Ahnung und Gegenwart. Ein Roman von Joseph Freiherrn von Eichendorff. Mit einem Vorwort von de la Motte Fouqu e ´ . Nürnberg , bei Johann Leonhard Schrag. 1815 . Vorwort . D er Verfasser hatte diesen Roman vollendet, ehe noch die Franzosen im letzten Kriege Ru߬ land betraten. Eine nothwendig fortlaufende Berührung des Buches mit den öffentlichen Begebenheiten verhinderte damals den Druck desselben. Später faßte die gewaltige Zeit den Dichter selbst, er focht in den Reihen der Vaterlandsretter rühmlich mit, und alle seine Musse, Gedanken und Kräfte wandten sich auf den gemeinschaftlichen Zweck. Nach¬ her meinte er, es seye der Zeitpunkt einer allgemeinen Theilnahme für diesen Roman vielleicht inzwischen verstrichen. 1 * Vorwort . Ich war und bin nicht dieser Meinung; auch schien es mii nicht wohlgethan, die Fä¬ den dieser Geschichte in die neuesten Ereignisse herüber zu spinnen, oder auch prophetische Aussichten auf die erfolgte Weltbefreyung mit Absichtlichkeit darin aufzustellen. Die Ganzheit der so ächt lebendigen und wahr¬ haften Dichtung hätte darunter gelitten; sie wäre nicht geblieben, was sie ist: ein ge¬ treues Bild jener gewitterschwülen Zeit, der Erwartung, der Sehnsucht und Verwir¬ rung. Der Verfasser gieng in meine Ansichten ein, und giebt den Roman daher wörtlich und ohne die geringste Aenderung so, wie er ihn damals aufgeschrieben hatte. In seinen Mittheilungen hierüber an mich finden sich unter Anderm folgende denkwürdige Worte: „Es lieben edle Gemüther, sich mitten aus der Freude nach den überstandenen Drangsalen zurückzuwenden, nicht um hoch¬ Vorwort . müthig über sich selbst zu erstaunen, wie sie seitdem so Großes vollbracht, sondern um sich noch einmal mit jenem heiligen Zürnen, jenem gerüsteten Ernste der Bedrängniß zu erfüllen, der uns im Glücke eben so noth thut, als im Unglück. Diesen weihe ich das Buch als ein Denkmal der schuldgedrückten Vergangenheit.“ „Alle Kräfte, die in uns aufgewacht, schlummerten oder träumten schon damals. Aber Rost frißt das Eisen. Die Sehnsucht hätte sich langsam selbst verzehrt, und die Weisheit nichts ausgesonnen, hätte sich der Herr nicht endlich erbarmt, und in dem Brande von Moskau die Morgenröthe eines großen herrlichen Tages der Erlösung ange¬ zündet. Und so laßt uns Gott preisen, Je¬ der nach seiner Art! Ihm gebührt die Ehre, uns ziemet Demuth, Wachsamkeit und from¬ mer, treuer Fleiß.“ Vorwort. Diesen Kernworten, wie aus dem In¬ nersten und Besten meiner Seele gesprochen, weiß ich nichts hinzuzufügen, als den herzli¬ chen Wunsch: möchten sie und das ganze ju¬ gendlich frische Dichterwerk unsern theuern Landsleuten nach Verdienst lieb werden und bekannt. Geschrieben am 6. Januar, 1815. La Motte Fouque´. Erstes Buch . Erstes Kapitel . D ie Sonne war eben prächtig aufgegangen, da fuhr ein Schiff zwischen den grünen Bergen und Wäldern auf der Donau herunter. Auf dem Schif¬ fe befand sich ein lustiges Häufchen Studenten. Sie begleiteten einige Tagereisen weit den jungen Grafen Friedrich , welcher so eben die Universi¬ tät verlassen hatte, um sich auf Reisen zu begeben. Einige von ihnen hatten sich auf dem Verdecke auf ihre ausgebreitete Mäntel hingestreckt und würfel¬ ten. Andere hatten alle Augenblick neue Burgen zu salutiren, neue Echo's zu versuchen, und waren daher ohne Unterlaß beschäftigt, ihre Gewehre zu laden und abzufeuern. Wieder andere übten ihren Witz an allen, die das Unglück hatten am Ufer vorüberzugehen, und diese aus der Luft gegriffene Unterhaltung endigte dann gewöhnlich mit lustigen Schimpfreden, welche wechselseitig so lange fortge¬ sezt wurden, bis beide Partheyen einander längst nicht mehr verstanden. Mitten unter ihnen stand Graf Friedrich in stiller, beschaulicher Freude. Er war größer als die andern, und zeichnete sich durch ein einfaches, freyes, fast altritterliches An¬ sehen aus. Er selbst sprach wenig, sondern ergözte sich vielmehr still in sich an den den Ausgelassenhei¬ ten der lustigen Gesellen; ein gemeiner Menschen¬ sinn hätte ihn leicht für einfältig gehalten. Von beiden Seiten sangen die Vögel aus dem Walde, der Wiederhall von dem Rufen und Schießen irrte weit in den Bergen umher, ein frischer Wind strich über das Wasser, und so fuhren die Studenten in ihren bunten, phantastischen Trachten wie das Schiff der Argonauten. Und so fahre denn, frische Ju¬ gend! Glaube es nicht, daß es einmal anders wird auf Erden. Unsere freudigen Gedanken wer¬ den niemals alt und die Jugend ist ewig. Wer von Regensburg her auf der Donau hin¬ abgefahren ist, der kennt die herrliche Stelle, wel¬ che der Wirbel genannt wird. Hohe Bergschluften umgeben den wunderbaren Ort. In der Mitte des Stromes steht ein seltsam geformter Fels, von dem ein hohes Kreutz Trost- und Friedenreich in den Sturz und Streit der empörten Wogen hinab¬ schaut. Kein Mensch ist hier zu sehen, kein Vogel singt, nur der Wald von den Bergen und der furchtbare Kreis, der alles Leben in seinen uner¬ gründlichen Schlund hinabzieht, rauschen hier seit Jahrhunderten gleichförmig fort. Der Mund des Wirbels öffnet sich von Zeit zu Zeit dunkelblickend, wie das Auge des Todes. Der Mensch fühlt sich auf einmal verlassen in der Gewalt des feindseli¬ gen, unbekannten Elements, und das Kreutz auf dem Felsen tritt hier in seiner heiligsten und grö߬ ten Bedeutung hervor. Alle wurden bey diesem Anblicke still und athmeten tief über dem Wellen¬ rauschen. Hier bog plötzlich ein anderes fremdes Schiff, daß sie lange in weiter Entfernung verfolgt hatte, hinter ihnen um die Felsenecke. Eine hohe, junge, weibliche Gestalt stand ganz vorn auf dem Verdecke und sah unverwandt in den Wirbel hinab. Die Studenten waren von der plötzlichen Erscheinung in dieser dunkelgrünen Oede überrascht und brachen einmüthig in ein freudiges Hurrah aus, daß es weit an den Bergen hinunterschallte. Da sah das Mädchen auf einmal auf, und ihre Augen begegne¬ ten Friedrichs Blicken. Er fuhr innerlichst zu¬ sammen. Denn es war, als deckten ihre Blicke plötzlich eine neue Welt von blühender Wunder¬ pracht, uralten Erinnerungen und niegekannten Wünschen in seinem Herzen auf. Er stand lange in ihrem Anblick versunken, und bemerkte kaum, wie indeß der Strom nun wieder ruhiger geworden war und zu beiden Seiten schöne Schlösser, Dör¬ fer und Wiesen vorüberflogen, aus denen der Wind das Geläute weidender Heerden herüber¬ wehte. Sie fuhren so eben an einer kleinen Stadt vorüber. Hart am Ufer war eine Promenade mit Alleen. Herren und Damen giengen im Sonntags¬ putze spazieren, führten einander, lachten, grüßten und verbeugten sich hin und wieder, und eine lusti¬ ge Musik schallte aus dem bunten, fröhlichen Schwalle. Das Schiff, worauf die schöne Unbe¬ kannte stand, folgte unseren Reisenden immerfort in einiger Entfernung nach. Der Strom war hier so breit und spiegelglatt wie ein See. Da ergriff einer von den Studenten seine Guitarre, und sang der Schönen auf dem andern Schiffe drüben lustig zu: Die Jäger zieh'n in grünen Wald Und Reiter blitzend über's Feld, Studenten durch die ganze Welt, So weit der blaue Himmel wallt. Der Frühling ist der Fleudensaal, Viel tausend Vöglein spielen auf, Da schallt's im Wald bergab, bergauf: Grüß' dich, mein Schatz, viel tausendmal! Sie bemerkten wohl, daß die Schöne allezeit zu ihnen herübersah, und alle Herzen und Augen waren wie frische junge Seegel nach ihr gerichtet. Das Schiff näherte sich ihnen hier ganz dicht. Wahrhaftig, ein schönes Mädchen! riefen einige, und der Student sang weiter: Viel rüst'ge Bursche ritterlich, Die fahren hier in Stromes Mitt', Wie wilde sie auch stellen sich, Trau' mir, mein Kind, und fürcht' dich nit! Querüber über's Wasser glatt Laß werben deine Aeugelein, Und der dir wohlgefallen hat, Der soll dein lieber Buhle seyn. Hier näherten sich wieder die Schiffe einander. Die Schöne saß vorn, wagte es aber in dieser Nähe nicht aufzublicken. Sie hatte das Gesicht auf die andere Seite gewendet, und zeichnete mit ihrem Finger auf dem Boden. Der Wind wehte die Töne zu ihr herüber, und sie verstand wohl alles, als der Student wieder weiter sang: Durch Nacht und Nebel schleich' ich sacht', Kein Lichtlein brennt, kalt weht der Wind, Riegl' auf, riegl' auf bey stiller Nacht, Weil wir so jung beysammen sind! Ade nun, Kind, und nicht geweint! Schon gehen Stimmen da und dort, Hoch über'n Wald Aurora scheint, Und die Studenten reisen fort. So war es endlich Abend geworden, und die Schiffer lenkten an's Ufer. Alles stieg aus, und begab sich in ein Wirthshaus, das auf einer An¬ höhe an der Donau stand. Diesen Ort hatten die Studenten zum Ziele ihrer Begleitung bestimmt. Hier wollten sie morgen früh den Grafen verlassen und wieder zurückreisen. Sie nahmen sogleich Be¬ schlag von einem geräumigen Zimmer, dessen Fen¬ ster auf die Donau hinausgiengen. Friedrich folgte ihnen erst etwas später von den Schiffen nach. Als er die Stiege hinauf gieng, öffnete sih seitwärts eine Thüre, und die unbekannte Schöne, die auch hier eingekehrt war, trat eben aus dem erleuchteten Zimmer. Beyde schienen über einander erschrocken. Friedrich grüßte sie, sie schlug die Augen nieder und kehrte schnell wieder in das Zim¬ mer zurück. Unterdeß hatten sich die lustigen Gesellen in ihrer Stube schon ausgebreitet. Da lagen Jacken, Hüte, Federbüsche, Tabackspfeifen und blanke Schwerdter in der buntesten Verwirrung umher, und die Aufwärterinn trat mit heimlicher Furcht unter die wilden Gäste, die halbentkleidet auf Bet¬ ten, Tischen und Stühlen, wie Soldaten nach ei¬ ner blutigen Schlacht, gelagert waren. Es wurde bald Wein angeschaft, man sezte sich in die Run¬ de, sang und trank des Grafen Gesundheit. Friedrich'n war heute dabey sonderbar zu Mu¬ the. Er war seit mehreren Jahren diese Lebens¬ weise gewohnt, und das Herz war ihm jedesmal aufgegangen, wie diese freye Jugend ihm so keck und muthig in's Gesicht sah. Nun, da er von dem allem auf immer Abschied nehmen sollte, war ihm wie einem, der von einem lustigen Maskenballe auf die Gasse hinaustritt, wo sich alles nüchtern fortbewegt wie vorher. Er schlich sich unbemerkt aus dem Zimmer und trat hinaus auf den Balkon, der von dem Mittelgange des Hauses über die Do¬ nau hinausgieng. Der Gesang der Studenten, zu¬ weilen von dem Geklirre der Hieber unterbrochen, schallte aus den Fenstern, die einen langen Schein in das Thal hinaus warfen. Die Nacht war sehr finster. Als er sich über das Geländer hinauslehn¬ te, glaubte er neben sich athmen zu hören. Er langte nach der Seite hin und ergriff eine kleine, zarte Hand. Er zog den weichen Arm näher an sich, da funkelten ihn zwey Augen durch die Nacht an. Er erkannte an der hohen Gestalt sogleich das schöne Mädchen von dem andern Schiffe. Er stand so dicht vor ihr, daß ihn ihr Athem berührte. Sie litt es gern, daß er sie noch näher an sich zog, und ihre Lippen kamen zusammen. Wie hei¬ ßen Sie? fragte Friedrich endlich. Rosa , sagte sie leise und bedeckte ihr Gesicht mit beyden Hän¬ den. In diesem Augenblicke gieng die Stubenthür auf, ein verworrener Schwall von Licht, Tabacks¬ dampf und verschiedenen tosenden Stimmen quoll heraus, und das Mädchen war verschwunden, ohne daß Friedrich sie halten konnte. Erst lange Zeit nachher gieng auch er wieder in sein Zimmer zurück. Aber da war indeß alles still geworden. Das Licht war bis an den Leuchter ausgebrannt, und warf, manchmal noch aufflackernd, einen flüchtigen Schein über das Zimmer und die Studenten, die zwischen Trümmern von Tabacks¬ pfeiffen, wie Todte, umherlagen und schliefen. Friedrich machte daher die Thüre leise zu, und begab sich wieder auf den Balkon hinaus, wo er die Nacht zuzubringen beschloß. Entzückt in allen seinen Sinnen, schaute er da in die stille Gegend hinaus. Fliegt nur, ihr Wolken, rief er aus, rauscht nur und rührt euch recht, ihr Wälder! Und wenn alles auf Erden schläft, ich bin so wach, daß ich tanzen möchte! Er warf sich auf die steinerne Bank hin, wo das Mädchen gesessen hatte, lehnte die Stirn an's Geländer und sang still in sich ver¬ schiedene alte Lieder, und jedes gefiel ihm heut besser und rührte ihn neu. Das Rauschen des Stromes und die ziehenden Wolken schifften in seine fröhlichen Gedanken hinein; im Hause waren längst alle Lichter verlöscht. Die Wellen plätscherten im¬ merfort so einförmig unten an den Steinen, und so schlummerte er endlich träumend ein. Zweites Kapitel . Als die ersten Strahlen der Sonne in die Fenster schienen, erhob sich ein Student nach dem andern von seinem harten Lager, riß das Fenster auf und dehnte sich in den frischen Morgen hinaus. Auch Friedrich befand sich wieder unter ihnen; denn eine Nachtigall, welche die ganze Nacht uner¬ müdlich vor dem Hause sang, hatte ihn draussen geweckt, und die kühle, der Morgenröthe voraus¬ fliegende, Luft in die wärmere Stube getrieben. Singen, Lachen und muntere Reden erfüllten nun bald wieder das Zimmer. Friedrich überdachte seine Begebenheit in der Nacht. Es war ihm, als erwachte er aus einem Rausche, als wäre die schö¬ ne Rosa , ihr Kuß und alles nur ein Traum ge¬ wesen. Der Wirth trat mit der Rechnung herein. Wer ist das Frauenzimmer, fragte Friedrich , die gestern Abends mit uns angekommen ist? Ich kenne kenne sie nicht, antwortete der Wirth, aber eine vornehme Dame muß sie seyn, denn ein Wagen mit vier Pferden und Bedienten hat sie noch lange vor Tagesanbruch von hier abgeholt. — Friedrich blickte bey diesen Worten durch s offene Fenster auf den Strom und die Berge drüben, welche heute Nacht stille Zeugen seiner Glückseligkeit gewesen waren. Jezt sah da draußen alles anders aus, und eine unbeschreibliche Bangigkeit flog durch sein Herz. Die Pferde, welche die Studenten hierher be¬ stellt hatten, um darauf wieder zurückzureiten, harr¬ ten ihrer schon seit gestern unten. Auch Frie¬ drich hatte sich ein schönes, munteres Pferd ge¬ kauft, auf dem er nun ganz allein seine Reise fort¬ setzen wollte. Die Reisebundel daher nun schnell zusammengeschnürt, die langen Sporen umgeschnallt und alles schwang sich auf die rüstigen Klepper. Die Studenten beschloßen, den Grafen noch eine kleine Stre c k e landeinwärts zu geleiten, und so ritt denn der ganze bunte Trupp in den heitern Morgen hinein. An einem Kreuzwege hielten sie endlich still und nahmen Abschied. Lebe wohl, sag¬ te einer von den Studenten zu Friedrich'n , du kommst nun in fremde Länder, unter fremde Men¬ schen, und wir sehen einander vielleicht nie mehr wieder. Vergiß uns nicht! Und wenn du einmal auf deinen Schlössern hausest, werde nicht wie alle andere, werde niemals ein trauriger, vornehmer, schmunzelnder, bequemer Philister! Denn, bey 2 meiner Seele, du warst doch der beste und bravste Kerl unter uns allen. Reise mit Gott! Hier schüttelte jeder dem Grafen vom Pferde noch ein¬ mal die Hand und sie und Friedrich sprengten dann in entgegengesezten Richtungen von einander. Als er so eine Weile fortgeritten war, sah er sie noch einmal, wie sie eben, schon fern, mit ihren bunten Federbüschen über einen Bergrücken fortzo¬ gen. Sie sangen ein bekanntes Studentenlied, dessen Schlußchor: In's Horn, in's Horn, in's Jägerhorn! der Wind zu ihm herüber brachte. Ade, ihr rüsti¬ gen Gesellen, rief er gerührt; Ade, du schöne, freye Zeit! Der herrliche Morgen stand flammend vor ihm. Er gab seinem Pferde die Sporen, um den Tönen zu entkommen, und ritt, daß der frische Wind an seinem Hute pfiff. Wer Studenten auf ihren Wanderungen sah, wie sie frühmorgens aus dem dunkeln Thore aus¬ ziehen und den Hut schwenken in der frischen Luft, wie sie wohlgemuth und ohne Sorgen über die grüne Erde reisen, und die unbegränzten Augen an blauem Himmel, Wald und Fels sich noch er¬ quicken, der mag gern unsern Grafen auf seinem Zuge durch das Gebirge begleiten. Er ritt jezt langsam weiter. Bauern ackerten, Hirten trieben ihre Heerden vorüber. Die Frühlingssonne schien warm über die dampfende Erde, Bäume, Gras und Blumen äugelten dazwischen mit blitzenden Tropfen, unzählige Lerchen schwirrrten durch die laue Luft. Ihm war recht innerlichst fröhlich zu Muthe. Tau¬ send Erinnerungen, Entwürfe und Hoffnungen zo¬ gen wie ein Schattenspiel durch seine bewegte Brust. Das Bild der schönen Rosa stand wieder ganz lebendig in ihm auf, mit aller Farbenpracht des Morgens gemahlt und geschmückt. Der Son¬ nenschein, der laue Wind und Lerchensang verwirr¬ te sich in das Bild, und so entstand in seinem glücklichen Herzen folgendes Liedchen, das er im¬ merfort laut vor sich hersang: Grüß' euch aus Herzensgrund: Zwey Augen hell und rein, Zwey Röslein auf dem Mund, Kleid blank aus Sonnenschein! Nachtigall klagt und weint, Wollüstig rauscht der Hain, Alles die Liebste meynt: Wo weilt sie so allein? Weil's draußen finster war, Sah ich viel hellern Schein, Jezt ist es licht und klar, Ich muß im Dunkeln seyn. Sonne nicht steigen mag, Sieht so verschlafen drein, Wünschet den ganzen Tag, Daß wieder Nacht möcht' seyn. Liebe geht durch die Luft, Holt fern die Liebste ein; Fort über Berg und Kluft! Und Sie wird doch noch mein! 2 * Das Liedchen gefiel ihm so wohl, daß er seine Schreibtafel herauszog um es aufzuschreiben. Da er aber die flüchtigen Worte anfieng bedächtig auf¬ zuzeichnen und nicht mehr sang, mußte er über sich selber lachen und löschte alles wieder aus. Der Mittag war unterdeß durch die kühlen Waldschluften fast unvermerkt vorübergezogen. Da erblickte Friedrich mit Vergnügen einen hohen, bepflanzten Berg, der ihm als ein berühmter Be¬ lustigungsort dieser Gegend anempfohlen worden war. Farbige Lusthäuser blickten von dem schattigen Gipfel ins Thal herab. Rings um den Berg her¬ um wand sich ein Pfad hinauf, auf dem man vie¬ le Frauenzimmer mit ihren bunten Tüchern in der Grüne wallfahrten sah. Der Anblick war sehr freundlich und einladend. Friedrich lenkte daher sein Pferd um, und ritt mit dem fröhlichen Zuge hinan, sich erfreuend, wie bey jedem Schritte der Kreis der Aussicht ringsum sich erweiterte. Noch angenehmer wurde er überrascht, als er endlich den Gipfel erreichte. Da war ein weiter, schöner und kühler Rasenplatz. An kleinen Tischchen fassen im Freyen verschiedene Gesellschaften umher und spei߬ ten in lustigem Gespräch. Kinder spielten auf dem Rasen, ein alter Mann spielte die Harfe und sang. Friedrich ließ sich sein Mittagmahl ganz allein in einem Sommerhäuschen bereiten, das am Abhange des Berges stand. Er machte alle Fenster weit auf. so daß die Luft überall durchstrich, und er von al¬ len Seiten die Landschaft und den blauen Himmel sah. Kühler Wein und hellgeschliffene Gläser blink¬ ten von dem Tische. Er trank seinen fernen Freun¬ den und seiner Rosa in Gedanken zu. Dann stell¬ te er sich an's Fenster. Man sah von dort weit in das Gebirge. Ein Strom gieng in der Tiefe, an welchem eine hellglänzende Landstraße hinablief. Die heißen Sonnenstrahlen schillerten über dem Thale, die ganze Gegend lag unten in schwüler Ruhe. Draussen vor der offenen Thüre spielte und sang der Harfenist immerfort. Friedrich sah den Wolken nach, die nach jenen Gegenden hinaussegel¬ ten, die er selber auch bald begrüßen sollte. O Le¬ ben und Reisen, wie bist du schön! rief er freu¬ dig, zog dann seinen Diamant vom Finger und zeichnete den Nahmen Rosa in die Fensterscheibe. Bald darauf wurde er unten mehrere Reuter ge¬ wahr, die auf der Landstraße schnell dem Gebirge zu vorüberflogen. Er verwandte keinen Blick da¬ von. Ein Mädchen hoch und schlank, ritt den an¬ dern voraus und sah flüchtig mit den frischen Au¬ gen den Berg hinan, gerade auf den Fleck, wo Friedrich stand. Der Berg war hoch, die Ent¬ fernung und Schnelligkeit groß; doch glaubte sie Friedrich mit Einem Blicke zu erkennen, es war Rosa . Wie ein plötzlicher Morgenblick blizte ihm dieser Gedanke fröhlich über die ganze Erde. Er bezahlte eiligst seine Zeche, schwang sich auf sein Pferd, und stolperte so schnell als möglich den sich ewig windenden Bergpfad hinab; seine Blicke und Gedanken flogen wie Adler von der Höhe voraus. Als er sich endlich bis auf die Straße hinausgear¬ beitet hatte und freyer Athem schöpfte, war die Reuterinn schon nicht mehr zu sehen. Er sezte die Sporen tapfer ein und sprengte weiter fort. Ein Weg gieng links von der Straße ab in den Wald hinein. Er erkannte an der frischen Spur der Roßeshufe, daß ihn die Reuter eingeschlagen hat¬ ten. Er folgte ihm daher auch. Als er aber eine große Strecke so fortgeritten war, theilten sich auf einmal wieder drey Wege nach verschiedenen Rich¬ tungen und keine Spur war weiter auf dem härte¬ ren Boden zu bemerken. Fluchend und lachend zu¬ gleich vor Ungeduld, blieb er nun hier eine Weile stillstehen, wählte dann gelassener den Pfad, der ihm der anmuthigste dünkte, und zog langsam weiter. Der Wald wurde indeß immer dunkler und dichter, der Pfad enger und wilder. Er kam end¬ lich an einen dunkelgrünen, kühlen Platz, der rings von Felsen und hohen Bäumen umgeben war. Der einsame Ort gefiel ihm so wohl, daß er vom Pfer¬ de stieg, um hier etwas auszuruhen. Er streichelte ihm den gebogenen Hals, zäumte es ab und ließ es frey weiden. Er selbst legte sich auf den Rü¬ cken und sah dem Wolkenzuge zu. Die Sonne neig¬ te sich schon und funkelte schräge durch die dunkeln Wipfeln, die sich leiserauschend hin und her beweg¬ ten. Unzählige Waldvögel zwitscherten in lustiger Verwirrung durcheinander. Er war so müde, er konnte sich nicht halten, die Augen sanken ihm zu. Mitten im Schlummer kam es ihm manchmal vor, als höre er Hörner aus der Ferne. Er hörte den Klang oft ganz deutlich und näher, aber er konnte sich nicht besinnen und schlummerte immer wieder von neuem ein. Als er endlich erwachte, erschrack er nicht we¬ nig, da es schon finstere Nacht und alles um ihn her still und öde war. Er sprang erstaunt auf. Da hörte er über sich auf dem Felsen zwey Männer¬ stimmen, die ganz in der Nähe schienen. Er rief sie an, aber niemand gab Antwort und alles war auf einmal wieder still. Nun nahm er sein Pferd beym Zügel und setzte so seine Reise auf gut Glück weiter fort. Mit Mühe arbeitete er sich durch die Rabennacht des Waldes hindurch und kam endlich auf einen weiten und freyen Bergrücken, der nur mit kleinem Gesträuch bewachsen war. Der Mond schien sehr hell, und der plötzliche Anblick des freyen, gränzenlosen Himmels erfreute und stärkte recht sein Herz. Die Ebne mußte sehr hoch liegen, denn er sah ringsumher eine dunkle Runde von Bergen unter sich ruhen. Von der einen Seite kam der einförmige Schlag von Eisenhämmern aus der Ferne herüber. Er nahm daher seine Richtung dorthin. Sein und seines Pferdes Schatten, wie er so fortschritt, strichen wie dunkle Riesen über die Haide vor ihm her und das Pferd fuhr oft schnau¬ bend und sträubig zusammen. So, sagte Frie¬ drich , dessen Herz recht weit und vergnügt war, so muß vor vielen hundert Jahren den Rittern zu Muthe gewesen seyn, wenn sie bey stiller, nächtli¬ cher Weile über diese Berge zogen und auf Ruhm und große Thaten sannen. So voll adelicher Ge¬ danken und Gesinnungen mag mancher auf diese Wälder und Berge hinuntergesehen haben, die noch immer dastehen, wie damals. Was müh'n wir uns doch ab in unseren besten Jahren, lernen, polieren und feilen, um uns zu rechten Leuten zu machen, als furchteten oder schämten wir uns vor uns selbst, und wollten uns daher hinter Geschick¬ lichkeiten verbergen und zerstreuen, anstatt daß es darauf ankäme, sich innerlichst nur recht zusammen¬ zunehmen zu hohen Entschließungen und einem tu¬ gendhaften Wandel. Denn wahrhaftig, ein ruhi¬ ges, tapferes, tüchtiges und ritterliches Leben ist jezt jedem Manne, wie damals, vonnöthen. Jedes Weltkind sollte wenigstens jeden Monat Eine Nacht im Freyen einsam durchwachen, um einmal seine eitlen Mühen und Künste abzustreifen und sich im Glauben zu stärken und zu erbauen. Wie bin ich so fröhlich und erquickt! Gebe mir Gott nur die Gnade, daß dieser Arm einmal was Rech¬ tes in der Welt vollbringe! Unter solchen Gedanken schritt er immer fort. Der Fußsteg hatte sich indeß immer mehr und mehr gesenkt, und er erblickte endlich ein Licht, das aus dem Thale heraufschimmerte. Er eilte darauf los und kam an eine elende, einsame Waldschenke. Er sah durch das kleine Fenster in die Stube hinein. Da saß ein Haufen zerlumpter Kerls mit bärtigen Spitzbubengesichtern um einen Tisch und trank. In allen Winkeln standen Gewehre angelehnt. An dem hellen Kaminfeuer, das einen gräßlichen Schein über den Menschenklumpen warf, saß ein altes Weib gebückt, und zerrte, wie es schien, blutige Därme an den Flammen auseinander. Ein Grau¬ sen überfiel den Grafen bey dem scheußlichen An¬ blick, er sezte sich rasch auf sein Pferd und spreng¬ te querfeldein. Das Rauschen und Klappen einer Wassermühle bestimmte seine Richtung. Ein ungeheurer Hund empfieng ihn dort an dem Hofe der Mühle. Friedrich und sein Pferd waren zu ermattet, um noch weiter zu reisen. Er pochte daher an die Hausthüre. Eine rauhe Stimme antwortete von innen, bald darauf gieng die Thüre auf, und ein langer, hagerer Mann trat heraus. Er sah Frie¬ drich'n , der ihn um Herberge bath, von oben bis unten an, nahm dann sein Pferd und führte es stillschweigend nach dem Stalle. Friedrich gieng nun in die Stube hinein. Ein Frauenzimmer stand drinnen und pickte Feuer. Er bemerkte bey den Blitzen der Funken ein junges und schönes Mäd¬ chengesicht. Als sie das Licht angezündet hatte, be¬ trachtete sie den Grafen mit einem freudigen Er¬ staunen, das ihr fast den Athem zu verhalten schien. Darauf ergriff sie das Licht und führte ihn, ohne ein Wort zu sagen, die Stiege hinauf in ein geräumiges Zimmer mit mehreren Betten. Sie war barfuß und Friedrich bemerkte, als sie so vor ihm hergieng, daß sie nur im Hemde war und den Busen fast ganz bloß hatte. Er ärgerte sich über die Frechheit bey solcher zarten Jugend. Als sie oben in der Stube waren, blieb das Mädchen flehen und sah den Grafen furchtsam an. Er hielt sie für ein verliebtes Ding. Geh, sagte er gut¬ müthig, geh schlafen, liebes Kind. Sie sah sich nach der Thüre um, dann wieder nach Frie¬ drich'n . Ach, Gott! sagte sie endlich, legte die Hand aufs Herz und gieng zaudernd fort. Frie¬ drich'n kam ihr Benehmen sehr sonderbar vor, denn es war ihm nicht entgangen, daß sie beym Hinaus¬ gehen an allen Gliedern zitterte. Mitternacht war schon vorbey. Friedrich war überwacht und von den verschiedenen Begeg¬ nissen viel zu sehr aufgeregt, um schlafen zu kön¬ nen. Er setzte sich an's offene Fenster. Das Was¬ ser rauschte unten über ein Wehr. Der Mond blickte seltsam und unheimlich aus dunkeln Wolken, die schnell über den Himmel flogen. Er sang: Er reitet Nachts auf einem braunen Roß, Er reitet vorüber an manchem Schloß: Schlaf' droben, mein Kind, bis der Tag erscheint, Die finstre Nacht ist des Menschen Feind! Er reitet vorüber an einem Teich, Da stehet ein schönes Mädchen bleich Und singt, ihr Hemdlein flattert im Wind, Vorüber, vorüber, mir graut vor dem Kind! Er reitet vorüber an einem Fluß, Da ruft ihm der Wassermann seinen Gruß, Taucht wieder unter dann mit Gesaus, Und stille wird's über dem kühlen Haus. Wann Tag und Nacht in verworrenem Streit, Schon Hähne krähen in Dörfern weit, Da schauert sein Roß und wühlet hinab, Scharret ihm schnaubend sein eigenes Grab. Er mochte ohngefähr eine Stunde so gesessen haben, als der große Hund unten im Hofe ein Paarmal anschlug. Bald darauf kam es ihm vor, als hörte er draussen mehrere Stimmen. Er horch¬ te hinaus, aber alles war wieder still. Eine Un¬ ruhe bemächtigte sich seiner, er stand vom Fenster auf, untersuchte seine geladenen Taschenpistolen und legte seinen Reisesäbel auf den Tisch. In diesem Augenblicke gieng auch die Thüre auf, und mehrere wilde Männer traten herein. Sie blieben erschro¬ cken stehen, da sie den Grafen wach fanden. Er erkannte sogleich die fürchterlichen Gesichter aus der Waldschenke und seinen Hauswirth, den langen Müller, mitten unter ihnen. Dieser faßte sich zu¬ erst und drückte unversehens eine Pistol nach ihm ab. Die Kugel prellte neben seinem Kopfe an die Mauer. Falsch gezielt, heimtükischer Hund! schrie der Graf ausser sich vor Zorn und schoß den Kerl durch's Hirn. Darauf ergriff er seinen Säbel, stürzte sich in den Haufen hinein und warf die Räuber, rechts und links mit in die Augen gedrück¬ tem Hute um sich herumhauend, die Stiege hinun¬ ter. Mitten in dem Gemetzel glaubte er das schö¬ ne Müllermädchen wieder zu sehen. Sie hatte sel¬ ber ein Schwerdt in der Hand, mit dem sie sich hochherzig, den Grafen vertheidigend, zwischen die Verräther warf. Unten an der Stiege endlich, da alles, was noch laufen konnte, Reißaus genommen hatte, sank er, von vielen Wunden und Blutverlu¬ ste ermattet, ohne Bewußtseyn nieder. Drittes Kapitel . Als Friedrich wieder das erstemal die Augen aufschlug und mit gesunden Sinnen in der Welt umherschauen konnte, erblickte er sich in einem un¬ bekannten, schönen und reichen Zimmer. Die Mor¬ gensonne schien auf die seidenen Vorhänge seines Bettes; sein Kopf war verbunden. Zu den Füßen des Bettes kniete ein schöner Knabe, der den Kopf auf beyde Arme an das Bett gelehnt hatte und schlief. Friedrich wußte sich in diese Verwandlungen nicht zu finden. Er sann nach, was mit ihm vor¬ gegangen war. Aber nur die fürchterliche Nacht in der Waldmühle mit ihren Mordgesichtern stand leb¬ haft vor ihm, alles übrige schien wie ein schwerer Traum. Verschiedene fremde Gestalten aus dieser lezten Zeit waren ihm wohl dunkel erinnerlich, aber er konnte keine unterscheiden. Nur eine einzige un¬ gewisse Vorstellung blieb ihm lieblich getreu. Es war ihm nemlich immer vorgekommen, als hätte sich ein wunderschönes Engelsbild über ihn geneigt, so daß ihn die langen, reichen Locken rings umga¬ gaben, und die Worte, die es sprach, flogen wie Musik über ihn weg. Da er sich nun recht leicht und neugestärkt spürte, stieg er aus dem Bette und trat ans Fen¬ ster. Er sah da, daß er sich in einem großen Schlosse befand. Unten lag ein schöner Garten; alles war noch still, nur Vögel flatterten auf den einsamen, kühlen Gängen, der Morgen war über¬ aus heiter. Der Knabe an dem Bette war indeß auch auf¬ gewacht. Gott sey Dank! rief er aus Herzens¬ grunde, als er die Augen aufschlug und den Gra¬ fen aufgestanden und munter erblickte. Friedrich glaubte, sein Gesicht zu kennen, doch konnte er sich durchaus nicht besinnen, wo er es gesehen hatte. Wo bin ich? fragte er endlich erstaunt. Gott sey Dank! wiederholte der Knabe nur, und sah ihn mit seinen großen, fröhlichen Augen noch immer un¬ verwandt an, als könnte er sich gar nicht in die Freude finden, ihn wirklich wieder hergestellt zu sehen. Friedrich drang nun in ihn, ihm den Zusammen¬ hang dieser ganzen seltsamen Begebenheit zu ent¬ wirren. Der Knabe besann sich einen Augenblick und erzählte dann: Gestern früh, da ich eben in den Wald gieng, sah ich Dich blutig und ohne Le¬ ben am Wege liegen. Das Blut floß über den Kopf, ich verband die Wunde mit meinem Tuche so gut ich konnte. Aber das Blut drang durch und floß immerfort, und ich versuchte alles vergebens, um es zu stillen. Ich lief und rief nun in meiner Angst rings im Walde umher und betete und wein¬ te dann wieder dazwischen, da ich mir gar nicht mehr zu helfen wußte. Da kam auf einmal ein Wagen die Straße gefahren. Eine Dame erblickte uns aus demselben und ließ sogleich stillhalten. Die Bedienten verbanden die Wunde sehr geschickt. Die Dame schien sehr verwundert und erschrocken über den Umstand. Darauf nahm sie uns beyde mit in den Wagen und führte uns hierher auf ihr Schloß. Die Gräfinn hat beynahe die ganze Nacht hindurch hier am Bette gewacht. — Friedrich dachte an das Engelsbild, das sich wie im Traume über sein Gesicht geneigt hatte, und war noch ver¬ wirrter, als vorher. — Aber wer bist denn Du? fragte er darauf den Knaben wieder. Ich habe keine Aeltern mehr, anwortete dieser, und schlug verwirrt die Augen nieder, ich gieng eben über Land, um Dienste zu suchen. Friedrich faßte den Furchtsamen bey beyden Händen: willst du bey mir bleiben? Ewig, mein Herr! sagte der Knabe mit auffallender Heftigkeit. Friedrich kleidete sich nun völlig an und ver¬ ließ seine Stube, um sich hier umzusehen und über sein Verhältniß in diesem Schlosse auf irgend eine Art Gewißheit zu erlangen. Er erstaunte über das Altfränkische der Bauart und der Einrichtung. Die Gänge waren gewölbt, die Fenster in der dicken, dunkeln Mauer alle oben in einen Bogen zugespizt und mit kleinen, runden Scheiben versehen. Wun¬ derschöne Bilder von Glas füllten oben die Fenster¬ bogen, die von der Morgensonne in den buntesten Farben brannten. Alles im ganzen Hause war still. Er sah zum Fenster hinaus. Das alte Schloß stand von dieser Seite an dem Abhange eines hohen Berges, der, so wie das Thal, unten mit Schwarz¬ wald bedeckt war, aus welchem die Klänge einsa¬ mer Holzhauer heraufschallten. Gleich am Fenster über der schwindlichten Tiefe war ein Ritter, der sein Schwerdt in den gefalteten Händen hielt, in Riesengröße, wie der steinerne Roland, in die Mauer gehauen. Friedrich glaubte jeden Augen¬ blick, das Burgfräulein, den hohen Spitzenkragen um daß schöne Gesicht, werde in einem der Gänge heraufkommen. In der sonderbarsten Laune gieng er nun die Stiege hinab und über eine Zugbrücke in den Garten hinaus. Hier standen auf einem weiten Platze die son¬ derbarsten, fremden Blumenarten in phantastischem Schmucke. Künstliche Brunnen sprangen, im Mor¬ genscheine funkelnd, kühle hin und wieder. Da¬ zwischen sah man Pfauen in der Grüne weiden und stolz ihre tausendfarbigen Räder schlagen. Im Hintergrunde saß ein Storch auf einem Beine und sah melankolisch in die weite Gegend hinaus. Als sich Friedrich an dem Anblicke, den der frische Morgen prächtig machte, so ergözte, erblickte er in einiger Entfernung vor sich einen Mann, der hin¬ ter einem Spaliere an einem Tischchen saß, das voll Papiere lag. Er schrieb, blickte manchmal in die Gegend hinaus, und schrieb dann wieder emsig fort. Friedrich wollte ausweichen, um ihn nicht zu stören, aber es war nur der einzige Weg und der Unbekannte hatte ihn auch schon erblickt. Er gieng daher auf ihn zu und grüßte ihn. Der Schreiber mochte eine lange Unterhaltung befürch¬ ten. Ich kenne Sie wahrhaftig nicht, sagte er halb ärgerlich, halb lachend, aber wenn Sie selbst Alexander der Große wären, so müßt' ich Sie für jezt nur bitten, mir aus der Sonne zu gehen. Friedrich verwunderte sich höchlichst über diesen unhöflichen Diogenes und ließ den wunderlichen Ge¬ sellen sitzen, der sogleich wieder anfieng zu schrei¬ ben. Er kam nun an den Ausgang des Gartens, an den ein lustiges Wäldchen von Laubholz stieß. An dem Saume des Waldes stand ein Jägerhaus, das ringsum mit Hirschgeweihen ausgeziert war. Auf einer kleinen Wiese, welche vor dem Hause mitten zwischen dem Walde lag, saß ein schönes, kaum fünfzehnjähriges Mädchen auf einen, wie es schien, so eben erlegtem Rehe, streichelte das todte Thierchen und sang: Wär' ich ein muntres Hirschlein schlank, Wollt' ich im grünen Walde geh'n, Spazieren geh'n bey Hörnerklang, Nach meinem Liebsten mich umseh'n. Ein junger Jäger, der seitwärts an einem Baume gelehnt stand und ihren Gesang mit dem Waldhorne begleitete, antwortete ihr sogleich nach derselben Melodie: Nach Nach meiner Liebsten mich umseh'n Thu' ich wohl, zieh' ich früh von hier, Doch Sie mag niemals zu mir geh'n Im dunkelgrünen Waldrevier. Sie sang weiter: Im dunkelgrünen Waldrevier, Da blizt der Liebste rosenroth, Gefällt so sehr dem armen Thier, Das Hirschlein wünscht, es läge todt. Der Jäger antwortete wieder: Und wär' das schöne Hirschlein todt, So möcht' ich länger jagen nicht; Scheint über'n Wald der Morgenroth: Hüt', schönes Hirschlein, hüte dich! Sie . Hüt' schönes Hirschlein, hüte dich! Spricht's Hirschlein selbst in seinem Sinn, Wie soll ich, soll ich hüten mich, Wenn ich so sehr verliebet bin? Er . Weil ich so sehr verliebet bin, Wollt' ich das Hirschlein, schön und wild, Aufsuchen tief im Walde d'rinn Und streicheln, bis es stille hielt. Sie . Ja, streicheln bis es stille hielt, Falsch locken so in Stall und Haus! Zum Wald springt's Hirschlein frey und wild Und lacht verliebte Narren aus. 3 Hiebey sprang sie von ihrem Rehe auf, denn Pferde, Hunde, Jäger und Waldhornsklänge stürzten auf einmal mit einem verworrenen Getöse, aus dem Walde heraus und verbreiteten sich bunt über die Wiese. Ein sehr schöner, junger Mann in Jägerkleidung, und das Halstuch in einer un¬ ordentlichen Schleife herabhängend, schwang sich vom Pferde und eine Menge großer Hunde spran¬ gen von allen Seiten freundlich an ihm herauf. Friedrich erstaunte beym ersten Blick über die große Aehnlichkeit, die derselbe mit einem älteren Bruder hatte, den er seit seiner Kindheit nicht mehr gesehen, nur daß der Unbekannte hier frischer und freudiger anzusehen war. Dieser kam sogleich auf ihn zu. Es freut mich, sagte er, Sie so munter wieder zu finden. Meine Schwester hat Sie unterwegs in einem schlimmen Zustande getrof¬ fen und gestern Abends zu mir auf mein Schloß gebracht. Sie ist heute noch vor Tagesanbruch wie¬ der fort. Lassen Sie es sich bey uns gefallen, Sie werden lustige Leute finden. Während ihm nun Friedrich eben noch für seine Güte dankte, brach¬ te auf einmal der Wind aus dem Garten oben mehrere Blätter Papier, die hoch über ihre Köpfe weg nach einem nahe gelegenen Wasser zuflatterten. Hinterdrein hörte man von oben eine Stimme: halt, halt, halt auf! rufen, und der Mensch, den Friedrich im Garten schreibend angetroffen hatte, kam eilends nachgelaufen. Leontin , so hieß der junge Graf, dem dieses Schloß gehörte, legte schnell seine Büchse an und schoß das unbändige Papier aus der Luft herab. Das ist doch dumm, sagte der Nachsetzende, der unterdeß athemlos an¬ gelangt war, da er die Blätter, auf welche Verse geschrieben waren, von den Schroten ganz durch¬ löchert erblickte. Das schöne Mädchen, das vorher auf der Wiese gesungen hatte, stand hinter ihm und kikkerte. Er drehte sich geschwind herum und woll¬ te sie küssen, aber sie entsprang in das Jägerhaus und guckte lachend hinter der halbgeöffneten Thüre hervor. Das ist der Dichter Faber , sagte Leontin , dem Grafen den Nachsetzenden vorstellend. Friedrich erschrack recht über den Nahmen. Er hatte viel von Faber gelesen; manches hatte ihm gar nicht gefallen, vieles andere aber wieder so ergriffen, daß er oft nicht begreifen konnte, wie derselbe Mensch so etwas Schönes erfinden könne. Und nun, da der wunderbare Mensch leibhaftig vor ihm stand, betrachtete er ihn mit allen Sinnen, als wollte er alle die Gedichte von ihm, die ihm am besten gefallen, in seinem Gesichte ablesen. Aber da war keine Spur davon zu finden. Friedrich hatte sich ihn ganz anders vorge¬ stellt, und hätte viel darum gegeben, wenn es Leontin gewesen wäre, bey dessen lebendigem, erquicklichen Wesen ihm das Herz aufgieng. Herr Faber erzählte nun lachend, wie ihn Friedrich in seiner Werkstatt überrascht habe. Da sind Sie schön angekommen, sagte Leontin zu Frie¬ drich'n , denn da sizt Herr Faber wie die Löwinn 3 * über ihren Jungen, und schlägt grimmig um sich. — So sollte jeder Dichter dichten, meynte Frie¬ drich , am frühen Morgen, unter freyem Himmel, in einer schönen Gegend. Da ist die Seele rüstig, und so wie dann die Bäume rauschen, die Vögel singen und der Jäger vor Lust in sein Horn stößt, so muß der Dichter dichten. — Sie sind ein Natu¬ ralist in der Poesie, entgegnete Faber mit einer etwas zweydeutigen Miene. — Ich wünschte, fiel ihm Leontin ins Wort, Sie ritten lieber alle Morgen mit mir auf die Jagd, lieber Faber . Der Morgen glüht Sie wie eine reizende Geliebte an, und Sie klecken ihr mit Dinte in das schöne Gesicht. Faber lachte, zog eine kleine Flöte her¬ vor und fieng an darauf zu blasen. Friedrich fand ihn in diesem Augenblicke sehr liebenswürdig. Leontin trug dem Grafen an, mit ihm zu seiner Schwester hinüberzureiten, wenn er sich schon stark genug dazu fühlte. Friedrich willigte mit Freuden ein, und bald darauf saßen beyde zu Pfer¬ de. Die Gegend war sehr heiter. Sie ritten eben über einen weiten grünen Anger. Friedrich fühl¬ te sich bey dem schönen Morgen recht in allen Sin¬ nen genesen, und freute sich über den anmuthigen Leontin , wie das Pferd unter ihm mit geboge¬ nem Halse über die Ebne hintanzte. Meine Schwe¬ ster, sagte Leontin unterweges, und sah den Gra¬ fen mit verstecktem Lachen immerfort an, meine Schwester ist viel älter als ich, und, ich muß es nur im Voraus sagen, recht häßlich. So! sagte Friedrich , langsam und gedehnt, denn er hatte heimlich andere Erwartungen und Hoffnungen ge¬ hegt. Er schwieg darauf still; Leontin lachte und pfiff ein lustiges Liedchen. Endlich sah man ein schönes, neues Schloß sich aus einem großen Park luftig erheben. Es war das Schloß von Leontins Schwester. Sie stiegen unten am Eingange des Parkes ab und giengen zu Fuß hinauf. Der Garten war ganz im neuesten Geschmacke angelegt. Kleine, sich schlängelnde Gänge, dichte Gebüsche von ansländi¬ schen Sträuchern, dazwischen leichte Brücken von weissem Birkenholze luftig geschwungen, waren recht artig anzuschauen. Zwischen mehreren schlan¬ ken Säulen traten sie in das Schloß. Es war ein großes, gemahltes Zimmer mit hellglänzendem Fu߬ boden; ein krystallener Luster hieng an der Decke und Ottomannen von reichen Stoffen standen an den Wänden umher. Durch die hohe Glasthüre übersah man den Garten. Niemand, da es noch früh, war in der ganzen Reihe von prachtvollen Gemächern, die sich an dieses anschlossen, zu sehen. Die Mor¬ gensonne, die durch die Glasthüre schien, erfüllte das schöne Zimmer mit einem geheimnißvollen Hell¬ dunkel und beleuchtete eben eine Guitarre, die in der Mitte auf einem Tischchen lag. Leontin nahm dieselbe und begab sich damit wieder hinaus. Friedrich blieb in der Thür stehen, während Leontin sich draußen unter die Fenster stellte, in die Saiten griff und sang: Frühmorgens durch die Winde kühl Zwey Ritter hergeritten sind, Im Garten klingt ihr Saitenspiel, Wach' auf, wach' auf, mein schönes Kind! Ringsum viel' Schlösser schimmernd steh'n, So silbern geht der Ströme Lauf, Hoch, weit rings Lerchenlieder weh'n, Schließ' Fenster, Herz und Aeuglein auf! Friedrich war gar nicht begierig, die alte Schöne kennen zu lernen, und blieb ruhig in der Thüre stehen. Da hörte er oben ein Fenster sich öffnen. Guten Morgen, lieber Bruder! sagte eine liebliche Stimme. Leontin sang: So wie du bist, verschlafen heiß, Laß allen Putz und Zier zu Haus, Tritt nur herfür im Hemdlein weiß, Siehst so gar schön verliebet aus. Wenn du so garstig singst, sagte oben die lieb¬ liche Stimme, so leg' ich mich gleich wieder schlafen. Friedrich erblickte einen schneeweißen, vollen Arm im Fenster und Leontin sang wieder: Ich hab' einen Fremden wohl bey mir, Der lauert unten auf der Wacht, Der bittet schön dich um Quartier, Verschlafnes Kind, nimm dich in Acht! Friedrich trat nun aus seinem Hinterhalte hervor und sah mit Erstaunen — seine Rosa im Fenster. Sie war in einem leichten Nachtkleide und dehnte sich eben mit aufgehobenen Armen in den frischen Morgen hinaus. Als sie so unverhofft Friedrich'n erblickte, ließ sie mit einem Schrey die Arme sinken, schlug das Fenster zu und war verschwunden. Leontin gieng nun fort, um ein neues Pferd der Schwester im Hofe herumzutummeln und Friedrich blieb allein im Garten zurück. Bald darauf kam die Gräfin Rosa in einem weißen Morgenkleide herab. Sie hieß den Grafen mit einer Schaam willkommen, die ihr unwidersteh¬ lich schön stand. Lange, dunkle Locken fielen zu beyden Seiten bis auf die Schultern und den blen¬ dendweißen Busen hinab. Die schönste Reihe von Zähnen sah man manchmal zwischen den vollen ro¬ then Lippen hervorschimmern. Sie athmete noch warm von der Nacht; es war die prächtigste Schönheit, die Friedrich jemals gesehen hatte. Sie giengen nebeneinander in den Garten hinein. Der Morgen blizte herrlich über die ganze Gegend, aus allen Zweigen jubelten unzählige Vögel. Sie sezten sich in einer dichten Laube auf eine Rasen¬ bank. Friedrich dankte ihr für ihr hülfreiches Mitleid und sprach dann von seiner schönen Donau- Reise. Die Gräfin saß, während er davon erzähl¬ te, beschämt und still, hatte die langen Augen¬ wimper niedergeschlagen, und wagte kaum zu ath¬ men. Als er endlich auch seiner Wunde erwähnte, schlug sie auf einmal die großen schönen Augen auf, um die Wunde zu betrachten. Ihre Augen, Locken und Busen kamen ihm dabey so nahe, daß sich ihre Lippen fast berührten. Er küßte sie auf den rothen Mund und sie gab ihm den Kuß wieder. Da nahm er sie in beyde Arme und küßte sie unzähligemal und alle Freuden der Welt verwirrten sich in diesen einen Augenblick, der niemals zum zweytenmale wiederkehrt. Rosa machte sich endlich los, sprang auf und lief nach dem Schlosse zu. Leontin kam ihr eben von der anderen Seite entgegen, sie rann¬ te in der Verwirrung gerade in seine ausgebreiteten Arme hinein. Er gab ihr schnell einen Kuß und kam zu Friedrich'n , um mit ihm wieder nach Hause zu reiten. Als Friedrich wieder draussen im Freyen zu Pferde saß, besann er sich erst recht auf sein gan¬ zes Glück. Mit unbeschreiblichem Entzücken betrach¬ tete er Himmel und Erde, die im reichsten Mor¬ genschmucke vor ihm lagen. Sie ist mein! rief er immerfort still in sich, sie ist mein! Leontin wie¬ derholte lachend die Beschreibung von der Häßlich¬ keit seiner Schwester, die er vorhin beym Herritt dem Grafen gemacht hatte, jagte dann weit vor¬ aus, sezte mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und Kühnheit über Zäune und Gräben und trieb allerley Schwänke. Als sie bey Leontins Schlosse ankamen, hör¬ ten sie schon von ferne ein unbegreifliches, verwor¬ renes Getös. Ein Waldhorn raßte in den unbän¬ digsten, falschesten Tönen, dazwischen hörte man ei¬ ne Stimme, die unaufhörlich fortschimpfte. Da hat gewiß wieder Faber was angestellt, sagte Leon¬ tin . Und es fand sich wirklich so. Herr Faber hatte sich nemlich in ihrer Abwesenheit niedergesezt, um ein Waldhornecho zu dichten. Zum Unglück fiel es zu gleicher Zeit einem von Leontins Jägern ein, nicht weit davon wirklich auf dem Waldhorn zu blasen. Faber störte die nahe Musik, er rief daher ungeduldig dem Jäger zu, stille zu seyn. Dieser aber, der sich, wie fast alle Leute Leon¬ tins , über Herrn Faber von jeher ärgerte, weil er immer mit der Feder hinter'm Ohr so erbärmlich aussah, gehorchte nicht. Da sprang Faber auf und überhäufte ihn mit Schimpfreden. Der Jäger, um ihn zu übertäuben, schüttelte nun statt allen Antwort einen ganzen Schwall von verworrenen und falschen Tönen aus seinem Horne, während Fa¬ ber , im Gesichte überroth vor Zorn, vor ihm stand und gestikulirte. Als der Jäger jezt seinen Herrn erblickte, endigte er seinen Spaß und gieng fort. Faber'n aber hatte indeß, so boshaft er auch aus¬ sah, schon längst der Zorn verlassen; denn es wa¬ ren ihm mitten in der Wuth eine Menge witziger Schimpfwörter und komischer Grobheiten in den Sinn gekommen, und er schimpfte tapfer fort, ohne mehr an den Jäger zu denken, und brach end¬ lich in ein lautes Gelächter aus, in das Leontin und Friedrich von Herzen mit einstimmten. Am Abend sassen Leontin , Friedrich und Faber zusammen an einem Feldtische auf der Wie¬ se am Jägerhause und aßen und tranken. Das Abendroth schaute glühend durch die Wipfel des Tannenwaldes, welcher die Wiese ringsumher ein¬ schloß. Der Wein erweiterte ihre Herzen und sie waren alle drey wie alte Bekannte mit einander. Das ist wohl ein rechtes Dichterleben, Herr Fa¬ ber , sagte Friedrich vergnügt. — Immer doch, hub Faber ziemlich pathetisch an, höre ich das Leben und Dichten verwechseln. — Aber, aber, be¬ ster Herr Faber , fiel ihm Leontin schnell ins Wort, dem jeder ernsthafte Diskurs über Poesie die Brust zusammenschnürte, weil er selber nie ein Urtheil hatte. Er pflegte daher immer mit Witzen, Radottements, dazwischen zu fahren, und fuhr auch jezt, geschwind unterbrechend, fort: ihr verwechselt mit euren Wortwechseleyen alles so, daß man am Ende seiner selbst nicht sicher bleibt. Glaubte ich doch einmal in allem Ernste, ich sey die Weltseele, und wußte vor lauter Welt nicht, ob ich eine See¬ le hatte oder umgekehrt. Das Leben aber, mein bester Herr Faber , mit seinen bunten Bildern, verhält sich zum Dichter, wie ein unübersehbar weitläufiges Hyerogliphenbuch von einer unbekannten, lange untergegangenen Ursprache zum Leser. Da sitzen von Ewigkeit zu Ewigkeit die redlichsten, gut¬ müthigsten Weltnarren, die Dichter, und lesen und lesen. Aber die alten, wunderbaren Worte der Zeichen sind unbekannt und der Wind weht die Blät¬ ter des großen Buches so schnell und verworren durcheinander, daß einem die Augen übergeh'n. — Friedrich sah Leontin groß an, es war etwas in seinen Worten, das ihn ernsthaft machte. Fa¬ ber aber, dem Leontin zu schnell gesprochen zu haben schien, spann gelassen seinen vorigen Diskurs wieder an: Ihr haltet das Dichten für eine gar so leichte Sache, weil es flüchtig aus der Feder fließt, aber keiner bedenkt, wie das Kind, vielleicht vor vie¬ len Jahren schon in Lust empfangen, dann wie in Mutterleibe mit Freuden und Schmerzen ernährt und gebildet wird, ehe es aus seinem stillen Hause das fröhliche Licht des Tages begrüßt. — Das ist ein langweiliges Kind, unterbrach ihn Leontin munter, wäre ich so eine schwangere Frau, als Sie da sagen, da lacht' ich mich gewiß, wie Philine, vor dem Spiegel über mich selber zu Tode, eh' ich mit dem ersten Verse niederkäme. — Hier erblickte er ein Paket Papiere, das aus Fabers Rocktasche hervorragte; eines davon war: „ an die Deut¬ schen,“ überschrieben. Er bat ihn, es ihnen vor¬ zulesen. Faber zog es heraus und las es. Das Gedicht enthielt die Herausforderung eines bis zum Tode verwundeten Ritters an alle Feinde der deut¬ schen Ehre. Leontin sowohl als Friedrich er¬ staunten über die Gediegenheit und männliche Tiefe der Romanze und fühlten sich wahrhaft erbaut. Wer sollte es glauben, sagte Leontin , daß Herr Faber diese Romanze zu eben der Zeit verfertiget hat, als er Reißaus nahm, um nicht mit gegen die Franzosen zu Felde zieh'n zu dürfen. Faber nahm darauf ein anderes Blatt zur Hand und las ihnen ein Gedicht vor, in welchem er sich selber mit höchst komischer Laune in diesem seinen feigherzigen Widerspruche darstellte, worin aber mitten durch die lustigen Scherze ein tiefer Ernst wie mit gro¬ ßen, frommen Augen ruhend und ergreifend hin¬ durchschaute. Friedrich'n gieng jeder Vers die¬ ses Gedichtes schneidend durch's Herz. Jezt wurde es ihm auf einmal klar, warum ihm so viele Stel¬ len und Einrichtungen in Fabers Schriften durch¬ aus fremd blieben und mißfielen. — Dem einen ist zu thun, zu schreiben mir gegeben, sagte Faber , als er ausgelesen hatte. Poetisch seyn und Poet seyn, fuhr er fort, das sind zwey sehr verschiedene Dinge, man mag dagegen sagen, was man will. Bey dem lezteren ist, wie selbst unser großer Meister Göthe eingesteht, immer et¬ was Taschenspielerey, Seiltänzerey u. s. w. mit im Spiele. — Das ist nicht so, sagte Friedrich ernst und sicher, und wäre es, so möchte ich niemals dichten. Wie wollt ihr, daß die Menschen eure Werke hochachten, sich daran erquicken und erbauen sollen, wenn ihr euch selber nicht glaubt, was ihr schreibt und durch schöne Worte und künstliche Ge¬ danken Gott und Menschen zu überlisten trachtet? Das ist ein eitles, nichtsnutziges Spiel, und es hilft euch doch nichts, denn es ist nichts groß, als was aus einem einfältigen Herzen kommt. Das heißt recht dem Teufel der Gemeinheit, der immer in der Menge wach und auf der Lauer ist, den Dolch selbst in die Hand geben gegen die göttliche Poesie. Wo soll die rechte, schlichte Sitte, das treue Thun, das schöne Lieben, die deutsche Ehre und alle die alte herrliche Schönheit sich hinflüchten, wenn es ihre angebohrnen Ritter, die Dichter, nicht wahr¬ haft ehrlich, aufrichtig und ritterlich mit ihr mey¬ nen? Bis in den Tod verhaßt sind mir besonders jene ewigen Klagen, die mit weinerlichen Sonetten die alte schöne Zeit zurückwinseln wollen, und, wie ein Strohfeuer, weder die Schlechten verbrennen, noch die Guten erleuchten und erwärmen. Denn wie wenigen möchte doch das Herz zerspringen, wenn alles so dumm geht, und habe ich nicht den Muth, besser zu seyn, als meine Zeit, so mag ich zerknirscht das Schimpfen lassen, denn keine Zeit ist durchaus schlecht. Die heiligen Märtyrer, wie sie, laut ihren Erlöser bekennend, mit aufgehobenen Ar¬ men in die Todesflammen sprangen — das sind des Dichters ächte Brüder und er soll eben so fürstlich denken von sich, denn so wie sie den ewigen Geist Gottes auf Erden durch Thaten ausdrückten, so soll er ihn aufrichtig in einer verwitterten, feindseligen Zeit durch rechte Worte und göttliche Erfindungen verkünden und verherrlichen. Die Menge, nur auf weltliche Dinge erpicht, zerstreut und träge, sizt gebückt und blind draussen im warmen Sonnenschei¬ ne und langt rührend nach dem ewigen Lichte, das sie niemals erblickt. Der Dichter hat einsam die schönen Augen offen; mit Demuth und Freudigkeit betrachtet er, selber erstaunt, Himmel und Erde, und das Herz geht ihm auf bey der überschwengli¬ chen Aussicht, und so besingt er die Welt, die, wie Memnons Bild, voll stummer Bedeutung, nur dann durch und durch erklingt wenn sie die Aurora eines dichterischen Gemüthes mit ihren verwandten Strahlen berührt. — Leontin fiel hier dem Gra¬ fen freudig um den Hals. — Schön, besonders zulezt sehr schön gesagt, sagte Faber , und drückte ihm herzlich die Hand. Sie meynen es doch alle beyde nicht so, wie ich, fühlte und dachte Friedrich betrübt. Es war unterdeß schon dunkel geworden und der Abendstern funkelte vom heiteren Himmel über den Wald herüber. Da wurde ihr Gespräch auf eine lustige Art unterbrochen. Die kleine Marie , die am Morgen mit dem Jäger auf der Wiese ge¬ sungen, hatte sich nemlich als Jägerbursche angezo¬ gen. Die Jäger jagten sie auf der Wiese herum, sie ließ sich aber nicht erhaschen, weil sie, wie sie sagte, nach Tabaksrauch röchen. Wie ein gescheuch¬ tes Reh kam sie endlich an dem Tische vorüber. Leontin fieng sie auf und sezte sie vor sich auf seinen Schooß. Er strich ihr die Haare aus den munteren Augen und gab ihr aus seinem Glase zu trinken. Sie trank viel und wurde bald ungewöhn¬ lich beredt, daß sich alle über ihre liebenswürdige Lebhaftigkeit erfreuten. Leontin fieng an, von ihrer Schlafkammer zu sprechen und andere leicht¬ fertige Reden vorzubringen, und als er sie endlich auch küßte, umklammerte sie mit beyden Armen heftig seinen Hals. Friedrich'n schmerzte das ganze lose Spiel, so sehr es auch Faber'n gefiel, und er sprach laut von Verführen. Marie hüpf¬ te von Leontins Schooß, wünschte allen mit ver¬ schmizten Augen eine gute Nacht und sprang fort ins Jägerhaus. Leontin reichte Friedrich'n lächelnd die Hand und alle drey schieden von einan¬ der, um sich zur Ruhe zu begeben. Faber sagte im Weggehen: seine Seele sey heut so wach, daß er noch tief in die Nacht hinein an einem angefan¬ genen, großen Gedichte fortarbeiten wolle. Als Friedrich in sein Schlafzimmer kam, stellte er sich noch eine Weile ans offene Fenster. Von der andern Seite des Schlosses schimmerte aus Fabers Zimmer ein einsames Licht in die stille Gegend hinaus. Fabers Fleiß rührte den Grafen, und er kam ihm in diesem Augenblicke als ein höheres Wesen vor. Es ist wohl groß, sagte er, so mit göttlichen Gedanken über dem weiten, stillen Kreis der Erde zu schweben. Wache, sinne und bilde nur fleissig fort, fröhliche Seele, wenn alle die anderen Menschen schlafen! Gott ist mit dir in deiner Einsamkeit und Er weiß es allein, was ein Dichter treulich will, wenn auch kein Mensch sich um dich bekümmert. Der Mond stand eben über dem alterthümlichen Thurme des Schlos¬ ses, unten lag der schwarze Waldgrund in stum¬ mer Ruhe. Die Fenster giengen nach der Gegend hinaus, wo die Gräfin Rosa hinter dem Walde wohnte. Friedrich hatte Leontins Guitarre mit hinaufgenommen. Er nahm sie in den Arm und sang: Die Welt ruht still im Hafen, Mein Liebchen, gute Nacht! Wann Wald und Berge schlafen, Treu' Liebe einsam wacht. Ich bin so wach und lustig, Die Seele ist so licht, Und eh' ich liebt', da wußt' ich Von solcher Freude nicht. Ich fühl' mich so befreyet Von eitlem Trieb und Streit, Nichts mehr das Herz zerstreuet In seiner Fröhlichkeit. Mir ist, als müßt' ich singen So recht aus tiefster Lust Von wunderbaren Dingen, Was niemand sonst bewußt. O könnt' ich alles sagen! O wär' ich recht geschickt! So muß ich still ertragen, Was mich so hoch beglückt. Viertes Kapitel . Friedrich gab Leontins Bitten, noch län¬ ger auf seinem Schlosse zu verweilen, gern nach. Leontin hatte nach seiner raschen, fröhlichen Art bald eine wahre Freundschaft zu ihm gefaßt, und sie verabredeten miteinander, einen Streifzug durch das nahe Gebirge zu machen, das manches Sehens¬ werthe enthielt. Die Ausführung dieses Planes blieb indeß von Tage zu Tage verschoben. Bald war das Wetter zu nebligt, bald waren die Pferde nicht nicht zu entbehren oder sonst etwas Nothwendiges zu verrichten, und sie mußten sich am Ende selber eingestehen, daß es ihnen beyden eigentlich schwer fiel, sich, auch nur auf wenige Tage, von ihrer hiesigen Nachbarschaft zu trennen. Leontin hatte hier seine eignen Geheimnisse. Er ritt oft ganz ab¬ gelegene Wege in den Wald hinein, wo er nicht selten halbe Tage lang ausblieb. Niemand wußte, was er dort vorhabe, und er selber sprach nie da¬ von. Friedrich dagegen besuchte Rosa fast täg¬ lich. Drüben in ihrem schönen Garten hatte die Liebe ihr tausendfarbiges Zelt aufgeschlagen, ihre wunderreichen Fernen ausgespannt, ihre Regenbo¬ gen und goldenen Brücken durch die blaue Luft ge¬ schwungen, und rings die Berge und Wälder, wie einen Zauberkreis, um ihr morgenrothes Reich gezo¬ gen. Er war unaussprechlich glücklich. Leontin be¬ gleitete ihn sehr selten, weil ihm, wie er immer zu sagen pflegte, seine Schwester wie ein gemahlter Frühling vorkäme. Friedrich glaubte von jeher bemerkt zu haben, daß Leontin bey aller seiner Leb¬ haftigkeit doch eigentlich kalt sey, und dachte dabey: was hilft dir der schönste gemahlte oder natürliche Frühling! Aus dir selber muß doch die Sonne das Bild bescheinen, um es zu beleben. Zu Hause auf Leontins Schlosse wurde Frie¬ drichs poetischer Rausch durch nichts gestört; denn was hier Faber Herrliches ersann und fleissig auf¬ schrieb, suchte Leontin auf seine freye, wunderliche Weise in's Leben einzuführen. Seine Leute moch¬ 4 ten alle fortleben, wie es ihnen ihr frischer, guter Sinn eingab; das Waldhorn irrte fast Tag und Nacht in dem Walde hin und her, dazwischen spuckte die eben erwachende Sinnlichkeit der kleinen Marie wie ein reizender Kobold, und so machte dieser seltsame, bunte Haushalt diesen ganzen Auf¬ enthalt zu einer wahren Feenburg. Mitten in dem schönen Feste blieb nur ein einziges Wesen einsam und Antheillos. Das war Erwin, der schöne Kna¬ be, der mit Friedrich auf das Schloß gekommen war. Er war allen unbegreiflich. Sein einziges Ziel und Augenmerk schien es, seinen Herrn, den Grafen Friedrich , zu bedienen, welches er bis zur geringsten Kleinigkeit aufmerksam, emsig und gewissenhaft that. Sonst mischte er sich in keine Geschäfte oder Lust der anderen, erschien zerstreut, immer fremd, verschlossen und fast hart, so lieblich weich auch seine helle Stimme klang. Nur manch¬ mal bey Veranlassungen, die oft allen gleichgültig waren, sprach er auf einmal viel und bewegt, und jedem fiel dann sein schönes, seelenvolles Gesicht auf. Unter seine Seltsamkeiten gehörte auch, daß er niemals zu bewegen war, eine Nacht in der Stube zuzubringen. Wenn alles im Schlosse schlief und draussen die Sterne am Himmel prangten, gieng er vielmehr mit der Guitarre aus, sezte sich gewöhnlich auf die alte Schloßmauer über dem Waldgrunde und übte sich dort heimlich auf dem Instrumente. Wie oft, wenn Friedrich manch¬ mal in der Nacht erwachte, brachte der Wind ein¬ zelne Töne seines Gesanges über den stillen Hof zu ihm herüber, oder er fand ihn frühmorgens auf der Mauer über der Guitarre eingeschlafen. Leon¬ tin nannte den Knaben eine wunderbare Laute aus alter Zeit, die jezt niemand mehr zu spielen ver¬ stehe. Eines Abends, da Leontin wieder auf einem seiner geheimnißvollen Ausflüge ungewöhnlich lange ausblieb, sassen Friedrich und Faber , der sich nach geschehener Tagesarbeit einen fröhlichen Feyer¬ abend nicht nehmen ließ, auf der Wiese um den runden Tisch. Der Mond stand schon über dem dunkeln Thurme des Schlosses. Da hörten sie plötz¬ lich ein Geräusch durch das Dickicht brechen und Leontin stürzte auf seinem Pferde, wie ein gejagtes Wild, aus dem Walde hervor. Todtenbleich, athemlos, und hin und wieder von den Aesten blu¬ tig gerissen, kam er sogleich zu ihnen an den Tisch und trank hastig mehrere Gläser Wein nacheinander aus. Friedrich'n erschütterte die schöne, wüste Gestalt. Leontin lachte laut auf, da er bemerkte, daß ihn alle so verwundert ansahen. Faber drang neugierig in ihn, ihnen zu erzählen, was ihm be¬ gegnet sey. Er erzählte aber nichts, sondern sagte statt aller Antwort: ich reise fort in's Gebirge, wollt ihr mit? — Faber sagte überrascht und un¬ entschlossen, daß ihm jezt jede Störung unwillkom¬ men sey, da er so eben an dem angefangenen gro¬ ßen Gedichte arbeite, schlug aber endlich ein. Frie ¬ drich schwieg still. Leontin, der ihm wohl ansah, was er meyne, entband ihn seines alten Verspre¬ 4 * hens ihn zu begleiten; er mußte ihm aber dagegen geloben, ihn auf seinem Schlosse zu erwarten. Sie blieben nun noch einige Zeit beyeinander. Aber Leontin blieb nachdenklich und still. Seine beyden Gäste begaben sich daher bald zur Ruhe, ohne zu wissen, was sie von seiner Veränderung und ra¬ schem Entschlusse denken sollten. Noch im Weggeh'n hörten sie ihn singen: Hinaus, o Mensch, weit in die Welt, Bangt dir das Herz in krankem Muth! Nichts ist so trüb in Nacht gestellt, Der Morgen leicht macht's wieder gut. Am Morgen frühzeitig blickte Friedrich aus seinem Fenster. Da sah er Leontin schon unten auf der Waldstrasse auf das Schloß seiner Schwester zureiten. Er eilte schnell hinab und ritt ihm nach. Als er auf Rosa's Schlosse ankam, fand er Leontin im Garten in einem lauten Wortwechsel mit seiner Schwester. Leontin war nemlich hergekom¬ men, um Abschied von ihr zu nehmen. Rosa hat¬ te aber kaum von seinem Vorhaben gehört, als sie sogleich mit aller Heftigkeit den Gedanken ergriff mitzureisen. Das laß ich wohl bleiben, sagte Leon¬ tin, da schnüre ich noch heut mein Bündel und reit' euch ganz allein davon. Ich will eben als ein Ver¬ zweifelter weit in die Welt hinaus, will mich, wie Don Quixote, im Gebirge auf den Kopf stellen und einmal recht verrückt seyn, und da fällt's euch ge¬ rade ein, hinter mir drein zu zotteln, als reisten wir nach Karlsbad oder Pyrmont, um mich jedes¬ mal fein natürlich wieder auf die Beine zu bringen und zurecht zu rücken. Kommt mir doch jezt meine ganze Reise vor, wie eine Armee, wo man vorn blitzende Schwerter und wehende Fahnen, hinter¬ drein aber einen langen Schwanz von Wägen und Weibern sieht, die auf alten Stühlen, Betten und anderem Hausgeräth sitzen und plaudern, kochen, handeln und zanken, als wäre da vorn eben alles nichts, daß einem alle Lust zur Kourage vergeht. Wahrhaftig, wenn du mitziehst, meine weltliche Rosa , so lasse ich das ganze herrliche, tausendfar¬ bige Rad meiner Reisevorsätze fallen, wie der Pfau, wenn er seine prosaischen Füße besieht. — Rosa , die sein Wort von allem verstanden hatte, was ihr Bruder gesagt, ließ sich nichts ausreden, sondern beharrte ruhig und fest ihrem Entschlusse, denn sie gefiel sich schon im Voraus zu sehr als Amazone zu Pferde und freute sich auf neue Spek¬ takel. Friedrich , der eben hier dazu kam, schüt¬ telte den Kopf über ihr hartes Köpfchen, das ihm unter allen Untugenden der Mädchen die unleidlich¬ ste war. Noch tiefer aber schmerzte ihn ihre Hart¬ näckigkeit, da sie doch wußte, daß er nicht mitrei¬ se, daß er es nur um Ihretwillen ausgeschlagen habe, und ihn wandelte heimlich die Lust an, sel¬ ber allein in alle Welt zu gehen. Leontin, der, wie auf etwas sinnend, unterdeß die beyden ver¬ liebten Gesichter angesehen hatte, lachte auf einmal auf. Nein, rief er, wahrhaftig, der Spaß ist so größer! Rosa , du sollst mitreisen, und Faber und Marie und Erwin und Haus und Hof. Wir wollen sanft über die grünen Hügel wallen, wie Schäfer, die Jäger sollen die ungeschlachten Hörner zu Hause lassen und Flöte blasen. Ich will mit bloßem Hal¬ se geh'n, die Haare blond färben und ringeln, ich will zahm seyn, auf den Zehen gehen und immer mit zugespiztem Munde leise lispeln: o theuerste, schöne Seele, o mein Leben, o mein Schaf! Ihr sollt sehen, ich will mich bemühen, recht mit An¬ stand lustig zu seyn. Dem Herrn Faber wollen wir einen Strohhut mit Lillabänder auf das dicke Ge¬ sicht sezen und einen langen Stab in die Hand ge¬ ben, er soll den Zug anführen. Wir andern wer¬ den uns zuweilen zum Spaß im grünen Hayne ver¬ irren, und dann über unser hartes Trennungsloos aus unseren spaßhaften Schmerzen ernsthafte Sonet¬ te machen. — Rosa , die von allem wieder nur ge¬ hört hatte, daß sie mitreisen dürfe, fiel hier ihrem Bruder unterbrechend um den Hals und that so schön in ihrer Freude, daß Friedrich wieder ganz mit ihr ausgesöhnt war. Es wurde nun verabre¬ det, daß sie sich noch heute Abend auf Leontins Schlosse einfinden sollen, damit sie alle Morgen frühzeitig aufbrechen könnten, und sie sprang fröh¬ lich fort, um ihre Anstalten zu treffen. Als Friedrich und Leontin wieder nach Hause kamen, begann lezterer, der seinen gestrigen Schreck fast schon, ganz wieder vergessen zu haben schien, sogleich mit vieler Lustigkeit zusammenzurufen, Be¬ fehle auszutheilen und überall Allarm zu schlagen, um, wie er sagte, das Zigeunerleben bald von allen Seiten aufzurühren. Rosa traf, wie sie es ver¬ sprochen hatte, gegen Abend ein und fand auf der Wiese bey Mondenschein bereits alles in der bun¬ testen Bewegung. Die Jäger putzten singend ihre Büchsen und Sattelzeug, andere versuchten ihre Hörner, Faber band ganze Ballen Papier zusam¬ men, die kleine Marie sprang zwischen allen leicht¬ fertig herum. Alle begaben sich heute etwas früher als ge¬ wöhnlich zur Ruhe. Als Friedrich eben einschlum¬ merte, hörte er draussen einige volle Akkorde auf der Laute anschlagen. Bald darauf vernahm er Erwins Stimme. Das Lied, das er sang, rührte ihn wun¬ derbar, denn es war eine alte, einfache Melodie, die er in seiner Kindheit sehr oft, und seitdem nie¬ mals wieder gehört hatte. Er sprang erstaunt an's Fenster, aber Erwin hatte so eben wieder aufgehört. Das Licht aus Rosa's Schlafzimmer am anderen Flügel des Schlosses war erloschen, der Wind dreh¬ te knarrend die Wetterfahne auf dem Thurme, der Mond schien außerordentlich hell. Friedrich sah Erwin wieder wie sonst mit der Guitarre auf der Mauer sitzen. Bald darauf hörte er den Knaben sprechen; eine durchaus unbekannte, männliche Stim¬ me schien ihm von Zeit zu Zeit Antwort zu geben. Friedrich verdoppelte seine Aufmerksamkeit, aber er konnte nichts verstehen, auch sah er niemand aus¬ ser Erwin. Nur manchmal kam es ihm vor, als lange ein langer Arm über die Mauer herüber nach dem Knaben. Zulezt sah er einen Schatten von dem Knaben fort längst der Mauer hinuntergehen. Der Schatten wuchs beym Mondenschein mit jedem Schritte immer höher und länger, bis er sich end¬ lich in Riesengröße in den Wald hinein verlohr. Friedrich lehnte sich ganz zum Fenster hinaus, aber er konnte nichts unterscheiden. Erwin sprach nun auch nicht mehr und die ganze Gegend war todtenstill. Ein Schauer überlief ihn dabey. Sollte diese Erscheinung, dachte er, Zusammenhang haben mit Leontins Begebenheiten? Weiß vielleicht dieser Knabe um seine Geheimnisse? Ihm fiel dabey ein, daß sich sein ganzes Gesicht lebheft verändert hat¬ te, als Faber heute noch einmal Leontins gestrigen unbekannten Begegnisses erwähnte. Beynahe hätte er alles für einen überwachten Traum gehalten, so seltsam kam es ihm vor, und er schlief endlich mit sonderbaren und abentheuerlichen Gedanken ein. Fuͤnftes Kapitel . Als draußen Berg und Thal wieder licht wa¬ ren, war der ganze bunte Trupp schon eine Stunde weit von Leontins Schlosse entfernt. Der sonder¬ bare Zug gewährte einen lustigen Anblick. Leontin ritt ein unbändiges Pferd allen voraus. Er war leicht und nachlässig angezogen, und seine ganze Gestalt hatte etwas Ausländisches. Friedrich sah durchaus deutsch aus. Faber dagegen machte den allerseltsamsten und abentheuerlichsten Aufzug. Er hatte einen runden Hut mit ungeheuer breiten Krempen, der ihn, wie ein Schirm, gegen die Son¬ ne und Regen zugleich schüzen sollte. An seiner Seite hieng eine dickangeschwollene Tasche mit Schreibtafeln, Büchern und anderem Reisegeräth herab. Er war wie ein fahrender Skolaft anzusehen. Rosa ritt mitten unter ihnen ein schönes, frommes Pferd auf einem weiblichen englischen Sattel. Ein langes grünes Reitkleid, von einem goldenen Gürtel zusammengehalten, schmiegte sich an ihre vollen Glieder, ein blendendweisser Spitzkragen umschloß das schöne Köpfchen, von dem hohe Federn in die Morgenluft nickten. Zu ihrer Begleitung hatte man die kleine Marie bestimmt, die ihr als Jägerknabe folgte. Auch Erwin ritt mit und hatte die Guitar¬ re an einem himmelblauen Bande umgehangen. Hinterdrein kamen mehrere Jäger mit wohlbepackten Pferden. Sie zogen eben über einen freyen Berggrücken weg. Die Morgensonne funkelte ihnen fröhlich ent¬ gegen. Rosa blickte Friedrich aus ihren großen Augen so frisch und freudig an, daß es ihm durch die Seele gieng. Als sie auf den Gipfel kamen, lag auf einmal ein unübersehbar weites Thal im Morgenschimmer unter ihnen. Viktoria! rief Leon¬ tin fröhlich und schwang seinen Hut. Es geht doch nichts über's Reisen, wenn man nicht dahin oder dorthin reist, sondern in die weite Welt hinein, wie es Gott gefällt! Wie uns aus Wäldern, Bergen, aus blühenden Mädchengesichtern, die von lichten Schlössern grüßen, aus Strömen und alten Burgen das noch unbekannte, überschwengliche Le¬ ben ernst und fröhlich ansieht! — Das Reisen, sag¬ te Faber, ist dem Leben vergleichsam. Das Leben der Meisten ist eine immerwährende Geschäftsreise vom Buttermarkt zum Käsemarkt; das Leben der Poe¬ tischen dagegen ein freyes, unendliches Reisen nach dem Himmelreich. — Leontin, dessen Widerspruchsgeist Faber jederzeit unwiderstehlich anregte, sagte dar¬ auf: Diese reisenden Poetischen sind wieder den Paradießvögeln zu vergleichen, von denen man fälschlich glaubt, daß sie keine Füße haben. Sie müssen doch auch herunter und in Wirthshäusern einkehren, und Vettern und Basen besuchen, und, was sie sich auch für Zeug einbilden, das Fräulein auf dem lichten Schlosse ist doch nur ein dummes, höchstens verliebtes, Ding, das die Liebe mit ihrem bischen brennbaren Stoffe eine Weile in die Lufte treibt, um dann desto jämmerlicher, wie ein aus¬ geblasener Dudelsack, wieder zur Erde zu fallen, auf der alten, schönen, trozigen Burg findet sich auch am Ende nur noch ein kahler Landkavalier u. s. w. Alles ist Einbildung. — Du solltest nicht so reden, entgegnete Friedrich . Wenn wir von einer inneren Freudigkeit erfüllt sind, welche, wie die Morgensonne, die Welt überscheint und alle Begebenheiten, Verhältnisse und Kreaturen zur ei¬ genthumlichen Bedeutung erhebt, so ist dieses freu¬ dige Licht vielmehr die wahre göttliche Gnade, in der allein alle Tugenden und große Gedanken ge¬ deihen, und die Welt ist wirklich so bedeutsam, jung und schön, wie sie unser Gemüth in sich selber an¬ schaut. Der Mißmuth aber, die träge Niederge¬ schlagenheit und alle diese Entzauberungen, das ist die wahre Einbildung, die wir durch Gebeth und Muth zu überwinden trachten sollen, denn diese verdirbt die ursprüngliche Schönheit der Welt. — Ist mir auch recht, erwiederte Leontin lustig. — Graf Friedrich , sagte Faber, hat eine Unschuld in seinen Betrachtungen, eine Unschuld. — Ihr Dichter, fiel ihm Leontin hastig ins Wort, seyd alle euerer Unschuld über den Kopf gewachsen, und, wie ihr eure Gedichte ausspendet, sagt ihr immer: da ist ein prächtiges Kunststück von meiner Kindlich¬ keit, da ist ein besonders wohleingerichtetes Stück von meinem Patriotismus oder von meiner Ehre! — Friedrich erstaunte, da Leontin so keck und hart aussprach, was er, als eine Lästerung aller Poesie, sich selber zu denken niemals erlauben mochte. Rosa hatte unterdeß über dem Gespräche meh¬ reremal gegähnt. Faber bemerkte es und da er sich jederzeit als ein galanter Verehrer des schönen Ge¬ schlechtes auszeichnete, so trug er sich an, zu allge¬ meiner Unterhaltung eine Erzählung zum Besten zu geben. Nur nicht in Versen, rief Rosa , denn da versteht man doch alles nur halb. Man rückte da¬ her näher zusammen, Fabern in die Mitte neh¬ mend, und er erzählte folgende Geschichte, während sie zwischen den waldigten Bergen langsam fort¬ zogen: Es war einmal ein Ritter. — Das fängt ja an, wie ein Mährchen, unterbrach ihn Rosa . — Faber sezte von frischem an: Es war einmal ein Ritter, der lebte tief im Walde auf seiner alten Burg in geistlichen Betrachtungen und strengen Bu߬ übungen. Kein Fremder besuchte den frommen Rit¬ ter, alle Wege zu seiner Burg waren lange mit hohem Grase überwachsen und nur das Glöcklein, das er bey seinen Gebethen von Zeit zu Zeit zog, unterbrach die Stille und klang in hellen Nächten weit über die Wälder weg. Der Ritter hatte ein junges Töchterlein, die machte ihm viel Kummer, denn sie war ganz anderer Sinnesart als ihr Va¬ ter und all ihr Trachten gieng nur auf weltliche Dinge. Wenn sie Abends am Spinnrocken saß, und er ihr aus seinen alten Büchern die wunderba¬ ren Geschichten von den heiligen Märtyrern vorlas, dachte sie immer heimlich bey sich: das waren wohl rechte Thoren, und hielt sich für weit klüger, als ihr alter Vater, der alle die Wunder glaubte. Oft, wenn ihr Vater weg war, blätterte sie in den Bü¬ chern und mahlte den Heiligen, die darin abgebil¬ det waren, große Schnurrbärte — Rosa lachte hierbey laut auf. — Was lachst du? fragte Leontin spitzig und Faber fuhr in seiner Erzählung fort: Sie war sehr schön und klüger als alle die anderen Kinder in ihrem Alter, weswegen sie sich auch im¬ mer mit ihnen zu spielen schämte, und wer mit ihr sprach, glaubte eine erwachsene Person reden zu hören, so gescheid und künstlich waren alle ihre Worte gesezt. Dabey gieng sie bey Tag und Nacht ganz allein im Walde herum, ohne sich zu fürch¬ ten, und lachte immer den alten Burgvogt aus, der ihr schauerliche Geschichten vom Wassermann er¬ zählte. Gar oft stand sie dann an dem blauen Flusse im Walde und rief mit lachendem Munde: Wassermann soll mein Bräutigam seyn! Wassermann soll mein Bräutigam seyn! Als nun der Vater zum sterben kam, rief er die Tochter zu seinem Bette und übergab ihr einen großen Ring, der war sehr schwer von purem Golde gearbeitet. Er sagte dabey zu ihr: Dieser Ring ist vor uralten Zeiten von einer kunstreichen Hand verfertiget. Einer deiner Vorfahren hat ihn in Palästina, mitten im Getümmel der Schlacht erfochten. Dort lag er unter Blut und Staub auf dem Boden, aber er blieb unbefleckt und glänzte so hell und durchdringlich, daß sich alle Rosse davor bäumten und keines ihn mit seinem Hufe zertreten wollte. Alle deine Mütter haben den Ring getra¬ gen und Gott hat ihren frommen Ehestand gesegnet. Nimm du ihn nun auch hin und betrachte ihn alle Morgen mit rechten Sinnen, so wird sein Glanz dein Herz erquicken und stärken. Wenden sich aber deine Gedanken und Neigungen zum Bösen, so ver¬ löscht sein Glanz mit der Klarheit deiner Seele und wird dir gar trübe erscheinen. Bewahre ihn treu an deinem Finger, bis du einen tugendhaften Mann gefunden. Denn welcher Mann ihn einmal an sei¬ ner Hand trügt, der kann nicht mehr von Dir lassen, und wird dein Bräutigam. — Bey diesen Worten verschied der alte Ritter. Ida blieb nun allein zurück. Ihr war längst angst und bange auf dem alten Schlosse gewesen, und da sie jezt ungeheure Schäze in den Kellern ihres Vaters vorfand, so veränderte sie sogleich ihre ganze Lebensweise. — Gott sey Dank, sagte Rosa , denn bis jezt war sie wahrhaftig ziemlich langwei¬ lig. — Faber fuhr wieder fort: Die dunkeln Bo¬ gen, Thore und Höfe der alten Burg wurden nie¬ dergerissen und ein neues, lichtes Schloß mit blen¬ dendweissen Mauern und kleinern, luftigen Thürm¬ chen erhob sich bald über den alten Steinen. Ein großer, schöner Garten wurde daneben angelegt, durch den der blaue Fluß vorüberfloß. Da standen tausenderley hohe, bunte Blumen, Wasserkünste sprangen dazwischen und zahme Rehe giengen darin spazieren. Der Schloßhof wimmelte von Rossen und reichgeschmückten Edelknaben, die lustige Lieder auf ihr schönes Fräulein sangen. Sie selber war nun schon groß und außerordentlich schön geworden. Von Ost und West kamen daher nun reiche und junge Freyer angezogen, und die Strassen, die zu dem Schlosse führten, blizten von blanken Reitern, Hel¬ men und Federbüschen. Das gefiel dem Fräulein gar wohl, aber so gern sie auch alle Männer hatte, so mochte sie doch mit keinem Einzelnen ihren Ring auswechseln; denn jeder Gedanke an die Ehe war ihr lächerlich und verhaßt. Was soll ich, sagte sie zu sich selbst, mei¬ ne schöne Jugend verkümmern, um in abgeschiede¬ ner, langweiliger Einsamkeit eine armselige Haus¬ mutter abzugeben, anstatt daß ich jezt so frey bin, wie der Vogel in der Luft. Dabey kamen ihr alle Männer gar dummlich vor, weil sie entweder zu unbehülflich waren, ihrem müssigen Witze nachzu¬ kommen, oder auf andre, hohe Dinge stolz thaten, an die sie nicht glaubte. Und so betrachtete sie sich in ihrer Verblendung als eine reizende Fee unter verzauberten Bären und Affen, die nach ihrem Win¬ ke tanzen und aufwarten mußten. Der Ring wur¬ de indeß von Tag zu Tage trüber. Eines Tages gab sie ein glänzendes Banket. Unter einem prächtigen Zelte, daß im Garten auf¬ geschlagen war, sassen die jungen Ritter und Frauen um die Tafel, in ihrer Mitte das stolze Fräulein, gleich einer Königin, und ihre witzigen Redensarten überstrahlten den Glanz der Perlen und Edelgesteine, womit ihr Hals und Busen geschmückt war. Recht wie ein wurmstichiger Apfel, so schön roth und be¬ trüglich, war sie anzusehen. Der goldene Wein kreißte fröhlich herum, die Ritter schauten kühner, üppig lockende Lieder zogen hin und wieder im Gar¬ ten durch die sommerlaue Luft. Da fielen Ida's Blicke zufällig auf ihren Ring. Der war auf ein¬ mal finster geworden, und sein verlöschender Glanz that nur eben noch einen seltsamen, dunkelglühen¬ den Blick auf sie. Sie stand schnell auf und gieng an den Abhang des Gartens. Du einfältiger Stein, sollst mich nicht länger mehr stören! sagte sie in ihrem Uebermuthe lachend, zog den Ring vom Fin¬ ger und warf ihn in den Strom hinunter. Er be¬ schrieb im Fluge einen hellschimmernden Bogen und tauchte sogleich in den tiefsten Abgrund hinab. Darauf kehrte sie wieder in den Garten zurück, aus dem die Töne wollüstig nach ihr zu langen schienen. Am andern Tage saß Ida allein im Garten und sah in den Fluß hinunter. Es war gerade um die Mittagszeit. Alle Gäste waren fortgezogen, die ganze Gegend lag still und schwüle. Einzelne, selt¬ samgestaltete Wolken zogen langsam über den dun¬ kelblauen Himmel; manchmal flog ein plötzlicher Wind über die Gegend, und dann war es, als ob die Felsen und die alten Bäume sich über den Fluß unten neigten und miteinander über sie besprächen. Ein Schauder überlief Ida. Da sah sie auf einmal einen schönen, hohen Ritter, der auf einem schneeweissen Roße die Strasse hergeritten kam. Seine Rüstung und sein Helm war wasser¬ blau, eine wasserblaue Binde flatterte in der Luft, seine Sporen waren von Krystall. Er grüßte sie freundlich, stieg ab und kam zu ihr. Ida schrie laut auf vor Schreck, denn sie erblickte den alten wun¬ derthätigen Ring, den sie gestern in den Fluß ge¬ worfen hatte, an seinem Finger, und dachte so¬ gleich daran, was ihr ihr Vater auf dem Todtbet¬ te prophezeiht hatte. Der schöne Ritter zog sogleich eine dreyfache Schnur von Perlen hervor und hieng sie dem Fräulein um den Hals; dabey küßte er sie auf den Mund, nannte sie seine Braut und ver¬ sprach, sie heute Abend heimzuholen. Ida konnte nichts antworten, denn es kam ihr vor, als läge sie in einem tiefen Schlafe, und doch vernahm sie den den Ritter, der in gar lieblichen Worten zu ihr sprach, ganz deutlich, und hörte dazwischen auch den Strom, wie über ihr, immerfort verworren drein¬ rauschen. Darauf sah sie den Ritter sich wieder auf seinen Schimmel schwingen und so schnell in den Wald zurückspringen, daß der Wind hinter ihm dreinpfiff. Als es gegen Abend kam, stand sie in ihrem Schlosse am Fenster und schaute in das Gebirge hin¬ aus, das schon die graue Dämmerung zu überziehen anfieng. Sie sann hin und her, wer der schöne Ritter seyn möge, aber sie konnte nichts heraus¬ bringen. Eine niegefühlte Unruhe und Aengstlichkeit überfiel dabey ihre Seele, die immer mehr zunahm, je dunkler draußen die Gegend wurde. Sie nahm die Zitter, um sich zu zerstreuen. Es fiel ihr ein altes Lied ein, das sie als Kind oft ihren Vater in der Nacht, wenn sie manchmal erwachte, hatte singen hören. Sie fieng an zu singen: Obschon ist hin der Sonnenschein Und wir im Finstern müssen seyn, So können wir doch singen Von Gottes Güt' und seiner Macht, Weil uns kann hindern keine Nacht, Sein Lobe zu vollbringen. Die Thränen brachen ihr hiebey aus den Augen, und sie mußte die Zitter weglegen, so weh war ihr zu Muthe. 5 Endlich, da es draußen schon ganz finster ge¬ worden, hörte sie auf einmal ein großes Getös von Roßeshufen und fremden Stimmen. Der Schloßhof füllte sich mit Windlichtern, bey deren Scheine sie ein wildes Gewimmel von Wagen, Pferden, Rit¬ tern und Frauen erblickte. Die Hochzeitsgäste ver¬ breiteten sich bald in der ganzen Burg, und sie er¬ kannte alle ihre alten Bekannten, die auch lezthin auf dem Banket bey ihr gewesen waren. Der schö¬ ne Bräutigam, wieder ganz in wasserblaue Seide gekleidet, trat zu ihr und erheiterte gar bald ihr Herz durch seine anmuthigen und süssen Reden. Musikanten spielten lustig, Edelknaben schenkten Wein herum und alles tanzte und schmaußte in freudenreichem Schalle. Während dem Feste trat Ida mit ihrem Bräu¬ tigam ans offene Fenster. Die Gegend war unten weit und breit still, wie ein Grab, nur der Fluß rauschte aus dem finsteren Grunde herauf. Was sind das für schwarze Vögel, fragte Ida, die da in langen Schaaren so langsam über den Himmel zieh'n? — Sie ziehen die ganze Nacht fort, sagte der Bräutigam, sie bedeuten deine Hochzeit. — Was sind das für fremde Leute, fragte Ida wie¬ der, die dort drunten am Flusse auf den Steinen sitzen und sich nicht rühren? — Das sind meine Diener, sagte der Bräutigam, die auf uns war¬ ten. — Unterdeß fiengen schon lichte Streifen an, sich am Himmel aufzurichten und aus den Thälern hörte man von ferne Hähne krähen. Es wird so kühl, sagte Ida und schloß das Fenster. In mei¬ nem Hause ist es noch viel kühler, erwiederte der Bräutigam, und Ida schauderte unwillkührlich zu¬ sammen. Darauf faßte er sie beym Arme und führte sie mitten unter den lustigen Schwarm zum Tanze. Der Morgen rückte indeß immer näher, die Kerzen im Saale flackerten nur noch matt und löschten zum Theil gar aus. Während Ida mit ihrem Bräuti¬ gam herumwalzte, bemerkte sie mit Grausen, daß er immer blässer ward, je lichter es wurde. Draus¬ sen vor den Fenstern sah sie lange Männer mit seltsamen Gesichtern ankommen, die in den Saal hereinschauten. Auch die Gesichter der übrigen Gä¬ ste und Bekannten veränderten sich nach und nach, und sie sahen alle aus wie Leichen. Mein Gott, mit wem habe ich so lange Zeit gelebt! rief sie aus. Sie konnte vor Ermattung nicht mehr fort und wollte sich loswinden, aber der Bräutigam hielt sie fest um den Leib und tanzte immerfort, bis sie athemlos auf die Erde hinstürzte. Frühmorgens, als die Sonne fröhlich über das Gebirge schien, sah man den Schloßgarten auf dem Berge verwüstet, im Schlosse war kein Mensch zu finden, und alle Fenster standen weit offen. Die Reisenden, die bey hellem Mondenschein oder um die Mittagszeit an dem Flusse vorübergiengen, sa¬ hen oft ein junges Mädchen sich mitten im Strome mit halbem Leibe über das Wasser emporheben. Sie war sehr schön, aber todtenblaß. 5 * So endigte Faber seine Erzählung. Erschreck¬ lich! rief Leontin, sich, wie vor Frost, schüttelnd. Rosa schwieg still. Auf Friedrich hatte das Mährchen einen tiefen und ganz besonderen Eindruck gemacht. Er konnte sich nicht enthalten, während der ganzen Erzählung, mit einem unbestimmten, schmerzlichen Gefühle an Rosa zu denken, und es kam ihm vor, als hätte Faber selber nicht ohne heimliche Absicht gerade diese Erfindung gewählt. Fabers Mährchen gab Veranlassung, daß auch Friedrich und Leontin mehrere Geschichten erzähl¬ ten, woran aber Rosa immer nur einen entfern¬ ten Antheil nahm. So vergieng dieser Tag unter fröhlichen Gesprächen, ehe sie es selber bemerkten, und der Abend überraschte sie mitten im Walde in einer unbekannten Gegend. Sie schlugen daher den ersten Weg ein, der sich ihnen darboth, und ka¬ men schon in der Dunkelheit bey einem Bauernhau¬ se an, das ganz allein im Walde stand, und wo sie zu übernachten beschlossen. Die Hauswirthinn, ein junges, rüstiges Weib, wußte nicht, was sie aus dem ganzen unerwarteten Besuche machen sollte und maaß sie mit Blicken, die eben nicht das beste Zutrauen verriethen. Die lustigen Reden und Schwänke Leontins und seiner Jäger aber brachten sie bald in die beste Laune, und sie bereitete alles recht mit Lust zu ihrer Aufnahme. Nach einem flüchtig eingenommenen Abendessen ergriffen Leontin, Faber und die Jäger ihre Flinten und giengen noch in den Wald hinaus auf den An¬ stand, da ihnen die gefällige Bäuerinn mit einer gewissen verstohlenen Vertraulichkeit den Platz ver¬ rathen hatte, wo das Wild gewöhnlich zu wechseln pflegte. Rosa fürchtete sich nun hier allein zurück¬ zubleiben, und bath daher Friedrich , ihr Gesell¬ schaft zu leisten, welches dieser mit Freuden an¬ nahm. Beyde sezten sich, als alles fort war, auf die Bank an der Hausthüre vor den weiten Kreis der Wälder. Friedrich hatte die Guitarre bey sich und griff einige volle Akkorde, welche sich in der heiteren, stillen Nacht herrlich ausnahmen. Rosa war in dieser ungewohnten Lage ganz verän¬ dert. Sie war einmal ohne alle kleine Launen, hingebend, ungewöhnlich vertraulich und liebens¬ würdig ermattet. Friedrich glaubte sie noch nie¬ mals so angenehm gesehen zu haben. Er hatte ihr schon längst versprechen müssen, seine ganze Ju¬ gendgeschichte einmal ausführlich zu erzählen. Sie bath ihn nun, sein Versprechen zu erfüllen, bis die andern zurückkämen. Er war gerade auch aufgelegt dazu und begann daher, während sie, mit dem ei¬ nen Arme auf seine Achsel gelehnt, so nahe als möglich an ihn rückte, folgendermassen zu erzählen: Meine frühesten Erinnerungen verlieren sich in einem großen, schönen Garten. Lange, hohe Gän¬ ge von gradbeschnittenen Baumwänden laufen nach allen Richtungen zwischen großen Blumenfeldern hin, Wasserkünste rauschen einsam dazwischen, die Wolken ziehen hoch über die dunkeln Gänge weg, ein wunderschönes kleines Mädchen, älter als ich, sizt an der Wasserkunst und singt welsche Lieder, während ich oft Stundenlang an den eisernen Stä¬ ben des Gartenthors stehe, das an die Strasse stößt, und sehe, wie draussen der Sonnenschein wech¬ selnd über Wälder und Wiesen fliegt, und Wa¬ gen, Reuter und Fußgänger am Thore vorüber in die glänzende Ferne hinausziehen. Diese ganze stil¬ le Zeit liegt weit hinter alle dem Schwalle der seitdem durchlebten Tage, wie ein uraltes, wehemü¬ thig süßes Lied, und wenn mich oft nur ein einzel¬ ner Ton davon wieder berührt, faßt mich ein un¬ beschreibliches Heimweh, nicht nur nach jenen Gär¬ ten und Bergen, sondern nach einer viel ferneren und tieferen Heimath, von welcher jene nur ein lieblicher Wiederschein zu seyn scheint. Ach, warum müssen wir jene unschuldige Betrachtung der Welt, jene wundervolle Sehnsucht, jenen geheimnißvollen, unbeschreiblichen Schimmer der Natur verlieren, in dem wir nur manchmal noch im Traume unbekann¬ te, seltsame Gegenden wieder sehen! Und wie war es denn nun weiter? fiel ihm Rosa ins Wort. Meinen Vater und meine Mutter, fuhr Frie¬ drich fort, habe ich niemals gesehen. Ich lebte auf dem Schlosse eines Vormunds. Aber eines äl¬ teren Bruders erinnere ich mich sehr deutlich. Er war schön, wild, witzig, keck und dabey störrisch, tiefsinnig und menschenscheu. Dein Bruder Leontin sieht ihm sehr ähnlich und ist mir darum um desto theurer. Am besten kann ich mir ihn vorstellen, wenn ich an einen Umstand zurückdenke. An unserm alterthümlichen Schlosse lief nemlich eine große stei¬ nerne Gallerie rings herum. Dort pflegten wir bey¬ de gewöhnlich des Abends zu sizen, und ich erinnere mich noch immer an den eignen, sehnsuchtsvollen Schauer, mit dem ich hinuntersah, wie der Abend blutroth hinter den schwarzen Wäldern versank und dann nach und nach alles dunkel wurde. Unsere alte Wärterin erzählte uns dann gewöhnlich das Mährchen von dem Kinde, dem die Mutter mit dem Kasten den Kopf abschlug und das darauf als ein schöner Vogel draussen auf den Bäumen sang. Rudolph, so hieß mein Bruder, lief oder ritt un¬ terdeß auf dem steinernen Geländer der Gallerie herum, daß mir vor Schwindel alle Sinne vergien¬ gen. Und in dieser Stellung schwebt mir sein Bild noch immer vor, das ich von dem Mährchen, den schwarzen Wäldern unten und den seltsamen Abend¬ lichtern gar nicht trennen kann. Da er wenig lern¬ te und noch weniger gehorchte, wurde er kalt und übel behandelt. Oft wurde ich ihm als Muster vor¬ gestellt, und dieß war mein größter und tiefster Schmerz, den ich damals hatte, denn ich liebte ihn unaussprechlich. Aber er achtete wenig darauf. Das schöne italiänische Mädchen fürchtete sich vor ihm, so oft sie mit ihm zusammen kam, und doch schien sie ihn immer wieder von neuem aufzusuchen. Mit mir dagegen war sie sehr vertraulich und oft ausgelassen lustig. Alle Morgen, wenn es schön war, gieng sie in den Garten hinunter und wusch sich an der Wasserkunst die hellen Augen und den kleinen, weißen Hals, und ich mußte ihr während¬ deß die zierlichen Zöpfchen flechten helfen, die sie dann in einen Kranz über dem Scheitel zusammen¬ heftete. Dabey sang sie immer folgendes Liedchen, das mir mit seiner ganz eignen Melodie noch im¬ mer sehr deutlich vorschwebt: Zwischen Bergen, liebe Mutter, Weit den Wald entlang, Reiten da drey junge Jäger Auf drey Rößlein blank, lieb' Mutter, Auf drey Rößlein blank. Ihr könn't fröhlich seyn, lieb' Mutter, Wird es draussen still: Kommt der Vater heim vom Walde, Küßt Euch wie er will, lieb' Mutter, Küßt Euch wie er will. Und ich werfe mich im Bettchen Nachts ohn' Unterlaß, Kehr' mich links und kehr' mich rechtshin, Nirgends hab' ich was, lieb' Mutter, Nirgends hab' ich was. Bin ich eine Frau erst einmal, In der Nacht dann still Wend' ich mich nach allen Seiten, Küß', so viel ich will, lieb' Mutter, Küß', so viel ich will. Sie sang das Liedchen ganz allerliebst. Das arme Kind wußte wohl damals selbst noch nicht deutlich, was sie sang. Aber einmal fuhren die Alten, die sie darüber belauscht hatten, gar tüppisch mit harten Verweisen drein, und seitdem, erinnere ich mich, sang sie daß Lied heimlich noch viel lieber. So lebten wir lange Zeit in Frieden nebenein¬ ander, und es fiel mir gar nicht ein, daß es je¬ mals anders werden könnte, nur daß Rudolph im¬ mer finsterer wurde, je mehr er heranwuchs. Um diese Zeit hatte ich mehreremale sehr schwere und furchtbare Träume. Ich sah nemlich immer meinen Bruder Rudolph in einer Rüstung, wie sie sich auf einem alten Ritterbilde auf unserem Vorsaale be¬ fand, durch ein Meer von durcheinanderwogenden ungeheuren Wolken schreiten, wobey er sich mit ei¬ nem langen Schwerte rechts und links Bahn zu hauen schien. So oft er mit dem Schwerte die Wolken berührte, gab es eine Menge Funken, die mich mit ihren vielfarbigen Lichtern blendeten, und bey jedem solchen Leuchten kam mir auch Rudolphs Gesicht plötzlich blaß und ganz verändert vor. Wäh¬ rend ich mich nun mit den Augen so recht in den Wolkenzug vertiefte, bemerkte ich mit Verwunde¬ rung, daß es eigentlich keine Wolken waren, son¬ dern sich alles nach und nach in ein langes, dunk¬ les, seltsamgeformtes Gebirg verwandelte, vor dem mir schauderte, und ich konnte gar nicht begreifen, wie sich Rudolph dort so allein nicht fürchtete. Seitwärts von dem Gebirge sah ich eine weite Landschaft, deren unbeschreibliche Schönheit und wunderbaren Farbenschimmer ich niemals vergessen habe. Ein großer Strom gieng mitten hindurch bis in eine unabsehbare duftige Ferne, wo er sich mit Gesang zu verlieren schien. Auf einem sanftgrünen Hügel über dem Strome saß Angelina, das italiä¬ nische Mädchen, und zog mit ihrem kleinen, rosi¬ gen Finger zu meinem Erstaunen einen Regenbogen über den blauen Himmel. Unterdeß sah ich, daß sich das Gebirge anfieng, wundersam zu regen; die Bäu¬ me streckten lange Arme aus, die sich wie Schlan¬ gen ineinander schlungen, die Felsen dehnten sich zu ungeheuren Drachengestalten aus, andre zogen Gesichter mit langen Nasen, die ganze wunderschö¬ ne Gegend überzog und verdeckte dabey ein qual¬ mender Nebel. Zwischen den Felsenspalten streckte Rudolph den Kopf hervor, der auf einmal viel äl¬ ter und selber wie von Stein aussah, und lachte übermässig mit seltsamen Geberden. Alles verwirr¬ te sich zulezt und ich sah nur die entfliehende Ange¬ lina mit ängstlich zurückgewandtem Gesicht und weißem, flatterndem Gewande, wie ein Bild über einen grauen Vorhang, vorüberschweben. Eine große Furcht überfiel mich da jedesmal und ich wachte vor Schreck und Entsezen auf. Diese Träume, die sich, wie gesagt, mehreremal wiederholten, machten einen so tiefen Eindruck auf mein kindisches Gemüth, daß ich nun meinen Bru¬ der oft heimlich mit einer Art von Furcht betrachte¬ te, auch die seltsame Gestaltung des Gebirges nie wieder vergaß. Eines Abends, da ich eben im Garten herum¬ gieng und zusah, wie es in der Ferne an den Ber¬ gen gewitterte, trat auf einmal an dem Ende eines Bogenganges Rudolph zu mir. Er war finsterer als gewöhnlich. Siehst du das Gebirge dort? sag¬ te er, auf die fernen Berge deutend. Drüben liegt ein viel schöneres Land, ich habe ein einzigesmal hinuntergeblickt. Er sezte sich ins Gras hin, dann sagte er in einer Weile wieder: hörst du, wie jezt in der weiten Stille unten die Ströme und Bäche rauschen und wunderbarlich locken? Wenn ich so hinunterstiege in das Gebirge hinein, ich gienge fort und immer fort, du würdest unterdeß alt, das Schloß wäre auch verfallen und der Garten hier lange einsam und wüste. — Mir fiel bey diesen Worten mein Traum wieder ein, ich sah ihn an, und auch sein Gesicht kam mir in dem Augenblicke gerade so vor, wie es mir im Traume immer er¬ schien. Eine niegefühlte Angst überwältigte mich und ich fieng an zu weinen. Weine nur nicht! sagte er hart und wollte mich schlagen. Unterdeß kam Angelina mit neuem Spielzeuge lustig auf uns zugesprungen und Rudolph entfernte sich wieder in den dunkeln Bogengang. Ich spielte nun mit dem munteren Mädchen auf dem Rasenplatze vor dem Schlosse und vergaß darüber alles das vorhergegan¬ gene. Endlich trieb uns der Hofmeister zu Bette. Ich erinnere mich nicht, daß mir als Kind irgend etwas widerwärtiger gewesen wäre, als das zeitige Schlafengehen, wenn alles draussen noch schallte und schwärmte und meine ganze Seele noch so wach war. Dieser Abend war besonders schön und schwül. Ich legte mich unruhig nieder. Die Bäu¬ me rauschten durch das offene Fenster herein, die Nachtigall schlug tief aus dem Garten, dazwischen hörte ich noch manchmal Stimmen unter dem Fen¬ ster sprechen, bis ich endlich nach langer Zeit ein¬ schlummerte. Da kam es mir auf einmal vor, als schiene der Mond sehr hell durch die Stube, mein Bruder erhöbe sich aus seinem Bett und gienge verschiedentlich im Zimmer herum, neige sich dann über mein Bett und küsse mich. Aber ich konnte mich durchaus nicht besinnen. Den folgenden Morgen wachte ich später auf, als gewöhnlich. Ich blickte sogleich nach dem Bet¬ te meines Bruders, und sah, nicht ohne Ahnung und Schreck, daß es leer war. Ich lief schnell in den Garten hinaus, da saß Angelina am Spring¬ brunnen und weinte heftig. Meine Pflegeältern und alle im ganzen Hause waren heimlich, verwirrt und verstört, und so erfuhr ich erst nach und nach, daß Rudolph in dieser Nacht entflohen sey. Man schickte Boten nach allen Seiten aus, aber keiner brachte ihn mehr wieder. Und habt ihr denn seitdem niemals wieder et¬ was von ihm gehört? fragte Rosa . Es kam wohl die Nachricht, sagte Friedrich , daß er sich bey einem Freykorps habe anwerben las¬ sen, nachher gar, daß er in einem Treffen geblie¬ ben sey. Aber aus späteren, einzelnen, abgebro¬ chenen Reden meiner Pflegeältern gelangte ich wohl zu der Gewißheit, daß er noch am Leben seyn müs¬ se. Doch thaten sie sehr heimlich damit und hörten sogleich auf zu sprechen, wenn ich hinzutrat; und seitdem habe ich von ihm nichts mehr sehen, noch erfahren können. Bald darauf verließ auch Angelina mit ihrem Vater, der weitläufig mit uns verwandt war, un¬ ser Schloß und reiste nach Italien zurück. Es ist sonderbar, daß ich mich auf die Züge des Kindes nie wieder besinnen konnte. Nur ein leises, freund¬ liches Bild ihrer Gestalt und ganzen lieblichen Ge¬ genwart blieb mir übrig. Und so war denn nun das Kleeblatt meiner Kindheit zerrissen und Gott weiß, ob wir uns jemals wiedersehen. — Mir war zum Sterben bange, mein Spielzeug freute mich nicht mehr, der Garten kam mir unaussprechlich einsam vor. Es war, als müßte ich hinter jedem Baume, an jedem Bogengange noch Angelina oder meinem Bruder begegnen, das einförmige Plät¬ schern der Wasserkünste Tag und Nacht hindurch vermehrte nur meine tiefe Bangsamkeit. Mir war es unbegreiflich, wie es meine Pflegeältern hier noch aushalten konnten, wie alles um mich herum seinen alten Gang fortgieng, als wäre eben alles noch, wie zuvor. Damals gieng ich oft heimlich und ganz allein nach dem Gebirge, das mir Rudolph an jenem lez¬ ten Abend gezeigt hatte, und hoffte in meinem kin¬ dischen Sinne zuversichtlich, ihn dort noch wiederzu¬ finden. Wie oft überfiel mich dort ein Grausen vor den Bergen, wenn ich mich manchmal droben ver¬ spätet hatte und nur noch die Schläge einsamer Holzhauer durch die dunkelgrünen Bogen herauf¬ schallten, während tief unten schon hin und her Lich¬ ter in den Dörfern erschienen, aus denen die Hun¬ de fern bellten. Auf einem dieser Streifzüge ver¬ fehlte ich beym Heruntersteigen den rechten Weg und konnte ihn durchaus nicht wiederfinden. Es war schon dunkel geworden und meine Angst nahm mit jeder Minute zu. Da erblickte ich seitwärts ein Licht; ich gieng darauf los und kam an ein kleines Häuschen. Ich guckte furchtsam durch das erleuch¬ tete Fenster hinein und sah darin in einer freundli¬ chen Stube eine ganze Familie friedlich um ein lu¬ stigflackerndes Heerdfeuer gelagert. Der Vater, wie es schien, hatte ein Büchelchen in der Hand und las vor. Mehrere sehr hübsche Kinder fassen im Kreise um ihn herum und hörten, die Köpfchen in beyde Arme aufgestüzt, mit der größten Aufmerk¬ samkeit zu, während eine junge Frau daneben spann und von Zeit zu Zeit Holz an das Feuer legte. Der Anblick machte mir wieder Muth, ich trat in die Stube hinein. Die Leute waren sehr erstaunt, mich bey ihnen zu sehen, denn sie kannten mich wohl, und ein junger Bursche wurde sogleich fort¬ gesandt, sich anzukleiden, um mich auf das Schloß zurück zu geleiten. Der Vater sezte unterdeß, da ich ihn darum bat, seine Vorlesung wieder fort. Die Geschichte wollte mich bald sehr anmuthig und wundervoll bedünken. Mein Begleiter stand schon lange fertig an der Thüre. Aber ich vertiefte mich immer mehr in die Wunder; ich wagte kaum zu athmen und hörte zu und immer zu und wäre die ganze Nacht geblieben, wenn mich nicht der Mann endlich erinnert hätte, daß meine Aeltern in Angst kommen würden, wenn ich nicht bald nach Hause gienge. Es war der gehörnte Siegfried, den er las. Rosa lachte. — Friedrich fuhr, etwas ge¬ stört, fort: Ich konnte diese ganze Nacht nicht schlafen, ich dachte immerfort an die schöne Geschichte. Ich be¬ suchte nun das kleine Häuschen fast täglich und der gute Mann gab mir von den ersehnten Büchern mit nach Hause, so viel ich nur wollte. Es war gerade in den ersten Frühlingstagen. Da saß ich denn ein¬ sam im Garten und las die Magelone, Genovefa, die Heymonskinder und viele andere unermüdet der Reihe nach durch. Am liebsten wählte ich dazu meinen Sitz in dem Wipfel eines hohen Birnbau¬ mes, der am Abhange des Gartens stand, von wo ich dann über das Blüthenmeer der niederen Bäu¬ me weit ins Land schauen konnte, oder an schwü¬ len Nachmittagen die dunklen Wetterwolken über den Rand des Waldes langsam auf mich zukommen sah. Rosa lachte wieder. Friedrich schwieg eine Weile unwillig still. Denn die Erinnerungen aus der Kindheit sind desto empfindlicher und verschäm¬ ter, je tiefer und unverständlicher sie werden, und fürchten sich vor großgewordenen, altklugen Men¬ schen, die sich in ihr wunderbares Spielzeug nicht mehr zu finden wissen. Dann erzählte er weiter: Ich weiß nicht, ob der Frühling mit seinen. Zauberlichtern in diese Geschichten hineinspielte, oder ob sie den Lenz mit ihren rührenden Wunderschei¬ nen überglänzten, — aber Blumen, Wald und Wiesen erschienen mir damals anders und schöner. Es war, als hätten mir diese Bücher die goldenen Schlüssel zu den Wunderschäzen und der verborge¬ nen Pracht der Natur gegeben. Mir war noch nie so fromm und fröhlich zu Muthe gewesen. Selbst die ungeschickten Holzstiche dabey waren mir lieb, ja überaus werth. Ich erinnere mich noch jezt mit Vergnügen, wie ich mich in das Bild, wo der Rit¬ ter Peter von seinen Aeltern zieht, vertiefen konn¬ te, wie ich mir den einen Berg im Hintergrunde mit Burgen, Wäldern, Städten und Morgenglanz ausschmückte, und in das Meer dahinter, aus we¬ nigen groben Strichen bestehend, und die Wolken drüber mit ganzer Seele hineinsegelte. Ja, ich glaube wahrhaftig, wenn einmal bey Gedichten Bil¬ der seyn sollen, so sind solche die besten. Jene feinern, sauberen Kupferstiche mit ihren modernen Gesichtern und ihrer, bis zum kleinsten Strauche, ausgeführten und festbegränzten Umgebung verder¬ ben und beengen alle Einbildung, anstatt daß diese Holzstiche mit ihren verworrenen Strichen und un¬ kenntlichen Gesichtern der Phantasie, ohne die doch niemand lesen sollte, einen frischen, unendlichen Spielraum eröffnen, ja, sie gleichsam herausfor¬ dern. Alle Alle diese Herrlichkeit dauerte nicht lange. Mein Hofmeister, ein aufgeklärter Mann, kam hinter mei¬ ne heimlichen Studien und nahm mir die geliebten Bücher weg. Ich war untröstlich. Aber Gott sey Dank, das Wegnehmen kam zu spät. Meine Phan¬ tasie hatte auf den waldgrünen Bergen, unter den Wundern und Helden jener Geschichten gesunde, freye Luft genug eingesogen, um sich des Anfalls einer ganzen nüchternen Welt zu erwehren. Ich bekam nun dafür Kampe's Kinderbibliothek. Da er¬ fuhr ich denn, wie man Bohnen steckt, sich selber Regenschirme macht, wenn man etwa einmal wie Robinson auf eine wüste Insel verschlagen werden sollte, nebstbey mehrere zuckergebackene, edle Hand¬ lungen, einige Aelternliebe und kindliche Liebe in Charaden. Mitten aus dieser pädagogischen Fabrik schlugen mir einige kleine Lieder von Mathias Clau¬ dius rührend und lockend ans Herz. Sie sahen mich in meiner prosaischen Niedergeschlagenheit mit schlich¬ ten, ernsten, treuen Augen an, als wollten sie freundlichtröstend sagen: „Lasset die Kleinen zu mir kommen!“ Diese Blumen machten mir den Far¬ ben- und Geruchslosen, zur Menschheitssaat umge¬ pflügten, Boden, in welchen sie seltsam genug ver¬ pflanzt waren, einigermassen heimathlich. Ich ent¬ sinne mich, daß ich in dieser Zeit verschiedene Plä¬ ze im Garten hatte, welche Hamburg, Braun¬ schweig und Wandsbeck vorstellten. Da eilte ich denn von einem zum andern und brachte dem guten 6 Claudius, mit dem ich mich besonders gerne und lange unterhielt, immer viele Grüße mit. Es war damals mein größter, innigster Wunsch, ihn einmal in meinem Leben zu sehen. Bald aber machte eine neue Epoche, die ent¬ scheidende für mein ganzes Leben, dieser Spielerey ein Ende. Mein Hofmeister fieng nemlich an, mir alle Sonntage aus der Leidensgeschichte Jesu vorzu¬ lesen. Ich hörte sehr aufmerksam zu. Bald wurde mir das periodische, immer wieder abgebrochene Vor¬ lesen zu langweilig. Ich nahm das Buch und las es für mich ganz aus. Ich kann es nicht mit Wor¬ ten beschreiben, was ich dabey empfand. Ich wein¬ te aus Herzensgrunde, daß ich schluchzte. Mein ganzes Wesen war davon erfüllt und durchdrungen, und ich begriff nicht, wie mein Hofmeister und alle Leute im Hause, die doch das alles schon lange wußten, nicht eben so gerührt waren und auf ihre alte Weise so ruhig fortleben konnten. — Hier brach Friedrich plözlich ab, denn er be¬ merkte, daß Rosa fest eingeschlafen war. Eine schmerzliche Unlust flog ihn bey diesem Anblicke an. Was thu ich hier, sagte er zu sich selber, als alles so still um ihn geworden war, sind das meine Ent¬ schlüsse, meine großen Hoffnungen und Erwartun¬ gen, von denen meine Seele so voll war, als ich ausreißte? Was zerschlage ich den besten Theil meines Lebens in unnütze Abentheuer ohne allen Zweck, ohne alle rechte Thätigkeit? Dieser Leon¬ tin , Faber und Rosa , sie werden mir doch ewig fremd bleiben. Auch zwischen diesen Menschen rei¬ sen meine eigentlichsten Gedanken und Empfindungen hindurch, wie ein Deutscher durch Frankreich. Sind dir denn die Flügel gebrochen, guter, muthiger, Geist, der in die Welt hinausschaute, wie in sein angebohrenes Reich? Das Auge hat in sich Raum genug für eine ganze Welt, und nun sollte es eine kleine Mädchenhand bedecken und zudrücken können? — Der Eindruck, den Rosa's Lachen während sei¬ ner Erzählung auf ihn gemacht hatte, war noch nicht vergangen. Sie schlummerte rückwärts auf ihren Arm gelehnt, ihr Busen, in den sich die dunklen Locken herabringelten, gieng im Schlafe ru¬ hig auf und nieder, so ruhte sie neben ihm in un¬ beschreiblicher Schönheit. Ihm fiel dabey ein Lied ein. Er stand auf und sang zur Guitarre: Ich hab' manch Lied geschrieben, Die Seele war voll Lust, Von treuem Thun und Lieben, Das beste, was ich wußt'. Was mir das Herz bewogen, Das sagte treu mein Mund, Und das ist nicht erlogen, Was kommt aus Herzensgrund. Liebchen wußt's nicht zu deuten Und lacht mir ins Gesicht, Dreht sich zu andern Leuten Und achtet's weiter nicht. 6 * Und spielt mit manchem Tropfe, Weil ich so tief betrübt. Mir ist so dumm im Kopfe, Als wär' ich nicht verliebt. Ach Gott, wem soll ich trauen? Will Sie mich nicht versteh'n, Thun all' so fremde schauen, Und alles muß vergeh'n. Und alles irrt zerstreuet — Sie ist so schön und roth — Ich hab' nichts, was mich freuet, Wär' ich viel lieber todt! Rosa schlug die Augen auf, denn das Wald¬ horn erschallte in dem Thale und man hörte Leon¬ tin und die Jäger, die so eben von ihrem Streif¬ zuge zurückkehrten, im Walde rufen und schreyen. Sie hatten gar keine Beute gemacht und waren alle der Ruhe höchstbedürftig. Die Wirthin wurde da¬ her eiligst in Thätigkeit gesezt, um jedem sein La¬ ger anzuweisen, so gut es die Umstände zuließen. Es wurde nun von allen Seiten Stroh herbeyge¬ schafft und in der Stube ausgebreitet, die für Rosa , Leontin , Friedrich und Faber bestimmt war; die übrigen soll e en sonst im Hause unterge¬ bracht werden. Da alles mithalf, gieng es bey den Zubereitungen ziemlich tumultuarisch her. Besonders aber zeigte sich die kleine Marie, welcher die Jä¬ ger tapfer zugetrunken hatten, ungewöhnlich ausge¬ lassen. Jeder behandelte sie aus Gewohnheit als ein halberwachsenes Kind, fieng sie auf und küßte sie. Friedrich aber sah wohl, daß sie sich dabey gar künstlich sträubte, um nur immer fester gehal¬ ten zu werden, und daß ihre Küsse nicht mehr kin¬ disch waren. Dem Herrn Faber schien sie heute ganz besonders wohlzubehagen, und Friedrich glaubte zu bemerken, daß sie sich einigemal verstoh¬ len und wie im Fluge mit ihm besprach. Endlich hatte sich nach und nach alles verlohren und die Herrschaften blicken allem im Zimmer zu¬ rück. Faber meinte: sein Kopf sey so voll guter Gedanken, daß er sich jezt nicht niederlegen könne. Das Wetter sey so schön und die Stube so schwül, er wolle daher die Nacht im Freyen zubringen. Damit nahm er Abschied und gieng hinaus. Leon¬ tin lachte ihm ausgelassen nach. Rosa war unter¬ deß in üble Laune gerathen. Die Stube war ihr zu schmutzig und enge, das Stroh zu hart. Sie erklärte, sie könne so unmöglich schlafen, und setzte sich schmollend auf eine Bank hin. Leontin warf sich, ohne ein Wort darauf zu erwiedern, auf das Stroh und war gleich eingeschlafen. Endlich über¬ wand auch bey Rosa die Müdigkeit den Eigen¬ sinn. Sie verließ ihre harte Bank, lachte über sich selbst und legte sich neben ihren Bruder hin. Friedrich ruhte noch lange wach, den Kopf in die Hand gestützt. Der Mond schien durch das kleine Fenster herein, die Wanduhr pickte einförmig immerfort. Da vernahm er auf einmal draußen, folgenden Gesang: Ach, von dem weichen Pfühle Was treibt dich irr' umher? Bey meinem Saitenspiele Schlafe, was willst du mehr? Bey meinem Saitenspiele Heben dich allzusehr Die ewigen Gefühle; Schlafe, was willst du mehr? Die ewigen Gefühle, Schnupfen und Husten schwer, Zieh'n durch die nächt'ge Kühle; Schlafe, was willst du mehr? Zieh'n durch die nächt'ge Kühle Mir den Verliebten her Hoch auf schwindliche Pfühle; Schlafe, was willst du mehr? Hoch auf schwindlichem Pfühle Zähle der Sterne Heer; Und so dir das mißfiele: Schlafe, was willst du mehr? Friedrich konnte die Stimme nicht erkennen; sie schien ihm mit Fleiß verändert und verstellt. Mit besonders komischem Ausdruck wurde jedesmal das: Schlafe, was willst du mehr? wiederholt. Er sprang auf und trat ans Fenster. Da sah er einen dunkeln Schatten schnell über den mondhellen Platz vor dem Hause vorüberlaufen und zwischen den Bäumen verschwinden. Er horchte noch lange Zeit dort hinaus, aber alles blieb still die ganze Nacht hindurch. Sechstes Kapitel . Ein Hüfthorn draußen im Hofe weckte am Morgen die Neugestärkten. Leontin sprang schnell vom Lager. Auch Rosa richtete sich auf. Die Morgensonne schien ihr durch das Fenster gerade in's Gesicht. Die Locken noch verwirrt vom nächt¬ lichen Lager, sah sie so blühend und reizend ver¬ schlafen aus, daß sich Friedrich nicht enthalten konnte, ihr einen Kuß auf die frischen Lippen zu drücken. Alles rüstete sich nun fröhlich wieder zur Weiterreise. Aber nun bemerkten sie erst, daß Fa¬ ber fehle. Er hatte sich, wie wir wissen, Abends hinausbegeben, und war seitdem nicht mehr wieder in die Stube zurückgekehrt. Leontin befragte daher die Jäger, und diese sagten denn zu allgemeiner Verwunderung Folgendes aus: Als sie, noch vor Tagesanbruch, hinausgien¬ gen, um nach den Pferden zu sehen, hörten sie jemand hoch über ihnen, wie aus der Luft, zu wie¬ derholtenmalen rufen. Sie sahen ringsherum und erblickten endlich mit Erstaunen Herrn Faber, der mitten auf dem Dache des Hauses an dem festver¬ schlossenen Dachfenster saß und schimpfend mit bey¬ den Armen, wie eine Windmühle, in der Morgen¬ dämmerung focht. Sie sezten ihm nun auf sein Begehren die Leiter an, die vor dem Hause auf der Erde lag, und erlösten ihn so von seinem luf¬ tigen Throne. Er aber forderte, sobald er unten war, ohne sich weiter in Erklärungen einzulassen, sogleich sein Pferd und seinen Mantelsack heraus. Da er sehr heftig und wunderlich zu seyn schien, thaten sie, was er verlangte. Als er sein Pferd bestiegen hatte, sagte er nur noch zu ihnen: sie möchten ihren Herrn, den fremden Grafen und die Gräfin Rosa von ihm auf das beste grüßen, und für die langerwiesene Freundschaft in seinem Nahmen danken; er für seinen Theil reise in die Residenz, wo er sie früher oder später wiederzuse¬ hen hoffe. Darauf habe er dem Pferde die Sporen gegeben und sey in den Wald hineingeritten. Lebe wohl, guter, unruhiger Freund! rief Leontin bey dieser Nachricht aus, ich könnte wahr¬ haftig in diesem Augenblick recht aus Herzensgrun¬ de traurig seyn, so gewohnt war ich an dein wun¬ derliches Wesen. Fahre wohl, und Gott gebe, daß wir bald wieder zusammenkommen! Amen, fiel Rosa ein; aber was in aller Welt hat ihn denn auf das Dach hinaufgetrieben und bewogen, uns dann so plötzlich zu verlassen? — Niemand wußte sich das Räthsel zu lösen. Aber die kleine Marie hörte während der ganzen Zeit nicht auf, geheim¬ nißvoll zu kikkern, Friedrich erinnerte sich auch an das gestrige, sonderbare Nachtlied vor dem Fenster, und nun übersahen sie nach und nach den ganzen Zusammenhang. Faber hatte nemlich gestern Abend mit Marie eine heimliche Zusammenkunft in der Dachkammer, wo sie schliefe, verabredet. Das schlaue Mädchen aber hatte, statt Wort zu halten, das Dachfenster von innen fest versperrt und sich, ehe noch Faber so künstlich von ihnen weggeschlichen, in den Wald hinausbegeben, wo sie abwartete, bis der Verlieb¬ te, der Verabredung gemäß, auf der Leiter das Dach erstiegen hatte. Dann sprang, sie schnell her¬ vor, nahm die Leiter weg und sang ihm unten das lustige Ständchen, das Friedrich gestern be¬ lauscht, während Faber, stumm vor Zorn und Scham, zwischen Himmel und Erde hieng. Leontin und Rosa lachten unmässig und fan¬ den den Einfall überaus herrlich. Friedrich aber fand ihn anders und schüttelte unwillig den Kopf über das vierzehnjährige Mädchen. Sie sezten nun also ihre Reise allein weiter fort. Der Morgen war sehr heiter, die Gegend wunderschön; demohngeachtet konnten sie heute gar nicht recht in die alte Lust und gewohnte Gesprächs¬ weise hineinkommen. Faber fehlte ihnen und wurde von allen vermißt, besonders von Leontin, der fort¬ während einen Ableiter seines überflüssigen Witzes brauchte. Dazu taugte ihm aber gerade niemand besser als Faber, der komisch genug war, um Witz zu erzeugen, und selber witzig genug, ihn zu ver¬ steh'n. Friedrich nannte daher auch alle Gespräche zwischen Leontin und Faber egoistische Monologe, wo jeder nur sich selbst reden hört und beantwor¬ tet, anstatt daß er bey jeder Unterhaltung mit red¬ lichem Eifer für die Sache selbst in den anderen überzeugend einzudringen suchte. Am sichtbarsten unter allen aber war Rosa verstimmt. Sie hatte sich ganz besondere, unerhörte Ereignisse und Wun¬ derdinge von der Reise versprochen, und da diese nun nicht erscheinen wollten und auch der Schimmer der Neuheit von ihren Augen gefallen war, fieng sie nach und nach an zu bemerken, daß es sich doch eigentlich für sie nicht schicke, so allein mit den Männern in der Welt herumzustreifen, und sie hat¬ te keine Ruhe und keine Lust mehr an den ewigen, langweiligen Steinen und Bäumen. So waren sie an einen freygrünen Platz auf dem Gipfel einer Anhöhe gekommen und beschlossen, hier den Mittag abzuwarten. Ringsum lagen nie¬ drigere Berge mit Schwarzwald bedeckt, von der einen Seite aber hatte man eine weite Aussicht in's ebene Land, wo man die blauen Thürme der Re¬ sidenz an einem blitzenden Strome sich ausbreiten sah. Der mitgenommene Mundvorrath wurde nun abgepackt, ein Feldtischchen mitten in der Aue auf¬ gepflanzt, und alle lagerten sich in einem Kreise auf dem Rasen herum und aßen und tranken. Rosa mochte launisch nichts genießen, sondern zog, zu Leontins großem Aergerniß, ihre Strickerey her¬ vor, sezte sich allein seitwärts und arbeitete, bis sie am Ende darüber einschlief. Friedrich und Leon¬ tin nahmen daher ihre Flinten und giengen in den Wald, um Vögel zu schießen. Die lustigen, bun¬ ten Sänger, die von einem Wipfel zum andern vor ihnen herflogen, lockten sie immer weiter zwischen den dunkelgrünen Hallen fort, so daß sie erst nach langer Zeit wieder auf dem Lagerplatze anlangten. Hier kam ihnen Erwin mit auffallender Lebhaf¬ tigkeit und Freude entgegengesprungen und sagte, daß Rosa fort sey. Ein Wagen, erzählte der Knabe, sey bald, nachdem sie fortgegangen wären, die Straße hergefahren. Eine schöne junge Dame sah aus dem Wagen heraus, ließ sogleich stillhal¬ ten, und kam auf die Gräfin Rosa zu, mit der sie sich dann lange sehr lebhaft und mit vielen Freu¬ den besprach. Zulezt bat sie dieselbe, mit ihr zu fahren. Rosa wollte Anfangs nicht, aber die fremde Dame streichelte und küßte sie und schob sie endlich halb mit Gewalt in den Wagen. Die klei¬ ne Marie mußte auch mit einsitzen, und so hatten sie den Weg nach der Residenz eingeschlagen. — Friedrich kränkte bey dieser unerwarteten Nach¬ richt die Leichtfertigkeit, mit der ihn Rosa so schnell verlassen konnte, in tiefster Seele. — Als sie an den Feldtisch in der Mitte der Aue kamen, fanden sie dort ein Papier, worauf mit Bleystift geschrie¬ ben stand: „Die Gräfin Romana .“ Das dacht' ich gleich, rief Leontin, das ist so ihre Weise. — Wer ist die Dame? fragte Frie¬ drich . — Eine junge reiche Wittwe, antwortete Leontin, die nicht weiß, was sie mit ihrer Schön¬ heit und ihrem Geiste anfangen soll, eine Freundin meiner Schwester, weil sie mit ihr spielen kann wie sie will, eine tollgewordene Genialität, die in die Männlichkeit hineinpfuscht. Hiebey wandte er sich ärgerlich zu seinen Jägern, die ihre Pferde schon wieder aufgezäumt hatten, und befahl ihnen, nach seinem Schloße zurückzukehren, um die Reise freyer und bequemer, bloß in Friedrichs und Erwins Begleitung weiter fortzusetzen. Die Jäger brachen bald auf und die beyden Grafen blieben nun allein auf dem grünen Platze zurück, wo es so auf einmal still und leer geworden war. Da kam Erwin wieder gesprungen und sag¬ te, daß man den Wagen so eben noch in der Fer¬ ne sehen könne. Sie blickten hinab und sahen, wie er in der glänzenden Ebne fortrollte, bis er zwi¬ schen den blühenden Hügeln und Gärten in den Abendschimmer verschwand, der sich eben weit über die Thäler legte. Von der andern Seite hörte man noch die Hörner der heimziehenden Jäger über die Berge. Siehst du dort, sagte Friedrich , die dunklen Thürme der Residenz? Sie stehen wie Lei¬ chensteine des versunkenen Tages. Anders sind die Menschen dort, unter welche Rosa nun kommt; treue Sitte, Frömmigkeit und Einfalt gilt nicht unter ihnen. Ich möchte sie lieber todt, als so wiederseh'n. Ist mir doch, als stiege sie, wie eine Todesbraut, in ein flimmernd aufgeschmücktes, gro¬ ßes Grab, und wir wendeten uns treulos von ihr und ließen sie gehen. — Leontin fuhr lustig über die Saiten der Guitarre und sang: Der Liebende steht träge auf, Zieht ein Herr Jemine-Gesicht, Und wünscht, er wäre todt. Der Morgen thut sich prächtig auf, So silbern geht der Ströme Lauf, Die Vöglein schwingen hell sich auf: „Bad', Menschlein, dich im Morgenroth, Dein Sorgen ist ein Wicht!“ Darauf bestiegen sie beyde ihre Pferde und ritten in das Gebirge hinein. Nachdem sie so mehrere Tage herumgeirrt, und die merkwürdigsten Orte des Gebirges in Augen¬ schein genommen hatten, kamen sie eines Abends schon in der Dunkelheit in einem Dorfe an, wo sie im Wirthshause einkehrten. Dort aber war alles leer und nur von einer alten Frau, die allein in der Stube saß, erfuhren sie, daß der Pächter des Ortes heute einen Ball gebe, wobey auch seine Grundherrschaft sich befände, und daß daher alles aus dem Hause gelaufen sey, um dem Tanze zuzu¬ sehen. Da es zum Schlafengehen noch zu zeitig und die Nacht sehr schön war, so entschlossen sich auch die beyden Grafen, noch einen Spaziergang zu ma¬ chen. Sie strichen durch's Dorf und kamen bald darauf am andern Ende desselben an einen Garten, hinter welchem sich die Wohnung des Pächters be¬ fand, aus deren erleuchteten Fenstern die Tanzmu¬ sik zu ihnen herüberschallte. Leontin, den diese gan¬ ze, unverhoffte Begebenheit in die lustigste Laune versetzt hatte, schwang sich sogleich über den Gar¬ tenzaun und überredete auch Friedrich , ihm zu folgen. Der Garten war ganz still, sie giengen daher durch die verschiedenen Gänge bis an das Wohnhaus. Die Fenster des Zimmers, wo getanzt wurde, giengen auf den Garten hinaus, aber es war hoch oben im zweyten Stockwerke. Ein großer, dichtbelaubter Baum stand da am Hause und brei¬ tete seine Aeste grade vor den Fenstern aus. Der Baum ist eine wahre Jakobsleiter, sagte Leontin, und war im Augenblicke droben. Friedrich wollte durchaus nicht mit hinauf. Das Belauschen, sagte er, besonders fröhlicher Menschen in ihrer Lust, hat immer etwas Schlechtes im Hinterhalte. Wenn du Umstände machst, rief Leontin von oben, so fan¬ ge ich hier so ein Geschrey an, daß alle zusammen¬ laufen und uns als Narren auffangen oder tüchtig durchprügeln. So eben knarrte auch wirklich die Hausthüre unten und Friedrich bestieg daher ebenfalls eilfertig den luftigen Sitz. Oben aus der weiten, dichten Krone des Bau¬ mes konnten sie die ganze Gesellschaft übersehen. Es wurde eben ein Walzer getanzt, und ein Paar nach dem andern flog an dem Fenster vorüber. Junge, flüchtige Oekonomen, wie es schien, in knappen und engzugespitzten Fracken fegten tapfer mit tüchtigen Mädchen, die vor Gesundheit und Freude über und über roth waren. Hin und wie¬ der zogen fröhliche, dicke Gesichter, wie Vollmon¬ de, durch diesen Sternenhimmel. Mitten in dem Gewimmel tanzte eine hagere Figur, wie ein Sa¬ tyr, in den abentheuerlichsten, übertriebensten Wendungen und Kapriolen, als wollte er alles Affektirte, Lächerliche und Eckle jedes Einzelnen der Gesellschaft in eine einzige Karrikatur zusammendrän¬ gen. Bald darauf sah man ihn auch unter den Musikanten eben so mit Leib und Seele die Geige streichen. Das ist ein höchst seltsamer Gesell, sagte Leontin, und verwendete kein Auge von ihm. Es ist doch ein sonderbares Gefühl, erwiederte Frie¬ drich nach einer Weile, so draußen aus der wei¬ ten, stillen Einsamkeit auf einmal in die bunte Lust der Menschen hineinzusehen, ohne ihren inneren Zusammenhang zu kennen; wie sie sich, gleich Ma¬ rionetten, voreinander verneigen und beugen, lachen und die Lippen bewegen, ohne daß wir hören, was sie sprechen. — O, ich könnte mir, sagte Leontin, kein schauerlicheres und lächerlicheres Schauspiel zu¬ gleich wünschen, als eine Bande Musikanten, die recht eifrig und in den schwierigsten Passagen spiel¬ ten, und einen Saal voll Tanzender dazu, ohne daß ich einen Laut von der Musik vernähme. — Und hast du dieses Schauspiel nicht im Grunde täg¬ lich? entgegnete Friedrich . Gestikuliren, quälen und mühen sich nicht überhaupt alle Menschen ab, die eigenthümliche Grundmelodie äußerlich zu gestal¬ ten, die jedem in tiefster Seele mitgegeben ist, und die der eine mehr, der andere weniger und kei¬ ner ganz auszudrücken vermag, wie sie ihm vor¬ schwebt? Wie weniges verstehen wir von den Tha¬ ten, ja, selbst von den Worten eines Menschen! — Ja, wenn sie erst Musik im Leibe hätten! fiel ihm Leontin lachend in's Wort. Aber die meisten fin¬ gern wirklich ganz ernsthaft auf Hölzchen ohne Sai¬ ten, weil es einmal so hergebracht ist und das vor¬ liegende Blatt heruntergespielt werden muß; aber das, was das ganze Handthieren eigentlich vorstel¬ len soll, die Musik selbst und Bedeutung des Le¬ bens, haben die närrischgewordenen Musikanten darüber vergessen und verlohren. In diesem Augenblicke kam ein neues Paar bey dem Fenster angeflogen, alles machte ehrerbietig Platz und sie erblickten ein wunderschönes Mädchen, das sich durch seinen Anstand vor allen den anderen auszeichnete. Sie lehnte lächelnd die zarte, glü¬ hende Wange an die Fensterscheibe, um sie abzu¬ kühlen. Darauf öffnete sie gar das Fenster, theil¬ te zierlich ihre Haare, durch die ein Rosenkranz ge¬ stochten war, nach beyden Seiten über die Stirne, und schaute, so, wie in Gedanken versunken, lange, in die Nacht hinaus. — Leontin und Friedrich waren ihr dabey so nahe, daß sie ihren Athem hö¬ ren konnten; ihre stillen, großen Augen, in deren feuchtem Spiegel der Mond widerglänzte, standen grade vor ihnen. Wo ist das Fräulein? rief auf einmal eine Stimme von innen, und das Mädchen wendete wendete sich um und verlohr sich unter den Men¬ schen. — Leontin sagte: Ich möchte den Baum schütteln, daß er bis in die Wurzeln vor Freude beben sollte, ich möchte hier in's offene Fenster hin¬ einspringen und tanzen, bis die Sonne aufgienge, ich möchte wie ein Vogel von dem Baume fliegen über Berge und Wälder! — Zwey ältliche Herren unterbrachen diese Ausrufungen, indem sie sich zum Fenster hinauslehnten. Ihr Gespräch, so ruhig wie ihre Gesichter, ergoß sich wie ein einförmiger, aber klarer Strom über die neuesten politischen Zeitbege¬ benheiten, von denen sie bald auf ihre Landwirth¬ schaft ablenkten, und aus den Blitzen, die man in der Ferne am wolkenlosen Himmel erblickte, ein günstiges Aerndtewetter prophezeiten. Unterdeß hatte die Musik aufgehört, das Zim¬ mer oben wurde leerer. Man hörte unten die Thü¬ re auf- und zugehen, verschiedene Partheyen gien¬ gen bey dem schönen Mondscheine im Garten auf und nieder, und auch die beyden alten Herren ver¬ schwanden von dem Fenster. Da kam ein junges Paar, ganz getrennt von den übrigen, langsam auf den Baum zugewandelt. Gott steh' uns bey, sag¬ te Leontin, da kommen gewiß Sentimentalische, denn sie wandeln so schwebend auf den Zehen, wie einer, der gern fliegen möchte und nicht kann. Sie waren indeß schon so nahe gekommen, daß man verstehen konnte, was sie sprachen. Haben Sie, fragte der junge Mann, das neueste Werk von La¬ 7 fontaine gelesen? Ja, antwortete das Mädchen, in einer ziemlich bäuerischen Mundart, ich habe es gelesen, mein ädler Freund! und es hat mir Thrä¬ nen entlockt, Thränen, wie sie jeder Fühlende gern weint. Ich bin so froh, fuhr sie nach einer kleinen Pause fort, daß wir aus dem Schwarm, von den lärmenden, unempfindlichen Menschen fort sind; die rauschenden Vergnügungen sind gar nicht meine Sache, es ist da gar nichts für das Herz. Er. O, daran erkenne ich ganz die schöne Seele! Aber Sie sollten sich der süßen Melankolie nicht so stark ergeben, die edlen Empfindungen greifen den Men¬ schen zu sehr an. — Sie sieht aber doch, flüsterte Friedrich , blitzgesund aus und voll zum Aufsprin¬ gen. Das kommt eben von dem angreifen, meynte Leontin. — Er. Ach, in wenigen Stunden scheidet uns das eiserne Schicksal wieder, und Berge und Thäler liegen zwischen zwey gebrochnen Herzen. Sie . Ja, und in dem einen Thale ist der Weg immer so kothig und kaum zum durchkommen. Er. Und an meinem neuen schönen Parutsch grade auch ein Rad gebrochen. — Aber genießen wir doch die schöne Natur! An ihrem Busen werd' ich so warm! Sie . O ja. Er. Es geht doch nichts über die Ein¬ samkeit für ein sanftes, überfließendes Herz. Ach! die kalten Menschen verstehen mich gar nicht! Sie . Auch Sie sind der einzige, mein ädler Freund, der mich ganz versteht. Schon lange habe ich Sie im Stillen bewundert, diesen — wie soll ich sagen? — diesen ädlen Charakter, diese schönen Sentimentre — Sentiments wollen Sie sagen, fiel Er ihr in's Wort, und rückte sich mit eitler Wichtigkeit zusam¬ men. O Jemine! flüsterte Leontin wieder, mir juckt der Aedelmuth schon in allen Fingern, ich dächte, wir prügeln ihn durch. Die beyden Sentimentalischen hatten einander indeß mit den Armen umschlungen, und sahen lange stumm in den Mond. Nun sizt die Unterhaltung auf dem Sande, sagte Leontin, der Witz ist im ab¬ nehmenden Monde. Aber zu seiner Verwunderung hub Er von neuem an: O heilige Melankolie! du sympathetische Harmonie gleichgestimmter Seelen! So rein, wie der Mond dort oben, ist unsere Lie¬ be! Während deß fieng er an, heftig an dem Bu¬ senbande des Mädchens zu arbeiten, die sich nur wenig sträubte. Nun, sagte Leontin, sind sie in ihre eigentliche Natur zurückgefallen, der Teufel hat die Poesie geholt. Das ist ja ein verwetterter Schuft, rief Friedrich , und fieng oben auf seinem Baume an ganz laut zu singen. Die Sentimentali¬ schen sahen sich eine Weile erschrocken nach allen Seiten um, dann nahmen sie in der größten Verwirrung Reißaus. Leontin schwang sich lachend, wie ein Wet¬ terkeil, vom Baume hinter ihnen drein und verdop¬ pelte ihren Schreck und ihre Flucht. Unsere Reisenden waren nun wahrscheinlich ver¬ rathen und mußten also auf einen klugen Rückzug 7 * bedacht seyn. Sie zogen sich daher auf den leeren Gängen des Gartens an den Spazierengehenden vorüber, und wurden so, vom Dunkel begünstigt, von allen entweder übersehen, oder für Ballgäste ge¬ halten. Als sie, schon nahe am Ausgange, eben um die Ecke eines Ganges umbeugen wollten, stand auf einmal das schöne Fräulein, die mit einer Beglei¬ terin von der anderen Seite kam, dicht vor ihnen. Der Mondschein fiel grade sehr hell durch eine Oeff¬ nung der Bäume und beleuchtete die beyden schönen Männer. Das Fräulein blieb mit sichtbarer Ver¬ wirrung vor ihnen stehen. Sie grüßten sie ehrer¬ bietig. Sie dankte verlegen mit einer tiefen, zier¬ lichen Verbeugung, und eilte dann schnell wieder weiter. Aber sie bemerkten wohl, daß sie sich in einiger Entfernung noch einmal flüchtig nach ihnen umsah. Sie kehrten nun wieder in ihr Wirthshaus zu¬ rück, wo sie bereits alles zu einer guten Nacht vor¬ bereitet fanden. Leontin war unterwegs voller Ge¬ danken und stiller als gewöhnlich. Friedrich stellte sich oben noch an das offene Fenster, von dem man das stille Dorf und den gestirnten Himmel übersah, verrichtete sein Abendgebeth und legte sich schlafen. Leontin aber nahm die Guitarre und schlenderte langsam durch das nächtliche Dorf. Nach verschie¬ denen Umwegen kam er wieder an den Garten. Da war unterdeß alles leer geworden und todten¬ still, in der Wohnung des Pächters alle Lichter verlöscht und die ganze laute, fröhliche Erscheinung versunken. Ein leichter Wind gieng rauschend durch die Wipfel des einsamen Gartens, hin und wieder nur bellten Hunde aus entferntern Dörfern über das stille Feld. Leontin sezte sich auf den Gartenzaun hinauf und sang: Der Tanz, der ist zerstoben, Die Musik ist verhallt, Nun kreisen Sterne droben, Zum Reigen singt der Wald. Sind alle fortgezogen, Wie ist's nun leer und todt! Du rufst vom Fensterbogen: „Wann kommt der Morgenroth!“ Mein Herz möcht' mir zerspringen, Darum so wein' ich nicht, Darum so muß ich singen Bis daß der Tag anbricht. Eh' es beginnt zu tagen: Der Strom geht still und breit, Die Nachtigallen schlagen, Mein Herz wird mir so weit! Du trägst so rothe Rosen, Du schaust so Freudenreich, Du kannst so fröhlich kosen, Was stehst Du still und bleich? Und laß sie geh'n und treiben Und wieder nüchtern seyn, Ich will wohl bey Dir bleiben! Ich will Dein Liebster seyn! Das schöne Fräulein war in dem Hause des Pächters über Nacht geblieben. Sie stand halbent¬ kleidet an dem offenen Fenster, das auf den Gar¬ ten hinausgieng. Wer mögen wohl die beyden Fremden seyn? sagte sie gleichgültigscheinend zu ihrer Jungfer. — Ich weiß es nicht, aber ich möch¬ te mich gleich fortschleichen und noch heute im Wirthshause nachfragen. — Um Gotteswillen, thu' das nicht, sagte das Fräulein erschrocken, und hielt sie ängstlich am Arme fest. — Morgen ist es zu spät. Wenn die Sonne aufgeht, sind sie gewiß längst wieder über alle Berge. — Ich will schlafen geh'n, sagte das Fräulein, ganz in Gedanken ver¬ sunken. Gott weiß, wie es kommt, ich bin heut so müde und doch so munter. — Sie ließ sich darauf entkleiden und legte sich nieder. Aber sie schlief nicht, denn das Fenster blieb offen und Leontins verführerische Töne stiegen die ganze Nacht wie auf goldenen Leitern in die Schlafkammer des Mädchens ein und aus. Siebentes Kapitel . Stand ein Mädchen an dem Fenster, Da es draußen Morgen war, Kämmte sich die langen Haare, Wusch sich ihre Aeuglein klar. Sangen Vöglein aller Arten, Sonnenschein spielt' vor dem Haus, Draußen über'n schönen Garten Flogen Wolken weit hinaus. Und sie dehnt' sich in den Morgen, Als ob sie noch schläfrig sey, Ach, sie war so voller Sorgen, Flocht ihr Haar und sang dabey: Wie ein Vöglein hell und reine, Ziehet draußen muntre Lieb', Lockt hinaus zum Sonnenscheine, Ach, wer da zu Hause blieb'! Die Morgensonne traf unsere Reisende schon wieder draußen zu Pferde, und das Dorf, wo sie übernachtet, lag dampfend hinter ihnen. Leontin hatte bereits im Wirthshause erfahren, daß das schöne Fräulein die Tochter eines in der Nähe reich¬ begüterten Edelmannes sey, welcher, wie er sich sehr wohl erinnerte, mit seinem Vater in ganz be¬ sonders freundschaftlichen Verhältnissen gestanden hatte. Es wurde daher beschlossen, bey ihm einzu¬ sprechen. Gegen Abend erblickten sie das Schloß des Herrn v. A., das aus einem freundlichreichen Chaos von Gärten und hohen Bäumen friedlich hervorragte. Sie ritten langsam zwischen hohen Kornfeldern hin. Die Sonne, die sich eben zum Untergange neigte, warf ihre Strahlen schief über die Fläche und spiel¬ te lustig in den nickenden Aehren. Ein fröhliches Singen und Wirren verschiedener Stimmen lenkte bald die Augen der beyden Reiter von der ruhigen Landschaft vor ihnen ab, und sie erblickten seitwärts in einiger Entfernung vom Wege ein weites Feld, wo man so eben mit der Erndte begriffen war. Eine lange Reihe von Arbeitern wimmelte lustig durcheinander, der laute Ruf der Merker erschallte von Zeit zu Zeit dazwischen, und schwerbeladene Wagen zogen langsam und knarrend dem Dorfe zu. Im Hintergrunde dieses Gewimmels sah man eine bunte Gruppe von vornehmeren Personen gelagert, die den Arbeitern zusahen und unter denen Leontin sogleich das schöne Fräulein wieder erkannte. Mit¬ ten unter ihnen ragte eine höchstseltsame Figur her¬ vor. Ein hagerer Mann nemlich, in einem langen, weißen Mantel saß auf einem hochbeinigten Schim¬ mel, der den Kopf fast auf die Erde hängen ließ. Von dieser seiner Rosinante theilte die abentheuer¬ liche Gestalt, im Tone einer Predigt, Befehle an die Bauern aus, worauf jedesmal ein lautes Ge¬ lächter erfolgte. Leontin und Friedrich zweifelten nicht, daß jene Zuschauer die Herrschaft des Ortes seyen, und da sie bemerkten, daß bereits alle Augen auf sie gerichtet waren, so übergaben sie ihre Pferde an Erwin und eilten, sich selber der Gesellschaft vor¬ zustellen. Herr v. A. und seine Schwester, die sich seit dem Tode ihres Mannes beym Bruder auf¬ hielt, erinnerten sich sogleich der ehemaligen freund¬ schaftlichen Verhältnisse, zwischen den beyden Häu¬ sern, und drückten ihre Freude, Leontin und seinen Freund bey sich zu sehen, mit den aufrichtigsten Worten aus. Das Fräulein wurde bey ihrer An¬ kunft über und über roth und wagte nicht, die Au¬ gen aufzuschlagen, denn sie erkannte beyde recht gut wieder. Neben ihr stand ein ziemlich junger, blei¬ cher Mann, in dem sie sogleich dieselbe Gestalt wie¬ dererkannten, die gestern mit so einer ironischen Wuth getanzt und musiziert hatte. Seine auffal¬ lenden Gesichtszüge hatten sich tief in Leontins Ge¬ dächtniß gedrückt. Aber es war heut gar keine Spur von Gestern an ihm, er schien ein ganz an¬ derer Mensch. Er sah schlicht, still und traurig und war verlegen im Gespräche. Es war ein Theolog, der, zu arm, seine Studien zu vollenden, auf dem Schlosse des Herrn v. A. Unterhalt, Freunde und Heymath gefunden und dafür die Leitung des Schul¬ wesens auf den sämmtlichen Gütern übernommen hatte. Der Ritter von der traurigen Gestalt dage¬ gen schaute von seinem Schimmel während dem Empfange und der ersten Unterhaltung so unheim¬ lich und komisch darein, daß Leontin gar nicht von ihm wegseh'n konnte. Jeder Bauer, den seine Ar¬ beit an ihm vorüberführte, gesegnete die Gestalt mit einem tüchtigen Witze, wobey sich jener immer heftig vertheidigte. Leontin erhielt sich nur noch mit vieler Mühe, sich mit darein zu mischen, als die Tante endlich die Gesellschaft aufforderte, sich nach Hause zu begeben, und alles aufbrach. Die sonderbare Gestalt sezte sich nun voraus im Galopp. Er schlug dabey mit beyden Füßen unaufhörlich in die Rippen des Kleppers und sein weißer Mantel rauschte in seiner ganzen Länge in den Lüften hin¬ ter ihm drein. Die Bauern riefen ihm sämmtlich ein freudiges Hurrah nach. Herr v. A., der die Verwunderung der beyden Gäste bemerkte, sagte lachend: das ist ein armer Edelmann, der vom Stegreif lebt, ein irrender Ritter, der von Schloß zu Schloß zieht und uns besonders oft heimsucht, ein Hofnarr für alle, die ihn ertragen können, halb närrisch und halb gescheid. Als sie durch's Dorf giengen, wurden sie von allen Seiten nicht nur mit dem Hute, sondern auch mit freundlichen Worten und Mienen begrüßt, wel¬ ches immer ein gutmüthiges und natürliches Ver¬ hältniß zwischen der Herrschaft und ihren Bauern verräth. Sie kamen endlich an das Schloß und übersahen auf einmal einen weiten, freundlichen und fröhlich wimmelnden Hof. Alles war geschäftig, nett und ordentlich und beurkundete eine thätige Hauswirthin. Friedrich äußerte diese Bemerkung, wodurch sich die Tante ungemein geschmeichelt zu finden schien. Sie konnte ihre Freude darüber so wenig verbergen, daß sie sogleich anfieng, sich mit einer Art von Wohlbehagen über ihre häuslichen Einrichtung und die Vergnügungen der Landwirth¬ schaft auszubreiten. Das Schloß selbst war neu, sehr heiter, licht und angenehm, das Hausgeräth in den gemüthlichen Zimmern ohne besondere Wahl gemischt und sämmtlich wie aus einer unlängst ver¬ gangenen Zeit. Der Tisch in dem großen, geräumigen Tafel¬ zimmer wurde gedeckt und man sezte sich bald fröh¬ lich zum Abendessen. Die Unterhaltung blieb an¬ fangs ziemlich stockend, steif und gezwungen, wie dieß jederzeit in solchen Häusern der Fall ist, wo, aus Mangel an vielseitigen, allgemeinen Berüh¬ rungen mit der Auswelt, eine gewisse feste, unge¬ lenke Gewohnheit des Lebens Wurzel geschlagen hat, die durch das plötzliche Eindringen wildfrem¬ der Erscheinungen, auf die ihr ewig gleichförmiger Gang nicht berechnet ist, immer eher verstimmt als umgestimmt wird. Herr v. A., ein langer, ernster Mann, in seiner Kleidung fast pedantisch, sprach wenig. Desto mehr führte seine Schwester das hohe Wort. Sie war eine lebhafte, regsame Frau, wie man zu sagen pflegt, in den besten Jahren, eigentlich aber grade in den schlimmsten. Denn ihre Gestalt und unverkennbar schönen Gesichtszüge fiengen so eben an, auf ein vergangenes Reich zu deuten. In dieser gefährlichen Sonnenwende steigt die Schönheit mürrisch, launisch und zankend von ihrem irdischen Throne, wo sie ein halbes Leben lang geherrscht, in die öde, Freudenlose Zukunft, wie in's Grab. Wohl denen seltenen größeren Frauen, welche die Zeit nicht versäumten, sondern im ruhigen, gesammelten Gemüthe sich eine andere Welt der Religion und Sanftmuth erbauten! Sie verwechseln nur die Thronen und werden ewig lie¬ ben und geliebt werden. Das Gespräch fiel während der Tafel auch auf die Erziehung der Kinder, ein Kapitel, von dem fast alle Weiber am liebsten sprechen und am wenigsten verstehen. Die Tante, die nur auf eine Gelegen¬ heit gepaßt hatte, ihren Geist vor den beyden Fremden glänzen zu lassen, verbreitete sich darüber in dem gewöhnlichen Tone von Aufklärung, Bil¬ dung, feiner Sitten u. s. w. Zu ihrem Unglück aber fiel es dem irrenden Ritter, der unterdeß ganz unten an der Tafel mit Leib und Seele gegessen hatte, ein, sich mit in das Gespräch zu mischen. Gerade als sie sich in ihren Redensarten eben am wohlsten gefiel, fuhr er höchstkomisch mit Wahrhei¬ ten darein, die aber alle so ungewöhnlich und aben¬ theuerlich ausgedrückt waren, daß Friedrich und Leontin nicht wußten, ob sie mehr über die Schärfe seines Geistes oder über seine Verrücktheit erstaunen sollten. Besonders brach Leontin in ein schadenfrohes Gelächter aus. Die Tante, der es nicht an vielseitigen Talenten gebrach, um seine Verrücktheiten nicht ohne Salz zu finden, warf ihm unwillige Blicke zu, worauf sich jener in einem phi¬ losophischen Bombast von Unsinn vertheidigte und endlich selber in ein albernes Lachen ausbrach. Sie hatte aber doch das Spiel verspielt; denn beyde Gäste, besonders Leontin, spürten bereits eine ge¬ wisse Kammeradschaft mit dem räthselhaften irrenden Ritter in sich. Als endlich die Tafel aufgehoben wurde, mu߬ te Fräulein Julie noch ihre Geschicklichkeit auf dem Klaviere zeigen, welches sie ziemlich fertig spielte. Während deß hatte die Tante Friedrich'n bey Seite genommen, und erzählte ihm, wie sehr sie bedaure, ihre Nichte nicht frühzeitig in die Residenz in irgend ein Erziehungshaus geschickt zu haben, wo allein junge Frauenzimmer das gewisse Etwas erlernten, welches zum geselligen Leben so unent¬ behrlich sey. Ich bin der Meynung, antwortete ihr Friedrich , daß jungen Fräulein grade das Land¬ leben am besten fromme. In jenen berühmten Instituten wird durch Eitelkeit und heillose Nach¬ ahmungssucht die kindliche Eigenthümlichkeit jedes Mädchens nur verallgemeinert und verdorben. Die arme Seele wird nach einem Modelle, das für alle passen soll, so lange dressirt und gemodelt, bis am Ende davon nichts übrig bleibt, als das leere Mo¬ dell. Ich versichere, ich will alle Mädchen aus sol¬ chen Instituten sogleich an ihrer Wohlerzogenheit er¬ kennen, und wenn ich sie anrede, weiß ich schon im Voraus, was sie mir antworten werden, was für ein Schlag von Witz oder Spaß erfolgen muß, was sie für kleine Lieblingslaunen haben u. s. w. Die Tante lachte, ohne jedoch eigentlich zu wissen, was Friedrich mit alle dem meyne. Unterdeß hatte das Fräulein ein Volkslied an¬ gefangen. Die Tante unterbrach sie schnell und er¬ mahnte sie, doch lieber etwas vernünftiges und sanftes zu singen. Leontin aber, den dabey seine Laune überwältigte, sezte sich statt des Fräuleins hin und sang sogleich aus dem Stegreif ein zärtli¬ ches Lied so übertrieben und süßlich, daß Frie¬ drich'n fast übel wurde. Fräulein Julie sah ihn groß an und war dann wahrend seines ganzen Ge¬ sanges in tiefe Gedanken versunken. — Erst spät begab man sich zur Ruhe. Das Schlafzimmer der beyden Gäste war sehr nett und sauber zubereitet, die Fenster giengen auf den Garten hinaus. Eine geheimnißvolle Aussicht eröffnete sich dort über den Garten weg in ein wei¬ tes Thal, das in stiller, nächtlicher Runde vor ihnen lag. In einiger Ferne schien ein Strom zu gehen, Nachtigallen schlugen überall aus den Thä¬ lern herauf. Das muß hier eine schöne Gegend seyn, sagte Leontin, indem er sich zum Fenster hin¬ auslehnte. Sie kommt mir vor, wie die Menschen hier im Hause, entgegnete Friedrich . Wenn ich in einen solchen abgeschlossenen Kreis von fremden Menschen hineintrete, ist es mir immer, als sähe ich von einem Berge in ein unbekanntes, weites, nächtliches Land. Da gehen stille breite Ströme, und tausend verborgene Wunder liegen seltsam zer¬ streut und die fröhliche Seele dichtet bunte, lichte, glückliche Tage in die verworrene Dämmerung hin¬ ein. Ich habe oft gewünscht, daß ich die meisten Menschen niemals zum zweytenmale wiedersehen und näher kennen lernen dürfte, oder daß ich im¬ mer aufgeschrieben hätte, wie mir jeder zum ersten¬ male vorkam. — Wahrhaftig, fiel ihm Leontin la¬ chend in's Wort, sprichst du doch, als wärst du von neuem verliebt. Aber du hast ganz recht, mir ist eben so zu Muthe, und es ist nur schade um ein redliches Herz, das durch eine immerwährende Täuschung so entherzt wird. Denn wenn in jene schöne, ungewisse Nacht der ersten Bekanntschaft nach und nach der Tag anfängt herüberzuschielen und die nüchternen Hähne krähen, da schleicht ein wunderbarer Geist nach dem anderen abseits; was in der Nacht wie ein dunkler Riese dastand, wird ein krummer Baum, das Thal, das aussah wie eine umgeworfene, uralte römische Stadt, wird ein ge¬ meines Ackerfeld und das ganze Mährchen nimmt ein schaales Ende. Ich konnte so fromm seyn, wie ein Lämmchen und niemals eine Anwandlung von Witz verspüren, wenn nicht alles so dumm gienge. — Friedrich sagte darauf: Nimm dich in Acht mit deinem Uebermuthe! Es ist leicht und ange¬ nehm, zu verspotten, aber mitten in der Täuschung den großen, herrlichen Glauben an das Bessere fest zu halten, und die anderen mit feurigen Armen em¬ porzuheben, das gab Gott nur seinen liebsten Söh¬ nen. — Ich sage dir in vollem Ernst, erwiederte Leontin ungemein liebenswürdig, du wirst mich noch einmal ganz belehren, du seltsamer Mensch. Gott weiß es wohl, mir fehlt noch viel, daß ich gut wäre. — Am Morgen strahlte die Gegend in einem zau¬ berischen Glanze in ihre Fenster herauf. Sie eilten in den Garten hinab, wo sie nicht wenig über die Schönheit der Landschaft erstaunten. Der Garten selbst stand auf einer Reihe von Hügeln, wie eine frische Blumenkrone über der grünen Gegend. Von jedem Punkte desselben hatte man die erheiternde Aussicht in das Land, das wie in einem Panorama ringsherum ausgebreitet lag. Nirgends bemerkte man weder eine französische noch englische durchgrei¬ fende Regel, aber das Ganze war ungemein er¬ quicklich, als hätte die Natur aus fröhlichem Ueber¬ muthe sich selber aufschmücken wollen. Herr o. A. und seine Schwester, leztere, wie wir später sehen werden, wohl nicht ohne besondere Absicht, baten ihre Gäste recht herzlich und drin¬ gend, längere Zeit bey ihnen zu verweilen, und beyde willigten gern in den angenehmen Aufenthalt. Doch erst, als die allmählige Gewohnheit des Zu¬ sammenlebens ihnen das Bürgerrecht des Hauses er¬ theilt hatte, empfanden sie die Wohlthat des stillen, gleichförmigen häuslichen Lebens und labten sich an diesem immer neu erfreulichen Schauspiele, das über gutgeartete Gemüther eine Ruhe und einen gewissen festen Frieden verbreitet, den viele ein Leben lang in der bunten Weltlust oder in der Wissenschaft selber vergebens suchen. Wenn die Sonne über den Gärten, Bergen und Thälern aufgieng, flog auch schon alles aus dem Schlosse nach allen Seiten aus. Herr v. A. fuhr auf die Felder, seine Schwester und das Fräu¬ lein lein hatten im Hofe zu thun und wurden gewöhnlich erst gegen Mittag in reinlichen, weissen Kleidern sichtbar. Friedrich und Leontin wohnten ei¬ gentlich den ganzen Vormittag draussen in dem schönen Garten. Auf Friedrich hatte das stille Leben den wohlthätigsten Einfluß. Seine Seele be¬ fand sich in einer kräftigen Ruhe, in welcher allein sie, gleich dem unbewegten Spiegel eines Sees, im Stande ist, den Himmel in sich aufzunehmen. Das Rauschen des Waldes, der Vogelsang rings um ihn her, diese seit seiner Kindheit entbehrte grüne Abgeschiedenheit, alles rief in seiner Brust jenes ewige Gefühl wieder hervor, das uns wie in den Mittelpunkt alles Lebens versenkt, wo alle die Farbenstrahlen, gleich Radien, ausgeh'n und sich an der wechselnden Oberfläche zu dem schmerzlich¬ schönen Spiele der Erscheinung gestalten. Alles Durchlebte und Vergangene geht noch einmal ern¬ ster und würdiger an uns vorüber, eine über¬ schwengliche Zukunft legt sich, wie ein Morgenroth, blühend über die Bilder und so entsteht aus Ah¬ nung und Erinnerung eine neue Welt in uns und wir erkennen wohl alle die Gegenden und Gestalten wieder, aber sie sind größer, schöner und gewalti¬ ger und wandeln in einem anderen, wunderbaren Lichte. Und so dichtete hier Friedrich unzählige Lieder und wunderbare Geschichten aus tiefster Her¬ zenslust, und es waren fast die glücklichsten Stun¬ den seines Lebens. 8 Oft besuchte ihn dort Herr v. A. in seiner Werk¬ statt, doch immer nur auf kurze Zeit, um ihn nicht zu stören; denn er schien eine heilige Scheu vor al¬ lem zu haben, womit es einem Menschen Ernst war, obschon er, wie Friedrich aus mehreren Aeusserungen bemerkt hatte, insbesondere von der Dichtkunst gar nichts hielt. Er war einer von je¬ nen, die, durch einseitige Erziehung und eine Reihe schmerzlicher Erfahrungen ermüdet, den lebendigen Glauben an Poesie, Liebe, Heldenmuth und alles Große und Ungewöhnliche im Leben aufgegeben ha¬ ben, weil es sich so ungefüge gebährdet und nir¬ gends mehr in die Zeit hineinpassen will. Zu über¬ drüßig, um sich diese Räthsel zu lösen, und doch zu großmüthig, um sich in das wichtigthuende Nichts der anderen einzulassen, ziehen sich solche Menschen nach und nach kalt in sich selbst zurück und erklären zulezt alles für eitel und Affektation. Daher liebte er die beyden Gäste, welche seine meist sehr genia¬ len Bemerkungen, mit denen er das Erbärmliche aller Affektation auf die höchste Spitze des Lächerli¬ chen zu stellen pflegte, immer sogleich verstanden und würdigten. Ueberhaupt waren ihm diese bey¬ den eine ganz neue Erscheinung, die ihn oft in sei¬ ner Apathie irre machte, und er gewann während ihres Auffenthaltes auf dem Schlosse eine unge¬ wöhnliche Heiterkeit und Lust an sich selber. Uebri¬ gens war er bis zur Sonderbarkeit einfach, redlich und gutmüthig und Friedrich liebte ihn unaus¬ sprechlich. Fräulein Julie fuhr fort, ihre Tante in den häuslichen Geschäften mit der strengsten Ordnung zu unterstützen. Sonst war sie still und wußte sich eben so wenig wie ihr Vater in die gewöhnliche Unterhaltung zu finden, worüber sie oft von der Tante Vorwürfe anhören mußte. Doch verbreitete die beständige Heiterkeit und Klarheit ihres Gemü¬ thes einen unwiderstehlichen Frühling über ihr gan¬ zes Wesen. Leontin, den ihre Schönheit vom er¬ sten Augenblicke an heftig ergriffen hatte, beschäf¬ tigte sich viel mit ihr, sang ihr seine phantastischen Lieder vor oder zeichnete ihr Landschaften voll aben¬ theuerlicher Karrikaturen und Bäumen und Felsen, die immer aussahen, wie Träume. Aber er fand, daß sie gewöhnlich nicht wußte, was sie mit alle dem anfangen sollte, daß sie grade bey Dingen, die ihn besonders erfaßten, fast kalt blieb. Er be¬ griff nicht, daß das heiligste Wesen des weiblichen Gemüthes in der Sitte und dem Anstande bestehe, daß ihm in der Kunst, wie im Leben, alles Zügel¬ lose ewig fremd bliebe. Er wurde daher gewöhn¬ lich ungeduldig und brach dann in seiner seltsamen Art in Witze und Wortspiele aus. Da aber das Fräulein wieder viel zu unbelesen war, um diese Sprünge seines Geistes zu verfolgen und zu verste¬ hen, so führte er, statt zu belehren, einen immer¬ währenden Krieg in die Luft mit einem Mädchen, dessen Seele war wie das Himmelblau, in dem jeder fremde Schall verfliegt, das aber in ungestör¬ 8 * ter Ruhe aus sich selber den reichen Frühling aus¬ brütet. Desto besser schien das Fräulein mit Friedrich zu stehen. Diesem erzählte sie zutraulich mit einer wohlthuenden Bestimmtheit und Umsicht von ihrem Hauswesen, ihrer beschränkten Lebensweise, zeigte ihm ihre bisherige Lektüre aus der Bibliothek ihres Vaters, die meistentheils aus fabelhaften Reisebe¬ schreibungen und alten Romanen aus dem Engli¬ schen bestand, und that dabey unbewußt mit ein¬ zelnen, abgerissenen, ihr ganz eignen Worten oft Aeusserungen, die eine solche Tiefe und Fülle des Gemüthes aufdeckten, und so seltsam weit über den beschränkten Kreis ihres Lebens hinausreichten, daß Friedrich oft erstaunt vor ihr stand und durch ihre großen, blauen Augen in ein Wunderreich hin¬ unterzublicken glaubte. Leontin sah sie oft Stun¬ denlang so zusammen im Garten gehen und war dann gewöhnlich den ganzen Tag über ausgelassen, welches bey ihm immer ein schlimmes Zeichen war. Der schöne Knabe Erwin, der mit einer un¬ beschreiblichen Treue an Friedrich hieng, behielt indeß auch hier seine Sonderbarkeiten bey. Er hat¬ te ebenfalls seinen Wohnplatz in dem Garten aufge¬ schlagen und war noch immer nicht dahin zu brin¬ gen, eine Nacht im Hause zu schlafen. Leontin hatte für ihn eine eigne phantastische Tracht ausge¬ sonnen, so viel auch die Tante, die es sehr unge¬ reimt fand, dagegen hatte. Eine Art von spani¬ schem Wams nemlich, himmelblau mit goldenen Kettchen, umschloß den schlanken Körper des Knaben. Den weißen Hals trug er bloß, ein zierlicher Kra¬ gen umgab den schönen Kopf, der mit seinen dunk¬ len Locken und schwarzen Augen wie eine Blume über dem bunten Schmucke ruhte. Da Friedrich hier weniger zerstreut war, als sonst, so widmete er auch dem Knaben eine besondere Aufmerksamkeit. Er entdeckte in wenigen Gesprächen bald an Schär¬ fe und Tiefe eine auffallende Aehnlichkeit seines Ge¬ müthes mit Julien. Nur mangelte bey Erwin das ruhige Gleichgewicht der Kräfte, die alles beleuch¬ tende Klarheit ganz und gar. Im verborgensten Grunde der Seele schien vielmehr eine geheimni߬ volle Leidenschaftlichkeit zu ruhen, die alles ver¬ wirrte und am Ende zu zerstören drohte. Mit Er¬ staunen bemerkte Friedrich zugleich, daß es dem Knaben durchaus an allem Unterrichte in der Reli¬ gion gebreche. Er suchte daher seine frühesten Le¬ bensumstände zu erforschen, aber der Knabe be¬ harrte mit unbegreiflicher Hartnäckigkeit, ja mit ei¬ ner Art von Todesangst auf seinem Stillschweigen über diesen Punkt. Friedrich ließ es sich nun ernstlich angelegen seyn, ihn im Christenthume zu unterrichten. Alle Morgen, wenn die Natur in ihrer Pracht vor ihnen ausgebreitet lag, saß er mit ihm im Garten, und machte ihn mit dem großen Wunderreichen Lebenswandel des Erlösers bekannt, und fand, ganz dem Gange der Zeit zuwider, das Gemüth des Knaben weit empfänglicher für das Verständniß des Wunderbaren als des Alltäglichen und Gewöhnlichen. Seit dieser Zeit schien Erwin innerlich stiller, ruhiger und selbst geselliger zu wer¬ den. In Juliens Wesen war indeß, seit die Frem¬ den hier angekommen waren, eine unverkennbare Veränderung vorgegangen. Sie schien seitdem ge¬ wachsen und sichtbar schöner geworden zu seyn. Auch fieng sie an, sich mehrere Stunden des Tages auf ihrem Zimmer zu beschäftigen. Aus diesem Zimmer gieng eine Glasthüre auf den Garten hinaus; vor derselben standen auf einem Balkon eine Menge hoher, ausländischer Blumen, mitten in diesem Wunderreiche von Duft und Glanz saß ein bunter Papagey hinter goldenen Stäben. Hier befand sich Julie, wenn alles ausgegangen war, und las oder schrieb, während Erwin, draussen vor dem Balkon sitzend, auf der Guitarre spielte und sang. So fand sie Friedrich einmal, als er sie zu einem Spa¬ ziergange abholte, eben über einem Gemählde be¬ griffen. Es war, wie er mit dem ersten Blicke flüch¬ tig unterscheiden konnte, ein halbvollendetes Portrait eines jungen Mannes. Sie verdeckte es schnell, als er hereintrat, und sah ihn mit einem durchdringen¬ den, räthselhaften Blicke an. — Sollte sie lieben? dachte Friedrich , und wußte nicht, was er davon halten sollte. Achtes Kapitel . Es war festgesezt worden, daß die ganze Fa¬ milie eine kleine Reise auf ein Jagdgut des Herrn v. A. unternehmen sollte, das einige Meilen von dem Schlosse entfernt war. Am Morgen des be¬ stimmten Tages wachte Friedrich sehr zeitig auf. Er stellte sich an's Fenster. Der Hof und die gan¬ ze Gegend lag noch ruhig, am fernen Horizonte fieng bereits an, der Tag zu grauen. Nur zwey Jäger waren auch schon munter und putzten unten im Hofe die Gewehre. Sie bemerkten den Grafen nicht und schwatzten und lachten miteinander. Frie¬ drich hörte dabey mit Verwunderung mehreremal Fräulein Julien nennen. Der eine Jäger, ein schö¬ ner junger Bursch, sang darauf mit heller Stimme ein altes Lied, wovon Friedrich immer nur die letz¬ ten Verse, womit sich jede Strophe schloß, vorstand: Das Fräulein ist ein schönes Kind, Sie hat so munt're Augen, Die Augen so verliebet sind, Zu sonst sie gar nichts taugen. Friedrich erschrack, denn er zweifelte nicht, daß das Lied Julien gelten sollte. Er überdachte das Benehmen des Fräuleins in der lezten Zeit, das Verstecken des Bildes und verschiedene hingeworfe¬ ne Reden, und konnte sich selbst der Meynung nicht erwehren, daß sie verliebt sey; aber wen sie mey¬ ne, blieb ihm noch immer dunkel. Unterdeß hatte sich der Tag immer mehr und mehr erhoben, hin und wieder im Schlosse giengen schon Thüren auf und zu, bis es endlich nach und nach lebendig wurde. Wer es weiß, was es heißt, ein so schwerfälliges Haus flott zu machen, der wird sich von dem Rumpelmorgen einen Begriff ma¬ chen können, der nun begann. Wie auf einem Schiffe, das sich zu einer nahen Schlacht bereitet, verbreitete sich langsam wachsend ein dunkles Getöse von Eile und Geschäftigkeit durch's ganze Schloß, Betten, Koffer und Schachteln flogen aus einer Ecke in die andere, nur noch selten hörte man die Kom¬ mando-Trompete der Tante dazwischen tönen. Für Leontin waren diese feyerlichen Vorbereitun¬ gen, die Wichtigkeit, mit der jeder sein Geschäft be¬ trieb, ein wahres Fest. Unermüdlich befand er sich überall mitten im Gewühle und suchte unter dem Scheine der Hülfleistung die Verwirrung immer größer zu machen, bis er endlich durch seine zwey¬ deutigen Mienen den Zorn des gesammten Frauen¬ zimmers dergestalt gegen sich empört hatte, daß er es für das räthlichste hielt, Reißaus zu nehmen. Er sezte sich daher mit Friedrich und Viktor, so hieß der Theolog, zu Pferde und sie ritten auf das Gut hinaus. Viktor, der nun mit den beyden schon vertrauter und gesprächiger geworden war, schien alle Trübniß dahinten gelassen zu haben, als sie über die Berge ritten. Er war auf einmal aus¬ gelassen lustig, und sie konnten nicht umhin, über den sonderbar wechselnden Menschen zu erstaunen, der besonders ganz nach Leontins Geschmack war. Unterweges sahen sie den seltsamen irrenden Rit¬ ter, der schon lange wieder das Schloß verlassen hatte, in der Ferne auf seinem Gaule über ein Ackerfeld hinwegstolpern. Viktor'n brachte dieser Anblick ganz außer sich vor Freude. Er rief ihm sogleich mit geschwenktem Hute zu. Da aber jener, statt still zu halten, seinen Gaul vielmehr in Trab sezte, um ihnen zu entkommen, so druckte er so¬ gleich die Sporen ein und machte Jagd auf ihn. Er hatte ihn bald eingeholt und brachte ihn unter einem heftigen und lauten Wortwechsel mit sich zu¬ rück. Um diese Eroberuug vermehrt, zogen sie nun fröhlich weiter und erblickten nach einigen Stunden endlich das Gut des Herrn v. A. als sie auf einer Anhöhe plötzlich aus dem Walde herauskamen. Das kleine Schloß mit seinem netten Hofe lag mit¬ ten in einem einsamen Thale, rings umher von Tannenwäldern umschlossen. Leontin, den diese tie¬ fe Einsamkeit überraschte, blieb in Gedanken stehen und sagte: Wie fürchterlich schön, hier mit einem geliebten Weibe ein ganzes Leben lang zu wohnen! Ich möchte mich um alle Welt nicht verlieben. Als sie unten in das Thal hinabzogen, bog auch schon auf der Höhe der Wagen des Herr v. A. mit seinen vier Rappen um die Waldesecke herum und der Kutscher knallte lustig mit der Peitsche, daß es weit in die Wälder hineinschallte. Das Fräulein lehnte sich zum Wagen hinaus. Da reitet Er! rief sie auf einmal hastig. — Zum Glücke rollte der Wa¬ gen zu schnell hinab, und die Tante hatte es nicht gehört. Am folgenden Morgen, da die Gesellschaft zur Jagd aufbrach, war Leontin schon lange draussen im Walde. Er hatte sich von den Jägern im allge¬ meinen die Gegend bezeichnen lassen, wo die Jagd gehalten werden sollte, und war noch vor Tages¬ anbruch allein vorausgeritten. Denn ihm waren alle die weitläufigen und schulgerechten Zurüstungen, die einer solchen allgemeinen Jagd immer vorherzugehen pflegen, in den Tod verhaßt. Er durchstrich daher an dem frischen Morgen allein die einsame Heyde, wo ihn oft plötzlich durch eine Lichtung des Waldes die herrlichsten Aussichten überraschten und Stunden¬ lang festbannten. So folgte er dem lustigen Jagd¬ gewirre immer von weitem nach. Und wie unter ihm die Wälder rauchten, hin und wieder Schüße fielen und zwischen dem Gebell der Hunde die Hör¬ ner von Zeit zu Zeit ertönten, da dichtete seine fri¬ sche Seele unaufhörlich seltsame Lieder, die er so¬ gleich sang, ohne jemals ein einziges aufzuzeichnen. Denn was er aufschrieb, daran verlohr er sogleich die freye, unbestimmte Lust. Es war, als bräche das Wort unter seiner Hand die luftigen Schwin¬ gen. Er beherrschte nicht, wie der besonnene Dich¬ ter, das gewaltige Element der Poesie, der Glück¬ liche wurde von ihr beherrscht. Unterdeß war die Sonne schon hoch über die Wipfel des Waldes gestiegen, nur noch hin und her gaben die Hunde einzelne Laute, kein Schuß fiel mehr und der Wald wurde auf einmal wieder still. Die Jäger durchstrichen das Revier und rie¬ fen mit ihren Hüfthörnern die zerstreuten Schützen von allen Seiten zusammen. So hatte sich nach und nach die Gesellschaft, ausser Leontin, zusammen¬ gefunden und auf einer großen, schönen Wiese ge¬ lagert, die kühl und luftig zwischen den Waldber¬ gen sich hinstreckte. Mehrere benachbarte Edelleute waren schon frühmorgens mit ihren Söhnen und Töchtern im Walde zur Jagd gestossen und ver¬ mehrten nun den Trupp ansehnlich. Die Mädchen saßen, wie Blumen in einen Teppich gewirkt, mit ihren bunten Tüchern lustig im Grünen, reinlich gedeckte Tische mit Eßwaren und Wein standen schimmernd unter den kühlen Schatten, die Tante gieng, alles fleißig und mit gutem Sinne ordnend, umher. Julie hatte, während Friedrichs und Leon¬ tins Aufenthalte auf dem Schlosse, den benachbar¬ ten Fräulein schon manches von den beyden Fremden geschrieben, vielerley seltsame Dinge hatte der Ruf, der auf dem Lande alles Fremde um desto hungriger ergreift, je seltener es ihm kommt, zu ihnen getra¬ gen. Friedrich'n hatten sie nun kennen gelernt, aber seine ruhige, einfache Sitte befriedigte die jun¬ gen, neugierigen Seelen keineswegs. Und doch hatte ihnen Julie immer nur von ihm mit so vieler Wärme und Ausführlichkeit geschrieben, Leontinen aber bloß mit einigen flüchtigen Worten berührt, aus denen sie niemals recht klug werden konnten. — Auf einmal trat auch dieser gegenüber auf der Höhe aus dem Walde, und alle die jungen, schönen Au¬ gen flogen der hohen, schlanken Gestalt zu. Er konnte sich nicht enthalten, als er unter sich das bunte Lustlager erblickte, seinen Hut überm Kopfe zu schwenken. Man erwiederte von unten seine Begrüßung, wobey sich insbesondere Viktor wieder auszeichnete. Er warf seinen Hut mit fröhlicher Wuth hoch in die Luft, ergriff schnell seine Büchse und schoß ihn so im Fluge, zu nicht geringem Schreck des sämmtlichen Frauenzimmers, wieder herab. Leontin war indeß hinabgestiegen, und alles rückte sich nun um die reichbedeckten Tische zusam¬ men. Die Jäger lagen, ihre Weinflaschen in der Hand, hin und her zerstreut, ihre Hunde lechzend neben ihnen auf den Boden hingestreckt. Der freye Himmel machte alle Herzen weit, der Wein blickte golden aus den hellgeschliffenen Gläsern, wie die Lust aus den glänzenden Augen, und ein fröhliches Durcheinandersprechen erfüllte bald die Luft. Unter den fremden Fräulein befand sich auch eine Braut, ein hübsches, junges, sehr munteres Mädchen. Ihr Bräutigam war ein schöner, schlanker Landjunker mit einem bedeutenden Gesicht voll Leben, um das es jammerschade war, daß es durch einige rohe Züge entstellt wurde. Er mußte sich auf das tu¬ multuarische Andringen sämmtlicher Alten feyerlich neben seine Braut setzen, welches er auch ohne weiteres that. Könnte ich's nur ein einzigesmal in meinem Leben so weit bringen, sagte Leontin zu Friedrich, so einen stattlichen, engelrechten Bräuti¬ gam vorzustellen! So eine öffentliche Brautschaft ist wie ein Wirthshaus mit einem abgeschabten Cu¬ pido am Aushängeschilde, wo jedermann aus- und eingehen und sein bischen Witz blicken lassen darf. Wehe der Braut, die unter lustige Trinker ge¬ räth! So wurde auch hier nach rechter deutscher Weise dem Brautpaare bald von allen Seiten mit kernigen Anhängen zugetrunken, wofür sich die jun¬ ge Braut immer zierlich und erröthend bedankte, indem sie jedesmal ebenfalls das Glas an den Mund sezte. Auch Leontin, der sich an dem allgemeinen Getümmel von guten und schlechten Einfällen ergöz¬ te, und dem die feinen Lippen der Braut rosiger vorkamen, wenn sie sie in den goldenen Rand des Weines tauchte, sezte ihr tapfer zu und trank mehr als gewöhnlich. Die alten Herren hatten sich indeß in einen weitläufigen Diskurs über die Begebenheiten und Heldenthaten der heutigen Jagd verwickelt, und konnten nicht aufhören zu erzählen, wie jener Hase so herrlich zu Schuß gekommen, wie jener Hund angeschlagen, der andere die Jagd dreymal gewen¬ det u. s. w. Leontin, der auch mit in das Gespräch hineingezogen wurde, sagte: ich liebe an der Jagd nur den frischen Morgen, den Wald, die lustigen Hörner, und das gefährliche, freye, soldatische Le¬ ben. — Alle nahmen sogleich Parthey gegen diesen kezerischen Satz und überschrieen ihn heftig mit einem verworrenen Schwall von Widersprüchen. Die ei¬ gentlichen Jäger von Handwerk, fuhr Leontin lu¬ stig fort, sind die eigentlichen Pfuscher in der edlen Jägerey, Narren des Waldes, Pedanten, die den Waldgeist nicht verstehen; man sollte sie gar nicht zulassen, uns anderen gehört das schöne Waldre¬ vier! Diese offenbare Kriegserklärung brachte nun vollends alles in Harnisch. Von allen Seiten fiel man laut über ihn her. Leontin, den der viele Wein und die allgemeine Fehde erst recht in seine Lustigkeit hineingesetzt hatte, wußte sich nicht mehr anders zu retten: er ergriff die Guitarre, die Ju¬ lie mitgebracht, sprang auf seinen Stuhl hinauf und übersang die Kämpfenden mit folgendem Liede: Was wollt ihr in dem Walde haben, Mag sich die arme Menschenbrust Am Waldesgruße nicht erlaben, Am Morgenroth und grüner Lust? Was tragt ihr Hörner an der Seite, Wenn ihr des Hornes Sinn vergaßt, Wenn's euch nicht selbst lockt in die Weite, Wie ihr vom Berg' frühmorgens blast? Ihr werd't doch nicht die Lust erjagen, Ihr mög't durch alle Wälder geh'n; Nur müde Füß' und leere Magen — Mir möcht' die Jägerey vergeh'n! O nehmet doch die Schneiderelle, Guckt in der Küche in den Topf! Sonntags dann auf des Hauses Schwelle, Krau' euch die Ehefrau auf dem Kopf! Die Thierlein selber: Hirsch und Rehen, Was lustig haußt im grünen Haus, Sie flieh'n auf ihre freyen Höhen, Und lachen arme Wichte aus. Doch, kommt ein Jäger wohlgebohren, Das Horn irrt, er blizt rosenroth, Da ist das Hirschlein wohl verlohren, Stellt selber sich zum lust'gen Tod. Vor allen aber die Verliebten, Die lad' ich ein zur Jägerlust, Nur nicht die weinerlich Betrübten, Die recht von frisch' und starker Brust. Mein Schatz ist Königinn im Walde, Ich stoß' ins Horn, in's Jägerhorn! Sie hört mich fern und naht wohl balde, Und was ich blas', ist nicht verlohr'n! — Ich glaube, ich blase gar schon aus des Kna¬ ben Wunderhorn, unterbrach er sich hier selber und sprang schnell von seinem Stuhle. Die ganze Ge¬ sellschaft war durch das lustige Lied wieder mit ihm ausgesöhnt, der Streit war vergessen und von allen Seiten wurde auf die Gesundheit des Sängers ge¬ trunken. Unterdeß zog der seltsame Viktor, der sich während Leontins Gesang fortgeschlichen hatte, weil er kein Lied vertragen konnte, wo er nicht selbst mitsingen durfte, aller Augen auf ein neues Schau¬ spiel. Er warf nemlich im Hintergrunde, um nicht bemerkt zu werden, zu seiner eignen Herzenslust die leeren Weinfäßchen in die Luft, während die Jä¬ ger alle nach denselben schießen mußten, welches nicht ohne daß größte Geschrey ablief. Die Tante, welche keinen Rausch an Männern ertragen konnte, befürchtete eine allgemeine Anarchie und lud die Ge¬ sellschaft, um die erhizten Gemüther zu zerstreuen, noch auf einige Stunden zu sich auf das Jagdschloß. Alles brach daher auf und bestieg den Wagen. Friedrich, Leontin und Viktor ritten wieder dem langen Zuge voran, den Ritter von der traurigen Gestalt in ihrer Mitte, dessen baufälliges Pferd die Jäger mit einem Baldachin von grünen Zwei¬ gen und jungen Bäumchen besteckt hatten, so daß er, gleich Münchhausen, wie unter einer Laube ritt. Als sie auf dem Schlosse angekommen waren, wurden geschwind noch einige Musikanten, so gut sie hier zu bekommen waren, zusammengebracht, und man tanzte bis zur einbrechenden Nacht. Für Friedrich und Leontin, die, frühzeitig in die Welt hinausgestossen, gewohnt waren, das Leben immer nur in großen, vollendeten Maßen, gleichsam wie im Fluge, zu berühren, gewährte dieser kleine Kreis, wo fast alle mit einander verwandt nur Eine Familie bildeten, eine neue Erscheinung. Die er¬ quickliche Art, wie die jungen Landfräulein immer mit mit Mund, Händen und den munteren Augen zu¬ gleich erzählten, ihre kleinen Manieren und un¬ schuldige Koketterie, die Sorgfalt, mit welcher die Mütter nach jedem Tanze herumgiengen und ihren artigen Kätzchen die Haare aus der heißen Stirne strichen und sie ermahnten, nicht kalt zu trinken, das lächelnde Wohlbehagen, mit dem eine jede alle Mienen Leontins und Friedrichs verfolgten, wenn sie sich mit ihren Töchtern gut zu unterhalten schie¬ nen, alles dieß machte auf die beyden Fremden den sonderbarsten Eindruck, und sie hätten mit ihrem neuen und ungewöhnlichen Wesen heut viele Herzen erobern können, wenn der eine nicht zu großmü¬ thig, der andere nicht zu wild gewesen wäre. Leontin walzte mit der niedlichen Braut. Sie tanzte außerordentlich leicht und schön, und, wie er so den schlanken, vollen Leib im Arme hatte, sah sie so unbeschreiblich frisch und reizend aus, daß er sich nicht enthalten konnte, das schöne Kind ei¬ nigemal an sich zu drücken. Sie blickte heimlich lächelnd mit listigfragenden Augen unter die langen Wimpern zu ihm herauf. Sie konnten endlich bey¬ de vor Müdigkeit nicht mehr weiter fort und er tanzte daher mit ihr bis in die nächste Fensterni¬ sche, wo sie zusammen auf die Stühle sanken. Nach einiger Zeit sah er sie an einem anderen Fenster neben Fräulein Julien in ruhigem Gespräche sitzen. Er lehnte sich hinter ihnen an die Wand, ohne von ihnen bemerkt zu werden. Sie erzählte 9 Julien, wann ihre Hochzeit seyn werde, wieviel seine Wäsche sie mitbekomme, wie sie ihren kleinen Garten einrichten wollten u. s. w. Dort in dem Schlößchen unten, fuhr sie fort, werden wir woh¬ nen. Leontin warf einen Blick durch das offene Fenster und sah das Dach des Schlößchens, so eben vom Abendroth beleuchtet, unbeschreiblich einsam und verlassen aus den Wäldern hervorragen. Eine große Bangsamkeit überflog da sein Herz und er versank in tiefe Gedanken. Die Braut, die unter¬ deß auf einmal gewahr wurde, daß er alles mit angehört, schämte sich und verdeckte ihr Gesicht mit beyden Händchen. In diesem Augenblick hörte man ein verworre¬ nes Getöse auf der Stiege, die Thüre gähnte und spie einen ganzen Knäuel der seltsamsten und aben¬ theuerlichsten Zerrbilder und Mißgestalten aus, wie sie nur eine fürchterlichreiche, dunkel in sich selber arbeitende Phantasie ersinnen konnte. Viktor! — riefen Leontin und Friedrich zugleich, und sie hat¬ ten es errathen. Dieser hatte nemlich in möglich¬ ster Hast alles Altmodische, Lächerliche und Zer¬ lumpte von Kleidungsstücken, dessen er habhaft wer¬ den konnte, zusammengerafft und damit die Bedien¬ ten und Jäger des Herrn v. A. aufgeputzt. Mit einem unübertrefflich raschen und glücklichen Witze hatte er, da er alle genau kannte, jedem zuge¬ theilt, was ihm zukam, und so durch eine unge¬ wöhnliche Verbindung des Gewöhnlichsten den Phan¬ tasiereichsten Charakterzug erschaffen. Da keine Lar¬ ven vorhanden waren, so hatte er selber in aller Schnelligkeit die Gesichter gemahlt, und man mu߬ te zugeben, jedes war ein wahrer Triumph der freysten und schärfsten Laune, denn eines Jeden verborgenste, innerste Narrheit lachte erlöst aus den Zügen. Besonders zeichnete sich eine über alle Maaßen dünne und Schneiderartige Figur aus mit einem unbeschreiblich albern lächelnden Gesichte, dem er alle Haare rückwärts aus der glatten Stirne ge¬ kämmt hatte. Der Leib des alten Rockes war um eben so viel zu lang, als die knappen Aermel zu kurz erschienen. Recht oben auf dem Wirbel schweb¬ te ein winziges Hütchen, in der Hand trug er einen kleinen Sonnenschirm. Viktor selbst führte in einem umgekehrten Rocke mit einer verstimmten Geige den Zug an, und war recht das Salz und die Seele des Abentheuers. Mit einer Wuth von Lust wußte er einem jeden seinen eigenthümlichen Spielraum zu verschaffen, und selbst die Eitelsten dahin zu brin¬ gen, daß sie sich einmal über sich selbst erheben und ihre eigne Narrheit zum Narren hatten. Und so ge¬ bährdeten sich denn auch die Ungeschicktesten meister¬ lich, so wie die Plumpheit selber komisch wird, wenn sie über ihre eigene Füße fällt. Herr v. A. stand ganz still in einer Ecke und lachte, daß ihm die Au¬ gen übergiengen. Die Tante, die, wie fast alle Damen, keinen unmittelbaren Spaß verstand, lä¬ chelte gezwungen. Manche andere schämten sich zu lachen, und thaten sich Gewalt an, ernsthaft auszu¬ sehen. Den irrenden Ritter aber hatte, seltsam ge¬ 9 * nug, gleich beym Eintritte des Maskenzuges eine sonderbare Furcht überfallen; er nahm Reißaus und ließ sich nicht mehr wiedersehen. Viktor führte daher, als die Ergötzung an dem Spektakel anfieng lau zu werden, endlich die Ban¬ de wieder fort, um den flüchtigen Ritter aufzusu¬ chen. Sie fanden ihn in einem finsteren Winkel des Hofes versteckt. Er war äußerst aufgebracht und wehrte sich mit Händen und Füßen, als sie ihn aufspürten. Viktor nahm ihn beym Arme und walz¬ te mit ihm, wie wahnsinnig, im Hofe um den Brunnen herum. Ein alter, dicker Gerichtsverwal¬ ter, dem sie unvermerkt die Dose mit Kienruß ge¬ füllt, und der daher, da er sich bey jeder Priese das Gesicht bemahlte, wider sein Wissen und Wil¬ len eine Hauptfigur in dem Lustspiele abgab, mu߬ te ebenfalls an einer allgemeinen Menuett Theil nehmen, die sich jezt in dem Hofe entspann. Ein einziges Licht stand auf einem Pfahle und warf im Winde einen flatternden Schein über die seltsame Verwirrung. Leontin, der sich bald Anfangs mit Leib und Seele mit hineingemischt hatte, saß hoch oben auf dem Gartenzaune und strich die verstimm¬ te Geige dazu. Den irrenden Ritter, der sich in¬ deß voll Angst und Zorn mit Gewalt wieder losge¬ macht hatte, sah man auf seinem Pferde mitten in der mondhellen Nacht über die Felder entfliehen. Wie haben Ihnen die Streiche gefallen? frag¬ te die Tante den Grafen Friedrich, von dem sie ganz zuversichtlich erwartete, daß er den Spaß für unanständig hielt. In meinem Leben, sagte Frie¬ drich, habe ich keine Pantomime gesehen, wo mit so einfachen Mitteln so Vollkommenes erreicht wor¬ den wäre. Es wäre zu wünschen, man könnte die weltberühmten Mimiker, Grotesktänzer und wie sie sich immer nennen, auf einen Augenblick zu ihrer Belehrung unter diesen Trupp versetzen. Wie arm¬ selig, nüchtern und albern würden sie sich unter die¬ sen tüchtigen Gesellen ausnehmen, die nicht bloß diese oder jene einzelne Richtung des Komischen ängstlich herausheben, sondern Sprache, Witz und den ganzen Menschen in Anspruch nehmen. Jene ermatten uns recht mit allgemeinen Späßchen, ohne alle Individualität, mit hergebrachten, längstab¬ genuzten Mienen und Sprüngen, und vor lauter künstlichen Anstalten zum Lachen kommen wir nie¬ mals zum Lachen selber. Hier erfindet jeder selbst, wie es ihm die Lust des Augenblickes eingiebt, und die Thorheit lacht uns unmittelbar und keck in's Gesicht, daß uns recht das Herz vor Freyheit auf¬ geht. — Das ist wahr, sagte die Tante, über die¬ ses Urtheil erstaunt, unser Viktor ist ein pudelnärri¬ scher, lustiger Mensch. — Das glaube ich kaum, erwiederte Friedrich, ein Mensch muß sehr kalt oder sehr unglücklich seyn, um so zu phantasiren. Viktor kommt mir vor, wie jener Prinz in Sicilien, der in seinem Garten und Schloße alles schief baute, so daß sein Herz das einzige Gerade in der phanta¬ stischen Verkehrung war. Es war unterdeß schon spät geworden, die fremden Wagen fuhren unten vor und die Gesell¬ schaft fieng an Abschied zu nehmen und aufzustei¬ gen. In dem allgemeinen Getümmel der Bekom¬ plimentirungen hatte die niedliche Braut noch ein Tuch vergessen. Sie lief daher mit Julien noch ein¬ mal in das Zimmer zurück. Es war niemand mehr darin, nur Leontin, der endlich auch die Masken¬ bande verlassen hatte, kam so eben von der ande¬ ren Seite herein. Das lustige Mädchen versteckte sich schnell, da sie ihn erblickte, hinter die lange Fenster-Gardine und wickelte sich ganz darein, so daß nur die munteren Augen lüstern auffordernd aus dem Schleyer hervorblitzten. Leontin zog das schöne muthwillige Kind heraus und küßte sie auf den rothen Mund. Sie gab ihm schnell einen herz¬ haften Kuß wieder und rannte eiligst zu dem Wa¬ gen zurück, wo man ihrer schon harrte. Ade, Ade! sagte sie noch am Schlage zu Julien, eigentlich aber mehr zu Leontin hingewendet, ihr seht mich nun so bald nicht wieder, gewiß nicht. — Und sie hielt Wort. Die Gäste waren nun fort, Herr v. A. und seine Schwester schlafen gegangen, und alles im Schlosse leer und still. Leontin saß oben im Vor¬ saale im offenen Fenster. Draussen zogen Gewitter, man sah es am fernen Horizonte blitzen. Fräulein Julie gieng so eben mit einem Lichte in der Hand über den Hausflur nach ihrer Schlafkammer. Er rief ihr eine gute Nacht zu. Sie war unentschlos¬ sen, ob sie bleiben oder weitergehen sollte. Endlich kehrte sie zögernd um, und trat zu ihm an's Fen¬ ster. Da bemerkte er Thränen in ihren großen Au¬ gen; sie war ihm noch nie so wunderschön vorge¬ kommen. Liebe Julie! sagte er, und faßte ihre klei¬ ne Hand, die sie gern in der seinigen ließ. Der Wind, der zum Fenster hereinkam, löschte ihr plötz¬ lich das Licht aus. Mit abgewendetem Gesicht sprach sie da einige Worte in die Nacht hinaus, aber so leise und, wie es ihm schien, von verhalte¬ nem Weinen erstickt, daß er nichts verstehen konn¬ te. Er wollte sie fragen, aber sie zog ihre Hand weg und gieng schnell in ihr Schlafzimmer. Ohne zu wissen, was er davon halten sollte, schaute er voller Gedanken in den finsteren Hof hin¬ unter. Dort sah er Viktor'n auf einem großen Steine sitzen, den Kopf in beyde Hände gestützt; er schien eingeschlafen. Er eilte daher selber in den Hof hinab und nahm die Guitarre mit, die er un¬ ten im Fenster liegend fand. Wir wollen diese Nacht auf dem Teiche herumfahren, sagte er zu Viktor, der indeß aufgewacht war. Dieser war so¬ gleich mit voller Lust von der Parthie, und so zυ¬ gen sie zusammen hinaus. Sie bestiegen den kleinen Kahn, der unweit vom Schlosse im Schilfe angebunden lag, und ru¬ derten bis in die Mitte des Sees. Die ganze Runde war todtenstill, nur einige Nachtvögel pfiffen von Zeit zu Zeit aus dem Walde herüber. Es schien, als wollte das Wetter heraufkommen, das man von ferne sah, denn ein kühler Wind flog über den Teich voran und kräuselte die ruhige Fläche. Sie glaubten Fräulein Julie an dem Fen¬ ster zu bemerken. Da sang Leontin, der vorn im Kahne aufrecht stand, folgendes Lied zur Guitarre, während der ewig rege und unruhige Viktor bald tollkühn mit dem Kahne schaukelte, bald wieder in den Wald hinausrief, daß hin und her die Hunde an den nächsten Häusern wach wurden: Schlafe, Liebchen, weil's auf Erden Nun so still und seltsam wird! Oben geht die goldne Heerde, Für uns alle wacht der Hirt. In der Ferne zieh'n Gewitter; Einsam auf dem Schifflein schwank Greiff' ich draussen in die Zitter, Weil mir gar so schwül und bang. Schlingend sich an Bäum' und Zweigen, In Dein stilles Kämmerlein, Wie auf goldnen Leitern, steigen Diese Töne aus und ein. Und ein wunderschöner Knabe Schifft hoch über Thal und Kluft, Rührt mit seinem goldnen Stabe Säuselnd in der lauen Luft. Und in wunderbaren Weisen, Singt er ein uraltes Lied, Das in linden Zauberkreisen Hinter seinem Schifflein zieht. Ach, den süßen Klang verführet Weit der buhlerische Wind, Und durch Schloß und Wand ihn spüret Träumend jedes schöne Kind. Es fieng stärker an zu blitzen, das Gewitter stieg herauf. Viktor schaukelte heftiger mit dem Kahne; Leontin sang: Es waren zwey junge Grafen Verliebt bis in den Tod, Die konnten nicht ruh'n noch schlafen Bis an den Morgen roth. O trau' den zwey Gesellen, Mein Liebchen, nimmermehr, Die geh'n wie Wind und Wellen, Gott weiß: wohin, woher. — Wir grüßen Land und Sterne Mit wunderbarem Klang, Und wer uns spürt von ferne, Dem wird so wohl und bang. Wir haben wohl hienieden Kein Haus an keinem Ort, Es reisen die Gedanken Zur Heymath ewig fort. Wie eines Stromes Dringen Geht unser Lebenslauf, Gesanges Macht und Ringen Thut helle Augen auf. Und Ufer, Wolkenflügel, Die Liebe hoch und mild — Es wird in diesem Spiegel Die ganze Welt zum Bild. Dich rührt die frische Helle, Das Rauschen heimlich kühl, Das lockt Dich zu der Welle, Weil's draussen leer und schwül. Doch wolle nie Dir halten Der Bilder Wunderfest, Todt wird ihr freyes Walten, Hältst Du es weltlich fest. Kein Bett darf er hier finden. Wohl in den Thälern schön Siehst Du sein Gold sich winden, Dann plötzlich Meerwärts dreh'n. Viktor, der unterdeß, ohne auf das Lied zu achten, immerfort das Echo versuchte, zwang ihn hier, durch sein übermäßiges Rufen und Schreyen, abzubrechen. Julie hatte auch schon lange das Fen¬ ster geschlossen und alles im Schlosse war finster und still. Das Gewitter zog indeß grade über ihnen hin, die Wälder rauschten von allen Seiten. Leon¬ tin griff stärker und frömmer in die Saiten: Schlag' mit den flamm'gen Flügeln! Wenn Blitz aus Blitz sich reißt: Steht wie in Roßesbügeln So ritterlich mein Geist. Waldesrauschen, Wetterblicken Mach't recht die Seele los, Da grüß't sie mit Entzücken, Was wahrhaft, ernst und groß. Es schiffen die Gedanken Fern wie auf weitem Meer, Wie auch die Wogen schwanken: Die Seegel schwellen mehr. Herr Gott, es wacht Dein Wille! Wie Tag und Lust verweh'n, Mein Herz wird mir so stille Und wird nicht untergeh'n. Sie bemerkten nun einen rothen Schein, der über dem Schloßhofe zu steh'n schien. Sie hielten es für einen Feuermann; denn die ganze Zeit hin¬ durch hatten sie rings in der Runde solche Erschei¬ nungen, wie Wachtfeuer lodern gesehen: theils bläuliche Irrlichter, die im Winde über die Wiesen streiften, theils grössere Feuergestalten, mit zweifel¬ haftem Glanze durch die Nacht wandelnd. Als sie aber wieder hinblickten, sahen sie den Feuermann über dem Schlosse sich langsam dehnen und Riesen¬ groß wachsen, und ein langer Blitz, der so eben die ganze Gegend beleuchtete, zeigte ihnen, daß der Schein grade vom Dache ausgieng. Um Gotteswil¬ len, das ist Feuer im Schloß! rief Viktor erblas¬ send, und sie ruderten, ohne ein Wort zu sprechen, eiligst auf das Ufer zu. Als sie ans Land kamen, sahen sie bereits ei¬ nen röthlichen Qualm zum Dachfenster hervordringen und sich in fürchterlichen Kreisen in die Nacht hin¬ auswälzen. Alles im Hause und im Hofe schlief noch in tiefster Ruhe. Viktor machte Lärm an al¬ len Thüren und Fenstern. Leontin eilte in die Kir¬ che und zog die Sturmglocke, deren abgebrochene, dumpfe Klänge, die weit über die stillen Berge hinzogen, ihn selber im Innersten erschütterten. Der Nachtwächter gieng durch die Gassen des Dor¬ fes und erfüllte die Luft mit den gräßlichen Jam¬ mertönen seines Hornes. Und so wurde endlich nach und nach alles lebendig, und rannte mit blei¬ chen Todtengesichtern, gleich Gespenstern, bestürzt und verstört durcheinander. Die heftige Tante hat¬ te bald der erste Schreck überwältigt. Sie lag be¬ wußtlos in Krämpfen und vermehrte so die allge¬ meine Verwirrung noch mehr. Schon schlug die helle Flamme oben aus dem Dache, das Hinterhaus stand noch ruhig und un¬ versehrt. Niemanden fiel es in der ersten Bestür¬ zung ein, daß Fräulein Julie im Hinterhause schlafe und ohne Rettung verlohren sey, wenn die Flamme die einzige Stiege, die dort hinauf führte, ergrif¬ fe. Leontin dachte daran und stürzte sich sogleich in die Gluth. Als er in ihr Schlafzimmer trat, sah er das schöne Mädchen, den Kopf auf den vollen, weißen Arm gesenkt, in ungestörtem Schlafe ruhen. Alles in dem Zimmer lag noch still und friedlich umher, wie sie es beym Entkleiden hingelegt; ein aufge¬ schlagenes Gebethbuch lag an ihrer Seite. Es war ihm in diesem Augenblicke, als sähe er einen schö¬ nen, goldgelockten Engel neben ihrem Bette sitzen, der schaute mit den stillen, himmlischen Augen in das wilde Element, das sich vor Kinderaugen fürch¬ tet. — Das Fräulein schlug verwundert fragend die großen Augen auf, als er zu ihr trat, und erblick¬ te bald die ungewöhnliche, schreckliche Helle durch das ganze Haus. Leontin schlug schnell das Bett¬ tuch um sie herum und nahm sie auf den Arm. Ohne ein Wort zu sprechen, umklammerte sie ihn in stummem Schrecken. Ein heftiger Wind, der aus dem Brande selbst auszugehen schien, faltete indeß die Flammen-Fahnen immer mehr auseinander, der schreckliche Feuermann griff mit seinen Riesenar¬ men rechts und links in die dunkle Nacht und hat¬ te bereits auch schon das Hinterhaus erfaßt. Da sah Leontin auf einmal, mitten zwischen den Flam¬ men, eine unbekannte weibliche Gestalt in weißem Gewande erscheinen, die ruhig in dem Getümmel auf- und nieder gieng. Gott sey Dank! hörte er zugleich draußen die Bauern rufen, wenn die da ist, wird's bald besser geh'n. — Wer ist die weiße Frau? fragte Leontin, der nicht ohne innerlichen Schauder auf sie hinblicken konnte. Julie, die ihr Gesicht fest an ihn gedrückt hatte, überhörte in der Verwirrung die Frage, und so trug er sie hoch durch das Feuer hindurch, ohne die Augen von der fremden Gestalt zu wenden. Kaum hatte er aber das Fräulein im Hofe niedergesezt, als er selber, von dem Rauche, der Hitze und Anstrengung ganz erschöpft, bewußtlos auf den Boden hinsank. Jene seltsame Erscheinung hatte während deß alle mit frischem Muthe beseelt, und so war es der ver¬ doppelten Anstrengung gelungen, die Flammen end¬ lich zu zwingen. Als Leontin die Augen wieder aufschlug, sah er mit Erstaunen alles ringsumher schon leer und ruhig. Die weiße Frau aber war mit dem Feuer verschwunden, wie sie gekommen war. Er selber lag neben der Brandstätte auf ei¬ nem Kasten zwischen einer Menge geretteter Ge¬ räthschaften, die unordentlich übereinander lagen. Julie saß neben ihm und hatte seinen Kopf auf ihrem Schooße. Alle anderen hatten sich, von der Arbeit ermattet, nach und nach zerstreut, Herr v. A. und seine Schwester noch auf einige Stunden zur Ruhe begeben. Nur Viktor'n, der während dem Brande mehreremal bis in die innersten Zimmer gedrungen, und immer mitten zwischen dem zusam¬ menstürzenden Gebälk erschienen war, sah er hoch auf einem halbabgebrannten Pfeiler eingeschlafen. Das prächtige Feuerwerk war indeß nun in sich sel¬ ber zusammengesunken, nur hin und wieder flackerte noch zuweilen ein Flämmchen auf, während einige dunkle Wachen an dem verwüsteten Platze auf und ab giengen, um das Feuer zu hüten. Leontin hat¬ te den einen Arm um Julien geschlungen, die stille neben ihm saß. Ihr Herz war so voll, wie noch niemals in ihrem ganzen Leben. Im Innersten aufgeregt von den raschen Begebenheiten dieser Nacht, war es ihr, als hätte sie in den wenigen Stunden Jahre überlebt; was lange im Stillen ge¬ glommen, war auf einmal in helle Flammen aus¬ gebrochen. Müde lehnte sie ihr Gesicht an seine Brust und sagte, ohne aufzusehen: Sie haben mir mein Leben gerettet. Ich kann es nicht beschreiben, wie mir damals zu Muthe war. Ich möchte Ihnen nun so gern aus ganzer Seele danken, aber ich könnte es doch nicht ausdrücken, wenn ich es auch sagen wollte. Es ist auch eigentlich nicht das, daß Sie mich aus dem Feuer getragen haben. — Hier hielt sie eine Weile inne, dann fuhr sie wieder fort: Die Flamme ist nun verloschen. Wenn der Tag kommt, ist alles wieder gut und ruhig, wie sonst. Jeder geht wieder gelassen an seine alte Ar¬ beit und denkt nicht mehr daran. Ich werde diese Nacht niemals vergessen. Sie sah bey diesen Worten Gedankenvoll vor sich hin. Leontin hielt sich nicht länger, er zog sie an sich und wollte sie küssen. Sie aber wehrte ihn ab und sah ihn sonderbar an. — So saßen sie noch lange, wenig sprechend, nebeneinander, bis endlich Julien die Augen zusanken. Er fühlte ihr ruhiges, gleichförmiges Athmen an seiner Brust. Er hielt sie fest im Arme und saß so träumerisch die übrige Nacht hindurch. Die Gewitter hatten sich indeß ringsum verzo¬ gen, ein labender Duft stieg aus den erquickten Feldern, Kräutern und Bäumen. Aurora stand schon hoch über den Wäldern. Da weckte der kühle Morgenwind Julien aus dem Schlummer. Der Rausch der Nacht war verflogen; sie erschrack über ihre Stellung in Leontins Armen und bemerkte nun, da es überall licht war, mit Erröthen, daß sie halb bloß war. Leontin hob das schöne, ver¬ schlafene Kind hoch vor sich in den frischen Morgen hinein, während sie ihr Gesicht mit beyden Händen bedeckte. Darauf sprang sie fort von ihm und eilte ins Haus, wo so eben alles anfieng, sich zu er¬ muntern. Neuntes Kapitel . Am Morgen saßen alle in der Stube des Jä¬ gers beym Frühstück versammelt, die unruhigen Ereignisse dieser Nacht besprechend. Julie sah blaß aus, und Leontin bemerkte, daß sie oft heimlich über die Taße weg nach ihm hinblickte, und schnell wieder wegsah, wenn sein Auge ihr begegnete. Alle untersuchten darauf noch einmal die Brand¬ stätte, die noch immer fortrauchte. Man war all¬ gemein der Meynung, daß ein Blitz gezündet ha¬ ben müsse, so viel Mühe sich auch der dicke Ge¬ richtsverwalter gab, darzuthun, daß es boshafter¬ weise angelegt sey, und daß man daher mit aller Strenge untersuchen und verfahren müsse. Herr v. A. verschmerzte den Verlust sehr leicht, da er ohnedieß schon lange Willens war, das alte Schlö߬ chen niederreißen zu lassen, um ein neues, beque¬ meres hinzubauen. Leontin fragte endlich wieder um die weiße Frau. Es ist eine reiche Witwe, sagte Herr o. A., die vor einigen Jahren plötzlich in diese Gegend kam, und mehrere Güther ankaufte. Sie ist im Stillen sehr wohlthätig, und, seltsam genug, bey Tag und bey Nacht, wo immer ein Feuer aus¬ bricht, bricht, sogleich bey der Hand, wobey sie dann die armen Verunglückten mit ansehnlichen Summen un¬ terstüzt. Die Bauern glauben nun ganz zuversicht¬ lich, sobald sie nur erscheint, müsse das Feuer sich legen, wie beym Anblick einer Heiligen. Uebrigens empfängt und erwiedert sie keine Besuche, und nie¬ mand weiß eigentlich recht, wie sie heißt, und wo¬ her sie gekommen; denn sie selber spricht niemals von ihrem vergangenen Leben. Ja wohl, sagte der Gerichtsverwalter, mit einer wichtigen Miene, es geht dort überaus geheimnißvoll zu. Aber es giebt auch noch Leute hinter'm Berge. Man weiß wohl, wie es zugeht in der Welt. Mein Gott! die liebe Jugend — junges Blut thut nicht gut —. Ich bitte, mahlen Sie uns keinen Schnurrbart an das Heiligenbild! unterbrach ihn Leontin, der sich seine Phantasie von der wunderbaren Erscheinung nicht verderben lassen wollte. Es war unterdeß schon wieder aufgepackt wor¬ den, um auf das Schloß des Herrn v. A. zurück¬ zukehren. Leontin konnte der Begierde nicht wider¬ stehen, die weiße Frau näher kennen zu lernen. Er beredete daher Friedrich, mit ihm einen Streif¬ zug nach dem nahgelegenen Guthe derselben zu ma¬ chen. Sie versprachen, beyde noch vor Abend wie¬ der bey der Gesellschaft einzutreffen. Gegen Mittag kamen sie auf dem Landsitze der Unbekannten an. Sie fanden ein neu erbautes Schloß, das, ohne eben groß zu seyn, durch seine 10 große, einfache Erfindung auf das angenehmste überraschte. Eine Reihe hoher, schlanker Säulen bildete oben den Vordertheil des Schlosses. Eine schöne, steinerne Stiege, welche die ganze Breite des Hauses einnahm, führte zu diesem Säulen- Eingange hinauf. Die Stiege erhob sich nur all¬ mählig und terrassenförmig und war mit Orangen, Citronenbäumen und verschiedenen hohen Blumen besetzt. Vor dieser blühenden Terrasse lag ein wei¬ ter, Schattenreicher Garten ausgebreitet. Alles war still, es schien niemand zu Hause zu seyn. Auf der Stiege lag ein schönes, etwa zehn¬ jähriges Mädchen über einem Tambourin, auf das sie das zierliche Köpfchen gelehnt hatte, eingeschlum¬ mert. Oben hörte man eine Flötenuhr spielen. Das Mädchen wachte auf, als sie an sie heranka¬ men, und schüttelte erstaunt die schwarzen Locken aus den munteren Augen. Dann sprang sie scheu auf und in den Garten fort, während die Schellen des Tambourins, das sie hoch in die Luft hielt, hell erklangen. Die beyden Grafen giengen nun in den Garten hinab, dessen ganze Anlage sie nicht weniger anzog, als das Aeußere des Schlosses. Wie wahr ist es, sagte Friedrich, daß jede Gegend schon von Natur ihre eigenthümliche Schönheit, ihre eigene Idee hat, die sie mit ihren Bächen, Bäumen und Ber¬ gen, wie mit abgebrochenen Worten, auszusprechen sucht. Wen diese einzelnen Laute rühren, der sezt mit wenigen Mitteln die ganze Rede zusammen. Und darin besteht doch eigentlich die ganze Kunst und Lust, daß wir uns mit dem Garten recht ver¬ stehen. Leontin war indeß mehreremal verwundert stehen geblieben. Höchstseltsam! sagte er endlich, als sie den Gipfel eines Hügels erreicht hatten, diese Baumgruppen, Wäldchen, Hügel und Aussich¬ ten, erinnern mich ganz deutlich an gewisse Gegen¬ den, die ich in Italien gesehen, und an manchen, glücklich durchschwärmten Abend. Es ist wahrhaftig mehr als eine zufällige Täuschung. Der Abend fieng bereits an einzubrechen, als sie wieder bey den Stufen der großen Stiege an¬ langten. Sie wurden beyde von dem herrlichen An¬ blicke überrascht, der sich ihnen dort von oben dar¬ bot. Die Gegend lag in der abendrothen Däm¬ merung wie ein verworrenes Zaubermeer von Bäu¬ men, Strömen, Gärten und Bergen, auf dem Nachtigallenlieder, gleich Syrenen, schifften. Wie glücklich, sagte Friedrich, ist eine beruhigte, stille Seele, die im Stande ist, so besonnen und gleich¬ förmig nach allen Seiten hin zu wirken und zu schaffen, die, von keiner besonderen Leidenschaft mehr gestört, auf der schönen Erde, wie in der Vorhalle des grösseren Tempels, wohnt! Er wurde hier durch einige Saiten-Akkorde unterbrochen, die aus dem Garten herauftönten. Bald darauf hörten sie einen Gesang. Friedrich horchte voll Erstaunen, denn es war dasselbe son¬ derbare Lied aus seiner Kindheit, das manchmal 10 * auch Erwin in der Nacht gesungen, und das er sonst nirgends wieder gehört hatte. Leontin war indeß in das erste Zimmer hinein¬ getreten, dessen Thüre halb geöffnet stand. Er warf einen flüchtigen Blick durch das Gemach. Ein al¬ tes, auf Holz gemahltes Ritterbild hing dort an der Wand, über welche der Abend zuckend die lez¬ ten ungewissen Strahlen warf. Leontin trat erschüt¬ tert zurück, denn er erkannte auf einmal das be¬ leuchtete Gesicht des Bildes. In demselben Augen¬ blick trat ein alter Bediente von der anderen Sei¬ te in das Zimmer und schien heftig zu erschrecken, als er Leontin ansah. Um Gotteswillen, rief Leon¬ tin ihm zu, sagen Sie mir, wer ist der Ritter dort? Der Alte entfärbte sich und sah ihn lange ernsthaft und forschend an. Das Bild ist vor meh¬ reren hundert Jahren gemahlt, eine zufällige Aehn¬ lichkeit muß Sie täuschen, sagte er darauf wieder gesammelt und ruhig. Wo ist die Frau vom Hau¬ se? fragte Leontin wieder. Sie ist heut noch vor Tagesanbruch schnell fortgereist und kommt so bald nicht zurück, antwortete der Bediente und entfernte sich mit einer eiligen Verbeugung, als wollte er allen ferneren Fragen ausweichen. Unruhig kehrte nun Leontin wieder zu Friedrich zurück, gegen den er von dem ganzen lezten Vor¬ falle nichts erwähnte. Weder der Bediente, noch auch das zierliche, scheue Mädchen, das sie vorhin schlummernd angetroffen, zeigte sich mehr, und so ritten beyde endlich Gedankenvoll auf das Schloß des Herrn v. A. zurück, wo sie spät in der Nacht anlangten. Zehntes Kapitel . Die alte, gleichförmige Ordnung der Lebens¬ weise kehrte nun wieder auf dem Schlosse zurück. Die beyden Gäste hatten auf vieles Bitten noch ei¬ nige Zeit zugeben müssen und lebten jeder auf sei¬ ne Weise fort. Friedrich dichtete wieder fleißig im Garten oder dem daran stossenden angenehmen Wäldchen. Meist war dabey irgend ein Buch aus der Bibliothek des Herrn v. A., wie es ihm grade in die Hände fiel, sein Begleiter. Seine Seele war dort so ungestört und heiter, daß er die ge¬ wöhnlichsten Romane mit jener Andacht und Frisch¬ heit der Phantasie ergriff, mit welcher wir in un¬ serer Kindheit solche Sachen lesen. Wer denkt nicht mit Vergnügen daran zurück, wie ihm zu Muthe war, als er den ersten Robinson oder Ritterroman las, aus dem ihm das frühste lüsterne Vorgefühl, die wunderbare Ahnung des ganzen, künftigen, reichen Lebens anwehte; wie zauberisch da alles aussah und jeder Buchstabe auf dem Papiere leben¬ dig wurde? Wenn ihm dann nach vielen Jahren ein solches Buch wieder in die Hand kommt, sucht er begierig die alte Freude wieder auf darin, aber der frische, kindische Glanz, der damals das Buch und die ganze Erde überschien, ist verschwunden, die Gestalten, mit denen er so innig vertraut war, sind unterdeß fremde und anders geworden und se¬ hen ihn an, wie ein schlechter Holzstich, daß er weinen und lachen möchte zugleich. Mit so munte¬ ren, mahlerischen Kindes-Augen durchflog denn auch Friedrich diese Bücher. Wenn er dazwischen dann vom Blatte aufsah, glänzte von allen Seiten der schöne Kreis der Landschaft in die Geschichten hinein, die Figuren, wie der Wind durch die Blät¬ ter des Buches rührte, erhoben sich vor ihm in der gränzenlosen, grünen Stille und traten lebendig in die schimmernde Ferne hinaus; und so war eigent¬ lich kein Buch so schlecht erfunden, daß er es nicht erquickt und belehrt aus der Hand gelegt hätte. Und das sind die rechten Leser, die mit und über dem Buche dichten. Denn kein Dichter giebt einen fertigen Himmel; er stellt nur die Himmelsleiter auf von der schönen Erde. Wer, zu träge un¬ lustig, nicht den Muth verspürt, die goldenen, lo¬ sen Sprossen zu besteigen, dem bleibt der geheim¬ nißvolle Buchstabe ewig todt, und er thäte besser, zu graben oder zu pflügen, als so mit unnützem Lesen müssig zu geh'n. Leontin dagegen durchstrich alle Morgen, wenn er es etwa nicht verschlief, welches gar oft geschah, mit der Flinte auf dem Rücken Felder und Wäl¬ der, schwamm einigemal des Tages über die rei¬ ßendsten Stellen des Flusses, der im Thale vorbey¬ gieng, und kannte bereits alle Pfade und Gesichter der Gegend. Auch auf das Schloß der unbekannten Dame war er schon einigemal wieder hinübergerit¬ ten, fand aber immer niemanden zu Hause. Alle Tage besuchte er gewissenhaft ein Paar wunderliche altkluge Gesellen auf dem Felde, die er auf seinen Streifereyen ausgespürt hatte, gab ihnen Tabak zu schnupfen, den er bloß ihrentwillen bey sich führte, und führte Stundenlang eine tolle Unterhaltung mit ihnen. Er las wenig, besonders von neuen Schrif¬ ten, gegen die er eine Art von Widerwillen hatte. Demohngeachtet kannte er doch die ganze Literatur ziemlich vollständig. Denn sein wunderliches Leben führte ihn von selbst und wider Willen in Berüh¬ rung mit allen ausgezeichneten Männern, und was er so bey Gelegenheit kennen lernte, faßte er schnell und ganz auf. Sowohl er als Friedrich besuchten fast alle Nachmittage den einsamen Viktor, dessen kleines Wohnhaus, von einem noch kleineren Gärtchen um¬ geben, hart am Kirchhofe lag. Dort unter den hohen Linden, die den schönberaseten Kirchhof be¬ schatteten, fanden sie den seltsamen Menschen ver¬ graben in eine Werkstatt von Meißeln, Bohrern, Drehscheiben und anderem unzähligen Handwerks¬ zeuge, als wollte er sich selber sein Grab bauen. Hier arbeitete und künstelte derselbe täglich, so viel es ihm seine Berufsgeschäfte zuließen, mit einem unbegreiflichen Eifer und Fleiße, ohne um die an¬ dere Welt draussen zu fragen. Ohne jemals eine Anleitung genossen zu haben, verfertigte er Spiel¬ uhren, künstliche Schlösser, neue, sonderbare In¬ strumente, und sein, bey der Stille nach Außen, ewig unruhiger und reger Geist verfiel dabey auf die seltsamsten Erfindungen, die oft alle in Erstau¬ nen setzten. Seine Lieblingsidee war, ein Luftschiff zu erfinden, mit dem man dieses lose Element eben so bezwingen könnte wie das Wasser, und er wäre beynahe ein Gelehrter geworden, so hartnäckig und unermüdlich verfolgte er diesen Gedanken. Für Poesie hatte er, sonderbar genug, durchaus keinen Sinn, so willig, ja neugierig er auch aufhorchte, wenn Leontin oder Friedrich darüber sprachen. Nur Abraham von St. Clara, jener geniale Schalk, der mit einer ernsthaften Amtsmiene die Narren auslacht, denen er zu predigen vorgiebt, war seine einzige und liebste Unterhaltung, und niemand ver¬ stand wohl, die Werke dieses Schriftstellers zu durchdringen und sich aus Herzensgrunde daran zu ergötzen, als er. In diesem unförmlichen „Ge¬ misch-Gemasch“ von Spott, Witz und Humor fand sein sehr nahe verwandter Geist den rechten Tum¬ melplatz. Uebrigens hatte sich Friedrich gleich Anfangs in seinem Urtheile über ihn keineswegs geirrt. Seine Gemüthsart war wirklich durchaus dunkel und melankolisch. Die eine Hälfte seines Lebens hindurch war er bis zum Tode betrübt, mürrisch und unbehülflich, die andere Hälfte lustig bis zur Ausgelassenheit, witzig, sinnreich und geschickt, so daß die meisten, die sich mit einer gewöhnlichen Betrachtung der menschlichen Natur begnügen, ihn für einen zweyfachen Menschen hielten. Es war aber eben die Tiefe seines Wesens, daß er sich nie¬ mals zu dem ordentlichen, immer gleichförmigen Spiele der anderen, an der Oberfläche bequemen konnte, und selbst seine Lustigkeit, wenn sie oft plötzlich losbrach, war durchaus ironisch und fast schauerlich. Dabey waren alle Schmeichelkünste und alltäglichen Handgriffe, sich durch die Welt zu hel¬ fen, seiner spröden Natur so zuwider, daß er selbst die unschuldigsten, gebräuchlichsten Gunstbewerbun¬ gen, ja sogar unter Freunden alle äussere Zeichen der Freundschaft verschmähte. Vor allen sogenann¬ ten klugen, gemachten Leuten war er besonders ver¬ schlossen, weil sie niemals weder seine Betrübniß noch seine Lust verstanden und ihn mit ihrer ange¬ bildeten Afterweisheit von allen Seiten beengten. Die beyden Grafen waren die ersten in seinem Le¬ ben, die bey allen seinen Aeusserungen wußten, was er meyne. Denn es ist das Besondere aus¬ gezeichneter Menschen, daß jede Erscheinung in ihrer reinen Brust sich in ihrer ursprünglichen Ei¬ genthümlichkeit bespiegelt, ohne daß sie dieselbe durch einen Beyschmack ihres eigenen Selbst ver¬ derben. Er liebte sie daher auch mit unerschütterli¬ cher Treue bis zu seinem Tode. So oft sie Nachmittags zu ihm kamen, warf er sogleich alle Instrumente und Geräthschaften weit von sich und war aus Herzensgrunde lustig. Sie musizierten dann in seiner kleinen Stube ent¬ weder auf alten, halbbespannten Instrumenten, oder Friedrich mußte einige wilde Burschenlieder auf die Bahn bringen, die Viktor schnell auswendig wußte, und mit gewaltiger Stimme mitsang. Fräu¬ lein Julie, die nebst ihrem Vater von jeher Vik¬ tors beste und einzige Freundin im Hause war, stand dann gar oft Stundenlang gegenüber am Zau¬ ne des Schloßgartens, strickte und unterhielt sich mit ihnen, war aber niemals zu bereden, selber zu ihnen herüberzukommen. Die Tante und die mei¬ sten anderen konnten gar nicht begreifen, wie die beyden Grafen einen solchen Geschmack an dem un¬ gebildeten Viktor und seinen lärmenden Vergnügun¬ gen finden konnten. Und Du seltsamer, guter, geprüfter Freund, ich brauche Dich und mich nicht zu nennen; aber Du wirst uns beyde in tiefster Seele erkennen, wenn Dir diese Blätter vielleicht einmal zufällig in die Hände kommen. Dein Leben ist mir immer vor¬ gekommen, wie ein uraltes, dunkel verbautes Gemach mit vielen rauhen Ecken, das unbeschreiblich einsam und hoch steht über den gewöhnlichen Handthierun¬ gen der Menschen. Eine alte verstimmte Laute, die niemand mehr zu spielen versteht, liegt verstaubt auf dem Boden. Aus dem finsteren Erker siehst Du durch bunt und phantastisch gemahlte Scheiben, über daß niedere, emsig wimmelnde Land unten weg in ein anderes, ruhiges, wunderbares, ewig freyes Land. Alle die wenigen, die Dich kennen und lie¬ ben, siehst Du dort im Sonnenscheine wandeln und das Heimweh befällt auch Dich. Aber Dir fehlen Flügel und Seegel und Du reissest in verzweifelter Lustigkeit an den Saiten der alten Laute, daß es mir oft das Herz zerreissen wollte. Die Leute ge¬ hen unten vorüber und verlachen Dein wildes Ge¬ klimper, aber ich sage Dir, es ist mehr göttlicher Klang darin, als in ihrem ordentlichen, allgeprie¬ senen Geleyre. An einem schwülen Nachmittage saß Leontin im Garten an dem Abhange, der in das Land hinaus¬ gieng. Kein Mensch war draußen, alle Vögel hiel¬ ten sich im dichtesten Laube versteckt, es war so still und einsam auf den Gängen und in der ganzen Gegend umher, als ob die Natur ihren Athem an sich hielte. Er versuchte einzuschlummern. Aber wie über ihm die Gräser zwischen dem unaufhörlichen, einförmigen Gesumme der Bienen sich hin und wie¬ der neigten, und rings am fernen Horizonte schwe¬ re Gewitterwolken, gleich phantastischen Gebirgen mit großen, einsamen Seen und himmelhohen Fel¬ senzacken, die ganze Welt enge und immer enger einzuschliessen schienen, preßte eine solche Bangigkeit sein Herz zusammen, daß er schnell wieder auf¬ sprang. Er bestieg einen hohen, am Abhange ste¬ henden Baum, in dessen schwankem Wipfel er sich in das schwüle Thal hinauswiegte, um nur die fürchterliche Stille in und um ihn los zu werden. Er hatte noch nicht lange oben gesessen, als er den Herrn v. A. und seine Schwester aus dem Bo¬ gengange hervorbeugen und langsam auf den Baum zukommen sah. Sie waren in einem lauten und lebhaften Gespräche begriffen, er hörte, daß von ihm die Rede war. Du magst sprechen, was du willst, sagte die Tante, er ist bis über die Ohren verliebt in unser Mädchen. Da müßt' ich keine Menschenkenntniß haben! Und Julie kann keine bessere Parthie finden. Ich habe schon lange, ohne dir etwas zu sagen, nähere Erkundigungen über ihn eingezogen. Er steht sehr gut. Er verthut zwar viel Geld auf Reisen und verschiedenes unnützes Zeug, und soll zu Hause ein etwas unordentliches und auffallendes Leben führen; aber er ist noch ein junger Mensch, und unser Kind wird ihn schon kirre machen. Glaube mir, mein Schatz, ein kluges Weib kann durch vernünftiges Zureden sehr viel be¬ wirken. Sind sie nur erst verheyrathet und sitzen ruhig auf ihrem Gütchen, so wird er schon sein sonderbares Wesen und seine überspannten Ideen fahren lassen, und werden wie alle andre. Höre, mein Schatz, fange doch recht bald an, ihn so von weitem näher zu sondiren. — Das thue ich nicht, erwiederte Herr v. A. ruhig, ich habe mich um nichts erkundigt, ich habe nichts bemerkt und nichts erfah¬ ren. Ihr Weiber verlegt euch alle auf's Spionieren und Heyrathsstiften und sehet zu weit. Wirbt er um sie, und sie ist ihm gut, so soll er sie haben; denn er gefällt mir sehr. Aber ich menge mich in nichts. — Mit deiner ewigen Gelassenheit, fiel ihm hier die Schwester heftig in's Wort, wirst du noch alles verderben. Dich rührt das Glück deines eig¬ nen Kindes nicht. Und ich sage dir, ich ruhe und raste nicht, bis sie ein Paar werden! — Sie wa¬ ren unterdeß schon wieder von der anderen Seite hinter den Bäumen verschwunden, und er konnte nichts mehr versteh'n. Er stieg rasch vom Baume herab. Noch bin ich frey und ledig! rief er aus und schüttelte alle Glieder. Rückt mir nicht auf den Hals mit eurem soliden, häuslichen, langweiligen Glück, mit eurer abgestandenen Tugend im Schlafrock! Wohl hat die Liebe zwey Gesichter wie Janus. Mit dem ei¬ nen buhlt diese ungetreue, reitzende Fortuna auf ihrer farbigen Kugel mit der frischen Jugend um flüchtige Küsse; doch willst du sie plump haschen und festhalten, kehrt sie dir plötzlich das andere, alte, verschrumpfte Gesicht zu, das dich unbarmherzig zu Tode schmatzt. — Heyrathen und fett werden, mit der Schlafmütze auf dem Kopfe hinaussehen, wie draussen Aurora scheint, Wälder und Ströme noch immer ohne Ruhe fortrauschen müssen, Soldaten über die Berge zieh'n und raufen, und dann auf den Bauch schlagen und: Gott sey Dank! rufen können, das ist freylich ein Glück! — Und doch noch tausendmal widerlicher sind mir die Faun- Gesichter von Hagestolzen, wie sie sich um die Mauern streichen, ein bischen Rammeley und Diebs¬ gelüst im Herzen, wenn sie noch eins haben. Pfuy! Pfuy! So jagten sich die Gedanken in seinem Kopfe ärgerlich durcheinander, und er war, ohne daß er es selbst bemerkte, ins Schloß gekommen. Die Thüre zu Juliens Zimmer stand nur halb ange¬ lehnt, er gieng hinein, fand sie aber nicht darin. Sie schien es eben verlassen zu haben; denn Far¬ ben, Pinsel und andere Mahlergeräthschaften lagen noch umher. Auf dem Tische stand ein Bild auf¬ gerichtet. Er betrachtete es voll Erstaunen: es war sein eignes Portrait, an welchem Julie lange heim¬ lich gearbeitet. Er war in derselben Jägerkleidung gemahlt, in der sie ihn zum erstenmale gesehen hatte. Mit Verwunderung glaubte er auch die Ge¬ gend, die den Hintergrund des Bildes ausfüllte, zu erkennen. Er erinnerte sich endlich, daß er Ju¬ lien manchmal von seinem Schlosse, seinem Gar¬ ten, den Bergen und Wäldern, die es umgeben, erzählt hatte, und ihr reiches Gemüth hatte sich nun aus den wenigen Zügen ein ganz anderes, wunderbares Zauberland, als ihre neue Heymath, zusammengesezt. Er stand lange voller Gedanken am Fenster. Ihre Guitarre lag dort; er nahm sie und wollte singen, aber es gieng nicht. Er lehnte sich mit der Stirn ans Fenster und wollte sie durchaus hier er¬ warten, aber sie kam nicht. Endlich stieg er herab, gieng in den Hof und sattelte und zäumte sich selber sein Pferd. Als er eben zum Thore hinausritt, kam Julie eilfertig aus der Gartenthüre. Sie schien ein Geschäft vor¬ zuhaben, sie grüßte ihn nur flüchtig mit freundli¬ chen Augen und lief ins Schloß. Er gab seinem Pferde die Sporen und sprengte ins Feld hinaus. Ohne einen bestimmten Weg einzuschlagen, war er schon lange herumgeritten, als er mitten im Walde auf einen hochgelegenen, ausgehauenen Fleck kam. Er hörte jemanden lustig ein Liedchen pfeiffen und ritt darauf los. Es war zu seiner nicht geringen Freude der bekannte Ritter, den er schon lange einmal auf seinen Irrzügen zu erwischen, sich gewünscht hatte. Er saß auf einem Baumsturze und ließ seinen Klepper neben sich weiden. Roman¬ tische, goldne Zeit des alten, freyen Schweiffens, wo die ganze schöne Erde unser Lustrevier, der grü¬ ne Wald unser Haus und Burg, dich schimpft man närrisch — dachte Leontin bey diesem Anblick, und rief dem Ritter aus Herzensgrunde sein Hurrah zu. Er stieg darauf selbst vom Pferde und setzte sich zu ihm hin. Der Tag fieng eben an, sich zum Ende zu neigen, die Waldvögel zwitscherten von allen Wipfeln in der Runde. Von der einen Seite sah man in einer Vertiefung unter der Haide ein Schlö߬ chen mit stillem Hofe und Garten ganz in die Wald¬ einsamkeit versenkt. Die Wolken flogen so niedrig über das Dach weg, als sollte sich die bedrängte Seele daran hängen, um jenseits ins Weite, Freye zu gelangen. Mit einem innerlichen Schauder von Bangigkeit erfuhr Leontin von dem Ritter, daß dieß dasselbe Schloß sey, wo jezt die muntere Braut, die er auf jener Jagd kennen gelernt, seit lange schon mit ihrem jungen Manne ruhig wohne, wirth¬ schafte und hause. Aber, sagte er endlich zu dem Ritter, wird Euch denn niemals bange auf Euren einsamen Zü¬ gen? Was macht und sinnt Ihr denn den ganzen langen Tag? — Ich suche den Stein der Weisen, erwiederte der Ritter ruhig. Leontin mußte über diese fertige, unerwartete Antwort laut auflachen. Ihr seyd irrisch in Eurem Verstande, daß Ihr so lacht, sagte der Ritter etwas aufgebracht. Eben weil die Leute wohl wissen, daß ich den Stein der Weisen wittere, so trachten die Pharisäer und Schriftgelehrten darnach, mir durch Reden und Bli¬ cke meine Majestät von allen Seiten auszusaugen, auszuwalzen und auszudreschen. Aber ich halte mich an das Prinzipium: an Essen und Trinken; denn wer nicht ißt, der lebt nicht, wer nicht lebt, der studiert nicht, und wer nicht studiert, der wird kein Weltweiser, und das ist das Fundament der Phi¬ losophie. — So sprach der tolle Ritter eifrig fort und gab durch Mienen und Hände seinen Worten den Nachdruck der ernsthaftesten Ueberzeugung. Leontin, den seine heutige Stimmung besonders auf¬ gelegt machte zu ausschweifenden Reden, stimmte nach seiner Art in denselben Ton mit ein, und so führten die beyden dort über die ganze Welt das allerseltsamste und unförmlichste Gespräch, das je¬ mals mals gehört wurde, während es ringsumher schon lange finster geworden war. Der Ritter, dem ein so aufmerksamer Zuhörer etwas Seltenes war, hielt tapfer Stich, und focht nach allen Seiten in einem wunderlichen Chaos von Sinn und Unsinn, das oft die herrlichsten Gedanken durchblizten. Leontin erstaunte über die scharfen, ganz selbsterschaffenen Ausdrücke und die entschiedene Anlage zum Tiefsinn. Aber alles schien, wie eine üppige Wildniß, durch den lebenslangen Müßiggang zerrüttet und fast bis zum Wahnwitz verworren. Zuletzt sprach der Ritter noch von einem Phi¬ losophen, den er jährlich einmal besuche. Leontin war mit ganzer Seele gespannt, denn die Beschrei¬ bung von demselben stimmte auffallend mit dem al¬ ten Ritterbilde überein, dessen Anblick ihn auf dem Schlosse der weißen Frau so sehr erschüttert hatte. Er fragte näher nach, aber der Ritter antwortete jedesmal so toll und abschweifend, daß er alle wei¬ tere Erkundigungen aufgeben mußte. Endlich brach der Ritter auf, da er heute noch auf dem Schlosse der niedlichen Braut Herberg suchen wollte. Leontin trug ihm an dieselbe seine schönsten Grüße auf. Der Ritter stolperte nun auf seinem Rosinante langsam über die Haide hinab und unterhielt sich noch immerfort mit Leontin mit gro¬ ßem Geschrey über die Philosophie, während er schon längst in der Nacht verschwunden war. 11 Leontin sah sich, nun allein, nach allen Seiten um. Alle Wälder und Berge lagen still und dun¬ kel ringsumher. Unten in der Tiefe schimmerten Lichter hin und her aus den zerstreuten Dörfern, Hunde bellten ferne in den einsamen Höfen. Auch in dem Schlosse des Herrn v. A. sah er noch meh¬ rere Fenster erleuchtet. So blieb er noch lange oben auf der Haide stehen. Am folgenden Morgen frühzeitig erhielt Frie¬ drich einen Brief. Er erkannte sogleich die Züge wieder: er war von Rosa. So lange schon hatte er sich von Tag zu Tag vergebens darauf gefreut, und erbrach ihn nun mit hastiger Ungeduld. Der Brief war folgenden Inhalts: Wo bleibst Du so lange, mein innig ge¬ liebter Freund? Hast Du denn gar kein Mit¬ leid mehr mit Deiner armen Rosa, die sich so sehr nach Dir sehnt? Als ich auf der Höhe im Gebirge von Euch entführt wurde, hatte ich mir fest vorge¬ nommen, gleich nach meiner Ankunft in der Residenz an Dich zu schreiben. Aber Du weißt selbst, wieviel man die erste Zeit an einem sol¬ chen Orte mit Einrichtungen, Besuchen und Gegenbesuchen zu thun hat. Ich konnte da¬ mals durchaus nicht dazu kommen, obschon ich immer und überall an Dich gedacht habe. Und so vergieng die erste Woche, und ich wußte dann nicht mehr, wohin ich meinen Brief ad¬ dressiren sollte. Vor einigen Tagen endlich kam hier der junge Marquis von P. an, der woll¬ te bestimmt wissen, daß sich mein Bruder mit einem fremden Herrn auf dem Guthe des Hrn. v. A. aufhalte. Ich eilte also, sogleich an Dich dorthin zu schreiben. Der Marquis verwun¬ derte sich zugleich, wie ihr es dort so lange aushalten könntet. Er sagte, es wäre ein Séjour zum melancholischwerden. Mit der gan¬ zen Familie wäre in der Welt nichts anzufan¬ gen. Der Baron sey wie ein Holzstich in den alten Rittergeschichten: gedruckt in diesem Jahr, die Tante wisse von nichts zu sprechen, als von ihrer Wirthschaft, und das Fräulein vom Haus sey ein halbreifes Gänseblümchen, ein rechtes Bild ohne Gnaden. Sind das nicht recht närrische Einfälle? Wahrhaftig, man muß dem Marquis gut seyn mit seinem losen Maule. Siehst Du, es ist Dein Glück, denn ich hatte schon große Lust eifersüchtig zu wer¬ den. Aber ich kenne schon meinen Bruder, sol¬ che Bekanntschaften sind ihm immer die liebsten; er läßt sich nichts einreden. Ich bitte Dich aber, sage ihm nichts von alle diesem. Denn er kann sich ohnedieß von jeher mit dem Mar¬ quis nicht vertragen. Er hat sich schon einige¬ mal mit ihm geschlagen und der Marquis hat über der lezten Wunde über ein Vierteljahr zubringen müssen. Er fängt immer selber ohne allen Anlaß Händel mit ihm an. Ich weiß gar 11 * nicht, was er wider ihn hat. Der Marquis ist hier in allen gebildeten Gesellschaften beliebt und ein geistreicher Mann. Ich weiß gewiß, Du und der Marquis werdet die besten Freun¬ de werden. Denn er macht auch Verse, und von der Musik ist er ein großer Kenner. Ue¬ brigens lebe ich hier recht glücklich, so gut es Deine Rosa ohne Dich seyn kann. Ich bekom¬ me und erwiedere Besuche, mache Landparthien u. s. w. Dabey fällt mir immer ein, wie ganz anders Du doch eigentlich bist, als alle diese Leute, und dann wird mir mitten in dem Schwarme so bange, daß ich mich oft heimlich wegschleichen muß, um mich recht auszuweinen. — Die junge, schöne Gräfin Romana, die mich alle Morgen an der Toilette besucht, sagt mir immer, wenn ich mich anziehe, daß meine Au¬ gen so schön wären, und wickelt sich meine Haare um ihren Arm und küßt mich. — Ich denke dann immer an Dich. Du hast das auch gesagt und gethan, und nun bleibst Du auf einmal so lange aus. Ich bitte Dich, wenn Du mir gut bist, laß mich nicht so allein; es ist nicht gut so. — Ich hatte mich gestern so eben erst recht eingeschrieben und hatte Dir noch so viel zu sa¬ gen, da wurde ich zu meinem Verdruße durch einen Besuch unterbrochen. Jezt ist es schon zu spät, da die Post sogleich abgeh'n wird. Ich schließe also schnell in der Hoffnung, Dich bald an mein liebendes Herz zu drücken. Diesen Winter wird es hier besonders brillant werden. Wie schön wäre es, wenn wir ihn hier zusammen zubrächten! Komm, komm, gewiß! Friedrich legte den Brief still wieder zusammen. Unwillkührlich summte ihm der Gassenhauer: „Freut euch des Lebens u. s. w.“, den Leontin gewöhn¬ lich abzuleyern pflegte, wenn seine Schwester et¬ was nach ihrer Art Wichtiges vorbrachte, durch den Kopf. Der ganze Brief, wie von einem von Lust¬ barkeiten Athemlosen im Fluge abgeworfen, war wie eine Lücke in seinem Leben, durch die ihn ein fremdartiger, staubiger Wind anblies. Hab' ich's oben auf der Höhe nicht gesagt, daß Du in Dein Grab hinabsteigst? Wenn die Schönheit mit ihren frischen Augen, mit den jugendlichen Gedanken und Wünschen unter euch tritt, und, wie sie, die eigene, größere Lebenslust treibt, sorglos und lüstern in das liebewarme Leben hinauslangt und sproßt, sich an die feinen Spitzen, die zum Himmel streben, giftig anzusaugen und zur Erde hinabzuzerren, bis die ganze, prächtige Schönheit, fahl und ihres himmlischen Schmuckes beraubt, unter euch dasteht, wie eueres Gleichen — die Hallunken! Er öffnete das Fenster. Der herrliche Morgen lag draussen wie eine Verklärung über dem Lande, und wußte nichts von den menschlichen Wirrungen, nur von rüstigem Thun, Freudigkeit und Frieden. Friedrich spürte sich durch den Anblick innerlichst ge¬ nesen, und der Glaube an die ewige Gewalt der Wahrheit und des festen religiösen Willens wurde wieder stark in ihm. Der Gedanke, zu retten, was noch zu retten war, erhob seine Seele, und er be¬ schloß, nach der Residenz abzureisen. Er gieng mit dieser Nachricht zu Leontin, aber er fand seine Schlafstube leer und das Bett noch von Gestern in Ordnung. Er gieng daher zu Ju¬ lien hinüber, da er hörte, daß sie schon auf war. Das schöne Mädchen stand in ihrer weissen Mor¬ genkleidung eben am Fenster. Sie kehrte sich schnell zu ihm herum, als er hereintrat. Er ist fort! sag¬ te sie leise mit unterdrückter Stimme, zeigte mit dem Finger auf das Fenster und stellte sich wieder mit abgewendetem Gesicht abseits an das andere. Der erstaunte Friedrich erkannte Leontins Schrift auf der Scheibe, die er wahrscheinlich gestern, als er hier allein war, mit seinem Ringe aufgezeichnet hatte. Er las: Der fleissigen Wirthin von dem Haus Dank' ich von Herzen für Trank und Schmauß, Und was beym Mahl den Gast erfreut: Für heitre Mien' und Freundlichkeit. Dem Herrn von Haus sey Lob und Preiß! Seinen Segen wünsch' ich mir auf die Reis', Nach seiner Lieb' mich sehr begehrt, Wie ich ihn halte Ehrenwerth. Herr Viktor soll bethen und fleissig seyn, Denn der Teufel lauert, wo Einer allein Soll lustig auf dem Kopfe steh'n, Wenn alle so dumm auf den Beinen geh'n. Und wenn mein Weg über Berge hoch geht, Aurora sich aufthut, das Posthorn weht, Da will ich Ihm rufen von Herzen voll, Daß er's in der Ferne spüren soll. Ade! Schloß, heiter über'm Thal, Ihr schwülen Thäler allzumal, Du blauer Fluß ums Schloß herum, Ihr Dörfer, Wälder um und um! Wohl sah ich dort eine Zaub'rinn geh'n, Nach Ihr nur alle Blumen und Wälder seh'n, Mit hellen Augen Ströme und Seen, In stillem Schau'n, wie verzaubert, steh'n. Ein jeder Strom wohl find't sein Meer, Ein jeglich Schiff kehrt endlich her, Nur ich treibe und sehne mich immerzu, O wilder Trieb! wann läßst du einmal Ruh? Darunter stand, kaum leserlich, gekrizzelt: Herr Friedrich, der schläft in der Ruhe Schooß, Ich wünsch' ihm viel Unglück, daß er sich erbos', In's Horn, zum Schwerdt, frisch dran und drauf! Philister über Dir, wach', Simson, wach' auf! Friedrich stutzte über diese lezten Zeilen, die ihn unerwartet trafen. Er erkannte tief das Schwerfällige seiner Natur und versank auf einen Augenblick sinnend in sich selbst. Julie stand noch immerfort am Fenster, sah durch die Scheiben und weinte heimlich. Er faßte ihre Hand. Da hielt sie sich nicht länger, sie sez¬ te sich auf ihr Bett und schluchzte laut. Friedrich wußte wohl, wie untröstlich ein liebendes Mädchen ist. Er verabscheute alle jene erbärmlichen Spital¬ tröster voll Wiedersehens, unverhofften Windungen des Schicksals u. s. w. Lieb' ihn nur recht, sagte er zu Julien, so ist er ewig Dein, und wenn die ganze Welt dazwischen läge. Glaube nur niemals den falschen Verführern: daß die Männer eurer Liebe nicht werth sind. Die Schufte freylich nicht, die das sagen; aber es giebt nichts Herrlicheres auf Erden, als der Mann, und nichts Schöneres, als das Weib, das ihm treu ergeben bis zum Tode. — Er küßte das weinende Mädchen und gieng darauf zu ihren Aeltern, um ihnen seine eigene, baldige Abreise anzukündigen. Er fand die Tante höchstbestürzt über Leontins unerklärliche Flucht, die sie auf einmal ganz irre an ihm und allen ihren Planen machte. Sie war an¬ fangs böse, dann still und wie vernichtet. Herr v. A. äußerte weniger mit Worten, als durch ein ungewöhnlich hastiges und zerstreutes Thun und Las¬ sen, das Friedrich'n unbeschreiblich rührte, wir schwer es ihm falle, sich von Leontin getrennt zu sehen, und die Thränen traten ihm in die Augen, als nun auch Friedrich erklärte, schon morgen ab¬ reisen zu müssen. So vergieng dieser noch übrige Tag zerstreut, gestört und Freudenlos. Am anderen Morgen hatte Erwin frühzeitig die Reisebündel geschnürt, die Pferde standen be¬ reit und scharrten ungeduldig unten im Hofe. Frie¬ drich machte noch eilig einen Streifzug durch den Garten und sah noch einmal von dem Berge in die herrlichen Thäler hinaus. Auch das stille, kühle Plätzchen, wo er so oft gedichtet und glücklich ge¬ wesen, besuchte er. Wie im Fluge schrieb er dort folgende Verse in seine Schreibtafel: O Thäler weit, o Höhen, O schöner, grüner Wald, Du meiner Lust und Wehen Andächt'ger Aufenthalt! Da draussen, stets betrogen, Saust die geschäft'ge Welt, Schlag' noch einmal die Bogen Um mich, du grünes Zelt! Wann es beginnt zu tagen, Die Erde dampft und blinkt, Die Vögel lustig schlagen, Daß dir dein Herz erklingt: Da mag vergeh'n, verwehen Das trübe Erdenleid Da sollst du auferstehen In junger Herrlichkeit. Da steht im Wald geschrieben Ein stilles, ernstes Wort, Von rechtem Thun und Lieben, Und was des Menschen Hort. Ich habe treu gelesen Die Worte schlicht und wahr, Und durch mein ganzes Wesen Ward's unaussprechlich klar. Bald werd' ich dich verlassen, Fremd, in der Fremde geh'n, Auf buntbewegten Gassen, Des Lebens Schauspiel seh'n, Und mitten in dem Leben Wird deines Ernst's Gewalt, Mich Einsamen erheben, So wird mein Herz nicht alt. Als der junge Tag sich aus den Morgenwolken hervorgearbeitet hatte, war Friedrich schon draussen zu Pferde. Julie winkte noch weit mit ihrem wei¬ ßen Tuche aus dem Fenster nach. Zweytes Buch . Eilftes Kapitel . E s war schon Abend, als Friedrich in der Resi¬ denz ankam. Er war sehr schnell geritten, so daß Erwin fast nicht mehr nach konnte. Je einsamer draussen der Kreis der Felder ins Dunkel versank, je höher nach und nach die Thürme der Stadt, wie Riesen, sich aus der Finsterniß auflichteten, desto lichter war es in seiner Seele geworden vor Freude und Erwartung. Er stieg im Wirthshause ab und eilte sogleich zu Rosa's Wohnung. Wie schlug sein Herz, als er durch die dunklen Strassen schritt, als er endlich die hellbeleuchtete Treppe in ihrem Hause hinaufstieg. Er mochte keinen Bedienten fragen, er öffnete hastig die erste Thür. Das gro¬ ße, getäfelte Zimmer war leer, nur im Hintergrun¬ de saß eine weibliche Gestalt in vornehmer Klei¬ dung. Er glaubte sich verirrt zu haben und wollte sich entschuldigen. Aber das Mädchen vom Fenster kam sogleich auf ihn zu, führte sich selbst als Ro¬ sa's Kammermädchen auf und versicherte sehr gleich¬ gültig, die Gräfin sey auf den Maskenball gefah¬ ren. Diese Nachricht fiel wie ein Mayfrost in seine Lust. Es war ihm vor Freude gar nicht eingefal¬ len, daß er sie verfehlen könnte, und er hatte bey¬ nahe Lust zu zürnen, daß sie ihn nicht zu Hause er¬ wartet habe. Wo ist denn die kleine Marie? frug er nach einer Weile wieder. O, die ist lange aus den Diensten der Gräfin, sagte das Mädchen mit gerümpftem Näschen und betrachtete ihn von oben bis unten mit einer schnippischen Miene. Friedrich glaubte, es gälte seine staubige Reisekleidung; alles ärgerte ihn, er ließ den Affen steh'n und gieng, ohne seinen Nahmen zu hinterlassen, wieder fort. Verdrüßlich nahm er den Weg zu den Redou¬ tensälen. Die Musik schallte lockend aus den hohen Bogenfenstern, die ihre Scheine weit unten über den einsamen Platz warfen. Ein alter Springbrun¬ nen stand in der Mitte des Platzes, über den nur noch einzelne dunkle Gestalten hin und her irrten. Friedrich blieb lange an dem Brunnen stehen, der seltsam zwischen den Tönen von oben fortrauschte. Aber ein Polizeydiener, der, in seinen Mantel ge¬ hüllt, an der Ecke lauerte, verjagte ihn endlich durch die Aufmerksamkeit, mit der er ihn zu beob¬ achten schien. Er gieng in's Haus hinein, versah sich mit ei¬ nem Domino und einer Larve, und hoffte seine Rosa noch heute in dem Getümmel herauszufinden. Ge¬ blendet trat er aus der stillen Nacht in den plötz¬ lichen Schwall von Tönen, Lichtern und Stimmen, der wie ein Zaubermeer mit rastlos beweglichen, klingenden Wogen über ihm zusammenschlug. Zwey große, hohe Säle, nur leicht von einander geschie¬ den, eröffneten die unermeßlichste Aussicht. Er stell¬ te sich in das Bogenthor zwischen beyde, wo die doppelten Musikchöre aus beyden Sälen verworren ineinander klangen. Zu beyden Seiten toste der seltsame, lustige Markt, fröhliche, reitzende und ernste Bilder des Lebens zogen wechselnd vorüber, Guirlanden von Lampen schmückten die Wände, unzählige Spiegel dazwischen spielten das Leben ins Unendliche, so daß man die Gestalten mit ihrem Wiederspiel verwechselte, und das Auge verwirrt in der gränzenlosen Ferne dieser Aussicht sich verlohr. Ihn schauderte mitten unter diesen Larven. Er stürzte sich selber mit in das Gewimmel, wo es am dichtesten war. Gewöhnliches Volk, Karaktermasken ohne Ka¬ rakter, vertraten auch hier, wie draussen im Le¬ ben, überall den Weg: gespreitzte Spanier, pa¬ pierne Ritter, Taminos, die über ihre Flöte stol¬ perten, hin und wieder ein behender Harlekin, der sich durch die unbehülflichen Züge hindurchwand und nach allen Seiten peitschte. Eine höchstseltsame Maske zog indeß seine Aufmerksamkeit auf sich. Es war ein Ritter in schwarzer, altdeutscher Tracht, die so genau und streng gehalten war, daß man glaubte, irgend ein altes Bild sey aus seinem Rah¬ men ins Leben hinausgetreten. Die Gestalt war hoch und schlank, sein Wams reich mit Gold, der Hut mit hohen Federn geschmückt, die ganze Pracht doch so uralt, fremd und fast gespenstisch, daß je¬ dem unheimlich zu Muthe ward, an dem er vor¬ überstreifte. Er war übrigens galant und wußte zu leben. Friedrich sah ihn fast mit allen Schönen buhlen. Doch alle machten sich gleich nach den er¬ sten Worten schnell wieder von ihm los, denn unter den Spitzen der Ritterärmel langten die Knochen¬ hände eines Todtengerippes hervor. Friedrich wollte eben den sonderbaren Gast wei¬ ter verfolgen, als sich die Bahn mit einem Janha¬ gel junger Männer verstopfte, die auf einer Jagd begriffen schienen. Bald erblickte er auch das flüch¬ tige Reh. Es war eine kleine, junge Zigeunerin, sehr nachlässig verhüllt, das schöne schwarze Haar mit bunten Bändern in lange Zöpfe geflochten. Sie hatte ein Tambourin, mit dem sie die Zu¬ dringlichsten so schalkisch abzuwehren wußte, daß ihr alles nur um desto lieber nachfolgte. Jede ihrer Bewegungen war zierlich, es war das niedlichste Figürchen, daß Friedrich jemals gesehen. In diesem Augenblicke streiften zwey schöne, hohe weibliche Gestalten an ihm vorbey. Zwey männliche Masken drängten sich nach. Es ist ganz sicher die Gräfin Rosa, sagte die eine Maske mit düsterer Stimme. Friedrich traute seinen Ohren kaum. Er drängte sich ihnen schnell nach, aber das Gewimmel war zu groß, und sie blieben ihm im¬ mer eine Strecke voraus. Er sah, daß der schwar¬ ze Ritter den beyden weiblichen Masken begegnete, und der einen im Vorbeygehen etwas ins Ohr raunte, worüber sie höchstbestürzt schien, und ihm eine Weile nachsah, während er längst schon wie¬ der der im Gedränge verschwunden war. Mehrere Par¬ theyen durchkreuzten sich unterdeß von neuem, und Friedrich hatte Rosa aus dem Gesichte verlohren. Ermüdet flüchtete er sich endlich an ein abgele¬ genes Fenster, um auszuruhen. Er hatte noch nicht lange dort gestanden, als die eine von den weibli¬ chen Masken eiligst ebenfalls auf das Fenster zukam. Er erkannte sogleich seine Rosa an der Gestalt. Die eine männliche Maske folgte ihr auf dem Fuße nach, sie schienen beyde den Grafen nicht zu bemer¬ ken. Nur einen einzigen Blick! bat die Maske dringend. Rosa zog ihre Larve weg und sah den Bittenden mit den wunderschönen Augen lächelnd an. Sie schien unruhig. Ihre Blicke durchschweif¬ ten den ganzen Saal und begegneten schon wieder dem schwarzen Ritter, der wie eine Todtenfahne durch die bunten Reihen drang. Ich will nach Hau¬ se — sagte sie darauf ängstlich bittend, und Frie¬ drich glaubte Thränen in ihren Augen zu bemerken. Sie bedeckte ihr Gesicht schnell wieder mit der Lar¬ ve. Ihr unbekannter Begleiter bot ihr seinen Arm, drängte Friedrich, der gerade vor ihr stand, stolz aus dem Wege und bald hatten sich beyde in dem Gewirre verlohren. Der schwarze Ritter war indeß bey dem Fen¬ ster angelangt. Er blieb vor Friedrich stehen und sah ihm scharf in's Gesicht. Dem Grafen graußte, so allein mit der wunderbaren Erscheinung zu steh'n, denn hinter der Larve des Ritters schien alles hohl 12 und dunkel, man sah keine Augen. Wer bist Du? fragte ihn Friedrich. Der Tod von Basel, antwor¬ tete der Ritter und wandte sich schnell fort. Die Stimme hatte etwas so altbekanntes und anklin¬ gendes aus längstvergangener Zeit, daß Friedrich lange sinnend steh'n blieb. Er wollte ihm endlich nach, aber er sah ihn schon wieder im dicksten Hau¬ fen mit einer Schönen wie toll herumwalzen. Ein Getümmel von Lichtern draussen unter den Fenstern lenkte seine Aufmerksamkeit ab. Er blick¬ te hinaus und sah bey dem Scheine einer Fackel, wie die männliche Maske Rosa'n nebst noch einer anderen Dame in den Wagen hob. Der Wagen rollte darauf schnell fort, die Lichter verschwanden, und der Platz unten war auf einmal wieder still und finster. Er warf das Fenster zu und wandte sich in den glänzenden Saal zurück, um sich ebenfalls fortzu¬ begeben. Der schwarze Ritter war nirgends mehr zu sehen. Nach einigem Herumschweifen traf er in der mit Blumen geschmückten Kredenz noch einmal auf die nur allzugefällige Zigeunerin. Sie hatte die Larve abgenommen, trank Wein und blickte mit den munteren Augen reitzend über das Glas weg. Friedrich erschrack, denn es war die kleine Marie. Er drückte seine Larve fester ins Gesicht und faßte das niedliche Mädchen bey der Hand. Sie zog sie verwundert zurück und zeichnete mit ihrem Finger rathend eine Menge Buchstaben in seine flache Hand, aber keiner paßte auf seinen Nahmen. Er zog sie an ein Tischchen und kaufte ihr Zu¬ cker und Naschwerk. Mit ungemeiner Zierlichkeit wußte das liebliche Kind alles mit ihm zu theilen und blinzelte ihm dazwischen oft neugierig in die Augen. Unbesorgt um die Reize, die sie dabey enthüllte, riß sie einen Blumenstrauß von ihrem Bu¬ sen und überreichte ihn lächelnd ihrem unbekannten, sonderbaren Wirth, der immerfort so stumm und kalt neben ihr saß. Die Blumen sind ja alle schon verwelkt, sagte Friedrich, zerzupfte den Strauß und warf die Stücke auf die Erde. Mario schlug ihn lachend auf die Hand und riß ihm die noch übrigen Blumen aus. Er bat endlich um die Erlaubniß, sie nach Hause begleiten zu dürfen, und sie willig¬ te mit einem freudigen Händedruck ein. Als er sie nun durch den Saal fortführte, war unterdeß alles leer geworden. Die Lampen waren größtentheils verlöscht und warfen nur noch zucken¬ de, falbe Scheine durch den Qualm und Staub, in welchen das ganze bunte Leben verraucht schien. Die Musikanten spielten wohl fort aber nur noch einzelne Gestalten wankten auf und ab, demaskirt, nüchtern und übersatt. Mitten in dieser Zerstörung glaubte Friedrich mit einem flüchtigen Blicke Leon¬ tin todtenblaß und mit verwirrtem Haar in einem fernen Winkel schlafen zu sehen. Er blieb erstaunt stehen, alles kam ihm wie ein Traum vor. Aber 12 * Marie drängte ihn schnell und ängstlich fort, als wäre es unheimlich, länger an dem Orte zu hau¬ sen. Als sie unten zusammen im Wagen saßen, sag¬ te Marie zu Friedrich: Ihre Stimme hat eine son¬ derbare Aehnlichkeit mit der eines Herrn, den ich sonst gekannt habe. Friedrich antwortete nichts dar¬ auf. Ach Gott! sagte sie bald nachher, die Nacht ist heut gar so schwül und finster! Sie öffnete das Kutschenfenster, und er sah bey dem matten Schim¬ mer einer Laterne, an der sie vorüberflogen, daß sie ernsthaft und in Gedanken versunken war. Sie fuhren lange durch eine Menge enger und finsterer Gäßchen, endlich rief Marie dem Kutscher zu, und sie hielten vor einem abgelegenen, kleinen Hause. Sie sprang schnell aus dem Wagen und in das Haus hinein. Ein Mädchen, das in Mariens Diensten zu seyn schien, empfieng sie an der Hausthüre. Er ist mein, er ist mein! rief Marie kaum hörbar, aber aus Herzensgrunde, dem Mädchen im Vorübergehen zu und schlüpfte in ein Zimmer. Das Mädchen führte den Grafen mit prüfen¬ den Blicken über ein kleines Treppchen zu einer an¬ deren Thüre. Warum, sagte sie, sind Sie gestern Abends nicht schon zu uns gekommen, da sie vor¬ beyritten, und so freundlich heraufgrüßten? Ich sollte wohl nichts sagen, aber seit acht Tagen spricht und träumt die arme Marie von nichts, als von Ihnen, und wenn es länger gedauert hätte, wäre sie gewiß bald gestorben. Friedrich wollte fragen, aber sie schob die Thüre hinter ihm zu und war verschwunden. Er trat in eine fortlaufende Reihe schöner, ge¬ schmackvoller Zimmer. Ein prächtiges Ruhebett stand im Hintergrunde, der Fußboden war mit rei¬ chen Teppichen geschmückt, eine alabasterne Lampe erleuchtete das Ganze nur dämmernd. In dem letzten Zimmer sah er die niedliche Zigeunerin vor einem großen Wandspiegel stehen und ihre Haare flüchtig in Ordnung bringen. Als sie ihn in dem vorderen Zimmer erblickte, kam sie sogleich herbey¬ gesprungen und stürzte mit einer Hingebung in seine Arme, die keine Verstellung mit ihren gemeinen Künsten jemals erreicht. Der erstaunte Friedrich riß in diesem Augenblicke seinen Mantel und die Larve von sich. Wie vom Blitze berührt, sprang Marie bey diesem Anblicke auf, stürzte mit einem lauten Schrey auf das Ruhebett und drückte ihr, mit bey¬ den Händen bedecktes, Gesicht tief in die Kißen. Was ist das! sagte Friedrich, sind deine Freun¬ de Gespenster geworden? Warum hast du mich ge¬ liebt, eh' du mich kanntest, und fürchtest dich nun vor mir? Marie blieb in ihrer Stellung und ließ die eine Hand, die er gefaßt hatte, matt in der seinigen; sie schien ganz vernichtet. Mit noch im¬ mer verstecktem Gesichte sagte sie leise und gepreßt: Er war auf dem Balle — dieselbe Gestalt — die¬ selbe Maske —. Du hast dich in mir geirrt, sag¬ te Friedrich, und setzte sich neben ihr auf das Bett, viel schwerer und furchtbarer irrst du dich am Le¬ ben, leichtsinniges Mädchen! Wie der schwarze Ritter heute auf dem Balle, tritt überall ein freyer, wilder Gast ungeladen in das Fest. Er ist so lustig aufgeschmückt und ein rüstiger Tänzer, aber seine Augen sind leer und hohl und seine Hände todtenkalt, und du mußt sterben, wenn er dich in die Arme nimmt, denn dein Buhle ist der Teufel. — Marie, seltsam erschüttert von diesen Worten, die sie nur halb vernahm, richtete sich auf. Er hob sie auf seinen Schooß, wo sie still sitzen blieb während er sprach. Ihre Augen und Mienen ka¬ men ihm in diesem Augenblicke wieder so unschuldig und kindisch vor, wie ehemals. Was ist aus dir geworden, arme Marie! fuhr er gerührt fort. Als ich das erstemal auf die schöne grüne Waldes¬ wiese hinunterkam, wo dein stilles Jägerhaus stand, wie du fröhlich auf dem Rehe sassest und sangst — der Himmel war so heiter, der Wald stand frisch und rauschte im Winde, von allen Bergen bliesen die Jäger auf ihren Hörnern — das war eine schö¬ ne Zeit! Ich habe einmal an einem kalten, stürmischen Herbsttage ein Frauenzimmer draussen im Felde sitzen gesehen, die war verrückt geworden, weil sie ihr Liebhaber, der sich lange mit ihr her¬ umgeherzt, verlassen hatte. Er hatte ihr verspro¬ chen, noch an demselben Tage wiederzukommen. Sie gieng nun seit vielen Jahren alle Tage auf das Feld und sah immerfort auf die Landstrasse hinaus. Sie hatte noch immer das Kleid an, das sie da¬ mals getragen hatte, das war schon zerrissen und seitdem ganz altmodisch geworden. Sie zupfte im¬ mer an dem Aermel und sang ein altes Lied zum rasend werden. — Marie stand bey diesen Worten schnell auf und gieng an den Tisch. Friedrich sah auf einmal Blut über ihre Hand hervorrinnen. Al¬ les dieses geschah in Einem Augenblick. Was hast du vor? rief Friedrich, der unter¬ deß herbeygesprungen war. Was soll mir das Le¬ ben! antwortete sie mit verhaltener, trostloser Stim¬ me. Er sah, daß sie sich mit einem Federmesser grade am gefährlichsten Fleck unterhalb der Hand verwundet hatte. Pfuy, sagte Friedrich, wie bist du seitdem unbändig geworden! Das Mädchen wurde blaß, als sie das Blut erblickte, das häufig über den weißen Arm floß. Er zog sie an das Bett hin und riß schnell ein Band aus ihren Haa¬ ren. Sie kniete vor ihm hin und ließ sich gutwillig von ihm das Blut stillen und die Wunde verbin¬ den. Das heftige Mädchen war während deß ruhi¬ ger geworden. Sie lehnte den Kopf an seine Kniee und brach in einen Strom von Thränen aus. Da wurden sie durch Marie's Kammermädchen unterbrochen, die plötzlich in die Stube stürzte und mit Verwirrung vorbrachte, daß so eben der Herr auf dem Wege hieher sey. O Gott! rief Marie sich aufraffend, wie unglücklich bin ich! Das Mäd¬ chen aber schob den Grafen, ohne sich weiter auf Erklärungen einzulassen, eiligst aus dem Zimmer und dem Hause, und schloß die Thüre hinter ihm ab. Draussen auf der Strasse, die leer und öde war, begegnete er bald zwey männlichen, in dunk¬ le Mäntel dichtverhüllten Gestalten, die durch die neblichte Nacht an den Häusern vorbeystrichen. Der eine von ihnen zog einen Schlüssel hervor, er¬ öffnete leise Marie's Hausthüre und schlüpfte hin¬ ein. Desselben Stimme, die er jezt im Vorbeyge¬ hen flüchtig gehört hatte, glaubte er vom heutigen Maskenballe auffallend wieder zu erkennen. Da hierauf alles auf der Gasse ruhig wurde, eilte er endlich voller Gedanken seiner Wohnung zu. Oben in seiner Stube fand er Erwin, den Kopf auf den Arm gestützt, eingeschlummert. Die Lampe auf dem Tische war fast ausgebrannt und dämmer¬ te nur noch schwach über das Zimmer. Der gute Junge hatte durchaus seinen Herrn erwarten wol¬ len, und sprang verwirrt auf, als Friedrich herein¬ trat. Draussen rasselten die Wagen noch immer¬ fort, Läufer schweiften mit ihren Windlichtern an den dunklen Häusern vorüber, in Osten standen schon Morgenstreifen am Himmel. Erwin sagte, daß er sich in der großen Stadt fürchte; das Ge¬ rassel der Wagen wäre ihm vorgekommen, wie ein unaufhörlicher Sturmwind, die nächtliche Stadt, wie ein dunkler eingeschlafener Riese. Er hat wohl recht, es ist manchmal fürchterlich, dachte Friedrich, denn ihm war bey diesen Worten, als hätte dieser Riese Marie und seine Rosa erdrückt, und der Sturmwind gienge über ihre Gräber. Bete, sagte er zu dem Knaben, und lege dich ruhig schlafen! Erwin gehorchte, Friedrich aber blieb noch auf. Seine Seele war von den buntwechselnden Erschei¬ nungen dieser Nacht mit einer unbeschreiblichen Wehmuth erfüllt, und er schrieb heute noch folgen¬ des Gedicht auf: Der armen Schönheit Lebenslauf. Die arme Schönheit irrt auf Erden, So lieblich Wetter draussen ist, Möcht' gern recht viel gesehen werden, Weil jeder sie so freundlich grüßt. Und wer die arme Schönheit schauet, Sich wie auf großes Glück besinnt, Die Seele fühlt sich recht erbauet, Wie wenn der Frühling neu beginnt. Da sieht sie viele schöne Knaben, Die reiten unten durch den Wind, Möcht' manchen gern im Arme haben, Hüt' dich, hüt' dich, du armes Kind! Da zieh'n manch' redliche Gesellen, Die sagen: Hast nicht Geld noch Haus, Wir fürchten deine Augen helle, Wir haben nichts zum Hochzeitsschmauß. Von andern thut sie sich wegdrehen, Weil keiner ihr so wohlgefällt, Die müssen traurig weiter gehen, Und zögen gern an's End der Welt. Da sagt sie: Was hilft mir mein Sehen, Ich wünscht', ich wäre lieber blind, Da alle furchtsam von mir gehen, Weil gar so schön mein' Augen sind. — Nun sitzt sie hoch auf lichtem Schlosse, In schöne Kleider putzt sie sich, Die Fenster glüh'n, sie winkt vom Schlosse, Die Sonne blinkt, das blendet dich. Die Augen, die so furchtsam waren, Die haben jezt so freyen Lauf, Fort ist das Kränzlein aus den Haaren, Und hohe Federn steh'n darauf. Das Kränzlein ist herausgerissen, Ganz ohne Scheu sie mich anlacht; Geh' Du vorbey: sie wird Dich grüssen, Winkt Dir zu einer schönen Nacht. — Da sieht sie die Gesellen wieder, Die fahren unten auf dem Fluß, Es singen laut die lust'gen Brüder, So furchtbar schallt des Einen Gruß: „Was bist du für'ne schöne Leiche! So wüste ist mir meine Brust, Wie bist du nun so arm, du Reiche, Ich hab' an dir nicht weiter Lust!“ Der wilde hat ihr so gefallen, Laut schrie sie auf bey seinem Gruß, Vom Schloß möcht' sie hinunterfallen, Und unten ruh'n im kühlen Fluß. — Sie blieb nicht länger mehr da oben, Weil alles anders worden war, Vor Schmerz ist ihr das Herz erhoben, Da ward's so kalt, doch himmlischklar. Da legt sie ab die goldnen Spangen, Den falschen Putz und Ziererey, Aus dem verstockten Herzen drangen Die alten Thränen wieder frey. Kein Stern wollt' nicht die Nacht erhellen, Da mußte die Verliebte geh'n, Wie rauscht der Fluß! die Hunde bellen, Die Fenster fern erleuchtet steh'n. Nun bist du frey von deinen Sünden, Die Lieb zog triumphirend ein, Du wirst noch hohe Gnade finden, Die Seele geht in Hafen ein. — Der Liebste war ein Jäger worden, Der Morgen schien so rosenroth, Da bließ er lustig auf dem Horne, Bließ immerfort in seiner Noth. Zwoͤlftes Kapitel . Rosa saß des Morgens an der Toilette; ihr Kammermädchen mußte ihr weitläufig von dem frem¬ den Herrn erzählen, der gestern nach ihr gefragt hatte. Sie zerbrach sich vergebens den Kopf, wer es wohl gewesen seyn möchte, denn Friedrich'n er¬ wartete sie nicht so schnell. Vielmehr glaubte sie, er werde darauf bestehen, daß sie die Residenz ver¬ lasse, und das machte ihr manchen Kummer. Die junge Gräfin Romana, eine Verwandte von ihr, in deren Hause sie wohnte, saß neben ihr am Flü¬ gel und schwelgte tosend in den Tänzen von der ge¬ strigen Redoute. Wie ihr anderen nur, sagte sie, alle Lust so gelassen ertragen und aus dem Tanz schnurstracks ins Bett springen könnt und der schö¬ nen Welt so auf einmal ein Ende machen! Ich bin immer so ganz durchklungen, als sollte die Musik niemals aufhören. Bald darauf fand sie Rosa's Augen so süß ver¬ schlafen, daß sie schnell zu ihr hinsprang und sie küß t e. Sie sezte sich neben ihr hin und half sie von allen Seiten schmücken, setzte ihr bald einen Hut, bald Blumen auf und riß eben so oft alles wieder herunter, wie ein verliebter Knabe, der nicht weiß, wie er sich sein Liebchen würdig genug aufputzen soll. Ich weiß gar nicht, was wir uns putzen, sagte das schöne Weib endlich und lehnte den schwarzgelockten Kopf schwermüthig auf den blen¬ dendweißen Arm, was wir uns kümmern und noch Herzweh haben nach den Männern: solches schmu¬ tziges, abgearbeitetes, unverschämtes Volk, steiflei¬ nene Helden, die sich spreitzen und in allem Ernste glauben, daß sie uns beherrschen, während wir sie auslachen, fleissige Staatsbürger und eheliche Ehe¬ standskandidaten, die, ganz beschwitzt von der Be¬ rufsarbeit und das Schurzfell noch um den Leib, mit aller Wuth ihrer Inbrunst von der Werkstatt zum Gar¬ ten der Liebe springen, und denen die Liebe ansteht, wie eine umgekehrt aufgesetzte Perücke. — Rosa besah sich im Spiegel und lachte. — Wenn ich mir bedenke, fuhr die Gräfin fort, wie ich mir sonst als kleines Mädchen einen Liebhaber vorgestellt habe: wunderschön, stark, voll Tapferkeit, wild, und doch wieder so milde, wenn er bey mir war. Ich weiß noch, unser Schloß lag sehr hoch zwischen einsamen Wäldern, ein schöner Garten war daneben, unten gieng ein Strom vorüber. Alle Morgen, wenn ich in den Garten kam, hörte ich draussen in den Bergen ein Waldhorn blasen, bald nahe, bald weit, dazwischen sah ich oft einen Rei¬ ter plötzlich fern zwischen den Bäumen erscheinen und schnell wieder verschwinden. Gott! mit welchen Augen schaute ich da in die Wälder und den blauen weiten Himmel hinaus! Aber ich durfte, so lange meine Mutter lebte, niemals allein aus dem Gar¬ ten. Ein einzigesmal, an einem prächtigen Abende, da der Jäger draussen wieder bließ, wagte ich es und schlich unbemerkt in den Wald hinaus. Ich gieng nun zum erstenmale allein durch die dunkel¬ grünen Gänge, zwischen Felsen und über eingeschlos¬ sene Wiesen voll bunter Blumen, alte, seltsame Ge¬ schichten, die mir die Amme oft erzählte, fielen mir dabey ein; viele Vögel sangen ringsumher, das Waldhorn rufte immerfort, noch niemals hatte ich so große Lust empfunden. Doch, wie ich im Be¬ schauen so versunken, gieng und staunte, hatt' ich den rechten Weg verlohren, auch wurde es schon dunkel. Ich irrt und rief, doch niemand gab mir Antwort. Die Nacht bedeckte indeß Wälder und Berge, die nun wie dunkle Riesen auf mich sahen, nur die Bäume rührten sich so schaurig, sonst war es still im großen Walde. — Ist das nicht recht romantisch? unterbrach sich hier die Gräfin selbst laut auflachend. — Ermüdet, fuhr sie wieder weiter fort, setzte ich mich endlich auf die Erde nieder und weinte bitterlich. Da hör' ich plötzlich hinter mir ein Geräusch, ein Reh bricht aus dem Dickicht her¬ vor und hinterdrein der Reiter. — Es war ein wilder Knabe, der Mond schien ihm hell ins Ge¬ sicht; wie schön und herrlich er anzusehen war, kann ich mit Worten nicht beschreiben. Er stutzte, als er mich erblickte, und staunend standen wir so vorein¬ ander. Erst lange darauf frug er mich, wie ich hieher gekommen und wohin ich wollte? Ich konn¬ te vor Verwirrung nicht antworten, sondern stand still vor ihm und sah ihn an. Da hob er mich schnell vor sich auf sein Roß, umschlang mich fest mit ei¬ nem Arme, und ritt so mit mir davon. Ich fragte nicht: wohin? denn Lust und Furcht war so ge¬ mischt in seinem wunderbaren Anblick, daß ich we¬ der wünschte noch wagte, von ihm zu scheiden. Un¬ terweges bat er mich freundlich um ein Andenken. Ich zog stillschweigend meinen Ring vom Finger und gab ihn ihm. So waren wir nach kurzem Rei¬ ten auf unbekannten Wegen, zu meiner Verwun¬ derung, auf einmal vor unser Schloß gekommen. Der Jäger setzte mich hier ab, küßte mich und kehr¬ te schnell wieder in den Wald zurück. Aber mir scheint gar, Du glaubst mir wirklich alles das Zeug da, sagte hier die Gräfin, da sie Rosa'n über der Erzählung ihren ganzen Putz ver¬ gessen und mit großen Augen zuhorchen sah. — Und ist es denn nicht wahr? fragte Rosa. — So, so, erwiederte die Gräfin, es ist eigentlich mein Lebens¬ lauf in der Knospe. Willst Du weiter hören, mein Püppchen? Der Sommer, die bunten Vögel und die Waldhornsklänge zogen nun fort, aber das Bild des schönen Jägers blieb heimlich bey mir den lan¬ gen Winter hindurch. — Es war an einem von je¬ nen wundervollen Vorfrühlingstagen, wo die ersten Lerchen wieder in der lauen Luft schwirren, ich stand mit meiner Mutter an dem Abhange des Gartens, der Fluß unten war von dem geschmolzenen Schnee ausgetreten und die Gegend weit und breit wie ein großer See zu sehen. Da erblickte ich plötzlich mei¬ nen Jäger wieder gegenüber auf der Höhe. Ich erschrack vor Freude, daß ich am ganzen Leibe zit¬ terte. Er bemerkte mich und hielt meinen Ring an seiner Hand grade auf mich zu, daß der Stein, im Sonnenscheine funkelnd, wunderbar über das Thal herüberblizte. — Er schien zu uns herüber zu wol¬ len, aber das Wasser hinderte ihn. So ritt er auf verschiedenen Umwegen und kam auf einen tie¬ fen Schlund, vor dem das Pferd sich zögernd bäumte. Endlich wagte es den Sprung, sprang zu kurz und er stürzte in den Abgrund. Als ich das sahe, sprang ich, ohne mich zu besinnen, mit einem Schrey vom Abhange aus dem Garten hinunter. Man trug mich ohnmächtig ins Schloß, und ich sah ihn niemals mehr wieder; aber der Ring blitzt wohl noch jeden Frühling aus der Grüne farbig¬ flammend in mein Herz, und ich werde die Zaube¬ rey nicht los. — Was sagte denn aber die Mutter dazu? fragte Rosa. — Sie erinnerte sich sehr oft daran. Noch den letzten Tag vor ihrem Tode, da sie schon zuweilen irre sprach, fiel es ihr ein und sie sagte in einer Art von Verzuckung zu mir: Sprin¬ ge nicht aus dem Garten! Er ist so fromm und zierlich umzäunt mit Rosen, Lilien und Rosmarin. Die Sonne scheint gar lieblich darauf und lichtglän¬ zende Kinder sehen Dir von ferne zu und wollen dort zwischen den Blumenbeeten mit Dir spazieren¬ gehen. Denn Du sollst mehr Gnade erfahren und mehr göttliche Pracht überschauen, als andere. Und eben, weil Du oft fröhlich und kühn seyn wirst und Flügel haben, so bitte ich Dich: springe niemals aus dem stillen Garten! — Was wollte sie denn aber damit sagen? fiel ihr Rosa ins Wort, ver¬ stehst Du's? — Manchmal, erwiederte die Gräfin, an nebligen Herbsttagen. — Sie nahm die Guitar¬ te, trat an das offene Fenster und sang: Laue Luft kommt blau geflossen, Frühling, Frühling soll es seyn! Waldwärts Hörnerklang geschossen, Muth'ger Augen lichter Schein, Und das Wirren bunt und bunter Wird ein magisch wilder Fluß, In die schöne Welt hinunter Lockt dich dieses Stromes Gruß. Und ich mag mich nicht bewahren! Weit von Euch treibt mich der Wind, Auf dem Strome will ich fahren, Von dem Glanze selig blind! Tausend Tausend Stimmen lockend schlagen, Hoch Aurora flammend weht, Fahre zu! ich mag nicht fragen, Wo die Farth zu Ende geht! Was macht dein Bruder Leontin? fragte sie schnellabbrechend und legte die Guitarre, in Gedan¬ ken versunken, hin. Wie kommst du jetzt auf den? fragte Rosa verwundert. Er sagt von mir, antwor¬ tete die Gräfin, ich sey wie eine Flöte, in der viel himmlischer Klang, aber das frische Holz habe sich geworfen, habe einen genialischen Sprung, und so tauge doch am Ende das ganze Instrument nichts. Das fiel mir eben jezt ein. Rosa war froh, daß grade der Bediente her¬ eintrat und meldete, daß die Pferde zum Spa¬ zierritte bereit seyen. Denn die Reden der Grä¬ fin hatten sie heute mehr gepreßt und beängstigt, als sie zeigte, und wäre Friedrich, nach dessen immer beruhigenden Gesprächen sie hier gar oft eine aufrichtige Sehnsucht fühlte, in diesem Augen¬ blicke hereingetreten, sie wäre ihm gewiß mit einer Leidenschaft um den Hals gefallen, die ihn in Ver¬ wunderung gesezt hätte. Friedrich hatte bis weit in den Tag hineinge¬ schlafen oder vielmehr geträumt und stand unerquickt und nüchtern auf. Die alte, schöne Gewohnheit, beym ersten Erwachen in die rüstige, freye Morgen¬ pracht hinauszutreten, und auf hohem Berge oder im Walde die Weihe großer Gedanken für den Tag 13 zu emfangen, mußte er nun ablegen. Trostlos blickte er aus dem Fenster in das verwirrende Trei¬ ben der mühseligdrängenden, schwankenden Menge, und es war ihm, als könnte er hier nicht beten. In solchen verlassenen Stunden wenden wir uns mit doppelter Liebe nach den Augen der Geliebten, aus denen uns die Natur wieder wunderbar begrüßt, wo wir Ruhe, Trost und Freude wieder zu finden wähnen. Auch Friedrich eilte, seine Rosa endlich wieder zu sehen. Aber seine Erwartung sollte noch einmal getäuscht werden. Sie war, wie wir ge¬ hört haben, eben fortgeritten, als er hinkam. Ungeduldig verließ er von neuem das Haus, und es fehlte wenig, daß er in einer Aufwallung nicht sogleich gar wieder fortreiste. Müßig und unlustig schlenderte er durch die Gassen zwischen den fremden Menschengesichtern, ohne zu wissen, wohin. Die ersten Stunden und Tage, die wir in einer großen, unbekannten Stadt verbringen, gehören meistens unter die verdrießlichsten unseres Lebens. Ueberall von aller organischen Theilnahme ausge¬ schlossen, sind wir wie ein überflüssiges, stillstehendes Rad an dem großen Uhrwerke des allgemeinen Trei¬ bens. Neutral hängen wir gleichsam unser ganzes Wesen schlaff zu Boden und haschen, da wir inner¬ lich nicht zu Hause sind, auswärts nach einem fe¬ sten, sicheren Halt. Solche Augenblicke sind es, wo wir darauf verfallen, Visiten zu machen und nach Bekanntschaften zu jagen, da uns sonst der un¬ gestörte Zug eines frischen, bewegten Lebens in Liebe und Haß mit Gleichen und Widrigen von selbst kräftiger und sicherer zusammenführt. So erinnerte sich auch Friedrich, daß er ein Empfehlungsschreiben an den hiesigen Minister P., den er von einsichtsvollen Männern als ein Wunder von tüchtiger Thätigkeit rühmen gehört, bey sich ha¬ be. Er zog es hervor und überlas bey dieser Ge¬ legenheit wieder einmal den weitläufigen Reiseplan, den er bey seinem Auszuge von der Universität sorg¬ fältig in seine Schreibtafel aufgezeichnet hatte. Es rührte ihn, wie da alle Wege so genau vorausbe¬ stimmt waren, und wie nachher alles anders ge¬ kommen war, wie das innere Leben überall durch¬ dringt und, sich an keine vorberechneten Pläne keh¬ rend, gleich einem Baume aus freyer, geheimni߬ voller Werkstatt seine Aeste nach allen Richtungen hinstreckt und treibt und erst als Ganzes einen Plan und Ordnung erweißt. Unter solchen Gedanken erreichte er des Mini¬ sters Haus. Ein Kammerdiener meldete ihn an und führte ihn bald darauf durch eine lange Reihe von Zimmern, die alle fast bis zur Einförmigkeit einfach und schmucklos waren. Erstaunt blieb er stehen, als ihm endlich an der letzten Thüre der Minister selbst entgegenkam. Er hatte sich nach alle dem Er¬ hebenden, was er von seinem großen Streben ge¬ hört, einen lebenskräftigen, heldenähnlichen, freudi¬ gen Mann vorgestellt, und fand eine lange, hage¬ re, schwarzgekleidete Gestalt, die ihn mit unhöflicher 13 * Höflichkeit empfieng. Denn so möchte man jene Höflichkeit nennen, die nichts weiter bedeuten will , und keinen Zug mehr ihres Ursprungs, der wohl¬ wollenden Güte, an sich hat. Der Minister las das Schreiben schnell durch und erkundigte sich um die Familienverhältnisse des Grafen mit wenigen sonderbaren Fragen, aus denen Friedrich zu seiner höchsten Verwunderung ersah, daß der Minister in die Geheimnisse seiner Familie eingeweihter seyn müsse, als er selber, und er betrachtete den kalten Mann einige Augenblicke mit einer Art von heiliger Scheu. Während dieser Unterredung kam unten ein junger Mann in soldatischer Kleidung die Strasse herabgeritten. Wie wenn ein Ritter, noch ein hei¬ liges Bild voriger rechter Jugend, dessen Anblick unser Auge längst entwöhnt ist, uns plötzlich begeg¬ nete, so ragte der herrliche Reiter über die verwor¬ rene, falbe Menge, die sein wildes Roß auseinan¬ dersprengte. Alles zog ehrerbietig den Hut, er nickte freundlich in das Fenster hinauf, der Minister verneigte sich tief; es war der Erbprinz. Auf Friedrich'n hatte die wahrhaft fürstliche Schönheit des Reiters einen wunderbaren Eindruck gemacht, den er, so lange er lebte, nie wieder aus¬ zulöschen vermochte. Er sagte es dem Minister. Der Minister lächelte. Friedrich n ärgerte das brit¬ tisirende, eingefrorene Wesen, das er aus Jean Pauls Romanen bis zum Eckel kannte, und jeder¬ zeit für die allerschändlichste Prahlerey hielt. Auf die Wahrhaftigkeit seines Herzens vertrauend, sprach er daher, als sich bald nachher die Unter¬ haltung zu den neuesten Zeitbegebenheiten wandte, über Staat, öffentliche Verhandlungen und Patrio¬ tismus mit einer sorglosen, sieghaften Ergreiffung, die vielleicht manchmal um desto eher an Uebertrei¬ bung gränzte, je mehr ihn der unüberwindlich kal¬ te Gegensatz des Ministers erhitzte. Der Minister hörte ihn stillschweigend an. Als er geendigt hatte, sagte er ruhig: Ich bitte Sie, verlegen Sie sich doch einige Zeit mit ausschließlichem Fleiße auf das Studium der Jurisprudenz und der kammeralistischen Wissenschaften. Friedrich griff schnell nach seinem Hute. Der Minister überreichte ihm eine Einla¬ dungskarte zu einem sogenannten Tableau, welches heute Abend bey einer Dame, die durch gelehrte Zirkel berüchtigt war, von mehreren jungen Da¬ men aufgeführt werden sollte, und Friedrich eilte aus dem Hause fort. Er hatte sich oben in der Ge¬ genwart des Ministers wie von einer unsichtbaren Uebermacht bedrückt gefühlt, es kam ihm vor, als gienge alles anders auf der Welt, als er es sich in guten Tagen vorgestellt. Es war schon Abend geworden, als sich Frie¬ drich endlich entschloß, von der Einladungskarte, die er vom Minister bekommen hatte, Gebrauch zu ma¬ chen. Er machte sich schnell auf den Weg; aber das Haus der Dame, wohin die Addresse gerichtet war, lag weit in dem anderen Theile der Stadt, und so langte er ziemlich spät dort an. Er wurde bey Vorweisung der Karte in einen Saal gewiesen, der, wie es schien, mit Fleiß, nur durch einen einzigen Kronleuchter sehr matt beleuch¬ tet wurde. In dieser sonderbaren Dämmerung fand er eine zahlreiche Gesellschaft, die lebhaft durchein¬ andersprechend in einzelne Parthieen zerstreut umher¬ saß. Er kannte niemand und wurde auch nicht be¬ merkt; er blieb daher im Hintergrunde und erwar¬ tete, an einen Pfeiler gelehnt, den Ausgang der Sache. Bald darauf wurde zu seinem Erstaunen auch der einzige Kronleuchter hinaufgezogen. Eine un¬ durchdringliche Finsterniß erfüllte nun plötzlich den Raum und er horte ein quickerndes, leichtfertiges Gelächter unter den jungen Frauenzimmern über den ganzen Saal. Wie sehr aber fühlte er sich überrascht, als auf einmal ein Vorhang im Vor¬ dergrunde niedersank und eine unerwartete Erschei¬ nung von der seltsamsten Erfindung sich den Augen darbot. Man sah nemlich sehr überraschend ins Freye, überschaute statt eines Theaters die große, wunder¬ bare Bühne der Nacht selber, die vom Monde be¬ leuchtet draussen ruhte. Schräge über die Gegend hin streckte sich ein ungeheurer Riesenschatten weit hinaus, auf dessen Rücken eine hohe weibliche Ge¬ stalt erhoben stand. Ihr langes weites Gewand war durchaus blendendweiß, die eine Hand hatte sie ans Herz gelegt, mit der anderen hielt sie ein Kreutz zum Himmel empor. Das Gewand schien ganz und gar von Licht durchdrungen und strömte von allen Seiten einen milden Glanz aus, der eine himmlische Glorie um die ganze Gestalt bildete und sich ins Firmament zu verloren schien, wo oben an seinem Ausgange einzelne wirkliche Sterne hindurch¬ schimmerten. Rings unter dieser Gestalt war ein dunkler Kreis hoher, traumhafter, phantastisch in¬ einanderverschlungener Pflanzen, unter denen, un¬ kenntlich verworrene Gestalten zerstreut lagen und schliefen, als wäre ihr wunderbarer Traum über ihnen abgebildet. Nur hin und her endigten sich die höchsten dieser Pflanzengewinde in einzelne Li¬ lien und Rosen, die von der Glorie, der sie sich zuwandten, berührt, und verklärt wurden und in de¬ ren Kelchen goldene Kanarienvögel sassen und in dem Glanze mit den Flügeln schlugen. Unter den dunk¬ len Gestalten des unteren Kreises war nur eine kenntlich. Es war ein Ritter, der sich, der glän¬ zenden Erscheinung zugekehrt, auf beyde Kniee aufgerichtet hatte und auf ein Schwert stützte, und dessen goldene Rüstung von der Glorie hell beleuch¬ tet wurde. Von der anderen Seite stand eine schö¬ ne weibliche Gestalt in griechischer Kleidung, wie die Alten ihre Göttinnen abbildeten. Sie war mit bunten, vollen Blumengewinden umhangen und hielt mit beyden aufgehobenen Armen eine Zymbel, wie zum Tanze, hoch in die Höh', so daß die ganze regelmässige Fülle und Pracht der Glieder sichtbar wurde. Das Gesicht erschrocken von der Glorie abgewendet, war sie nur zur Hälfte erleuch¬ tet; aber es war die deutlichste und vollendetste Figur. Es schien, als wäre die irdische, lebens¬ lustige Schönheit, von dem Glanze jener himmli¬ schen berührt, in ihrer bachantischen Stellung plötz¬ lich so erstarrt. Je länger man das Ganze betrach¬ tete, je mehr und mehr wurde das Zauberbild von allen Seiten lebendig. Die Glorie der mittelsten Figur spielte in den Pflanzengewinden und den zitternden Blätterspitzen der nächststehenden Bäume. Im Hintergrunde sah man noch einige Streifen des Abendroths am Himmel stehen, fernes dunkel¬ blaues Gebirg und hin und wieder den Strom aus der weiten Tiefe wie Silber aufblickend. Die gan¬ ze Gegend schien in erwartungsvoller Stille zu feyern, wie vor einem großen Morgen, der das geheimnißvoll gebundene Leben in herrlicher Pracht lösen soll. Friedrich war freudig zusammengefahren, als der Vorhang sich plötzlich eröffnete, denn er hatte in der mittelsten Figur mit dem Kreutze sogleich sei¬ ne Rosa erkannt. Wie wir einen geliebten köstli¬ chen Stein mit dem Kostbarsten sorgfältig umfas¬ sen, so schien auch ihm der herrliche Kreis der ge¬ stirnten Nacht draussen nur eine Folie um das schö¬ ne Bild der Geliebten, zu welcher Aller Augen un¬ widerstehlich hingezogen wurden. An ihren großen, sinnigen Augen entzündete sich in seiner Brust die Macht hoher, freudiger Entschlüsse und Gedanken, das Abendroth draussen war ihm die Aurora eines künftigen, weiten, herrlichen Lebens und seine ganze Seele flog wie mit großen Flügeln in die wunder¬ bare Aussicht hinein. Mitten in dieser Entzückung fiel der Vorhang plötzlich wieder, das Ganze verdeckend, herab, der Kronleuchter wurde heruntergelassen und ein schnat¬ terndes Gewühle und Lachen erfüllte auf einmal wieder den Saal. Der größte Theil der Gesellschaft brach nun von allen Sitzen auf und verlohr sich. Nur ein kleiner Theil von Auserwählten, wie es schien, blieb im Saale zurück. Friedrich wurde während deß vom Minister, der auch zugegen war, bemerkt und sogleich der Frau vom Hause vorge¬ stellt. Es war eine fast durchsichtigschlanke, schmäch¬ tige Gestalt, gleichsam im Nachsommer ihrer Blü¬ the und Schönheit. Sie bat ihn mit so überaus sanften, leisen, lispelnden Worten, daß er Mühe hatte sie zu verstehen, ihre künstlerischen Abendan¬ dachten, wie sie sich ausdrückte, mit seiner Gegen¬ wart zu beehren, und sah ihn dabey mit blinzeln¬ den, fast zugedrückten Augen an, von denen er zweifelhaft war, ob sie ausforschend, gelehrt, sanft, verliebt oder nur interessant seyn sollten. Die Gesellschaft zog sich indeß in eine kleinere Stube zusammen. Die Zimmer waren durchaus prachtvoll und im neuesten Geschmack dekorirt; nur hin und wieder bemerkte man einige auffallende Be¬ sonderheiten und Nachlässigkeiten, unsymetrische Spiegel, Guitarren, aufgeschlagene Musikalien und Bücher, die auf den Ottomanen zerstreut umherla¬ gen. Friedrich'n kam es vor, als hätte es der Frau vom Hause vorher einige Stunden mühsamen Studiums gekostet, um in das Ganze eine gewisse unordentliche Genialität hineinzubringen. Endlich erschien auch Rosa mit der jungen Gräfin Romana, welche in dem Tableau die grie¬ chische Figur, die lebenslustige, vor dem Glanz des Christenthums zu Stein gewordene Religion der Phantasie so meisterhaft dargestellt hatte. Rosa's erster Blick traf grade auf Friedrich. Erstaunt und mit innigster Herzensfreude rief sie laut seinen Nah¬ men. Er wäre ihr um den Hals gefallen, aber der Minister stand eben wie eine Statue neben ihm, und manche Augen hatte ihr unvorsichtiger Ausruf auf ihn gerichtet. Er hätte sich vor diesen Leuten eben so gern wie Don Quixote in der Wildniß vor seinem Sancho Pansa in Burzelbäumen produzieren wollen, als seine Liebe ihren Augen Preis geben. Aber so nahe als möglich hielt er sich zu ihr, es war ihm eine unbeschreibliche Lust, sie anzurühren, er sprach wieder mit ihr, als wäre er nie von ihr entfernt gewesen und hielt oft Minutenlang ihre Hand in der seinigen. Rasa'n that diese langent¬ behrte, ungekünstelte, unwiderstehliche Freude an ihr im Innersten wohl. Es hatte sich unterdeß ein niedliches, etwa zehnjähriges Mädchen eingefunden, die in einer rei¬ tzenden Kleidung mit langen Beinkleidern und kurzem schleyernen Röckchen darüber keck im Zimmer herum¬ sprang. Es war die Tochter vom Hause. Ein Herr aus der Gesellschaft reichte ihr ein Tambourin, das in einer Ecke auf dem Fußboden gelegen hatte. Alle schlossen bald einen Kreis um sie und das zierliche Mädchen tanzte mit einer wirklich bewunderungs¬ würdigen Anmuth und Geschicklichkeit, während sie das Tambourin auf mannigfache Weise schwang und berührte und ein niedliches italiänisches Liedchen da¬ zu sang. Jeder war begeistert, erschöpfte sich in Lobsprüchen und wünschte der Mutter Glück, die sehr zufrieden lächelte. Nur Friedrich schwieg still. Denn einmal war ihm schon die moderne Jungen¬ tracht bey Mädchen zuwider, ganz abscheulich aber war ihm diese gottlose Art, unschuldige Kinder durch Eitelkeit zu dressiren. Er fühlte vielmehr ein tiefes Mitleid mit der schönen kleinen Bajadere. Sein Aerger und das Lobpreisen der anderen stieg, als nachher das Wunderkind sich unter die Gesell¬ schaft mischte, nach allen Seiten hin in fertigem Französisch schnippische Antworten ertheilte, die eine Klugheit weit über ihr Alter zeigten, und über¬ haupt jede Ungezogenheit als genial genommen wurde. Die Damen, welche sämmtlich sehr ästhetische Mienen machten, setzten sich darauf nebst mehreren Herren unter dem Vorsitze der Frau vom Haus, die mit vieler Grazie den Thee einzuschenken wu߬ te, förmlich in Schlachtordnung und fiengen an von Ohrenschmäußen zu reden. Der Minister entfernte sich in die Nebenstube, um zu spielen. — Friedrich erstaunte, wie diese Weiber geläufig mit den neue¬ sten Erscheinungen der Literatur umzuspringen wu߬ ten, von denen er selber manche kaum dem Nahmen nach kannte, wie leicht sie mit Nahmen herumwar¬ fen, die er nie ohne heilige, tiefe Ehrfurcht auszu¬ sprechen gewohnt war. Unter ihnen schien besonders ein junger Mann mit einer verachtenden Miene in einem gewissen Glauben und Anseh'n zu stehen. Die Frauenzimmer sahen ihn beständig an, wenn es darauf ankam, ein Urtheil zu sagen, und such¬ ten in seinem Gesichte seinen Beyfall oder Tadel im voraus herauszulesen, um sich nicht etwa mit etwas Abgeschmacktem zu prostituiren. Er hatte viele ge¬ nialische Reisen gemacht, in den meisten Hauptstäd¬ ten auf öffentlicher Strasse auf seine eigne Faust Ball gespielt, Kotzebue'n einmal in einer Gesell¬ schaft in den Sack gesprochen, fast mit allen be¬ rühmten Schriftstellern zu Mittag gespeißt oder klei¬ ne Fußreisen gemacht. Uebrigens gehörte er eigent¬ lich zu keiner Parthey; er übersah alle weit und belächelte die entgegengesetzten Gesinnungen und Bestrebungen, den eifrigen Streit unter den Phi¬ losophen oder Dichtern: Er war sich der Lichtpunkt dieser verschiedenen Reflexe. Seine Urtheile waren alle nur wie zum Spiele flüchtig hingeworfen mit einem nachlässig mystischen Anstrich, und die Frauen¬ zimmer erstaunten nicht über das, was er sagte, sondern was er, in der Ueberzeugung nicht verstan¬ den zu werden, zu verschweigen schien. Wenn dieser heimlich die Meynung zu regieren schien, so führte dagegen ein anderer fast einzig das hohe Wort. Es war ein junger, voller Mensch mit strotzender Gesundheit, ein Antlitz, das vor wohlbehaglicher Selbstgefälligkeit glänzte und strahl¬ te. Er wußte für jedes Ding ein hohes Schwung¬ wort, lobte und tadelte ohne Maaß und sprach ha¬ stig mit einer durchdringenden, gellenden Stimme. Er schien ein wüthendbegeisterter von Profession und ließ sich von den Frauenzimmern, denen er sehr gewogen schien, gern den heiligen Thyrsus¬ schwinger nennen. Es fehlte ihm dabey nicht an ei¬ ner gewissen schlauen Miene, womit er niederern, nicht so saftige Naturen seiner Ironie Preis zu ge¬ ben pflegte. Friedrich wußte gar nicht, wohin die¬ ser während seiner Deklamationen so viel Liebesblicke verschwende, bis er endlich ihm gerade gegenüber einen großen Spiegel entdeckte. Der Begeisterte ließ sich nicht lange bitten, et¬ was von seinen Poesien mitzutheilen. Er las eine lange Dythirambe von Gott, Himmel, Hölle, Er¬ de und dem Karfunkelstein mit angestrengtester Hef¬ tigkeit vor, und schloß mit solchem Schrey und Nachdruck, daß er ganz blau im Gesichte wurde. Die Damen waren ganz ausser sich über die heroi¬ sche Kraft des Gedichts, so wie des Vortrages. Ein anderer junger Dichter von mehr schmach¬ tendem Anseh'n, der neben der Frau vom Hause seinen Wohnsitz aufgeschlagen hatte, lobte zwar auch mit, warf aber dabey einige durchbohrende neidische Blicke auf den Begeisterten, vom Lesen ganz erschöpften. Ueberhaupt war dieser Friedrich'n schon von Anfang durch seinen großen Unterschied von jenen beyden Flausenmachern aufgefallen. Er hatte sich während der ganzen Zeit, ohne sich um die Verhandlungen der anderen zu bekümmern, aus¬ schließlich mit der Frau vom Haus unterhalten, mit der er Eine Seele zu seyn schien. Ihre Unterhal¬ tung mußte sehr zart seyn, wie man von dem sü¬ ßen, zugespitzten Munde beyder abnehmen konnte, und Friedrich hörte nur manchmal einzelne Laute, wie: „mein ganzes Leben wird zum Roman“ — „überschwenglichreiches Gemüth“ „Priesterle¬ ben“ — herüberschallen. Endlich zog auch dieser ein ungeheueres Paket Papiere aus der Tasche und begann vorzulesen, unter anderen folgendes Asso¬ nanzenlied : Hat nun Lenz die silbern'n Brounen Losgebunden: Knie' ich nieder, süßbeklommen, In die Wunder. Himmelreich, so kommt geschwommen Auf die Wunden! Hast Du einzig mich erkohren Zu den Wundern? In die Ferne süß verlohren, Lieder fluthen, Daß sie, rückwärts sanft erschollen, Bringen Kunde. Was die andern sorgen wollen, Ist mir dunkel, Mir will ew'ger Durst nur frommen Nach dem Durste. Was ich liebte und vernommen, Was geklungen, Ist den eignen, tiefen Wonnen Selig Wunder! Weiter folgendes Sonett: Ein Wunderland ist oben aufgeschlagen, Wo goldne Ströme geh'n und dunkel schallen Und durch ihr Rauschen tief' Gesänge hallen, Die möchten gern ein hohes Wort uns sagen. Viel goldne Brücken sind dort kühn geschlagen, Darüber alte Brüder sinnend wallen Und seltsam' Töne oft herunterfallen — Da will tief Sehnen uns von hinnen tragen. Wen einmal so berührt die heil'gen Lieder: Sein Leben taucht in die Musik der Sterne, Ein ewig Zieh'n in wunderbare Ferne. Wie bald liegt da tief unten alles Trübe! Er kniet ewig bethend einsam nieder, Verklärt im heil'gen Morgenroth der Liebe. Er las noch einen Haufen Sonette mit einer Art von priesterlicher Feyerlichkeit. Keinem dersel¬ ben fehlte es an irgend einem wirklich aufrichtigen kleinen Gefühlchen, an großen Ausdrücken und lieblichen Bildern. Alle hatten einen einzigen, bis ins Unendliche breit auseinandergeschlagenen Gedan¬ ken, sie bezogen sich alle auf den Beruf des Dich¬ ters und die Göttlichkeit der Poesie, aber die Poe¬ sie selber, das ursprüngliche, freye, tüchtige Leben, das uns ergreift, ehe wir darüber sprachen, kam nicht zum Vorschein vor lauter Komplimenten davor und Anstalten dazu. Friedrich'n kamen diese Poe¬ sierer in ihrer durchaus polirten, glänzenden, wohl¬ erzogenen Weichlichkeit wie der fade, unerquickliche Theedampf, die zierliche Theekanne mit ihrem lo¬ dernden Spiritus auf dem Tische wie der Opferal¬ tar dieser Musen vor. Er erinnerte sich bey diesem eßtheetischen Geschwätz der schönen Abende im Wal¬ de bey Leontins Schloß, wie da Leontin manchmal so seltsame Gespräche über Poesie und Kunst hielt, wie seine Worte, je finsterer es nach und nach ringsumher wurde, zulezt Eins wurden mit dem Rauschen des Waldes und der Ströme und dem großen Geheimnisse des Lebens und weniger belehr¬ ten als erquickten, stärkten und erhoben. Er erholte sich recht an der erfrischenden Schön¬ heit Rosa's, in deren Gesicht und Gestalt unver¬ kennbar der herrliche, wilde, oft ungenießbare Berg- und Waldgeist ihres Bruders zur ruhige¬ ren, großen, schönen Form geworden war. Sie kam ihm diesen Abend viel schöner und unschuldiger vor, da sie sich fast gar nicht in die gelehrten Un¬ terhaltungen mit einmischte. Höchstanziehend und zurückstoßend zugleich erschien ihm dagegen ihre Nachbarinn, die junge Gräfin Romana, welche er sogleich für die griechische Figur in dem Tableau erkannte, und die daher heute allgemein die schöne Heydinn genannt wurde. Ihre Schönheit war durchaus verschwenderischreich, südlich und blendend und überstrahlte Rosa's mehr deutsche Bildung weit, weit, ohne eigentlich vollendeter zu seyn. Ihre Bewegungen waren feurig, ihre großen, brennen¬ den, durchdringenden Augen, denen es nicht an Strenge fehlte, bestrichen Friedrich'n wie ein Mag¬ net. Als endlich der Schmachtende seine Vorlesung geendigt hatte, wurde sie ziemlich unerwartet um ihr Urtheil darüber befragt. Sie antwortete sehr kurz und verworren, denn sie wußte fast kein Wort davon; sie hatte während deß heimlich ein ausfallend getroffenes Portrait Friedrichs geschnitzt, das sie schnell Rosa'n zusteckte. — Bald darauf wurde auch sie aufgefordert, etwas von ihren Poesieen zum Besten zu geben. Sie versicherte vergebens, daß sie nichts bey sich habe, man drang von allen Sei¬ ten, besonders die Weiber mit wahren Judasge¬ sichtern, in sie, und so begann sie, ohne sich lange zu besinnen, folgende Verse, die sie zum Theil aus der Erinnerung hersagte, größtentheils im Augen¬ blick erfand und durch ihre musikalischen Mienen wunderbar belebte: Weit in einem Walde droben Zwischen hoher Felsen Zinnen, Steht ein altes Schloß erhoben, Wohnet eine Zaub'rin drinne. Von dem Schloß, der Zaub'rin Schöne Gehen wunderbare Sagen, Lockend schweifen fremde Töne Plötzlich her oft aus dem Walde. Wem sie recht das Herz getroffen, Der muß nach dem Walde gehen, 14 Ewig diesen Klängen folgend, Und wird nimmer mehr gesehen. Tief in wundersamer Grüne Steht das Schloß, schon halbverfallen, Hell die goldnen Zinnen glühen, Einsam sind die weiten Hallen. Auf des Hofes stein'gem Rasen Sitzen von der Tafelrunde All' die Helden dort gelagert, Ueberdeckt mit Staub und Wunden. Heinrich liegt auf seinem Löwen, Gottfried auch, Siegfried der Scharfe, König Alfred, eingeschlafen Ueber seiner goldnen Harfe. Don Quixot hoch auf der Mauer Sinnend tief in nächt'ger Stunde, Steht gerüstet auf der Lauer Und bewacht die heil'ge Runde. Unter fremdes Volk verschlagen, Arm und ausgehöhnt, verrathen, Hat er treu sich durchgeschlagen, Eingedenk der Heldenthaten Und der großen alten Zeiten, Bis er, ganz von Wahnsinn trunken, Endlich so nach langem Streiten Seine Brüder hat gefunden. Einen wunderbaren Hofstaat Die Prinzessin dorthin führet, Hat ein'n wunderlichen Alten, Der das ganze Haus regieret. Einen Mantel trägt der Alte, Schillernd bunt in allen Farben Mit unzähligen Zierrathen, Spielzeug hat er in den Falten. Scheint der Monden helle draussen, Wolken fliegen über'm Grunde: Fängt er draussen an zu hausen, Kramt sein Spielzeug aus zur Stunde. Und das Spielzeug um den Alten Rührt sich bald beym Mondenscheine, Zupfet ihn beym langen Barte, Schlingt um ihn die bunten Kreise Auch die Blümlein nach ihm langen, Möchten doch sich sittsam zeigen, Zieh'n verstohlen ihn beym Mantel, Lachen dann in sich gar heimlich. Und ringsum die ganze Runde Zieht Gesichter ihm und rauschet, Unterhält aus dunklem Grunde Sich mit ihm als wie im Traume. Und er spricht und sinnt und sinnet, Bunt verwirrend alle Zeiten, Weinet bitterlich und lachet, Seine Seele ist so heiter. Bey ihm sitzt dann die Prinzessin, Spielt mit seinen Seltsamkeiten, Immer neue Wunder blinkend Muß er aus dem Mantel breiten. Und der wunderliche Alte Hielt sie sich bey seinen Bildern Neidisch immerfort gefangen, Weit von aller Welt geschieden. Aber der Prinzessin wurde Mitten in dem Spiele bange Unter diesen Zauberblumen, Zwischen dieser Quellen Rauschen. 14 * Frisches Morgenroth im Herzen Und voll freudiger Gedanken, Sind die Augen wie zwey Kerzen, Schön die Welt dran zu entflammen. Und die wunderschöne Erde, Wie Aurora sie berühret, Will mit ird'scher Lust und Schmerzen Ewig neu sie stets verführen. Denn aus dem bewegten Leben Spüret sie ein Hochzeitsgrüßen, Mitten zwischen ihren Spielen Muß sie sich bezwungen fühlen. Und es hebt die ewig Schöne, Da der Morgen herrlich schiene, In den Augen große Thränen, Hell die jugendlichen Glieder. „Wie so anders war es damals, Da mich, bräutlich Ausgeschmückte, Aus dem heymathlichen Garten Hier herab der Vater schickte! Wie die Erde frisch und jung noch Von Gesängen rings erklingend, Schauernd in Erinnerungen, Helle in das Herz mir blickte, Daß ich, schamhaft mich verhüllend, Meinen Ring, von Glanz geblendet, Schleudert' in die prächt'ge Fülle, Als die ew'ge Braut der Erde. Wo ist nun die Pracht geblieben, Treuer Ernst im rüst'gen Treiben, Rechtes Thun und rechtes Lieben Und die Schönheit und die Freude? Ach! ringsum die Helden alle, Die sonst schön und helle schauten, Um mich in den lichten Tagen Durch die Welt sich fröhlich hauten, Strecken steinern nun die Glieder, Eingehüllt in ihre Fahnen, Sind seitdem so alt geworden, Nur ich bin so jung wie damals. — Von der Welt kann ich nicht lassen, Liebeln nicht von fern mit Reden, In den Arm lebendig fassen! — Laß mich lieben, laß mich leben!“ Nun verliebt die Augen gehen Ueber ihres Gartens Mauer, War so einsam dort zu sehen Schimmernd Land und Ström' und Auen. Und wo ihre Augen giengen: Quellen aus der Grüne sprangen, Berg und Wald verzaubert standen Tausend Vögel schwirrend sangen. Golden blitzt es über'm Grunde, Seltne Farben irrend schweiffen, Wie zu lang entbehrtem Feste Will die Erde sich bereiten. Und nun kamen angezogen Freyer bald von allen Seiten, Federn bunt im Winde flogen, Jäger schmuck im Walde reiten. Hörner munter drein erschallen Auf und munter durch das Grüne, Pilger fromm dazwischen wallen, Die das Heymathsfieber spüren. Auf vielsonn'gen Wiesen flöten Schäfer bey Schneeflock'gen Schafen, Ritter in der Abendröthe Knien auf des Berges Hange, Und die Nächte von Guitarren Und Gesängen weich erschallen, Daß der wunderliche Alte Wie verrückt beginnt zu tanzen. Die Prinzessin schmückt mit Kränzen Wieder sich die schönen Haare, Und die vollen Kränze glänzen Und sie blickt verlangend nieder. Doch die alten Helden alle, Draussen vor der Burg gelagert, Saßen dort im Morgenglanze, Die das schöne Kind bewachten. An das Thor die Freyer kamen Nun gesprengt, gehüpft, gelaufen, Ritter, Jäger, Provenzalen, Bunte, helle, lichte Haufen. Und vor allen junge Recken Stolzen Blicks den Berg berannten, Die die alten Helden weckten, Sie vertraulich Brüder nannten. Doch wie diese uralt blicken, An die Eisenbrust geschlossen, Brüderlich die Jungen drücken, Fallen die erdrückt zu Boden. Andre lagern sich zum Alten, Graust ihn'n gleich bey seinen Mienen, Ordnen sein verworrenes Walten, Daß es jedem wohlgefiele; Doch sie fühlen schauernd balde, Daß sie ihn nicht können zwingen, Selbst zu Spielzeug sich verwandelt, Und der Alte spielt mit ihnen. Und sie müssen thöricht tanzen, Manche mit der Kron' geschmücket Und im purpurnem Talare Feyerlich den Reigen führen. Andre schweben lispelnd lose, Andre müssen männlich lärmen, Rittern reissen aus die Roße Und die schreyen gar erbärmlich. Bis sie endlich alle müde Wieder kommen zu Verstande, Mit der ganzen Welt im Frieden, Legen ab die Maskerade. „Jäger sind wir nicht, noch Ritter,“ Hört man sie von fern noch summen, „Spiel nur war das — wir sind Dichter!“ — So vertost der ganze Plunder, Nüchtern liegt die Welt wie ehe, Und die Zaub'rin bey dem Alten Spielt die vor'gen Spiele wieder Einsam wohl noch lange Jahre. — Die Gräfin, die zuletzt mit ihrem schönen, be¬ geisterten Gesicht einer welschen Improvisatorin glich, unterbrach sich hier plötzlich selber, indem sie laut auflachte, ohne daß jemand wußte, warum? Ver¬ wundert fragte alles durcheinander: Was lachen Sie? Ist die Allegorie schon geschlossen? Ist das nicht die Poesie? — Ich weiß nicht, ich weiß nicht, ich weiß nicht, sagte die Gräfin lustig und sprang auf. Von allen Seiten wurden nun die flüchtigen Verse besprochen. Einige hielten die Prinzessin im Gedicht für die Venus, andere nannten sie die Schönheit, andere nannten sie die Poesie des Le¬ bens. — Es mag wohl die Gräfin selber seyn, dachte Friedrich. — Es ist die Jungfrau Maria, als die große Welt-Liebe, sagte der genialische Reisende, der wenig Acht gegeben hatte, mit vor¬ nehmer Nachlässigkeit. Ey, daß Gott behüte! brach Friedrich, dem das Gedicht der Gräfin heydnisch und übermüthig vorgekommen war wie ihre ganze Schönheit, halb lachend und halb unwillig aus: Sind wir doch kaum des Vernünftelns in der Re¬ ligion los, und fangen dagegen schon wieder an, ihre festen Glaubenssätze, Wunder und Wahrheiten zu verpoetisiren und zu verflüchtigen. In wem die Religion zum Leben gelangt, wer in allem Thun und Lassen von der Gnade wahrhaft durchdrungen ist, dessen Seele mag sich auch in Liedern ihrer Entzückung und des himmlischen Glanzes erfreuen. Wer aber hochmüthig und schlau diese Geheimnisse und einfältigen Wahrheiten als beliebigen Dich¬ tungsstoff zu überschauen glaubt, wer die Religion, die nicht dem Glauben, dem Verstande oder der Poesie allein, sondern allen dreyen, dem ganzen Menschen, angehört, bloß mit der Phantasie in ihren einzelnen Schönheiten willkührlich zusammen¬ rafft, der wird eben so gern an den griechischen Olymp glauben, als an das Christenthum, und eins mit dem andern verwechseln und versetzen, bis der ganze Himmel furchtbar öde und leer wird. — Friedrich bemerkte, daß er von mehreren sehr weise belächelt wurde, als könne er sie nicht zu ihrer freyen Ansicht erheben. Man hatte indeß an dem Tische die Geschichte der Gräfin Dolores aufgeschlagen und blätterte darin hin und her. Die mannigfaltigsten Urtheile darüber durchkreuzten sich bald. Die Frau vom Haus und ihr Nachbar, der Schmachtende, sprachen vor allen anderen bitter und mit einer auffallend gekränk¬ ten Empfindlichkeit und Heftigkeit darüber. Sie schienen das Buch aus tiefster Seele zu hassen. Friedrich errieth wohl die Ursache und schwieg. — Ich muß gestehen, sagte eine junge Dame, ich kann mich darein nicht verstehen, ich wußte niemals, was ich aus dieser Geschichte mit den tausend Ge¬ schichten machen soll. Sie haben sehr recht, fiel ihr einer von den Männern, der sonst unter allen immer am richtigsten geurtheilet hatte, ins Wort, es ist mir immer vorgekommen, als sollte dieser Dichter noch einige Jahre pausiren, um dichten zu lernen. Welche Sonderbarkeiten, Verrenkungen und schreyende Uebertreibungen! — Grade das Gegen¬ theil, unterbrach ihn ein anderer, ich finde das Ganze nur allzu prosaisch, ohne die himmlische Ue¬ berschwenglichkeit der Phantasie. Wenn wir noch viele solche Romane erhalten, so wird unsere Poe¬ sie wieder eine bloße allegorische Person der Moral. Hier hielt sich Friedrich, der dieses Buch hoch in Ehren hielt, nicht länger. Alles ringsumher, sagte er, ist prosaisch und gemein, oder groß und herrlich, wie wir es verdrossen und träge oder be¬ geistert ergreifen. Die größte Sünde aber unserer jetzigen Poesie ist meines Wissens die gänzliche Ab¬ straktion, das abgestandene Leben, die leere, will¬ kührliche, sich selbst zerstörende Schwelgerey in Bil¬ dern. Die Poesie liegt vielmehr in einer fortwäh¬ rend begeisterten Anschauung und Betrachtung der Welt und der menschlichen Dinge, sie liegt eben so sehr in der Gesinnung, als in den lieblichen Ta¬ lenten, die erst durch die Art ihres Gebrauches groß werden. Wenn in einem sinnreichen, einfach¬ strengen, männlichen Gemüth auf solche Weise die Poesie wahrhaft lebendig wird, da verschwindet al¬ ler Zwiespalt: Moral, Schönheit, Tugend und Poesie wird alles Eins in den adelichen Gedanken, in der göttlichen sinnigen Lust und Freude und dann mag freylich das Gedicht erscheinen, wie ein in der Erde wohlgegründeter, tüchtiger, schlanker, hoher Baum, wo Grob und Fein erquicklich durcheinan¬ derwächst und rauscht und sich rührt zu Gottes Lobe. Und so ist mir auch dieses Buch jedesmal vorgekommen, obgleich ich gern zugebe, daß der Autor in stolzer Sorglosigkeit sehr unbekümmert mit den Worten schaltet, und sich nur zu oft daran er¬ götzt, die kleinen Zauberdinger kurios auf den Kopf zu stellen. Die Frauenzimmer machten große Augen, als Friedrich unerwartet so sprach. Was er gesagt, hatte wenigstens den gewissen guten Klang, der ihnen bey allen solchen Dingen die Hauptsache war. Romana, die es von weitem flüchtig mit angehört, fieng an, ihn mit ihren dunkelglühenden Augen be¬ deutender anzusehen. Friedrich aber dachte: in Euch wird doch alles Wort nur wieder Wort, und wand¬ te sich zu einem schlichten Manne, der vom Lande war, und weniger mit der Literatur als mit dieser Art sie zu behandeln unbekannt zu seyn schien. Dieser erzählte ihm, wie er jenem Romane eine seltsame Verwandlung seines ganzen Lebens zu verdanken habe. Auf dem Lande ausschließlich zur Oekonomie erzogen, hatte er nemlich, von frühester Kindheit an nie Neigung zum Lesen und besonders einen gewissen Widerwillen gegen alle Poesie, als einem unnützen Zeitvertreib. Seine Kinder dagegen ließen seit ihrem zartesten Alter einen unüberwind¬ lichen Hang und Geschicklichkeit zum Dichten und zur Kunst verspüren, und alle Mittel, die er an¬ wandte, waren nicht im Stande, sie davon abzu¬ bringen und sie zu thätigen, ordentlichen Landwir¬ then zu machen. Vielmehr lief ihm der älteste Sohn fort und wurde wider seinen Willen Mahler. Dadurch wurde er immer verschlossener und seine Abneigung gegen die Kunst verwandelte sich immer bitterer in entschiedenen Haß gegen alles, was ihr nur anhieng. Der Mahler hatte indeß eine unglück¬ selige Liebe zu einem jungen, seltsamen Mädchen gefaßt. Es war gewiß das talentvollste, heftigste, beste und schlechteste Mädchen zugleich, das man nur finden konnte. Eine Menge unordentlicher Lieb¬ schaften, in die sie sich auch jezt noch immerfort einließ, brachte den Mahler oft auf das äusserste, so daß es in Anfällen von Wuth oft zwischen bey¬ den zu Auftritten kam, die eben so furchtbar als komisch waren. Ihre unbeschreibliche Schönheit zog ihn aber immer wieder unbezwinglich zu ihr hin, und so theilte er sein unruhvolles Leben zwischen Haß und Liebe und allen den heftigsten Leidenschaf¬ ten, während er immerfort in den übrigen Stun¬ den unermüdet und nur um desto eifriger an seinen großen Gemälden fortarbeitete. — Ich machte mich endlich einmal nach der weitentlegenen Stadt auf den Weg, fuhr der Mann in seiner Erzählung fort, um die seltsame Wirthschaft meines Sohnes, von der ich schon so viel gehört hatte, mit eignen Augen anzuseh'n. Schon unterweges hörte ich von einem seiner besten Freunde, daß sich manches ver¬ ändert habe. Das Mädchen oder Weib meines Sohnes habe nemlich von Ohngefähr ein Buch in die Hände bekommen, worin sie mehrere Tage unausgesetzt und tiefsinnig gelesen. Keiner ihrer Liebhaber habe sie seitdem zu sehen bekommen und sie sey endlich darüber in eine schwere Krankheit verfallen. Das Buch war kein anderes, als eben diese Geschichte von der Gräfin Dolores. Als ich in die Stadt ankomme, eile ich sogleich nach der Wohnung meines Sohnes. Ich finde niemanden im ganzen Hause, die Thüren offen, alles öde. Ich trete in die Stube: das Mädchen lag auf einem Bette blaß und wie vor Mattigkeit eingeschlafen. Ich habe niemals etwas Schöneres gesehen. In dem Zimmer standen fertige und halbvollendete Ge¬ mälde auf Staffeleyen umher, Mahlergeräthschaf¬ ten, Bücher, Kleider, halbbezogene Guitarren, alles sehr unordentlich durcheinander. Durch das Fenster, welches offen stand, hatte man über die Stadt weg eine entzückende Aussicht auf den weit¬ gewundenen Strom und die Gebirge. In der Stu¬ be fand ich auf einem Tische ein Buch aufgeschla¬ gen, es war die Dolores. Ich wollte die Kranke nicht wecken, setzte mich hin und fieng an in dem Buche zu lesen. Ich las und las, vieles Dunkle zog mich immer mehr an, vieles kam mir so wahr¬ haft vor wie meine verborgene innerste Meynung oder wie alte, lange wieder verlohrne und unter¬ gegangene Gedanken, und ich vertiefte mich immer mehr. Ich las bis es finster wurde. Die Sonne war draussen untergegangen und nur noch einzelne Scheine des Abendrothes fielen seltsam auf die Ge¬ mälde, die so still auf ihren Staffeleyen umherstan¬ den. Ich betrachtete sie aufmerksamer, es war als fiengen sie an lebendig zu werden, und mir kam in diesem Augenblick die Kunst, der unüberwindliche Hang und das Leben meines Sohnes begreiflich vor. Ich kann überhaupt nicht beschreiben, wie mir damals zu Muthe war; es war das erstemal in meinem Leben, daß ich die wunderbare Gewalt der Poesie im Innersten fühlte, und ich erschrack ordent¬ lich vor mir selber. — Es wär mir unterdeß aufge¬ fallen, daß sich das Mädchen auf dem Bette noch immer nicht rühre, ich trat zu ihr, schüttelte sie und rief. Sie gab keine Antwort mehr, sie war todt. — Ich hörte nachher, daß mein Sohn heute, so wie sie gestorben war, fortgereist sey, und alles in seiner Stube so steh'n gelassen habe. Hier hielt der Mann ernsthaft inne. Ich lese seitdem fleissig, fuhr er nach einer kleinen Pause gesammelt fort; vieles in den Dichtern bleibt mir durchaus unverständlich, aber ich lerne täglich in mir und in den Menschen und Dingen um mich vie¬ les einseh'n und lösen, was mir sonst wohl unbe¬ greiflich war und mich unbeschreiblich bedrückte. Ich befinde mich jezt viel wohler. Friedrich'n hatte diese einfache Erzählung ge¬ rührt. Er sah den Mann aufmerksam an und be¬ merkte in seinem starkgezeichneten Gesicht einen ein¬ zigen sonderbar dunklen Zug, der aussah wie Un¬ glück und vor dem ihn schauderte. Er wollte ihn eben noch um einiges fragen, das in der Geschichte besonders seine Aufmerksamkeit erregt hatte, aber der dythirambische Thyrsusschwinger, der unterdeß bey den Damen seinen Witz unermüdet hatte leuch¬ ten lassen, lenkte ihn davon ab, indem er sich plötz¬ lich mit sehr heftigen Bitten zu dem guten Schmach¬ tenden wandte, ihnen noch einige seiner vortreffli¬ chen Sonette vorzulesen, obschon er, wie Friedrich gar wohl gehört, die ganze Zeit über grade diese Gedichte vor den Damen zum Stichpunkt seines Witzes und Spottes gemacht hatte. Friedrich'n empörte diese herzlose, doppelzüngige Teufeley; er kehrte sich schnell zu dem Schmachtenden, der neben ihm stand, und sagte: Ihre Gedichte gefallen mir ganz und gar nicht. Der Schmachtende machte gro¬ ße Augen, und niemand von der Gesellschaft ver¬ stand Friedrichs großmüthige Meynung. Der Dy¬ thirambist aber fühlte die Schwere der Beschämung wohl, er wagte nicht weiter mit seinen Bitten in den Schmachtenden zu dringen und fürchtete Frie¬ drich'n seitdem wie ein richtendes Gewissen. Frie¬ drich wandte sich darauf wieder zu dem Landmanne und sagte zu ihm laut genug, daß es der Thyrsus¬ schwinger hören konnte: Fahren Sie nur fort, sich ruhig an den Werken der Dichter zu ergötzen, mit schlichtem Sinne und redlichen Willen wird Ihnen nach und nach alles in denselben klar werden. Es ist in unseren Tagen das größte Hinderniß für das wahrhafte Verständniß aller Dichterwerke, daß je¬ der, statt sich recht und auf sein ganzes Leben da¬ von durchdringen zu lassen, sogleich ein unruhiges, krankenartiges Jucken verspürt, selber zu dichten und etwas Dergleichen zu liefern. Adler werden sogleich hochgebohren und schwingen sich schon vom Neste in die Luft, der Strauß aber wird oft als König der Vögel gespriesen, weil er mit großem Getös seinen Anlauf nimmt, aber er kann nicht fliegen. Es ist nichts künstlicher und lustiger, als die Unterhaltung einer solchen Gesellschaft. Was das Ganze noch so leidlich zusammenhält, sind tausend feine, fast unsichtbare Fäden von Eitelkeit, Lob und Gegenlob u. s. w., und sie nennen es denn gar zu gern ein goldenes Liebesnetz. Arbeitet dann unver¬ hofft einmal einer, der davon nichts weiß, tüchtig darin herum, geht die ganze Spinnwebe von ewi¬ ger Freundschaft und heiligem Bunde auseinander. So hatte auch heute Friedrich den ganzen Thee versalzen. Keiner konnte das künstlerische Weber¬ schiffchen, das sonst, fein im Takte, so zarte ästhe¬ tische Abende wob, wieder in Gang bringen. Die meisten wurden mißlaunisch, keiner konnte oder mochte, wie beym babylonischen Baue, des ande¬ ren Wortgepräng verstehen, und so beleidigte ei¬ ner den andern in der gänzlichen Verwirrung. Mehrere Herren nahmen endlich unwillig Abschied, die Gesellschaft wurde kleiner und vereinzelter. Die Damen gruppirten sich hin und wieder auf den Ot¬ tomannen in malerischen und ziemlich unanständigen Stellungen. Friedrich bemerkte bald ein heimliches Verständniß zwischen der Frau vom Haus und dem Schmachtenden. Doch glaubte er zugleich an ihr ein feines Liebäugeln zu entdecken, d a s ihn selber zu gelten schien. Er fand sie überhaupt viel schlauer, als man anfänglich ihrer lispelnden Sanftmuth hät¬ te zutrauen mögen; sie schien ihren schmachtenden Liebhaber bey weitem zu übersehen, und, sehr auf¬ geklärt, selber nicht so viel von ihm zu halten, als sie vorgab und er aus ganzer Seele glaubte. Wie ein rüstiger Jäger in frischer Morgen¬ schönheit stand Friedrich unter diesen verwischten Le¬ bensbildern. Nur die einzige Gräfin Romana zog ihn an. Schon das Gedicht, das sie rezitirt, hat¬ te ihn auf sie aufmerksam gemacht und auf die ei¬ genthümliche, von allen den andern verschiedene Richtung ihres Geistes. Er glaubte schon damals eine eine tiefe Verachtung und ein scharfes Ueberschauen der ganzen Theegesellschaft in demselben zu bemer¬ ken, und seine jetzigen Gespräche mit ihr bestättig¬ ten seine Meynung. Er erstaunte über die Freyheit ihres Blicks, und die Keckheit, womit sie alle Menschen aufzufassen und zu behandeln wußte. Sie hatte sich im Augenblick in alle Ideen, die Friedrich in seinen vorigen Aeusserungen berührt, mit einer unbegreiflichen Lebhaftigkeit hineinverstanden und kam ihm nun in allen seinen Gedanken entgegen. Es war in ihrem Geiste, wie in ihrem schönen Kör¬ per, ein zauberischer Reichthum; nichts schien zu groß in der Welt für ihr Herz, sie zeigte eine tie¬ fe, begeisterte Einsicht ins Leben wie in alle Kün¬ ste, und Friedrich unterhielt sich daher lange Zeit ausschließlich mit ihr, die übrige Gesellschaft ver¬ gessend. Die Damen fiengen unterdeß schon an zu flüstern und über die neue Eroberung der Gräfin die Nasen zu rümpfen. Das Gespräch der beyden wurde endlich durch Rosa unterbrochen, die zu der Gräfin trat und ver¬ drüßlich nach Hause zu fahren begehrte. Friedrich, der eine große Betrübniß in ihrem Gesichte bemerk¬ te, faßte ihre Hand. Sie wandte sich aber schnell weg und eilte in ein abgelegenes Fenster. Er gieng ihr nach. Sie sah mit abgewendetem Gesicht in den stillen Garten hinaus, er hörte, daß sie schluchzte. Eifersucht vielleicht und daß schmerzlichste Gefühl ihres Unvermögens, in allen diesen Dingen mit 15 der Gräfin zu wetteifern, arbeitete in ihrer Seele. Friedrich drückte das schöne trostlose Mädchen an sich. Da fiel sie ihm schnell und heftig um den Hals und sagte aus Grund der Seele: mein lieber Mann! Es war das erstemal in seinem Leben, daß sie ihn so genannt hatte. Es kamen so eben mehrere andere hinzu und alles fieng an Abschied zu nehmen und auseinander zu geh'n; er konnte nichts mehr mit ihr sprechen. Noch im Weggeh'n trat der Minister zu ihm und fragte ihn, wie es ihm hier gefallen habe? Er antwortete mit einer zweydeutigen Höflichkeit. Der Minister sah ihn ernsthaft und ausforschend an und gieng fort. Friedrich aber eilte durch die nächtliche Stadt seiner Wohnung zu. Ein rauher Wind gieng durch die Strassen. Er hatte sich noch nie so unbe¬ haglich, leer und müde gefühlt. Dreyzehntes Kapitel . Es war ein schöner Herbstmorgen, da ritt Frie¬ drich eine von den langen Strassen-Alleen hinun¬ ter, die von der Residenz ins Land hinausführten. Er hatte es schon längst der schönen Gräfin Roma¬ na versprechen müssen, sie auf ihrem Landguthe, das einige Meilen von der Stadt entfernt lag, zu besuchen, und der blaue Himmel hatte ihn heute hinausgelockt. Sie war seit seiner Trennung von Leontinen die einzige, zu der er von allem reden konnte, was er dachte, wußte und wollte, die Un¬ terhaltung mit ihr war ihm fast schon zum Bedürf¬ niß geworden. Der Weg war eben so anmuthig als der Mor¬ gen. Er kam bald an einen, von beyden Seiten eng von Bergen eingeschlossenen, Fluß, an dem die Strasse hinablief. Die Wälder, welche die schönen Berge bedeckten, waren schon überall mit gelben und rothen Blättern bunt geschmückt, Vögel reisten hoch über ihn weg dem Strome nach und erfüllten die Luft mit ihren abgebrochenen Abschieds¬ tönen, die Friedrich' n jedesmal wunderbar an seine Kindheit erinnerten, wo er, der Natur noch nicht entwachsen, einzig von ihren Blicken und Gaben lebte. Einige Stunden war er so zwischen den einsa¬ men Bergschluchten hingeritten, als er am jenseiti¬ gen Ufer eine Stimme rufen hörte, die ihn immer¬ fort zu begleiten schien, und vom Echo in den grü¬ nen Windungen unaufhörlich wiederholt wurde. Je länger er nachhorchte, je mehr kam es ihm vor, als kenne er die Stimme. Plötzlich hörte das Ru¬ fen wieder auf und Friedrich fieng nun an zu be¬ merken, daß er einen unrechten Weg eingeschlagen haben müsse, denn die grünen Bergesgänge wollten kein Ende nehmen. Er verdoppelte daher seine Eile und kam bald darauf an den Ausgang des Gebir¬ 15 * ges an ein Dorf, das auf einmal sehr reitzend im Freyen vor ihm lag. Das erste, was ihm in die Augen fiel, war ein Wirthshaus, vor welchem sich ein schöner grü¬ ner Platz bis an den Fluß ausbreitete. Auf dem Platze sah er einen, mit ungewöhnlichem und räth¬ selhaften Geräth schwerbepackten Wagen stehen und mehrere sonderbare Gestalten, die wunderlich mit der Luft zu fechten schienen. Wie erstaunte er aber, als er näher kam, und mitten unter ihnen Leontin und Fabern erkannte. — Leontin, der ihn schon von weitem über den Hügel kommen sah, rief ihm sogleich entgegen: Kommst du auch angezogen, neumodischer Don Quixote, Lamm Gottes, du sanf¬ ter Vogel, der immer voll schöner Weisen ist, ha¬ ben sie dir noch nicht die Flügel gebrochen? Mir war schon lange zum sterben bange nach dir! Frie¬ drich sprang schnell vom Pferde und fiel ihm um den Hals. Er hielt Leontins Hand mit seinen bey¬ den Händen und sah ihm mit gränzenloser Freude in das lebhafte Gesicht; es war, als entzünde sich sein innerstes Leben jedesmal neu an seinen schwar¬ zen Augen. Er bemerkte indeß, daß die Menschen ringsum, die ihm schon von weitem aufgefallen waren, auf das abentheuerlichste in lange spanische Mäntel ge¬ hüllt waren und sich immerfort, ohne sich von ihm stören zu lassen, wie Verrückte mit einander unter¬ hielten. Ha, verzweifelte Sonne! rief einer von ihnen, der eine Art von Turban auf dem Kopfe und ein gewisses tyrannisches Anseh'n hatte, willst du mich ewig bescheinen? Die Fliegen spielen in deinem Licht, die Käfer im — ruhen selig in dei¬ nem Schooße, Natur! Und ich — und ich —, warum bin ich nicht ein Käfer geworden, uner¬ forschlich waltendes Schicksal? — Was ist der Mensch? — Ein Schaum. Was ist das Leben? — Ein nichtswürdiger Wurm. — Umgekehrt, grade umgekehrt, wollen Sie wohl sagen, rief eine ande¬ re Stimme. — Was ist die Welt? fuhr jener fort, ohne sich stören zu lassen, was ist die Welt? — Hier hielt er inne und lachte grinsend und Weltver¬ achtend wie Abellino unter seinem Mantel hervor, wendete sich darauf schnell um und faßte unvermu¬ thet Herrn Faber, der eben neben ihm stand, bey der Brust. Ich verbitte mir das, sagte Faber är¬ gerlich, wie oft soll ich noch erklären, daß ich durchaus nicht mit in den Plan gehöre! — Laß dich's nicht wundern, sagte endlich Leontin zu Frie¬ drich, der aus dem allen nicht gescheid werden konnte, das ist eine Bande Schauspieler, mit de¬ nen ich auf der Strasse zusammengetroffen, und seit gestern reise. Wir probieren so eben eine Komödie aus dem Stegreif, zu der ich die Lineamente un¬ terwegs entworfen habe. Sie heißt: „Bürgerlicher Seelenadel und Menschheitsgröße, oder der tugend¬ hafte Bösewicht, ein psychologisches Trauerspiel in fünf Verwirrungen der menschlichen Leidenschaften,“ und wird heute Abend in dem nächsten Städtchen gegeben werden, wo der gebildete Magistrat zum Anfang durchaus ein schillerndes Stück verlangt hat. Ich werde der Vorstellung mit beywohnen und ha¬ be alle Folgen über mich genommen. Ja, wahrhaftig, sagte Faber, wenn das noch lange so fortgeht, so sage ich aller gebildeten Welt Lebewohl und fange an auf dem Seile zu tanzen oder die Zigeunersprache zu studieren. Ich bin des Herumziehens in der That von Herzen satt. — Verstellen Sie sich nur nicht immer so, fiel ihm Leontin ins Wort, Sie können doch am Ende nicht weg von mir. Wir zanken uns immer, und tref¬ fen doch immer wieder auf einerley Wegen zusam¬ men. Uebrigens sind diese Schauspieler ein gar vor¬ trefflicher Künstlerverein; sie wollen nicht gepriesen, sondern gespeißt seyn, und geh'n daher in der Ver¬ zweiflung der Natur noch keck und beherzt auf den Leib. Es war unterdeß an einen jungen Menschen von der Truppe, der auch eine Rolle in dem Stü¬ cke übernommen hatte, die Reihe gekommen, eben¬ falls seinen Theil vorzustellen. Er benahm sich aber sehr ungeschickt und war durchaus nicht im Stande, etwas zu erfinden und vorzubringen. Ein schönes Mädchen, mit welcher er eben die Szene spielen sollte, wurde ungeduldig, erklärte, sie wolle hier nicht länger einen Narren abgeben, und sprang lachend fort. Der andere, ältere Schauspieler lief ihr nach, um sie zurückzuholen, und so war die ganze Probe gestört. Der junge Mann war indeß näher getreten. Friedrich sah ihm genauer ins Gesicht, er traute seinen Augen kaum, es war einer von den Stu¬ denten, die ihm bey seinem Abzuge von der Univer¬ sität das Geleit gegeben hatten. — Mein Gott! wie kommst du unter diese Leute? rief Friedrich voll Erstaunen, denn er hatte ihn damals als einen stil¬ len und fleissigen Menschen gekannt, der vor den Ausgelassenheiten der anderen jederzeit einen heim¬ lichen Widerwillen hegte. Der Student gestand, daß er den Grafen sogleich wieder erkannte, aber gehofft habe, von ihm übersehen zu werden. Er schien sehr verlegen. Friedrich, der sich an seinem Gesichte aller alten Freuden und Leiden erinnerte, zog ihn erfreut und vertraulich an den Tisch und der Student erzählte ihnen endlich den ganzen Hergang seiner Geschichte. Nicht lange nach Friedrichs Abreise hatte sich nem¬ lich auf der Universität eine reisende Gesellschaft von Seiltänzern eingefunden, worunter besonders eine Springerin durch ihre Schönheit alle Augen auf sich zog. Viele Studenten versuchten und fanden ihr Glück. Er aber mit seiner stillen und tieferen Gemüthsart verliebte sich im Ernste in das Mäd¬ chen, und wie ihr Herz bisher in ihrer tollen Le¬ bensweise von der Gewalt der Liebe ungerührt ge¬ blieben war, wurde sie von seiner zarten, unge¬ wohnten Art, sie zu behandeln und zu gewinnen, überrascht und gefangen. Sie beredeten sich, ein¬ ander zu heyrathen, sie verließ die Bande und er arbeitete von nun an Tag und Nacht, um seine Stu¬ dien zu vollenden und sich ein Einkommen zu er¬ werben. Es vergieng indeß längere Zeit, als er geglaubt hatte, das Mädchen fieng an, von Zeit zu Zeit launisch zu werden, bekam häufige Anfälle von Langerweile und — eh' er sich's versah, war sie verschwunden. Mein mühsam erspartes Geld, fuhr der Student weiter fort, hatte ich indeß im¬ mer wieder auf verschiedene Einfälle und Launen des Mädchens zersplittert, meine Aeltern wollten nichts von mir wissen, mein innerstes Leben hatte mich auf einmal betrogen, die Studenten lachten entsetz¬ lich, es war der schmerzlichste und unglücklichste Au¬ genblick meines Lebens. Ich ließ alles und reiste dem Mädchen nach. Nach langem Irren fand ich sie endlich bey diesen Komödianten wieder, denn es ist dieselbe, die vorhin hier weggegangen. Sie kam sehr freudig auf mich zugesprungen, als sie mich erblickte, doch ohne ihre Flucht zu entschuldi¬ gen oder im geringsten unnatürlich zu finden. — Meine Mutter ist seitdem aus Gram gestorben. Ich weiß, daß ich ein Narr bin und kann doch nicht anders. Die Thränen standen ihm in den Augen, als er das sagte. Friedrich, der wohl einsah, daß der gute Mensch sein Herz und sein Leben nur weg¬ werfe, rieth ihm mit Wärme, sich ernstlich zusam¬ menzunehmen und das Mädchen zu verlassen, er wolle für sein Auskommen sorgen. — Der Verlieb¬ te schwieg still. — Laß doch die Jugend fahren! sagte Leontin, jeder Schiffmann hat seine Sterne und das Alter treibt uns zeitig genug auf den Sand. Du brichst dem tollen Nachtwandler doch den Hals, wenn du ihn bey seinem prosaischen, bürgerlichen Nahmen rufst. Aber härter müssen Sie seyn, sagte er zu dem Studenten, denn die Welt ist hart und drückt Sie sonst zu Schanden. Das Mädchen kam unterdeß wieder und trel¬ lerte ein Liedchen. Ihre Gestalt war herrlich, aber ihr schönes Gesicht hatte etwas Verwildertes. Sie antwortete auf alle Fragen sehr unterwürfig und keck zugleich, und schien nicht üble Lust zu haben, noch länger bey den beyden Grafen zurückzubleiben, als der Theaterprinzipal kam und ankündigte, daß alles zur Abreise fertig sey. Der Student drückte Friedrich'n herzlich die Hand und eilte zu dem aufbrechenden Haufen. Der mit allerhand Decorationen schwerbepackte Wagen, von dessen schwankender Höhe der Prinzipal noch immerfort aus der Ferne seine unterthänigste Bitte an Leontin wiederholte, heut Abend mit seiner höchstnöthigen Protektion nicht auszubleiben, wa¬ ckelte indeß langsam fort, nebenher gieng die ganze übrige Gesellschaft bunt zerstreut und lustig einher, der Student war zu Pferde, neben ihm ritt sein Mädchen auch auf einem Klepper und warf Leonti¬ nen noch einige Blicke zu, die ziemlich vertraulich aussahen, und so zog die bunte Karawane wie ein Schattenspiel in die grüne Schluft hinein. Wie glücklich, sagte Leontin, als alles verschwunden war, könnte der Student seyn, so frank und frey mit seiner Liebsten durch die Welt zu zieh'n! wenn er nur Talent fürs Glück hätte, aber er hat eine einförmige Niedergeschlagenheit in sich, die er nicht niederschlagen kann, und die ihn durchs Leben nur so hinschleppt. Sie setzten sich nun auf dem schönen grünen Platz um einen Tisch zusammen, der Fluß flog lu¬ stig an ihnen vorüber, die Herbstsonne wärmte sehr angenehm. Leontin erzählte, wie er den Morgen nach seiner Flucht vom Schlosse des Herrn v. A. bey Anbruch des Tages auf den Gipfel eines hohen Berges gekommen sey, von dem er von der einen Seite die fernen Thürme der Residenz, von der anderen die friedlichreiche Gegend des Herrn v. A. übersah, über welcher so eben die Sonne aufgieng. Lange habe er vor dieser gränzenlosen Aussicht nicht gewußt, wohin er sich wenden solle, als er auf einmal unten im Thale Fabern die Strasse herauf¬ wandern sah, den, wie er wohl wußte, wieder ein¬ mal die Albernheiten der Stadt auf einige Zeit in alle Welt getrieben hatten. Wie die Stimme in der Wüste habe er ihn daher, da er grade eben in einem ziemlich ähnlichen Humor gewesen, mit einer langen Anrede über die Vergänglichkeit aller irdi¬ schen Dinge empfangen, ohne von ihm gesehen werden zu können, und so zu sich hinaufgelockt. — Leontin versank dabey in Gedanken. Wahrhaftig, sagte er, wenn ich mich in jenen Sonnenaufgang auf dem Berge recht hineindenke, ist mir zu Muthe, als könnt' es mir manchmal auch so geh'n, wie dem Studenten. — Faber war unterdeß fortgegangen, um etwas zu essen und zu trinken zu bestellen, und Friedrich bemerkte dabey mit Verwunderung, daß die Leute, wenn er mit ihnen sprach oder etwas forderte, ihm ins Gesicht lachten oder einander heimlich zuwinkten und die neugierigen Kinder furchtsam zurückzogen, wenn er sich ihnen näherte. Leontin gestand, daß er manchmal, wenn sie in einem Dorfe einkehrten, vorauszueilen pflege und die Wirthsleute überrede, daß der gute Mann, den er bey sich habe, nicht recht bey Verstande sey, sie sollten nur recht auf seine Worte und Bewegungen Acht haben, wenn er nachkäme. Dieß gebe dann zu vielerley Lust und Mißverständnisse Anlaß, denn wenn sich Faber ei¬ nige Zeit mit den Gesichtern abgebe, die ihn alle so heimlich, furchtsam und bedauernd ansähen, hielten sie sich am Ende wechselseitig alle für verrückt. — Leontin brach schnell ab, denn Faber kam eben zu ihnen zurück und schimpfte über die Dummheit des Landvolks. Friedrich mußte nun von seinem Abschiede auf dem Schlosse des Herrn v. A. und seinen Aben¬ theuern in der Residenz erzählen. Er kam bald auch auf die ästhetische Theegesellschaft und versicher¬ te, er habe sich dabey recht ohne alle Männlichkeit gefühlt, etwa wie bey einem Spaziergange durch die Lüneburger Ebne mit Aussicht auf Heydekraut. Leontin lachte helllaut, Du nimmst solche Sachen viel zu ernsthaft und wichtiger als sie sind, sagte er. Alle Figuren dieses Schauspiels sind übrigens auch von meiner Bekanntschaft, ich möchte aber nur wissen, was sie seit der Zeit, daß ich sie nicht ge¬ sehen, angefangen haben, denn wie ich so eben hö¬ re, hat sich seitdem, auch nicht das mindeste in ihnen verändert. Diese Leute schreiten fleissig von einem Meßkatalog zum andern mit der Zeit fort, aber man spürt nicht, daß die Zeit auch nur um einen Zoll durch sie weiter fortrückte. Ich kann dir jedoch im Gegentheil versichern, daß ich nicht bald so lustig war, als an jenem Abend, da ich zum erstenmale in diese Theetaufe oder Traufe gerieth. Aller Au¬ gen waren prüfend und in erwartungsvoller Stille auf mich neuen Jünger gerichtet. Da ich die ganze heilige Synode gleich den Freymaurern mit Schurz und Kelle, so feyerlich mit poetischem Ornate ange¬ than dasitzen sah, konnt' ich mich nicht enthalten, despektirlich von der Poesie zu sprechen und mit un¬ ermüdlichem Eifer ein Gespräch von der Landwirth¬ schaft, von den Runkelrüben u. s. w. anzuspinnen, so daß die Damen wie über den Dampf von Kuh¬ mist die Nasen rümpften und mich bald für verloh¬ ren hielten. Mit dem Schmachtenden unterhielt ich mich besonders viel. Er ist ein guter Kerl, aber er hat keine Mannsmuskel im Leibe. Ich weiß nicht, was er grade damals für eine fixe Idee von der Dichtkunst im Kopfe hatte, aber er las ein Gedicht vor, wovon ich trotz der größten Anstrengung nichts verstand und wobey mir unaufhörlich des simplicia¬ nisch-teutschen Michels verstümmeltes Sprach-Ge¬ präng im Sinne lag. Denn es waren deutsche Worte, spanische Konstrukzionen, wälsche Bilder, altdeutsche Redensarten, doch alles mit überaus feinem Firniß von Sanftmuth verschmiert. Ich gab ihm ernsthaft den Rath, alle Morgen gepfefferten Schnapps zu nehmen, denn der ewige Necktar er¬ schlaffe nur den Magen, worüber er sich entrüstet von mir wandte. — Mit dem vom Hochmuthsteufel besessenen Dythirambisten aber bestand ich den schön¬ sten Strauß. Er hatte mit pfiffiger Miene alle Seegel seines Witzes aufgespannt und kam mit vol¬ lem Winde der Eitelkeit auf mich losgefahren, um mich Unpoetischen vor den Augen der Damen in den Grund zu bugsiren. Um mich zu retten, fieng ich zum Beweise meiner poetischen Belesenheit an, aus Shackspears: „Was ihr wollt,“ wo Junker To¬ bias den Malvolio peinigt, zu rezitiren: „Und be¬ sässe ihn eine Legion selbst, so will ich ihn doch an¬ reden.“ Er stutzte und fragte mich mit herablas¬ sender Genügsamkeit und kniffigem Gesichte, ob viel¬ leicht gar Shakspear mein Lieblingsautor sey? — Ich ließ mich aber nicht stören, sondern fuhr mit Junker Tobias fort: „Ey, Freund, leistet dem Teu¬ fel Widerstand, er ist der Erbfeind der Menschen¬ kinder.“ Er fieng nun an sehr salbungsvolle, ge¬ nialische Worte über Shakespeare ergehen zu lassen, ich aber, da ich ihn sich so aufblasen sah, sagte wei¬ ter: „Sanftmüthig, sanftmüthig! Ey, was machst du, mein Täubchen? Wie geht's, mein Puthühn¬ chen? Ey, sieh doch, komm, tucktuck! — Er schien nun mit Malvolio zu bemerken, daß er nicht in meine Sphäre gehöre, und kehrte sich mit einem unsäglichstolzen Blick, wie von einem unerhört Tollen, von mir. O Jemine! fiel die Gräfin Ro¬ mana hier mit ein. Sie sagte dieß so richtig und schön, daß ich sie dafür hätte küssen mögen Das Schlimmste war aber nun, daß ich dadurch demaskirt war, ich konnte nicht länger für einen Ignoranten gelten; und die Frauenzimmer merkten dieß nicht so bald, als sie mit allerhand Phrasen, die sie hin und wieder ernascht, über mich herfielen. In der Angst fieng ich daher nun an, wüthend mit gelehr¬ ten Redensarten und poetischen Paradoxen nach al¬ len Seiten um mich herumzuwerfen, bis sie mich, ich sie, und ich mich selber nicht mehr verstand und alles verwirrt wurde. Seit dieser Zeit haßt mich der ganze Zirkel und hat mich als eine Pest der Poe¬ sie förmlich exkommunizirt. Friedrich, der Leontin ruhig und mit Vergnü¬ gen angehört hatte, sagte: So habe ich dich am liebsten, so bist du in deinem eigentlichen Leben. Du siehst so frisch in die Welt hinein, daß alles un¬ ter deinen Augen bunt und lebendig wird. Ja wohl, antwortete Leontin, so buntschäckig, daß ich manchmal selber zum Narren darüber werden könnte. Die Sonne fieng indeß schon an, sich zu senken, und sowohl Friedrich als Leontin gedachten ihrer Weiterreise und versprachen einander nächstens in der Residenz wieder zu treffen. Herr Faber bat Friedrich'n, ihn der Gräfin Romana bestens zu empfehlen. Die Gräfin, sagte er, hat schöne Ta¬ lente und sich durch mehrere Arbeiten, die ich ken¬ ne, als Dichterin erwiesen. Nur macht sie sich freylich alles etwas gar zu leicht. Leontin, den im¬ mer sogleich ein seltsamer Humor befiel, wenn er die Gräfin nennen hörte, sang lustig: Lustig auf den Kopf, mein Liebchen, Stell' dich, in die Luft die Bein'! Heißa! ich will seyn dein Bübchen, Heute Nacht soll Hochzeit seyn! Wenn du Shakespear kannst vertragen, O du liebe Unschuld du! Wirst du mich wohl auch ertragen Und noch Jedermann dazu. — Er sprach noch allerhand wild und unzüchtig von der Gräfin und trug Friedrich'n noch einen zü¬ gellosen Gruß an Sie auf, als sie endlich von ent¬ gegengesetzten Seiten auseinanderritten. Friedrich wußte nicht, was er aus diesen wilden Reden ma¬ chen sollte. Sie ärgerten ihn, denn er hielt die Gräfin hoch, und er konnte sich dabey der Besorg¬ niß nicht enthalten, daß Leontins lebhafter Geist in solcher Art von Renommisterey am Ende sich selber aufreiben werde. In solchen Gedanken war er einige Zeit fort¬ geritten, als er bey einer Beugung um eine Feldecke plötzlich das Schloß der Gräfin vor sich sah. Es stand wie eine Zauberey hoch über einem weiten, unbeschreiblichen Chaos von Gärten, Weinbergen, Bäumen und Flüssen, der Schloßberg selber war Ein großer Garten, wo unzählige Wasserkünste aus dem Grün hervorsprangen. Die Sonne gieng eben hinter dem Berge unter und bedeckte das prächtige Bild mit Glanz und Schimmer, so daß man nichts deutlich unterscheiden konnte. Ueberrascht und geblendet gab Friedrich seinem Pferde die Sporen und ritt die Höhe hinan. Er erstaunte über die seltsame Bauart des Schlosses, das durch eine fast barocke Pracht auffiel. Es war niemand zu sehen. Er trat in die weite, mit bun¬ tem Marmor getäfelte Vorhalle, durch deren Säu¬ lenreihen man von der anderen Seite in den Gar¬ ten hinaussah. Dort standen die seltsamsten aus¬ ländischen Bäume und Pflanzen, wie halbausgespro¬ chene, verzauberte Gedanken, schimmernde Wasser¬ strahlen durchkreuzten sich in krystallenen Bogen hoch über ihnen, ausländische Vögel saßen sinnend und traumhaft zwischen den dunkelgrünen Schatten um¬ her. Ein wunderschöner Knabe sprang indeß so eben draussen im Hofe vom Pferde, stutzte, als er im Vorbeylaufen Friedrich'n erblickte, sah ihn einen Augenblick mit den großen, schönen Augen trotzig an, eilte sogleich wieder durch die Vorhalle weiter in den Garten hinaus. Friedrich sah, wie er dort mit bewunderungswürdiger Fertigkeit eine hohe, am Abhange Abhange des Gartens stehende Tanne bestieg, und aus dem höchsten Gipfel sich in die Gegend hinaus¬ legte, als suche er fern etwas mit den Augen. Da immer noch niemand kam, stellte sich Frie¬ drich an ein hohes Bogenfenster, aus dem man die prächtigste Aussicht auf das Thal und die Gebirge hatte. Noch niemals hatte er eine so üppige Na¬ tur gesehen. Mehrere Ströme blickten wie Silber hin und her aus dem Grunde, freundliche Land¬ strassen, von hohen Nußbäumen reich beschattet, zogen sich bis in die weiteste Ferne nach allen Rich¬ tungen hin, der Abend lag warm und schallend über der Gegend, weit über die Gärten und Hügel hin hörte man ringsum das Jauchzen der Winzer. Friedrich'n wurde bey dieser Aussicht unsäglich ban¬ ge in dem einsamen Schlosse, es war ihm, als wäre alles zu einem großen Feste hinausgezogen, und er konnte kaum mehr widerstehen, selber wie¬ der hinunter zu reiten, als er auf einmal die Grä¬ fin erblickte, die in einem langen grünen Jagdkleide in dem erquickenden Hauche des Abends auf der glänzenden Landstrasse aus dem Thale heraufgerit¬ ten kam. Sie war allein, er erkannte sie sogleich an ihrer hohen, schönen Gestalt. Als sie vor dem Schlosse vom Pferde stieg, kam der schöne Knabe, der vorhin auf der Tanne gelauert hatte, schnell herbeygesprungen, fiel ihr stürmisch um den Hals und küßte sie. Kleiner Un¬ gestümm! sagte sie halb böse und wischte sich den 16 Mund. Sie schien einen Augenblick verlegen, als sie so unvermuthet Friedrich'n erblickte, und bemerk¬ te, daß er diesen sonderbaren Empfang gesehen hatte. Sie schüttelte aber die flüchtige Scham bald wieder von sich und bewillkommte Friedrich'n mit ei¬ ner Heftigkeit, die ihm auffiel. Ich bedauere nur, sagte sie, daß ich Sie nicht so bewirthen kann, wie ich wünschte, alle meine Leute schwärmen schon den ganzen Tag bey der Weinlese, ich selbst bin seit frühem Morgen in der Gegend herumgeritten. Sie nahm ihn bey der Hand und führte ihn in das Innere des Schlosses. Friedrich verwunderte sich, denn fast in allen Zimmern standen Thüren und Fenster offen. Die hochgewölbten Zimmer selbst waren ein seltsames Gemisch von alter und neuer Zeit, einige standen leer und wüste, wie ausge¬ plündert, in anderen sah er alte Gemählde an der Wand herumhängen, die wie aus schändlichem Muthwillen mit Säbelhieben zerhauen schienen. Sie kamen in der Gräfin Schlafgemach. Das gro¬ ße Himmelbett war noch unzugerichtet, wie sie es frühmorgens verlassen, Strümpfe, Halstücher und allerley Geräth lag bunt auf allen Stühlen umher. In dem einen Winkel hieng ein Portrait, und er glaubte, soviel es die Dämmerung zuließ, zu sei¬ nem Erstaunen die Züge des Erbprinzen zu erken¬ nen, dessen Schönheit in der Residenz einen so tie¬ fen Eindruck auf ihn gemacht hatte. Die Gräfin nahm den schönen Knaben, der ihnen immerfort gefolgt war, bey Seite und trug ihm heimlich etwas auf. Der Knabe schien durch¬ aus nicht gehorchen zu wollen, er wurde immer lauter und ungebährdiger, stampfte endlich zornig mit dem Fuße, rannte hinaus und warf die Thüre hinter sich zu, daß es durch das weite Haus er¬ schallte. Er ist doch in einer Stunde wieder da, sagte Romana ihm nachsehend, nahm die Guitarre, die in einer Ecke auf der Erde lag, während sie Friedrich'n ein Körbchen mit Obst und Wein über¬ gab, und führte ihn wieder weiter eine Stiege auf¬ wärts. Wie einem Nachtwandler, der plötzlich auf un¬ gewohntem Ort aus schweren, unglaublichen Träu¬ men erwacht, war Friedrich'n zu Muthe, als er mit ihr die letzten Stufen erreichte, und sich auf einmal unter der weiten, freyen, gestirnten Wölbung des Himmels erblickte. Es war nemlich eine große Ter¬ rasse, die nach italiänischer Art über das Dach des Schlosses gieng. Ringsum an der Gallerie standen Orangenbäume und hohe ausländische Blumen, welche den himmlischen Platz mit Düften erfüllten. Hier auf dem Dache, sagte Romana, ist mein liebster Aufenthalt. In den warmen Sommernäch¬ ten schlafe ich oft hier oben. Sie setzte sich zu ihm, reichte ihm die Früchte und trank ihm von dem mit¬ genommenen Weine selber zu. Sie wohnen hier so schwindlich hoch, sagte Friedrich, daß Sie die ganze Welt mit Füßen treten. — Romana, die sogleich begriff, was er meynte, antwortete stolz und keck: 16 * die Welt, der große Tölpel, der niemals gescheider wird, wäre freylich der Mühe werth, daß man ihm höflich und voll Ehrfurcht das Gesicht streichelte, damit er einen wohlwollend und voll Applaus an¬ lächle. Es ist ja doch nichts, als Magen und Kopf, und noch dazu ein recht breiter, übermüthi¬ ger, selbstgefälliger, eitler, unerträglicher, den es eine rechte Götterlust ist aufs Maul zu schlagen. — Sie brach hierbey schnell ab und lenkte das Ge¬ spräch auf andere Gegenstände. Friedrich mußte dabey mehr als einmal die fast unweidliche Kühnheit ihrer Gedanken bewundern, ihr Geist schien heut von allen Banden los. Sie ergriff endlich die Guitarre und sang einige Lieder, die sie selbst gedichtet und komponirt hatte. Die Musik war durchaus wunderbar, unbegreiflich und oft beynahe wild, aber es war eine unwiderstehli¬ che Gewalt in ihrem Zusammenklange. Der weite, stille Kreis von Strömen, Seen, Wäldern und Ber¬ gen, die in großen, halbkenntlichen Maßen über¬ einander ruhten, rauschten dabey feenhaft zwischen die hinausschiffenden Töne hinein. Die Zauberey dieses Abende ergriff auch Friedrichs Herz, und in diesem sinnenverwirrenden Rausche fand er das schöne Weib an seiner Seite zum erstenmale ver¬ führerisch. Wahrhaftig, sagte sie endlich aus tief¬ ster Seele, wenn ich mich einmal recht verliebte, es würde mich gewiß das Leben kosten! — Es reiste einmal, fuhr sie fort, ein Student hier in der Nacht beym Schlosse vorbey, als ich eben auf dem Dache eingeschlummert war, der sang: Wenn die Sonne lieblich schiene Wie in Wälschland lau und blau, Gieng' ich mit der Mandoline Durch die überglänzte Au. In der Nacht dann Liebchen lauschte An dem Fenster süßverwacht, Wünschte mir und ihr — uns beyden. Heimlich eine schöne Nacht. Wenn die Sonne lieblich schiene Wie in Wälschland lau und blau, Gieng' ich mit der Mandoline Durch die überglänzte Au. Aber die Sonne scheint nicht wie in Wälschland und der Student zog weiter und es ist eben alles nichts. — Geh'n wir schlafen, geh'n wir schlafen, setzte sie langweiliggähnend hinzu, nahm Friedrich'n bey der Hand und führte ihn wieder die Stiege hinab. Er bemerkte, als sie wieder in den Zimmern angekommen waren, eine ungewöhnliche Unruhe an ihr, sie hieng bewegt an seinem Arme. Sie schien ihm bey dem Mondenschimmer, der durch das offe¬ ne Fenster auf ihr Gesicht fiel, todtenblaß, eine Art von seltsamer Furcht befiel ihn da auf einmal vor Ihr und dem ganzen Feenschlosse, er gab ihr schnell eine gute Nacht und eilte in das ihm ange¬ wiesene Zimmer, wo er sich angekleidet auf das Bett hinwarf. Das Gemach war nur um einige Zimmer von dem Schlafgemach der Gräfin entfernt. Die Thü¬ ren dazwischen fehlten ganz und gar. Eine Lampe, die der Gräfin Zimmer matt erhellte, warf durch die offenen Thüren ihren Schein grade auf einen großen, altmodischen Spiegel, der vor Friedrichs Bett an der Wand hieng, so daß er in demselben fast ihr ganzes Schlafzimmer übersehen konnte. Er sah, wie der schöne Knabe, der sich unterdeß wie¬ der eingeschlichen haben mußte, quer über einigen Stühlen vor ihrem Bette eingeschlafen lag. Die Gräfin entkleidete sich nach und nach und stieg so über den Knaben weg ins Bett. Alles im Schlosse wurde nun todtenstill und er wendete das Gesicht auf die andere Seite dem offenen Fenster zu. Die Bäume rauschten vor demselben, aus dem Thale kam von Zeit zu Zeit ein fröhliches Jauchzen, bald näher, bald wieder in weiter Ferne, dazwischen hörte er ausländische Vögel draussen im Garten in wunderlichen Tönen immerfort wie im Traume spre¬ chen, das seltsame bleiche Gesicht der Gräfin, wie sie ihm zuletzt vorgekommen, stellte sich ihm dabey unaufhörlich vor die Augen, und so schlummerte er erst spät unter verworrenen Phantasieen ein. Mitten in der Nacht wachte er plötzlich auf, es war ihm, als hätte er Gesang gehört. Der Mond schien hell draussen über der Gegend und durch das Fenster herein. Mit Erstaunen hörte er neben sich athmen. Er sah umher und erblickte Ro¬ mana, unangekleidet wie sie war, an dem Fuße seines Bettes eingeschlafen. Sie ruhte auf dem Boden, mit dem einen Arme und dem halben Leibe auf das Bett gelehnt. Die langen schwarzen Haa¬ re hiengen aufgelöst über den weißen Nacken und Busen herab. Er betrachtete die wunderschöne Ge¬ stalt lange voll Verwunderung halbaufgerichtet. Da hörte er auf einmal die Töne wieder, die er schon im Schlummer vernommen hatte. Er horchte hinaus; das Singen kam jenseits von den Bergen über die stille Gegend herüber, er konnte folgende Worte verstehen: Vergangen ist der lichte Tag, Von ferne kommt der Glocken Schlag So reist die Zeit die ganze Nacht, Nimmt manchen mit, der's nicht gedacht. Wo ist nun hin die bunte Lust, Des Freundes Trost und treue Brust, Des Weibes süßer Augenschein? Will keiner mit mir munter seyn? Da's nun so stille auf der Welt, Zieh'n Wolken einsam übers Feld, Und Feld und Baum besprechen sich, — O Menschenkind! was schauert dich? Wie weit die falsche Welt auch sey, Bleibt mir doch Einer nur getreu, Der mit mir weint, der mit mir wacht, Wenn ich nur recht an Ihn gedacht. Frischauf denn, liebe Nachtigall, Du Wasserfall mit hellem Schall! Gott loben wollen wir vereint, Bis daß der lichte Morgen scheint! Friedrich erkannte die Weise, es war Leontins Stimme. — Ich komme, herrlicher Gesell! rief er bewegt in sich und raffte sich schnell auf, ohne die Gräfin zu wecken. Nicht ohne Schauer gieng er durch die todtenstillen, weitöden Gemächer, zäum¬ te sich im Hofe selber sein Pferd und sprengte den Schloßberg hinab. Er athmete tief auf, als er draussen in die herrliche Nacht hineinritt, seine Seele war wie von tausend Ketten frey. Es war ihm, als ob er aus fieberhaften Träumen oder aus einem langen, wü¬ sten, lüderlichen Lustleben zurückkehre. Das hohe Bild der Gräfin, das er mit hergebracht, war in seiner Seele durch diese sonderbare Nacht phanta¬ stisch verzerrt und zerrissen, und er verstand nun Leontins wilde Reden an dem Wirthshause. Leontins Gesang war indeß verschollen, er hat¬ te nichts mehr gehört und schlug voller Gedanken den Weg nach der Residenz ein. Das Feenschloß hinter ihm war lange versunken, die Bäume an der Strasse fiengen schon an lange Schatten über das glänzende Feld zu werfen, Vögel wirbelten schon hin und her hoch in der Luft, die Residenz lag mit ihren Feuersäulen wie ein brennender Wald im Morgenglanze vor ihm. Vierzehntes Kapitel . Draussen über das Land jagten zerrissene Wol¬ ken, die Melusina sang an seufzenden Wäldern, Gärten und Zäunen ihr unergründlich einförmiges Lied, die Dörfer lagen selig verschneyt. In der Residenz zog der Winter prächtig ein mit Schellenge¬ klingel, frischen Mädchengesichtern, die vom Lande flüchteten, mit Bällen, Opern und Conzerten, wie eine lustige Hochzeit. Friedrich stand gegen Abend einsam an seinem Fenster, Leontin und Faber ließen noch immer nichts von sich hören, Rosa hatte ihn letzthin ausgelacht, als er voller Freuden zu ihr lief, um ihr eine politische Neuigkeit zu erzählen, die ihn ganz ergriffen hatte, an der Gräfin Roma¬ na hatte er seit jener Nacht keine Lust weiter, er hatte beyde seitdem nicht wiedergesehen; vor den Fenstern fiel der Schnee langsam und bedächtig in großen Flocken, als wollte der graue Himmel die Welt verschütten. Da sah er unten zwey Reiter in langen Mänteln langsam die Strasse zieh'n. Der eine sah sich um, Friedrich rief: Viktoria! es war Leontin und Faber, die so eben einzogen. Friedrich sprang, ohne sich zu besinnen, zur Thüre hinaus und die Stiege hinunter. Als er aber auf die Strasse kam, waren sie schon verschwunden. Er schlenderte einige Gassen in dem Schneegestöber auf und ab. Da stieß der Marquis, den wir schon aus Rosa's Briefe kennen, die hervorragenden Stei¬ ne mit den Zehen zierlich suchend, auf ihn. Er hieng sich ihm sogleich, wie ein guter Bruder, in den Arm, und erzählte ihm in Einem Redestrome tausend Späße zum Todtlachen, wie er meynte, die sich heut und gestern in der Stadt zugetragen, wel¬ che Damen heut vom Lande angekommen, wer ver¬ liebt sey und nicht wieder geliebt werde u. s. w. Friedrich'n war die flache Lustigkeit des Wichtes heut entsetzlich, und er ließ sich daher, da ihm dieser nur die Wahl ließ, ihn entweder zu sich nach Hause, oder in die Gesellschaft zum Minister zu begleiten, gern zu dem letzteren mit fortschleppen. Denn bes¬ ser mit einem Haufen Narren, dachte er übellaunisch, als mit einem allein. Er fand einen zahlreichen und glänzenden Zir¬ kel. Die vielen Lichter, die prächtigen Kleider, der glatte Fußboden, die zierlichen Reden, die hin und wieder flogen, alles glänzte. Er wäre fast wieder umgekehrt, so ganz ohne Schein kam er sich da auf einmal vor. Vor allen erblickte er seine Rosa. Sie hatte ein Rosa-sammtenes Kleid, ihre schwarzen Locken ringelten sich in den weißen Busen hinab. Der Erbprinz unterhielt sich lebhaft mit ihr. Sie sah inzwischen mehreremal mit einer Art von trium¬ phirenden Blicken seitwärts auf Friedrich; sie wußte wohl, wie schön sie war. Friedrich unterhielt sich Gedankenvoll zerstreut rechts und links. Jene Frau vom Haus, bey der er die Theegesellschaft verlebt, war auch da und schien wieder an ihren ästhetischen Krämpfen zu leiden. Sie unterhielt sich sehr leben¬ dig mit mehreren hübschen jungen Männern über die Kunst, und Friedrich verstand nur, wie sie zuletzt ausrief: O, ich möchte Millionen glücklich machen! — Da hörte man plötzlich ein lautes Lachen aus ei¬ nem anderen abgelegenen Winkel des Zimmers er¬ schallen. Friedrich erkannte mit Erstaunen sogleich Leontins Stimme. Die Männer bissen sich heimlich in die Lippen über dieses Lachen zu rechter Zeit, obschon keiner vermuthete, daß es wirklich jenem Ausruf gelten sollte, da der Lacher fern in eine ganz andere Unterhaltung vertieft schien. Friedrich aber wußte gar wohl, wie es Leontin meynte. Er eilte sogleich auf ihn los und fand ihn zwischen zwey alten Herren mit Perücken und altfränkischen Ge¬ sichtern, mit denen sich niemand abgeben mochte, mit denen er sich aber kindlich besprach und gut zu vertragen schien. Er erzählte ihnen von seiner Ge¬ birgsreise die wunderbarsten Geschichten vor, und lachte herzlich mit den beyden guten Alten, wenn sie ihn dabey über offenbaren, gar zu tollen Lügen ertappten. Er freute sich sehr, Friedrich'n noch heut zu seh'n, und sagte, wie es ihm eine gar wunder¬ lichschauerliche Lust sey, so aus der Grabesstille der verschneyten Felder mitten in die glänzendsten Stadt¬ zirkel hineinzureiten und umgekehrt. Sie sprachen noch manches zusammen, als der Prinz hinzutrat und Friedrich'n in ein Fenster führ¬ te. Der Minister, sagte er zu ihm als sie allein waren, hat Sie mir sehr warm, ja ich kann wohl sagen, mit Leidenschaft empfohlen. Es ist etwas ausserordentliches, denn er empfiehlt sonst keinen Menschen auf diese Art. Friedrich äusserte darüber seine große Verwunderung, da er von dem Minister grade das Gegentheil erwartete. Der Minister, fuhr der Prinz fort, läßt sein Urtheil nicht fangen und ich vertraue Ihnen daher. Unsere Zeit ist so gewaltig, daß die Tugend nichts gilt ohne Stärke. Die wenigen Muthigen aus aller Welt sollten sich daher treu zusammenhalten, als ein rechter Damm gegen das Böse. Es wäre nicht schön, lieber Graf, wenn Sie sich von der gemeinen Noth absonderten. Gott behüte mich vor solcher Schande! erwiederte Friedrich halb betroffen, mein Leben gehört Gott und meinem rechtmäßigen Herrn. Es ist groß, sich selber, von aller Welt losgesagt, fromm und fleis¬ sig auszubilden, sagte darauf der Prinz begeistert, aber es ist größer, alle Freuden, alle eignen Wün¬ sche und Bestrebungen wegzuwerfen für das Recht, alles — hier strich so eben die Gräfin Romana an ihnen vorüber. Der Prinz ergriff ihre Hand und sagte: So lange von uns wegzubleiben! — Sie zog langsam ihre Hand aus der seinigen und sah nur Friedrich'n groß an, als sähe sie ihn wieder zum erstenmale. Der Prinz lachte unerklärlich, drückte Friedrich'n flüchtig die Hand und wandte sich wieder in den Saal zurück. Friedrich folgte der Gräfin mit ihren heraus¬ fordernden Augen. Sie war schwarz angezogen und fast furchtbarschön anzusehen. Von der Nacht auf dem Schlosse erwähnte sie kein Wort. Leontin kam auf sie zu und erzählte ihr, wie er erst gestern bey ihrem Schlosse vorbeygezogen. Es war schon Nacht, sagte er, ich war so frey, mit Fabern und einer Flasche ächten Rheinweins, die wir bey uns hatten‚ das oberste Dach des Schlosses zu besteigen. Der Garten, die Gegend und die Gallerie oben war tief verschneyt, eine Thüre im Hause mußte offen steh'n, denn der Wind warf sie immerfort einförmig auf und zu, über der verstarrten Verwüstung hielt die Windsbraut einen lustigen Hexentanz, daß uns der Schnee ins Gesicht wirbelte, es war eine wahre Brockennacht. Ich trank dabey dem Dauernden im Wechsel ein Glas nach dem andern zu und rezitirte mehrere Stellen aus Göthe's Faust, die mir mit den Schneewirbeln alle auf einmal eiskalt auf Kopf und Herz zuflogen. Verfluchte Verse! rief Faber, schweig, oder ich wer¬ fe dich wahrhaftig über die Gallerie hinunter! Ich habe ihn niemals so entrüstet geseh'n. Ich warf die Flasche ins Thal hinaus, denn mich fror, daß mir die Zähne klapperten. — Romana antwortete nichts, sondern setzte sich an den Flügel und sang ein wildes Lied, das nur aus dem tiefsten Jammer einer zerrissenen Seele kommen konnte. Ist das nicht schön? fragte sie einigemal dazwischen, sich mit Thränen in den Augen zu Friedrich'n herumwen¬ dend, und lachte abscheulich dabey. — Ah Pah! rief Leontin zornig, das ist nichts, es muß noch besser kommen! Er setzte sich hin und sang ein al¬ tes Lied aus dem dreyßigjährigen Kriege, dessen fürchterliche Klänge wie blutige Schwerter durch Mark und Bein giengen. Friedrich bemerkte, daß Romana zitterte. Leontin war indeß wieder aufge¬ standen und hatte sich aus der Gesellschaft fortge¬ schlichen, wie immer wenn er gerührt war. Wir aber wenden uns ebenfalls von diesen Blasen der Phantasie, die, wie die Blasen auf dem Rheine, nahes Gewitter bedeuten, zu der Einsamkeit Friedrichs, wie er nun oft Nächtelang voller Ge¬ danken unter Büchern saß und arbeitete. Wohl ist der Weltmarkt großer Städte eine rechte Schule des Ernstes für bessere, beschauliche Gemüther, als der getreueste Spiegel ihrer Zeit. Da haben sie den alten gewaltigen Strom in ihre Maschienen und Räder aufgefangen, daß er nur immer schneller und schneller fließe, bis er gar abfließt, da spreitet denn das arme Fabrikenleben in dem ausgetrockneten Bett seine hochmüthigen Teppiche aus, deren inwendige Kehrseite eckle, kahle, farblose Fäden sind, ver¬ schämt hängen dazwischen wenige Bilder in uralter Schönheit verstaubt, die niemand betrachtet, das Gemeinste und das Größte, heftig aneinander ge¬ worfen, wird hier zu Wort und Schlag, die Schwäche wird dreist durch den Haufen, das Hohe ficht allein. Friedrich sah zum erstenmale so recht in den großen Spiegel, da schnitt ihm ein unbe¬ schreiblicher Jammer durch die Brust, und die Schön¬ heit und Hohheit und das heilige Recht, daß sie so allein waren, und wie er sich selber in dem Spie¬ gel so winzig und verloren in dem Ganzen erblickte, schien es ihm herrlich, sich selber vergessend, dem Ganzen treulich zu helfen mit Geist, Mund und Arm. Er erstaunte, wie er noch so gar nichts ge¬ than, wie es ihn noch niemals lebendig erbarmet um die Welt. So schien das große Schauspiel des Lebens, manche besondere äussere Anregung, vor al¬ lem aber der furchtbare Gang der Zeit, der wohl keines der besseren Gemüther unberührt ließ, auf einmal alle die hellen Quellen in seinem Inneren, die sonst zum Zeitvertreibe wir lustige Springbrun¬ nen spielten, in Einen großen Strom vereinigt zu haben. Ihn eckelten die falschen Dichter an mit ihren Taubenherzen, die, uneingedenk der Himmel¬ schreyenden Mahnung der Zeit, ihre Nationalkraft in müssigem Spiele verliederten. Die unbestimmte Knaben-Sehnsucht, jener wunderbare Spielmann vom Venusberge, verwandelte sich in eine heilige Liebe und Begeisterung für den bestimmten und fe¬ sten Zweck. Gar vieles, was ihn sonst beängstigte, wurde zu Schanden, er wurde reifer, klar, selbst¬ ständig und ruhig über das Urtheil der Welt. Es genügte ihm nicht mehr, sich an sich allein zu er¬ götzen, er wollte lebendig eindringen. Desto tiefer und schmerzlicher mußte er sich überzeugen, wie schwer es sey, nützlich zu seyn. Mit gränzenloser Aufopferung warf er sich daher auf das Studium der Staaten, ein neuer Welttheil für ihn, oder vielmehr die ganze Welt und was der ewige Geist des Menschen strebte, dachte und wollte, in weni¬ gen großen Umrissen, vor dessen unermeßner Aus¬ sicht sein Innerstes aufjauchzte. Ihm träumte einmal, als er in der Nacht einst so über seinen alten Büchern eingeschlummert, als weckte ihn ein glänzendes Kind aus langen lieblichen Träumen. Er konnte kaum die Augen aufthun vor Licht, von so wunderbarer Hohheit und Schönheit war des Kindes Angesicht. Es wieß mit seinem klei¬ nen Rosenfinger von dem hohen Berge in die Ge¬ gend hinaus, da sah er ringsum eine unbegränzte Runde, Meer, Ströme und Länder, ungeheuere, umgeworfene Städte mit zerbrochenen Riesensäulen, das alte Schloß seiner Kinderjahre seltsam verfallen, einige Schiffe zogen hinten nach dem Meere, auf dem einen stand sein verstorbener Vater, wie er ihn oft auf Bildern gesehen, und sah ungewöhnlich ernsthaft, — alles doch wie in Dämmerung aufar¬ beitend, zweifelhaft und unkenntlich, wie ein ver¬ wischtes großes Bild, denn ein dunkler Sturm gieng über die ganze Aussicht, als wäre die Welt verbrannt, und der ungeheure Rauch davon lege sich nun über die Verwüstung. Dort, wo des Vaters Schiff hinzog, brach darauf plötzlich ein Abendroth durch den Qualm hervor, die Sonne senkte sich fern nach dem Meere hinab. Als er ihr so nachsah, sah er dasselbe wunderschöne Kind, das vorhin neben ihm gewesen, gewesen, recht mitten in der Sonne zwischen den spielenden Farbenlichtern traurig an ein großes Kreutz gelehnt, stehen. Eine unbeschreibliche Sehn¬ sucht befiel ihn da, und Angst zugleich, daß die Sonne für immer in das Meer versinken werde. Da war ihm, als sagte das wunderschöne Kind, doch ohne den Mund zu bewegen oder aus seiner traurigen Stellung aufzublicken: Liebst du mich recht, so gehe mit mir unter, als Sonne wirst du dann wieder aufgeh'n, und die Welt ist frey! — Vor Lust und Schwindel wachte er auf. Draussen funkelte der heitere Wintermorgen schon über die Dächer, das Licht war herabgebrannt, Erwin saß bereits angekleidet ihm gegenüber und sah ihn mit den großen, schönen Augen still und ernsthaft an. Zu solcher Lebensweise kam ein schöner Kreis neuer, rüstiger Freunde, die auf Reisen, an gleicher Gesinnung sich erkennend, aus verschiedenen deut¬ schen Zonen sich nach und nach hier zusammengefun¬ den hatten. Der Erbprinz, der mit einer fast grän¬ zenlosen Leidenschaft an Friedrich'n hieng, wußte den Bund durch seine hinreissende Gluth und Be¬ redsamkeit immer frisch zu stärken, so auch, obgleich auf ganz verschiedene Weise, der ältere, besonnene Minister, der nach einer herumschweifenden und wüst durchlebten Jugend, später, seiner grösseren Entwürfe und seiner Kraft und Berufes vor allen andern, sie auszuführen, sich klar bewußt, auf einmal mehrere brave aber schwächere Männer ge¬ 17 waltsam unterdrückt, ja, selbst seinen eigensten Wunsch, eine Liebe aus früherer Zeit aufgegeben und dafür eine freudenlose Ehe mit einem der vor¬ nehmsten Mädchen gewählt hatte, einzig um das Steuer des Staates in seine festere und sichere Hand zu erhalten. — Eine gleiche Gesinnung schien alle Glieder dieses Kreises zu verbrüdern. Sie ar¬ beiteten fleissig, hoffend und glaubend, dem alten Recht in der engen Zeit Luft zu machen, auf Tod und Leben bereit. Ganz anders, abgesondert und ohne alle Be¬ rührung mit diesem Kreise lebte Leontin in einem abgelegenen Quartiere der Residenz mit der Aus¬ sicht auf die beschneyten Berge über die weiten Vorstädte weg, wo er, mit Fabern zusammenwoh¬ nend, einen wunderlichen Haushalt fuhrte. Alle die Begeisterungen, Freuden und Schmerzen, die sich Friedrich'n, dessen Bildung langsam aber siche¬ rer fortschritt, erst jezt neu aufdeckten, hatte er längst im Innersten empfunden. Ihn jammerte sei¬ ne Zeit vielleicht wie keinen, aber er haßte es, da¬ von zu sprechen. Mit der größten Geisteskraft hat¬ te er schon oft redlich alles versucht, wo es etwas nützen konnte, aber immer überwiesen, wie die Menge reich an Wünschen, aber innerlich dumpf und gleichgültig sey, wo es gilt, und wie seine Gedanken jederzeit weiter reichten als die Kräfte der Zeit, warf er sich in einer Art von Verzweiflung immer wieder auf die Poesie zurück und dichtete oft Nächtelang ein wunderbares Leben, meist Tragö¬ dien, die er am Morgen wieder verbrannte. Seine alles verspottende Lustigkeit war im Grunde nichts, als diese Verzweiflung, wie sie sich an den bunten Bildern der Erde in tausend Farben brach und be¬ spiegelte. Friedrich besuchte ihn täglich, sie blieben ein¬ ander wechselseitig noch immer durchaus unentbehr¬ liche Freunde, wenn gleich Leontin auf keine Weise zu bereden war, an den Bestrebungen jenes Krei¬ ses Antheil zu nehmen. Er nannte unverholen das Ganze eine leidliche Komödie, und den Minister den unleidlichen Theaterprinzipal, der gewiß noch am Ende des Stückes herausgerufen werden würde, wenn nur darin das Wort: deutsch recht fleißig vorkäme, denn das mache in der undeutschen Zeit den besten Effekt. Besonders aber war er ein rech¬ ter Feind des Erbprinzen. Er sagte oft, er wünsch¬ te ihn mit einem großen Schwerte seiner Ahnherren aus Barmherzigkeit recht in der Mitte entzweyhauen zu können, damit die eine ordinäre Hälfte vor der anderen närrischen, begeisterten einmal Ruhe hätte. — Dergleichen Reden verstand Friedrich zwar da¬ mals nicht recht, denn seine beste Natur sträubte sich gegen ihr Verständniß, aber sie machten ihn stutzig. Faber dagegen, welcher, der Dichtkunst treu ergeben, immer fleissig fortarbeitete, empfieng ihn alle Tage gelassen mit derselben Frage: ob er noch immer weltbürgerlich sey? — Gott sey Dank, ant¬ wortete Friedrich ärgerlich, ich verkaufte mein Le¬ 17 * ben an den ersten besten Buchhändler, wenn es eng genug wäre, sich in einigen hundert Versen ausfin¬ gern zu lassen. Sehr gut, erwiederte Faber mit jener Ruhe, welche das Bewußtseyn eines redli¬ chen, ernsthaften Strebens giebt, wir alle sollen nach allgemeiner Ausbildung und Thätigkeit, nach dem Verein aller Dinge mit Gott streben; aber wer von seinem Einzelnen, wenn es überhaupt ein sol¬ ches giebt, es sey Staats- Dicht- oder Kriegs- Kunst, recht wahrhaft und innig, d. h. christlich durchdrungen ward, der ist ja eben dadurch allge¬ mein. Denn nimm du einen einzelnen Ring aus der Kette, so ist es die Kette nicht mehr, folglich ist eben der Ring auch die Kette. Friedrich sagte: Um aber ein Ring in der Kette zu seyn, mußt du eben¬ falls tüchtig von Eisen und aus Einem Gusse mit dem Ganzen seyn, und das meynte ich. Leontin verwickelte sie hier durch ein vielfaches Wortspiel der¬ gestalt in ihre Kette, daß sie beyde nicht weiter konnten. Diese strebende webende Lebensart schien Frie¬ drich'n einigermassen von Rosa zu entfernen, denn jede große innerliche Thätigkeit macht äusserlich still. Es schien aber auch nur so, denn eigentlich hatte seine Liebe zu Rosa, ohne daß er selbst es wußte, einen großen Antheil an seinem Ringen nach dem Höchsten. So wie die Erde in tausend Stämmen, Strömen und Blüthen treibt und singt, wenn sie der alles belebenden Sonne zugewendet, so ist auch das menschliche Gemüth zu allem Großen freudig in der Sonnenseite der Liebe. Rosa nahm Friedrichs nur seltenen Besuche nicht in diesem Sinne, denn wenige Weiber begreifen der Männer Liebe in ihrem Umfange, sondern messen ungeschickt das Un¬ ermeßliche nach Küssen und eitlen Versicherungen. Es ist, als wären ihre Augen zu blöde, frey in die göttliche Flamme zu schauen, sie spielen nur mit ihrem spielenden Widerscheine. Friedrich fand sie überhaupt seit einiger Zeit etwas verändert. Sie war oft einsylbig, oft wieder bis zur Leichtfertig¬ keit munter, beydes schien Manier. Sie mischte oft in ihre besten Unterhaltungen so Fremdartiges, als hätte ihr innerstes Leben sein altes Gleichgewicht verloren. Ueber seine seltenen Besuche machte sie ihm nie den kleinsten Vorwurf. Er war weit ent¬ fernt, den wahren Grund von allem diesen auch nur zu ahnden. Denn die rechte Liebe ist einfältig und sorglos. Eines Tages kam er gegen Abend zu ihr. Das Zimmer war schon dunkel, sie war allein. Sie schien ganz athemlos vor Verlegenheit, als er so plötzlich in das Zimmer trat, und sah sich ängstlich einigemal nach der anderen Thüre um. Friedrich be¬ merkte ihre Unruhe nicht, oder mochte sie nicht be¬ merken. Er hatte heute den ganzen Tag gearbei¬ tet, geschrieben und gesonnen. Auf seiner unbeküm¬ mert unordentlichen Kleidung, auf dem verwachten, etwas bleichen Gesichte und den sinnigen Augen ruh¬ te noch der Nachsommer der Begeisterung. Er bat sie, kein Licht zu machen, setzte sich, nach seiner Gewohnheit, mit der Guitarre ans Fenster und sang fröhlich ein altes Lied, das er Rosa'n oft im Garten bey ihrem Schlosse gesungen. Rosa saß dicht vor ihm, voll Gedanken, es war, je länger er sang, als müßte sie ihm etwas vertrauen und könne sich nicht dazu entschliessen. Sie sah ihn im¬ merfort an. Nein, es ist mir nicht möglich! rief sie endlich und sprang auf. Er legte die Laute weg; sie war schnell durch die andere Thüre verschwunden. Er stand noch einige Zeit nachdenkend, da aber nie¬ mand kam, gieng er verwundert fort. Es war ihm von jeher eine eigne Freude, wenn er so Abends durch die Gassen strich, in die unte¬ ren erleuchteten Fenster hineinzublicken, wie da al¬ les, während es draussen stob und stürmte, ge¬ müthlich um den warmen Ofen saß, oder an reinlich¬ gedeckten Tischen schmaußte, des Tages Arbeit und Mühen vergessend, wie eine bunte Gallerie von Weihnachtsbildern. Er schlug heute einen anderen, ungewohnten Weg ein, durch kleine, unbesuchte Gäßchen, da glaubte er auf einmal in dem einen Fenster den Prinzen zu sehen. Er blieb erstaunt stehen. Er war es wirklich. Er saß in einem schlech¬ ten Ueberrocke, den er noch niemals bey ihm gese¬ hen, im Hintergrunde auf einem hölzernen Stuhle. Vor ihm saß ein junges Mädchen in bürgerlicher Kleidung auf einem Schämel, beyde Arme auf sei¬ ne Kniee gestützt, und sah zu ihm herauf, während er etwas zu erzählen schien und ihr die Haare von beyden Seiten aus der heiteren Stirn strich. Ein flackerndes Heerdfeuer, an welchem eine alte Frau etwas zubereitete, warf seine gemüthlichen Scheine über die Stube. Teller und Schüsseln waren in ihren Geländern ringsum an den Wänden blank und in zierlicher Ordnung aufgestellt, ein Kätzchen saß auf einem Großvaterstuhle am Ofen und putzte sich, im Hintergrunde hieng ein Muttergottesbild, vom Kamine hellbeleuchtet. Es schien ein stilles, ordent¬ liches Haus. Das Mädchen sprang fröhlich von ihrem Sitze auf, kam ans Fenster und sah einen Augenblick durch die Scheiben. Friedrich erstaunte über ihre Schönheit. Sie schüttelte sich darauf mun¬ ter und ungemein lieblich, als fröre sie bey dem flüchtigen Blick in die stürmische Nacht draussen, stieg auf einen Stuhl und schloß die Fensterladen zu. Den folgenden Morgen, als Friedrich mit dem Prinzen zusammenkam, sagte er ihm sogleich, was er gestern gesehen. Der Prinz schien betroffen, be¬ sann sich darauf einen Augenblick, und bat Frie¬ drich'n, die ganze Begebenheit zu verschweigen. Er besuche, sagte er, das Mädchen schon seit langer Zeit und gebe sich für einen armen Studenten aus. Die Mutter und die Tochter, die wenig auskämen, hielten ihn wirklich dafür. Friedrich sagte ihm offen und ernsthaft, wie dieß ein gefährliches Spiel sey, wobey das Mädchen verspielen müsse, er solle lie¬ ber alles aufgeben, ehe es zu weit käme, vor allem großmüthig das Mädchen schonen, das ihm noch unschuldig schiene. Der Prinz war gerührt, drückte Friedrich'n die Hand und schwur, daß er das Mäd¬ chen zu sehr liebe, um sie unglücklich zu machen. Er nannte sie nur sein hohes Mädchen. Später, an einem von jenen wunderbaren Ta¬ gen, wo die Bäche wieder ihre klaren Augen auf¬ schlagen und einzelne Lerchen schon hoch in dem blauen Himmel singen, hatte Friedrich alle seine Fenster offen, die auf einen einsamen Spaziergang hinausgiengen, den zu dieser Jahreszeit fast nie¬ mand besuchte. Es war ein Sonntag, unzählige Glocken schallten durch die stille, heitre Luft. Da sah er den Prinzen, wieder verkleidet, in der Ferne vorübergeh'n, neben ihm sein Bürgermäd¬ chen, im sonntäglichen Putze zierlich ausgeschmückt. Sie schien sehr zufrieden und glücklich und drückte sich oft fröhlich an seinen Arm. Friedlich nahm die Guitarre, setzte sich auf das Fenster und sang: Wann der kalte Schnee zergangen, Stehst du draussen in der Thür, Kommt ein Knabe schön gegangen, Stellt sich freundlich da zu dir, Lobet deine frischen Wangen, Dunkle Locken, Augen licht, Wann der kalte Schnee zergangen, Glaub' dem falschen Herzen nicht! Wann die lauen Winde wehen, Scheint die Sonne lieblich warm: Wirst du wohl spazieren gehen, Und Er führet dich am Arm, Thränen dir im Auge stehen, Denn so schön klingt, was er spricht, Wann die lauen Winde wehen, Glaub' dem falschen Herzen nicht! Wann die Lerchen wieder schwirren, Trittst du draussen vor das Haus, Doch Er mag nicht mit dir irren, Zog weit in das Land hinaus; Die Gedanken sich verwirren, Wie du siehst den Morgen roth, Wann die Lerchen wieder schwirren, Armes Kind, ach, wärst du todt! Das Lied rührte Friedrich'n selbst mit einer un¬ beschreiblichen Gewalt. Die Glücklichen hatten ihn nicht bemerkt, er hörte das Mädchen noch munter lachen, als sie schon beyde wieder verschwunden wa¬ ren. Der Winter neckte bald darauf noch einmal durch seine späten Züge. Es war ein unfreundlicher Abend, der Wind jagte den Schnee durch die Gas¬ sen, da gieng Friedrich, in seinem Mantel fest ein¬ gewickelt, zu Rosa. Sie hatte ihm, da sie über¬ haupt jetzt mehr als sonst sich in Gesellschaften ein¬ ließ, feyerlich versprochen, ihn heute zu Hause zu erwarten. Er hatte eine Sammlung alter Bilder unter dem Mantel, die er erst unlängst aufgekauft, und an denen sie sich heute ergötzen wollten. Er freute sich unbeschreiblich darauf, ihr die Bedeutung und die alten Geschichten dazu zu erzählen. Wie groß war aber sein Erstaunen, als er alles im Hause still fand. Er konnte es noch nicht glauben, er stieg hinauf. Ihr Wohnzimmer war auch leer und kein Mensch zur Auskunft. Der Spiegel auf der Toilette stand noch aufgestellt, künstliche Blu¬ men, goldene Kämme und Kleider lagen auf den Stühlen umher; sie mußte das Zimmer unlängst verlassen haben. Er setzte sich an den Tisch und schlug einsam seine Bilder auf. Die treue Farben¬ pracht, die noch so frisch aus den alten Bildern schaute, als wären sie heut gemahlt, rührte ihn; wie da die Genovefa arm und bloß im Walde stand, das Reh vor ihr niederstürzt und hinterdrein der Landgraf mit Rossen, Jägern und Hörnern, wie da so bunte Blumen stehen, unzählige Vögel in den Zweigen mit den glänzenden Flügeln schlagen, wie die Genovefa so schön ist und die Sonne präch¬ tig scheint, alles grün und golden musizierend, und Himmel und Erde voller Freude und Entzückung. — Mein Gott, mein Gott, sagte Friedrich, warum ist alles auf der Welt so anders geworden! — Er fand ein Blatt auf dem Tische, worauf Rosa die Zeichnung einer Rose angefangen. Er schrieb, ohne selbst recht zu wissen, was er that: „Lebe wohl“ auf das Blatt. Darauf gieng er fort. Draussen auf der Strasse fiel ihm ein, daß heu¬ te Ball beym Minister sey. Nun übersah er den ganzen Zusammenhang, und gieng sogleich hin, um sich näher zu überzeugen. Dicht und unkenntlich in seinen Mantel gehüllt, stellte er sich in die Thüre unter die zusehenden Bedienten. Er mußte lachen, wie der Marquis so eben in festlichem Staate einzog und mit einer vornehmen Geckenhaftigkeit ihn mit den anderen Leuten auf die Seite schob. Er be¬ merkte wohl, wie die Bedienten heimlich lachten. Gott steh' dem Adel bey, dachte er dabey, wenn dieß noch seine einzige Unterscheidung und Halt seyn soll in der gewaltsam drängenden Zeit, wo unterge¬ hen muß, was sich nicht ernstlich rafft! Die Tanzmusik schallte lustig über den Saal, wie ein wogendes Meer, wo unzählige Sterne glänzend auf- und untergiengen. Da sah er Rosa mit dem Prinzen walzen. Alle sahen hin und machten willig Platz, so schön war das Paar. Sie langte im Fluge ohnweit der Thüre an und warf sich athemlos in ein Sopha. Ihre Wangen glüh¬ ten, ihr Busen, dessen Weisse die schwarz herabge¬ ringelten Locken noch blendender machten, hob sich heftig auf und nieder; sie war überaus reitzend. Er konnte sehen, wie sie dem Prinzen, der lange mit Bitten in sie zu dringen schien, tändelnd etwas reichte, das er schnell zu sich steckte. Der Prinz sagte ihr darauf etwas ins Ohr, worauf sie so leicht¬ fertig lachte, daß es Friedrich'n durch die Seele schnitt. Höchstsonderbar, erst hier, in diesem Taumel, in dieser Umgebung glaubte Friedrich auf einmal in des Prinzen Reden dieselbe Stimme wiederzuerken¬ nen, die er auf dem Maskenballe, da er Rosa zum erstenmale wiedergesehen, bey ihrem Begleiter, und dann in dem dunklen Gäßchen, als er von der klei¬ nen Marie herauskam, bey dem einen von den zwey verhüllten Männern gehört hatte. — Er er¬ schrack innerlichst über diese Entdeckung. Er dachte an das arme Bürgermädchen, an Leontins Haß gegen den Prinzen, an die verlorene Marie, an alle die schönen auf immer vergangenen Zeiten und stürzte sich wieder hinunter in das lustige Schneege¬ stöber. Als er nach Hause kam, fand er Erwin auf dem Sopha eingeschlummert. Schreibzeug lag um¬ her, er schien geschrieben zu haben. Er lag auf dem Rücken, in der rechten Hand, die auf dem Herzen ruhte, hielt er ein zusammengelegtes Papier lose zwischen den Fingern. Friedrich hielt es für einen Brief, da es immer Erwins liebstes Geschäft war, ihn mit den neuangekommenen Briefen bey seiner Nachhausekunft selbst zu überraschen. Er zog es dem Knaben leise aus der Hand und machte es, ohne es näher zu betrachten, schnell auf. Er las: „Die Wolken zieh'n immerfort, die Nacht ist so finster. Wo führst du mich hin, wun¬ derbarer Schiffer? Die Wolken und das Meer ha¬ ben kein Ende, die Welt ist so groß und still, es ist entsetzlich, allein zu seyn. —“ Weiter unten stand: „Liebe Julie, denkst du noch daran, wie wir im Garten unter den hohen Blumen sassen und spielten und sangen, die Sonne schien warm, Du warst so gut. Seitdem hat niemand mehr Mitleid mit mir.“ — Wieder weiter: „Ich kann nicht länger schweigen, der Neid drückt mir das Herz ab.“ — Friedrich bemerkte erst jezt, daß das Pa¬ pier nur wie ein Brief zusammengelegt und ohne alle Aufschrift war. Voll Erstaunen legte er es wieder neben Erwin hin und sah den lieblichathmen¬ den Knaben nachdenklich an. Da wachte Erwin auf, verwunderte sich, Frie¬ drich'n und den Brief neben sich zu sehen, steckte das Papier hastig zu sich und sprang auf. Friedrich faßte seine beyden Hände und zog ihn vor sich hin. Was fehlt Dir? fragte er ihn unwiderstehlich gut¬ müthig. Erwin sah ihn mit den großen, schönen Augen lange an, ohne zu antworten, dann sagte er auf einmal schnell, und eine lebhafte Fröhlich¬ keit flog dabey über sein seelenvolles Gesicht: Reisen wir aus der Stadt und weit fort von den Men¬ schen, ich führ' Dich in den großen Wald. — Von einem großen Walde darauf und einem kühlen Strome und einem Thurm darüber, wo ein Ver¬ storbener wohne, sprach er wunderbar wie aus dunklen, verworrenen Erinnerungen, oft alte Aus¬ sichten aus Friedrichs eigner Kindheit plötzlich auf¬ deckend. Friedrich küßte den begeisterten Knaben auf die Stirn. Da fiel er ihm um den Hals und küßte ihn heftig, mit beyden Armen fest umklam¬ mernd. Voll Erstaunen machte sich Friedrich nur mit Mühe aus seinen Armen los, es war etwas ungewöhnlich Verändertes in seinem Gesicht, eine seltsame Lust in seinen Küssen, seine Lippen brann¬ ten, das Herz schlug fast hörbar, er hatte ihn noch niemals so gesehen. Der Bediente trat eben ein, um Friedrich'n auszukleiden. Erwin war verschwunden. Friedrich hörte, wie er darauf in seiner Stube sang: Es weiß und räth es doch keiner, Wie mir so wohl ist, so wohl! Ach, wüßt' es nur Einer, nur Einer, Kein Mensch sonst es wissen sollt'! So still ist's nicht draussen im Schnee, So stumm und verschwiegen sind Die Sterne nicht in der Höhe, Als meine Gedanken sind. Ich wünscht', es wäre schon Morgen, Da fliegen zwey Lerchen auf, Die überfliegen einander, Mein Herze folgt ihrem Lauf. Ich wünscht', ich wäre ein Vöglein Und zöge über das Meer, Wohl über das Meer und weiter, Bis daß ich im Himmel wär'! Fuͤnfzehntes Kapitel . Schwül und erwartungsvoll schauen wir in den dunkelblauen Himmel, schwere Gewitter steigen ringsum herauf, die über manche liebe Gegend und Freunde ergehen sollen, der Strom schießt dunkel¬ glatt und schneller vorbey, als wollte er seinem Geschick entfliehen, die ganze Gegend verwandelt plötzlich seltsam ihre Miene. Keine Glockenklänge wehen mehr fromm über die Felder, die Wolken zu zertheilen, der Glaube ist todt, die Welt liegt stumm und viel Theures wird untergehen, eh' die Brust wieder frey aufathmet. Friedrich fühlte diesen gewitternden Druck der Luft und waffnete sich nur desto frömmer mit jenem Ernst und Muthe, den ein großer Zweck der Seele giebt. Er warf sich mit doppeltem Eifer wieder auf seine Studien, sein ganzes Sinnen und Trachten war endlich auf sein Vaterland gerichtet. Dieß mochte ihn abhalten, Erwin damals genauer zu be¬ obachten, der seit jenem Abend stiller als je gewor¬ den und sich an einem wunderbaren Triebe nach freyer Luft und Freyheit langsam zu verzehren schien. Rosa'n mochte er seitdem nicht wieder besu¬ chen. Romana hatte sich seit einiger Zeit seltsam von allen grösseren Gesellschaften entfernt. — Wir aber stürzen uns lieber in die Wirbel der Geschich¬ te, denn es wird der Seele wohler und weiter im Sturm und Blitzen, als in dieser feindlichlauern¬ den Stille. Es war ein Feyertag im März, da ritt Frie¬ drich mit dem Prinzen auf einem der besuchtesten Spaziergänge. Nach allen Richtungen hin zogen unzählige bunte Schwärme zu den dunklen Thoren aus und zerstreuten sich lustig in die neue, warme, schallende Welt. Schaukeln und Ringelspiele dreh¬ ten sich auf den offenen Rasenplätzen, Musiken klangen von allen Seiten ineinander, eine unüber¬ sehbare Reihe prächtiger Wagen bewegte sich schim¬ mernd die Allee hinunter. Romana theilte die Menge rasch zu Pferde wie eine Amazone. Frie¬ drich hatte sie nie so schön und wild gesehen. Rosa war nirgends zu sehen. Als sie an das Ende der Allee kamen, hörten sie plötzlich einen Schrey. Sie sahen sich um und erblickten mehrere Menschen, die bemüht schienen, jemanden Hülfe zu leisten. Der Prinz ritt sogleich hinzu; alles machte ehrerbietig Platz und er erblickte sein Bürgermädchen, die ohn¬ mächtig in den Armen ihrer Mutter lag. Wie ver¬ steinert schaute er in das todtenbleiche Gesicht des Mädchens. Er bat Friedrich'n, für sie Sorge zu tragen, wandte sein Pferd und sprengte davon. Er hatte sie zum letztenmale gesehen. Die Mutter, welche sich selbst von Staunen und Schreck nicht erholen konnte, erzählte Frie¬ drich'n, nachdem er alle unnöthige Gaffer zu entfer¬ nen gewußt, wie sie heut mit ihrer Tochter hieher spazieren gegangen, um einmal den Hof zu sehen, der, wie sie gehört, an diesem Tage gewöhnlich hier zu erscheinen pflege. Ihr Kind sey besonders fröh¬ lich gewesen und habe noch oft gesagt: Wenn Er doch mit uns wäre, so könnte er uns alle die Herrschaften nennen! Auf einmal hörten sie hinter sich: der Prinz! der Prinz! Alles blieb stehen und zog den Hut. So wie ihre Tochter den Prinzen nur erblickte, sey sie sogleich umgefallen. — Frie¬ drich'n rührte die stille Schönheit des Mädchens mit ihren ihren geschlossenen Augen tief. Er ließ sie sicher nach Hause bringen; er selbst wollte sie nicht be¬ gleiten, um alles Aufseh'n zu vermeiden. Noch denselben Abend spät sprach er den Prin¬ zen über diese Begebenheit. Dieser war sehr be¬ wegt. Er hatte das Mädchen des Abends besucht. Sie aber wollte ihn durchaus nicht wiedersehen, und hatte eben so hartnäckig ein fürstliches Geschenk, das er ihr anbot, ausgeschlagen. Uebrigens schiene sie, wie er hörte, ganz gesund. Erwin fieng um diese Zeit an zu kränkeln, es war als erdrückte ihn die Stadtluft. Seine seltsa¬ me Gewohnheit, die Nächte im Freyen zuzubrin¬ gen, hatte er hier ablegen müssen. Es schien seit frühester Kindheit eine wunderbare Freundschaft zwi¬ schen ihm und der Natur mit ihren Wäldern, Strö¬ men und Felsen. Jetzt, da dieser Bund durch das beengte Leben zerstört war, schien er, wie ein er¬ wachter Nachtwandler, auf einmal allein in der Welt. So versank er mitten in der Stadt immer tie¬ fer in Einsamkeit. Nur um Rosa bekümmerte er sich viel und mit einer auffallenden Leidenschaftlich¬ keit. Uebrigens erlernte er noch immer nichts, ob¬ schon es nicht an gutem Willen fehlte. Eben so las er auch sehr wenig und ungern, desto mehr, ja fast unaufhörlich, schrieb er, seit er es beym Grafen gelernt, so oft er allein gewesen. Friedrich fand 18 manchmal dergleichen Zettel. Es waren einzelne Gedanken, so seltsam weit abschweifend von der Sinnes- und Ausdrucksart unserer Zeit, daß sie oft unverständlich wurden, abgebrochene Bemerkun¬ gen über seine Umgebungen und das Leben, wie fahrende Blitze auf durchaus nächtlichem, melankoli¬ schen Grunde, wunderschöne Bilder aus der Erin¬ nerung an eine früher verlebte Zeit und Anreden an Personen, die Friedrich gar nicht kannte, da¬ zwischen Gebethe wie aus der tiefsten Seelenverwir¬ rung eines geängstigten Verbrechers, immerwäh¬ rende Beziehung auf eine unselige verdeckte Leiden¬ schaft, die sich selber nie deutlich schien, kein einzi¬ ger Vers, keine Ruhe, keine Klarheit überall. Friedrich versuchte unermüdlich seine frühere Le¬ bensgeschichte auszuspüren, um nach so erkannter Wurzel des Uebels vielleicht das aufrührerische Ge¬ müth des Knaben sicherer zu beruhigen und ins Gleichgewicht zu bringen. Aber vergebens. Wir wissen, mit welcher Furcht er das Geheimniß seiner Kindheit hüthete. Ich muß sterben, wenn es je¬ mand erfährt, war dann jedesmal seine Antwort. Eine eben so unbegreifliche Angst hatte er auch vor allen Aerzten. Sein Zustand wurde indeß immer bedenklicher. Friedrich hatte daher alles einem verständigen Arzte von seiner Bekanntschaft anvertraut und bat densel¬ ben, ihn, ohne seine Absicht merken zu lassen, des Abends zu besuchen, wann Erwin bey ihm wäre. Als Friedrich des Abends an Erwins Thüre kam, hörte er ihn d'rinn nach einer rührenden Me¬ lodie ohne alle Begleitung eines Instruments fol¬ gende Worte singen: Ich kann wohl manchmal singen, Als ob ich fröhlich sey, Doch heimlich Thränen dringen, Da wird das Herz mir frey. So lassen Nachtigallen, Spielt draussen Frühlingsluft, Der Sehnsucht Lied erschallen, Aus ihres Käfigts Gruft. Da lauschen alle Herzen, Und alles ist erfreut, Doch keiner fühlt die Schmerzen, Im Lied das tiefe Leid. Friedrich trat während der letzten Strophe un¬ bemerkt in die Stube. Der Knabe ruhte auf dem Bett und sang so liegend mit geschlossenen Augen. Er richtete sich schnell auf, als er Friedrich'n erblickte. Ich bin nicht krank, sagte er, gewiß nicht! — damit sprang er auf. Er war sehr blaß. Er zwang sich, munter zu scheinen, lachte und sprach mehr und lustiger als gewöhnlich. Dann klagte er über Kopfweh. — Friedrich strich ihm die nußbraunen Locken aus den Augen. Thu' mir nicht schön, ich bitte Dich! — sagte der Knabe da son¬ derbar und wie mit verhaltenen Thränen. 18 * Der Arzt trat eben in das Zimmer. Erwin sprang auf. Er errieth ahnend sogleich, was der fremde Mann wolle, und machte Miene zu entsprin¬ gen. Er wollte sich durchaus nicht von ihm berüh¬ ren lassen und zitterte am ganzen Leibe. Der Arzt schüttelte den Kopf. Hier wird meine Kunst nicht ausreichen, sagte er zu Friedrich'n, und verließ das Zimmer bald wieder, um den Knaben in diesem Augenblick zu schonen. Da sank Erwin ermattet zu Friedrichs Füßen. Friedrich hob ihn freundlich auf seine Knie und küßte ihn. Er aber küßte und um¬ armte ihn nicht wieder wie damals, sondern saß still und sah, in Gedanken verloren, vor sich hin. Schon spannen wärmere Sommernächte draus¬ sen ihre Zaubereyen über Berge und Thäler, da war es Friedrich'n einmal mitten in der Nacht, als riefe ihn ein Freund, auf den er sich nicht besinnen könnte, wie aus weiter Ferne. Er wachte auf, da stand eine lange Gestalt mitten in dem finsteren Zimmer. Er erkannte Leontinen an der Stimme. Frisch auf, Herzbruder! sagte dieser, die eine Halbkugel rührt sich hellbeleuchtet, die andere träumt; mir war nicht wohl, ich will den Rhein einmal wiedersehen, komm' mit! Er hatte die Fen¬ ster aufgemacht, einzelne graue Streifen langten schon über den Himmel, unten auf der Gasse blies der Postillon lustig auf dem Horne. Da galt kein Staunen und kein Zögern, Frie¬ drich mußte mit ihm hinunter in den Wagen. Auch Erwin war mit unbegreiflicher Schnelligkeit reisefer¬ tig. Friedrich erstaunte, ihn auf einmal ganz mun¬ ter und gesund zu sehen. Mit funkelnden Augen sprang er mit in den Wagen, und so rasselten sie durch das stille Thor ins Freye hinaus. Sie fuhren schnell, durch unübersehbar stille Felder, durch einen dunkeldichten Wald, später zwi¬ schen engen hohen Bergen, an deren Fuß manch Städtlein zu liegen schien, ein Fluß, den sie nicht sahen, rauschte immerfort seitwärts unter der Stra¬ ße, alles feenhaft verworren. Leontin erzählte ein Mährchen, mit den wechselnden Wundern der Nacht, wie sie sich die Seele ausmahlte, in Worten kühle spielend. Friedrich schaute still in die Nacht, Erwin ihm gegenüber hatte die Augen weit offen, die un¬ ausgesetzt, so lange es dunkel war, auf ihn gehef¬ tet schienen, der Postillon blies oft dazwischen. Der Tag fieng indeß an von der einen Seite zu hellen, sie erkannten nach und nach ihre Gesichter wieder, einzelne zu früh erwachte Lerchen schwirr¬ ten schon, wie halb im Schlafe, hoch in den Lüf¬ ten ihr endloses Lied, es wurde herrlich kühl. Bald darauf langten sie an dem Gebirgsstädt¬ chen an, wohin sie wollten. Das Thor war noch geschlossen. Der Thorwächter trat schlaftrunken her¬ aus, wünschte ihnen einen guten Morgen und prieß die Reisenden glückselig und beneidenswerth in die¬ ser Jahrszeit. In dem Städtchen war noch alles leer und still. Nur einzelne Nachtigallen von den Fenstern und unzählige von den Bergen über dem Städtchen schlugen um die Wette. Mehrere alte Brunnen mit zierlichem Gitterwerk rauschten einför¬ mig auf den Gassen. In dem Wirthshause, wo sie abstiegen, war auch noch niemand auf. Der Postil¬ lon blies daher, um sie zu wecken, mehrere Stücke, daß es über die stillen Strassen weg in die Berge hineinschallte. Erwin saß indeß auf einem Spring¬ brunnen auf dem Platze und wusch sich die Augen klar. Friedrich und Leontin ließen Erwin bey dem Wagen zurück und giengen von der anderen Seite ins Gebirge. Als sie aus dem Walde auf einen hervorragenden Felsen heraustraten, sahen sie auf einmal aus wunderreicher Ferne von alten Burgen und ewigen Wäldern kommend den Strom vergan¬ gener Zeiten und unvergänglicher Begeisterung, den königlichen Rhein. Leontin sah lange still in Ge¬ danken in die grüne Kühle hinunter, dann fieng er sich schnell an auszukleiden. Einige Fischer fuhren auf dem Rheine vorüber und sangen ihr Morgen¬ lied, die Sonne gieng eben prächtig auf, da sprang er mit ausgebreiteten Armen in die kühlen Flam¬ men hinab. Friedrich folgte seinem Bespiel und, beyde rüstige Schwimmer, rangen sich lange jubelnd mit den vom Morgenglanze trunkenen, eisigen Wo¬ gen. Unbeschreiblich leicht und heiter kehrten sie nach dem Morgenbade wieder in das Städtchen zurück, wo unterdeß alles schon munter geworden. Es war die Weihe der Kraft für lange Kämpfe, die ihrer harrten. Als die Sonne schon hoch war, bestiegen sie die alte wohlerhaltene Burg, die wie eine Ehren¬ krone über der altdeutschen Gegend stand. Des Wirths Tochter gieng ihnen mit einigen Flaschen Wein lustig die dunklen, mit Epheu überwachsenen Mauerpfade voran, ihr junges, blühendes Gesicht nahm sich gar zierlich zwischen dem alten Gemäuer und Bilderwerk aus. Sie legte vor der Sonne die Hand über die Augen und nannte ihnen die zer¬ streuten Städte und Flüsse in der unermeßlichen Aussicht, die sich unten aufthat. Leontin schenkte Wein ein, sie that ihnen Bescheid und gab jedem willig zum Abschiede einen Kuß. Sie stieg nun wieder den Berg hinab, die bey¬ den schauten fröhlich in das Land hinaus. Da sa¬ hen sie, wie jenseits des Rheins zwey Jägerbur¬ schen aus dem Walde kamen und einen Kahn be¬ stiegen, der am Ufer lag. Sie kamen quer über den Rhein auf das Städtchen zugefahren. Der eine saß tiefsinnig im Kahne, der andere that mehrere Schüsse, die vielfach in den Bergen wiederhallten. Erwin hatte sich in ein ausgebrochenes Bogenfenster der Burg gesetzt, das unmittelbar über dem Ab¬ grunde stand. Ohne allen Schwindel saß er dort oben, seine ganze Seele schien aus den sinnigen Augen in die wunderbare Aussicht hinauszusehen. Er sagte voller Freuden, er erblicke ganz im Hin¬ tergrunde einen Berg und einen hervorragenden Wald, den er gar wohl kenne. Leontin ließ sich die Gegend zeigen und schien sie ebenfalls zu erken¬ nen. Er sah darauf den Knaben ernsthaft und ver¬ wundert an, der es nicht bemerkte. Erwin blieb in dem Fensterbogen sitzen, sie aber durchzogen das Schloß und den Berg in die Run¬ de. Junge grüne Zweige und wildbunte Blumen beugten sich überall über die dunklen Trümmer der Burg, der Wald rauschte kühl, Quellen sprangen in hellen, frischlichen Bogen von den Steinen, un¬ zählige Vögel sangen, von allen Seiten die uner¬ meßliche Aussicht, die Sonne schien warm über der Fläche in tausend Strömen sich spiegelnd, es war, als sey die Natur hier rüstiger und lebendiger vor Erinnerung im Angesicht des Rheins und der alten Zeit. Wo ein Begeisterter steht, ist der Gipfel der Welt, rief Leontin fröhlich aus. Willkommen, Freund, Bruder! sagte da auf einmal eine Stimme mit Pathos, und ein fremder junger Mann, den sie vorher nicht bemerkt hatten, faßte Leontin'n fest bey der Hand. Ach, was Bru¬ der! fuhr Leontin heraus ärgerlich über die uner¬ wartete Störung. Der Fremde ließ sich nicht ab¬ schrecken, sondern sagte: Jene Worte logen nicht, Sie sind ein Verehrer der Natur, ich bin auch stolz auf diesen Nahmen. Wahrhaftig, mein Herr, er¬ wiederte Leontin geschwind sich komisch erwehrend, Sie irren sich entsetzlich, ich bin weder biederher¬ zig, wie Sie sich vorstellen, noch begeistert, noch ein Verehrer der Natur, noch —. Der Fremde fuhr ganz blinderpicht fort: Lassen Sie die Gewöhn¬ lichen sich ewig suchen und verfehlen, die Seltenen wirft ein magnetischer Zug einander an die männ¬ liche Brust, und der ewige Bund ist ohne Wort geschlossen in des Eichwalds heiligen Schatten, wenn die Orgel des Weltbaues gewaltig dahinbraust. — Bey diesen Worten fiel ihm ein Buch aus der Tasche. Sie verlieren ihre Noten, sagte Leontin, Schillers Don Karlos erkennend. Warum Noten? fragte der Fremde. Darum, sagte Leontin, weil euch die ganze Natur nur der Text dazu ist, den ihr nach den Dingern da aborgelt, und je schwieriger und würgender die Koleraturen sind, daß ihr davon ganz roth und blau im Gesicht werdet, und die Thränen sammt den Augen heraustreten, je begei¬ sterter und gerührter seyd ihr. Macht doch die Au¬ gen fest zu in der Musik und im Sausen des Wal¬ des, daß ihr die ganze Welt vergeßt und Euch vor allem! Der Fremde wußte nicht recht, was er darauf antworten sollte. Leontin fand ihn zuletzt gar pos¬ sierlich; sie giengen und sprachen noch viel zusammen und es fand sich am Ende, daß er ein abgedankter Liebhaber der Schmachtenden in der Residenz sey, den er früher manchmal bey ihr gesehen. Der Ein¬ klang der Seelen hatte sie zusammen, und ich weiß nicht was wieder auseinander geführt. Er rühmte viel, wie dieses Seelenvolle Weib mit Geschmack, treu und tugendhaft liebe. Treu? — sie ist ja verhey¬ rathet, sagte Friedrich unschuldig. Ey, was! fiel ihm Leontin ins Wort, diese Alwina's, diese neuen Heloisen, diese Erbschleicherinnen der Tugend sind pfiffiger als Gottes Wort. Nicht wahr, der Teufel stinkt nicht und hat keine Hörner, und Ehebrechen und Ehebrechen ist zweyerley? — Der Fremde war verlegen wie ein Schulknabe. Es neigte sich indeß zum Abend, aber die Luft war schwül geworden und man hörte von ferne donnern. Das letztere war dem Fremden eben recht; der Donner, den er nicht anders als rollend nannte, schien ihn mit einem neuen Anfalle von Genialität aufzublähen. Er versicherte, er müsse im Gewitter einsam und im Freyen seyn, das wäre von jeher so seine Art, und nahm Abschied von ihnen. Leontin klopfte ihn beym Weggeh'n tüchtig auf die Achsel: beten und fasten Sie fleissig und dann schauen Sie wieder in Gottes Welt hinaus, wie da der Herr genialisch ist. Es ist doch nichts lächerli¬ cher, sagte er, als jener fort war, als eine aus der Mode gekommene Genialität. Man weiß dann gar nicht, was die Kerls eigentlich haben wollen. Es gewitterte indeß immer stärker und näher. Leontin bestieg schnell eine hohe Tanne, die am Abhange stand, um das Wetter zu beschauen. Der Wind, der dem Gewitter vorausflog, rauschte durch die dunklen Aeste des Baumes und neigte den Wi¬ pfel über den Abgrund hinaus. Ich sehe das Städtchen in alle Strassen hinab, rief Leontin von oben, wie die Leute eilig hin und her laufen und die Fenster und Thüren schließen und mit den Laden klappern vor dem heranziehenden Wetter, es achtet ihrer doch nicht und zieht über sie weg. Unseren Don Karlos sehe ich auf einer Felsenspitze den Bat¬ terien des Gewitters gegenüber, er steht die Arme über der Brust verschränkt, den Hut tief in die Au¬ gen gedrückt, den einen Fuß trotzig vorwärts, pfuy, pfuy, über den Hochmuth! Den Rhein seh' ich kom¬ men, zu dem alle Flüsse des Landes flüchten, lang¬ sam und dunkelgrün, Schiffe rudern eilig ans Ufer, eines seh' ich mit Gott gradaus fahren, fahre, herr¬ licher Strom! Wie Gottes Flügel rauschen und die Wälder sich neigen, und die Welt still wird, wenn der Herr mit ihr spricht. Wo ist dein Witz, deine Pracht, deine Genialität? Warum wird unten auf den Flächen alles Eins und unkenntlich wie ein Meer, und nur die Burgen stehen einzeln und un¬ terschieden zwischen den wehenden Glockenklängen und schweifenden Blitzen. Du könntest mich wahn¬ witzig machen unten erschreckliches Bild meiner Zeit, wo das zertrümmerte Alte in einsamer Höhe steht, wo nur das Einzelne gilt und sich, schroff und scharf im Sonnenlichte abgezeichnet, hervorhebt, während das Ganze in farblosen Massen Gestaltlos liegt, wie ein ungeheuerer, grauer Vorhang, an dem unsere Gedanken, gleich Riesenschatten aus ei¬ ner anderen Welt, sich abarbeiten. — Der Wind verwehte seine Worte in die gränzenlose Luft. Es regnete schon lange. Der Regen und der Sturm wurden endlich so heftig, daß er sich nicht mehr auf dem Baume erhalten konnte. Er stieg herab und sie kehrten zu der Burg zurück. Als das Wetter sich nach einiger Zeit wieder verzogen hatte, brachen sie aus ihrem Schlupfwin¬ kel auf, um sich in das Städtchen hinunterzubege¬ ben. Da trafen sie an dem Ausgange der Burg mit den zwey Jägern zusammen, die sie frühmor¬ gens über den Rhein fahren gesehen, und die eben¬ falls das Gewitter in der Burg belagert gehalten hatte. Es war schon dunkel geworden, so daß sie einander nicht wohl erkennen konnten. Die Bäume hiengen voll heller Tropfen, der enge Fußsteig war durch den Regen äusserst glatt geworden. Die bey¬ den Jäger, giengen sehr, vorsichtig und furchtsam, hielten sich an alle Sträucher und glitten mehrere¬ mal bald Friedrich'n, bald Leontin in die Arme, woruber sie vom letzteren viel Gelächter aussteh'n mußten, der ihnen durchaus nicht helfen wollte. Erwin sprang mit einer ihm sonst nie gewöhnlichen Wildheit allen weit voraus wie ein Gems den Berg hinab. Allen wurde wohl, als sie nach der langen Einsamkeit in das Städtchen hinunterkamen, wo es recht patriarchalisch aussah. Auf den Gassen gieng Jung und Alt sprechend und lachend nach dem Re¬ gen spazieren, die Mädchen des Städtchens sassen draussen vor ihren Thüren unter den Weinlauben. Der Abend war herrlich, alles erquickt nach dem Gewitter, das nur noch von ferne nachhallte, Nach¬ tigallen schlugen wieder von den Bergen, vor ihren Augen rauschte der Rhein an dem Städtchen vorüber. Leontin zog mit seiner Guitarre wie ein reisender Spielmann aus alter Zeit von Haus zu Haus und erzählte den Mädchen Mährchen, oder sang ihnen neue Melodieen auf ihre alten Lieder, wobey sie still mit ihren sinnigen Augen um ihn herumsassen. Friedrich saß neben ihm auf der Bank, den Kopf in beyde Arme auf die Kniee gestützt, und erholte sich recht an den altfränkischen Klängen. Die zwey Jäger hatten sich nicht weit von ihnen um einen Tisch gelagert, der auf dem grünen Pla¬ tze zwischen den Häusern und dem Rheine aufge¬ schlagen war, und schäkerten mit den Mädchen, denen sie gar wohl zu gefallen schienen. Die Mäd¬ chen verfertigten schnell einen fröhlichen, übervollen Kranz von hellrothen Rosen, den sie dem einen, welcher der lustigste schien, auf die Stirn drückten. Leontin, der wenig darauf Acht gab, begann fol¬ gendes Lied über ein am Rheine bekanntes Mähr¬ chen: Es ist schon spät, es wird schon kalt, Was reit'st Du einsam durch den Wald? Der Wald ist lang, Du bist allein, Du schöne Braut! ich führ' Dich heim! Da antwortete der Bekränzte drüben vom an¬ deren Tische mit der folgenden Strophe des Lie¬ des: „Groß ist der Männer Trug und List, Vor Schmerz mein Herz gebrochen ist, Wohl irrt das Waldhorn her und hin, O flieh'! Du weißt nicht, wer ich bin.“ Leontin stutzte und sang weiter: So reich geschmückt ist Roß und Weib, So wnnderschön der junge Leib, Jetzt kenn' ich Dich — Gott steh' mil bey! Du bist die Hexe Lorelay. Der Jäger antwortete wieder: „Du kennst mich wohl — von hohem Stein, Schaut still mein Schloß tief in den Rhein. Es ist schon spät, es wird schon kalt, Kommst nimmermehr aus diesem Wald!“ Der Jäger nahm nun ein Glas, kam auf sie los und trank Friedrich'n keck zu: Unsere Schönen sollen leben! Friedrich stieß mit an. Da zersprang der Römer des Jägers klingend an dem seinigen. Der Jäger erblaßte und schleuderte das Glas in den Rhein. — Es war unterdeß schon spät geworden, die Mädchen fiengen an einzunicken, die Alten trieben ihre Kinder zu Bett und so verlohr sich nach und nach eines nach dem andern, bis sich unsere Rei¬ sende allein auf dem Platze sahen. Die Nacht war sehr warm, Leontin schlug daher vor, die ganze Nacht über auf dem Rheine nach der Residenz hin¬ unterzufahren, er sey ein guter Steuermann und. kenne jede Klippe auswendig. Alle willigten sogleich ein, der eine Jäger nur mit Zaudern, und so be¬ stiegen sie einen Kahn, der am Ufer angebunden war. Den Knaben Erwin, der während Leontins Liedern zu Friedrichs Füssen eingeschlafen, hatten sie, da er durchaus nicht zu ermuntern war, in den Kahn hineintragen müssen, wo er auch nach einem kurzen, halbwachen Taumel sogleich wieder in Schlaf versank. Friedrich saß vorn, die beyden Jä¬ ger in der Mitte, Leontin am Steuerruder lenkte keck grade auf die Mitte los, die Gewalt des Stro¬ mes faßte recht das Schiffchen, zu beyden Seiten flogen Weingärten, einsame Schlünde und Felsen¬ riesen mit ausgespreiteten Eichen-Armen, wechselnd vorüber, als giengen die alten Helden unsichtbar durch den Himmel und würfen so ihre streiffenden Schatten über die stille Erde. Der Himmel hatte sich indeß von neuem über¬ zogen, die Gewitter schienen wieder näher zu kom¬ men. Der eine von den Jägern, der überhaupt fast noch gar nicht gesprochen, blieb fortwährend still. Der andere mit dem Rosenkranze dagegen saß schaukelnd und gefährlich auf dem Rande des Kah¬ nes und hatte beyde Beine darüber heruntergehan¬ gen, die bey jeder Schwankung die Wellen berühr¬ ten. Er sah in das Wasser hinab, wie die flüchti¬ gen Wirbel kühle aufrauschend, dann wieder still, wunderbar hinunterlockten. Leontin hieß ihn die Beine einstecken. Was schadt's, sagte der Jäger innerlich heftig, ich tauge doch nichts auf der Welt, ich bin schlecht, wär' ich da unten, wäre auf ein¬ mal alles still. — Oho! rief Leontin, ihr seyd verliebt, das sind verliebte Sprüche. Sag' an, wie sieht Dein Liebchen aus? Ist's schlank, stolz, kühn, voll hohem Graus, ist's Hirsch, Pfau, oder eine kleine süsse Maus? — Der Jäger sagte: Mein Schatz ist ein Hirsch, der wandelt in einer prächti¬ gen Wildniß, die liegt so unbeschreiblich hoch und einsam und die ganze Welt übersieht man von dort, wie sich die Sonne ringsum in Seen und Flüssen und allen Kreaturen wunderbar bespiegelt. Es ist des Jägers dunkelwüste Lust, das Schönste, was ihn rührt, zu verderben. So nahm er Abschied von seinem alten Leben und folgte dem Hirsche im¬ mer höher mühsam hinauf. Als die Sonne auf¬ gieng, legte er oben in der klaren Stille lauernd an. Da wandte sich der Hirsch plötzlich und sah ihn keck und fromm an wie den Herzog Hubertus. Da verließen den Jäger auf einmal seine Künste und seine ganze Welt, aber er konnte nicht nieder¬ knieen wie jener, denn ihm schwindelte vor dem Blick und der Höhe und es faßte ihn ein seltsamer Gelust, die dunkle Mündung auf seine eigne ausge¬ storbene Brust zu kehren. — Die beyden Grafen überhörten bey dem Win¬ de der sich nach und nach zu erheben anfieng, diese sonderbaren Worte des Verliebten. Fahrende Bli¬ tze erhellten inzwischen von Zeit zu Zeit die Gegend und ihr Schein fiel auf die Gesichter der beyden Jäger. Sie waren gar lieblich anzusehen, schienen beyde noch Knaben. Der eine hatte ein silbernes Horn an der Seite hängen. Leontin sagte, er solle eins blasen; er versicherte aber, daß er es nicht könne. Leontin lachte ihn aus, was sie für Jäger wären, wären, nahm das Horn und blies sehr geschickt ein altes schönes Lied. Der eine gesprächige Jäger sag¬ te, es fiele ihm dabey eben ein Lied ein, und sang zu den beyden Grafen mit einer angenehmen Stimme: Wir sind so tief betrübt, wenn wir auch scherzen, Die armen Menschen müh'n sich ab und reisen, Die Welt zieht ernst und streng in ihren Gleisen, Ein feuchter Wind verlöscht die lust'gen Kerzen. — Du hast so schöne Worte tief im Herzen, Du weist so wunderbare alte Weisen, Und wie die Stern' am Firmamente kreisen, Zieh'n durch die Brust Dir ewig Lust und Schmerzen. So lass' Dein' Stimme hell im Wald erscheinen! Das Waldhorn fromm wird auf und nieder wehen, Die Wasser geh'n und Rehe einsam weiden. Wir wollen stille sitzen und nicht weinen, Wir wollen in den Rhein hinuntersehen, Und, wird es finster auf der Welt, nicht scheiden. Kaum hatte er die letzten Worte ausgesungen, als Erwin, der durch den Gesang aufgewacht war, und bey einem langen Blitze das Gesicht des ande¬ ren stillen Jägers plötzlich dicht vor sich erblickte, mit einem lauten Schrey aufsprang und sich in dem¬ selben Augenblicke über den Kahn in den Rhein stürzte. Die beyden Jäger schrieen entsetzlich, der Knabe aber schwamm wie ein Fisch durch den Strom und war schnell hinter dem Gesträuch am Ufer ver¬ schwunden. Leontin lenkte sogleich ihm nach an's 19 Ufer und alle eilten verwundert und bestürzt an's Land. Sie fanden sein Tuch zerrissen an den Sträu¬ chen hängen; es war fast unbegreiflich, wie er durch dieses Dickicht sich hindurchgearbeitet. Friedrich und Leontin begaben sich in verschie¬ denen Richtungen ins Gebirge, sie durchkletterten alle Felsen und Schluften und riefen nach allen Seiten hin. Aber alles blieb nächtlich still, nur der Wald rauschte einförmig fort. Nach langem Suchen kamen sie endlich müde beyde wie der auf der Höhe über ihrem Landungsplätze zusammen. Der Kahn stand noch am Ufer, die beyden Jäger aber unten waren verschwunden. Der Rhein rauschte prächtig funkelnd in der Morgensonne zwischen den Bergen hin. Erwin kehrte nicht mehr zurück. Sechszehntes Kapitel . Die heftige Romana liebte Friedrich'n vom er¬ sten Blicke an mit der ihr eigenthümlichen Gewalt. Seitdem er aber in jener Nacht auf dem Schlosse von ihr fortgeritten, als sie bemerkte, wie ihre Schönheit, ihre vielseitigen Talente, die ganze Phantasterey ihres künstlich gesteigerten Lebens alle Bedeutung verlohr und zu Schanden wurde an sei¬ ner höheren Ruhe, da fühlte sie zum erstenmale die entsetzliche Lücke in ihrem Leben und daß alle Talente Tugend werden müssen oder nichts sind und schauderte vor der Lügenhaftigkeit ihres ganzen We¬ sens. Friedrich's Verachtung war ihr durchaus un¬ erträglich, obgleich sie sonst die Männer verachtete. Da raffte sie sich innerlichst zusammen, zerriß alle ihre alten Verbindungen und begrub sich in die Ein¬ samkeit ihres Schlosses. Daher ihr plötzliches Ver¬ schwinden aus der Residenz. Sie mochte sich nicht Stückweis bessern, ein ganz neues Leben der Wahrheit wollte sie anfan¬ gen. Vor allem bestrebte sie sich mit ehrlichem Ei¬ fer, den schönen verwilderten Knaben, den wir dort kennen gelernt, zu Gott zurückzuführen, und er übertraf mit seiner Kraft eines unabgenüzten Ge¬ müthes gar bald seine Lehrerin. Sie knüpfte Be¬ kanntschaften an mit einigen häuslichen Frauen der Nachbarschaft, die sie sonst unsäglich verachtet, und mußte beschämt vor mancher Trefflichkeit stehen, von der sie sich ehedem nichts träumen ließ. Die Fen¬ ster und Thüren ihres Schlosses, die sonst Tag und Nacht offen standen, wurden nun geschlossen, sie wirkte still und fleissig nach allen Seiten und führte eine strenge Hauszucht. Friedrich sollte Ihrentwe¬ gen von alle dem nichts wissen, das war ihr, wie sie meynte, einerley. — Es war ihr redlicher Ernst, anders zu werden, und noch nie hatte sich ihre Seele so reintriumphie¬ rend und frey gefühlt, als in dieser Zeit. Aber es war auch nur ein Rausch, obgleich der schönste in 19 * ihrem Leben. Es giebt nichts erbarmungswürdige¬ res, als ein reiches, verwildertes Gemüth, das in verzweifelter Erinnerung an seine ursprüngliche alte Güte, sich lüderlich an dem Beßten und Schlechte¬ sten berauscht, um nur jenes Andenkens los zu werden, bis es, so ausgehölt, zu Grunde geht. Wenn uns der Wandel tugendhafter Frauen wie die Sonne erscheint, die in gleichverbreiteter Klar¬ heit, still und erwärmend, täglich die vorgeschriebe¬ nen Kreise beschreibt, so möchten wir dagegen Ro¬ mana's rasches Leben einer Rackete vergleichen, die sich mit schimmerndem Geprassel zum Himmel auf¬ reißt und oben unter dem Beyfallsgeklatsch der stau¬ nenden Menge in tausend funkelnde Sterne ohne Licht und Wärme prächtig zerplatzt. Sie hatte die Einfalt, diese Grundkraft aller Tugend, leichtsinnig verspielt; sie kannte gleichsam alle Schliche und Kniffe der Besserung. Sie moch¬ te sich stellen, wie sie wollte, sie konnte, gleich ei¬ nem Somnambulisten, ihre ganze Bekehrungsge¬ schichte wie ein wohlgeschriebenes Gedicht Vers vor Vers inwendig vorauslesen und der Teufel saß ge¬ genüber und lachte ihr dabey immerfort ins Gesicht. In solcher Seelenangst dichtete sie oft die herrlich¬ sten Sachen, aber mitten im Schreiben fiel es ihr ein, wie doch das alles eigentlich nicht wahr sey — wenn sie bethete, kreutzten ihr häufig unkeusche Ge¬ danken durch den Sinn, daß sie erschrocken auf¬ sprang. Ein alter frommer Geistlicher vom Dorfe be¬ suchte die schöne Büßerin fleissig. Sie erstaunte, wie der Mann so eigentlich ohne alle Bildung und doch so hochgebildet war. Er sprach ihr oft Stun¬ denlang von den tiefsinnigsten Wahrheiten seiner Religion und war dabey immer so herzlich heiter, ja, oft voll lustiger Schwänke, während Sie dabey jedesmal in eine peinliche, gedankenvolle Traurig¬ keit versank. Er fand manchmal geistliche Lieder und Legenden bey ihr, die sie so eben gedichtet. Nichts glich dann seiner Freude darüber; er nannte sie sein liebes Lämmchen, las die Lieder viermal sehr aufmerksam und legte sie in sein Gebethbuch. Mein Gott! sagte da Romana, in Gedanken verlohren, oft zu sich selbst, wie ist der gute Mann doch un¬ schuldig! — In dieser Zeit schrieb sie, weniger aus Freund¬ schaft als aus Laune und Bedürfniß sich auszu¬ sprechen, mehrere Briefe an die Schmachtende in der Residenz, im tiefsten Jammer ihrer Seele ver¬ faßt. Sie erstaunte über sich selbst, wie moralisch sie zu schreiben wußte, wie ganz klar ihr ihr Zu¬ stand vor Augen lag, und sie es doch nicht ändern konnte. Die Schmachtende konnte sich nicht enthal¬ ten, diese interessanten Briefe ihrem Abendzirkel mitzutheilen. Man nahm dieselben dort für Grund¬ risse zu einem Romane, und bewunderte die feine Anlage und den Geist der Gräfin. Romana hielt es endlich nicht länger aus, sie mußte ihren hohen Feind und Freund, den Grafen Friedrich, wiedersehen. Kaum hatte sie sich diesen Wunsch einmal erlaubt, als sie auch schon auf dem Pferde saß und der Residenz zuflog. Dieß war da¬ mals, als sie Friedrich an dem warmen Märzfeste so wild die Menge theilend vorüberreiten sah. Als sie nun ihren Geliebten wieder vor sich sah, noch immer unverändert ruhig und streng wie vorher, während eine ganz neue Welt in ihr auf- und untergegangen war, da schien es ihr unmöglich, seine Tugend und Größe zu erreichen. Die beyden vor ihr Leben gespannten, unbändigen Rosse, das schwarze und das weiße, giengen bey dem Anblick von neuem durch mit ihr, alle ihre schönen Pläne lagen unter den heißen Rädern des Wagens zer¬ schlagen, sie ließ die Zügel schießen und gab sich selber auf. Friedrich war indeß noch mehrere Tage lang mit Leontin in dem Gebirge herumgestrichen, um Erwin wiederzufinden. Aber alle Nachforschungen blieben vergebens. Es blieb ihm nichts übrig, als auf immer Abschied zu nehmen von dem lieben We¬ sen, dessen wunderbare Nähe ihm durch die lange Gewohnheit fast unentbehrlich geworden war. Rüstig und neugestärkt durch die kühle Wald- und Bergluft, die wieder einmal sein ganzes Leben angeweht, kehrte er in die Residenz zurück und gieng freudiger als jemals wieder an seine Studien, Hoffnungen und Pläne. Aber wie vieles hatte sich gar bald verändert. Die braven Gesellen, welche der Winter tüchtig zusammengehalten, zerstreute und erschlaffte die warme Jahrszeit. Der eine hatte eine schöne reiche Braut gefunden und rechne¬ te die gemeinsame Noth seiner Zeit gegen sein eig¬ nes einzelnes Glück zufrieden ab, seine Rolle war ausgespielt. Andere fiengen an auf öffentlichen Promenaden zu paradiren, zu spielen und zu lie¬ beln und wurden nach und nach kalt und beynahe ganz Geistlos. Mehrere rief der Sommer in ihre Heimath zurück. Aller Ernst war verwittert, und Friedrich stand fast allein. Mehr jedoch als diese Treulosigkeit Einzelner, auf die er doch nie gebaut, kränkte ihn die allgemeine Willenlosigkeit, von der er sich immer deutlicher überzeugen mußte. So bemerkte er, unter vielen anderen Zeichen der Zeit, oft an Einem Abend und in Einer Gesellschaft zwey Arten von Religionsnarren. Die einen prahlten da, daß sie das ganze Jahr nicht in die Kirche giengen, verspotteten freygeisterisch alles Heilige und hiengen auf alle Weise, die, Gott sey Dank, be¬ reits abgenutzte und schäbigte Paradedecke der Auf¬ klärung aus. Aber es war nicht wahr, denn sie schlichen heimlich vor Tagesanbruch, wenn der Kü¬ ster aufschloß, zum Hinterpförtchen in die Kirchen hinein und betheten fleissig. Die anderen fielen da¬ gegen gar waidlich über diese her, verfochten die Religion und begeisterten sich durch ihre eignen schönen Redensarten. Aber es war auch nicht wahr, denn sie giengen in keine Kirche und glaub¬ ten heimlich selber nicht, was sie sagten. Das war es, was Friedrich'n empörte, die überhandnehmen¬ de Desorganisation grade unter den Besseren, daß niemand mehr wußte, wo er ist, die landesübliche Abgötterey unmoralischer Exaltation, die eine allge¬ meine Auflösung nach sich führen mußte. Um diese Zeit erhielt Friedrich nach so vielen Monathen unerwartet einen Brief von dem Guthe des Herrn v. A. An den langen Drudenfüßen so¬ wohl, als an dem fast komisch falsch gesetzten Titel erkannte er sogleich den halbvergessenen Viktor. Er erbrach schnell und voll Freude das Siegel. Der Brief war folgenden Inhalts: „Es wird uns alle sehr freuen, wenn wir hören, daß Sie und der Herr Graf Leontin sich wohl befinden, wir sind hier alle, Gott sey Dank, gesund. Als Sie beyde weggereist sind, war's hier so still, als wenn ein Kriegs¬ lager aufgebrochen wäre und die Felder nun einsam und verlassen stünden, im ganzen Schlos¬ se sieht's aus, wie in einer alten Rumpelkam¬ mer. Ich mußte Anfangs an den langen Aben¬ den auf dem Schlosse aus dem Abraham a St. Klara vorlesen. Aber es gieng gar nicht recht. Der Herr v. A. sagte: Ja, wenn der Leontin dabey wäre! Die gnädige Frau sagte: es wä¬ re doch alles gar zu dummes Gewäsch durch¬ einander, und Fräulein Julie dachte Gott weiß an was, und paßte gar nicht auf. Es ist gar nichts mehr auf der Welt anzufangen. Ich kann das verdammte traurige Wesen nicht lei¬ den! Ich bin daher schon über einen Monath weder auf's Schloß noch sonst wohin ausgekom¬ men. Sie sind doch recht glücklich! Sie sehen immer neue Gegenden und neue Menschen. Ich weiß die vier Wände in meiner Kammer schon auswendig. Ich habe meine zwey klei¬ nen Fenster mit Stroh verhangen, denn der Wind bläst schon infam kalt durch die Löcher herein, auch alle meine Wanduhren habe ich ablaufen lassen, denn daß ewige Picken möcht' einen toll machen, wenn man so allein ist. Ich denke mir dann gar oft, wie Sie jetzt auf einem Balle mit schönen, vornehmen Damen tanzen oder weit von hier am Rheine fahren und reiten, und rauche Tabak, daß das Licht auf dem Tische oft auslischt. Gestern hat es zum erstenmale den ganzen Tag wie aus einem Sa¬ cke geschneyt. Das ist meine größte Lust. Ich gieng noch spät Abends, in Mantel gehüllt, auf den Berg hinaus, wo wir immer Nach¬ mittags im Sommer zusammen gelegen haben. Das Rauchthal und die ganze schöne Gegend war verschneyt und sah kurios aus. Es schney¬ te immerfort tapfer zu. Ich tanzte, um mich zu erwärmen, über eine Stunde in dem Schneege¬ stöber herum.“ „Dieß hab' ich schon vor einigen Mona¬ then geschrieben. Gleich nach jener Nacht, da ich draussen getanzt, verfiel ich in eine lang¬ wierige Krankheit. Alle Leute fürchteten sich vor mir, weil es ein hitziges Fieber war, und ich hatte wie ein Hund umkommen müssen; aber Fräulein Julie besuchte mich alle Tage und sorg¬ te für Medizin und alles, wofür sie Gott be¬ lohnen wird. Ich wußte nichts von mir. Sie sagt mir aber, ich hätte immerfort von Ihnen beyden phantasiert und oft auch gar in Reimen gesprochen. Ich muß mir, das Zeug durch die Erkältung zugezogen haben. — Jetzt bin ich, Gott sey Dank, wieder hergestellt und mache wieder fleißig Uhren. — Neues weiß ich weiter nichte, als daß seit mehreren Wochen ein frem¬ der Kavalier, der in der Nachbarschaft große Herrschaften gekauft, zu uns auf das Schloß kommt. Er soll viele Sprachen kennen und, sehr gelehrt und bereist seyn und will unser Fräu¬ lein Julie haben. Die gnädige Frau möchte es gern sehen, aber dem Fräulein gefällt er gar nicht. Wenn sie Nachmittags oben im Garten beym Lusthause sitzt und ihn von weitem unten um die Ecke heran reiten sieht, klettert sie ge¬ schwinde über den Gartenzaun und kommt zu mir. Was will ich thun? Ich muß sie in mei¬ ner Kammer einsperren und gehe unterdeß spazieren. Neulich, als ich schon ziemlich spät wieder zurückkam und meine Thüre aufschloß, fand ich sie ganz blaß und am ganzen Leibe zitternd. Sie war noch völlig athemlos vor Schreck und fragte mich schnell, ob ich Ihn nicht gesehen? Dann erzählte sie mir: Als es angefangen finster zu werden, habe sie auf meinem Bett in Gedanken gesessen, da habe auf einmal etwas an das Fenster geklopft. Sie hätte den Athem eingehalten und unbeweg¬ lich gesessen, da wäre plötzlich das Fenster aufgegangen und Ihr leibhaftiger Page, der Erwin, habe mit todtenblassem Gesicht und ver¬ wirrten Haaren in die Stube hineingeguckt. Als er sich überall umgesehen, und sie auf dem Bette erblickt, habe er ihr mit dem Finger ge¬ droht und sey wieder verschwunden. Ich sagte ihr, sie sollte sich solches dummes Zeug nicht in den Kopf setzen. Sie aber hat es sich sehr zu Herzen genommen, und ist seitdem etwas traurig. Die Tante soll nichts davon wissen. Was giebt's denn mit dem guten Jungen, ist er nicht mehr bey Ihnen? — So eben wie ich dieß schreibe, sieht Fräulein Julie drüben über'n Gartenzaun. — Wie ich sagte, daß ich an Sie schriebe, kam sie schnell aus dem Gar¬ ten zu mir herüber und ich mußte ihr eine Fe¬ der schneiden; sie wollte selber etwas dazu¬ schreiben. Dann wollte sie wieder nicht und lief davon. Sie sagte mir, ich soll Sie von ihr grüßen und bitten, Sie möchten auch den Herrn Grafen Leontin von ihr grüßen, wenn er bey Ihnen wäre. Kommen Sie beyde doch bald wieder einmal zu uns! Es ist jetzt wie¬ der sehr schön im Garten und auf den Feldern. Ich gehe wieder, wie damals, alle Morgen vor Tagesanbruch auf den Berg, wo Sie und Leontin mich immer auf meinem Sitze besucht haben. Die Sonne geht grade in der Gegend auf, wo Sie mir immer an den schwülen Nach¬ mittagen beschrieben haben, daß die Residenz liegt und der Rhein geht. Ich rufe dann mein Hurrah und werfe meinen Hut und Pfeiffe hoch in die Luft.“ P. S. Die niedliche Braut, auf die Sie sich vielleicht noch von dem Tanze auf dem Jagdschlosse erinnern, besucht uns jetzt oft und empfiehlt sich. Sie leben recht gut in ihrer Wildniß, sie hat schon ein Kind und ist noch schöner geworden und sehr lustig. Adieu!“ Friedrich legte das Papier stillschweigend zu¬ sammen. Ihn befiel eine unbeschreibliche Wehmuth bey der lebhaften Erinnerung an jene Zeiten. Er dachte sich, wie sie alle dort noch immer wie damals, seit hundert Jahren und immerfort, zwi¬ schen ihren Bergen und Wäldern friedlich wohnen, im ewiggleichen Wechsel einförmiger Tage frisch und arbeitsam Gott loben und glücklich sind und nichts wissen von der anderen Welt, die seitdem mit tau¬ send Freuden und Schmerzen durch seine Seele ge¬ gangen. Warum konnte er, und, wie er wohl be¬ merkte, auch Viktor nicht eben so glücklich und ru¬ hig seyn? — Dabey hatte ihn die Nachricht von Erwins un¬ erklärlicher, flüchtiger Erscheinung heftig bewegt. Er gieng sogleich mit dem Briefe zu Leontin. Aber er fand weder ihn noch Fabern zu Hause. Er sah durch das offene Fenster, der reine Himmel lag blau und unbegränzt über den fernen Dächern und Kup¬ peln bis in die neblige Weite. Er konnt' es nicht aushalten; er nahm Hut und Stock und wanderte durch die Vorstädte ins Freye hinaus. Unzählige Lerchen schwirrten hoch in der warmen Luft, die neugeschmückte Frühlingsbühne sah ihn wie eine alte Geliebte an, als wollte ihn alles fragen: Wo bist du so lange gewesen? Hast du uns vergessen? — Ihm war so wohl zum Weinen. Da blies neben ihm ein Postillon lustig auf dem Horne. Eine schöne Reisekutsche mit einem Herrn und einem jun¬ gen Frauenzimmer fuhr schnell an ihm vorüber. Das Frauenzimmer sah lachend aus dem Wagen nach ihm zurück. Er täuschte sich nicht, es war Marie. Verwundert sah Friedrich dem Wagen nach, bis er weit in der heiteren Luft verschwunden war. Die Straße gieng nach Italien hinunter. Da es sich zum Abend neigte, wandte er sich wieder heimwärts. In den Vorstädten war überall ein sommerabendliches Leben und Weben, wie in den kleinen Landstädtchen. Die Kinder spielten mit wirrendem Geschrey vor den Häusern, junge Bur¬ sche und Mädchen giengen spazieren, der Abend wehte von draussen fröhlich durch alle Gassen. Da bemerkte Friedrich seitwärts eine alte abgelegene Kirche, die er sonst noch niemals gesehen hatte. Er fand sie offen und gieng hinein. Es schauderte ihn, wie er aus der warmen, fröhlichbunten Wirrung so auf einmal in diese ewig¬ stille Kühle hineintrat. Es war alles leer und dunkel drinnen, nur die ewige Lampe brannte wie ein farbiger Stern in der Mitte vor dem Hochal¬ tare; die Abendsonne schimmerte durch die gemahl¬ ten gothischen Fenster. Er kniete in eine Bank hin. Bald darauf bemerkte er in einem Winkel eine weibliche Gestalt, die vor einem Seitenaltare, im Gebeth versunken, auf den Knieen lag. Sie erhob sich nach einer Weile und sah ihn an. Da kam es ihm vor, als wäre es das Bürgermädchen, die un¬ glückliche Geliebte des Prinzen. Doch konnte er sich gar nicht recht in die Gestalt finden; sie schien ihm weit größer und ganz verändert seitdem. Sie war ganz weiß angezogen und sah sehr blaß und seltsam. Sie schien weder erfreut noch verwundert über seinen Anblick, sondern gieng, ohne ein Wort zu sprechen, tief in einen dunklen Seitengang hin¬ ein auf den Ausgang der Kirche zu. Friedrich gieng ihr nach, er wollte mit ihr sprechen. Aber draus¬ sen fuhren und giengen die Menschen bunt durchein¬ ander, und er hatte sie verlohren. Als er nach Hause kam, fand er den Prinzen bey sich, der, den Kopf in die Hand gestützt, am Fenster saß und ihn erwartete. Mein hohes Mäd¬ chen ist todt! rief er aufspringend, als Friedrich hereintrat. Friedrich fuhr zusammen: Wann ist sie gestorben? — Vorgestern. — Friedrich stand in tie¬ fen Gedanken und hörte kaum, wie der Prinz er¬ zählte, was er von der alten Mutter der Verschie¬ denen gehört: wie das Mädchen anfangs nach der Ohnmacht in allen Kirchen herumgezogen und Gott innbrünstig gebeten, daß Er sie doch noch einmal glücklich in der Welt machen möchte. — Nach und nach aber fieng sie an zu kränkeln und wurde me¬ lankolisch. Sie sprach sehr zuversichtlich, daß sie bald sterben würde, und von einer großen Sünde, die sie abzubüßen hätte, und fragte die Mutter oft ängstlich, ob sie denn noch in den Himmel kommen könnte? Den Prinzen wollte sie noch immer nicht wiedersehen. Die letzten Tage vor ihrem Tode wur¬ de sie merklich besser und heiter. Noch den letzten Tag kam sie sehr fröhlich nach Hause und sagte mit leuchtenden Augen, sie habe den Prinzen wiederge¬ sehen; er sey, ohne sie zu bemerken, an ihr vor¬ beygeritten. Den Abend darauf starb sie. — Der Prinz zog hiebey ein Papier heraus und las Frie¬ drich'n ein Todtenopfer vor, welches er heute in ei¬ ner Reihe von Sonetten auf den Tod des Mäd¬ chens gedichtet hatte. Die ersten Sonetten enthielten eine wunderfeine Beschreibung, wie der Prinz das Mädchen verführt. Friedrich'n graute, wie schön sich da die Sünde ausnahm. Das letzte Sonett schloß: Einsiedler will ich seyn und einsam stehen, Nicht klagen, weinen, sondern büßend beten, Du bitt' für mich dort, daß ich besser werde! Nur einmal, schönes Bild, laß Dich mir sehen, Nachts, wenn all' Bilder weit zurücketreten, Und nimm' mich mit Dir von der dunklen Erde!“ Wie gefällt Ihnen das Gedicht? — Geh'n Sie in jene Kirche, die dort so dunkel hersieht, sagte Friedrich erschüttert, und wenn der Teufel mit meinen gesunden Augen nicht sein Spiel treibt, so werden Sie Sie dort wiedersehen. — Dort ist sie begraben, antwortete der Prinz und wurde blaß und immer blässer, als ihm Friedrich erzählte, was ihm begegnet. Warum fürchten Sie sich? sagte Friedrich hastig, denn ihm war, als sähe ihn das stille weiße Bild wie in der Kirche wieder an, wenn Sie den Muth hatten, das hinzuschreiben, warum erschrecken Sie, wenn es auf einmal Ernst wird und die Wor¬ te sich rühren und lebendig werden? Ich möchte nicht dichten, wenn es nur Spaß wäre, denn wo dürfen wir jetzt noch redlich und wahrhaft seyn, wenn es nicht im Gedichte ist? Haben Sie den rechten Muth, besser zu werden, so geh'n Sie in die Kirche und bitten Sie Gott inbrünstig um seine Kraft und Gnade. Ist aber das Beten und alle unsere schönen Gedanken um des Reimes Willen auf dem Papiere, so hol' der Teufel auf ewig den Reim sammt den Gedanken! — Hier fiel der Prinz Friedrich'n ungestümm um den Hals. Ich bin durch und durch schlecht, rief er, Sie wissen gar nicht und niemand weiß es, wie schlecht ich bin! Die Gräfin Romana hat mich zu¬ erst verdorben vor langer Zeit, das verstorbene Mädchen habe ich sehr künstlich verführt, der da¬ mals in der Nacht zu Marien bey Ihnen vorbey¬ schlich, schlich, das war ich, der auf jener Redoute — hier hielt er inne. — Betrügerisch, verbuhlt, falsch und erbärmlich bin ich ganz, fuhr er weiter fort. Der Mäßigung, der Gerechtigkeit, der großen, schönen Entwürfe und was wir da zusammen beschlossen, geschrieben und besprochen, dem bin ich nicht ge¬ wachsen, sondern im Innersten voller Neid, daß ich's nicht bin. Es war mir nie Ernst damit und mit nichts in der Welt. — Ach, daß Gott sich mei¬ ner erbarme! — Hiebey zerriß er sein Gedicht in kleine Stückchen wie ein Kind, und weinte fast. Friedrich, wie aus den Wolken gefallen, sprach kein einziges Wort der Liebe und Tröstung, sondern, die Brust voll Schmerzen und kalt wandte er sich zum offenen Fenster von dem gefallenen Fürsten, der nicht einmal ein Mann seyn konnte. Siebenzehntes Kapitel . Rosa saß frühmorgens am Putztische und er¬ zählte ihrem Kammermädchen folgenden Traum, den sie heut Nacht gehabt: Ich stand zu Hause in mei¬ ner Heymath im Garten. Der Garten war noch ganz so, wie er ehedem gewesen, ich erinnere mich wohl, mit allen den Alleen, Gängen und Figuren aus Buxbaum. Ich selber war klein wie damals, 20 da ich als Kind in dem Garten gespielt. Ich ver¬ wunderte mich sehr darüber, und mußte auch wie¬ der lachen, wenn ich mich so ansah, und fürchtete mich vor den seltsamen Baumfiguren. Dabey war es mir, als wäre mein vergangenes Leben, und, daß ich schon einmal groß gewesen, nur ein Traum. Ich sang immerfort ein altes Lied, das ich damals als Kind alle Tage gesungen, und seitdem wieder vergessen habe. Es ist doch seltsam, wie ich es in der Nacht ganz auswendig wußte! Ich habe heut schon viel nachgesonnen, aber es fällt mir nicht wieder ein. Meine Mutter lebte auch noch. Sie stand seitwärts vom Garten an einem Teiche. Ich rief ihr zu, Sie sollte herüberkommen. Aber sie antwortete mir nicht, sondern stand still und unbe¬ weglich, vom Kopf bis zu den Füßen in ein langes, weißes Tuch gehüllt. Da trat auf einmal Graf Friedrich zu mir. Es war mir, als sähe ich ihn zum erstenmale, und doch war er mir wie längst bekannt. Wir waren wieder gute Freunde wie sonst — ich habe ihn niemals so gut und freundlich gese¬ hen. Ein schöner Vogel saß mitten im Garten auf einer hohen Blume und sang, daß es mir durch die Seele gieng, meinen Bruder sah ich unten über das glänzende Land reiten, er hatte die kleine Marie vor sich auf dein Roß, die eine Zymbel hoch in die Luft hielt, die Sonne schien prächtig. Reisen wir nach Italien! sagte da Friedrich zu mir. — Ich folgte ihm gleich und wir giengen sehr schnell durch viele schöne Gegenden immer nebeneinander fort. So oft ich mich rückwärts umsah, sah ich hinten nichts als ein gränzenloses Abendroth und in dem Abendroth meiner Mutter Bild, die unterdeß sehr groß geworden war, in der Ferne wie eine Statue stehen, immerfort so still nach uns zugewendet, daß ich vor Grauen davon wegsehen mußte. Es war unterdeß Nacht geworden und ich sah vor uns un¬ zählige Schlösser auf den Bergen brennen. Jenseits wanderten in dem Scheine, der von den brennenden Schlössern kam, viele Leute mit Weib und Kindern wie Vertriebene, sie waren alle in seltsamer, uralter Tracht; es kam mir vor, als säh' ich auch meinen Vater und meine Mutter unter ihnen, und mir war unbeschreiblich bange. Wie wir so fortgien¬ gen, schien es mir, als würde Friedrich selbst nach und nach immer größer und größer. Er war still und seine Mienen veränderten sich seltsam, so daß ich mich vor ihm fürchtete. Er hatte ein langes, blankes Schwert in der Hand, mit dem er vor uns her den Weg aushaute; so oft er es schwang, warf es einen weitblitzenden Schein über den Himmel und über die Gegend unten. Vor ihm gieng sein langer Schatten, wie ein Riese, weit über alle Thäler gestreckt. Die Gegend wurde indeß immer seltsamer und wilder, wir giengen zwischen himmel¬ hohen, zackigen Gebirgen. Wenn wir an einen Strom kamen, giengen wir auf unseren eigenen Schatten, wie auf einer Brücke, darüber. Wir ka¬ men so auf eine weite Haide, wo ungeheuere Stei¬ 20 * ne zerstreut umherlagen. Mich befiel eine niegefühl¬ te Angst, denn je mehr ich die zerstreuten Steine betrachtete, je mehr kamen sie mir wie eingeschlafe¬ ne Männer vor. Die Gegend lag unbeschreiblich hoch die Luft war kalt und scharf. Da sagte Frie¬ drich: Wir sind zu Hause! Ich sah ihn erschrocken an und erkannte ihn nicht wieder, er war völlig ge¬ harnischt, wie ein Ritter. Sonderbar! es hieng ein altes Ritterbild sonst in einem Zimmer unseres Schlosses, vor dem ich oft als Kind gestanden. Ich hatte längst alle Züge davon vergessen, und grade so sah jetzt Friedrich auf einmal aus. — Ich fror entsetzlich. Da gieng die Sonne plötzlich auf und Friedrich nahm mich in beyde Arme und preßte mich so fest an seine Brust, daß ich vor Schmerz mit ei¬ nem lauten Schrey erwachte. — Glaubst du an Träume? sagte Rosa nach einer Weile in Gedanken zu dem Kammermädchen. Das Mädchen antwortete nicht. Wo mag nun wohl Marie seyn, die ärmste? sagte Rosa unruhig wie¬ der. — Dann stand sie auf und trat ans Fenster. Es war ein Gartenhaus der Gräfin Romana, das sie bewohnte; der Morgen blitzte unten über den kühlen Garten, weiterhin übersah man die Stadt mit ihren duftigen Kuppeln, die Luft war frisch und klar. Da warf sie plötzlich alle Schminkbüchschen, die auf dem Fenster standen, heimlich hinaus und zwang sich, zu lächeln, als es das Mädchen be¬ merkte. — Denselben Tag Abends erhielt sie einen Brief von Romana, die wieder seit einiger Zeit auf einem ihrer entferntesten Landgüther im Gebirge sich auf¬ hielt. Es war eine sehr dringende Einladung zu ei¬ ner Gemsenjagd, die in wenigen Tagen dort gehal¬ ten werden sollte. Der Brief bestand nur in eini¬ gen Zeilen und war auffallend verwirrt und selt¬ sam geschrieben, selbst Züge schienen verändert und hatten etwas Fremdes und Verwildertes. Ganz unten stand noch: „Letzthin, als Du auf dem Balle beym Minister warst, war Friedrich unbe¬ merkt auch dort und hat Dich gesehen.“ — Rosa versank über dieser Stelle tief in Gedan¬ ken. Sie erinnerte sich aller Umstände jenes Abends auf einmal sehr deutlich, wie sie Friedrich'n ver¬ sprochen hatte, ihn zu Hause zu erwarten, und wie er seitdem nicht wieder bey ihr gewesen. Ein Schmerz, wie sie ihn noch nie gefühlt, durchdrang ihre Seele. Sie gieng unruhig im Zimmer auf und ab. Sie konnte es endlich nicht länger aushalten, sie wollte alle Mädchenscheu abwerfen, sie wollte Friedrich'n, auf welche Art es immer sey, noch heute seh'n und sprechen. Sie war eben allein, draussen war es schon finster. Mehreremal nahm sie ihren Mantel um, und legte ihn zaudernd wieder hin. Endlich faßte sie ein Herz, schlich unbemerkt aus dem Hause und über die dunklen Gassen fort zu Friedrichs Wohnung. Athemlos und mit klopfendem Herzen flog sie die Stiegen hinauf, um, so ganz sein und um alle Welt nichts fragend, an seine Brust zu fallen. Aber das Unglück wollte, daß er eben nicht zu Hause war. Da stand sie im Vorhaus und weinte bitterlich. Mehrere Thüren giengen indeß im Hause auf und zu, Bediente eilten hin und her über die Gänge. Sie konnte nicht länger weilen, ohne verrathen zu werden. Die Furcht, so allein und zu dieser Zeit auf der Gasse erkannt zu werden, trieb sie schnell durch die Gassen zurück, das Gesicht tief in den seidenen Mantel gehüllt. Aber das Geschick war in seiner teuflischen Laune. Als sie eben um eine Ecke bog, stand der Prinz plötzlich vor ihr. Eine Laterne schien ihr grade ins Gesicht, er hatte sie erkannt. Ohne irgend ein Erstaunen zu äussern, bot er ihr den Arm, um sie nach Hause zu begleiten. Sie sagte nichts, sondern hieng kraftlos und vernichtet vor Schaam an seinem Arm. Er wunderte sich nicht, er lächelte nicht, er fragte um nichts, son¬ dern sprach artig von gewöhnlichen Dingen. — Als sie an ihr Haus kamen, bat er sie scherzend um ei¬ nen Kuß. Sie willigte verwirrt ein, er umschlang sie heftig und küßte sie zum erstenmal. Eine lange Gestalt stand indeß unbemerkt gegenüber an der Mauer und kam plötzlich auf den Prinzen los. Der Prinz, der sich nichts Gutes versah, sprang schnell in ein Nebenhaus und schloß die Thüre hinter sich zu. Es war Friedrich, den der Zufall eben hier vorbeygeführt hatte. Sie hatten beyde einander nicht erkannt. Er saß noch die halbe Nacht dort auf der Schwelle des Hauses und lauerte auf den unbekannten Gast. Die wildesten Gedanken, wie er sie sein Lebelang nicht gehabt, durchkreuzten sei¬ ne Seele. Aber der Prinz kam nicht wieder her¬ aus. — Rosa hatte von der ganzen letzten Bege¬ benheit nichts mehr gesehen. — Der Prinz hatte sie überrascht. Noch niemals war er ihr so bescheiden, so gut, so schön und liebenswürdig vorgekommen, und sein Kuß brannte die ganze Nacht verführerisch auf ihren schönen Lippen fort. Es war ein herrlicher Morgen, als Friedrich und Leontin in den ewigen Zwinger der Alpen ein¬ ritten, wohin auch sie von der Gräfin Romana zur Jagd geladen waren. Als sie um die letzte Ber¬ gesecke herumkamen, fanden sie schon die Gesellschaft auf einer schönen Wiese zwischen grünen Bergen bunt und schallend zerstreut. Einzelne Gruppen von Pferden und gekoppelten Hunden standen rings in der schönen Wildniß umher, im Hintergrunde erhob sich lustig ein farbiges Zelt. Mitten auf der glän¬ zenden Wiese stand die zauberische Romana in einer grünen Jagdkleidung, sehr geschmückt, fast phanta¬ stisch, wie eine Waldfee anzuseh'n. Neben ihr auf ihre Achsel gelehnt stand Rosa in männlichen Jä¬ gerkleidern und versteckte ihr Gesicht an der Gräfin, da der Prinz eben zu ihr sprach, als sie Friedrich'n mit ihrem Bruder von der anderen Seite ankommen sah. Von allen Seiten vom Gebirge herab bliesen die Jäger auf ihren Hörnern, als bewillkommten sie die beyden neuangekommenen Gäste. Friedrich hatte Rosa'n noch nie in dieser Verkleidung gesehen und betrachtete lange ernsthaft das wunderschöne Mädchen. Romana kam auf die beyden los und empfieng sie mit einer auffallenden Heftigkeit. Nun entlud sich auch das Zelt auf einmal eines ganzen Haufens von Gästen und Leontin war in dem Gewirre gar bald in seine launigste Ausgelassenheit hineingeär¬ gert, und spielte in kecken, barocken Worten, die ihm wie von den hellen Schneehäuptern der Alpen zuzufliegen schienen, mit diesem Jagdgesindel, das Ein einziger Auerochs verjagt hätte. Auch hier war die innerliche Antipathie zwischen ihm und dem Prinzen bemerkbar. Der Prinz wurde still und vermied ihn, wo er konnte, wie ein Feuer, das überall mit seinen Flammenspitzen nach ihm griff und ihn im Innersten versengte. Nur Romana war heute auf keine Weise aus dem Felde zu schlagen, sie schien sich vielmehr an seiner eignen Weise nur immer mehr zu berauschen. Er konnte sich, wie immer, wenn er sie sah, nicht enthalten, mit zwey¬ deutigen Witzen und Wortspielen ihre innerste Na¬ tur herauszukitzeln, und sie hielt ihm heute tapfer Stich, so daß Rosa mehreremal roth wurde und endlich fortgeh'n mußte. Gott segne uns alle, sagte er zuletzt zu einem vornehmen Männlein, das eben sehr komisch bey ihm stand, daß wir heute dort oben an einem schmalen Felsenabhange nicht etwa einem von unseren Ahnherren begegnen, denn die versteh'n keinen Spaß, und wir sind schwindli¬ che Leute. — Hier wurde er durch das Jagdgeschrey unter¬ brochen, das nun plötzlich von allen Seiten los¬ brach. Die Hörner forderten wie zum Kriege, die Hunde wurden losgelassen und alles griff nach den Gewehren. Leontin war bey dem ersten Signal mitten in seiner Rede fortgesprungen, er war der erste unter dem Haufen der anführenden Jäger. Mit einer schwindelerregenden Kühnheit sah man ihn sich, an die Sträucher haltend, geschickt von Fels zu Fels über die Abgründe immer höher hinauf¬ schwingen; er hatte bald alle Jäger weit unter sich und verschwand in der Wildniß. Mehrere von der Gesellschaft schrieen dabey ängstlich auf. Romana sah ihm furchtlos mit unverwandten Blicken nach; wie sind die Männer beneidenswerth! sagte sie, als er sich verlohren hatte. Die Gesellschaft hatte sich unterdeß nach allen Richtungen hin zerstreut und die Jagd gieng wie ein Krieg durch das Gebirge. In tiefster Abge¬ schiedenheit, wo Bäche in hellen Bogen von den Höhen sprangen, sah man die Gemsen schwindlich von Spitze zu Spitze hüpfen, einsame Jäger da¬ zwischen auf den Klippen erscheinen und wieder ver¬ schwinden, einzelne Schüße fielen hin und her, das Hüfthorn verkündigte von Zeit zu Zeit den Tod eines jeden Thieres. Da sah Friedrich auf einem einsamen Fleck nach mehreren Stunden seinen Leon¬ tin waghalsig auf der höchsten von allen den Fel¬ senspitzen stehen, daß das Auge den Anblick kaum ertragen konnte. Er erblickte Friedrich'n und rief zu ihm hinab: Das Pack da unten ist mir uner¬ träglich; wie sie hinter mir drein quickerten, als ich vorher hinaufstieg! Ich bleibe in den Bergen oben, lebe wohl, Bruder! Hierauf wandte er sich wieder weiter und kam nicht mehr zum Vorschein. Der Abend rückte heran, in den Thälern wur¬ de es schon dunkel. Die Jagd schien geendigt, nur einzelne kühne Schützen sah man noch hin und wieder an den Klippen hängen, von den letzten Wider¬ scheinen der Abendsonne scharf beleuchtet. Friedrich stand eben in höchster Einsamkeit an seine Flinte ge¬ lehnt, als er in einiger Entfernung im Walde sin¬ gen hörte: Dämm'rung will die Flügel spreiten, Schaurig rühren sich die Bäume, Wolken zieh'n wie schwere Träume — Was will dieses Grau'n bedeuten? Hast ein Reh Du, lieb vor andern, Laß es nicht alleine grasen, Jäger zieh'n im Wald' und blasen, Stimmen hin und wieder wandern. Hast Du einen Freund hienieden, Trau' ihm nicht zu dieser Stunde, Freundlich wohl mit Aug' und Munde, Sinnt er Krieg im tück'schen Frieden. Was heut müde gehet unter, Hebt sich morgen neugebohren. Manches bleibt in Nacht verlohren — Hüte Dich, bleib' wach und munter! Es wurde wieder still. Friedrich erschrack, denn es kam ihm nicht anders vor, als sey er selber mit dem Liede gemeynt. Die Stimme war ihm durch¬ aus unbekannt. Er eilte auf den Ort zu, woher der Gesang gekommen war, aber kein Laut ließ sich weiter vernehmen. Als er eben so um eine Felsenecke bog, stand plötzlich Rosa in ihrer Jägertracht vor ihm. Sie konnte der Sänger nicht gewesen seyn, denn der Gesang hatte sich nach einer ganz anderen Richtung hin verlohren. Sie schien heftig erschrocken über den unerwarteten Anblick Friedrichs. Hochroth im Gesicht, ängstlich und verwirrt, wandte sie sich schnell und sprang wie ein aufgescheuchtes Reh, ohne der Gefahr zu achten, von Klippe zu Klippe die Höhe hinab, bis sie sich unten im Walde ver¬ lohr. Friedrich sah ihr lange verwundert nach. Später stieg auch er in's Thal hinab. Dort fand er die Gesellschaft auf der schönen Wiese schon größtentheils versammelt. Das Zelt in der Mitte derselben schien von den vielen Lichtern wie in farbigen Flammen zu steh'n, eine Tafel mit Wein und allerhand Erfrischungen schimmerte lü¬ sternlockend zwischen den buntgewirkten Teppichen hervor, Männer und Frauen waren in freyen Scherzen ringsumher gelagert. Die vielen wan¬ delnden Windlichter der Jäger, deren Scheine an den Felsenwänden und dem Walde auf und nieder schweiften, gewährten einen zauberischen Anblick. Mitten unter den Fröhlichgelagerten und den magi¬ schen Lichtern gieng Romana für sich allein, eine Guitarre im Arme, auf der Wiese auf und ab. Friedrich glaubte eine auffallende Spannung in ihrem Gesichte und ganzem Wesen zu bemerken. Sie sang: In goldner Morgenstunde, Weil alles freudig stand, Da ritt im heitern Grunde Ein Ritter über Land. Rings sangen auf das Beste Die Vöglein mannigfalt, Es schüttelte die Aeste, Vor Lust der grüne Wald. Den Nacken stolz gebogen, Klopft er dem Rößelein — So ist er hingezogen Tief in den Wald hinein. Sein Roß hat er getrieben, Ihn trieb der frische Muth: „Ist alles fern geblieben, So ist mir wohl und gut!“ Sie gieng während dem Liede immerfort unru¬ hig auf und ab und sah mehreremal seitwärts in den Wald hinein, als erwartete sie jemanden. Auch sprach sie einmal heimlich mit einem Jäger, worauf dieser sogleich forteilte. Friedrich glaubte manchmal eine plötzliche, aber eben so schnell wie¬ der verschwindende Aehnlichkeit ihres Gesanges mit jener Stimme auf dem Berge zu bemerken, da sie wieder weiter sang: Mit Freuden mußt' er sehen Im Wald' ein' grüne Au, Wo Brünnlein kühle gehen, Von Blumen roth und blau. Vom Roß ist er gesprungen, Legt sich zum kühlen Bach, Die Wellen lieblich klungen, Das ganze Herz zog nach. So grüne war der Rasen, Es rauschte Bach und Baum, Sein Roß thät stille grasen Und alles wie ein Traum. Die Wolken sah er gehen, Die schifften immerzu, Er konnt' nicht widerstehen, — Die Augen sank'n ihm zu. Nun hört' er Stimmen rinnen, Als wie der Liebsten Gruß, Er konnt' sich nicht besinnen — Bis ihn erweckt ein Kuß. Wie prächtig glänzt die Aue! Wie Gold der Quell nun floß, Und einer süssen Fraue, Lag er im weichen Schooß. „Herr Ritter! wollt Ihr wohnen Bey mir im grünen Haus: Aus allen Blumenkronen Wind' ich Euch einen Strauß! Der Wald ringsum wird wachen, Wie wir beysammen seyn, Der Kukuk schelmisch lachen, Und alles fröhlich seyn.“ Es bog ihr Angesichte Auf ihn den süssen Leib, Schaut mit den Augen lichte Das wunderschöne Weib. Sie nahm sein'n Helm herunter, Löst' Krause ihm und Bund, Spielt' mit den Locken munter, Küßt ihm den rothen Mund. Und spielt' viel' süsse Spiele Wohl in geheimer Lust, Es flog so kühl und schwüle Ihm um die offne Brust. Friedrichs Jäger trat hier eiligst zu seinem Herrn und zog ihn abseits in den Wald, wo er sehr bewegt mit ihm zu sprechen schien. Romana hatte es bemerkt. Sie verwandte gespannt kein Auge von Friedrich und folgte ihm in einiger Ent¬ fernung langsam in den Wald nach, während sie dabey weiter sang: Um ihn nun thät sie schlagen Die Arme weich und bloß, Er konnte nichts mehr sagen, Sie ließ ihn nicht mehr los. Und diese Au' zur Stunde Ward ein krystallnes Schloß, Der Bach: ein Strom gewunden Ringsum gewaltig floß. Auf diesem Strome giengen Viel' Schiffe wohl vorbey, Es konnt' ihn keines bringen Aus böser Zauberey. Sie hatte kaum noch die letzten Worte ausge¬ sungen, als Friedrich plötzlich auf sie zukam, daß sie innerlichst zusammenfuhr. Wo ist Rosa? fragte er rasch und streng. Ich weiß es nicht, antwortete Romana schnell wieder gefaßt, und suchte mit er¬ zwungener Gleichgültigkeit auf ihrer Guitarre die alte Melodie wiederzufinden. Friedrich wiederholte die Frage noch einmal dringender. Da hielt sie sich nicht länger. Als wäre ihr innerstes Wesen auf einmal losgebunden, brach sie schnell und mit fast schreckhaften Mienen aus: Du kennst mich noch nicht und jene unbezwingliche Gewalt der Liebe, die wie ein Feuer alles verzehrt, um sich an dem freyen Spiel der eigenen Flammen zu weiden und selber zu verzehren, wo Lust und Entsetzen in wildem Wahnsinn einander berühren. Auch die grünblitzen¬ den Augen des buntschillernden, blutleckenden Dra¬ chen im Liebeszauber sind keine Fabel, ich kenne sie wohl und sie machen mich noch rasend. O, hät¬ te ich Helm und Schwert wie Armida! — Rosa kann mich nicht hindern, denn ihre Schönheit ist blöde und Dein nicht werth. Ja, gegen Dich sel¬ ber will ich um Dich kämpfen. Ich liebe Dich un¬ aussprechlich, bleibe bey mir, wie ich nicht mehr von Dir fort kann! – Sie hatte ihn bey den letz¬ ten Worten fest umschlungen. Friedrich fuhr auf einmal aus tiefen Gedanken auf, streifte schnell die blanken Arme von sich ab, und eilte, ohne ein Wort zu sagen, tief in den Wald, wo er sein Pferd be¬ stieg, mit dem ihn der Jäger schon erwartete, und fort hinaussprengte. Romana war auf den Boden niedergesunken, das Gesicht mit beyden Händen verdeckt. Das fröhliche Lachen, Singen und Gläserklirren von der Wiese her schallte ihr wie ein höllisches Hohnge¬ lächter. Rosa war, als sich Tag und Jagd zu Ende neigten, von Romana und aller Begleitung, wie durch Zufall, verlassen worden. Der Prinz hatte sie den ganzen Tag über beobachtet, war ihr über¬ all im Grünen begegnet und wieder verschwunden. Sie hatte sich endlich halbzögernd entschlossen, ihn zu fliehen und höher in's Gebirge hinaufzusteigen. Sein blühendes Bild heimlich im Herzen, das die Waldhornsklänge immer wieder von neuem weckten, unschlüssig, träumend und halbverirrt, zuletzt noch von dem Liede des Unbekannten, das auch sie hörte, seltsam getroffen und verwirrt, so war sie damals bis zu dem Flecke hinaufgekommen, wo sie so auf einmal einmal Friedrich'n vor sich sah. Der Ort lag sehr hoch und wie von aller Welt geschieden, sie dachte an ihren neulichen Traum und eine unbeschreibliche Furcht befiel sie vor dem Grafen, die sie schnell von dem Berge herabtrieb. Unten, fern von der Jagd, saß der Prinz auf einem ungeheueren Baume. Da hörte er das Ge¬ räusch hinter sich durch das Dickicht brechen. Er sprang auf und Rosa fiel athemlos in seine ausge¬ spreiteten Arme. Ihr gestörtes Verhältniß zu Frie¬ drich, das Lied oben und tausend alte Erinnerun¬ gen, die in der grünen Einsamkeit wieder wach ge¬ worden, hatten das reizende Mädchen heftig be¬ wegt. Ihr Schmerz machte sich hier endlich in ei¬ nem Strom von Thränen Luft. Ich Herz war zu voll, sie konnte nicht schweigen. Sie erzählte dem Prinzen alles aus tiefster, gerührter Seele. Es ist gefährlich für ein junges Mädchen, ei¬ nen schönen Vertrauten zu haben. Der Prinz setz¬ te sich neben ihr auf den Rasen hin. Sie ließ sich willig von ihm in den Arm nehmen und lehnte ihr Gesicht müde an seine Brust. Die Abendscheine spielten schon zuckend durch die Wipfel, unzählige Vögel sangen von allen Seiten, die Waldhörner klangen wollüstig durch den warmen Abend aus der Ferne herüber. Der Prinz hatte ihre langen Haa¬ re, die aufgegangen waren, um seinen Arm ge¬ wickelt und sprach in einemfort so wunderliebliche, zauberische Worte, gleich sanfter Quellen Rauschen 21 kühlelockend und Sinnenverwirrend, wie Töne alter Lieder aus der Ferne verführend herüberspielen. Rosa bemerkte endlich mit Schrecken, daß es indeß schon finster geworden war, und drang ängstlich in den Prinzen, sie zu der Gesellschaft zurückzuführen. Der Prinz sprang sogleich seitwärts in den Wald und brachte zu ihrem Erstaunen zwey gesattelte Pferde mit hervor. Er hob sie schnell auf das eine hinauf, und sie ritten nun, so geschwind als es die Dunkelheit zuließ, durch den Wald fort. Sie waren schon weit auf verschiedenen sich durchkreuzenden Wegen fortgetrabt, aber die Wiese mit dem Zelte wollte noch immer nicht erscheinen. Die Waldhornsklänge, die sie vorher gehört hat¬ ten, waren schon lange verstummt, der Mond trat schon zwischen den Wolken hervor. Rosa wurde im¬ mer ängstlicher, aber der Prinz wußte sie jedesmal wieder zu beruhigen. Endlich hörten sie die Hörner von neuem aus der Ferne vor sich. Sie verdoppelten ihre Eile, die Klänge kamen immer näher. Doch wie groß war Rosa's Schreck, als sie auf einmal aus dem Walde herauskam, und ein ganz fremdes, unbe¬ kanntes Schloß vor sich auf dem Berge liegen sah. Entrüstet wollte sie umkehren und machte dem Prin¬ zen weinend die bittersten Vorwürfe. Nun legte der Prinz die Maske ab. Er entschuldigte seine Kühnheit mit der unwiderstehlichen Gewalt seiner lange heimlich genährten Sehnsucht, umschlang und küßte die Weinende und beschwor alle Teufel seiner Liebe herauf. Die Hörner klangen lockend immer¬ fort, und zitternd, halb gezwungen und halb ver¬ führt, folgte sie ihm endlich den Berg hinauf. Es war ein abgelegenes Jagdschloß des Prinzen. Nur wenige verschwiegene Diener hatten dort alles zu ihrem Empfange bereitet. Friedrich ritt indeß zwischen den Bergen fort. Sein Jäger, der gegen Abend weit von der Jagd abgekommen war, hatte zufällig Rosa mit dem Prinzen auf ihrer Flucht durch den Wald fortjagen gesehen, und war sogleich zu seinem Herrn zurück¬ geeilt, um ihm diese Entdeckung mitzutheilen. Dieß war es, was Friedrich'n so schnell auf sein Pferd getrieben hatte. Als er eben nach manchem Umwege an die letzten Felsen kam, welche die Wiese umschlossen, erblickte er plötzlich seitwärts im Walde eine weiße Figur, die, eine Flinte im Arm, grade auf seine Brust zielte. Ein flüchtiger Mondesblick beleuchtete die unbewegliche Gestalt und Friedrich glaubte mit Entsetzen Romana zu erkennen. Sie ließ erschro¬ cken die Flinte sinken, als er sich nach ihr umwand¬ te, und war im Augenblicke im Walde verschwun¬ den. Ein seltsames Grau'n befiel dabey den Gra¬ fen. Er setzte die Sporen ein, bis er das ganze furchtbare Jagdrevier weit hinter sich hatte. 21 * Unermüdet durchstreifte er nun den Wald nach allen Richtungen, denn jede Minute schien ihm kostbar, um der Ausführung dieser Verrätherey zu¬ vorzukommen. Aber kein Laut und kein Licht rühr¬ te sich weit und breit. So ritt er ohne Bahn fort und immerfort, und der Wald und die Nacht nah¬ men kein Ende. Drittes Buch . Achtzehntes Kapitel . Wir finden Friedrich'n fern von dem wirrenden Leben, das ihn gereizt und betrogen, in der tief¬ sten Einsamkeit eines Gebirges wieder. Ein unauf¬ hörlicher Regen war lange wie eine Sundfluth her¬ abgestürzt, die Wälder wogten wie Aehrenfelder im feuchten Sturme. Als er endlich eines Abends auf die letzte Ringmauer von Deutschland kam, wo man nach Wälschland hinuntersieht, fieng das Wet¬ ter auf einmal an sich auszuklären und die Sonne brach warm durch den Qualm. Die Bäume trö¬ pfelten in tausend Farben blitzend, unzählige Vö¬ gel begannen zu singen, das liebreizende, vielge¬ priesene Land unten schlug die Schleyer zurück und blickte ihm wie eine Geliebte in's Herz. Da er eben in die weite Tiefe zu den aufge¬ henden Gärten hinablenken wollte, sah er auf einer der Klippen einen jungen, schlanken Gemsenjäger keck und trotzig ihm gegenüber steh'n und seinen Stutz auf ihn anlegen. Er wandte schnell um und ritt auf den Jäger los. Das schien diesem zu ge¬ fallen, er kam schnell zu Friedrich'n herabgesprun¬ gen und sah ihn von Kopf bis Fuß groß an, während er dem Pferde desselben, das ungeduldig stampfte, mit vieler Freude den gebogenen Hals streichelte. Wer giebt Dir das Recht Reisende auf¬ zuhalten? fuhr ihn Friedrich an. Du sprichst ja deutsch, sagte der Jäger ihn ruhig auslachend, du könntest jetzt auch was besseres thun als reisen! Komm nur mit mir! Friedrich'n erfrischte recht das kecke, freye Wesen, daß feine Gesicht voll Ehre, die gelenke, tapfere Gestalt; er hatte nie einen schöneren Jäger gesehen. Er zweifelte nicht, daß er einer von jenen sey, um derentwillen er schon seit mehreren Tagen das verlassene Gebirge verge¬ bens durchschweift hatte, und trug daher keinen Augenblick Bedenken, dem Abentheuer zu folgen. Der Jäger gieng singend voraus, Friedrich ritt in einiger Entfernung nach. So zogen sie immer tiefer in das Gebirge hin¬ ein. Die Sonne war lange untergegangen, der Mond schien hell über die Wälder. Als sie ohnge¬ fähr eine halbe Stunde so gewandert waren, blieb der Jäger in einiger Entfernung plötzlich stehen, nahm sein Hüfthorn und stieß dreymal darein. So¬ gleich gaben unzählige Hörner nacheinander weit in das Gebirge hinein Antwort. Friedrich stutzte und wurde einen Augenblick an dem ehrlichen Gesichte irre. Er hielt sein Pferd an, zog sein Pistol her¬ aus und hielt es, gefaßt gegen alles, was daraus werden dürfte, auf seinen Führer. Der Jäger bemerkte es. Lauter Landsleute! rief er lachend, und schritt ruhig weiter. Aller Argwohn war ver¬ schwunden, und Friedrich ritt wieder nach. So kamen sie endlich schon bey finsterer Nacht auf einem hochgelegenen, freyen Platze an. Ein Kreis bärtiger Schützen war dort um ein Wacht¬ feuer gelagert, grüne Reiser auf den Hüten und ihre Gewehre neben sich auf dem Boden. Friedrichs Führer war schon voraus mitten unter ihnen und hatte den Fremden angemeldet. Mehrere von den Schützen sprangen sogleich auf, umringten Frie¬ drich'n bey seiner Ankunft und fragten ihn um Neuigkeiten aus dem flachen Lande. Friedrich wu߬ te sie wenig zu befriedigen, aber seine Freude war unbeschreiblich, sich endlich am Ziele seiner Irrfarth zu sehen. Denn dieser Trupp war, wie er gleich beym ersten Anblick vermuthet, wirklich eine Par¬ they des Landsturmes, den das Gebirgsvolk bey dem unlängst ausgebrochenen Kriege gebildet hatte. Die Flamme warf einen seltsamen Schein über den soldatischen Kreis von Gestalten, die ringsum¬ her lagen. Die Nacht war still und sternhell. Ei¬ ner von den Jägern, die draussen auf den Felsen auf der Lauer lagen, kam und meldete, wie in dem Thale nach Deutschland zu ein großes Feuer zu sehen sey. Alles richtete sich auf und lief wei¬ ter an den Bergesrand. Man sah unten die Flam¬ men aus der stillen Nacht sich erheben, und konnte ungeachtet der Entfernung die stürzenden Gebälke der Häuser deutlich unterscheiden. Die meisten kannten die Gegend, einige nannten sogar die Dör¬ fer, welche brennen müßten. Alle aber waren sehr verwundert über die unerwartete Nähe des Fein¬ des, denn diesem schrieben sie den Brand zu. Man erwartete mit Ungeduld die Zurückkunft eines Trupps, der schon gestern in die Thäler auf Kund¬ schaft ausgezogen war. Einige Stunden nach Mitternacht ohngefähr hörte man in einiger Entfernung im Walde von mehreren Wachen das Losungswort erschallen; bald darauf erschienen einige Männer, die man sogleich für die auf Kundschaft ausgeschickten erkannte und begrüßte. Sie hatten einen jungen fremden Mann bey sich, der aber über der üblen Zeitung, welche die Kundschafter mitbrachten, anfangs von allen übersehen wurde. Sie sagten nemlich aus: Eine ansehnliche feindliche Abtheilung habe ihre heimli¬ chen Schlupfwinkel entdeckt und sie durch einen rast¬ losen mühsamen Marsch umgangen. Der Feind stehe nun auf dem Gebirge selbst mitten zwischen ihren einzelnen auf den Höhen zerstreuten Haufen, um sie mit Tagesanbruch so einzeln aufzureiben. — Ein allgemeines Gelächter erscholl bey den letzten Worten im ganzen Trupp. Wir wollen seh'n, wer härter ist, sagte einer von den Jägern, unsere Stei¬ ne oder ihre Köpfe! Die Jüngsten warfen ihre Hüte in die Luft, alles freute sich, daß es endlich zum Schlagen kommen sollte. Man berathschlagte nun eifrig, was unter die¬ sen Umständen das Klügste sey. Zum Ueberlegen war indeß nicht lange Zeit, es mußte für den im¬ mer mehr herannahenden Morgen ein rascher Ent¬ schluß gefaßt werden. Friedrich, der allen wohlbe¬ hagte, gab den Rath: sie sollten sich heimlich auf Umwegen neben den feindlichen Posten hin vor Ta¬ gesanbruch mit allen den anderen zerstreuten Hau¬ fen auf Einem festen Fleck zu vereinigen suchen. Dieß wurde einmüthig angenommen und der älteste unter ihnen theilte hiemit alsogleich den ganzen Haufen in viele kleine Truppe und gab jedem einen jungen, rüstigen Führer zu, der alle Stege des Gebirges am besten kannte, lieber die einsamsten und gefährlichsten Felsenpfade wollten sie heimlich mitten durch ihre Feinde gehen, alle ihre anderen Haufen, auf die sie unterwegs stossen mußten, an sich zieh'n und auf dem höchsten Gipfel, wo sie wußten, daß ihr Hauptstamm sich befände, wieder zusammenkommen, um sich bey Anbruch des Tages von dort mit der Sonne auf den Feind zu stürzen. Das Unternehmen war gefährlich und gewagt, doch nahmen sie sehr vergnügt Abschied von einan¬ der. Friedrich hatte sich auch ein grünes Reis auf den Hut gesteckt und auf das beste bewaffnet. Ihm war der junge Jäger, den er zuerst auf der Stras¬ se nach Italien getroffen, zum Führer bestimmt worden, zu seinen Begleitern hatte er noch zwey Schützen und den jungen Menschen, den die Kund¬ schafter vorhin mitgebracht. Dieser hatte die ganze Zeit über, ohne einigen Antheil an der Begeben¬ heit verspüren zu lassen, seitwärts auf einem Baum¬ sturz gesessen, den Kopf in beyde Hände gestützt, als schliefe er. Sie rüttelten ihn nun auf. Wie erstaunte da Friedrich, als er sich aufrichtete, und er in ihm denselben Studenten wiedererkannte, den er damals auf der Wiese unter den herumziehenden Komödianten getroffen hatte, als er auf Romanas Schloß zum Besuche ritt. Doch hatte er sich seitdem sehr verändert, er sah blaß aus, seine Kleidung war abgerissen, er schien ganz herunter. Sie setz¬ ten sich sogleich in Marsch, und da es zum Gesetz gemacht worden war, den ganzen Weg nichts mit¬ einander zu sprechen, so konnte Friedrich nicht er¬ fahren, wie derselbe aufs Gebirge und in diesen Zustand gerathen war. Sie giengen nun zwischen Wäldern, Felsen¬ wänden und unabsehbaren Abgründen immerfort; der ganze Kreis der Berge lag still, nur die Wäl¬ der rauschten von unten herauf, ein scharfer Wind gieng auf der Höhe. Der Gemsenjäger schritt frisch voran, sie sprachen kein Wort. Als sie einige Zeit so fortgezogen waren, hörten sie plötzlich über sich mehrere Stimmen in ausländischer Sprache. Sie blieben stehen und drückten sich alle hart an die Felsenwand an. Die Stimmen kamen auf sie los und schienen auf einmal dicht bey ihnen; dann lenk¬ ten sie wieder seitwärts und verlohren sich schnell. Dieß bewog den Führer, einen anderen mehr thal¬ wärts führenden Umweg einzuschlagen, wo sie siche¬ rer zu seyn hofften. Sie hatten aber kaum die untere Region er¬ langt, als ihnen ein Gewirre von Reden, Lachen und Singen durcheinander entgegenscholl. Zum Umkehren war keine Zeit mehr, seitwärts von dem Platze, wo das Schallen sich verbreitet, führte nur ein einziger Steg über den Strom, der dort in das Thal hinauskam. Als sie an den Bach kamen, sa¬ hen sie zwey feindliche Reiter auf dem Stege, die beschäftigt waren, Wasser zu schöpfen. Sie streck¬ ten sich daher schnell unter die Sträucher auf den Boden nieder, um nicht bemerkt zu werden. Da konnten sie zwischen den Zweigen hindurch die vom Monde hell beleuchtete Wiese übersehen. Ringsum an dem Rande des Waldes stand dort ein Kreis von Pferden angebunden, eine Schaar von Reitern war lustig über die Aue verbreitet. Einige putzten singend ihre Gewehre, andere lagen auf dem Ra¬ sen und würfelten auf ihren ausgebreiteten Män¬ teln, mehrere Offiziere sassen vorn um ein Feld¬ tischchen und tranken. Der eine von ihnen hatte ein Mädchen auf dem Schooß, das ihn mit dem einen Arme umschlungen hielt. Friedrich erschrack im In¬ nersten, denn der Offizier war einer seiner Bekann¬ ten aus der Residenz, das Mädchen die verlorene Marie. Es war einer von jenen leichten, halbbär¬ tigen Brüdern, die im Winter zu seinem Kreise ge¬ hört, und bey anbrechendem Frühling Ernst, Ehr¬ lichkeit und ihre gemeinschaftlichen Bestrebungen mit den Bällen und anderen Winterunterhaltungen ver¬ gassen. Ihn empörte dieses Elend ohne Treue und Ge¬ sinnung, wie er mit vornehmer Zufriedenheit seinen Schnautzbart strich und auf seinen Säbel schlug, gleichviel für was oder gegen wen er ihn zog. Der Lauf seines Gewehres war zufällig grade auf ihn gerichtet; er hatte es in diesem Augenblicke auf ihn losgedrückt, wenn ihn nicht die Furcht, alle zu ver¬ rathen, davon abgehalten hätte. Der Offizier stand auf, hob sein Glas in die Höh' und fieng an Schillers Reiterlied zu singen, die andern stimmten mit vollen Kehlen ein. Noch niemals hatte Friedrich'n das fürchterliche Lied so widerlich und höllischgurgelnd geklungen. Ein ande¬ rer Offizier mit einem feuerrothen Gesichte, in dem alle menschliche Bildung zerfetzt war, trat dazu, schlug mit dem Säbel auf den Tisch, daß die Gläser klirrten, und pfiff durchdringend den Deßauer Marsch drein. Ein allgemeines wildes Gelächter belohnte seine Zote. — Unterdeß hatten die beyden Reiter den Steg wieder verlassen. Friedrich und seine Gesellen raff¬ ten sich daher schnell vom Boden auf und eilten über den Bach von der anderen Seite wieder ins Gebirge hinauf. Je höher sie kamen, je stiller wurde es ringsumher. Nach einer Stunde endlich wurden sie von den ersten Posten der Ihrigen an¬ gerufen. Hier erfuhren sie auch, daß fast alle die übrigen Abtheilungen, die sich theils durchgeschli¬ chen, theils mit vielem Muthe durchgeschlagen hat¬ ten, bereits oben angekommen wären. Es war ein Freudenreicher Anblick, als sie bald darauf den weiten, freyen Platz auf der letzten Höhe glücklich erreicht hatten. Die ganze unübersehbare Schaar saß dort an ihre Waffen gestützt auf den Zinnen ihrer ewigen Burg, die großen Augen gedankenvoll nach der Seite hingerichtet, wo die Sonne auf¬ geh'n sollte. Friedrich lagerte sich vorn auf einem Felsen, der in das Thal hinausragte. Unten rings um den Horizont war bereits ein heller Morgen¬ streifen sichtbar, kühle Winde kamen als Vorbothen des Morgens angeflogen. Eine feyerliche, erwar¬ tungsvolle Stille war über die Schaar verbreitet, einzelne Wachen nur hörte man von Zeit zu Zeit weit über das Gebirge rufen. Ein Jäger vorn auf dem Felsen begann folgendes Lied, in das immer zuletzt alle die anderen mit einfielen: In stiller Bucht, bey finst'rer Nacht, Schläft tief die Welt im Grunde, Die Berge rings steh'n auf der Wacht, Der Himmel macht die Runde, Geht um und um Ums Land herum Mit seinen goldnen Schaaren Die Frommen zu bewahren. Kommt nur heran mit Eurer List, Mit Leitern, Strick und Banden, Der Herr doch noch viel stärker ist, Macht Euern Witz zu Schanden. Wie war't Ihr klug! — Nun schwindelt Trug Hinab vom Felsenrande — Wie seyd Ihr dumm! o Schande! Gleichwie die Stämme in dem Wald Woll'n wir zusammenhalten, Ein' feste Burg, Trutz der Gewalt, Verbleiben treu die alten. Steig', Sonne, schön! Wirf von den Höh'n Nacht und die mit ihr kamen, Hinab in Gottes Nahmen! Friedrich'n ärgerte es recht, daß der Student immerfort so traurig dabey saß. Seine Komödian¬ tin, wie er Friedrich'n hier endlich entdeckte, hatte ihn von neuem verlassen und dießmal auch alle seine Baarschaft mitgenommen. Arm und bloß, und zum Tode verliebt, war er nun dem aufrührerischen Ge¬ birge zugeeilt, um im Kriege sein Ende zu finden. Aber so seyd nur nicht gar so talket! sagte ein Jä¬ ger, der seine Erzählung mit angehört hatte. Mein Schatz, sang ein anderer neben ihm: Mein Schatz, das ist ein kluges Kind, Die spricht: „Willst du nicht fechten: Wir zwey geschiedne Leute sind, Erschlagen dich die Schlechten: Auch keins von beyden dran gewinnt.“ Mein Schatz, das ist ein kluges Kind, Für die will ich leb'n und fechten! Was ist das für eine Liebe, die so wehmüthi¬ ge, weichliche Tapferkeit erzeugt? sagte Friedrich zum Studenten, denn ihm kam seine Melankolie in dieser Zeit, auf diesen Bergen und unter diesen Leuten unbeschreiblich albern vor. Glaubt mir, das Sterben ist viel zu ernsthaft für einen sentimentali¬ schen Spaß. Wer den Tod fürchtet und wer ihn sucht, sind beydes schlechte Soldaten, wer aber ein schlechter schlechter Soldat ist, der ist auch kein rechter Mann. Sie wurden hier unterbrochen, denn so eben fielen von mehreren Seiten Schüsse tiefer unten im Walde. Es war das verabredete Zeichen zum Auf¬ bruch. Sie wollten den Feind nicht erwarten, son¬ dern ihn von dieser Seite, wo er es nicht vermu¬ thete, selber angreifen. Alles sprang fröhlich auf und griff nach den herumliegenden Waffen. In kurzer Zeit hatten sie den Feind im Angesicht. Wie ein heller Strom brachen sie aus ihren Schlüften gegen den blinkenden Damm der feindlichen Glieder, die auf der halben Höhe des Berges steif gespreitzt standen. Die ersten Reihen waren bald gebrochen, und das Gefecht zerschlug sich in so viele einzelne Zweykämpfe, als es Ehrenfeste Herzen gab, die es auf Tod und Leben meynten. Es kommandirte, wem Besonnenheit oder Begeisterung die Uebermacht gab. Friedrich war überall zu sehen, wo es am gefähr¬ lichsten hergieng, selber mit Blut überdeckt. Ein¬ zelne rangen da auf schwindlichten Klippen, bis beyde einander umklammernd in den Abgrund stürz¬ ten. Blutroth stieg die Sonne auf die Höhen, ein wilder Sturm wüthete durch die alten Wälder, Felsenstücke stürzten zermalmend auf den Feind. Es schien das ganze Gebirge selbst wie ein Riese die steinernen Glieder zu bewegen, um die fremden Menschlein abzuschütteln, die ihn dreist geweckt hatten und an ihm heraufklettern wollten. Mit 22 gränzenloser Unordnung entfloh endlich der Feind nach allen Seiten weit in die Thäler hinaus. Nur auf einem einzigen Fleck wurde noch im¬ mer fortgefochten. Friedrich eilte hinzu und erkann¬ te immitten jenen Offizier wieder, der in der Resi¬ denz zu seinen Genossen gehörte. Dieser hatte sich, von den Seinigen getrennt, schon einmal gefangen gegeben, als er zufällig um den Anführer sei¬ ner Sieger fragte. Mehrere nannten einstimmig Friedrich’n. Bey diesem Nahmen hatte er plötzlich einem seiner Führer den Säbel entrissen und ver¬ suchte wüthend noch einmal sich durchzuschlagen. Als er nun Friedrich'n selber erblickte, verdoppelte er seine fast schon erschöpften Kräfte von neuem, und hieb in Wuth blind um sich, bis er endlich von der Menge entwaffnet wurde. Stillschweigend folg¬ te er nun, wohin sie ihn führten und wollte durch¬ aus kein Wort sprechen. Friedrich mochte ihn in diesem Augenblicke nicht anreden. Das Verfolgen des flüchtigen Feindes dauerte bis gegen Abend. Da langte Friedrich mit den Seinigen ermüdet auf einem altfränkischen Schlosse an, das am Abhange des Gebirges stand. Hof und Schloß stand leer; alle Bewohner hatten es aus Furcht vor Freund und Feind feigherzig verlassen. Der Trupp lagerte sich sogleich auf dem geräumigen Hofe, dessen Pflaster schon hin und wieder mit Gras überwachsen war. Rings um das Schloß wurden Wachen ausgestellt. Friedrich fand eine Thüre offen und gieng in das Schloß. Er schritt durch mehrere leere Gänge und Zimmer und kam zuletzt in eine Kapelle. Ein einfacher Altar war dort aufgerichtet, mehrere alte Heiligenbilder auf Holz hiengen an den Wänden umher, auf dem Altare stand ein Kruzifix. Er knieete vor dem Altar nieder und dankte Gott aus Grund der Seele für den heutigen Tag. Darauf stand er neugestärkt auf und fühlte die vielen Wunden kaum, die er in dem Gefechte erhalten. Er erinnerte sich nicht, daß ihm jemals in seinem Leben so wohl gewesen. Es war das erstemal, daß es ihm genügte, was er hier trieb und vorhatte. Er war völlig überzeugt, daß er das Rechte wolle und sein ganzes voriges Leben, was er sonst ein¬ zeln versucht, gestrebt und geübt hatte, kam ihm nun nur wie eine lange Vorschule vor zu der siche¬ ren, klaren und großen Gesinnung, die jetzt sein Thun und Denken regierte. Er gieng nun durch das Schloß, wo fast alle Thüren geöffnet waren. In dem einen Gemache fand er ein altes Sopha. Er streckte sich darauf; aber er konnte nicht schlafen, so müde er auch war. Denn tausenderley Gedanken zogen wechselnd durch seine Seele, während er dort von der einen Seite durch die offene Thüre den Schloßhof übersah, wo die Schützen um ein Feuer lagen, das die alten Gemäuer seltsam beleuchtete, von der anderen Seite durchs Fenster die Wolkenzüge über den stillen, 22 * schwarzen Wäldern. Er gedachte seines vergange¬ nen ruhigen Lebens, wie er noch mit seiner Poesie zufrieden und glücklich war, an seinen Leontin, an Rosa, an den stillen Garten beym Herrn v. A., wie das alles so weit von hier hinter den Bergen jetzt in ruhigem Schlafe ruhte. Das Feuer aus dem Hofe warf indeß einen hellen Widerschein über die eine Wand der Stube. Da wurde er auf ein großes, altes Bild auf¬ merksam, daß dort hieng. Es stellte die heilige Mutter Anna vor, wie sie die kleine Maria lesen lehrte. Sie hatte ein großes Buch vor sich auf dem Schooße. An ihren Knieen stand die kleine Maria mit vor der Brust gefalteten Händchen, die Augen fleissig auf das Buch niedergeschlagen. Eine wun¬ derbare Unschuld und Frömmigkeit, wie die de¬ müthige Ahnung einer künftigen unbeschreiblichen Schönheit und Herrlichkeit, ruhte auf dem Gesichte des Kindes. Es war, als müßte sie jeden Augen¬ blick die schönen, klaren Kindesaugen aufschlagen, um der Welt Trost und himmlischen Frieden zu ge¬ ben. Friedrich war erstaunt; denn je länger er das stille Köpfchen ansah, je deutlicher schienen al¬ le Züge desselben in ein ihm wohlbekanntes Gesicht zu verschwimmen. Doch verlohr sich diese Erinne¬ rung in seine früheste Kindheit und er konnte sich durchaus nicht genau besinnen. Er sprang auf und untersuchte das Bild von allen Seiten, aber nir¬ gends war irgend ein Nahme oder besonderes Zei¬ chen zu sehen. Verwundert gieng er in den Hof hinaus und fragte nach den Bewohnern des Schlosses. Nur einige wußten Bescheid und sagten aus, das Schloß werde gewöhnlich, bloß von einem Vogte bewohnt und gehöre eigentlich einer Edelfrau im Auslande, die alle Jahre immer nur auf wenige Tage herkom¬ me. Sonst konnte er nichts erfahren. Ihm fiel da¬ bey unwillkührlich die weiße Frau ein, die er schon fast wieder vergessen hatte. — Sein Schlaf war vorbey — er begab sich da¬ her auf die alte steinerne Gallerie, die auf der Waldseite über eine tiefe Schluft hinausgieng, um dort den Morgen abzuwarten. Dort fand er auch den gefangenen Offizier, der in einem dunklen Win¬ kel zusammengekrümmt lag. Er setzte sich zu ihm auf das halbabgebrochene Geländer. Das Unglück macht vieles wieder gut, sagte er, und reichte ihm die Hand. — Der Offizier wickelte sich fester in seinen Mantel, und antwortete nicht. — Hast Du denn alles vergessen, fuhr Friedrich fort, was wir in der guten Zeit vorbereitet? Mir war es Ernst mit dem, was ich vorhatte. Ich war ein ehrlicher Narr, und ich will es lieber seyn, als klug ohne Ehre. — Der Offizier fuhr auf, schlug seinen Mantel auseinander und rief: Schlag' mich todt wie einen Hund! — Laß diese weibische Wuth, wenn Du nichts besseres kannst, sagte Friedrich ru¬ hig. Du siehst so wüst und dunkel aus, ich kenne Dein Gesicht nicht mehr wieder. Ich liebte Dich sonst, so bist Du mir gar nichts werth. — Bey diesen Worten sprang der Offizier, der Friedrichs ruhige Züge nicht länger ertragen konnte, auf, packte ihn bey der Brust und wollte ihn über die Gallerie in den Abgrund stürzen. Sie rangen ei¬ nige Zeit miteinander; Friedrich war von vielem Blutverlust ermattet und taumelte nach dem schwind¬ lichen Rande zu. Da fiel ein Schuß aus einem Fenster des Schlosses; ein Schütze hatte alles mit angesehen. — Jesus Maria! rief der Offizier ge¬ troffen und stürzte über das Geländer in den Ab¬ grund hinunter. — Da wurde es auf einmal still, nur der Wald rauschte finster von unten herauf. Friedrich wandte sich schaudernd von dem unheimli¬ chen Orte. Die Schützen hatten unterdeß ausgerastet; das Morgenroth begann bereits sich zu erheben. Neue Nachrichten, die so eben eingelaufen waren, be¬ stimmten die Truppe, sogleich von ihrem Schlosse auf¬ zubrechen, um sich mit den anderen tiefer im Lande zu vereinigen. Eine seltsame Erscheinung zog jedoch bald dar¬ auf Aller Augen auf sich. Als sie nemlich auf der einen Seite des Schlosses herauskamen, sahen sie jenseits zwischen den Bäumen auf einer hohen Klippe eine weibliche Gestalt stehen, welche zwey von den ihrigen, die ihr nachstiegen, mit dem De¬ gen abwehrte. Friedrich wurde hinzugerufen. Er erfuhr, das Mädchen sey gegen Morgen allein mit verwirrtem Haar und einem Degen in der Hand an dem Schlosse herumgeirrt, als suche sie etwas. Als sie dann auf den erschossenen Offizier gestossen, habe sie ihn schnell in die Arme genommen und den Leichnam mit einer bewunderungswürdigen Kraft und Geduld in das Gebirge hinaufgeschleppt. Zwey Schützen, denen ihr Herumschleichen verdächtig wur¬ de, waren ihr bis zu diesem Felsen gefolgt, den sie nun wie ihre Burg vertheidigte. Als Friedrich näher kam, erkannte er in dem wunderbaren Mädchen sogleich Marie, sie kam ihm heute viel größer und schöner vor. Ihre langen, schwarzen Locken waren auseinandergerollt, sie hieb nach allen Seiten um sich, so daß keiner, ohne sie zu verletzen, die steile Klippe ersteigen konnte. Als sie Friedrich'n unter den fremden Männern erblick¬ te, ließ sie plötzlich den Degen fallen, sank auf die Kniee und verbarg ihr Gesicht an der kalten Brust ihres Geliebten. Die bärtigen Männer blieben er¬ staunt steh n. Ist in Dir eine solche Gewalt wahr¬ hafter Liebe, sagte Friedrich gerührt zu ihr, so wende sie zu Gott, und Du wirst noch große Gna¬ de erfahren! Die Umstände nöthigten indeß immer dringen¬ der zum Aufbruch. Friedrich ließ daher einen des Weges kundigen Jäger bey Marien zurück, der sie in Sicherheit bringen sollte. Das Mädchen richtete sich halb auf und sah still dem Grafen nach; sie aber zogen singend über die Berge weiter, über de¬ nen so eben die Sonne aufgieng. Neunzehntes Kapitel . Der Krieg wüthete noch lange fort. Friedrich hatte im Laufe desselben den Ruhm seines alten Nahmens durch alte Tugend wieder angefrischt. Der Fürst, dem er angehörte, war unter den Feinden. Friedrichs Güter wurden daher eingezo¬ gen. Das Kriegsglück wandte sich, die Seinigen wurden immer geringer und schwächer, alles gieng schlecht: Er blieb allein desto hartnäckiger gut und wich nicht. Endlich wurde der Friede geschlossen. Da nahm er, zurückgedrängt auf die höchsten Zin¬ nen des Gebirges, Abschied von seinen Hochländern und ritt Güterlos und geächtet hinab. Ueber das platte Land verbreitete sich der Friede weit und breit in schallender Freude; er allein zog einsam hindurch, und seine Gedanken kann niemand be¬ schreiben, als er die letzten Gipfel des Gebirges hinter sich versinken sah. Er gedachte wenig seiner eigenen Gefahr, da rings in dem Lande die feindli¬ chen Truppen noch zerstreut lagen, von denen er wohl wußte, daß sie seiner habhaft zu werden trachteten. Er achtete sein Leben nicht, es schien ihm nun zu nichts mehr nütz. — So langte er an einem unfreundlichen, stürmi¬ schen Abende in einem abgelegenen Dorfe an. Die Gärten waren alle verwüstet, die Häuser niederge¬ brannt, die wenigen übriggebliebenen schienen von den Bewohnern verlassen; es war ein trauriges Denkmal des kaum geendigten Krieges, der an die¬ sen Gegenden besonders seine Wuth recht ausgelas¬ sen hatte. An dem anderen Ende des Dorfes fand Friedrich endlich einen Mann, der auf einem schwarzgebrannten Balken seines umgerissenen Hau¬ ses saß und an einem Stück trockener Brodrinde nagte. Friedrich fragte um Unterkommen für sich und sein Pferd. Der Mann lachte ihm widerlich ins Gesicht und zeigte auf das abgebrannte Dorf. Ermüdet band Friedrich sein Pferd an und setz¬ te sich zu dem Manne hin. Er befragte ihn, wie so großes Unglück insonderheit dieses Dorf getrof¬ fen? — Der Mann sagte gleichgültig und wort¬ karg: Wir haben uns den Feinden widersetzt, wor¬ auf unser Dorf abgebrannt und mancher von uns erschossen wurde. Was kümmert mich aber das und das Land und die ganze Welt, fuhr er nach einer Weile fort, mir thut's nur leid um mich, denn zu fressen muß man doch haben! — Friedrich sah ihn von der Seite an, wie er so an seinem Brode käute, sein Gesicht war hager und bleichgelb und sah nach nichts Gutem aus. Eine lustige Tanzmusik schallte inzwischen im¬ merfort durch die Nacht zu ihnen herüber. Sie kam aus einem alterthümlichen Schlosse, das dem Dorfe gegenüber auf einer Anhöhe stand. Die Fen¬ ster waren alle hellerleuchtet. Inwendig sah man eine Menge Leute sich dreh'n und wirren, manches Paar lehnte sich in die offenen Fenster, und sah in die regnerische Gegend hinaus. Wem gehört das Schloß da droben, wo es so lustig hergeht? fragte Friedrich. Der Gräfin Ro¬ mana, war die Antwort. Unwillkührlich schauderte er bey dieser unerwarteten Antwort zusammen. Er¬ staunt drang er nun mit Fragen in den Mann und hörte mit den seltsamsten Empfindungen zu, als die¬ ser erzählte: Als die letzte Schlacht verlohren war und alles recht drunter und drüber gieng, heißa! da wurde unsere Gräfin so lustig! — Ihr Vermö¬ gen war verlohren, ihre Güter und Schlösser ver¬ wüstet, und, als unser Dorf in Flammen aufgieng, sahen wir sie mit einem feindlichen Offiziere an dem Brande vorbeyreiten, der hatte sie vorn vor sich auf seinem Pferde, und so gieng es fort in alle Welt. Seit einigen Tagen hatte der Feind dort unten auf den Feldern sein Lager aufgeschlagen; da war ein Trommeln, Jubeln, Musizieren, Sauffen und Lachen Tag und Nacht, und unsere Gräfin mitten unter ihnen, wie eine Marketenderin. Ge¬ stern ist das Lager aufgebrochen und die Gräfin giebt den Offizieren, die heut auch noch nachziehen, droben den Abschiedsschmauß. — Friedrich war über dieser Erzählung in Nachdenken versunken. — Ich sehe den Offizier noch immer vor mir, fuhr der Mann bald darauf wieder fort, der den Befehl gab, unsere Häuser anzustecken. Ich lag eben hin¬ ter einem Zaune, ganz zusammengehauen. Er saß seitwärts nicht weit von mir auf seinem Pferde, der Widerschein von den Flammen fiel ihm durch die dunkle Nacht grade auf sein wohlgenährtes, glattes Gesicht. Ich würde das Gesicht in hundert Jahren noch wieder erkennen. — Die Lichter in dem Schlosse, während sie so sprachen, fiengen indeß an zu verlöschen, die Musik hörte auf und es wurde nach und nach immer stil¬ ler. Der Mann wurde seltsam unruhig. Jetzt werden die Offiziere auch fortzieh'n, wollen wir ihnen nicht sicheres Geleit geben? — sagte er, ab¬ scheulich lachend, und stand auf. Friedrich bemerk¬ te dabey, daß er etwas blitzendes, wie ein Gewehr, unter seinem Kittel verborgen hatte. Eh' er sich aber besann, war der Mann schon hinter den Häu¬ sern in der Finsterniß verschwunden. Friedrich trau¬ te ihm nicht recht, er zweifelte nicht, daß er et¬ was Gräßliches vorhabe. Er eilte ihm daher nach, um ihn auf alle Fälle zu verhindern. Tief im Wal¬ de sah er ihn noch einmal von weitem, wie er eben eilig um eine Felsenecke herumbog; darauf ver¬ schwand er ihm für immer, und er hatte sich ver¬ gebens ziemlich weit vom Dorfe in dem Gebirge verstiegen. Als er eben auf einer Höhe ankam, um sich von dort wieder zurechtzufinden, stand sehr uner¬ wartet die Gräfin Romana plötzlich vor ihm. Sie hatte eine kurze Flinte auf dem Rücken, und die¬ selbe feenhafte Jägerkleidung, in welcher er sie zum letztenmale auf der Gemsenjagd gesehen hatte. Versteinert wie eine Bildsäule blieb sie steh'n, als sie Friedrich'n so unverhofft erblickte. Dann sah sie rings herum und sagte: ich habe mich hier oben verirrt, ich weiß den Weg nicht mehr nach Hause —, führe mich, wohin Du willst, es ist alles einerley! — Friedrich'n fiel das ungewohnte „Du“ auf, auch bemerkte er in ihrem Gesichte jene leidenschaftliche Blässe, die ihn sonst schon oft an ihr gestört hatte. Die Nacht überdeckte schon unten die stillen Wäl¬ der. der Mond gieng von der anderen Seite über den Bergen auf. Er fuhrte sie an Klippen und schwindlichten Abhängen vorüber den hohen, langen Berg hinab, sie sprachen kein Wort miteinander. So kamen sie endlich nach einem mühsamen Wege zu dem Schlosse der Gräfin zuruck. Es war eine alte Burg, mitten in der Wildniß, halb ver¬ fallen, kein Mensch war d rinn zu sehen. Das ist mein Stammschloß, sagte Romana, und ich bin die letzte des alten, beruhmten Geschlechts. Sie führte ihn durch die hohen, gewölbten Gemächer. In dem einen Zimmer lag alles vom Feste noch unordentlich umher, zerbrochene Wein¬ flaschen und umgeworfene Stühle; durch das zer¬ schlagene Fenster pfiff der Wind herein und flackerte mit dem einzigen Lichte, das, fast schon bis an den Leuchter herabgebrannt, in der Mitte auf einem Tische stand und spielende Scheine auf eine Reihe altväterischer Ahnenbilder warf, die rings an den Wänden umherhiengen. Sie sind alle schon morsch, die guten Gesellen, sagte Romana in einem Anfalle von gespannter, unmenschlicher Lustigkeit, als sie die Verwüstung betrat, die noch vor so kurzer Zeit von Getümmel und freudenreichem Schalle belebt war, nahm ihre Stutzflinte vom Rücken und stieß ein Bild nach dem andern von der Wand, daß sie zertrümmert auf die Erde fielen. Dazwischen kehrte sie sich auf ein¬ mal zu Friedrich und sagte: Als ich mich vorhin im Gebirge umwandte, um wieder zum Schloß zu¬ rückzukehren, sah ich plötzlich auf einer Klippe mir gegenüber einen langen, wilden Mann stehen, den ich sonst in meinem Leben nicht geseh'n, der hatte in der einsamen Stille seine Flinte unbeweglich an¬ gelegt, mit der Mündung grade auf mich. Ich sprang fort, denn mir kam es vor, als stünde der Mann seit tausend Jahren immer und ewig so dort oben. — Friedrich bemerkte bey diesen verwirrten Worten, die ihn an den Halbverrückten erinnerten, dem er vorhin gefolgt, daß der Hahn an ihrer Flinte, die sie unbekümmert in der Hand hielt und häufig gegen sich kehrte, noch gespannt sey. Er verwieß es ihr. Sie sah in die Mündung hinein und lachte wild auf. Schweigen Sie still, sagte Friedrich ernst und streng und faßte sie unsanft an. — Er trat an das eine Fenster, setzte sich in den Fensterbogen und sah in die vom Monde beschiene¬ nen Grunde hinab. Romana setzte sich zu ihm. Sie sah noch immer blaß, aber auch in der Ver¬ wüstung noch schön aus, ihr Busen war unanstän¬ dig fast ganz entblößt; sie hielt seine Hand, er bemerkte, daß die ihrige bisweilen zuckte. Heftiges, unbändiges Weib, sagte Friedrich, der sich nicht länger mehr hielt, sehr ernsthaft, geh'n Sie beten! Beschauen Sie recht den Wun¬ derbau der hundertjährigen Stämme da unten, die alten Felsenriesen drüber und den ewigen Himmel, wie da die Elemente, sonst wechselseitig vernichtende Feinde gegeneinander, selber ihre rauhen, verwit¬ terten Riesennacken und angebohrene Wildheit vor ihrem Herrn beugend, Freundschaft schliessen und in weiser Ordnung und Frommheit die Welt tragen und erhalten. Und so soll auch der Mensch die wil¬ den Elemente, die in seiner eignen dunklen Brust nach der alten Willkühr lauren und an ihren Ketten reißen und beißen, mit göttlichem Sinne besprechen und zu einem schönen, lichten Leben die Ehre, Tu¬ gend und Gottseligkeit in Eintracht verbinden und formieren. Denn es giebt etwas Festeres und Größeres, als der kleine Mensch in seinem Hoch¬ muth, das der Scharfsinn nicht begreift und die Begeisterung nicht erfindet und macht, die, einmal abtrünnig, in frecher, muthwilliger, verwilderter Willkühr wie das Feuer alles ringsum zerstört und verzehrt, bis sie über dem Schutte in sich selber ausbrennt — Sie glauben nicht an Gott! — Friedrich sprach noch viel. Romana saß still und schien ganz ruhig geworden zu seyn, nur manchmal, wenn die Wälder heraufrauschten, schauerte sie, als ob sie der Frost schüttelte. Sie sah Friedrich'n mit ihren großen Augen unverwandt an, denn sie wußte alles, was er in der letzten Zeit gethan und aufgeopfert, und es war im tief¬ sten Grunde nur ihre unbezwingliche Leidenschaft zu ihm im zerknirschenden Gefühl, ihn nie erreichen zu können, was das heftige Weib nach und nach bis zu diesem schwindlichen Abgrund verwildert hatte. Es war, als gienge bey seinem neuen Anblick die Erinnerung an ihre eigne ursprüngliche, zerstörte Größe noch einmal schneidend durch ihre Seele. Sie stand auf und gieng, ohne ein Wort zu sagen, nach der einen Seite fort. Friedrich blieb noch lange dort sitzen, denn sein Herz war noch nie so bekümmert und gepreßt, als diese Nacht. Da fiel plötzlich ganz nahe im Schlosse ein Schuß. Er sprang, wie vom Blitze gerührt, auf, eine entsetzliche Ahnung flog durch seine Brust. Er eilte durch mehrere Gemächer, die leer und offen standen, das letzte war fest verschlos¬ sen. Er riß die Thüre mit Gewalt ein: welch' ein erschrecklicher Anblick versteinerte da alle seine Sin¬ ne! Ueber den Trümmern ihrer Ahnenbilder lag dort Romana in ihrem Blute hingestreckt, das Ge¬ wehr, wie ihren letzten Freund, noch fest in der Hand. Ihn überfiel im ersten Augenblick ein seltsamer Zorn, er faßte sie in beyde Arme, als mußte er sie mit Gewalt noch dem Teufel entreissen. Aber das wilde Spiel war für immer verspielt, sie hatte sich grade ins Herz geschossen. Der müde Leib ruhte schön und fromm, da ihn die heydnische See¬ le nicht mehr regierte. Er kniete neben ihr hin und betete für sie aus Herzensgrunde. Da sah er auf einmal helle Flammen zu den Fenstern hereinschlagen, durch die offene Thür er¬ blickte er auch schon die anderen Gemächer in vollem Brande. Kein Mensch war da, die Nacht auch Gewitterstill, sie mußte das Schloß in ihrer Rase¬ rey selber angesteckt haben, vielleicht um Friedrich'n zugleich mit ihr zu verderben. Er nahm den Leich¬ nam und trug ihn durch das brennende Thor ins Freye hinaus. Dort legte er sie unter eine Eiche und bedeckte sie mit Zweigen, damit sie die Raben nicht fräßen, bis er im nächsten Dorfe die nöthigen Vorkehrungen zu ihrem Begräbniß getroffen. Dann eilte er den Berg hinab und schwang sich auf sein Pferd. Hinter ihm stieg die Flamme auf die höchste Zinne der Burg und warf gräßliche Scheine weit zwischen den Bäumen. Das Schloß sank wie ein dunkler Riese in dem feurigen Ofen zusammen, über der alten, guten Zeit hielt das Flammenspiel im Winde seinen wilden Tanz; es war, als gieng der Geist ihrer Herrinn noch einmal durch die Lohen. — Zwanzig¬ Zwanzigstes Kapitel . Es war Friedrich'n seltsam zu Muthe, als er den anderen Tag am Saume des Waldes heraus¬ kam, und den wirthlichen, zierlichbepflanzten Berg mit seinen bunten Lusthäusern und dunklen Lauben dort auf einmal vor sich sah, auf dem er bey An¬ tritt seiner Reise die ersten einsamen fröhlichen Stunden nach der Trennung von seinen Universi¬ täts-Freunden zugebracht hatte. Ueberrascht blieb er eine Weile vor der weiten, von der Sonne hell¬ beschienenen Gegend stehen, die ihm wie ein Traum, wie eine liebliche Zauberey vorkam; denn eine Ge¬ gend aus unserem ersten, frischen Jugendglanze bleibt uns wie das Bild der ersten Geliebten, ewig erinnerlich und reitzend. Dann lenkte er langsam den lustigen Berg hinan. Dort oben war alles noch wie damals, die Ti¬ sche und Bänke im Grünen standen noch immer an derselben Stelle, mehrere Gesellschaften waren wie¬ der bunt und fröhlich über den grünen Platz zer¬ streut und schmaußten und lachten, aller kaum ver¬ gangenen Noth vergessend. Auch der alte Harfenist lebte noch und sang draussen seine vorigen Lieder. Friedrich suchte das luftige Sommerhaus auf, wo er damals gespeißt und den eben verlassenen Gesel¬ 23 len frisch zugetrunken hatte. Dort fand er den Nahmen Rosa wieder, den er an jenem schwülen Nachmittage mit seinem Ringe in die Fensterscheibe gezeichnet. Er hielt beyde Hände vor die Augen, so tief überfiel ihn die Gewalt dieser Erinnerung. Die treuen Züge blitzten noch frisch in der Sonne, aber die Züge jenes wunderschönen Bildes, das er damals in der Seele hatte, waren unterdeß im Le¬ ben verworren und verlohren für immer. — Er lehnte sich zum Fenster hinaus und übersah die schöne, noch gar wohl bekannte Gegend und sein ganzer damaliger Zustand wurde ihm dabey so deutlich, wie wenn man ein langvergessenes, frühes Gedicht nach vielen Jahren wiederliest, wo alles vergangen ist, was einen zu dem Liede verführt. Wie anders war seitdem alles in ihm geworden! Damals segelten seine Gedanken und Wünsche mit den Wolken ins Blaue über das Gebirge fort, hin¬ ter dem ihm das Leben mit seinen Reise-Wundern wie ein schönes, überschwenglichreiches Geheimniß lag. Jetzt stand er an demselben Orte, wo er be¬ gonnen, wie nach einem mühsam beschriebenen Zir¬ kel, frühzeitig an dem anderen, ernsteren und stille¬ ren Ende seiner Reise und hatte keine Sehnsucht mehr nach dem Plunder hinter den Bergen und weiter. Die Poesie, seine damalige süße Reisege¬ fährtin, genügte ihm nicht mehr, alle seine ernste¬ sten, herzlichsten Pläne waren an dem Neide seiner Zeit gescheitert, seine Mädchenliebe mußte, ohne daß er es selbst bemerkte, einer höheren Liebe wei¬ chen, und jenes große, reiche Geheimniß des Le¬ bens hatte sich ihm endlich in Gott gelöst. Während er dieß alles so überdachte, fiel ihm ein, wie Leontins Schloß ganz in der Nähe von hier sey. Er fühlte ein recht herzliches Verlangen, diesen seinen Bruder und jene Waldberge wieder¬ zusehen. Der Gedanke bewegte ihn so, daß er so¬ gleich sein Pferd bestieg und von dem Berge hinab die schattigte Landstrasse wieder einschlug. Die Sonne stand noch hoch, er hoffte den Wald noch vor Anbruch der Nacht zurückzulegen. Nach einiger Zeit erlangte er einen hohen Bergrücken. Die Lage der Wälder, der Kreis von niederern Ber¬ gen ringsumher, alles kam ihm so bekannt vor. Er ritt langsam und sinnend fort, bis er sich endlich erinnerte, daß es dieselbe Hayde sey, über welche er in jener Nacht, da er sich verirrt und das selt¬ same Abentheuer in der Mühle bestanden, sein Pferd am Zügel geführt hatte. Der Schlag der Eisenhämmer kam nur schwach und verworren durch das Singen der Vögel und den schallenden Tag aus der fernen Tiefe herauf. Es war ihm, als rückte sein ganzes Leben Bild vor Bild so wieder rück¬ wärts, wie ein Schiff nach langer Farth, die wohlbekannten Ufer wieder begrüßend, endlich dem alten, heymathlichen Hafen bereichert zufährt. Ein Gebirgsbach fand sich dort in der Einsam¬ keit mit seiner plauderhaften Emsigkeit neben ihm 23 * ein. Er wußte, daß es der nemliche sey, der die schöne Wiese vor Leontins Schlosse durchschnitt, und folgte ihm daher auf einem Fußstege die Höhen hin¬ ab. Da erblickte er nach einem langen Wege uner¬ wartet auch die berüchtigte Waldmühle im Grunde wieder. Wie anders, Gespensterhaft und voll wun¬ derbarer Schrecken hatte ihm damals die phantasti¬ sche Nacht diese Gegend ausgebildet, die heut recht behaglich im Sonnenscheine vor ihm lag. Der Bach rauschte melankolisch an der alten Mühle vorüber, die halbverfallen dastand, und schon lange verlassen zu seyn schien; das Rad war zerbrochen und stand still. Auf der einen Seite der Mühle war ein schö¬ ner, lichtgrüner Grund, über welchem frische Eichen ihre kühlen Hallen woben. Dort sah Friedrich ein Mädchen in einem reinlichen, weißen Kleide auf dem Boden sitzen, halb mit dem Rücken nach ihm gekehrt. Er hörte das Mädchen singen und konnte deutlich folgende Worte verstehen: In einem kühlen Grunde, Da geht ein Mühlenrad, Mein' Liebste ist verschwunden, Die dort gewohnet hat. Sie hat mir Treu' versprochen, Gab mir ein'n Ring dabey, Sie hat die Treu' gebrochen, Mein Ringlein sprang entzwey. Ich möcht' als Spielmann reifen Weit in die Welt hinaus, Und singen meine Weisen Und geh'n von Haus zu Haus. Ich möcht' als Reiter fliegen, Wohl in die blut'ge Schlacht, Um stille Feuer liegen, Im Feld bey dunkler Nacht. Hör' ich das Mühlrad gehen, Ich weiß nicht, was ich will — Ich möcht' am liebsten sterben, Da wär's auf einmal still. Diese Worte, so aus tiefster Seele herausge¬ sungen, kamen Friedrich'n in dem Munde eines Mädchens sehr seltsam vor. Wie erstaunt, ja wun¬ derbar erschüttert aber war er, als sich das Mäd¬ chen, während des Gesanges, ohne ihn zu bemer¬ ken, einmal flüchtig umwandte, und er bey dem Sonnenstreif, der durch die Zweige grade auf ihr Gesicht fiel, nicht nur eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Mädchen, das ihm damals in der Mühle hinaufgeleuchtet, bemerkte, sondern in dieser Klei¬ dung und Umgebung vielmehr jenes wunderschöne Kind aus längstverklungener Zeit wiederzusehen glaubte, mit der er als kleiner Knabe so oft zu Hause im, Garten gespielt, und die er seitdem nie wiedergesehen hatte. Jetzt fiel es ihm auch plötzlich wie Schuppen von den Augen, daß dieß dieselben Züge seyen, die ihm in dem verlassenen Gebirgs¬ schlosse auf dem Bilde der heiligen Anna in dem Gesichte des Kindes Maria so sehr aufgefallen wa¬ ren. — Verwirrt durch so viele sich durchkreutzende, uralte Erinnerungen, ritt er auf das Mädchen zu, da sie eben ihr Lied geendigt hatte. Sie aber, von dem Geräusche aufgeschreckt, sprang, ohne sich weiter umzusehen, fort, und war bald in dem Walde ver¬ schwunden. Da sah er auf der Anhöhe, wohin sich das Mädchen geflüchtet, eine andere weibliche Gestalt zwischen den Bäumen erscheinen, groß, schön und herrlich. — Es war Friedrich'n, als begrüsse ihn sein ganzes vergangenes Leben hier, wie in einem Traume, noch einmal in tausend schönwirrenden Verwandlungen; denn je näher er dem Berge kam, je deutlicher glaubte er in jener Gestalt Ju¬ lien wieder zu erkennen. Er stieg vom Pferde und eilte die Anhöhe hinauf, wo unterdeß die liebliche Erscheinung sich wieder verlohren hatte. Oben fand er sie ruhig auf dem Boden sitzend, es war wirklich Julie. Stille, stille! sagte sie, als er näher trat, nicht weniger überrascht, als er, und wies auf Leontin, der, neben ihr an einem Baume angelehnt, eingeschlummert lag. Er war auffallend blaß, sein linker Arm ruhte in einer Binde. Frie¬ drich betrachtete verwundert bald Leontin bald Ju¬ lien. Julien schien dabey das Unschickliche ihrer einsamen Lage mit Leontin einzufallen, und sie sah erröthend in den Schooß. Leontin war indeß erwacht und machte die Au¬ gen groß auf, da er neben der Geliebten auch noch den Freund vor sich sah. Da mag schlafen, wer Lust hat, wenn es wieder so lustig auf der Welt aussieht, sagte er, und sprang rasch auf. Frie¬ drich erstaunte, wie männlicher seitdem sein ganzes Wesen geworden. Aber sage, wie hat Dich der Himmel wieder hiehergebracht? fuhr er fort, ich dachte, diese Zeit wurde uns beyde mit verschlin¬ gen; aber ich glaube, sie fürchtet sich, uns nicht verdauen zu können. — Friedrich kam nun vor lau¬ ter Fragen nicht selber zum fragen, so sehr es ihm auch am Herzen lag, er mußte sich bequemen, die Geschichte seines Lebens seit ihrer Trennung zu er¬ zählen. Als er auf den Tod der Gräfin Romana kam, wurde Leontin nachdenklich. Julie, die auch sonst schon viel von ihr gehört, konnte sich in diese ihre seltsame Verwilderung durchaus nicht finden und verdammte ihr schimpfliches Ende ohne Erbar¬ men, ja mit einer ihr sonst ungewöhnlichen Art von Haß. Nach vielem Hin- und Herreden, das jedes Wiedersehen mit sich zu bringen pflegt, bat endlich auch Friedrich die beyden, seinen Bericht mit einer ausfuhrlichen Erzählung ihrer seitherigen Begeben¬ heiten zu erwiedern, da er aus ihren kurzen, un¬ zusammenhängenden Antworten noch immer nicht klug werden konnte. Vor allem erkundigte er sich um das Mädchen, das, wie er meynte, zu ihnen geflüchtet seyn müsse. Julie sah dabey Leontinen unentschlossen an. — Lassen wir das jetzt! sagte dieser, die Gegend und meine Seele ist so klar und heiter wie nach einem Gewitter, es ist mir grade alles recht lebhaft erinnerlich, ich will Dir erzählen, wie wir hier zusammengekommen. Er nahm hieben eine Flasche Wein aus einem Körbchen, das neben Julien stand, und setzte sich damit an den Abhang mit der Aussicht in die grü¬ ne Waldschluft bey der Mühle; Friedrich und Ju¬ lie setzten sich zu beyden Seiten neben ihn. Sie wollte ihm durchaus die Flasche wieder entreissen, da sie wohl wußte, daß er mehr trinken werde, als seinen Wunden noch zuträglich war. Aber er hielt sie fest in beyden Händen. Wo es, sagte er, wie¬ der so gut frisch Leben giebt, wer fragt da, wie lange es dauert! Und Julie mußte sich am Ende selber bequemen mitzutrinken. Sie hatte sich mit beyden Armen auf seine Kniee gestützt, um die Ge¬ schichte, die sie beynah schon auswendig wußte, noch einmal recht aufmerksam anzuhören. Friedrich, der sie nun ruhiger betrachten konnte, bemerkte dabey, wie sich ihre ganze Gestalt seitdem entwickelt hatte. Alle ihre Züge waren entschiedener und Geistreich. So begann nun Leontin folgendermaßen: Als ich auf jener Alpe während der Gemsen¬ jagd von Dir Abschied nahm, wurde mir sehr ban¬ ge, denn ich wußte wahrhaftig nicht, was ich in der Welt eigentlich wollte und anfangen sollte. Was recht Tüchtiges war eben nicht zu thun, und meine Thätigkeit, gleichviel, ob am Guten oder Schlechten, blos um der Thätigkeit willen abzuar¬ beiten, wie man etwa spazieren geht, um sich Mo¬ tion zu machen, war von jeher meine größte Wi¬ derwärtigkeit. Wäre ich recht arm gewesen, ich hätte aus lauterer Langeweile arbeiten können, um mir Geld zu erwerben, und hinterdrein die Leute überredet, es geschehe alles um des Staates wil¬ len, wie die anderen thun. Unter solchen morali¬ schen Betrachtungen ritt ich über das Gebirge fort, und es that mir recht ohne allen Hochmuth leid, wie da alle die Städte und Dörfer, gleich Ameisen¬ haufen und Maulwurfshügeln, so tief unter mir lagen; denn ich habe nie mehr Menschenliebe, als wenn ich weit von den Menschen bin. Da wurde es nach und nach schwül und immer schwüler unten über dem deutschen Reiche, die Donau sah ich wie eine silberne Schlange durch das unendliche, blau¬ schwüle Land geh'n, zwey Gewitter, dunkel, schwer und langsam standen am äussersten Horizonte gegen¬ einander auf; sie blizten und donnerten noch nicht, es war eine erschreckliche Stille. — Ich erinnere mich, wie frey mir zu Muthe wurde, als ich end¬ lich die ersten Soldaten unten über die Hügel kom¬ men und hin und wiederreiten, wirren und blitzen sah. Ich zog in den Krieg hinunter. Was da ge¬ schah, ist Dir bekannt. Nach der großen Schlacht, die wir verlohren, war das Korps, zu dem ich ge¬ hörte, erschlagen und zersprengt, ich selber von den Meinigen getrennt. Ich suchte durch verschiedene Umwege mich wieder zu vereinigen, aber je länger ich ritt, je tiefer verirrte ich mich in dem verteufel¬ ten Walde. Es regnet und stürmte in einem fort, aber ich mochte nirgends einkehren, denn ich war innerlichst so zornig, daß ich mich in dem Wetter noch am leidlichsten befand. Am Abend des anderen Tages fiengen endlich die Wolken an sich zu zertheilen, die Sonne brach wieder hindurch und schien warm und dampfend auf den Erdboden, da kam ich auf einer Höhe plötzlich aus dem Walde und stand — vor Juliens Gegend. Ich kann es nicht beschreiben, mit welcher Empfin¬ dung ich aus der kriegerischen Wildniß meines em¬ pörten Gemüths so auf einmal in die Friedens- und Segensreiche Gegend voll alter Erinnerungen und Anklänge hinaussah, die, wie Du wissen wirst, zwi¬ schen ihren einsamen Bergen und Wäldern mitten im Kriege in tiefster Stille lag. Überrascht blieb ich oben stehen. Da sah ich den blauen Strom unten wieder gehn und Segel fahren, das freundliche Schloß am Hügel und den wohlbekannten Garten ringsumher, alles in alter Ruhe, wie damals. Den Herrn v. A. sah ich auf dem mittelsten Gange des Gartens hinab ruhig spa¬ zieren gehen. Auf den weiten Plänen jenseits des Stromes, über welche die eben untergehende Sonne schräge ihre letzten Strahlen warf, kam ein Reiter auf daß Schloß zugezogen, ich konnte ihn nicht er¬ kennen. Julien erblickte ich nirgends. Es ließ mir da oben nicht länger Ruh; ich eilte den Berg hinunter, ich wollte Julien, ihren Vater, den Viktor wiedersehen, die ganze Vergan¬ genheit noch einmal in Einem schnellen Zuge durch¬ leben und genießen. Tiefer unten am Abhange er¬ blickte ich den Reiter plötzlich wieder. Es war eine junge, hagere, verlebte Figur, durchaus modern, einer von den gang und gäben alten Jungen mit der Brille auf der Nase. Mich überlief ein Aerger, daß dieses modische, mir nur zu sehr bekannte Ge¬ zücht auch schon bis in diese glücklichverborgenen Thäler gedrungen war. Er aber sah mich flüchtig vornehm an, lenkte auf einen bequemeren, aber weiteren Umweg nach dem Schloß, und verschwand bald wieder. Ein Bauer aus dem Dorfe des Herrn v. A., der auch von der Arbeit nach Hause gieng, hatte sich indeß neben mir eingefunden. Ich erinnerte mich seines Gesichts sogleich wieder, er aber kannte mich nicht mehr. Von diesem erfuhr ich nach einem schnell angeknüpften Gespräche, daß die Tante schon seit längerer Zeit todt sey. — Ich fragte ihn darauf, wer der fremde Herr sey, der eben vorbey geritten. Er antwortete mir mit heimlicher Miene: Fräulein Juliens Bräutigam. — Hier schüttelte Julie lächelnd den Kopf und wollte Leontins Erzählung unterbrechen. Leontin fuhr aber sogleich wieder fort: Es war inzwischen völlig Nacht geworden, als ich das Dorf erreichte. Ich mochte nach jener Nach¬ richt nun niemanden aus dem Hause sprechen noch sehen — nur einen flüchtigen Streifzug durch den alten, schuldlosen Garten wollt' ich machen, und so¬ gleich wieder fort. Ich band mein Pferd an einem Baume an und stieg übern Zaun in den Garten. Dort war jeder Gang, jede Bank, ja, jedes Blumenbeet noch immer auf dem alten Platze, so daß die See¬ le nach so viel inzwischen durchlebten Gedanken und Veränderungen diesen gemüthlichen Stillstand kaum fassen konnte. Der Sturm wüthete indeß noch im¬ mer heftig fort, und riß ein Heer von Wolken nebst vielen verspäteten Abendvögeln, die kreischend dazwischenruderten, in einer unabsehbaren Flucht über den Garten hinaus, während unten die Bäu¬ me sich neigten und einzelne Nachtigallentöne aus den Thälern durch den Wind heraufklagten; es war eine rechte dunkelschwüle Gespensternacht. Ein ungewöhnlich starkes Licht, das aus dem einen Fenster in den Garten hinausschien, zog mich zum Schlosse hin. Ich stellte mich grade vor das Fenster und konnte das ganze Zimmer übersehen, das von einem Kaminfeuer so hell erleuchtet wurde. Der Herr v. A. saß in einem Lehnstuhle und las Zeitungen, Julie saß am Kamine und sang, hatte aber den Rücken gegen das Fenster gekehrt, so daß ich ihr Gesicht nicht sehen konnte. Was sie sang, war eine alte Romanze, die mir schon als Kind be¬ kannt war. Sie ist mir noch erinnerlich: Hoch über den stillen Höhen Stand in dem Wald ein Haus, Dort war's so einsam zu sehen Weit über'n Wald hinaus. D'rin saß ein Mädchen am Rocken, Den ganzen Abend lang, Der wurden die Augen nicht trocken, Sie spann und sann und sang: „Mein Liebster der war ein Reiter, Dem schwur ich Treu' bis in Tod, Der zog über Land und weiter, Zu Krieges-Lust und Noth. Und als ein Jahr war vergangen, Und wieder blühte das Land, Da stand ich voller Verlangen, Hoch an des Waldes Rand. Und zwischen den Bergesbogen, Wohl über den grünen Plan, Kam mancher Reiter gezogen, Der Meine kam nicht mit an. Und zwischen den Bergesbogen, Wohl über den grünen Plan, Ein Jägersmann kam geflogen, Der sah mich so muthig an. So lieblich die Sonne schiene, Das Waldhorn scholl weit und breit, Da führt' er mich in das Grüne, Das war eine schöne Zeit! — Der hat so lieblich gelogen Mich aus der Treue heraus, Der Falsche hat mich betrogen, Zog weit in die Welt hinaus.“ — Sie konnte nicht weiter singen, Vor bitteren Schmerz und Leid, Die Augen ihr übergiengen In ihrer Einsamkeit. Julien gieng es wohl nicht besser, denn sie stand plötzlich auf, öffnete das Fenster und lehnte sich in die Nacht hinaus. Ueberhaupt glaubte ich während dem Singen eine große Unruhe an ihr be¬ merkt zu haben. Was ist das für ein erschrecklicher Sturm! hört' ich den Herrn v. A. d'rinn sagen, der bedeutet noch Krieg, Gott steh' unseren Leuten bey, die schlagen sich wohl jetzt wieder. — Und ich muß hier sitzen! sagte Julie aus tiefster Seele. — Ich stand seitwärts an einen Pfeiler gelehnt und die Töne giengen in dem rasenden Winde gar selt¬ sam wehmüthig über den Garten hinaus, in dem ich mir nun wie ein lange Verbannter vorkam, da Julie bald darauf in ihrem Gesange am offenen Fenster wieder also fortfuhr: Die Muhme, die saß beym Feuer Und wärmet sich am Kamin, Es flackert und sprüht das Feuer, Hell über die Stnb' es schien. Sie sprach: „Ein Kränzlein in Haaren, Das stünde dir heut gar schön, Willst draussen auf dem See nicht fahren? Hohe Blumen am Ufer dort steh'n.“ Ich kann nicht holen die Blumen, Im Hemdlein weiß am Teich Ein Mädchen hütet die Blumen, Die sieht so todtenbleich. „Und hoch auf des Sees Weite, Wenn alles finster und still, Da rudern zwey stille Leute, — Der Eine dich haben will.“ Sie schauen wie alte Bekannte, Still, ewig stille sie sind, Doch einmal der Eine sich wandte, Da faßt' mich ein eiskalter Wind. — Mir ist zu wehe zum Weinen — Die Uhr so gleichförmig pickt, Das Rädlein, das schnurrt so in einem, Mir ist, als wär' ich verrückt. — Ach Gott! wann wird sich doch röthen, Die fröhliche Morgenstund! Ich möchte hinausgeh'n und bethen, Und bethen aus Herzensgrund! So bleich schon werden die Sterne, Es rührt sich stärker der Wald, Schon krähen die Hähne von Ferne, Mich friert, es wird so kalt! Ach, Muhme! was ist Euch geschehen? Die Nase wird Euch so lang, Die Augen sich seltsam verdrehen — Wie wird mir vor Euch so bang! — Und wie sie so grauenvoll klagte, Klopft's draussen ans Fensterlein, Ein Mann aus der Finsterniß ragte, Schaut still in die Stube herein. Die Haare wild umgehangen, Von blutigen Tropfen naß, Zwey blutige Streiffen sich schlangen, Wie Kränzlein, um's Antlitz blaß. Er grüßt' sie so fürchterlich heiter, Er heißt sie sein' liebliche Braut, Da kannt' sie mit Schaudern den Reiter, Fällt nieder auf ihre Knie. Er zielt' mit dem Rohre durchs Gitter, Auf die schneeweiße Brust hin; „Ach, wie ist das Sterben so bitter, Erbarm' dich, weil ich so jung noch bin!“ — Stumm blieb sein steinerner Wille, Es blitzte so rosenroth, Da wurd' es auf einmal stille Im Walde und Haus und Hof. — Frühmorgens da lag so schaurig, Verfallen im Walde das Haus, Ein Waldvöglein sang so traurig, Flog fort über den See hinaus. Gegen das Ende ihres Gesanges hatte Julie von ohngefähr meinen Schatten bemerkt, den das Licht vom Zimmer lang und unbeweglich in den Garten warf. Sie sah sich stutzend um, und da sie nichts erblicken konnte, schloß sie nachdenklich und schweigend das Fenster. In diesem Augenblick klopfte es d'rinn an die Stubenthür. Sie fuhr er¬ schrocken zusammen und vom Fenster auf. Ich blick¬ te noch einmal hinein und sah jenen gehäßigen Rei¬ ter, dem ich vorhin begegnet, eilfertig eintreten. Er Er lebt! rief Julie ausser sich vor Freude und stürz¬ te dem Manne um den Hals. — Hatt' ich schon vorher draussen in dem Frem¬ den sogleich einen von jenen poetischen Jüngern er¬ kannt, die's niemals zum Meister oder überhaupt zu einem Manne bringen, so kam mir jetzt der hagere, blasse Poet neben der gesunden Julie, die unterdeß so wunderbar hoch geworden war, und deren große Augen in diesem Augenblicke vor Freu¬ de ordentliche Strahlen warfen, gar erbärmlich vor. Mir kamen die Verse aus Göthe's Fischerin zwischen die Zähne: Wer soll Bräutigam seyn? Zaunkönig soll Bräutigam seyn! Zaunkönig sprach zu ihnen Hinwieder den Beyden: Ich bin ein sehr kleiner Kerl, Kann nicht Bräutigam seyn, Ich kann nicht der Bräutigam seyn! Ich schwang mich sogleich wieder über den Gartenzaun, band mein Pferd los und gieng, es hinter mir herführend, aus dem Dorfe hinaus. Da kam ich am anderen Ende desselben an dem kleinen Häuschen Viktors vorüber. Ich guckte ihm ins Fenster hinein, das, wie Du weißt, im Som¬ mer Tag und Nacht offen steht. Er saß eben, mit dem Rücken gegen das Fenster, über einem alten dicken Buche, den Kopf in die Hand gestützt. Das Licht auf dem Tische flackerte ungewiß umher, die 24 vielen Uhren an den Wänden pickten einförmig im¬ merfort, es war eine unendliche Einsamkeit drinnen. Ich begrüßte ihn endlich mit dem Vers, der ihm im ganzen Faust der liebste war: „Ich guckte der Eule in ihr Nest, Hu! die macht' ein Paar Au¬ gen!“ Er wandte sich schnell um und als er mein Gesicht völlig erkannte, sprang er auf, warf die Bücher und alles, was auf dem Tische lag, auf die Erde und tanzte wie unsinnig in der Stube herum. Ich kletterte sogleich durchs Fenster zu ihm hinein, ergriff eine halbbespannte Geige, die an der Wand hieng, und so walzten wir beyde mit den seltsam¬ sten Geberden und großem Getös nebeneinander in der kleinen Stube auf und ab, bis er endlich er¬ schöpft vor Lachen auf den Boden hinsank. Es dauerte lange, ehe wir zu einem vernünftigen Dis¬ kurs kamen, während welchem er einen ungeheue¬ ren Krug voll Wein anschleppte. Er ist noch immer der alte, noch immer nicht fetter, nicht ruhiger, nicht klüger, und, wie sonst, wüthend kriegerisch gegen alle Sentimentalität, die er ordentlich mi߬ handelt. Gegen Mitternacht endlich, soviel er auch dage¬ gen hatte, zog ich wieder von dannen, das gelobte Land in ruhigem Schlafe hinter mir, und die weite Stille ringsumher gesegnend, während Viktor, der mich ein Stück begleitet hatte, auf der letzten Höhe mir wie eine Windmühle in der Dunkelheit mit dem Hute nachschwenkte und nachrief, bis alles in den großen, grauen Schooß versunken war. In den Krieg denn von neuem in Gottes Nahmen hinaus! rief ich draussen und nahm die Richtung auf mein Schloß, da ich indeß erfahren hatte, daß der Tummelplatz jetzt dort in der Nähe sey. Bey Sonnenaufgang sah ich die unsrigen in dem weiten Thale bunt und blitzend zerstreut wie¬ der und das Herz gieng mir auf bey dem Anblick. Die lustige Bewegung, die mir von weitem so mu¬ thig entgegenblitzte, war aber nichts anderes, als eine verworrene, gränzenlose Flucht. Der Feind war noch ziemlich weit, ich ritt daher an den zer¬ streuten Trupps langsam vorüber. Da sah ich den Haufen in dumpfer Resignation herumtaumeln, Mehrere weise Mienen achselzuckend zur Schau tragen, als steckten wohl ganz andere Plane dahin¬ ter — keinem hätte das Herz im Leibe zerspringen mögen. Da fiel mir ein, was mir Viktor oft in seinen melankolischsten Stunden gesagt: besser Uhren machen, als Soldaten spielen. Ich meines Theils war fest entschlossen, da alles, was mir ehrwürdig und lieb auf Erden war, zu Grunde gehen sollte, lieber fechtend selber mit unterzugeh'n, als gefangen in der gemeinen Schande zurückzubleiben. Ich sprengte eilig auf mein Schloß und bot alle meine Jäger und Diener auf, deren Gesinnung und Treue ich kannte, viele Freywillige von der Armee gesellten sich wacker da¬ zu und so verschanzten und besetzten wir mein Schloß und Garten, da ich wohl wußte, daß der 24 * Feind bey seiner Verfolgung diesen Weg nehmen und demselben an dieser vortheilhaften Höhe beson¬ ders viel gelegen seyn mußte. Wir wehrten uns verzweifelt oder vielmehr tollkühn gegen die Ueber¬ macht. Die feindlichen Kugeln hatten mein Schloß fürchterlich zerrissen, die Gesimse brannten, ein Burgthor nach dem anderen stürzte in den Lohen zusammen, alles war verlohren, und ich fiel der letzte nieder. — Als ich die Augen wieder auf¬ schlug, lag ich im Sonnenscheine in dem schönen Garten des Herrn v. A. vor der großen Aussicht, und Julie stand still neben mir. — Hier hielt Leontin inne, denn Julie, die sich schon einige Zeit mit ängstlicher Unruhe umgesehen hatte, sagte ihm etwas ins Ohr, stand schnell auf und gieng in den Wald hinein, worauf Leontin, nachdem er ihr eine Weile nachgesehen, folgender¬ maßen wieder fortfuhr: Es war mir wie im Traume, als ich so wie¬ der meinen ersten Blick in die Welt that, alles auf einmal so stille um mich, und Julie neben mir, die mich schweigend und ernsthaft betrachtete. Sie sagte mir damals nichts, aber später erfuhr und errieth ich Folgendes: Der moderne Junge, dem ich damals in der Nacht auf dem Schlosse des Herrn v. A. begegnet, war ein Edelmann aus der Nach¬ barschaft, der erst unlängst von Universitäten auf seine Güter zurückgekehrt war. Seine fast täglichen Besuche bey Julien, seine ungebundene Art mit ihr umzugehen, und die voreilig geschwätzigen Andeu¬ tungen der anfangs noch lebenden Tante veranla߬ ten, daß er binnen kurzer Zeit allgemein für Ju¬ liens Bräutigam gehalten wurde. Er war nach sei¬ ner Art verliebt in Julien, aber ein Mädchen im Ernste zu lieben oder gar zu heirathen, hielt er für lächerlich, denn — er war zum Dichter beru¬ fen. Als nachher der Krieg ausbrach und das Ge¬ rücht mein Benehmen dabey auch bis dorthin trug, prieß er mit gränzenlosem Enthusiasmus, doch im¬ mer mit der vornehmen Miene eines eigenen, hö¬ heren Standpunktes, solche erzgediegene, Lebens¬ kräftige Naturen, ewig zusammenhaltende Granit¬ blöcke des Gemeinwesens u. s. w., aber selbst mit dreinschlagen konnt' er nicht, denn — er war zum Dichter berufen. Uebrigens hat er ein ganz or¬ dinär sogenanntes gutes Herz. Daher ritt er, als mich allerhand widersprechende Gerüchte bald für todt, bald für verwundet ausgaben, aus Mitleid für Julien auf Kundschaft aus, und kehrte eben in jener Nacht, da ich ihm begegnete, mit der ge¬ wissen Bothschaft meines Lebens zurück, und Ju¬ liens: „Er lebt!“ das mich damals so schnell vom Fenster und übern Zaun und aus dem Dorfe trieb, galt mir . Erstaunt erfuhr Julie am Morgen von Viktor meinen schnellen Durchzug und bald nachher auch das Loos meiner Burg. Ohne Verwirrung im Schreck wie in der Freude, sattelte sie noch in der Nacht, wo sie die Nachricht erhalten, ihr Pferd, und ritt, ohne ihren Vater zu wecken, mit einem Bedienten nach meinem Schloß. Der vermeynte Bräutigam, der noch dort war, ließ es sich durch¬ aus nicht nehmen, die Romanze, wie er es nann¬ te, mitzumachen. Er schmückte sich in aller Eile sehr phantastisch und abentheuerlich aus, bewaffne¬ te sich mit einem Schwerdt, einer Flinte und meh¬ reren Pistolen, obschon die Feinde mein Schloß längst wieder verlassen hatten, da es ihnen jetzt, bey dem großen Vorsprunge der Unsrigen, ganz unnütz geworden war. Julie suchte unermüdlich zwischen den zusammengefallenen Steinen, erkann¬ te mich endlich und trug mich selbst aus den dam¬ pfenden Trümmern. Der Bräutigam machte ein Sonett darauf und Julie heilte mich zu Hause aus. Da aber meine Vertheidigung des Schlosses als unberufen, und, in einem bereits eroberten Lande, als rebellisch angesehen wird, so wurde mir vom Feinde nachgestellt und ich befand mich auf dem Schlosse des Herrn v. A. nicht mehr sicher. Man brachte mich daher auf diese abgelegene Mühle hier, wo mich Julie täglich besucht, bis ich endlich jetzt wieder ganz hergestellt bin. So endigte Leontin seine Erzählung. — Und wohin willst Du nun? fragte Friedrich. Jetzt weiß ich nichts mehr in der Welt, sagte Leontin unmu¬ thig. — Sie mußten abbrechen, denn eben kam Julie wieder zurück und winkte Leontinen heimlich mit den Augen, als sey etwas Bewußtes glücklich vollbracht. Sie hatten indeß über diesen Unterhaltungen alle nicht bemerkt, daß es bereits anfieng dunkel zu werden. Julie wurde es zuerst gewahr, und zwar nicht ohne sichtbare Verlegenheit, denn jetzt in der Nacht nach Hause zu reiten, war, wegen den noch immer herumstreifenden Soldaten, für ihr Geheim¬ niß höchstbedenklich, andrerseits überfiel sie ein mäd¬ chenhafter Schauer bey dem Gedanken, so alleine mit zwey Männern im Walde über Nacht zu blei¬ ben. Am Ende mußte sie sich doch zu dem letzteren bequemen, und so lagerten sie sich dann, so gut sie konnten, vergnüglich in das hohe Gras auf der An¬ höhe. Die Nacht dehnte langsam die ungeheueren Drachenflügel über den Kreis der Wildniß unter ihnen, die Wälder rauschten dunkel aus der grän¬ zenlosen Stille herauf. Julie war ohne alle Furcht. Leontin aber, der noch matt war, fieng endlich an, sich nach kräftigerer Ruhe zu sehnen, und auch Julien wurde die zunehmende Frische der Nacht nach und nach empfindlich. Sie brachen daher auf und begaben sich zu der nahen, alten, verlassenen Müh¬ le, wo Leontin, wie gesagt, schon seit einigen Ta¬ gen heimlich sein Quartier hatte. Friedrich wollte draussen auf der Schwelle bleiben und als ein wa¬ ckerer Ritter die Jungfrau im Kastell bewachen, Julie bat ihn aber erröthend mit hineinzugehen, und er willigte lächelnd ein, während einem Be¬ dienten, den Julie mitgebracht, aufgetragen wurde, vor der Thür Haus und Pferde zu bewachen. Das Stübchen, das sie in Beschlag nahmen, war eng und nur zur Noth vor dem Wetter ver¬ wahrt. Ein Bett, das Julie für Leontin mitge¬ bracht hatte, wurde vertheilt und nebst einigem Stroh auf dem Fußboden ausgebreitet, so daß es für alle drey hinreichte; Licht wagte man nicht zu brennen. Die beyden Grafen nahmen das Fräulein in ihre Mitte, Leontin war vor Müdigkeit bald entschlafen. Friedrich bemerkte, wie Julie sich fest aufs Ohr legte und that als ob sie schliefe, wäh¬ rend sie beyde Augen lauschend weit offen hatte und Leontinen in einemfort ungestört betrachtete, bis sie endlich auch mit einschlummerte. Friedrich hatte sich mit halbem Leibe aufgerich¬ tet und sah sich, auf den einen Arm gestützt, ringsum. Ein Schauder überlief ihn, sich wieder an demselben Orte zu erblicken, wo er damals die grausige Nacht verlebt. Er gedachte des jungen Mädchens wieder, das ihm damals in dieser Stube hier Feuer gepickt hatte, ihm fiel dabey die räth¬ selhafte Gestalt ein, die er heut bey seiner Ankunft vor der Mühle getroffen, und ihre flüchtige Aehn¬ lichkeit mit jener, und er versank in ein Meer von Erinnerungen und Verwirrung. Julien hörte er leise neben sich athmen, es war eine unendlich stille, mondhelle Nacht. Da erhob sich auf einmal draussen ein Gesang, von einer Zitter begleitet, zuerst vom Walde, dann wie aus der Ferne melodisch schallend, das Haus mit wunderschönen Weisen erfüllend, dann wieder weiter verhallend. Friedrich wagte kaum zu ath¬ men, um die Zauberey nicht zu stören. Doch, je länger er den leise, verschwindenden Tönen lauschte, je unruhiger wurde er nach und nach; denn es war wieder jenes alte Lied aus seiner Kindheit, das er einmal in der Nacht auf Leontins Schlosse von Er¬ win auf der Mauer singen gehört; auch schien es dieselbe Stimme. Er raffte sich endlich auf und trat leise vor die Thüre hinaus. Da lag und schlief der Bediente quer über der Schwelle wie ein Tod¬ ter. Draussen sah er den Sänger im hellen Mond¬ scheine unter den hohen Eichen wandeln. Er lief freudig auf ihn zu — es war Erwin! — Der Kna¬ be wandte sich schnell, und als er Friedrich'n er¬ blickte, stürzte er mit einem durchdringenden Schrey zu Boden, unter ihm lag seine Zitter zerbrochen. Der Bediente auf der Schwelle fuhr über dem Schrey taumelnd auf. Verrückt! verrückt! rief er, sich aufmunternd, Friedrich'n zu, und eilte sehr ängstlich in das Haus hinein, um seine Herrschaft zu wecken. Friedrich'n schnitt dieser Ausruf wie Schwerdter durchs Herz, denn er hatte es aus des Knaben unbegreiflicher Flucht längst gefürchtet. Erwin sah indeß wie aus einem langen Traume mit ungewißschweifenden Blicken rings um sich her und dann Friedrich'n an, während sehr heftige innerliche Zuckungen, die sich immer mehr dem Her¬ zen zu nähern schienen, durch seinen Körper fuh¬ ren. Abgebrochen durch den Schmerz, aber ohne sein schönes Gesicht zu verziehen, sagte er zu Frie¬ drich: „Es war ein tiefes, weites, rosenrothes Meer, Dich sah ich darin auf dem Grunde immer¬ fort über hohe Gebirge gehen, ich sang die besten alten Lieder, die ich wußte, aber Du erinnertest Dich nicht mehr daran, und ich konnte Dich niemals erjagen, und unten stand der Alte tief im Mee¬ re, ich fürchtete mich vor seinen Augen. Manchmal ruhtest Du, auf mich zugewendet, aus, da saß ich still Dir gegenüber und sah Dich viel hundert Jah¬ re an — ach, ich war Dir so gut, so gut! — Die Leute sagten, ich sey verrückt, ich hörte es wohl und hörte auch draussen die Uhren schlagen und die Welt ordentlich gehen und schallen wie durch Glas, aber ich konnte nicht mit hinein. Da¬ mals war mir wohl, jetzt bin ich wieder krank. — Glaube nur nicht, daß ich jetzt irre spreche, jetzt weiß ich wohl recht gut, was ich rede und wo ich bin — daß ist ja der Eichgrund, das ist die alte Mühle — bey diesen Worten versank er in ein star¬ res Nachsinnen. Dann fuhr er unter immerwähren¬ den Krämpfen wieder fort: Dort, wo die Sonne aufgeh'n wird, ist ein großer Wald, in dem Walde wohnt ein Mann mit dunklen Augen und einer lan¬ gen Schramme über dem rechten Auge, der kennt mich und Euch alle, er —‟ hier nahmen die Zu¬ ckungen in immer engeren Kreisen auf einmal sehr heftig zu. Der Knabe nahm Friedrichs Hand, drück¬ te sie fest an seine Lippen und sagte: mein lieber Herr! Ein plötzlicher Krampf streckte noch einmal seinen ganzen Leib und er hörte auf zu athmen. Friedrich, ausser sich, stürzte über ihn her und öffnete oben schnell sein Wamms, denn es war die¬ selbe phantastische Kleidung, die der Knabe sonst auf dem Schlosse des Herrn v. A. getragen hatte. Wie sehr erschrack und erstaunte er, als ihm da der schönste Mädchenbusen entgegenschwoll, noch warm, aber nicht mehr schlagend. — Er blieb wie eingewurzelt auf seinen Knieen und starrte dem Mädchen in das stille Gesicht, als hätte er es noch nie vorher gesehen. Leontin und Julie waren unterdeß auch aus der Mühle herbeygeeilt. Sie schienen gar nicht er¬ staunt, Erwin hier zu sehen, noch weniger über die Entdeckung seines Geschlechts, sondern nur be¬ stürzt über seinen jetzigen, unerwarteten Zustand. In stummer Geschäftigkeit, ohne sich, wechselseitig zu erklären, waren alle nur bemüht, ihn ins Le¬ ben zurückzurufen — aber alles blieb vergebens, das schöne, seltsame Mädchen war todt. Julie hatte sie trostlos vor sich auf dem Schoo¬ ße liegen. Sie ruhte wie ein Engel still und schön. Kein Athem wehte mehr säuselnd durch die zarten, rothen Lippen, die sonst zu so wunderschö¬ nen Tönen sich aufthaten, ihre großen Augen, so lieblichwild, waren auf ewig verschlossen, nur eine einsame Nachtluft bewegte noch ihre Locken hin und her. Leontin und Friedrich sassen stillschweigend ge¬ genüber. Friedrich, dem jetzt auf einmal viele Son¬ derbarkeiten des Mädchens nur zu klar wurden, klagte sich in tiefem, stummen Schmerze bey sich selber an, daß er ihre zerstörende, verhaltene Liebe zu ihm so schlecht belohnt, daß er sie bey größerer Achtsamkeit hätte schonen und retten können. Während deß fieng jenseits über dem Walde der Morgen an zu dämmern und beleuchtete die seltsame Gruppe. Da kam plötzlich ein Bediente von dem Schlosse des Herrn v. A. angesprengt und brachte athemlos die Nachricht, daß ein feindlicher Offizier mit seinem Trupp in der Nähe herumstrei¬ fe, und ihnen, wie er eben von Bauern erfahren, auf der Spur sey. Die Bestürzung Aller über diese unerwartete Begebenheit war nicht gering. Leontin und Friedrich, die Ein Schicksal verfolgte, waren in diesem Augenblick noch ohne weiteren Plan; so viel war gewiß, daß Julie zum Vater zurückkehren, und das todte Mädchen mitnehmen mußte. Die Leiche wurde daher eiligst auf ein ledi¬ ges Handpferd gehoben. Dabey entdeckte Julie ein reichgefaßtes Medaillon, welches das Mädchen auf dem blossen Leibe hängen hatte und das sonst nie¬ mand jemals bey ihr bemerkt. Es war das Por¬ trait eines sehr schönen, etwa neunjährigen Mäd¬ chens. Sie nahm es ab und überreichte es Frie¬ drich'n. Sein Gesicht veränderte sich, als er den ersten Blick darauf warf; denn es waren die Züge der kleinen Angelina, mit der er als Kind so oft im Garten gespielt, und welcher, wie es ihm nun ganz klar wurde, das Kind Maria auf dem Heiligenbilde des verlassenen Gebirgsschlosses so auffallend ähnlich sah. Er betrachtete es lange gerührt und still¬ schweigend. Da fielen ihm die räthselhaften Worte wieder ein, die Erwin sterbend von dem Alten im Walde gesagt hatte. Er zweifelte nicht, daß dieser um Vieles wissen müsse, was ihnen Licht über das sonderbare Leben der Verstorbenen und ihrem Zu¬ sammenhang mit seiner eignen Kindheit geben kön¬ ne. Er erzählte es Leontinen. Dieser erschrack dar¬ über und wurde bey jedem Worte aufmerksamer; er schien den Alten selber schon gesehen zu haben, doch sagte er nicht, wann und wo. Die beyden Freunde beschlossen nun, jenen Winken Erwins zufolge, die Richtung nach dem be¬ schriebenen Walde hinzunehmen, um dort vielleicht eine erwünschte Auflösung zu erhalten, da überdieß jene Wildniß von Feinden rein, und der Weg Leontinen ziemlich bekannt war. Es wurde schnell alles vorbereitet. Sie nahmen herzlichen Abschied von Julien, mit dem Versprechen, einander so bald als möglich wiederzusehen, und Julie ritt nun mit ihrer süssen, traurigen Last, die sie in ihrer bunten Kleidung wie eine abgebrochene Blume auf einem Pferde neben sich herführte, von der einen Seite nach Hause, während sie von der anderen gegen Sonnenaufgang in den großen Wald fortzogen. Einundzwanzigstes Kapitel . Der Morgen stieg dampfend aus den Wäldern, als die beyden Grafen schon ferne über einen ein¬ samen Wiesengrund hinritten, der seltsamen Ereig¬ nisse dieser Nacht gedenkend. Der Weg war für jeden Fremdling fast ungangbar, die Entfernung, die sie in den wenigen Stunden zurückgelegt, ziem¬ lich beträchtlich, sie konnten schon langsamer und gemächlicher zieh'n. Da erzählte Leontin Friedrich'n Folgendes: Es war ein schöner Sommermorgen, da Julie in ihrem Schlafzimmer, das, wie Du weißt, auf den Garten hinausgeht, noch schlummerte, als sie draussen von einer bekannten Stimme mit einem be¬ kannten Liede geweckt wurde. Sie trat in den Garten hinaus und sah Erwin, der wieder auf der Blumenterrasse saß und in das glänzende Land hin¬ aussang. Mit pochendem Herzen flog sie zu ihm und fragte ihn nach seinen Herren. Der Knabe sah sie aber starr an, er war blaß und seltsam verwil¬ dert im Gesichte, und aus seinen verwirrten Ant¬ worten bemerkte sie bald mit Schrecken, daß er verrückt sey. — In solchem Gemüthszustande hatte er uns nemlich in jener Nacht auf dem Rheine so unbegreiflich verlassen, und auf unzähligen Umwe¬ gen zu dem Schlosse des Herrn v. A. sich geflüch¬ tet, wahrscheinlich aus Eifersucht, denn die beyden Jäger, die wir damals in der alten Burg trafen, und die dann mit uns auf dem Rheine fuhren, waren, wie ich nachher erfuhr, niemand anders als Romana und meine Schwester Rosa, welche Erwin bey dem schnellen Lichte des Blitzes, gleichwie mit schärferen Sinnen, plötzlich erkannt hatte. — Frie¬ drich verwunderte sich hier über die gewagte Klei¬ dung der beyden Weiber und beklagte das unglück¬ liche Ohngefähr, indem ihm dabey alles, was in jener Nacht vorgegangen, wieder erinnerlich ward. — Leontin fuhr fort: Erwin verrieth durch seine jetzige verwirrte Unachtsamkeit gar bald sein Ge¬ schlecht und seine tiefe und unüberwindliche Neigung zu Dir. Das unglückliche Mädchen sang sehr viel und ihre Lieder zeigten oft eine zeitig aufgereitzte und heimlich genährte heftige Sinnlichkeit. Von ihrem frühesten Leben war auch jetzt nicht das min¬ deste herauszukriegen. Julie bot alles auf, sie zu retten. Sie nannte sie Erwin, gab ihr Frauenzim¬ merkleider, suchte überhaupt alles erinnernde Phan¬ tastische aus ihrer Lebensweise zu entfernen und taufte sie so, nach dem gewöhnlichen Verfahren in solchen Fällen, in gemeingültige Prosa. Das Mäd¬ chen wurde dadurch auch stiller, aber es war eine wahre Grabesstille, von der sie sich nur manchmal im Gesange wieder zu erholen schien. So traf ich sie, als ich verwundet auf dem Schlosse ankam. Mein erster Anblick verdarb auf einmal wieder viel an ihr, doch nur vorübergehend. Viel heftiger, und uns allen unerklärlich aber er¬ schütterte sie der Anblick der alten Mühle, wohin wir sie mitnahmen, als ich hingebracht wurde; sie zitterte am ganzen Leibe. Julie nahm sie daher künftig niemals mehr mit dorthin. Gestern aber war sie Ihr heimlich nachgeschlichen, und sie war es, die Du im weißen Gewande singend vor der Mühle trafst. Wir waren in nicht geringer Be¬ sorgniß, daß sie Dich nicht so plötzlich wiedersähe, und Julie schickte sie daher heimlich mit dem Be¬ dienten sogleich wieder auf das Schloß zurück. Dort muß sie aber in der Nacht ihrer alten Knabentracht habhaft geworden und noch einmal entwichen seyn. Der Schluß von Leontins Erzählung bestättigte Friedrichs Ahnung, daß Erwin wirklich dasselbe Mädchen seyn müsse, das ihm damals in jener fürchterlichen Nacht in der Mühle Feuer gemacht und hinaufgeleuchtet hatte, womit auch ihre schon bemerkte Aehnlichkeit vollkommen übereinstimmte. Er versank darüber in Gedanken und sie beschleunigten beyde stillschweigend wieder ihre Reise. Gegen Abend erblickten sie auf einmal von ei¬ ner Höhe fern unten die Kuppeln der Residenz. Ein von plötzlichem Regen angeschwollener Gebirgs¬ bach hinderte sie zugleich, ihren Weg in der bishe¬ rigen Richtung fortzusetzen. Sie blieben eine Weile unentschlossen stehen. Die Dämmerung fieng indeß an, sich niederzusenken, da bemerkten sie mit Ver¬ wun¬ wunderung Feuerblicke und schnell entstehende und wieder verschwindende Sterne in der Gegend der Residenz, die sie für Raketen hielten. Das sieht recht lustig aus, sagte Leontin. Hier können wir ohnedieß nicht weiter, laß uns einen Streifzug dorthinaus wagen und sehen, was es in der Stadt giebt. Wir kommen wohl in der Dunkelheit uner¬ kannt durch und sind, ehe der Tag anbricht, wieder im Gebirge. — Friedrich willigte ein, und so zogen sie in's Thal hinunter. Noch vor Mitternacht langten sie vor der Re¬ sidenz an. Der ganze Kreis der Stadt war bis zu den höchsten Thurmspitzen hinauf erleuchtet und lag mit seinen unzähligen Fenstern wie eine Feeninsel in der stillen Nacht vor ihnen. Sie hatten die Kühn¬ heit bis ins Thor hineinzureiten. Ein verworrener Schwall von Musik und Lichtern quoll ihnen da ent¬ gegen. Herren und Damen wandelten, wie am Tage, geputzt durch die Gassen, unzählige Wagen mit Fackeln tosten dazwischen, sich mannigfaltig durchkreuzend, eine fröhliche Menge schwärmte hin und her. — Nun, was giebt's denn hier noch für eine rasende Freude? fragte Leontin endlich einen Handwerksmann, der, ein Schurzfell um den Leib, und ein Glas Brandtwein hoch in der Hand, un¬ aufhörlich Vivat rief. Der Mann machte eine ver¬ teufelt pfiffige Miene und hätte gern die Unwissen¬ heit der beyden Fremden tüchtig abgeführt, wenn ihm nicht eben sein Witz versagt hätte. Endlich 25 sagte er: der Erbprinz hält heute Hochzeit mit der schönen Gräfin Rosa. Wer will mir da den Brandt¬ wein verbieten! Mag der Gräfin voriger Bräuti¬ gam Wasser sauffen, denn er ist lange todt, und Ihr Bruder mit den Engeln Milch und Honig trin¬ ken, denn er treibt sich in allen Wäldern herum. Hol' der Teufel alle Ruhestörer! Friede! Friede! Es leben alle Patrioten, Vivat hoch! — So tau¬ melte der Brandtweinzapf wieder weiter. Die beyden Grafen sahen einander verwundert an. An Friedrichs Brust schallte die Neuigkeit ziemlich gleichgültig vorüber. Er hatte Rosa'n längst aufgegeben. Seine Phantasie, die Liebes¬ kupplerin, war seitdem von grösseren Bildern durch¬ drungen, alle die hellen Quellen seiner irdischen Lie¬ be waren in Einen grossen, ruhigen Strom gesam¬ melt, der andere Wünsche und Hoffnungen zu einem anderen Geliebten trug. — Ein Bürger, der ihr Gespräch mit dem Be¬ trunkenen mit angehört hatte, war unterdeß zu ihnen getreten und sagte: Es ist alles wahr, was der Kerl da so konfus vorgebracht. Die Gräfin Rosa hatte wirklich vorher schon einen Grafen zum Liebhaber. Der ist aber im Kriege geblieben, und es ist gut für ihn, denn er ist mit Lehn und Habe dem Staate verfallen. Der Bruder der Gräfin ebenfalls, aber wir wissen von sicherer Hand, daß man gegen diesen nicht streng verfahren wird und ihm gern verzeihen möchte, wenn er nur zurückkä¬ me und Reue und Besserung verspüren lassen woll¬ te. — Leontin lachte bey diesen Worten laut auf und gab seinem Pferde die Sporen. Frischauf! sagte er zu Friedrich, ich ziehe mit den Todten, da die Lebendigen so abgestanden sind! Ich mag keinen von ihnen mehr wiedersehen, kommen wir wieder zurück auf unsere grünen Freiheitsburgen! Sie waren indeß an das fürstliche Schloß ge¬ kommen. Tanzmusik schallte aus den hellen Fen¬ stern. Eine Menge Volks war unten versammelt und gebährdete sich wie unsinnig vor Entzücken. Denn Rosa zeigte sich eben an der Seite ihres Bräutigams am Fenster. Man konnte sie deutlich sehen. Ihre blendende Schönheit, mit einem reichen Diadem von Edelsteinen geschmückt, funkelte und blitzte bey den vielen Lichtern manches Herz unten zu Asche. — So hatte sie ihr höchstes Ziel, die weltliche Pracht und Herrlichkeit erreicht. — Sie taugte niemals viel, Weltfutter, nichts als Welt¬ futter! schimpfte Leontin ärgerlich immerfort. Frie¬ drich drückte den Hut tief in die Augen und so zo¬ gen die beyden dunklen Gestalten einsam durch den Jubel hindurch, zum Thore hinaus und wieder in die Berge zurück. Nach mehreren einsamen Tagereisen, wobey auch die schönen Nächte zu Hülfe genommen wur¬ den, kamen sie endlich immer höher auf das Ge¬ birge. Die Gegend wurde immer größer und ern¬ 25 * ster, kaum noch lagen mehr einzelne Hirtenhütten in den tiefen dunkelgrünen Schluften hin und her zerstreut, es war eine gränzenlose Einsamkeit, ne¬ benaus oft Streifen von unermeßlicher Aussicht. Ihre Herzen wurden wieder stark und weit und voll kühler Freudenquellen. Da erblickten sie sehr unerwartet mitten in der Wildniß einen niedrigen, zierlichen Zaun von wei¬ ßem Birkenholz, dem es ordentlich Mühe zu kosten schien, die wilde Freyheit der Natur, die überall ihre grünen, festen Arme, wie zum Spotte, unge¬ zogen durchstreckte, im Zaum zu halten. Sie lach¬ ten einander beyde bey dem ersten Anblicke an, denn überraschender konnte ihnen nichts kommen, als gar eine moderne englische Anlage in dieser menschenleeren Gegend. Sie ritten längs des Zau¬ nes hin, aber nirgends war die geringste Spur ei¬ nes Einganges. Sie wußten wohl, daß sie bereits in dem großen Walde seyn mußten, den Erwine sterbend meynte, auch waren sie nach der langen Tagereise begierig, endlich einmal Menschen, Speiß und Trank wiederzufinden, sie banden daher ihre Pferde an und sprengten über den Zaun hinein. Ein niedlicher Schlangenpfad, mit weißem Sande ausgestreut, führte sie dort bis an ein gro¬ ßes, dichtes Gebüsch von meist ausländischen Sträu¬ chern, wo er sich plötzlich in zwey Arme theilte. Sie schlugen nun jeder für sich allein einen dersel¬ ben ein, um so desto eher zu einer erwünschten Entdeckung zu gelangen. Doch diese schmalen Pfa¬ de giengen seltsam genug in einem ewigen Kreise immerfort um sich selber herum, so daß die beyden Grafen, je emsiger sie zuschritten, zwar immer ganz nahe blieben, aber einander niemals erjagen oder zusammenkommen konnten. Einigemal, wo die Gänge sich plötzlich durchkreuzten, stießen sie un¬ verhofft aneinander, trennten sich von neuem, und standen endlich, nachdem sie sich beynah müde ge¬ irrt, auf einmal wieder vor dem Zaune, an dem¬ selben Orte, wo sie ausgelaufen waren. Sie lachten und ärgerten sich zugleich über den sinnreichen Einfall. Doch machte sie diese kleine Probe aufmerksam und neugieriger auf die ganze sonderbare Anlage. Sie nahmen daher noch einmal einen beherzten Anlauf und drangen nun mitten durch das dicke Gehege grad hindurch. Da kamen sie bald auf einen freyen Platz zu einem Gebäude. Ihre Augen konnten sich bey dem ersten verwirren¬ den Anblick durchaus nicht aus dem labyrinthischen, höchstabentheuerlichen Gemisch dieses Tempels her¬ ausfinden, so unförmlich, obgleich klein, war alles über- und durcheinander gebaut. Den Hauptein¬ gang nemlich bildete ein griechischer Tempel mit zierlichem Säulenportal, welches sehr komisch aus¬ sah, da alles überaus niedlich und nur aus ange¬ strichenem Holze war. Sie traten hinein und fan¬ den in der Halle einen hölzernen Apollo, der die Geige strich und dem der Kopf fehlte, weil nicht mehr Raum genug dazu übriggeblieben war. Gleich aus dem Tempel trat man in einen geschmackvollen Kuhstall nebst einer vollständigen holländischen Mayerey in der neuesten Manier, aber alles leer. Ueber der Mayerey hieng wie ein Bienenkorb eine Art von schwebender Einsiedeley. Den zweiten Ein¬ gang bildete ein viereckiger Thurm, wie bey den al¬ ten Burgen, der eine Ruine vorstellen sollte, und auf dessen Mauer hin und her Blumentöpfe mit Moos umherstanden. Ueber das ganze Gemisch hinweg endlich erhob sich ein feingeschnitztes, bun¬ tes, chinesisches Thürmchen, an welchem unzählige Glöcklein im Winde musizirten. Unter diesem Thürmchen in dem innersten Gemache saß immitten des getäfelten Bodens ein unförmlicher, kleiner Chinese von Porzellain mit untergeschlagenen Bei¬ nen und dickem Bauche und wackelte einsam fort mit dem breiten Kahlkopfe, als der einzige Bewoh¬ ner seines unsinnigen Pallastes. Nein, das ist zu toll! sagte Leontin, was gäb' ich d'rum, wenn wir den Phantasten von Baumei¬ ster noch selber in seinem Zauberneste überraschten! Das ist ja ein wahrer Surrogat-Tempel für alle Geschmäcke auf Erden. Während deß waren sie endlich in dem letzten Gemache des Gebäudes angekommen, welches mit großen goldenen Buchstaben: „Gesellschafts-Saal“ überschrieben war. Sie erstaunten auch wirklich beym Eintritt nicht wenig über die ungeheuere Gesellschaft, denn Wände und Decke bestanden daselbst aus künstlich-geschliffenen Spiegeln, die ihre Gestalten auf einmal ins Unendliche vervielfältigten. Ihr Kopf war ganz überfüllt und verwirrt von dem Gesehenen. Kein Mensch war in der weiten Run¬ de zu hören, es grauste ihnen fast, länger in die¬ ser Verrückung so einsam zu verweilen und sie be¬ gaben sich daher schnell wieder ins Freye. Sie durchstrichen darauf noch den anderen Theil des Parks, der auf die alltäglichste Art mit Trauerweiden, Baumgruppchen, Brückchen u. s. w. angefüllt war. Auch die üblichen Aushängetafeln mit Inschriften waren im Ueberfluß vorhanden, nur mit dem Unterschiede, daß hier alle von einer unge¬ heueren Länge und Breite waren, so daß sie die jungen Bäume, an denen sie befestiget, fast bis auf die Erde herunterzogen. Unsere Reisenden ver¬ weilten verwundert hin und wieder, und lasen un¬ ter andern: „Wachsen, Blühen, Staubwerden.“ — Gleich daneben stand auf einer anderen Tafel die erste Strophe von: „Freut euch des Lebens!“ u. s. w., nebst einigen Zotten. So von groben Bäumen verfolgt, waren sie endlich am anderen Ende des sonderbaren Parks angekommen, wo derselbe wieder durch ein niedli¬ ches Zäunchen von dem Walde geschieden war. Noch eine ungeheuere Inschrift begrüßte sie dort folgendermaßen: „Gefühlvoller Wanderer! stehe still und vergieße einige Thränen über deine Narr¬ heit!“ Darunter stand nur noch halbleserlich mit Bleystift geschrieben: „und dann kehre wieder um, denn mir bist du doch nur langweilig.“ Nicht ohne Bedeutung, wie es schien, stieß diese letzte Partie des Gartens, welche besonders kleinlich aus aller¬ ley Zwergbäumchen nebst einem kaum bemerkbaren Wasserfalle bestand, auf einmal an den dunkelgrü¬ nen Saum des Hochwaldes. Zwischen Felsen stürz¬ te dort ein einsamer Strom grad hinab, als wollte er den ganzen Garten vernichten, wandte sich dann am Fuß der Höhe plötzlich, wie aus Verachtung, wieder seitwärts in den Wald zurück, dessen ern¬ stes, ewiggleiches Rauschen gegen die unruhig phan¬ tastische Spielerey der Gartenanlage fast schmerzlich abstach, so daß die beyden Freunde überrascht still standen. Sie sehnten sich recht in die große, ruhi¬ ge, kühle Pracht hinaus und athmeten erst frey, als sie wirklich endlich wieder zu Pferde sassen. Während sie sich so über das Gesehene bespra¬ chen, verwundert, keine menschliche Wohnung rings¬ um zu erblicken, fieng indeß die Gegend an etwas lieblicher und milder zu werden. Vor ihnen erhob sich ein freundlicher, bis an den Gipfel mit Laub¬ wald bedeckter Berg aus dem dunkelzackigen Chaos von Gebirgen. Hinter dem Berge schien es nach der einen Seite hin auf einmal freyer zu werden und versprach eine große Aussicht. Sie zogen lang¬ sam ihres Weges fort, der Himmel war unbe¬ schreiblich heiter, der Abend sank schon hernieder und spielte mit seinen letzten Strahlen lustig in dem lichten Grün des Berges vor ihnen. Friedrich hat¬ te lange unverwandt in die Gegend vor sich hinaus¬ gesehen, dann hielt er plötzlich an und sagte: Ich weiß nicht, wie mir ist, diese Aussicht ist mir so altbekannt, und doch war ich so lange ich lebe nicht hier. — Je weiter sie kamen, je erinnernder und sehn¬ süchtiger sprach jede Stelle zu ihm; oft verwan¬ delte sich auf einmal alles wieder, ein Baum, ein Hügel legte sich fremd vor seine Aussicht wie in eine uralte, wehmüthige Zeit, doch konnte er sich durchaus nicht besinnen. So hatten sie nach und nach den Gipfel des Berges erreicht. Freudig überrascht standen sie bey¬ de still, denn eine überschwengliche Aussicht über Städte, Ströme und Wälder, so weit die Blicke in das fröhlichbunte Reich hinauslangten, lag un¬ ermeßlich unter ihnen. Da erinnerte sich Friedrich auf einmal; das ist ja meine Heimath! rief er, mit ganzer Seele in die Aussicht versenkt. Was ich sehe, hier und in die Runde, alles gemahnt mich wie ein Zauberspiegel an den Ort, wo ich als Kind aufwuchs! Derselbe Wald, dieselbe Gänge — nur das schöne alterthümliche Schloß finde ich nicht wieder auf dem Berge. — Sie stiegen weiter und erblickten wirklich auf dem Gipfel im Gebüsche die Ruinen eines alten, verfallenen Schlosses. Sie kletterten über die um¬ hergeworfenen Steine hinein, und erstaunten nicht wenig, als sie dort ein steinernes Grabmal fanden, das ihnen durch seine Schönheit sowohl, als durch seine mannigfaltige Bedeutsamkeit auffiel. Es stell¬ te nemlich eine junge, schöne, fast wollüstiggebaute weibliche Figur vor, die todt über den Steinen lag. Ihre Arme waren mit künstlichen Spangen, ihr Haupt mit Pfauenfedern geschmückt. Eine gro¬ ße Schlange, mit einem Krönlein auf dem Kopfe, hatte sich ihr dreymal um den Leib geschlungen. Neben und zum Theil über dem schönen Leichnam lag ein altgeformtes Schwerdt, in der Mitte ent¬ zweygesprungen und ein zerbrochenes Wappen. Aus dieser Gruppe erhob sich ein hohes, einfaches Kreutz, mit seinem Fuße die Schlange erdrückend. Friedrich traute seinen Augen kaum, da er bey genauerer Betrachtung auf dem zerbrochenen Schil¬ de sein eigenes Familien-Wappen erkannte. Seine Augen fielen dabey noch einmal aufmerksamer auf die weibliche Gestalt, deren Gesicht so eben von einem glühenden Abendstrahle hell beleuchtet wurde. Er erschrack und wußte doch nicht, warum ihn die¬ se Mienen so wunderbar anzogen. Endlich nahm er das kleine Portrait hervor, das sie auf Erwi¬ nens Brust gefunden hatten. Es waren dieselben Züge, es war das schöne Kind, mit dem er da¬ mals in dem Blumengarten seiner Heimath gespielt; nur das Leben schien seitdem viele Züge verwischt und seltsam entfremdet zu haben. Ein wehmüthiger Strom von Erinnerung zog da durch seine Seele, dem er kaum mehr in jenes frühste, helldunkle Wunderland nachzufolgen vermochte. Er fühlte schaudernd seinen eignen Lebenslauf in den geheim¬ nißvollen Kreis dieser Berge mit hineingezogen. Er setzte sich voller Gedanken auf das steinerne Grabmal und sah in die Thäler hinunter, wie die Welt da nur noch in einzelnen, großen Farbenmas¬ sen durcheinanderarbeitete, in welche Thürme und Dörfer langsam versanken, bis es dann stille wurde wie über einem beruhigten Meere. Nur das Kreutz auf ihrem Berge oben funkelte noch lange golden fort. Da hörten sie auf einmal hinter ihnen eine Schalmey über die Berge wehen; die Töne blie¬ ben oft in weiter Ferne aus, dann brachen sie auf einmal wieder mit neuer Gewalt durch die ziehen¬ den Wolken herüber. Sie sprangen freudig auf. Sie zweifelten längst nicht mehr, daß sie sich in dem Gebiete des sonderbaren Mannes befänden, zu dem sie von Erwin hingewiesen worden. Um desto willkommener war es ihnen, endlich einen Menschen zu finden, der ihnen aus diesem wunderbaren La¬ byrinthe heraushälfe, in dem ihre Augen so wie Gedanken verwirrt und verlohren waren. Sie be¬ stiegen daher schnell ihre Pferde und ritten jenen Klängen nach. Die Töne führten sie immerfort bergan zu ei¬ ner ungeheueren Höhe, die immer öder und ver¬ lassener wurde. Ganz oben erblickten sie endlich ei¬ nen Hirten, welcher, auf der Schalmey blasend, seine Heerde in der Dämmerung vor sich her nach Hause trieb. Sie grüßten ihn, er dankte und sah sie ruhig und lange von oben bis unten an. Wem dient ihr? fragte Leontin — Dem Grafen. — Wo wohnt der Graf? — Dort rechts auf dem letzten Berge in seinem Schlosse. — Wer liegt dort, fuhr Leontin fort, auf der grünen Höhe unter den stei¬ nernen Figuren begraben? — Der Hirt sah ihn an und antwortete nicht; er wußte nichts davon und war noch niemals dort hinabgekommen. — Sie rit¬ ten langsam neben ihm her, da erzählte er ihnen, wie auch er weit von hier in den Thälern geboh¬ ren und aufgewachsen sey, aber das ist lange her, sagte er, und weiß nicht mehr, wie es unten aus¬ sieht. Darauf wünschte er ihnen eine gute Nacht, nahm seine Schalmey wieder vor und lenkte links in das Gebirge hinein. — Sie blickten rings um sich, es war eine weite, kahle Haide und die Aus¬ sicht zwischen den einzelnen Fichten, die hin und her zerstreut standen, unbeschreiblich einsam, als wäre die Welt zu Ende. Es wurde ihnen Angst und weh an dem Orte. Sie gaben ihren Pferden die Sporen und schlugen rechts den Weg ein, den ihnen der einsylbige Hirt zu dem Schlosse des Gra¬ fen angezeigt hatte. Es war indeß völlig dunkel geworden. Die Gegend wurde noch immer höher, die Luft schär¬ fer; sie wickelten sich fest in ihre Mäntel ein und ritten schnell fort. Da erblickten sie endlich auf dem höchsten Gipfel des Gebirges das verheissene Schloß. Es war, soviel sie in der Dunkelheit unterscheiden konnten, weitläuftig gebaut und alt. Der Weg führte sie von selbst durch ein dunkles Bogenthor in den alterthümlichen, gepflasterten Hof, in dessen Mitte sich ein großer Baum über einem steinernen Springbrunnen wölbte. Das erste, das ihnen dort auffiel, war ein seltsamer Mensch, mit einem langen, breiten Talar über den Achseln, einer Art von Krone, die etwas schief auf dem Kopfe saß, und einem langen Hir¬ tenstabe in der Hand. Er näherte sich ihnen ein wenig, kehrte sich dann stolz wieder um und gieng mit einem feyerlich abgemessenen Schwebetritt lang¬ sam über den Hof, wobey der breite Mantel, wie der Schweif eines sich aufblähenden kalekuttischen Hahnes, hinter ihm dreinrauschte. Ein alter Mann war unterdeß heruntergekommen, und sagte den beyden Gästen, sein Graf sey nicht zu Hause, bat sie aber abzusteigen. Sie hatten die Augen noch auf jene vorüberschwebende Figur gerichtet, und fragten erstaunt, was das zu bedeuten habe? Er sucht den Karfunkelstein, sagte der Alte trocken und führte ihre Pferde ab. Ein junger Mensch, der sich inzwischen mit ei¬ nem Lichte eingefunden hatte, bat sie, ihm zu fol¬ gen, und führte sie stillschweigend über verschiedene Wendeltreppen und einen langen Bogengang in ein großes, gothischgewölbtes Gemach mit zwey Him¬ melbetten, ein Paar großen, altmodischen Stühlen und einem ungeheueren runden Tische in der Mitte. Sie bemerkten mit Verwunderung, daß er ein le¬ dernes Reiterwamms trug und seine ganze Tracht überhaupt altdeutsch sey. Seine blonden Haare hat¬ te er über der Stirne gescheitelt und in schönen Lo¬ cken über die Schultern herabhängend. Er setzte das Licht auf den Tisch und fragte sie, wann sie wieder weiter zu ziehen gedächten? Ach, fügte er hinzu, ohne erst ihre Antwort abzu¬ warten, ach, könnt' ich mitzieh'n! — Und wer hält Euch denn hier? fragte Leontin. — Es ist meine eigne Unwürdigkeit, entgegnete jener wieder, wohl fehlt mir noch viel zu der ehrenfesten Gesin¬ nung, zu der Andacht und der beständigen Begei¬ sterung, um der Welt wieder einmal Luft zum Himmel zu hauen. Ich bin geringe und noch kein Ritter, aber ich hoffe es durch fleissige Tugendübung mit Gottes Gnade zu werden und gegen die Hey¬ den hinauszuzieh'n. Denn die Welt wimmelt wie¬ der von Heyden. Die Burgen sind geschleift, die Wälder ausgehauen, alle Wunder haben Abschied genommen, und die Erde schämt sich recht in ihrer fahlen, leeren Nacktheit vor dem Kruzifixe, wo noch eines einsam auf dem Felde steht; aber die Heyden handthieren und gehen hochmüthig vorüber und schämen sich nicht. — Er sprach dieß mit einer wirk¬ lich rührenden Demuth, doch selbst in der steigen¬ den Begeisterung, in die er sich bey den letzten Worten hineingesprochen hatte, blieb etwas modern fades in seinen Zügen zurück. Leontin faßte ihn bey der Hand und wußte nicht, was er aus ihm machen sollte, denn für einen Menschen, der seine ordentliche Vernunft besitzt, hatte er ihm doch bey¬ nah zu gescheid gesprochen. Unterdeß hatte sich der Ritter nachlässig in ei¬ nen Stuhl geworfen, zog eine Lorgnette unter dem Wamms hervor, betrachtete die beyden Grafen flüchtig und sagte, seine letzten Worte wohlgefällig wiederholend: „aber die Heyden gehen vorüber und schämen sich nicht“ —. Recht gut gesagt, nicht wahr, recht gut? — Beyde sahen ihn erstaunt an. — Er lorgnirte sie von neuem. Aber ihr seyd doch recht einfältig, fuhr er darauf lachend fort, daß ihr das alles eigentlich so für baaren Ernst nehmt! Ihr seyd wohl noch niemals in Berlin ge¬ wesen? Seht, ich möchte wohl eigentlich ein Rit¬ ter seyn, aber, aufrichtig gesprochen, das ist doch im Grunde alles närrisches Zeug, welcher gescheide Mensch wird im Ernste an so etwas glauben! Ue¬ berdieß wäre es auch schrecklich langweilig, so stren¬ ge auf Tugend und Ehre zu halten. Ich versichere Euch aber, ich bin wohl eigentlich ein Ritter, aber ihr faßt das nur nicht, ihr anderen Leute, ich hal¬ te aus ganzer Seele gleichsam auf die alte Ehre, aber seht, das ist ganz anders zu verstehen — das ist — aber ihr versteht mich doch nicht — das ist — hiebey schien er verwirrt und zerstreut zu werden. Er zog sein Ritterwamms vom Leibe und erschien auf einmal in einem überaus modernen Neglig: vom feinsten, weißen Perkal, von dem er mit vie¬ ler Grazie hin und wieder die Staubfleckchen abzu¬ klopfen und wegzublasen bemüht war. Nach einer Weile nahm er das Augenglas wieder vor und musterte die beyden Fremden, si c h vornehm auf dem Sessel hin und herschaukelnd. Bey welchem Schneider lassen Sie arbeiten? sagte er endlich. Dann stand er auf und befühlte ihre Hemden an der Brust. Aber, mein Gott! wie kann man so etwas tragen? sagte er, bon soir, bon soir, mes amis! Hiemit gieng er, laut ein fran¬ zösisches Liedchen trellernd, ab. In der Thüre be¬ gegnete er einem Mädchen, das eben mit einem Korb voll Erfrischungen heraufkam. Er nahm sie sogleich in den Arm und wollte sie küssen. Sie schien aber keinen Spaß zu verstehen und warf den Ritter, wie sie an dem Gepolter wahrnehmen konn¬ ten, ziemlich unsanft die Stiege hinab. Nun wahrhaftig, sagte Friedrich, hier geht es lustig zu, ich sehe nur, wann wir beyde selber an¬ fangen, mit verrückt zu werden. — Mir war bey dem Kerl zu Muthe, meynte Leontin, als sollten wir ihn hundemässig durchprügeln. Das Mädchen hatte unterdeß, ohne ein Wort zu sprechen, mit unglaublicher Geschwindigkeit den Tisch gedeckt und Essen aufgetragen. Ihre Hast fiel ihnen auf, sie betrachteten sie genauer und er¬ schracken beyde, als sie in ihr die verlohrene Marie erkannten. Sie war Leichenblaß, ihr schönes Haar war seltsam aufgeputzt und phantastisch mit bunten Federn und Flitter geschmückt. Der überraschte Leontin nahm sie sanftstreichelnd bey dem weichen, vollen Arme und sah ihr in die sonst so frischen Au¬ gen, die er seit ihrem Abschiede auf der Gebirgs¬ reise reise nicht wiedergesehen hatte. Sie aber wand die Hand los, legte den Finger geheimnißvoll auf den Mund und war so im Augenblicke zur Thür hinaus. Vergebens eilten und riefen sie ihr nach, sie war gleich einer Lazerte zwischen dem alten Gemäuer verschwunden. Beyde hatte dieses unerwartete Begegniß sehr bewegt. Sie lehnten sich in das Fenster und sahen über die Wälder hinaus, die der Mond herrlich be¬ leuchtete. Leontin wurde immer stiller. Endlich sagte er: es ist doch seltsam, wie gegenwärtig mir hier eine Begebenheit wird, die mich einst heftig erschütterte; und ich täusche mich nicht, daß ich hier endlich eine Auflösung darüber erhalten werde. Frie¬ drich bat ihn, sie ihm mitzutheilen, und Leontin erzählte: Ich hatte einst ein Liebchen hinter dem Walde bey meinem Schlosse, ein gutes, herziges, verlieb¬ tes Ding. Ich ritt gewöhnlich spät Abends zu ihr, und sie litt mich wohl manchmal über Nacht. Ei¬ nes Abends, da ich eben auch hinkomme, sieht sie ungewöhnlich blaß und ernsthaft und empfängt mich fast feyerlich, ohne mir wie sonst um den Hals zu fallen. Doch schien sie mehr traurig als schmollend. Wir giengen an dem Teiche spazieren, der bey ihrem Häuschen lag, wo sie mit ihrer Mutter ein¬ sam wohnte; da sagte sie mir: ich sey ja gestern Abends noch sehr spät bey ihr gewesen, und da sie mich küssen wollen, hätte ich sie ermahnt, lieber 26 Gott als die Männer zu lieben, darauf hätte ich noch eine Weile sehr streng und ernsthaft mit ihr gesprochen, wovon sie aber nur wenig verstanden, und wäre dann ohne Abschied fortgegangen. — Ich erschrack nicht wenig über diese Rede, denn ich war jenen Abend nicht von meinem Schlosse weggekommen. Während sie noch so erzählte, be¬ merkte ich, daß sie plötzlich blaß wurde und starr auf einen Fleck im Walde hinsah. Ich konnte nir¬ gends etwas erblicken, aber Sie fiel auf einmal für todt auf die Erde. — Als sie sich zu Hause, wohin ich sie gebracht, nach einiger Zeit wieder erholt hatte, schien sie sich ordentlich vor mir zu fürchten und bat mich in ei¬ ner sonderbaren Gemüthsbewegung, niemals mehr wieder kommen. Ich mußt' es ihr versprechen, um sie einigermassen zu beruhigen. Demohngeachtet trieb mich die Besorgniß um das Mädchen und die Neugierde den folgenden Abend wieder hinaus, um wenigstens von der Mutter etwas zu erfahren. Es war schon ziemlich spät, der Mond schien wie heute. Als ich in dem Walde, durch den ich hindurch mußte, eben auf einem etwas freyen, mondhellen Platz herumbeuge, steigt auf einmal mein Pferd und mein eignes Haar vom Kopf in die Höh'. Denn einige Schritt' vor mir, lang und unbeweglich an einem Baume, stehe Ich selber leib¬ haftig. Mir fiel dabey ein, was das Mädchen ge¬ stern sagte; mir grauste durch Mark und Bein bey dem gräßlichen Anblick. Darauf faßte mich, ich weiß selbst nicht wie, ein seltsamer Zorn, das Phantom zu vernichten, das immer unbeweglich auf mich sah. Ich spornte mein Pferd, aber es stieg schnaubend in die Höh und wollte nicht d'ran. Die Angst steckte mich am Ende mit an, ich konnte es nicht aushalten, länger hinzuseh'n, mein Pferd kehr¬ te unaufhaltsam um, eine unbeschreibliche Furcht be¬ mächtigte sich seiner und meiner, und so gieng es Windschnell durch Sträucher und Hecken, daß die Aeste mich hin und her blutig schlugen, bis wir beyde athemlos wieder bey dem Schlosse anlangten. Das war jener Abend vor unserer Gebirgsreise, da ich so wild und ungebährdet that, als Du mit Fa¬ ber ruhig am Tisch auf der Wiese sassest. — Spä¬ ter erfuhr ich, daß das Mädchen denselben Abend um dieselbe Stunde gestorben sey. — Und so wolle Gott jeden Schnapphan kuriren, denn ich habe mich seitdem gebessert, das kann ich redlich sagen! Friedrich erinnerte sich bey dieser wunderlichen Geschichte an eine Nacht auf Leontins Schlosse, wie er Erwinen einmal von der Mauer sich mit einem fremden Manne unterhalten gehört, und dann ei¬ nen langen, dunklen Schatten von ihm in den Wald hineingeh'n gesehen hatte. — Allerdings, sag¬ te Leontin, habe ich selber einmal dergleichen be¬ merkt, und es kam mir zu meinem Erstaunen vor, als wäre es dieselbe Gestalt, die mir im Walde er¬ schienen. Aber Du weißt, wie geheimnißvoll Erwi¬ 26 * ne immer war und blieb; doch soviel wird mir, nach verschiedenen flüchtigen Aeusserungen von ihr, immer wahrscheinlicher, daß dieses Bild hier in die¬ sem Walde spucke oder lebe, es sey nun, was es wolle. — Ich weiß nicht, ob Du noch unseres Be¬ suches auf dem Schlosse der Frau v. A. gedenkest. Dort sah ich ein altes Ritterbild, vor dem ich au¬ genblicklich zurückfuhr. Denn es war offenbar sein Portrait. Es waren meine eignen Züge nur et¬ was älter und einen fremden Zug auf der Stirne über den Augen. — Während Leontin noch so sprach, hörten sie auf einmal ein Geräusch auf dem Hofe unten und ein Reiter sprengte durch das Thor herein; mehre¬ re Windlichter füllten sogleich den Platz, in deren über die Mauern hinschweifenden Scheinen sich alle Figuren nur noch dunkler ausnahmen. Er ist's! rief Leontin. — Der Reiter, welcher der Herr des Schlosses zu seyn schien, stieg schnell ab und gieng hinein, die Windlichter verschwanden mit ihm und es war plötzlich wieder dunkel und stille wie vorher. Leontin war sehr bewegt, sie beyde blieben noch lange voll Erwartung am Fenster, aber es rührte sich nichts im Schlosse. Ermüdet warfen sie sich endlich auf die großen, altmodischen Betten, um den Tag zu erwarten, aber sie konnten nicht einschlafen, denn der Wind knarrte und pfiff unauf¬ hörlich an den Wetterhähnen und Pfeilern des al¬ ten, weitläufigen Schlosses, und ein seltsames Sau¬ sen, das nicht vom Walde herzukommen schien, son¬ dern wie ferner Wellenschlag tönte, brauste die ganze Nacht hindurch. Zweyundzwanzigstes Kapitel . Kaum fieng der Morgen draussen an zu däm¬ mern, so sprangen die Beyden schon von ihrem La¬ ger auf und eilten aus ihrem Zimmer auf den Gang hinaus. Aber kein Mensch war noch da zu sehen, die Gänge und Stiegen standen leer, der steinerne Brunnen im Hofe rauschte einförmig fort. Sie giengen unruhig auf und ab; nirgends bemerk¬ ten sie einen neuen Bau oder Verzierung an dem Schlosse, es schien nur das Alte grade zur Noth¬ durft zusammengehalten. Bunte Blumen und kleine grüne Bäumchen wuchsen hin und wieder auf dem hohen Dache, zwischen denen Vögel lustig sangen. Sie kamen endlich über mehrere Gänge in dem ab¬ gelegensten und verfallensten Theile des Schlosses in ein offenes, hochgelegenes Gemach, dessen Wände sie mit Kohle bemahlt fanden. Es waren meist flüchtige Umrisse von mehr als lebensgroßen Figu¬ ren, Felsen und Bäumen, zum Theil halbverwischt und unkenntlich. Gleich an der Thüre war eine seltsame Figur, die sie sogleich für den Eulenspiegel erkannten. Auf der anderen Wand erkannte Frie¬ drich höchstbetroffen einen großen, ziemlich weitläu¬ figen Umriß seiner Heimath, das große alte Schloß und den Garten auf dem Berge, den Strom un¬ ten, den Wald und die ganze Gegend. Aber es war unbeschreiblich einsam anzusehen, denn ein un¬ geheuerer Sturm schien über die winterliche Gegend zu gehen, und beugte die entlaubten Bäume alle nach einer Seite, so wie auch eine wilde Flammen¬ krone, die aus dem Dache des Schlosses hervor¬ brach, welches zum Theil schon in der Feuersbrunst zusammenstürzte. Friedrich konnte die Augen von diesen Zügen kaum wegwenden, als Leontin einen Haufen von Zeichnungen und Skizzen hervorzog, die ganz ver¬ staubt und vermodert in einem Winkel des Zimmers lagen. Sie setzten sich beyde auf den Fußboden hin und rollten eine nach der anderen auf. Die meisten Blätter waren komischen Inhalts, fast alle von ei¬ nem ungewöhnlichen Umfang. Die Züge waren durchaus keck und oft bis zur Härte streng, aber keine der Darstellungen machte einen angenehmen, viele sogar einen widrigen Eindruck. Unter den ko¬ mischen Gesichtern glaubte Friedrich zu seiner höch¬ sten Verwunderung manche alte Bekannte aus sei¬ ner Kindheit wiederzufinden. Der erste Morgenschein fiel indeß so eben durch die hohen Bogenfenster und spielte gar seltsam an den Wänden der Polterkammer und in die wunder¬ liche Welt der Gedanken und Gestalten hinein, die rings um sie her auf dem Boden zerstreut lagen. Es war ihnen dabey wie in einem Traume zu Mu¬ the. — Sie schoben endlich alle die Bilder wieder in den Winkel zusammen und lehnten sich zum Fen¬ ster hinaus. Alles war noch nächtlich und gränzenlos still, nur einige frühe Vögel zogen pfeiffend hin und her über den Wald und begrüßten die ersten Morgen¬ strahlen, die durch die Wipfel funkelten. Da hör¬ ten sie auf einmal draussen in einiger Entfernung folgendes Lied singen: Ein Stern still nach dem andern fällt Tief in des Himmels Kluft, Schon zucken Strahlen durch die Welt, Ich wittre Morgenlust. In Qualmen steigt und sinkt das Thal; Verödet noch vom Fest Liegt still der weite Freudensaal, Und todt noch alle Gäst'. Da hebt die Sonne aus dem Meer Erathmend ihren Lauf: Zur Erde geht, was feucht und schwer, Was klar, zu ihr hinauf. Hebt grüner Wälder Trieb und Macht Neurauschend in die Luft, Zieht hinten Städte, eitel Pracht, Blau' Berge durch den Duft. Spannt aus die grünen Tepp'che weich, Von Strömen hell durchrankt, Und schallend glänzt das frische Reich, So weit das Auge langt. Der Mensch nun aus der tiefen Welt Der Träume tritt heraus, Freut sich, daß alles noch so hält, Daß noch das Spiel nicht aus. Und nun geht's an ein Fleissigseyn! Umsumsend Berg und Thal, Agiret lustig Groß und Klein, Den Plunder allzumal. Die Sonne steiget einsam auf, Ernst über Lust und Weh, Lenkt sie den ungestörten Lauf, In stiller Glorie. — Und wie er dehnt die Flügel aus, Und wie er auch sich stellt: Der Mensch kann nimmermehr hinaus, Aus dieser Narrenwelt. Die beyden Freunde eilten sogleich auf das son¬ derbare Lied hinunter und aus dem Schlosse hin¬ aus. Die Wälder rauchten ringsum aus den Thä¬ lern, eine kühle Morgenluft griff stärkend an alle Glieder. Der Gesang hatte unterdeß aufgehört, doch erblickten sie in jener Gegend, wo er herge¬ kommen war, einen großen, schönen, ziemlich jun¬ gen Mann an dem Eingange des Waldes. Er stand auf und schien weggeh'n zu wollen, als er sie ge¬ wahr wurde; dann blieb er stehen und sah sie noch einmal an, kam darauf auf sie zu, faßte Frie¬ drich'n bey der Hand und sagte sehr gleichgültig: Willkommen Bruder! — Wie dem Schweizer in der Fremde, wenn plötz¬ lich ein Alphorn ertönt, alle Berge und Thäler, die ihn von der Heimath scheiden, in dem Klange versinken, und er sieht die Gletscher wieder und den alten, stillen Garten am Bergeshange und al¬ le die morgenfrische Aussicht in das Wunderreich der Kindheit, so fiel auch Friedrich'n bey dem Tone dieser Stimme die mühsame Wand eines langen, verworrenen Lebens von der Seele nieder: — er erkannte seinen wilden Bruder Rudolph, der als Knabe fortgelaufen war, und von dem er seitdem nie wieder etwas gehört hatte. Keine ruhige, segensreiche Vergangenheit schien aus diesen dunkelglühenden Blicken hervorzusehen, eine Narbe über dem rechten Auge entstellte ihn seltsam. Leontin stand still dabey und betrachtete ihn aufmerksam, denn es war wirklich dasselbe Bild, das ihm mitten im bunten Leben oft so schau¬ rig begegnet. O, mein lieber Bruder, sagte Frie¬ drich, so habe ich dich denn wirklich wieder! Ich habe dich immer geliebt. Und als ich dann größer wurde und die Welt immer kleiner und enger, und alles so Wunderlos und zahm, wie oft hab' ich da an dich zurückgedacht und mich nach deinem wunder¬ baren härteren Wesen gesehnt! — Rudolph schien wenig auf diese Worte zu achten, sondern wandte sich zu Leontinen um und sagte: Wie geht es Euch, mein Signor Amoroso? Durch diesen Wald geht kein Weg zum Liebchen. — Und keiner in der Welt mehr, fiel ihm Leontin, der wohl wußte, was er meyne, empfindlich ins Wort, denn Euere Possen haben das Mädchen ins Grab gebracht. — Besser todt, als eine H — sagte Rudolph gelassen. Aber, fuhr er fort, was treibt euch aus der Welt hier zu mir herauf? Sucht Ihr Ruhe: ich habe selber keine, sucht Ihr Liebe: ich liebe keinen Menschen, oder wollt Ihr mich listig aussondiren, zerstreuen und lustig machen: so zieht nur in Frieden wieder hinunter, eßt, trinkt, arbeitet fleissig, schlaft bey eueren Weibern oder Mädchen, seyd lustig und lacht, daß ihr euch krähend die Seiten halten müßt, und danket Gott, daß er euch weiße Lebern, einen ordentlichen Verstand, keinen überflüssigen Witz, gesellige Sitten und ein langes, wohlgefälli¬ ges Leben bescheret hat — denn mir ist das alles zuwider. — Friedrich sah den Bruder staunend an, dann sagte er: Wie ist dein Gemüth so feindselig und wüst geworden! Hat dich die Liebe — Nein, sagte Rudolph, Ihr seyd gar verliebt, da lebt recht wohl! Hiemit gieng er wirklich mit großen Schritten in den Wald hinein und war bald hinter den Bäu¬ men verschwunden. Leontin lief ihm einige Schrit¬ te nach, aber vergebens. Nein, rief er endlich aus, er soll mich nicht so verachten, der wunderliche Ge¬ sell! Ich bin so reich und so verrückt wie Er! — Friedrich sagte: Ich kann es nicht mit Worten aus¬ drücken, wie es mich rührt, den tapferen, gerech¬ ten, rüstigen Knaben, der mir immer vorgeschwebt, wenn ich Dich ansah, so verwildert wiederzusehen. Aber ich bleibe nun gewiß, auch wider seinen Wil¬ len, hier, ich will keine Mühe sparen, sein reines Gold, denn solches war in ihm, aus dem wüstver¬ fallenen Schacht wieder ans Tageslicht zu fördern. — O, fiel ihm Leontin ins Wort, das Meer ist nicht so tief, als der Hochmüthige in sich selber versunken ist! Nimm dich in Acht! er zieht dich eher schwindelnd zu sich hinunter, ehe du ihn zu dir hin¬ auf. Friedrich'n hatte der Anblick seines Bruders auf das heftigste bewegt. Er gieng schnell von Leon¬ tinen fort und allein tief in den Wald hinein. Er brauchte der stillen, vollen Einsamkeit, um die neuen Erscheinungen, die auf einmal so gewaltsam auf ihn eindrangen, zu verarbeiten, und seine seltsam auf¬ geregten Geister zu beruhigen. Lange war er so im Walde herumgeschweift, als auch Leontin wieder zu ihm stieß. Dieser hatte während deß wieder jene Bilderstube bestiegen, und die Zeit unter den Zeichnungen gesessen. Dabey waren ihm in dieser Einsamkeit die Figuren oft wie lebendiggeworden vorgekommen und verschiedene Lie¬ der eines Wahnsinnigen eingefallen, die er, wie Sprüche auf die alten Bilder, den Gestalten aus dem Munde auf die Wand aufgeschrieben hatte. Die Sonne fieng schon wieder an sich von der Mittagshöhe herabzuneigen. Weder Leontin noch Friedrich wußten recht, wo sie sich befanden, denn kein ordentlicher Weg führte vom Schlosse hieher. Sie schlugen daher die ohngefähre Richtung ein, sich über den melankolischen Rudolph besprechend. Als sie nach langem Irren eben auf einer Höhe angelangt waren, hörten sie plötzlich mehrere leb¬ hafte Stimmen vor sich. Ein undurchdringliches Dickicht, durch welches von dieser Seite kein Ein¬ gang möglich war, trennte sie von den Sprechen¬ den. Leontin bog die obersten Zweige mit Gewalt auseinander: da eröffnete sich ihnen auf einmal das seltsamste Gesicht. Mehrere auffallende Figuren nemlich, worunter sie sogleich Marie'n, den Kar¬ funkelsteinspäher und den Ritter von Gestern er¬ kannten, lagen und sassen dort auf einer grünen Wiese zerstreut umher. Die große Einsamkeit, die fremdartigen, zum Theil ritterlichen Trachten, wo¬ mit die meisten angethan, gaben der Gruppe ein überraschendes, buntes und wundersames Anseh'n, als ob ein Zug von Rittern und Frauen aus alter Zeit hier ausraste. Marie war ihnen besonders nahe, doch ohne sie zu bemerken. Sie war mit langen Kränzen von Gras behangen und hatte eine Guitarre vor sich auf dem Schooße. Auf dieser spielte sie und sang das Lied, das sie damals auf dem Rehe gesungen, als sie Friedrich zum erstenmale auf der Wiese bey Leontins Schlosse traf. Nach der ersten Strophe hielt sie, in Gedanken verlohren, inne, als wollte sie sich auf das weitere besinnen, und fieng dann das Lied immer wieder von Anfang an. — Mitten unter den Narren saß Rudolph auf er¬ nem umgefallenen Baumstamme, den Kopf vornhin in beyde Arme auf die Kniee gestützt. Er war ohne Hut und sah sehr blaß. Mit Verwunderung hörten sie, wie er mit ihnen allen in ein lebhaftes Gespräch vertieft war. Er wußte dem Wahnsinn eines jeden eine Tiefe und Bedeutung zu geben, über welche sie erstaunten, und je verrückter die Narren sprachen, je witziger und ausgelassener wur¬ de er in seinem wunderlichen Humor. Aber sein Witz war scharf ohne Heiterkeit, wie Dissonanzen einer großen, zerstörten Musik, die keinen Einklang finden können oder mögen. Leontin, der aufmerksam zugehört hatte, war es durchaus unmöglich, das wilde Spiel länger zu ertragen. Er hielt sich nicht mehr, riß mit Gewalt durch das Dickicht und eilte auf Rudolphen zu Rudolph, durch sein Gespräch exaltirt, sprang über der plötzlichen, unerwarteten Erscheinung rasch auf und riß dem verrückten Ritter, der neben ihm saß, den Degen aus der Scheide. So mit dem Degen aufgerichtet, sah der lange Mann mit seinen ver¬ worrenen Haaren und bleichem Gesichte fast Gespen¬ sterartig aus. Beyde hieben in demselben Augen¬ blicke wüthend aufeinander ein, denn Leontin gieng unter diesen Verrückten nicht unbewaffnet aus. Ein Strom von Blut drang plötzlich aus Rudolphs Arme und machte der seltsamen Verblendung ein Ende. Alles dieses war das Wert eines Augen¬ blicks. Friedrich war indeß auch herbeygeeilt, und bey¬ de Freunde waren bemüht, das Blut des verwun¬ deten Rudolphs mit ihren Tüchern zu stillen, wor¬ auf sie ihn näher an sein Schloß führten. Als er sich nach einiger Zeit wieder erholt hat¬ te, und die Gemüther beruhigt waren, äusserte Friedrich seine Verwunderung, wie er so einsam in dieser Gesellschaft aushalten könne. Und was ist es denn mehr und anders, sagte Rudolph, als in der anderen gescheiden Welt? Da steht auch jeder mit seinen besonderen, eignen Empfindungen, Gedanken, Ansichten und Wünschen neben dem anderen wieder mit seinem besonderen Wesen, und, wie sie sich auch, gleichwie mit Po¬ lypenarmen, künstlich betasten und einander recht aus dem Grunde herauszufühlen trachten, es weiß ja doch am Ende keiner, was er selber ist oder was der andere eigentlich meynt und haben will, und so muß jeder dem anderen verrückt seyn, wenn es übri¬ gens Narren sind, die überhaupt noch etwas meynen oder wollen. Das einzige Tolle bey jenen Verrück¬ ten von Profession aber ist nur, daß sie dabey noch glücklich sind. Bey diesen Worten erblickte er das vielerwähn¬ te Medaillon von Erwin, das Friedrich nur halb¬ verborgen unter dem Rocke trug. Er gieng schnell auf Friedrich'n zu. Woher hast du das? fragte er, und nahm das Bild zu sich. Er schien bewegt, als sie ihm erzählten, von wem sie es hatten, und daß Erwin gestorben sey, doch konnte man nicht unter¬ scheiden, ob es Zorn oder Rührung war. Er sah darauf das Bild lange Zeit an und sagte kein Wort. Durch die Ermattung von dem Blutverluste, so wie durch den unerwarteten Anblick des Portraits schien seine Wildheit einigermassen gebändiget. Die beyden Freunde drangen daher in ihn, ihnen end¬ lich Aufschluß über das alles zu geben, und, wo möglich, seine Lebensgeschichte zu erzählen, auf welche sie beyde sehr begierig waren, da sie wohl bemerkten, daß er mit diesem Mädchen und vielen anderen Räthseln in einem nahen Zusammenhange stehen müsse. Er war heut wirklich ruhig genug dazu. Er setzte sich, ohne sich weiter nöthigen zu lassen, neben ihnen auf den Rasen, und begann sogleich folgendermassen: Dreyundzwanzigstes Kapitel . Wenn ich mein Leben überdenke, ist mir so todtenstill und nüchtern, wie nach einem Balle, wenn der Saal noch wüst und schwüle qualmt und ein Licht nach dem anderen verlöscht, weil andere Lichter durch die zerschlagenen Fenster hineinschielen, und man reißt die Kleider von der Brust und steigt draussen auf den höchsten Berg und sieht der Son¬ ne entgegen, ob sie nicht bald aufgeh'n will — Doch ich will ruhig erzählen: Die erste Begebenheit meines Lebens, auf die ich mich wie auf einen Traum erinnere, war eine große Feuersbrunst. Es war in der Nacht, die Mutter fuhr mit uns und noch einigen fremden Leuten, auf die ich mich nicht mehr besinne, im Kahne über einen großen See. Mehrere Schlösser und Dörfer brannten ringsumher an den Ufern und der Widerschein von den Flammen spiegelte sich bis weit in den See hinein. Meine Wärterin hob mich aus dem Kahne hoch in die Höhe, und ich langte mit beyden Armen nach dem Feuer. Alle die frem¬ den Leute im Kahne waren still, meine Mutter weinte sehr; man sagte mir, mein Vater sey todt. — Noch eines Umstandes muß ich dabey gedenken, weil er seltsam mit meinem übrigen Leben zusam¬ menhängt. Als wir nemlich, soviel ich mich erinne¬ re, gleichsam aus Flammen in den Kahn einstiegen, erblickte ich einen Knaben etwa von meinem Alter, den ich sonst nie gesehen hatte. Der lachte uns aus, tanzte an dem Feuer mit höhnenden Gebehr¬ den und schnitt mir Gesichter. Ich nahm schnell ei¬ nen Stein und warf ihn ihm mit einer für mein Alter ungewöhnlichen Kraft an den Kopf, daß er umfiel. Sein Gesicht ist mir noch jetzt ganz deut¬ lich und ich wurde des widrigen Eindrucks dieser Begebenheit niemals wieder los. — Das ist alles, was was mir von jener merkwürdigen Nacht übrigblieb, deren Stille, Wunderbilder und feurige Widerschei¬ ne sich meinem kindischen Gemüthe unverlöschlich ein¬ prägten. In dieser Nacht sah ich meine Mutter zum letztenmale. Nachher erinnere ich mich wieder auf nichts, als Berge und Wälder, große Haufen von Sol¬ daten und blitzenden Reitern, die mit klingendem Spiele über Brücken zogen, unbekannte Thäler und Gegenden, die wie ein Schattenspiel schnell an mei¬ ner Seele vorüberflogen. Als ich mich endlich zum erstenmale mit Besin¬ nung in der Welt umzuschauen anfieng, befand ich mich allein mit Dir in einem fremden schönen Schloß und Garten unter fremden Leuten. Es war, wie Du weißt, unser Vormund, und das Schloß, ob¬ schon unser Eigenthum, doch nicht unser Geburts¬ ort. Wir beyde sind am Rheine gebohren. — Es mochte mir hier bald nicht behagen. Besonders stach mir gegen das niemals in meiner Erinnerung erlo¬ schene Bild meiner Mutter, die ernst, hoch und schlank war, die neue, kleine, wirthschaftliche und dickliche Mutter zu sehr ab. Ich wollte ihr niemals die Hand küssen. Ich mußte viel sitzen und lernen, aber ich konnte nichts erlernen, besonders keine fremde Sprache. Am wenigsten aber wollte mir das sogenannte gewisse Etwas in Gesellschaften an¬ passen, wobey ich mich denn immer sehr schlecht und zu allgemeiner Unzufriedenheit präsentirte. Mir 27 war dabey das Verstellen und das zierliche Nied¬ lichthun der Vormünderin und des Hofmeisters un¬ begreiflich, die immer auf einmal ganz andere Leute waren, wenn Gäste kamen. Ja, ich erinnere mich, daß ich den letzteren einigemal, wenn er so ausser dem gewöhnlichen Wege besonders klug sprach, hinten am Rocke zupfte und laut auflachte, worauf ich denn jedesmal mit drohenden Blicken aus dem Zimmer verwiesen wurde. Mit Prügeln war bey mir nichts auszurichten, denn ich vertheidigte mich bis zum Tode gegen den Hofmeister und jedermann, der mich schlagen wollte. So kam es denn endlich, daß ich bey jeder Gelegenheit hintangesetzt wurde. Man hielt mich für einen trübseligen Einfaltspinsel, von dem weder etwas zu hoffen noch zu fürchten sey. Ich wurde dadurch nur noch immer tiefsinni¬ ger und einsamer und träumte unaufhörlich von ei¬ ner geheimen Verschwörung Aller gegen mich, selbst Dich nicht ausgenommen, weil Du mit den meisten im Hause gut standst. Ein einziges liebes Bild gieng in dieser dunk¬ len, schwerer Träume vollen, Zeit an mir vorüber. Es war die kleine Angelina , die Tochter eines verwandten italienischen Marchese, der sich auch vor den Unruhen in Italien zu uns geflüchtet hatte und lange Zeit dort blieb. Du wirst Dich des lieb¬ lichen, wunderschönen Kindes erinnern, wie sie von uns Deutsch lernte und so schöne, welsche Lieder wußte. Ich hatte damals Tag und Nacht keine Seelensruh vor diesem schönen Bilde. Inzwischen glaubte ich zu bemerken, daß sie überall Dich mehr begünstige, als mich; ich war ihr zu wild, sie schien sich vor mir zu fürchten. Mein alter Argwohn, Haß und Bangigkeit nahm täglich zu, ich saß, wie in mir selbst gefangen, bis endlich ein seltsamer Umstand alle die Engel und Teufel, die damals noch dunkel in mir rangen, auf einmal losmachte. Ich war nemlich eines Abends eben mit An¬ gelina im Garten an dem eisernen Gitter, durch das man auf die Strasse hinaussah. Angelina stand am Springbrunnen und spielte mit den goldenen Kugeln, welche die Wasserkunst glänzend auf und nieder warf. Da kam eine alte Zigeunerin am Gitter vorbey und verlangte, als sie uns d'rinnen erblickte, auf die gewöhnliche ungestümme Art uns zu prophezeyen. Ich streckte sogleich meine Hand hinaus. Sie las lange Zeit darin. Während deß ritt ein junger Mensch, der ein Reisender schien, draussen die Strasse vorbey und grüßte uns höflich. Die Zigeunerin sah erstaunt mich, Angelina und den vorüberziehenden Fremden wechselseitig an, endlich sagte sie, auf uns und ihn deutend: „Eines von Euch dreyen wird den anderen ermorden.“ — Ich blickte dem Reiter scharf nach, er sah sich noch ein¬ mal um, und ich erkannte, erschrocken und zornig, sogleich das Gesicht desselben unbekannten Knaben wieder, der uns bey unserem Auszuge aus der Hei¬ math an dem Feuer so verhöhnt hatte. — Die Zigeunerin war unterdeß verschwunden, Angelina 27 * furchtsam fortgelaufen, und ich blieb allein in dem großen, dämmernden Garten und glaubte fest, nun, als Mörder, auch sogar von Gott verlassen zu seyn; niemals fühlt' ich mich so finster und leer. In der Nacht konnt' ich nicht schlafen, ich stand auf und zog mich völlig an. Es war alles still, nur die Wetterhähne knarrten im Hofe, der Mond schien sehr hell. Du schliefst still neben mir, das Gebethbuch lag noch halbaufgeschlagen bey Dir, ich wußte nicht, wie Du so ruhig seyn könntest. Ich küßte Dich auf den Mund, gieng dann schnell aus dem Hause, durch den Garten, und kehrte niemals mehr wieder. Von nun an geht mein Leben rasch, bunt, ungenügsamwechselnd und in allem Wechsel doch un¬ befriedigt. Ich will nur einige Augenblicke aushe¬ ben, die mich, wie einsamerleuchtete Berggipfel über dem dunkelwühlenden Gewirre, noch immer von weitem anseh'n. Als ich zu Ende jener Nacht die letzte Höhe er¬ reicht hatte, gieng eben die Sonne prächtig auf. Die Gegend unten, so weit die Blicke langten, war mit bunten Zelten, unermeßlich blitzenden Reihen und Lust und Schallen überdeckt. Einzelne bunte Reiter flogen in allen Richtungen über den grünen Anger, einzelne Schüsse fielen bis in die tiefste Fer¬ ne hin und her im Walde. Ich stand wie einge¬ wurzelt vor Lust bey dem Anblick. Ich glaubte, es nun auf einmal gefunden zu haben, was mir fehlte und was ich eigentlich wollte. Ich eilte daher schnell hinunter und ließ mich anwerben. Wir brachen noch denselben Tag von dem Orte auf, aber schon da auf dem Marsche fieng ich an zu bemerken, daß dieses nicht das Leben war, das ich erwartete. Der platte Leichtsinn, das Prahlen und der geschäftige Müssiggang eckelte mich an, be¬ sonders unerträglich aber war mir, daß ein einzi¬ ger, unbeschreiblicher Wille das Ganze, wie ein dunkles Fatum, regieren sollte, daß ich im Grun¬ de nicht mehr werth seyn sollte, als mein Pferd — und so versenkten mich diese Betrachtungen in eine fürchterliche Langeweile, aus der mich kaum die Signale, welche die Schlacht ankündigten, aufzurüt¬ teln vermochten. Damals bekam mein Oberst von meinem Vor¬ mund, der mich aufgespürt hatte, einen Brief, worin er ihn bat mich auszuliefern. Aber es war zu spät, denn das Treffen war eben losgegangen. Mitten im blitzenden Dampfe und Todeswühlen er¬ blickt' ich plötzlich das bleiche Gesicht des Unbekann¬ ten wieder mir feindlich gegenüber. — Wüthend, daß das Gespenst mich überall verfolge, stürzte ich auf ihn ein. Er focht so gut wie ich. Endlich sah ich sein Pferd stürzen, während ich selbst, leicht verwundet, vor Ermattung bewußtlos hinsank. Als ich wieder erwachte, war alles ringsum finster und todtenstill über der weiten Ebne, die mit Leichen bedeckt war. Mehrere Dörfer brannten in der Runde, und nur einzelne Figuren, wie am jüng¬ sten Gericht, erhoben sich hin und her und wandel¬ ten dunkel durch die Stille. Ein unbeschreibliches Grausen überfiel mich vor dem wahnwitzigen Jam¬ merspiel, ich raffte mich schnell auf und lief bis es Tag wurde. In einem Städtchen las ich in der Zeitung die Bekanntmachung meines Vormunds, daß ich in dem Treffen geblieben sey, auch hörte ich, daß der Marchese mit seiner Tochter unser Schloß wieder verlassen habe. Ich war zu stolz und aufgeregt, um nach Hause zurückzukehren. Indeß erwachte das Bild der kleinen Angelina von neuem in meinem Herzen. Ich bildete mir die liebliche Erinnerung mit allen Kräften meiner Seele aus und so mahlte ich damals jenes Engelsköpfchen, das Du hier zu meinem Erstaunen mitgebracht hast. Es ist Angeli¬ nen's Portrait. Mein unruhiges und doch immer in sich selbst verschlossenes Gemüth bekam nun auf einmal die erste entschiedene Richtung nach Aussen. Ich warf mich mit einem unerhörten Fleisse auf die Mahlerey und streifte mit dem Gelde, das ich mir dadurch erwarb, in Italien herum. Ich glaubte damals, die Kunst werde mein Gemüth ganz befriedigen und ausfüllen. Aber es war nicht so. Es blieb immer ein dunkler, harter Fleck in mir, der keine Farben annahm, und doch mein eigentlicher, innerster Kern war. Ich glaube, wenn ich in meiner Angst einen neuen Münster hätte aus mir herausbauen können, mir wäre wohler geworden, so felsengroß lag immer meine Entzückung auf mir. Meine Skiz¬ zen waren immer besser als die Gemählde, weil ihre Ausführung meistens unmöglich war. Gar oft in guten Stunden ist mir wohl eine solche Glorie von niegesehenen Farben und unbeschreiblich himm¬ lischer Schönheit vorgekommen, daß ich mich kaum zu fassen wußte. Aber dann war's auch wieder aus, und ich konnte sie niemals ausdrücken. — So schmückt sich wohl jede tüchtige Seele einmal ihren Kerker mit Künsten aus, ohne deßwegen zum Künstler berufen zu seyn. Und überhaupt ist es am Ende doch nur Putz und eitel Spielerey. Oder würdet ihr den nicht für thöricht halten, der sich im Wirthshaus, wo er übernachtet, eifrig auszie¬ ren wollte? Und wir machen soviel Umstände mit dem Leben und wissen nicht, ob wir noch eine Stunde bleiben! An einem schönen Sommerabende fuhr ich ein¬ mal in Venedig auf dem Golf spazieren. Der Halbkreis von Pallästen mit ihren stillerleuchteten Fenstern gewährte einen prächtigen Anblick. Unzäh¬ lige Gondeln glitten aneinander vorüber über das ruhige Wasser, Guitarren und tausend weiche Ge¬ sänge zogen durch die laue Nacht. Ich ruderte voll Gedanken fort und immerfort, bis nach und nach die Lieder verhallten und alles um mich her still und einsam geworden war. Ich dachte an die ferne Heimath und sang ein altes deutsches Lied, eines von denen, die ich noch als Knabe Angelinen gelehrt hatte. Wie sehr erstaunte ich, als mir da auf ein¬ mal eine wunderschöne weibliche Stimme von dem Altan eines Hauses mit der nächstfolgenden Strophe desselben Liedes antwortete. Ich sprang sogleich ans Ufer und eilte auf das Haus zu, von dem der Gesang herkam. Eine weiße Mädchengestalt neigte sich zwischen den Orangenbäumen und Blumen über den Balkon herab und sagte flüsternd: Rudolph! Ich erkannte bey dem hellen Mondscheine sogleich Angelinen . Sie schien noch mehr sprechen zu wollen, aber die Thüre auf dem Balkon öffnete sich von innen, und sie war verschwunden. Verwundert und entzückt in allen meinen Sin¬ nen, setzt' ich mich an einen steinernen Springbrun¬ nen, der auf dem weitstillen Platze vor dem Hause stand. Ich mochte ohngefähr eine Stunde dort ge¬ sessen haben, als ich die Glasthüre oben leise wie¬ der öffnen hörte. Angelina trat, sich furchtsam auf den Platz umsehend, noch einmal auf den Balkon heraus. Ihre schönen Locken fielen auf den schnee¬ weißen, nur halbverhüllten Busen herab, sie war baarfuß und im leichtesten Nachtkleide. Sie erschrack, als sie mich wirklich noch unten erblickte. Sie legte den Finger auf den Mund, während sie mit der anderen Hand auf die Thüre deutete, lehnte sich stillschweigend über das Geländer und sah mich so lange Zeit unbeschreiblich lieblich an. Darauf zog sie ein Papierchen hervor, warf es mir hinab, lispelte kaum hörbar: gute Nacht! und gieng zau¬ dernd wieder hinein. — Auf dem Zettel stand mit Bleystift der Nahme einer Kirche aufgeschrieben. Ich begab mich am Morgen zu der benannten Kirche und sah das Mädchen wirklich zur bestimm¬ ten Stunde mit einer ältlichen Frau, die ihre Ver¬ traute schien, schon von weitem die Strasse herauf¬ kommen. Ich erschrack fast vor Freuden, so über¬ aus schön war sie geworden. Als sie mich ebenfalls erblickte, wurde sie roth vor Schaam über die ver¬ gangene Nacht und schlug den Schleyer fest über das Gesicht. Auf dem Wege und in der Kirche er¬ zählte sie mir nun ungestört, daß sie schon lange wieder in Italien zurückseyen, daß ihr Vater, da ihre Mutter bey ihrer Geburt in Todesnoth war, das feyerliche Gelübde gethan, sie, Angelina, als Klosterjungfrau dem Himmel zu weihen, und daß der dazu bestimmte Tag nicht mehr fern sey. — Das verliebte Mädchen sagte dieß mit Thränen in den Augen. Wir kamen darauf noch oft, bald in der Kirche, bald in der Nacht am Balkone zusammen; der Tag, wo Angelina aus dem väterlichen Hause fort ins Kloster sollte, rückte immer näher heran, und wir verabredeten endlich mit einander zu entfliehen. In der Nacht, die wir zur Flucht bestimmt hat¬ ten, trat sie, mit dem Nothwendigsten versehen und reichgeschmückt, wie eine Braut, hervor. Die hefti¬ ge Bewegung, in der ihr Gemüth war, machte ihr Gesicht wunderschön, und ich sehe sie in diesem Zu¬ stande und diesem Kleide noch wie heute vor mir stehen. Sie war noch in ihrem Leben nicht um die¬ se Zeit allein auf der Gasse gewesen, sie wurde da¬ her noch im letzten Augenblick von neuem schüchtern und halbunschlüssig; sie weinte und fiel mir um den Hals. Ich faßte sie endlich um den Leib und trug sie in den Kahn, den ich im Golf bereit hielt. Ich stieß schnell vom Ufer ab, das Seegel schwoll im lauen Winde, der Halbkreis der erleuchteten Fenster versank allmählig hinter uns und wir befanden uns allein auf der stillen, unermeßlichen Fläche. Die Liebe hatte sie nun ganz in meine Gewalt gegeben. Sie wurde nun ruhig. Innerlichst fröh¬ lich, aber still, saß sie fest an mich gedrückt und sah mit den weitoffnen, sinnigen Augen unverwandt ins Meer hinaus. Ich bemerkte, daß sie oft heimlich zusammenschauerte, bis sie, endlich ermüdet ein¬ schlummerte. Da rauschte plötzlich ein Kahn mit mehreren Leuten und Fackelschein vorüber nach Venedig zu. Der eine von ihnen schwang eben seine Fackel und ich erblickte bey dem flüchtigen Scheine den unbe¬ kannten, wunderbar mit mir verknüpften Fremden wieder, der mitten im Kahne aufrecht stand. Ich fuhr unwillkührlich bey dem Anblick zusammen, und höchstseltsam, obschon die ganze Erscheinung ohne das mindeste Geräusch vorübergeglitten war, so wachte doch Angelina in demselben Augenblicke von selber auf und sagte mir erschrocken, es habe ihr etwas fürchterliches geträumt, sie wisse sich nun aber nicht mehr darauf zu besinnen. Ich beruhigte sie, und sagte ihr nichts von dem Begegniß, worauf sie denn bald von neuem einschlief. Ein lauter Freudenschrey entfuhr ihrer Brust, als sie nach einigen Stunden die hellen Augen auf¬ schlug, denn die Sonne gieng eben prächtig über der Küste von Italien auf, die in duftigem Wun¬ derglanze vor uns da lag. Es war der erste über¬ schwengliche Blick des jungen Gemüthes in das freye, lüsternlockende, reiche, noch ungewisse Leben. Wir stiegen nun ans Land und setzten unsere Reise zu Pferde gen Rom fort. Dieses Ziehen in den blauen, lieblichen Tagen über grüne Berge, Thäler und Flüsse, rollt sich noch jetzt blendend vor meiner Erinnerung auf, wie ein mit prächtigglänzenden, wunderbaren Blumen gestickter Teppich, auf dem ich mich selbst als lustige Figur mit buntgeflickter Narrenjacke erblicke. In Rom nisteten wir uns in einem entlegenen Quartiere der Stadt ein, wo uns niemand bemerkte. Wir führten einen gar wunderlichen, ziemlich unor¬ dentlichen Haushalt miteinander, denn Angelina ge¬ wöhnte sich sehr bald auch an das freye, sorglose Künstler-Wesen. Sie hatte, gleich, als wir ans Land stiegen, Mannskleider anlegen müssen, um nicht erkannt zu werden, und ich gab sie so für meinen Vetter aus. Die Tracht, in der sie mich nun auch frey auf allen Spaziergängen begleitete, stand ihr sehr niedlich; sie sah oft aus wie Correg¬ gio's Bogenschütz. Sie mußte mir oft zum Modell sitzen, und sie that es gern, denn sie wußte wohl, wie schön sie war. Damals wurden meine Gemähl¬ de weniger hart, angenehmer und sinnreicher in der Ausführung. Indeß entgieng es mir nicht, daß Angelina anfieng, mit der Mädchentracht nach und nach auch ihr voriges mädchenhaftes, bey aller Liebe verschäm¬ tes, Wesen abzulegen, sie wurde in Worten und Gebehrden kecker, und ihre sonst so schüchternen Augen schweiften lüstern rechts und links. Ja, es geschah wohl manchmal, wenn ich sie unter lustige Gesellen mitnahm, mit denen wir in einem Garten oft die Nacht durchschwärmten, daß sie sich berausch¬ te, wo sie dann mit den furchtsam dreisten Mienen und glänzendschmachtenden Augen ein ungemeim rei¬ tzendes Spiel der Sinnlichkeit gab. Weiber ertragen solche kühnere Lebensweise nicht. — Ein Jahr hatten wir so zusammengelebt, als mir Angelina eine Tochter gebahr. Ich hatte sie einige Zeit vorher auf einem Landhause bey Rom vor aller Welt Augen verborgen, und auf ihr eignes Verlangen, welches meiner Eifersucht auffiel, blieb sie nun auch noch lange nach ihrer Nie¬ derkunft mit dem Kinde dort. — Eines Morgens, als ich eben von Rom hin¬ komme, find' ich alles leer. — Das alte Weib, welches das Haus hütete, erzählt mir zitternd: Angelina habe sich gestern Abend sehr zierlich als Jäger angezogen, sie habe darauf, da der Abend sehr warm war, lange Zeit bey ihr vor der Thür auf der Bank gesessen und angefangen so betrübt und melankolisch zu sprechen, daß es ihr durch die Seele gieng, wobey sie öfters ausrief: wär' ich doch lieber ins Kloster gegangen! Dann sagte sie wieder lustig: bin ich nicht ein schöner Jäger? Dar¬ auf sey sie hinaufgegangen, habe, während schon alles schlief, noch immerfort Licht gebrannt und am offnen Fenster allerley zur Laute gesungen. Beson¬ ders habe sie folgendes Liedchen zum öftern wie¬ derholt, welches auch mir gar wohl bekannt war, da es Angelina von mir gelernt hatte: „Ich hab' geseh'n ein Hirschlein schlank Im Waldesgrunde steh'n, Nun ist mir draussen weh' und bang, Muß ewig nach ihm geh'n. Frischauf, ihr Waldgesellen mein! Ins Horn, ins Horn frischauf! Das lockt so hell, das lockt so fein, Aurora thut sich auf.“ Das Hirschlein führt den Jägersmann, In grüner Waldesnacht, Thalunter schwindelnd und bergan Zu niegeseh'ner Pracht. „Wie rauscht schon abendlich der Wald, Die Brust mir schaurig schwellt! Die Freunde fern, der Wind so kalt, So tief und weit die Welt!“ Es lockt so tief, es lockt so fein Durch's dunkelgrüne Haus, Der Jäger irrt und irrt allein, Find't nimmermehr heraus. — Gegen Mitternacht ohngefähr, fuhr die Alte fort, hörte ich ein leises Händeklatschen vor dem Hause. Ich öffnete leise die Lade meines Guckfen¬ sters und sah einen großen Mann, bewaffnet und in einen langen Mantel vermummt, unter Angeli¬ nen's Fenster steh'n, seitwärts im Gebüsch hielt ein Wagen mit Bedienten und vier Pferden. In dem¬ selben Augenblicke kam auch Angelina, ihr Kind auf dem Arme, unten zum Hause heraus. Der fremde Herr küßte sie und hob sie geschwind in den Wagen, der pfeilschnell davonrollte. Eh' ich mich besann, herauslief und schrie, war alles in der di¬ cken Finsterniß verschwunden. — Auf diesen verzweifelten Bericht der Alten stürzte ich in das Zimmer hinauf. Alles lag noch wie sonst umher, sie hatte nichts mitgenommen als ihr Kind. Ein Bild, das nach ihr kopirt war, stand noch ruhig auf der Staffeley, wie ich es ver¬ lassen. Auf dem Tische daneben lag ein ungeheue¬ rer Haufen von Goldstücken. Wüthend und ausser mir, warf ich alle das Gold, das Bild und alle andere Bilder und Zeichnungen hinterdrein zum Fenster hinaus. Die Alte tanzte unten mit widrig vor Staunen und Gier verzerrten Gebehrden wie eine Hexe zwischen dem Goldregen herum, und ich glaubte da auf einmal in ihren Zügen dieselbe Zi¬ geunerin zu erkennen, die mir damals an dem Gar¬ tengitter prophezeit hatte. — Ich eilte zu ihr hin¬ ab, aber sie hatte sich bereits mit dem Golde ver¬ lohren. — Ich lud nun meine Pistolen, warf mich auf mein Pferd und jagte der Spur des Wagens nach, die noch deutlich zu kennen war. Ich war vollkommen entschlossen, Angelina und ihren Ent¬ führer todtzuschießen. — So erbärmliches Zeug ist die Liebe, diese liederliche Anspannung der Seele! — So durchstreifte ich fast ganz Italien nach allen Richtungen, ich fand sie nimmermehr. Als ich end¬ lich, erschöpft von den vielen Zügen, auf den letz¬ ten Gipfeln der Schweitz ankam, schauderte mir, als ich da auf einmal aus dem italienischen Glanze nach Deutschland hinab sah, wie das so ganz an¬ ders, still und ernsthaft mit seinen dunklen Wäl¬ dern, Bergen und dem königlichen Rheine da lag. — Ich hatte keine Sehnsucht mehr nach der Ferne und versank in eine öde Einsamkeit. Mit meiner Kunst war es aus. — Dagegen lockte mich nun bald die Philosophie unwiderstehlich in ihre wunderbaren Tiefen. Die Welt lag wie ein großes Räthsel vor mir, die vollen Ströme des Lebens rauschten geheimnißvoll, aber vernehmlich, an mir vorüber, mich dürstete un¬ endlich nach ihren heiligen, unbekannten Quellen. Der kühnere Hang zum Tiefsinn war eigentlich mein angebohrnes Naturell. Schon als Kind hatte ich oft meinen Hofmeister durch seltsame, ungewöhnliche Fragen in Verwirrung gebracht, und selbst meine ganze Mahlerey war im Grunde nur ein falsches Streben, das Unaussprechliche auszusprechen, das Undarstellbare darzustellen. Besonders verspürte ich schon damals dieses Gelüst vor manchen Bildern des großen Albrecht Dürers und Michel Angelo's. Ich studierte nun mit eisernem, unausgesetztem Fleiß fast alle Philosopheme, was die Alten ahndeten und Neuen grübelten oder phantasirten. Aber alle Systeme führten mich entweder von Gott ab, oder zu einem falschen Gott. Alles aufgebend und verzweifelt, daß ich auf keine Weise die Schranken durchbrechen und aus mir selber herauskommen konnte, stürzt' ich mich nun wüthend, mit wenigen lichten Augenblicken schrecklicher Reue, in den flimmernden Abgrund al¬ ler sinnlichen Ausschweifungen und Gräuel, als wollt' ich mein eignes Bild aus meinem Andenken verwischen. Dabey wurde ich niemals fröhlich, denn mitten im Genuß mußte ich die Menschen ver¬ höhnen, die, als wären sie meines Gleichen, halb schlecht und halb furchtsam, nach der Weltlust haschten, und dabey wirklich und in allem Ernst zu¬ frieden und glücklich waren. Niemals ist mir das Handthieren und Treiben der Welt so erbärmlich vorgekommen, als damals, da ich mich selber darin untertauchte. Eines Abends sitz' ich am Pharotisch, ohne aufzublicken und mich um die Gesellschaft zu beküm¬ mern. Ich spielte diesen Abend, wider alle sonsti¬ ge Gewohnheit, immerfort unglücklich, und wagte immer toller, je mehr ich verlohr. Zuletzt setzte ich mein noch übriges Vermögen auf die Karte. — Verlohren! hört' ich den Bankhalter am anderen Ende Ende der Tafel rufen. Ich springe auf und erblicke den geheimnißvollen Unbekannten, den ich fast schon vergessen hatte. Er wurde sichtbar bleich, als er mich erkannte. Ich weiß nicht, mit welcher Me¬ dusengewalt grade in diesem Augenblicke sein Bild auf meine Seele wirkte. In der Verblendung die¬ ses Anblicks warf ich alle Karten nach dem Orte, wo die Erscheinung gestanden, aber er war schon fort und schnell aus der Stube verschwunden. Alle sahen mich erstaunt an, einige murrten, ich stürzte zur Thüre hinaus auf die Strasse. Ich gieng eilig durch die Gassen und blickte rechts und links in die erleuchteten Fenster hinein, wie da einige so eben ruhig und vollauf zu Abend schmaußten, dort andere ein Lomberchen spielten, an¬ derswo wieder lustige Paare sich drehten und jubel¬ ten, und allen so philisterhaft wohl war. Mich hungerte gewaltig. Betteln mocht' ich nicht. Schmaußt, jubelt und dreht euch nur, ihr Narren! rief ich und gieng mit starken Schritten aus dem Thore aufs Feld hinaus. Es war eine stockfinstere Nacht, der Wind jagte mir den Regen ins Gesicht. Als ich eben an den Saum eines Waldes kam, erblickte ich plötzlich hart vor mir zwey lange Män¬ ner, heimlich lauernd an eine Eiche gelehnt, die ich sogleich für Schnapphähne erkannte. Ich gieng im Augenblick auf sie los, und packte den einen bey der Brust. Gebt mir was zu essen, ihr elenden Kerls! schrie ich sie an, und mußte auch gleich darauf laut 28 auflachen, was sie über diese unerwartete Wendung der Sache für Gesichter schnitten. Doch schien ihnen das zu gefallen, sie betrachteten mich als einen wür¬ digen Kumpan, und fuhrten mich freundschaftlich tiefer in den Wald hinein. Wir kamen bald auf einen freyen, einsamen Platz, wo bärtige Männer, Weiber und Kinder um ein Feldfeuer herumlagen, und ich bemerkte nun wohl, daß ich unter einen Zigeunerhaufen gerathen war. Da wurde geschlachtet, geschunden, gekocht und geschmort, alle sprachen und sangen ihr Kau¬ derwelsch verworren durcheinander, dabey regnete und stürmte es immerfort; es war eine wahre Wal¬ burgisnacht. Mir war recht kannibalisch wohl. Ue¬ brigens war es, ausser daß sie alle ausgemachte Spitzbuben waren, eine recht gute, unterhaltende Gesellschaft. Sie gaben mir zu essen, Brandtwein zu trinken, tanzten, musizirten und kümmerten sich um die ganze Welt nicht. Mitten in dem Haufen bemerkte ich bald dar¬ auf ein altes Weib, die ich bey dem Widerscheine der Flamme nicht ohne Schreck für dieselbe Zigeu¬ nerin wieder erkannte, die mir als Kind so fürch¬ terlich geweissagt hatte. Ich gieng zu ihr hin, sie kannte mich nicht mehr. — Von unserem letzten Zu¬ sammentreffen bey Rom wußte, oder mochte sie nichts wissen. — Ich reichte ihr noch einmal die Hand hin. Sie betrachtete alle Linien sehr genau, dann sah sie mir scharf in die Augen, und sagte, während sie mit seltsamen Gebehrden nach allen Weltgegenden in die Luft focht: „Es ist hoch an der Zeit, der Feind ist nicht mehr weit, hüte dich, hüte dich!“ Darauf verlohr sie sich augenblicklich unter dem Haufen und ich sah sie nicht mehr wie¬ der. Mir wurde dabey nicht wohl zu Muthe und die abentheuerlichen Worte giengen mir wunderlich im Kopfe herum. Indeß brachten mich die anderen Gesellen wie¬ der auf andere Gedanken. Denn sie drängten sich immer vertraulicher um mich und erzählten mir ihre verübten Schwänke und Schalksthaten, worunter eine besonders meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Ein junger Bursch erzählte mir nemlich, wie seine Großmutter vor vielen Jahren einmal einer reisenden welschen Dame, die mit einem Herrn im Wirthshau¬ se übernachtete, ihr kleines Kind gestohlen habe, weil es so wunderschön aussah. Er beschrieb mir dabey alle Nebenumstände so genau, daß ich fast nicht zweifeln konnte, die reisende welsche Dame sey nie¬ mand anders als Angelina selbst gewesen. — Ich sprang auf und drang in ihn, mir die Geraubte so¬ gleich zu zeigen. Bestürzt über meinen unerklärli¬ chen Ungestümm, antwortete er mir: das geraubte Fräulein wuchs theils unter uns, theils unter un¬ seren Brüdern in einer Waldmühle auf, wo sie vor einigen Tagen plötzlich mit Mann und Maus ver¬ schwunden ist, ohne daß wir wissen, wohin? — So war also Erwine deine Tochter! fiel hier Friedrich seinem Bruder erstaunt ins Wort. — Seit 28 * ich dieses kleine Bild hier gesehen, sagte dieser, und ihre weitere Geschichte und Nahmen von Euch gehört, ist es mir gewiß. Ich habe sie später, nachdem ich schon von der Welt geschieden war, manchmal von der Mauer gesehen und gesprochen, wenn ich des Nachts an Leontins Schlosse vorbey¬ streifte. Aber mir war der Knabe, für den ich sie hielt, wie Ihr, nur reitzend als eine besondere neue Art von Narren, als von welcher mir noch keiner vorgekommen war. Denn auch ich konnte und moch¬ te niemals etwas von ihrem früheren Leben aus ihr herauskriegen. Das gute Kind fürchtete wahrschein¬ lich noch immer Strafe für die unwillkührliche, schändliche Verbindung, in der sie ihre Kindheit zu¬ gebracht. — Doch, hört nun meine Geschichte völlig aus, denn das viele Plaudern ist mir schon zuwi¬ der: Noch vor Tagesanbruch also, als wir so lagen und erzählten, kam ein junger Kerl von der Ban¬ de, der auf Kundschaft ausgeschickt worden war, mit fröhlicher Bothschaft zurück, die sogleich den ganzen Haufen in Allarm brachte. Der reiche Graf, sagte er nemlich aus, wird heute Abend auf dem Schlosse seinen Geburtstag feyern, da giebt's was zu schmaussen und zu verdienen! Es wurde sogleich beschlossen, dem Feste auf was immer für eine Art ungeladen beyzuwohnen. Das Wetter hatte sich aufgeklärt, wir brachen daher alle schnell auf und zogen lustig über das Gebirge fort. Gegen Abend lagerten wir uns auf einem schö¬ nen, waldigen Berge, dem gräflichen Schlosse ge¬ genüber, das jenseits eines Stromes ebenfalls auf einer Anhöhe mit seinen Säulenportälen und italie¬ nischem Dache sich recht luftig ausnahm. Wir wollten hier die Dunkelheit abwarten. Der letzte Widerschein der untergehenden Sonne flog eben wie ein Schattenspiel über die Gegend. Unten auf dem Flusse zogen mehrere aufgeschmückte Schiffe voll Herren und Damen mit bunten Tüchern und Federn lustig auf das Schloß zu, während von beyden Seiten Waldhörner weit in die Berge hinein ver¬ hallten. Als es endlich ringsumher still und finster wur¬ de, sahen wir, wie im Schlosse drüben ein Fenster nach dem anderen erleuchtet wurde und Kronleuchter mit ihren Kreisen von Lichtern sich langsam zu dre¬ hen anfiengen. Auch im Garten entstand ein Licht nach dem andern, bis auf einmal der ganze Berg, mit Sternen, Bogengängen und Guirlanden von buntfarbigen Glaskugeln erleuchtet, sich wie eine Feeninsel aus der Nacht hervorhob. Ich überließ meine Begleiter ihren Berathschlagungen und Kunst¬ griffen und begab mich allein hinüber zu dem Feste, ohne eigentlich selber zu wissen, was ich dort wollte. Von der Seite, wo ich auf dem Berge hinan¬ gekommen, war kein Eingang. Ich schwang mich daher auf die Mauer und sah, so da droben sitzend, in den Zaubergarten hinein, aus dem mir überall Musik entgegenschwoll. Herren und Frauen spazier¬ ten da in zierlicher Fröhlichkeit zwischen den magi¬ schen Lichtern, Klängen und schimmernden Wasser¬ künsten prächtig durcheinander. Auch mehrere Mas¬ ken sah ich, wie Geister, durch den lebendigen Ju¬ bel auf und ab wandeln. Mich faßte bey dem Anblick auf meiner Mauer oben ein blindes, wildes, unglückseliges Gelüst, mich mit hineinzumischen. Aber meine von Regen und Wind zerzauste Kleidung war wenig zu einem solchen Abentheuer eingerichtet. Da erblickte ich seit¬ wärts durch ein offnes Fenster eine Menge verschie¬ dener Masken in der Vorhalle des Schlosses um¬ herliegen. Ohne mich zu besinnen, sprang ich von der Mauer herab und in das Vorhaus hinein. Eine Menge Bedienter, halb berauscht, rannten dort mit Gläsern und Tellern durcheinander, ohne mich zu bemerken oder doch weiter zu beachten. Ich zettelte daher den bunten Plunder von Masken ungestört auseinander und zog zufällig eine schwarze Ritter¬ tracht nebst Schwerdt und allem Zubehör hervor. Ich legte sie schnell an, nahm eine danebenliegende Larve vor und begab mich so mitten unter das Ge¬ wirre in den Glanz hinaus. Ich kam mir in der Fröhlichkeit vor wie der Böse, denn mir war nicht anders zu Muthe, als dem Zigeunerhauptmann auf dem Jahrmarkt zu Plundersweilen. Am Ende eines erleuchteten Bo¬ genganges hörte ich auf einmal einige Damen aus¬ rufen: Sieh da, die Frau vom Hause! Welche Perlen! Welche Juwelen! Ich sehe mich schnell um und erblicke — Angelina , die in voller Pracht ihrer Schönheit die Allee heraufkommt. — Mein mörderischer Zorn, der mich damals durch ganz Italien hin und her gehetzt hatte, war längst vor¬ über, denn ich war nicht mehr verliebt. Es war mir eben alles Einerley auf der Welt. Ich wand¬ te mich daher und wollte, ohne sie zu sprechen, in einen anderen Gang herumbeugen. Wie sehr er¬ staunte ich aber, als Angelina mir schnell nach¬ hüpfte und sich vertraulich in meinen Arm hieng. — Kennst Du mich? rief ich ganz entrüstet. — Wie sollt' ich doch nicht, sagte sie scherzend, hab' ich Dir denn nicht selber die Halskrause zu der Maske ge¬ näht? — Ich bemerkte nun wohl, daß sie mich ver¬ kannte, konnte aber nicht wissen, für wen sie mich hielt, und gieng daher stillschweigend neben ihr her. Wir waren unterdeß von der Gesellschaft abge¬ kommen, die Musik schallte nur noch schwach nach, die Beleuchtung gieng gar aus, von Ferne gewit¬ terte es hin und wieder. Warum bist Du so still? sagte sie wieder. Ich weiß nicht, fuhr sie fort, ich bin heut traurig bey aller Lust, und ich könnte es auch nicht beschreiben, wie mir zu Muthe ist. Aber ihr harten Männer achtet gar wenig darauf. — Wir kamen an eine Laube, in deren Mitte eine Guitarre auf einem Tischchen lag. Sie nahm die¬ selbe und fieng an, ein italienisches Liedchen zu sin¬ gen. Mitten im Liede brach sie aber wieder ab. Ach, in Italien war es doch schöner! sagte sie, und lehnte die Stirn an meine Brust. Angelina! rief ich, um sie zu ermuntern. Sie richtete sich schnell auf und lauschte dem Rufe, wie einem alten, wohlbekannten Tone, auf den sie sich nicht recht besinnen konnte. — Dann sagte sie: Ich bitte Dich, singe etwas, denn mir ist zum sterben bange! Ich nahm die Guitarre und sang folgende Romanze, die mir in diesem Augenblick eben sehr deutlich durch den Sinn gieng: Nachts durch die stille Runde Rauschte des Rheines Lauf, Ein Schifflein zog im Grunde, Ein Ritter stand darauf. Die Blicke irre schweifen Von seines Schiffes Rand, Ein blutigrother Streifen Sich um das Haupt ihm wand. Der sprach: „Da oben stehet Ein Schlößlein über'm Rhein, Die an dem Fenster stehet: Das wird die Liebste mein. Sie hat mir Treu' versprochen, Bis ich gekommen sey, Sie hat die Treu' gebrochen, Und alles ist vorbey.“ Ich bemerkte hier bey dem Scheine eines Bli¬ tzes, daß Angelina heftig geweint hatte und noch fortweinte. Ich sang weiter: Viel' Hochzeitleute drehen Da oben laut und bunt, Sie bleibet einsam stehen, Und lauschet in den Grund. Und wie sie tanzten munter, Und Schiff und Schiffer schwand, Stieg sie vom Schloß hinunter, Bis sie im Garten stand. Die Spielleut' musizirten, Sie sann gar mancherley, Die Töne sie so rührten, Als müßt' das Herz entzwey. Da trat ihr Bräut'gam süsse Zu ihr aus stiller Nacht, So freundlich er sie grüßte, Daß ihr das Herze lacht. Er sprach: „Was willst Du weinen, Weil alle fröhlich sey'n? Die Stern' so helle scheinen, So lustig geht der Rhein. Das Kränzlein in den Haaren, Steht Dir so wunderfein, Wir wollen etwas fahren, Hinunter auf dem Rhein.“ Zum Kahn' folgt' sie behende, Setzt' sich ganz vorne hin, Er setzt' sich an das Ende Und ließ das Schifflein zieh'n. Sie sprach: „Die Töne kommen Verworren durch den Wind, Die Fenster sind verglommen, Wir fahren so geschwind. Was sind das für so lange Gebirge weit und breit? Mir wird auf einmal bange In dieser Einsamkeit! Und fremde Leute stehen, Auf mancher Felsenwand Und stehen still und sehen So schwindlich über'n Rand.“ — Der Bräut'gam schien so traurig Und sprach kein einzig Wort, Schaut in die Wellen schaurig Und rudert immerfort. Sie sprach: „Schon seh' ich Streifen, So roth im Morgen steh'n, Und Stimmen hör' ich schweifen, Am Ufer Hähne kräh'n. Du siehst so still und wilde, So bleich wird Dein Gesicht, Mir graut vor Deinem Bilde — Du bist mein Bräut'gam nicht!“ — Ich bitte Dich um Gotteswillen, unterbrach mich hier Angelina dringend, nimm die Larve ab, ich fürchte mich vor Dir. — Laß das, sagte ich ab¬ wehrend, es giebt fürchterliche Gesichter, die das Herz in Stein verwandeln, wie das Haupt der Medusa. — Ich hatte fast zu viel gesagt und griff rasch wieder in die Saiten: Da stand er auf — das Sausen Hielt an in Fluth und Wald — Es rührt mit Lust und Grausen, Das Herz Ihr die Gestalt. Und wie mit steinern'n Armen Hob er sie auf voll Lust, Drückt ihren schönen, warmen Leib an die eis'ge Brust. Licht wurden Wald und Höhen, Der Morgen schien blutroth, Das Schifflein sah man gehen, Die schöne Braut d'rin todt. Kaum hatte ich noch die letzte Strophe ge¬ endiget, als Angelina mit einem lauten Schrey neben mir zu Boden fiel. Ich schaue ringsum und erblicke mein eignes, leibhaftiges Konterfey im Ein¬ gange des Boskets: dieselbe schwarze Rittermaske, die nemliche Größe und Gestalt. — Laß mein Weib , verführerisches Blendwerk der Hölle! rief die Maske, ausser sich, und stürzte mit blankem Schwerdte so wüthend auf mich ein, daß ich kaum Zeit genug hatte, meinen eigenen Degen zu zieh'n. Ich erstaunte über die Aehnlichkeit seiner Stimme mit der meinigen, und begriff nun, daß mich Ange¬ lina für diesen ihren Mann, den Grafen selber, gehalten hatte. In der Bewegung des Gefechts war ihm indeß die Larve vom Gesicht gefallen, und ich erkannte mit Grausen den fürchterlichen Unbe¬ kannten wieder, dessen Schreckbild mich durchs ganze Leben verfolgt. Mir fiel die Prophezeyung ein. Ich wich entsetzt zurück, denn er focht unbe¬ sonnen in blinder Eifersucht und ich war im Vor¬ theil. Aber es war zu spät, denn in demselben Augenblicke rannte er sich wüthend selber meine Degenspitze in die Brust und sank todt nieder. Mein dunkler, wilder, halbunwillkührlicher Trieb war nun erfüllt. Finsterer, als die Nacht um mich, eilte ich den Garten hinab. Ein Kahn stand unten am Ufer des Stromes angebunden. Ich stieg hinein und ließ ihn den Strom hinabfah¬ ren. Die Nacht vergieng, die Sonne gierig auf und wieder unter, ich saß und fuhr noch immer¬ fort. Den anderen Morgen verlohr sich der Strom zwischen wilden, einsamen Wäldern und Schluften. Der Hunger trieb mich ans Land. Es war diese Gegend hier. Ich fand nach einigem Herumirren das Schloß, das ihr gesehen. Ein alter, verrück¬ ter Einsiedler wohnte damals dann, von dessen früherem Lebenslaufe ich nie etwas erfahren konn¬ te. Es gefiel nur gar wohl in dieser Wuste und ich blieb bey ihm. Kurze Zeit darauf starb der Alte und hinterließ mir seine alten Bücher, sein verfallenes Schloß und eine Menge Goldes in den Kellern. Ich hätte nun wieder in die Welt zuruck¬ kehren können mit dem Schatze, zum allgemeinen Nutzen und Vergnügen. Aber ich passe nirgends mehr in die Welt hinein. Die Welt ist ein gro¬ ßer, unermeßlicher Magen und braucht leichte, weiche, bewegliche Menschen, die sie in ihren viel¬ fach-verschlungenen, langweiligen Kanälen verar¬ beiten kann. Ich tauge nicht dazu, und sie wirft solche Gesellen wieder aus, wie unverdauliches Ei¬ sen, fest, kalt, formlos und ewig unfruchtbar. — So endigte Rudolph seine Erzählung, welche die beyden Grafen in eine nachdenkliche Stille ver¬ senkt hatte. Leontin hatte sich, als Rudolph das Schloß der Angelina beschrieb, an jenen kurzen Be¬ such erinnert, den er nach dem Brande mit Frie¬ drich'n auf dem Schlosse der weißen Frau abgelegt, und konnte sich der Vermuthung nicht erwehren, daß diese vielleicht Angelina selber war. — Es war unterdeß dunkel geworden, der Mond trat eben über den einsamen Bergen hervor. Ihr wißt nun alles, gute Nacht! sagte Rudolph schnell und gieng von ihnen fort. Sie sahen ihm lange nach, wie sein langer, dunkler Schatten sich zwischen den ho¬ hen Bäumen verlohr. Als sie wieder oben in ihrem Zimmer waren, ergriff Leontin Mariens Guitarre, die sie dort ver¬ gessen hatte, und sang über den stillen Kreis der Wälder hinaus: Nächtlich dehnen sich die Stunden, Unschuld schläft in stiller Bucht, Fernab ist die Welt verschwunden, Die das Herz in Träumen sucht. Und der Geist tritt auf die Zinne, Und noch stiller wird's umher, Schauet mit dem starren Sinne In das Wesenlose Meer. Wer ihn sah bey Wetterblicken Steh'n in seiner Rüstung blank: Den mag nimmermehr erquicken Reichen Lebens frischer Drang. — Fröhlich an den öden Mauern Schweift der Morgensonne Blick, Da versinkt das Bild mit Schauern, Einsam in sich selbst zurück. Vierundzwanzigstes Kapitel . Friedrich und Leontin vermehrten nun auch den wunderlichen Haushalt auf dem alten Waldschlosse. Der unglückselige Rudolph lag gegen beyde und al¬ le Welt mit Witz zu Felde, so oft er mit ihnen zusammenkam. Doch geschah dieß nur selten, denn er schweifte oft Tagelang allein im Walde umher, wo er sich mit sich selber oder den Rehen, die er sehr zahm zu machen gewußt, in lange Unterredun¬ gen einzulassen pflegte. Ja, es geschah gar oft, daß sie ihn in einem lebhaften und höchstkomischen Gespräche mit irgend einem Felsen oder Steine überraschten, der etwa durch eine Mundähnliche Oeffnung oder weise vorstehende Nase eine eigne, wunderliche Phisiognomie machte. Dabey bildeten die Narren, welche er auf seinen Streifzügen, die er noch bisweilen ins Land hinab machte, zusam¬ mengerafft, eine seltsame Akademie um ihn, alle ernsthaften Thorheiten der Welt in fast schauerlicher und tragischer Karikatur travestirend. Jeder dersel¬ ben hatte seine bestimmte Tagesarbeit im Hauswe¬ sen. Durch diese fortlaufende Beschäftigung, die Einsamkeit und reine Bergluft kamen viele von ihnen nach und nach wieder zur Vernunft, wo sie dann Rudolph wieder in die Welt hinaussandte und gerührt auf immer von ihnen Abschied nahm. In Friedrich'n entwickelte diese Abgeschiedenheit endlich die ursprüngliche religiöse Kraft seiner See¬ le, die schon im Weltleben, durch gutmüthiges Staunen geblendet, durch den Drang der Zeiten oft verschlagen und falsche Bahnen suchend, aus al¬ len seinen Bestrebungen, Thaten, Poesieen und Irrthümern hervorleuchtete. Jetzt hatte er alle sei¬ ne Pläne, Talentchen, Künste und Wissenschaften unten zurückgelassen, und las wieder die Bibel, wie er schon einmal als Kind angefangen. Da fand er Trost über die Verwirrung der Zeit und das ein¬ zige Recht und Heil auf Erden in dem heiligen Kreutze. Er hatte endlich den phantastischen, tau¬ sendfarbigen Pilgermantel abgeworfen und stand nun in blanker Rüstung als Kämpfer Gottes gleich¬ sam an der Gränze zweyer Welten. Wie oft, wenn er da über die Thäler hinaussah, fiel er auf seine Kniee und betete inbrünstig zu Gott, ihm Kraft zu verleihen, was er in der Erleuchtung er¬ fahren, durch Wort und That seinen Brüdern mitzutheilen. — Leontin dagegen wurde hier oben ganz melankolisch und wehmüthig, wie ihn Friedrich noch niemals gesehen. Es fehlte ihm hier alle Handhabe, das Leben anzugreifen. — Eines Tages, da sie beyde zusammen einen, ihnen bis jetzt noch unbekannten Weg eingeschlagen und sich weiter als gewöhnlich von dem Schlosse verirrt hatten, kamen sie auf einmal auf einer An¬ höhe zwischen den Bäumen heraus zu einer wun¬ dervollen Aussicht, die sie innigst überraschte. Mit¬ ten in der Waldeseinsamkeit stand nemlich ein Klo¬ ster auf einem Berge; hinter dem Berge lag plötz¬ lich das Meer in seiner schauerlichen Unermeßlich¬ keit, von der anderen Seite sah man weit in das ebene Land hinaus. Es schien eben ein Fest in dem Kloster gewesen zu seyn, denn lange bunte Züge von Wallfahrern wallten durch das Grün den Berg hinab und sangen geistliche Lieder, deren rührende Weise sich gar anmuthig mit den Klängen der Abendglocken vermischte, die ihnen von dem Kloster nachhallten. Leontin sah ihnen stillschweigend nach, bis ihr Gesang in der Ferne verhallte und die Gegend in dämmernde Stille versank. Dann nahm er die Guitarre, die hier überall seine Begleiterin war, und sang folgendes Lied: Laß, mein Herz, das bange Trauern, Um vergang'nes Erdenglück, Ach, von dieser Felsen Mauern Schweifet nur umsonst dem Blick! Sind denn alle fortgegangen: Jugend, Sang und Frühlingslust? Lassen, scheidend, nur Verlangen Einsam mir in meiner Brust? Vöglein Vöglein hoch in Lüften reisen, Schiffe fahren auf der See, Ihre Segel, ihre Weisen Mehren nur des Herzens Weh. Ist vorbey das bunte Ziehen, Lustig über Berg und Kluft, Wenn die Bilder wechselnd fliehen, Waldhorn immer weiter ruft? Soll die Lieb' auf sonn'gen Matten, Nicht mehr bau'n ihr prächtig Zelt, Uebergolden Wald und Schatten, Und die weite, schöne Welt? — Laß das Bangen, laß das Trauern, Helle wieder nur den Blick! Fern von dieser Felsen Mauern, Blüht dir noch gar manches Glück! Beyde Freunde wurden still nach dem Liede und giengen schweigend nebeneinander wieder nach dem Schlosse zurück. Die abgefallenen Blätter ra¬ schelten schon unter ihren Tritten auf dem Boden, ein herbstlicher Wind durchstrich den seufzenden Wald und verkündigte, daß die fröhliche Sommers¬ zeit bald Abschied nehmen wolle. Sie schienen bey¬ de besonderen Gedanken und Entschlüssen nachzuhän¬ gen, die sie an jenem Platze gefaßt hatten. Als der Mond die alten Zinnen des Schlosses beleuchtete, trat Leontin auf einmal reisefertig vor Friedrich. Ich ziehe fort, sagte er, der Winter kommt bald, mir ist als läge das ganze Leben wie 29 diese Felsen hier auf meiner Brust, und ein Strom von Thränen möchte aus dem tiefsten Herzen aus¬ brechen, um die Berge wegzuwälzen; ich muß fort, ziehe Du auch mit! — Friedrich schüttelte lächelnd den Kopf, aber im Innersten war er trau¬ rig, denn er fühlte, daß sich ihr Lebenslauf nun bedeutend und vielleicht auf immer scheiden werde. Leontin zog endlich sein Pferd hervor und führ¬ te es langsam am Zügel hinter sich her, während ihm Friedrich noch eine Strecke weit das Geleite gab. Der volle Mond gieng eben über dem stillen Erdkreise auf, man konnte in der Tiefe weit hin¬ aus den Lauf der Ströme deutlich unterscheiden. Leontin war ungewöhnlich gerührt und drang noch¬ mals in Friedrich’n, mit hinunterzuzieh’n. Du weißt nicht, was Du forderst, sagte dieser ernst, locke mich nicht noch einmal hinab in die Welt, mir ist hier oben unbeschreiblich wohl, und ich bin kaum erst ruhig geworden. Dich will ich nicht halten, denn das muß von Innen kommen, sonst thut es nicht gut. Und also ziehe mit Gott! Die beyden Freun¬ de umarmten einander noch einmal herzlich, und Leontin war bald in der Dunkelheit verschwunden. Ihm zogen nun bald auch Vögel, Laub, Blu¬ men und alle Farben nach. Der alte grämliche Winter saß melankolisch mit seiner spitzen Schnee¬ haube auf dem Gipfel des Gebirges, zog die bun¬ ten Gardinen weg, stellte wunderlich nach allen Seiten die Kulissen der lustigen Bühne, wie in ei¬ ner Rumpelkammer, auseinander und durcheinander, baute sich phantastisch blitzende Eispalläste und zer¬ störte sie wieder und schüttelte unaufhörlich eisige Flocken aus seinem weiten Mantel darüber. Der stumme Wald sah aus wie die Säulen eines umge¬ fallenen Tempels, die Erde war weiß, so weit die Blicke reichten, das Meer dunkel; es war eine un¬ beschreibliche Einsamkeit da droben. Rudolphs seltsam verwildertem Gemüth war diese Zeit eben recht. Er streifte oft halbe Tage lang mitten im Sturm und Schneegestöber auf al¬ len den alten Plätzen umher. Abends pflegte er häufig bis tief in die Nacht auf seiner Sternwarte zu sitzen und die Konjunkturen der Gestirne zu be¬ obachten. Eine Menge alter astrologischer Bücher lag dabey um ihn her, aus denen er verschiedenes auszeichnete und geheimnißvolle Figuren bildete. Nach solchen Perioden machte er dann gewöhn¬ lich wieder größere Streifzüge, manchmal bis ans Meer, wo es ihm eine eigne Lust war, ganz al¬ lein auf einem Kahne mit Lebensgefahr in die wil¬ de, unermeßliche Einöde hinauszufahren. Bisweilen verirrte er sich auch wohl in den Thälern zu man¬ chem einsamen Landschlosse, wenn er in der Fa¬ schingszeit die Fenster hellerleuchtet sah. Er be¬ trachtete dann gewöhnlich draussen die Tanzenden durchs Fenster, wurde aber immer bald von dem rasenden Trompeten und Geigen wieder vertrieben. 29 * Als er einmal von so einem Zuge zurückkam, erzählte er Friedrich'n, er habe unten weit von hier einen großen Leichenzug gesehen, der sich bey Fa¬ ckelschein und mit schwarzbehängten Pferden lang¬ sam über die beschneyten Felder hinbewegte. Er habe weder die Gegend, noch die Personen ge¬ kannt, die der Leiche im Wagen folgten. Aber Leontin sey bey dem Zuge, ohne ihn zu bemer¬ ken, an ihm vorübergesprengt. — Friedrich erschrack über diese düstere Bothschaft. Aber er konnte nicht errathen, welchem alten Bekannten der Zug gegol¬ ten, da sich Rudolph weiter um nichts bekümmert hatte. Friedrich setzte indeß noch immer seine geistli¬ chen Betrachtungen fort. Er besuchte, so oft es nur das Wetter erlaubte, das nahgelegene Kloster, das er an Leontins Abschiedstage zum erstenmal gesehen, und blieb oft Wochenlang dort. Rudol¬ phen konnte er niemals bewegen, ihn zu begleiten, oder auch nur ein einzigesmal die Kirche zu besu¬ chen. Er fand in dem Prior des Klosters einen frommen, erleuchteten Mann, der besonders auf der Kanzel in seiner Begeisterung, gleich einem Apostel, wunderbar und alterthümlich erschien. Frie¬ drich schied nie ohne Belehrung und himmlische Be¬ ruhigung von ihm und mochte sich bald gar nicht mehr von ihm trennen. Und so bildete sich denn sein Entschluß, selber ins Kloster zu gehen, im¬ mer mehr zur Reife. Der Winter war vergangen, die schöne Früh¬ lingszeit ließ die Ströme los und schlug weit und breit ihr liebliches Reich wieder auf, da erblickte Friedrich eines Morgens, da er eben von der Höhe schaute, unten in der Ferne zwey Reiter, die über die grünen Matten hinzogen. Sie verschwanden bald hinter den Bäumen, bald erschienen sie wieder auf einen Augenblick, bis sie Friedrich endlich in dem Walde völlig aus dem Gesichte verlohr. Er wollte nach einiger Zeit eben wieder in das Schloß zurückkehren, als die beyden Reiter plötzlich vor ihm aus dem Walde den Berg heraufkamen. Er erkannte sogleich seinen Leontin. Sein Beglei¬ ter, ein feiner, junger Jäger, sprang ebenfalls vom Pferde und kam auf ihn zu. Setzen wir uns, sagte Leontin gleich nach der ersten Begrüssung munter; ich habe Dir viel zu sagen. Vor allem: kennst Du den ? Hiebey hob er dem Jäger den Hut aus der Stirne, und Frie¬ drich erkannte mit Erstaunen die schöne Julie, die in dieser Verkleidung mit niedergeschlagenen Augen vor ihm stand. Wir sind auf einer großen Reise begriffen, sagte er darauf. Die Jungfrau Europa, die so hochherzig mit ihren ausgebreiteten Armen dastand, als wolle sie die ganze Welt umspan¬ nen, hat die alten, sinnreichen, frommen, schönen Sitten abgelegt uud ist eine Metze geworden. Sie buhlt frey mit dem gesunden Menschenverstande, dem Unglauben, Gewalt und Verrath, und ihr Herz ist dabey besonders eingeschrumpft. — Pfuy, ich habe keine Lust mehr an der Philisterin! Ich reise weit fort von hier, in einen anderen Welt¬ theil, und Julie begleitet mich. — Friedrich sah ihn bey diesen Worten groß an. — Es ist mein voller Ernst, fuhr Leontin fort, Juliens Vater ist auch gestorben, und ich kann hier nicht länger mehr le¬ ben, wie ich nicht mag und darf. Friedrich erfuhr nun auch, daß sie Land und alles, was sie hier besessen, zu Gelde gemacht, und ein eigenes Schiff bereits in der abgelegenen Bucht, die an das erwähnte Kloster stieß, bereit liege, um sie zu jeder Stunde aufzunehmen. — Er konnte, un¬ geachtet der schmerzlichen Trennung, nicht umhin, sich über dieses Vorhaben zu freuen, denn er wu߬ te wohl, daß nur ein frisches, weites Leben seinen Freund erhalten könne, der hier in der allgemei¬ nen Misere durch fruchtlose Unruhe und Bestrebung nur sich selber vernichtet hätte. Sie sprachen dort noch lange darüber. Julie saß unterdeß still mit dem einen Arme auf Leontins Kniee gestützt und sah überaus reitzend aus. — Seit ihr denn getraut? fragte Friedrich Leontinen leise. — Julie hatte es demohngeachtet gehört, und wurde über und über roth. Es wurde nun sogleich beschlossen, die Trauung noch heute in dem Kloster zu vollziehen. Man be¬ gab sich daher in das alte Schloß, die Felleisen wurden abgeschnallt und Julie mußte sich umziehen. Friedrich bereitete unterdeß fröhlich alles, was sich hier schaffen ließ, zu einem lustigen Hochzeitsfeste, während Leontin, der sich in dieser Lage als feyer¬ licher Bräutigam gar komisch vorkam, allerhand Possen machte, und die seltsamsten Anstalten traf, um das Fest recht phantastisch auszuschmücken. Endlich erschien Julie wieder. Sie hatte ein weisses Kleid, die schönen goldenen Haare fielen in langen Locken über den Nacken und die Schultern, man konnte sie nicht ansehen, ohne sich an irgend ein schönes altdeutsches Bild zu erinnern. Sie be¬ stiegen nun alle ihre Pferde und zogen so, Julie'n in die Mitte nehmend, auf das Kloster zu. Als sie die letzte Höhe vor demselben erreichten, wo auf einmal das Meer durch die Wälder und Hügel sei¬ nen furchtbargroßen Geisterblick hinaufsandte, that. Julie einen Freudenschrey über den unerwarteten, noch nie gehabten Anblick, und sah dann den gan¬ zen Weg über mit den großen, sinnigen Augen stumm in das wunderbare Reich, wie in eine unbe¬ kannte, gewaltige Zukunft. Die Glockenklänge von dem Klosterthurme kamen ihnen wunderbartröstend aus der unermeßlichen Aussicht entgegen. In dem Kloster selbst war eben das Wall¬ farthsfest, das alle Jahr einigemal gefeyert wur¬ de, wiedergekehrt. Die Einsamkeit ringsherum war wieder bunt belebt, eine Menge Pilger war, als sie dort ankamen, in kleinen Haufen unter den grü¬ nen Bäumen vor der Kirche gelagert, die Kirche selbst mit Blumen und grünen Reisern freundlich geschückt. Friedrich hatte schon früher den Prior von ihrer Ankunft benachrichtigen lassen, und so wurden denn Leontin und Julie noch diesen Vor¬ mittag in der Kirche feyerlich zusammengegeben. Die Menge fremder Pilger freute sich über das fremde Paar. Nur eine hohe, junge Dame, die einen dichten Schleyer über das Gesicht geschlagen hatte, lag seitwärts vor einem einsamen Altare voll Andacht auf den Knieen und schien von allem, was hinter ihr in der Kirche vorgieng, nichts zu bemerken. Friedrich sah sie; sie kam ihm bekannt vor. — Diese einsame Gestalt, das unaufhörliche Ringen und Brausen der Orgeltöne, der fröhliche Sonnenschein, der draussen vor der offenen Thüre auf dem grünen Platze spielte, alles drang so selt¬ sam rührend auf ihn ein, als wollte das ganze vergangene Leben noch einmal mit den ältesten Er¬ innerungen und langvergessenen Klängen an ihm vorübergehen, um auf immer Abschied zu nehmen. Ihm fiel dabey recht ein, wie nun auch Leontin fortreise und wahrscheinlich nie mehr wiederkomme, und eine unbeschreibliche Wehmuth bemächtigte sich seiner, so daß er ins Freye hinaus mußte. Er gieng draussen unter den hohen Bäumen vor der Kirche auf und ab und weinte sich herzlich aus. Die Zeremonie war unterdeß geendigt, und sie ritten wieder nach dem alten Schlosse zurück. Auf dem grünen Platze vor demselben empfieng sie un¬ ter den hohen Bäumen ein reinlich gedeckter Tisch; große Blumensträuße und vielfarbiges Obst stand in silbernen Gefäßen zwischen dem goldenblickenden Wein und hellgeschliffenen Gläsern, alle das fröh¬ lichbunte Gemisch von Farben gab in dem Grün und unter blauheiterm Himmel einen frischerlocken¬ den Schein. Man hatte, was in dem Schlosse nicht zu finden war, schnell aus dem Kloster herbeyge¬ schafft. Rudolph ließ sich nirgends sehen. Sie assen und tranken nun in der grünen Ein¬ samkeit, während der Kreis der Wälder in ihre Gespräche hineinrauschte. Julie saß still in die Zu¬ kunft versenkt und schien innerlich entzückt, daß nun endlich ihr ganzes Leben in des Geliebten Gewalt gegeben sey. So kam der Abend heran. Da sahen sie zwey Männer, die in einem lebhaften Gespräche mitein¬ ander begriffen schienen, aus dem Walde zu ihnen heraufkommen. Sie erkannten Rudolphen an der Stimme. Kaum hatte ihn Julie, die schon von dem vielen Weine erhitzt war, erblickt, als sie laut auf¬ schrie und sich furchtsam an Leontin andrückte. Es war dieselbe dunkle Gestalt, die sie bey dem Lei¬ chenzuge ihres Vaters aus dem Wagen einsam auf dem beschneyten Felde hatte stehen sehen. — O seht, was ich da habe, rief ihnen Rudolph schon von weitem entgegen, ich habe im Walde ei¬ nen Poeten gefunden, wahrhaftig, einen Poeten! Er saß unter einem Baume und schmälte laut auf die ganze Welt in schönen gereimten Versen, daß ich bis zu Thränen lachen mußte. Gieb dich zufrie¬ den, Gevatter! sagte ich so gelinde als möglich zu ihm, aber er nimmt keine Vernunft an, und schimpft immerfort. — Rudolph lachte hiebey so übermässig und aus Herzensgrund, wie sie ihn noch niemals gesehen. Sie hatten indeß in seinem Begleiter mit Freu¬ den den langentbehrten Herrn Faber erkannt. Leontin sprang sogleich auf, ergriff ihn und walzte mit ihm auf der Wiese herum, bis sie beyde nicht mehr weiter konnten. Et tu Brute? — rief end¬ lich Faber aus, als er wieder zu Athem gekommen war, nein, das ist zu toll, der Berg muß verzau¬ bert seyn! Unten begegne ich der kleinen Marie, ich will sie aus alter Bekanntschaft haschen und küs¬ sen, und bekomme eine Ohrfeige, weiter oben sitzt auf einer Felsenspitze eine Figur mit breitem Man¬ tel und Krone auf dem Haupt, wie der Metall¬ fürst, und will mir grämlich nicht den Weg wei¬ sen, ein als Ritter verkappter Phantast rennt mich fast um, dann falle ich jenem Melankolikus da in die Hände, der nicht weiß, warum er lacht, und nachdem ich mich endlich mit Lebensgefahr hinaufge¬ arbeitet habe, seyd ihr hier oben am Ende auch noch verrückt. — Das kann wohl seyn, sagte Leon¬ tin lustig, denn ich bin verheyrathet (hiebey küßte er Julien, die ihm die Hand auf den Mund legte) und Friedrich da, fuhr er fort, will ins Kloster geh'n. Aber Du weißt ja den alten Spruch: sie haben sich zu Thoren gemacht vor der Welt. — Und nun sage mir nur, wie in aller Welt Du uns hier aufgefunden hast? Faber erzählte nun, daß er auf einer Wall¬ farth zu dem Kloster begriffen gewesen, von dessen schöner Lage er schon viel gehört. Unterwegs habe er am Meere von Schiffsleuten vernommen, daß sich Leontin hier oben aufhalte, und daher den Berg bestiegen. — Rudolph verwandte unterdeß mit komischer Aufmerksamkeit kein Auge von dem kurzen, runden, wohllebigen Manne, der mit so lebhaften Gebehrden sprach. Faber setzte sich zu ihnen und sie theilten ihm nun zu seiner Verwunderung ihre Plane mit. Rudolph war indeß auch wieder still geworden, und saß wie der steinerne Gast unter ihnen am Tische. Julie blickte ihn oft seitwärts an und konnte sich noch immer einer heimlichen Furcht vor ihm nicht erwehren, denn es war ihr, als ver¬ gienge diesem kalten und klugen Gesichte gegenüber ihre Liebe und alles Glück ihres Lebens zu nichts. Die Nacht war indeß angebrochen, die Sterne prangten an dem heiteren Himmel. Da erklang auf einmal Musik aus dem nächsten Gebüsche. Es wa¬ ren Spielleute aus dem Kloster, die Leontin bestellt hatte. Rudolph stand bey den ersten Klängen auf, sah sich ärgerlich um und gieng fort. Leontin, von den plötzlichen Tönen wie im in¬ nersten Herzen erweckt, hob sein Glas hoch in die Höhe und rief: Es lebe die Freyheit! Wo? — fragte Faber, indem er selbst langsam sein Glas aufhob. — Nur nicht etwa in der Brust des Phi¬ losophen allein, erwiederte Leontin, unangenehm gestört. Diese allgemeine, natürliche, philosophische Freyheit, der jede Welt gut genug ist, um sich in ihrem Hochmuthe frey zu fühlen, ist mir eben so in der Seele zuwider, als jene natürliche Religion, welcher alle Religionen einerley sind. Ich meyne jene uralte, lebendige Freyheit, die uns in großen Wäldern wie mit wehmüthigen Erinnerungen an¬ weht, oder bey alten Burgen sich wie ein Geist auf die verfallene Zinne stellt, der das Menschenschiff¬ lein unten wohl zufahren heißt, jene frische, ewig¬ junge Waldesbraut, nach welcher der Jäger früh¬ morgens aus den Dörfern und Städten hinauszieht und sie mit seinem Horne lockt und ruft, jener rei¬ ne, kühle Lebensathem, den die Gebirgsvölker auf ihren Alpen einsaugen, daß sie nicht anders leben können, als wie es der Ehre geziemt. — Aber da¬ mit ist es nun aus. — Wenn unserer Altvordern Herzen wohl mit dreyfachem Erz gewappnet waren, das vor dem rechten Strahle erklang, wie das Erz von Dodona, so sind die unsrigen nun mit sechsfa¬ cher Butter des häuslichen Glückes, des guten Ge¬ schmacks, zarter Empfindungen und edelmüthiger Handlungen umgeben, durch die kein Wunderlaut bis zu der Talggrube hindurchdringt. Zieht dann von Zeit zu Zeit einmal ein wunderbarer, altfrän¬ kischer Gesell, der es noch ehrlich und ernsthaft meynt, wie Don Quixote, vorüber, so sehen Her¬ ren und Damen nach der Tafel, gebildet und ge¬ mächlich, zu den Fenstern hinaus, stochern sich die Zähne und ergötzen sich an seinen wunderlichen Kapriolen, oder machen wohl gar auch Sonette auf ihn, und meynen, er sey eine recht interessante Erscheinung, wenn er nur nicht eigentlich verrückt wäre. — Das alte große Rache-Schwerdt haben sie sorglich vergraben und verschüttet, und keiner weiß den Fleck mehr, und darüber auf dem lockeren Schutt bauen sie nun ihre Villen, Parks, Eremi¬ tagen und Wohnstuben, und meynen in ihrer ver¬ nünftigen Dummheit, der Plunder könne so fortbe¬ steh'n. Die Wälder haben sie ausgehauen, denn sie fürchten sich vor ihnen, weil sie von der alten Zeit zu ihnen sprechen und am Ende den Ort noch verrathen könnten, wo das Schwerdt vergraben liegt. — Leontin ergriff hiebey hastig die Guitarre, die neben ihm auf dem Rasen lag, und sang: O könnt' ich mich niederlegen Weit in den tiefsten Wald, Zum Haupte den guten Degen, Der noch von den Väteru alt! Und dürft' von allem nichts spüren In dieser dummen Zeit, Was sie da unten handthieren, Von Gott verlassen, zerstreut; Von fürstlichen Thaten und Werken, Von alter Ehre und Pracht, Und was die Seele mag stärken, Verträumend die lange Nacht! Denn eine Zeit wird kommen, Da macht der Herr ein End', Da wird den Falschen genommen Ihr unächtes Regiment. Denn, wie die Erze vom Hammer, So wird das lock're Geschlecht, Gehau'n seyn von Noth und Jammer, Zu festem Eisen recht. Da wird Aurora tagen, Hoch über den Wald hinauf, Da giebt's was zu siegen und schlagen, Da wacht, ihr Getreuen, auf! Und so, sagte er, will ich denn in dem noch unberührten Waldesgrün eines anderen Welttheils Herz und Augen stärken, und mir die Ehre und die Erinnerung an die vergangene große Zeit, so wie den tiefen Schmerz über die gegenwärtige hei¬ lig bewahren, damit ich der künftigen besseren, die wir alle hoffen, würdig bleibe, und sie mich wach und rüstig finde. Und Du, fuhr er zu Julien ge¬ wendet fort, wirst Du ganz ein Weib seyn, und, wie Shakespear sagt, dich dem Triebe hingeben, der dich zügellos ergreift und dahin oder dorthin reißt, oder wirst du immer Muth genug haben, dein Leben etwas Höherem unterzuordnen? Und dämmert endlich die Zeit heran, die mich Gott er¬ leben lasse! wirst du fröhlich sagen können: Ziehe hin! denn was du willst und sollst, ist mehr werth, als dein und mein Leben? — Julie nahm ihm fröh¬ lich die Guitarre aus der Hand und antwortete mit folgender Romanze: Von der deutschen Jungfrau . Es stand ein Fräulein auf dem Schloß, Erschlagen war im Streit ihr Roß, Schnob wie ein See die finstre Nacht, Wollt' überschrey'n die wilde Schlacht. Im Thal die Brüder lagen todt, Es brannt' die Burg so blutigroth, In Lohen stand sie auf der Wand, Hielt hoch die Fahne in der Hand. Da kam ein röm'scher Rittersmann, Der ritt keck an die Burg hinan, Es blitzt sein Helm gar mannigfach, Der schöne Ritter also sprach: „Jungfrau, komm' in die Arme mein! Sollst deines Siegers Herrinn seyn. Will bau'n dir einen Pallast schön, In prächt'gen Kleidern sollst du geh'n. Es thun dein' Augen mir Gewalt, Kann nicht mehr fort aus diesem Wald. Aus wilder Flammen Spiel und Graus, Trag' ich mir meine Braut nach Haus!“ Der Ritter ließ sein weißes Roß, Stieg durch den Brand hinauf ins Schloß, Viel Knecht' ihm waren da zur Hand, Zu holen das Fräulein von der Wand. Das Fräulein stieß die Knecht' hinab, Den Liebsten auch ins heiße Grab, Sie selbst dann in die Flammen sprang, Ueber ihnen die Burg zusammensank. Faber brach, als sie geendigt hatte, einen Ei¬ chenzweig von einem herabhängenden Aste, bog ihn schnell zu einem Kranze zusammen und überreichte ihr denselben, indem er mit altritterlicher Galanterie vor ihr hinkniete. Julie drückte den Kranz mit sei¬ nen frischgrünen, vollen Blättern lächelnd in ihre blonden Locken über die ernsten, großen Augen, und sah so wirklich dem Bilde nicht unähnlich, das sie besungen. — Es ist seltsam, sagte Faber darauf, wie sich unser Gespräch nach und nach beynah in einen Wechselgesang aufgelöst hat. Der weite, gestirnte Himmel, das Rauschen der Wälder ringsumher, der innere Reichthum und die überschwengliche Wonne, mit welcher neue Entschlüsse uns jederzeit erfüllen, alles kommt zusammen; es ist, als hörte die Seele in der Ferne unaufhörlich eine große, himmlische Melodie, wie von einem unbekannten Strome, der durch die Welt zieht, und so werden am Ende auch die Worte unwillkührlich melodisch, als wollten sie jenen wunderbaren Strom erreichen und mitzieh'n. So fällt auch mir jetzt ein Sonett ein, das Euch am besten erklären mag, was ich von Leontins Vorhaben halte. Er sprach: In Wind verfliegen sah ich, was wir klagen, Erbärmlich Volk um falscher Götzen Thronen, Wen'ger Gedanken, deutschen Landes Kronen, Wie Felsen, aus dem Jammer einsam ragen. Da Da mocht' ich länger nicht nach Euch mehr fragen, Der Wald empfieng, wie rauschend! den Entfloh'¬ nen, In Burgen alt, an Stromeskühle wohnen, Wollt' ich auf Bergen bey den alten Sagen. Da hört' ich Strom und Wald dort so mich tadeln: „Was willst, Lebend'ger du, hier über'm Leben, Einsam verwildernd in den eignen Tönen? Es soll im Kampf der rechte Schmerz sich adeln, Den deutschen Ruhm aus der Verwüstung heben, Das will der alte Gott von seinen Söhnen!“ Friedrich sagte: Es ist sehr wahr, wovon Ihr Sonett da spricht, und doch billige ich Leontins Plan vollkommen. Denn wer, von Natur unge¬ stümm, sich berufen fühlt, in das Räderwerk des Weltganges unmittelbar mit einzugreifen, der mag von hier flüchten so weit er kann. Es ist noch nicht an der Zeit zu bauen, so lange die Backstei¬ ne, noch weich und unreif, unter den Händen zer¬ fließen. Mir scheint in diesem Elend, wie immer, keine andere Hülfe, als die Religion . Denn wo ist in dem Schwalle von Poesie, Andacht, Deutsch¬ heit, Tugend und Vaterländerey, die jetzt, wie bey der babylonischen Sprachverwirrung, schwankend hin und hersummen, ein sicherer Mittelpunkt, aus wel¬ chem alles dieses zu einem klaren Verständniß, zu einem lebendigen Ganzen gelangen könnte? Wenn das Geschlecht vor der Hand einmal alle seine irdi¬ schen Sorgen, Mühen und fruchtlosen Versuche, 30 der Zeit wieder auf die Beine zu helfen, vergessen und wie ein Kleid abstreifen, und sich dafür mit voller, siegreicher Gewalt zu Gott wenden wollte, wenn die Gemüther auf solche Weise von den gött¬ lichen Wahrheiten der Religion lange vorbereitet, erweitert, gereinigt und wahrhaft durchdrungen würden, daß der Geist Gottes und das Große im öffentlichen Leben wieder Raum in ihnen gewönne, dann erst wird es Zeit seyn, unmittelbar zu han¬ deln, und das alte Recht, die alte Freyheit, Ehre und Ruhm in das wiedereroberte Reich zurückzufüh¬ ren. Und in dieser Gesinnung bleibe ich in Deutsch¬ land und wähle nur das Kreutz zum Schwerdte. Denn wahrlich, wie man sonst Missionnarien unter Kannibalen aussandte, so thut es jetzt viel mehr Noth in Europa, dem ausgebildeten Heyden¬ sitze. Faber kam aus tiefen Gedanken zurück, als Friedrich ausgeredet hatte. Wie ihr da so sprecht, sagte er, ist mir gar seltsam zu Muthe. War mir doch, als verschwände dabey die Poesie und alle Kunst wie in der fernsten Ferne, und ich hätte mein Leben an eine reitzende Spielerey verlohren. Denn das Haschen der Poesie nach Aussen, das geistige Verarbeiten und Bekümmern um das, was eben vorgeht, das Ringen und Abarbeiten an der Zeit, so groß und lobenswerth als Gesinnung, ist doch im¬ mer unkünstlerisch. Die Poesie mag wohl Wurzel schla¬ gen in demselben Boden der Religion und Nationa¬ lität, aber unbekümmert, bloß um ihrer himmlischen Schönheit willen, als Wunderblume zu uns her¬ aufwachsen. Sie will und soll zu nichts brauch¬ bar seyn. Aber das versteht ihr nicht, und macht mich nur irre. Ein fröhlicher Künstler mag sich vor Euch hüten. Denn wer die Gegenwart aufgiebt, wie Friedrich, wem die frische Lust am Leben und seinem überschwenglichen Reichthume gebrochen ist, mit dessen Poesie ist es aus. Er ist wie ein Mah¬ ler ohne Farben. Friedrich, den die Zurückrufung der großen Bilder seiner Hoffnungen innerlichst fröhlich gemacht hatte, nahm statt aller Antwort die Guitarre, und sang nach einer alten, schlichten Melodie: Wo treues Wollen, redlich Streben Und rechter Sinn der Rechte spürt, Da muß die Seele ihm erheben, Das hat mich jedesmal gerührt. Das Reich des Glaubens ist geendet, Zerstört die alte Herrlichkeit, Die Schönheit weinend abgewendet, So Gnadenlos ist unsre Zeit. O Einfalt gut in frommen Herzen, Du züchtig schöne Gottesbraut! Dich schlugen sie mit frechen Scherzen, Weil Dir vor ihrer Klugheit graut. Wo find'st Du nun ein Haus, vertrieben, Wo man Dir deine Wunder läßt, Das treue Thun, das schöne Lieben, Des Lebens fromm vergnüglich Fest? 30 * Wo find'st Du Deinen alten Garten, Dein Spielzeug, wunderbares Kind, Der Sterne heil'ge Redensarten, Das Morgenroth, den frischen Wind? Wie hat die Sonne schön geschienen! Nun ist so alt und schwach die Zeit, Wie stehst so jung Du unter ihnen, Wie wird mein Herz mir stark und weit! Der Dichter kann nicht mit verarmen; Wenn alles um ihn her zerfällt, Hebt ihn ein göttliches Erbarmen, Der Dichter ist das Herz der Welt. Den blöden Willen aller Wesen, Im Irdischen des Herren Spur, Soll er durch Liebeskraft erlösen, Der schöne Liebling der Natur. D'rum hat ihm Gott das Wort gegeben, Das kühn das Dunkelste benennt, Den frommen Ernst im reichen Leben, Die Freudigkeit, die keiner kennt. Da soll er singen frey auf Erden, In Lust und Noth auf Gott vertrau'n, Daß alle Herzen freyer werden, Erathmend in die Klänge schau'n. Der Ehre sey er recht zum Horte, Der Schande leucht' er ins Gesicht! Viel Wunderkraft ist in dem Worte, Das hell aus reinem Herzen bricht. Vor Eitelkeit soll er vor allen Streng hüten sein unschuld'ges Herz, Im Falschen nimmer sich gefallen, Um eitel Witz und blanken Scherz. O laßt unedle Mühe fahren, O klingelt, gleißt und spielet nicht Mit Licht und Gnad', so ihr erfahren, Zur Sünde macht ihr das Gedicht! Den lieben Gott laß in dir walten, Aus frischer Brust nur treulich sing'! Was wahr in dir, wird sich gestalten, Das andre ist erbärmlich Ding. — Den Morgen seh' ich ferne scheinen, Die Ströme zieh'n im grünen Grund, Mir ist so wohl! — die's ehrlich meynen, Die grüß' ich all' aus Herzensgrund! Faber reichte Friedrich'n, der die Guitarre wie¬ der weglegte, die Hand zur Versöhnung. — Der Morgen warf unterdeß wirklich schon, vom Meere her ungewisse Scheine über den dämmernden Him¬ mel, hin und wieder erwachten schon frühe Vögel im Walde, alle Wipfel fiengen an sich frischer zu rühren. Da sprang Leontin fröhlich mitten auf den Tisch, hob sein Glas hoch in die Höh' und sang: Kühle auf dem schönen Rheine, Fuhren wir vereinte Brüder, Tranken von dem goldnen Weine, Singend gute deutsche Lieder. Was uns dort erfüllt die Brust, Sollen wir halten, Niemals erkalten Und vollbringen treu mit Lust! Und so wollen wir uns theilen, Eines Fels verschiedne Quellen, Bleiben so auf hundert Meilen Ewig redliche Gesellen! Alle stießen freudig mit ihren Gläsern an, und Leontin sprang wieder vom Tische herab. Denn so eben sahen sie Rudolphen, unter beyden Armen schwer bepackt, aus der Burg auf sie zukommen. Lustig! lustig! rief er, als er den Gläserklirrenden Jubel sah, frisch, spielt auf, Flöten und Geigen! Da habt ihr Gold! Hiebey warf er zwey große Geldsäcke vor ihnen auf die Erde, daß die Gold¬ stücke nach allen Seiten in das Gras hervorrollten. — Das ist ein lustiges Metall, fuhr er fort, wie es in die fröhliche, unschuldige Welt hinaushüpft und rollt, mit den verwunderten Gräsern funkelnd spielt und mit dunkelrothen, irren Flammen zuckt, liebäugelnd, klingend und lockend! Verfluchter, unterirdischer, rothäugiger Lügengeist, der niemals hält, was er verspricht! Da nehmt alles, greift zu! Kauft Ehre, kauft Liebe, kauft Ruhm, Lust und alles Ergötzen der Erde, seyd immer satt und immer wieder durstiger bis ans Grab, und wenn ihr dabey einmal fröhlich und zufrieden werdet, so mögt ihr mir danken. — Alle sahen ihn erstaunt an. Faber sagte: ich achte das Geld nur, wenn ich es brauche. Aber Dichter brauchen immer Geld. Und hiemit packte er ruhig alle seine Taschen voll, so daß er mit dem aufgeschwollenen Rocke sehr lächerlich anzusehen war. Rudolph nahm hierauf kurzen Abschied von al¬ len und wandte sich wieder nach seinem Schlosse zurück. Friedrich eilte ihm nach, er wollte ihn so nicht geh'n lassen. Da kehrte er sich noch einmal zu ihm. Du willst ins Kloster? fragte er ihn, und blieb stehen. Ja, sagte Friedrich, und hielt seine Hand fest, und was willst Du nun künftig begin¬ nen? — Nichts —, war Rudolphs Antwort. — Ich bitte Dich, sagte Friedrich, versenke Dich nicht so fürchterlich in Dich selbst. Dort findest Du nim¬ mermehr Trost. — Du gehst niemals in die Kirche. — In mir, erwiederte Rudolph, ist es wie ein unabsehbarer Abgrund und alles still. — Friedrich glaubte dabey zu bemerken, daß er heimlich im Innersten bewegt war. — O könnt' ich alles Große wecken, fuhr er dringender fort, was in Dir ver¬ zweifelt und gebunden ringt! Hast Du doch selber erzählt, daß Dich alle wissenschaftliche Philosophie nicht befriedigte, daß Du darin Gott und Dich nie erkanntest. So wende Dich denn zur Religion zu¬ rück, wo Gott selber unmittelbar zu Dir spricht, Dich stärkt, belehrt und tröstet! — Du meynst es gut, sagte Rudolph finster, aber das ist es eben in mir: ich kann nicht glauben . Und da mich denn der Himmel nicht mag, so will ich mich der Ma¬ gie ergeben. Ich gehe nach Aegypten, dem Lande der alten Wunder. — Hiemit drückte er seinem Bruder schnell die Hand und gieng mit großen Schritten in den Wald hinein. Sie sahen ihn nicht mehr wieder. Lange blickten sie ihm nach und bedauerten den unglücklich verwirrten, als ein Schiffer ankam, um Leontinen an die Abfarth zu mahnen, indem so eben ein günstiger Wind vom Lande trieb. Alle sahen einander stillschweigend an und schienen er¬ schrocken, da nun der Augenblick wirklich da war, den sie selber lange vorbereitet hatten. Der Schiffer übernahm das wenige Gepäck, und sie machten sich sogleich auf den Weg nach dem Meere. Friedrich begleitete sie. Langsam rückten, Berge und Wälder bey jedem Schritte immer wei¬ ter hinter ihnen zurück, das Meer rollte sich vor ihren Blicken auseinander. Friedrich sagte unterwegs: Mir gleicht unsere Zeit dieser weiten, ungewissen Dämmerung! Licht und Schatten ringen noch ungeschieden in wunder¬ baren Massen gewaltig miteinander, dunkle Wolken zieh'n Verhängnißschwer dazwischen, ungewiß, ob sie Tod oder Segen führen, die Welt liegt unten in weiter, dumpfstiller Erwartung. Cometen und wunderbare Himmelszeichen zeigen sich wieder, Ge¬ spenster wandeln wieder durch unsere Nächte, fabel¬ hafte Syrenen selber tauchen, wie vor nahen Ge¬ wittern, von neuem über den Meeresspiegel und singen, alles weißt wie mit blutigem Finger war¬ nend auf ein großes, unvermeidliches Unglück hin. Unsere Jugend erfreut kein sorglos leichtes Spiel, keine fröhliche Ruhe, wie unsere Väter, uns hat frühe der Ernst des Lebens gefaßt. Im Kampfe sind wir gebohren, und im Kampfe werden wir, überwunden oder triumphirend, untergeh'n. Denn aus dem Zauberrauche unserer Bildung wird sich ein Kriegs-Gespenst gestalten, geharnischt, mit bleichem Todtengesicht und blutigen Haaren; wessen Auge in der Einsamkeit geübt, der sieht schon jetzt in den wunderbaren Verschlingungen des Dampfes die Lineamente dazu aufringen und sich leise formi¬ ren. Verlohren ist, wen die Zeit unvorbereitet und ungewaffnet trifft; und wie mancher, der weich und aufgelegt zu Lust und fröhlichem Dichten, sich so gern mit der Welt vertrüge, wird, wie Prinz Hamlet, zu sich selber sagen: Weh', daß ich zur Welt, sie einzurichten, kam! Denn aus ihren Fu¬ gen wird sie noch einmal kommen, ein unerhörter Kampf zwischen Altem und Neuem beginnen, die Leidenschaften, die jetzt verkappt schleichen, werden die Larven wegwerfen und flammender Wahnsinn sich mit Brandfackeln in die Verwirrung stürzen, als wäre die Hölle losgelassen, Recht und Unrecht, beyde Partheyen, in blinder Wuth einander ver¬ wechseln, — Wunder werden zuletzt geschehen um der Gerechten willen, bis endlich die neue und doch ewig alte Sonne durch die Gräuel bricht, die Don¬ ner rollen nur noch fernab an den Bergen, die weiße Taube kommt durch die blaue Luft geflogen und die Erde hebt sich verweint, wie eine befreyte Schöne, in neuer Glorie empor. — O Leontin! wer von uns wird das erleben! — Sie waren unterdeß ans Gestade gekommen. Leontin umarmte hierauf noch einmal die Freunde, Friedrich küßte Julien auf die Stirne, und die drey bestiegen ihr Schiff. Faber ritt landeinwärts fort. Friedrich kehrte ins Kloster zurück, um es niemals mehr zu verlassen. Als er in die Kirche eintrat, fand er dort noch alles leer und stille. Nur einige fromme Pilger waren noch hin und her in den Bänken zerstreut. Auch die hohe, verschleyerte Dame von Gestern be¬ merkte er wieder unter ihnen. Er kniete vor ein Altar und betete. Als er wieder aufstand und sich umwandte, wobey ihm durch ein offnes Fenster die Morgenhelle grade auf Brust und Gesicht fiel, sank plötzlich die Dame ohnmächtig auf den Boden nie¬ der. Mehrere Bediente sprangen herbey und brach¬ ten sie vor die Thüre, wo ein Wagen ihrer zu warten schien. — Es war Rosa. — Friedrich hatte nichts mehr davon bemerkt. Beruhigt und glückselig war er in den stillen Klo¬ stergarten hinausgetreten. Da sah er noch, wie von der einen Seite Faber zwischen Strömen, Weinbergen und blühenden Gärten in das blitzen¬ de, buntbewegte Leben hinauszog, von der ande¬ ren Seite sah er Leontins Schiff mit seinem weißen Segel auf der fernsten Höhe des Meeres zwischen Himmel und Wasser verschwinden. Die Sonne gieng eben prächtig auf. Ende . Freunden einer unterhaltenden Lektüre sind folgende, bei dem Verleger erschienene Werke zu empfehlen, welche man in allen guten Buchhandlungen und wohleingerichteten Leihbibliotheken findet. Adolph und Virginie , oder Liebe und Kunst, von Caroline Paulus . 8. 1 thlr. oder 1 fl. 48 kr. Semiramis . Ein Trauerspiel von Voltaire , in Jamben übersetzt von Caroline Paulus . 8. 12 gr. oder 48 kr. Natalie Percy , oder Eitelkeit und Liebe. Eine Novelle, frei bearbeitet nach den Confessions des Hrn. von Pr . . . . ., von Caroline Paulus . Mit einem schönen Kupfer. 8. 18 gr. oder 1 fl. 24 kr. Eginhard und Emma . Ein Schauspiel in drei Aufzügen von Friedrich Baron de la Motte Fouqu é . 8. 9 gr. oder 36 kr. Liana , Gräfin von Wallberg, und Karl Werns¬ dorf , von Regiomontanus . 8. 1 thlr. 16 gr. oder 3 fl. Blumenblätter aus den Gefilden der Phantasie und Geschichte gesammelt von dem Frhrn. Fr . Karl von Dankelmann . 2 Sammlungen mit 2 Kupfern. 8. 1 thlr. 4 gr. oder 1 fl. 48 tr. Geschich¬ Geschichte des Zwillings a Pede von Jo¬ hannes Author . ( Kanne .) 8. 18 gr. oder 1 fl. 6 kr. Peter Schlemihl's wundersame Geschich¬ te ; mitgetheilt von A. von Chamisso , und herausgegeben von Friedrich Baron de la Motte Fouqu é . Mit 2 Titelkupfer. 8. 18 gr. oder 1 fl. 21 kr. Neue Gemälde der Liebe ; vom Verfass. der Auguste . Mit 1 Kupf. 8. 18 gr. oder 1 fl. 24 kr. Frauentaschenbuch für das Jahr 1815. her¬ ausgegeben von Friedr . Baron de la motte Fouqué . Erster Jahrgang. Mit schönen Kupfern und in sauberm Einbande. gr. 12. 2 thlr. oder 3 fl. 36 kr. Deutschlands edle Frauen werden nicht verschmähen, was Er , der ihr Geschlecht auf so mannichfache Weise verherrlicht — ein ächter deutscher Ritter in That und Wort — ihnen bietet. Es ist genug zu bemerken, daß ausser den Blumen, die Er und seine sinnige Genossin in Leben und Kunst, in diesen schönen Kranz geflochten, noch viele un¬ serer Lieblinge, unter andern Mancher, der schon im „deutschen Dichterwald“ uns erfreut und er¬ hoben, ihre Gaben gespendet, und daß ausserdem, was an das Höhere erinnert, auch manches Bild aus dem gewöhnlichen Lebens- und Wirkungs¬ kreis einer deutschen Frau mit reizender Natur und fröhlicher Gemüthlichkeit sich hier gezeichnet findet. Für 1816. erscheint der zweite Jahrgang. Die Gegenstände zu den Kupfertafeln sind zum Theil wieder aus de la motte Fouque's neuesten Werken entnommen, und zu diesen soll in dem Frauentaschenbuche eine interessante bild¬ liche Gallerie fortwährend geliefert werden. Ferner ist bei dem Verleger erschienen und durch jede solide Buchhandlung zu bekommen Nürnbergisches Taschenbuch ; herausgegeben von J. F. Roth. 2. Bdchen. mit 6 illuminirten Abbildungen, in Taschenformat, gebunden mit Schuber. 3 thlr. 8 gr. oder 5 fl. 30 kr. Das historisch-statistische Gemälde einer Stadt, der Deutschland, ja die Welt so viel verdankt, kann nicht anders als von höchstem Interesse für die Geschich¬ te gesamter deutscher Nazion seyn. Hier blühte seit alter Zeit jede schöne und nützliche Kraft des Menschen¬ geistes; hier errangen sich edle Geschlechter durch mann¬ hafte Tugend, durch Liebe zu Kunst und Wissenschaft, unsterblichen Ruhm, der kühne Gedanke der Entdeckung einer neuen Welt — das größte Ereigniß aller Jahr¬ tausende — kam hier zuerst in eines Sterblichen Herz; in deutscher Kunst gebührt Nürnberg und seinem großen Albrecht Dürer der erste Platz — und noch immer wird deutscher Sinn in diesen ehrwürdigen Mauern am reinsten gefunden. Schreger , D. C. H. Th., d. j., kosmetisches Ta¬ schenbuch für Damen, zur gesundheitsgemäßen Schönheitspflege ihres Körpers durchs ganze Le¬ ben und in allen Lebensverhältnissen. Mit einem schönen Titelkupf. 8. 1 thlr. 4 gr. oder 1 fl. 48 kr. Welch Geschenk käme dem holden Geschlecht will¬ kommener, als eine Anweisung in der lieblichen Kunst, eben das schöne zu seyn, der süssesten aber flüchtig¬ sten Gabe des Himmels einen längeren Flor zu verlei¬ hen, als der gemeine Naturlauf ihr zu gönnen scheint? Noch besitzen wir kein Werk, welches diesen Gegenstand so so gründlich und vollständig, und zugleich mit so zartem Sinne für Schönheit behandelte. Ueber Pflege der Schönheit in jedem Alter und Lebensverhältniß, so wie über Vertilgung etwa vorhandener Flecken und Mängel, finden sich hier die bewährtesten Vorschriften; so wie auch der Anhang unschuldiger künstlicher Schönheitsmit¬ tel (Schminken) diejenigen befriedigen wird, welche nicht Lust haben, sich durch die leider so häufigen me¬ tallischen zu vergiften.