Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften, Zur Verbesserung des Urtheils und des Wizes in den Wercken der Wolredenheit und der Poesie. Zweytes Stuͤck. Zuͤrich, Bey Conrad Orell und Comp. 1741. Nothwendiges Ergaͤntzungs-Stuͤcke Zu der Schutz-Vorrede Hrn. Dr. Tr ⁎ ll ⁎ rs Vor seinem neuen Aesopischen Fabelwercke/ Durch einen gluͤcklichen Zufall mitten aus dem Verderben errettet, Und den Verehrern der Tr ⁎ ll ⁎ rischen Muse Mitgetheilet von einem ihrer Schweitzerischen Zunftgenossen. ‒ ‒ ‒ ‒ Ridiculum acri Fortius ac melius magnas plerumque secat res. HORAT. 1740. Stuͤcke der Schutzvorrede Historische Nachricht. N Jemahls hat ein so treffliches Fragmen- tum von einem noch neuen Buche ein seltsameres Schicksal erlitten, als das gegenwaͤrtige Stuͤcke der Vorrede zu den Fabeln Hrn. D. Tr-ll-rs, welches ich das Gluͤck habe zum Ruhme dieses vornehmen Dichters an das Licht zu stellen, und damit ein Werck zu ergaͤntzen, welchem die groͤsten Kenner mit ungedultiger Hoffnung schon ent- gegengesehen hatten, da es noch in dem frucht- baren Gehirne seines Verfassers als in seiner Gebaͤhrmutter verschlossen gelegen war; ein Werck, das minder aus einem natuͤrlichen Triebe geflossen, als durch so viele liebreiche Erinnerungen und maͤchtige Befehle grosser Goͤnner und Freunde dem Verfasser gleich- sam durch einen Nothzwang abgedrungen worden, und welches ohne den gluͤcklichsten Zufall und meine besondere Neigung der ge- lehrten deutschen Welt zu dienen, auf immer unvollkommen geblieben waͤre. Jch versehe mich, daß ich meinen Lesern, bevorab denen, die sich um Hrn. D. Tr-ll-rs Ruhm und Schriften eben so sehr bekuͤmmern, als ich, einen Gefallen erweisen werde, wenn ich ih- nen fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. nen erzehle, wie mir dieses Fragmentum in die Haͤnde gefallen sey. Die Freude theilet sich gerne mit, und sie duͤncket sich nicht groß genug, wenn sie keine Zeugen hat. Jch er- hielt ungefehr vor einem Monath ein Paͤck- gen von Canaster und andren kleinen Wah- ren, die ich durch einen Kaufmann von der Leipziger Michelismesse hatte bestellen lassen. Dieselben waren mit allerley gedruͤckten Bo- gen umwunden, und darunter war ein ein- ziger halb uͤberschriebener, welcher diesen un- erkannten Schatz in sich enthielt. Die fran- zoͤsischen und deutschen Verse, die mir gleich beym ersten Anblick in die Augen fielen, rei- zeten mich, daß ich den Anfang dieser Schrift mit einem fluͤchtigen Auge durchlief. Die er- baͤrmliche Klagen und hertzbrechende Seuf- zer brachten mich auf die Vermuthung, der Verfasser derselbigen werde gewiß die Eyer verschuͤttet haben, und die Schuld auf den harten gepflasterten Boden legen wollen. Als ich aber aus dem Verfolge deutlich er- kannte, daß es eine Schutzschrift fuͤr den Hrn. D. Tr-ll-r und seine Fabeln waͤre, stuhnd ich gantz betreten, ob ich die Ver- messenheit desjenigen, der diese Schutzschrift veranlasset hat, mehr verabscheuen, oder den uͤberzeugenden Nachdruck dieser critischen Rechtfertigung mehr bewundern sollte; doch nach einer kleinen Ueberlegung wollte mich be- A 2 dun- Stuͤcke der Schutzvorrede duncken, daß ich diese so geistreich siegende Schrift (die man den Triumphbogen des Tr-ll-rischen Ruhms nennen koͤnnte) der Verwegenheit des Schweitzerischen Kunst- richters eben so wohl zu dancken haͤtte, als sich Joseph ehmals vor seine Erhoͤhung in Egypten seinen treulosen Bruͤdern verbunden gesehen. Das Verbrechen des Schweitzers, der sich an dem Ruhm unsers deutschen Eso- pus so vermessen vergriffen hatte, kam mir nun gantz ertraͤglich vor, wann ich mir vor- stellete, daß die Welt ohne dasselbe, dieses vortreffliche Muster einer critischen Verthei- digung vermissen wuͤrde, und daß der Ruhm des deutschen Fabeldichters bey weitem nicht mit einem so hellen Glantz hervorstechen wuͤr- de, wenn er nicht durch den Schatten, wel- chen die neue critische Dichtkunst darauf ge- worfen, waͤre erhoͤhet worden. Jch konnte mir zwar anfaͤnglich gantz nicht einbilden, daß dieses ein Original-Manuscript waͤre. Das Gluͤck schien mir zu groß, und nicht vor mich aufbehalten, daß ich durch Erhaltung desselben zu dem Ruhme dieses unverbesserli- chen Dichters und seiner Wercke nur das we- nigste beytragen sollte. Sollte es wohl moͤg- lich seyn, gedachte ich bey mir selbst, daß ein so herrlicher critischer Versuch, den nie- mand ohne Bewegung lesen kan, der schar- fen Nachfrage der Deutschen sollte entgan- gen, fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. gen, und bis an den Fuß der Schweitzeri- schen mit ewigem Schnee bedeckten Alpge- buͤrge verschlagen worden seyn? Oder wer koͤnnte glauben, daß in dem geschickten Leip- zig ein so kostbarer Schatz auf eine so schnoͤde Weise sollte entweihet, und zur Ueberklei- dung etlicher Rollen Tabacks gemißbraucht worden seyn, eh und bevor er noch unter der Presse etliche tausendmahl multiplicirt wor- den? Der Beschluß dieses Fragmenti schien mich auf die Vorrede der neuen Auflage der Tr-ll-rischen Fabeln zu verweisen. Jch stuhnd in der sichern und gaͤntzlichen Beredung, daß ich daselbst mein Manuscript nett und rein abgedruͤckt finden wuͤrde; alleine da ich die- selbe mit zitternder Begierde durchblaͤtterte, fand ich nichts darinnen, das dem Jnnhalt meines Manuscriptes aͤhnlich war, ausge- nommen einige dunckle Spuren, die mich errathen liessen, daß etliche schlechte toben- de Neider und schaͤumende Verlaͤumder sich gegen den unverbesserlichen deutschen Poeten aufzulehnen, sich muͤßten vermessen haben; er thut derselben hin und wieder mit vieler Sanftmuth und Bescheidenheit Meldung, unter den Titeln unreiffer Kluͤglinge, neu entstandener tiefsinniger Fabelrichter, fre- cher und boßhafter Splitterrichter. Alleine auf wen diese Geheimnißreiche und verbluͤmte Titulatur nach der Absicht des Verfassers A 3 pas- Stuͤcke der Schutzvorrede passete, stuhnd nicht dabey, und niemand haͤtte solches ohne eine vertraͤuliche Offenbarung er- rathen koͤnnen. Es heißt auch hier, quod omnibus dicitur, nulli dicitur. Als ich an mei- nem wenigen Orte diese Vorrede das erste mahl gelesen, hielt ich diese respective to- bende Neider und schaͤumende Verlaͤumder fuͤr pure Entia Rationis, die der Verfasser durch eine prophetische Begeisterung sich als gegenwaͤrtig vorgestellet haͤtte, weil er wohl vorsehen koͤnnen, daß das besondere Gluͤck, welches ihm den Ruhm eines unverbesserli- chen Poeten erworben hatte, ihm nothwen- dig Neid erwecken muͤßte. Allein seit dem mir das besagte Fragmentum zu Gesichte ge- kommen, sehe ich mich genoͤthiget, diese er- sten Gedancken zu wiederruffen, massen das- selbe den Schluͤssel in sich enthaͤlt, vermittelst dessen wir diese tobenden Neider und schaͤu- menden Verlaͤumder mit ihren Nahmen ent- decken koͤnnen, die sonst auf immer verbor- gen, und also auch ungestraft, geblieben waͤ- ren. Jn der Ungewißheit, was ich aus mei- nem Manuscript machen sollte, fiel mir in den Sinn daß mir vielleicht der Hr. von Boͤh- lau, der geheimste Schuͤler des grossen Tr-l- l-rs, auf die rechte Spur helfen koͤnnte: Jch zog daher seine poetischen Jugend-Fruͤchte zu Rath, die erst dieses Jahr ans Licht ge- treten, und die Hr. D. Tr-ll-r mit einer Vor- fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. Vorrede versehen, worinnen er die empfan- gene Hoͤflichkeiten mit einem poetischen Rauch- opfer freygebig erwiedert hat; aber auch all- da konnte ich in meinem Zweifelmuth wenig Trost finden, und als ich auf die Zeitrech- nung Acht schlug, befand es sich, daß diese poetische Jugend-Fruͤchte schon im Fruͤh- ling, hiemit zu einer Zeit an das Licht getre- ten waren, ehe noch diese beyden hoͤflichen Dichter an dem suͤssen Genuß eines sanfte ki- zelnden Lobeswechsels gestoͤret worden; denn das Toben des Schweitzerischen Neiders und schaͤumenden Verlaͤumders war zu derselbi- gen Zeit noch viel zu schwach und leise, als daß es bis nach Leipzig und Hamburg haͤtte durchdringen moͤgen. Je weniger ich nun fuͤr meine erste Mei- nung, daß dieses Manuscript schon gedruͤckt seyn muͤßte, einigen Grund fand, desto mehr wuchs die Vermuthung bey mir, daß es vielleicht noch gantz frisch und ungedruͤckt waͤre: Als ich dasselbe hierauf mit mehrerm Bedacht, als das erste mahl, uͤberlas, ver- wandelte meine Muthmassung sich in eine un- gezweifelte Versicherung, ich befand, daß dieses geschriebene Stuͤcke unfehlbar zu der Vorrede des neuen Tr-ll-rischen Fabel-Buchs muͤßte gewiedmet gewesen, und davon un- barmhertziger oder zufaͤlliger Weise abgeris- sen worden seyn; allermassen es keine andre A 4 Ab- Stuͤcke der Schutzvorrede Absicht hat, als das Gespoͤtte des Schwei- zerischen Verfassers der neuen Critischen Dichtkunst uͤber Hrn. D. Tr-ll-rs Untersu- chung von der Natur der Fabel, und uͤber ein Duzt Beyspiele, die sich in dem An- hange seiner Gedichte befinden, und die in dieser neuen Sammlung unveraͤndert beybe- halten worden, mit Glimpf und Ernst abzu- fertigen. Also blieb mir allein uͤbrig, zu entdecken, auf welcher Stelle diese Schutz- schrift mit dem gantzen Coͤrper der Vorrede erstlich in einem Zusam̃enhang gestanden haͤt- te, hernach davon abgeloͤßt worden waͤre. Jch muß auch gestehen, daß die Wunde, wel- che man durch die Abloͤsung dieser Riebe ge- schlagen hatte, so schoͤn und kunstmaͤssig zu- geheilet worden, daß ich diesen Mangel ei- nes so schoͤnen Glieds ohne die Huͤlffe meines Manuscripts niemahls haͤtte vermuthen koͤn- nen; denn die Vorreden sind gemeiniglich, wie die vielgebeinten Jnsecten, denen man es nicht so bald ansiehet, wenn sie schon etwann einen Schenckel verlieren. Aber da mir nun das von dem Coͤrper der Vorrede abgeson- derte Glied wircklich vor Augen lag, so war es mir ein gar leichtes die Stelle zu finden, von welcher es abgeloͤset worden. Jch sahe nemlich, daß diese Vorrede mit den Thomi- sten und Occamisten ploͤtzlich endet, nachdem zuvor die Nutzbarkeit der Fabeln mit des gros- sen fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. sen Luthers Zeugnisse und Exempel hinlaͤng- lich erwiesen worden; und daraus konnte ich mit sattsamem Grund abnehmen, dem sonst beredten Vorredner muͤßte durch einen gewissen Zufall das Wort in dem Munde er- stecket worden seyn, daß er nicht weiter fort- kommen koͤnnen, daher ihm der scharfsinnige Balthasar Schupp das Wort abnehmen, und die Vorrede beschliessen muͤssen; ohne wel- ches sie noch bis auf diesen Tag zwar aufhoͤ- ren, aber ohne Ende seyn wuͤrde. Und wie trefflich schicket sich nicht auf den Usum Insti- tutorium der Usus elencticus? Jch rathe also allen denen, die sich Hrn. D. Tr-ll-rs neue Esopischen Fabeln angeschaffet haben, daß ein jeder in seinem Exemplare die Worte „ diese Vorrede beschliessen „ durchstreiche, und an dem Ende derselben Cetera desunt hin- zusetze; mithin sich mit dem gegenwaͤrtigen Anschlusse so lange behelffe, bis die neue Auf- lage von diesen Tr-ll-rischen Fabeln heraus- kommen wird, in welcher alle unvermeidli- chen Fehler sollen angezeiget nnd gruͤndlich verbessert werden, ungeachtet es eine schwe- re Arbeit ist, unvermeidliche Fehler zu ver- bessern. Sie koͤnnen auch zuverlaͤssig versi- chert seyn, daß sie nicht Jahre und Tage auf diese neue verbesserte Auflage werden war- ten muͤssen, denn der Vorredner sagt aus- druͤcklich, man wird dieselbe, trotz allen fre- A 5 chen Stuͤcke der Schutzvorrede chen Widerspruͤchen boßhafter Splitterrich- ter, ehestens zu hoffen haben, wenn an- ders die geneigten Versicherungen gelehr- ter Kenner und Goͤnner nicht truͤgen, die schon schriftlich eingelauffen. Wer kan aber besser wissen, was Hr. D. Tr-ll-r im Sinn hat, als sein Vorredner? Und wie sollten die eingelaufenen schriftlichen Versi- cherungen gelehrter Kenner und Goͤnner truͤ- gen koͤnnen? Es wird ja der Hr. Doctor nicht glauben, daß sie ihn durch ihre Com- plimente und Lobspruͤche vexieren duͤrfen. Diesemnach ist mit Grund zu vermuthen, daß kuͤnftigen Fruͤhling diese neue von unvermeid- lichen Fehlern gereinigte Auflage durch ge- neigten Vorschub dieser gelehrten Kenner und Goͤnner gewiß zum Vorschein kommen wer- de: Und darum muß ich alle diejenigen, wel- che die Esopischen Fabeln von dieser Auflage noch nicht gekauft haben, treulich warnen, daß sie sich damit nicht uͤbereilen, sondern schauen, wie sie sich noch diesen Winter uͤber gedulden, und womit sie sich sonst die Zeit verkuͤrtzen koͤnnen. Bey diesem allem kam es mich uͤberaus schwer an, mich in diesen unvermutheten Gluͤckesfall zu schicken, und ich konnte mich nicht eher zufrieden geben, bis ich denselben, und die Art, wie es damit zugegangen, ge- nauer uͤberleget und ausgekundschaftet hatte. Jch fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. Jch quaͤlete mich eine geraume Zeit mit hun- dert Muthmassungen und Wahrscheinlichkei- ten, wie es moͤchte gekommen seyn, daß dieses wichtige Stuͤcke der Vorrede alleine ungedruͤckt geblieben, da es doch des Drucks eher als alles uͤbrige wuͤrdig geschienen. Jch konnte von mir nicht erhalten zu glauben, daß der Hr. D. Tr-ll-r seiner und seines er- worbenen Ruhms so weit haͤtte vergessen, und gestatten koͤnnen, daß seine Neider und Verlaͤumder ungestraft uͤber ihn triumphier- ten; diese Vertheidigungsschrift selbst laͤßt niemand zweifeln, daß es nicht ein rechter Ernst bey ihm gewesen, mit seinen Feinden eine Lanze zu brechen; und gesezt, daß sein grosses und dabey sanftmuͤthiges Hertz dieses alles haͤtte verdauen koͤnnen, so ist diese Schutzschrift an ihr selbst und nach ihrem in- nern Werth betrachtet, so wohl gerathen, daß ich nicht begreiffen kan, wie der Hr. Doctor, ohne die groͤste Ungerechtigkeit zu begehen, in die Unterdruͤckung dieses vor- nehmen Stuͤcks seiner Vorrede jemahls haͤtte einwilligen koͤnnen. Jch an meinem Ort halte es vor ein rechtes Meisterstuͤcke in der pathetischen Schreibart, und ich getraue mir ohne Schmeicheley zu sagen, daß Hr. Tr-ll-r noch nichts mit solchem lebhaften und unge- kuͤnstelten Feuer geschrieben habe, und ich zweifle ob Deutschland etwas in dieser Art Schrif- Stuͤcke der Schutzvorrede Schriften aufzuweisen habe, das mit diesem in einige Vergleichung komme. Fast aus gleichmaͤssigen Ueberlegungen konnte ich nicht glauben, daß seine Freunde, diejenige nem- lich, die seinen Ruhm vor allen Anfaͤllen zu bewahren sich von Hertzen angelegen seyn las- sen, sich sollten vermessen haben, dieses nam- hafte Stuͤcke seiner critischen Einsicht ohne sein Vorwissen zu unterschlagen; sie konnten ja wohl gedencken, daß dieses ihr Beginnen nicht verborgen bleiben koͤnnte, und daß sie sich dadurch nothwendig eines geheimen Ver- staͤndnisses mit seinen geschwornen Feinden verdaͤchtig machen wuͤrden. Zuweilen woll- te mir sehr glaublich scheinen, daß diese Ver- stuͤmmlung der Tr-ll-rischen Vorrede und Beraubung eines ihrer ansehnlichsten Glie- der fuͤr eine Wuͤrckung des boshaften Neids seiner Feinde zu halten sey; alleine diese Wahrscheinlichkeit verschwand so gleich, wenn ich betrachtete, daß Hr. Tr-ll-r die Sorge und Verpflegung seines Fabelwercks seinen geheimsten Freunden anvertrauet, daß es also seinen Feinden unmoͤglich gefallen waͤre, demselben beyzukommen, und ihren Muth- willen daran zu veruͤden. Als ich diese Un- schluͤssigkeit meiner Gedancken einem meiner vertrautesten Freunde eroͤffnete, wollte mich derselbe uͤberreden, diese Verstuͤmmlung waͤ- re die Folge einer mit guter Vorbetrachtung nud fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. und auf hohen Rath der obrigkeitlich verord- neten Buͤcher-Aerzte vorgenommenen Ope- ration, die an diesem Gliede eine haͤftige Entzuͤndung wahrgenommen, zu welcher der kalte Brand geschlagen, daher sie keinen bes- sern Rath gewußt haͤtten, als daß man die- ses angesteckte Glied der Vorrede abstiesse, nach einer bekannten Regel, Ense recidendum est, ne pars sincera trahatur. Alleine mein Freund wollte nicht hartnaͤckigt auf seiner Muthmassung beharren, als ich ihm uͤber- zeugende Proben von der Gelindigkeit und Gefaͤlligkeit der Herren Censoren in L.... vor Augen legete. Also mußten wir endlich diese Verstuͤmmlung einem seltsamen Spiel des Gluͤckes zuschreiben, wir befanden ein- muͤthig, daß dieser halbe Bogen in der Druͤ- kerey durch Verwahrlosung des Setzers muͤste verlohren, und aus Unachtsamkeit zu dem Kraͤmer getragen worden seyn; und da sich niemand getraut haͤtte, diesen Verlust zu ersetzen, waͤre man genoͤthiget gewesen, die Vorrede ex abrupto zu schliessen, dabey aber diesen Mangel so gut als moͤglich zu verber- gen, und inzwischen bedacht zu seyn, wie man diese Verwahrlosung beschoͤnigen, und gegen Hrn. D. Tr-ll-r entschuldigen wollte. Bey allem aber kam uns am allermerck- wuͤrdigsten vor, daß dieses verlohrne Frag- mentum viel eher in die Schweitz als anderst- wohin Stuͤcke der Schutzvorrede wohin verschlagen werden, und just demjeni- gen in die Haͤnde fallen muͤssen der den wah- ren Werth desselben zu entdecken und es von seinem so nahen Untergange zu retten wuß- te, der aus besonderer Hochachtung fuͤr Hrn. Tr-ll-r sich auch dazu verbunden erkennete. Man setze nur, daß es dem Verfasser der Critischen Dichtkunst oder einem seiner Freun- de in ihre unbarmhertzigen Haͤnde gerathen waͤre, wie grausam und unverantwortlich wuͤrden sie selbiges nicht gemißhandelt und so zugerichtet haben, daß solches aus ihren Haͤnden zu retten weder Rath noch Hoff- nung uͤbrig geblieben waͤre? Man hat schon laͤngst angemercket, daß die Gerechtigkeit unter andern Regeln, die sie in Bestimmung ihrer Straffen insgemeine beobachtet, auch dieser folget, daß sie den Menschen damit straffet, womit er gesuͤndiget hat. Jch kan mit Grund dazusetzen, daß eben dieselbe Bil- ligkeit erfordere, daß einer an dem Orte buͤsse, wo er gesuͤndiget hat. Wenn die- ses Fragmentum in Deutschland ans Licht waͤre gestellt worden, so haͤtte es bey weitem nicht die Dienste leisten und den Nutzen schaf- fen koͤnnen, den es jezo unfehlbar schaffen wird. Ein volles Jahr streicht insgemeine vorbey, ehe dergleichen Schriften wegen der Abgelegenheit in die Schweitz kommen, und unter uns bekannt werden; nun wuͤrden die- se fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. se tobende Neider und schaͤumende Ver- laͤumder auf Hrn. Tr-ll-rs Unkosten sich in- zwischen recht lustig gemachet, und uͤber sein vorgegebenes Stillschweigen ungestuͤm getri- umphiert haben. Hingegen wird jezo ihrem Muthwillen der Riegel beyzeiten vorgescho- ben, und sie werden durch die Bekanntma- chung dieser Schutzschrift so sehr in die En- ge getrieben werden, daß guter Rath bey ihnen theuer seyn wird; jedermann wird die Gerechtigkeit dieser wohlverdienten Zuͤchti- gung erkennen, und ihnen von Hertzen goͤn- nen, und sich erfreuen, daß sie endlich ih- ren Meister gefunden haben, der ihnen das Handwerck niedergeleget, und so viele unter diesem strengen Joche seufzende Seelen von dieser Critischen Tyrannie auf einmahl erle- diget hat. Neben diesem versehe ich mich auch, daß diese Herausgabe die critische Gerechtigkeit der Schweitzerischen Nation von vielem Argwohn und von einem uͤblen Ruff befreyen werde. Die Deutschen wer- den daraus erkennen, daß die wenigsten Schweitzer so leckern sind, und einen eben so eckeln Geschmack haben, als die zween Zuͤrchischen Critischen Helden, die alles nach ihrem Kopfe meistern wollen, und die eben deßwegen bey ihren Landsleuten uͤberhaupt nicht hoͤher geachtet werden, als in Ober- und Niedersachsen. Jch werde nun auch desto Stuͤcke der Schutzvorrede desto eher Glauben finden, wenn ich bey meiner Eidsgenoͤssischen Treue versichere, daß die Verdienste des Hrn. D. Tr-ll-rs um die deutsche Poesie, so wohl als die Schoͤn- heit seiner Gedichte, unter uns eben so viel Verehrer haben, als wahre Kenner sind; und man wird ins kuͤnftige den regierenden Geschmack der Schweitzerischen Nation nicht mehr, wie bisher, liebloser Weise nach dem eckeln und verzaͤrtelten Geschmacke des Zuͤr- chischen Verfassers der Critischen Dichtkunst beurtheilen. Was indessen den Werth meines Manu- scriptes, und hiemit auch den Danck fuͤr meine Herausgabe, um ein nahmhaftes ver- mehren muß, ist die Ueberzeugung, die ich bey mir selbst habe, daß dieses das Auto- graphum und das einzige Exemplar sey, wel- ches jemahls in der Welt gewesen, und daß folglich die Erhaltung oder das Ver- derben desselben lediglich in meiner Gewalt und Willkuͤr gestanden: Jch bin davon so fest uͤberzeuget, als gewiß ich bin, daß derjenige nicht gescheid handeln wuͤrde, der ein Manuscript, welches jezt unter die Pres- se geleget werden soll, durch schriftliche Co- pien bekannt zu machen suchen, das ist, der Sonnen eine Fackel anzuͤnden wollte. Und dasjenige vorausgesetzet, was ich bisdahin von dem seltsamen Geschicke dieses Manu- scrip- fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. scriptes, nicht etwann nur erdichtet, son- dern mit Grund erzehlet habe, so kan ich eben so wenig begreiffen, daß Hr. D. Tr-l- l-r von dieser Vorrede mehrere Abschriften sollte haben verfertigen lassen, als ich be- greiffen kan, daß mein Exemplar mehr als eins sey. Sollte es dennoch solche unglaubige Spoͤt- ter geben, die mich in den Verdacht fassen, und die Leute bereden wollten, als ob ich dieses Manuscript nicht auf besagte wunder- bare Weise bekommen, sondern aus Muth- willen erdichtet und Hrn. D. Tr-ll-r unter- geschoben haͤtte, so wuͤrden sie dadurch entwe- der ihre dumme Einfalt, oder ihre Boßheit augenscheinlich verrathen: Jhre Einfalt, in- dem sie sich vermaͤssen, mir etwas zuzuschrei- ben, welches ich, so wenig als sie selbst, auf eine solche Art und mit so vieler Geschicklich- keit auszufuͤhren im Stande seyn wuͤrde; Jhre Boßheit, indem sie Hrn. D. Tr-ll-r aus Mißgunst eben so vermessen dasjenige abspraͤchen, was nach aller Kenner Urtheil niemand als Hr. D. Tr-ll-r zu verfertigen geschickt gewesen. Diejenigen, die desselben moralische Ernsthaftigkeit, seine pathetische Schreibart, und seine feine Art hoͤflich und galant zu spotten, kennen, sind gegen der- gleichen verfuͤhrerischen Argwohn genugsam bewafnet; Jn Ansehung solcher aber, die B wegen Stuͤcke der Schutzvorrede wegen ihrer Leichtglaubigkeit in Gefahr ste- hen moͤchten, von dergleichen Spoͤttern ver- fuͤhrt zu werden, mache ich mich hiemit oͤffent- lich anheischig, ihnen mit ehrlichen Zeugen zu bescheinigen, daß ich dieses Manuscript von ungefehr und auf die Weise, wie ich er- zehlet habe, durch die Hand meines Kauf- manns von Leipzig empfangen habe; und ich zweifle keinesweges, wenn Hr. Tr-ll-r seine Freunde, denen er sein Manuscript an- vertrauet, und diese den Schriftsetzer, dem sie es werden uͤberantwortet haben, darum mit Ernst befragen werden, daß nicht ihre Aussage mit meiner Erzehlung uͤbereinstimmen und sie bekraͤftigen werde. Wenigstens bin ich von Hrn. Tr-ll-rs moralischer Neigung zur Billigkeit versichert, daß er mir selbst, wenn es vonnoͤthen seyn wuͤrde, mit einem oͤffent- lichen und unwidersprechlichen Zeugnisse zu Steuer der Wahrheit nicht entstehen, son- dern diese Arbeit fuͤr die seinige erklaͤren, und Siehe die Vorrede zum II. Theil seiner Gedichte. also den Verdacht von mir ableh- nen wuͤrde, als ob ich so schlimm waͤre, sol- che Kinder, die ihrem natuͤrlichen Vater boß- hafter Weise entfuͤhrt worden, in meinen Schutz zu nehmen und fuͤr die meinigen zu er- ziehen. Da ich nun diese Vorrede und Schutz- schrift des Tr-ll-rischen Fabelbuchs dem Hrn. Doc- fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. Doctor selbst, als dem wahren Verfasser zu- schreibe, muß ich die Leser erinnern, daß sie sich nicht etwann dadurch irre machen lassen, wenn sie gewahr werden, daß derselbe nicht nur in der gedruͤckten Vorrede, sondern auch in dem gegenwaͤrtigen Anhange nicht in sei- nem eigenen Nahmen, sondern in der dritten Person als von einem andern redet; denn dieses geschiehet nur aus einer poetischen De- muth und Bescheidenheit, damit es nicht das Ansehen habe, als ob er sich selbsten lobe, von dieser Eitelkeit ist seine großmuͤthige See- le himmelweit entfernet, allermassen wir uͤber- zeugende Proben davon haben, zum Exempel da seine Lobredner sich selbst oͤffentlich Siehe die Vorrede zum I. Theil seiner Gedichte. be- klagen muͤssen, er sey auf sie recht boͤse wor- den, und habe es ihnen nicht verzeihen wol- len, daß sie die Wahrheit so deutlich von ihm gesagt haben. Viele Vorredner unsrer Zei- ten loben die Wercke ihrer Helden mit einer Niedertraͤchtigkeit und Unverschaͤmtheit, wel- che man kaum einem Verleger zu gute halten kan. Ein gewisser geistreicher Mann hat das laͤcherliche Thun dieser Leute in einem sinnrei- chen Bild sehr artig vorgestellet; er hat ge- sagt: „Dergleichen Vorsprecher und ihre „Verfasser scheinen mir eben so laͤcherlich „als jener welsche Marcktschreyer, der mit „einem tiefsinnigen Ernst auf einem alten B 2 „Rosse Stuͤcke der Schutzvorrede „Rosse einherzutraben pflegte, und einen „Knaben voran lauffen ließ, der dem sich „versammelnden Poͤbel mit heller Stim- „me verkuͤndigen muste, daß sein Herr und „Meister, das Wunder seiner Zeit, der „Phoͤnix der Aerzte, die Sonne der Wis- „senschaften, ein unsterblicher Erhalter des „menschlichen Geschlechtes, der Bezwinger „aller Kranckheiten u. s. w. sey. Zu wel- „chem allem der Zahnarzt uur seinen Bart „streichelte, und zu Zeiten zu den Umste- „henden nur dieses sagte: Der Knabe „spricht nichts als die wahrheit: Jch ruͤh- „me mich nicht; aber er kennet mich.„ Alleine unser Hr. D. Tr-ll-r ist eines weit edelmuͤthigern Sinns, er hat deswegen dem J. C. B. der die beyden Theile seiner Ge- dichte mit Vorreden versehen, ausdruͤcklich untersagt, daß er den Werth seiner Ge- dichte nicht anpreisen sollte: Aber eben die- ser Vorredner giebt nicht undeutlich zu ver- stehen, was fuͤr ein hartes Gebot dieses sey, und wie schwer es ihm falle, den Werth und die Verdienste eines Mannes oder einer Schrift, die jedermann so ausnehmend vor- kommen, als gleichguͤltig zu behandeln. Man muß es darum vor die Wuͤrckung ei- ner raren Bescheidenheit halten, daß Hr. Tr-ll-r bey der Ausgabe seiner Fabeln das Amt eines Vorredners keinem Fremden an- ver- fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. vertrauet, sondern solches sich selbst vorbe- halten, und durchaus so bescheiden von sich selbst geredet hat, daß man beynahe mei- nen wuͤrde, er kennete sich selbsten nicht, und der Verfasser des Fabelwercks gienge Hrn. Tr-ll-r von Haut und Haar nichts an. Jch habe mir auch sagen lassen, er habe sich uͤber das, wiewohl hoͤchstverdiente Lob, welches ihm der Hr. von Boͤhlau in sei- nen Jugend-Fruͤchten Bl. 429. und 430. beygeleget hat, weit haͤftiger entruͤstet, als uͤber die Verlaͤumdungen des Verfassers der Schweitzerisch-Critischen Dichtkunst. Alleine ich finde dieses Lob so gerecht, daß ich mich nicht entbrechen kan, solches hier anzufuͤgen und zu wiederholen. Es heißt Bl. 430. Das that der grosse Geist, der mehr als tausend nuͤtzet, Mein Tr-ll-r, dessen Kiel die Ehre Deutschlands stuͤtzet, Dem einst noch Gronov, Clerc, Graͤv u. Salmasius, Ja Grot’ und Scaliger den Vortritt goͤnnen muß. Der Franckreichs Munterkeit, der Britten Witz ver- lacht, Weil seiner Muse Gluth sich ihrer Meister macht. Die Gerechtigkeit dieser Lobeserhebung ist ja in dem allgemeinen Ausspruche Salomons gegruͤndet, der in seinem Prediger Cap. IX. v. 4. 5. 6. sagt: „Ein lebendiger H ‒ ‒ ist „besser als ein todter Loͤwe; denn die Le- B 3 „ben- Stuͤcke der Schutzvorrede „bendigen wissen, daß sie sterben werden, „ die Todten aber wissen nichts, sie verdie- „nen auch nichts mehr. Denn ihr Ge- „daͤchtniß ist vergessen, daß man sie nicht „mehr liebet, noch hasset, noch neidet, „und sie haben keinen Theil mehr auf der „Welt in allem, das unter der Sonnen „geschieht.„ Nun sind aber Gronov, Clerc, Graͤv, Salmasius, Groot und Scaliger todt; sollte denn nicht dem Hrn. Tr-ll-r ein billiger Vorzug uͤber diese alle gebuͤhren? Und die zwo leztern Zeilen sind so unbe- stimmt, daß ich gar nicht sehen kan, was die Neider des sich ausbreitenden Tr-ll-ri- schen Ruhms daran auszusetzen haben. Man wird bey den Franzosen und Britten noch allezeit solche Scribenten antreffen, die an Munterkeit und Witz zu uͤbertreffen, eben keine grosse Kunst erfodert wird; und ich bin sicher, wenn der Hr. von Boͤhlau sich erklaͤren muͤßte, was er vor Franzosen und Britten gemeint habe, uͤber die er seinem Meister einen solchen Vorzug giebt, es wuͤr- de jedermann den grossen Unterschied zwi- schen diesen und jenen erkennen und die Vergleichung gutheissen muͤssen. Aber so billig und bescheiden auch dieses Lob immer seyn mag, so muß dennoch Hr. Tr-ll-r sel- biges nicht gerne, noch mit gleichguͤltigem Gemuͤthe aufgenommen haben, alleine aus der fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. der vorsichtigen Beysorge, es moͤgte selbi- ges etwann von neidigen Spoͤttern wider die Absicht des Lobredners verdrehet und gemißdeutet werden. Sehet da ein seltenes Muster einer recht edelmuͤthigen Beschei- denheit bey einem Verdienst-vollen Dich- ter, und zugleich die wahre Ursache, wa- rum er in der Vorrede zu seinem neuesten Fabelwerck das Wort selbst fuͤhret, doch so, daß es scheinet, als ob er von einem an- dern rede. Wollte aber jemand nur dieses behaup- ten wollen, Hr. Tr-ll-r habe diese Vorre- de nicht selbst geschrieben, sondern nur et- wa in die Feder dictirt, oder nachdem sie von einem seiner Schuͤler verfertiget wor- den, uͤbersehen, veraͤndert und verbessert, so will ich mit einem solchen keinen Zanck anfangen, massen auch in diesem Sinne von Hrn. Tr-ll-r eben so wohl kan gesagt werden, daß er der Verfasser dieser Schutz- Schrift sey, als dorten von Herodes ge- sagt wird, er habe alle Kindlein zu Betle- hem getoͤdet. Alleine ich will das gereizte Verlangen meiner Leser nicht laͤnger an dem Genusse meines Manuscripts hindern, zumahl da ich dessen Werth bisdahin nicht geschickter an- gepriesen habe, als dorten die Lobredner Salomons bey der Koͤnigin von Saba die B 4 Weiß- Stuͤcke der Schutzvorrede Weißheit desselben nach ihrer Wuͤrdigkeit beschrieben haben. Jch bin auch versichert, daß die eigene Erfahrung meine Leser eben so wohl, als jene Koͤnigin, von des Lob- redners Ungeschicklichkeit uͤberzeugen, und meinem Lobe erst das rechte Gewicht geben werde. Mithin da dieses Manuscript uns den schoͤnsten Anlaß giebt, manche critische Wahrheit in ein helles Licht zu setzen, so wird man mir erlauben, selbiges mit An- merckungen zu versehen, inmassen es diese Ehre besser verdienet, als manches altes lateinische oder griechische Manuscript, wel- che oft so unverstaͤndlich an sich selbst sind, oder von den Commentatoren gemachet wer- den, daß man selbst nicht weiß, woran man sich halten soll. Mein Manuscript bedarf kei- ner dergleichen Erklaͤrungen, und sie wuͤrden eben so wenig nuͤtze seyn, als wenn man der Sonne an dem hellen Mittag eine Fackel an- zuͤnden wuͤrde. Die Absicht meiner Anmer- kungen gehet alleine dahin, einige moralische und critische Grundsaͤtze, die nur beylaͤuftig angefuͤhret werden, und auf welche der Ver- fasser seine Urtheile gruͤndet, um der Ein- faͤltigen willen weiter auszufuͤhren, und die Kunst, die in dieser gantzen Schutzschrift ver- borgen lieget, einigermassen aufzudecken. Fra- fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. FRAGMENTUM der Vorrede zu den Tr ‒ ll ‒ rischen Fabeln, Oder Schutz-Schrift gegen den Verfasser der Critischen Dichtkunst. M Ein Gott! was erhebet nicht der ehr- liche Anmerckungen. Mein Gott! ) Sehet da, in was vor einer christ- lichen Verfassung das sanftmuͤthige Hertz des Verfas- sers gestanden hat, als er sich an diese Vertheidigung gemachet. Ein anderer haͤtte aus einem andern Thone angefangen, als etwann: Arma Virumque cano! ‒ ‒ ‒ ‒ Oder: Musa mihi caussas memora, quo numine læso, Quidve dolens Regina Deûm, tot volvere casus Insignem pietate virum, tot adire labores Impulerit. Tantæne animis coelestibus iræ! Aber unser sanftmuͤthige Verfasser nimmt seine Zuflucht, als ein christlicher Poet, zu der Invocatione, oder An- B 5 rufung. Stuͤcke der Schutzvorrede liche Mann vor ein greuliches Lermen : Mit rufung. Er druͤckt dadurch seine Empfindlichkeit und innigste Wehmuth, nicht uͤber die ihm angethane Un- bill; sondern uͤber die schwere Versuͤndigung des Ver- fassers der neuen Critischen Dichtkunst, sehr lebhaft aus. Man kan im uͤbrigen von dieser poetischen An- rufung Hrn. G-ttsch-ds Critische Dichtkunst nachse- hen. Dieser ehrliche Mann) Er meinet den Schweitze- rischen Verfasser der neuen Critischen Dichtkunst: Er nennet ihn einen ehrlichen Mann, nicht per antiphra- sin, wie etwann die Spoͤtter meinen moͤgten; son- dern damit er zeige, daß ihn die empfangene Unbill nicht hindere, auch von seinen Feinden gutes zu reden, nach dem bekannten Axiomate, \& in hoste laudanda Virtus. Und wenn wir dem Seneca glauben wollen, so ist der Ruhm eines ehrlichen Manns allem andern Ruhm, auch dem Ruhm eines grossen Dichters, ei- nes scharfsinnigen Kunstrichters ꝛc. weit weit vorzuzie- hen: Magno impendio temporis, magna alienarum aurium molestia laudatio hæc constat, ô Hominem Li- teratum! Simus hoc titulo rusticiore contenti, ô VI- RUM BONUM. Und in diesen Gedancken stehet auch unser Verfasser, daher er sich diesen Titel alsofort selbst beyleget, wenn er sagt: Wichtige Ursachen ... ehrliche Leute so unbaͤndig anzugreiffen! Wo dieses Beywort ja unmoͤglich antiphrastice kan verstanden wer- den. Was erhebet er nicht vor ein greuliches Lermen : ) Da er nemlich in dem siebenden Abschnitte seiner Criti- schen Dichtkunst, wo er von der Esopischen Fabel aus- fuͤhrlich handelt, sich daran nicht begnuͤget, die Tr-ll-ri- sche Untersuchung von der Natur der Fabel, Bl. 173. 175. fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. Mit was vor Heftigkeit und Bitterkeit stoͤs- set er seine Urtheile nicht aus? Warum denn dieses alles? nemlich um Sylben, Gedan- ken, 175. 177. 188. u. f. 195. hoͤhnisch durchzuziehen, son- dern noch uͤberdas von Bl. 214. bis 262. alleine bemuͤ- het ist, die in dem Anhange der Tr-ll-rischen Gedichte befindlichen Fabeln durch die Musterung gehen zu las- sen. Was bedurfte es solcher Weitlaͤuftigkeit, wenn er nichts mehrers sagen wollte, als daß ihm diese Fa- beln mißfallen? Mit was vor Heftigkeit und Bitterkeit ꝛc. ) Wa- rum muß er die Tr-ll-rische Untersuchung unbegruͤndt und ungluͤcklich nennen? Warum die Fehler, die sich etwann ereignen, just vor eine Wuͤrckung einer schlech- ten Ueberlegung angeben? Warum auf den Wider- spruch, den er zu entdecken meinet, als etwas recht kin- disches schmaͤhen? Und wann wuͤrde ich fertig werden, wenn ich alle die Critischen Hiebe und Streiche, womit er lincks und rechts unbarmhertziger Weise und ohne Mitleiden um sich schmeißt, nahmhaft machen wollte? Jch bitte meine Leser, die Muͤhe selbst zu nehmen, und den siebenden Abschnitt der Critischen Dichtkunst mit Nachdencken zu lesen, so werden sie dem Hrn. Doctor das Zeugniß geben muͤssen, daß er noch gnaͤdig mit seinem Feinde verfaͤhrt, wenn er ihn bloß einer Hef- tigkeit und Bitterkeit in seinen Urtheilen beschuldiget. Wenn er demselben nicht verschonet haͤtte, so waͤre es ihm ohne Zweifel ein leichtes gewesen, seine Urtheile vor falsch und unbegruͤndet auszuschreyen. Um Sylben, Gedancken, Worte und Reime ) Jch bin lange im Zweifel gestanden, ob sich nicht das Wort Gedancken hier wider die Absicht des Verfassers eingeschlichen habe: Denn, gedachte ich, falsche Ge- dan- Stuͤcke der Schutzvorrede ken, Worte, und Reime, um Fabeln und Maͤhr- dancken sind endlich noch wohl einer Beurtheilung werth; und der Eifer eines guten Kunstrichters gegen solche moͤgte endlich noch wohl zu rechtfertigen seyn. Alleine da mir die Hamburgischen Berichte von ge- lehrten Sachen No. LXXIV. ungefehr in die Haͤnde fielen, allwo die neue Auflage der Tr-ll-rischen Fabeln sehr fleissig angepriesen, dem Schweitzerischen Kunst- richter seine tollkuͤhne Vermessenheit derbe verwiesen, und die Vertheidigung dieses unverbesserlichen deutschen Dichters mit seinen eigenen Kern-Worten beschlossen wird, fand ich zu allem Gluͤcke eben diese Ausdruͤckung; es heißt gegen dem Ende: um Sylben, Gedancken, Woͤrter und Reime muͤssen Bescheidenheit, Gelin- digkeit und Menschenliebe gaͤntzlich hintan gesezt werden? Diese Stellen sind einander so aͤhnlich, daß keine ohne die andere kan veraͤndert werden, und es schwer zu errathen ist, welche von der andern abgese- hen worden: Auch kan Hr. Z* am besten wissen, was Hrn. D. Tr-ll-rs Gedancken uͤber critische Materien seyn. Jch verwerfe daher meine erste Muthmassung selbst, und erklaͤre den Sinn des Verfassers so, daß er nicht mehrers sagen wolle, als, man muͤsse den irrenden Scribenten, wenn sie auch gleich in den Gedancken noch so uͤbel verstossen, mit Sanftmuth und Hoͤflichkeit zurecht helfen. Um Fabeln und Maͤhrchen ) Maͤhrchen sind wun- derbare und abentheurliche Erzehlungen, die nicht die geringste Wahrscheinlichkeit haben; hiemit wunderbare Luͤgen, dergleichen unverstaͤndige Ammen den kleinen Kindern zu erzehlen, und ihnen damit die Zeit zu kuͤr- zen pflegen. Diese Maͤhrchen haben eben eine so lehr- reiche Absicht, als die guten Fabeln; doch kan dieses ihren Gebrauch nicht rechtfertigen: Man muß die Wahrheit und das Nuͤtzliche nicht durch Luͤgen fort- pflan- fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. Maͤhrchen, die zum Zeitvertreib fuͤr die Ju- pflantzen, und die unerfahrne Leichtglaͤubigkeit der Kin- der nicht mißbrauchen, noch weniger ihren Geschmack durch abgeschmackte und unmoͤgliche Erzehlungen zu einer Zeit verderben, da sie noch nicht im Stande sind, zwischen link und recht selbst zu unterscheiden. Aus diesem laͤßt sich die Frage leicht entscheiden, wel- che Hr. Z* in der oberwehnten LXXIV. No. der Hamburgischen Berichte bey Anlaß der Tr-ll-rischen Fabeln auf die Bahn bringet, nemlich, Was vor deutsche oder lateinische Fabeln der Schul-Jugend zu belieben, und in denen untersten Classen einzu- fuͤhren rathsam seyn moͤgte? Jch antworte, nur keine Maͤhrchen nicht, sondern alleine solche Fabeln, die ihre Glaubwuͤrdigkeit bey allem Scheine des Wun- derbaren genugsam rechtfertigen koͤnnen. Man wuͤrde sich aber uͤbel betriegen, wenn man aus dieser Stelle schliessen wollte, als ob Hr. D. Tr-ll-r seine Fabeln selbst in keinem hoͤhern Werth hielte, als die Maͤhr- chen unperstaͤndiger Ammen; Das sey fern. Er be- dient sich hier sehr geschickt einer Figur, welche die Schulgelehrten Meiosin oder Tapeinosin heissen, wel- che etwas von seinem Werth kuͤnstlich heruntersetzet und veraͤchtlich macht, damit etwas anders dadurch augen- scheinlich erhoben werde. Weil nun Hr. Tr-ll-r seines Gegners Heftigkeit und Bitterkeit in seinen Urtheilen recht laͤcherlich machen wollte, so mußte er seine eige- ne Arbeit, mit deren Beurtheilung sich dieser Criticus was grosses duͤncket, um ein namhaftes selbst verklei- nern: Angesehen es ja recht laͤcherlich lassen wuͤrde, wenn ein grosser Kunstrichter mit eben dem Ansehen und der Ernsthaftigkeit, mit welcher er etwann die Wercke eines Homers und Virgils zu beurtheilen pfle- get, die kindischen Maͤhrchen einer Amme untersuchen, oder die Kinder in ihren naͤrrischen Spielen hofmeistern wollte. Stuͤcke der Schutzvorrede Jugend aufgesetzet, und als ein unvollkom- mener Versuch angegeben worden. Wich- tige Die zum Zeitvertreib fuͤr die Jugend aufgesetzet) Es faͤhrt der Vorredner in der angefangenen Figur fort; und man muß dieses nicht im Ernst aufnehmen. Hr. D. Tr-ll-r weiß viel zu wohl, was fuͤr Behutsam- keit in dem Umgange mit der Jugend erfodert wird, und daß es nicht gleichguͤltig ist, woran man ihren Geschmack gewoͤhne: Nach dem bekannten Quo semel est imbuta recens servabit odorem Testa diu. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Als ein unvollkommener Versuch angegeben wor- den ) Sein eigenes Bekenntniß in seiner Untersu- chung von der Natur der Fabel Bl. 559. ist hieruͤber gar deutlich: „Diese Fabeln werden hiermit dem ge- „neigten Leser, als ein Anhang, dargereicht, zwar „nicht in der Meinung, daß sie etwas vollkomme- „nes seyn sollten.„ Und etwas ferner: „Jch muß „selbst bekennen, dnß einige schon laͤngst vrrfertigte „die strengsten Pruͤffungen nicht aushalten duͤrften.„ Wiewohl er anbey versichert, daß er sich aͤusserst habe angelegen seyn lassen, mit Wissen und Willen nicht wider die schweren Regeln der Fabel zu verstossen. So groß aber die Bescheidenheit Hrn. D. Tr-ll-rs ist, kan ich gleichwohl das unhoͤfliche Zeugniß des Vor- redners zu dem zweyten Theile der Tr-ll-rischen Ge- dichte darum nicht gutheissen, z. Ex. wenn er unter anderm von eben dieser Haupt-Tugend unsers grossen Dichters meldet, „Er suche seinen unverdienterlang- „ten Ruhm mehr mit Bescheidenheit zu verbergen, „als mit frechem Hochmuth auszubreiten.„ Heißt dieses nicht seinen Helden dem Gespoͤtte der Feinde preiß geben, und ihnen die Waffen selbst in die Haͤnde liefern, fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. tige Ursache, sich so laͤcherlich zu entruͤsten, und liefern, womit sie ihm beykommen koͤnnen, wenn man oͤffentlich von einem bezeuget, daß er den Ruhm, welchen er erlanget hat, nicht verdiene? Der Hr. D. Tr-ll-r kan sein eigenes Heu Stroh nennen; aber das ist darum einem andern nicht erlaubt, und Com- plimente muß man nicht grad vor Ernst aufnehmen. Nicht besser ist, was bald hernach folget: „Vi c le „seiner Gedichte hat er in seiner noch bluͤhenden und „feurigen Jugend verfertiget, daher die Worte oft „besser sind, als die Gedancken.„ Und an einem andern Orte: „Er glaͤubt, die gelehrte Welt koͤnne „seiner poetischen Gedancken, die, aus Mangel der „Zeit, nie sattsam ausgearbeitet werden koͤnnen, „mit leichter Muͤhe entrathen.„ Was koͤnnte wohl der aͤrgste Feind schlimmers von einem Gedichte sagen, als daß es nicht ausgearbeitet, und daß die schoͤnen und praͤchtigen Worte wohl das beste daran seyn? Wenn Hr. Doctor selbst sich also erklaͤren wuͤrde, so wuͤrde es jedermann vor eine Ausdruͤckung seiner an- gebohrnen Bescheidenheit aufnehmen: Aber da es von einem andern gesagt wird, von dem man voraussetzet, daß er ausser Stand sey, seinen Helden zu beschimpfen, so duͤrften dergleichen lose Reden im Ernst aufgenom- men werden. Wichtige Ursache, sich so laͤcherlich zu entruͤsten ) Man bemercke hier die pathetische Figur des Ausrufs, welche dem stoͤrrischen Kunstrichter nothwendig eine Roͤ- the ins Angesicht jagen, und ihn mit Scham bedecken wird. Sollte es nicht laͤcherlich seyn, daß ein ernsthaf- ter Criticus sich uͤber unschuldige und dabey noch lehr- reiche Maͤhrchen einer Kinderwaͤrterin, uͤber junger Leu- te Schertz und Kurtzweil, uͤber Sylben und Reimen, und andere solche Kleinigkeiten so heftig entruͤstet, als ob es um die Bestrafung eines Hochverraths zu thun waͤre? Stuͤcke der Schutzvorrede und ehrliche Leute so unbaͤndig anzugreiffen, als ob es einen sonderbaren Glaubens-Ar- tickel oder bedencklichen Friedens-Schluß anbetraͤfe. Richer mag ihm antworten: Du solide Censeur distinguons le Pédant! Cet Animal chagrin, plein d’un orgueil extréme, N’aprouve rien, que ce, qu’il fait lui-même. Sur tout il imprime sa dent. Man weiß wohl die Freyheit, die Gelehrte dieß- Ehrliche Leute) Ehrliche Leute angreiffen, ist eine zweydeutige Redensart; denn entweder heißt die- ses jemand durch Verleumdung an seinem ehrlichen Nahmen kraͤncken, oder, einen ehrlichen, unverleum- deten Mann wegen einiger Maͤngel und Gebrechen, die den ehrlichen Nahmen nicht beruͤhren, tadeln und bestrafen. Und in diesem leztern Sinn wird dieser Aus- druck oͤfters per fallaciam compositionis, wie die Schul- gelehrten sich in ihrer geweyheten Sprache ausdruͤcken, gemißbraucht; grad als ob einer kein ehrlicher Mann seyn koͤnnte, wenn er nicht ein untadelhafter Poet, oder unverbesserlicher Fabeldichter waͤre. Man kan daruͤber mit Erbauung nachlesen, was in der Samm- lung satyrischer und ernsthafter Schriften, in der Vertheidigung Briontes des juͤngern, absonderlich Bl. 254. und 255. uͤber diese Materie vorkoͤmmt. Man weiß wohl die Freyheit, die ꝛc.) Und wa- rum sollten es die Herren Hamburger nicht wissen, da Briontes der juͤngere solches erst neulich mitten unter ihnen so handgreiflich erwiesen hat, daß ich glaube, es sey wohl mehr als einer, der es heimlich befeufze, daß diese Wahrheit Wahrheit ist. Siehe die Vertheid. Briont. des juͤngern Bl. 256. 259. 260. u. f. Aber unser fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. dießfalls uͤber einander haben; es stehet je- dem frey, Schriften zu beurtheilen; es ist auch nuͤtzlich und loͤblich: Alleine es muß mit Bescheidenheit und Gelindigkeit, und nicht in einer Sprache geschehen, die man eher in denen Muͤhlen, Scheuren und Schen- ken, als unter gelehrten und wohlgesitteten Leuten, zu hoͤren gewohnt ist. Sind Wort und Sylben denn von solcher Wichtigkeit, Daß man so ungestuͤm, wie Haͤrings-Weiber, schreyt? Dieß unser grosser Dichter hat keine Ursache, diese Wahrheit zu fuͤrchten. Siehe daselbst Bl. 262. 264. Er hat mehr, als ein Kleid, „er kan wohl leiden, wenn „man ihm, so zu sagen, sein poetisches Kleid aus- „ziehet, ja es wuͤrde ihm ein leichtes seyn, solches „selbst abzulegen, indem er noch andere Kleider im „Vorrath hat, welche er geziemend anlegen, und sich „damit unter Leuten zur Noth noch sehen lassen kan.„ Wie sein Vorredner zu dem zweyten Theil seiner Ge- dichte mit eben diesen Worten gar sinnreich und gruͤnd- lich von ihm bezeuget. Es muß mit Bescheidenheit und Gelindigkeit ꝛc. ) Man kan dieses in der oben gedachten Vertheidigungs- Schrift Bl. 270. u. f. desgleichen Bl. 281. u. f. gar gruͤndlich ausge f uͤhret lesen. Sind Wort u. Sylben denn von solcher Wichtigkeit ) Diese Verse haben die Kraft eines poetischen Exorcismi, der alle critischen Spottgeister in die Flucht treiben kan: Und sie gehoͤren als ein wichtiger Zusatz in Hieronymi Mengi Flagellum Dæmonum. C Stuͤcke der Schutzvorrede Dieß bringt der Wissenschaft gewiß den groͤsten Schaden, Den ihre Meister selbst durch Grobheit auf sich laden, Dadurch wird sie hernach vernuͤnftigen verhaßt, Und ein Gelehrter ist so viel als ein Fantast. Man lese hiervon weiter unsers Verfassers Gedichte auf den seel. Hrn. Fabricius, von der unanstaͤndigen Schmaͤhsucht der Gelehrten, nebst denen Anmerckungen, und bessere sich. Man weiß nicht, ob man den boͤsartigen Schriftrichter mehr belachen, oder beklagen soll, welcher andern Leuten die Fehler in Schriften zeigen will, und doch selbst einer viel wichtigern Verbesserung seiner rauhen und stoͤrrischen Sitten u. unhoͤflichen Schreib- art noͤthig hat, wie der Leser mit Erstaunen wahr- Der selbst einer viel wichtigern Verbesserung noͤthig) Ein bekanntes Schul- Dictum lautet: Turpe est Do- ctori, quem culpa redarguit ipsum. Wer andre mit Recht tadeln will, der muß selbst ohne Fehler und Ge- brechen seyn: Da nun keiner vollkommen und Engel- rein ist, so waͤre es ja weit besser, und fuͤr die gemei- ne Ruhe weit vortraͤglicher, daß man das Tadeln und Richten, als ein friedenstoͤrendes Handwerck, gaͤntzlich einstellete, und einander haͤlfe, die gemeine Unvoll- kommenheit mit dem Mantel der Liebe zudecken. Sol- cher laͤßt sich schon aus einander ziehen, daß er weit genug wird, die Bloͤsse so vieler Leute zu bedecken. Mit Erstaunen) Der Verfasser kennet das Hertz der Menschen, insbesondere seiner deutschen Leser, so wohl, daß er mit Gewißheit voraus sagen kan, was diese oder jene Vorstellung vor einen Eindruck auf das- selbe machen werde. Hier verkuͤndiget er ein Erstau- nen fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. wahrnehmen wird. Alleine laßt uns nun ei- nige der wichtigsten Einwuͤrffe besehen, die er nen, nemlich ein solches, das mit Furcht und Abscheu verknuͤpfet ist: Improvisum aspris veluti qui sentibus Anguem Pressit humi nitens, trepidusque repente refugit Attollentem iras, \& cœrula colla tumentem. Einige der wichtigsten Einwuͤrffe) Das Ge- wicht der Einwuͤrffe wird gemeiniglich von dem, der sie machet, und von dem, der sie beantworten soll, in einer gantz nngleichen Waage abgewogen. Sie werden hier die wichtigsten Einwuͤrffe genennet, nicht als ob sie an sich selbst einiges Gewicht haben; sondern in Vergleichung mit den uͤbrigen Einwuͤrffen, die wahr- haftig leichter sind, als die Spreu. Jch will meinen Lesern zu gefallen eine kurtze Liste von diesen Einwuͤrffen hersetzen, damit sie selbst ein Urtheil davon faͤllen koͤnnen. Der Verfasser der Critischen Dichtkunst wirft demnach folgende Fragen auf, die sich auf Hrn. Tr-ll-rs Unter- suchung von den Fabeln, und auf die Fabeln selbst beziehen, die in dem Anhange seiner Gedichte stehen. Ob Esopus seinen Fabeln die Lehren selbst angehaͤnget? Bl. 173. Ob Phaͤder zu tadeln sey, daß er die Leh- re der Fabeln mehrmahlen vorne zu Anfang der Erzehlung gesetzet hat? Bl. 175. Ob La Motte we- gen der weitlaͤuftigen Vorreden, die er vor seinen Fa- beln gesetzet, zu entschuldigen? Bl. 177. Ob die menschlichen Fabeln wegen Mangel des Wunderbaren allemahl verwerflich seyn? Bl. 188. u. f. Ob La Motte geirret, da er die Fabel ein kleines Episches Gedichte genennet? Bl. 195. Ob die Fabel von dem kleinen Knaben, der das Meer in ein kleines Gruͤb- C 2 lein Stuͤcke der Schutzvorrede er wider die Trillerischen Fabeln gemacht, um lein ausschoͤpfen wollen, von Hrn. Tr-ll-r erfunden worden, und ob diese Erfindung gutzuheissen sey? Bl. 215. Ob die Veraͤnderung des Oceans in den Rheinstrom, und des Gruͤbleins in zween Toͤpfe, in dieser Fabel, gantz gleichguͤltig sey? Bl. 216. Ob die gelehrte Absicht, die Hr. Tr-ll-r dem Knaben bey diesem Unternehmen zuschreibet, wahrscheinlich sey? Bl. 218. Ob die Fabel von dem Kinde und dem Fro- sche nicht wegen Mangel des Wunderbaren verwerflich sey? und ob die Lehre, welche Hr. Tr-ll-r daraus herleitet, nicht gezwungen sey? Bl. 219. u. f. Ob die Fabel, der Hund auf einem sammtenen Kuͤssen und der Hausherr, nicht ohne Noth unter die wunder- baren Fabeln gezehlet worden? Bl. 223. Ob die Fa- bel, der gereiste Mann ein wunderlicher Koch, etwas mehrers sey als ein blosses Gleichniß? Bl. 225. Ob die Fabel, die Raben-Bleiche betittelt, neu und noth- wendig sey? Bl. 227. Ob Hr. Tr-ll-r in seiner Un- tersuchung von Fabeln Bl. 568. Ursache gehabt, die Esopische Fabel von dem Fuchse in des Bildhauers Werckstatt, als unwahrscheinlich zu verwerffen? Bl. 238. Ob er des Hrn. La Motte Critick uͤber diese Fa- bel recht verstanden habe? Bl. 240. Ob er Recht ge- habt, die Fabel von dem Loͤwen, der sich in eine Schaͤ- ferin verliebt, als unvernuͤnftig und widernatuͤrlich zu verwerffen? und ob seine vorgeschlagene Verbesserung derselben gutzuheissen sey? Bl. 242. u. f. Ob nicht die meisten Tr-ll-rischen Fabeln in ihrer Erfindung all- zu menschlich seyn, so daß sie nichts wunderbares ha- ben, als den Nahmen der Thiere? Bl. 246. u. f. ꝛc. Jch fuͤrchte gar nicht, daß diese ausfuͤhrliche Nahm- haftmachung so vieler Fragen und Einwuͤrffe die Auf- richtigkeit meines Verfassers verdaͤchtig machen werde; der- fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. um von dem Werth dieser Critischen Dicht- kunst hieraus zu urtheilen; denn alles zu beant- derselbe ist nicht von der Art derjenigen, die, wenn sie etwan mit einem strengen Gegner zu thun haben, aus einer gantzen Schrift nur dasjenige herausklauben, was am schwaͤchsten scheinet, und noch wohl zu ver- antworten ist, inzwischen aber die staͤrcksten Einwuͤrffe listiger Weise verhoͤlen. Man darf nur diese Fragen durchlesen, so wird man mit Haͤnden greiffen muͤssen, daß es lauter Kleinigkeiten sind, die keine Widerle- gung verdienen. Was liegt endlich dem Staate, oder der Kirchen, oder dem Hauswesen daran, ob die Leh- re vorne oder hinten an der Fabel stehe, wenn nur eine darinnen ist? Ob sie Wahrscheinlichkeit genug ha- be, wenn sie nur lehrreich und ergetzlich ist? Jst das Vorhaben, den Rheinstrom in zween Toͤpfe auszuschoͤ- pfen, nicht eben so thoͤricht und unmoͤglich, als das Weltmeer in ein Gruͤblein zu leiten? ꝛc. ꝛc. Um von dem Werth dieser Critischen Dichtkunst hieraus zu urtheilen ) Ex ungue Leonem! Es ist zwar nicht zu leugnen, was Plinius sagt: Nullus li- ber tam malus est, in quo non aliquid insit boni. Doch hindert dieses uicht, daß man nicht ein Buch dem andern vorziehen duͤrfe. Wir haben ja Hrn. G-ttsch-ds Critische Dichtkunst, und so haͤtten wir dieser neuen Critischen Dichtkunst wohl entbehren koͤnnen; um so viel mehr, da jener so bescheiden und hoͤflich ist, daß er, die Lebenden nicht zu erzoͤrnen, sich nicht scheuet, die Manes der abgelebten Dichter in ihrer Ruhe zu stoͤ- ren; ungeachtet es in dem gemeinen Spruͤchwort heißt: De Mortuis nonnisi bene. Da hingegen der neuere Verfasser so unbescheiden ist, daß er auch der noch le- benden nicht verschonet, und ihnen ihre Fehler unter C 3 das Stuͤcke der Schutzvorrede beantworten verlohnet sich nicht der Muͤhe, und das weitlaͤuftige Gewaͤsche von lauter Kleinigkeiten verdienet keine Widerlegung. Er fraget also unter andern: Ob die Espen, Tannen, Buch und Linden in einer Ca- ravane hinter dem Eichbaume hergezogen waͤren? Welche tiefsinnige Frage, die kein Oedi- das Angesicht vorruͤcket. Horatz ist ein aberglaubiger Spoͤtter, wenn er von einem gewissen Poeten sagt: Nec satis apparet, cur versus factitet: utrum Minxerit in patrios cineres, an triste bidental Moverit incestus: Certe furit. ‒ ‒ ‒ Er fraget also unter andern, ob die Espen, Tan- nen ꝛc.) Die verwegene Critick des Schweitzerischen Verfassers uͤber die Biblische Fabel des Joas lautet unter anderm Bl. 259. 260. also: „Wenn wir die „ausfuͤhrliche Abhandlung dieser Fabel vor uns neh- „men, so werden wir finden, daß Hr. Triller aller „seiner Kunst aufgeboten hat, recht laͤcherlich zu wer- „den. Diese Kunst bestehet darinnen, daß er die „Regel von dem Wahrscheinlichen, in so ferne die- „selbe in der Natur und Beschaffenheit der Dinge ge- „gruͤndet ist, gaͤntzlich aus den Augen gesetzet hat. „Die Baͤume haben ihre gantze Natur abgelegt, und „koͤnnen alle menschlichen Verrichtungen so gut nach- „ahmen, als die Menschen. Sie versammeln sich „zusammen in einen geheimen Rath, Bl. 605. sie „halten Beylager und legen sich zusammen ins Bette, „Bl. 606. sie schweeren bey ihrer Seelen; die Ge- „schichte vom Koͤnig Salomo ist ihnen im Grund „bekannt; sie besitzen groß Geld und Gut, und wis- „sen fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. Oedipus aufloͤsen kan! Welcher schertzhafter Einfall, der einem Thraͤnen auspressen moͤg- te! Welche Critische Dichtkunst, die den Aristoteles und Horaz weit uͤbertrift! Er fraget ferner, ob die Baͤume etwas vom Koͤnig Salomo wissen koͤnnen? Dieses ist „sen solches eben so geschickt zu gebrauchen, einander „zu bestechen, als die Menschen, Bl. 607. und 608. „Sie schaͤtzen den Adel nach der Zahl der Ahnen; sie „beobachten in dem geheimen Cabinete unter sich ei- „nen Rang; sie beschencken einander mit guͤldenen „Ketten; sie halten einander Hochzeit-Maͤhler und „Gastereyen; also werden sie auch mit einander spei- „sen, Bl. 609. u. 610. Sie koͤnnen sich auf ihre „Fuͤsse erheben, und nach Belieben langsam einher „spatzieren, oder geschwinde lauffen, und man trift „oͤfters gantze Caravanen auf der Strasse an, von „Espen, Tannen, Buch und Linden, Bl. 610. „Wie abentheurlich!„ Dieses weitlaͤuftige Gewaͤ- sche verdienet zwar keine Widerlegung, und es verloh- net sich nicht der Muͤhe, alles zu beantworten. Jch will nur ein par kleine Anmerckungen beyfuͤgen. Die erste siehet auf die Erkenntniß, welche die Dichtung leb- losen Geschoͤpfen in der Fabel beyleget. Sind sie ei- niger Erkenntniß faͤhig, so muͤssen sie eine Seele ha- ben, und warum sollten sie dann nicht bey ihrer See- len etwas betheuren koͤnnen? So sprach er, jeder fiel ihm bey, Aus unverschaͤmter Schmeicheley, Selbst Salomo, bey meiner Seelen! Koͤnnt weiser nicht und besser waͤhlen. Dieses ist die Sprache des Herren von Dornbusch. C 4 Und Stuͤcke der Schutzvorrede ist gleichwohl sehr wahrscheinlich erdichtet, denn wenn die Baͤume nach der Fabel den- ken und reden koͤnnen; so muͤssen sie auch den Koͤnig Salomo wohl kennen, als welcher sich um das Reich der Pflantzen so verdient gemacht, daß er sie von der Ceder auf dem Libanon an, biß auf den Ysop, der aus der Wand Und warum sollten die Baͤume und Pflantzen den Koͤ- nig Salomo nicht kennen, der sich um ihr Reich so wohl verdient gemachet hat? Jch bin sicher, wenn einmahl das Fieber, der Mond, die Luft, das Fir- mament ꝛc in Fabeln eingefuͤhrt werden sollten, daß sie mit gleichem Grunde der Wahrscheinlichkeit Hrn. D. Tr-ll-rs Lob ausbreiten wuͤrden, als der Dornbusch hier das Lob des Koͤnigs Salomons ausposaunet. Die zweyte Anmerckung, welche dienet, einen grossen Theil der uͤbrigen Schweitzerischen Beschuldigungen abzuleh- nen, beziehet sich auf den Grund der Dichtung in des Koͤnigs Joas Fabel. Die Dichtung, daß der Dorn- strauch dem Cederbaum den Antrag habe machen las- sen: Gieb deine Tochter meinem Sohne zum Weibe; ist nicht von Hrn. D. Tr-ll-r, sondern von dem Koͤnig Joas. Der Begriff aber von einer Heyrath oder Ver- maͤhlung schliesset ja das Beylager, eine Morgengabe, das Hochzeitmahl, und alle uͤbrigen Umstaͤnde noth- wendig mit ein. Also fallen alle diese Beschuldigun- gen nicht auf Hrn. D. Tr-ll-r, sondern auf den Koͤnig Joas zuruͤcke; der mag es nun selbst verantworten. Hr. D. Tr-ll-r hat ja nichts mehrers gethan, als daß er die Begriffe dieses Koͤnigs in Jsrael aus einander gewickelt hat. Und ich glaube, wenn Joas diese Fa- bel lesen koͤnnte, er wuͤrde sich uͤber die geschickte Aus- fuͤhrung seiner ehmahligen Gedancken recht verwun- dern. fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. Wand waͤchst, oder biß zu der Mauer-Rau- te, das ist vom groͤsten biß zum kleinsten Ge- waͤchse, ausfuͤhrlich beschrieben, wie die Schrift meldet, welche doch wenigstens un- ser Criticus gelten lassen wird. Er fraget weiter, ob die Maͤuse des Sonntags um die Stadt spazieren giengen, wie die Buͤrger zu Er wird wenigstens die Schrift gelten lassen) Es ist in Wahrheit ziemlich verdaͤchtig, wenn einer sich nicht scheuet, eine Fabel, die in der Schrift stehet, der Unwahrscheinlichkeit zu bezuͤchtigen, und noch dazu laͤugnen darf, daß die Ceder und der Dornstrauch in der Fabel den Koͤnig Salomo nicht kennen. Er frager weiter, ob die Maͤuse ꝛc. ) Jch darf statt einer Antwort nur die wohlausgebildeten Verse des Hrn. Tr-ll-rs hersetzen: Sonntags, da die Predigt aus, die ja wohl so gut gewesen, Als wir sie gemeiniglich in den Haus-Postillen lesen, Ließ die Stadtmaus sich gefallen, fuͤr das Thor hin- auszugehn, Allda frische Luft zu schoͤpfen, u. die Felder zu besehn: Eben dieses harte sich auch die Feldmaus vorgenom̃en, Als sie nun von ungefehr auf dem Weg zusam̃enkom̃en, Und sich unvermuthersahen, war es bey den angenehm, Deñ sie waren alte Freunde u. Gevattern ausser dem. Wer kan diese Beschreibung lesen, ohne daß er die sorgfaͤltige und recht mahlerische Kunst in Beschreibung auch der kleinsten Umstaͤnde mit einem verwundersamen Ergetzen gewahr werde, es sey dann einer, der aus C 5 Bos- Stuͤcke der Schutzvorrede zu Hamburg? Jngleichen, ob der Stadr- maͤuse ihre Loͤcher schoͤner und aufgepuz- ter waͤren; als der Feldmaͤuse ihre? Sinn- reiche Einfaͤlle, die man sich kaum artiger traͤumen lassen sollte! Wer vermag hierauf zu antworten? Und endlich fraget er (denn man wird dieser Possen geschwind muͤde,) ob die Bosheit die Augen dafuͤr zuschliesset? Muß sich nicht Horatz mit seinem magern Rusticus urbanum murem mus paupere fertur Accepisse cavo \&c. vor dem Reichthum dieser praͤchtigen Mahlerey vor Scham verkriechen? Man kan aus dieser Probe ab- nehmen, was die christliche Religion auch einem Fa- beldichter vor Vortheile zur Auszierung seiner Fabeln an die Hand gebe, und wie die Poesie bald ein ander Ansehen bekommen wuͤrde, wenn sich alle Poeten der- selben so geschickt zu bedienen wuͤßten, als Hr. D. Tr-ll-r. Ob der Stadt-Maͤuse ihre Loͤcher ꝛc. ) Hr. D. Tr-ll-r hat in seiner Fabel das Decorum gar richtig be- obachtet, indem er nicht vergessen die Stadtmaus stan- desmassig einzuquartieren; er legt ihr daher folgende Worte in den Mund: Und sie wuͤnschte, daß sie sich nie in dieses Loch begeben, Das so schmuzig, eng u. dunkel, abgelegen, fuͤrchterlich, Weil in dieser wilden Gegend niemand leicht fuͤr uͤber geht. Und doch will man ihm dieses zur Suͤnde rechnen, und gedenckt nicht, daß dieses eine Maus von vor- nehmem Stande und gutem Geschmack sey. fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. die Maͤuse, ohne Verletzung des Gewissens und der Religion, einander Gevattern heissen koͤnnen.? Dieses leztere bejahen alle neuen Fabulisten, als La Fontaine, Richer, und La Motte, als der es so gar gebietet; daher ist nichts gewoͤhnlicher bey ihnen, als Com- pére Renard, Compére Corbeau, Commére Haze, Lionne, und dergleichen, und bey dem ehrlichen Froschmaͤuseler kommt der Gevatter Fuchs, Heins, und so weiter, zum oͤftern fuͤr, welche Stellen der muͤssige Criticus selbst nachsehen kan. Nur unser Verfasser soll die Freyheit nicht haben, die Maͤuse einander Gevatter heissen zu lassen. Warum? Der strenge Gebieter will es nun so haben. Dieses ist Ob die Maͤuse einander Gevattern heissen koͤnnen? ) Diesen Einwurff hat Hr. Doctor alleine einer Antwort wuͤrdig geachtet, weil er das Gewissen antastet, und die Vertheidigung derselben ist so buͤndig gerathen, daß ich nichts beysetzen koͤnnte, ohne ihren Nachdruck zu schwaͤchen. Exemplis vivimus, non præceptis. Und wenn ich La Fontaine, La Motte, Richer, zu Vorgaͤn- gern habe, malo cum his errare, quam solus recte sapere. Es waͤre auch eine laͤhre Spitzfuͤndigkeit, wenn man sagen wollte, bey den angezognen Fabuli- sten werde diese Benennung den Thieren in den Mund geleget, hier aber sage der Poet selbst von der Feld- und der Stadt-Maus: Deñ sie waren alte Freunde u. Gevattern ausser dem. Wenn das, was gesagt wird, wahr ist, so liegt ja nichts daran, wer es sage. Stuͤcke der Schutzvorrede ist schon genug; man wird ihm also kuͤnftig auch hierinne blind gehorsamen. Was wuͤrde er aber nicht erst alsdann fuͤr ein Laͤrmen ange- fangen haben, wenn der Verfasser gar Apo- stel und Propheten von denen Thieren ge- braucht haͤtte, als welches bey dem La Motte und Richer vorkoͤmmt; keinesweges aber zu billigen ist, wenn es anders dem Criticus also und nicht anders gefaͤllig ist. Sehr laͤcherlich ist es indessen, daß dieser Mann jezt ein so zaͤrtliches Gewissen hat, daß er denen armen Maͤusen ihre Gevatterschaft nicht goͤnnen will; der doch kurtz zuvor das vornehmste Geboth der christlichen Liebe und Bescheidenheit so groͤblich und so oft uͤbertreten. Heißt dieses nicht recht Muͤken seigen, und Camele verschlucken? Sind die- ses nun die gesunden, nuͤtzlichen, und einem ver- Der das vornehmste Gebot der Christl. Liebe ꝛc.) Ein guter Criticus gleichet einem klugen Arzt, der sich nach dem Geschmack seines Patienten richtet, und die bittern Pillen uͤberguͤldet und uͤberzuckert, damit sie desto angenehmer seyn. Man muß aber diese Ver- gleichung nicht so weit treiben, als die Spoͤtter thun, wenn sie fragen, ob denn derjenige Arzt wider die christliche Liebe handle, der bey einem unheilbaren Schaden corrosiva appliciert, oder ein angestecktes Glied abstoͤßt, oder dem Patienten durch seine Cur sonst Schmertzen verursachet. Wovon der Ertzvater der Spoͤtter, Briontes der juͤngere Bl. 283. u. f. nach- zusehen ist. Denn omne simile claudicat. fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. vernuͤnftigen Manne wohlanstaͤndigen Urthei- le, das scharfe Saltz, und der gute und aus- erlesene Geschmack; so hat man billig hohe Ursache, Gott hertzlich zu dancken, daß er einen mit einer solchen unmaͤssigen Scharf- sinnigkeit nicht gestrafet, und mit einem so durchdringenden feinen Geschmacke gnaͤdig verschonet habe. Erfodert denn dieses so grosse Kunst und Gelehrsamkeit, Gespoͤtte mit Gegengespoͤtte abzuweisen, und Thor- heiten mit Possen zu bezahlen? Eine Hand voll muthwilliger Einfaͤlle, und die schaͤdliche und elende Geschicklichkeit, alles laͤcherlich zu machen, ist der gantze Grund, worauf diese Hohe Ursache Gott hertzlich zu dancken) Ein geschickter Verfasser, der eine solche Dancksagungs- Formel aufsetzen und bekannt machen wollte, wuͤrde den mit sich selbst zufriedenen kleinen Geistern einen un- gemeinen grossen Gefallen erweisen. Felices pauperes sua si bona norint! Thorhciten mit Possen zu bezahlen) Dieses Wort Thorheiten beziehet sich hier nicht auf Hrn. Tr-ll-rs Fabeln, sondern auf des Schweitzers Critick, die ein laͤhres Gespoͤtte ist, und also ohne Muͤhe mit Gespoͤtte abgewiesen wird. Die elende Geschicklichkeit, alles laͤcherlich zu ma- chen) Wenn es anderst wahr ist, daß es eine solche Kunst giebt, die alles ohne Unterschied laͤcherlich ma- chen kan, so muß es in Wahrheit eine elende und schaͤd- liche Kunst seyn, weil sie so wohl das gute als das schlimme laͤcherlich und veraͤchtlich vorstellen kan. So hat Stuͤcke der Schutzvorrede diese sonderbare theatralische Kunst beruhet, und welche viele andere vielleicht eben so gut, wo nicht noch besser und hoͤflicher koͤnnen, als der allzu scharfsinnige Gegner. „Wie „leicht koͤnnte man antworten, die wohl „ausgedachte Caravane der Espen, Tan- „nen, Buch und Linden haͤtten zusammen „im Thale ein grosses Ballet getantzet, wo- „zu der Herr Br-t-ng-r (denn so heißt die- „ser fuͤrchterliche critische Goliath, der dem „poetischen Zwerge hohn spricht) den Tri- „angel oder die Leyer zierlich gespielet, oder „besser einen groben Baß aufgestrichen haͤt- „te. Oder, er moͤgte den Unterschied der „Maͤuseloͤcher selbst untersuchen, damit er „also gewiß wissen koͤnnte, ob die Stadt- „maͤuse bessre Schlupfwinckel haͤtten, als „die Land- und Feld-Maͤuse, auf daß sol- „cher hat ein Scarron Virgils Eneis durch seine possierliche Nachahmung recht laͤcherlich gemachet. Darum will ich jedermann erinnert haben, daß man alle Criticken, wenn sie nicht ernsthaft sind, vor verdaͤchtig halte, weil das, was auf eine possierliche Art vorgestellet wird, darum nicht allemahl verwerfflich ist. Eben so gut, wo nicht noch besser ꝛc.) So schaͤd- lich und elend diese Kunst zu spotten ist, so hat doch unser Vorredner in einem kleinen Versuche zeigen wol- len, daß er diese Kunst so gut verstehe, als irgend ein anderer, und jedermann wird ihm Beyfall geben, daß er den Schweitzerischen Kunstrichter in dem feinen Hechel-Schertz weit uͤbertreffe. fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. „cher Gestalt diese hochwichtige Sache in „ein groͤsseres Licht gesetzet und der Verfasser „der Fabel desto nachdruͤcklicher von seiner „poetischen Todsuͤnde uͤberfuͤhret wuͤrde.„ Alleine man will nicht gleiches mit gleichem vergelten, noch mit dem Gegner wieder in die erste Kindheit und den muthwilligen Schul- Stand zuruͤcke fallen, wo man dergleichen sonderbare Anmerckungen zu machen pfleget; daher soll dieses alles so gut, als nicht gesagt oder geschrieben seyn, und man bittet im Ernst um Verzeihung. Jedoch es ist nun einmahl Zeit, im Ernst mit unsrem grossen Aristarch zu reden. Man will ihm nemlich aus schuldiger Ehrerbietung voͤllig recht geben, um ihn nicht weiter zu er- zoͤrnen; denn er gehoͤret unter die seltsamen Leute, die stets recht haben wollen. Wohl- an dann, er soll und muß es auch haben. Wer will sich gern mit einem Manne einlas- sen, der einen eigensinnigen Widerspruch zur Richt- Jedoch es ist nun einmahl Zeit, im Ernst ꝛc.) Hier faͤngt der Urheber der Vorrede an, in der Jronie zu reden. Wer will sich gerne mit einem Manne einlassen ꝛc.) Jn diesem Absatz macht unser Vorredner den Character des Schweitzerischen Kunstlehrers nach dem Leben: Aber ich muß dabey nothwendig erinnern, daß er hier die Jronie nicht fortsetzet; sondern daß dieser Charac- ter im Ernst aufzunehmen sey: Denn wenn man es per Stuͤcke der Schutzvorrede Richtschnur seiner Urtheile macht, der die Tugenden eines Scribenten verschweiget, und die geringsten Fehler hingegen auf das aͤrgste durchziehet, und laͤcherlich zu machen suchet; der den wahren Unterschied unter den wesentlichen Stuͤcken einer Fabel, und un- ter den schertzhaften Nebenumstaͤnden und Auszierungen derselben nicht wi ss en will, da- mit er nur desto freyer spotten koͤnne, und der endlich mehr Tadelsucht als Aufrichtig- keit und Bescheidenheit besitzet. Man geste- het per Ironiam verstehen wollte, so wuͤrde es das feinste Lob eines Critici in sich begreiffen, welches man mit der veraͤchtlichen Art, womit er sonst den Schweitze- rischen Critickschreiber tractiert, nicht reimen koͤnnte. Jch fuͤrchte dennoch, wenn man den Abschnitt von der Esopischen Fabel in der Critischen Dichtkunst durchlesen wuͤrde, daß die Spoͤtter duͤrften behaupten wollen, dieses sey eine blosse Jronie. Jch will also meinen Le- sern gerathen haben, daß sie sich durch die Critische Dichtkunst nicht irre machen lassen, und lieber dieselbe ungelesen liegen lassen, damit Hrn. G-ttsch-ds Weis- sagung erfuͤllet werde, da er in seinen Beytraͤgen Bl. 666. vorher verkuͤndiget, es werde diese Critische Dichtkunst (nicht seine eigene, sondern des kuͤhnen Schweitzers) noch eines Buches beduͤrfen, welches sie anpreise und beliebt mache. Jch bin auch beglaubt, daß man den Werth von Hrn. G-ttsch-ds Dichtkunst erst recht erkennen werde, wenn man die neue Schwei- zerische Dichtkunst wird gelesen haben, nach dem be- kannten Axiomate Logico: Opposita juxta se posita magis elucescunt. fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. het ihm also gerne zu, daß die Tr-ll-rischen Gedichte wenig; seine Fabeln aber gar nichts taugen. Man beklagt dahero billig mehr als ein hundert arme Leser, welche nun seit Daß die Gedichte wenig, die Fabeln aber gar nichts taugen) Die Jronie, deren sich unser Vor- redner bedienet, ist so fein, daß man oͤfters nicht zu sagen weiß, ob es eine ist oder nicht. Jedermann wird hier nichts destoweniger mercken, daß dieses poetische Glaubensbekenntniß als eine Jronie auf- zunehmen sey. Und doch darf ich versichern, daß es Hrn. D. Tr-ll-r nicht sauer ankommen wuͤrde, ein sol- ches Bekenntniß auch ohne Jronie abzulegen. Denn so meldet J. C. B. in der Vorrede zu dem zweyten Theil seiner Gedichte mit ausdruͤcklichen Worten: „Er „hat den schwuͤlstigen Titel eines Poeten nie begehrt, „und wird es ihm daher gleich viel seyn, ob man ihn „unter die grossen, mittelmaͤssigen, oder gar kleinen „Dichter rechne, oder aber gaͤntzlich von der Zahl „der Poeten ausschliessen wolle. ‒ ‒ ‒ „‒ ‒ ‒ Er wird demjenigen nicht unhoͤfli- „cher begegnen, der ihn fuͤr keinen Poeten haͤlt, als „diesem, der ihn dafuͤr achtet: Weil in dem einen „die Schande klein, und in dem andern die Ehre nicht „allzugroß: Er glaͤubt nicht, daß Versmachen eine „ Hexerey oder ein solches wichtiges Geheimniß sey, „welches nur grossen und starcken Geistern mitgethei- „wuͤrde, und wovon alle uͤbrigen ausgeschlossen waͤ- „ren.„ Mehr als ein hundert arme Leser) Wer sein Leb- tag jemahls mit Manuscripten umgegangen ist, der weiß, daß sich die Fehler nirgend haͤufiger in einen Text einschleichen koͤnnen, als wo die Zahlwoͤrter vor- D kom- Stuͤcke der Schutzvorrede seit zwanzig Jahren die Trillerischen Schrif- ten vor nuͤtzlich und erbaulich gehalten; nun aber zu ihrem Gluͤck, durch die durchdrin- gende Einsicht des unbetruͤglichen Richters, auf einmahl erleuchtet und auf den rechten Weg gefuͤhret worden; daß sie nun ohne Zweifel ihre Zeit und Kosten billig bereuen, und die poetischen Betrachtungen in Winckel werfen und zu Maculatur brauchen werden. Welcher Schimpf fuͤr den Verfasser, welcher Schaden fuͤr den Verleger! Welch grosses Ungluͤck kan eine scharfe Critick nicht stiften! Man kommen. Mir koͤmmt auch hier die Lesart des Textes verdaͤchtig vor. Sollten die Tr-ll-rischen Gedichte in zwantzig Jahren nicht mehr als hundert oder zweyhun- dert Leser gefunden haben? Wenn ich nicht uͤberzeu- get waͤre, daß mein Manuscript das Original und Autographum waͤre, so wuͤrde ich sagen und behaup- ten, daß in dem Original nicht hundert, sondern mit Ziefern 10000. gestanden haͤtten: Da aber von dem Copisten aus Unachtsamkeit zwey Zero aussengelassen worden, weil sie vor sich selbst nichts bedeuten. Ge- sezt nun, daß in zwantzig Jahren 10000. Leser diese Gedichte vor unverbesserlich gehalten, so verhaͤlt sich das Urtheil des Schweitzerischen Kunstrichters wie 1. gegen 10000. Diese 10000. werden noch nicht alle todt seyn, und viele werden ihre billige Hochachtung fuͤr Hrn. D. Tr-ll-r, wie Hannibals Vater den Haß gegen die Roͤmer durch Geluͤbde, auf ihre Erben fort- gepflantzet haben. Und so getraue ich mir, wenn ich alle Verehrer und Leser derjenigen Poeten, die der kuͤh- ne Schweitzer angegriffen hat, aufmahnen wuͤrde, bis auf fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. Man bekennet ferner aufrichtig, daß der Criticus einen vollkommenen Sieg uͤber die Dornen, Maͤhrchen, Maͤuse, und Maͤuse- loͤcher ruͤhmlichst erhalten, und wuͤnschet von Hertzen, daß er dieser grossen Ehre lange Zeit ruhig geniessen moͤge. Man dancket weiter demuͤthig und schul- dig, daß er dem Verfasser die besondere Eh- re auf kuͤnftigen Fruͤhling gegen diesen Schweitzer ein flie- gendes Corpo von 40000. bis 50000. Mann auf die Beine zu stellen. Unsre heutigen Verfasser sind nicht mehr des Sinns, wie ehedem Horatz: ‒ ‒ Neque te, ut miretur turba, labores, Contentus paucis Lectoribus. An tua demens Vilibus in ludis dictari carmina malis? (audax Non ego. Nam satis est equitem mihi plaudere: ut Contemtis aliis explosa Arbuscula dixit. Lib. I. Sat. X. Und etwas weiterhin: Plotius \& Varius, Mecoenas, Virgiliusque Valgius, \& probet hæc Octavius optimus, atque Fuscus: \& hæc utinam Viscorum laudet uterque, Ambitione relegata te dicere possum Pollio, te Messala, tuo cum fratre: Simulque Vos Bibuli \& Servi: Simul his te candide Furni, Complures alios’, doctos ego quos \& amicos Prudens prætereo, quibus hæc, sint qualiacunque, Arridere velim, doliturus, si placeant spe Deterius nostra. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Man dancket weiter demuͤthig ꝛc.) Es ist was seltenes, daß ein Krancker, so lange er die Purganz D 2 noch Stuͤcke der Schutzvorrede re anthun, und ihn so großmuͤthig schimpfen wollen. Denn dieses wollen die Leute wuͤrck- lich haben, daß man ihnen noch dazu grossen Danck abstatten soll, daß sie einen gewuͤrdiget, muthwillig durchzuhecheln. Welches laͤcher- liche Begehren! Welches unverschaͤmte An- sinnen! Doch es sey also! Man dancket billig, daß es der bescheidene Herr Urtheils- fasser nicht noch aͤrger und anzuͤglicher ge- macht habe, und bittet ferner um ein gnaͤ- diges Verschohnen. Man giebt ihm auch endlich gerne die Erlaubniß, etliche Quartanten oder Folian- ten, wie es beliebig ist, gegen die Tr-ll-- rischen Schriften zu schreiben, und sie da- durch gantz und gar von der Erden zu ver- tilgen. noch im Leibe hat, dem Doctor fuͤr die Artzney dan- ken sollte; es giebt gemeiniglich viel ungedultige Worte. Und die Moralischen Patienten machen es gerne, wie der in seiner Einbildung gluͤckselige Aberwitzige, von welchem Horatz erzehlet: Hic ubi cognatorum opibus curisque refectus, Expulit elleboro morbum, bilemque meraco, Et redit ad sese: Pol me occidistis amici, Non servastis, ait, cui sic extorta voluptas, Et demtus per vim mentis gratissimus error. Lib. II. Epist. II. Eine gleiche Sprache fuͤhret hier unser Hr. Doctor, wenn man die Jronie seiner Worte aufloͤset: Denn nie- mand wird diese Dancksagung vor Ernst aufnehmen. fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. tilgen. Er kan auch insbesondere gegen die- se elenden Fabeln ein eigen Buch heraus- geben; doch bittet man ihn gehorsamst, bey der XVII. XXVII. und XXXII sten Fabel ein wenig stille zu stehen, und deren Jnhalt zu seiner Erbauung und Besserung anzuwen- den. Wahrheit wird indessen doch Wahr- heit bleiben, und rechte unpartheyische Ken- ner (worunter der Criticus und seine Helden gar nicht gehoͤren) werden nie aufhoͤren, de- nen Tr-ll-rischen Gedichten den rechten Werth zu bestimmen. Denn es ist sehr gut und troͤstlich, daß dieser ehrliche Mann nur ei- ne, und zwar noch sehr schwache und mat- te Stimme in dem grossen Rath der Ge- lehrten habe, welche der Sache keinen gros- sen Gegen diese elenden Fabeln) Woraus klar zu se- hen ist, daß dieses Manuscript zu der Vorrede der neuen Auflage der Tr-ll-rischen Fabeln gewiedmet ge- wesen ist. Nur eine, und zwar noch sehr schwache und mar- re Stimme) Jn dem grossen Rath der gelehrten klei- nen Geister Sententiæ numerantur, non ponderantur: Und die unendliche Anzahl der kleinen Geister laͤßt uns nicht fuͤrchten, daß dieser mit seinem Gewaͤsche jemahls aufkommen werde. Es werden allezeit 10. gegen 1. seyn, die den Werth der Tr-ll-rischen Fabeln erkennen werden; und dieses sind alleine die wahren Kenner: Denn wie sollten diejenige unter die Zahl der Kenner gehoͤren, die nicht einmahl so viel Faͤhigkeit haben, daß sie die Schoͤnheit der Tr-ll-rischen Fabeln einsehen koͤnnen? D 3 Stuͤcke der Schutzvorrede sen Ausschlag geben wird, weil sich gar we- nige darnach richten werden. Daher wird man nun alle solche knarrenden Critiquen vor ungedruͤckt und ungeschrieben halten, und vielmehr in diesem Stuͤcke dem hochberuͤhm- ten Mosheim nachzuahmen trachten, welcher die zwey grossen Buͤcher, die der bekannte Petersen gegen ihn wegen der Wiederbrin- gung geschrieben, vor ungeschrieben achtete. Denn unnuͤtze Streitschriften und unnoͤthige Federkriege sind kein Werck vor einen Mann, der seine ohne dem enge Zeit nuͤtzlicher und Gott wohlgefaͤlliger anzuwenden gedencket. Nec bella geri placuit, nullos habitura triumphos. Der aͤrgerliche Geist, den viel Gelehrte treiben, Wird von ihm lebenslang mit Ernst vermieden bleiben; Wie mancher heist ein Fuͤrst in Kunst und Wissenschaft, Und schreibt und zanckt sich doch mit andern poͤbelhaft. Wer bey den Kuͤnsten nicht die Hoͤfligkeit studiret, Scheint ihm wie eine Sau, mit guͤldnem Band gezieret. Doch wir halten uns mit solchen Kleinigkei- ten allzu lange auf; und wollen diese Vor- rede nicht zum Kampfplatz unnuͤtzer Grillen- faͤngereyen und Sylbenkriege machen, in- sonderheit wegen der hohen Nahmen, wel- chen dieses Buch zugeschrieben worden. Phaͤdrus mag indessen von diesem Ausbunde eines recht hoͤflichen Gelehrten in des Ver- fassers Nahmen Abschied nehmen, und ihm vor fuͤr die Tr-ll-rischen Fabeln. vor seine liebreiche und bescheidene Unterwei- sung den gebuͤhrenden Danck abstatten. Tu, qui, Nasute, scripta destringis mea, Et hoc jocorum legere fastidis genus, Quid ergo possum facere tibi, Censor Cato, Si nec Fabellæ te juvant, nec Fabulæ! Noli molestus esse omnino litteris, Majorem exhibeant ne tibi molestiam. Hoc illis dictum est, si qui Stulti nauseant, Et, ut putentur sapere, Coelum vituperant. Et ut putentur sapere, Coelum vituperant. ) Und ich schliesse meine Anmerckungen im Nahmen des Verfassers mit den Worten Horatii: Prætulerim Scriptor delirus inersque videri, Dum mea delectent mala me, vel denique fallant: Quam sapere \& ringi. ‒ ‒ ‒ ‒ Mehrere authentische Urkunden Nuͤtzlicher Anhang von einigen authentischen Urkunden, welche dienen, den Ruhm der Tr * ll * rischen Fabeln zu befestigen; und die neue Critische Dichtkunst schwartz und haͤßlich zu machen. I. Hamburgis. Berichte von Gelehrten Sachen. Auf das Jahr 1740. den 16. Herbstm. No. LXXIV. Bl. 641. u. f. PHÆDRUS I. 30. ‒ ‒ Facilis vindicta est mihi, Sed inquinari nolo ignavo sanguine. Hamburg. J N Herolds Verlag ist heraus, D. Dan. Wilh. Trillers neue Esopische Fabeln in Ver- Anmerckungen. Facilis vindicta est mihi ) Diese Worte des Phaͤd- rus hat der Verfasser dieser gelehrten Berichte Hr. Z* nicht in seinem eigenen Nahmen, sondern im Nah- men zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln ꝛc. Versen, worinn in gebundener Rede aller- hand erbauliche Sittenlehren und Lebensre- geln vorgetragen werden. Der beruͤhmte Hr. Triller gehoͤret unter die geringe Zahl der- men und auf hohen Befehl des deutschen Esopus, Hrn. Doctor Tr-ll-rs, vorne an dieser Nachricht gesetzet, die- ser wollte dadurch vor den Augen der gantzen Welt ei- ne feyrliche Erklaͤrung thun, daß er den Schweitzeri- schen Gegner viel zu veraͤchtlich hielte, als daß er in eigener Person mit ihm anbinden sollte. Es muͤssen andre Helden seyn, an denen er in einem Duell Ehre einzulegen suchet. Zudem hat er auch nicht noͤthig sei- ne eigene Person zu wagen, er hat ja ein par Duzt Zeitungsschreiber und Vorredner im Sold und zu Dien- sten, die er nach Belieben fuͤr den Riß stellen kan, und es ist Ehre genug fuͤr den Schweitzerischen Par- theygaͤnger, wenn dergleichen Buschkloͤpfer sich mit ihm rauffen. Wenn Hr. Tr-ll-r nicht ein Doctor der Artz- ney-Kunst waͤre, so haͤtte er ohne Zweifel diesen Ver- sen des Phaͤders das nachdruͤckliche Distichon jenes alten Kirchenlehrers: Hoc scio pro certo, quod si cum stercore certo \&c. an die Seite gesetzet. Wenn denn schon die folgende Nachricht, insonderheit was partem elencticam angehet, in Ansehung der Schreibart, des Ausdrucks, der Anzuͤge u. s. f. der Tr-ll-rischen Vor- rede eben so aͤhnlich ist, als ein Ey dem andern, so muß man darum den Verfasser dieser gelehrten Nach- richt Hrn. Z* nicht als einen Plagiarium oder gelehrten Beutelschneider verdaͤchtig halten, weil er sich dieser ansehnlichen Waffenruͤstung nicht ohne Vorwissen und Bewilligung des Hrn. Doctor Tr-ll-rs bemaͤchtiget hat. D 5 Mehrere authentische Urkunden derjenigen Maͤnner, die den Werth der Sit- tenlehre und der Dichtkunst richtig zu be- stimmen wissen. Durch seine moralischen Ge- dichte, wovon die Welt bereits zween Thei- le lieset, hat er seit einigen Jahren gezeiget, wie redlich er es mit den Menschen meine, und wie geschickt er sey, die Schoͤnheiten der Tugenden und die Haͤßlichkeit der Laster in ihrer wahren Gestalt abzuschildern. Gegen- waͤrtig hat der Hr. Verfasser einen Versuch gemacht, uns die Wahrheiten der Sitten- lehre mit schertzvermischtem Ernst unter dem Flor Den Werth der Dichtkunst richtig zu bestimmen) Wenn ich a priori zeigen muͤste, wie begruͤndt dieses Lob sey, so wuͤrde ich allzu weitlaͤuftig und verdießlich fallen. Wir duͤrfen nur sein poetisches Glaubensbe- kaͤnntniß in der Vorrede zu dem zweyten Theil seiner Gedichte aufschlagen, so werden wir finden, wie ge- nau er den Werth der Dichtkunst zu bestimmen gewußt hat: „Er glaubet, daß der geringste Kuͤnstler und „Handwercksmann, der seine Handthierung wohl ver- „stehet und fleissig treibet, dem gemeinen Wesen mehr „nuͤtzliche Dienste leiste, als der beste Poet, und sie- „het daher die Poesie als Blumen an, welche schoͤn „aussehen und annehmlich riechen, aber doch in der „Artzneykunst keinen Nutzen schaffen. ‒ ‒ ‒ Er „ist nicht von denen, welche glauben, daß das Vers- „machen eine Hexerey, oder ein solches wichtiges „Geheimniß sey, welches nur grossen und starcken „Geistern mitgetheilet wuͤrde, und wovon alle uͤbrigen „ausgeschlossen waͤren.„ Wer hat jemals den Werth der Dichtkunst richtiger und genauer bestimmet? zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln ꝛc. Flor der Fabeln zu verhuͤllen. Er kennet den Menschen: Er weiß, daß man sich un- terschiedlicher Mittel bedienen muͤsse, wenn man ihm seine Bloͤsse zeigen, und die Wege des Guten lehren will; denn er hoͤret unger- ne, daß er gefehlet habe, und noch weniger kan er sich so weit herunterlassen, solches zu bekennen. Ein geschickter Schriftsteller, handelt daher nach Art eines vernuͤnftigen Artzneyverstaͤndigen, der seine heilsamen, aber bittern Huͤlfsmittel seinen eigensinnigen Kran- ken unter mancherley Gestalten beybringet. Es ist bisher fast durchgehends ein Fehler in der Sittenlehre gewesen, daß man ihre Saͤ- ze und Wahrheiten in einer trockenen und magern Schreibart vorgetragen; daher ha- ben nur einige wenige, die sich zum Nachsin- nen gewoͤhnet, sich daraus erbauen, andere aber hingegen solches unterlassen muͤssen. Die Fabel ist von je her geschickt gewesen, diesem Mangel abzuhelffen; nur schade, daß wir Er kenner den Menschen) Nicht nur als ein Ana- tomicus, sondern auch als ein guter Moralist: Eine Probe davon ist folgende Entdeckung: Der Mensch hoͤret ungerne, daß er gefehlet habe, und noch we- niger kan er sich so weit herunterlassen, solches zu bekennen. Wer muß nun nicht wider Willen gestehen, daß Hr. Tr-ll-r unter die Zahl und in die Classe dieser Menschen gehoͤre, und also, weil er geartet wie der groͤste Hauffen, bey sich abnehmen koͤnne, wie der Mensch beschaffen ist? Mehrere authentische Urkunden wir Deutsche uns derselben so spaͤt bedienen, da wir doch fast in allen Nationen geschickte Vorgaͤnger gehabt haben. Wir wuͤsten in in unsrer Sprache nichts besonders namhaft zu machen, als was uns erst kuͤrtzlich ein auf- geweckter Stoppe und scharfsinniger von Hagedorn in dieser Art geliefert. Der Hr. Triller hat daher sich seine Landsleute noch mehr verbindlich gemacht, da er sich diesen geschickten Koͤpfen zugesellet hat. Seine Fabeln sind so beschaffen, daß sie alle Auf- mercksamkeit eines vernuͤnftigen Lesers mit Recht verdienen. Ein jedes Alter und Ge- schlecht, uud ein jeder Stand kan hier seine Lehre lesen. Wir sind voͤllig uͤberzeuget, daß viele Da er sich diesen geschickten Koͤpfen zugesellet hat) Aus der Vorrede der neuen Auflage des Tr-ll-rischen Fabelwercks zeiget sich, daß sich diese beyden Fabeldich- ter ihm zugesellet haben: Denn er versichert, daß sei- ne Fabeln fast alle mit einander schon entworffen gewe- sen, ehe noch diese beyden Fabelbuͤcher ans Licht ge- treten waren, und beruffet sich deßfalls fein keck auf die Zeugnisse seiner Freunde: Wie meine Freunde wissen. Doch was er alsobald beyfuͤget, zeiget uns, daß er es sich vor keine Schande halte, wenn man von ihm sagt, daß er sich ihnen zugesellet habe: „Denn, „wie gluͤcklich auch etwann jene neue Fabeldichter ge- „wesen seyn moͤgen, wiewohl deren Arbeit in denen „Gelehrten Zeitungen auf gantz unterschiedliche Art „beurtheilet worden, so moͤchten doch vielleicht auch „hierinne noch manche Stuͤcke vorkommen, welche „zugleich erbauen und belustigen koͤnnten.„ zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln ꝛc. viele nach Durchblaͤtterung dieses Buchs zu einer gewissen Selbsterkenntniß gelangen wer- den, die sie noͤthiget, selbiges mit einem ange- nommenen Laͤcheln von sich zu legen. Denen aber der Poet antworten mag: Quid rides? mutato nomine de te Fabula narratur. Der heranwachsenden Jugend koͤnnen wir dieses Buch nicht genug anpreisen, und unser muͤs- siges Frauenzimmer duͤrfte auch noch vieles in selbigem bemercken, worauf bisher wenige geachtet haben. Es waͤre zu wuͤnschen, daß geschickte Schullehrer selbiges in den ersten Classen einfuͤhren moͤgten. Es ge- hoͤret in unsern Tagen mit zum Verfall der Schulen, daß man die Jugend mit Lateini- schen Fabeln quaͤlet, da sie doch noch lan- ge nicht geschickt ist, das Nuͤtzende und Ergetzende derselben einzusehen. Die Schreibart des Hrn. Trillers ist nach dem Begriff eines jeden Lesers; und sie ge- hoͤret eigentlich zur mittlern. Sie ist zwar nicht erhaben, doch auch nicht kriechend, son- dern Daß sie alle Aufmercksamkeit eines vernuͤnftigen Lesers mit Recht verdienen) Wer hiemit dieses Fa- belbuch seiner Aufmercksamkeit nicht wuͤrdiget, der kan sich versehen, daß er in die Classe unvernuͤnftiger Leser werde eingeschrieben werden. Zwar ist das Wort Auf- mercksamkeit vox media, hier aber wird es unstreitig fuͤr Hochachtung genommen: Sonst muͤßte man auch den Schweitzerischen Criticus unter die guten Leser zehlen. Mehrere authentische Urkunden dern zierlich, deutlich, und rein. Es waͤre auch unbillig, wenn man einen Æsopum in cothurnis begehren wollte. Jn der Vorrede wird auch gemeldet, warum diese Schreibart beliebet worden. Hieran haͤtte sich, unsers Erachtens, der Hr. Breitinger begnuͤgen sollen; so waͤre vieles aus dem siebenden Ab- schnitt Bl. 164 seiner Critischen Dichtkunst, da er von der Esopischen Fabel handelt, viel- leicht weggeblieben. Wir behalten uns vor, das Schaͤtzbare dieses Buchs zur andern Zeit nahmhaft zu machen. Hier erwehnen wir nur beylaͤuftig, daß Bitterkeit, Schmaͤh- sucht, und Unhoͤflichkeit eine jede Wahrheit und Hieran haͤtte sich, unsers Erachtens, der Hr. Breitinger begnuͤgen sollen.) Hier verraͤth sich der Hr. Zeitungsschreiber, daß er weder den anzuͤglichen Abschnitt in der Critischen Dichtkunst gelesen, noch den Statum controversiæ verstehe: Massen der Schweitzer nicht die Tr-ll-rische Schreibart, sondern den Mangel der Wahrscheinlichkeit in der Dichtung der Fabeln an- gegriffen hat: Auch hatte er die Vorrede und die Ver- theidigung der Schreibart in derselben nicht lesen koͤn- nen, ehe sie auf der Welt war. Man wuͤrde es ihm noch wohl zu gute halten, wenn seine beissende Cri- tick sich nur uͤber der Schreibart aufhalten wuͤrde. Daß Bitterkeit, Schmaͤhsucht und Unhoͤflichkeit eine jede Wahrheit ꝛc.) Jch wuͤrde bald sagen, Non his auxiliis, nec defensoribus istis T.... eget. Grad als ob man zugeben muͤste, daß die Urtheile und Criticken des Schweitzerischen Censors an und fur sich selbst gegruͤndet und die Wahrheit seyn! zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln ꝛc. und Beurtheilung vielmehr schwaͤchen und verstellen, als annehmlich machen. Soll denn hierinn der gute Geschmack bestehen, wovon man auf allen Blaͤttern so viel Ruͤh- mens macht? wir glauben es nicht: Es ist wahr, es scheinet, als ob die Kunstrichter einer gewissen Nation bey ihren Urtheilen allemahl eine grobe Sprache fuͤhren wollen. Wir sind es seit einigen Jahren also gewohnt. Wir gestehen aufrichtig, daß sie uns durch ihre critische Schriften viel falsches in der Beredtsamkeit und Dichtkunst entdecket ha- ben, welches von vielen so heilig ist verehret worden. Es sind aber auch zum oͤftern un- noͤthige Klaubereyen mit untermengt. Den Vortrag aber, dessen sie sich bedienet, ha- ben gesittete Leute jederzeit verabscheuet. Sie werden aber auch glauben, daß sie nicht die einzigen Befoͤrderet des guten Geschmacks sind. Hinter dem Gebirge wohnen auch Leute. Als ob die Kunstrichter einer gewissen Nation ꝛc.) Parcite paucorum diffundere crimen in omnes! Sonst moͤgte man euch die Hoͤflichkeit eines Neum.. Edz.. und so vieler anderer auch in die Rechnung bringen. Jch hoffe aber mein Beyspiel werde diese Nation gegen den Vorwurff der Lieblosigkeit und Unhoͤflichkeit genug- sam schuͤtzen. Viel Falsches in der Beredtsamkeit) Wer hat dem Hrn. Z* befohlen, dieses zu bekennen? Da die Deutschen ihre Verbesserung lieber den Franzosen als den Schweitzern zu dancken geneigt sind? Mehrere authentische Urkunden Leute. Es ist eben nicht allemahl noͤthig ein Schweitzer zu seyn, wenn man vernuͤnf- tig dencken will. Alles was der geschickte Hr. Verfasser der Critischen Dichtkunst wi- der den Hrn. Doct. Triller anbringet, haͤtte er in einer andern Sprache sagen koͤnnen; und wir sind uͤberzeuget, daß der Hr. Tril- ler, als ein bescheidener Gelehrter, ihm gar gerne die Freyheit und das Recht, welches Gelehrte diesfalls uͤber einander haben, zu- gestanden haͤtte. Er weiß mehr als zu wohl, wie noͤthig und nuͤtzlich eine vernuͤnftige und bescheidene Critick sey. Allein wo geht es wohl wunderlicher her, als im Reiche der Dichter? Um Sylben, Gedancken, Woͤr- ter, Reime, und Maͤhrchen muͤssen Beschei- denheit, Gelindigkeit, und Menschenliebe gaͤntzlich hintan gesetzet werden? Wo blei- bet hier der Ausspruch ihres goͤttlichen Ho- ratz, von welchem sie ja sonst keines Fingers breit abweichen wollen: Ubi plura nitent, paucis Es ist eben nicht allemahl noͤthig ein Schweitzer zu seyn ꝛc.) Man hat ja bisher geglaubt, daß ein Schweitzer seyn, und vernuͤnftig gedencken, asystata seyn. Und die Deutschen haben noch nicht Ursache zu fuͤrchten, daß sie den Ruhm wohlgedenckender und geistreicher Koͤpfe verliehren: Trotz dem Verfasser der Lettres Germaniques, und andern Spoͤtter seiner Art. Haͤrte er in einer andern Sprache ꝛc.) Vielleicht meint er die lateinische: Denn so haͤtten seine Critick nicht alle Deutsche lesen koͤnnen. zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln ꝛc. paucis non offendar maculis. Was fuͤr Vor- theile haben sich die Wissenschaften von einem solchen Betragen zu versprechen? Ein Poet mag es melden: Sind Wort und Sylben denn von solcher Wichtigkeit, Daß man so ungestuͤm, wie Haͤringsweiber, schreyt? Dieß bringt der Wissenschaft gewiß den groͤsten Schaden, Den ihre Meister selbst aus Grobheit auf sich laden; Dadurch wird sie hernach vernuͤnftigen verhaßt, Und ein Gelehrter gilt so viel als ein Fantast. Ein Poet mag es melden) Und der ist mit Nah- men Hr. D. Dan. Tr-ll-r selbst, der diese Verse aus einer nicht nur poetischen, sondern gar prophetischen Begeisterung, welches er aber selber nicht gewust hatte, schon vor einiger Zeit geschrieben hat. E Hrn. Mehrere authentische Urkunden II. Herrn G-ttsch-ds Critische Beytraͤge. Stuͤck XXIV. Art. IV. Bl. 666. „Zum Schlusse macht sich der Herr Ver- „fasser die trostreiche Hoffnung, daß die „neue Critische Dichtkunst, (die naͤmlich in „ Zuͤrch neulich herausgekommen, ) nicht „we- Anmerckungen. Jn Zuͤrch neulich herausgekommen) Diese Pa- renthesis war uͤberaus nothwendig den Leser zu erin- nern, daß Herr G-ttsch-d auch einen Versuch einer Critischen Dichtkunst fuͤr die Deutschen an das Licht gestellt habe, wovon schon im Jahr 1737. die zweyte Auflage herausgekommen. Wie begierig dieses Werck sey gelesen worden, was vor einen gesegneten Einfluß dasselbige auf die falschen Begriffe der Deutschen von dem wahren Wesen der Poesie, und auf die Schriften der Poeten gehabt, und was vor ein Ansehen ihm sel- biges erworben habe, das kan man aus der Vorrede zu der neuen Auflage von ihm selbst mit mehrerm ver- nehmen, wo er sich auch auf schriftliche Urkunden und Versicherungen von bekannten Personen beruffet, an denen die herrliche Wuͤrckung einer poetischen Wieder- geburt sich augenscheinlich geaͤussert hat. Man hat sich also wohl vorzusehen, daß man den Versuch einer Critischen Dichtkunst fuͤr die Deutschen, der in Leip- zig im Jahre 1737. herausgekommen, und Hrn. G-tt- sch-d zum Verfasser hat, nicht mit der Critischen Dichtkunst, die in Zuͤrch neulich herausgekommen, vermische. Denn so weit Leipzig von Zuͤrch entfernet ist, eben so weit sind diese beyde Wercke in Ansehung ihres zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln ꝛc. „wenig zu dem Ende, das ist, den Mil- „ton in Ansehen zu bringen, beytragen wer- „de. ihres Werths von einander unterschieden. Jch will nur beylaͤuftig zwey einzige Merckmahle andeuten, wel- che dienen koͤnnen, diesen Unterschied einigermassen zu erkennen zu geben. Das erste ist, daß das eine Werck in Leipzig, das andere aber im Schweitzerland verfer- tiget und gedruͤckt worden; Kan man nun in Absicht auf das leztere nicht mit Recht fragen: Sollte auch et- was gutes aus N-z-r-th kommen? Das andere Merck- mahl ist, daß dieses eine Critische Dichtkunst uͤberhaupt, jenes aber eine Critische Dichtkunst fuͤr die Deutschen ist. Es kan zwar das eine Werck so wenig als das an- dere von jemand gelesen werden, der die deutsche Spra- che nicht versteht, und in diesem weitlaͤuftigen Sinn sind beyde Wercke nur fuͤr die Deutschen geschrieben: Aber das Leipzigische Werck ist auf den deutschen Ho- rizont so geschickt eingerichtet, daß wenn es gleich in eine andere Sprache uͤbersezt wuͤrde, dennoch niemand als ein gebohrner Deutscher solches verstehen, oder sich zu Nutze machen koͤnnte: Es leitet das innere Wesen der Poesie und der Dichtung nicht aus der all- gemeinen Natur der Menschen uͤberhaupt, sondern aus der Natur der deutschen Nation ins besondre her: Und der Verfasser hat aus diesem Grunde gar genau und mit einer mehr als mathematischen Gewißheit be- stimmen koͤnnen, daß es lediglich unmoͤglich sey, und daß es mit der Natur der deutschen Nation streite, daß ein redlicher Deutscher jemahls einen Geschmack an Miltons Verlohrnem Paradiese finden sollte. Wem also noch einige Tropfen deutsches Bluts in den Adern rinnen, der wird den Lohensteinischen Geschmack, der in dem Miltonischen Gedichte herrschet, verabscheuen, und E 2 Mehrere authentische Urkunden „de. Kuͤnftige Dinge sind ungewiß, und „wir wollen ihm also nicht vor der Zeit alle „Hoffnung absprechen. Alleine nach vielen „Wahrscheinlichkeiten, die wir hier besser, „als in der Schweitz haben koͤnnen, zu ur- „theilen, sollte man eher das Gegentheil „glauben; indem auch diese neue Dichtkunst „viel- und Addison, als einen Verfuͤhrer der gantzen Engli- schen Nation, und als einen Verfechter des verderb- ten Geschmacks verachten. Man wird hieraus nun genugsam abnehmen koͤnnen, daß die Critische Dicht- kuͤnst, auf welche der Schweitzerische Verfechter des Miltonischen Ansehens alle seine Hoffnung setzet, nicht die Leipzigische seyn koͤnne, die Hrn. G-ttsch-d zum Verfasser hat. Kuͤnftige Dinge sind ungewiß) Etiam sententias loquitur ‒ ‒ ‒ ‒ Terent. Die wir hier besser, als in der Schweitz haben koͤnnen) Freylich kan man in Deutschland die Wahr- scheinlichkeiten besser haben, als in der Schweitz, wie es einem gedruͤckten Wercke ergehen werde; allermas- sen sie diese Wahrscheinlichkeiten und das Schicksal ei- nes Buchs selbst machen koͤnnen. Wie leicht wird es ihnen fallen, durch ihr Ansehen, welches sie bey ih- ren Schuͤlern haben, durch die Gefaͤlligkeit ihrer Vor- redner, Journalisten, Zeitungsschreiber, die sie uͤber- all zu ihren Diensten haben, durch ihre gelehrten Buͤnd- nisse ꝛc. ein Buch, das dem Ruhm einiger von den beruͤhmtesten deutschen Poeten so sehr im Lichte stehet, in den Ruff zu bringen, daß es weder gekauft, noch gele en zu werden verdiene. zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln ꝛc. „ vielleicht noch ein Buch bedoͤrfen wird, „welches sie anpreise und beliebt mache,„ Vielleicht noch ein Buch bedoͤrfen wird) Eben wie Milton des Addisons Vertheidigung beduͤrftig ge- wesen. Hr. G-tt s ch-d, und alle Deutschen, die ei- nen eben so feinen Geschmack haben als er, glauben nicht so leicht, daß man guten Wein finde, wo kein Krantz ausgehaͤnget wird. III. Jn Herren G-ttsch-ds Critischen Bey- traͤgen, Stuͤck XXIV. Bl. 679. und 680. stehet von der neuen Critischen Dichtkunst folgendes Urtheil: „Jn diesem Buche sind „einige Materien, die zur Dichtkunst uͤber- „haupt Ueberhaupt gehoͤren) Er verstehet diejenigen Ma- terien, die aus der Natur des Menschen uͤberhaupt hergeleitet werden, als da sind, von der Nachah- mung der Natur, von der Wahl der Materie, von dem Neuen, von dem Wunderbaren und von dem Wahrscheinlichen, von der Esopischen Fabel, von den Charactern, Reden und Gemuͤthesgedancken, oder Spruͤchen ꝛc. Sehr weitlaͤustig) Hr. G-ttsch-d hat ja in sei- nem Versuch einer Critischen Dichtkunst fuͤr die Deut- schen ein vollkommenes Muster gegeben, wie man die Haupt-Materien, die zur Dichtkunst gehoͤren, nicht eben noͤthig habe aus allgemeinen Grundsaͤtzen herzu- leiten E 3 Mehrere authentische Urkunden „ haupt gehoͤren, sehr weitlaͤuftig, andre „ aber leiten und so weitlaͤuftig auszufuͤhren, sondern wie die- se Materien geschickt auf das Absonderliche gezogen, und nach dem verjuͤngten Maßstabe ins Kleine gebracht werden koͤnnen. So hat er z. Ex. in dem 4ten Haupt- stuͤcke, wo er von den drey Gattungen der poetischen Nachahmung handelt, die gantze weitlaͤuftige Materie von der Poetischen Schilderey, wovon Hr. Bodmer von Zuͤrch erst neulich ein grosses Werck mehr als 40. Bogen starck herausgegeben, in zwo Octav-Seiten Bl. 136. u. 137. gantz vollstaͤndig abgehandelt. So hat er auch die Materie von den Charactern Bl. 138. bis 141. in 3. §. §. gar kuͤnstlich ausgefuͤhret. Die Erklaͤrung von der Natur der Fabel hat ihm recht sau- re Muͤh gekostet, und doch als er sie zu Stand gebracht hatte, blieb ihm noch die Frage uͤbrig zu eroͤrtern: Ob die poetischen Fabeln nothwendig moralische Ab- sichten haben muͤssen : Bl. 151. Jn dem folgenden fuͤnften Hauptstuͤcke bekuͤmmert er sich nicht lange, die Natur des Wunderbaren zu erklaͤren, sondern er thei- let das Wunderbare in seine Classen ein, und ist ins- besondere der Abschnitt von der poetischen Anruffung der Goͤtter sehr ausfuͤhrlich gerathen, von Bl. 162. bis 170. Jn dem sechsten Hauptstuͤcke, wo er von der Wahrscheinlichkeit in der Poesie handelt, giebt er sich nicht lange Muͤhe, die Natur derselben auszu- kundschaften und ihre Grade zu bestimmen; sondern er laͤßt die alten und neuen Epischen Dichter von Ho- mer an bis auf Voltaire durch die Musterung gehen, und verweiset ihnen alle die Unwahrscheinlichkeiten, die ihnen jemahls moͤgen zur Last geleget worden seyn, denn er glaͤubt, daß diejenigen keine Narren gewesen, von denen er seine Beschuldigungen geborget hat. Es verdiente auch diese Dichtkunst in Absicht auf den Ver- fasser zum Lob der Tr-ll-rischen Fabeln ꝛc. „ aber gar nicht beruͤhret: Dagegen sind „ einige Capitel eingeschaltet, die man hier „gar nicht suchen wuͤrde; darinn ein par „unsrer beruͤhmtesten Poeten angegriffen „ wer- fasser viel ehender Historisch als Critisch genennet zu werden, es sey denn, daß man das vortreffliche Cri- tische Stuͤcke, Bl. 181. wo er Sal. Francken Abendse- gen auf eine scharfsinnige Weise beurtheilet, in eine be- sondere Betrachtung ziehen wollte. Jm uͤbrigen ist alles auf den deutschen Horizont gerichtet, und es werden darinn solche Fragen eroͤrtert, die niemand als einem Deutschen in den Sinn kommen koͤnnten. Andre aber gar nicht beruͤhret) Naͤmlich die so nothwendigen Capitel und Abschnitte, die in Herrn G-ttsch-ds Dichtkunst gleich zu Anfang stehen, vom Ursprunge und Wachsthum der Poesie uͤberhaupt; von dem Chara c ter eines Poeten; vom guten Ge- schmacke. Sind einige Capitel eingeschaltet) Dergleichen sind: Vergleichung der Mahlerkunst und der Dichtkunst; Erklaͤrung der Poetischen Mahlerey; von der Ver- wandlung des Wircklichen ins Moͤgliche; von der Kunst gemeinen Dingen das Ansehen der Neuheit beyzulegen; von etlichen absonderlichen Mitteln, die schlechte Materie aufzustuͤtzen; von der Wahl der Umstaͤnde und ihrer Verbindung ꝛc. Ein par unsrer beruͤhmtesten Poeten) Naͤmlich in dem siebenden Abschnitte Herr D. Tr-ll-r wegen sei- ner Fabeln, und im zehnten Abschn. wo die Frage er- oͤrtert wird: Ob die Schrift August im Lager ein Gedicht sey; Hr. Koͤnig. Angegriffen werden) Verstehe, durch eine allzu freye critische Untersuchung und Pruͤffung ihrer Fabeln und E 4 Mehrere authentische Urkunden ꝛc. „ werden. Vielleicht geben wir mit der Zeit „noch ausfuͤhrliche Nachricht davon.„ und Gedichte: Equidem vita \& fama pari passu ambu- lant, sagt der Lateiner; doch ists noch besser, als mortuo insultare leoni. Vielleicht geben wir ꝛc.) Hr. G-ttsch-d wird sich um den deutschen Pindus recht verdient machen, wenn er fein bald in seinen Beytraͤgen, (auf welchem Kampf- platz er schon manchen Ritter, und erst neulich einen Damm, einen Hirsch, einen C. G. G. erleget hat,) diesem Critischen Tell nach dem Kopf greiffet, und diese neue Critische Dichtkunst als ein hoͤchstschaͤdliches und gefaͤhrliches Buch, mit seiner recht hoͤflichen und dabey immer fieghaften Schreibart fein schwartz und verhaßt machet. Post Scriptum. Sollte diese Schutzschrift das Gluͤck haben, den deutschen Lesern nicht zu mißfallen, woruͤber ich meinen geheimen und vertrauten Correspondenten N. N. um schleunige Nachricht hiemit will gebeten haben, so wuͤr- de mir dieses Muth machen, auch die uͤbrigen angefoch- tenen Poeten Deutschlands in meinen Critischen Schutz zu nehmen, und gegen meinen Landsmann zu verthei- digen. Pinge duos angues: Pueri! Sacer est locus, extra mejite! PERSIUS. Ableh- Ablehnung des Verdachts, daß die Schweitzerische Nation sich habe uͤberreden lassen, an Miltons Verl. Par. einen Geschmack zu finden. D Er Hr. G-ttsch-d, der groͤste iztlebende Kunstrichter u. Poet Deutschlandes nach Hrn. Tr-ll r, hat im 4ten Art. des 24sten St. sei- ner Crit. Beyt. den Abschlag der D. an Mil- tons Verl. Par. eine Lust zu finden, so buͤndig gerechtfertiget, daß ihm alle diejenigen Beyfall gegeben haben, die bey ihm in die Schule ge- gangen sind. Er gruͤndet sich auf die unstreitige Freyheit dieser Nation, welche ihren Character, ihre Erziehung, ihre Lustbarkeiten, fuͤr sich selber hat, u. nicht gezwungen werden kan, solche mit andern zu vertauschen; am allerwenigsten ihren Geschmack zu aͤndern, nach dem sie sich dabey je- derzeit wohl befunden, u. bey allen an dern Voͤl- kern in Ruhm u. Ansehn gebracht hat. Es ist ei- ne Lust zu sehen, wie dapfer er den eigenmaͤchti- gen Zuͤrchischen Kunstrichter zuruͤckeweiset, der die Deuts. zwingen will, ein auslaͤndisches Buch zu bewundern; welche doch den Opitz selbst nicht anderst als freywillig hochgeschaͤtzet haben, bis ein besonderes Schicksal ihn durch seine Gewalt verdrungen. Ein Deutscher kan nicht anders, als eine hohe Meinung von seiner Nation u. sich selbst empfangen, wenn er siehet, wie B-dm-r mit Addison u. der gantzen Engl. E 5 Na- Ablehnung des Verdachts/ Nation in eine Linie gesetzet wird, nur zu dem Ende, damit er mit ihnen von dieser Hoͤhe da- niedergestuͤrtzet u. zum Gelaͤchter gemacht wer- de. Kein besseres Schicksal verdienete mein Landsmann, nachdem er sich vermessen, die D. in ihrer alten Gleichguͤltigkeit im Ansehen Miltons zu stoͤren, u. sich fuͤr ihn, wie Addison bey den Engl., muͤde zu schreiben u. zu verbuͤr- gen, damit man diesen Poeten einiger Auf- mercksamkeit wuͤrdigte. Dieser Addison war ein leichtfertiger Kopf, wie jener beym Eras- mus, der s. Gefaͤhrten, so mit ihm uͤber Land ritten, beredet, sie saͤhen ein Luftzeichen am Himmel. Er uͤberredete die Engellaͤnder, daß sie dergleichen Dinge in Milton saͤhen. Laͤcher- lich genug! Hr. G-ttsch-d hat diese Thorheit derselben in der charactermaͤssigen Rede, die er ihnen in den Mund leget, in ihrem Ursprung vorgestellet. Wie, laͤßt er sie sagen, sollen Grie- chenland u. Rom alleine grosse Poeten haben? Wir sind eben so ehrlich als sie. Milton sey al- so ein Poet! Wir wollen den Homer u. Virgil zusammenschmeltzen, u. einen Milton daraus machen. Wer will uns das wehren? Wir En- gel. werden es doch besser wissen, als die Aus- laͤnder. ‒ ‒ Er laͤßt sie hier vollkommen reden, wie sie seinen Absichten gemaͤß reden mußten. Er kennet sie besser als sie selber. Nur reden sie zu geistreich, so daß man schier daͤchte, er haͤtte ihnen etwas von seinem eigenen Witz gelichen. Allein was die D. anbelangt, so geht es nicht so leicht an, sie aus ihrer Kaltsinnigkeit zu setzen: sie daß die Schw. das v. P. bewundern. sie sind gegen die Blendungen besser verwahrt, und auf ihren freyen Willen eifersuͤchtiger; sie lassen sich durch die Natur der Dinge, und ihre Eindruͤcke selbst nicht zwingen. Sie machen die Eindruͤcke lieber, als daß sie solche von den Sa- chen empfangen. Allein so gruͤndlich die Ver- theidigung des willkuͤhrlichen Geschmacks der freyen D. gerathen ist, so uͤbereilt muß ich es heissen, daß Hr. G. die schweiz. Nation in Ver- dacht fasset, daß sie sich eben so leichtsinnig habe hintergehen lassen, als die Engl. den M. hochzu- schaͤtzen. Er sagt: Was die Uebersetzung Addi- sons anbetrift, so kan sie vielleicht in der Schw. so gute Wuͤrckungen haben, als die Ueberse- zung M. gehabt hat. Jch muß ihm mit aller der Hoͤflichkeit, die ein Schweitz. haben kan, sa- gen, daß er diese Nation nicht recht kennet, wenn er ihr dergleichen elenden Geschmack zu- trauet. Wir sind auf unsre geistliche Freyheiten, unter welche ich die Freyheit des Geschmacks zuerst zehle, eben so eifersuͤchtig, als auf die leib- lichen; wir haben eben so wol als die Sachsen Scythisches Blut in den Adern, u. bleiben so steif auf dem hergebrachten Geschmack unsrer Vorfahren, als sie, wofern es uns nicht von uns selbst, ohne jemands arbeitsame Bemuͤhung, anderst in den Sinn koͤmmt; die Dinge moͤgen denn ihrer Natur nach einen Eindruck auf das Gemuͤthe fodern, welchen sie wollen, ein Schw. wird sich demselben so handfest als ein D. zu wi- dersetzen wissen, \& sibi res non se rebus submittere. Um dessentwillen hat es uns sehr geaͤrgert, als der Ablehnung des Verdachts/ der Uebersetzer M. nicht gewartet, ob wir die Schoͤnheiten in dem V. P. freywillig empfin- den wollten, sondern sich vermessen, uns in einer langen Legende zu uͤberfuͤhren, daß wir es aus Nothwendigkeit thun muͤßten, weil M. solche Springfedern u. Triebraͤder in sein Gedichte gebracht, welche der Natur des menschl. Her- zens gemaͤß ihre gewissen Wuͤrckungen thaͤten. Auf diese Weise koͤm̃t man mit uns nicht aus; wir wissen uns, weñ es uns gefaͤllt, in unsrer al- ten Gleichguͤltigkeit zu erhalten. Jch kan zwar nicht leugnen, daß nicht ein halb duzt ungera- thene Landskinder in Zuͤrch u. Bern zur Secte Addisons uͤbergegangen; allein mit dem gros- sen Haufen hat es keine Gefahr; insbesondere kan mir Hr. G. glauben, daß die Einwohner der Alpen, je tieffer sie in den Spaͤlten der Ber- ge wohnen, destoweniger von M. Lobrednern eingenom̃en sind; man koͤñte also noch richtig zu 50000. Eidsgenossen zehlen, ohne Weiber u. Kinder, welche nur nicht gehoͤret haben, daß ein Milt. oder Addison gewesen. Jch muß auch ihm zum Trost erwaͤhnen, ob Hr. Haller gleich diese Alpenbewohner, ihre Berge, Kraͤuter u. Blumen auf das genaueste kennet, daß die Ge- dichte dieses halben Milt. bey ihnen hingegen so unbekañt sind, als Arminius u. Banise, so daß man nicht fuͤrchten darf, daß der Miltonische Schwulst, seine ungeheure Einbildungen u. hochtrabenden Ausdruͤckungen mit ihrem glaͤnzenden Nichts den unschuldigen Geschmak dieser Leute so bald verderben werden. So fern ist daß die Schw. das v. P. bewundern. ist es, daß die Schw. alle Addisons Geschmack haben. Der Eifer fuͤr die Ehre meiner Lands- leute hat mich nicht ruhen lassen, bis ich Hrn. G. davon Nachricht gegeben, u. ihn gebeten haͤtte, daß er guͤtiger von uns dencken, u. das Verbre- chen, dessen sich etliche wenige unter uns schul- dig machen, nicht der gantzen Nation in die Rechnung setzen moͤgte. Jch zweifle nicht, daß er ihr nicht Recht wiederfahren lassen wer- de, indessen hat sein uͤbereilter Verdacht mich u. andre von meinen Landsleuten, die von der glaubigen Secte sind, so sehr in die Nase gebis- sen, daß wir die Freude nur halbig empfunden haben, so seine meisterhafte Umtreibung unsers eigensinnigen Landsmanns uns sonst verursa- chet haͤtte. Wir haben doch nicht ohne Lust be- obachtet, wie sinnreich er die Gewohnheit der Alten ihre Schriften auf oͤffentlichen Plaͤtzen vor gantzen Versam̃lungen von Leuten allerley Stands zu lesen, u. die Eindruͤcke derselben in der Zuhoͤrenden Gebehrden zu beobachten, auf das Lesen in den Trivialschulen verdrehet. Und wie geschickt hat er B-d-m-rn auf einmahl alle Deut. Poeten uͤber die Haube gerichtet, weil er gesagt, daß in Deutschl. gemeine Poeten waͤ- ren, die man fleissig laͤse, u. die ihren Lesern ein ungereimtes u. wunderliches Ergetzen gewaͤh- reten. Hr. G. hat dieses sehr gluͤcklich auf alle D. Poet. gute u. boͤse, erstrecket, u. der Amtsei- fer steht ihm trefflich wohl an, mit welchem er ihn deßwegen zum Laͤsterer wider unser Vater- land erklaͤret. Und wie fein hat er den freyen Geist Ablehnung des Verdachts/ Geist, den der Uebersetzer dem knechtischen ent- gegensetzet, der von fleischl. Affecten u. irdischen Geschaͤften regieret wird, von dem fluͤchtigen Mercurialischen verstanden! Wie schlau hat er vorgegeben, daß Milt. Staͤrcke in Fehlern wider die Gram̃atick, in Verkehrungen aller gewoͤhnlichen Wortfuͤgungen, u. in tausend andern sonst unerlaubten u. von keinem an- dern Poeten begangnen Schnitzern bestehe; wie scharfsiñig hat er auf diesen Grund Hans Sachsen zum geschmeidigsten deutsch. Poeten gemacht! Wie kuͤnstlich hat er das Lob wieder zuruͤckgenom̃en, das er im 19ten St. der Crit. Beytr. Art. 18. B-dm-rs Uebersetzung erthei- let: „Gewiß alle Kenner Miltons sind erstau- „net, als sie diese Dollmetschung desselben gele- „sen haben. Denn wer haͤtte sichs eingebildet, „daß dieses mit Gedancken so beschwerte Ge- „dichte, dessen Ausdruck so koͤrnigt, sinnreich u. „tief ist, sich so nachdruͤckl. u. vollstaͤndig deutsch „wuͤrde geben lassen! U. doch hat es der Hr. B. „gethan.„ Also redete die Hoͤflichkeit; aber nach dem B ‒ dm ‒ r dieselbe verwuͤrcket hat, fuͤhrt Hr. G. billig eine gantz andre Sprache, u. wa- rum sollte er nicht berechtiget seyn, was er einst ohne Verdienen gelobet hatte, ein andermahl ohne Verdienen zu tadeln? Warum sollten sei- ne Liebeswuͤrckungen laͤnger dauren als seine Liebe? Jch verwundere mich gar nicht, daß ihm der deutsche Ausdruck in dem V. Par. seltsam u. widerlich duͤnkt, er koͤm̃t uns in der Schweiz, so hart gleich unsre Ohren sind, eben so vor, B. sollte daß die Schw. das v. P. bewundern. sollte ihn verschoͤnert haben, welches gar leicht gewesen waͤre, wenn er den Teufeln nur solche Redensarten zugeeignet haͤtte, wie in unsern galanten, verliebten u. vermischten Gedichten gefunden werden. Nicht nur die Ausdruͤckun- gen, sondern auch die Gedancken des Poet. sind schrecklich u. wild, wie die boͤsen Engel, denen sie in den Mund geleget werden, die Catonen, Portii, Arsenen, in unsern guten Trauerspielen haben schon mehr Lieblichkeit u. Zierlichkeit in ihren Spruͤchen u. Meinungen. Wie ungeschikt har ferner Hr. G. seinen Gegner sagen lassen, unsre Kunstr. haben Milt. Gedicht aus einem Abscheue vor der Materie verworffen, u. die- ses Vorurtheil koͤñe mit gleichem Grunde von der Jlias, der Odyssea, u. Eneis gefasset wer- den! Wie listig verweiset er endlich den schweiz. Kunstricht., daß sie Brockes u. Koͤnig fuͤr die groͤsten iztlebenden Poeten erklaͤret haben, oh- ne Zweifel, weil sie dieselben am fleissigsten an- gezogen, u. am liebsten getadelt haben! Grad als ob sie in den G-ttsch-dischen Schriften nicht eben so wol Exempel von herrlichen Fehlern, die einen eignen Absch. verdienten, angetroffen haͤt- ten. Auf diese Weise bemeistert sich ein guter Redner seiner Materie u. seines Gegners, keh- ret die Worte u. Gedancken desselben nach sei- nen Absichten, u. leihet der Widerparte seine eignen Meinungen, wodurch er sie am allerge- wissesten schwarz, ungereimt u. laͤcherlich machẽ kan. Wollte jemand Scrupel machen, daß die- se Rednerkuͤnste sich mit der Billigkeit nicht wol ver- Ablehnung des Verdachts/ daß die ꝛc. vertragen, der muß wissen, daß wider einen Mañ, gegen den uns die Hoͤflichkeit, das Band aller Pflichten u. Tugenden, nicht mehr bindet, alles erlaubet ist. B. mag es sich selber danken, daß er von diesem Muster der Hoͤflichkeit, der sich sonst nicht uͤberwinden kan, jemand zu ta- deln, der es nicht mit seinem Tode verschuldet hat, nicht gelinder tractirt wordẽ; warum hat er lieber scharf beurtheilet u. getadelt, als mit Stillschweigen uͤbergangen werden wollen; u. warum hat er sich die Freyheit genom̃en, alles nach seiner Einsicht u. Meinung, nicht nach H. G-ttsch-ds oder Tr-ll-rs, zu beurtheilen. Da- rum wird er mir u. andern von seinen Landsleu- ten, ob wir gleich seine Eidsgenossen sind, nicht veruͤbeln koͤnnen, wenn wir uns mit dem sieghaften Hrn. G-ttsch-d wider ihn verbinden, u. also zu erkennen geben, daß wir, ob wir gleich Nachkommen der Alpinischen Ri- sen sind, die den Oestreichischen Jupiter bekrieget ha- ben, wie Hr. G-ttsch-d sich in geschmeidigem deutsch aus- druͤket, deñoch Deutsche seyn wollen, wo nur die Deutschen uns, die wir so grundboͤse Hæreticos in der Critick unter uns erzogen haben, mit denselbigen, Unschuldige mit den Schuldigen, nicht vermischen. Wir hoffen aber, daß sie sich an unsrer Erklaͤrung begnuͤgen, und bey ihnen, wie wir bey uns, fortfahren werden, den alten Geschmack, wie die alte Religion, zu verfechten, damit alle Einwohner Deutschlands in allen Provinzen, als Kinder eines Scythischen Gebluͤtes, ohne ein gefaͤhrliches Schisma, in vollkommener Einigkeit des Geschmacks, bestaͤndig mit dem Hertzen verstehen und mit dem Verstande glauben. Nachrichten von dem Ursprung und Wachsthum der Lritik bey den Deutschen. Nachrichten von dem Ursprung und Wachsthum der Critik bey den Deutschen. O Pizens poetische Schriften, welche die er- sten sind, die wir ohne Schamroͤthe an- ziehen doͤrffen, geben uns durch die Ein- druͤcke, so sie in dem Gemuͤthe verursachen, ge- nug zu erkennen, daß diesem geschickten Mann keines von denen Kunst-Stuͤcken verborgen gewe- sen, wodurch das Hertz geruͤhrt, und die Wahr- heiten auf eine angenehme Weise in den Verstand gebracht werden. Es waͤre einem Wunderwer- ke gleich, wenn er Schriften, die so tuͤchtig sind, uns zu gefallen, und dieses mit so vieler Gewiß- heit und Gleichheit thun, ohne eine genaue Er- kaͤnntniß der Mittel, wodurch solches zuwegege- bracht wird, verfertiget haͤtte. Unterdessen hat er die Grundregeln, nach welchen er gearbeitet hat, die Anmerkungen von dem Verhaͤltniß des mensch- lichen Gemuͤthes mit den Dingen, und die Mit- tel, wodurch dasselbe einer gewissen Absicht ge- maͤß in Bewegung gesezet wird, lieber im Wer- ke selbst und in der Ausfuͤhrung anwenden, als in einem Kunstbuche zusammenschreiben wollen. Er hat uns einzig und allein ein Lehrbuch von wenig Bogen hinterlassen, worinnen er etliche wenig allgemeine Anmerkungen von der Erfindung, von den Gattungen der Gedichte, von der Zubereitung und Zierde der Worte ꝛc. zusammengetragen hat, ohne sich in die besondern Grundsaͤtze und Theile der Dichtung oder der Rede tiefer einzulassen. Er [Crit. Sam̃l. II. St.] F 2 sagt Nachrichten von dem Ursprunge sagt in der Vorrede zu diesem Werckgen gleich beym Eingange; „Er vermeine keinesweges daß „man jemanden durch gewisse Regeln und Gese- „ze zu einem Poeten machen koͤnne, massen die „Poetercy auch eher getrieben worden, als man „je von derselben Art, Amt, und Zugehoͤr ge- „schrieben, so daß die Gelehrten, was sie in den „Poeten, welcher Schriften aus einem goͤttli- „chen Antriebe und von Natur herkommen, auf- „gemerket, nachmals durch richtige Verfassun- „gen zusammengeschlossen, und aus vielen Tu- „genden eine Kunst gemachet haben.„ Wir thaͤten ihm unrecht, wenn wir aus diesen Wor- ten eine Geringachtung der Regeln schliessen woll- ten. Er hat damit allein den Nuzen derselben be- stimmen wollen. Denn es ist gewiß, daß diese ohne das Naturell, ohne einen Affectreichen, schnellentbrandten Geist, ohne einen reichen Vor- rath an Bildern nicht zureichen, einen Poeten zu machen. Wie sollte aus einem ungehirnten, in der Erkaͤnntniß der Natur, des Menschen, der Welt Sitten und Haͤndel, unerfahrnen Mann ein Poet herauszubringen seyn? Die Regeln sind nur eine Hand, welche den Weg zeiget, den man gehen soll, eine Fakel, welche um uns her helle machet, aber gleichwie die Erkaͤnntniß des Weges einen Lahmen, und eine aufgesteckte Fa- kel den Blinden nichts nuͤzet, also geben die Re- geln einem plumpen und schweren Geist wenig Trost. Aber ohne die Wegweisende Hand und ohne das Licht steht auch ein guter und scharffse- hender Laͤufer in Gefahr irre zu gehen. Die der Critick bey den Deutschen. Die muntern Koͤpfe, die zu einer Zeit mit Opizen lebeten, empfanden zwar die Gewalt der Regeln, die er in seinen Schriften angewandt hatte, nicht nur so gut, als der gemeine Mann, sondern nach dem groͤssern Maasse ihrer Geschick- lichkeit in weit hoͤhern Graden. Doch besann sich keiner von ihnen, dieselben darinnen aufzusuchen, und die Uebereinstimmung der Eindruͤcke mit der menschlichen Natur, auf welcher sie beruheten, in sorgfaͤltigen und wohluͤberlegten Untersuchungen der Opizischen Exempel zu entdecken. Sie gien- gen nicht weiter, als daß sie seinen neuen Vers nach seinem aͤusserlichen Aussehen betrachteten, und einige Regeln auf das Muster derselben fest- sezeten. Wenn sie die innerliche Kunst seiner Ge- dichte im Tiefen und Absonderlichen eingesehen, und aus seinen, oder ihren eigenen, Erfahrun- gen und weitern Nachsinnen eine gruͤndliche Theo- rie bekommen haben, so haben sie diese nicht in critischen Schriften oder Kunstbuͤchern sondern ebenfalls in der Ausuͤbung gebraucht. Wir sehen in der That, daß sie ihren Opiz fleissig gestudiert haben; der Schwung, den sie ihren Gedichten gegeben, insbesondere mittelst dergleichen Zusaͤze, womit Opiz das Ende seiner Redesaͤze so gerne mit unerwartetem Nachdruck verstaͤrkete, eine Menge Redensarten, Bilder, Lebensregeln, Gleichnisse, Allusionen, so sie von ihm angenommen haben, zeigen genugsam, daß sie ihm mit sorgfaͤltigen Schritten nachgegangen sind. Andreas Tscherning hat zum Ex. ein Gluͤck- F 3 wuͤnsch- Nachrichten von dem Ursprunge wuͤnschungsgedichte an David Rhenischen mit fol- genden Zeilen angefangen: Wir muͤssen freylich nur, wir armes Volck, bekennen, Daß Erde, Feuer, Luft, und Wasser, schrecklich brennen, Aus Eifer gegen uns: Des hohen Himmels Haus, Das schuͤttet seinen Zorn mit Blitz und Donner aus, Von allen Ecken her, nachdem so schwere Plagen, Jn dieser See der Welt mit Macht zusammenschlagen Auf unsren Suͤndenhals; doch gleichwohl ist ein Gott, Der seiner Gnaden Licht laͤßt scheinen in der Noth, Wann Caurus um den Mast mit harten Stuͤrmen sauset, Wann die erzoͤrnte Flut um alle Seiten brauset, Und will mit uns Grundab: Dem nichts sich bergen kan; Der, ob er schon betruͤbt, nimmt dennoch wieder an, Nur daß man eifrig blaͤßt die starken Bußvosaunen Aus Feindschaft unsrer Schuld, und auch die Bethcarthaunen, Die Himmelsbrecher, pflanzt vor Gottes schoͤne Stadt, Uns zeucht nicht eher ab, bis man das Jawort hat. Das guͤldne Sonnenrad hat fuͤnfmahl seinen Wagen Durch alle Zeichen schon am Himmel durchgetragen, Seit mich das Vaterland hat heissen fremde seyn. ꝛc. Wer erinnert sich nicht fast alle diese Bilder und Ausdruͤcke im Opitz gelesen zu haben? Jn dem Gedichte an den Freyherren von Burghaus heisset es: Wir koͤnnen freylich nicht vorbey, mein Vaterland, Und muͤssen nur gestehn, der Himmel sey entbrandt Aus Eifer gegen uns, nachdem so schwere Plagen Von allen Ecken her bey dir zusammenschlagen. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Doch gleichwohl ist ein Gott, Der seiner Gnaden Licht auch mitten in der Noth Des truͤben Wetters zeigt. ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Wo Caurus um den Korb des hohen Mastes pfeift, Wo die ergrimmte See mit ganzen Wellen streift, Und der Critick bey den Deutschen. Und jagt das Schiff grundab. Doch der wird Hand anlegen, Der lieb hat, wenn er zoͤrnt. Jn der Ode auf das Leichbegaͤngniß der Herzo- gin zu Muͤnsterberg: Der des Gebethes Stuͤcke Pflanzt fuͤr die Himmelsstadt, Und weichet nicht zuruͤcke, Bis er das Jawort hat. Und in der Daphne sagt der Chor der Hirten zu Apollo: Du grosser Gott, der du den Feuerwagen Rings um den schoͤnen Himmel fuͤhrst. Allein gleichwie es eben keine grosse Kunst braucht, dergleichen Formen der Rede nachzumachen, so waͤchßt Tscherningen, Dachen, Flemmingen und andern von ihrer Zeit ein schlechter Ruhm da- her zu. Opitz wußte Kunststuͤcke, die eine tiefere und verborgenere Erkaͤnntniß des Menschen und der Dinge zu erkennen geben; diese koͤnnen wir in seinen Nachfolgern, die mit ihm lebeten, kei- nesweges in dem Grade wahrnehmen, wie sie bey ihm vorhanden waren. Sie moͤgen aber ei- ne grosse oder kleine Theorie davon gehabt haben, so haben sie von solcher keine Lehrbuͤcher noch criti- sche Abhandlungen verfasset. Was wir critisches von ihnen haben, sind kurze Urtheile, fluͤchtige Lobspruͤche, Meinungen, die nicht bewiesen, oder auf gruͤndliche Untersuchungen gebauet, noch zum wenigsten mit Exempeln erklaͤret werden, sondern schlechthin auf dem Glauben beruhen, den wir F 4 von Nachrichten von dem Ursprunge von dem Verstande, der Geschicklichkeit, und der Aufrichtigkeit dessen haben, der solche Urthei- le gefaͤllet hat. Von dieser Art ist der Ausspruch, den Rist von Opitz gefaͤllet hat: „Es hat uns zwar der ed- „le und hochberuͤhmte Poet Martin Opitz in sei- „nen theils lustigen theils nuͤtzlichen Schristen „und Gedichten genugsam Anleitung gegeben, „wie wir unsrer fast verderbten und durch so viel „fremdes in dieselbe gleichsam vermummten deut- „schen Sprache wieder auf die Beine helffen, „ihr die unbekannten Larven wieder abziehen, „und derselben Glantz, Zier, und Reinlichkeit „in Aufnehmen bringen koͤnnen.„ Und an ei- nem andern Orte: „Wir Deutschen, ob wir „schon in den Lateinischen und Griechischen Spra- „chen so vortreffliche Poeten gehabt, und noch „zur Zeit haben, daß wir auch keinen fremden „Nationen in denselben etwas bevorgeben; so „ist doch fast niemand gefunden, der sich um uns- „re so schoͤne und wortreiche Muttersprache haͤt- „te bekuͤmmern, oder dieselbe durch die goͤttliche „Poesie haͤtte beruͤhmt machen wollen, bis end- „lich vor wenig Jahren der hochgelahrte Opitius „hervorgekommen, der den Weg zur selbigen ge- „bahnet, das Eis gebrochen, und uns Deut- „schen die rechte Art gezeiget, wie auch wir in „unsrer Sprache Petrarchas, Ariostos, und „Ronsardos haben koͤnnen.„ Buchner hat von der Opizischen Muse noch in hoͤherm Thone be- zeuget: Non potest ascendere altius Musa patria, \& necesse est, ut quiescat eo fastigio quo der Critick bey den Deutschen. quo tu collocasti: Interim te sequemur lon- ge, \& tua vestigia adorabimus: Sic tamen non obscuri prorsus morituri. Jn diesem pa- negyrischen Thone hat damahls jedermann von Opizen geurtheilet; ohne daß nur ein einiger die innerliche Art seiner Gedichte mit characteristischen Zuͤgen bestimmet haͤtte. Hofmannswaldau hat zuerst einen Character von seiner Poesie zu entwerffen vorgenommen, den er uͤber dieses durch eine Vergleichung derselben mit andern Poeten in ein verschiedneres Licht ge- stellet hat. „Folgende Jahre, sagt er, ist die „deutsche Poesie nicht viel besser worden, bis un- „gefehr vor fuͤnfzig Jahren Opitz als ein unge- „meiner gelehrter und aufgeweckter Kopf die „rechte Reinlichkeit der Woͤrter und eigentliche „Kraft der Beywoͤrter genauer beobachtet, und „das Maaß der Sylben, richtige Reimendung, „gute Verknuͤpfung, und sinnreiche Spruͤche, „seinen Gedichten einverleibet. Wie er denn in „allen Stuͤcken der Poesie besonders in Ueberse- „zungen vortrefflich gluͤckselig gewesen. ‒ ‒ Wel- „chem bald drey seiner Landsleute, als Tscher- „ning, so sich sehr an seine Art gehalten, dann „Coler und Czepko ruͤhmlich gefolget, nach wel- „chen auch Dach, ein Preusse, dem die Lieder „nicht uͤbel gerathen, und Flemming, ein Meiß- „ner, so vor andern ein Sonnet gar wohl ge- „schrieben, wie auch Rist, ein Holsteiner, so „viel geistliche Gesaͤnge herausgegeben, dann „Tiz und Muͤhlpfort, als Poeten bekannt wor- „den. Dabey ich dann auch des weitbekannten F 5 „Hars- Nachrichten von dem Ursprunge „Harsdoͤrfers unvergessen, der zwey beruͤhmten „sinnreichen Maͤnner, Gryphii und des von Lo- „henstein schuldigst gedenke, so, wie in allen Sa- „chen, so sie angegriffen, also auch in ihren „Trauerspielen, nach Art Sophocles und Se- „necaͤ gefertiget, was ein hurtiger und gelehrter „Geist kan, zur Gnuͤge erwiesen.„ Er meint ferner, daß durch gedachter Maͤnner Fleiß und Nachsinnen die deutsche Poesie so reine worden, daß sie der auslaͤndischen nichts mehr nachgebe. Doch gestehet er, daß die Welschen, wegen ih- rer insgemein angebohrnen Verstandes und Scharf- sinnigkeit, an guter Erfindung den Deutschen manchesmahl zuvorgehen. Von seinen eigenen Gedichten, insbesondere von seinen Heldenbriefen, urtheilet er: „Die Art zu schreiben darinnen ist „gelaͤuftig, leicht, und mehr lieblich als praͤchtig, „dazu denn Ovidius mein Anfuͤhrer gewesen. „Viel von heidnischen Goͤttern und uͤbersteigen- „den gezwungenen Redensarten, wie auch ande- „re gemeine Schulpossen, werden hier wenig zu „finden seyn, und machen die den Enthalt der „Sachen eigentlich bedeutende Woͤrter, etliche „kraͤftige Beywoͤrter, und andre mit Verstand „angewandte Kleinigkeiten die ganze Verfassung „meines Schreibens.„ Welcher diesem fluͤchtigen Urtheil Glauben zustel- len soll, muß das Ansehen Hoffmannswaldaus so viel bey sich gelten lassen, daß er ihm auf sein blosses Wort glaͤubt. Eine obgleich nur kurze Ein- sicht in die Schriften Opitzens und seiner Schuͤler, eine Vergleichung derselben mit Gryphii, und Lo- der Critick bey den Deutschen. Lohensteins Gedichten, eine nur fluͤchtige Betrach- tung der eigenen Hoffmannswaldauischen Gedich- te, vornehmlich seiner Heldenbriefe, wuͤrde zu bald verrathen, wie uͤbel ausgemessen, wie unbe- gruͤndet, wie ungereimt dieses lobreiche Urtheil ist, und wie wenig es mit sich selber bestehen koͤnne. Denn Hoffmannswaldau ist zuerst von Opitzens Muster abgewichen, welche bey dem Mangel gruͤndlicher Lehrbuͤcher bisdahin vor Vorschriften gedienet hatten; er hat eine Schreibart eingefuͤhrt, welche von dem, was er selbst von ihr ruͤhmet, das Wiederspiel in sich hat, und eben so wenig Natur in den Sachen als in dem Ausdrucke zei- get; aber nichtsdestoweniger von seinen Landsleu- ten vor ein gleich so treffliches oder noch treffliche- res Modell poetischer Wercke, als Opitz waͤre, angenommen worden. Es ist am Tage, was vor einen Haufen Uebels dieser Jrrthum in der Poesie nach sich gezogen, welches sich destoweniger zu verwundern ist, weil ihm durch keine critische Untersuchung, so sich auf die Natur der Sachen bezogen haͤtte, Einhalt gethan ward. Die unge- messenen Lobspruͤche, die ehdessen zu Gunst der opi- zischen Poesie gefaͤllet worden, wurden izo mit eben derselben Dreistigkeit, aber mit mehr Unge- schicklichkeit und Parteiligkeit dem Hoffmanns- waldau und seinem uͤbersteigenden Nachfolger dem von Lohenstein, verschwendet. Dieser hat sein Urtheil von dem erstern mit fol- genden Worten abgefasset: „Dem Herren von „Hoffmannswaldau hat es die deutsche Sprache „zu dancken, daß ihr Spanien mit seiner nach- „denck- Nachrichten von dem Ursprunge „dencklichen, Welschland mit seiner scharfsinni- „gen, Franckreich mit seiner lieblichen Feder „nicht mehr uͤberlegen ist. Denn Opitz that es „den Alten und Auslaͤndern nach, unser Herr „von Hoffmannswaldau aber zuvor.„ Und in dem Gedichte an den von Logau hat er dieses Lob noch weiter getrieben: ‒ ‒ ‒ Denn Opitz ist zwar werth, Den ersten Lorbeerkrantz in Deutschland zu erlangen, Er hat mit solchem Ruhm das Hauptwerck angefangen, Daß keiner nach der Zeit ihm ist geflogen fuͤr, Als Hofmannswaldaus Geist, der Oder hoͤchste Zier; Der deutsche Pindarus, dem keiner nach wird kommen. Wir muͤssen uns uͤber dieses ausschweifende Lob nicht verwundern, weil Lohenstein wahrhaftig sich selbst in Hoffmannswaldau gepriesen hat. Jhm hat hernach gantz Deutschland dieses Urtheil nach- gesagt, und nicht leiden wollen, daß jemand sol- ches grosse Lob mit Hoffmannswaldau theilete, als nur eben der von Lohenstein selbst. Also ward Opitz von ihnen hinuntergesezet. Neukirch, der fuͤr den Erben der Lohensteini- schen Feder gepriesen worden, hat sein Urtheil da- von mit diesen Worten gegeben: „Wir wenden „uns zu dem vortrefflichen Herrn von Lohenstein, „dessen Nahme bereits so weit erschollen, daß er „unsre Ausblasung nicht mehr vonnoͤthen hat. „Alle seine Gedancken sind scharfsinnig, seine Aus- „bildungen zierlich, und wenn ich die Wahrheit sa- „gen soll, so findet man in diesem einzigen fast alles „beysammen, was sich in denen andern nur ein- „zeln zeiget. Denn er hat nicht allein von Opi- „zen der Critick bey den Deutschen. „zen die heroische, von Gryphio die bewegliche, „und von Hoffmannswaldau die liebliche Art an „sich genommen; sondern auch viel neues hinzu- „gethan, und absonderlich in Sententien, Gleich- „nissen, und hohen Erfindungen sich hoͤchstgluͤck- „lich erwiesen. Seine Tragoͤdien sind von den „besten, seine geistlichen Gedancken voller Kraft, „und seine Begraͤbnißgedichte unvergleichlich. Jn „seinem Arminius aber hat er sich als einen rech- „ten Poeten erwiesen, und so viel artige, kurze, „und Geistvolle Dinge ersonnen, daß wir uns „nicht schaͤmen duͤrffen, dieselbigen allen heuti- „gen Franzosen entgegen zu setzen.„ Er bringet nach diesem etliche Exempel, um denjenigen, wel- che die Deutschen so hoher Gedancken unfaͤhig ach- ten, die Augen, wie er sagt, zu oͤffnen. Das erste ist ein Sonnet, worinnen Olympia, eine Person aus dem Arminius, welche zu Bewah- rung ihrer Keuschheit den Koͤnig Artabazes und sich selbst erstochen hatte, der roͤmischen Lucretia vorgezogen wird. Der Schluß davon lautet: ‒ ‒ ‒ Lucrezen sey nur recht, Olympien zuviel durch ihren Stich geschehen. Und dieser wird aus dem Foͤrdersatze gezogen. Lucretia ließ zu vorher die schnoͤden Luͤste, Olympia hat nichts von geiler Brunst geschmeckt. Hier setzet Lohenstein voraus, daß Lucretia dem Tarquin ohne Zwang zu Willen gewesen, welches der Geschichte zuwiderlaͤuft. Sie ist eben da- rum Nachrichten von dem Ursprunge rum von ihren Landsleuten so hoch erhoben worden, weil sie eine Schandthat, zu der sie gezwungen wor- den, nicht hat uͤberleben wollen. Das Lob, das Olympien den Vorzug vor einer solchen giebt, wel- che die schnoͤden Luͤste zugelassen hat, will also nicht viel sagen. Der Poet meint es damit zu erheben, daß er von Olympia sagt: Die ihren Heldenarm zu strenger Rach ausstreckt, Eh als zum ersten mahl sie Artabazes kuͤßte. Sie strafft demnach nur den Vorsatz, nicht die That, und diesen an ihr selbst, an der unschuldi- gen; eine Ungerechtigkeit, die wahrhaftig straf- wuͤrdiger ist, als Artabazens blosser Vorsatz! Wenn wir mithin der Lucretia That beym Licht besehen, so war sie selbst hoͤchst strafwuͤrdig; sie hat gewaltsame Hand an sich selbst geleget, ihre Rache an Tarquin zu befoͤrdern, sie hat vorher ihre Anverwandten zur Empoͤrung wieder ihren rechtmaͤssigen Koͤnig angestraͤnget, und hierdurch das gantze roͤmische Volck in einen unsichern Stand und eine langwierige Unruhe gesetzet. Die- ses machet sie noch mehr schuldig als den Tarquin selbst, dessen Uebelthat nur ein Weib getroffen hat. Und dieses faͤllt auch Olympien zur Last, welche eine gleiche That begangen, ohne daß sie dergleichen Bewegursache dazu gehabt hatte, wie Lucretia. Neu- der Critick bey den Deutschen. Neukirch giebt unter den Exempeln, womit er die Faͤhigkeit der Deutschen zu hohen Gedancken beweisen will, auch den bekannten Strophen ei- nen Platz, worinnen die Annehmlichkeit der Liebe uͤber die Suͤssigkeit des Zuckers, des Honigs, und alles dessen erhoben wird, was in der Natur und neben der Natur suͤß ist, das ist, er verglei- chet die Lustbarkeiten des Geschmackes mit den Lustbarkeiten der Einbildungskraft, wozu kein gros- ses Bestreben des Geistes erfodert wird. Wenn man nichts trefflichers hat, den Frantzosen entge- genzusetzen, so wird man kluͤger handeln, daß man sich mit ihnen in keinen Eiferstreit einlasse. Er hat uns zugleich seine Urtheile von allen an- dern beruͤhmten Poeten Deutschlands eroͤffnet, und dieses mit mehr Umstaͤnden, als noch keiner vor ihm gethan hatte. Er haͤlt Opitzen vor einen Mann, welcher so viel Verstand, als Feuer, viel Sprachen zu seinen Diensten, und von allen Wissenschaften eine gruͤndliche und ungemeine Kaͤnntniß gehabt. „Jch will, faͤhrt er fort, „eben mit Buchner nicht sagen, daß er die Poe- „sie so hoch erhoben, daß ihm alle die andern „nur folgen muͤssen: Es ist aber unstreitig, daß „er darinnen mehr gethan, als man meinet, „und daß viel Versmacher in Deutschland le- „ben, welche die Kraͤfte dieses Poeten noch nicht „erkennet.„ Er verweiset es denjenigen, welche meinen, daß sie lauter Wunderdinge im Boileau finden, und dennoch nicht wissen, was in unsrem aller- Nachrichten von dem Ursprunge allerersten Poeten, dem Opitzen, stecket. „Wenn „wir uns alle bemuͤheten, sagt er ferner, den „Weg zu gehen, den er gegangen, das ist, „durch Lesung der Griechen und Roͤmer klug zu „werden, ihre Gedancken mit Anmuth anzubrin- „gen, und endlich eigne aus unsrem Gehirne aus- „zubruͤten, so wuͤrden wir den Franzosen bald „naͤher kommen, und uͤber die Ungleichheit ihrer „und unsrer Schriften nicht mehr klagen duͤrffen: „Massen sie doch alles, was sie sagen, den Al- „ten entweder nachgeafft oder abgestohlen.„ Er meint, Tscherning sey Opitzen nicht beyge- kommen, Dach sey unvergleichlich in geistlichen Liedern, und ungemein gluͤcklich in Uebersetzung der Psalmen, Flemming behalte noch wohl den Ruhm, daß er unter seinen Landsleuten am be- sten gesungen, wenn er ihn aber bey die drey be- ruͤhmten Maͤnner Gryphius, Hoffmannswaldau und Lohenstein stelle, so duͤrfte er fast von ihm und seines gleichen das Urtheil faͤllen, sie waͤren zwar grosse Helden, aber sie kaͤmen nicht an die Zahl der drey. Denn diese haben nicht allein dem Opitz weit gluͤcklicher als Flemming gefolget, son- dern ihn in gewissen Stuͤcken auch uͤbertroffen. Und zwar, was Gryphius belange, so sey unstretig, daß seine Gelehrsamkeit unmaͤßlich, sein Verstand unvergleichlich, und sowohl in Erfindung als Aus- bildung der Dinge sehr hurtig und schnell gewesen. „Seine Tragoͤdien, sagt er, sind voller Kraft, „alle Beywoͤrter wohl ausgesonnen, und wenn „ich die Wahrheit sagen soll, so maͤnnlich, nach- „druͤcklich, und donnernd, daß es ihm keiner „von der Critick bey den Deutschen. „von allen seinen Nachfolgern hierinnen gleich „gethan. Jn Bewegung und Vorstellung der „Affecten hat er ebenfalls etwas sonderliches. „Was man aber am meisten an diesem Mann „bewundern muß, ist, daß er in lustigen Sa- „chen eben so gluͤcklich gewesen ist, als in trauri- „gen.„ Von Hoffmannswaldau merket er an, er ha- be gantz einen andern Weg, als Opitz und Gry- phius erwehlet, indem er sich sehr an die Jtaliaͤ- ner gehalten, und die liebliche Schreibart, wel- che in Schlesien herrschete, am ersten eingefuͤhrt. Er gestehet zwar, daß sein Stylus zu Tragoͤdien oder heroischen Gedichten sich nicht wohl schicken wuͤrde; allein er habe sich auch an dergleichen Dinge niemahls gemacht, sondern seine meiste Kunst in galanten und verliebten Materien ange- wandt, worinnen er sich auch so sinnreich erwie- sen, daß man ihn billig fuͤr den deutschen Ovi- dius preisen mag; seine Liebesbriefe seyn ausser et- lichen harten Metaphoren, so er von den Wel- schen behalten, nicht zu verbessern; aus seinen Begraͤbnißgedichten koͤnne man sehen, daß es ihm an ernsthaften und moralischen Gedancken auch nicht gemangelt: Seine Liebesbriefe aber haben ihm nicht allein uͤber alle Deutschen sondern auch uͤber die meisten auslaͤndischen Poeten den Sitz erworben, und er kan schwerlich glauben, daß ihm denselbigen auch in kuͤnftigen Zeiten jemand be- streiten werde. Von Morhof urtheilet er, daß er zwar so lieb- lich nicht geschrieben, als gelehrt, er habe aber [Crit. Sam̃l. II. St.] G sehr Nachrichten von dem Ursprunge sehr wohl verstanden, was zu einem Gedichte er- fodert wird. Besser sey in beyden sehr gluͤcklich, und habe nicht allein einen scharfen Geschmack von guten Gedancken, sondern schreibe auch solche Verse, welche ein jegliches Ohr vergnuͤgen koͤn- nen. Wiewohl man nun meinen sollte, daß zu der Vollkommenheit der deutschen Poesie wenig mehr uͤbrig waͤre, habe es dem Hrn. Opitz noch an Zierlichkeit, dem Hrn. von Hoffmannswal- dau an Ernsthaftigkeit, dem Hrn. von Lohenstein an Zeit, andern an was anderm gemangelt. Er schlaͤgt zuletzt etliche Mittel vor, wie der Poesie bald aufzuhelffen waͤre. Wir koͤnnen daraus et- was mehrers von seinen Einsichten in das Wesen der Poesie erlernen. „Wer in der Poesie groß „zu werden gedencket, sagt er, muß nicht allein „an natuͤrlichen Gaben uͤberaus reich, sondern „auch in Erfindungen tiefsinnig, in der Arbeit „gedultig, nnd in der Schreibart gantz fest und „poliert seyn. ‒ ‒ Er muß viel Sprachen „verstehen, in allen Wissenschaften wohlgegruͤn- „det, in der Welt erfahren, durch eigne Zufaͤlle „gewitziget, seiner Affe c ten Meister, und in Ur- „theilung andrer Leute Gebrechen vernuͤnftig seyn. „Alsdann ist es Zeit, daß er allgemach anfange, „ein Poete zu werden, welches aber ohne Lesung „und Unterscheidung poetischer Buͤcher nicht wohl „geschehen kan. ‒ ‒ Die einheimischen Poe- „ten lieset man vornehmlich wegen des Styli. „Weilen aber dieser nach Erfoderung der Mate- „rien mancherley ist, so muß man auch hier ei- „nen Unterscheid machen, und von Opitz und „Flem- der Critick bey den Deutschen. „Flemming die heroische, von Gryphius die be- „wegliche und durchdringende, von Hoffmanns- „waldau die liebliche, galante, und verliebte, „von Lohenstein die scharfsinnige, spruchreiche „und gelehrte, und also von einem jeden eine be- „sondere Schreibart lernen, und durch deren „kuͤnstliche Vermischung diejenige zuwegebringen, „welche die Lateiner den Stilum Sublimem nen- „nen.„ Endlich schließt er, daß unter tausen- den kaum einer so gluͤckselig sey, daß er sich zur Poesie rechtschaffen schickete; und so er es ja end- lich sey, so gebreche es ihm doch entweder an Ge- dult, oder Zeit, oder am Gluͤcke in seiner Befoͤ- derung, und also am vornehmsten, welches zu ei- nem Dichter erfodert wird, nemlich an einem froͤ- lichen Gemuͤthe. Dannenhero thun nach seinem Erachten diejenigen am besten, welche die Mittel- strasse halten, sich bloß auf galante Gedichte le- gen, und um die Geheimnisse der hohen Poesie unbekuͤmmert lassen. Ein Schluß, welcher der Mei- nung der Alten schnurstracks zuwieder ist: ‒ ‒ ‒ ‒ Mediocribus esse poetis Non DI, non homines, non concessere columnæ. Diese Urtheile sind zur selben Zeit durchgehends vor feine Critick angesehen worden, ungeachtet sie allein auf den willkuͤrlichen Geschmack des Kunst- richters gebauet sind. Ja ungeachtet man von der Kraft, so den Trauerspielen Lohensteins, und Gryphius, und den Heldenbriefen Hoffmannswal- daus zugeschrieben wird, in Durchlesung derselben nichts empfindet, hat man diese Ausspruͤche doch G 2 mit Nachrichten von dem Ursprunge mit Verleugnung der eigenen Empfindung ohne Foderung eines gruͤndlichen Beweises, ohne Un- tersuchung, mit Glauben und Liebe angenommen. Was man darinnen nirgend hinzubringen gewußt hat, was dunckel, zweydeutig und verworren geschienen, hat man lieber seiner eigenen Unge- schicklichkeit, als des dreisten Kunstrichters ver- worrenen Kopf zugeschrieben. Jndessen ist Neu- kirch selbst einer der ersten gewesen, der in die Lo- hensteinische Schreibart einen Zweifel gesetzet, und sein Urtheil auf gewisse Weise zuruͤckegenom- men hat. Er that dieses eine sehr kurtze Zeit her- nach; wie wir aus folgenden bekannten Zeilen se- hen, die aus einem Vermaͤhlungsgedichtee von 1700 genommen sind: Mein Reim klingt vielen schon sehr matt und ohne Kraft: Warum? Jch traͤnck ihn nicht mit Muscateller-Saft; Jch speis’ ihn auch nicht mehr mit theuren Ambrakuchen, Denn er ist alt genug, die Nahrung selbst zu suchen. Zibeth und Biesam hat ihm manchen Dienst gethan: Nun will ich einmahl sehn, was er alleine kan. Alleine? Fraget ihr: Ja, wie gedacht, alleine. Denn, was ich ehmahls schrieb, war weder mein noch seine. Hier hatte Seneca, dort Plato was gesagt; Da hatt’ ich einen Spruch dem Plautus abgejagt; Und etwann anderswo den Tacitus bestohlen. Auf diesen schwachen Grund, ich sag es unverholen, Baut’ ich von Versen oft damahls ein gantzes Haus, Und ziert’ es noch dazu mit Sinnebildern aus. Wie oftmahls muß ich nicht der abgeschmackten Sachen, Wann ich zuruͤcke seh, noch bey mir selber lachen. Gleichwohl gefielen sie, und nahmen durch den Schein, Wie schlecht er immer war, viel hundert Leser ein. Ha! schrie man hier und da; fuͤr dem muß Opitz weichen. Ja, dacht ich, wenn ich ihn nur erstlich koͤnnt erreichen! Den Willen haͤtt ich wohl. So wie ich es gedacht, So der Critik bey den Deutschen. So ist es auch geschehn. Jch habe manche Nacht Und manchen Tag geschwizt; allein ich muß gestehen, Daß ich ihm noch umsonst versuche nachzugehen. Jn den folgenden Zeilen saget er uns auch, wem er diese Veraͤnderung seines Geschmackes zu dan- ken habe: O grausamer Horaz, was hat dich doch bewegt, Daß du uns so viel Last im Dichten aufgelegt? So bald ich nur dein Buch mit Lust und Ernst gelesen, So ist mir auch nicht mehr im Schreiben wohl gewesen. ꝛc. Jn der Satyre auf unverstaͤndige Poeten hat er von seinem ersten Suͤndenstande und hernach ge- folgten Bekehrung mit demselben bußfertigen Her- zen geredet: Ein halb mit Pikelschertz vermengtes Operettchen, Ein stinkender Roman von rasenden Chrysettchen, Ein geiles Myrthenlied, und ein nach dem Adon Des uͤppigen Marin erbauter Venusthron, Der der Geliebten Schoos bis auf den Grund entdecket, Und Buͤsch und Bruͤnnen draus, und Vogelnester hecket ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Ein rohes Trauerspiel, in dem die Regeln fehlen, Und so viel Schnizer fast, als Sylben sind, zu zehlen; Ein Brief, den Adam schon der Eva zugesandt, Da beyde dazumahl doch keine Schrift gekandt; Ein kreissendes Sonnet, das mit dem Tode ringet, Und der Gedanken Rad, so wie die Reimen zwinget, Und ein nach Poͤbelart gepriesner Buhlerblick Jst oft bey dieser Zeit das groͤste Meisterstuͤck. So lang ich meinen Vers nach gleicher Art gewogen, Dem Bilde der Natur die Schminke vorgezogen, Der Reime duͤrren Leib mit Purpur ausgeschmuͤckt, Und abgeborgte Kraft den Woͤrtern angeflickt; So war ich auch ein Mann von hohen Dichtergaben; Allein sobald ich nur der Spure nachgegraben, G 3 Auf Nachrichten von dem Ursprunge Auf der man zur Vernunft beschaͤmt zurucke kehrt, Und endlich nach und nach nur den Parnaß erreicht, So ist es aus mit mir. Jn eben derselben Satyre schmaͤlet er auf die schwaͤrmende Vernunft Der von der Hungersucht bethoͤrten Dichterzunft, Die sich durch falsche Kunst auf den Parnaß geschlichen, Von der gesezten Bahn der Alten abgewichen, ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ ‒ Der Griechen Zaͤrtlichkeit das Todesurtheil faͤllet, Des Maro klugen Wiz in Kinderclassen weist, Horazens Dichterbuch verrauchte Grillen heißt. ꝛc. Nichtsdestoweniger, wenn wir seine letztern Wer- ke nach diesen griechischen und lateinischen Mustern beurtheilen, muͤssen wir schliessen, daß er die Kunst derselben nicht in ihrer vollen Kraft eingese- hen habe, oder daß der Wille bey ihm besser ge- wesen sey, als das Vermoͤgen, massen wir da- rinnen zwar nicht mehr dergleichen falsche Pracht, aber hingegen sehr viel gemeines, plattes, nie- dertraͤchtiges, und verworrenes Zeug so wohl in den Gedanken, und Bildern, als dem Ausdruck wahrnehmen, das einen unbefestigten Geschmack anzeiget. Jch finde zum Exempel in eben dieser Satyre auf die unverstaͤndigen Poeten folgende theils poͤbelhafte theils ungeschickte Redensarten: Jn Schulstaub springen; mit Ebraͤerwitz gespickt: einen ins Re Mi Fa Sol La der Huͤbneristen ja- gen; notenmaͤssig seyn; ein Jammerlied im Tan- ze drechseln; das Dichtersaltz juͤckt in den Adern; zum Floͤtenritter schlagen; den Trieb der Redlich- keit der Critik bey den Deutschen. keit mit Silberzaͤumen lenken; nach Narrenwas- ser lechzen; durch ein Haberrohr zum Federstur- me blasen; einem Muͤhe und Schweiß in den Jammerbusen schieben; auf den Weg der Hun- gerwiesen fuͤhren. Multi dum vitant vitia in contraria currunt. Zu derselben Zeit, da Neukirchen zu Berlin dieses ungewisse Licht in der Critik aufgegangen war, hatte die Stadt Hamburg einen Kunst- verstaͤndigen, bey welchem ein hellerer Tag in die- ser Wissenschaft schon angebrochen war. Wer- nike tappete daselbst nicht im Dunckeln, er ver- ließ sich nicht auf die betruͤgliche Empfindung in Schriften, wo nicht das Hertz und die Affecte al- lein, sondern eben so oft der Witz und der Ver- stand herrschen sollen. Er urtheilte auf festgesetzte und bestaͤndige Grundsaͤze; welches vor ihm noch keiner gethan hatte. Er betrachtete die Gedichte der Deutschen ohne Vorurtheile, und sah auf die Wahrheit der Sache, nicht auf das Ansehen, oder den Beyfall andrer. Aufrichtigkeit und Freyheit, mit Bescheidenheit ohne Schmeicheley, fuͤhrten ihm die Feder. Jn seinem Versuche von Ueberschriften sind die geschicktesten Exempel von scharfsinnigen Gedancken in grosser Verschiedenheit enthalten, und in den Anmerckungen, die er hin- zugesetzet hat, findet man gantz natuͤrliche Grund- saͤtze von dem Witze und der Scharfsinnigkeit, die derselbe manchmahl in Beurtheilung der abson- derlichsten Einfaͤlle mit gehoͤriger Einsicht und Be- stimmung anwendet. Wir werden oͤfters von ihm berichtet, was seine ersten Einfaͤlle uͤber eine G 4 Sache Nachrichten von dem Ursprunge Sache gewesen; indem er dieselben izo selbst ver- wirfft, zeiget er uns zugleich an, warum er sie ausgeloͤschet habe; und wie er bey einer Veraͤnde- rung nicht nur gesucht, den ersten Fehler zu he- ben, sondern an statt des ungeschickten Gedankens einen trefflichen zu ersinnen. Unter einer grossen Anzahl Ueberschriften gehen nun eine ziemliche Menge auf die deutschen Poeten, den Witz der Deutschen, die Vorruͤckungen des Vater Bu- hurs, und dergleichen Dinge. Der Autor ist dann beflissen, die Urtheile, so er in den sticheln- den Ueberschriften gefaͤllt hat, in den Anmerckun- gen zu erklaͤren und zu bekraͤftigen. Wir wollen ihn seine Begriffe von der Poesie, der Critik, und ihrem Gebrauche selber entdecken lassen. „Etliche Ueberschriften, sagt er, sind wider un- „sere deutschen Poeten, oder daß man seine Mei- „nung deutlicher ausdruͤcke, mehr wider die ein- „gefuͤhrte Schreibart, als die Poeten selbst ge- „richtet. Man haͤlt davor, und man hoffet, „es werde dem Verfasser von keinem vernuͤnfti- „gen Menschen uͤbel gedeutet werden, daß er sei- „ne Meinung so frey heraussaget; man haͤlt da- „vor, daß wir bisher in unfern Versen mit eiteln „und falschen Woͤrtern zuviel gespielet, und sehr „wenig auf das bedacht gewesen, was die Wel- „schen Concetti, die Franzosen Pensées, die „Engellaͤnder Thoughts, und wir fuͤglich Ein- „faͤlle nennen koͤnnen; da doch dieselbe die Seele „eines Gedichtes sind. Ja daß auch eben die, „welche sinnreich zu seyn gewußt, dennoch nicht „eine nachdruͤckliche und maͤnnliche Art zu schrei- „ben der Critik bey den Deutschen. „ben gehabt haben. ‒ ‒ Wohlfliessende Ver- „se zu schreiben ist die geringste obgleich noͤthige „Tugend eines Poeten, und verdienet niemand „diesen Nahmen, der nicht zugleich die Eigen- „schaft der Sprache, in der er schreibt, und der- „selben Staͤrcke zierlich auszudruͤcken, und da- „bey mit grosser Sinnlichkeit zu schreiben weiß. „Die hoͤchste Vollkommenheit der Poesie aber be- „steht darinnen, daß man erstlich die Anstaͤnd- „lichkeit in allen Dingen genau beobachte, und „hernach durch edle und großmuͤthige Meinungen „die Seele seines Lesers entzuͤcke. ‒ ‒ Bey „uns haben Opitz und Gryph, und derselben zwey „beruͤhmte Nachfolger, Hofmannswaldau und „Lohenstein den groͤsten Preiß bisher verdienet. „Diese zwey letztern insonderheit werden anizt „am meisten gelesen. Sinnreich und lieblich ist „der erste; sinnreich und durchdringend der an- „dere. Jenen ist jedermann geneigt; diesen ist „jedermann gezwungen zu ruͤhmen. Man findet „in der That in den Trauerspielen des leztern „unterschiedliche vortreffliche Oerter, und unter „denen einige, welche es in Ausdruͤckung einer „Sache den besten alten Poeten gleich thun. „Wenn man aber die Wahrheit gestehen darf, „so hat er sich auch hierinnen unterweilen durch „seine Hitze so weit verfuͤhren lassen, daß er schoͤ- „ne Sachen zur Unzeit angebracht; und praͤchti- „ge Worte seinem Verstande zum Nachtheil, „und gleichsam in einer poetischen Raserey geschrie- „ben hat. Unzeitiger Witz ist Unverstand, und „die Einfalt hingegen in vielen Gelegenheiten G 5 „ver- Nachrichten von dem Ursprunge „verwunderungswuͤrdig. ‒ ‒ Man ist gaͤntz- „lich der Meinung, daß was die franzoͤsische „Schreibart zu der heutigen Vollkommenheit ge- „bracht hat, meistentheils daher ruͤhre, daß so- „bald nicht ein gutes Buch ans Licht koͤmmt, „daß nicht demselben eine sogenannte Critique „gleich auf den Fuß nachfolgen sollte, worinnen „man die von dem Verfasser begangenen Fehler „sittsamlich und mit aller Hoͤflichkeit und Ehrer- „biethung anmercket. Sintemahl dadurch ohne „alle Aergerniß dem Leser der Verstand geoͤff- „net, und der Verfasser in gebuͤhrenden Schran- „ken gehalten wird.„ Ueber das Epigramma auf die schlesische Poeten fuͤgt er seine Anmerckung mit folgenden Worten bey: „Der grosse Ruhm „den man allhier den schlesischen Poeten zuleget, „stimmet mit einigen vorhergehenden Ueberschrif- „ten und denen Anmerckungen nicht allerdings „uͤberein; und dieser Unterscheid im urtheilen „ruͤhret von dem grossen Unterscheid des Verfas- „sers Jahre her. Man hatte, als man diese Ue- „berschrift schrieb, nicht allein keine englische „und franzoͤsische Poeten, sondern so gar auch „die besten lateinischen nicht anders als der Spra- „che halber gelesen, wannenhero es kein Wunder „ist, daß man sich damahls in seinem Urtheil „in etwas verstiegen. Die Sache kurtz zu ma- „chen, so ist man annoch der Meinung, daß „die schlesische nicht allein unsre beste Poeten, „sondern auch mit den besten Auslaͤndischen moͤg- „ten zu vergleichen seyn, wenn die zwey beruͤhm- „ten Maͤnner Lohenstein und Hoffmannswaldau „es der Critik bey den Deutschen. „es bey der reinen und natuͤrlichen Schreibart „des Opizs und Gryphs haͤtten bewenden lassen, „und nichts anders als ihre eigene Scharfsinnig- „keit derselben zugefuͤget haͤtten. Es scheint aber „daß sie beyderseits unter allen fremden Poeten „sich die Welschen zum Muster gesezet.„ Er zeiget hernach aus des Hoffmannswaldaus eignen Gestaͤndniß, daß dieser sich die Welschen, und zwar die schlimmen unter denselben zum Bey- spiel gesetzet, welches er ferner mit etlichen Exem- peln aus desselben Heldenbriefen besteiffet, uͤber die er folgende drey Dinge mit Bedacht und ohne Vorurtheil zu erwegen bittet, eh man ihn einer Unbescheidenheit beschuldige, die unbequemen Re- densarten, die harten Metaphoren, und den fal- schen Witz. Von allen drey Arten fuͤhret er Exempel mit seinen Anmerckungen an, und diese werden in der That so bescheiden und ehrerbiethig eingefuͤhrt, daß man in Zweifel geraͤth, ob er mehr Fehler eingesehen oder mehr verschwiegen habe. Jn der Ueberschrift, wo er so schertzreich sagt, daß seine Muse, wenn sie zornig ist, keine Bie- samkuchen bake, erklaͤrt er sich von dem damahligen Zustand der Poesie bey den Deutschen sehr verstaͤndig. „Diese Zukerbekerey, sagt er, laͤßt man gar ger- „ne den heutigen Schlesischen Poeten, als wel- „che dergleichen lekerhafte Sachen in ihren Ver- „sen so haͤuffig zu Kauffe haben, daß sie so gar „auch nicht der Mandeln und des Marzipans „vergessen, und man sich folgends einbilden soll- „te, daß sie alle ihre Leser vor Kinder hielten. „Jch weiß zwar wohl, was Deutschland Schle- „sien Nachrichten von dem Ursprunge „sien wegen der Dichtkunst schuldig ist; derselben „Ursprung, Fortgang, so gar, alle Poeten, „die sich bishero unter uns einen Nahmen ge- „machet haben. Es fehlet aber so weit, daß sie „unsre Poesie annoch in den Stand sollten gese- „zet haben, worinnen wir, ich will nicht sagen „der Griechen und Lateiner, sondern nur der heu- „tigen Franzosen und Engellaͤnder ihre finden, „daß sie vielmehr uns zu vielen Fehlern verfuͤhrt, „und dieselben durch ihre wohlfliessende und zahl- „reiche Verse so gar unter uns gangbar gemacht „haben, daß man sich sogleich einen gantzen „Schwarm deutscher Dichterlinge auf den Hals „ladet, so bald man Liebe genug zu seinem Va- „terlande traͤgt, dieselben als Fehler anzumer- „ken. Die Rede nach der unterschiedenen Art „der Gedichte unterschiedlich einzurichten; in ei- „nem Schaͤfergedichte sittsam zu sinken, ohne zu „fallen, in einer Ode hergegen zwar hoch aber „nicht aus dem Gesichte zu steigen, und in die- „ser unterweilen eine kuͤnstliche Unordnung sehen „zu lassen; in den Schauspielen die Einigkeit der „Zeit, des Orts, und der Sache gantz genau „zu beobachten, und zwar in den Lustspielen die „Sitten zu verbessern, und in den Trauerspielen „die Hoͤrer zum Schrecken und zum Mitleiden „zu bewegen; in allen aber insgemein voller sinn- „reichen Gedancken und Einfaͤlle, und großmuͤ- „thigen und schoͤnen Meinungen zu seyn, so daß „dieselben nach Lesung des Gedichtes in dem Ge- „daͤchtniß stecken bleiben; dieses alles ist das, „worauf die wenigste unsrer Poeten bishero ge- „dacht, der Critik bey den Deutschen. „dacht, oder was die wenigste ihrer Leser in ih- „nen gesucht haben. Ein wenig Zeit hoffe ich, „wird diese Anmerckung in ihr rechtes Licht sezen, „und ihr den Neid und Haß benehmen, den sie „sich hierdurch bey unbedachtsamen und parthei- „schen Lesern anizo ohne Zweifel erwecken wird.„ Wernike war der einzige zu seiner Zeit, der die Poesie in diesem wahren Lichte erkannte; ich fin- de insbesondere nicht, daß jemand vor ihm dasje- nige angepriesen habe, was er gar geschickt die Meinungen, und die Franzosen les Sentimens, heissen. Er ist daneben der erste, der die Ein- fuͤhrung der gleichgeltenden Woͤrter bestraffet hat, Bl. 93. der erste, der die poetische Zahl darinnen grossentheils gefunden, daß die Wendung und der Fall der Verse unterschiedlich sey, und daß die Verse zwar fliessen, aber einer dem andern nicht allzeit gleich fliessen muͤsse, Bl. 99. der erste, der die Schreibart, die von den Franzosen Bur- lesque genannt wird, welche er Knittelgedichte heißt, in der rechten Materie angewendet, und das unterscheidende Zeichen, (wie er Bl. 209. das Wort Character giebt,) dieser Art Gedichte sowohl in den Reimen Bl. 331. als in den Gedan- ken genau bestimmt hat, der erste der von den Ei- genschaften des guten Witzes mit Begruͤndniß ge- schrieben hat. ꝛc. Das Bekenntniß, das dieser satyrische Kunst- richter hier und dar seiner eigenen Fehler halber thut, ist eben so liebenswuͤrdig, als die Verbes- serung derselben, die er zugleich hinzufuͤget, lehr- reich ist. Er hatte von einem Kind und einem Grei- Nachrichten von dem Ursprunge Greisen den Gegensatz gemacht: Die Kindheit neh- me bey dem ersten durch die Jahre ab, bey dem andern zu; straft sich aber wegen dieses Einfalles selber mit diesen Worten: „Zu der Zeit da ich „diese Ueberschrift aufsetzte, dacht ich Wunder, „was ich vor einen herrlichen Fund gethan, an- „izo aber erkenne ich nur gar zu wohl den alber- „nen Witz derselben. Jch war damahls in ei- „nen Emanuel Thesaurus, Juglaris, und Ma- „senius verliebt, anizo kan ich kaum einen Se- „neca und Plinius mit Vergnuͤgen lesen.„ Jn einer andern Ueberschrift hatte er die Mutter zu Rom, die ihren todtgeglaubten Sohn gesund und munter heimkommen sehen, zweymahl sterbend, und den Sohn als den Nachlaß beyder Leichen eingefuͤhrt; eine jede Reihe, ein jedes Wort, zeig- ten durch eine gezwungene Sinnlichkeit, wie er selber bekennt, nur gar zuviel die Jahre an, da- rinnen sie geschrieben waren. Nun haͤtte er diese von ihm selbst verworffene Ueberschrift wohl unter- druͤcken koͤnnen, allein er wollte sie lieber mitthei- len, den Leser damit zu seiner Unterrichtung zu be- lustigen, und demselben zugleich anzuzeigen, wie wenig man den Leuten gefalle, wenn man densel- ben gar zu viel zu gefallen sucht. Sehet auch Bl. 128. und 203. Man erkennet wohl, daß er zuerst nachgedacht, eh er die Feder ergriffen, und daß er Zeit uud Muͤhe an die Ausfuͤhrung seiner Gedancken gewendet hat. Eben dieses hat er sei- nen Landesleuten empfohlen, von denen er sagt, sie haben Witz genug, aber sie lassen sich nicht Zeit genug, etwas dauerhaftes zu schreiben; sie lassen der Critik bey den Deutschen. lassen es nicht allein bey dem ersten Einfall, son- dern auch bey der ersten Redensart bewenden, und wie sie allein zu schreiben scheinen, damit es der Sezer in der Druͤckerey lesen koͤnne, also ver- aͤndern sie in ihren Schriften auch nichts, als was dieser darinnen versehen hat. Weise und Francisci, vieler anderer zu geschweigen, haͤtten sich mit Recht einen Nahmen in Deutschland ge- machet, wenn sie weniger geschrieben haͤtten: Sie seyn zwey Fluͤsse, welche wegen ihres schnellen und ungewissen Laufs so viel Schlamm und Unflat mit sich fuͤhren, daß man den guͤldnen Sand der- selben nicht erkennen koͤnne. Mit allen diesen critischen Einsichten und Tu- genden hat Wernike nicht vermeiden koͤnnen, daß seine Strafurtheile nicht solche Leute in den Har- nisch gejaget, welche in der Poesie von nichts als einem Lohenstein und Hoffmannswaldau wissen, und weil sie in denselben ohne Unterscheid alles mit Verwunderung lesen, diejenigen mit Zorn und ei- nem poetischen Amtseifer ansehen, welche sich un- terstehen, etwas in denselben zu tadeln. Es hat darwieder nicht geholffen, daß er den Verehrern Hoffmannswaldaus und Lohensteins das Exempel Homers und Virgils vorgehalten, welche we- gen vieler Dinge von vielen grossen und beruͤhm- ten Leuten, und zwar insgemein ohne ihre Schuld, getadelt worden. Die Hoͤflichkeit und geziemen- de Ehrerweisung, die er mitten in seinen Bestra- fungen gebraucht, haben ihn vor Hasse nicht bewah- ren moͤgen. Das Lob, das er besagten deutschen Poeten beygeleget, hat ihm keine Vergebung des Tadels Nachrichten von dem Ursprunge Tadels derselben erlanget, ungeacht es ihm gewiß Muͤhe gemacht haͤtte, das Lob mit eben so guͤlti- gen Anmerckungen zu erweisen, als die sind, wo- mit er die getadelten Stellen verworffen hat. Las- set uns ihn wieder selber vernehmen. „Es ha- „ben diese zwey beruͤhmte Maͤnner zwar das ih- „rige mit grossem Lob, aber doch noch lange nicht „so viel gethan, daß ihre Nachfolger, so wie „Alexander uͤber seines Vaters Siege, Ursache „zu seufzen haben sollten, daß ihnen nichts mehr „zu thun uͤberlassen worden sey. Des von Hoff- „mannswaldaus Gedichte werden wegen seiner „Heldenbriefe mehr als des von Lohensteins gele- „sen. Weswegen ich zum Versuche den ersten „derselben durchgegangen, und einige Anmer- „kungen daruͤber gemachet habe. Wer derglei- „chen uͤber des von Lohensteins Schriften ma- „chen wollte, der wuͤrde Zeug genug zu seiner „Arbeit finden. Es ist derselbe, man gestehet „es gerne, ein groͤsserer Poete als der erstere. „Der vom Horatius erfoderte, und von hohen „Sachen klingende Mund laͤßt sich mit Vergnuͤ- „gung in hundert Oertern seiner Schriften hoͤren. „Allein dieses ist auch unstreitig, daß wie man „an ihm vielmehr zu ruͤhmen, also auch vielmehr „zu tadeln findet, als in dem erstern.„ Er zieht hierauf einen ungeschickten Vers aus Lohenstein an, den er beurtheilet, und dann fortfaͤhrt: „Waͤ- „ren aller unserer Poeten Gedichte diesem Verse, „oder alle Verse des Herrn von Lohensteins die- „sem gleich, so koͤnnte man es dem ehrwuͤrdi- „gen Vater Buhurs nicht verdencken, daß er „uns der Critik bey den Deutschen. „uns nicht mehr Witz als den Moscoviten zuer- „kannt hat. Unterdessen so gehet man so weit „nicht, um dem von Lohenstein zu nahe zu tre- „ten. Man vergißt gern seine Fehler, wegen „seiner anderwaͤrtigen herrlichen Tugenden. Man „hat es nur mit denen zu thun, die dessen Tugenden „nicht erkennen, und sich allein an dessen Fehler „halten, dieselben zu ihrer Richtschnur im Schrei- „ben sezen, und wenn sich jemand findet, der „aus keinem Neide des Poeten, sondern bloß „allein zu Befoͤderung der deutschen Poesie diesel- „ben anmerket; sich gleich thoͤrigter Weise ein- „bilden, man haͤtte einem Koͤnig nach seiner Krone „gegriffen. Glaubet man in der That, daß die „Poesie mit der Zauberkunst eine gleiche Grund- „feste habe? Und bildet man sich ein, daß man „den Unverstand, so wie das Fieber mit nichtsbe- „deutenden Worten und Zeichen vertreiben koͤn- „ne?„ Dergleichen Leute gab es wuͤrcklich. Postel, dessen Singspiele damahls in dem Hamburgischen Opernhause erschalleten, konnte Hoffmannswaldaus und Lohensteins Schreibart nicht verurtheilet sehen, ohne zu begreiffen, daß ihm ein gleiches Urtheil wie denselben gesprochen waͤre. Seine Gelahrtheit war so groß, als Lo- hensteins, sein Witz nicht geringer, aber wegen Mangel an Urtheilskraft eben so ausschweifend. Wenn Wernike von einer Muse redete, Die in ein Spinngeweb das Bild der Dichtkunst praͤgt, Die Marmor und Albast aus Brust und Haͤnden haut, Die Edelstein und Stern aus ihrer Feder sprizt, Die in dem Aug Achat, in Thraͤnen Perlen findt, Und aus den Disteln Zeug der Lust zum Schlafrock spinnt, [Crit. Sam̃l. II. St.] H so Nachrichten von dem Ursprunge so paßte dieses so wohl auf Postel, als auf Hoff- mannswaldau, und wenn Postel es nicht selbst wahrnahm, so sagten es ihm andere. Seine Ue- bersetzung eines der anmuthigsten Stuͤke aus der Jlias war schon im Druke und mit einem grossen Krame von Gelehrsamkeit, wie er auch mit seinen Singspielen pflegete, begleitet worden, in wel- chem man mehr Gedaͤchtniß und Fleiß im Zusam- mentragen, als Verstand im Anbringen fand. Er hatte auch schon 1698. angefangen, die ersten Buͤcher von seinem Wittekind zu schreiben; dieses Gedichte hatte alle die Fehler, die Hr. Wernike angegriffen. Die Singspiele hatten einen grossen Zulauf bekommen, welchen ihr Urheber nicht er- mangelte ihrem eigenen Werthe zuzuschreiben, das aber, wenn wir Werniken glauben, mehr den Saͤngern und Saͤngerinnen zu danken war; man gieng in die Oper, wie viel Leute die Kirche besu- chen, nicht um der Predigt, sondern um des Ge- sanges Willen. Postel muͤßte sehr gelernig gewe- sen seyn, und sich selber gewußt haben zu verleug- nen, wenn er Hoffmannswaldaus, Lohensteins und seine eigene Vernichtung ohne Empfindung gesehen haͤtte. Es fehlte ihm nicht an Verehrern, die in seinem Geschmacke waren, die von seinen Gedichten urtheilten, wie Hr. Weichmann noch vor wenig Jahren (1724.) von seinem Wittekind mit diesen Worten gethan hat: „Er hat den „Geschmack der Alten und Neuern zu verbinden ge- „wußt: Jch erstaune uͤber die vielfaͤltige und „wohl darinn angebrachte Wissenschaft. Die Leb- „hastigkeit und das Feuer, womit die verschie- „denen der Critik bey den Deutschen. „denen Affecten ausgedruͤckt sind, ruͤhret mich „oͤfters auf das empfindlichste. Der Reichthum „und die Staͤrcke in der Sprache bewundere ich. „Die haͤufig einfliessenden erbaulichen Sittenleh- „ren dienen mir zu so viel Wegweisern durch die „Welt. Kurtz ich bin versichert, daß wenn „dieß Werck voͤllig waͤre ausgearbeitet worden, „Deutschland weit groͤssern Ruhm davon gehabt „haͤtte, als Jtalien von seinem Tasso und Ma- „rino zugleich.„ Die bey Posteln im Schwang gehende, nichtsbedeutende Worte, diese inornata \& dominantia nomina tantum, bekleideten, wie Wernike Bl. 184. sagt, so artig ihren Platz, und waren von so geschickten Leuten eingefuͤhrt worden, daß sie fast durchgehends angenommen worden. Nam decipit Exemplar vitiis imitabile. Po- stel dachte darum bald mit Werniken fertig zu werden, und mit einmahl Lohenstein und sich sel- ber zu schuͤtzen: Er schrieb ein kurzes Sonnet, in welchem er Lohenstein einem Leuen, Werniken aber einem Hasen vergleicht, der auf dem todten Leuen herumspringet. Dieser antwortete ihm mit dem comischen Heldengedichte Hans Sachs, worin- nen er Posteln von Hans Sachsen zu seinem Reichs- nachfolger einsegnen laͤßt. Postel schaͤmte sich und schwieg stille. Oder wie einige Berichte lauten uͤber- gab er die Feder Menantes d. i. Georg Siegmund Hunolden, der damahls als ein irrender, verlieb- ter armer Ritter zu Hamburg war, wo er sich anfangs bey einem Advocaten mit schreiben ge- nehrt, nachgehends aber selber Rechtssachen zu verwalten uͤbernommen, daneben auch anfieng H 2 mit Nachrichten von dem Ursprunge mit Romanen schreiben sich etwas zu verdienen, auch einige Opern verfertigete. Dieser ließ erstlich etliche satyrische Briefe, und hernach ein rechtes Possenspiel voller Frazen und Anzuͤglichkeiten wie- der Wernike druken, unter dem Titel: Der thoͤrigte Pritschmeister, oder, schwermende Poet ꝛc. von Menantes. Coͤlln, bey Peter Martau dem juͤngern 1704. Die Personen dieses Possenspieles sind, ein gelehrter Mann, der von seinen Renten lebet, ein Schulmeister, ein Ertzpritschmeister, ein lustiger Bedienter, ein Pegnitzschaͤfer, Hans Sachsens Geist, Mirandola, in die sich der Ertz- pritschmeister verliebt, Amarillis des gelehrten Manns Tochter, die er gleichfalls liebt, eine Schustersmagd, eine Milchdirn, eine Troͤdel- frau. Der Schertz, und das Gelaͤchter, das sie fuͤhren, und das Werniken gelten soll, ist dem Stande dieser Personen aus dem niedrigsten Poͤ- bel gemaͤß. Es besteht meistens aus ungereimten Anwendungen der Wernikischen Sinngedichte, welche sie sich durch ihre Verdrehungen zugleich eigen und laͤcherlich machen. Es sind immunda, ignominiosaque dicta, die niemand anderm als dem gemeinen Poͤbel zur Ergetzung dienen koͤn- nen. Der Nahme Wernike, wird in Wecknarr und Narrweck verwandelt, und dem Ertzpritsch- meister der erste, der andere der lustigen Person beygeleget. Das Laͤcherliche, worauf Wernike mit einem schertzreichen Einfall gestichelt, wird ihm selber aufgebuͤrdet, und also der Stachel statt des Schuldigen auf ihn geworffen. Diese Pos- sen sind mit Anmerckungen begleitet, worinnen Menan- der Critick bey den Deutschen. Menantes theils anzeiget, auf was vor Sinnge- dichte Wernikens er gezielet habe, theils von sol- chen nach seiner Weise urtheilet, und insbesonde- re einige von demselben angegriffene Stellen zu entschuldigen suchet. Er zeiget aber in dieser Ar- beit eben so wenig Aufrichtigkeit als Einsicht. Was sich noch am besten hoͤren laͤßt, besteht in Vertheidigung derjenigen Fehler, so in Hoffmanns- waldaus Sprache ausgesezet worden; und in Ge- genbeschuldigungen eben dieses Punctens halber. Wernikens Sprache war in der That nicht die reineste noch die bestfliessende; indem er beflissen war, die Sachen mit Geist und gepreßten Nach- druck auszudruͤken, versaͤumte er manchmahl das aͤusserliche in den Worten und dem Verse. Jch will ein Paar von den ernstlichsten Wiederlegun- gen der Urtheile des Hr. Wernike zum Muster vor Augen legen. Dieser tadelte vor harte Me- taphern folgende: Jch weiß daß meine Glut sich denckt zu hoch zu heben, Und daß mein Kieselstein zu Diamanten will. „Das ist zu sagen; der Schreiber will der Prin- „zessin zu Leibe; was aber des Geheimschreibers „Kieselstein sey, ist nicht wohl zu begreiffen, und „macht folgends wunderliche Gedancken. Drauf „sagt er von der Liebe: Sie bindet Gold an Stahl, und Garn zu weisser Seide Macht daß ein Nesselstrauch die edle Rose sucht, Zu Perlen legt sie Gras, zu Kolen legt sie Kreide. „Die Metapher von dem Nesselstrauche und der H 3 Rose Nachrichten von dem Ursprunge „Rose ist zierlich genug, und druͤckt des Poeten „Meinung gnugsam aus; die uͤbrigen aber schei- „nen nicht allein nur lauter Flickwoͤrter zu seyn, „die Verse damit zu fuͤllen, sondern zeigen auch „gar nicht an, was sie hier sonst bedeuten sollten. „Denn daß die Liebe Gold mit Stahl, das ist, „Reichthum mit Dapferkeit verbinde, ist gar nichts „ungemeines. Aus Garn kan man fast so zarte „und kostbare Tuͤcher, als aus Seide machen: „Und ich finde keinen andern Unterscheid zwischen „den Kolen und den Kreiden, als daß die eine „weiß, die andere schwartz, und im uͤbrigen bey- „de ungefehr einerley Werthes sind. Jch ge- „schweige der Perlen und des Grases, welche „mit einander gar keine Vergleichung haben. „Denn ich schreibe es dem Drucker zu, welcher „vielleicht Gras vor Glas mag gesetzet haben.„ Hierauf sagt Menantes zur Vertheidigung der zwey erstern Verse: „Die wunderlichsten Ge- „danken machen des Hrn. Autors unzeitige Gril- „len; denn wenn gleich sonsten des Geheimschrei- „bers Kieselstein zu der Princessin ihrem Dia- „mant gekommen waͤre, sie wuͤrden einander kei- „nen Schaden gethan haben. Aber vernuͤnftiger „zu reden; die Glut steiget zu hoch, und ein Kie- „selstein will zu Diamanten, oder was schlechtes „zu was kostbares, sind Metaphoren, die abge- „schmackte Meistersaͤnger nicht verstehen, aber „bey verstaͤndigen laͤngst mit Approbation gele- „sen worden. Zur Rettung der drey letztern Verse sagt er: „Daß er diese Metaphoren nicht versteht, ist „daraus der Critik bey den Deutschen. „daraus zu ersehen, indem er meinet, Gold und „Stahl bedeute hier Reichthum und Tapferkeit. „Allein Eginhard will sich gantz nicht gegen die „Prinzessin ruͤhmen, daß er mehr Dinte als Blut „vor sie vergossen; sondern erniedriget sich nur „auf eine anstaͤndige Art gegen eine so hochge- „schaͤtzte Person, indem er sie dem Golde sich „aber geringen Stahl vergleichet. ꝛc. Wernike hatte folgende drey Verse aus Lo- hensteins Jbrahim angezogen: Und meiner Adern Brunn, fuͤr dem Cristall nicht rein, Und Schwanen flekigt sind, soll ein Gefaͤsse seyn, Darinn der geile Hengst den Schaum der Unzucht spruͤze? Und daruͤber folgendergestalt geurtheilet: „Wer „findet diese Verse nicht schoͤn? Aber was kan „wohl ungereimter als eben dieselben seyn, wenn „man betrachtet, daß er solche Worte, welche „allein von einer wohlberittenen und abgenutzten „Thais mit Fuge gesprochen werden koͤnnen, der „Ambre, des Mufti Tochter, einem unerfahr- „nen Kinde von zwoͤlf Jahren in den Mund ge- „leget? Viel ehe koͤnnte man die angenehmen „Sitten eines zu Hofe aufgebrachten Juͤnglings „in einem wilden Tartar; und einen schlauen „und durchtriebenen Machiavelli in einem Dre- „scher in der Scheune vorstellen.„ Auf diese Beschuldigung antwortet Menantes: „Die gan- „ze Censur bestehet darinnen, daß die Worte „zwar schoͤn, aber viel zu frey und ungereimt waͤ- „ren, indem Lohenstein sie der Ambre, als ei- „nem jungen Frauenzimmer in den Mund geleget H 4 „haͤtte: Nachrichten von dem Ursprunge „haͤtte. Nun frage ich, ob das vernuͤnftig cen- „sieren heißt; einen Mann nach seinem Tode „wegen eines freyen Verses durch die Hechel zu „ziehen? Dem Leser geschiehet vielleicht durch „diesen einzigen Vers ein unvergleichlicher Nu- „zen in der Poesie? Oder der Hr. von Lohen- „stein wird deßwegen seine Gedanken im Grabe „verbessern lernen? Oder des seligen Mannes „hoͤchstschaͤtzbare Meriten und andre Vortrefflich- „keiten in der Poesie verdienen nicht, daß man „ihm das geringste nachsiehet? Jch finde nicht, daß Wernike diese abentheur- liche Frazen einer Antwort gewuͤrdiget habe, auf die satyrische Briefe Menantes hat er wohl in et- lichen Ueberschriften gestichelt. Was er von der- gleichen Schnapphanen fuͤr Gedanken gehabt habe, giebt er in dem Epigrammatischen Gespraͤche zwischen Maͤvius und Bavius d. i. Menantes und Po- steln Bl. 311. zu verstehen. Bavius sagt daselbst zu Maͤvius: Wer lachenswerth mich schaͤtzt, der denckt nicht einst an dich. Jch weiß nicht, ob die Deutschen sich durch der- gleichen Widerlegungen und Vorstellungen ha- ben abschreken lassen, Wernikens Censuren Ge- hoͤr zu geben, das ist gewisser, daß die Vorur- theile zu Gunst der Hoffmannswaldauischen Schreib- art, ungeachtet der eben so gruͤndlichen als scharf- sinnigen Critiken des Hr. Wernike, hernach wie zuvor in ihrer vollen Kraft geherrschet. Jch darf dem Argwohn nicht Platz geben, daß die Sinn- gedichte dieses muntern Kopfs den Deutschen zu voll der Critik bey den Deutschen. voll Geistes gewesen, dadurch ihnen die Lesung derselben zu muͤhsam und unangenehm gefallen sey. Dieses wuͤrde einem franzoͤsischen Vater Buhurs besser anstehen zu behaupten. Wernike sagt zwar in der Vorrede zu denselben, daß sie an einem gros- sen Koͤniglichen Hofe von hohen Personen mit Vergnuͤgen gelesen worden, und der beruͤhm- te Clericus hatte eine Ueberschrift desselben auf den Koͤnig Wilhelm von Groß-Britannien, die er in der Uebersetzung gesehen, nicht allein in sei- nem historischen und politischen Mercur vom Mo- nat October 1699. angezogen, sondern auch hier- von Gelegenheit genommen, den Pater Buhurs durch die Hechel zu ziehen. Si le Pere Bouhours, sagt er, voyoit cette Epigramme, il ne met- troit point en question, je m’asseure, si un Allemand peut être bel Esprit, il avoueroit que l’esprit est de tout pais. Jndessen weiß mich nicht zu erinnern, daß ihrer von einigem ge- schickten Scribenten nur schlechthin oͤffentlich waͤre gedacht worden, Hrn. Koͤnig ausgenommen, der in seiner Untersuchung vom Geschmacke, mehr als zwanzig Jahre nach ihrer Herausgebung, ihn als einen Mann von ausbuͤndigem Geschmacke ge- lobet, und fuͤr den ersten angepriesen, der das Hertz gehabt sich der Lohensteinischen Schreibart in oͤffentlichem Drucke zu wiedersetzen. Die Exemplare von seinem Werke haben sich auch so gaͤntzlich verlohren, daß ich ungeachtet aller Muͤ- he, die ich mit Nachfragen gehabt, nur neulich dasjenige, dessen ich mich izo bediene, durch ei- nen Zufall entdecket habe. Nichtsdestoweniger H 5 war Nachrichten von dem Ursprunge war des Verfassers Person in seinem Leben be- kannt genug, und konnte er sich, wie Horatius, ruͤhmen, daß er mit grossen Standspersonen Um- gang gehabt habe. Von seiner Herkunft zwar ist mir nichts mehrers bewußt, als daß er von vaͤterlicher Seite ein Sachse, von der muͤtterli- chen ein Engellaͤnder, und von Geburt ein Preus- se war. Man hatte seine Jugend dem beruͤhm- ten Morhofen zur Aufsicht und Unterweisung an- vertrauet. Hernach bracht er drey Jahre an einem vornehmen Hofe zu, wo eine hohe Frauensperson seinen muntern Kopf fleissig uͤbete, indem sie ihm bald diese, bald jene geistliche oder weltliche Begeben- heit vorlegete, daß er sein Urtheil davon in einigen kurtzen Zeilen abfassete. Nach diesem trat er ei- ne Reise nach Franckreich und den damit benach- barten Laͤndern und Koͤnigreichen an, bis er nach Verfliessung etlicher Jahre Anlaß hatte, sich an dem Englischen Hofe aufzuhalten, wo ihm aber das Gluͤck, das er schon bey der Hand erwischet zu haben vermeint, fehlgeschlagen. Seine Hoffnung desfalls war auf viele geleistete Dienste gegruͤndet, und der Compaß ward ihm ohne seine Schuld durch einen unversehenen Zufall verruͤcket. Den- noch hat Hunold hernach eben hiervon Anlaß ge- nommen, die anzuͤglichsten Glossen uͤber Werni- kens Betragen in Engelland zu machen, so daß er ihn treuloser Handlungen und sich selbst damit zugezogener Straffe verdaͤchtig gemachet. Das in Londen mißlungne Gluͤck machte, daß Wer- nike wieder an den Ort zuruckkehrete, woselbst er seine ersten Jahre mit vieler Zufriedenheit zuge- bracht der Critik bey den Deutschen. bracht hatte. Damahls suchte er seine bey Hrn. Rath Pf.... in Verwahrung gelassenen Schrif- ten wieder hervor, und schickte erstlich nur einige wenigere Ueberschriften zum Versuche in die Welt hinaus; hernachmahls aber uͤbersah er alle insge- sammt, sonderte viele aus, verbesserte viele, und sezete noch viele neue hinzu. Nachdem er einige Zeit ohne Dienst in stiller Ruhe zugebracht, ward er von ihrer Koͤnigl. Daͤnischen Majestaͤt zu ihrem Staatsrath ernannt, und darauf nach Paris ge- sandt, wo er auch in der Qualitet eins Daͤhnischen Residenten ungefehr vor 20. Jahren gestorben. Nach diesem Anfall, den Wernike mit mehr Recht und Geschicklichkeit als Gluͤck auf den falschen Geschmack gethan, fuͤhrten Hoffmanns- waldau und Lohenstein ihre poetische Herrschaft unangefochten fort. Maͤnnling und Schroͤter posaunten den letztern mit aufgeblafenen Backen aus. Selbst Thomase und Gundling erhuben sei- ne Schriften ungemein. An dem Berlinischen Hofe schrieben zwar Canitz und Besser, am Braun- schweig-Luͤneburgischen Bressand, in einer na- tuͤrlichern Schreibart geschicktere Sachen, wie hernach Koͤnig an dem Saͤchsischen, und Heraͤus an dem Wienerischen. Jch gedencke Weisen und Huͤbners mit Vorsatz nicht, welche das Natuͤrli- che von der Schreibart in der Leichtigkeit eines magern von Kraft der Gedancken und Eindruck der Vorstellungen laͤhren Gedichtes gesucht, und die Lohensteinische Art zu schreiben vielmehr aus einer einfaͤltigen Empfindung, als aus einer wohl- befestigten Einsicht verworffen haben. Mithin haben Nachrichten von dem Ursprunge haben sich auch Caniz und Heraͤus selbst von dem grossen Strohme fortreissen lassen, und Hoffmanns- waldau und Lohensteinen Weyhrauch gestreuet. Der erstere hat in der Satyre, wo er die unna- tuͤrliche Schreibart mit so geistreichen und arti- gen Schertzen zum Gelaͤchter machet, etliche Ver- se einfliessen lassen, die Hoffmannswaldau und Lohensteinen nebst Opitzen alleine vor Poeten gelten lassen: Wo sieht man Hoffmanns Brunn, und Lohnsteins Stroͤhme (fliessen? Jn dieser Metapher hat er zugleich die Kennzei- chen ihrer Schreibart ausdruͤcken wollen. Er hat- te in der vorhergehenden Zeile gesagt: Durch Opitzs stillen Bach gehn wir mit trocknen Fuͤssen. Und auf diese beyden Zeilen folget: Und nehm ich Bessern aus, wem ist wohl mehr vergoͤnnt, Daß er den wahren Quell der Hippocrene kennt? Der andere, Heraͤus, hat sein Urtheil von die- sen und andern beruͤhmten Poeten Deutschlands mit diesen Worten eroͤffnet: „Wem duͤrffen „nachgehen in gravitetischer Sprache der Tra- „goͤdien ein Lohenstein, ein Gryphius? Jn ver- „liebten Schertzen, und durchgehends (wo die- „ser angenehme Poet mehr auf seinen Lands- „mann den Opitz, als auf die welschen Allego- „rien und Metaphoren gedacht,) ein Hoffmanns- „waldau? Jn Satyren und Oden ein Canitz, „der Herr Kanzeleyrath Amthor, der Herr „Rath der Critik bey den Deutschen. „Rath Menken? Jn Staatsgedichten und histo- „rischen Erzehlungen ein Besser, und andere sich „gleichsam in die Wette hervorthuende, als der „Herr Pietsch, Herr Neukirch, Hr. Koͤnig, „Hr. Richey, Hr. Stief? Des Hrn. Brokes „genaue und kuͤnstliche Uebersetzung einer bisher „welschen Schreibart kan gleichfalls ein Beweis- „thum seyn, wie faͤhig die deutsche Sprache „sey, allerley Arten nachzureden.„ Es ist schwer sich vorzustellen, wie der Verstand eines Kunstrichters solche Schreibarten, und Dichtar- ten, die manchmahl so verschieden sind, als wie- derwaͤrtige Dinge, z. Ex. Canizens, Bessers, Koͤnigs, einestheils, und Hoffmannswaldaus, Lohensteins, Amthors, anderntheils, in einem Satze habe anpreisen, und hier und da Geschmack finden koͤnnen. Wir koͤnnen dergleichen wiedersinnige Urtheile nicht anderst aufnehmen, als daß sie von einer uͤberspannten Hoͤflichkeit, in Hoffnung auf eine gleiche Lobeserwiederung, oder aus Furcht vor Unglimpf, Haß, und Laͤsterungen, die man sich mit Aufrichtigkeit und großmuͤthiger Freyheit zuziehen moͤgte, entsprungen seyn. Der blinde Geschmack, dem die rechtschaffene Critik keinen Wiederstand that, fieng izo an, sich nicht nur uͤber Opitzen, sondern auch uͤber Opitzens Muster, die alten Griechen und Roͤmer mit hochgetragenen Haupte zu erheben. Dieses hat Amthor ungestraft mit folgenden Worten ge- than. „Wie hoch ich sonst auch selbst die noch „vorhandene Ueberbleibsel der alten Poeten schaͤ- „ze, Nachrichten von dem Ursprunge „ze, so lasse ich doch dahin gestellet seyn, ob nicht „die Ehrerbiethung gegen das Alterthum hierin „manchmahl zu weit gehe, wenn man desselben „Poesien zum Theil vor so unvergleichlich haͤlt, „daß sie alle heutige weit uͤbertreffen sollen. Wahr „ist es, daß die lateinischen Redensarten guten- „theils kuͤrtzer als die Deutschen sind, und man- „ches mahl vor andern Sprachen viel mit weni- „gem sagen koͤnnen; doch ist dieses eben nicht so „allgemein, daß nicht auch im Deutschen sehr „viel sich ja so kurtz, und nachdruͤcklich sollte ge- „ben lassen. ‒ ‒ Die vormahlige heidnische „Mythologie gab den Poeten gleichfalls einen „grossen Vorrath von Nahmen und Goͤttern, „die nicht nur sich uͤberall, wie die Scharwen- „zel gebrauchen liessen, sondern auch Gelegen- „heit zu hunderterley Erfindungen gaben, de- „ren man heutiges Tags muͤssig gehen muß. Und „ist in diesem Ansehen freylich wahr, daß ein „solches Heldengedichte, wie Virgilius von sei- „nem Eneas aufgesetzet, nicht wohl mehr ge- „schrieben werden koͤnne. Ob es aber deßwegen „nicht in seiner heutigen, obschon von jener unter- „schiedenen Art, eben so gut zu machen stuͤhnde, „ist eine andre Frage, die meines Beduͤnckens „nicht so schlechterdings muß verneinet werden. „Dann daß man meinet, es koͤnne kein Helden- „gedichte vollkommen seyn, wo es nicht mit uͤber- „natuͤrlichen Wunderfaͤllen den Leser hier und da „erstaunen machet, ist ein handgreiflich falsches „Vorurtheil, nach welchem die Leute vor die- „sem dasjenige am liebsten hatten, was in ih- „nen der Critik bey den Deutschen. „nen die meiste Verwunderung erweckte, wann „auch die Fabeleyen noch so plump, und darinn, „so zu reden, Stein und Baͤume aus der Erden „gelogen waren. Selbst nach eingefuͤhrtem „Christenthum, da man sich solcher grober heid- „nischer Possen haͤtte entschlagen, und mit de- „nen sogenannten Fictionen wenigstens behutsa- „mer umgehen sollen, klebte den Poeten dieser „alte Jrrthum noch immer an, und wird man „schwerlich einen Jtalienischen, Spanischen, „Franzoͤsischen, oder deutschen Roman, in ge- „bundener, oder ungebundener Rede, von sel- „bigen, ja wohl von noch viel juͤngern Zeiten „finden, der nicht durch und durch mit Beschwee- „rungen, Verwuͤnschungen, Riesen, und an- „derm solchem Zeuge angefuͤllet ist, das alle Ver- „nunft und Wahrscheinlichkeit uͤbersteigt. Nach- „dem aber nunmehr die vorige Leichtglaͤubigkeit „der Leute sich um ein grosses vermindert hat, „und die alten Hexen und Hexenmeister bey „uns nicht mehr so starck in der Mode sind, so „muß auch dieser Handgriff der Dichtkunst bey „vernuͤnftigen Gemuͤthern nothwendig seinen „Preis verliehren, und folglich getrachtet wer- „den, daß man dagegen die Stelle mit andern „anmuthigen Dingen ersetze: Wie meines Er- „achtens, wenn man ja ein grosses Heldenge- „dichte schreiben wollte, durch Erwehlung, und „fernere kuͤnstliche Ausschmuͤckung einer zwar „sonderbaren, jedoch wahrscheinlichen Begeben- „heit, und sonst in andern Versen uͤberhaupt „durch schoͤne Beywoͤrter, Gleichnisse, Meta- „phoren, Nachrichten von dem Ursprunge „phoren, und dergleichen, gar fuͤglich geschehen „kan. Dann wann man die Blendungen bey- „seite setzen will, so gehet das heidnische Fabel- „werck, nebst allen gar zu weit hergeholten Fic- „tionen, doch hauptsaͤchlich nur auf Belusti- „gung, wo nicht gar auf eine annehmliche Ver- „derbung der Einbildungskraft, die so zu reden „von Natur Lust zum gaukeln hat, und weil sie „der gemeinen Jdeen leichtlich muͤde wird, ger- „ne mit bestaͤndiger Abwechselung solcher gantz „ausserordentlicher Gemuͤthsbilder spielen mag. „Was hingegen durch scharfsinnige Gedancken „und wohl angebrachte Realien zur Zierde der „Poesie beygetragen wird, ger eichet mehr zur „Belustigung oder Ausarbeitung des Verstands: „Und da wenigstens nach diesem letztern Stuͤck „die heutige Dichtkunst ja so reich, wo nicht „noch vollkommener ist, als die alte jemahls ge- „wesen, so folget hieraus von selbsten, daß sie „wohl so edel und maͤnnlich als jene sey, obgleich „in der Erfindung und gewissen heidnischen Re- „densarten ein und andrer vermeinter Vortheil „verlohren gegangen. Bevorab da der eigent- „lich sogenannte Verstand niemahls leicht zu viel „geschaͤrfet, die Phantasie aber gar bald durch „unzeitige Uebung kann verwirret werden, „und eben daher vielleicht das ehmalige Vorur- „theil bey viel Leuten mag entstanden seyn, daß „grosse Poeten selten mit gantz unverruͤckten Spar- „ren gefunden wuͤrden.„ Wir erkennen hieraus genug, daß Amthor von der Kraft des Wunderbaren, die Einbildungs- kraft der Critik bey den Deutschen. kraft zu ruͤhren, und dem geschickten Gebrauche desselben nur eine kahle und fluͤchtige Theorie ge- habt hat. Er sieht in den Wercken der alten Poeten nichts als Mythologische Dinge, die izo nicht mehr geglaubt werden; der hypothetische Grund ihrer Erdichtungen, der Zusammenhang ihrer Erfindungen, die Verknuͤpfung ihrer Absich- ten, die Affecte, so sie dadurch so geschickt zu er- hoͤhen, und zu verringern gewußt, der Eindruck, und die Empfindungen, so sie an jedem Orte ih- rer Absicht und der Sache gemaͤß in dem gehoͤri- gen Grade mit einer bestaͤndigen Anmuth erwecken, die Sitten der Menschen, der Nationen, die Arten der Laͤnder, der gantzen Natur Lauf und Wesen, das Schoͤne, das Grosse, das Wil- de in derselben, wovon sie so vortreffliche Ge- maͤhlde machen, der moralische Unterricht, der mit allen diesen Sachen vergesellschaftet ist, die geschickte und mahlerische Ausdruͤckung, und der- gleichen Dinge sind vor den Augen und dem Ver- stande dieses uͤbersichtigen Kunstrichters gaͤntzlich verborgen geblieben. Nach diesem koͤmmt uns nicht fremd vor, daß er die Verdienste der da- mahlslebenden deutschen Poeten eben so wenig zu schaͤtzen gewußt hat. Er meinete, die viere, nem- lich Besser, Canitz, Neukirch, und Wenzel, koͤnnten mit allen uͤbrigen um den Vorzug streiten, und er gab unter diesen vieren dem letztern den Vorzug. „Jnsonderheit hat Wenzel, sagt er, „mir zum Muster gedienet, dem ich in meiner „Maasse, so gut ich gekonnt, zu folgen getrach- „tet, weil die liebliche Fluͤssigkeit des Hoffmanns- [Crit. Sam̃l. II. St.] J „wal- Nachrichten von dem Ursprunge „waldaus, und das heroische Wesen von Lo- „henstein schwerlich bey irgend einem andern uns- „rer iztlebenden deutschen Poeten in einem hoͤhern „Grade als hier verknuͤpft duͤrfte gefunden wer- „den.„ Nun hat dieses Urtheil, das Wenzeln so hoch erhebet, zwar keinen Beyfall gefunden, aber die Verkleinerung der alten Poeten hat den- noch dieselben bey vielen jungen Leuten noch in groͤs- sere Verachtung gebracht, man hat sie im Stau- be ligen lassen, und die Hochachtung, die ihnen gebuͤhrte, ihren unverstaͤndigen Veraͤchtern zuge- wandt. Amthor selbst ist in ein grosses Ansehen gekommen, und zwar bey solchen Maͤnnern, die sich zu unsern Zeiten fuͤr die Verfechter des durch die Critik gereinigten Geschmackes ausgegeben haben. Jndem nun die geschickten Maͤnner, welche die Hochachtung gegen die Alten nicht abgeleget hatten, und deren Gedichte zeigeten, daß sie mit ihnen vertraulich genug bekannt waren, als Men- ken zu Leipzig, Koͤnig zu Dresden, Pietsch zu Koͤnigsberg, Guͤnther und andre an andern Or- ten sich keine besondere Muͤhe gaben, dem herr- schenden Uebel der schreibsuͤchtigen Zeiten mit Nach- druck zu wiederstehen; erwekete ein guͤnstiger Stern an einem Orte, wo es niemand vermuthet hatte, dem falschen Geschmacke etliche maͤchtige Wieder- sacher, welche ihn in seinen innersten Brustweh- ren anfallen durfften. Sie machten zwar den An- fang dazu ohne einen absonderlichen Vorsatz und gleichsam nur beylaͤuftig und im Vorbeygehen: Aber die Umstaͤnde fuͤhren sie nach und nach auf solche der Critik bey den Deutschen. solche Untersuchungen, welche nicht nur der schlim- men Schreibart den Untergang droheten, sondern zugleich bequem waren, die rechtschaffene Poesie in ihrem natuͤrlichen Licht und Leben herzustellen. Sie nahmen hierzu die aͤchte und reine Critik, die in Deutschland noch gantz unbekannt war, zu Huͤlffe. Nemlich in den Jahren 1721. 1722. liessen eini- ge Schweizer von Zuͤrich in einer moralischen Wo- chenschrift, die sie unter verdeckten Nahmen nach der Art des Englischen Zuschauers verfertigten, verschiedene kleine Abhandlungen von critischen Materien mit unterlaufen; worinnen sie sich zur Behauptung ihrer Urtheile in die Untersuchung einiger Grundsaͤtze der Schreibart und der Wohl- redenheit einliessen. Solche giengen uͤber die Kunst zu lesen, uͤber die Beywoͤrter, die gleich- guͤltigen Woͤrter, die verschiedenen Arten der Wortspiele, die Phantasiespiele, die Anbauung der Einbildungskraft in Ansehen der Poeten, uͤber das Phoͤbus, die Fabeln, und dergleichen. Die- se Untersuchungen wurden durch Exempel, sowohl aus verstorbenen als damahlslebenden Poeten, mit einer Freyheit erlaͤutert, welche sich vor keiner Gefahr oder Nachrede fuͤrchtete. Opitz ward bey allen Anlaͤssen hervorgezogen; eine Ehre, de- ren er nur allzulange beraubet gewesen war! Den Sachsen, und andern, die izo gewohnt waren, nur Lohensteins, Hunolds, Amthors, und Neumeisters Lob zu hoͤren, kam dieses so fremde vor, daß sie diese critischen Blaͤtter, die in der Provinzial-Mundart von Zuͤrich, und fuͤr die J 2 Zuͤri- Nachrichten von dem Ursprunge Zuͤricher geschrieben waren, nicht ohne Vergnuͤ- gen lasen, ungeachtet ihr zartes Gehoͤr dadurch sehr starck beleidiget ward. Man hat in den ge- lehrten Zeitungen von Leipzig N. XVII. mit diesen Worten davon geurtheilet: „Die Schreibart „scheint je laͤnger je sinnreicher zu werden; sie „fahren noch fort, sowohl die Fehler im gemei- „nen Leben, als auch die Schwachheiten der „Buͤcherschreiber, als des Lohensteinischen Armi- „nius, des deutschen Hercules, sonderlich der „Poeten, Hunolds, Neukirchs, Lohensteins, ꝛc. her- „unter zu machen, aber zugleich von allerhand Ma- „terien verschiedene sinnreiche und vernuͤnftige Ur- „theile zu geben. Die Verfasser ziehen Opitz, „Canitz, und Besser, allen deutschen Poeten „vor.„ Vor allen andern hat ihnen Herr Gott- sched in einer gleichmaͤssigen moralischen Schrift, die Tadlerinnen betitelt, seinen Beyfall durch Ausschreibung vieler Stellen aus ihnen und ruh- mesvolle Beynahmen oͤffentlich bezeuget. Jm XIV. St. des zweyten Th. sagt er von ihnen: „Vor wenig Jahren haben sich in der Schweitz „etliche muntere Koͤpfe gefunden, die einen gu- „ten Anfang zu dergleichen oͤffentlichen Beurthei- „lungen gemachet haben. Sie haben die gebun- „dene Beredtsamkeit vorgenommeu, und in man- „chem grossen Poeten und Redner Schnizer ge- „wiesen, die vorhin niemand bemercket hatte. „Sie haben dieses auf eine so sinnreiche Art ge- „than, daß sich kein Vernuͤnftiger des Lachens „enthalten kan, wenn er es lieset. Und es ist „nicht zu sagen, was sie bereits an verschiedenen „Orten der Critik bey den Deutschen. „Orten vor gutes gestiftet. Ein einziges hat „diesen geschickten Maͤnnern noch gefehlet, nem- „lich das Vermoͤgen sich in einer reinen hochdeut- „schen Schreibart auszudruͤken. Jhr Vater- „land hat sie gehindert, daß sie in Worten und „Redensarten die Richtigkeit nicht beobachten „koͤnnen, die sie in ihren Gedancken und Ver- „nunftsschluͤssen erwiesen. Dieses sollte aber „bey einem oͤffentlichen Beurtheiler der Scriben- „ten von Rechtswegen seyn. ‒ ‒ Es waͤre „also nichts mehr zu wuͤnschen, als daß sie ihre „Schrift noch einmahl uͤbersehen, und mit Bey- „huͤlffe eines rechten Kenners der Zierlichkeit uns- „rer Muttersprache alle diejenigen Stellen, die „mehr nach der Schweitz, als nach Deutsch- „land schmecken, ausbessern moͤgten. Daß es „ihnen leicht sey, ihre eigene Fehler zu erkennen, „haben sie schon selbst gewiesen.„ Jm Eingan- ge desselben vierzehnten Stuͤckes hatte Herr Gott- sched ausdruͤcklich bekannt, daß die Deutschen noch wenige Criticos oder Beurtheiler von derglei- chen Sachen gehabt haben, und es diesem Man- gel zugeschrieben, daß dieselbigen es in den freyen Kuͤnsten, die mit zur Gelehrsamkeit gerech- net werden, noch nicht soweit gebracht haben, als die alten Griechen und Roͤmer, und als die heutigen Franzosen. „So lange unter den Ge- „lehrten niemand ist, sind seine Worte, der „das albere Wesen der meisten Buͤcherschreiber „oͤffentlich entdecket, ihre Fehler durchziehet, „und den uͤbeln Geschmack des studierten Poͤbels „verlacht; so lange sind alle Tintenkleker grosse J 3 „Scri- Nachrichten von dem Ursprunge „Scribenten. ‒ ‒ Sobald sich aber strenge „Beurtheiler unter den Gelehrten hervorthun, „die das Gute gut, das Gruͤndliche gruͤndlich, „das Schlechte schlecht, das Matte matt, nen- „nen; sobald kommt viele Buͤcherschreiber Furcht „und Zittern an.„ Jn besagter Schrift der Tadlerinnen wird das Lob, das die Zuͤricher Opitzen beygeleget, zuerst mit einem gewissen Fleisse wiederholet. Jn dem XXXVIII. St. wird geklaget, daß dieser grosse Dichter weniger gelesen werde, als er wohl verdienete. „Auch „so gar diejenigen, die Poeten heissen wollen, „heißt es daselbst, haben oftmahls seine Schrif- „ten nie gesehen: Da sie doch eine rechte Quelle „des guten Geschmackes in sich fassen. Und nim- „mermehr wuͤrde Deutschland so viel Jtalieni- „sche, und Spanische, ich meine schwulstige, „ausschweifende, und zuweilen gar rasende Ge- „dichte gesehen haben: Wenn man Opitzen fleis- „siger, als einige andre inn- und auslaͤndische „Poeten gelesen haͤtte.„ Jn Hr. Junkers Untersuchung der Hankischen Gedichte kan man ohne Muͤhe wahrnehmen, wie viel er auf den Urtheilen der Zuͤrichischen Kunst- richter gehalten hat, indem er zu glauben scheint, daß seine Saͤtze durch ihre angefuͤhrten Zeugnisse ein mehrers Ansehn erhielten. Man sieht auch, daß er ihre Abhandlungen fleissig gelesen, und ge- schickt angewendet. Er nahm ihre Partie oͤffent- lich gegen Hr. Hanken; dieser war nicht damit zufrieden, daß sie Opizen, Canizen und Bes- sern dem Hrn. Neukirchen vorgezogen hatten. „Jst der Critik bey den Deutschen. „Jst es schon so weit gekommen, lauten seine „Worte, daß man dem gelehrten Hr. von Lohen- „stein und dem beruͤhmten Hr. Neukirch, unge- „achtet der erste bey Kennern wahrer Gelehr- „samkeit einen allgemeinen Beyfall und unsterb- „lichen Ruhm erworben, der andere aber unter „allen jemahls gewesenen, und noch lebenden Poe- „ten keinen seines gleichen gefunden, in oͤffentli- „chen Schriften viele Fehler beyzumessen, und „ihnen andre Leute, welche vielleicht noch nicht „unter die Deos medioxumos gehoͤren, vor- „zuziehen weiß, so stelle ich mir das Progno- „sticon, daß man mit mir nicht saͤuberlicher „verfahren, sondern meine wenige Gedancken „mit eben so zornigen Augen ansehen werde.„ Worauf Hr. Junker dieses geantwortet: „Es „sollte uns ein Vergnuͤgen seyn, wenn der Herr „Hanke diese Tadler mit kraͤftigen Gruͤnden wie- „derlegete. So aber bleibt der Beyfall Leuten von gutem Geschmack noch unbenommen.„ Hr. Junker hat in der Untersuchung der Hankischen Gedichte den Zuͤrichern auch in ihrer Freyheit im Beurtheilen gefolget, welches ihm ziemlich uͤbel bekommen, indem Herr Hanke ihm deßwegen schlimme Haͤndel gemachet hat. Jndessen haben wir an dieser Schrift einen Beweisthum, wie bald der gute Geschmack die Oberhand erhalten wuͤrde, wenn die Critik nicht durch Macht und Ansehn an ihrem freyen Gerichte gehindert wuͤrde. Hr. Johann Georg Hamann hat um dieselbe Zeit ein Lexicon von poetischen Redensarten, Bey- woͤrtern, und Beschreibungen herausgegeben, J 4 mit Nachrichten von dem Ursprunge mit einer Anweisung zur Dichtkunst, in welcher er sich oͤfters auf die Lehrsaͤtze der critischen Schwei- zer bezieht; mithin aber in einigen Stuͤcken von ihnen abweichet, wo sie die besten Gruͤnde gege- ben: Zum Exempel, da sie diejenigen getadelt haben, welche die Beywoͤrter allein aus dem Ge- daͤchtnisse und nicht von der Beschaffenheit der Sache, und der besondern Absicht einer Beschrei- bung hernehmen. Herr Hamann hat dieses Ur- theil fuͤr sein Lexicon, das eben nur fuͤr die Erleich- terung der Gedaͤchtnißarbeit gewiedmet war, so schaͤdlich gehalten, daß er sich verpflichtet gesehen, demselben zu wiedersprechen. Er sagt: „Wie „ich aber die Hochachtung hiermit oͤffentlich be- „kenne, die ich gegen diesen grossen Kenner des „guten Geschmackes habe, so wird mir doch „mit dessen Verguͤnstigung erlaubet seyn, mein „Unternehmen nach meinem Vermoͤgen zu recht- „fertigen.„ Hierauf sagt er ferner, seine Ab- sicht gehe nur auf die Jugend, die noch die Spra- che nicht verstehe, nicht Bilder genug besitze, sol- che nicht auszubilden wisse. Man muͤsse ihr ei- ne Menge Beywoͤrter, als Prædicata von einer Sache, vor Augen legen, und sie sich dann mit einiger Wahl derselben uͤben lassen. Allein wa- rum bringet er ihr nicht lieber die Sachen selber vor Augen, und weiset ihr nicht darinnen das ver- schiedene Licht, die Seiten und Umstaͤnde dersel- ben; und zeiget ihr die Nahmen eines jeden Stuͤ- kes derselben an? Nach diesem wuͤrde sie gewiß staͤrcker davon geruͤhrt werden, die Bilder, so sie davon fassete, wuͤrden lebhafter seyn, und sie wuͤrde der Critik bey den Deutschen. wuͤrde in ihrer Wahl ihre Zuflucht nicht zu den Woͤrterbuͤchern nehmen duͤrffen. Eben so wenig ist Hr. Hamann mit den Zuͤrchischen Kunstrich- tern wegen ihrer Verwerffung der Reimen zufrie- den. Er erklaͤrt sich hieruͤber mit diesen Worten: „Diejenige scharfsinnige Gesellschaft in der „Schweitz, welche verschiedene Theile allerhand „geistreicher Discurse druͤcken lassen, hat einen „ beo Esprit unter sich, der sich die Muͤhe gege- „ben, den Geschmack unsers Vaterlands in der „Dichtkunst zu verbessern, und dabey die gemei- „nen Fehler unsrer Poeten auszuhoͤnen. Er hat „an den bisher so hochgeschaͤtzten Schriften des „Hoffmannswaldau, Neukirchs, und Lohen- „steins, ꝛc. sehr vieles auszusetzen gefunden, „und wie er hin und wieder die Gedancken uns- „rer Dichter mit seinen Satyren laͤcherlich ge- „machet, so hat er auch endlich den aͤusserlichen „Zierrath ihrer Verse, nemlich die Reimen, „ziemlich hart angegriffen.„ Er erzehlet hier- auf des Schweitzers Gruͤnde, meinet aber, daß sie von Hrn. Weichmann sehr wohl beantwortet worden; und weil er uͤber dieses nicht wahrge- nommen, daß jemand den Vorschlaͤgen des Kunst- lehrers gefolget, haͤlt er dafuͤr, daß das Capitel von den Reimen von ihm nicht habe duͤrffen uͤber- gangen werden. Aus welchem Schlusse scheinet, daß er mehr bekuͤmmert gewesen, sein Capitel von den Reimen, als die Reimen selber zu retten. Hr. Weichmann hatte sich am meisten daran geaͤrgert, daß der Zuͤrchische Zuschauer die Rei- men unrecht und eine Narrheit genannt haͤtte. J 5 Er Nachrichten von dem Ursprunge Er hingegen hielt sie vor ein blosses Mittelding, und meinte, es waͤre ein wenig zu hitzig, so vie- le grosse Poeten einer Narrheit in Mitteldingen zu beschuldigen, daran sie von undencklichen Jah- ren ein allgemeines Belieben gehabt. Wenn man erstlich einraͤumete, daß die Reimen nur ein kleines und kindisches Ergetzen verursacheten, wel- ches durch den Zwang, worinn sie den Poeten setzen, allzu theuer gekauft wuͤrde, und andern Quellen eines hoͤhern Ergetzens, so von dem Ver- stande und der Phantasie entspringet, im Wege stuͤhnde, wuͤrde man sie nothwendig unter die Thorheiten zehlen muͤssen, sie waͤren dann auch kein Mittelding mehr. Hierauf koͤmmt es haupt- saͤchlich an. Herr Weichmann hat bey diesem Anlasse gesagt: „Wer an buͤndigen Einfaͤllen „einen Ueberfluß hat, und dazu sich auf seine „Sprache recht verstehet, der ist niemahls mehr „durch den Reim, als durch die Scansion, ja „durch das eine so wenig, als durch das andre, „gezwungen, das geringste unvernuͤnftige nie- „derzuschreiben. Wird sein Gedancke auf eine Art „durch den Reim zuruͤckgehalten, so faͤllt es ihm „nicht schwer, denselben in verschiedene andre „Formen zu giessen, wovon zum wenigsten eine „sich endlich schicket.„ Dieser Satz ist noch weit verderblicher, als die Lehre von den Reimen, die man damit vertheidigen will; denn er setzet voraus, daß an einem Orte, bey einer, obgleich gantz besondern, Absicht, viele gleichguͤltige Ein- faͤlle seyn, ferner daß ein Gedancke in verschiede- ne Formen der Rede gegossen werden koͤnne, und doch unveraͤndert der vorige bleibe. Man der Critik bey den Deutschen. Man schrieb den Zuͤrichischen Sitten- und Kunst- lehrern, der Hr. von Besser wuͤrde sich die Muͤ- he geben, durch wichtigere Einwendungen die Rei- men wider sie zu vertheidigen. Allein er ließ es bleiben, wiewohl er deßwegen so sehr aufgebracht war, daß dieses eine Ursache mit gewesen, wa- rum er sogleich dem Hamburgischen Patrioten sei- nen Beyfall gegoͤnnet; zumahl da er anfangs von der damahls fast uͤberall angenommenen irrigen Meinung nicht abzubringen war, als ob ein ge- wisser Baron Knigge der Verfasser des Patrioten waͤre; wie er sich dann hernach, da er die Ge- wißheit davon erfahren, nicht wenig geschaͤmt. Was zwar die Stelle des Hrn. von Besser zu des Patrioten Lob anlangt, welche man in einem Papiere desselben eingetragen findet, so hatte der- selbe solche nur an den Verleger geschrieben, von welchem der Herr Weichmann sie bekommen, und seinen Papieren eindruͤcken lassen, welches den Hrn. von Besser nicht wenig verdrossen. Sonst hat Hr. Weichmann auch die Urtheile der Zuͤrichischen Kunstrichter von den deutschen Poe- ten nicht nach seinem Geschmacke gefunden: Er hat sich zwar nicht bemuͤhet, Gruͤnde gegen Gruͤn- de zu setzen, sondern sich mit Nebensachen beholf- fen, welche ich hier ausschreiben muß, damit wir daraus die Manier seiner critischen Schreib- art bemercken. „Der Feind von gereimten Ver- „sen, sagt er, hat zugleich an verschiedenen Or- „ten fast uͤber jedweden unserer deutschen Poeten „insbesondere geurtheilet. Nun stehet es ihm „zwar so wenig zu verdencken, daß er vielmehr „den Nachrichten von dem Ursprunge „den verbindlichsten Danck verdienet, wenn er „zugleich an seinem Orte die gar zu harten und „schwuͤlstigen Metaphoren, die laͤppischen Wort- „spiele, und andere mehrentheils freywillige „Schwachheiten des Verstandes, den Leuten „verhaßt zu machen suchet; doch scheinet es fast, „als ob er hierbey dem Verdacht einiger Par- „theiligkeit nicht gaͤntzlich ausweichen werde. „Opitz, von Caniz, und von Besser sind die- „jenigen, welche er nicht allein allen uͤbrigen „Poeten weit vorzieht, sondern auch von ihnen „bey jeder Gelegenheit eitel nur erlesene Stellen „anfuͤhret, von den andern aber insgesammt „nichts anders zusammentraͤgt, als was er ih- „nen nachtheilig zu seyn geglaubet; ja wohl gar „ihre beygebrachten Oerter gantz unrichtig, ver- „stuͤmmelt, und verfaͤlscht darstellet. So wird „unter andern folgendes von dem seligen Cantz- „leyrath Amthor eingefuͤhrt, da alle besonders „gedruckten Worte im Original gantz anders ste- „hen: „Monarch daß in verwehnten Zuͤgen „Mein eitler Kiel von neuem sich vergißt, „Und deiner Saamen Preis nach seinem Schatten mißt, „Den luͤstern Trieb der Schnsucht zu vergnuͤgen; „Jst deiner selbstbeliebten Huld „Und eigner Gnade mehr, als meiner Frechheit Schuld. „Hieß dein Befehl mich selbst doch naͤher ruͤcken, „Und an der Strahlen Gold erquicken; „Was Wunder, daß sich dann der kalte Nesselstaub, „An dem bisher der ferne Fuß geklebet, „Hiervon erhitzt ein frisches Lorbeerlaub „Durch einen kuͤhnen Schluß verwandelt und erhebet; „Daß meiner Musen boͤse Kraft ꝛc. „Es der Critik bey den Deutschen. „Es koͤnnen dieses nicht wohl eitel Druckfeh- „ler seyn, voraus weil das Wort Schluß gleich „darauf in der Beurtheilung ausdruͤcklich wieder- „hohlet worden. Daß aber solche Verfaͤlschung „mit Vorsatz geschehen, kann ich ebenfalls nicht „wohl glauben, weil es der Haupt-Absicht ei- „ner so ruͤhmlich-geschaͤftigen Versammlung nur „gaͤntzlich zuwieder seyn wuͤrde, wann man je- „mand heimtuͤkischer Weise, und dazu nach sei- „nem Tode, recht mit Fleiß laͤcherlich zu ma- „chen suchte. Meine Schuldigkeit erfodert in- „deß zur Ehre des seligen Mannes solches anzu- „zeigen, und den Leser zum unverfaͤlschten Ab- „druck davon ( p. 41. im ersten Theile dieser „Sammlung) zu verweisen. Wir finden zwar „noch mehr Exempel einer gleichmaͤssigen Unrich- „tigkeit; ich bin aber izund des Vorhabens nicht, „mich weitlaͤuftig dabey aufzuhalten. „Er scheinet sonst auf Herrn Neukirch am „meisten unwillig zu seyn, und laͤsset nicht gern „einige Gelegenheit vorbey, ihn hoͤnisch anzuza- „pfen: Oder aus seinen Wercken etwas anzu- „ziehen, das er eines billigen Tadels werth schaͤ- „zet. Nun habe ich zwar gegen seine besondere „Hochachtung fuͤr unsern Opitz, von Canitz, „und von Besser nicht das geringste einzuwen- „den; vielmehr glaube ich, das Verdienst und „der Ruhm dieser Maͤnner sey weit groͤsser, als „daß sie einiger Erhoͤhung durch die zusammen- „gesuchten Fehler anderer Poeten beduͤrffen; doch „wird auch ein jeder mit mir gestehen, daß Hr. „Neukirch verschiedene unverbesserliche Meister- „stuͤcke Nachrichten von dem Ursprunge „stuͤcke verfertiget hat, darunter ich insonderheit „sein Schreiben der Aurora an den gottseligen „Koͤnig von Preussen, seine Gedancken auf des- „sen Kroͤnung, uͤber die befreyten Nachtigallen, „ingleichen uͤber den Tod des grossen Kuͤnstlers, „Faltz, nebst andern mitrechne. Man wuͤrde „sich also dem Argwohn der Parteiligkeit weni- „ger bloß gestellet haben, wenn man gleichfalls so „wohl von ihm und andern, als von ruͤhmlichst- „erwehnten Maͤnnern etwas gutes zu sagen, oder „anzufuͤhren beliebt, und nicht vielmehr bey je- „der Gelegenheit sie blosserdings zu tadeln gesucht „haͤtte.„ Eine Widerlegung, die nur suchet, die Ge- genpartey anzuschwaͤrtzen, verraͤth einen Mangel an gruͤndlichen Antworten. Der Zuͤrichische Kunst- richter hatte nicht von dem gantzen Vermoͤgen der Geschicklichkeit dieser Poeten, sondern nur von ei- nigen Stellen derselben geurtheilet und dem Leser uͤberlassen nachzusehen, ob er viel oder wenig der- gleichen Zeug bey ihnen finde. Hrn. Weichmanns Schutzschrift haͤtte darum mehr Glauben verdie- net, wenn er aus den getadelten Poeten eben der- gleichen geschickte Stellen, und zwar in gleich grosser Anzahl, als von dem Kunstrichter aus den gelobten angefuͤhrt worden; oder wenn er aus den gelobten eben so schwuͤlstige Metaphoren und laͤp- pische Wortspiele, als von jenem aus den geta- delten beygebracht worden, zusammengetragen haͤtte. Er beruffet sich auch in der That auf et- liche geschickte Stuͤcke des Neukirchen, die aber selbst nicht alle von einerley Geschicklichkeit sind. Das der Critik bey den Deutschen. Das Gedicht desselben uͤber die Nachtigallen ist sehr unbequem, die Unrichtigkeiten der Neukirchi- schen Muse zu verbergen. Was die Entdeckung der Druckfehler in einer getadelten Stelle Amthors anlangt, so sieht man nicht, was solche zu ihrer Rettung beytragen koͤnne, weil die Critick nicht auf Gedancken gefallen war, die aus der Ver- faͤlschung entstanden waͤren, sondern auf solche, die in der wahren eigenen Lesart ihren Grund ha- ben: Welches uns zugleich Anzeige giebt, daß man die Fehler des Buchsetzers ohne genugsamen Grund dem Kunstrichter zur Last legen wuͤrde. Endlich sagen, daß die laͤppischen Wortspiele, und die schwuͤlstigen Metaphoren freywillige Schwachheiten des Verstandes der getadelten Poeten gewesen waͤren, ist viel aͤrgers von ihnen gesagt, als der Zuͤricher gesagt hatte, der sie bloß dem Mangel an Einsicht zugeschrieben. Denn die Fehler, die aus Unwissenheit entspringen, las- sen sich mit der redlichen Entschuldigung verglimp- fen, daß man es lieber besser gemachet haͤtte. Da- rum beklaget Herr Koͤnig in der Untersuchung von dem guten Geschmacke Bl. 239. mit dem besten Recht, daß der groͤste Hauffen bey uns dem Joche des uͤbeln Geschmackes noch immer freywillig un- terworffen bleibe, und, durch dessen falsches An- sehen geblendet, diesen Goͤtzen, als den vermein- ten Vater der hoͤchsten Zierlichkeit zu verehren halsstarrig fortfahre. Als die schweitzerische Critici aus diesen Wider- legungen selbst abgenommen, daß ihre Beurthei- lungen der Poeten mehr Aufsehens gemachet haͤt- ten, Nachrichten von dem Ursprunge ten, als sie in einer Schrift, so sie nur fuͤr ihre Landsleute geschrieben, und die eigentlich mora- lisch war, vorgehabt hatten, kam sie die Lust an, die Critick der deutschen Poesie mit einigem Ernst und Fleisse vorzunehmen. Der Leipziger- Diogenes, der Hamburgische Patriot, und die Haͤllischen Tadlerinnen staͤrcketen sie in diesem Vor- haben durch die Bloͤsse, welche sie ihnen in dem Geschmacke, und der Critick der Deutschen zu erkennen gegeben hatten, zumahl da die beyden letztern Schriften mit einem so starcken und allge- meinen Beyfall aufgenommen worden. Dazu halffen ferner ein Paar Correspondenzen mit Leip- zig, wozu die Zuͤrichischen Critiken Anlaß gege- ben hatten; welche daselbst mehr als an keinem andern Orte gutgeheissen worden. Ein sehr ge- schickter Mann von D., welchem sie in ihren cri- tischen Angelegenheiten zugeschrieben hatten, gab ihnen seine Gedancken daruͤber mit diesen Worten zu vernehmen: „Wenn sie auch einige Begier- „de mich zu kennen bezeugen, so kan versichern, „daß nicht weniger neugierig nach dero schriftlichen „Bekanntschaft gewesen, sobald einige einzelne „Blaͤtter derselben, und darunter etliche critische „Stuͤcke zu sehen bekommen. Jch war gleich „damahlen auf der Messe in Leipzig, und brach- „te solche in einer gelehrten Gesellschaft zum Vor- „schein, welche aus den aufgewecktesten Koͤpfen „daselbst besteht, und sich alle Wochen einmahl „zu versammeln, und von gelehrten Neuigkeiten „zu unterreden pfleget. Alle stimmten einmuͤthig „damit uͤberein, daß dero Bemuͤhung nicht frucht- „los der Critik bey den Deutschen. „los abgehen, sondern dem verdorbenen Geschmack „in der deutschen Poesie ruͤhmlichen Einhalt thun „wuͤrde. Sobald ich wieder nach D. kam, be- „sprach ich mich daruͤber mit dem Hrn. von ‒ ‒, „welcher von gleicher Meinung war. Der Vor- „zug, welchen sie hin und wieder dreyen von un- „sern besten Poeten, nemlich Opitzen, Cani- „zen, und Bessern gegeben, ist so gerecht, und „die Beurtheilung der lohensteinischen und wal- „dauischen gezwungenen Schreibart, und ihrer „Nachfolger, so billig, daß nicht nur ich, wie „alle rechtschaffene Kenner, hierinn vorlaͤngst „mit ihnen einig, sondern dereinst gantz Deutsch- „land ihnen wird nachruͤhmen muͤssen, daß sie „einer von den ersten gewesen, welcher das „Hertz gehabt, sich offentlich wider den bisher „eingerissenen verdorbenen Geschmack zu erklaͤ- „ren, und die Falschheit derjenigen aufgeblase- „nen Dichtart zu zeigen, welche von den unver- „staͤndigen insgemein die hohe genannt worden. „Jnzwischen duͤrffen sie sich nicht wundern, wenn „etliche mittelmaͤssige Geister diese Wahrheit noch „nicht erkennen wollen. Es ist viel leichter aus- „schweifend, unnatuͤrlich, schwuͤlstig, und mit „einem Worte schulfuͤchsisch; als maͤnnlich, na- „tuͤrlich, sittsam, und nach dem Geschmacke „des Hofes, und der Weltklugen zu schreiben.„ Erstlich schrieben die Zuͤrichischen Kunstrichter den gestaͤupten Leipziger-Diogenes wider die mo- ralische Wochenschrift eines Unbekannten, die 1722. in Leipzig herausgekommen, und nach kur- zem wieder verschwunden; ein elendes Ding, das [Crit. Sam̃l. II. St.] K Leute Nachrichten von dem Ursprunge Leute von Qualitaͤt nicht angesehen, und nur Stu- denten-Jungen und Lakeyen gelesen haben, so daß ihm mit dieser Critick nur gar zu viel Ehre wie- derfahren. Diese critische Schrift ist hernach in dem XIV. St. der Beytraͤge zur critischen Historie N. III. ohne der Verfasser Dazuthun wieder auf- geleget worden. Hernach liessen sie die critischen Anmerckungen uͤber den Hamburgischen Patrioten und die Tadlerinnen folgen. Jn diesen Schrif- ten wird ein fruchtbarer Saame zur Entdeckung vieler absonderlichen Theile die Beredtsamkeit, die von dem Witze entspringen, ausgestreuet. Die Blaͤtter besagter Wochenschriften werden von ih- nen nicht anderst angegriffen, als daß sie die Ap- plication ihrer zuerst wohl untersuchten und fest- gesetzten Grundsaͤtze auf dieselben machen. Da- rum hat der Hr. Goͤtten in dem Leben des Hrn. Richey nur fuͤr die lange Weile geschrieben, der Herr Bodmer, den er fuͤr den Verfasser ausgiebt, habe der Welt damit zeigen wollen, was die ver- blendeten Augen nicht sehen wollen, daß seine Discurse besser waͤren, als der Patriot und die Tadlerinnen, wenn diese letztern die getadelten Dinge vermieden haͤtten, wuͤrden sie vielleicht eben so unbeliebt geblieben seyn, als die trockene Schreibart des schweitzerischen Tadlers. Wer will, mag dieses auf das Wort und das Ansehen des Herrn Goͤtten glauben, sowohl als was er von dem Werthe und den Vorrechten des Patrio- ten sagt: „Der beste Verthaͤdiger desselben war „die innerliche Guͤte und vortreffliche Einrichtung. „Das Angenehme war mit dem Nuͤtzlichen, „das der Critik bey den Deutschen. „das Deutliche mit dem Gruͤndlichen verbunden. „Jn Deutschland war er der Anfang solcher „woͤchentlichen Blaͤtter, dergleichen man in Eng- „land bereits vorher an dem Spectator und Guar- „dian gehabt.„ Das Lob, das er dem Patrio- ten mittheilt, ist an sich so unglaͤublich fuͤr gewisse Leute, daß er es nicht noͤthig gehabt hatte, durch den offenbahren Parachronismus verdaͤchtig zu machen, daß der Patriot in Deutschland die er- ste Schrift nach dem Muster des Zusehers gewesen. Die Schweitzer hatten ihre Anmerckungen uͤber den Patrioten unter dem Titel der Anklage des verderbten Geschmackes einem Verleger in Leipzig uͤberlassen, wo aber der Druck derselben nicht er- laubet ward. Diese Schrift war nach sichern Nachrichten einem gewissen vornehmen Professor zur gewoͤhn- lichen Censur uͤbergeben worden, die Erlaubniß zum Drucke zu erhalten; die er doch, eben wie vorher schon ein anderer Censor abgeschlagen; theils weil er einige Personalien darinnen befuͤrchtet, und die Wahrheit zu bekennen, das gantze Ding nicht verstuhnd, theils weil der Verleger den Verfas- ser nicht nennen wollen. Es waͤhrete eine lange Zeit, und kostete die Verfasser viele Muͤhe diese Schrift wieder zur Stelle zu bringen. Also ward sie erst im Jahr 1727. von ihnen selbst in Zuͤrich zum Drucke befoͤdert. Einige Stellen, die ih- ren Leipzigischen Freunden zu hart oder nicht gruͤnd- lich genug geschienen hatten, wurden gemiltert, oder sonst veraͤndert. Unterdessen hatten sie ihr critisches Unterfangen weiter fortgesetzet, und eine K 2 dogmati- Nachrichten von dem Ursprunge dogmatische Arbeit vorgenommen, in welcher die Beredtsamkeit auf festgesetzte philosophische Grund- saͤtze gebauet werden sollte. Sie machten den An- fang dazu 1727. mit einer Abhandlung von dem Einflusse und dem Gebrauche der Einbildungskraft zur Verbesserung des Geschmackes, vor welcher sie ihr Vornehmen in einem Schreiben an Herrn Christian Wolf mit folgenden Worten eroͤffnen: „Die Bemuͤhungen der vornehmsten critischen „Verfasser ist bisdahin meist oder bloß dahin ge- „gangen, wie sie dem schlimmen Geschmacke „Einhalt thun, und ungereimte Schriften zum „Gelaͤchter machen moͤgten: Sie haben daruͤber „versaͤumt, den guten Geschmack zu lehren, und „anzupflantzen. Der Vorschlag des Englaͤndi- „schen Zuschauers ist noch unausgefuͤhrt geblie- „ben, daß ein rechtschaffener Criticus ein gan- „zes Werck, das in dem guten Geschmacke ge- „schrieben ist, vor die Hand nehmen, und die „Quellen und Ursachen, aus welchen die unter- „schiedliche Schoͤnheit desselben und das daher „entspringende Ergetzen herfließt, genau und aus- „fuͤhrlich anzeigen moͤgte. Was unsre Deut- „schen insbesondere anlangt, so sind ihnen fast „alle Arten critischer Aufsaͤtze uͤber Wercke der „Beredtsamkeit noch etwas unbekanntes, und „diejenige, welche von der Wohlredenheit uͤber- „haupt geschrieben haben, halten sich einzig bey „der aͤusserlichen Form der Rede auf; und brin- „gen es nicht weiter, als daß sie mit laͤhrem „Kopfe lange schwazen lehren. Die Figuren der „Rede sind ihre Rhetorick und die Lexica der „Bey- der Critik bey den Deutschen. „Beywoͤrter dienen ihnen fuͤr die Kunst Beschrei- „bungen zu machen. Erst juͤngst haben sich ei- „nige unterstanden absonderliche Stellen zu beur- „theilen: Aber es fehlet ihnen an der critischen „Waage; sie urtheilen nicht auf einen gewissen „Grund; sondern auf gerathewohl.„ Jn die- sem Thone fahren sie noch etliche Seiten fort; darnach geben sie uns einige Nachrichten von der Gemuͤthesart, womit sie ihr Vorhaben unterneh- men, und fallen dann auf die naͤhere Bestimmung und Eintheilung ihres Werckes: „Diese Ge- „muͤthesart habe ich zu meinem lange uͤberlegten „und spaͤth beschlossenen Vornehmen gebracht, „alle Theile der Beredtsamkeit in mathematischer „Gewißheit auszufuͤhren, und den wahren Quel- „len sowohl des Ergetzens, das uns gute Schrif- „ten mittheilen, als der Kaltsinnigkeit, in welcher „uns schlimme Wercke stehen lassen, nachzuspuͤ- „ren. Was ich dießmahl an das Licht stelle, „ist allein der erste Theil von dem gantzen Wer- „ke, welchem noch vier andre Theile folgen sol- „len. Diese Eintheilung gruͤndet sich auf die „verschiedene Kraͤfte der Seele, von welchen die „unterschiedene Stuͤcke der Wohlredenheit und „Poesie hervorgebracht werden. Der gegen- „waͤrtige Theil handelt von dem Einfluß, welchen „die Einbildungskraft auf die Beredtsamkeit hat, „und begreiffet also alle Gattungen Beschreibungen „deren Dinge, so die Natur oder die Kunst her- „vorbringt; auch selbst die Beschreibungen des „menschlichen Gemuͤthes, welche mit einem eigenen „Nahmen Character der Sitten genannt werden, K 3 „und Nachrichten von dem Ursprunge „und wieder von verschiedener Art sind, gehoͤren „hieher, nachdem an derselben Verfertigung die „Einbildungskraft den meisten Antheil hat. Der „zweyte Theil wird die wichtige Frage von dem, was „in den Reden und Schriften geistreich oder scharf- „sinnig ist, eroͤrtern; auch uͤber diesen Punct leh- „ren, was der Witz als eine besondere Kraft der „Seele fuͤr Einfluß auf die Beredsamkeit habe. „Jn dem dritten werde ich untersuchen, worinnen „der gute Geschmack in Ansehen aller Gattungen „der Dichtung bestehe, und wie die Kraft zu dich- „ten, welche die Seele empfangen hat, gebraucht „werden muͤsse. Der vierte Theil ist nur ein be- „sonderer Abschnitt von der Dichtung, und han- „delt von den verschiedenen Gattungen der Poeterey, „als dem Epischen Gedichte, allen dramatischen „Stuͤcken, der Satyre, der Ecloge, der Ode. „Des fuͤnften Theiles Jnhalt ist von dem hoͤchsten „Grade der Vollkommenheit, zu welchem die See- „le in dem Punct der Wohlredenheit hinauf steigen „kan, nemlich dem Erhabenen in den Schriften: „Hier untersuche ich von Capitel zu Capitel den „Tractat des Longinus, so der einzige ist, der „uͤber diese Materie geschrieben hat. Jch getraue „mir die Schwaͤche seines Buches mit erforderlicher „Gruͤndlichkeit und Deutlichkeit entdecket zu haben. „Dagegen ich dann gantz neue Begriffe von dem „Erhabenen durch guͤltige Schluͤsse herhole und „festsetze.„ Der erste Theil von diesem weitlaͤuftigen Pla- ne hat um so viel mehr Aufsehens gemacht, als eine ungewoͤhnliche Freyheit in demselben herrsche- te, der Critik bey den Deutschen. te, mit welcher Lob und Tadel ohne Ansehen der Personen, sie mogten noch im Leben, oder schon gestorben seyn, nach Verdienen ausgetheilet ward. Jn den gelehrten Zeitungen von Leipzig hat man davon dieses Urtheil gefaͤllet: Die Beurtheilun- gen der Autoren, sagt man, sind bisweilen etwas herbe abgefasset; ihre Critik aber gruͤndet sich auf gute Regeln. Daselbst wurden die Verfasser auch das erste mahl mit Nahmen genannt: „Die „Autoren sollen, wie man sagt, Hr. Professor „Bodmer und Herr Breitinger, von dem wir „die neue Auflage der LXX. Dollmetscher zu hof- „fen haben, seyn.„ Man hat sie in der That errathen. Diese beyde sind es, die mit gemein- schaftlichen Anschlaͤgen erstlich die moralische Wo- chenschrift nach der Art des Englichen Zuschauers, hernach die andern oben erzaͤhlten critischen Schrif- ten verfasset haben, und wir verstehen eben die- selben, wenn wir die schweitzerischen Kunstrichter anfuͤhren. Die Scribenten, die in ihrem langen Besitze eines niemahls untersuchten Ruhmes ge- stoͤret worden, mußten nothwendig ein Mißfallen an diesen Critiken haben, und warum sollten sie den gefaßten Unwillen nicht oͤffentlich zu erkennen gegeben haben? Jn dem Biedermanne, einem moralischen Wochenblate von Leipzig, stellte der verkappte Philologus, dessen eigenes Gestaͤndniß seiner Schwaͤche in critischen Dingen man mit sei- nen vermessenen Urtheilen zusammen gehalten hat- te Er hatte in dem 34sten St. der Tadlerinnen ge- sagt: , die Zuͤrchischen Kunstrichter unter einer K 4 Ge- Nachrichten von dem Ursprunge Gestalt vor, welche sie mehr als alle ihre Vor- gaͤnger in Deutschland vermieden hatten. „Sie „sind, sagt er, durch das hin und wieder erlang- „te Lob einiger Tiefsinnigkeit und Gruͤndlichkeit „im Beurtheilen der Schriften so stoltz geworden, „daß sagt: „Jch gestehe es, daß ich in gewissen Faͤllen gar „wohl sagen kan, welcher Gedancke sinnreich sey oder nicht, „allein wenn ich eine Beschreibung geben soll, so will es „nicht fort.„ Wie koͤmmt es denn, sagten die Zuͤri- cher, daß er mit so viel Eigenduͤnckel einem Autor die Wissenschaft von dem, was scharfsinnig ist, abspricht, und sie einem andern zugesteht, eine Stelle als laͤcherlich verurtheilt, und eine andre gleich so unbegruͤndet canonisirt. Es ist fuͤrwahr, faͤhren sie fort, eine Thorheit zu hoffen, daß dergleichen Critici den Geschmack verbessern werden, daß diese Anfuͤhrer die wahre und philosophische Wohlreden- heit wieder herstellen werden. Die Antwort, die Herr Philologus auf diese Beschuldigung im LVI sten St. des Biedermannes gegeben, ist recht fremd und sonderbar. „Was kan ich davor, sagt er, daß ich in meinem Va- „terlande kein so großsprecherisches Pralen gelernet, als „der Criticus in dem seinigen? Jch sage aus Be- „scheidenheit lieber zu wenig von mir, als daß ich mit „ihm grosse Rodomontaden machen duͤrfte.„ Die Bescheidenheit ist wahrhaftig recht exemplarisch, da man sich selber der Unwissenheit in einer Sache schuldig erkennt, von welcher man im Begriffe stehet Lehren und Regeln zu geben! „Jch habe mich, sagt er ferner, zu Verbesse- „rung des Geschmackes in meinem damahligen Schrei- „ben nicht anheischig gemachet, und in diesem Absehen „waͤre es freylich eine Thorheit etwas von mir zu hof- „fen, was ich doch nicht versprochen habe.„ Dieser Verfasser schreibt denmach nicht, damit er uns etwas leh- re, er schreibt um des Schreibens selber willen, nicht zu Verbesserung unsrer Begriffe; oder wenn er dieses thut, so will er es uns vorher ausdruͤcklich ankuͤndigen. Man muß ihn darum auch nicht in der Hoffnung lesen, etwas bey ihm zu lernen, man muß sich nichts weiter vornehmen als, zu lesen. der Critik bey den Deutschen. „daß sie sich nunmehr zu allgemeinen Richtern „aufwerffen, und die grosse Menge unsrer Dich- „ter und andrer Buͤcherschreiber in ein Bocks- „horn jagen wollen. Mich duͤnckt nicht anders „als saͤhe ich den erboßten Critikverfasser, (so „nennt er selbst seine Handwercksgenossen) mit „einem graͤmischen Gesichte und der Ruthe in „der Hand, von seinen beschneyten Alpen herun- „tergestiegen kommen, und mit einem fuͤrchterli- „chen Thone in eiuer lieblichen schweitzerischen „Mundart alle unsre Scribenten in die critische „Acht und Oberacht erklaͤren. Er poltert und „stoͤret in unsren Buͤchern herum, und befiehlt „uns bald dieses bald jenes vor possierlich, phan- „tastisch, ungereimt, dumm, kalt, schwuͤlstig „und laͤcherlich zu erkennen, unter der angehaͤng- „ten unbarmhertzigen Bedrohung, daß er uns „den guten Geschmack absprechen wolle, da- „fern wir das Hertze haben sollten, uns wieder „sein Urtheil nur im geringsten aufzulehnen.„ Hr. Philologus will doch hierdurch nicht alles das- jenige verwerffen, was die Schweitzer vorgetra- gen haben. Er haͤlt das meiste davon vor gar wohl geschrieben, aber doch nicht vor so neu und unerhoͤrt, daß die Deutschen eben eines schweitze- rischen Lehrmeisters noͤthig gehabt haͤtten, um ih- nen dasselbe sagen zu lassen. „Die allermeisten „Stellen, sagt er, so sie getadelt und verworf- „fen, sind bey uns niemahls in Hochachtung ge- „wesen, vielweniger bewundert worden. Vie- „les haben wir laͤngst ohne ihren Befehl ausge- „lachet, und etliche Poeten, uͤber welche sie K 5 „sich Nachrichten von dem Ursprunge „sich in ihren Critiken so lange aufhalten, sind „noch gar nicht bey uns gewuͤrdiget worden, daß „man sie durchgelesen haͤtte.„ Er gedencket bey diesem Anlasse des grossen Wittekinds, von dem er meldet, daß er seinem Verleger zu Maculatur worden, wodurch seine Landesleute eine bessere und nachdrucklichere Probe ihres feinen Geschmackes gegeben, als wenn sie viele Buͤcher dagegen ge- schrieben haͤtten. Er meint man habe in der Zu- schrift gern etlichen Widersachern eines versetzen wollen, welches eine rechte schweitzerische Gat- tung von Artigkeit sey, so die ungeschliffenen Ober- und Nieder-Sachsen moͤgen nachahmen lernen; er fraget sehr geschickt, ob eben die Schweitzer die- jenigen seyn, welche den Deutschen zuerst entde- ken muͤssen, daß eine wahre Beredtsamkeit sich auf eine gute Philosophie gruͤnden muͤsse, und son- derlich eine gesunde Vernunftlehre voraussetze; ja daß ein Redner und Poete aus der Psychologie und Moral die Kraͤfte des Verstandes und Wil- lens wohl inne haben muͤsse, ehe er im Stande ist, was tuͤchtiges zu schreiben. Dieser Philologus hatte die Anmerckungen wi- der den Patrioten zu Leipzig in Manuscripto gele- sen, und war so guͤtig daß er ihn in seinen Schutz nahm, eh er noch gedruckt war, er that dieses mit der theuren Versicherung, daß des vortrefflichen Patrioten Papiere, so diese scharfen Zuchtmei- ster so veraͤchtlich tractiert haͤtten, ihnen und allen Schweitzern zu Trotze in- und ausser Deutschland Beyfall finden wuͤrden. Solcher seltsame Trotz einer einzeln Person, die sich vor den der Critik bey den Deutschen. den Mund und Redner einer gantzen Nation auf- geworffen, bewog die Zuͤricher vornehmlich, daß sie die Anklage des verdorbenen Geschmackes, so sie schon unter die Bancke werffen wollten, wie- der hervornahmen, und an das oͤffentliche Licht stelleten. Man daͤchte, daß die Wahrheiten, welche der Hr. Philologus in den Criticken der Schwei- zer erkannt hatte, ihn nicht so sehr verdrossen, weil es Wahrheiten waren, als weil sie ihm von Schweitzern vorgehalten worden. Weiter schei- net es uͤberhaupt, daß er und andre ihnen ihre Ur- theile und die Beweise derselben eingeraͤumet haͤt- ten, wofern sie nur von ihnen mit mehr Hoͤflich- keit Artigkeit und Gelindigkeit waͤren vorgetragen worden. Man fand sie zu hart, zu scharf, zu herbe, und, mit einem Worte, zu grob. Eben dieses hatte man ehmahls an den verstaͤndigen Ur- theilen des Hrn. Wernike ausgesetzet. Jch wuͤnschte, daß diese Richter ihre Begriffe hieruͤber etwas klaͤrer aus einander gesetzet haͤtten. Diejenigen Kunstrichter sind unhoͤflich zu heissen, welche die kleinsten Fehler, die sonst geschickten sittsamen und in Ansehen stehenden Maͤnnern un- ter einer Menge Schoͤnheiten entfallen sind, aus haͤmischem Gemuͤthe aufmutzen, welche hingegen eben derselben treffliche Schriften mit einem Zwan- ge loben, den sie nicht verbergen koͤnnen, oder ihnen gar einige Klecke anzuwerffen suchen; welche im loben und tadeln weder Ziel noch Maaß halten, und beyde mahl zu rasen scheinen. Jch begehre die Schweitzer nicht zu entschuldigen, wenn sie auf Nachrichten von dem Ursprunge auf diese Weise scharf, herbe und beissend geschrie- ben haben. Aber wenn die Grobheit, deren man sie beschuldiget, darinn bestehen sollte, daß sie die Schoͤnheiten und Fehler in ihren wahren Graden bestimmt, und bey den verdienten Nah- men genennet, daß sie die Versehen beruͤhmter Leu- te nicht zu Tugenden, noch ihre Schoͤnheiten zu Vortrefflichkeiten gemacht, oder, daß sie manch- mahl die Groͤsse eines Fehlers empfindlich zu ma- chen, und die beleidigte Vernunft zu raͤchen, sich des Gespoͤttes und der Satyre bedienet haben, vornehmlich wenn sie mit einem hochmuͤthigen, verstockten und hartnaͤkigten Gegner zu thun ge- habt; in diesen Faͤllen kan ich sie nicht schuldig finden. Wenn man die Hoͤflichkeit so hoch trei- ben wollte, so wuͤrde sie zur Schmeicheley, Zag- heit, und Scheinfroͤmmigkeit werden, die Critik wuͤrde dadurch ihre Nerven verliehren, und die albernen Scribenten wuͤrden der verdienten Straf- fe, womit sie andern zum Exempel dienen sollen, entrissen werden. Jch finde in der That in den schweitzerischen Critiken nichts weiter, als eine einfaͤltige und aufrichtige Freyheit, welche nur der Wahrheit gut ist, und darum Lob und Tadel bey einem Autor nach der Beschaffenheit der Sa- che austheilet; worinnen seit vielen Jahren her der Character der schweitzerischen Nation bestan- den; gens rudis, scapham scapham, ficum ficum, vocitare solita. Die schweitzerischen Kunstrichter sahen wohl, daß man ihre hertzhafte und bisweilen mit satyrischem Schertz begleitete Aufrichtigkeit mit dem Nahmen der Unhoͤflichkeit schwartz der Critik bey den Deutschen. schwartz zu machen suchete, sie liessen darum in dem Schreiben an den Hrn. Koͤnig vor der Ankla- ge des verderbten Geschmackes etwas weniges zum Schutze derselben einfliessen. „Jch habe, „heißt es daselbst, die verzaͤrtelte Hoͤflichkeit mit „der Wahrheit nicht vergleichen koͤnnen; sie ist „von der Aufrichtigkeit allzuweit entfernt, denn „sie verstellet, verkehret, und verkleistert die „Wahrheit, so oft es wehe thut, sie zu hoͤren.„ Nach etlichen Zeilen erklaͤret man sich noch deutli- cher: „Jndem ich hier der ausrichtigen Grobheit „zu Gunst der Wahrheit das Wort rede, muͤß- „te man sehr geneigt seyn, mir unrecht zu thun, „wenn man das ungerechte Gespoͤtte hieraus „rechtfertigen wollte, welches die Sachen gaͤntz- „lich aus Augen setzet, und uns an deren statt „einen ungeschickten Ausdruck unterschiebt, der „seinen Grund nicht in der Sache, sondern in „der ausschweiffenden Phantasie, oder dem bloͤ- „den Verstande des Verfassers hat.„ Die verzaͤrtelte Hoͤflichkeit ist von der wahren Hoͤflicheit weit unterschieden, und die aufrichtige Grobheit ist eben so weit von der wahren Unhoͤflichkeit entfernt. Es giebt in der That in den Schriften alberner Scribenten manchmahl so dumme, und ungehirnte Dinge, daß ob man gleich nichts wei- ters thut, als sie in ihrer Natur auf eine leb- hafte Weise vorstellig machet, man in der Ver- fasser Augen scharf, herbe, und beissend wird. Derjenige, der den letzten Artikel der XCI. N. in den gelehrten Zeitungen von Leipzig 1728. ver- fertiget hat, hat nicht absehen koͤnnen, wie sich in Nachrichten von dem Ursprunge in besagtem Schreiben an Hrn. Koͤnig die Schutzschrift vor die Grobheit zu dem Hrn. geheimen Secretar schicken sollte, der als einer der hoͤflichsten Maͤnner sowohl aus seinen Schriften, als aus seinem Umgange bekannt ist. Und ich kan nicht absehen, warum er nicht wahrgenommen habe, daß es eine Schutzschrift nicht vor die Grobheit, sondern vor die aufrichti- ge Freyheit ist, welcher die Schmeicheley, die Furchtsamkeit, und die Heucheley bisweilen unter dem geborgten Scheine der Hoͤflichkeit zu nicht ge- ringem Hinderniß der Wahrheit im Lichte stehen. Nun sind ohne Zweifel diese unpartheilige Aufrich- tigkeit, und die wahre Hoͤflichkeit unter einander nicht so streitige Dinge, daß sie sich nicht in einer Person beysammen finden koͤnnen. Der Hr. Gab- riel Wilhelm Goͤtten hat in seinem Leben des Hrn. Michael Richey aus diesem Schreiben an den Hrn. Koͤnig auch eine Schutzschrift vor die Grobheit gemacht. Hr. Bodmer, sagt er, schrieb seinen Antipatrioten so, daß er selbst vor noͤthig fand, demselben eine Schutzschrift vor die Grob- heit voran zu setzen. Die bekannte Aufrichtigkeit dieses Mannes laͤßt uns aber nicht zweifeln, daß ihm nicht die Feder hier von jemand andern, der nicht so aufrichtig gewesen, geleitet worden sey. Mit dieser aufrichtigen Freyheit der Zuͤrichi- schen Kunstrichter waren selbst diejenigen nicht all- zu wohl zufrieden, welche sonst davor wollten an- gesehen seyn, daß sie mit ihnen einerley Geschmack haͤtten. Dieselbe dauchte sie ein wenig zu weit getrieben, weil das schlechte und mittelmaͤssige in den der Critik bey den Deutschen. den Schriften der Freunde und Correspondenten selbst vor ihr nicht sicher blieb. Manchem schien schon die blosse Freundschaft mit ihnen voller Ge- faͤhrlichkeit. Einige, so die Partie derselben zu oͤffentlich genommen hatten, klagten ihnen, daß B... und W.... ihnen aus dieser Ursache gantz aufsaͤzig geworden. Die Schweizer hatten mit Hrn. Koͤnig und noch ein paar geschickter Corre- spondenten in Sachsen viel von einem Anschlage geredet, sich mit einander zu vereinigen, und wi- der die schwuͤlstige Schreibart und die falschen Ge- danken offentlich, jedoch anfangs unter verdeckten Nahmen zu schreiben. Jn diesem Vorsatz hatte sie die neue Auflage des brocksischen Kindermords bestaͤrckt, darinnen etliche niedersaͤchsische Poeten sich so viel Weihrauch gestreuet, daß alle recht- schaffene Leute dergleichen hochmuͤthiges Bezeigen mit Zorn angesehen. Man war auch schon begrif- fen Abrede zu nehmen, wie der hamburgische Patriot nach Verdienst koͤnnte gestriegelt werden. Von diesem Vorhaben findet man in dem Schrei- ben, das vor die Anmerckungen uͤber den Patrio- ten gedruckt worden, einige Anregung, man sagt uns dabey, daß diese Schrift ihren Ursprung von demselben haͤtte. Hr. Koͤnig, an den das Schrei- ben gestellet ist, muß gefuͤrchtet haben, daß diese Anzeige ihn bey den Urhebern des Patrioten in Verdacht bringen moͤgte, als ob er wuͤrcklich und in Person die Feder wider sie gespizet haͤtte; nun wollte ers mit ihnen nicht verderben: Daher fand er noͤthig in dem oben angezogenen XCI. N. der gelehrten Zeitungen von Leipzig mit der hoͤch- sten Nachrichten von dem Ursprunge sten Sorgfalt zu protestieren, daß es ihm nie- mahls in den Sinn gekommen, mit den Schwei- zern gemeinschaftlich wider den Patrioten zu schrei- ben. Dieses wahrscheinlich zu machen, hat er da- selbst melden lassen: „Es ist allhier in Leipzig „kundbar genug, daß Hr. Bodmer diese Schrift „nicht nur ohne Vorwissen Hrn. Koͤnigs verferti- „get, sondern auch solche schon vor zwey Jahren „heimlich an einen hiesigen Verleger geschickt, „und demselben ausdruͤcklich verbothen, Hrn. Koͤ- „nigen das geringste davon zu sagen; ungeach- „tet Hr. Bodmer damahls in vertraulichem Brief- „wechsel mit ihm gestanden.„ Allein in dem be- sagten Schreiben wird nur gesagt, daß der An- schlag mit Hrn. Koͤnig gemachet, aber nicht, daß er ausgefuͤhret worden; vielweniger findet man da, daß Hr. Koͤnig die Anklage des verdorbenen Geschmackes, oder sonst eine Schrift mit den Zuͤ- richern verfertiget haͤtte. Wohl hat der Autor des- selben Schreibens ausdruͤcklich und ohne Zwey- deutigkeit gesagt, daß er mit Hrn. Koͤnig zur Verbesserung des Geschmackes einen gemeinschaft- lichen Anschlag gemacht habe; dabey hat er ferner zu verstehen gegeben, daß Hr. Koͤnig in seinen Brie- fen von der Schrift des Patrioten auf eine gewis- se Weise geurtheilet haͤtte. Daß nun dieses der Wahrheit gantz gemaͤß sey, kan man aus Hrn. Koͤnigs eigenhaͤndigen Schreiben innen werden, welche Bodmer, der die Correspondentz mit dem- selben gefuͤhrt, unversehrt behalten hat. Man kan daraus zugleich sehen, was vor Ursachen ei- gentlich die Vertraulichkeit zwischen diesen beyden unter- der Critik bey den Deutschen. unterbrochen. Niemand wird leicht vermuthen, daß hierzu nicht ein geringes beygetragen, weil die Schweitzer eine gewisse Redensart des Hr. Brockes geschuͤtzet haben, welche Hr. Koͤnig ver- worffen hat. Was in der That die Freunde der Zuͤrchischen Kunstrichter am meisten verwirrete, war, daß sie ohne Bedencken diejenigen selbst lobeten und vertheidigten, von welchen man sie berichtete, daß sie ihre Feinde waͤren, und die Bolzen schnitzen haͤlffen, welche ihre Handlanger auf sie verschies- sen mußten; daß sie die Anstister waͤren, wenn diese sich in ihren Vorreden unnuͤtze macheten. „Jch kan nicht absehen, schrieb ihnen hieruͤber „einer von ihren Correspondenten, was sie be- „wegen kan, B... so hoch zu erheben, da er, „wie sie aus beyligendem Briefe sehen werden, „ihr abgesagter Feind ist, und es sehr zu ihrem „eigenen Nachtheil mißbrauchen wuͤrde, wenn „er sich von ihnen auf die Art gelobet faͤnde. „‒ ‒ Wollen sie diese Leute noch in ihrem un- „ertraͤglichen Hochmuth staͤrcken, und ihnen die „Waffen selbst in die Haͤnde geben, womit sie „wider den guten Geschmack fechten sollen?„ Es kam ihnen unbegreifflich vor, daß einer das Schoͤne und Gute an seinem Feinde mit Eifer und Begierde anpreisen sollte. Aber es schien ihnen unertraͤglich, daß man den Freunden ihre Fehler nicht uͤbersehen konnte; und dadurch verderbten die Schweitzer es mit ihren Saͤchsischen Correspone denten noch viel mehr, als durch das Lob, das sie ihren Wiedersachern ertheilten. Sie schrieben [Crit. Sam̃l. II. St.] L ihnen Nachrichten von dem Ursprunge ihnen darum gantz schlimme Neigungen und Ab- sichten zu; daß sie nur aus boͤsem Hertzen tadel- ten; daß sie nur aus Liebe zum Widersprechen lo- beten, was ein andrer getadelt, tadelten, was ein andrer gelobet haͤtte; man eignete ihnen darum die seltsame Kunst zu, daß sie alles critisiren koͤnn- ten; daß sie das ernstlichste laͤcherlich, das schoͤn- ste haͤßlich, wie hingegen das possierliche ernst- hast, das verwerffliche angenehm vorstellen koͤnn- ten. Doch getrauete sich niemand, oder niemand wollte die Muͤhe nehmen, die sophistischen Griffe dieser verderblichen Kunst in ihren Schriften zu entdecken, und die Wahrheit, deren bestaͤndiger Character sich durch die angeworffenen Kleke nicht tilgen laͤßt, in ihrem reinen Lichte herzustellen. Jn der Zeit, daß man die Fortsetzung der ver- nuͤnftigen Gedancken und Urtheile von der Beredt- samkeit erwartete, da ihrem Plane gemaͤß die wichtige Frage, was in den Schriften geistreich oder scharfsinnig sey, eroͤrtert, und gezeiget wer- den sollte, was der Witz fuͤr Einfluß auf die Be- redtsamkeit haͤtte, gab Herr Prof. Gottsched zu Leipzig den Versuch einer critischen Dichtkunst fuͤr die Deutschen heraus, worinnen er sich vorgenom- men, etwas tiefer zu gehen, als die blosse Mecha- nick des Verses, und der Versarten zu untersu- chen. Jn der Vorrede, wo er uns seine poeti- sche und critische Lebens-Geschichte erzehlt, sagt er, daß der Hr. Prof. Pietsch schon vor dem Jahr 1724. einmahl gedacht, daß er nicht ungeneigt waͤre, eine Anweisung zur Poesie zu schreiben, nicht zwar auf den Schlag, als die gewohnlichen Anlei- der Critik bey den Deutschen. Anleitungen waͤren, daran man keinen Mangel haͤtte, sondern so daß darinnen der innere Charac- ter und das Wesen eines jeden Gedichtes gewie- sen wuͤrde. Damahls, sagt er, geschah es daß ich mir den rechten Begriff von einer critischen Dichtkunst machete, deren Nutzbarkeit ich gar wohl einsah, aber mirs noch nicht traͤumen ließ, daß ich mich dereinst an dergleichen Arbeit wagen sollte. Er fiel erst auf dieses Vorhaben, „als „ihn die critischen Discurse der Schweitzer in ih- „rer moralischen Wochenschrift durch so viele Be- „urtheilungen der deutschen Poeten begierig ge- „machet, alles aus dem Grunde zu untersuchen, „und wo moͤglich zu einer voͤlligen Gewißheit zu „kommen, was richtig oder unrichtig gedacht, „schoͤn oder haͤßlich geschrieben sey.„ Am aller- meisten staͤrckte ihm den Muth zu diesem Unterneh- men die zahlreiche Bibliotheck von critischen Schrif- ten der Auslaͤnder, die in Leipzig zu seinem Dien- ste stuhnd, und welche er in besagter Vorrede nahmhaft machet. Wie schwach damahls noch der Geschmack an critischen Sachen bey den Deut- schen gewesen, nehmen wir dabey ab, daß Hr. Gottsched noͤthig gefunden, in derselben die Ue- berschrift seiner Dichtkunst, die er critisch geheis- sen, zu vertheidigen. Man hat wider dieses Werck eingewendet, daß es ausgeschrieben waͤre, dawider der Verfasser sich bey der zweyten Aufla- ge dergestalt vertheidiget: „Diejenigen grossen „Leute, die alles, was sie schreiben, aus ihrem „eigenen fruchtbaren Geiste hernehmen, und kei- „nem Lehrmeister etwas zu verdancken haben, L 2 „moͤ- Nachrichten von dem Ursprunge „moͤgen auf ihre Schriften stoltz werden. Sie „haben ein Recht dazu, welches ich ihnen nicht „streitig machen kann. Sie sind so gluͤcklich „dasjenige in sich selbst zu finden, was Leute von „meiner Gattung, nach Art aͤmsiger Bienen, „erst auf fremden Fluren mit vieler Muͤhe zusam- „mensuchen muͤssen! Jhr unerschoͤpflicher Witz „vertritt bey ihnen die Stelle grosser Buͤchersaͤle, „und einer langweiligen Belesenheit. Daher „koͤnnen sie ungescheut diejenigen Opfer sich selbst „anzuͤnden, die wir andern unsern Vorgaͤngern „und Lehrern zu bringen pflegen. Was ist billi- „ger, als daß ein jeder diejenige Quelle kroͤnet, „daraus er geschoͤpfet hat! Und ich bin also ver- „sichert, daß niemand von diesen grossen Gei- „stern mir das Bekaͤnntniß mißgoͤnnen wird, „daß ich alles, was in meiner critischen Dicht- „kunst gutes enthalten seyn wuͤrde, nicht mir „selbst, sondern den groͤsten Critickverstaͤndigen „alter und neuer Zeiten zu verdancken haͤtte.„ Allein hat ihm nicht eine unzeitige Bescheidenheit diesen ironischen Schertz wider die Erfinder neuer Wahrheiten, oder wenigstens neuer Formen, schon bekannte Wahrheiten vorzutragen, in den Sinn gegeben, und ihn geheissen, auf diese Wei- se die ruͤhmliche Eigenschaft eines Urhebers von sich abzulehnen? Jemand hat vermeinet, daß er die Sachen, so er aus andern genommen, sich durch eine gewisse Umgiessung so gar zu eigen zu machen gewußt habe, daß sie selbst schwerlich ver- mercken koͤnnten, was davon erstlich ihnen zuge- hoͤrt haͤtte. Hr. Voltaire, Hr. Muratori, und andere der Critik bey den Deutschen. andere, die noch bey Leben sind, moͤgen selber sa- gen, ob sie die Gedancken, fuͤr die Hr. Gottsched ihnen so feierlich dancksaget, darinnen erkennen. Jch bin versichert, daß sie durch das gantze Werck sich selber nirgend, Hrn. Gottsched auf allen Blaͤtern antreffen werden. Die Hauptmaterien, welche auf den Titeln der Capitel angekuͤndiget werden, sind gantz bequem, die Aufmercksamkeit des Lesers zu erwecken, aber werden mit so grosser Spar- samkeit der Gedancken und Schluͤsse ausgefuͤhret, daß man nach vollendetem Lesen fast nichts gruͤnd- lichers weis, als was einem der blosse Titel zu verstehen gegeben hatte. Er bekuͤmmert sich nicht sonderlich, die Natur derer Sachen, von denen er zu reden verspricht, auszuforschen und klar zu machen, sondern laͤßt uns oͤfters im Dunckeln sitzen, wenn wir eben verhoffen die wesentlichsten Lehren zu empfangen. Wir haben es vor einen Vortheil zu halten, wenn er uns nicht verwirret, an statt daß er uns erleuchten sollte. Giebt er uns ein geringes Licht von etwas, so hat er es bey irgend einem andern entlehnet, so daß man sein Werck in diesem Ansehn vor etwas bloß histori- sches halten muß. Was er eigenes hat, sind solche Fragen, die schwerlich jemand andrer vor noͤthig achten wuͤrde abzuhandeln. Er aber ist daruͤber sehr ausfuͤhrlich. Jn dem Vortrage herr- schet ein hinlaͤssiges Wesen ohne Annehmlichkeit, und eine trockene Kaltsinnigkeit ohne Geschicklichkeit. Das eigenste in dieser Dichtkunst fuͤr die Deut- schen ist, daß der Autor, der seine Lehrsaͤtze in der Vorrede mit so bescheidener Erniedrigung seiner L 3 selbst Nachrichten von dem Ursprunge selbst Fremden zugeleget und gedancket hat, hin- gegen die Exempel zu denselben niemanden als sich selber hat wollen schuldig werden. Er hat diese groͤstentheils aus seinen eigenen Schriften genom- men, welches vor ihm keiner von den Alten oder den Neuern Criticis gethan hat. Er ist also der ein- zige iztlebende Poet, den er angezogen, und dem zu gefallen er die Regel gebrochen hat, so er sich selber vorgeschrieben, daß er keinen lebenden Dich- ter weder tadeln noch loben wollte. Weil er sahe, daß er die Tadelhaften nicht nach ihrem Verdie- nen bestraffen koͤnnte, ohne daß er sich ihren Haß zuzoͤge, ja weil sie auch die blosse Erwaͤhnung der Geschickten bey ihrer eigenen Ausschliessung vor eine heimliche Verurtheilung haͤtten aufnehmen moͤgen, so hat er vor gut befunden, sowohl das Lob der letztern als die Straffe der erstern in der Feder zu behalten. Nachdem Hr. Gottsched diesen Grund zu einer Critik fuͤr die Deutschen geleget hatte, ruhete er in seinem critischen Laufe nicht, sondern fieng 1732. an, die Beytraͤge zur critischen Historie der deut- schen Sprache, Poesie und Beredtsamkeit, her- auszugeben, womit er sich vorgenommen, zwar hauptsaͤchlich das Aufnehmen der deutschen Spra- che, und den Fleiß seiner Landsleute dieselbe zu bes- sern, zu untersuchen, jedoch damit Abhandlungen von allerley in die deutsche Literatur, Critik, Dicht- kunst und Beredtsamkeit laufenden Materien zu untermischen. Historische und Grammatische Arti- kel machen darinnen weit die groͤste Zahl aus. Jene bestehen aus truckenen Nachrichten von alten und der Critik bey den Deutschen. und neuen Schriften, so zur Beredtsamkeit und Sprachlehre gehoͤren, aus langen Auszuͤgen der- selben, so bisweilen mit einigen fluͤchtigen Beur- theilungen begleitet werden. Diese sehen meistens nur auf die aͤusserliche Form der Woͤrter, auf die Rechtschreibung, auf die Abfaͤlle der Nennwoͤr- ter und der Vornennwoͤrter, auf die Fließarten der Zeitwoͤrter und dergleichen. Die Natur und Eigenschaft der deutschen Sprache in zusammen- hangenden Redensarten, ihre Kraft in der Be- deutung, ihre Biegsamkeit, und Geschicklichkeit zu allen Schreibarten, ihr Reichthum in Anse- hen der absonderlichsten Bestimmungen, werden vielmehr vorausgesetzet, als erwiesen. Die criti- schen Untersuchungen sind in sehr geringer Anzahl. Von diesen gehoͤren einige Fremden, die mehrern Herrn Gottscheden, welcher in dem ein und zwanzig- sten Stuͤcke seinen Anspruch auf das gantze Werck oͤffentlich behauptet, gleichwohl aber bekannt hat, daß ihm viele Artickel von geschickten Freunden ein- gesandt worden. Zuvor hatte jedermann die deut- sche Gesellschaft von Leipzig fuͤr die Urheber dieser Monatschrift gehalten. Von den critischen Arti- keln hab ich uͤberhaupt urtheilen gehoͤret, daß man den Verfasser der critischen Dichtkunst darinnen alsobald erkenne, daß die Urtheile nicht auf sol- che Wahrheiten gegruͤndet werden, die nur Hin- tersaͤtze von unleugbaren Foͤrdersaͤtzen sind, und sich bequem unter einen solchen bringen lassen. Ei- nige von den allgemeinsten Grundsaͤtzen werden mit grossem Duͤnckel eingefuͤhrt, aber in ihrer Anwendung, wo es um die Beurtheilungen der L 4 Mittel Nachrichten von dem Ursprunge Mittel und Umstaͤnde zu thun ist, und untersucht werden soll, wie man in der Wahl dieser Dinge die besondere Absicht in einem Theile getroffen ha- be, will es nicht fort. Also wird die Grundregel, ahmet der Natur nach, in allen absonderlichen Faͤllen darein geworffen; man macht sich groß, daß man alle vorkommenden Fragen damit unfehl- bar eroͤrtern wolle, und betrachtet nicht, daß die- se Regel nur anzeiget, woher man den Unterricht nehmen soll. Einige Ausdruͤckungen in den Urthei- len sind auf Schrauben gesetzet, oder stossen sich unter einander dergestalt, daß man nicht errathen kan, was der Kunstrichter damit haben wolle, ob es gleich hier und da scheint, daß er einen Strahl der Wahrheit erblicket habe. Abentheur- liche Ausdruͤcke, welche die Sache verstellen, ha- ben ost die Stelle des feinen Schertzes, der aus der Eigenschaft des Gegenstands herfliesset, ver- treten muͤssen. Die Herren Damm, Hirsch, Bock, Venski, Hr. Prof. D. und C. G. G. und vor allen andern der geschickte Autor der Probe des uͤbersetzten Virgils koͤnnten uns davon aus der Er- fahrung erzehlen. Jch will mithin nicht diesem Urtheile zum Vortheil verschweigen, daß andre viel guͤnstiger von dieser Monatschrift gesprochen haben. Die Verfasser der Beytraͤge berichten uns davon hin und wieder selbst. Zum Exempel: „Da wir den fuͤnften Band dieser Beytraͤge hie- „mit anfangen, so koͤnnen wir nicht umhin, dir „fuͤr den bisherigen Beyfall, den du unsern Be- „muͤhungen gegeben, den gebuͤhrenden Danck „abzustatten ꝛc. Haben dir also bisher die Bey- „traͤge der Critik bey den Deutschen. „traͤge gefallen, so werden sie dir weiter gefal- „len.„ Von dieser Art Zeugnisse koͤnnte man eine ziemliche Zahl zusammenlesen, welche alle von demjenigen sorgfaͤltig aufgehoben worden, dem am meisten daran gelegen war, daß man sie wuͤßte. Jndessen haben die richterlichen Spruͤche in die- sem Wercke etliche Jahre nach einander das Schicksal der poetischen Schriften bey den Deut- schen regiert. Scribenten, die ihnen an Einsich- ten nichts nachgeben, erfuhren das eiserne Scep- ter dieser Kunstrichter. Herr Heineken empfieng wegen seiner Untersuchung vom Erhabenen, die er zu seinem uͤbersetzten Longinus gedruͤckt, folgen- des Urtheil: „Seine angehaͤngte Abhandlung „ist zwar mehr ein Zeugniß seines guten Willens „und seines Eifers fuͤr die Verbesserung des Ge- „schmackes, als ein Zeugniß von der Geschick- „lichkeit und Einsicht, welche bey Untersuchung „und Einrichtung etwas schwerer Begriffe noͤthig „ist.„ Es thoͤnet auch sehr vornehm, wenn der Journaliste sagt: „Ob ich gleich bekennen „muß, daß ich nicht in allen Stuͤcken mit dem „Longin zufrieden bin, so muß ich doch auch sa- „gen, daß indessen seine Schrift alle Hochach- „tung bey mir erwecket.„ Von dieser Schrift hat Hr. Prof. Gottsched in der zweiten Auflage seiner Dichtkunst weiter geurtheilet, daß Herr Heineken die Ursachen und Regeln seiner Urtheile nicht angeben koͤnnen. Er hatte eben dieses von dem Pater Buhurs gesagt, und darauf hinzugese- zet: „Und so gehet es auch denen, die uns im „Deutschen haben lehren wollen, was Longin L 5 durch Nachrichten von dem Ursprunge „durch das Erhabene verstehet; als die ausser „vielen Schmeicheleyen gegen einige noch lebende „Dichter, und manchen vergaͤllten Censuren, „wider andere, denen ihre Schutzgoͤtter nicht „wohl wollen, nicht viel deutliches zuwegege- „bracht haben.„ Daß dieser Verweis Hrn. Heineken gelte, hat mich das Register gelehret, wo es heißt: Heineken weis nichts deutliches vom Erhabenen Bl. 338. Durch die noch leben- den Dichter meint er sich selbst, und durch die Schutzgoͤtter, so diesen nicht wohl wollen, den Herrn geheimen Rath Koͤnig. Er hat diesen von seiner gutthaͤtigen Regel keinen Jtztlebenden zu ta- deln in soweit ausgenommen, daß er ihn tadelt, wenn er ihn gleich nicht mit Nahmen nennet. Z. E. im 18ten §. der critischen Dichtkunst sagt er, er wolle aus vielen hunderten niedertraͤchtigen Scher- zen, oder vielmehr Frazen unsrer Dichter nur ein Paar eines solchen Meisters zur Probe geben; und bringt hernach solche aus Hrn. Koͤnigs Schimpf- gedichten. Und im 10ten §. redet er von gewissen Kluͤglingen, die in seiner Eintheilung der Schreib- art einen Mischmasch finden wollen; und die sich einbilden, was nicht nach ihrem unreifen Sinne sey, oder vielmehr was denjenigen, deren Sprach- rohr sie abgeben, nicht gefalle, das sey nicht rich- tig. Da sind wieder Hr. Heineke und Hr. Koͤnig gemeinet. Auch in den critischen Beytraͤgen giebt er zu verstehen, daß er in seiner Einbildung Hrn. Koͤnig an poetischen Verdiensten weit uͤbertreffe. Wenn man ihm dieses glaubet, so kan er es fuͤr ein Gluͤck halten, welches aber dem Wechsel sehr unterworffen scheinet. Die der Critik bey den Deutschen. Die Zuͤrichischen Kunstrichter koͤnnen sich ruͤh- men daß sie von den Verfassern dieser Leipzigischen Beytraͤge eine lange Zeit hochgehalten worden. Diese gedencken ihrer selten, daß sie dieselben nicht sich selbst an die Seite setzen. Jm achten Artikel des fuͤnfzehnten St. heißt es ausdruͤcklich: „Was „uns Zuͤrich seit wenigen Jahren fuͤr Proben ei- „ner gesunden Critik geliefert, das muß noth- „wendig, auch ohne mein Erinnern, aus den „Discursen der Mahler bekannt seyn, als wel- „che nicht nur Richter der Sitten, sondern auch „der freyen Kuͤnste bey uns abgegeben, und ge- „wiß nicht wenig gutes gestiftet haben. Ja wir „wuͤrden gar behaupten, daß man den Ursprung „der izigen critischen Zeiten von diesem Buche her- „leiten muͤsse, wenn ihm Hr. Werenfels nicht „den Rang abgewonnen haͤtte.„ Nemlich mit seinem lateinischen Werckgen von den Meteoren einer Rede; welches in der That denjenigen, die sich der deutschen Wohlredenheit vor den Zuͤrichi- schen Kunstrichtern angenommen haben, vor- treffliche Dienste haͤtte thun koͤnnen, wenn es ih- nen bekannt gewesen waͤre, oder wenn sie den Lehr- saͤtzen darinnen weiter nachgespuͤret und gefolget haͤtten. Obiges Lob hat man den Zuͤrichischen Kunst- richtern in den critischen Beytraͤgen bey Anlasse des Briefwechsels von der Natur des poetischen Geschmackes gegeben, welches Werckgen von ih- nen in dem Jahre 1736. an das Licht gestellet wor- den. Es bestehet aus etlichen Briefen, die zwi- schen ihnen und einem Jtalienischen Grafen, der nicht Nachrichten von dem Ursprunge nicht genannt wird, im Jahre 1729. waren ge- wechselt worden. Diese suchen darinnen zu be- haupten, daß der metaphorische Geschmack, wordurch sie die Fertigkeit das Schoͤne in den Schriften schnell und sicher wahrzunehmen verstehen, nicht willkuͤrlich sey, nicht auf einer sinnlichen Empfin- dung beruhe, sondern sich auf die Uebung gruͤn- den, und die Untersuchung aushalten muͤsse. Der Jtaliener macht zuerst nicht viel mehrers daraus als eine mechanische Kraft und gleichsam einen sechs- ten Sinn, der von dem Angenehmen in der Poe- sie so guͤltig urtheilete, als der eigentlich genannte Sinn des Geschmackes von den Eigenschaften der Speisen. Der Urheber des besagten VIII. Art. in den critischen Beytraͤgen erzehlt den Jnhalt und die Absicht der gantzen Schrift kuͤrtzlich, und, wie sein eigenes Bekenntniß lautet, so, daß er sich hierbey nicht der Gedancken und Worte des Verfassers sondern seiner eigenen Art zu den- ken und zu schreiben bedienet hat. Hernach sagt er zum Lob derselben; das Werckgen trage in wenigen Bogen die nuͤtzlichsten und angenehmsten Sachen in grosser Menge vor; der Streit sey von den geschicktesten Gegnern von der Welt ge- fuͤhrt, und mit so vieler Scharfsinnigkeit als Hoͤf- lichkeit von beyden Theilen fortgesetzet worden; er sagt noch andre Sachen, diese Schrift zu loben, welche er mit dieser Anmerckung beschließt: „Wer „das dritte Capitel in der critischen Dichtkunst „gelesen hat, der wird finden, daß dieser Brief- „wechsel nur eine weitlaͤuftige Ausfuͤhrung dessen „enthaͤlt, was der Urheber von jener gelehrt und „be- der Critik bey den Deutschen. „behauptet hat.„ Der Briefwechsel ist im Jahr 1729. gefuͤhrt worden, und die critische Dicht- kunst fuͤr die Deutschen ist erst in dem darauf fol- genden Jahre an das Licht getreten. Demnach muͤssen die Verfasser der Briefe das dritte Capi- tel der gottschedischen Dichtkunst prophetischer Wei- se vorhergelesen haben, wenn es wahr ist, daß sie es weitlaͤuftiger ausgefuͤhret haben. Dieses braucht einen handfesten Glauben, welchen noch dazu die Vergleichung beyder Schriften gaͤntzlich zu nichten machet. Jn den Briefen des Eurisus ist es heller Tag, alles wird endlich klar und deut- lich bestimmt: Jn Hrn. Gottscheds dritten Capitel regiert lauter Verwirrung und Dunkelheit. Er sagt, der gute Geschmack sey der von der Schoͤn- heit eines Dinges nach der blossen Empfindung urtheilende Verstand, in Sachen, davon man kein deutliches und gruͤndliches Erkenntniß hat; der uͤble Geschmack hingegen sey ebenfalls der Verstand, der nach der blossen Empfindung von undeutlich erkannten Sachen urtheilet; aber sich in solchen seinen Urtheilen betruͤget. Er versteht durch die blosse Empfindung, auf welche das Ur- theil sich gruͤndet, die innerliche Empfindung ei- ner schoͤnen Sache, die entweder wuͤrcklich ausser uns vorhanden ist, oder von unsrer eigenen Phantasie hervorgebracht worden. Allein dieser letzte- re Verstand, der von undeutlich erkannten Sachen urtheilt und sich betruͤgt, wird mit besserm Recht Unverstand genannt. Der erstere, der von de- nen Sachen urtheilet, von welchen er kein gruͤndli- ches und deutliches Erkenntniß hat, ist nicht viel besser, Nachrichten von dem Ursprunge besser, ob er es gleich trifft. Aber wie kan er rich- tig davon urtheilen? Es ist nur ein blindes Unge- fehr, wenn er es mit seinem Urtheile trifft; zu- mahl da die Empfindung bey beyden Arten Ge- schmackes gleich ist. Er verdient denn keinen groͤs- sern Ruhm, als daß er sich aus Jrrthum selbst im rechten Wege befindet; wovon er aber selbst keine Gewißheit hat. Und was vor einen Nu- zen hat er davon? Was vor einen Vortheil hat der Poet davon, der diesen guten Geschmack Hrn. Gottscheds besitzet? Warum soll man nach einem Geschmacke streben, von dem man es nicht weis, wenn man ihn gleich erhalten hat, und wenn man ihn nicht hat, sich solches mit eben so gutem Recht schmeicheln kan, als wenn man ihn hat? Aber mit welcher Kuͤhnheit darf man uns in der Anmerckung sagen, der grosse Leibnitz sey voll- kommen Hrn. Gottscheds Meinung; welches noch vornehmer thoͤnet, als wenn es hiesse, Hr. Gottsched waͤre des grossen Leibnitzens Meinung. Dieser hat gesagt: Le goût distingué de l’En- tendement, consiste dans les perceptions confuses, dont on ne sçauroit assez rendre raison. C’est quelque chose d’approchant de l’Instinct. Le goût est formé par le na- turel \& par l’usage: Et pour l’avoir bon, il faut l’exercer à goûter les bonnes choses, que la raison \& l’experience ont déja autori- sées. Jst dieses nicht grad das Gegentheil dessen, was Hr. Gottsched davon lehret? Man gebe nur Achtung auf die Worte, distingué de l’Entendement; dont on ne sçauroit assez rendre raison; quel- que der Critik bey den Deutschen. que chose d’approchant ; il faut l’exercer à goû- ter les bonnes choses que la raison \& l’expe- rience ont déja autorisées. Es verdruͤßt mich wei- ter in diesem Capitel der Gottschedischen Dichtkunst zu gruͤbeln, wo die Worte von dem Zufall schei- nen entstanden zu seyn, daher ein Satz den andern schlaͤgt. Schon seit etlichen Jahren hatte sich in Nieder- sachsen ein geschickter Kopf hervorgethan, der das allgemeine Recht der Menschen zu critisiren, nicht nur durch unumstoͤßliche Beweise oͤffentlich behaup- tete, sondern auch durch die unerschrockensten und muntersten Proben in der satyrischen Schreibart ausuͤbete. Dadurch ward bey denjenigen, wel- che den verderbten Geschmack in seiner voͤlligen Un- gestalt einsahen, die Hoffnung auf ein neues auf- gewecket, daß derselbe durch die durchbrechende Macht der Critik baͤldest wuͤrde vertrieben wer- den. Denjenigen ist nicht zu helffen, welche des Hrn. von Liscow satyrische Schriften gelesen, und doch nicht erkannt haben, daß er die Critik, wel- che die bestgegruͤndeten Urtheile in der feinsten Jro- nie und andern Huͤlfsmitteln der Satyre einzuklei- den weiß, vollkommen in seiner Gewalt hat. Seine Critiken gehen nicht auf die Poesie und Wohlredenheit allein, sondern insgemeine auf alle freyen Kuͤnste und Wissenschaften, welche von ungehirnten Koͤpfen entheiliget werden. Er stellet sich zwar an, als ob er es nur mit den elenden und dunckelsten Scribenten aufgenommen haͤtte, und man daͤchte, daß er vor eine groͤssere Ehre hielt, daß diese durch seine Feder aus dem Staube erho- Nachrichten von dem Ursprunge erhoben und erst beruͤhmt gemachet wuͤrden, als wenn er seinen Ruhm der Erlegung grosser Hel- den, die sich mit Schreiben schon einen Nahmen gemachet hatten, waͤre schuldig worden: Jndessen sind in seinen Sievern, Backmeistern, Philippi, Rodigasten, Manzeln, Hilligern, Fuͤrsten von Auslegern der Heiligen Schrift, Predigern, Naturkuͤndigern, Lehrern des natuͤrlichen Rechten, der Wohlredenheit und der Poesie, verstecket. Die Streiche, die auf diese gefuͤhrt scheinen, tref- fen Maͤnner, die bey dem Ansehen, das sie sich durch andere Geschicklichkeiten, nicht des Verstan- des und des Geistes, erworben, sich laͤngst vor dem Gespoͤtte der Satyre frey und sicher geglaubt hatten. Wenn zum Exempel in der Antwort auf die Antrittsrede des Hrn. Prof. Philippi in der Gesellschaft der kleinen Geister gesagt wird: „Jch „bin versichert, grosser Philippi, du wollest so „viel sagen, daß unsre Feinde thoͤrigt handeln, „wenn sie, obgleich die deutsche Sprache ihre ei- „genen Regeln hat, doch verlangen, man solle „sich nach den Regeln der lateinischen und griechi- „schen Redekunst eines Cicero und Demosthenes „richten. Auf solche Art wuͤrde unser drittes Ge- „setze, nach deinem Sinn, folgender Gestalt „lauten muͤssen: Binde dich nicht an die Regeln „der lateinischen und griechischen Redekunst eines „Cicero und Demosthenes, denn die deutsche „Sprache hat ihre eignen Regeln. Dieses waͤ- „re ein Gesetze vor uns, und der Schluß, auf „welchen sich dasselbe gruͤndet, wuͤrde uns als „kleinen Geistern wohl anstehen, weil in selbi- „gem der Critik bey den Deutschen. „gem die Sprach- und Rede-Kunst so artig mit „einander vermenget sind, und nicht undeutlich „zu verstehen gegeben wird, daß es eine lateini- „sche, eine griechische, und eine deutsche Beredt- „samkeit gebe, die wesentlich von einander un- „terschieden: Welches gewiß unsern Feinden „eben so wunderlich vorkommen wuͤrde, als wenn „man ihnen von einem lateinischen, griechischen, „und deutschen Ein mahl eins vorsagen wollte.„ Wer hat nicht eben dergleichen Saͤtze in einer oder etlichen Vorreden, Anweisungen, und Lehr- schriften unserer hochgeschaͤtztesten Jztlebenden ge- lesen? Etliche von denselben, denen ein wenig mehr Verstand uͤbrig geblieben, als ihren Bruͤ- dern in Midas, haben sich selber in der Person des Herren Philippi wohl erkannt, und darum nicht so hertzlich daruͤber gelachet, als sie sich ange- stellet. Man hat auch wahrgenommen, daß eine gewisse Art Scribenten insgemeine weniger Ge- schmack an den Schriften des Hrn. Liscows ge- funden hat, als Leute, die sich niemahls ins Schreiben gemenget haben. Es ist sonst nicht zu zweifeln, daß nicht die Gemuͤther der Deutschen uͤberhaupt durch diese satyrischen Verfasser zu Cri- tiken sowohl gewoͤhnet und zubereitet worden, daß man deßwegen denen neuen Schriften, so gleich hernach zum Aufnehmen des Geschmackes in der Wohlredenheit und der Poesie an den Tag gege- ben worden, einen desto leichtern Eingang mit aller Wahrscheinlichkeit versprechen darf. Es hatte geschienen, daß die Zuͤrichischen Kunst- richter, wie Hr. Arnold schon 1732. in der Vorre- [Crit. Sam̃l. II. St.] M de Nachrichten von dem Ursprunge de zu seinem Versuche einer poetischen Anleitung gefuͤrchtet, ermuͤdet waͤren, uns ihre Einsich- ten in die Natur der Beredtsamkeit und Dicht- kunst mitzutheilen; die Fortsetzung der critischen Gedancken von der Beredtsamkeit war izo in das dreyzehnte Jahr ausgeblieben. Man redete gantz zweifelmuͤthig davon. „Vielleicht, hieß es in „dem V ten Art. des XVII. St. der critischen Bey- „traͤge, wird uns die Geschicklichkeit des Hrn. „Bodmers dasjenige ersetzen, was dieser Ab- „handlung Hrn. Heineken vom Erhabenen man- „gelt: wenn er seine Beurtheilung des Longins „der gelehrten Welt nur nicht laͤnger mißgoͤnnen „will, die auf eine erwuͤnschte Erfuͤllung seines „Versprechens laͤngst gehoffet hat.„ Auch Hr. Heineken hatte ihn deßwegen etliche mahl ange- stochen. Jn der Vorrede zu der Uebersetzung des verlohrnen Paradieses war zwar aufs neue Hoff- nung dazu gegeben worden, indessen wollte nichts zum Vorscheine kommen. Jch zweifele nicht daß die Ungeduld dieses Versprechen erfuͤllt zu sehen, den Hrn. Arnold, den Hrn. Bock, den Hr. Hei- neken, bewogen habe, dem Mangel, der ihnen durch die Gottschedische Dichtkunst nicht genug ersetzet geschienen, durch ihre Untersuchungen nach ihrem Vermoͤgen abzuhelfen, welches sie mit un- gleichem Fortgang gesucht haben. Einesmahls wurden die schweitzerischen Kunstlehrer wieder wa- che, und uͤberrascheten die halbverstorbene Hoff- nung ihrer Goͤnner mit einer Menge critischer Lehr- schriften, welche sie ohne Unterbrechen auf einan- der folgen liessen. Die Abhandlung von den Gleich- der Critik bey den Deutschen. Gleichnissen, die neue critische Dichtkunst in zweyen Theilen, die Abhandlung von dem Wun- derbaren, in einer Vertheidigung Miltons Pa- radieses, der Unterricht von poetischen Gemaͤhl- den, kamen alle in 1740. zum Vorscheine. Die beyden erstern sind von Johann Jacob Breitin- gern, die beyden letztern von Johann Jacob Bod- mern. Da sie zuvor gewoͤhnlich an einem Wer- ke gemeinschaftlich mit einander gearbeitet, hatten sie die Arbeit izo unter sich vertheilet; zuvor hatten sie ohne Nahmen geschrieben, izo setzete jeder sei- nen Nahmen vor die ihm gehoͤrige Schrift. Die- se beyden Zuͤricher sind die einzigen Schweitzer, die bis zu dieser Stunde uͤber critische Dinge in deutscher Sprache geschrieben haben. Der Grund- riß, den sie ehmahls zu dieser Arbeit geleget hat- ten, ward in dieser Ausfuͤhrung von ihnen gaͤntz- lich verworffen und mit einem andern vertauschet. Die Presse ruhet noch izo nicht von ihren criti- schen Arbeiten, womit sie dieselbe beschaͤftiget hal- ten. Bodmer hat die neue Uebersetzung, so er von Miltons verlohrnen Paradiese verfertiget, mit durchgaͤngigen Anmerckungen, worinnen des Poe- ten Erfindungen, Vorstellungen, und poetische Farben sorgfaͤltig erklaͤret werden, wuͤrcklich in die Druckerey gegeben. Man sagt auch, daß eben derselbe und sein Freund an der Monatschrift, die unter dem Titel der critisch-poetischen Samm- lung in Zuͤrich neulich angefangen worden, den meisten Antheil haben. Wenn uns die Zeit ge- nauer und umstaͤndlicher von dem Fortgange be- lehret haben wird, welchen alle diese eifrigen Be- M 2 muͤhun- Nachrichten von dem Ursprunge ꝛc. muͤhungen zum Aufnehmen der Wohlredenheit und der Poesie mit vieler Zuverlaͤssigkeit versprechen, werde ich den Faden dieser kurtzen Geschichte der Critik, den ich hier abschneide, wieder suchen und weiter fortsetzen. Die haͤftige Bestrebung, wo- mit sich einige bekannte Kunstrichter und Poeten in Sachsen ihren unschuldigen Bemuͤhungen wie- dersetzet haben, und welche man nicht geneigt schei- net, mit Stillschweigen zu erdulden, laͤßt mich hoffen, daß meiner Feder ein guter Vorrath von denckwuͤrdigen Begegnissen aus dem critischen Reiche nicht entstehen werde. Ode Ode uͤber die Unsterblichkeit der Seele. B Eherrscherin von meiner Huͤtte! Anmerckungen. Jn diesem gantzen Gedichte ist die Absicht des Philosophischen Poeten, Hrn. Hofrath Drollingers, das Geschicke der Seele und des Coͤrpers nach ihrer Tren- nung, das aus der ungleichen Natur dieser beyden Theile herfließt, aus poetischen d. i. wahrscheinlichen Gruͤnden zu bestimmen, und auf eine poetische d. i. gantz lebhafte und sinnliche Weise auszufuͤhren. Nach dieser Absicht muͤssen wir nun die Kunst des Poeten pruͤffen. Derselben gemaͤß ist die erste Zeile sehr geschickt ausgebildet, da sie euch in einem kuͤnstlich gewehleten Bilde nicht nur die Verbindung dieser zwey Wesen, sondern auch die Ursache und den Grund ihrer Verbindung, und, welches das vornehmste ist, die grosse Verschiedenheit ihrer Natur vorstellet, wenn sie den Coͤrper als etwas mechani- sches unter dem Bilde einer Huͤtte, die Seele aber als eine mit Verstande und Klugheit begabte Beherrscherin zu betrachten vorleget. Denn wie es keine natuͤrliche Fol- ge ist, wenn eine Machine durch Abnutzung und Verschleis- sung, oder durch einen gewaltsamen Zufall zusammen- faͤllt, daß derjenige Verstand, der sie in ihren mechani- schen Wirckungen nach gewissen Absichten dirigirt hat- mit in das Verderben hingerissen werde, so ist es nich, weniger ungereimt, die Seele in die Zerstoͤhrung des Coͤrt pers mit einzuflechten. Also ist diese periphrastische Anre- de und Beschreibung der Seele nicht gleichguͤltig; son- dern sie hat ihre Nothwendigkeit in der Absicht des Poe- ten, und man kan mit Grunde sagen, das gantze Ge- dichte sey eine blosse Entwickelung derjenigen Saamen- Koͤrner, die in diesen fruchtbaren Jdeen eingeschlossen sind. Dein Coͤrper eilt zur langen Ruh, Anmerckungen. Nachdem ich in der vorhergehenden Anmerckung die Nothwendigkeit und den Grund der Umschreibung der Seele in der ersten Zeile aufgedecket habe, so habe ich da- mit auch denjenigen genug gethan, die sich bereden wol- len, der Poet, wenn er in der zweyten Zeile ausser der Figur von dem Coͤrper der Seele redet, verfuͤhre den Le- ser auf den Wahn, als wenn die Huͤtte, die sie beherr- schet, und der Coͤrper, zwey gantz verschiedene Dinge waͤ- ren. Denn wenn man die erste Zeile als eine nothwendi- ge poetische Umschreibung der Seele, die ihre Absicht auf das gantze Gedicht hat, aufnimmt, so kan dieser Betrug nicht mehr Platz haben. Es nah’t sich ihm mit schnellem Schritte Der Poet haͤtte nach der gemeinen und gewohnten Art zu reden sagen koͤnnen: Er nahet sich mit schnellem Schritte, Der Herrschaft der Verwesung zu. Aber er wollte sich hier seines poetischen Vorrechts, das ungemeine dem gemeinen vorzuziehen, nicht begeben, noch diese Gelegenheit, durch eine kleine Veraͤnderung die Auf- mercksamkeit des Lesers zu schaͤrffen, vorbeygehen. Aus- serdem hat diese Veraͤnderung auch mehr Licht und Nach- druck, als die gemeine Redensart: Es nahet sich alles der Verwesung; oder: Es gehet alles mit starcken Schritten nach der Verwesung; massen sie uns die Ver- wesung als eine Person vorstellet, ihr eine Herrschaft zu- leget, und eine Begierde und Bemuͤhung die Graͤntzen derselben immer weiter auszubreiten. Die Herrschaft der Verwesung zu. M 3 Kaum Drollingers Ode Kaum stoͤßt annoch des Hertzens Hoͤle Das halb verrauchte Lebens-Oele Die Metapher, welche das Blut als ein Lebens- Oele vorstellet, koͤnnte nicht bequemer seyn: Und wir er- kennen in dieser und andern dergleichen Beschreibungen den Pinsel eines geschickten Mahlers, dessen Kunst in der Mit schwachen Schlaͤgen langsam aus, Die Musklen sind entspannt und schwinden, Der uͤber die Unsterblichkeit. Der Sinnen schwaͤchliches Empfinden Verkuͤndigt schon der Fauͤlniß Graus. Wohlan! Der Coͤrper mag verstaͤuben, Sein bloͤder Zeug kan nicht besteh’n, Doch du, O Seele, wirst du bleiben? Wie, oder must du mit vergeh’n? Jst dann dein Stoff auch ein Gedraͤnge Von Theilen ohngezaͤhlter Menge, Woraus der Coͤrper zugericht? Ein Bau von so viel tausend Stuͤcken, Auf welche Zeit und Zufall druͤcken, Bis ihre Fuͤgung wieder bricht? Doch nein! Du oͤffnest deine Schaͤtze Und legest uns ein etwas dar, Das keines Coͤrpers Grundgesetze Die Constructio activa hat hier etwas zweydeu- tiges, oder wenigstens nicht Deutlichkeit gnug. Man koͤnnte Grundgesetze und Mischung im Klagefalle nehmen, aber das waͤre wieder die Absicht des Poeten. Die Mei- nung, die alsdann herauskaͤme, ist zwar so offenbar unbequem, daß nur ein kleines Nachsinnen vonnoͤthen ist, sie zu verwerffen, und die wahre Meinung zu ent- decken. Dennoch hat Quintilianus den Scribenten be- fohlen, dergleichen Arten von Zweydeutigkeit eben so sorg- faͤltig zu vermeiden als gewisse andre, welche der verstaͤn- digste Kopf nicht aufloͤsen kan. Vitanda imprimis ambi- guitas, sagt er, non hæc solum, quæ incertum intellec- tum facit, ut, Chremetem audivi percussisse Demeam, sed illa quoque, quæ etiamsi turbare non potest sensum, in Das keine Mischung je gebahr. M 4 Was Anmerckungen. Wahl der kleinsten und absonderlichsten Umstaͤnde, die zur Ausbildung des Gemaͤhldes vortrefflich dienen, und meistens in der bequemen Anwendung der Beywoͤrter, besteht. Drollingers Ode Was ist ein Leib? Des Geistes Huͤlle, Sein Klumpe liget todt und stille, So oft ihm ein Beweger fehlt. Nicht so der Geist, der lebt und dencket, Mit schneller Macht die Sinnen lencket, Erwiegt, beschleußt, verwirfft und wehlt. So lerne dann, daß Tod und Sterben Allein in grobe Coͤrper dringt, Und der Verstoͤrung Grundverderben Ein geistlichs Wesen nie bezwingt. Der Mischung Bau wird leicht zerstuͤcket, Dich aber hat ein Seyn begluͤcket, Das weder Stuͤck noch Theile kennt, Vergeblich sucht der Raub der Zeiten Dein einfach Wesen zu bestreiten, Was nicht gefuͤgt, wird nicht getrennt. Jsts Anmerckungen. in idem tamen verborum vitium incidit, ut si quis dicat, visum à se hominem librum scribentem. Nam etiamsi librum ab homine scribi pateat, male tamen composue- rat, feceratque ambiguum, quantum in ipso fuit. Vor- treffliche Scribenten lassen manchmahl dergleichen Unrich- tigkeiten mit Vorsatz stehen. Sie werffen damit dem Nei- de ein Bein vor, daran er nagen moͤge, damit sie inzwi- schen ungestoͤret bleiben. uͤber die Unsterblichkeit. Jsts glaublich daß dich Gott zernichte? Er machte dich zu groß und schoͤn. Schau welch ein Glantz! Schau welche Fruͤchte Aus edler Seelen Trieb entsteh’n! Mich deucht, in jeder Seele funckelt, Wenn sie kein grober Dunst verdunckelt, Ein Schimmer von der Gottheit Licht, So zeugt er auch von ihrem Waͤhren, Wer kan ein solches Seyn zerstoͤhren? Was Goͤttlich ist, das stirbt doch nicht. Was ich oben in der ersten Anmerckung von den wahrscheinlichen poetischen Gruͤnden beylaͤuftig gesagt ha- be, davon giebt uns diese Strophe ein gar deutliches Exempel. Sonderlich ist in den zwo letztern Zeilen die Wahrscheinlichkeit in das helleste Licht gesetzet. Denn wenn die Seele von einer goͤttlichen Natur ist, die Gottheit aber in ihrer Natur unzerstoͤhrlich und nothwendig ist, so hat der poetische Schluß: Wer kan ein solches Seyn zerstoͤhren? seine voͤllige Richtigkeit. Jn den folgenden Strophen fuͤhret der Poet den Untersatz seines poetischen Schlusses weitlaͤuftiger aus, und zeiget aus den wunderbaren Wir- Schau wie bey Sturm und Kriegs-Gefahren Ein Mann oft einen Hauffen schreckt, Und fuͤr dem Raub der wilden Schaaren Den unbewehrten Saͤugling deckt! Wie dort ein Held von Gott beseelet Oie Wohllust fleucht, die Sorgen wehlet, Vor andrer Gluͤcke sich verbannt; Diese Redensart ist sichtbarlich von besonderm Nachdruck. Sie stellet uns einen tugendhaften Menschen in solchen Umstaͤnden vor, daß er entweder sich selber des Umganges mit seinen Freunden und Anverwandten, des Genusses seiner Guͤter und Haͤuser, berauben, oder an- dere von seinen Mitbuͤrgern im Elende und in der Noth sehen muß; da er die Großmuth hat, das erstere zu erweh- len, und diesen zum besten aus freyem Willen in das Elend zu gehen. Opitz hat dasselbe Wort mit gleichem Nachdruck von den Tyrannen gebraucht: Die erstlich gute Leut, hernach sich selbst verbannen. Er wacht, damit wir sicher schlaffen, Erhaͤlt sein Volck durch Witz und Waffen, Und stirbt mit Lust fuͤr Kirch und Land. Und ihr der Weisheit ersten Soͤhne, M 5 Geweih- Anmerckungen. Wirckungen der Seele, und den Kraͤften, von welchen sie herruͤhren, daß die Seele etwas von dem goͤttlichen We- sen in sich habe; Divinæ particula auræ. Welches ihm Anlaß giebet, sich in die herrlichsten Beschreibungen aus- zubreiten. Drollingers Ode Geweyhte Dichter! Heilger Chor! O welche Kraft! O welche Thoͤne Durchdringen ploͤtzlich Hertz und Ohr! Es wuͤrcket euer maͤchtger Wille Anmerckungen. Sturm und Stille in den innersten Sinnen wuͤr- ken; und den Regungen Geboth stellen, hat den Schein von einem Wunderwercke; da izo dieses dem Willen zu- geschrieben wird, den man in eine Person verwandelt, empfaͤngt die Rede daher etwas ungemeines an Leben, und Nachdruck. Ein schlechter Poet haͤtte sich begnuͤget zu sagen: Jhr koͤnnet die Gemuͤther nach Belieben in Be- wegung bringen, und wieder besaͤnftigen, ihr koͤnnet die Affecte, nachdem ihr sie durch eure Kunst aufgebracht ha- bet, eben so leicht wieder stillen. Das waͤre auch nicht uͤbel gewesen; aber wie matt, wie unbelebt ist es gegen dem obigen, wie prosaisch! Der tiefsten Sinnen Sturm und Stille, Er stellt den Regungen Gebot. Jch hoͤr, ich hoͤre Davids Lieder, Der Himmel steigt zu uns hernieder, Und unser Geist hinauf zu Gott. Wer zehlt das Heer der lichten Sternen, Wer mißt der Sonnen schnellen Lauf? Wer dringt in ungemessne Fernen Und deckt der Himmel Ordnung auf? Jsts nicht des Geistes Wunderstaͤrcke? Hier setzt er Schrecknißvolle Wercke, Gebaͤude, die den Wolcken drohn. Bald stuͤrtzt er wieder Thurm und Mauren, Die Last, die ewig schien zu dauren, Sein donnernd Ertz zermalmt sie schon. Doch hoͤr ich nicht ein Lied erklingen, Das unsern Geist zu praͤchtig schmuͤckt, Und eines Wesens Kraft besingen Aus dem so mancher Mangel blickt? Wo bleiben seiner Staͤrcke Proben, Wann uͤber die Unsterblichkeit. Wann der Begierde wildes Toben Dem schwachen Herrscher selbst gebeut? Jst dieses der gepriesne Schimmer, Den Wahn und Zweifel je und immer Mit dickem Nebel uͤberstreut? Wohlan! Es mengt in unsre Schaͤtze Anmerckungen. Jn dem dritten Cap. der franzoͤsischen Briefe sur la Religion essentielle à l’homme wird ein Mensch einge- fuͤhret, welchen seine Empfindungen und Begriffe nach und nach so weit fuͤhren, daß er endlich bis in eine andre Welt hindurchdringet. Seine Vernunftschluͤsse kommen mit unsers Poeten Gedancken in dieser und den 3. folgen- den Strophen sehr genau uͤberein, und koͤnnen fuͤr eine weitere Ausfuͤhrung derselben genommen werden. Une autre experience, heißt es von diesem Menschen, le con- duit plus loin. C’est la pente invincible, qu’il a pour le bonheur. Ce sentiment, qui marque une espece de di- sette, lui fait faire une attention; c’est qu’il y a une sorte de distance entre ce but auquel il aspire, \& l’état où il est actuellement: Il comprend que le désir inseparable de son être, ne peut être desavoué de celui qui en est l’au- teur: Il en conclut, que le Bonheur est la sin de sa desti- née. Cette conclusion le conduit à une autre. Il remar- que que ni lui ni les autres hommes, qui tous ont le mê- me desir, ne parviennent point à leur but; que du moins il n’y parviennent pas dans le rôle si court qu’ils jouent sur cette terre; que s’il étoit possible, qu’ils n’y parvins-, sent jamais, le grand ouvrier auroit manqué son but. ‒ ‒ Il en conclut que le rôle qu’ils jouent en ce monde, n’est que le commencement de leur existence, ou de leur durée; qu’il doit y avoir au delà une maniere d’exister que nous ignorons; ‒ ‒ que ce but doit avoir son ac- complissement ailleurs. Sich auch der Schwachheit Zusatz ein; Doch dies bestaͤrcket selbst die Saͤtze Von unsers Geistes staͤtem Seyn. Wo Drollingers Ode Wo bliebe sonst des Schoͤpfers Liebe, Der uns durch so viel starcke Triebe Zur Forschung seiner Wunder treibt, Wofern wir, ehe wir erbleichen, Den Zweck, aus Schwachheit, nicht erreichen, Und nach dem Tode nichts mehr bleibt? Es bringt doch unsrer Gaben Menge Uns oft im Leben nur Verdruß. Wie mancher kuͤrtzt nicht dessen Laͤnge Durch vieles Wissens Ueberfluß? Gebricht mirs hier an Ruh und Gluͤcke, Obgleich kein Fernglaß meine Blicke Des Mondes Flecken je gelehrt, Ob Huͤygens Fleiß in jenen Fernen Anmerckungen. Diese praͤchtige Redensart ist auf einen Wahn der Sinnen gegruͤndet, welchen es vorkoͤmmt, der Um- kreis der Planeten sey kleiner gewesen, eh sie die Traban- ten darinnen wahrgenommen haben. Nachdem denn Huͤigens ihnen etliche neue von dieser Art gezeiget, hat es ihnen geschienen, ihr Umkreis sey groͤsser geworden. Jzo wird diese Vergroͤsserung demselben zugeschrieben, der sie in unsern Sinnen verursachet hat. Man sagt auf denselben Grund, Columbus habe eine neue Welt zu der alten hin- zugefuͤget. Mit keinen neuen Folgesternen Die Herrschaft der Planeten mehrt? So mercket dann daß dieses Leben Auf eine lange Zukunft zielt. Hier ist uns nur ein Raum gegeben, Drauf unsers Geistes Kindheit spielt. Dann oͤffnet sich nach kurtzen Zeiten Der Schauplatz grosser Ewigkeiten, Da geht sein Lauf unendlich fort. So hat die Allmacht es beschlossen. Hier treibt der Geist die ersten Sprossen, Was uͤber die Unsterblichkeit. Was hier gekeimt, das reifft sich dort. Drum zeigt er jetzt schon ein Gefuͤhle Von Trieben, die nichts Endlichs stillt, Er setzt sich immer neue Ziele, Und sucht umsonst, was ihn erfuͤllt, Er wuͤnscht, geneußt und wuͤnscht aufs neue, Durchgeht der Guͤter lange Reyhe Und kan bey keinem stille ruhn. Gab Gott, der nichts vergeblich fuͤget, Uns einen Trieb, den nichts vergnuͤget? Die Ewigkeit die muß es thun. O was entdeckt sich meinem Blicke, Was wird mir fuͤr ein Schauspiel kund? Welch unerforschliches Geschicke Beherrscht der Erden weites Rund! Hier seh ich unter Ach und Flehen Den Heiligen in Qual vergehen, Den Dampf und Flamme langsam schmaucht; Wenn satt von Jahren, Lust und Fuͤlle, Sein Wuͤrger dort in sanfter Stille Den Lastervollen Geist verhaucht. Wie! Theilt uns denn mit blinder Wage Ein Schicksal zu, was uns befaͤllt? Regiert ein Zufall unsre Tage, Und mischt verwirrt den Lauf der Welt? Anmerckungen. Sehet hier die Person des Zufalls, die Milton neben Orchus, Ades, dem Tumult, und der Unordnung als Aufwaͤrter und Bediente des Chaos und der alten Nacht aufgefuͤhrt hat. Doch nein! Des Zweifels Nebel brechen, Kein ungerechtes Urtheilsprechen Entehrt der Allmacht Richterthron. Du sterblichs Volck! Die Wahrheit lehret, Dein Wesen wird nicht gantz verstoͤret, Es bleibt noch was zu Straff und Lohn. Es ist, es ist noch ein Gerichte, Die Drollingers Ode Die Zukunft koͤmmt mit Lohn und Schwerdt, Anmerckungen. Was ist der Zukunft natuͤrlicher als das Kom- men? Und mit welchem Leben wird sie zu einer thaͤtigen Person erhoben, und ihr die Rolle der Gerechtigkeit auf- gegeben, welche nicht ploͤtzlich schlaͤgt, sondern mit der Zeit koͤmmt! Und reicht mit billigem Gewichte Den Thaten den verdienten Werth. Mein Fuͤrwitz soll sich nicht vergehen, Den tieffen Abgrund einzusehen, Der hier der Allmacht Rath verhuͤllt. Doch diesen Satz kan nichts zertreiben; Gott ist gerecht, die Seelen bleiben, Was hier gebricht, wird dort erfuͤllt. Der Wahrheit Macht ist durchgedrungen Es schallt ihr uͤberzeugend Wort Durch ungezaͤhlter Voͤlcker Zungen, Jn Ost und West, in Suͤd und Nord. Gesetzt, daß noch ein Hauff bethoͤret; Was uns ein Plato Goͤttlich lehret, Braucht keines Hurons Beyfall nicht. Soll dies der Lehre Kraft vermindern, Wenn dort, vermengt mit seinen Rindern, Ein viehisch Volck ihr wiederspricht? Getrost! Es macht sich ihre Staͤrcke Die Betrachtungen des Hr. Probst Reinbecken uͤber die Unsterblichkeit der Seele, geben uns einen solchen grossen Geist zu erkennen, der diese Lehre in ein gantz neues Licht gesetzet, dadurch sie eine ungemeine Klarheit empfangen hat. Durch groͤster Geister Zeugniß kund. Der Helden goͤttlich schoͤne Wercke Entspringen nur aus ihrem Grund, Sie hoͤren ein geheimes Sprechen: Jhr Seelen! Eure Coͤrper brechen, Doch uͤber die Unsterblichkeit. Doch euch zernichtet keine Zeit. O folget einem edlen Ziele! Veruͤbter Tugend Lustgefuͤhle Begleitet euch in Ewigkeit. O Geist, der Geister erste Quelle! O Wesen unumschraͤnckter Macht! Schick einen Strahl von deiner Helle Jn finstrer Geister truͤbe Nacht; Erleucht ein Volck, von dir gebauet, Dem noch vor seiner Groͤsse grauet, Anmerckungen. Jn folgenden Zeilen aus einem ungedruckten Ge- dichte werden diese Gedancken gleichsam erweitert: Zernichtung unsers Seyns, Gedancke voll Entsetzen, Der nur ein feiges Hertz bequem ist zu ergetzen, Das gern das Hoffnungsrecht zur Ewigkeit vermißt, Weil’s zum Unsterblichseyn zu bloͤd und furchtsam ist! Das sich zuwieder wuͤnscht und hoffet im Verschwinden Ein finstres, nichtigs, Gluͤck und Besserseyn zu finden; Das den Gedancken liebt, daß seine Seel im Ruß Sich unter todten Schutt dereinst verlieren muß. Das der Zernichtung Scheusal ehrt, Und gieb daß nach vollbrachten Stunden Mein froher Geist, der Last entbunden, Zu deiner Gottheit wiederkehrt.