. Nicht das Ich, sondern das handelnde, nach aussen hin wirkende Ich wäre dann das Gegebene; von dem blossen Ich aber würde man spre- chen wie von dem Allgemein-Begriff der Farbe oder des Tons, der nichts zu sehen noch zu hören darbietet. Wir haben im §. 29. gefunden, dass die mannigfal- tigen Vorstellungen, welche dem Ich zur objectiven Grundlage dienen, sich unter einander aufheben müssen, wenn die Ichheit möglich seyn soll. Dem gemäss muss so gewiss, als das Ich sich wollend und handelnd findet, auch das Gegentheil eintreten. Und dieser Forderung wird, wie die Erfahrung lehrt, auf mehr als eine Weise Genüge geleistet. Jene vorwärts gehende Richtung, um derentwillen das Ich als ein Trieb gedacht wird, ist im Allgemeinen die vom Subject zum Object, nach §. 131. Das Bevor- stehen der Empfindungen muss eben so, wie vorhin die äussere Thätigkeit, als begleitet vom Wissen auf dop- pelte Weise gedacht werden. Wissend geht das Ich der Empfindung entgegen; und abermals wissend empfängt es sie sammt dem ihr anhängenden Wissen. So ge- schieht es, dass das Ich Sich empfindet. Dies wird deutlicher in besonderen Fällen. Genie- ssend giebt das Ich sich hin der Lust; leidend giebt es sich hin dem Schmerze. Mit der Lust und dem Schmerze empfängt es sich selbst wieder. Diese Hingebung liegt schon in der blossen Neugier, oder dem Beobachten dessen, was da wird gegeben werden. In allen Fällen ist die Hingebung das Gegentheil des Wirkens und Handelus. Auch hievon kann die vorerwähnte Abstraction ge- macht werden; nur ist sie nicht so leicht wie dort, wo das Ich als äussere Causalität erscheint, die man ohne Mühe sowohl von demjenigen Wissen unterscheidet, das in der Absicht des Handelns liegt, als von dem andern Wissen, das in dem Auffassen des Erfolgs der Hand- lung enthalten ist. Dies ist die Seite des Ich, in welche sich Fichte nicht finden konnte. Sein Ich war frey; die Aussenwelt war nur ein scheinbares Widerstreben, eine Reizung für die Freyheit, dass sie sich zeige um zu siegen. Daneben konnte eine wahre Naturlehre nicht bestehen. Schel- ling hatte hier Recht zu widersprechen. Die Hingebung kennen wir vorzugsweise in der Liebe; und in der Frömmigkeit. Kein Wunder, wenn die Mystiker, ihrerseits übertreibend, das wahre Ich nur im Ertödten des Wollens und im Aufgeben des eignen, selbstständigen Daseyns zu finden glauben. Das wahre Ich ist dasjenige, in welchem jenes Entgegengesetzte zum Gleichgewichte gelangt ist . Mit richtigem Gefühle pflegen die Dichter erst ihren Helden hoch zu heben im Glanze des Thuns, Besitzens und Schaffens; dann ihn fallen zu lassen; bey- des damit er zu sich selbst komme. Zur Vollständigkeit der Betrachtung ist hier noch zu bemerken, dass von dem, was wir zu thun, oder dem wir uns hinzugeben glauben, die Wirklichkeit des Er- folgs abweichen kann. Alsdann finden wir uns getäuscht. Die Täuschung hebt das Ich nicht auf; denn wenn die vorige Abstraction gemacht würde, so fiele das Objective, worin der Gegensatz liegt, ganz heraus, und das blosse sich selbst begegnende Wissen bliebe rein zurück. Aber die Ichheit complicirt sich hier mit einem schmerzlichen Gefühl. Mit der Täuschung verglichen, erlangt die Wahrheit ihren Werth. Die Täuschung kann sich augenblicklich entdecken; sie kann auch allmählig, spät, nach langem Zweifel zum Vorschein kommen. Oft genug durchdringt sie die ganze Lebensgeschichte des Menschen, und giebt ihr ein bitte- res Nachgefühl. Aber das ist nicht wesentlich. Hinge- gen allerdings wesentlich ist der Druck, die Last, welche das Ich darum in sich trägt, weil es nur durch den Wechsel zwischen den mancherley Arten des Thuns und der Hingebung von der, im Einzelnen ihm zufälligen, im Ganzen ihm nothwendigen Objectivität, deren es zur Stütze bedarf, und die doch nicht sein wahres Selbst ausmacht, kann gereinigt werden. Diese Last empfindet noch wenig das unbefangene Kind, welches den Personen, die es sprechen hört, darum das Wort Ich nachahmt, weil es bemerkt, dass sie es dann gebrauchen, wann der Sprechende und der, von welchem die Rede ist, einer und derselbe ist. Es trifft indessen schon jetzt den wahren Sinn des Worts; denn indem es spricht, weiss es, was es sagen will, und ver- nimmt auch sein Gesprochenes. Es braucht nur über- haupt zu sprechen, um Sich zu finden; mit Recht also bezeichnet es den Sprechenden der eignen Rede mit dem Worte Ich. Später erst, wenn aus Vorsicht das Meiste, was über die Lippen unwillkührlich zu gleiten im Begriff war, zurückgehalten wird, tritt das stille, innerliche Spre- chen an die Stelle der lauten Rede; vorher war Ich Der, welcher von Sich sprach; jetzt wird es Der, welcher sich selbst denkt. Denn die Gedanken machen sich am leich- testen kenntlich als zurückgehaltene Worte. §. 137. In der Gesellschaft, und in der Mitte der Natur- Ordnung, bekommt in mancherley Hinsicht das Ich eine andre Färbung. Weit entfernt, als ein wundervolles Räthsel, mit nothwendiger Beziehung als ein zufälliges, sich selbst aufhebendes , Mannigfaltiges anerkannt zu seyn, gilt es gerade umgekehrt für den bekanntesten aller Ge- genstände, für das einzig unmittelbar Gewusste und Durch- schaute; für selbstständig und absolut Eins. Denn die geheim gehaltenen Worte scheinen inner- lich zu sagen, was Andre erst durch die laute Rede er- fahren. Eine zusammenhängende Folge von Empfinden, Denken und Handeln liegt der innern Apperception vor Augen; während Andre, so lange sie nicht sprechen, es ungewiss lassen, welches bey ihnen der Uebergang seyn werde von dem Empfinden zum Handeln durch das in ihnen verborgene Denken. Die Andern sind schon für das Kind beständige Räthsel; es fragt sie, so oft es darf. Es wird auch gefragt, und merkt nur zu gut, dass es etwas verhehlen kann. — Die äussern Gegenstände schei- nen alle mancherley zu verbergen; ihre Oberfläche um- giebt das Innere; ihre Merkmale kommen erst beym Be- sehen, Herumwenden, Oeffnen, Probiren, allmählig zum Vorschein; auch muss erst ein Raum durchlaufen wer- den, um sie finden, betrachten, untersuchen zu können. Das Ich ist sich immer gegenwärtig. Es bewegt sich um- her in ihrer Mitte, und entfernt sich frey von jedem, des- sen Nähe nicht länger erwünscht ist. Es hat sich immer beysammen. Denn die kommenden Gedanken durchlau- fen keinen Raum; während für einen ankommenden Kör- per sich allerdings verschiedene Stellen unterscheiden las- sen, wo er ist gesehen worden. — Also, verglichen mit Anderem, ist das Ich bekannt, selbstständig, und Eins. Ferner, im Gespräch findet die Ichheit fortdauernd Nahrung. Jenes Uebergehen vom Denken zum Empfinden und Erfahren, worauf die Bestimmung des Subjects, und die Voraussetzung desselben vor dem Objecte, beruhet, (§. 131.), geschieht jeden Augenblick, indem der Spre- chende seinen Gedanken dem Andern mittheilt, damit ihn dieser antwortend ergänze. Hìer ist immer die Ant- wort das Eintretende, Hinzukommende, zu ihrem Voraus- gesetzten, dem Denken. Und hier findet unaufhörlich das Ich sich selbst, denn das Gespräch ist in gleichem Maasse, und in schneller, steter Abwechselung, theils Wirksam- keit, theils Hingebung (§. 136.). Dieselbe Folge, wie das Gespräch hat nun auch die Lebensweise, das Thun und Leiden im geselligen Zustande; nur nach vergrö- ssertem Maasse. Und was ist selbst das Verhältniss des Menschen zur Natur anders, als ein abwechselndes Wir- ken und Hingeben? Aber die Gesellschaft erweitert noch obendrein, und beschränkt auch hinwiederum, das Wirken, und die Pläne dazu, durch den Besitz und dessen Gränzen. Sie macht etwas aus dem Menschen; giebt ihm Bilder des- sen, wofür er gelten soll; unterwirft ihn den Meinungen und Vorurtheilen. Um desto mehr wird die ganze Com- plexion, die wir Ich nennen, was sie ohnehin war, näm- lich höchst veränderlich; denn sie ist genau genommen keinen Augenblick dieselbe. Sie kann überdies keine vollkommene Complexion seyn, weil gar Mancherley entgegengesetztes in sie hinein kommt. (Man erinnere sich der Grundlehren über Complexionen aus den Ele- menten der Statik des Geistes.) Vielmehr, sehr verschie- dene Bestandtheile derselben treten bey verschiedenen Anlässen und Umständen vorzugsweise ins Bewusst- seyn. Meldet sich der Leib durch ein körperliches Ge- fühl, so erheben sich die älteren Vorstellungen gleichar- tiger Gefühle, sammt den Erinnerungen an gewisse be- gleitende Lebensumstände. Soll irgend eine Arbeit ge- macht werden: so regen sich Vorstellungen ehemaliger Beschwerden bey gleicher Arbeit, ehemals gebrauchter Mittel und angestrengter Kräfte. Zeigt sich ein Vortheil zu gewinnen, ein Genuss zu erhaschen, so erwachen Be- gierden, mit welchen zugleich sich eine genussreiche Ver- gangenheit in Gedanken vergegenwärtigt. Nun kommt zwar bey allen solchen Anlässen die ganze Complexion in einige Bewegung, aber doch in eine sehr ungleiche; so dass der mit dem Worte Ich benannte Gegenstand, wiewohl er immer ein und derselbe seyn soll, sich oft- mals kaum ähnlich sieht. Erwacht aber vollends irgend einmal (was bey vie- len Menschen freylich nie geschieht,) die ernstliche Frage: Wer bin ich denn ? so müssen sich nach einander zwey ganz entgegengesetzte Bemerkungen aufdringen. Die erste: dass für eine einfache und bestimmte Antwort auf diese Frage, es viel zu viel ist an dem ungeheuern Vor- rathe der mannigfaltigsten Merkmale in der Einen Com- plexion, die das eigne Selbst darstellen soll. Die zweyte: dass, wenn man anfängt abzusondern und auszuscheiden, was alles entbehrliches, unstetes, sich selbst aufhebendes in jener Complexion angetroffen wird, alsdann gar Nichts durchaus Vestes und Tüchtiges, am wenigsten etwas solches, das von Relationen frey, das rein selbst- ständig wäre, übrig bleibt, woran und worin man Sich selbst ein für allemal erkennen könne. Was die erste Bemerkung anlangt, so wird sie klä- rer werden durch eine sehr viel weitere Ausdehnung, die sie im folgenden Capitel erhalten muss, wo wir sie wie- der finden werden bey der Frage, was sind die sinn- lichen Dinge, die wir durch Complexionen ih- rer Merkmale kennen lernen . Die zweyte Bemer- kung erhält ihre Erläuterung in dem Schlusse des §. 135. Und überdies noch in den ersten Untersuchungen über das Ich, bey welchen wir im §. 24—26. unsern Faden angesponnen haben. Man wird finden, dass aus dem §. 135. ein unmittelbarer Uebergang in die Reflexionen des §. 25. offen steht, so dass dieser die Fortsetzung von je- nem zu enthalten scheint; und wir können jetzt die an ganz verschiedenen Orten dieses Buches vorkommenden Betrachtungen gleichsam in Eine Linie legen Zur Vollständigkeit der Untersuchung gehört noch die Anoma- lie des Selbstbewusstseyns im Wahnsinn; wovon unten im §. 165. . Zuerst nämlich findet der Mensch Sich (aber noch nicht als Ich) in äusserer Wahrnehmung, nebst den Ge- fühlen von körperlicher Lust und Unlust. Er sieht seine Hände, er betastet seinen Leib, er sieht selbst dieser Betastung zu, und fühlt sie zugleich in den betastenden und den betasteten Gliedern. Weiterhin kommt die Bey- legung von Bildern äusserer Dinge, die Voraussetzung des Subjects vor den Objecten; die Bestimmung des Sub- jects als Trieb, sowohl zum Thun als zur Hingebung; sammt der innern Wahrnehmung. Noch später wird der Besitz und das Wechseln der Bilder, sammt dem was daran hängt, für das Vornehmste und Wesentlichste er- kannt; der Mensch schreibt sich eine Seele, ja selbst ei- nen Charakter zu, und achtet dieses für vorzüglicher als den Leib. Auf dieser Stufe wird die innere Wahrneh- mung für die Erkenntnissquelle des wahren Selbst ange- sehen; und es ist dieses der Standpunct der meisten ge- bildeten Menschen. Nun aber kommt die philosophische Reflexion; diese macht wiederum der innern Wahrneh- mung die ächte Selbsterkenntniss streitig; sie will nicht von dem Zeitwesen , dem Individuum , sondern von dessen beharrlicher Grundlage unterrichtet seyn. Jetzt entdeckt es sich allmählig, dass die Wahrnehmung des eigentlichen Seelen-Wesens, der Substanz der Seele, gänzlich mangele; und dass eine solche Substanz müsse hinzugedacht seyn, auf eine Weise, die wir im fol- genden Capitel im Allgemeinen erläutern werden. Den- noch aber bleibt das Ich, die eigentliche, immer gleiche, Identität des Vorstellenden und Vorgestellten. Dieses Ich erscheint als ein Gegebenes, als die sicherste, unbe- streitbarste Thatsache des Bewusstseyns; selbst nach Ab- sonderung des Individuellen, was die innere Wahrneh- mung darbot. Dafür wird eine eigne Art der Erkenntniss erfunden; ein reines, intellectuelles Vermögen , (wie bey Kant und Fichte; siehe §. 26.). Fragt man aber, was denn das sey , das die intellectuelle An- schauung anschaue, so kommt die Ungereimtheit in dem, vom Individuellen losgerissenen Begriffe des Ich zum Vor- schein, die wir im §. 27. u. s. w. erwogen, und in ihren Folgen untersucht haben. §. 138. Aus allem bisher Vorgetragenen muss nun offenbar werden, sowohl worin die Täuschung bestehe, der wir in Ansehung des Ich beym Anfange der Untersuchung unterworfen waren, als auch, durch welche endliche Be- richtigung des Begriffs vom Ich wir der Täuschung uns entledigen sollen. Wie bey allen Begriffen, denen ein wesentliches Er- gänzungsstück fehlt, auf das sie sich beziehen , ohne es zu enthalten und unmittelbar anzuzeigen: so liegt auch beym Ich die Täuschung darin, dass man diesen Begriff für denkbar hält, nach Absonderung von allem Indivi- duellen. Wer, wie Kant , das Ich für die ärmste und gehaltloseste aller Vorstellungen ansieht, wer ihr ein ab- gesondertes Geistesvermögen anweis’t, durch das sie ohne Beziehung, ohne nothwendigen Zusammenhang mit un- sern übrigen Vorstellungen, für sich allein dastehn, sich erst hintennach an die übrigen gleichsam anlegen, oder dieselben in ihren Schooss aufnehmen soll: — der ist mitten in der Täuschung befangen. Die Täuschung führt nun in Widersprüche, welche Anfangs nicht vollkommen entwickelt werden; sie führt auf auf metaphysische Abwege von der Art, wie Fichte sie vielfältig durchlaufen ist. Es ist wahr, wenn ich mich selbst betrachte, so finde ich eine Complexion von Merkmalen, deren jedes als zufällig erscheint. Alle meine empirischen Vorstel- lungen könnten fehlen, sie hängen von Lebensumständen ab; und selbst die sogenannten reinen Anschauungen und Kategorien, welche Manchen für ein ursprüngliches Ei- genthum gelten, sind doch nicht so mit meiner Ichheit ver- webt, dass ich Mich selbst allemal und nothwendig dächte als den Vorstellenden dieser Anschauungen und Kategorien. Es giebt nichts in meinem ganzen Ge- dankenkreise, das ich nicht in manchen Fällen vergässe, wenn ich mich selbst denke und empfinde. Aber eine Complexion von lauter zufälligen Merkma- len, wenn diese alle von ihr abgesondert werden, wird unfehlbar = o . Ich sollte also mich selbst als gar Nichts denken; als einen mathematischen Punct in der Mitte der Dinge. Und gerade im Gegentheil, ich bin von meiner Existenz aufs innigste überzeugt. Dieses ge- wiss Existirende, Was ist es denn nun? — Nachdem alles, als was ich gewohnt war Mich zu denken, ver- worfen ist, bleibt nichts übrig, als mein Wissen von mir selbst. Aber dieses Mir , wen soll es bedeuten? — Hier wiederhohlt sich die Frage nach dem eigentlichen Objecte des Selbstbewusstseyns; wie im §. 27. umständ- licher entwickelt ist. Ich kann daher jene Complexion der zufälligen Merk- male keinesweges ganz entbehren. Nicht nur finde ich im gemeinen Selbstbewusstseyn allemal mich selbst wirk- lich mit irgend welchen zufälligen Prädicaten behaftet, — als denkend, handelnd, leidend, fühlend, — sondern es muss auch so seyn; und ich würde mich sonst gar nicht finden. Ein zweyter Punct der Täuschung liegt in der Iden- tität , welche zwischen dem Vorgestellten und dem Vor- stellenden statt haben soll. Hier wollen wir zuerst be- II. T merken, dass sehr allgemein eine Vorstellung für eine einzige gehalten wird, wenn sie schon nichts anders ist als ein Aggregat von zum Theil verschmolzenen Elementar-Vorstellun- gen . Wir sehen uns einen Gegenstand eine Weile an; dann kehren wir uns weg und sagen: nun habe ich doch eine Vorstellung von dem Dinge. Niemanden fällt es ein, dass sein Vorstellen des Gegenstandes eine Total- kraft ist, die während des ganzen Zeitverlauss sich aus allen den unendlich vielen momentanen Auffassungen ge- bildet hat; nach §. 94. u. s. w. Oder wir gehn mit ei- nem Werkzeuge, mit einer Person um; wir sehen sie vielemal, wir nehmen Gehör und Gefühl zu Hülfe, um unsre Kenntniss davon zu vollenden; viele Totalkräfte, deren jede der eben erwähnten gleicht, sind hier ver- schmolzen, und wirken zusammen in unsrer erlangten Kenntniss: allein unbekannt mit dem Mechanismus der Vorstellungen halten wir uns an das Vorgestellte ; dieses wird für Eins genommen, weil die ganze Comple- xion aller jener Totalkräfte zusammenwirkt; daher schrei- ben wir uns Eine Vorstellung der Einen Sache oder Per- son zu. Was heisst es nun, wenn man sagt: das Ich ist im Bewusstseyn gegeben als die Identität des Denkenden und des Gedachten? In Beziehung auf diese Identität ungefähr soviel, als ob Jemand sagt: der Schreibetisch, an welchem ich heute arbeite, ist mir gegeben als der- selbe, an welchem ich gestern schrieb. Soll dies bedeu- ten: die Wahrnehmung dieses Tisches, heute und ge- stern, ist eine und dieselbe, so liegt die Täuschung am Tage. Gerade im Gegentheil, das Quantum Empfäng- lichkeit, welches gestern durch die Wahrnehmung er- schöpft wurde, trägt das seinige bey, um die heutige neue Wahrnehmung etwas geringer zu machen (§. 100.); denn das nämliche Vorstellen kann sich nicht zweymal erzeugen. Dennoch entsteht, gemäss der heutigen Em- pfänglichkeit, heute eine neue Wahrnehmung; diese be- findet sich in gar keinem Hemmungsverhältnisse mit der gestrigen gleichartigen, und daher würden sie vollkom- men verschmelzen, wenn nur die gestrige sich heute ganz ins Bewusstseyn erheben könnte. Dieser Mangel wird jedoch nicht gefühlt, denn was im Bewusstseyn nicht vor- handen ist, und zwar nach Gesetzen der Statik , das bestimmt keine Zustände des Bewusstseyns; wie aus allem obigen bekannt ist. Die beyden Vorstellungen verschmel- zen also ohne fühlbares Hinderniss; wir aber merken nichts von einem solchen Ereigniss, denn wir sind, eben durch die verschmelzenden Vorstellungen, beschäfftigt mit dem Gegenstande, den sie beyde zusammengenom- men darstellen. Nur indem wir uns an den Unterschied zwischen gestern und heute erinnern, fällt es uns ein, den nämlichen Gegenstand als einen heute und gestern wahrgenommenen, dennoch aber als denselben in beyden Zeitpuncten zu bezeichnen. Nicht weit hievon verschieden ist das Ereigniss, wenn jene Complexion, die das eigne Selbst anzeigt, von ih- ren zahlreichen Armen ein paar, oder auch mehrere, zu- gleich ausstreckt, die, wenn sie ins Bewusstseyn kommen, zusammenfallen, und eine und dieselbe Complexion von zwey verschiedenen Seiten mit sich emporheben. Ist ei- ner dieser Arme diejenige Vorstellungsreihe, wodurch die eigenen Bilder, und deren Wechsel, das Sprechen-Wol- len, oder das Denken, und Wissen, vorgestellt wird; so mag der andre Arm seyn was er will: es wird sich in den allermeisten Fällen finden, dass unter den Gegen- ständen jenes Denkens und Wissens auch ein Bild von dem andern Arme vorkommt. Hiemit haben wir einen Act des Selbstbewusstseyns; ein Wissen und ein zuge- höriges Gewusstes in der nämlichen Complexion; eine scheinbare Identität des Denkenden und Gedachten. Gleichwohl sind jene beyden Arme der Complexion zwey unter sich verschiedene Vorstellungsreihen, die nur als Abbild und Urbild einander entsprechen, und die beyde vermöge ihrer Verbindung mit den übrigen Theilen der T 2 Complexion, ein und dasselbe Ding ins Bewusstseyn hervorstellen, dessen sowohl das Gewusste als auch das Wissen sey. Dieses Ding heisst in der gemeinen Sprache Ich; obgleich die Speculation den Begriff des Ich anders bestimmt. Die Speculation, so lange sie noch nicht den noth- wendigen Zusammenhang zwischen dem Ich und dem In- dividuum eingesehen, so lange sie noch nicht den psy- chologischen Mechanismus kennen gelernt hat, vermöge dessen alles complicirte als Eins , und zwey Ele- mente einer Complexion als ein und dasselbe Ding erscheinen, indem sie einander gegensei- tig ins Bewusstseyn hervorheben : die Speculation also in ihrem Beginnen, beschäfftigt sich mit dem all- gemeinen Begriffe der Ichheit, wie ihn alle Indivi- duen auf gleiche Weise zu haben scheinen, indem sie alle von sich in der ersten Person reden. Da hierin eine Identität des Denkenden und Gedachten liegt, so nimmt sie dieses streng; sie fordert, das Gedachte solle der Actus des Denkens selbst seyn, welches sich aufhebt. (§. 27.) Sie erklärt jedes Gedachte, das von dem Den- ken verschieden ist, für ein Nicht-Ich. Und sie muss hierin streng verfahren, weil sie sonst keinen bestimmten Begriff haben würde, an dem sie sich halten könnte. Indem sie aber den aufgedeckten Widersprüchen entgehen will, findet sie, dass dem Ich eine Mannigfal- tigkeit fremder, und zwar unter einander entgegengesetz- ter Objecte müsse geliehen werden, die hintennach wie- der abzusondern seyen. (§. 29.) Eben dasselbe haben wir jetzo durch eine Analysis gefunden, wobey die zuvor synthetisch gewonnenen Kenntnisse zu Hülfe genommen wurden. Wir sehen: zu dem eignen Selbst werden An- fangs eine Menge von Bestimmungen gerechnet, die alle Demselben angehören sollen, der auch von ihnen weiss ; aber auch alle diese Bestimmungen lassen sich für zufällig erklären und wieder absondern, denn sie alle werden als wechselnd, als bald gegenwärtig bald abwe- send im Selbsthewusstseyn erkannt, — welcher Wechsel von den Gegensätzen und Hemmungen, sammt den da - durch bestimmten Bewegungen der Vorstellungen herrührt. Eine dritte Täuschung endlich ist diejenige, welche durchgängig in den älteren Fichtis chen Schriften herrscht, gegen die wir uns aber schon oben erklärt haben; als ob alles, was im Ich sich finde, unmittelbar wegen der Natur des Ich auch wieder ein Gewusstes werden müsse; so dass man der höhern Reflexionen, durch welche die niederen selbst Gegenstände des Vorstellens werden, im Ich so viele postuliren dürfe, als man nur immer brauche zur Erklärung der Phänomene. Nach dieser Ansicht dreht sich das Ich ohne Ende im Wirbel, indem es un- aufhörlich sein eignes Subject zum Objecte macht für ei- nen höhern subjectiven Act des Vorstellens, der alsbald abermals das Vorgestellte werden muss für ein neues Vorstellen — wunderbar genug dergestalt, dass über dem Ablaufen dieser unendlichen Reihe keine Zeit verfliesse, denn sonst würde das Ich niemals fertig, sondern bliebe immer im Entstehen begriffen. An diesen Irrthum hängt sich die transscendentale Freyheit, die in der That gar keinen bessern Boden für sich finden kann. Der Irrthum selbst wird begünstigt durch das Selbstbewusstseyn bey denen Personen, deren innere Wahrnehmung einen ho- hen Grad von Ausbildung erlangt hat. Denn hiedurch wird es möglich, jede Vorstellungsreihe, die sich eben erhob, sinken zu lassen und sie zugleich durch eine andre zu appercipiren. Ich finde mich denkend an mich selbst, aber durch den Vorsatz Mich zu beobachten, entdecke ich jenes Finden, und wiederum Mich als findend das Finden, und abermals Mich als vorstellend das Finden jenes Findens u. s. f. So kann man ein künstliches Spiel mit sich selbst eine Zeitlang fort treiben, nur dass nichts dem ähnliches der Natur unserer Seele, die überall nicht ursprünglich ein Ich, ja nicht einmal ur- sprünglich ein vorstellendes Wesen ist, als eine eigen- thümliche Qualität zugeschrieben werde. Irgend eine ap- percipirende Vorstellung ist jedesmal die letzte; die nicht wieder ein Vorgestelltes wird. Und das Ich, als Gege- benes, ist ganz und gar ein Vorgestelltes; auch das dem Object identisch geglaubte Subject ist selbst unvermerkt Object einer Vorstellungsreihe, die im Bewusstseyn ist, ohne dass wir uns ihrer bewusst werden; (Vergl. §. 4. 18. 125.) Man möchte nun auf einen Augenblick bey der Frage anstehen, ob denn nach Abzug aller dieser Täuschun- gen von der Ichheit noch etwas übrig bleibe? oder ob nicht vielmehr dieser Begrift gänzlich müsse verworfen werden? Durch Thatsachen des Bewusstseyns lässt sich diese Frage nicht entscheiden. Dadurch wird der Anfangs- punct der Untersuchung vestgestellt, aber nicht das Resultat ; vielmehr, eben indem durch das Gegebene die Nothwendigkeit der ganzen Untersuchung, und ihre Gültigkeit in dem Sinne verbürgt ist, dass sie sich mit keinem Hirngespinnst beschäfftige; nöthigt sie uns auch, das Resultat gelten zu lassen, selbst dann, wenn es von dem Anfang weit abweichen sollte. Am wenigsten aber kann ein Begriff, wie der des Ich, in seinen Merkmalen durch das Bewusstseyn vestgesetzt werden; nachdem wir gesehen, dass derselbe während des Laufes der mensch- lichen Ausbildung einer beständigen Veränderung, einem Wachsen und Abnehmen unterworfen ist, bis er endlich, von der Speculation ergriffen, sich in Widersprüche verliert. (§. 137.) Dass die Ichheit in völliger speculativer Strenge nicht bestehen könne, war schon entschieden, als wir diesen Begriff der Methode der Beziehungen überlieferten, die, indem sie die Wurzel des Widerspruchs ausreisst, den Begriff unvermeidlich einer Abänderung, wenn schon der kleinsten möglichen, unterwirft. (§. 34.) Dieselbe Me- thode giebt dagegen sogleich einen vorläufigen Umriss desjenigen Begriffs, in welchen sich der gegebene nach gesetzmässiger Bearbeitung verwandeln muss. Für das Ich weis’t sie uns an, zu suchen nach einer Identität des Vorstellenden mit einem, noch zu bestimmenden, Zusam- men mehrerer Objecte. Sollen wir nun das Problem für aufgelös’t erkennen, so muss klar werden, erstlich wer der Vorstellende, zweytens was das Zusammen der meh- rern Objecte, drittens, dass dies Zusammen und jener Vorstellende identisch seyen. Die Erläuterung dieser drey Puncte müssen wir an die Grundsätze der allgemeinen Metaphysik anknüpfen, denn wir sollen jetzt nicht mehr ein Gegebenes analysiren, sondern ein Resultat wissen- schaftlich veststellen. Wir gehen also zurück auf die Voraussetzung un- serer ganzen psychologischen Untersuchung, wir nehmen aus der allgemeinen Metaphysik als bekannt an, dass die Seele ein streng einfaches, ursprünglich nicht vorstel- lendes Wesen ist, dessen Selbsterhaltungen aber gegen mannigfaltige Störungen durch andre Wesen, Acte des Vorstellens ergeben. (Man vergleiche §. 31—35.) Die Seele an sich, in ihrer einfachen, übrigens unbekannten, Qualität, — die nicht vorstellende , — kann nicht Subject noch Object des Bewusstseyns werden. Aber die Seele in Hinsicht auf alle ihre Selbsterhaltungen, welche Vorstellungen sind, ist das wahre Subject, das Eine, ungetheilte, aber höchst mannigfaltig thätige, des gesammten Bewusstseyns. Wie dieses Subject sich be- trachten lässt als Vorstellendes zu jedem Vorgestellten, so auch in dem besondern Falle, da das Vorgestellte ihm selbst identisch seyn soll. Was die Objecte anlangt, so hängt deren Mannig- faltigkeit ab von äusseren Störungen; dennoch empfängt zu ihnen die Seele keinen Stoff von aussen; vielmehr sind sie nur vervielfachte Ausdrücke für die innere, eigne Qualität der Seele; in ihrem Beysammenseyn ist die Seele mit sich selbst zusammen, daher auch ohne alle weitere Vermittelung das gleichartige und gleichzeitige Vorstel- len Eine Totalkraft ergibt, das entgegengesetzte aber sich ausschliesst oder sich hemmt. Die nähern Bestim- mungen dieses Zusammen, dieser Verschmelzungen und Hemmungen, entfalten die vorgestellte Welt; in der Mitte der Welt aber das vorgestellte eigne Selbst. Durch- laufend die Stufen der menschlichen Ausbildung kommt die Seele bis zur Wissenschaft; einem Werke, wozu der Stoff sowohl als die erzeugende Kraft herrührt von den Vorstellungen in ihrem Zusammen. Die Wissen- schaft redet von der Seele , als dem Grunde der vorgestellten Welt und des eignen Selbst. In der Wis- senschaft ist das Wissende die Seele . Hier ist Wissendes und Gewusstes Eins und dasselbe; die Seele in dem System ihrer Selbsterhaltungen. So weiss Ich von Mir; nicht mit angeborner, aber mit einer auf immer erworbenen Kenntniss. — Drittes Capitel . Von unserer Auffassung der Welt, und den damit verbundenen Täuschungen. §. 139. Jetzt geht der Weg unserer Untersuchung gerade über das Feld der sogenannten Vernunftkritik; denn wir müssen nun das Geschäfft, die Formen der Erfahrung nach ihrem Ursprunge psychologisch zu erklären, vollends zu Ende bringen; nachdem wir über die erste Erzengung der räumlichen und zeitlichen Vorstellungen, desgleichen über die Entstehung und Fortbildung des Selbstbewusst- seyns, schon Auskunft gegeben haben. Es kommen zu- nächst die Begriffe von Substanz und Kraft an die Reihe; dann die Vorstellungen von Materie und Bewegung. Dass hiebey weder von Kategorien noch von deren Be- schränkung auf Gegenstände der Sinne, die Rede seyn werde; dass unsere Absicht weit verschieden sey von der, womit Kant sein Geschäfft betrieb, braucht kaum noch erinnert zu werden. Wir wollen nachweisen, wie dieje- nigen Begriffe entstehn, welche die Metaphysik weiter zu bearbeiten hat; und in so fern muss sie da fortfahren, wo wir abbrechen. Wir werden also hier nicht lehren, was man sich am Ende aller Nachforschung als Substanz und Kraft zu denken habe; — der Verfasser dieses Buchs war darüber längst vorher mit sich einig, ehe er es un- ternahm, die Psychologie als besondern Theil der gan- zen Metaphysik zu bearbeiten; — sondern wir werden erklären, wie es möglich sey, dass der menschliche Geist sich so sonderbare Probleme vorlege, um derentwillen ihm eine Metaphysik zum Bedürfniss wird. Der bessern Vorbereitung wegen wollen wir aber eine andre Untersuchung voranschicken, von der es viel- leicht nicht sogleich ins Auge fällt, wie sie mit der jetzt angekündigten zusammenhänge; — nämlich die von der Möglichkeit des eigentlichen, deutlichen Denkens. Da- bey wird als bekannt vorausgesetzt, dass die Deutlichkeit auf der Zerlegung eines Gedankens in seine Theile, ei- nes Begriffs in seine Merkmale beruhe, — auf dem Auseinandersetzen , welcher Ausdruck hier so wört- lich als möglich zu nehmen ist, denn es soll dabey auch noch an die Schätzung, wohl gar Abmessung, des Gra- des der Verschiedenheit unter je zwey mit einander ver- glichenen Merkmalen gedacht werden; wie wenn die Grade der Wärme und Kälte nach dem Thermometer, die der Schwere nach dem Gewichte bestimmt werden. Um hierüber Rechenschaft geben zu können, müssen wir erst gewisser Vorstellungsarten erwähnen, die recht füglich mit Raum und Zeit verglichen, und mit diesen unter der Benennung Reihenformen , zusammengefasst werden mögen. Hiebey dürfen wir nur in den §. 100. zurückblicken. Wie der Raum auf abgestuften Verschmelzungen beruht: (§. 110—114.) so erzeugen sich die Vorstellun- gen von ähnlichen Continuen allemal unter ähnlichen Umständen. Es sey demnach eine gewisse Klasse von einfachen Vorstellungen so beschaffen, dass, wenn viele derselben zugleich im Bewusstseyn sind, alsdann aus ihrer Qualität bestimmte Abstufungen ihres Verschmel- zens erfolgen müssen: so ordnen sich unfehlbar diese Vorstellungen dergestalt neben und zwischen einan- der, dass man sie nicht anders als auf räumliche Weise zusammenfassen, und sich darüber nicht anders als in solchen Worten ausdrücken kann, welche dem Scheine nach vom Raume entlehnt, eigentlich aber eben so ur- sprünglich der Sache angemessen sind, als wenn man sie auf den Raum bezieht. So machen alle Töne zusammengenommen eine ge- rade Linie , auf welcher Intervalle mit mathematischer Genauigkeit abgemessen werden. So liegt, gleichfalls gerade, alles mögliche Violett zwischen Blau und Roth, alles mögliche Orange zwischen Roth und Gelb, alles Grün zwischen Blau und Gelb, — wobey wir uns um die physiologischen, physischen, che- mischen Farbentheorien gar nicht kümmern, sondern bloss um Vorstellungen in der Seele. So giebt es ein bestimmtes Violett, Orange, Grün, welches genau in der Mitte zwischen den Extremen liegt, und derjenige irrt sich, welcher glaubt, das Wort Mitte sey hier eine Metapher; vielmehr würde der Begriff des Mittleren sich aus solchen qualitativen Continuen von selbst erzeugt ha- ben, wenn auch an keinen Raum gedacht würde. Woher nun hier die abgestuften Verschmelzungen kommen, das springt von selbst in die Augen. Je grö- sser der Hemmungsgrad, desto geringer die Verschmelzung . Können demnach nur alle Töne, alle Farben, — überhaupt alle Merkmale aus einerley Klasse, — zugleich ins Bewusstseyn kommen: so macht sich die Abstufung des Verschmelzens unmittelbar von selbst. Dies ist etwas so einfaches und ursprüngliches, dass es der Ausbildung des räumlichen Sehens und Ta- stens weit vorangehn würde, wenn die äussere Erfahrung, die solche Merkmale nur höchst sporadisch darbietet, darauf eingerichtet wäre, sie systematisch zusammen zu stellen. Alle logische Coordination ist nur in so fern genau, in wiefern sie auf specifischen Differenzen beruht, die be- stimmte Reihenformen bilden. Man betrachte nun eine Bibliothek, ein System der Botanik, oder jede beliebige Klassification, so wird der Gegenstand ohne weitere Er- läuterung klar seyn. Die Sachen sind für uns Complexionen von Merk- malen. Wenn aber jedes der Merkmale seinen Platz eingenommen hat, in dem qualitativen Continuum, wozu es gehört, — wenn die Farbe unter den Farben, der Klang unter den Tönen, der Geruch unter den Gerü- chen, das Gewicht unter den Graden der Schwere, u. s. w. die bestimmte Stelle findet: so entstehn zwey Folgen zugleich: erstlich, die Sache zerfällt in ihre Merkmale; zweytens: bey der Vergleichung mit andern Sachen ergiebt sich für jedes Paar Merkmale aus derselben Klasse, ein bestimmtes Aussereinander, welches sich abmessen lässt auf dem entsprechenden qualitativen Continuum. Z. B. Zwey Metalle haben ihre Grade der specifischen Schwere, deren Unterschied auf der Scala der Gewichte sichtbar wird; sie haben ihre Klänge, und diese bilden ein Intervall auf der Tonlinie; sie haben ihre Farben, die sammt ihrer Differenz auf der Farbentabelle können nachgewiesen werden, u. s. w. Von diesen beyden Folgen interessirt uns für die Untersuchung, welche bevorsteht, eigentlich nur die erste; das Zerfallen der Sache in ihre Merkmale, deren jedes in einem andern qualitativen Continuum wieder ge- funden wird. Hieran knüpft sich der wichtige Umstand: dass die Merkmale als zufällig beysammen erkannt werden, als ein Aggregat, welches wohl auch anders sich hätte denken lassen. Unter den verschiedenen Graden der specifischen Schwere konnte wohl ein anderer mit den übrigen Eigenschaften des Goldes verbunden seyn; auch bieten sich andre Grade von Dehnbarkeit, Schmelzbar- keit, u. s. w. dar, ausser den bestimmten, welche nun eben in der Erfahrungskenntniss des Goldes sich zeigen. Indem die ganzen qualitativen Continuen, oder doch grössere Strecken derselben, — vor Augen liegen: erblickt man das wirkliche Ding in der Mitte anderer Möglich- keiten; und hiemit fängt die Erfahrung an, ihren Cha- rakter der Zufälligkeit zu enthüllen. Nach diesen Vorerinnerungen mag uns ein Denker, dem in neuerer Zeit nicht immer die gebührende Ehre widerfahren ist, nämlich Locke , näher zu unserm Ge- genstande hinführen. Als ein Zeichen von ächtem speculativen Geiste muss es Locken angerechnet werden, dass er so sehr auf- merksam ist auf die ganz zufällige Aggregation, in wel- cher die beysammen gefundenen Merkmale eines und des- selben sinnlichen Dinges sich uns darbieten. Sehr ausführ- lich, nach gewohnter Weise, und sich oft wiederhohlend, prägt er uns ein, dass zwischen den Merkmalen des Goldes, den Begriffen vom gelben, vom schweren, vom schmelzba- ren, dehnbaren, feuerbeständigen, in Königswasser auflös- baren Körper, sich nimmermehr eine nothwendige Ver- knüpfung, noch eine Unverträglichkeit zwischen einigen von diesen, und irgend welchen entgegengesetzten der andern, auffinden lasse; dass auch alle Physik und Che- mie dergleichen Aggregate von Merkmalen nur immer anwachsen mache, ohne uns jemals der Einheit, in der sie zusammenhängen sollen, näher zu bringen. Unter andern sagt er ( Book IV, Chap. VI. §. 7.): The com- plex ideas, that our names of the species of substances properly stand for, are collections of such qualities as have been observed to coexist in an unknown substratum, which we call substance . Diese Stelle ist nur darin feh- lerhaft, dass sie nicht bloss die Verknüpfung der Merk- male, sondern mit einem näher bestimmenden Zusatze die Verknüpfung in einem Substrat , als etwas durch Beobachtung Erkanntes angiebt. Das Substrat ist hinzugedacht, aber nicht gegeben. Dennoch ist eben dieselbe Stelle schätzbar darum, weil sie die wahre Real-Definition der Substanz enthält. Denn eben dies zu den beobachteten , den gegebenen Complexionen von Merkmalen hinzugedachte Substra- tum, wodurch bloss an die Stelle des formalen Begriffs: Verknüpfung , der reale: Princip der Einheit , ge- setzt wird, ist die Substanz. Dieser Begriff verbürgt seine Gültigkeit, indem er sich auf das Gegebene bezieht, in dessen Auffassung er nothwendig entstehn musste, so lange nicht etwa die ganze Complexion der Merkmale für blosse Erscheinung gehalten wurde; so lange dagegen ein Bedürfniss vorhanden war, derselben Complexion Realität, nämlich Ein gemeinschaftliches Seyn für alle verknüpften Merkmale , beyzulegen. Diese Gültigkeit des Begriffs ist noch nicht Erweis von der Wahrheit, dass so etwas vorhanden sey; im Gegentheil, das gemeinschaftliche Seyn der verknüpften Merkmale ist eine metaphysische Ungereimtheit; es ist einer von jenen Widersprüchen, aus deren gehöriger Behandlung die metaphysischen Lehrsätze hervorgehn. Nichts desto we- niger ist jenes Substrat, jenes gemeinschaftliche Seyn, der wahre, und durch die Erfahrung zwar nicht un- mittelbar gegebene, aber nothwendig herbey- geführte , Begriff von der Substanz. Hingegen die Er- klärung, Substanz sey, was nur als Subject und nicht als Prädicat existiren könne, ist eine Namen-Erklärung, die wohl an Logik, aber an kein Gegebenes erinnert. Kant aber, der bey Gelegenheit der Substanz ganze Massen von Fehlern begangen hat, begeht auch den, dass er, um der verkehrter Weise der Erfahrung vor- ausgesetzten Kategorie der Substanz hintennach Anwendbarkeit auf Erfahrungsgegenstände zu geben, die Zeit zu Hülfe ruft; wodurch seine Substanz ein Beharr- liches wird, während der wahre, und gerade durch die Erfahrung selbst herheygeführte, Begriff der Substanz gänzlich zeitlos ist; wodurch ferner der ganze Zweig von Untersuchung verdorren muss, der von dem Begriff des gemeinsamen Seyns eines Mehrfachen ausgeht; wo- durch endlich nichts weiter gewonnen wird, als dass man aus dem ersten Hauptprobleme der Metaphysik, in das zweyte , in das von der Veränderung sich verirre, indem der Begriff des Beharrlichen nur als Gegensatz des Ver- änderlichen etwas bedeutet. Kant würde diesen und noch viele andre Fehler sehr leicht vermieden haben, wenn er Locken aufmerksam gelesen, und sich auf dem Standpuncte von dessen Untersuchung gehörig orientirt, oder noch besser, wenn er die von Locken zur Unter- suchung zurecht gelegten Erfahrungsbegriffe, mit seinem Scharfsinn erwogen hätte. Dieses aber hätte freylich ge- schehen müssen, ehe ein Kantisches System existirte. Doch wenn Kant die Winke Locke’s in Anse- hung des Begriffs der Substanz nicht gehörig benutzte, so mag dies seiner allgemeinen Unachtsamkeit auf den von ihm gering geschätzten Philosophen zugeschrieben werden. In einem andern Falle ist Leibnitz , der Locken Schritt für Schritt verfolgt. Wir wollen ihn wiederum verfolgen, und uns die Stellen seiner neuen Versuche , wo er gegen Lockens Bemerkungen über den Begriff der Substanz streitet, zusammensuchen. Sie finden sich im zweyten Buche Cap. 12. §. 6., Cap. 13. §. 19., vorzüglich aber Cap. 23. §. 1., u. s. w. endlich im vierten Buche Cap. 6. §. 4. u. s. w.; diese, wenn ich nicht irre, werden alle seyn. Und was ist in diesen Stel- len der Haupt-Nerv von Leibnitz ens Argumenten? Et- was höflicher als diejenigen, die mich beschuldigten, Wi- dersprüche willkührlich ersonnen zu haben, warnt er Locken wider das nodum in scirpo quaerere; „Sie schei- nen Sich,“ sagt er, „ohne Noth Schwierigkeiten zu ma- „chen; und ich sehe gar nicht ein, warum die nämliche „Sache so oft und immer wieder von neuem von Ihnen „angegriffen wird. Wenn ich mir einen Körper denke, „der zu gleicher Zeit gelb und schmelzbar ist, und der „Capelle widersteht, so halte ich diesen Körper für ei- „nen solchen, dessen specifisches Wesen, so unbe- „kannt es uns auch seiner innern Beschaffen- „heit nach seyn mag, diese Eigenschaften als „Grundeigenschaften enthält, und durch sie we- „nigstens verworren erkannt werden kann S. 329. im zweyten Bande der Uebersetzung der Raspeschen Sammlung, von Ulrich . .“ Leibnitz muss durch Locke’s Weitläuftigkeit ge- hindert seyn, sich in dem, von ihm zwar ausgezogenen Werke genau umzusehn; sonst würden ihm mehrere Stellen, unter andern folgende aufgestossen seyn, aus der er sehen konnte, dass sein Gegner wenigstens einen Theil dessen wohl wusste, was er ihn lehren wollte: It is evi- dent, that the bulk, figure, and motion of several bodies about us, produce in us several sensations, as of colours, sounds, tastes, smells, pleasure, and pain, etc. Book IV. Chap. VI. §. 28. . Trotz dem sagt Leibnitz : „Sie scheinen noch immer anzuneh- „men, dass die sinnlichen Beschaffenheiten, oder, um mich „besser auszudrücken, dass unsre Ideen davon, nicht von „den Figuren und natürlichen Bewegungen, sondern le- „diglich von dem freyen Belieben Gottes, der „uns diese Ideen giebt , abhängen Ulrichs angeführte Uebersetzung. Bd. 2. S. 325. .“ So misver- stand Leibnitz einige von den frommen Aeusserungen Locke’s ! — Aber Locke fährt in jener Stelle folgen- dermaassen fort: These mechanical affections of bodies having no affinity at all with those ideas they produce in us, etc. Wenn solche Behauptungen dem Erfinder der prästabilirten Harmonie nicht zusagten (weil nach der letzteren kein Uebergang von jenen mechanischen Affe- ctionen zu unserer Erkenntniss statt findet): so sind sie gleichwohl viel leidlicher, als jene verworrene Kennt- niss des specifischen Wesens Eines Dinges durch ein Aggregat von Eigenschaften, die nimmermehr durch Einen Gedanken können gedacht werden, sondern unaufhörlich als ein neben einander liegendes Vieles , taub bleiben gegen unsre Forderung, dass sie angeben sollen, was denn das Eine, was denn die Sub- stanz sey, der sie angehören. Die Beschuldigung des nodum in scirpo quaerere wirft allemal den Verdacht auf den Beschuldiger, dass Er den Knoten nicht fühle, dass er die Frage nicht einmal verstehe . Welches denn gewöhnlich bey sonst guten Köpfen daher rührt, weil sie überall ihre eignen schon fertigen Meinungen da zur Hand haben, wo man sich erst auf den Standpunct einer beginnenden Untersuchung zurückversetzen sollte. Wie die Kantianer mit ihrer, aus der kategorischen Urtheilsform ( si diis placet! ) hergeleiteten Kategorie der Substanz, mit ihren Sätzen vom Beharrlichen, welches ein äusseres Ding, eine Materie seyn muss, deren Grundbestimmungen in Relationen bestehn, nämlich im Anziehen und Absto- ssen, — sich da in den Weg stellen, wo man nach dem Nicht-Relativen , dem Subsistirenden, dem Zeitlos- Seyenden; dem nicht aus der Logik sondern aus der Erfahrung zu erkennenden, und durch die Erfah- rung nothwendig erzeugten Begriffe der Substanz fragt: — so konnte auch Leibnitz , der Locken überhaupt mehr durch Zwischenreden unterbricht, als sich bemüht mit ihm zu untersuchen, an die Substanz nicht denken, ohne dass ihm die innere Thätigkeit, das Vorstellen und Stre- ben, — er konnte an die Körper nicht denken, ohne dass ihm der von Leben wimmelnde Fischteich, womit er sie zu vergleichen pflegt, dabey einfiel. Begeistert, und beynahe berauscht, (etwas minder zwar als einige Neuere) war er von dem Gedanken des allgemeinen Le- bens. Daher konnte er sich in den mühsamen, aufs ge- naueste bey der Erfahrung anhebenden Gang der Unter- suchung nicht finden, welchen derjenige wählt, der vom all- gemeinen Leben, von der inneren ursprünglichen Thätig- keit der Monaden nichts hören will, das ohne vollstän- dige Prüfung der Begriffe und Sätze nach ihrer Denk- barkeit und nach ihren Beweisen, auf gut Glück hin be- hauptet wird. Mit jener Bemerkung, dass die sinnlich bekannten Eigenschaften der Dinge ein zufälliges Aggregat bilden, hängt aufs genaueste zusammen und führt mit ihr zu gleichem Ziele eine andre, dass keins der sinnli- chen Merkmale geradehin dem Dinge zukomme, indem Umstände erfordert werden, damit sich das Merkmal zeige . (So bedarf die Farbe des Lichts, die Klänge bedürfen der Luft, u. s. w.). Locke macht diese Bemerkung im obigen Zusammenhange; — und Leibnitz findet sie vortrefflich! So geschieht es, wo einer in den Zusammenhang der Gedanken des andern nicht eindringt; er lobt hier und tadelt dort, ohne zu merken, wie eins mit dem andern stehe und falle. Gleichsam um die fernern Erläuterungen vorzuberei- ten, die ich in psychologischer Hinsicht über den Ge- genstand zu geben habe, macht Leibnitz , seiner Mei- nung nach wider Locke , zweymal eine sehr wahre Be- merkung, die jedoch meiner Meinung nach weder Locke noch irgend Jemand zu verkennen gewohnt ist, und aus der für Leibnitzen nicht das Geringste folgt. „Die „Erkenntniss der Dinge in concreto betrachtet geht vor „der Kenntniss der abstracten Dinge allemal vorher. „Wir kennen das Warme eher als die Wärme .“ Was ist denn hier das Warme? vermuthlich die Substanz, welche ihren Accidenzen vorausgeht, und wohl gar voraus erkannt wird! damit ja Niemand, auf Lockens treffende und vielfältige Warnung achtend, daran zwei- feln, dass wirklich das Aggregat der Merkmale selbst die Substanz, und unsre Erkenntniss des einen auch, wenigstens verworrener Weise, die der andern sey! — Und freylich denken wir eher das Aggregat, als die ein- zelnen Bestimmungen desselben. Denn allerdings ist II. U keine Kantische Synthesis nöthig, um aus den einzelnen Merkmalen ein Aggregat zu machen Man wolle hier und im Folgenden, den §. 118. im Auge behalten. ; sondern die gleichzeitigen Wahrnehmungen compliciren sich ohne Weiteres in der Einen Seele, und es wird Ein unge- theilter Act des Vorstellens, Eine Totalkraft, vermöge deren das sinnliche Ding als Ein Ding vorgestellt wird, ohne den geringsten Zweifel, ob denn auch die (noch gar nicht unterschiedenen) Merkmale zusammengenom- men Eins, und Was für Eins sie ausmachen? Dieser Mechanismus der Complexionen wirkt im gemeinen Vor- stellen der Dinge überall. Wir sehen eine Flamme, und denken das Heisse zugleich als leuchtend , als spit- zig und beweglich ; es fällt uns nicht ein, nach der Einheit von heiss und leuchtend und spitzig und beweglich zu fragen. Wir kennen auf die Weise und in diesem Sinne wirklich viel früher das Warme als die Wärme. — Hintennach, viel später, und gar nicht alle auf einmal, sondern gelegentlich eine oder die andre, kommen die Abstractionen; es bildet sich der Begriff der Wärme, ein andermal des Lichts, wieder ein andermal des Spitzigen und Beweglichen; aber erst nachdem sie alle sich zusammengefunden haben, wird nun end- lich entdeckt , dass diese Merkmale, unter dem Na- men der Flamme zusammengefasst, nur ein Aggregat ausmachen, und dass man wohl fragen könne, was denn das eigentlich für ein Stoff sey, dem diese Merkmale zukommen? Nun endlich erst kann von einer Substanz die Rede seyn, nachdem man dahinter gekommen ist, dass das Eine Ding (dessen Einheit ein psychologisches Phänomen war,) sich in mehrere Merkmale gänzlich auf- lösen lasse, deren bisher blindlings vorausgesetzte Ein- heit man noch keinesweges besitze, sondern jetzt aufzusuchen habe ; und zwar in einem übersinnlichen Gebiete, weil die Sinne von der realen Einheit keine Kunde geben. — Dennoch dauert der nämliche psycho- logische Mechanismus fort; und spielt selbst den Philo- sophen gar üble und seltsame Streiche. Sie fragen sich, ob sie die Substanz des Dinges kennen? und antworten sich ganz ernsthaft, dass zwar die innere Beschaffenheit des specifischen Wesens unbekannt seyn möge, (hier reflectiren sie auf die übersinnliche Einheit der Substanz), dass aber dennoch die bekannten Eigenschaften in demselben Wesen , (soll heissen: in der Complexion von sinnlichen Merkmalen, die nur der psychologische Mechanismus zusammenhält) als Grund-Eigenschaf- ten enthalten seyen , (vermuthlich wie in einem Ge- fässe; dessen eigene Natur wohl gar am Ende völlig bekannt werden würde, wenn man auch noch die übri- gen Eigenschaften wüsste, die in dasselbe Gefäss hin- einkommen , indem der Physiker dem Dinge neue Merkmale giebt durch neue Umstände , in die er es versetzt!) — Wer da meint, dass ich Andern Ungereimt- heiten zur Last lege die sie nicht begehen, der erinnere sich, dass die Ausdrücke von der unbekannten in- nern Beschaffenheit, die gleichwohl sinnlich bekannte Grund-Eigenschaften enthält , nur so eben zuvor aus Leibnitzens Werke abgeschrieben wurden. Diejenigen aber, welche in den neuern Wer- ken von Kant, Fichte, Schelling , besser orientirt sind, als bey Leibnitz und Locke , würde ich wohl hitten dürfen, sich doch das Nachschlagen jener älteren Bücher empfohlen seyn zu lassen. §. 140. Die Erwähnung der Irrthümer, unter denen man sich bisher bewegt hat, kann fürs erste dazu dienen, uns auf einem empirisch psychologischen Standpuncte vester zu stellen, den gerade diejenigen am wenigsten zu benutzen scheinen, die von der empirischen Psychologie aus die Vernunft, oder vielmehr die Metaphysik zu kritisiren ge- denken. Denn die Mannigfaltigkeit der Irrthümer U 2 über Substanzen und Kräfte beweist factisch, dass die Begriffe hievon im menschlichen Geiste nicht vest stehn, dass sie keinesweges Kategorien oder angeborne Begriffe sind, sondern wandel- bare Erzeugnisse eines durch die Erfahrung aufgeregten, durch allerley Meinungen umher- geworfenen, Nachdenkens, welches nur dann erst in eine sichere und bleibende Ueberzeu- gung übergehn wird, wenn die Wissenschaft, Metaphysik genannt, zur Reife gelangt . Wie die astronomische Betrachtung, die in die Weiten des Weltbaues hinausgeht, so muss auch die metaphysische Forschung, welche in die Tiefen der Natur hineindringt, mancherley Revolutionen durchlaufen, ehe sie so glück- lich ist, solche Begriffe zu erzeugen , welche der Er- scheinung genugthun, und mit sich selbst zusammenstim- men. Und wie es keine angeborne Ichheit giebt, son- dern die Selbst-Auffassung verschiedene Perioden hat, in denen sie sehr verschiedene Resultate giebt (§. 137.) so auch findet der menschliche Geist, indem er die Rea- lität der Natur zu bestimmen sucht, bald Atomen, bald Platonische Ideen oder Pythagorische Zahlen, bald ein Eleatisches Eins, bald einen Spinozistischen Gott, der da ist ausgedehnt und denkend, bald Substanzen als Substrate von Eigenschaften, bald Leibnitzische Mona- den, bald beharrliche Träger von Veränderungen und nach aussen wirkenden Kräften. Meint nun ein Vernunft- kritiker ganz dogmatisch seinen Begriff von der Sub- stanz als eine Kategorie, als eine ursprüngliche und all- gemeine Denkform hinstellen zu können: so läuft er nicht bloss Gefahr, dass man ihm auf metaphysischem Wege die Ungültigkeit und Undenkbarkeit seines Begriffs nach- weise, sondern er zieht sich auch noch den Vorwurf zu, der gesammten Geschichte der Philosophie, welche in diesem Puncte die Geschichte des menschlichen Denkens ist, Trotz geboten zu haben. — Ich bin so dreist ge- wesen, in meiner Metaphysik durch die Theorie der Störungen und Selbsterhaltungen den Begriff der Sub- stanz so umzubilden, dass er keinem von allen den vor- erwähnten Begriffen, keinem der bisher bekannten, sich vergleichen lässt. Meine Substanzen sind einfach, wie das Eleatische Eins, aber in der Mehrzahl vorhanden, und als im (intelligibeln) Raume befindlich zu denken, wie die Leibnitzischen Monaden; sie sind diesen Mona- den ungleich, indem sie nicht ursprünglich leben und wahrnehmen, aber ihnen ähnlich, indem alle ihre wahre Thätigkeit innerlich vorgeht, und nur mit geistiger Thä- tigkeit eine Analogie verstattet; ihre räumlichen Kräfte sind blosser Schein, aber dieser Schein, wiewohl verschie- den von einer Kantischen Erscheinung, ist dennoch völ- lig gesetzmässig, und zunächst bestimmt durch Gesetze der Attraction und Repulsion, nicht minder als die Kan- tische substantia phaenomenon , die Materie; — endlich verschwinden alle diese gemachten Vergleichungen, indem man einsieht, dass sie nur zufällig sind, dass aus ihnen der Begriff von diesen Substanzen sich gar nicht zusam- mensetzen lässt; sondern dass man erst aus der beobach- teten Form der Erfahrung, die uns Dinge darstellt, welche nichts als Complexionen von Merkmalen sind, zu der allmählig sich entwickelnden metaphysischen Erkenntniss gelangen muss, unter welchen Bedingungen die eigentli- chen Wesen in Substanzen übergehn; um von hier aus alle jene Vergleichungen verstehen und selbst finden zu können. Man wird zweifeln, ob meine Theorie rich- tiger sey als eine der früheren; und ich werde mich wohl hüten, die Theorie durch Betheuerungen bekräftigen zu wollen. Aber eben so wenig werde ich auf die Versi- cherungen derer achten, die da meinen, ihre Meinung sey die wahre Aussage von den, dem menschlichen Geiste inwohnenden Grundbegriffen von der Substanz und der Kraft. Ist meine Theorie unrichtig: so bestätigt sie meine jetzige Behauptung, dass diese Begriffe ein noch unvoll- endetes Werk sind, an welchem der menschliche Geist fortdauernd arbeitet; sie bestätigt meinen Satz: dass die menschliche Auffassung der Welt im Werden begriffen ist . Daraus folgt dann sogleich, dass auch die Täu- schungen, die in diesem Werden nach einan- der entstehen, sehr mannigfaltig, dass sie den verschiedenen Bildungsstufen angemessen sind, welche successiv erreicht werden ; dass sie also in kein Register , etwa von Antinomieen der reinen Vernunft, sich einschliessen lassen . §. 141. Ursprünglich ist jede Wahrnehmung (wie roth, blau, süss, sauer,) rein positiv, oder affirmativ; sie stellt daher ihr Object nicht als Merkmal oder Eigenschaft eines Din- ges, sondern gerade so dar, wie es bleiben müsste, wenn ihm das Seyn sollte zugeschrieben werden. (Vergl. Haupt- puncte der Metaphysik §. 1.) Auf den gegenseitigen Hemmungen der Vorstellun- gen unter einander beruhen die Negationen, und die Zweifel, ob auch das Wahrgenommene sey oder nicht sey; endlich die Unterscheidungen der Eigenschaften, de- nen nur ein inhärentes Seyn, und eben darum kein wah- res Seyn zugeschrieben wird, von den Sachen , in welche die Realität der Eigenschaften (des ersten Positi- ven) zurück verlegt wird. Die Wanderung der Realität aus den Eigenschaften in die Sachen ist nur der erste Schritt zu einer weiteren Reise. Auf höhern Bildungsstufen entsteht die Frage nach der Einfachheit der Stoffe. Wie vorhin den Ei- genschaften die Sachen, so werden jetzt den Sachen die Elemente entgegengesetzt; diese sind nun das wahre Reale; von ihnen haben die Sachen eine geliehene Realität, nicht anders als vorhin die Eigenschaften von den Sachen. Die Elemente, Feuer, Wasser, Luft, Erde, — müssen sich weiterhin die Versuche des Chemikers ge- fallen lassen. Nun werden Sauerstoff, Wasserstoff, Stick- stoff, das Reale; hingegen Wasser und Luft, vorhin Elemente, haben nur noch eine geliehene, das heisst, keine wahre Realität. Jedoch auch hiebey bleibt es nicht, sondern: Der Idealist findet, dass, wie die Eigenschaften, so die Sachen, die Elemente, die Grundstoffe des Chemi- kers, nur Anschauungen und Gedanken sind. Dahinter ist das Ich, welches dem Nicht-Ich Realität leiht. Aber auch der Idealismus wird widerlegt; einfache Wesen, ursprünglich ohne alle Mehrheit von Bestim- mungen, treten hervor; auf das Zusammen solcher We- sen, wird jedes Merkmal eines sinnlichen Dinges zurück- geführt. So wandert der Begriff des Seyn! Er zieht sich immer tiefer hinter das sinnlich Gegebene zurück; und immer weiter wird der Weg von diesem Gegebenen bis zu dem Realen, wovon es getragen, woraus es er- klärt wird. — Aber der Begriff des Seyn muss für jede Bildungsstufe der Erkenntniss sich irgendwo befinden, weil sonst Alles als Nichts vorgestellt würde. Wo er sich finde: das ist das Erste, Charakteristi- sche für diese Bildungsstufe in Hinsicht der ihr zuge- hörigen Auffassung der Welt. Hiernach richtet sich insbesondere der Begriff der Substanz. Da nun der erste von den zuvor bemerkten Schritten bey allen Menschen wirklich vorkommt: so gelten dem gemeinen Verstande die Sachen für das Seyende, und der Name Realität stammt her von res. Die Sachen sind, psychologisch betrachtet, Complexionen von Merkmalen; diesen wird unmittelbar das Seyn zuge- schrieben. Es ist also die erste, gewöhnlichste Täuschung in der Auffassung der Welt, Aggre- gate sinnlicher Merkmale ohne Frage nach dem Princip ihrer Einheit, für wahre Einhei- ten, und diese eingebildeten, durch gar Nichts (ausser durch einen psychologischen Mechanismns) ver- knüpften Einheiten, für real zu halten; während man sie bey einer genauern Untersuchung nicht einmal denkbar findet, indem ein Vieles, das sich ohne alles Band bloss beysammen findet, nicht Eins seyn kann . Wenn aber weiterhin, vermöge der Urtheile , den eingebildeten Einheiten ein Prädicat nach dem an- dern einzeln beygelegt wird: so lösen sich die Einheiten auf in lauter Prädicate; und es entdeckt sich, dass nun für die sämmtlichen Prädicate gar kein Subject da ist. Jetzt folgt die zweyte Täuschung; die Stelle des Subjects, dergleichen der Prädicate wegen nicht wohl zu entbehren ist, wird ausgefüllt durch ein unbekanntes Substrat , (wie bey Locke , §. 139.) das gleichwohl nicht als schlechthin einfach, (wie ein wahres Wesen), sondern entweder räumlich bestimmt, (als ein Atom,) oder als Besitzer von allerley Kräften und Thätigkeiten, (wovon die Leibnitzischen Monaden ein Beyspiel geben) gedacht wird; und das von hier aus zu gar mancherley vielgestaltigen Irrthümern Gelegenheit bietet. Zu den ärgsten unter diesen Irrthümern gehört ei- ner, der als Verbesserung auftritt. Der Begriff des un- bekannten Substrats sey im Grunde gänzlich leer; man könne ihn entbehren, indem man die daran ge- knüpften Kräfte und Thätigkeiten (bey deren In- härenz in dem Stoffe sich freylich nichts denken lässt) selbst als das wahre Reale ansehn . — Dadurch verwandelt sich das Reale nun gar in ein Relatives, das Schlechthin gesetzte in ein Bedingtes; denn Thätigkeiten sind nichts ohne, von ihnen zu unterscheidende, Pro- ducte, und Kräfte nichts ohne leidende Objecte. Sol- len die Kräfte nicht nach aussen gehn, so kommen, als Extreme von Ungereimtheit, jene Wirbel zum Vorschein, worin sich die caussa sui mit dem effectus sui herumdreht. Die letzterwähnten Irrthümer können wir jedoch hier nicht weiter verfolgen; wir müssten sonst die Kritik der Systeme einzelner Philosophen vornehmen, welches uns viel zu weit über unser Ziel hinausführen würde. Es kommt hier nur darauf an, psychologisch zu erklären, wie derjenige Begriff der Substanz entspringe, und im Denken erzeugt werde , der allgemein einem Je- den vorschwebt, sobald es ihm einfällt, die Substanz ei- nes Dinges von dessen Beschaffenheiten zu unterschei- den. Und diese Erklärung ist schon geleistet. Die Er- zeugung des Begriffs der Substanz geschieht , wie gesagt, durch diejenigen Urtheile, in welchen die sämmtlichen Prädicate, einzeln genommen, den Sachen beygelegt werden. Auf welche Weise sich der- gleichen Urtheile, nicht etwan alle auf einmal, sondern eins nach dem andern bey vorkommenden Gelegenhei- ten, entwickeln, ist im §. 123. gewiesen worden. Es müssen nun allmählig alle diejenigen Urtheile sich an- sammeln, und zugleich ins Bewusstseyn treten, wodurch einer Sache ihre verschiedene Merkmale einzeln genom- men sind beygelegt worden. Alsdann ergiebt sich zu- vörderst eine Gleichung, oder, wenn man will, eine De- finition für diese Sache; sie ist = allen ihren Merkmalen. Nun aber macht sich der Gegensatz fühlbar zwischen der Einheit der Sache und der Vielheit der Merkmale. Die Gleichung kann also nicht bestehen. Und die vori- gen Urtheile würden sämmtlich ungereimt werden, wenn sie bestünde. Die Sache heisse A; ihre Merkmale seyen a, b, c, d, e. Wäre nun A = a + b + c + d + e , so würde der Satz, A ist a, A ist b, u. s. w. sich in die falsche Gleichung verwandelt haben: a = a + b + c + d + e ; oder b = a + b + c + d + e , u. s. w. Daher ändert sich nun der Ausdruck in jedem von jenen Urtheilen. Es heisst nun nicht mehr: A ist a, z. B. der Schnee ist weiss; sondern A besitzt a, der Schnee besitzt das Kennzeichen oder die Eigenschaft der weissen Farbe. Man sagt nicht, die Substanz ist ihr Accidens, sondern, sie hat ein Accidens. Wird dieses durch die sämmtli- chen erwähnten Urtheile durchgeführt, so ist A nur noch der Besitzer der sämmtlichen Eigenschaften, es ist nicht mehr durch dieselben zu definiren, sondern es bietet nur für sie den gemeinschaftlichen Anknüpfungspunct dar, es ist ihr Träger , ihr Substrat . Dies heisst eben so viel, als: der Begriff der Sache verschwindet; der Be- griff der Substanz tritt an ihre Stelle. Die Sache glaubte man zu kennen; die Substanz ist unbekannt. Wer noch glaubt, zu wissen was der Schnee ist, wenn er sagt, der Schnee sey weiss, kalt, locker, u. s. w. oder wer noch meint, die Qualität des Goldes anzugeben, wenn er es als einen gelben, schweren, dehnbaren, feuer- beständigen Körper, u. s. w. beschreibt: der denkt noch das Gold und den Schnee als Sachen, keinesweges als Substanzen. Erst wenn er merkt, dass diese Dinge nicht die Summen ihrer Eigenschaften, oder rückwärts, dass die Summen der Eigenschaften nicht die Dinge selbst seyn können: dann verwandeln sich für ihn die Dinge in Substanzen. Daher liegt die Probe davon, dass man wirklich auf den Begriff der Substanz gekommen sey, wirklich diesen Begriff erzeugt habe, in nichts anderm, als in dem Gefühl der Verlegenheit, welche aus der Frage entstehen muss: was ist nun die Substanz ? Klar wird dieser Begriff erst, indem man den Satz rein aus- spricht: die Substanz ist gänzlich unbekannt, indem die Eigenschaften, die ihr anhängen, unmöglich sie selbst seyn können. Dass Locke diesen Gedanken bestimmt angiebt, ist oben bemerkt, (§. 139.). Wenn aber andre Metaphysi- ker von der Substanz andre Erklärungen geben, so liegt es nicht daran, dass sie den eben entwickelten Begriff nicht hätten, sondern dass sie ihn überspringen; indem sie ihn weiter erklären oder verarbeiten wollen. Und das ist höchst natürlich. Denn freylich kann die Metaphysik den Begriff nicht so lassen, wie er zuerst ist erzeugt worden. Was sie aber aus ihm machen werde? das ist eine Frage, die in den verschiedenen Systemen eine ver- schiedene Antwort bekommt, und die nicht hieher gehört. §. 142. Indem wir jetzo hinübergehn zu der Untersuchung, wie der Begriff der Causalität, auf Veranlassung des sinnlich-Gegebenen, ursprünglich erzeugt werde: dürften wir wohl wünschen, dass uns hier eine eben so deutliche und nachdrückliche Hinweisung auf den Hauptpunct, möchte zu Hülfe kommen, wie jene von Locke , in Ansehung des Begriffs von der Substanz. Allein schwerlich wird eine solche in den berühmten Werken unserer Vorgän- ger zu finden seyn. Zwar deutet auch diesmal Locke auf die rechte Stelle; man vergleiche Capitel 26. des zweyten Buchs. Allein er ist hier nicht ausführlich; und am wenigsten scheint er geahndet zu haben, wie weit sich seine Nachfolger vom rechten Wege entfernen würden. Unter diesen wird man hier zuerst und vorzugsweise an einen Schriftsteller denken, dessen ich bisher nicht erwähnt habe, und dem ich in der That, so geistreich er seine Leser zu unterhalten weiss, doch kein grosses Gewicht beylegen kann. Ich meine den berühmten Da- vid Hume ; durch dessen Untersuchungen, besonders über den Causal-Begriff, Kant so lebhaft angeregt wurde. Mit Vergnügen zolle ich bey dieser Gelegenheit unserm Kant den Tribut der aufrichtigen Dankbarkeit; denn wenn Hume auf mich äusserst wenig Wirkung macht, so suche ich den Grund davon einzig darin, dass gerade Kant , ungeachtet seiner Fehlgriffe eben in dem Puncte, worüber er wider Humen streitet, doch im Ganzen ge- nommen für uns Deutschen eine kräftigere Gymnastik des Geistes bereitet hat, als diejenige war, mit welcher Er sich behelfen musste. — Hume beginnt seine ganze Lehre mit der Unter- scheidung der Eindrücke und der Begriffe; er behauptet, die letztern seyen lediglich Copieen der ersteren Hume über die menschliche Natur, übersetzt von Jakob . S. 25. . Dies ist ein blosser Einfall; noch dazu ein unglücklicher Ein- fall; endlich ein so wenig überlegter Einfall, dass eine, gleich anzugebende, leichte Folgerung, die sich hätte daraus ziehen lassen, und die auf den rechten Weg hätte führen können, ihm nicht einmal in den Sinn kommt. Die Art, wie er seinen Satz zu beweisen unter- nimmt, ist im geringsten nicht skeptisch , wohl aber so leichtsinnig als möglich; Leibnitz würde dazu gelä- chelt haben. Er schiebt nämlich dem Gegner den Be- weis zu, dass nicht jeder Begriff, den wir untersuchen, von gleichartigen Eindrücken die Copie, oder aus solchen Copieen zusammengesetzt sey. Man kann ihm sogleich damit dienen, indem man ihm nur das zunächstliegende, den wahren metaphysischen Begriff der Substanz und Kraft, entgegenhält; welcher, gleichviel ob wahr oder falsch, doch wenigstens vorhanden ist. Weiter beruft er sich auf die Unmöglichkeit, dass der Blinde von den Farben, der Taube von Tönen einen Begriff habe; es versteht sich aber von selbst, dass von solchen Begriffen, deren unmittelbarer Gegenstand die Empfindung ist, hier nicht geredet wird. Dabey verwechselt er noch oben- drein die Stärke einer Vorstellung mit ihrer ungehemm- ten Klarheit, indem er behauptet, die abgezogenen Be- griffe seyen schwach und dunkel; die Empfindungen stark und lebhaft. Nichts weniger! Die Begriffe sind in der Regel stark, obgleich dunkler, die Empfindung verhältnissmässig schwach, obgleich lebhaft. Der arge Empirismus, in welchen er nun verfallen muss, indem er jedem Begriffe die Gültigkeit bestreitet, dessen entspre- chende Impression nicht kann aufgewiesen werden, ist das grösste Unglück, was einem Denker als solchem be- gegnen kann, indem es ihn um den besten Gewinn bringt, der durchs Denken mag erworben werden, und der eben hauptsächlich in den neuen Gedanken besteht, welche, allen Impressionen unähnlich, gerade nur Producte des Denkens sind. Wenn aber endlich Hume uns sagt, es gebe zweyerley Impressionen, theils solche die aus der Empfindung, theils solche die von den ins Bewusstseyn zurückkehrenden Begriffen herrühren: so ist beynahe un- begreiflich, dass seinem ersten Einfalle nicht ein zweyter nachfolgte, der sich sogleich darbietet. Dieser nämlich, dass, wenn einmal die rückkehrenden Begriffe eine Quelle von neuen Impressionen sind, sie wohl auch eben so gut neue Begriffe erzeugen könnten. Durch diesen einfachen Gedanken wäre Hume aus dem Gefängnisse erlös’t gewesen, in das er sich selbst sehr unnöthiger Weise eingesperrt hatte. Er dürfte nur den Bedingungen und Umständen nachgespürt haben, unter denen sich aus frühern Begriffen andere und neue entwickeln; alsdann würden ihm diese neuen Begriffe keinesweges verdächtig geworden seyn, gesetzt auch, dass sie als Copieen der ersten Impressionen sich nimmermehr betrachten liessen. Was nun insbesondere die Untersuchung über den Causalbegriff anlangt: so verdirbt sich Hume dieselbe durch die Art, wie er sie angreift. Er räumt gleich An- fangs der Ursache eine Priorität in der Zeit vor der Wirkung ein; — weil sonst alle Succession ver- nichtet würde . Gerade das Gegentheil! Es ist eine grosse, höchst wichtige metaphysische Wahrheit, dass die Succession der Begebenheiten ganz und gar nicht in der Causalität liegt, durch die sie geschehen; man muss die Succession aus einem ganz andern Grunde erklären. (S. Hauptpuncte der Metaphysik §. 9.). Hume hat hier die richtige Consequenz gesehen; dass, wenn die Ursache mit der Wirkung zugleich sey, alsdann aus dem Cau- salverhältniss der Zeitverlauf der Begebenheiten sich nicht erklären lasse; er hatte nur Unrecht, sich vor dieser Fol- gerung zu scheuen. Uebrigens konnte der allerpopulärste Begriff der Ursachen und Wirkungen ihm sagen, dass die vollständige Ursache mit ihrer Wirkung nothwendig streng gleichzeitig seyn müsse, denn eine Ursache ohne Wirkung ist ungereimt; und eine Ursache, die noch nicht wirkt, ist so lange ungereimt, wie lange sie ihr Wirken aufschiebt. Weiter hin überlegt er, aus welchem Grunde man sage, es sey nothwendig, dass je- des Ding, dessen Existenz einen Anfang hat, auch eine Ursache haben müsse? — Hierin liegt, aufs gelindeste gesagt, eine gefährliche Zweydeutigkeit des Ausdrucks. Soll das Wort Existenz soviel bedeuten als reines Seyn , so ist die Frage verschroben, und die drey Be- griffe des Seyn , des Anfangs, also der Zeit , und der Causalbegriff , sind allzumal durch ihre verkehrte Zu- sammensetzung verdorben. (Man kann hier den zweyten und dritten Abschnitt des vierten Theils in meinem Lehr- buch zur Einleitung in die Philosophie vergleichen.) Soll hingegen die Frage einen richtigen Sinn haben, so muss man eine solche Existenz verstehen, die wirklich anfangen könne, also nach Römischem Sinne des Worts existere , ein hervortretendes Accidens an irgend einer Substanz, denn nur das Accidens fällt in die Zeit, nicht aber die Substanz. Dafür nun wird sich in der That der Grund angeben lassen, weshalb wir schon im ge- meinen Leben sagen, das Accidens erfordere zu seinem Hervortreten eine Ursache; und wir werden gleich mit Mehrerem darauf kommen. Hier aber merke man zu- vörderst, wie leicht es geschehe, dass die falsche Stel- lung der Frage, die ganze Untersuchung verderbe. Ver- änderungen sind es, und sie ganz allein, denen Ursa- chen zugehören. Wer den Begriff des Seyn gehörig erwogen hat, wird nimmermehr dafür eine Ursache ver- langen; obgleich auch Leibnitz irgendwo nach einem zureichenden Grunde fragt, warum vielmehr etwas sey als nichts sey. Weiter kann ich mich auf diesen rein metaphysischen Gegenstand hier nicht einlassen. Hume behauptet nun weiter, die Begriffe der Ur- sache und Wirkung seyen verschieden; darum seyen sie trennbar. Er fügt ausdrücklich den Obersatz seines Syllogismus hinzu: Alle verschiedenen Begriffe lassen sich trennen . Dieser Obersatz ist so offen- bar falsch, dass man sich fast schämen muss, ihn zu wi- derlegen. Kannte denn Hume nicht das erste, merkwür- digste, aller Speculation zum Grunde liegende Factum, dass es Begriffe giebt, die verschieden sind, und sich dennoch auf einander beziehen , oder in einer noth- wendigen Verknüpfung stehn? So die drey gegebenen Stücke eines Dreyecks mit den drey zu suchenden; so die Basis eines Logarithmensystems und der Modulus; — doch ich habe schon in den §§. 11. und 12. Beyspiele angeführt, wenn dergleichen überall nöthig sind. Hiemit jedoch ist im gegenwärtigen Falle so gar Nichts gewonnen, dass die Frage überall nicht hätte an- geregt werden sollen. Darauf kommt es an, ob eine jede Veränderung müsse betrachtet werden als eine Wir- kung; ist dies, so versteht sich, dass sie auch eine Ur- sach habe. Die Beziehung nun zwischen dem Begriff der Ver- änderung und dem der Wirkung, vermittelst des letztern aber auf den der Ursache, — diese ists, die Hume nicht zu finden weiss; und die allerdings muss nachge- wiesen werden, wenn der Gegenstand soll aufgeklärt wer- den. Mit seinem Nicht-zu-finden-wissen aber vermengt Hume noch einen, ganz heterogenen Gedanken; diesen, dass es kein einziges Object gebe, welches die Existenz eines andern in sich schliesse; was so viel heisst, als, wir können es keinem Dinge ansehen, oder aus unserer Kenntniss seiner eigenen Natur schliessen, dass es ausser sich selbst , in einem andern, leidenden Ob- jecte eine Veränderung hervorbringen werde. Und dies letztere ist denn der Gedanke, welcher bey Kant sich wiederhohlt findet; „es ist gar nicht „abzusehen, wie darum, weil Etwas ist, etwas „anderes nothwendigerweise auch seyn müsse;“ ( Kants Prolegomena S. 8.) Eine grosse Wahrheit; die leider! abermals über den eigentlichen Fragepunct gar nichts entscheidet. Denn die Frage war nicht, ob wir, ausgehend von dem Dinge , das man Ursache nennt, ihm die Nothwendigkeit seines Wirkens anmer- ken könne, sondern umgekehrt, ob wir, ausgehend von der Veränderung , sie nothwendig als ein Be- wirktes ansehen müssen. Wenn jetzo Hume sich an die Erfahrung wendet, so thut er es wiederum auf eine Weise, wobey er die Winke, welche diese grosse Lehrerin ihm giebt, nicht einmal gehörig benutzt. Die Erfahrung sagt nicht bloss, dass wir einmal wahrgenommene Folgen von Begeben- heiten associiren , und durch wiederhohlte Wahrneh- mung ähnlicher Fälle einprägen: sondern sie lehrt auch, dass Naturforscher, welche die Unsicherheit solcher Er- wartungen gar wohl kennen, und deshalb auch in der Angabe bestimmter Ursachen zu bestimmten Wir- kungen sehr behutsam verfahren, dennoch mit grösster Vestigkeit irgend eine Ursache da voraussetzen, wo sie gegen jede Association der Einbildung sich stemmen, oder auch, wo sie in der Beobachtung noch gar nichts finden, das sie für die Ursache zu halten sich bewogen fänden. Diese entschiedene Voraussetzung einer, wie- wohl unbekannten Ursache, als ein psychologisches Phä- nomen betrachtet, kann aus blosser Gewohnheit, wie Hume will, auf keine Weise erklärt werden. Hier ist die Kantische Lehre mehr befriedigend; indem eine ur- sprüngliche Denkform angenommen wird; — die jedoch, als blosse Regel der Zeitfolge , den Causalbegriff nicht erschöpfend erklärt, und wobey immer noch die Haupt- sachen verfehlt werden, theils in der metaphysischen Theorie der Causalität, theils, was uns hier angeht, in der Nachweisung des psychologischen Ursprungs jenes Begriffs. Das Gegentheil einer jeden Beziehung, oder eines jeden nothwendigen Zusammenhanges, einer jeden Syn- thesis a priori zwischen zwey Begriffen, — ist der Wi- derspruch, welcher entstehn muss, indem Eins, das ohne ein Anderes nicht gedacht werden kann, dennoch ohne dies Andere gedacht wird. Auf diesen Widerspruch müssen wir auch im gegenwärtigen Falle unsere Auf- merksamkeit richten. Man denke sich die Veränderung ohne Ursache. Sogleich wird der Gedanke entstehn, dass die Verände- rung rung hätte unterbleiben sollen, ja dass sie würde unter- blieben seyn, und dagegen das jetzo veränderte Ding in seinem vorigen Zustande würde beharret haben. Wenn die anziehende Kraft der Sonne wegfiele, sagt der Astronom, so würde jeder Planet die Richtung sei- ner Bahn, die er einmal hat, behalten; er würde in dem Augenblicke, da die Sonne aufhörte in ihn zu wirken, nach der Tangente seiner Bahn fortgehn. — Gleichwohl krümmt sich die Bahn des Planeten. Geschieht dies ohne Ursache: so liegt der Widerspruch vor Augen, dass, obgleich er seine vorige Bewegung noch hat, diese doch der Richtung nach nicht mehr dieselbe ist wie zuvor. Eben diesen Widerspruch ergeben alle Veränderungen ohne Ursachen. Das Veränderte soll noch dasselbe, und auch nicht dasselbe seyn wie zuvor! — Und der Wider- spruch kann nur gelös’t werden, indem man sich weigert, die Veränderung als etwas der eigenen Natur des verän- derten Gegenstandes angehöriges zu betrachten; indem man sie vielmehr als etwas Fremdes, von aussen einge- drungenes bezeichnet; das also auf das Aeussere, auf die stets begleitenden Umstände müsse geschoben werden. Hier finde ich mich wieder bey der schon im §. 35. und anderwärts gegebenen Erläuterung. Um diese hier im psychologischen Sinne zu vollenden, also, um nachzuweisen, wie der gemeine Verstand sich den Cau- salbegriff denke, und wieweit er damit komme, welche Schwierigkeiten er eben dadurch für die Meta- physik zurücklasse : muss ich zuerst wieder an die Begriffe von Sachen und von Substanzen erinnern. (§. 118. 139—141.) Dabey nun werde ich allerdings zum Theil auf Humes Weg kommen; denn in welchem unvoll- kommenen, schlechten, der Wissenschaft unerträglichen Zustande sich gemeinhin und grossentheils der Be- griff der Ursache in den Köpfen der Menschen wirklich befinde, das hat Hume nur gar zu treffend nachgewiesen. Sowohl das Veränderte als das Verändernde wird ursprünglich als eine Sache aufgefasst. Dennoch als eine II. X Complexion von Merkmalen. Die Veränderung besteht darin, dass aus der Complexion ein Merkmal (wo nicht mehrere) entweicht, ein entgegengesetztes an die Stelle tritt. Wegen der übrigen, beharrenden Merkmale wird dennoch die Sache für dieselbe gehalten wie zuvor. Während nun das neue Merkmal als ein Fremdes, von aussen eingedrungenes angesehen wird; (denn die alte Vorstellung der Sache, wie sie war, und die neue, wie sie nach der Veränderung ist, hemmen und drängen ein- ander): schreibt man ihm gleichwohl kein selbstständiges Daseyn zu; indem man im Allgemeinen schon gewohnt ist, ein solches Merkmal als etwas inhärirendes zu be- trachten; oder indem es vielleicht gar nicht einmal mög- lich ist, ihm Selbstständigkeit beyzulegen. Hat sich z. B. die Farbe, oder die Härte geändert, so ist man aus der Kenntniss der sinnlichen Dinge schon geübt , dergleichen bloss als Eigenschaft irgend einer Sache zu betrachten; ändert sich aber die Richtung eines bewegten Körpers, so lässt sich die neue Richtung, da sie eine blosse Raum- bestimmung ist, überall nicht für sich allein denken. Demnach ist ein Bedürfniss vorhanden, das in der Ver- änderung hervorgegangene Merkmal an etwas Selbststän- diges, an eine Sache bequemer als vorhin anzulehnen. Dies geschieht wirklich, sobald neben dem Veränderten jedesmal eine andre, hinzugetretene Sache beobachtet wird; als welche sich nun muss gefallen lassen, ein Merk- mal aufzunehmen, das zwar mit ihr verknüpft ist, näm- lich als Glied einer von ihr ausgehenden Reihe , (wie wenn wir das Bley als schwer und niederdrückend, das Feuer als verzehrend, das Scheidewasser als fressend, den Arsenik als giftig denken;) das jedoch in ihr selbst , die auch eine Complexion von Merkmalen ist, genau ge- nommen nicht angetroffen wird, sondern das vielmehr in jener veränderten Sache, (der verzehrten, zerfresse- nen, u. s. w.) Platz genommen hat. Auf diese Weise entsteht ein neuer Begriff, der sich an den der Sachen nicht bloss anhängt, sondern der sich fernern Verbes- serungen unterwerfen muss, so oft der Begriff der Sachen im weitern Nachdenken ein neues Ge- präge bekommt . Die Sachen verschwinden; Substan- zen treten an ihre Stelle. Diese Substanzen bekommen Kräfte , insofern sie die Träger sind von den neuen Merkmalen anderer Dinge. Wie dergleichen Kräfte ihnen angehören mögen, bleibt fürs erste unbestimmt, und eben so räthselhaft , als wie ihre eignen Accidenzen ihnen inwohnen können; oder, um ein früheres Beyspiel anzuführen, wie einem Leibe die Bilder anderer Dinge und Leiber inwohnen können; (§. 133.). Der Begriff der Kraft aber verhält sich zu dem der Ursache wie der Begriff der Substanzen zu dem der Sachen. Die Ursache ist die Sache, die den Ursprung der Veränderung ent- halten soll; ohne alles weitere Kopfbrechen über die Möglichkeit solches Ursprungs. Die Kraft hingegen ist geheimnissvoll wie die Substanz; sie wird in dem unbe- kannten Innern der letztern gesucht. Für das metaphysische Nachdenken aber ist die Un- gereimtheit im Begriffe der Kraft auffallender als die im Begriff der Substanz. Denn einer Substanz ihre eigenen Prädicate als inhärirende Bestimmungen, zuzurechnen, und gleichsam das was sie einmal hat, als ihren Besitz anzuerkennen, das scheint minder bedenklich; allein über sie hinausschreitend, ihr ein Prädicat aufzubürden, dessen Spur man ausser ihr selbst , in dem leidenden Gegen- stande suchen muss; und hinwiederum dem letzteren ein Vermögen zu leiden beyzufügen, das heisst, eine Möglichkeit, in einer gewissen Rücksicht das Gegentheil dessen zu seyn was er ist : eine solche Anmuthung fällt wohl selbst denjenigen beschwerlich, die in Hinsicht der Substanz mit den gemeinen Begriffen zu- frieden sind; und es sogar übel nehmen, wenn man sie auf diesem Ruhekissen nicht will schlummern lassen. Die allgemein-metaphysischen Untersuchungen über Substanz und Kraft gehören nicht hieher. Aber aufhel- len müssen wir noch den psychologischen Grund des X 2 Vorurtheils, die Ursache sey der Zeit nach vor der Wirkung. Man bemerke die doppelte Zurechnung, (wenn der Ausdruck erlaubt ist), vermöge deren das neue, in der Veränderung hervorgetretene Merkmal theils auf die Sache die sich verändert, theils auf die Ursache bezogen wird. Nach geschehener Veränderung liegt unstreitig das neue Merkmal in derjenigen Complexion von Merkmalen, welche für die veränderte Sache gehalten wird. Aber aus dieser, der längst wohlbekannten, wie sie früher war, wird es verwiesen; es wird zurückgeschoben an die Ur- sache, deren wahres Eigenthum es seyn soll. Gleich- wohl wenn man die Ursache als eine Sache für sich be- trachtet, befindet es sich nicht unter ihren Merkmalen; vielmehr, der Augenschein dringt darauf, das neue Merk- mal sey jetzo eine Eigenschaft jener Sache, die nun ein- mal die Veränderung erlitten hat. Was für ein Begriff kann sich daraus erzeugen? Kein anderer als dieser: in der vorigen Zeit, als noch das veränderte Ding sich in seiner wahren Natur zeigte, müsse das ihm neuerlich aufgedrungene Merkmal verborgen gelegen haben in der Ursache; aus dieser und von dieser sey es gekom- men; und herübergewandert an den unrechten Ort, wo es sich jetzo befinde. So verborgen denkt man sich den Tod im Arsenik; die Gesundheit in der Arzney; als et- was, das im Begriff ist, daraus hervorzutreten; als eine von da ausgehende Reihe. So muss denn die Ursache, die da Schuld ist an der Veränderung, schon vorher existirt haben; und wer weiss, wie lange sie diese Schuld schon in ihrem Herzen getragen hat! Denn dass die Ursache sich selbst in einer Veränderung zeige, indem sie wirke; dass diese Veränderung abermals eine Ursache erfordere, und so fort, dies ist eine spätere Bemerkung, welche sogleich in metaphysische Speculation übergeht, und der frühern Vorstellungsart, die wir so eben erläu- terten, den Umsturz bereitet. Anmerkung . Kants Lehre von der Causalität, — obgleich auf der Kehrseite der sogenannten kritischen Philosophie der allerdunkelste Flecken, — möchte dennoch, wie so Manches, vor mir in gutem Frieden ruhen: wenn nicht dieser Irrthum in der ungeheuersten Uebertreibung noch heute verderblich fortwirkte. Der Punct, den ich vor- zugsweise im Auge habe, ist die vorgebliche Wechsel- wirkung aller Substanzen im Raume. Diese hat unsre Zeit in den Spinozismus zurückgestürzt, gegen welchen die heutigen Kantianer einen ganz unnützen Streit füh- ren, so lange sie selbst die Fesseln einer Lehrmeinung tragen, die, speculativ betrachtet, durchaus grundlos und gehaltlos ist. Was für Früchte dieselbe den heutigen Magnetiseurs gebracht habe, die hoffentlich nächstens durch ihren berühmten starken Willen den Sirius an die Stelle unserer Sonne zaubern werden! — das weiss Jedermann. — Und wenn die heutigen Schulen bemer- ken, dass sie es eigentlich sind, die ich hier indirect zu bestreiten im Begriff stehe, indem ich eine der ältesten Wurzeln ihres Irrthums bloss lege: so mögen sie sich nur nicht über den Vorzug wundern, welchen ich hier dem indirecten Angriff vor dem directen einräume. Selbst unter dem Unrichtigen und Verfehlten giebt es eine Wahl; das Ursprüngliche ist merkwürdiger als das Ab- geleitete, und mit dem Verständigsten mag ich mich am liebsten beschäfftigen. Der allgemeinste Fehler Kants in der Lehre von der Causalität ist das, worauf er sich am meisten zu Gute thut; die Meinung, eine eigentlich und wahrhaft meta- physische Untersuchung über den ächten Sinn und Grund des Causalbegriffs, ganz beseitigt ; und an deren Stelle eine, für sich allein zureichende Nachfrage dar- über angestellt zu haben, wie wir in der Mitte unserer Erfahrung und Physik dazu kommen, den genannten Be- griff anzuwenden. — Beydes war nöthig, sowohl diese psychologische, als jene metaphysische Untersuchung; keine vermag an der Stelle der andern auch nur das Ge- ringste zu leisten; hier so wenig, als in der Lehre von Raum, Zeit, und Substanz. Beydes muss streng geschie- den werden; denn jedes ist dem andern nur wenig ähnlich. Es giebt Stellen in Menge bey Kant , die es verra- then, dass er sich von einer Forderung gedrückt fühlte, welche anzuerkennen er sich gewaltsam sträubte. Z. B. in den Prolegomenen §. 27.; wo er von Humes Zwei- feln spricht, und hinzusetzt: „wir sehen eben so wenig „den Begriff der Subsistenz ein, ja wir können uns keinen „Begriff von der Möglichkeit eines solchen Dinges, (einer „Substanz) machen und eben diese Unbegreiflich- „keit trifft auch die Gemeinschaft der Dinge , „indem gar nicht einzusehn ist, wie aus dem Zustande „ eines Dinges eine Folge auf den Zustand ganz ande- „rer Dinge ausser ihm, und so wechselseitig, könne ge- „zogen werden, und wie Substanzen, deren jede doch „ihre eigene abgesonderte Existenz hat , von ein- „ander, und zwar nothwendig, abhängen sollen.“ Oder noch viel stärker in der Vernunftkritik, in der Anmer- kung zum Systeme der Grundsätze, S. 291. „ Verän- „derung ist Verbindung contradictorisch einan- „der entgegengesetzter Bestimmungen im Da- „seyn eines und desselben Dinges. Wie es nun „möglich ist, dass aus einem gegebenen Zu- „stande ein ihm entgegengesetzter desselben „Dinges folge, kann nicht allein keine Ver- „nunft sich ohne Beyspiel begreiflich, sondern „nicht einmal ohne Anschauung verständlich „machen; und diese Anschauung ist — die der „Bewegung eines Puncts im Raume “!!! Also ein Beyspiel besitzt die ungeheure Kraft, das Unbegreifliche begreiflich, eine Anschauung , das Un- verständliche verständlich zu machen! Und dieses Bey- spiel ist die Bewegung im Raume; welche, wenn auch nicht der Eleatische Zeno ihre Ungereimtheit deutlich genug gezeigt hätte, doch hier ein ganz und gar untaug- liches, unpassendes Beyspiel deshalb seyn würde, weil sie den eigentlichen Unsinn im Begriff der Veränderung gar nicht berührt. Denn die Bewegung lässt das, Was der bewegte Körper ist , völlig unangetastet; er ist an allen Orten seiner Bahn vollkommen sich selbst gleich; er ist und bleibt Eisen, oder Holz, oder Was- ser, oder Luft, oder was er sonst seyn möge. Die Be- wegung beunruhigt bloss unsre Zusammenfassung dieses Körpers mit den andern, welchen gegenüber wir ihn im Raume anschaueten; und wir müssten wirklich erst durch jene vorgebliche Gemeinschaft der Dinge im Raume, ver- blendet seyn, wenn wir nicht uns besinnen sollten, dass die bloss räumliche Gegenüberstellung nur unsre Vorstellung von den Dingen, in welcher ganz allein sie zusammen kommen, nicht aber die Dinge selbst angeht. Als Kant die vorstehenden Stellen niederschrieb, hätte die mindeste Regung eines fortschreitenden Den- kens ihn auf den Punct führen müssen, wo die wahre Metaphysik beginnt. Seine Klage über die Unbegreiflich- keiten, in deren Labyrinth ihn seine sogenannten syn- thetischen Grundsätze des reinen Verstandes — der seine Grundsätze selbst nicht versteht, mit jedem Schritte tie- fer hinein führten, ist wirklich, mit ganz geringer Ver- änderung der Worte, die deutliche Nachweisung des Widersprechenden in der Erfahrung; um derentwillen weder sie, die Erfahrung, eine Erkenntniss ist, noch jene Grundsätze des Verstandes irgend einen Sinn haben, wenn nicht die Metaphysik sie zu dem macht, was sie seyn sollen. Und was ist denn das, wodurch Kant sich abhalten liess, eine so leichte Fortschreitung des Denkens zu ma- chen? Was ists, das seinem Vortrage den Beyfall der Leser auch bey solchen Behauptungen verschafft, worin die offenbare Weigerung liegt, diejenigen Gedanken rein aus zu denken, mit denen er sich und uns beschäfftigt? Was ists, das er Humen entgegensetzt, diesem von ihm selbst hoch erhobenen Skeptiker, den durch Beru- fung auf den gemeinen Menschenverstand zurückgewiesen zu haben, er dem Reid, Oswald, Beattie, Priest- ley , zum grossen Vorwurfe anrechnet? Offen will ich es aussprechen. Es ist — der ge- sunde Menschenverstand, und nichts weiter. Dieser soll nicht um seine Erfahrung kommen, an welcher zu zwei- feln er nicht erträgt. Dass die Erfahrung objective Gültigkeit habe, die in sich eine absolute Vestigkeit besitze, und über den Rang einer allgemeinen, gleichförmigen Gewöhnung der Men- schen sich weit erhebe: behauptete Kant , und leugnete Hume . Stark und gross, — grösser als er war, würde der letztere erschienen seyn, hätte er Gelegenheit gehabt, die kaum verhüllte petitio principii, die ihm Kant ent- gegensetzte, selbst aufzudecken. Aber welchen Zorn wird diese meine Behauptung noch heute aufregen! — Ich muss wohl bitten, mir ge- lassen zuzuhören. Was ich hier sage, ist gar nicht neu. Zufällig geräth mir ein älteres Buch in die Hände, wel- ches mir bequeme Gelegenheit giebt, einen Theil meines jetzigen Vortrags daran zu knüpfen. Das Buch, was vor mir liegt, hat folgenden Titel: Grundriss der allgemeinen Logik, und kritische Anfangsgründe zu einer allgemeinen Metaphy- sik von L. H. Jakob, Prof. der Philosoph. zu Halle . 1788. Darin steht S. 135., folgende Anmerkung: „Ich glaube, dass hier der rechte Ort sey, einer Schwie- rigkeit zu begegnen, die wichtig ist, und welche Herr Mag. Schmid schon ( Kritik der r. V. 1786. S. 220. etc.) berührt hat. Sie lautet nämlich in ihrer ganzen Stärke so: „ Wer weiss, ob es überall nothwendig ist, „dass Erscheinungen durch den Verstand ver- „knüpft werden sollen ? Erscheinungen können ja „wohl auch ganz andern Gesetzen unterworfen seyn, „als Verstandesgesetzen. Es könnte seyn, dass die „Uebereinstimmung der Natur mit einigen Verstan- „desgesetzen ein blosser Zufall wäre. Der Verstand „würde dann gar nichts von der Natur fordern kön- „nen, sondern alles von ihr erwarten müssen. Viele „Erscheinungen sind vielleicht bloss um der Sinnlich- „keit willen, und sollen gar nicht durch den Verstand „verknüpft werden.“ Diesen mir äusserst wichtig schei- nenden Zweifel, der mir gleich beym ersten Lesen der Kantischen Kritik aufgestossen ist, und den vielleicht alle beträchtlichen Einwürfe gegen die Gesetze a priori, zum geheimen Grunde haben, habe ich versucht, auf folgende Art zu heben: — da die Dinge Erscheinun- gen sind, so hält man den Verstand für berechtigt, ei- nige Anforderungen an die Gegenstände zu machen, nämlich solche, die in der Natur der Sinnlichkeit ge- gründet sind. Daher wird auch gegen den Grund- satz der Quantität und der Qualität kein Ein- wurf vernommen . Wenn nun der Verstand ein von der Sinnlichkeit isolirtes Ding wäre, so würde die- ser den Erscheinungen keine Gesetze auflegen können. Da aber Verstand und Sinnlichkeit in einem Subjecte angetroffen werden, und zu einem Zwecke, der Er- kenntniss, vereinigt sind: so können sich ihre Gesetze unmöglich widerstreiten, weil dadurch ihre Vereinigung selbst aufgehoben würde. Der Verstand aber kann sich gar nicht anders wirksam beweisen, als durch Verknüpfung der Erscheinungen. Es wird entweder der ganze Verstandesgebrauch zerrüttet, alle Harmonie zwischen Sinnlichkeit, Verstand und Gegenständen ge- stört, oder die Erscheinungen müssen auch selbst un- ter sich den Gesetzen unseres Verstandes gemäss ver- knüpft seyn.“ U. s. w. Diese Stelle ist aus einem Zeitalter, das noch nicht so dreist war, Kant besser verstehen zu wollen, als er sich selbst verstand. Die Forderung, Erkenntniss ei- ner gesetzmässigen Erscheinungswelt soll und muss in der Erfahrung liegen , galt damals, und zwar mit Recht, für die Grund-Voraussetzung der Kan- tischen Lehre. Hätte Hume diese Gesetzmässigkeit ein- geräumt, so würde ihm wahrscheinlich niemals eingefal- len seyn, das Causal-Princip als ein Werk der Gewöh- nung darzustellen; denn das Gewohnte lässt sich abge- wöhnen; und die Nachweisung eines Irrthums in der an- genommenen Vorstellungsart ist unmittelbar die Auffor- derung, man solle sich ihrer entwöhnen; oder wenigstens die Möglichkeit solcher Entwöhnung eingestehen. Mir aber giebt die vorstehende Beantwortung jenes Einwurfs, (der sich wohl besser ausführen, aber nicht beantworten lässt,) sogleich Gelegenheit, die vermeintlich sichern Grundsätze der Quantität und Qualität auch noch in Anspruch zu nehmen. Es sind die bekannten Sätze: alles räumlich Angeschaute ist eine extensive Grösse; und, alles Empfundene hat eine intensive Grösse. Der erste Satz ist factisch falsch bey den Fixsternen ; denn diese sind für unsern Sinn durchaus nichts mehr als mathema- tische Puncte; indem sie gerade eben so erscheinen, wie es geschehen würde, wenn ihr Durchmesser abnähme, und die Intensität des Lichts dagegen wüchse. Der zweyte Satz ist in so fern metaphysisch unrichtig, als die totale Selbsterhaltung der Seele, wovon jede graduelle Sinnes-Empfindung nur ein Bruch ist, selbst, an sich, gar keine Grösse hat; so wenig wie die Seele die sich erhält. (Für uns aber sind solche Empfindungen, die für total gelten können, allemal mit heftigen Reizungen des Organs verknüpft: wodurch die Empfindung mit ei- nem Schmerze gemischt wird, der sich davon nicht tren- nen lässt; wie wenn wir in die Mittagssonne schauen, eine heftige, betäubende Explosion hören, u. d. gl.) Man berufe sich also nur nicht zuversichtlich auf jene Grund- sätze, die vielmehr eine sehr mangelhafte Kenntniss der Bedingungen beweisen, unter welchen sich die sinnlichen Empfindungen erzeugen. Dass übrigens Verstand und Sinnlichkeit zu einem Zwecke vereinigt wären, wird die heutige Welt schwer- lich bereitwilliger einräumen, als ich einräume, dass man die Möglichkeit einer Erfahrung postulire, deren Un- gereimtheit ich gezeigt habe; und deren Ungereimtheit Kant selbst in den vorhin von ihm angeführten, und ähnlichen Stellen, wider seinen Willen verräth. Aber man sieht aus dieser zu Hülfe gerufenen, postulirten Zweckmässigkeit gar leicht das richtige Gefühl hervor- blicken, dass, ohne sie, die objective Bevestigung der Erfahrung durch den Verstand, sehr zweifelhaft sey. Bey dem Allen nun darf nie vergessen werden, dass ich den Zwang, welchen uns die Erfahrung anthut, nicht ableugne, vielmehr selbst zum Princip meiner Untersu- chungen gemacht habe. Wir können die Empfindung nicht aufheben; wir können die Complexionen und Rei- hen, worin sie sich giebt, nicht abändern; wir können nicht rückwärts, aber wir müssen vorwärts; und hinaus über die gemeinen Erfahrungsbegriffe des sogenannten gesunden Menschenverstandes; der nichts anderes ist als ein nur kaum angefangenes Denken. Was wollte aber Kant , was will seine Schule mit der ewig wiederhohlten Entschuldigung: wir reden nicht von Dingen an sich, sondern nur von Erschei- nungen ? Nichts anders, als sich dem innerlich gefühl- ten Antriebe zum Denken entgegenstemmen. Jene Ent- schuldigung heisst nichts Anderes als: für Erscheinun- gen sind unsere Begriffe gut genug . Auch daran zweifle ich noch; um aber der Untersu- chung hierüber näher zu treten, wollen wir uns zuerst die Erfahrung, so wie sie gefunden wird, etwas vollstän- diger vergegenwärtigen. Sie fällt sichtbar zwischen den ungeheuern, alle denkbare Beobachtung übersteigenden, völlig transscen- denten Satz von der allgemeinen Wechselwirkung alles Räumlichen, (denn die unendlich geringfügige Ge- meinschaft des Wurms, und der Milchstrasse oder gar der Nebelflecke, taugt besser zu rhetorischen Floskeln, als zu irgend einem allgemeinen Erfahrungsbegriffe), und den dürftigen, ungenügenden Satz, dass alle Verän- derung eine Ursache habe, in die Mitte ; so oft uns irgend ein wirkliches Ereigniss auffordert, nach seiner Ursache zu fragen. Denn es findet sich alsdann nicht bloss eine Ursache, sondern ein Gewebe von Umstän- den, die offenbar zusammenwirkten. Nur sind wir sehr geneigt, unsre Aufmerksamkeit hiebey auf einen ganz besonders auffallenden Punct zu heften, und das Uebrige aus der Acht zu lassen Aus ältern Metaphysiken kennt man übrigens die caussas con- iunctas, principales etc. . Warum sehe ich aus meinem Fenster jenen entfern- ten Thurm? — Weil ich ans Fenster trat. Weil der Baum weggehauen ist, der ihn verbarg. Weil die Sonne auf den Thurm scheint. Weil ich die Augen geöffnet habe. Weil ich ein hinlänglich scharfes Gesicht besitze. Weil man mich aufmerksam machte. Weil mein Nach- denken über die Gegenstände, in die ich vertieft war, schwächer wurde. Warum ist jener Freund krank geworden? Weil er sich sehr erhitzt hatte. Weil ein heftiger Wind ihn traf. Weil er sich nicht zeitig ins Bett legte. Weil sein Arzt zu spät kam. Weil er dessen Verordnung nicht befolgte. Weil er schon früher kränklich gewesen war; weil er eine schwache Lunge, Leber, o. d. gl. hat; weil er an Gicht, an Rheumatismus leidet. Diese ganz gemeinen Beyspiele, die sich noch weiter ausführen lassen, zeigen zwar keineswegs eine Zusammen- wirkung des Universums, wohl aber ganz deutlich eine Mannigfaltigkeit dessen, was man als Ursache eines Ereignisses angeben kann. Sie erinnern, dass der lei- dende Gegenstand zuerst selbst als leidensfähig, als reizbar, dann in der Mitte von andern Gegenständen, in blei- bender Gemeinschaft mit ihnen, zu denken ist; damit nun irgend eine von den vielen möglichen Störungen dieser Gemeinschaft, oder auch mehrere zugleich, als Ursachen der Veränderung angegeben werden können. Im Grunde steht der Gegenstand in einem vielfachen, dauernden Causalverhältniss; aber was man Ursache nennt, ist mehr eine Abweichung, eine Anomalie in jenem Ver- hältniss, als das Wesentliche oder als das Ganze. Man entdeckt nun sehr leicht, dass die gewöhnlichen Vorstellungsarten von der Causalität nach zwey verschie- denen Richtungen auseinandergehn. Der Physiker, indem er sich den ganzen Erdball vergegenwärtigt, denkt sich alle Gravitation aller einzelnen Theile, alle chemischen Anziehungen aller Elemente, als etwas Bestehendes, das in verhältnissmässig sehr wenigen Puncten in Verände- rung begriffen ist. Die meisten dieser Causal-Verhält- nisse sind dauernd, und man begeht keinen merklichen Fehler, wenn man in Hinsicht ihrer die Zeit ganz ausser Acht lässt. Von ganz andrer Art sind diejenigen Causalitäten, mit denen sich der Historiker beschäfftigt. Für ihn muss alles Jetzige sich darstellen als unterworfen dem Frühe- ren; und er legt den Wirkungen eine Geschwindigkeit bey, mit der sie fortschreiten, desgleichen eine Intensi- tät, womit sie die Zeit erfüllen. Diese ganz verschiedenen Causalbegriffe, (die man ohne Metaphysik weder genau sondern, noch verbinden, noch erklären kann,) wie verhalten sie sich zu Kants Lehre? Hat er wirklich die beyden Gattungen trennen wollen, indem er in der ersten, sehr ausführlichen, sich oft wiederhohlenden Erörterung (seiner zweyten soge- nannten Analogie) alle Veränderungen dem Causalge- setze, und dieses wiederum gänzlich der Zeitfolge , da- hin giebt; dann aber, (bey der dritten Analogie) auf ein paar Blättern, gleichsam anhangsweise, als wäre von ei- ner Kleinigkeit die Rede, alle Substanzen in Wech- selwirkung treten lässt — um das Zugleichseyn , das als leere Zeit nicht wahrgenommen werden kann, ob- jectiv darzustellen? — Sollte Jemand wirklich glauben, er habe sich den Unterschied hiebey deutlich gedacht, so würde man wenigstens einräumen müssen, dass es um die Ver- knüpfung sehr schlecht stehe. Es ist, wie vorhin an- gedeutet, schon in der gemeinsten Erfahrung zu bemer- ken, dass die Grundlage der Causal-Verhältnisse dauernd, hingegen ihr Successives nur accessorisch ist; und beym mindesten Nachdenken leuchtet sogleich ein, dass dieses so seyn muss. Eine Ursache, die noch nicht wirkt, ist noch nicht Ursache ! Beyde müssen, ihrem ur- sprünglichen Begriffe nach, absolut gleichzeitig seyn. Diese unerlässliche Bestimmung des Begriffs liess Kant fahren, weil er die Kategorie anwenden wollte, und sie nur auf das Zeitliche glaubte anwenden zu können. Aber eben das ist falsch; und die Falschheit springt deutlich ins Auge, weil die Anwendung den Begriff, welcher soll angewendet werden, nicht aufheben darf, wie sie es hier offenbar thut. Viel schwerer ist die Frage, woher es komme, dass sich in die Erscheinung der Wirkung eine Succession einmischt, die ihrem Begriffe ganz fremd- artig ist. Schon hieraus nun lässt sich schliessen, dass Kant durch die Hinterthüre herein, und durch den Ein- gang wieder herausgegangen sey, indem er zuerst von der Zeitfolge, dann vom Zugleichseyn die objective Dar- stellung in der Causalität sucht. Zwey Kategorien, die Selbstbestimmung und die Reizbarkeit , hat er ganz vergessen, die entweder mit und neben der Wechsel- wirkung dem allgemeinen Causalbegriff untergeordnet, oder aber mit jener gleiche Vernachlässigung erleidend, weggelassen werden mussten. Von der Selbstbestimmung war oben bey Gelegenheit des Ich die Rede; die Reiz- barkeit wird im dritten Abschnitte vorkommen. — Nur frage man mich nicht, ob denn ausser der Zeitfolge und dem Zugleichseyn noch irgend welche Zeitbestim- mungen zu finden seyen, denen man zwey neue Kate- gorien hätte anheften können; man frage mich auch nicht, was denn aus der Symmetrie der Kategorientafel gewor- den wäre, die ja nur drey Kategorien unter jedem der vier Titel leiden kann? Ich denke, das sind Liebhabe- reyen, deren Periode vorüber ist; wo nicht, so wolle man nur ein wenig Geduld haben; unsre Betrachtungen sind noch nicht am Ende. Wir müssen nun das Einzelne genauer anschn. „Ich nehme wahr, (sagt Kant ) dass Erscheinungen auf einander folgen. Ich verknüpfe also eigentlich zwey Wahrnehmungen in der Zeit. Nun ist Verknüpfung kein Werk des blossen Sinnes, sondern eines syntheti- schen Vermögens. Dieses kann gedachte zwey Zustände auf zweyerley Art verknüpfen, so, dass der eine oder der andere in der Zeit vorhergehe. (Nein! Das kann das eingebildete Vermögen nicht. Sondern in der Ordnung, wie die Empfindungen gegeben werden, verschmelzen sie mit psychologischer Nothwendigkeit. Man sehe die Lehre von den Vorstellungsreihen nach.) Die Zeit kann an sich nicht wahrgenommen werden. (Das ist auch gar nicht nöthig.) Ich bin mir also nur bewusst, dass meine Imagination eines vorher, das andere nachher setze. (Nein! meiner Imagination bin ich mir, während sich eine Reihe von Empfindungen in mir mit bestimmter Succession ihrer Glieder bildet, gar nicht bewusst.) Mit andern Worten, es bleibt durch die blosse Wahrneh- mung das objective Verhältniss der einander folgenden Erscheinungen unbestimmt. (Unrichtig, aus vorigen Grün- den.) Damit nun dieses als bestimmt erkannt werde, (wer hat denn diesen Zweck ?) muss das Verhältniss zwischen den beyden Zuständen so gedacht werden, dass dadurch als nothwendig bestimmt werde, welcher dersel- ben vorher, welcher nachher, und nicht umgekehrt müsse gesetzt werden. (Wohlan! Wir wollen uns einmal be- liebig vorstellen, dass wir eine solche nothwendige Be- stimmung zu suchen hätten. Wie werden wir sie fin- den?) Der Begriff aber, der eine Nothwendigkeit der synthetischen Einheit bey sich führt, kann nur ein reiner Verstandesbegriff seyn, der nicht in der Wahrnehmung liegt; (kann eben so wenig ein blosser Begriff als eine Wahrnehmung, sondern muss ein Urtheil seyn, welches aussage: es sey unmöglich, dass man die Reihe umkeh- ren könne. Denn die Nothwendigkeit ist nichts als Un- möglichkeit des Gegentheils. Wer nicht versucht hat, das Gegentheil anzunehmen, den drückt nimmermehr die Noth , es bey dem zu lassen, was wir als nothwendig anerkennen sollten. Das Gegentheil muss ihn zurücksto- ssen, sonst bleibt er frey, über den Punct hinaus zu gehn, wo man ihn vest heften wollte.) Jener reine Ver- standesbegriff ist hier der Begriff des Verhält- nisses der Ursache und Wirkung, wovon die erste die letztere in der Zeit als Folge be- stimmt . Was ist das? Wir suchten einen Begriff, der die Zeitfolge veststellen könne; man sagt uns: hier ist einer; den könnt ihr zu Eurem Zwecke gebrauchen. Also den ersten besten, den wir antreffen, sollen wir, wie ein zu- fällig gefundenes Werkzeug benutzen, ohne Ueberlegung, wozu das Werkzeug eigentlich vorhanden sey; und ob es für uns nicht auch andre Hülssmittel hätte geben kön- nen? Hätten wir eine Blume irgendwo bevestigen wol- len, und man böte uns ein schönes seidenes Band, so würden wir einräumen, dass zu unserer Absicht das Band wohl brauchbar, aber viel zu gut sey, und dass man es für einen bessern Gebrauch aufheben möge. Was den wahren Causalbegriff anlangt, so ist der- selbe völlig zeitlos; und also zu dem Zwecke, etwas in der Zeit vestzubinden, (das noch überdies schon von selbst darin veststand,) nicht einmal zu gebrauchen. Aber gesetzt, man könnte jenen Bastard der Causalität, wel- cher der Wirkung noch Zeit gönnt, während die Ur- sache schon vorhanden ist, — jenes Kind der Bewe- gungen , und der psychologischen Hemmungs- und Reproductions-Gesetze , — was wir aus der gemeinen, ungeläuterten Erfahrung freylich lange vorher kennen, ehe wir es metaphysisch durchforscht haben, — hier füglich anstatt der wahren, eigentlichen Causalität (die lediglich in den Störungen und Selbsterhaltungen liegt,) liegt,) zum Gebrauche benutzen, und uns für den Au- genblick eine solche Verwechselung gefallen lassen: so wäre damit das Ziel des Kantischen Beweises noch im- mer nicht erreicht. Denn es kam gar nicht bloss darauf an, zu erinnern, dass der Causalbegriff, unter andern , mannigfaltigen Bestimmungen, die er in sich trage, und neben seinem übrigen vielfältigem Nutzen, auch noch den zufälligen Vortheil gewähre, vestzustellen, was in der Zeit hinten und vorn sey, sondern wir wollten ihn selbst durch und durch kennen lernen; insbesondere aber war uns daran gelegen, die Noth und Verlegenheit zu sehen, in welche der Begriff der Verände- rung gerathen würde, wenn man ihm die Vor- aussetzung irgend einer Ursache wegnähme . Wieviel haben wir denn davon zu sehen bekommen? Dass sich die Reihenfolge der Veränderung umkehren würde, wenn die Ursache sie nicht hielte? — Wenn nur in der Veränderung überall eine, durch die Zeit klare und begreifliche, Reihenfolge wäre! Wenn nur nicht der Begriff der Veränderung, gerade in Anse- hung der in ihm liegenden Zeitbestimmung hier ganz und gar in seinem Innersten verdorben und verschroben wäre! Wann geschieht denn die Veränderung? Etwa dann, wann wir das vorhergehende Merkmal des Gegen- standes in ruhiger Verweilung anschauen? Nein! Dann hat sie noch nicht angefangen. Oder dann, wann das nachfolgende Merkmal schon vor unsern Augen steht, und still hält, um sich nun seinerseits zum Anblick dar- zubieten? Wiederum nein! Dann ist die Veränderung vorbey. Wir begreifen, dass sie geschehn sey; und den- ken uns einen Zeitpunct, in welchen beyde entgenge- setzte Merkmale, eben jetzt das eine kommend, das andre gehend, — und gerade darum zugleich , — sich in dem Gegenstande vorfanden. Diesen köstlichen Au- genblick wollten wir beobachten; aber er muss uns wohl entschlüpft seyn. Gesehen haben wir den Widerspruch II. Y nicht; zu denken versuchen wir, was wir eben so wenig denkend als anschauend fassen können. Dies Alles bey Seite gesetzt: was leistet denn nun der Causalbegriff, nicht etwan um der Veränderung zur Heilung ihrer innern Pein zu helfen, sondern (denn da- von war ja die Rede) die Erscheinungen in der Zeit vest- zustellen? Spricht er etwan zu den Erscheinungen a und b: Eine von Euch beyden muss die erste seyn! Wählt nun; oder streitet; und welche von Euch den er- sten Rang gewinnet, die soll ihn behalten! —? Nein; er erlaubt keine Wahl, welches eine Unbestimmtheit in der Zeit seyn würde. Also befiehlt er vermuthlich aus eigner Macht, a solle vorangehn, und b solle folgen? — Auch das nicht! Der Causalbegriff ist allgemein; die einzelnen Erscheinungen a und b sind ihm völlig unbe- kannt; es ist ihm gleichgültig, ob wir b a oder ab spre- chen. Es liegt ihm nichts daran, ob in dem Kantischen Beyspiele das Schiff mit dem Strome fährt, oder wider den Strom gezogen wird; selbst die Triebkraft des Stro- mes, und der Zug gespannter Seile sind nichts als Er- fahrungsgegenstände; kein Begriff a priori hat gelehrt, dass die Körper schwer seyen, der Strom sein Gefälle habe, die eingetauchten Körper von der Dichtigkeit des Wassers mit fort gerissen werden, die Seile stark ge- nug sind, um nicht zu reissen u. d. gl. m. Die blosse Anschauung des Schiffs, welches dahinfährt, giebt mir unmittelbar die Reihenfolge seiner Bewegung, auch wenn ich weder die Richtung des Stroms, noch irgendwo die auf das Schiff wirkenden Kräfte sehe, weiss und kenne. Desgleichen, der allgemeine Causalbegriff lehrt uns gar nicht, wie es zugegangen seyn möge, dass Kant , in dem Beyspiele von der Kugel, die im Küssen ein Grüb- chen drückt, am Schlusse seiner Rede plötzlich von ei- ner bleyernen Kugel redet, während er sich vorher mit einer Kugel überhaupt begnügte. Wir sehen freylich wohl, dass ihm hintennach eine sehr nöthige Ergänzung seines Beyspiels einfiel. Der Causalbegriff für sich allein drückte kein Grübchen; es war die aus blosser Erfahrung hinzukommende Natur des Bleyes dazu nöthig; eine Ku- gel von Baumwolle hätte nicht dazu getaugt. Kurz: die Succession der Erscheinungen ist und bleibt einzig ein Gegebenes ; und man verfehlt gänzlich den Sinn, verdirbt gänzlich den Gehalt des Causalbe- griffs, wenn man ihn, der sich lediglich auf den Wider- spruch in der Veränderung bezieht, auf die Reihenfolge der Empfindungen deutet, die nicht von ihm ein Gesetz empfängt, sondern ihm vielmehr die nähern Bestimmun- gen liefert, ohne die er nicht zur Anwendung auf Ge- genstände der Erfahrung gelangen kann. Wem nun dies Alles noch nicht hinreichende Hülfe leistet, um aus dem gewohnten Vorurtheil herauszukom- men: der schaffe dadurch Licht in seinem Geiste, dass er sich die mannigfaltigen Arten der Causalität verge- genwärtigt, die aus der Erfahrung bekannt sind. Um diese Betrachtung gehörig vorzubereiten, muss man fol- gendes überlegen. Gesetzt, Causalität sey Bestimmung einer Zeitfolge: so ist verschiedene Causalität ver- schiedene Bestimmung der Zeitfolge. Gesetzt hinge- gen, nicht alle Verschiedenheit der Causalität lasse sich auf solche Unterschiede zurückführen, wodurch die Zeit- folge anders und anders bestimmt wird: so muss in dem Causalbegriff noch ein anderes Bestimmbares liegen, an welches sich die Unterscheidungen anfügen, und wel- ches ihr fundamentum divifionis ausmacht. Dann ist also der Causalbegriff wenigstens nicht erschöpft durch die Annahme, dass er die Succession der Erscheinungen vest- stelle; und man kann im Aufsuchen dessen, was die Ar- ten der Causalität unterscheidet, neue Anknüpfungspuncte fürs Nachdenken, neue Spuren der Wahrheit finden. Und nun frage man sich, ob wohl die tödtende Wir- kung des Arseniks, und die wohlthätige einer Predigt, und die chemische der Voltaischen Säule, und die An- ziehung der Haarröhrchen, und die schmelzende Kraft eines Brennglases, sammt den eingebildeten Wirkungen Y 2 der Zaubersprüche, der sympathetischen Curen, der von Wundermännern verrichteten Gebete (denn auch bey den eingebildeten Wirkungen wird der Causalbegriff im Denken gebraucht,) alle von einerley Art seyen? Oder ob etwan die Vermuthung zulässig sey, die Unterschiede dieser Arten lägen in Verschiedenheiten des Zeit maa- sses , in welchem die Erscheinungen einander folgen? Wenn nicht: woran will man denn die verschiedenen Bestimmungen anbringen, die in allen diesen, und un- zähligen andern Fällen, der Causalbegriff doch annimmt, und wofür er demnach empfänglich seyn muss —? Hier überlasse ich den Leser sich selbst; und wün- sche ihm, dass er über die Bestimmbarkeit allgemeiner Begriffe, die an der Spitze gewisser Theorien gebraucht werden, weiter nachdenken möge; denn dies ist der ge- meinhin vernachlässigte Punct, wovon alle Geschmeidig- keit, das heisst eigentlich, alle Brauchbarkeit der Theorien abhängt. Mein Weg geht weiter zu Kants Lehre von der Wechselwirkung. „Zugleich, (sagt Kant ,) sind Dinge, wenn in der empirischen Anschauung die Wahrnehmung des einen auf die Wahrnehmung des andern wechselseitig fol- gen kann.“ Bey dieser, durchaus falschen, Erklärung, müssen wir sogleich stehn bleiben. Die allereinfachsten Thatsa- chen decken hier einen, nur gar zu folgenreichen Mis- griff auf. Kant hatte von der Folge in der Zeit geredet, und diese wenigstens mit Recht nicht an Substanzen, nicht an Dinge, sondern an Zustände, an veränderliche Merk- male der Dinge geknüpft. Das Zugleichseyn ist eine an- dere Bestimmung in Hinsicht der Zeit; aber das Zeitli- che, welches sich dieser abgeänderten Bestimmung un- terwerfen sollte, musste das Nämliche bleiben wie zuvor; sonst hing die Rede nicht zusammen. Wir sollten vor- her lernen, wodurch das Nacheinander der Erscheinun- gen objectiv bevestigt werde; wir erwarten nun den Un- terricht, wie das Zugleichseyn der nämlichen Erschei- nungen könne wahrgenommen werden. Wie geht es denn zu, dass Kant hier auf einmal von seinem Ge- genstande abspringt? Lassen sich etwa blosse Zustände der Dinge gar nicht zugleich auffassen? — So muss es ihm wohl geschienen haben. Und freylich, die Zustände der Dinge sind flüchtig; sie warten nicht, dass man mit seiner Aufmerksamkeit zwischen ihnen hin und her gehn, um, wie Kant will, sie wechselseitig aufzufassen. Der Observator auf der Sternwarte, dessen Uhr eben den Eintritt der neuen Secunde hören lässt, würde übel daran seyn, wenn er das Zugleichseyn des Sterns am Faden- kreuz nicht anders wahrnehmen könnte, als durch wech- selseitiges Auffassen bald des Sterns und bald des Pen- delschlags. Beydes sind verschwindende Erscheinungen; und weder die Uhr noch der Stern wollen verweilen, sie sind schneller als der Wunsch, der sie noch einmal zu- sammenfassen möchte. Noch viel unglücklicher wäre der Musikdirector, der im Orchester das Zugleich von meh- rern hundert Spielern und Sängern unaufhörlich von neuem beobachten; und die geringste Abweichung auf der Stelle bemerklich machen muss, wenn er das Zu- gleich nicht anders wahrnehmen könnte, als durch eine Wechselseitigkeit im Auffassen der zugleich klingenden Töne. Hier ist es bey weitem nicht bloss die Flüchtig- keit der vorübereilenden Empfindungen, welche sich in den Weg stellt: sondern der Musikdirector darf eine solche hin und her gehende Bewegung, wie Kant ver- langt, auch nicht einmal seinen Vorstellungen erlauben. Seine musikalischen Gedanken müssen selbst in der ge- messenen und continuirlichen Bewegung seyn und be- harren, wie dort die Uhr und der Stern. Ist nicht in seinem Geiste die unwandelbarste Regelmässigkeit des Vorwärtsgehens, ohne irgend eine Ausbiegung seitwärts und rückwärts: so wirft er den Tact um, den er für Alle vesthalten soll. Auch bedarf er zum Auffassen des Zu- gleich nicht im mindesten des ihm vorgeschlagenen Mit- tels. Seine Vorstellungen laufen nach den Reproductions- gesetzen ab, die wir längst kennen, und von denen wir wissen, dass sie die mathematische Regelmässigkeit ihres Erfolgs in sich tragen. Jede von den verschiedenen Stimmen, aus denen die Musik besteht, bildet erstlich ihre völlig bestimmte Zeitreihe für sich; jede empfängt zweytens die Einschnitte, welche die andern, gleichzeitig ablaufenden in ihr hervorbringen; diese Einschnitte sind aber drittens durch den Tact so geordnet, dass sie zu- sammentreffen, denn sonst würden die Reihen einander stören, wie es augenblicklich geschieht, sobald eine Stimme aus dem Tacte kömmt. Solange nun die Stimmen richtig fortlaufen, sind sie unaufhörlich zugleich; denn jede, mit Inbegriff der ihr vorgeschriebenen Pausen, (die wesent- lich zu ihr gehören,) füllt die ganze Zeit aus; jede bil- det eine Linie, worauf jede andre, beliebige Puncte an bestimmte Orte zeichnen kann, wo sie veststehn, sey es in gegebenen Distanzen, oder mögen sie ohne Distanz zusammenfallen, das heisst, zugleich seyn. Dies Alles betrifft Zustände, nicht Dinge. Kant hingegen, weil ihm die Theorie der Vorstellungsreihen, mithin die Erklärung der Zeit, gänzlich fehlte, half sich, wie er konnte. Das Zugleich, welches eine Zeitbestim- mung, und doch gerade diejenige seyn soll, in welcher die Zeit = o gesetzt wird, verwandelt er in eine Dauer , von unbestimmter Länge, aber gross genug, um darin zwey Successionen, a b , und b a , anzubringen, von de- nen er hoffte, sie würden sich aufheben. Nun liegt zwar in der Reihe a, b, a, sowohl a, b; als b, a . Allein sie heben sich ganz und gar nicht auf. Man kann das a, b, a, b, a, b, a .... beliebig wie ein Glockenge- läute fortsetzen; es kommt kein Zugleich heraus. Gleich- wohl ist das wechselseitige Auffassen zweyer Dinge, wenn nicht der Begriff des Beharrens dieser Dinge hinzukommt, nichts anderes, als ein solches Glockengeläute. Aber eben indem Kant das Beharren der Dinge im Stillen voraussetzte , fiel es ihm ein, hiemit die Folge der Auffassungen, wovon er zuvor geredet hatte, zu ver- binden, indem es nur nöthig schien, dieselbe umzukeh- ren, um das Eigene der Succession in ihr aufzuheben. Die Dinge hielten ja still genug, um sich eine solche Umkehrung gefallen zu lassen! Und um dieser Be- quemlichkeit willen , die man von blossen Zustän- den nicht erlangen konnte, wurden nun alle Substan- zen im Raume, da keine vor der andern einen Vorzug hatte, aufgeboten, um die Wahrnehmung des Zugleich möglich zu machen. Nach diesen Erinnerungen wollen wir nun noch ein- mal von vorn anfangen, und dabey einräumen, dass die Dinge, welche wechselseitig können aufgenommen wer- den, auf die Vorstellung ihres Beharrens in der glei- chen Zeit führen, wenn die des Beharrens, für je- des einzelne schon da ist; so wenig auch die wech- selseitigen Wahrnehmungen an sich irgend ein Zugleich- seyn in sich tragen. „Man kann aber (fährt Kant fort) die Zeit selbst nicht wahrnehmen. — Folglich wird ein Verstandesbe- griff von der wechselseitigen Folge der Bestimmungen dieser, ausser einander zugleich existirenden Dinge erfor- dert, um zu sagen, dass die wechselseitige Folge der Wahrnehmungen im Objecte gegründet sey, und das Zugleichseyn dadurch als objectiv vorzustellen.“ Hier beginnt ein Erschleichen, Verwechseln, ernst- liches Benutzen eines durch blosse Uebereilung herbeyge- kommenen Gedankens, wovor man nicht nachdrücklich genug warnen kann. Die wechselseitige Folge in dem, an sich bloss beliebigen, Hin- und Her-Schauen, erlaubt unstreitig, dass man bey der einen Wahrnehmung mehr, bey der andern weniger verwieile. Wenn wir im Kanti- schen Beyspiele, Erde und Mond abwechselnd betrach ten, so finden wir uns gänzlich frey in diesem Anschauen; wir können den Mond durchs Fernrohr, oder mit blo- ssen Augen besehen; wir können uns stundenlang vor dem Fernrohr aufhalten, ohne dass uns der Mond im Geringsten nöthigen sollte, nun einmal von ihm abwärts zur Erde uns hin zu wenden; wir können zu anderer Zeit uns mit irdischen Dingen beschäfftigen, von denen keins uns zwingt, an den Mond auch nur zu denken. Nichts im Monde treibt uns zur Erde, nichts an der Erde führt auf den Mond; — denn so specielle wissenschaftliche Fragen, wie die vom Grunde der Ebbe und Fluth, oder von den Gesetzen des Mondlaufs, worauf einzelne Ge- lehrte gerathen, können hier nicht in Betracht kommen, wo von allgemeinen, jedem Menschen eigenen Verstan- des-Begriffen die Rede ist. Mitten im Gefühl unserer vollkommensten Willkühr, wodurch wir uns die Folge der wechselseitigen Wahr- nehmungen schaffen oder sie abbrechen, stört uns nun Kant , der die Folge unseres Auffassens in die Dinge hineinträgt, und aus der blossen Zeitfolge unseres An- schauens ein Wirken und Leiden , worin Mond und Erde gegenseitig sich versetzen, hervorruft! Und was ist sein Grund? Die wechselseitige Folge der Wahr- nehmungen soll im Objecte gegründet seyn ! Wie? Woher kam uns denn jene Willkühr, mit der wir um uns her schaueten? Die strengste Nothwendig- keit hätte unser sinnliches Auffassen im Kreise umher führen müssen, ohne uns einen Augenblick los zu lassen, wenn eine Wechselwirkung der Dinge, in ihrem bestän- digen, gleichzeitigen Beharren, uns lenkte und beherrschte. Allein was kümmert die Objecte unser Wahrnehmen? Und wieviel offenbaren sie uns von ihrem gegenseitigen Einflusse? Ihr Zugleichseyn ist kein Gegenstand des Zweifels, ist ein ganz klarer, nicht im mindesten räthsel- hafter Gedanke; die nämliche Vorstellung der Zeit dient uns vollkommen, um darauf, wie auf einer Linie, die Grösse des Nacheinander zwischen zweyen Zuständen ei- nes sinnlichen Dinges, und auch eines zweyten, und ei- nes dritten dieser Dinge, zu verzeichnen. Läge darin der Einfluss, das Causal-Verhältniss dieser Dinge, so würden wir die ganze Natur, in ihren geheimsten Ver- kettungen, in ihrem ganzen stetigen Schaffen und Zer- stören unmittelbar erkennen. — Aber eine solche Schö- pfung aus Nichts, wie hier die Umwandlung der völlig leeren, nichts sagenden Zeitbestimmung des Zugleich- seyns, in die Alles auf einmal andeutende (freylich nicht nachweisende) Gemeinschaft der Substanzen, das ist ge- rade die unglückliche, auch die redlichsten Denker ohne ihr Wissen beschleichende , Taschenspieler- kunst, die man mit wahrer Speculation zu verwechseln pflegt, um hintennach diese mit jener in dieselbe Ver- achtung, Verdammung, zusammenzufassen. Auch nicht der entfernteste Grund lässt sich im ge- genwärtigen Falle zur Entschuldigung anführen, wenn nicht der einzige, dass Kant transscendentaler Idealist seyn wollte. Dem Idealisten waren freylich die Substan- zen im Raume nichts an sich, sondern alles für uns. Allein auch diese Entschuldigung ist hier so gut als nich- tig; so viel auch der Anfänger in der Philosophie darauf bauen möchte. Was sind für uns die Substanzen im Raume? Es sind Fragepuncte; Gegenstände stets er- neuerter Versuche im Experimentiren und im Denken. Will der Idealist sie auf seine Weise deduciren: so mag er unternehmen uns zu zeigen, dass, und wie für uns eine Complexion von Fragen entstehe, welche in einer allmähligen, fortschreitenden, partiellen Beantwor- tung begriffen zu seyn scheinen. Dass solcher Comple- xionen viele unter einander durch gewisse Verknüpfun- gen zusammenhängen, welche wir mit dem Namen eines gegenseitigen Einflusses belegen, ist bekannt genug. Dass zur deutlichen Vorstellung dieser Verknüpfungen auch die gleichzeitige Dauer als ein Merkmal und Hülfsmittel des Denkens gehört, leugnet ebenfalls Niemand. Aber nimmermehr darf dies eine , dürftige Hülfsmittel des Den- kens, dem ganzen Gedanken gleich gesetzt werden. Soll ich sagen, man bemerke bey Kant doch eine Spur, dass er sich im Laufe seines Irrthums wenigstens irgendwo aufgehalten fühlte? Ich wünsche es mehr, als ich es eigentlich behaupten darf. Nachdem er die leere Form des zeitlichen Zugleich in eine wirkliche Verkettung der Dinge umgedeutet hatte, lag es ihm ganz nahe, nun auch eben so mit der leeren Form des Aussereinander zu verfahren; mit einem Worte, das Vacuum zu leugnen. Wirklich redet er also: „Wären die Erscheinungen völlig isolirt, so könnte das Daseyn der einen durch keinen Weg der empirischen Synthesis auf das Daseyn der andern führen. (Als ob der Fluss der Empfindungen eine Reise auf einer Strasse wäre!) Denn wenn ihr Euch gedenkt, sie wä- ren durch einen völlig leeren Raum getrennt , so würde die Wahrnehmung nicht unterscheiden lassen, ob die Erscheinungen objectiv einander folgen, oder zu- gleich seyen. — Ohne Gemeinschaft ist jede Wahrneh- mung der Erscheinung im Raume von der andern abge- brochen, und die Kette empirischer Vorstellungen würde bey jedem neuen Objecte von vorn anfangen. Den lee- ren Raum will ich hiedurch gar nicht widerle- gen: denn der mag immer seyn, wohin Wahr- nehmungen nicht reichen, und also keine em- pirische Erkenntniss des Zugleichseyns statt findet; er ist aber alsdann für unsre mögliche Erfahrung gar kein Object .“ Wäre Kant nicht durch irgend eine Besorgniss des Irrthums zurückgehalten worden: so hätten diese seine letzten Worte, nach dem ganzen Zusammenhange seiner Lehre, anders, und viel entscheidender lauten müssen. Wo ist denn Raum, den unsre Wahrnehmung, wenn wir sie zum Begriff der möglichen Erfahrung steigern, nicht erreichen könnte? Der ganze unendliche Welt- raum ist ja nur die Form der Sinnlichkeit. Wenn dem- nach der leere Raum dahin verwiesen wird, wohin Wahrnehmung nicht reicht: so ist er aus Kants Lehre ganz und gar verbannt. Es bleibt uns zu fragen übrig, in welcher Dichtigkeit er denn erfüllt seyn müsse? Ob hier nichts von der anderwärts erwähnten Elangue- scenz , durch unendliche Verdünnung, zu fürchten sey? Ob jener Weg der empirischen Synthesis nicht irgend einen Grad von materieller Vestigkeit haben müsse, da- mit die Wahrnehmungen darauf, wie auf gutem Pflaster, sicher reisen können? — Und eben so ist zu fragen: welche Intensität der Wechselwirkung unter den Substanzen wohl die kleinste sey, mit der man sich be- gnügen könne, um das Zugleichseyn als objective Be- stimmung der Dinge wahrzunehmen? Oder ob wohl gar die Wahrnehmung des Zugleichseyns an Intensität wachse in demselben Grade, wie die Wechselwirkung selbst? Lauter Fragen, deren Veranlassung man nur bedauern kann. — Gelegentlich erwähne ich hier noch des Irrthums im Begriff der Substanz, den Kant in den Prolegomenen §. 46. so ausspricht: „Die reine Vernunft fodert, dass wir zu jedem Prädicate eines Dinges sein ihm zugehöri- ges Subject, zu diesem aber, welches nothwendiger Weise wiederum nur Prädicat ist , fernerhin sein Subject, und so fort ins Unendliche, suchen sollen. Aber hieraus folgt, dass wir nichts, wozu wir gelangen können, für ein letztes Subject halten sollen,“ u. s. w. Was an diesen Behauptungen Wahres ist, habe ich im §. 141. angegeben. Aber genau genommen, wie Kants Worte lauten, ist hier Nichts als Irrthum. So lange das Subject noch für ein sinnliches Ding gehalten wird, verdient es nicht den Namen Substanz , die ihrer Natur nach übersinnlich ist; und hat man den wahren Begriff derselben erreicht, so kann man nicht mehr daran denken, sie wiederum in die Reihe blosser Prädicate stel- len zu wollen. Der obige Regressus ins Unendliche ist nicht reine Vernunft, sondern falsche Metaphysik, die dem Problem, was im Begriff der Substanz liegt, ent- laufen will, weil sie es nicht zu behandeln versteht; — oder mit andern Worten, die den Knoten, den sie fühlt, weiter und immer weiter schiebt, statt ihn ein für alle- mal aufzulösen. Wer dies nicht glauben will, oder meine Metaphysik in diesem Puncte nicht versteht, der kann ja versuchen, zu der Kantischen, unbewiesenen Behauptung, das Subject müsse nothwendig wiederum Prädicat werden, den Beweis nachzuliefern. Uebrigens ist in Kants Lehre der Zusammenhang der Gedanken in dieser Gegend sehr lose. Das Wort Subject , welches nach verschiedenem Sprachgebrauche bald dem Prädicate , bald dem Objecte gegenüber steht, und in beyden Fällen einen ganz verschiedenen Sinn hat, giebt ihm Gelegenheit, der rationalen Psycho- logie folgenden Trugschluss, — der, so viel ich weiss, früher nirgends vorkommt, aufzubürden: Was nur als Subject gedacht werden kann, existirt auch nur als Subject; und ist folglich Substanz. Nun kann ein denkendes Wesen nur als Subject ge- dacht werden; Also existirt es nur als solches, d. i. als Substanz. Alle drey Sätze sind richtig, aber der Schluss ist falsch; denn der Obersatz redet von der Substanz, d. i. dem Subjecte, das nie Prädicat werden kann, der Untersatz hingegen von dem denkenden Wesen als Subject für mögliche Objecte . Wer könnte von einem solchen Sophisma getäuscht werden, so lange er seine Gedanken nicht ganz in die Worte hat versinken lassen? §. 143. Ganz ähnlich dem Vorurtheil, das die Causalität an die Zeit bindet, ist ein anderes, eben so gemeines, nach welchem alles Reale in den Raum gesetzt wird, und Nirgendsseyn so viel bedeuten soll als überall nicht seyn. Doch vom wissenschaftlichen Standpuncte aus erscheint diese Verwechselung des Seyn mit dem Daseyn noch befremdender als jene des Wirkens mit dem Anfangen und Antreiben. Denn nicht bloss der Geometer behan- delt seinerseits den Raum und die räumlichen Constru- ctionen ganz unbekümmert um das Reale, sondern auch der Metaphysiker, indem er von dem Geistigen zu reden hat, findet dabey die Raumbegriffe ganz unbrauchbar zur Bestimmung des Realen; so dass man meinen sollte, das Reale und das Räumliche lägen weit genug auseinander. Und der Physiker, wenn er beydes zu verknüpfen sich genöthigt sieht, geräth in die drückendsten Verlegenhei- ten; er bekennt, dass die Materie, von der er reden soll, das dunkelste aller Dinge sey; er pflegt recht gern Ver- zicht zu leisten auf alle Aufschlüsse über diese Realität im Raume, so fern dieselben nicht unmittelbar aus der Erfahrung kommen und zur Erfahrung zurückkehren. Was bringt denn den gemeinen Verstand dazu, das Seyn und den Raum so besonders genau mit einander befreundet zu glauben? Offenbar schöpft er jenes und diesen ursprünglich aus einerley Quelle; so dass hier wirklich die Erklärung aus der Association und Gewohnheit am rechten Orte seyn wird. Die nämlichen sinnlichen Erscheinungen, welche ohne Weiteres für real gehalten werden, (§. 141.) entfalten sich auch vermöge der besondern Form der Verschmelzung, die sie im Bewusstseyn annehmen müs- sen, als ein Räumliches, (§. 110—115.) Daher kennt Anfangs der Mensch kein anderes Reales als eben das Räumliche, und beyde Begriffe begleiten einander, ohne alle innere Nothwendigkeit der Verknüpfung, doch so beständig, dass sie die Vestigkeit einer vollkommnen Complexion darstellen. (§. 57.) Was aber die Art und Weise anlangt, wie das Reale in den Raum gesetzt wird, so ist merkwürdig, dass dazu allemal die sämmtlichen drey Dimensionen des Raums erfordert werden. Dieses kann in den allerersten Auffassungen sinnlicher Gegenstände nicht gelegen ha- ben, denn ursprünglich bieten sich dem Auge sowohl als dem Gefühl nur Flächen dar; und es ist kein Zweifel, dass Anfangs die gefärbten und widerstehenden Flächen für real genommen werden, ohne ein Bedürfniss der drit- ten Dimension, an welche noch gar nicht gedacht wird. Was ist es denn, das in der Folge die Vorstellung des Soliden zur einzig brauchbaren Auffassung des räumli- chen Realen erhebt? Zuvörderst, das Solide selbst wird nicht ursprüng- lich nach drey Dimensionen bestimmt. Vielmehr, diese Dimensionen sind ein Erzeugniss des schon zur Wissen- schaft vordringenden Denkens. Sie sind die allgemei- nen Begriffe von denjenigen Hauptrichtungen, auf welche sich die sämmtlichen andern Rich- tungen in einem körperlichen Raume zurück- führen, oder woraus sich dieselben zusammen- setzen lassen . Die Erzeugung solcher allgemeinen Begriffe setzt weit vorgeschrittene Vergleichungen voraus. Die Hauptsache dabey ist die Erfindung des Perpen- dikels auf eine Linie, oder derjenigen Richtung, welche mit zweyen andern unter sich entgegen- gesetzten (die durch die Linie angedeutet werden) gar nichts gemein habe , sondern, in Beziehung auf sie, als eine völlig neue Richtung könne angesehen werden. Nachdem diese bekannt ist, ordnen sich die sämmtlichen möglichen Richtungen, welche durch Zu- sammenfassung beliebiger Puncte eines vor Augen lie- genden Körpers entstehen können, von selbst nach drey Perpendikeln, als den Symbolen der drey Dimensionen; auch bilden sich aus der Combination je zweyer Perpen- dikel die drey senkrechten Durchschnittsflächen durch den Körper. (Erklärt man das Perpendikel durch dieje- nige Linie, welche mit einer andern vier gleiche Win- kel macht, so mag eine solche Definition im gewöhnli- chen geometrischen Vortrage brauchbar seyn; aber sie taugt nichts, wenn man psychologische Aufschlüsse über die Erzeugung der geometrischen Begriffe verlangt.) Wie lange nun das Solide noch nicht auf seine drey Dimensionen zurückgeführt ist, — wie lange noch der Mensch die Körper bloss in den Händen herumdreht, und sie von allen Seiten besieht, ohne in ihnen die Länge der Breite, und beyden die Dicke entgegenzusetzen: so lange kann auch die Frage nicht erwachen, ob das räum- liche Reale eine Dicke haben müsse, oder nicht? Denn so lange ist der Begriff einer blossen Oberfläche, ohne Dicke , noch gar nicht vorhanden. Es ist der Versuch noch gar nicht gemacht, eine blosse Fläche als real der- gestalt zu denken, dass ihr ausdrücklich und mit Bewusstseyn die Dicke abgesprochen werde. — So- bald hingegen der Gedanke eines solchen Versuchs ent- steht, ergiebt sich die Unmöglichkeit sogleich aus dem Begriffe der Fläche. Denn diese, wenn sie als eine Scheidewand zwischen demjenigen betrachtet wird, was sich zu beyden Seiten befindet, erscheint sogleich als ein völliges Nichts; sie hat nichts dazwischen zu stellen, sonst müsste ihr eine Dicke zugeschrieben werden. Ist einmal das Reale in den Raum gesetzt, so wird auch sein Quantum nach der Grösse des Raums geschätzt, den es einnimmt. Kann nun sein Platz durch ein Zu- sammenrücken andrer Dinge von zwey entgegengesetzten Seiten her, als ein völliges Nichts dargestellt werden, in- dem es diesen Dingen frey steht, sich bis zur Berührung zu nähern, so hat das Ding gar keinen Platz; es ist also kein Reales von räumlicher Art. Verbindet man mit dieser Betrachtung die obige, im §. 113.; welcher zufolge der Raum aus psychologischen Gründen als unendlich theilbar vorgestellt wird, so dass es in ihm nicht, wie in den Linien des intelligibelen Raums der allgemeinen Metaphysik, einfache Bestand- theile giebt: so zeigt sich, dass das Solide, da es den geometrischen Puncten, Linien, Flächen, nicht gleichen kann, nothwendig als ein Ausgedehntes , als unend- lich theilbare und undurchdringliche Materie muss gedacht werden. Und in diesem Begriffe stecken nun alle die Schwierigkeiten, welche durch das nachma- lige metaphysische Denken zu Tage kommen, und in den Streitigkeiten über Atomen und Molecülen mannigfaltig umhergewälzt werden. Endlich kommt noch die Beobachtung hinzu, dass in den allermeisten Fällen, Veränderungen erst dann er- folgen, wann die Dinge, die man als Ursachen derselben anzusehen sich berechtigt glaubt, den leidenden Gegen- ständen räumlich nahe gekommen sind. Dadurch wird der Raum zum Symbol der möglichen Gemein- schaft der Dinge im Causal-Verhältniss ; indem alle Dinge, in so fern sie in Einem und demselben Raume sind, nur scheinen ihre Entfernungen durchlaufen zu müs- sen, um aufeinander wirken zu können. Aus der einmal angenommenen Möglichkeit des Wirkens folgt alsdann, dass die Dinge, für welche diese Möglichkeit vorausge- setzt wird, in dem Raume stets irgendwo seyn müssen. Der Gedanke, dass ein Ding sich aus diesem Raume gänzlich verlöre, dass es nirgends wäre, vernichtet den Weg , auf welchem herbeykommend, es zu den andern Dingen hingelangen muss, auf die es soll wirken können. So ergiebt sich nun ein vermeintlicher Grund der Noth- wendigkeit, dass in dem System der Dinge jedes einen Ort haben müsse, und dass, nirgends seyn, soviel heisse, als gar nicht seyn. Doch ist sogleich klar, dass statt des gar nicht seyn gesetzt werden sollte: für die übrigen Dinge so gut als nicht vorhanden seyn ; welches letztere, jedoch unter vielen nähern Bestimmun- gen, auch in der Metaphysik als richtig erkannt wird. §. 144. Der Materie, sofern sie den Raum erfüllt, ist analog das Geschehen in der Zeit; und jeder, im Philosophiren nicht Ungeübte, wird sich sogleich der ähnlichen Dun- kelheiten in diesem und jenem erinnern. Dass aber beyde Begriffe, sammt ihren Schwierigkeiten, den gleichen psy- chologischen Ursprung haben, lässt sich erkennen aus den §§. 112. bis 115. Zuvörderst müssen wir hier bemerken, dass die Ne- gation im Begriffe des Aufhörens, deren Entstehung wir im §. 115. noch vermissten, sich sehr leicht vermittelst der negativen Urtheile ergiebt, nach §. 123. Veranlassung zu zu solchen negativen Urtheilen, wie wir sie hier bedür- fen, liefert die Beobachtung veränderlicher Dinge, an welchen vorzugsweise der Verlauf der Zeitreihen wahr- genommen wird. Nämlich auch nach geschehener Ver- änderung reproduciren hier die beharrenden Merkmale, vermöge ihrer Complicationen mit den entwichenen, den vorigen, ja jeden früheren Zustand des veränderten Din- ges; und dadurch geben sie die doppelte Gelegenheit zu- gleich zum Ablaufen einer Reproductionsfolge, unter den Bestimmungen, welche die Vorstellung des Zeitlichen er- fordert, und zu dem verneinenden Urtheil, durch welches die früheren Merkmale dem Dinge jetzt abgesprochen werden. Beydes liegt beysammen in der Urtheilsform: A ist nicht mehr B . Ein solches Urtheil aber entsteht so vielemal, als wie viele Zeitpuncte bemerkt werden, in denen das Ding anders geworden sey. Oder vielmehr umgekehrt, die Vorstellungen der Zeitpuncte erzeugen sich mit Hülfe der Urtheile, durch welche die Verände- rungen des Dinges eine nach der andern aufgefasst, und in ihre Ordnung gestellt werden. Die Zeit selbst aber ist das Abstractum des Zeitli- chen, so wie der Raum das Abstractum des Räumlichen. Ich habe hoffentlich nicht mehr nöthig, die Kantische Erschleichung eines unendlichen, in reiner Anschauung gegebenen, also vor aller psychologisch zu erklärenden Erzeugung vorher schon fertigen, Raumes, sammt der ihm ähnlichen Zeit, ausführlich zu widerlegen. Die Un- wahrheit der vorgeblichen Thatsache liegt gar zu klar vor Augen. Zwar der Geometer und der Metaphysiker haben diese unendlichen Grössen im Kopfe; und sie er- innern sich vielleicht nicht mehr an die Zeit, da sie die- selben durch absichtliche, und der Wissenschaft ange- hörige Constructionen erzeugten. Aber der gemeine Mann behilft sich mit so viel Raum und so viel Zeit, als hinreicht um die bekannten Erfahrungsgegenstände damit zu umhüllen und darin zu ordnen. Vollends bey Kindern muss man oft nicht ohne Mühe die engbegränz- II. Z ten räumlichen und zeitlichen Vorstellungsarten allmählig erweitern. — Was aber Kants Beweis aus der Noth- wendigkeit der Vorstellung des Raums und der Zeit anlangt, so ist dieser Beweis in der Form falsch, denn er ist nicht mehr noch weniger als ein Syllogismus mit vier Hauptbegriffen. Der Syllogismus steht so: Was Erfahrung lehrt, enthält nie das Merkmal der Nothwendigkeit. Der Raum und die Zeit sind nothwendige Vor- stellungen. Also sind Raum und Zeit nicht aus der Erfahrung gelernt. Der Untersatz dieses Syllogismus beruht auf dem mislingenden Versuche, Raum und Zeit wegzuden- ken; welches in der That nicht thunlich ist. Aber woher diese Unmöglichkeit, und die entgegenstehende Nothwen- digkeit? Raum und Zeit repräsentiren die Möglichkeit der Körper und der Begebenheiten; jene wegdenken, heisst, diese aufheben. Nun versteht sich von selbst, dass, nachdem einmal die Wirklichkeit der Körper und Begebenheiten wahrgenommen ist, es der Gipfel der Ungereimtheit seyn würde, diese Wirklichen für unmöglich zu erklären . Nachdem die Erfahrung ir- gend ein Wirkliches gezeigt hat, wird allemal der Aus- druck der blossen Möglichkeit dieses Wirklichen, ein nothwendiger Gedanke. In diesem Sinne also lehrt die Erfahrung allerdings das Nothwendige; in diesem Sinne ist der Obersatz des Syllogismus falsch; aber auch in diesem Sinne ist er weder von Leibnitz noch von Kant ursprünglich gedacht worden. Also haben wir eine Verwechselung von Begriffen vor Augen, die wir dem grossen Denker nur als eine Uebereilung anrechnen können. Der wahre Grund, weshalb Kant den Raum und die Zeit für ursprüngliche Formen der Sinnlichkeit hielt, ist der zuerst von ihm angedeutete, aber nicht gehörig entwickelte. Ich habe diesen Grund, der zwar nichts be- weis’t, der aber wesentlich zu den Anfangspuncten der philosophischen Reflexion gehört, in meinem Lehrbuche zur Einleitung in die Philosophie unter den ersten skepti- schen Fragen vorgetragen; auch in den Hauptpuncten der Metaphysik desselben in der zweyten Vorfrage er- wähnt. Der Hauptgedanke ist: Man gebe sich Rechen- schaft von dem, was man eigentlich in den sinnlichen Auffassungen als Gegebenes vorfindet. Die Summe aller gefärbten und gefühlten Stellen im Raume, ist ohne Zwei- fel gegeben; eben so die Summe aller einzelnen, für successiv gehaltenen Wahrnehmungen. Aber diese Sum- men sind auch das ganze Gegebene. Und gleichwohl enthalten dieselben keinesweges die Bestimmungen durch Distanzen im Raume und in der Zeit. Woher kommen denn nun diese Bestimmungen? — Will man sie nicht für erschlichen erklären, und sich von ihnen losmachen, (welches unmöglich ist), so muss man sie für in uns selbst liegende, und von uns unwillkührlich in das Ge- gebene hineingetragene Formen halten. Hieraus erklärt sich vollkommen die Kantische An- sicht. Aber die Unrichtigkeit ergiebt sich schon bey der Frage, woher nun die bestimmten Gestalten bestimm- ter Dinge? Woher die bestimmten Zeitdistanzen für be- stimmte Wahrnehmungen? Diese Frage ist nach der Kantischen Ansicht schlechterdings unbeantwortlich. Nachdem aber vermittelst der zur Mechanik des Gei- sles gehörigen Untersuchungen sich hat erkennen lassen, auf welche Weise die räumlichen und zeitlichen Bestim- mungen sich zugleich mit den Wahrnehmungen selbst (mit der Materie des Gegebenen) psychologisch erzeu- gen: verliert die obige Reflexion ihr Gewicht; und es wird offenbar, dass man nicht, mit Kant , von dem Raume und der Zeit zu dem Räumlichen und Zeitlichen, son- dern mit den meisten Philosophen aller Zeitalter umge- kehrt von dem Räumlichen und Zeitlichen zu dem Raume und der Zeit, als den daraus abgezogenen, und dann durch neue, absichtliche Constructionen bis ins Unend- liche erweiterten Einbildungen , die in gewissem Sinne Z 2 auch Begriffe heissen können, (§. 120.) fortschreiten müsse. Wir müssen hier einen Blick werfen auf eine Frage, welche bey den Untersuchungen über die Mechanik des Geistes Jedem einfallen musste; nämlich die Frage nach der dort oft vorkommenden Einheit der Zeit ; und nach der Vergleichung zwischen derjenigen Zeit, welche wir als durch den Wechsel unserer Vorstellungen wirk- lich verbraucht denken müssen, und der vorge- stellten Zeit, von der wir jetzo reden. Ich habe schon früher bemerkt, dass ich jene Einheit der Zeit (deren genaue Bestimmung sehr schwer seyn dürfte) ungefähr mit unsern Minuten und Secunden glaube vergleichen zu können. Wäre die Einheit viel kleiner als eine Se- cunde: so müssten ihre Brüche durch den, während der- selben sich ereignenden, Wechsel unserer Vorstellungen, es uns möglich machen, kleinere Theilchen einer Se- cunde zu unterscheiden, als wir dieses zu thun im Stande sind. Die Zeit, in welcher unser Erdball einen Fuss durchläuft, kann nur darum für uns unmerklich seyn, weil während derselben unsre Vorstellungen so gut als still stehn; das heisst, weil die Hemmungssummen in ihr um einen so geringen Theil sinken, der neben ihrer eignen Grösse verschwindet. — Aber auch viel grösser als eine Minute wird die erwähnte Einheit schwerlich zu schätzen seyn; weil das Gesetz der abnehmenden Em- pfänglichkeit während der Dauer einer Wahrnehmung (§. 94.) sich gar zu bald fühlbar macht. Die rohe Schätzung des Zeitmaasses, worauf wir nach diesen Be- merkungen die Rechnungen der Mechanik des Geistes zu beziehen haben, lässt das Bedürfniss der Verbesserung eben nicht sehr empfinden, indem wir durch die Rech- nung eigentlich nichts ausmessen wollen, sondern nur die Kenntniss der allgemeinen Gesetze des Laufs der geistigen Veränderungen zu erlangen wünschen. — Begreiflicher Weise gilt die hier versuchte Schätzung der Zeit-Einheit lediglich für den Menschen; indem sie sich auf menschliche Erfahrung und innere Wahrneh- mung stützt. Es ist sehr wohl denkbar, dass für andre Wesen ein anderes Zeitmaass statt findet, während gleich- wohl die Untersuchungen der Mechanik des Geistes, und die allgemeine Erklärung des Vorstellens der Succession, sich auf sie nicht minder als auf den Menschen be- ziehn. — Wir spüren es im gemeinen Leben nur gar zu sehr, wie unzuverlässig das unmittelbare Gefühl des Zeitver- laufs sey; und es liegt uns nicht wenig daran, unsre Ge- schäffte nach einem vesten Zeitmaasse ordnen zu können. Wie helfen wir uns? Durch Beobachtung solcher Bewe- gungen, von denen wir annehmen, dass sie mit gleich- förmiger Geschwindigkeit geschehn. Die Umstände, un- ter denen diese Annahme irrig oder wahr seyn möge, können hier bey Seite gesetzt bleiben; ist sie aber auch wahr, so beruhet alles auf der Voraussetzung, dass mit gleichen Geschwindigkeiten in gleichen Zeiten gleiche Räume durchlaufen werden. In der That ein ganz evi- denter Grundsatz; denn er ist rein analytisch. Der Be- griff der Geschwindigkeit, der unmittelbar aus der Wahr- nehmung nicht entstehen kann, weil die Geschwindigkeit etwas intensives, und doch ausser uns ist, — bildet sich durch dasjenige Denken, was die Gleichung aus- sagt. Es ist der allgemeine Begriff der Bewegung in jedem Puncte ; entstanden durch Abstraction von der Bewegung durch einen kleinen, unbestimmten Raum, bey deren Beobachtung wir die Vorstellung des Räumlichen und Zeitlichen zugleich produciren. Der Begriff der Ge- schwindigkeit ist also darauf eingerichtet, mit Raum und Zeit nach dem obigen Grundsatze verknüpft zu werden; welchem gemäss wir nicht bloss unsre unmittelbare Schät- zung der verflossenen Zeit unbedenklich eines Irrthums beschuldigen, sobald uns dieselbe länger oder kürzer dünkt als unsre Zeitmesser angeben: sondern über wel- chen wir auch alle die Schwierigkeiten zu übersehen pfle- gen, welche in dem Begriffe der Bewegung liegen, und die schon Zeno von Elea versuchte, auszusprechen. — Beym Durchlaufen eines Raumes verwandelt sich der Raum in den Weg ; das heisst, alles Nebeneinan- der dieses Raumes muss sich in einem Nacheinander vollständig wiederfinden. Denn das Bewegte soll nirgends verweilen, auch nichts überspringen; es soll die verschie- denen Stellen seiner Bahn in eben so vielen verschiede- nen Zeittheilchen treffen; und für jedes neue Zeittheilen muss es sich in einem eben so neuen Orte befinden. Wie ungleichartig nun auch Zeit und Raum seyn mö- gen, ihre blosse Quantität, abstract gedacht, muss bey der Bewegung die gleiche seyn; das Quantum der Suc- cession findet gewiss seinen richtigen Ausdruck in dem Quantum des durchlaufenen Raumes. Ein Satz, der bey der ungleichförmigen Bewegung eben so offenbar ist, als bey der gleichförmigen; denn auch hier sind die sämmt- lichen Stellen des Weges gewiss successiv durchlaufen worden, — daher wenigstens soviel Succession als Aussereinander; — und das Bewegte konnte sich nir- gends ausruhen, sonst wäre es ganz liegen geblieben, — daher nicht mehr Succession, als Verschiedenheit in dem Aussereinander. Was ist denn die Zeit? Ist sie nicht das Quantum der Succession, oder doch dessen Maass? — Wenn sie dieses ist: so ist die ungleichför- mige Bewegung ungereimt, ja alle Verschiedenheit der Geschwindigkeit ist unmöglich. Denn bey grösserer Ge- schwindigkeit zeigt die Zeit weniger Succession an, als der Raum; bey kleinerer umgekehrt; vorausgesetzt, dass wir einmal bey einer gewissen Geschwindigkeit (welche zu bestimmen aber Niemand sich die vergebliche Mühe machen wird,) Raum und Zeit als einander entsprechend angesehen haben. Auf diese Ungereimtheit in den Begriffen , durch welche wir die Wahrnehmungen zu berichtigen glau- ben, giebt nun im gemeinen Leben Niemand Acht. Auch die Geometer bekümmern sich nicht darum; und das ge- reicht ihnen, in wiefern sie eben nur Geometer seyn wollen, nicht zum Vorwurf. Dass aber selbst die Meta- physiker dabey sorglos bleiben, oder sich mit leeren Aus- flüchten behelfen, das verzeiht ihnen ihre Wissenschaft nicht; sondern sie büssen ihre Nachlässigkeit durch ein Heer von Irrthümern, ja von falsch gestellten Fragen und im Keime verdorbenen Untersuchungen. Als Beyspiel darf ich nur die Versuche nennen, die Succession der Weltbegebenheiten zu erklären. — Am Schlusse dieses Paragraphen muss ich noch ei- nem Anstosse vorbeugen, welcher dem aufmerksamen Le- sar dieses Buchs bey der Vergleichung mit den öfter an- geführten Schriften, die mit der gegenwärtigen gewisser- maassen Ein Ganzes ausmachen, wohl begegnen könnte. Nämlich in den Hauptpuncten der Metaphysik, und in der Abhandlung über die Elementar-Attraction habe ich nachgewiesen, dass der Begriff der Bewegung, oder eigentlich der in ihm liegende der Geschwindigkeit, von Widersprüchen gar nicht zu befreyen ist; dass dieses aber unschädlich ist, weil die Bewegung kein reales Prä- dicat der Wesen darbietet. Nun könnte Jemand auf den Gedanken kommen, eine solche Erläuterung passe zwar auf die räumliche Bewegung, aber nicht auf die Bewe- gung der Vorstellungen, wodurch reale Zustände der Seele ausgedrückt werden, auf welche man keine wider- sprechenden Begriffe übertragen dürfe. Hierauf ist zu erwiedern, dass der Schein des Widerspruchs nur daher rührt, weil wir das Steigen und Sinken der Vorstellun- gen nicht anders als mit Hülfe räumlicher Symbole be- zeichnen können. Allein während wir dem Raume das Aneinander, als sein Element und zugleich als sein Maass, zum Grunde legen müssen, gegen welches weiterhin so- wohl die Irrationalgrössen als die Bestimmungen der Ge- schwindigkeit, unvermeidliche Widersprüche bilden, — so giebt es dagegen für die sogenannten Bewegungen der Vorstellungen gar keine solche elementarische Grösse, die bey ihnen zum allgemeinen Vergleichungspuncte die- nen müsste. Sondern gerade wie die Geometer es mit ihren Linien machen, so kann man auch hier beliebig eine oder die andre Grösse zum Maasse nehmen, gegen welche dann die andern irrational seyn mögen. Warum steht dieses frey? Darum, weil die Vorstellungen an sich gar nicht Quanta sind, sondern diese ganze Betrachtungs- art ihnen nur in demjenigen psychologischen Nachdenken zukommt, welches Eine Vorstellung mit der andern ver- gleicht, oder auch den Grad der Verdunkelung mit dem des wirklichen Vorstellens zusammenhält. Ungefähr so, wie in der allgemeinen Metaphysik die Wesen bloss für das zusammenfassende Denken sich im intelligibeln Raume befinden. Oder ganz allgemein so, wie alle Grössenbe- griffe lediglich als Hülfsmittel des Denkens anzusehen sind, die sich gänzlich nach der Natur der Gegenstände, bey denen sie gebraucht werden, fügen und schmiegen müssen; ohne jemals reale Prädicate derselben abzuge- ben. Ein Punct, den man vor allen Dingen völlig muss begriffen haben, ehe man von den Untersuchungen über die Materie, vollends über lebende Leiber, irgend etwas gründlich durchdenken kann. §. 145. Wir haben in den vorhergehenden Paragraphen Rechenschaft gegeben über den psychologischen Ursprung der Begriffe von Substanz, Kraft, Materie, Bewegung. Und in dem vorigen Capitel wurde die Entstehung des Begriffs vom Ich untersucht. Aber diese Nachforschun- gen über die Genesis derjenigen Vorstellungsarten, an welchen die allgemeine Metaphysik sich übt, haben sie etwan die Schwierigkeiten vermindert, die Widersprüche weggeschafft, welche der letztgenannten Wissenschaft so grosse Aufgaben bereiten? Gewiss nicht! Im Gegentheil, es ist deutlich zu erkennen, dass, und warum die metaphysischen Probleme sich gegen jedes, bloss logische Deutlichkeit suchende Denken, hartnäckig und unüberwindlich zeigen müssen . Der psychologische Mechanismus bringt es mit sich, dass Complexionen von Merkmalen für wahre und reale Ein- heiten gelten; dass die Veränderung einer Ursache zuge- schrieben wird, ohne irgend eine Auskunft über die Mög- lichkeit des Wirkens; dass der Raum das Reale in sich nehmen muss, ohne Frage, ob diese Begriffe zusammen- passen oder nicht; dass die Zeit, in Ermanglung einer ursprünglich bestimmten Auffassung, nach Bewegungen gemessen wird, welche den Begriff der Zeit mit einer versteckt liegenden Ungereimtheit belasten. Alle diese Verkehrtheiten sind also zwar keine qualitas occulta , keine angeborne Erbsünde der Vernunft, aber wohl eine erklärbare Erbsünde aller Erfahrung. Sie sind ein noth- wendiger Durchgang für das Denken, welches, um zur Wissenschaft zu gelangen, vergeblich ei- nen leichtern und geraderen Weg suchen würde . Widersprechende Begriffe geben den Stoff zur Metaphy- sik; und ohne Metaphysik kann die Erfahrung nicht von Widersprüchen befreyt werden. Dieses zwar muss Jedem ohne Psychologie, durch die blosse Analyse der erwähnten Begriffe, klar seyn, ehe er auf Metaphysik sich einlässt. Solche Klarheit ist der wichtigste Gewinn, der durch die Einleitung in die Phi- losophie soll erreicht werden. Aber es schien nöthig, auch an dem gegenwärtigen Orte diesen Punct hervorzuheben, damit offenbar werde, wie gross der Misgriff ist, mit welchem die sämmtlichen Versuche der Vernunftkritik anheben. Sie wollen vor unsern Augen jede falsche Metaphysik aus ihrem Keime entstehen lassen. Dadurch sollen wir vor ähnlichen Irr- thümern gewarnt werden. Sie wollen die Grundbegriffe des Denkens in ihrem Ursprunge zeigen. Dadurch soll sich die wahre Bedeutung dieser Begriffe von jedem fal- schen Zusatze abscheiden. Glänzende Versprechungen ohne allen Gehalt! Wir sehen jetzt den Ursprung der falschen Metaphysik. Er besteht darin, dass man die Grundbegriffe der Erfahrung gerade so lässt, und für gut annimmt, wie sie der psychologische Mechanismus zuerst zu Tage fördert. Er besteht in der Unterlassungs- sünde, dass man zur wahren Metaphysik nicht fortschreitet ; dass man sich nicht aufmacht, das Werk nicht angreift, selbst nachdem Jahrhunderte und Jahr- tausende gelehrt haben, es könne so nicht bleiben, wie es ursprünglich in jedem menschlichen Kopfe sich fügt und giebt. Die erste, und unvermeidliche Bedeutung je- ner Grundbegriffe ist eben nicht die wahre, nicht ein- mal die denkbare, sondern sie unterliegt der Kritik des fortgesetzten Nachdenkens; die wahre Bedeutung aber kommt erst durch die Wissenschaft, welche der Kritik nachfolgt. Nicht die Vernunft, sondern die rohen Er- zeugnisse des psychologischen Mechanismus sind der rechte Gegenstand für die Kritik; und dadurch soll die Vernunft, als die höchste Thätigkeit, ganz und gar nicht in Unternehmungen beschränkt, sondern zu neuen Unter- nehmungen aufgemuntert, ja aufgefordert werden. Wehe uns, wenn Kants Kritik die beabsichtigte einschränkende Wirkung in der That gehabt hätte. Wohl uns, wenn die wirklich beschränkenden Einflüsse dieser Zeit über- wunden werden durch die Aufregung, welche von Jenem, wider seinen Willen, oder mindestens wider seine Worte, sich herschreibt. Viertes Capitel . Von der höhern Ausbildung. §. 146. Aeusserst auffallend ist der Contrast zwischen den zögernden Fortschritten des metaphysischen Denkens, und der Eile, womit andre Arten des Wissens und der Künste, ja womit die sämmtlichen Vorzüge der eigentli- chen Menschheit, (jenen Zweig der Speculation allein abgerechnet,) sich entwickelt haben; — wenigstens in der Periode des menschlichen Daseyns, von welcher die Geschichte Nachricht giebt. Denn freylich, wie langsam vielleicht in den vorhistorischen Zeiten die ersten Erhebungen unseres Geschlechts gelungen seyen: darüber fehlt es beynahe eben so sehr an Vermuthungen als an Zeugnissen, falls man sich nicht grundlosen Einfällen überlassen will. Diejenige höhere Bildung, welche jetzo als ein Factum dem Psychologen vor Augen steht, wird nur ihrer Möglichkeit nach können begriffen werden; hin- gegen den Lauf ihres Entstehens vom ersten Anfang an zu überschauen, wie wäre das anzustellen? Welches Fernrohr soll uns die Geheimnisse der Vorzeit nahe brin- gen, wenn die Geschichte schweigt? In den historischen Zeiten sehen wir die Erweite- rung der menschlichen Kenntnisse gar sehr vom Zufall abhangen, und die absichtliche Forschung, so wie die Erhebung der Gemüther, scheint ein Werk weniger klei- ner Völkerschaften, ja einzelner Menschen. Den aller- meisten Individuen scheint es von jeher gegangen zu seyn wie jetzt; ihnen ist ihre Cultur überliefert; wie man sie gewöhnte, so sind sie geworden; was man ihnen vor- dachte, das haben sie im besten Falle verstanden; was aufgeregte Gemüther vorempfanden, das hat sich mitge- theilt und verbreitet; was die Herrscher frey liessen, da- mit haben sich die Uebrigen beholfen. Rückwärts ha- ben die hervorragenden Menschen nur soviel ausgeführt, als durch die Menge konnte ausgeführt werden; nur so- viel verewigt, als die Menge bevestigte und bewahrte; was die Menge entweder nicht verstand, oder nicht ehrte, nicht wollte, davon ist das Meiste untergegangen; es befindet sich nicht unter den Stützen derjenigen Bil- dung, die heute vor uns liegt, und psychologisch erklärt seyn will. Diese Zusammenwirkung Weniger mit Vielen, und daneben dennoch das Fortschreiten der höchsten Bildung bloss durch die Besten und Edelsten, ohne das Volk zu berühren: dies beydes sind selbst psychologische Phäno- mene; und die Analyse derselben würde uns vorzugsweise beschäfftigen müssen, wenn wir von der höhern Ausbil- dung, — die auf keine Weise bloss in Beziehung auf den Gebildeten, sondern nur als ein Werk des Men- schengeschlechts an und in dem Gebildeten, zu betrach- ten ist, — hier mit einiger Ausführlichkeit handeln könn- ten. Beschäfftigt mit der Grundlegung zur Psycholo- gie, können wir nur einige flüchtige Züge wagen zur An- deutung des Gebäudes, das, wenn das Glück gut ist, sich einstens über dem Grunde erheben mag. Und selbst diese Züge sollen nicht geschlossene Umrisse seyn, son- dern nur Verlängerungen derjenigen Linien, die wir im Vorigen schon gezogen finden. §. 147. Im vorigen Capitel waren wir zuerst beschäfftigt mit dem Ursprunge des Begriffs der Substanz. Wir fanden ihn in den Urtheilen, durch welche einer Complexion von Merkmalen, die zuvor unüberlegter Weise für eine reale Einheit galt, diese Merkmale einzeln beygelegt wur- den, so dass allmählig die Complexion sich völlig auf- lös’te, und sich in eine Masse von Prädicaten verwan- delte, zu denen nur ein unbekanntes Subject konnte hin- zugedacht werden. Dies Resultat einer absichtlosen Operation des Denkens war nun wiederum zu betrach- ten als roher Stoff für die absichtlichen und methodischen Forschungen der Metaphysik. Ganz die nämliche Operation geht aber noch bey andern Gelegenheiten vor, wo sie früher einen guten Aus- gang findet, und schon für sich allein etwas Brauchba- res hervorbringt. Die Zersetzung der Complexionen durch die Urtheile begegnet nicht bloss bey unsern Vorstellungen einzelner wirklicher Dinge: sondern auch bey den sämmtlichen Begriffen ; und dadurch, in Verbindung mit dem, was im Anfange des §. 139. bemerkt worden, werden diese letztern allmählig aus der Rohheit herausgehoben, in welcher wir dieselben im §. 121. und 122. noch fanden. In ihrer äussern Erscheinung ist diese Fortschreitung des menschlichen Geistes zu erkennen als Ausbildung der Sprache . Denn die Bedeutung der Wörter genauer bestimmen, oder zunächst nur genauer unterscheiden, und die Wörter mit Sorgfalt wählen: Dies heisst nichts an- ders, als den Inhalt der Begriffe strenger begränzen. Während der ersten Rohheit müssen sich die Wör- ter bequemen, alles zu bezeichnen, was durch irgend eine entfernte Aehnlichkeit diejenigen Vorstellungen, mit de- nen sie zuerst verknüpft wurden, ins Bewusstseyn hervor- ruft. Wer aber von zweyen Wörtern, die ihm zur Be- nennung eines vorliegenden Gegenstandes sich zugleich darbieten, das eine wählt und das andre verwirft: was geht in dessen Seele vor? Er urtheilt, das unpassende Wort führe ein Merkmal mit sich, das dem Gegenstande nicht zukomme. Dadurch wird dem Worte, welches verworfen ist, ein Merkmal beygelegt; und zugleich wird eben dies Merkmal dem vorgezogenen Worte abge- sprochen. Dergleichen Urtheile mögen in den meisten Fällen sehr dunkel gedacht werden, dennoch erhalten dadurch die Begriffe ihre Gränzen, und den künftigen logischen Erörterungen, die das nämliche klar ausspre- chen, wird vorgearbeitet. Die Wörter sind hier diejenigen Einheiten, welchen die Merkmale beygelegt werden. Es mag also die Zer- setzung der Complexionen noch so vollständig von Stat- ten gehn: nicht leicht wird hier die Verlegenheit gefühlt, welche sich da zeigt, wo die Complexionen reale Ein- heiten, Substanzen, vorstellen sollen. Denn die Wörter bilden in allen jenen Urtheilen die Subjecte; und wenn ja bemerkt wird, dass doch, genau genommen, die Wör- ter nur Laute seyen, denen jene Merkmale nicht kön- nen zugeschrieben werden, so bietet sich fürs Erste die, meist für genügend geltende, Berichtigung dar, die Wör- ter seyen Zeichen unsrer Vorstellungen, unserer Be- griffe, und diesen gebe jedes der gefälleten Urtheile eine nähere Bestimmung. Auf dem Wege dieser Ausbildung entsteht allmäh- lig die Scheidung und Entgegensetzung zwischen den Begriffen, und den Anschauungen sammt den Einbildun- gen. Zu den letztern werden die Wörter gesucht ; eben dadurch charakterisiren sich jene als der Sinn, den die Wörter mit sich bringen . — Leicht kann es beym Fortschritt in dieser Richtung dahin kommen, dass nach Platonischer Ansicht die Begriffe als die Muster der Dinge betrachtet werden. Denn die psychologische Ent- stehung der Begriffe aus den Wahrnehmungen wird ver- gessen oder bezweifelt; letzteres auch darum, weil manche Begriffe durch die Urtheile so geläutert, und von zufäl- ligen Beymischungen gesondert werden, dass ihnen in dieser Gestalt kein sinnliches Ding, wenn sie schon dar- auf übertragen werden, völlig Genüge thut. Man denke hiebey an die geometrischen Grundbegriffe. Aber wegen ihres psychologischen Ursprungs, (nach §. 121.) verbinden sich die Begriffe leicht mit Beyspie- len, die uns einfallen, und mit Anschauungen, die sich darbieten. Wären wirklich die Begriffe eine so ganz be- sondere Art von Vorstellungen, wie sie nach manchen Systemen der Philosophen seyn sollen, so hätten sie zwar einen Inhalt, aber keinen Umfang; oder wenigstens ge- hörten in diesen Umfang nur andre Begriffe, aber nicht Anschauungen, nicht Einbildungen. Von wie vielen, wie unbeantwortlichen Fragen über die Möglichkeit der Ver- knüpfung der letztern mit den erstern im gewöhnlichsten Laufe des Denkens, hätten diejenigen sich sollen gedrückt fühlen, die ihren Rationalismus nicht glaubten rein hal- ten zu können, wenn sie nicht den Begriffen, oder doch gewissen Classen derselben, eine Art von adelicher Ab- kunft beylegten, und den gemeinen bürgerlichen Ursprung derselben aus Vorstellungen der Sinne gänzlich leug- neten! Hier endlich ist es nun auch möglich, im Gegen- satze der Begriffe einen Ausdruck zu bestimmen, der we- gen gewisser ihm anklebender Nebenvorstellungen nicht wenig Verwirrung in den neuern Systemen angerichtet hat. Ich meine den Ausdruck Anschauung . Dabey denkt man zunächst an die Wahrnehmung, die gewiss bey keiner Anschauung fehlen kann. Aber zugleich soll die Anschauung uns etwas Objectives gegenüber stellen. Die blosse Wahrnehmung, selbst wenn dabey der soge- nannte innere Sinn thätig ist, (vergl. §. 125—128.) be- zeichnet noch kein Object als ein solches. Dazu muss erst das Selbstbewusstseyn kommen, es muss das auffas- sende Subject dem Objecte entgegengesetzt werden. Schon dies ist nicht ganz einfach. Das Subject ist ur- sprünglich nicht das Entgegengesetzte, sondern das Vor- ausgesetzte der Objecte; (§. 131.). Aber vermöge jener veränderlichen Complexion, die das objective Ich ausmacht, (§. 135.), tritt das in ihr enthaltene Subject selbst in die Reihe der Objecte; wird ein Punct, und zwar der erste Punct, in dem Systeme derselben; daher sieht der Mensch das Object ausser sich , und setzt es sich entgegen, wenn zugleich das Angeschaute selbst ei- nen zweyten , vesten Punct im Systeme der Objecte darbietet. Dies letztere wird theils durch Bestimmungen im Raume, theils durch Veststellung in mancherley Ge- bieten der Qualität (§. 139.), also überhaupt durch Un- terscheidung dieses bestimmten Gegenstandes von an- dern wirklichen und möglichen Gegenständen, erreicht. Kurz: Anschauen heisst, ein Object, gegenüber dem Subjecte als ein solches und kein anderes auffassen . Dass in der Anschauung, als Grundbestandtheil der- selben, Empfindung liege: versteht sich zwar von selbst. Allein je stärker diese Empfindung, desto mehr wird sie hemmend einwirken sowohl auf die Vorstellung des Sub- jects, als auf die der andern, davon zu unterscheidenden Objecte. Das heisst, die Anschauung wird verlieren an dem, was an ihr charakteristisch ist. Also umgekehrt: die Anschauung ist um desto vollkommener, je weniger Gewicht in ihr die Empfindung hat . Um dies völlig zu verstehen, erinnere man sich zu- gleich der abnehmenden Empfänglichkeit (§. 94.); und der Apperception (§. 125. u. f.). Bey unserer höchst geringen Empfänglichkeit im männlichen Alter, erzeugen sich nur äusserst kleine Quanta der Empfindung, aber diese wirken als Reize auf die längst vorhandenen gleich- artigen Vorstellungen, sammt Allem, womit die letzteren in Verbindung stehen. Daraus nun erklärt sich derjenige Zustand des rei- fen Anschauens, wie wir es vollziehen, indem wir mit Besonnenheit etwas besehen und betrachten. Wir könn- ten mit völlig gleicher Leichtigkeit ganz andere Gegen- stände auffassen; ja wir thun es wirklich, wenn eine Reihe von Merkwürdigkeiten uns vorgezeigt wird. Ist diese Reihe nicht gar zu lang und zu bunt: so belästigt sie uns nicht im mindesten; von der hemmenden Gewalt, welche den ersten Grund des psychologischen Mechanis- mus ausmacht, ist dabey wenig zu spüren; am wenigsten in Beziehung auf Uns; denn wir kommen dabey (beson- dere Fälle abgerechnet) gar nicht aus der Fassung, füh- len uns selbst nicht im mindesten verändert. Wohl aber behandeln wir den Gegenstand, indem wir ihn untersu- chen; wenigstens geht unsre Anschauung sogleich in ein mannigfaltiges Urtheilen über. Denn er zeigt uns seine Umrisse wie auf einem Hintergrunde zahlloser Möglich- keiten, die wir selbst aus unserm, schon gesammelten, schon zu Begriffen verarbeiteten, Vorrathe hinzubringen. Die sinnliche Empfindung, unbedeutend als Masse, dient uns nur als ein formendes Princip für den Stoff, den wir besitzen; denn sie hebt aus diesem Stoffe einiges heraus, und schneidet weit mehr anderes hinweg; daher wir über den Gegenstand mehr negative Urtheile, als po- sitive, fällen würden, wenn alles, was sich in uns regt, Sprache finden könnte; und wenn nicht die meisten un- serer hervortretenden Gedanken gleich im Entstehen wie- der erdrückt würden. Geschieht es ganz so, wie eben beschrieben worden: dann fühlen wir uns frey im Anschauen. Denn der Lauf Lauf unserer Vorstellungen verlässt den Gegenstand und kehrt zu ihm zurück, ohne irgend an ihn gebunden zu seyn. Allein bey dieser Freyheit ist schon stark auf die willkührlichen Bewegungen unseres Leibes gerechnet, wä- ren es auch nur Beugungen des Kopfs, oder ein Schlie- ssen der Augenglieder. Sonst kann es auch begegnen, dass der Gegenstand uns stört , wenn wir seiner Auffas- sung nicht ausweichen können; oder auch, wir sind in Hinsicht seiner gebunden, wenn wir uns von ihm ange- zogen fühlen; ja selbst wenn es nicht mehr gelingt, die Thätigkeit des Anschauens fortzusetzen, weil wir dazu nicht mehr aufgelegt sind. Das Letztere macht sich besonders lästig beym ab- sichtlichen Memoriren ; einer Thätigkeit, die sich aus vielen Anschauungen zusammensetzt, und aus ihnen, mit Hülfe der Wiederhohlung, eine Reihe bildet. Hier muss vor allem jedes einzelne Glied der Reihe nicht bloss auf- gefasst, sondern appercipirt werden. Also sollte eigent- lich der Gang unserer eigenen Vorstellungen von selbst mit der Folge der Gegenstände correspondiren, damit in jedem Augenblick unser eigner Geist gerade den Stoff darböte, welchen das Gegebene formen könnte. Dies ist nun genau genommen nicht möglich, immer geschieht dem natürlichen Flusse unserer Vorstellungen einige Ge- walt, indem sie dem Reize nachgeben müssen, welchen das Gegebene ausübt. Keine, selbst veraltete, Spur des Eigensinns, darf in dem Kopfe des Menschen seyn, der leicht memoriren soll. Es versteht sich, dass alle phy- siologischen Gründe, welche irgendwie der Biegsamkeit unserer Vorstellungsreihen nachtheilig sind, auch dem Gedächtnisse Eintrag thun; und überdies setzt allemal das Memoriren schon eine Menge gleichartiger, mannig- faltig combinirter Vorstellungen voraus. Dass andre Schwie- rigkeiten bey der Reproduction des Memorirten eintreten können, die von denen des Memorirens zu unterscheiden sind, kann hier nur im Vorbeygehn bemerkt werden. II. A a Wir müssen zurückkehren zu unserer Hauptsache: der logischen Cultur unserer Begriffe. Diese wird bekanntlich erst vollendet durch Defini- tionen und Divisionen . Und man kann leicht be- merken, dass in dem Bemühen, eine Definition zu fin- den, der Begriff gleichsam angeschaut, betrachtet, meh- reren Versuchen unterworfen wird; dass er wie ein Object, welches wir zu fixiren suchen, vor uns schwebt. Also wird das, was eben zuvor von der fixirenden Anschauung gesagt wurde, hier zur Grundlage unserer Ueberlegung dienen könne. Die Aehnlichkeit in beyden Fällen ist um so grösser, da, wie vorhin gezeigt, die Empfindung beym Anschauen nicht als Vermehrung der Masse unse- rer Vorstellung, sondern nur als Reiz, und als formen- des Princip für unseren schon gesammelten Vorrath in Betracht kommt. Statt der Empfindung muss nun in dem Falle, wo eine Definition gesucht wird, der Gesammt- Eindruck, oder der noch rohe Begriff dienen, welchen wir definiren wollen; dieser muss mit hinreichender Ener- gie im Bewusstseyn hervortreten, oder durch wiederhohlte Fragen, was er sey ? hervorgehoben werden. Ferner ist hier nicht bloss nach einerley Richtung hin die Apper- ception nöthig, sondern nach zweyen entgegengesetzten Richtungen. Nämlich auf der einen Seite müssen die untergeordneten Vorstellungen, auf der andern die hö- hern Begriffe hervortreten. Wie wenn die Definition des Vogels gesucht würde: so müssten erstlich Vögel mancherley Art, zweytens die Begriffe vom Thier über- haupt, von der Bewegung im Raume, und hier insbe- sondere vom Umherfahren in der Luft, ins Bewusstseyn treten. Denn die Definition, mag sie, der Kürze wegen, per genus proximum et differentiam specificam geleistet werden, — muss erstlich den Begriff aus mehrern höhe- ren suchen zusammenzusetzen. (Auch die Differenz ist in der Regel ein höherer Begriff, da sie noch mehrern Begriffen zukommen kann, und folglich der, welchen wir mit ihrer Hülfe definiren wollen, sich zu ihr wie die Art zur Gattung verhält; obgleich hievon Ausnahmen vorkom- men, wie das Wiehern des Pferdes, und andre, ganz eigenthümliche Merkmale.) Ob aber die Zusammen- setzung gelungen sey, wird geprüft an dem Umfange des Begriffs, und den darin enthaltenen Beyspielen; die es verrathen, wenn die Definition zu eng ist; desgleichen an den Beyspielen, welche zum genus und der Differenz gehören, aus denen man erkennt, ob die Definition zu weit ist. Denn ich rede hier nur von solchen Erklärun- gen, die zum sogenannten analytischen Denken gehören; nicht von der Definition durch streng wissenschaftliche Erzeugung eines Begriffs, welches über die Sphäre mei- ner jetzigen psychologischen Untersuchung hinaus liegt. Der Punct, auf welchen man hier merken muss, ist das Entstehen einer neuen Dimension für den Lauf unserer Vorstellungen. Die ursprüngliche Richtung der- selben ist die zeitliche, woraus die räumliche sich bildet, nach §. 112. und 113. Ferner haben wir im §. 139. das Analogon derselben, die Fortschreitung in den qualitati- ven Continuen, näher betrachtet; auch war von beydem schon im §. 100. die Rede. Von derjenigen hingegen, die wir hier finden, kann man sagen, dass sie die vori- gen senkrecht durchschneide; sie ist nämlich die der lo- gischen Unterordnung; jene aber gehören zur Nebenord- nung. Der Begriff, welchen wir definiren, liegt zwischen seinen höhern und niedern. Durch doppelte Apperception und durch die, damit verbundene, Verschmelzung, hat er sich beyden angeschlossen; und das Denken geht durch ihn herdurch nach zweyen entgegengesetzten Richtungen; nur nicht auf einerley Weise. Denn er ist ein Mittel- begriff im Sinne des logischen Syllogismus; man kann schliessen: Der Adler ist ein Vogel, Der Vogel ist ein Thier, also der Adler ein Thier, aber nicht mit umgekehrter Fortschreitung, das Thier sey ein Vogel, der Vogel ein Adler, also das Thier ein A a 2 Adler. Soll diese falsche Fortschreitung verbessert wer- den, so führt sie auf Divisionen. Angenommen fürs Erste, wir gehen vom Vogel zum Adler: so hat der Adler seinen Platz in einem jener qualitativen Continuen des §. 139.; ist die Verschmelzung der dazu gehörigen Vor- stellungen gehörig zu Stande gekommen, so durchläuft das Vorstellen, gleichsam seitwärts, vom Adler abschwei- fend, die Menge der übrigen Vögel; während der schon bereit liegende, appercipirende Begriff des Vogels sie alle mit sich vereinigt. Dasselbe ereignet sich in dem Verhältnisse des Thiers zum Vogel, und diese logische Bewegung unseres Denkens würde nicht eher endigen, als in vollständiger Ueberschauung des ganzen Systems unserer Begriffe, wenn alle dazu nöthigen Verschmelzun- gen vollführt, und die Hemmungen nicht zu stark wä- ren. — Uebrigens wird wohl Niemand fragen, warum nicht, wenn vom Adler die Vorstellungsreihe zum Vogel fortgeht, sie auch dann seitwärts zu den übrigen Thieren übergehe? Denn es ist klar, dass, wenn sie es thut, dann die Vorstellung des Adlers gehemmt wird, und die Reihe als solche abgebrochen ist. Wie im Anschauen, so fühlen wir uns auch frey im Denken, so fern es gelingt; doch weniger als im An- schauen, weil es seltener gelingt. Gar zu oft schlägt jene doppelte Apperception dergestalt fehl, dass die De- finitionen zu weit oder zu eng werden; selten liegen die qualitativen Continuen für eine vollständige Coordination bereit; dadurch entdecken sich Mängel und Lücken in unserem Vorstellen, derentwegen wir nicht umhin kön- nen, einen Tadel in unsre Selbsterkenntniss aufzunehmen. Dieser Tadel wirkt mehr oder weniger Anstrengung; er weckt einen Anspruch an uns selbst, auf welchen, wenn ihm Genüge geleistet wird, sich ein neuer Begriff von geistiger Freyheit bezieht, der von dem vorigen, der Willkühr im fixiren den Denken oder Anschauen, sehr verschieden ist, weil er schon Selbstbeherrschung in sich schliesst. Hier bemerken wir noch eine dritte Art von Frey- heit; die Freyheit der Reflexion . Bey der Definition geschieht eine Unterordnung des Begriffs unter seine Merkmale. Durchläuft man successiv die Reihe dieser Merkmale: so hebt sich eine Seite des Begriffs nach der andern hervor, und das Gleichgewicht ist gestört, worin vorher die sämmtlichen Bestandtheile des Begriffs mit einander schwebten. Dasselbe geschieht schon in der Vergleichung eines Gegenstandes mit andern und wieder andern nach verschiedenen Aehnlichkeiten; wie wenn das Glas erst mit den durchsichtigen, dann mit den zerbrech- lichen, endlich mit den schwer auflöslichen Körpern zu- sammengestellt wird. Der Gegenstand übt hiebey keine merkliche Gewalt über uns aus; die Art, wie wir die Vorstellung desselben aus dem Gleichgewichte bringen, folgt gänzlich dem Laufe unserer Gedanken. Nur muss man nicht in eben diesem Gedankenlaufe die Freyheit suchen wollen, die lediglich eine Beweglichkeit in der Vorstellung des Gegenstandes ist. Man kann fragen, ob diese Beweglichkeit auch bey vollkommenen Complexionen möglich sey? Denn bey unvollkommnen Complexionen, und bey Verschmelzun- gen hat sie keine Schwierigkeit, indem dieselben nachgie- big genug sind, um bey verminderter Hemmung einen ihrer Bestandtheile, der hiedurch begünstigt wird, mehr hervortreten zu lassen, als die übrigen, für welche die vorhandene Hemmung sich gleich bleibt. Aber bey voll- kommenen Complexionen gilt bekanntlich das Gesetz, dass alle ihre Bestandtheile untrennbar in gleicher Proportion steigen und sinken müssen. — Nun kennen wir keine vollkommnere Complexionen, als die zwischen den Wor- ten und den dadurch bezeichneten Gegenständen. Gleich- wohl, indem wir etwa das alte Schul-Beyspiel der Logiker, Die Maus frisst Käse, Maus ist ein einsylbiges Wort, Also frisst ein einsylbiges Wort Käse, durch die Bemerkung zurückweisen, dass hier vom Worte und dort vom Thiere die Rede sey: trennen wir in der Reflexion das Wort von der Sache. Wirklich scheint aber in solchen Fällen die Apperception des Worts ein neues Quantum des Vorstellens, aus dem Vorrathe der Vorstellungen blosser, schon vereinzelter, Sprachlaute, herzugeben; so, wie es den Kindern beym Buchstabiren ohne allen Zweifel begegnet, die ein Wort aus seinen Buchstaben zusammensetzen, nachdem sie längst vorher das nämliche Wort als Zeichen einer Sache kannten und gebrauchten, ohne an dessen Bestandtheile auch nur zu denken. Man sieht hier einen Umstand, der die psy- chologischen Nachforschungen erschweren kann. Sehr oft tritt unvermerkt ein Quantum des Vorstellens an die Stelle des andern, und leistet Dienste, die man vom an- dern zu empfangen glaubt und doch nicht empfangen konnte. §. 148. Die vorstehenden Bemerkungen über das analytische Denken, welches seinen Gegenstand nicht erweitert noch verändert, mögen genügen; da sie das Wesen der Re- flexion wenigstens im Allgemeinen begreiflich machen, nämlich durch die Bewegung, die in den Complexionen entsteht, wenn gleichzeitig mit ihnen andre und andre, ihnen zum Theil gleichartige, Vorstellungen wechselnd im Bewusstseyn sind; woraus eine wechselnde Begünsti- gung für das Hervortreten ihrer Bestandtheile entspringt. Jetzt aber müssen wir zu dem Gegenstande fortgehn, welchen Kant mit so grossem Nachdruck zur Untersu- chung empfohlen hat; das synthetische und erweiternde Denken. Gewiss liegt hierin eins der grössten Verdienste Kants um die Speculation; und die Vernachlässigung dieses wichtigen Puncts gereicht den spätern Philosophen zum Vorwurf. Allein eine Entschuldigung für sie findet sich in den sehr starken Misgriffen, welche begegneten, indem Kant die Frage: wie sind synthetische Urtheile a priori möglich? auflösen wollte. Er tadelt Humen , nicht eingesehen zu haben, dass seine Zweifel mit der Metaphysik zugleich die Mathema- tik trafen. Aber er selbst wurde durch diese Bemerkung verleitet, zwey sehr verschiedene Gegenstände nur gar zu nahe zu rücken, und im Grunde weder den einen noch den andern richtig zu erkennen. Worin die Nothwendigkeit metaphysischer Sätze, z. B. des Causalgesetzes, besteht, habe ich oft genug ausgesprochen und gezeigt; nämlich darin, dass ein Wi- derspruch muss gehoben werden, der in der Form der Erfahrung wirklich liegt; z. B. in der Veränderung. Hingegen in den mathematischen, combinatorischen, und allen ähnlichen Gesetzen wird bloss eine, einmal angenommene Regel der Construction vestgehalten, aus deren Verletzung Widersprüche entstehen würden . Die oben in der Anmerkung zu §. 142. angeführten eignen Worte Kants über die Wechselwirkung und Veränderung zeigen dem scharf genug nachdenkenden Leser keine blosse Unbegreiflichkeit, sondern eine völlig klare Ungereimtheit. Hingegen in den geometrischen Sätzen (so fern sie nicht etwa das Continuum und das Unendliche betreffen, worin allerdings Widersprüche lie- gen,) hat noch Niemand etwas Ungereimtes, nicht ein- mal etwas Unbegreifliches gefunden, sondern ihre Noth- wendigkeit und ihre Wahrheit leuchtet vollständig ein; indem bey ihnen gleich der erste Gedanke auch der rich- tige ist, und man nur durch übereiltes oder absichtliches Verletzen der einmal angenommenen Regel würde auf Widersprüche stossen können. Um diesen Gegenstand so allgemein als möglich zu erläutern, will ich von dem, was logisch höher steht; als alle Mathematik, nämlich von der Combinationslehre, zu- erst ein Beyspiel hernehmen. Man betrachte folgendes Schema der Versetzungen von vier ungleichen Elementen: a b c d a b d c a c b d a c d b a d b c a d c b b a c d b a d c b c a d b c d a b d a c b d c a c a b d c a d b c b a d c b d a c d a b c d b a d a b c d a c b d b a c d b c a d c a b d c b a Die Anfangs-Buchstaben dieser Complexionen erge- ben die Reihe a, b, c, d; aber mit sechsmal langsa- merer Fortschreitung, als mit der, welche in der Folge der ganzen Complexionen vorkommt. Zugleich bilden die zweyten Buchstaben der Complexionen eine Reihe von Reihen ; b, c, d; a, c, d; a, b, d; und a, b, c; de- ren Fortschreitung doppelt so langsam geschieht als der Wechsel in den beyden hintersten Stellen. Das Ganze zeigt uns also ein System zugleich ablaufender Vorstel- lungsreihen, aus deren jedesmaligem Zusammentref- fen sich jede einzelne Complexion unfehlbar erzeugt. Hier ist keine Nothwendigkeit durch Aufhebung und Hin- wegschaffung eines vorhandenen Widerspruchs, wie in den metaphysischen Problemen; sondern ein zwangloses, jedoch völlig bestimmtes Geschehen, das an den zusam- mentreffenden Mechanismus einer Uhr und eines Ge- schäffts erinnert, auch wirklich damit in Eine Klasse von Ereignissen gehört. In der Geometrie kommt etwas Aehnliches vor, doch mit einem Umstande behaftet, den wir schon oben, (§. 114., in der Anmerkung,) vor Augen hatten. Im Raume näm- lich vervielfältigen sich oftmals gewisse allgemeine Be- griffe in mehrere Darstellungen. Wie Parallelen nur ei- nerley Richtung, vielmal gezeichnet, sind: so auch sind z. B. Scheitelwinkel nichts anders als ein und derselbe Unterschied zweyer Richtungen, der nach zwey entgegen- gesetzten Seiten hin sichtbar wird. Und der Satz, dass alle Winkel im ebenen Dreyeck zusammen 180 Grade ausmachen, ist völlig der Formel A=A analog; denn wenn für zwey convergente Linien der Unterschied ihrer Richtungen gegen eine dritte bestimmt ist, so liegt darin unmittelbar die Ungleichheit dieses Unterschiedes, das heisst, die Verschiedenheit ihrer Richtungen, und eben diese ist der dritte Winkel im Dreyeck, der nur die 180° voll macht, welche zwischen jenen Linien an der dritten statt gefunden hätten, wenn sie parallel gewesen wären, Es ist längst bemerkt worden, dass die gewöhnlichen geometrischen Beweise hier nur einen Gedanken ausein- anderziehn, den man, um ihn vollständig zu erreichen, unmittelbar durchschauen muss; die Geometrie für An- fänger ist längst vorhanden, aber die Geometrie für Den- ker soll noch geschrieben werden. Sie wird weniger von der Gleichheit zweyer Figuren, deren eine unabhän- gig von der andern vorhanden scheint, — und mehr vom Entstehen vieler Constructionen aus Einem Princip, zu reden haben. Sie wird z. B. in einem Dreyeck nicht Eine Parallele mit der Grundlinie willkührlich ziehn, um die Proportionen in den Dreyecken nachzuweisen: son- dern, nachdem eine Seite mit zwey anliegenden Winkeln gegeben worden, sogleich überlegen, dass diese Winkel sich auf die Gestalt des Dreyecks, mithin auf die Ver- hältnisse der drey Seiten beziehen; weil die Schenkel ei- nen Grad von Convergenz an sich tragen, (den man leicht durch einen Differentialquotienten ausdrücken kann,) und es von diesem Grade abhängt, wie weit man die Schenkel — stets die Grundlinie, als ihren verminderten Abstand bezeichnend, parallel fortschiebend, — verlän- gern müsse, damit der Abstand ganz verschwinde, und das Dreyeck sich schliesse. Weitere Ausführungen ge- hören nicht hieher. Die geometrischen, und alle ihnen ähnliche Con- structionen, sind in ihrem Ursprunge frey , aber sie ver- wickeln sich im Fortgange in diejenige Art von Noth- wendigkeit, welche aus dem Zusammentreffen der ver- schiedenen Theile einer Construction entspringen. So fühlt auch Derjenige, der ohne weitere Veranlassung die Gleichung hinschreibt, sich frey; denn er konnte jede Art von arith- metischer Verbindung eben so gut wählen; aber nachdem die gehörige Analyse gegeben hat: muss er sich schon hier die, oft wiederkehrende, Frage von der Möglichkeit der Wurzeln gefallen lassen. Denn a und b sind hier Zeichen von Zahlen-Reihen, die auf alle mögliche Weise zusammentreffend sollen gedacht werden. Diese Andeutungen dem Nachdenken des Lesers überlassend, eile ich weiter zu der Vorstellung des Un- endlichen ; welches Kant bey seiner Antinomien-Lehre benutzte, um den Verstand in ein Dilemma zu verwickeln, nach welchem ihm die Welt stets entweder zu gross oder zu klein ausfallen sollte. Bessere Metaphysik würde gewarnt haben, den Begriff des Unendlichen, der, wenn man ihn in metaphysischer Strenge nimmt, ein blosses Gedankending bezeichnet, mit dem, was als real auch nur vorgestellt wird, gar nicht in Berührung zu brin- gen; (nämlich in reiner Theorie; denn vom Praktischen ist bier nicht die Rede.) Aber nur zuviel hat die unglückliche Dienstbarkeit dazu beigetragen, in welche Kant sich gegen die Geo- metrie begab, so oft er der Materie gedachte, deren Wesen er nicht richtig erkannt hatte. Auch davon kön- nen wir hier nicht sprechen. Jedermann kennt aus der Mathematik die unendli- chen Reihen, und deren Ursprung aus dem Begriff des allgemeinen Gliedes, unter welchen fallend jedes ein- zelne Glied die Aufforderung mit sich bringt, noch wei- ter fortzuschreiten. Ein solches allgemeines Glied braucht nicht durch einen arithmetischen Ausdruck gegeben zu seyn; die Allgemeinheit der Regel des Fortschritts, un- ter welche jedes Erreichte wieder als Anfangsglied fällt, ist hier das Wesentliche. Daher unendliche Räume, Zeiten, Zahlen, und gesteigerte Qualitäten aller Art. Die erste psychologische Frage, auf die wir hier nöthig haben zu merken, ist diese: gelangen wir durch solches Fortschreiten nun wirklich jemals zu einer Vor- stellung des Unendlichen; so, als ob es uns wie eine gegebene Grösse vorschwebte? — Sicherlich nicht! Wir bleiben irgendwo stehn; wissen aber, dass wir weiter, und wohin wir auch gelangen möchten, doch noch weiter fortschreiten könnten. Dieser allgemeine Begriff vertritt die Stelle der Vorstellung des Unendlichen. Es ist hier ein ähnlicher Fall, wie bey der logischen Cultur der Begriffe. Durch negative Urtheile sprechen wir dem Gattungsbegriffe die specifischen Differenzen ab, welche zur Bestimmung des ihm Untergeordneten dienen, und eben deswegen in den Inhalt des Gattungsbegriffs nicht gehören. Wir sollten also wirklich die Gattung ganz frey denken von jenen Differenzen; aber eben in- dem wir dieses Sollen anerkennen, indem wir uns ent- schliessen das nicht hieher gehörige bey Seite zu setzen, denken wir in der That daran, und sind keinesweges ganz davon losgekommen. So wissen wir, dass der all- gemeine Begriff des Kreises keinen bestimmten Radius erträgt; aber das Bild des Kreises hat dennoch in jedem Augenblicke für uns seinen Radius. Und dies reicht für den Gebrauch zu. Eben so denken wir niemals wirklich eine Linie ohne Dicke; aber wir wissen, dass wir es sollten, und das genügt. Die wirkliche Vorstellung des Unendlichen — weit verschieden von der, wie sie seyn sollte, und wie sie seyn würde und seyn müsste , wenn sie wie ein ur- sprünglich Gegebenes in unserm Geiste a priori vorhan- den wäre, — ist nichts als eine dünne Atmosphäre, die unsre Vorstellungen des Endlichen umhüllt; und, was das wichtigste ist, sich an sie anlegt, und von ihnen ab- hängt. Man zeige einem Knaben das Wachsen der Tan- genten und Secanten, wenn der Winkel wächst; man gehe fort bis zum Winkel von 90º; er begreift vollkom- men, dass nun Tangente und Secante unendlich werden, weil sie sich nicht mehr schneiden können. Nun hat er die Vorstellung des Unendlichen; und soll demnach über endliche Grössen nicht mehr staunen. Denn hat er sie nicht schon überschritten? — Aber jetzt unterrichte man ihn von den Entfernungen der Himmelskörper. Das Staunen wird sich sogleich einstellen; zum Beweise, dass sein Unendliches bey weitem nicht so gross war, als diese endlichen Grössen. Und das Staunen kehrt auch bey dem Erwachsenen wieder, wenn er sich Räume denken soll, welche zu durchlaufen das Licht Jahre, Jahrhun- derte, — Millionen von Jahrtausenden gebraucht. Das Erhabene bleibt zum Theil im Raume, obgleich Schiller es daraus ganz zu vertreiben gedachte. Der Zustand unserer Vorstellung des Unendlichen darf uns nicht wundern. Man gehe zurück in die Me- chanik des Geistes; zu den Reproductionsgesetzen, aus denen die Reihenformen entspringen. Wir haben eher das Räumliche, als den Raum; eher das Zeitliche als die Zeit. Für das Gegebene, indem es sich gegenseitig be- wegt, erzeugen wir einen Umgebungsraum; und Anfangs steht nur dasjenige, was wir in einen und denselben Um- gebungsraum setzten, für uns in räumlichen Verhältnis- sen. Allmählig erweitert sich der Horizont, indem wir die mittlere Gegend desselben zu verrücken veranlasst werden; die ganze Construction bleibt dem Geiste gegen- wärtig, aber sie heftet sich an andere Puncte. So ver- grössert sich der Raum allmählig durch Uebertragung des frühern Products auf neue Gegenstände, wobey jedoch die neue Raumerzeugung für das eben jetzt vorliegende Gege- bene nicht ausgeschlossen ist. Aber mehr und mehr wird für die schon stark gewordne Vorstellung des Raums das Gegebene zufällig. Und diese Zufälligkeit vollendet sich, in- dem jedes einzelne Gegebene sich beweglich zeigt, während Anderes vestgehalten wird. Solchergestalt wird endlich der Raum selbst als das einzige Veste und Stehende gedacht; als die voraus bestimmte Möglichkeit der Bewegung und des Nebeneinanderseyns. Fragt man, ob diese Möglich- keit Gränzen habe? so ergiebt sich die verneinende Ant- wort sogleich aus der Freyheit der räumlichen Constructio- nen; aber wir dürfen nie vergessen, dass jener leere Um- gebungsraum, der uns aus der Auffassung der Bewegun- gen nothwendig entstehen musste (§. 114.), ursprünglich nur unbestimmt, nicht unendlich ist; und dass, so leicht auch jedes Gegebene ihn reproducirt und sich aneignet, er sich doch nicht ohne absichtliches Construiren davon ganz losreissen, nicht einmal davon weit entfernen kann. Wie das Licht von irgend einem leuchtenden Puncte ausgehn muss, so ist auch der Raum, psychologisch be- trachtet, eine Art von Ausstrahlung der Objecte; denn man weiss aus dem Vorigen, dass er ein System von Reproductionen ist, die eine reproducirende Vorstel- lung (oder deren mehrere) voraussetzen. Und wie weit geht das absichtliche Construiren, wel- ches geschieht, indem man die reproducirende Vorstel- lung auf das früher Construirte überträgt? So weit, bis dessen Vergeblichkeit vollkommen einleuchtet. Liegt ein- mal die allgemeine Regel der gleichartigen Fortschrei- tung klar vor Augen: so gewinnt der Begriff derselben nichts mehr durch fernere Construction; wird aber die Reihe zu lang, so verlieren sich die ersten Glieder aus dem Bewusstseyn, und das Zusammengefasste will nicht mehr wachsen. (Das nämliche gilt, mit gehöriger Veränderung, nicht bloss von Grössen die man ins Unendliche sich ausdeh- nen lässt, sondern auch von den Theilungen, die sich nach einerley Regel wiederhohlen, so oft man will.) Getrennt von praktischen Beziehungen, und gerei- nigt von Verwechselungen, ist das Unendliche Nieman- des Freund. Jeder fühlt, dass er sich darin verliert, so- bald er den Anfangspunct der Construction fahren lässt, und keine bestimmt gesonderten Glieder mehr vor Au- gen hat. Alsdann entsteht ein Gefühl des Schwindels. Etwas Aehnliches würde Derjenige leiden, der in einem Feen-Palaste von vielen Menschen umgeben wäre, die einander durchaus glichen; er würde in jedem den an- dern erblicken; er würde unterscheiden wollen und nicht können; die Reihe seiner Vorstellungen würde vorwärts streben, und doch immer auf der alten Stelle bleiben. So auch, wenn im Unendlichen das Fortgehn nicht wei- ter führt, weil jeder Punct immer noch die Mitte ist. Der Traum hat ähnliche Zustände; man ist stets im Be- griff zu thun, was nie geschieht. Kein Wunder, dass die Mathematiker sich gesträubt haben, das Unendliche zuzulassen; obgleich der Begriff der Intensität des Wach- sens oder Abnehmens vollkommen fähig ist, bestimmte Verhältnisse (Differential-quotienten) zu bilden. Von Kunstwerken hat man zuweilen gerühmt, dass sie das Unendliche offenbarten; schwerlich mit Zustimmung wah- rer Künstler, die gerade in geschlossenen Umrissen, scharf gezeichneten Charakteren, und im Individualisiren des Allgemeinen ihr Verdienst suchen; den schwebenden Dunst und Nebel aber möglichst vermeiden. Gleichwohl hat das Unendliche, schon als solches, seine eifrigen Verehrer. Warum? Aus zweyen merk- würdigen psychologischen Gründen. 1) Das Unendliche wird aufgefasst als das Unge- hemmte, als die Sphäre der Freyheit. Gerade darum, weil kein räumliches, kein dem Raume analoges, endliches Object, durch eine stehende, ruhende Vorstellung kann aufgefasst werden, — weil vielmehr in ihm ein nisus unzähliger Reproductionen, gemäss den Verschmelzungen aller Partial-Vorstellungen, thätig seyn muss, damit die Theile sich sondern, und jeder seinen Platz zwischen und neben den andern einnehmen könne; weil ferner hiedurch gewöhnlich auch früher gebildete Vorstellungsreihen angeregt werden, die, indem sie sich auf die einzelnen Theile des Gegenstandes übertragen, und gleichsam mit ihren Anfangspuncten daran haften, nun auch noch über dessen Gränzen hinaus zu gehn streben, aber von einer Hemmung durch das jenseits der Gränzen Liegende, oder selbst durch die Bestimmt- heit der eigenthümlichen Form des Gegenstandes, zurück getrieben zu werden pflegen; — also kurz, weil die Vor- stellung des endlichen Objects ein Streben einschliesst: darum ist die Ueberschreitung der Gränze zuerst mit ei- nem neuen Gefühl verbunden, welches in so fern ein behagliches werden kann, als dadurch die zuvor gehemm- ten Reihen nun wenigstens für einen Augenblick sich ausbreiten können, bis eine neue Hemmung sich gegen sie ansammelt, deren übrige Wirkung von den Umstän- den abhängt. Das Unendliche nun droht dem, welcher in dasselbe hinausschaut, mit gar keiner Hemmung; die Vorstellung desselben ist eine Evolution, die so weit reicht, als der Trieb des jetzigen Vorstellens sie trägt. Kein Wunder, dass hierin Freyheit eben in so fern ge- fühlt wird, als die Begränzung im Endlichen schmerzhaft war empfunden worden. 2) Das Unendliche wird aufgefasst als das letzte Hemmende, Begränzende; daher als das Erste und Un- bedingte. Schwerlich konnte es je einem Mathematiker einfal- len, die späteren Glieder einer Reihe als die Bedingungen der frühern anzusehn; am wenigsten die, welche unend- lich entfernt sind, gerade umgekehrt als die ersten zu betrachten. Und es ist doch eine so seltsame Umkeh- rung, welcher wir hier begegnen! Die Gefühle deren, die sich überhaupt in der End- lichkeit eingeschlossen finden, will ich nicht schildern. Es ist mir genug zu bemerken, dass selbst Kant , mit der grössten Nüchternheit des Ausdrucks, für gut findet, das Messen eines Raumes auch als eine Synthesis einer Reihe der Bedingungen zu einem gegebenen Bedingten anzusehen; und zwar darum, weil die weiter hinzuge- dachten Räume immer die Bedingung von der Grenze der vorigen seyen. Was kann daraus anderes folgen, als dass der unendliche Raum die Bedingung unseres Gesichtskreises sey? Und in der That stellt Kant es in seiner ersten Antithesis als eine gewichtvolle Schwierig- keit dar: die Sinnenwelt, wenn sie begränzt sey, liege nothwendig in dem unendlichen Leeren . Ich gestehe, dass ich noch niemals dahin gelangt bin, darin auch nur das Geringste zu finden, was Besorgniss erregen könnte. Das Leere ausser der Welt belästigt mich gerade so wenig, als das Leere in der Welt, oder auch nur die ungleiche Dichtigkeit dessen, was den Raum erfüllt. Da dieser letztere Umstand in der Erfahrung vor Augen liegt, so würde ich, selbst noch vor irgend einer metaphysischen Ueberlegung, mich sehr wundern, wenn irgendwo und irgendwie, das Leere dem Vollen, das Nichts dem Etwas, ein Gesetz vorschreiben, oder es in irgend eine Verlegenheit verwickeln könnte. Aber der Grundfehler lag hier schon in den ersten Elementen der Raumlehre; in dem Satze, der Raum sey als ein einzi- ges, Unendliches der reinen Anschauung gegeben. Dar- aus verstand sich denn freylich von selbst, dass die end- lichen Raumtheile als durch Begränzung, durch Sonde- rung hervorgehoben, mussten angesehen werden; und dass sich zu ihnen das Unendliche wie das Erste zum Zwey- ten verhielt. Wenn man aber nicht auf dem Stand- puncte der Kantischen transscendentalen Aesthetik steht: wie kommt man alsdann — und wie kamen so viele frü- here here dazu, das Unendliche — das Letzte in unserer Construction, zum Ersten zu machen? Hinweggesehn von der, aus dem Obigen leicht be- greiflichen Uebereilung, dem Anstossen an eine Gränze eine begränzende Ursache vorauszusetzen, die Jenseits liege, — obgleich durch die Reproductionsgesetze Jedes in seinen gegebenen Distanzen gehalten wird, und nicht nothwendig von Aussen braucht gedrückt zu werden, — giebt es zwey Hauptumstände, die es nur zu leicht da- hin bringen, dass man das Unendliche zum Ersten mache. Erstlich: die Stellung des Menschen in der Zeit. Hier muss man unterscheiden zwischen unserm Handeln und unserem Wissen. Das Handeln giebt uns die na- türliche Stellung im Flusse der Zeit; wir schauen auf das was wir thun wollen, also in die Zukunft, wohin die Zeit läuft. Aber hier genügt das Nächste ; selten arbeitet Einer bey nüchterner Ueberlegung auch nur für das kommende Jahrhundert, die entferntern Folgen un- seres Thuns können uns höchstens Besorgnisse, aber keine Hoffnung einflössen. Ganz anders verhält es sich mit dem Wissen. Die Gegenstände desselben liegen dem allergrössten Theile nach in der Vergangenheit; wir wandeln auf Gräbern, wir büssen alte Sünden, wir leben von alten Capitalen. Für diese Gegenstände müssen wir, gestellt auf den Endpunct der bis jetzt abgelaufenen Zeit, unsre Reihenform rückwärts schauend construiren. Der Zeit, die unsern Staat gestiftet hat, ging eine andre voran, welche die Wälder lichtete und den Boden umgrub; ihr voran tritt eine andre, die aus dem Meeresgrunde das Land emporhob; und wieder eine andre, die das Son- nensystem formte. Hier verlieren wir uns. Das Unend- liche wird nun das Erste; unsre Blicke müssen dahinaus gehn, indem unser Wissen soll zusammengefasst wer- den. Leicht vergessen wir darüber die andre Seite, die uns nicht beschäfftigt. Oder wenn wir uns einmal um- wenden, wenn wir uns an jeder Seite umfangen sehen vom Unendlichen, so können wir in die Zukunft nichts II. B b setzen, als die Zwecke der Macht, von der das Letzte wie das Erste abhängt! Zweytens: ein ähnliches Resultat ergiebt unsre Auf- fassung der Dinge im Raume. Wir kennen die Materie als theilbar; sie giebt sich uns massenweise, und wir be- trachten wirklich, so wie Kant will, die Massen als das- jenige, worin wir nach Belieben Theile machen können. Dem fortgesetzten Theilen stellt sich in blossen Grössen- begriffen nichts entgegen; in der Erfahrung widerspricht kein augenscheinlicher Versuch; die Philosophen lassen sich von der Geometrie überreden, mit der Materie zu schalten, wie mit dem Raume; was die bestimmten Ver- dichtungen, die bestimmten Krystallformen dagegen ein- wenden, wird nicht beachtet und noch weniger verstan- den. Die Substanz soll zwar in den Theilen liegen; aber mit ein paar idealistischen Behauptungen schlüpfen wir darüber leichtfüssig hinweg; und im Nothfalle würden wir wohl gar jenes Hülfmittel Kants gebrauchen, die Sub- stanz wieder in ein Prädicat zu verwandeln, um sie der- gestalt in die Flucht zu schlagen, dass sie nur im Un- endlichen ein Asyl finden können. Soviel Mühe brauchen wir uns nicht zu geben. Denn zu der ganzen bisherigen Betrachtung kommt nun noch der Umstand hinzu, dass ohnehin schon die Substanz das Unbekannte ist, was hinter den Erscheinungen gesucht wird (§. 141.). Liegt nun hinter den Erschei- nungen auch das Unendliche: so fällt es schon dadurch, in gewöhnlicher und gemeiner Verwechselung, mit der Substanz zusammen. Und so haben wir denn eine un- endliche Substanz , ohne zu fragen, ob der Begriff des Seyn sich mit dem des Unendlichen vertrage oder nicht. Nun mögen die Schulen ihre Kampfplätze ebnen; denn die Vermählung des Endlichen mit dem Unendli- chen kann ohne Streit nicht abgehn. Aber davon mag die Geschichte der Philosophie ihren tragisch-komischen Bericht abstatten; wir können uns hier nicht darauf ein- lassen; besonders da wir zu der unerfreulichen Naturge- schichte des Irrthums sogleich noch andre Beyträge lie- fern müssen. §. 149. Das Unendliche Der Leser muss hier meine Hauptpuncte der Metaphysik von neuem durchdenken. Zur Uebung diene folgender Satz: Es ist gleich- bedeutend, von den einfachen Wesen zu sagen; sie haben unend- lich viele Kräfte , oder, sie haben gar keine . Denn ihre Kräfte beruhen auf ihren möglichen Relationen zu anderen Wesen. Deren giebt es unendlich viele. Aber keine Möglichkeit ist real, und keine Relation ist eine Eigenschaft. verhält sich zum Unbedingten wie Entlaufen zum Stillstehn, Verlust zum Besitz; daher wie das Leere zum Vollen; wie Nichts zu Etwas. Das Unendliche in seinem Streite mit dem Unbe- dingten darzustellen, dies war die eigentliche Aufgabe, welche Kant in seiner Antinomien-Lehre zu lösen hatte. Von Rechtswegen musste die Thesis überall das Unbe- dingte veststellen; die Antithesis dagegen, wie getrieben vom Geiste des Widerspruchs, überall das Unendliche eröffnen, um dahinaus das Unbedingte zu vertreiben. Denn was im Unendlichen geschieht, das geschieht nie- mals; und bey den Mathematikern gilt es gleich, zu sa- gen, die Hyperbel falle nie, oder sie falle im Unendli- chen mit ihrer Asymptote zusammen. Dann aber wäre freylich von keiner Dialektik der reinen Vernunft die Rede gewesen; denn die Thesis hat entschiedenes Recht, und die Antithesis entschiedenes Unrecht, sobald beyde gehörig gefasst werden. Allein vor aller weitern Erläute- rung müssen wir erst überlegen, wie der Begriff des Un- bedingten entstehe? Bey aller Verschiedenheit, sind dennoch Unbeding- tes und Unendliches darin ähnlich, dass sie durch eine reihenförmige Construction gedacht werden. Das Unbe- dingte erfordert zwar nicht viele Fortschreitungen nach einerley Regel; aber es steht dem Bedingten entgegen, und soll für den Durchgang durch dasselbe den Endpunct und Ruhepunct darbieten. Das Bedingte nun zuförderst B b 2 hängt schwebend an seinen Bedingungen; es fällt weg, wenn man den Faden abschneidet. So im Verschwinden begriffen, wofern die Bedingungen es nicht hielten, muss es gedacht werden; das ist, logisch genommen, die Be- deutung desselben. Wie nun kommen wir dazu, etwas als bedingt anzusehen? Die ursprüngliche Auffassung der Welt, im Anschauen, und durch allgemeine Begriffe, weiss davon nichts. Dem gemeinen Menschen ruhet der Erdboden; und wenn nach dem empirischen Begriffe der Schwere etwan der Himmel droht zu fallen, so braucht man ihm nur den Atlas oder die Säulen des Herkules zur Stütze zu geben, dann steht er vest. Eben so gilt jedes sinnliche Ding für ein Seyendes, eine ὀυσία; und jedes, wovon Ereignisse herkommen, für eine ἀιτία; so haben wir diese Begriffe oben bey den Kategorien (§. 124.) gefunden. Nun sind zwar die Vorstellungs- reihen ähnlicher Folgen unter ähnlichen Um- ständen von der Beschaffenheit, dass sie nicht ablaufen können, wenn ihre Anfangsglieder aufgehoben werden; und so kann Manches als bedingt erscheinen, und als abhängig von gewissen Bedingungen, deren es nicht ein- mal bedarf, weil es auch unter andern Umständen mög- lich ist. Allein wenn gleich auf diese Weise die Menge des Bedingten sogar überflüssig gross, und die Sphäre der Bedingungen enger, als sie ist, erscheint: so macht doch diese Vorstellungsart noch immer nicht das Unbe- dingte bemerklich, und zwar gerade darum nicht, weil dessen, was wirklich als bedingend, selbst aber unbedingt gedacht wird, — indem die Frage , ob es bedingt sey oder unbedingt? gar nicht erhoben wurde, — noch so sehr Vieles vorhanden ist. Aber wir kennen auch schon den höheren Standpunct, auf welchem diese Frage sich einstellt, und sich überall gelten macht; dergestalt, dass der Boden der Sinnenwelt anfängt zu wanken, und ge- gen seine allgemeine Unsicherheit eine veste Zuflucht gesucht wird. Die Urtheile, welche den Dingen ihre Prädicate einzeln beylegen, (§. 141.), sind das Schmelz- fener, worin die Dinge zerfliessen; und zwar um desto leichter, wenn die Veränderlichkeit der Merkmale auf empirischem Wege zu Hülfe kommt, um das Aggregat der Prädicate zu trennen. Dadurch verliert die Thesis, wodurch die Dinge als Solche und keine andre gedacht werden, ihre Vestigkeit, indem ihr Gegenstand verschwin- det. Der Mensch erschrickt, wenn auf einmal statt des bekannten Dinges sich ihm das dunkle, unbekannte, un- erkennbare Substrat aufdringt, welches er mehr zu füh- len als zu sehen glaubt, da er es in gar keine bestimmte Form bringen kann, und nicht einmal eine Analogie da- für besitzt. Das einzige Kennzeichen jedes einzelnen Substrats ist, dass es einem bestimmten sinnlichen Dinge zugehören soll. Aber die Dinge sind Complexionen von Merkmalen; jedes Merkmal liegt in einem qualitativen Continuum; (§. 139.) und die Combination der Merk- male des wirklichen Dinges ist nur eine unter vielen. Daher wird die Vorstellung eines jeden Dinges in allen seinen Merkmalen veränderlich; selbst dann, wenn die Erfahrung keine Veränderung desselben vor Augen legt. Man kann aus gegebenen Reihen von Merkmalen alle möglichen Dinge, die sich dadurch bestimmen lassen, durch vollständiges Combiniren leicht finden; aus der Mitte dieser Möglichkeit erscheint nun die kleinere Menge der wirklichen Dinge zufällig herausgehoben; und in der Einbildung, als wären die gefundenen Mög- lichkeiten ein wirklicher Vorrath , fragt die mensch- liche Neugier nach dem Grunde , vermöge dessen nun gerade diese und keine andern Dinge wirklich geworden, — aus dem Gebiete der Möglichkeit, gleichsam wie aus ei- ner Vorhalle, in die Wirklichkeit hinübergetreten seyen? Die Gedankendinge, welche wir uns selbst geschaffen haben, wollen nicht weichen vor den gegebenen; sie su- chen ihren Platz zu behaupten, vermöge des in ihnen liegenden Strebens aller Vorstellungen, und aller daraus, gleichviel wie? zusammengesetzten Complexionen. Liesse man alle Fehler und Verwechselungen weg: so würde sogleich einleuchten, dass man sich hüten müsse, das Unbedingte wiederum als eine Complexion von Merkmalen vorzustellen. Geschieht dies, so fällt es in das vorige Schmelzfeuer der zerlegenden Urtheile zu- rück; welches z. B. Spinozas unendliche Substanz, die aus Denken und Ausdehnung bestehn soll, auf keine Weise vermeiden kann. — Wir erinnern uns freylich hier einer zum Schutze der spinozistischen Ansicht erson- nenen Spielerey, die Manchen, der hiedurch nicht seine Denkkraft, sondern seine Trägheit zum Denken bewies, getäuscht hat; die Spielerey mit einer vorgeblichen Ein- heit des Gegensatzes, und wiederum einer höhern Ein- heit der Einheit und des Gegensatzes. Da wir einmal darauf gekommen sind, wollen wir das Manoeuvre nur gleich ins Unendliche fortsetzen. Also: für zwey Entgegengesetzte a, b, heisse ihr Gegensatz, α ; ihre Einheit β ; für die Entgegengesetzten α, β , heisse ihr Gegensatz A, ihre Einheit, B . für die Entgegengesetzten A, B, heisse ihr Gegensatz x; ihre Einheit, y; u. s. w. Man sieht, dass dies ins Unendliche geht. Die Lehre, worauf sich die gemachte Construction bezieht, vergisst klüglich A, x, y, und alles folgende; sie thut daran sehr wohl, denn der Fortgang ins Unendliche würde sogleich verrathen, dass nichts vereinigt, sondern eben nur mit Worten gespielt wurde; indem man sich erlaubte, Ein- heiten und höhere Einheiten nach Belieben zu setzen , anstatt sie zu beweisen, oder begreiflich zu machen; wäh- rend schon der allererste Anfangspunct, der vorgebliche reale Gegensatz , eben deshalb ein Unding ist, weil er in Einem und ebendemselben gesetzt seyn müsste, welches der klare Widerspruch selbst seyn würde Schellings Bruno, S. 38. u. f. Aber hier will ich die Be- merkung nicht zurückhalten, dass in meinen Augen der Urheber des Irrthums weit weniger verantwortlich ist, als die, welche ihn begün- . Gesetzt aber, man wolle trotz dieser handgreiflichen Un- möglichkeit sich doch die Fiction erlauben, aus den Be- griffen a, b, α, β , ein solches System zu machen, wie etwa das täuschende Phänomen des Magneten dar- stellt, wobey der Nordpol = a, der Südpol = b, deren Gegensatz = α , deren Einheit = β ; gesetzt ferner, man erlaube sich, α und β wiederum in die Stelle von a und b zu rücken: so ist nun ganz unabweislich, von einer Reihe sowohl das Gesetz als die Fortschreitung gegeben; ja es giebt nun eben deswe- gen eine höhere Einheit der Einheit und des Gegen- satzes, weil beyde letztern als unter sich entge- gengesetzt betrachtet wurden, denn sonst wäre gar kein Bedürfniss, sie zu vereinigen, auch nur vermeintlich und fingirt vorhanden gewesen. Also ist nun das ganze System um eine Stelle weiter gerückt; und folglieh muss es abermals fortschreiten, weil sich A und B verhalten wie α und β , d. h. weil sie wegen ihres Gegensatzes x, der sichtbar vor Augen liegt, man wolle ihn nun einge- stehn oder nicht, wiederum begehren zur Einheit y zu gelangen; wobey sich denn das alte Spiel unfehlbar wie- derhohlt. Genug davon! Vorhin wurde bemerkt, man müsse verhüten, das Unbedingte als eine Complexion von Merkmalen, die in ihm eine wirkliche Vielheit ausmachten, zu betrachten; welches soviel heisst als, jedes Unbedingte ist an sich , und wenn man jede Relation desselben zu einem andern Unbedingten (dergleichen sich im Allgemeinen stigen. Ein sehr lebhafter, sehr aufgeregter Geist ist vielen und gro- ssen Täuschungen unterworfen; und man kann sich eben nicht wun- dern, wenn er sie enthusiastisch verkündigt. Aber dass ein ganzes gelehrtes Publicum solche Täuschungen im Laufe vieler Jahre fortwäh- rend hegt und pflegt, ist eine Schwäche der Kritik, oder der Em- pfänglichkeit, die sie vorfindet. weder bejahen noch verneinen lässt) bey Seite setzt, — sowohl innerlich als äusserlich absolut einfach . Hiemit ist der erste Grundgedanke der wahren Metaphy- sik vestgestellt, um ihn aber zu finden, muss der Ur- sprung desselben nicht mehr gefühlt, sondern klar ge- dacht werden. Dies nun pflegt gerade umgekehrt Statt zu finden. Die Entdeckung, dass den Dingen unbekannte Substanzen zum Grunde liegen, setzt in Verlegenheit; man glaubt sich verirrt, denn man sieht Nichts, wo doch etwas zu sehen gefordert wird; man sucht Auswege; man bläs’t zum Rückzuge. Aus dem Unbekannten soll die Mannigfaltigkeit der Erscheinung erklärbar seyn; man setzt also in das Unbekannte soviel mannigfaltige Be- stimmungen ( essentialia, attributa, u. s. w.) als man zum Behuf der gesuchten Erklärungen zu brauchen gedenkt. Und von diesem Augenblicke an ist alles verdorben. Nun wird gegrübelt, gefühlt und phantasirt; es schürzt sich ein gordischer Knoten für Jahrhunderte. Es ist nöthig, hier einer höchst seltsamen Uebertrei- bung zu erwähnen, die dem Begriffe des Unbedingten zu begegnen pflegt; ich meine seine Verwandlung in den des Absolut-Nothwendigen . Als ob das Seyn nicht genügte, allem Bedingten den vesten Anknüpfungspunct darzubieten! Diese Uebertreibung und Verfälschung rührt her von der Einbildung, das Seyende, bloss als solches, sey zu- fällig Eine starke Amphibolie! Zufällig ist nicht das Seyende, (worauf dieser Begriff gar nicht passt;) sondern was zufällig ist, das ist dem Seyenden, oder für das Seyende zufällig! Auch hier hat man Bezogenes und Beziehungspunct verwechselt. . Beynahe auf einen Schlag geschieht jenes Beydes, dass die Dinge als veränderlich in allen ihren Merkma- len, und dass sie als beruhend auf einem unbekannten Substrat angesehen werden; denn eins wie das andre entsteht aus der Auflösung der Dinge in Merkmale, de- ren jedes , mit andern seiner Klasse (seines qualitativen Continuums) verschmolzen, nach den psychologischen Reproductionsgesetzen in sie hinüberfliesst; und welche zusammen , als Vieles, durch kein angebliches Band verbunden, der Einheit des Dinges entgegenstehn. Kann man sich nun alle Dinge anders denken, wie sie sind; und muss zugleich ein verborgenes Reales zu den Din- gen hinzugedacht werden, als ihr Träger und als Ur- sprung ihrer Merkmale und Phänomene: so wird dieser ihr verborgener Grund das Wirkliche abscheiden von dem Möglichen; er wird die Dinge formen aus dem vor- räthigen Stoff, der freylich nur in der Einbildung vorhan- den ist. Denn sobald einmal der Fehler begangen wor- den, den wirklichen Dingen ihr Verhältniss zu den mög- lichen als ein reales Prädicat beyzulegen, (obgleich die Möglichkeit, und alle Beziehung auf sie, nur in Gedan- ken existirt,) scheinen die Dinge in ihrem Seyn zu schwan- ken, als ob sie ihrer Qualität nach müssten gehalten wer- den, um nicht etwas Anderes, eben sowohl Mögliches, zu werden. Dass nun der Gegensatz und die Stütze zu solcher Schwankung nur in dem Absolut-Nothwendigen kann gesucht werden, ist bekannt und einleuchtend. Dass aber dies Product alter Metaphysik, zu den ganz verun- glückten gehört, obgleich es bey den Theologen nur gar zu viel Beyfall gefunden, — dies sollte ich ebenfalls hier als bekannt voraussetzen dürfen. Nothwendigkeit ist Un- möglichkeit des Gegentheils, und kann ohne Beziehung aufs Gegentheil gar nicht gedacht werden. Das wahrhaft Reale aber trägt gar keine Beziehung in sich , am we- nigsten die auf sein Gegentheil; und es ist gerade des- halb weder zufällig noch nothwendig; sondern diese bey- den Prädicate haben nur Sinn für unsre Vorstellungen, wenn wir das Gegentheil zu denken unternehmen. Uebri- gens schliesst man gewöhnlich die Zufälligkeit aus den Veränderungen, weil man übereilt einräumt, es gebe wirk- lich im Realen selbst Veränderungen, und weil man den Widerspruch, der darin liegt, nicht zu behandeln versteht. Anmerkung I. Kants Antinomien sind nicht bloss der schönste Theil seiner Vernunftkritik, sondern zugleich eine der glänzendsten und geistreichsten Darstellungen, die jemals ein speculativer Denker unternommen hat; in dieser Hin- sicht mit ihm zu wetteifern, wird stets ein gefahrvolles Unternehmen seyn und bleiben. Man glaubt ein grosses Brennglas zu sehn, dessen Focus die sämmtlichen Strah- len der Welt, nachdem sie von den verschiedenen Sy- stemen der Philosophie reflectirt werden, verdichtet, und allen Irrthum der Meinung verflüchtigt. Die Sprache selbst ist in dieser Gegend der Vernunftkritik vortrefflich; man hört einen unermüdlichen Redner, der das Für und Wi- der, in der grössten aller Angelegenheiten des theoreti- schen Denkens, klar vor Augen legt, und mit einem Richterspruche salomonischer Weisheit endigt. Von den Fehlern, die dabey sich eingeschlichen ha- ben, ausführlich zu reden, wäre die Sache der Metaphy- sik. Hier bemerke ich nur kurz, dass solche Gründe, wie das Abgelaufen - Seyn einer unendlichen Zeit, oder die Unfähigkeit der Zeit, das Entstehen eines Dinges in irgend einem Augenblicke zu bestimmen, oder ein Ver- hältniss der Dinge nicht nur im Raume, sondern auch zum Raume, oder eine Forderung, der Materie die Un- endlichkeit der möglichen Theilung gleich dem Raume zuzugestehn, als ob sie, trotz ihrer unleugbar veränderli- chen Dichtigkeit, nichts anderes wäre als realisirter Raum, — denn doch gar zu seicht erscheinen in einer so wichtigen Untersuchung; da man dem Leser billig zutrauen sollte, er kenne die Leerheit des Raums und der Zeit, und wisse, dass diese zum Behufe unseres Vorstellens con- struirten, ganz vom Bedürfnisse des Denkens ahhängi- gen, Formen, schlechterdings kein Fundament irgend welcher Rückschlüsse abgeben können auf das, was wirk- lich ist, oder auch nur dafür gehalten werden soll Ich will nicht hoffen, dass man mir die Anwendungen der Mathematik, etwa auf Astronomie, oder gar auf Psychologie entgegen- . Schlimmer als diese Fehler ist der Umstand, dass Kan sich von seiner falschen Causalitäts-Lehre leiten liess; ja dass er bey der dritten Antinomie gar die Thesis mit der Antithesis verwechselte. Denn hier liegt die Freyheit, in dem Sinne, wie Kant sie an diesem Orte bestimmt, ganz auf der Seite der Antithesis; einestheils, weil sie, gehörig entwickelt, auf eine unendliche Reihe führt, (in- dem jede Selbstbestimmung eine Veränderung ist, und jede dieser Veränderungen, wenn man einmal die Frey- heit voraussetzt, eine frühere Selbstbestimmung erfordert;) anderntheils, weil sie die Vestigkeit des Bodens unter- gräbt, auf welchem alle Natur-Erklärungen ruhen sollen. Man kann dieses kaum stärker ausdrücken, als Kant es am Ende der Anmerkung zur dritten Antithesis selbst ge- than hat, wo er sagt: „Es lässt sich neben einem sol- chen gesetzlosen Vermögen der Freyheit, kaum noch Natur denken; weil die Gesetze der letztern dnrch die Einflüsse der erstem unaufhörlich abgeändert, und das Spiel der Erscheinungen, welches nach der blossen Na- tur regelmässig und gleichförmig seyn würde, dadurch verwirrt und unzusammenhängend gemacht wird.“ Eine so grosse Wahrheit in einem Winkelchen der Anmer- kung zur Antithese anbringen, heisst das Licht unter den Scheffel stellen; und kann nur von denen mit Conse- quenz gebilligt werden, die allenfalls auch einen frommen Betrug für erlaubt halten; wovon doch Kant , nach sei- nem ganzen Charakter, himmelweit entfernt war. Der Erklärungsgrund liegt vielmehr ganz in seiner praktischen Philosophie, die er für eine ursprüngliche Pflichten- lehre hielt. Das schlimmste Resultat aus allen den im Einzelnen begangenen Fehlern ist der Umstand, dass eine Zer- streuung und Ablenkung von der Hauptsache hervorge- bracht wird. Nicht die einzelnen Antinomien aber sind setze. Bewegungen der Sterne, und gewisse Formen des innern Geschehens , sind nicht das was ist, oder für seyend soll gehalten werden; das wäre die ärgste aller Verwechselungen. die Hauptsache, sondern das Recht der Thesis und Anti- thesis im Allgemeinen. Bey Kant treten beyde mit glei- chen Ansprüchen auf; wäre dies gegründet, so könnte man eben so gut ihre Stellung umkehren, so dass die Antithese zur Thesis würde, und so rückwärts. In der That aber fühlte Kant sehr gut, dass die Antithese nur als Einspruch gegen das noch nicht klar genug nachge- wiesene Recht der Thesis, und als Aufforderung, dies Recht darzuthun, angesehen werden könne. Dies nun kann im Einzelnen seine Schwierigkeiten haben. Wenn z. B. in Einem Zuge behauptet wird, die Welt sey im Raume und in der Zeit endlich: so ist die Thesis so unrichtig abgefasst, wie nur jemals eine richtige Forde- rung durch Beymischung einer unzulässigen verdorben werden kann; denn der Raum zwar ist ein Multiplicator des Seyn, aber die Zeit multiplicirt nur Bewegungen, und in ihr zerfliesst das Geschehen, so dass eine Theilung zufällig in dasjenige hineinkommt, was an sich keine Theile hat: daher kann die Welt in der Zeit unendlich seyn, während sie im Raume zwar nicht wie in einem Käfig eingesperrt, sondern beweglich und bald mehr bald weniger ausgedehnt ist, ohne dass doch jemals, für irgend einen bestimmten Zeitpunct, die Unbestimmtheit un- serer, niemals vollendeten, Raumconstruction, der be- stimmten Realität , welche die Welt entweder hat oder zu haben scheint, als Prädicat angeheftet werden dürfte. — Wie dunkel nun aber auch wegen solcher Verwechselungen, wie die eben berührte, das Recht der Thesis scheinen möchte: so kann es doch im Allgemei- nen nie aufgegeben werden. Denn wir setzen einmal wirklich und unvermeidlich das, was wir erfahren; nur die Art der Setzung lässt sich verändern, ohne dass die Vestigkeit derselben im Ganzen leiden darf. Wir kön- nen einräumen, dass die Dinge nicht so sind, wie sie er- scheinen; aber dass überhaupt Nichts sey, können wir nicht einen Augenblick glauben. Ich sage: glauben; und bin wohl damit zufrieden, wenn man sich hier an Jakobi erinnert, so wenig auch die theoretische Be- stimmung dieses Glaubens bey Jakobi von Fehlern und Verwechselungen frey ist. Haben wir nun das Bedingte für unbedingt, den mittlern Theil des Gebäudes für das Fundament gehalten, so mag man uns diesen Irrthum zeigen; wir suchen alsdann eine tiefere Stelle, bis wir diejenige finden, die an sich vest ist. Aber eine Anti- thesis, welche das Veste in die Unendlichkeit hinaus ent- fernt, raubt uns den Boden ganz und gar, und vermengt Gedankendinge mit dem Realen. Zu sagen, die wahre Substanz, die erste Bedingung, liege in unendlicher Ent- fernung, ist völlig gleichbedeutend mit der Behauptung, alles in Gedanken Erreichbare sey bedingt; und dies heisst: Alles ist Nichts . Es ist nicht hier mein Amt, den metaphysischen Begriff des Seyn zu entwickeln, der sich gar nicht dehnen, strecken, mit Grössen-Begriffen amalgamiren lässt; aber was von unseren Vorstellun- gen des Unendlichen zu halten sey, das wenigstens muss der Leser, der mir bis hieher folgte, ohne meine Hülfe sich selber sagen können. Es mag nun wohl Leute ge- ben, die von demjenigen Unendlichen reden, welches sie sich, indem sie davon reden, nicht vorstel- len: diesen aber gestehe ich meinerseits nicht folgen zu können. Anmerkung II. Zu den auffallendsten Erscheinungen in Kants Ver- nunftkritik gehört die verschiedene Behandlung des Un- bedingten , (im Gegensatze des Bedingten,) und der Noumene , (im Gegensatze der Phänomene); besonders der Mangel an Verbindung zwischen den beyden, hieher gehörigen Theilen des nämlichen Werkes. Obgleich ich mich hier in die Fragen nach der richtigen Structur der allgemeinen Metaphysik nicht tief einlassen kann, vielmehr die Aufmerksamkeit des Lesers desto mehr in Anspruch nehmen muss, je kürzer ich mich fasse: so wird es doch nicht überflüssig seyn, auf jenen Punct we- nigstens hinzuweisen. In der Abhandlung von den Phänomenen und Noume- nen nennt Kant den letztern Begriff bloss problematisch, denn er sey zwar nicht widersprechend, vielmehr zur Be- schränkung der sinnlichen Erkenntniss unentbehrlich, allein die Möglichkeit der Noumene sey gar nicht einzusehen; und der Umfang ausser der Sphäre der Erschei- nungen sey für uns leer ; so dass sich gar kein Ob- ject der Erkenntniss in ihn setzen lasse. Dieser Ausspruch ist für Kants theoretische Lehre vollkommen consequent, und charakteristisch. Wenn ich hierin von ihm abweiche: so geschieht es deswegen, weil ich aus den Widersprüchen in den Erfahrungsbegriffen weiss, dass man, um nur sie selbst denken zu können, nothwendig über sie hinausgehen muss; daher die Nou- mene, oder einfachen Wesen, nun zwar ihrer innern, und ursprünglichen Qualität nach gerade so unbekannt blei- ben, wie Kant sie wollte; aber nichts desto weniger doch irgend eine Qualität derselben oder vielmehr verschiedene, ja zum Theil entgegengesetzte Qualitäten der verschiede- nen Noumene, angenommen werden müssen; weil sonst die anscheinende Existenz der Sinnenwelt schlechthin un- möglich wäre. Was übrigens die Möglichkeit der Nou- mene anlangt: so ist die Frage darnach widersinnig; denn Möglichkeit ist niemals real; (dies sagen schon die Worte;) sondern was wir reale Möglichkeit zu nennen pflegen, ist selbst nur ein Ausdruck, der sich aufs Geschehen , nicht aufs Seyn bezieht. Dies Bey- des wohl zu unterscheiden, ist für alle metaphysische Einsicht eine Grundbedingung. Real möglich nennen wir dasjenige Geschehen, dessen Grund im Realen kann angetroffen werden. Der Gegensatz nun zwischen dem Seyn und dem Schein ist derjenige, welcher uns in unserm Denken die Pforte der Metaphysik öffnet. Der Schein ist gegeben; darum müssen wir das Seyende setzen, und dergestalt bestimmen, dass aus unsern Vorstellungen von dem was erscheint, die Ungereimtheit verschwinde. In diesem Gegensatze liegt nichts verführerisches; Niemand wird darum, weil er das Seyn zufolge des Scheins setzt, sich einbilden, das Scheinen sey eine wesentliche Eigenschaft des Seyenden; oder, der Gegensatz zwischen beyden hafte als eine wirkliche Bestimmung an und in dem Seyen- den. Denn es wäre die klärste Ungereimtheit, den Schein, das Widerspiel des Seyn, in das letztere irgendwie als eine innere Bestimmung desselben einwickeln zu wollen. Alle wahre Erklärung der Sinnenwelt muss vor allen Din- gen die Probe bestehn, dass sie das Scheinen als rein zufällig fürs Seyn darstelle. Allein auf einen ganz andern Weg gerathen wir dort, wo vom Unbedingten geredet wird. Dieses soll zwar auch das Reale, das Seyende, die Welt der Nou- mene, bedeuten. Aber der Ausdruck, und die Verbin- dung, worin man ihn braucht, legt den Begriff in die Reihe des Bedingten, welche von ihm anfangend ohne Schwierigkeit soll fortlaufen können. Die Meinung ist hier nicht bloss, wie vorhin, dass wir im Laufe unseres Denkens, dem psychologischen Mechanismus zufolge, vom erscheinenden Bedingten zum realen Unbedingten fortschreiten: sondern, dass wirklich das Unbedingte an sich das Bedingende sey, als ob diese Verknüpfung nicht bloss zufällig wäre, sondern in der Natur des Unbeding- ten läge. — Eine Metaphysik, die, wie die vorkantische, — und wohl auch diese oder jene seit Kant , — sich einer solchen Täuschung hingiebt, hat den Faden des psy- chologischen Mechanismus und seiner Vorstellungs-Rei- hen nicht abgeschnitten; die Gedanken gehen in ihr nicht wie sie sollen, sondern wie sie müssen. Es ist aber klar, dass, um zur Metaphysik zu gelangen, wir gegen den natürlichen Lauf unserer Vorstellungen wenigstens eben so viel Gewalt ausüben sollten, wie die Geometrie thut, indem sie aus dem uns vorschwebenden Raumbilde die einzelnen Dimensionen desselben heraussondert; und, wie- wohl niemals wirklich die Vorstellung einer Fläche ohne Dicke, einer Linie ohne Breite, uns gelingen kann, gleich- wohl fordert, dass man so denke, als ob man dergleichen Vorstellungen zu Stande gebracht hätte, indem man das Ungehörige bey Seite setzt und ihm keinen Einfluss ge- stattet. Dem analog, soll das Unbedingte so bestimmt wer- den, als läge es in gar keiner Reihe , (ausser in wiefern wir es aus guten Gründen absichtlich wiederum in sorgfältig construirte Reihen einführen,) keinesweges aber soll der psychologische Mechanismus in der Meta- physik sein Spiel treiben; so gewiss es auch ist, dass un- sere Vorstellungen des Unbedingten auf mancherley Weise mit unseren übrigen Vorstellungen reihenförmig verwebt sind, indem wir vom Bedingten zum Unbedingten fort- zuschreiten uns bemühen. Sobald daraus für uns ein Trugbild entsteht, muss dies durch die speculativen Maxi- men appercipirt, und verbessert werden. Die Speculation erfordert nicht weniger Selbstbeherrschung, als die Mo- ralität. Was ist aber bey Kant aus jenem Unbedingten geworden? Ein regulatives Princip des Fortschreitens und Suchens , gleichsam zu einem unendlich entfernten Puncte, den wir zwar niemals erreichen können, doch so, dass wir die Richtung wissen, die zu ihm führen würde. Man vergleiche nun den achten Abschnitt der Antinomienlehre mit der vorhin angeführten Lehre von Phänomenen und Noumenen. Dort wurde ein absoluter Stillstand an der Gränze des Sinnlichen, streng geboten; indem die Gegend der Noumene gleichsam ein leerer Raum sey, in welchem man gar nichts finden könne, gar nichts suchen dürfe; hier hingegen schwebt die Sinnenwelt in dem Umkreise eines mannigfaltigen Unbe- dingten; etwa wie unser Sonnensystem in der Mitte der Fixsternkugel, die uns den wichtigen Dienst leistet, Rich- tungslinien dorthin zu ziehen, und uns mit ihrer Hülfe zu orientiren. An- Anmerkung III. In den letzten beyden Paragraphen habe ich gesucht, diejenigen Thätigkeiten und Producte psychologisch zu erklären, welche man vorzugsweise der sogenannten theo- retischen Vernunft zuzueignen pflegt. Damit nun hier- aus der Zustand des vernünftigen Menschen, wie wir ihn in der wirklichen Welt anzutreffen pflegen, begreiflich werde, muss man nebenbey noch folgendes bedenken: Erstlich, auch Diejenigen, welche sich von selbst nicht zu den Vorstellungen des Unendlichen und Unbe- dingten erheben würden, empfangen in der gebildeten Gesellschaft irgend einen Unterricht, der sie dahin wei- set. Daraus entstehn Meinungen, die unaufhörlich zwi- schen den mehr und minder selbstständig Denkenden um- hergeworfen, und oftmals durch die Absicht, sie zu lehren und zu verbreiten, in Form und Materie bestimmt werden. Mit ihnen verbindet Jeder, wie er eben kann, seine Erfahrun- gen, seine Vorstellung von Sich, und seine Gefühle; darnach richtet sich seine Apperception alles dessen, was er ferner sieht, hört, und selbst bedenkt. — Je mehr aber in der Ge- sellschaft die Wichtigkeit der Meinung erkannt wird: desto mehrere giebt es, die ihr nachstellen und sie zu erobern su- chen; desto mehr hüten sich die Einzelnen, ihr Meinen hin- zugeben; desto mehr wächst die eingebildete Selbstständig- keit des Denkens, und verschwindet die wahre Gelehrig- keit. Darüber verliert sich das Lehren; an seine Stelle tritt Geschwätz, das nur begehrt im Strome der Meinung vorübergehende Strudel hervorzubringen. Und nun giebt es Perioden der Herstellung des Bessern, mit grossen Wechseln und Ungleichheiten. Zweytens, äusserst selten findet sich Einer, der sich selbst genug beherrscht, um theoretische Untersuchungen rein zu halten von Rücksichten auf das, was praktisch wichtig scheint. Daher müssen die allermeisten Lehrmei- nungen über das Unendliche und Unbedingte, in so fern sie psychologische Phänomene sind, dem grössten Theile nach aus Nebenrücksichten erklärt werden; und nur durch II. C c eine wissenschaftliche Abstraction sind sie im Vorher- gehenden davon getrennt worden. Diese Abstraction aber ist die allernothwendigste, wenn man zur Wahrheit ge- langen will. Mit falschem Gewicht und falscher Wag- schaale wägen alle diejenigen, welche vor der Untersu- chung voraus schon wünschen , dass etwas wahr seyn möge . §. 150. Wir haben noch von demjenigen zu reden, was man praktische Vernunft nennt. Ehe wir diesen wichtigen Gegenstand selbst verneh- men, wird es nöthig seyn, das zusammenzustellen und zu ergänzen, was oben (§. 104. u. f.) über das Begehren gesagt worden. Die einfache Begierde ist nichts anderes als eine Vorstellung, die wider eine Hemmung aufstrebt. Hiebey wird aber vorausgesetzt, dass noch irgend eine andre Kraft im Spiele sey; weil sonst auf die Hemmung ein Sinken erfolgen müsste. Bey den gewöhnlichen thierischen Begierden ist ohne Zweifel diese andere Kraft eine physiologische. Da über- haupt leibliche und geistige Zustände zusammengehören, (wovon mehr im folgenden Abschnitte,) so halten sich, ja erheben sich wider eine vorhandene Hemmung diejeni- gen Vorstellungen, denen die Bedürfnisse des Leibes entsprechen. Diesen Gegenstand setzen wir bey Seite; man wird ihn verfolgen können, sobald die Verbindung zwischen Leib und Seele zuvor wird in Betracht gezo- gen seyn. Der einfachste, rein psychologische Grund, aus wel- chem eine Begierde entstehen kann, ist eine Verschmel- zungs- oder Complications-Hülfe; (§. 57. u. f.). Es sey a mit α complicirt, es werde a eben jetzt durch eine gleichartige neue Empfindung oder Wahrnehmung re- producirt; und zugleich sey im Bewusstseyn die Vorstel- lung β dem α entgegengesetzt; so wird α zugleich ge- hoben und zurückgedrängt. Ein unangenehmes Gefühl ist davon die nächste Folge; in wiefern aber α wider die Hemmung wirklich ansteigt, ist es Begierde. Diese mag freilich schwach und von kurzer Dauer seyn, wenn keine weitern Bestimmungen hinzukommen; weil sich das Gleichgewicht sehr leicht herstellen kann. Aber gleich- wohl ist dies das erste Element, von dem man aus- gehn muss. Schon deutlicher wird die Begierde hervortreten, wenn die dem a gleichartige Wahrnehmung sich häufig und schnell nacheinander wiederhohlt, wodurch jedesmal von neuem α einen Stoss bekommt. Noch deutlicher wird die Sache werden, wenn nicht bloss eine, sondern meh- rere Complicationshülfen zusammenwirken. So begehrt man sehr merklich, und manchmal schmerzlich, das, was in einer bekannten Umgebung an dem Gewohnten fehlt. Es darf nur ein Stuhl in einem Zimmer an der Wand fehlen: sogleich treiben alle Gegenstände in der Stube die Vorstellung des Stuhles hervor, während die Auffas- sung der leeren Wand sie hemmt. Nachdrücklichere Beyspiele bieten sich in Menge dar, sie sind aber zu be- kannt, um angeführt zu werden. Doch auch unter diesen Umständen wird die Be- gierde oftmals so flüchtig seyn, dass man ihrer kaum inne wird. Soll sie das Gemüth einnehmen, es anhaltend be- schäfftigen, und sich in einer Reihe von Handlungen zei- gen: so muss das vorbeschriebene Ereigniss ein gehöriges Verhältniss zu den sämmtlichen, während einer gewissen Zeit im Bewusstseyn wirksamen Vorstellungen haben. Mit einem Worte: die Begierde muss in Verbindung stehn mit den Reihen von Vorstellungen, die sich so eben im Bewusstseyn abwickeln. Und hier werden wir denn noch einmal zurückgeführt zu der, an wichtigen Folgerungen so fruchtbaren, Theorie von den Reihen, §. 112. Man denke sich demnach eine Reihe a, b, c, d, e, u. s. w. Dass jede dieser Vorstellungen ein eignes Ge- C c 2 setz hat, die vorhergehenden und die Nachfolgenden zu reproduciren, weiss man aus §. 112.; man weiss auch, dass die Reihe in derselben Folge, und, wenn das Er- eigniss ganz ungestört von Statten geht, sogar mit dem- selben Rhythmus wieder hervortreten muss, als worin sie gegeben war. Allein hier müssen wir eine andere Seite des nämlichen Gegenstandes zur Betrachtung darbieten. Man überlege die verschiedenen Geschwindig- keiten der sämmtlichen Verschmelzungshülfen, welche a, b, c , und d , anwenden können, um e zu heben . Weil d minder als c, c minder als b , b minder als a gehemmt war, indem e mit diesen allen verschmolz (§. 112.), und nach der Grösse der Ver- schmelzungshülfen die Geschwindigkeit ihres Wirkens sich richtet; weil ferner §. 87. die Hülfen nicht addirt werden dürfen, wenn von der Geschwindigkeit, die sie be- stimmen, die Rede ist, so folgt, dass e am geschwinde- sten von d , minder geschwind von c , noch minder ge- schwind von b , u. s. w. kann gehoben werden. Wir nehmen nun an, die Reihe a, b, c, d, e , … reproducire sich, und zwar dergestalt, dass jede einzelne dieser Vorstellungen theils durch die Hülfen der andern, theils auch durch eigne Kraft hervortrete. — Jetzt aber, indem e sich hebt, finde dasselbe ein Hinderniss irgend welcher Art. Dies Hinderniss wirkt zunächst nur auf e selbst, und auf die Hülfe der nächstvorhergehenden Vor- stellung d. Denn die frühern Vorstellungen c, b, a , konnten die Geschwindigkeit von e nicht mit bestimmen, weil sie zu langsam wirken. Die Hülfen, die sie leisten können, hatten nicht Zeit anzulangen, wenn das, was zu wirken sie fähig waren, schon ohne sie geschwinder ge- schah; und eben dieses war der Fall, wegen der rasche- ren Hülfe des d. — Allein das eingetretene Hinderniss hemmt das Steigen des e , und die dazu mitwirkende Hülfe von d . Hiedurch gewinnt c die nöthige Zeit, um seinen langsameren Beystand zu geben. Und nachdem schon die eigenthümliche Geschwindigkeit der Hülfe von d , aufgehalten ist: müssen nunmehr allerdings die beyden Kräfte addirt werden, welche von d und von c herrühren; denn es kommt jetzt darauf an, die Stärke zu finden, welche beyde gemeinsam dem Hinderniss entgegenstel- len. — Es sind hier zwey Fälle möglich. Entweder, das vereinte Streben von c, d , und e bringt das Hinder- niss zum Weichen; dann gelangen b und a nicht mehr zum Wirken. Oder, das Hinderniss beharrt dennoch: so kommt nun die Hülfe von b noch zeitig genug; ja wenn auch diese, mit jenen vereint, die Hemmung nicht hebt, so trägt auch a noch das Seinige bey, um e zum Steigen zu bringen. Und dieses geht so fort, indem man die Reihe rückwärts durchläuft, wie lang dieselbe auch seyn möge. Was ist das Resultat von dem allen? Dass die Spannung des Begehrens immer wächst , bis ent- weder Befriedigung eintritt, oder bis alle Kräfte der Verbindungen des e nur Eine Summe ausma- chen . Hiezu können sogar die nachfolgenden Vorstel- lungen f, g, h , u. s. w. noch beytragen, in so fern sie durch d, c, b , u. s. w. veranlasst, ins Bewusstseyn tre- ten, und nun jene rückwärts gehende Wirkung ausüben, die gleichfalls aus §. 112. bekannt ist. Wir haben ein Resultat a priori abgeleitet, welches in der gemeinen Erfahrung sehr bekannt ist; und welches man in derselben, bey vorausgesetzter Verbindung zwi- schen Seele und Leib, sehr leicht wieder erkennen wird. Einige unsrer Handlungen nämlich können ohne merkliches Hinderniss geschehen, z. B. die Bewegungen des Augapfels und der Sprachorgane; andre erfordern das Heben und Bewegen einer schweren und trägen Masse, oder auch eine gewaltsame Anspannung der Mus- keln, z. B. Springen und Laufen, besonders aber das Stossen und Fortführen fremder Körper, das Tragen von Lasten, u. s. w. Jene ersteren Handlungen geschehen beynahe ganz unvermerkt; sie sind unmittelbar begleitende Zustände für unsre Vorstellungen, deren Lauf dadurch nicht abgeändert wird. Allein die andern wirken in dem Maasse ihrer Schwierigkeit dahin, dass wir uns anstren- gen , und immer stärker anstrengen, bis die Ausfüh- rung entweder gelingt oder ganz aufgegeben wird, indem ein schmerzliches Gefühl an die Stelle des Begehrens tritt. Liegt etwa diese Anstrengung bloss in Nerven und Muskeln? Wie sollte sie doch in diesen zu Stande kom- men, hätte sie nicht zuvor in der Seele selbst Statt ge- funden! Die Anstrengung, sie sey nun rein geistig, oder zu- gleich auch körperlich, wird immer desto stärker seyn, je grösser und je durchgreifender die Stockung, welche das Hinderniss in dem Kreise der Vorstellungen verur- sacht. Denn desto grösser wird die Summe aller ange- regten Verbindungen, und aller zusammenwirkenden Hül- fen. Wir haben vorhin nur eine einzige Vorstellungs- reihe genannt; es versteht sich, dass man dieses ausdeh- nen müsse auf alle nur möglichen Verflechtungen vieler Reihen untereinander. Man bemerke ferner, dass es hiebey ganz unbestimmt bleibt, welche , und wie viele Vorstellungen zu der Ener- gie des Begehrens beytragen werden; indem nur die, de- ren zufällige Verknüpfung es nun gerade mit sich bringt, in Spannung versetzt werden. Daraus kann man sich nun sehr deutlich erklären, wie die gemeine Psychologie dazu kommen konnte, ein Begehrungsvermögen anzuneh- men, das vom Vorstellungsvermögen verschieden seyn sollte. Jenes schien unabhängig von diesem, weil das Objective unserer Vorstellungen, das Vorgestellte , für die Energie des Begehrens fast gleichgültig ist. In der vorstehenden Theorie haben wir uns um die Ob- jecte der Vorstellungen a, b, c, d, e , gar nicht be- kümmert, sondern bloss um die Art der Verschmel- zung ; diese aber hängt noch weit mehr von der Zeit- ordnung, worin die Vorstellungen einander im Bewusst- seyn begegneten, als von der Qualität des Vorgestell- ten ab. Man bemerke weiter, dass, indem die Begierde vor dem Hinderniss wie ein Strom vor einem Damme anschwillt, zu- gleich alle die Folgen zu erwarten sind, zu welchen die An- sammlung vieler Vorstellungen im Bewusstseyn Gelegenheit geben kann. Gesetzt, mehrere Reihen, a, b, c, d, e , und A, B, C, D, e , und α, β, γ, δ, e , und wie viele sonst, in denen allen e vorkommt, seyen durch das Hin- derniss in Spannung gesetzt, — es mögen auch von je- dem Gliede jeder Reihe noch Seitenreihen in Menge aus- laufen, — so sind sie zugleich im Bewusstseyn angehäuft und vestgehalten; sie verschmelzen also mit einander, wenn sie nicht schon zuvor unter sich verknüpft waren; ja es entstehn die Folgen, welche im §. 125. angedeutet worden; kurz, alles, was aus der gegenseitigen Durch- dringung der Vorstellungen nur entstehn kann. Also sind die Hindernisse, welche den ablaufenden Vorstellungsrei- hen zustossen, höchst wichtige Bildungsmomente für das Individuum, dem sie begegnen. Auch dieses ist in der Erfahrung bekannt. Wer weiss es nicht, dass die Schwierigkeiten, mit welchen der Mensch zu kämpfen hat, seine Schule sind? Dass eben durch sie, das Schicksal jeden einzelnen auf eine beson- dere Weise erzieht? Sehn wir wieder auf die gewöhnliche Lehre von den Seelenvermögen: so zeigt sich hier das scheinbare Cau- sal-Verhältniss, nach welchem das Begehrungs-Vermö- gen Einfluss haben soll auf das Vorstellungsvermögen. Man bemerke endlich, dass die Begehrung sich nur in der Vorstellungsmasse ausbilden kann, zu wel- cher die gehinderte Vorstellung gehört. Denn weiter rei- chen ihre Verbindungen nicht. Daher das Phänomen, dass es gleichsam in Einer Gegend der Seele stürmen kann, während eine andre ruhig bleibt; dass der Mensch von einer heftigen Begierde gepeinigt, dennoch in sich die Kraft finden kann, sich zu mässigen; ja, dass die Mässigung leicht wird, — dass die Besserung eines sehr Verdorbenen noch möglich ist, — wenn man nur einen etwas anhaltenden Wechsel der Vorstellungsmasse im Bewusstseyn zu bewirken vermag. In dem Vorstehenden haben wir den Cirkel ganz unberührt gelassen, in welchem das Begehrte sich mit dem Guten und dem Angenehmen drehen würde, wenn jene ältere Philosophie Recht hätte, nach welcher man das, was sub specie boni vorgestellt wird, begehrt, und dagegen verabscheut, was man sub specie mali vorstellt. Es ist hievon schon oben §. 108. die Rede gewesen, und wir werden noch mit Wenigem darauf zurück kommen. Hier wolle der Leser in Beziehung auf das Nächst-Vor- hergehende sich erinnern, dass dabey durchaus kein Un- terschied des Angenehmen und Unangenehmen zum Grunde gelegt ist; welches auch um so weniger geschehn durfte, weil Erfahrungen genug vorhanden sind, nach welchen oftmals sogar das Unangenehme begehrt wird. Jetzt aber dürfen wir nicht länger säumen, uns der praktischen Vernunft, unserm eigentlichen Gegenstande, zu nähern; die selbst eine Art von Begehrungsvermögen zu seyn scheint, wenn man sie nicht lieber als eine Re- gel betrachten will, wornach die vorhandenen Begehrun- gen sich richten sollen. Eine Frage, womit die Freunde der Seelenvermögen wohl Ursache haben, sich ernstlich zu beschäfftigen. Denn es ist gar nicht einerley, ob man die praktische Vernunft, als oberes Begehrungsvermögen, noch neben dem niedern hinstellt, so dass dadurch die Menge der ursprünglichen Begehrungen wachse: oder ob man eine Vernunft annimmt, die selbst nichts begehrt, wohl aber sich auf die vorhandenen Begehrungen bezieht, so dass für diese eine Regel entsteht, der sie sich unter- werfen müssen. Kant , mit seiner richtigen Behauptung, kein Sittengesetz könne eine Materie des Begehrens an- geben, befand sich eigentlich im zweyten Falle; er ge- rieth aber leider wieder in den ersten hinein, indem er durch den kategorischen Imperativ der Vernunft ein ge- bieterisches Ansehen gab, während er die ästhetischen Urtheile über das Begehren, deren Charakter die höchste Ruhe und Gelassenheit ist, gänzlich verfehlte. Doch wir müssen vermeiden, gleich Anfangs vom Sittlichen zu reden. Denn wiewohl dieses als das wich- tigste und schönste Erzeugniss der praktischen Vernunft anzusehen ist, so ist es doch weder das einzige noch das früheste. Man blättere im Homer, oder in den Samm- lungen alter Sittensprüche; es wird sich bald entdecken, wie dünn die eigentlich moralischen Sentenzen unter den Maximen gemeiner Klugheit mit eingestreut sind. Das allgemeine psychologische Problem: wie über- haupt Maximen sich bilden können? scheint bis- her nicht sonderlich beachtet zu seyn. Wenigstens so leicht ist es nicht, dass man es schlechtweg wie eine An- wendung des logisch allgemeinen Denkens auf die Will- kühr, ansehn dürfte. Wenn im gewöhnlichen Unter- richte Maximen gelernt und gelehrt werden: dann pflegt man wohl erst zu glauben, die Maximen seyen Triebfe- dern des Willens; hintennach sich zu wundern, dass die treibende Kraft nichts wirkt. Aber in solchem Falle sind die Worte, welche von Seiten des Lehrers ein allge- meines Wollen ausdrückten, für den Schüler in blosse theoretische allgemeine Begriffe eines mögli- chen Wollens übergegangen, womit dessen wirkliches Begehren in gar keiner Verbindung steht. Daher sind auch alle Schlussfolgen in der Moral gehaltlos, wenn nicht die Obersätze ein wirklich vorhandenes Wollen bezeich- nen, das alsdann gleich einem Gedanken durch die Un- tersätze in die Conclusionen hinübergeht. Das allgemeine Wollen muss auf ähnliche Weise zu Stande kommen, wie das allgemeine Denken. Also zuerst müssen solche Vorstellungen, die im Zustande des Begehrens sich befinden, und zwar ihrer viele ähnliche, untereinander verschmelzen; dann muss das Verschmol- zene auf dem Wege der Urtheile bestimmt und begränzt werden. Jenes nach Analogie der §. 121., 122., dieses gemäss dem §. 147. Allein der Zustand des Begehrens ist ein flüchtiger, und gar nicht wesentlicher Zustand der Vorstellungen; wie können daraus beharrliche Maximen entstehn? — Diese Frage erfordert nunmehr eine ausführliche Unter- suchung. Bevor wir dieselbe eröffnen: ist vielleicht für einige Leser nöthig zu erinnern, dass wir hier nicht von den bedingt gestellten Imperativen der Klugheit reden, die unter die Formel fallen, wenn Jemand den Zweck will, so muss er auch die Mittel wollen. Die Frage nach der psychologischen Möglichkeit, dass man Mittel versuche, um das Begehrte zu erreichen, würde uns noch einmal nöthigen, zu den Reihen der Vorstellungen zurückzugehn; wir überschlagen diese Frage, und beschäfftigen uns mit den Maximen. Wie lange es aber noch zweifelhaft ist, ob man den Zweck wolle, so lange ist noch gar keine Maxime als solche vorhanden. Indem Jemand eine ge- wisse Regel zu seiner Maxime erhebt, will er wirklich den Zweck, worauf die Regel zielt. Dieses Wollen nun ist kein vorübergehendes Begehren, sondern es liegt darin der Charakter der Stetigkeit und Allgemeinheit. Was aber die Mittel anlangt, deren die Maxime vielleicht als Bedingungen erwähnt, unter denen der Zweck zu errei- chen sey, so kümmern uns diese hier gar nicht; wir ha- ben es bloss mit der Activität, mit dem Triebe zu thun, den die Maxime ausspricht. Und jetzt vergegenwärtige man sich den Zustand des Begehrens, so wie derselbe im §. 104., und im An- fange dieses §. beschrieben worden. Man wird sehn, dass der erwähnte Zustand etwas Vorübergehendes ist, während die Vorstellungen selbst, bleiben; dass also das Begehren, in seiner einfachsten Gestalt, nichts solches ist, welches könnte in irgend einer Verschmelzung auf- behalten werden. Eine Vorstellung, die in einem Au- genblick ein Begehrtes bezeichnet, verliert vielleicht diese Bestimmung im nächsten Moment; ihr Object ist jetzt gleichgültig, und abermals im folgenden Augenblicke viel- leicht ein Gegenstand des Widerwillens. Etwas so wan- delbares kann den Inhalt praktischer Maximen nicht dar- bieten. Eben so flüchtig sind die Affecten; (§. 106.) und daher eben so untauglich, Maximen zu stiften; wiewohl sie sehr füglich die Gegenstände werden können, wor- über in praktischen Grundsätzen etwas angeordnet wird. Dann liegt aber das thätige Princip der Maximen in hö- hern, appercipirenden Vorstellungsmassen, die wir im §. 126. u. f. beschrieben haben. Es bleiben noch die Leidenschaften, die Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen im strengen Sinn, (de- nen man die Lustgefühle des §. 87. in dem Falle zu- gesellen muss, wenn die Bedingungen derselben auf be- harrliche Weise an den Objecten haften,) und die ästhe- tischen Urtheile. Jede dieser Arten des Vorziehens und Verwerfens ergiebt wirklich Maximen. Zuvörderst die Leidenschaften. Sie sind nach §. 107. bleibende Dispositionen zu Begierden, die in der ganzen Verwebung der Vorstellungen ihren Sitz haben. Aus ihnen also kömmt ein häufiges, gleichartig sich wieder- hohlendes Begehren; welchem gemäss die übrigen Vor- stellungen sich stets auf ähnliche Weise fügen und schik- ken. Nimmt man hiezu die Wiedererweckung der ähnli- chen Vorstellungen, und ihre Verschmelzung: so sieht man wohl, wie nach und nach ein Wollen entstehe, bey welchem die Umstände des Zeitmoments im einzelnen Fall, oder die Bestimmungen eines einzelnen Gegenstan- des, sich beynahe aus dem Bewusstseyn verlieren neben dem Gleichartigen aller der Fälle, in denen die Leiden- schaft wirkte und sich befriedigte. Der Zustand des durch diese Leidenschaft aufgeregten Gemüths gleicht also dem Denken eines rohen allgemeinen Begriffs in dem Puncte, dass auch hier eine Totalkraft vorhanden ist, in welcher verworrener Weise viel Ungleichartiges verschmolzen liegt, das von dem Gleichartigen grossen- theils erstickt wird. Der Mensch, der bekannt, dass er die Karten liebe, drückt hiemit auf einmal alle die ver- schmolzenen Strebungen aus, die er zu verschiedenen Zeiten, spielend mit verschiedenen Personen, vielleicht spielend verschiedene Spiele, empfunden hat; und die nun so verschmolzen wieder erwachen, dass in ihnen das Streben, mit den Karten beschäfftigt zu seyn, vorherrscht, die besondern Bestimmungen irgend eines Kartenspiels und irgend welcher Mitspieler dagegen kein Gewicht haben. Kaum bedarf es der Erinnerung, dass das hier ge- sagte, auf jede Lieblingsbeschäfftigung passt. Aber etwas Leidenschaftliches ist wirklich auch in jeder Lieblingsbe- schäfftigung, in wiefern es nämlich Ueberwindung kostet, sich von ihr zu trennen. Eine andre, reiche Quelle gleichartig sich wieder- hohlender Begehrungen sind die Gefühle des Angeneh- men und Unangenehmen, in dem Sinne des §. 108. Aber hier stossen wir auf einen der allerdunkelsten Gegenstände in der ganzen Psychologie, obgleich auf einen der be- kanntesten, gewöhnlichsten und in Ansehung dessen die Gewohnheit es meistens gar nicht zu einer Frage kom- men lässt. — Nicht als ob es schwer wäre, das Allge- meine der Maximen zu erklären, die aus den erwähn- ten Gefühlen entspringen; sondern weil die ganz unbe- zweifelte Thatsache, dass wir das Angenehme begehren und das Unangenehme fliehen, unsern Blick in eine Tiefe hineinleitet, zu der wir kein Licht, oder doch nur einen äusserst schwachen, und mühsam zu gewinnenden, Schimmer mitnehmen können. Nach gemeiner Psycho- logie freylich wäre hier mit einem Einflusse des Gefühl- vermögens auf das Begehrungsvermögen alles abgethan. Und eben darum wollen wir wenigstens die Dunkelheit der Stelle kenntlich machen, über die man so leicht hin- wegzuschlüpfen pflegt. Was die Thatsache selbst anlangt, so hat schon Locke darauf aufmerksam gemacht, dass man sie zwar nicht leugnen, aber sehr beschränken müsse. Im 21 sten Capitel des zweyten Buchs entwickelt er, dass durch jene Gefühle zwar ein Verlangen, aber noch nicht der Wille bestimmt werde; eine Unterscheidung, auf die wir bald kommen wollen. Den letztern, meint er, treibe vielmehr der Verdruss, oder die Unzufriedenheit; und hiedurch scheint er ein solches, mit dem Gefühle der Unlust verbundenes, Streben der Vorstellungen anzudeuten, wie wir im §. 104. beschrieben haben. Also liegt darin die schon bekannte Bemerkung, dass bey weitem der klei- nere Theil unseres Begehrens von den Gefühlen des An- genehmen und Unangenehmen (die von denen der Lust und Unlust schon oben unterschieden wurden,) abhänge. Dennoch ist dieser kleinere Theil vorhanden, und sehr wichtig; ja das Räthsel liegt gerade in dem Verlangen, von welchem Locke , noch etwas zu allgemein, zuge- steht, dass es mit jedem Gefühl jener Art verbunden sey. Das eigentlich Dunkle jedoch hat seinen Sitz ur- sprünglich in der Natur des Angenehmen und Unange- nehmen selbst. Wir können dieses eben nur fühlen, nicht aber es zersetzen in Begriffe, noch durch die letz- teren es mit Sicherheit nachconstruiren. Darum entzieht sich uns auch der Anfang und Ursprung derjenigen Be- wegung des Gemüths, die wir als ein Verlangen nach dem Angenehmen, als ein Wegwünschen des Unange- nehmen, aus der Erfahrung kennen. Nur aus Untersuchungen über gewisse ästhetische Urtheile habe ich die wahrscheinliche Hypothese geschöpft, das Angenehme und Unangenehme beruhe auf der Ver- schmelzung sehr vieler Vorstellungen, die sich einzeln nicht angeben lassen. Wäre es möglich sie anzugeben, so würde sich das Angenehme in das Schöne, das Un- angenehme in das Hässliche verwandeln. Soviel nämlich lässt sich mit Sicherheit behaupten, dass Schönes und Hässliches lediglich in Verhältnissen bestehe, dass es folglich in der Zusammenfassung der Verhältnissglieder, also durch die Verschmelzung der Vorstellungen von die- sen Gliedern vernommen werde. Diese Erklärung des Angenehmen und Unangeneh- men wird vielleicht scheinen dasselbe dem Aesthetischen gar zu nahe zu rücken. Allein wir betrachten hier bey- des in psychologischer Hinsicht; und da lehrt die Erfah- rung ganz allgemein, wie leicht eins mit dem andern ver- wechselt werde. Die Unterscheidung des Schönen vom Angenehmen, des Hässlichen vom Unangenehmen, ist eine Bemühung des weit ausgebildeten Menschen, deren Bedürfniss er erst dann empfindet, wenn er sich die Maximen auseinandersetzen will , die aus jenen beyden Classen des Vorziehns und Verwerfens entspringen. Diejenigen Maximen nämlich, welche das Aestheti- sche betreffen, besitzen einen grossen und für ihre Brauch- barkeit entscheidenden Vorzug vor denen, die aus den Gefühlen des Angenehmen und Unangenehmen hervor- gehn. Jene lassen sich deutlich denken, diese nicht. Denn jene beziehen sich auf Verhältnisse, deren Glieder eine gesonderte Auffassung gestatten, diese nicht also. Ja bey gehöriger Sorgfalt kann man die ästhetischen Ver- hältnisse absichtlich und mit Bewusstseyn construiren; man kann ein ganzes Feld, worin ästhetische Gegenstände vorgekommen sind, durchsuchen, um alles, was auf die- sem Felde möglich ist, vollständig zusammenzustellen. Dieses ist eben die Pflicht der allgemeinen Aesthetik, die zwar ihre Schuld noch beynahe nirgends anders, als in Ansehung der harmonischen Grundverhältnisse der Töne, mit Präcision gelös’t hat. Je weiter aber die Aesthetik vorrückt, desto mehr entzieht sie ihren Gegenstand dem rohen Empirismus, in welchem die Unterscheidung des Angenehmen und Unangenehmen stets befangen blei- ben muss. Um weiter fortzuschreiten, muss ich aus meiner all- gemeinen praktischen Philosophie als bekannt voraussetzen, dass die ethischen Principien in ihrer ursprünglichen Ge- stalt zur Classe der ästhetischen Urtheile gehören. Sie ergeben demnach im Laufe des Lebens, und in der Tra- dition der Zeiten, die ihnen entsprechenden Maximen ganz auf ähnliche Weise, wie alle ästhetischen Maximen, ja wie alle Maximen des Handelns überhaupt entsprin- gen: nämlich durch Verschmelzung gleichartiger Vorstel- lungen; denen jedoch anfangs viel Ungleichartiges bey- gemischt bleibt, das nachmals durch logisches Denken ausgeschieden wird. Hier wolle man einen Augenblick still stehn, um sich eine sehr nothwendige Unterscheidung zu merken. Wenn ich sage, dass die praktischen Maximen, und un- ter ihnen die sittlichen, durch Verschmelzung gleicharti- ger Vorstellungen, also auf dem Wege einer Verknüpfung dessen, was sich im zufälligen Laufe der innern Erfahrung darbietet, sich zuerst ergeben: so ist dieses eine psycho- logische Angabe von dem Laufe der Ereignisse. Davon gänzlich verschieden ist die Bestimmung der Methode , nach welcher in der praktischen Philosophie, bey Be- gründung derselben, solle verfahren werden. Leider ha- ben manche Schriftsteller über die letztere Wissenschaft ihre Aufgabe verkannt; sie haben in leichten historischen Umrissen geschildert und erzählt, wie etwan das Sittliche in der menschlichen Brust zu erwachen pflege ; sie haben gemeint dadurch ihre Leser am leichtesten von der Realität der sittlichen Grundgedanken zu überreden. Das bringt den Empirismus in die Sittenlehre, der nirgends so sehr als hier an der verkehrten Stelle ist. Von Rechts- wegen eiferte Kant dagegen, als gegen eine, zwar gut- gemeinte, aber gefährliche Untergrabung aller sittlichen Ueberzeugung. Vielmehr, in dem Vortrage der prakti- schen Philosophie, so wie in dem der ganzen Aesthetik, muss man die Principien ursprünglich erzeugen; dieses aber geschieht durch Construction der Grund- verhältnisse , welche, sobald sie richtig dargestellt sind, ihre Beurtheilung sogleich zur unfehlbaren Folge haben. — Die Kantische Berufung auf den kategorischen Imperativ, als auf ein Factum der Vernunft; war im Grunde eben so schwankend, als die von ihm verworfene Lehrweise. Jedes Factum, das man als aus früherer Zeit her durch das Bewusstseyn bekannt, oder überhaupt als schon geschehen und vor Augen liegend annimmt, kann in Zwei- fel gezogen werden, ja es muss bezweifelt werden, wegen der Schwankung aller innern Wahrnehmung, und we- gen der äussersten Leichtigkeit, in ein solches Factum durch Erschleichung etwas hineinzuschieben. Und wie Viele sind denn wohl, die noch jetzt an den Kanti- schen kategorischen Imperativ, als an ein unentstelltes, und durch Kants Formel richtig ausgesprochenes Factum, in vollem Ernste glauben mögen? Wie geht es zu, dass ein so allgemeines, in jeder Menschenbrust sich wieder- hohlendes, Factum, nicht längst, durch edle Männer, welche zugleich vortreffliche Denker waren, genau und ganz zu Tage gefördert war? — Diese Fragen verschwin- den, sobald man erwägt, dass keineswegs von einem schon geschehenen, sondern von einem bevorstehenden Factum die Rede ist, indem man zur praktischen Philo- sophie den Grund legt. Hier muss der Zuhörer, als ob er vom Sittlichen noch nichts wüsste, in den Fall gesetzt werden, dass er es eben jetzt mit völliger Evidenz in sich hervorbringe . Und dies geschieht, indem man ihm gehörig darstellt, was, wäh- rend der Betrachtung, ihm ein unmittelbares Urtheil ab- zugewinnen nicht verfehlen kann. Allein jetzo, im gegenwärtigen psychologischen Zusammenhange, sprechen wir allerdings vom Sittlichen als von einem schon Vorhandenen und längst Vorgefun- denen. Die Beurtheilung, welche im Vortrage der prak- tischen Philosophie ganz von vorn an hervorgebracht wird, ist gerade so, bey tausend Vorfällen des täglichen Lebens; — sie ist vor Jahrtausenden von Millionen Men- schen vollzogen worden; nur ist sie nicht in abstracte Ausdrücke gebracht, sondern sie ist kleben geblieben an den Neben-Umständen der einzelnen Fälle. Darum ist sie in dem Strome der Zeit und der Meinung bald un- tergetaucht, bald wieder hervorgekommen; sie hat müs- sen vielfältig, und bey den dringendsten Angelegenheiten wiederhohlt werden, ehe sie ein passendes Wort, ehe sie Auctorität gewinnen konnte. Dass aber die sittlichen Maximen Auctorität bekom- men müssen: dies macht sich als das lebhafteste Be- dürfniss dürfniss denen fühlbar, welche das Schauspiel des Ge- dränges unter den verschiedenartigen, vorerwähnten Maxi- men, unbefangen betrachten. §. 151. Maximen der Leidenschaften, der Gefühle vom An- genehmen und Unangenehmen, der ästhetischen, und un- ter ihnen, der sittlichen Urtheile, — dies sind nur erst die Classen der Maximen. Aber jede Classe fasst wie- derum eine Fülle von Maximen in sich, die nach den Umständen ihrer Entstehung mehr oder minder allgemein, und nach der Mannigfaltigkeit der Leidenschaften, der Gefühle, der ästhetischen und sittlichen Urtheile, unter einander verschieden, endlich nach der ganzen Individua- lität in dem Gemüthe eines Jeden, unter sich verwebt sind. Wenn nun bey den Vorfällen des Lebens eine Menge heterogener Maximen, sammt den augenblickli- chen Begehrungen und Gefühlen, im Bewusstseyn zusam- menstossen: was muss sich daraus ergeben? Dass hier die praktische Ueberlegung, dass die prak- tische Vernunft sich zeigen müsse, wird eben so klar seyn, als aus dem Ganzen unserer Untersuchung offen- bar hervorgeht, die praktische Vernunft könne nicht ein besonderes, hinzukommendes, von jenen zusammensto- ssenden Vorstellungsmassen verschiedenes, in sie hinein- greifendes, und sie nach sich bildendes Vermögen seyn. Sondern, wenn es etwas gleichsam von oben her hinein- greifendes giebt, so hat dieses seinen Sitz in gewissen appercipirenden Vorstellungsmassen, dergleichen wir schon beym innern Sinne und bey der künstlerisch bildenden Phantasie kennen lernen; und wenn die appercipirenden Vorstellungsmassen hier einen höheren Charakter anneh- men, um dessentwillen man ihnen den ehrenvollen Na- men der Vernunft zugesteht, so verdanken sie dieses hinwiederum der Natur praktischer Maximen, besonders solcher, die schon durch logische Thätigkeit im Urthei- len geläutert, bestimmt und verdeutlicht sind. Die praktische Vernunft zeigt sich im Erwägen, im II. D d Wählen, und Beschliessen. Das Erwägen ist eine ab- sichtliche Hingebung an verschiedene Begehrungen und Maximen, um sie in ihrer ganzen Stärke zum Bewusst- seyn kommen zu lassen. Wer erwägt hier? Die apper- cipirenden Vorstellungsmassen; und zwar nach dem zu- sammengesetzten Verhältnisse ihrer zuvor gewonnenen Ausbildung, und des Einflusses, den ihnen die andern, gleichsam gewogenen oder erwogenen, Vorstellungsmas- sen gestatten. — Das Wählen geschieht, indem ver- nommen wird, welches der Gleichgewichtspunct sey, zu welchem die sämmtlichen erwogenen Vorstellungsmassen sich hinneigen. Wer vernimmt hier? Wiederum die appercipirenden Vorstellungsmassen, indem sie verschmel- zen mit den übrigen, schon zum Gleichgewichte kommen- den Vorstellungen, und zwar so verschmelzen, wie die letztern es möglich und nöthig machen. — Das Be- schliessen geschieht, indem die sämmtlichen Vorstel- lungsmassen, so wie sie verschmelzen, unverzüglich an- fangen eine Totalkraft des Strebens zu bilden, und als solche zu wirken. Wer beschliesst hier? Das Ganze des gleichzeitigen Bewusstseyns. Der Beschluss würde nicht vest stehn, wenn nicht die durchgängige Verschmelzung so zu Stande käme, wie sie aus den sämmtlichen Vor- stellungsmassen sich ergeben muss. Begreiflicher Weise kann man die drey eben er- wähnten Operationen nicht streng absondern. Das Wäh- len ist nur der Uebergang vom Erwägen zum Beschlie- ssen. Im Erwägen ist die Wirksamkeit der appercipiren- den Vorstellungsmassen am grössten, indem sie verhin- dern, dass von den übrigen nicht einige vorschnell ver- schmelzen; oder nach populärem Ausdruck, indem die Vernunft verhütet, dass man sich nicht übereile. Dabey würden andre Vorstellungsmassen ausser der Verschmel- zung bleiben; sie würden den Entschluss wandelbar ma- chen. Im Wählen sinkt nun die Thätigkeit der apper- cipirenden Vorstellungsmassen; sie selbst lassen sich die- jenige Art der Verschmelzung gefallen, welche aus allem zusammenwirkenden resultirt. Warum lassen sie sich das gefallen? Weil sie nicht anders können. Sie sind selbst im psychologischen Mechanismus mit befangen, und müssen auch leiden, indem die andern Vorstellun- gen von ihnen leiden. Die geschehene Wahl ist der Beschluss, der sich in der neuen Richtung ankündigt, welche nun alle Vorstellungen vermöge der neu gebilde- ten Totalkraft erhalten. Sind alle diese Beschreibungen noch roh: so liegt es wenigstens zum Theil an der äusserst verwickelten Natur des Gegenstandes, und an seiner weiten Entfernung von den obigen Grundsätzen des synthetischen Theils. — Indessen können wir doch jetzt auf zwey Puncte einiges Licht werfen; erstlich auf den Unterschied des Wollens vom Begehren, Verlangen, Wünschen; dann auf das Eigenthümliche des sittlichen Wollens. Wunsch ist wohl der gelindeste Ausdruck für das- jenige Streben, was wir oben mit der allgemeinen Be- nennung des Begehrens belegten. Wenn man aber be- denkt, dass es auch heftige Wünsche giebt: so sieht man leicht, dass beym Verlangen, und vollends beym Wollen, noch etwas anderes, als ein höherer Grad, muss hinzugekommen seyn. Was man verlangt , das glaubt man, aus irgend einem Grunde, erreichen zu können; was man will , dessen Erreichung setzt man be- stimmt voraus . Nun ist klar, warum die praktische Vernunft als ein Mittelding, oder vielmehr als ein Zu- sammengesetztes aus theoretischem und praktischem Ver- mögen erscheint. Bestimmte sich die Wahl bloss nach dem stärkeren Begehren, und durch dessen Uebergewicht über andere Strebungen: so würde sie von keinem hö- heren Erkenntnissv ermögen hergeleitet werden. Allein nichts kann beschlossen werden, ohne dass wir es als in unserer Macht stehend angesehen haben. Die Frage, wie weit unser Können reiche, geht schon in die Erwä- gung mit ein, und entfernt daraus alles, wovon nicht we- nigstens das Versnchen in unserer Gewalt zu seyn D d 2 scheint. Daher wird es als die Grundlage des vernünfti- gen Wollens betrachtet, dass man seine Kräfte kenne, und ihnen nicht mehr noch weniger zutraue als sie ver- mögen. Zuviel übernehmen ist gemeine menschliche Thor- heit, grosse Unbekanntschaft mit der wirklich vorhande- nen eigenen Stärke ist thierische Dummheit. Allein man schreibt der praktischen Vernunft, als ihr höchstes Eigenthum, noch die sittliche Gesetzge- bung und Regierung zu. In diesem Sinne ent- steht die Vernunft erst aus schon vollbrachtem Erwägen, Wählen, und Beschliessen . Denn die sittlichen Maximen müssen vor allen andern Maximen in den höchsten Rang erhoben seyn, ehe sie als strenge Gesetze können verehrt werden; und besitzen sie einmal diesen Rang, dann fallen sie nicht mehr in die Wahl, sondern sie treten hinüber in die appercipirenden Vor- stellungsmassen, ja ihre appercipirende Stellung wird blei- bend; sie verwandeln sich in die beständigen Beobachter alles dessen, was sich sonst noch im Bewusstseyn regt. Dadurch werden sie Charakterzüge der Per- sönlichkeit, indem sie nun eine veste Verschmel- zung mit dem Selbstbewusstseyn erlangen, und dem innern Sinne zu seiner beständigen realen Grundlage dienen . Die Frage, wie die sittlichen Maximen eine solche Auszeichnung erlangen können, ist gewiss die wich- tigste der ganzen Psychologie. Aus dem Interesse für diese Frage wird man, ohne zu irren, sichs erklären, wenn hie und da mein Bestre ben, die Unzulässigkeit der transscendentalen Freyheits- lehre ins Licht zu setzen, sich mit einiger Lebhaftigkeit äussert. So wie Kant von der Metaphysik sagte, der Zweck aller ihrer Zurüstungen sey die Erkenntniss von Gott, der Freyheit, und Unsterblichkeit, (zwar schwer- lich mit Recht; denn die wissenschaftliche Metaphysik kann nur durch ein rein theoretisches Interesse zu Stande gebracht werden; und ihre ersten Anfänge zeigen schon, dass die Freyheitslehre falsch und unnütz, die Unsterb- lichkeit gewiss, die Erkenntniss Gottes auf eine Verthei- digung richtiger, aber allgemein bekannter teleologischer Ansichten beschränkt sey,) so könnte man mit besserem Grunde von der Psychologie sagen, ihr praktischer Werth beruhe hauptsächlich in ihren Aufschlüssen über die Möglichkeit sittlicher Bildung für den Menschen, und in den Anweisungen, die sie darüber dem Erzieher und dem Volksbildner zu geben habe. Aber die Lehre von der (transscendentalen) Freyheit macht alle Untersuchung über diesen hochwichtigen Gegenstand zu Nichts; indem sie die Sittlichkeit wie ein Wunder aus einer andern Welt hervorbrechen lässt, ohne dass man die geringste Hoffnung hätte, diese Erscheinung von einem zweckmä- ssigen Handeln abhängig zu machen. Daher ist das prak- tische Interesse im geringsten nicht für , sondern gänz- lich gegen die Freyheit des Willens, wofern sie näm- lich so wie Kant es verlangte, genommen wird. Denn was Andre, und nicht mit Unrecht, Freyheit der mensch- lichen Handlungen genannt haben, nämlich den Ursprung unsres Handelns aus unserm wirklichen Wollen, im Ge- gensatz gegen jedes maschinenmässige Fortpflanzen em- pfangener Eindrücke, das ist vollkommen der Wahrheit gemäss, wie man aus dem Ganzen dieser Abhandlung erkennen wird. Die Beantwortung jener Frage nun wird vor allen Dingen erfordern, dass man die zuvor unterschiedenen Classen der Maximen in Hinsicht der Haltbarkeit ver- gleiche, die sie dann heweisen, wann sie sämmtlich in Eine Erwägung, in Eine Wahl fallen, wo sie sich den Vorrang streitig machen. Ohne allen Zweifel sind an sich die Maximen der Leidenschaften die stärksten. Den- noch unterliegen sie schon den Maximen der Gefühle des Angenehmen und Unangenehmen, sobald sie zum Schauspiel dienen für einen unbefangenen, leidenschaft- losen Beobachter. Diesem erscheint die Wildheit der leidenschaftlich handelnden Menschen als grosse Thor- heit, als ein beynahe wahnsinniges Vorüberrennen vor den lieblichsten, einladendsten Geniessungen, welche die Natur mit gütigen und mit vollen Händen für den Men- schen ausspende. So entsteht eine Glückseligkeitslehre, welche überall umhergeht um zu warnen, man möge dem Ausbruch der Leidenschaften vorbeugen, und sich nicht in die heillosen Wirbel eines sich selbst verzehrenden Strebens stürzen. Wer wollte diesen Warnungen nicht Gehör geben? Nämlich so lange er noch nicht selbst von der Leidenschaft ergriffen ist? — Denn wen die Wuth schon fortreisst, der ist taub gegen alle Glückse- ligkeitslehre; er muss erst still werden, um sie wieder zu vernehmen. So entsteht der erste Gegensatz zwischen der Moral und dem gemeinen Leben. Allein die Glückseligkeitslehre kann ihr eignes Fundament nicht klar nachweisen. Sie behauptet zwar ihr Recht, so lange sie streitet wider Lei- denschaften und zügellose Begierden; aber sie verliert ihr Spiel, sobald sie selbstständig auftreten will. Sie gleicht den Menschen, die auf einer niedern Stufe glän- zen, auf einer höhern ihre Blössen zu Schau stellen. Sie versucht umsonst, das Object ihrer Weisungen, die Glückseligkeit, vor unsere Augen zu bringen; sie erin- nert uns an unsere Gefühle von Freude und Schmerz, und wir entdecken sogleich das Unstete, nur im Fluge Geniessbare der erstern, das Erträgliche und wenig Furcht- bare des andern, sobald irgend ein ernster Zweck uns wichtig genug scheint, um uns dem Leiden Preis zu ge- ben. Daher muss wiederum, sobald von einer Sittenlehre einmal die Rede ist, die Glückseligkeit den Platz räu- men; und jetzt kann auf dem nämlichen Platze nichts anderes bleiben, als diejenigen Maximen, nach welchen wir selbst in unsern eignen Augen entweder verächtlich und schändlich, oder würdig und löblich erscheinen. Diese Maximen behaupten sich durch den Vorzug aller reinen und ächten ästhetischen Urtheile, dass die Gegenstände, worauf sie treffen, sich jederzeit deutlich hinstellen lassen, und immer die gleiche Entschiedenheit des Beyfalls und Misfallens mit sich führen. Wer in diesem Hafen einmal angelangt ist, der wird, bey einiger Theilnahme für andre Menschen, nicht säumen, auch sie hieher zu verweisen. Aber nun liegt ihm daran, den heilsamen Lehren, die er verbreitet, auch Gewicht zu geben. Nun sinnt er auf diejenigen Zusätze, wodurch er am schnellsten und kräftigsten die irrenden Gemüther fassen, lenken, treiben könne. Alle Formen des Lobes und Tadels, der Verheissungen und Drohun- gen, besonders aber die religiösen und bürgerlichen Vor- stellungsarten, werden dem Gegenstande, den man erhe- ben und heiligen will, so gut als möglich angepasst. So gewinnt das ursprüngliche sittliche Urtheil eine Verkör- perung, die ihm die Menge leichter unterwirft, aber es erscheint nun auch in einer Verunstaltung, worin selbst die schärferen Denker es nicht mehr erkennen. — §. 152. Jede Maxime, in dem Augenblicke wo sie sich bil- det, trägt die Bestimmung in sich, dass sie zur Apper- ception dienen soll für die sämmtlichen Regungen des Begehrens, welche ihr zuwider entstehn könnten, und für die Umstände, welche zu ihrer Anwendung geeignet sind. Diese Apperceptien ist nämlich die erste Bedingung, un- ter welcher die Maxime zur Wirksamkeit gelangen kann; sonst würde der vorkommende Fall unbemerkt vorüber- gehn, und der Mensch würde sich hintennach einer Ue- bereilung zeihen. Ob nicht diese Bedingung selbst noch psychologische Bedingungen habe? das fragt sich nie das Kind, selten der Mann, und der Anhänger der transscen- dentalen Freyheit leugnet es, weil er in diesem Puncte die Wahrheit nicht wissen will Vergl. §. 22. . Appercipirt nun wirklich die Maxime den zu ihrem Gebiete gehörigen Fall, (gleichviel ob zur rechten Zeit, wo darnach verfahren werden soll, oder später mit Reue, dass der Augenblick versäumt worden,) so gelangt dabey das Ich zum Bewusstseyn. Denn sie, die appercipirende Vorstellungsmasse, worin die Maxime besteht, sieht als- dann das Handeln, welches von innen , aus dem wis- senden und denkenden Subjecte, nach aussen , zu den Objecten hin , geht oder gehen kann; sie sieht zugleich den Erfolg, welcher in die Wahrnehmung fällt oder fal- len konnte; sie sieht also das im Handeln von sich wis- sende Ich; und ihre eigne Activität schmilzt mit ihm zu- sammen, eben indem sie also sieht, und über das Ge- sehene verfügt. Dass hier statt des Handelns auch ein Leiden, eine Hingebung kann gesetzt werden, ist bekannt aus §. 136. Da nun dieses sich so oft ereignet, als Maximen zur Anwendung kommen: so ergiebt sich, nicht nur, dass die Eigenthümlichkeit des Selbstbewusstseyns für einen Jeden gar sehr von seinen Maximen, und von deren Wirksamkeit abhängt, sondern auch, dass die Intensität des Selbstbewusstseyns sehr gesteigert wird durch dieje- nige höhere Ausbildung, welche allmählig die Maximen erschafft, verknüpft, einschärft. Zurückgeleitet durch diese Bemerkung auf die Un- tersuchung über das Ich: wollen wir uns zugleich an je- nes Gleichgewicht zwischen Wollen und Hingebung er- innern, welches, wie oben (§. 136.) gezeigt, zur Reini- gung des Ich von dem Zufälligen seiner Objectivität er- fordert wird. Wir können jetzt drey Stufen unterscheiden, auf welchen dieses Gleichgewicht sich bilden und erhalten muss, wenn nicht eine gefährliche Abweichung von dem- selben herbeygeführt werden soll. Die erste Stufe zeigt uns die Untersuchung des §. 150. Noch vor aller Bildung der Maximen entstehn und wirken solche Vorstellungsreihen, wie dort beschrie- ben worden; sie entstehn sporadisch, und wirken nach Gelegenheit, ohne selbst eine veste Bestimmung von Zwecken, von Objecten des Begehrens in sich zu tragen. Auf welchen Punct der ablaufenden Reihen nun gerade zufällig eine Hemmung trifft, da werden die Reihen (die man in Gedanken rückwärts verfolgen muss,) in Span- nung gesetzt, so lang sie nun gerade sind; und für so lange Zeit, bis sie, falls das Hinderniss nicht weicht, selbst durch den Widerstand sind niedergebeugt worden. Dies giebt den kindlichen, oder knabenhaften Zustand eines mannigfaltigen Begehrens ohne vesten Plan, das keine anhaltende, gleichförmige Wirkungen erzeugt, viel- mehr unter einem stetigen Zwange bald zusammensinkt, dagegen aber bald andre Gegenstände ergreift, oder, was dasselbe sagt, sich in andern Vorstellungsreihen wieder ereignet; so dass, wann der Zwang nicht zu allge- mein über die ganze Sphäre der kindlichen Reg- samkeit verbreitet wird , sich kein wesentlicher Ver- lust an der Gesammt-Thätigkeit des jugendlichen Geistes verspüren lässt. Auf dieser ersten Stufe nun ist es ein Grundfehler der Erziehung, wenn das Ich des Kindes nicht im Gleich- gewichte des Wollens und der Hingebung gehalten wird. Die Fehler des Uebermuths und des Unmuths entstehn aus dem Uebergewichte nach der einen und nach der andern Seite; beyde sind gleich schlimm; und zwar ge- rade darum schlimm, weil sie dem Kinde die Vorstellung von Sich und seinen Verhältnissen verderben. Dass da- bey die natürliche Weichheit und Biegsamkeit vermin- dert, dass die ursprüngliche Erzeugung des sittlichen Ur- theils gestört wird, kann ich hier nicht ausführlich ent- wickeln Im Zusammenhange mit dem Ganzen der sittlichen Bildung zeigt sich dies in meiner Pädagogik; insbesondere im 5. Capitel des dritten Buchs. . Die zweyte Stufe ist die des planmässig handelnden Mannes. Hier ist nöthig, Pläne von Maximen zu unter- scheiden. Jene hängen ab von der Kenntniss des Causal- Verhältnisses unter den Sinnengegenständen. Sobald der Mensch das Ganze seiner Bestrebungen und Erwartungen zusammenfasst, und sie mit seiner Ueberschauung der ihn umgebenden Objecte in bestimmte, bleibende Ver- bindung setzt, hängt das flatterhafte Begehren, welches bald diesen bald jenen Gegenstand traf, an, sich zu ver- lieren; seine Begierden werden gleichförmiger; er empfin- det den Druck der Aussenwelt mehr anhaltend und zu- sammenhängend an denselben Stellen; ungeachtet der Ab- änderung in Einzelnheiten; er widersteht diesem Drucke desto beharrlicher, je mehr Mittel und Anstalten er noch in seiner Gewalt glaubt, um mit der Zeit zum Ziele zu kommen. Auch auf dieser Stufe nun erfordert die Gesundheit des Geistes, dass das Ich im Gleichgewichte gehalten werde. Nicht bloss die Mutter verzieht das Kind; auch den Mann, sobald er mehr von Plänen als von Maximen erfüllt ist, kann das Schicksal sowohl verziehen als nie- derdrücken. Die Beyspiele sind bekannt genug; die Täu- schungen, die Gefahren, das Unglück was daraus ent- steht, ist es ebenfalls. Darum soll der Mann die höhere Ausbildung erlan- gen, welche die dritte Stufe bezeichnet; er soll durch Maximen, und zwar durch richtige sittliche Maximen, ge- leitet werden. Mögen die Aussendinge ihn aufregen; nur ihn in gerader Linie zu sich hinziehn dürfen sie nicht; die Richtung muss von den Grundsätzen abhängen. Dass nun nicht etwa die Grundsätze selbst eine Materie des Begehrens als Triebfeder enthalten, oder mit andern Worten, dass sie nicht der Ausdruck eines durch sein Object bestimmten Begehrens seyn, — den Menschen nicht anlocken, sondern gleichsam von hinten her in Be- wegung setzen sollen: dies hat uns Kant nachdrücklich genug eingeschärft; ein nie genug zu schätzendes Ver- dienst; und, wenn man diese grosse Wahrheit so hoch aus mancherley Irrthum hervorragen sieht, beynahe ein Wunder! Auch auf dieser Stufe der Maximen muss das Ich im Gleichgewichte erhalten werden; der Mensch muss unter ihrer Leitung sich in gleichem Maasse duldend er- blicken, als handelnd. Dies ist ein oft übersehenes, aber höchst wesentliches Kriterium einer richtigen praktischen Philosophie. Trifft es nicht zu, so kann sie viel einzel- nes Vortreffliches enthalten, aber sie verdient dann ihren Namen nicht; sie ist nicht praktisch. Denn sie ist als- dann nicht fähig, den Menschen für das Leben in die rechte Stimmung zu versetzen, ihm eine veste Haltung zu geben. Eine bloss anspornende, begeisternde Sitten- lehre schleudert ihn gegen den Felsen der Nothwendig- keit, die theils in seiner eignen, theils in der äussern Natur, und in der Gesellschaft liegt; an diesem Felsen läuft er Gefahr zerschmettert zu werden, ohne darum ei- nen höhern Werth seines Daseyns erreicht zu haben. Dies ist eben so gewiss, als dass im Gegentheil eine schlaffe Sittenlehre, wie jene der Empiriker, deren Au- genmerk Lust und Geniessung ist, oder der Mystiker, welche die Gemächlichkeit einer passiven Hingebung und Contemplation anpreisen, den Menschen um das Bewusst- seyn seiner Thatkraft bringt, und ihn um seine ganze Bestimmung betrügt. Welcher von diesen beyden Abwegen für die Sit- tenlehre heut zu Tage mehr zu fürchten sey, das ist schwer zu sagen; denn unbekümmert um den heilsamen Nullpunct des reinen Ich, sieht man sie auf jenen bey- den Abwegen zugleich umherirren. Fichte’s Ichlehre war bloss anspornend; die damit verbundene Sittenlehre entwickelte das Kantische Frey- heits-Princip. Es ist merkwürdig, dass Kant selbst, von dem überspannten, rüstig sittlichen Affect, der aus die- sem Princip natürlich entsteht, so wenig spüren lässt. Der Grund davon kann nicht in dem strengen Pflicht- begriff allein enthalten seyn; diesen hatte Fichte mit ihm gemein. Die wahre Ursache davon scheint mir in einem persönlichen Vorurtheil Kants zu liegen, welches mit seinen Lehrsätzen nur lose zusammenhängt; und ge- gen das vorige Uebel nur dadurch Schutz leistet, dass es ein neues Uebel herbeybringt. Wir wissen aus Kants Religionslehre, dass er den Fortschritt der Menschheit zum Bessern leugnete. „Diese Meinung,“ sagt er, „hat „man sicherlich nicht aus der Erfahrung geschöpft, wenn „vom Moralisch - Guten oder Bösen (nicht von der „Civilisirung) die Rede ist: denn da spricht die Geschichte „aller Zeiten gar zu mächtig gegen sie, sondern es ist „vermuthlich bloss eine gutmüthige Voraussetzung der „Moralisten von Seneka bis zu Rousseau, um zum un- „verdrossenen Anbau des vielleicht in uns liegenden Kei „mes zum Guten anzutreiben, wenn man nur auf eine „natürliche Grundlage dazu im Menschen rechnen könne.“ Von Keimen, von natürlichen Grundlagen, kann ich nicht das Geringste einräumen, vielweniger mit jenen Gut- müthigen voraussetzen; sie sind der Tod der Metaphysik und der Psychologie. Ueber die Geschichte, und deren Auslegung, würde ich ebenfalls wider Kant nicht streiten, wenn nicht sein Gegensatz zwischen dem Moralisch-Gu- ten und der Civilisirung, durch Uebertreibung dazu ver- anlasste. Zuerst aber bemerke ich, dass die transscen- dentale Freyheit, weil sie eine so schlechte Geschichte statt der vortrefflichen, die man von ihr erwarten konnte, bisher zugelassen hat, allerdings nicht die geringste Hoff- nung darbietet, ihre Erscheinung in der Sinnenwelt werde jemals genügender ausfallen. Während nun dieser Punct der Kantischen Lehre in der That ganz geeignet ist, jene niederschlagende Ableugnung alles wesentlichen Fort- schreitens zu unterstützen: sehe ich doch einen andern Theil der nämlichen Lehre, der zu weit günstigern An- sichten nicht bloss einladet, sondern berechtigt und so- gar nöthigt. Kants Handeln nach der Idee einer allge- meinen Gesetzgebung für alle Vernunftwesen, und zwar nicht bloss gemäss dieser Idee, sondern auf ihren An- trieb ganz allein , — stellt die Sittlichkeit so ganz auf die Spitze einer vollendeten, das ganze menschliche Be- wusstseyn durchdringenden Reflexion , dass die niedern Zustände des noch nicht reflectirenden Menschen, der an keine allgemeine Gesetzgebung denkt, sondern für sich, und für Wenige, die er liebt, oder als die Seinigen be- trachtet, lebt und sorgt, gar nicht die Sphäre erreichen können, worin nach dieser Ansicht die Sittlichkeit allein zu suchen wäre. Darum passt es für Niemanden weni- ger als für Kant , so spröde zu thun gegen die Civilisi- rung. Denn mit ihr Hand in Hand geht die Reflexion; und dem gemäss müsste man sagen, die Freyheit sey dort, wo noch der Gedanke einer allgemeinen Gesetzge- bung nicht aufkommen kann neben dem Cultus eigen- thümlicher National-Gottheiten, und neben einem eng- herzigen, spartanischen oder römischen Patriotismus, der kein politisches Leben ausser seinem engen Kreise dul- den will, — überall nicht zur Erscheinung durchgebro- chen; sondern sie lasse ihr Licht nur in dem Maasse heller leuchten, wie die Menschen sich zur Ueberlegung dessen erheben, was mit dem Willen Aller bestehen könne. Man sieht nun leicht ein, (oder man kann es aus der praktischen Philosophie leicht erkennen) dass hieran aller- dings etwas Wahres ist. Die Sittlichkeit ist zwar nicht ganz ein Werk der Reflexion, sondern ein Theil von ihr liegt in natürlichen Gefühlen des Wohlwollens, die sich unmittelbar Niemand geben kann; ein andrer Theil ist ursprüngliche Kraft, die man im Menschen, so wie er aus Leib und Seele schon geschaffen dasteht, nur vorfinden und an dargebotenen Gegenständen über kann; wieder ein andrer Theil ist richtiges ästhetisches Urtheil, welches gar nicht vom Abstracten, sondern von einzelnen wirklichen Fällen anzuheben, und auf niedrigen Culturstufen sich zuweilen unerwartet, wie ein Blitz, je- doch auch eben so vorübergehend, zu zeigen pflegt; — aber diese einzelnen Factoren der Tugend Oder vollends einzelne heftige Aeusserungen derselben, die unter dem Namen tugendhafter Handlungen bewundert zu werden pflegen. sind noch nicht die Tugend selbst; sie bedürfen noch, gesammelt, geläutert, gesichert, durch Maximen, durch Grundsätze, durch Uebung, durch Anstrengung vestgestellt zu wer- den; daher ist die Cultur nicht gleichgültig für das Mora- lische, vielmehr ist sehr gewiss, dass man wenigstens die Reife der Tugend nur bey dem Menschen suchen kann, dessen Blick sich ins Allgemeine ausbreitet, und nicht mehr von den ersten, niedrigsten Bedürfnissen eines küm- merlichen individuellen Daseyns verdüstert wird. Ueber- dies, wo kein feines Gefühl, da ist auch keine Tugend; da steht es schlecht auch um jene ersten Factoren der- selben, die zwar der Reflexion nicht das Daseyn, aber doch Schutz verdanken gegen eine Rohheit und Wild- heit, der sie sonst zu unterliegen pflegen. Und nun ver- gleiche man die Beschreibungen, die wir von rohen Völ- kern haben! Nun überlege man, wie die Erde damals aussehn konnte, als bloss einige wenige Puncte in Italien und Griechenland eine Cultur besassen, die noch durch Sklaven, und durch Geringschätzung des weiblichen Ge- schlechts verdunkelt wurde! Gerade die Geschichte, die von unserer Zeit ein beschämendes, aber von den frü- hern Zeiten eine Unzahl wahrhaft empörender Zeugnisse ablegt, beweis’t den Fortschritt des Menschengeschlechts demjenigen, der von der Sittlichkeit nicht bloss einen klaren Begriff hat, (sondern ausführlich-deutlich, wie es nöthig ist, die Bestandtheile derselben und das Ganze vor Augen sieht. — Auch ist die Ueberzeugung wenig- stens von der Möglichkeit des Fortschreitens nicht bloss eine gutmüthige Voraussetzung, die man haben und entbehren kann nach Belieben: sondern wenn von praktischen Postulaten die Rede ist, an die man glauben muss, um sittlich handeln zu können, so ist für das Le- ben gerade dieses Fortschreiten, und zwar in der Sitt- lichkeit nach ihrem allerstrengsten Begriffe , der wahre und eigentliche Glaubenspunct, welcher allein fähig ist, den Muth des Lebens und Wirkens zu halten und zu ernähren Die nothwendige Verbindung dieses Puncts mit der Voraus- . Dass Kant dieses so wenig fühlte, dass ein Mann von so gesundem Verstande, so richtigem Tacte auch ausserhalb des speculativen Gebietes, und von so weit- greifender, anhaltender Wirksamkeit, in diesem Puncte durch ein schwarzgefärbtes Glas sah; dass er dadurch sich zu der wahrhaft unseligen Behauptung eines radi- calen Bösen verleiten liess: dies verdient aufrichtiges, tiefes Bedauern. Das Böse ist kein so grosses Geheim- niss, als es Denen scheint, die vom Guten keine deutli- chen Begriffe haben. Nur wer es für einfach hält, wer es in seine heterogenen Bestandtheile nicht zerlegt hat, den befremdet das Daseyn desselben; wer aber vollends in Affect geräth, indem er davon spricht, der taugt we- der hier noch irgendwo zum gründlichen Untersuchen. Als Seelenarzt gleicht er jenen chinesischen Aerzten, die zwar nicht durch ihre Beschwörungsformeln. aber mit Hülfe des Feuers, und tief ins Fleisch hineingestochener Nadeln, zuweilen wirklich einen Kranken heilen, weil es allerdings hie und da Krankheiten giebt, die mit so viel Gewalt angegriffen werden müssen, und denen eine gelin- dere, besonnenere Curart nicht so leicht an die Wurzel kommen möchte. In den Gesprächen über das Böse ist gelehrt worden, nicht bloss, dass Gutes und Böses nicht Begriffe der Erkenntniss, sondern der Beurtheilung durch den gegenüberstehenden Zuschauer sind, — nicht bloss, dass es aus mehrern, höchst verschiedenen Elementen besteht, die eben so verschiedenen Reflexionspuncten an- gehören, (welches schon aus der praktischen Philosophie hätte bekannt seyn sollen): sondern auch, dass es sich mit dem Guten und Bösen verhält wie mit den Metallen, den edeln sammt den unedeln; sie finden sich eben setzung des waltenden guten Princips darf als hinlänglich bekannt vor- ausgesetzt werden. Es ist nicht nöthig, damit Kants schwankenden Begriff von der Glücks-Würdigkeit, (für die es kein mögliches Maass giebt,) oder gar Fichtes idealistische Ansichten, zugleich anzu- nehmen. so wenig in den Urgebirgen als in der Damm- erde Man verzeihe, dass ich dies aus einer frühern Schrift wörtlich abschreibe. Es ist ein Satz, den ich in der That so oft wiederhohlt wünschte, bis er völlig durchdacht, und in allen seinen Beziehungen verstanden seyn möchte. Wer ihn nicht einsieht, der wird niemals, wie man es nennt, mit seinen Ueberzeugungen ganz ins Reine kom- men. Den wesentlichen Sinn desselben könnte man auch so ausdrük- ken: Die Psychologie, wiewohl in ihrem theoretischen Verhältniss der allgemeinen Metaphysik (oder Ontologie) untergeordnet, hat dennoch eine ungleich höhere Würde. Sie ist von der ganzen Me- taphysik derjenige Theil, wo der an sich kalte und harte Boden die- ser Naturwissenschaft zuerst den Sonnenstrahl des ästhetischen Urtheils empfängt und in sich saugt, um sich in einen Wohnplatz zu verwandeln, wo das geistige Leben des Menschen gedeihen könne. Die allgemeine Metaphysik dagegen ist eine eisigte Insel, die nur von sehr gesunden, mit gutem Vorrath fürs Leben hinreichend versehenen Köpfen darf besucht werden. Es hat zwar Personen gegeben, die da hofften, das rauhe Klima dieser Insel zu verbessern, wenn sie Blumen und edle Früchte darauf pflanzten. Aber was sie auch bringen mögen von Gegenständen, die wohlthätig wirken aufs Gefühl, — in einer so kalten Zone muss es verdorren; und der Gewinn ist bloss, dass die Herrn ihre Unkunde in der Geographie des wissenschaftlichen Bodens zur Schau stellen. Eine sehr schädliche Unwissenheit! Denn es ent- steht daraus eine Vielgeschäfftigkeit, wodurch die nothwendigen Arbei- ten gehindert werden. . Das heisst: das Gute und Böse liegt weder in den Dingen an sich, die wir Noumena zu nennen pfle- gen, noch in den Phänomenen, deren Zusammenhang mit jenen entweder gar nicht untersucht, oder verkannt zu werden pflegt. Gutes und Böses liegt in der Mit- telwelt zwischen beyden. Dies sollte nun zwar für den Leser längst keiner Erläuterung mehr bedürfen. Allein der Sicherheit wegen will ich etwas hinzusetzen, besonders weil dadurch Ge- legenheit zu nützlichen Rückblicken auf das Vorgetra- gene gegeben wird. Zuvörderst: das Böse, vom psychologischen Stand- puncte betrachtet, bildet keine Classe von Gegenständen für sich allein; sondern es ist in Hinsicht seines Entste- hens hens, Daseyns, und Wirkens, (nur nicht in Hinsicht seiner Würdigung!) gleichartig mit Irrthum, Verwöhnung, und falschem Geschmack; welches alles wiederum theils in der Rohheit, die der Bildung vorangeht, theils in der Verwilderung, die ihr nachfolgt, seinen Sitz hat. Was nun den Irrthum anlangt: so kennt man sei- nen Ursprung aus dem psychologischen Mechanismus. Nicht bloss vom Verwechseln des Mittelbegriffs im Syl- logismus ist hier die Rede, — welches geschieht, wenn zwey Begriffe sich wegen ihrer Aehnlichkeit reproduciren, aber nicht hoch genug ins Bewusstseyn gegen die Hem- mung hervortreten, um die Strecke des qualitativen Con- tinuums, die ihren Unterschied ausmacht, zwischen sich schieben zu können, — sondern vorzüglich von jenem metaphysischen Irrthum, vermöge dessen wir Complexio- nen von Merkmalen für Dinge, und als solche für Ein- heiten halten, bloss darum, weil der Act des Vorstellens wegen der Complication nur Einer ist; von diesem Grund- irrthum also, der auch unsre Vorstellung von uns selbst beherrscht, und uns Leib und Geist, Veränderliches und Stetiges in uns, mit eben dem Rechte als Eins vorspie- gelt, womit das Kugelgewölbe, woran die Sterne vest- sitzen, als Eins unter dem Namen der Welt aufgefasst wird; endlich von dem Irrthum ist die Rede, vermöge dessen wir ursprünglich vorstellende Wesen zu seyn glauben, obgleich, wenn wir genau reden wollten, das Wort Vorstellung erst bey den Anschauungen eintre- ten sollte, die etwas vor uns hinstellen, (§. 147.) was die blosse Empfindung eben so wenig vermag, als die blosse Seele, die für sich weder anschaut noch auch nur empfindet. Man weiss nun von dem Allen den Ursprung; man weiss auch, dass diese Art von Täuschungen zwar auf- gedeckt, aber nicht hinweggeschafft werden können. Ver- möge der Einheit der Seele, deren Folgen durch die Hemmung unter den Vorstellungen beschränkt werden, entsteht ein Herausgehn aus dem blossen Empfinden, II. E e (welches, für sich allein, weder Wahrheit noch Irrthum, und überhaupt gar keine Erkenntniss enthält); die Em- pfindung nimmt Form an; diese Form giebt uns Wahr- heit gemischt mit dem Irrthum; ihre weitern Verwandlun- gen scheiden allmählig von der Wahrheit den Irrthum, so dass wir mit absichtlicher Anstrengung, die zum Theil in Gewöhnung übergeht, wohl im Stande sind, beydes aus einander zu halten. Lässt aber die Anstrengung gar zu sehr nach, so mischt sich der Irrthum mit der Wahr- heit, und wird um desto buntscheckiger, je weniger sie zu ihm passt; wie man es an den phantastischen Syste- men sieht, die auf das kritische gefolgt sind. Wie nun der Irrthum seine Naturgeschichte hat, so hat auch der falsche Geschmack die seinige. Wie aus Sand, Kies und Erz die Edelsteine, so scheiden sich aus den wandelbaren Gemüthszuständen die unveränderlichen, von keiner Individualität, sondern nur von der Qualität des Vorgestellten abhängigen ästhetischen Urtheile all- mählig heraus; und werden für die Gefühle dasselbe, was für das theoretische Denken die Producte des sogenannten Verstandes sind, den wir oben für das Vermögen erklär- ten, uns im Denken nach der Qualität des Gedachten zu richten. Aber die Ausscheidung geschieht nicht rein und bleibt nicht rein. Das Schöne und das Beliebte, das Gute und das Angenehme werden immer von neuem verwechselt. Die Werke des Geschmacks, wie man sie nennt, sind vielmehr Werke der Phantasie, das heisst, sie entstehen, wie die Träume, aus Reproductionen unzähliger früher gebildeter Reihen, welche gerade deswegen, weil ihr treues Ablaufen grossentheils gehemmt ist, nun Verbindungen unter einander eingehn können, die sie bey vollständiger Evolution würden ausgestossen haben. Das grosse Wun- der, was man darin findet, ist ein Geschöpf der psycho- logischen Unwissenheit. Nothwendig müssen durch die neue Verwebung neue psychologische Kräfte, und neue Gemüthszustände entstehn. Wenn nun das Individuum, worin sich dieselben bildeten, weder durch äussere Um- stände, noch durch physiologische Hindernisse, (wie bey trägen Köpfen) noch durch seine eignen Zweckbegriffe (wie bey denen, die frühzeitig sich in der Gesellschaft einen Platz suchen,) abgehalten wird: so giebt es sich der Wirkung jener Kräfte und Gemüthszustände hin; appercipirt seine Träume, und formt sie gemäss der Re- flexionsstufe, auf der es überhaupt steht. Daher tragen die Kunstwerke, von den rohesten bis zu den vollkom- mensten, den Stempel ihrer Zeit, und der Stimmung des Urhebers. Unzählige dieser Werke werden vergessen; um ihnen Dauer, und dem Urheber Aufmunterung zu geben, muss ein Kreis von Zuschauern und Hörern hinzu- kommen. Und jetzt erst fragt es sich, ob die Kunst auch schöne Kunst war? Oder ob aus irgend welchen an- dern Gründen die Empfänglichkeit der Zuhörer die Kunst mit der Gunst beehrte? — Um uns den Genuss der Kunstwerke nicht zu rauben, sind wir oftmals viel gefäl- liger, als wir selbst merken. Wir bequemen uns nach Griechischer, nach nordischer Mythologie; versetzen uns nach Italien und nach Spanien, um dieses Genusses willen. Manchmal freylich sind wir desto eigensinniger. Darin herrscht viel Willkühr. Man kann sich noch heute in die Stimmung versetzen, die Rousseaus Heloise, und Wielands Agathon erfordern; doch Manchen wird das schwer. Was mich betrifft, so wird mir noch schwerer, was Andern leichter dünkt; ich verhehle z. B. nicht meine Verwunderung, dass noch heute die niedrigen Pantoffeln des Ariost nicht für zu schlüpfrig, die hoch rhetorisch- dialektischen Stelzen des Calderon nicht für zu hals- brechend geachtet werden, um einen vesten Stand auf dem Parnass zu behaupten! Nachdem diese Aeusserungen niedergeschrieben worden, fällt es mir auf, dass ein versteckter Vorwurf gegen einen meiner alten Freunde darin zu liegen scheinen könnte, der gerade den beyden ge- nannten Schriftstellern sein ausserordentliches Talent als Uebersetzer zugewendet hat. Aber ich bezweifle eben so wenig Ariosts und Calderons poëtische Ader, als ihre historische Merkwürdigkeit, nur — Lieber lese ich, in E e 2 Hoffnung, man werde mir meinen Geschmack lassen, im Stillen den Walter Scott oder wie jener Unbe- kannte heissen mag, dessen tragische Muse des Kothurns nicht bedarf, weil sie im einfachen Hauskleide des Ro- mans noch gross genug ist; — ich lese ihn, ohne auf die übliche Mäkeley an den Ungleichheiten seines uner- messlichen Reichthums zu hören, die Niemanden wundern darf, denn er ist den Alterthümlern zu neu, den Lüst- lingen zu kalt, und den Romantikern viel zu klug. — Doch da ich des Ariost erwähnte, kann ich an dem, für die Psychologie so höchst merkwürdigen Wendepuncte seines grossen Gedichts nicht ganz rücksichtlos vorüber- gehn! Bekanntlich hat sich Ariost einen Helden ge- wählt, der rasend ist; völlig rasend toll; so dass von dem erschütternden Shakespearschen Wahnwitz nicht die Rede seyn kann, vielmehr die todte Stute, die er mit sich schleppt, die Wahrheit der Vergleichung mit Ne- bukadnezarn erhärten muss, von dem der Dichter singt: Er musste toll, auf sieben Jahre, werden, Und fressen, wie ein Ochs, das Gras der Erden. Obgleich nun an einem solchen Rasenden nichts mehr zu finden ist, das einen Werth haben, oder Theil- nahme ansprechen könnte: so findet der Dichter dennoch für gut, seine Heilung zu veranstalten, und zwar durch keinen geringern Arzt, als den Apostel Johannes. Man sollte meinen, ein so gleichgültiges Wunder könnte wohl ohne lange Vorrede kurz abgethan werden; und überdies, die Wunderkraft eines so erhabenen Heiligen genüge sich selbst, um ein zerrüttetes Gehirn wieder zu ordnen. Nein! eine Reise in den Mond ist dazu nöthig! Jetzt aber erwartet man von dem unerschöpflichen Geiste des Dichters viel Neues über den Mond zu hören. Nein! Er schmückt den Mond wie eine Trödelbude mit den unterscheide ich das Genie von der Richtung, die es genommen, und von den Werken, die es hervorgebracht hat. verlornen Sachen der Erde. Oder, dass ich ein besser passendes Gleichniss gebrauche, — wie eine Apotheke. Denn dort findet sich das Gesuchte in einer Flasche, in der Form eines feinen Liquors; auch ist die rechte Flasche, wiewohl in der Mitte anderer, leicht zu unter- scheiden; nicht allein durch ihre besondere Grösse, son- dern auch durch die Aufschrift: „ Rolands Verstand , war draussen angeschrieben.“ Die poëtische Ehre dieses jämmerlich eingesperrten Verstandes, — der gar keine Erfindungskraft, ja nicht einmal so viel Spannkraft zu besitzen scheint, wie ein brausendes Bier, das den Stöpsel abwirft, und davon fliegt, — möchte bald eben so schwer zu retten seyn, als die Ehre der unsaubern Jungfrau Fiametta , mit welcher auch nur die flüchtigste Bekanntschaft gemacht zu haben sich wohl Jedermann zur Schande rechnen würde, wäre es nicht Ariost , dessen berühmter Name dahin verleitete. — Doch Rolands Verstand ist nun gefunden; zu welchem Zwecke? Soll wirklich aus Ver- stand und Gehirn wieder ein Kopf werden? Dass aus dem Spiritus und dem Phlegma der zerlegte Wein sich nimmermehr wieder zusammensetzen lässt, musste doch ohne Zweifel schon zu Ariosts Zeiten, auch ohne neuere Chemie vollkommen bekannt seyn. Warum vertheilt der Dichter nicht lieber den köstlichen Liquor unter seine übrigen Helden und Heldinnen, da sie doch sämmtlich nicht überflüssig damit scheinen versehen zu seyn? — Der Ausweg aus dieser, und vielen andern schwierigen Fragen, steht offen; und ich will ihn zeigen. Man muss die ganze Erzählung, als einen Mythos, mystisch und symbolisch deuten. Ariost , als Seher, erblickte eine künftige Gefahr für die Seelenvermögen. Durch die Fla- sche, worin der Verstand eines Mannes, mit allen zwölf Kategorien, Platz hat, deutet er auf die grossen Krater des Mondes, und auf dessen trockene Meere. Nun ist klar, dass, wenn einmal die Seelenvermögen der sämmt- lichen Menschen auf der Erde, verschwinden, ihr treuer Gefährte, der Mond, schon seine grossen Vorrathshäu- ser bereit hält, damit nichts davon verloren gehe. Eine so tröstliche Nebenbemerkung für die Psychologie, be- darf hier hoffentlich um so weniger einer Entschuldigung, da ja dem Ariost , der sich viel weiter und plötzlicher abzuschweifen erlaubt, von seinen Verehrern dieses als eine geniale Verwirrung und die Unübersehbarkeit seines Gedichts als ein Vorzug desselben angerechnet wird. Dem Dichter zu erlauben, was man dem Menschen verbietet, ist eine alte Weise deren, die für die sittlichen Beschränkungen des Lebens sich wenigstens im Traume schadlos halten wollen. Nicht ihr individueller Geschmack hatte sich für das Sittliche geläutert, sondern es ist ihnen aufgedrungen worden. — Damit bunte Possen berühmt werden, dazu ist kein ästhetisches Urtheil nöthig; das Ergötzen eines sinnlichen Volkes, das seine phantastische Zügellosigkeit, seine Zerrissenheit, seine Unfähigkeit, mit sich selbst in ein würdevolles Gleichgewicht zu treten, darin abgespiegelt sieht, — gründet diesen Ruhm; Andre loben, was einmal berühmt ist, was aus dem Lande ihrer Sehnsucht kommt, und vor Allem, was übergross als Ganzes, glatt und zierlich in seinen Theilen erscheint; was durch gewandte Prahlerey imponirt. Aber jenes Ergötzen und diese Unsicherheit des Ge- schmacks kommen darin überein, dass beydes höchst natürlich ist. Oder wird Jemand dafür eine überna- türliche Erklärung suchen? Diese Frage ist nicht unbe- deutend; sie hängt zusammen mit der andern Frage: ob das Böse einen übernatürlichen Ursprung voraussetze? Die Verstimmung des Geschmacks, der sich durch falsche Grösse blenden lässt, bezieht sich nicht bloss auf Dich- terwerke, sondern auch auf den Werth der Personen; ja selbst auf philosophische Productionen. Ariost und Spinoza kommen darin überein, dass beyde ein grosses Knäuel geschaffen haben, welches den Anschauenden de- müthigt, ihm Respect einflösst, weil, indem er den ein- zelnen Fäden nachgehn will, er in eine Verwirrung ge- räth, deren Grund er, bey der anscheinenden Ordnung und Sauberkeit der Ausarbeitung, lieber in sich selbst als in dem Werke sucht. Beyden ähnlich wirkt das Bild des grossen Napoleon auf den Zuschauer; der eben weil er sich weder wie ein guter noch wie ein bö- ser Dämon zusammenfassen lässt, das Urtheil der Men- schen unterjocht und verdirbt. Dass Ariost wahrhaft klassisch, Spinoza wahrhaft überzeugend, Napoleon ein wahrer Vater seines Reichs wäre, kann Niemand be- haupten; gerade darum zieht sich der Urtheilende be- scheiden zurück, und nennt sie gross! Könnte er zu irgend einer bestimmten Entscheidung über sie gelangen, so würden sie ihm kleiner erscheinen. Diese Verkehrt- heit, sich zu erniedrigen vor dem Unreinen, als ob seine verwirrende Kraft eine Auctorität wäre; anstatt es durch die schärfste Prüfung zu scheiden und zu läutern, und dann vest zu halten an dem Aechten und Wahren: ist die Grund-Wurzel, zwar nicht des eigentlichen Bösen, aber der Unlauterkeit und Gebrechlichkeit, von der Kant mit grossem Rechte die Betrachtung des Bösen beginnt. Und wieviele sind der Menschen, die auf diese Unlau- terkeit des Geschmacks in der politischen und literari- schen Welt speculiren! Es mag wohl ein einträgliches Gewerbe seyn, im Trüben zu fischen! — Schon die blosse Bewegung eines Puncts im Raume, macht, dass er an jeder Stelle, wo er war, vermisst, und dort, wohin er ging, wiedergefunden wird; denn die Um- gebung reproducirt in jedem Augenblicke sein Bild, so dass man seinen ganzen Weg anzuschauen glaubt, ob- gleich er in jedem Momente nur an einer einzelnen Stelle gesehn wird. Das Vermissen und Wiederfinden ist Be- gierde und Befriedigung; deren unaufhörlicher Wechsel aber ist Unterhaltung. So spielen Kinder mit dem Balle und dem Kräusel; ja die junge Katze spielt mit dem hängenden Bande und mit der Kartoffel. — Man be- trachte nun dies als ein Gleichniss für jene Bewegung, worin der Dichter seine handelnden und leidenden Per- sonen in ihrer gesellschaftlichen Umgebung erscheinen lässt: so wird das Ergötzliche bunter Erzählungen sogleich begreiflich seyn. Wer sich ihnen hingiebt, der wird fort- gerissen; er geräth in einen angenehmen Taumel, ja in eine wahre Berauschung. Dabey kann von einem ästhe- tischen Urtheile gar nicht die Rede seyn, denn dies setzt, für alle Arten des Schönen und Guten, zu allererst eine bestimmte Auffassung vester Umrisse und Rhythmen, vollendetes Vorstellen gegebener Verhältnisse voraus. Damit es eintrete, muss das Ganze, als ein Ge- schlossenes, überschaut seyn, und das Ergötzen, dieser schwebende, wandelbare Gemüthszustand, muss aufgehört haben. Bleibt in dem Urtheile etwas von seinem Ein- flusse zurück: so ist der Geschmack eben sowohl besto- chen, als nach den thränenreichen Rührspielen; und es kommt dabey nur auf den Unterschied an, wie leicht und willig sich das Individuum dem Ergötzen oder der Rührung hingiebt; die Verfälschung des Geschmacks, der nun kein objectives Urtheil mehr fällen kann, ist hier wie dort gleich gross; und über einen so bestochenen Ge- schmack lässt sich nicht disputiren; es sey denn, dass Je- mand sich zu Auctoritäten herablasse. Das ächte ästhetische Urtheil erfordert eine Stetig- keit des Blicks, eine gleich gehaltene Klarheit des Gei- stes, die den wenigsten Menschen so natürlich ist, dass sie lange bestehn könnte ohne absichtliche, von den herrschenden, appercipirenden Vorstellungsmassen aus- gehende Anstrengung. Ein ungeordneter Geist ist der- selben kaum fähig; auch in dem wohlgeordneten verur- sacht sie auf die Länge eine Spannung, nach welcher Erhohlung eintreten muss. Denn alle Aufregung irgend welcher Vorstellungsreihen gelangt nach einiger Zeit zu einem Maximum; sie bildet gleichsam eine Fluth, worauf Ebbe erfolgen muss. Dass die Fluth stets dauere, darf man nicht fordern; vielmehr muss man sie nutzen, so lange sie da ist. Aber man soll auch nicht mit ihr die Ebbe verwechseln; oder gar diese ihr vorziehn. Dahin aber neigt sich jene, schon von Fichten als das radicale Böse dargestellte, Trägheit der Menschen. Denn, abgesehen von den Lüsten und Bedürfnissen des Leibes, suchen sie meistens im Leben dasselbe, was ihnen eine unterhaltende Erzählung gewähren soll; sie wollen, dass ihnen die Zeit angenehm verfliesse. Dies schwächt Gutes und Schönes; denn es stört die Beurtheilung; es hebt die ästhetische Kritik auf, womit fortdauernd der Mensch sich selbst im Innern beleuchten muss, wenn er jene scharfe Richtigkeit seines Daseyns erlangen will, die man Moralität nennt. Ist das ästhetische Urtheil schwach, und der Mensch übrigens stark: so wird er in der Regel böse. Hier ist nicht nöthig, vom Anwachsen herrschender Leidenschaf- ten das zu wiederhohlen, was die Dichter (z. B. Shakes- peare im Macbeth) so oft geschildert haben. Solche Phänomene zeigen nur ein unglückliches Misverhältniss in den entwickelten psychologischen Kräften; und von ihnen kann man bestimmt behaupten, dass es in der Ge- walt der Erziehung gestanden hätte, ihnen zuvorzukom- men. Sie sind übrigens unendlich mannigfaltig; denn jede Begierde kann Leidenschaft werden (§. 107.). Aber nicht alles Böse ist Schwäche. Es giebt auch ein posi- tives Böse, das sich nicht, mit Kant , auf blosse falsche Unterordnung der Maximen zurückführen lässt. Vertraut mit meiner praktischen Philosophie (das muss ich überall, jedoch besonders hier, voraussetzen,) wird der Leser sich schon selbst den Begriff des Bösen in alle die Theile zerlegt haben, die durch blosse Gegenstellung ge- gen die zur Tugend gehörigen, in den praktischen Ideen ge- gründeten, Bestimmungen, entstehen können. Allein nicht alle diese Theile sind eben so psychologisch verschieden, wie sie in der ästhetischen Beurtheilung erscheinen. Denn sehr Vieles ist seinem natürlichen Ursprunge nach längst vorhanden, bevor es durch weitere Entwickelung in das Gebiet der ästhetischen Betrachtung eintritt, und dort Bedeutung er- langt . Ein Beyspiel im Grossen mag dieses klärer sa- gen. Schon zu den Zeiten der Scipionen trug der Rö- mische Stolz und Factionsgeist die Unruhen der Trium- virate, und die spätere Grausamkeit der Imperatoren, im Keime; aber wer wird darum, weil Eins sich aus dem Andern entwickelte, das Zeitalter der Punischen Kriege, das der Triumvirn, und jenes des Tiberius und Caligula, in einerley Verdammungsurtheil einschliessen? — Wer nun hier die nothwendige Sonderung des theoretischen und des ästhetischen Urtheils begreift: der halte sie vest, für alle Philosophie; sonst wird er in keiner Gegend der- selben klar sehen können. Betrachtet man den natürlichen Ursprung: so kann man den ältesten Anfang des Bösen am wenigsten da suchen, wo die praktische Philosophie ihre Darstellung der Ideen beginnt. Die innere Freyheit ist das letzte, was der moralische Mensch in sich bildet, und was der Böse verhöhnt und wegwirft. Hingegen die gesellschaft- lichen Ideen sind das Erste, wogegen der Feind im In- nern heranwächst. Das Herz des Menschen öffnet sich Einigen, und verschliesst sich Andern. Diese einfache Thatsache ist bekannt genug; man weiss auch, dass ganz zufällige Asso- ciationen darauf Einfluss haben. In der Regel gewöhnt sich der Mensch an Diejenigen, mit denen er in seinen frühesten Jahren zusammenlebt; soll er von ihnen sich trennen, so fühlt er schmerzlich, dass ein Riss in seinem Innern geschieht, indem er sie nun entbehren muss. Er vermisst sie, er sehnt sich nach ihnen. Dies aus der Entstehung des Selbstbewusstseyns, und aus den Unter- suchungen über das Begehren (im §. 150.) zu erklären, kann Niemanden schwer fallen. Allein der Kreis deren, mit welchen das individuelle Ich so innig verschmilzt, dass es in seinem gewohnten Thun und Hingeben sich auf sie bezieht , kann nicht gross seyn; die Andern sind Fremde, und werden leicht Störer, auch ohne es zu wol- len. Und selbst hievon abgesehen, ist ein widriger, zu- rückstossender Eindruck, den Einer vom Andern empfängt, nichts Seltenes; die Gegenwart eines Menschen lässt so Vieles hoffen, so viel mehreres fürchten, dass man sich nicht wundern kann, wenn Einer sich durch die Nähe des Andern noch öfter beklemmt, als in seinem Daseyn begünstigt und erleichtert fühlt. Solche Gefühle aber hängen überdies sehr von dem habituellen Lebensgefühl des Individuums ab. Eine finstre Gemüthsart ist Sache des Temperaments; und wem eine natürliche innere Un- behaglichkeit beywohnt, der überträgt dieselbe bey der leichtesten Reizung auf Sachen und Personen, mit denen er gerade zu thun hat. So geschieht es schon in den frühesten Kinderjahren. Also beklemmt, oder gehemmt im Laufe seines Thuns, geräth das Gemüth in Spannung. Daraus entsteht zweyer- ley zugleich, ein Druck nach Aussen und nach Innen. Jener steigert sich leicht zum Hass, und zur Gewaltthä- tigkeit; dieser zum Verhehlen, Verheimlichen, zu Betrug und Lüge. Hier haben wir alle Keime des gesellschaft- lichen Bösen; Uebelwollen, Unrecht, Unbilligkeit, nebst der besondern Form der beyden letztern, die man Falsch- heit nennt; aus ihr aber, in Verbindung mit dem Uebel- wollen, entsteht die Tücke. Dieser Ursprung des Bösen ist rein psychologisch. Ein andrer, von etwas späterer Entwickelung, hat phy- siologische Anlässe. Mancherley, an sich unschuldige, Geniessungen, sind von der Art, dass der Leib nur ein bestimmtes Maass derselben erträgt; drüber hinaus folgt Abspannung, die auf den Geist sich überträgt; und dort zum Theil die Form der Ueberspannung annimmt, wie im Rausche; weil der, bekanntlich verwickelte, Process der Apperception, worauf der innere Sinn, und der voll- ständigen Entwickelung der Vorstellungsreihen, worauf der Verstand beruht, nicht mehr in seiner Integrität vor sich gehn kann; daher nun die Gegengewichte fehlen, die sonst Ordnung im Innern zu halten pflegen. Ge- wöhnt sich der Mensch an die Unmässigkeit, so entsteht anhaltende Schwäche; nun ist der Boden der Tugend untergraben, denn ihr Fundament ist die Kraft. Nun sollte, — drittens, — der Mensch sein rechtes Maass bemerken. Die ästhetischen Urtheile, in ihrer ganzen, vollständigen Reihe, wie sie sich aufs Wollen und Handeln beziehen, sollten hinzukommen. Sie sollten den starken Affect der Schaam erregen; und hiemit ganz neue Entschliessungen erzeugen. Der Mensch sollte Sich vermissen, und Sich wiederherstellen. Er sollte die Schwäche, das Uebelwollen, das Unrecht, die Unbillig- keit, und die Falschheit, von sich ausstossen. Dann würde er innerlich frey seyn. Ist nun in dem Process des Urtheilens, der Schaam, der Bestrebung, nicht Ener- gie genug, so bleibt der Mensch innerlich unfrey. Wo- her aber soll diese Energie kommen? Das ästhetische Urtheil ist nur Eine geistige Thätigkeit in der Mitte un- zähliger andern. Soll es in diese andern eingreifen: so müssen sie nachgiebig dafür seyn. Aber eine finstre und eine begehrliche Gemüthsart sind beyde darin gleich, dass sie sich gegen den Eindruck des Schönen verschliessen. Kein Wunder, dass beyde auch dem moralisch Schönen oder Hässlichen keinen besondern Werth einräumen; vielmehr dem aufkeimenden Gefühl desselben sich inner- lich widersetzen. Das ist die Verstocktheit , welche den bösen Thaten lange voran geht. Die erste An- deutung derselben sieht man bey Kindern in ihrer sehr ungleichen Empfänglichkeit für moralische Vorstellungen; und zwar gerade für die Darstellung der ganz reinen, uneigennützigen Sittlichkeit, wovon Kant viel mehr er- wartete, als sie leistet; wenn nicht die innere Verstim- mung zuvor gehoben war. Daraus erzeugt sich gar leicht die eigentliche Bos- heit. Der Mensch setzt sich hinweg über die Schaam; und gebietet dem Gewissen, zu schweigen. Nichts kann natürlicher seyn bey heftigen Begierden, wenn nicht Hülfe von Aussen kommt. In der Barbarey liegen alle Laster; aber nicht alle Menschen, die in ei- nerley Gesellschaft leben, sind ganz und zugleich Bar- baren. Es erheben sich Einige, zu tadeln, zu ermahnen, die Gottheit reden zu lassen Und was thut in solchem Falle die Kirche? Sie häuft alle möglichen ästhetischen Eindrücke, durch Poësie, Beredsamkeit, Musik, Malerey, Architectur. Sie weiss demnach, wo es fehlt; nur versieht sie es vielleicht durch Uebertreibung; sowohl im Aufdringen heftiger, als in der Mischung gar zu bunter Eindrücke. . Und hier nun ist der Kampf des Guten mit dem Bösen. Jedes steigert sich gegen das Andre. Jedes kann siegen. Aber nur das Gute hat den beharrlichen Willen, zu siegen, durch den ganzen Lauf der Jahrhunderte. Das Böse steckt zwar an, aber dabey finden selbst die Bösen nicht ihren Vor- theil. Darum siegt mehr und mehr das Gute. So ist der natüuliche Lauf der Dinge. Um ihn vollständiger aufzufassen, und um nicht den Fortgang des Guten für schneller und sicherer zu halten, als er ist, muss man besonders auf zwey Umstände achten. Erstlich auf das Verschlechtern des Guten durch unvoll- kommene Auffassung und durch Misverstand. Alles Löb- liche findet seine Nachahmer; aber auf die gute, ächte Waare folgt die wohlfeile, unächte. Was an seiner rechten Stelle stand, wird verschoben an die unrechte. Was für seine Zeit aus einem edlen Streben hervor ging, wird mit thörichtem Eifer vestgehalten, auch nachdem seine Beziehungen verloren gingen. Was die Natur zer- stören wollte, weil sein Werth vorüber ist, das macht der Mensch zur Mumie. Dadurch gewinnt das Böse Ge- legenheit, sich hinter mancherley Larven des Guten zu verstecken. — Die zweyte Bemerkung trifft die gesell- schaftlichen Zustände. Man erinnere sich dessen, was oben, in der Einleitung, über die Statik und Mechanik des Staats gesagt worden. Daraus wird einleuchten, wie- viel Mühe die Gesellschaft hat, sich zu einer vesten Ord- nung zu erheben. Und dies geschieht Anfangs nur in einzelnen Ortschaften. Darin gilt das Recht nebst der Aufrichtigkeit; nach aussen bedienen sie sich des Un- rechts als einer natürlichen Bewaffnung. Dies Unheil zeigt sich oft wiederkehrend auch noch im gebildeten Zu- stande; kleine Kreise sondern sich ab, verbergen sich, setzen List der äussern Gewalt entgegen, wenn man sie nicht bereden kann, sich der grössern Gesellschaft an- zuschliessen. Nach allem Vorstehenden beginnt und wächst das Böse in der Zeit. Ist es darum nur auf der Oberfläche der Sinnenwelt anzutreffen? Hat es keine versteckten Wurzeln, aus denen es, dem Scheine nach schon aus- gerottet, dennoch wieder hervorsprosst? Lässt es keine Kränklichkeit nach, wenn die Heilung gelang? Braucht der Gesunde nicht die Möglichkeit zu fürchten und ver- hüten, dass es ihn von Aussen ergreife, oder von Innen zerrütte? — Kaum wird der Leser noch so fragen. Das Gewebe der Vorstellungsreihen bleibt in seinen Falten, wenn man es schon im Bewusstseyn nicht wahrnimmt; und von den hemmenden Kräften, durch die man seiner falschen Spannung entgegenwirkt, wird selbst im besten Falle ein Theil gebunden, und seiner freyen Thätigkeit beraubt. Um dies besser zu übersehen, darf man sich nur den wirklichen Menschen, im Gegensatze eines poëtischen Charakters, lebhafter vergegenwärtigen. Die Personen der Dichter nähern sich den geometrischen Figuren; ihre Consequenz ist ihr Verdienst, denn sie können nur da- durch deutliche Verhältnisse bilden, worin ihr Kunstwerth bestehn muss. Daher begabt der Dichter sein Geschöpf mit einer oder zwey herrschenden Vorstellungsmassen, woraus sich alles Wollen und Handeln desselben ent- wickeln muss, ohne dass in diesen Vorstellungsmassen eine bedeutende Veränderung zugelassen werden dürfte. Hingegen in dem wirklichen Menschen ist die Mannigfaltig- keit und die Wandelbarkeit grösser. Schon für die Mo- ralität giebt es nicht bloss eine einzige, gleichmässig in sich zusammenhängende Vorstellungsmasse; und dies aus dem sehr natürlichen Grunde, weil es nicht bloss eine, sondern fünf praktische Grundideen giebt. Daher grosse Verschiedenheiten unter Mehrern, und Ungleichheiten im Individuo, in Hinsicht auf Recht, Billigkeit, Güte, Kraft, Selbstbeherrschung. Aber auch andere ästhetische Urtheile, und überdies die verschiedenen Lebensverhält- nisse bilden ihre besondern Vorstellungsmassen. Der Mensch, wie er arbeitet, und der nämliche, wie er spielt und sich erhohlt, ist sich oftmals kaum ähnlich. Son- derbare Liebhabereyen, Affecte, körperliche Aufregungen, traumähnliche Zustände, haben oft jedes seine eigne Vorstellungsmasse, die, wenn sie den Hauptplan des Le- bens unzeitig durchkreuzt, als ein innerer Feind er- scheint; wohl gar als ein böser Geist. Jede dieser Vor- stellungsmassen nun hat ihren eignen moralischen Werth, sey er positiv oder negativ. Die Summe, oder vielmehr das psychologische Resultat dieser Werthe ist der Total- Werth des Menschen; aber niemals erscheint diese Summe auf einmal im Bewusstseyn, sondern abwechselnd steigen und sinken die Vorstellungsmassen; und bilden eine bunte, innere Erscheinung, derentwegen der Mensch sich bald für besser, bald für schlechter hält, als er ist. So scheidet sich die Erscheinung von jener Mittelwelt, die wir nicht mehr zu beschreiben brauchen; denn die ganze speculative Psychologie ist ihre Beschreibung. Den Uebergang zum nächstfolgenden Abschnitte aber macht die Bemerkung, dass die Mittelwelt, das heisst, die blei- benden innern Zustände der einfachen Wesen, überall unerkannt der lebenden Natur zum Grunde liegt, wie sich nun bald deutlicher zeigen wird. Anmerkung . Man erwartet vielleicht, dass ich hier am Ende noch etwas über die Freyheit sage. Das soll geschehen; allein nur in so weit, als es dem Leser, der bisher aufmerksam folgte, noch willkommen seyn kann. Eine weitläuftige Widerlegung des bekannten Irrthums wäre hier sicher nicht am rechten Orte; es ist unmöglich, dass Jemand, der das Vorhergehende gefasst hat, sich dadurch länger täuschen lasse. Aber in Kants Behandlung des Gegen- standes liegt einiges Belehrende; dies wollen wir her- ausheben. Zuerst und vor allen Dingen unterscheidet sich Kant von denen, die auch nur einen Schritt von ihm abwei- chen, sogleich dadurch, dass ihm die Freyheit lediglich ein Glaubens-Artikel ist. „Man muss wohl bemerken, sagt er, (Kritik d. r. V. am Schlusse der Auflösung der dritten kosmologischen Idee,) dass wir nicht die Wirklich- keit der Freyheit, — ja gar nicht einmal die Möglichkeit derselben haben darthun wollen.“ Ein himmelweiter Un- terschied von denen, deren unvorsichtige Philosophie sich sogar des freyen Willens unmittelbar bewusst ist; ein Beweis gänzlicher Unwissenheit in diesem Puncte. Kant war überzeugt, dass die Freyheit sogleich ver- lornes Spiel haben würde, wenn sie in der Natur die ge- ringste Störung anrichtete. Er wusste, dass kein tüchti- ger Naturforscher sich je um sie bekümmern werde; so wenig als die Astronomie sich um die Exegese kümmert. Aber unglücklicher Weise hatte Kant keinen Begriff von speculativer Psychologie; und, was noch schlimmer war, er irrte sich in Ansehung der Grundform der praktischen Philosophie. Es war hergebrachte Weise der Schulen und Kir- chen, die Moral und das Naturrecht in Form von Gebo- ten, Vorschriften, Befehlen abzuhandeln, als ob entwe- der der Staat oder die Gottheit mit dem Menschen rede. Kant führte nun zwar des Menschen eigene Vernunft redend ein; aber er liess sie in der alten gewohnten Weise fortreden; und kategorisch gebieten. Wer so anfängt, der muss endigen mit der Freyheit, wie sehr auch die Natur bey ihm in Ehren und im An- sehen sehen stehn möge. Denn das Factum des Gebietens ist alsdann das Factum des absoluten Anfangens. Was mag denn wohl die reine Vernunft zu gebie- ten haben? Weiss sie denn schon etwas von dem, was in der Welt kann ausgeführt oder auch nur versucht werden? Wem gebietet sie denn, ehe sie wenigstens das innere Phänomen des Begehrens und Wollens, (wel- ches übrigens sich allemal auf gegebene Gegenstände bezieht,) aus der Erfahrung kennen gelernt hat? „Sie sucht das Ich durchzusetzen, wider alles Nicht- Ich,“ antwortete Fichte , der wohl bemerkte, dass sich Kants kategorischer Imperativ beziehe auf Maximen, welche Maximen sich beziehn auf ein vorausgesetztes Wollen, welches Wollen wiederum nicht denkbar wäre ohne die schon als bekannt vorausgesetzten sinnlichen Gegenstände; so dass die reine Vernunft, ohne alle diese empirischen Voraussetzungen, zum blossen Gedanken- dinge herabsinken, und das Factum des absolut-anfan- genden, d. h. freyen Gebietens, damit verschwinden würde. Darum zog Fichte die ganze Natur in die Sitten- lehre hinein; und er musste so verfahren, wenn Kants Anfänge sollten beybehalten werden. Wer das nicht ein- sieht, der kennt die neuere Geschichte der Philosophie bloss historisch, und klebt am Buchstaben Kants . Die Natur war nun, wider die Meinung Kants , der Freyheit geopfert; und die Welt nach idealistischer Weise auf den Kopf gestellt. — Dass es so nicht blei- ben konnte, verstand sich von selbst. Man hätte nicht nöthig gehabt, den Spinoza herbeyzuhohlen; und man lernte von ihm nicht einmal das, was er lehren konnte; nämlich: dass, wer mit der Natur anfängt, der auch mit der Natur endigen muss; dass man folglich die Sittenlehre, damit sie nicht auf jene Freyheit, jenes absolut anfan- gende Gebieten, hinführe, auch nicht als ursprüngliche Pflichtenlehre behandeln muss; dass man vielmehr der Wahrheit um einen guten Schritt näher kommt, wenn II. F f man sie, nach Art der Alten, entweder als Tugendlehre oder als Glückseligkeitslehre auffasst. Dies konnte Spi- noza bey allen seinen Fehlern wirklich lehren; denn ob- gleich nach ihm der Mensch sich seinen eigenen , vom Universum unabhängigen Willen nur einbildet, und obgleich dem eingebildeten Willen auch nur eingebildete Handlungen entsprechen, so beurtheilt doch Spinoza selbst dies eingebildete Wollen und Thun; zum sichern Beweise, dass die Stimme des Lobes und Tadels selbst da nicht schweigt, wo man die Hoffnung, sich nach ihr zu richten, so dass durch sie und um ihrentwillen in die Natur der Dinge irgend eine Bestimmung hineinkomme, — gänzlich aufgegeben hat. Dieser Stimme des Lobes und Tadels, welche vor- handen ist und vernommen wird ohne alle Frage, wieviel dadurch könne ausgerichtet werden, — von welcher un- mittelbar die Tugendlehre aller Zeiten ausgegangen ist, mittelbar aber die Pflichtenlehre und die veredelte Glück- seligkeitslehre, — habe ich einen neuen Namen gegeben, und sie ästhetisches Urtheil genannt. Warum? Weil diese Stimme bisher immer durch allerley verstärkende Sprachröhre war vernommen worden, und man sie end- lich einmal aus dem blossen Munde, zwar schwächer aber deutlicher, hören musste. Dazu war der Satz nöthig: dass jede einzelne praktische Idee auf ursprünglicher Be- urtheilung eines Verhältnisses beruhe, und dass es so- viele, und nicht mehr noch weniger Principien der prak- tischen Philosophie gebe, als wieviele Verhältnisse mög- lich seyen, worin sich ein Wollen dergestalt befinden könne, dass es Gegenstand eines ursprünglichen Lobes oder Tadels werde. Nun war die Hauptarbeit, diese Verhältnisse vollständig aufzufinden, und jedes ein- zelne in seiner einfachsten Gestalt genau zu bestimmen; diese Arbeit aber glich vollkommen der, welche zur Be- gründung irgend eines beliebigen Theils der Aesthetik hätte dienen müssen. Ueber zwanzig Jahre sind verflossen, seitdem ich dieses öffentlich zu lehren anfing. Zeit genug in der That, damit man sich hätte besinnen können, dass wirk- lich die menschlichen Angelegenheiten, so fern sie über- haupt durch Ueberlegung in Ordnung gehalten werden, von zweyerley Beurtheilungen, der theoretischen und der ästhetischen, abhängen, die unter einander nicht streiten, weil sie sich ursprünglich fremdartig sind, von dem Men- schen aber fortwährend, so gut es gehn will, oder so gut er es versteht, mit einander verknüpft werden. Aber wie man sich einbildet, die Staaten könnten garantirt werden durch Verfassungen, obgleich die Verfassungen nichts anders sind als das, was die Sitte aus ihnen macht: so sucht man auch bis auf den heutigen Tag die Frey- heit mit der Nothwendigkeit zu vereinigen, hoffend, es werde irgend einmal durch schöne und kluge Worte ge- lingen, den wohlbekannten Widerspruch zwischen bey- den dahin zu bringen, dass er aufhöre, ein Widerspruch zu seyn. — exspectant, dum defluat amnis: at ille Labitur et labetur in omne volubilis aevum. Und warum warten sie? Wegen eines Gespenstes von Zurechnung . Hätten sie jemals überlegt, was Zu- rechnung sey? so würden sie gefunden haben, dass ge- rade die transscendentale Freyheit unfähig ist, das Sub- ject derselben darzubieten. Denn Handlungen werden zugerechnet, wenn man einen Willen betrachtet, als durch sie charakterisirt. Die transscendentale Freyheit kann aber gar nichts annehmen, das man Charakter nen- nen dürfte. Sie ist, was sie auch thue, allemal der zu- reichende Grund der gleich möglichen, gerade entgegen- gesetzten Handlung. Ist ein Wille charakterisirt: so ist durch ihn nur Einerley, und nicht zugleich das Gegen- theil möglich; darin besteht sein positiver oder negativer Werth. Der nicht-charakterisirte hat gar keinen Werth; denn er hat für jede Gelegenheit des Handelns zwey ent- gegengesetzte Möglichkeiten, welche durch ein Thun ohne F f 2 bestimmenden Grund, nicht aufgehoben werden. Die Freyheit kann nicht durch ihre eigne That aufhören, frey zu seyn, wodurch sie sich selbst zerstören würde. In jenen Möglichkeiten liegen nun zwey entgegengesetzte, gleiche Werthe, und jedes Paar ist für sich gleich Null. So weit ist Alles leicht, und sollte von jedem An- fänger gefasst und behalten werden. Weit schwerer wird die Sache, wenn man sie psychologisch entwickeln will. Denn alsdann findet sich nicht Ein Wille, sondern ein vielfältiges, gleichzeitiges, mehr oder minder bestimm- tes, zum Theil widerstreitendes Wollen in den verschie- denen zusammenwirkenden Vorstellungsmassen. Hier ist ein unabsehliches Feld von möglichen Ereignissen; die Zurechnung wird schwierig, weil sie nicht einfach ist, sondern aus verschiedenen, zum Theil entgegengesetzten Grössen einen Gesammtwerth bestimmen muss; der sich aus den Handlungen und Aussagen eines Menschen nur mit Wahrscheinlichkeit errathen lässt, indem dieselben theils auf das Vorbedachte, theils auf augenblickliche Reizung, theils auf Gewohnheit, theils auf dreiste Wa- gestücke, theils auf dringende Bedürfnisse hinweiset. Schlechte Gehülfen in solcher Verwickelung würden die- jenigen Naturforscher seyn, die mit einer Gefälligkeit, welche Kant weder erwartete noch wünschte, als Kämpfer und Retter für die Freyheit mitten in der Naturlehre auftreten! Dritter Abschnitt . Von den äusseren Verhältnissen des Geistes. Erstes Capitel . Von der Verbindung zwischen Leib und Seele. §. 153. E s ist ausführlich nachgewiesen worden, dass die Be- trachtung unseres eigenen Selbst uns unvermeidlich in Widersprüche verwickelt, wofern wir uns unmittelbar durch den Begriff des Ich auffassen wollen, — gleich als ob die Ichheit die Basis unseres ganzen Wesens wäre. Diese Ichheit muss an etwas angelehnt werden. Und der Träger, welcher dem Angelehnten zum Stützpuncte dienen soll, heisst hier, wie überall, Substanz. Aber er heisst hier insbesondre Seele ; weil nach allgemein me- taphysischen Principien zuvörderst eine Substanz keiner andern Modificationen fähig ist, als der Selbsterhaltungen gegen Störungen durch andre Wesen , (wodurch so- gleich die pantheistische Ansicht ausgeschlossen ist); und weil im gegenwärtigen Falle diese Selbsterhaltungen Vorstellungen seyn müssen, in solcher Beschaffenheit und Verbindung, dass daraus das Selbstbewusstseyn oder die Ichheit hervorgehe. Wie werden wir nun mit dieser Seele den Leib in Verbindung setzen? Kann er nicht vielleicht eine blosse Erscheinung, ein System von Vorstellungen in der Seele seyn, ohne ein wahrhaft Reales ausser der letzteren? Der sichtbare und fühlbare, der anatomisch und physio- logisch untersuchte Leib ist ohne allen Zweifel zunächst nur ein System von Vorstellungen, denn er ist durchaus ein Vorgestelltes. Allein die Erklärung dieses Systems von Vorstellungen findet keinen Ruhepunct, wenn sie nicht ein entsprechendes System realer Wesen ausser der Seele, welche unabhängig von derselben existiren und nur in eine zufällige Verbindung mit ihr gerathen sind, zum Grunde legt. Die allgemeine Metaphysik wird rea- listisch erst durch die Widerlegung des Idealismus. Unser Leib erscheint als Materie im Raume. In so fern muss er nun weiter den allgemeinsten Principien der Naturphilosophie subsumirt werden. Ich habe in der schon oft angeführten Abhandlung de attractione elemen- torum die Construction der Materie gegeben; und man wird darin die Beweise der nachstehenden Sätze zu su- chen haben. Jeder Körper ist anzusehn als ein Aggregat einfacher Wesen, deren Summe grösser ist, als das Quantum des Aussereinander in dem davon erfüllten Raume; die aber gleichwohl diesen Raum nicht nach dem, fälschlich hie- her gezogenen, Begriffe des geometrischen Continuum sondern mit einem für jede Art von Körpern besonders bestimmten Grade von gegenseitiger Durchdringung aus- füllen. Die Undurchdringlichkeit der Materie ist ganz und gar ein Wahn, dessen Ursprung darin liegt, dass die Durchdringung in denjenigen, allerdings häufigen, Fällen, unmöglich wird, wo sie neue Attractionsverhält- nisse zur Folge haben müsste, denen andre schon gebil- dete, und durch eine stärkere Nothwendigkeit aufrecht gehaltene, im Wege stehn. Die Cohäsion und Dichtig- keit jeder Materie hängt ab von einem Gleichgewichte zwischen Attraction und Repulsion, welches beydes nicht von gewissen räumlichen Kräften der einfachen We- sen, sondern von der formalen Nothwendigkeit herrührt, dass der äussere Zustand, d. i. die räumliche Lage, dem innern Zustande, d. h. den Selbsterhaltungen der Wesen, völlig entspreche. Die Entwickelung dieser Sätze erfor- dert zum Theil unmögliche Begriffe, welche aber im Laufe des Räsonnements eben so ihre bestimmte Stelle und ihren gesetzmässigen Gebrauch haben, wie die un- möglichen Grössen in manchen mathematischen Beweisen. Unmittelbar folgt aus dem Gesagten, dass kein ein- ziges Theilchen der Materie darf angesehen werden als bloss räumlich bestimmt, sondern dass in jedem gewisse völlig unräumliche, und bloss innere Zustände, nämlich Selbsterhaltungen vorkommen, von welchen selbst die räumliche Constitution eines Körpers ganz und gar ab- hängt. Vollends aber diejenigen einfachen Wesen, die zu Bestandtheilen eines organischen Körpers dienen, tra- gen in sich ganze Systeme von Selbsterhaltungen, ähn- lich den Systemen der Vorstellungen in einem gebilde- ten Geiste. Was für Systeme das seyen, dies richtet sich nach der Art und dem Grade der Assimilation, die sie in dem organischen Körper, dessen Bestandtheile sie ausmachen, schon erlangt haben. Die organische, oder vegetative Lebenskraft, — wohl zu unterscheiden von der Seele, ist demnach keine reale Einheit, sondern ein allgemeiner und noch sehr unbe- stimmter Begriff, welcher hindeutet auf die gesammte innere Bildung, das heisst, auf die gesammten Systeme von Selbsterhaltungen in allen Bestandtheilen des Leibes. Sollte man sagen, was die Lebenskraft eigentlich sey? so müsste man alle diese Elemente des Leibes einzeln durchgehn, und beschreiben, theils, welche Bildung in ihnen sey, welcher äussere Zustand, welche räumliche Lage und Bewegung aus ihrer Bildung, und aus derjeni- gen der zunächst liegenden Elemente zusammengenommen erfolge. Die Reizbarkeit ist nur in ihren Aeusserungen etwas räumliches. Sie hat ebenfalls ihren Sitz in der innern Bildung, und kennten wir die letztere, so würden wir daraus jene auf ähnliche Weise bestimmen, wie aus der Statik und Mechanik des Geistes sich die Reizbarkeit des Geistes für neu hinzukommende Vorstellungen muss fin- den lassen; nur mit dem Zusatze, dass, nachdem auf sol- chem Wege die innern Zustände entdeckt wären, hier- aus nun noch die entsprechenden äusseren Zustände ab- geleitet, und erst dadurch die Erscheinungen der Reiz- barkeit erklärt würden. Dass die Lebenskraft und Reizbarkeit eines organi- schen Individuums keine strenge Einheit sey, sieht man schon aus den Versuchen an abgelöseten Theilen leben- der Körper; und dass die innere Bildung der Elemente selbst nach ihrer völligen Trennung noch bestehe, zeigt sich in der vorzüglichen Fähigkeit, assimilirt zu werden, wodurch die organischen Stoffe zur gedeihlichen Nahrung für andre, noch lebende Organismen dienen. Die Exi- stenz der höheren Thiere und Pflanzen beruht bekannt- lich ganz wesentlich darauf, dass durch niedere Organis- men jenen die Nahrung bereitet werde. Ueber alle reale Lebenskraft in den Elementen geht hinaus die bloss ideale, künstlerische Einheit der leben- den Wesen; ihre Schönheit und Zweckmässigkeit. Diese existirt nur für den Beschauer; sie weiset aber denselben hinauf zu dem höchsten der Künstler, der durch die er- habenste Weisheit die Bildungsfähigkeit der Elemente benutzend, ihr zuerst und allein einen Werth ertheilte. Ohne religiöse Betrachtungen kann die Naturforschung zwar wohl angefangen, aber nicht vollendet werden; und die letztere wird zu allen Zeiten die Stütze der Religion seyn und bleiben, während alles, was auf schwärmeri- schen innern Anschauungen beruht, sich sammt diesen Schwärmereyen selbst zum Spielwerk für die wandelbaren Meinungen hergeben wird. §. 154. Zu dem Systeme von den Störungen und Selbster- haltungen finden die Bedenklichkeiten nicht Statt, um de- rentwillen Leibnitz den physischen Einfluss leugnend, seine prästabilirte Harmonie an die Stelle setzte. Das wahre Causalverhältniss bedarf keiner Fenster in den Mo- naden, durch die eine fremde Kraft, ihrer eignen Sub- stanz entlaufend, hineinsteige; denn die Selbsterhaltungen nehmen nichts fremdartiges in sich auf, sie sind gänzlich bestimmt durch das sich selbst erhaltende Wesen, wenn schon über die Frage, welche unter unzählig vielen mög- lichen Selbsterhaltungen jedesmal sich ereignen solle, ent- schieden wird durch die störenden Wesen. Daher ist nun auch das wahre Causalverhältniss zwischen Seele und Leib im geringsten nicht schwieriger als das zwischen irgend welchen anderen Wesen. Die weniger tief forschenden, welche an den Causa- litäten der Physik und Chemie gar nichts Anstössiges finden, und ohne alle Metaphysik am besten darüber wegzukommen meinen, — diese pflegen die Verbindung zwischen Leib und Seele besonders deshalb anzustaunen, weil hier die Ursache und das Bewirkte so äusserst hete- rogen seyen. Wie ein Körper den andern bewege, wie ein paar Stoffe chemisch verwandt seyen, das, meinen sie, lasse sich, wenn auch nicht gerade begreifen, doch recht füglich auf das Zeugniss der Erfahrung hin anneh- men; wenn aber aus dem Bilde auf der Netzhaut eine Gesichtsvorstellung in der Seele wird, oder wenn aus dem Wollen eine Contraction der Muskeln entsteht, — dann ergreift selbst die zum Nachdenken trägeren Köpfe eine Art von heilsamen Schauder; der freylich bald wieder durch die heillosen Maximen von Resignation auf ein wahres Wissen, diese Sünden wider den heiligen Geist im Gebiete der Speculation, sich stillen und unterdrük- ken lässt. Wir wollen zuerst von dem Falle reden, da das Wollen der Seele Bewegungen im Körper hervorbringt, jedoch hier bloss noch in physiologischer Hinsicht, und ganz im Allgemeinen, denn vom Psychologischen in die- sem Puncte können wir erst weiterhin sprechen. Es ist nun in dem angenommenen Falle deutlich und unzwei- felhaft, dass Ursache und Bewirktes heterogen sind, denn das Wollen ist ein innerer Zustand der Seele, die Zuk- kung der Muskeln eine Raumbestimmung für deren Be- standtheile. Allerdings muss dazwischen etwas in der Mitte stehn. Denn erstlich ist das Wollen ein gewisser (oben beschriebener) Zustand der Vorstellungen, diese aber sind Selbsterhaltungen der Seele, welche beym Wol- len in einen minder gehemmten Zustand zurückkehren. Ferner den Selbsterhaltungen in einem Wesen entspre- chen nur Selbsterhaltungen in einem andern; also den innern Zuständen des einen gehören innere Zustände des andern zu, wenn beyde Wesen, entweder vollkom- men oder unvollkommen, zusammen sind. Dieses aber ergiebt sich unmittelbar aus der Grundlehre von den Stö- rungen und Selbsterhaltungen, indem die Störung zwi- schen je zweyen Wesen allemal gegenseitig ist, und sich ihr nothwendig ein Paar zusammengehörige Selbsterhal- tungen entgegenstellen müssen, welche letzteren je- doch unter einander gar keine Aehnlichkeit zu haben brauchen , ausser der einzigen, dass sie lediglich innere Zustände, jede in dem sich selbst erhaltenden Wesen, seyn müssen. — Jetzt werfen wir einen Blick auf dasjenige, was, der Erfahrung gemäss, zwischen dem Wollen und dem Zucken der Muskeln in der Mitte steht. Dies sind bekanntlich die Nerven; welche man ehemals mit einem flüchtigen Safte, heutiges Tages mit einem polarisirenden Fluidum zu begaben pflegt, dem die Ner- ven zu Conductoren dienen sollen; obgleich man weder weiss, was polarisirende Naturkräfte sind, noch wie denn diese durch das Wollen in Bewegung gerathen mögen. Wir aber wissen wenigstens soviel, dass die Seele mit einem Ende der Nerven zusammen ist, als welches die allgemeine Bedingung aller Causalität ausmacht; ferner dass der Nerv, der sich als ein cohärenter Faden dar- stellt, eine Kette einfacher Wesen seyn muss, die sich in einem unvollkommnen Zusammen befinden; endlich, dass in einer solchen Kette allemal zu erwarten ist, die geringste Veränderung in dem innern Zustande eines Wesens werde auf die Störungen und folglich auf die Selbsterhaltungen aller Wesen in der Kette einen Einfluss haben. Dieser Einfluss also kann sich, fortlau- fend am Nervenfaden, durch den Raum fort- pflanzen (nur nicht durch den leeren Raum,) ohne im geringsten selbst von räumlicher Art zu seyn . Er braucht sich daher auch gar nicht als Bewegung, we- der der Nerven selbst, noch irgend eines Etwas in den Nerven, zu verrathen; die Nerven können, ohne sich im mindesten zu rühren, aufs höchste afficirt seyn. Scheint hierin etwas wunderbares zu liegen, so kommt es daher, weil man sich nicht deutlich gemacht hat, wie das Ein- fache, an sich Unräumliche, überhaupt in räumliche Ver- hältnisse gerathe, ja sogar den Raum erfülle; welches in der allgemeinen Metaphysik zu erörtern ist. — Nun soll am Ende, da wo der Nerv in den Muskel übergeht, eine Bewegung des Muskels mit einer beträchtlichen mecha- nischen Kraft entstehn. Hierin liegt viel Unbekanntes, aber nichts Seltsames, nichts Unbegreifliches. In dem Nerven sind Störungen und Selbsterhaltungen jedes Ele- ments; dergleichen muss es zuvörderst in den sämmtli- chen einfachen Wesen, aus denen der Muskel zusam- mengesetzt ist, ebenfalls geben; und da mit dem Muskel der Nerv zusammenhängt, so müssen sich die Zustände der Selbsterhaltungen in dem einen nach denen in dem andern richten. Jetzt sagt die Erfahrung, dass aus den veränderten innern Zuständen des Muskels auch verän- derte äussere, nämlich eine Annäherung der Theile des- selben, entstehn. Damit sagt sie Nichts unerhörtes, Nichts, was nicht schon in den ersten Anfangsgründen der Chemie vorkäme. Die Attraction der Elemente bey einer chemischen Auflösung geschieht mit einer unge- heuern Gewalt, nach dem Maasse der mechanischen Kräfte; nichts desto weniger erfolgt sie ohne alle reale räumliche Kraft, und ist, auf eine völlig begreifliche Weise, bloss die nothwendige Folge der innern Zustände des Auflösungsmittels und des auflösbaren Körpers. Was Wunder also, wenn ein Muskel zuckt, weil die innern Zustände seiner Theile geändert sind durch die innern Zustände in dem Nerven, und diese durch einen innern Zustand der Seele? Der zweyte Fall ist gewissermaassen noch einfacher als der eben beleuchtete. Vom Lichte wird der Sehenerv, von Salzen der Geschmacksnerv, u. s. w. in neue innere Zustände versetzt. Der Bewegungen bedürfen wir hier gar nicht, denn die vorgeblichen Schwingungen der Nerven können nicht nachgewiesen werden, und sind bey der ge- ringen Anspannung der Nervenfäden, und wegen ihrer weichen Umgebungen, eben so unwahrscheinlich, als der Nervensaft es nur immer seyn kann. Und was folgt denn aus diesen Affectionen der Sinnesnerven? Das allerna- türlichste von der Welt; ein innerer Zustand der Seele, eine Vorstellung. Hier ist gar nichts Heterogenes in der Ursache und dem Bewirkten, denn hier mischt der Raum sich weiter nicht ein, als in so fern die räumliche Aus- dehnung des Nervenfadens in Betracht kommt, wovon schon vorhin die Rede war. Nachdem solchergestalt die Verbindung zwischen Leib und Seele im Allgemeinen erklärt ist: muss die Frage vom Sitze der Seele berührt werden, über die man sich neuerlich weit hinaus geschwungen hat, jedoch nur auf den Fittichen grosser Irrthümer. Es hat zwar seine Richtigkeit, dass der Seele selbst, als einem einfa- chen Wesen, gar keine räumliche Prädicate können bey- gelegt werden. Aber dasselbe gilt in demselben Grade von allen den einfachen Wesen, welche den Leib, ja welche jeden beliebigen Klumpen Materie constituiren. Der Klumpen als solcher ist nur in so fern real, wiefern er eine bestimmte Menge und Zusammenordnung von Wesen enthält, die im Causalverhältnisse zu einander stehn. Daher man denn auch noch nie einen Klumpen wird gesehn haben, der bloss realisirter Raum wäre, ohne andre Kraftäusserungen, mindestens von Cohäsion oder Repulsion der Theile. — Gerade nun auf die näm- liche Weise, wie die, völlig unausgedehnten, völlig un- räumlichen Wesen, für welche, wenn man jedes einzeln betrachtet, nicht einmal die Frage: Wo es sey ? einen Sinn hat, — gerade wie diese Wesen, aus denen die Materie besteht, zusammengenommen räumliche Ganze, Körper, bilden: nicht anders gebührt auch der Seele, die- sem ebenfalls dem Raume völlig fremdartigen Wesen, dennoch, so fern sie mit dem Leibe in einem vesten Causalverhältnisse steht, eine bestimmte Stelle, minde- stens eine bestimmte Gegend in dem Leibe, wo sie sich befinde; und dieses Wo ist für die Seele genau in dem nämlichen Sinne zu nehmen, wie für jedes Element der Materie. Obgleich nun der Raum, den ein einfaches Wesen einnimmt, nur ein mathematischer Punct seyn kann, so dürfte dennoch die Frage nach dem Sitze der Seele in so fern vergeblich ausfallen, als man den Punct im Ge- hirn würde bestimmen wollen, wo die Seele ihre blei- bende Stelle hätte. Denn das Causalverhältniss zwischen Leib und Seele kann entweder ganz, oder doch grössten- theils unverändert bleiben, wenn schon der Seele eine (ihr freylich gänzlich unbewusste) Beweglichkeit zugeschrieben wird; indem ihr innerer Zustand nicht von denjenigen Elementen allein abhängt, von welchen sie in jedem Au- genblicke zunächst umgeben ist, sondern auf eine sich gleichbleibende Weise von dem ganzen System, dessen einfache Bestandtheile einander ihre innern Zustände ge- genseitig bestimmen. Wahrscheinlich hat die Seele keine bleibende Stelle; sonst würde den Physiologen ein aus- gezeichneter Mittelpunct im Gehirn aufgefallen seyn, wo- hin alles zusammenlaufe. Aber die ganze mittlere Ge- gend , in welcher längst das sensorium commune ist ge- sucht worden, kann der Seele ihren Aufenthalt darbieten. Mag also dieselbe sich auf, oder vielmehr in der Brücke des Varols hin und her bewegen; nur dass man zu dieser Bewegung nicht etwan einen Kanal suche, denn es ist keiner nöthig; so wenig als das Licht der Poren des durchsichtigen Körpers bedarf, den es im eigentlich- sten Verstande überall und in jeder Richtung durch- dringt . Uebrigens versteht sich von selbst, dass, wenn die Seele sich bewegt, dieses nicht geschieht, weil sie will, (denn sie weiss nichts davon,) sondern dass wie- derum wie vorhin, ihre inneren Zustände, verbunden mit denen des Gehirns, erst die Ursache, dann die Folge ihres veränderten Orts seyn müssen, wegen der überall vorhandenen Nothwendigkeit, dass der äussere und der innere Zustand gehörig übereinstimmen. Ich führe noch an, dass die Hypothese von der Be- weglichkeit der Seele, also von der Veränderlichkeit des Mittelpuncts aller Sensationen, vielleicht die kürzeste Er- klärung für einige seltene Phänomene, wie für den thieri- schen Magnetismus, für das Nachtwandeln, u. s. w. dar- bieten würde. Denn diese Mitteldinge zwischen Krank- keit und erhöheter Gesundheit erlauben schwerlich, eine bedeutende Veränderung in der Maschine des Menschen anzunehmen, wodurch dieselbe auch für jeden künftigen regelmässigen Gebrauch zu sehr verdorben würde; eher mögen jene Erscheinungen eine abgeänderte, jedoch schnell auf den vorigen Zustand zurückkommende, Be- ziehung zwischen der Seele und Leibe andeuten. Endlich, dass die Seele einen Ort in dem Leibe ein- nehmen muss, ist gewiss; man hat also nur die Wahl zwischen einem vesten Sitze oder einem veränderlichen Aufenthalte. Beydes sind Hypothesen; die erste aber hat nichts für sich, wenn nicht etwa den falschen Ge- danken der Schwierigkeit, dass die Seele herdurchwan- dere durch die körperlichen Gewebe; die zweyte ist we- nigstens viel brauchbarer, indem sie den physiologischen Erklärungen ein weiteres Feld öffnet, worin sie sich ver- suchen können. §. 155. Zwar schon oben im §. 129. ist über die psycholo- gische Möglichkeit, dass die Seele im Handeln sich des Leibes absichtlich als eines Werkzeuges bediene, eine kurze Andeutung gegeben; allein es scheint passend, am gegenwärtigen Orte diesen wichtigen Gegenstand etwas ausführlicher, zugleich von der psychologischen und von der physiologischen Seite, zu beleuchten. Man wird näm- lich nicht glauben, dass die allgemeinen Erörterungen über die Verbindung der Seele mit dem Leibe schon über das Absichtliche des Handelns Auskunft gegeben hätten. Wir waren vorhin (im §. 153.) bloss mit dem Causalverhältnisse zwischen den heterogenen Gliedern, dem Wollen und der Bewegung, beschäfftigt; allein die gegebene Erklärung vermittelt bloss den Zusammenhang zwischen inneren Zuständen der Seele und äusseren des Körpers. Sie lässt unbestimmt, was für innere Zustände der Seele diejenigen seyn mögen, auf welche der Leib sich bewegt. Sie passt eben so gut auf das Entstehen der unwillkührlichen Röthe auf den Wangen bey dem Gefühle der Schaam, als auf die Beugungen der Finger beym Ergreifen eines äusseren Gegenstandes. Zuerst nun bietet sich über die absichtlichen Bewe- gungen die Bemerkung dar, dass bey denselben die Seele keinesweges dasjenige unmittelbar bewirkt, was sie eigent- lich will. Denn die Beugungen der Glieder hängen zu- nächst ab von der Spannung gewisser Muskeln, diese von dem Gebrauch gewisser Nerven — aber die Seele weiss nichts von Muskeln und von Nerven; sie ist be- schäfftigt mit dem äussern Erfolge, den sie beabsichtigt. Umgekehrt vollbringt dagegen die Seele wirklich das, was sie nicht kennt, nicht denkt, nicht ahndet; sie setzt den ihr unbekannten Mechanismus richtig in Bewegung; sie fasst ihn an dem Ende an, wo er angefasst seyn will, um seine Dienste leisten zu können. Und eine solche unbewusste Wirksamkeit übt sie aus im genauesten Zu- sammenhange mit der des bewussten Wollens oder Be- gehrens. Für sich allein betrachtet liegt nun darin, dass zwi- schen dem Wollen, und dem daraus erfolgenden Zu- stande der Nerven gar keine Aehnlichkeit ist, auch nicht die mindeste Schwierigkeit. Es ist schon oben bemerkt, dass zwischen einem Paare zusammengehöriger Selbster- haltungen zweyer Wesen, die einander stören, nichts Gleichartiges auch nur darf vermuthet werden. Gerade umgekehrt also kann nur die Uebereinstimmung zwischen dem Wollen in der Seele und dem letzten Effect in der Sinnenwelt, dem Vollbringen des Gewollten, den Gegenstand der Frage ausmachen. Wenn mit dem Wol- len, als einem innern Seelenzustande, ein ganz hetero- gener innerer Zustand der Nerven oder der Gehirntheile, die mit der Seele im Causalverhältniss stehen, sich ver- bindet: wohlan, das befremdet nicht; aber warum ist es jedesmal ein solcher Nervenzustand, wie gerade nöthig ist, wenn die Glieder des Leibes durch den Mechanis- mus desselben zu der verlangten Bewegung sollen ange- trieben werden? Hier fehlt der Zusammenhang; und es ist nothwendig seinetwegen in die Erklärung ein Mittel- glied einzuschieben. Dieses aber bietet sich von selbst an, sobald wir uns erinnern, dass mit jeder, gleichviel ob absichtlichen oder zufälligen, Beugung und Lenkung der Gliedmaassen auch ein Gefühl verbunden ist; nämlich eine Sensa- tion , wodurch die Seele sich selbst erhält in derjenigen Störung, die sie erleiden sollte wegen der passiven Affection gewisser Nerven in den gebogenen Gliedern. Dieses Ge- fühl complicirt sich mit dem Wollen, oder genauer, mit denjenigen Vorstellungen, welche im Wollen das Thä- tige sind. Und hierin liegt das Mittelglied für den er- wähnten Zusammenhang. Ohne weitere Vorbereitung wird sich jetzt die Sache folgendermaassen erklären lassen: Gleich nach der Geburt eines Menschen oder eines Thieres entstehn aus bloss organischen Gründen, unab- hängig von der Seele, gewisse Bewegungen in den Ge- lenken; und jede solche Bewegung erregt in der Seele ein bestimmtes Gefühl. Im nämlichen Augenblicke wird durch durch den äussern Sinn wahrgenommen, was für eine Veränderung sich zugetragen habe; nämlich jene Bewe- gung wird theils die Gestalt des Gliedes, in welchem sie vorging, modificirt, theils irgend welche andre Folgen in der Umgebung, oder überhaupt in der Sinnensphäre ge- habt haben. So z. B. zieht ein kleines Kind Anfangs Fin- ger und Arme unwillkührlich zusammen; während es nun vermöge der Nerven des Arms hievon ein Gefühl erhält, sieht es zugleich die neue Gestalt seines Arms; und wenn die Finger irgend einen Körper hatten umklammern kön- nen, so sieht es auch diesen jetzo dem Zuge der Hand nachfolgen; und es findet ihn nahe vor sich in der dem- nächst wieder geöffneten Hand. — In einer spätern Zeit erhebt sich ein Begehren nach der beobachteten Veränderung. Damit reproducirt sich das zuvor mit die- ser Beobachtung complicirte Gefühl. Nun ist das letztere eine solche Selbsterhaltung der Seele, welcher in Ner- ven und Muskeln alle die innern und äusseren Zustände entsprechen, vermittelst deren die beabsichtigte Verände- rung in der Sinnensphäre kann hervorgebracht werden. Das Begehrte erfolgt also wirklich; und der Erfolg wird wahrgenommen. Hiedurch verstärkt sich sogleich die vorige Complexion; die einmal gelungene Handlung erleichtert die nächstfolgende, und so fort. Einige Bemerkungen werden diese Erklärung zugleich bestätigen und weiter ausführen. — Einer gewissen Energie des Handelns entspricht ohne Zweifel ein gewis- ses Quantum jenes vermittelnden Gefühls, von welchem zunächst die Bestimmung der Nerven und Muskeln ab- hängt. Aber ein und das nämliche Quantum des Ge- fühls, wie jeder Vorstellung, kann auf doppelte Weise im Bewusstseyn vorhanden seyn; entweder so, dass eine an sich so schwache Vorstellung sich dem ungehemmten Zustande mehr nähere, oder dass eine stärkere Vorstel- lung in einem mehr gehemmten Zustande sich befinde. (Man erinnere sich hier der ersten Grundbegriffe der Statik des Geistes.) Nun nimmt jenes vermittelnde Ge- II. G g fühl an Stärke immer zu, je öfter es beym Handeln er- neuert wird. Folglich, um nicht auch seine Wirkung zu vergrössern, muss es immer mehr in einem gehemmten Zustande verbleiben. Und das geschieht der Erfahrung gemäss, wirklich. Denn immer dunkler wird unser Be- wusstseyn der nämlichen Handlungen, je mehr durch Wiederhohlung die Fertigkeit wächst. Zweytens: durch Uebung wächst nicht bloss die Fer- tigkeit; sondern unvollkommene Erfolge veranlassen neue Versuche, und ein schärferes Aufmerken auf die Gefühle in den Organen; (wobey die Thätigkeit des Aufmerkens in gewissen höhern Vorstellungsmassen ihren Sitz hat, dergleichen wir oben beym innern Sinne in Betracht zo- gen.) Durch Versuche nun lässt sich der Kreis des mög- lichen Handelns unbestimmt erweitern, und sehr über die ersten Anfänge, welche von unwillkührlichen organischen Bewegungen ausgingen, hinausdehnen. Drittens: dass in diesen ersten Anfängen sich alles aus Gefühl und Beobachtung, ohne Willkühr, zusam- mensetzt, sieht man deutlich an eigensinnigen Kindern, die durch Schreyen ihre Umgebung regieren; ja selbst an Thieren, denen oft auf ihre klagende Stimme gewährt worden ist, was sie begehrten. Bey diesen wie bey jenen werden unverkennbar die Töne immer gebieterischer, je häufiger sie erfahren haben, dass sie etwas dadurch aus- richten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des Han- delns, so unnatürlich dies auch ist. Die Complexion zwischen dem Schreyen und dem beobachteten guten Er- folge wirkt nach dem allgemeinen Gange des psycholo- gischen Mechanismus dahin, dass, sobald das Beobach- tete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und zwar nach häufiger Wiederhohlung endlich mit der Zu- versicht des Gelingens, wodurch der Wunsch in den Willen, die Bitte in den Befehl übergeht. Viertens: man wolle gegen die gegebene Erklärung nicht einwenden, dass die Vorstellung von der Bewegung des Arms oder des Beins oft genug ins Bewusstseyn trete, als etwas bloss mögliches, was man bewirken würde, wenn man wollte; ohne gleichwohl die wirkliche Bewe- gung hervorzubringen, wie jene Complexion es scheine nothwendig zu machen. Dies Phänomen ist zwar als Thatsache bekannt und ausser Zweifel; aber es ist ver- wickelter als jenes. Die Erfahrung zeigt uns dasselbe immer häufiger bey fortschreitender Ausbildung; da lernt der Mensch schweigen, er lernt seine Kräfte schonen, er lernt mit einem Worte sich zurückhalten . Dies ist eine Wirkung der höheren, appercipirenden Vorstellungs- massen. Hingegen das Kind realisirt in jedem Augen- blicke unmittelbar, was ihm einfällt, sein Phantasiren ist ursprünglich Handeln; gemäss dem Gesetze jener Com- plexionen, sobald ihre Wirksamkeit nicht durch eine höhere Thätigkeit gehindert oder gelenkt wird. Fünftens: auch ein Umstand, der den Physiologen befremden kann, scheint nach unserer Erklärung nicht wunderbar. Dieser nämlich, „dass die Seele die Fähig- „keit besitzt, nach gewissen Richtungen von innen her „aus zu wirken, ohne dass diese Richtung durch die „anatomische Verbindung der Nerven bestimmt würde“ Autenrieth ’s Physiologie §. 937. . Das vermittelnde Gefühl nämlich leistet immer die glei- chen Dienste, es mag nun mit den Affectionen vieler oder weniger Nerven oder Nervenfasern zusammenhängen. Indem es selbst reproducirt wird, erneuert es mit sich den Gesammtzustand des Organismus, aus welchem es seinen Ursprung zuerst erhalten hatte. §. 156. Bevor wir weiter gehn, wird es nöthig seyn, der Hauptarten physiologischer Erklärungen im Allgemeinen zu erwähnen, und nachzusehn, was jede derselben lei- sten könne. Dieser Hauptarten zähle ich vier, um mich fürs erste nach dem Scheinbaren zu richten; es wird sich jedoch zeigen lassen, dass dieselben nicht alle eine strenge Unterscheidung gestatten, wenn man in ihre wahren G g 2 Charaktere eindringt. Ich meine die mechanische , die chemische , die vitale , und die psychische Erklä- rungsart. Die Bedeutung dieser Ausdrücke wird bekannt genug seyn, höchstens mag einigen Lesern die Erinne- rung willkommen seyn, dass zwischen den beyden letzten Ausdrücken die nämliche Scheidungslinie läuft, wodurch das Leben der Pflanzen getrennt wird von demjenigen Leben der Thiere in ihrem wachenden oder träumenden Zustande, wodurch sie sich über die blosse Vegetation erheben. Wenn ich nun behaupte, dass die mechanische Er- klärungsart für sich allein beynahe ganz unbrauchbar, aber in Verbindung mit den übrigen unentbehrlich ist, so werden die Meisten mir beistimmen. Allein man wird anstössig finden, was ich sogleich hinzusetze, dass nämlich die chemische Erklärungsweise unter allen am wenigsten brauchbar, ja beynahe gänzlich untauglich ist. Dies muss ich genauer erläutern. Jede chemische Action besteht (nach dem, was die Abhandlung über die Attraction der Elemente hierüber enthält) in derjenigen Störung, welche in zweyen hetero- genen Wesen zwey heterogene, aber zusammengehörige, Selbsterhaltungen nöthig macht Ich kann mich nicht genug wundern über die dürftige Einsei- tigkeit, womit man neuerlich in der Elektricität das Geheimniss der Chemie zu finden, — und x durch y zu erklären meint. Doch unsre Chemie ist schon zu reich, um solche Thorheit lange zu ertragen. . Und zwar sind diese Selbsterhaltungen allein das wirkliche Ereigniss, denn die Störung ist eigentlich nur das, was geschehn würde, wenn die Selbsterhaltungen ausblieben, die aber ganz unfehl- bar erfolgen. — Angenommen nun, dass die Wesen, von denen die Rede ist, sich in keinen andern und näher bestimmten Verhältnissen befinden: so ist ihre gegensei- tige Action gar keine andre als die beschriebene; sie ist allemal chemisch, und es giebt keine andre als chemi- sche Action, die unmittelbar aus dem Zusammentref- fen zweyer Wesen erfolgen könnte. — Hingegen die vitale Action setzt innere Reizbarkeit , innere Bil- dung eines Wesens voraus. (§. 152.) Diese Bildung erlangt aber dasselbe nur durch seine allmählige Assimi- lation in einem organischen Körper, das heisst, durch ein ganzes System von Selbsterhaltungen, zu denen es vermöge seines Aufenthalts in dem Organismus stufen- weise gebracht wird. Es besteht nun die Reizung bloss darin, dass durch eine einzige neue Stö- rung, und derselben entsprechende Selbster- haltung, sogleich eine Menge früher erzeugter Selbsterhaltungen in erneuerte Wirksamkeit gesetzt werden ; — wovon die Wiedererweckung der älteren Vorstellungen in der Seele durch eine neu hin- zukommende, und schon der Widerstreit älterer entge- genstehender Vorstellungen wider die neue, nichts als specielle Fälle sind. Es kann ferner die Reizung in ihren nähern Bestimmungen bey einem und demselbem orga- nischen Elemente eben so höchst verschieden seyn, wie die mancherley Reizungen, deren eine und dieselbe mensch- liche Seele fähig ist. — Vergleichen wir jetzt die vitale Action mit der chemischen: worin liegt der Unterschied? Jene ist zusammengesetzt, diese ist einfach. Jene ist erst möglich nachdem eine Menge von Selbsterhaltungen des nämlichen Wesens vorangingen; diese bedarf keiner sol- chen Vorbereitung. Und nicht bloss eine Menge , son- dern ein geordnetes System von Selbsterhaltungen, wie es jedesmal die Eigenthümlichkeit desjenigen Orga- nismus ergab, der sich das reizbar gewordene Element assimilirte: das ist der Grund, warum die Vitalität den Chemismus übertrifft. Kann denn nun ein Element, das schon zur organi- schen Reizbarkeit gebildet wurde, — kann es noch auf bloss chemische Weise wirken? — Ungefähr so, wie ein gebildeter menschlicher Geist dahin gebracht werden mag, sich auf thierisch rohe Weise zu äussern. Man muss erst die Bildung in ihm unkräftig machen, durch neue, gewaltsame Eindrücke; man muss ihn aus dem äusseren Zustande, zu welchem seine Cultur sich schickt, erst ganz herausreissen, in einen ganz entgegengesetzten ihn hineinzwingen, und ihn nicht zur Besinnung kommen lassen. Denn sobald alle in ihm vorhandenen Vorstel- lungsmassen sich ins volle Gleichgewicht setzen, wird doch die bessere Erziehung wieder durchschimmern, und in den ärgsten Lumpen wird ein edler Anstand sichtbar werden. — So gerade mag auch ein vormals organisches Element nach Auflösung der Lebens-Bande, nach der Verwesung, sich einigermaassen (doch niemals ganz) in den rohen Chemismus zürückv ersetzt finden: gewiss aber darf man während des noch kräftigen Lebens kei- nen solchen Verfall erwarten; sondern hier ist, (um nur zum Schluss zu kommen) die chemische Erklärungs- art fast ganz untauglich, weil ihre Stelle allemal von der, ihr nicht sowohl entgegengesetzten, als vielmehr sie über- treffenden, vitalen, wird ausgefüllt werden. Endlich die psychische Erklärungsart, wie hängt sie mit den vorigen zusammen? Sie setzt voraus, dass nicht bloss, wie in der Pflanze, eine Menge von zusammen- geordneten, und zum gemeinsamen Leben gebildeten Elementen, dieses Leben mit einander wirklich führen, und in demselben einander gegenseitig bestimmen: son- dern dass noch etwas Ueberschüssiges , zur organi- schen Existenz nicht schlechthin nothwendiges, aber in einem ganz ausgezeichneten Grade und auf ganz beson- dere Weise Gebildetes, zugegen sey, welches in das ganze System des lebenden Körpers aufs tiefste verfloch- ten, dasselbe vielfältig modificire, und von ihm Modifi- cationen empfange. Die Seele ist nicht einmal bey den niedrigsten Thieren das, wofür ein Alter sie zu halten schien, indem er sich scherzend so ausdrückte, sie sey dem Thiere gegeben statt des Salzes, damit es nicht faule. Viel eher kann man mit Reil sagen: „die Seele ist „der natürliche Parasit des Körpers, und ver- „zehrt in dem nämlichen Verhältniss das Oehl des Le- „bens stärker, welches sie nicht erworben hat, als die „Gränzen ihres Wirkungskreises erweitert werden“ Reils Rhapsodien über die psychische Cur des Wahnsinns , S. 12. Auf desselben Schriftstellers Beyträge z. Bef. einer Kurmethode auf psychischem Wege , kann ich, des darin herrschenden Schellingianismus wegen, keine Rücksicht neh- men. Dergleichen muss an der Wurzel gefasst werden; mit den Zwei- gen würde man sich unnütze Mühe geben. . Es giebt Blödsinnige, die gänzlich einer Pflanze gleichen würden, wenn man ihrem Munde die nöthige Nahrung so beständig gegenwärtig erhalten könnte, wie die Wur- zeln der Pflanze umgeben sind von der nährenden Erde. Unerwartet ist es bey dem eben angeführten Schrift- steller, wenn er dennoch der grossen Zahl derjenigen Physiologen beytritt, welche in der Verwunderung über die Abhängigkeit der Seele vom Körper, besonders in kranken Zuständen, die erstere mit dem letztern zusam- menschmelzen, und dadurch in den Materialismus ver- fallen. „Wie wird uns,“ fragt Reil , „beym Anblick „dieser Horde vernunftloser Wesen,“ (im Irrenhause) „deren einige vielleicht ehemals einem Newton, Leib- „nitz , oder Sterne zur Seite standen? Wo bleibt un- „ser Glaube an unsern ätherischen Ursprung, an die „Immaterialität und Selbstständigkeit unseres Geistes, und „an andere Hyperbeln des Dichtungsvermögens? Wie „kann die nämliche Kraft in dem Verkehrten anders „seyn und anders wirken? Wie kann sie, deren We- „sen Thätigkeit ist, in dem Cretin Jahre lang schlum- „mern? Wie kann sie mit jedem wechselnden Mond, „gleich einem kalten Fieber, bald rasen, bald vernünftig „seyn?“ — Wie sie könne? Die allgemeine Antwort, welche hinreicht wider allen Materialismus, nämlich ver- möge des Causalverhältnisses zwischen Leib und Seele, muss einem Reil wohl bekannt gewesen seyn. Die nä- hern Bestimmungen für besondre Fälle, welche der aus- gezeichnete Mann vielleicht vermisste, werden wir in der Folge wenigstens vorzubereiten suchen. Fürs erste aber dürften wir wohl fragen, wie denn die in allen Gliedern verbreitete Seele, welcher Herr Reil den Vorzug giebt, beym Wahnsinnigen, beym Cretin vollends, so sehr krank seyn könne, ohne das Leben und selbst ohne die Kör- perkräfte eines solchen Menschen merklich anzufechten? Wir haben noch nie gehört, dass eine kranke Lunge, ein krankes Herz, ein kranker Magen, oder nur eine kranke Gallenblase, so unbedeutend sey für das Leben, wie die kranke Seele. Selbst ein Geschwür an der Fuss- sohle, ja ein verletzter Nagel am Finger, kann durch Brand den ganzen Körper tödten; aber mit seinen Ket- ten mag immerhin der Rasende klirren und toben; die Sorge ist nicht gross, dass er davon sterbe. Es wird also wohl dabey bleiben, dass die Seele nur ein Einwohner des übrigens sich selbst genügenden Lei- bes ist; welchem Einwohner bloss zum Danke für die mancherley Dienste, die ihm geleistet werden, obliegt, einige Geschäffte zur äussern Unterstützung des Lebens, insbesondre die Aufsuchung der Nahrung zu übernehmen. Und daraus folgt denn, dass die psychischen Erklärun- gen in Eine Klasse fallen mit den Erklärungen durch fremdartige Potenzen. Eine Krankheit, welche die Seele, etwa durch Leidenschaften, durch Verdruss und Kummer, verursacht, wird gleichen einer durch Erkältung oder Er- stickung herbeygeführten; denn die Verknüpfung zwischen Seele und Leib ist nur um weniges enger (wenn gleich beständiger ,) als die zwischen dem Leibe und der Luft, die er athmet, oder der freyen Wärme, die seine Haut unmittelbar umgiebt. Es ist sehr gewiss, dass der Leib auf die nächste Atmosphäre und auf deren Tempe- ratur entscheidend wirkt, und von ihr Wirkungen erlei- det; und so haben wir auch noch keinen lebendigen Leib gesehen, von dem wir bestimmt hätten behaupten dürfen, dass ihm die Seele gänzlich mangele, oder gar nicht in ihn wirke. Aber man sollte besser überlegen, wie we- nig in manchen Fällen an diesem Gänzlich fehle! Schon oben haben wir von der Art der gegenseitigen Einwirkungen zwischen Seele und Leib gesprochen, und sie auf zusammengehörige Selbsterhaltungen zurückgeführt. Dadurch fallen sie wiederum in dieselbe allgemeine Classe, wohin auch die chemischen und vitalen gehören. Aber wie die vitalen höher stehn als die chemischen, indem sie von der organischen inneren Bildung jedes Elements abhängen, so stehen die psychischen noch höher; es ist die Ausbildung der Seele, mit welcher die Mannigfaltig- keit ihrer Wirkungen auf den Körper anwächst, und de- ren Stärke sich vermehrt. Einzig und allein die mechanische Erklärungsart weicht in so fern specifisch ab von den sämmtlichen an- deren, als sie eine ganz neue Bedingung für die zusam- mengehörigen Selbsterhaltungen einführt. Um dieses zu verstehen, muss man die Verknüpfung räumlicher Ver- hältnisse der einfachen Wesen mit ihren Störungen und Selbsterhaltungen, aus der allgemeinen Metaphysik ken- nen. Man muss vor allen Dingen die actio in distans für das erkannt haben, was sie ist, nämlich für eine Lieb- haberey deren, die ein Vergnügen darin finden, sich über Ungereimtheiten (die sie zwar nicht einsehn, aber dunkel fühlen,) andächtig zu verwundern. In der Metaphysik erscheint zuvörderst der intelligible Raum dergestalt be- stimmt, dass in ihm die Entfernung sogleich die vollstän- dige Unmöglichkeit des Causalverhältnisses selber ist; die Durchdringung aber oder das Zusammen, unmittelbar die Causalität herbeyführt. In der Erfahrung zeigen sich nun alle Folgerungen bestätigt, welche aus den Verhält- nissen im intelligibeln Raume abgeleitet werden, darum können füglich intelligibler und empirischer Raum in den Resultaten (nur nicht in den Erkenntnissgründen) gleich gesetzt werden. Die seltnen Fälle, in welchen die Er- fahrung eine actio in distans (die übrigens nie bewie- sen werden kann) auf den ersten Anblick darbietet, sind ohne Ausnahme mit dem verrätherischen Merkmale be- haftet, dass in ihnen von dem Mehr oder Weniger der Entfernung auch das Weniger oder Mehr der Wirkung abhängt. Dieses ist aus der Quantität des zwischen lie- genden Raumes schlechterdings nicht zu erklären, denn der Raum selbst ist ein leeres Nichts. Ein reales Ver- mittelndes muss dazwischen liegen; das geringste wie das grösste Quantum leeren Raumes würde die Gemeinschaft der Substanzen auf gleiche Weise bestimmen; — nämlich dieselbe gänzlich unterbrechen. Hiemit nun hängt die grosse Wichtigkeit der mecha- nischen Erklärungen, auch in der Physiologie, zusammen. Kann man nachweisen, dass in irgend welchen Fällen sich gewisse Nervenfasern contrahiren, oder genauer, dass nach irgend einer Dimension ihre Elemente näher zusammenrücken, also sich vollkommner durchdringen, als zuvor: so ist die Bedingung des Causalverhältnisses unter diesen Elementen gewachsen, folglich deren gegenseitiger Einfluss grösser geworden. Eben so umge- kehrt. Kommt vollends irgend etwas Neues, wenn auch nur Wärme oder dergleichen, in die Zusammensetzung der Bestandtheile, so entstehen neue Störungen und Selbsterhaltungen, neue innere und hiemit beynahe un- fehlbar auch neue äussere Zustände. Allein überall wird man die mechanischen Erklärungen mit den vitalen ver- binden müssen, denn bey organischen Elementen ist überall ihre früher gewonnene innere Reizbarkeit mit im Spiele. §. 157. Nach diesen Vorbereitungen werden wir vielleicht über die Art der Verbindung zwischen der Seele und dem Leibe etwas Näheres zu den erst angegebenen ganz allgemeinen Grundgedanken hinzuzufügen wagen können. Wahrscheinlich ist nicht nur die Seele der Parasit des Körpers, sondern mit ihr der grösste Theil des Nervensystems und vorzüglich des Gehirns. Da man im Allgemeinen die Einrichtung der organischen Maschine, sammt ihren Lebensfunctionen und der Zusammenwirkung ihrer Theile, so ziemlich kennt; warum weiss man über die verschiedenen Körper, Höhlen, Hügel und Brücken, aus denen das Gehirn besteht, so wenig, oder gar nichts, das ihren Gebrauch aufklärte, zu sagen? Warum findet man das Gehirn verhältnissmässig so gross im Menschen, und von einer so grossen Blutmasse durchströmt; wäh- rend es in niedrigern Thieren immer kleiner wird, immer weniger Zusammenhang unter seinen Theilen zeigt, ja auf den untersten Stufen des thierischen Lebens gar ver- schwindet? Warum anders, als weil das Gehirn zunächst für die Seele, aber nicht für das vegetative Leben des Organismus vorhanden ist? Wie nun aber das Gehirn sammt dem Nervensystem von dem ganzen übrigen Leibe weit verschieden, und nur in denselben eingefügt und eingewebt ist: eben so muss wiederum in den höheren Thieren , und namentlich im Menschen, die Seele entweder ursprünglich als We- sen, oder durch ihre Stellung und die daraus entsprungene vorzügliche innere Bildung, verschieden seyn von den übrigen Elementen des Gehirns und der Nerven. Denn sie dominirt das System, in welchem sie sich befindet. Man könnte sich auf einen Augenblick der entgegen- gesetzten Meinung hingeben. Man könnte sagen: da alle Causalität wechselseitig ist (wie eben das System von den Störungen und Selbsterhaltungen am ausdrück- lichsten behauptet,) so kann kein Element des Gehirns und der Nerven in seinen inneren Zuständen unabhängig seyn, von den Zuständen jedes andern; alle müssen allen ihre Zustände bestimmen. Nun ist zwischen der Seele und dem Gehirne dieselbe Wechselseitigkeit des Cau- salverhältnisses, wie zwischen den Gehirntheilen unter einander. Also können auch die sämmtlichen Vorstellun- gen, Begehrungen und Gefühle, obschon in dem ein- fachen Wesen der Seele versammelt, doch nicht nach bloss innern Gesetzen ihrer eignen Zusammenwir- kung, sich richten, sondern ihr Wechsel und ihre Ver- knüpfungen sind die Resultate aller Zustände in allen einzelnen Elementen des Gehirns und des Nervensystems. Aus dieser Ansicht würde etwas ganz ähnliches, und zwar bey gesunder Metaphysik, folgen, als was diejeni- gen wollen, die neuerlich der Zersplitterung der Seele durch alle Theile des Körpers das Wort geredet haben. Nämlich die Abhängigkeit der Seele vom Körper würde so gross seyn, dass eine Psychologie ohne Physiologie ganz vergeblich wäre, und dass alle Phänomene des Be- wusstseyns nichts als Aeusserungen des gesammten Orga- nismus werden müssten. Um diese Vorstellungsart würdigen zu können, müs- sen wir sie ein wenig weiter ausführen. Die Meinung ist also, dass ein ähnlicher, innerer Mechanismus unter den Selbsterhaltungen, die in den einzelnen Elementen des Gehirns und der Nerven statt gefunden, und sich angehäuft haben, in jedem solchen Elemente ungefähr auf dieselbe Weise thätig sey, wie in der Seele; und dass die Mechanik des Geistes darum unendlich verwickelt ausfalle, weil der Geist nicht von sich selbst allein ab- hange, sondern es nur eine Gesammt-Mechanik für alle, sich gegenseitig bestimmende Theile des Systems geben könne. So blieben also die Auffassungen der Farben nicht bloss in der Seele, sondern auch in den Sehener- ven, nach der Wahrnehmung zurück; desgleichen die Auffassungen der Töne in den Gehörnerven; und so fort; bey neu hinzukommenden Farben und Tönen aber gäbe es Reminiscenzen und Reproductionen in den Elementen der Nerven gerade wie in der Seele; ja es besässen selbst jene Elemente das, was man Phantasie und Ge- dächtniss nennt, dergestalt, dass auch unabhängig von neuen äussern Eindrücken, das früherhin aufgefasste in ihnen lebendig wäre; und dass hiedurch die Lebendigkeit der Phantasie und des Gedächtnisses in der Seele un- endlich erhöht würde. — Und hier hätten wir denn ohne Schwierigkeit die oft angenommenen vestigia rerum , die freylich nicht materielle Ideen zu seyn brauchen, von denen Reil fragt, wo sie Platz genug haben in dem Gehirne eines Polyglotten-Schreibers? Reils Rhapsodieen S. 116. Platz brauchen sie gar nicht, denn sie sind in den Elementen, sowohl wie die Vorstellungen in der Seele. Und wenn Reil weiter fragt, was zu ihnen hinzukomme, damit sie sicht- bar werden, so bietet sich sogleich die Antwort dar, sie verwandeln sich durch ihre Gegensätze gerade so in stre- bende Kräfte , wie die Vorstellungen der Seele nach den ersten Grundsätzen der Statik des Geistes. Man sieht also, dass auf allen Fall diese Ansicht sich würde zu einer Theorie ausbilden lassen, die immer noch besser wäre, als die meisten Einfälle, denen sich die Physiolo- gen, wohl gar in der Einbildung, sie hätten philosophirt, Preis zu geben pflegen. Allein aus diesen Voraussetzungen folgt zuviel, und eben darum wenig oder Nichts. Die Fälle, wo ein Sin- nesorgan sich in dem Zustande befindet, dass ohne An- stoss von aussen dennoch seine Elemente sich auf eben die Art selbst erhalten, wie sie es im Wahrnehmen thun, und daher auch die Seele durch die Einbildung eines Wahrgenommenen täuschen, — diese Fälle kommen selten einmal vor, nämlich als kranke Zustände. Das Ohr ist krank, wenn es von selbst singt; das Auge ist angegriffen, wenn es nach allzustarkem Lichte die be- kannten nachbleibenden Spectra sieht; der Nerve leidet, der den Schmerz in einem schon amputirten Gliede nach- ahmt. Dies alles nun, und noch viel mehreres der Art, müssten nicht selten einmal die kranken, sondern unauf- hörlich die gesunden Organe bewirken; sie müssten uns stets in einem, der Wahrnehmung nahe kommenden Zu- stande, — wie in einem lebhaften Traume, — erhalten, sie müssten bey allen neuen Wahrnehmungen ihre Re- miniscenzen einschieben; wodurch die Erschleichungsfeh- ler bey allen Erfahrungen ins Ungeheure anwachsen wür- den, indem nicht bloss die Seele, sondern die sämmtli- chen Elementar-Bestandtheile der Sinnesnerven zu die- sem Erschleichen beytrügen! Dagegen würde es auf die- sem Wege gar nicht schwer halten, dass ein animali- sches Wesen zu einer gewissen Stufe geistiger Bildung sich erhöbe. Das Thier würde keinesweges auf die Em- pfindungen des Augenblicks beschränkt seyn; es würde vielmehr in jedem Zeitpuncte den Gewinn seines ganzen bisherigen Lebens vortrefflich beysammen haben, wenn in allen Theilen der Nerven die frühern Zustände sich gleich wiedererweckten Vorstellungen regen, und dadurch die Seele in der Wieder-Erinnerung unterstützen könn- ten. — Es würden aber auch endlich die Bewegungs- nerven ähnliche Kräfte gelten machen. Sie würden die einmal gelernten Fertigkeiten aus eignem Triebe und Ein- falle weiter üben; und da sie bey ihren Muskeln die nächsten sind, so möchten die übrigen Theile des Sy- stems Mühe haben ihnen Einhalt zu thun. Der Mensch würde also, wie in beständig eingebildeten Wahrneh- mungen, so in beständigen Krämpfen liegen; und die Seele würde sich in ihrem Nervensystem in dem nämli- chen unglücklichen Zustande befinden, wie ein schwacher König in seinem Staate, der von Allem leidet und nichts vollbringen kann. Man sicht, dass diese Ansicht zu etwas zu gebrau- chen ist, nämlich zur Erklärung psychischen Leidens, wie es in Fiebern und im Delirium vorkommt. Nimmer- mehr aber schickt sich so etwas zum gesunden Zustande, worin der Geist eine zweckmässige Thätigkeit ausübt. Der Musiker sieht nicht, sondern er hört; der Maler hört nicht, sondern er sieht; der Algebraist sieht nur so viel, als er braucht um seine Gedanken an sinnliche Zeichen zu heften; und jeder tüchtige Arbeiter endlich bewegt nur diejenigen Glieder, welche der Begriff der Arbeit und die dahin gehörigen Vorschriften bewegt wissen wol- len. So ist im gesunden Zustande das Nervensystem weit mehr passive Maschine , als irgend eins von denjenigen Organen, welche nach ihren eignen Gesetzen die ihnen zukommenden Lebensfunctionen verrichten. Das Nervensystem allein , lässt sich bald in diesem bald in jenem seiner Theile eine Thätigkeit gefallen, deren Princip nicht in ihm liegt; und wofür der Einheitspunct, in welchem alle diese Thätigkeiten verknüpft sind, bloss in dem Vorstellungskreise der Seele sich findet. Wie das nun möglich sey, ist allerdings schwerer zu begreifen, als der zuvor geschilderte Zustand allge- meiner Gegenseitigkeit des Causalverhältnisses zwischen Leib und Seele. Der Zustand der Gesundheit, sage ich, ist schwerer zu begreifen in dem Verhältniss zwischen Leib und Seele, als der der Krankheit; gerade so wie man schon oben wird bemerkt haben, dass unter den rein psychologischen Gegenständen keiner eine so weit fortgeschrittene Einsicht erfordert, als die Erklärung der Vernunft und der Sittlichkeit. Was aber den organischen Leib anlangt, so darf hier niemals unerwartet seyn, was in andern Theilen der Physik höchst bedenklich ist, nämlich die Einmischung einer teleologischen Ansicht. In dem lebendigen Leibe waltet überall eine höhere Kunst. Schon die Verbindung von Elementen, die, abgelös’t vom lebenden Körper, schnell zur Verwesung sich neigen, erregt gerechtes Erstaunen. Wenn aber so manches andere Wunder sich überall in diesem Organismus darbietet, wenn, um nur Eins zu nen- nen, der Bau der halbmondförmigen Klappen in den Hauptstämmen der Arterien so offenbar den Stempel ei- ner absichtlichen Einrichtung trägt: so kann es nun auch nicht befremden, wenn wir die Unterordnung des Nervensystems unter die Seele als etwas sol- ches bezeichnen, das nicht aus allgemeinen Na- turverhältnissen, sondern nur unter Voraus- setzung einer besondern Einrichtung begreif- lich sey, welche auf eben die Kunst muss zu- rückgeführt werden, von der überhaupt die hö- hern Thiere ins Daseyn gerufen wurden . Wie, wird Mancher fragen, nur die höhern Thiere, und nicht auch die niederen? Und ich werde einige Worte zur Erläuterung einschalten müssen. §. 158. Bekanntlich haben manche neuere Naturforscher, ge- stützt auf Thatsachen, welche ihnen Infusionsthiere und Eingeweidewürmer, Schimmel und Schwämme darboten, sich zu der generatio aequivoca zurückgewendet, die in einer frühern Periode verrufen war, und der Lehre von Entstehung aller Thiere und Pflanzen aus Saamen den Platz hatte räumen müssen. Anstatt nun mit nüchternem Forschungsgeiste ihre Erfahrungen in dem Kreise zu las- sen, worin sie sich fanden, sprangen einige jener Ge- lehrten aus dem verhältnissmässig äusserst engen Bezirke der erwähnten Thatsachen hinüber zu der ungeheuren Hypothese, dass die generatio aequivoca mittelbarer Weise die Mutter aller lebenden Wesen sey, der höchsten wie der niedrigsten, des Menschen wie der Tremellen und Conferven; indem alles Leben nur von den niedern Stu- fen der Organisation zu den höhern gelangen könne; und der einfachere Organismus sich von Generation zu Generation immer mehr ausbilde. „Wir glauben da- „her,“ sagt Herr D. Treviranus in seiner Biologie Im dritten Bande S. 225. , „ dass die Encriniten, Pentacriniten, Ammoni- „ten, und die übrigen Zoophyten der Vorwelt „die Urformen sind, aus welchen alle Organis- „men der höhern Classen durch allmählige Ent- „wickelung entstanden sind. Wir sind ferner „der Meinung, dass jede Art, wie jedes Indivi- „duum, gewisse Perioden des Wachsthums, der „Blüthe und des Absterbens hat, dass aber ihr „Absterben nicht Auflösung, wie bey dem Indi- „viduum, sondern Degeneration ist .“ Wenn der alte Heraklit unter uns wieder aufstünde, so würde er diese Meinung vortrefflich mit seinem absoluten Werden, seiner periodischen Weltverbrennung, seinem κοινος λο- γος und seiner ἑιμαρμενη, zu reimen wissen. Absichtlich habe ich hier die Worte eines achtungs- werthen Erfahrungs-Gelehrten, nicht eines modernen Na- Naturphilosophen angeführt. Die Irrthümer, welche die Classe der letztern verbreitet, kommen nicht alle aus dem Philosophiren, sie haben eine weitere Sphäre, und man findet deren überall da, wo die Meinung schneller forteilt, als das besonnene Denken nachfolgen kann. Ich kann nicht hier, gegen das Ende eines psycho- logischen Werks, entwickeln, was in die ersten Vorbe- reitungen zur Metaphysik gehört In die Einleitung zur Philosophie. Man kann in meinem Lehrbuche zu derselben vergleichen die §§. 108., 113., 118.; besser den ganzen vierten Abschnitt. , nämlich die gänzliche Unstatthaftigkeit des absoluten Werden, also auch der vorgeblich in der Natur der Dinge ursprünglich liegenden Entwickelung, Veredelung und Degeneration. Diese für alles Wissen ohne Ausnahme zerstörenden Irrthümer muss man kennen gelernt, und von sich geworfen haben, ehe man mit irgend einer soliden Forschung die nur im geringsten über das Gebiet der reinen und strengen Em- pirie sich erheben will, den Anfang machen kann. Jene aber, die lieber eine Menge von Thatsachen zusammenreimen, wie sie eben können, als einen einzi- gen von den zur Naturbetrachtung unentbehrlichen Grund- begriffen sich gehörig aufklären wollen, — sollten denn wenigstens bedenken, welche unermessliche Kluft zwischen je zwey nächsten organischen Bildungen bevestigt ist, de- ren eine vorgeblicher Weise aus der andern entstehen soll. Zwar die Einbildungskraft überfliegt diese Kluft, sie findet das Pferd und den Elephanten, den Affen und den Menschen nicht so gar sehr verschieden. Und wenn die Natur sich ähnlichen Tanz erlaubte, wie die Phantasie, so würde eins aus dem andern ohne Mühe entstehn kön- nen, durch Veredelung und durch Degeneration! Warum entsteht denn niemals aus einer geraden Richtung des bewegten Körpers eine krummlinigte, ausser durch ein- wirkende Kräfte? und genau gemäss diesen Kräften? Darum, weil die Natur sich selbst überall getreu ist II. H h und bleibt; welche Treue das gerade Widerspiel des ab- soluten Werdens in jeder seiner Ausschmückungen ist. — Aber die Natur soll ja eben gesetzmässig verfahren in der Entwickelung ihrer Lebensformen! Wer kennt denn nun ein solches Gesetz, und wo soll es nachgewiesen werden? In der Erfahrung — an Zoophyten ! Die Zoophyten also haben die Ehre, uns den Typus zu entdecken, nach welchem die grosse Bildnerin auch da zu Werke geht, wo sie Menschen macht! Ist jemals eine Erfahrung über ihre Gränzen ausgedehnt, ist je eins ihrer Zeugnisse durch eine willkührliche Auslegung misbraucht worden, so ist es hier. Die Analogie ist hier eben so monströs, als die Grundbegriffe ungereimt sind. Endlich — an was für Bedingungen ist die Erzeu- gung jener Zoophyten, die so grosse Wunder aufklären sollen, gebunden? An die Gegenwart von solcher Ma terie, die schon früher belebt war ; überdies an Wasser und an atmosphärische Luft Treviranus Biologie, Band II. S. 266. u. s. w. . Sind denn das ungebildete Stoffe, von denen man sagen könnte: so wie aus ihnen heutiges Tages zuerst Zoophyten würden (welches heutiges Tages so we- nig geschieht, als es in irgend einer Vorzeit oder Zu- kunft kann erwartet werden, — denn man nimmt zu den Infusionen eben nur vegetabilische oder animalische Theile, also gebildete Stoffe,) so hätten auch die ersten Rudimente der lebenden Natur aus Zoo- phyten bestanden —? a. a. O. S. 378. Gerade im Gegentheil! Es fehlt hier offenbar an dem Hauptpuncte der Verglei- chung. Was heute zu Tage vor den Augen der Natur- forscher sich ereignet, das erklärt sich daraus, dass jetzo, nachdem einmal höhere Organismen existiren, in allem Wasser , in der ganzen Atmosphäre , vollends also in den zur Infusion gebrauchten animalischen und vege- tabilischen Theilen, ein Ueberfluss an solcher, zwar form- losen, aber dennoch innerlich gebildeten Materie vorhan- den ist, welche das Streben nach Erneuerung ihrer alten Lebensverhältnisse in sich trägt, und bey jeder Gelegen- heit, wo einige dergleichen Elemente unter günstigen Um- ständen zusammentreffen, irgend eine organische Gestalt annimmt, als Nothbehelf, weil die vollkommnere Organi- sation dasmal nicht zu Stande kommen kann. So ist es zu erwarten; und nur die nähern Bestimmungen, wie weit unter gegebenen Umständen jenes Streben sich befriedi- gen könne, muss man aus der Erfahrung lernen. Aber dies passt im geringsten nicht auf die Urzeit, da nur eben erst der Granit und die ältesten Thongebirge sich gebildet hatten. Damals konnten die Zoophyten nicht wie jetzt, als Producte schon gebildeter Materie, entstehn! Damals mochten sie entstehen aus was immer für einem Grunde: so konnte, nach ihrem Untergange, die nun durch sie gebildete Materie zwar wohl streben, aber- mals in die Gestalt von Zoophyten zurückzukehren, allein sie war nicht aufgelegt für irgend ein höheres Lebensver- hältniss. Brauchbarer freylich war sie dazu geworden; wenn etwan eine höhere Kraft hinzukam, welche Gele- genheiten veranstaltete, wo die schon gewonnene Bildung durch neue Störungen und Selbsterhaltungen einen Zu- satz erlangen mochte. Und so bedurfte jeder höhere Grad von Bildung immer neuer Anstalten; niemals konnte der eben vorhandene Grad, und die vorhandene Art der innern Zustände irgend eines Elements, sich selbst über- steigen. Dass alles stufenweise fortgebildet sey , das mag man aus der Naturgeschichte der Erde, wie sie sich dem Mineralogen darstellt, immerhin schliessen; man mag auch annehmen, dass gute Ursachen diesen Stufengang bestimmt haben. Aber bey dem: es habe sich selbst stufenweise gebildet , wenn man es genau nimmt, kommen alle Ungereimtheiten falscher Metaphysik, deren Nest eben das absolute Werden ist, wieder zum Vor- schein. Unsre Erd-Oberfläche muss unter dem Einflusse H h 2 einer andern und höhern Kunst gestanden haben, da sie mit Leben bedeckt wurde, — einer andern und höhern Kunst, als die auf ihr selber erzeugt wird. Denn alles, was wir von Veredelung und Verbesserung kennen, ist selbst nur unter der Bedingung des schon vorhandenen organischen Lebens denkbar. Hier ist einer von den Puncten, wo es sich gebührt, die äusserst beschränkte Sphäre irdischer Erfahrungs-Erkenntniss zu erwägen; und eben darum nicht mehr wissen zu wollen, als man wissen kann. Und dabey wolle man noch bemerken, dass hier nicht von irgend welchen angebornen Schran- ken der Vernunft (einem Begriffe ohne Sinn), son- dern von Schranken des Gegebenen , des Stoffes zur Erkenntniss die Rede ist. §. 159. Es war vor der eben geendigten Abschweifung die Rede von der Herrschaft der Seele über Gehirn und Ner- ven; deren Elemente keinesweges mit ihr in gleichem Range der innern Thätigkeit stehen können, weil sonst die Erfahrung regelmässig solche Erscheinungen zeigen müsste, dergleichen wir nur in Krankheitsfällen beobach- ten. In der kunstvollen Einrichtung des Leibes muss es gegründet seyn, dass diejenigen Theile, welche mit der Seele im nächsten Causalverhältnisse stehen, derselben ihre Einflüsse nicht weit gewaltsamer aufdringen, als dies wirklich zu geschehen pflegt. Die höchste Gesund- heit des Körpers ist zugleich mit dem freyesten Gebrauche der Geisteskräfte in der Regel ver- bunden ; eine merkwürdige Thatsache, worin der höchste Triumph derjenigen Kunst sich zeigt, die den Menschen bildete. Da nun die Grösse des Gehirns beym Menschen, als dem freythätigsten aller irdischen Wesen so ausgezeich- net ist, so mag es erlaubt seyn zu vermuthen, worin im Allgemeinen das Mittel bestehe, dessen sich jene Kunst bediente, um die Nachklänge empfangener Eindrücke in den Sinnesnerven, und erlangter Fertigkeiten in den Be- wegungsnerven (§. 157.) für die Seele meistens unfühl- bar zu machen. Es steht nämlich nicht bloss die Seele mit dem Gehirn und den Nerven, sondern es steht jeder Theil des Gehirns mit dem andern, jeder Nerv mit dem ganzen Systeme im Causalverhältniss. Daher muss jeder innern Thätigkeit in Einem Elemente auch eine zugehö- rige in jedem andern Elemente des ganzen Systems ent- sprechen. Finden aber diese zugehörigen Thätigkeiten Hindernisse in den schon vorhandenen innern oder äu- sseren Zuständen der Elemente, in welchen sie vor sich gehn sollten, so müssen sie dadurch schon in ihrem Ur- sprunge, und mehr noch in ihrer Verbreitung geschwächt werden. Demnach wird die Dicke und Ausbreitung der übergeschlagenen Markblätter des Gehirns, indem sie die Menge der Elemente vermehrt, welchen jede Action der Nerven muss mitgetheilt werden, auch zur Dämpfung, zur Milderung dieser Actionen dienen können; sie wird gleich- sam ihren Ungestüm auffangen, dass er die Seele nur wenig oder gar nicht treffe und störe. So hätte demnach die Seele in der Grösse des Ge- hirns ihren Schutz und Schirm wider die Anfälle des übrigen Organismus, der sonst die Gewalt, welche er von der Aussenwelt leidet, sammt der Thätigkeit, in die er sich dadurch versetzt findet, immerfort die Seele würde entgelten und empfinden lassen. Das Gehirn ist frey von unmittelbarer Affection durch die Aussenwelt; es ist weich und nachgiebig gegen die Blutströme, die sich in das- selbe ergiessen; es ist nicht zu heftigen Bewegungen, nicht zu unentbehrlichen Lebensfunctionen gebauet. Da- her bietet es der denkenden Seele eine ruhige Wohnung dar; eine weite und überflüssig geräumige Wohnung! Das letztere sicht man aus den Erfahrungen, nach wel- chen beträchtliche Theile der Gehirnmasse konnten hin- weggenommen werden, ohne einen plötzlich auffallenden Schaden für das geistige Leben. Wie anders mag es um die Seele der Insecten stehn, bey welchen die Ganglien, die im Körper vertheilt vor- kommen, das Uebergewicht über dem Gehirne haben? Hier finden wir Kunsttriebe; einen vorgeschriebenen Wech- sel der Lebensart; der Gang der Vorstellungen scheint unaufhörlich durch organische Gefühle bestimmt, deren Sitz ohne Zweifel in der Gesammtheit aller Elemente des Nervensystems muss gesucht werden. Und das nämliche ist wahrscheinlich das Loos der allermeisten Thiere, nur die obersten Säugethiere ausgenommen. Ob der Lauf der Vorstellungen mehr einem psychologischen, oder einem physiologischen Gesetze folgt: dies scheint die grosse Frage, wornach entschieden werden muss, wiefern ein beseelter Organismus zum Träger eines vernünftigen Daseyns tauge. Den niedrigsten Geschöpfen kann man geradezu mehrere Seelen beylegen, wenn anders der Name Seele noch anwendbar ist auf solche einfache Wesen, deren Selbsterhaltungen vielleicht mit unsern Vorstellun- gen keine Aehnlichkeit mehr haben. Wenigstens hat man im geringsten nicht Ursache, sich über die Theil- barkeit der Regenwürmer und Polypen in mehrere fort- lebende Ganze, den Kopf zu zerbrechen; nur eine zu weit getriebene Analogie unter den verschiedenartigsten lebenden Wesen, könnte hier, so wie anderwärts, Schwie- rigkeiten machen. Gewiss braucht man nicht anzuneh- men, dass die Seele, oder was immer im Nervensy- stem das herrschende seyn mag, in allen Thieren ein gleich parasitisches Daseyn habe, wie im Menschen; im Gegentheil, das monarchische Verhältniss jener Herrschaft senkt sich allem Anschein nach gar sehr ins demokrati- sche hinunter; und die niedrigsten Seelen mögen immer- hin auch die niedrigsten Dienste, deren die Vegetation bedarf, mit besorgen helfen. Hinwiederum ist kein Zweifel, dass die menschliche Seele sich ihre schöne und wohlgelegene Wohnung noch bequemer mache; dass im Gehirne eine Menge von in- nern und vielleicht selbst äusseren Zuständen, durch die Seele verursacht werden. Es ist kein Zweifel, dass unter den menschlichen Gehirnen Verschiedenheiten, theils der Bauart, theils der Bestandtheile seyn können; und es ist daher Platz genug für die Erfahrungen, nach welchen ei- nigen Menschen gewisse Geistesthätigkeiten leichter ge- lingen, andern andre. Nämlich die begleitenden Mo- dificationen des Gehirns können leichter oder schwe- rer von Statten gehn. Beynahe unbegreiflich ist es dagegen, wie man sich hat können verleiten lassen, eigenen Organen die rein geistigen Thätigkeiten zuzuweisen, und gleichsam innere Sinnwerkzeuge nach Analogie der äussern anzunehmen, ja nicht bloss Sinnwerkzeuge , sondern auch Organe für moralische Eigenschaften! Die Strafe und zugleich die Widerlegung dieser Thorheit lag in der Unmöglich- keit, die gehörigen Classificationen und Sonderungen der Geistesthätigkeiten auszufinden, welchen man Organe an- weisen wollte. Uebrigens hätte auch bey der tiefsten Un- wissenheit in wahrer Psychologie doch die Menge der Brücken und Kreuzungen im Gehirne den Physiologen sagen können, dass hier Alles mit Allem in Verbin- dung stehe! Und ein wenig Combinationslehre würde dann auf die Frage geholfen haben, welche Leichtigkeit oder Schwierigkeit liegen möge in der Zusammenwir- kung von je zweyen , oder je dreyen , oder je vie- ren — oder je tausenden unter den verschiedenen Fasern und selbst unter den Elementen des Gehirns; denn dass auf die Möglichkeit der Zusammenwirkung ge- rade die Hauptfrage sich richte, wird man gewahr wer- den, man mag nun die verwickelte Construction des Ge- hirns, oder die höchst complicirten Thätigkeiten des Gei- stes bey einiger Bildung, in Betracht ziehn. Wir endigen bey dem, wovon wir ausgingen. Man hat sich gewundert über die grosse Abhängigkeit des Geistes vom Leibe; man hätte sich wundern sollen über die im gesunden Zustande so grosse Freyheit des Gei- stes, über die Einheit in seinem Thun, über die weni- gen Spuren von Einmischung einer fremden Gewalt; über die Geduld der Hände und Füsse, welche sich nur be- wegen wann die Seele will, der Augen und Ohren, welche nur Vorstellungen erregen, wenn etwas Aeusseres zu se- hen und zu hören ist; über die Leichtigkeit, womit Ge- dächtniss und Phantasie sich äussern; gleich als ob es dabey nur auf einen psychologischen, und nicht zugleich auf den begleitenden physiologischen Mechanismus an- käme. Zweytes Capitel . Von denjenigen Geisteszuständen, worauf der Leib einen bemerkbaren Einfluss hat. §. 160. Der physiologische Mechanismus, so fern er die Ab- wechselungen der Seelenzustände bloss begleitet , (und so lange, diesen letzteren gehorsam, das Nervensystem sich übrigens durch Wirkung und Gegenwirkung aller seiner Theile in Ruhe hält,) — kann nicht wahrgenom- men werden in den Geistesfunctionen, die er begleitet; vielmehr werden sich dieselben aus bloss psychologischen Gründen allein erklären lassen. Und es würde blosse Hypothesen-Sucht verrathen, wenn man sich fernerhin in dem unbestimmt schweifenden Gedanken gefallen wollte, dass vielleicht ein grosser Theil der Zustände des Be- wusstseyns — man wisse nicht was für ein und wie grosser Theil, — aus der Organisation des Leibes sei- nen Ursprung nehme. Hingegen ist es dem regelmässi- gen Gange der Forschung gemäss, die einmal aufgefun- denen Grundsätze der Statik und Mechanik des Geistes so weit als möglich zu verfolgen; und nicht eher , als indem eine bedeutende Divergenz zwischen den aus ihnen zu erkennenden Gesetzen und den in der Erfahrung ge- gebenen Erscheinungen, sich entdeckt, einen fremdarti- gen Einfluss vorauszusetzen, und ihm nachzuspähen. Allein selbst da, wo ein solcher Einfluss, wenn auch nur hypo- thetisch, zu Hülfe gerufen wird, muss es auf wissenschaft- liche, nicht phantastische Weise geschehen; ein Haupt- punct, den ich sogleich mit Wenigem näher bezeich- nen werde. Der erste von den Geisteszuständen, die unverkenn- bar physiologische Gründe haben, ist der Schlaf , sammt seinem Gefährten, dem Traume . Beyde verbunden ge- ben den Typus auch zu den meisten krankhaften Erschei- nungen des Nachtwandelns, des Wahnsinns, des thieri- schen Magnetismus. Daher sagt Reil : „Wir würden „dem Bewusstseyn und dem Wahnsinn bald auf die Spur „kommen, wenn wir erst wüssten, was Schlaf, was Wa- „chen sey.” Rhapsodieen S. 87. Der erste Begriff aber, unter welchen unvermeidlich der Schlaf gefasst wird, ist Negation der sämmtlichen Thätigkeit des Vorstellens mit allen seinen Modificationen. Und hieraus würde eine sehr einfache Wegweisung für die Untersuchung folgen, wenn der merkwürdige Umstand nicht wäre, dass das Eintreten des Schlafs und sein Aufhören unter einander sehr ungleich sind. Nämlich bald auf das vollkommene Wachen folgt in der Regel der tiefe Schlaf; aber nicht eben so geht wiederum dieser in jenes rückwärts über; sondern hier schiebt der Traum sich ein, als ein allmähliges, partiel- les, und zugleich sehr anomalisches Wachen. Daher kann der Schlaf nicht schlechtweg als eine wachsende und wieder abnehmende Negation der geistigen Thätig- keit angesehen werden, sondern es müssen nähere Be- stimmungen und schärfere Untersuchungen hinzukommen. Noch etwas ist vorläufig vom wirklichen Einschlafen zu unterscheiden, nämlich das Gefühl der Ermüdung, welches eben so zwischen Wachen und Einschlafen, wie der Traum zwischen Schlafen und Aufwachen, in die Mitte zu treten pflegt. Die Ermüdung, eben in so fern sie gefühlt wird, ist keine wirkliche Abnahme der geisti- gen Thätigkeit, sondern ein Bestehen der letzteren wider die Hemmung. (Vergl. §. 104.) Der ganze Gegenstand würde demnach, soweit er psychologisch ist, erklärt seyn, wenn wir aus den Grund- sätzen der Statik und Mechanik des Geistes einsehn könnten, erstlich, wie überhaupt eine Negation des Vor- stellens auf das Mannigfaltige des Vorstellungskreises wirke, zweytens, welche Verschiedenheit beym allmähli- gen Eintreten und Aufhören dieser Negation statt finden müsse. Der Begriff einer Negation des Vorstellens erinnert zunächst an das, was wir oben die Hemmungssumme ge- nannt haben. (§. 42. u. s. w.) Diese nun hängt zwar von den Vorstellungen selber ab, man könnte aber auf den Gedanken kommen, der, aus psychologischen Grün- den schon bestimmten Hemmungssumme noch wegen des physiologischen Einflusses eine gewisse Grösse durch Addition beyzufügen, wodurch z. B. die Rechnung des §. 44., wenn die zu addirende Grösse = D gesetzt wird, folgende Gestalt annehmen würde: Hier sieht man sogleich, dass ein mässig grosser Werth von D vollkommen zureichen würde, um nicht bloss die schwächere Vorstellung b, sondern selbst die stärkere a , gänzlich aus dem Bewusstseyn zu verdrän- gen, — welches eben der Zustand des vollkommnen Schlafes erfordert. Denn man setze das von a zu hem- mende, dieser Vorstellung selbst gleich: so kommt welcher = a wenn a = b . Allein diese Art zu rechnen würde voraussetzen, dass aus den physiologischen Gründen die Grösse D als eine solche hervorginge, um welche schlechterdings, und ohne Abzug, das Quantum des vorhandenen Vorstellens müsste vermindert werden. So etwas lässt sich kaum denken. Denn diese Negation des Vorstellens muss aus den in- nern und äusseren Zuständen der sämmtlichen Elemente des Organismus (zunächst des Nervensystems) entsprin- gen. Es sind aber nach den ersten Grundbegriffen der Psychologie und Naturphilosophie, alle innern sowohl als äusseren Zustände der Wesen in gewissem Grade nach- giebig , d. h. wo sie leiden machen , da müssen sie selbst wiederum etwas leiden. Passender scheint es demnach, die Negation des Vorstellens als eine mitwirkende, aber zugleich mitlei- dende Kraft in die Rechnung einzuführen. Man nenne also diese Kraft jetzt M, und die im Bewusstseyn vor- handenen Vorstellungen seyen a und b; so wird man für a, b, und M, eben so rechnen wie oben für a, b, und c; nur mit dem Unterschiede, dass M nicht gerade die schwächste der wider einander wirkenden Kräfte seyn soll, sondern jede beliebige Grösse haben kann. Hier sieht man nun zwar, dass M unendlich gross seyn müsste, und sowohl a, als b, ganz aus dem Bewusstseyn zu ver- drängen; ja dass es damit doch nicht völlig zu Stande kommen würde. (Vergl. den Schluss des §. 44., wo b dasselbe ist, was hier a seyn müsste.) Aber man kann sehr leicht die eben gemachte Vor- aussetzung dergestalt abändern, dass sie den vollkomm- nen Schlaf, oder die völlige Aufhebung alles Vorstellens erkläre. Anstatt der einzigen Kraft M, nehme man ihrer zwey, M und N, oder noch mehrere, deren jede mit der andern in gegenseitiger Hemmung stehe. Alsdann braucht jede der mehrern nur eine mässige Stärke, damit sie zu- sammengenommen die vorhandenen Vorstellungen völlig auslöschen, ganz nach den Hemmungsgesetzen, welche oben für die Vorstellungen, die dort auch als wider ein- ander strebende Kräfte betrachtet wurden, sich ergeben haben. Dies durch eine eigne Rechnung darzuthun wäre überflüssig, da dieselbe sich bloss in den Buchstaben von der oben geführten unterscheiden würde. Unsre jetzige Voraussetzung nun scheint allen Um- ständen, und der Erfahrung ebenfalls zu entsprechen. Sie erfordert, dass wir nicht den gesammten physiologi- schen Einfluss als Ein Quantum, sondern als ein Man- cherley und Vielerley, das unter sich selbst Gegensätze bildet, in Betracht ziehn. Und was hätten wir zu der erstern Hypothese für Grund? Der Organismus ist ein Vieles, das gar Viele, und unter sich streitende, Ein- flüsse auf die Seele haben mag. Gerade die Unbestimmt- heit des Begriffs: Mehrere , ohne anzugeben Wie viele , schickt sich hieher, wo man über die Menge der Causalverhältnisse zwischen Leib und Seele nichts be- stimmen kann noch will. — Die Erfahrung aber zeigt uns, erstlich, dass eine unabänderliche Quantität, wie viel das Vorstellen verlieren müsse (wie das obige D ) nicht statt findet. Denn der Schlaf kann zurückgehalten, er kann gestört werden durch alles, was die Lebhaftig- keit des Vorstellens erhöht. Sichtbar ist demnach die Fähigkeit des Organismus, sich auch seinerseits um Etwas nach den psychologischen Zuständen zu richten. Zwey- tens, sie zeigt uns den vollkommnen Schlaf, oder etwas demselben äusserst nahe kommendes, (wenn man ja sich hüten will, zuviel zu behaupten; obgleich die Gründe, um derentwillen Manche ein fortdauerndes Vorstellen auch im tiefsten Schlafe annehmen, nur aus falscher Metaphy- sik entspringen.) Also die Erfahrung vereint Nachgie- bigkeit des Organismus mit völliger Hemmung aller Vor- stellungen; welches uns eben auf unsre zuletzt vestgehal- tene Voraussetzung geleitet hat. Uebrigens wird man längstens genug gewarnt seyn, um nicht den Ausdruck: Einfluss des Organismus auf die Seele , gar zu buchstäblich zu nehmen. Zu den Vorstellungen, als inneren Zuständen der Seele, ge- hören irgend welche innern Zustände des Gehirns; so- bald diese wegen ihres Zusammenhangs mit dem übrigen Organismus nicht mehr statt finden können, oder, sobald sie auch nur in ihrer Quantität vermindert werden müs- sen, alsbald ist Negation des Vorstellens in gewissem Maasse vorhanden; weil die zusammengehörigen innern Zustände der zu einem System verbundenen Wesen ein- ander nothwendig entsprechen, folglich sich nach einander richten müssen. §. 161. Ferner ist zu überlegen, was für Unterschiede beym Eintreten und beym Nachlassen der Negation des Vor- stellens, statt haben; und wir müssen nachsehn, in wie weit sich daraus die Erscheinungen des Einschlafens, und die von ihnen so sehr abweichenden des Erwachens, er- klären mögen. Zunächst wird Jedem beyfallen, dass der Schlaf solche Vorstellungen niederdrückt, die sich im Bewusstseyn in Thätigkeit befinden, dass hingegen das Erwachen in dem allmähligen Wiederaufstreben der gehemmten Vorstellun- gen besteht. Erinnert man sich nun aus §. 77. u. s. w. an die Gesetze, nach welchen Vorstellungen, die zur Schwelle sinken sollen, allemal für eine kurze Zeit diejenigen Kräfte, von denen sie niedergedrückt werden, durch Ge- genwirkung in gewissem Grade hemmen, und eben da- durch zugleich die Spannung derselben vermehren: so er- giebt sich, dass auch die physiologischen Kräfte M, N, u. s. w. in eine, zwar bald vorübergehende, Spannung gerathen müssen, ehe es ihnen gelingen kann, die Vor- stellungen wirklich in Schlaf zu bringen. Es braucht demnach mehr Gewalt von Seiten des Leibes, um das Einschlafen des Geistes zu bewirken, als nöthig ist, um den einmal vorhandenen Schlaf vestzuhalten. Dabey ver steht sich von selbst, dass die Kräfte M, N, u. s. w. als allmählig anwachsend müssen gedacht werden; denn wenn sie lange vor dem Einschlafen schon existirten, be- sonders in ihrer nachmaligen ganzen Stärke, so würde das Wachen unmöglich seyn. Indem aber wider diese anwachsenden Kräfte die Vorstellungen noch eine Zeit- lang sich stemmen, ergiebt sich hieraus das oben er- wähnte Gefühl der Ermüdung, welches eben in der An- strengung wider die Hemmung seinen Sitz hat. (Vergl. §. 104.) Die emportreibenden Kräfte, welche das Active der Anstrengung ausmachen, liegen hauptsächlich in den herrschenden Vorstellungsmassen (§. 148.) Doch die Phänomene des Einschlafens sind bey wei- tem die einfacheren. Wenn einmal unter den physiolo- gischen Einflüssen die Vorstellungen erliegen müssen: so sinken sie schnell zur Schwelle; wie sich schon aus §. 75. erkennen lässt. Hier ist also nicht Zeit zu besondern Erscheinungen, um so weniger, da die herrschenden Vor- stellungsmassen, die während des Wachens unter den übrigen Ordnung halten, ihrer vorzüglichen Stärke wegen auch die letzten seyn werden, welche aufhören zu wachen und zu wirken. Aber was wird geschehn, wenn nun die Hemmung durch die physiologischen Kräfte wieder anfängt nachzu- lassen? Hier müssen wir uns zuvörderst an die Unter- suchungen des §. 81. und 82. wenden. Dort haben wir gesehn, dass sich das beginnende Wieder-Erwachen ge- hemmter Vorstellungen nicht nach ihrer Stärke, sondern nach dem Grade der ihnen gegebenen Freyheit richtet Nämlich wenn die Hemmung durch neu eintretende Kräfte aufgewogen wird, die im gegenwärtigen Falle ebenfalls physiologisch seyn müssen, und von der im Schlafe restaurirten Lebensthätigkeit her- rühren können. . Demnach haben in diesem Puncte die herrschenden Vor- stellungsmassen keinen Vorzug vor den schwächern Vor- stellungen. Vielmehr kommt hier zuerst die Frage in Betracht, ob allen verschiedenen Parthien des vorhande- nen Vorstellungskreises die gleiche Freyheit, sich ins Be- wusstseyn aufzurichten, wird gegeben werden? Die ge- ringsten Ungleichheiten hierin können jetzo bedeutend werden; welches beym Einschlafen nicht der Fall war, indem dort das Uebergewicht der stärksten Vorstellungen, die sich am spätesten niederdrücken lassen, den bedeu- tendsten Einfluss hatte. — Nun vermuthen ohnehin die Physiologen, dass nicht das ganze Gehirn und Nerven- system in allen Theilen gleichmässig seine Zustände beym Einschlafen und Erwachen wechsele Man sehe unter andern Reil a. a. O. S. 89. . So haben wir also auf den ersten Blick den Grund, warum ein Zustand des wieder beginnenden Vorstellens zu erwarten ist, in welchem die herrschenden Vorstellungen füglich mangeln können, in welchem eben deshalb die gewöhnliche Re- gelmässigkeit des Denkens wird vermisst werden; das heisst, es zeigt sich im Allgemeinen die Möglichkeit des Traums. Aber noch mehr! Im §. 93. haben wir gesehn, dass selbst die Hemmungsgesetze für erwachende Vorstellun- gen anders beschaffen sind als die für sinkende. Denn während des Sinkens stemmen sich die Vorstellungen mit ganzer Kraft desjenigen Gegensatzes wider einander, in welchen sie gerathen sind, während sie sich zugleich im Bewusstseyn befanden; und dieser Widerstreit hleibt während der ganzen Zeit des Sinkens der nämliche; weil einmal die Richtung des Strebens dieser Vorstellungen eine gegenseitige unter ihnen ist. Ganz anders verhält es sich da, wo mehrere Vorstellungen, ohne wider ein- ander sich zu kehren, von einem und demselben ge- meinschaftlichen Drucke leiden; welches der Fall ist wäh- rend der Oberherrschaft des Leibes, der die ganze Seele ohne Unterschied nöthigt zu schlafen. Wenn ein sol- cher Druck anfängt nachzulassen, so, dass verschiedenen Vorstellungsmassen zugleich Freyheit gegeben wird ins Bewusstseyn wieder zu kehren: so sind Anfangs die Hem- mungen unter diesen Massen unbedeutend; und sie können daher ein solches Verhältniss ihres ersten Aufwachens an- nehmen, welches beym vollständigen Wachen nicht würde bestehen können. Ferner, wenn sich die Seele auf einmal in ihren wa- chenden Zustand zurückversetzen sollte, so müssten so- gleich alle Reproductionsgesetze, vermöge deren die Vor- stellungen unter einander zusammenhängen, — und un- ter ihnen auch namentlich diejenigen, auf denen das räumliche und zeitliche Vorstellen beruht, (§. 111—116.) sich in voller Wirksamkeit äussern. Aber wir wissen, dass die Kraft der Verschmelzungs- und Complications- Hülfen weit schwächer ist, als die der helfenden Vorstel- lungen selbst; und wir kennen im Allgemeinen die Folge davon, nämlich dass die Wirkung einer solchen Hülfe im Anfange nicht nur geringer, sondern auch viel langsa- mer ist, als das Hervortreten der Vorstellungen selbst. Nun ist zu bedenken, wie sehr die nämliche Wirkung wird verzögert werden, wenn sie ihr physiologische Hin- dernisse entgegenstellen; und wie leicht unterdessen andre Vorstellungen die Oberhand gewinnen können, wodurch jene vollends zurückgehalten wird. Darin muss die Er- klärung gesucht werden, warum vor dem Erwachen die verschiedenen sich wieder erhebenden Vorstellungen an- fangs so wirken, als ob sie aus ihren Verknüpfungen grossentheils herausgetreten wären. Hiemit hängt der be- kannte und so sehr auffallende Umstand zusammen, dass der Traum sich an Ort und Zeit nicht kehrt, dass er aus den verschiedensten Gegenden Menschen und Sa- chen zusammenführt, die nimmer zusammen seyn konn- ten, dass er das Widersinnigste zugleich umfasst, indem er gerade diejenigen, im Wachen sich augenblicklich aufdringenden, Umstände weglässt, worin die Ungereimt- heit liegt. Aber wie heterogene, und selbst einander aufhebende Dinge der Traum auch zusammenknüpft: eine gewisse Art von Einheit besitzt er dennoch, und zwar gerade eine solche, die, aus begreiflichen Ursachen, den wachenden Zuständen äusserst häufig mangelt. Denn während wir den Eindrücken der Aussenwelt Preis gegeben sind, mischt der Zufall uns das Traurige in die Freude, und das Gleich- Gleichgültigste mit dem Wichtigsten. Dagegen hat der Traum mehr Einheit der Gemüthsstimmung. Und dies ist wiederum sehr natürlich. Wir erfahren stets, auch während des Wachens, dass Gefühle und Affecten am entschiedensten auf den leiblichen Zustand wirken; um- gekehrt also wird es im Traume von den Zuständen des Leibes abhängen, welche Gemüthsstimmung, und hie- mit welche Vorstellungen, oder wenigstens in welchen Modificationen durch heitere oder traurige Verknüpfun- gen, dieselben sollen aufgeregt werden. Die Art der Freyheit, und die Beschränkung, innerhalb deren den Vorstellungen vergönnt wird, sich zu reproduciren, diese wird sich nach derjenigen affectiven Beschaffenheit des Bewusstseyns richten, die mit den leiblichen Zuständen jedesmal zusammenpasst. So bekommt der Traum die Einheit eines Feenmährchens; um welche wohl hie und da ein Dichter sich vergeblich bemüht, weil er das Wa- chen, und dessen Gesetze, nicht los werden kann. §. 162. Indem ich mit diesen kurzen Andeutungen über Schlaf und Traum mich begnüge, — weil eine weitere Ausfüh- rung einerseits in noch unerforschte Tiefen der Mecha- nik des Geistes eindringen müsste, andererseits die nähe- ren Bestimmungen ohne Zweifel grossentheils von unbe- kannten physiologischen Gesetzen abhängen: glaube ich gleichwohl einigermaassen den Typus angegeben zu ha- ben, nach welchem nicht nur dieser Gegenstand, son- dern auch andere verwandte, müssen untersucht werden. Es kommt nämlich alles darauf an, dass man die Grund- gesetze des psychologischen Mechanismus wohl im Auge habe, und dass man aus ihnen selbst zu erforschen suche, welche Modificationen sie ihrer Natur nach annehmen können, so dass dadurch ihre Wirkung aus dem gewohn- ten Geleise gehoben, und dergestalt abgeändert werde, wie es die anomalischen Erfahrungen verlangen. In den grössten Irrthümern hingegen werden allemal diejeni- gen befangen bleiben, die in die Seele etwas fremdarti- II. I i ges kommen lassen, oder gar die psychischen Erschei- nungen in irgend welche Organe des Gehirns verlegen. Nur zu oft hat man die äussern, entfernten Ursachen der Thatsachen des Bewusstseyns verwechselt mit den Seelenzuständen selbst, aus welchen unmittelbar er- klärt werden musste, was in der innern Wahrnehmung vorkommt. Ehe wir jedoch unsern Gegenstand ganz verlassen, ist noch nöthig, einer gewissen seltsamen Art von Träu- men zu erwähnen, bey denen das Ich sich in verschie- dene Personen zu spalten scheint; wie wenn Johnson im Traume sich in einem Wettstreite des Witzes be- fand, und dabey von seinen Gegnern übertroffen wurde; oder wenn ein Herr von Goens sich in die Schule zu- rückträumte, und dort von einem eifrigen Mitschüler die Beantwortung vorgelegter Fragen hören musste, die er selbst schuldig geblieben war Reil a. a. O. S. 94. . — Diese Art von Träu- men ist sehr wichtig für die Theorie des Selbstbewusst- seyns. Zwar für den consequenten Idealisten ist hier nicht die geringste besondre Schwierigkeit. Ihm gilt der ganze Unterschied zwischen Schlaf und Wachen nur für Erscheinung. Daher lautet die Frage für ihn so: wie kommt das wachende Ich dazu, sich vorzustel- len, dass es also geträumt habe ? Und diese Frage ist nicht viel schwerer noch leichter, als die ganz allge- meine, wie kommt das Ich überhaupt zur Vor- stellung seiner zeitlichen und individuellen Existenz ? — Allein wenn mit der realistischen Vor- aussetzung, dass jene Träume als wirkliche Begebenhei- ten anzusehen seyen, sich die Annahme einer ursprüng- lichen Ichheit verbindet, vermöge deren alles, was im In- nern vorgeht, unmittelbar ein Gegenstand der Selbstbe- schauung seyn soll: dann ist das Räthsel in jenen Träu- men unauflöslich, indem dieselben das Ich als ein sich selbst gänzlich entfremdetes, als ein Object, von welchem das Subject sich getrennt hat, darstellen. Wie kann man eine Sache wissen, und doch nicht wissen, dass man sie weiss? Ja gar sich einbilden, man wisse sie nicht, und mit dieser Einbildung sich selbst kränken? Hier scheitert der Kantische Satz, das Ich denke müsse alle unsre Vorstellungen begleiten können. Hätte es gekonnt: warum denn begleitete es nicht wirklich jene Träume, in denen noch obendrein das eigne Ich, also das Selbstbewusst- seyn, eine bedeutende Rolle spielte? Man wird doch nicht antworten, der Act des Selbstbewusstseyns sey eine Aeusserung der Spontaneität eines reinen intellectuellen Vermögens? Der also erfolgen könne oder auch nicht, vollständig ausgeübt werde oder minder vollständig, ohne weitern Grund? Denn die Vertheidiger der Spontaneität, deren einige zwar Freyheit und Ichheit innig genug ver- knüpfen, pflegen der Meinung zu seyn, der Traum sey ohne Spontaneität, er könne nicht zugerechnet werden, er sey das Werk irgend eines blinden Mechanismus. Diesem Mechanismus werden sie denn wenigstens erlau- ben, dass es mit ihm gesetzmässig zugehe, dass er voll- bringe, was er aus zureichenden Gründen zugleich könne und müsse , und dass ein Mangel im Vollbringen bey ihm allemal einen Mangel des Könnens anzeige. Also konnten jene Träumenden sich nicht finden als die Wissenden dessen, was sie mit unfreywilliger Liberalität ihren Rivalen in den Mund legten. Beym Aufwachen hingegen ergänzte sich ihr Selbstbewusstseyn, ohne Zwei- fel eben so unfreywillig, und vielleicht mit einigem Ver- druss, und mit einer Art von Reue über die Plage, die sie sich angethan hatten, gleich als hätte es in ihrer Ge- walt gestanden sich zu besinnen, dass sie selbst es wa- ren, welche die Kosten des ganzen Spiels bestritten. Vergleichen wir nun unsre obige Theorie des Selbst- bewusstseyns: so zeigt sich bald, dass diese Art von Träumen um nichts räthselhafter ist, als jede andre. Gleich zuerst wird uns einfallen, was sich von selbst ver- steht, dass irgend ein Act des Subjectiven im Ich, oder genauer, irgend eine appercipirende Vorstellungsmasse I i 2 die letzte seyn müsse, für welche das Uebrige zum Ob- ject wird, ohne dass sie selbst das Object einer höheren wäre. Warum denn sollte das nicht diejenige seyn, in welcher die Beschämung ihren Sitz hatte, womit die Träumenden sich für übertroffen hielten? — Dass sie es im Wachen nicht seyn könne, folgt sehr natürlich aus dem Gegensatze der äusseren Welt und der inneren, den uns die Sinne unaufhörlich vergegenwärtigen, und durch welchen sie uns zwingen, alle unsre Vorstellungen, die zur Aussenwelt nicht passen, in das Innere, in Uns selbst hinein zu verlegen. Ist einmal die ganze Scene für einen Traum erkannt, so muss freylich zugestanden werden, man habe selbst alle Rollen gespielt. Wiewohl es dem Aberglauben auch hier nicht an der Ausrede fehlen würde, irgend ein Dämon habe im rechten Augenblicke mit ein- gesprochen, und die wirklich fehlende Kenntniss sup- plirt. — Es ist in der That nur ein Schluss, vermittelst dessen wir, im Wachen sogar, uns selbst für die Urhe- ber unsrer plötzlichen Einfälle halten. Kein Andrer kann es seyn; also Wir ! In den psychologischen Mechanismus, den wahren Urheber, schaut kein Selbst- bewusstseyn; und wie dergleichen Einfälle mit unserer Ichheit zusammenhängen, wissen wir schlechterdings nicht. Sondern es sind dies Bestimmungen, die in das Ich fal- len, ohne darin zu haften; zufällige Elemente für eine Complexion, die, wenn man alles Zufällige von ihr ab- scheiden wollte, nichts übrig behalten würde. (§. 135.) Wohl uns, dass es mit unsrer Seele besser beschaffen ist, als mit unserm Ich ; dem man eine sehr unverdiente Ehre erwies, als man es über die Seele emporhob; als man diese zu entbehren beliebte, um sich an jenem zu halten! Damit aber das Wunder jener Träume sich noch auffallender vermindere, wird es gut seyn, zu zeigen, dass etwas Aehnliches auch im Wachen vorkomme, und dass es sehr vielen selbst ausgezeichneten Köpfen, bloss aus Mangel an Uebung in gewissen philosophischen Reflexio- nen begegnen könne. Ich nehme die Freyheit, als Bey- spiel eine Stelle aus einem sehr schätzbaren Werke zu benutzen, mit der Bitte, daran weiter keine üble Neben- bedeutung zu knüpfen. In Herrn Autenrieth’s Phy- siologie Theil III, S. 88. steht folgendes zur Widerlegung des Idealis- mus: „Wer in Gedanken den Kopf heftig gegen eine „Thüre rennt, wird sich plötzlich überzeugt fühlen, dass „das Nicht-Ich schon anderwärts müsse gesetzt seyn, „und dass das Setzen oder Nicht-Setzen des Nicht-Ichs „durch das Ich eines Philosophen zum Daseyn oder „Nicht-Daseyn der Dinge ausser uns auf der Welt nichts „beytrage.” Abgesehen von dem hier durchblickenden Misverstande, als ob von einem willkührlich vorzuneh- menden oder zu unterlassenden Setzen hiebey die Rede seyn könnte: hat Hr. A. vergessen, dass der Idealist sich bey einiger Besinnung sehr bald sagen würde, die Thüre, und der Kopf, und der Schmerz, seyen, was sie für ihn ohne allen Zweifel sind, seine Vorstellungen; indem der Idealist gewohnt ist, überall das Ich denke beyzu- fügen, während wir andern freylich, im gemeinen Leben wenigstens, unsre Vorstellungen wie wirkliche Dinge zu betrachten und zu behandeln, und z. B. eine Thüre tau- sendmal zu öffnen und zu schliessen pflegen, ohne uns zu erinnern, wie unmöglich es ist, dass wir das Ding an sich, welches hinter dieser Erscheinung stecken mag, je- mals sehen oder fühlen könnten. Wenn aber es so grosse Schwierigkeit hat, dass Jemand selbst in dem Au- genblicke, wo er gegen die Idealisten disputirt, zu den- jenigen höhern Reflexionen aufsteige, die man denselben durchaus nicht verweigern kann: warum soll es denn ei- nem armen Träumenden nicht erlaubt seyn, auch einmal eine Apperception, die jedem Wachenden natürlich ist, auszulassen? Wer dagegen in idealistischen Betrachtungen sich übt: der bildet in sich eine appercipirende Vorstellungs- masse, worin das Ich die Hauptperson ist, und die nun, auch lediglich vermöge eines psychologischen Mechanis- mus, beym wissenschaftlichen Denken wenigstens sich überall darbietet, und es nach ihrer Art verarbeitet. Der Idealist aber ist im Irrthum, indem er seine Leichtigkeit, alle seine Gedanken Sich zuzueignen, für ein wohlthäti- ges Durchbrechen der reinen Ichheit durch das Indivi- duelle hält. Was er besitzt, was jenen Andern fehlt, was im Traume ausbleibt, weil Hemmungen statt der Veranlassungen da sind, das Alles steht unter den glei- chen psychologischen Gesetzen. §. 163. Es ist für die ganze Psychologie im hohen Grade nützlich, wenn mit den auffallenden Anomalien in sol- chen Zuständen, worin offenbar der Leib vorherrscht, die minderen Fehler verglichen werden, die der gesunde, wachende Mensch vielfältig begeht. Oft genug scheint der Wachende zu träumen und wir sehen Tollheit ohne Wahnsinn auch ausser dem Irrenhause. Was wir Ver- stand nennen, nämlich in Beziehung auf das praktische Leben, das ist grossentheils ein Werk der Gesetze und Sitten, der Erziehung und Gewöhnung und Uebung, ja selbst der blinden Befolgung irgend einer Auctorität. Genau, jedoch ohne Uebertreibung, zu erkennen, wie und in wiefern dergleichen Bande für die Menschheit im Grossen nothwendig sind, ist in praktischer Hinsicht ein höchst wichtiger Punct für die Philosophie; die unter an- dern weit weniger mit der Geschichte zerfallen seyn würde, hätten ihr diese Einsichten nicht zu sehr, und obendrein zur Unzeit, gemangelt! Man wolle mir daher verzeihen, wenn ich hier zwi- schen Traum und Wahnsinn einiges in die Mitte stelle, das zwar zu einer so schlechten Gesellschaft auf keine Weise kann verurtheilt werden, aber dennoch dem For- scher gegenwärtig seyn muss, damit er seine Untersu- chungen allgemein genug fasse, und in den heterogen- sten Zuständen dieselbe Seele und dieselben Gesetze des Vorstellens wieder erkenne. Alles, was man Schwäche des Geistes nennen kann, wird sich entweder auf Unwissenheit , oder auf ein Ausbleiben des rechten Gedankens im rechten Augenblicke zurückführen lassen. Das letztere ist es, was uns jetzo beschäfftigt, denn die Unwissenheit ist überall kein psychologischer Gegenstand. Das Ausbleiben des rechten Gedankens wird zur Ursache positiver Verkehrtheiten, wenn eine Vorstellungs- reihe, die von jenem Gedanken würde zurückgehalten seyn, indem sie nun von der ihr nöthigen Hemmung frey bleibt, hervortritt, und sich auf eine Art äussert, die bey wiederkehrender Besinnung wird gemisbilligt werden. Diejenigen Fälle, wo der rechte Gedanke zu wenig Energie besitzt, so dass auch wenn er ins Bewusstseyn tritt, er dennoch die entgegengesetzte Vorstellungsreihe nicht überwindet, sondern sich unter ihr beugt, müssen hier abgesondert werden; sie ergeben, im Theoretischen, Vorurtheile, im Praktischen, moralische Verderbniss und eigentliche Bösartigkeit. Aber verwandt mit Traum und Wahnsinn sind alle die Fälle, wo ein hinlänglich starker Gedanke dennoch seine Dienste versagt; indem er mit der Vorstel- lungsreihe, die er nach sich bestimmen sollte, nicht gehörig zusammentrifft . Erwägen wir zuvörderst das Gegentheil, die Beson- nenheit , in einigen Beyspielen! Man erwartet von ei- nem klugen Kopfe, er werde in Umgangs-Cirkeln die Verhältnisse der gegenwärtigen Personen, so weit sie ihm bekannt sind, beachten, und kein Gespräch führen, das einem der Anwesenden unangenehm werden muss. Von dem Schachspieler, dass er die sämmtlichen Figuren in ihren möglichen Wendungen überschaue, und sich dar- nach richte. Von dem Staatsmanne, er überlege das In- teresse einer jeden Macht und die Leidenschaften jedes Mächtigen; er spüre jeden möglichen Betrug, und es entgehe ihm kein Zeichen der ihm vortheilhaften oder nachtheiligen Gesinnungen. Von dem Mathematiker, er habe seine Formeln, von dem Philosophen, er habe seine Begriffe stets gegenwärtig, und bereit zu jedem passen- den Gebrauche. Das alles gehört sich so, es gebührt und geziemt sich, nicht etwan als ob es dem psychologischen Mecha- nismus in jedem nicht verstörten Kopfe also gemäss wäre, sondern weil es zweckmässig ist und schicklich; man er- wartet es aber unter gebildeten Menschen um so eher, weil eben um der Zweckmässigkeit und Schicklichkeit willen der psychologische Mechanismus dafür pflegt ge- bildet, darauf eingerichtet zu werden, welches bis auf ei- nen gewissen Grad bey dem gesunden Menschen mög- lich ist. Offenbar aber wird hier an diesen Mechanismus ein ihm fremdartiges Maass des Richtigen und Gesetzmässi- gen angelegt. Hier ist von einer Richtigkeit nach prak- tischen Regeln die Rede; ganz etwas Anderes sind die Naturgesetze der Mechanik des Geistes. Diese letztern können nicht erkranken; sie sind stets gesund, und stets dieselben, wenn sie schon bey veränderten Um- ständen die abweichendsten Resultate von denen ergeben, die man von dem gesellschaftlichen Menschen verlangt. Dass ein Gedanke genau in demselben Augenblicke ins Bewusstseyn eintreffen sollte, wo die praktische Noth- wendigkeit seiner Gegenwart entsteht: ist, nach mathe- matischer Strenge genommen, schlechterdings unmöglich. Auch in dem witzigsten Kopfe, dem die treffendsten Ant- worten stets zu Gebote stehn, bedürfen die Vorstellun- gen einiger Zeit zu ihrer Bewegung, wenn schon diese Zeit so kurz ist, dass im Gespräch keine Lücke bemerkt wird, weil die Gedanken der andern Personen noch viel langsamer wandeln. Derjenige Witz aber, der eine Vier- telstunde zu spät kommt, und in dessen Stelle sich, als es für ihn Zeit war, eine Plattheit drängte, giebt das erste Vorspiel zu den ernsthafteren Gebrechen, die man dem Menschen als Mängel der Besonnenheit anrechnet. Und jene Unbesonnenheit des grossen Newton , der mit dem Finger einer Dame seine Pfeife stopfte, (wenn das Geschichtchen wahr ist,) giebt das Vorspiel zu allen Verirrungen des Wahnsinns, dem eine fixe Idee nicht er- laubt, die Gegenstände und Verhältnisse der Welt in ihrem wahren Lichte zu erblicken. Der nämliche Mann, dem Jenes begegnete, war vielleicht der besonnenste Sterbliche in seiner Wissenschaft. Wenn nun die wissenschaftliche oder künstlerische Vertiefung alle heterogenen Vorstellungsreihen so stark hemmen, die Auffassung der äussern Wahrnehmung so sehr stören, wahrscheinlich auch den ganzen Organismus entschieden nach sich stimmen kann: um wieviel muss die Verzögerung, ja die Ausschliessung der rechten Ge- danken — derjenigen nämlich, die um einer praktischen Rücksicht willen die rechten genannt werden, — zu- nehmen, sobald nun noch irgend welche fehlerhafte phy- siologische Einwirkungen dazu kommen! sobald es dem Organismus an Geschmeidigkeit fehlt, dem nöthigen Wechsel der Vorstellungen gehörig begleitend nachzu- folgen; sobald diejenigen Zustände, welche von den herr- schenden Vorstellungsmassen herrühren, sich zu sehr be- vestigen, um einem entgegengesetzten Antriebe leicht nachzugeben! Noch andere Beyspiele, dass ohne alle widrigen phy- siologischen Einflüsse, die grössten und gesundesten Köpfe der Unbesonnenheit zuweilen zum Raube werden, und dass also da, wo im Wahnsinn dergleichen Erscheinun- gen carricaturmässig vergrössert erscheinen, der leibliche Zustand nur vollendet, was der psychologische Mecha- nismus schon angefangen hatte, — liefert uns die Ge- schichte der Philosophie, in den Inconsequenzen der Systeme; die, was das merkwürdigste ist, eine nicht bloss augenblickliche, sondern permanente Unbesonnenheit, ei- nen ausgebildeten Vorstellungskreis, in welchem dennoch die Gedanken sich nicht gehörig durchdringen, uns vor Augen legen. Gesundheit des Geistes war ohne allen Zweifel in ganz vorzüglichem Grade das Eigenthum des ehrwürdigen Kant ; dies beweis’t alles, was man von ihm weiss. Dennoch ist sein System in einem Hauptpuncte ein Beyspiel von Unbesonnenheit; und der Beweis hie- von liegt in dem eigenthümlichen Gepräge der Philoso- phie unserer letzten Decennien. Beschäfftigt mit den Formen der Erfahrung, liess Kant die Frage nach dem Ursprunge der einfachen Empfindungen, der Materie der Erfahrung, anfangs ausser Acht; auch konnte und wollte er seine Kategorie der Ursache, die nur einen immanen- ten Gebrauch im Gebiete der Erfahrung haben sollte, nicht dazu anwenden, von den Dingen an sich zu sagen, und theoretisch zu behaupten, sie seyen die Ursachen unsrer sinnlichen Empfindungen. Dem gemäss musste von Dingen an sich bey ihm eigentlich gar nicht die Rede seyn: wie die scharfsinnigsten unter den Nachfolgern sehr bald bemerkten. Wie kam denn Kant zu der oft wie- derhohlten, und ausdrücklichen Behauptung, dass den Erscheinungen gleichwohl Verstandeswesen (Dinge an sich,) correspondiren? Seine Glaubensartikel, die um des moralischen Interesse willen angenommen wurden, führten ihn wieder in diese Gegend. So kam ein freyer, ein unsterblicher Geist, so die Ueberzeugung von Gottes waltender Weisheit, in das System. Aber auch die Dinge an sich, von denen die Sinneserscheinungen, nach Ab- zug der Form, ihren Ursprung haben sollten? Waren diese auch ein Glaubensartikel? Was konnte es dem moralischen Interesse schaden, die Materie sowohl als die Form der Erfahrung aus dem eignen Selbst entsprin- gen zu lassen? — So fragten sich Fichte und Schel- ling beym Beginn ihrer Arbeiten, und es ist bekannt genug, dass beyde, besonders aber der erste, Anfangs hierin ihre leitende Idee fanden. Unter der damals sehr allgemein verbreiteten Voraussetzung, die Kantische Lehre sey der Hauptsache nach die wahre, glaubte Fichte den rechten Weg einzuschlagen, indem er suchte, die Kantische Philosophie von den Dingen an sich zu be- freyen. — Und unbegreiflich würde es immer bleiben, wie Kant jene Unzierde seines Systems nicht gewahr geworden sey, wenn nicht eine Association hiebey ge- wirkt hätte. Eine reale Seele, eine reale Gottheit, schie- nen in die allgemeinere Annahme von Dingen an sich hineinzugehören. Unter den Flügeln von jenen erhabe- nen Gegenständen nahmen auf diese sehr gleichgültigen wieder ihren alten Platz ein. Dies hätte nicht geschehn können, wäre mit mehr Schärfe der sonst so tief einge- prägte Gedanke, nichts Uebersinnliches einzulassen, wofür nicht das moralische Gesetz volle Bürgschaft leiste, auch hier durchgedrungen. Und so haben wir denn wiederum ein Ausbleiben des rechten Gedankens an der rechten Stelle, uugeachtet derselbe Gedanke vorhanden, und mit ausgezeichneter Stärke gerüstet war. Die anfängliche Richtung des Systems führt uns abwärts von den Din- gen an sich, die nachmalige kehrt zu ihnen zurück. Wie konnte nun der grosse Denker ein solches System in sei- nem Geiste tragen? Wie, wenn nicht so, dass abwech- selnd sein Denken bald an den vorderen, bald an den hinteren Fäden fortlief, und dass er gleichsam ein zwie- faches Bewusstseyn für die verschiedenen Theile seiner Lehre, sich angebildet hatte. Nach einem so ausgezeichneten Beyspiele wird man kaum verlangen, dass ich noch in niederen Regionen des gemeinen Denkens ähnliche Fälle nachweise. Man muss wenig auf Menschen geachtet haben, wenn man nicht weiss, dass sie sehr gewöhnlich mehrere Gedankenmas- sen im Kopfe haben, die sich gegenseitig nur mangelhaft bestimmen und durchdringen, und die, ungeachtet sie im Widerspruche stehn, sich doch höchst friedlich in der Einen Wohnung neben einander befinden. §. 164. Dennoch erhebt sich grosse Verwunderung, wenn nach vergrössertem Maassstabe ähnliche Erscheinungen bey Kranken zu sehen sind. Nachdem Reil a. a. O. S. 75. die Ge- schichte eines gebildeten Frauenzimmers erzählt hat, das in einem periodischen Wahnsinn sich für eine flüchtige Französin hielt, und mit vorzüglicher Feinheit diese Rolle spielte, von der sie selbst allein getäuscht wurde: setzt er, in Beziehung auf ihre getheilte Persönlichkeit (denn sie war abwechselnd Teutsche und Französin, jedes für sich im Zusammenhange, keins in Verbindung mit dem anderen,) den Ausruf hinzu: „ Wer soll diese Ge- „schichte erklären? der Materialist oder der „Spiritualist nach den reinen Grundsätzen der „Psychologie? Ich fürchte, seine Kunst schei- „tert an diesem Phänomen .“ Das erste, was wohl Jedem hiebey einfällt, ist die bekannte Thatsache, dass auch ohne Wahnsinn der Traum manchmal ähnliche Erscheinungen darbietet. Die Träume einer Nacht werden oft genug in der andern fortgeträumt. Verschiedene körperliche Zustände rufen verschiedene Vorstellungsmassen auf; jede von beyden bildet sich für sich allein aus, unbekümmert um die andre und von derselben unberührt. Ich kann mich hier der Frage nicht erwehren: was wohl in den Köpfen der Schulknaben vorgehn möge, die an Einem Morgen durch eine Reihe heterogener Lectio- nen herdurch getrieben werden, deren jede sich am fol- genden Tage mit dem gleichen Glockenschlage wieder- hohlt und fortsetzt. Sollten diese Knaben wohl die ver- schiedenen Gedankenfäden, welche da gesponnen wer- den, unter einander, und mit denen der Erhohlungsstun- den, in Verbindung bringen? Es giebt Erzieher und Lehrer, die das mit einem wunderbaren Vertrauen vor- aussetzen, und deshalb weiter nicht bekümmert sind. Ferner, was ist wohl der Geisteszustand des Musi- kers, der die ganz eigenthümliche Gedankenreihe seiner Kunst, nur in wenige, und sehr zufällige Verbindungen mit andern Gegenständen bringen kann? Wer musika- lische Phantasie hat, wird wissen, dass diese besonders in recht heitern Stimmungen sehr gewöhnlich ihrem Triebe folgt, und selbst eine vielstimmige Musik im Innern auf- führt, ohne den geringsten Zusammenhang mit den übri- gen Gedanken, die ihren eigenen Gang in der nämli- chen Zeit fortgehn. Dieses möchte bald noch wunder- barer scheinen (obgleich es an sich nicht wunderbar ist, da die beyden Vorstellungsreihen einander nicht hem- men, wenn nicht mittelbar durch den von beyden afficir- ten Organismus,) noch wunderbarer, sage ich, als die abwechselnden Vertiefungen des Künstlers in seine musikalischen Studien und in die Geschäffte des Lebens, die auch einander nichts mittheilen. Soll ich endlich bis zu den Personen kommen, die in der Kirche eine periodische Frömmigkeit empfinden, in andern Zeiten andre periodische Stimmungen haben, ohne gegenseitigen Einfluss zwischen diesen und jener? Jedoch, zurück zur aufgegebenen Frage. Bevor ich die Beantwortung wage, ersuche ich den Leser, sich das Gefühl der Anstrengung zu vergegenwärtigen, was wohl Jeder, in den Augenblicken empfunden hat, da von einer, etwas lebhaft verfolgten Beschäfftigung, ein plötzlicher Uebergang zu einer andern soll gemacht, und hiebey wohl gar die Erinnerung an die frühern soll vestgehalten werden. Zum Beyspiel, einer etwas schweren Integra- tion, die bis auf die Bestimmung der Constante fertig ist, soll jetzt diese, mit Rücksicht theils auf die voll- brachte Rechnung, theils auf andre verwickelte Umstände, beygefügt werden. Oder, verständlicher zugleich und pas- sender, ein Lauf in einer Claviermusik ist jetzt eben mit der linken Hand eingeübt; nun soll die rechte mitspielen. Wie erklären wir das hiebey nicht selten eintretende Ge- fühl der Anstrengung? Zuweilen erinnert in dergleichen Fällen eine Spur von Kopfschmerz daran, dass hier der Organismus Mühe habe, seine begleitenden Bewegungen auch noch auf den Zusatz einzurichten, den der Geist zu seiner vorigen Thätigkeit zu machen im Begriff ist. Und Niemand wird das unerwartet oder seltsam nennen, denn wie sollte es anders seyn, bey dem Causalverhält- niss zwischen Leib und Seele. — Gleichwohl soll das kranke Frauenzimmer, dessen Reil erwähnte, sich in dem Augenblicke, da sie sich als Deutsches Mädchen denkt, nicht bloss ihrer französischen Persönlichkeit erin- nern, sondern darüber die Deutsche nicht verlie- ren ; welches offenbar nothwendig ist, damit sie inne werde, sie habe geschwärmt. Bedenken wir doch, dass sie krank ist! Wie soll sie die Anstrengung aushalten, nicht bloss des Wechsels der Gemüthslagen, sondern der Aufhäufung einer auf die andere , ja gar der Stösse , die es geben muss, damit eine die andre Lügen strafe? Es ist alles mögliche, (allein eben nicht zu er- warten,) wenn sie nach ihrer Genesung neben ihrer wie- der bevestigten Deutschen Persönlichkeit noch den Ge- danken an die französische tragen kann, — wenn sie alsdann irgend etwas weiss, von allem, was die Französin gethan und gesprochen hat. So erinnert sich freylich der Gesunde seines Traums, weil der Organismus nachgie- big genug ist gegen den Zusammenstoss der widerstre- benden Gedankenreihen, und sich bey der Gelegenheit durch Lachen Luft macht. Wer aber nicht aufgelegt ist zum Lachen, dem wird jede Revision seiner früheren Verkehrtheiten entweder peinlich oder unmöglich. Man wird nun hoffentlich einsehn, dass weder diese noch ähnliche Geschichten die geringste Schwierigkeit ha- ben. Das Nil admirari taugt zwar als Maxime nichts, denn es tödtet die Keime der Forschung; aber ich be- kenne, dass, wo es nicht nach vollbrachter Untersuchung, sich als Probe wahrer Einsicht von selbst einfindet, mein Zutrauen zu dieser Einsicht ziemlich beschränkt ausfällt. §. 165. Die Hauptsache, wird vielleicht jemand sagen, sey noch unerklärt geblieben. Denn das Vorstehende be- ziehe sich nur auf den Umstand, dass die entgegenge- setzten Gemüthszustände nicht in Ein Bewusstseyn zu- sammenkamen, wobey sie sich würden lebhaft gehemmt, und den Organismus in eine für jetzt unmögliche Span- nung gesetzt haben. Allein es bleibe die Frage übrig, wie überall eine Umtauschung der Persönlichkeit denkbar sey, wie Jemand ein anderes Ich, als das seinige, haben könne? In der That, die Betrachtung dieses Punctes ist noch vorbehalten. Sie bezieht sich nämlich nicht auf das Eigenthümliche jener Geschichte, sondern auf alle die so sehr gewöhnlichen Fälle des Wahnsinns, wo der Mensch sich für einen Andern hält, als der Er ist. Und wir gehen hiemit über zu demjenigen, was über den Wahnsinn in der Kürze noch zu sagen ist, um die An- wendbarkeit unsrer Principien auch auf diesen Gegenstand zu zeigen. Zuerst wolle man sich aus den obigen Untersuchun- gen erinnern, dass die Ichheit, wie sie bey allen sich selbst vorstellenden Wesen vorkommt, gar keine be- stimmte Individualität erfordert, sondern nur irgend eine, welche übrigens in ihren nähern Bestimmungen vom Zu- fall abhängt, der ihre mannigfaltigen Bestandtheile zu- sammenhäuft. Man wolle sich aus der Erfahrung erin- nern, wie die Ichheit sich bey einem und demselben Menschen von seiner Kindheit bis zu seinem Alter gleich- sam fortschiebt auf den verschiedenen und heterogenen Gefühlen, Wünschen, Thaten, Gedanken, äusseren Ver- hältnissen, die er im Laufe der Zeit allmählig zu seinem Selbst hinzurechnet. Man wolle bemerken, wie vielfach verschieden der Mensch sogar im Laufe einer Stunde seine Person ansieht, indem er sich bald als Geschäffts- mann, bald als Familienglied, bald vielleicht als körperlich leidend, u. s. w. auffasst; oder indem aus der ganzen höchst zusammengesetzten, und nicht durchgehends vest verbun- denen Complexion, die das individuelle Ich ausmacht, bald dies bald jenes mehr im Bewusstseyn sich hervor- hebt. Jede etwas beträchtliche Vorstellungsmasse enthält ohne Zweifel irgend eine Auffassung der eignen Person; und die Vorstellung Ich kommt im Menschen so viele- mal zu Stande, dass er nothwendig eine vielfältige Per- sönlichkeit bekommen müsste , wenn nicht bey gesunder Besonnenheit alle Vorstellungsmassen einander gegensei- tig bestimmten und sich so mannigfaltig unter einander verknüpften. Nun denke man sich den allmähligen Uebergang des Verständigen zum Wahnsinn. Drückende Körpergefühle machen ihn mehr und mehr untauglich zu seinen gewohn- ten Verrichtungen; er findet sich nicht mehr als den thä- tigen, planvollen, seiner Verhältnisse mächtigen Men- schen, als den er sich sonst dachte. Dagegen müssen jene Körpergefühle mit aufgenommen werden in die An- gabe dessen, was er als sein eignes Selbst kennt. Diese geben ohne Zweifel die Grundlage zu einer neuen Indi- vidualität, welche nur braucht von den Erinnerungen an die Vergangenheit losgerissen zu werden, und mit neuen Gedankenmassen in Verbindung zu treten, um ein Ich zu ergeben, das mit dem frühern nicht zusammenhängt. Um die losreissende Kraft aber, wodurch das eine vom andern getrennt, und eben deshalb das neu entste- hende Ich solcher Bestimmungen fähig werden soll, die dem alten gerade widersprechen, — um diese Kraft sind wir hier gewiss nicht verlegen. Es ist dieselbe, welche überhaupt so oft die Gedankenfäden des Wahnsinnigen zerschneidet, welche sein Benehmen und Sprechen mehr oder minder desultorisch und inconsequent macht; die- selbe, durch welche es unmöglich wird, dass viele ver- schiedene Vorstellungsmassen zugleich in seinem Bewusst- seyn gegenwärtig seyen, und auf einander einwirken. Es ist die physiologische Hemmung des Vorstellens, welche die Krankheit mit sich bringt. Wenn diese sich mit irgend einer phantastischen Aufregung vereinigt, so ha- ben wir zwey Kräfte, von denen alle Erinnerungen der frühern Ichheit auf die Schwelle des Bewusstseyns kön- nen getrieben werden. Die jetzigen Körpergefühle, sammt der eben vorhandenen Phantasie, ergeben um so siche- rer ein neues Ich, je vester sie sich unter einander com- pliciren pliciren, das heisst, je ungestörter sie mit einander eine Zeitlang haben im Bewusstseyn verweilen können. Dass es in einem solchen Zustande nicht an der Ichheit überhaupt fehlen werde, leuchtet unmittelbar ein. So lange noch der Mensch seine Glieder kennt und will- kührlich bewegt, so lange er sein Sprechen vernimmt, versteht, und darin seine Gedanken wiederfindet, eben so lange sind die ursprünglichen Grundlagen vorhanden, worauf in der frühen Kindheit die Ichheit erbauet wurde. Und dass hieran die erste beste Phantasie sich vest hänge, — mit allen den Fäden, welche aus ihr im Ver- lauf der Zeit können gesponnen werden, — dies darf nach der bekannten Entstehungsart aller Complexionen kein Wunder nehmen. Wenn aber die äussern Umstände, z. B. das Irren- haus mit allem seinen Elende, den Wahnsinnigen, der sich König glaubt, nicht von der Täuschung heilt, so ist das die natürliche Folge von der Unfähigkeit des Kran- ken, seine Gedanken in ihrem ganzen Zusammenhange zu entwickeln, und hiedurch das Widersprechende wahr- zunehmen, was sich aus ihnen ergiebt. Dies ist gerade wie im Traume. Ich erinnere mich eines sehr lebhaften Traums, der mich in ein offenes Grab hinabsehen liess. Aber wo war dieses Grab? Nicht auf ebener Erde, son- dern auf dem obersten Boden eines Hauses. Jeder Wa- chende weiss, dass man in die Bretter nicht graben kann; die beyden hier aufgeregten Vorstellungen würden, gehörig verfolgt, einander aufgehoben haben. Kann nun die physiologische Hemmung die allernächsten räumlichen Associationen so gänzlich abschneiden: wieviel mehr Mühe würde der Wahnsinnige haben, aus dem Betragen der Umgebung zu lernen, er sey nicht König! Es scheint demnach, dass die Geistesverrückung in An- sehung des Selbstbewusstseyns keine besondre Schwierigkeit habe, und dass aus den Untersuchungen über das Ich, als über das Product, nicht eines reinen intellectuellen See- lenvermögens, sondern vieler einzelnen, auf bestimmte II. K k Weise unter einander verbundenen Vorstellungen, — sich die Möglichkeit jener Verrückung hinreichend er- kennen lasse. Und hiemit sind wir an diejenige Gränze unsrer ganzen Abhandlung gelangt, die wir uns gleich Anfangs gesteckt hatten. Das Ich sollte unsre Arbeit anfangen und endigen, es sollte gleichsam dem Rahmen hergeben, mit dem wir sie einfassen wollten. Der abs- tracte Begriff des Ich, wie ihn die Speculation auffasst, ehe sie noch seine Beziehungen kennt, gab uns den An- fangspunct; erst nach einem langen Laufe der Untersu- chung konnten wir mit Erfolg die Analysis des Selbstbe- wusstseyns vornehmen, und am Schlusse beschäfftigten uns dessen Mängel im Traume und Verrückungen in Krankheitszuständen. Da wir jedoch auf unserm Wege weit mehrere Ge- genstände, als nur das Selbstbewusstseyn, berührt haben, so wird es erlaubt seyn, noch einige wenige Schritte über die gesteckte Gränze hinaus zu thun, um in jeder Rück- sicht zum Schlusse zu gelangen. §. 166. Zuvörderst noch einige Betrachtungen über Geistes- zerrüttungen. Ich knüpfe dieselben an die Eintheilung, welche Pinel in seinem traité sur l’aliénation mentale S. 137. bis 176. , und mit weniger Veränderung Reil a. a. O. S. 305. gegeben haben. Der letzte unterscheidet fixen Wahn, Tobsucht, Narrheit und Blödsinn , indem er Pinel’s drittes Theilungsglied, eine Complication der beyden ersten, weglässt. Wir können also die noch übrigen vier Glie- der als eine, von beyden gemeinschaftlich vestgesetzte Classification, zwar nicht der Kranken , wohl aber der Begriffe , unter welchen die Krankheiten zu subsu- miren seyen, annehmen. Und in der That sind die Un- terscheidungsmerkmale sehr bestimmt und brauchbar auch für die philosophische Betrachtung. Unter den angegebenen Arten hebe ich zuerst die Tobsucht heraus; ( manie sans delire nach Pinel .) Bey dieser steht das Psychologische und Physiologische noch beynahe getrennt. In den Anfällen derselben empfindet der Kranke, der seines Verstandes mächtig ist und bleibt, ein Brennen im Unterleibe, welches allmählig sich fort- pflanzt zur Brust, zum Halse, bis ins Gesicht und in die Schläfen, mit sichtbaren Zeichen von heftigem Andrange des Bluts; endlich ins Gehirn, wobey sich eine blinde Wuth erhebt, jeden Nahestehenden zu mishandeln, ja selbst die geliebtesten Personen zu morden. Der Ra- sende verabscheut in diesem Zustande sich selbst, er warnt, man möge ihm ausweichen, da er nicht im Stande sey, sich zu zügeln, sondern von einer unwiderstehlichen Gewalt sich fortgerissen fühle. Sehr richtig ohne Zweifel bemerkt Reil , dass hier die Krankheit nicht in der Seele, sondern im Körper ihren Sitz habe. Denn dass ein heftiges, beym ersten Anfalle unbekanntes, Körpergefühl sich eine Vorstellungs- reihe anknüpfe, die eigentlich damit in gar keiner noth- wendigen Verbindung steht, sondern jetzt erst eine Com- plication mit jenem Gefühle eingeht, das kann man un- möglich Krankheit nennen. Gerade das nämliche ist der Fall beym Geschlechtstriebe, der nur nicht das Unwider- stehliche mit der Tobsucht gemein hat; übrigens aber uns eben so vergeblich bey der Frage verweilen machen würde, was für ein innerer Zusammenhang sey zwischen solchen Gefühlen und solchen Gedankenreihen und be- absichtigten Handlungen? Der Tobsüchtige hat früherhin vom Morden gehört, er hat sich eine dunkle Ahndung gebildet, wie einem Mörder zu Muthe seyn möge; keine andre Vorstellungsreihe ist mit ähnlicher Affection ver- bunden, daher tritt diese Ahndung hervor, die noch am ersten mit dem jetzt vorhandenen Körpergefühl eine Aehn- lichkeit der Stimmung hat, — und die unglücklichste aller Complexionen ist fertig! Beym Geschlechtstriebe hilft offenbar die Natur noch auf andre Weise nach, da- K k 2 mit die rechte Complication zu Stande komme; dennoch sind Fälle von Verirrungen bekannt, selbst von solchen, die schlechterdings mit keiner möglichen Wegschaffung des physischen Reizes zusammenhängen Beyträge zur Beruhigung und Aufklärung u. s. w. von Johann Samuel Fest . 1789. Erster Band. S. 327. . Sie würden noch häufiger seyn ohne die Romane, die bey ihren oft schlimmen Diensten doch schon aus diesem Grunde, und abgesehen vom poëtischen Werthe, den die allerwenig- sten besitzen mögen, Etwas für sich haben; obgleich sie bey einer vernünftigen Jugendbildung entbehrlich sind. Das gerade Widerspiel in Rücksicht des angegebe- nen Hauptpuncts, bietet uns, der unvermischten Tobsucht gegenüber, die Narrheit dar. Während in jener der psychologische Mechanismus seine Integrität beybehält, ist er in dieser nicht mehr zu erkennen. Wenn diejeni- gen, die sogern die Seele in dem ganzen Körper verthei- len, oder doch alle Ereignisse im Bewusstseyn zum Re- sultat der Gesammtwirkung des Nervensystems machen möchten, — in dem Buche der Erfahrung lesen wollen, was aus ihrer Hypothese folgen müsste: so mögen sie die Beschreibungen der Narrheit lesen. Bey dieser sind zwar, wie sich versteht, alle Vorstellungen nur in der Einen Seele; und, was mehr ist, die Seele dominirt noch immer die Bewegungsnerven; indem der Narr, wenn er geht eine Sache zu hohlen, noch Hand und Fuss und Auge nach der nämlichen Gegend hin richtet, und wenn er spricht, die Sprachwerkzeuge in eine zusammenpas- sende Bewegung versetzt. Aber kein Princip der Einheit für die Gedanken ist jetzt in der Seele. Alle Vorstellun- gen schwimmen wie auf einem Meere zerstreut umher. Keine Reproductionsfolge kann sich abwickeln, keine appercipirende Vorstellungsmasse thut ihre Wirkung, kaum wird noch selten einmal ein Urtheil zu Stande ge- bracht. Schlechterdings ohne Regel scheinen die Phan- tasieen ihren burlesken Tanz zu halten, ohne Grund die verschiedenartigsten, vereinzelten Bilder vor die Seele zu treten. Dass nun gleichwohl die physische Natur niemals gesetzlos wirkt, dass auch in der ärgsten Narrheit alles in der Seele und im Leibe so geht wie es eben kann und muss: das wird kein Naturkenner bezweifeln. Nur ihre Zweckmässigkeit hat die Natur hier ausgezogen. Wir sehn nun, dass die organische Natur auch auf unzweckmässige Weise noch leben kann . Wir sehen, es ist möglich, dass statt eines psycholo- gischen Mechanismus, welchem das Gehirn diene , eine Gesammt-Mechanik für die Seele und für das Nerven- system eintrete! Bey dieser nämlich mag eher in jedem andern Elemente des Systems, nur nicht in der Seele, die Einheit aller innern Zustände nach eignen Gesetzen vorhanden seyn; nun mögen die Sehenerven, den früher erhaltenen Eindrücken gemäss, Gesichtsvorstellungen, und die Gehörnerven Tonvorstellungen veranlassen, so dass die Seele, nach gewechselten Rollen nur die begleiten- den innern Zustände daran füge, was sonst in Beziehung auf sie, den sämmtlichen Elementen des Gehirns zukam. Oder vielmehr, jene Einheit ist jetzt höchst wahrschein- lich nirgends zu finden; es geht in dem ganzen Nerven- system, die Seele mit eingeschlossen, wie in einer allzu zahlreichen deliberirenden Versammlung, wo zwar Jeder für sich allein einen Plan verfolgen würde, wenn er un- gestört bliebe, alle zusammen aber nicht einmal einen Plan entwerfen, vielweniger ausführen können, weil bald diese bald jene Meinung überwiegt, und Alle doch Etwas zu den endlichen Beschlüssen wollen beygetragen haben. Wer nicht einsieht, dass gerade nach diesem Bilde auch im gesunden Zustande das Treiben in Seele und Leib gehen würde, wenn alles Mannigfaltige, und gar Aussereinander-liegende, des Nervensystems, jedes nach seiner Art, und auf demokratische Weise, zusammen- wirkte, um die Zustände des Bewusstseyns zu ergeben: der sehe zu, woher das Princip der Einheit, während des vernünftigen Daseyns, kommen soll, vermöge dessen, Handlungen, Begehrungen, Gedanken in einem klugen und charaktervollen Manne sich zweckmässig an einan- der fügen. Aus der gröbern Structur des Gehirns ist da nichts zu erklären; diese bleibt dem Narren wie dem Weisen; mit Bewegungen irgend welcher Flüssigkeiten ist nicht viel auszurichten, denn die sind keine Vorstel- lungen, weder thörichte noch verständige; man wird in dem Innern der Elemente für seine Hypothesen Platz su- chen müssen; und am Ende, weil die Einheit aus dem Vielen nicht kann zusammengesucht werden, sich gefallen lassen müssen, sie in Jedem der Elemente anzunehmen; mit Einem Worte, man wird den sämmtlichen Elemen- ten des Nervensystems diejenige zweckmässige Einheit ihrer innern Zustände zugestehen, die man Anfangs der Seele versagte, und die Richtigkeit eines jeden noch so unbedeutenden Gedankens von allen diesen Elementen abhängig machen; wobey nichts, als nur die gerechte Verwunderung gewonnen wird, dass eine so höchst com- plicirte Einrichtung nicht öfter sich verwirre, und dass nicht eine ungleich grössere Anzahl von Narren in der Welt sey, als von Leuten, die ihr leidliches Maass von Verstande besitzen! Uebrigens sage ich dies den Physiologen, welche das Räumliche als ein reales Vieles ansehn. Diejenigen, welche sich auf eine übersinnliche Einheit berufen, von der das Viele die Erscheinung sey, finden ihre Wider- legung nicht hier, aber wohl in den ersten Vorbereitun- gen zur Metaphysik. Auch bescheide ich mich, diejenigen nicht überzeu- gen zu können, welche aus den frühern Untersuchungen dieses Buches nicht erkannt haben, wie wenig räthselhaft der richtige Gang des Denkens dann ist, wenn man nur den natürlichen Lauf der Vorstellungen, als Selbsterhal- tungen in einem einfachen Wesen, ungestört seinen eig- nen Gesetzen folgend sich denkt, die physiologischen Einflüsse aber, wenn sie übermächtig werden, als die Urheber der Anomalien in diesem Laufe ansieht. Die hierin nicht einstimmen, werden immer die Psychologie als das Land der Wunder betrachten, und zufrieden seyn, wenn der Vortrag dieser Wissenschaft lautet wie ein artiges Mährchen, worin die Seelenvermögen die Rollen der Dämonen und der Feen spielen. Doch für diejenigen, die in solchen Fällen sich ganz kurz mit der Weisheit und Güte Gottes helfen, habe ich noch eine Frage. Indem ich mich ausdrücklich mit ihnen vereinige in der Annahme, dass diese Weisheit unsern organischen Leib zweckmässig zum Leben gebildet hat; indem ich dieser Weisheit den Gehorsam des Nerven- systems gegen die Seele im gesunden Zustande, verdanke, (nach §. 157. und 158.), frage ich, nicht eines religiösen Zweifels wegen, sondern aus Liebe zur wahren Psycho- logie: warum denn hat Gottes Heiligkeit nicht eine solche Gesammteinrichtung des Organismus getroffen, dass, wenn einmal die Richtigkeit des Denkens , dann auch die Sittlichkeit der Gesinnungen, die Rechtlichkeit der Handlungen, hieraus hervorgehe? Warum ist nicht der Gegensatz der Narrheit und des gesunden Verstandes zugleich der zwischen Bosheit und Güte? — Für auf- merksame, und mit mir einige, Leser dieses Buchs, giebt es keine solche Frage. §. 167. Minder auffallend für den Psychologen, und zum Theil minder traurig, ist das Schauspiel des Blödsinns, als jene der Tobsucht und Narrheit. Der psychologische Mechanismus ist beym Blödsinnigen noch zu erkennen, aber er ist verkrüppelt. Was im Laufe der Zeit aus dem Menschen werden sollte, das ist nicht geworden, er ist ein Kind geblieben, — oder, beym später einge- tretenen Blödsinn, in die Kindheit zurückgeworfen. Diese Ansicht des Blödsinns, als einer ausgebliebenen oder verschwundenen Bildung ergiebt sogleich, was die Er- fahrung bestätigt, dass diese Art von Geisteszerrüttung mehr als die andere, der verschiedensten Grade fähig ist, und dass auch ihre Unterschiede fast nur Grössen-Unter- schiede sind. Beym vollkommenen Kretin steht die Seele noch auf dem nämlichen Puncte, auf welchem sie etwan bey der Geburt seyn mochte. Gar nichts von Complica- tionen und Verschmelzungen der Vorstellungen ist zu Stande gebracht, nirgends ist es bey der Hemmung der letztern auf sie selbst angekommen; dagegen hat auch der Organismus nicht, wie in der Narrheit und Tobsucht, Vorstellungen und Gefühle herbeygeführt; sondern die reine Negation des Vorstellens hat Alles, beynahe bis auf die einfachsten, unmittelbaren Sensationen des Au- genblicks, erdrückt und getödtet. Der Kretin kennt oft nicht einmal die Theile seines Leibes; er mishandelt sich selbst, und leidet den grausamsten Drang körperlicher Bedürfnisse, ohne sie zu befriedigen. Es ist ein sehr merkwürdiger, und Vieles aufklären- der Umstand, dass nur der Blödsinn allein unter den Geisteszerrüttungen als angeboren vorkommt. Die an- dern Arten sind mit der Kindheit, wie es scheint, un- verträglich. Wenigstens fand Pinel in Bicêtre , nach einem zehnjährigen Register, keinen Verrückten unter funfzehn Jahren. Hieraus sieht man, dass die andern Arten der Verrückung Verderbnisse dessen sind was vor- handen war; der Blödsinn hingegen als ein blosser Man- gel von der ersten Kindheit an existiren kann. Der Blöd- sinnige ist ein Zwerg am Geiste. Die geringeren Grade des Blödsinns können kaum anders als angeboren vor- kommen. Denn wo derselbe im Laufe des Lebens ent- steht, sey es unmittelbur oder als Verschlimmerung des fixen Wahnsinns und der Tobsucht, da muss eine sehr heftige Gewalt so zerstörend auf die früher gewonnene Bildung gewirkt haben, dass schwerlich irgend etwas an- deres als unbrauchbare und im Wege liegende Trümmer davon übrig bleiben können. Hingegen der Blödsinn von Kindheit auf kann so gelinde seyn, dass er bloss eine auffallend beschränkte, dennoch gewissermassen in sich abgerundete Bildung darstellt. Ich habe dieses in frü- hern Jahren sehr genau an einem Verwandten bemerken können, der zwar zu eigentlichen Geschäfften untauglich war, aber völlig brauchbar und willig zu kleinen häusli- chen Verrichtungen von mancherley Art, und zu Zeiten selbst unterhaltend durch sein Gespräch, welches einen ziemlich ausgedehnten Gedankenkreis, und einen uner- wartet beträchtlichen Grad von Beobachtungsgeist verrieth. Ich kann mir nicht als möglich denken, dass ein ähnli- cher Geisteszustand auf eine frühere Ausbildung als Zer- züttung derselben folge. Man würde einen verkehrten Gebrauch der Reste von jener Bildung bemerken, der- gleichen bey Jenem nicht statt fand, indem er sich voll- kommen dem Verhältnisse angemessen betrug, in wel- chem er sich einmal befand. Eben diese Erfahrung hindert mich zu glauben, dass Reil das Rechte getroffen habe, indem er vorzüglich die Urtheilskraft als das Fehlende im Blödsinn bezeichnet. Dazu kommt die ohnehin fehlerhafte Absonderung der Seelenvermögen, auf welche der angeführte Schriftsteller sich gerade beym Blödsinn nur darum scheint eingelas- sen zu haben, um sich weiterhin vergebliche Mühe zu machen, das unrichtig Getrennte wieder zusammenzufügen. Bedenken wir, dass jeden Menschen ohne Ausnahme seine Geistesbewegungen Zeit kosten, so haben wir so- gleich, jenseits der gewöhnlichen Mitte, auf der einen Seite das Genie, und zwar das universelle, wenn nicht nähere Bestimmungen hinzukommen, und auf der andern den Blödsinn, indem wir die Zeit sehr verkürzt oder ver- längert denken. Das Genie erreicht bloss durch seine Schnelligkeit manche Combinationen, die dem gewöhnli- chen Menschen nicht einfallen; und der sehr langsame Kopf lässt auch die leichtesten Bemerkungen aus, weil die Welt, die seinetwegen nicht langsamer geht, und die periodischen Bedürfnisse seines physischen Lebens, die der gewöhnlichen Regel folgen, ihm theils die Anlässe zum Denken zu schnell vorüber führen, theils ihn unter- brechen und verwirren, ihn beschämen und niederdrücken. Man bemerke nur die Verlegenheit und den Unmuth des Schülers, dem der Unterricht zu schnell geht; und er- messe alsdann den Taumel dessen, dem von Kindheit an Alles zu rasch vorüberfährt! Wird dieser Taumel etwas anderes seyn als Blödsinn? Der angegebene Umstand scheint mir wenigstens beym angebornen gelinden Blödsinn der wichtigste; und überdies ist der Gedanke, dass die Zeit, welche der psy- chologische Mechanismus verbraucht, durch den physio- logischen Einfluss verlängert werde, so einfach und frucht- bar, dass er wohl verdienen möchte, zuerst und vorzugs- weise, wenn auch nicht einzig und allein, bey näheren Untersuchungen dieses Gegenstandes erwogen zu werden. §. 168. Ich komme zuletzt zu dem eigentlichen Wahnsinn, der, wenn auch nicht immer, doch wohl in den meisten Fällen, durch eine fixe Idee bestimmt wird. Es liesse sich wohl auch das Gegentheil denken, nämlich ein un- regelmässig abwechselnder Wahn, der darum noch nicht Narrheit wäre, indem jeder von den Hauptgedanken sich in derjenigen Ausbildung zeigte, welche die Vernunft nachahmt. Ich würde bestimmt behaupten, dass derglei- chen Fälle vorkommen, wenn ich von einigen mir vor- schwebenden Beyspielen hinreichend genaue und ausführ- liche Nachrichten hätte. Im gemeinen Leben wenigstens kommen Menschen vor, die bald dieser bald jener Schi- märe nachlaufen, und deren Thorheit, falls Krankheit des Leibes sie steigerte, in einen schweifenden Wahnsinn übergehn müsste. Auch erzählt Pinel a. a. O. S. 66. von einem Uhrmacher, der das perpetuum mobile erfinden wollte; hiedurch unmässig angestrengt, und überdies durch Re- volntions-Ereignisse geschreckt, verfiel er in den Wahn, sein Kopf sey unter der Guillotine nebst andern gefallen, und er trage jetzt einen fremden, den man aus Ver- wechselung ihm aufgesetzt, da die Richter ihr Urtheil bereueten. Hier würde doppelter Wahnsinn entstanden seyn, wenn nicht die Beschäfftigung mit dem perpetuum mobile , welche im Irrenhause fortdauerte, der Belehrung durch Versuche und Erfahrung zugänglich geblieben wäre. Verdient aber irgend eine Art der Geisteszerrüttung den Namen der Seelen- Krankheit ; so ist es gewiss der Wahnsinn. Hier wirkt der psychologische Mechanismus, und oft nicht minder lebhaft und zusammenhängend wie beym Gesunden. Aber sein Bau ist verdorben; ein un- taugliches Rad ist in die Maschine gekommen; dadurch wird ihr Effect ein Zerrbild von dem, was er seyn sollte. Wer seinen Lieblingsgedanken ohne Maass nach- hängt, wer seine Phantasie ein Spiel treiben lässt, das heftige Empfindungen steigert, die man bändigen sollte, wer äusseren Eindrücken sich zu sehr entzieht, und die Bekanntschaft mit der Welt verliert; wer es vernachläs- sigt, das Gewagte seiner Vermuthungen, das Ungewisse seiner Hoffnungen, zuverlässigen Thatsachen gegenüber zu stellen; wer, anstatt Erkundigungen einzuziehn, anstatt Proben anzustellen, anstatt gründliche Wissenschaft zu studiren, lieber Meinungen ausbrütet, und diesen seine Stimmung Preis giebt: der gräbt sich selbst die Grube, in welche ein leichter Zufall, der das Nervensystem schwächt, ihn hinabstossen kann. Was ist leichter, als dass eine falsche Complication von Vorstellungen sich erzeuge, nachdem die gegenwirkenden Kräfte unthätig geworden sind, vollends indem eine physiologische Hemmung dazu tritt? Die Möglichkeit hievon wurde schon vorhin erwo- gen, da von der bestimmten Art des Wahns die Rede war, bey welcher der Kranke sich eine ihm fremde Per- sönlichkeit zueignet. Die unvermeidlichen Folgen aber liegen am Tage. Wer nur nicht an die Seelenvermögen glaubt, wer z. B. nicht meint, der ganze Verstand müsse krank seyn um eines falschen Begriffes, die ganze Ur- theilskraft um eines unrichtigen Urtheils willen, das ganze Gedächtniss müsse fehlen, wo eine gewisse Reproductions- folge in ihrer Wirkung gehemmt ist, — der sicht so- gleich ein, dass die Krankheit ursprünglich in einer be- stimmten Vorstellungsmasse, und in einer bestimmten fal- schen Verknüpfung gewisser Vorstellungen ihren Sitz hat; dass sie sich verbreitet, indem diese Masse allmählig meh- rere andre nach sich bildet; dass sie um so mehr um sich greift, je mehr die Stimmung der Gefühle, die sie erregt, in den vorhandenen Körpergefühlen wurzelt, und je mehr hiedurch andre Vorstellungsmassen aus dem Be- wusstseyn zurückgehalten werden; endlich dass sie geheilt wird, indem die Körpergefühle weggeräumt, die Vorstel- lungsmassen in ihren falschen Bewegungen nachdrücklich gehemmt, und durch die Sinne ganze Vorräthe von neuen Wahrnehmungen herbeygeführt werden. Jener Uhrmacher wurde geheilt, nachdem man ihm zu arbeiten gegeben, für seinen Körper gehörig gesorgt, und nun eine andre , seiner falschen Vorstellungsreihe verwandte, durch einen derben Spott so getroffen hatte, dass er zuerst den secundären Irrthum einsah, dann den primitiven allmählig im Stillen berichtigte, und kein Wort mehr darüber fallen liess Pinel a. a. O. . Es ist bekannt genug, dass auf ganz ähnliche Weise eingewurzelte Vorurtheile am besten anzugreifen sind. Immer wird es darauf ankom- men, in dem psychologischen Mechanismus eine Stelle zu finden, wo er nachgiebig ist, diese stark zu afficiren, zuvor aber die Gesundheit des Leibes und die Heiterkeit des Gemüths so weit herzustellen, dass die, dem Vor- stellungskreise ertheilte neue Bewegung nicht gehindert werde, fortzuwirken bis zur fehlerhaften Stelle, und dort die nöthige Umwandlung zu veranlassen. Im allgemeinen rühmt man die gute Wirkung der Arbeit, und des vesten, obgleich nicht harten Betragens gegen die Wahnsinnigen. Und wer sieht nicht, dass eins und das andre zu den trefflichsten Mitteln gehört, einen fehlerhaften Gang des Vorstellens zu hemmen, ge- wissen herrschenden und richtigen Vorstellungen das Uebergewicht zu verschaffen, daneben dem Leibe sein Wohlseyn und der Seele ihre Herrschaft über den Leib recht lebhaft fühlbar zu machen. — Es giebt noch andre bekannte Zustände der Seele, in denen sie dem Leibe auffallend unterworfen ist, wie das Delirium im Fieber, das Nachtwandeln, der soge- nannte magnetische Schlaf, (wofür ein besserer Name vorhanden seyn sollte, um die so unsäglich gemisbrauchte Analogie mit dem Magneten einmal wieder in ihre Grän- zen zurückführen zu können,) ferner der Schwindel, der Rausch, der Starrkrampf, u. s. w. Ueberdies kommen noch die physiologischen Wirkungen der Gefühle und Leidenschaften, wegen der damit verbundenen Rückwir- kungen auf die Seele, — es kommt die Abhängigkeit des Temperaments von dem Leibe, und so Manches Andre in Betracht, was hier ganz übergangen ist. Meine Ab- sicht in diesem Capitel, das als ein leicht hingeworfener Anhang zu den früheren Untersuchungen dieses Buches zu betrachten ist, konnte nur seyn, zu zeigen, wie das Physiologische, was von der Psychologie nicht zu tren- nen ist, mit den hier aufgestellten Principien der letzte- ren in Verbindung gesetzt, durch einige der auffallend- sten Erscheinungen könne verfolgt werden. Schluss . Darüber wird sich leicht Jeder einverstanden erklä- ren, dass ein lebendigeres und besser gelingendes Stu- dium der Psychologie nicht anders als von den gedeih lichsten Folgen seyn könnte für alle Wissenschaften. Auch das wird man hier einräumen, dass diese Betrach- tung sich müsse unter zwey Gesichtspuncte fassen lassen, indem theils das Aufhören der bisherigen schädlichen Folgen unrichtiger Psychologie, anderntheils der positive Gewinn aus Verbesserungen dieser Wissenschaft in An- schlag kommen kann. Aber welches sind die bisherigen übeln Einwirkun- gen der Psychologie auf die andern Studien? Ich ver- suche sie kurz anzugeben. Die Psychologie wirkte falsch auf die Logik, indem sie, derselben sich beymischend, ihr das Anschn einer Erzählung gab, wie es im menschlichen Denken zugehe, anstatt einer Regel, wie es zugehn solle, und einer Grund- lage der Kritik, wenn es nicht also zugegangen war. Vom Mechanismus des menschlichen Denkens, der eben so gut die Ursachen der Irrthümer als der Einsichten in sich fasst, weiss die Logik nicht das geringste. Bildet sie sich ein solches Wissen ein: so belastet sie hinwie- derum die Psychologie mit Fehlern, wie es unter andern dort geschah, wo man die logischen Vorschriften zur Abstraction und Determination in ein vermeintes Abs- tractionsvermögen übersetzte, und hiemit die Untersu- chung über den Ursprung und die allmählige Ausbildung der allgemeinen Begriffe verdarb. (Zu vergleichen §. 119 bis 122. und §. 147.) Die Psychologie wirkte falsch auf die Moral, indem sie auch diese verleitete, die Frage nach dem Sollen zu verwechseln mit der nach dem Können. Als man von Sympathie und vom Geselligkeitstriebe redete, um aus dergleichen natürlichen Neigungen der menschlichen Na- tur darzuthun, wie geschickt der Mensch sey, und wie angenehm es ihm werden müsse, wenn er nur einmal versuchen wollte, als ein guter Bürger und als ein redli- cher Freund zu leben: da befand man sich ganz in dem angezeigten Irrthum, und die Auctorität der Moral gerieth in Gefahr, indem aus psychologischen Gründen sich eben so vortrefflich entwickeln liess, der Mensch sey unge- schickt zum Guten, er sey unaufgelegt für das Recht, im natürlichen Kampfe mit aller Welt, zur Arglist und Tücke gehoren. Kam man von beyden Seiten her in einer fried- lichen Mitte zusammen, so musste die Moral eben so gefällig werden, als die sich versöhnenden Psychologen; sie konnte nur in so weit gelten, als sie dem Menschen natürlich schien, und das war nicht gar weit! — Als aber Kant sich gegen diese Verkehrtheit erhob, fing er allerdings sein Philosophiren zum zweytenmale von vorn an, indem er bey seinem kategorischen Imperative gar nicht nach irgend welchen theoretischen Gründen fragte. Und so war es recht; doch bog er sogleich wie- der aus dem Geleise, indem er nicht bloss bey der Lo- gik (bey der Allgemeinheit des Gesetzes) nach dem Inhalte des ersten Princips suchte, nicht bloss blindlings annahm, die praktische Philosophie müsse von Gebo- ten ursprünglich beginnen, sondern auch sogleich auf die Angabe eines Seelenvermögens ausging, welches geschickt seyn sollte, das moralische Gebot ins Werk zu richten. So kam seine transscendentale Freyheit zum Vorschein. Wer täuschte ihn hier, wenn nicht die falsche Psychologie, an deren verborgenen Qualitäten, die See- lenvermögen, er einmal gewöhnt war? Und was war die Folge? Man sieht sie in Fichte ’s Sittenlehre. Die For- mel des kategorischen Imperativ’s veraltete bald; aber die transscendentale Freyheit blieb; und die Sittenlehre verwandelte sich in eine Historie von den Aeusserun- gen dieser Freyheit. So verlor diese Wissenschaft ganz und gar die ihr gebührende Gestalt; und Fichte ’s Sit- tenlehre ist, gerade wie Spinoza ’s Ethik, zwar in man- cher andern Absicht ein sehr schätzbares Werk, aber zugleich ein Muster, wie man eine Sittenlehre nicht schreiben solle. Denn sie ist von vorn herein ein theo- retisches, und eben darum kein praktisches Werk. Die Psychologie wirkte falsch auf die Metaphysik. Dies ist nun vollends eine Wirkung im Grossen, die man sogleich gewahr wird, wenn man die ganze neuere Phi- losophie mit jener alten bis auf Aristoteles vergleicht. Die späteren Zeiten ergaben sich grossentheils der Ein- bildung, etwas recht vortreffliches und verdienstliches zu unternehmen, wenn sie die Philosophie gewaltsam in die Wohnungen der Menschen einklemmten, wenn sie überall den Menschen zum Mittelpuncte der Untersuchungen und Bestrebungen machten. So wurden jene Aufschwünge des menschlichen Geistes vor Aristoteles, vergessen; man begriff nicht mehr, was diejenigen getrieben hatten, die zuerst metaphysische Forschungen begannen, man ent- fernte sich von der wahren Metaphysik, der jene schon nahe gekommen waren, darum, weil man die ganze Auf- gabe dieser Wissenschaft, die ungereimten Erfahrungs- begriffe zu berichtigen, aus den Augen verlor. Statt des- sen glaubte man, von der Seele, oder doch von dem Gemüthe, oder mindestens doch von dem Bewusstseyn und den darin arbeitenden Vermögen, oder doch endlich zum allerwenigsten von dem Ich , eine Theorie ausstel- len zu können. Man merkte nicht, dass man hier gerade mit denselben Schwierigkeiten, nur in einem speciellen und eben darum noch mehr verwickelten Falle, belastet war, die schon die Alten genöthigt hatten, Auswege aus dem Erfahrungskreise zu suchen, und sich in einer Welt von Noumenen anzubauen. Freylich aber konnte des seichten Geredes, woran sich ein grösseres Publicum zu erfreuen pflegt, über die Thatsachen des Bewusstseyns genug geführt werden. Und seitdem dieses Philosophie hiess, galten natürlich Platons Ideen und das Eine der Eleaten für Träume, die erst wieder zu Ehren kamen, als man sie durch die, leider nur zu sehr entstellenden Brillen des Spinoza zu betrachten anfing! Die Psychologie wirkte falsch auf die Pädagogik. Dieser drang sie ihre Seelenvermögen, und damit das sinnlose Problem auf, die einzelnen Vermögen sowohl als deren Gesammtheit zu stärken und mit allerley Fertigkei- ten auszurüsten. So ungefähr wie man die Gliedmaassen, die Muskeln des Leibes, durch Uebung stärkt, weil der Reiz zur Entwickelung des organischen Baues wirkt. Nun erschien die menschliche Seele unter dem Bilde ei- ner Zwiebel, die unter allerley Hüllen ihre schon orga- nisirte Blume versteckt hält, und nur auf Nahrung war- tet, um sich auszustrecken, und ihr Verborgenes zu ent- falten. Demnach sollte nun auch der Seele Nahrung zu- geführt werden, damit sie sich entwickele; es sollten die Seelenvermögen durch allerley Gymnastik aufgeregt wer- den. Nimmt man diese Ausdrücke für Gleichnisse, so heisst heisst es von ihnen, omne simile claudicat; nimmt man sie gar für ernsthafte Angaben dessen, was der Erzieher zu besorgen habe, so muss der Leser aus den Untersu- chungen dieses Buches wissen, wie gänzlich untauglich sie sind. Nur Einen Punct hebe ich hervor: das Wich- tigste der Erziehung ist die sittliche Bildung; wer aber kann diese übernehmen, wenn er sich einbildet, in der Seele stecke schon ein organischer Bau, der, so wie er einmal beschaffen sey, sich entwickeln müsse, weil etwas anderes aus dieser Seele machen zu wollen, eben so thö- richt sey, als aus einer Tulpenzwiebel eine Hyacinthe hervorziehen zu wollen? Wie nun, wenn unser Zögling die Organisation eines Spitzbuben in sich trägt? — Hier hilft man sich mit der Freyheit; wieder ohne zu überle- gen, dass die Freyheit gerade von nichts anderem als von Causalverhältnissen frey seyn muss, wenn sie überall existirt; und dass alsdann die nicht geringere Thorheit an den Tag kommt, eine Causalität durch Erziehung da ausüben zu wollen, wo gar keine Causalität möglich ist. — Was ist die Folge von dem allen? Dass philosophirende Köpfe, wenn die falsche Psychologie bey ihnen einhei- misch ist, gerade die Hauptsache, die sittliche Bildung, mit mistrauischen Augen ansehn; dass sie den Muth nicht haben, diesen Gedanken ernstlich zu fassen. Diese Haupt- sache aber hinweggenommen, lässt nur einige unbestimmte Gedanken übrig, von Cultur des Gedächtnisses, der Phan- tasie, des Verstandes u. s. w., die zu gar nichts dienen, als dem rohen Empirismus und der Routine, welche am Ende die Stelle der wissenschaftlichen Pädagogik vertre- ten, einige Lappen umzuhängen, die deren Blösse minder sichtbar machen. Die Psychologie trennte sich von Politik und Ge- schichte, mit welchen Wissenschaften sie hätte innig ver- bunden seyn sollen. Man schrieb Lehren vom Verstande und der Vernunft, als von Vermögen, die in jeder Menschenseele , bey wilden Stämmen wie bey den cul- tivirtesten Nationen, auf gleiche Weise sich ursprünglich II. L l befänden, und die nur geweckt zu werden brauchten, um thätig zu seyn. Man überlegte nicht, was ein schla- fendes Vermögen seyn möge, noch was das Wecken desselben bedeuten solle, — ob sich mit diesen Worten überall ein Sinn verbinden lasse; und ob der vermeinte Sinn sich in der Geschichte der Ausbildung des Men- schengeschlechts wiedererkennen lasse, ohne zuerst als ein Vorurtheil in dieselbe hineingetragen zu seyn. Man ahndete nicht, wie wenig Verstand und Vernunft in der Welt seyn würde, wenn nicht unter Verhältnissen der Gesellschaft eins und das andre erzeugt , und durch Tradition fortgepflanzt, ja für jede Vorstel- lungsmasse insbesondere erzeugt und fortge- pflanzt würde. Fand sich bey wilden Völkern ein starker, aber auf die Verschaffung der ersten Lebens- und Kriegs- bedürfnisse beschränkter, Verstand? Dieser Verstand musste einseitig gebildet seyn; wie aber bey dem vermeinten or- ganischen Baue des Menschengeistes sich die einsei- tige Bildung denken lasse? vollends wie es möglich sey, dass von einem ganzen und vollständigen angebor- nen Verstande neun und neunzig Hunderttheile im tiefen Schlafe liegen, und Ein Hunderttheil dabey ganz ordent- lich wachen könne? Das wurde nicht bedacht. Das Schreyende dieser Ungereimtheiten hätte die wahre Psy- chologie aus dem Schoosse der Geschichte hervorrufen müssen, wären die Köpfe nicht voll von Vorurtheilen ge- wesen. Fand sich bey verschiedenen gebildeten Völkern ein ganz verschiedener Stempel der Phantasie, der Sit- ten und der Gesetzgebung? Man suchte dies, wie billig, aus den Lebensumständen und den Schicksalen der Na- tionen zu erklären. Aber dennoch war in der Psycho- logie immer nur die Rede von einerley Einbildungs- und Urtheil skraft , in der Meinung, dass diese Dinge in der ganzen Welt und zu allen Zeiten die nämlichen, an- geborenen Vermögen wären. — Was Wunder, wenn mit einer solchen Psychologie die Politik nichts anfangen konnte? Aus der Psychologie erklärte sich ja gar nichts, die falsche Theorie stand von den Thatsachen getrennt, und der Zusammenhang der letzteren unter einander liess sich durch jene nicht begreifen. Wenn in müssigen Stunden psychologische Reflexionen angestellt wurden, die der Geschichte nachschlichen, so brachten diese nichts weiter zu Tage, als einen Kitt, den man in die gähnende Spalte zwischen Theorie und Empirie hineinstrich, um sie weniger sichtbar zu machen. Die Psychologie behielt keine Aehnlichkeit mit der Naturwissenschaft, deren rascher Gang die träge Schwe- ster gänzlich hinter sich zurückliess. Der traurigste Con- trast zwischen der Gesetzmässigkeit der Körperwelt, und der scheinbaren Gesetzlosigkeit der Geistes-Vermögen, die nach Lust und Laune zu wirken schienen, wann und wieviel ihnen eben beliebte, wurde mit jeder Entdeckung der Physiker, mit jeder Berechnung der Astronomen, stär- ker und auffallender. So blieben diejenigen zurück, die da meinten, von dem Menschen und für den Menschen zu philosophiren; so blieben sie zurück hinter jenen, die den Himmel nicht zu hoch fanden, weil sie ihn mit ihren Beobachtungen erreichen, und seine Ereignisse durch Rechnungen verfolgen konnten. — Man schwärmte endlich von der Freyheit, gerade da die bürgerliche Selbst- ständigkeit verloren ging; es ist Zeit, die Begriffe über Freyheit und Natur des menschlichen Geistes zu berich- tigen, damit man der geretteten Nationalität sich zu be- dienen wisse. Aber es scheint leider! man werde zuvor noch manche alte Sünden abzubüssen, ältere und neuere Irrthümer abzuschwören haben! Wenn ein Schriftsteller seine Hoffnung, oder nur seinen Wunsch äussert, dass grosse Uebel in grosser An- zahl verschwinden möchten durch Verbesserung eines ein- zigen Hauptpunctes; ja wenn er selbst zu dieser Verbes- serung einen Beytrag zu liefern versucht: dann ist man im Publicum meistens sehr eilig, ihm Schwärmerey und Anmaassung vorzuwerfen. Wiewohl sich nun das ertra- gen lässt, schon für das Bewusstseyn, mit redlichem Wil- L l 2 len gearbeitet zu haben: so ist es doch gut, ausdrücklich die geäusserten Hoffnungen mit ihren Gränzbestimmungen zu versehen; und hierzu bietet sich die Gelegenheit, in- dem wir jetzt zu Betrachtungen des positiven Gewinns übergehen, der von Verbesserung der Psychologie zu er- warten steht. Zuvörderst, der Gedanke, dass die Psychologie es in genauen Erklärungen der Thatsachen jemals der Na- turwissenschaft gleich thue, liegt in weiter Ferne, er ge- hört zu den Dingen, von denen man nicht viel reden muss, weil man nicht weiss, was die Zukunft noch leisten möge. So viel ist offenbar, dass die Psychologie mit Schwierigkeiten zu kämpfen hat, die gross sind, wegen des Mangels an Genauigkeit in den Beobachtungen. In wiefern sie diesen durch die Menge derselben ersetzen könne, lässt sich nicht voraussehen; aber die Ermunte- rung für die Forscher ist hier geringer, weil sie sich müs- sen gefallen lassen, gleichsam im Dunkeln zu arbeiten, indem die unmittelbare, präcise Vergleichung zwi- schen dem synthetischen Theile der Theorie und der Beobachtung nur selten möglich seyn wird. Und gehört schon dazu eine eigne Geistesrichtung, so ist noch über- dies eine eigne Vorbildung erforderlich. Niemand wird die Psychologie vest anfassen, dessen allgemeine Meta- physik noch im Schwanken begriffen ist. Ferner, eine nähere Verbindung zwischen der Psy- chologie auf der einen, der Politik und Geschichte auf der andern Seite, wird nur sehr allmählich erfolgen kön- nen. Nicht nur bedarf es hierbey der Vereinigung man- nigfaltiger Kenntnisse und Einsichten: sondern die Psy- chologie wird auch erst grosse Fortschritte machen müs- sen, ehe das Innere des Menschengeistes durchsichtig ge- nug werden kann, um mehr als solche Reflexionen, die nur die ganz empirische Menschenkunde voraussetzen, dem Historiker zu gestatten. Indessen mag doch schon diejenige Freyheit der Betrachtung, welche aus der Hin- wegräumung der falschen Psychologie entspringt, mit Ge- winn an Aufschlüssen verbunden seyn. Jedem Gelehrten, also auch jedem Historiker, pflegt Etwas anzukleben von den Irrthümern der philosophischen Schulen, die zur Zeit seiner Bildung die herrschenden waren. Noch mehr! Ich müsste mich sehr irren, oder die empirische Menschen- kunde kluger Köpfe, die vielleicht alle Philosophie has- sen, und sich auss sorgfältigste an reine Erfahrung hal- ten, ist allemal beladen mit Vorurtheilen, theils ihrer in- dividuellen Stimmung, theils ihres Standes, ihres Orts und ihrer Geschäfte. Wie sollte es anders seyn? Der Mensch beurtheilt Andre nach sich; denn unmittelbar kann er nun einmal in die Gemüther der Andern nicht hineinschauen. Je mehr er das Gegengewicht verschmäht, welches die allgemeinen Theorien wider die Zufälligkeit der individuellen Ansichten darbieten, desto mehr muss er nothwendig den letztern sich Preis geben, oder er würde mit der ganz bedeutungslosen Oberfläche der Er- scheinungen in der Menschenwelt sich begnügen müssen, welches unter den Historikern höchstens der Chroniken- schreiber thut. Daher kann die Maxime des blossen, gar nicht philosophirenden, Empirismus nicht anders als dem Historiker Nachtheil bringen. Und wenn er denn durch- aus einiger Hülfe von Seiten der Theorie bedarf, um der Beschränktheit seiner Individualität nur erst inne zu wer- den, so ist nun keine Frage, dass ihm hier eine wahre Psychologie, selbst eine noch sehr unvollendete, bessere Dienste leisten wird, als eine falsche, die so leicht ein Vorurtheil an die Stelle des andern setzt. Deutlicher schon werden die Vortheile einer verbes- serten Psychologie, indem wir auf die Pädagogik zurück- kommen. Zwar bin ich sehr weit entfernt, irgend welche Theile der Erziehungspraxis im Detail nach psycholo- gischen Grundsätzen allein bestimmen zu wollen. Das Detail hängt immer, unmittelbar und zunächst, grossen Theils von Beobachtung, Versuch und Uebung ab. Der Erzieher muss Gewandtheit besitzen, um sich nach dem Augenblick richten und schicken zu können, er darf sich überall keiner ganz bindenden Vorschrift hingeben. Aber er muss doch im Voraus überlegt haben, was er vorneh- men wolle. Er muss einen Plan mitbringen ; und er muss verstehen , zu beobachten. Nun hängt zwar der pädagogische Plan ursprünglich ab von der Vestsetzung des Zwecks der Erziehung; und diese von der praktischen Philosophie. Allein sobald man dem Werke auch nur in Gedanken näher treten will, ist es unvermeidlich, zur Psychologie sich zu wenden. In denjenigen pädagogi- schen Werken, welche hierbey die Abtheilung der See- lenvermögen verfolgen, wird man bemerken, wie ihre Vorschriften, auch die vortrefflichsten, in einer gewissen Breite aus einander fliessen; so dass nach allen Einzelnhei- ten immer noch die Bürgschaft für das Gelingen des ganzen Geschäfts vermisst wird. Es kann nicht anders seyn. Erscheint einmal der menschliche Geist als ein Aggregat von Seelenvermögen, so muss die Lehre von der Bildung desselben auch ein Aggregat von Rücksich- ten, von Bedenklichkeiten und Warnungen, von Rath- schlägen allerley Art, werden; bey denen man fürchtet, eins über dem andern zu vergessen oder zu verletzen, und nirgends solche Stützen findet, auf die man sich mit einiger Zuversicht lehnen könnte. Welches ist denn aber der wahre Mittelpunct, von wo aus die Pädagogik kann überschauet werden? Es ist der Begriff des sittlichen Charakters, nach sei- nen psychologischen Bedingungen erwogen . Die Psychologie für sich allein würde auf diesen Begriff nie- mals kommen, ausser in wiefern der sittliche Charak- ter, der sich selten einmal deutlich und stark ausge- prägt in der Erfahrung findet, für sie ein Phänomen ist wie die andern alle. Daher muss man sich die Betrach- tung des sittlichen Charakters in psychologischer Hinsicht erleichtern durch die vorbereitende Erwägung eines sehr allgemeinen Phänomens, des Charakters überhaupt. Denn dahin bringt der psychologische Mechanismus die Mehr- zahl der Menschen, dass gewisse Hauptbestrebungen sich bey ihnen bevestigen, und dass die schwächeren vor je- nen, als den stärkeren, zurückweichen. Der Hauptbestre- bungen können jedoch mehrere seyn, die in verschie- denen Vorstellungsmassen ihren Sitz haben, und die entweder zusammen oder wider einander wirken; ein äu- sserst wichtiger Gegenstand für die Erziehung, und be- sonders darum, weil sie sittliche Erziehung seyn soll. Denn gewöhnlich hat der Mensch für das Sittliche ge- wisse eigne Vorstellungsmassen, die sich bey ihm ausbil- den, indem er sich selbst zum Gegenstande seiner Beob- achtung und Kritik macht. Nun hängt aber der Cha- rakter von allen stärkeren Vorstellungsmassen und den in ihnen begründeten Bestrebungen zusammengenommen ab. Daher darf keine solche Masse der Sorgfalt des Er- ziehers entgehn. Diejenigen, welche ohne sein Zuthun entstanden, muss er bearbeiten, aber besonders muss er bemüht seyn, möglichst starke und planmässig erzeugte Vorstellungsmassen selbst in das Gemüth seines Zöglings zu bringen; von solcher Beschaffenheit, dass sich in ihnen nach dem psychologischen Mechanismus Bestrebungen entwickeln, die entweder selbst von sittlicher Art sind, oder doch dem Sittlichen in der Ausführung zu Hülfe kommen. Hierzu findet sich die wichtigste und schönste Gelegenheit im Unterrichte; so dass auf diese Weise die Unterrichts-Lehre mit der von der Zucht sehr genau zu- sammenhängt. Es ist sogar bequem für die Darstellung der Pädagogik, die Unterrichts-Lehre voranzustellen, und die unmittelbaren Rücksichten auf die Charakter-Bildung nachfolgen zu lassen. Denn die Verwickelung der letzte- ren wird zu gross und zu schwer zu überschauen, wenn man nicht hierbey aus der Unterrichts-Lehre manches als bekannt voraussetzen kann. Nur wird es alsdann noth- wendig, in der Begründung der Vorschriften zum Unter- richte einiges noch zu verschweigen, was erst durch die Beziehung auf die sittliche Bildung sein volles Licht er- halten soll. Nach diesen kurzen Erläuterungen werden vielleicht einige Leser sich leichter in den Plan meiner allgemei- nen Pädagogik finden, von dem mir bekannt ist, dass er nicht bloss öffentlichen Gegnern, sondern auch andern Personen, hauptsächlich freylich aus Unbekanntschaft mit meinen psychologischen und ethischen Grundsätzen, dun- kel geblieben war. Für die Uebertreibung, als sollte oder könnte der Zögling ganz und gar ein Geschöpf des Er- ziehers werden, — während die menschliche Seele, streng genommen, sogar jede einfache Empfindung aus sich selbst erzeugt, und überdies die Erfahrung, die Familie, und der Staat, unaufhörlich den Menschen miterzieht, endlich der Werth des Menschen schlechterdings nur von der Frage abhängt, was er ist, und nicht im Ge- ringsten von der andern Frage, wie er es wurde; — für jene Uebertreibung mögen Diejenigen, von denen sie her- rührt, sich selber gebührend zur Rechenschaft ziehn. Am wichtigsten endlich ist der Einfluss, welchen von einer besseren Psychologie das gesammte philosophische Studium zu erwarten hat. Hier kommt es nicht darauf an, neue psychologische Principien denjenigen Disciplinen unterzulegen, die bisher gewohnt waren, sich bey der Psychologie Rath zu hoh- len. Dadurch würde man nur auf andre Weise den alten Fehler erneuern. Gerade die einzige Naturphilosophie, oder Kosmologie, die sich am wenigsten um Psychologie bekümmert, ja gar in den neuesten Zeiten Miene gemacht hat, dieselbe unter ihre Oberaufsicht stellen zu wollen, sie allein bedarf, den Begriff der innern Bildung ein- facher Wesen vorzufinden , den ihr die menschliche Seele, in dem einzigen, unserer Kenntniss zugänglichen Beyspiele, darbietet. Die andern philosophischen Wis- senschaften, Logik, Ethik, allgemeine Metaphysik, haben Befreyung nöthig von der Vormundschaft, unter der sie widerrechtlich gehalten wurden. Ihnen wird es nützlich werden, wenn auch nur die Seelenlehre als ein strei- tiger Gegenstand ausser Stand gesetzt wird, auf sie einzuwirken. Sie werden sich alsdann ihrer eignen Kräfte erinnern; jede wird, wie sie füglich kann, sich selbststän- dig hervorarbeiten. Und in dieser Hinsicht mögen im- merhin die psychologischen Meinungen sich theilen, ja man mag immerhin Klage führen über die Verwirrung die daraus entspringe. Die Ordnung kann sich von je- nen andern Puncten her wieder einfinden; denn Logik, Ethik, und allgemeine Metaphysik haben eigenthümliche Principien; und jeder von ihnen ist eine eigne und be- sondre Art angemessen diese Principien zu behandeln. Und wenn jede nach ihrer Weise ihre Schuldigkeit er- füllt, dann gerade werden auch die physiologischen Strei- tigkeiten am leichtesten zur rechten Entscheidung ge- langen. Allein wir dürfen nicht vergessen, dass es mit der Ausbildung der Wissenschaften auch auf dem Wege eines psychologischen Mechanismus einhergeht. Die Wirkung einer Wissenschaft auf die andern richtet sich bey weitem nicht bloss darnach, ob ausdrücklich aus je- ner, Principien und Lehnsätze für diese entnommen wer- den. Sondern es giebt einen geheimen, einen uuwill- kührlichen Einfluss der Rücksichten, die man im Stillen sich zu nehmen gezwungen fühlt. Manche sind so sehr an die Seelenvermögen gewöhnt, dass diese Undinge, ob- gleich an sich ohne alle Realität, doch gleich realen Kräften wirken, indem sie als Vorurtheile und Meinun- gen, in jenen Köpfen eine starke Herrschaft ausüben. Viele Personen können gar nicht anders denken, als in- dem sie sich daran lehnen; sie können es eben so we- nig, als sie zu unterlassen vermögen ihr Denken durch die Worte der Muttersprache im Stillen zu begleiten. Hier würde es nichts helfen, zu protestiren gegen die unerlaubte Einmischung; die falsche Gedankenverbindung würde dennoch in aller Kraft fortwirken. Eine andre Theorie allein, die den Platz für sich in Anspruch nimmt, welchen der Irrthum usurpirte, diese kann Hülfe schaf- fen. Nämlich für den, der aufrichtig die Wahrheit ver- ehrt; und bereit ist, sich auf Verbesserung seiner Ein- sichten einzulassen. Ein solcher wolle ja nicht vorschnell seine bisherige Vorstellungsart aufgeben, und eine neue dafür eintauschen. Er wolle nur erst von der neuen An- sicht Kunde nehmen, und sie sich als eine andre mög- liche Denkart gefallen lassen. Dadurch wird er den gro- ssen Gewinn erreichen, allmählig freyer zu werden von dem Zwange der Vorurtheile, die ihn bisher beherrsch- ten. In dem Maasse, wie durch sorgfältiges Studium der ihm entgegenstehenden neuen Lehre diese Freyheit wächst, wird er fähig werden die Prüfung sowohl des Alten als des Neuen zu beginnen. Und in dem Maasse der Thä- tigkeit seines eignen Denkens wird er nun mit sich über- legen, ob etwan beyderley Theorien sich nur gegenseitig die Blössen aufdecken? so dass eine dritte die wahre seyn müsse? Oder ob wirklich überzeugende Gründe auf einer von beyden Seiten vorhanden seyen? — Wenn nun auch das Endurtheil hierüber noch schwankt und schwebt: so ist dennoch eine solche Zeit, während welcher neue Gedanken auch nur als mögliche Vorstel- lungsarten die Gemüther beschäfftigen, eine Zeit vermehr- ter Thätigkeit und schärferer Prüfung für alle jene Wis- senschaften, die man jemals mit dem in Untersuchung stehenden Gegenstande in Verbindung zu denken gewohnt war. Auch für diese erheben sich neue Versuche, und es entdecken sich bisher übersehene Hülfsmittel. Angenommen endlich, was zu betheuern so unschick- lich als unnütz wäre, dass die in diesem Buche vorge- tragenen Grundsätze Wahrheit enthalten, so steht zu hoffen, erstlich, dass diese Wahrheit ihre Unbiegsamkeit einen Jeden werde fühlen lassen, der sie wider ihre Natur würde behandeln wollen; zweytens, dass mancher Irrthum daran scheitern werde, theils von den vorhandenen, theils von den im Entstehen begriffenen. Die Kenntniss des psychologischen Mechanismus lässt uns den Standpunct begreifen, von wo aus wir die Dinge in der Welt be- trachten; sie leistet gerade das, was jene an der unrech- ten Stelle suchten, die aus gewissen ursprünglichen Schran- ken des Erkenntnissvermögens die Bedingungen des mensch- lichen Wissens einzusehen gedachten. Nun beruhet zwar die Metaphysik nicht auf der Psychologie; aber sie findet darin ihre Bestätigung, gleichsam ihre Rechnungsprobe; dergleichen für die Vestigkeit der Ueberzeugung oft nicht minder wichtig ist, als die Principien selbst. Und auch für diejenigen, denen die psychologischen Resultate frü- her bekannt werden, als sie zu einer vollständigen Ein- sicht in den Zusammenhang derselben mit den metaphy- sischen Gründen durchdringen, ist ein Hülfsmittel vor- handen, wornach sie sich orientiren, wodurch sie vorläufig einmal wahre Meinungen fassen können, eine oft sehr nützliche Vorbereitung zum gründlichen Wissen. Denn, wie sehr es auch die Eigenliebe kränken mag, die Welt wird weit mehr durch die Meinung regiert, als durch die Einsicht Es hat Leute gegeben, die nicht laut genug ausrufen konnten: die Welt werde durch Ideen regiert. Sie benahmen sich dabey unge- fähr so klug, wie Einer, der seine Träume erzählt, während verschie- dene Personen umherstehn, die abergläubig genug sind, sich die Vision jeder nach seinem Interesse auszulegen. ; und diejenige Welt, von der ich hier rede, ist keine andre, als das Deutsche philosophirende Publi- cum. Dieses hat das Unglück gehabt, in den letzten De- cennien weit von der Wahrheit abzukommen; ungefähr in demselben Verhältniss weiter, als es an kecken Phan- tasien mehr Geschmack fand, und sich vom methodischen Denken mehr entwöhnte. Die einzige Bedingung, unter der ihm kann geholfen werden, ist, dass zuerst sein Mei- nungskreis eine fühlbare Veränderung erfahre; und, da noch immer, es werde nun eingestanden oder nicht, ver- möge der gesammten Hauptrichtung aller neuern Philo- sophie, die Seelenlehre den eigentlichen Mittelpunct die- ses Meinungskreises ausmacht, so kann auch noch am ersten von diesem Puncte aus die Veränderung beginnen, wenn schon derselbe im wissenschaftlichen Zusammen- hange kein Anfangspunct ist. Damit ist nicht gesagt, dass die Verbesserung gewiss, dass sie wohl gar bald erfol- gen werde. Der gute Wille, der entgegen kommen muss, findet sich zuweilen erst mit der Zeit; zuweilen gar nicht. Man hat wohl von Erfindungen gehört, die in Deutsch- land gemacht, und vergessen waren; nachmals aber vom Auslande hereingehohlt wurden; welches denn einigen fleissigen Literatoren Gelegenheit gab, in veralteten Bü- chern die vergessene Spur, und damit einen neuen Be- weis aufzufinden, dass ein gedeihliches Zusammenwirken der Kräfte zu Einem Zweck, nirgends in der Welt we niger darf erwartet werden, als in dem auf alle Weise gespaltenen Deutschland. Soll es nun mit Gegenständen des philosophirenden Denkens eben so gehn: so wird es freylich lange währen, ehe für die einheimische Nachläs- sigkeit Ersatz vom Auslande ankommt; denn bekanntlich philosophirt man heut zu Tage in den übrigen Ländern der Erde wo möglich noch weniger und noch schlechter als in unserm Vaterlande. Allein wir Deutschen sind im Begriff, so manches Grössere zu bessern, oder herzustellen, dass auch in wis- senschaftlichen Dingen der Schluss von den verflossenen Zeiten auf die folgenden nicht einmal wahrscheinlich ist. Ich wage demnach auf die Möglichkeit zu hoffen, dass aus meinen sorgfältigen und langjährigen Untersuchungen das Publicum einigen Stoff zu wahren Meinungen her- ausfinde; und dass irgend einmal diese wahren Meinun- gen auch bey gründlicher Prüfung in wirkliche Einsich- ten übergehn werden. Es ist auch möglich, dass diese in der That sehr eingeschränkten Erwartungen übertroffen, ja dass sie weit übertroffen werden. Entweder indem ein glücklicher Eifer sich der von mir dargebotenen Anfänge bemeistert, und schnell aus ihnen ein wissenschaftliches Ganzes schafft. Oder indem ein grösserer Geist erscheint, und ungeahn- dete Belehrungen mittheilt, wodurch eine neue Bahn er- öffnet wird. Lange habe ich in früheren Jahren nach einer solchen Erscheinung ausgesehen; und erst spät den Gedanken ertragen gelernt, dass ich meinen eigenen Ver- suchen überlassen sey. Worauf ich lange vergebens ge- harret, das ist darum nicht unmöglich geworden. Früh oder spät findet vielleicht die Psychologie ihren Newton . Ihm gebührt es alsdann, den Einfluss dieser Wissen- schaft auf die andern nicht bloss in Worten auszudrücken, sondern durch die That vor Augen zu stellen. Gedruckt bey August Wilhelm Schade in Berlin . Verbesserungen . S. 27. Note Z. 1. von unten statt , , , lies , , , S. 36. Z. 9. v. u. statt Vosbereitung lies Vorbereitung. — 68. Z. 9. v. o. st. unreimlichen l. unräumlichen. — 83. Z. 13. v. u. st. des Puncts ein Comma. — 102. letzte Zeile, fehlt vor also ein Semikolon. — 133. Z. 5. v. o. st. α , b, c, l. a, b, c. — 134. Z. 10. v. o. st. Geschehenen l. Gesehenen. — 195. Z. 8. v. o. st. Erkenntniss — Begriffen l. Erkenntnissbegriffen. — 217. Z. 6. v. u. st. nur l. nun. — 221. Z. 17. v. o. st. aufgerichtet l. aufgereihet. — 224. Z. 8. v. o. st. Zeitlichen l. Zeittheilchen. — 278. Z. 12. v. u. st. würde l. wurde. — 281. Z. 13. v. o. st. Vornehmens l. Vernehmens. — 284. Z. 14. v. o. st. als l. auf. — 290. Z. 7. und S. 442. Z. 3. v. u. st. Niemanden l. Niemandem. — 305. Z. 5. v. u. st. zweifeln l. zweifele. — 321. Z. 1. v. u. st. Dennoch l. Demnach. — 344. Z. 1. v. o. hinter Mond ist als Parenthese einzuschalten: ab- gesehen vom erforderlichen Fortrücken des Fernrohrs . — 385. Z. 7. v. u. statt: Das Unendliche wird nun das Erste, lies: Das Unendliche wird nun das Früheste, und darum das Erste; indem die Vorstellungsreihe sich umkehren soll . — 386. Z. 17. v. u. statt können lies könne. — 456. Z. 3. v. u. st. Zu l. In. — 507. Z. 6. st. auf l. auch. Zusatz : Ein Kritiker hat gemeint, der erste Theil dieses Werks gebe eine Grundlegung ohne allen Grund; weil der Verfasser sei- nen eignen Grundsatz, auf den er Alles baue, selbstgleich von vorne herein für falsch erkläre . — Die Antwort ist: Statt Grundsatz lies Grund-Begriff , (der mit Wahrheit und Falschheit der Sätze und Urtheile Nichts gemein hat;) und statt für falsch erklären lies: für ein Phänomen erken- nen, das kein Reales seyn kann . Dergleichen sinnstörende Druckfehler bittet man künftig vor dem Schrei- ben zu verbessern.