Allgemeiner Verein für Deutsche Literatur. PROTECTORAT: Se. Kön. Hoheit GROSSHERZOG KARL ALEXANDER von Sachsen. PROTECTORAT: Se. Kön. Hoheit PRINZ GEORG von Preussen. Das Curatorium : Dr. R. Gneist Ordentl. Professor an der Königl. Universität zu Berlin. Dr. K. Werder Geh. Rath und Professor an der Kgl. Universität zu Berlin. Graf Usedom Königl. Preuss. Wirkl. Geh. Rath. C. v. Dachröden Königl. Kämmerer und Schlosshauptmann zu Berlin. Adolf Hagen Stadtrath. STATUT: § 1. Jeder Literaturfreund, welcher dem Allgemeinen Verein für Deutsche Literatur als Mitglied beizutreten gedenkt, hat seine desfallsige Erklärung an die nächstgelegene Buchhandlung oder an das Bureau des Vereins für Deutsche Literatur in Berlin direct zu richten. § 2. Jedes Mitglied verpflichtet sich zur Zahlung eines Jahresbeitrags von Achtzehn Mark R.-W. (Für die Serie I—IV betrug derselbe 30 Mark pro Serie von 7 Bänden.) § 3. Jedes Mitglied erhält in der Serie vier Werke aus der Feder her- vorragender und beliebter Autoren. Jedes dieser Werke 20—23 Bogen um- fassend, in gefälliger Druckausstattung und elegantem Einbande. Nur bei poetischen Werken wird nicht immer der festgesetzte Umfang der Vereins-Publi- cationen innezuhalten sein, dafür jedoch diesen Werken eine besonders ele- gante Ausstattung zugewendet werden. § 4. Ein etwaiges Austretenwollen ist spätestens bei Empfang des dritten Bandes einer jeden Serie dem Bureau des Vereins anzuzeigen. § 5. Die Geschäftsführung des Vereins leitet Herr Verlagsbuchhändler A. Hofmann in Berlin selbstständig, sowie ihm auch die Vertretung des Vereins nach innen und aussen obliegt. Jeder Band ist eleg, in Halbfranz mit vergoldeter Rückenpressung gebunden. ☛ Alle Buchhandlungen des In- und Auslandes sowie das Bureau des Vereins in Berlin, Kronenstrasse 17, nehmen Beitritts-Erklärungen entgegen. ☚ In den bisher erschienenen Serien I—IV kamen nachstehende Werke zur Vertheilung: Serie I Bodenstedt, Fr., Aus dem Nachlasse Mirza-Schaffy’s. Hanslick, Dr. Ed., Die moderne Oper. Löher, Franz v., Kampf um Paderborn 1597—1604. Osenbrüggen, E., Die Schweizer, Da- heim und in der Fremde. Reitlinger, Edm., Freie Blicke. Popu- lärwissenschaftliche Aufsätze. Schmidt, Adolf, Historische Epochen und Katastrophen. Sybel, H. v., Vorträge und Aufsätze. Serie II Auerbach, Berthold, Tausend Gedanken des Collaborators. Bodenstedt, Fr., Shakespeare’s Frauen- charaktere. Frenzel, Karl, Renaissance- und Rococo- Studien. Gutzkow, Carl, Rückblicke auf mein Leben. Heyse, Paul, Giuseppe Giusti, Ge- dichte. Hoyns, Dr. G., Die alte Welt. Richter, H. M., Geistesströmungen. Serie III Bodenstedt, Fr., Der Sänger von Schiras, Hafisische Lieder. Büchner, Louis, Aus dem Geistesleben der Thiere. Goldbaum, W., Entlegene Culturen. Lindau, Paul. Alfred de Musset. Lorm, Hieronymus, Philosophie der Jahreszeiten. Reclam, C., Lebensregeln für die ge- bildeten Stände. Vambéry, H., Sittenbilder aus dem Morgenlande. Serie IV Dingelstedt, Fr., Literarisches Bilder- buch. Büchner, Dr. Louis, Liebesleben in der Thierwelt. Lazarus, Dr. M., Prof., Ideale Fragen. Lenz, Dr. Oscar, Skizzen aus West- afrika. Strodtmann, Ad., Lessing, Ein Lebens- bild. Vogel, Dr. H. W., Professor, Lichtbilder nach der Natur. Woltmann, Dr. A., Professor, Aus vier Jahrhunderten niederländisch-deut- scher Kunstgeschichte. Bezugs-Erleichterung von Serie I—IV. Damit den verehrlichen Mitgliedern, welche der V. Serie beitreten, Gelegenheit gegeben wird, sich aus den bereits ausgegebenen 4 Serien die ihnen zusagenden Werke billiger als zum Einzelpreise von 6 Mark pro Band anschaffen zu können, haben wir die Be- zugs-Erleichterung einer Auswahl aus den erschienenen 28 Bänden getroffen und zwar: ☛ 7 verschiedene Bände nach freier Auswahl aus den ersten vier Serien zum früheren Subscriptionspreise von 30 Mark. ☛ 10 verschiedene Bände nach freier Auswahl aus den ersten vier Serien zum früheren Subscriptionspreise von 45 Mark. ☛ 14 verschiedene Bände nach freier Auswahl aus den ersten vier Serien zum früheren Subscriptionspreise von 60 Mark. ☛ 21 verschiedene Bände nach freier Auswahl aus den ersten vier Serien zum früheren Subscriptionspreise von 90 Mark. Sämmtliche 4 Serien = 28 Bände kosten 120 Mark. Einzelpreis, pro Band, elegant gebunden 6 Mark. ☛ In der V. Serie gelangen nachstehende Werke zur Ausgabe: Hanslick, Prof. Dr. E., Musikalische Stationen. (Der modernen Oper II. Theil.) Cassel, Professor Paulus, Vom Nil zum Ganges. Wanderungen in die orientalische Welt. Werner, Contreadmiral a. D., Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben. Lauser, Dr. W., Klänge aus den Pyrenäen. In der VI. Serie wird u. A. erscheinen: Weber, M. von, Vom geflügelten Rade. Schmidt, Herm. von, Ein Reiseroman. BUREAU des VEREINS FÜR DEUTSCHE LITERATUR . Geschäftsführende Leitung: A. Hofmann, Verlagsbuchhändler in Berlin, Kronenstrasse 17. Dr. L. Lenz , Schriftführer. Erinnerungen und Bilder aus dem Seeleben von Heinhold Werner, Contreadmiral a. D. Berlin 1880. A. Hofmann \& Comp . Inhalt . Seite Eine erste Seereise 1 Die deutsche Marine 1848—1852 144 Gründung 144 Bewegte Zeit 177 Auflösung 211 Ernstes und Heiteres. Bilder aus dem Stillleben der deutschen Marine 229 1. Auf der Weser 229 2. In der Officiermesse 250 Die Seejunker 286 Mit der Panzerfregatte „Friedrich Karl“ nach Westindien und dem Mittelmeer 304 Eine erste Seereise. D as deutsche Volk zeigt ein lebhaftes Interesse für maritime Angelegenheiten, ist jedoch mit deren näheren Verhältnissen im Allgemeinen nur sehr unvollkommen vertraut und macht sich von ihnen vielfach unrichtige Vorstellungen. Den Meisten erscheint das Seewesen von einem romantischen Nimbus umflossen, der namentlich auf jugendliche Gemüther einen ver- führerischen Reiz ausübt, dessen Schimmer aber bei genauer Betrachtung bedeutend verblaßt. Die Wirklichkeit zerstört dann mit rauher Hand so manche Illusion, die den jungen Mann zur Wahl des seemännischen Berufs bestimmt hat; sie streift von dem Bilde, das die Phantasie mit leuchtenden Farben ge- schmückt, die glänzende poetische Hülle und es bleibt nur die nackte Prosa in der Gestalt eines schweren Lebens voll Mühe, Arbeit und Entbehrungen. Wohl hat es nach gewissen Rich- tungen hin auch seinen hohen Werth; kein anderes ist so ge- eignet, Charactere zu bilden, den Jüngling schnell zum Manne im besten Sinne des Wortes reifen zu lassen, in dem steten Kampfe mit den Elementen seine geistige und körperliche Kraft zu stählen, seinem Blicke eine weite Perspective zu öffnen und ihm die großartigen Wunder der Schöpfung vor Augen zu führen; aber Freuden und Genüsse, die nach gewöhnlichen R. Werner , Erinnerungen. 1 Werner Begriffen das Leben verschönern, weist das seemännische Fach nur wenige auf. In der Kriegsmarine bietet sich und namentlich in den höheren Officiersstellen einiger Ersatz dafür, aber in der Handels- marine ist das selten der Fall. Hier ist auch für den Kapitän das Leben fast nur eine ununterbrochene Kette von Mühselig- keiten und schwerer Verantwortung. Er ist abhängig von seinen Rhedern. Erwerben ist ihre und überhaupt die Devise des Handels, dem die Schiffe dienen, und alles Uebrige tritt dagegen in den Hintergrund. Mit fliegender Hast wird das von langer Reise zurückgekehrte Fahrzeug entladen und gefüllt, um schleunigst wieder hinausgeschickt zu werden über den weiten Ocean und mehr zu erwerben. Der Begriff der Heimath ist deshalb für den Seemann der Handelsmarine fast unbekannt; Häuslichkeit, Weib und Kind sind für ihn nur flüchtige Erscheinungen; in die Seligkeit des Wiedersehens mischt der Gedanke an das so bald wieder bevorstehende Scheiden bereits bittere Wermuthstropfen. Nur spärliche Stunden ungetrübten Glückes sind ihm vergönnt und Jahre lang muß er auf einsamem Meere von der Er- innerung zehren. Das Leben an Bord eines Kauffarteischiffes, wie es sich in Wahrheit gestaltet, ist in weiteren Kreisen wenig gekannt; unsere Literatur hat sich mit diesem Gegenstande bisher fast gar nicht beschäftigt und doch bietet es so manche Momente, die all- gemeines Interesse verdienen. Wenn ich deshalb im Nach- stehenden die Eindrücke und Erfahrungen zu schildern versuche, die ein junger Mann von Bildung auf einer ersten Seereise gewinnt, darf ich voraussetzen, manchem Leser etwas Neues zu bieten, ihm einen Einblick in die Eigenthümlichkeiten des See- wesens zu gewähren und gleichzeitig zur Richtigstellung irriger Ansichten beizutragen. Das Leben an Bord von Handelsschiffen hat sich zwar seit jener Zeit, von der ich reden werde, in einigen Aeußerlichkeiten geändert und zwar zu Gunsten der Seeleute, Eine erste Seereise aber in seinen Grundzügen ist es dasselbe geblieben und das Bild, welches ich von ihm zu zeichnen gedenke, wird deshalb auch noch heute seine Geltung haben. Mein Geburtsort ist ein kleiner Marktflecken mitten im Lande und fast hundert Meilen von der Meeresküste entfernt. Wie ich dort eine besondere Vorliebe für das Seeleben habe gewinnen können, weiß ich nicht; das Flüßchen, mit dessen Wasser ich getauft bin, kann kaum die Ursache gewesen sein, denn es war so flach, daß nicht einmal ein Kahn auf ihm schwimmen konnte. Da ich indessen schon als Kind oft die Neigung zu meinem späteren Berufe ausgesprochen haben soll, so muß sie wohl unabhängig von äußeren Einflüssen in mir gekeimt haben. Später trugen die Seeromane von Cooper und Marryat das Ihrige dazu bei, jene Neigung zu befestigen und ließen in mir den unumstößlichen Entschluß reifen, zur See zu gehen. Seine Durchführung kostete harten Kampf und ich fand im elterlichen Hause lange Zeit keine Unterstützung meiner Ideen; der Vater wollte zuerst durchaus nichts davon wissen und auch der Oheim schüttelte bedenklich den Kopf. Er war ein alter Theologe, der im elterlichen Hause eine wichtige Rolle spielte, da der Vater, ein viel beschäftigter Beamter, ihm wesentlichen Antheil an der Kindererziehung überließ. Doch diese Wider- stände vermochten mich nicht von meinem Vorhaben abzubringen, sondern bestärkten mich im Gegentheil darin. Ich setzte meine Hoffnung auf die Mutter; sie mußte und würde helfen, sie, an der ich mit jeder Faser meines Herzens hing, und der Vater mußte doch zuletzt auch ein wenig Sympathie fühlen, wenn er sah, daß Character in mir wohnte. Und es kam so, die Mutter trat zuerst zu mir über; mit blutendem Herzen zwar sprach sie zu meinem Gunsten, aber sie that es. Der Vater 1* Werner gab nach und der alte treue Oheim, dem ich so viel verdanke, dessen Andenken ich segne, wurde ebenfalls überwunden. „Gott segne Dich und lenke Deine Schritte“, das waren die letzten Worte der Mutter, als ich Abschied nahm, und damit riß ich mich vom treuesten, besten Herzen los, um fortan meinen Weg durch die fremde kalte Welt allein zu machen. Ich ging einer unbekannten Zukunft entgegen, ohne weiteren Halt, als mich selbst, der ich kaum dem Knabenalter entwachsen war. Mein Lebensweg ist nicht leicht gewesen, oft habe ich ihn Schritt für Schritt mit großer Mühe und Noth erkämpfen müssen, aber der Mutter Segen hat auf mir geruht. Mein Vater brachte mich nach Hamburg; er hatte Empfehlungen an eine große Rhederei erhalten und schon nach wenigen Tagen war ich auf einem Ostindienfahrer untergebracht. Tags zuvor, ehe ich an Bord ging, um mich einzuschiffen, reiste mein Vater ab. Als er den Postwagen bestieg — Eisenbahnen gab es in Deutschland damals nur wenige — und er mir mit zitternder Stimme das letzte Lebewohl zurief, da durchzuckte mich ein tiefer Schmerz. Es war, als ob ich gewaltsam von allem, was mir lieb und theuer, losgerissen wurde; ich war wie be- täubt und hätte ausrufen mögen „Vater, nimm mich wieder mit Dir zurück!“ aber ich schämte mich meiner Schwäche und winkte nur mit thränendem Auge den Abschiedsgruß. Der Postillon stieß in’s Horn, der Wagen rollte über das Pflaster; dort hinter der Ecke verschwand er, ich war allein und wandte meine Schritte zu dem Gasthofe, wo wir Wohnung genommen hatten. Dort fand ich meine inzwischen angekommene Seekiste mit der Ausstattung für die Reise vor und das gab meinen trüben Gedanken eine andere Richtung. Ich hatte nichts Eiligeres zu thun, als den neuen Seemannsanzug zu probiren und kam mir in dem dunkelblauen wollenen Hemde mit weit über die Schul- tern zurückfallendem Kragen, dem lose darumgeknüpften seidenen Eine erste Seereise Halstuche und der schottischen Mütze ganz interessant vor. Ziemlich selbstbewußt machte ich einen Spaziergang am Hafen und hätte statt der Mütze auch gar zu gern den Südwester aufgesetzt, jene Regenkappe von geöltem Segeltuch mit Nacken- schirm, die den Seeleuten bei schlechtem Wetter so gute Dienste leistet, aber zu meinem Bedauern regnete es nicht und ich mußte mich heute schon begnügen, in meinem Aeußeren etwas weniger specifisch seemännisch zu erscheinen. Der Abend verging, indem ich wiederholt mein neues Eigenthum musterte, es sorgfältig in der Kiste lagerte und mit Behagen meinen bisherigen Civilanzug zu einem Packete for- mirte, um ihn nach Hause zu schicken. Trotz der wehmüthigen Gefühle, die mich bei dem Gedanken an die Heimath beschlichen, empfand ich doch volle Befriedigung, am Ziel meiner seit so lange gehegten Wünsche angelangt zu sein. Die hochfliegendsten und ehrgeizigsten Pläne entstanden in meinem Kopfe, und ich schlief endlich ein, um die letzte Nacht auf dem Festlande zu- zubringen. Für lange Zeit sollte es auch die letzte sein, in der ich mich einer ungestörten Ruhe erfreuen durfte; meinen Zukunfts- träumen setzte aber schon der folgende Tag einen häßlichen Dämpfer auf. Auf dem Comptoir der Rheder, wo ich meinen Lehrlings- contract unterzeichnete, hatte man mir mitgetheilt, daß ich am Morgen nach der Abreise meines Vaters an Bord zu gehen habe. Ich glaubte deshalb besonders pünktlich zu sein, als ich mich um acht Uhr auf dem Schiffe meldete, täuschte mich aber. Ich wurde vom Kapitän auf sehr unliebenswürdige Weise em- pfangen, und obwohl ich das von ihm gesprochene Plattdeutsch nur halb verstand, hörte ich doch harte Vorwürfe heraus, daß ich nicht schon mit Beginn der Arbeitszeit gekommen sei. Das war kein angenehmer Anfang. Mein Schiff hieß „Alma“. Es war eine nicht sehr große Bark, d. h. ein dreimastiges Schiff, das nur an den beiden vorderen Masten Raaen führte, während Werner sich am hinteren sogenannte Gaffelsegel befanden, und hatte für seine Größe eine verhältnißmäßig starke Besatzung, welche außer dem Kapitän und den beiden Steuerleuten aus achtzehn Mann be- stand. Die „Alma“ war Tags zuvor auf die Helling geholt, um mit neuen Kupferplatten beschlagen zu werden. Die Helling ist eine mit Bohlen oder Steinplatten belegte schiefe Ebene, auf der Schiffe gebaut werden. In früheren Zeiten reparirte man auch alte Schiffe auf den Hellingen; — sie mußten auf einem Schlitten, der ihnen im Wasser untergeschoben wurde, hinaufgewunden werden; das war schwere Arbeit und strengte die Fahrzeuge stark an. Jetzt macht man es ihnen bequemer; man hat überall Docks, fest gemauerte oder eiserne schwimmende Bassins mit Thüren. Die Schiffe werden hineingeholt, man pumpt nach Schluß der Thüren das Wasser aus, und die in- zwischen abgestützten Fahrzeuge stehen trocken. Ich war die hohe Leiter, die vom Lande bis zum Deck der „Alma“ führte, hinaufgeklettert, meine Seekiste aber unten im Regen stehen geblieben. Als der Kapitän mich entlassen hatte, sah ich vergebens nach Hülfe aus, um die Kiste an Bord zu bringen. Einige Leute der Mannschaft arbeiteten in der Bemastung, sonst war Niemand da und ich stand ziemlich rath- los. Endlich kam ein älterer Mann mit bärbeißigem Gesicht und einer dicken Backe die Leiter herauf an Deck, wo ich herumirrte. „Wer bist Du?“ fragte er mich mit so barscher Stimme, daß ich ordentlich erschrak. Ich nannte meinen Namen. „Was willst Du hier?“ fuhr er in demselben Tone fort und natürlich wie Alle an Bord in plattdeutscher Sprache. Als ich ihm mit- getheilt, daß ich als Lehrling an Bord gekommen sei, erwiederte er „So! nun, ich bin der Bootsmann des Schiffes und Du hast mir zu gehorchen, das merke Dir.“ Als Bekräftigung dieser Sentenz spuckte er eine Masse braunen Saftes aus und ich bemerkte, wie die dicke Backe plötzlich dünn wurde, dagegen Eine erste Seereise die andere anschwoll. Anfänglich konnte ich mir diese wunder- bare Metamorphose nicht erklären, später entdeckte ich, daß ein riesiges Stück Kautabak die Ursache war, welches von einer Seite des Mundes nach der anderen wanderte, sobald der Bootsmann auf irgend eine seiner Reden einen besonderen Trumpf setzen wollte. Auf meine Bitte ließ er nun durch einige Matrosen meine Kiste an Bord schaffen und wies mir in dem Mannschaftsraume den Platz für jene und meine Coje an. Ich verstand manches nicht, von dem, was er sagte und fragte wiederholt; da verlor er die Geduld, „was wir Schweizer wohl an Bord zu suchen hätten, wenn wir nicht einmal Plattdeutsch verständen,“ meinte er brum- mend. Er war nämlich der Ansicht, Hochdeutsch würde nur in der Schweiz gesprochen. Mein zukünftiger Wohnraum — technisch das „Logis“ genannt — machte einen sehr deprimirenden Eindruck auf mich und entsprach auch nicht meinen bescheidensten Erwartungen. Es lag in der vordersten Spitze des Schiffes, im Bug und unter Deck, hatte die Form eines Dreiecks, war so niedrig, daß man nur gebückt darin stehen konnte und so eng, daß ein Umhergehen sehr schwierig wurde. An den Wänden waren je zwei feste Cojen übereinander gebaut, aber nicht 18 sondern nur 16, so daß je zwei der vier Jüngsten, zu denen ich gehörte, nur ein Bett hatten. Die Kisten standen vor den Cojen; sie und zwei Klapptische, sowie eine von dem Deck herabhängende blecherne Oellampe mit zwei Flammen bildeten das einzige Mobiliar des Logis, das sein Tageslicht durch die Niedergangs- luke erhielt. Eine weitere Umschau war mir nicht gestattet; denn kaum hatte ich meine Kiste placirt und die vom Regen durchfeuchtete Matratze in die Coje gestopft, als auch schon des Bootsmanns Stimme erschallte. Meinen Namen mußte er wohl schon wieder vergessen haben, denn er rief mich „Schweizer“ und nannte mich auch consequent während der ganzen späteren Reise so. Werner „Was thust Du so lange dort unten?“ fuhr er mich an, „hier heißt’s arbeiten und nicht faulenzen. Nimm jenen Korb und suche die Spiker unter dem Schiffe zusammen.“ Ich hatte zwar keine Ahnung, was er mit Spikern meinte, war aber auch schon zu sehr eingeschüchtert, um zu fragen und kletterte schleunigst die Leiter nach der Werft hinunter, wo ich auch von einem gutmüthigen Matrosen den gewünschten Aufschluß über den Befehl des Bootsmannes erhielt. Die Zimmerleute lösten die alten verbrauchten Kupferplatten vom Boden des Schiffes, und ich sollte die bei dieser Gelegenheit auf die Erde fallenden Kupfernägel aufsuchen, welche an Bord Spiker ge- nannt werden. Die Arbeit behagte mir keineswegs; ich hatte mir den Anfang so ganz anders gedacht, aber ich war fleißig und selbst der alte Bootsmann schien mit meinem Eifer nicht unzufrieden zu sein, der mir bei der ungewohnten Beschäftigung trotz des kalten Wetters die Schweißtropfen auf die Stirn trieb. Die Zeit zum Mittagsessen kam; der Koch stand oben an der Leiter, klatschte dreimal in die Hände und rief etwas, das mir wie „Handschuh“! klang, aber wie ich später erfuhr „Handen schoon“ (Hände rein!) hieß. Ich mußte mich sehr damit beeilen, denn ich wurde belehrt, daß das Signal mich als den Jüngsten speciell angehe und ich die Speisen von der Küche nach dem Logis zu tragen habe. Als dies geschehen, gab der Koch ein zweites eigenthümliches Signal, diesmal aber mit einem, wenn auch nicht melodienreichen Gesange: „Schaffen over all, schaffen unnen un boben, schaffen in Gottes Namen“ (Essen überall, essen unten und oben, essen in Gottes Namen) klang es mit lauter Stimme nach der Werft hinunter und die Leute sam- melten sich, um ihr Mahl einzunehmen. Dasselbe war kräftig und gut; die Arbeit hatte Appetit gemacht, das Essen schmeckte mir vortrefflich und von dem auf meine Ration entfallenden Pfunde Fleisch blieb nichts übrig. Die Unterhaltung dagegen Eine erste Seereise mundete mir weniger; was ich davon verstand, war so weit verschieden von dem, was ich bisher gewohnt gewesen. Nachmittags suchte ich wieder Nägel aus dem Schmutz; mein Cojenkamerad half mir dabei. Er war ein frischer, netter Bursche in meinem Alter und stammte von der Insel Föhr, wie fast die ganze Besatzung und der Kapitän selbst. In damaliger Zeit stellten die Friesischen Inseln ein sehr großes Contingent an Seeleuten für die Hamburger Schiffe; die meisten Kapitäne waren von dort und zogen ihre Landsleute, Verwandte und Bekannte heran. Mein Bettgenosse hieß Heinrich Petersen, der Kapitän Pay Andersen, der Bootsmann Peter Hinrichsen, und außer dem Obersteuermann und mir endeten alle Namen an Bord auf sen . Heinrich hatte zwar auch noch keine Seereise gemacht, aber er war mehrere Wochen an Bord und auf seiner Heimathsinsel von Jugend auf mit dem Wasser und mit Schiffen vertraut gewesen und besaß deshalb schon eine Menge nautischer Kenntnisse, um die ich ihn beneidete. Nach Feierabend gingen die meisten Leute an Land auf Urlaub. Ich blieb zurück; theilweise war ich nicht in der Stimmung, um irgend welches Vergnügen aufzusuchen, theils hatte mich die Arbeit ermüdet und ich legte mich bald nach dem Abendbrode zur Coje. Ich fand die mit Seegras gestopfte Matratze und das Kopfkissen zwar etwas hart, die ungewohnte wollene Decke kratzte und namentlich wollte mir das getheilte Bett durchaus nicht gefallen, aber trotzdem kam der Schlaf bald und fest, das Vorrecht der Jugend. Nach einigen Stunden wurde ich jedoch aus meinen Träumen geweckt und unsanft aufgerüttelt. Ich bekam die Nachtwache und mußte eine Stunde auf dem Deck sein. Ein Schiff ist nie ohne Wache; in See besteht dieselbe aus der Hälfte der Mannschaft, im Hafen geht ein Mann Wache und wird stündlich abgelöst, während die Seewache vier Stunden dauert. Werner Es war eine schöne Herbstnacht, der Mond schien hell und klar und goß sein Licht auf die Thürme und Dächer der alten Hansestadt, die ich von meinem hohen Standpunkte aus über- blickte. Der dunkle Elbstrom glitt schweigend dahin und am Horizont zeichnete sich der Mastenwald der im Hafen liegenden Schiffe. Ueberall herrschte Ruhe und Schweigen; ich war mit mir allein, da konnte es nicht ausbleiben, daß der verflossene Tag an meinem Geiste vorüberzog und die empfangenen Ein- drücke sich wiederspiegelten. Ich kann nicht sagen, daß ich irgend wie darüber Befriedigung empfunden hätte; Coopers und Marryats Romane hatten mir so ganz andere Anschauungen vom Schiffsleben beigebracht, wie ich sie heute verwirklicht gesehen. Als ich vor einigen Tagen mit meinem Vater durch den Hafen gefahren war, arbeiteten auf einem Schiffe Matrosen hoch oben in der Takelage. Indem der Vater auf den gefähr- lich scheinenden luftigen Sitz wies, fragte er mich „Hast Du noch Lust, Seemann zu werden?“ „Jetzt erst recht“, war meine Antwort gewesen, denn gerade das Gefährliche hatte mich ange- zogen und nicht erschreckt, wie der Vater gehofft. Statt wage- halsigen Kletterns in der Bemastung, hatte ich jetzt den ganzen Tag am Lande alte zerbrochene Nägel sammeln müssen. Vom Kapitän war ich unfreundlich empfangen worden. Heinrich hatte mir gesagt, daß er als Seemann einen vorzüglichen Ruf habe, aber schroff und abstoßend gegen seine Untergebenen und des- halb bei ihnen nicht beliebt sei. Sein Gesichtsausdruck war ernst, ja finster und ich forschte darin vergebens nach Wohl- wollen. Die Steuerleute hatten im Laufe des Tages fast keine Notiz von mir genommen, der Bootsmann war barsch gegen mich gewesen. So hatten sich meine Vorgesetzten gezeigt; der Blick auf die Mannschaften war nicht erfreulicher. Aus gebil- deter Umgebung, aus dem Kreise eines glücklichen Familienlebens war ich unter Menschen geschleudert und auf Jahre mit ihnen auf einen beschränkten Raum zusammengefesselt, die, das Eine erste Seereise fühlte ich jetzt schon klar und deutlich, mir innerlich stets fremd bleiben mußten, da ich zu sehr verschieden von ihnen war. Was sollte daraus werden? Vor meinem geistigen Auge entrollte sich eine düstere Zukunft; die trübsten Gedanken stürm- ten auf mich ein. Ich wurde völlig muthlos, bereute bitter den Seemannsberuf erwählt zu haben und mein gepreßtes Herz machte sich in einem Thränenstrome Luft. Doch, dann trat mir wieder vor die Seele, wie mir das alles zu Hause vom Vater vorgestellt, wie nachdrücklich ich von ihm gewarnt war und trotz- dem jeden Hebel angesetzt hatte, um meinen Entschluß zur That zu machen. Nein! Mochte kommen was da wollte — von Zurücktreten konnte und durfte keine Rede mehr sein. Was ich begonnen, das wollte ich siegreich beenden oder dabei unter- gehen — das war der Entschluß, den ich, in der stillen Nacht- stunde faßte und durchzuführen mir fest gelobte. Der andere Morgen fand mich vorbereitet, allem Unge- wohnten und Schweren, das meine neue Laufbahn mit sich brachte, frisch in das Gesicht zu sehen und mich durch nichts entmuthigen zu lassen. Zugleich aber war ich mir auch darüber völlig klar geworden, daß ich am heutigen Tage mit meiner Jugend abgeschlossen hatte. Sie lag mit ihren Freuden, ihrer Poesie, ihren Hoffnungen und Illusionen hinter mir — vor mir nur das Leben mit seinem Ernst, seiner Arbeit und den strengen mitleidslosen Anforderungen, die es an meine Person stellte. Nach acht Tagen war das Schiff gekupfert und lief von der Helling ab. Am andern Tage begann die Beladung des Schiffes, und damit ging seine sonstige Fertigstellung für See Hand in Hand. Darüber verflossen vierzehn Tage und es wurde Anfang October bis wir alles zum Absegeln fertig gemacht hatten. Das nächste Reiseziel war Batavia, ob noch andere Häfen angelaufen werden sollten, blieb vorläufig unbestimmt; aller Wahrscheinlichkeit nach konnte man auf eine Abwesenheit von über einem Jahre rechnen. Werner Diese erste Probezeit in Hamburg wurde mir sehr schwer; aber getreu meinem gefaßten Entschlusse, lernte ich arbeiten, meine Kräfte anwenden und meine Aufmerksamkeit auf die practische Seite des Lebens richten. Der Tag der Abreise war gekommen und der Lootse er- schien an Bord. Mit der eintretenden Ebbe warfen wir von den Pfählen los, an denen das Schiff im eigentlichen Hafen fest gemacht war und holten es auf den Strom. Der Wind war ungünstig; das enge und gewundene Fahrwasser gestattete kein Laviren und da es zu jener Zeit noch keine Schleppdampfer gab, die jetzt bei solchen Gelegenheiten den Schiffen die Arbeit abnehmen, so trieben wir mit dem Strom, aber gegen den Wind die Elbe hinunter. Das war eine langweilige Sache; bisweilen konnten wir eine kleine Strecke segeln, doch die Ebbe brachte uns nur bis zur Rhede von Glückstadt, dann trat die Fluth ein und wir mußten ankern. Ich hatte inzwischen Gelegenheit gehabt, meine erste Lection in der Seemannschaft zu erhalten. Das Treiben eines Schiffes in einem schmalen Fahrwasser erfordert sehr viel nautisches Ge- schick; wer es versteht, der kann überhaupt mit einem Schiffe manövriren. Die Dampfschifffahrt hat dies Treiben meist auf- hören lassen, aber im Interesse seemännischer Tüchtigkeit ist es sehr zu bedauern, denn es ist damit eine vortreffliche und fast unersetzliche Schule für das Manövriren mit Segelschiffen ver- loren gegangen. Unser Lootse, ein Mann in den Fünfzigern und der Typus eines wettergestählten Seemanns, verstand die Sache aus dem Grunde. Mit stiller Bewunderung sah ich, wie er die „Alma“ durch die schwierigsten Passagen lenkte und namentlich imponirte mir die Ruhe und Sicherheit, mit denen er seine Befehle ertheilte. Mein Posten war in seiner Nähe. Er mußte wohl bemerkt haben, mit welchem lebhaften Interesse ich den Bewegungen des Schiffes folgte und mir Ursache und Wirkung klar zu machen suchte, denn zu meiner großen, wenn Eine erste Seereise auch freudigen Ueberraschung redete er mich unerwartet mit freundlichem Wohlwollen an und fragte, wonach ich so auf- merksam ausschaute. „Ich möchte mit einem Schiffe so manövriren können wie Sie“, war meine Antwort. Sie schien ihm zu gefallen. „Stelle Dich neben mich,“ sagte er mir zunickend „und wenn Du etwas nicht verstehst, so frage.“ Er gab mir dann eine Erklärung der folgenden Manöver in eben so knapper wie verständlicher Weise, so daß mir die Punkte, auf welche es ankam, vollständig klar wurden und ich in der kurzen Zeit ungemein viel lernte, was mir für meine spätere Laufbahn sehr nützlich gewesen ist. Der Westwind war am andern Tage stürmisch geworden und da mit ihm nichts in der Nordsee zu machen war, warteten wir auf gutes Wetter. Wir mußten uns jedoch noch volle acht Tage gedulden, bis es eintrat, wenn ich es selbst auch nicht be- dauerte, da der Lootse, welcher wohl Gefallen an mir gefunden haben mußte, mich bei jeder Gelegenheit aufsuchte, um mit mir zu sprechen und mich zu belehren. Mit welchem Eifer ich be- strebt war, davon Nutzen zu ziehen, bedarf wohl kaum der Er- wähnung. Mein Verstand sagte mir, daß ich mich aus meiner untergeordneten Stellung, in der ich mich so unglücklich fühlte, um so schneller befreien würde, je eher ich in meinem Fache etwas Tüchtiges lernte und deswegen setzte ich meine ganze Energie daran, meine Wißbegier zu befriedigen. Ich war jedoch dem Lootsen nicht allein für seine werth- volle Unterweisung, sondern auch dafür so dankbar, daß er sich freundlich gegen mich zeigte, was mich um so wohlthuender be- rührte, als sich bis jetzt Niemand von der Besatzung mit Aus- nahme Heinrichs, meines Cojenkameraden, um mich gekümmert hatte. Kapitän und Steuerleute schienen mich nur als eine Arbeitsmaschine zu betrachten; keiner von ihnen hatte ein gütiges Wort an mich gerichtet, und die Matrosen im Logis benutzten mich als den Jüngsten ebenfalls nur zu barsch geforderten Werner Dienstleistungen. Wie oft biß ich die Zähne aufeinander, um meinen erregten Empfindungen nicht laut Luft zu machen, doch auch das hatte sein Gutes, denn ich lernte mich selbst zu über- winden und die meinem Character innewohnende Heftigkeit zu unterdrücken. Nur des Bootsmanns Benehmen änderte sich allmälig günstig für mich. Meine Willigkeit, allen mir ge- wordenen Befehlen so schnell und gut wie möglich nachzukommen, mochte dazu beitragen, ihn wohlwollender gegen mich zu stim- men, wahrscheinlich aber auch der Einfluß des Lootsen. Ich wurde seiner Wache zugetheilt, zwar keineswegs geschont, aber wenn er jetzt „Schweizer“ rief, dann klang es nicht mehr so hart wie früher. Ich hörte öfter ein ermunterndes Wort und begann durchzufühlen, daß in der Brust des alten Seebären trotz der rauhen Schale doch ein warmes Herz schlug. Endlich war der Wind müde geworden, stets aus derselben Ecke zu wehen. Er ging in der Nacht südlich, freilich links herum, durch Süden statt durch Norden und der Lootse meinte deshalb, er würde keinen Bestand haben, aber der Kapitän wollte sich die günstige Briese nicht über den Kopf wehen lassen und mit Tagesanbruch wurden die Anker gelichtet. In unserer Nähe hatten sich in den letzten Tagen wohl einige vierzig Schiffe angesammelt, die ebenfalls in See wollten und nun mit uns die gute Gelegenheit benutzten. Welches rege Leben herrschte da ringsum auf der Wasser- fläche und wie interessant war das Schauspiel, eine so große Flotte sich gleichzeitig in Bewegung setzen zu sehen! Von allen Seiten ertönten in der hellhörigen Morgenluft die Commandos, das Klipp klapp der Ankerspille, mit denen die Ketten einge- wunden, sowie das Hoi ho! und der Gesang der Matrosen, nach dessen Tacte die Segel geheißt oder andere Arbeiten verrichtet wurden. Vom Winde gebläht entfaltete sich die weiße Leinwand an den Raaen und diese wurde in das Kreuz gebraßt, sobald die Anker grade unter dem Schiffe standen. „Licht Anker!“ lautete dann der Eine erste Seereise Befehl; die Leute eilten an das Spill zurück und wiederum hörte man das Klipp klapp der Ankerwinden und das Hoi ho! der Matrosen. Glied für Glied und nur mit gewaltiger Kraft- anstrengung wanderte die Kette durch die Klüsenöffnung im Bug des Schiffes herein auf das Deck, bis der Anker aus dem zähen Grunde gebrochen war und das Fahrzeug frei von seinen Fesseln auf den Fluthen schwamm. Sofort folgte es dem Drucke der vorderen gegen den Wind gestellten Segel, sie wirkten wie ein Hebel und warfen den Kopf herum, bis die den andern Weg gebraßten Hintersegel füllten. Dann war die Auf- gabe der Vorsegel gelöst; sie wurden mit den hinteren parallel gestellt; die bis dahin noch unter den Raaen zusammengefalteten Untersegel fielen, das Schiff wurde mit Hülfe des Steuerruders auf seinen Curs gebracht und glitt vor der strammen Brise und in seinem Laufe durch die Ebbe beschleunigt pfeilschnell auf dem Strome dahin. Von den übrigen Mitseglern war bereits die Hälfte unter- wegs, aber unsere „Alma“ zeigte sich flink. Ihr Bug, scharf wie ein Messer, durchschnitt fast geräuschlos das Wasser; Hand über Hand lief sie auf und ließ eines der Fahrzeuge nach dem andern hinter sich. „Platz für den Ostindienfahrer“ schien sie zu sagen und ihre Flagge flatterte lustig im Winde. Der Seemann identificirt sich mit seinem Schiffe; er em- pfindet dessen Vorzüge als seine eigenen und triumphirt, wenn er einen Schnellsegler unter den Füßen hat, so wenig es sein Verdienst ist. Das finstere Gesicht des Kapitäns hellte sich auf; die Leute scherzten mit gutmüthigem Hohn nach den Fahrzeugen hinüber, an denen wir vorbeiliefen und auch ich war in meinem Herzen bereits soviel Seemann geworden, um den Triumph mit zu empfinden. Der Wind frischte auf, wir liefen zehn Knoten, zwei eine halbe Meile, in der Stunde und passirten Mittags Cuxhafen. Das niedrige rechte Elbufer war bereits unsern Blicken ent- Werner schwunden, auch das linke begann sich allmälig unter den Horizont zu senken und der Thurm der Elbinsel Neuwerk er- hob sich als letzter Wachtposten des Festlandes aus der ihn umgebenden Wasserfläche. Wir schossen an dem innern Feuer- schiffe vorbei, das am Tage durch seine rothe Farbe und durch Kugeln auf den Spitzen der Masten, sowie Nachts durch weit leuchtende Laternen vor gefährlichen Sänden warnt; dann kam die in der Elbmündung verankerte Lootsen-Galliote in Sicht und wir hielten auf sie zu. Die Lootsenflagge wurde bei uns im Vortop geheißt und auf dies Signal stieß ein Boot von der Galliote ab, um den Lootsen abzuholen. Die Untersegel wurden fortgenommen, die Hinterraaen gegen den Wind gebraßt, das Schiff verlor seine Fahrt und trieb langsam auf das wartende Boot zu. Der Lootse stand mittschiffs an der Fallreepstreppe und nahm die Briefe in Empfang, die als letzte Grüße in die Heimath gingen. Auch ich brachte den meinigen; ich hatte viele Tage daran geschrieben, aber sein Inhalt verrieth nichts von dem, was ich fühlte und fest in meiner Brust verschlossen hielt; die Meinigen sollten glauben, daß ich in meinem Berufe glücklich und zufrieden sei. Ihre Abschiedsbriefe waren mit thränendem Auge oft von mir gelesen und die mir darin ge- sandten Segenswünsche hatten meinen herben Schmerz gelindert; für lange, lange Zeit sollten sie mein einziger Schatz und mein Trost in der Einsamkeit sein. Der Lootse drückte mir warm die Hand. „Kopf oben, mein Junge!“ sagte er „Du wirst darüber fortkommen;“ er schien in meinem Herzen gelesen zu haben. Das Boot kam längseit und er ging von Bord. „Behaltene Reise!“ klang sein seemännischer Abschiedsgruß — so einfache Worte und doch so vielsagend! „Danke, danke Lootse!“ war die Erwiderung der Besatzung. Ein letztes Winken mit der Hand und das Boot flog dahin. „Braßt voll!“ commandirte der Kapitän; die Hinterraaen flogen herum, und der Wind blähte wieder ihre Eine erste Seereise Segel, Fock und Großsegel wurden gesetzt und das Schiff zog hinein in die weite See, die fortan meine Heimath war. Wir hatten von Tagesfrühe an mit „Alle Mann“ tüchtig gearbeitet; es gab noch so manches für See in Ordnung zu bringen und fest zu machen, damit es bei den zu erwartenden Bewegungen des Schiffes nicht umstürzte. Jetzt, als wir auch das äußerste Feuerschiff und die rothe Tonne hinter uns hatten, welche die Mündung der Elbe kennzeichnet, war alles so weit fertig, daß die eine Hälfte der Mannschaft entbehrt werden konnte. Backbordwache, so genannt nach Backbord, der linken Seite des Schiffes, während die andere Steuerbordwache heißt, erhielt Freiwache oder „Wache zur Coje,“ wie sonderbarer Weise der technische Ausdruck auf Handelsschiffen lautet. Ich ging jedoch nicht unter Deck, sondern stand vorn an der Bord- wand und ließ meine Blicke über die endlose Fläche gleiten, die sich vor mir aufrollte. Es war das Meer, das ich jetzt wirk- lich sah, das Meer, nach dem mein Herz seit langen Jahren sich gesehnt, das ungekannt dennoch einen solchen Zauber auf mich geübt, das mit geheimnißvoller Macht mich an sich gezogen, bis ich endlich sein eigen geworden war. Unbegrenzt, mit dem Himmel sich verschmelzend, lag es vor mir, zwar anders, wie meine Phantasie mir sein Bild gezeichnet, aber immer gewaltig und imponirend. Ich hatte so viel von seinen Schönheiten, seinen Wundern, seinen Schrecken gelesen, daß jetzt die Wirklichkeit meinen Vorstellungen nicht entsprach. Vergebens schaute ich nach den sich thürmenden Wellen, die ich mir vom Ocean unzer- trennlich dachte; nicht wallend und wogend zeigte sich mir die dunkle Fluth, sondern ruhig und friedlich breitete sie sich aus. Ich hatte vergessen, daß wir uns noch in nächster Nähe der Küste befanden, daß der Wind südlich von ihr herüber wehte und deshalb kein Seegang aufkommen konnte. Eine Heerde Delphine umspielte eine Zeit lang das Schiff, um nach Westen zu bald wieder zu verschwinden. Wo sie hinziehen, dort wird R. Werner , Erinnerungen. 2 Werner bald der Wind herkommen, sagen die Seeleute und es trifft bisweilen zu. Fast alle Schiffe, mit denen wir am Morgen zugleich Anker gelichtet, hatten wir weit hinter uns gelassen und viele von ihnen schwammen nur noch wie weiße Punkte auf der Meeresfläche, die nicht mehr von dem gelblichen Wasser des Elbstromes getrübt wurde, sondern eine lichte, grüne Färbung angenommen hatte, in der das Kielwasser unseres Schiffes einen breiten silberschäumenden Streifen zeichnete. Fern am nördlichen Horizonte tauchte Helgoland als bläulicher Hügel auf, doch nur einen Augenblick, dann senkte sich ein grauer Wolkenschleier herab, entzog es den spähenden Blicken, und sehr bald verwan- delte sich auch das Bild, in dessen Anschauen ich versunken war. Wir hatten bisher vor dem Winde gesegelt, der stoßweise und mit sehr wechselnder Stärke wehte. Der Himmel sah nicht gut aus, auf hellgrauem Grunde schwammen dunkle kleine Wolken und jagten darüber hin, als würden sie von einem Sturme gepeitscht. Die Sonne hatte sich den ganzen Tag nicht blicken lassen, die Möven kreischten durchdringend und hielten sich niedrig über dem Wasser. „Das giebt keine gute Nacht,“ hörte ich den Bootsmann sagen. Er war wieder an Deck gekommen, um sich See und Himmel zu betrachten, freilich von einem praktischerem Stand- punkte aus, als ich. „Ja“ meinte der von ihm angeredete Zimmer- mann „ein Krümper Wenn der Wind links herumgeht, so sagen die Seeleute „er krümpt.“ Gewöhnlich hat er dann keinen Bestand und das Wetter wird schlecht. hält nicht lange vor, und die Blänke dort im Westen wird bald ihr Gesicht zeigen.“ Kaum waren die Worte des Sprechers verhallt, als auf einmal alle Segel los- kamen und heftig zu schlagen begannen. „Steuerbord Vor- brassen!“ rief der Obersteuermann vom Hinterdeck; die Segel sollten schärfer an den Wind gestellt werden. Eine erste Seereise „Da haben wir es schon“ sagte der Bootsmann und das Tabaksprümchen flog mit Gewalt in seinem Munde von Backbord nach Steuerbord, „nun wird auch bald das Reefen Verkleinern der Segel. hinterher kommen.“ Der Zimmermann ging mit zum Brassen; der Wind war auf Südwest zurückgesprungen und frischte steif auf. Die kleineren Segel konnten grade noch stehen, aber der jetzt seitlich einkommende Winddruck legte das Schiff bedeutend über. Auch änderte sich zu meinem Erstaunen die ganze Scenerie um mich überraschend schnell; die von mir vermißten Wellen waren, wenn auch nicht grade thurmhoch, da, als seien sie hervor- gezaubert und wir mußten in einen Strich hineingelaufen sein, wo schon länger starker Westwind gestanden hatte. Das bis dahin so ruhig liegende Schiff begann allerlei unerwartete Be- wegungen zu machen, die mir durchaus nicht behagten, so daß ich mich krampfhaft an einem Tau festhielt und mit den Augen vergebens nach einem festen Punkte am Horizonte suchte. Plötzlich stampfte die „Alma“ tief in die See, ich verlor das Gleichgewicht, fiel auf das Deck nieder und ein gleichzeitig über den Bug kom- mender kräftiger Sprützer weichte mich gründlich in Salzwasser ein. „Nun Schweizer, wie gefällt Dir die Seefahrt?“ fragte mich der Bootsmann lachend. Die wahrheitsgetreue Antwort hätte gelautet: „In diesem Augenblicke herzlich schlecht“, aber sie blieb mir in der Kehle stecken oder flog vielmehr unaus- gesprochen mit noch anderen Dingen über Bord. Die See- krankheit hatte mich gepackt und zwar gleich ganz gehörig. Himmel, welches Dasein! über alle Maßen elend. Man hätte mich über Bord werfen können, ich würde mich nicht gesträubt haben, und dazu noch Spott von allen Seiten. Ich wollte hinunter und zur Coje, aber kaum hatte ich die feuchtwarme drückende Luft des Logis geathmet, da wurde es mir wie zum Sterben und trieb mich mit Gewalt wieder in’s Freie. 2* Werner Inzwischen war es Abend geworden, der Wind nahm zu, es dampfte tüchtig über den Bug und regnete außerdem noch. Auf der dem Winde abgekehrten Seite vom Großboote, in Lee hinter der Kombüse Küche. , war eine Parthie Stroh aufgestapelt, das man zu irgend welchen Zwecken mitgenommen hatte. Hier fand ich ein einigermaßen gegen Wind und Regen geschütztes Plätzchen und machte mir ein Nest. Man hatte wol Erbarmen mit meinem Leiden und ließ mich ruhig liegen, ja in der Nacht deckte mich sogar Jemand mit einem Stück getheertem Segeltuch zu und ich glaubte den Bootsmann zu erkennen. Vom Sonnabend bis Dienstag, drei volle Tage, dauerte der schreck- liche Zustand; von dem was um mich her vorging, empfand ich nichts, ich hatte genug mit meiner eigenen trübseligen Existenz zu thun. Dann endlich wurde mir besser zu Muthe und ich erhob mich aus meinem Bivouak. Die Leute waren beim Mittagessen, es gab weiße Bohnen und in der Kombüse stand ein Rest im Topfe. Sie erschienen mir plötzlich sehr ver- lockend; ich machte mich darüber her und es blieb nichts übrig, obwol es wol drei Rationen sein mochten — die Natur wollte ihr Recht haben. Meine Seekrankheit war gewichen; ich fühlte mich noch etwas matt, aber das ging bald vorüber und in wenigen Tagen waren mir auch die Seebeine gewachsen, d. h. ich hatte gelernt, bei den schwankenden Bewegungen des Schiffes mich im Gleichgewicht zu halten. Das alte Seemannssprichwort bezüglich der Richtung des kommenden Windes: „Im Sommer die Bänke Dunkle Wolkenstreifen am Horizont. , im Winter die Blänke,“ aus dem der Zimmermann seine meteorologische Prophezeiung abgeleitet, hatte Recht gehabt. Der aus der Blänke, d. h. aus einem hellen Streifen am Horizont des sonst gleichmäßig bedeckten Himmels gekommene Westwind hatte unangenehmen Bestand. Bald war er sehr steif, bald flaute Eine erste Seereise er etwas ab, aber er blies uns stets hartnäckig in die Zähne. Wir kreuzten, nach des Bootsmanns Ansicht, das Blaue vom Himmel herunter und die ewig scharf angebraßten Raaen scheuerten zu seinem Kummer trotz dickster Bewickelung alle Wanten und Pardunen, wie die Haltetaue der Bemastung heißen, entzwei, ohne daß wir deshalb viel weiter gekommen wären. Wir hatten seit 8 Tagen die Elbe verlassen und erst die Höhe der hollän- dischen Küste erreicht, worüber des Kapitäns Gesicht um nichts freundlicher aussah. Die Mannschaft wußte sich jedoch über die verlängerte Dauer der Reise leichter zu trösten. „Der Monat dreht und der Koch packt auf“ lautet bei solchen Anlässen ihre Lebensphilosophie, d. h. die Gage läuft fort und an Essen fehlts auch nicht; das Uebrige kümmert sie nicht, wenigstens was die nautische Führung des Schiffes anbetrifft. Der Matrose raisonnirt zwar sehr gern und über alles mögliche an Bord, wobei stets das letzte Schiff, auf dem er diente, das höchste Lob erhält, wenn er es auch noch so schlecht hatte, aber in die Navigation mischt er sich nicht und kritisirt sie nicht. Er hat einen ungemeinen Respect vor fachlichem Wissen und beugt sich diesem willig. Sein Vertrauen in die Fähigkeit des Kapitäns, das Schiff gut und auf dem besten Wege an den Ort seiner Bestimmung zu führen ist oft wahr- haft rührend. Mag es bisweilen noch so bedenklich mit der Sicherheit aussehen, und das Fahrzeug auf Haaresbreite am Strande vorbeigehen, der Matrose legt sich deshalb ruhig zur Coje und schläft die wenigen ihm vergönnten Stunden ohne alle Sorge. „Der Alte wird es schon wissen wie er es macht“ denkt er bei sich und wenn auch in dickem Wetter eine Küste angesegelt wird, ohne leichtsinniger Weise das Senkblei zu ge- brauchen, bis das Schiff hoch und trocken auf dem Strand sitzt, glaubt er deswegen doch nicht an Unfähigkeit oder strafbare Nachlässigkeit des „Alten“, sondern hält es für ein besonderes Unglück. Mich kümmerte natürlich das langsame Vorwärts- Werner kommen auch nicht, wenngleich ich dabei nicht an das Drehen des Monats und das Aufpacken des Kochs dachte. Ich hatte so viel zu sehen und zu lernen, daß mir die Zeit ungemein schnell verfloß. Ich mußte tüchtig heran, aber das war mir grade recht; ich wollte lernen, je mehr und je schneller, desto besser. Meine Schienbeine waren wund vom Erklimmen der Bramwanten, die nicht wie die übrigen Haltetaue der Masten und Stengen ausgewebt, d. h. mit Strickleitern versehen sind. Es galt dann an den bloßen Tauen hochzuklettern um das Oberbramsegel, das höchste im Schiff, los oder fest zu machen, oder die Raa auf und nieder zu geben. Das geschah nämlich seitdem ich nicht mehr seekrank war, täglich und zwar mußten mein Kamerad Heinrich und ich damit regelmäßig unsere Frei- wache erkaufen, er im Vortop, ich im Großtop. Der Kapitän, von dessen erziehlichem Einfluß auf uns wir bisher wenig be- merkt, hatte diese Anordnung getroffen, um uns flink zu machen, und es läßt sich nicht leugnen, daß das Mittel probat war. Nichts wird an Bord mehr geschätzt als Ruhe und Schlaf und es gehört zu den täglichen Vorkommnissen, daß sowol der Matrose wie der junge Officier sich während der ihnen ver- gönnten kurzen Ruhezeit durch einen Kameraden wecken lassen, nur um sich zu sagen, du kannst noch ein bis zwei Stunden schlafen und im Bewußtsein dieses Hochgenusses sich auf die andere Seite zu wenden. Für uns Beide war natürlich der Schlaf grade so viel werth, und sehr bald hatten wir das Manöver trotz der wunden Schienbeine in fünf Minuten hinter uns, so daß der Kapitän seinen Zweck völlig erreicht hatte. Die Schienbeine waren es aber nicht allein, welche litten; durch das Ziehen an den von Salzwasser nassen Tauen bekamen meine Finger tiefe Risse an den Seiten, und ich mußte manchen harten Stoß an Kopf und Körper verwinden, ehe ich lernte, mich geschickt auf den beschränkten Räumen des Schiffes zu Eine erste Seereise bewegen — aber ich verbiß die Schmerzen und jeder Tag brachte mich vorwärts. Nicht wenig trug dazu mein Verhältniß zum Bootsmann bei; dasselbe gestaltete sich immer freundschaft- licher, besonders seitdem er merkte, daß ich gute Fortschritte im Plattdeutschen machte, wenngleich er mich deshalb doch „Schweizer“ nannte. Er gab mir allerlei gute Rathschläge, wie ich mich in diesem oder jenem schwierigen Falle meines Faches zu ver- halten hatte, weihte mich in die Geheimnisse des Langspleißes, des Grummetstroppes, des türkischen Knotens und anderer zur Zunft gehörigen künstlichen Tauwerksarbeiten ein und war sehr befriedigt, als ich den allerdings traurig mißlungenen Versuch gemacht hatte, das Tabakskauen zu erlernen. Ich war danach so furchtbar seekrank geworden, daß ich eine halbe Stunde wie todt lag und mir feierlich gelobte, von ferneren Experimenten nach dieser Richtung definitiv Abstand zu nehmen. Wir befanden uns auf der Höhe von Texel, d. h. nach Schätzung des Kapitäns, denn Sonne und astronomische Orts- bestimmung hatten wir in der ganzen Zeit nicht gehabt. Das Loth war unser einziger Wegweiser gewesen und wie der Blinde mit dem Stock hatten wir unsern Weg nach der Wassertiefe und Beschaffenheit des Grundes, welchen das an seiner untern Fläche mit Talg armirte Loth heraufbrachte, fühlen müssen. Das Wetter hatte sich bisher verhältnißmäßig gehalten und nur selten brauchte ein Reff eingesteckt zu werden, jetzt jedoch mehr- ten sich die Zeichen, daß ein gehöriger Sturm im Anzuge sei. Ueber die gleichmäßige graue Decke des Himmels jagten wieder dunkle zerrissene Wolken; am Horizont ballten sie sich zusam- men, so daß sie wie Gebirgsmassen mit scharf geränderten Kuppen erschienen. Der Wind begann stoßweise zu wehen und man hörte es oben in den Lüften rauschen. Die See wurde unruhig, und der Barometer fiel stark. Das hätte nun alles noch hingehen mögen, aber das Schlimmste war, daß der Zimmermann von Frauen, und der Koch von Pferden geträumt Werner hatte. „Siehst du Schweizer“, sagte der Bootsmann „ich halte nicht viel von diesen neumodischen Dingern; ich habe fünfzehn Reisen nach Grönland und drei nach der Südsee gemacht und über 50 Wallfische harpunirt, aber wir haben nie einen Baro- meter gehabt. Wenn man dagegen von Pferden und Frauen- zimmern träumt, dann kannst Du Dich darauf verlassen, dann giebt es auch was. Das trügt nie, und je älter und häßlicher die Frauenzimmer sind, desto toller fängt es an zu wehen — das ist so sicher wie Amen in der Kirche“, dabei flog das Prümchen nach der andern Seite, fast mit einem hörbaren Ruck, wie beim Rekruten die Augen nach rechts. Jedenfalls schien der Kapitän wenigstens mit der Schluß- folgerung des Bootsmanns, daß es viel Wind gäbe, einver- standen zu sein, denn er ließ noch vor Abend die Marssegel doppelt reefen, wodurch sie beinah um die Hälfte verkleinert wurden, und das war nicht umsonst geschehen. Kurz vor Mitternacht schoß der Sturm aus Nordwest aus und kam an mit Trom- meln und Pfeifen. Er fiel in die Segel und legte das Schiff auf die Seite, daß es ächzte und stöhnte. Er wühlte die See auf, und der über das ganze Vorschiff sprühende Gischt leuchtete unheimlich durch die finstere Nacht. Es mußten Segel geborgen werden, um das Schiff zu erleichtern, das unter ihrem Druck schwer in der See stampfte und dadurch sehr in seinen Verbänden litt. Das Großsegel, das unterste am Großmast kam zuerst an die Reihe, dann der Klüver, ein dreieckiges Segel am Klüverbaum, der Verlängerung des schräg nach vorn hinausliegenden Bugspriets. Heinrich und ich wurden hinausgeschickt, um den Klüver fest zu machen. Es ist das eigentlich Matrosenarbeit, weil viel Kraft und Geschick dazu gehört und bleibt dennoch bei schwerem Arbeiten des Schiffes gefährlich. Auf Kriegsschiffen ist deshalb unter dem Klüverbaum ein Netz ausgespannt, weil die See die Leute herabschlagen kann. Auf Handelsschiffen nimmt man nicht so viel Rücksicht und glaubte uns Beiden die schwere Aufgabe Eine erste Seereise zumuthen zu dürfen, die wir körperkräftig und überdem durch die täglichen Oberbramsegel-Exercitien genügend „flink“ gemacht waren. Wir selbst empfanden natürlich einen berechtigten Stolz über das uns geschenkte Vertrauen und gehorchten auf das schnellste dem uns gewordenen Befehle. Das Klüverschoot, die untere Ecke des Segels mit dem daran befestigten Tau schlug im Winde so heftig, daß das ganze Vorgeschirr zitterte. „Festgehalten Jungens“ rief der Boots- mann uns nach „und von draußen angefangen, sonst schlägt Euch der Klüver ohne Gnade vom Baum.“ Wir hörten nur mit halbem Ohr und liefen hinaus. Auf dem Bugspriet ging es noch, da hatten wir festes Holz unter den Füßen und zwei dazu angebrachte Taue, die Laufstagen, um sie mit den Händen zu fassen, aber auf dem Klüverbaum war das „Festhalten“ leichter gesagt, als gethan. Unten nur das sogenannte Pferd, ein Tau um darin zu stehen, oben den runden glatten Baum. Er mußte zwischen Brust und Knie geklemmt werden, das war der ganze Halt, denn die beiden Hände gebrauchte man zur Arbeit. Wir kamen indessen glücklich hinaus und fingen an, das Segel zu beschlagen. Es war mir, als hätten wir ein wildes Thier ein- zufangen, so ungeberdig zeigte sich der im Sturm peitschende Klüver. Verschiedene Male glaubten wir ihn schon gebändigt zu haben, dann riß ihn der Wind uns wieder aus den Händen. Ich kämpfte meinen ersten persönlichen Kampf mit den Elementen und es stachelte meinen Ehrgeiz, als Sieger daraus hervorzugehen. Heinrich schien eben so zu fühlen und wir ar- beiteten wie zwei Männer. Die ungewohnte seltsame Umgebung trug nicht wenig dazu bei, den Kampf noch aufregender zu machen. Die dunkle Nacht, das Heulen und Pfeifen des Windes in der Takelage, das Rauschen des Schiffes durch das Wasser, welches sich wie ein glühender Berg vor seinem Bug aufstaute, die schäumenden, überkopfenden Wellen, denen wir bei dem Werner Auf- und Niederstampfen bisweilen so nahe kamen, daß unsere Füße sie berührten — alles das wirkte wie bezaubernd auf mich ein und bestrickte förmlich meine Sinne. Ja, so hatte ich mir das Seeleben gedacht, das war es, wonach ich mich gesehnt, das die Poesie des Meeres, die mich so mächtig ange- zogen und meine Phantasie beschäftigt hatte. Oh wie freudig bewegte das mein Herz, so hatte ich mich doch nicht getäuscht und mein Beruf war nicht verfehlt! Mein Geist entfaltete seine Schwingen, er flog hinaus in die Zukunft und mechanisch nur arbeiteten meine Hände. Wir hatten den Klüver wieder halb auf den Baum ge- bracht, aber der gute Rath des Bootsmannes „Festhalten“ war vergessen. Das Schiff stampfte auf einmal sehr schwer hinunter. Wir lagen über dem Baum und hielten das sich sträubende Segel. Da schlug die See unter das Pferd, in dem wir standen und mit Gewalt unter unsere Füße; gleichzeitig faßte der Wind wieder das Klüverschoot und peitschte es hinaus in die Luft. In dem Streben, es zu halten, verloren wir durch den Stoß der See von unten das Gleichgewicht, flogen über den Baum fort und stürzten hinunter in die gähnende Tiefe. Ich glaubte den Ruf „Mann über Bord“ zu hören, empfand etwas wie einen Schlag — dann verlor ich die Besinnung. Als ich wieder zu mir kam und die Augen aufschlug, lag ich in meiner Coje. Vor mir auf der Seekiste saß der Boots- mann und hatte meine Hand gefaßt. „Schweizer“ sagte er und seine sonst so rauhe Stimme klang freundlich und herzlich „beinah wäre das mit Dir unklar gegangen. Ein ander Mal, da thue, was ich Dir sage und halte Dich fest. Siehst Du mein Junge, wenn man ein ordent- licher Seemann werden will, dann muß man an jedem Finger einen Angelhaken haben und wenn man bei zwei Reffen in den Marssegeln den Klüver fest macht, dann müssen Bauch und Beine wie eine Wantschraube den Baum festhalten.“ Eine erste Seereise „Wie bin ich denn aber gerettet worden?“ fragte ich, „ich bin doch über Bord gefallen.“ „Ja, bisweilen ist ein verkehrter Kink auch zu etwas nütze“ erwiederte er lächelnd „das hast Du der Beschlagzei- sing vom Klüver zu danken. Vorläufig aber schweige, trink hier den Schluck, den der Alte Dir geschickt und dann schlafe. Morgen früh mußt Du wieder auf sein, denn da brauchen wir alle Mann. Es steckt noch viel Schlimmes in der Luft, ich fühle es in meinen Knochen und will auch noch etwas zur Coje.“ Dabei reichte er mir eine Flasche Madeira, aus der ich einen tüchtigen Schluck nahm, der mir wie Feuer durch die Adern rieselte und mich wunderbar belebte. „Danke Bootsmann, wie viel Uhr ist es?“ „Gleich vier Glas Der Tag an Bord ist in vierstündige Wachen getheilt. Die Zeit derselben wurde früher nach Halb-Stundengläsern bemessen. Um 12 Uhr beginnt eine neue Wache; wenn deshalb 4 „Glas“ ausgelaufen waren, bedeutete dies 2 Uhr. Trotz Abschaffung der Sanduhren hat man die alte Bezeichnung beibehalten. .“ Kurz vor Mitternacht hatte ich den Klüver festmachen sollen, jetzt war es bald zwei Uhr; ich mußte also zwei Stunden ohne Bewußtsein gelegen haben und der Bootsmann hatte diese Zeit von seiner Freiwache geopfert, um bei mir zu wachen. Ich war tief gerührt und drückte ihm dankbar die Hand; ich stand nicht mehr allein und hatte einen väterlichen Freund gewonnen. „Wo ist Heinrich?“ fragte ich weiter. Der Alte drehte sich ab nnd fuhr mit der verkehrten Hand über die Augen. „Er schläft — in Gottes Keller“ erwiederte er halblaut. Ich verstand nur die ersten Worte, den Sinn der letzten jedoch nicht. Der Bootsmann ging zur Coje und bald hörte ich an seinen tiefen Athemzügen, daß er schlief. Ich sann darüber nach, was er mit dem verkehrten Kink und der Be- schlagzeising gemeint haben konnte, aber der ungewohnte Wein Werner mochte wol wirken, meine Gedanken verschwammen und ich entschlummerte ebenfalls. Mein Schlaf mußte sehr fest sein. Ich hörte beim Wachwechsel um vier Uhr nichts von dem sonderbaren Gesange, mit dem die Freiwache geweckt wird „Reiß Gleichbedeutend hier mit dem englischen „rise“, aufstehen. aus Quartier in Gottes Namen“. Man ließ mich ruhig liegen und erst gegen Tages Anbruch wurde ich wach, als der Alarm- ruf „Reeve, Reeve“ in die Logiskappe hinunter gellte. Der Sturm hatte so zugenommen, daß das letzte Reff in die Mars- segel gesteckt werden mußte. Jener Ruf an Bord von Handels- schiffen wie „Ueberall, überall!“ bedeutet, daß Noth am Mann ist und alles flog aus der Coje. Ich fühlte mich wieder voll- ständig gesund, war im Augenblick angekleidet und sprang als einer der ersten die Treppe hinauf an Deck. Huh! wie wehte es und wie peitschte Regen und Hagel in das Gesicht, so daß man kaum die Augen öffnen konnte! Eine schwere Hagelbö war eingefallen. Trotz der heruntergelassenen Marssegel standen Raaen und Brassen zum brechen; das Schiff lag so über, daß fast die Lee-Verschanzung im Wasser schleppte; die See dampfte von vorn bis mittschiffs ununterbrochen über Deck und man konnte nur vorwärts kommen, indem man sich längs der Bordwand an den Tauen hielt. Der Bootsmann hatte Recht gehabt, es lag noch viel Schlimmes in der Luft. Mit Anspannung aller Kräfte gelang es uns, das dritte Reff einzubinden, aber wir lagen über eine halbe Stunde auf den Raaen und brachen uns die Fingernägel an dem nassen steifen Segeltuch, ehe wir es bewältigten. Als wir endlich fertig waren, hatte auch die Bö nachgelassen; das Schiff richtete sich etwas auf und lag bequemer und ruhiger auf dem Wasser, ob- wol es immer noch schlimm genug arbeitete. Es war hell geworden und klarte auf. „Mannt Bemannt. das Loth!“ befahl der Kapitän, der die ganze Eine erste Seereise Nacht das Deck nicht verlassen hatte und in dessen Gesicht ich eine gewisse Unruhe wahrzunehmen glaubte. Mein Blick fiel auf das Wasser. Es sah so sonderbar weißlich aus; alle die Tage hatte ich seine schöne smaragdgrüne Farbe bewundert. „Flink mit dem Loth“ rief der Bootsmann den Leuten zu und sprang mit der Leine in der Hand mittschiffs auf die Ver- schanzung. Auch in seinen Zügen schien sich Besorgniß auszusprechen. „Was ist Bootsmann?“ fragte ich. „Leegerwall Land unter dem Winde. !“ war seine kurze Antwort, die mich jedoch so klug ließ wie vorher. „Paß auf, achter Hinten. !“ erklang es vom Fockwant Haltetaue des vordersten (Fock) Mastes. her und der dort postirte Mann warf das Loth. Der Bootsmann ließ die Leine durch die Hand gleiten und holte, als sie auf und nieder zeigte, mit großer Hast das Lose ein. Ein Lederläppchen, das in der Leine befestigt war, schnitt mit der Wasserfläche ab. „Zehn Faden!“ sagte er zu dem herangetretenen Kapitän und wechselte mit ihm einen be- deutungsvollen Blick. Ich weiß nicht, weshalb die beiden Worte mich so eigenthümlich erschreckten. Sechzig Fuß Wasser war ja tief genug für irgend welches Schiff. „Land in Lee!“ rief jetzt ein Matrose und aller Blicke wandten sich nach der be- zeichneten Richtung. Ein niedriger grauer Streifen trat aus der sich verziehenden Bö hervor, wir konnten kaum noch zwei Meilen von der Küste entfernt sein. Jetzt wurde mir auf ein- mal die Bedeutung von „Leegerwall“ klar. Wir waren auf einer Leeküste besetzt. Die Milchfarbe des Wassers hatte die geringe Tiefe angezeigt; sie war der Reflex des hellen Sandgrundes. Der Kapitän sah die Grundprobe an, die das Loth herauf- gebracht hatte. „Es stimmt mit dem Besteck“ äußerte er anscheinend ruhig zum Obersteuermann, „wir haben Texel“. Werner „Hans Hansen“ wendete er sich dann an einen Matrosen, „Du hast gute Augen, geh in’s Want und sieh, ob Du nicht einen Thurm gewahr werden kannst.“ Der Angeredete enterte auf und suchte den Horizont ab. „Feuerthurm voraus drei Strich Der Compaß resp. der Horizont wird in 360 Grade oder 32 Striche getheilt, von denen einer 11¼ Grad enthält. in Lee“ rief er und zeigte mit der Hand nach der Richtung. „Gut,“ sagte der Kapitän und winkte ihm herunter zu kommen. „Wie viel Abdrift haben wir?“ fragte er den Steuermann. „Vier Strich“ meldete dieser, als er nach der Richtung des Kielwassers gesehen hatte. Der Wind war Nordwest, die „Alma“ lag scheinbar etwas ab vom Lande, mit der Drift näherte sie sich jedoch demselben. Wenn ein Schiff scharf am Winde segelt und nur kleine Segel führt, also wenig Fahrt machen kann, so geht es nicht in der Richtung seines Kiels voraus, sondern wird vom Winde schräg seitwärts geschoben — das ist seine Abdrift. „Wir müssen Segel setzen. Ein Reff aus den Marssegeln!“ Das eben mit so viel Mühe und Roth eingenommene Reff wurde wieder ausgesteckt. „Wie viel Drift?“ „Drei Strich!“ „Noch zu viel, Großsegel los!“ Das Großsegel wurde gesetzt und verminderte die Drift abermals um 1½ Strich. Das Schiff ging damit grade längs der Küste, aber das genügte noch nicht, es mußte auch davon abliegen. Der Klüver wurde geheißt. Alles ging gut; das Schiff machte unter dem Preß von Segeln schlanke Fahrt und der Feuerthurm wanderte rasch aus. Noch zwei Stunden so, dann befanden wir uns in freiem Wasser und konnten auf- athmen. Augenblicklich war der Wind nicht zu schwer für die Segel, aber dort leewärts stieg am Horizonte schon wieder eine Eine erste Seereise Hagelbö herauf. Man kennt sie an den dunkelgelben Streifen, die sich scharf gegen das übrige Gewölk abgrenzen und wie eine starre Mauer erscheinen. Wenn sie so viel Wind brachte, wie die letzte, dann war es kaum denkbar, daß die Segel es aus- halten konnten. Trotzdem hofften wir es; jeder von uns wußte, daß es hieß „Biegen oder Brechen“. Konnten wir von der Küste nicht frei segeln, so waren wir höchst wahrscheinlich verloren. Seit meinem Erwachen hatten die Ereignisse des Morgens so schnell gewechselt und mein Interesse so sehr in Anspruch genommen, daß mir keine Zeit blieb, mich um etwas anders zu kümmern. Jetzt war eine Ruhepause; die vergangene Nacht trat mir wieder lebhaft vor die Seele und damit auch meine noch unaufgeklärte Rettung. Ein Leichtmatrose von unserer Wache gab mir Aufschluß über die näheren Umstände. Als ich von der See über den Klüverbaum geworfen war, hatte sich die Beschlagzeising, d. h. das zum Befestigen der Segel dienende Tau, durch einen glücklichen Zufall wie eine Schleife um meinen Körper gewunden, was der Bootsmann mit einem „verkehrten Kink Eine Verdrehung im Tauwerk; figürlich auch auf „Ecke“ übertragen. “ bezeichnete. Dadurch war ich über Wasser hängen ge- blieben, aber mit dem Kopf gegen den Stampfstock Eine Art Strebepfeiler, der vom Bugspriet nach unten zeigt und zum Straffhalten von Haltetauen des Klüverbaums dient. geschlagen, besinnungslos geworden und hatte als leblose Masse geschwebt, die bei jedem tiefern Stampfen des Schiffes in das Wasser getaucht wurde. Ohne die schleunigste Hülfe wäre ich verloren gewesen und diese wurde mir mit eigener größter Lebensgefahr durch den Bootsmann gebracht. Während das Unglück passirte, hatte er auf der Back Der vorderste Theil des oberen Verdecks. gestanden. Durch seinen Ruf „Mann über Bord“ Werner war die Wache alarmirt. Dann hatte er sich ein Tau um den Leib befestigt, war nach dem Stampfstock hinausgeklettert, hatte mich in seine Arme genommen, die Beschlagzeising abgeschnitten und mich an Bord getragen. Zweimal war er mit mir völlig in der See begraben worden, hatte sich und mich aber mit fast übermenschlicher Kraft festgehalten und mich glücklich gerettet. „Und auf welche Weise ist Heinrich geborgen?“ fragte ich den Leichtmatrosen. „Heinrich?“ erwiederte dieser erstaunt „weißt Du denn nicht, daß er über Bord gegangen ist?“ Ich zuckte erschreckt zusammen. „Aber doch gerettet“ rief ich, „der Bootsmann sagte mir doch heute Nacht, er schliefe.“ „Ja, in Gottes Keller, da unten auf dem weißen Sande schläft er, bis der liebe Gott einmal „alle Mann“ ruft. Nein, zu retten war er nicht. Als wir das „Mann über Bord“ hörten, da ließ der Steuermann sogleich an den Wind luven und wir braßten im Großtop back Die Segel so stellen, daß der Wind von vorn darauf fällt, so daß das Schiff durch den Gegendruck zum Stillstande gebracht wird. , um beizudrehen. Die Rettungsboje wurde über Bord geworfen und außer dem Unter- steuermann traten wir gleich mit vier Freiwilligen vor, um trotz des schlechten Wetters und der finstern Nacht in das Lee- boot zu gehen. Aber als wir letzteres halb zu Wasser gelassen hatten, da holte das Schiff so heftig nach Lee über, daß die See drei Planken im Boot einschlug und da war natürlich an Retten nicht mehr zu denken. „Es hätte uns doch nichts geholfen,“ fuhr der Leicht- matrose traurig fort. „Als das Boot wieder geheißt war und wir Dich in Deine Coje getragen hatten, sollte ich ein im Wasser schleppendes Tau einholen. Es hackte etwas daran und ich sah über Bord was es sei . Da löste sich eine größere Masse von der Schiffsseite und trieb langsam sinkend nach Eine erste Seereise hinten. Es war der arme Heinrich, denn das Wasser feuerte so, daß sowohl ich wie der Untersteuermann klar einen menschlichen Körper erkannten. Da er ein guter Schwimmer war, muß er beim Fallen betäubt worden sein, denn Niemand hat einen Schrei gehört. Dann ist er langseit in die Bucht des Taues getrieben und von ihm festgehalten, bis es von mir eingeholt wurde.“ Die Kunde erschütterte mich auf das heftigste, weil sie mich so unvermittelt traf — der frische, von Gesundheit strotzende Knabe von so plötzlichem Tode ereilt! In wie tiefernster Gestalt trat mir das Seeleben gleich von vornherein entgegen, mit welcher furchtbaren Deutlichkeit führte es mir vor Augen, daß auf einem Schiffe uns nur eine Planke von dem stets offenen Grabe trennt! Wenn Heinrich mir auch nicht besonders nahe gestanden hatte, war er mir doch ein guter Kamerad gewesen, dessen offenes, heiteres Wesen mich ansprach und der auch mir bei jeder Gelegenheit zeigte, daß er mich gern mochte. Ich fühlte deshalb seinen Verlust um so schmerzlicher, als ich für die übrigen jungen Leute der Mann- schaft wenig Sympathie hatte. Unwillkürlich rannen mir die Thränen über die Backen, doch blieb mir keine Zeit diesen Ge- danken nachzuhängen. Das „Schlimme in der Luft“ stürmte jetzt mit seiner ganzen Schwere auf uns ein. Die Bö hatte uns erreicht und entlud ihre ganze Gewalt. Zuerst kam der Hagel und dann folgte bald der Wind. Der Kapitän wußte, um welchen Einsatz er spielte. Von Segel- bergen war keine Rede; wir mußten pressen — die unheilvolle Küste war schon zu nah, wir durften nicht treiben. Er hatte für alle Fälle die Mannschaft auf die Windseite des Hinter- decks beordert und dem Mann am Ruder befohlen, ganz nahe am Winde zu halten. Da setzte mit einem furchtbaren Stoße der Sturm ein und legte mit übermäßigem Drucke das Schiff auf die Seite. Er war ein paar Striche mehr nach hinten herumgegangen und R. Werner , Erinnerungen. 3 Werner packte deshalb die „Alma“ unter vollen Segeln. Daß sie nicht kenternd umschlug, dankte sie nur ihrer Eisenladung, wodurch sie sehr viel Steifheit Ein Schiff ist steif, wenn sein Schwerpunkt sehr tief liegt; es legt sich dann nur schwer über. Das Gegentheil von steif nennt man „rank“. besaß; die Segel flogen nicht fort, weil sie ganz neu waren, doch der Sturm suchte sich einen andern Angriffspunkt. „Luv, luv, hart an den Wind!“ schrie der Kapitän dem Manne am Ruder zu, um die Kraft aus den Segeln zu nehmen. Vergebens! Ehe der Rudergast noch gehorchen konnte, ertönte ein Krachen und Rasseln und Splittern und der Fockmast ging über Bord. Der Klüverbaum und das Bugsprit Der vorn und schräg über das Schiff herausragende Mast. waren von ihm mitgenommen. Unser Schicksal schien besiegelt, das Schiff war steuerlos geworden. Es schoß in den Wind, verlor die Fahrt und begann grade auf die Küste zu treiben. Unsere einzige Rettung beruhte jetzt auf den Ankern; wir mußten versuchen den Sturm abzureiten. Wir trieben hinter dem Wrack des Fockmastes mit seinen Raaen und Segeln. Es gewährte uns in doppelter Beziehung Nutzen; die anrollenden Seen brachen sich an ihm und sein Widerstand im Wasser ver- langsamte bedeutend unsere Drift. Der Kapitän gab seine Be- fehle mit eiserner Ruhe, die ihre Rückwirkung auf uns nicht verfehlte. Da war kein Zaudern und Zagen, jeder that mit Einsatz der ganzen Kraft seine Schuldigkeit. „Hilf dir selbst und Gott wird dir helfen,“ das ist des rechten Seemanns Credo. Die Anker fielen und die ganze Länge der Ketten wurde vorgegeben. Ehe wir aber so weit kamen, war geraume Zeit vergangen und die Küste nur noch etwa eine Meile entfernt. Wir sahen die Brandung, wie sie an den Strand rollte und der Sturm ihren schäumenden Gischt hoch in die Lüfte trug. Die Anker hatten gut gefaßt, und die Ketten hielten, aber nun Eine erste Seereise trieb das Vorgeschirr Das Bugsprit mit Zubehör. gegen unsern Bug. Es rammte auf ge- fährliche Weise gegen Schiff und Ketten und mußte deshalb auf das schleunigste gekappt werden. Wir verloren damit frei- lich den bisherigen Schutz und wie gut auch das Schiff sonst ritt, so brachen die schweren Grundseen doch öfter darüber hin wie über eine Klippe und die Ketten wurden so straff gespannt, daß sie jeden Augenblick zu springen drohten. Da der Sturm noch zunahm, mußte zum letzten Hülfs- mittel geschritten und auch der Großmast gekappt werden. Trotz größter Vorsicht zerschmetterte er beim Sturze zwei Boote und einen Theil der Verschanzung; im Falle des Strandens hatten wir jetzt nicht einmal ein Boot mehr, denn die übrig gebliebene schwache Gig hätte in der Brandung nicht leben können. Zur Rettung des Schiffes konnte unsrerseits nichts mehr geschehen; alles Uebrige stand in Gottes Hand. So lange hatten wir mit Anspannung aller Kräfte arbeiten müssen und nur an die Ausführung der gegebenen Befehle ge- dacht; jetzt jedoch, wo das Schiff selbst fast als Wrack in der brandenden See lag und nichts mehr zu thun war, da blieb uns Zeit, über unsere Lage nachzudenken. Sie kam auch mir in ihrer ganzen Furchtbarkeit zum Bewußtsein. Die Ketten waren unsere letzte Hoffnung, ihr Brechen gleichbedeutend mit sicherem Tode, aber Niemand verlor deswegen den Muth. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung bei dem Seemanne, daß er nicht an die Gefahr glaubt, bis sie ihn wirklich packt und er in ihr zu Grunde geht. Das ist aber ein großes Glück für den Beruf, denn keine vorzeitige Furcht oder Verzweiflung lähmt seine Thatkraft; sie bleibt bis zum letzten möglichen Augenblicke und dadurch grade wird die Gefahr in den meisten Fällen beseitigt. Die Wuth des Sturmes nahm inzwischen noch zu. Eine Bö jagte die andere und wühlte die See fast bis auf den 3* Werner Grund auf. Bald rollten die Wogen wie mächtige Berge heran, hoben das Schiff hoch auf ihren Rücken und ließen es dann wieder blitzschnell hinabschießen in das Wellenthal, als sollte es in ihm begraben werden; bald wurden sie von der Gewalt des Windes vollständig niedergeweht und ringsum kochte und brodelte nur eine schäumende Masse und überschüttete das Schiff mit einem Sprühregen. Der Eindruck, den dieser Kampf der Elemente auf mich machte, war ein großartiger. Obwohl ich seitdem so oft ähnliche und kaum weniger furchtbare Scenen erlebt habe, ist jener Tag vor allem lebendig in meinem Gedächtnisse geblieben, wohl weil ich damals zum ersten Male die Majestät des Meeres sah. Das Heulen des Orkans, das Rauschen der Wellen, die daher stürmten und deren Kämme mit donnerndem Getöse überbrachen, das Erkrachen des Schiffes in Fugen und Balken, sein Aechzen und Stöhnen, als sei es ein menschliches Wesen, das inmitten dieses Aufruhrs der Natur seinen Todeskampf kämpfte — wahrlich es war eine Majestät, aber von grauenvoller Erhabenheit. Demüthig beugte ich mein Haupt vor ihr, in der sich des Schöpfers Allmacht so gewaltig offenbarte und ein inbrünstiges Gebet stieg zu ihm empor, dessen starke Hand allein jetzt unser schwaches Schiff über den dunkeln Wassern hielt. Nie zuvor hatte ich seine Nähe, das Wehen seines Odems so deutlich gefühlt wie heute inmitten der Wuth des Orkans und des wilden Brausens der Wellen, inmitten der Schrecken der Luft und der Tiefe. Und doch beschlich keine Furcht mein Herz; aus dem be- täubenden Getöse der erregten Natur sprach eine tröstende Stimme: „Aengstigt Euch nicht, ich wache über Euch,“ und ruhig erwartete ich unser ferneres Geschick. Langsam schwand der Tag dahin. Die Mannschaft war sämmtlich auf dem Hinterdeck versammelt; vorn auf dem Schiffe konnte man wegen der überbrechenden Wassermassen nicht ausdauern. Mit Lebensgefahr und oft bis über die Brust im Wasser stehend Eine erste Seereise war von uns das Ankerspill Die Winde für die Ankerkette. abgestützt worden, um bei den furchtbaren Stößen, die es durch die beim Stampfen straff werdenden Ketten auszuhalten hatte, nicht über Kopf zu gehen. Die Kombüse war schon durch den fallenden Fockmast zerstört; gekocht konnte nicht werden. Schiffszwieback und etwas Rum mit Wasser diente uns als Nahrung. Gegen Sonnenuntergang schien der Sturm noch einmal seine ganze Kraft entfalten zu wollen. Immer härter wehte es, immer höher thürmten sich die Wellen und warfen das Schiff wie einen Ball sich einander zu. Bisweilen erklang durch das Brausen und Rauschen ein unheimlich gellender Ton, als ob an eine Glasglocke geschlagen würde. Es waren die Ketten, die zum Springen standen, wenn eine schwere Grundsee das Schiff packte und es nach hinten schleuderte. Ueber das Gesicht des Kapitäns flog ein leiser Schatten, wenn der Ton sich hören ließ; er fühlte, wie wir alle, daß jetzt der kritischste Moment für unser Schiff gekommen sei. Er ging jedoch glücklich vorüber. „Wenn die Sonne hinunterweht, gutes Wetter in Aussicht steht,“ diese alte Wind- und Wetterregel der Seeleute bewährte sich auch diesmal. Gegen acht Uhr Abends brach sich das Wetter; der dichte gleichmäßige Wolkenschleier zerriß; hier und dort schaute ein Stern hervor, zuerst nur einen Augenblick, dann dauernd. Die Pausen zwischen den Böen wurden länger, die Kraft der See schwächer und das Schiff ruckte nicht mehr so heftig in seine Ankerketten. Der Wind selbst ließ allmälig nach, drehte sich dabei nach rechts und die uns drohende Todesnoth schien durch Gottes gnädigen Beistand beseitigt. Um Mitternacht hatten sich die Elemente ganz beruhigt. Ueber uns wölbte sich der sternenklare Himmel; der Wind war stetig abflauend nach Osten herumgegangen und dadurch ablandig geworden. Die See fiel Werner und bald schwankte unser Schiff nur noch leise auf den sich glättenden Wellen. Augenblicklich war keinerlei Gefahr vorhanden, die „Alma“ lag zwar als ein hülfloses Wrack, aber in der Nacht konnte doch nicht viel geschehen und vor allen Dingen bedurften wir der Ruhe und Erholung nach den furchtbaren Strapazen der letzten 24 Stunden. Drei Viertel der Mannschaft wurden deshalb zur Coje geschickt und bald waren im süßen Schlummer Angst und Sorgen des Tages vergessen. Der andere Morgen fand uns alle wieder frisch, und rüstig ging es an die Arbeit. Es galt vorerst Nothmasten zu errichten, um den uns nächsten Hafen erreichen zu können. Der Fockmast war ziemlich hoch abgebrochen, so daß wir ohne zu große Schwierigkeit eine Reservemarsstenge daran befestigen und eine Marsraa aufbringen konnten. Ehe wir jedoch damit fertig waren, bemerkten wir von Süden her ein Dampfschiff, das seinen Curs auf uns zu nehmen schien. Bald erkannten wir auch die Flagge; es war ein holländisches Kriegsschiff. Vom Feuerthurm aus hatte man nach Helvoetsluys unsere gefährliche Lage am Tage zuvor mit- getheilt und der Admiral des dortigen Kriegshafens den Dampfer zu unserer Hülfe entsandt, sobald die Witterung es gestattete. Der Commandant schickte einige dreißig Mann an Bord, um unsere Anker zu lichten; die Bugsirtaue wurden festgemacht, der Dampfer setzte sich in Bewegung, bei dem schönen Wetter und ruhigem Wasser ging es mit schneller Fahrt vorwärts und nach wenigen Stunden liefen wir wohlbehalten in Helvoetsluys ein. Am Hafen hatte sich eine große Menge Zuschauer gesammelt, als wir ankamen, um staunend auf die Verwüstungen zu blicken, die Sturm und See auf unserm Schiffe angerichtet. Letzteres sah aber auch schlimm aus mit seinen gebrochenen Masten, seinen fortgeschlagenen Booten und zerschmetterten Verschanzungen und wir kamen uns als Helden des Tages ordentlich groß vor. Die angestellte Besichtigung von Sachverständigen ergab, daß Eine erste Seereise der Rumpf, trotz der furchtbaren Anstrengung bei dem Abreiten des Sturmes, unter Wasser nicht gelitten hatte. Wir brauchten deshalb nicht auf die Helling zu holen, aber die übrigen Repa- raturen erforderten doch eine Zeit von sechs Wochen und erst kurz vor Weihnacht konnten wir unsere Weiterreise antreten. Für mich bot der Aufenthalt viel Neues und Interessantes in den Anlagen und Etablissements des großen holländischen Kriegshafens. Wie gewaltig imponirten mir die Linienschiffe, neben denen unsere „Alma“ wie ein Boot erschien. Der Sohn unseres Consuls, eines deutschen Kaufmanns, war Kadett auf einem derselben. Er kam eines Tages in Begleitung seines Vaters an Bord, um der Einladung unsers Kapitäns zu einem Frühstück Folge zu leisten. Bei dieser Gelegenheit redete er mich verschiedene Male an, um von mir Auskunft über den Verlauf des von uns verlebten schweren Wetters zu erhalten. Er mochte wohl aus meinen Antworten entnehmen, daß ich nicht zu der gewöhnlichen Klasse von Schiffsjungen gehörte und ihm an Bildung gleich stand, denn unsere Unterhaltung spann sich immer länger aus. Wir fanden beide Gefallen an einander. Gleiches Alter, gleiche Anschauungen und Fachgenossenschaft ließen sehr bald eine gewisse Vertrautheit zwischen uns entstehen und ein warmer Händedruck bekräftigte beim Abschiede unsere junge Freundschaft. Trotzdem beschlich mich eine gewisse Bitter- keit, als ich ihn in seiner schmucken Uniform dahin gehen sah. Als ich mit jugendlicher Begeisterung mich für den seemännischen Beruf entschied, da kannte ich das Seeleben nur aus Büchern und bildete danach meine Begriffe. Ich glaubte, ähnlich wie jener Kadett meine Laufbahn zu beginnen, in Gemeinschaft mit Meinesgleichen zu leben, in Erprobung meiner geistigen Kraft den Ocean zu durchfurchen, die Elemente zu bekämpfen und zu besiegen, meine Wißbegierde im Anschauen und Studium fremder Welten zu befriedigen — und wie ganz anders hatten sich die Sachen gestaltet! Ich war ein Schiffsjunge, der Letzte auf einer Werner niedrigen Stufe des Lebens — das was ich mir geträumt und was der Kadett mir wieder so lebhaft in das Gedächtniß rief, war für mich unerreichbar. Deutschland besaß keine Kriegsflotte, auf der ich meine Träume verwirklichen konnte, und mir winkte nur ein untergeordnetes Ziel. In diese trüben Gedanken ver- sunken stand ich an der Verschanzung, als ich mich an der Schulter berührt fühlte. Ich drehte mich um und blickte in das Gesicht des Bootsmanns, dessen treuherzige Augen mit fast väterlichem Wohlwollen auf mir ruhten. Er mochte wohl ahnen, was in mir vorging und wollte mich auf seine Art trösten. „Nicht mit losen Segeln liegen, Schweizer, damit kommt man nicht vorwärts und treibt nur nach Lee. Immer hübsch voll halten, mein Junge, dann kreuzt es sich gut auf gegen conträren Wind.“ Ich verstand, was er meinte, und indem ich ihm dankbar zunickte, wischte ich mir die Thräne aus dem Auge, die meinen Blick verschleiert hatte. Ich gedachte meines Vorsatzes auf der ersten Nachtwache im Hamburger Hafen und wollte muthig gegen eine traurige Stimmung ankämpfen. „Es ist nichts werth, immer so an Bord zu hocken,“ fuhr der Bootsmann fort, „Du kannst heute Abend mit mir an Land gehen; ich habe den Alten schon um Erlaubniß gefragt und er hat nichts dagegen. Da kommst Du in anständige Gesellschaft und auf andere Gedanken. Es sind zwar meistens Holländer, aber ich denke, Du wirst sie schon verstehen.“ Bald nachher rief mich der Kapitän in die Cajüte und fragte mich, ob ich etwas Geld haben wollte, ich hätte mir schon eine Monatsgage verdient. Er war nicht mehr so barsch und unfreundlich gegen mich, wie früher, sondern sprach wohlwollend zu mir. Die schwere Zeit, welche wir kürzlich mit einander verlebt, hatte ihn uns Allen wohl etwas näher gebracht. Gemein- sam bestandene Gefahren knüpfen ja gewöhnlich zwischen Menschen ein engeres Band und außerdem hatte er auch wohl dabei die Ueber- Eine erste Seereise zeugung gewonnen, daß unsere gesammte Mannschaft seemännisch tüchtig war und er sich auf sie in kritischen Augenblicken sicher verlassen konnte. Was mich selbst betraf, so konnte natürlich von eigener seemännischer Tüchtigkeit noch keine Rede sein, aber es war ihm wahrscheinlich nicht entgangen, daß ich versucht hatte, meine Schuldigkeit zu thun und daß es mir weder an dem nöthigen Willen, noch an den Anlagen fehlte, um ein Seemann zu werden. In jener Zeit gingen sehr wenige junge Leute aus dem Binnenlande zur See. Die Schiffe recrutirten ihre Besatzungen fast ausschließlich aus den Küstendistricten und „Oberländer“ oder „Schweizer“, wie der Bootsmann sie nannte, wurden nicht nur von ihren Vorgesetzten, auch von ihren Kameraden mit einem gewissen Vorurtheil empfangen, namentlich wenn sie einen höheren Bildungsgrad besaßen. Man betrachtete sie als unberechtigte Eindringlinge und machte ihnen das Leben auf jede Weise schwer, bis sie zeigten, daß sie „fixe Kerle“ waren. Dadurch, daß ich mir die Zuneigung des Bootsmannes erworben, war allmälig meine Stellung den Matrosen gegenüber eine günstigere geworden. Er wurde von ihnen willig als der „fixeste Kerl“ an Bord anerkannt und genoß ungetheilte Achtung. Man wagte deshalb nicht so mit mir, seinem Schützlinge, um- zugehen, wie es zu jener Zeit allgemein geschah und vielfach auch noch jetzt der Fall ist, d. h. die Schiffsjungen als die Diener eines Jeden an Bord zu betrachten und von ihnen nach allen Richtungen und in rüder Weise Gehorsam zu verlangen. Ich wurde stillschweigend von jenen Dienstleistungen befreit, die nicht unmittelbar mit meinem seemännischen Berufe in Zusammen- hang standen und wenn die Matrosen natürlich auch eifersüchtig darüber wachten, daß ich sie als Respectspersonen betrachtete und sie mit „Ihr“ anredete, so traten sie mir doch allmälig mehr als Kameraden entgegen und beantworteten nicht nur meine Fragen freundlich und eingehend, sondern unterhielten sich aus freien Stücken auf der Wache mit mir. Im Allgemeinen waren Werner es tüchtige Leute. Unter der rauhen Außenseite barg sich ein guter Kern, hinter ihrem oft crassen Aberglauben eine tiefe Religiosität und, trotz ihrer vielen Schattenseiten, konnte man ihren Charaktereigenschaften eine gewisse Achtung nicht versagen, wenn man sie näher kennen lernte. Die Monatsgage, welche ich vom Kapitän empfing, war zwar nur gering, aber sie erfüllte mich doch mit Genugthuung. Es war das erste selbstverdiente Geld, ich stand jetzt auf eigenen Füßen. Ich erhielt zwei Thaler monatlich, viel weniger, als die übrigen Schiffsjungen, aber dafür stand ich auch in einem anderen Verhältnisse. Ich war nicht einfach, wie jene, durch den Kapitän angenommen, sondern durch die Rheder contract- lich als Lehrling engagirt und zwar auf vier Jahre. Ich er- hielt während dieser Zeit an Bord und am Lande freie Station, meine gesammte Kleidung, und der Kapitän war verpflichtet, mich auch theoretisch in der Navigation so weit vorzubereiten, daß ich am Schlusse meiner Lehrzeit nach kurzem Besuch der Navigationsschule das Steuermannsexamen ablegen und als Steuermann fahren konnte. Dies Lehrlingsverhältniß war bis dahin in Deutschland nicht gebräuchlich, dagegen in England, Holland und Frankreich, und von meinen Rhedern herüber- genommen, um sich junge Leute aus besseren Ständen zu Steuer- leuten und Kapitänen heranzuziehen. Die deutsche Schifffahrt begann damals allmälig aus ihrem alten Schlendrian heraus- zutreten, und die Rheder sahen ein, daß die Führung ihrer Schiffe durch Kapitäne von Bildung nur gewinnen könne. Prac- tische Seemannschaft blieb und bleibt zwar immer Hauptsache, aber daneben hergehende theoretische Kenntnisse der Meteorologie, Hydrographie ꝛc. mit Hülfe deren die Reisen abgekürzt wurden, brachten baaren Gewinn. Wenige Jahre später, als der be- rühmte amerikanische Hydrograph Maury seine Wind- und Wetterkarten herausgab, die auf Grund von systematischen Beobachtungen intelligenter Seeleute auf ihren verschiedenen Reisen Eine erste Seereise construirt waren, wies derselbe überzeugend nach, daß z. B. Reisen von Europa nach Ostindien um durchschnittlich 20 Tage abgekürzt werden konnten, wenn die Kapitäne sich mit dem Studium der Meteorologie vertraut machten. Das ergab aber für größere Schiffe Ersparnisse von Tausenden von Thalern. Nach Feierabend ging ich mit dem Bootsmann an Land. Er hatte sich sehr fein gemacht und auch meinen Sonntagsanzug inspicirt, ehe wir das Schiff verließen. Unser Weg führte direct in ein am Hafen gelegenes Gasthaus, in dem Seeleute verkehrten, aber nur die höheren Chargen von Handelsschiffen, d. h. Steuerleute und Bootsleute, und damit war die „an- ständige Gesellschaft“ gemeint gewesen. Mein alter Mentor hatte es zwar gut mit mir im Sinne gehabt, aber der Kreis, in den er mich brachte, war nicht dazu angethan, mich zu zer- streuen und zu erheitern. Ich kam mir wie verrathen und ver- kauft unter allen diesen ernsten, bedächtigen und steifen Holländern vor. Da saßen sie in der nur spärlich erleuchteten Gaststube an einem schwerfälligen Tische, auf eben so schwerfälligen Bänken, Jeder mit einem Glas Genever vor sich und einer langen Kalk- pfeife im Munde, aus der sie um die Wette dichte Rauchwolken bliesen, welche das Zimmer mit einem Nebel erfüllten. Es herrschte eine strenge Rangordnung in den Sitzen, wie mir später der Bootsmann erklärte, und zwar regelte sich dieselbe nach der Zahl der nach Ostindien gemachten Reisen. Sieben Reisen dorthin waren das Erforderniß, um überhaupt in dem Club als Mitglied zugelassen zu werden, und erst diese Zahl gab Anspruch auf das Prädicat „vollbefahren.“ Unser Boots- mann war als Gast geladen, seine drei Reisen nach der Südsee zählten für voll, und für sein Ansehen sprach der Umstand, daß er einen solchen Neuling wie mich einführen durfte. Natürlich war ich stumme Person und suchte vergebens meinen Wider- willen gegen den Genever zu überwinden, den man auch mir vorsetzte, während eine Kalkpfeife mir nicht verabreicht war; Werner in Gegenwart von so hohen Persönlichkeiten zu rauchen, wäre nach den Regeln der Schiffsetikette für mich eine Respects- widrigkeit gewesen. Die Unterhaltung, eben so ernst, gemessen und schwerfällig, wie die Personen selbst, die sie führten, drehte sich natürlich nur um Fachgegenstände, war aber trotzdem mit sehr kernigen Ausdrücken gewürzt, an denen die holländische Sprache so reich ist, und die sie in den Augen der Niederländer zu einer so „krachtigen Taal“ — kräftigen Sprache — machen, wie sie ihr Idiom mit Vorliebe und auch mit Recht nennen. Zwei Stunden hielt ich unter den „Vollbefahrenen“ aus, dann erbat ich mir vom Bootsmann die Erlaubniß, an Bord zurückkehren zu dürfen und zog es vor, auf meiner Kiste sitzend, bei dem trüben flackernden Lichte der Logislampe, das Papier auf den Knien, einen Brief an die Eltern zu schreiben, während die an Bord zurückgebliebenen Matrosen rauchend und Karten spielend die Plätze an den Tischen einnahmen. Das verhältnißmäßig kleine Städchen bot wenig Anziehendes, dagegen desto mehr Abschreckendes durch das rohe Treiben in den Quartieren, wo der gewöhnliche Seemann verkehrte. Zur Ehre unserer Mannschaft muß ich sagen, daß sie sich von demselben fernhielt und den Umgang mit dem Abschaum mied, der einen großen Theil der holländischen Kriegsschiffsbesatzungen bildete. Holland hatte damals für seine Größe eine ungemein bedeutende Schifffahrt und zählte allein 5—600 große Ostindien- fahrer, mit je 40—50 Mann Besatzung; da blieben für die auf das Werbesystem angewiesenen Kriegsschiffe nicht viel einheimische Seeleute übrig, von denen übrigens auch nur ein Bruchtheil den nicht eben gut bezahlten und außerdem wegen seiner zweifel- haften Elemente sehr in Mißcredit stehenden Dienst auf der Kriegs- flotte aufsuchte. Ein Seemann, der etwas auf seine Reputation unter den Kameraden gab, sträubte sich so lange wie möglich dagegen, und so war die Marine gezwungen, zur Completirung ihrer Mannschaften zu nehmen, was sich bot; der Charakter Eine erste Seereise dieses Abhubs zeigte sich auf den Straßen und in den Kneipen in widerwärtigster Gestalt. Um eine solche kaum den Namen von Menschen verdienende Bande in Ordnung zu halten, be- durfte es natürlich auch besonderer Zuchtmittel, aber wie noth- wendig sie auch waren, machten sie auf uns doch den pein- lichsten Eindruck. Wir lagen in unmittelbarer Nähe des Linien- schiffes „Kortenaar“ mit 800 Mann Besatzung, das sich fertig machte, um nach Java zu gehen und waren oft Augen- und Ohrenzeugen der körperlichen Strafen, die fast täglich ver- hängt wurden, aber durch ihre Härte mir krampfhaft das Herz zusammenzogen. Ein Mann z. B., der schon zum zweiten Male desertirt und wieder ergriffen war, wurde an einem Tau hängend an der Groß-Raa bis zu einer Höhe von 50 Fuß emporgezogen, dann ließ man ihn in das eisige Wasser fallen — wir waren im November — holte ihn auf das Deck und wir hörten, trotz des Trommelwirbels, bei der Execution das Klatschen des Tauendes auf die nassen Kleider und das Geschrei des Delinquenten. Ein anständig denkender Mensch, kann sich frei- lich kaum einen Begriff davon machen, zu welchem Grade von Bestialität einzelne solcher Individuen herabsinken und man weiß nicht, was einen mehr schaudern macht, diese oder die Strafe. Solche traurigen Eindrücke, die man täglich erhielt, waren nicht geeignet, den Landgang für mich verlockend zu machen und ich wäre deshalb für die übrige Dauer unseres Aufenthaltes an Bord verblieben, wenn ich nicht nach einiger Zeit auf das freudigste durch eine Einladung in das Haus unseres Consuls überrascht worden wäre, die ich meinem neugewonnenen Freunde, dem Kadetten, verdankte. Wie wohlthuend berührte es mich, nach Monaten wieder einmal in einem angenehmen Familienkreise verkehren zu dürfen, wo man mich mit Freundlichkeit wie einen Gleichgestellten empfing und ich mich wie zu Hause fühlte. Wie vergaß ich so bald alles Trübe und Bittere der letzten Zeit und mit welchem Werner erwärmenden Strahle erfüllte die gütige Aufnahme mein ver- zagtes Herz! Manchen schönen unvergessenen Abend verbrachte ich in jener liebenswürdigen Familie, deren ich mich heute noch so dankbar erinnere, und so gestalteten sich für mich die letzten Wochen unseres Bleibens in ungeahnt angenehmer Weise. Der alte Bootsmann hatte wieder einmal Recht gehabt, die „anständige Gesellschaft“ brachte mich, wenn sie auch etwas anders zusammen- gesetzt war, als die von ihm mit diesem Namen belegte, auf andere Gedanken. Ich lag nicht mehr mit losen Segeln, sondern hielt voll und kreuzte damit flott gegen den conträren Wind trüber und bohrender Gedanken auf. Die eintreffenden guten Nachrichten aus dem Elternhause trugen nicht wenig dazu bei, mich froh zu stimmen, und als unsere Reparaturen beendet waren und wir kurz vor Weihnachten in See gingen, da wurde mir der Abschied von den guten Menschen, die sich des fremden, alleinstehenden Seemanns so liebevoll angenommen, wohl schwer, aber gleichzeitig trug ich auch frischen, hoffenden Muth mit mir hinaus in die weite Ferne und fühlte mich neu gekräftigt, um kommenden Widerwärtigkeiten siegreich die Spitze zu bieten. Mit günstigem Winde verließen wir den Hafen; schon am nächsten Tage tauchten die Kreidefelsen Englands vor unsern Blicken auf und pfeilschnell ging es bei gutem Wetter durch den Kanal, als wollte die „Alma“ einholen, was sie versäumt. Leider dauerte es nicht lange, das Mißgeschick schien sich an unsere Fersen zu heften, denn kaum waren wir in den Meerbusen von Biscaya eingetreten, da begann das Kämpfen mit den Elementen auf’s Neue und das liebe Weihnachtsfest brachte uns wenig Freude. Glücklicher Weise kamen wir diesmal ohne Ver- lust an Segeln und Rundhölzern davon, obwohl wir ganz ge- hörig durchgeschüttelt wurden. Zuerst blies der Wind stürmisch aus Südwesten, dann schoß er mit Trommeln und Pfeifen aus Nordwest hervor, und erst als wir uns mit diesem unter stets gerefften Segeln, mit himmelhoher See, mit Hagel und Schnee Eine erste Seereise und bitterer Kälte bis zur Höhe von Cap Finisterre gequält hatten, fühlte der grimme Poseidon Mitleid mit uns und schickte uns einen strammen portugiesischen Norder, mit dem wir unter einem Preß von Segeln südwärts flogen. Anfänglich trauten wir dem Frieden nicht recht und wagten kaum ein Reff aus- zustecken, doch die Barometer stiegen langsam und der Zimmer- mann träumte nicht länger von Pferden und Frauenzimmern. Da glaubte man denn hinter wie vor dem Maste, in der Kajüte wie im Logis allmälig an den Bestand, und es wurde der „Alma“ an Segeln aufgepackt, was darauf hängen wollte. Nach einigen Tagen ließ zwar die Stärke des Windes bedeutend nach und wir machten nur wenige Meilen durch’s Wasser, allein uns kam das ganz recht, denn wir waren ununterbrochen so lange von Wind und Wetter unsanft umhergestoßen worden, daß wir es uns gern gefallen ließen, nicht bei jedem Schritte nach einem Gegenstande zum Festhalten zu suchen, die Regen- jacke aus geölter Leinwand, den Südwester und die schweren Seestiefel bei Seite legen zu können und bei Tisch unsere Blech- schüsseln nicht mehr in der Luft balancirend halten zu müssen. Wir befanden uns auf der Höhe der Straße von Gibraltar und es war schon bedeutend wärmer geworden. Mit welchem Behagen genossen wir die uns so wohlthuende Aenderung! Die hohen Wellenberge, welche der atlantische Ocean in die Biscayische Bucht wälzt, hatten sich allmälig geglättet, die dunkelgrüne Färbung des Wassers war tiefem Blau gewichen und statt der gewaltsam und mit donnerndem Tosen überbrechenden Sturzseen, die bisher fast stets unsere drohenden Begleiter gewesen, waren es jetzt nur leichte, durchsichtige Wellen, auf denen unser Schiff sich wiegte, die tändelnd an Bug und Seiten emporschnellten, oder leise nebenher rauschten und in deren silbernem Schaume die Sonnenstrahlen sich badeten. Bis dahin hatten alle Luken verschlossen gehalten werden müssen und die Luft unten im Schiffe war dumpf und schlecht. Regen und überdampfende Werner Wellen hatten nachgrade unsern ganzen Kleidervorrath durchnäßt, ohne daß sich Gelegenheit bot, denselben wieder zu trocknen und auch unser Bettzeug war klamm und feucht. Da empfanden wir denn die warme Sonne und den trockenen Wind außer- ordentlich wohlthuend und suchten von beiden nach Kräften zu profitiren. In jeder Luke wurden Windsäcke aufgeheißt, um die schöne frische Luft durch das ganze Schiff streichen zu lassen, und das Oberdeck war in einen Trockenboden verwandelt. Man sah nur vergnügte Gesichter, und Scherze, wenngleich oft derber Art, flogen hin und her, denn auch auf das Gemüth übte das so lang entbehrte schöne Wetter günstigen Einfluß. Am Nach- mittage wurde es ziemlich still, doch erwuchs uns dadurch eine angenehme Abwechselung, daß wir zwei Schildkröten fingen. In dieser Gegend, vor dem Eingange zum Mittelmeer, begegnet man ihnen häufig und wenn Windstille eintritt, kann man bei einiger Geschicklichkeit ihrer leicht habhaft werden. In allem, was Fischerei anbetraf, zeigte sich unser alter Bootsmann als Meister; Harpunen, Elger Harpunen zum Fang kleinerer Fische. Sie sind mit 6—9 Wider- haken versehen. , Angeln und Netze jeder Art waren in bester Ordnung und zu sofortigem Gebrauche bereit. Seine langen Erfahrungen auf diesem Gebiete setzten ihn in den Stand, Alles auf’s zweckmäßigste einzurichten und seiner großen Geschick- lichkeit entging selten ein Fang auf den er Jagd machte. Bei Instandsetzung der Fischereigeräthschaften mußte ich ihm meistens helfen; er zeigte mir dann die Handgriffe und belehrte mich, wie dieser oder jener Fisch am besten zu erlegen sei, was mir später sehr zu statten kam. Als wir die erste Schildkröte in Sicht bekommen hatten, wurde scharf nach anderen ausgesehen und alles bereit gehalten. Es dauerte auch nicht lange, da kamen eine zweite und dritte angetrieben und zwar Beide von ziemlicher Größe. Durch Eine erste Seereise Backlegen der Segel wurde die geringe Fahrt des Schiffes gänzlich gehemmt und dann ein Boot zu Wasser gelassen. Wenn Schildkröten sich längere Zeit an der Oberfläche des Wassers zeigen, so schlafen sie gewöhnlich und man muß sich ihnen sehr geräuschlos nähern, um sie nicht vorzeitig zu wecken. In einer Entfernung von 15—20 Metern geben die Ruderer dem Boote noch mit aller Kraft eine letzte Vorwärtsbewegung und lassen es damit laufen. Es ist danach Aufgabe des Mannes am Steuer, das Boot genau auf das Thier zu dirigiren, da davon der Fang abhängig ist. Vorn im Boot steht der Mann mit dem Schildkrötennetz, einem sehr einfachen Instrumente. Zwei Stangen, gewöhnlich Bootshaken, werden wie ein Andreas- kreuz über einander gebunden. Zwischen den beiden äußern und kürzeren Scheeren wird ein grobmaschiges Netz sackartig, aber nicht zu tief herabhängend, befestigt, die längere Scheere dient als Handhabe und der Steven des Bootes als Stützpunkt. Die ganze Kunst besteht dann darin, das Netz in dem richtigen Augenblicke so weit zu senken, daß man damit die Schildkröte unterfährt, und danach es sofort wieder über Wasser und in das Boot zu heben. Dort legt man das Thier auf den Rücken, um es gänzlich unschädlich zu machen, muß sich jedoch in Acht nehmen, nicht seinem Maule nah zu kommen. Mit den einem Papageischnabel ähnlich geformten und messerartig scharfen Hornkiefern schnappt es um sich und ist im Stande einen Fuß- oder Armknochen morsch abzubeißen. Der Bootsmann handhabte das Netz und im Verein mit dem geschickten Steuern des Untersteuermanns gelang es, nicht nur die beiden vorhin gesehenen, sondern noch eine dritte Schild- kröte zu fangen, die wir später entdeckten. Dann frischte die Briese auf, das glatte Wasser wurde rauh und wir mußten an Bord zurück. Die gefangenen Thiere hatten ungefähr gleiche Größe, wogen zwischen 40—50 Pfund und gaben für die ganze Besatzung verschiedene wohlschmeckende Mahlzeiten. Ich R. Werner , Erinnerungen. 4 Werner habe auf späteren Reisen in dieser Gegend noch oft Schildkröten gefangen, doch nie größere gesehen, während man in südlicheren Ländern bisweilen ganz außerordentlich mächtige Exemplare bis zu 5—600 Pfund Gewicht findet. Zwei solche Thiere kaufte ich einmal auf der Insel Ascension, um sie mit nach Europa zu nehmen. Unsere Reise dauerte 8 Wochen. Während der ganzen Zeit lagen die Schildkröten unter dem Decksboot auf dem Rücken mit einem nassen Sack unter dem Kopfe und wenn die See es nicht selbst besorgte, wurden ihnen täglich zur Er- frischung ein Paar Eimer Wasser über den Körper gespült. Zu fressen erhielten sie nichts, weil wir nichts für sie hatten, aber trotz der wenig behaglichen Situation kamen beide Thiere lebend in Deutschland an und eine von ihnen hatte sogar die Freundlichkeit, einige Wochen lang täglich 15—18 Eier zu legen, die wir uns wohl schmecken ließen. Es schien, als sollten wir für alle das bisher erlebte Un- gemach an Wind und Wetter jetzt entschädigt werden, denn der Norder wuchs wieder zu einer steifen Briese, die uns mit zehn Meilen Fahrt vorwärts trieb und uns in wenigen Tagen auf die Höhe von Madeira und damit an die Grenze der Tropen brachte. Doch vergebens strengten wir unsere Augen an, um die schöne Insel am fernen Horizonte zu entdecken. Die eigen- thümliche aber ganz praktische Belohnung, welche auf Hamburger Kauffarteischiffen demjenigen winkt, welcher nach längerer See- reise zuerst das Land sieht, nämlich das nöthige Segeltuch zu einer Hose, die dann der Betreffende sich selbst anzufertigen hat, blieb diesmal unverdient und Madeira kam nicht zum Vorschein. Das verdarb für den Tag Allen die gute Laune; dem Kapitän, der ohnehin nicht viel davon besaß, weil seine astronomische Rechnung so schlecht stimmte; den Leuten, weil ihnen die Segel- tuchhose entgangen war, und mir selbst auch, weil ich auf meiner Freiwache zwei volle Stunden umsonst im Top gesessen und Ausguck gehalten hatte. Eine erste Seereise Das schöne Wetter brachte indessen bald alles wieder in das rechte Gleis. Der Nordwind war in den Nordostwind übergegangen und wir hatten die Region des Passates erreicht, die Region des ewigen Friedens und der Ruhe in der Natur, die der Seemann mit vollen Zügen genießt, in der er die harten Mühen und Entbehrungen seines Lebens vergißt und in welcher der Schöpfer alles an Schönheit und Lieblichkeit vereint hat, was das Meer aufweist. Kein Sturm, keine tückische Hagelbö ist zu fürchten; die Stunden der Nachtruhe werden nicht durch den Nothruf „Reewe, reewe!“ gestört, Nebel und Finsterniß haben ihre Schrecken verloren. Kaum merkbar schwankt das Schiff auf den vom Winde leicht bewegten Wellen und zieht Wochenlang seine Bahn durch sie, ohne daß die Stellung der Segel verändert wird, weil die milde gleichmäßige Briese stets aus derselben Richtung weht. Das Meer leuchtet in dem schönsten tiefsten Blau, über ihm wölbt sich in lichter Klarheit das Firmament und von keinem neidischen Gewölk ge- trübt, sendet die Sonne ihre goldigen Strahlen hernieder, aber nicht sengend und verzehrend, sondern überall Leben spendend und fördernd, durch den Wind und die Verdunstung des Wassers gemäßigt und deshalb auch von den Menschen nur wohlthätig empfunden. Die Stetigkeit und Ruhe in der Natur legt der Besatzung keinerlei außergewöhnliche Anstrengungen auf, wie in den nordischen Gegenden und das Uhrwerk des Seetages rollt sich gleichmäßig ab. Die Arbeit hört deswegen freilich nicht auf; im Gegentheil es giebt mehr davon, als sonst, aber sie ist nicht anstrengend und die Zeit schwindet schnell dabei. Der Landbewohner kann oft nicht begreifen, daß man an Bord so viel zu thun hat, und doch ist es in solchem Grade der Fall, daß man mit der Arbeit nie fertig wird, mag die Reise auch noch so lange währen. Selbst aber, wenn nothwendige Arbeit nicht vorliegt, muß aus Rücksichten der Disciplin irgend welche ge- 4* Werner schaffen werden; nur stete Beschäftigung der Besatzung kann dieselbe vor unnützen Gedanken bewahren. Nicht mit Unrecht sagt man von einem Schiffe, es sei wie eine Damenuhr stets reparaturbedürftig; das ist wirklich der Fall; es kommt nie völlig in Ordnung. Durch die stete Bewegung, denen Segel und Taue ausgesetzt sind, scheuern sie aneinander und leiden. Um dem vorzubeugen, die ganze Takelage darauf hin zu revidiren, sie mit Schonungsmaterial zu bewickeln u. s. w. wird allein schon täglich eine mehrstündige Arbeit von einigen Menschen beansprucht. Sodann geht vieles durch den Gebrauch entzwei und muß ersetzt werden. Regen und See waschen den Theer vom stehenden Gut, die Farbe von den Masten, Raaen und Planken; die Hitze schmilzt das Pech aus den Näthen und reckt die Haltetaue der Masten und Stengen, so daß sie straffer angesetzt werden müssen — genug Arbeit vollauf und ohne Ende. Aber sie ist, wie gesagt, nicht schwer, sie fordert keine große Anstrengung, es ist keine Eile nöthig und so befindet sich der Matrose wohl dabei, genießt nach Herzenslust die schöne ruhige Zeit und sammelt neue Kräfte für die kommenden Strapazen, die seiner außerhalb der Tropen wieder harren. Gegensegler hat man im Passat kaum zu fürchten; sie nehmen eine andere Route und mit dem Ausguck wird es des- halb nicht scharf gehalten. Da bleibt dann Nachts nur eine Stunde Dienst am Ruder und Zeit genug zum Schlafen. Die Freiwachen am Tage wurden deshalb nicht mehr wie bisher angewandt, um womöglich Vorrath zu schlafen, sondern zu allerlei Beschäftigungen, nützlichen und unnützen verwerthet. Unter den nützlichen spielte die Instandhaltung der Kleider und ihre eventuelle Neuanfertigung die Hauptrolle. Ich lernte nicht nur stopfen und nähen, sondern auch Maß nehmen und zu- schneiden, wenn die Erstlinge der Kunst auch wunderliche Modelle abgaben. Segeltuch war gesuchtes Material; sowohl Beinkleider Eine erste Seereise wie Mützen und Schuhe wurden daraus hergestellt und die Ueberbleibsel der in der Nordsee fortgeflogenen Segel stiegen bedeutend im Werthe. Aus mitgenommenem Havannahstroh, das in allen See- plätzen käuflich ist, wurden Hüte geflochten und es war wirklich zu bewundern, wie geschickt sich die Matrosen in all’ dergleichen zeigten. Hatte man die Kleider in Ordnung gebracht, dann ging es an das Teppichnähen. Freilich waren die Zuthaten nur primitiv; getheertes braunes und weißes Manillatauwerk, zu denen noch etwas rothe oder blaue Stoffwolle trat; mehr hatte man nicht, aber Geduld und Geschick schufen aus diesen einfachen Sachen ganz hübsche Gegenstände. Zu den unnützen Beschäftigungen gehörte das Tätowiren, das unter den Matrosen sehr im Schwange ist, und das man natürlich als junger Mensch auch hübsch findet und mitmacht, während man später nicht begreifen kann, wie man an einer solchen Geschmacklosigkeit hat Gefallen finden können und sich glücklich schätzt, wenigstens nur solche Körpertheile verunstaltet zu haben, die gewöhnlich durch die Kleidung verdeckt werden. Drei Nähnadeln werden so zusammengebunden, daß sie ein Dreieck bilden und die vorderste ein wenig mehr vorsteht, als die beiden hintern — das ist das Instrument, mit dem man sich in den Konturen der vorher aufgezeichneten Figuren die Haut aufreißt, um in die kleinen Löcher chinesische Tusche oder Zinnober zu reiben, je nachdem man blaue oder rothe Täto- wirung wünscht. Es ist eine ziemlich schmerzhafte Operation und mir immer unbegreiflich gewesen, wie manche Seeleute sich den ganzen Körper haben tätowiren lassen können. Kommt etwas Jagdbares in Sicht, so wird jedoch schleunigst jede andere Beschäftigung bei Seite geworfen. Tümmler oder Meerschweine, Delphine und Bonniten sieht man in den Tropen sehr viel; oft umspielen sie in großen Herden, namentlich die Tümmler, das Schiff und jagen sich in tollen Sprüngen. Sie Werner werden mit der Harpune gefangen, sind aber so schnell, daß man selten einen bekommt. Obwohl wir im Laufe der Reise vielen Tausenden dieser Thiere begegneten, fingen wir nur zwei, die beide vom Bootsmann harpunirt wurden. Merkwürdig ist es, daß die Herde, mag sie noch so groß sein, sofort spurlos verschwindet, sobald ein Thier harpunirt oder auch nur ver- wundet wird. Nach altem seemännischen Glauben sollen die Tümmler stets nach der Richtung ziehen, aus welcher man den Wind erwarten darf. Es verhält sich jedoch damit, wie mit den meisten Wetterregeln, sie treffen eben so oft zu, wie nicht. Delphine und Bonniten sind leichter zu erlegen als Tümmler. Sie ziehen gewöhnlich in grader Linie und mit derselben Geschwindigkeit wie das Schiff selbst, vor dem Bug desselben und nahe unter der Oberfläche hin, um sich die Jagd auf fliegende Fische bequem zu machen, die ihr Nahrungs- mittel bilden. Diese werden nämlich durch das Geräusch des Schiffes, das letzteres beim durchschneiden des Wassers macht, aufgescheucht und fliegen dann Strecken von hundert und mehr Fuß, um in dem Augenblicke, wo sie wieder das Wasser be- rühren von ihren mit gleicher Schnelligkeit folgenden Feinden erschnappt zu werden. Die etwa einen Meter langen Delphine, deren wunderbares Farbenspiel beim Sterben auch in das Reich der Fabel gehört, oder wenigstens sehr übertrieben ist, werden mit dem neun- zackigen Elger harpunirt, die Bonniten dagegen mit Angeln gefangen, deren Köder, einen blanken Zinnfisch, man auf der Wasseroberfläche hüpfen läßt. Bei beiden Arten ist das Jagd- vergnügen die Hauptsache. Das Fleisch des Tümmlers schmeckt ziemlich gut, Delphin und Bonnit sind jedoch äußerst trocken und ersterer wird immer mit einem silbernen Löffel gekocht und nur mit Mißtrauen gegessen. Er soll sehr häufig giftig sein, namentlich in der Nähe der africanischen Küste, wo der Meeres- boden kupferhaltig ist. Ein äußerst schmackhaftes und stets Eine erste Seereise willkommenes Gericht liefern dagegen die fliegenden Fische. Ihnen stellten wir daher eifrig nach und auch mit recht gutem Erfolge. Außenbords wurden möglichst nahe über der Wasser- fläche an Stangen Netze horizontal befestigt und Nachts eine Laterne hineingehängt. Die durch das Schiff aufgescheuchten Fische flogen dann oft gegen das Licht und bisweilen fingen wir in einer Nacht mehrere Dutzend. Nichts kann den Reisen- den einen deutlicheren Begriff von der wunderbaren Reichhaltig- keit der Meeresfauna geben, als der fliegende Fisch. Er lebt innerhalb der Wendekreise, also in einer Zone, welche bei un- gefähr 1000 geographischen Meilen Breite die ganze Erde um- faßt. Wenn man in dieser Zone segelt, sieht man in irgend einer Richtung beständig Schaaren von ihnen fliegen, die oft nach Hunderten und Tausenden zählen. Dann und wann zog auch eine Herde Pottfische in der Nähe vorüber und fesselte unsere Aufmerksamkeit; überhaupt fehlte es für mich, da mir alles dies neu war, nicht an Ab- wechselung. Mein Lieblingsplatz war der Außenklüverbaum, die zweite Verlängerung des Bugspriets und vierzig bis funfzig Fuß vor dem Schiffsrumpfe gelegen. Dort saß ich auf meiner Frei- wache im Passat oft Stundenlang, um den Ocean in seiner ganzen Schönheit bewundernd zu betrachten und seinen Zauber voll auf mich wirken zu lassen. War das Meer mir im Nor- den in schauerlicher Erhabenheit und Majestät erschienen, so bot es hier das Bild lieblicher und doch großartiger Ruhe. Leise schaukelte sich auf den vom goldigen Sonnenlichte über- gossenen Fluthen das Schiff, das ich draußen, von meinem luftigen Sitze, wie ein von mir getrenntes Wesen überschaute. Dort unten der schmale schwarze Rumpf, an dessen scharfen Bug sich die Wellen schäumend kräuselten und in ihrem feinen Wasserstaube die Sonnenstrahlen zu einem Regenbogen verdich- teten — darüber der Pyramidenbau der von der gleich- Werner mäßigen Briese geschnellten schneeweißen Segel deren Spitze — das dreieckige Himmelsegel — sich wirklich im Himmel zu ver- lieren schien und ringsum die weite endlose Wasserfläche — wahrlich ein prachtvolles Bild, an dessen Schönheit ich mich nicht satt sehen konnte und das die ganze Poesie des Meeres in sich verkörperte. Man glaubt vielfach, der Seemann sei nicht religiös, und wenn man bisweilen sein Gebahren am Lande sieht, ohne ihm auch an Bord zu folgen und dort sein Wesen und seinen Charakter zu beobachten, so scheint diese Ansicht eine Berech- tigung zu haben, aber sie ist trotzdem irrig. Ein tief religiöser Zug geht durch sein Gemüth, und das ist bei seinem Leben auch nicht anders möglich. Nur ein völlig verderbtes und verhärtetes Herz kann unempfänglich sein gegen die Schönheiten und Wunder, mögen sie auch oft grausig erscheinen, in denen Gott seine All- macht auf dem Meere offenbart. Die ganze Natur, in Berg und Thal, in Wald und Feld ist zwar auch voll von solchen Wundern, aber nirgend sprechen sie so laut und vernehmlich zum Menschen, wie auf der See. Das Heulen und Pfeifen des Sturmes, das Brausen der Wogen, wenn der Orkan sie peitscht, das Donnern und Zischen und Schäumen der Brandung, wenn sie sich an den Felsen bricht, oder brüllend sich auf den Strand wälzt, das Aechzen und Stöhnen des Schiffes in dem wüthenden Ringen mit den tosenden Elementen, wenn nur eine schmale Planke den Menschen von dem nassen Grabe trennt — und dann wieder ein Bild wie das obige im Passat — das sind Mahnungen, dem sich auch die roheste Natur nicht verschließen kann. Sie künden die Nähe Gottes, seine Liebe und seine Allmacht; unwillkührlich nehmen sie das Herz des Seemannes gefangen und leiten ihn unmerk- lich auf die Bahn der Religion und Gottesfurcht. Selten giebt der Matrose zwar seinen Gefühlen nach dieser Richtung Aus- druck, ja er mag sich oft selbst nicht einmal klar darüber sein, Eine erste Seereise aber sie sind vorhanden und wenn sich die Religion des See- mannes wenig im Aeußern und in seinen Worten zeigt, so ruht sie tief im Innern seines Herzens und giebt sich in Thaten kund, die einer edlen Gesinnung entstammen. Daß diese Religion mit Aberglauben verbunden, ja öfter von ihm überwuchert ist, erklärt sich ebenfalls leicht aus den Verhältnissen und ist viel eher zu entschuldigen, als bei anderen Klassen. Wenn die angeblichen Wunder von Lourdes, Marpingen und Dittrichswalde so viele Tausende von intelligenten Gläubigen finden, wenn der Spiritismus in den höchsten Klassen der Ge- sellschaft seine Triumphe feiert, darf man dem Matrosen gewiß keinen Vorwurf daraus machen, wenn sein ungeschulter Geist gewisse Wirkungen übernatürlichen Ursachen zuschreibt. Bei seinen vielen und weiten Reisen hat er so viel Wunderbares gesehen und erlebt, für das ihm seine geringe geistige Entwickelung keine Erklärung zu geben vermag. Die Natur offenbart sich ihm in so großem Styl und unter so ungewöhnlichen Verhältnissen; er erblickt räthselhafte Erscheinungen, er hört Geräusche und fühlt Einflüsse, von denen er sich auf einfache Weise keine Rechenschaft zu geben vermag — da ist es nur natürlich, daß solche Wahrnehmungen dem Aberglauben Nahrung geben, daß der Matrose das Segeln am Freitage für ein Unglück hält, daß er in den electrischen Elmsfeuern, welche bei Gewittern mit ihren bleichen grünlichen Schein die eisenbeschlagenen Spitzen der Masten und Raaen Irrlichtern gleich umflattern, die Seelen verunglückter Kameraden erblickt und auf die Existenz des Klabautermann schwört. Doch andrerseits wieder gewinnt dieser Aberglaube nie so viel Gewalt über ihn, um ihn seiner Pflicht untreu werden zu lassen. Er bleibt bei alledem practisch und ein Axiom seiner Religion ist „hilf dir selbst, so wird Gott dir helfen“. Er vertraut auf die Vorsehung, aber auch auf Anker und Ketten, auf Taue und Segel und wenn er auch an die Erscheinung des Klabautermann und das Unglück glaubt, Werner das damit unvermeidlich seinem Schiffe droht, so legt er des- wegen nicht trübselig die Hände in den Schooß, sondern gebraucht bis zum letzten Augenblick seine Kräfte, um das Unglück abzuwenden, und einen solchen Aberglauben kann man sich dann schon gefallen lassen. Er gefährdet weder den Betreffenden noch Andere. Wie sich Gegensätze oft im Leben berühren, so findet das auch im Bordleben statt. Wenn mich da draußen auf der Spitze des Außenklüverbaums eine Stunde lang ein poetischer Hauch umwehte und ich, geistig losgelöst von meiner Umgebung, nur dem Fluge meiner Gedanken folgte, dann wurde ich beim Wiederbetreten des Decks oft unsanft in die rauhe Prosa des täglichen Lebens zurückgeführt. Zu solcher Prosa und zwar zu einer sehr schmutzigen gehört auch das „Labsalben“, das Theeren sämmtlichen stehenden Gutes, d. h. aller derjenigen Taue, welche wie Wanten, Pardunen, Stagen ꝛc. zum Halten der Masten und Stengen bestimmt und straff gespannt sind, während als Gegensatz das laufende Tauwerk beweglich ist und vorzugsweise zur Handhabung der Segel dient. Der Theer conservirt die Takelage gegen Witterungseinflüsse; die Operation des Labsalbens wird auf längeren Reiserouten etwa alle sechs Monate vollzogen und zwar vorzugsweise in den Passatgegenden, wo die Witterung dauernd gut ist. Den jüngeren Mannschaften fällt dabei natür- lich, wie überall, die unangenehmste Aufgabe, das Einschmieren der Stage zu, die von den Toppen der Masten und Stengen schräg nach vorn und unten führen. Auf meinen Theil kam das ganze Vorgeschirr, d. h. das größte Pensum, das mich mehrere Tage in Anspruch nahm. Ein Besenstiel oder ein ähnlicher Holz- knüttel hing in Tauen und bildete für den Labsalbenden den Sitz. Er wurde mit einer laufenden Schleife so an dem Stag befestigt, daß man letzteres mit den Händen gut erreichen konnte. Mittels eines anderen Taues, wurde dann der ironisch „Boots- mannsstuhl“ genannte Sitz an das obere Ende des Stags gezogen, man setzte sich hinein und wurde je nachdem die Arbeit Eine erste Seereise fortschritt, allmälig hinunter gelassen. Das Handwerkszeug waren ein Eimer voll Theer, der seitwärts am Bootsmannsstuhl hing und ein Büschel Werg, mit dem man schmierte. Da hing man denn hoch oben zwischen Wind und Wasser, wie der Dieb am Galgen und suchte seine Arbeit so gut wie möglich zu machen. Wie auf dem Außenklüverbaum schwebte ich auch hier losgelöst von meiner Umgebung, aber zu poetischen Träumen war beim „Labsalben“ keine Zeit; ich hatte meine ganze Aufmerksamkeit auf den flüssigen Theer und darauf zu richten, daß ich einer- seits keine freien Stellen, sogenannte Feiertage, ließ und andrer- seits nicht Theer auf das Deck verschüttete. Für beides hatte unser Bootsmann ein gutes Auge, und so vortrefflich ich auch mit ihm stand, konnte mir dies Verhältniß nicht ein nochmaliges Hinunterreiten am Stag und Abschaben der Theerflecke während meiner Freiwache ersparen. Daß trotzdem einzelne solche Flecken unvermeidlich waren, erklärt sich aus der Situation, über hundert Fuß hoch in den Lüften an einem einzelnen Taue zu hängen, aber die meisten fallenden Tropfen fing man mit dem eigenen Körper auf und wenn irgendwo, so ist der landläufige Ausdruck „Theerjacke“ für Matrosen beim Labsalben zutreffend. Wie sah man nach Beendigung der Arbeit aus und wie schwer war es, sich wieder zu reinigen! Das Hauptreinigungsmaterial bestand in altem Fett, das der Koch vom Salzfleich abschäumt und das an Bord gesammelt wird, um die Stengen einzuschmieren, damit die Raaen an ihnen gut auf- und niedergleiten. Damit ließ sich denn auch das Gröbste entfernen, aber die ätzende Flüssigkeit fraß sich so in die Hände ein, daß sie vollständig dunkelbraun erschienen und es Wochen dauerte, bis sie allmälig ihre natürliche Farbe wieder annahmen. Bei reichlicher Anwendung von Wasser und Seife wäre der Prozeß wohl bedeutend schneller von Statten gegangen, aber das war zur damaligen Zeit auf Kauffartei- schiffen, welche lange Reisen machten, ein Luxus, nach dem man Werner sich zwar oft genug sehnte, der einem aber nur höchst selten zu Theil wurde. In Seewasser löste sich damals keine Seife, wiewohl man in letzterer Zeit solche erfunden hat, die es einigermaßen thut, und von frischem Wasser, wie der Seemann Trinkwasser nennt, gab es nichts, wenigstens nicht so viel, daß man sich darin hätte ordentlich waschen können. Sonnabends erhielt Jeder von uns ein kleines Töpfchen warmes Wasser, etwa ¼ Liter zum Rasiren, das war alles. Damit mußte man dann sehr öco- nomisch umgehen; man reinigte sich so gut wie möglich das Gesicht und danach gossen fünf bis sechs Mann ihre Portion zusammen, um es gemeinsam für die Hände zu benützen. Eine solche Sparsamkeit war zwar unangenehm, hatte aber doch ihre Berechtigung. Auf einer Reise nach Ostindien bietet sich für Segelschiffe fast keine Gelegenheit, ohne großen Zeitverlust einen Hafen zur Ergänzung des Trinkwasservorraths anzulaufen. Nur Madeira liegt für diese Zwecke bequem, aber unsere Schiffs- rechnung war so aus dem Wege, daß wir es nicht einmal sahen, und das passirte Handelsschiffen öfter. Sie nahmen deshalb so viel Vorrath mit sich, wie er für die Reise muthmaßlich aus- reichte; da diese aber durch unglückliche Zwischenfälle sich statt der gewöhnlichen vier auch auf fünf Monate ausdehnen konnte, so war bei dem Wasserverbrauch große Vorsicht geboten, um nicht in die furchtbare Lage zu kommen, daran Mangel zu leiden. Es war immer schon genug, daß wir nicht auf Ration gesetzt wurden und immer stets so viel trinken konnten, wie wir wollten. Der größte Theil der Wasserfässer war auf dem Oberdeck placirt und der Durstige holte sich daraus seinen Bedarf. Die Versuchung, davon auch zum Waschen zu nehmen, reizte sehr, aber Niemand unterlag ihr. Jeder hielt es für ein großes Unrecht und meines Wissens ist es nie vorgekommen. Mit dem Trinken, so viel man wollte, war es übrigens gerade zu der Zeit, von der ich rede, d. h. nach dem Uebergange aus den Eine erste Seereise kälteren Gegenden in die Tropen, ein eigenes Ding. Man trank trotz der Erlaubniß so wenig , wie man irgend konnte und ertrug freiwillig (eben so gut könnte man freilich auch sagen, gezwungen) Qualen des Durstes. Wie schon erwähnt, befanden sich, um Ladungsraum zu ersparen, die meisten Wasserfässer auf Deck und nur etwa sechs bis acht Pipen, die einen Reservevorrath für einen Monat bildeten, im Raum. Letztere durften aber unter gewöhnlichen Verhältnissen nicht angerührt werden, da die Möglichkeit nicht ausgeschlossen war, daß eine Sturzsee auf dem Deck tabula rasa machte und sie dann den letzten Nothanker bildeten. Somit waren wir nur auf jene angewiesen, in denen sich aber durch die Einwirkung der Tropensonne ein Fäulnißprozeß bildete, der uns veranlaßte, das Wasser nur zu genießen, wenn wir es vor Durst nicht mehr aushalten konnten und dann auch nur mit geschlossenen Augen und angehaltenem Athem. Es war nicht nur trübe, sondern gradezu schleimig, zog Fäden und roch schrecklich nach Schwefelwasserstoffgas. Als ich zum ersten Male davon genoß, mußte ich es aus Ekel wieder von mir geben, aber der Durst erwies sich als der Stärkere; die unappetitliche Flüssigkeit blieb schließlich im Magen. Merkwürdig genug be- nachtheiligte das offenbar faule Wasser unsere Gesundheit nicht im geringsten. Würde man in den Tropen dergleichen Wasser am Lande aus irgend einem Pfuhl trinken, ja selbst nur fließendes, auf welches die Sonnenhitze gewirkt, so würde der Betreffende in 90 von 100 Fällen damit ein perniciöses Fieber einschlucken, aber hier trat dergleichen nicht ein. Weder wurde von uns irgend Jemand krank, noch habe ich gehört, daß es auf andern Schiffen der Fall gewesen, obwohl dort ganz die- selben Verhältnisse obwalteten. Dieser Fäulnißprozeß dauerte etwa vierzehn Tage; dann sanken die davon ergriffenen vege- tabilischen Stoffe allmälig zu Boden, das Wasser klärte sich und der Geruch verschwand. Eine Menge kleiner Thierchen Werner jagte sich zwar nach längerer Zeit darin umher, aber diese fischte man, so gut es gehen wollte, heraus. Für Kapitän und Steuerleute befand sich ein Filtrirapparat an Bord, der aber nur ungefähr für deren Bedarf ausreichte. Bisweilen, wenn ich Nachts auf der Mittelwache am Steuer stand, brachte mir dann der Untersteuermann aus besonderem Wohlwollen ein solches Glas destillirtes Wasser, wahrscheinlich auf Anregung meines alten Freundes, des Bootsmanns, der mit ihm auf gutem Fuße stand. Was für ein Genuß war das und wie dankbar war ich dem Geber dafür! Es wäre ja ein Leichtes und für die Rheder gar keine kostspielige Sache gewesen, auch für die ganze Mannschaft solche Filtrirapparate mitzugeben, aber daran dachte Niemand. Weder Geiz noch böser Wille waren an der Unterlassung Schuld. Der Matrose schluckte ohne ernstlich zu murren das böse Getränk hinunter, es schadete seiner Gesundheit nicht, man war es von jeher so gewohnt, die Humanitätsideen der Neuzeit waren damals noch nicht im Schwange und so blieb es einfach beim Alten, während z. B. auf der Rhede von Batavia, wo der Genuß rohen Wassers als gesundheitsschädlich gilt, die Mannschaften auf deutschen Schiffen nur gekochtes Theewasser zum Trinken erhielten, ein Beweis, daß man nicht etwa sparsam sein wollte . In neuerer Zeit und namentlich nach Erfindung des Normandyschen Destillirapparats, der die Aufgabe gelöst hat, die condensirten und demgemäß salzfreien Dämpfe von Seewasser mit der nöthigen Menge von Luft zu mischen, wodurch das so gewonnene Wasser erst trinkbar wurde, haben sich diese Ver- hältnisse etwas geändert. Auf fast allen Kriegsschiffen befinden sich solche Apparate, die täglich bis zu 2000 Liter Wasser liefern, und ebenso auf den größeren Handelsdampfern. Dadurch ist es möglich geworden, dem gewöhnlichen Matrosen an Bord wenigstens den Genuß guten Trinkwassers und auch den nöthigen Bedarf zur Reinigung seines Körpers und seiner Wäsche zu Eine erste Seereise gewähren. Und doch sollte man es kaum glauben, daß mir Befehlshaber vorgekommen sind, welche, mit einem Destillirapparat ausgerüstet, denselben nicht in Thätigkeit treten ließen und die Mannschaften in tropischer Sonnengluth auf schärfste Wasser- ration setzten, sodaß den Armen die lechzende Zunge am Gaumen klebte — nur, um die für den Betrieb des Apparates erforder- lichen wenigen Kohlen zu sparen! Solche Leute dürfen sich dann allerdings auch nicht wundern, wenn sie den wüthendsten Haß ihrer Untergebenen ernten. Als wir später das Cap der guten Hoffnung passirt hatten und wiederum in die heiße Zone kamen, machte das Wasser den Fäulnißprozeß zum zweiten Male, wenn auch in geringerem Grade durch. Danach blieb es dann gut und klar, nahm jedoch eine gelbliche Farbe wie Rheinwein an. Ich habe von solchem Wasser getrunken, das 8—10 Jahre unangerührt in den Reserve- fässern gelegen hatte, aber vollkommen gut war und durchaus rein schmeckte. Ebensowenig wie bei dem Wasser durfte und darf auch heute noch der Kauffartei-Matrose bei seinem Speisen wählerisch sein und Feinschmecker finden ihre Rechnung nicht an Bord. Auf Schiffen mit anständigen Rhedern, zu denen das unsere gehörte, war die Verpflegung an sich eine auskömmliche und relativ gute, aber die Verhältnisse bringen es einmal mit sich, daß weniger auf Wohlgeschmack, als darauf gesehen wird, daß die mitgenommenen Proviantartikel sich ein Jahr und länger halten und dann den erforderlichen Nahrungsstoff besitzen, um dem Seemanne zu seinem schweren arbeitsreichen Beruf auch die nöthigen Kräfte zuzuführen. Unter solchen Umständen ist die Auswahl eine geringe und das toujours perdrix natürlich. Viermal in der Woche gab es zu Mittag Erbsen, zur Abwechselung allerdings nur zwei- mal gelbe, einmal grüne und einmal graue, dann einmal weiße Bohnen und zweimal Pudding. Das letztere klingt nun zwar Werner ganz einladend, an Bord von Handelsschiffen versteht man aber unter „Pudding“ für die Leute etwas anderes, als sonst im gewöhnlichen Leben. Die Ingredienzien sind einfach Mehl, Wasser und etwas abgeschöpftes Fett vom gesalzenen Rindfleisch, und das Ganze wird in Salzwasser in einem Segeltuchbeutel gekocht. Das mag sehr nahrhaft sein, aber besonders gut schmeckte es mir nicht. Eben so wenig habe ich mich je mit den grauen Erbsen befreunden können. In Ostpreußen, wo sie wachsen, gelten sie als Leckerbissen, ich wüßte jedoch Niemand aus einem andern Theile Deutschlands, der diesen Geschmack getheilt hätte. Bei den Matrosen haben sie den Spitznamen „Bramstagläufer“ und gewöhnlich ging der ganze Suppennapf voll bei uns unan- gerührt über Bord oder man fütterte damit die Schweine, wenn solche zum Schlachten mitgenommen waren. Von dem gesalzenen Rindfleisch gab es vier Mal und vom Schweinefleisch drei Mal wöchentlich, außerdem Morgens Kaffee und als dicken Brei gekochte Graupen, Abends Thee und wie zum Frühstück Schiffszwieback und Butter, so lange sie reichte. Kaffee und Thee trank man natürlich ohne Milch und Zucker. Trotz dieses einfachen wenn auch sehr soliden Küchenzettels, hätte sich nichts dagegen sagen lassen, so lange die verschiedenen Proviantartikel gut blieben, aber das dauerte nur kurze Zeit, und schon nach einigen Monaten sah es ziemlich schlimm damit aus. Die Hülsenfrüchte wurden hart, die Butter in den Tropen flüssig und abschmeckend, das Fleisch durch das längere Liegen in der scharfen Pökel brandsalzig, hart und holzig, das Schweine- fleisch gelb und ranzig, das Mehl miethig und in dem Schiffs- zwieback hausten ganze Insectensammlungen. Nur die Graupen blieben gut und Monate lang bildeten sie unser Hauptnahrungs- mittel an den Tagen, wo es Erbsen oder Bohnen gab, also fünf Mal in der Woche. Da zum Frühstück eine reichliche Portion gekocht wurde, hoben wir uns stets davon zu Mittag auf. Das harte trockene Salzfleisch, das die Matrosen Tornister- Eine erste Seereise fleisch nennen, weil sie behaupten, daß man es einen Tag lang im Tornister tragen könne, ohne einen Fettfleck zu bekommen, flößte mir einen völligen Widerwillen ein. Ich habe es Jahre lang nicht gegessen und auch der Schiffszwieback war nicht meine Passion; dagegen mochte ich faute de mieux die Graupen ganz gern. Man sieht, verwöhnt wurde man nicht an Bord. Alle 14 Tage wurde aber auch Roggenbrod für einen Tag gebacken und das gab einen wahren Festtag. Dann wurden selbst die Graupen mißachtet und nur das frische Brod gegessen, wenn es auch oft eine verbrannte Kruste und zollbreite Wasserstreifen zeigte — es schmeckte uns doch herrlich. Mit der Dauer der Reise wurde natürlich die Verschlechte- rung der Proviantartikel immer größer, aber eine eigentliche Unzufriedenheit, welche nachtheiligen Einfluß auf den guten Geist der Mannschaft geübt hätte, zeigte sich deshalb doch nicht. Die Leute wußten, daß die sämmtlichen Lebensmittel gut an Bord gekommen und die Rheder in keiner Weise knauserig gewesen waren. Dies Bewußtsein genügte ihnen, um über die Mängel der Verpflegung zwar wie über alles zu räsonniren — das liegt nun einmal in der Natur der Matrosen — aber sie auch nicht ernst zu nehmen. Die Genügsamkeit des gewöhnlichen Seemanns verdient überhaupt Bewunderung. Wenn er von Seiten seiner Vor- gesetzten nur richtig und human behandelt wird und merkt, daß jene etwas für ihn übrig haben, dann ist er mit allem zu- frieden. Unverdrossen arbeitet er Tag und Nacht, erträgt ohne Murren die größten Strapazen, hilft sich scherzend über Un- gemach fort und vergißt alles Schwere, sobald nur ein freund- licher Strahl ihm wieder leuchtet. Das gilt im allgemeinen von den tüchtigen Seeleuten aller Nationen, speciell aber von den Deutschen, die vor den andern noch die größere Zuverlässig- keit voraus haben und grade in den kritischsten Momenten sich am meisten bewähren. R. Werner , Erinnerungen. 5 Werner Sorglose Heiterkeit und eine Leichtlebigkeit, die oft als Leicht- sinn bezeichnet werden muß und ernstere Gedanken an die Zu- kunft nicht aufkommen läßt, sind vorwiegende Charakterzüge des Matrosen. Sie sprechen sich in seinem Thun und Lassen, in seinem Sprechen, Denken und in seinen Liedern aus. Vom Singen ist er ein großer Freund; merkwürdiger Weise ist aber der Schatz wirklicher Seemannslieder ein sehr kleiner in Deutsch- land, während die Engländer davon Hunderte und oft von drastischer Komik haben. Jeder Arbeit an Bord von Kauffarteischiffen wird von Gesang begleitet; Ankerlichten, Heißen der Segel, der Boote, überhaupt alles, wobei Kraftanstrengung und namentlich gleich- zeitige erforderlich ist, geht nach dem Tacte von Liedern, deren Text allerdings sehr oft nicht vor dem Richterstuhl guten Ge- schmacks bestehen kann. Diese Arbeitsgesänge, wie man sie wohl nennen kann, haben alle denselben Zuschnitt. Der Vorsänger singt eine Strophe vor und alle übrigen fallen mit einem kurzen Refrain ein, bei dem dann der Tonfall angiebt, wann alle zu- gleich an einem Tau ziehen sollen. Unter den übrigen Liedern, die nur zur Unterhaltung dienen, nimmt Heine’s „Loreley“ einen hervorragenden Platz ein und es wird mit Vorliebe gesungen, wenn die Leute recht schwer und lange gearbeitet haben. Daß es überhaupt von den Matrosen adoptirt ist, gründet sich wohl auf den darin vorkommenden Schiffer und Kahn, daß sie es aber regelmäßig nach schwerer Arbeit anstimmen, habe ich mir nicht erklären können, es sei denn, daß dann ihre Gemüthsstimmung mit den beiden ersten Strophen sympathisirt. Bei uns an Bord wurde in den Freizeiten viel gesungen. Wir hatten recht gute Stimmen unter den Leuten und einer der Matrosen kannte auch ganz passable Lieder, die er entweder selbst gemacht oder irgendwo aufgelesen hatte. Eins derselben, das den oben er- wähnten „Kehr dich an nichts“ des Seemanns in humoristischer Weise veranschaulicht und dabei nach Salzwasser schmeckt, sprach Eine erste Seereise sehr an und hatte eine recht gefällige Melodie. So viel ich mich erinnere, lautete es folgendermaßen: Ich kann nicht erinnern, daß jemals auf See Matrosen ich traurig erblickt, Kein Hagel und Regen, kein Sturm oder Schnee Nichts giebt’s was zu Boden ihn drückt. Wenn’s weht aus Nordwest und in Sorge und Noth, Manch’ Bräutchen und Mutter sich quält, Sitzt Janmaat behaglich in Lee Die geschützte Seite unter dem Winde. von dem Boot Und da wird gelacht und erzählt. Guckt Rasmus Personificirte See. dann über die Reiling Verschanzung. und spült Gehörig die Klüsen Die Oeffnungen vorn am Schiff, durch welche die Ankerketten nach außenbord’s geleitet werden, hier figürlich für Augen. ihm aus, Dann schüttelt er sich wie ein Pudel und schilt Und zieht auch die Nase wohl kraus. Bald ist er jedoch wieder heiter gestimmt Wie sehr er zuerst auch erbost, Staut besser sich in die Kinken Eigentlich eine falsche Bucht in einem Tau, figürlich Ecke. und nimmt Ein tüchtiges Prüntje Kau- taback. zum Trost. Wenn Nachts in der Coje er wonnig und warm Liegt bis an die Ohren versteckt Und ihn aus der Träume holdseligen Schwarm Das donnernde „Reewe“ Der Ruf, wenn bei Sturm die Leute zum Segelkürzen an Deck kommen sollen. erweckt, Dann wickelt er sich aus den Decken hervor Und’s setzt auch bisweilen ’nen Fluch, Wenn schallend die Glocke verkündet dem Ohr Daß eben sechs Glasen Jede Wache von 4 Stunden wird in 8 halbe Stunden (Glasen, von den früher gebrauchten Sanduhren sogenannt) eingetheilt. Wenn sechs Glasen geschlagen werden, so ist nur noch eine es schlug. 5* Werner Doch hat er gereeft nun und hat ihm der Wind Die Augen gehörig verklart, Dann ist auch verflogen der Aerger geschwind Sobald er das Grogfaß gewahrt. Mit Hoi! ho! da fliegen die Raaen hinauf, Dann wird das Besanschrot geholt Figürlich für „Schnapsaustheilen“. Das Besanschrot ist ein Tau, das auf dem Hinterdeck fährt und in seiner Nähe treten die Leute an, um Schnaps zu empfangen. . Zur Coje! schallt’s nun und im schnellsten Lauf Die Freiwach’ hinunter sich trollt. Wenn’s in den Beschüten Schiffs- zwieback, englisch Biscuit. sich regt und bewegt Von Würmern und Gott weiß was mehr, Daß, wenn man sie hin auf die Back Tisch. vor sich legt, Von selber sie laufen umher; Wenn Erbsen und Bohnen wie Blei sind so hart, Bramstagläufer Graue Erbsen. ähnlich wie Stein, Wenn’s Salzfleisch nicht riecht aromatischer Art Und das Speck hat nun goldgelben Schein, Was kümmert es Janmaat? ihm ist es egal, Kaum daß er verziehet den Mund, Er klopfet das Brod auf die Back ein’ge Mal Und dann geht’s hinein in den Mund. Er tröstet sich dann, daß er bald kommt zu Haus, Da giebt es den Beutel voll Geld, Damit wird gejubelt in Saus und in Braus Und alles kopfüber gestellt. Wie lebt sich’s so lustig und fröhlich an Land! Da wird nicht geheißt und gereeft, Da wird nicht gescheuert mit Steinen und Sand; Da stört ihn kein Wind, wenn er schläft. Stunde der Wache übrig. Da die Arbeit des Reefens aber oft eine Stunde und länger dauert, so haben die dazu verwendeten Leute der Frei- wache keine Chance, noch einmal zur Coje zu gehen und kommen deshalb in ihrem Schlafe zu kurz. Eine erste Seereise Doch leider ist kurz nur der Freude Bestand, Der Pfennig, der letzte geht fort. Adieu liebes Mädchen, adieu schönes Land! Jetzt heißt es „Marsch, wieder an Bord!“ Auch ein zweites, aus derselben Quelle stammend, in dem sich eine Theerjacke selbst ironisirt, wurde gern gesungen und mag hier Platz finden: Fast scheint es, als ob schon dem seemännschen Stande Anklebte ein eigenes Duften nach Theer; Denn auch in dem feinsten Landrattengewande Riecht man den Matrosen von weitem schon her. Heut wollt’ ich zu Balle und putzte mich mächtig, Die Kneifzange Frack. saß mir gemacht wie aus Guß, Die schneeweißen Leesegel Vatermörder. standen ganz prächtig, Wie Kohltheer so glänzten die Stiefel am Fuß. Das seidene Schnupftuch halb ’raus aus der Tasche, Die Schraub’ Hut. auf drei Haaren, den Bart fein gebrannt, So ging ich wie Felix Phönix. hervor aus der Asche Und macht’ mich, als wär’ ich mit Pabstens verwandt. Bedächtiglich steuerte ich zu dem Balle Und hört’ schon von weitem des Basses Gebrumm Und bei der Musik weit klingendem Schalle, Da drehten sich wirbelnd die Paare schon um. Bald lockten auch mich zu dem Drehen die Töne Und machten mich wirbeln vom Kiel bis zum Top Von der Fuß- sohle bis zum Scheitel. , Ich enterte eine verlassene Schöne Und kreuzte mit ihr durch den Saal in Salopp. Doch, kaum hatt’ die Länge des Deck’s ich gemessen Und wollte mit meiner Fregatt’ über Stag Umwenden. , Da riß sie sich los, wie vom Teufel besessen, Gewaltsam, daß bald sie den Arm mir zerbrach. Werner Sie braßte Bewegte. die Arme in höchster Extase, Fiel dann einer Freundin graciös in den Schooß Und hielt sich ein mächtiges Tuch vor die Nase, Wobei sie mir grimmige Blicke zuschoß. Doch denkt meine Scham, als ich hörte sie sagen Ganz laut zu der großen Gesellschaft umher, „Hilf Himmel, ich konnt’ es nicht länger ertragen, Es riecht ja so fürchterlich strenge nach Theer!“ Bestürzt braßt’ ich back Stand ich still. und begann über’s Steuer Rückwärts. Zu gehn und die Thüre zu suchen vom Saal, Die Nase der Schönen still wünschend zum Geier, Die so mir verdarb diesen glänzenden Ball. So ging’s mir schon öfter, wenn gleich ich mich steckte In allerlei Kleidung, es half mir nichts mehr, Denn kam ich an Land, augenblicklich entdeckte Ein weiblicher Riecher den häßlichen Theer. Schenk’ ich einer Dame ’ne duftige Rose, So riecht sie und spricht dann ganz schnippisch; „Mein Herr, Verzeih’n Sie die Frage, Sie sind wohl Matrose?“ „Warum? Ja!“ „Ah!“ sagt sie, „ich rieche den Theer.“ Was hilft es am Ende, ob ein ich mich weiche In Oh Eau. de Gott weiß was und Oh Mine Flöhr Eau de mille fleurs. . Gleich heißt es, sobald ich am Lande mich zeige, „Hilf Himmel, wie riechen Sie strenge nach Theer.“ Das letztere Lied schien sogar dem alten Bootsmann sehr zu gefallen, denn wenn die Leute Nachmittags auf der Frei- wache vorn auf dem Deck bei ihren verschiedenen Beschäftigungen zusammensaßen, munterte er sie öfter auf, doch das Lied von „Mine Flöhr“ zu singen und brummte dann die Melodie leise mit, wenn gleich er gewöhnlich dabei um ein bis zwei Töne „aus der Reihe“ war. Vielleicht stiegen dabei Reminiscenzen an seine jüngeren Jahre und an eine darin verflochtene „Mine“ in ihm auf. Eine erste Seereise Als wir die Cap Verdischen Inseln passirt hatten, fanden wir eines Morgens merkwürdiger Weise unsere Segel sämmtlich blaßroth gefärbt und bei näherer Untersuchung auch das ganze Schiff mit einer feinen Schicht röthlichen Sandstaubes belegt. Am andern Tage war die ganze Wasseroberfläche, so wie auch die Takelage und das Deck mit Heuschrecken bedeckt, so daß wir die völlig ermatteten Thiere haufenweis zusammenfegen und unsern Schweinen zu einem leckeren Mahle verhelfen konnten. Auf meine wißbegierigen Fragen belehrte mich der Kapitän, daß sowohl Sand, wie Heuschrecken von der afrikanischen Küste stammten, wahrscheinlich durch einen der dort heimischen gewalt- samen Stürme (Tornado) vom Lande auf das Meer geführt und dann von dem Passatwinde weiter getragen würden. Auch eine Menge kleiner Landvögel ließ sich erschöpft auf dem Schiffe nieder und wir griffen verschiedene von ihnen, die wir jedoch leider nicht erhalten konnten, da uns das Futter für sie fehlte, und so gingen die armen Thierchen, die ohne Nahrung bereits eine Reise von 150 Meilen gemacht hatten, zu Grunde. In dieser Gegend sahen wir nach längerer Zeit auch wieder ein Schiff. Es kam von der afrikanischen Küste herüber, steuerte westwärts und passirte uns ziemlich nahe. Wenn man sonst auf langen Reisen einem Schiff begegnet, so ist das immer ein freudiges Ereigniß, an dem Jeder an Bord den lebhaftesten Antheil nimmt. Man zeigt die Flagge und sendet sich gegen- seitig durch Auf- und Niederziehen derselben einen stummen Gruß. Wenn es die Witterung erlaubt, fährt man ganz nahe an einander vorbei, um mündlich einige Worte mit einander zu wechseln, wenn sich die gegenseitigen Fragen auch meistens nur auf das „Woher“ und „Wohin“, auf die Dauer der Reise und die geographische Länge beziehen. Fast immer aber ist ein solches Begegnen auf dem weiten Ocean eine Abwechselung, die das einförmige Leben an Bord angenehm unterbricht. Hier war es jedoch nicht der Fall, im Gegentheil Werner erregte das Erscheinen des Fremden eine Zeitlang ein unheim- liches Gefühl. Als er noch etwa eine Meile entfernt war, zeigten wir unsere Flagge, aber die internationale Höflichkeit wurde auffälliger Weise nicht erwidert, während das Schiff dagegen seinen Curs änderte und grade auf uns zukam. Als sein Rumpf aus dem Wasser herauswuchs, wir die schlanken scharfen Formen des schwarz gemalten niedrigen Unterschiffes, die hängenden Masten mit den ungemein breiten Raaen des Fahrzeugs unterschieden und bemerkten, mit welcher schnellen Fahrt die Brigg durch das Wasser schnitt, da wußten wir, daß wir es mit keinem gewöhnlichen Kauffahrer, sondern mit einem von der Guineaküste kommenden Sclavenfahrer zu thun hatten. Zur damaligen Zeit war der Sclavenhandel zwischen Westindien und Afrika noch sehr stark im Schwange. Die Engländer hielten zwar eine Reihe Kreuzer, aber meistens noch Segelschiffe, die oft den lediglich auf Schnelligkeit gebauten Sclavenschiffen im Laufen nicht gewachsen waren und deshalb dem Handel nur wenig Eintrag thaten. Außerdem waren jene gewöhnlich so stark bemannt und bewaffnet und die Besatzung bestand aus so ver- zweifelten Kerlen, daß sie auch wohl mit den sie verfolgenden Kriegsschiffen den Kampf aufnahmen, wenn sie nicht entfliehen konnten. Nicht selten hörte man noch vor 40 Jahren von solchen desparaten Kämpfen, bei denen die Kreuzer den Kürzeren gezogen, und ebenso schrieb man das öftere spurlose Verschwinden von Kauffahrern auf der Höhe von Guinea Sclavenfahrern zu, die auch keineswegs vor Seeraub zurückschreckten. Uns wurde deshalb gar nicht wohl zu Muthe, als die verdächtige Brigg so direct auf uns zusteuerte, um so mehr, als der Kapitän zuerst mit dem Fernrohr ihr ganzes Deck mit Menschen angefüllt gesehen hatte und jetzt bei dem Näherkommen Niemand zu erblicken war, als der Mann am Ruder. Er trug eine netzartige rothe Kopfbedeckung, wie man sie bei portugiesischen und spanischen Matrosen häufig findet und auch der ganze Eine erste Seereise Schnitt des Fahrzeugs verrieth die Bauart jener Länder. Es segelte nahe hinter unserm Heck vorüber, ohne jedoch scheinbar von uns Notiz zu nehmen, und luvte dann wieder zu seinem alten Curse auf, um bei der strammen Briese sich eben so schnell zu entfernen, wie es gekommen. Der unheimliche Patron passirte uns auf kaum zweihundert Schritte und wir konnten sein ganzes Deck übersehen. Er hatte kein Großboot mittschiffs stehen, wie sonst bei Kauffahrern allgemein üblich ist, sondern nur zwei Seitenboote außenbords und ein drittes quer vor dem Heck in Krähnen hängen. Zwischen Fock- und Großmast befand sich dagegen ein anderer Gegenstand, der unsere Vermuthung über den wahren Charakter des Fremden zur Gewißheit erhob. Es war dies eine schwere Kanone, die man zwar mit einer Presenning — einem getheerten Stück Segeltuch — bedeckt hatte, deren Conturen sich jedoch deutlich genug abzeichneten, während wir ganz klar die metallenen Kreisschienen auf dem Deck sahen, auf denen das Geschütz sich drehte um nach beiden Seiten schießen zu können. Jedenfalls athmeten wir frei auf, als das Unterschiff der Brigg sich wieder unter den Horizont zu senken begann und wir unbehelligt davon gekommen waren. Von Vertheidi- gung hätte bei einem Angriff des Sclavenfahrers keine Rede sein können. Wir führten zwar zwei kleine sechspfündige Karronaden und es befand sich auch ein Dutzend alter verrosteter Gewehre an Bord, aber was wollte das gegen den langen 24-Pfünder der Brigg sagen, hinter dem wahrscheinlich auch eine waffengeübte Besatzung von 40—50 rabiater Kerle stand? Unsere Beklemmung war uns deshalb nicht zu verdenken, um- somehr, als nach allem, was man über solche Räuber hörte, sie, um die Spuren ihrer Verbrechen gänzlich zu verwischen, das beraubte Schiff anbohrten und es entweder in ihrer Gegenwart mit der vorher gefesselten Mannschaft sinken oder aber letztere „über die Planken marschiren“ ließen. Dazu wurde eine Planke über die Verschanzung hinausgelegt und die unglücklichen Werner Gefangenen mußten, mit Kugeln oder andern Eisenstücken be- schwert, auf ihr hinausgehen. Waren sie am äußersten Ende der Planke angekommen, so kippte man das innere in die Höhe und jene stürzten in das Meer. An demselben Tage, der uns alle in solche gemeinsame Aufregung versetzt hatte, passirte mir persönlich noch ein Unfall, dessen gefährlichen Folgen ich zwar glücklicher Weise entging, der aber leicht für mich eben so schlimm hätte ablaufen können, wie das „Marschiren über die Planke“. Ich war hinaufgeschickt, um an der Takelage der Großbramraa etwas zu repariren und saß zu diesem Zwecke in dem unter der Raa hängenden, Pferd genannten, Tau, in welchem man steht, wenn man die Segel fest oder los machen oder reefen soll. Das Schiff segelte vor dem Winde und rollte sehr stark, so daß ich dort oben auf meinem luftigen Sitze ununterbrochen einen Kreisbogen von 60—70 Grad bei einem Radius von 35 Metern beschrieb. Als ich nach beendeter Arbeit mich anschickte, an Deck nieder zu entern, brach plötzlich das Rak, der Tauring, welcher die Raa an der Stenge festhält und das vom Winde geblähte Segel flog mit einem Ruck nach vorwärts. Ich verlor das Gleichgewicht, stürzte hinunter und wäre unbedingt verloren gewesen, wenn mich nicht 20 Fuß niederwärts verschiedene Brassen und andere Taue, die sich dort wagerecht kreuzen, wie ein Netz aufgefangen und durch ihre Elasticität die Gewalt des Falles gebrochen hätten. Ich konnte nun meinen so gewaltsam beschleunigten Weg nach unten in langsamerem Tempo fortsetzen, wenn mir auch der Schreck so in die Glieder gefahren war, daß ich am ganzen Körper zitterte. „Schweizer“, redete mich der Bootsmann an, „was hast du da wieder für dummes Zeug gemacht? wann wirst du lernen, an jedem Finger einen Angelhaken zu haben, wie ich dir schon so oft gesagt!“ Die übrige Mannschaft lachte und ich zwang mich auch dazu so schwer es mir wurde — damit war dann die Sache abgethan. Dergleichen Fälle, bei Eine erste Seereise denen der Betreffende mit genauer Noth dem Tode entrinnt, kommen an Bord ungemein häufig vor, aber wenn es nur gut geht, so wird entweder keinerlei Notiz davon genommen oder die Sache scherzhaft aufgefaßt. Eines Nachts, im biscayischen Meerbusen, als das Schiff sehr heftig in schwerer See arbeitete, wurde einer unserer Leicht- matrosen beim Reefen über die Raa geschleudert und hing an der Vorderseite des Marssegels nur mit einer Hand an einer von ihm ergriffenen Reffzeising. Wenige Secunden darauf wäre er auf das Deck oder in die See gestürzt und in beiden Fällen unbedingt verloren gewesen, da die Witterung das Aussetzen von Booten nicht gestattete. Da ergriff ihn der neben ihm be- findliche Zimmermann, ein alter knurriger Seebär, beim Kragen, half ihm wieder auf die Raa und ranzte ihn an: „Ein anderes Mal halt dich besser fest, du verdammter Landlubber!“ — Damit war die Sache abgethan. Ein besonders grausiger Fall der Art, der mir später vor- kam, aber auch wunderbar glücklich verlief, ist mir noch lebhaft im Gedächtniß geblieben. Wir segelten mit der Fregatte Thetis, deren erster Officier ich war, bei schönem Wetter und leichter Briefe im Mittelmeer, aber obwohl nur geringer Seegang herrschte, schlingerte das Schiff ziemlich stark. Ich befand mich auf dem Hinterdeck, als vom Vorderschiff plötzlich der Schreckensruf „Mann über Bord“ erschallte. Ich sprang auf die Commandobank und blickte über Bord, sah aber nur eine Mütze treiben und im Wasser kein Anzeichen, daß ein schwerer Körper hineingefallen. Die auf Kriegsschiffen für solche Fälle auf jeder Wache abgetheilten Rettungsmannschaften waren auf den Ruf sofort zu ihrem Boote geeilt, um es zu Wasser zu lassen und schon wollte ich den Befehl geben, damit inne zu halten, weil ein Irrthum vorzuliegen schien, als ich zufällig einen Blick nach oben warf und furchtbar zusammenschrak. Ein Matrose hatte auf der Werner Nock (Spitze) der Großbramraa, die sich bei geheißtem Segel auf Fregatten 50 Meter über Wasser befindet, gearbeitet und war wirklich hinabgestürzt. Die Leute vorn hatten ihn hinter dem Segel verschwinden sehen und daher der Ruf „Mann über Bord“. Im Fallen hatte der sehr gewandte und kräftige Mensch jedoch das Pferd ergriffen und schwebte nun an dem einzelnen Tau hängend dort oben in der schwindelnden Höhe, während die Raa mit ihm bei dem rollenden Schiffe beständig einen gewaltigen Bogen durch die Luft beschrieb. Es war eine schaurige Situation. Halten konnte er sich in ihr nicht lange, an Wiederaufkommen auf die Raa war nicht zu denken, in der nächsten Zeit mußte er von oben kommen. Die einzig mög- liche Rettung für ihn lag darin, wenn er in das Wasser fiel und es hing alles davon ab, daß er nicht die Geistesgegenwart verlor und zu rechter Zeit losließ. „Halten Sie sich noch so lange fest, Mann, bis das Boot zu Wasser ist,“ rief ich ihm zu, in dem ich so viel Ruhe wie möglich in meine Stimme zu legen suchte, „und dann lassen Sie sich fallen, so bald das Schiff nach Steuerbord überholt.“ Der Kutter wurde auf das schleunigste zu Wasser gelassen, die Untersegel flogen beim Aufgeien Zusammenschnüren. förmlich in die Höhe, aber es verging doch fast eine Minute, ehe back gebraßt und alles so weit war, um den Verunglückten aufzunehmen, sobald er wieder an der Oberfläche auftauchen würde. Auf meinen Ruf hatte der Matrose, scheinbar ganz kaltblütig „Zu Befehl“ er- widert und wenn diese prompte Antwort in so großer Todes- gefahr mich auch etwas beruhigte, wuchs mir und allen Uebrigen die kurze Minute doch zur Unendlichkeit und unsere Augen schweiften wohl hundertmal angstvoll nach oben, aber der tüch- tige Mann hielt sich wie mit eisernen Klammern fest. Endlich war das Boot so weit und hielt etwas seitwärts auf Riemen. Eine erste Seereise „Alles klar,“ rief ich, „beim nächsten Ueberholen lassen Sie sich fallen.“ Wiederum ertönte es hernieder „Zu Befehl“ und im nächsten Augenblicke sauste der Matrose aus der furchtbaren Höhe wie ein Pfeil herunter. Uns stockte der Athem; wir wußten nicht, ob er nicht breit auf das Wasser schlagen und zerschmettert werden würde. Doch war die Besorgniß Gottlob unnöthig; wie eine Kerze so gerade durchschnitt er die Luft, mit den Füßen zuerst, die Hände hoch über dem Kopfe und fuhr wie ein Blitz in die Tiefe. In tödtlicher Spannung erwarteten wir sein Wiederauf- kommen. Da tauchte er wie ein Kork empor, schaute sich nach dem Boote um und schwamm lustig auf dasselbe zu. „Donnerwetter“ waren seine ersten Worte, als man ihn in das Boot zog, „solchen Satz habe ich mein Lebtag noch nicht gemacht,“ worauf natürlich ein allgemeines Gelächter der Boots- mannschaft erfolgte. Mit demselben Humor machte er beim Betreten des Decks die Meldung beim Wachehabenden Officier „An Bord zurück, Herr Lieutenant“, was ihm zur Belohnung ein steifes Glas Grog eintrug. Damit war aber die Sache erledigt und sie wurde später selten und dann auch nur in scherzender Weise erwähnt. Der Seemann weiß, daß sein Leben oft an einem Faden hängt und liebt es nicht, in ernster Weise daran erinnert zu werden. Wo er in einem solchen Falle „freischlippt“ da behält er es entweder für sich oder macht einen Spaß daraus. Bedauert zu werden hält er unter seiner Würde und glaubt sich etwas zu vergeben, wenn er dergleichen Gefühlen Ausdruck leiht. Dadurch erscheint er Fernstehenden bisweilen gefühllos, was der Matrose im allgemeinen aber durchaus nicht ist. Im Gegen- theil birgt er unter der harten Außenseite meistens ein sehr gutes Dieser ehemalige Matrose ist jetzt Director einer Versicherungs- gesellschaft in einer mitteldeutschen Stadt. Werner und weiches Herz, und es ist ein charakteristischer Zug von ihm, daß er für seine Mitmenschen bereitwillig sich selbst entblößt, um ihnen zu helfen, und ohne weiteres sein Leben in die Schanze schlägt, um das Anderer zu retten. Das zeigt sich so recht in schönstem Lichte, wenn ein Mann über Bord fällt. Mag das Wetter noch so schlecht, die Nacht finster, Sturm und See noch so wüthend sein — Alle drängen sich herbei, um als Freiwillige in das Boot zu gehen und den Kameraden den zürnenden Elementen wieder zu entreißen, obwohl der die Verhältnisse be- sonnener überschauende Vorgesetzte, wenn auch mit schwerem Herzen, oft entschieden dagegen auftreten und die Rettung verweigern muß, weil die ganze Bootsbesatzung dabei zu Grunde gehen würde. Und nun erst beim Rettungswerk an den Seeküsten, wenn es sich darum handelt, durch die wüthende Brandung den Schiff- brüchigen zu Hülfe zu kommen und sie vor dem nassen Grabe zu bewahren! Welcher Heroismus, welche Hingabe, welche be- wundernswerthe Selbstverleugnung wird da von den Rettungs- mannschaften gezeigt! Da gilt es oft viele Stunden lang mit fast übermenschlichen Kräften gegen Sturm und Wogen in einem gebrechlichen Boote zu kämpfen, jeden Augenblick gewärtig, von einer heranbrausenden Sturzsee erfaßt und in die dunkle Tiefe geschleudert zu werden. Wie viele büßen bei diesem humanen Werke ihr Leben ein, ohne daß die Anderen sich dadurch schrecken lassen! Kein äußerer, irgendwie verlockender Lohn harrt ihrer, keine laute Anerkennung schmeichelt ihrem Ehrgeiz; — am öden Strande abgelegener Inseln und Küsten vollziehen sich solche heroische Acte, von denen öfter nicht einmal die nächste Umgebung Kunde erhält. Nein, die Motive sind nur reine Menschenliebe und ein gutes Herz, die sich willig in Thaten äußern, aber es verschmähen, Worte darüber zu verlieren. Im Gegentheil sucht der Matrose etwas darin, äußerlich hart zu erscheinen, namentlich an Bord eines Schiffes. Das Leben an Bord fordert vom Einzelnen, daß er sich nach allen Eine erste Seereise Richtungen als Mann zeige und von diesem Gefühle ist der Seemann so durchdrungen, daß er den Begriff der Männlich- keit meistens zu streng auffaßt. In dieser Anschauung glaubt er alle sanfteren Regungen in seinem Innersten verschließen zu müssen. Sie veranlaßt ihn, das glückliche Entrinnen aus drohender Todesgefahr als einen Scherz anzusehen, körperliche Verletzungen als Bagatellen unbeachtet zu lassen, kein Mitleiden, nicht ein- mal zu Kranken zu äußern und selbst krank, sich so lange hin- zuschleppen und seine Arbeit zu thun, bis er thatsächlich zu- sammenbricht und selbst der energische Wille die fehlenden Kräfte nicht mehr zu ersetzen vermag. Alle weicheren Gefühle verspottet er als weibische Schwäche und wie er dem nach seiner Ansicht vollkommenen Manne den das höchste Lob spendenden Beinamen „fixer Kerl“ beilegt, nennt er den Schwächling verachtungsvoll „altes Weib“. Dieselbe übertriebene Auslegung des Begriffes „Mann“ veranlaßt ihn oft den schwierigeren Weg zum Ziele zu wählen, obwohl ihm ein bequemer und gefahrloser zu Gebote steht, mit seine Kräfte fast übersteigender Anstrengung eine Arbeit allein zu vollbringen, die er ohne Verschmähung vorhandener und gebotener Hülfe so viel leichter hätte bewältigen können. Er klettert wie eine Fliege an der Decke, in den Püttingswanten, Taue, welche die Ränder der Mars schräg nach unten halten, außen herum in die letztere, während er viel bequemer gradeaus gehen und durch das Soldatenloch eben dahin kriechen könnte. Statt auf den Pferden der Raaen hinaus zu gehen und sich mit den Händen festzuhalten, sieht man ihn oft trotz der heftigen Schwankungen des Schiffes wie einen Seiltänzer oben auf den Raaen selbst hinauslaufen, obwohl ihm bei dem leisesten Fehltritt ein Sturz von oben droht und statt die Strickleitern in den Wanten Haltetaue der Masten. zu benutzen, rutscht er an den Pardunen Haltetaue der Stengen. oder anderen einzelnen Tauen hinunter. Werner So macht er es bei hundert anderen Gelegenheiten. Kein Mensch drängt ihn dazu, er hat vollauf Zeit, aber er thut es, weil er glaubt, dergleichen gehöre sich für einen tüchtigen Mann. Auf der andern Seite kommt eine solche Anschauung allerdings auch wieder dem Berufe selbst zu Gute und aus ihr erklärt sich die Möglichkeit, daß Kauffarteischiffe mit so geringen Besatzungen über See kommen und diese in kritischen Lagen oft kaum Glaubliches leisten. Keiner verläßt sich auf den Andern; ein Jeder thut ohne Sporn von selbst das Mögliche und arbeitet, als sollte er das Ganze allein ausführen. Je größer die Ge- fahr, je schwieriger die Lage, desto größer sind die Leistungen und desto tapferer werden die Strapazen ertragen — das ist des echten Seemanns Art. Unsere Reise bis in die Nähe des Aequators verlief ohne weitere bemerkenswerthe Umstände. Wir schnitten denselben, wie damals alle Segelschiffe, zwischen dem 17. und 18. westlichen Längengrade von Greenwich. Jetzt geschieht dies auf Grund hydrographischer und meteorologischer Forschungen der neueren Zeit, 180—200 Meilen westlicher, zwischen dem 30. und 31. Grade westlicher Länge. Für die um das Cap der guten Hoffnung bestimmten Schiffe ist dies zwar ein scheinbarer Umweg, aber in Wirklich- keit ein Gewinst von durchschnittlich 14 Tagen und mehr. Die beiden im Atlantischen Ocean wehenden Passate, der Nordost im Norden, der Südost im Süden des Aequators, verschieben je nach dem Stande der Sonne ihre Grenzen im Laufe des Jahres um zwanzig bis dreißig Meilen, gehen aber nicht direct in einander über, sondern bilden durch ihr Aufeinanderstoßen in der Nähe der Linie, wie die Seeleute den Aequator nennen, einen Stillgürtel. Derselbe ist an der afrikanischen Küste ziem- lich breit, 40—50 Meilen, spitzt sich aber nach Westen kegel- förmig zu und mißt auf 30—32 Grad Westlänge nur noch wenige Meilen. Ehe man diese Thatsache kannte, die wir den Eine erste Seereise hydrographischen Bestrebungen des berühmten Amerikaners Maury verdanken, geschah es oft, daß Schiffe drei bis vier Wochen gebrauchten, ehe sie auf ihrer östlichen Route diesen Gürtel überwanden, während man gegenwärtig weiter westlich die Sache in ein paar Tagen abmacht, ja, wie ich es später einmal ge- habt, fast direct aus einem Passat in den andern segeln kann. Wir verloren den Nordostpassat damals auf 1 Grad Nordbreite und fanden den Südost auf 2½ Grad Süd, aber diese 50 Meilen wurden uns erschrecklich sauer gemacht. Wir gebrauchten, um sie zu durchsegeln, nicht weniger als 23 Tage und zwar fast unter beständigen Gewittern und furchtbaren Regengüssen, von denen man sich in unserm Klima kaum einen Begriff machen kann. Es ist dies die Folge der aufeinander stoßenden Passate. Die mit Wasserdünsten gesättigten beiden Luftströmungen steigen beim Zusammentreffen in die Höhe, ihr Wasserdampf verdichtet sich in den oberen kalten Regionen und schlägt, meistens von electrischen Entladungen begleitet, als Regen nieder und zwar fast ohne Unterbrechung, da auch der Verdich- tungsprozeß beständig vor sich geht. Nach den drei Wochen bequemen, ruhigen Lebens, das uns der Nordostpassat gebracht, empfanden wir den Contrast höchst unbehaglich. Bis dahin waren Raaen und Segel fast nicht gerührt, jetzt nahm das Brassen, Segelbergen und Segel- setzen weder Tag noch Nacht ein Ende. Absolute Windstille hatten wir nur wenige Stunden in der ganzen Zeit, bald sprang von dieser, bald von jener Seite ein leiser Hauch auf, der als „Katzenpfote“ das Wasser kräuselte. Bisweilen dauerte er keine Viertelstunde, aber er durfte nicht unbenutzt vorüber- gehen und die Segel mußten nach ihm gestellt werden, wenn er uns auch nur ein paar Schritte vorwärts brachte. Dann wieder zog eine Gewitterbö herauf, und da man nie wissen konnte, was darin steckte, so mußten die vielleicht eben gesetzten Segel wieder fortgenommen werden. Da das bei einer so R. Werner , Erinnerungen. 6 Werner geringen Mannschaft aber verhältnißmäßig langsam ging, so passirte es auch öfter, daß wir von dem Winde überrascht wurden und dann Gott danken mußten, wenn wir mit einem blauen Auge davon kamen und nicht Stengen und Raaen verloren. Namentlich Nachts waren solche Böen sehr unwillkommen und schaurig. Ich erinnere mich noch einer derselben, die von allen Schrecken eines tropischen Gewitters begleitet war. Unsere Wache kam um zwölf Uhr Nachts auf das Deck. Der Regen hatte seit kurzem aufgehört, es war todtenstill, aber so finster, daß man nicht zwei Schritte weit etwas zu unter- scheiden vermochte und wir wie Blinde unsern Weg tappen mußten. Die kleinen Segel hatte die Wache aus Vorsicht schon geborgen, die großen hingen vom Regen doppelt schwer an Stengen und Masten nieder. Die See war so merkwürdig ruhig, daß das Schiff bisweilen Minuten lang bewegungslos auf dem Wasser lag; dann rollten ein paar Wellen heran und die nassen Segel schlugen mit lautem Krachen gegen die Masten, um gleich darauf wieder eben so ruhig und unbewegt hernieder zu hängen. Die unheimliche Stille lastete in Verbindung mit der schwarzen Nacht wie ein Alp auf uns; es war, als ob etwas Schlimmes in der Luft lag. Der Untersteuermann ließ alle größeren Segel fortnehmen, die Marssegel herunterführen und ihre Flächen durch Ausholen der Refftaljen um die Hälfte verkleinern, um auf Alles gefaßt zu sein, doch das ganze Manöver wurde von uns lautlos und ohne den bei solchen Gelegenheiten stets üblichen Sang ausgeführt. Der Kapitän war auch auf Deck gekommen; wir hörten ihn hinten gehen, aber die Schritte klangen hohl und dumpf, als ob die schwere Luft den Schall nieder und gegen die Verschanzung drückte. Die beiden Bramsegel wurden noch gegeit und der Kapitän gab den Befehl, sie fest zu machen. Ich wurde in den Großtop hinauf- geschickt, während ein Leichtmatrose das Vorbramsegel beschlagen sollte. Ich weiß nicht woran es lag, daß mir meine Aufgabe Eine erste Seereise schneller als je gelang. Früher hatte ich meine Kräfte sehr an- strengen müssen, um das ziemlich große trockene Segel allein zu bewältigen, heute war es naß und doch war ich in wenigen Minuten damit fertig und wieder an Deck. Ich fand die Leute der Wache bei der Kombüse zusammenstehen und geheimnißvoll flüstern, als ob etwas außergewöhnliches passirt sei. Als ich zu ihnen herantrat, blickten sie mich so sonderbar an, daß es mir auffiel. „Hast Du ihn gesehen, Reinhold?“ redete mich der Bootsmann mit gedämpfter Stimme an. Es war das erste Mal auf der Reise, daß er mich bei meinem richtigen Namen nannte. „Wen?“ fragte ich, erstaunt über das feierliche und unge- wohnte Wesen des Bootsmanns. „Heinrich!“ lautete die Antwort. „Welchen Heinrich?“ Die Sache wurde mir immer un- verständlicher, es befand sich gar kein Heinrich an Bord. „Nun, Heinrich Petersen! Er war ja bei Dir auf der Raa und half Dir das Segel festmachen, sonst hättest Du es in der kurzen Zeit nicht fertig bekommen.“ Ich starrte den Bootsmann an und zweifelte an seinem Verstande. Heinrich Petersen war ja in der Nordsee ertrunken und sollte bei mir auf der Raa gewesen sein? „Was siehst Du mich so an? Es ist so wie ich Dir sage, aber Du brauchst deshalb nicht besorgt zu sein. Er stand hinter Dir und das schadet nichts. Wenn er Jemand holen will, dann setzt er sich ihm auf die Schultern.“ Ich wußte noch immer nicht, was ich davon denken sollte und blickte fragend auf die übrigen Leute. „Ja ja, wir alle haben ihn gesehen“, sagte der Segel- macher, „und“ . . . . „Da ist er wieder“, rief halblaut in diesem Augenblicke einer der Matrosen. Alle Blicke wandten sich nach oben und auch die meinen folgten. Unwillkürlich erschrak ich; dort oben 6* Werner über dem Top der Vorbramstenge schwebte ein kugelförmiges bläuliches Licht. Bald hob es sich einige Fuß, bald senkte es sich wieder oder schwebte seitwärts. Dann verschwand es auf einige Sekunden ganz, um wieder zu erscheinen und seinen unheimlichen Tanz weiter zu führen. Plötzlich flog es mit einem Ruck abwärts und hielt sich eine Zeit lang über dem Kopfe des Leichtmatrosen, der das Vorbramsegel festmachte, während sich ähnliche Flammen auch auf den übrigen Toppen zeigten. Ihr matter Schimmer erleuchtete nur den nächsten Umkreis, alles übrige war in tiefe Nacht gehüllt. „Er ruft Jens,“ flüsterte der Bootsmann, indem er mich anrührte, „sieh, wie er ihm auf die Schultern klettert.“ Mich überlief es kalt. Die blasse Kugel schien auf dem Kopfe des Leichtmatrosen befestigt, welcher noch immer das Segel nicht auf die Raa bringen konnte. Sie goß einen fahlen Schein über sein Gesicht, der es mit einer Leichenfarbe bedeckte, obwol von dem übrigen Körper nichts zu sehen war, was die Sache noch schauriger machte. Dann verschwand das Licht wieder auf einige Minuten, um vorn auf der Spitze des Außen- klüverbaums wieder aufzuflammen und dort seinen Irrlichtstanz von neuem zu beginnen. „Er steigt herunter,“ äußerte der Segelmacher, „das giebt Wind, gut daß wir die Segel fort haben.“ Jens hatte endlich sein Segel fest gemacht und war an Deck gekommen, aber Niemand sprach zu ihm ein Wort über das, was wir gesehen. Er selbst äußerte auch nichts; wahr- scheinlich hatte er oben von dem Lichte gar nichts bemerkt, denn sein Benehmen war so unbefangen wie sonst. Auch vom Klüver- baum war die Flamme jetzt verschwunden und zeigte sich nicht wieder. Es war ein Elmsfeuer gewesen, das sich bei Gewitterluft in den Tropen öfter auf den eisenbeschlagenen Spitzen der Masten und Raaen zeigt, im Aberglauben des gewöhnlichen Seemanns aber als Seele eines abgeschiedenen Kameraden gilt. Wenn es in Eine erste Seereise die Höhe steigt, bedeutet es gutes Wetter, und es kommt Sturm, wenn es sich senkt. Beleuchtet es den Kopf eines Matrosen in der Takelage, so ist es das Vorzeichen seines baldigen Todes. Ich sah die Erscheinung zum ersten Male, hatte früher noch nichts davon gehört, und wenn mein Verstand mir auch sagte, sie sei electrischer Natur, so hatte ich mich doch eines drückenden Gefühls nicht erwehren können. Die tiefe Dunkelheit und die unheimliche, schaurige Stille hatten auch mein Gemüth gefangen genommen und es mit abergläubischer Furcht erfüllt. Einige schwere Regentropfen begannen zu fallen; es war so still, daß man jeden einzelnen derselben auf das Deck auf- schlagen hörte. Einige Minuten später ertönte dumpfes Rollen des Donners und Wetterleuchten durchzuckte den Horizont. Wir warteten in ängstlicher Spannung auf das Einfallen der Bö, aber sie blieb noch immer aus. Ein plötzlicher Windstoß, wenn auch nur schwach, blähte die Marssegel für einen Augenblick, dann hingen sie wieder regungslos. Da auf einmal war es, als ob nur Feuer uns umfinge und tausend grelle Blitze vom Himmel zugleich auf uns hernieder zuckten. Im selben Augenblicke erkrachte der Donner mit so furchtbarer Gewalt, daß der Ocean zu erzittern schien und wir erschreckt zusammenfuhren, während der Himmel seine Schleusen öffnete und wahre Ströme von Wasser auf uns ergoß. Es war ein förmlicher Wolkenbruch, und obwol er in dieser Stärke kaum fünf Minuten dauerte, so konnte das Wasser durch Speigaten und Sturzpforten doch nicht ablaufen. Es stand fußhoch auf dem Deck und wogte mit dumpfen Rauschen hin und her, wenn das Schiff sich bewegte. Dazu die dichte Finsterniß, das unaufhörliche blendende Blitzen und der betäubende Donner — wahrlich es war als ob die Welt untergehen sollte, und wir standen wie erstarrt über die schaurige Großartigkeit des Naturereignisses. Noch immer regte sich wunderbarer Weise kein Lüftchen Werner und die so unnatürliche Stille drückte uns förmlich nieder. Sie erschien drohend und unheilverkündend. Der Regen hörte jetzt eben so plötzlich auf, wie er über uns hereingebrochen war, die dichte Wolkendecke zerriß an einer Stelle, und nun kam endlich die Bö herangebraust. Hui! was für eine Masse Wind führte sie mit sich und wie peitschte sie die dunklen Wasser! Kochend und schäumend trieb sie die Wellen vor sich her, und wie vorhin die Atmosphäre vom electrischen Fluidum erglühte, so glich jetzt der vom Sturm erregte Ocean, der bis dahin in tiefer Nacht gelegen, einem Feuermeer, und die Myriaden von Wesen, welche ihn bevölkern, sprühten in phosphorischem Glanze. Als die Bö in die Segel fiel und ehe das still stehende Schiff sich durch das Wasser zu bewegen begann, zitterte und krachte es in allen Fugen. Unser gutes Glück wollte, daß der Wind grade von hinten kam und nur die beiden dicht gereeften Mars- segel standen, sonst hätten wir die Masten verloren oder wären gekentert. So aber flogen wir nach wenigen Minuten mit 10 Knoten Fahrt platt vor dem Winde dahin und schwächten um eben so viel die Schnelligkeit des Orcans und damit seine Kraft. Es war immer noch schlimm genug, aber bei solchen Böen ist der erste Stoß der gefährlichste. Wir hatten ihn glück- lich überwunden und der Alp, der bis dahin auf uns gelastet, löste sich von unsrer Brust. Wir wußten jetzt, woran wir waren; auch die schwarze Dunkelheit war etwas gewichen und unser gutes Schiff dem wüthenden Sturme gewachsen. Ueberdies kam der Wind aus Norden, wir flogen direct dem Süden zu und jede Meile die wir gewannen, war für uns Geldes werth. Leider dauerte die Bö kaum eine halbe Stunde an, dann war alles wieder vorbei. Der Wind ließ nach und hörte endlich ganz auf. Der helle Streifen am Himmel verschwand, der Regen begann auf’s neue, wenn auch nicht so gewaltig wie vorher, in der Ferne grollte der Donner, den Horizont erhellte noch einmal der Widerschein der Blitze, aber das Glühen des Eine erste Seereise Meeres verlosch allmälig. Seine aufgeregte Oberfläche glättete sich, bald lag wieder tiefe Nacht auf ihr. Der Riese schlummerte nach dem schweren Kampfe, und unser Schiff schaukelte sich leise auf den Wellen, die sanft und regelmäßig sich hoben und senkten. Die Linie passirten wir eines Sonntags, d. h. wir glaubten es; denn seit acht Tagen hatten wir weder Sonne noch Mond oder Sterne gesehen und keine Beobachtung gemacht. Unsere Koppelscursrechnung nach dem gesteuerten Curse und der durch- laufenen Distanz war auch sehr unsicher, da sie sich bei dem so häufigen und plötzlichen Wechsel der Richtung und Stärke des Windes schwer führen ließ. Natürlich entging ich nebst den Andern, die den Aequator noch nicht passirt hatten, nicht der üblichen Taufe, jedoch wurde sie, wie auf den meisten Kauffartei- schiffen, in ziemlich roher Weise ausgeführt, die einer näheren Beschreibung nicht werth ist. Man wurde mit einer Mischung von Fett und Theer im Gesicht eingeseift und mit einem Rasir- messer aus Bandeisen rasirt. Dabei verband man dem Be- treffenden die Augen und setzte ihn auf ein Brett, das über einer mit Wasser gefüllten Tonne lag. Nach Beendigung des Rassirens zog man das Brett fort und der Täufling fiel in’s Wasser. Das war die ganze Procedur und, wie man sieht, wenig Humor dabei. Eingeweicht wurden wir ohnehin genug bei dem permanenten Regen und das Untertauchen hatte deshalb nicht einmal den Reiz der Neuheit. Das Interessanteste bei der ganzen sogenannten Taufe waren wohl einige Flaschen Rum, die der Kapitän zur Feier des Tages spendete und aus denen ein steifer Grog gebraut wurde, dem dann natürlich Gesang folgte. Einige Tage darauf sah ich auch zum ersten Male Wasser- hosen und zwar zu gleicher Zeit zwei, während eine dritte sich etwas später bildete. Sie waren einige Meilen entfernt und nahmen ihren Weg seitwärts von uns, so daß wir sie ohne weitere Sorge beobachten konnten. Aus einer dunkelgefärbten und scheinbar sehr tiefziehenden Regenwolke schoß zuerst eine Werner trichterförmige Spitze hervor, die jedoch nicht grade, sondern etwas gebogen war. Nach einigen Minuten sah man in dieser Spitze Bewegung; die Ränder veränderten sich, der Trichter wurde zusehends stärker und zuckte auf und nieder, bald bis ganz nahe auf die Wasserfläche, bald in größerer Höhe. Dann nahm man Bewegung in dem Meerestheile unter der Spitze wahr, als ob das Wasser kochend aufwallte und es war deut- lich zu sehen, wie sich allmälig ein runder Wasserberg bildete, der sich scharf gegen seine Umgebung abhob. Das Auf- und Niederzucken des Trichters wurde nun heftiger, bis er sich plötz- lich mit dem Berge vereinigte und die Wasserhose als schräg- stehende und etwas gebogene Säule langsam wanderte, um nach 20 bis 30 Minuten sich wieder ebenso zurückzubilden und zu verschwinden. Donnerähnliche Geräusche, wie sie diese Er- scheinungen oft begleiten sollen, hatten wir nicht vernommen; vielleicht war die Entfernung zu groß. Jedenfalls ist aber kleineren Schiffen zu rathen, ihnen aus dem Wege zu gehen, oder bei ihrer Annäherung sie durch einen Kanonenschuß recht- zeitig zu sprengen, da sie schon öfter durch ihre wirbelnde Be- wegung die Masten gebrochen haben. Endlich näherten wir uns der südlichen Grenze des unangenehmen Stillgürtels, der uns mit seinen Attributen wochenlang so schwer gepeinigt hatte. Nur eine Annehm- lichkeit wies er für uns auf. Bei dem strömenden Regen konnten wir nach Herzenslust uns in frischem Wasser gründlich reinigen und auch unsere Kleider waschen. Zum Trinken war das Wasser allerdings nicht zu gebrauchen, da es durch Herunter- laufen an Tauwerk und Segeln einen widerlichen Theergeschmack angenommen hatte. Dafür sammelten wir es aber sorgsam für Wäschebedarf. Jedes leere Wasserfaß oder sonstige Gefäß, das sich nur irgend dafür eignete, wurde gefüllt, und auf diese Weise reichte der Vorrath fast für die ganze übrige Reise, um uns täglich einmal den Luxus einer Abseifung zu gestatten. Eine erste Seereise In der letzten Woche hatte der Regen nachgelassen, die Sonne brach auf Stunden durch, aber mit dem Aufhören der Gewitterböen verloren wir auch die stärkeren oder schwächeren Windstöße, die uns vorwärs gebracht. Wir lagen bisweilen 48 Stunden in vollkommener Windstille und dies war um so ärgerlicher, als wir uns nur noch höchstens zwei bis drei Meilen von der Grenze des Südostpassates befanden und aus den Toppen den dunklen Streifen zu erkennen glaubten, den an- kommende Briese auf dem Wasser macht. Das war eine Ge- duldsprobe und auch das Kratzen am Mast und Pfeifen wollte keinen Wind bringen. Es erschien mir wahrhaft komisch, mit welchem Ernst die alten Matrosen an die Wirksamkeit dieser beiden Mittel glaubten. Das Pfeifen ist sonst an Bord voll- ständig verpönt; aus Langeweile hatte ich es einige Male Nachts auf der Wache gethan, doch war es mir stets mit der unwirschen Bemerkung untersagt, auf einem Schiffe müsse man nicht pfeifen. Jetzt begriff ich den Grund des Verbotes. Pfeifen giebt Wind; damals hatten wir aber so viel davon, daß wir nicht mehr gebrauchen konnten. Nachdem übrigens die Sonne wieder zum Vorschein ge- kommen war und jetzt der kühlfächelnde Hauch des Windes fehlte, merkten wir doch die tropische Hitze ganz bedeutend. Der „rothe Hund“, eine Ausschlagskrankheit, die fast jeder Nordeuropäer beim Uebergang in heiße Klimate durchzumachen hat, zeigte sich in unangenehmer Weise. Man mußte sich in Acht nehmen, nicht außer dem abgehärteten Gesicht und den Händen, andere Körpertheile der Sonne auszusetzen, weil diese sofort Blasen zog, und die Hitze erschlaffte die Muskeln, namentlich der jüngeren Leute, so, daß man sich gar nicht rühren mochte. Ach, wie schwer wurde es mir in dieser Zeit, wenn ich zu irgend welchem Zwecke nach der Bramraa hinauf mußte und wie oft wurde ich, wenn das Klettern sehr langsam ging, durch die höhnenden Worte angespornt: „Du kommst ja nicht aus Werner der Stelle, Dich hat gewiß Jan Looi gepackt.“ Wie die Matrosen gern personificiren und z. B. die See, d. h. wenn sie in unbequemer Weise sich fühlbar macht, „Rasmus“ Erasmus. nennen, so bezeichnen sie die durch die Hitze erzeugte Schlaffheit des Körpers mit „Jan Looi“; das letztere Wort stammt aus dem niederdeutschen und bedeutet „träge, faul“. Dieser Hohn wirkte besser, als andere Mittel, um die Ermattung zu überwinden und ich kam auch bald darüber fort. Am letzten Tage, an dem wir uns im Stillgürtel befanden, erlebte ich noch ein wunderbares und höchst interessantes Schau- spiel, das uns alle in die höchste Aufregung versetzte und über- dies nur selten beobachtet wird. Es war klarer schöner Sonnenschein; kein Hauch trübte die Fläche des Meeres und die Sonnenstrahlen tauchten sich schim- mernd in seinen tiefblauen Schooß. Ich hatte Freiwache und war grade in die Lectüre eines alten Kalenders vertieft, der sich in der Seekiste des Kochs aufgefunden und dessen Inhalt ich den Kameraden vorlas, als wir durch den Ruf eines in der Takelage beschäftigten Matrosen: „Brandung voraus, zwei Strich an Steuerbord“ aufgeschreckt wurden. Alle sprangen auf und richteten die Blicke nach der be- zeichneten Stelle, die etwa zwei Meilen weit entfernt war. Der Kapitän schaute lange und aufmerksam mit dem Fernrohr hin. „Unbegreiflich!“ äußerte er kopfschüttelnd, „Auf hundert Meilen in der Runde zeigen die Karten nirgends eine Gefahr; ich bin hier schon zehnmal durchgekommen, habe davon weder etwas gehört noch gesehen, und doch sind es richtige Klippen, die wir dort vor uns haben.“ Fünf bis sechs dunkle Felsen ragten über die Wasserfläche empor und die Brandung spritzte schäumend an ihnen hinauf. Unterdessen war auch der Bootsmann an Deck gekommen, Eine erste Seereise und nahm die Sache in Augenschein. „Das sind weder Klippen noch Brandung“ sagte er nach einer Weile sehr bestimmt. „Was soll es denn sein?“ fragte ziemlich pikirt der Kapitän. „Das sind Walfische,“ erwiederte der Bootsmaun, „Was Ihr für Klippen anseht, sind Flossen und Schwänze. Sie spielen und schlagen damit auf das Wasser, daß es wie Bran- dung erscheint.“ Zuerst begegnete die Bemerkung nur ungläubigem Lächeln, aber bald überzeugten wir uns, daß der alte Harpunier, der zwanzig Jahre in allen Welttheilen dem Walfischfang obgelegen, Recht hatte. „Das ist eine ganze Schule!“ fuhr er fort, indem der sonst so ruhige Mann in Erinnerung an die früheren Kämpfe mit den Riesen des Meeres immer lebendiger wurde. „Seht dort die gewaltige Flosse in der Mitte, die alle anderen überragt, das ist der alte Schulmeister, der mit der Heerde von Weibchen zieht. Wie schade, daß wir keine Leinen haben — da wäre ein Fang zu machen, der uns ein paar Tausend Thaler ein- brächte. Sie sind lustig, und man kann bis auf fünf Schritte herankommen, ohne daß sie es merken. Da! jetzt bläst der Bulle! Was ein Kerl muß das sein — der mißt mindestens seine 60 Fuß!“ rief der Bootsmann in voller Extase. Ein mächtiger Strahl von feinem Wasserdampf stieg in die Lüfte und die Sonne malte einen prachtvollen Regenbogen hinein. Als ob dies ein Signal gewesen wäre, verschwand jedoch plötzlich die ganze Schaar von der Oberfläche. Fast gleichzeitig hoben sich acht bis zehn gewaltige Schwänze aus dem Wasser und die riesigen Körper tauchten von uns abgewandt in die Tiefe. „Sie kommen wieder auf,“ verhieß der Bootsmann, als wir unser Bedauern darüber aussprachen, „und wir werden sie bald ganz in der Nähe haben. Der Walfisch steigt immer in der entgegengesetzten Richtung wieder in die Höhe, in der er Werner hinuntergegangen. Die Thiere müssen übrigens durch etwas erschreckt worden sein, sonst ist das nicht ihre Art, so plötzlich das Spiel abzubrechen.“ Wir warteten in Spannung wohl eine Viertelstunde, da blies es wieder, erst einmal und wieder so mächtig wie vorhin, dann in kleinen Zwischenräumen noch fünf- bis sechsmal, aber mit schwächerem und niedrigerem Strahl. Wie der Bootsmann vorausgesagt, tauchte die Heerde wieder auf und zwar ganz nahe bei unserm Schiffe, keine 300 Schritte von uns entfernt. Wie auf Commando liefen wir Alle, der Kapitän voran, nach oben in die Takelage, um besser zu sehen. Ich hielt mich zum Bootsmann, der mir über Alles am besten Auskunft geben konnte und saß mit ihm auf der Vormarsraa. Die Fische waren bei der geringen Entfernung und in dem klaren durch- sichtigen Wasser so deutlich zu sehen, als ob sie vor uns lägen. Jeden ihrer Körpertheile, den gewaltigen Kopf mit dem Ein- schnitte des colossalen Rachens, das Blasloch, die Flossen unter- schieden wir klar, ja sogar die Muschelklumpen, die sich auf den ungeschlachten Rücken angesetzt, konnten wir genau wahr- nehmen. Mich fesselte die Neuheit des Anblicks natürlich auf das höchste und ich zitterte förmlich vor Erregung. Die Heerde bestand aus acht Stück, dem Bullen und sieben Kühen; Kälber waren nicht dabei. Der Bulle war ein gewaltiges Thier und eher noch länger als ihn der Bootsmann geschätzt hatte. Die Weibchen erschienen dagegen bedeutend kleiner und hatten unge- fähr gleiche Größe. Alle waren sehr nahe an einander gedrängt, der Bulle auf dem linken Flügel etwas schräg vorgeschoben, als wollte er die Heerde gegen etwas decken. Sie blieben ziemlich auf demselben Flecke, bewegten fast unmerklich Flossen und Schwanz und nur dann und wann neigte sich einer oder der andere etwas auf die Seite, so daß wir ein Stück des weißen Bauches sehen konnten. Eine erste Seereise „Ich sage Dir, Schweizer, da ist etwas unklar,“ hub der Bootsmann wieder an, „das ist nicht die Manier der Wale, so auf einem Fleck zu hocken, das habe ich noch nie gesehen.“ „Vielleicht sehen sie unser Schiff und ängstigen sich davor,“ erwiederte ich. „O, Gott bewahre, vor Schiffen haben sie keine Furcht, das habe ich einmal in der Südsee auf eine Weise erfahren, an die ich noch heute mit Schaudern denke — nein, es muß etwas anderes sein! Sieh! sieh! was der Bulle macht!“ Das Thier flog aus seiner schrägen Lage, wie ein Blitz, nach links, fast um einen Viertelkreis herum und schoß dabei etwa 50 Schritt voraus, gegen unser Schiff hin, so daß wir ihn noch viel deutlicher als vorhin sahen. Gleichzeitig hoben sich wieder die Schwänze der Kühe in die Luft; wie ein Lauf- feuer von Geschützen schlugen sie krachend damit das Wasser, daß es hoch aufschäumte und schossen dann fast perpendiculär in die Tiefe. „Das ist kein Spiel mehr,“ sagte der Bootsmann, „das ist bitterer Ernst — es muß ein schrecklicher Feind in der Nähe sein. — Ah, ich habe mich nicht geirrt, dort ist er! Schwertfische!“ Ich folgte der Richtung der Hand und sah jetzt die vom Bootsmann entdeckten Fische. Es waren sechs, von 15 bis 16 Fuß Länge; sie kamen mit fliegender Fahrt unter unserm Schiffsboden hervorgeschossen und nahmen ihre Richtung auf den sie offenbar erwartenden Bullen. In dem Augenblicke jedoch, als wir sie sahen, theilten sie sich, nur zwei behielten ihren Curs bei, die übrigen bogen nach rechts ab, wahrscheinlich um den fliehenden Kühen zu folgen. Die beiden ersteren, etwa zehn Schritt von einander entfernt, nahmen ihren Weg auf die Flanke des Walfisches — in wenigen Secunden mußten sie ihn erreichen und dann war er verloren. Da erfolgte wieder die unbegreiflich blitzschnelle Drehung, diesmal nach rechts; der Kopf Werner des gewaltigen Thieres senkte sich und es führte mit dem Schwanze nahe an der Oberfläche des Wassers einen furchtbaren Schlag. Der Angriff der Schwertfische war mißlungen und der eine von ihnen kampfunfähig gemacht; er lag auf der Seite, bewegte zwar noch die Flossen, mußte aber schwer beschädigt sein, denn er strich nur langsam seitwärts in die Tiefe. Der zweite war unverletzt; wir sahen ihn aus dem schäumenden Wasser, das der Schwanzschlag verursacht, mit pfeilartiger Ge- schwindigkeit hervorkommen und nach links schwimmen, um sehr bald unsern Blicken zu entschwinden. Der Walfisch stand regungslos im Wasser und uns so nahe, daß wir fast direct auf ihn niedersahen. Er blies, als ob er zur Fortsetzung des Kampfes Athem schöpfen wollte. Es klang wie ein übernatürlicher Posaunenton, aber wir sahen in der großen Nähe auch deutlich, daß es kein Wasser war, was er von sich gab, sondern nur mit nebelartigem Dampf vermischte Luft. Es fielen keine Tropfen auf die Wasserfläche zurück. „Bravo, bravo,“ ertönte es laut von den Toppen und Raaen aus unser aller Munde, die wir Zuschauer des wunder- baren Kampfes waren. „Hurrah! der Wal hat gesiegt.“ Als ob dieser unsere Beifallsrufe verstanden, drehte er den Kopf etwas nach uns zu, blieb aber sonst auf der Stelle und sein mächtiger Rücken stand einige Fuß aus dem Wasser hervor. „Wartet, wartet,“ mahnte der Bootsmann, „die Sache ist noch nicht zu Ende. Ihr kennt die Schwertfische nicht, so leicht geben sie den Kampf nicht auf. Der alte Schulmeister weiß das auch ganz genau; seht nur, wie er den Kopf dreht und die Augen überall hin scharfen Ausguck halten.“ Kaum waren die Worte verhallt, als auch schon ein neuer Angriff erfolgte, diesmal aber augenscheinlich von der andern Seite, als woher ihn der Walfisch erwartete. Der Schwertfisch hatte einen völligen Halbkreis gemacht und sich Hülfe geholt, Eine erste Seereise um seinen Angriff zu erneuern. Den letzteren selbst sahen wir nicht, sondern nur seine großartige Wirkung. Der Wal sprang mit seinem ganzen Körper so hoch aus dem Wasser, daß der Bauch sich noch einige Fuß über der Oberfläche befand und schlug dann mit einem donnerähnlichen Krach und so furchtbarer Gewalt in sein Element zurück, daß der Fall ein Meer von schäumenden Gischt bildete und hohe Wellen bis zu unserm Schiff trug. Im selben Augenblicke, als der verzweifelte Luftsprung gethan wurde, sahen wir drei Schwertfische in sechs bis acht Fuß Abstand und parallel neben einander unter dem Walfisch hervor- schießen und gleich darauf in dem Schaum verschwinden. Offen- bar hatte der Wal keine Zeit mehr gehabt, der Attaque mit einem Schwanzschlage zu begegnen, wie vorhin und sich nur durch Herausschnellen aus dem Wasser retten können. Die Schwertfische hatten so ihr Ziel verfehlt und waren unter ihm durchgegangen. Der zweite Gang des merkwürdigen Kampfes war beendet, und wiederum ertönte aus dem Munde der Be- satzung ein „Hurrah“ für den Wal. „Er ist doch verloren,“ sagte der Bootsmann; „es sind drei gegen einen, die beiden andern werden auch noch zurück- kommen und dann ist er unbedingt fertig. Schade um den schönen Thran,“ fügte er bedauernd hinzu. Er sah die Sache weniger vom chevaleresken, als vom Standpunkte des Harpuniers an, während wir andern alle Partei für den Wal nahmen. Die Prophezeihung sollte nur zu bald in Erfüllung gehen. Der Kampf begann auf’s neue und wurde von beiden Seiten mit der größten Wuth und Erbitterung geführt. Leider entgingen uns jetzt die meisten Details, aber wie heiß der Streit entbrannt war, das sahen wir an den heftigen Bewegungen des Wal- fisches, an dem Wogen und Schäumen des gepeitschten Wassers, wenn letzterer seine Schwanzschläge austheilte, an dem schnellen Wechsel des Kampfplatzes, bald unmittelbar beim Schiffe, bald Werner 500 Schritt und mehr davon entfernt. Die Schwertfische selbst sahen wir fast gar nicht mehr; sie schwammen bedeutend tiefer als der Wal, weil die Angriffe stets auf dessen verwundbarsten Theil unterhalb der Bauchflossen gerichtet waren, und die rasenden Sprünge und Stöße des letzteren machten die Wasserfläche so trübe und undurchsichtig, daß wir zu unserm großen Bedauern ihren Bewegungen nicht folgen konnten. Nur einmal machte auch einer von ihnen einen Satz aus dem Wasser, offenbar um einem sofort darauf erfolgenden Schwanzschlage zu entgehen. So wogte der furchtbare Kampf hin und her. Wir folgten, so weit wir konnten, seinen Einzelheiten in athemloser Spannung wohl zehn Minuten lang, dann trat die Katastrophe ein. Jener mächtige Posaunenton von vorhin ertönte wieder, aus dem Blasloch stieg die Dunstsäule hoch in die Lüfte, aber diesmal spiegelten sich die Sonnenstrahlen nicht in Regenbogenfarben in ihr wieder, denn der Dunst zeigte sich mit Blut gemischt und roth gefärbt. Der tapfere Wal war tödtlich von seinen Feinden getroffen. Wie rasend jagte er im Kreise umher, bisweilen bis zu seiner halben Höhe aus dem Wasser hervorragend und es mit gewaltigen Schlägen peitschend. Dann erhob sich der Leviathan wieder mit einem furchtbaren Satze aus dem Wasser, aber neben ihm hing ein Schwertfisch, den er mit sich in die Luft empor- genommen, um ihn beim Fall mit der Wucht seines Körpers zu zerschmettern und, selbst sterbend, seinem Feinde den Tod zu geben. Noch einmal warf der Gigant einen Blutstrahl hoch — dann folgten drei bis vier furchtbare Schwanzschläge und alles war still. Das Wasser glättete sich und der mächtige Körper des tapfern Wal schwamm leblos an der Oberfläche. Nach seiner ersten Verwundung hatte er sich so weit von unserm Schiffe entfernt, daß wir das Letzte der submarinen Schlacht nur noch undeutlich sahen, aber wir konnten uns eines schmerzlichen Ge- fühls des Bedauerns nicht erwehren, daß der Held der Tiefe, der so brav gestritten, am Ende doch hatte unterliegen müssen. Eine erste Seereise Auch der Bootsmann sprach sein Bedauern aus, aber nur darüber, daß wir keine Fässer an Bord hatten, um den kost- baren Speck zu retten. „Der hat mindestens seine dreihundert Tonnen, es ist ein Capitalbulle, und nun geht all’ der Blubber vor die Haie“, klagte er. „Da sind rund 1500 Thaler zum Teufel, und nun muß es gar ein Potwal sein, sonst könnte man in einer Stunde doch noch eine Masse Geld an ihm verdienen.“ „Wie so?“ fragte ich, da ich den Sinn der letzten Be- merkung nicht verstand. „Der Potwal hat keine Barten,“ erwiederte er, „sondern nur Zähne im Unterkiefer, und die haben wenig Werth, wenn- gleich er damit Unglück genug anrichten kann. Ich hab’s erlebt und kann davon ein Liedchen singen; aber jetzt wollen wir niederentern und den Alten um ein Boot fragen. Wir wollen uns wenigstens ein Stück von der Zunge holen, die schmeckt ganz vortrefflich und eine solche Abwechselung bei dem ewigen Tornisterfleisch thut wohl.“ In meinem Eifer, recht schnell an Deck zu kommen und auch wol mit einer gewissen Eitelkeit, um vor dem Bootsmann meine Gewandtheit zu zeigen, benutzte ich nicht die Strickleitern der Wanten, sondern rutschte an der Stenge-Pardune herunter, aber leider bekam es mir schlecht. Ich machte es zu schnell und verbrannte mir so das Innere der Handfläche, daß ganze Stücke von der Haut abgerissen wurden. „Bravo Schweizer, das nenne ich flink!“ rief der Boots- mann. „Siehst du, mit der Zeit kann noch ein ganz tüchtiger Kerl aus Dir werden.“ Das Lob war theuer erkauft; ich biß vor Schmerz die Zähne aufeinander, ließ aber natürlich von meinem Mißgeschick nichts verlauten, um nicht ausgelacht zu werden. Der Kapitän erlaubte, daß der Bootsmann die Gig nahm, um ein Stück von der Zunge zu holen, und ich durfte mitfahren. Selten R. Werner , Erinnerungen. 7 Werner habe ich solche Schmerzen ausgestanden, als bei dieser Fahrt, weil das Holz der Bootsriemen beim Rudern stets mit dem rohen Fleisch meiner geschundenen Hände in Berührung kam, aber mit einem eines Indianers würdigen Stoicismus ertrug ich die heillose Pein, um für die Zukunft eine Lehre daraus zu ziehen. Wir fanden den Walfisch auf der Seite liegend und die ganze Wasserfläche in seiner Umgebung von Blut geröthet. Er hatte eine Länge von über 60 Fuß und namentlich imponirte mir der riesige Kopf, der ein Drittheil des ganzen Körpers auszumachen schien. Am Bauche hatte er vier schwere Wunden, drei davon mehr horizontal, die vierte tödtliche jedoch durch einen wohlgezielten Stoß von unten verursacht. Sie war es wol, die den Wal zu seinem letzten verzweifelten Luftsprunge getrieben hatte, bei dem er den Schwertfisch mit in die Höhe riß. Das abgebrochene Schwert stak in der Wunde, war aber so fest zwischen die Rippen eingekeilt, daß es nicht möglich war, dasselbe mit den Händen herauszuziehen. Als wir dann mit dem Boote zum Rachen hinholten, um ein Stück der Zunge herauszuschneiden, fanden wir ersteren krampfhaft geschlossen, aber zwischen den Kiefern einen vollständig zermalmten Schwert- fisch. Der Wal mußte ihn wahrscheinlich noch unmittelbar vor seinem Tode recht quer erfaßt und ihn mit seiner gewaltigen Reihe von 48, sechs bis sieben Zoll langen, kegelförmigen Zähnen förmlich zu Brei zerquetscht haben; nur der Kopf mit dem Schwert hing an der oben liegenden Seite des Rachens noch unverletzt, so daß wir ihn abschneiden und in das Boot nehmen konnten. Damit war dem Bootsmann jedoch nicht gedient, er war auf die Zunge versessen und wollte sie durchaus haben. Das ließ sich aber nur machen, wenn wir den Fisch langseit des Schiffes brachten, und wir bugsirten ihn deshalb bis dorthin. Als der Koloß einmal in Bewegung gesetzt war, glitt er leicht Eine erste Seereise durch das Wasser, und nach kaum einer Stunde war er an der Seite des Schiffes befestigt. Doch alle Mühe, den Rachen zu öffnen, war vergebens und zum großen Kummer des Boots- mannes und unsrer selbst mußten wir uns den Appetit auf den so hoch gerühmten Leckerbissen vergehen lassen. Als der Fisch bei diesen Versuchen mit Tauen herumgedreht wurde, fanden wir zu unserem Erstaunen drei alte verrostete Harpunen in seinem Rücken. Zwei davon trugen denselben Schiffsnamen, die dritte jedoch einen andern; das Thier mußte also schon früher von zwei verschiedenen Walfischfängern gejagt und ihnen entronnen sein. Sowohl die Harpunen, als auch die abgebrochene Säge wurden zum Andenken an den merkwürdigen Tag heraus- geschnitten; dann aber mußte der Wal losgeworfen werden, denn es sprang etwas Wind auf und der Kapitän wollte dies ausnutzen. Wie um ein Aas die Raben, so hatten sich in der letzten Stunde eine ganze Reihe Haie um den todten Wal gesammelt. Woher sie so schnell kamen mochte der liebe Gott wissen, aber wir zählten wohl zwölf von den verschiedensten Größen, die mit ihren dreieckigen Rückenflossen die Wasserfläche schneidend bis auf 20 bis 30 Schritt Entfernung das Schiff umkreisten und auf den Augenblick zu warten schienen, wo ihnen die selten reiche Beute zufallen mußte. Als wir den Fisch loswarfen und er kaum eine Schiffslänge von uns entfernt war, schossen sie von allen Seiten auf ihn zu und rissen mit ihren furchtbaren Gebissen mächtige Stücke aus dem Kadaver. Den Kopf des Schwertfisches ließ der Kapitän für sich skelettiren; das abgebrochene Schwert erhielt der Bootsmann, schenkte es aber mir, und ich habe es als ein Andenken, sowol an den alten Mann, dem ich außer so vielen andern Wohlthaten, auch mein Leben verdankte, als auch an das furchtbare Schau- spiel aufbewahrt, das zu sehen und namentlich in solcher Nähe selten Jemandem vergönnt ist. 7* Werner Das Merkwürdigste bei diesen Kämpfen zwischen Schwert- fisch oder Narwal und den Walen soll aber sein, daß erstere die letzteren nicht etwa angreifen, um sie zu fressen, sondern aus reiner Mordlust. Ein anderer, etwa zwanzig Fuß langer Raubfisch, der sogenannte Drescher, und selbst zum Geschlecht der Wale gehörig, ist ebenfalls Todfeind seiner großen Brüder, ver- nichtet sie aber, um wenigstens ihre Zunge zu fressen, die auch sein alleiniges Angriffsobject bildet. Wie er das anfängt, ist mir allerdings nicht klar geworden und ich kann mir auch nicht denken, daß er das bei den mit so gewaltigen Zähnen bewaff- neten Potfischen versucht, nachdem ich gesehen, wie ein Schwert- fisch zermalmt worden war. Der leise Windhauch, welcher den Kapitän veranlaßte, den todten Fisch loszuwerfen, zeigte sich endlich als der so lang er- sehnte Südostpassat. Ganz allmälig frischte er zu einer schönen Briese auf, und gegen Abend glitt unsere „Alma“ wieder leicht- füßig mit rundgeschwellten Segeln durch die Fluthen, deren gleichmäßige Wellen mit leisem Rauschen überköpften. Alles Ungemach der letzten drei Wochen war vergessen und wiederum genossen wir für eben so lange Zeit die Annehmlichkeiten des See- lebens wie im Norden der Linie, die noch dadurch erhöht wurden, daß wir jetzt am Winde segelten, dieser einen seitlichen Druck auf die Segel übte und daß in Folge dessen das Schlingern auf- hörte, das bisweilen recht unbequem geworden war. Auf Grund der Windrichtung, die im Beginn des Passats noch südlicher ist als Südost, müssen Segelschiffe einen ganz bedeutenden Bogen nach Westen machen und kommen ziemlich weit nach der südamerikanischen Küste hinüber. Erst auf un- gefähr 30 Grad südlicher Breite wechselt der Passat mit ver- änderlichen Winden, mit denen man in südöstlicher Richtung bis über den 40. Grad südlicher Breite steuert, um die dort herr- schenden Westwinde aufzusuchen. Mit ihnen segelt man dann um das Cap der guten Hoffnung und so weit nach Osten, bis man Eine erste Seereise nach Norden umbiegen und mit dem Südostpassat die Sunda- straße erreichen kann. Wir kamen an der auf der Höhe des Caps der guten Hoffnung, aber etwa 350 Meilen westlich davon gelegenen Insel Tristan d’Acunha vorbei und wollten sie in Sicht laufen, um unsere Schiffsrechnung zu verificiren. Es ging uns aber gerade so, wie mit Madeira. Wir sollten sie nach unsrem Besteck auf eine Meile Entfernung passiren; es war das schönste sichtigste Wetter, aber wir spähten vergebens; die Segeltuchhose blieb wiederum un- verdient. Wir waren also mindestens 20 bis 25 Meilen aus dem Wege, denn bei der außerordentlich klaren Luft hätten wir den hohen spitzen Bergkegel, der die Insel bildet, sehen müssen. Es konnten aber eben so gut hundert Meilen sein und da offenbar unser irdischer Chronometer, mit dessen Hülfe man die geogra- phische Länge berechnet, falsch zeigte, so mußten wir schon auf die nie fehlgehende himmlische Uhr zurückgreifen und uns an die Monddistanzen halten, die den Chronometer ersetzen. Nun ist aber sowol die Beobachtung wie die Berechnung der Distanzen zwischen Mond und Sonne resp. Sternen eins der schwierigsten Probleme, welche die Nautik kennt, und beides war namentlich für die Kapitäne alten Schlages, zu denen der unsere gehörte, eine böse Nuß. Sie zeigten sich im allgemeinen als außerordentlich tüchtige Seeleute, die mit ihren Schiffen lesen und schreiben konnten, wie man zu sagen pflegte, und in Drangsal und Noth bei Sturm und Wetter den Kopf oben zu behalten wußten, aber mit der theoretischen Navigation fand es sich bei ihnen, namentlich auf den friesischen Inseln, nur schwach bestellt. Staatliche Navi- gationsschulen existirten dort nicht, und so wurden die jungen Seeleute, wenn sie einmal einen Winter zu Hause waren, von alten invaliden Kapitänen in die Geheimnisse der nautischen Be- rechnungen eingeweiht, die sich allerdings auf ein Minimum be- schränkten. Mit den verschiedenen Methoden, die Breite aufzu- Werner finden, ging es noch. Weder die Beobachtung noch die Berech- nung erforderte besonderes Kopfzerbrechen, und auch das Berech- nen von Chronometerlängen war nicht übermäßig schwierig, aber auf Distanzen ließen sich die alten Seebären nicht ein, und erst der neueren Zeit war es vorbehalten, die Erlernung dieser Methoden für Kapitäne und Steuerleute der Handelsmarine obligatorisch zu machen. Unserm Kapitän war die Sache jedenfalls sehr unklar und er befand sich in einem unangenehmen Dilemma. Wir hatten von Schiffswegen zwar einen Sextant an Bord, aber ich war überzeugt, daß er noch nie ein solches subtiles Instrument in der Hand gehabt hatte und gar nicht damit umzugehen verstand, so gut er seinen mächtigen handfesten Octanten zur einfachen Höhenmessung auch handhaben konnte. Von der Berechnung war natürlich bei ihm gar keine Rede, und so hätte er sich vor seinen Untergebenen nur blamirt, wenn er sich überhaupt auf einen Versuch nach dieser Richtung einließ. Und doch mußte er gemacht werden, denn so irrten wir auf dem großen Ocean um- her, ohne auch nur annähernd zu wissen, wo wir uns befanden. Er stellte sich deshalb klüglicher Weise auf den Standpunkt des Vorgesetzten und befahl einfach den Steuerleuten, die betreffen- den Beobachtungen anzustellen. Diese hatten beide die Navi- gationsschule besucht, wußten wenigstens wie es anzufangen war und begannen mit der heikeln Aufgabe. Nun gehören aber zum Ausmessen einer Distanz für gewöhn- lich zwei Beobachter und ein Dritter, der die Beobachtungen niederschreibt und die Zeit notirt. Zu diesem Dritten bestimmte der Kapitän mich, da ich ohnehin nach meinem Contract in der Navigation unterrichtet werden sollte, und auf diese Weise wurde ich dann in die Mysterien der Letzteren eingeführt. Natür- lich ergriff ich diese Gelegenheit mit dem größten Eifer und Interesse, die Steuerleute unterwiesen mich in der Behandlung der Instrumente und in den Regeln der Berechnung; ich studirte, Eine erste Seereise beobachtete und rechnete, wann sich nur irgend Gelegenheit und Zeit bot, und meine sichtbaren Fortschritte spornten mich zu immer größerer Thätigkeit an. Von einem wissenschaftlichen Verständ- niß der Berechnungen konnte zwar keine Rede sein, ich lernte sie nur mechanisch, aber das genügte für den vorliegenden Zweck vollständig. Die Hauptsache blieb genaues Beobachten, weil da- von die Richtigkeit des Resultates abhing und darin hatte ich es in nicht zu langer Zeit durch unermüdliche Uebung so weit ge- bracht, daß ich mir ohne Ueberhebung darauf etwas zu Gute thun konnte. Auch in der ausführenden Rechnung war ich den Steuerleuten bald überlegen, was übrigens gar nicht auffallen konnte, da ich eben das Gymnasium absolvirt hatte und jene Beiden ihre Elementarkenntnisse nur von einer gewöhnlichen Volksschule ableiteten. Anfänglich haperte es mit den Beobachtungen sehr und wir gelangten zu wunderbaren Ergebnissen; der Eine rechnete den Standpunkt des Schiffes oft zehn Meilen anders heraus als der Andere, aber Uebung macht den Meister. Allmälig näherten wir uns, und nach Ablauf von drei bis vier Wochen stimmten wir so überein, daß, wenn wir unsere drei Beobachtungen mittel- ten, wir mit ziemlicher Genauigkeit, d. h. auf 2 bis 3 Meilen, was für die Praxis ausreicht, sagen konnten: das und das ist unsere Länge und daß wir später darauf hin auch die Sunda- straße auf den Kopf ansegelten. Ehe ich zur See ging, hatte ich schon vielfach von der Pracht des südlichen gestirnten Himmels gehört und gelesen und fand dieselben Schilderungen auch später in Reisebeschreibungen. Mir selbst ist es jedoch nicht möglich gewesen, dies bestätigt zu finden, und ich bin noch heute der Meinung, daß unser nordi- scher Himmel in dieser Beziehung den südlichen weit übertrifft und seine Sternbilder viel glänzender und schöner sind. In meiner Knabenphantasie leuchtete namentlich das südliche Kreuz in märchenhaftem Glanze, übergroß und feurig dachte ich mir Werner die Gestirne, wurde aber sehr enttäuscht. Auf späteren Reisen habe ich mir oft den Spaß gemacht, nach Ankunft des Schiffes auf der südlichen Hemisphäre, Kameraden, die noch nicht dort gewesen, das südliche Kreuz aufsuchen zu lassen, aber keiner von ihnen vermochte es zu finden. Wenn ich es ihnen dann zeigte, ertönte regelmäßig ein enttäuschtes „Ach, das ist es!“ und ich hatte die Genugthuung, den poetischen Reisebeschreibern gegenüber nicht der alleinige Prosaiker zu sein. Das Bild ist ein regel- mäßiges aus fünf Sternen bestehendes Kreuz, aber nur einer von ihnen ist zweiter, die übrigen sind fünfter und sech- ster Größe — woher sollte deshalb ein besonderer Glanz kommen? Einen Vorzug hat allerdings die südliche Halbkugel vor der unseren, wenigstens in der Nähe des Caps der guten Hoff- nung: das ist die wunderbare Klarheit und Durchsichtigkeit der Luft. Wir haben bei hellstem Sonnenschein bis Mittags 11 Uhr und dann wieder von zwei Uhr an öfter Planeten so deutlich am Himmel gesehen, daß wir mit den Instrumenten ihre Höhe messen konnten. Die Ursache dieser eigenthümlichen Erscheinung mag darin zu suchen sein, daß es im Süden des Caps kein Land giebt, dessen Dünste die Atmosphäre trüben. Als wir über den vierzigsten Grad südlicher Breite hinaus- kamen, fing die Schlecht-Wetter-Periode wieder an und wir ver- blieben darin nicht weniger als sechs Wochen. Wir segelten zwar immer mit günstigem Westwinde, der hier den atmosphäri- schen Gegenstrom zum Südostpassat bildet, aber wir hatten leider beständig mehr davon, als wir gebrauchen konnten. Selten ver- mochten wir größere als doppelt gereefte Marssegel zu führen, und oft wehte es so hart, daß wir tagelang vor Sturmsegeln beigedreht liegen mußten. Für ein Schiff giebt es eine gewisse Grenze, über die hinaus es nicht mehr segeln kann, sondern beidrehen, d. h. unter kleinen Sturmsegeln am Winde liegen und langsam seitwärts treiben muß. Es ist weniger die Stärke Eine erste Seereise des Windes, als die Gewalt der aufgewühlten See, welche zu diesem Manöver zwingt. Diese erhält bei schweren Winden eine solche Schnelligkeit, daß sie die vor ihr laufenden Schiffe überholt oder bei seitlichem Sturme quer über sie hinbricht und in beiden Fällen als verheerende Sturzsee nicht nur alles nieder- reißen, sondern die Fahrzeuge geradezu vernichten kann. Höchstwahrscheinlich sind der preußische Kriegsschooner „Frauenlob“, welcher 1860 bei einem Teufun im chinesischen Meere und die Korvette „Amazone“, die ein Jahr später bei einem ähnlichen Wirbelsturme in der Nordsee mit Mann und Maus unterging, von einem solchen Geschick ereilt und von einer Sturzsee be- graben worden. Wenn man vor dem Winde segelt, ist der Moment des Beidrehens immer ein gefährlicher und man darf damit nicht so lange warten, bis die See zu schwer geworden ist. Es ist eine eigenthümliche Erscheinung, daß bei Stürmen fast immer drei große überbrechende Wellen sich in kurzen Zwischenräumen folgen und dann eine längere Pause von ver- hältnißmäßig ruhigerem Wasser eintritt. Diese Pause muß wo- möglich zum Beidrehen benutzt werden. Gelingt es dem Schiffe nicht, während ihrer Dauer mit dem Kopfe an den Wind zu kommen, so setzt es sich der Gefahr aus, von einer der nächsten drei schweren Wellen erreicht und überflutet zu werden. Liegt es aber am Winde, dann hat es in der Regel nichts von Sturm und See zu fürchten, wenn es sich in offenem Wasser befindet. Es treibt dann vor den kleinen Sturmsegeln seitwärts, macht mit seinem Rumpfe ein sehr breites und ziemlich glattes Kiel- wasser und an diesem brechen und verlaufen sich die gefürchteten Kämme der heranrollenden Sturzseen. Zu den erwünschten nautischen Eigenschaften eines Schiffes gehört, daß es gut beiliegt und mit dem Kopfe immer auf 60—70 Grad am Winde liegt. Thut es dies nicht und fällt es öfter 20—30 Grad mehr ab, so fängt es an, Fahrt durch das Wasser zu machen, weil dann der Wind mehr von Werner hinten auf Masten, Raaen und Segel wirkt, es verliert das schützende Kielwasser und ist Sturzseen ausgesetzt. Unsere „Alma“ lag vortrefflich bei, und eigentlich zogen wir diese Position dem Segeln vor stürmischen Winden vor. Bei letzterem schlingerten wir in der hohen See, gegen welche die Segel keine seitliche Stütze gaben, oft so entsetzlich, daß fast die Spitzen der Unter- raaen in das Wasser tauchten, wir von beiden Seiten über die Verschanzung Wasser schöpften und beständig ein nasses, schlüpfe- riges Deck hatten. Bei solchen Gelegenheiten lernt man zwar den Werth der Seebeine schätzen, auf die Dauer aber wird es wahrhaft un- erträglich, wenn man Tage und Wochen lang sich nur an auf- gespannten Tauen von einer Stelle des Schiffes nach der anderen bewegen kann, bei den Mahlzeiten sich auf das platte Deck mit irgendwo festgestemmten Füßen setzen und dann noch den Suppen- napf mit großer Kunst balanciren muß, um nicht durch ein heftiges Ueberholen kopfüber in eine Ecke geschleudert zu werden. Unter solchen Verhältnissen war das Beidrehen eine ordentliche Erholung. Das schreckliche Schlingern hörte auf, wir bekamen ein trockenes Deck und fühlten uns einigermaßen als Menschen. Wenn das Schiff bei der gewaltig hohen See auch bisweilen so tief stampfte, daß uns der Athem stockte, so war das lange nicht so unangenehm, wie das ununterbrochene Hin- und Herschleu- dern. Die Wellen, welche ich bisher in der Nordsee und im Biscayischen Meerbusen gesehen, waren Kinderspiel gegen den Seegang beim Cap der guten Hoffnung. Ich hätte nicht geglaubt, daß sich solche Wasserberge aufthürmen könnten, und wenn einzelne derselben angerollt kamen, zuerst den Bug des Schiffes und dann das Heck so hoch empor hoben, daß es unter einem Winkel von 45 Grad zum Horizonte auf- oder niederwärts zeigte, dann mußte man sich an solche gewaltsame Bewegungen erst gewöhnen, um nicht durch sie erschreckt und schwindlich zu werden. Eine erste Seereise Wenn wir beigedreht lagen, wurde wenig gearbeitet, höch- stens Werg gezupft oder Flechtwerk aus Kabelgarnen gefertigt, eine Beschäftigung, bei der man sich in eine möglichst geschützte Ecke drückte und die Zeit durch Erzählungen kürzte. Der Kapi- tän hatte aber auch nichts dagegen, wenn wir an solchen Tagen Albatrosse und Captauben angelten, die zu Hunderten unser Schiff umschwärmten und mit großem Geschrei um jeden Bissen Abfall kämpften, der aus der Kombüse über Bord ging. Sie bissen wie die Fische auf die mit etwas Speck geköderten Angel- haken und wir fingen sie dutzendweise. Die Captauben sind etwas größer als unsere Tauben, die Albatrosse erreichen jedoch ein Gewicht von 15—20 Pfund; einzelne derselben maßen mit ausgespannten Flügeln 10—12 Fuß. Diese außergewöhn- lich langen Flügel machen es ihnen unmöglich, sich von einer glatten Fläche, wie z. B. von einem Schiffsdeck zu erheben. Wenn sie schwimmen, müssen sie stets abwarten, bis sie sich auf der Spitze einer Welle befinden, ehe sie in die Höhe fliegen können. Sobald wir sie aber auf das Deck setzten, wurden sie sowie auch die Captauben sichtlich seekrank. Als Speise sind beide Vogelarten nicht zu verwerthen; das Fleisch ist so hart und thranig, daß nur der größte Hunger es verzehrbar macht, und man fängt sie nur wegen der Federn. Diese decken in so ungemeiner Fülle namentlich die Brust, daß der Körper von der Größe eines Schwanes erscheint, aber gerupft nicht viel größer als ein Hahn ist. Als sparsamer Hausvater ließ unser Kapitän die gefangenen Thiere sorgsam rupfen, und da wir während der Reise einige zwanzig Albatrosse angelten, so hat er seiner Frau gewiß das nöthige Federmaterial für ein paar vollständige Betten mitgebracht; der Brustpelz gab den schönsten Eiderdunen nichts nach. Sonst bot die Reise auf dieser Strecke wenig Abwechselung und war ungemein eintönig. Schiffe hatten wir seit dem Passiren des Aequators, d. h. seit einigen Mona- ten nicht gesehen; nach Eisbergen hielten wir scharfen Ausguck Werner und öfter spornten uns eiskalte Nebel, die ihre Nähe zu verkünden schienen, noch zu erhöhter Wachsamkeit an, aber wir bekamen keine in Sicht. Sie können gerade wegen ihrer Nebelatmosphäre und besonders Nachts den Schiffen sehr ge- fährlich werden. Der Kapitän war gewiß mit ihrem Nicht- erscheinen zufrieden, ich jedoch hätte gar zu gern eine solche schwimmende Krystallinsel, von deren Schönheit selbst mein alter prosaischer Bootsmann in seiner Weise schwärmte, gesehen. Als wir ungefähr auf der Höhe der beiden unbewohnten und nur zeitweise von Walfischfängern zum Auskochen des Thranes besuchten Inseln Amsterdam und St. Paul angekommen waren, von wo aus man allmälig die südlichen Breiten verläßt, um nordwärts den Südostpassat aufzusuchen und damit die Sundastraße anzusteuern, wurden wir abermals von Nebel heim- gesucht. Gleichzeitig hatte sich jedoch endlich der stürmische Wind gelegt, der so lange unser unbequemer Begleiter gewesen, ebenso war die gewaltige See niedergegangen und wir konnten zum ersten Male nach vielen Wochen wieder die kleineren Segel führen. Nach einigen Tagen erreichten wir den Südostpassat und steuerten damit die Sundastraße an. Unsere Beobachtungen er- wiesen sich als richtig, und man kann sich denken, daß ich nicht wenig stolz war, in der Navigation solche Fortschritte gemacht und Kenntnisse gewonnen zu haben, die man sich sonst erst er- wirbt, wenn man als Steuermann fährt. Wir kamen Nachts vor die Straße. Das Land selbst hatten wir Tags zuvor noch nicht gesehen, doch seine Nähe war uns bereits durch mehrere Landvögel angekündigt, die sich auf unser Schiff verirrten. Es war sehr dunkel, aber mit der schönen stetigen Briese keine Ge- fahr, Nachts die Küste anzusegeln. Sie hebt sich steil aus dem Meere ohne weiter vorliegende Klippen oder Untiefen, ist so hoch, daß wir sie auf eine Meile sehen mußten und schlimm- sten Falls konnten wir mit dem ablandigen Winde immer wieder abkommen. Eine erste Seereise Gegen Mitternacht schlief die Briese ein und es wurde eine kleine Weile still. Daß wir ganz nahe unter der Küste sein mußten, merkten wir an dem ruhigen Wasser, auf dem sich das Schiff fast gar nicht bewegte, bald aber auch an den kost- baren Blumendüften, die der leise Hauch des jetzt ankommenden Landwindes zu uns herüberführte. In der Nähe von größeren Landgebieten hört der Passat auf und wird durch die täglich regelmäßig wechselnde See- und Landbriese verdrängt, welche das Resultat der Einwirkung der Sonne sind. Am Tage er- wärmt sie durch ihre Strahlen das Land bedeutend schneller und intensiver als das umgebende Meer, dessen Temperatur nur unmerklich dadurch geändert wird. Die Folge ist, daß sich die Luft über dem Lande verdünnt und die Luft vom kälteren Meere zur Ausgleichung als Seebriese herbeiströmt. Nachts findet dagegen der umgekehrte Proceß statt. Durch Ausstrah- lung wird das Land zu einer niedrigeren Temperatur abgekühlt, als sie das Meer bewahrt. In Folge dessen strömt die Luft von ersterem seewärts und trägt das Aroma, das Blumen und Blüthen mit Eintritt der Abendkühle ausströmen, viele Meilen weit mit sich hinaus. Am andern Morgen mit Tagesanbruch liefen wir in die Sundastraße ein. Wir hatten für damalige Zeiten eine ziemlich schnelle Reise gehabt, 105 Tage von Helvetsluys, aber seit 100 Tagen sahen wir zum ersten Male wieder Land. Mit welcher Freude begrüßte ich den so lang entbehrten Anblick und weidete meine Augen an dem prachtvollen Grün der Waldungen. In ungeahnter Fülle und Ueppigkeit bedeckten sie das schöne Java, an dessen Küste wir auf kaum tausend Schritt Entfernung hinsegelten, während zur Linken die mächtigen Bergkegel der Insel Cracatoa und Sumatras sich in die Lüfte erhoben und in jenem bläulichen Dufte schwammen, der den südlichen Gegenden eigenthümlich ist. Aber die ganze wunderbare Schönheit einer tropischen Landschaft enthüllte sich meinem trunkenen Blicke erst, Werner als wir am andern Tage auf der Rhede von Anjer, einem kleinen malayischen Städtchen der Javanischen Provinz Bantam ankerten. Wir blieben zwar nur wenige Stunden, lediglich zu dem Zwecke, Erfrischungen zu kaufen und kamen deshalb nicht an das Land, waren jedoch so nahe dem Ufer, daß wir mit bloßem Auge alles unterscheiden konnten. Die Hütten der Eingeborenen lagen malerisch in dem dichten Grün am Abhange eines Hügels zerstreut, dessen Rücken Anpflanzungen von Kokos- palmen krönten. Unten am Strande auf einem freien Platze erhob sich ein gewaltiger Baum von so gigantischen Dimensionen, als sei er dort hingestellt, um Zeugniß zu geben von der un- erschöpflichen Kraft und dem Reichthum des Bodens. Weiter- hin wiegten sich die Blätter der Bananen im lauen Winde und ihr helles Grün zeichnete deutlich die Conturen gegen den dunk- len Hintergrund ab. Ich war wie bezaubert von der ebenso schönen wie lieblichen Scenerie, deren Fremdartigkeit den Reiz noch erhöhte, doch dann wurde meine Aufmerksamkeit durch Näherliegendes in Anspruch genommen. Sechs bis acht ma- layische Boote kamen herangerudert bis an den Rand mit Er- zeugnissen der Tropenzone, mit Früchten und Thieren der ver- schiedensten Art gefüllt, und ich wußte nicht, wohin ich das Auge zuerst wenden sollte. Hier waren es die mächtigen Dolden goldiger Bananen, dort Ananas, Mangostin, Pampelmus, die meine Aufmerksamkeit fesselten und das Verlangen nach ihrem Besitze wachriefen, während anderwärts Hunderte von kleinen Vögeln, bunte javanische Sperlinge in Käfigen zwitscherten, Papageien ihr glänzendes Gefieder zeigten, blendend weiße Kaka- dus ihren hochrothen Kamm aufsetzten, wenn die in ihrer Nähe befindlichen Affen versuchten, ihnen das Gefieder zu zer- zausen. Unten im Boote lagen große Schildkröten, daneben wurden allerliebste Zwerghirsche von der Größe eines Lammes feilgeboten und auch an mordgierigen Tigerkatzen und anderem Raubzeuge fehlte es nicht. Dazwischen sah man Korallen und Eine erste Seereise Muscheln in den verschiedenartigsten Formen und Farben auf- gestapelt und die braunen Gestalten der Malayen priesen in einem Gemisch aller möglichen Sprachbrocken ihre Waare an. Anjer ist ein Halteplatz für fast alle Schiffe, welche ein- oder ausgehend die Sundastraße passiren und deshalb hat sich hier ein so lebhafter Markt herausgebildet, bei dem die Ver- käufer glänzende Geschäfte machen, weil der sorglose Seemann nicht nur alles mögliche kauft, so lange er einen Pfennig in der Tasche hat, sondern auch nicht um den Preis feilscht. Oft kommt es vor, daß auf größeren Schiffen, die heimwärts gehen, für Hunderte von Thalern allein an Thieren gekauft wird und es dann dort in der ersten Zeit wie in einer großen Menagerie aussieht. So störend dies in mancher Beziehung für den Dienst ist, läßt man doch den Leuten darin ziemlich viel Freiheit, denn die Sache dauert nicht lange. Ungunst der Witterung, Mangel an der richtigen Nahrung und Pflege räumen sehr bald auf, und nicht der zwanzigste Theil der mitgenommenen Thiere wird wirklich bis zur Heimath gebracht. In der Aussicht, auf der Rückreise den Ort wieder anzulaufen, begnügten wir uns mit dem bewundernden Anschauen der lebenden und todten Selten- heiten und verwendeten das uns verabfolgte Geld nur zum Ein- kauf von Früchten, um darin nach Herzenslust zu schwelgen. Vier bis fünf Dutzend Hühner wurden vom Kapitän acquirirt, um nach fast viermonatlicher Seekost der Mannschaft den Ge- nuß von frischem Fleisch zu gewähren und die Spuren des Scorbuts zu beseitigen, die sich, wenn auch noch in leichter Form, bei einigen von uns in aufgelockertem, leicht blutendem Zahnfleisch zu zeigen begannen. Dann wurde Anker gelichtet und mit der leichten Land- briese, die Abends wieder den Duft von Millionen Blüthen vom Lande zu uns herüber trug, steuerten wir weiter unserm Ziele, der Rhede von Batavia zu. Am andern Morgen passir- ten wir eine Menge kleiner Inseln, welche die östliche Hälfte der Werner Sundastraße und weiterhin die Java-See kennzeichnen. Viele Hunderte von ihnen schwimmen wie lichtgrüne mit einem Silber- reif eingefaßte Perlen auf dem tiefblauen Wasser. Ein schmaler Sandstrand umsäumt sie und die vom milden Windhauch be- wegten Wellen rauschen leise und schaumglänzend zu ihm hin- auf. Ein idyllischer Friede ruht über ihnen, doch wie paradie- sisch schön sie auch von außen erscheinen, ist fast keine von ihnen bewohnt, weil ihnen noch die Bedingungen für die menschliche Existenz fehlen. Einst, vor Jahrtausenden, nahm hohes Festland ihre Stelle ein; dann sank es unmerklich tiefer und tiefer, bis die Fluten des Meeres es bedeckten und es für immer in ihrem Schooße begruben. Aber jene kleinen Inseln sind die Wahrzeichen seines ehemaligen Daseins; in geheimnißvoller und geräuschloser Weise sind sie auf den Spitzen der versunkenen Berge aufgebaut und ununterbrochen arbeiten Milliarden winziger Arbeiter weiter an ihnen, um auf das Geheiß des Schöpfers Continente zu schaffen und der Menschheit neue Wohnstätten an Stelle der verschwundenen zu bereiten. Jene wunderbaren Baumeister sind die Korallenthiere, deren hervorragendste Typen die Actinien oder See-Anemonen bilden. Ihre Structur und mannigfaltige lebhafte Färbung verleiht ihnen das Aussehen lebendiger Blumen, und sie fesseln in den Aquarien vorzugsweise durch ihre Schönheit die Aufmerksamkeit und das Interesse des Beschauers. Ein transparenter Schlauch, mit dessen unterer Fläche sie sich an den Meeresboden heften, bildet ihre äußere Körperhülle und in ihm ist strahlenförmig durch Scheidewände ein zweiter unten offner Schlauch, der Magen, befestigt, dessen oberes Ende den mit einem dichten Büschel seiner Saug- und Fühlfäden besetzten Mund trägt. Bei den ungestörten Thieren sind diese Fäden in unaufhörlicher Be- wegung, um aus dem umgebenden Seewasser sowol die nöthige Nahrung aufzunehmen, als auch aus ihm kohlensauren Kalk abzuscheiden, denselben Atom für Atom von ihrem Körper wieder Eine erste Seereise abzusetzen und daraus jene Gerüste zu bilden, deren unendlich vielfache und schöne Formen wir als Korallen bewundern. Licht und Wärme sind die Lebensbedingungen der bauenden Korallenthiere; deshalb finden wir sie nur innerhalb der Tropen an ihrer nie endenden Arbeit und nicht tiefer als 200 Fuß unter dem Meeresspiegel. In wie großartiger Weise sie aber dort eine Rolle im Haushalt der Schöpfung spielen, dafür mögen die That- sachen sprechen, daß es an der Westküste von Neucaledonien ein Korallenriff von über vierzig Meilen und an der Nordostküste von Australien ein solches von über dreihundert Meilen Länge giebt. Fast alle die prachtvollen Inseln des Stillen Meeres und ein großer Theil derer im Indischen Ocean innerhalb der Tropen sind Producte der Korallen. Diese Bildungen treten in verschiedenen Formen auf, die charakteristische ist jedoch der Atoll oder die Lagunen Insel. Die Korallenthiere setzen sich an die Seiten eines sich senkenden Bergkegels und bauen mit nie irrendem Instinkt aufwärts, wohin die belebenden und erwärmenden Strahlen der Sonne sie locken, bis sie als ringförmiges Riff die Oberfläche des Meeres erreichen, die ihrer Arbeit eine Grenze setzt. Die brandenden Wogen zerbrechen theilweise an der Außenseite das spröde Ge- äst und werfen die Trümmer nach innen; im Laufe der Jahr- hunderte füllt sich allmälig die eingeschlossene Lagune, das Riff wird erhöht, die Verwitterung der Bruchstücke schafft fruchtbaren Boden, Wind und Strömung tragen Samen herbei und die neugeschaffene Insel deckt sich mit Pflanzen- und Baumwuchs. Zuerst sind es freilich nur Mangroven und anderes Ge- sträuch, welche Wurzel fassen in dem noch von Seewasser durch- feuchteten Grunde; doch ihr absterbendes Laub schichtet mit- helfend den Humus, der der anschwemmenden Kokosnuß gestattet, zu keimen, als schlanke Palme ihre Blätterkrone hoch in die Lüfte zu erheben und als fruchttragender Baum dem Menschen zu künden, daß wiedererstandenes Land sich zur Cultur bereitet. R. Werner , Erinnerungen. 8 Werner Die Inseln der Javanischen Gewässer sind, wie bemerkt, meistens noch nicht so weit vorgeschritten und nur auf wenigen größeren überragt die Kokospalme das Unterholz, dessen wirres Durch- einander von Luftwurzeln in den bracken Gewässern der noch nicht ganz aufgefüllten Lagune Nahrung sucht und findet. Für den Menschen können sie deshalb noch nicht als dauernde Heim- stätte dienen, und nur hier und dort hat ein Malaye an ihren Ufern eine zerbrechliche Hütte aufgeschlagen, um darin seine Siesta zu halten, wenn die glühenden Strahlen der Sonne ihn von dem ergiebigen Fischgrunde vertreiben, den er in der Nähe entdeckt hat. Die Fahrt zwischen diesen Inseln, in deren Namen sämmt- liche Städte Hollands vertreten sind, bei dem ruhigen Wasser und der linden Briese war reizend, die vielen malayischen Han- dels- und Fischer-Praue, Boote von zierlichem, feinem Schnitt mit schön gebogenen Voluten an ihren beiden Enden und dem mächtigen Bastsegel an schlanken Bambus-Masten und Raaen, bildeten eine belebende Staffage des friedlichen Bildes. Am andern Mittage erreichten wir mit der Seebriese die Rhede von Batavia, aber sie entsprach nicht meinen Erwartungen, die durch das bisher Gesehene sich noch gesteigert hatten. Man liegt fast eine Stunde weit von der Stadt, sieht nichts von ihr und selbst ihre landschaftliche Umgebung bietet wenig Schönes. Eine große gleichmäßig mit Baumwuchs bestandene Ebene, nach Süden zu leise aufsteigend, breitet sich vor dem Blicke aus und wird nur in weiter Ferne durch die Spitzen der Vulkane im Innern der Insel überhöht, aus deren Krater man bei blauem Himmel schwache Rauchwolken aufwirbeln sieht, ein Zeichen, daß ihr unter- irdisches Feuer noch nicht erloschen ist und jeden Augenblick mit vernichtender Gewalt wieder hervorbrechen kann. Wir fanden eine ziemliche Anzahl Schiffe vor, meistens natürlich Holländer, doch auch einige Deutsche, in deren Nähe wir ankerten. Auch chinesische Dschunken, jene ungeheuerlichen Fahrzeuge, die seit Jahrtausenden ihre Form behalten haben Eine erste Seereise und an denen die Fortschritte der Zeit wie an dem Reiche der Mitte selbst, spurlos vorübergegangen sind, waren da. Vorn und hinten thürmen sich auf ihnen hohe Kastelle; an ihren Pfahlmasten hängen schwerfällige Mattensegel, nach Art unserer hölzernen Jalousien construirt, und ihre ganze Erscheinung macht den Eindruck der größten Ungeschicklichkeit und Unbeholfenheit, der nirgends durch gefällige Linien, wie man sie bei den Fahr- zeugen aller übrigen Nationen trifft, gemildert wird. Das Segeln am Winde und Laviren, welches unsere Altvorderen, die Sachsen, bereits vor mehr als anderthalb Tausend Jahren erfanden, ist ihnen noch heute eine unverstandene Kunst; sie ver- mögen deshalb nur mit günstigem Winde zu segeln und können trotz der geringen Entfernung zwischen China und Java jährlich nicht mehr als eine Reise machen. Es wehen auf dieser Strecke halbjährliche Winde, die Monsune, mit entgegengesetzten Rich- tungen; mit dem Ost-Monsun kommen sie südwärts, und kehren nach vier- bis fünfmonatlichem Stillliegen mit dem Westwinde in ihre Heimath zurück. Von astronomischen Ortsbestimmungen haben sie kein Verständniß; wie die alten Phönicier nur längs der Küste segelnd, suchen sie von Vorgebirge zu Vorgebirge ihren Weg und glauben ihn ohne die beiden großen am Bug jeder Dschunke gemalten Augen, die den plumpen Fahrzeugen ein noch groteskeres Aussehen verleihen, nicht finden zu können. Von Schiffahrts-Instrumenten besitzen sie nur den Compaß. Es ist historisch nachgewiesen, daß die Chinesen ihn bereits 500 Jahre früher erfunden hatten, als er in Europa in Gebrauch kam, aber er ist noch eben so primitiv wie damals und hat es nicht vermocht, ihre Navigation zu Verbesserungen anzuspornen, obwohl China so viel Fahrzeuge zählt, wie fast die ganze übrige Welt zu- sammen genommen. Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn wir bei einem plötzlich ausbrechenden Sturme an der chinesischen Küste von Unglücksfällen hören, die uns kaum begreiflich sind und daß an einem Tage bisweilen 6—800 Dschunken mit 8* Werner 10—12000 Menschen und mehr Besatzung von den Wellen begraben werden. Bald nach dem Ankern ging der Kapitän ans Land und ich wurde mit in die Gig geschickt. Wir segelten mit der frischen Seebriese hinein und gelangten ziemlich schnell bis an den schmalen Kanal, der die Rhede mit der Stadt verbindet und durch niedriges sumpfiges Land führt. Hier mußte wegen Windstille zu den Rudern gegriffen werden, und da wir fast noch eine halbe Stunde gebrauchten, ehe wir den Anlegeplatz erreichten, kamen wir bei der sengenden Sonnengluth in Schweiß gebadet an. Die Landungsstelle war nicht sehr einladend; eine Menge Boote mit schreienden und gesticulirenden Malayen, Chinesen und Laskaren lag dicht zusammengedrängt dort, so daß wir nur mit Mühe uns einen Weg zu bahnen vermochten; daneben wühlten ein paar Dutzend Kambaun, javanische Ochsen, in dem schlammigen Wasser, um sich gegen Fliegen zu schützen, so daß nur ihr ungeschlachter Kopf heraussah, und zwischen ihnen badeten eben so viel Malayen jeden Alters und Ge- schlechtes. Die nächste Umgebung bildeten große todtblickende Speicher, der Beginn der ohne alle architektonische Schönheit nur nach dem Nützlichkeitsprincip gebauten Stadt, und ihnen gegenüber erhob sich der niedrige Erdwall einer Befestigung, der statt der Pallisaden durch eine allerdings eben so wirksame lebendige und sechs Fuß dicke Hecke von Cactus geschützt wurde. Ueber diesem wenig erquicklichen Bilde zitterte der Broden er- hitzter Luft wie über einem Glühofen, und ein widerlich pene- tranter Geruch von verwesenden Körpern beleidigte die Nase. Der Kapitän bestieg einen der am Platze haltenden und mit feurigen Ponies bespannten Miethwagen, um nach Welltefreden, der Villenvorstadt, zu fahren, wo die Europäer in reinerer Luft und reizvollerer Umgebung wohnen, während in Batavia selbst sich nur die Geschäfts- und Waarenhäuser befinden. Unsere neidenden Blicke flogen ihm nach, dann aber führten wir den Eine erste Seereise erhaltenen Befehl aus, uns wieder an Bord zu begeben, und die folgende Stunde angestrengten Ruderns vermochte nicht meine Stimmung zu verbessern. Wo waren die Träume geblieben, denen ich mich früher hingegeben, wenn meine Phantasie mir die Schönheiten der Tropenländer ausmalte, in deren Genuß ich zu schwelgen hoffte, indem ich Seemann wurde? — Zerstoben, verweht, wie schon so viele andere in den letzten fünf Monaten! Der Kauffahrtei- seemann, mit Ausnahme des Kapitäns, sieht wenig oder nichts von den meisten fremden Ländern; die viele Arbeit, welche grade in den Häfen sich häuft und seine ganzen Kräfte in Anspruch nimmt, so daß er Abends erschöpft nur Ruhe sucht, die wenigen Stunden Urlaub, die er höchstens Sonntags einmal erhält, und andere Umstände sind ebenso viele Hindernisse für ihn, und für mich gab es keine Ausnahme. Alle Romantik war dahin; wir trafen an einem Sonntage ein und es lagen zunächst vierzehn Tage schwerer Arbeit des Löschens und Ladens vor mir. Es wird bei größerer Entfernung vom Land nur immer eine Hälfte der Mannschaft auf einmal beurlaubt; nach altem Herkommen hat Steuerbord-Wache, die vom Obersteuermann commandirt wird, bei solchen Anlässen den Vorzug und ich gehörte zur Backbordwache. Das Bootsrudern hörte glücklicher Weise auf. Europäer erkranken zu leicht dadurch und es werden deshalb für die Dauer des Aufenthaltes malayische Ruderer angenommen, mit denen der am Lande wohnende Kapitän täglich an Bord kommt, um Anordnungen zu treffen. Die materiellen Genüsse, welche sich uns boten, beschränkten sich auf die schönen Südfrüchte, an denen ich mich allerdings hoch erquickte, die geistigen auf Austausch von abendlichen Besuchen bei unsern Landsleuten auf den deut- schen Schiffen. Eine große Freude, die allerdings für mich viel Trübes aufwog, bereitete die unerwartete Ankunft von Briefen aus der Heimath. Die Nachrichten waren zwar schon Monate Werner alt, denn damals gebrauchte die Ueberlandpost noch acht Wochen bis Java, während jetzt kaum mehr als die Hälfte Zeit dazu erforderlich ist, aber sie lauteten erfreulich und wurden von mir Vereinsamten mit Jubel begrüßt. Wie manche abendliche Stunde verging mir trotz der Ermüdung von des Tages Last und Hitze in angenehmster Befriedigung, wenn ich vor meiner Kiste knieend bei dem Stümpfchen eines mir vom Steuermanne geschenkten Lichtes an der Beantwortung der Briefe schrieb und diese, Bogen an Bogen reihend, sich fast zu einem Buche gestaltete. Ich hatte so viel zu sagen und zu erzählen, was die Lieben daheim inter- essirte — freilich wie es auf dem Grunde meines Herzens aus- sah, mit welcher Sehnsucht und Reue meine Gedanken hinflogen zu ihnen, das verschloß ich nach wie vor sorgsam in meinem Innern und sie sollten es mit meinem Willen nie erfahren. Eine sehr unangenehme Zugabe für uns war in der ersten Zeit das Verbot des Trinkens von rohem Wasser aus Gesund- heitsrücksichten; es durfte nur Theewasser genossen werden. Jeden Morgen wurden einige Eimer gekocht, aber bei der Hitze kühlte der Thee nur sehr langsam ab und so hatten wir zum Löschen des brennenden Durstes nur warmes Wasser. Merk- würdiger Weise gewöhnte man sich jedoch sehr bald daran und trank es schließlich gern. Im übrigen war unsere Verpflegung sehr gut. Es gab täglich frischen Proviant, abwechselnd Hühner, Schildkröte- und Hammelfleisch, dazu süße Kartoffeln und Yams. Morgens kam ein chinesischer Händler mit Eiern und Früchten zu mäßigen Preisen an Bord, von welchen letzteren für mich in Butter gebratene Bananen damals und seitdem den größten Leckerbissen bildeten, und wir hatten nach dieser Richtung nicht zu klagen. Die Witterung war während der ganzen Zeit am Tage schön, jedoch fast jede Nacht hatten wir Gewitter, die ge- wöhnlich gegen Mitternacht begannen, zwei bis drei Stunden anhielten und sich oft mit furchtbarer Wuth entluden. Unten im Logis konnte man vor Hitze, namentlich aber Eine erste Seereise vor Wanzen kein Auge schließen. Letztere sind auf älteren Kauf- fahrteischiffen eine häufige Plage und es giebt kein Mittel, um sie mit Erfolg zu vertreiben. Da flüchteten wir dann auf das Deck und schliefen in selbst gefertigten Hängematten, zu denen der Kapitän uns altes Segeltuch verabfolgen ließ, vorn auf der Back unter dem Sonnensegel. So lange es von oben trocken war, ging es, aber wenn die Gewitterregen losbrachen, bot das Sonnensegel gegen ihre Gewalt wenig Schutz. Wir zogen zwar noch ein Tau über unsere Hängematten und hingen eine wollene Decke zeltartig darüber, aber auch sie half nicht immer und wir wurden bisweilen trotzdem gründlich durchnäßt, was wir indessen den Wanzen bedeutend vorzogen. Eines Abends standen wir, von der Arbeit todtmüde, im Begriff, in unsere luftige Schlafstätte zu klettern, als wieder eine heftige Gewitterbö einfiel. Es war eine ganze Menge Wind dabei und obwol er über Land kam, wühlte er doch rauhe See auf, so daß das Schiff ziemlich heftig vor seinem Anker stampfte. Unser Großboot war ausgesetzt und hinter dem Schiffe befestigt, wie dies auf Handelsschiffen üblich ist, wenn sie laden oder löschen, um die zum Laderaum führende große Luke freizumachen, auf der in See das Boot sonst steht. Durch die heftigen Stöße, mit denen letzteres in die kurze See ruckte, brach die Fangleine und das Boot trieb seewärts. Der wach- habende Matrose meldete den Verlust dem Steuermann und dieser befahl, eins der Seitenboote, die Schaluppe, zu Wasser zu lassen und zu bemannen, um den Flüchtling wieder einzufangen. Bei der beschränkten Bemannungszahl eines gewöhnlichen Handels- schiffes können die Boote natürlich nicht wie auf Kriegsschiffen eine besonders abgetheilte Besatzung haben, aber es ist Gebrauch, daß bei solchen Gelegenheiten ohne besonderen Befehl die Jünge- ren stets voran sind, und somit sprang auch ich mit drei anderen Leichtmatrosen und dem Untersteuermann in die Schaluppe. Letzte- rer ging an das Steuer, während wir vier anderen rudern sollten. Werner Kaum war das Boot jedoch zu Wasser, als dieses von allen Seiten in das Fahrzeug eindrang. Durch langes Hängen an den Davids (Krähnen) in der brennenden Sonne waren die Planken ganz zusammengetrocknet und die Näthe klafften. Auf Grund der vielen sonstigen und drängenden Arbeiten an Bord hatte man versäumt, wie es sich sonst gehört, in die hängenden Boote so viel Wasser zu gießen, daß ihr Boden bedeckt und gegen Auftrocknen geschützt wurde. In der Hoffnung, daß die Näthe sich im Wasser bald wieder zusammenziehen würden, ließen wir uns in aller Eile noch ein paar Eimer zum Aus- schöpfen heruntergeben, ohne uns weitere Sorge zu machen und stießen vom Schiffe ab. Trotz anhaltenden Schöpfens durch zwei von uns füllte sich aber das Boot zusehends, und wir hatten uns noch keine hundert Schritte von der „Alma“ entfernt, als das Wasser fast bis unter die Sitzbänke gestiegen war und wir bei dem Seegange kaum noch die Ruder gebrauchen konnten. Wir befanden uns in einer höchst kritischen Lage. Unter solchen Umständen war es unmöglich, gegen Wind und See das Schiff wieder zu erreichen und wir trieben mit dem allmälig tiefer sinkenden Boote bei stockfinsterer Nacht, scharfem Winde und strömendem Regen in die offene See hinaus. Um unsere Situation noch schauriger zu machen, sahen wir, wie neben dem Boote sich im Wasser zwei feurige Streifen bewegten — es war das Kielwasser von zwei Haien, das in unheimlich grünlichem Lichte schimmerte. Von diesen schrecklichen Räubern der Tiefe wimmelt es auf der Rhede von Batavia und sie mochten wol Beute wittern. Es galt die Schaluppe unter allen Umständen flott zu halten. Sank sie noch einige Zoll tiefer, so waren wir gänzlich hilflos. Die See spülte dann hinein und wir gingen unter allen Um- ständen verloren, sei es, um unsern Tod in den Fluthen oder im Rachen der Haie zu finden. Wir gaben deshalb das Rudern auf, ließen uns treiben und schöpften sämmtlich mit Eimern, Eine erste Seereise Südwestern und Händen unter Aufbietung aller Kräfte. Unsere Anstrengungen wurden glücklicher Weise mit Erfolg gekrönt. Das Wasser minderte sich nach und nach, die Planken hatten sich auch wol etwas zusammengezogen, und nach einer Viertelstunde war ersteres soweit bewältigt, daß fernerhin zwei von uns ge- nügten, um das Boot flott zu halten. Wir waren inzwischen so weit getrieben, daß wir die Laterne, welche man auf dem Schiffe für uns als Erkennungszeichen ausgehängt, aus Sicht verloren. Die Bö hatte nicht nachgelassen; die Blitze flammten ohne Unterlaß, der Donner rollte und krachte betäubend und der Wind wehte so stürmisch, daß unser Boot vor ihm und der See ohne Segel und Masten förmlich dahinflog — wohin? das wußte Niemand. Wir hatten keinen Compaß; durch die schwarze Decke des Himmels brach kein Stern, um uns die Richtung anzugeben, wir irrten umher auf dem pfadlosen Meere und konnten nur muthmaßen, daß wir gegen Sumatra hin ver- schlagen wurden. Aber wie schnell auch das Boot die branden- den Wellen durchschnitt und durch die Nacht dahinsauste — die Haie hielten mit uns Schritt. Bald liefen sie neben einander, bald umkreisten sie getrennt in nächster Nähe das Boot, als wollten sie uns andeuten: „Ihr seid uns doch verfallen“. Der Sturm wuchs, anstatt, wie wir gehofft, nachzulassen. Wir waren in unserem gebrechlichen, lecken Fahrzeuge machtlos gegen ihn. Alles, was wir vermochten, war, letzteres recht vor dem Winde zu halten, um es nicht quer zur See kommen zu lassen und dann durch die erste Sturzsee gekentert zu werden. Trotzdem lief die See dann und wann an den Seiten über und wir Alle mußten schöpfen, um flott zu bleiben. Doch, was half das? Wenn der Wind sich nicht mäßigte, hatten wir nur noch eine kurze Spanne Zeit zum Leben. Die fünf Meilen bis zur Küste von Sumatra waren in wenigen Stunden zurückgelegt und unserer harrte dann das Geschick, an den die Insel umsäumen- den Klippen zerschellt zu werden. Werner In dumpfem Schweigen starrten wir in die schwarze Nacht hinaus und erwarteten die nächste Zukunft. Am ganzen Hori- zonte wetterleuchtete es ununterbrochen; dazwischen fuhren zackige Blitze blendend und grell hernieder; fast unaufhörlich rollte der Donner und seine Schläge ertönten immer lauter und näher. Die Köpfe der überbrechenden Wellen rauschten hohl, sie schim- merten phosphorescirend, wälzten sich aufthürmend neben unserem Boote her, bereit, uns jeden Augenblick zu verschlingen, und mitten in diesem Aufruhr der Natur wurde unser schwankes Boot auf der düsteren, mitleidslosen Wasserfläche wie ein Ball von Woge zu Woge dahin gepeitscht. Da schien sich die ganze Masse der in der Atmosphäre angehäuften Elektricität auf einmal entladen zu wollen. Das Firmament verwandelte sich plötzlich in ein Flammenmeer und es war einen Augenblick tageshell. Unmittelbar danach erfolgte ein so furchtbarer Donnerschlag, daß er uns vollständig betäubte. Das Boot wurde so gewaltig erschüttert, daß wir im ersten Momente glaubten, es sei vom Blitze getroffen und zerschmettert. Aber jene kurze Tageshelle hatte hingereicht, um unsere ganze schreckliche Lage mit einem Schlage zu ändern. Das verlorene Großboot war ganz in unserer Nähe, rechts voraus; wir alle hatten es gesehen und eine Täuschung war ausgeschlossen. Eben- so hatten wir auch Inseln vor uns erblickt; das konnten nur die Inseln der Sundastraße sein, die wenige Meilen von der Rhede von Batavia entfernt liegen. Wir trieben also nicht nordwestlich nach Sumatra, sondern westlich und der Wind mußte sich etwas gedreht haben. Diese Wahrnehmung gab uns unsere ganze Energie zurück. Wenn wir das Großboot erreichten, so hatten wir ein festes nicht leckendes und der See gewachsenes Fahrzeug unter den Füßen und die Hoffnung, es so zu dirigiren, daß es von den kleinen Inseln frei ging, hinter denen wir Schutz gegen Wind und See fanden. Aber selbst wenn uns dies nicht gelang, so lagen vor Eine erste Seereise den Inseln keine Klippen; die See hätte das Boot direct gegen den Sandstrand geworfen und wir konnten uns retten. Sobald unsere Augen sich von der Blendung des furchtbaren Blitzes etwas erholt, richteten sie sich suchend nach vorn, und nach kurzer Zeit hatten wir auch das Boot gefunden. Da es weniger Windfang, als unsere mit fünf Menschen gefüllte Scha- luppe besaß und deshalb langsamer trieb, erreichten wir es bald. Der Steuermann steuerte geschickt längseit desselben; ich sprang mit der Fangleine hinein, belegte sie um eine Bootsducht, und so waren wir geborgen. Alles, was sich lose in der Schaluppe befand, wurde hinüber gegeben. Der Leichtmatrose, welcher die Sachen zugereicht, wollte eben, als Letzter, die neben dem Großboot liegende Schaluppe ver- lassen und hatte schon einen Fuß in ersteres gesetzt, als plötzlich eine schwere See heranrollte, sich zwischen die Vordertheile beider Boote drängte und diese um 4—5 Fuß, so weit die Fangleine gestattete, auseinander riß. Dadurch verlor der Mann das Gleichgewicht und stürzte zwischen den Booten in’s Wasser. Wir alle sprangen sofort hinzu, um dem Verunglückten Boots- haken und Riemen hinzureichen, doch er ergriff sie nicht. Ein markdurchdringender Schrei erfüllte die Luft und ließ uns fast das Blut in den Adern gerinnen. Die Haie waren dem Boote nicht umsonst gefolgt — dort unten zogen sie wieder ihre beiden mattleuchtenden Streifen, aber zwischen ihnen zeigte sich noch ein dritter; es war unser armer Kamerad, der zer- fleischt in die Tiefe sank! Als ob mit diesem traurigen Opfer unser Leben erkauft wäre, ließ das furchtbare Wetter nach. Noch immer zwar zuckten die Blitze und rollte der Donner, allein das Gewitter verzog sich in die Ferne, die schwarze Wolkendecke zerriß, der strömende Regen hörte auf, es wurde etwas heller und der Wind schwächer. Ganz nahe vor uns erblickten wir jetzt eine Insel, welche die auf den Strand rollende Brandung mit einem glühen- Werner den Kranze umsäumte. Es gelang uns, dieselbe ganz nahe zu umsteuern, hinter ihr in dem stillen Wasser mit den Booten das Ufer zu erreichen und sie mit den Fangleinen an einem Baume zu befestigen. Wir waren gerettet und hatten die Hoffnung, am anderen Morgen mit der Seebriese an Bord unseres Schiffes zurückkehren zu können. So lange wir uns im Boote und in so großer geistiger Aufregung befanden, merkten wir nichts von körperlicher Er- mattung, nun aber begann sie sich fühlbar zu machen. Uns quälte Durst, aber wo war Wasser zu finden? Auf keiner dieser kleinen Inseln giebt es Trinkwasser. Wahrscheinlich hatten sich irgendwo im Innern nach dem schweren Regen Pfützen ge- bildet, doch mit Ausnahme des schmalen Küstenrandes, war die Insel mit so dichtem Gebüsch bedeckt, daß wir bei der Dunkel- heit unmöglich hineindringen konnten und uns auf den andern Morgen vertrösten mußten. Wir streckten uns in unseren nassen Kleidern auf dem nassen Boden aus und versuchten zu schlafen. Mich floh lange der Schlummer; ich mußte immer an den ver- lorenen Kameraden denken, und wenn ein Windstoß durch die Bäume zu unseren Häupten pfiff, dann schreckte ich auf und glaubte wieder den gellenden Schrei des Armen zu hören. Das war nun schon der zweite, der in der Zeit von wenigen Monaten gewaltsam aus unserer kleinen Schaar her- ausgerissen wurde. Wen würde das nächste Todesloos tref- fen? Der Verunglückte hatte mir nicht nahe gestanden, viel weniger nahe, als Heinrich Petersen, den die See vom Klüver- baum nahm, aber ein Tod auf dem Meere ist so ganz anders, wie am Lande, so viel trauriger und ergreifender. Wenn Je- mand am Lande stirbt, so ist man immer mehr oder minder darauf vorbereitet und wäre es selbst nicht der Fall, so sind wenigstens seine sterblichen Reste vorhanden; man folgt ihm zu Grabe und der Denkstein erinnert uns an ihn. Doch auf See bei einem solchen Unglücksfalle fehlt alles das. Der Eine erste Seereise Betreffende ist uns nahe — wir hören seine Stimme, wir scherzen oder sprechen mit ihm, und plötzlich ist er von unserer Seite verschwunden, ohne eine Spur zu hinterlassen. Jung, kräftig und gesund steht er vor uns und im nächsten Augenblick ruht er in dem weiten nassen Grabe. Kein äußeres Zeichen irgend welcher Art erinnert mehr an ihn — nur sein leerer Platz ist sein Grabstein, und diese Leere, die er hinterläßt, hat etwas so tief trauriges. Mit Tagesanbruch wurden wir wach. Das Wetter zeigte sich wieder prachtvoll, der Himmel wolkenlos und das Meer lag ruhig und spiegelglatt vor unseren Blicken. Unser Durst war brennend geworden und wir bahnten uns einen Weg durch das Gebüsch, um Wasser zu suchen. Es gelang; in einer Lich- tung hatte sich Wasser in einem Tümpel gesammelt, aber ein breiter Streifen Morast umgab ihn. Wir sanken so tief ein, daß keine Möglichkeit war, das Wasser zu erreichen, und doch mußten wir auf irgend eine Weise dazu gelangen. Sein Anblick hatte uns erst recht fühlbar gemacht, was wir litten; die Zunge klebte am Gaumen und wir erduldeten Tantalusqualen. Endlich kam uns der Gedanke, den Morast zu überbrücken. Wir schnitten mit unseren Messern Zweige, banden sie zu Faschinen, warfen sie in die weiche Masse und legten die Boots- riemen und die losen Ruderbänke sowie die Ruder und Boden- bretter der Boote darauf. Auf diese Weise gelang es uns, nach stundenlanger mühsamer Arbeit, einzeln und auf dem Bauche vorsichtig uns vorschiebend, bis an das Wasser zu kommen. Es war lauwarm, bräunlich und von einer Haut überzogen, die wir erst abstreifen mußten; aber mit welcher Gier wir trotzdem die widrige Flüssigkeit einschlürften, mit der wir möglicher Weise das tödtliche Klimafieber uns einimpften, vermag nur der zu ermessen, der die Qualen des Durstes selbst em- pfunden. Die Insel, auf der wir uns befanden, lag ungefähr drei Werner Meilen von der Rhede entfernt; wir konnten eben die Mast- spitzen der dort ankernden Schiffe über dem Horizonte erblicken. Gegen zehn Uhr Morgens schlief die schwache Landbriese ein, dann kam Stille und brennende Sonnengluth, gegen die wir im Gebüsch Schutz suchten. Mit unendlicher Mühe schöpften wir noch aus dem flachen Tümpel mit den Händen einen Eimer Wasser, um auf der bevorstehenden langen Rücktour nicht wie- der Durst zu leiden. Eßbares war auf der Insel nicht vor- handen außer einigen Schnecken und an den Strand geworfenen Muscheln; unser Hunger war jedoch noch nicht groß genug, um diese roh zu verspeisen. Die Seebriese ließ lange auf sich warten; erst kurz vor Mittag trat sie ein und wir machten uns auf den Weg. Wir ruderten in der Schaluppe und hatten das Großboot im Schlepptau. Wir kamen nur sehr langsam vorwärts und fühlten allmälig unsere Kräfte schwinden. Da die Briese kräftig auffrischte, versuchten wir, Mast und Segel zu improvisiren. Die zu den Booten gehörige Betakelung war nicht darin; wie so oft auf Kauffahrteischiffen war sie aus falscher Sparsamkeit irgendwo im Schiffe verstaut, anstatt sich stets in den Booten zu befinden, wie auf Kriegsschiffen. Einige zusammengebundene Bootsriemen mußten den Mast, ein anderer die Raa abgeben, die aufgerebbelte Fangleine lieferte das nöthige Bendselwerk und das Material zu dem Segel bildeten unsere Hemden, die wir mit den Kabelgarnen der Fangleine an die Raa und zusammen- nähten, während wir mit nacktem Oberkörper im Boot saßen. Es war eine wunderliche Takelage; da wir aber platt vor dem Winde segelten, erfüllte sie ihren Zweck. Gegen Abend, nach fast 24stündiger Abwesenheit, trafen wir von unserer Irrfahrt wieder an Bord ein. Es war Feierabend und die Besatzung stand am Fallreep, um uns zu empfangen. Sie hatte schon von weitem gesehen, daß einer fehlte und die Begrüßung war keine laute. Als ich an Deck kam, drückte mir der Bootsmann stumm die Hand, Eine erste Seereise aber auch ohne daß er sprach, las ich in seinen treuen Augen die Freude, daß ich glücklich zurückgekommen. Ich ging mit ihm nach vorn. „Die Andern dachten, Ihr wäret alle verloren“ sagte er nach einer Weile. „Sie meinten, die Schaluppe hätte in solcher See nicht leben können, aber ich glaubte nicht daran, ich hätte Euch sonst wol heute Nacht im Traume ge- sehen — doch als Ihr hinter dem Heck vor der Holländischen Bark vorkamt und nur mit Vieren im Boot waret, da wußte ich auch, daß kein anderer als Jens Jenssen fehlen konnte.“ „Denkst Du noch daran, als Ihr beide in jener schreck- lichen Gewitternacht bei der Linie die Bramsegel fest machtet und das Elmsfeuer erst bei Dir im Großtop war und dann zu Jens nach dem Vortop flog? Das war der Heinrich, denn jene blauen Feuerkugeln zeigen sich nur auf solchen Schiffen, die durch Unglück einen Mann verloren haben. Es sind die Seelen der Abgestorbenen, die herumirren, weil sie kein christ- liches Begräbniß erhalten haben und deshalb nicht zur Ruhe kommen können. Und als die Flamme sich dann Jens auf die Schulter setzte und sein Gesicht so fahl beleuchtete, als hätte er schon lange im Grabe gelegen, da war es uns allen, die wir es sahen, klar, daß Heinrich ihn rief und er zunächst an die Reihe kommen würde. Armer Jens! Seine Mutter wird’s schwer überleben; er war der letzte von ihren vier Söhnen. Zwei gingen mitsammt dem Vater auf dem kleinen Schuner verloren, den dieser als Kapitän fuhr. Das Fahrzeug soll im Kanal übergesegelt worden sein und man hat nie wieder etwas davon gehört. Der dritte kenterte mit dem Boote, als er einem gestrandeten Schiffe zu Hülfe kommen wollte und ertrank. Nun auch noch den letzten zu verlieren, das ist hart — arme Mutter!“ Er wandte sich ab von mir, lehnte sich an die Verschanzung und blickte über Bord. Das that er immer, wenn er nicht weiter sprechen wollte und ich ließ ihn deshalb allein. Werner Die übrigen Leute redeten auch nur wenig von dem Todten. Es ist das immer so an Bord, ohne daß Mangel an Gefühl daran die Schuld trägt. Der gewöhnliche Seemann hat eine gewisse Scheu vor solchen Gesprächen, die wol mit einer Art Aberglauben zusammenhängt. Wenige Tage darauf wurden wir jedoch auf eine schreckliche Art an den Unglücksfall wieder er- innert. Ein Bremer Schiff kam auf die Rhede und ankerte in unserer unmittelbaren Nähe. Am Abend ging die ganze Be- satzung über Bord, um sich zu baden und schwamm lustig um- her. Andern Tages kamen die Leute zu uns zum Besuch und wir warnten sie auf das Eindringlichste vor dem Baden. Kurz vor unserer Ankunft war ein englischer Matrose von einem Hai erfaßt worden und ein Kaiman hatte einen holländischen Steuer- mann, der auf dem Rande des Bootes saß und dessen Rock- schöße nahe über Wasser hingen, an den letzteren erfaßt, ihn über Bord gezogen und verschlungen. Sie schienen unsere War- nung jedoch in den Wind zu schlagen, denn zwei Tage darauf sahen wir sie zu unserem Schrecken wieder sämmtlich baden und um das an der Backspiere liegende Boot herumschwimmen. Einer der Matrosen hielt sich an der Fangleine des Bootes fest, als er plötzlich den Kameraden zurief: „Leute geht ins Boot, hier ist ein Hai. Er ist bei mir gewesen, hat mir aber nichts gethan.“ Die Leute kletterten schnell in das Boot, sahen jedoch gleichzeitig, wie Jener sich zwar noch krampfhaft an dem er- faßten Taue festhielt, aber auch, wie sein Kopf auf die Seite fiel und sich das Wasser in seiner Umgebung blutig färbte. Sie holten auf das schleunigste das Boot zu ihm hin und hoben ihn hinein, doch nur noch den Rumpf. Beide Beine waren zwischen Knie und Hüfte abgebissen, ob durch einen der colossalen Grundhaie von 14—16 Fuß Länge, wie man sie in jenen Gegenden trifft, oder durch einen Kaiman, blieb unent- schieden. Nach zehn Minuten war der Aermste verblutet und Eine erste Seereise eine Leiche. Wir sahen den ganzen Vorgang mit an und man kann sich denken, welchen furchtbaren Eindruck er auf uns machte. Das Löschen und Laden des Schiffes ging ziemlich schnell vor sich. Letzteres sollte sobald wie möglich nach Deutschland expedirt werden, um noch vor Winter wieder auszulaufen und es waren deshalb zwanzig malayische Kulis zur Hülfe an Bord geschickt. Sie leisteten zwar nicht sehr viel, aber immerhin be- schleunigte ihre große Zahl doch die Arbeit merklich und unser Aufenthalt dauerte voraussichtlich nicht länger als drei Wochen. Wegen der großen Entfernung unseres Ankerplatzes vom Lande blieben die Kulis auch Nachts an Bord und es interessirte mich, ihre Lebensgewohnheiten zu beobachten. Tages über hielten sie sich auf dem Oberdeck auf, wo für sie eine Art Zelt mit einem provisorischen Herd zum Kochen ihrer Mahlzeiten errichtet war. Letztere bestanden der Hauptsache nach unveränderlich aus Reis, den sie mit zerstampften Schoten von spanischem Pfeffer würz- ten, während einige Yams und ohne Fett am Feuer geröstete Fische die Zuthaten bildeten. Fleisch schafften sie für sich selbst nicht an, nahmen aber gern, was von unserem Mittagsessen übrig blieb; Spirituosen lehnten sie dagegen, als den Satzungen ihres mahomedanischen Glaubens widersprechend, ab. Ihre Gestalten waren klein und wenig muskelkräftig, ihre Hautfarbe hellbraun, das lange schwarze Haar unter einem turbanähnlich gewundenen Kopftuche versteckt. Der landesübliche von beiden Geschlechtern getragene Sarong, ein weiter geschlosse- ner Rock von buntem Kattun, hüllte den unteren Körper, eine enge Jacke von gleichem Stoff den oberen ein. Hervorstehende Backenknochen und wulstige Lippen machen die Gesichtszüge un- schön und durch die Folgen des Betelkauens erscheinen sie noch abstoßender. Das Betelkauen ist allgemein und wird nur wäh- rend der Mahlzeiten unterbrochen; die Erneuerung der ziemlich schnell verbrauchten Packete nimmt im täglichen Leben des Ma- R. Werner , Erinnerungen. 9 Werner layen viel Zeit in Anspruch und wird mit einer Sorgfalt und Wichtigkeit betrieben, als wäre es ein höchst wichtiger Act. Etwas zerkleinerte Betelnuß, Tabak und Gambir (Katechu) werden dazu in ein mit kalkiger Masse bestrichenes Betelblatt gewickelt. Die adstringirenden Stoffe sondern einen ätzenden rothen Saft ab, der die Zähne schwarz beizt und das Innere des Mundes blutig roth färbt. Nebenbei sind die Malayen jedoch auch leidenschaftliche Raucher und für eine Cigarre kann man viel von ihnen erreichen. Abends sammelten sich die Kulis regelmäßig unter ihrem Zelte, auf dessen Herde eine improvisirte Lampe aus einer Kokosnußschale mit einem unsicheren matten Schein die Um- gebung beleuchtete. Einer von ihnen blies eine Bambusflöte und ein anderer begleitete die Töne unisono mit Fistelstimme, während die Uebrigen im Kreise hockend mit gespannter Auf- merksamkeit den eigenthümlichen Gesangsweisen lauschten. Diese Unterhaltungen dauerten allabendlich Stunden lang, und die vorgetragenen Lieder mußten wohl ernsten Inhaltes sein, denn man hörte nie lachen oder laute Heiterkeit. Ich denke mir, es waren epische Verherrlichungen ihrer Volkshelden, deren Thaten sich hauptsächlich auf dem Felde des Seeraubes vollzogen haben. Wenn uns auch die Bedeutung der Gesänge ver- borgen bleiben mußte, eigneten wir uns doch bald so viel Brocken der Sprache an, daß wir uns nothdürftig mit den Kulis verständigen konnten. Die malayische Sprache ist über- haupt leicht zu erlernen; sie ist in ihrem Bau ungemein ein- fach, hat wenig Wortflexionen und einen großen Reichthum von Vocalen, der sie wolklingend und leicht in’s Gehör fallend macht. Alle auf Java ansässigen Holländer sprechen malayisch und ver- kehren mit der einheimischen Bevölkerung nur in diesem Idiom. Mein Urlaubssonntag stand vor der Thür und er ver- sprach mehr, als ich bisher zu hoffen gewagt hatte. Das hol- ländische Linienschiff „Kortenaar“, in dessen Nähe wir in Hel- Eine erste Seereise voetsluys gelegen, war vor kurzem eingetroffen und zu meiner großen Freude auf ihm mein junger Freund, der Sohn unseres Consuls, als Kadett eingeschifft. Er hatte mich nicht vergessen, sondern sobald er konnte, mich aufgesucht, um mich zu seinen Verwandten nach Welltefreden einzuladen; vom Kapitän war mir ein 48stündiger Urlaub bewilligt worden. Die Aussicht, unter so unerwartet günstigen Umständen an Land zu gehen und die wunderschöne Insel kennen zu lernen, entzückte mich begreif- licher Weise auf das höchste — leider sollte sie aber unter ganz anderen Umständen sich verwirklichen, als meine Phantasie sich geträumt hatte. Ich wurde an’s Land geschafft, aber ohne Be- wußtsein und nur um in das Hospital aufgenommen zu werden. Am Sonnabend Abend fühlte ich mich plötzlich sehr unwol, alle meine Glieder schmerzten, ich mußte mich zur Coje legen, und mein Zustand verschlimmerte sich so schnell, daß schon nach wenigen Stunden meine Gedanken zu wandern begannen und heiße Gluth meine Kräfte verzehrte. Ich war vom Klimafieber befallen und es trat gleich mit solcher Heftigkeit auf, daß der am andern Morgen vom „Kortenaar“ geholte Arzt meine so- fortige Ueberführung in das Hospital anordnete. Wie man mir später mittheilte, hatte Niemand an Bord geglaubt, mich lebend wiederzusehen. Mein jugendlich kräftiger Körper leistete jedoch dem Anfalle erfolgreichen Widerstand, und als ich am dritten Tage wieder zu mir kam, war ich wol todesmatt, aber die größte Gefahr beseitigt. Der Oberarzt war ein Deutscher, von dem ich sehr freundlich behandelt wurde, das Hospital selbst ließ nichts zu wünschen übrig; mein Freund, der Kadett, be- suchte mich verschiedene Male, seine Verwandten sandten mir auf seine Veranlassung Bücher, und da meine Kräfte allmälig zurück- kehrten, fand sich auch die Elasticität meines Geistes wieder ein und ich blickte nicht mehr so trübe in die Zukunft. Am sechsten Tage hatte ich mich so weit erholt, daß ich das Bett verlassen konnte. Es war wieder Sonntag geworden 9* Werner und ich hatte ganz bestimmt gehofft, daß der alte Bootsmann mich besuchen würde, aber er blieb aus. Das schmerzte mich tief; fremde Leute erwiesen sich freundlich gegen mich in meiner Verlassenheit, doch an Bord des eigenen Schiffes schien sich Niemand um mich zu kümmern. Der Kapitän war einmal in der ersten Zeit dagewesen, als ich noch ohne Besinnung lag, dann nicht wieder. Andern Morgens erschien er nochmals, doch hauptsächlich nur, um den Arzt zu fragen, ob ich nicht am nächsten Tage entlassen werden könne, da das Schiff am Mitt- woch segeln solle. Der Doctor gab sein Einverständniß unter der Bedingung, daß ich noch längere Zeit geschont würde und so brachte mich die Gig an Bord zurück. Dabei fühlte ich je- doch, wie sehr schwach und angegriffen ich noch war, ich konnte ohne Hülfe nicht die Fallreepstreppe ersteigen. Den Bootsmann fand ich in der Coje, auch er hatte seit drei Tagen das Fieber. „Wäre ich nicht selbst so elendiglich auf den Strand gelau- fen, Schweizer“ sagte er mit matter Stimme zu mir, als ich an sein Bett trat „dann hätte ich Dich ganz bestimmt besucht.“ Ich drückte ihm stumm die Hand und mir traten die Thränen in die Augen, als ich den kräftigen Mann jetzt so hülflos da- liegen sah. In das Hospital hatte er absolut nicht gewollt; in wenigen Tagen werde alles wieder gut sein, meinte er, und in der That schien sich sein Zustand auch etwas zu bessern. Von Krankenpflege in gewöhnlichem Sinne ist auf Kauf- farteischiffen nicht die Rede. Die so knapp bemessene und durch die Kranken noch mehr geschwächte Besatzungszahl gestattet nicht die Stellung besonderer Wärter; die Kameraden thun wol hier und dort gern eine Handreichung, aber oft ist Niemand von ihnen in der Nähe, wenn das Bedürfniß dazu gerade am dringend- sten ist. Heilmittel verabreicht der Kapitän aus der an Bord befindlichen Medicinkiste, nach Anleitung eines kleinen zu diesem Zwecke mitgegebenen Buches und nach bestem Wissen. Ob dieses beste Wissen auch das richtige ist, hängt mehr oder minder von Eine erste Seereise einem glücklichen Ungefähr ab. Eben so wenig giebt es passende Krankenkost; wer nicht Erbsen und Salzfleisch vertragen kann, für den wird etwas Reissuppe gekocht, in vielen Fällen freilich zutreffend, aber für Reconvalescenten doch nur kraftloses Essen. Ich war, wie der Doctor verordnet, vorläufig von allem Dienste dispensirt, und wenn auch sehr matt, doch im Stande auf zu sein und es drängte mich mein Herz, den Mann, welchem ich so viel schuldete und der stets in väterlicher Weise seine Hand schützend über mir gehalten, nach besten Kräften zu pflegen und ihm dadurch meine Dankbarkeit zu beweisen. Am bestimmten Tage traten wir unsere Rückreise an. Der Gedanke, daß fortan jede zurückgelegte Meile mich der geliebten Hei- math näher brachte, würde unter anderen Umständen mein Herz freudiger haben klopfen lassen, als es der Fall war. Mein Be- finden hatte sich in den letzten Tagen eher verschlechtert, als ge- bessert; ich war wol zu früh aus dem Hospital entlassen worden und der Aufenthalt an Bord in der dumpfen, unreinen Luft des Logis mir nicht zuträglich gewesen. Ich fühlte mich sehr gedrückt und zu- gleich apathisch, so daß selbst die Naturschönheiten von Anjer, wo wir behufs Einnehmen von Erfrischungen noch einmal einen kurzen Aufenthalt nahmen, mich gleichgiltig ließen. Dazu kam, daß die Krankheit des Bootsmanns sich sichtlich verschlimmerte. In den ersten Tagen hatte er noch öfter in seiner gewohnten gutmüthig scherzhaften Weise zu mir gesprochen, doch dann war er stiller geworden; das Fieber trat heftiger auf und er lag vielfach ohne Besinnung oder redete irre. Er nahm nichts zu sich, als etwas Wein mit Wasser, das ich ihm löffelweise einflößte, um seine brennende Zunge zu kühlen. Ich sah, daß es mit ihm zu Ende ging und eine tiefe Traurigkeit ergriff mich bei dem Gedanken, den einzigen Menschen an Bord zu verlieren, der es wahr- haft gut mit mir meinte und dann ganz einsam und verlassen zu sein. Am vierten Tage unserer Reise auf der Abendwache hatte Werner er wieder einen heftigen Anfall gehabt. Danach war er ruhiger geworden und schien einzuschlafen. Als ich eine Zeit lang seinen Athemzügen gelauscht, die so regelmäßig waren, daß ich auf den Eintritt einer günstigen Krise hoffte, suchte ich meine Coje auf, um auch ein wenig zu schlummern, doch schon nach wenigen Minuten hörte ich leise meinen Namen rufen und sprang wieder auf, um nach dem Kranken zu sehen. „Reinhold“ sagte er, indem er die Worte nur mit Mühe und abgebrochen hervor- stieß, „es ist vorbei mit mir, ich fühle es und morgen werde ich in Gottes Keller liegen. Sage dem Zimmermann, er solle von den zweizölligen Planken zum Sarge nehmen und es be- schweren, damit die Haie nicht heran können und es gut sinkt. Was ich hinterlasse bekommen die Armen, da ich keine Ange- hörigen habe; der Kapitän weiß schon davon. Weiter ist nichts zu bestellen, das andere habe ich vorhin mit dem lieben Gott selbst alles klar gemacht. Leb wol mein Junge, Du hast mich treu gepflegt und ich danke Dir. Werde ein fixer Kerl und wenn Du nach oben gehst, dann halte Dich immer an den Wanten fest, aber nie an den Webeleinen, sie können leicht brechen.“ Er schwieg und hielt meine Hand in der seinen. Trotz meines von Thränen getrübten Blickes nahm ich jetzt eine große Veränderung in seinen Gesichtszügen wahr. Der Tod trat an ihn heran, einige röchelnde Töne drangen aus der Brust hervor, die Glieder streckten sich und — alles war vorbei! Als der letzte Seufzer des Sterbenden verhallte, da schlug es acht Glas — Mitternacht, und der Ruf des die Freiwache wecken- den Matrosen „Reiß aus Quartier in Gottes Namen!“ schallte in die Logiskappe hinunter. Der Ruf galt den Lebenden, aber auch der Todte folgte ihm; seine Seele verließ ihr irdisches Quartier, um sich zum Himmel emporzuschwingen in Gottes Namen. Ich drückte ihm die Augen zu. Am andern Nachmittage übergaben wir ihn seinem weiten Grabe. Als der nach seinen letzten Wünschen gefertigte Sarg Eine erste Seereise zur Fallreepstreppe geschafft war, wurde als Zeichen der Trauer die Flagge halbstocks geheißt und im Großtop back gebraßt, um das Schiff zum Stillstande zu bringen. Die Besatzung ver- sammelte sich um die Leiche und der Kapitän betete ein Vater- unser. Dann wurde der Sarg auf die Reiling gehoben und langsam in die blaue Fluth hinabgelassen. Tiefer und tiefer sank er, seine Formen wurden undeutlicher, zuletzt sah man noch einen dunkeln Schimmer, dann war er verschwunden und nur noch einige Blasen stiegen empor zur Oberfläche, um sich mit dem Perlenschaum der nächsten Welle zu mischen. Ruhe sanft, alter Mann, ich habe Dich nicht vergessen und werde Dir stets ein treues Andenken bewahren. Leise rauschend durch die Wogen Zieht das Schiff im ebnen Lauf, An dem lichten Himmelsbogen Flammt des Tages Kön’gin auf. Unverhüllet, purpurglühend Taucht sie aus der Fluth hervor, Tausend gold’ne Strahlen sprühend Steigt im Aether sie empor. Neues Treiben, neues Leben Wird erweckt durch ihren Glanz, Und die blauen Wellen heben Kosend sich zum Morgentanz. Doch an Bord ist’s trüb und stille Trotz der Sonne gold’nem Licht, Denn der Landesflagge Hülle Deckt ein Todtenangesicht. Aus der Kameraden Kreise Rief es Gott zur ew’gen Ruh, Nach der langen Lebensreise Schloß er ihm die Augen zu. Werner Von dem Quarterdeck erschallet: „Braßt die Hinterraaen back!“ Von der Gaffel niederwallet Halben Stock’s die Trauerflagg’. In dem Sarg, nach Seemanns Weise Nur aus rohem Holz gemacht, Wird er zu der letzten Reise An die Fallreep hingebracht. Einfach und mit schlichten Worten Betet jetzt der Kapitän, Und man siehet aller Orten Thränen in den Augen stehn. Leise rauscht es an der Stelle, Wo man senkt den Sarg hinab, Tändelnd spielen Wind und Welle Auf des Seemanns weitem Grab. Es wurde voll gebraßt und das Schiff lenkte wieder in seinen Curs. Die Leute gingen still an ihre Arbeit; einige Tage lag es wie ein trüber Schatten über dem Schiffe, dann nahm alles wieder sein gewohntes Aussehen an. Bisweilen wurde des Verstorbenen mit einigen ehrenden Worten gedacht, dann sprach man nicht weiter von ihm. Von der Rückreise habe ich nicht viel zu erzählen, als daß sie für mich sehr traurig verlief. Das Fieber kehrte von Zeit zu Zeit zurück und ließ mich nicht zu Kräften kommen. Bis- weilen konnte ich eine Woche lang leichten Dienst thun, dann warf mich ein Rückfall wieder auf das Krankenlager und ich durchkostete all’ das Schwere, was damit in den meisten Fällen auf Kauffarteischiffen verbunden ist und von dem man oft nicht begreifen kann, wie man es überhaupt übersteht. Je länger sich mein Leiden hinzog, desto gleichgiltiger wurden die Uebrigen und desto weniger Rücksicht nahmen sie auf mich. Als wir das Cap der guten Hoffnung passirten war es Winterzeit und deshalb Eine erste Seereise kalt und stürmisch. Wenn ich dann Nachts in Fieberhitze lag und brennender Durst mich verzehrte, war Niemand da, um mir einen Trunk zu reichen. Ich mußte aufstehen, um mir ihn selbst aus den Wasserfässern an Deck zu holen, wenn auch der kalte Wind mich eisig durchschauerte und ich von überspritzendem Seewasser durchnäßt in meine Coje zurückkehrte. Der mensch- liche Körper vermag oft wunderbar viel zu ertragen, das er- probte ich damals an mir. Auf der Heimreise von Ostindien nach Europa wird man mehr vom Winde begünstigt als auf dem Hinwege und hat im Durchschnitt besseres Wetter. Fast die ganze Strecke von der Sundastraße bis zum Cap durchläuft man mit dem Passat in grader Richtung und wird außerdem noch durch bedeutende Strömung unterstützt. Beim Cap hat man zwar gewöhnlich 8 bis 14 Tage mit Stürmen zu kämpfen, doch bringt auch hier starker Strom helfend das Schiff vorwärts und es erreicht des- halb bald aufs neue den Südostpassat, um mit ihm bis zum Aequator, von dort nach Ueberwindung der Stillen mit dem Nordost bis zu den Azoren zu gehen und dann die Westwinde zum Ansegeln des Kanals aufzusuchen. Nur einmal wurde die Einförmigkeit des Bordlebens, bei der man schließlich fast die Namen der Tage vergaß, durch das Ansegeln von St. Helena unterbrochen, um Trinkwasser einzunehmen. Die Insel liegt auf dem directen Wege und wird deshalb von fast allen heimkehren- den Schiffen zu jenem Zwecke angelaufen. Mein Gesundheits- zustand hatte sich in der letzten Zeit wieder so weit gebessert, daß ich bei dem schönen Wetter auf sein konnte, und so durfte ich mich wenigstens an dem äußeren Anblicke der als Napoleons Gefängniß so berühmt gewordenen einsamen Felseninsel zer- streuen. Des Kaisers Gebeine waren im Jahre zuvor nach Frankreich zurückgeholt worden, um im Invalidendome beigesetzt zu werden. Longwood, das Haus, in dem er bis zu seinem Tode gewohnt, ein einstöckiges, schmuckloses Gebäude, liegt auf Werner einer kleinen Hochebene im Innern der Insel; man sieht es von der Rhede aus. An Land kam natürlich Niemand von der Besatzung, da wir nur einen halben Tag blieben, und die Gesundheitsbehörde wollte zuerst überhaupt keine Communication mit dem Lande gestatten, weil wir einen Todten gehabt und ich krank war. Als mich der Quarantänearzt jedoch untersucht hatte, erklärte er mein Leiden als nicht ansteckend und ließ freien Ver- kehr zu. Von mir wurde keine weitere Notiz genommen; ich blieb nach wie vor mir allein überlassen — meine Natur mußte sich selbst helfen. St. Helena ist eine steil aus dem Ocean aufsteigende Felseninsel, deren höchste Spitze sich bis zu 500 Meter erhebt und die eine Länge von 2½ bei einer Breite von 1½ Meilen hat. Ihre kleine Hauptstadt Jamestown liegt in einem roman- tischen Thale an der Nordostseite der Insel, mithin leewärts und geschützt vor dem Südostpassat. Die begrenzte Bucht vor diesem Thale ist auch der einzige Ankerplatz, die ganze übrige Küste, welche den Eindruck einer gigantischen Felsenmauer macht, stürzt eben so senkrecht in die unergründliche Tiefe hinab, wie sie über Wasser in die Lüfte strebt. Man ankert etwa 1000 Schritte von der Stadt, aber bei der Durchsichtigkeit der Atmosphäre und der Höhe der Felsen glaubt man kaum 100 Schritt ent- fernt zu sein. Schiffe liegen völlig sicher auf der Rhede; dann und wann kommt ein Windstoß über die Berge, der jedoch nur oben durch die Mastspitzen pfeift und die Wasserfläche kaum kräuselt. Boote können deshalb immer fahren, wenn auch der Seegang des atlantischen Oceans sich ununterbrochen an den Basaltwänden der Insel bricht und der stete Donner der Bran- dung an das Ohr schlägt. Das Landen bei der Stadt, wo weder eine Mole noch sonstige Einrichtungen den Booten ein ruhiges Anlegen gestattet, ist sehr schwierig, weil die Fahrzeuge durch den Seegang beständig 3 bis 4 Meter auf und nieder wogen. Die dafür eingerichteten Boote haben hinten einen kurzen Eine erste Seereise Mast, an dem der Landende sich festhält, bis er entweder auf die nach dem Wasser leitenden Stufen springen, oder die Platt- form erreichen kann, welche an einem weit ausliegenden Dreh- kahne hängt, mit der er dann auf das Ufer geschwungen wird. Eine Menge Boote mit Früchten, Seltenheiten und Reli- quien von Napoleons Grabe kamen längseit. Namentlich wur- den kleine muschelbeklebte Dosen mit Erde daher, sowie Zweige und Blätter von der das Grab beschattenden Trauerweide feil geboten. Obwol die Sachen, wie meistens dergleichen, wahr- scheinlich anderwärts herstammten, nahm ich doch in gutem Glauben ein Andenken mit. Nicht weit von uns lag eine englische Kriegsbrigg, die Tags zuvor einen an der afrikanischen Küste genommenen Sclaven- fahrer eingebracht hatte. Die Prise war eine Brigg von ganz ähnlichem Aussehen, wie jene, die uns damals auf der Hinreise Schrecken einjagte. Sie hatte 500 Neger an Bord, die grade ausgeschifft wurden. Zu diesem Zwecke kamen große Barken mit flachem Boden längseit und die Schwarzen wurden wie Waaren darin verstaut. Sie mußten sich mit ausgespreizten Beinen niederlegen und der nächste wurde dann immer mit dem Kopfe zwischen die Schenkel des anderen gepackt. Man erzählte uns, daß jährlich durchschnittlich 2 bis 3000 Sclaven von den eng- lischen Kreuzern aufgebracht und befreit würden. Mit diesem „Befreien“ hatte es nun allerdings seine eigene Bewandtniß und bei aller Menschenfreundlichkeit machten die Engländer dabei ein gutes Geschäft. Die Mannschaft der Kriegsschiffe erhielt für jeden aufgebrachten Neger 1 £; dies mußten aber letztere selbst bezahlen und zwar durch zehnjährige Arbeit in den englischen Westindischen Kolonien als Aprentices „Lehrlinge“. Erst nach dieser Zeit erhielten sie ihre volle Freiheit, sahen jedoch ihr Vater- land nicht wieder. Die Bucht von Jamestown ist ganz ungemein fischreich, namentlich an Makrelen und diese bilden das Hauptnahrungs- Werner mittel der niederen Volksklassen. Ich hatte früher gehört, daß Heringszüge in so dichten Massen wie Mauern erschienen, ohne recht daran glauben zu wollen, hier aber überzeugte ich mich von der Wahrheit. Eine solche Makrelenmauer näherte sich unserem Schiffe und wir fingen in kaum einer Viertelstunde, während welcher die Fische in unmittelbarer Nähe blieben, viele Hunderte, indem wir drei bis vier zusammengebundene Makrelen- haken zwischen die Masse warfen und die daran irgendwie an- gehakten Fische an Bord holten. Was nicht frisch gegessen wer- den konnte, wurde geräuchert und für die nächsten Tage als willkommener Leckerbissen mitgenommen. Gegen Abend war unser Trinkwasser ergänzt und wir traten unsere Weiterreise an, um abermals zwei Monate lang mit Himmel und Meer allein zu sein. Es passirte nichts Außergewöhnliches, nur wurde das Leben an Bord noch eintöniger, als es bisher gewesen war. Gewöhn- liche Seeleute haben nur einen engen Gesichtskreis und ihre Unterhaltung beschränkt sich auf eine verhältnißmäßig geringe Zahl von Gegenständen. Auf einer so langen Reise erschöpfen sich dieselben und es bleibt nichts als Dreschen desselben Strohes, das schon bei der ersten Bearbeitung nicht schmackhaft war. Nach dem Tode des Bootsmannes fühlte ich mehr als je, wie wenig ich zu den Uebrigen paßte; oft vergingen Tage, an denen ich kaum ein gleichgiltiges Wort mit ihnen wechselte, und es konnte nicht ausbleiben, daß auch sie mir keinerlei Entgegen- kommen zeigten. Seit Batavia waren unsere Chronometer regu- lirt. Monddistanzen, bei denen ich hätte behülflich sein können, wurden nicht mehr beobachtet, und da ich wegen meiner Krank- heit nur sehr selten Wache gehen konnte, kam ich mit Kapitän und Steuerleuten fast nicht in Berührung. Die wenigen Bücher, welche mir der Kadett zum Abschiede mitgegeben, waren längst mehrfach gelesen, meine einzige Zerstreuung bildete Schreiben und Zeichnen. O wie entsetzlich lang wurden mir die vier Eine erste Seereise Monate der Rückreise und um so mehr, als das Gefühl der körperlichen Schwäche nothwendig auch auf meinen Geist zurück- wirkte. Mit bleiernen Füßen schlichen die Tage dahin ohne jede Abwechselung. Endlich waren die Azoren erreicht und wir fanden den er- warteten Westwind. Die Inseln Corvo und Flores zeichneten ihre Conturen in weiter Ferne am Horizont, acht Tage darauf kamen wir auf die „Gründe“ und das tiefe Blau des Oceans wandelte sich in dunkles Grün, das allmälig heller wurde und die Nähe des Landes verkündete. Dann tauchte die Küste von England auf und der günstige West führte uns schnell durch Kanal und Nordsee. Bei Helgoland erhielten wir einen Loot- sen; in ununterbrochener fliegender Fahrt ging es hinein in die Elbe bis Glückstadt und dann anderen Tages nach Hamburg. — Es war, als ob wir für das Mißgeschick der Ausreise entschädigt werden sollten und eine geheimnißvolle Macht uns zur Heimath zöge. Mit Ausnahme weniger Tage am Cap der guten Hoff- nung hatten wir keinen Sturm gehabt und waren stets von gutem Winde begünstigt gewesen. Bei dem Anblick der Thürme der alten Hansestadt über- wältigte mich der Ansturm der verschiedensten Gefühle. Freude und Wehmuth kämpften in meiner Brust und machten meine Augen feucht. Meine Gedanken schweiften in die Vergangen- heit um ein Jahr zurück. Als ich damals zuerst den Masten- wald im Hafen sah, war mir das Herz in der Aussicht aufge- gangen, nun bald selbst mit einem der Schiffe hinauszuziehen über den weiten Ocean in ferne Welten und meine Jugend- träume zu verwirklichen. Wie hoffnungsvoll war mir zu jener Zeit die Zukunft erschienen, wie schön hatte ich es mir gedacht, nach langer Reise heimzukehren zu den Meinen, stolz und be- friedigt von meinem Berufe sie zu begrüßen, mich von meinen Jugendgenossen um all’ das Große und Wunderbare beneiden zu lassen, das ich gesehn und erlebt — und nun war alles so Werner ganz anders geworden! Krank und gebrochen kam ich zurück und meine Zukunft lag schwer und traurig vor mir. Der Anker fiel; der Hafenmeister ließ das Schiff an den Pfählen im Hafen fest machen; Boote legten an und brachten Freunde und Bekannte der Mannschaft zur Bewillkommnung. Ich stand abseit und wurde von Niemand begrüßt. Mein Herz schnürte sich zusammen, doch bald sollte es auch durch einen Freudenstrahl erhellt werden. Der Kapitän rief mich und hatte einen Brief in der Hand; er kam von den Eltern und war von den Rhedern an Bord gesandt. Er hatte zwar schon mehrere Wochen auf mich gewartet, aber er enthielt gute Nach- richten und das Liebeszeichen erquickte und stärkte mich wunder- bar. Als die Rheder von meiner Krankheit hörten, ließen sie mich ärztlich untersuchen; das Fieber war seit einem Monate nicht wiedergekehrt, ich litt nur noch an den Nachwehen. Ein längerer Aufenthalt am Lande und gute Pflege würden mich un- zweifelhaft wieder herstellen, meinte der Doctor, und so erhielt ich unbestimmten Urlaub, um mich im Elternhause zu erholen. Mit der „Alma“ ging ich voraussichtlich nicht wieder fort, da sie schon nach vier Wochen auslaufen sollte, doch darüber em- pfand ich kein Bedauern; das auf ihr verlebte Jahr schloß zu viel trübe Erinnerungen in sich. Die zweitägige Reise mit der Post bis zu meinem Heimaths- orte hatte mich ungemein angegriffen und ich kam so elend und todesmatt an, wie ich mich noch nie gefühlt hatte. Ich war am Tage nach unserem Eintreffen in Hamburg abgereist, hatte vorher nicht geschrieben und die Meinen erwarteten mich des- halb nicht. Ich war in dem Jahre bedeutend gewachsen, meine Gesichtsfarbe zeigte das krankhafte Gelb der Leberleidenden und meine seemännische Kleidung mochte mich noch unkenntlicher machen, denn die Bekannten, welche mir begegneten, als ich die wenigen Schritte von der Post bis zur elterlichen Wohnung über die Straße wankte, sahen neugierig der fremden Erscheinung nach. Eine erste Seereise Der Vater war nicht zu Hause, und auf mein Anklopfen öffnete mir die Mutter die Thür. „Wünschen Sie meinen Mann zu sprechen?“ fragte sie mich. „Mutter!“ schrie ich auf, indem es mir wie ein Stich durch’s Herz ging, „auch Du kennst mich nicht wieder?“ und dann sank ich ohnmächtig zusammen. Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf dem Bette und die Augen der Meinen waren in liebender Sorge auf mich ge- richtet. Das letzte Jahr schwand wie ein düsterer Traum vor den leuchtenden Bildern der Gegenwart; unter der Pflege der Mutter kehrten bald meine Kräfte zurück, und nach acht Wochen blühten die Rosen der Gesundheit wieder auf meinen Wangen. Bis dahin hatten die Eltern kein Wort über meine Zukunft gesprochen; dann fragte mich der Vater eines Tages: „Willst Du wieder auf die Schule oder Seemann bleiben?“ Ich hatte die Frage vorausgesehen; die Antwort stand seit jener ersten Nacht an Bord fest. Sie lautete: „Ich gehe wieder zur See, Vater.“ Wenige Tage später reiste ich nach Hamburg, um bald darauf mich an Bord des Vollschiffes „Malwine“ einzuschiffen. Die ferneren Jahre wurden mir nicht so schwer und mein Körper litt nicht mehr unter den Einflüssen des tropischen Klimas. Ich machte noch sechs Reisen nach den ostindischen Gewässern. Als ich von der letzten zu Ende des Jahres 1848 zurückkehrte, da war eine deutsche Flotte erstanden. Ich trat als Officier in dieselbe ein und meine Jugendträume hatten endlich ihre Er- füllung gefunden. Die deutsche Marine 1848—1852. Gründung . E s war Völkerfrühling geworden, Deutschland wenigstens glaubte zu jener Zeit ernstlich daran, daß er gekommen sei. Unter dem Jubel von Millionen war er geboren; aber leider als Frühgeburt ohne nachhaltige Lebenskraft und den Keim des Todes bereits in sich tragend. Er trieb eine Menge vielversprechender Knospen, doch keine entfaltete sich zur Blüthe, viel weniger noch zur Frucht; sie welkten alle vor der Zeit da- hin und verdorrten. Freiheit, Einheit, Größe und Macht des Vaterlandes — das waren die Schlagworte der Schwärmer, welche damals mit Phrasen Weltgeschichte zu machen hofften und nicht fühlten, daß grade die Weltgeschichte ihnen hohnvoll in das Gesicht schlug, daß kein Land unfreier, zerrissener und machtloser war als Deutschland. Und dennoch! nach einer Richtung wurde diese Macht- losigkeit selbst von jenen Schwärmern tief empfunden und trieb ihnen die Schamröthe in das Gesicht. Mit wenigen schwach bemannten Kriegsschiffen hielt das winzige Dänemark das große Deutschland in Schach. Es blockirte seine Häfen, lähmte seinen Handel und caperte seine Kauffarteischiffe. Die deutsche Marine 1848—1852 Auch die nüchternen Leute fühlten die Schmach und der verlangende Ruf nach einer deutschen Flotte, nach einer Geltung zur See ertönte laut und allgemein im ganzen Lande, in allen Schichten des Volkes. Ueberall sprach, schrieb, sang und sammelte man dafür, aber man war fast ohne Ausnahme so naiv zu glauben, daß sich eine Flotte in wenigen Monaten herstellen lasse und lieferte damit den Beweis, daß man in Deutschland von Marinesachen nur wenig verstand. Man hatte keine Ahnung davon, was zur Schaffung einer Marine gehöre und hielt den guten Willen für ausreichend. Selbst in den Hansestädten schien diese Einsicht zu fehlen, und die Schwärmerei über den practi- schen Verstand den Sieg davon zu tragen. Man erinnerte sich dort wohl der eigenen Seemächtigkeit, die einst so lange Zeit die nordischen Kronen sich botmäßig gemacht und glaubte, sie durch Energie sofort wieder in das Leben rufen zu können. Man vergaß aber völlig, daß vier Jahrhunderte zwischen da- mals und jetzt lagen, daß die 77 Städte, welche einst König Waldemar von Dänemark den Fehdebrief sandten und deren Flotten sein Reich zertrümmerten, den Kern und die Thatkraft Norddeutschlands darstellten, daß sie, von gleichem Interesse geleitet und demselben Willen beseelt, Deutschland nach außen als einiges Reich erscheinen ließen, daß jetzt aber die poli- tischen Verhältnisse so ganz anders lagen. Bartholdt, Verfasser der „Geschichte der deutschen See- macht“ Historisches Taschenbuch von Raumer. Dritte Folge. Zweiter Jahrgang. , hatte die Dinge richtiger erfaßt, als die Nach- kommen der alten Hansen, wenn er seine Abhandlung mit folgenden Worten schloß: „Wir haben Eisen und Kupfer in unseren Bergwerken, hochgewipfelte Tannen im Schwarzwald, die als Mastbäume und Stangen jährlich nach Holland hin- unter schwimmen. Wir haben in den Ostseeprovinzen riesige R. Werner , Erinnerungen. 10 Werner Eichen zu Kielen und Planken und knorriges Krummholz zu Schiffsrippen in Fülle, die alljährlich selbst nach dem Norden ausgeführt werden. Hanf gedeiht bei uns in Menge zu Tau- werk und Segeln. Wir haben lernbegierige Schiffsbaumeister und Zimmerer, Anker- und Kettenschmiede, Stückgießer. Wir haben vom Samlande bis nach Ostfriesland ein zahlloses Fischer- und Schiffervolk, breit von Brust und Schultern, mit markvollen Knochen, scharfen Auges; Piloten, deren wetterge- bräuntes Gesicht trotzig in den Sturm blickt und die die Pfade des Meeres, seine Tiefen überall kennen. Wir haben geschütz- kundige Meister, Soldaten, die den Tod nicht scheuen, mehr als wir brauchen; entschlossene unerschrockene Schiffsführer. Wir haben die Wissenschaft, welche die Sternenbahnen mißt und die geheimen Gesetze der Natur ergründet und — dennoch kein Kriegsschiff, um einen übermüthigen kleinen Nachbar hinter seinen schmalen Belten aufzusuchen, und unter dem weiten Himmelsgewölbe kein Fleckchen freien Landes zur Aufnahme darbender fleißiger Menge. Täuscht uns unsere Prüfung alter Geschichten und der deutschen Volksnatur nicht, so bleibt uns nur ein Mittel, aber ein wie unerreichbares! um jeder Seemacht der Welt gewachsen zu sein: starke Territorialeinheit an unseren Meeren .“ In der Hauptsache sind die Worte des Geschichtsforschers prophetisch gewesen. Die Bedeutung unserer Flotte beginnt erst mit der Schaffung jener starken Territorialeinheit an unseren Meeren. Daß der Zeitpunkt dafür schon nach zwei Jahrzehn- ten kommen sollte, hat Bartholdt sich freilich nicht gedacht. Ebenso irrte er in der Annahme, daß die deutsche Flotte unter jener Vorbedingung jeder Seemacht der Welt gewachsen sein werde. Das ist sie weder jetzt, noch wird sie es voraussichtlich werden, weil Deutschland dazu zu arm ist und seiner geogra- phischen Lage nach den militärischen Schwerpunkt stets in der Armee suchen muß; aber die Marine kann bei verständiger Be- Die deutsche Marine 1848—1852 handlung und Verwerthung vollauf die Zwecke erfüllen, für welche Deutschland sie nöthig hat. Sie kann unsere beiden deutschen Meere gegen jeden feind- lichen Seeangriff wirksam vertheidigen, so daß unsere Seeflanken gedeckt sind. In zweiter Reihe genügt sie im Frieden so weit zum Schutze unseres Handels, um den Deutschen im Aus- lande das Bewußtsein zu verschaffen, daß das Vaterland ihre Rechte wahre. Unsere Flotte ist Deutschlands Größe und Macht- stellung angemessen, aber nicht provocirend; sie übersteigt nicht unsere Mittel und flößt Achtung ein — mit einer solchen Gel- tung zur See darf unser Volk sich schon zufrieden stellen. Konnte die Flotte zu ihrer jetzigen Bedeutung aber auch erst nach Aufrichtung des deutschen Reichs kommen, so be- standen ihre Grundlagen doch bereits lange, und diesem Umstande ist es zu danken, daß sie gegenwärtig schon einen verhältnißmäßig hohen Standpunkt einnimmt. Jene Grundlagen stammten aus dem Jahre 1848 und fanden ihre Verkörperung in der damals in das Leben gerufenen deutschen Marine, deren größter Theil zwar leider an unseren derzeitigen traurigen politischen Verhält- nissen schmachvoll zu Grunde ging, deren kleinerer aber in der preußischen Marine glücklicher Weise für eine bessere Zukunft ge- rettet wurde. Aus dieser preußischen ist unsere Reichsmarine hervorgegangen und die deutsche Flotte von 1848 ist deshalb die Wiege unserer heutigen Seemacht. Bei den regen Sympathien, welche der letzteren im ganzen Lande entgegengebracht werden, dürfte es deshalb nicht ohne Interesse sein, einen Blick auf die Marine von 1848 zu werfen, auf welche einst die Augen des deutschen Volkes mit so viel Liebe schauten und in deren schwarzrothgoldenem Banner sich auch eine kurze Spanne Zeit seine Einheitsträume verwirklichen zu wollen schienen. Ein solcher Rückblick wird zwar das Eingangs Ausgesprochene bestätigen, daß man in Deutschland wenig Begriff davon hatte, was zur Schaffung einer Flotte nöthig sei, gleich- 10* Werner zeitig aber auch darthun, was Thatkraft und Patriotismus in kurzer Zeit und unter den größten Schwierigkeiten zu schaffen vermochten, und er wird dazu beitragen, das Andenken derjenigen Männer im Volke lebendig zu erhalten, die damals in selbstloser Hingabe ungemein Großes leisteten und denen das Land zu Dank verpflichtet ist. Mitte Mai 1848 trat in Frankfurt a/M. die deutsche Nationalversammlung zusammen. Sowohl unter dem Drucke der öffentlichen Meinung wie auch aus eigener Initiative war eine ihrer ersten politischen Thaten die Bildung eines Marine- ausschusses mit dem practischen Hintergrunde einer Bewilligung von sechs Millionen Thalern für die Gründung einer Flotte. Ob diese Bewilligung auch die Zahlung bedingte, darüber wurde man sich freilich damals nicht klar. Der Hanseatischen Energie ging es mit der Sache jedoch nicht schnell genug vorwärts. Hamburg erinnerte sich, wie bereits bemerkt, der Thaten seiner Vorfahren; die Dänen sollten sofort von unsern deutschen Küsten verjagt werden und am 8. Mai constituirte sich dort ein Marinecomit é , das aus den Chefs der drei großen Rhedereien Godeffroy u. Comp., Ross Bidal u. Comp. und Sloman bestand und es sich zur Aufgabe machte, in kürzester Frist dem Feinde eine See- macht entgegenzustellen. Es handelte sich zunächst um die Beschaffung von geeig- neten Schiffen und Personal. Die deutsche Küste war blockirt; von außerhalb konnte kein Material hereingebracht werden und man mußte sich im Inlande danach umsehen. Kurzer Ent- schluß führte zum Ankauf des dem Hause Godeffroy gehörigen dreimastigen Segelschiffes gleichen Namens. Die Kaufsumme betrug nahe an 30,000 Thaler und Deutschland war damit in den Besitz einer „Fregatte“ gelangt, die auch sofort „Deutsch- land“ getauft wurde. Darob großer Jubel und Enthusiasmus Die deutsche Marine 1848—1852 im ganzen Lande; man erkannte, was Energie und fester Wille vermochten. Die Beschaffungskosten wurden aus den eingegangenen freiwilligen Beiträgen bestritten, die wenigstens in den ersten Wochen der Sammlungen ziemlich reichlich geflossen waren. Der Enthusiasmus erhöhte sich noch, als der Rheder Sloman in ehrenvoll patriotischer Weise sein dreimastiges Segelschiff „Frank- lin“ dem Comit é unentgeltlich zur Disposition stellte, und die Vorstadt St. Pauli auf ihre Kosten ein Ruderkanonenboot bauen ließ. Die „Deutschland“ hatte für ein Schiff zwar schon ein ehrwürdiges Alter und durfte von sich sagen: „Schier dreißig Jahre bin ich alt,“ da sie 1819 in Bombay das Licht der Welt erblickte, aber jedenfalls war sie sehr gut und vom besten Ostindischen Teakholz gebaut, größer als irgend eins der deut- schen Kauffarteischiffe und deshalb der Gedanke, sie in ein Kriegs- schiff umzuwandeln, an und für sich nicht so verkehrt. Nur beging man den großen Fehler, sie „Fregatte“ zu taufen und da- durch die in Marineangelegenheiten so unkundigen Binnenländern glauben zu machen, es sei ein den dänischen Fregatten eben- bürtiges Schiff aus dem Boden gestampft. „Leichte Corvette“ wäre eine anspruchlosere aber passendere Bezeichnung dafür ge- wesen. Eine Fregatte, wie z. B. die „Gefion“, war, abgesehen von allen sonstigen Unterschieden, damals noch einmal so groß, noch einmal so stark, wie die „Deutschland“ und kostete die zehn- fache Summe. Ohne Zeitverlust wurde seitens des Comit é an die Um- wandlung der beiden Schiffe zu Kriegsfahrzeugen gegangen, allein schon jetzt kam ein empfindlicher Rückschlag. Man sah, daß das eigene Können überschätzt war. Trotz des besten Willens begegnete man bei der Arbeit den größten Schwierigkeiten, weil es gänzlich an Sachverständigen fehlte und in der Eile auch keine aus dem Auslande herangezogen werden konnten. Das alte Sprüchwort „Viel Köpfe, viel Sinne“ brachte sich nach- Werner theilig zur Geltung und der Mangel an Sachkunde zeigte sich besonders in einer Ueberladung des Schiffes mit Geschützen. Nicht weniger als zwei und dreißig Geschütze, davon vier- zehn 32-Pfünder — zur damaligen Zeit die schwersten Kanonen der Segelfregatten — außerdem sechs 18-Pfünder und zwölf 18-pfündige Karronaden (mit kürzerem, schwächerem Rohr und geringerer Pulverladung, als die gleichkalibrigen Kanonen) bilde- ten die Armirung, während das Schiff schon für die Hälfte dieser Geschütze zu klein und zu schwach war. Erst kurz vor Beendigung des Umbaues gelang es dem Comit é , einen wirklichen Marineofficier in seine Dienste zu ziehen. Es war ein Engländer, mit Namen Strutt; er hatte früher in der englischen Flotte als sailing master gedient, war aber schon seit längerer Zeit nicht mehr activ. Besonders glücklich konnte man diese Wahl nicht nennen, denn viel Sachkunde brachte der neue Chef der Hamburger Marine nicht mit. Die sailing masters waren früher in der englischen Marine Officiere zweiten Ranges mit beschränktem Avancement (Kapitäne konnten sie nicht werden) und von den eigentlichen Seeofficieren über die Achsel angesehen. Ihr Dienst beschränkte sich lediglich auf die Navigi- rung des Schiffes, auf dem sie sich befanden; den militärischen Aufgaben standen sie aber ganz fremd, und ein solcher Mann, der plötzlich als Organisator einer, wenn auch kleinen Marine auftreten sollte, war deshalb deplacirt. Es dauerte auch nicht lange, bis seine Schwächen völlig erkannt wurden und er von der Schaubühne wieder abtreten mußte. Mit der vollendeten Neueinrichtung der Schiffe erstand eine andere Schwierigkeit. Die bereiten Mittel waren erschöpft, die Sammlungen hatten aufgehört und man machte die Erfah- rung, daß, trotz aller Begeisterung eines Volkes, aus freiwilligen Beiträgen sich kaum ein wirkliches Kriegsschiff geschweige denn eine Flotte schaffen lasse. Das Comit é ließ sich dadurch jedoch nicht entmuthigen. Im Hinblick auf die von der Nationalver- Die deutsche Marine 1848—1852 sammlung bewilligten sechs Millionen Thaler, wandte es sich sowohl an jene, wie auch an den Bundestag mit dem Antrage, drei kleine Handelsdampfer anzukaufen und zu armiren, um mit ihnen und den beiden Segelschiffen einen Handstreich auf das dänische Blockadegeschwader zu unternehmen. Man sieht, der alte unternehmende Geist ihrer Vorväter war noch nicht von den Hamburgern gewichen, aber der Marine- ausschuß der Nationalversammlung glaubte vorsichtiger sein zu müssen. Er zweifelte stark an dem Gelingen eines solchen Unter- nehmens, weil, abgesehen von dem mangelhaften Material der Schiffe, er mit Recht auf das Fehlen geeigneter Führer, so wie auf den Umstand hinwies, daß weder Officiere noch Mannschaften mit den Geschützen umzugehen verständen. Der Ausschuß ver- hielt sich deshalb gegen das Project ablehnend. Der Bundes- tag theilte diese Bedenken jedoch nicht. Ganz im Widerspruch mit der ihm sonst eigenen übergroßen Ruhe und Bedachtsamkeit ging er sofort auf die Vorschläge des Hamburger Comit é s ein und überwies dem letzteren am 6. Juni 1848 und zwar ohne Wissen des Marineausschusses die verlangte Summe von 300,000 Thalern. Dies Verfahren kennzeichnete allerdings schon zur Genüge den Stand der Dinge in Frankfurt und illu- strirte die „Einheit“ des deutschen Reichs. Das Geld wurde dem Festungsbaufonds entnommen, denn von den sechs Millio- nen Thalern war noch nichts vorhanden. Die Nationalver- sammlung hatte sie decretirt, aber die Eincassirung machte zu große Schwierigkeiten. Für jene 300,000 Thaler wurden Ende Juni drei Dampf- schiffe der Hamburg-Huller Dampfschiffahrtgesellschaft angekauft, armirt und ausgerüstet und sie erhielten die Namen „Hamburg“, „Bremen“ und „Lübeck“. Zwei von den früheren Kapitänen dieser Dampfer — beide Engländer — wurden mit übernommen, ebenso das Maschinenpersonal. Die Stellen der noch fehlenden Officiere besetzte man mit Kapitänen und Steuerleuten aus der Werner deutschen Handelsflotte. Es meldete sich eine solche Menge, daß unter den tüchtigsten und intelligentesten eine Wahl getroffen werden konnte und im allgemeinen wenig Mißgriffe gemacht wurden. Die Werbung der Matrosen machte mehr Schwierig- keiten und die Schiffe hatten keineswegs volle Besatzungen. Da indessen sehr bald die Unterhandlungen wegen eines Waffenstill- standes begannen und dieser schon Ende August in Malmö auf sieben Monate abgeschlossen wurde, mäßigte sich damit auch die bisherige Eile der Flottenrüstungen. Sie verfielen in ein lang- sameres Tempo, und um so mehr, als mit dem Einsetzen einer deutschen Centralgewalt und der Schaffung eines Reichsmini- steriums auch die Angelegenheit der deutschen Flotte aus den Händen des Hamburger Comit é ’s in die des neuen Reichs- ministeriums überging, wenngleich dieses Uebergangsstadium mehrere Monate beanspruchte und erst im October been- det war. Anfang October wurden die Schiffe der Hamburger Flo- tille von einer Reichscommission, der auch ein englischer Marine- Ingenieur angehörte, behufs Uebernahme auf ihren Zustand untersucht, jedoch fiel der Bericht nicht sehr glänzend aus. Der- selbe hob hervor, daß die „Deutschland“ nicht fünf Minuten lang dem Angriffe der Breitseite einer schweren Corvette zu widerstehen vermöge. Der „Franklin“ wurde überhaupt nach jeder Richtung als zu schwach für ein Kriegsschiff gefunden, von seiner Uebernahme deshalb von vornherein abgesehen und das Fahrzeug mit Dank seinem patriotischen Eigenthümer Sloman zurückgegeben. Die drei Dampfcorvetten stellten sich ebenfalls als sehr mangelhaft heraus. Die Commission befürwortete nur deshalb ihre Uebernahme, weil bereits so viel Geld dafür verausgabt war und der eingetretene Waffenstillstand sie während des Win- ters so umzubauen und zu verstärken erlaubte, daß sie im näch- sten Frühjahre ziemlich kriegstüchtig sein konnten. Die deutsche Marine 1848—1852 So gingen denn im October 1848 die Anfänge der deut- schen Flotte, die allerdings noch vieles zu wünschen übrig ließen, in den Besitz des Reiches über. Die schwarzrothgoldene Flagge mit dem Reichsadler entfaltete sich an ihren Gaffeln und der Gedanke deutscher Seemächtigkeit schien sich seiner Verwirklichung nähern zu wollen. Daß dies vorläufig nur ein frommer Wunsch bleiben, daß der eingesetzten Centralgewalt nicht sehr bald die definitive Gestaltung einer einheitlichen starken Reichsregierung folgen würde, glaubten damals noch Wenige befürchten zu müssen. Im Reichsministerium befand man sich indessen der zu- künftigen deutschen Flotte gegenüber in nicht geringer Verlegen- heit. Es war Niemand da, der auch nur das geringste Ver- ständniß von der Organisation einer Marine gehabt hätte, und doch verlangte das Volk, daß beim Wiederausbruch des Krieges im nächsten Frühjahre die schwarzrothgoldene Flagge dem Danne- brog auf dem Meere entgegentreten und ihn von unseren Küsten verjagen sollte. Man forschte im In- und Auslande nach ge- eigneten Persönlichkeiten, namentlich deutscher Nationalität, denen man die Marineangelegenheiten übertragen könne, allein lange Zeit vergebens. Der österreichische Admiral Sourdeau, den man zuerst im Auge hatte, antwortete nicht einmal auf das deshalb an ihn gerichtete Schreiben des Reichsministers Schmerling, seines Landsmannes, ein Umstand, der durchblicken ließ, wie Oesterreich sich zum zukünftigen deutschen Reich zu stellen beab- sichtigte. Nordamerika, der einzige auswärtige Staat, der über- haupt die deutsche Centralgewalt anerkannte, war geneigt, einen höheren Marineofficier nach Frankfurt zu senden, aber darüber mußten, wegen der Entfernung, noch Monate vergehen, während es nöthig war, daß Jemand sofort die Angelegenheit in die Hand nahm, um die einleitenden Schritte zu thun. Der Bremer Großkaufmann Duckwitz war als Reichs- Handelsminister berufen. Weil er sich als Bremer natürlich lebhafter für Schiffahrtsangelegenheiten interessirte und man ihm Werner auch mehr Kenntniß nautischer Dinge zutraute, als den übrigen Ministern, so wurde ihm die Marine übertragen. Es fiel ihm eine schwere, undankbare Aufgabe zu; aber er unterzog sich der- selben mit patriotischer Hingebung und die Gerechtigkeit erfordert, anzuerkennen, daß er trotz der großen entgegenstehenden Schwie- rigkeiten in der kurzen Zeit seiner Amtsführung (bis Mai 1849) ungemein viel geschaffen und der deutschen Marine eine Grund- lage gegeben hatte, die sich, wenn es ersterer vergönnt gewesen, sich darauf emporzubauen, als eine gute und solide bewährt haben würde. Duckwitz erinnerte lebhaft an jene alten Patriciernaturen, wie sie uns in der ruhmvollen Geschichte der Hansa so glänzend entgegentreten; vornehme Männer, aber practische kluge Kauf- leute, zugleich gewiegte Diplomaten und wenn es sein mußte, tapfere und gescheite Heerführer zu Wasser und zu Lande, die zu siegen oder zu sterben wußten, stets und überall als leuch- tendes Beispiel vorangehend und auf jedem Posten, den das Vertrauen ihrer Mitbürger ihnen übertrug, Großes leistend. Als Hauptaufgabe betrachtete der neue Marineminister die Heranziehung von sachkundigen Männern, welche bei der Or- ganisation mitwirken konnten. Er wandte sich zunächst an den Gesandten der Vereinigten Staaten und erhielt bei deren freund- lichen Gesinnungen für Deutschland auch sogleich bereitwillige Zusage für die Sendung eines hervorragenden Marineofficiers. Sein zweiter Schritt war durch Vermittlung des Erzherzog- Reichsverwesers den Prinz Adalbert von Preußen zu einer thäti- gen Theilnahme an dem Organisationswerke zu vermögen. Dieser ritterliche Hohenzoller hatte seit seiner frühesten Jugend das größte Interesse für Marineangelegenheiten an den Tag gelegt und sich nicht nur mit dem Studium derselben auf das eingehendste beschäftigt, sondern war, wo sich ihm irgend die Gelegenheit bot, bemüht gewesen, das Seewesen nach allen Rich- tungen auch practisch kennen zu lernen. Sein Enthusiasmus Die deutsche Marine 1848—1852 für das letztere war so groß, daß er als funfzehnjähriger Knabe von Stralsund aus mit einem Vertrauten auf eigene Faust in einem größeren Segelboote eine Seereise nach Schweden unter- nommen haben soll, so daß die Eltern durch sein spurloses Ver- schwinden in die größte Trauer versetzt wurden, bis er durch seine Rückkunft die Besorgnisse zerstreute und sich Verzeihung für seine Eigenmächtigkeit erwirkte. Einige Jahre später er- hielt der junge Prinz die Erlaubniß, eine längere Seereise auf einer sardinischen Fregatte nach Brasilien und zurück zu machen. Dadurch gewann er einen genauen Einblick in das Kriegsschiffs- wesen, und bei seinen hervorragenden Geistesgaben konnte es nicht fehlen, daß er sich das Verständniß desselben völlig zu eigen machte. Er war in Deutschland der einzige Mann, der ein competentes Urtheil in Marinesachen besaß und bei Begründung einer deutschen Flotte konnte deshalb nichts erwünschter sein, als den Prinzen, dessen Specialwaffe die Artillerie war, mit welcher die Marine als Waffe vornehmlich zu rechnen hatte, an ihrer Spitze zu sehen; nur ließ sich für die Verwirklichung dieser Idee leider sehr schwer eine Form finden. Als königlicher Prinz konnte er weder selbst Minister sein, noch irgend eine amtliche Stellung unter einem Minister beklei- den. Guter Rath war theuer, jedoch gelang es dem findigen Geiste des Marineministers auch diese Schwierigkeit glücklich zu beseitigen und in Uebereinstimmung mit dem Prinzen, der mit Freuden bereit war, seine Kräfte dem Vaterlande zu weihen, dem Letzteren bei Gestaltung der Marine eine entsprechende Mit- wirkung zu sichern. Duckwitz reichte unter dem 30. October 1848 dem Erz- herzog-Reichsverweser einen Vorschlag ein, bis zur definitiven Gestaltung der Reichsgewalt, die man damals noch in nicht zu ferner Zeit als bestimmt voraussetzte, zwei Behörden zu bilden, welche befähigt und befugt seien, solche Vorbereitungen und Ein- leitungen zu treffen, daß die definitive Organisation der Marine Werner mit der der Reichsgewalt zugleich in’s Leben treten könne. Diese Behörden waren eine Marine-Abtheilung und eine technische Marine-Commission. Die aus einigen Räthen und Schreibern bestehende Marine- Abtheilung sollte unter Verantwortlichkeit des Ministers das Rechnungswesen und die Verwaltung besorgen, wozu auch der Ankauf von Schiffen und Material gehörte, der jedoch nicht ohne Billigung der technischen Commission erfolgen durfte. Als Aufgaben der letzteren wurden dagegen hauptsächlich die nachstehenden bezeichnet: 1) Gutachtliche Aeußerungen über technische Fragen. 2) Anträge an die Marine-Abtheilung bezüglich Kauf oder Bau von Schiffen ꝛc. 3) Untersuchung der deutschen Häfen zu Kriegszwecken be- hufs Anlegung von Arsenalen, Werften ꝛc. 4) Ausarbeitung eines Planes für die deutsche Marine und die künftige Gestaltung der Marinebehörden. Der Erzherzog-Reichsverweser genehmigte diese Anträge, und damit war der richtige Weg eingeschlagen, um dem zum Vorsitzenden der technischen Commission ernannten Prinzen Adal- bert von Preußen einen maßgebenden Einfluß auf die zukünftige Gestaltung der deutschen Flotte üben zu lassen und seine reich- haltigen maritimen Kenntnisse zu ihren Gunsten zu verwerthen, ohne durch seine exceptionelle Stellung als königlicher Prinz be- hindert zu sein. Inzwischen hatte man noch andere höhere Marineoffi- ciere, davon zwei geborne und einen naturalisirten Deutschen ermittelt und Duckwitz sie zum Eintritt in die technische Com- mission bewogen. Es waren dies der in griechischen Diensten befindlich gewesene Kapitän Brommy oder Bromme, ein gebor- ner Leipziger, der Kapitän Donner, früher in dänischen, damals in schleswig-holsteinischen Diensten und der Kapitänlieutenant Schröder, von Geburt ein Holländer, seit einigen Jahren aber Die deutsche Marine 1848—1852 als Director des preußischen Navigationsschulwesens in preußischen Diensten stehend. Außerdem wurden aus dem Marineausschuß der Nationalversammlung noch General v. Radowitz, Major Tei- chert und einige andere Persönlichkeiten, so wie der englische Marine- Ingenieur Morgan, der Major von Wangenheim, der österreichi- sche Oberst von Kudriaffsky und endlich die Wasserbaudirectoren Hübbe und Blome der Commission beigegeben, so daß in ihr Seeofficiere, Infanterie, Artillerie und Wasserbau sich vertreten fanden und sie leisten konnte, was unter den obwaltenden Ver- hältnissen möglich war. In die Marine-Abtheilung berief Duckwitz als Räthe Kerst und Jordan so wie später noch den hannoverschen Hauptmann Marcard. Kerst war mit Marineangelegenheiten von früher her schon etwas vertraut, da er als Artillerieofficier auf einem brasi- lianischen Kriegsschiffe einen achtmonatlichen Krieg gegen Buenos- Ayres mitgemacht hatte. Auf Jordan wurde Duckwitz durch das rege Interesse aufmerksam, welches jener im Marineausschuß für die Flottenangelegenheiten an den Tag legte. Jedenfalls be- wiesen die nachherigen Leistungen dieser beiden Männer, welche nach dem Rücktritt von Duckwitz als die Seele der Marinever- waltung gelten konnten, daß der letztere mit ihrer Wahl einen sehr glücklichen Griff gethan hatte. Jede der beiden neugeschaffenen Behörden widmete sich mit vollstem Eifer ihren Aufgaben und war bemüht, ihren Wirkungs- kreis, ihre Beziehungen nach außen und unter sich, so wie den Geschäftsgang festzustellen. Dabei traten nun zwar sogleich große Mängel in der getroffenen Organisation zu Tage, aber der gute Wille beseitigte bald alle vorhandenen Schwierigkeiten. Das Hauptaugenmerk richtete man auf die Beschaffung von brauch- baren Streitmitteln, um beim Wiederausbruch des Krieges den Dänen wirklich entgegentreten zu können. Es wurden deshalb zunächst die nothwendigen Umbauten der Schiffe der Hamburger Flotille angeordnet und auch so ge- Werner fördert, daß wenigstens die beiden Dampfer „Hamburg“ und „Lübeck“ im April 1849 see- und kriegsbereit waren. Mit der „Bremen“ dauerte es einige Monate länger, weil es sich herausstellte, daß auch deren Dampfkessel einer Erneuerung be- durfte. Von einer activen Verwendung der „Fregatte“ Deutsch- land wurde jedoch abgesehen. Die technische Commission gewann sehr bald die Ueberzeugung, daß sie als Kriegsschiff im Ernst- falle und als Gegner von dänischen Linienschiffen und Fregatten völlig unzulänglich sei. Man nahm ihr deshalb später die Ueberzahl der Geschütze, mit der sie ausgerüstet war, und be- stimmte sie zum Schulschiffe für die Kadetten oder Seejunker, wie erstere in der deutschen Marine hießen, wozu sie sich aller- dings sehr gut eignete. Ein weiterer Schritt des thatkräftigen Duckwitz war die auf Vorschlag der Commission erfolgende Beschaffung von mehr Schiffen. Da in Deutschland alle Voraussetzungen dafür fehlten, konnte dies natürlich nur im Auslande geschehen, obwohl dem Reichsministerium von beschränkten Localpatrioten Vorwürfe ge- nug gemacht wurden, daß das Geld nicht im Lande bliebe. Man richtete die Blicke auf Nordamerika und England. Beide Länder besaßen eine Reihe von großen Postdampfern, die nach den bestehenden Landesgesetzen gleich so gebaut werden mußten, daß sie bei Ausbruch eines Krieges mit geringen Aenderungen als Kriegsschiffe gebraucht werden konnten. Es wurde deshalb beschlossen, drei solcher großer Schiffe anzukaufen und drei andere, eine große und zwei kleinere Dampfcorvetten, in England in Bau zu geben, deren Fertigstellung man bis zum Juni 1849 contrahiren wollte. Man entsandte sofort die nöthigen Techniker nach England, und diese kauften noch vor Schluß des Jahres die beiden der Cunard-Linie gehörigen und zu Dampffregatten geeigneten trans- atlantischen Postschiffe „Britannia“ und „Acadia“, ebenso wie sie den Contract zum Bau von einer größeren und zwei kleine- Die deutsche Marine 1848—1852 ren Dampfcorvetten, alle drei zum Juni 1849 lieferbar, ab- schlossen. Eine dritte sehr große Dampffregatte, die United States, wurde in New-York angekauft. Auf Ersuchen der Reichs- regierung gestattete der nordamerikanische Marineminister nicht nur, daß ein Officier der dortigen Marine den Umbau des Dampfers zu einem Kriegsschiffe leitete, sondern auch, daß die amerikanischen Arsenale alle Bedürfnisse wie Geschütze, Muni- tion ꝛc. lieferten. Mehr Vorsicht mußte bei den in England gekauften Schiffen beobachtet werden, um nicht gegen die englischen Neutralitätsge- setze zu verstoßen, um so mehr, als die englischen Sympathien nicht auf deutscher, sondern auf dänischer Seite lagen. Da „Britannia“ und „Acadia“ wegen der Eisverhältnisse noch nicht nach der Weser abgehen konnten, wurden sie, um keine Zeit zu verlieren, in England im Innern für ihre zukünftige Bestim- mung umgebaut. So discret dies auch geschah, blieb es dem Auge der dänischen Agenten nicht verborgen und Dänemark setzte bei der englischen Regierung alle Hebel an, um den Ab- gang der Schiffe zu hindern. Ehe jedoch jene die darauf bezüglichen Befehle ertheilte, kam die Reichsregierung ihr dadurch zuvor, daß die Schiffe Ende Februar 1849 Ordre erhielten, sofort nach der Weser abzugehen. Sie hatten weder Geschütze noch Munition; die im Innern vorgenommenen Aenderungen konnten ebensogut anderen, als Kriegszwecken gelten; ihre Be- satzung hatte eine normale Zahl und bestand aus Engländern; es vermochten deshalb die Behörden keinen legalen Grund für die Zurückhaltung zu finden und mußten sie ungehindert ziehen lassen. So weit war alles gut gegangen, allein nun begann eine Reihe von Unglücksfällen und Gegenschlägen, die wohl ge- eignet waren, einem weniger energischen Manne, als Duckwitz es war, allen Muth zu nehmen. Zunächst langte zwar die „Britannia“ glücklich auf der Weser an, aber die „Acadia“ nur mit Werner schwerer Havarie. Durch Unkenntniß ihres englischen Lootsen war sie auf Terschelling fest gekommen, und man konnte es als ein besonderes Glück ansehen, daß sie nicht gänzlich ver- loren gegangen war. Ihre Beschädigungen stellten sich jedoch als so bedeutend heraus, daß eine Grundreparatur nöthig wurde, die sich nur in einem Trockendock ausführen ließ. Docks von einer Größe, um so lange Schiffe wie die „Acadia“ aufzunehmen, besaß Deutschland damals noch nicht. Es mußte deshalb bei Brake erst ein solches provisorisch ausgegraben werden, und da- mit war zugleich ausgesprochen, daß die „Acadia“, jetzt in „Erzherzog Johann“ umgetauft, während die „Britannia“ den Namen „Barbarossa“ erhielt, vor Ablauf eines Jahres nicht wieder seefertig gemacht werden konnte. Das war ein höchst unangenehmer Strich durch die Rech- nung; aber mit desto mehr Energie wurde nun an die Ein- richtung und Ausrüstung des „Barbarossa“ gegangen. Man wollte wenigstens dies Schiff rechtzeitig fertig stellen, doch auch hier ging alles quer. Geschütze, Munition und die sonstige in England beschaffte Kriegsausrüstung für „Barbarossa“ und „Erzherzog Johann“ waren in einem Segelschiffe verladen, das im Februar nach der Weser abging, aber, durch Havarie ge- zwungen, wieder nach England zurückkehren mußte. Nun ver- packte man die Gegenstände in drei andere Schiffe, aber als diese segelfertig waren, hatten die Dänen wieder die Blockade der deutschen Küsten eröffnet. Trotzdem erreichten zwei der Schiffe noch mit Noth ihre Bestimmung, während das dritte nach England zurückging. Hier wurden die Sachen abermals gelöscht und dann über Ostende nach Bremerhafen geschickt, so daß fast der Monat Mai darüber hinging, bis endlich die Ein- richtung des „Barbarossa“ vollendet werden konnte. Mußten diese Gegenschläge schon höchst niederdrückend wir- ken, so war die Enttäuschung, welche Duckwitz mit Bezug auf die fast sicher erhoffte Acquisition fremdländischer Marineofficiere Die deutsche Marine 1848—1852 erfuhr, noch bei weitem schmerzlicher. Wie oben bemerkt, hatte er sich gleich bei Antritt seines Amtes an den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Nordamerika wegen Entsendung eines höheren Marineofficiers nach Frankfurt gewandt. Diesem Wunsche war auch auf das Bereitwilligste entsprochen worden und der Commodore Parker traf Ende Januar in Frankfurt ein, nicht allein, um bei der Organisation der deutschen Flotte werth- vollen Rath zu ertheilen, sondern auch im Auftrage des Präsi- denten nach den besonderen Wünschen der deutschen Centralge- walt und danach zu fragen, wie viel Officiere der amerikani- schen Marine, von welchem Range, auf wie lange Zeit und unter welchen Bedingungen dieselben verlangt würden. Somit konnte der Reichsmarineminister nicht anders an- nehmen, als daß Deutschland über den schwierigsten Punkt bei Gründung einer Marine, über die Officiersfrage glücklich fort sei. Nach eingehender Berathung mit Commodore Parker wünschte Duckwitz vierzig Officiere verschiedener Grade, darunter einen Commodore, der als Contreadmiral in deutsche Dienste und an die Spitze der Marine treten sollte, sowie einen Marine- schiffbau-Ingenieur von Ruf. Wenn es nicht auf länger mög- lich sei, wurde ihre Dienstleistung auf neun Monate erbeten und ihnen Gehalt, sowie eventuell Pension nach amerikanischen Sätzen zugesichert. Diesen Antrag hatte Duckwitz am 25. Januar 1849 S. Beantwortung der Interpellation des Abgeordneten von Reden an das Reichsministerium, die Wirksamkeit der Marineabtheilung betreffend am 30. April 1849 von dem Reichsminister des Handels. (Ueber die Gründung der deutschen Kriegsmarine von A. Duckwitz. Bremen 1849.) schriftlich an Parker gerichtet und zwar mit dessen vorbehaltlicher Zustimmung. Er durfte deshalb wol mit Recht die baldige und sichere Ankunft der gewünschten Officiere erwarten. Wie niederschmetternd war aber die Erfahrung, als statt der Offi- R. Werner , Erinnerungen. 11 Werner ciere durch den deutschen Gesandten in Washington, von Rönne, die ihm amtlich mitgetheilte Abschrift eines Berichtes vom Commodore Parker einging, den dieser am 24. Januar , also einen Tag vor Entgegennahme des von Duckwitz verfaßten und mit ihm verabredeten Antrags, an seinen Marineminister Mason eingereicht hatte. In diesem Berichte wurde die deutsche Flotte höchst abfällig beurtheilt. Es sei bis jetzt nur sehr wenig geschehen, hieß es darin, und nicht einmal Gesetze über die Marine seien erlassen worden. Dann wurden die geringen Streitkräfte Deutschlands im Gegensatze zur dänischen Seemacht aufgezählt, die Parker in höchst übertriebener Weise auf 1035 Kanonen mit 9755 Mann berechnete. Er erwähnte dabei unter anderen fünf Linienschiffe mit je 84 Kanonen, die allerdings in der dänischen Marine- liste auf dem Papier figurirten, von denen aber nur eins, der später bei Eckernförde in die Luft geflogene Christian VIII. als diensttauglich in Betracht kommen konnte. „Ich sehe,“ fährt Parker dann in seinem Berichte fort, „daher kein Feld, auf welchem amerikanische Officiere Ehre für sich oder ihr Land gewinnen könnten. Bei dieser Sachlage scheint es mir unweise zu sein, daß amerikanische Officiere irgend etwas mit Deutschland zu thun haben, bis die Centralgewalt definitiv errichtet ist, es sei denn im Wege des guten Rathes.“ Mit Recht sagt Duckwitz über dieses Schreiben: „Herr Parker ist also von der Ansicht ausgegangen, daß nur in dem Falle amerikanische Officiere in unsere Dienste treten könnten, wenn unsere Flotte eben so groß wäre, wie die dänische. In diesem Falle würden wir aber amerikanischer Officiere nicht be- dürfen. Es handelte sich grade um Bildung der Anfänge einer Flotte; nur zu dieser fehlten uns die Officiere und die Organi- satoren.“ Mit Bezug auf den Mangel an Gesetzen über die Marine hatte Parker freilich Recht und war dies nur eine Consequenz Die deutsche Marine 1848—1852 der zerfahrenen deutschen Verhältnisse. Man wartete von Woche zu Woche auf eine definitive Gestaltung des Reichs und damit auch auf die Emanirung der betreffenden Gesetze über Wehr- pflicht, Rang- und Soldverhältnisse, Invalidenversorgung u. s. w. Nach dieser Richtung ließ sich deshalb gegen seinen Bericht nichts einwenden, nur war das Benehmen Parkers selbst in Behandlung der Angelegenheit durchaus kein loyales und hätte eine härtere Beurtheilung verdient, als Duckwitz ihm zu Theil werden ließ. Eine weitere höchst unangenehme Folge des Berichtes war noch der verzögerte Abgang der „United States.“ Die Regie- rung in Washington stellte sich nämlich jetzt plötzlich auf den Standpunkt stricter Neutralität. Die Erlaubniß, den Kriegsbe- darf des Schiffes aus dem Arsenal der Marine zu beziehen, wurde zurückgenommen und so mußten alle Gegenstände auf Privatwege beschafft werden. Außerdem wurde auch noch der Abgang des Schiffes überhaupt beanstandet und nach langen Verhandlungen nur gegen eine Bürgschaft von 300,000 $ ge- stattet, um eine Garantie zu haben, daß das Schiff keinen feind- seligen Act gegen eine mit Nordamerika in Frieden befindliche Nation beginge. Alles dies hatte so viel Zeit in Anspruch genommen, daß die „United States“ (später in „Hansa“ umgetauft) nicht zur bestimmten Zeit eintreffen konnte. Anfänglich war der Termin ihrer völligen Fertigstellung und ihres Abganges auf den 15. Mai verabredet worden und das Schiff sollte dann, vollständig kriegsmäßig eingerichtet, aber als Handelsschiff mit Geschützen und Munition als Ladung, sowie mit der vollen Besatzung und den erwarteten vierzig Officieren als Passagiere, nach Deutsch- land abgehen und noch vor Ende des Waffenstillstandes dort eintreffen. Dieser Plan war nun vereitelt. Die „Hansa“ ging zwar im April von Amerika ab, kam aber nur bis England, weil inzwischen wieder die Blockade eingetreten war. Deutsch- 11* Werner land gelangte erst im Spätherbst 1849 in den wirklichen Besitz des Schiffes. Das war viel Unglück auf einmal, aber es kam noch ande- res hinzu, um die gehegten Hoffnungen auf ein zum Frühjahr kriegsbereites deutsches Geschwader gründlich zu zerstören. Die preußische Regierung weigerte sich, den Anträgen der Centralgewalt Folge zu leisten und ihre Postdampfschiffe „Preußischer Adler“ und „Elisabeth“ zur Disposition zu stellen und gab außerdem die Erklärung ab, daß die ihr gehörigen Kriegsschiffe und Kanonenboote nicht die schwarzrothgoldene, sondern die preußische Flagge führen würden. Das war wol der härteste Schlag, den die junge deutsche Flotte empfing und sah einem Todesstreich erschreckend ähnlich. Auf materiellem Gebiete stellten sich die Sachen nicht günstiger. Die von der Nationalversammlung für Gründung einer Flotte bewilligten sechs Millionen Thaler sollten in zwei Raten, am 1. October 1848 und am 1. Mai 1849 eingezahlt werden. Oesterreich weigerte jedoch überhaupt Zahlung; Bayern, Sach- sen, Luxemburg und Limburg blieben im Rückstande. Ebenso behielt Preußen seine zweite fällige Rate zur Deckung der Kosten für die 1848 übernommene Gestellung von 39 Kanonenbooten ein. Die letzteren waren fertig, aber wie Preußen die Führung der deutschen Flagge verweigerte, hielt es auch die Kanonenboote von der Reichsflotte und für sich zurück. So schmolzen die bewilligten sechs Millionen auf 2½ Mil- lionen zusammen und die Marineverwaltung, welche bereits drei Millionen verausgabt, befand sich im Mai mit einer halben Million im Vorschuß, die vorläufig aus anderen Fonds ent- nommen wurden. Die gesammten freiwilligen Beiträge Deutschlands hatten noch nicht einmal die Höhe von 100,000 Thalern erreicht. Daß unter solchen Umständen die leitenden Persönlichkeiten, Die deutsche Marine 1848—1852 vor allem aber Duckwitz, auf dessen Schultern die ganze Ver- antwortung ruhte, nicht alle Lust verloren, sondern mit unge- brochenem Muthe weiter arbeiteten, beweist mehr als alles andere ihren Patriotismus, ihre Thatkraft und Selbstlosigkeit. Neben dem Ankauf und contrahirten Bau von größeren Kriegsschiffen hatte die Reichsmarineverwaltung aber auch die Küstenvertheidigung in’s Auge gefaßt und war mit derselben ebenso energisch vorgegangen. Von der technischen Commission waren nebst einer Anzahl von Küstenbatterien auch achtzig Kano- nenboote zum Küstenschutze als erforderlich erachtet worden. Preußen hatte bereits den Bau von 39 Kanonenbooten, Schles- wig-Holstein den von zwölf eingeleitet. Einige solcher Fahrzeuge wurden von Städten geschenkt und der Rest von der deutschen Marineverwaltung in Bau gegeben. Zum Frühjahr 1849 waren diese Boote bis auf die Armirung fertig. Zur Lieferung der Geschützrohre, sowol für die Kanonen- boote wie für die Küstenbatterien waren auch deutsche Eisen- gießereien aufgefordert, um nach dieser Richtung die Marine vom Auslande unabhängig zu machen. Zwei derselben, die Fabrik von Frerichs u. Comp. in Rönnebeck und die Sayner Hütte, erboten sich zur Lieferung. Mit der ersten wurde con- trahirt, außerdem mit einer Lütticher Fabrik. Die Laffetten gab man in Hamburg auf und die preußische Regierung übernahm die Lieferung von Geschossen ꝛc. Die Lütticher lieferten recht- zeitig und gut, die Rönnebecker dagegen nicht. Bei der ersten Lieferung sprangen beim Probeschießen mehrere Geschütze; es mußte daher die ganze Lieferung cassirt werden, weshalb sich die Schlagfertigkeit der Kanonenboote nicht zur bestimmten Zeit erreichen ließ. Am 10. Februar 1849 waren von der technischen Com- mission die ihr gestellten Aufgaben vollendet und sie löste sich auf. Während ihrer fast dreimonatlichen Thätigkeit hatte sie durch ihre Arbeiten auf dem Gebiete der Organisation, durch Werner die von ihr entworfenen Reglements und ihre Gutachten unge- mein viel Gutes geleistet und dadurch der jungen Marine einen festen inneren Halt gegeben. Es waren Dienstvorschriften er- lassen, ein Geschützexercirreglement ausgearbeitet, Bestimmungen über die Uniformirung gegeben und eine Disciplinar-Strafordnung geschaffen worden, die bis auf geringe Aenderungen, welche 1870 bei Revision der Militärstrafrechtspflege gemacht wurden, noch heute in der Reichsmarine gilt. Mit dem Auseinandergehen der Commission erwuchsen der Marineverwaltung jedoch neue Schwierigkeiten. Von den als ihre Mitglieder fungirenden Seeofficieren ging Commodore Schröder in preußische, Kapitän Donner in schles- wig-holsteinische Dienste zurück, und so blieb als einziger wirk- licher Seeofficier nur der Kapitän Brommy übrig. Wahrlich ein schlimmeres Zusammentreffen von ungünstigen Umständen, zu denen noch die gänzlich unsicheren politischen Zustände des Reichs traten, konnte für die junge deutsche Marine kaum ge- dacht werden. Sie war ein wahres Schmerzenskind und wurde unter den trübseligsten Verhältnissen geboren. Als Duckwitz die Marine im October übernahm, glaubte selbst er, der nüchterne, practische Mann, an eine sehr baldige definitive Gestaltung der Reichsregierung. Statt dessen zögerte sich dieselbe von Monat zu Monat hin, und als das Ministe- rium Gagern und mit ihm Duckwitz Anfangs Mai 1849 zurücktrat, da hatte auch er wol schon längere Zeit allen Glau- ben an ein einiges deutsches Reich verloren; aber bis zum letz- ten Augenblicke verzweifelte er wenigstens noch nicht an der Marine. Er hoffte, daß wenn nur erst eine Anzahl brauch- barer Kriegsschiffe angeschafft, armirt, bemannt und damit ein fester Kern gegeben sei, sich das so ohne weiteres nicht wieder fortwischen lasse und daß sich irgend eine Form finden werde, die neue und vor allen Dingen so nöthige Waffe dem Vater- lande zu erhalten. Deshalb ließ Duckwitz sich durch keine Die deutsche Marine 1848—1852 Gegenschläge entmuthigen, sondern strebte unbeirrt dem Ziele zu, das er sich gesteckt. Es war inzwischen eine solche Masse Materials jeder Art für die Marine beschafft worden und bei Bremerhafen zusammen- geflossen, daß nothwendiger Weise eine besondere Verwaltung da- für in das Leben treten und ein Seezeugmeisteramt für die Nordsee geschaffen werden mußte. Die Organisation dieser Behörde konnte, als der Haupt- sache nach rein technischer Natur, nur durch einen dazu geeig- neten Seeofficier geschehen und ebenso mußte ihr Chef wenigstens anfänglich ein Seeofficier sein. Außer Kapitän Brommy war kein solcher vorhanden und er im Ministerium beschäftigt. So dringend erwünscht aber auch sein Verbleiben in dieser Behörde war, mußte dennoch die practische Seite vorgehen. Er wurde deshalb von Duckwitz nach Bremerhafen gesandt, um nicht allein die Seezeugmeisterei zu organisiren, sondern auch das active Commando über die ganze Marine zu übernehmen, Officiere und Mannschaften zu schulen, die letzteren zu discipliniren und auch die Fertigstellung der Schiffe zu betreiben. Das Ministerium mußte indessen für sich selbst sorgen. Kerst und Jordan waren jedoch so gute Kräfte, gleich von vorn- herein mit so gutem Willen an die Sache herangegangen und hatten sich so trefflich in sie hineingearbeitet, daß alles glatt ging und Brommy’s Fortgang nicht so empfunden wurde, wie man anfangs gefürchtet. Für Brommy waren die ihm über- tragenen Functionen nahezu erdrückend. Wenn er sich denselben auch willig unterzog und sie mit eben so großem Eifer wie Ge- schick und Thatkraft in Angriff nahm, so konnte er doch allein auf die Dauer das Geforderte nicht leisten und es galt deshalb, nachdem die Acquisition amerikanischer Officiere so traurig ge- scheitert, andere geeignete Kräfte zu des Seezeugmeisters Unter- stützung heranzuziehen. Es gelang dies auch durch Engagement von sechs älteren Werner belgischen Seeofficieren, welche als Lieutenants zur See I. Classe (Hauptmannsrang) in den Reichsdienst traten. Ein glücklicher Zufall wollte, daß Belgien grade zu jener Zeit seine Marine als nutzlos und zu kostspielig für ein so kleines Land aufgab, seine Seeofficiere pensionirte und diese als Privatleute nun ohne weitere Schwierigkeiten in fremde Dienste treten konnten. Die Unsicherheit der deutschen Verhältnisse war für sie von keiner weiteren Bedeutung. Hatte die deutsche Marine keine Zukunft, so gingen sie einfach nach Belgien zurück, um ihre Pension weiter zu beziehen und sie setzten deshalb nichts auf das Spiel. Mit der Ankunft der Belgier, die außerdem den Vorzug hatten, deutsch zu verstehen und deutsches Commando führen zu können, erhielt Brommy eine wesentliche Unterstützung für alle Commando-Angelegenheiten, während sich auch für die Verwal- tung der Seezeugmeisterei allmälig tüchtiges Personal fand. Namentlich war es der später an die Spitze dieser Behörde be- rufene damalige Oberlieutenant Weber, ein Darmstädter, und wie Brommy bisher in griechischen Diensten, der es verstand sich in überraschend kurzer Zeit in die ihm übertragene neue Stellung hinein zu arbeiten und die Seezeugmeisterei auf eine Stufe der Vollkommenheit zu bringen, die wenig zu wünschen übrig ließ. So kam denn bald alles in das richtige Gleis und bei dem im Allgemeinen herrschenden guten Geiste und dem festen Willen, die Sache vorwärts zu bringen, wurde in kurzer Zeit ganz Außerordentliches geleistet und sehr bald eine Ordnung in allen Angelegenheiten geschaffen, die wirklich musterhaft genannt werden konnte. Schwierigkeiten gab es ja trotzdem noch genug zu über- winden und eine der schlimmsten war die Mannschaftsfrage. Dieselbe war in keiner Weise geregelt und wie bereits weiter oben erwähnt, fehlte es an allen einschlägigen Gesetzen. Statt der erwarteten festen Gestaltung der Reichsverhältnisse, welche Die deutsche Marine 1848—1852 jene Gesetze bringen sollte, trat nur noch größere Zerfahrenheit ein. Verschiedene Staaten wollten gar nichts von der Marine wissen und von einer Wehrpflicht für dieselbe war keine Rede. Ebenso bedenklich stand es mit der Kriegsflagge. Ein einziger Seestaat, Nordamerika, hatte die deutsche Centralgewalt aner- kannt, alle übrigen nicht; deshalb war auch nur jenem eine Mittheilung über die deutsche Kriegsflagge gemacht worden. Da indessen die fertigen Schiffe bemannt werden mußten, so schritt man zur Werbung. Bei der wegen der Blockade da- nieder liegenden Schiffahrt waren Seeleute genug am Lande, und da der Matrose ein Kind des Augenblicks ist und sich wegen seiner Zukunft keine große Sorge macht, so gelang es, trotz mangelnder Gesetze über Invalidenversorgung, allmälig so- wol im Inlande wie in England die nöthige Zahl Matrosen zur Besetzung der fertigen oder in nächster Zeit fertig werdenden Schiffe anzuwerben, während auch ein kleiner Theil officiell von Oldenburg gestellt wurde, das sich überhaupt echt deutsch und der Marine wolgesinnt zeigte. Die Anwerbung von Marinesoldaten machte sich dagegen nicht so leicht. Der Verlegenheit half man jedoch dadurch ab, daß durch die Einwirkung von Duckwitz eine Compagnie des Bremischen Contingents zur Marine commandirt wurde und den Dienst der Seesoldaten versah. Mit dem 1. April 1849 konnte man die Gründungs- periode der deutschen Marine ungefähr als abgeschlossen betrach- ten. Es waren in den fünf Wintermonaten neun Kriegsdampf- schiffe übernommen, gekauft resp. in Bau gegeben und zwar „Hansa“, „Barbarossa“, „Erzherzog Johann“, „Ernst August“, „Oldenburg“, „Frankfurt“, „Hamburg“, „Bremen“ und „Lü- beck“, ferner die Segelfregatte „Deutschland“ und 27 Kanonen- boote. Die Marine hatte eine Organisation, die nothwendig- sten Reglements waren geschaffen, die Verwaltung geordnet, die seefertigen Schiffe mit einer vollen exercirten und disciplinirten Werner Besatzung versehen. Der Mangel an wirklichen Seeofficieren, welche als Lehrmeister dienen konnten, war durch die Belgier gehoben; die deutschen aus der Handelsmarine hervorgegangenen Officiere füllten ihre Posten voll aus, die Mehrzahl versprach sehr bald tüchtiges zu leisten und nur mit den Engländern, die man mit den angekauften Schiffen übernommen hatte, war keine glückliche Acquisition gemacht. Daß alles dies in der kurzen Zeit und trotz der oben dargelegten Schwierigkeiten hatte in das Leben gerufen und durchgeführt werden können, bleibt das unantastbare Verdienst von Duckwitz und Brommy. Eine wirkliche Flotte, wie sie die Majorität des deutschen Volkes in ihrer Unkenntniß maritimer Verhältnisse verlangte, konnten sie allerdings nicht herzaubern, aber das Mögliche war von ihnen vollbracht. Sie hatten eine solide Grundlage ge- schaffen und dafür gesorgt, daß diejenigen Elemente vorhanden waren, aus denen sich eine Flotte aufbaut. Es ist deshalb nur eine Forderung der Gerechtigkeit, das Andenken dieser beiden Männer zu ehren, welche sich voll einsetzten, um ein großes nationales Werk zu schaffen. Daß dieses Werk kein bleibendes war, daß es schmachvoll untergehen mußte, war nicht ihre Schuld und schmälert nicht ihren Ruhm. Ihnen hat wol das Herz am meisten dabei geblutet, als die deutsche Flotte unter den Hammer kam. Eine verdiente und ihn hochehrende Anerkennung für seine Thätigkeit erhielt Brommy noch kurz vor dem Rücktritt des Erzherzog-Reichsverwesers durch seine Ernennung zum Contre- admiral, die von dem nachstehenden Handbillet begleitet war: „Unter den meiner Fürsorge anvertrauten Angelegen- heiten hat die Gründung einer deutschen Flotte meine Auf- merksamkeit stets in besonderem Grade auf sich gezogen. Je größer die Schwierigkeiten und Hindernisse waren, mit welchen die Ausführung dieses Planes zu kämpfen hatte, Die deutsche Marine 1848—1852 desto mehr mußte es mich freuen, daß die junge Flotte in Ihnen, Herr Commodore Brommy, einen Chef gefunden hatte, dessen Umsicht und Energie so manche Schwierigkeiten zu besiegen wußte, für so manches Fehlende Ersatz leistete. Ich will daher nicht aus meiner jetzigen Stellung schei- den, ohne Ihnen einen besonderen Beweis meiner Zufrieden- heit mit Ihrer Ausführung zu geben und habe zu diesem Zwecke Sie unter heutigem Datum zum Contreadmiral ernannt. Frankfurt, den 11. November 1849. Der Reichsverweser gez. Erzherzog Johann. Schließlich sei noch kurz der Schleswig-Holstein’schen Ma- rine erwähnt, die zwar selbständig neben der deutschen existirte, aber in gewisser Beziehung doch wieder einen Theil derselben bildete. Sie bestand aus zwölf Ruder-Kanonenbooten, aus dem Dampfer „Bonin“ — ein früheres Kauffarteischiff, das von der Größe der Dampfcorvette „Hamburg“, wie diese umgebaut und armirt war — und aus dem Schuner „Elbe“, der bei Ausbruch des Krieges als dänisches Wachtschiff bei Altona ge- legen hatte und von den Schleswig-Holsteinern genommen war. Die zwölf Kanonenboote bildeten das Contingent, welches Schleswig-Holstein auf Requisition der Centralgewalt zum deut- schen Küstenschutz stellte. Außerdem bauten die Herzogthümer aber noch ein Dampfkanonenboot, „von der Tann“, und zwar war dies das erste dieser Classe von Fahrzeugen, das über- haupt construirt wurde und anderen Marinen nach dieser Rich- tung den Weg zeigte. Während des Krimkrieges schufen Eng- land und Frankreich Hunderte von diesen Booten, einige Jahre danach folgte auch Preußen, und damit wurden die bisher zum Küstenschutz verwendeten Ruderkanonenboote aus der Welt ge- schafft, welche einer sehr großen Besatzung bedurften, ungemein langsam und schwerfällig in der Bewegung und nur in stillem Werner Wasser zu gebrauchen waren. Leider nahm der „von der Tann“ ein trauriges Ende. Im Jahre 1851 wurde er in der Neu- städter Bucht von einer dänischen Fregatte gejagt und mußte sich vor der Uebermacht nach der Trave zurückziehen. Er konnte diese jedoch nicht mehr erreichen, und um das Boot nicht in die Hände des Feindes fallen zu lassen, wurde es von seinem Commandanten auf den Strand gesetzt und verbrannt. Noch in einer anderen Hinsicht ging Schleswig-Holstein allen anderen Nationen voran: in der Vertheidigung der Häfen mit Torpedos, die jetzt in der Seekriegführung eine so hervor- ragende Rolle spielen. Am 24. März 1848 wurde die provi- sorische Regierung für Schleswig-Holstein proclamirt. Am 26. März brachte der dänische Kriegsdampfer „Hecla“ die Schleswig- Holsteinische Deputation nach Kiel zurück, welche dem König von Dänemark die Wünsche der Herzogthümer vorgetragen hatte. Diese Wünsche waren zurückgewiesen und damit der Krieg er- klärt. Friedrichsort war verlassen und nicht befestigt. Da galt es, den Hafen von Kiel gegen feindliche Angriffe zu schützen und Professor Himly, Chemiker an der Kieler Universität, machte den Vorschlag, dies durch Torpedos zu thun. Der Vorschlag wurde von der provisorischen Regierung angenommen und Himly legte im Fahrwasser in der Gegend der Düsternbrooker Badean- stalt zwei solcher Wasserminen. Die eine bestand aus einem Kautschucksack, die andere aus einer doppelten Tonne, beide waren mit Pulver gefüllt. Die Zündung sollte auf electrischem Wege, d. h. in der Weise geschehen, wie es jetzt allgemein ge- bräuchlich ist, während z. B. die Russen im Krimkriege noch die weit unzuverlässigere Contactzündung anwandten. Dabei mußte das feindliche Schiff gegen den Torpedo stoßen und eine Röhre zerbrechen, deren Säureinhalt sich auf ein chemisches Ele- ment ergoß und die Zündung herbeiführte. Die Lage der Himly’schen Wasserminen war durch genaue Visirung festgestellt. Beim Passiren derselben durch ein feind- Die deutsche Marine 1848—1852 liches Kriegsschiff sollten sie auf ein betreffendes Signal gesprengt werden. Ob ihre Wirksamkeit den Erwartungen entsprochen hätte, mag dahin gestellt bleiben, jedenfalls erreichten die Torpedos aber völlig ihren Zweck, denn die Dänen, welche davon gehört, wagten sich mit ihren Schiffen nicht innerhalb Friedrichsorts. Noch für eine andere unterseeische Vertheidigungs- resp. Angriffswaffe wurde Schleswig-Holstein zu jener Zeit: das Ver- suchsfeld für Taucherboote. Bei dem 1848 in Holstein eingerückten Bairischen Contin- gent stand der durch seine submarinen Erfindungen später be- kannt gewordene Wilhelm Bauer als Unterofficier. Nach dem Waffenstillstande von Malmö trat er in die Schleswig-Holstei- nische Armee und kam hier zuerst auf die Idee, ein Taucher- schiff zu construiren. Es gelang ihm, seine Pläne einigen ein- flußreichen Leuten vorzulegen, und diese veranlaßten eine Begut- achtung der Principien durch verschiedene Kieler Professoren. Das Gutachten fiel günstig aus und gestützt auf dasselbe wandte sich Bauer nun an die provisorische Regierung der Herzogthümer, welche jedoch erklärte, für dergleichen Projecte keine Mittel zu haben. Als indessen darauf eine öffentliche Subscription eine namhafte Summe ergab, entschloß sich die Regierung, den zum Bau eines solchen submarinen Bootes erforderlichen Restbetrag herzugeben. Dasselbe wurde nun in Kiel bei Schweffel und Howaldt gebaut. Es war ungefähr 36 Fuß lang, mit einer Schraube zur Fortbewegung versehen und aus Eisen construirt. Nach seiner Form war es unten scharf, oben etwas abgerundet; in- wendig hatte es eine kräftige Pumpe und vorn oben eine wasserdichte Lucke, in der eine sehr starke Glasscheibe eingesetzt war. Diese diente dazu, um sowol Licht in das Boot zu lassen, als auch aus dem Boote nach außen sehen zu können. Unmittelbar neben der Luke befanden sich zwei Guttaperchaärmel, die nach außenbords mündeten, aber kein Wasser in das Boot Werner ließen. Durch diese Aermel sollte ein Mann die Arme stecken, um ein am Bug des Bootes festgeschrobenes Explosionsobject zu lösen und an dem Kiel des feindlichen Schiffes zu befestigen. Die bewegende Kraft war die von Menschen; die Schraube wurde mit den Händen durch eine Kurbel in Thätigkeit gesetzt. Als das fertiggestellte Boot seine Probefahrt machen sollte, ging Bauer mit zwei Leuten hinein. Er schloß die wasserdichte Luke, öffnete ein Ventil im Boden, um durch Wasserballast das Boot zum Tauchen zu bringen, und es sank. Danach wurde die Pumpe probirt, und es gelang durch Auspumpen des Wassers das Boot wieder an die Oberfläche zu bringen. Bauer rief den ihn begleitenden Booten zu, daß die Pumpen zu schwach schienen, schloß dann aber die Luke wieder, setzte die Probefahrt fort — und das Fahrzeug ist nie wieder an das Tageslicht gekommen. Es war etwa elf Uhr Morgens, als Bauer zum zweiten Male unter Wasser ging. Die Fortbewegung mittels der Schraube gelang, wenn auch nur in mäßiger Weise; doch die Pumpen waren zu schwach, um das eingelassene Wasser schnell zu be- wältigen und das Boot sank deshalb 40 Fuß tief bis auf den Grund. Bauer schien das Boot für eine solche Tiefe und den sich daraus ergebenden Wasserdruck zu schwach construirt zu haben. Die Erbauer hatten ihn gleich beim Bau auf diesen Umstand aufmerksam gemacht, aber ohne daß er darauf Rücksicht genommen hätte. In Folge dieser Schwäche sog das Fahrzeug ziemlich Wasser. Die Pumpe genügte nicht, dasselbe zu entfernen, aber der Wasserdruck von außen beschwerte auch die Luke der Art, daß Bauer sie nicht öffnen konnte. Seine Lage war eine un- gemein kritische. Das eindringende Wasser stieg immer höher; von außerhalb war auf keine Rettung zu hoffen und so schien das Schicksal der drei Leute besiegelt. Oben auf der Wasserfläche hatte sich inzwischen eine Die deutsche Marine 1848—1852 Menge Boote mit Zuschauern angesammelt, welche vergebens auf das Wiedererscheinen Bauers warteten und nach stunden- langem Harren ihn als verloren betrachteten. Da endlich, um drei Uhr Nachmittags, also vier volle Stunden nach dem Tauchen, wurden plötzlich alle drei Leute mit einer ungemeinen Vehemenz an die Oberfläche geschleudert und von den wartenden Booten aufgenommen. Ihre Rettung schien durch ein Wunder bewerk- stelligt zu sein, erklärte sich aber durch die Compression der Luft in dem Boote. Letztere war durch das höher steigende Wasser allmälig immer gewachsen, bis sie dem äußeren Wasserdruck das Gleichgewicht hielt. Diesen Moment hatte Bauer wahrgenommen, um die Luke zu öffnen und war dann mit den beiden Leuten, die er mit großer Geistesgegenwart vorher zu dem Zwecke unter der Luke richtig placirt, in die Höhe geschleudert worden. Das Experiment war an der zu schwachen Construction des Bootes und an der zu geringen Kraft der Pumpe geschei- tert. Dagegen hatte Bauer den Beweis geliefert, daß das Boot sich heben und senken konnte, daß es sich fortbewegen ließ und daß die Insassen ohne Gefahr für ihre Gesundheit vier Stunden unter Wasser hatten aushalten können. Wenn aber das Unglück auch nicht eingetreten wäre und das Boot gut functionirt hätte, so würde sein Nutzen doch höchst problematischer Natur gewesen sein. Das anzugreifende Schiff hätte zunächst vor Anker liegen müssen, um irgend eine Chance des Gelingens zu bieten. Sodann erwuchs für das Boot aber noch eine andere Schwierigkeit, die es aller Wahrscheinlichkeit nach nicht überwunden hätte. Bei Nacht war ein Angriff ziemlich ausgeschlossen, da man in dem Boote unter Wasser nichts sehen konnte. Bei Tage hätte es aber schon in einer sehr großen Entfernung von dem Feinde tauchen müssen, um gegen dessen Schußwaffen ge- sichert zu sein. Den richtigen Weg auf eine so weite Strecke zu finden, war kaum möglich oder wenigstens so unsicher, daß Werner das Gelingen gänzlich vom Zufall abhängig blieb. Außerdem kam endlich noch ein Umstand in Betracht, an dem bisher alle submarinen Fahrzeuge gescheitert sind und gegen den auch das Bauer’sche Boot nicht gesichert war, die Innehaltung einer be- stimmten Tiefe unter Wasser. Bereits Fulton hatte im An- fange dieses Jahrhunderts zu demselben Zwecke wie Bauer ein submarines Boot construirt, mit dem er tauchte, einen Explo- sionskörper am Kiele eines alten dazu hergegebenen Schiffes befestigte und es in die Luft sprengte, aber es gelang ihm eben- sowenig eine bestimmte Tiefe zu halten. Einem Mitte der fünfziger Jahre in Cherbourg erbauten Taucherschiffe „Plon- geur“, von dem man sich die großartigsten Erfolge versprach, er- ging es ebenso. Nur ein Mann hat bis jetzt dies Problem gelöst, der Er- finder der Fischtorpedos, Whitehead in Fiume, jedoch auch nur für die Torpedos und selbst für diese nicht einmal mit unbe- dingter Sicherheit, da einzelne derselben immer noch in den Grund gehen und dort stecken bleiben. Ein äußerst geringer Einfluß, das Verbiegen irgend eines kleinen Gegenstandes am Torpedo, oder eine sonstige ganz unbedeutende Formveränderung ist im Stande, ersterem eine falsche Richtung zu geben und ihn statt in einer bestimmten Tiefe grade aus, mit einer Curve nach unten gehen zu lassen. Bauer hat später noch vielfach mit submarinen Booten sowol in Deutschland wie in Rußland experimentirt, aber es ist ihm nicht gelungen, etwas Zweckmäßiges zu schaffen. Es scheint nach dem Mißlingen so vieler in dieser Richtung unternomme- ner Versuche, als ob das sichere Fahren unter Wasser dem Menschen verschlossen bleiben soll. Die deutsche Marine 1848—1852 Bewegte Zeit . Der Malmöer Waffenstillstand war abgelaufen. Das kleine muthige Dänemark hatte ohne Furcht vor dem großen freilich uneinigen Gegner den unterbrochenen Kampf und die Blockade unserer Küsten wiederaufgenommen. Wenn die deutschen Ma- rinebestrebungen ihm bis jetzt auch nicht gefährlich geworden waren, so hatte es dieselben thatsächlich doch nicht unberücksich- tigt gelassen und ihnen dadurch wider Willen eine gewisse Be- deutung und Anerkennung zugestehen müssen. Es hatte für nöthig befunden, seine bisherigen Seerüstungen zu vermehren und außer den vorjährigen Schiffen noch ein Linienschiff und einige Raddampfer mehr in Dienst zu stellen, sowie seine Blockadeschiffe vollzählig zu bemannen. Anfang April 1849 zog Dänemark im Belt ein Geschwa- der zusammen. Es bestand aus dem erwähnten Linienschiffe, dem Zweidecker „Christian VIII. “ von 84, aus der neuen, als besonderer Schnellsegler berühmten Fregatte „Gefion,“ von 48 Kanonen und aus den beiden mit je sechs Geschützen armirten Raddampfcorvetten „Geyser“ und „Hecla“. Den Oberbefehl über die Schiffe führte der auf dem Geyser eingeschiffte Commandeur Garde. „Christian VIII. “ wurde vom Kapitän Paludan, die „Gefion“ vom Kapitän Meyer commandirt. Die Besatzungs- stärke des Geschwaders belief sich auf ungefähr 1500 Mann; seine Bestimmung war, mit den dänischen Landtruppen zu coope- riren, die von den Schleswig-Holsteinern bei Eckernförde provi- sorisch erbauten beiden Strandbatterien zu zerstören und danach im Rücken der nach Jütland vorgedrungenen deutschen Truppen Eckernförde selbst zu besetzen. Am 4. April erschienen gegen Abend plötzlich „Christian VIII. “ und „Gefion“ in der Mündung der Bucht und unter- warfen die Ufer einer genauen Recognoscirung. Sie näherten sich jedoch den Schanzen und der Stadt nicht bis auf Schuß- R. Werner , Erinnerungen. 12 Werner weite, sondern kreuzten nach Erreichung ihres Zweckes gegen den herrschenden Ostwind wieder aus der Bucht, um sich draußen mit den beiden wartenden Dampfschiffen zu vereinigen. Die Bewohner der Stadt geriethen natürlich in große Auf- regung. Es war als gewiß anzunehmen, daß die Dänen am andern Morgen wiederkehren und daß dann ein harter Kampf bevorstehen würde, dessen Ausgang für Eckernförde verhängniß- voll werden konnte und voraussichtlich werden mußte. Die beiden großen Schiffe führten zusammen 132 Geschütze schwersten Ka- libers und es standen ihnen nur zwei kleine Erdwerke von zu- sammen zehn Geschützen gegenüber. Nach den bisherigen Erfahrungen von Schiffskämpfen gegen Strandbatterien würden diese durch das feindliche Massenfeuer vernichtet und dem Erdboden gleich gemacht werden, und dann war auch Eckernförde verloren. Zwar wurde durch den Herzog Ernst von Coburg-Gotha, der den Oberbefehl über die in und um Eckernförde stehenden deutschen Streitkräfte führte, noch eine nassauische Feldbatterie herangezogen, aber was bedeuteten ihre schwachen Sechspfünder gegen die gewaltigen Feuerschlünde der Schiffscolosse, und ebenso wenig vermochte das zum Schutze der Stadt bestimmte Thüringische Infanteriebatail- lon irgendwie das drohende Unheil abzuwenden. Nach Zerstörung der Schanzen konnten die Dänen, unter dem Schutze ihrer Kanonen, eine beliebige Anzahl Truppen an jedem ihnen convenirenden Punkte der Bucht landen. Die Besorgniß der Bevölkerung war deshalb nicht unbegründet, wenngleich die braven Truppen das bange Gefühl der Stadt- bewohner keineswegs theilten. Sie brannten im Gegentheil vor Kampfbegier und konnten die Zeit nicht erwarten, um sich trotz ihrer Schwäche mit dem so gewaltig überlegenen Feinde zu messen. Am andern Morgen mit Tagesanbruch rasselten Trom- melwirbel in den Straßen der Stadt, deren geängstigte Ein- Die deutsche Marine 1848—1852 wohner größtentheils gar nicht zur Ruhe gegangen waren. Es ward Generalmarsch geschlagen, die Infanterie eilte zu ihren Sammelplätzen, die Kanoniere besetzten ihre Schanzen. Die nördliche wurde vom Hauptmann Jungmann, einem früheren preußischen Artillerieofficier, die südliche von dem Unterofficier von Preußer, einem Schleswig-Holsteiner, befehligt; die Bedie- nungsmannschaften waren Schleswig-Holsteiner, deren größter Theil erst seit wenigen Monaten diente. Der Tag versprach schön zu werden. Der Himmel war unbewölkt, die Sonne ent- stieg strahlend dem Meere, der Ostwind blies in die Bucht und die lichtgrünen Wellen tanzten lustig und von weißem Schaum gekrönt in der frischen Briese. Es war ein Bild des Friedens, das sich dem Blicke bot — doch wie bald sollte es sich wandeln in wildes Kampfgewühl, wie bald sollten die klaren Wogen sich röthen vom Blut und das goldne Antlitz der Sonne in schwar- zem Pulverdampf sich trauernd verhüllen! Gegen sechs Uhr Morgens sah man die vier feindlichen Schiffe am fernen Horizonte aus dem leichten Morgennebel emportauchen. Die beiden Dampfer blieben im Eingange der Bucht zurück; die Segler nahmen Curs auf die Stadt, „Chri- stian VIII. “ leitete, „die Gefion“ folgte in seinem Kielwasser. Stolz flatterte der Dannebrog im Winde und drohend blickten die Geschützrohre aus den Pforten. Näher und näher kamen die beiden Schiffe, bange Stille herrschte in der Stadt, auf den Gemüthern lagerte es wie Gewitterschwüle; in den Schan- zen jedoch erwartete man muthigen Herzens und festen Auges den Feind, der unter vollen Segeln heransteuerte. Gegen sieben Uhr hatte dieser sein Ziel erreicht und war nur noch wenige Hundert Schritte von der Nordschanze ent- fernt. Da erkrachte es auf einmal, als ob die Erde sich spalten sollte. Die zweiundvierzig Feuerschlünde der Steuerbordseite des Linienschiffes entluden sich gleichzeitig, ein Hagel von Ge- schossen sauste pfeifend und zischend gegen die Schanze und einige 12* Werner Minuten später folgte, kaum weniger furchtbar, die Breitseite der „Gefion.“ Die Schlacht hatte begonnen, der eherne Tritt des Kriegsgottes ließ die Luft erdröhnen und erfüllte die Herzen der Zuschauer mit bangem Schrecken. Jetzt bogen beide Schiffe um, gaben der etwas weiter entfernten Südschanze eine andere Breitseite und entzogen sich dann für kurze Zeit in einer dichten Wolke den angsterfüllten Blicken der Stadtbewohner. Als der Wind den Pulverdampf verwehte, lagen sie vor Anker, „Christian VIII. “ weiter südlich, die „Gefion“ in Kernschuß- weite der Nordschanze. Offenbar hatte man nicht anders ge- glaubt, als daß die beiden Werke durch das Höllenfeuer vom Erdboden vertilgt oder wenigstens gänzlich kampfunfähig gemacht worden seien, da sie sonst wohl nicht ein so gewagtes Manöver ausgeführt und mit auflandigem Winde an einer Stelle so tief in der Bucht vor Anker gegangen wären, wo die Nähe des Ufers ein nothwendig werdendes Untersegel-Gehen sehr erschweren mußte. Bald sahen die Dänen auch den gemachten schweren Fehler ein. Beim Ankern war das Linienschiff etwas getrieben und dem Ufer so nahe gekommen, daß sein Steuerruder bereits den Grund berührte, und als sich auch von den Schanzen die schwarze Rauchwolke hob, da zeigten sich diese zwar nicht unverletzt, ver- schiedene ihrer Geschütze waren beschädigt, auch ihre Erdwälle hatten gelitten — indeß keineswegs in dem Maße, wie die Dänen in Ueberschätzung ihrer Streitmittel erwartet. Von den Bedienungsmannschaften war Niemand gefallen, nur ein kleiner Theil verwundet, und bald zeigten die tapferen Kanoniere, daß Furcht und Muthlosigkeit, auch einer so gewalti- gen Macht gegenüber, in ihrer Brust keinen Raum hatte. Ihre Geschütze spieen auf die kurze Entfernung Tod und Verderben und rissen in die dichtgedrängte Mannschaft an Bord der Schiffe furchtbare Lücken. Die Dänen kämpften verzweiflungsvoll; Lage um Lage schmetterten sie den Schanzen entgegen, aber es schien, Die deutsche Marine 1848—1852 als ob diese gefeit seien. Trotz der Tausende von Geschossen, die sie überschütteten, wurden sie weder zum Schweigen gebracht noch eines ihrer Geschütze dauernd außer Gefecht gesetzt. Gar oft zwar wurde eines oder das andere getroffen, aber immer gelang es, den Schaden wieder auszubessern und von Neuem sprühte es dem erschreckten Feinde seinen tödtlichen Inhalt ent- gegen. Gegen elf Uhr hatte die „Gefion“ schon bedeutend gelitten; sie lag im Kreuzfeuer beider Batterien und ihre Todten und Verwundeten beliefen sich bereits auf ein Viertheil der Besatzung. Auf ein Signal von ihr kam der Geschwaderchef Garde mit dem „Geyser“ in die Bucht hinein, um die Fregatte aus ihrer ver- zweifelten Lage zu befreien. Schon befand sich der Dampfer in nächster Nähe des unglücklichen Schiffes; es wurden Anstalten gemacht, um das Bugsiertau an Bord zu geben; wenige Minu- ten länger und die „Gefion“ wäre gerettet gewesen — da schlug eine aus der Nordschanze kommende Kugel in den Radkasten des „Geyser“ und vereitelte den Versuch. Der Schuß war von dem Gefreiten Wommelsdorf gegeben worden, er besiegelte das Schicksal der „Gefion“. Der „Geyser“ war so beschädigt, daß er sofort Kehrt machen und von dem „Hecla“ in’s Schlepptau genommen werden mußte. Kapitän Paludan gewann die Ueberzeugung, daß sowol sein Schiff, wie die „Gefion“ verloren waren; Hauptmann Jungmann hatte begonnen, mit glühenden Kugeln zu feuern und mehrere der- selben waren nur mit großer Mühe aus dem Rumpf des „Christian VIII. “ zu entfernen gewesen. Paludan ließ deshalb kurz nach zwölf Uhr die Parlamentärflagge aufziehen und sandte nach Einstellung des Feuers einen Seeofficier mit der peremptori schen Forderung an’s Land, sofort die Schanzen zu räumen und die beiden Schiffe ungehindert ziehen zu lassen, widrigenfalls die Stadt in Brand geschossen werden würde. Doch die Botschaft ver- fehlte ihren Zweck; trotz der drohenden Form erklang es aus Werner ihr wie ein letzter Schrei der Verzweiflung. Es mußte schlimm mit den Schiffen stehen, wenn man einen völkerrechtswidrigen Act in Aussicht stellte, um ihren Abzug zu erzwingen. Die Bürger von Eckernförde legten deshalb, selbst auf die Gefahr hin, ihre schutzlose Stadt in einen rauchenden Trümmerhaufen verwandelt zu sehen, die Entscheidung über die Forderung der Dänen in die Hände der obersten Militärbehörde, und sahen resignirt der Zukunft entgegen. Der Herzog von Coburg wies die Forderung entschieden ab und bewilligte Paludan nur eine zweistündige Waffenruhe, die von beiden Seiten zur Ausbesserung der erlittenen Schäden benutzt wurde. Dann begann der Kampf auf’s Neue und heftiger als zuvor, aber das Geschick wandte sich immer ver- hängnißvoller gegen die Dänen. Die Südschanze feuerte eben- falls mit glühenden Kugeln auf das Linienschiff und weihte es damit dem Verderben. Der Wind war etwas nördlicher gegangen, und die „Gefion“ drehte der Preußerschen Batterie mehr ihr Heck zu. Infolge dessen wurde sie der Länge nach beschossen und verlor furchtbar an Menschen; von ihren beiden hintern Ge- schützen mähten die Kugeln der Südschanze dreimal die Be- dienungen nieder. Auch die Nassauer Feldbatterie griff ver- heerend mit ihrem Feuer ein, obwol sie wegen des kleinen Kalibers ihrer Geschütze nicht so todtbringend wirkte, wie die der beiden Schanzen. Alle Bemühungen Paludan’s, um sein Schiff wieder in tieferes Wasser zu bringen, blieben erfolglos. Er signalisirte der „Gefion,“ ihm ein Kabeltau zu schicken, um sich damit vom Strande abzuholen, dem der stets wachsende Ostwind das Linienschiff immer näher gedrängt hatte. Das Boot mit dem Tau hatte bereits den größten Theil des Wegs zurückgelegt, da wurde es von einer Kugel aus der Südbatterie getroffen und sank mit seiner Last und seiner Bemannung in die Tiefe. Auch der letzte Versuch Paludan’s mißlang und das Un- Die deutsche Marine 1848—1852 glück heftete sich immer drohender an seine Fersen. Der Wind war zwar stärker geworden, aber, wie bemerkt, etwas nach Norden herumgegangen, so daß es möglich schien, mit dem Schiffe abzukreuzen und das freie Fahrwasser der Bucht zu ge- winnen. Unter dem heftigsten Feuer der deutschen Batterien wurden Segel gesetzt und die Ankerkette gelöst, da wollte es das böse Geschick der Dänen, daß auch diese letzte Hoffnung vereitelt werden sollte. Im hintersten Maste des „Christian VIII. “ waren Scharfschützen postirt worden, um auf die Geschütz- bedienungen am Lande zu feuern. Namentlich wurde die ohne Deckung zwischen Stadt und Nordschanze aufgestellte Nassauische Feldbatterie unter Hauptmann Müller sehr von ihnen belästigt. Um sich ihrer zu entledigen, ließ der Batteriechef ein Geschütz mit Kartätschen laden und auf die Kreuzmars richten, wo jene stan- den. Dieser Schuß fiel gerade in dem Augenblicke, als das Linienschiff sich vorwärts zu bewegen begann, und er war es, der letzteres in die Gewalt der Deutschen brachte. Die Kartät- schen erfüllten nicht nur ihren Zweck, die Scharfschützen zu ver- treiben, sondern sie zerrissen auch verschiedene wichtige Taue und Segel. Dadurch verlor das Schiff seine Segel- und Steuerkraft, drehte infolge dessen mit dem Vordertheile ver- kehrt in den Wind und gerieth so fest auf den Grund, daß an ein Wiederabkommen nicht zu denken war und es auch mit seinen Geschützen die Schanzen nicht mehr bestreichen konnte, während es selbst sich im heftigsten Kreuzfeuer derselben befand. Die glühenden Kugeln hatten „Christian VIII. “ an ver- schiedenen Stellen in Brand gesteckt, ohne daß es gelungen war, an den Heerd des Feuers zu kommen und dasselbe zu löschen. Wurde der Kampf fortgesetzt, so stand auch der „Gefion“ dasselbe Schicksal bevor. Die Todten und Verwundeten zählten, nament- lich auf letzterem Schiffe, bereits nach Hunderten, die deut- schen Schanzen aber hatten nicht viel mehr gelitten, als am Vormittage und fast jeder ihrer Schüsse brachte Vernichtung. Werner Was half alle Tapferkeit und Todesverachtung der Schiffs- besatzungen, die im Blute ihrer Kameraden thatsächlich wateten und dennoch willig und ohne Zagen die gerissenen Lücken aus- füllten, um mit zerschmetterten Gliedern in den nächsten Minuten selbst einen zwar heldenhaften aber nutzlosen Tod zu finden. Zusehends erfüllte sich das traurige Geschick, Rettung war nicht möglich, an Hülfe von außen nicht zu denken; es wäre ein Ver- brechen gewesen, das Gefecht länger fortzuführen und noch mehr Menschen zu opfern, und so gab denn der unglückliche Kapitän um fünfeinhalb Uhr Abends den Befehl, die Flagge zu streichen. Der stolze Dannebrog senkte sich von der Gaffel, der Ge- schützdonner verstummte, die Schlacht war für die Deutschen gewonnen. Vieltausendstimmiger Jubel der am Lande ver- sammelten Zuschauer erschallte; aus Schleswig, Rendsburg, Kiel und der ganzen Umgegend waren sie gekommen, herbei- gerufen durch die furchtbare Kanonade, die den ganzen Tag auf viele Meilen weit den Donner der Geschütze durch das Land getragen. Stundenlang hatten sie zwischen Furcht und Hoff- nung geschwebt, gar oft hatte es geschienen, als ob die Schanzen unterliegen sollten und nun waren sie glänzend als Sieger aus dem wüthenden ungleichen Kampfe hervorgegangen und hatten die deutschen Waffen mit unvergänglichem Ruhme bedeckt. Und die Sieger selbst? Wie seltsam contrastirte mit dem lauten Jubel die schweigende Ruhe der Kanoniere! Mit ver- schränkten Armen und von Pulverrauch geschwärzten Gesichtern standen sie da an ihren Geschützen und blickten mit stiller Be- friedigung auf die Trophäen, die sie durch ihre Kaltblütigkeit und Tapferkeit unter der Leitung ihrer heldenmüthigen Führer heute dem Vaterlande errungen hatten, wenngleich die Mehrzahl die ganze Größe und Bedeutung des erfochtenen Sieges gar nicht zu verstehen schien. Die bisherige Seekriegsgeschichte hatte solche Resultate, wie der 5. April sie gebracht, noch nicht aufzuweisen. Zwei Schlacht- Die deutsche Marine 1848—1852 schiffe, welche in damaliger Zeit Strandbatterien gegenüber für unüberwindlich gehalten wurden, mußten sich einer Hand voll kühner Artilleristen ergeben, und diese hatten nicht einmal nam- hafte Verluste erlitten. Freilich war dabei in Betracht zu ziehen, daß die Dänen von seltenem Unglück verfolgt wurden. Ein verhängnißvoller Fehler war es gewesen, daß Paludan die Schiffe bei einem grade in die Bucht wehendem Winde gleich soweit hineinführte und dadurch ihre Bewegungsfähigkeit lähmte, aber als ganz besonderes Mißgeschick muß es bezeichnet werden, daß der „Geyser“ zerschossen, das Boot der „Gefion“ mit dem Bugsirtau in den Grund gebohrt ward und schließlich der Kartätschschuß der Nassauischen Batterie das Entkommen des Linienschiffes unmöglich machte. Inzwischen verrieth die aus letzterem in immer größerer Dichtigkeit hervorquellende Rauchwolke, daß das an Bord aus- gebrochene Feuer bedeutender sei, als man geglaubt. Schleunige Hülfe war geboten und nach gethaner Blutarbeit galt es die von ihr verschonten Feinde dem Leben zu erhalten. Alle vor- handenen Boote wurden in Thätigkeit gesetzt, um zunächst die am meisten gefährdete Besatzung des Linienschiffes an’s Land zu schaffen und der tapfere Unterofficier Preußer stand dabei mit seinen Kanonieren in erster Reihe. Erschütternd war der Anblick, als die von dem heißen Kampfe des Tages bis zum Tode erschöpften dänischen Kriegsgefangenen durch die glänzend illuminirten Straßen der Stadt geführt wur- den, um in Kirche und Schule einquartiert zu werden. Von allen Seiten eilten die Bürger herbei, um sie mit Speise und Trank zu erquicken. Paludan hatte seine Drohung nicht wahr gemacht und kein einziges Geschoß war absichtlich in die Stadt gefallen; deshalb herrschte auch keinerlei Erbitterung gegen die Besiegten, man schenkte vielmehr ihrem herben Geschick Be- dauern und ehrte ihre Tapferkeit. Bevor jedoch noch alle Ge- fangenen ausgeschifft waren, erdröhnte plötzlich ein furchtbarer Werner Knall. Aus einer dunklen Rauchwolke züngelte eine gewaltige Feuergarbe zum Firmament empor, Tausende von Granaten, Raketen und andern Munitionskörpern durchsausten die Luft und zogen wie Meteore glühende Streifen durch die Nacht — „Christian VIII. “ war in die Luft geflogen. Das Feuer hatte die Pulverkammer erreicht und die furchtbare Katastrophe herbei- geführt. Zweihundert Mann der Besatzung, welche noch nicht hatten abgeholt werden können, verloren durch die Explosion ihr Leben. Doch auch mit diesem schweren Opfer war der Kriegs- gott noch nicht zufrieden gewesen — Preußer, der mit seinen Kanonieren bereits Hunderte von Gefangenen an’s Land gebracht, war eben im Begriff, wieder mit einer Anzahl derselben von dem brennenden Schiffe abzustoßen, als ihn der Tod ereilte. Mit den Trümmern der Boote sanken er und seine Leute zer- schmettert in die Tiefe. Die Explosion war eine so gewaltige gewesen, daß man sogar in der Stadt Schleswig den Luftdruck deutlich fühlte. Am nächsten Tage fand man Schiffstheile, Waffen und andere Gegenstände, die bis zu unglaublichen Entfernungen westwärts von der Stadt geflogen waren. Die Neugierigen, welche aus der Umgebung Nachts und früh Morgens am 6. April nach Eckernförde kamen, fanden die Stadt wie ausgestorben. Die Abspannung der Bevölkerung war nach den ungemeinen Aufregungen der letzten 48 Stunden eine so große, daß Alles sich todtmüde zur Ruhe begeben hatte und unbesorgt um die dänischen Kriegsgefangenen im tiefsten Schlum- mer lag. Den Letzteren wäre es ein Leichtes gewesen, die beiden schlaftrunkenen Posten, von denen sie allein bewacht wur- den, zu überwältigen und unbehelligt durch die Stadt nach Nor- den zu marschiren. Die „Gefion“, deren Batterie ein grauenvolles Bild der Zerstörung bot und in dem sich Leiche auf Leiche thürmte, wurde zunächst von Officieren und Mannschaften der im Kieler Hafen Die deutsche Marine 1848—1852 stationirten Schleswig-Holsteinischen Flotille besetzt. Sie hatte weit mehr als „Christian VIII. “ gelitten und über 80 Todte, während ersterer bis zur Explosion nur einige 60 zählte. Auf beiden Schiffen befanden sich außerdem noch nahe an 100 Ver- wundete und über 900 Mann wurden zu Gefangenen gemacht. Der deutsche Verlust war dagegen verschwindend zu nennen; er belief sich nur auf 4 Todte und 17 Verwundete, und seine Geringfügigkeit ist fast unbegreiflich zu nennen, wenn man bedenkt, daß die Be- satzungen der beiden deutschen Schanzen fast acht Stunden lang dem mörderischen Feuer von 132 schweren Geschützen auf wenige Hundert Schritte Entfernung ausgesetzt waren. In ganz Deutschland rief der Tag von Eckernförde eine enthu- siastische Freude hervor und nicht am wenigsten auf der deutschen Marine. War der Verlust seiner beiden schönsten und kriegstüchtig- sten Schiffe für Dänemark ein Schlag, den es nicht so bald ver- winden konnte und der seine Seemächtigkeit Deutschland gegen- über wenigstens auf längere Zeit hinaus wesentlich schwächte, so durfte der uns daraus erwachsende Gewinn sowol in materiel- ler wie moralischer Beziehung nicht hoch genug veranschlagt werden. Durch die glorreiche Action wurde das fast erkaltete Interesse für die deutsche Marine in der Bevölkerung wieder lebhaft angeregt und dadurch ein Druck auf die Regierun- gen ausgeübt. Ein großer Theil derselben hatte, unter dem Einflusse der herrschenden reactionären Strömung, mit scheelem Auge auf die nach ihrer Ansicht revolutionäre Schöpfung geblickt, und sich aus diesen wie aus andern Gründen der Verpflich- tung zur Beitragsleistung entzogen. Ende März war es bereits so weit gekommen, daß der fällige Sold für die Marinemannschaften nicht mehr ausgezahlt werden konnte. Infolge dessen gaben sich auf verschiedenen Schiffen Zeichen der Indisciplin kund, und nur mit großer Mühe gelang es den Officieren, die Leute zu beschwichtigen und zu ihrer Pflicht zurückzuführen. Jetzt nach dem glänzenden Siege, den die ganze Nation Werner auf das Lebhafteste mitempfand, hielten es die verschiede- nen säumigen Staaten doch für angemessen, die rückständigen Matricularbeiträge einzuliefern, und so wurde die Klippe, an der schon damals die Marine zu scheitern drohte, noch einmal glücklich umschifft. Für uns in der Marine Stehende war der 5. April aber auch deshalb von größter Wichtigkeit, weil wir damit in den Besitz eines Kriegsschiffes gelangten, das, abge- sehen von seiner Größe und seinem für damalige Verhältnisse bedeutenden Kriegswerthe, nach allen Richtungen hin als Modell gelten durfte. Die „Gefion“ war deshalb für die deutsche Flotte eine kostbare Aquisition. Sie hatte zwar in dem Kampfe so bedeutend gelitten, daß sie in den nächsten Monaten nicht activ verwendet werden konnte, allein das beeinträchtigte ihren späteren Werth für uns nicht, und als sie bald darauf von der Centralgewalt übernommen und die schwarzrothgoldene Flagge auf ihr geheißt wurde, da war das ein Jubel- und Freudentag für die ganze Marine. Wir glaubten in der so heiß erstrittenen Trophäe deutscher Tapferkeit ein Pfand zu besitzen, das die deutsche Nation nicht wieder von sich lassen würde und hielten jetzt die Fortexistenz der Flotte, an der selbst wir jüngeren Officiere bisweilen leise Zweifel zu hegen begannen, für gesichert. Dies Gefühl wirkte auf alle Verhältnisse günstig zurück. Wir brannten vor Verlangen, uns mit den Dänen zu messen und, wie wir natür- lich voraussetzten, ebenfalls Lorbeeren zu pflücken. Mit wahrem Feuereifer wurde das neue Geschütz-Exercirreglement auswendig gelernt, und Jeder that sein Bestes, um sich nach allen Rich- tungen für die kommenden Gefechte vorzubereiten. An Bord der fertig ausgerüsteten Corvetten „Hamburg“ und „Lübeck“ gelang dies auch völlig, und Ende April waren diese beiden Schiffe, wenigstens was ihre Besatzung betraf, so kriegstüchtig, daß sie unbedingt in den Kampf ziehen konnten, da sie auch schon eine Schießübung abgehalten hatten. Auf dem „Barbarossa“ zögerte Die deutsche Marine 1848—1852 sich jedoch die Sache wegen verspäteten Eintreffens der in Eng- land gefertigten Kriegsausrüstung noch länger hin und erst Ende Mai wurde das Schiff einigermaßen seefertig. Leider stand es mit der Kriegsbereitschaft nicht so gut. Der Commandant des „Barbarossa“ war ein alter gutmüthiger, aber sonst ziemlich un- fähiger Engländer. Er war Kapitän eines der vom Hamburger Comit é angekauften Dampfer gewesen und mit übernommen wor- den, weil er in früheren Zeiten einmal, wenn auch in untergeordne- ter Stellung, in der englischen Kriegsmarine gedient hatte. Als die amerikanischen Officiere ausblieben und ehe die Belgier ein- trafen, hatte man ihn zum Commandanten des „Barbarossa“ ge- macht. Von dem militärischen Dienste verstand er jedoch herz- lich wenig, die Bedienung der Geschütze war ihm gänzlich un- bekannt und blieb es deshalb Sache der Officiere, zu denen auch ich gehörte, sich und die Mannschaft weiter aus- und fort- zubilden. Auf der „Deutschland“, „Hamburg“ und „Lübeck“ befanden sich die gewöhnlichen glattläufigen Geschütze, welche nur Vollkugeln schossen und deren Bedienung verhältnißmäßig wenig Schwierig- keiten machte. Der „Barbarossa“ war dagegen mit 68-Pfünder- Bombengeschützen neuen Modells armirt, die von uns noch Niemand kannte. Wir suchten uns natürlich so gut wie möglich damit abzufinden und glaubten auch das Exercitium unsern Leuten in verhältnißmäßig kurzer Zeit ganz vortrefflich bei- gebracht zu haben, sollten aber bald die unangenehme Erfahrung machen, daß Autodidacten trotz allen Fleißes leicht in verhängniß- volle Fehler verfallen. Anfang Juni meldete unser alter Kapitän, den wir trotz seiner Unbedeutendheit doch alle gern mochten, dem inzwischen zum Commodore ernannten Kapitän Brommy, unserem Ober- befehlshaber, den „Barbarossa“ kriegsbereit, und dieser beschloß am 4. Juni mit den drei Schiffen eine Recognoscirungsfahrt in See zu unternehmen. Daß für einen Ernstkampf eine Schießübung, Werner namentlich mit Geschützen neuen Modelles, eine unerläßliche Vor- bedingung sei, davon hatte unser Kapitän keine Ahnung; der Commodore hatte sie wol vorausgesetzt und wir jüngeren Offi- ciere waren artilleristisch noch zu unerfahren, und glaubten, gutes Exercitium und Richtübungen seien genügend. Es war ein herrlicher Sommertag und die Sonne schien warm vom wolkenlosen Himmel herab, als wir unter dem Hurrah Tausender von Zuschauern, welche die Ufer der Weser besäum- ten, die Rhede von Bremerhafen verließen, um seewärts zu dampfen. Der „Barbarossa,“ das Flaggschiff, mit dem Com- modore-Stander an der Spitze des Großmastes, führte, „Hamburg“ und „Lübeck“ folgten zu beiden Seiten, mit ersterem ein gleichseitiges Dreieck bildend. Mit schneller Fahrt ging es den Strom hinab, aus den Schornsteinen quollen dunkle Rauch- säulen, die Radschaufeln peitschten die Fluthen und die Schiffe zogen ein breites schäumendes Kielwasser. Um dem Feinde ein etwaiges Einlaufen in die Weser zu wehren, waren alle Seezeichen entfernt, aber unsere tüchtigen Lootsen kannten trotzdem an ihren Landmarken das Fahrwasser so genau, daß wir mit ungehemmter Fahrt zwischen den Un- tiefen dahinflogen und bald die an der veränderten Wasser- färbung kenntliche Mündung erreichten. Die Nordsee — das deutsche Meer, wie es die Eng- länder richtig bezeichnen, lag vor uns. Es herrschte fast völlige Windstille; nur ein leiser südlicher Hauch kräuselte hier und dort ganz leicht die sonst wie ein Spiegel sich dehnende Meeres- fläche, in deren Smaragdgrün die Sonnenstrahlen sich badeten. Ein eigenthümlich erhebendes Gefühl schwellte unsere Brust. Das schwarzrothgoldene Banner mit dem Reichsadler, das Symbol neuerstandener deutscher Seemächtigkeit, flatterte zum ersten Male auf dem Meere und patriotischer Stolz schwellte unsere Herzen in dem Gedanken, daß wir uns möglicher Weise noch Die deutsche Marine 1848—1852 heute mit dem Feinde messen sollten. Helgoland tauchte am fernen Horizonte auf; mit voller Kraft steuerten wir darauf hin. „Segler voraus“, meldete der im Vortop des „Barbarossa“ stationirte Ausguck, und Aller Augen richteten sich auf den be- zeichneten Punkt. Nur drei Mastspitzen ragten aus dem Wasser, aber bei unserer schnellen Fahrt wuchsen sie zusehends empor. Bald hob sich der Rumpf über die Meeresfläche und ließ keinen Zweifel, daß wir ein Kriegsschiff vor uns hatten. Durch die Fernröhre unterschieden wir die Flagge; es war der Dannebrog, das weiße Kreuz im rothen Felde, der von der Gaffel der Segel-Corvette „Volkyrien“ wehte. Sie lag eine Meile südlich von Helgoland; bei den schwankenden Bewegungen des Schiffes sahen wir ihre Segel gegen Masten und Stengen schlagen, ein Zeichen, daß sie sich in Windstille befand und nicht manövrirfähig war. Wie klopfte uns das Herz und mit welchem Jubel wurde das Signal des Flaggschiffes aufgenommen, Curs auf den Feind zu setzen. Die Corvette war nur mit 12 kurzen 18-Pfündern armirt und ihre Besatzung zählte noch nicht 200 Mann. Unsere drei Schiffe hatten zwar auch nur 12 Ge- schütze, aber davon führte der Barbarossa acht 68-pfündige Bombenkanonen, jede der beiden Corvetten einen langen 56- und einen 32-Pfünder und unsere gesammte Besatzung belief sich nahe auf 400 Köpfe. Unter solchen Umständen unterlag es keinem Zweifel, daß ein Angriff unsrerseits auf die „Valkyrien“ mit vollem Erfolg gekrönt sein mußte. Wir hatten es in der Hand, den fast unbeweglichen Feind mit unsern weittragenden Geschützen aus solcher Entfernung zu beschießen, daß seine Ge- schosse uns nicht erreichten, um gegen die leichte Verletzbarkeit unserer Maschine gesichert zu sein, und konnten ihn auf diese Weise zum Flaggenstreichen zwingen. Die Aufregung wuchs von Minute zu Minute je näher wir kamen und erreichte ihren Höhepunkt, als der Befehl ge- geben ward, die Schiffe fertig zum Gefecht zu machen. Der Werner Generalmarsch ertönte; die Mannschaften waren wie electrisirt durch den Gedanken, an den Feind zu kommen und die Deutsch- land durch die Blockade angethanene Schmach zu rächen. Sie flogen förmlich auf ihre Posten, unter ihren nervigen Armen bewegten sich die schweren Geschütze wie Kinderspielzeug und waren im Nu fertig zum Laden. Etwa zwei Meilen nördlich von Helgoland kamen noch zwei dänische Fregatten in Sicht, und noch weiter hin zeichnete sich die Rauchwolke eines Dampfers am Himmel ab, aber auch dort war Windstille, die Segelschiffe konnten nicht herankommen, dem Dampfer waren wir gewachsen und es wurde deshalb keine weitere Notiz davon genommen. Die Kartuschen und Granaten wurden gebracht. Es sollte von uns zum ersten Male scharf geschossen werden. „Geladen!“ tönte das Commando. Die Kartuschen wurden in die Mündung geführt und die Ansetzer fertig gehalten. „Setzt an!“ Die beiden Lader schoben die Kartuschen bis auf den Boden des Rohres und setzten sie mit einem kurzen Stoße an. Die Bewegungen waren so gleichmäßig und prompt wie bei der bestexercirten Mannschaft — da aber stockte auf ein- mal das ganze Manöver. Die Ansetzer saßen in den Ge- schützen wie festgenagelt und waren auf keine Weise wieder herauszubekommen. Der zur Aufnahme der Kartusche bestimmte Ladungsraum im Rohr der Bombengeschütze war konisch geformt, der Kopf der Ansetzer aber cylindrisch. Die Exercirkartusche füllte diesen konischen Raum voll aus, die wirkliche Kartusche aber nicht, und durch den Stoß hatten sich die Ansetzer so ver- zweifelt festgeklemmt. Beim Exerciren kam dies nicht vor und unsere artilleristischen Erfahrungen waren, wie bemerkt, noch zu gering, um den Unterschied vorher zu bedenken. Unter anderen Verhältnissen würde die Situation lächerlich gewesen sein, hier Die deutsche Marine 1848—1852 Angesichts des Feindes war sie jedoch sehr ernst; unsere Ent- fernung von ihm betrug kaum noch eine halbe Meile. Die Maschinen wurden gestoppt und alle möglichen Mittel angewandt, um die Ansetzer wieder heraus zu holen, aber ver- gebens. Es blieb nichts übrig, als sie heraus zu schießen. Was wol die Dänen gedacht haben mögen, als auf dem deut- schen Flaggschiffe plötzlich sämmtliche Geschütze nach allen Himmels- richtungen abgefeuert wurden, ohne daß irgend wo das Ein- schlagen eines Geschosses auf der glatten Meeresfläche sich bemerk- lich machte? Das Manöver muß ihnen als unerklärliches Räthsel erschienen sein. Der Commodore machte ein sehr zweifelhaftes Gesicht, die Meldung der Schlagfertigkeit des Schiffes stimmte gar nicht mit der eben gemachten Wahr- nehmung. Die Ansetzer flogen natürlich zersplittert in das Wasser, doch glücklicher Weise fand sich ein zweiter Satz an Bord. Im Augenblick waren die neuen an Deck gebracht und nach weni- gen Minuten hatten die Hobel der Zimmerleute ihnen die nöthige konische Form gegeben; der Schaden war damit reparirt. Aber- mals wurden die Kartuschen angesetzt; alles war jetzt in Ord- nung und die Maschinen setzten sich langsam in Bewegung, bis wir auf etwa 3500 Schritt herangekommen waren. Dann stoppten die Schiffe, das Feuer begann und wurde von der „Valkyrien“ erwidert. Es war jedoch von beiden Seiten un- gefährlich. Die dänischen Geschosse erreichten uns lange nicht und unsere Granaten verfehlten auf die große Entfernung eben- falls ihr Ziel, was ja auch bei der Ungeübtheit der Mann- schaft im Scharfschießen trotz allen Eifers und guten Willens nicht anders zu erwarten war. Uns Officieren gefiel aber diese Munitionsverschwendung durchaus nicht. Voll Kampfesmuth wollten wir näher an den Feind und mit größter Ungeduld er- warteten wir den Befehl „Voll Dampf voraus,“ der jedoch ausblieb. R. Werner , Erinnerungen. 13 Werner Das Geschwader lief in offener Ordnung, d. h. es war den Schiffen nicht die Innehaltung einer genauen Position zu einander vorgeschrieben. Diesen Umstand glaubte der Comman- dant der „Hamburg“ benutzen zu dürfen, um sich dem Feinde mehr zu nähern und ließ die Maschine schneller anschlagen. In dem Augenblicke jedoch, als die Corvette das Flaggschiff passirte, fiel ein Kanonenschuß von Helgoland. „Wo wollen sie hin, Lieutenant Reichert?“ rief Brommy nach der „Hamburg“ hinüber. „Ich will entern, Herr Commodore,“ tönte die Antwort des thatendurstigen Commandanten zurück. „Machen Sie Signal: In die Elbe einlaufen,“ wandte Brommy sich an seinen Flagglieutenant und das betreffende Signal „Flagge No. 4“ wehte nach wenigen Secunden vom Top des Mastes. Als der Befehl verstanden war, folgte das Signal „Feuer einstellen.“ Das Ruder wurde Backbord gelegt, der Kopf der Schiffe drehte vom Feinde ab und der Elbmündung zu. Wir standen starr und trauten kaum unsern Augen. Vor weni- gen Minuten noch war Jeder von uns fest überzeugt, daß die „Val- kyrien“ unser sei und jetzt ließen wir die sichere Prise schmählich im Stich und zogen wie kläffende Hunde von dannen. War das die Kraftprobe deutscher Seemächtigkeit und durften wir nun noch stolz sein, unter der schwarzrothgoldenen Flagge zu dienen? Wir koch- ten innerlich vor Wuth, übten äußerlich aber natürlich nur stum- men Gehorsam; diese Selbstüberwindung unter den obwalten- den Umständen war gewiß ein Beweis für die gute Disciplin, welche an Bord der Schiffe herrschte. Vergebens fragten wir uns, was der Grund dieser plötzlichen Umkehr sein könne und der Commodore mochte wol selbst fühlen, daß er uns eine gewisse Aufklärung seiner uns unbegreiflichen Handlungsweise schuldig sei. Wie erstaunt und gleichzeitig im Innersten empört waren wir aber, als wir von ihm erfuhren, daß der vorhin Die deutsche Marine 1848—1852 von Helgoland gefallene Schuß ihn zum Abbrechen des Gefechts bestimmt habe. Jener Schuß hatte verkündet, daß die „Valkyrien“ sich auf neutralem Grunde, auf englischem Territorium befinde und hatte uns gewarnt, letzteres in feindlicher Absicht zu be- schreiten. Nach unser aller Meinung und nach den genommenen Peilungen war der Däne fünf Seemeilen von der Insel ent- fernt gewesen und von uns Officieren hätte sich deshalb gewiß Niemand an den Schuß gekehrt, da nach den damaligen inter- nationalen Principien die Neutralitätsgrenze sich nur bis auf Kanonenschußweite erstreckte, allein wir waren leider nicht maß- gebend und Brommy mußte wol anderer Meinung sein. Viel- leicht hatte er ja auch Befehl von Frankfurt, den Engländern, welche mit ihren Sympathien ganz auf Seiten der Dänen stan- den, keinerlei Anlaß zu irgend welchen begründeten Klagen zu geben. Von Mangel an Muth konnte bei dem energischen Charakter des Mannes um so weniger die Rede sein, als wir so bedeutend in der Uebermacht waren und der einzige Vorwurf, der ihm mit Berechtigung gemacht werden konnte, war wol der einer übertriebenen politischen Vorsicht, um der nach Innen schon so ohnmächtigen Centralgewalt nicht auch noch einen Conflict mit einer fremden Macht aufzuladen. Uns Officieren wollte freilich dieser Standpunkt nicht einleuchten und wir waren der Ansicht, daß Brommy es darauf ankommen lassen und die „Valkyrien“ nehmen mußte. Unser Gefühl sagte uns, daß der Commodore sich eine Chance hatte entgehen lassen, welche schwerlich je so günstig wieder- kehren würde und dies Gefühl hatte uns nicht getäuscht. Es war die einzige Chance, die sich überhaupt bot, und daß wir sie aus irgend welchen Gründen nicht benutzten, gab Anlaß, daß der deutschen Marine ein Schimpf angethan wurde, der uns die Schamröthe in das Gesicht trieb. Lord Palmerston, der Freund Dänemarks, ließ wenige Tage 13* Werner nach der für uns so kläglich abgelaufenen Affaire durch die „Times“ verkünden, es hätten sich Schiffe mit schwarzrothgoldener Flagge in der Nähe von Helgoland gezeigt; ließen sie sich noch einmal sehen, so würde er sie durch englische Kriegsschiffe als Piraten aufbringen lassen. Wahrlich, die Beleidigung war tödtlich und sie brannte uns deutschen Seeofficieren auf der Seele! Die Centralgewalt nahm sie ohne Weiteres hin und wagte nicht einmal einen papiernen Protest gegen diese Beschimpfung der deutschen Flagge. Damit war aber auch das Todesurtheil der Marine gesprochen. Sie mußte sich verkriechen, durfte sich nicht auf dem Meere sehen lassen, der Fluch der Lächerlichkeit ruhte auf ihr und ihre Auflösung war nur noch eine Frage der Zeit. Wie ganz anders gestaltete sich menschlicher Voraussicht nach aber die Sache, wenn Brommy die dänische Corvette genommen und sie in die Elbe gebracht hätte. Wie würde die Marine hoch in den Augen Deutschlands dagestanden haben! Nach einer solchen kriegerischen That würde es wenigstens unmöglich ge- worden sein, sie unter den Hammer zu bringen und England, das vor allem mit Thatsachen zu rechnen und kriegerischen Muth zu würdigen versteht, hätte es auch nicht gewagt, uns jene tödt- liche Beleidigung in das Gesicht zu schleudern. Vierundzwanzig Jahre später hatten sich freilich die Ver- hältnisse wesentlich geändert. 1873 stellte sich der Kapitän eines englischen Panzerschiffes an der spanischen Küste unter die Befehle eines Kapitäns, von dessen Schiffe zwar nicht die schwarzrothgoldene, aber die schwarzweißrothe Flagge des deut- schen Reiches wehte. Dieser Kapitän war damals Officier auf dem „Barbarossa“ gewesen; er hatte den angethanen Schimpf nicht vergessen, erhielt aber jetzt eine Genugthuung dafür. Wann wird endlich auch jene Schmach gesühnt werden, Die deutsche Marine 1848—1852 die dem deutschen Reiche durch den englischen Besitz Helgoland’s angethan ist? Ein Stück deutscher Erde, von einem echt deutschen Volks- stamme, den Friesen, bewohnt, stets zu Schleswig-Holstein ge- hörig, unmittelbar an unserer Küste gelegen und einst ein Theil derselben, der Schlüssel zu unseren größten Strömen — befindet sich in den Händen einer fremden Macht! Nicht etwa materielle Gründe haben diese Macht bewogen, sich 1814 die Insel vom König von Dänemark, der gar kein Recht dazu besaß, abtreten zu lassen, denn sie birgt keine Schätze, sie ist ein armes Fleckchen Fels und bringt nichts ein. Nein, lediglich das Verlangen an unserer Nordseeküste eine feste Position zu gewinnen, von der aus erstere vollständig beherrscht werden konnte, war der Grund der Annexion. Damals war Deutschland macht- und kraftlos und mußte sich den Pfahl im Fleische gefallen lassen — seitdem aber hat es sich Macht und Kraft erworben. Es ist ein einiges Reich und eine Großmacht ersten Ranges geworden, und es dürfte deshalb wol an der Zeit sein, die Insel zurückzufordern, nicht allein aus nationalen, sondern auch aus militärischen Gründen. Helgoland ist, wie bemerkt, der Schlüssel zu unsern drei großen Wasserstraßen: Elbe, Weser und Jade und beherrscht überdies noch das Emsgebiet. Wird Deutschland mit einer See- macht in einen Krieg verwickelt, so bildet die Insel der letzteren die wirksamste Stütze für maritime Operationen gegen unsere Küste. So lange das Leuchtfeuer auf Helgoland brennt, wird dem Feinde die Navigirung in der Helgoländer Bucht und eine Blockade unserer Nordseeküste ungemein erleichtert. Ohne in unserm Besitze und geeignet armirt zu sein, so daß wir unter dem Schutze seiner Batterien eine Abtheilung Kriegsfahrzeuge (Panzerkanonenboote und Torpedoboote) stationiren können, bietet die Insel dem Gegner — wenigstens in der guten Jahres- zeit — verhältnißmäßig gesicherte Ankerplätze, wo er Kohlen Werner auffüllen, Transportschiffe hinlegen, seine Flotte sammeln und von dort aus er in größerem Maßstabe gegen unsere Ströme operiren kann, sei es, um zunächst deren äußere Rheden zu ge- winnen oder eine Landung zu versuchen. Wir sind gezwungen, zum Schutze unserer Nordseeküste ganz bedeutend größere Ver- theidigungsmittel an Material und Personal zu unterhalten, und die Besorgniß vor einer Forcirung unserer Ströme und einer Invasion kann gleichzeitig einen großen Theil unserer Land- streitkräfte lahm legen. Dies alles änderte sich aber ungemein zu unsern Gunsten, wenn Helgoland uns gehört und zweckmäßig armirt wird. Wir könnten nach Belieben das Feuer löschen, mit Hülfe der Batterien und einer unter der Insel, oder zwischen ihr und den Dünen stationirten Flottenabtheilung dem Feinde den einzigen Ankerplatz verbieten, den er an unserer Nordseeküste findet. Wir hinderten ihn dadurch am Ergänzen seiner Kohlen, zwängen ihn, bestän- dig unter Dampf zu liegen und nähmen ihm jede Operations- basis für einen Angriff auf unsere Küste und für eine Invasion, da er unmöglich wagen darf, mit einer Transportflotte vor unsern Flußmündungen zu erscheinen, wenn er unsere Torpedo- fahrzeuge und Panzerkanonenboote im Rücken hat. Den schlagend- sten Beweis für diese Ausführungen hat der letzte französische Krieg gegeben. Die französische Flotte hielt sich stets in un- mittelbarer Nähe der Insel auf, Tags über gewöhnlich südöstlich von ihr und wenn die Witterung es erlaubte, vor Anker. Da- durch sparte sie Kohlen und ermöglichte ein längeres in See- bleiben, während sie Nachts meistens nordwestlich von der Insel in drei bis vier Meilen Entfernung, aber in Sicht des Leucht- thurmes, die offene See hielt, gegen überraschende Nachtangriffe unsererseits sich ziemlich gesichert sah und doch — was unge- mein wichtig für sie war — mit Hülfe des Feuers immer genau ihre Position kannte. Ebenso konnten die Kohlenschiffe südlich von der Insel ankern und die Panzerschiffe mit frischen Kohlen Die deutsche Marine 1848—1852 versorgen. Dies setzte die Franzosen in den Stand, mit den- selben zehn bis zwölf Schiffen Monate lang die Blockade der Elbe, Weser und Jade aufrecht zu erhalten. War Helgoland jedoch in unserem Besitz, so lag die Sache ganz anders. Von Ankern und Kohlennehmen konnte dann keine Rede sein und mit dem ausgelöschten Leuchtfeuer wäre die Schiffahrt in der Helgo- länder Bucht für die Franzosen Nachts nicht nur eine höchst unbequeme, sondern auch gefährliche geworden. Ohne Ankern und Kohlenergänzen hätten sich ihre Panzer höchstens acht bis zehn Tage in der Nähe unserer Küste halten können. Wollten sie die Blockade aufrecht erhalten, so mußten sie die doppelte Zahl von Schiffen haben, um sich abzulösen. Hatte es unser Gegner aber damals schon für nöthig erachtet, den drei Panzerschiffen, die 1870 unsern ganzen Reichthum ausmachten, die dreifache Anzahl entgegenzustellen, um uns in Schach zu halten, würde es ihm schwer geworden sein, noch eine zweite ablösende Flotte in Dienst zu stellen, und wie die Stärkenverhältnisse unserer Marine jetzt sind, könnte davon erst recht nicht die Rede sein. In militärischer Beziehung liegen die Sachen mithin für uns folgendermaßen: So lange sich Helgoland in fremden Händen befindet, sind wir gezwungen, zur Sicherstellung unserer Nordseeküste eine verhältnißmäßig große Seemacht aufzustellen und trotzdem in zweiter Reihe noch Landtruppen zur Abwehr einer möglichen Invasion in Reserve zu halten, wenn wir es mit einem mächtigen Feinde oder einer Coalition zu thun haben. Gehört dagegen die Insel uns, so genügt ein Theil der jetzt nothwendigen maritimen Streitkräfte, um sowol eine Blockade unmöglich zu machen, als auch einer Invasion von der Nord- see aus jede Chance eines Gelingens zu nehmen, und dem- gemäß wird die Aufstellung von Landtruppen entbehrlich. Da- durch erspart im Frieden unser Land nicht nur beträchtliche Summen, weil wir die Zahl der Schlachtschiffe beschränken Werner können, sondern wir sind im Kriege auch in der glücklichen Lage, der Flotte allein die erfolgreiche Vertheidigung der Nordseeküste zu überlassen und die sonst dazu erforderlichen Landtruppen dem zu Land angreifenden Feinde entgegenzuwerfen. Die militärische Aufgabe unserer Flotte kann naturgemäß über- haupt nur die Sicherung unserer Küsten und die Freihaltung unserer beiden deutschen Meere von Invasion und Blockade sein. Dar- über hinauszugehen wäre ein folgenschwerer Irrthum. Außer- halb der Ost- und Nordsee haben wir mit unsern Schlacht- schiffen für gewöhnlich nichts zu thun. Wir besitzen keine Colonien, die wir gegen feindliche Angriffe zu vertheidigen hätten, noch können wir uns mit einer größeren Seemacht jen- seits des Canals im Ocean schlagen, da wir dort weder eine Operationsbasis noch eine gesicherte Rückzugslinie haben. So- mit wird der Thätigkeit unserer Flotte im Kriege zwar eine ziemlich enge Schranke gezogen, aber ihre Bedeutung für das Land nicht abgeschwächt. Werden wir mit einer oder mehreren Landmächten, die zugleich Seemächte sind, in Krieg verwickelt, so wird die Flotte nie direct eine Entscheidung herbeiführen können. Dies muß stets der Armee vorbehalten bleiben, aber jene muß im Stande sein, indirect ganz wesentlich zu einer solchen Entscheidung beizutragen. Kann sie unsere Küsten von Invasion frei halten, so erfüllt sie vollständig ihren Zweck; denn sobald die Armee, möge sie nach Osten, Westen oder Süden Front machen, ihre ganze Nordflanke durch die Marine gedeckt weiß, kann sie 100,000 Mann mehr dem Feinde entgegen- stellen, und wir wissen aus dem letzten französischen Kriege, was das bedeutet! Unsere Flotte wird aber dieser ihrer natürlichen Aufgabe gewachsen sein, wenn die Vertheidigung der Nordseeküste nicht zu schwer auf ihr lastet, und deshalb ist für Deutschland der Besitz von Helgoland von so großer Bedeutung. Außer dieser militärischen fällt aber auch noch die handels- Die deutsche Marine 1848—1852 politische Seite sehr in’s Gewicht. Die Anseglung unserer großen Ströme Elbe und Weser, sowie auch der Eider, welche letztere alljährlich von Tausenden kleinerer Schiffe angelaufen wird, die ihren Weg durch den Eidercanal nach Osten nehmen, ist so gefährlich und kostet so sehr viel Opfer an Schiffen und Menschenleben, daß es im dringenden Interesse des Handels und der Schiffahrt liegt, dort einen leicht zugänglichen Noth- und Zufluchtshafen zu haben, wo die Schiffe Schutz gegen schweres Wetter finden. Dies Bedürfniß wird sich in noch weit dringenderer Weise nach dem Bau des Nordostseecanals geltend machen, der doch nur eine Frage der Zeit ist und der die jetzige Frequenz der Helgolander Bucht verzehnfacht. Für einen solchen Zufluchtshafen ist aber Helgoland nicht nur der geeignetste, sondern der einzig mögliche Punkt. So lange es sich unter englischer Herrschaft befindet, ist natürlich nicht daran zu denken. Wie sollte England auch dazu kommen, Mil- lionen für eine Anlage auszugeben, die immer nur zum kleine- ren Theile der eigenen Schiffahrt, im übrigen aber dem Concur- renten Deutschland und andern Nationen zu Gute käme! Ein solcher Hafen ist deshalb nur möglich, wenn Helgoland deutsch ist, und auch nach dieser Richtung kostet uns die in fremdem Besitz befindliche Insel jährlich Hunderttausende, die durch Strandungen und Havarien unserm Nationalvermögen verloren gehen. Deutschland kann natürlich Helgolands halber keinen Krieg mit England anfangen. Wenn aber das deutsche Volk davon durchdrungen wäre, daß der englische Besitz der Insel für unser Nationalgefühl nicht länger erträglich ist, weil er eine beständige Drohung gegen uns ausspricht, wenn es sich bewußt bliebe, daß Helgoland in unsern Händen die Sicherheit unserer Küsten gegen jeden feindlichen Angriff ganz ungemein erhöht, und daß uns dadurch, sowie durch die Erbauung eines Noth- hafens im Laufe der Zeit Hunderte von Millionen erspart Werner werden, während England nichts dadurch verliert, so würde es gewiß einmüthig die Insel fordern. Mit einem solchen Rückhalte würde es der Diplomatie nicht schwer fallen, einen Weg zu ermitteln, der auf friedliche Weise zum Ziele führt, und England würde sich auch schließlich nicht weigern, dem so berechtigten Verlangen einer befreundeten Nation Rechnung zu tragen. England hat Griechenland wieder in Besitz der jonischen Inseln gesetzt, ebenso gut kann es Helgo- land an Deutschland zurückgeben, ohne daß sein Prestige dar- unter leidet. Möchte das Lied vom deutschen Helgoland, das Karl Tannen in Bremen bereits vor zwölf Jahren sang, überall in ganz Deutschland erklingen und jeden Deutschen daran erinnern, daß die Insel ein verlorenes Kind unserer Mutter Germania ist, welches wir zurückfordern müssen und wollen. Im Meer, im herrlich deutschen Meer Klagt Wind und Woge laut und schwer, Und jede Welle trägt es fort Von dem verlor’nen Kind das Wort Roth is de Kant, Witt is dat Sand, Das ist das deutsche Helgoland! Germania, du Mutter mein! Du sammelst deine Glieder ein; Vergiß auch nicht dein kleinstes Kind, Umbraust von Wogendrang und Wind. Roth is de Kant, Witt is dat Sand, Das ist das deutsche Helgoland! Und wie das Meer im Wandern schwillt, Und wie die Fluth die Ströme füllt, So schwillt das Wort und füllt das Herz Mit Sehnsucht an und tiefem Schmerz. Die deutsche Marine 1848—1852 Roth is de Kant, Witt is dat Sand, Das ist das deutsche Helgoland! Bist du auch arm, bist du auch klein, Denk ich als gute, Mutter dein, Bis ich dich sicher weiß da drauß’, Verlorenes Kind im Vaterhaus. Roth is de Kant, Witt is dat Sand Die Farben der Helgolander Flagge sind grün, weiß, roth. Die Inselbewohner leiten sie von der Färbung ihres Eilandes ab. Sie drücken dies durch folgendes plattdeutsche Verschen aus: Grön ist de Strand, Roth is de Kant, Witt is dat Sand, Dat sind de Farben von Helgoland! , Das ist das deutsche Helgoland! Unser Geschwader lief in die Elbe ein und wir kamen gegen Abend bei Cuxhafen an. Mit wie hochfliegenden Hoff- nungen war der Tag von uns begonnen und mit welchen bitte- ren Enttäuschungen endete er. Unsere Stimmung war eine sehr gedrückte und auch der Mannschaft merkte man es deutlich an, daß sie die Ereignisse des Tages schmerzlich empfand. Wir blieben einige Tage auf der Elbe. Der dänische Admiral Steen Bille hatte gelobt, er wolle uns nicht wieder hinauslassen, aber er konnte sein Gelöbniß nicht halten; eine List des Commodore machte ihm einen Strich durch die Rech- nung. Trotz der großen nautischen Unbequemlichkeiten hielt sich Steen Bille mit zwei Fregatten und dem „Geyser“ ganz nahe vor der Elbmündung und uns unter scharfer Blockade, außer- dem wurde letzterer täglich bis in die Nähe von Cuxhafen geschickt, um zu recognosciren. Ein Auslaufen war für uns deshalb schwierig, jedoch eine baldige Rückkehr nach Bremerhafen, Werner unserem Stationsorte, aus verschiedenen Gründen sehr wünschens- werth, und zwar mußte es am Tage geschehen, da bei dem Fehlen aller Seezeichen Nachts die Passage der Strommündungen zu gefährlich war. Leider hatten wir Ursache anzunehmen, daß die Dänen durch Spione von allen unsern Bewegungen genau unterrichtet waren und daß der „Geyser“ nur täglich in die Elbe lief, um von Fischern oder Leuten, die sich dafür ausgaben, Nachrichten über unser Geschwader zu erhalten. Darauf baute jedoch Brommy gerade seinen Plan, der auch gelang. Vom Auslaufen war keine Rede. Im Gegentheil, so schien es, beabsichtigten wir in der Elbe lange zu bleiben und uns den Aufenthalt recht angenehm zu machen, denn an Bord des Flaggschiffes wurden große Vorbereitungen zu einem Balle getroffen, der am 14. Juni stattfinden sollte und zu dem schon Hunderte von Einladungen nach Cuxhafen und Umgegend einige Tage zuvor ergangen waren. Die Festlichkeit versprach glänzend zu werden; Bootsladungen voll Blumen und grüner Zweige wurden vom Lande geholt, um zur Ausschmückung des auf dem Verdeck des „Barbarossa“ improvisirten Ballsaales zu dienen, die Matrosen wanden Guirlanden und die Damen am Lande schwelgten im Vorgefühl des sie erwartenden Ver- gnügens. Bereits am Abend des 13. legte sich die ebenfalls festlich geschmückte Corvette „Lübeck“ an das Bollwerk von Cuxhafen, um am andern Tage die geladene Gesellschaft zunächst zu einer Wasserparthie einige Meilen stromaufwärts und dann auf den „Barbarossa“ zu führen. Wie bitter war aber am nächsten Morgen die Enttäuschung der Gäste, als sowol die „Lübeck“ wie die beiden andern Schiffe spurlos verschwunden waren. Wie zürnten die so schmählich hintergangenen schönen Tänzerinnen dem bösen Commodore, der solchen Spott mit ihnen getrieben, und erst die Mittheilungen des in das Geheimniß eingeweihten Die deutsche Marine 1848—1852 Amtmanns von Cuxhafen vermochten die allgemeine Entrüstung zu dämpfen und Trost zu spenden. Das angesagte Ballfest war nur eine Kriegslist von Brommy gewesen. Wie er vorausgesetzt, war Steen Bille, durch seine Spione davon benachrichtigt, in die Falle gegangen und hatte unter solchen Umständen geglaubt, sich am 13. in etwas freieres Wasser zurückziehen zu können, was ihm um so er- wünschter kam, als frischer Nordwind mit unsichtigem regneri- schem Wetter eingesetzt hatte und den Aufenthalt nahe vor der Elbmündung sehr unangenehm machte. Das Geheimniß war von Brommy so gut bewahrt worden, daß auch von uns Officieren Niemand eine Ahnung davon hatte, und die Ueberraschung für das ganze Geschwader eben so groß war, wie für die Damen, als um Mitternacht ein Officier mit dem Befehle an die beiden andern Schiffe entsandt wurde, Dampf aufzumachen und sich zum Fortgehen fertig zu halten. Als der erste Tagesschimmer den Horizont färbte, lichteten wir Anker und dampften die Elbe hinunter. Das Wetter blieb uns günstig, der Regen dauerte fort und der Ausblick war be- schränkt. Trotzdem war der dänische Admiral nicht so weit zurück- gegangen, als Brommy gehofft hatte. Auf halbem Wege, zwi- schen der Elbe und Helgoland, trafen wir auf die Dänen und sie machten sofort Jagd auf uns. Es waren die beiden Fregatten, welche wir am 4. gesehen hatten und der „Geyser“. Sie versäumten nichts, um uns zu erreichen und setzten so viel Segel, wie sich irgend darauf hängen ließen, trotzdem gelang es ihnen nicht. Eine Zeit lang war die Jagd sehr aufregend, und wir glaubten diesmal zu einem Nahgefechte gezwungen zu werden. Die Fregatten kamen mit halbem Winde auf uns herunter und näherten sich zu- sehends, da sie bei der steifen Brise schneller liefen als wir, aber ehe sie auf Schußweite herangekommen waren, mußten sie wegen der zwischen Elbe und Weser liegenden Gründe, denen Werner wir mit unsern flacher gehenden Schiffen näher kommen konnten, schärfer an den Wind gehen und verloren dadurch an Fahrt. Der „Geyser“ versuchte nun mit aller Kraft uns aufzulaufen und feuerte auf 4—5000 Schritt Granaten, die aber eben so wie die unseren den Gegner nicht erreichten, sondern in der Luft platzten und harmlos in das Wasser fielen. Vor der Weser drehte das dänische Geschwader um. Daß Brommy diesmal das Gefecht nicht annahm, war ihm nicht zu verdenken. Wenn es den Fregatten gelang, uns unter ihre Breitseiten zu bekommen, was bei der steifen Brise leicht möglich war, so hätte eine glatte Lage wahrscheinlich unser Schicksal besiegelt, da unsere Maschinen ungeschützt und größten- theils über Wasser lagen — allein trotz dieser Ueberzeugung trug der ruhmlose Tag nicht dazu bei, unsere Stimmung zu verbessern. Das Debüt der deutschen Flotte war ein zu trau- riges gewesen, als daß wir noch mit Hoffnung und Vertrauen in die Zukunft hätten blicken können. Wir thaten auch fernerhin unsere Schuldigkeit, aber jeder höhere geistige Schwung war gelähmt. Die deutsche Flotte vegetirte ferner nur noch. Mit den Dänen kam sie nicht wieder in Be- rührung, und so lange der Krieg währte, zeigte sich die schwarz- rothgoldene Flagge nicht mehr in der Nordsee. Die Drohung Palmerston’s hatte ihren Zweck erreicht. Die Centralgewalt und nachher der Bundestag beugten ihr Haupt vor dem eng- lischen Premierminister und Brommy erhielt Befehl, mit seinen Schiffen hübsch fein zu Hause zu bleiben. Die von Frankfurt übernommene und in „Eckernförde“ umgetaufte „Gefion“ war inzwischen dem Nordseegeschwader zu- getheilt worden. Bei näherer Untersuchung nach dem Kampfe stellte sich heraus, daß sie doch ärger zusammengeschossen war, als es anfänglich den Anschein hatte, und so verging bis zu ihrer völligen Reparatur eine geraume Zeit. Danach war sie aber einige Male nahe daran, für Deutschland wieder verloren Die deutsche Marine 1848—1852 zu gehen. In dem einen Falle wurde sie nur durch eine energische That ihres ersten Officiers, in dem andern durch die schützende Hand Preußens vor dem sichern Untergange bewahrt. Ich habe bereits früher erwähnt, daß mit dem Ankauf der Corvetten „Hamburg“, „Lübeck“ und „Bremen“ auch zwei von den englischen Kapitänen übernommen wurden, von denen der eine Commandant des „Barbarossa“ war. Dem zweiten über- trug Brommy den Befehl über die „Eckernförde“ nach ihrer Wiederherstellung. Nach Ansicht von uns deutschen Officieren war dies aber ein entschiedener Mißgriff, denn wir alle hatten Gelegenheit gehabt, den Engländer als einen wenig fähigen Mann kennen zu lernen, der mindestens für das ihm be- stimmte schwierige Commando gänzlich ungeeignet war. Glück- licher Weise wurde ihm ein erster Officier zur Seite gestellt, dem es nicht an Energie und Tüchtigkeit gebrach, der Schiffs- fähnrich Thaulow, ein geborner Nordschleswiger. Daß Brommy selbst dem Engländer nicht unbedingt Vertrauen schenkte, geht aus den an Thaulow gerichteten Abschiedsworten hervor, als dieser sich zur Uebernahme seiner neuen Stellung bei ihm ab- meldete. „Mit Ihrer Ehre und Ihrem Leben sind Sie ver- antwortlich für die Erhaltung der „Eckernförde““, sagte er zu ihm. Von einem Ausländer konnte er das freilich nicht verlangen, namentlich nicht unter so kritischen Umständen, unter denen die Fregatte, nur auf sich selbst angewiesen, unbeschützt, in einem vom Feinde occupirten Lande und unter einer Flagge lag, hinter der nur die ohnmächtige Centralgewalt stand und der selbst die neutralen Mächte die Anerkennung versagten. Und dennoch wäre auch der tüchtigste Commandant den Verhältnissen nicht gewachsen und das Schiff unbedingt verloren gewesen, wenn ihm nicht König Friedrich Wilhelm IV. nach der für Schleswig-Holstein so unglücklichen Schlacht von Idstedt die Genehmigung zur Führung der preußischen Kriegsflagge ertheilt und ein Detachement von hundert Soldaten unter Oberst von Werner Szymborski an Bord commandirt hätte, durch welche das Schiff bis zur Entscheidung über das Besitzrecht gegen dänische Angriffe geschützt werden sollte. Am 12. September 1850 machte General von Willisen einen letzten Versuch, mit der schleswig-holsteinischen Armee bei Missunde den Uebergang über die Schlei zu forciren und die dänische Armee aus Schleswig zu werfen. Dieser Versuch mißlang jedoch gänzlich, und schon gegen Abend drangen einzelne dänische Soldaten mit den sich nach Süden zurückziehenden schleswig-holsteinischen Truppen in die Stadt Eckernförde ein, während dänische Kanonenboote sich dicht vor die Fregatte „Eckern- förde“ legten. Am jenseitigen nördlichen Ufer des Hafens fuhren die Dänen eine Feldbatterie auf, deren Geschütze auf „ihre Gefion“ gerichtet wurden, während diese, zur Documentirung stricter Neu- tralität, alle Geschütze aus den Pforten gezogen und dieselben längsschiffs aufgestellt hatte. Als der dänische Batteriechef je- doch unerwartet die preußische Flagge statt der deutschen an der Gaffel wehen sah, nahm er Anstand, das Schiff zu beschießen. Dagegen eröffneten plötzlich die dänischen Kanonenboote das Feuer aus ihren schweren Bombengeschützen, scheinbar zunächst auf die vor der „Eckernförde“ über den Hafen führende Schwimm- brücke, dann aber direct auf die Fregatte, deren Bug von mehre- ren im Unterraum des Schiffes platzenden Granaten durchschla- gen wurde, wenn es auch glücklicher Weise den Anstrengungen der Officiere und Mannschaften gelang die daraus entstehende Feuersgefahr abzuwenden. Als die Dänen sahen, daß ihr Plan, die „Eckernförde“ von ungefähr in Brand zu schießen, mißlang, steckten sie ein unmittel- bar neben dem Schiffe befindliches großes Holzlager in Brand. Die Situation war eine höchst gefährliche. Die dem Lande zu- gekehrte Seite der unmittelbar am Ufer liegenden Fregatte be- gann zu glühen, die Enden der Raaen und das Tauwerk fingen Die deutsche Marine 1848—1852 Feuer und nur die aufopferndsten Bemühungen der Besatzung vermochten der beginnenden Zerstörung Einhalt zu thun. Der Commandant schien jedoch unbegreiflicher Weise alles aufzubieten, um die Absichten der Dänen zu fördern. Den Oberst von Szymborski veranlaßte er, unter dem Vorgeben, das Schiff sei nicht mehr zu retten, mit seinem Detachement an Land zu gehen, um den bald zu erwartenden Rückzug der Besatzung zu decken und diese aufzunehmen. Den in der Takelage mit Löschversuchen beschäftigten Matrosen rief er auf englisch (deutsch hatte er noch nicht gelernt) zu: „Kommt herunter und laßt das Schiff zum Teufel brennen“ und dem ersten Officier verbot er, das Schiff weiter von der Brandstätte abzuholen, wozu dieser Ordre ertheilt hatte. Das Schiff war unbedingt verloren, wenn den Befehlen des Commandanten Folge geleistet wurde. Der erste Officier erkannte, daß der Moment gekommen sei, wo er „mit seiner Ehre und seinem Leben“ für die Erhaltung der Fregatte einzustehen habe, wie Admiral Brommy von ihm verlangt. Der Comman- dant hatte, wollte man nichts schlimmeres annehmen, unbe- dingt den Kopf verloren — es war die höchste Zeit zu han- deln, und Thaulow handelte. Er besann sich nicht lange; ein- gedenk seiner Pflicht gegen das Vaterland, kündigte er ohne weiteres dem Engländer den Gehorsam. Dieser versuchte den ersten Officier unter Deck und in Arrest zu schicken, aber auch der zweite Officier, Schiffsfähnrich Neynaber, sagte ihm den Ge- horsam auf; die Mannschaft stand zu ihren deutschen Officieren und der Commandant sah, daß es um seine Autorität geschehen sei. Er war klug genug, die Sache nicht weiter zu treiben und ließ stillschweigend die Fregatte aus dem Bereiche des brennenden Holzfeldes holen. Die Besatzung arbeitete mit Aufbietung aller Kräfte an dem Löschen des bereits an verschiedenen Stellen brennenden Schiffes, und so gelang es, dasselbe zu retten. Am andern Morgen wurde zwischen Oberst von Szym- R. Werner , Erinnerungen. 14 Werner borski und dem Befehlshaber der dänischen Artillerie die Ver- einbarung getroffen, daß die Neutralität der „Eckernförde“ re- spectirt, das Schiff nebst Besatzung aber als blockirt angesehen und vom Lande aus streng bewacht werden solle. Am 15. Oc- tober 1850 wurde endlich über das fernere Geschick des Schiffes Entscheidung getroffen. An diesem Tage traf an Bord ein von König Friedrich Wilhelm IV. entsandter preußischer Officier mit der für Officiere und Mannschaft des Schiffes hoch erfreulichen Nachricht ein, daß laut eines zwischen Kopenhagen und Frank- furt abgeschlossenen Separatvertrages die „Eckernförde“ deutsches Eigenthum bleiben solle. Kurze Zeit darauf wurde das Schiff von Eckernförde nach der Lübecker Bucht übergeführt. In Lübeck schiffte sich das preußische Detachement aus, aber die preußische Flagge blieb auf dem Schiffe zu seinem Schutze wehen. Gegen Ende November ging es nach der Nordsee ab und wurde am 30. d. M. unter Helgoland von der deutschen Dampfcorvette „Ernst August“, unter Commando des Lieutenants I. Classe Reichardt, in Em- pfang genommen, der zugleich den Befehl überbrachte, die deutsche Flagge statt der preußischen zu heißen. Am 1. Decem- ber traf die „Eckernförde“ in Bremerhafen ein und kündete mit einundzwanzig Kanonenschüssen seine Ankunft. Wir Officiere empfanden eine gewisse Freude, daß die Fregatte nach so vielen Fährlichkeiten endlich sicher in einem deutschen Hafen war, aber diese Freude war stark von Wehmuth und Bitterkeit durchsetzt. Niemand von uns verhehlte sich, daß die Tage der deutschen Flotte gezählt seien, von dem frühe- ren Enthustasmus war keine Spur mehr vorhanden. Wir alle fühlten, daß der schöne Traum deutscher Einheit und deutscher Seemächtigkeit bald ausgeträumt sei. Die Schiffsfähnriche Thaulow und Neynaber wurden wegen Gehorsamsverweigerung vor ein Kriegsgericht gestellt, aber glän- zend freigesprochen, was einer moralischen Verurtheilung ihres Die deutsche Marine 1848—1852 Commandanten gleichkam, der aber wunderbarer Weise bis zur Auflösung der Flotte in Dienst blieb, wenn er auch das Com- mando der „Eckernförde“ verlor. Auflösung . Das bange Vorgefühl von dem bevorstehenden Ende der deutschen Flotte, das sich allen innerhalb derselben Stehenden unwillkürlich schon bei dem Ausgange des Jahres 1850 aufdrängte, war leider ein berechtigtes. Wenngleich die endgültige schmach- volle Thatsache der öffentlichen Versteigerung der nationalen Schöpfung sich noch fast 1½ Jahre hinzögerte, so gleich diese ganze Zeit doch nur einer beständigen Agonie für die Betheiligten. Es wurden zwar verschiedene Versuche gemacht, die Flotte für Deutschland zu erhalten, aber sie scheiterten sämmtlich an den zerfahrenen politischen Verhältnissen und namentlich an dem Ringen der beiden Großmächte Preußen und Oesterreich um die Oberherrschaft. Nachdem der deutsche Bund wiederhergestellt und seit Mai 1851 die Bundesversammlung sowol von Preußen und der Union, wie von Oesterreich für einen Theil seiner Länder beschickt war, beschäftigte man sich in ihr auch mit der Zukunft der deutschen Flotte und suchte eine Form für ihre sichere Existenz zu finden. Eine Reihe der deutschen Mittel- und Kleinstaaten meinte es aufrichtig gut mit der Marine und trat ohne Hinterge- danken für sie als eine allgemeine deutsche Institution ein, aber ohne Erfolg. Die Lage der Bundesverhältnisse war eine derartige, das politische Band der Bundesmitglieder so locker und die Aussicht auf seine größere Befestigung und Einheit eine so geringe, daß von der Idee einer dem Bunde als solchem ge- hörigen, durch Matricularbeiträge zu unterhaltenden und dem 14* Werner Bunde allein unterstellten Flotte als unausführbar Abstand ge- nommen werden mußte. Man machte deshalb den Vorschlag einer Dreitheilung, in eine österreichische, preußische und in eine Nordseeflotte, welche letztere von den übrigen deutschen Staaten erhalten werden sollte. Obwol dieser von Oesterreich ausgehende Vorschlag nicht viel Lebensfähigkeit versprach, wurde er doch von der Bundesversamm- lung eingehend erwogen und ein Ausschuß ernannt, der unter Zuziehung von Sachverständigen den Plan und seine Einzelheiten prüfen und dem Bunde darüber Bericht erstatten sollte. Das letztere geschah in der Sitzung der Bundesversammlung vom 25. November 1851. Dieser Bericht formulirte die Angelegenheit, unter Zugrunde- legung des von der Sachverständigen-Commission gesammelten Materials, folgendermaßen: 1. Zum Schutze des Handels, der Schiffahrt und der Küsten Deutschlands wird eine deutsche Bundesflotte gebildet, welche aus drei Abtheilungen besteht: a. aus einer österreichischen, nach Analogie des Bundes- heeres, ausgeschieden aus der mit einem Ordinarium von 1½ Millionen Gulden und einem Extraordinarium von zwei Mil- lionen Gulden bis 1854 und 1½ Millionen Gulden bis 1860 ausgestatteten Marine; b. aus einer preußischen, dotirt mit einer Million Tha- ler jährlich; c. aus einer Nordseeflotte, für welche von den übrigen deutschen Staaten in einem näher zu vereinbarenden Verhältnisse für die nächsten sechs Jahre wenigstens ebenfalls eine Million Thaler aufzubringen sind. Die Zahl und Stärke der Schiffe jeder Abtheilung bleibt näherer Vereinbarung vorbehalten und sind jene ausgeworfenen Summen vorerst nur als Anhaltspunkte zu betrachten. 2. Die gleichmäßige Feststellung des Zusammenwirkens der Die deutsche Marine 1848—1852 drei Flottenabtheilungen im Frieden, so wie die Besetzung der ausländischen Stationen unterliegt ebenfalls der näheren Ver- einbarung. 3. Dem Bund steht zu im Frieden: Ueberwachung der contingentmäßigen Leistung, gegenseitige Inspectionen, Veran- lassung gemeinschaftlicher Uebungen und Expeditionen, jedoch letztere nur im Einverständniß mit den betreffenden Regie- rungen. 4. Für den Fall eines Bundeskrieges steht dem Bunde die Verfügung über die Flotte zu. 5. Oesterreich, Preußen und die Staaten der Nordseeflotte behalten die Organisation und Verwaltung und, außer dem Falle des Bundeskrieges, auch die unbeschränkte Verfügung über ihre Flottenabtheilungen, so weit dieselbe nicht durch die unter 2 er- wähnte Vereinbarung beschränkt werden sollte. 6. Die Befugnisse des Bundes werden durch eine der Bundesversammlung unterzuordnende Marinecommission aus- geübt. 7. Die Staaten der Nordseeflotte werden sich über die Errichtung der zur Organisation und Verwaltung der Flotte erforderlichen Behörden vereinigen. 8. Die Staaten, welche künftig zur Nordseeflotte gehören, übernehmen die gesammte Nordseeflotte mit Material und Per- sonal, erwerben sämmtliche Rechte des Bundes über dieselbe, befriedigen dagegen die von der Bundeskasse oder einzelnen Bundesgliedern bisher geleisteten Vorschüsse und entschädigen Preußen für seine bisher zur Nordseeflotte gezahlten Beiträge. 9. Zu einem raschen Abschlusse der vorbehaltenen Verein- barungen und Feststellungen ertheilen die Bundesregierungen ihren Gesandten schleunigst die nöthigen Vollmachten und In- structionen. Schließlich beantragte der Ausschuß, der Bund wolle sämmt- liche Regierungen ersuchen, ihre Meinung über die wesentlichen Werner Punkte, namentlich über ihre Betheiligung an der Nordseeflotten- abtheilung abzugeben und, zur Verhinderung der factischen Auf- lösung der vorhandenen Flotte, mit Ablauf des Jahres Mittel zur ferneren Erhaltung derselben herbeizuschaffen, sei es durch Vorschüsse, Matricularbeiträge oder durch Aufnahme von An- leihen gegen Verpfändung der Schiffe. Die Bundesversammlung beschloß hierauf über die vor- stehenden Anträge die Instructionen der Regierungen binnen drei Wochen einzuholen. Wie der Unbefangene aus dem Obigen ersieht, versprach eine Verwirklichung dieser Anträge der deutschen Flotte keine lebensfähige Zukunft. Wenn irgendwo eine einheitliche Leitung erforderlich wird, um Leistungsfähigkeit zu sichern, so ist dies bei Heer und Flotte der Fall. Der unglücklichen deutschen Flotte war es aber nicht nur vorbehalten, in drei Contingente zu zerfallen, jede mit eigener Organisation und Verwaltung, in welche weder der Bund noch irgend eine Centralbehörde hineinreden durfte, sondern eines dieser Contingente sollte sogar von dreißig Souveränen abhängig sein. Eine solche Ein- richtung trug schon den Keim des Todes in sich, und vom patriotischen Standpunkte war es deshalb nicht zu bedauern, daß sie nicht ins Leben trat. Das Project scheiterte denn auch an dem Widerstande Preußens so wie der mitteldeutschen Staa- ten. Als die Gesandten ihre Instructionen empfangen hatten, sprachen sich die erwähnten Staaten in der Bundessitzung vom 27. December 1851 entschieden gegen den österreichischen Vor- schlag der Dreitheiligkeit der deutschen Flotte aus, und da auch eine anderweitige Einigung über deren ferneres Schicksal nicht erreicht werden konnte, so wurde in der nächsten Sitzung, am 31. December, definitiv der Stab über sie gebrochen. An diesem Tage hörte die deutsche Flotte auf, Bundesflotte zu sein und es wurde ihre Verwer- thung resp. Veräußerung beschlossen . Die deutsche Marine 1848—1852 Da dieser Beschluß sich indessen nicht sofort ausführen ließ, andererseits aber der Mangel an Geld zur ferneren Unterhal- tung der Flotte den Bund in nicht geringe Verlegenheit setzte, so erbarmte sich Preußen der jetzt von allen Seiten Verlassenen und erklärte sich bereit, ihr Dasein durch Nachzahlung seines Theiles an der letzten Matricularumlage im Betrage von 532,000 Gulden noch eine Zeitlang zu fristen. Es wurden nun bundesseitig die Einleitungen zur Ver- werthung der Flotte getroffen, und unter dem 12. Januar 1852 theilte der Bundespräsidial-Gesandte Graf von Thun dem Contreadmiral Brommy das traurige Resultat des letzten Bundes- beschlusses mit. Dieses Schreiben enthielt zugleich die Aufforderung, bei der bevorstehenden Katastrophe Alles zu verhindern, was das Ansehen und die Würde des Bundes gefährden könne, eine Mahnung durch die sich der Oberbefehlshaber mit Recht verletzt fühlen mußte, da sie einen Zweifel an seinem Willen einschloß, bis zum letzten Augenblicke seine Pflicht zu thun. Sein Antwortschreiben wies diese Unterstellung in würde- voller Weise zurück. „Daß ich bis zum letzten Augenblicke,“ schrieb er, „die Disciplin streng aufrecht erhalten werde, dafür darf Euer Ex- cellenz dasjenige als Bürgschaft dienen, was ich in den von mir ausgearbeiteten Dienstvorschriften niedergeschrieben habe. Die Vorschriften, welche ich meinen Untergebenen als Richtschnur vorzeichnete, werde ich selbst pünktlich auszuführen wissen. „Alles zu verhindern, was in der zu befürchtenden Kata- strophe das Ansehn und die Würde des Bundes gefährden könnte, soll alsdann meine Aufgabe sein, damit mir im allge- meinen Schiffbruche wenigstens der Ruhm zu Theil werde, ein während anarchischer Zustände geschaffenes Werk aus dem Chaos in Ordnung gebracht, es als Muster von Subordination und Disciplin unter den schwierigsten und verwickeltsten Umständen Werner hingestellt und es als solches bis zur vollkommenen Auflösung erhalten zu haben, damit die Alles richtende Zeit nicht unsere Marine in gleiche Kategorie mit andern Erzeugnissen des Jahres Achtundvierzig stelle.“ Dieser Ruhm ist dem Admiral geworden und ungeschmä- lert verblieben. Bis zum letzten Augenblicke hat er es ver- standen, jede Unordnung fern zu halten, trotz der rücksichtslosen und der Würde des Bundes so wenig angemessenen Art, wie Officiere und Mannschaften bei der Entlassung behandelt wurden und die später noch näher erwähnt werden wird. Unter dem 27. Januar wurde von der Bundesversamm- lung an die verschiedenen Regierungen die Anfrage gerichtet, welche Schiffe sie eventuell gegen den Taxwerth zu übernehmen geneigt seien, jedoch nur Preußen erklärte auf die Segelfregatte „Eckernförde“ und die Dampffregatte „Barbarossa“ zu reflec- tiren; alle übrigen Staaten lehnten ab. Ehe diese Uebernahme indessen zur Thatsache wurde und trotz der vom Bunde beschlossenen Auflösung, machten einige Staaten noch einen letzten Versuch, die vorhandene Flotte vor dem ihr drohenden Schicksale zu retten, und zwar ging die erste Anregung hierzu von Bayern aus. Leider war jedoch nicht der nationale Gedanke das Motiv des Vorschlags, sondern es sollte dadurch nur ein Druck zu Gunsten des von Oesterreich erstreb- ten allgemeinen Zollvereins ausgeübt werden. Preußen hatte den bis dahin bestandenen Zollverein nach Abschluß eines besonderen Vertrages mit Hannover und Gewäh- rung eines Präcipuums an dasselbe gekündigt, um ihn auf er- weiterter Grundlage wieder neu aufzurichten. Oesterreich sah und nicht mit Unrecht voraus, daß die Zolleinheit Norddeutschlands der erste Schritt auch zu dessen politischer Einheit unter preußischer Führung sein werde und glaubte diesem Schachzuge seines Rivalen nur dadurch wirksam begegnen zu können, so wie seine gefährdete Suprematie in Die deutsche Marine 1848—1852 Deutschland wiederhergestellt und befestigt zu sehen, wenn es ihm gelänge, mit Gesammtösterreich in den neuen Zollverein einzutreten. Es suchte Bayern für seine Ansicht zu gewinnen. Dieses ließ sich auch zu ihm hinüberziehen und es sollte die Flotten- frage zur Förderung der beiderseitigen Bestrebungen ausgebeutet werden. Das warme Interesse, welches fast ungetheilt das ganze deutsche Volk und auch eine größere Zahl der Regierungen für Erhaltung der Flotte hegte, sollte als Hebel für die politischen Pläne Oesterreichs benutzt und zum wirksamen Alliirten in der Machtfrage gemacht werden. Der bayrische Vorschlag, dessen eigentliche Natur freilich erst später zu Tage trat, fand bei Hannover bereitwillig Auf- nahme. Letzteres erließ an die deutschen Staaten, mit Ausnahme der beiden Großmächte Preußen und Oesterreich, eine Einladung zur Beschickung eines Flottencongresses zum 20. März in Han- nover. Die Aufgabe dieses Congresses sollte die Gründung eines Flottenvereins sowie Berathung und Beschlußfassung über die Herbeischaffung der für Gründung und Erhaltung einer lebensfähigen Nordseeflotte erforderlichen Mittel sein. Preußen und Oesterreich waren zur Theilnahme nicht auf- gefordert, weil, nach der Ansicht Hannovers, eine solche Einladung durch das den bisherigen Bundesverhandlungen zur Voraus- setzung und Grundlage dienende Contingentsverhältniß zum Bunde ausgeschlossen sei. Von den übrigen deutschen Staaten hatten zwanzig der Einladung durch Entsendung von Bevoll- mächtigten Folge geleistet, die übrigen theils direct abge- lehnt, theils keine Vertreter gesandt. Unter den Fehlenden befanden sich auch Württemberg und Baden, wodurch schon von vorn herein dem Congresse kein günstiges Prognostikon ge- stellt wurde. Der Vorsitzende, der hannoversche Ministerpräsident von Scheele, eröffnete die Versammlung mit einer Anrede, die ihrem Werner Wortlaute nach jeden Hintergedanken ausschloß und nur den deutsch-patriotischen Gefühlen Hannovers in dieser nationalen Angelegenheit Ausdruck gab. Er sprach aus, daß Hannover sich gedrungen gefühlt habe, in letzter Stunde noch einen Versuch anzustellen, durch Erhaltung der Flotte der Gegenwart das be- klagenswerthe Schauspiel der Auflösung einer Institution zu er- sparen, die von dem Bunde der souveränen Fürsten und freien Städte Deutschlands vor kurzem als Bundeseigenthum förmlich anerkannt worden und nach seiner Ansicht den organischen Ein- richtungen des Bundes zugehörig und mit den Hoffnungen und Wünschen der ganzen Nation auf das Engste verknüpft sei. Sollte dieser Versuch, das letzte Mittel zur Abwendung der drohenden Gefahr, scheitern, dann werde gewiß in nicht ferner Zukunft die Reue herankommen und das richtende Urtheil der Geschichte diejenigen Staaten nicht verschonen, durch deren Theilnahmslosigkeit jenes nationale Institut zu Grunde gegangen sei; darum möge man an der Hoffnung des Gelingens um so fester bis zum letzten Augenblicke halten. Um jeden Zweifel an der Loyalität Hannovers gegen den Bund von vornherein auszuschließen, erklärte der Vorsitzende dann, daß die zu gründende Flotte nur im Bundesverhältnisse zu er- halten sei. Zu einer andern, als zu einer Einrichtung im Bundesverbande werde Hannover nie die Hand zu bieten ver- mögen, weil eine von der Einwirkung und Verfügung des Bundes unabhängige Kriegsmacht sich immer zu einem die Bundesgemeinsamkeit lösenden Elemente gestalten müsse. Des- halb sei es auch nur die Absicht, auf dem Congresse die zur Vorbereitung der weiteren Entschließung des Bundes nothwendige vorgängige Einigung der Staaten unter einander über die Bil- dung des Contingents zu erstreben. Dann zu dem als nothwendig erkannten Bestande der be- absichtigten Flotte übergehend, wurde als Minimalgrundlage eines kräftigen Organismus ein Geschwader von zwei Segelfregatten, Die deutsche Marine 1848—1852 zwei Segelcorvetten, drei Dampfschiffen nebst einer Anzahl von Kanonenbooten, so wie zur nachhaltigen Unterhaltung eines solchen Bestandes, einschließlich der Kosten der ersten Gründung und der Erbauung eines Kriegshafens, ein jährlicher Aufwand von etwa einer Million Thaler als nothwendig erachtet. Zur Deckung dieser Summe schlug Hannover den Satz von zwei Groschen pro Kopf der auf zwölf Millionen Seelen geschätzten Bevölkerung der eingeladenen Staaten und daneben eine Präcipualleistung der Küstenstaaten in demselben Betrage pro Kopf vor, was zusammen 927,000 Thaler pro Jahr ergebe, wobei durch die Theilnehmer dann noch die Lücken zu ergänzen seien, da einige Staaten sich über ihren Beitritt zum Flotten- verein noch nicht entschieden hätten. Bei der Abstimmung über diese Vorschläge ergaben sich leider sofort sehr divergirende Ansichten. Es zeigte sich der innige Zusammenhang, in den die Flottenfrage mit der damaligen Zoll- und Handelskrise gebracht werden sollte und wie die ein- zelnen Staaten sich zur letzteren stellten. Die Bereitwilligkeit, sich durch Geldbeiträge an der Er- haltung der Flotte zu betheiligen, wenn auch nicht überall in Höhe der als nothwendig erkannten Summen, sprachen alle versammelten Vertreter aus, nur machten sie dieselbe von ver- schiedenen Bedingungen abhängig. Braunschweig, Oldenburg, die Hansestädte, Coburg-Gotha, Anhalt-Dessau und Schaum- burg-Lippe stimmten den hannover’schen Vorschlägen ohne Vor- behalt bei; Sachsen-Weimar, Sachsen-Altenburg, Anhalt-Bern- burg und Lippe-Detmold knüpften ihre Zustimmung an den Beitritt Preußens zum Flottenvereine; Bayern, Sachsen, Groß- herzogthum Hessen, Nassau und Sachsen-Meiningen machten ihre Theilnahme von einer befriedigenden Lösung der Zoll- und Handelsfrage abhängig. Was aber unter dieser „befriedigenden Lösung“ zu verstehen war, ergab sich deutlich aus der vom bayrischen Gesandten abgegebenen Erklärung. Werner Dieselbe lautete folgendermaßen: Bayern habe zu jeder Zeit und bei allen Anlässen, wo es sich um gemeinnützige Schöpfungen und Einrichtungen für das Wohl des gesammten deutschen Vaterlandes handelte, seine Opferbereitwilligkeit in solchem Maße bethätigt, daß es sich des allseitigen Anerkennt- nisses hierüber versichert halten dürfe. In Bezug auf die vor- liegende Angelegenheit habe es bereits in der Bundestagssitzung vom 27. December v. J. seine Mitwirkung zur Bildung einer Nordseeflotte auf der Grundlage eines dreitheiligen Flottencon- tingents zugesagt und sich anheischig gemacht, für die erste Grün- dung einen einmaligen Beitrag von 800,000 Gulden und für deren Erhaltung jährlich 200,000 Gulden zu zahlen. Indessen sei es dabei überall von der eben so wichtigen als in den Ver- hältnissen begründeten Voraussetzung ausgegangen, daß die über die deutschen Zoll- und Handelsverhältnisse schwebenden Ver- handlungen in befriedigender Weise gelöst würden. Ein Binnenstaat wie Bayern könne so lange, als eine Trennung von der Nordsee durch eine Zollgrenze bestehe, und so lange nicht die Gewißheit gegeben sei, diese Grenze durch Vereinigung in ein gemeinschaftliches Zollgebiet beseitigt zu sehen, sich von dem Bestande einer Nordseeflotte für seine materiellen Interessen einen mit den bedeutenden Opfern, welche dieselbe fordere, im Ver- hältnisse stehenden Nutzen nicht versprechen. Ebenso müsse es wiederholt darauf aufmerksam machen, daß auch, so lange zwischen Oesterreich und dem übrigen Deutschland die Trennung der Zoll- und Handels- verhältnisse fortdauere, der Bildung einer deut- schen Flotte durch drei Contingente nicht minder eine der wesentlichsten Grundlagen für die ge- meinsamen, durch diese Flotte zu schützenden Inter- essen fehlen würde . Indem Bayern diesen Standpunkt fest halte, könne es an keiner Vereinigung Theil nehmen, an welcher nur eine der Die deutsche Marine 1848—1852 beiden Großmächte betheiligt sei, da dies immer nur eine Quelle von Irrungen und Verwickelungen bilden würde. Diesen Er- klärungen schlossen sich, wie bereits bemerkt, Sachsen, Groß- herzogthum Hessen, Nassau und Sachsen-Meiningen an. Es hatten sich mithin im Schooße des Congresses drei Gruppen gebildet, deren Ansichten sich principiell gegenüber- standen. Die weiteren Verhandlungen führten weder eine Eini- gung in den Differenzpunkten noch eine Annäherung der ab- weichenden Meinungen herbei. Da auch die Frage des Geld- bedarfs nicht genügend erledigt werden konnte, weil nach Er- klärung des zur Conferenz zugezogenen Admiral Brommy die von den Staaten eventuell zu bewilligende Unterhaltungssumme dem wirklichen Bedarf nicht entsprach und die Mehrzahl der Staaten eine höhere Beitragsquote nicht zu geben gesonnen war, so kam am dritten Congreßtage das Präsidium zu der traurigen Ueberzeugung, daß die von der Hannover’schen Regie- rung erstrebten Versuche als gescheitert zu betrachten seien. Damit war das endgültige Todesurtheil der Flotte ge- sprochen und der letzte Act des Dramas begann. Acht Tage nach dem Auseinandergehen des Congresses, am 2. April 1852, erhielt Brommy vom Bundespräsidium den Befehl, die Schiffe „Eckernförde“ und „Barbarossa“ an den Commissar der preußischen Regierung, Commodore Schröder, auszuliefern, und dieser Befehl wurde am 5. April, dem Jahres- tage der Eroberung der „Gefion“, vollzogen. Welcher Contrast zwischen dem 5. April 1849 und dem von 1852! Damals erfüllte Jubel und Begeisterung alle Ge- müther, die Hoffnung auf ein einiges Deutschland und eine seiner Größe und Würde angemessene Flotte schwellte die Brust eines jeden Patrioten. Mit Stolz blickten alle Angehörigen der Marine zu dem schwarzrothgoldenen Banner empor, das über ihren Häuptern wehte und die Wiederkehr mächtiger Geltung zur See verhieß, wie sie einst vor Jahrhunderten Deutschland Werner besessen — und heute? Alle jene schönen Hoffnungen waren ge- knickt und zu Grabe getragen. Mit tiefer Trauer im Herzen sahen Officiere und Mannschaften der Flotte die Flagge, der sie Treue geschworen, langsam herniedersinken von den Masten der Schiffe, um nie wieder emporzusteigen. Der schöne Traum war ausgeträumt und Thränen der Wehmuth rannen über die ge- bräunten Wangen Derer, die damit ihren Lebenshoffnungen ent- sagten und in eine trübe unsichere Zukunft blickten. Die weitere Auflösung ging nun schrittweise vor sich. Der als Bundescommissar bestellte Staatsrath Dr. Hannibal Fischer traf im Mai 1852 in Bremerhafen ein, um den Materialbe- stand der Flotte zu übernehmen und denselben zu veräußern, was sich in Bezug auf die Schiffe jedoch erst im Laufe des Jahres vollzog. Alle ohne Patent angestellten Officiere wurden mit der Abfindung eines dreimonatlichen Gehalts bereits im Mai ent- lassen und von den Mannschaften nur so viele zurückbehalten, als zur Bewachung der noch nicht verkauften Schiffe unumgäng- lich nöthig waren. Am 29. Juli ordnete ein Bundesbeschluß auch die Entlassung der mit Patent und ohne Vorbehalt ange- stellten Officiere und Beamten an, indem man ihnen ein Jahres- gehalt als vollständige Abfindungssumme offerirte, ein Beschluß, der kein günstiges Zeugniß für das Rechtsgefühl des Bundes ausstellte und allgemeine Entrüstung hervorrief. Bereits im Januar, als Graf Thun den Admiral Brommy von dem bevorstehenden Aufhören der Flotte in Kenntniß gesetzt und ihn aufgefordert hatte, Alles zu verhindern, was die Würde und das Ansehen des Bundes beeinträchtigen könne, hatte Brommy diesen Punkt zur Sprache gebracht. Er schrieb damals an den Bundespräsidialgesandten: „Um aber diese schwierige Aufgabe (nämlich die Auflösung der Flotte) zu erleichtern, dürfte es wol geeignet erscheinen, dafür Sorge zu tragen, daß dem Officier- corps, welches dem Dienste der deutschen Marine sich mit dem Die deutsche Marine 1848—1852 vollen Vertrauen widmete, das der an die Spitze der Regie- rung gestellte Kaiserliche Fürst erweckte — ein Beweis, daß die neue Schöpfung keine revolutionären Tendenzen haben solle — irgend eine Garantie für die Zukunft gegeben werde, die durch eine plötzliche Auflösung der Flotte gefährdet sei. „Wenn Eure Excellenz in geneigte Berücksichtigung ziehen, daß ein Theil der Officiere durch diplomatische Verhandlungen herübergezogen, andere aber veranlaßt wurden, lucrative Stel- lungen aufzugeben, um sich dem Dienste des Vaterlandes zu widmen, welches ihrer Kräfte bedurfte, daß alle diese im vollen Glauben an die Decrete des Erzherzogs-Reichsverwesers in den Dienst traten, so ist es gewiß nur billig, zu erwarten, daß eben diese Decrete auch in Kraft verbleiben und die Zukunft derer sichern, die sich plötzlich der Mittel ihrer Existenz beraubt sehen. „Der frühere Bundestag übertrug dem Reichsverweser seine Machtvollkommenheiten, dieser der Bundescentralcommission, von welcher die Bundesversammlung sie wieder übernahm. Legal war also die Marine von dem Augenblicke an, wo der Reichs- verweser dieselbe sanctionirte, denn in einen revolutionären Dienst würden weder ich noch die andern Officiere getreten sein. „Ich hoffe keine Fehlbitte zu thun, wenn ich mich ver- trauensvoll an Eure Excellenz mit dem Gesuche wende, bei Auflösung der Flotte die gerechten und billigen Ansprüche der Officiere bei der hohen Bundesversammlung vertreten zu wollen.“ Aber weder dieser noch wiederholte Anträge des Admirals nach dieser Richtung vermochten, trotz ihrer völligen Berechtigung, lange Zeit eine Aenderung des bezüglichen Bundesbeschlusses nicht herbeizuführen, und wenn später den patentirten Officieren eine kärgliche Pension, von der allein sie nicht leben konnten und auch nur so lange gezahlt wurde, bis sie sich eine andere Lebens- stellung verschafft hatten, so war dies auch nicht einmal Ver- dienst des Bundestags als solchen, sondern der Dank dafür gebührte Preußen, dessen Gesandter, Herr von Bismarck-Schön- Werner hausen, mit seiner bekannten Energie für die so ungerecht be- handelten Officiere eintrat. Der Bundescommissar Fischer war in vielen Beziehungen nicht der geeignete Mann, um den ihm gewordenen allerdings peinlichen Auftrag in einer Weise zu erledigen, wie es im Inter- esse aller Betheiligten erwünscht war. Eine sehr unliebsame Verzögerung der Angelegenheit war die Folge, und erst am 31. März 1853 der letzte Act des nationalen Dramas ausgespielt. Ein Generalbefehl des Ad- miral Brommy von diesem Tage verkündete dem deutschen Volke, daß die deutsche Flotte aufgehört hatte, zu existiren und nur noch der Erinnerung angehörte. Dieser Befehl lautete folgendermaßen: „Dem sämmtlichen Personal der deutschen Bundesmarine wird hiermit bekannt gegeben, daß im Anschluß an die bezüg- lichen früheren Verfügungen zur Ausscheidung von Schiffen und Material sowie zur Entlassung von Personal nunmehr unter dem 15. d. M. die Auflösung der Marinebehörden und da- mit die Entlassung des gesammten bei Abwickelung der Geschäfte noch betheiligt gewesenen Personals zum 31. März d. J. höch- sten Ortes beschlossen worden ist und durch das Obercommando zur Ausführung wird gebracht werden. „Schmerzlich ist es dem Obercommando, diesen inhaltschwe- ren Act zur allgemeinen Kenntniß bringen zu müssen, einen Act, durch welchen nicht nur das mit nationaler Begeisterung in’s Leben gerufene und unter den schönsten Erwartungen emporgeblühte Institut einer deutschen Marine den bloßen Er- innerungen anheimgegeben wird, sondern durch welchen auch die Hoffnungen so vieler tüchtiger Männer, die dem Vaterlande ihre Kräfte und Leben zu weihen nicht anstanden, vernichtet worden sind. „Dagegen bleibt es dem Obercommando ein wohlthuendes Gefühl, den von diesen trüben Verhältnissen abgewendeten Blick Die deutsche Marine 1848—1852 mit der Ueberzeugung in die Vergangenheit zurückwerfen zu können, daß dieselbe ein glänzendes Beispiel dafür gewesen, was unbedingte Hingabe an eine große Idee und Vertrauen in die Oberleitung, der ihre Ausführung anvertraut war, ungeachtet aller entgegenstehenden Hindernisse hervorzubringen vermögen. Mit Stolz darf das Obercommando es aussprechen, daß die deutsche Marine innerhalb der ihrer Ausbildung gesteckten engen Grenzen und unter den schwierigsten Verhältnissen einen Höhepunkt erreicht hatte, welchem Sachkundige die vollste Aner- kennung zollen mußten und der den Beweis lieferte, was Deutsch- land hinsichtlich seiner Wehrkraft zur See unter günstigen Um- ständen zu leisten vermöchte! Indem das Obercommando sämmtlichen Officieren, Be- amten und Mannschaften der Marine Lebewohl sagt, fühlt es sich gedrungen, denselben für ihre geleisteten Dienste seine volle Anerkennung und Zufriedenheit hiermit ausdrücklich und dankend auszusprechen. Bremerhafen, den 31. März 1853. Das Obercommando der Marine. Rudolph Brommy, Contreadmiral. Als im Monat März 1849 das erste große deutsche Kriegsschiff auf der Weser eintraf und den Namen „Barba- rossa“ empfing, da beseelte jeden Deutschen das erhebende Be- wußtsein, einer großen Nation anzugehören und erfüllte seine Brust mit froher Hoffnung für die Ehre, Größe, Einheit, Frei- heit und wachsende Herrlichkeit des Vaterlandes. Man glaubte diese Herrlichkeit neu errichtet und den alten Kaiser Barbarossa aus den Fluthen, in denen er seinen Tod fand, auferstanden, um auf den Fluthen des Meeres seine un- sterbliche Laufbahn neu zu beginnen. Wie er bis dahin im Geiste und in der Erinnerung seines R. Werner , Erinnerungen. 15 Werner Volkes gelebt, das die Freiheit und Einheit wollte, so lebte er jetzt weiter in der ersten thatsächlichen Erscheinung und Ver- körperung dieser Einheit, in der deutschen Flotte. In der schwarzrothgoldenen Kriegsflagge zeigte sich der erste deutsche Aar, der die Raben der Zwietracht von den Pforten des deutschen Vaterlandes mit gewaltigem Flügelschlage zurückscheuchen, der sie in alle Winde zerstreuen, seine Schwingen entfalten und mit mächtigen Fängen die Feinde zermalmen sollte. Solchen Gefühlen patriotischer Begeisterung hatten auch die Frauen und Jungfrauen der Stadt Brake, vor dem der „Barbarossa“ zuerst Anker geworfen, einen beredten Ausdruck gegeben, als sie im Mai 1849 dem damaligen Kapitän Brommy eine kostbare, von ihnen für jenes Schiff gestickte Flagge über- gaben und diese selbst unter dem Hurrah der Flottenmannschaft und dem Donner der Kanonen hinaufzogen am Maste, wo sie fortan zum Ruhme und zur Ehre Deutschlands wehen sollte. In seinem Danke hatte Brommy versprochen, sie unentweiht hoch zu halten in Krieg und Frieden und sich nicht von ihr zu trennen. Als dann nach so kurzer Zeit jene erträumte Herrlich- keit des deutschen Reiches so tief in den Staub sank und der deutsche Aar, anstatt seinen Flug zur Sonne zu richten, aber- mals, wenn auch glücklicher Weise auf nicht lange Zeit, trauernd das stolze Haupt unter den Flügeln barg, da fragten jene deut- schen Jungfrauen nach dem Schicksal ihrer Flagge, die für immer sich von der Gaffel niedergesenkt hatte. Die Antwort des Admirals lautete folgendermaßen: „Meine Damen! Durchdrungen von demselben Gefühle, welches Sie in diesem verhängnißvollen Augenblicke bewegt, wagte ich es, Ihrem Wunsche zuvorzukommen, als ich sah, daß die Stunde der Entscheidung für die deutsche Marine geschla- gen hatte. Die mir in einer Zeit des Glaubens an ein einiges Deutschland von Ihnen an Bord des „Barbarossa“ überreichte Die deutsche Marine 1848—1852 Flagge, welche ich als Palladium zu schützen versprach, darf nicht von der Sache, der sie gewidmet ward, getrennt werden. So lange das deutsche Geschwader noch besteht, soll diese Flagge nur auf dem Schiffe, das meine Flagge führt, über meinem Haupte wehen, und hat endlich die Marine zu Deutsch- lands unauslöschlicher Schmach aufgehört zu bestehen, dann werde ich sie als ein heiliges Zeichen der Erinnerung ver- schwundener hehrer Tage, eines schönen Traumes, aufbewahren. Einst aber soll diese Flagge, welche ich so glücklich war, den Feinden des Vaterlandes zuerst im offenen Kampfe auf unserem deutschen Meer entgegenzuführen, wenn die Täuschungen der Gegenwart auf immer entschwunden sind, meine irdischen Reste in kühlem Grabe schützend einhüllen, wie ich dieselbe im Leben und trotz aller Widerwärtigkeiten treu und redlich ge- schützt habe.“ Admiral Brommy war es nicht vergönnt, das Morgenroth besserer Tage anbrechen und, wenn auch nicht die schwarzroth- goldene, so doch die schwarzweißrothe Flagge des einigen und mächtigen deutschen Reiches auf dem Ocean sich entfalten und die Achtung der Welt erringen zu sehen. Er starb am 9. Januar 1860 in St. Magnus an den Ufern der Weser, wohin er sich zurückgezogen, und jene Flagge war das Leichentuch, mit dem man ihn, seinem Wunsche gemäß, in das Grab legte. Sein einziger Sohn Rudolph fiel auf dem Felde der Ehre für König und Vaterland im Feldzuge 1870 bei St. Privat. Auch Duckwitz, jener unermüdliche Kämpfer für Deutsch- lands Einheit und Geltung zur See, konnte nicht mehr das neu erstandene Reich begrüßen und wurde früher in das Jen- seits berufen. Ehre ihrem Andenken! Von den damaligen Officieren und Beamten der deutschen Marine existirt nur noch eine kleine Zahl. Ein Theil derselben hat sich zu ehrenvollen Stellungen emporgearbeitet, ein anderer 15* Werner ist gestorben, ein anderer verdorben. „Das Alte stürzt und neues Leben blüht aus den Ruinen.“ Der Traum deutscher Einheit und Seemächtigkeit, der damals so traurig zerfloß — er hat sich seit zehn Jahren zur freudigen Wirklichkeit gestaltet. Die Raben der Zwietracht sind verscheucht, Deutschland hat nach Jahrhunderten auch auf dem Meere wieder die Stellung einge- nommen, die ihm gebührt; die Kiele seiner Kriegsschiffe durch- furchen die blauen Fluthen des Oceans und der deutsche Aar in der Flagge seiner Flotte wird fortan den Feinden zeigen, daß er jetzt Kraft genug in seinen Fängen besitzt, um Unbill zu rächen und Schmach abzuwehren. Ernstes und Heiteres. Bilder aus dem Stilleben der deutschen Marine. 1. Auf der Weser. W ie der historische Rückblick auf Entstehen und Vergehen der ersten deutschen Marine zeigt, war sie während ihres kurzen Lebenslaufes zu passiver Unthätigkeit verurtheilt und arm an Ereignissen, die in die Annalen der Geschichte gehören. Die Ankunft der „Eckernförde“ auf der Weser nach so viel Fähr- lichkeiten und Hindernissen, die mehr als einmal die kostbare Trophäe uns wieder zu entreißen drohten, war das letzte von einiger Aufregung begleitete Vorkommniß. Die fernere Existenz der Flotte während der nachfolgenden zwei Jahre bis zu ihrer Auflösung konnte nur noch ein Vegetiren genannt werden, bei dem die Tage in gleicher Einförmigkeit und Bedeutungslosigkeit dahin schwanden. In der guten Jahreszeit lagen die Schiffe am linken Weserufer, unweit des oldenburgischen Dorfes Blexen, Bremerhafen schräg gegenüber, vor Anker, in den Wintermona- ten wurden sie zum Schutze gegen Eis theils in dem Geeste- flusse bei Bremerhafen, theils in dem Hafen von Brake unter- gebracht und es war kein erquickender Anblick, sie dann bei der Ebbe im Schlamme steckend und fast trocken liegend zu sehen. Werner Weitere Bewegungen gab es für sie sonst fast nicht. Der Dienst an Bord ging seinen Gang, aber brachte bei dem Still- liegen natürlich keine Abwechselung. Wir Officiere strebten da- hin, die Schiffe in möglichst gute Ordnung zu bringen und einer dem andern darin den Rang abzulaufen, aber die gleich- förmige Tagesroutine wurde dadurch nicht verändert. Dieses ewige Einerlei konnte weder uns noch den Mannschaften zumal bei den infolge der Verhältnisse sehr herabgestimmten Ansprüchen Befriedigung gewähren und es war daher erklärlich, wenn die Langeweile Blasen trieb. Eine schwere Aufgabe war unter solchen Umständen die Aufrechterhaltung der Disciplin. Bis zum Jahre 1851 bildete die Disciplinarverordnung für die Reichsmarine unser einziges Machtmittel, um 1500—1600 Mann in Ordnung zu halten. Es konnte weder ein Stand- noch ein Kriegsgericht abgehalten werden, weil es für die Flotte kein Strafgesetzbuch und ebenso- wenig eine Festung, ein Gefängniß oder ein Zuchthaus gab, in dem die zu längeren Freiheitsstrafen Verurtheilten hätten Auf- nahme finden können. Selbst in dieser so höchst wichtigen Beziehung schwebte die arme Marine in der Luft und war auf sich selbst angewiesen, bis endlich um jene Zeit Olden- burg sich erbarmte, sein Militärstrafgesetzbuch einführen ließ und auch der Marine seine Strafanstalten zur Verfügung stellte. Wenn es trotzdem den Officieren gelang, einen guten Geist unter der Mannschaft zu bewahren, jeder Lockerung der Dis- ciplin vorzubeugen und selbst die unbändigsten Elemente zu zügeln, so ist dies gewiß ein sprechendes Zeugniß für ihre moralische Kraft, für den Ernst, mit dem sie ihren schweren Pflichten nachzukommen suchten und für den guten Einfluß, den sie auf die Mannschaften zu üben verstanden. Im ersten Jahre waren die Schwierigkeiten noch geringer, denn unsere damaligen Besatzungen bestanden aus ganz vorzüg- lichen Leuten, sowol in fachlicher wie in moralischer Beziehung, Ernstes und Heiteres aus tüchtigen und braven Oldenburgern, Mecklenburgern, Schles- wig-Holsteinern und Hannoveranern, die sich ungemein leicht lenken ließen, und selten wol haben Kriegsschiffe ein so gutes Personal aufzuweisen, wie es die deutsche Flotte damals besaß. Nur ein bedenkliches Element, das wir uns aufgehalst, befand sich dar- unter, doch gelang es schon binnen Kurzem, es wieder auszu- merzen. Dies waren etwa fünfzig angeworbene englische Matro- sen, die früher auf Kriegsschiffen gedient hatten und militärische Lehrer unserer Leute werden sollten. Sehr bald zeigte sich je- doch, daß sie zu letzterem Zwecke ganz untauglich und außer- dem absolut nicht zu zügeln waren. Der billige deutsche Branntwein war für sie ein schlimmer Verführer, und um ihm wirksam entgegenzutreten, hätten wir statt über die beschränkten Strafmittel unserer humanen Disciplinarverordnung über dis- cretionäre Anwendung der neunschwänzigen Katze verfügen müssen. Bestialische Trunkenheit, Gehorsamsverweigerung, blutige Raufereien unter sich und mit unsern Leuten, die je- doch stets von den Engländern ausgingen, waren an der Tagesordnung, und wir mußten deshalb trachten, sie auf das schleunigste wieder los zu werden. Glücklicher Weise waren sie nicht auf bestimmte längere Zeit engagirt, und wir schickten sie bis auf zwei oder drei gute Matrosen, innerhalb weniger Monate wieder fort. Bei dieser Gelegenheit trat der Characterunterschied zwi- schen englischen und deutschen Matrosen klar zu Tage, den ich später stets von neuem beobachtet habe und der die Wag- schale sehr zu Gunsten der letzteren neigt. Der Engländer gilt im allgemeinen und namentlich auch bei uns in Deutschland für den tüchtigsten Seemann der Welt. Es liegt mir fern, ihm seine fachliche Tüchtigkeit abzusprechen, aber der Deutsche steht ihm darin wenigstens nicht nach und ist ihm in morali- scher Beziehung jedenfalls vorzuziehen. Der gewöhnliche eng- lische Matrose ist innerlich viel roher und brutaler als der Werner unsere; der Branntwein bildet den Fluch seines Lebens; er bietet alles auf, um ihn sich zu verschaffen und sich darin zu übernehmen. In Momenten der Gefahr ist er weniger zuver- lässig als der unsere und seine Führer verlieren leicht die Gewalt über ihn. Natürlich giebt es auch unter den deutschen See- leuten Subjecte, die den Engländern darin nichts nachgeben, aber sie bilden nur einen kleinen Bruchtheil der Gesammtheit, und diese hat auch im Auslande einen so guten Ruf, daß jeder Kapitän, namentlich aber der englische, deutsche Matrosen lieber wirbt, als seine Landsleute, weil er, neben ihren fachlichen Vor- zügen, ihre Zuverlässigkeit, ihr ruhiges fleißiges Wesen und ihre Nüchternheit zu schätzen weiß. Während wir anfangs mit unsern deutschen Mannschaften, was Disciplin und Kriegsschiffszucht anbetraf, eine verhältniß- mäßig leichte Aufgabe hatten, wurde die Sache späterhin doch etwas schwieriger. Nach Ablauf ihres Engagements gingen die guten mecklenburgischen und friesischen Seeleute zum größten Theile fort, weil ihnen das ruhm- und thatenlose Stillliegen der Schiffe nicht behagte. Was sich statt ihrer zum Eintritt meldete, war oft ziemlich zweifelhafter Natur und bestand viel- fach aus Nichtseeleuten. In Ermangelung besserer Elemente und um zur ungestörten Handhabung des Dienstes unsere Mannschaftsstärke vollzählig zu halten, wurde bei der An- nahme nicht sehr scrupulös verfahren. Wenn das seemännische Interesse an die sich Meldenden stets die erste Frage richten ließ „Wie lange haben Sie gefahren?“ so begnügten wir uns doch auch mit solchen, die keine Fahrzeit hatten, da auf fest verankerten Räderdampfschiffen, die außerdem nur mit einer sehr dürftigen Betakelung versehen waren, eigentliche Seemann- schaft weniger in das Gewicht fiel. Bei jener stereotypen Frage lief jedoch bisweilen ein drasti- sches qui pro quo unter. So erinnere ich mich, daß sich eines Tages auf unserem Schiffe ein junger kräftiger Mann an- Ernstes und Heiteres werben lassen wollte, dessen ganze Erscheinung einen sehr guten Eindruck machte. „Wie lange haben Sie gefahren?“ lautete wieder die Frage des ersten Officiers. „Sieben Jahre!“ war die prompte und sichere Erwide- rung des jungen Mannes. „Gut!“ sagte der Officier, der sich nicht wenig freute, nach langer Pause wieder einmal einen befahrenen Seemann gekapert zu haben, und ohne sich weiter nach dessen Papieren zu erkun- digen setzte er hinzu, „wenn der Doctor Sie gesund befindet, können Sie als Matrose I. Classe eingestellt werden und es bald zum Unterofficier bringen, wenn Sie sich gut machen.“ Die ärztliche Untersuchung ergab ein günstiges Resultat, der Betreffende wurde vereidet und eingekleidet. Auch der Bootsmann gab seiner Freude über die ungewohnte Acquisition Ausdruck. Er war ein Mecklenburger und der Typus eines eingefleischten alten Seemanns. „Gott sei Dank!“ äußerte er, „nun bekommt man doch endlich einmal wieder einen vernünfti- gen Kerl zu allen den Landlubbern, den man bei einem ordentlichen Stück Matrosenarbeit anstellen kann.“ Am andern Tage gab es ein solches Stück Arbeit, und Mohr, so hieß der neu angeworbene Matrose I. Classe, wurde vom Bootsmann damit betraut. Wie staunte der Letztere aber, als er sah, daß Mohr offenbar nicht die leiseste Ah- nung von der Behandlung des ihm gewordenen Auftrages hatte und dieser auch ganz unbefangen erklärte, davon verstehe er nichts. „Was? Mann!“ rief der Bootsmann in heller Entrüstung, „das verstehst Du nicht und Du willst sieben Jahre gefahren haben! Wo hast Du denn gefahren?“ „Auf dem Bock,“ lautete die Antwort. „Was war das für ein Fahrzeug, ein ordentliches Schiff oder ein Stein Ewer?“ Werner „Das war gar kein Schiff.“ „Gar kein Schiff?“ donnerte jetzt der Bootsmann ganz wild. „Was in des Teufels und seines Pumpstocks Namen war es denn?“ „Ich habe als Kutscher gefahren“. Der Bootsmann war starr über diese vermeintliche Frech- heit und lief spornstreichs zum ersten Officier, um das uner- hörte Verbrechen zu melden. Was war aber zu machen? Mohr hatte durchaus keine Schuld an dem Mißverständnisse; als Kutscher konnte er mit demselben Rechte wie die Seeleute das Wort „fahren“ mit „haben“ construiren, da er wie sie activ an der Bewegung betheiligt ist und hatte deshalb die an ihn gerichtete Frage nach bester Ueberzeugung wahrheitsgemäß beant- wortet. Man konnte ihm weiter nichts anhaben, als daß er als „Unbefahrener“ in die dritte Matrosenklasse versetzt wurde. Was ihm aber damals an wirklicher Fahrzeit fehlte, das ist von ihm inzwischen redlich nachgeholt worden. Jetzt hat er nicht nur sieben, sondern über zwanzig Jahre sich den Wind in allen Welttheilen um die Nase wehen lassen. Bei Auflösung der deutschen Marine trat er mit in die preußische über und wurde mit der Zeit ein ungemein tüchtiger Seemann. Später war er drei Jahre lang mein Bootsmann, und man konnte sich für diesen schwierigen Posten, der an Bord eines großen Kriegs- schiffes so viel Erfahrung, Umsicht, Fachkenntniß und unermüd- liche Thätigkeit erheischt, keinen besseren und zuverlässigeren Mann wünschen. Nicht immer schlugen jedoch die Unbefahrenen so gut ein. Oefters waren es gar bösartige Gesellen, mit denen man zu thun hatte, und es mußten außergewöhnliche Mittel angewendet werden, um sie unschädlich zu machen und zu verhüten, daß ihr Beispiel nicht nachtheilig und ansteckend auf die übrigen Mann- schaften zurückwirkte. So befand sich an Bord der „Hamburg“ ein solches Sub- Ernstes und Heiteres ject, mit dem absolut nichts anzufangen war. Nichts fruchtete bei ihm, weder Güte noch Strenge; die ganze Scala der Strafen, welche den Vorgesetzten zu Gebote standen, war erschöpft, ohne irgend welchen Eindruck zu machen. Der Mann war längst reif für zehn Jahre Zuchthaus, zu denen er aber aus den oben angeführten Gründen nicht verurtheilt werden konnte. Er stahl nicht nur wie ein Rabe, sondern war auch einer der ungeber- digsten und boshaftesten Menschen, die es geben konnte. Eines Tages erhielt er einen Befehl vom ersten Officier, aber anstatt denselben zu befolgen, kletterte er in die Bemastung bis in die Bramsaling — das Holzgerüst, in welchem der Fuß der zweiten Verlängerung der Masten, der Bramstenge, befestigt ist — setzte sich dort hin und begann in der gemeinsten Weise auf Commandant und ersten Officier zu schimpfen, so daß Alle an Bord auf das Höchste empört waren. Ihn von dort oben herunterzuholen war bei dem verzweifelten Character des Mannes ein Wagstück, das der Commandant Niemandem zumuthen mochte; als sich jedoch ein Unterofficier freiwillig er- bot, den Menschen an Deck zu bringen, erhielt er die Erlaub- niß dazu und enterte nach oben. Der Missethäter erwartete augenscheinlich, von ihm angefaßt zu werden, retirirte auf die äußerste Spitze der Bramsaling und machte sich bereit, sich zur Wehre zu setzen. Uns wurde bei dieser Aussicht gar nicht wohl zu Muthe, denn ein Kampf dort in den Lüften, wo die Füße nur auf den schmalen Balken der Saling einen Halt fanden, mußte aller Wahrscheinlichkeit nach mit dem Herabsturze des Einen oder Beider enden. Der Unterofficier jedoch, zu unserm Erstaunen, that, als ob er sich gar nicht um den Mann kümmerte, kletterte an ihm vorbei bis er die Spitze der Bram- stenge erreicht hatte und machte sich dort einige Zeit lang an dem Tauwerk zu thun. Dann ließ er sich an den Pardunen, den Haltetauen der Bramstengen, welche von deren Spitze bis an Deck fahren, wieder ganz gemächlich herunter, bis er sich Werner nahe über dem Matrosen befand, der offenbar nichts von der wirklichen Absicht des Unterofficiers ahnte und sein Schimpfen fortsetzte. Plötzlich ließ Letzterer jedoch die Füße los, schlang sie blitzschnell um den Hals des erschreckten Mannes und riß ihn mit einem gewaltigen Ruck von der Saling, so daß er jetzt zwischen den zusammengekniffenen Beinen wie in einer Schlinge fast achtzig Fuß über Deck in freier Luft hing. Uns Zuschauern standen bei diesem unerwarteten Manöver die Haare zu Berge, aber es ging alles gut. Der ebenso kräftige wie wunderbar gewandte Unterofficier preßte zwar absichtlich den Hals seines Gefangenen etwas scharf zusammen, um ihn unschädlich zu machen, kam dann aber Hand über Hand mit seiner Last den langen Weg an der Pardune herunter und lieferte ihn mit den Worten „da ist er“ an den wartenden Profoß ab. Der Mensch geberdete sich jetzt aber so rasend, daß er in den polnischen Bock gespannt und mit einem Knebel im Munde unten in den Raum auf den Eisenballast geworfen werden mußte, da sich keine Arrestlocale an Bord befanden, die auf Schiffen erst eine Ein- richtung neuerer Zeit sind. Das Verbleiben in dieser Posi- tion bis zum andern Morgen hatte ihn jedoch endlich zahm gemacht und bis zu seiner nach einigen Monaten erfolgenden Entlassung ließ er sich nichts wieder zu Schulden kommen. Die über ihn verhängte Maßregel stand zwar in keinem Paragraphen der Disciplinarverordnung, aber solchen Menschen zu bewäl- tigen, blieb nichts anderes übrig. Ueberhaupt hat es mit den Strafen an Bord eine eigene Bewandtniß und es kann an diese nicht der Maßstab gelegt werden, wie am Lande, weil die Verhältnisse so ganz andere sind. Wenn in einer Compagnie auf irgend eine Weise zehn oder mehr Mann sich eines Vergehens schuldig machen, das ihnen einige Tage Arrest einbringt, so können sie alle zehn sofort eingesperrt werden, ohne daß der Dienst oder die Ernstes und Heiteres Kameraden im geringsten darunter leiden — ganz anders an Bord. Auf einem Schiffe ist für die auszuführenden Leistungen die Mannschaft auf die geringste Zahl bemessen, jede Hand berechnet und das Fehlen eines Mannes am Geschütz, auf der Raa, beim Bedienen der Segel oder sonst macht sich sofort fühlbar und zwar um so mehr, je kleiner das Schiff und je geringer demgemäß seine Besatzung ist. Man nehme z. B. ein von Deutschland auf der Reise nach Ostasien befindliches Kanonenboot, das eine Besatzung von der ungefähren Stärke einer Compagnie hat und durch einen Kapitänlieutenant mit Hauptmannsrang commandirt wird. Wenn im Allgemeinen unsere Leute sich gut halten, so ist es doch möglich, daß sich unter hundert Mann drei bis vier oder wol noch mehr schlechte Subjecte befinden. Das Schiff kommt nun nach Eng- land, die Leute erhalten Urlaub, und jene vier oder sechs Mann bleiben nicht nur ein paar Tage über Urlaub aus, so daß das Schiff ihretwegen aufgehalten wird, sondern sie verüben auch noch Excesse. Was soll dann der Commandant mit ihnen anfangen? Seine Strafcompetenz erstreckt sich nur auf sieben Tage Arrest; aber selbst davon abgesehen, daß die Leute viel- leicht schon früher wegen derselben Vergehen strenger bestraft sind, entstehen bei Vollstreckung der Strafe alle möglichen Schwierigkeiten. Zunächst giebt es auf kleineren Schiffen keine Arrestlocale, weil es an Raum fehlt; wohin also mit den Leuten? Man kann sie nur auf dem Deck placiren, denn im Zwischendeck würden sie sich im Wohnraume der Mannschaft und in engster Berührung mit derselben befinden, was durchaus dem Geiste der Strafvollstreckung zuwiderläuft und sie illu- sorisch macht. Es wird also auf dem engen Deck irgendwo ein Vorhang gezogen, der Arrestant dahinter gesperrt und ein Posten davor gestellt, wie dies gesetzlich vorgeschrieben und nöthig ist. Alle sechs Straffällige kann der Commandant aber nicht zugleich einstecken, denn nicht allein sie, sondern auch noch die Posten Werner gehen von der Mannschaft ab und diese würde zu sehr geschwächt werden, da man immer auch auf Kranke zu rechnen hat. Es ver- büßen also höchstens zwei ihre Strafe zugleich und die letzten beiden kommen erst nach vierzehn Tagen an die Reihe. Dabei stellt sich die Sache so: der Arrestant sitzt, statt wie das Gesetz vor- schreibt, in einer dunklen Zelle, auf dem hellen Deck, hört alles und sieht das Meiste, was um ihn vorgeht, faullenzt den Tag über und schläft unter Deck die ganze Nacht zwischen den Kame- raden, die seine Arbeit verrichten, ihn bewachen und außerdem Nachtwache thun müssen. Eine moralische Einwirkung der Arreststrafe kann bei der- gleichen Subjecten wol nicht in Rede kommen, und deshalb bleibt die Thatsache bestehen, daß ein nichtsnutziger Mensch sich oft absichtlich ein Vergehen zu Schulden kommen läßt, um in einen Zustand versetzt zu werden, der den Namen „Strafe“ trägt, in Wirklichkeit aber ihn auf Kosten seiner Kameraden von der Arbeit und lästigen Nachtwachen befreit. Die Absicht des Gesetzgebers wird also nicht erreicht, wobei noch nicht einmal der Fall berücksichtigt ist, daß die Strafvollstreckung durch schlechtes Wetter drei vier Mal ja auf Wochen unterbrochen werden kann, so daß der Betreffende, um z. B. sieben Tage abzusitzen, dazu vielleicht der dreifachen Zeit bedarf. Auf großen Schiffen, wo sich ein paar Arrestzellen befinden, stellen sich die Verhältnisse etwas günstiger, doch nicht viel, und um diesen Miß- ständen entgegenzutreten, müssen an Bord von in See befind- lichen Kriegsschiffen andere kürzere, aber dafür wirksamere Strafen verhängt werden, als bei der Armee, wenn die Absicht der Gesetzgeber erreicht werden soll. Aus diesen Gründen er- klärt es sich, weshalb körperliche Züchtigung auf den Marinen so lange beibehalten ist. Unsere humanisirende Zeitströmung er- blickt in dieser Strafe Verletzung des Ehrgefühls und sie ist deshalb in neuerer Zeit meistens abgeschafft. Darüber haben Practiker vielfach andere Ansichten und sind der Meinung, daß Ernstes und Heiteres wo kein Ehrgefühl ist, es auch nicht verletzt werden kann. Doch es mag auch ohne Prügelstrafen gehen, wenn man dafür an Bord ein Aequivalent schafft, das ähnlich empfindlich wirkt und möglichst kurze Zeit in Anspruch nimmt. So lange aber ein solcher Ersatz nicht gefunden ist, kann den Vorschriften des Ge- setzes nicht genügt werden und der Bestrafte hat es auf Kosten seiner Kameraden und des Dienstes verhältnißmäßig gut. Dem Officiercorps der jungen deutschen Flotte fehlte es unter den obwaltenden Umständen natürlich an jener Homogenität, welche für eine solche Körperschaft zwar sehr wünschenswerth und noth- wendig ist, aber naturgemäß nur das Ergebniß einer verhältniß- mäßig langen Dienstzeit bei gleichmäßiger Erziehung und gemein- samen Traditionen sein kann. Daraus entstanden denn mancher- lei Unzuträglichkeiten, die jedoch glücklicher Weise weniger un- günstigen Einfluß auf das Ganze übten, als man hätte annehmen sollen. In dem Corps waren vier verschiedene Nationalitäten vertreten: Deutsche, Engländer, Amerikaner und Belgier; wenig- stens stand ein Deutscher an der Spitze. Mit den belgischen Officieren, im Ganzen sechs, hatten wir unbedingt eine gute Acquisition gemacht; es waren Männer von sehr guter Erziehung, feinen Manieren und wissenschaft- licher Bildung. Den Kriegsschiffsdienst verstanden sie aus dem Grunde, da sie sämmtlich Jahre lang auf der französischen Flotte zur Dienstleistung commandirt gewesen waren, und wir jungen deutschen Officiere erhielten in ihnen treffliche Lehrmeister für das, was uns fehlte, d. h. für die Kenntniß des inneren Dienstes und alles dessen, was damit zusammenhing. Bei den wenigen Gelegenheiten, wo wir mit den Schiffen in Bewegung waren, sahen wir freilich, daß practische Seemannschaft ihre schwache Seite war, allein dann traten wir Deutschen ergänzend ein. Die Belgier erkannten auch unsere Ueberlegenheit darin an, hielten sich vorsichtig zurück, und bei solchen Anschauungen und gutem Willen von beiden Seiten konnte es nicht fehlen, daß Werner sich die innere Organisation der Flotte in überraschend schneller Zeit entwickelte. Was die Handhabung des Dienstes, die Exercitien, Ord- nung und Reinlichkeit betraf, konnten die Schiffe schon nach Jahresfrist ohne irgend welche Ueberhebung musterhaft genannt werden, und ihr Zustand lieferte jedenfalls den Beweis, daß die Bedingungen für eine deutsche Flotte vorhanden waren und daß diese nur der Pflege und Weiterbildung bedurfte. Im Sommer 1850 kam die amerikanische Fregatte „St. Lawrence“ nach Bremerhafen und blieb dort einige Wochen. Wir verkehrten viel mit den Officieren, statteten uns gegenseitig oft Besuche an Bord ab und bemerkten mit großer Genugthuung, daß wir mit unseren Schiffen sowol wie mit der Ausbildung der Mann- schaften hinter den Amerikanern nicht zurückstanden. Freilich hatten wir zu jener Zeit noch den größten Theil unseres vor- züglichen Personals an Mannschaften, die unsere Bemühungen sehr erleichterten. Unser deutsches Officiercorps war, in Bezug auf seine innere Beschaffenheit, auf Erziehung und Bildung, aus sehr verschiedenen Elementen zusammengesetzt. Bei der Gründung der Flotte, wo es sich um möglichst schnelle Heranziehung von Officieren handelte und es dafür nur eine Quelle die Kauf- farteimarine gab, konnte es für die Auswahl zunächst weniger auf Wissenschaftlichkeit und vollendete äußere Formen, als auf practische Tüchtigkeit für die neu zu schaffenden Posten an- kommen, und beides fand man in den Kapitänen und Steuer- leuten der Handelsschiffe nicht oft vereint. Es blieb deshalb nicht aus, daß in dieser Richtung mancherlei Mißgriffe ge- macht und Persönlichkeiten dem neuen Officiercorps einver- leibt wurden, die grade nicht als Vorbilder für dasselbe gelten konnten, wenn sie sonst auch ganz biedere gute Menschen waren. Uebrigens war vom Marineminister Duckwitz gleich von vornherein dafür gesorgt, daß diejenigen, deren Herkunft und Ernstes und Heiteres Erziehung nicht die Wahrscheinlichkeit bot, für die Dauer ge- eignete Mitglieder eines Officiercorps zu sein, ohne weitere Schwierigkeit bald wieder entlassen werden konnten. Er hatte zu diesem Zwecke zwei Kategorien von Seeofficieren geschaffen, die Hülfsofficiere und die Fähnriche, die beide zwar denselben militärischen Rang als Secondelientenant bekleideten, von denen erstere aber höheres Gehalt bezogen. Dagegen war den Hülfs- officieren keinerlei Zukunft in der Marine garantirt und in ihrem Anstellungsdecret ausgesprochen, daß eine Beförderung eventuell wol erfolgen könne, aber nicht müsse. Dieser Klasse wurden diejenigen eingereiht, die, um das höhere Gehalt zu beziehen, entweder selbst auf die erwähnten Vortheile ver- zichteten oder denen practische Tüchtigkeit allein als Empfehlung zur Seite stand. Als Fähnriche dagegen wurden, mit Patent und Aussicht auf Avancement, solche jüngeren Leute einge- stellt, welche von guter Herkunft waren, neben fachlicher auch wissenschaftliche Bildung besaßen und deshalb brauchbare See- officiere zu werden versprachen. Bei den ungeregelten Zu- ständen, welche bei Gründung der Flotte begreiflicher Weise in Frankfurt herrschten, kamen bisweilen auch Verwechselungen vor; Einzelne erhielten Patente als Fähnriche, die sich nur zu Hülfsofficieren eigneten, andere wieder sahen sich plötzlich als Hülfsofficiere angestellt, die sich zu Fähnrichen gemeldet hatten und sich auch vollständig dazu qualificirten. Außer den eigentlichen Seeofficieren bestand der Stab der Schiffe noch aus den Aerzten, den Zahlmeistern, Secretären und auf den Dampfschiffen aus den Maschinen-Ingenieuren. Die letzteren waren sämmtlich Engländer, da Deutschland damals im Schiffsmaschinenwesen noch nicht auf eigenen Füßen stand; sie zeigten sich, im Gegensatze zu ihren als Officiere fungirenden Landsleuten, in ihrem Fache als sehr tüchtig, wenn man in anderer Beziehung auch öfter ein Auge zudrücken mußte. Aerzte, Zahlmeister und Secretäre stammten aus den ver- R. Werner , Erinnerungen. 16 Werner schiedensten Theilen Deutschlands, und letztere beiden Beamten- klassen auch aus den verschiedensten Lebensverhältnissen. Enthu- siasmus für die neuerstandene deutsche Seemacht, romantische Veranlagung, die auf erträumten Reisen über den weiten Ocean Befriedigung zu finden gedachte, vielfach aber auch prosaischere Hoffnungen auf eine gute Carriere oder den Wiederaufbau einer zusammengebrochenen Existenz waren die Motive, welche Bewerber um jene Stellungen schaarenweis herbeiführte. Es fanden sich Juristen, ehemalige Kaufleute, Landwirthe, Apotheker und ver- flossene Bürgermeister zusammen, Persönlichkeiten, die theilweise schon viel in der Welt umhergeschweift waren, ohne festen Boden gewinnen zu können und in der Marine auf besseres Glück hofften. Dies schloß jedoch nicht aus, daß selbst von der letzte- ren Klasse Mehrere sich in dem neuen Fache als tüchtige Menschen und außerdem als prächtige Charactere zeigten und sich bald überall Liebe und Achtung zu erwerben wußten. Ich that eine Zeit lang auf dem „Barbarossa“, dem Flaggschiffe Brommy’s, Dienst. Auf ihm eingeschifft zu sein, wurde als ein Vorzug betrachtet und beneidet. Unser Officiercorps war ziem- lich groß; es bestand aus acht Hülfsofficieren und Fähnrichen, ferner aus dem Arzt, Zahlmeister, Secretär und Ingenieur. Es wurde nicht viel an Land gegangen, da Bremerhafen dazu wenig anreizte; dagegen hatten wir oft Besuch von unsern Kameraden und verbrachten mit ihnen manche gemüthliche Stunde bei Bowle und Cigarre. Unser Zahlmeister lieferte beides in vorzüglicher Güte; er war Messevorstand und hatte als solcher in der Flotte einen besonderen Ruf. Niemand wußte, wie er es anfing, aber wir führten von unseren Tafel- geldern nicht nur einen ausgezeichneten Tisch, sondern konnten auch ausgedehnte Gastfreiheit üben. Unser Zusammenleben war ein sehr angenehmes, wenngleich bei der Verschiedenartigkeit der Charactere kleine Frictionen nicht fehlten. Dieselben wurden jedoch nie störend, und vorzugsweise dankten wir dies der liebens- Ernstes und Heiteres würdigen Vermittelung des Zahlmeisters, der mit gutmüthigem Humor jedem ernsteren Conflicte sofort die Spitze abzubrechen und die gereizten Gemüther in ruhiges Fahrwasser zurückzu- leiten verstand. Zahlmeister Albert war überhaupt auch nach anderen Rich- tungen seines Faches ein Musterknabe und hatte sich als binnen- ländische Landratte wunderbar schnell in die anfänglich ihm so fremden Schiffsverhältnisse zu finden gewußt. Er war Süd- deutscher, hatte Jura studirt und soeben sein Referendarexamen gemacht, als der Ruf nach einer deutschen Flotte im Vaterlande erschallte. Da kam es auf einmal wie eine Erleuchtung über ihn, daß er bisher seinen Beruf verfehlt habe und falschen Göttern huldige. Nicht Themis, sondern Neptun rief ihn zur Heeresfolge; nicht der grüne Tisch, sondern der blaue, wogende Ocean war die Arena, auf der er fernerhin kämpfen und siegen sollte. Die Pandecten flogen in die Ecke; der angehende See- held stürmte nach Frankfurt, um sich zu einer Kadettenstelle zu melden, wurde aber auf das Schmerzlichste enttäuscht, als man ihn für die Seeofficiercarriere zu alt erklärte. Seine durch diesen Bescheid schon geknickten Lebenshoffnungen richteten sich jedoch wieder auf, als sich ihm Aussicht auf eine Zahlmeister- stellung eröffnete. Dankbar nahm er die letztere an, und schon wenige Tage darauf befand er sich auf dem Wege nach Bre- merhafen. Mit glühendem Eifer ergriff er jede sich bietende Gelegen- heit, um sich für seinen Beruf vorzubilden. Bereits auf der Reise nach seinem neuen Bestimmungsorte, zuerst auf dem Rhein- dampfer bis Cöln, dann auf dem Passagierdampfer von Bremen nach Bremerhafen suchte er nautische Studien zu machen. Er plagte Kapitäne und Mannschaften mit Fragen nach allen möglichen Dingen bis auf’s Blut und hielt sich Stunden lang in der mit Auswanderern letzter Classe vollgepfropften zweiten Kajüte auf, um in deren Stickluft die Nase gegen zu erwartende Schiffsgerüche 16* Werner abzuhärten. Alsbald nach seiner Ankunft in Bremerhafen be- gann er auch Cognac mit Wasser zu trinken und Tabak zu kauen, da er beides für nothwendige Requisiten eines Seemannes hielt. Doch nur in ersterem brachte er es zu einiger Fertigkeit; das Tabakskauen wollte ihm trotz aller Willensfestigkeit und Uebelkeit nicht gelingen und er tröstete sich schließlich damit, daß ein Zahlmeister allenfalls auch ohne dasselbe leben könne. Zwar harrte seiner eine abermalige Enttäuschung, als er bei seinem Eintritte in die Marine nicht an Bord eines Schiffes, sondern in das Arsenal commandirt wurde, um in sein neues Fach ein- geführt zu werden, jedoch fand er hier einen Kameraden, den Zahlmeister Wollweber, der ihn in die Obliegenheiten und Ge- heimnisse seines Dienstes einweihte. Wollweber war bereits ein älterer Mann, der zwar die Zahlmeistergeschäfte ebenfalls erst seit einigen Wochen über- nommen hatte, dem dafür aber mancherlei Lebenserfahrungen zu Gebote standen. Ursprünglich auch Jurist von Fach und nebenbei ein vorzüglicher Musiker, war er in die Göttinger Universitätsaffaire von 1831 verwickelt worden, nach Amerika ausgewandert, hatte dort eine Reihe von Jahren gelebt und nach seiner Rückkehr die Stellung als Zahlmeister und Vor- stand des Arsenals gefunden. Sein musikalisches Talent, seine gediegene Bildung und sein wohlwollendes Wesen, dem das wechselvolle Leben nicht den angeborenen Humor geraubt, hatte ihn im Kreise aller Kameraden sehr beliebt gemacht. Das „Arsenal“ bestand damals bei Gründung der Flotte vorläufig noch aus einem gemietheten Schuppen, in dem die von allen Seiten beschafften und herbeiströmenden Vorraths- gegenstände, namentlich artilleristischer Natur, gelagert wurden, und es war die Aufgabe der beiden ehemaligen Rechtskundigen, sie zu verwalten und Ordnung in dies Chaos der heterogensten und zum größten Theile ihnen unbekannten Dinge zu bringen. Wollweber hatte jedoch bereits einige Fortschritte in der Kennt- Ernstes und Heiteres niß des vielseitigen Materials gemacht und belehrte in der ihm eigenen humoristischen und gemüthlichen Weise seinen Assistenten über dasselbe. „Für was würden Sie wol diese Dinger halten, verehr- ter Herr Kamerad,“ fragte er den eifrig lauschenden Albert, in- dem er auf einige Tausend in einander gepackter Näpfe von verschiedener Größe wies, die in einer Ecke aufgestapelt waren. „Für Spucknäpfe,“ lautete nach einigem Besinnen die Antwort. „Ganz richtig, Herr Kamerad; ich bewundere Ihren Scharf- sinn. Es könnten Spucknäpfe sein, die größeren für die Ma- trosen, die kleineren für die Schiffsjungen. Im Vertrauen gesagt,“ flüsterte er geheimnißvoll, „sind sie jedoch im Haupt- buche unter einem andern Namen verzeichnet. Dort heißen sie Granatspiegel, und wie mir der Feuerwerker Bassermann unter dem Siegel der Verschwiegenheit mitgetheilt, sollen sie nur ge- legentlich als Spucknäpfe Verwendung finden. Ihre Hauptbe- stimmung ist jedoch, als Untersatz für die Granaten zu dienen, damit diese nicht umfallen.“ Albert verbeugte sich verständnißvoll vor seinem Vorge- setzten. „Apropos,“ fuhr dieser fort, „Sie schreiben gewiß eine deutlichere Handschrift als ich, Herr Kamerad. Haben Sie doch die Güte, ein Placat anzufertigen, welches das Rauchen im Arsenale verbietet. Wir werden es dann an die Thüre nageln und sobald es fertig ist, auch unsere Cigarren fortlegen, um mit gutem Beispiele voranzugehen, denn dort in jenen Metall- kisten befinden sich sehr feuergefährliche Dinger. Sehen Sie hier, für was würden Sie diese Röhrchen wohl halten?“ Albert hatte keine Ahnung von dem Zwecke der ihm völlig fremden Gegenstände, die das Aussehen von Pfeifenräumern hatten und insofern eine Ergänzung der Spucknäpfe sein konnten. „Das sind königlich hannoversche gefüllte kupferne Fric- Werner tionsschlagröhren nach amerikanischem Modell,“ erklärte Woll- weber. „Sie sind mir sehr antipathisch, denn ich liebe Kürze und ihr Verzeichnen im Hauptbuche beansprucht stets drei ganze Zeilen. Nach der Autorität meines artilleristischen ad latus Bassermann werden sie zum Abfeuern der Kanonen gebraucht. Er hat mir auch gezeigt, wie man sie zur Explosion bringt, und nach dem Frühstück wollen wir einige derselben zur Er- weiterung unserer artilleristischen Kenntnisse abfeuern.“ Hiernach gelangte Wollweber an eine wolverschlossene Kiste. Er öffnete sie sehr behutsam und enthüllte einen darin enthaltenen und in Werg verpackten Gegenstand. Es war eine viereckige Messingplatte mit Gradeintheilung und beweglichem Zeiger. „Was ist dies, verehrter Herr Kamerad? Merken Sie sich’s,“ fuhr er in feierlichem Tone fort, als Albert kopfschüttelnd schwieg, „das ist der wichtigste Gegenstand in der ganzen Ar- tillerie. Es ist ein Pendelquadrant! Zwar sind mir seine Functionen bis jetzt noch nicht ganz klar, aber infolge von Bassermann’s Mittheilungen habe ich eine solche Hochachtung davor bekommen, daß ich stets salutirend an die Mütze greife, wenn in meiner Gegenwart das Wort „Pendelquadrant“ aus- gesprochen wird.“ Wollweber salutirte, Albert folgte seinem Beispiele und beide kamen überein, daß der „Pendelquadrant“ in Zukunft den „nicht zur Zunft gehörigen“ Besuchern des Arsenals nur unter der Bedingung gezeigt werden sollte, wenn sie zuvor ihr Haupt entblößten. Indiscrete Fragen aber nach der eigentlichen Natur des merkwürdigen Gegenstandes sollten ebenso wie die nach andern Dingen, deren Erklärung mehr Kenntniß erforderte, als die beiden Arsenalvorstände besaßen, mit der Antwort „Geheim- niß“ abgewehrt werden. Nach dem Pendelquadranten kamen die verschiedenen Schiffshandwaffen, als Entersäbel, Enterbeile und Enterpiken Ernstes und Heiteres an die Reihe. Sie bedurften keiner längeren Erklärung, doch machten Wollweber und Albert mit ersteren einige Gänge und gelangten beide bei dieser Gelegenheit zu der befriedigenden Ge- wißheit, daß sie sich doch nicht ganz umsonst auf deutschen Hoch- schulen aufgehalten hatten. Die etwas ungewohnte Bewegung hatte den Appetit ge- reizt und nach Stärkung durch ein solides Frühstück und dem Abfeuern einiger Schlagröhren wurde die Belehrung fortgesetzt. In Anbetracht der guten Cigarren, welche sich noch in den Taschen vorfanden, beschloß man jedoch, das Placat wegen „Nichtrauchens“ noch einige Tage auszusetzen. Es kam jetzt der wichtigste Punkt zur Verhandlung, die Einweihung in die Geheimnisse des ominösen Hauptbuches, das bereits mehrmals erwähnt war und für Albert fortan an die Stelle des Corpus juris treten sollte. „Auf eine gute Führung des Hauptbuches, verehrter Herr Kamerad,“ begann Wollweber, „kommt sehr viel an, mehr als Sie denken. Hätte ich früher diesem Grundsatze gehuldigt, würde ich jetzt nicht in diesem ungeheizten Arsenale zu frieren brauchen, obwol ich sonst ganz gern hier bin. Ich habe es mir deshalb zur Aufgabe gemacht, dieses wichtige Buch wirklich gut zu führen, aber gleichzeitig dabei auch practisch zu verfahren. Wie ich schon andeutete, ist mein Motto „Einfachheit und Kürze“ und ich habe es auch hier zur Anwendung gebracht. Sehen Sie,“ fuhr er fort, indem er das Hauptbuch aufschlug, „etwas Einfacheres kann es kaum geben. Hier steht die Ein- nahme, alles dicht beisammen, ungeheuer übersichtlich!“ „In der That! sehr einfach und übersichtlich,“ bestätigte anerkennend Albert, „und die Ausgabe?“ Mit großer Gewandtheit warf Wollweber das Buch wie einen auf einer Seite gebackenen Eierkuchen in der Luft herum und schlug die Rückseite auf. „Hier steht die Ausgabe!“ zeigte er triumphirend. Werner „Ich mache Ihnen mein Compliment über diese practische Einrichtung,“ äußerte Albert bewundernd; „das haben Sie ge- wiß in Amerika gelernt.“ „Keineswegs,“ erwiderte Wollweber. „Es ist mir im Gegentheil gar nicht gut bekommen, daß ich dort kein Haupt- buch führte. Vor fünfzehn Jahren ging ich mit zwei Lands- leuten, gleich mir ehemaligen Studenten, nach Amerika und wir kauften uns in Wisconsin eine Farm. Anfangs verlief alles vortrefflich. Wir waren bald Herren eines Grundbesitzes, fast so groß, wie ihn mancher kleine Fürst in Deutschland hat. Doch wir lebten sehr flott und gaben mehr aus, als wir einnahmen; die Herrlichkeit nahm ein Ende und bald besaßen wir nichts mehr als das nackte Leben. „Wie kam das? Wir hatten kein Hauptbuch geführt! „Jeder von uns ging nun seiner Wege. Ich wurde Musik- lehrer in Boston und fand auch mein reichliches Auskommen. Da ich aber als solcher durch meine Schülerinnen der fort- währenden Verführung zum Heirathen ausgesetzt war und ich ein abgesagter Feind des ehelichen Joches bin, verzichtete ich auf meinen neuen Erwerbszweig und begab mich nach dem Süden. Obwol ich mit Unterrichtgeben und Concerten glän- zende Geschäfte gemacht, waren mir dennoch nur wenige Hundert Dollars übrig geblieben. „Wie kam das? Ich hatte kein Hauptbuch geführt! „In New-Orleans machte mir ein Amerikaner den Vor- schlag, mit ihm eine Seifenfabrik zu etabliren. Wir gewannen und verloren abwechselnd. Eines Nachts — wir hatten kurz zuvor grade sehr gute Geschäfte gemacht — brannte die Fabrik mit allen ihren Vorräthen ab. Das vorhandene Geld steckte mein Compagnon zu sich und behauptete, es sei sein Antheil. Ich verklagte ihn, wurde aber mit meiner Klage abgewiesen. „Weshalb? Wir hatten kein Hauptbuch geführt. „Aus dieser kurzen Skizze mögen Sie, verehrter Herr Ernstes und Heiteres Kamerad, entnehmen, wie wichtig ein solches Hauptbuch für unser Leben ist und ich habe deshalb das unsere so practisch eingerichtet.“ „Sehnen Sie sich aber trotzdem nicht nach Amerika zurück, das in der langen Zeit doch Ihr zweites Vaterland geworden?“ fragte Albert. „Nein,“ lautete die Antwort, „es gefällt mir in Deutsch- land doch besser und auch meine jetzige Stellung sagt mir zu. Nur eins kränkt mich tief,“ fügte er mit einem Seufzer hinzu, von dem man nicht wußte, ob er ernst oder komisch gemeint war. „Und darf ich fragen, was das ist?“ bemerkte sein Assi- stent theilnehmend. „Daß Herr von Bismarck-Schönhausen es bis zum Ge- sandten gebracht hat, während derselbe in Göttingen beim Corps der Hannoveraner doch nur mein Leibfuchs war. Wahrschein- lich hat er stets ein Hauptbuch geführt,“ setzte er als Trost für sich hinzu. Albert blieb noch einige Monate unter Wollwebers Aegide im Arsenal. Dann wurde er als Schiffszahlmeister geeignet befunden, zuerst auf eine der kleineren Corvetten und dann auf das Flaggschiff commandirt. Lust und natürliche Anlagen entwickelten schnell bei ihm ein nicht gewöhnliches Verwaltungs- talent, und wenn er später auch Einnahme und Ausgabe etwas anders gruppirte als im Hauptbuche des Arsenals, gedachte er doch stets dankbar seines welterfahrenen Vorgesetzten, aus dessen Lehren er so manches profitirt hatte. An Bord unseres Schiffes zeigte er sich als ein ebenso umsichtiger und practischer Beamter, wie als liebenswürdiger und überall gern gesehener Kamerad. Werner 2. In der Officiermesse. In dem hinteren Theile des Schiffes, je nachdem dasselbe nur über oder auch unter Deck Geschütze führt — auf dem ersten oder zweiten Deck, liegt der gemeinsame Wohnraum für die Officiere, die Officiersmesse oder auch einfach Messe ge- nannt. In damaligen Zeiten, bei Gründung der Flotte, war sie ein schmuckloser, gewöhnlich weiß gestrichener viereckiger Raum ohne weiteren Comfort. Ein Eßtisch und die nothwendige Anzahl Stühle, beide handfest und lediglich nach dem Nützlich- keitsprincipe gebaut, bildeten das ganze Mobiliar, zu dem sich vielleicht noch einige Bilder in bescheidenen Goldleistenrahmen gesellten, wenn der mit Führung der Menage betraute Officier, der Messevorstand, gut wirthschaftete und kleine Ueberschüsse aus den Tafelgeldern erzielte, welche die Kosten für solche Zierrathen decken konnten. Das passirte jedoch selten und nur wenn routi- nirte Zahlmeister Messevorstände waren; die Seeofficiere machten nach dieser Richtung gewöhnlich Fiasko. Trotz Milchsuppe, Fisch und Kohlsalat, die aus Sparsamkeit öfter das alleinige Menü bilde- ten, meldete sich doch am letzten des Monats häufig ein Defi- cit und trug dem ungewandten Haushalter unliebsame Bemer- kungen und meistens mit Einstimmigkeit ausgesprochene feierliche Absetzung von seinem Vertrauensposten ein. Ihr Licht empfängt die Messe von oben, da sie an den Seiten von den Kammern der Officiere umgeben wird. Diese Kammern sind Räume von durchschnittlich zwei Meter Länge und etwas mehr Tiefe. Wenn die Bauart des Schiffes es gestattet, giebt man ihnen Seitenfenster und auf den neueren, namentlich auf den Panzerschiffen, sind jene so groß, daß der Bewohner hinlänglich Luft und Licht hat, um so mehr, als hier auch die Höhe der Kammern 2½ bis 3 Meter beträgt. Vor dreißig Jahren kannte man jedoch solchen Luxus noch nicht und glaubte weniger anspruchsvoll sein zu müssen. Die Ernstes und Heiteres Kammern waren niedrige, dunkle, schlecht ventilirte Räume, in denen man auf kleineren Schiffen sich nur gebückt bewegen konnte und wo man auch zur Mittagszeit Licht brennen mußte, um zu lesen oder zu schreiben. Vielfach hatten sie nicht einmal Seitenfenster, sondern nur ein in das Deck eingelassenes Glas- prisma, durch welches ein matter Lichtschimmer fiel. Waren erstere auf Fregatten und größeren Corvetten vorhanden, so be- standen sie aus runden dicken Glaslinsen von zehn bis zwölf Centimeter Durchmesser, die in Metallrahmen befestigt sich öffnen und schließen ließen. Im Hafen war es gestattet, sie offen zu lassen, sobald aber das Schiff in See ging, durften sie Nachts nie und am Tage nur mit specieller Erlaubniß des Comman- danten oder ersten Officiers bei sehr schönem Wetter und ruhiger See geöffnet werden. Ihre niedrige Lage über der Wasserfläche ließ die Gefahr befürchten, daß bei Bewegungen des Schiffes Wasser durch sie einströmte und man war deshalb für ihren so- wie für den rechtzeitigen Verschluß der unteren Geschützpforten auf Fregatten und Linienschiffen ängstlich besorgt. Eine Ver- nachlässigung dieser Vorsicht hat mehrfach furchtbares Unglück herbeigeführt, so z. B. bei dem englischen Segellinienschiffe „Royal George“. Dasselbe sollte auf eine mehrjährige See- reise ausgehen und lag auf der Rhede von Portsmouth zu Anker. Um ein kleines Leck zu dichten, war das Schiff von den Zimmerleuten etwas nach der einen Seite übergeholt worden. Da stieg eine Gewitterbö auf; ein plötzlicher Windstoß legte das Schiff nach jener Seite über, die unbefestigten Geschütze rollten nach Lee, wodurch sich das Fahrzeug noch mehr neigte; das Wasser stürzte durch die offenstehenden Unterpforten in die inneren Räume, in wenigen Minuten kenterte das mächtige Schiff, sank auf den Grund und von seiner 900 Mann starken Besatzung wurde kaum der zwanzigste Theil gerettet, während auch noch gegen 300 Frauen und Kinder, Angehörige der Mannschaft, die den Ihrigen ein letztes Lebewol sagen wollten Werner und deshalb an Bord gekommen waren, in den Fluthen ihren Tod fanden. Dasselbe furchtbare Schicksal ereilte vor 25 Jahren ein russisches Linienschiff in der Ostsee. Es befand sich unter Segel, als es von einer heftigen Bö überrascht wurde und sich infolge dessen stark überlegte. Der wachehabende Officier hatte nicht nur versäumt, zeitig die Segel zu bergen, sondern auch die Unterpforten schließen zu lassen und das unglückliche Schiff verschwand mit seiner gesammten Besatzung in den Fluthen. Einige in der Nähe segelnde Kauffarteischiffe eilten so schnell wie möglich zur Unglücksstätte, konnten aber nur noch drei Mann retten. In den Officierkammern der nicht sehr großen Schiffe herrscht im Allgemeinen nicht viel mehr Comfort, als in der Messe. Schon der beschränkte Raum schließt diesen Begriff aus. Die eingebaute Coje, ein Waschtisch, eine Kommode, ein Bücher- brett und vielleicht in einer günstigen Ecke eine Art Kleider- schrank, sowie ein Feldstuhl lassen oft nur so viel Platz, daß der Inhaber sich mit Noth bewegen kann; hat er einen Kame- raden zum Besuch, so muß Einer auf der Coje sitzen. Und doch, trotz der Beschränktheit, des Halbdunkels und der dumpfen Luft — wie glücklich ist der Seeofficier, nament- lich auf längeren Reisen, eine Kammer zu besitzen. Wie lieb und werth wird ihm oft das bescheidene Plätzchen, das er sein eigen nennen darf, wohin er sich in den spärlichen Freistunden, die der so viel fordernde Dienst ihm läßt, zurückziehen, wo er ein Buch lesen, einen Brief schreiben oder auch nur ungestört seinen Gedanken nachhängen kann. Bei Commandirung eines Officiercorps an Bord eines Schiffes ist es in den meisten Fällen nicht möglich, Rücksicht darauf zu nehmen, ob auch die Persönlichkeiten zu einander passen, da die dienstlichen Anforde- rungen in erster Reihe maßgebend sind. Wie leicht kann es dann aber geschehen und wie oft tritt der Fall in Wirklichkeit Ernstes und Heiteres ein, daß die einzelnen Charactere durchaus nicht zu einander stimmen. In einem Regimente oder Bataillon kommen solche Ver- hältnisse weniger in Betracht; dort kann Einer dem Andern aus dem Wege gehen; nach Beendigung des Dienstes ist jeder Landofficier sein eigener Herr. Er hat seine bequeme Wohnung, seine Familie, Gesellschaften, Theater, einen Spaziergang in Wald und Feld oder andere Genüsse, die ihm Erholung von den Anstrengungen des Dienstes bieten, durch die er die em- pfangenen unangenehmen Eindrücke von sich abstreifen und sich die Elasticität seines Geistes bewahren kann. Wie viel un- günstiger ist dagegen der Seeofficier gestellt! Für Jahre wird er mit Kameraden, die ihm vielleicht antipathisch sind, auf den- selben kleinen Raum beschränkt. Er kann ihnen nicht entfliehen, er ist gezwungen, sie fast immer zu sehen, er muß mit ihnen an demselben Tische speisen, Luft, Licht, Schlimmes und Gutes mit ihnen theilen. Keinerlei Zerstreuung zieht seine Gedanken ab, kein freudiges Ereigniß muntert ihn auf — Himmel, Wasser, die Bordwände und der Dienst sind seine Gesellschafter und ein- zigen Begleiter. So ist es denn natürlich, daß seine Stimmung von Tage zu Tage trüber wird, daß erbärmliche Kleinigkeiten, über die der Mensch in normalen Verhältnissen leicht und gleich- gültig hinweggeht, ihn reizen und bohrende Gedanken veranlassen. Dann ist es die Kammer, in deren Einsamkeit er Zuflucht vor sich selbst sucht, die er zur Vertrauten des an ihm nagen- den Kummers macht und die ihm Trost spendet. Dort kann er die Maske abwerfen, die er draußen zu tragen genöthigt ist und seinen Gefühlen freien Lauf lassen — ja dann ist der kleine enge Raum ein Schatz, dessen Werth nicht hoch genug veranschlagt werden kann, das Paradies, in dem er die traurige Gegenwart vergessen und träumen darf, träumen von der Ver- gangenheit, deren schöne Erinnerungen milden Balsam auf sein wundes Herz träufeln, träumen von der Zukunft, die ihm im Werner Kreise seiner Lieben reiche Entschädigung verspricht und aus den trauten Bildern, die vor seiner Seele vorüberziehen, schöpft er frischen Muth. Es giebt nicht viel Schiffe, auf denen das Zusammenleben in der Messe nicht mehr oder minder durch solche Verhältnisse beeinträchtigt würde, wenn die Reisen mehrere Jahre dauern. Leider muß man den Grund in der Schwäche des menschlichen Characters selbst suchen und darf es als einen besonderen Glücks- fall bezeichnen, wenn die Harmonie bis zum letzten Augenblicke ungestört bleibt. Sehr viel freilich können zu ihrer Aufrechterhal- tung der Commandant und der erste Officier beitragen. Letzterer lebt mit in der Messe, und wenn er beobachtet, kann er leicht den Anlässen auf die Spur kommen, welche den ersten Grund zu den Zerwürfnissen legen. Meistens sind sie so geringfügiger Natur, daß ein gutes Wort zur richtigen Zeit, ein Scherz, eine freundliche Mahnung sie spurlos verwischen würden, während sonst, bei der gereizten Stimmung der Gemüther, leicht die Hydra der Zwietracht aus ihnen erwächst und sie sich zur Quelle stets intensiver werdenden Zornes und Hasses gestalten. Der erste Officier ist aber vor Allen die geeignetste Persönlichkeit, um es nicht so weit kommen zu lassen. Er hat das Recht und die Verpflichtung dazu; er steht über den Parteien und kann ver- möge seiner Stellung, viel eher als jeder Andere, vermittelnd, beschwichtigend und ausgleichend eintreten und in Verbindung mit richtigem Tactgefühl seine Autorität nach dieser Richtung hin in wolthätiger Weise zur Geltung bringen. In noch höherem Grade aber wird das Leben in der Messe und überhaupt an Bord durch den Commandanten bedingt. Dieser hat es in der Hand, Allen den Aufenthalt auf dem Schiffe lieb und angenehm zu machen und dadurch am meisten zur Fernhaltung von Zerwürfnissen beizutragen, indem er nicht nur selbst, soweit dies die eigentlichen Schiffsverhältnisse gestatten, mit den Officieren in kameradschaftlicher Weise verkehrt, sondern Ernstes und Heiteres ihnen auch das Leben auf jede Weise erleichtert und freundlich gestaltet. Leider ist das nicht immer der Fall; es giebt Schiffs- commandanten, die in Folge unrichtiger Auffassung ihrer Stel- lung oder tadelnswerther Charactereigenschaften ihr Schiff für Jeden unleidlich machen können, weil sie die ihnen verliehene große Macht, die nicht mit Unrecht öfter mit der eines absoluten Herrschers verglichen wird, mißbrauchen, wenngleich ihnen keine Ueberschreitung ihrer weitgehenden Befugnisse nachzuweisen ist. Niemand kann einem Commandanten etwas anhaben, wenn er unter Berufung auf irgend welche dienstliche Gründe Officieren und Mannschaften den Urlaub verweigert oder so beschränkt, daß es einem Verbote gleichkommt, wenn er die Exercitien so weit treibt, daß sie zur Tortur werden, wenn er die Besatzung ohne zwingende Ursache auf scharfe Wasserration setzt, so daß die lechzende Zunge am Gaumen klebt, wenn er seinen Unter- gebenen die geringen Freuden, welche ihnen ihr schwerer Beruf gewährt, vergällt und vergiftet. Glücklicher Weise sind derartige Charactere selten, aber es hat deren gegeben und Lavandelle in seinem „Vie navale“ er- zählt von einem solchen, der seinen Untergebenen das Schiff zur wahren Hölle machte, sie zur Verzweiflung trieb und da- durch für sich und sie ein furchtbares, tragisches Schicksal her- aufbeschwor. Es war dies der Commandant einer französischen Kriegs- brigg, mit der er im Jahre 1836 auf zwei Jahre nach der Antillenstation ging, eine jener niedrigen Seelen, deren Gemein- heit und Niedertracht sich in ihrem wahren Lichte erst zeigt, wenn sie glauben, die Macht in Händen zu haben. So lange er Subalternofficier war, schmeichelte er Jedem, von dem er irgendwie Vortheile erhoffte, und namentlich den Vorgesetzten. Vorwürfe nahm er von ihnen wie eine Gunst entgegen, Grob- heiten und Ungerechtigkeiten mit sanftem Lächeln. Er suchte sich einen hohen Beschützer aus, dessen verdammte Seele er spielte, Werner er übersprang Kameraden, weil er kriechen konnte, erhielt Decorationen als Pflaster für hingenommene Beleidigungen und endlich das Commando der Brigg als Belohnung für Speichel- leckerei. Sein Ziel war erreicht; er streifte die Maske ab, warf seinen bespuckten Rock hinter sich und zeigte sein wahres Gesicht, das nicht erröthen konnte, weil es keine Scham mehr kannte. Seine Kameraden von gestern, heute seine Untergebenen, wurden seine Opfer. Sie hatten seine Natur erkannt, es bis dahin unter ihrer Würde gehalten, ihm die Hand zu reichen, an Bord ihn unter Quarantäne gestellt und seinen Namen nur mit einem verächtlichen Achselzucken genannt. Er hatte alles gefühlt, aber mit lächelndem Munde auf seine Zeit gewartet; jetzt endlich war sie gekommen und fortan wurde Rache die Triebfeder aller seiner Handlungen. Die Brigg hatte zwei Jahre auf der Station in West- indien gelegen, und diese ganze Zeit war für die Besatzung nur ein hartes Gefängniß, eine ununterbrochene geistige und körper- liche Quälerei gewesen. Der Kapitän wohnte am Lande, aber übte von dort seine Gewalt über die Untergebenen aus; er hatte an Bord seine Spione, die ihm alles hinterbrachten. Fast täglich erschienen Befehle, die die härteste Tyrannei übten, aber befolgt werden mußten, weil sie die dienstlichen Schranken inne hielten, und so wurden hundert Menschen durch einen unsichtbaren Ver- folger allmälig zur Verzweiflung getrieben. Die Brigg war 1½ Meilen vom Ufer verankert, Niemand erhielt Urlaub und nur Einzelne kamen an’s Land, wenn der Dienst es durchaus erforderte. Tödtlicher Haß gegen den Peiniger erwuchs in den Herzen der Officiere und Mannschaften; er wurde nicht aus- gesprochen, aber desto glühender flammte er in der verschlossenen Brust und drohte sie zu sprengen. Endlich erscheint der Tag der Heimkehr und der Kapitän kommt mit heiterer Miene an Bord. Seine Mission ist beendet, Ernstes und Heiteres ein höherer Grad erwartet ihn bei seiner Rückkehr. Auf den bleichen und abgezehrten Gesichtern der Mannschaft zeigt sich jedoch kein Freudenstrahl, obwol es heimwärts geht; unheilver- heißender Ernst lagert auf ihren Zügen und finstere Wuth zieht ihr Herz krampfhaft zusammen als sie lautlos um das Gang- spill marschiren, um den Anker zu lichten. Der Kapitän liest eine unbestimmte Drohung in ihren Mienen und es wird ihm unheimlich zu Muthe. Er sucht mit den Officieren ein Ge- spräch anzuknüpfen, doch vergebens; sie befolgen nur stumm die erhaltenen Befehle, sonst weichen sie ihm scheu aus, wie dem bösen Feind. Im Bahamacanal steigt eine Bö auf, eine von jenen, die der Schrecken der Seefahrer sind und den Orkan in ihrem Schooße tragen. Der Officier der Wache benachrichtigt den Kapitän von der nahenden Gefahr; er kommt an Deck und ertheilt den Befehl, Segel zu kürzen. Der Officier läßt „Alle Mann“ aufpfeifen und wiederholt das erhaltene Commando, doch die Ausführung unterbleibt. Stumm und drohend steht die Mannschaft auf dem Vorderdeck, der Bootsmann wirft seine Signalpfeife über Bord, reißt sich die Abzeichen von der Jacke und stellt sich schweigend an das Bugspriet. Die Bande der Disciplin sind gesprengt und der Gehorsam ist gekündigt, wäh- rend der Sturm heulend über das Wasser daherfährt. „Gei auf Marssegel,“ ruft der erschreckte Kapitän, indem Leichenblässe sein Gesicht überzieht; er fühlt, daß die Nemesis naht. „Wir werden die Segel nicht fortnehmen,“ erwidern hundert Stimmen zugleich. „Holen Sie Ihre Waffen!“ wendet sich der Kapitän zu den Officieren, „das ist Meuterei!“ Der Angstschweiß perlt dem Feigling von der Stirn. Die Angeredeten ziehen sich nach dem Hinterdeck zurück; nur der Wachehabende bleibt auf der Commandobank; sein glanzloses Auge blickt dem Sturme entgegen, der pfeifend und R. Werner , Erinnerungen. 17 Werner brausend hereinbricht und das Schiff durch die Wellen peitscht, die von allen Seiten es zu verschlingen drohen. Einige wenige Nichtseeleute und Matrosen begeben sich zum Kapitän auf das Hinterdeck. „Was sollen wir machen,“ sprechen sie mit schlotternden Knieen zu ihm, „wir werden untergehen!“ „Nieder mit den Spionen!“ ruft die Mannschaft, „wir wollen sterben.“ Der Kapitän steht bleich und zitternd; er nimmt dem Officier der Wache das Sprachrohr ab, er hofft noch auf Wiederkehr der Ordnung, wenn er selbst commandirt; aber die Antwort der Mannschaft ist nur höhnisches Lachen, das sich mit dem Grollen des Sturmes mischt. Dann verschwindet auf eine Minute Alles im dampfenden Gischt; die Brigg scheint unter- zugehen, sie legt sich auf die Seite und die See bricht dar- über fort. „Kappt die Masten um Gottes Willen!“ tönt es heiser aus der Brust des Kapitäns hervor. Seine Spione wollen hinunter und Beile holen, doch die Mannschaft treibt sie von den Luken zurück. „Wir wollen sterben und er soll mit uns gehen,“ ruft es wieder vorn, und die Officiere bewahren ein düsteres Schweigen. Da kracht es, die Bemastung geht über Bord; die Brigg richtet sich wieder auf, aber jetzt rammen die Masten gegen die Bordwände und drohen Löcher zu brechen. „Ich verspreche Euch Allen Begnadigung, ich schwöre es auf meine Ehre!“ bittet der Kapitän in höchster Angst, „aber kappt die Taue!“ „Deine Ehre? Ha, wer glaubt daran?“ höhnen die Matrosen. Der Kapitän fleht, wüthet und droht; die Mannschaft schwelgt im Gefühl befriedigter Rache, aber es genügt ihr nicht mehr, aus Haß gegen einen verabscheuten Vorgesetzten Schiff Ernstes und Heiteres und Leben zu verlieren; sie will mehr, sie lechzt nach Blut und dringt in drohender Haltung zum Hinterdeck. „Du mußt sterben, Hyäne!“ zischt es in sein Ohr, „sterben mit uns, aber Du zuerst und mit Dir Deine Spione.“ „Zu Hülfe, meine Herren Officiere, zu Hülfe! ich gelobe Ihnen meine Fürsprache, Beförderung, Orden“ — die Angst er- stickt seine Stimme — aber die Officiere verhalten sich schweigend wie bisher; nur der erste Officier begiebt sich in das Zwischen- deck hinunter. Der Kapitän glaubt, er wolle Waffen holen; ein schwacher Hoffnungsschimmer leuchtet auf dem verzerrten Ge- sicht, doch vergebens harrt er auf die Rückkehr. Die Sturzseen überfluthen inzwischen das Deck, der Orkan heult und das Schiff erzittert unter den heftigen Stößen der gebrochenen Masten gegen Bug und Seite. Mit diesen Schrecken mischt sich der Angstschrei von Menschen; es sind die Spione des Kapitäns, die Mannschaft hat sich ihrer bemächtigt, ihnen die Kleider vom Leibe gerissen und peitscht sie erbarmungslos. Blutgieriger Wahnsinn leuchtet aus den Augen der Matrosen, die Officiere schauen gleichgültig der furchtbaren Vergeltung zu; der Kapitän bricht in die Kniee und fleht um Gnade. In diesem Augenblicke öffnet der erste Officier die Thür zur Pulverkammer; ein Blitz und Donner wie von hundert Ge- wittern und das Schiff fliegt zerschellt in die Lüfte — Opfer und Henker werden von den Wellen verschlungen. Die Bö ist vorüber, der Sturm schweigt, die aufgeregten Wogen glätten sich und die Sonne sendet wieder friedlich ihre leuchtenden Strahlen zum blauen Ocean hernieder. Eine Stunde später passirt ein amerikanisches Schiff die Stelle, wo das Grausige sich vollzogen. Auf einer zerbrochenen Spiere treibt der einzig Ueber- lebende der erschütternden Katastrophe und wird von den Ameri- kanern aufgenommen; es ist ein Schiffsjunge, halbtodt und mit schweren Brandwunden bedeckt. Er erzählte den Zusammenhang, aber am andern Tage war auch er seinen Leiden erlegen. 17* Werner Ziehen wir einen Schleier über das düstere Bild, das glücklicher Weise in der Geschichte der Marine vereinzelt da- steht und wenden wir uns freundlicheren Scenen zu, wie sie z. B. die Officiersmesse des „Barbarossa“ bot. Abgesehen da- von, daß das Stillliegen der Schiffe im Hafen dem Einzelnen gestattet hätte, unerquicklichen Reibungen aus dem Wege zu gehen, standen die Messemitglieder trotz der großen Verschieden- heit des Characters, der Lebensanschauungen und des Bildungs- grades auf einem sehr guten kameradschaftlichen Fuße und es herrschte ein sehr gemüthlicher Ton an Bord. Das hauptsäch- lich belebende Element war Fähnrich Mathy. Er hatte ein sehr gewandtes Wesen, besaß Humor und verband damit ein großes Erzählertalent, das die Unterhaltung selten in’s Stocken gerathen ließ. Er war ziemlich viel in der Welt umhergekommen und wußte bei jeder Gelegenheit irgend ein Erlebniß anzu- knüpfen, von dem es nur zweifelhaft blieb, ob er es selbst er- lebt, adoptirt oder ganz oder theilweise erfunden hatte. Dabei nahm er es jedoch keineswegs übel, wenn man bisweilen in seine Erzählungen leisen Zweifel setzte, sondern tröstete sich damit, daß er die Lacher stets auf seiner Seite hatte. Ein ähnlicher Character, wenigstens was das Erzählen an- betraf, war Fähnrich Frank, nur waren seine Geschichten weniger interessant als lang und behandelten vorzugsweise Spukthemata. Wehe dem Unglücklichen, der diesen Erzählungen zum Opfer fiel; unter zwei bis drei Stunden kamen sie nicht zu Ende und unter den Nebenumständen ging überdies regelmäßig die Pointe verloren. An ein Entkommen war gar nicht zu denken, wenn man sich mit ihm allein befand und Lieutenant W., der mit Frank zusammen die Wache hatte, mußte schwer darunter leiden. Keine Unterbrechung half; nach Beseitigung einer Störung setzte Frank genau wieder bei den Worten ein, mit denen er aufgehört, bis der Lieutenant sich in sein Schicksal ergab und ihn zu Ende sprechen ließ. Ernstes und Heiteres Nur in der Messe gelang es ihm sehr selten, zu Worte zu kommen. Mathy’s Suade gegenüber war er machtlos und dieser kappte regelmäßig Frank’s langen Faden so oft, bis dieser es aufgab, ihn weiter zu spinnen und sich verdrießlich in seine Kammer zurückzog. Gewöhnlich gelang es ihm jedoch, Mr. Roberts, den englischen Maschineningenieur, mit sich zu bug- siren und ihn zu einem Glase Grog einzuladen. Mr. Roberts war ein dankbarer Zuhörer; er verstand zwar kein Deutsch, da Jeder mit ihm englisch sprach, aber dies hielt ihn nicht ab, den Gesprächen der Uebrigen in der Messe mit größter Aufmerk- samkeit zu lauschen und dann und wann den bewundernden Ausruf „how funny“ — wie komisch! dazwischen zu werfen. Als Frank’s Gast hatte er den doppelten Genuß, dessen Spuk- geschichten in Englisch anzuhören, wodurch sie noch länger wurden und dazu bei einem steifen Grog zu sitzen; was von beiden ihm besser gefiel, blieb unentschieden. Eine tonangebende Persönlichkeit war auch der Arzt des Schiffes, Dr. Altmanns, ein Süddeutscher von quecksilberner Be- weglichkeit. Dem militärischen Range nach war er als Marine- arzt II. Classe der Aelteste der Messe und von Anfang an mit Erfolg bestrebt gewesen, diesen Standpunkt zur Geltung zu bringen. Er war ein starker Dialectiker und geistig sehr ge- wandt. Die Seeofficiere waren ihm in dieser Richtung nicht gewachsen, er sprach sie im Wortkampf sehr bald todt und hatte dadurch so ziemlich die Alleinherrschaft an sich gerissen. Eines Tages war diese Herrschaft aber erschüttert worden, die Autori- tät hatte einige arge Stöße erlitten und der Doctor hielt sich infolge dessen etwas mehr im Hintergrunde. Bei einer sonst liebenswürdigen Außenseite, die den Ver- kehr mit ihm erleichterte, hatte Altmanns einige Schwächen, die seinen Kameraden eine Handhabe boten, sich für die in den Wortgefechten stets erlittenen Niederlagen zu rächen. Er war ziemlich eitel, und nicht nur auf seine vermeintliche geistige Ueber- Werner legenheit, sondern auch auf seine Person, namentlich aber auf seine wirklich sehr kleinen und zarten Hände, die er deshalb auch mit besonderer Sorgfalt pflegte. Sie und die Epauletten mit den glänzenden goldenen Troddeln trug er gar zu gern zur Schau und ging deshalb viel an Land. Selten versäumte er einen Ball, machte allen hübschen Mädchen den Hof, tanzte sehr flott und hielt tapfer bis zuletzt aus, so daß er dann erst spät Nachts an Bord zurückkehrte. Auf diesen Umstand hin war ihm ein unangenehmer Streich gespielt worden. Bei der Rückkunft in einer bitterkalten Winternacht fand er zu seinem Schrecken in seiner Coje sechs 68pfündige Kugeln fein säuberlich in eine Reihe gelegt. Vergebens gab er sich die erdenklichste Mühe, sie herauszuheben. Seine schönen und sorg- sam gepflegten Hände waren nicht im Staude, die Kolosse zu umspannen und hartnäckig entglitten die letzteren bei jedem Ver- suche. Jemand von der Wache um Hülfe zu bitten, wagte der Doctor nicht, aus Besorgniß, am nächsten Tage der allgemeine Gegenstand kaustischen Matrosenwitzes zu werden; seinen treuen Burschen konnte er nicht wecken, da er dessen Hängematten- nummer im Zwischendeck nicht kannte, und so blieb ihm nichts übrig, als den Rest der Nacht auf einem Stuhle zuzubringen. Ofen hatten die Kammern nicht; wollten die Inhaber sich ein- mal auf eine Viertelstunde die Illusion behaglicher Wärme gönnen, dann wurde in der Küche eine 32-Pfünder-Kugel glühend gemacht, in einen mit Sand gefüllten Eimer gelegt und damit ein Ofen improvisirt. Doch Nachts brannte kein Feuer in der Küche, und so ließen Aerger und Kälte den Doctor kein Auge schließen, bis endlich mit der Reveille der treue Bursche erschien und ihn aus der fatalen Situation befreite. Kurze Zeit darauf wurde seine Eitelkeit jedoch noch em- pfindlicher bestraft. Ein Messevorstand an Bord hat eine schlimme Stellung; er muß sehr geduldig sein, um sich durch die stets geübte Kritik der übrigen Kameraden nicht den Appe- Ernstes und Heiteres tit verderben zu lassen und fährt nur dann gut, wenn er sich an nichts kehrt, sondern lediglich das kochen läßt, was ihm selbst schmeckt. Trotzdem giebt es Ehrgeizige, die nach dieser viel- geschmähten Stellung streben, und zu ihnen gehörte auch Alt- manns. Er war einer der schärfsten Kritiker und brachte es auch endlich so weit, daß er seine eigene Wahl durchsetzte. Als sein Vorgänger ihm die vorhandenen Vorräthe übergab, fanden sich unter denselben auch mehrere Blechbüchsen, dem Anscheine nach Conserven, die zu jener Zeit sich an Bord der Schiffe einzuführen begannen. Auf die Frage nach dem Inhalte, er- hielt der Doctor die Antwort: „Grüne Erbsen; sie müssen drei Stunden in der Büchse kochen und erst kurz vor dem Anrichten geöffnet werden, dann schmecken sie aber wie frisch gepflückt.“ Der neue Messevorstand war über die Aussicht auf frisches Gemüse mitten im Winter sehr erfreut. Am nächsten Sonntag wurden mehrere Gäste zu Mittag geladen, und Altmanns gedachte, sie nicht wenig mit den Conserven zu überraschen. Er instruirte den Koch genau und machte es ihm zur Pflicht, ihn zur rich- tigen Zeit zu rufen, um selbst beim Oeffnen zugegen sein zu können. Kurz vor Tisch kam denn auch die betreffende Meldung; die Büchsen wurden aufgeschnitten, aber man denke sich des Doctors Entrüstung — die Erbsen hatten sich in Eisen ver- wandelt! Die vermeintlichen Conserven waren Kartätschbüchsen für die Salutgeschütze des „Barbarossa“. Für Spott brauchte Altmanns nicht zu sorgen; er heimste mehr als wünschenswerth davon ein, umsomehr, als auch der Rest des Diners kläglich scheiterte und die Gäste hungrig vom Tische aufstehen mußten. Um das Bestmögliche zu leisten, hatte nämlich der neue Messevorstand den Koch durch eine Flasche Madeira anzuspornen versucht, aber sie ihm unvorsichtiger Weise schon vor statt nach Tische geschickt. Die Bouillon, noch vor Einwirkung des Madeira gekocht, war ausgezeichnet. Dann aber passirte die unangenehme Geschichte mit den Kartätschen. Wäre Altmanns Werner nicht selbst so aufgeregt gewesen, hätte er schon beim Oeffnen der Büchsen die bedenkliche Weinlaune des Kochs bemerken müssen, doch so war ihm dies gänzlich entgangen. Nach Aus- fall des Zwischengerichtes setzte er seine Hoffnung auf den Reh- rücken. Er hatte ihn selbst ausgesucht, ihn drei Tage in saure Sahne legen lassen, da mußte er ja vorzüglich sein. Nach sehr langer Pause, während der der Doctor auf Nadeln saß, erschien endlich der Braten — aber o Himmel! vollständig ver- kohlt und ungenießbar. Die Gäste mußten sich mit Compot und Pickles begnügen. Altmanns war zerschmettert, sein Re- nomm é e stand auf dem Spiel, ja es war zum großen Theil schon verloren, malitiöse Bemerkungen schlugen an sein Ohr — nur der letzte Gang, der Pudding, weckte noch einen schwachen Hoffnungsschimmer. Wieder nach sehr langer Pause, in der sich die Unter- haltung nur mühsam fortschleppte, erschien er. Stolz und stattlich prangte er auf einer mächtigen Schüssel in so riesiger Größe, daß die Gesellschaft sich unbedingt daran satt essen konnte; doch die Freude war nur von kurzer Dauer und ein Blick auf das Prachtstück in der Nähe ließ den armen Messe- vorstand erbleichen. Was war das für eine sonderbare Garni- rung? Ueberall schauten verdächtige weiße Zierrathen aus der Oberfläche hervor. Der Anschnitt gab die Erklärung, aber sie war vernichtend. „Nimm vierundzwanzig ganze Eier,“ hatte in dem vom Doctor ausgesuchten Recept gestanden. Infolge des Madeira hatte der Koch doppelt gesehen und achtundvierzig gelesen, im übrigen aber die „ganzen Eier“ buchstäblich genommen und nicht nur Gelbes und Weißes, sondern auch die Schalen in den Pudding geschlagen. Das war für den armen Messevorstand ein harter Schlag, sein Debüt ein über alle Maßen trauriges gewesen. Noch am selben Abend legte er die neue Würde nieder, die dann endlich Ernstes und Heiteres in die richtigen Hände, in die des Zahlmeisters kam. Für die nächsten Monate hielt er sich aber sehr zurück und die Seeoffi- ciere hatten Aufwasser. Fähnrich Mathy, der das Artillerie- material an Bord zu verwalten hatte, war höchlich erstaunt, daß Kartätschbüchsen unter die Vorräthe der Officiersmesse gerathen waren. Er ließ die drei gekochten wieder löthen, neu anstreichen und sie, um späteren Mißverständnissen vorzubeugen, dorthin ver- stauen, wohin sie gehörten, in die Kugelracken um die Masten. An schönen Sommerabenden pflegten sich nach Beendi- gung des Dienstes die meisten Messemitglieder auf dem Ober- deck, mittschiffs, in der Nähe des Maschinenschornsteins zu versammeln, um bei einer Cigarre ein Plauderstündchen zu halten. Unten in der Messe durfte nämlich nicht geraucht werden; der Commandant betrachtete das als ein Capitalver- brechen. An Bord der Kriegsschiffe herrscht mancherlei sonder- bare Etikette, die vielfach berechtigt ist, aber aus früheren Zeiten auch eine Menge zopfigen Ballastes mit sich führt, der an und für sich keinen weiteren Sinn hat, als Unterofficieren und Mannschaften einen unnöthigen Zwang aufzulegen und ihnen dadurch das Leben zu erschweren. In neuerer Zeit hat man verständiger Weise Verschiedenes von diesem Zopf abge- schafft und dabei in Betracht gezogen, daß ein Wohlfühlen der Besatzung an Bord und Gewähren harmloser und gewohnter Genüsse viel mehr zur Aufrechterhaltung der Disciplin und eines guten Geistes beiträgt, als alle Strenge und zwecklose Etikette. Unser Kapitän vermochte die Sache jedoch nicht von diesem weiteren Gesichtspunkte aufzufassen; je weniger der alte Mann vom eigentlichen Dienste verstand, desto mehr suchte er ihn in der peinlichen Beobachtung von Aeußerlichkeiten. Das Nichtrauchen in der Messe war ihm noch aus seiner kurzen Dienstzeit vor drei Jahrzehnten als Master in der englischen Marine erinnerlich und nun ritt er es als Steckenpferd. An einem prachtvollen warmen Sommerabend saßen Offi- Werner ciere und Beamte auf dem Rauchplatze. Die Unterhaltung drehte sich um ein großes Herrenfrühstück, das der Commandant des „Ernst August“ am Tage zuvor zur Feier seines Geburts- tages an Bord seines Schiffes gegeben hatte und zu dem eine große Anzahl Gäste, wie auch verschiedene Officiere des „Barba- rossa“ eingeladen gewesen waren. Daß es dabei sehr heiter hergegangen und mancher am andern Morgen mit schmerzenden Haaren aufgewacht war, kann man sich denken, da dergleichen auch anderwärts vorkommt. Mathy war wie gewöhnlich der Vortragende; die Wunden, welche die Kartätschbüchsen und die 68-Pfünder dem Doctor Altmanns geschlagen, waren noch nicht vernarbt und er beschränkte sich auf das Zuhören. Fähnrich Frank hatte schon verschiedene Male vergebens versucht, auch zu Worte zu kommen und den Erzähler in seinem Referate zu ergänzen, allein es war ihm nicht gelungen und er rückte infolge dessen sehr unruhig mit seinem Stuhle hin und her. „So scheint also das Amüsement ein allgemeines gewesen zu sein,“ bemerkte Zahlmeister Albert. „Sicher,“ erwiderte Mathy. „Sie können es daraus ent- nehmen, daß das Frühstück netto zwölf Stunden dauerte, von ein Uhr Mittags bis ein Uhr Nachts. Es fing an Bord mit sechszig Gästen an und endete schließlich in Schillings Hotel mit sechs der tapfersten Streiter; der Verbrauch von achtzig Flaschen Champagner erklärt diesen Ausfall zur Genüge.“ Eine kurze Pause, welche Mathy machte, schien Frank eine günstige Gelegenheit zu bieten, den Zuhörern eine seiner Ge- schichten zu versetzen. „Ja,“ bekräftigte er, „es war eine solenne F ê te, wie ich sie nur noch einmal in meinem Leben mitgemacht habe. Nun, meine Herren, das war eine ganz famose Ge- schichte, die ich Ihnen doch erzählen muß. Als ich noch in Hamburg auf der Schule war . . . .“ „Aber Frank,“ unterbrach Mathy seinen Rivalen bei diesen Ernstes und Heiteres Worten, die den steten Anfang seiner „Geschichten“ bildete, „nehmen Sie mir’s nicht übel; erstens ist das schon lange her und dann haben Sie auch herzlich wenig vom gestrigen Früh- stück gesehen und können eigentlich nicht gut darüber urtheilen.“ „Wie so?“ fragte Frank in komischem Zorn. „Nun,“ erwiderte Mathy lachend, „nach dem Braten wurden Sie sentimental, beim Dessert fingen Sie an zu singen, und als wir vom Tisch aufstanden, versuchten Sie, den Adjutanten des alten Hauptmanns von Kapernaum in Brand zu stecken.“ „Was sagen Sie?“ äußerte Frank auf das Höchste er- staunt, „davon ist mir ja nicht das Geringste bekannt. Als ich in Hamburg . . . .“ „How funny!“ warf Mr. Roberts dazwischen. Er hatte die Uebrigen lachen sehen und daraus geschlossen, daß es sich um etwas Komisches handelte. Die Bemerkung verstärkte natür- lich noch die Heiterkeit und Frank stockte einen Augenblick. „Eben darum,“ fiel Mathy ein. „Sie erinnern sich der Sache nicht mehr; daran trug der Champagner Schuld und deswegen sagte ich, Sie hätten wenig vom Verlaufe gesehen.“ Frank schien die Ueberzeugung zu gewinnen, daß er heute seine Geschichte nicht an den Mann bringen würde, verschwand in seine Kammer und der getreue Mr. Roberts mit ihm. „Was war das mit dem Inbrandstecken des Lieutenant Decker?“ fragte der Zahlmeister. „Nun,“ erzählte Mathy weiter, „der Champagner war ausgezeichnet und that seine Schuldigkeit; beim Dessert wurde die Sache schon etwas bunt; die leidigen Toaste wollten kein Ende nehmen, den Meisten ging das Mundwerk mit Voll- dampf und selbst der sonst so schweigsame alte Kapitän Trasser von der „Deutschland“ kletterte auf den Tisch und hielt eine lange Rede in flämischer Sprache, von der Niemand etwas verstand. Der Marinestabsarzt und der Secretär des Admirals ge- riethen in heftigen Disput wegen ihrer Journalnummern und Werner Jeder wollte aus deren Zahl nachweisen, daß es in seinem Ressort viel mehr zu thun gebe, als in dem des andern. Der Stabsarzt behauptete, der Secretär hätte gleich mit Nr. 500 begonnen und dieser wieder warf dem Doctor vor, daß er alle Einladungs- und Visitenkarten, die bei ihm abgegeben würden, mit journalisiren lasse. Ihren Streit überschrie dann der taube Hauptmann von Kapernaum wieder. Er erzählte, daß die Jungens von Bremerhafen auf der Lünette „Fuchs“, wo das gesammte Pulver für sein Fort „Wilhelm“ lagere, ein mächtiges Johannisfeuer angezündet hätten. Wenn das in Hannover bekannt würde, so könnten wol noch drei Jahre darüber ver- gehen, bis er Major würde. Das sei aber nach 27jähriger tadelloser Dienstzeit als Hauptmann eine um so traurigere Aus- sicht, als es mit seinem Gehör, wegen dessen er bis jetzt nicht befördert sei, doch täglich entschieden besser werde. Neulich, als an seinem Geburtstage der Adjutant und der Unterofficier der Festungsbesatzung zur Gratulation gekommen, habe er schon ganz deutlich ihr Klopfen an der Thür vernommen. Wie mir jedoch Decker vor einiger Zeit mittheilte, war ihm ein Böller vor die Stubenthür gesetzt und abgefeuert worden; das hatte dann der Hauptmann für Klopfen gehalten und „Herein“ gerufen. Um diese Zeit wurde nun die Tafel aufgehoben und die Gesellschaft vertheilte sich auf dem Deck. Frank versuchte auch spazieren zu gehen, hatte aber seine Rundhölzer nicht mehr recht unter Commando, besaß etwas zu viel Topgewicht und schlingerte deshalb ziemlich stark. Aehnlich ging es dem Adjutanten und so kamen beide von einander unklar. Das gab dann eine höchst ergötzliche Scene. Frank drehte sich um, schaute den Lieutenant eine Weile mit durchbohrenden Blicken stumm an und sagte dann in dem feierlichen Tone, den Sie an ihn kennen, „Herr, Sie sind der verwerflichste Character des neunzehnten Jahrhunderts,“ und schlingerte langsam weiter auf das Vordeck zu. Der Lieute- nant drehte sich auch um und es überkam ihn ein unbestimmtes Ernstes und Heiteres Gefühl, daß er sich eine Erklärung der geäußerten Worte aus- bitten müsse. „Was wollen Sie damit sagen, Herr F — ähnrich?“ interpellirte er Frank, als es ihm gelungen war, diesen einzuholen. Dieser sah ihm wieder eine Weile starr in’s Gesicht wie vorhin und sprach in demselben feierlichen Tone: „Herr, es wäre besser für Sie, Sie wären nie geboren worden.“ Wir Umstehenden lachten natürlich laut, doch schien dies Decker nur noch mehr zu reizen. „Soll das eine Be — leidigung sein?“ stotterte er hervor. „Beleidigung?“ erwiderte Frank nach einigem Besinnen, indem sein bisheriger Ernst allmälig dem vergnügtesten Lachen wich, „nein! Ich habe nur einmal in meinem Leben einen Menschen beleidigt, als ich in Hamburg auf der Schule war, seitdem nicht wieder, am allerwenigsten aber Dich, zugeknöpfter Waffenbruder. Komm an mein Herz, dann wirst Du fühlen, wie ich Dich liebe!“ rief er dann gerührt, breitete die Arme aus und umschlang zu unserm Gaudium inbrünstig den ver- blüfften Lieutenant, der aber plötzlich aufschrie und mit Händen und Füßen arbeitete, um sich aus der Umarmung zu befreien. Wir sprangen hinzu, um zu sehen, was geschehen sei und fanden allerdings den Schrei sehr gerechtfertigt. Frank hatte in seiner Rührseligkeit die brennende Cigarre im Munde ver- gessen und diese so gegen den Hals des von ihm umfangenen Adjutanten gepreßt, daß letzterer ein tüchtiges Brandmal davon trug. Nun gab es natürlich etwas Aufregung, und wir hatten genug zu thun, um den Lieutenant zu beruhigen und ihm zu beweisen, daß nur ein unglücklicher Zufall an dem Vorgange Schuld sei. Kaum war dies gelungen, als sich eine andere merkwürdige Scene abspielte. Wir hörten plötzlich Hülferufe im Zwischendeck, als ob Jemand umgebracht würde. Ich sprang voll Besorgniß durch die Vorluke hinunter und sah dort vier Werner oder fünf Kranke mit angsterfüllten Mienen auf zwei Aerzte deuten, die im Lazareth standen. Es waren Ascheberg vom „Ernst August“ und Bell von der „Hamburg“. Letzterer hielt, wie Sie wissen, von seiner Fahrt auf holländischen Kriegsschiffen her, grundsätzlich alle kranken Matrosen für Simulanten, wenn sie nicht wenigstens ein Bein gebrochen haben. Er steht deshalb mit seinen Collegen sehr viel in Conflict, weil diese unsere deutschen Matrosen nicht mit dem Auswurf auf holländischen Schiffen auf gleiche Stufe stellen wollten. Gestern war er durch den Champagner noch mehr in seiner Ansicht bestärkt worden und hatte durch Anwendung eines neuen Heilverfahrens die Kranken so in Schrecken gesetzt. Nach Tisch forderte er Ascheberg auf, ihm seine Patienten zu zeigen, unter denen sich einige hochinter- essante Fälle befinden sollten. Beide kamen auch glücklich die Treppe hinunter bis in das Lazareth, wo die Kranken bei der großen Hitze ihre Hängematten verlassen hatten und auf den Bänken an Bord saßen oder lagen. „Wie viel hast Du heute?“ fragte Bell. „Drei innere und vier äußere,“ erwiderte Ascheberg. „So, und was fehlt diesem hier?“ examinirte Bell weiter, indem er auf einen Mann deutete, der ausgestreckt auf der Bank lag und schlief. „Febris intermittens mit bedeutender Leberanschwellung.“ „Was hast Du ihm gegeben?“ „Zwanzig Gramm Chinin.“ „Chinin?“ lallte Bell, „das w — irkt viel zu langsam, da w — eiß ich ein besseres Mittel von Holland her, das augen- blicklich hilft. Paß einmal auf.“ Dabei holte er mit der Hand aus und versetzte dem nichts ahnenden Fieberkranken einen so wuchtigen Schlag auf dessen Rücken, daß dieser pfeilschnell in die Höhe fuhr und auf den Beinen stand. Als er den Doctor zum zweiten Schlage ausholen sah, stürzte er aber hülfe- schreiend und in der Meinung, er habe es mit einem Wahn- Ernstes und Heiteres sinnigen zu thun, in das Zwischendeck und die übrigen Kranken hinter ihm her. „Siehst Du, College,“ rief Bell lachend dem ganz perplex dastehenden Ascheberg zu, „wie probat mein Mittel ist! Alles auf einmal curirt; das kenne ich von Holland her — lauter Simulanten die Kerle. Ich weiß mit ihnen umzugehen, ha, ha! alles — Si — mu — lan —“ Das letzte Wort kam nur noch in Gurgeltönen zu Tage, dann sank Bell auf die Bank, wo der Kranke gelegen, und verfiel in einen Todtenschlaf. Ein lautschallendes Gelächter veranlaßte den drastischen Erzähler, eine kleine Pause zu machen. „Was sagte denn aber Ascheberg zu dem Experiment?“ fragte Fähnrich Neuland, als wieder etwas Ruhe eintrat. „Nun er war völlig außer sich, da Sie ja wissen, wie ungemein besorgt er um seine Kranken ist, und hat Bell radical die Freundschaft gekündigt. Uebrigens hörte ich heute, daß dieser selbst von seiner gestrigen Kur sehr angegriffen ist. Sein Kapi- tän hat ihm heute Morgen deshalb in Gegenwart des ersten Officiers gerathen, acht Tage lang seine Kammer zu hüten, und zwar soll dies infolge eines Schreibens vom Admiral geschehen sein, der also wol Kenntniß von dem sonderbaren Heilverfahren erhalten haben muß.“ Der Bootsmannsmaat der Wache pfiff die Seite, und die Ankunft eines Officiers unterbrach einen Augenblick die Unter- haltung. „Ah, guten Abend Flamberg, wie geht es Ihnen? das ist nett, daß Sie sich einmal wieder sehen lassen!“ tönte es ihm von allen Seiten entgegen, und die Bewillkommnung zeigte, ein wie gern gesehener Kamerad der Neuangekommene sein mußte. Er war Lieutenant bei den Marinieren, wie damals die Seesoldaten hießen, und ein fideles Haus, dessen Humor jede gesellige Unterhaltung, an der er sich betheiligte, zu würzen Werner und zu beleben verstand. Heute jedoch lagerte ein sinnender Ernst auf seinen Zügen. „Was haben Sie, Flamberg?“ fragte der ihm speciell be- freundete Zahlmeister. „Sie machen ja ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter.“ „Lassen Sie sich nicht stören, meine Herren,“ erwiderte der Lieutenant; „es ist eine Erinnerung, die mich den ganzen Tag ernst gestimmt hat. Ich fühle das Bedürfniß, mich etwas aufzuheitern, deshalb kam ich. Ich sehe es Ihnen an, Mathy, Sie sind am Erzählen. Fahren Sie fort, ich höre zu, dann wird sich meine Stimmung wol bessern.“ „Ich machte meinen Rapport über das gestrige Fest,“ sagte dieser, „war aber ziemlich damit zu Ende gekommen, denn viel bleibt nicht mehr zu erzählen. Es wurde von der Gesellschaft noch das Theater besucht, dessen sämmtliche Plätze der Kapitän des „Ernst August“ für seine Gäste belegt hatte, und wir spielten ein wenig mit, wogegen der durch das ausverkaufte Haus über- glückliche Director natürlich nichts einzuwenden hatte. Dann wurde Kurs auf Schillings H ô tel gesetzt und dasselbe trotz des con- trären Windes wenigstens von einem Theile der fröhlichen Ge- sellschaft erreicht, die sich indessen allmälig immer mehr ver- kleinerte. Nur sechs von uns behaupteten schließlich das Feld bis Mitternacht, wenngleich uns heute Morgen beim Erwachen etwas Kopfschmerzen plagten.“ „Bei diesen sechs waren auch Sie, Flamberg, nicht wahr?“ fragte ein Officier, „dann kann ich mir allerdings Ihre heutige trübe Stimmung erklären.“ „Ach nein,“ erwiderte dieser elegisch, „das ist’s nicht. Sie wissen, dergleichen ficht mich nicht so sehr an. Wie ich Ihnen sagte, es ist eine Erinnerung,“ und dabei blies der Sprecher gedankenvoll dichte Rauchwolken in die Luft. „Nun heraus damit, alter Freund,“ rief Albert, „Sie halten doch sonst nicht hinterm Berge.“ Ernstes und Heiteres „Wenn Sie es denn durchaus erfahren wollen, es ist heute der Jahrestag einer Begebenheit, die — ich möchte sagen — meinem ganzen Leben eine höhere Weihe gegeben hat,“ begann Flamberg feierlich, was jedoch nicht hinderte, daß Alle, die den flotten, leichtlebigen Lieutenant näher kannten, laut auflachten. „Lachen Sie nicht, meine Herren,“ fuhr der Letztere in demselben Tone fort, „es ist eine ernste Geschichte. Es ist Ihnen bekannt, daß ich 1848 bei den Preußen stand. Mein altes frommes Mütterchen, die nach schwerem Kampfe endlich ihre Einwilligung ertheilte, daß ich als Freiwilliger eintreten durfte, übergab mir beim Abschiede noch ein Büchelchen, den Thomas a Kempis, und ich mußte ihr geloben, denselben stets bei mir zu tragen und so oft ich Zeit fände, darin zu lesen. Dies Versprechen habe ich auch erfüllt und trage seitdem das Buch stets in meiner Brusttasche. Es war bei den Dannewerken, meine Herren! Ich befand mich in den vordersten Reihen der Stürmenden und wir drangen mit solchem Ungestüm vorwärts, daß, wie Gefangene später aussagten, die Dänen geglaubt hatten, wir rennten wie die Stiere mit den Köpfen voran, um unsere Gegner mit der Pickel- haube aufzuspießen.“ Allgemeine Heiterkeit der Zuhörer. „Ja, wahrhaftig,“ bekräftigte der Erzähler, „so war es; aber die Dänen schossen auch verteufelt gut hinter ihren Schanzen und der Tod hielt furchtbare Ernte unter uns. Meine Com- pagnie litt ganz besonders. Mit den Wenigen, die noch übrig geblieben, stürmte ich unaufhaltsam vorwärts. Ich hatte das Glück, die erste preußische Fahne auf den Wällen aufzupflanzen; im selben Augenblicke war es mir, als ob ich von unsichtbarer Faust einen Schlag vor die Brust erhielt. Ich taumelte zurück, raffte mich aber schnell wieder auf und fand mich merkwürdiger Weise unverletzt. Die Dannewerke waren genommen; die Preußen hatten einen ihrer schönsten Siege errungen. R. Werner , Erinnerungen. 18 Werner Gegen Abend bezogen wir Quartiere und ich kam auf einen einzeln gelegenen Bauernhof. Ehe ich mich schlafen legte, zog ich meinen Thomas a Kempis hervor, um darin zu lesen — ich hatte es lange nicht gethan — da denken Sie sich mein Erstaunen, meine Herren! das Buch war von einer Kugel durch- löchert, die innere Seite aber unverletzt, so daß die Kugel noch im Buche stecken mußte, wo ich sie auch richtig zwischen den Blättern fand. Auf dem ersten unverletzten Blatte begann das achtzehnte Capitel des vierten Buches und an der Stelle, wo die Kugel einen sichtbaren Bleiabdruck hinterlassen, standen die Worte: „es geschieht bisweilen Mehreres, als der Mensch be- greifen kann.“ „Bravo Flamberg,“ gut erzählt, „bravo!“ riefen die Zu- hörer, „aber zeigen Sie uns das Buch, da Sie es ja stets bei sich tragen.“ „Das Buch? Ja so, ich erinnere, als ich an Bord ging, wechselte ich den Rock und es ist in der Tasche stecken geblieben. Nun das nächste Mal bringe ich es mit, aber die Kugel habe ich hier, die können Sie sehen.“ Dabei holte er eine alte Mus- ketenkugel aus der Geldbörse, doch vermochte sie nicht die auf- tauchenden Zweifel zu beschwichtigen. Flamberg war es jedoch gewohnt, dergleichen öfter zu hören und steckte daher die Kugel gleichmüthig wieder in seine Börse. Der Thomas a Kempis war natürlich auch später nicht zur Hand, wenn Nach- frage kam; daß der Lieutenant aber den Jahrestag des Sturmes der Dannewerke vom 23. April auf den Juli verlegt hatte, wurde von seinem Auditorium nicht bemerkt, da dessen Aufmerk- samkeit in diesem Augenblicke ein anderer Gegenstand voll in Anspruch nahm. Ein dreimastiger Schuner unter nordamerikanischer Flagge kreuzte die Weser herauf und schoß mit der frischen Briese in unmittelbarer Nähe der „Hansa“ vorüber. Aller Augen richte- ten sich auf denselben, denn der Seemann hat nicht nur für Ernstes und Heiteres sein eigenes, sondern auch für jedes fremde Schiff hohes Inter- esse. Er mustert es mit kritischem Blicke, sucht Vorzüge und Nachtheile im Belauf der Planken oder in der Takelage und zieht in Gedanken oder laut Parallelen mit den Eigenschaften ihm bekannter Fahrzeuge. Der Schuner übte aber eine ganz besondere Anziehungs- kraft, denn seine äußere Erscheinung wich von den gebräuch- lichen Formen, namentlich von den in deutschen Gewässern vor- kommenden, wesentlich ab. Sein langgestreckter Rumpf, der ungemein scharfe und oben ausfallende Bug, die schrägstehenden Masten, sowie überhaupt der ganze Schnitt waren etwas Neues und Ungewohntes. Man sah es dem Fahrzeuge sogleich an, daß es ein ebenso tüchtiges Seeschiff wie vorzüglicher Segler sein mußte. Es war ein sogenannter „Klipper“, ein Schnellsegler par excellence und ein Modell, von dessen nautischen Leistungen man sich Wunderdinge in seemännischen Kreisen erzählte. Zu damaliger Zeit begann man gerade beim Schiffbau sich von dem alten Schlendrian loszumachen, der ihn seit vielen Jahr- zehnten gefangen hielt, und zwar war es Nordamerika, das in dieser Richtung zuerst mit gutem Beispiele voranging. Sein aufblühender Seehandel und die Concurrenz mit dem bis dahin meerbeherrschenden England wirkten als Sporn, mit seinen Schiffen dem Gegner den Rang abzulaufen, und das gelungene Resultat dieses Strebens wurden die Klipper. Es waren mög- lichst vollkommene Segelschiffe von früher für unmöglich ge- haltener Schnelligkeit, mit vorzüglichen nautischen Eigenschaften, großer Ladefähigkeit und gleichzeitig sehr eleganten Formen. „Wie schön er auf dem Wasser liegt — wie eine Möwe!“ „Und der Bug, scharf wie ein Messer! er macht nicht einmal Schaum, wenn er durch das Wasser schneidet!“ „Diese hängenden Masten gefallen mir besonders!“ „Ja! und wie die Segel stehen — wie ein Brett!“ 18* Werner „Paßt auf! Jetzt geht er über Stag; ich wette, er liegt auf vier Strich am Winde!“ „Richtig, jetzt ist er herum; er kreuzt wahrhaftig im rechten Winkel!“ „Welch’ ein prachtvolles Fahrzeug!“ Diese und ähnliche Bemerkungen tönten von allen Seiten und zeigten, wie lebhaft die Erscheinung des schönen Schiffes das fachmännische Interesse fesselte. Nachdem der Schuner gewendet, zeigte er den Nachblicken- den sein Heck, auf dem in goldenen Buchstaben Name und Heimathsort stand. Mathy hatte das Fernrohr genommen, um den Namen zu lesen. „Dachte ich’s mir doch, daß er es sein mußte!“ rief er aus, „das ist der „Grey-Hound“ von New-Orleans, meine Herren, ich kenne ihn, denn ich habe auf seinem Schwester- schiffe, dem „Bugbear“, zwei Jahre gefahren und mit ihm ver- schiedene Reisen nach Archangel und St. Petersburg gemacht. Ja,“ fuhr er wie begeistert fort, „das sind Schiffe, wie man sie wol nicht wieder trifft. Sie segeln nicht, sie fliegen, und bei dem schlechtesten Wetter liegen sie so ruhig, daß man Flaschen und Gläser getrost auf den polirten Tischen stehen lassen kann.“ „Wenn man sie festhält,“ äußerte malitiös Frank, der die Gelegenheit wahrnahm, um für den stets abgeschnittenen Faden eine kleine Rache zu nehmen und die Lacher auf seine Seite zu bringen. Er hatte Mr. Roberts seine Geschichte glück- lich beigebracht und sich den Uebrigen wieder angeschlossen. „Pah! diese Klipper kommen doch nicht gegen die „Luise“ auf,“ fuhr er, um den errungenen Vortheil auszubeuten, schnell fort; „das ist ein Fruchtjager, meine Herren, auf dem ich ge- fahren. Wissen Sie, den hatte der bekannte Schiffsbaumeister Randow in Stettin gebaut und die Amerikaner haben ihn zum Modell genommen, reichen ihm aber nicht das Wasser. In Ernstes und Heiteres der Bucht von Biscaya segelten wir einmal mit sehr strammer Briese, so daß kaum die Gaffeltopsegel stehen konnten. Ich war Steuermann, hatte die Wache und sah, hinten an der Reiling stehend, über Bord in die vorbeirauschenden Wellen. Da bemerkte ich auf einmal eine Menge halber Fische vorbei treiben, bald die Kopf-, bald die Schwanzstücke. Denken Sie sich, wir waren zwischen eine Heerde Delphine gekommen und unser scharfer Vorsteven schnitt die Thiere hundertweise durch, da die „Luise“ so schnell segelte, daß die Fische gar nicht aus- weichen konnten. So war das Fahrzeug auf der ganzen Reise noch nicht gelaufen und ich dachte deshalb, du willst doch einmal loggen Die Fahrt des Schiffes messen. Dies geschieht mit einer dünnen, auf eine Welle gerollten Leine. An ihrem Endpunkte ist ein im Wasser aufrechtstehendes und Widerstand leistendes Holzbrettchen befestigt. Die sich abrollende Leine ist in Abtheilungen (Knoten) getheilt, die eine un- gefähre Länge von 7,8 Meter (22½ Fuß) haben. So viel Knoten nun während eines Zeitraumes von 14 Secunden (das Maaß dafür ist eine Sanduhr) auslaufen, so viel Seemeilen oder Knoten macht das Schiff in einer, oder so viel geographische Meilen in vier Stunden. Eine Seemeile ist gleich 1854 Meter und unter Berechnung einiger practischer Fehler- quellen verhält sich 1854 Meter : 1 Stunde (3600 Secunden) = 7,8 Meter : 14 Secunden. , wir machen gewiß 15 bis 16 Knoten. Ich logge also. Die Leine auf der Rolle war bis fünf- zehn Knoten gemarkt, aber ehe nur das Logglas zur Hälfte durchgelaufen, war die Leine schon ganz abgerollt und von der Reibung quoll eine dicke Rauchwolke aus der Welle hervor. Der sie haltende Junge war darüber ganz perplex geworden; anstatt sie los zu lassen, hielt er sie krampfhaft fest und die Folge da- von war, daß er mit ihr beinahe über Bord ging. Mit ge- nauer Noth erfaßte ich noch gerade sein Bein, um ihn zu retten, aber seine beiden Hände waren durch die brennende Welle ganz mit Brandblasen bedeckt. Die „Luise“ mußte also mindestens Werner dreißig Meilen gemacht haben. Wissen Sie, meine Herren, es war wunderbar und etwas Aehnliches ist mir nur noch einmal passirt, als ich in Hamburg auf der . . . .“ Ein homerisches Gelächter unterbrach Frank’s Redefluß und auch Mr. Roberts glaubte ein „how very funny“ an- bringen zu müssen. Nur Mathy blieb ernst. Sobald sich die Heiterkeit aber etwas gelegt und Frank wieder anknüpfen wollte: „Schule war,“ fiel ersterer ihm in’s Wort: „Was Sie da von den Fischen erzählen, war auf dem „Bugbear“ tägliches Vorkommniß und wurde von uns gar nicht beachtet. Aber um Ihnen zu be- weisen, wie unser Schiff segelte, führe ich einfach an, daß wenn wir lenzten Vor einem Sturme segeln. , wir alle paar Stunden beidrehen mußten, um auf den Wind zu warten, da wir ihn regelmäßig ausliefen. Da nun, wie Ihnen Allen bekannt ist, ein Sturm mindestens 48 Knoten macht, so können Sie sich allein ausrechnen, wie schnell der „Bugbear“ gesegelt haben muß. Wie wäre es auch sonst möglich gewesen, daß wir von New-Orleans in elf Tagen nach St. Petersburg gelangt wären. Der Kaiser von Rußland besuchte gerade bei unserer Ankunft auf der Rhede von Kron- stadt die Flotte, wobei die famose Geschichte mit dem Admiral passirte, von der Sie wol gehört haben. Er kam selbst an Bord unseres Schiffes, gab unserem Kapitän einen höheren Orden, mir eine prachtvolle goldene Uhr, die mir leider gestohlen ist, und jedem von der Besatzung hundert Rubel.“ Frank verstummte. Er war übertrumpft. Gegen einen solchen Beweis vermochte er nichts mehr anzuführen. Er sah ein, daß dagegen selbst das „Wunderbare“, was er in Ham- burg erlebt, abfiel und er gab deshalb weiteres Erzählen für heute auf, während Mathy triumphirte. „Was war das für eine Geschichte mit dem russischen Ernstes und Heiteres Admiral,“ fragte Flamberg, als die Gemüther sich wieder etwas beruhigt hatten. „Die kennen Sie nicht? Sie lief ja damals durch alle Zeitungen. Nun dann hören Sie; ich war Augenzeuge und kann deshalb den Verlauf genau schildern. Die russische Flotte war auf der Rhede von Kronstadt versammelt und der Kaiser wollte sie besuchen, hatte sich jedoch das übliche Salutiren und Paradiren verbeten. Sei es, daß ein Mißverständniß obwaltete, genug, der commandirende Admiral auf dem Flaggschiffe, in dessen Nähe wir geankert hatten, glaubte es recht gut zu machen, wenn er den ganzen Apparat des officiellen Empfanges in Scene setzte. Der Kaiser erblickte darin jedoch einen Ungehorsam gegen seine Befehle und war bei seiner autokratischen Natur darüber sehr aufgebracht. Einen Officier von niedrigerem Range hätte er wahrscheinlich gleich zum Matrosen degradirt; hier glaubte er jedoch etwas Rücksicht nehmen zu müssen und schickte den un- glücklichen Admiral zur Strafe nur bis Sonnenuntergang in den Top. Es war Morgens zehn Uhr, wir befanden uns im Juli und die Sonne ging um zehn Uhr Abends unter. Im ersten Augenblick wagte natürlich Niemand, eine Für- bitte einzulegen und den Zorn des Kaisers noch mehr zu reizen, und so sahen wir denn den alten Herrn in voller Uniform die Wanten hinauf und in die Großmars Mastkorb. klettern. Langsam genug ging es, und um die Puttingswanten herum kam er auch nicht, dazu war er zu steif, sondern er kroch durch das Soldatenloch. Als er eine Stunde dort gesessen, der Kaiser sich zur Abfahrt bereit machte und sein Zorn etwas verraucht war, riskirte seine Umgebung, ihn auf die Härte der verfügten Strafe aufmerksam zu machen, die sonst ja nur über Kadetten verhängt wurde, und um Erlaß zu bitten. „Was ich befohlen, das kann ich nicht gleich wieder rück- Werner gängig machen,“ erwiderte der Kaiser. „Er muß deshalb bis Sonnenuntergang oben bleiben.“ „Majestät, dann ist aber nichts im Wege, daß der Ad- miral gleich herunterkommt,“ sagte einer der Admirale. „Wie so?“ fragte der Kaiser erstaunt. „Majestät befehlen einfach, daß die Sonne jetzt, statt heute Abend um zehn Uhr, untergeht. Es wird nur Signal zur Flaggenparade gemacht.“ Dem Kaiser leuchtete dieser Ausweg ein, der ihm das Mittel bot, seine Uebereilung gut zu machen, ohne seinen Be- fehl direct zurücknehmen zu müssen. Das Signal zur Flaggen- parade ging in die Höhe und die Flaggen wurden sämmtlich in aller Form niedergeholt. Obwol die Sonne noch hoch am Himmel leuchtete, ging sie für die russische Flotte officiell unter, und als der Kaiser von Bord fuhr, um unsern „Bugbear“ in Augenschein zu nehmen, enterte auch der Admiral aus dem Top nieder, um wieder das Commando der Flotte zu übernehmen. Der kaiserliche Besuch war ja für uns eine große Ehre,“ fuhr Mathy fort, indem er unmerklich auf ein anderes seiner „Erlebnisse“ überging, „aber mir persönlich kam er sehr theuer zu stehen und ich hatte dabei einen großen Verlust, den auch die kostbare goldene Uhr nicht aufwiegen konnte, um so mehr, als sie mir nachher gestohlen wurde.“ „Wie so? Erzählen Sie!“ riefen die neugierig gemachten Zuhörer und Mathy ließ sich auch nicht lange bitten. „Ich besaß einen wundervollen Papagei, den ich auf eigenthümliche Weise in Brasilien erhalten und der mir unge- mein viel werth war, nicht allein als Andenken an einen Freund, dem er früher gehörte, sondern weil er ganz außergewöhnlich sprach und sang, wie wol nicht so leicht ein zweiter. Diesen sah einer der jungen Großfürsten, hörte ihn singen und war so entzückt von ihm, daß er ihn mir durchaus abkaufen wollte. Daß ich darauf nicht einging, können Sie sich denken, aber Ernstes und Heiteres was blieb mir übrig, als ihn zum Geschenk anzubieten, und so kam ich um das schöne seltene Thier, das schon ein Jahr lang mein steter Begleiter gewesen und das unter so höchst wunderbaren Umständen in meinen Besitz gelangt war, so wunderbaren, daß sie kaum glaublich sind.“ „Was waren denn das für wunderbare Umstände?“ fragte Albert. „Rücken Sie doch endlich damit heraus, nachdem Sie uns den Mund so wässerig gemacht.“ „Gedulden Sie sich doch nur,“ erwiderte Mathy, der mit Befriedigung sah, daß seine Zuhörerschaft sich in der geeigneten Stimmung befand, „ich komme ja schon darauf hin. Es ist nebenbei auch eine traurige Geschichte. Vor vier Jahren war ich mit der „Wespe“, einer amerikanischen Kriegsbrigg, in Rio- de-Janeiro. Wir lagen mehrere Monate dort, machten allerlei Bekanntschaften, und unter andern lernte ich auch eines Tages einen deutschen Herrn kennen, der etwa fünf Meilen von Rio nach dem Innern zu sich angesiedelt hatte. Wir fanden Ge- fallen an einander und wurden bald recht befreundet. Er lud mich dringend zu einem Besuche auf seiner Besitzung ein, und als er das nächste Mal zur Stadt kam, ritt ich mit ihm hin- aus. Unser Weg führte uns durch ein prachtvolles Stück Ur- wald, ehe wir an sein Haus gelangten, das am Fuße eines ziemlich steilen Berges gelegen und von üppigen Kaffee- und Zuckerplantagen umgeben war. In dem Walde fielen mir große Schaaren von schönen Papageien auf. Sie zeichneten sich nicht nur durch ihr wundervolles Gefieder, sondern namentlich durch den melodischen Klang ihrer Stimme aus, während man doch sonst von diesen Vögeln nur widerliches Gekreisch vernimmt. Ebenso waren sie gar nicht scheu, sondern flogen ganz zutrau- lich in unserer Nähe umher, so daß man sie fast hätte greifen können.“ „Sie werden ein schönes Exemplar in meinem Hause sehen,“ erzählte mein Freund. „Ich habe es vor einem Jahre aus dem Werner Neste geholt und aufgezogen. Der Papagei ist so zahm, daß er mir auf Schritt und Tritt nachfliegt. Oefter macht er auch Besuche bei den Kameraden im Walde, kehrt aber regelmäßig bald zurück. Das Merkwürdigste ist aber seine musikalische Begabung und seine klangvolle Stimme. Er versucht, alle in meinem Hause gehörten Lieder nachzusingen oder vielmehr nachzupfeifen und bei einigen gelingt ihm dies vortrefflich. Namentlich scheint ihm „Wer hat Dich Du schöner Wald“ zu gefallen, das von mir und meinen Kindern öfter als Quartett gesungen wird. Er reproducirt es ohne den leisesten Fehler und vollkommen rein.“ „Als wir vor dem Hause meines Freundes ankamen, hatte ich Gelegenheit, sofort die Bekanntschaft dieses merkwürdigen Vogels zu machen. Sobald er seines Herrn ansichtig wurde und von der Kette am Fuße frei gemacht war, flog er auf dessen Schulter und drückte durch allerlei komische Bewegungen die größte Freude über seine Rückkunft aus. Ich blieb einige Tage auf der Hacienda und fand auch die übrigen gerühmten Vorzüge des Thieres bestätigt; es pfiff verschiedene deutsche Lieder glockenrein. Gar zu gern hätte ich den Papagei gehabt, aber er war offenbar meinem Freunde so ans Herz gewachsen, daß ich gar nicht wagte, ihn darum anzugehen. Zwei Jahre darauf kam ich wieder mit dem „Bugbear“ nach Rio und beschloß, da unser Aufenthalt voraussichtlich nur kurze Zeit dauerte, so bald als thunlich die Besitzung meines Freundes aufzusuchen. Ich miethete ein Maulthier und trat, von einem Führer begleitet, meinen Ritt an. Da wir auf be- wohnte Orte unterwegs nicht zu rechnen hatten und wir über- haupt der Sonnengluth halber nur in den frühen Morgen- und in den Abendstunden reiten konnten, so nahm der Führer vor- sorglich nicht nur die nöthige Speise, sondern auch Hängematten mit, um sie während der heißen Tageszeit im Schatten der Wälder aufschnüren und unsere Siesta darin halten zu können. Eben vor Dunkelwerden gelangten wir auch glücklich an den Ort Ernstes und Heiteres unserer Bestimmung, aber wer beschreibt mein erschreckendes Er- staunen, als wir aus dem Walde traten und uns statt des freundlich einladenden Hauses, das mich vor zwei Jahren so gastfrei aufgenommen, nur ein Trümmerhaufen entgegenstarrte. Ein Bergsturz hatte den größten Theil der Gebäude be- graben, das Uebrige war niedergebrannt, alles öde und ver- lassen. Das Unglück mußte schon vor längerer Zeit stattge- funden haben, denn üppige Schlinggewächse überwucherten be- reits die verkohlten Balken. Nirgends konnten wir ein Anzeichen von der Nähe menschlicher Bewohner entdecken; aller Wahr- scheinlichkeit nach war mein Freund und seine Familie Nachts von der Katastrophe überrascht worden und Alle hatten unter den Trümmern der Wohnung ihr Grab gefunden. Mit tiefer Trauer im Herzen schickte ich mich an, den Rückweg anzutreten. Es war jedoch so dunkel geworden, daß wir den Pfad durch den Urwald nicht zu erkennen vermochten, und so blieb uns nichts übrig, als die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen. Wir fesselten unsere Maulthiere, nahmen unser Abendbrod ein, schnürten dann die Hängematten, die uns jetzt vortrefflich zu statten kamen, zwischen den Bäumen auf und ruhten in der duftathmenden Atmosphäre und unter dem dichten Laubdach des Urwaldes, das uns auch gegen Regen vollständig geschützt haben würde, ganz behaglich. Andern Morgens erweckte mich ein aus der Ferne er- tönender Gesang. Im Halbschlafe konnte ich mich zuerst gar nicht recht orientiren; als ich ganz wach wurde, erkannte ich jedoch das Lied: „Wer hat Dich Du schöner Wald“. Es wurde vierstimmig gesungen, klang aber so voll, daß jede Stimme wenigstens zehnfach besetzt sein mußte. Vergebens sah ich mich nach den Sängern um, Niemand war zu entdecken. Die Sache wurde mir unheimlich. Wie kam mitten in einen brasilianischen Urwald ein deutscher Sängerchor? Bei aufmerksameren Hin- hören unterschied ich, daß die Stimmen aus der Höhe kamen. Werner Die Sache wurde immer räthselhafter! Ich weckte meinen Führer; auch er war starr vor Erstaunen und meinte, es sei Hexerei. Da auf einmal verstummte der Gesang. In den Kronen der mächtigen Bäume über unseren Häuptern rauschte es mit tausendfachem Flügelschlag. Eine zahllose Schaar Papageien erhob sich aus dem dunklen Laube, um sich weiter nach unten ganz in unserer Nähe auf den Zweigen niederzulassen. Ein besonders schönes Exemplar setzte sich keine zehn Fuß von mir entfernt. Ich freute mich über das prachtvolle Thier — da öffnet es den Schnabel und intonirt. Mit wunderbarer Präcision fallen die übrigen Papa- geien vierstimmig ein und der zweite Vers des Liedes erklingt mit einer Schönheit und Fülle des Tones, wie ich es nie ge- hört. Ich war aufs Tiefste erregt; mein Führer glaubte an Zauberei, lag auf den Knieen und betete ein Ave Maria. Auch die Maulthiere waren wie wirr. Eine Zeit lang standen sie mit gespitzten Ohren und geblähten Nüstern, dann stieß das eine einen Laut aus, der wie ein schmetternder Trompetenton durch den Wald klang. Die Papageien wurden dadurch so erschreckt, daß sie plötzlich ihren Gesang unterbrachen und sich in dichten Schaaren erhoben, um davon zu fliegen. Nur ein Thier blieb zurück; es war dasjenige, was into- nirt hatte; aber sein Bleiben war kein freiwilliges. In offen- barer Angst flatterte es auf dem Zweige, wo es saß, hin und her. Ich sprang hinzu und nun löste sich auch das Räthsel des gehörten Quartetts. Es war der Papagei meines verun- glückten Freundes. Er hatte noch die Kette am Fuß und sich mit dieser in dem Aste verschlungen, so daß er nicht fort und ich ihn greifen konnte. Wahrscheinlich war er bei dem Bergsturz entkommen und hatte nach dem Verlust seines Herrn die alte Waldesheimath aufgesucht. Dort muß er dann in seiner außer- ordentlichen Vorliebe für Musik seinen Kameraden jenes Lied vierstimmig eingeübt haben. Ernstes und Heiteres Sie müssen mir zugeben, meine Herren, daß das für einen Vogel alles mögliche ist, und wenn ich nicht Alles erlebt hätte, würde ich es selbst kaum glauben. Sie können sich daher auch denken, wie schwer es mir werden mußte, mich von ihm zu trennen.“ „Heute haben Sie sich selbst übertroffen, Mathy,“ sagte Fähnrich Fix, während allgemeine Heiterkeit laut wurde. „Das geht noch über den Thomas a Kempis.“ „Und über das Aussegeln des Sturmes,“ fügte der Zahl- meister hinzu. „Very funny, indeed!“ bekräftigte Mr. Roberts. Frank schüttelte nur schweigend den Kopf; er überzeugte sich endgültig, daß er einem solchen Rivalen im Erzählen nicht gewachsen sei. „Ja, meine Herren,“ erwiderte Mathy gleichmüthig, „wenn man so viel in der Welt herumgekommen ist, wie ich, dann er- lebt man auch viel und darunter mancherlei, das im ersten Augenblicke wunderbar klingt, aber nichtsdestoweniger thatsäch- lich ist. Denken Sie an Flambergs Buch: „Es geschieht bis- weilen Mehreres, als der Mensch begreifen kann.““ Jean, der Steward, meldete jetzt, daß das Abendessen servirt sei, und die Gesellschaft brach auf, um sich wieder in die Messe zu begeben. Das Plauderstündchen war für heute vor- bei, aber Mathy’s Vorrath an „Erlebnissen“ noch lange nicht erschöpft. Wir haben später noch oft davon gehört und dar- über gelacht. Die Seejunker. B ei Gründung der deutschen Flotte waren die Seejunker, wie der officielle Titel der Kadetten lautete, auf den verschiedenen Schiffen vertheilt. Nach Lage der Umstände konnten sie jedoch auf Raddampfern mit deren mangelhafter Bemastung in practischer Beziehung wenig lernen; sie wurden deshalb zum größten Theile auf der „Deutschland“ eingeschifft. Das Schiff mit seiner vollen Fregattentakelung bot wenigstens Gelegenheit, das Segelexercitium auf größeren Kriegsschiffen und was damit zusammenhing kennen zu lernen, ebenso gestatteten seine Räum- lichkeiten die Unterbringung von 25 bis 30 Junkern und die Einrichtung eines regelrechten Lehrcurses mit vorwiegend theoretischem Unterrichte. Als Lehrer fungirten theils Officiere, theils Civilisten, und es wurde nach dieser Seite nicht versäumt, die Schüler für ihr Fach möglichst gut vor- und auszubilden. Auch bei der Wahl der Messe war diese Rücksicht maßgebend gewesen, und sie befand sich auf der „Deutschland“ nicht, wie sonst auf Fregatten, im Zwischendeck, sondern in der hellen Batterie, damit die Junker nicht bei Licht zu arbeiten brauchten. Der Commandant des Schiffes, dessen Obhut man die Er- Die Seejunker ziehung der jungen Leute anvertraut hatte, war ein Belgier, ein Mann in bereits vorgeschrittenem Alter. Er that sein Bestes, um die ihm gewordene Aufgabe zu erfüllen, aber diese war nicht leicht und die übermüthigen Zöglinge schlugen oft über die Stränge, um so mehr, als bei ihrer Einstellung und Auswahl nicht mit derjenigen Sorgfalt verfahren war, wie dies später bei geordneteren Zuständen der Flotte geschehen wäre. Es erklärte sich daher, wenn sich unter dem Corps einzelne Individuen befanden, die ihm nicht zur Zierde gereichten, dem Commandanten das Leben sehr sauer machten und auf ihre Kameraden keinen guten Einfluß übten, bis sie sich mit der Zeit abstießen. Den Rest jedoch bildeten im Allgemeinen gut erzogene Jünglinge, die gewiß zu tüchtigen Officieren herange- bildet wären, wenn das Schicksal der deutschen Flotte Dauer verliehen hätte; ein großer Theil von ihnen hat sich später einen ehrenvollen Lebensweg gebahnt. Dem Alter nach schwankten die Junker zwischen 15 und 18 Jahren, jedoch war auch ein Zwanzigjähriger von entspre- chender geistiger und körperlicher Entwickelung dabei, und es konnte nicht fehlen, daß er sich in jeder Beziehung die Herrschaft über seine Kameraden anmaßte. Sein Name war Fahrenholz; er besaß großes Zeichentalent, das er hauptsächlich zu Carri- caturen verwerthete. In den meisten Fällen war deren Gegen- stand der Kapitän, dessen Eigenheiten und stark mit Flämisch gemischtes Deutsch reichen Stoff zu solchen Zeichnungen liefer- ten. Hatten sich die Seejunker über letztere genügend amü- sirt, dann wurden sie zu wirklichen „fliegenden Blättern“, denn, von irgend einem geheimnißvollen Winde getrieben, flogen sie so lange im Schiffe umher, bis sie in die Hände des ersten Officiers oder in die des Commandanten selbst fielen. Dieser war von Natur äußerst gutmüthig, schien auch außerdem seine eigene Jugend noch nicht vergessen zu haben, denn weit entfernt zu zürnen, amüsirte er sich vielmehr über die allerdings Werner großes Talent verrathenden Carricaturen — wenigstens wurde nie nach dem Urheber geforscht. Des Kapitäns alter ego war ein von ihm aus Belgien verschriebener Profoß, der Ueberall und Nirgends an Bord eines Kriegsschiffes, bei uns Stabswachtmeister genannt. Er übt die Polizei an Bord aus, hat auf die Befolgung von tausenderlei Vorschriften und Bestimmungen zu achten, die das Getriebe des so complicirten inneren und äußeren Dienstes regeln und ist deshalb eine gefürchtete, aber auch eine viel geplagte Persönlichkeit an Bord. Er hat die Ordnung und Reinlich- keit in den Wohnräumen der Mannschaft, sowie Feuer und Licht zu überwachen, und auch die Officiere müssen sich seiner Autori- tät fügen, wenn er um zehn Uhr Abends in der Messe oder in den Kammern erscheint, um darauf aufmerksam zu machen, daß die Zeit zum Löschen der Lichter gekommen. Bei der abend- lichen Ronde, die der erste Officier im ganzen Schiffe vornimmt, ist er eine Hauptperson, und bei jedesmaligem Wachwechsel aller vier Stunden hat er aufzustehen und danach zu sehen, daß die Leute schnell aus den Hängematten kommen. Er muß die Austhei- lung des Essens und der Spirituosen beaufsichtigen, die Arre- stanten versorgen, die Beurlaubten controlliren, die Ausbleiben- den an Land aufsuchen und bei ihrer Rückkehr sie und die Boote dahin revidiren, daß nicht verbotene Getränke an Bord geschmuggelt werden. Bei dem täglichen Strafrapport meldet er als öffentlicher Ankläger alle die Unglücklichen, die in den letzten 24 Stunden sich irgend ein Vergehen haben zu Schulden kommen lassen und wäre es auch nur, daß sie einen Fettfleck auf das reingescheuerte Deck gemacht haben oder eine Minute länger in ihrer Hängematte geblieben sind, nachdem die Pfiffe der Bootsmannsmaate das Signal zum Wachwechsel gegeben haben. Kurz die Stellung des Profoß ist keine beneidenswerthe. An Bord der „Deutschland“ hatte er noch sein besonderes Augenmerk auf die Seejunker zu richten; er war der unzer- Die Seejunker trennliche Begleiter und Schatten des Commandanten, wo dieser irgendwo im Schiffe dienstlich erschien, und fehlte deshalb auch nie auf den „fliegenden Blättern“, auf denen der Kapitän selbst verherrlicht wurde. Letzterer musterte jeden Morgen die Junker selbst, ehe der Unterricht begann und achtete sehr genau darauf, daß sich ihr Aeußeres tadellos präsentirte. Eine aufgegangene Naht, ein ungebürstetes Kleidungsstück oder ein „manquirender Knoop“ (fehlender Knopf) wurde unnachsichtlich mit 24 Stunden Arrest oder den Umständen nach mit mehr geahndet. Eine solche Musterung war auch der Gegenstand einer sehr gelungenen Zeich- nung geworden. Die Seejunker standen porträtähnlich und nach ihrer Größe rangirt auf dem Hinterdeck aufgestellt. Der inspi- cirende Commandant, angethan mit einem französischen Kapuzen- mantel, den er bei rauhem Wetter regelmäßig trug, war bei dem Kleinsten angelangt und schien ihm sehr ernste Vorhaltungen gemacht zu haben. Der Profoß stand dabei und notirte in seinem dickleibigen Taschenbuche die verhängte Strafe. Als Commentar dienten die Worte des Kapitäns: „Junker, manquirt een Finger; consignirt voor drie Dagen Arrest und als es noch eens gebührt, soll ich voor Ihren Abscheid fragen.“ (Junker, Ihnen fehlt ein Finger; dafür erhalten Sie drei Tage Arrest und wenn das noch einmal vorkommt, werde ich Sie zum Ab- schiede eingeben.) Dem Angeredeten fehlte nämlich ein Finger- glied an der linken Hand. In den Mußestunden ließ man den jungen Leuten ziem- lich viel Freiheit und in der Messe ging es deshalb bisweilen laut und lustig her. Der jugendliche Uebermuth wollte austoben und machte sich in mancherlei drastischen Ausbrüchen Luft. Doch werfen wir selbst einen Blick in die Messe, um uns ein Bild von dem Leben darin zu verschaffen. Sie ist wie die Officiers- messe ein viereckiger schmuckloser Raum, aber hell und luftig, da sie ihr Licht nicht nur von oben, sondern auch von den R. Werner , Erinnerungen. 19 Werner Seiten durch zwei Batteriepforten erhält. Die Wände sind mit Kalk gestrichen, theils aus sanitären Rücksichten, um die Luft zu verbessern, deren Beschaffenheit wegen des sich im untern Raume sammelnden und oft übelriechenden Wassers manches zu wünschen übrig läßt, theils aus öconomischen, da Kalk so viel billiger als Farbe ist und die abgestoßenen Stellen sich Sonn- abends nach der Generalwäsche des Schiffes leicht wieder repa- riren lassen. Die Mitte nimmt ein schwerer Tisch ein, um den ebenso massive Bänke laufen. Der Raum ist zu gleicher Zeit Schul-, Eß- und Schlafzimmer; oben an den Decksbalken sind nume- rirte Haken eingeschroben, an denen Abends die Hängematten aufgehängt werden. An den Wänden befinden sich verschiedene Regale, auf denen in genialster Unordnung die heterogensten Gegenstände liegen, Bücher, Spiegel, Rappiere, Guitarren, Ci- garrenkisten und dergleichen. Unendlich oft hat der Profoß dar- über schon Rapport erstattet, unendlich oft sind auf Geheiß des ersten Officiers diese Regale aufgeräumt und ebenso viele Male hat das Chaos den Betheiligten Strafwachen, Urlaubsentziehung oder auch Arrest eingetragen, aber ohne nachhaltigen Erfolg. Nach kurzer Zeit zeigen sich die Regale wieder ebenso und eine gewisse Entschuldigung dafür muß man allerdings gelten lassen. An Bord eines Kriegsschiffes herrscht bei der großen Be- satzungsstärke und all den Vorräthen, die es mit sich schleppen muß, um stets schlagfertig zu sein, ein großer Raummangel, und der Einzelne muß sich deshalb mit dem nothdürftigsten Platze zu seiner Existenz begnügen. Von Kammern, wie sie die Officiere — und die jüngern auch nicht immer — haben, kann aus diesen Gründen für Kadetten nicht die Rede sein. Die Hängematten mit dünner Matratze, noch dünnerem Kopf- kissen und wollener Decke bilden das Bett; für die Unterbrin- gung seines sonstigen Eigenthums war dem Junker nur ein hölzerner Koffer, die sogenannte Seekiste, von 3½ Fuß Länge Die Seejunker und etwas weniger Tiefe und Höhe, bewilligt, in der sogar sein blechernes Waschgeräth verstaut werden mußte. Diese Kiste stand unten in dem dunkeln Zwischendeck, und außerdem gebot Jeder nur noch über ein Stückchen Regal von zwei Fuß Länge oben in der Messe. Das war herzlich wenig und erklärte das Durch- einander. Jetzt haben es die Kadetten etwas besser, sie brauchen sich nicht mehr in oder auf der Kiste zu waschen, und Jedem ist außerdem ein Spind zugewiesen, in dem er wenigstens seine Kleider und Wäsche unterbringen kann, da die größer geworde- nen Dimensionen der neueren Schiffe diesen Luxus gestatten. Von den zwanzig Junkern hatte, mit Ausnahme der Unterrichts- stunden, der vierte Theil immer Wache auf dem Oberdeck, theils um practischen Dienst zu thun, theils um für die Uebrigen in der immerhin für so viel Bewohner beschränkten Messe Platz zu gewinnen. Es ist gegen fünf Uhr Nachmittags und die heutigen Lehr- stunden sind vor kurzem beendet. Herr Freise, der Lehrer der sphärischen Trigonometrie, ein scharfer mathematischer Kopf, aber für das übrige Leben ziemlich unbrauchbar und deshalb von seinen Schülern als cosinus a-sinus … bezeichnet, hat sich sehr viel Mühe gegeben, den Junkern das Verständniß einiger schwieriger Formeln zu eröffnen. Die Anstrengung ist deshalb ziemlich groß gewesen und eine Erholung nothwendig. Der Kaffee ist bereits getrunken und ein riesiger Topfkuchen, den der Steward Jean, — alle Stewards in der deutschen Marine trugen den Gattungsnamen Jean — seines Zeichens ein Conditor, fabricirt, bis auf die Krümel verschwunden. Nach Erledigung der materiellen Seite will aber auch das Gemüth bedacht sein, es wird ein Lied intonirt und man hört schon von weitem den Gesang. Der Text kommt uns zwar sehr bekannt vor, aber die Melodie klingt neu, scheint zu dem Inhalte nicht recht zu passen und ist wahrscheinlich an Bord selbst componirt. Bei näherem Hinhören unterscheiden wir denn auch deutlich die 19* Werner Worte; es ist die Schiller’sche Ballade: „Ritter Toggenburg“, und wir kommen noch gerade zur rechten Zeit, um den Schluß- vers zu hören: Und so saß er eine Leiche, eine Leiche Eines Morgens da, Juchhe! Eines Morgens da. Nach dem Fenster noch das bleiche, noch das bleiche, Stille Antlitz sah, Juchhe! Stille Antlitz sah. Allgemeine Heiterkeit! Die Melodie scheint angesprochen zu haben und man schickt sich an, das Lied zu wiederholen, als ein mit Stentorstimme gerufenes „Silentium!“ den Ge- sang unterbricht und lautlose Stille hervorzaubert. Es ist der Senior Fahrenholz, der Schweigen gebietet, und Niemand wagt seiner Autorität Widerstand zu leisten. Er hält ein „Fliegendes Blatt“ hoch, das er soeben mit den letzten Blei- federstrichen vollendet hat, und alle Köpfe drängen sich um den Künstler, um sein neuestes Werk zu bewundern. „Famos, brillant, ausgezeichnet!“ ertönen die Lobsprüche von allen Seiten. Die Ausrufe sind gerechtfertigt; das Bild verherrlicht in trefflichster Ausführung eine Episode aus der Seereise der stolzen Fregatte „Deutschland“. Auf Helgoland giebt es eine Kuh, die als einzige Vertreterin ihres Geschlechtes auf der Insel, „ die Kuh“ genannt wird. Nach dieser Ana- logie sprechen die Seejunker auch nur von der Seereise, denn es ist die einzige, welche das Kadettschiff als Fregatte und unter schwarzrothgoldener Flagge gemacht hat. Die Reise er- streckte sich zwar nur von der Elbe bis zur Weser, war aber reich an interessanten nautischen Erlebnissen, bildete in dem bis- herigen Stillleben ein Ereigniß, haftete deshalb mit den kleinsten Einzelnheiten im Gedächtnisse der Seejunker und gab immer wieder neuen Stoff zu Unterhaltungen und technischen Disputen. Seitdem trugen die jungen Leute ja ihren Namen erst mit einer Die Seejunker gewissen Berechtigung, denn sie hatten wirklich die See gesehen, wenn auch nur ein paar Stunden lang. Eine kurze Zeit war sogar die Küste aus Sicht gewesen und einige von ihnen wären beinah seekrank geworden, wenn man nicht leider so schönes Wetter getroffen hätte. Und was für interessante Erinnerungen knüpften sich an die Tour, wie viel Neues hatte sich den er- staunten Blicken geboten! Da war ein rothgemaltes Feuerschiff passirt, Delphine hatten um das Schiff gespielt und draußen in den Mündungen der Elbe und Weser lebendige Seehunde mit verwunderten Augen das große Schiff angestaunt, das so verdächtig nahe an den Sänden vorbeistreifte, wo sie ihre Mittagsruhe halten wollten. Und was für Fährlichkeiten hatte man trotz des schönen Wetters ausgestanden! Während man die Reise bei günstigem Winde und ruhiger See sonst bequem in einem halben Tage macht, hatte sie unter denselben Umständen drei Mal vierundzwanzig Stunden gedauert, das Schiff auf der Strecke nicht weniger als drei Mal gesessen und drei schwere Kabeltaue waren bei den Versuchen, es wieder flott zu machen, gebrochen. An Bord hatte sich eine lebhafte Controverse dar- über entsponnen, wer eigentlich an dem Festkommen die Schuld trage. Einige schoben es dem Commandanten in die Schuhe, der selbst alle Manöver commandirt habe, andere wieder dem Lootsen, aber der Kapitän selbst hatte die Sache sehr ruhig genommen. Die „Deutschland“ war von gutem soliden Teakholz gebaut, ihr hatte das verschiedentliche „Aufbrummen“ nicht weiter ge- schadet, als höchstens etwas Kupfer vom Boden abgescheuert, und so hatte der Commandant den Vorfall lediglich vom pädagogi- schen Standpunkte aus betrachtet und schmunzelnd gemeint, die Seejunker hätten viel Profit von der Reise gehabt und gelernt, wie man ein an Grund gerathenes Schiff wieder abbrächte. Darin hatte er zwar nun Recht, indessen wollte es selbst den Seejunkern nicht einleuchten, daß man Kriegsschiffe zu diesem Zwecke so oft auf den Grund setze. Werner Fahrenholz hatte nun dieser Ansicht bildlichen Ausdruck gegeben, wenn auch in etwas ausgeschmückter Weise. Seine Zeichnung stellte die „Deutschland“ dar, wie sie bemüht war, unter einem Winkel von 45 Grad die Insel Helgoland zu er- klettern. Die Besatzung des gestrandeten Schiffes schien sich schon salvirt zu haben, denn man sah nur noch zwei Menschen an Bord, den Kapitän und seinen Schatten, den Profoß. Letz- terer war beschäftigt, die Fregatte mit einem Bootshaken von den Klippen, zwischen denen sie festgeklemmt saß, abzuschieben und stand vorn auf der Back, der Commandant aber befand sich auf dem Hinterdeck, hatte die Kapuze seines Mantels über den Kopf gezogen, hielt die Arme gen Himmel ausgebreitet und dem Munde entfloß sein Lieblingsausruf: „Jesus Maria!“ Sämmtliche Seejunker waren am Lande aufmarschirt und machten der kletternden Fregatte höchst despectirlich eine lange Nase. „Nehmen Sie sich in Acht, Fahrenholz,“ sagt Rosenstock zu diesem, der sich als Respectsperson „Sie“ nennen läßt, während er dagegen alle Kameraden duzt. „Wenn der Alte das sieht, könnte ihm doch die Galle überlaufen und Sie kommen unter acht Tagen Kabelgat Kabelgat war der zur Aufbewahrung von Tauwerk bestimmte Raum und diente gleichzeitig als Arrestlocal für die Seejunker. Der alte Fölsch war der mit Beaufsichtigung des Kabelgats betraute Unter- officier. nicht fort.“ „Ah bah!“ äußert der Zeichner nachlässig, „hat nichts auf sich, obgleich ich mir ganz gern einmal wieder vom alten Fölsch eins seiner langen Salzwassergarne vorspinnen ließe. Ich weiß, daß meine „Fliegenden Blätter“ dem Commandanten Spaß machen und sein Bursche hat mir gesagt, daß er ein be- sonderes Album für sie angelegt hat.“ „Fahrenholz, wollen Sie nicht auch nächstens Meyers be- rühmte Nachtwache verewigen?“ fragt Koppen. Die Seejunker Der kleine Meyer wird bei diesen Worten feuerroth und sieht aus, als wolle er Koppen in das Gesicht springen, wäh- rend die Uebrigen laut lachen. „Na, kleiner Ehrenritter, sei nur gut,“ höhnt Koppen; „ich werde es auch Deiner zukünftigen Braut nicht erzählen, aber in des Commandanten Album mußt Du nothwendig hinein.“ Meyer sieht sich vergebens nach Hülfe um, findet aber überall nur lachende Gesichter; er erwählt deshalb dem klüge- ren Theil und entzieht sich weiteren Neckereien durch die Flucht auf das Deck. „Wie war eigentlich die Geschichte?“ fragt Fahrenholz. „Wenn ich sie zeichnen soll, muß ich auch die genaueren Um- stände kennen. Rosenstock, Du warst ja dabei, statte einmal Rapport ab.“ „Nun,“ beginnt der Angeredete, „Ihr wißt doch, daß Meyer in der letzten Zeit, als wir vor der Reise bei Glückstadt lagen, so fromm geworden war und jeden Sonntag Urlaub nahm, um in die Kirche zu gehen, wie er sagte. Der Alte freute sich über den guten Jungen, der so gern Predigten hörte, aber ich kannte meine Pappenheimer und machte seine Frömmig- keit ausfindig. Als ich eines Sonntags mit Briefen an Land geschickt wurde, nahm ich die Gelegenheit wahr und guckte im „Blauen Anker“ beim alten Iversen vor. Ich ging gleich durch das Gastzimmer in die Nebenstube, und richtig! es war wie ich gedacht: da saß unser Kleiner bei Schön Hannchen und raspelte nach Kräften Süßholz. Er wurde schrecklich verlegen, dann aber bat er mich dringend, ihn nicht zu verrathen und lud mich zur Belohnung zu einer Bootfahrt nach Krautsand ein, die er für den Nachmittag mit Hannchen verabredet und zu der auch wirklich der alte Iversen unter der Bedingung seine Zustimmung gegeben hatte, daß man vor Abend wieder zurück sein sollte. Ich nahm die Einladung natürlich an; wir erbaten vom Werner ersten Officier die Jolle für den Nachmittag zum Spazieren- segeln, holten Hannchen gegen zwei Uhr ab, ließen die Boots- gäste an Land zurück, um nicht genirt zu sein, und dachten gegen sechs Uhr nach Glückstadt zurück zu kommen. Alles ging auch sehr schön; das Mädchen war allerliebst, wir amüsirten uns herrlich, tranken in Krautsand bei Hannchens Tante Kaffee und fuhren gegen fünf Uhr vergnügt wieder ab. Da mußte aber ein unglücklicher Nebel kommen, der so dicht war, daß wir keine Bootslänge vor uns sehen konnten. Der Wind flaute so ab, daß an Segeln nicht weiter zu denken war und so mußten wir zu den Riemen greifen. Wir ruderten, was das Zeug halten wollte, da wir aber keinen Compaß mit uns hatten, war die Sache schlimm, und nach etwa einer Stunde saßen wir denn auch glücklich mit dem Boote fest und zwar so gründlich, daß wir dasselbe nicht wieder abschieben konnten. Wir stiegen aus, um die Jolle zu erleichtern und sie so vom Grunde wieder abzubringen, sanken aber gleich bis an die Brust in den Schlick und mußten schleunigst wieder in das Boot entern, um nicht ganz in dem Morast zu verschwinden. Hannchen weinte, und wir beide saßen naß und schwarz bis fast an den Hals auf der Sitzbank und versuchten, sie zu trösten, wobei uns aber die Zähne bei der Aussicht klapperten, die ganze lange Nacht in diesem Aufzuge verbringen zu müssen. Gegen sieben Uhr waren wir festgekommen; seit einer Stunde lief die Ebbe, und es bot sich deshalb keine Hoffnung, selbst wenn der Nebel auf- klaren sollte, vor dem nächsten Hochwasser am andern Morgen wieder flott zu werden. Das war eine schöne Bescheerung; aber wir konnten nichts dagegen thun, mußten uns ruhig in unser Schicksal fügen und die Kleider am Leibe trocknen lassen. Ich that alles mög- liche, um Hannchen zu beruhigen und ergriff dabei einmal ihre Hand, aber da hättet Ihr den kleinen Meyer sehen sollen! Er warf mir einen Blick zu, als ob er mich morden wollte, Die Seejunker und so überließ ich ihm denn allein die Tröstung; aber erst gegen Mitternacht hatte Hannchen sich satt geweint und ließ sich bereden, etwas zu schlafen. Wir machten ihr hinten in der Jolle, so gut es gehen wollte, ein Lager aus den Bootskissen und deckten sie mit dem Großsegel zu. Die Fock nahm ich, um mich vorn im Boot zu lagern, und ich wollte auch Meyer bereden, sich niederzulegen, aber er weigerte sich hartnäckig und erklärte, unter jeder Bedingung wach bleiben zu wollen. Nun ich ließ ihm seinen Willen, wickelte mich in die Fock und schlief auch bald ein. Die scharfkantigen Inhölzer des Bootes waren jedoch gerade nicht behaglich und ich wachte schon gegen zwei Uhr wieder so kreuzlahm auf, als ob ich auf Latten gelegen hätte. Trotz meiner Schmerzen mußte ich aber laut auf- lachen, denn wahrhaftig, Meyer saß wie der Engel Gabriel vor dem Paradiese mit gezücktem Schwerte auf der Ruderbank mitt- schiffs und hielt über Hannchen Wache. Ich wollte ihn ablösen, aber er lehnte entschieden ab. „Ich habe die Erlaubniß von Hannchens Vater zu der Fahrt einge- holt und meine Pflicht ist es, das Mädchen so wieder abzu- liefern, wie ich sie empfangen,“ sprach er mit feierlichem Ernst, „und von dieser Pflicht wird mich Niemand abwendig machen.“ Nun ich ließ ihn auf seinem Posten, wählte mir die weichste Planke aus und versuchte noch etwas zu schlafen. End- lich wurde es Tag, der Nebel war gefallen und wir sahen, wo wir waren. Die Ebbe hatte uns ganz gehörig versetzt, und statt an das Nordufer, waren wir an das südliche, ganz nahe bei Freiburg, gerathen. Gegen sechs Uhr Morgens kamen wir dann mit Hochwasser los und mit dem westlichen Winde um acht Uhr in Glückstadt an.“ „Und wie war der Empfang?“ fragte ein Junker. „Nun Ihr könnt Euch denken, was der alte Iversen für ein Gesicht machte und welche Mühe es kostete, ihm unsere Un- schuld an dem Ausbleiben nachzuweisen. Er wollte sofort zur Werner Polizei und uns als Entführer seiner Tochter arretiren lassen. Erst als sein Blick auf unsere mit zolldickem getrocknetem Schlick bedeckten Beinkleider fiel, glaubte er uns, und als ich ihm dann erzählte, daß Meyer die ganze Nacht mit gezogenem Säbel über seiner Tochter gewacht und Meyer selbst mit Pathos sprach: „Herr Iversen, Ihre Tochter war Ehrenmännern anvertraut, rein wie ein Engel ist sie zurückgekommen,“ obwol wir selbst so teufelmäßig schmutzig aussahen, da wurde der Alte ganz gerührt und ließ sofort den Frühstückstisch zutakeln, um uns mit einem guten Beefsteak und Glühwein zu stärken und zu wärmen. Als wir an Bord zurückkehrten, gab es ja, wie Ihr wißt, vierund- zwanzig Stunden „Kabelgat“, weil wir die Bootsgäste an Land gelassen und diese sich in der Nacht umhergetrieben hatten; aber mir war es schon recht, ich konnte gründlich ausschlafen, da der alte Fölsch mir heimlich eine Matratze besorgte, und ich glaube, Meyer war trotz seiner zarten Gefühle für Hannchen auch zu- frieden, nicht noch eine Nacht Engel Gabriel auf der Boots- ducht spielen zu müssen.“ „Gut gesprochen, Rosenstock!“ sagt Fahrenholz unter dem Gelächter der Uebrigen, „die Sache ist werth, durch meinen Griffel verewigt zu werden und es soll demnächst geschehen. Bis dahin nehme ich aber Meyer unter meinen speciellen Schutz. Rosenstock hat ihm versprochen, über die Sache zu schweigen und nur auf meinen Befehl darüber Rapport abgestattet. Bis auf Weiteres habt Ihr deshalb nichts davon zu wissen und ich bitte mir aus, daß Ihr meinen Befehl respectirt. Wer Meyer mit der Geschichte neckt, hat es mit mir zu thun — verstanden?“ Die Junker erinnern sich, wie Fahrenholz Ungehorsam gegen seine Befehle straft und nicken zustimmend. Wer nicht gehorcht, der wird nicht nur am Tage gezwiebelt, sondern auch Nachts. Mitten im süßesten Traume fühlt sich der Betreffende grausam in die Wirklichkeit zurückgeführt, indem plötzlich das Tau am untern Ende der Hängematte vom Haken losläßt und Die Seejunker den schlummernden Insassen mit einem höchst unangenehmen Ruck aus der horizontalen Lage in die vertikale versetzt. Die Unterhaltung nimmt eine andere Richtung. In Bre- merhafen giebt ein Taschenspieler Vorstellungen, welche kürzlich von einem Theil der Seejunker besucht worden, und es werden nun seine Leistungen kritisirt. Auf Böhrs haben sie einen ungemein imponirenden Eindruck hervorgebracht, während Andere weniger davon erbaut sind und Fahrenholz, der selbst in diesem Fache dilettirt, sie sehr abfällig beurtheilt. Böhrs ist ein ganz guter Junge, denkt nur ein wenig langsam und muß deshalb oft als Stichblatt für die Witze der Uebrigen dienen. Sein Enthusias- mus für den Taschenspieler giebt Fahrenholz eine Idee ein, die Gesellschaft auf seine Kosten zu amüsiren. „Du bist entzückt von dem Menschen,“ wendet er sich an Böhrs; „ich will Dir zeigen, daß er ein Pfuscher ist. Ich werde alle seine Kartenkunststücke Euch vormachen und gebe eine Bowle zum Besten, wenn ich ihn nicht in Schatten stelle.“ Fahrenholz führt wirklich die Sachen elegant aus, erntet reichen Beifall und Böhrs blickt mit wahrhafter Ehrfurcht zu dem Künstler empor. Dieser hat inzwischen dem Steward Jean leise einen Befehl gegeben. „Jetzt sollt Ihr aber etwas sehen,“ sagte er nun, „was Ihr noch bei keinem Taschenspieler gefunden habt. In wenigen Minuten werde ich ein Ei in eine Champagnerflasche zaubern.“ Allgemeines Erstaunen und kopfschüttelnder Unglauben. „Ihr zweifelt, nun ich werde Euch den Beweis liefern. Jean, eine leere Champagnerflasche und ein Ei!“ Der Spiritus familiaris erscheint mit den verlangten Gegenständen. „So, nun scheert Euch auf fünf Minuten hinaus, wenn es fertig ist, werde ich Euch rufen,“ commandirt Fahrenholz. Als dem Befehle Folge geleistet ist, schält Fahrenholz das vorher nicht ganz hart gekochte Ei, gießt etwas Spiritus in die Werner Flasche und zündet diesen mittels eines in Terpentin getauchten und an einem Draht befestigten Läppchens an. Dadurch wird eine Luftleere in der Flasche erzeugt, Fahrenholz setzt das ge- schälte und mit etwas Oel geglättete Ei mit dem spitzen Ende auf die Oeffnung und der äußere Luftdruck schiebt es glatt durch den Flaschenhals in das Innere, wo es vermöge seiner Elastici- tät wieder seine vorherige Form annimmt. Die Schalen werden sorgfältig beseitigt und dann die Gesellschaft hereingerufen. Triumphirend hält Fahrenholz ihnen die Flasche entgegen. Wahr- haftig, das Ei befindet sich unverletzt darin. Daß es keine Schale hat, beachtet Niemand. Am lautesten äußert Böhrs seine Bewunderung: „Nein, wie ist es nur möglich, Fahrenholz, daß Sie so etwas fertig bringen, das ist ja ganz unglaublich!“ „Bah! Kleinigkeit!“ erwidert dieser. „Mit derselben Leich- tigkeit bringe ich alle möglichen Gegenstände in die Flasche; Dich auch, es dauert nur ein paar Minuten länger!“ Böhrs steht mit offenem Munde. „Mich?“ fragt er end- lich. „Sie scherzen wol nur.“ „Fällt mir gar nicht ein, ich spreche in vollem Ernst. Willst Du um eine Flasche Champagner wetten?“ Die Sicherheit, mit der Fahrenholz seine Behauptung auf- stellt, verblüfft Böhrs zwar, aber er bleibt doch im Zweifel, ob er die Wette annehmen soll. Die Uebrigen merken, daß irgend ein schlechter Witz im Gange ist. Zwar wissen sie noch nicht recht, wo Fahrenholz hinaus will, aber sie halten es für ihre Pflicht, ihn zu unterstützen. „Wette doch, Böhrs!“ rufen sie diesem von allen Seiten zu, „Du mußt ja gewinnen! Er kann Dich unmöglich in die Flasche bringen, dazu bist Du viel zu dick.“ Böhrs zögert noch ein Weilchen, dann aber leuchtet ihm der letzte Grund ein und er nimmt die Wette an. „Nun dann zieh’ Dich aus, mit dem Zeuge geht es nicht,“ Die Seejunker sagt Fahrenholz, „der den größten Ernst bewahrt und einen strafenden Blick über die Andern schweifen läßt, um ihre Lach- muskeln im Zaume zu halten. Böhrs entkleidet sich allmälig. „Die Unterkleider kannst Du anbehalten, sie sind so dünn, daß das nichts ausmacht, nur die Strümpfe müssen herunter. Jean! Hole einmal aus dem Kabelgat einen Fetttopf!“ Jean stürzt hinaus und kommt nach wenigen Augenblicken mit einem Topf voll Stengenschmiere zurück. „Gut, Du kannst hinausgehen, Jean; wenn ich Dich brauche, werde ich Dich rufen!“ Der Steward verschwindet und wendet dabei schleunigst den Kopf ab, um nicht sein Lachen sehen zu lassen. „So, Böhrs,“ wendet sich Fahrenholz an diesen, „nun schmiere Dir die Füße bis an die Knie ein, damit Du gut gleitest, dann kann es losgehen.“ Der Angeredete thut wie ihm geheißen, aber lächelt un- gläubig. Er ist immer noch fest überzeugt, daß er die Flasche Champagner gewinnt. Die Uebrigen beißen sich fast die Lippen blutig, um nur einigermaßen ernst zu bleiben. „Bist Du fertig?“ „Ja.“ Fahrenholz setzt die Flasche neben ihn auf das Deck und sagt dann trocken: „Nun, dann klettere hinein.“ Jetzt kann sich aber die andere Gesellschaft nicht mehr halten und bricht in ein unauslöschliches Gelächter aus. Böhrs schaut unruhig umher. Es dämmert in ihm auf, daß er das Opfer eines ihm gespielten Streiches geworden. Bei seinem langsamen Denken weiß er noch nicht recht, wie er sich dabei benehmen soll, als vor der Messethür verschiedene Stimmen laut werden. „Pst!“ commandirt Fahrenholz, und alles schweigt lauschend. Man unterscheidet auch Damenstimmen und eine derselben fragt: „Hier also wohnen die Seejunker; ist es erlaubt hineinzugehen?“ „Gewiß,“ hört man den kleinen Meyer sagen, „es wird Werner uns eine besondere Ehre sein, Sie in unserer Messe bewill- kommen zu dürfen.“ „Himmel!“ ruft Rosenstock, „da kommt Damenbesuch, Meyer führt umher; was sollen wir anfangen?“ Der unglückliche Böhrs entkleidet und mit den eingesalbten Füßen, glaubt in die Erde sinken zu müssen und sieht sich hülflos nach den Kameraden um. In diesem Augenblicke wird an die Thür geklopft. „Unter den Tisch, unter den Tisch!“ commandirt Fahren- holz. Es ist der einzige Platz, wo Böhrs sich verbergen kann, und er gehorcht instinktmäßig; seine Kleider werden ihm nachge- worfen und das noch vom Frühstück her liegende Tischtuch als schützender Vorhang etwas mehr heruntergezogen. Auf das in- zwischen gerufene „Herein“ öffnet sich die Thür und der kleine Meyer nöthigt mit vielen Verbeugungen die von ihm geführte Gesellschaft in die Messe. Es sind Bremerhafener Bekannte und mehrere allerliebste junge Tamen dabei, mit denen die Seejunker auf dem letzten Balle getanzt haben. Meyer ladet sie daher unbefangen ein, etwas Platz zu nehmen, und weiß die Rippenstöße nicht zu deuten, die er deshalb von einigen Kameraden erhält. „Ist Herr Böhrs nicht an Bord?“ fragt eine der jungen Damen. „Er war bei dem letzten Balle mein Cotillontänzer und ich habe mich so gut mit ihm unterhalten.“ „Er wird sehr bedauern, sich Ihnen nicht vorstellen zu können, mein gnädiges Fräulein,“ nimmt Fahrenholz das Wort, „er ist aber im Augenblick etwas unpäßlich.“ „Wie schade! Was fehlt ihm denn?“ „Oh, gerade nichts Bedenkliches. Er hatte nur etwas Rheumatismus in den Füßen; da ist ihm, kurz bevor Sie kamen, eine Einreibung verordnet und er hat sich auf kurze Zeit hinlegen müssen.“ Wol eine halbe Stunde lang bleibt die Gesellschaft — Die Seejunker man kann sich die Tortur des armen Böhrs unter dem Tische denken. Bei der lebhaften Unterhaltung über sich, hat er es riskirt, sich wenigstens die Beinkleider anzuziehen und es ist ihm gelungen. Kaum hat sich die Messethür hinter der Gesell- schaft geschlossen, so kriecht er, roth vor Zorn, aus seinem Ver- steck hervor; aber was kann er thun? er wird nur mit einem abermaligen Hohngelächter empfangen und ist der Gefoppte. Was hilft es ihm, daß er schwört, sich nicht wieder an- führen zu lassen; bei der nächsten Gelegenheit zahlt er doch wieder die Kosten. Von tiefem Groll erfüllt geht er in das Zwischendeck an seine Kiste, um sich die Stengenschmiere von den Füßen zu waschen. Inzwischen wird zur abendlichen Geschützmusterung ange- schlagen. Die Junker folgen eilends dem Trommelsignal und begeben sich auf ihre Posten. Der arme Böhrs kommt jedoch zu spät und eine ihm zudictirte Strafwache macht das Maaß seines Schmerzes voll. Mit der Panzerfregatte „Friedrich Karl“ nach Westindien und dem Mittelmeer. 1872 bis 1873. I m Jahre 1872 beabsichtigte die kaiserliche Regierung ein sogenanntes „Fliegendes Geschwader“ um die Erde zu schicken. Es sollte den überseeischen Nationen die Flagge des neu erstandenen Deutschen Reiches vorführen, den in fremden Welttheilen angesiedelten Deutschen verkünden, daß jetzt das Vaterland die Macht und den Willen habe, seinen über die Erde zerstreuten Kindern Schutz und Schirm gegen Willkühr und Unbill zu gewähren und dadurch in ihnen das stolze Be- wußtsein wecken und festigen, Angehörige eines einigen und großen Volkes zu sein. Die Reise war auf achtzehn Monate berechnet. Da bei einer so knapp bemessenen Zeit der Aufent- halt an den einzelnen Punkten der in Aussicht genommenen Route nur ein sehr kurzer sein konnte und die Schiffe sich be- eilen mußten, um überhaupt die Tour in achtzehn Monaten zu vollenden, so hatte die Bezeichnung „Fliegendes Geschwader“ eine gewisse Berechtigung. Es bestand aus drei Schiffen: der Panzerfregatte „Fried- rich Karl“, der gedeckten Corvette „Elisabeth“ und aus einem Nach Westindien und dem Mittelmeer größeren Kanonenboote, dem „Albatroß“. Ersterer führte sechs- zehn 21 Centimeter-Geschütze mit 500 Mann, die „Elisabeth“ war mit vierzehn 15 Centimeter-Geschützen bei 390 Mann Be- satzung armirt und der „Albatroß“ mit vier Kanonen, von 12 resp. 15 Centimeter Kaliber, bei einer Mannschaft von 95 Köpfen. In Westindien, dem ersten Reiseziel, sollten sich diese Schiffe mit den dort bereits seit längerer Zeit stationirenden gedeckten Corvetten „Vineta“ und „Gazelle“ zum Zwecke ge- meinschaftlicher Geschwaderübungen vereinigen und dann über Brasilien und die La Plata Staaten um das Cap Horn gehen, während die beiden Corvetten die Heimreise antraten. Der Be- fehl über das Geschwader wurde mir übertragen. Der „Friedrich Karl“ war das erste deutsche Panzerschiff, welches eine transatlantische Reise machte, und für seine Wahl der Umstand maßgebend gewesen, daß es auch ohne Maschinen- kraft unter Segel ziemlich gut manövrirte. Für ein nur auf Dampf angewiesenes so großes Schiff wäre eine Reise um die Erde eine zu kostspielige Sache gewesen, abgesehen davon, daß es, wenn seiner Maschine etwas passirte, hülflos dalag. Solche unter Segel manövrirende Panzerschiffe gab es damals und giebt es auch jetzt nur sehr wenige. So groß- artige Fortschritte die Schiffsbautechnik auch in neuerer Zeit ge- macht, so schwierige Probleme sie in den letzten Jahrzehnten, und zwar gerade bei Panzerschiffen, gelöst hat, ist es ihr bis jetzt doch nicht gelungen, diesen Colossen auch nur annähernd die Segelfähigkeit der früheren hölzernen Fregatten und Linien- schiffe zu geben. Wenn ein Panzer unter Segel manövrirt, so ist das weniger das Verdienst des Baumeisters, als ein glücklicher Zu- fall. Woran es liegt, daß die Wissenschaft in diesem Punkte die gewiegtesten Constructeure in Stich läßt, ist noch nicht auf- geklärt; wahrscheinlich ist die gegen früher veränderte Form R. Werner , Erinnerungen. 20 Werner der Schiffe unter Wasser die Ursache, und bei der Wichtigkeit, welche Manövrir- und Drehfähigkeit für die Panzer namentlich im Kampfe haben, ist es merkwürdig genug, daß die Techniker diesem Punkte bisher so wenig Aufmerksamkeit gewidmet haben. Ein Panzerschiff, das in vier Minuten einen Kreis beschreibt, wird auch einem stärkeren Gegner, der dazu der doppelten Zeit bedarf, bedeutend überlegen sein, da es seinen Sporn und seine Artillerie ganz anders ausnutzen kann wie jener. Man kann hier wirklich sagen: „Wozu in die Ferne schweifen, sieh das Gute liegt so nah;“ etwas weniger Theorie und mehr Praxis würde ganz angebracht sein. Auch der Laie wird es leicht verstehen können, daß, wenn es möglich wäre, dem Schiffskörper unter Wasser die Form eines mit der Spitze nach unten gerichteten Kegels zu geben, dies das Ideal der Manövrirfähigkeit sein müßte. Das ist nun zwar nicht angängig, aber je mehr man sich diesem Ideal nähert, desto besser wird das Schiff manövriren und desto weniger Zeit und Raum wird es zu einer Drehung gebrauchen, während im entgegengesetzten Falle das Umgekehrte eintritt. Bei den alten Holzschiffen fand eine Näherung statt, das Verhältniß ihrer Länge zur Breite war kleiner, ihr Vorsteven, die vordere Fläche des Rumpfes, schrägte sich nach unten und hinten ab und letzterer erhielt dadurch die Form eines Trapezes, dessen Langseite in der Wasserlinie lag. Bei den jetzigen Panzerschiffen findet jedoch das Gegentheil statt. Wegen des Sporns und um größere Tragkraft für die schweren Gewichte des Panzers zu gewinnen, springt der Vorsteven vor, anstatt zurückzuweichen; es entsteht auch eine Trapezform, aber seine Langseite liegt jetzt nicht in der Wasserlinie, sondern im Kiel oder wenigstens in dessen Nähe. Die Folge ist, daß bei Drehungen mehr Wasser zu verdrängen ist und erstere dadurch erschwert werden. Nun läßt sich zwar die Form des Rumpfes unter Wasser aus verschiedenen Gründen nicht gut ändern, aber es liegt doch Nach Westindien und dem Mittelmeer nahe, den Widerstand des Wassers dadurch bedeutend zu ver- ringern, daß man letzterem einen Durchlaß durch das Schiff verschafft, indem man dessen Schärfen hinten und vielleicht auch vorn mit Löchern versieht. Bei Eisenschiffen, wie es jetzt alle Panzer sind, macht dies vom baulichen Standpunkte keinerlei Schwierigkeiten. Der Dampffährenbesitzer Grell in Steinwärder, ein reiner Practiker, ist schon vor Jahren auf diesen Gedanken gekommen und hat mit dem von ihm erfundenen Gitterkiel die günstigsten Resultate erzielt, allein unbegreiflicher Weise hat man in den Marinen keine Notiz von dieser Erfindung genommen und einen Versuch nicht der Mühe werth gehalten. Construc- tionsänderungen nach anderen Richtungen haben bisher aber keine günstigen Resultate gegeben, und so bleibt es vor wie nach dem Zufall überlassen, ob ein Panzerschiff besser oder schlechter manövrirt. Außer dem „Friedrich Karl“ besitzt unsere Marine nur noch ein Panzerschiff, die ziemlich kurze Corvette „Hansa“, welche einigermaßen unter Segel manövrirt, doch sind allerdings die übrigen seefahrenden Nationen nicht besser daran. Aus diesem Grunde nimmt man in neuester Zeit derartigen Schiffen vielfach die Bemastung ganz. Sie beansprucht eine Menge Menschen zu ihrer Bedienung, kostet viel Geld, belastet das Schiff und ist, ohne irgendwie zu nützen, durch ihren Windfang nur der Schnelligkeit und Manövrirfähigkeit hinderlich. Unsere neuen Ausfallcorvetten „Bayern“ und „Sachsen“ haben gar keine Takelage. Die „Elisabeth“ ist unsere schönste und schnellste Holzcor- vette. Sie machte damals ihre erste größere Reise, bewährte sich nach allen Richtungen vorzüglich und gereichte überall, wo sie erschien, dem deutschen Schiffbau zur Ehre. Der kleine „Albatroß“ war der Erstling einer neuen Classe von Kriegsfahrzeugen von verhältnißmäßig schwerer Bewaffnung, aber geringerem Tiefgange (noch nicht drei Meter). Er, wie 20* Werner sein Schwesterschiff „Nautilus“, hatten die ursprüngliche Be- stimmung, in den chinesischen Gewässern gegen Piraten Verwen- dung zu finden und diese in ihre Schlupfwinkel auf seichten Flüssen zu verfolgen. Das kleine Schiff sollte seine erste Hochseeprobe bestehen. Die Ausrüstung des Geschwaders war bis Mitte October beendet und es lief alsdann von Wilhelmshafen aus. Unsere auf längere Expeditionen ausgehenden Schiffe trifft meistens das Geschick, im Spätherbst die heimischen Gestade zu verlassen und ihre Reise mit dem dann in unseren nordischen Gewässern durchschnittlich herrschenden schlechten Wetter zu beginnen. Für die Wahl dieses Zeitpunktes, der auf der Flotte scherzweise „Marinefrühling“ getauft ist, werden verschiedene Gründe an- geführt, die zwar Manchem nicht einleuchten wollen, aber jeden- falls die Folge haben, die erste Zeit der Reise in verschiede- nen Richtungen höchst unbehaglich zu machen und nicht selten durch größere oder geringere Havarien Schaden und Aufenthalt zu verursachen. Wenn jedoch eine so schöne und interessante Reise winkt, wie damals unserem Geschwader, dann nimmt man dergleichen Unannehmlichkeiten gern mit in den Kauf. Die Schiffe wurden nicht davon verschont; ja gleich am ersten Tage spielte Aeolus so heftig auf, daß sie nicht einmal aus der Jade kamen und in deren Mündung ankern mußten. Diese Gegend ist nun gerade nicht danach angethan, den Abschied von der Heimath zu erschweren. Eine öde Fläche schmutzig gelben Wassers zeigt sich, soweit das Auge reicht, nur hier und dort unterbrochen durch die gerade Linie eines kahlen, baumlosen Deiches. Einige kreischende Möven, ein Seehund oder eine Taucherente, die einen Augenblick neugierig die unge- wohnte Erscheinung von Schiffen betrachten, um danach wieder in dem trüben Elemente zu verschwinden — das war die lebende Staffage, und über dem Ganzen wölbte sich ein ebenso trüber Herbsthimmel. Nach Westindien und dem Mittelmeer Den Sachsen, Angeln, Bructern, Kaninefaten und wie sonst unsere Altvordern hießen, deren Stämme an den Mündungen unserer Nordseeströme saßen, war es wahrhaftig nicht zu ver- denken, wenn sie westwärts zogen, um sich ein neues und nicht so stiefmütterlich von der Natur behandeltes Heim zu suchen, und auch wir waren herzlich froh, am nächsten Tage dem un- wirthlichen Strande den Rücken zu kehren, als in der Nacht der Sturm sich gelegt hatte. Der Westwind erlaubte kein Segeln, doch der Motor Dampf trieb das Geschwader pfeil- schnell durch die grünen Fluthen der Nordsee und nur alle paar Stunden wurde sein Lauf auf kurze Zeit gehemmt, um das Loth zu werfen und nach Tiefe und Beschaffenheit des Grundes den geographischen Ort zu bestimmen, da der graue Wolkenschleier die Gestirne verdeckte. Die Zahl der begegnenden Schiffe wurde größer, je mehr wir uns dem Canale näherten und in der Nacht galt es schärfer Ausguck halten, um ihnen auszuweichen. „Feuer voraus!“ „Grünes Licht, zwei Strich in Lee!“ „Rothes Licht, quer ab an Backbord!“ Dergleichen Rufe ertönen in dieser Gegend, der Heerstraße Tausender von Schiffen, als Warnungen der ausgestellten Posten oft kurz nach einander und der Officier der Wache muß die Regeln des Straßenrechts auf See genau im Kopfe haben und dabei seine volle Ruhe und Geistesgegenwart bewahren, um den drohenden Collisionen aus dem Wege zu gehen. Bisweilen geräth man mitten in eine Fischerflotte und sieht plötzlich Hunderte von Blaulichten um sich herum in der dunklen Nacht aufleuchten. Die Fischer brauchen nicht wie alle anderen Schiffe ständige farbige Laternen zu führen, sondern sind nur gehalten, ihre Nähe durch eine Terpentinflamme, eine sogenannte Bluse, kund zu geben. Aus Nachlässigkeit zögern sie oft so lange damit, bis es fast zu spät ist und nur mit genauer Noth einem Unglück vorgebeugt wird. Werner Dunkelheit ist der Schrecken des Seemanns in solchen engen Fahrwassern. Man lebt in einer beständigen nervösen Aufregung; jeder Augenblick droht Unheil und selbst bei der größten Aufmerksamkeit kann man ihm bisweilen nicht ent- gehen. Einige Jahre zuvor schleppte ich mit dem „Kronprinz“ den „Friedrich Karl“ nach Portsmouth. Letzterer hatte im Belt auf einer Untiefe seine Schraube abgeschlagen und mußte zu ihrem Ersatze nach einem englischen Hafen, da wir damals noch keine eigenen Anstalten dazu besaßen. In der Nähe der Doggersbank in der Nordsee fiel Abends dichter Nebel ein, der kaum hundert Schritt weit sehen ließ. Plötzlich tauchte quer vor uns ab eine Brigg unter vollen Segeln aus dem Dunkel auf. Sie lief gegen unser Bugsirtau und zerriß dasselbe, trieb dann aber gegen den „Friedrich Karl“, dessen Krahnbalken ihr beide Masten abrasirte. Die erschreckende Zahl der Zusammenstöße giebt Zeugniß von den großen Gefahren, welche die Schiffahrt nach dieser Richtung bedrohen, und man dankt seinem Schöpfer, wenn man die engen Straßen hinter sich hat und auf dem freien Ocean schwimmt. Am andern Morgen näherten wir uns dem Ein- gange des Canals. Für tiefgehende Schiffe, wie der „Friedrich Karl“, ist hier das Fahrwasser sehr schmal, kaum drei See- meilen breit; es wird durch ein Feuerschiff auf dem „Gallo- per Sand“ gekennzeichnet. Es war jedoch wieder so unsichtige Witterung geworden, daß ein Ansegeln der schmalen Rinne ge- fährlich gewesen wäre, und so gebot die Vorsicht, noch einmal in das freie Wasser der Nordsee zurückzukehren und dort günstigere Umstände abzuwarten, inzwischen uns aber mit dem uns heim- suchenden Sturme abzufinden. Erst 48 Stunden später beruhigte sich der grimme Wind- gott und gab uns einen Freipaß für die Weiterfahrt, so daß wir, statt der für Dampfschiffe üblichen drei Tage, mehr als die Nach Westindien und dem Mittelmeer doppelte Zeit bis Plymouth, unserem ersten Stationsorte, be- hufs Kohlenergänzung, gebrauchten. Kohlenergänzung! Schreckliches Wort im nautischen Lexi- con! Wie viele Commandanten und ersten Officiere hat es schon zur Verzweiflung gebracht und obenein, wenn es un- unterbrochen dabei regnet, wie wir es trafen. Von den Hun- derten in dem engen Raum zusammengedrängten Menschen wird der Schmutz überall hingetragen, jedes Fleckchen im ganzen Schiffe mit einer schwarzen Kruste überzogen und Jeder an Bord sieht aus wie ein Neger. Die moderne Seefahrt hat durch den Dampf viel unerquickliche Zugaben erhalten, aber die Kohlenergänzung ist die unerquicklichste. Wir waren herzlich froh, damit zu Ende zu sein, dem während der ganzen Zeit in einen Regenschleier gehüllten Plymouth den Rücken zu kehren und unsere Schritte gen Süden nach Madeira zu richten. Was nach gründlicher Wäsche im Hafen von Kohlenschmutz auf dem Schiffe noch sitzen geblieben war, das spülte schon am nächsten Tage der Weiterreise die See fort, denn die berüchtigte Bai von Biscaya, für welche die Maury’schen Wind- und Wetterkarten jeden dritten Tag einen Sturm vorzeichnen, ließ uns nicht ungeschoren. Ein von jenseits des Oceans herüberkommender Cyclon, dessen Centrum über uns fort ging, stellte die nautischen Eigen- schaften der drei Schiffe auf eine sehr scharfe Probe, schüttelte sie nach Herzenslust und sprengte sie auseinander. Der „Fried- rich Karl“ entwickelte dabei die „berechtigten Eigenthümlichkeiten“ fast aller Panzerschiffe in schwerer See und rollte eine Zeit lang so heftig, daß man bisweilen versucht war, sich die Frage vor- zulegen: „Wird er sich wieder aufrichten?“ wenn er beim Ueberholen fast die Spitzen der Unterraaen in das Wasser tauchte. Indessen gewöhnte man sich allmälig an das forcirte Wiegen und gewann im Uebrigen die Ueberzeugung, ein gutes festes Schiff unter den Füßen zu haben. Werner „Elisabeth“ und „Albatroß“ bestanden die Schlechtwetter- Probe ebenfalls auf das Beste. Mit ersterer fanden wir uns acht Tage später mitten auf dem großen Ocean wieder zu- sammen, letzterer, der nach dem Sturme nicht, wie wir, allein gesegelt, sondern auch gedampft hatte, war einen Tag vor uns in Madeira eingetroffen. Was für ein herrliches Stück Erde hat doch der liebe Gott in Madeira geschaffen! Wie eine kostbare Perle schwimmt die Insel auf den Fluthen des Meeres, dessen tiefes Blau mit dem Azur des Himmels wetteifert, der sich sonnig und heiter über ihm wölbt. Auf der Grenze der gemäßigten und heißen Zone gelegen, ist Madeira mit dem schönsten gleichmäßigen Klima gesegnet. Weder Eis und Schnee, noch sengende Gluth der Tropensonne sind seinen Bewohnern bekannt, und neben der Weinrebe gedeiht in üppiger Fülle die Palme, die Banane, der Mais und das Zuckerrohr. Ein kostbarer Blumenflor ziert Gärten und Feld, ein ewiger Frühling lacht und ein zufriedenes arbeitsames Volk genießt den Segen, den der Schöpfer mit vollen Händen gespendet. Aus allen Ländern kommen Kranke, um in der milden Luft für die wunde Brust Heilung zu suchen und gar viele, die am Rande des Grabes standen, sind dem Leben und ihrer Familie wiedergegeben worden. Drei Tage weilten wir an dem paradiesischen Orte und genossen in vollen Zügen seine Schönheiten, die ein Ritt nach dem Rio-Frio vor unseren Blicken in vollster Pracht entrollte. Es ist das ein Sturzbach, der vom höchsten Gipfel der Insel, dem Pico-Ruivo, herabkommend, bald in rauschenden schäumen- den Caskaden über wilde zerrissene Felsen stürzt, bald im ebenen Thalbett leise murmelnd und friedlich dahinfließt. Ueber 4000 Fuß hoch hat man zu steigen, zuerst durch dichte Waldungen von Edeltannen und Lorbeerbäumen, dann geht es durch baumartige Ericeen, bis auch sie verschwinden und nur Heidelbeersträucher an ihre Stelle treten. Der Weg schmiegt Nach Westindien und dem Mittelmeer sich im Zickzack an die Bergwände, und unwillkührlich drängt man die Pferde ganz nahe an die letzteren, wenn sich zur Linken jähe Abgründe öffnen, die oft eine Tiefe von einigen Tausend Fuß haben. Oben auf der Höhe wurde eine kurze Rast gemacht, um unsere Thiere verschnaufen zu lassen und uns selbst an einem Trunke Quellwasser zu erlaben, das in der Nähe aus einem Felsen rieselte. Ein großer Theil der Insel wurde von uns überschaut, doch dem Panorama fehlte die Lieblichkeit; wir standen zu hoch, um in den Thälern etwas zu unterscheiden. Auch das umgebende Meer verschwamm mit den Wolken zu einer farb- losen unendlichen Fläche, und so wanderte der Blick nur über schroff abfallende Schluchten, zerklüftete Felsen und wilde Natur, ohne sich daran zu erquicken. Der Thalritt entschädigte uns reichlich. Fast mit jedem Schritte abwärts änderte sich die Scenerie und wurde schöner, der Wald dichter und üppiger. Die bis dahin kahlen Fels- wände bekleideten sich mit saftigem Grün, aus dem dunkel- rothe Fuchsien hervorleuchteten; Schlingpflanzen hingen in zier- lichen Festons von Baum und Stein herab. Schnell näherten wir uns jetzt unserem Ziel, dem idyllischen Thal, durch welches der Rio-Frio sich auf seiner Bahn zum Meere schlängelt. Bald hörten wir sein Rauschen und sahen ihn aus weiter Ferne vom Pico-Ruivo herabkommen. Wie ein neckender Nix spielt und tanzt er hier in silbernen Wellen, verschwindet dort hinter einem Vorsprunge, bald als Wasserfall, bald als Fontäne aus enger Felsspalte in blitzendem Sprühregen wieder hervorquellend, um abermals sich zu verbergen und endlich durch saftiges Wiesengrün ruhig dahinzuströmen. Zart gefiedertes Farrenkraut bekränzt sein Bett, Wasserlilien und duftige Feldblumen nicken träumerisch ihm zu. Goldiger Sonnenschein spiegelt sich in ihm wieder, ein kühler Hauch fächelt uns und stiller Friede lagert über der Stätte, die mit Recht der schönste Punkt der ganzen Insel ge- Werner nannt werden kann und die gerade im Contrast der sie um- gebenden wilden und großartigen Natur um so schöner und lieb- licher erscheint. Stunden lang schwelgten wir nach Herzenslust in dem reizenden Idyll und erfrischten Herz und Geist daran. Dann mahnte die Zeit zum Aufbruch und es ging heimwärts, ein Blümchen am Hut zur Erinnerung. Oben auf den Höhen lagerten jetzt Wolken und umfingen uns mit dichtem Nebel, der unheimlich auf uns lastete. Dann stiegen wir über sie hinaus, die Sonne schien strahlend aus dem tiefblauen Aether hernieder auf die zackige Felsspitze des mächtigen Pico-Ruivo und die Gipfel der übrigen Berge. Aber ihre Körper, die Thäler und Schluchten, die Wälder und das Meer, sie waren in dem weiß- lich grauen Wolkenschleier verborgen, der unter uns die Insel bedeckte, und es war uns, als ob wir in unermeßlicher Höhe über der Erde schwebten und jeden Augenblick hinabstürzen könnten in bodenlose Abgründe. Doch mit festem, sicherem Schritt trugen uns unsere Pferde thalwärts durch das Dunkel und wieder hinein in das sonnige helle Leben, mit seinen Bäumen und Blumen. Aus den Thä- lern klangen die Glocken weidender Heerden zu uns herauf, das Meer leuchtete im himmlischen Blau und die Brandung zog ein Silberband um die felsigen Ufer der Insel. Aus dem dunkeln Grün tauchten nach einander Häuser auf; dann kamen wir an das 2000 Fuß hoch gelegene Kloster Signora dal Monte, dessen weiße Mauern den ansegelnden Schiffen auf viele Meilen als sichere Landmarke erscheinen. Hier verließen wir unsere Pferde, um in flachen breiten Schlitten die letzte Strecke bis zur Stadt hinunter zu sausen. Hui! Wie flogen wir dahin, „daß Roß und Reiter schnoben und Kies und Funken stoben.“ Zuletzt mußten unsere Arrieros gewaltsam hemmen, indem sie hinten auf die Kufen sprangen, denn diese begannen zu brennen, so heftig war die Reibung auf Nach Westindien und dem Mittelmeer den kleinen runden Kieseln, mit denen der Weg gepflastert war. Anfänglich standen uns bei der wilden Jagd die Haare zu Berge, aber bald gefiel uns die originelle Fahrt so, daß es nicht schnell genug gehen konnte. In fünfzehn Minuten waren wir unten und hatten in der Zeit vier deutsche Meilen zurückgelegt. Für die deutschen Seeofficiere hat Madeira fast etwas heimisches; keines unserer Schiffe, das auf längere Expeditionen ausgeht, läßt es unbesucht und manche der Herren sind schon sechs bis acht Mal dort gewesen. Sie begrüßen deshalb die liebliche Insel wie eine alte Bekannte, und es ist nicht nur ihre prachtvolle Natur mit allen tropischen Schönheiten, ohne deren unangenehme Zugaben, die sie stets von neuem anzieht und fesselt, sondern es hat sich auch im Laufe der Zeit zwischen ihnen und den Bewohnern ein freundschaftliches Band geknüpft, das nicht wenig dazu beiträgt, den Aufenthalt zu verschönern und mit besonderen Reizen zu schmücken. Die herzliche und liebenswürdige Gastfreundschaft der ansässigen Deutschen steht dabei in erster Reihe, doch auch die Madeirenser selbst erweisen sich außergewöhnlich entgegenkommend. Der meistens nur kurz bemessene Aufenthalt schwindet deshalb stets zu schnell und gar oft werden an Bord und an Land Gründe und Vorwände ge- sucht und erfunden, um das Bleiben zu verlängern. Leider werden dieselben von den maßgebenden Persönlichkeiten selten als stichhaltig anerkannt und meines Wissens ist es vor längeren Jahren nur einmal gelungen, einen Commandanten dazu zu bewegen. Der Cadett Vogel, der listige, brachte das Kunststück zu Wege und zwar mit Hülfe von Fräulein Rosa. Welcher Marineofficier kennt nicht Rosa, die privilegirte Wäscherin sämmtlicher Kriegsschiffe, welche Madeira berühren — Rosa, die dreimal verheirathet war, eine Schaar Enkel besitzt und trotzdem stets „Fräulein“ betitelt wird, wie vor vierzig Jahren, als die aufblühende Jungfrau ihre Carriere begann und für die Cadetten Werner wusch, die jetzt als ehrwürdige Admirale umherwandern! Ihre einstigen Reize sind freilich inzwischen verloren gegangen, aber ihre Vorliebe für die Cadetten, ihre ersten Kunden und Ver- ehrer, hat sie bewahrt, und Vogel stand bei ihr besonders gut angeschrieben. Die Abfahrt des Schiffes war auf den Nachmittag festge- setzt, aber am Abend sollte in Funchal ein großer Ball sein. Das harte Herz des Kapitäns war nicht zu erweichen, der „blaue Peter“, das Zeichen der bevorstehenden Abfahrt, wehte bereits im Vortop, die Ankerwinde war bemannt und das Schiff seefertig — nur eins fehlte noch: die Wäsche. Unbegreiflich! Fräulein Rosa war sonst die Pünktlichkeit selbst; drei Uhr war ihr vom ersten Officier als der letzte Termin bezeichnet und jetzt war es schon vier. Doch da kam sie endlich am Strande mit den Körben angeschleppt und ließ sie in ein Boot verladen, das auf das Land geholt war. Madeira hat keinen Hafen, sondern nur offenen Strand und bei der steten Brandung macht das Landen und Abkommen Schwierigkeiten, wenn es die heimi- schen Bootführer auch meisterhaft verstehen, sie zu überwinden und ihre eigens dazu gebauten Fahrzeuge trocken zu halten. Mit dem üblichen Geschrei wurde das Boot abgeschoben — aber o weh! Plötzlich schlug es quer in die Brandung hinein und füllte sich bis an den Rand. Nur mit Mühe konnten es seine Insassen wieder auf den Strand ziehen und die schwimmenden Körbe retten. Arme Rosa, arme Wäsche! Die des Kapitäns war auch dabei. Er machte ein finsteres Gesicht, aber ohne Wäsche konnte man doch nicht segeln. Rosa kam an Bord und klagte verzweifelt ihre Noth über das unverschuldete Unglück; aber andern Morgens Schlag neun Uhr sollte bestimmt alles wieder in Ordnung sein. Der Kapitän fügte sich in das Unver- meidliche und das Schiff blieb. Rosa wechselte mit Vogel beim Fortgehen einen verständnißvollen Blick und dieser war im Be- wußtsein des gelungenen Streiches der flotteste Tänzer auf dem Nach Westindien und dem Mittelmeer Balle, zu dem natürlich alle Officiere und Cadetten geladen waren. Später kam die Geschichte heraus; der Unverbesserliche war die Seele der Verschwörung gewesen, welcher der Kapitän zum Opfer fiel. Unter Connivenz von Fräulein Rosa und mit Hülfe von fünf Dollars waren die Bootführer von ihm be- stochen, das Boot absichtlich voll Wasser schlagen zu lassen, das nur leere Körbe enthielt, während die fertige Wäsche noch in der Plättstube ruhte. Um nachträglich noch eine Bestrafung eintreten zu lassen, war zu lange Zeit verstrichen und so kam Vogel mit einem blauen Auge davon, aber seitdem sind die Kapitäne der deutschen Marine unbarmherzig, wenn es sich um verspätete Wäsche oder ähnliche Artikel handelt und die vorher bestimmte Abfahrtszeit wird pünktlich eingehalten. Die drei Tage waren um. Aus den Schornsteinen der Schiffe quollen schwarze Rauchwolken, auf dem Verdeck marschir- ten nach dem Tacte heiterer Musik die Matrosen um das Gang- spill. Der Anker hob sich aus dem Grunde und der Bug des Schiffes wandte sich seewärts. „Ruder Steuerbord! Langsam vorwärts!“ ertönte das Commando. Das Steuerrad drehte sich unter den Händen der Ruder- gänger und die mächtige Schraube setzte sich in Bewegung. Adieu Madeira! Die Blicke wandern bedauernd über das zauberisch schöne Eiland mit seinen Bergen und Thälern, seinen Villen und Gärten, über denen gigantisch und himmelanstrebend der Pico- Ruivo thront. Die Schiffe ziehen ihre Bahn durch die wogen- den Fluthen, günstiger Nordostwind schwellt ihre Segel und mit fliegender Fahrt geht es nach dem Süden. Die prachtvollen Farbentöne der Insel verschwimmen, Nossa Signora dal Monte’s weißes Gemäuer schimmert nur noch matt aus dem Dunkel der Umgebung hervor. Auf den Ruivo senkt sich eine graue Wolke hernieder und verhüllt sein Haupt. Immer tiefer taucht die Werner Insel unter den Horizont — dann ist sie verschwunden. Adieu Madeira! Unsere Reise ging nach der Cap Verdischen Insel St. Vincent, und nach acht Tagen trafen wir wohlbehalten dort ein. Von der Fahrt selbst waren wir jedoch wenig erbaut. Der schöne Passatwind, mit dem wir von Madeira absegelten, hatte keinen Bestand, statt seiner wurden wir von Windstillen und tropischen Regen heimgesucht. Wir gingen zwischen den canarischen Inseln durch, sahen bei der trüben Luft aber kaum ihre Umrisse und das schneebe- deckte Haupt des Piks von Teneriffa zeigte sich nur auf wenige Minuten. Die Witterung war in dieser Gegend jedenfalls eine ganz außergewöhnliche und das heftige Auf- und Niederschwanken des Barometers deutete auf eine irgendwo stattfindende bedeutende atmosphärische Störung. Wie wir später erfuhren, wüthete zur selben Zeit in der Ostsee ein schwerer Nordoststurm, verur- sachte dort eine heftige Ueberschwemmung, und wahrscheinlich empfanden wir den Reflex dieser Lufterschütterung, die, über den Ocean kommend, nicht fern von uns ihren verheerenden Weg nach Norden genommen hatte. Wir liefen St. Vincent lediglich zum Zweck der Kohlen- ergänzung an, denn sonstiger Anziehungspunkte ist es völlig bar. Vulkanischen Ursprungs und fast regenlos (es regnet im Jahre nur ein höchstens zwei Mal), nimmt der Verwitterungsproceß seiner Felsen einen sehr langsamen Verlauf. Ihre Conturen sind deshalb fast noch eben so scharf und zerrissen, wie sie einst durch unterirdische Kräfte aus dem Schooße der Erde empor- gehoben wurden. Aus demselben Grunde fehlt es an Humus und an jedweder Vegetation. Die Tropensonne brennt glühend hernieder auf das bräunlichrothe Gestein und vergebens lechzt man nach Schatten. Natürliches Trinkwasser, d. h. Quellen, Nach Westindien und dem Mittelmeer giebt es auf der Insel nicht. Mit ungemeiner Mühe sucht man in einigen großen Cisternen den kargen Regen zu sammeln, aber er reicht bei Weitem nicht für die 2000 Einwohner der Insel aus. Man hat deshalb mehrere große Normandy’sche Destillir- apparate aufgestellt, welche auch aus Seewasser so viel Trink- wasser destilliren, daß davon — allerdings zu ziemlich hohen Preisen — selbst an passirende Schiffe abgegeben werden kann. Bekanntlich erhielt Normandy für seine segensreiche Erfindung vom englischen Parlament eine Belohnung von 20,000 ₤. Die Cap Verden sind überhaupt eine traurige Gruppe von Inseln, und dieser Eindruck tritt um so mehr hervor, wenn man direct von Madeira kommt, aber die traurigste von allen ist St. Vincent. Trotzdem ist sie die bevölkertste, weil sie den Vorzug eines sehr geräumigen und vollständig geschützten Hafens hat. Aus diesem Grunde und wegen ihrer bequemen Lage für alle südwärts gehenden Dampfer, hat man auf ihr eine Kohlen- station errichtet. Der Verkehr ist ein sehr reger, denn man kann rechnen, daß durchschnittlich täglich ein größeres Dampf- schiff mit Kohlen aufgefüllt wird und zwar geschieht das un- gemein schnell, was man in Portugal oder portugiesischen Be- sitzungen sonst nicht gewohnt ist. Um unsern Bedarf von etwa 12,000 Centnern zu nehmen, brauchte das Geschwader wenig mehr als acht Stunden. Die Kohlenarbeiter sind Neger und Mischlinge, die etwa zwei Drittel der Bevölkerung ausmachen, in erbärmlichen Hütten wohnen und einen Taglohn von 50 Pfennigen nach unserem Gelde erhalten. Da die Insel selbst nichts producirt und sämmtliche Lebensbedürfnisse von auswärts, größtentheils von dem ziemlich fruchtbaren St. Antonio ange- bracht werden müssen, so würde jener geringe Verdienst völlig unzureichend zum Unterhalte sein, wenn der Hafen nicht so un- gemein fischreich wäre. Für wenige Pfennige kauft man vier bis fünf Kilo der schönsten Fische und die Neger leben des- halb größtentheils davon. Wir selbst mußten uns auch damit Werner begnügen, denn an frischem Fleische war nur ein Esel zu haben, für den wir dankten. Wir blieben nur vierundzwanzig Stunden, d. h. gerade so lange, wie wir nöthig hatten, um unsere Kohlen aufzufüllen und dann die Schiffe wieder zu reinigen. Es wurde auch Ur- laub gegeben, aber fast Niemand benutzte ihn. Wir hatten an dem äußeren Anblicke völlig genug gehabt und der Mann- schaft schien es ebenso zu gehen. Der Wirth des „H ô tel de France“ war selbst an Bord gekommen, um zu dem Fandango einzuladen, der Abends bei ihm von Negerinnen getanzt werden sollte, allein auch diese Lockung versagte und der Wirth machte bei uns jedenfalls schlechte Geschäfte. Ohne Bedauern schieden wir von dem öden Platze und waren froh, als wir statt der starren, kahlen Felsen wieder den tiefblauen, wogenden Ocean vor Augen hatten, den unsere Kiele mit günstigem Winde rauschend durchschnitten. Es ging nach Barbados, wo wir uns mit „Gazelle“ und „Vineta“ vereinigen sollten. Die Reise dauerte vierzehn Tage und verlief ohne weitere bemerkenswerthe Um- stände. Nur schien die Natur immer noch nicht ihr Gleichge- wicht wieder gefunden zu haben, denn der Passat wollte sich nicht einstellen und Tage lang regnete es bei vielfacher Windstille so anhaltend und stundenweise so furchtbar, daß man sich bei uns kaum einen Begriff davon machen kann. Kein Gummirock gewährte Schutz dagegen; nach einer halben Stunde war er ebenso wie der bewährte Südwester vollständig durchweicht und wir hätten ebenso gut im Bademantel umhermarschiren können. Am dritten Tage endlich erschien der ersehnte Passatwind mit seinen den Seeleuten so willkommenen Attributen, die um so höher geschätzt werden, wenn die Schiffe, wie die unseren, aus nordischen Klimaten und zur Winterzeit kommen. Wie ange- nehm empfindet man das beständige Gleichgewicht in der Atmo- sphäre, die schöne Witterung, die ruhige See und die wol- thuende nicht übermäßige Wärme. Man hat das Gefühl einer Nach Westindien und dem Mittelmeer behaglichen Sicherheit und überläßt sich ihm ganz in dem Be- wußtsein, alle die Plackereien, Unbequemlichkeiten und Schrecken des Seelebens hinter sich gelassen zu haben und nun eine ge- raume Zeit lang dessen Lichtseiten genießen zu können. Die von dunkeln Nächten, Nebeln, Stürmen und was damit zu- sammenhängt aufgeregten Nerven fangen an, sich zu beruhigen und das übt einen Rückschlag auf alle Verhältnisse an Bord aus, denn das Schiffsleben wird mehr durch Stimmungen be- einflußt, als das am Lande, wo sich die Uebelgelaunten aus dem Wege gehen können. Seeleute wissen freilich von vornher- ein, daß ihr Beruf ein harter ist und wenig Freuden bietet, aber wenn sie Wochen lang und ununterbrochen nur die Kehr- seiten desselben vor Augen haben, dann kann es nicht ausbleiben, daß auch die Gleichmüthigsten aus ihrer Ruhe gebracht und in einen gereizten Gemüthszustand versetzt werden, — sie sind eben Menschen. Die heftigen Bewegungen des Schiffes machen jedes Gehen schwierig, ja gefährlich, beim Sitzen muß man sich irgendwo mit den Beinen festklammern und wenn man nicht besondere Vorsichtsmaßregeln trifft, kann man leicht aus der Coje geschleudert werden. Die Mahlzeiten, sonst die Lichtpunkte des Bordlebens, weil bei ihnen allein der beständige Dienstzwang abgestreift wird, gestalten sich zu den ungemüth- lichsten Sitzungen. Man ist bestrebt, sie so bald wie möglich aufzuheben, weil man in steter Besorgniß schwebt, daß sich der Inhalt der Schüsseln und Teller auf die Kleider ergießt, und trotz aller Vorsicht und krampfhaften Festhaltens geht bei einem unerwarteten und schweren Ueberholen des Schiffes die ganze Geschichte über Stag, wonach dann Personen und Speisen sich plötzlich in unliebsamer Mischung an der Bordwand in Lee wiederfinden. Die See spült beständig über Deck, bald hinten, bald vorn und weicht Jeden gründlich ein, wenn es nicht schon der unaufhörliche Regen gethan haben sollte. Trocke- nes Zeug zum Wechseln giebt es schon seit langem nicht mehr R. Werner , Erinnerungen. 21 Werner und auch das Bettzeug ist naß von den am Eisenbeschlag der Verdecke sich verdichtenden Dünsten. Bei den geschlossenen Luken herrscht im Schiffe und in den Wohnräumen eine dumpfe übel- riechende Luft, und endlich bleibt keine Nachtruhe ungestört, weil bald dieser bald jener unliebsame Anlaß sie unterbricht. Wenn solche Zustände vorübergehen, so läßt man sie sich gefallen und macht gute Miene zum bösen Spiel, dauern sie aber Wochen, dann hilft auch der zäheste Humor nicht mehr darüber fort und eine höchst gereizte Stimmung ist die natür- liche Folge, die nicht dazu beiträgt, das gezwungene Zusammen- leben angenehm zu machen. Alle diese Mißtöne schwinden jedoch vor dem Hauche des Passats und er wird auch dieserhalb von den Betheiligten will- kommen geheißen. Für uns hatten die 14 Tage der Reise noch die besondere Annehmlichkeit, daß wir mit dem günstigen Winde segeln konnten und die Maschine nicht gebrauchten. Wie wurde dieser seltene Umstand vom Commandanten bis zum letzten Matrosen con amore genossen; wie wurde geputzt und das Schiff in allen seinen Theilen mit wahrer Lust auf den Höhepunkt der Rein- lichkeit gebracht, weil man die Gewißheit hatte, nicht wieder alles am nächsten Tage durch Kohlenstaub beschmutzt zu sehen! Ich glaube, der „Friedrich Karl“ hat niemals so hübsch und sauber ausgeschaut wie in dieser Zeit, und dem Aufenthalt in Bar- bados wurde schon darum mit ungetrübter Freude entgegen gesehen, weil keine Kohlen ergänzt zu werden brauchten. Ende November trafen wir dort ein und fanden die beiden Cor- vetten vor, sodaß unser Geschwader jetzt eine ansehnliche Macht bildete und aus fünf Schiffen mit achtzig Kanonen und 1800 Mann Besatzung bestand. Barbados, die Bärtige, wie es von den entdeckenden Portugiesen nach den mit Luftwurzeln versehenen Banianenbäumen genannt wurde, die sie in großer Menge vorfanden, ist die Nach Westindien und dem Mittelmeer reichste und schönste der Inseln über dem Winde und Sitz des Generalgouverneurs der englischen Antillen. Bei 450 Quadrat- kilometer Flächeninhalt zählt sie 162,000 Einwohner, wovon jedoch nur der zehnte Theil aus Weißen besteht, die Uebrigen sind Neger und Mischlinge. Daß Barbados seit über 200 Jahren in englischem Besitz ist, merkt man auf Schritt und Tritt. Die Insel ist ungemein hoch cultivirt und deswegen auch so dicht bevölkert. Sie ist nicht vulkanischen Ursprungs, sondern hat sich langsam ge- hoben. Ihre Höhenzüge sind verhältnißmäßig abgeflacht und fast durchgängig culturfähig; die höchste Spitze ist nur 350 Meter hoch. Die Hauptstadt Bridgetown liegt am Meere und macht den Eindruck eines freundlichen Landstädtchens ohne irgend welche hervorragende Baulichkeiten. Sie ist von Hügeln umgeben, auf denen sich die Europäer angebaut haben, um stets die Kühlung des frischen Passatwindes zu genießen, der über die Insel streicht und ihr Klima zu einem sehr angenehmen und namentlich gesunden macht. Die epidemischen Fieber, welche in Westindien oft mit so tödtlicher Gewalt auftreten, suchen Barba- dos selten heim und ebenso ist es von Erdbeben verschont, leidet jedoch öfter durch Orkane. Das Hauptproduct der Insel ist Zucker; überall sieht man wogende Zuckerfelder und Fabriken aus dem Grün auftauchen, und die über 25 Millionen Mark betragende Ausfuhr giebt einen Maßstab für den Bodenreich- thum. Merkwürdiger Weise sind auf Barbados keine Deutschen; überall in der Welt findet man sie angesiedelt und fast immer arbeiten sie sich zu angesehenen Stellungen empor, nur hier nicht. Neger und Farbige werden sonst von den Engländern als tief unter ihnen stehende Wesen angesehen und danach be- handelt, oft so brutal, daß der humane Deutsche sich dadurch verletzt und empört fühlt. Auf Barbados ist das jedoch nicht der Fall; die Insel hat eine ungemein freie Verfassung und der farbige Menschenbruder glaubt, die ihm gewährte Freiheit 21* Werner durch eine Unverschämtheit bethätigen zu müssen, die sich nament- lich den Fremden gegenüber oft sehr unangenehm geltend macht. Es würde angemessen sein, den Schwarzen das Uebermaß von Freiheit etwas zu beschneiden, wie es auf Jamaika geschehen ist. Sie stehen auf einer zu niedrigen Stufe der Cultur, um richtigen und verständigen Gebrauch von einer Freiheit machen zu können, die für hochcivilisirte Nationen passen mag. Unser Aufenthalt währte acht Tage und wir genossen das Schöne, was die Insel bot, mit vollen Zügen. Sehr viel trug dazu der freundliche Empfang bei, der uns von den Engländern, namentlich aber von dem Gouverneur, Herrn Rawson, wurde. Er wohnt eine halbe Stunde außerhalb der Stadt und sein Haus liegt ebenfalls auf einer Anhöhe, von der man eine schöne Aussicht auf Bridgetown und einen Theil der Insel genießt. Herr Rawson ist ein Naturfreund und es treffen bei ihm alle Bedingungen zusammen, um dieser Neigung vollen Spiel- raum zu lassen. Stellung, Mittel und Klima sind ihm nach jeder Richtung dazu behülflich. Ein prachtvoller Garten, in europäischer Art und nicht in verwilderter Tropenweise gehalten, umgiebt das Gouvernementsgebäude. In ihm wandelt man „ungestraft unter Palmen,“ die ihn in allen Arten und Formen zieren, während die duftigsten Blumen dem Spaziergänger ihr Aroma spenden, die verschiedenartigsten und wohlschmeckendsten Früchte, die Guave, die Anone, Ananas und hundert andere mehr verlockend zum Genusse einladen und auch die bowling greens für croquet und cricket und anderen englischen Sport nicht fehlen. Das Sehenswertheste und Lieblichste ist jedoch der Farren- garten, ein Plätzchen, zu dem Herr Rawson seine Besucher gern und mit einem gewissen Stolze führt. Was es an schönen und zarten Pflanzengebilden aus den Familien der Farren und Orchideen giebt, das ist aus den Urwäldern Brasiliens und Mittelamerikas hierher gebracht und wird mit liebevoller Sorg- Nach Westindien und dem Mittelmeer falt gehegt und gepflegt. Eine dichte Hecke von Schlingpflanzen hält den Wind ab, die Kronen mächtiger Palmen wölben ein Dach, das den Sonnenstrahlen den Eingang wehrt, und eine Fontaine sprüht feinen Staubregen, um den Gewächsen die- jenigen Lebensbedingungen zu gewähren, unter denen sie in der schattigen Stille ihrer heimathlichen Wälder gedeihen. In welcher Weise Herrn Rawson dies gelungen, davon giebt die üppige Entwickelung der Pflanzen und Blumen Zeugniß, und dem Besucher wird es schwer, sich wieder von diesem kleinen Paradiese zu trennen, indem man ebenso die Schönheit und Mannichfaltigkeit der Formen bewundert, als mit Behagen den kostbaren Duft einathmet, den die in allen Farben leuchtenden Orchideen ausströmen. Ein süßer Friede ruht über diesem Pflanzeneden, das in solcher Lieblichkeit wol nicht zum zweiten Male existirt. Noch eine andere ähnliche Sehenswürdigkeit birgt das Gouvernementsgebäude in einer seiner großen Räumlichkeiten: eine so schöne und reiche Sammlung von Korallen und Muscheln, wie sie ebenfalls dem Beschauer nicht oft geboten wird. Die schöpferische Kraft der Natur zeigt sich hier womöglich in noch staunenswertherer Weise als bei den Farren und Orchi- deen und man steht still bewundernd vor diesem Reichthum der wechselndsten Formen, von dem man bisher keine Vor- stellung gehabt. Die Heimath dieser wol einzig in ihrer Art dastehenden Sammlung ist die nächste Umgebung von Barbados selbst und zwar vornehmlich die dem herrschenden Passatwinde abgewandte Süd- westseite der Insel. Hier finden die Korallen die für ihre Ent- wickelung günstigsten Verhältnisse, Ruhe und Wärme. Zwar braust bisweilen ein Orkan über sie dahin und wühlt das Meer auf, doch tritt dieser Fall immerhin nur selten ein. Für ge- wöhnlich werden sie nicht gestört, keine Brandung hemmt ihr Wachsthum und zerbricht ihr sprödes Geäst und tiefe Ruhe Werner herrscht im Gebiete der kleinen fleißigen Baumeister, die vom dunkeln Meeresgrunde aufwärts streben zum belebenden Lichte der Sonne. In je größerer Tiefe sie leben und je mehr sie gegen Bewegung des umgebenden Wassers geschützt sind, desto feiner und zarter ist ihre Structur, und gar mancher Zug mit dem Schleppnetze muß vergeblich gemacht werden, ehe es ge- lingt, die einzelnen Exemplare unbeschädigt heraufzubringen. Wir versäumten nicht, auch für unsere heimischen Museen diesen ergiebigen Boden mit dem Schleppnetze zu durchsuchen und die darauf verwandte Mühe wurde reich belohnt. Oefter traf man freilich Strecken von Meilen Länge, wo das Netz nichts ergab, dann aber wieder kam es bis an den Rand ge- füllt herauf und brachte Seltenheiten mit, auf die selbst Herr Rawson eifersüchtig werden konnte. So z. B. fischten wir ein großes Exemplar einer Seefeder in einer Tiefe von einigen acht- zig Metern, das mit einem seiner schwachen Aeste den Bügel des Netzes gefaßt und den langen Weg ungefährdet zurückge- legt hatte. Diese Koralline war für die Naturforschung inso- fern von Bedeutung, als sie auf das Anschaulichste darthat, wie Thiere im Stande sind, sich in ihrer äußeren Erscheinung will- kührlich zu ändern, um dadurch ihnen drohenden Gefahren zu entgehen. Die Seefeder hatte eine bräunlich gelbe Färbung und war mit weißen Pünktchen besät, die bei näherer Untersuchung sich als Mundöffnungen der die Koralline bewohnenden Polypen herausstellten und wie Sterne aus Blättchen von weißer muschel- artiger Substanz gebildet wurden. In ihrem Gezweig hatten sich eine Masse kleiner Seesterne festgesetzt, und es war ganz deutlich wahrzunehmen, daß sie ihren jetzigen Aufenthaltsort zu den ver- schiedensten Zeiten erwählt hatten. Dies ergab sich aus den Nüancen ihrer Färbung. Während etwa die Hälfte bereits voll- ständig das Aussehen der Seefeder angenommen hatte und selbst mit den weißen Punkten besetzt war, die sich jedoch unter der Nach Westindien und dem Mittelmeer Lupe nicht als Mundöffnungen, sondern nur als kalkige Secre- tionen darstellten, waren andere erst in allmäliger Umwandlung begriffen und die jüngst Hinzugekommenen wiesen noch ihre natürliche schwärzlich graue Farbe auf. Jedenfalls offenbarte sich hier ein wunderbarer Proceß der vorsorgenden Natur, um die Seesterne dadurch vor ihren Feinden zu verbergen, daß sie sich genau die Farbe ihres Standortes aneigneten. Die festgesetzte Zeit unseres Aufenthaltes schwand schnell dahin. Wir wären gern länger geblieben, aber wir hatten noch eine ganze Reihe von Plätzen zu besuchen und es mußte ge- schieden sein. Wir nahmen von Barbados die angenehmsten Eindrücke mit uns und werden uns der freundlichen Insel und ihrer gastfreien uns entgegenkommenden Bewohner gern und dankbar erinnern. Unser nächstes Ziel war Venezuela und zwar der östlichste seiner drei Häfen, La Guayra, das wir in wenigen Tagen, von dem schönsten Passatwetter begünstigt, erreichten. Der Ausdruck „Hafen“ ist für La Guayra jedoch eigentlich nicht zutreffend, wenn man darunter einen gegen die Unbill der Witterung ge- schützten Ankerplatz versteht. Die Stadt liegt an der offenen Küste, auf welcher der Passatwind steht, und wenn derselbe auch ziemlich gleichmäßige Stärke hat, so erregt er doch so viel See- gang, daß die Schiffe wie auf dem Meere sich stets in schwan- kender Bewegung befinden. Weit unangenehmer wird dadurch aber die Verbindung mit dem Lande. Die Wellen rollen so heftig an den Strand, daß man selten mit den Booten landen kann, ohne durchnäßt zu werden und oft Tage lang gar keine Communication stattfindet. Es kennzeichnet die Zustände der Republik, daß nicht ein- mal eine schützende Mole existirt und man sich mit einem soge- nannten Wellenbrecher begnügt, der sich einige Meter weit in das Wasser erstreckt, aber so gut wie gar keinen Schutz gewährt. In welchem anderen Lande der Welt würde eine Seehandels- Werner stadt, die jährlich von Hunderten größerer Schiffe besucht wird, auf solche Weise vernachlässigt sein! Ueberhaupt hat La Guayra eine sehr ungünstige Lage. Auf einem schmalen Küstensaum erbaut, liegt es, von beiden Seiten zwischen kahlen Felsen eingeklemmt, in glühendem Sonnen- brande und ist vom Hinterlande durch eine bis 2500 Meter hoch steigende Gebirgskette abgeschnitten, deren steile Wände sich un- mittelbar hinter der Stadt erheben und mit der Küste parallel laufen. Zwei schmale Reitwege und eine breitere Fahrstraße vermitteln die Communication mit dem Innern resp. mit der Hauptstadt Caracas, die zwar in der Luftlinie nur 1 ½ Meilen entfernt liegt, aber zu Wagen mit guten Pferden in nicht weniger Zeit als vier Stunden erreicht werden kann. Der Fahrweg ist an den Bergabhängen ausgeschnitten und steigt im Zickzack bis zu 1300 Meter an, um dann allmälig wieder abwärts zu gehen. Er ist so breit, daß sich zwei Wagen passiren können, aber trotzdem kommen häufig Unglücksfälle vor, und sehr oft begegnet man roh gearbeiteten Kreuzen, welche die Stelle bezeichnen, wo Menschen oder ganze Gefährte in die steilen Abgründe gestürzt sind. La Guayra bietet nicht die mindesten Reize; es besitzt weder hervorragende Gebäude noch sonstige Sehenswürdigkeiten. Die Häuser sind im langweiligen Tropenstyl nach demselben Schema gebaut und wegen der Erdbeben meistens einstöckig. In der Stadt selbst fehlt jede Vegetation und nur die Umgebung mit den reichbewaldeten Gebirgen als Hintergrund und deren rechtwinklig auf die Küste stoßenden Ausläufern, die ebenso viele Vorgebirge bilden, giebt La Guayra einen gewissen romantischen Anstrich. Jedenfalls ist es aber nicht im Stande, den Besucher irgendwie zu fesseln, und auch wir blieben nur so lange, um eine Reise nach Caracas zu machen, dessen Schönheit durch Humboldts Schilderungen in uns hohe Erwartungen geweckt hatte. Nach Westindien und dem Mittelmeer Die Betheiligung an der Tour war eine sehr rege und nicht weniger als fünf Wagen mit zwanzig Personen, sowie verschiedene Reiter bildeten eine stattliche Cavalcade. Leider war der Beginn nicht sehr günstig. Um der Sonnenhitze zu entgehen, sollte schon um fünf Uhr Morgens aufgebrochen werden; wir waren auch zeitig genug zur Stelle, aber bei der herrschenden Dunkelheit war die Landung sehr schwierig, und wenn wir auch selbst trocken an Land kamen, schlug unmittelbar nach unserem Aussteigen die See die Boote voll und unsere Bagage wurde gründlich eingeweicht, was für Epauletten, Hüte u. s. w. sich nicht sehr vortheilhaft erwies. Sodann waren wir zwar reisefertig, aber die Herren Kutscher nicht. Sie ließen uns ohne irgend welche Entschuldigung oder auch nur Bemer- kung 1 ½ Stunden warten, und so kamen wir erst lange nach Sonnenaufgang fort. Wir hatten eben mit Republikanern zu thun. Der Weg führte zunächst längs der Küste und durch die Vorstadt Maiquetia, wo die Fremden ihre Wohnhäuser haben, während sich die Geschäftslocale in der Stadt befinden. Mai- quetia ist zwar auch ein höchst unschöner, langweiliger Ort mit schrecklichem Straßenpflaster, auf dem man sich Hals und Beine brechen kann, aber es bietet den dort Wohnenden wenigstens Schatten und die Häuser liegen hinter Palmen, Bananen und anderen üppig belaubten Tropenbäumen versteckt. Nach etwa einer Meile geht es dann aufwärts in das Gebirge. Die Tour hatte große Aehnlichkeit mit unserem Ritt auf Madeira. Hier wie dort stiegen wir allmälig zu der- selben Höhe empor, hier wie dort beschlich uns zuerst ein ängst- liches unbehagliches Gefühl, wenn sich zu unserer Seite jähe Abgründe von immer wachsender Tiefe öffneten. Allmälig ließen wir die mächtigen Baumgruppen der Ebene hinter uns, Aloe, Cactus und niedriges Gestrüpp bildete die Bewaldung der Höhen und nur ab und zu erhob sich aus letzterem die seltsame Gestalt eines Indio nudo — eines nackten Indianers, wie die Werner Eingeborenen den Baum nennen. Er hat die kupferbraune glänzende Farbe der Indianer, seine Zweige sind fast blattlos und strecken sich wie nackte Arme horizontal aus. Die Aus- sicht von den Höhen war prachtvoll und kein neidischer Nebel trübte sie. Die Luft war so klar und durchsichtig, daß alle Gegenstände viel näher erschienen und bei jeder Biegung des Weges öffnete sich ein neues Panorama, das unsere Blicke fesselte. Zu unseren Füßen lagerten Hunderte von Bergkuppen, deren dunkle Bewaldung öfter von lieblichen Thälern unter- brochen wurde, durch welche sich ein Bergstrom wand und an dessen Ufern Bananen oder Brotfruchtbäume ihre Blätter im Winde wiegten. In nächster Nähe webte ein reicher Blumenflor einen leuchtenden Teppich über die Erde, buntgefiederte Vögel huschten durch das Gezweig der Bäume und prachtvoll gefärbte Schmetterlinge glänzten im Sonnenlichte und entzückten das Auge. Dieser beständige Wechsel der Scenerie verkürzte uns auf die angenehmste Weise die Zeit, aber auch anderartige neue Erscheinungen zogen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die Fahrstraße vermittelt den ganzen Handelsverkehr zwischen dem Inlande und La Guayra und es herrscht deshalb auf ihr eine ungemein lebhafte Communication. Endlose Züge von beladenen Maulthieren oder zweiräderigen Karren kommen dem Reisenden entgegen und die Glocken der Leitthiere klingen melodisch schon aus weiter Ferne zu ihm herüber. Mit bedächtigem Schritt steigen die Thiere herunter und lassen den begegnenden Wagen die sichere Bergseite, dagegen verursachen die im scharfen Trabe thalwärts jagenden Miethwagen oft keinen geringen Schrecken, wenn sie, ohne daß man ihren Peitschenknall vorher gehört, plötzlich um eine der scharfen Ecken biegen und nun ausge- wichen werden soll. Da heißt es aufpassen und geschickt sein, und das muß man den Venezuelaner Kutschern lassen, sie ver- stehen ihr Fach aus dem Grunde. Unter dem Eindrucke ihrer Nach Westindien und dem Mittelmeer ungemeinen Sicherheit beim Fahren schwand bei uns allmälig die Aufregung bei solchen Begegnungen und bald achteten wir auch nicht mehr auf die Kreuze, die meistens an solchen Biegungen errichtet waren. Die vier Stunden, in denen wir nach Caracas vertrags- mäßig geschafft werden sollten, reckten sich jedoch um ebensoviel weiter hinaus wie unsere verabredete Abfahrt am Morgen. Die Kutscher hatten offenbar viel Durst oder auch das Bedürfniß einer lebhafteren Unterhaltung, als wir mit ihnen pflogen, denn ohne sich an unsere Remonstrationen zu kehren, hielten sie bei jeder Posada, wenn auch der Ausdruck für solche Oertlichkeit oft sehr gewagt war. Vier Pfähle mit einem Dach von Palmen- blättern lehnten sich windschief gegen die Felswand. In einer Ecke befand sich eine Feuerstelle; ein Kessel, zwei oder drei irdene Gefäße und eine geflochtene Hürde, hinter welcher sich die Schlafstellen verbargen — das war die gesammte Ausstattung dieser „Gasthöfe“. Unsereiner konnte in ihnen natürlich nichts bekommen, denn das in den irdenen Gefäßen enthaltene un- definirbare gegohrene Getränk war für Europäer ungenießbar. Auf halbem Wege wurden wir jedoch in einer diesen Namen wirklich verdienenden Posada, welche vier Wände und mehrere Zimmer hatte, durch ein ganz vortreffliches Frühstück entschädigt, das auch verhältnißmäßig nicht theuer war und, was uns besonders auffiel, merkwürdig reinlich servirt wurde. Hier erhielten wir neue Pferde, und da wir den höchsten Punkt unserer Route überwunden hatten, so ging es jetzt im schärfsten Trabe und sehr schnell vorwärts. Noch eine Biegung, und die ganze Hochebene von Caracas mit der Stadt in ihrer Mitte, eingeschlossen von reichbewaldeten Höhenzügen, auf denen der bläuliche Duft südlicher Gegenden lagerte, zeigte sich unseren Blicken. So schön und romantisch uns aber auch die Umgebung erschien, so wenig imponirte uns die Stadt selbst. Möglicher- Werner weise mag sie im Anfange dieses Jahrhunderts ein großartigeres Aussehen gehabt haben, aber bekanntlich wurde sie 1812 durch ein Erdbeben vollständig zerstört, nur die Kathedrale und zwei bis drei andere Gebäude blieben stehen, und bei dem Wieder- aufbau hat man allein das Nützlichkeitsprincip gelten lassen. Mit Rücksicht auf Erdbeben sind, mit sehr wenigen Ausnahmen, sämmtliche Häuser einstöckig, ohne jede architektonische Schönheit, aus rohen Bruchsteinen aufgeführt. Die Straßen durchschneiden sich zwar wie in allen Tropenstädten spanischen Ursprungs recht- winklig in bestimmten Entfernungen, sind aber meistens sehr eng und schlecht gepflastert. Außer der Kathedrale sind die übrigen Kirchen niedrig und gedrückt und treten deshalb kaum aus der eintönigen Häusermasse hervor, so daß der Eindruck, den man von Caracas gewinnt, ein höchst mittelmäßiger ist. Die Kathedrale bildet ungefähr den Mittelpunkt der Stadt und die eine Seite des einzigen größeren öffentlichen Platzes (es giebt deren noch zwei andere), der zwar auch nur beschränkte Dimensionen hat, sonst aber recht geschmackvoll mit Gartenan- lagen geschmückt ist. Erfahrungsmäßig treten an diesen Punkten die Erdbeben am schwächsten auf und deshalb finden sich hier auch die einzigen zweistöckigen Häuser: das Congreßgebäude und der erzbischöfliche Palast. Letzterer war zur Zeit unserer An- wesenheit jedoch unbewohnt und der Erzbischof befand sich im Exil. Venezuela hatte auch seinen Culturkampf, aber der Präsi- dent der Republik, Guzman Blanco, machte mit dem gesammten Clerus kurzen Proceß. Er ließ den widerspenstigen und den Staatsgesetzen den Gehorsam versagenden Erzbischof ohne Weite- res aufheben, mit einigen anderen unbotmäßigen Prälaten auf ein Schiff und außer Landes bringen. Ebenso entzog er den Klöstern die bislang gewährten staatlichen Zuschüsse und wies die Insassen an, sich ihren Lebensunterhalt durch eigene Arbeit zu erwerben. Die Kathedrale hinterläßt keinen schönen Eindruck. Sie Nach Westindien und dem Mittelmeer ist an und für sich wegen der Erdbeben ziemlich niedrig und ringsum von schweren aus Steinen gemauerten Strebe- pfeilern umgeben, wodurch sie etwas Massiges erhält und ihr Styl nicht zur Geltung kommt. Auch ihr Inneres bietet nichts Sehenswerthes, außer einer Statue des Bolivar, die von einem italienischen Künstler gefertigt ist. Unter den 50,000 Einwohnern der Stadt befinden sich gegen 3000 Fremde, darunter 600 Deutsche, die durchschnittlich in recht guten Verhältnissen leben und eine sehr geachtete Stel- lung einnehmen. Venezuela ist überhaupt das Land, wo Deutsche vorzugsweise prosperiren und wo Ansiedlungen in größerem Maße, namentlich auf der klimatisch so günstigen Hochebene des Inlandes, sehr zu empfehlen wären, wenn die politischen Ver- hältnisse des Landes sich etwas mehr consolidiren wollten. Durch die häufigen Revolutionen aber wurde bis vor kurzem die Exi- stenz der Ansiedler stets gefährdet. In den letzten zehn Jahren ist es in Venezuela verhältniß- mäßig friedlich hergegangen und dies hauptsächlich dem erwähnten Guzman Blanco zu danken. Ein ungemein energischer Mann, wenn auch nicht scrupulös in der Wahl seiner Mittel, weiß er seine Landsleute in der richtigen Weise zu behandeln, d. h. ihnen gehörig den Daum auf das Auge zu drücken und dadurch Frieden im Lande zu erhalten. Während seiner ersten Präsi- dentschaft 1871—75 erfreute sich Venezuela vollkommener Ruhe. Unter seinem Nachfolger fingen die alten Streitigkeiten zwischen den beiden politischen Parteien, den conservativen Blauen und den liberalen Gelben wieder an. Zu den ersteren zählten die Großgrundbesitzer, zu den letzteren die Städte und mit ihnen die Fremden. Anfang 1879 kam es in Caracas von neuem zu einer blutigen Revolution. Die Liberalen, auf deren Seite Guzman stand, siegten und letzterer wurde aus Deutschland, wo er sich mit seiner Familie längere Zeit aufhielt, zurückberufen, um zum Werner zweiten Male den Präsidentenstuhl zu besteigen oder vielmehr, er rief sich selbst zurück, da er den Augenblick für geeignet hielt. Es ist kaum zu bezweifeln, daß er diesmal nicht wieder freiwillig zurücktreten wird, und dem Lande kann man es nur wünschen. Wir dürfen zwar an ihn nicht den Maßstab legen, wie wir es bei Regenten civilisirter Länder zu thun gewohnt sind und er würde bei uns kaum acht Tage auf seinem Posten bleiben, allein dort ist er — wenigstens bis auf weiteres — der rechte Mann am rechten Orte. Er ist ein Despot vom reinsten Wasser, mit nach unseren Begriffen eigenthümlichen Grundsätzen über die Verwendung der Einkünfte, aber das Land fährt besser da- bei, als bei irgend einem seiner Vorgänger und hebt sich. Bei den unerschöpflichen Hülfsquellen, die es besitzt, bedarf es nur Frieden, um dieselben auszubeuten, und diesen Frieden weiß Guzman zu erzwingen und die verkommenen, unruhigen Elemente niederzuhalten. Nach den Landesgesetzen herrscht vollständige Preßfrei- heit, aber nur so weit Guzman es für gut hält. Er selbst schreibt Zeitungsartikel über seine Person, nennt sich darin den berühmtesten Mann des Jahrhunderts, dem Napoleon der Erste, Kaiser Wilhelm, Bismarck und Moltke nicht das Wasser reichen (wörtlich!) — wenn aber ein Anderer eine seiner Maßnahmen in der Presse kritisiren wollte, so wäre er verloren. Ein Deutscher, der sonst mit dem Präsidenten auf sehr gutem Fuße stand, beabsichtigte vor kurzem irgend einen Uebelstand öffentlich zur Sprache zu bringen und schickte zu diesem Zwecke einen Artikel an die erste Zeitung von Caracas. Der- selbe wurde nicht gedruckt, aber Guzman ließ dem Verfasser be- deuten, ihn überhaupt nicht zu veröffentlichen, weil er sonst ge- zwungen sei, ihm die Freundschaft zu kündigen und ihn einzustecken. Im Uebrigen ist er jedoch für Deutschland sehr eingenommen und die Deutschen haben in Venezuela jedenfalls mehr Einfluß, als die Angehörigen irgend einer anderen Nation. Wenn man auf das prachtvolle Land blickt mit seiner un- Nach Westindien und dem Mittelmeer endlichen Fruchtbarkeit, die bei der geringsten Pflege des Bodens hundertfachen Ertrag liefert, mit seinem Reichthum an edlen und nützlichen Metallen, seinen großartigen Waldungen der werthvollsten Holzarten mit Millionen Hectaren culturfähigen aber unbebaut liegenden Landes, mit seinen Llanos, auf denen unzählbare Viehheerden üppige Weide finden — und wenn man daran denkt, daß eine Fläche von über 800 Quadratmeilen dieses gesegneten Striches fast drei Jahrzehnte lang in deutschem Besitze war, dann kann man ein Gefühl wehmüthiger Trauer nicht unterdrücken, daß ein solcher Schatz für Deutschland und zwar durch eigene Schuld seiner damaligen Besitzer wieder ver- loren gehen mußte. Was hätte aus diesem Lande bei ver- ständiger Colonisation und rationeller Ausbeutung seiner Boden- erzeugnisse und Mineralschätze gemacht werden können, welche unversiegbare Quelle nationalen Wohlstandes und Reichthumes hätte sich für Deutschland daraus schaffen lassen! Im Jahre 1528 gab Kaiser Karl V. Venezuela den Augsburger Welsern, welchen er große Summen schuldete, zum castilischen Erblehn. Das abgetretene Land erstreckte sich zwi- schen Cap Maracapanos und de la Vela und dem 10. und 12. Grade nördlicher Breite in einer Länge von 200 Leguas bis zum See von Maracaibo und schloß den reichsten und frucht- barsten Theil der jetzigen Republik ein. Ambrosius Dalfinger, Geschäftsträger der Welser in Madrid, segelte 1529 mit 400 deutschen und spanischen Soldaten und achtzig Pferden von Spanien aus über den Ocean, um das Lehn für seine Herren in Besitz zu nehmen. Er machte Züge in das Innere, gründete auch eine Niederlassung an der Grenze von Neu-Granada, allein die krankhafte Sucht nach Auffindung von Gold und Silber, welche damals Alle beherrschte, die nach Amerika zogen, ließ auch ihm keine Ruhe. Anstatt zu coloni- siren, streifte er mit seinen Truppen in den Cordilleren umher, wo er Minen zu finden hoffte, und gerieth in verderbliche Werner Kämpfe mit den Indianern. Geschlagen und mit Verlust seiner meisten Leute, mußte er sich nach Coriana zurückziehen, wo er seinen Wunden 1535 erlag. Ihm folgten nach einander Allemann, Georg von Speyer und Claus Federmann, aber auch sie verfielen in dieselben Fehler wie ihr Vorgänger und für eine geregelte Colonisation wurde nicht einmal eine Grundlage geschaffen. Dann entstanden Streitigkeiten über Zehnten und Abgaben mit den spanischen Behörden und die Welser zögerten eine Zeit lang mit Wieder- besetzung der Stelle eines Oberbefehlshabers. Dieser Umstand bot Isabella, der Gemahlin des Infanten Philipp II. eine will- kommene Handhabe, ihre vermeintlichen Anrechte auf Venezuela geltend zu machen. Sie wirkte auf den Indischen Rath in St. Domingo ein und dieser gab dem ausgeübten Drucke nach. Er entsandte einen spanischen Statthalter und sprach das Lehn im Jahre 1555 überhaupt den Welsern ab. Damit war die ein- zige und glänzende Gelegenheit für Deutschland, eine Colonial- macht zu werden und Theil an der Weltherrschaft zu nehmen, für immer verloren. Von den 600,000 Einwohnern Venezuela’s sind die Hälfte Nachkommen der spanischen Eroberer, wenn auch in den meisten das europäische Blut nicht mehr rein erhalten ist. Die andere Hälfte besteht aus prononcirten Mischlingen und Indianern. Von letzteren ist fast ein Drittheil noch ganz unabhängig, 200,000 sind nominell civilisirt, d. h. nicht in stetem Kampfe gegen die Weißen begriffen, sonst aber ebenso „wild“ wie ehedem. In- folge Jahrhunderte langer Mißregierung ist die große Masse der Venezuelaner europäischer Abstammung verkommen, träge und unwissend und selbst unter vorzüglichen Machthabern wird es noch Generationen dauern, bis darin eine Wandlung zum Bessern geschaffen werden kann. Wie bereits bemerkt würde die Republik für deutsche Ein- wanderung eins der geeignetsten Länder sein, was Klima und Nach Westindien und dem Mittelmeer Bodenbeschaffenheit anbetrifft, jedoch ist vorläufig nicht dazu zu rathen. Die politischen Verhältnisse sind dafür noch zu unsicher und die Behörden erfreuen sich bis jetzt nicht eines solchen Rufes, um ihren den Auswanderern gemachten Versprechungen unbedingt vertrauen zu dürfen. Eine Garantie für Fortkommen und Prosperität würde nur dann zu erblicken sein, wenn die Ansiedler so zahlreich hinübergehen, daß sie sich selbst schützen können. Tausend waffenfähige Männer würden dazu völlig ausreichen, die natürlich nicht im ganzen Lande zerstreut wohnen dürften, sondern größere und compactere Gemeinwesen bilden müßten. Bis jetzt stellt die Regierung solchen Ansiedlungen, obwol sie das beste Heilmittel gegen die stets wiederkehrenden Revolutionen sein würden, noch Hindernisse entgegen und des- halb ist von einer Einwanderung für Deutsche entschieden ab- zurathen. Die Streitmacht Venezuela’s beläuft sich nominell auf 6000 Soldaten, die auch wirklich vorhanden sein mögen, an die man jedoch nicht etwa unseren militärischen Maßstab legen darf. Die Proben, welche wir in Caracas sahen, erinnerten sehr an Falstaff’s Recruten, sowol in Bezug auf Körperbeschaffen- heit wie Uniform oder vielmehr Nichtuniform — wie mögen die Truppen erst in den Provinzen beschaffen gewesen sein! Das Loos der Soldaten ist ein trauriges, der Sold, noch nicht ein Groschen pro Tag, bleibt oft Monate lang rückständig; da ist es dann nicht auffällig, daß es bald diesem bald jenem ehr- geizigen und geldgierigen „General“ gelingt, die Truppen zu einer Revolution zu verleiten oder daß letztere compagnieweise marodiren. Die Officiere sind ihren Untergebenen entsprechend und bei dem geringen Solde kann auch nichts besseres erwartet werden. Ein activer General steht sich z. B. schlechter, als bei uns ein Secondelieutenant, und wir bekamen keinen kleinen Schrecken, als bei Besichtigung der Artilleriekaserne und des dort aufgestellten verwahrlosten Geschützparkes unser Führer, der R. Werner , Erinnerungen. 22 Werner in saloppem Neglig é e erschien und von uns für einen Unter- officier gehalten wurde, sich plötzlich als General entpuppte. Guzman soll das Militär etwas zu heben beflissen sein, aber man merkt nicht viel davon und sowol der Zustand der Truppen wie der der beiden „Kriegsschiffe“, ein Paar alter hölzerner Dampfcorvetten mit reducirter Besatzung, welche die Seemacht der Republik bilden, geben Zeugniß für die ungeregelten staat- lichen Zustände Venezuela’s. Unser Aufenthalt in Caracas, während dessen wir in einer englischen Pension sehr preiswürdig und gut wohnten, währte drei Tage. Von Seiten der Bewohner sowie der Be- hörden kam man uns überall freundlich und aufmerksam ent- gegen und bei einer Audienz hatten wir auch Gelegenheit, den Präsidenten Guzman Blanco persönlich kennen zu lernen. Er war ein sehr stattlicher Mann, jetzt wol Anfang der Vierziger, und die ihm innewohnende Energie prägte sich in seinen Ge- sichtszügen aus. Seine Gemahlin galt anerkannt für die schönste Frau in Caracas und das will unter vielen Tausenden von spanischen Creolinnen nicht wenig sagen. Das damalige Congreßgebäude, in dem wir empfangen wurden, hatte etwas Stallähnliches und zeichnete sich durch Un- sauberkeit aus. Eine Heerde zerlumpter Straßenjungen lungerte im Flur und auf den Treppen und drängte sich auch unge- hindert mit in den Audienzsaal. Seit Kurzem ist das jedoch geändert; Guzman hat ein prachtvolles neues Congreßhaus bauen lassen, das eine Zierde der Stadt bildet und mit der Zeit wird man auch wol die Straßenjungen hinausweisen. Mag der Präsident sich aber auch in der Staatszeitung als den illustrisi- mo Americano bezeichnen, gegen dessen Verdienste der Ruhm Napoleons und Kaiser Wilhelms völlig in den Schatten tritt, mag er in den Städten seines Landes Statuen von sich er- richten lassen und bereits die fünfte Million zu seinen Erspar- nissen in den fünf Jahren seiner Präsidentschaft fügen — den- Nach Westindien und dem Mittelmeer noch ist dem Lande zu wünschen, daß er an der Regierung bleibt. Er deckt dessen Hülfsquellen auf, baut Eisenbahnen und Ver- kehrswege, gründet Schulen und Universitäten, wenn diese auch noch mancherlei zu wünschen übrig lassen und fördert dadurch das materielle und sittliche Wohl. Vor allem aber schafft er Frieden im Innern und damit überhaupt die Grundlage eines möglichen Gedeihens. Von La Guayra segelten wir nach Puerto Cabello, dem größten und für Deutschland speciell wichtigen Exporthafen Venezuela’s, der, im Gegensatz zu La Guayra, mit vollem Rechte den Namen Hafen beanspruchen darf. Er wird durch eine mehrere Tausend Meter lange und etwas gebogene Landzunge gebildet, welche den in unmittelbarer Nähe des Landes ankern- den Schiffen völlige Sicherheit gegen alle Unbill der Witterung gewährt. Der Hafen hat eine Tiefe von acht bis zehn Metern, die für die Handelsschiffahrt genügt. Die Stadt selbst zählt nur 6000 Einwohner und bietet, wie La Guayra, in sich selbst nichts Schönes oder Anziehendes. Auch hier haben die Fremden, unter denen die Deutschen den hervorragendsten Platz einnehmen, in der Stadt nur ihre Geschäftslocale und wohnen außerhalb derselben, meistens in dem idyllischen, etwa eine Stunde ent- fernten Thale von St. Esteban. Letzteres ist eine der lieblichsten Oertlichkeiten, denen wir auf unserer Reise begegnet sind und der Inbegriff einer schönen tropischen Landschaft, wie sie der Europäer sich in seiner Phantasie vorzustellen pflegt, in Wirklichkeit jedoch nur höchst selten angetroffen wird. Das Thal erstreckt sich in der Breite von durchschnittlich 1500 Metern zwischen zwei Höhenzügen von mäßiger Erhebung und wird seiner Länge nach von einem Flüß- chen, dem Rio Esteban, durchströmt. Die Berge sind pracht- voll bewaldet und der Urwald zeigt sich hier noch in seiner ganzen jungfräulichen Schönheit und Majestät. Das Thal selbst ist cultivirt und gewährt ein Bild der ungemeinen Frucht- 22* Werner barkeit, mit der Venezuela von der Natur gesegnet ist. Was die Tropen an nutzbaren Bäumen, Sträuchern und Früchten bieten, das findet sich hier in wunderbarer Fülle und Mannich- faltigkeit vereinigt. Kaffee, Zucker, Cacao, Baumwolle, Indigo, Vanille, Brodfrucht, Banane, Guave und hundert andere Pro- ducte der heißen Zone wachsen in größter Ueppigkeit und er- freuen das Auge. Am meisten wird jedoch Kaffee gebaut, der unter den zu diesem Zwecke angepflanzten und ihn gegen die Sonnenstrahlen schützenden Schattenbäumen vorzugsweise gedeiht und den Haupt- ausfuhrartikel von Puerto Cabello bildet. Parallel dem Flusse läuft eine breite und sehr gut gehaltene Fahrstraße, zu deren beiden Seiten die Landhäuser der Fremden, umgeben von Gärten, liegen. Sie zeichnen sich weniger durch schönen Baustyl aus, als durch tropischen Comfort, der darin gipfelt, daß die Zimmer möglichst kühl sind und der Wind überall freien Zu- tritt hat. Wir empfanden keine übermäßige Hitze, und im Winter ist das Klima von Puerto Cabello überhaupt ein höchst angenehmes, so daß wir während des Tages, selbst zur Mittags- zeit, in der Umgebung von Esteban umherstreiften, ohne durch die Sonne zu sehr belästigt zu werden. So reich und mannichfaltig wie die Flora ist auch die Fauna in dem Thale vertreten, namentlich an Vögeln und Schmetterlingen, die an Farbenpracht mit einander wetteifern. Hunderte von Kolibris schweben über den Blüthenkelchen der Orchideen, die wie Festons von den Zweigen der Bäume herab- hängen, und sie sind so wenig scheu, daß sie sich von den Menschen aus nächster Nähe beobachten lassen. Der metallische Glanz ihres Gefieders blitzt und leuchtet in den Strahlen der Sonne wie Edel- gestein, bald wie Diamant, bald wie Topas, Rubin oder Smaragd, je nachdem das Licht darauf fällt; man wird nicht müde, dem Spiele der reizenden Thierchen zuzuschauen, wie sie von Blume zu Blume huschen, um duftenden Honig aus ihnen zu saugen. Nach Westindien und dem Mittelmeer Und wie am Tage, so blitzt und leuchtet es in Baum und Strauch auch Nachts. Wenn Vögel und Schmetterlinge zur Ruhe gegangen, dann kommen Millionen Glühwürmer aus ihrem Versteck und erhellen das Dunkel mit ihrem phosphores- cirenden Schein. Viele haben die Größe eines Maikäfers, und das von ihnen ausstrahlende Licht ist so stark, daß man in dem Umkreise von zwei bis drei Fuß die Gegenstände gut erkennen kann. Wie Urwald und cultivirter Boden hier sich unver- mittelt berühren, so tritt uns dasselbe Schauspiel auch mit Be- zug auf die Menschen entgegen. Wenige hundert Schritte von Esteban und seinen Villen entfernt haben Ureinwohner des Landes, Indianer, ihre gebrechlichen Hütten errichtet und leben von der Jagd und den Früchten des Waldes, wie vor Jahrhunder- ten ihre Väter es gethan. Ihre Zahl schmilzt freilich von Jahr zu Jahr beträchtlich zusammen, und bald werden sie aus den von Europäern bevölkerten Gegenden ganz verschwunden und von dem Naturgesetze ereilt sein, demzufolge der rothe Mann untergeht, wo er mit dem Weißen zusammentrifft. Der Metallreichthum Venezuela’s tritt besonders unweit Puerto Cabello in der Provinz Coro zu Tage und sind vor allem die Kupfererze ergiebig. Bis vor wenigen Jahren schaffte man das Erz über zwanzig Meilen weit aus dem District Aora auf Maulthieren bis zu dem westlich von Puerto Cabello gelege- nen Hafen Tucacas. Wenn trotzdem die Sache rentabel war, so lag es nahe, eine Eisenbahn zu bauen, und in der That hatten die Engländer kurze Zeit vor unserer Ankunft ein solches Unternehmen in’s Leben zu rufen versucht, waren aber ebenfalls an den unsicheren Zuständen des Landes gescheitert. Eines Tages überfielen revolutionirende Soldaten das Bureau, er- mordeten sämmtliche Beamte, raubten das vorhandene Geld, und damit war alles zu Ende. Der in Aussicht stehende Gewinn war indessen so ver- lockend, daß, als Guzman Präsident geworden und damit Ruhe Werner geschaffen war, sich abermals eine englische Gesellschaft zur Be- arbeitung der Kupferminen bildete, und unter den günstigeren Umständen ist seit einigen Jahren die Bahn fertig geworden und das Bergwerk in blühendem Betriebe. Auch die Gold- und Silberminen, nach denen seit der Entdeckung Venezuela’s so viele Abenteurer suchten und denen die Statthalter der Welser den Besitz des Landes opferten, sind kürzlich am Orinoko aufgefunden worden und haben sich in einer Weise ergiebig gezeigt, die selbst wol die kühnsten Hoffnungen der Unternehmer übertroffen hat. Im letzten Jahre sind den Actionären einer Mine auf jede Actie von 1000 $ nicht weniger als 16,000 $ Dividende gezahlt worden. Hier ist also der Speculation noch ein weites Feld geöffnet und es ist zu hoffen, daß auch deutsches Capital sich jetzt daran betheiligen wird, da durch Guzman eine Garantie friedlicher Zustände geboten ist. Wir blieben fast vierzehn Tage in dem schönen Puerto Cabello, wo wir auch den Weihnachtsabend feierten und wo die deutsche Colonie alles aufbot, uns den Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen; dann gingen wir nach der nahe gelegenen Insel Cura ç ao, um unsere Kohlenvorräthe zu ergänzen. Unsere Reise dahin dauerte 24 Stunden und wir verweilten dort auch nur wenige Tage. Bekanntlich gehört Cura ç ao den Holländern, aber es machte auf uns den Eindruck, als wären sie es gern los, da die Insel nichts einbringt, vielmehr einen jährlichen Zuschuß von 300,000 Mark erfordert. Cura ç ao ist felsig und mit einer so geringen Humusschicht bedeckt, daß nur sehr wenig Bäume fortkommen und die Ernten den Bedarf kaum decken. Da es keine Flüsse und nur sehr wenig Quellen giebt, so sind die 20,000 Bewohner der Insel auf das in der Regenzeit in Cisternen angesammelte Wasser angewiesen. Von jenen Ein- wohnern sind fast nur die Beamten und das Militär Holländer; ein Viertel der Zahl bilden aus Portugal eingewanderte Juden, die zur Zeit der Inquisition hier Schutz fanden; der Rest Nach Westindien und dem Mittelmeer besteht aus Negern und Mischlingen. Deutsche trafen wir nur zwei. Die einzige und Hauptstadt der Insel, Willemstadt, ist in europäischem Style erbaut. Sie macht einen freundlichen sauberen Eindruck und liegt in der Umgebung des Hafens. Letzterer wird aus einem eine halbe Quadratmeile großen Bassin, dem Schottegat, und einem 1500 Meter langen Canal gebildet, der das Bassin mit dem Meere verbindet. Dieser Hafen ist voll- kommen sicher von der Natur geschaffen, und hat so viel Tiefe, daß die größten Schiffe darin ankern können. In Cura ç ao ist das commercielle Leben sehr rege und namentlich die Handelsverbindung mit Venezuela bedeutend. Es herrscht großer Wohlstand auf der Insel; das Haupt- geschäft ist in den Händen der Juden, soll jedoch nicht immer ganz reinlicher Natur sein. Der auf allen Einfuhrartikeln in Mittelamerika lastende Zoll von 30 Procent reizt zum Schmuggel und dieser steht deshalb in hoher Blüthe. Auch noch ein anderes unmoralisches Geschäft war bis vor kurzer Zeit in lebhaf- tem Schwange. Geldmänner Cura ç ao’s versorgten diejenigen, welche in den mittelamerikanischen Republiken eine der chronischen Revolutionen machen wollten, mit den nöthigen Baarmitteln und mit Waffen. Gelangte dann der Betreffende auf den Präsi- dentenstuhl, so zahlte er die Vorschüsse mit hohen Zinsen zurück und beide Contrahenten standen sich gut dabei. Mißlang die Sache, so war allerdings das Geld verloren und mußte bei nächster Gelegenheit doppelt wieder eingebracht werden. An solchen Gelegenheiten mangelte es aber bei der großen Zahl von Prätendenten — Venezuela zählt allein 600 Generäle in parti- bus — keineswegs. Das Klima der Insel kann als ein gesundes bezeichnet werden und der ungehindert über sie hinstreifende Passatwind mildert die Hitze; ebenso ist sie von Erdbeben und Orkanen frei. Mit diesen klimatischen Vorzügen, mit ihrer die Küste von Vene- Werner zuela beherrschenden Lage, dem sicheren und leicht vertheidigungs- fähigen Hafen und bei den großen Handelsinteressen, welche Deutschland gerade in dieser Gegend hat, wäre die Acquisition von Cura ç ao für uns höchst empfehlenswerth und nach alle dem, was man damals darüber hörte, würden sich derselben keine zu großen Schwierigkeiten entgegenstellen. Wenn auch eine eigentliche Colonialpolitik sich bis jetzt in unseren maßgebenden Kreisen noch keiner besonderen Sympathien zu erfreuen scheint, so hat man es andererseits doch für nöthig befunden, im stillen Ocean durch Erwerbung von Kohlenstationen unseren dortigen Handelsbeziehungen einen Rückhalt zu geben. Das ist gewiß nur zu loben, denn Gründung von Colonien hat in der Jetztzeit, wo die besten Länder vergeben sind, immer Be- denkliches und der Erfolg ist zweifelhaft. Es kann leicht eine Schraube ohne Ende werden, dem Lande bedeutend mehr kosten, als einbringen und allerlei unliebsame Consequenzen nach sich ziehen. Lassen sich deshalb dieselben Zwecke, d. h. Förderung und Erweiterung unserer Handelsinteressen durch die Erwerbung einer Flottenstation, erreichen, so ist letztere einer Colonie bei weitem vorzuziehen. Und das würde bei Cura ç ao der Fall sein. Mit dem Besitze der Insel würden unsere Beziehungen zu Mittelamerika einen ganz bedeutenden Aufschwung nehmen, namentlich aber zu Venezuela. Es könnte nicht ausbleiben, daß Deutschlands Einfluß auf letzteres Land mächtig wüchse, wenn es sein so naher Nachbar würde, und unter solchen Verhältnissen müßte auch deutsche Einwanderung unter dem Schutze von Ver- trägen ihre Rechnung finden. Der Ueberschuß unserer Bevölkerung, den wir nach Nordamerika abgegeben haben und noch abgeben, ist für Deutschland so gut wie verloren, wenigstens hat unser Handel und unsere Industrie nur geringen Nutzen von diesen Auswanderern, die sich ihrer neuen Heimath sehr bald assimiliren. Das ist jedoch anders in Staaten mit romanischer Bevölkerung; dort bewahrt der Deutsche seine Nationalität und den Zu- Nach Westindien und dem Mittelmeer sammenhang mit dem alten Vaterlande viel länger, und die Aussicht, daß er noch in gewisser Beziehung auf dessen Schutz und Unterstützung rechnen darf, wird diesen Zusammenhang nur festigen und ersprießlich auf Handel und Industrie zurückwirken. Auf diese Weise können wir Colonien gründen, die uns materiell nichts kosten, aber viel einbringen, und mit einer solchen Colo- nialpolitik darf sich auch unser vorsichtigster Staatsmann ein- verstanden erklären. Sie schützt uns vor bitteren Erfahrungen, wie sie die Franzosen in Algier und Cochinchina gemacht, und bewahrt uns vor überseeischen Conflicten. Am 4. Januar verließen wir Cura ç ao, wo wir sowol bei den Holländern als den übrigen Einwohnern der höheren Classen die liebenswürdigste und gastfreieste Aufnahme gefunden hatten, um Sabanilla, den bedeutendsten Hafen der Vereinigten Staaten von Columbia — ehemals Republik Neu-Granada — anzulaufen. Der günstige Passatwind veranlaßte uns, Kohlen zu sparen und unter Segel dorthin zu gehen, was vier Tage in Anspruch nahm. Der schneebedeckte Gipfel der bis 5000 Meter aufsteigenden Sierra Nevada kündete uns schon auf viele Meilen die Nähe unseres Bestimmungsortes, der selbst jedoch uns nicht sonderlich entzückte. Sabanilla ist ein elendes Fischerdorf von wenigen Hundert Einwohnern; man liegt fast eine Meile von ihm ent- fernt vor Anker. Ein Arm des Magdalenenstromes, der bei dem Orte mündet, führt so viel Schlamm mit sich, daß er das Fahrwasser auf eine solch’ bedeutende Strecke verflacht hat. Der Stapelplatz des Hafens ist das vier Meilen weiter hinauf am Magdalenenstrom liegende und mit Sabanilla durch eine Eisen- bahn verbundene Barranquilla, eine Stadt von 16—18,000 Einwohnern und Sitz des Gouverneurs der Provinz. Diese Eisenbahn ist Eigenthum von Bremer Kaufleuten, wie denn überhaupt die Deutschen in Columbien ebenso wie in Venezuela den Haupthandel in Händen haben, obwol hier ihre Zahl viel geringer ist als dort. Die Bahn ist seit 1871 in Werner Betrieb und die Landesregierung hat dafür eine Zinsgarantie übernommen. Verschiedene Flußdampfer, von denen drei eben- falls deutsches Eigenthum sind und unter deutscher Flagge fahren, vermitteln auf dem Magdalenenstrom den Verkehr mit dem Innern; sie gehen bis Honda, am Fuße der fruchtbaren Hochebenen hinauf, auf denen die Hauptstadt Bogota erbaut ist und die von zwei Drittheilen der drei Millionen betragenden Einwohner Columbien’s bevölkert werden. Baranquilla liegt in einer wenig Abwechselung gewähren- den gewellten Ebene und bietet weder von außen noch innen einen bemerkenswerthen oder angenehmen Anblick. Mit Aus- nahme der Wohnungen der Fremden sind die Häuser sehr primi- tiv und verdienen zum großen Theil nur die Bezeichnung von Hütten. Die sehr tief liegenden Straßen sind nicht gepflastert; bei trockenem Wetter watet man in knietiefem Sande, bei nassem im Wasser. Aus dem Eindrucke, den die Erscheinung der Stadt auf den Fremden macht, schließt er mit Recht, daß er es in Columbien in der großen Masse ungefähr mit derselben Sorte von Menschen zu thun hat, wie in Venezuela: mit auf niedriger Culturstufe stehenden, verkommenen und faulen Creolen und Mischlingen, welche letztere jedoch noch häßlicher sind, als in dem Nachbarstaate, da hier das Indianer- dort aber das Negerblut vorwaltet. Man sagt den Columbiern zum Lobe nach, sie seien weniger depravirt und friedfertiger als die Vene- zuelaner; ich lasse das dahingestellt, jedenfalls aber wetteifern sie mit ihnen in Trägheit. „Nur nicht arbeiten“ ist ihre Parole, und deshalb können sich diese Länder durch ihre eigene Bevölke- rung nicht heben, so lange diese selbst nicht geistig gehoben wird. Bis dahin wird bei aller Fruchtbarkeit des Bodens und dem Reichthum an Mineralien, in denen Columbien mit Venezuela wetteifert, Viehzüchterei die Hauptbeschäftigung bleiben, weil sie die geringen Bedürfnisse der Bewohner reichlich deckt, den Kopf gar nicht und die Muskeln nur wenig anstrengt. Wie sauer Nach Westindien und dem Mittelmeer dem gewöhnlichen Columbier die Arbeit ankommen muß, geht aus den Lohnsätzen hervor, die für den Tagarbeiter vier bis fünf Mark betragen. In europäischen Ländern besteht ein ziem- lich festes Verhältniß zwischen dem Ta glohn und dem täg- lichen Bedarf des Arbeiters und seiner Familie, und beide decken sich ungefähr. Dort ist das aber keineswegs der Fall, weil das Volk nur ein Minimum von Bedürfnissen hat. Man trete in die Wohnung eines solchen Taglöhners, die zunächst von ihm selbst gebaut wird und nichts kostet, als allerdings ein paar Tage Arbeit. Das Holzgerüst holt er sich aus den Wäldern, die Matten, mit denen er Dach und Seiten deckt, flechten Frau und Kinder. Damit ist die Wohnungsfrage er- ledigt, die im Leben unseres Arbeiters eine bedeutende Rolle spielt. Betten kennt der columbische Taglöhner nicht; eine auf dem Fußboden ausgebreitete Matte ersetzt sie. Die Kleidung besteht aus einigen Lumpen für die Erwachsenen und aus Schmutz für die sonst nackten Kinder. An Hausrath genügt ein Topf zum Kochen der Speisen, eine Kalebasse und ein Hack- messer zum Hauen des für die Feuerung nöthigen Holzes. Einige süße Kartoffeln, dann und wann auch etwas Fleischab- fall und wildwachsende oder wenigstens sehr billige Bananen und andere Früchte — das sind die Bedürfnisse der niederen Volksclassen. Man sieht, daß wenige Pfennige dafür ausreichen und daß es den Fremden schwer werden muß, ständige Arbeiter zu bekommen, weil der Lohn einer Woche genügt, um Monate lang alle ihre Wünsche zu befriedigen. Im Innern, auf den Hochebenen von Bogota, soll die Arbeitsscheu nicht ganz so groß sein wie in den heißeren Strichen des Flachlandes und der Küste; von daher kommen die Hauptausfuhrartikel: Tabak, Kaffee, Chinarinde, Gelbholz, Indigo, Elfenbeinnüsse und Baumwolle. Die Cultur der letzteren ist noch nicht lange in Columbia ein- geführt, rentirt aber, da Boden und Klima sich gut dafür eignen. Da Baumwollenpflanzungen verhältnißmäßig wenig Werner Mühe machen, so haben die Fremden und namentlich die Deut- schen solche auch in der Umgegend von Barranquilla angelegt. Nach der Ernte schneidet man die Stauden ab; die neu aufsprießen- den sind im nächsten Jahre ertragsfähig — das kostet nicht viel Arbeit und ist außerdem sehr einträglich, wenn das Unglück es nicht gerade will, daß es in die Blüthen regnet. Das Klima des Landes ist gesund, namentlich auf den Hochebenen im Innern. Auch diese würden einen ungemein günstigen Punkt für deutsche Einwanderung bieten, sobald die schon lange projectirte Eisenbahn zwischen der Hauptstadt Bogota und Honda erbaut sein wird, deren Herstellung bis jetzt noch immer an Geldmangel scheitert. Die Bahn Sabanilla-Barran- quilla erforderte nicht so viel Capital; sie ist nur vier Meilen lang, führt durch ziemlich ebenes Land, die Baukosten haben nicht mehr als 375,000 Mark pro Meile betragen und die Aufbringung der ganzen Bausumme war deshalb nicht so schwierig. Die Strecke Bogota-Honda hat jedoch die dreifache Länge, die Terrainschwierigkeiten sind bedeutend größer, man wird die Meile nicht unter einer halben Million Mark herstellen können und die Beschaffung des Capitals ist deshalb nicht so leicht. Im Lande selbst ist kein Gedanke daran, dazu ist es zu arm und man erwartet den Bau mit deutschem Gelde ausgeführt zu sehen, während die Regierung wie bei der andern Bahn eine Zinsgarantie zusichert. Jedenfalls wäre es das Natürlichste, da Deutschland am meisten dabei interessirt ist und es den bei weitem größten Antheil am Handel hat. Nach Herstellung der Bahn würde dann auch die Zeit ge- kommen sein für deutsche Ansiedlung auf den Hochebenen — denn nur dort eignet sich das Klima dazu. Ohne Bahn sind die gewonnenen Producte nicht zu verwerthen, da die Spesen des Landtransportes bis zum Verschiffungsorte Honda die Waare zu sehr vertheuern und jede Maulthierladung (250 Pfd.) mit zehn bis zwölf Thalern belasten. Vorläufig ist deshalb Nach Westindien und dem Mittelmeer auch hier von Einwanderung entschieden abzurathen, obwol die politischen Zustände des Landes viel ruhiger sind als in Vene- zuela und die Deutschen bei der Regierung wie bei dem Volke in Ansehen und Achtung stehen. Columbien hat eine große Zukunft und birgt nach jeder Richtung unerschöpflichen Reich- thum an Producten. Es bietet ein unbegrenztes Feld für deutschen Unternehmungsgeist und eine Colonisation in ähnlichem Sinne, wie sie oben für Venezuela empfohlen, würde für beide Theile segensreich werden. Der Regierung ist daran gelegen, das Land zu heben und sie setzt den Hebel an der rechten Stelle an. Sie gründet Unterrichtsanstalten und ruft dazu deutsche Lehrkräfte ins Land; an der Spitze des neuerrichteten Schul- lehrerseminars in Bogota stand bei unserer Anwesenheit ein protestantischer Deutscher, ein Beweis, daß Toleranz im weitesten Sinne geübt wird. Es kann deshalb nicht schwer werden, in engere Beziehungen zu Columbien zu treten, dem Lande deutsche Intelligenz, Arbeitskraft und Capital zur Hebung seiner reichen Schätze zuzuführen und dieselben zum Nutzen beider Staaten auszubeuten. Cura ç ao als deutsche Flottenstation würde auch in diesem Betracht von unberechenbarer Wichtigkeit sein und die vielfach ventilirte Frage: „Bedarf Deutschland Colonien?“ auf diese Weise eine allseitig befriedigende und willkommene Lösung finden. Der Magdalenenstrom, etwa von der Größe unseres Rheins und die Hauptverkehrsader des Landes, galt bis vor einigen Jahren in seiner Mündung für größere Schiffe als unpassirbar. Dieser Irrthum ist 1875 durch die deutsche Dampfcorvette „Augusta“ berichtigt, die mit sechzehn Fuß Tiefgang bis Barran- quilla hinaufdampfte, eine Entdeckung, die dem Handel sehr zu Gute kommen muß, da sie von Barranquilla aus eine directe Verschiffung der den Strom herabkommenden Güter ermöglicht und die jetzige Umladung auf die Bahn unnöthig macht. In welcher Weise die Verkehrserleichterung durch jene kurze Strecke Werner Eisenbahn dem Lande selbst Vortheile bringt, geht deutlich genug aus dem Umstande hervor, daß die Zolleinnahmen Barranquilla’s sich nach zweijährigem Bestehen der Bahn verz wölf facht haben; man kann daraus abnehmen, welcher Steigerung der Handel mit Columbien fähig ist. Bis jetzt ist letzterer zum größten Theile in den Händen der Deutschen, die Engländer erklären offen, daß sie unbegreiflicher Weise in jenen Ländern nicht mit den Deutschen concurriren können — sorgen wir dafür, daß wir auch in Zukunft die gewonnene Position halten, befestigen und erweitern. Wir blieben zehn Tage vor Sabanilla und benutzten die Zeit, um durch Vermessungen die ziemlich falschen Karten richtig zu stellen, sowie Land und Leute so viel wie möglich kennen zu lernen. Durch Austausch von Besuchen und durch gesellige Zu- sammenkünfte an Land und an Bord kamen wir auch mit den höheren Classen in Berührung. Sie waren sehr freundlich und zuvorkommend gegen uns, aber mein allgemeines Urtheil über die Bevölkerung fand ich auch hier bestätigt; Bildung und Intelligenz waren mit sehr wenigen Ausnahmen ungewöhnlich karg bemessen. Jedenfalls wird es trotz der Anstrengungen der Regierung eine unabsehbare Zeit dauern, ehe das Land von seinen Bewohnern aus einen Aufschwung erwarten darf und der Impuls dazu muß wol überhaupt von außen kommen. Mit unseren liebenswürdigen deutschen Gastfreunden machten wir zu Pferde mancherlei Touren in die Umgegend, doch bietet dieselbe dem Auge nicht viel Reiz oder Ab- wechselung, besonders wenn man aus dem schönen Puerto Ca- bello kommt. Mit Ausnahme der in weiter Entfernung auf- steigenden Sierra Nevada hat man nur eine endlose leicht gewellte, wenig cultivirte Alluvialebene vor sich, die hier und dort mit Mimosen und niedrigem Laubholz bestanden ist, aber größerer Waldstrecken entbehrt. Unser nächstes Ziel war Hayti. Im Jahre 1872 hatte Nach Westindien und dem Mittelmeer dort wegen eines gegen einen deutschen Kaufmann in Jacmel verübten Gewaltactes eine Differenz stattgefunden. Deutscher- seits war eine Entschädigung gefordert, doch da die Regierung von Hayti darauf einzugehen nicht für gut befand, zu Repressalien gegriffen worden — die einzig richtige Art, wie man mit dergleichen Völkerschaften umgehen muß. Der damalige Kapitän zur See Batsch, welcher den Befehl über die in den westindischen Ge- wässern stationirten gedeckten Corvetten „Vineta“ und „Gazelle“ führte, wurde beauftragt, ein Ultimatum zu stellen. Als Hayti sich ablehnend verhielt, nahm Batsch im Hafen von Port au Prince die beiden Dampfcorvetten in Beschlag, welche die See- streitkräfte der Republik bildeten. Die Besatzungen leisteten keinen Widerstand und die Sache verlief unblutig, machte aber den erhofften Eindruck, denn schon am andern Tage wurde die bis dahin verweigerte Entschädigungssumme gezahlt und Hayti erhielt seine Kriegsmarine zurück. Der Präsident glaubte Grund zu haben, sich über das Verfahren des Kapitän Batsch beschweren zu können, und schickte zu diesem Zwecke einen schwarzen General als außerordentlichen Gesandten nach Berlin. Die Mission war jedoch nicht von dem erwarteten Erfolg gekrönt gewesen und das Verhältniß zwischen den beiden Ländern noch ein gespanntes geblieben. Unsererseits wurde deshalb von einem längeren Aufenthalte in Port an Prince abgesehen, um jede officielle Begegnung auszu- schließen; wir hielten uns nur anderthalb Tage dort auf, um unser Trinkwasser zu ergänzen, das wir uns selbst aus einem Flüßchen holten. Natürlich wurden die internationalen Förm- lichkeiten trotzdem nicht außer Augen gesetzt und die üblichen Salute von 21 Schuß ausgetauscht. Eine Anwesenheit von kaum 48 Stunden in einem fremden Lande kann einem Reisenden natürlich keine Berechtigung geben, irgendwie ein erschöpfendes Urtheil über dasselbe zu fällen. Selbst der schärfste Beobachter wird sich darauf beschränken Werner müssen, die empfangenen Eindrücke nur oberflächlich zu skizziren, indessen gaben uns besondere Verhältnisse Gelegen- heit, nach manchen Richtungen hin doch ein getreues Spiegel- bild von den inneren Zuständen der schwarzen Republik zu gewinnen. Der Seeofficier hat vor gewöhnlichen Reisenden meistens voraus, daß er keiner zeitraubenden Empfehlungen und Einführungen an fremden Orten bedarf, und es gehört nicht zu den geringsten Annehmlichkeiten seines Standes, daß man ihn überall in den höheren Kreisen der Gesellschaft will- kommen heißt und ihm unaufgefordert entgegenträgt, was andere Reisende meistens mühsam aufsuchen und erfragen müssen. Will deshalb ein Seeofficier über Land und Leute, wenigstens in großen Zügen, unterrichtet sein, so reicht dazu auch schon eine verhältnißmäßig kurze Zeit aus. Die verschiedenen Con- suln und fremden Kaufleute sind fast immer sehr genaue Kenner der Landesverhältnisse, und da man mit ihnen zunächst in Be- rührung kommt, so kann man sich leicht orientiren und aus den betreffenden Unterhaltungen objectiv richtige Schlüsse ziehen. Dies kam mir auch hier zu Gute, außerdem ein vom Zufall herbeigeführtes längeres Zusammensein mit Vertretern der höch- sten Kreise der souveränen Republik. Vor längeren Jahren war ich in Monrovia, der Haupt- stadt der von amerikanischen Philantropen gegründeten Neger- republik Liberia gewesen. Es interessirte mich deshalb, Ver- gleiche zu ziehen, aber alles, was ich hier sah und hörte, bestätigte nur das dort schon gewonnene Urtheil, daß selbst- ständige sogenannte civilisirte Negerstaaten nur ein künstliches Dasein fristen, so lange sie sich auf Weiße stützen oder an sie anlehnen können, daß sie aber moralisch und materiell zurück- gehen und allmälig der alten Barbarei und Uncultur wieder verfallen, sobald man sie sich selbst überläßt. Mag man sagen, was man will, der Neger steht nun einmal tief unter dem Weißen und die Menschenfreunde, welche ihn mit uns gleich Nach Westindien und dem Mittelmeer stellen wollen, befinden sich in einem Irrthum. Die Civilisation der Neger wächst nicht von innen heraus, sondern sitzt nur wie ein Firniß auf ihnen. Wird der letztere nicht wiederholt neu aufgetragen, so bekommt er klaffende Risse, aus denen die ur- sprüngliche Barbarei hervorquillt. Der Schwarze ahmt nach; er sucht in der Form das Wesen und wird in den meisten Fällen dabei zur Carricatur, aber geistig etwas Selbständiges zu schaffen, das ist ihm im allgemeinen versagt. Die Richtigkeit dieser Behauptung lehrt ein Blick auf die Geschichte. Haben jemals Schwarze in die- selbe activ eingegriffen und irgend etwas gethan, was dem Vor- wärtsschreiten der Welt und der Civilisation zu Gute gekommen wäre? Es muß ihnen also doch wohl die Fähigkeit dazu ab- gehen und sie bilden im Schöpfungsplane nur Uebergangsfor- men, wie alle farbigen Racen, welche die Culturstufe der Weißen nicht zu erreichen vermögen und deshalb ihnen Platz machen müssen, wo diese erscheinen. Hayti ist die schönste und fruchtbarste der großen An- tillen. Die sie durchziehenden Bergketten sind bis zu den höch- sten Gipfeln culturfähig; alle Erzeugnisse der Tropen gedeihen in üppigster Weise; der Mineralreichthum ist sehr groß, überall findet man schöne und sichere Häfen und Buchten, welche die Schiffahrt begünstigen, — eine einigermaßen intelligente und thätige freie Bevölkerung müßte deshalb längst die Insel zu einem blühenden Emporium gemacht haben; aber was ist sie unter den Händen der Schwarzen seit Anfang dieses Jahr- hunderts geworden? Sie bringt nicht mehr die Hälfte von dem hervor, was sie unter der Herrschaft der Weißen mit kaum ein Viertel ihrer jetzigen Bevölkerungszahl ausführte. Große Strecken des früher ergiebigsten Bodens liegen brach, die reichen Berg- werke werden gar nicht mehr bearbeitet und eigene Schiffahrt existirt nur in kümmerlichem Maße. Dagegen wird der prachtvolle Waldbestand auf das Unverständigste ruinirt, um das Blauholz, R. Werner , Erinnerungen. 23 Werner Mahagoni und andere werthvolle Holzarten zu Gelde zu machen, weil mit einer solchen Industrie die wenigste Arbeit verknüpft ist. An Wiederpflanzen denkt natürlich Niemand und so geht die prachtvolle Insel langsam aber sicher der Verödung durch Sonnenbrand entgegen. Gedanken an die Zukunft hat der Neger nicht, er lebt nur der Gegenwart — après nous le déluge. Dagegen laufen Herzöge, Grafen und Fürsten mit goldstrotzenden Uniformen dutzendweise umher, wenn sie auch zerrissene Stiefel haben oder barfuß sind. Ich machte mit einigen Officieren in der Vorstadt von Port au Prince, dort wo das Flüßchen mündet, aus dem wir Wasser holten, einen Spaziergang. Das Ufer war so flach, daß wir mit dem eigenen Boote nicht landen konnten und wir riefen deshalb einen Neger an, der mit einer Stange einen flach- bodigen Kahn schob, um uns an das Ufer zu setzen. Er kam auch sofort unserem Rufe nach und in der Meinung, er sei ein Bootsführer, machten wir wenig Umstände mit ihm. Wie er- staunten wir jedoch, als er, nachdem er beim Landen einen Vierteldollar für seine Bemühungen zurückgewiesen, sich als General z. D. Telletier vorstellte und das mit einer Grandezza, die uns imponirte, wenngleich seine Kleidung etwas defect, sein schwarzer Cylinderhut voller Beulen war und er keine Strümpfe in den Schuhen trug. Nachdem auch wir uns ihm genannt, lud er uns auf die verbindlichste Weise ein, ihm die Ehre unseres Besuchs zu schenken. Um unseren unbewußten Mißgriff gut zu machen, nahmen wir die Einladung an und folgten dem neuen Gastfreunde. Er war ein junger Mann von dreißig Jahren, für einen Neger von recht einnehmendem Aeußeren und gutem Wuchs. Nur die wadenlosen Beine und die Plattfüße störten etwas. Seine Behausung war für einen General ziemlich beschei- den und hatte etwas hüttenartiges. In den Zimmern drückten die Decken den Kopf und das vordere, durch welches wir passir- Nach Westindien und dem Mittelmeer ten, verrieth, daß unser Wirth neben seiner militärischen Stellung noch eine Privatbeschäftigung habe, nämlich einen kleinen Brannt- weinschank sowie eine Handlung mit Schwefelhölzern, Thon- pfeifen und geräucherten Würsten. Im Hinterzimmer wurden wir „Madame“ vorgestellt und zwar in vollendetster Form. Sie war eine kleine niedliche Frau mit glattem Haar und ziemlich weiß, also mindestens eine Tercerone. Sie trug ein weißes peignoir, obwol es Nachmittag war; doch bei einem Vergleich der Farben fanden wir den Teint von Madame reiner und weißer als die Robe, unter deren mit der Zeit ausgefranzten Rockkante bisweilen ein paar zerrissene Schuhe verschämt her- vorschauten. Mit größter Liebenswürdigkeit wurden wir befragt, ob wir schon gespeist hätten und ob man uns nicht eine kleine Erfri- schung anbieten dürfte. Als wir das letztere nicht ablehnen zu dürfen glaubten, flüsterte Monsieur le général Madame etwas zu und diese verschwand in der Küche. Es dauerte eine geraume Weile, ehe die Erfrischung kam, wol anderthalb Stunden, jedoch wurde uns die Zeit nicht lang. Unser Wirth unterhielt uns auf das Lebhafteste und beant- wortete unsere, ich darf wol sagen öfter indiscreten Fragen über die Landesverhältnisse mit einer rührenden Offenheit, ob- schon wir bisweilen Mühe hatten, seinem etwas eigenthümlichen Französisch zu folgen. Die Unterhaltung wurde noch anziehen- der, als zwei ältere würdige Herren, ein Onkel und ein Freund des Hausherrn, erschienen, ersterer ebenfalls General und in voller Uniform, letzterer Oberrichter. Auch durch sie bereicher- ten wir unsere Kenntnisse von Hayti bedeutend. Ihre eigenen Fragen an uns verriethen jedoch mehr Wißbegierde als Wissen. Endlich erschien Madame, um uns mit einer graziösen Handbewegung zum Imbiß zu laden. Die beiden älteren Herren sowie unsere Wirthe nahmen ebenfalls Theil. Die Speisen waren ganz gut bereitet, und so ließen wir uns die ge- 23* Werner bratenen Hühner schmecken. Ein eigenartiges Getränk, ziemlich trübe und von Geschmack wie säuerliche mit Rum versetzte Limo- nade, wollte mir weniger zusagen und ich begnügte mich mit Wasser. Bei einem Gange in den Garten, wo uns unser Gast- freund seine Tafia-Destillationsanstalt zeigen wollte, in der er den Schnaps für seinen Laden selbst fabricirte, hatte er uns durch die Küche geführt. Dort hatte ich Madame beschäftigt gesehen, zwischen ihren Händchen irgend etwas Undefinirbares in einem irdenen Topf zu quetschen und da in demselben Topfe das zweifelhafte Getränk servirt wurde, war mir der Appetit vergangen. Den schwarzen Herren schien es jedoch sehr zu behagen und es machte sie allmälig so aufgeräumt und zutraulich, daß uns ganz schwül dabei zu Muthe wurde und wir es für angezeigt hielten, an den Aufbruch zu denken. Die dunkele Gesellschaft hatte uns jedoch so in ihr Herz geschlossen, daß schwer fortzukommen war, und wir wurden auch nicht eher losgelassen, bis in Ermangelung von Photographien ein Austausch von Visitenkarten stattgefunden hatte, von ge- druckten allerdings nur von unserer Seite. Für sich und seine beiden Verwandten schnitt Herr Telletier die Karten erst aus grauem Papier und schrieb dann mit einer gelblich braunen Flüssigkeit die Namen darauf. Auf meine Frage nach der Natur dieser Flüssigkeit, erklärte er mir, es sei die landesübliche Tinte und sie werde aus Apfelsinen hergestellt, die an der Nordseite der Gebirge wüchsen. Während die am Südabhange reifenden ihre volle Süßigkeit hätten, seien jene so sauer, daß man ihren Saft nur zur Bereitung von Tinte und Schuhwichse benutzen könne. Endlich rissen wir uns von der Gesellschaft los; jedoch war uns die ganze Gastfreundschaft so eigenthümlich vorgekommen, daß ich es beim Fortgange noch einmal riskirte, nach unserer Schuld zu fragen. Diesmal erhielt ich keine Zurückweisung wie bei dem Boote. „Sechs Dollars,“ lautete die prompte Nach Westindien und dem Mittelmeer Antwort des Generals, und er nahm die 1 ½ £ mit eleganter Verbeuguug entgegen. Wir waren unserer drei, hatten jeder ein halbes Küken mit Bratkartoffeln, etwas Gemüse und ein Stück- chen Käse nebst dem zweifelhaften Getränke gehabt. Dafür waren drei Thaler pro Person immerhin ein ganz anständiger Preis, aber die mehrstündige Unterhaltung mit zwei Generälen und einem Oberrichter, der auch der Senatskammer angehörte, hatte jedenfalls einen höheren Werth für uns gehabt. Sie be- stätigte meine anderwärts und in den verschiedensten Ländern gewonnenen Ansichten über die Civilisation der Neger und hatte uns einen klaren Blick in die heillose Mißwirthschaft auf Hayti thun lassen. Man kann darauf wetten, daß die Insel inner- halb weniger Jahrzehnte irgend einen Protector gefunden haben wird, der aller Wahrscheinlichkeit Nordamerika heißt. Schade, daß Deutschland wieder leer dabei ausgehen wird. Als wir gegen Abend an Bord zurückfuhren, herrschte auf der ungefähr tausend Schritte von unseren Schiffen zu Anker liegenden haytischen „Flotte“ reges Leben. Wir sahen, daß sämmtliche Kanonen auf dem Oberdeck der Corvetten nach hinten zu zusammengefahren und auf den „Friedrich Karl“ gerichtet wurden. Man schien offenbar einen neuen Handstreich von deutscher Seite zu fürchten und sich dagegen vorzubereiten. Wir bedauerten, den Herren auf den Schiffen durch unsere An- wesenheit eine schlaflose Nacht bereitet zu haben, ließen uns selbst aber durch die auf uns gerichteten Geschütze in unserer Nacht- ruhe nicht stören. Am andern Tage verließen wir Port au Prince, um uns in die nahe gelegene Samana Bay zu begeben und dort acht Tage lang Uebungen in der Dampftaktik und mit Torpedos vorzunehmen, wozu sich in dem ruhigen Wasser der geschützten Bucht vortreffliche Gelegenheit bot, die auf der Weiterreise vor- aussichtlich nicht wiederkehrte und deshalb ausgenutzt werden mußte. Diese Taktik umfaßt die verschiedenen Evolutionen eines Werner Geschwaders oder einer aus verschiedenen Geschwadern bestehen- den Flotte zum Zwecke des Kampfes und bezieht sich vorzugs- weise auf Panzerschiffe, welche jetzt überall die eigentlichen Schlacht- schiffe bilden und in die Stelle der früheren Linienschiffe getreten sind. Ungepanzerte Kriegsschiffe kommen, wie die Verhältnisse augenblicklich liegen, für die eigentliche Seeschlacht weniger in Betracht. Sie werden allerdings noch in Einzelkämpfen auf- treten und auch an größeren Gefechten Theil nehmen, können aber zur eigentlichen Entscheidung nur verhältnißmäßig wenig beitragen, es sei denn, daß der Offensivtorpedo zu einer ver- hältnißmäßig so vollkommenen Waffe ausgebildet werde, wie das Geschütz, was bis jetzt aber noch nicht der Fall ist. Seit Einführung der Panzerschiffe in die Flotten hat die Aufstellung einer zweckmäßigen Taktik die hervorragendsten See- officiere aller Nationen beschäftigt, ohne daß sich mit Bestimmt- heit behaupten ließe, die Frage sei endgültig gelöst. Fast jede Marine hat ihre eigene Taktik, die sie für die beste hält, aber erst ein größerer Seekrieg kann darüber entscheiden, ob Theorie und Praxis sich gegenseitig decken. Eine Flotte ist nämlich in dieser Beziehung bedeutend ungünstiger gestellt als eine Land- armee. Letztere kann auch im Frieden eine neue Taktik practisch probiren, erstere aber nicht. Bei Panzerschiffen spielt für jeden Angriff der Sporn eine Hauptrolle, und bei der großen Ge- fährlichkeit dieser Waffe, für welche die Katastrophe bei Folke- stone auch für Deutschland ein so trauriges Beispiel geliefert, ist es unmöglich, eine Gegenpartei aufzustellen und gegen dieselbe zu agiren. Bei einem Rencontre von Landtruppen kommt es nicht darauf an, ob Menschen und Pferde oder auch Geschütze an einander gerathen, aber bei Panzerschiffen kann schon die leiseste Berührung furchtbare Consequenzen nach sich ziehen. Eine Flotte darf deshalb immer nur gegen einen markirten Feind operiren und man gewinnt im Frieden nie ein auch nur an- nähernd richtiges Bild von einem Ernstkampfe zur See. Nach Westindien und dem Mittelmeer Außerdem ist auch das Evolutioniren mit modernen Schiffen bedeutend schwieriger als mit den alten. Bei den Segelschiffen hatte man für alle Bewegungen als bestimmenden Factor den Wind und beide Parteien konnten deshalb innerhalb gewisser Grenzen immer ungefähr wissen, was der Gegner thun würde oder konnte. Ebenso war es für die Kämpfer die Hauptauf- gabe, ihre Geschütze zur Geltung zu bringen, und daraus ergab sich von selbst für alle seefahrenden Nationen dieselbe Schlacht- formation, die sogenannte Kiellinie, bei der die Schiffe ziemlich geschlossen hintereinander segelten und ihre Stärke, die Breit- seite, dem Feinde zukehrten. Die damalige Taktik gipfelte da- her darin, die feindliche Linie quer zu durchbrechen und ihre Schiffe, deren Vorder- und Hintertheil nur schwach armirt war, mit der Masse der Geschütze der Länge nach zu bestreichen, respective einem solchen Versuche des Feindes entgegenzutreten. Die Anwendung des Dampfes, die Erfindung oder viel- mehr die Wiedereinführung des Spornes, denn schon Jahr- hunderte vor unserer Zeitrechnung waren die römischen, griechi- schen und punischen Flotten damit ausgerüstet, und die Panze- rung haben diese einfachen Gefechtsverhältnisse jedoch gänzlich umgewandelt. Die Bewegungen der Schiffe sind jetzt vom Winde unabhängig und der Gegner kann sie nicht mehr mit irgend welcher Sicherheit vorher wissen. Die offensive Haupt- stärke liegt nicht mehr in der Breitseite, sondern im Bug, da ein gelungener Stoß verderblicher wirken kann als ein stunden- langer Geschützkampf. Ebenso ist der Bug defensiv stärker als die Breitseite. Die auf letztere rechtwinklig aufschlagenden Ge- schosse äußern ihre ganze Durchschlagskraft; von vorn kommend treffen sie jedoch stets unter einem Winkel auf den Panzer und ihre Durchschlagskraft wird geringer, je spitzer dieser Winkel ist. Dasselbe gilt von dem ähnlich scharf wie der Bug gebauten Hintertheil des Schiffes, dem Heck. Es kommt aber jetzt auch darauf an, dem feind- Werner lichen Sporn nie die so leicht verwundbare Flanke, sondern stets den eigenen Sporn zu zeigen. Die moderne Taktik besteht des- halb in dem Bestreben der Schiffe, stets direct auf den Feind loszudampfen, in nächster Nähe die Artillerie zur Wirkung zu bringen, einen Spornstoß zu versuchen und dabei an dem An- griffspunkte in der Uebermacht zu sein. Die Angriffsforma- tionen müssen demnach so gewählt werden, daß sie neben größter Compactheit und Beweglichkeit auch die volle Geschützwirkung zur Geltung kommen lassen. Den Schwerpunkt bildet dabei das Manövriren, und man darf die Behauptung aufstellen, daß selbst eine numerisch schwächere Partei den Sieg davon tragen wird, sobald sie mit ihren Schiffen besser zu manövriren versteht. Dies Manövriren mit Panzerschiffen erfordert aber eben so viel see- männisches Geschick wie lange Uebung. In früheren Zeiten, wo sich Kriegsschiffe im Allgemeinen nur durch ihre Größe unterschieden, sonst aber nach denselben Principien gebaut waren und die bewegende Kraft, der Wind, so ziemlich dieselbe Wirkung auf alle übte, konnte der Comman- dant, welcher heute eine kleine Corvette befehligte, morgen eben- so gut mit dem größten Linienschiffe manövriren. Das hat sich jetzt geändert; die modernen Panzercolosse sind einmal sehr ver- schieden construirt, um den sich reißend schnell folgenden Er- findungen und Verbesserungen Rechnung zu tragen und sodann manövriren sie durchaus nicht gleichmäßig. Es ist bis jetzt der Technik nicht gelungen, ihnen mit Sicherheit diejenigen nautischen Eigenschaften zu geben, wie sie die früheren Segelschiffe besaßen. Von zwei gleich großen Panzern steuert der eine gut, der andere schlecht, der erste gebraucht vier Minuten zur Beschreibung eines Kreises, der zweite die doppelte Zeit, jener macht schon bei ge- ringem Seegange sehr tiefe seitliche Schwankungen, dieser nicht. Die modernen Schlachtschiffe sind Individuen, von denen jedes seine besonderen Eigenschaften besitzt; diese wollen gekannt sein und eine solche Kenntniß läßt sich nur durch sehr lange Uebung erreichen. Nach Westindien und dem Mittelmeer Auf den Segelschiffen war der Commandant beim Manöv- riren viel unabhängiger als jetzt. Er gab seine Befehle über Segelstellung und Ruderlage und controlirte deren richtige Aus- führung selbst und mit einem Blicke. Jetzt ist er von der Maschine abhängig und die Controle um so viel schwieriger. Man sucht sie zwar durch alle möglichen mechanischen Vorrich- tungen, Hubzähler, Sprachrohre, Telegraphen der verschiedensten Art, zu erleichtern, aber jedenfalls wird sie durch solche Hülfs- mittel nicht vereinfacht. Ueberhaupt sind auf den Kriegsschiffen überall die complicirtesten Verhältnisse an Stelle der früheren einfachen getreten und deshalb erfordert ihre richtige Behand- lung ganz bedeutend mehr Kenntnisse, Geschick und namentlich mehr Uebung als sonst. Auch genügt es nicht, daß der Comman- dant allein sein Schiff, dessen Eigenschaften und Eigenthümlich- keiten genau kennt, sondern dasselbe muß von den Officieren und dem größten Theile der Besatzung gefordert werden, wenn man die volle Ausnutzung jener im Kampfe erwartet. Die ge- nannten Personen müssen dauernd, wenn möglich Jahre lang auf demselben Schiffe bleiben und vollkommen mit ihm ver- traut sein; nur dann wird letzteres in der Schlacht das leisten, was es vermag. Die achttägigen Uebungen in der Samana Bay hatten den Kohlenvorrath des Geschwaders so ziemlich erschöpft und zu seiner Ergänzung liefen wir den nahen Hafen von Kingston auf Jamaika an. Das waren einmal wieder schöne Tage, die wir auf der prachtvollen Insel verlebten. Der gastfreundliche Gouverneur lud uns auf seine Villa in den Bergen ein und wir genossen von dort auf Ausflügen in die blauen Gebirge, was die herr- liche Tropennatur bot. Bis über 2000 Meter erheben sich die Höhenzüge im Innern, aber nicht so wild, zerrissen und jäh wie auf Madeira oder Hayti, sondern bequem aufsteigend und überall mit breiten und gut gehaltenen Wegen versehen. Wie Werner in Barbados nimmt man auf den ersten Blick wahr, daß Eng- länder die Herren der Insel sind und diese sich schon Jahr- hunderte lang in ihrem Besitze befindet. Jedes Thal, jeder nicht zu steile Abhang ist cultivirt, bis zu 2000 Meter Höhe trifft man Kaffeepflanzungen und überall in der Ebene liegen Zucker- und Rumfabriken zerstreut. Seit Freilassung der Neger, von denen es über 300,000 auf Jamaika giebt, ist der Ertrag um zwei Drittel zurückgegangen; er beginnt aber seit Einfüh- rung chinesischer Kulis, die hier wirklich freie Arbeiter sind, sich allmälig zu heben. Der Neger faullenzt und nur der Hunger treibt ihn, ein paar Tage im Monat zu arbeiten, um bei seinen geringen Bedürfnissen für den gewonnenen Lohn während der übrigen Zeit in Nichtsthun zu schwelgen, das für ihn das höchste irdische Glück einschließt. Der Kuli dagegen hat wie alle Chinesen den Ehrgeiz, ein wohlhabender Mann zu werden und als solcher in seine Heimath zurückzukehren, an der er mit großer Liebe hängt und die er nur verlassen hat, weil in dem übervölkerten Lande kein Raum mehr für ihn war und ihm der Hungertod in’s Antlitz starrte. In diesem Gedanken arbeitet er unverdrossen von früh bis spät, trotz Fieber und Sonnengluth, lebt überaus sparsam und ärmlich und sucht nur Geld zurück- zulegen. Leider gelingt es nur Wenigen, das Ziel zu erreichen, denn der verführende Teufel, das Opium, stiehlt ihnen das schwer Erworbene und zugleich die körperlichen und geistigen Kräfte. Aber sie arbeiten so lange es möglich ist, und unter ihren fleißigen Händen und bei dem geringen Lohn, den sie be- anspruchen, kommen die englischen Pflanzungen und Fabriken in die Höhe. In den Tropen ist für europäische Anforderungen nur der chinesische Kuli der gegebene Arbeiter, weil er aus eigenem An- triebe fleißig ist und außer dem Neger resp. Eingeborenen allein den schädlichen klimatischen Einflüssen widersteht. Wo in Colo- nien Sclaverei geherrscht hat, ist lediglich er im Stande, durch Nach Westindien und dem Mittelmeer seine körperliche Leistungsfähigkeit die frühere Sclavenarbeit zu ersetzen und dem wirthschaftlichen Ruin oder wenigstens dem Rückgange vorzubeugen, den die Aufhebung der Sclaverei noth- wendig nach sich zieht. In Ländern jedoch, deren Klima dem weißen Manne dauernde Arbeit im Freien oder in Fabriken ge- stattet, ist die Einführung von Chinesen in größeren Massen keineswegs wünschenswerth, weil die Weißen mit ihnen durchaus nicht concurriren können. Faßt man nur die materielle Seite in’s Auge, so mag es willkommen sein, wenn die Arbeitskraft und infolge davon die Productionskosten sich so viel billiger stellen, aber es ist auch das ethische Moment zu berücksichtigen. Die Fortschritte der Civilisation sind darauf gerichtet, selbst dem Niedrigstgeborenen ein menschenwürdiges Dasein zu sichern, und wenn dasselbe sich auch nur in den bescheidensten Ansprüchen bewegt, so erfordert es für den weißen Arbeiter eine gewisse Summe für den Lebens- unterhalt, nach der sich seine Lohnforderungen richten müssen. Unter ein gewisses Minimum darf der weiße Arbeiter nicht hin- abgehen, ohne geistig und körperlich zu verkommen und mit dem, was der Kuli für sich gebraucht, ist es jenem unmöglich zu exi- stiren. Der Chinese miethet sich mit acht bis zehn Kameraden einen Raum als Wohnung, dessen Kubikinhalt kaum für einen Europäer genügt, in dem die ganze schmutzige Gesellschaft lebt, speist, schläft und in dessen für Weiße unerträglicher Atmo- sphäre sich die Ausdünstungen so vieler Menschen mit dem widerlich süßen Geruche des Opiumrauches mischen. Die Bett- stellen sind wegen des beschränkten Platzes, drei bis vier über einander, an den Wänden aus alten Brettern zusammengeschlagen und ein paar Strohmatten bilden das Lager. Die Kleidung deckt nur auf das Dürftigste die Blößen, Mobiliar wird als überflüßig betrachtet, und die Chinesen begnügen sich mit einer Nahrung, die bei uns selbst der hungrige Bettler verschmähen würde und bei der er auch nicht leben könnte. Dazu tritt Werner dann noch der Umstand, daß der in’s Ausland gehende Kuli alle seine mit unseren Anschauungen oft so wenig vereinbarenden Lebensgewohnheiten mit sich nimmt und starr an ihnen festhält, daß er sich unseren Begriffen von Civilisation gegenüber völlig ablehnend verhält, moralisch sehr tief steht und den verabscheuungs- würdigsten Lastern fröhnt. Eine Familie gründet er nicht und knüpft überhaupt kein festeres Band mit seinem neuen Wohnsitze, weil er stets hofft, entweder lebend in die alte Heimath zurück- zukehren oder wenigstens seine Leiche dahin übergeführt zu sehen. Diese Vaterlandsliebe ist zwar ein versöhnender Zug in seinem Character, aber auch so ziemlich der einzige und er genügt nicht, um die sonstigen Schattenseiten seiner asiatischen Uncultur in helleres Licht zu stellen. Unter solchen Umständen ist es daher im Interesse der Civilisation nur zu wünschen, daß solche ihr selbst unzugäng- lichen Elemente aus denjenigen Ländern fern gehalten werden, wo sie die Existenz von Weißen bedrohen und es ist z. B. den Californiern nicht zu verdenken, wenn sie alle Mittel aufbieten, um dem verheerenden Strome der sich in ihr Land ergießenden chinesischen Einwanderung einen Damm entgegenzusetzen. Jamaika hat schon seit 200 Jahren eine Repräsentativ- verfassung, freier als das Mutterland. In mißverstandener Menschenliebe hatte man auch den freigelassenen Sclaven die- selben politischen Rechte ertheilt, die sie natürlich nicht zu ge- brauchen verstanden, und der Rückschlag blieb nicht aus. Un- verschämtes freches Auftreten gegen die Weißen und endlich Aufruhr und Empörung gegen die Engländer im Jahre 1865 war die natürliche Folge. Der damalige Gouverneur Eyre er- griff die richtigen energischen Maßregeln und unterdrückte scho- nungslos die Revolution; er wurde zwar abberufen, weil schwächliche Sentimentalität im Mutterlande sein Verfahren als grausam mißbilligte, indessen sah man doch ein, daß die bis- Nach Westindien und dem Mittelmeer herige Freiheit der Neger gefährlich sei und so wurden durch eine Verfassungsänderung ihre politischen Rechte beschränkt. Jamaika erhält durch seine Vegetation einen ganz besonde- ren Character. Es bietet nicht wie die meisten und namentlich die von hohen Gebirgen durchzogenen Tropenländer das Bild einer durch ihre Großartigkeit und Wildheit imponirenden Natur, sondern hinterläßt den Eindruck einer ruhigen friedlichen Land- schaft. Dazu tragen vor allem drei Baumformen bei, welche in den bewohnten oder zugänglichen Gegenden das Gros der Bewaldung bilden und ihr den das Auge so angenehm berüh- renden idyllischen Reiz verleihen. Es sind dies die Farren, der Bambus und der Mangobaum. Die Farren sind heimisch auf der Insel; in Hunderten von Arten vertreten, bedecken sie theils als Gesträuch große Strecken der von einer Menge Rinn- salen durchströmten Niederungen und der sich leise abflachenden Abhänge, theils krönen sie als mächtige Bäume von acht bis zehn Meter Höhe die Berggipfel in dichten Waldungen. Ihre in lichtem Grün strahlenden Blattwedel mit den verschiedensten feingeschnittenen Mustern haben etwas so Sanftes und Weiches in ihrer Erscheinung, daß der Blick unwillkührlich von ihnen angezogen wird und gern auf ihnen weilt. Einen ähnlichen erfreuenden Anblick gewähren die Bambusgebüsche mit ihren schlanken hohen Stämmen und feingefiederten Blättern, die sich mit leisem Rauschen im Winde wiegen und flüsternd aus ihrer Heimath im fernen Osten erzählen, aus der dieser ebenso schöne wie nützliche Strauch oder Baum — wie man ihn nennen will — hier eingeführt ist. Er hat auf Jamaika alle Lebens- bedingungen gefunden, um in üppigster Fülle zu gedeihen und es ist eine wahre Pracht, ihn in seiner Entfaltung zu sehen. Der Mango, mit seiner breiten Krone, seinen glänzenden dunkelgrünen Blättern und goldgelben Früchten, ist ebenfalls aus Ostindien im ersten Viertel unseres Jahrhunderts eingeführt, hat sich aber bereits bis zu den mittleren Lagen der Höhenzüge Werner so verbreitet, daß er ganze Waldungen bildet und die übrigen Bäume verdrängt. Das weidende Vieh frißt sehr gern seine auch dem Menschen wohlschmeckenden Früchte, welche die Größe eines Apfels und gelbes säuerliches Fleisch haben und verpflanzt dadurch die Kerne, die wie Kokosnüsse auf der Erdoberfläche liegen, keimen und sich bewurzeln. Nur der mächtige Baumwollenbaum, der Riese der Pflanzenwelt auf der Insel, weicht nicht vor den fremden Eindringlingen zurück. Mit einem Stamme von oft 15 bis 20 Fuß Durchmesser festen Holzes, umgeben von dichtem Ge- flechte Tausender von Luftwurzeln, die einen undurchdringlichen Wald für sich bilden, und geschmückt mit einer Krone, deren üppiges Blätterdach einem ganzen Regimente Schatten gewähren kann, steht der gewaltige Baum da. Er ist der Aristokrat des Waldes, blickt stolz auf die Plebejer herab und duldet nicht ihre Nähe, denn fast immer erblickt man ihn einsam auf freien Plätzen in Ebene und Thal und seine gigantischen Formen, in denen sich die schöpferische Kraft der Tropennatur so großartig bekundet, fordern das Staunen und die Bewunderung der Menschen heraus. In den Thälern und Niederungen Jamaika’s ist das Klima nicht gesund und oft hat das gelbe Fieber die Bevölkerung deci- mirt, doch auf den Bergen verweht der frische Hauch des Passat- windes die bösartigen Miasmen und schafft einen ewigen Frühling. Alle Europäer suchen deshalb die Höhen; in den Städten an der Küste weilt von ihnen nur, wen Geschäfte dort fesseln. Der Gouverneur wohnt 2000 Fuß hoch mit einer prachtvollen Aussicht auf einen Theil der Insel und das Meer. Ein in europäischem Style angelegter und schön gehaltener Garten überraschte uns durch einen prachtvollen Rosenflor; zwei Tausend Fuß höher an den Gipfeln der blauen Berge pflückten wir Walderdbeeren, deren aromatische Früchte uns bei unseren Spazierritten erquickten und uns an die Heimath erinnerten. Nach Westindien und dem Mittelmeer Wer mag sie hierher verpflanzt haben, dem nordischen Wandrer zur Freude und zum Labsal? Und wiederum höher, an Kaffee- pflanzungen vorbei, trugen uns unsere Pferde in dichte Wal- dungen von Baumfarren, welche die Bergspitzen krönten. Aber ein Nebel lagerte auf ihnen und wob einen Schleier, durch den die Formen der Stämme und Wedel nur undeutlich und ge- spenstisch schimmerten. Es zog uns wieder thalwärts, hinab zum Sonnenlicht und zu dem Garten des Gouverneurs, wo die Rosen dufteten und die Kolibris um die Blüthenkelche schwirrten und in köstlichem Farbenspiel durch das Grün der Bäume blitzten. Vier Tage verweilten wir oben in dem lieblichen Eden und genossen nach Herzenslust die Schönheit und Pracht, die es selbst und seine Umgebung boten. Die liebenswürdige Gast- freundschaft des Gouverneurs trug nicht wenig dazu bei, diesen Genuß zu erhöhen und das Scheiden wurde schwer. Wir blieben noch einige Tage unten in nächster Nähe der Stadt. Auf einem Hügel hatte dort unser Consul seine Villa erbaut und sich ein reizendes deutsches Heim geschaffen, in dem wir fröhliche Stunden verbrachten. Er und die jungen Leute in seinem Comptoir waren die einzigen Deutschen in Kingston; in den übrigen Städten der Insel existiren gar keine, aber man findet auch sonst sehr wenig Nichtengländer; die commerciellen Verhältnisse der Insel scheinen für Fremde keine günstigen Chancen zu bieten. Nach achttägigem Aufenthalte sagten wir der uns so schnell lieb gewordenen Insel Lebewohl und steuerten der letzten Station, Havannah, zu. Der Winter und damit die gute Jahreszeit nahte sich dem Ende und es war wünschenswerth, bald den gesunderen Süden aufzusuchen. Die Reise bot nichts Bemerkens- werthes; der Passat mit seinem ewig heiteren Himmel brachte uns bald an den Ort unserer Bestimmung und wir waren nur noch wenige Meilen von Havannah entfernt, als plötzlich ein ungeahntes furchtbares Unglück uns bedrohte. Werner Die Schiffe hatten eine neue Art Nachtsignale, die Coston- lichte, eine amerikanische Erfindung, an Bord, welche wie ähn- liche Feuerwerkskörper, Racketen u. s. w., im Vorraum zur Bombenkammer untergebracht waren. Diese Lichte sind Cylinder von zwei bis drei Centimeter Durchmesser und doppelter Höhe. Ihr Satz besteht aus Chemikalien und zum großen Theile aus Phosphor. Je nach ihrer Mischung brennen sie in weißem, grünem oder rothem Lichte mit sehr intensiver und weder durch Wind noch Regen löschbarer Flamme mehrere Minuten lang. Combinationen der verschiedenen Farben geben dann sehr gute und weit sichtbare Nachtsignale. Vor einiger Zeit war bemerkt worden, daß der Phosphor in einer Anzahl der Lichter Feuchtig- keit angezogen hatte. Sie wurden deshalb zum Trocknen auf das Oberdeck gebracht und in einem Gefäße in die Barkasse ge- setzt. Plötzlich entzündeten sie sich jedoch von selbst und wurden brennend über Bord geworfen. Die große Feuergefähr- lichkeit, welche sich bei dieser Gelegenheit zeigte, ward Veran- lassung, den Rest der Lichte, etwa 1200, sofort aus dem Vor- raume zur Bombenkammer zu entfernen und sie auf dem Ober- deck in dem Commandothurm unterzubringen. Dieser Thurm, für den Commandanten im Gefecht bestimmt, hat zehn Centi- meter starke Eisenwände und ein eisernes Dach. Zwischen letzte- rem und den Wänden befindet sich eine ebenfalls zehn Centi- meter weite Spalte, durch welche der Commandant das Gefechts- feld überblicken kann; innen ist der Thurm mit Planken von Teakholz gefüttert. Ein solcher eiserner Behälter, der außerdem unter steter Controle des wachehabenden Officiers stand, erschien als der geeignetste Ort zur Aufbewahrung der Lichte, und sie hatten auch schon mehrere Wochen friedlich darin geruht. Der Hafen von Havannah war bereits in Sicht und wir dampften mit dem Geschwader langsam darauf zu. Es herrschte fast völlige Windstille und die Sonnensegel waren zum Schutze gegen die Hitze überall ausgeholt. Innerhalb einer Stunde Nach Westindien und dem Mittelmeer liefen wir voraussichtlich in den Hafen ein, und unter solchen Umständen wurde gewöhnlich die Zahl der zu gebrauchenden Salutkartuschen vorher aus der Pulverkammer genommen und in den Thurm gebracht, da man erstere nicht gern oft öffnet oder länger offen hält, als durchaus nöthig ist. Auch an jenem Tage war ich durch den Batterieofficier gefragt, ob die Kartuschen — etwa Hundert zu einem halben Kilogramm Ladung — in den Thurm gebracht werden sollten, jedoch hatte ich befohlen, damit noch zu warten, bis die Mannschaften ihr Mittagsessen eingenommen hätten. Ich befand mich mit dem wachehabenden Officier auf der vorderen Brücke; die übrigen Officiere waren beim Früh- stück und von der Besatzung nur die wachehabenden Unter- officiere und die Posten auf Deck, alle übrigen beim Essen. Da erschreckte uns auf einmal ein dumpfer Knall, und als ich mich umschaute, stand der Commandothurm in Flammen, d. h. durch die Spalte zwischen Dach und Wänden und durch die Thüre schlug das Feuer meterhoch empor und spielte in allen Farben — die 1200 Costonlichte hatten sich selbst ent- zündet. Es war ein kritischer Moment, denn wenn auch der Thurm unter gewöhnlichen Umständen eine gewisse Sicherheit gegen Verbreitung des Feuers gab, so gewann das letztere jetzt in den Signallichtern eine außergewöhnliche Speise und es brach aus den Oeffnungen mit solcher Gewalt hervor, daß die in der Nähe ausgespannten Sonnensegel auf das Aeußerste gefährdet waren. Es galt deshalb zunächst, diese zu entfernen, denn fingen sie Feuer, so wurde die Sache schlimm. Mit den auf dem Oberdeck von Kriegsschiffen für der- gleichen Fälle stets zur Hand befindlichen Beilen wurden augen- blicklich die Haltetaue der Sonnensegel gekappt und damit die Hauptgefahr beseitigt. Inzwischen ertönte auch das Feuersignal, kurze Doppelschläge der Schiffsglocke, und die Mannschaft flog auf ihre Posten. Der schlimmste Feind des Seemannes ist Feuer im Schiff, und die erste Rolle, in der er an Bord eingeübt R. Werner , Erinnerungen. 24 Werner wird, ist die Feuerrolle. Jeden Freitag Nachmittag, ob im Hafen oder auf See, wird Feuerlärm exercirt; nach zwei bis drei Minuten müssen alle Löschvorrichtungen getroffen sein und alle Schläuche Wasser geben. An jenem Tage wußten die Leute nun zwar sofort, daß es diesmal ein Ernstfeuer war, da sie ohne Noth nie bei ihren Mahlzeiten gestört werden, aber sie erschienen trotzdem so ruhig und geordnet wie zum Exercitium. Nach zwei Minuten richteten sich die Wasserstrahlen von fünf Pumpen, darunter auch die von der Maschine getriebene, auf den Thurm. Außerdem schlugen Hunderte von Menschen mit Eimern Wasser auf und bildeten Ketten, und so ergoß sich eine so gewaltige Fluth auf die Brandstätte, daß in kurzer Zeit das Feuer vollständig gelöscht wurde. Die Maschinen waren auf allen Schiffen des Geschwaders sofort gestoppt und die meisten Boote zur eventuellen Rettung von Menschenleben bereits zu Wasser gelassen. Die gewaltige Flamme, welche aus dem Thurme hervorlohte, hatte von draußen die Gefahr noch größer erscheinen lassen, als sie wirklich war und in unseren Kameraden der anderen Schiffe die Befürchtung geweckt, daß das ganze Innere des Schiffes in Brand stehe. Glücklicherweise war die Besorgniß unbegründet; aber wie dankbar konnten wir sein, daß ein glücklicher Zufall es veran- laßt hatte, ohne irgend welchen bestimmten Grund das Depo- niren der Hundert Kartuschen noch eine Stunde auszusetzen. Wie sicher wäre das Schicksal des „Friedrich Karl“ besiegelt gewesen, wenn fünfzig Kilogramm Pulver im Thurm explodirten. Jetzt beschränkte sich der Schaden auf das Anbrennen der inneren Holzbekleidung, das jedoch Dank den prompten Löscharbeiten nicht bedeutend war. Nur das Officiercorps trug einen empfind- lichen pecuniären Verlust davon; die neuen von ihm beschafften und im Thurm aufbewahrten Instrumente für das Musikcorps des Schiffes waren durch die große den Signallichtern entströ- mende Hitze vollständig geschmolzen resp. verbrannt. Sie hatten Nach Westindien und dem Mittelmeer einen Werth von mehreren Hundert Thalern, für welche nach fiscalischen Grundsätzen kein Ersatz geleistet wurde. Angesichts des anderweitigen Schadens, der hätte entstehen können, fiel dies jedoch nicht in’s Gewicht, und wir verschmerzten es leicht in dem Gedanken, wie gnädig die Vorsehung ein furchtbares Un- glück von uns abgewendet hatte. Es war dies einmal wieder ein sprechendes Beispiel der großen Gefahren, die das Leben des Seemannes so unerwartet und mitten in friedlicher Ruhe bedrohen und ihm mit schreck- licher Deutlichkeit das stets neben ihm gähnende Grab zeigen. Auf der andern Seite gab es aber auch einen erfreulichen Be- weis für die Vortrefflichkeit unserer Kriegsschiffsbesatzungen, die sich gerade in kritischen Momenten so glänzend bewährt und von jeher ihren Führern Vertrauen eingeflößt hat. Angesichts der so plötzlich hereingebrochenen und grausen Gefahr zeigte sich nirgends Unruhe, Zögern oder Verwirrung; kaltblütig, umsichtig und geräuschlos eilte Jedermann auf den ihm nach der Feuer- rolle angewiesenen Posten und harrte der Befehle der Vorge- setzten, um sie sofort zur Ausführung zu bringen. So war es möglich, alle Befürchtungen so bald zu beseitigen und schon nach fünfzehn Minuten konnten die Leute sich hinunter be- geben, um ihre unterbrochene Mahlzeit zu beenden. Die Maschinen setzten sich wieder in Gang, und eine halbe Stunde später liefen wir in den Hafen von Havannah ein, der einer der schönsten und geräumigsten von ganz Westindien ist. Ein Mastenwald von Hunderten von Handelsschiffen kündet seine große commercielle Wichtigkeit, und die sich im Halbkreise an einem sanft ansteigenden Hügel erhebende Hauptstadt, mit ihren schönen monumentalen Gebäuden, ihren vielen öffentlichen von Gartenanlagen, Springbrunnen und Palmengruppen geschmückten Plätzen und breiten geraden Straßen, macht schon von außen den Eindruck der Großstadt und verräth die Bedeutung der „Perle“ der Antillen. 24* Werner Dem einst weltbeherrschenden Spanien, dessen Könige sich rühmen konnten, daß die Sonne nicht in ihrem Reiche unter- gehe, ist nur wenig transatlantischer Länderbesitz geblieben, aber in Cuba immer noch eine Colonie, die zu den herrlichsten und ergiebigsten der Welt gehören würde, wenn sie sich in den Händen einer energischeren und thätigeren Nation als die der Spanier befände, wenn die Sclavenfrage auf glückliche Weise gelöst und die Corruption der Bewohner weniger groß wäre, die un- bekümmert um die Zukunft nur dem Augenblicke des Genusses leben und in denen die Schattenseiten der Creolen sich mehr als anderwärts zeigen. Die Insel zählt kaum den zehnten Theil der Bevölkerung, welche sie ernähren könnte, nicht der zwanzigste Theil ihres culturfähigen Bodens ist bebaut; in dem gebirgigen und im Gegensatze zu den Küstengegenden gesunden Innern giebt es Strecken von 5—10,000 Quadratkilometer Ausdehnung, die weder bewohnt noch überhaupt bekannt sind. Wenn trotzdem jährlich allein für weit über hundert Mil- lionen Mark Zucker und Tabak ausgeführt werden, so mag man daraus ermessen, welchen unerschöpflichen Schatz Spanien in Cuba noch aus dem Schiffbruche seiner früheren Macht gerettet hat. Ebenso ist es zu begreifen, daß das Mutterland die ver- zweifeltsten Anstrengungen gemacht und außer vielen Millionen an Geld auch nicht das Opfer von 80,000 Soldaten gescheut hat, um in dem bisherigen zehnjährigen Bürgerkriege die be- drohte Herrschaft zu behaupten. Ob diese Opfer trotzdem nicht vergeblich gebracht sind, ob nicht die Vereinigten Staaten von Nordamerika über kurz oder lang eine Gelegenheit finden oder vom Zaune brechen werden, um die Insel, auf die sich schon so lange ihre begehrlichen Blicke richten, zu annectiren — wer weiß es? Wir fanden Kriegsschiffe der verschiedensten Nationen im Hafen vor und es dauerte Stunden lang, ehe die üblichen Be- grüßungssalute ausgetauscht und der Kanonendonner verhallt Nach Westindien und dem Mittelmeer war. Im Winter ist Havannah der Sammelplatz der fremden in Westindien stationirenden Flotten, und allerdings bietet es Abwechselungen und Annehmlichkeiten in Fülle, um als Magnet zu wirken. Unser Ankerplatz lag in unmittelbarer Nähe des Bollwerkes, wenige Ruderschläge der Boote vermittelten die Communication; großartige Hotels und das Theater, dessen prachtvolle innere Ausstattung ihm den Anspruch giebt, zu den ersten seiner Art zu zählen, waren unsere vis-à-vis, und somit versprach der Aufenthalt ein sehr interessanter zu werden. In diesen Erwartungen wurden wir auch nicht getäuscht und die vier Wochen, auf welche sich, in Veranlassung verschiedener Um- stände, unser Verweilen ausdehnte, verflogen sehr schnell. Die Spanier und Creolen zeigten sich freundlich und entgegen- kommend; wir machten Bekanntschaften mit liebenswürdigen ameri- kanischen Familien, von denen Havannah um diese Jahreszeit vielfach als klimatischer Kurort aufgesucht wird. Ausflüge per Wagen und Bahn in die Umgegend und das Innere, letztere freilich wegen der häufigen Entgleisungen ziemlich lebensgefährlich, wurden unternommen. Bälle und Gesellschaften auf den Schiffen und am Lande, Theater und Stierkämpfe nahmen uns auf das Lebhafteste in Anspruch und es wurde Zeit, daß wir end- lich fortgingen, denn Havannah drohte uns ein modernes Capua zu werden. Der noch jetzt nicht beendete und unter der Asche fort- glimmende Bürgerkrieg wüthete damals stark, aber in Havannah selbst merkte man nichts davon. Man hörte wol öfter Klagen, daß die Geschäfte darnieder lägen, doch beeinträchtigte dies in keiner Weise die heitere Physiognomie der Stadt und ihrer Be- wohner. Man begegnete überall einer sehr leichtfertigen Auf- fassung des Lebens und einer ausgeprägten Vergnügungs- sucht. Während unserer Anwesenheit kamen zwei Bataillone frischer Truppen aus Spanien an; ihrer Ausschiffung wohnten viele Tausende von Zuschauern bei, obwol sich solche seit Jahren Werner fast monatlich wiederholte. Wie kräftig und gesund schauten sie aus die jungen Soldaten, wie hoffnungsvoll blitzten die dunkeln Augen in die Zukunft hinein, und wie bald sollten sie dem Moloch des Krieges zum Opfer fallen. Kaum hat wol einer von ihnen sein Vaterland wiedergesehen; bereits 50,000 ihrer Brüder hatte der Tod seit dem Beginn der Insurrection dahingerafft, und noch 30,000 blühende Leben sind ihnen bis heute ge- folgt. Alle schlummern fern von der Heimath in fremder Erde, und der Thau, der die schmucklose Rasendecke ihrer Massen- gräber benetzt, bedeutet die Thränen, die jenseits des Oceans die einsamen Mütter ihren verlorenen Söhnen nachweinen. Doch die in Schmuck und Toilettenglanz strahlenden Zuschauerinnen trugen sich nicht mit solchen Gedanken; für sie war es ein militärisches Schauspiel, das einige Stunden lang etwas Neues und Stoff zu Bemerkungen, vielleicht auch Gelegenheit zur An- knüpfung einer Liaison bot, denn an Koketterie und verlangen- den Blicken fehlte es nicht. In außerspanischen Kreisen erzählte man sich allerlei Trauriges über das Schicksal, das diese armen Soldaten er- wartete; sie sollten weniger die feindlichen Kugeln als die eigene Mißverwaltung zu fürchten haben und neun Zehntel von ihnen lediglich daran zu Grunde gehen. Unter ungescheuter Nennung von Namen wurde behauptet, daß die Truppen ohne zureichende Kleidung und Nahrung in die unwegsamsten Gegenden, wo sich die Insurgenten aufhielten, geschickt würden. Dann thaten die Sumpffieber ihr Werk, die von Strapazen und Hunger erschöpften Körper konnten keinen Widerstand leisten, der Tod hielt hundertfältige Ernte und das Blutgeld für die nicht gelieferten Vorräthe floß in die Taschen ungetreuer Menschen. Es muß sehr viel reiche Leute in Havannah geben; man merkte es an dem überall und von Damen oft in unsinnigster Weise zur Schau getragenen Luxus. Auf Spazierfahrten sah man einige dieser Creolinnen ihre neuen, soeben aus Paris be- Nach Westindien und dem Mittelmeer zogenen Roben im Werthe von vielen Hundert Thalern über die Räder ihrer Wagen breiten, um sie in wenigen Minuten total zu verderben, um dadurch mit ihrem Reichthum zu prunken. In Gold- und Brillantschmuck fand ein stetes gegenseitiges Ueberbieten statt und beim Carneval, den wir mitmachten, bot sich in anderer Weise Gelegenheit dazu. An den Maskeraden und Straßenaufzügen nahmen nur die mittleren und niederen Classen Theil; sie wiesen nichts Originelles oder Interessantes auf, desto größeren Glanz aber entwickelten die höheren Schichten der Gesellschaft in ihren Equipagen, mit denen sie in den Haupt- straßen der Stadt Corso fuhren. Sechs der prachtvollsten andalusi- schen Pferde von edelster Race bildeten die Bespannung. Auf jedem zweiten Pferde saß ein Jockey in kostbarer Livr é e aus Sammt in brillirenden Farben, mit Gold oder Silber bordirt, und die Damen im Fond wetteiferten natürlich erst recht in Reichthum der Toiletten und strahlenden Geschmeides. Unter ihnen fielen drei Schwestern auf, Marquisen, deren jede in einem besonderen Wagen fuhr. Sie sollten zu den reichsten Damen Cuba’s ge- hören, waren Besitzerinnen großer Plantagen mit Tausenden von Sclaven und unverheirathet. Ohne hervorragend hübsch zu sein und trotz des Embonpoints, den die meisten Creolinnen erhalten, wenn sie die erste Jugend passirt haben, sahen sie doch recht gut aus, und man wunderte sich, daß sie unver- heirathet geblieben waren, bis man erfuhr, daß selbst für Havannah ihr Ruf mehr als zweifelhaft sei. Man erzählte, die älteste Marquise, bereits eine starke Dreißigerin, sei bei der unlängst erfolgten Ankunft eines jungen europäischen Fürsten auf Cuba mit den beiden jüngeren Schwestern eine hohe Wette eingegangen, daß sie zuerst den Prinzen in ihre Netze ziehen werde. Sie hatte auch wirklich die Wette gewonnen, doch soll es den beiden Schwestern sehr bald nachher gelungen sein, den hohen Herrn zum Abfall zu bewegen. Abends am ersten Carne- valstage fand großer Maskenball im Theater statt. Die Logen Werner waren mit hölzernem Gitterwerk geschlossen, so daß es aussah, als ob Niemand darin anwesend sei, doch das war ein Irr- thum. Dahinter saßen dem Publicum unsichtbar die Damen der ersten gesellschaftlichen Kreise Havannah’s und bewahrten auf diese Weise noch den Schein von Scham, wenn sie letztere in Wirklichkeit auch nicht mehr besaßen; denn etwas Scham- loseres als die Tänze, Gesten und das ganze Auftreten der Masken kann man sich kaum denken. Selbst uns Männern wurde es zu viel, und man that einen tiefen Blick in die sitt- lichen Zustände der Bevölkerung. Wie ich bereits erwähnte, gehört das von einem früheren Generalkapitän Tacon erbaute und nach ihm benannte Theater zu den schönsten seiner Art und Schauspieler wie Sänger lassen nichts zu wünschen übrig. In tropischen Städten dürfte ein solches vortreffliches Ensemble zum zweiten Male kaum gefunden werden. Auch der Besuch der Arena, der Stiergefechte, wurde nicht versäumt, aber es sind unerquickliche Schauspiele und die portu- giesischen den spanischen bedeutend vorzuziehen. In jenen geht es ritterlicher und weniger grausam zu. Der Matador zeigt auf prachtvollem Pferde seine außerordentliche Gewandtheit im Reiten. Mit leisem Zügel- und Schenkeldruck weiß er dem heranstür- menden Stiere auszuweichen, aber zugleich mit dem stumpfen Degen die Stelle im Nacken des wüthenden Thieres zu mar- kiren, wo der Stoß tödtlich sein würde, um danach mit unnach- ahmlicher Grandezza, leichtem Kopfneigen und lächelndem Munde den jubelnden Zuschauern für die Anerkennung seiner Geschick- lichkeit zu danken. Den Stieren sind auf die abgeschnittenen Spitzen der Hörner Kugeln gesetzt, und wenn der Kampf auch noch immer genug Nervenaufregung bringt, so zeugt er doch von verfeinertem Gefühl im Vergleich zu der rohen Blutgier, welche die Pointe der spanischen Stiergefechte ist. Acht bis zehn unglückliche Pferde werden dabei dem Tode geweiht; es sind elende Thiere, für den Abdecker reif und schon deshalb ein Nach Westindien und dem Mittelmeer widerlicher Anblick. Das eine Auge ist ihnen mit einem Tuche verbunden und diese Seite halten die Reiter stets dem angreifen- den Stiere zugewandt, weil sonst die Pferde nicht Stand halten würden. Wenn dann fünf bis sechs von den armen Thieren von einem Stiere der Bauch aufgerissen worden, daß die Eingeweide auf der Erde nachschleppen, und man sie hinausführt, dann ertönt frenetischer Jubel von Seiten der Zuschauer, als ob die größten Heldenthaten verrichtet wären, und die danach erfolgende Tödtung des Stieres durch den Matador wird kaum mit mehr Beifall begrüßt. Nimmt der Stier jedoch das Pferd nicht an, dann erschallt von Seiten des Publicums der tausendstimmige Ruf: „los perros, los perros! Die Hunde!“ Acht bis zehn Bull- doggen werden in die Bahn gelassen, stürzen sich mit wüthen- dem Geheul auf ihren Gegner und verbeißen sich in seiner Nase, im Bauch und im Schwanz. Es hilft ihm nicht, daß er ver- schiedene auf die Hörner nimmt und hoch in die Luft wirft; in dem weichen Sande thut ihnen der Fall wenig Schaden. Immer wieder greifen die grimmen Bestien ihn an, bis fünf oder sechs an seinem Kopfe hängen und das dadurch wehrlos gemachte Thier dem Degen des Matador überliefern, der ihm den Gnadenstoß giebt. Der rauschende Beifall der Zuschauer zeigt ihre innere Roheit und auf die Nachkommen des römischen Plebs, der seine Schaulust in den nicht weniger blutigen und grausamen Gladiatorenkämpfen sättigte, haben zwei Tausend Jahre, wenn auch langsam fortschreitender Cultur, und das Christenthum wenig veredelnden Einfluß zu üben vermocht. Fünf bis sechs Stunden lang dauern die Kämpfe, die nur in steten Wiederholungen bestehen, aber schon nach der ersten Scene wandten wir uns mit Ekel davon ab. Bis jetzt herrscht auf Cuba noch Sclaverei; von den 1,300,000 Einwohnern sollen 600,000, also fast die Hälfte Sclaven sein. Seit 1870 sind Gesetze erlassen, welche die all- mälige Aufhebung der Sclaverei anzubahnen die Bestimmung Werner haben: alle nach jenem Jahre geborenen Kinder sollen frei sein, alle über sechzig Jahre alten Schwarzen ebenfalls. Aber es fehlt jede Controle, die Gesetze werden von den Behörden äußerst lax gehandhabt und nach allen Richtungen umgangen, so daß in den zehn Jahren fast keine Wandelung in den früheren Verhältnissen eingetreten ist; ja man behauptet, daß selbst noch Tausende von Negern jährlich aus Afrika eingeführt werden, obwol dies bei der scharfen Aufsicht, welche die Kreuzer der Engländer an der afrikanischen Küste führen, kaum denkbar ist. Nach officiellen Angaben sollen sich nur noch 250,000 Sclaven auf der Insel befinden, doch ist das schwerlich richtig und die obige Zahl wird zutreffender sein. Es giebt auf Cuba allein über dreiundert mit Dampf betriebene Zuckerfabriken, deren jede Hunderte von Sclaven hält. Wir besuchten eine derselben, auf der man fünfhundert Neger hielt; in ihrer unmittelbaren Nachbar- schaft arbeitete eine Fabrik mit der doppelten Anzahl. Auf beiden befand sich nicht ein einziger freier Schwarzer; merkwürdiger Weise waren selbst die Säuglinge vor 1870 geboren, und Neger über 60 Jahre nicht vorhanden. An jene Fabriken reihen sich nun noch alle mit Pferden oder Ochsen getriebenen Zuckermühlen alter Art, von denen Tausende auf den kleinen Plantagen existiren, auch der Tabaksbau, die im großen Maßstabe getriebene Viehzucht und die sonstige Plantagenwirthschaft beschäftigt viele Neger, also wird die Zahl 600,000 nicht zu hoch gegriffen sein. Außer- dem sind seit 1870 Tausende von chinesischen Kulis als soge- nannte freie Arbeiter eingeführt, da jedoch darüber ebenfalls jede staatliche Controle fehlt oder vernachlässigt wird, so ist der Kulihandel nur eine andere Form der Sclaverei. Wie wir uns durch den Augenschein überzeugten, ist das Loos der Chinesen um kein Haar besser als das der Neger. Achtzehn bis zwanzig Stunden harte Arbeit während der Zuckercampagne — so un- glaublich das auch klingen mag — bei rücksichtslosem Gebrauch der Peitsche und eigener wenn auch ungesetzlicher Gerichtsbarkeit der Nach Westindien und dem Mittelmeer Pflanzer, Fesselung mit schweren Ketten, Einschließen des Nachts und Aufspürung mit Bluthunden, wenn sie zu entfliehen suchen, das ist das Loos dieser Unglücklichen während der acht Jahre Plantagenarbeit, zu der sie sich bei ihrer Ankunft für die Ab- zahlung des Passagepreises verpflichten müssen. Die Lösung der Sclavenfrage ist sowol für die Insel wie für das Mutterland eine Sache von schwerwiegender Bedeutung. Auf der einen Seite bedroht wirthschaftlicher Ruin die erste und schwere Schädigung das letztere, wenn die Sclaverei plötzlich abgeschafft wird, auf der andern ist das jetzt gehandhabte System, wo Neger und Kulis wissen, daß man ihnen entgegen den Gesetzen ihre Freiheit vorenthält, auch nicht auf die Dauer haltbar. Es führt zu massenhaften Desertionen, Aufruhr, Niederbrennen der Zuckerfelder und Fabriken, zur Bildung von Räuberbanden und Ermordung von Weißen. Nur die genaue Ausführung der be- stehenden Gesetze unter scharfer Controle der Regierung, sowie wirklich freie Arbeit der Kulis, wie in den englischen Colo- nien, vermag einen Uebergang zu besseren Verhältnissen herbei- zuführen, wenngleich derselbe voraussichtlich nicht ohne Convul- sionen sich vollziehen wird. Wie ich schon bemerkt habe, empfing man uns in Ha- vannah sehr entgegenkommend, auch von Seiten der Behörden, und wie überall, wo wir gewesen, fühlten wir auch hier, welches hohe Prestige das Jahr 1870 und seine Folgen dem deutschen Namen auch jenseits des Oceans verschafft hatte. Auf dem spanischen Flaggschiffe, der Dampffregatte „Gerona“, wurde uns ein glänzender Ball gegeben, zu dem sich der ganze Damenflor der vornehmen Havannah versammelte, und bei der Dansa, jenem langsamen wiegenden Walzer, der eigends für liebeathmende Creolinnen erfunden zu sein scheint, trug mancher junge Nordländer eine Herzenswunde davon, die ihm die gluthvollen Augen seiner lieblichen Tänzerin schlugen. In den spanischen Seeofficieren fanden wir sehr sympathische Werner Kameraden und ein von uns gegebener Ball auf dem „Friedrich Karl“ befestigte das angebahnte freundliche Verhältniß. Wie wunder- bar oft das Schicksal spielt! Kurz vor unserem Abgange von Havannah war die Nachricht eingetroffen, daß König Amadeus die Krone niedergelegt hatte, ohne jedoch in der Colonie im entferntesten den Eindruck zu machen, den man von solchem Ereignisse erwarten durfte. Wenige Monate später wurden vom „Friedrich Karl“ den Intransigenten drei spanische Kriegs- schiffe abgenommen, um später der legitimen Regierung wieder ausgeliefert zu werden. Wer von uns hätte das an jenem Ballabende gedacht? So schön und gesund das Klima von Havannah in den Wintermonaten ist, so gefährlich wird es namentlich Fremden im Sommer. Gar oft wüthet dann das gelbe Fieber erbar- mungslos und rafft Tausende hinweg. Eine größere Reinlichkeit und bessere Handhabung der Gesundheitspolizei würde eine Wandelung zum Besseren in diesen Verhältnissen herbeiführen, allein daran ist kaum zu denken. Für alle hygienischen Maßnahmen fehlt den südlichen Nationen die Energie und Schmutz in der einen oder anderen Form scheint von ihnen unzertrennlich zu sein. Gegen Ende März beabsichtigten wir unsere Fahrt nach dem Süden anzutreten, jedoch änderte ein telegraphischer Befehl unerwartet die ganze Reiseroute. Infolge der Abdankung des Königs Amadeus war in Spanien die Republik proclamirt worden, die carlistische Erhebung machte Fortschritte, französische Communards hatten sich mit spanischen Revolutionären verbunden, wiegelten den Süden gegen die Regierung in Madrid auf und die überall in dem unglücklichen Lande auftretenden Unruhen ließen die Sicherheit der dort angesiedelten Deutschen gefährdet erscheinen. Die Reichsregierung hielt es deshalb für nothwendig, letzteren durch Entsendung von Schiffen an die spanische Küste Schutz zu gewähren und es wurden „Friedrich Karl“, „Elisabeth“ und das bereits im Mittelmeer stationirende Kanonenboot „Delphin“ dazu ausersehen. Nach Westindien und dem Mittelmeer Unser Geschwader trat nach Empfang der neuen Segel- ordre alsbald seine Rückreise nach Europa an, aber es lag auf der Hand, daß der veränderte Reiseplan nicht den ungetheilten Beifall auf den Schiffen fand. Die Aussicht auf eine Reise um die Erde war für die Meisten zu verlockend gewesen, als daß ein wahrscheinlich sehr langweiliger Wachtdienst an der spanischen Küste dafür Ersatz bieten konnte. Wehmüthig wurde Havannah Adieu gesagt, und es ging ostwärts, während der „Albatroß“ in Westindien blieb. Die Reise war nicht angenehm; wir trafen im Durchschnitte nur schlechtes Wetter und wurden von den Wellen des atlantischen Oceans gehörig durchgeschüttelt. Um unsere Kohlen zu ergänzen, liefen wir Horta auf Fayal an, sahen es jedoch nur von außen, da wir, weil von Havannah kommend, Quarantäne halten mußten und blieben auch nur einen Tag. In England trennte sich die „Elisabeth“ vom Geschwader und ging direct nach Spanien. Der „Friedrich Karl“ war jedoch gezwungen mit den beiden andern Schiffen nach Wilhelmshaven zu segeln, theils um einige Reparaturen an seiner Maschine vorzunehmen, theils im Trockendock den Boden zu reinigen. Es ist das für Schiffe mit eisernem Boden eine höchst unan- genehme Zugabe, und bis jetzt ist es mit durchschlagendem Er- folg noch nicht gelungen, das Bewachsen des Bodens mit Muscheln und Pflanzen zu verhindern. Namentlich in den Tropen findet letzteres mit rapider Schnelligkeit statt und auch bei dem „Friedrich Karl“ war es in einer Weise geschehen, daß derselbe ein Dritttheil seiner Fahrgeschwindigkeit einge- büßt hatte. Man hat allerlei Farbeanstriche mit Metallgiften versucht, aber sie haben immer nur auf kurze Zeit das Ansetzen ver- hindern können. Kupferbeschlag ist zu gefährlich, weil er mit unbedingter Sicherheit sich von dem eisernen Boden nicht isoliren läßt und dann der entstehende galvanische Strom sehr schnell Werner das Eisen zerstört. Neuerlich ist man deshalb zu Zinkbeschlag übergegangen, weil dabei jener Strom nicht das Eisen sondern das Zink angreift und letzteres sich dann gelegentlich erneuern läßt. Die stete Oxydation des Zinks soll bei diesem Verfahren dessen Oberfläche schlüpfrig erhalten und das Ansetzen von Pflanzen und Thieren verhüten. Anfang Mai 1873 traf das Schiff in Wilhelmshaven ein, um vier Wochen darauf wieder nach dem Mittelmeere auszu- laufen. Lissabon war das erste Ziel und wurde am 19. Juni erreicht. Es giebt wenige Städte, deren äußere Erscheinung einen so imponirenden Anblick bietet, wie Lissabon. Die Hauptstadt Portugals wetteifert darin mit Konstantinopel, Stockholm, Venedig und Rio- de-Janeiro. Sie erhebt sich am rechten Ufer des Tajo und etwa zwei Meilen oberhalb dessen Mündung auf sieben Hügeln und zeichnet sich durch großartige und monumentale Gebäude aus. Ebenso trägt die reiche und fruchtbare Umgegend mit ihren Ge- filden, Villen, Fabriken und Klöstern nicht wenig dazu bei, die Reize der Stadt zu erhöhen, und die scharfgezackten Spitzen der Berge von Cintra mit dem gleichnamigen romantischen Kloster, das König Ferdinand, der Vater des regierenden Königs Dom Luiz, zu seinem Wohnsitze erwählt, bildet einen prachtvollen Hintergrund des bezaubernden Panoramas. Westlich von der Stadt, in der Nähe der Vorstadt Belen mit ihrer ehrwürdigen Kathedrale, liegt auf einer Anhöhe der königliche Palast Ajuda. Es ist ein mächtiges Gebäude, das bestimmt war, durch seine Großartigkeit und Schönheit alle Paläste der Welt in den Schatten zu stellen, aber es ist un- vollendet geblieben und nur ein Viertel des ursprünglichen Planes ist fertig gestellt. Ajuda wurde begonnen, als Brasilien noch zu Portugal gehörte; nach dessen Abfall fehlte es an Geld und man begnügte sich mit der jetzigen Größe, die immerhin noch ganz bedeutend ist. Nach Westindien und dem Mittelmeer Wir blieben nur wenige Tage vor Lissabon, um Kohlen und Wasser zu ergänzen, hatten aber die Ehre und Freude, den König Dom Luiz an Bord unseres Schiffes zu sehen. Sohn eines deutschen Fürsten und sympathisch für Deutschland eingenommen, beehrte er den „Friedrich Karl“ mit einem länge- ren Besuche, um die Exercitien unserer Mannschaften anzusehen. Was wir ihm vorführten, fand seinen vollsten Beifall und dies war für uns um so schmeichelhafter, da der König vor seiner nicht erwarteten Thronbesteigung Seeofficier war und wir sein Urtheil als ein competentes anzusehen hatten. Am 25. Juni wurde die Reise fortgesetzt und zunächst in Malaga ein längerer Aufenthalt genommen. Die spanischen Intransigenten hatten die politische Maske abgeworfen und sich in ihrer wahren Gestalt gezeigt. Unter Führung flüchtiger französischer Communisten, hatten sie in Sevilla wie in Alcoy schreckliche Greuelthaten begangen und womöglich die Pariser Communards noch übertroffen. Es war gebrannt und geplündert worden, man hatte Menschen in Petroleum getränkt und dann ihre Kleider angezündet. In Malaga befindet sich die größte deutsche Colonie an der spanischen Küste. Es wohnen dort über 200 Deutsche, die einen ganz bedeutenden Theil des städtischen Handels in Händen haben. Wurde Malaga der Schauplatz ähnlicher Scenen wie Alcoy, so standen wichtige deutsche Interessen auf dem Spiel und unsere Landsleute bedurften deshalb hier in erster Reihe des Schutzes. Und dieser erschien um so mehr geboten, als Malaga die Autorität der Cortes nicht mehr anerkannte und unter Caravajal, einem Volkstribun, der es mit den Intransi- genten hielt, aber keiner der schlimmsten war, einen eigenen Canton bildete. Während der vierzehn Tage, die wir in Malaga zubrachten, blieb jedoch alles ruhig. Jeder ging seinen Geschäften nach und Caravajal begnügte sich, mäßige Kriegssteuern auszuschrei- Werner ben, dann und wann die Freiwilligen, welche in Stelle des verjagten regulären Militärs getreten waren, zu mustern oder mit einem Gefolge von Straßenjungen auf einem Esel durch die Stadt zu reiten und sich vom niederen Volk bewundern zu lassen. Er war ein stattlicher, ja man kann wol sagen ein schöner Mann und gar oft konnte man von Frauenlippen die Worte hören: „bendita sea la madre, que te parió!“ — „gesegnet sei die Mutter, die Dich geboren!“ — eine Huldigung, die der Tribun mit freundlichem Nicken entgegennahm. Sonst kümmerte sich eigentlich Niemand viel um ihn. Es herrschte vollkommene Ruhe und auch die Deutschen selbst glaubten nicht an eine ernstliche Störung derselben, um so weniger, als die Regie- rungstruppen begannen, etwas Energie in Unterdrückung der communistischen Bewegungen zu entwickeln. Unter Zurücklassung der „Elisabeth“ und des „Delphin“ ging deshalb der „Friedrich Karl“ weiter ostwärts, um die übrigen Hafenstädte Spaniens zu besuchen und die deutsche Flagge zu zeigen, und zwar zu- nächst nach Barcelona. Auch dort herrschte wie in Malaga Ruhe, so daß bis auf weiteres keine Gefährdung der Deutschen zu fürchten war. Nach achttägigem Aufenthalte steuerten wir nach Tarragona. Hier befanden sich zwar nur zwei Deutsche, unser Consul und sein Associ é , aber fast der gesammte Exporthandel der Stadt ruhte in ihren Händen. Sie sind die Besitzer einer Weinfabrik, wie sie in solcher Bedeutung wol kaum wieder zu finden ist. Tarragona ist ganz von Weinbergen umgeben, deren sämmtliche Erträge vom deutschen Consul gepachtet sind, in seinen Kellern und Etablissements verarbeitet werden und mit den verschieden- sten Marken daraus hervorgehen. Um einen Begriff von der Größe dieses Geschäfts zu geben, sei erwähnt, daß dasselbe in den letzten drei Monaten für 1 ¼ Million spanischer Thaler Wein ausgeführt hatte. Das Wort „Weinfabrik“ klingt bei uns zwar etwas anrüchig, ist es aber in Spanien nicht. Man Nach Westindien und dem Mittelmeer bearbeitet dort auch den Traubensaft in der verschiedensten Weise, aber was man ihm zusetzt, darf nur vom Weinstock selbst stammen — das ist der große Unterschied zwischen Weinfabriken in Spanien und in manchen Orten Deutschlands. Von Tarragona ging es nach Valencia, wo wir am 21. Juli Morgens eintrafen. Zwei Tage vorher hatte sich die Pro- vinz als unabhängiger Canton erklärt; Gouverneur und Militär hatten die Stadt verlassen, aber die Ruhe noch nicht weiter ge- stört worden. Auch meinte unser Consul, in den nächsten Tagen würden Stiergefechte stattfinden und ein solches Schauspiel nehme jeden Spanier so gefangen, daß bis dahin und während desselben alle politischen Verhältnisse vollständig in den Hinter- grund träten. Er selbst, der einzige Deutsche am Orte, fürchte nichts für seine Person, und so beabsichtigten wir, nur einige Tage zu bleiben, als Mittags der englische Consul und der Commandant des in Valencia liegenden englischen Avisos „Hart“ bei uns an Bord erschienen. Sie theilten mir ein Telegramm des englischen Consuls aus Alicante mit, wonach dieser auf das dringendste um so- fortige Entsendung des „Hart“ ersuchte. Der Canton Murcia, an dessen Spitze sich der General Contreras gestellt, hatte aus seiner Hauptstadt Cartagena, dem vornehmsten Kriegshafen Spaniens, am Tage zuvor die Panzerfregatte „Victoria“ unter rother Flagge nach Alicante entsandt, zunächst den Anschluß der Stadt an Murcia verlangt und nach Verweigerung dieses An- sinnens Geld und Waffen gefordert. Aber auch dies war abgelehnt worden und infolge dessen hatte der Commandant mit einem Bombardement gedroht. Dieser Commandant war kein wirklicher Marineofficier, sondern der Kapitän eines Handelsschiffes. Als in Cartagena die Be- satzungen der Kriegsschiffe gemeutert und sich für Contreras er- klärt hatten, waren sämmtliche Marineofficiere der rechtmäßigen Regierung treu geblieben und nach Madrid gegangen, ebenso R. Werner , Erinnerungen. 25 Werner die meisten Unterofficiere und ein Theil der Besatzungen. Die Mannschaft der „Victoria“ bestand deshalb aus zusammenge- würfelten und ziemlich unsauberen Elementen. Infolge der Drohung war unter den Bewohnern Alicantes eine große Panik ausgebrochen, Alles geflohen, der Gouverneur mit der militärischen Besatzung an der Spitze, und die Stadt wie ausgestorben, daher der Nothruf des englischen Con- suls nach Hülfe. In Valencia waren jedoch noch bedeutend mehr britische Interessen zu schützen als in Alicante; der „Hart“ konnte deshalb nicht entbehrt werden, andere englische Kriegs- schiffe waren nicht in der Nähe, und so wurde ich vom englischen Consul officiell und schriftlich ersucht, den Schutz der Engländer in Alicante zu übernehmen, dagegen verpflichtete er sich, unsern Consul in Valencia gegen jede etwaige Unbill zu sichern. Ich glaubte dieser Aufforderung nachkommen zu müssen und ging infolge dessen Nachmittags nach Alicante ab, während der englische Consul die bevorstehende Ankunft des „Friedrich Karl“ dorthin telegraphirte. Meiner Ansicht nach, handelt es sich dabei keineswegs um irgend eine politische Intervention oder um eine Einmischung in die inneren Verhältnisse eines fremden Landes, sondern lediglich um die Abwehr eines piratischen oder wenigstens eines gegen das Völkerrecht verstoßenden Actes, zu der jeder Commandant eines Kriegsschiffes eo ipso verpflichtet ist. Ein Kriegsschiff war durch Meuterei seiner Besatzung in die Hände einer sich eine politische Partei nennenden Bande von Communisten übergegangen; es war von Officieren und Mannschaften besetzt, die kein Mandat irgend einer rechtmäßigen und anerkannten Regierung hatten, führte eine unbekannte Flagge, suchte Geld zu erpressen und drohte, als dies mißlang, mit dem Bombardement einer offenen, wehrlosen Stadt. Deshalb nahm ich keinen Anstand, der Requisition des englischen Consuls nachzukommen und die Angehörigen einer be- freundeten Macht gegen die Angriffe einer Leben und Eigenthum Nach Westindien und dem Mittelmeer friedlicher Menschen gefährdenden gesetzlosen Bande zu schützen. Die Cortes hatten zwar selbst diese Schiffe als Piraten erklärt und die Kriegsschiffe aller befreundeten Nationen waren durch einen Erlaß der Regierung in Madrid aufgefordert worden, jene aufzu- bringen, wo sie sie fänden, allein da die spanische Republik noch nicht officiell vom deutschen Reiche anerkannt war, obwol ein deutscher Geschäftsträger in Madrid mit ihr officiöse Beziehungen unterhielt, so hätte ich auf Grund dieses Erlasses und ohne weitere Instructionen nichts gegen die Schiffe der Intransigenten unternehmen können, hielt mich aber in Anbetracht der oben dargelegten Argumente dazu für berechtigt und verpflichtet. Ich ging deshalb mit der Absicht nach Alicante, nicht nur das Bombardement nicht zu dulden, sondern auch die „Victoria“ aufzubringen, wenn ich sie unter rother Flagge träfe, und sie unschädlich zu machen. Dazu kam es jedoch nicht; denn als wir am andern Morgen früh vor Alicante anlangten, begegnete uns von weitem die „Victoria“ und zeigte ihre Flagge, aber nicht die rothe, sondern die spanische. Da ich überdem nicht wußte, ob das angedrohte Bombardement wirklich stattgefunden, so fehlte mir jetzt ein legaler Grund zum Angriff und ich ließ sie auf ihrem südwärts gerichteten Wege passiren. In Alicante selbst erfuhren wir, daß das Telegramm des englischen Consuls über die bevorstehende Ankunft und Schutz- leistung des „Friedrich Karl“ die Sachlage ganz bedeutend ver- ändert hatte. Die Flüchtlinge waren größtentheils zurückgekehrt und die „Victoria“ hatte ihre Drohung, die Stadt zu bombar- diren, nicht ausgeführt, sondern, im Bewußtsein ihres illegalen Treibens, es vorgezogen, sich zu entfernen, jedoch noch einen auf der Rhede liegenden Aviso, den „Vigilante“, mitgenommen. Die „Victoria“ sollte sich nach Torre-vieja, einer kleinen auf dem Wege nach Cartagena liegenden Hafenstadt, begeben haben, um dort ihre Erpressungen fortzusetzen. Ich verließ deshalb Abends Alicante, wo von den Schiffen der Intransigenten keine 25* Werner Gefahr mehr zu befürchten war, dampfte die Küste entlang nahe bei Torre-vieja vorbei, ohne indessen die „Victoria“ zu gewahren und traf am 23. Juli früh vor dem Hafen von Cartagena ein. Bei unserer Annäherung fielen von dem Eingangsforts zwei blinde Schüsse. Da ich ihre Bedeutung nicht kannte, hielt ich mich vorläufig einige Seemeilen von der Küste entfernt und be- absichtigte zunächst, ein Boot in den Hafen zu schicken, um bei unserem Consul Erkundigungen über die Lage der Verhältnisse einzuziehen und danach meine weitere Handlungsweise einzurich- ten. In Begriff dies anzuordnen, sahen wir um die vor dem Hafen von Cartagena liegende Insel Escombrero einen Aviso biegen, der an der Gaffel eine rothe Flagge führte. Ich ver- legte ihm den Weg und schickte ein unbewaffnetes Boot an Bord, um anzufragen, was das für eine Flagge sei und wer das Fahrzeug commandire. Die erste Frage wurde mit „Can- ton Murcia“ beantwortet; ein Commandant konnte jedoch nicht nachgewiesen werden, vielmehr wurde als befehlende Behörde eine an Bord befindliche Deputation von fünf Personen be- zeichnet. Das Fahrzeug war der Tags zuvor von der „Vic- toria“ bei Alicante fortgenommene Aviso „Vigilante“, führte zwei Geschütze, hatte fünfzig bewaffnete Menschen ohne Uniform oder militärische Organisation als Besatzung und kam von Torre- vieja, wo es 72,000 Realen erpreßt hatte. Hier lag nach meiner Auffassung eine dem Begriffe See- raub zum Verwechseln ähnliche Handlung eines Schiffes vor, die unter keinen Umständen geduldet werden durfte, da sie allen Regeln des Völkerrechts widersprach. Die Thatsache ließ keine verschiedenen Auslegungen zu und fiel unter das Rubrum „See- polizei“, die ex officio von jedem Kriegsschiffe auszuüben ist. Andererseits hielt ich es aber auch aus dem Grunde für meine Pflicht, diesem Unwesen sofort und energisch entgegenzutreten, weil fast in allen spanischen Hafenstädten eine kleinere oder größere Anzahl Deutsche angesiedelt waren, zu deren Schutz ich mit den Nach Westindien und dem Mittelmeer Schiffen nach dem Mittelmeere entsandt war und die gegen solche Erpressungen sicher gestellt werden mußten, da die legi- time Landesregierung außer Stande war, Schutz zu gewähren. Ich brachte daher das Fahrzeug auf, belegte es mit Beschlag, ließ die rothe Flagge herunterholen und die deutsche Kriegs- flagge setzen. Ein blinder Kanonenschuß über Deck, als die „Vigilante“ Miene machte, zu entfliehen und in den Hafen zu laufen, hatte jeden weiteren Widerstand beseitigt und die Sache ging sehr ruhig vor sich, wenigstens auf dem Wasser. Am Lande verlief sie nicht so glatt. Nach einer Stunde kam der Sohn unseres Consuls aus Cartagena mit dem Be- richte an Bord, in der Stadt herrsche große Aufregung über die Wegnahme des „Vigilante“ und Contreras habe infolge dessen Befehl gegeben, die ganze Familie des deutschen Consuls Spottorno, der selbst nicht am Orte anwesend war, zu verhaften. Dies war wiederum ein völkerrechtswidriger Act, den ich nicht dulden durfte. Ich dampfte deshalb ganz nahe an den Hafen, schickte ein Boot mit einem Officier in die Stadt und ließ den Behörden durch den Sohn unseres Consuls mittheilen, daß ich, falls man der Familie des letzteren oder einem anderen Deut- schen das leiseste Unrecht zufüge, in den Hafen kommen und Repressalien ergreifen würde. Der Hafen von Cartagena öffnet sich seewärts in die Bucht von Escombrero, die östlich vom Eingange liegt. Er wird durch eine Reihe von Festungswerken gedeckt, von denen zwei oben auf den Höhen und vier unten am Strande erbaut sind. Zwischen die beiden äußersten Strandforts wurde unser Schiff gelegt, die Breitseiten ihnen zugekehrt und den Bug gegen den Hafen und die Stadt gerichtet. Von den beiden äußeren Forts war der „Friedrich Karl“ gegen 300, von den beiden inneren 600, vom Hafen gegen 1000 Meter entfernt und konnte von der ganzen Stadt aus gesehen werden, was bisher, so lange er sich in der Bucht von Escombrero befand, nicht der Fall war. Werner Das Schiff war natürlich klar zum Gefecht gemacht, und auch dies konnte den Landbewohnern nicht entgehen und zeigte ihnen den Ernst der Situation. Es ließ sich nicht leugnen, daß die Lage inmitten der sechs Festungswerke etwas stark vorgeschoben war, wenn es zum Kampfe kam, allein die Verhältnisse geboten schnelles Handeln, und letzterem kamen verschiedene günstige Um- stände zu Hülfe. Die Forts datirten aus alter Zeit; man sah ihnen schon von außen an, daß sie vernachlässigt waren und 21 Centimeter Granaten nicht wirkungslos von ihnen ab- prallen würden. Ebenso war Grund zu der Annahme vor- handen, daß sie nicht voll armirt und besetzt seien, sowie daß bei den politischen Zuständen in der Stadt ein energischer und erfolgreicher Widerstand nicht erwartet werden konnte. Nach den erhaltenen Mittheilungen hatten auch alle anständigen Officiere der Besatzung die Stadt verlassen; es fehlte die Disciplin unter den vorhandenen Truppen und ein energisches Vorgehen erschien deshalb angezeigt und zweckentsprechend. Diese Vor- aussetzung erwies sich in allen Punkten als zutreffend. In den Festungswerken zeigte sich nirgends der Versuch eines Wider- standes und nicht einmal die Geschütze wurden besetzt. Die von Contreras angedrohte Verhaftung der Familie des Consuls unterblieb und ich erhielt die Nachricht, es sei den Deutschen gestattet worden, sich an Bord des „Friedrich Karl“ zu begeben. Die im Hafen liegende „Victoria“, ein Panzerschiff von der Stärke und Bewaffnung unseres „König Wilhelm“, also dem „Friedrich Karl“ bedeutend überlegen, sowie ein Raddampfer „Fernando el Catolico“ machten zwar Dampf, allein die Demon- stration verlief sehr kläglich. Als unser Schiff sich mit geöff- neten Geschützpforten den Molen näherte und sich so legte, um jene Schiffe beim Verlassen des Hafens sofort anzugreifen, be- ruhigte sich ihr Eifer und sie ließen die Feuer wieder ausgehen. Im Hafen lagen außerdem noch die Panzerschiffe „Numancia“, „Mendez Nu fi ez“ und „Tetuan“, aber auf ihnen rührte sich Nach Westindien und dem Mittelmeer nichts, und es ließ sich daraus schließen, daß sie keine Besatzung hatten. Auf allen Schiffen sowie auf den Festungswerken wehte statt der spanischen die rothe Flagge, das neue Emblem des souveränen Cantons Murcia. Während sich diese Vorgänge abspielten, kam der Comman- dant des englischen Kanonenbootes „Pigeon“, welches als ein- ziges fremdes Kriegsschiff auf der Rhede von Escombrero ankerte, zu mir an Bord, um sich unter meinen Befehl zu stellen. Er theilte vollständig meine eigene Auffassung der Sachlage, daß wir es hier nicht mit politischen Parteien zu thun, sondern nur Verstöße gegen das Völkerrecht zu verhindern hatten, er hielt sich deshalb verpflichtet, mit uns gemeinsam zu handeln und solidarisch für die bedrohten Interessen der Fremden in Spanien einzutreten. Nach einiger Zeit erschienen drei Abge- ordnete der junta revolucional, wie sich die oberste Behörde des Canton Murcia nannte, auf dem „Friedrich Karl“, um zu unterhandeln. Unter der Deputation, welche an Stelle eines Comman- danten den Befehl über die „Vigilante“ geführt, befand sich auch ein gewisser Galvez Arce, der eigentliche Anstifter und Führer der ganzen revolutionären Bewegung von Cartagena. Er war ein einfacher ungebildeter Mann, der kaum seinen Namen schreiben konnte und ein unklarer Kopf, jedoch, wie wir erfuhren, jedenfalls einer der wenigen Republikaner, die es ehr- lich mit der von ihnen vertretenen Sache meinten und der beim niederen Volke in hohem Ansehen stand. Wenngleich es von vornherein meine Absicht war, nur das Schiff festzuhalten, dagegen die Besatzung frei zu geben, weil kein unzweideutiger piratischer Act von ihr begangen war, der ihre gerichtliche Verurtheilung nothwendig machte und weil ich jeden Schein einer Einmischung in die Parteiverhältnisse Spaniens vermeiden wollte, so bot doch die Gefangennahme von Galvez eine willkommene Gelegenheit, um an seine Freigebung Werner gewisse Bedingungen zu knüpfen, die namentlich den Deutschen in Cartagena und den übrigen Küstenstädten zu Gute kommen sollten. Diese Bedingungen wurden in einem schriftlichen Ab- kommen formulirt und den drei Abgeordneten übergeben, um sie der Junta zur Genehmigung vorzulegen. Die Junta war zwar keine vom deutschen Reiche anerkannte, aber doch die augen- blicklich factische Regierung. Vermöge der Kriegsschiffe, welchen die legitime Regierung in Madrid keine anderen entgegenzustellen vermochte, dominirte sie an der ganzen Südküste und die dort ansässigen Deutschen und Fremden waren ihren etwaigen Ge- waltacten Preis gegeben. Es mußte also mit den Thatsachen gerechnet und wenn sich eine Gelegenheit bot, ohne Blutvergießen solche Gewaltacte zu hindern und unseren deutschen Landsleuten wirksamen Schutz zu gewähren, diese ergriffen werden. Das Abkommen lautete seinem Sinne nach folgendermaßen: 1. Der Commodore Werner, Commandant S. M. Panzer- fregatte „Friedrich Karl“, hat sich genöthigt gesehen, den bewaff- neten Dampfer „Vigilante“, auf Grund der von ihm geführten und den Kriegsmarinen nicht bekannten Flagge, mit Beschlag zu belegen. 2. Der Herr Antonio Galvez Arce, Commandant (gefe) der „Vigilante“, erkennt diese Beschlagnahme als berechtigt an, jedoch wird Commodore Werner die Besatzung des genannten Schiffes freilassen. 3. Herr Galvez und die übrigen Unterzeichner dieses Ab- kommens (die Vertreter der Junta) verpflichten sich, Leben und Gut aller Deutschen oder sonstigen Fremden, die sich in Carta- gena oder unter Jurisdiction des am letzteren Orte gebildeten Wohlfahrtsausschusses (junta de salud publica) befinden, zu respectiren. 4. Ebenso verpflichtet sich die genannte Junta, keines der gegenwärtig im Hafen von Cartagena vor Anker liegenden Kriegsschiffe bis zum 28. d. M., bis wohin Instructionen der Nach Westindien und dem Mittelmeer deutschen und englischen Regierung für „Friedrich Karl“ und „Pigeon“ eingetroffen sein können, auslaufen zu lassen. 5. Beide genannten Schiffe („Friedrich Karl“ und „Pigeon“) sowie andere, die etwa noch eintreffen sollten, können, nach ihrer Wahl, entweder auf der Rhede von Escombrero oder im Hafen von Cartagena ankern und dürfen unter keinen Umständen in irgend welcher Weise von den Bewohnern des Landes behelligt werden. An Bord der deutschen Panzerfregatte „Friedrich Karl“, den 23. Juli 1873. Dieses Schriftstück wurde von der Junta sowie von General Contreras, als Spitze der Militärbehörden, für bindend aner- kannt und einerseits von mir und dem Commandant Trotter vom „Pigeon“, andererseits von den Deputirten der Junta, Moja, Sauvalle, Carvajal und Galvez, sowie von dem stell- vertretenden deutschen Consul Spottorno unterzeichnet. Infolge dessen setzte ich Galvez mit der Besatzung in Frei- heit und dämpfte damit die in der Stadt herrschende Aufregung. Der oben genannte Carvajal war der früher erwähnte Volkstribun von Malaga, und ich war sehr erstaunt, ihn in Cartagena wiederzusehen, bis ich erfuhr, daß dort seine Herr- lichkeit ein jähes Ende gefunden hatte. Der neue in Malaga von der Cortes eingesetzte Gouverneur Solier, ein energischer Mann, hatte Carvajal und seine Freiwilligen aus der Stadt zu drängen gewußt und dieser hatte sich nach Cartagena gerettet, um mit Hülfe der Kriegsschiffe und in Verbindung mit der zurückgebliebenen Communistenpartei sich am 24. d. M. Mala- ga’s wieder zu bemächtigen. Dies erfuhr ich noch vor Abschluß der Verhandlungen aus seinem eigenen Munde. Er erzählte überhaupt sehr unbefangen alles mögliche und sagte mir unter anderem: „Ich wollte heute mit „Vigilante“, „Victoria“ und „Fernando el Catolico“ nach Malaga abgehen.“ Ich erwiderte, daß es mir leid thäte, seinem Vorhaben hindernd in den Weg Werner treten zu müssen, aber gleichzeitig bewog mich diese Aeußerung noch den Passus 4 in das Abkommen mit aufzunehmen. Durch das Festhalten der Schiffe wurde Carvajals Unternehmen bis auf weiteres vereitelt und der beste Schutz gegen solche Aus- schreitungen gewährt, unter denen die Deutschen am meisten ge- litten hätten. Bis zum 28. hoffte ich präcise Instructionen von Berlin aus zu erhalten und danach meine weiteren Maß- nahmen treffen zu können. Die Annahme jener Bedingungen gab die Gewißheit, daß das den Behörden des Cantons Murcia gegenüber inne ge- haltene Verfahren ein zweckentsprechendes gewesen war. Der gezeigte Ernst hatte sie offenbar eingeschüchtert, und im Interesse eines weiteren friedlichen Verlaufes der Angelegenheit kam es darauf an, sie zwar einerseits in keiner Weise zu provociren, andererseits sie aber in der Stimmung zu erhalten. Um ihnen zunächst den Hauptstein des Anstoßes aus den Augen zu schaffen, wurde noch am selben Tage die „Vigilante“ mit einer Prisen- mannschaft und unter deutscher Kriegsflagge nach Gibraltar ge- schickt, um das Eintreffen weiterer Befehle von Berlin abzu- warten. Dort machte zwar der englische Gouverneur den Versuch, das Schiff unter die Jurisdiction eines englischen Prisengerichts zu bringen, allein ohne Erfolg. Das eigenthümliche Ansinnen des Engländers wurde von dem commandirenden Officier der Prise ebenso höflich wie entschieden abgelehnt und die letztere, auf Anweisung des deutschen Geschäftsträgers in Madrid, später an den spanischen Consul für die republikanische Regierung aus- geliefert, so daß sie wieder in die Hände ihrer rechtmäßigen Eigenthümer gelangte. Auf dem Wege nach Gibraltar lief die „Vigilante“ Almeria an, wo die „Elisabeth“ lag, und über- brachte ihr meinen Befehl, nach Cartagena zu kommen, da die Sachlage doch möglicherweise ihre Anwesenheit nöthig machen konnte. Sie traf dort am 24. Juli Abends ein, mußte indessen schon am andern Mittag wieder nach Cadix entsandt werden, Nach Westindien und dem Mittelmeer da sich die Communistenpartei unter Salvochea dieser Stadt zu bemeistern drohte und der deutsche Consul auf das dringendste um die Hülfe eines Kriegsschiffes bat. In Cartagena schien man inzwischen durch die Fortnahme der „Vigilante“ doch etwas vorsichtiger geworden zu sein. Bei Gelegenheit der Verhandlungen hatte ich die Erklärung abge- geben, daß ich jedes bewaffnete Schiff unter rother Flagge fort- nehmen würde, und das hatte Contreras wol bedenklich gemacht, um so mehr als nun auch noch die „Elisabeth“ eingetroffen war. Am 25. Juli Morgens war deshalb auf allen Festungswerken und Kriegsschiffen im Hafen die rothe Flagge verschwunden und die spanische, wenn auch ohne die Krone darin, die sich mit der Republik nicht vertrug, wieder geheißt. Damit fiel für mich ein Grund zur Aufbringung der Schiffe fort; doch schien Contreras seiner Sache nicht ganz sicher zu sein, denn am 28. Juli Morgens hatte er alle Con- suln zusammenberufen und in ihrer Gegenwart den unsrigen ge- fragt, ob ich die Schiffe unter spanischer Flagge passiren lassen würde. Ich hatte diese Frage vorausgesehen und unseren Con- sul schon im Vorwege ersucht, dieselbe eventuell dahin zu be- antworten, daß ich die Schiffe so lange unbehelligt lassen würde, als sie die internationalen Gesetze respectirten und keinem Deut- schen ein Unrecht zufügten. Contreras gab darauf das feier- liche Versprechen, daß beides nicht geschehen solle, und ich erfuhr, daß er am 28. abends, nach Ablauf der in unserem Vertrage festgesetzten Frist, mit der Fregatte „Almansa“ (60 Kanonen) und dem Panzerschiff „Victoria“ (23 Kanonen), mit einer Ge- sammtbesatzung von 1400 Mann, nach Almeria und von dort nach Malaga abgehen würde. Von der deutschen Regierung waren bis zu diesem Tage zwar keine weiteren directen Instructionen für mich eingetroffen, indessen hatte ich durch unseren Geschäftsträger in Madrid die Anweisung erhalten, die Schiffe der Intransigenten zu über- Werner wachen und nicht zu dulden, daß sie Gewaltacte gegen spanische Küstenstädte begingen, wodurch deutsche Interessen gefährdet werden könnten. Abends am 28. verließen die beiden Schiffe Cartagena. Contreras hatte sich mit seinem Stabe und einem Deputirten der föderalistischen Minorität der Cortes, dem Advocaten Torre, auf der „Almansa“ eingeschifft und auf ihr die Admiralsflagge geheißt. Der Canton Murcia oder vielmehr alle föderalistischen Parteien copirten nämlich auch in allen Aeußerlichkeiten die französische Revolution von 1789. So wurde z. B. in den Städten, wo sie die Herrschaft erhielten oder zu erhalten glaub- ten, sofort ein Wohlfahrtsausschuß gebildet und den Militärbe- fehlshabern ein Mitglied desselben als ad latus, d. h. zur Ueberwachung beigegeben. Bei Contreras versah der genannte Torre diesen Vertrauensposten. Bei dem Auslaufen der Schiffe besäumten Tausende und aber Tausende von Zuschauern das Ufer und gaben ihnen unter donnernden Hurrahrufen und Musik das Geleit. Um ihre Herrschaft zu festigen, bedurften die Intransigenten vor allen Dingen einer Ausbreitung ihrer Machtsphäre und materieller Mittel, deren Mangel sich bereits sehr fühlbar machte. Die reichen Seestädte waren nach beiden Richtungen hin sehr begehrenswerthe Objecte. Mit Hülfe der großen Kriegsschiffe, denen die Regierung von Madrid zur Zeit nichts entgegenzu- stellen hatte, ließen sich diese Städte, in denen sich überall mehr oder minder zahlreiche Communistenparteien befanden, nach An- sicht der Cantonalisten leicht bewältigen, während der Mangel einer Militärmacht zu Lande eine solche Offensive ausschloß. Das lebhafte Interesse, welches die Cartagener an dem Aus- laufen der Schiffe nahmen, war deshalb sehr erklärlich. Letztere bildeten die Hauptstärke der Revolution und konnten allein die Mittel schaffen, um diese zu nähren; ohne die Schiffe mußte sie bald zusammenbrechen. Nach Westindien und dem Mittelmeer Gleichzeitig mit Contreras verließ ich mit dem „Friedrich Karl“ die Rhede von Escombrero, ging mit vollem Dampf zwischen beiden Schiffen hindurch und setzte Curs auf Malaga, da sich in Almeria keine Deutschen befanden und mich deshalb die etwaigen Maßnahmen des Generals dort nichts angingen. Am 29. Juli Mittags traf ich in Malaga ein und fand die Stadt in größter Aufregung. Laut telegraphischer Nachricht war Contreras mit beiden Schiffen vor Almeria erschienen und hatte, unter Androhung eines Bombardements, die Proclamirung der Provinz als unabhängigen Canton und eine Contribution von vier Millionen Realen verlangt. Bei einer versuchten Landung waren jedoch seine Leute von der regierungstreuen und tapferen Besatzung Almeria’s zurückgeschlagen worden und er hatte begonnen, die offene Stadt zu bombardiren. Dasselbe Schicksal sollte er Malaga angedroht haben, weil der dortige Gouverneur Solier mit seinen Milizen die Anhänger des nach Cartagena entflohenen Carvajal gründlich geschlagen, theilweise zu Gefange- nen gemacht hatte und diese, sowie den ohne weitere Umschweife aufgehobenen Wohlfahrtsausschuß auf einem Regierungsdampfer nach Ceuta hatte deportiren lassen. Dies war am 25. geschehen, d. h. an dem Tage, wo „Victoria“ und „Vigilante“ sich unter Beistand der Communistenpartei der Stadt Malaga bemächtigen sollten, war aber durch unsere Blockade des Hafens von Car- tagena vereitelt worden. In der Nähe von Malaga befinden sich zwar einige alte Strandbefestigungen, doch waren dieselben theilweise gar nicht armirt und jedenfalls nicht im Stande, mit irgend welchem Er- folg die sonst offene Stadt gegen ein Bombardement der Schiffe zu vertheidigen. Die Deutschen hegten deshalb große Besorgniß; jedoch konnte ich sie, auf Grund meiner Instructionen, vollkommen beruhigen und ihnen die Zusicherung geben, daß ich ein Bom- bardement der Stadt nicht dulden und außerdem die Schiffe sofort angreifen würde, sobald sie anderweitig Leben oder Gut der Deutschen gefährdeten. Werner Am 31. Morgens kam die englische Panzerfregatte „Swift- sure“ vor Malaga an. Die Instructionen des Kapitän Ward lauteten ähnlich wie die meinigen, und da er auch die Ansicht theilte, daß man es hier nicht mit politischen Parteien, sondern mit Raubgesindel zu thun hätte, so machte er mir den Vor- schlag, gemeinsam diesem gesetzlosen Treiben entgegenzutreten und Malaga vor einem ähnlichen Schicksale, wie es Almeria be- troffen, dadurch zu bewahren, daß wir die Schiffe der Intransi- genten zwangsweise nach Cartagena zurückescortirten und sie dort so lange blokirten, bis wir von unseren Regierungen Verhal- tungsmaßregeln für ihre weitere Behandlung empfangen würden. Für den Fall der Widersetzlichkeit wollten wir die Schiffe nehmen und sie nach Gibraltar bringen. Ich acceptirte diesen Vorschlag; das Abkommen wurde schriftlich formulirt und da ich der Anciennetät nach der ältere Officier war, stellte sich der „Swiftsure“ unter meine Befehle. Wir forderten den Kapitän der vor Malaga liegenden französischen Panzercorvette „Jeanne d’Arc“ auf, mit uns ge- meinsame Sache zu machen, jedoch lehnte er dies mit dem Bemerken ab, seine Instruction gebiete ihm die Beobachtung der strictesten Neutralität. Als am Nachmittage die Nachricht eintraf, die Schiffe seien nach dem Bombardement von Almeria nach Motril, einer nur noch zehn Meilen von Malage entfernten Stadt gesegelt, hätten dort ebenfalls, unter Androhung von Ge- waltmaßregeln, große Geldsummen erpreßt und befänden sich auf dem Wege nach Malaga, dampfte die „Jeanne d’Arc“ merk- würdiger Weise nach Cadix ab. Dies Verfahren des Franzosen gab zu denken und erweckte den Anschein, als begünstige Frank- reich die Intransigenten, die man in Spanien schon ganz offen als Parteigänger von Don Carlos bezeichnete. Am 1. August mit Tagesanbruch gingen „Swiftsure“ und „Friedrich Karl“ in See, um die Schiffe aufzusuchen. Kaum hatten sie die Anker gelichtet, als sie auch schon in vier Nach Westindien und dem Mittelmeer Seemeilen Entfernung von Malaga die auf den Hafen zu- steuernde Fregatte „Almansa“, mit der Flagge von Contreras im Top erblickten. Die beiden Panzer nahmen sie in die Mitte, dampften auf sie zu und heißten auf etwa 2000 Meter Entfer- nung Flagge, ohne daß dies jedoch erwidert wurde. Wenn ein Kriegsschiff einem anderen die Flagge zeigt, so verlangt die internationale Höflichkeit, daß letzteres dasselbe thut. Geschieht dies nicht, so ist dies eine Nichtachtung, die kein Admiral oder Commandant sich gefallen lassen darf. Auf der „Almansa“ schien man offenbar den Kopf ver- loren zu haben, als man plötzlich unsere beiden Schiffe aus dem Morgennebel emportauchen sah, und gleichzeitig documen- tirte sich das schlechte Gewissen in der Unsicherheit des Steuerns. Bald lag die Fregatte landwärts, bald seewärts, aber zeigte noch immer keine Flagge. Ich ließ deshalb aus dem vorderen Geschütz des „Friedrich Karl“ eine 21 Centimeter Granate dicht vor den Bug der „Almansa“ feuern, eine Mahnung, die sie auch augenblicklich verstand, denn die spanische Flagge flog jetzt blitzschnell in die Höhe. Gleichzeitig hoffte ich, die In- transigenten durch den scharfen Schuß zu überzeugen, daß ich inzwischen meine Ansichten nicht geändert hätte und ihnen scharf auf die Finger sehen würde. Er schien auch in diesem Sinne die beabsichtigte Wirkung nicht zu verfehlen, denn die „Al- mansa“ stoppte die Maschine und wir liefen mit unseren Schiffen bis auf Rufweite hinan. Als meine Frage, ob sich General Contreras und ein Deputirter an Bord befände, be- jaht wurde, ersuchte ich beide an Bord des „Friedrich Karl“ zu kommen. Statt dessen erschien ein Landofficier, um mir mitzutheilen, der General könne, da keine Fallreepstreppe aus- gehängt sei, wegen seiner großen Leibesstärke nicht kommen. Ich ließ diese Entschuldigung jedoch nicht gelten, wiederholte den Befehl und gab, um den General über unsere Absichten nicht in Zweifel zu lassen, dem Officier eine spanische Uebersetzung Werner des zwischen Kapitän Ward und mir getroffenen Ueberein- kommens zur Aushändigung an seinen Vorgesetzten. Trotzdem erschien Contreras nicht, so daß ich mit Anwendung von Ge- walt drohen mußte, für den Fall, daß er in zehn Minuten nicht an Bord sei. Der „Friedrich Karl“ hatte sich inzwischen der „Almansa“ bis auf fünfzig Schritte genähert; es wurde Generalmarsch ge- schlagen und die Leute eilten an die Geschütze. Das half! die ultima ratio schien überzeugende Beweiskraft zu besitzen, denn die Treppe wurde jetzt schleunigst ausgesetzt und Contreras er- schien alsbald mit drei Adjutanten und dem Deputirten Torre. Der General war wirklich außerordentlich dick und unbehülflich und konnte kaum unsere Fallreepstreppe heraufklettern. Als er das Deck des „Friedrich Karl“ betrat, war er vollständig er- schöpft und sein erstes Wort lautete: „una silla“ (ein Stuhl). Jedenfalls strafte er das alte Wort Lügen, daß dicke Leute keine Verschwörer seien. Kapitän Ward, der inzwischen zu mir an Bord gekommen, und ich empfingen ihn am Fallreep. Um meiner Sache ganz sicher zu sein, richtete ich zunächst die Frage an ihn, wohin er mit der „Almansa“ wolle und wo die „Victoria“ sei. Ich er- hielt die Antwort: „Nach Malaga“, auch die „Victoria“ sei dorthin bestimmt und müsse bald eintreffen. Darauf theilte ich dem General nochmals mündlich mit, was Kapitän Ward und ich über seine Schiffe beschlossen und eröffnete ihm gleichzeitig meine Absicht, ihn selbst bis zur weite- ren Entscheidung meiner Regierung als Geißel an Bord zu be- halten, um die Gewähr zu haben, daß den Deutschen in Carta- gena kein Leid geschähe. Bei Gelegenheit der „Vigilante“-Affaire habe er bereits den Befehl zur Verhaftung der Familie des Consuls ertheilt und ihn nur auf meine Drohung, die Stadt zu bombardiren, wieder rückgängig gemacht. Sodann habe er in Gegenwart aller Consuln das Versprechen gegeben, nicht Nach Westindien und dem Mittelmeer gegen internationale Gesetze zu handeln und keinen Deutschen zu schädigen. Dennoch sei zwei Tage danach die offene Stadt Al- meria von ihm bombardirt worden und Malaga dasselbe Schick- sal zugedacht gewesen. Nach diesen Erfahrungen könne ich meine Landsleute nur dadurch gegen Wiederkehr solcher völker- rechtswidrigen Maßregeln schützen, daß ich ihn bis auf weiteres als Geißel zurückbehielte. Contreras protestirte sehr heftig gegen meine Anordnungen, nannte sich das Oberhaupt und den Repräsentanten Spaniens und zeigte sich ungemein hochfahrend. Ich nahm jedoch weiter keine Notiz von seinem Verhalten, das sich übrigens sehr bald von selbst änderte. Gegen sieben Uhr kam nämlich die „Vic- toria“ in Sicht, und wenn ich auch nach den gemachten Er- fahrungen keine Gegenwehr erwartete, ließ ich doch aus Vorsicht den „Friedrich Karl“ wieder klar zum Gefecht machen. Als nun der Generalmarsch ertönte, die Mannschaften auf ihre Stationen eilten, die schweren Granaten in unmittelbarer Nähe des Generals auf den Geschoßkarren zu den Geschützen ge- fahren wurden, schwand auf einmal seine bis dahin zur Schau getragene sittliche Entrüstung. Trotz seiner Unbehülflichkeit, sprang er sehr lebhaft von dem Stuhle auf und bat mich sehr dringend, an Bord der „Almansa“ fahren zu dürfen, um der „Victoria“ Signal zu geben, daß sie nicht feuere. Obwol ich nun diese Besorgniß keineswegs theilte und den Intransigenten nicht den Muth zutraute, den ihr Vorgesetzter dämpfen zu müssen glaubte, so gestattete ich dennoch das Ansuchen des Generals, nachdem er mir — und zwar ohne von mir dazu veranlaßt zu sein — freiwillig sein Ehrenwort gegeben hatte, nach Aus- führung des Signals sofort wieder zurückzukehren. Das Signal wurde gemacht, nach vieler Mühe auf der „Victoria“ ver- standen und diese heißte eine weiße Flagge, d. h. sie sprach die Bitte aus, keine Feindseligkeiten gegen sie zu eröffnen. Um R. Werner , Erinnerungen. 26 Werner uns gleichzeitig zu überzeugen, welchen Respect sie vor uns habe, dippte sie vor jedem unserer Schiffe wieder dreimal die Flagge, wie beim Auslaufen aus Cartagena, als ich die Linie durchbrach. Obwol dann beide Schiffe auf meinen Befehl mit Curs auf Cartagena Kehrt gemacht und, von „Friedrich Karl“ und „Swiftsure“ escortirt, ruhig den vorgeschriebenen Weg dampften, kam Contreras nicht zurück. Ich wartete bis Mittag und sprach dann gegen den Deputirten Torre mein Erstaunen über eine solche Auffassung des Ehrenwortes seitens eines Generals und Staatsoberhauptes aus. Torre suchte ihn auf jede Weise zu vertheidigen, versicherte, daß er bestimmt kommen würde und nur ein Mißverständniß vorliegen könne. Als der General aber um zwei Uhr noch nicht zurückgekehrt war, schickte ich ein Boot und ließ ihm durch einen seiner Adjutanten den Befehl überbringen, sich sofort auf den „Friedrich Karl“ zurück- zubegeben. Diesem Befehle gehorchte er auch, aber ohne sich mit einem Worte zu entschuldigen; sein erster Adjutant meinte, der General habe in der Zerstreuung das Ehrenwort vergessen. Dies zur Characteristik eines Mannes, der sich den Repräsen- tanten Spaniens nannte. Wie richtig wir darin gehandelt hatten, die beiden Schiffe aufzubringen, ging aus einer unbewachten Aeußerung des Depu- tirten hervor. Er war sehr lebhafter Natur und im Gespräche mit einem unserer Officiere entfuhr ihm der Ausruf: „Wehe Malaga, wenn wir dorthin gekommen wären!“ Andererseits war es wieder komisch, seine Aufregung zu sehen, als die Rede darauf kam, daß beim Erscheinen eines Kriegs- schiffes der Centralregierung „Victoria“ und „Almansa“ aus- geliefert werden würden. In größter Angst stürzte er auf mich zu und beschwor mich, ihn nicht an die Centralregierung aus- zuliefern, er stelle sich unter deutschen Schutz. Er war so exal- tirt, daß ich ihn kaum mit der Zusicherung zu beruhigen ver- Nach Westindien und dem Mittelmeer mochte, es sei nicht im entferntesten meine Absicht, ihn auszu- liefern, er könne vielmehr in Cartagena gehen, wohin er wolle. Man sieht, wes Geisteskinder die Leiter der Intransigen- ten waren. In der darauffolgenden Nacht begegneten wir der eng- lischen Mittelmeerflotte unter Befehl des Viceadmiral Yelverton, zu welcher auch der „Swiftsure“ gehörte. Kapitän Ward fuhr an Bord des Flaggschiffes und meldete seinem Befehlshaber die von uns gethanen Schritte. Der Admiral billigte dieselben vollständig, war jedoch der Ansicht, die Schiffe nicht im Hafen von Cartagena zu blockiren, sondern sie und sämmtliche Waffen mit Beschlag zu belegen, die Besatzungen dagegen an Land zu schicken, was wir infolge dessen auch zu thun beschlossen. Am nächsten Tage fand zwischen „Almansa“ und „Fried- rich Karl“ eine Collision statt, bei der letzterem jedoch nur ein Boot ruinirt wurde, während die „Almansa“ sich ihr ganzes Vorgeschirr zerbrach. Da ich Ursache zu der Annahme hatte, der Zusammenstoß sei von der „Almansa“, wenn nicht absicht- lich, so doch aus strafbarer Nachlässigkeit herbeigeführt, so änderte ich die Fahrordnung, gab beiden spanischen Schiffen die Weisung, voranzudampfen und drohte ihnen, eine Granate über Deck zu feuern, sobald sie sich wieder von dem aufgegebenen Curse ent- fernten. Gleichzeitig befahl ich, die spanische Flagge zu streichen und statt derselben die Quarantäneflagge zu setzen. Ich glaubte kaum, daß man diesem Befehle ohne weiteres nachkommen würde und ließ deshalb beide Schiffe klar zum Gefecht machen, aber es wurde ohne Widerspruch gehorcht, und so langten wir am 3. August Mittags auf der Rhede von Escombrero an. Bei der großen Aufregung, welche schon die Fortnahme der „Vigilante“ in Cartagena hervorgerufen, konnten wir uns wol vorstellen, welche Gefühle die der Revolution an- hängenden Bewohner der Stadt bewegen mußten, wenn sie 26* Werner die beiden Schiffe, auf deren Mission sie so große Hoff- nungen gesetzt, für sich verloren sahen. Diese sollten ja nicht nur Geld und Waffen schaffen, sondern auch die ganze Südküste Spaniens, sowie den zweiten Kriegshafen, Cadix, wo bereits zwischen Communisten und Republikanern, und zwar nachtheilig für die letzteren, gekämpft wurde, gewinnen. Das war nun alles vorbei; die Truppen der Centralregierung mar- schirten heran, es fehlte an Waffen, Munition und vor allem an Geld. Alle wohlhabenden Bewohner Cartagena’s, 16,000 an der Zahl, waren geflohen, sodaß nichts mehr erpreßt werden konnte, und so mußten die Cantonalisten die Ueberzeugung ge- winnen, daß mit der Fortnahme der Schiffe der Anfang vom Ende gekommen sei. Daß diese Ueberzeugung leicht dahin führen konnte, Repressalien an den Fremden zu nehmen, war nicht zu leugnen; es mußte deshalb unsererseits dahin gestrebt werden, solchen Folgen vorzubeugen. So wie wir den Character der Intransigenten kennen ge- lernt hatten, hielten Kapitän Ward und ich es für das Richtige, auch fernerhin eine unbeugsame Energie zu zeigen, um da- durch unseren Zweck zu erreichen. Ehe wir noch ankerten, hatte ich eine längere Unterredung mit dem Deputirten Torre, um ihn auf die höchst bedenklichen Folgen für die Stadt und ihre Bewohner aufmerksam zu machen, die ein etwaiger Angriff auf die Fremden nach sich ziehen würde. Dann sandte ich ihn mit der Botschaft an die Junta an Land, daß wir die Civil- und Militärbehörden für die Sicherheit der Fremden verantwort- lich machten und auf das Unnachsichtlichste einschreiten würden, wenn jene nicht den erwarteten Schutz fänden. Gleichzeitig wurden sämmtliche Consuln aufgefordert, allen Fremden, die sich am Lande gefährdet glaubten, eine Zuflucht an Bord unserer Schiffe anzubieten. Wie Kapitän Ward und ich vorausgesetzt, erfüllten unsere Nach Westindien und dem Mittelmeer Maßnahmen vollständig ihren Zweck. Der Deputirte hatte wol die Ueberzeugung gewonnen, daß die von uns in Aussicht gestellten, allerdings scharfen Maßregeln gegebenen Falles ohne Zögern zur Ausführung gebracht werden würden und schien dies den Behörden klar gemacht zu haben. Infolge dessen blieben die Fremden unbehelligt und die Consuln waren der Ansicht, daß ihre Schutzbefohlenen am Lande sicher seien. Daß ich Contreras als Geißel an Bord behielt, übte jedoch weniger Einfluß, als wir anfänglich glaubten. Im Gegentheil war es für ihn selbst gut, daß er vorläufig nicht an Land kam, da man ihm nicht traute und sich das Gerücht ver- breitet hatte, es sei seine Absicht gewesen, die beiden Schiffe an die cubanischen Insurgenten zu verkaufen. Eine sehr schwierige Aufgabe blieb uns jedoch noch: die Entwaffnung und Ausschiffung der spanischen Schiffsmann- schaften. Es waren 1400 Mann, zur Hälfte Soldaten, wäh- rend „Swiftsure“, „Friedrich Karl“ und die inzwischen einge- troffenen deutschen und englischen Kanonenboote „Delphin“ und „Torch“ zusammen nur wenig über 1100 Mann hatten. War das Niederholen der spanischen Flagge auf See auch wider- standslos vor sich gegangen, so stand doch die Sache hier weniger günstig. Die Schiffe lagen unter den Kanonen der eigenen Festung verankert; kaum 1500 Schritt davon entfernt im Hafen die spanischen Panzerfregatten „Mendez-Nuñez“, „Numancia“ und „Tetuan“, sowie die Corvette „Fernando el Catolico“; unter solchen Umständen eine Entwaffnung von 1400 Mann vorzu- nehmen, die noch im Besitz von zwei unter Dampf befindlichen schweren Schiffen mit 83 Geschützen waren, blieb immerhin eine sehr ernste Angelegenheit. Bis jetzt hatten alle unsere Maßregeln zu dem erwarteten Erfolge geführt und den Beweis geliefert, daß wir den Charak- ter der Intransigenten richtig taxirt. Kapitän Ward und ich Werner beschlossen deshalb auf dem eingeschlagenen Wege weiterzugehen. Zunächst wurde bei unserer Ankunft auf der Rhede jede Communication der Schiffe unter sich, wie auch mit dem Lande durch Androhung der strengsten Maßregeln untersagt, um ge- meinschaftliches Handeln unmöglich zu machen resp. zu erschweren. Ein Cordon von Wachtbooten umgab die Prisen und diesen wurde verboten, ohne meine specielle Erlaubniß irgend ein Boot zu Wasser zu lassen, während gleichzeitig die Commandanten den Befehl erhielten, die Geschütze zu entladen und die Feuer in den Maschinen zu löschen. Beim Zuwiderhandeln gegen diese Befehle sollten die Schiffe sofort von uns beschossen werden. Der Commandant der „Victoria“, bis zur Insurrection Kapi- tän eines Handelsschiffes, hatte auch zum Stabe der „Vigilante“ gehört und war jetzt zum zweiten Male unser Gefangener. Ich rieth ihm speciell an, keinerlei Anlaß zur Unzufriedenheit durch Ungehorsam zu geben, da er sonst sich dem Schicksal aussetzte, möglicher Weise bald an der Raa zu hängen. Diese Aussicht schien die beabsichtigte Wirkung nicht zu verfehlen und es fiel nichts vor, was ein ernstes Einschreiten unsererseits nöthig ge- macht hätte. Kurz nach dem Ankern bat eine Deputation der spanischen Schiffsbesatzungen durch ihre an Bord des „Friedrich Karl“ befohlenen Commandanten um Erlaubniß, mit dem General Contreras sprechen zu dürfen. Unter der Bedingung, Zeuge der Unterredung zu sein, gestattete ich es, und etwa sechszehn Vertreter der verschiedenen Chargen kamen an Bord. Sie hatten offenbar geglaubt, Contreras sei in Fesseln und Banden ge- schlagen und müsse Hunger leiden, denn es war wahrhaft rührend zu sehen, wie einer der Matrosen ihm ein Stück Brod und Wurst brachte. Die Deputation überzeugte sich jedoch bald, daß es ihrem Vorgesetzten nicht so schlecht ging, wie sie gefürch- tet. Ich hatte ihm das ganze geräumige Verwaltungsbureau Nach Westindien und dem Mittelmeer des Schiffes als Wohnraum überwiesen, er war mit seinem Stabe mein Gast und es freute mich, seine Erklärung den Leuten gegenüber zu hören, daß er materiell nichts entbehre; was das Uebrige betreffe, so sei er der Gewalt gewichen und die weitere Entwickelung der Dinge müsse ruhig abgewartet werden. Durch unseren Consul erfuhr ich, daß sich an Bord der Prisen nur noch für einen Tag Lebensmittel befänden; in diesem Umstande glaubte ich, eine bedeutende Hülfe für die Lösung der schwierigen Aufgabe zu erblicken, die Mannschaften gutwillig zum Verlassen der Schiffe zu bewegen. Bevor die Deputation wieder an Bord der letzteren zurückkehrte, sprach ich deshalb eindringlich mit ihr über die Verhältnisse und suchte ihr die- selben klar zu machen. Ich betonte, wie es unerläßlich sei, daß die Besatzungen ohne Waffen ausgeschifft würden; da es aber wol begreiflich sei, wie schwer ihnen ein solcher Entschluß werden müsse, so wolle ich ihnen 24 Stunden Bedenkzeit, bis zum andern Abend fünf Uhr, geben. Dann aber müßten sie unbedingt von Bord und es würde mir ungemein leid thun, Gewaltmaßregeln anzuwenden, nachdem bisher alles ohne Blut- vergießen abgegangen sei, um so mehr, als ein Widerstand ihrer- seits gegen unsere Uebermacht keinerlei vernünftigen Zweck haben würde. Ihr gesammtes Privateigenthum könnten sie ungehindert mit von Bord nehmen, sämmtliche Waffen müßten dagegen aus- geliefert werden. Kapitän Ward, der ebenfalls der spanischen Sprache mächtig war, redete in gleichem Sinne, und es schien, als ob unsere Worte den Eindruck machten, den wir von ihnen erhofften. Der nächste Morgen schon brachte die Bestätigung unserer Voraussetzungen. Mit Tagesanbruch wurde auf beiden Schiffen eine blaue Flagge geheißt, das verabredete Signal für das Eingehen der Besatzungen auf die gestellten Bedingungen. Der wohlwollende wenn auch ernste Ton unserer Ansprachen, die scharfe Ueberwachung während der Nacht durch die Patrouillen- Werner boote, das Abschneiden jeder Communication und endlich das Ausgehen des Proviantes hatten ihre Wirkung gethan. Als die Flaggen an den Toppen erschienen, fühlte ich mich wesentlich erleichtert, daß alles so glatt abzugehen schien, aber immer noch blieben bedeutende Schwierigkeiten zu beseitigen, da es sich jetzt um die wirkliche Besitznahme und um die Aus- schiffung der Mannschaften handelte. Die Commandanten der beiden Prisen wurden an Bord des „Friedrich Karl“ beordert und erhielten die bezüglichen Befehle über den am zweckmäßig- sten erscheinenden Modus der Uebergabe. Zuerst sollte die „Almansa“ evacuirt werden. Fünfzig deutsche und ebenso viel englische Matrosen und Soldaten, unter Führung von je einem Officier, wurden bestimmt, das Schiff zu besetzen. Die ge- sammte Mannschaft sollte vor Ankunft unseres Detachements vorn auf dem Oberdeck ohne Waffen mit ihren Privatsachen und fertig zur Ausschiffung angetreten sein. Der Commandant wurde angewiesen, mit den Schlüsseln zur Pulverkammer in der Hand, am Fallreep den commandirenden deutschen resp. eng- lischen Officier zu empfangen, ihm die Schlüssel zu übergeben, den Weg zu den Pulver- resp. Bombenkammern zu zeigen und nachzuweisen, daß alles in Ordnung sei. Währenddem sollten unsere Leute sich mit scharfgeladenem Gewehr auf dem Hinter- deck aufstellen und starke Patrouillen die unteren Räume dahin absuchen, daß sich Niemand mehr von der Besatzung dort auf- halte, da sich Verzeichnisse der Mannschaft nicht an Bord be- fanden. Ebenso sollte von unserem Maschinenpersonal unter- sucht werden, ob nicht irgendwo ein Ventil geöffnet sei, um das Schiff voll Wasser zu lassen. In dieser Weise ging denn auch die Uebergabe ohne weitere Störung vor sich. Unmittelbar nach der Besitznahme wurden zwanzig Boote längseit geschickt, um die Mannschaften aufzunehmen. Danach formirten die Boote zwei Reihen (je Nach Westindien und dem Mittelmeer zehn); eine armirte Dampfbarkasse nahm je eine Colonne in’s Schlepptau, „Delphin“ und „Torch“ gaben mit zum Gefecht fertig gemachten Schiffe zu beiden Seiten das Geleit, „Fried- rich Karl“ und „Swiftsure“ lichteten Anker und legten sich, ebenfalls gefechtsbereit, ganz nahe an den inneren Hafen, um anzudeuten, daß irgend welcher Widerstand sofort niederge- schlagen werden würde. Diese Maßregeln verfehlten die beab- sichtigte Wirkung nicht. Die Boote landeten, unter dem stummen Zuschauen der eingeschüchterten Bevölkerung, die Mannschaften an den Kaimauern der Stadt ohne irgend welche Unordnung und kehrten ungefährdet an Bord zurück. Mit der „Victoria“ wurde dann ebenso verfahren, jedoch schifften wir deren Mannschaften nicht im Hafen, sondern an der Ostseite der Bucht von Escombrero aus. Wir bemerkten nämlich, daß man von der Insel Escombrero nach der „Vic- toria“ lebhaft signalisirte und gleichzeitig schickte unser Consul Botschaft, daß nach Ankunft der „Almansa“-Mannschaften „Mendez-Nuñez“ und „Fernando el Catolico“ Dampf gemacht hätten und uns anzugreifen beabsichtigten. Nach allem, was wir bis jetzt von den Intransigenten ge- sehen, konnte dies nur eine Bravade der Bevölkerung gegenüber sein, jedoch hielten wir es für richtig, die Gemüther etwas ab- zukühlen. Das Kanonenboot „Torch“ wurde mit der schrift- lichen Warnung an den „Mendez-Nuñez“ in den Hafen ge- schickt, sich nicht außerhalb sehen zu lassen, da wir jedes aus- laufende Kriegsschiff sofort angreifen und fortnehmen würden. Damit war die Komödie ausgespielt, denn die Schiffe ließen nach Empfang der Botschaft die Feuer alsbald wieder ausgehen. Den Signalisten auf der Insel Escombrero legte ein scharfer Schuß aus einem Krupp’schen Ballongeschütz schleunigst das Handwerk, und als die kleine Granate in ihrer Nähe platzte, räumten sie Hals über Kopf das Feld. Die Mannschaften der 26** Werner „Victoria“ hatten von dem Ausschiffungsorte mit ihren Kleider- säcken zwei Stunden auf ungebahnten Sandwegen zu marschi- ren, ehe sie Cartagena erreichten, und wir hofften sie durch diese Strapazen ebenfalls abzukühlen, wenn sie infolge der Sig- nale etwa Widerstandsgedanken gehegt haben sollten. Am andern Tage gab es nochmals eine kleine Aufregung. Der englische Consul theilte Kapitän Ward mit, von Communisten seien Flugblätter mit der Aufforderung zur Ermordung sämmt- licher Consuln unter das Volk vertheilt und er wünsche sich an Bord des „Swiftsure“ einzuschiffen. Der „Torch“ wurde deshalb in den Hafen geschickt, um auch unseren Consul aufzu- nehmen, doch nur der englische Consul mit seinen Damen schiffte sich ein, der deutsche lehnte ab. Nach seiner Ansicht waren die wenigen in Cartagena zurückgebliebenen Einwohner — etwa 25,000 Menschen hatten seit der Revolution die Stadt ver- lassen — derart eingeschüchtert, daß Niemand jener Aufforde- rung Folge leisten würde und deshalb sei für die Fremden nichts zu fürchten, was sich auch voll bestätigte. „Almansa“ und „Victoria“ sahen innen schrecklich aus. Sie starrten von Schmutz und es herrschte auf ihnen eine kaum glaubliche Unordnung. Wir hatten ein paar Tage mit einigen Hundert Mann zu thun, um sie nur einigermaßen zu säubern. Ersteres Schiff wurde von englischer, letzteres von deutscher Seite bewacht. Am 6. August erhielt ich Befehl, Contreras freizulassen; er ging in Cartagena an Land, aber seine Rolle war ausge- spielt. Der Boden schwankte schon unter seinen Füßen und die Tage der Intransigenten waren gezählt. Die meisten von „Victoria“ und „Almansa“ entlassenen Matrosen hatten nach den gemachten bitteren Erfahrungen dem Canton Murcia den Rücken gekehrt und waren theils nach Madrid gegangen, um sich dort reuig zu gestellen, theils hatten sie sich in ihre Nach Westindien und dem Mittelmeer Heimath geflüchtet. In Cartagena fehlte es sowol an Lebens- mitteln wie an Geld, in Valencia wie in Cadix waren die Communisten geschlagen und vertrieben, und so hatte die rothe Republik keine Zukunft mehr. Kurze Zeit darauf, als auch Cartagena von den Truppen der Centralregierung angegriffen wurde und bald darauf fiel, floh Contreras auf dem Panzer- schiffe „Tetuan“ nach Oran, indem er das Cartagena blocki- rende republikanische Geschwader durchbrach. Seitdem ist er verschollen. Zur Characteristik der Leiter der sogenannten föderalisti- schen Bewegung, die jedoch in der Nähe gesehen eine starke communistische Prägung hatte, sei noch Folgendes erwähnt. Contreras, unter Isabella Feldmarschall, war ein eidbrüchiger General, der sowol seiner legitimen Königin als auch später dem König Amadeus die Treue brach und dem deshalb zweimal Stellung, Rang, Orden und Ehrenzeichen aberkannt wurden. Mir gegenüber brach er sein Ehrenwort und ließ als einzige Entschuldigung vorbringen, er habe es vergessen. Der soge- nannte Minister des Innern des Cantons Murcia, Sauvalle, mit dem wir öfter zu thun hatten, war seines Zeichens ein Commis und, wie wir später in Malaga hörten, dort vor wenigen Monaten von seinem Principal wegen Veruntreuungen entlassen worden. Der Präsident des Wohlfahrtsausschusses in Cartagena, Gutierrez, war ein früherer Sclavenhändler, die wortführenden Rathgeber bestanden zum großen Theil aus flüchtigen französischen Communards. Was also Spanien für ein Loos gehabt hätte, wenn solche sittlich verkommene Menschen zur Herrschaft gelangt wären, mag sich Jeder selbst sagen, und im Interesse der Humanität und der Civilisation kann man sich nur darüber freuen, daß jene Bewegung verhältnißmäßig bald unterdrückt wurde, ehe sie größeres Unheil anrichtete. In- dem der „Friedrich Karl“ seine Aufgabe erfüllte, die gefährde- Werner ten, an der spanischen Südküste ansässigen Deutschen wirksam zu schützen, wurde er unabsichtlich mit in die Bewegung hin- eingezogen und gezwungen, darin eine gewisse Rolle zu spielen, die allerdings mit dazu beitrug, die Sache der Intransigenten zu Fall zu bringen. Am 9. August 1873 erhielt ich den Befehl, mit dem „Friedrich Karl“ nach Gibraltar zu gehen, um dort durch den Kapitän zur See Prczewisinsky abgelöst zu werden. Ich über- gab deshalb die „Victoria“ an Kapitän Ward und führte den mir ertheilten Befehl aus. Wie bekannt, wurden die beiden Schiffe später von den Engländern nach Gibraltar gebracht und der Centralregierung ausgeliefert. Pierer’sche Hofbuchdruckerei. Stephan Geibel \& Co. in Altenburg.