Gockel, Hinkel und Gackeleia ein Maͤhrchen . Herzliche Zueignung . Keiner Puppe, sondern nur Einer schönen Kunstfigur weihe ich dieses Paradieschen, diese Rarität, diese Kunst, diese verspäteten Schmetterlinge, dieses Adonisgärtchen, dieses Mährchen; Sie halte ihnen den Daumen, friste ihnen das Leben, laße sie welken und sterben auf kindlichen Händen. Liebstes Großmuͤtterchen! Nimm nur Gockel, Hinkel und Gacke¬ leia freundlich bei dir auf. Demuͤthig all dein Lebtage verlaͤugnetest du immer nur dich, nimmer aber mich, und so mag der Alektryo munter zwischen uns kraͤhen, ohne uns zu erschrecken. Auch jetzt brauchst du dich meiner nicht zu schaͤmen, denn erst am Schluße dieser hoͤchst wahrhaften Geschichte, als sie selbst zu einem Maͤhr¬ chen und alle darin verwickelten hohen und niedern Standesper¬ sonen zn Kindern geworden, lege ich dir die ganze Bescherung maͤhrchenhaft zu Fuͤßen, und kannst du mich mit gutem Gewissen fuͤr dein Enkelchen halten. — Wie oft hast du uns Kindern den Christbaum geschmuͤckt und mit Lichtern erleuchtet, und mit der Herzliche Zueignung. Schelle klingelnd, die Thore des verlornen Paradiesgaͤrtchens er¬ oͤffnet, daß wir unschuldige Fruͤchte vom Baume des Lebens pfluͤck¬ ten. Nicht aus mir, sondern nur aus Achtung vor den ehrwuͤrdigen Leuten, die aus ihren Ursachen die Welt verkehrt nennen, habe ich den Nuͤrnberger Bilderbogen von der verkehrten Welt genauer studirt, und, um eine hoͤchst wichtige Luͤcke in ihm zu ergaͤnzen, das feierliche Amt eines Enkels uͤbernommen, der seiner Großmutter ein Maͤhr¬ chen beschert. — Vor Allem aber zuͤrne mir nicht, wenn du das Meiste in diesem Maͤhrchen als das Deine wieder erkennest; ach Gro߬ muͤtterchen! wo sollte ich dann alle die artigen Verkleidungen und sieben Saͤchelchen, die ganze Garderobe der Puppe — nein der nur allerschoͤnsten Kunstfigur her haben, als aus dem reizenden Glas¬ schraͤnkchen in deiner Stube, in dem alle die Alter- und Neuer¬ thuͤmer der Orden des Ostereis, der Taͤndelei, der Kinderei und der freudigen frommen Kinder aus Gelnhausen, Gockelsruh und Henne¬ gau und die heiligen Reichskleinodien des Laͤndchens Vadutz, wenn ich mich nicht irre, aufbewahrt sind? — woher sollte ich alle die kuriosen Kraͤuter und Blumen, alle die Hahnen- und Huͤnerpflanzen und das ganze Marienklostergaͤrtchen denn haben, als aus deinen botanischen Vorrathskammern und Trockenanstalten zur Bekraͤnzung des mensch lichen Lebens? — ja du Kraͤnzewinderin, Kronenbinderin, Straͤußerkraͤus¬ lerin, aus deinen vielen getrockneten Blumensammlungen habe ich gestohlen, und von dir habe ich gelernt, mit jener Anhaͤnglichkeit, die aus dem Herzen des Lebensbaumes quillt, diese Blumen dir zur Er¬ heiterung um ein Maͤhrchen herum zu befestigen, wie du sie deinen Freunden mit jenem Gummi, das aus der Rinde der arabischen Acacia vera quillt, um artige Bilder und Reime in schoͤner Anord¬ nung auf Papier zu heften pflegst. Aus deiner großen Gallerie aus¬ geschnittener Bildchen habe ich den groͤßten Theil der artigen Figuͤr¬ chen, welche ich hier, gleich dir, in scherz und ernsthafter Combina¬ tion zu einem Bilderbuche zusammengeklebt habe, und zwar von dir fuͤr dich. Ach! wenn ich so recht in der Arbeit war, sah ich oft nach der Gegend von Gockelsruh hin und dachte, dort herum sitzt jetzt vielleicht auch schon das Großmuͤtterchen und klebt mir und den an¬ dern Kindern mit großer Geduld ein Bilderbuch zur Beschauung zu¬ sammen. — Wenn du alles das Deine nicht gleich wieder erkennst, so mußt du bedenken, daß große Leute nicht mit den Fingern auf die kleinen Großmuͤtter deuten duͤrfen, und daß ich erst am Schluße Herzliche Zueignung. des Maͤhrchens ein Kind geworden bin, um in dieser Zueignung mit der Wahrheit herausplatzen zu duͤrfen. In vielen Zuͤgen jedoch wirst du dich gewiß gern wiederfinden, z. B. in allen den Fahnen bei dem Leichenzuge des armen Kindes von Hennegau; denn ich selbst habe ja schon solche Fahnen aus deinen Haͤnden den Armen gegeben. Auch der Name und Orden des armen Kindes von Hennegau muß deinem Herzen nahe liegen, denn liebes Großmuͤtterchen, wir sind wohl beide arme Kinder, wenn gleich nicht von Hennegau. Die Ortsnamen wirst du uͤberhaupt nicht zu strenge nehmen, denn du weißt, daß alle hoͤchst wichtigen, oder gar nothwendigen Begebenheiten, Gott sey Dank, uͤberall geschehen sind. Du fragst mich, was mich meine leibliche Großmutter oft gefragt: „woher hast du nur alle das wunderliche Zeug?“ — ich antworte: „ach, es ist nicht weit her!“ — die Grund¬ lage von dem Hahn und dem Ring hoͤrte ich als Knabe von einem waͤlschen Chocolatemacher kraͤhend erzaͤhlen. — Gelnhausen praͤgte sich mir in der Jugend durch den Zettel an einer Bude mit Wachsfiguren ein, welcher lautete: „wahrhafte Abbildung der beiden Gebruͤder Vatermoͤrder von Gelnhausen“ — als sey dies eine Handlungsfirma. Spaͤter ein Mal durch diese Stadt fahrend, glaubte ich besonders viele Baͤcker und Fleischerladen dort zu sehen; waͤre aber dieses nur ein Spiel der Phantasie gewesen, so mahnt mich doch heut eine Fuͤgung, allen Lohn, den mir Gockel je zu Tage scharren wird, nach Gelnhausen zu wenden. — In das Land Hennegau bin ich durch Gockel und Hinkel gerathen; das Laͤndchen Vadutz aber habe ich von Jugend auf seines kuriosen Namens wegen gar lieb ge¬ habt, ohne doch je zu wissen, wo es eigentlich liegt; ich habe auch nie darnach gefragt, um nicht aus einem jener Traͤume zu kommen, welche die Pillen der sogenannten Wirklichkeit vergolden. Vadutz ist mir noch jetzt das Land aller Schaͤtze, Geheimnisse und Kleinodien und dort ist mir das Thule, wo der Koͤnig den liebsten Be¬ cher, ehe er starb, in die Fluth hinab geworfen. Da ich als ein Knabe in dem Comtoir den gelehrten Rabbi Gedalia Schnapper mit dem unvergleichlichen Abarbanel Meyer auf Tod und Leben, so daß man mehrmals Wasser auf sie gießen mußte, um sie auseinan¬ der zu bringen, uͤber die Lage eines wunderbaren Landes disputiren hoͤrte, welches der Fluß Sabbathion umfließt, der die ganze Woche ein unzugaͤngliches Steinmeer ist und nur am Sabbath seine Wogen bewegt, floh ich auf den Speicher in die Einsiedelei eines leeren Zu¬ Herzliche Zueignung. ckerfasses und beweinte die Blindheit der Menschen, welche nicht fuͤhl¬ ten, daß jenes Land nothwendig das Laͤndchen Vadutz seyn muͤsse. Alle Wundergebirge der Geschichte, Fabel- und Maͤhrchenwelt, Him¬ melaya, Meru, Albordi, Kaf, Ida, Olymp und der glaͤserne Berg lagen mir im Laͤndchen Vadutz. Alle seltsamen, merkwuͤrdigen und artigen Dinge von den Reichskleinodien bis zum Nuͤrnberger Guck¬ glaͤschen à 4 kr., in dem Erbsen, Goldblaͤttchen und blauer Streu¬ sand unter einem Vergroͤßerungsglas geschuͤttelt, alle Schaͤtze der Welt darstellen, schienen mir aus Vadutz zu seyn. In der sogenannten Schachtelkammer des Hauses voll abentheuerlichen Geruͤmpels war mir das Archiv von Vadutz, ja das goldne Zeichen uͤber unserem Haus¬ thor selbst schien mir aus diesem gelobten Laͤndchen, als es in wirrer Zeit den Kopf verloren, zu uns emigrirt. Auf der Gallerie aber, einem schon vornehmeren Bewahrungsraum, war mir die Schatz- und Kunstkammer. Hier war das Arsenal verflossener Christfeste, hier wurden die Dekorationen und Maschinerien der Weihnachtskrip¬ pen bewahrt; hier stand eine Prozession allerliebster kleiner Wachs¬ puͤppchen, alle geistlichen Staͤnde, alle Moͤnche und Nonnen vom Pabste bis zum Eremiten, nach der Wirklichkeit gekleidet, und gleich neben ihnen das Modell eines Kriegsschiffes. O Schatzkammer von Vadutz, was botst du Alles dar? Vor allem aber entzuͤckte mich ein kunstreicher Besatz von den Braut- und Festkleidern meiner Großmut¬ ter. Nie kann ich die Bauschen und Puffen von Seide und Spitzen vergessen, gleich Berg und Thal eines Feenlandes, gleich den Zau¬ bergaͤrten der Armida von den Gewinden feiner, allerliebster, bun¬ ter Seidenbluͤmchen labirinthisch durchirrt. — Ich will dir es nur ge¬ stehen, liebes Großmuͤtterchen, oft, wenn ich so gluͤcklich war, den Gallerieschluͤssel zu erwischen, stellte ich mich krank, um Sonntags nicht mit den Eltern nach Gockelsruh oder auf die stille Muͤhle fah¬ ren zu muͤssen, und sperrte mich dann, wenn alle andern weg waren, zwischen diesen Herrlichkeiten ein. Das Kriegsschiff war mir zu hoͤl¬ zern, klapperig und wirr mit den vielen Stricken, Flaschenzuͤgen und Segeln, und man konnte auch nicht zu dem Kapitaͤn in die Kajuͤte hinein, man sah ihn nur durch ein Fensterchen am Tisch vor einer Landkarte und dem Kompaß unbeweglich sitzen. Ich konnte nichts mit dem Schiffe anfangen, es war kein Wasser da; — die Prozession der geistlichen Wachspuͤppchen war so delikat und zerbrechlich, daß ich sie kaum anzuschauen wagte; waͤre sie von buntem Zuckerwerke gewe¬ Herzliche Zueignung. sen, so waͤre sie vielleicht Gefahr gelaufen, durch meinen Geschmack zu erbleichen, aber in ihrer jetzigen Beschaffenheit stand sie unter den Kanonen des Kriegsschiffes sicher vor mir. — Jene biegsamen, un¬ zerbrechlichen Zaubergaͤrten von Seidendrathbluͤmchen aber, welche ich hoͤchstens ein wenig zerbog, legte ich um mich her, und saß da¬ zwischen, die drei Pomeranzen, das gruͤne Voͤgelchen, das tanzende Wasser von Gozzi lesend, und glaubte mich selbst einen verschaͤferten Prinzen, der voll Sehnsucht seine Laͤmmer in den Thaͤlern dieses Paradieses weidete und nach Erloͤsung seufzte. Ich glaubte mich dann mit diesen Zaubergaͤrten mitten in Vadutz, wo mir das Paradies, wie Lindaraxas Gaͤrtchen mitten in dem Alhambra eingeschlossen lag. — Da lebte ich eine Maͤhrchenwelt, die uͤber der Wirklichkeit, wie ein Sternhimmel uͤber einer Froschpfuͤtze lag. Man nannte diese ungemein artigen Blumenverzierungen mit vollem Recht agréments , Anmuthigkeiten, Lieblichkeiten. Als man diese Anmuthigkeiten nicht mehr trug, benuͤtzte man ihre Ueberbleibsel, kleine Heiligen-Bilder oder Wachskindchen damit zu umgeben, und nannte diese unter einem Glase bewahrt, Paradieschen, welche die Kinder mit großer Lust betrach¬ teten, sich fest einbildend, Adam und Eva seyen einst mit allen Geschoͤpfen in solcher Herrlichkeit herumspaziert. Weil nun jeder Mensch wohl fuͤhlt, daß er das Paradies verloren hat, und sich da¬ her irgend ein Surrogat erschaffen, sich mit irgend einem Schmuck, einer Krone u. dgl. verkleiden, verschoͤnern moͤchte, machten sich von je die Toͤchter der Menschen, naiv genug, solche kleine Gaͤrten aus ver¬ gaͤnglichen Dingen, wozu aller Putz der Frauen und die kleinen Ado¬ nisgaͤrtchen gehoͤren, die bei dem Adonisfeste um Sonnenwende prun¬ kend umher getragen und dann in den Strom geworfen wurden; so auch machen sich gern die Kinder aus dergleichen Ueberresten von Flittern irgend eine glitzernde Zusammenstellung unter einem Stuͤck¬ chen Glas, hinter einem Thuͤrchen von Papier, und zeigen ein¬ ander fuͤr eine Stecknadel diese Herrlichkeit. — Als ich spaͤter in Geschaͤften der Akademie der Menschenkenner eine große Reise mit dem gelehrten Wunderkind Monsieur Heinicke machte, theils um dem verlornen Paradies, theils um allen Raritaͤten und der Kunst auf die Spur zu kommen, war das Resultat unsers Reiseberichts: „Einige bunte Seidefloͤckchen mit Goldfaͤdchen, Flittern und andern Agre¬ ments mehr oder weniger fantastisch verwirrt und hinter einem Qua¬ dratzoll weißen Glases auf Papier platt gedruͤckt, und das Alles Herzliche Zueignung. mit einem Thuͤrchen bedeckt, ließen uns an vielen Orten die Kinder um den Preis einer Stecknadel sehen, weswegen wir der Akademie 12 kr. fuͤr einen Brief Stecknadeln berechnen. Ueberall war es ei¬ gentlich dasselbe; mir schien uns merkwuͤrdig, daß in Koͤln ein Hei¬ ligenbildchen darin war und man es ein Paradies nannte, daß in Nuͤrnberg ein Spielpfennig darin war und man es eine Raritaͤt nannte, daß in Berlin ein Bischen Rauchpulver darin war und man es eine Kunst nannte. Ueberall aber kostete es nur eine Stecknadel.“ Laͤngere Zeit hielt ich mich und eine meiner Schwestern fuͤr die privatisirenden Besitzer von Vadutz, und wir erzaͤhlten uns jeden Morgen die Tugenden, welche wir in den Traͤumen der letz¬ ten Nacht an Land und Leuten inkognito ausgeuͤbt hatten. Unsere Ver¬ dienste haͤuften sich dermaßen, daß wir sie in Bataillone einthei¬ len und außer den Revuen in den Feldbau entlassen mußten. Es reicht hin, wenn ich sage, daß wir die Akazienbaͤume, den Erd¬ mandel-Caffee, den Schluͤsselblumen-Champagner, die Uebung des Koͤrpers durch Tanzen fuͤr alle drei christlichen Religionspartheien, das Gichtpapier, die Toleranzpomade, die Beruhigungs-Schawls à 2 fl. 24 kr., die Kaͤppchen aus Freundschaft à 12 kr. die Kuhpo¬ cken, die Kunst ein guter Juͤngling, ein edles Maͤdchen zu werden, und Elise, das Weib, wie es seyn soll, und Alles, wie es seyn soll und nie seyn wird, und die wasserdichten Lobzettel in Vadutz einfuͤhrten. Unsere Geldsorten schnitten wir aus Goldpapier. Unsre Gnadenge¬ schenke bestanden aus Abschnitten von Zuckerpapier, welches noch die Fußtapfen der darauf gebackenen Bisquits trug. — So machten wir Alles und vor Allem uns hoͤchst gluͤcklich. — Da nun eine Kaiser¬ kroͤnung nahte und oft von den Reichskleinodien und allerlei Beleh¬ nungen gesprochen wurde, dachten wir uns auch Reichskleinodien von Vadutz aus. Wir regierten inkognito, die Kleinodien mußten also versteckt getragen werden. Nie hatte ich etwas blinkenderes gesehen, als die Epaulets eines ungarischen Magnaten, und so verfertigte ich dann aus Goldpapier und allerlei Flittern Achselbaͤnder, als die Reichskleinodien von Vadutz, die ich versteckt unter meiner Weste tragen konnte. Da nun alle Reichskleinodien eine sehr alte Geschichte haben, und ich keine aͤltere Geschichte von Kleinodien wußte, als daß Abrahams Knecht der Rebecka Armringe angelegt, so ließ ich die Reichskleinodien von Vadutz, die Schulterbaͤnder der Rebecka seyn; und weil die aͤltern Geschwister, wenn ich mich bei dem Bilder-An¬ Herzliche Zueignung. schauen ihnen uͤber die Schultern lehnte, mehrmals gesagt: „du meinst wohl, du seyst der Kaiser, daß du mich belehnen willst?“ so nannte ich auch diese Schulterbaͤnder die Lehnskleinode von Vadutz. — Aber kein Gluͤck besteht auf Erden! — und jetzt, liebes Groͤßmuͤtterchen, ist endlich die Zeit gekommen, da ich dich mit dem Ursprung vieler Thraͤnen bekannt machen kann, welche ich aller Welt zum Raͤthsel ver¬ gossen habe. — Ich traͤumerischer Knabe hielt mich bei der Kaiser¬ kroͤnung fuͤr nichts mehr und nichts weniger, als den verkannten pri¬ vatisirenden Regenten von Vadutz, und wuͤrde es nach jener groͤßten Ungerechtigkeit, daß der Hauptmann von Capernaum noch immer nicht Major geworden ist, fuͤr die allergroͤßte gehalten haben, wenn beim Ritterschlag nach der Frage: „ist kein Dalberg da?“ nicht die Frage gefolgt seyn wuͤrde: „ist kein edler Dynast von Vadutz da, daß er das Lehnskleinod auf seine Schultern empfange?“ — So standen meine Hoffnungen, als nun am Vorabende ihrer Erfuͤllung mich ein alter Diener des Hauses, Herr Schwab, der Buchhalter, an dessen Originalitaͤts-Staketen alle Reben, Geisblatt- und Boh¬ nenlauben unsrer Fantasie hinan gerankt waren, enttaͤuschte. Dieser seltne Mann setzte dem goldnen Kopf bald die Amalia, bald die Lie¬ sel (so hießen seine zwei Haarbeutelperuͤcken) uͤber die Frisuren, á la Tau¬ benfluͤgel, Ninon, Sevign é , Rhinozeros, Elephant, Cagliostro, Montgol¬ fier, Heloise, Siegwart, Werther, Titus, Caracalla und Incroyable, ohne irgend eine dieser Pantomimen der Zeit, welche dem goldnen Kopf zugleich durch die Haare fuhren, zu stoͤren. Er beugte sich wie der immer bluͤhende und fruchtende Christbaum einer derben sachlichen Vorzeit uͤber einen gaͤhnenden Abgrund und uͤber den von Seufzern zerrissenen Zaun der Gegenwart bis zu der sehnsuͤchtigen Jasmin¬ laube der Pfarrerstochter von Taubenheim hin, welche beschaͤftigt war, den kaum verbleichten himmelblauen Frack Werthers und des¬ sen strohgelbe Beinkleider auf dem Grabe Siegwarts gegen Mot¬ tenfraß auszuklopfen und abwechselnd den bei der Urne seiner Ge¬ liebten verfrorenen Kapuziner nach den Methoden des Miltenberger Noth- und Hilfbuͤchleins auf zu thauen, waͤhrend Karl Moor seine bleichgehaͤrmte Wange an einen Aschenkrug lehnend ihr Mathisons Elegie in den Ruinen eines alten Bergschlosses vorlas und seitwaͤrts ein Verbrecher aus Ehrsucht mit Lida Hand in Hand im Monden¬ schimmer am Unkenteich Irrlichter weidete und nimmer vergaß, was er alda empfand. — Ein so großes Stuͤck von der Geschichtskarte * * Herzliche Zueignung. der Phantasie umfaßte jener Herr Schwab, daß ich wohl sagen kam: in den Zweigen dieses Baumes plauderten noch die Legenden, Ge¬ penstergeschichten und Maͤhrchen in naͤchtlicher Rockenstube, als schon Lenore ums Morgenroth aus schweren Traͤumen emporfuhr; — in seinen Zweigen hielten noch die asiatischen Banisen, die Simplizissimi, die Aventuͤriers, die Felsenbuͤrger, die Robinsonen, die Seeraͤuber, die Cartouche, die Finanziers und deren Jude, Suͤß Oppenheimer, Ge¬ spraͤche im Reich der Todten bis tief in die Sternennacht, da unter seinem Schatten Goͤtz von Berlichingen nebst Suite vereint mit Schil¬ lers Raͤubern der Zukunft bereits auf den Dienst lauerten, und dicht neben diesen die heilige Vehme und alle geheimen Ordensritter bis zur Dya-Na-Sore Loge hielten. Es ward ein kunterbunter Polterabend der alten und neuen Zeit unter diesem Baume gefeiert, da wetteiferte Theophrastus Bombastus Paracelsus mit Cagliostro in Theriack und Lebensaͤther, da lehrten Christian Weisens drei Erznarren den Natur¬ menschen Basedows Latein aus dem Orbis pictus Comenii , da sperrte der hoͤfliche Schuͤler den Magister Philotecknos in das Ma¬ gasin des enfans der Frau von Beaumont, bis er Knigges Um¬ gang mit Menschen auswendig konnte; da deklamirte Pater Cochem aus Eckartshausens „Gott ist die reinste Liebe“ und meditirte der Letztere aus des Ersten vier letzten Dingen, da that Siegfried von Lindenberg die genealogische Frage „was thuen die Fuͤrsten von Ho¬ henloh?“ und antwortete Huͤbner: „sie theilen sich in drei Linien.“ — Da las Eulenspiegel die Correkturbogen der neuen Heloise und sang Donquixote: „Freude schoͤner Goͤtterfunken,“ und endlich — hier tanzte der Reifrock mit der chemise grecque den Cotillon auf der Hochzeit des Kehrauses bei einem umfassenden Orchester von der alten Laute Scheidlers, der Glasharmonicka und Harfe der blinden Jungfer Pa¬ radies, einigen Maultrommeln, Papagenopfeifen und modernen Gui¬ tarren. — Ja um den Paradeplatz aller Leistungen unter dem Kom¬ mando des Herrn Schwab zu umspannen, reichte kaum das Gespinnst der alten Base Cordula zu, deren reiner Faden doch von dem Tauf¬ hemde der Fraͤulein von Sternheim bis zur Jakobinermuͤze um die Spule gelaufen war. — Dieser Janus, dieser Proteus, dieser Cen¬ taur von Scherz und Ernst, dieser mir ewig theure Herr Schwab also stellte mich bei der Kaiser Kroͤnung sehr ernsthaft zur Rede und ermahnte mich, im Stillen meine Anspruͤche auf das Laͤnd¬ chen Vadutz fallen und Gras uͤber diese kahlen Phantasien wach¬ Herzliche Zueignung. sen zu lassen, wenn ich nicht wolle auf die Mehlwage gesetzt wer¬ den, denn unter den vielen bei der Kroͤnung anwesenden Potentaten sey auch ein Fuͤrst Lichtenstein, und dieser sey der wahre Besitzer des Laͤndchens Vadutz, welches nebst der Herrschaft Schellenberg seit 1719 das Fuͤrstenthum Lichtenstein ausmache. Er ermahne mich im Guten meine seltsamen Praͤtensionen aufzugeben, denn das Fuͤrstenthum muͤße jaͤhrlich einen Reichsmatrikularanschlag von 19 fl. und 18 Rthl. 60 kr. zu einem Kammerziele bezahlen, da werde es um so schlechter mit meiner Sparbuͤchse aussehen, als ich ihm ja ohnedies noch 6 kr. Briefporto schuldig sey. — Da diese Ermahnungen mich noch immer nicht zu einem schoͤnen Bilde der Resignation machen konnten, mußte mir der groͤßte Geograph der Familie, den Artikel Vadutz aus Huͤb- ners Zeitungslexikon vorlesen, wo Alles Obige gedruckt stand; wo¬ bei es mich am tiefsten kraͤnkte, die Lage meiner Laͤndereien so veroͤf¬ fentlicht zu hoͤren. — Mir war, als einem, dem das Paradies und das Butterbrod mit der fetten Seite auf die Erde gefallen sind. — Aber ich erkannte Alles nicht an — ich hielt mich zaͤh und kraus und erwiederte: „das Papier ist geduldig und laͤßt viel auf sich drucken, was darum doch nicht wahr ist.“ — Meine Hartnaͤckigkeit machte den Geographen sehr bedenklich, so daß er mir im Katechismus zeigte, der anerkannten Wahrheit hartnaͤckig zu wiederstreben, sey eine unverzeihliche Suͤnde. Das machte mich sehr wirr, und ich war lange Zeit gar traurig, als habe sich das Paradies in meinen Haͤn¬ den in ein goldenes Wart ein Weilchen und ein silbernes Nichtschen in einem niemaligen Buͤchschen verwandelt. — Da man mich nun oft mit dem Verlust von Vadutz aufzog, und es mir sogar unter den verlornen Sachen im Wochenblaͤttchen vorlas, sagte die Hausfreun¬ din, die Frau Rath mir mitleidig ins Ohr: „Laß dich nicht irr machen, glaub du mir, dein Vadutz ist dein und liegt auf keiner Landkarte, und alle Frankfurter Stadtsoldaten und selbst die Geleitsreiter mit dem Antichrist an der Spitze koͤnnen dir es nicht wegnehmen; es liegt, wo dein Geist, dein Herz auf die Weide geht; Wo dein Himmel, ist dein Vadutz, Ein Land auf Erden ist dir nichts nutz. Dein Reich ist in den Wolken und nicht von dieser Erde, und so oft es sich mit derselben beruͤhrt, wird's Thraͤnen regnen. — Ich wuͤnsche einen gesegneten Regenbogen. Bis dahin baue deine Feen¬ Herzliche Zueignung. schloͤsser nicht auf die schimmernden Hoͤhen unter den Gletschern, denn die Lavinen werden sie verschuͤtten, nicht auf die wandelbaren Herzen der Menschen unter den Klaͤtschern, denn die Launen werden sie ver¬ wuͤsten, nein, baue sie auf die gefluͤgelten Schultern der Phantasie.“ — So war mir nun von meiner Herrschaft in Vadutz nichts geblieben, als die Reichskleinodien auf den Schultern der Fantasie, die mir wie Links und Rechts, bald Friede und Freude gaben, als sey ich gluͤck¬ lich wie Salomo, bald so viel Kummer und Hunger, daß ich den Ugolino beneidete. — Endlich aber degradirte sich die Phantasie selbst; weil ich ihr den Abschied nicht geben wollte, riß sie sich die Epaulets vor der Fronte der Philister selbst von den Schultern und warf sie mir und so mit mich sich vor die Fuͤße, nahm achselzuckend all das Meine auf die leichte Achsel und kehrte mir den Ruͤcken, ohne gute Nacht, noch Abschied zu geben oder zu nehmen. — Wer den Scha¬ den hat, darf fuͤr den Spott nicht sorgen. — Da war es ganz um mein Reich geschehen, und meine Trauer zappelte an Widerhacken. So ist die Erfindung der Achselbaͤnder von Vadutz entstanden. — Als ich und meine Betruͤbniß so herangewachsen, daß die Frau Rath uns nicht mehr Du, sondern Er nannte, sagte sie einstens: „wenn ich Ihn ansehe, geht mir es schier, wie jenem alten General, der sah einmal einen hoͤchst kummervollen Menschen in den Schloßhof hereinschleichen und als dessen elendes Aussehen sein starkes Herz ruͤhrte, zeigte er einem Be¬ dienten den Armen und sprach; „pruͤgle er mir den Menschen dort vom Hofe hinweg, denn der Kerl erbarmt mich.“ — Steht es denn so gar schlecht mit seinen Laͤndereien, Er sieht ja drein, als sey der Scepter von Juda gewichen und der Herrscher von seinen Lenden. — Komme Er heute Abend mit mir, es soll Ihm das schoͤnste Spektakel gezeigt werden, das je in Vadutz aufs Tapet gekommen ist.“ — Ich gieng mit und ich sah etwas ganz Allerliebstes, nehmlich, ein kleiner Harlekin kroch aus einem Ei und machte die zierlichsten Spruͤnge. „Nicht wahr,“ sprach sie, „das thut seinen Effekt?“ — Ich bejahte es, und schrieb nachher ein paar tausend ernsthafter Verse uͤber diese Begebenheit, die du auch kennst. — „Nu,“ sagte sie, „ist Ihm das nicht eine saubere Bescherung?“ — „Allerdings,“ erwiederte ich, „aber sie ist mir nicht beschert, mir gebuͤhrt ein Steckenpferd, keine Puppe.“ — Da sprach die Frau Rath: „er¬ stens ist es auch keine Puppe, sondern nur eine schoͤne Kunstfigur, und wenn Er dann so gewiß meint, daß sie Ihm nicht gebuͤhre, so Herzliche Zueignung. huͤte Er sich vor allen Kunstfiguren, denn sie sollen ihm als Ruthen beschert werden, das prophezeihe ich Ihm.“ — Sieh, liebes Gro߬ muͤtterchen, da hast du nun auch die Quelle des so oft im Maͤhrchen wiederkehrenden Reims: „Keine Puppe, sondern nur eine schoͤne Kunst¬ figur.“ — Als ich der Frau Rath sagte: „Wenn der Osterhaas sol¬ che Eier legen wuͤrde, moͤchten die Hasen und die Eier gewaltig im Preise steigen,“ erwiederte sie: „ja und wenn man mit den Eiern kippte, wuͤrde man behutsamer seyn, um dem Harlekin nicht ein Loch in das allerliebste Koͤpfchen zu stoßen. Haͤtte nur Wolfgang diesen Harlekin im Ei gekannt, was haͤtte der fuͤr schoͤne Maͤhrchen von ihm erzaͤhlt, denn, wenn er seine Kameraden am Osterfest die Oster¬ eier im Garten suchen ließ, bewirthete er sie immer mit einem ganzen Eierkuchen von Maͤhrchen aus dem großen Weltei, das uͤber dem Bruͤten zerbrochen, so daß aus dem obern Theil der Schale der Himmel, aus dem untern die Erde entstanden ist.“ — Hiemit weißt du nun auch, wie die vielen Eierhaͤndel und Eierorden in das Maͤhr¬ chen kommen, das ist Alles mit dem Harlekin aus dem Weltei ge¬ krochen. — Danke du Gott, daß in der inkompleten Encyklopaͤdie von Kruͤnitz, welche ich aus der Verlassenschaft des erlauchten Sala¬ thiel Salaboni, genannt Picktus, Salzgraf von Orbis erstanden habe, unter andern acht und fuͤnfzig Baͤnden, auch der eilfte und also der Artikel Ei fehlt, sonst wuͤrde ich dir noch weit mehr Eierspeisen vorgesetzt haben; — und somit habe ich dir auch eingestanden, woher ich meist Alles habe, was dieses Maͤhrchen so langweilig macht, nehmlich aus Kruͤnitz Encyklopaͤdie, und wer es nicht darin findet, bedenke doch nur, daß alle Exemplare inkomplett sind. — Vergebens wirst du dich, ausser in Schott¬ land, nach der großen breiten Schottlaͤnderin umsehen, welche am Schluße einen so derben Schatten uͤber alle die Artigkeiten wirft; eine etwas vollkommene Person hatte vor mir bedauert, daß die Erfindung durch dick und duͤnn mit mir davon gehe, da ich mir aber nur allzu fei¬ ner Zierlichkeiten bewußt war, setzte ich, damit jene Person Recht habe, diese breite Kounteß als Ballast in das Maͤhrchen und fuͤrchte schier, ihre Corpulenz sey nur Contrebande von lauter Agrements und Anmuthigkeiten. Nun muß ich dir noch eingestehen, daß ich außer dir auch dei¬ ner klugen, klaren und guten Freundin dieses Maͤhrchen widmen wollte, welche einst, da ich ihr in Gegenwart Anderer sagte, wie sehr ich sie verehren muͤße, so anmuthig strafend zu den Umstehenden Herzliche Zueignung. sprach: „Wir wissen Alle, welche artige Maͤhrchen dieser Freund er¬ zaͤhlen kann.“ — Ich wollte sie nicht Luͤgen strafen, ich widmete ihr das Maͤhrchen nicht. — Solltest du, die Blaͤtter aus dem Tagebuch der Ahnfrau am Schlusse angehaͤngt finden, so wisse, daß ich einst ein Fragment aus der Chronika eines fahrenden Schuͤlers bekannt machte, woran sich allerlei Leute erfreuten, und daß jene Blaͤtter fluͤchtige Skizzen aus dem Umfange jener Chronika sind, welche ich noch nicht in die harmonische Haltung mit dem Tone derselben ge¬ bracht hatte, die ich aber zu meiner eignen Belustigung mit der Ge¬ schichte der Ahnfrau verwebte. — Nach Allem vergib mir, daß ich dieses Maͤrchen bekannt machte, es war mein Wille nie, die andern Kinder drohten mir, weil Abschriften da sind, es selbst drucken zu lassen. — Ich willigte ein, mit dem innersten Gefuͤhl, hoͤchstens ein Mitleid dafuͤr zum Lohne zu erhalten, welches jenes des alten Generals noch hinter sich zuruͤcklaͤßt; denn die Kinder dieser Zeit, wenden mir den Ruͤcken wie die Phantasie, und die Frau Rath, Gott troͤste sie, kann mich nicht mehr troͤsten, wie einstens. — Also, vergib mir dieß Maͤhrchen, in dem Alles ein Maͤhrchen ist, außer daß ich es gewiß nicht gern gethan, und es nicht wieder thun will. — Ja liebes Großmuͤtterchen, wenn ich darum verspottet und gekraͤnkt werde, wenn sie mich am Aermel zerren, aus dem sie dieses Alles geschuͤttelt glauben, die nicht wissen, daß es aus dem Herzen ist, welches ich in der Hand trage, dann nimm du es bei dir auf, dieses Maͤhrchen und dieses Herz! — Aber lasse uns hier diese Dedikation zerbrechen, wie Kronovus und Gackeleia Bretzel und Bu¬ benschenkel bei dem Eiertanz zerbrachen, als Meister Schelm nahte, und so wir diese Pfaͤnder wohlerhalten wieder aufweisen koͤnnen, sind wir treue Spielkameraden gewesen, bis dahin wollen wir uns mit einem Druckfehler dieser Dedikation troͤsten, welchen ich hier schließend ver¬ bessere, denn statt „herzliche Zueignung,“ lese uͤberall „herzliche Zu¬ neigung, mit welcher ich verharre bis ans Ende — keiner Puppe, son¬ dern nur einer schoͤnen Kunstfigur und eines theuersten Großmuͤt¬ terchens gehorsamer Enkel. Gockel, Hinkel und Gackeleia. I n Deutschland in einem wilden Wald, zwischen Gelnhau¬ sen und Hanau, lebte ein ehrenfester bejahrter Mann, und der hieß Gockel. Gockel hatte ein Weib, und das hieß Hinkel. Gockel und Hinkel hatten ein Toͤchterchen, und das hieß Ga¬ ckeleia. Ihre Wohnung war in einem wuͤsten Schloß, woran nichts auszusetzen war, denn es war nichts darin, aber viel einzusetzen, naͤmlich Thuͤr und Thor und Fenster. Mit fri¬ scher Luft und Sonnenschein und allerlei Wetter war es wohl ausgeruͤstet, denn das Dach war eingestuͤrzt und die Treppen und Decken und Boͤden waren nachgefolgt. Gras und Kraut und Busch und Baum wuchsen aus allen Win¬ keln, und Voͤgel, vom Zaunkoͤnig bis zum Storch, nisteten in dem wuͤsten Haus. Es versuchten zwar einigemal auch Geier, Habichte, Weihen, Falken, Eulen, Raben und solche verdaͤchtige Voͤgel sich da anzusiedeln, aber Gockel schlug es ihnen rund ab, wenn sie ihm gleich allerlei Braten und Fi¬ sche als Miethe bezahlen wollten. Einst aber sprach sein Weib Hinkel: „mein lieber Gockel, es geht uns sehr knapp, warum willst du die vornehmen Voͤgel nicht hier wohnen lassen? Wir koͤnnten die Miethe doch wohl brauchen, du laͤßt ja das ganze Schloß von allen moͤglichen Voͤgeln bewohnen, welche dir gar nichts dafuͤr be¬ zahlen.“ — Da antwortete Gockel: „o du unvernuͤnftiges Hinkel, vergißt du denn ganz und gar, wer wir sind, schickt 1 es sich auch wohl fuͤr Leute unserer Herkunft, von der Miethe solches Raubgesindels zu leben? — und gesetzt auch, Gott suchte uns mit solchem Elende heim, daß uns die Verzweiflung zu so unwuͤrdigen Hilfsmitteln triebe, — was doch nie geschehen wird, denn eher wollte ich Hungers sterben, — womit wuͤrden die raͤuberischen Einwohner uns vor Allem die Miethe be¬ zahlen? Gewiß wuͤrden sie uns alle unsre lieben Gastfreunde erwuͤrgt in die Kuͤche werfen, und zwar auf ihre moͤrderische Art zerrupft und zerfleischt. Die freundlichen Singvoͤgel, welche mit ihrem unschuldigen Gezwitscher unsre wuͤste Wohnung zu einem herzerfreuenden Aufenthalte machen, willst du doch wohl lieber singen hoͤren, als sie gebraten essen? Wuͤrde dir das Herz nicht brechen, die allerliebste Frau Nachtigall, die trauliche Grasmuͤcke, den froͤhlichen Distelfink, oder gar das liebe treue Rothkehlchen in der Pfanne zu roͤsten, oder am Spieße zu braten, und dann zuletzt, wenn sie alle die Miethe bezahlt haͤtten, nichts als das Geschrei und Gekraͤchze der graͤulichen Raubvoͤgel zu hoͤren? Aber wenn auch alles dieses zu uͤberwinden waͤre, bedenkst du dann in deiner Blindheit nicht, daß diese Moͤrder allein so gern hier wohnen moͤchten, weil sie wissen, daß wir uns von der Huͤhnerzucht naͤhren wollen? Haben wir nicht die ehrbare Stamm-Henne Gallina jetzt uͤber dreißig Eiern sitzen, werden diese nicht dreißig Huͤhner werden, und kann nicht jedes wieder dreißig Eier legen, welche es wieder ausbruͤtet zu dreißig Huͤhnern, macht schon dreißig mal dreißig, also neunhundert Huͤhner, welchen wir entgegensehen? O du un¬ vernuͤnftiges Hinkel! und zu diesen willst du dir Geier und Habichte ins Schloß ziehen? Hast du denn gaͤnzlich vergessen, daß du ein edler Sprosse aus dem hohen Stamme der Gra¬ fen von Hennegau bist, und kannst du solche Vorschlaͤge ei¬ nem gebornen leider armen, leider verkannten Raugrafen von Hanau machen? Ich kenne dich nicht mehr! — O du ent¬ setzliche Armuth! ist es denn also wahr, daß du auch die edelsten Herzen endlich mit der Last deines leeren und doch so schweren Bettelsackes zum Staube nieder druͤckest?“ Also redete der arme alte Raugraf Gockel von Hanau in edlem hohen Zorne, zu Hinkel von Hennegau seiner Gat¬ tin, welche so betruͤbt und beschaͤmt und kuͤmmerlich vor ihm stand, als ob sie den Zipf haͤtte. Aber schon sammelte sie sich und wollte so eben sprechen: „die Raubvoͤgel bringen uns wohl auch manchmal junge Hasen“ — doch da kraͤhte der schwarze Alektryo, der große Stammhahn ihres Mannes, der uͤber ihr auf einem Mauerrande saß, in demselben Au¬ genblick so hell und scharf, daß er ihr das Wort wie mit einer Sichel vor dem Mnnde wegschnitt, und als er dabei mit den Fluͤgeln schlug, und Graf Gockel von Hanau sein zerrisse¬ nes Maͤntelchen auch ungeduldig auf der Schulter hin und her warf, so sagte die Frau Hinkel von Hennegau auch kein Piepswoͤrtchen mehr, denn sie wußte den Alektryo und den Gockel zu ehren. Sie wollte eben umwenden und weggehen, da sagte Gockel: „o Hinkel! ich brauche dir nichts mehr zu sagen, der ritterliche Alektryo, der Herold, Wappenpruͤfer und Kreiswaͤrtel, Notarius Publikus und kaiserlich gekroͤnte Poet meiner Vorfahren hat meine Rede unterkraͤhet, und somit dagegen protestirt, daß seinen Nachkommen, den zu erwar¬ tenden Huͤhnchen, die gefaͤhrlichen Raubvoͤgel zugesellt wuͤr¬ den.“ Bei diesen letzten Worten buͤckte sich Frau Hinkel be¬ reits unter der niedrigen Thuͤre und verschwand mit einem tiefen Seufzer im Huͤhnerstall. Im Huͤhnerstall? Ja — denn im wunderbaren, kunstrei¬ chen, im neben-, durch- und hintereinandrigen Stil der Urwelt, Mitwelt und Nachwelt erbauten Huͤhnerstall wohnten Gockel von Hanau, Hinkel von Hennegau und Gackeleia, ihre Fraͤu¬ lein Tochter, und in der Ecke stand in einem alten Schilde das auf gothische Weise von Stroh geflochtene Raugraf Gockelsche Erbhuͤhnernest, in welchem die Glucke Gallina 1 * uͤber den dreißig Eiern bruͤtete, und von einer Wand zur an¬ dern ruhte eine alte Lanze in zwei Mauerloͤchern, auf wel¬ cher sitzend der schwarze Alektryo Nachts zu schlafen pflegte. Der Huͤhnerstall war der einzige Raum in dem alten Schloße, der noch bewohnbar unter Dach und Fach stand. Zu Olims Zeiten, wo Dieses und Jenes geschehen ist, war dieses Schloß eines der herrlichsten und deutlichsten in ganz Deutschland; aber die Franzosen haben es so uͤbel mit¬ genommen, daß sie es recht abscheulich zuruͤckließen. Ihr Koͤnig Hahnri hatte gesagt, jeder Franzose solle Sonntags ein Huhn, und wenn keines zu haben sei, ein Hinkel in den Topf stecken und sich eine Suppe kochen. Darauf hielten sie streng, und sahen sich uͤberall um, wie jeder zu seinem Huhn kommen koͤnne. Als sie nun zu Haus mit den Huͤh¬ nern fertig waren, machten sie nicht viel Federlesens und hatten bald mit diesem, bald mit jenem Nachbarn ein Huͤhn¬ chen zu pfluͤcken. Sie sahen die Landkarte wie einen Spei¬ sezettel an, wo etwas von Henne, Huhn oder Hahn stand, das strichen sie mit rother Tinte an und giengen mit Kuͤchen¬ messer und Bratspieß darauf los. So giengen sie uͤber den Hanebach, steckten Groß- und Kleinhuͤningen in den Topf, und kamen dann auch bis in das Hanauer Land. Als sie nun Gockelsruh, das herrliche Schloß der Raugrafen von Hanau, im Walde fanden, wo damals der Großvater Go¬ ckels wohnte, statuirten sie ein Exempel, schnitten allen Huͤh¬ nern die Haͤlse ab, steckten sie in den Topf und den rothen Hahn auf das Dach, das heißt, sie machten ein so gutes Feuerchen unter den Topf, daß die lichte Lohe zum Dach herausschlug und Gockelsruh daruͤber verbrannte. Dann giengen sie weiter nach Huͤnefeld und Hunhaun und sind noch lang unterwegs geblieben. Als sie abgespeist hatten, gieng Gockels Großvater, der mit seiner Familie und dem Stamm-, Erb und Wappen¬ Hahn und Hinkel im Walde versteckt gewesen, um das Desert zu besehen, es war eine Wuͤste. Nichts war ihm geblieben, er konnte sein Schloß nicht mehr herstellen und uͤbergab es daher gratis an die Verschoͤnerungs-Com¬ mission der vier Jahrszeiten, des Windes und des Wetters, welche es auch in Jahr und Tag mit Gras und Kraut und Moos und Epheu und Buͤschen und Baͤumen so reichlich austapezierten, daß es ein rechtes Paradies aller Waldvoͤge¬ lein und andern Wildpretts ward. — Er selbst zog nach Gelnhausen und nahm die Stelle eines Erb-Huͤhner und Fasa¬ nenministers bei dem dortigen Koͤnig an. Sein Sohn trat nach ihm in dieselbe Stelle, und nach dessen Absterben un¬ ser Gockel, der gewiß auch als Huͤhnerminister mit Tod ab¬ gegangen waͤre, wenn ihn nicht sein Menschen- oder viel¬ mehr Huͤhnergefuͤhl gezwungen haͤtte, noch lebendig von Gelnhausen Abschied zu nehmen. Dieses aber gieng folgen¬ dermaßen zu. Der Koͤnig Eifrasius von Gelnhausen uͤberließ sich der Leidenschaft des Eieressens so unmaͤßig, daß keine Brut Huͤh¬ ner mehr aufkommen konnte. Dies war gegen den Eid Gockels und gegen das Landesgesetz, Artikel Huͤhnerzucht. Gockel machte eine allerunterthaͤnigste vergebliche Vorstellung nach der andern. Eifrasius errichtete den ruͤhrenden Eieror¬ den verschiedener Grade und ließ von seinem Leibredner eine Rede dabei halten, die einer Schmeichelei so aͤhnlich sah, wie ein Ei dem andern. Er sagte, Eifrasius esse nur allein so viele Eier, um die Huͤhner zu vermindern, damit die Franzosen nicht ins Land kaͤmen. Dabei machte er bekannt, daß man kuͤnftig nicht Ihro Majestaͤt, sondern Ihre Eießtaͤt Koͤnig Eifrasius sagen solle und vieles Aehnliche. Auch wußte er sehr viele hinreißende Stellen großer Dichter in seiner Rede anzubringen, z. B.: Ein Huhn und ein Hahn, Meine Rede geht an; Eine Kuh und ein Kalb, Meine Rede ist halb; Eine Katze und eine Maus, Meine Rede ist aus! und weiter Ein Ei, un oeuf , Ein Ochs, un boeuf , Une vache , eine Kuh, Fermez la porte , mach die Thuͤr zu! womit er den Koͤnig ganz bezauberte. Nach dieser Rede wurden alle anwesenden Anhaͤnger und Schmeichler des Koͤnigs ganz eigelb im Gesicht und steckten gelbe Cocarden auf; Gockel von Hanau aber wurde vor Zorn und Schrecken und Unwill und Schaam ganz gruͤn und blau und roth, und kriegte ordentlich einen rothen Kamm und schuͤttelte den Federbusch, wie ein Hahn, auf seinem bordirten Hut und scharrte mit den Fuͤßen und hackte mit den Spornen. Da zog der Koͤnig Eifrasius eben in der Kirche an ihm voruͤber, sah ihn sehr ungnaͤdig an und sprach: „in Gnaden entlassen, das Huͤhnerministerium ist bis auf ein Weiteres aufgehoben.“ — Somit hatte Gockel seinen Abschied. Gockel war voll Ehrgefuͤhl, er zeigte sogleich seiner Frau an, daß er am folgenden Morgen mit ihr und Gackeleia nach seinem Stammschloße Gockelsruh aus Gelnhausen so weg¬ ziehen werde, wie seine Großeltern hineingezogen waren. Er befahl ihr, jene alten Kleider aus dem Kasten zu nehmen und im Huͤhnerministerium zurecht zu legen, wo sie sich mor¬ gen umkleiden wollten. Frau Hinkel war schier untroͤstlich uͤber die alten seltsamen Kleider und meinte, alle Hunde wuͤr¬ den ihr nachlaufen. Das Entsetzlichste aber war ihr, daß Gockel am hellen lichten Tage vor der Wachparade vorbei und uͤber den Gemuͤßmarkt in diesem Aufzug aus der Stadt hinaus wollte, und nur unter den heftigsten Thraͤnen mit Gackeleia vor ihm auf den Knieen liegend, konnte sie erfle¬ hen, daß er mit ihr Morgens vor Tag zur Gartenthuͤre hinaus, hinten um die Stadtmauer herum, seine Abreise an¬ zutreten versprach. Gockel haͤngte seine Huͤhnerminister-Kleidung an das koͤnigliche Huͤhnerministerial-Zapfenbrett, legte alle die ihm aufgedrungenen Eierorden ab, den Orden der Schmeichelei und Heuchelei und befestigte seinen eigenen, Raugraͤflich Go¬ ckel Hanauischen Haus-Orden der Kinderei wieder in das Knopfloch der Jacke seines Großvaters, die er morgen fruͤh anziehen wollte; dann setzte er sich an seinen Schreibtisch, um alle die Rechnungen uͤber seine Verwaltung heute Nacht noch auszubruͤten, und als er es so weit gebracht, daß Ein¬ nahme und Ausgabe sich wie ein Ei dem andern glichen, sank er ermuͤdet mit der Nase auf das Papier und schnarchte, daß der Streusand von zerstossenen Eierschalen umherflog, und mehrere Muster von Huͤhnerfedern, die vor ihm lagen, durch einander wehten. Aber der Schaden war nicht groß. Kaum graute der Tag, als Alektryo, der edle Stamm¬ hahn sich selbst ermunternd mit den Fluͤgeln in die Seite schlug, den Hals emporreckte und mit aufgerissenem Schna¬ bel lautkraͤhend wie mir einem Trompetenstoß alle zur Ab¬ reise erweckte; das Stammhuhn Gallina begleitete sein Morgen¬ lied mit einigen wehmuͤthigen Accorden. Gockel sprang auf und weckte Weib und Kind, die sich bald einstellten. Frau Hin¬ kel war sehr traurig, auch sie mußte ihre Huͤhnerministerial- Kontusche ans Zapfenbrett haͤngen und die Kleider von Go¬ ckels Großmutter anziehen; haͤnderingend stand sie in diesem Putz vor dem Spiegel. Gockel hatte viel zu ermahnen und zu troͤsten; er hatte seine Raugraͤfliche Gockelskappe aufge¬ setzt, auf der ein Hahnenkamm war, er haͤngte seine Peruͤcke von Eierschalen an den Ministerialperuͤcken-Hahn und fuhr in die großvaͤterlichen Stiefel und Grafenhosen, welche ihm Ga¬ ckeleia hinbrachte, die ziemlich lustig in ihrem seltsamen Rock¬ chen war und das alte Erbhuͤhnernest wie einen Fallhut auf dem Kopf trug. Alektryo, der Stammhahn, saß neben dem Schreibtische auf der Raugraͤflich Gockelschen Erbhuͤhnertrage, welche der beruͤhmte Erwin von Steinbach zugleich mit dem Straßbur¬ ger Muͤnster erfunden hatte, und wiederholte, da er die ganze Familie wieder in ihren altgraͤflichen Kleidern sah, sein Kraͤ¬ hen mit stolzer Freude. Er hatte einen reichsfreiritterlichen Unmittelbarkeitssinn und war nie gern in Gelnhausen ge¬ wesen, wo er nur zu Haus der Hahn im Korb war, am Hof aber nie auf dem Mist kraͤhen durfte, weil dieses ein Regale, ein koͤnigliches Recht der Hofhaͤhne war. Er war hier nur Kammerhahn à la suite , hatte allerlei Kraͤnkungen seiner Verhaͤltnisse von den Hofhahnen zu erleiden, und durfte sie nicht einmal deswegen herausfordern. Gleich Graf Go¬ ckel war er sehr mit dem Koͤnig Eifrasius unzufrieden, denn dieser hatte einmal die Eier seiner lieben Gemahlin Gallina durch die Polizei wegnehmen und sich in die Pfanne schla¬ gen lassen. — Seine haͤusliche Gluͤckseligkeit war dadurch ge¬ stoͤrt. Er war heftig und ungeduldig, Gallina aber gacksig, glucksig und piepsig geworden. Sie saßen immer auf dem Huͤhnerministerium und kamen nicht ins Freie; statt auf dem Miste, scharrte Alektryo in Papierspaͤnen, und die leidende Gallina waͤlzte sich im Streusand oder bruͤtete hoffnungslos auf den ausgeblasenen Eierschaalen des Eierordens, welche dort aufbewahrt wurden. Nun aber, da alle zur Abreise gekleidet waren, trieb Alektryo die Gallina an, von seiner Seite auf dem Gockelschen Huͤhnersteg hinab zu dem Hennegauschen Erbhuͤhnerkorb der Frau Hinkel zu schreiten, und sagte ihr dabei ganz freund¬ lich ins Ohr, was ihr troͤstend zu Herzen ging: „heute Abend sind wir frei und gluͤcklich in Gockelsruh, dem Pallaste unsrer Vorfahren, da giebt es Wuͤrmchen und Maikaͤfer und aller¬ lei Saͤmerei die Menge; da wollen wir ein neues Leben be¬ ginnen, da gehoͤren wir uns allein an, da wirst du eine Brut ausbruͤten, die unser wuͤrdig ist.“ Gallina trippelte mit ei¬ nem lieblichen Laͤcheln gacksend den Steg hinab und setzte sich oben auf den Huͤhnerkorb. Frau Hinkel nahm den Korb, worauf Gallina saß, auf ihren Kopf. In diesem Korbe hatte sie ein paar Hemden, etwas Flachs-, Hanf- und andere Saͤmereien, Nadel, Zwirn und Fingerhut und ein Wachsstuͤmpfchen, ein Gebetbuch und einige schoͤne neue Lieder, gedruckt in diesem Jahr, und den Graͤflich Hennegauschen Stammbaum und ihren Taufschein und Copulationsschein und so weiter Schein bewahrt. Dann ergriff sie ihren Rocken und sprach: „ich bin fertig.“ Gockel schluͤpfte mit den Armen in die Tragriemen seiner Erbhuͤhnertrage und trug sie wie eine gothische Kirche auf dem Ruͤcken, oben drauf saß Alektryo, ne¬ ben dran war sein Grafenschwert befestigt, und im In¬ nern befanden sich sein Stammbaum, Grafenbrief, Tauf¬ schein, Ehekontrakt, ein Buch von Geheimnissen der Hah¬ nen und Huͤhner und auch ein altes Geschlechts-Register, nach welchem Alektryo vom Hahn des Hiob und Gal¬ lina vom Hahn Petri abstammen sollte; es war aber theils sehr unleserlich mit Huͤhnerpfoten geschrieben, theils hatten es die Maͤuse so durchstudiert, daß viele Loͤcher darin waren. Solche große Raritaͤten waren in der Huͤhnertrage. Gockel nahm nun seine Raugraͤfliche Standarte, die zugleich ein Huͤhnersteg war, als Stab in die Hand und sagte: „wohlan ich bin fertig.“ Gackeleia hatte das Erbhuͤhnernest auf dem Kopf, und weil sie auf alle Weise noch sonst etwas tragen wollte, steckte sie der Vater in einen Korb, wie man sie uͤber die jungen Huͤhnchen stellt, und befestigte ihr denselben uͤber die Schul¬ tern mit Baͤndern, so daß sie wie in einem lustigen Reifrock mitspazierte. In der einen Hand hielt sie ihr ABC-Buch, worauf ein Hahn abgebildet war, und in der andern einen Eierweck von gestern, man nennt sie dort Bubenschenkel. Das Kind war sehr lustig, und schrie: „kikeriki, ich bin schon lang fertig.“ Nun blies Gockel die Huͤhnerministerial-Lampe aus, und sie giengen zu der Thuͤre hinaus. Gockel gab dem Nacht¬ waͤchter den Hausschluͤssel, und dann verließen sie still durch die hintere Gartenthuͤre, die durch die Stadtmauer fuͤhrte, das undankbare Gelnhausen. Kaum waren sie auf einer nahen kleinen Anhoͤhe, welche die Stadt uͤberschaut, als Alektryo sich hoch aufrichtete und mit einem trotzigen kuͤhnen Kraͤhen allen Hahnen von Geln¬ hausen Hohn sprach, die erwachend von Haus zu Haus, von Thurm zu Thurm sich wieder zukraͤhten, so daß die Gockelsche Familie wo nicht unter dem Gelaͤute aller Glocken, doch un¬ ter dem Kraͤhen aller Hahnen die Stadt verließ. Als Alektryo gekraͤht hatte, schauten sie alle noch einmal schweigend nach Gelnhausen zuruͤck. Es lag eine weiße Ne¬ belwolke uͤber der herrlichen Stadt, die Sonne schoß mit ihren ersten Strahlen nach den blinkenden Wetterhahnen auf den Thurmspitzen, welche aus dem Nebel hervorblitzten; hie und da drang ein dunkler dichter Baͤckerrauch wie eine dicke braune Schlange durch den Nebel hervor. Frau Hinkel war betruͤbt. Gackeleia fieng laut an zu weinen; ihr Eierweck war ihr ge¬ fallen und sie konnte ihn von dem Huͤhnerkorb, in dem sie steckte, gehindert nicht aufheben. — Gockel hob sie aus dem Korbe heraus und haͤngte sich denselben noch hinten auf die Trage, denn Gackeleia waͤre mit diesem Reifrocke an allen Buͤschen des wilden Waldes haͤngen geblieben, durch welchen jetzt ihr Weg fuͤhrte. Frau Hinkel durch das Kraͤhen aller Hahnen in Geln¬ hausen und durch den aufsteigenden Rauch von neuem sehr betruͤbt, folgte ihrem Manne mit manchem Seufzer durch den Wald. Sie gedachte an die Herrlichkeit von Gelnhau¬ sen, wo immer das eine Haus ein Baͤckerladen, das andre ein Fleischerladen ist; — ach, dachte sie, jetzt ist die Stunde, jetzt oͤffnen die Fleischer ihre Laden, jetzt haͤngen sie die fet¬ ten Kaͤlber, Haͤmmel und Schweine auf und breiten in de¬ ren aufgeschlitzten Leibern reinliche schneeweiße Tuͤcher aus! — Ach jetzt ist die Stunde, jetzt oͤffnen die Baͤcker ihre Laden und stellen auf weißen Baͤnken die braunglaͤnzenden Brode, die gelben Semmeln und schoͤn lakirten Eierwecke, Buben¬ schenkel genannt, in Reih und Glied. Gackeleia, die sie an der Hand fuͤhrte, weckte mit ihren Reden ihre Betruͤbniß oft von neuem wieder auf, denn sie fragte ein um das ande¬ remal: „Mutter, giebt es auch Bretzeln, wo wir hingehen?“ Da seufzte Frau Hinkel; Gockel aber, der ernsthaft und freu¬ dig voranschritt, sagte: „nein, mein Kind Gackeleia, Bretzeln giebt es dort nicht, sie sind auch nicht gesund und verder¬ ben den Magen; aber Erdbeeren, schoͤne rothe Waldbeeren giebt es die Menge,“ und somit zeigte er mit seinem Stocke auf einige, die am Wege standen, welche Gackeleia mit vie¬ lem Vergnuͤgen verzehrte. Hierauf fragte Gackeleia wieder: „Mutter, giebt es auch so schoͤne braune Kuchenhaͤschen, wo wir hingehen?“ Da seufzte Frau Hinkel abermals und die Thraͤnen traten ihr in die Augen; Gockel aber sagte freund¬ lich zu dem Kinde: „Nein, mein Kind Gackeleia, Kuchenhaͤs¬ chen giebt es da nicht, sie sind auch nicht gesund und ver¬ derben den Magen, aber es giebt da lebendige Seidenhaͤs¬ chen und weiße Kaninchen, aus deren Wolle du der Mutter auf ihren Geburtstag Struͤmpfe stricken kannst, wenn du fleißig bist. Sieh, sieh, da lauft eines!“ und somit zeigte er mir seinem Stocke auf ein voruͤberlaufendes Kaninchen. Da riß sich Gackeleia von der Mutter los, und sprang dem Hasen mit dem Geschrei nach: „gieb mir die Struͤmpfe, gieb mir die Stuͤmpfe!“ aber fort war er, und sie fiel uͤber eine Baumwurzel und weinte sehr. Der Vater verwies ihr ihre Heftigkeit und troͤstete sie mit Himbeeren, welche neben der Stelle wuchsen, wo sie gefallen war. Nach einiger Zeit fragte Gackeleia wieder: „liebe Mutter, giebt es denn auch da, wo wir hingehen, so schoͤne gebackene Maͤnner von Ku¬ chenteig, mit Augen von Wachholderbeeren und einer Nase von Mandelkern, und einem Mund von einer Rosine?“ Da konnte die Mutter ihre Thraͤnen nicht zuruͤckhalten und weinte; Gockel aber sagte: „nein, mein Kind Gackeleia, solche Ku¬ chenmaͤnner giebt es da nicht, die sind auch gar nicht ge¬ sund und verderben den Magen. Aber es giebt da schoͤne bunte Voͤgel die Menge, welche allerliebst singen und Nest¬ chen bauen, und Eier legen und ihre Jungen fuͤttern. Die kannst du sehen und lieben und ihnen zuschauen, und die suͤßen wilden Kirschen mit ihnen theilen.“ Da brach er ihr ein Zweiglein voll Kirschen von einem Baum und das Kind ward ruhig. Als Gackeleia aber nach einer Weile wieder fragte: „liebe Mutter, giebt es denn dort, wo wir hingehen, auch so wun¬ derschoͤne Pfefferkuchen, wie in Gelnhausen?“ und die Frau Hinkel immer mehr weinte, ward der alte Gockel von Hanau unwillig, drehte sich um, stellte sich breit hin und sprach: „o mein Hinkel von Hennegau! du hast wohl Ursache zu wei¬ nen, daß unser Kind Gackeleia ein so naschhafter Freßsack ist und an nichts als Bretzeln, Kuchenhasen, Buttermaͤn¬ ner und Pfefferkuchen denkt, was soll daraus werden? Roth bricht Eisen, Hunger lehrt beißen. Sei vernuͤnftig, weine nicht, Gott, der die Raben fuͤttert, wolche nicht saͤen, wird den Gockel von Hanau nicht verderben lassen, der saͤen kann. Gott, der die Lilien kleidet, die nicht spinnen, wird die Frau Hinkel von Hennegau nicht umkommen lassen, wel¬ che sehr schoͤn spinnen kann, und auch das Kind Gackeleia nicht, wenn es das Spinnen von seiner Mutter lernt.“ Diese Rede Gockels ward von einem gewaltigen Geklap¬ per unterbrochen, und sie sahen alle einen großen Klapper¬ storch, der aus dem Gebuͤsche ihnen entgegentrat, sie sehr ernsthaft und ehrbar anschaute, nochmals klapperte und dann hinwegflog. „Wohlan, sagte Gockel, dieser Hausfreund hat uns willkommen geheißen, er wohnet auf dem obersten Gie¬ bel von Gockelsruh, gleich werden wir da seyn; damit wir aber nicht lange zu waͤhlen brauchen, in welchen von den weitlaͤufigen Gemaͤchern des Schlosses wir wohnen wollen, so will ich unsere hoͤchste Dienerschaft voraussenden, damit sie uns die Wohnungen aussuche.“ Nun nahm er den Stammhahn von der Schulter auf die rechte Hand und die Stammhenne auf die linke, und redete sie mit ehrbarem Ernste folgendermaßen an: „Alektryo und Gallina, ihr stehet im Begriff, wie wir, in das Stamm¬ haus eurer Voraͤltern einzuziehen, und ich sehe an euren ernsthaften Mienen, daß ihr so geruͤhrt seid als wir. Da¬ mit nun dieses Ereigniß nicht ohne Feierlichkeit sey, so er¬ nenne ich dich Alektryo, edler Stammhahn, zu meinem Schloßhauptmann, Haushofmeister, Hofmarschall, Astrono¬ men, Propheten, Nachtwaͤchter, und hoffe, du wirst unbe¬ schadet deiner Familienverhaͤltnisse als Gatte und Vater die¬ sen Aemtern gut vorstehen; das Naͤmliche erwarte ich von dir, Gallina, edles Stammhuhn; indem ich dich hiemit zur Schluͤsseldame und Oberbettmeisterin des Schlosses ernenne, zweifle ich nicht, daß du diesen Aemtern trefflich vorstehen wirst, ohne deßwegen deine Pflichten als Gattin und Mut¬ ter zu vernachlaͤssigen. Ist dieß euer Wille, so bestaͤtigt es mir feierlich.“ Da erhob Alektryo seinen Hals, blickte gegen Himmel, riß den Schnabel weit auf und kraͤhete feierlichst, und auch Gallina gab ihre Versicherung mit einem lauten und ruͤhrenden Gacksen von sich, worauf sie Gockel beide an die Erde setzte, und sprach: „nun, Herr Schloßhauptmann und Frau Schluͤsseldame, eilet voraus, suchet eine Wohnung fuͤr uns aus, zeiget auch allen Bewohnern unsers Schlosses an, sie moͤchten sich durch kein Geraͤusch in ihrem Abend¬ gebete stoͤren lassen, weil ich in der Naͤhe des Schlosses, wo der englische Garten ein wenig ins Kraut geschossen seyn mag, wahrscheinlich mit meinem Grafenschwert die Hecken werde schneiden muͤssen, um mir und Frau Hinkel mit un¬ sern hohen Insignien durchzuhelfen; also thuet und berei¬ tet uns einen wuͤrdigen Empfang.“ — Da eilte der Hahn und die Henne in vollem Laufe, was giebst du, was hast du? in den Wald hinein nach dem Schlosse zu. Nun ermahnte Gockel auch noch die Frau Hinkel und das Kind Gackeleia zur Zufriedenheit, zum Vertrauen auf Gott und zu Fleiß und Ordnung in dem neu bevorstehenden Aufenthalt auf eine so liebreiche Art, daß Frau Hinkel und das Kind Gackeleia den guten Vater herzlich umarmten und ihm alles Gute und Liebe versprachen; und so zogen sie alle froh und heiter durch den schoͤnen Wald, die Sonne sank hinter die Baͤume, es ward so recht stille und vertrau¬ lich, ein kuͤhles Luͤftchen spielte mit den Blaͤttern und Frau Hinkel von Hennegau sang folgendes Liedchen mit freundli¬ cher Stimme, wozu Gockel und Gackeleia leise mitsangen. Wie so leis die Blaͤtter wehn In dem lieben, stillen Hain, Sonne will schon schlafen gehn, Laͤßt ihr goldnes Hemdelein Sinken auf den gruͤnen Rasen, Wo die schlanken Hirsche grasen In dem rothen Abendschein. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia. In der Quellen klarer Fluth Treibt kein Fischlein mehr sein Spiel, Jedes suchet, wo es ruht, Sein gewoͤhnlich Ort und Ziel, Und entschlummert uͤberm Lauschen Auf der Wellen leises Rauschen Zwischen bunten Kieseln kuͤhl. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia. Schlank schaut auf der Felsenwand Sich die Glockenblume um, Denn verspaͤtet uͤber Land Will ein Bienchen mit Gesumm Sich zur Nachtherberge melden In den blauen zarten Zelten, Schluͤpft hinein und wird ganz stumm. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia. Voͤglein, euer schwaches Nest, Ist das Abendlied vollbracht, Wird wie eine Burg so fest; Fromme Voͤglein schuͤtzt zur Nacht Gegen Katz und Marderkrallen, Die im Schlaf sie uͤberfallen, Gott, der uͤber alle wacht. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia. Treuer Gott, du bist nicht weit, Und so ziehn wir ohne Harm In die wilde Einsamkeit Aus des Hofes eitelm Schwarm. Du wirst uns die Huͤtte bauen, Daß wir fromm und voll Vertrauen Sicher ruhn in deinem Arm. Gute Nacht, Heiapopeia! Singt Gockel, Hinkel und Gackeleia. Als dieß Lied zu Ende war, ward der hohe Eichenwald lichter. Sie hoͤrten ein Geklapper, und Gackeleia blickte in die Hoͤhe und schrie: „ach, der Klapperstorch, der Klapper¬ storch mit seinen Jungen, da oben steht er auf der hohen Mauer, ach, was hat der aber ein großes Nest, o da will ich mich auch einmal hineinsetzen und mit ihm klappern!“ Nun waren die Reisenden an dem ganz verwilderten Raugraͤflich Gockelschen Schloßgarten angekommen. Da war an kein Durchkommen zu gedenken, und Gockel sprach zu Frau Hinkel, indem er seine Erbhuͤhnertrage absetzte, und das Grafenschwert von ihr losband und herauszog: „setze deinen Korb ab, schuͤrze deinen Rock nieder, streiche dein Haar zurecht, dort an dem alten Springbruͤnnchen wasche dich, bade dir die Fuͤße, ruhe ein bischen aus, damit wir mit Respekt einziehen. Thue der Gackeleia eben so.“ — Ich will indessen mit meinem Grafenschwert hier das wilde Ge¬ nist lehren, daß man seinem Herrn den Weg nicht verrennt.“ Nun setzten sich Frau Hinkel und Gackeleia an das Bruͤnnchen, wuschen und musterten sich, und Gackeleia patschte mit ihren erhitzten Fuͤßchen in dem kalten Wasser herum. Gockel aber erhob sein Grafenschwert, und hieb kreuz und quer mit großer Kraft einen Weg durch die wildverwirrten Hecken, Buͤsche und Baͤume. Er nannte jedes Gestraͤuch, das er zusammenhieb, mit Namen, und weil er schnell ar¬ beitete, so verkuͤrzte er die Worte — er schrie: „Potz Sta¬ chel-, Kreusel-, Preißel-, Kloster-, Hollunder-, Wach¬ holder-, Berberitzen-, Johannis-, Brom-, Himbeeren! ich will euch lehren, mir mein Haus zu sperren!— Potz Quen¬ tel, Lavendel, Bux, Taxus, Mispel, Quitten und Hassel! — Potz Thymian, Majoran, Baldrian, Rosmarin, Hisop und Salbei!“ und mit jedem Worte ein Schwertschlag, der ihm den Weg oͤffnete und mit Zweigen, Blaͤttern und Blumen bestreute. Als er so bis in die Naͤhe des Schloßthores ge¬ kommen, kehrte er zu den Seinigen an das Bruͤnnchen zuruͤck. Gockel hatte sich ganz muͤde gearbeitet, auch er wusch und erquickte sich an dem Wasser. Frau Hinkel hatte sich recht frisch und sauber gemacht. Sie hatte Gackeleia einen schoͤnen Blumenkranz aufgesetzt und ihr das Huͤhnernest mit harten Brosamen, welche sie am Brunnen erweicht, gefuͤllt, diese sollte sie beim Einzug in das Schloß den Voͤgeln aus¬ streuen. Das war so, als wenn bei der Kaiserkroͤnung zu Frankfurt Gold ausgeworfen wird. Nun nahm Gockel seine Huͤhnertrage, Frau Hinkel den Huͤhnerkorb wieder auf und Gackeleia trug das Nest voll Brosamen vor sich; so giengen sie durch den Weg, den Go¬ ckel gehauen hatte, auf das Schloßthor zu. Gackeleia nahm sich Zeit, sie pfluͤckte links und rechts viele Brombeeren und Heidelbeeren, und als der Vater sie heranrief, in das Schloß einzugehen, hatte sie die Haͤnde und das halbe Gesicht schwarz wie ein Mohrenkind. Gockel riß mit der Huͤhner¬ stange, die er trug, eine dichte Epheudecke auseinander, wel¬ che das Gartenthor zugesponnen hatte, und sie traten vor das wunderbare Raugraͤfliche Schloß in seinem vollen Glanz. Der Empfang war feierlich; aus den leeren Fensteroͤff¬ nungen des Schlosses hingen Teppiche von Epheu und man¬ cherlei Blumen nieder, und wehten bluͤhende Gestraͤuche wie festliche Fahnen, und zwischen ihnen durch sah der stille Abend¬ himmel in purpurnem Gewande herab. Die vielen Saͤulen und Bildwerke des Schlosses hatten Wind und Wetter und die vier Jahreszeiten seit lange mit dem schoͤnsten Laubwerke verziert. Der Hahn Alektryo saß auf dem steinernen Wappen uͤber dem Thore, schuͤttelte sich, schlug mit den Fluͤgeln und kraͤhte als ein rechtschaffener Schloßtrompeter dreimal lustig in die Luft, und alle Voͤgelein, die in dem verlassenen, Baum durchwachsenen Baue wohnten, und welchen der Hahn die Ankunft der gnaͤdigen Herrschaft verkuͤndiget hatte, waren aus ihren Nestern herausgeschluͤpft und schmetterten lustige Lieder in die Luft, indem sie sich auf den bluͤhenden Hol¬ lunderbaͤumen und wilden Rosenhecken schaukelten, welche ihre Bluͤthen vor den Eintretenden niederstreuten. Der Storch auf dem Schloßgiebel klapperte dazu mit seiner ganzen Fa¬ milie, so daß alles wie eine große Musik mit Pauken und Trompeten klang. Gockel, Hinkel und Gackeleia hießen alle willkommen, und Gackeleia streute mit vollen Haͤnden die 2 Brosamen aus, was mit großem Beifall von allen den Voͤ¬ geln aufgenommen ward. Hierauf zogen sie in die alte verfallene Schloßkapelle, knieten neben den wilden Waldblumen am Altare dicht bei dem Grabstein des alten Urgockels von Hanau nieder, sag¬ ten Gott fuͤr ihre gluͤckliche Reise Dank, und flehten ihn um fernern Schutz und Segen an. Waͤhrend ihres Gebetes wa¬ ren alle Voͤgel ganz stille, und da sie sich von den Knieen erhoben, lockten Alektryo und Gallina, als Schloßhauptmann und Schluͤsseldame, an der Thuͤre, sie sollten ihnen nach dem ausgesuchten Gemache folgen. Sie thaten dieß, und der Hahn und die Henne schritten gackernd und majestaͤtisch uͤber den Schloßhof auf den sehr kunstreich von Stein er¬ bauten Huͤhnerstall zu, dessen Dach allein im Schloße bis auf einige Luͤcken im Stande war. Als Alektryo uͤber die Schwelle schritt, buͤckte er sich tief mit dem Kopf, als be¬ fuͤrchtete er, mit seinem hohen rothen Kamme oben anzu¬ stossen, da die Thuͤre doch fuͤr einen starken Mann hoch ge¬ nug war; aber dieses war im Gefuͤhle seines Adels, denn alle hohen Adeligen und alle gekroͤnten Haͤupter pflegten in den guten alten Zeiten es so zu machen, wenn sie durch ein Thor schritten; das kam aber von den erstaunlich hohen Fe¬ derbuͤschen her, welche ihre Vorfahren auf den Helmen getragen hatten. In diesem Huͤhnerstalle nun, dessen Fenster in ein klei¬ nes Gaͤrtchen giengen, richteten sie sich ein, so gut sie konn¬ ten; Gockel haͤngte seine Erbhuͤhnertrage an einen Haken hoch an der Wand auf, stellte die Huͤhnersteige daran, und Alektryo und Gallina sagten gute Nacht und spazierten so¬ gleich fein ordentlich hintereinander hinauf und setzten sich still zusammen und ließen sich was traͤumen. — Frau Hinkel stellte den Korb, den Spinnrocken, den Bratspieß, die Pfanne, die Schuͤssel, den Topf und den Wasserkrug an ihre Stelle, und Gackeleia setzte das Huͤhnernest, wo es hin gehoͤrte. — Dann machte Gockel aus gruͤnen Zweigen zwei große und einen kleinen Besen, und fegte mit Hinkel und Gackeleia den Boden ein wenig rein. Gackeleia fuhr ganz stolz und geschaͤftig mit ihrem Besen umher. Nun machten sie ein Lager von Moos und duͤrren Blaͤttern, woruͤber Go¬ ckel seinen Mantel und Hinkel ihre Schuͤrze breitete. Dann betete Gockel ein kurzes Nachtgebet vor, worauf sie sich schlafen legten, Gockel rechts, Hinkel links, das Toͤchterlein Gackeleia in der Mitte zwischen beiden. Von der Reise und der Arbeit ermuͤdet, schliefen sie alle bald ein. Gegen Mitternacht ruͤhrte sich ploͤtzlich der wachsame Schloßhauptmann Alektryo mit warnender Stimme auf sei¬ nem Sitz, und Gockel, der vor allerlei Gedanken, wie er seine Familie ernaͤhren solle, nicht fest schlief, richtete sich auf und blickte umher, was vorgehe. Da sah er an der offnen Thuͤre, durch welche der Mond schien, eine große lauernde Katze, die auch sogleich einen heftigen Sprung herein that. In demselben Augenblick hoͤrte Gockel ein Gepfeife, und fuͤhlte, daß ihm etwas Lebendiges in den weiten Aermel sei¬ nes Wammses hineinlief. Alektryo und Gallina erhoben ein banges Geschrei wegen der Katze. Gockel sprang auf, ver¬ jagte die Feindin und warf ihr einen Stein nach. Dann zog er an der Pforte die Thierchen, die ihm in den Aermel ge¬ schluͤpft waren, hervor, und erkannte im Mondschein zwei weiße Maͤuschen von außerordentlicher Schoͤnheit. Sie wa¬ ren nicht scheu vor ihm, sondern setzten sich auf seiner Hand auf die Hinterbeine, und zappelten mit den Vorderpfoͤtchen, wie ein Huͤndchen, das bittet, was dem alten Herrn wohl gefiel. Er setzte sie in seine Gockelsmuͤtze, legte sich wieder nieder und diese neben sich, mit dem Gedanken, die guten Thierchen am folgenden Morgen seinem Toͤchterchen Gackeleia zu schenken, welche sehr ermuͤdet, wie ihre Mutter, nicht er¬ wacht war. Als Gockel wieder eingeschlafen war, machten sich die 2 * zwei Maͤuschen aus der Pudelmuͤtze wieder heraus und un¬ terhielten sich miteinander. Die eine sprach: „Ach Sissi, meine geliebte Braut, da hast du es nun selbst erlebt, was dabei herauskoͤmmt, wenn man des Nachts so lange im Mondschein spazieren geht, habe ich dich nicht gewarnt?“ — Da antwortete Sissi: „O Pfiffi, mein werther Braͤutigam, mache mir keine Vorwuͤrfe, ich zittere noch am ganzen Leibe vor der schrecklichen Katze, und wenn sich ein Blatt regt, fahre ich zusammen, und meine, ich sehe ihre feurigen Au¬ gen.“ — Da sagte Pfiffi wieder: „Du brauchst dich nicht weiter zu aͤngstigen, der gute Mann hier hat der Katze einen so großen Stein nachgeworfen, daß sie vor Angst schier in den Springbrunnen gesprungen ist.“ — „Ach!“ erwiederte Sissi, „ich fuͤrchte mich nur auf unsre weite Reise, wir muͤs¬ sen wohl noch acht Tage laufen, bis wir zu deinem koͤnigli¬ chen Herrn Vater kommen, und da jetzt einmal eine Katze uns ausgekundschaftet hat, werden diese Freilaurer an allen Ecken auf uns lauern.“ — Da versetzte Pfiffi: „wenn nur eine Bruͤcke uͤber das Fluͤßchen fuͤhrte, das eine halbe Tag¬ reise von hier durch den Wald fließt, so waͤren wir bald zu Haus; aber nun muͤssen wir die Quelle umgehen.“ — Als sie so sprachen, hoͤrten sie eine Eule draus schreien und kro¬ chen bang tiefer in die Muͤtze. — „Auch noch eine Eule,“ fluͤ¬ sterte Sissi, „o waͤre ich doch nie aus der Residenz meiner Mutter gewichen,“ und nun weinte sie bitterlich. — Der Maͤu¬ sebraͤutigam war hieruͤber sehr traurig, und uͤberlegte her und hin, wie er seine Braut ermuthigen und vor Gefahren schuͤtzen solle. — Endlich sprach er: „geliebte Sissi, mir faͤllt etwas ein; der gute Mann, der uns in seine Muͤtze ge¬ bettet hat, wuͤrde uns vielleicht sicher nach Hause helfen, wenn er unsere Noth nur wuͤßte. Lasse uns leise an seine Ohren kriechen und ihm recht flehentlich unsere Sorgen vor¬ stellen; ich will zuerst mit ihm sprechen, hilft das nicht, dann rede du in deinen suͤßesten Toͤnen zu ihm, wer kann dir widerstehen? aber ja recht leise, damit er nicht aufwacht, denn nur im Schlafe verstehen die Menschen die Sprache der Thiere.“ — Sissi war sogleich bereit und nahte sich be¬ sinnend dem linken Ohre Gockels. Pfiffi aber lief zum rech¬ ten Ohre und sang, nachdem er sich auf die Hinterbeine ge¬ setzt und seinen Schweif quer durch das Maul gezogen hatte, um seiner Stimme, welche durch das Kommandiren bei der letzten Revue etwas rauh geworden war, einen mildern Ton zu geben. Ich bin der Prinz von Speckelfleck Und fuͤhre heim die schoͤnste Braut; Die Katze bracht' ihr großen Schreck, Sie bangt um ihre Sammethaut. Ach, Gockel, bring uns bis zum Fluß Und bau uns druͤber einen Steg, Daß ich mit meiner Braut nicht muß Den Quell umgehn auf weitem Weg. Gedenken wird dir's immerdar Ich und der hohe Vater mein; Ist's auch nicht gleich, vielleicht aufs Jahr Stellt Zeit zu Dank und Lohn sich ein. — Doch was brauchts da viel Worte noch, Hart wird es mir, der edeln Maus, Vor deinem großen Ohrenloch Zu betteln. — Ich, der stets zu Haus Als erstgeborner Koͤnigssohn Gefuͤrchtet und befehlend sitzt Auf einen Parmesankaͤsthron, Der stolze Butterthraͤnen schwitzt, Sag dir hiemit, erwaͤhl' dein Theil, Nimm mich und meine Braut in Schutz, Schaff uns nach Haus gesund und heil, Sonst biete ich dir Fehd' und Trutz. Wenn uns die Katze auch nicht beißt, Maulleckend nur die Zaͤhne bleckt, Miauend meine Braut erschreckt, Woran viel liegt, was du nicht weißt, — Kruͤmmt sie uns nur ein einzig Haar, Faßt uns ein wenig nur beim Schopf, — Vielmehr, — frißt sie uns ganz und gar, So kommt die That auf deinen Kopf, Wonach du dich zu richten hast! Gegeben vor dem Ohrenloch Des Wirthes, auf der dritten Rast Von unsrer Brautfahrt, da ich kroch In seinen Aermel vor der Katz, Nebst meiner Braut aus großem Schreck, Worauf in seiner Muͤtze Platz Er uns gemacht. Prinz Speckelfleck. Punktum, Streusand, nun halte still, Ins Ohr beiß ich dir mein Sigill. Nach dieser ziemlich unhoͤflichen Rede biß Prinz Spe¬ ckelfleck den ehrlichen Gockel so derb ins Ohrlaͤppchen, daß er mit einem lauten Schrei erwachte und um sich schlug. Da flohen die beiden Maͤuse in großer Angst wieder in die Pudelmuͤtze. — „Nein das ist doch zu grob, einen ins Ohr zu beißen,“ sagte Gockel. Da erwachte Frau Hinkel, und fragte: „wer hat dich denn ins Ohr gebissen, du hast gewiß getraͤumt.“ — „Ist moͤglich,“ sagte Gockel, und sie schliefen wieder ein. Nach einer Weile sprach Sissi zu Pfiffi: „Aber um alle Welt, was hast du nur gethan, daß der Mann so boͤs ge¬ worden?“ — Da wiederholte ihr Pfiffi seine ganze Rede, und Sissi sagte mit Unwillen: „Ich traue meinen Ohren kaum, Pfiffi! kann man unvernuͤnftiger und plumper bitten, als du? die niedrigste Bauernmaus wuͤrde sich in unsrer Lage diplomatischer benommen haben. Alles ist verloren, ich bin ohne Rettung in die Krallen der Katze hingegeben durch deine uͤbel angebrachte Hoffart. — Ach mein junges Leben, o haͤtte ich dich nie gesehen! u. s. w.“ — Pfiffi war ganz ver¬ zweifelt uͤber die Vorwuͤrfe und Klagen seiner Braut, und sprach: „Ach Sissi, deine Vorwuͤrfe zerschneiden mein Herz, ich fuͤhle, du hast recht; aber fasse Muth, gehe an das linke Ohr und wende alle deine unwiderstehliche Redekunst an — das linke Ohr geht zum Herzen, er erhoͤrt dich gewiß; o ich Ungluͤcklicher, daß ich in die verwuͤnschten standesmaͤßigen Redensarten gefallen bin!“ — Da erhob sich Sissi, und sprach: „Wohlan, ich will es wagen.“ — Leise, leise schluͤpfte sie wieder an das linke Ohr Gockels, nahm eine ruͤhrende Stel¬ lung an, kreuzte die Vorderpfoͤtchen uͤber der Brust, schlang den Schweif wie einen Strick um den Hals, neigte das Koͤpfchen gegen das Ohr, und fluͤsterte so fein und suͤß, daß das Klopfen ihres bangen Herzchens schier lauter war, als ihr Stimmchen. Verehrter Herr! ich nahe dir Bestuͤrzt, beschaͤmt und herzensbang; Ich weiß, mein Braͤutigam war hier Und ziemlich grob vor nicht gar lang; Auch war sein Siegel sehr apart, Mit Recht hast du ihn angeschnarrt! Weil er verwoͤhnt, von Noth entfernt, Als einz'ger Prinz verzogen ward, Hat er das Bitten nicht gelernt; Drum, edler Mann, nimms nicht so hart! Wie Grobseyn ihm, sey Hoͤflichseyn Dir leicht, weil du erzogen fein. Er meints gewiß von Herzen gut, Doch koͤmmt beim Sprechen er in Zug, So regt sich sein erhabnes Blut, Und er wird groͤber als genug. Bedenk, der Kinder Pfeife klingt, Wie ihrer Eltern Orgel singt; Doch reut's ihn immer hinterdrein, Und in der Pudelmuͤtze sitzt Jetzt krumm das arme Suͤnderlein Und seufzt und wimmert, daß es schwitzt, Und schimpft, daß ihm die Hofmanier So grob entfuhr zur Ungebuͤhr. Bekennet hat er mir, der Braut, Die ihn erst tuͤchtig zappeln ließ, Ihm tuͤchtig wusch die grobe Haut, Die Nas' ihm auf den Fehler stieß, Und endlich, nach manch bitterm Ach, Dich zu versoͤhnen ihm versprach. Doch, daß ich selbst mich nicht vergess', Vergoͤnne jetzt in Demuth mir Zu sagen, daß ich, was Prinzeß Bei Menschen ist, bin als ein Thier, Und zwar als kleine, weiße Maus, So schuͤtt' ich nun mein Herz dir aus! — Prinzeß Siffi von Mandelbiß Fleht dich um Ritterdienste an; Du weißt aus dem Aesop gewiß, Was fuͤr die Maus ein Loͤw gethan, Und wie ihm dankbar half die Maus Dann wieder aus dem Netz heraus. Auch meinem Braͤutigam und mir Hilf sicher in das Maͤusereich, — Die Katz, das ungeheure Thier, Macht mich vor Schreck ganz todtenbleich! O haͤttest du ein Bischen nur Von Mausgeschmack und Mausnatur. O wuͤßtest du, wie weiß und zart, Wie lieblich ich an Leib und Seel, Gar nicht nach andrer Maͤuseart, Ja unter allen ein Juwel, Du littest lieber selbst den Tod, Als du mich ließ'st in Katzennoth. Die Aeuglein sind wie Diamant, Die Zaͤhne Perl und Elfenbein, Mein Leib ist zierlich und gewandt, Die Pfoͤtchen rosenroth und klein, Die Oehrlein sind zwei Blumen zart, Die Nase einer Bluͤthe gleich; Wie Bluͤthenfaͤden ist mein Bart So rein, so fein, so weiß und weich. Schweig Maͤulchen, pfiffiglich gespitzt, Von Schoͤnheit, die der Leib besitzt, Sprich von der Kunst, dem Sinn, dem Geist, Von Leistungen, die Jeder preis't, — Denn, wie Frau Catalani singt, Mein Stimmlein bei den Maͤusen klingt. Man hat mich drum als Gegensatz Oft Mausalani auch genannt‚ Weil Cata etwas klingt wie Katz, Hat man das Wort so umgewandt; Das Lani ließ man angehaͤngt, Weil man dabei an Wolle denkt. Verlaͤugne nicht dein Zartgefuͤhl, Laß ruͤhren dich durch meinen Sang, Denn lockender als Floͤtenspiel. Als Harfenton und Geigenklang Fleht er aus meiner Brust heraus: Beschuͤtz die kleine weiße Maus! Bei deiner hohen Adelspflicht, Die dich zum Schutz der Damen weiht, Beschwoͤr ich dich, verlaß mich nicht! Vielleicht ist ja der Tag nicht weit, Daß ich dir wieder helfen kann — Doch darnach fraͤgt kein Edelmann! Wer mich zu retten einen Stein Der Katze in die Rippen warf, Wer zugab, daß der Liebste mein An meiner Seite schlummern darf In seiner Muͤtze weich und warm, Der schuͤtzt mich auch mit starkem Arm! Erlaub nun‚ daß dir als Sigill Der Wahrheit, ohne Hinterlist Hier einsamlich und in der Still Das Ohrlaͤppchen demuͤthig kuͤßt, Was niemals sie noch that gewiß, Prinzeß Sissi von Mandelbiß. Nun kuͤßte sie ganz leise das Ohrlaͤppchen Gockels, und weil er im Schlafe etwas durch die Nase pfiff, glaubte sie‚ er sage ihr in der Maͤusesprache die artigsten Sachen und verspreche ihr seine Hilfe fuͤr ganz gewiß. Mit leichtem Herzen begab sie sich daher in die Muͤtze zuruͤck und ver¬ kuͤndigte ihrem Braͤutigam den guten Erfolg ihrer Bitten, worauf dieser sie zaͤrtlich umarmte. Jetzt aber war die Stunde gekommen, da die schwarze Nacht gegen Morgen ergrauet, und Alektryo, als ein ge¬ treuer Burgvogt, streckte dem anbrechenden Lichte seinen Hals entgegen, um es zum erstenmal mit einem kraͤhenden Trompetenstoße zu bewillkommen. Da erwachte Gockel und Frau Hinkel, Gackeleia aber schlief fest. Frau Hinkel fragte ihren Mann, warum er denn heute Nacht so unruhig ge¬ wesen, und wie er nur getraͤumt habe, daß ihn Jemand ins Ohr gebissen. Da zeigte Gockel ihr die weißen Maͤus¬ chen in seiner Muͤtze, und erzaͤhlte ihr, was ihm alles mit ihnen geschehen sey, und daß er versprochen habe, ihnen zu helfen; „und daß will ich auch thun,“ fuhr Gockel fort, „ich will beide sogleich uͤber den naͤchsten Fluß bringen, wo sie bald außer Gefahr in ihrer Heimath sind.“ Nun wollte er aufstehen und sich auf den Weg begeben, aber Frau Hinkel sagte: „du bist nicht recht klug; dir traͤumt, du haͤttest den Maͤusen etwas versprochen und willst es ihnen nun im Wachen halten, und deßwegen willst du mich hier in der Wildniß mit Gackeleia allein lassen, wo du so noͤthig bist, um aufzuraͤumen und alles in Ordnung zu bringen.“ — Da erwiederte Gockel: „du hast scheinbar ganz recht, aber versprochen muß gehalten werden, ich habe mein Ehrenwort gegeben, und das ist mir so deutlich und gegenwaͤrtig als der Biß in das Ohr.“ — „Wenn aber der Biß,“ sagte Frau Gockel, „ein Traum war, so war auch das Eh¬ renwort ein Traum.“ Gockel sprach hierauf unwillig: „ein Ehrenwort ist nie ein Traum, das verstehst du nicht, und den Biß habe ich so deutlich gefuͤhlt, daß ich mit einem Schrei erwachte, das Ohr brennt mich noch.“ — „Laß doch einmal sehen,“ sagte Frau Hinkel, und erblickte mit großer Verwunderung wirklich die Spur von fuͤnf spitzen Zaͤhnchen an Gockels Ohr. Als sie ihm dieses gesagt hatte, ließ er sich auch keinen Augenblick laͤnger aufhalten, sprang vom Lager auf, nahm das Brod aus dem Huͤhnerkorb, schnitt ein Stuͤck herunter, das er einsteckte, und sprach zu seiner Frau: „Hinkel raͤume einstweilen Alles huͤbsch auf, sieh dich im Schloße und der Umgebung um, und denke dir Alles aus, wie du es gerne zu unserer Haushaltung eingerichtet haͤttest; besonders gieb auf Alektryo und Gallina acht, weil es, wie du gehoͤrt hast, Katzen hier giebt; nach Mittag hoffe ich wieder hier zu seyn,“ und nun nahm er seinen Reisestab in die Hand. Weil er aber die Muͤtze, aus der ihm die Maͤuschen entgegenpsifferten , aufsetzen mußte, so nahm er ein leeres, mit zarten Federchen ausgefuͤttertes Vogelnest aus einem Baum, setzte die Maͤus¬ chen hinein, schob es in den Busen und gieng mit starken Schritten in den Wald gegen das Fluͤßchen hin. Nach ein paar Meilen Wegs ruhte er an einer Quelle, wo er sein Brod mit seinen Reisegefaͤhrten theilte. Da er aber endlich an den Fluß kam, gieng er auf und ab, eine schmale Stelle zu finden, fand auch endlich einen Ort, wo er das Fluͤßchen leicht mit einem Steine uͤberwerfen konnte. Hier nun nahm er sich vor, die Maͤuschen uͤberzusetzen, aber keine Bruͤcke, kein Kahn war da; er entschloß sich daher kurz, zog das Nest, mit den Maͤusen hervor, und sprach hinein: „lebet wohl, meine lieben Gaͤste; du Prinz von Speckelfleck befleiße dich besserer Sitten, und du Prinzeß von Mandelbiß bilde dir nicht so viel auf die Schoͤnhei¬ ten ein, die du besitzest; uͤbrigens bist du wirklich ein sehr schoͤnes Thierchen! Lebt wohl, gruͤßt eure Anverwandten und vergeßt nicht den armen alten Gockel von Hanau.“ Die Maͤuschen wußten gar nicht, was er wollte, weil er schon Abschied nahm und sie doch noch dießseits des Flußes wa¬ ren, auch kein Kahn und keine Bruͤcke weit und breit zu se¬ hen war; sie pfifferten ihm daher allerlei Fragen entgegen, aber er verstand kein Wort, ließ sich auch weiter auf nichts ein, sondern wickelte sie, nebst einer Erdscholle, in das Nest, holte weit aus und warf sie gluͤcklich hinuͤber in das hohe Gras. Da sich von dem Falle das Nest druͤben oͤffnete, schrieen die kleinen Thierchen noch immer sehr erstaunt, wie er sie nur hinuͤber bringen wolle, als sie zu ihrer groͤßten Verwunderung sahen, daß sie bereits druͤben waren und froͤh¬ lich nach Hause liefen, ihre Abentheuer zu erzaͤhlen. Auf dem Heimwege begegnete Gockel drei alten Morgen¬ laͤndern mit langen Baͤrten, welche große Naturphilosophen, Kabbalisten und Petschierstecher waren; sie fuͤhrten einen al¬ ten Bock und eine alte magere Ziege an Stricken zur Frank¬ furter Messe. Sie redeten Gockel an: „seid ihr der Besitzer des alten Schloßes hier im Walde?“ Gockel antwortete: „ja, ich bin der alte Raugraf, Gockel von Hanau.“ Da fragten ihn die Maͤnner, ob er ihnen nicht den alten Haus¬ hahn verkaufen wollte, sie wollten ihm den Bock dafuͤr ge¬ ben. Gockel antwortete: „was soll ich mit dem Bock, ihn etwa zum Gaͤrtner machen, kann der Bock etwa kraͤhen? Mein Hahn ist kein Alletagshahn, er ist ein Wappenhahn, ein Stammhahn; sein Vater hat auf meines Vaters Grab gekraͤht, und er soll auf meinem Grabe kraͤhen, lebt wohl.“ Da boten ihm die Maͤnner die Ziege, und als er abermals nicht wollte, boten sie ihm den Bock und die Ziege; Gockel aber lachte sie aus und gieng seiner Wege. „Nun,“ riefen sie ihm nach, „in vier Wochen gehen wir wieder vorbei, da wol¬ len wir wieder nachfragen, vielleicht haben dann der Herr Raugraf mehr Lust, den Hahn zu verkaufen.“ Gockel kam gegen Abend nach Haus, und nachdem er von seiner Reise ausgeschlafen hatte, sah er sich am andern Morgen mit Frau Hinkel und dem Toͤchterchen Gackeleia in dem wuͤsten Schloße seiner Voraͤltern um und begann sich so gut einzurichten, als es nur immer moͤglich war. Alektryo g uͤberall mit ihnen umher, und da er an einer Stelle nicht aufhoͤrte zu scharren und zu locken, ward Gockel auf¬ merksam und raͤumte muͤhsam den Schutt hinweg, wo er dann zu seiner großen Freude einiges eiserne Gartengeraͤth fand, das von dem eingestuͤrzten Hause verschuͤttet worden war. Da war ein Spaten, eine Pickel, eine Karst, eine Harke, und Gockel machte sich gleich daran, diese rostigen Instrumente wieder blank zu wetzen und neue Stiele hinein zu schnitzen. Mit diesem Werkzeug konnte er nun tuͤchtig in dem Schutt herum arbeiten, und es gelang ihm, am Fuße eines Rauchfangs, ein Kamin herauszugraben, in welchem der eiserne Kessel seiner Vorfahren noch an einer Kette uͤber der Feuerstelle hing. Auch diesen scheuerte Frau Hinkel am Brunnen wieder blank, und Gockel richtete ihr das schoͤne Kamin zur Kochstelle ein. — Freudig rief er sie herbei und zeigte ihr die schoͤne Einrichtung; aber Frau Hinkel seufzte und sagte: „was soll uns der Herd, wenn wir nichts zu ko¬ chen haben?“ — „Gott wird helfen,“ sagte Gockel, und lehnte sich auf seine Schaufel; indem kam Gackeleia herangehuͤpft und hatte eine Menge bunte Vogelfederchen in ihrer Schuͤrze gesammelt, und sagte: „Mutter, da sind so schoͤne Feder¬ cheu, mache mir doch solche Huͤhnchen und Haͤhnchen dar¬ aus, wie du mir oft in Gelnhausen gemacht!“ — Gockel sagte: „Kind, dich schickt Gott; ja, das thue Frau Hinkel, mache ein paar Dutzend solche Voͤgelchen, ich will sie fuͤr Brod und andres Noͤthige verkaufen.“ — Frau Hinkel, welche eine ganze Sammlung solchen kleinen Gefluͤgels fuͤr das koͤ¬ niglich Geluhausenische Huͤhner-Normal-Museum verfertigt hatte, machte nun aus Lehm und diesen Federn allerlei ar¬ tige kleine Voͤgel; die Beine und Schnaͤbel wurden aus Dorn gemacht, und sie sahen recht artig aus. An den Tagen, da sie hieran auf den verfallenen Stufen des trocknen Spring¬ brunnens sitzend arbeitete, legte Gockel auf allen fruchtbaren Erdstellen zwischen den Mauern Gartenbeete an, ordnete und verband alle Winkelchen mit Zaͤunen und aus umherliegenden Steinen zusammengestellten Treppen. Er sammelte alle Gar¬ tengewaͤchse, die im verwilderten Schloßgaͤrtchen noch uͤbrig geblieben waren, und pflanzte sie sie fein ordentlich in die neu angelegten Beete. Von den mitgebrachten Broden war das letzte schon seit einigen Tagen angeschnitten, und Frau Hinkel hatte die zwei Dutzend Federvoͤgelchen fertig. Gockel nahm sie und sprach: „Diese Thierchen sollen uns Brod schaffen, bis wir leben¬ dige Huͤhnchen zu verkaufen haben“ und somit empfahl er ihnen fleißig zu seyn und gieng fort durch den wilden Wald nach der Landstraße zu. Kaum war er eine Stunde Wegs gegangen, als er einen Postillon ganz erbaͤrmlich blasen hoͤrte. Er gieng auf den Schall zu, und sah einen Mann in gel¬ bem Rock mit schwarzen Aufschlaͤgen im Gebuͤsch herum krie¬ chen. Als sie sich erblickten, sagte dieser: „Gott sey Dank, daß da Jemand koͤmmt, mir aus der Noth zu helfen.“ — „Von Herzen gern, wenn's moͤglich ist,“ erwiederte Gockel, „was giebt es, wo fehlt es?“ — „Seht,“ fuhr der Mann fort, „ich bin der Conducteur vom heiligen roͤmischen Reichs-Post¬ wagen und fahre jetzt nach Nuͤrnberg; da ich durch Gelnhau¬ sen kam, war ein Laͤrm in der Stadt, daß der Huͤhnermi¬ nister, Alles zuruͤcklassend, mit Frau und Kind verschwunden sey. Das aͤrgerte den Koͤnig Eifrasius, er ließ mich zu sich rufen und sagte: „Herr Conducteur, will er mir gegen ein gutes Trinkgeld einen Gefallen thun?“ — „Nicht mehr als Schuldigkeit, ihre Majestaͤt,“ sagte ich. — Da sagte der Koͤ¬ nig: „Mein Huͤhnerminister, ein alter eigensinniger deutscher Degenknopf, ist in Gnaden entlassen auf und davon gegan¬ gen, und hat nicht einmal seinen Gehalt fuͤrs letzte Viertel¬ jahr mitgenommen; ich will ihm nichts schuldig bleiben; wie ich vermuthe, ist er in sein wuͤstes Stammschloß im Ha¬ nauer Wald gezogen. Nehme er ihm sein letztes Quartal mit und suche er ihn auszufragen; wenn er mir einen Zettel bringt, daß er es empfangen, so gebe ich ihm bei der Ruͤckkehr ein gutes Trinkgeld.“ — Ich war zu Al¬ lem bereit; man lud mir einen Sack voll Kartoffeln, ei¬ nen Sack voll Mehl, einen Kuhkaͤs, einen Topf voll But¬ ter, einige Laib Brod und einen Korb mit Eiern auf, Alles mit der Adresse, an Seine Hochgeborne Excellenz Herrn Herrn Raugrafen Gockel von Hanau, koͤniglich Gelnhause¬ nischen Exhuͤhnerminister in — da steht ein Fragezeichen. — Nun fahre ich schon ein paar Stunden herum und kann das Schloß nicht finden, und ich fuͤhre noch herum — aber es geht nicht — denn der Postwagen ist mir umgefallen, und der ganze Korb mit Eiern ist mir zerbrochen, ihr werdet die Bescheerung sehen. — Ich ließ den Postillon schon eine Stunde lang um Huͤlfe blasen und suchte einstweilen, bis Jemand kaͤme, uns den Wagen aufrichten zu helfen, hier unter den Baͤumen Pfifferlinge fuͤr einen Freund in Nuͤrn¬ berg. Das ist die Geschichte, jetzt kommt und helft.“ Gockel umarmte den Conducteur, knoͤpfte seinen Wam¬ mes auf, zeigte ihm seinen Orden und gab sich als den Ex¬ huͤhnerminister zu erkennen. Niemand war froher als der Conducteur. Sie eilten nach dem umgefallenen Postwagen, trugen die Kartoffeln, das Mehl, das Brod, den Kaͤs, die Butter, die Gockel gehoͤrten, in ein dichtes Gebuͤsch, richte¬ ten den Postwagen wieder auf, wischten mit Gras das Ei¬ gelb von den zerbrochenen Eiern aus dem Wagen und schmier¬ ten die Raͤder damit. Gockel nahm seinen Siegelring, wor¬ auf ein doppelter Hahn eingestochen war, den er mit Ei¬ gelb bestrich und dem Conducteur in sein Postbuch als Be¬ scheinigung des Empfangs abdruckte. — „Nun ist alles vor¬ trefflich, Herr Graf,“ sagte der Conducteur, „aber eine Ge¬ faͤlligkeit moͤchte ich mir erbitten. Ein Freund von mir, in Nuͤrnberg, ein Liebhaber von Raritaͤten, hat auf der Durch¬ reise in Gelnhausen, im koͤniglichen Normalhuͤhnermuseum, eine Sammlung kleiner, von Federn gemachter Huͤhnchen ge¬ sehen, und wuͤnschte um Alles iu der Welt zu wissen, wo dieselben verfertigt werden, er koͤnnte bei seinem ausgebrei¬ teten Handel wohl hundert Dutzend davon gebrauchen. „Gut, mein Freund,“ erwiederte Gockel, „ich kann sie Ihnen verschaffen, hier haben sie gleich zwei Dutzend von neuester Fa ç on als eine Probe; wenn sie hier wieder vorbeifahren, legen sie nur dort in den hohlen Baum, was ihr Freund da¬ fuͤr bezahlt, sie sollen dort immer von Zeit zu Zeit einige Dutzend solchen Gefluͤgels vorraͤthig finden. Wenn sie wieder kommen, bringen sie mir etwas Drath und Zwirn und eine halbe Elle rothes Tuch mit, die Beine und den Kamm an den Thierchen schoͤner machen zu koͤnnen.“ Der Conducteur versprach Alles, und da Gockel fragte, wie denn das Hand¬ lungshaus in Nuͤrnberg heiße, zog er eine leere Rauchta¬ baksduͤte aus der Tasche, fuͤllte die Huͤhnchen hinein und zeigte Gockel die Adresse: Gebruͤder Portorico ohne Rippen. — Da blies der Postillon recht ungeduldig. Gockel schuͤttelte dem Conducteur die Hand, der in den heil. roͤmischen Reichs¬ postwagen kroch, der gewiß sehr schnell fortgefahren waͤre, weil er so gut geschmiert war — aber der Kasten war schwer, die Pferde muͤd, der Weg schlecht und der Postillon schlief. Gockel packte sogleich von Allem, was er erhalten hatte, so viel auf, als er tragen konnte, das Uebrige verdeckte er dicht mit Zweigen, um es Morgen vollends nach Haus zu bringen. Als er in das Schloß kam, rief er sogleich: „ge¬ schwind Frau Hinkel! den Kessel uͤbers Feuer, ich bringe Lebensmittel, und nun zeigte er, was er gebracht, und er¬ zaͤhlte Alles, was er erlebt.“ Frau Hinkel kochte Kartof¬ feln, machte gebrannte Mehlsuppe, backte Pfannkuchen. Sie assen froͤhlich, streuten den Voͤgeln Brosamen und giengen zufrieden schlafen. Am andern Morgen holte Gockel den uͤbrigen Vorrath und fuhr fort in dem wuͤsten Gebaͤude auf¬ zuraͤumen und einzurichten. Ihr Leben ward taͤglich ertraͤglicher in dem wilden Schloß. Gockel gieng oft ganze Tage in den Wald, bald zu jagen, bald um die Voͤgelchen und Huͤhnchen der Frau Hinkel in den hohlen Baum zu tragen, wo er immer fuͤr jedes zwei Kreuzer von Hrn. Gebruͤder Portorico ohne Rip¬ pen durch den Conducteur und neue Bestellungen, und was er selbst bestellt, hingelegt fand. — Wenn Gockel weggieng, befahl er immer, was gearbeitet werden sollte, und Alektryo horchte seinen Auftraͤgen jedesmal sehr ernsthaft zu. Seine Befehle wurden aber nicht immer befolgt. Zum Beispiel: Gackeleia sollte aus Weidenruthen Huͤhnernester flechten und die Weidenruthen in den Brunnen vor dem Schloßgarten le¬ gen, damit sie sich recht geschmeidig flechten ließen; aber sie that das sehr nachlaͤssig, war eine neugierige, naschhafte kleine Spielratze, guckte in alle Vogelnester, naschte von al¬ len Beeren, machte sich Blumenkraͤnze und hatte keine rechte Lust zum Arbeiten, weßwegen der strenge Alektryo sie manch¬ mal mit großem Zorn ankraͤhte, so daß sie erschreckt zu ih¬ rer Arbeit zuruͤcklief. Darum faßte sie einen starken Unwil¬ len auf den alten Wetterpropheten und verklagte ihn bei der Mutter. Auch diese hatte keine Liebe zu Alektryo, denn, wenn sie sich manchmal uͤber der Gartenarbeit ermuͤdet auf einen Stein setzte und sehnsuͤchtig an die Fleischer- und Baͤ¬ ckerladen zu Gelnhausen dachte, begann Alektryo, der ihr immer wie ein beschwerlicher Haushofmeister auf allen Schrit¬ ten nachgieng, auf den zu bestellenden Gartenbeeten zu schar¬ ren und zu kraͤhen, um sie an die Arbeit zu erinnern. Als sie nun einstens so sitzend eingeschlafen war und vergessen hatte, der Henne Gallina Futter vorzustreuen und frisches Wasser zu geben, traͤumte ihr auch von den Geln¬ hausner Braten und Eierwecken so klar und deutlich, daß sie im Traum sagte: „ach es ist Wahrheit, es ist kein Traum;“ da kraͤhte ihr Alektryo so schneidend dicht in die Ohren, daß sie vor Schrecken erwachte und an die harte 3 Erde fiel. Darum hatte sie noch einen viel groͤßern Unwil¬ len gegen den ehrlichen Stammhahn Alektryo, und jagte ihn uͤberall hinweg, wo sie zu thun hatte. Auch haͤtte sie ihm gerne laͤngst den Hals abgeschnitten, weil er sie alle Morgen um 3 Uhr von ihrem Lager aufweckte. Aber er war ihr zu der Huͤhnerzucht, auf welche Gockel alle seine Hoffnung ge¬ stellt hatte, gar zu noͤthig. Wenn nun Gockel Abends heimkehrte, kam ihm gewoͤhn¬ lich Alektryo entgegengeflogen, schlug mit den Fluͤgeln und kraͤhte ihm allerlei vor, als wolle er Hinkel und Gackeleia wegen ihrer Nachlaͤßigkeit verklagen, und diese verklagten den Hahn wieder und es gieng ein strenges Nachforschen Gockels uͤber Alles an, wo dann Hinkel und Gackeleia man¬ cherlei Verdruß bekamen, so daß sie dem Alektryo taͤglich feindseliger wurden. Das Alles waͤhrte so fort, bis die Henne Gallina dreißig Eier gelegt hatte, auf denen sie bruͤ¬ tend saß. Auf diese Brut setzte Gockel alle seine Hoffnung fuͤr die Zukunft, und zuͤrnte darum so gewaltig auf Frau Hinkel, als sie die Vorsprecherin der Raubvoͤgel werden wollte, die gern im Schloße aufgenommen gewesen waͤren, woruͤber ihr Gockel einen so derben Verweis gab, wie ich gleich anfangs erzaͤhlte. Die Freude des guten Gockels uͤber seine bruͤtende Henne war ungemein groß, und da er taͤglich erwartete, daß die kleinen Huͤhnchen auskriechen sollten, eilte er nach einer nahe gelegenen Stadt, Hirse zu ihrem Futter zu kaufen, und em¬ pfahl sowohl der Frau Hinkel als der kleinen Gackeleia sehr auf die bruͤtende Gallina Acht zu haben, daß ihr ja niemals etwas mangle. Er gieng schon um Mitternacht weg, weil er einen weiten Weg vor sich hatte. Frau Hinkel dachte nun einmal recht auszuschlafen, und nahte sich dem Hahn Alek¬ tryo, der noch auf seiner Stange schlafend saß, ergriff ihn und steckte ihn in einen dunkeln Sack, damit er den anbre¬ chenden Morgen nicht erblicken und sie mit seinem Kraͤhen nicht erwecken moͤge, worauf sie sich wieder niederlegte und wie ein Ratze zu schlafen begann. Das Toͤchterlein Gackeleia aber schlief nicht viel, denn sie hatte sich schon lange darauf gefreut, wenn der Vater Gockel einmal laͤnger abwesend seyn wuͤrde, sich ein Vergnuͤ¬ gen zu machen, das sie gar nicht erwarten konnte. Sie hatte naͤmlich bei ihrem Herumklettern in einem entfernten Winkel des alten Schloßes eine Katze mit fuͤnf Jungen gefunden und weder dem Vater noch der Mutter etwas davon gesagt, weil diese immer sehr gegen die Katzen sprachen. Gackeleia aber konnte sich nie satt mit den artigen Kaͤtzchen spielen, sie brachte alle ihre Freistunden bei denselben zu und hatte der alten Katze den Namen Schurrimurri gegeben, die fuͤnf jungen aber Mack, Benack, Gog, Magog und Dema¬ gog genannt. Heute stand sie nun in aller Fruͤhe leise ne¬ ben der schlafenden Mutter auf, froh, daß Alektryo sie nicht verrathen koͤnne, denn sie hatte wohl bemerkt, daß die Mut¬ ter ihn in den Sack gesteckt. Als sie aber an dem Neste der bruͤtenden Gallina voruͤbergieng, hatte sie eine wunderbare Freude, denn sieh da, alle die Eier waren kleine Huͤhnchen geworden, und piepten um die Henne herum und draͤngten sich unter ihre ausgebreiteten Fluͤgel und guckten bald da, bald dort mit ihren niedlichen Koͤpfchen hervor. Gackeleia wußte sich vor Freude gar nicht zu fassen; anfangs wollte sie die Mutter gleich wecken, dann aber fiel es ihr ein, sie wolle es zuerst ihren kleinen Kaͤtzchen erzaͤhlen, und meinte, die wuͤrden sich eben so sehr, als sie selbst, uͤber die schoͤnen Huͤhnchen freuen. Schnell lief sie nun nach dem Katzennest, und als ihr die alte Katze mit einem hohen Buckel entgegen kam und um sie herumzuschnurren begann, und die kleinen Kaͤtzchen hin¬ ter ihr drein zogen, sprach Gackeleia: „Ach, Schurrimurri! Gallina hat dreißig junge Huͤhnchen, und jedes ist nicht groͤßer als eine Maus.“ Als die Katze dies hoͤrte, war sie 3 * so begierig die Huͤhnchen zu sehen, daß ihr die Augen fun¬ kelten. Da sagte Gackeleia: „wenn du huͤbsch leise auftreten willst und nicht miauen, damit die Mutter nicht erwacht, so will ich dir die artigen Huͤhnchen zeigen; die kleinen Kaͤtz¬ chen koͤnnen auch mitgehen, die werden große Freude an den Huͤhnchen haben.“ Gleich lief nun Schurrimurri mit ihren Jungen vor Gackeleia her, und als sie an den Stall gekom¬ men waren, ermahnte sie dieselben nochmals, recht artig zu seyn, und machte leise die Thuͤre auf. Da konnte sich aber Schurrimurri nicht laͤnger halten, sie setzte mit einem Sprunge auf die bruͤtende Gallina und erwuͤrgte sie, und die jungen Kaͤtzchen waren eben so schnell mit den jungen Huͤhnchen fertig. Das Geschrei der Gackeleia und der sterbenden Gallina weckte die Mutter, die noch auf dem Lager schlief und mit Entsetzen ihre ganze Hoffnung von der Katze erwuͤrgt sah, die sich, nebst ihren Jungen, bald mit ihrer Beute davon machte. Gackeleia und Hinkel weinten und rangen die Haͤn¬ de, und der arme Alektryo, der das Wehgeschrei der Sei¬ nigen wohl gehoͤrt hatte, flatterte und schrie in dem Sack. Gackeleia wollte sterben vor Angst, sie umfaßte die Kniee der Mutter und schrie immer: „ach der Vater, ach der Vater, ach was wird der Vater sagen, ach er wird mich umbringen; Mutter, liebe Mutter, hilf der armen Gacke¬ leia!“ Frau Hinkel war nicht weniger erschreckt, als Gacke¬ leia, und fuͤrchtete sich nicht weniger als diese vor dem ge¬ rechten Zorne Gockels, denn sie hatte den wachsamen Alek¬ tryo in den Sack gesteckt. Als sie das bedachte, fiel ihr auf einmal ein, sie wolle den Hahn Alektryo als den Moͤrder der jungen Huͤhnlein angeben, und hoffte dadurch den Zorn Gockels auf diesen unbequemen Waͤchter zu wenden. Sie nahm daher den Sack, worin der Hahn war, und sagte: „komm Gackeleia, wir wollen dem Vater, nacheilen und ihm den Alektryo als den Moͤrder der kleinen Huͤhner und der Gallina uͤberbringen,“ und so eilten sie nun beide den Go¬ ckel einzuholen, der im Walde herumstrich, einiges Wild zu erlegen, das er bei dem Kraͤmer gegen Hirse vertauschen wollte. Bald sahen sie ihn auch in einem Busche zwei Schne¬ pfen, die sich in einem Sprenkel gefangen hatten, in seinen Ranzen stecken; da fiengen sie laut an zu weinen. Gockel schrie ihnen entgegen: „Gott sey Dank, ihr weinet gewiß vor Freude, Gallina hat gewiß dreißig schoͤne junge Huͤhnchen aus¬ gebruͤtet.“— „Ach,“ schrie Frau Hinkel, „ach ja, aber!“ — „Aber, was aber?“ sagte Gockel, „was aber weint ihr, dreißig Huͤhner, und immer so fort, entsetzlich viele Huͤhner!“ — Da rief Hinkel: „O Ungluͤck uͤber Ungluͤck, Alektryo, dein sauberer Haushahn hat Gallina und alle die gegenwaͤrtigen und kuͤnftigen Huͤhner gefressen! Da hab ich ihn in den Sack gesteckt, da hast du ihn, strafe ihn, ich will ihn nie wieder sehen.“ Mit diesen Worten warf sie dem vor Schreck versteinerten Gockel den Sack mit dem Hahn vor die Fuͤße. Gockel war uͤber die schreckliche Nachricht, die alle seine Hoffnungen zerstoͤrte, ganz wie von Sinnen; „ach,“ rief er aus, „nun habe ich Alles verloren, das Gluͤck weicht von meinem Stammhaus, alle meine Voreltern und Nachkom¬ men sind betrogen durch den unseligen Alektryo, den wir uͤber Menschen und Vieh hoch geachtet haben. O! haͤtte ich ihn doch den drei morgenlaͤndischen Petschierstechern fuͤr den Geisbock und die Ziege verkauft, da haͤtten wir doch etwas gehabt.“ Als Frau Hinkel hoͤrte, daß er den Alektryo so gut haͤtte verkaufen koͤnnen, machte sie dem Gockel bittere Vor¬ wuͤrfe, der immer trauriger ward, und endlich seinen alten pergamentenen Adelsbrief aus dem Busen zog und zu seiner Frau sagte: „Hinkel, sieh, was meinen Stamm immer be¬ wogen hat, den Alektryo zu ehren; da unten auf der gol¬ denen Buͤchse, in welcher der treulose Alektryo als mein Fa¬ milienwappen in Wachs abgebildet ist, steht ein alter Fa¬ milienspruch, nach welchem ich mit allen meinen Vorfahren, von dem Geschlechte des Alektryo unser Gluͤck erwartete. Die schriftliche Urkunde davon ist bei der Verbrennung un¬ seres Schlosses verloren gegangen, mein Großvater hat den Spruch aber zum ewigen Angedenken auf die goldene Sie¬ gelbuͤchse stechen lassen. Er lautet ganz klar: „ Alektryo bringt dir Gluͤcke selbst um Un¬ dank. Gockel — Kopf — Kropf — Siegel — Brod gab . Was aber die Worte: Kopf, Kropf, Siegel, Brod gab, bedeuten sollen, weiß ich nicht.“ Als er kaum die Worte ausgesprochen hatte, traten die drei Petschierstecher, die ihm neulich den Hahn abkaufen wollten, aus dem Gebuͤsch und sprachen: „was befehlen der Herr Graf Gockel von Hanau von uns?“ — „Wie so,“ sagte Gockel unwillig, „was soll ich befehlen?“ — „Der Herr Graf,“ antworteten die Maͤnner, „haben doch unsre Namen, Kopf, Kropf und Siegel zweimal ausgesprochen, denn so heißen wir, seit unsre Voraͤltern nach Deutschland gezogen. — Aber vielleicht wollen der Herr Graf sich ein neues Petschaft stechen lassen; denn außerdem, daß wir in der Astrologie, Physiognomie, Chiromantie, Geomantie, Alek¬ tryomantie, Coscinomantie, Hydromantie, Crystallomantie, Cabbala, Goetie, Diplomatie und Prophetie unbegreiflich billige Privatstunden geben, und daß wir Huͤhneraugen schnei¬ den, zerbrochenes Porzellain kitten und Kaffeemuͤhlen scharf machen, sind wir hauptsaͤchlich Petschierstecher, was durch¬ aus zur Diplomatie, wegen der Siegelkenntniß an den Ur¬ kunden, und zur Verfertigung der Talismane noͤthig ist. Ach, Herr Graf! es gehoͤrt heut zu Tag ein entsetzlicher Umfang dazu, um in den Wissenschaften komplett zu seyn; es werden grausame Forderungen gemacht, und was hat man davon, nichts als die Ehre, daß Alles in einander greift mit leeren Haͤnden. Ja, wenn der Handel mit Vieh, mit alten Kleidern und Hasenpelzen nicht waͤre — Herr Graf! — wahrhaftig die hohen Wissenschaften machen die Suppe nicht fett.“ — „Also, daß ich meine Rede nicht vergesse, wollen der Herr Graf sich nicht ein Petschaft ste¬ chen lassen? — denn wir sehen, daß sie Ihr Siegel in den Haͤnden haben, welches ein Siegel des Gleichnisses, voll der Weisheit und ausnehmend schoͤn ist.“ „Ach,“ sagte Gockel, „ich moͤchte mein Wappen lieber ganz vernichten, denn der Hahn Alektryo, der darauf abge¬ bildet ist, hat uns schaͤndlich betrogen,“ und nun erzaͤhlte er ihnen sein ganzes Ungluͤck. — „Sehen der Herr Graf,“ sagte der eine Petschierstecher, „wie gut wir es mit Ihnen gemeint, da wir Ihnen neulich den Hahn abkaufen wollten; haben wir nicht gesagt, Sie wuͤrden ihn naͤchstens vielleicht gern los werden, wenn ihn nur Jemand wollte, das lehrte uns die Prophetenkunst.“ „Wie so, gut gemeint,“ sagte Gockel, „wie konntet ihr denn wissen, daß mich der Hahn in solches Leid versetzen werde?“ Da erwiederte der eine Morgenlaͤnder: „dieß Leid ist ja deutlich in dem alten Familienspruch ausgesprochen, welchen unsre Voraͤltern selbst auf die goldne Siegelbuͤchse gestochen haben; weswegen auch abgekuͤrzt unter dem Spru¬ che steht, daß durch diese Arbeit Gockel dem Kopf , dem Kropf , dem Siegel Brod gab , und aus Dankbarkeit fuͤr dieses Brod, das Ihre Voraͤltern den unsern gegeben, wollten wir, da der Herr Graf in Ungnade und Armuth gerathen ist, Ihro Excellenz den Hahn abkaufen, weiteres Ungluͤck von Ihnen abzuwenden.“ „Das ist dankenswerth,“ erwiederte Gockel, „aber ich sehe in dem Spruche gar keine Ungluͤcksprophezeiung, son¬ dern gerade das Gegentheil; steht nicht in den Worten: Alektryo bringt dir Gluͤcke selbst um Undank. ganz deutlich ausgesprochen, daß der Hahn selbst fuͤr Un¬ dank seinem Herrn Gluͤck bringen werde?“ — „Ja,“ sagte da der zweite Petschierstecher, „der Spruch ist, wie viele sol¬ che Spruͤche, in der Flattirmanier gestellt, große Herrn flat¬ tirt man gern. Die Urkunde ist ein bischen verschmeichelt und aus Menschenfreundlichkeit ein wenig aufgemuntert; so wie man einem alten Roß die Haare aus den Ohren schnei¬ det und die Zaͤhne feilt, daß es juͤnger aussieht, haben unsre Vorfahren dem damaligen Graf Gockel den Schrecken erspa¬ ren wollen und haben ein r aus einem e und aus einem u ein uͤ gemacht, denn der Spruch heißt eigentlich: Alektryo bringt die Glucke selbst um, o Undank! was durch die Thatsache bewiesen ist, denn der undankbare Alektryo hat ja die Glucke sammt den Kuͤchlein umgebracht; wir aber muͤssen dieses verstehen, denn wir sind von undenk¬ lichen Zeiten aus dem Stamme der Petschierstecher. Von un¬ sern Voraͤltern ist das Siegel Juda, das Siegel Pharaos, das Siegel Ahabs, das Siegel Ahasveri und das Siegel des Darius gestochen, womit er den Daniel in die Loͤwen¬ grube versiegelte. Wir sind Leute vom Fach, der Herr Graf koͤnnen sich auf die Guͤte unsrer Auslegung verlassen, und so sie sich nicht von erster Qualitaͤt bewaͤhrt, koͤnnen der Herr Graf sie uns wieder zuruͤckgeben.“ Gockel ganz von der Rede der Maͤnner und seinem Un¬ gluͤcke uͤberzeugt, bat sie, ihm doch nun den Bock und die Ziege fuͤr den Hahn zu geben, aber das wollten sie nicht mehr und sprachen: „was soll uns der Hahn, er ist ein Ungluͤckshahn, er kann uns ein Leid anthun, wer wird einen Ungluͤckshahn essen, und bleibt er am Leben, er koͤnnte ei¬ nem ein Ungluͤck ankraͤhen; aber lassen ihn der Herr Graf einmal sehen, man kauft keine Katze im Sack, viel weniger einen Hahn.“ Da zog Gockel den Hahn aus dem Sack, und sprach weinend: „o Alektryo, Alektryo! welch Leid hast du mir gethan.“ Alektryo ließ Kopf und Fluͤgel haͤngen und war sehr traurig; aber als ihm der eine Petschierstecher an den Kropf fuͤhlen wollte, ward er ganz wuͤthend; alle seine Federn straͤubten sich empor, er hackte und biß nach ihm und schrie und schlug, so heftig mit den Fluͤgeln, daß der Mann zuruͤckwich, und Gockel den Hahn kaum halten konnte. „Schau eins,“ sagten die drei Petschierstecher, „man soll noch Geld geben fuͤr so ein wildes Ungeheuer, es will die Leute fressen; wer wird ihn kaufen?“ Als aber Gockel ihn immer wohlfeiler bot, sagten sie ihm endlich: „wir ge¬ ben dem Herrn Grafen, wenn er uns den Hahn nach Hause tragen will, neun Ellen Zopfband dafuͤr, daß er sich einen schoͤnen langen Zopf binden kann, wie sichs einem Grafen gebuͤhrt,“ und Gockel willigte ein, um nur etwas fuͤr den Alektryo zu erhalten. Frau Hinkel und Gackeleia hatten alles dieses still mit angehoͤrt und giengen mit schwerem Gewissen nach Hause, denn sie wußten wohl, daß die Dreie die Unwahrheit sag¬ ten. Gockel aber nahm den Alektryo unter den Arm und folgte traurig den drei Petschierstechern durch den Wald nach ihrem Wohnorte. Anfangs giengen sie dicht um ihn; weil der Hahn aber dann immer nach ihnen biß und schrie, ba¬ ten sie Gockel, einige Schritte mit dem grausamen Unge¬ heuer hinter ihnen her zu gehen. Gockel hoͤrte oͤfter, wie die drei unheimlichen Maͤnner zu einander sagten: „Kropf¬ auf, Siegelring, Kopf ab,“ und wie sie dann miteinander zankten und immer einer zum andern schrie: „nein ich Sie¬ gelring, nein du Kropf auf, nein du Hals ab,“ und als Gockel sie fragte, warum sie immer miteinander zankten, sagten sie: „ei, es will keiner von uns den Hahn schlach¬ en, weil er ein so grausames Thier ist; wenn der Herr Graf ihn gleich schlachten, so wollen wir Ihro Excellenz den Kamm, die Fuͤße und Sporen und Schweif geben, die koͤnnen Sie auf die Muͤtze setzen zum ewigen Andenken, — ein schoͤnes Monument, ein statuirtes Exempel fuͤr den Un¬ dank; drehen Sie ihm unterm Tragen doch ganz leise den Hals herum.“ „Gut,“ sagte Gockel, und faßte den Alektryo an der Kehle. Da fuͤhlte er aber etwas sehr Hartes in seinem Kropfe, und der Hahn bewegte sich so heftig dabei, daß die Maͤnner sich sehr fuͤrchteten und zu Gockel sagten: „Ach gehen der Herr Graf ein wenig weiter hinter uns her.“ Das that Gockel, und als er wieder an den Hals des Alektryo faßte, fuͤhlte er das Harte im Kropfe wieder, und machte sich allerlei Ge¬ danken, was es doch nur seyn koͤnne. Da sagte auf ein¬ mal der Hahn mit deutlichen Worten zu ihm: „Lieber Gockel, bitt' dich drum Dreh mir nicht den Hals herum, Koͤpf mich mit dem Grafenschwert, Wie es eines Ritters werth. Weh, Graf Gockel, bittre Schmach! Traͤgt den Hahn den Schelmen nach.“ Gockel blieb vor Schrecken und Ruͤhrung stehen, als er den Alektryo reden hoͤrte, aber er besann sich bald eines Andern, und wollte ihnen nicht mehr den koͤstlichen Hahn, der reden konnte, um neun Ellen Zopfband nachtragen, und rief ihnen zu, links in das Gebuͤsch zu treten, jetzt wolle er das grausame Ungeheuer toͤdten. Sie sprangen schnell in das Gebuͤsch, aber da war eine mit Reisern bedeckte Wolfsgrube, die kannte Gockel gut, denn er hatte sie selbst gegraben, und Plumps fielen alle drei morgenlaͤndische Petschierstecher hinein, und riefen dem Go¬ ckel, ihnen herauszuhelfen; aber dieser gab keine Antwort, und schlich sich in die Naͤhe der Grube, um zu hoͤren, was sie da unten fuͤr Betrachtungen anstellen wuͤrden. „O weh mir!“ schrie der Eine, „da haben wir es, wer dem Andern eine Grube graͤbt, faͤllt selbst hinein; was nuͤtzt uns nun der Siegelring des Darius, womit er die Loͤwen¬ grube verschlossen, wir sitzen in der Wolfsgrube. Alle Muͤhe und Arbeit und Salomonis Siegelring in des Hahnen Kropf ist verloren fuͤr uns, der Gockel muß es gemerkt ha¬ ben, daß Kopf, Kropf, Siegel nicht unsere Namen, sondern nur einzelne Worte des alten geheimen Spruches sind, wel¬ cher sagt: man muͤsse dem Hahnen den Kopf ab und den Kropf aufschneiden, um Salomonis Siegelring aus demsel¬ ben zu erhalten, der einem giebt, Herz was verlangst du? Jugend und Reichthum, alle Guͤter der Welt, Geld! — Geld! — Geld!— Geld!“ — Dann schrie der Andere: „o wehe uns, daß wir jemals etwas von dem Ring in dem Kropfe des Hahnen erfahren haben; o haͤtten unsere Vaͤter doch niemals in dem alten Gockelschloß nach Schaͤtzen gegraben, und dort das ganze Geheimniß auf dem Grabsteine eingehauen gelesen, so haͤt¬ ten wir Ruhe gehabt, jetzt schwebt uns der Ring immer vor den Augen, der einem giebt, Herz was verlangst du? Jugend und Reichthum, alle Guͤter der Welt! — Geld! — Geld! — Geld! — Geld!“ Nun schrie der Dritte: „o Ungluͤck uͤber Ungluͤck, alle Muͤhe und Arbeit verloren! wie lange haben wir dem Koͤ¬ nig von Gelnhausen zugesetzt, wie viel haben wir an seine Minister spendirt, bis sie den Gockel ins Elend gebracht, damit wir ihm den Hahn leicht abkaufen koͤnnten; haben unsere Eltern doch allein das Petschierstechen gelernt, um dem Hahn naͤher zu kommen, da sie sein Portrait nach der Natur auf das Grafensiegel stachen, wo sie ihm auf den Zahn fuͤhlen konnten, ob er nach dem Tod des fruͤhern Hahns, als dessen erstgeborner Sohn, auch den Ring wieder im Kropf habe. — Wie haben wir muͤssen laufen von Heddern¬ heim nach Krakau, von Krakau nach Bockenheim, von Bocken¬ heim nach Constantinopel, von Constantinopel nach Fuͤrth, von Fuͤrth nach Jerusalem, von Jerusalem nach Worms, von Worms nach Cairo, von Cairo wieder nach Heddernheim und von Hed¬ dernheim wieder in die ganze Geographie, laufen, laufen um zu lernen die Kabbala, Gicks Gacks und Kikriki, die große Alektryomantie, bis wir endlich den Spruch auf dem Grab¬ stein in der Burg Gockels verstehen konnten. — Weh, Alles umsonst, Alles verloren! Wenn wir nur aus dem Loche waͤren, und wer bezahlt mir nun die Katze, die ich mit ihren fuͤnf Jungen selbst aus meinem Beutel gekauft und in das Schloß gesetzt habe, damit sie die Gallina sammt der Brut fressen sollte, auf daß dem Gockel der Hahn feil wuͤrde? Wer bezahlt mir die Katze? ich will mein Geld fuͤr die Katze. Haͤtte ich ihr den Pelz doch abziehen und sie als einen Hasen verkaufen und den Pelz auch ver¬ kaufen koͤnnen, ich will mein Geld fuͤr die Katze! Die Katze ist verloren, der Ring ist verloren, der einem giebt, Herz was verlangst du? Jugend und Reichthum, alle Guͤter der Welt! — Geld! — Geld! — Geld! — Geld!“ — Da Gockel uͤber ihr Geschrei lachen mußte, glaubte der erste Petschierstecher, der zweite habe ihn ausgelacht, und schlug nach ihm; der schrie und sagte, der dritte sey es ge¬ wesen; da schlug dieser nach ihm und daraus entstand eine allgemeine Pruͤgelei unter den Dreien, woruͤber Gockel mit Alektryo die Grube verließ und nach seinem Schloße in tie¬ fen Gedanken zuruͤckgieng. Gockel hatte gar vieles erfahren, die Luͤge der Frau Hinkel und der kleinen Gackeleia, die Anwesenheit einer al¬ ten Schrift auf einem Grabstein in seiner Schloßkapelle, das Geheimniß von dem Siegelring in des Hahnen Kropf und die ganze Betruͤgerei der morgenlaͤndischen Petschierstecher. Alles dieses machte ihn gar tiefsinnig und betruͤbt; er druͤckte den edlen Hahn Alektryo einmal um das andremal an sein Herz und sagte zu ihm: „nein, du geliebter, ehrwuͤrdiger, kostbarer Alektryo, und wenn du den Stein der Weisen in deinem Kropf haͤttest, du sollst darum durch meine Hand nicht sterben, und ehe Gockel nicht verhungert, sollst du auch nicht umkommen.“ Nach diesen Worten wollte Gockel dem Alektryo einen Bissen Brod geben, der aber schuͤttelte den Kopf und sprach gar beweglich: „Alektryo in großer Noth, Gallina todt, die Huͤhnchen todt, Alektryo will mehr kein Brod, Will sterben durch das Grafenschwert, Wie es ein edler Ritter werth, Verlangt ein ehrlich Halsgericht, Wo Raugraf Gockel das Urtheil spricht, Und uͤber die Katze das Staͤblein bricht.“ „O Alektryo,“ sprach Gockel mit Thraͤnen, „ein strenges Gericht soll uͤber die Katze ergehen, deine verstorbene Gal¬ lina und deine dreißig Jungen sollen geraͤcht werden, und was noch von ihnen uͤbrig ist, soll in einem ehrlichen Grabe bestattet werden; aber du, du mußt bei mir blei¬ ben.“ Der Hahn blieb immer bei seiner Rede, er muͤsse in jedem Falle sterben, und wolle ihn Gockel nicht enthaupten, so werde er sich zu Tode hungern; Gockel werde schon heute in der wuͤsten Schloßkapelle noch Alles erfahren und dann kurzen Proceß machen. Es war Nacht geworden: als Gockel nach Hause kam. Frau Hinkel und Gackeleia schliefen schon, denn sie erwar¬ teten heute den Vater nicht zuruͤck, weil sie glaubten, er sey mit den Kaͤufern des Alektryo nach der Stadt gegangen. Zuerst schlich sich Gockel nach dem Winkel, wo die moͤrde¬ rische Katze mit ihren Jungen schlief, Alektryo zeigte ihm den Weg. Gockel ergriff sie alle zusammen und steckte sie in denselben Sack, in welchem Alektryo gefangen gelegen war. Ach wie trauerten Gockel und Alektryo, als sie die Federn und Gebeine der guten ermordeten Gallina und ihrer Kuͤchlein um das Nest der Katze herumliegen sahen. Sie weinten bittere Thraͤnen mit einander und Alektryo sam¬ melte, mit seinem Schnabel herumsuchend, alle Beinchen und Federn der Ermordeten in die Muͤtze Gockels, der sie ihm hiezu hinhielt. Dann sprach Alektryo zu Gockel, indem er traurig vor ihm herschritt, Kamm und Schweif niedersenkte und die Fluͤgel haͤngen ließ, als begleite er wie ein Kriegs¬ mann mit gesenkter Fahne und niedergewendetem Gewehr eine Leiche zu Grab: Nun folg mir zur Kapelle, Daß diese theure Last Dort find' an heil'ger Schwelle Auf ewig Ruh und Rast. So giengen sie wie ein stiller Leichenzug zu der wuͤsten Kapelle, Alektryo sang eine leise Lamentation und die Voͤ¬ gel aus dem Schlafe erwachend guckten hie und da aus den Nestern uud lamentirten, ohne die einfache Wuͤrde der erha¬ benen Trauerzeremonie zu stoͤren, in sanfter Harmonie ein bischen mit. Der Himmel selbst hatte seine Sterne mit Wolken verhuͤllt und der Mond, mit Thraͤnen im Auge, schimmerte bleich durch einen Schleier der Wehmuth. Die halbe Natur stimmte in das schoͤne Ganze dieser eben so ruͤh¬ renden als wuͤrdigen Feier mit ein, wobei auch die so sinnige Mitwirkung der Buͤsche und Kraͤuter und Blumen ruͤhmlich zu erwaͤhnen ist, denn die Glockenblumen, die ehr- und tu¬ gendsame Jungfer Campana laͤutet ganz mitleidig mit allen ihren blauen Glocken, und die bewußten weißen Rosen, die bei Feierlichkeiten immer so beliebten weißgekleideten Maͤd¬ chen, gossen Schalen voll reichlichen Thraͤnenthaus vor dem Zuge aus; man bemerkte unter den Leidtragenden die so acht¬ bare Klagejungfrau Rosmarin, die demuͤthige Familie Thy¬ mian, die Miß Lavendel, die Comtesse Quentel und viele andre edle Familien. Auch die barmherzigen Schwestern Jungfer Melissa, Krausemuͤntze, Kamille, Schaafgarbe, Koͤnigskerze, Ehrenpreiß, Baldrian, Himmelsschluͤßel be¬ wiesen ihre innigste Theilnahme. Vor allen andern des schoͤ¬ nen Blumengeschlechtes aber beurkundete Fraͤulein Reseda, welche so oft im Wochenblaͤttchen anzeigt, daß sie mehr auf gute Behandlung als großen Gehalt sehe, den guten Geruch aller ihrer Verdienste. Der allgemeine Blumen-Notarius Pub¬ licus Salomons-Siegel bewaͤhrte durch seine Theilnahme, daß sein Name in großem Bezug mit diesem merkwuͤrdigen Ereignisse stehe. Kurz die Theilnahme aller Kraͤutlein war so groß, daß sogar die faule Grethe unter ihnen bemerkt wurde, der redliche gute Heinrich hatte sie aufgeweckt, daß auch sie mit ihm dem Alektryo ihr Beileid bezeige. O wie kindlich, einfaͤltig ruͤhrend sprach sich die Theil¬ nahme der frommen Klosterschwestern, Marienkinder genannt, aus, welche ihr Kloͤsterchen in dem mit Erde erfuͤllten trocke¬ nen Becken des verfallenen Springbrunnens zu Fuͤßen des zerbrochenen Liebfrauenbildes bewohnten. Gackeleia nannte dieses mit lauter Marienpflaͤnzchen uͤberwachsene Brunnenbe¬ cken gewoͤhnlich ihr Marienklostergaͤrtchen, und pflegte es besser, als alle anderen Gartenbeete. Alle Marienkaͤferchen, die sie fand, setzte sie hinein. Sie hatte sich eine Bank da¬ rin bereitet, und neben dieser stand das Kraͤutlein Unserlieb- Frauenbettstroh. Da trieb Gackeleia gewoͤhnlich ihre Spiele¬ reien. Sie hatte das liebe Dreifaltigkeitsbluͤmchen, das auch Jelaͤngerjelieber und Denkeli und unnuͤtze Sorge ge¬ nannt wird, zu Fuͤßen des Liebfrauenbildes gepflanzt, weil die Mutter ihr gesagt hatte, daß dieß Bluͤmchen in Hen¬ negau Jesusbluͤmchen heiße. Da nahm dann Gackeleia manchmal ein solches Jesusbluͤmchen und legte es auf das Kraͤutchen Marienbettstroh und wiegte es hin und her und sang dazu: Da oben im Gaͤrtchen, Da wehet der Wind, Da sitzet Maria Und wieget ihr Kind, Sie wiegt es mit ihrer schneeweißen Hand, Und brauchet dazu gar kein Wiegenband. Ich will mich zur lieben Maria vermiethen, Will helfen ihr Kindlein recht fleißig zu wiegen, Da fuͤhrt sie mich auch in ihr Kaͤmmerlein ein, Da singen die lieben Engelein fein, Da singen wir alle das Gloria, Das Gloria, Lieb Frau Maria! Als der Leichenzug Gallina's an diesem Mariengaͤrtchen voruͤbergieng, war die Betruͤbniß von dessen Bewohnerinnen um so groͤßer, als ihre Freundin Gackeleia diesen hoͤchst trau¬ rigen Todesfall veranlaßt hatte; ach, sie fuͤhlten Alle in ih¬ rem frommen Herzen, als theilten sie die Schuld Gackeleia's. Da standen nun die lieben Kraͤutchen, die Marienkinder, in einer Reihe. Schwester Margarita Marienroͤschen, Schwe¬ ster Chardonetta Mariendistel, Schwester Cuscutta Marien¬ flachs, Schwester Spergula Mariengras, Schwester Gre¬ mila Marienhirse, Schwester Alchimilla Marienmantel, Schwester Mentha Marienmuͤnze, Schwester Paͤonia Ma¬ rienrose, Schwester Calceola Marienschuh und auch die kleine feine Novize Mignardisa Marientroͤpfchen hatte ihr gefranztes Trauerschleierchen ganz naß geweint. Alle standen sie in stil¬ ler Andacht und dufteten ein de profundis , und einer jeden hatten die Marienkaͤferchen eine brennende Kerze in die Hand gegeben, und die Laienschwestern Campanula, Marienhand¬ schuh und Mariengloͤcklein laͤuteten mit den blauen, violet¬ ten und weißen Klostergloͤckchen gar beweglich und harmo¬ nisch. Nirgends aber sprach sich Trauer, Mit- und Beileid tiefer und wahrer aus, als unter der uralten Linde, nahe bei dem Eingang in die Kapelle. Es muͤssen sich theure Gockelhinkelsche Erinnerungen an diese klassische Stelle knuͤ¬ pfen; Ortsnamen und Bewohner zeugen dafuͤr. Die Linde heißt von Olims Zeiten her die Hennenlinde, das kleine Feldkreuz unter ihr, worauf eine Henne ausgehauen, heißt das Hennenkreuz. Die drei zu ewiger Anbetung und Fuͤr¬ bitte verlobten adeligen Klosterfrauen, die drei reinen schnee¬ weißen Lilien, welche zu Haͤupten dieses Kreuzes stehen, sen¬ deten Weihrauch und Gebete aus den Opferschalen ihrer Kelche empor. Zu Fuͤßen des Hennen-Kreuzes trauerte in stummem Schmerz ein adeliger Fraͤuleinverein von lauter Pflanzen und Kraͤutern, welche der Graͤfin Hinkel von Hennegau namens¬ verwandt und seit Olims Zeilen in diesem Schloße einhei¬ misch waren. Hier weinten unter dem Vorstand der alle Schmerzen uͤbernehmenden Fraͤulein Grasette Fetthenne ihre stillen Thraͤnen die edlen Fraͤulein Moscatellina von Hahnen¬ fuß, Ornitogalia von Huͤhnermilch, Serpoleta von Huͤhner¬ klee, Morgelina von Huͤhnerbiß, Cornelia von Hahnenpfoͤt¬ chen, Osterlustia von Hahnensporn, Cretellina von Hahnen¬ kamm und Esparsetta von Hahnenkaͤmmchen. — Dank den edlen schoͤnen Seelen! Es haben sich außerdem allerlei Geruͤchte von außeror¬ dentlichen Erscheinungen verbreitet, die bei diesem Begraͤb¬ niß eingetreten seyn sollen, und es ist noch jetzt das Gerede unter den Voͤgeln der Umgegend davon: „es sey ein Comet in der Gestalt eines Paradiesvogels am Himmel gesehen worden, und unter der Linde haͤtten die drei Lilien zu leuchten begonnen, Sterne seyen in sie niedersinkend gesehen worden und vor ihnen sey eine schoͤne edle Frau, eine Graͤfin von Hennegau, erschienen und habe beim Voruͤbergang der Leiche die Worte gesungen: O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit! worauf Alles verschwunden sey.“ Wir stellen diese Geruͤchte, als dem Reiche der Phantasie angehoͤrig, unverbuͤrgt dem Glauben eines Jeden anheim. Als Gockel und Alektryo in der dachlosen, Busch und Baum durchwachsenen Kapelle mit den Ueberresten Gallina's angekommen war, schuͤttete er dieselben fein sachte auf die Stufen des zerfallenen Altares aus und zog seine Muͤtze 4 wieder uͤber die Ohren, weil er wohl wußte, es koͤnne ihm bei seiner Anlage zu rheumatischem Kopf-, Zahn- und Oh¬ renweh unmoͤglich gesund seyn, das nicht mehr dicht be¬ haarte Haupt dem kuͤhlen Nachtthau auszusetzen. Hierauf sprach der treue Alektryo, der nicht von den Ueberresten sei¬ ner Familie wich, zu Gockel: Wachholderstrauch Macht guten Rauch. Zu Stambul hat der Großsultan Wachholder in dem Garten fein Und drum ein goldnes Gitterlein, Er zuͤndet dran die Pfeife an Und hat recht seine Freude dran; Du Gockel brich Wachholder mir Zu dem Castrum Doloris hier. Da brach Gockel ihm Reiser von einem dort stehenden Wachholderbusch und flocht eine Art Nest daraus, welches er auf die Stufe des Altares setzte. Alektryo legte alle die Beinchen der Gallina und ihrer Jungen in diesem Nest in einen wohlgeordneten Scheiterhaufen zusammen, fuͤllte diesen mit den Federn und legte den Kopf und die Koͤpfchen der Seinigen darauf. Indessen blickte Graf Gockel nachdenklicher als je den alten Grabstein an, der hinter dem Altar in der Wand ein¬ gemauert war; es war sein erster Ahnherr, der Urgockel, mit einem Hahnen auf der Schulter und einem ABC-Buch in der Hand, in bedeutender Groͤße darauf abgebildet, und zu seiner Linken war an der Mauer eine Reihe von Bildern aus seinem Leben in Stein gehauen. Gockel wußte nicht viel von dem Urgockel und noch weniger von der Bedeutung der Bil¬ der; die Hauschronik war mit dem Schloß verbrannt. Er wußte nur den alten Familiengebrauch, daß die Grafen Go¬ ckel immer den Alektryo in Ehren hielten, und daß er ihrem Haus Gluͤck bringe. Als Alektryo mit der Ordnung der Gebeine seiner Fa¬ milie fertig war, scharrte er die Erde von einer Marmor¬ platte, die vor dem Altar am Boden lag, und Gockel rei¬ nigte sie vollkommen. Auf dieser Platte waren allerlei Zei¬ chen, wie Hahnen und Huͤhner sie mit ihren Pfoten im Schnee machen, eingegraben. Alektryo sprach: Graf Gockel lies, Was heißet dies? Gockel konnte aus dem Gekritzel nicht klug werden und sprach: Alektryo, mein lieber Hahn, Wie sehr ich auch nachdenken mag, Kann ich kein Woͤrtchen doch verstahn Von dieser Kribbes-Krabbes-Sprach. Da erwiederte Alektyro: Der Ur-Alektryo dies schrieb Dem Ur-Gockelio zu lieb. Da keine Handschrift konnte lesen, Noch schreiben Ur-Gockelio, So ist ihm hier zu Dienst gewesen Mit Fußschrift Ur-Alektryo. Sein Lehrer war ein Indian, Ein Schreiber des Gott Hahnemann, Die Tinte war der Morgenthau, Die Federn waren Hahnenpfoten, Er schrieb auf Paradieses Au Zum reinen Kikriki die Noten; Doch als im Eifer eine Sau Er einstens hat hineingeklekst, Fiel gleich sein Stamm mit Kind und Frau Auf lange Zeiten aus dem Text; Bis er bei Job als Concipist Ward angestellet auf dem Mist. Was Hahn zu Hahn hat je gekraͤht, Der Schrei noch um die Erde geht; 4 * Was Hahn an Hahn vor Langem schrieb, Nicht immer ganz verstaͤndlich blieb. Weil Fußschrift auf die Fußschrift trifft, So ward es Kribbes-Krabbes-Schrift. Ein Jeder liest sich erst hinein Was er sich gern heraus moͤcht' lesen, Oft giebt ein Strich, ein Puͤnktlein klein, Dem ganzen Sinn ein andres Wesen. So ward auch hier der dunkle Spruch Aus dein und meinem Schicksalsbuch, Der auch auf deinem Wappen steht, Von Schriftgelehrten boͤs verdreht; Doch weil ich kraͤh' nach Tradition, So kann ich noch mein Lektion. Nun las Alektryo ihm folgende Worte von der Mar¬ morplatte: Alektryo bringt dir Gluͤck selbst um Undank. O Gockel hau ihm den Kopf ab, Schneid' ihm den Kropf auf, Salomo's Siegelring Jedem noch Brod gab. Da sah nun Graf Gockel deutlich, daß die Eltern der Petschierstecher schon seine Vorfahren bei dem Spruch auf dem Wappen betrogen hatten, und daß die Worte: Kopf, Kropf, Siegel gar nicht ihre Namen waren. Alles Gehoͤrte erweckte dunkle Erinnerungen wie von Maͤhrchen aus seiner fruͤhesten Jugend in ihm, und begierig, von der Geschichte seiner Vorfahren etwas zu wissen, sprach er zu dem Hahnen: Alektryo! es ist curios, Du sprichst vom Ringe Salomo's Und von dem Urgockelio Und von dem Uralektryo; Mir ist, wenn ich dies Alles hoͤr', Wie einer Eierschaale leer, Wenns Huhn, von dem sie war gelegt, Sich gacksend um sie her bewegt. Wer lang, wie ich, bei Hofe sitzt Im Huͤhner-Ministerium, Zuletzt gar von sich selbst ausschwitzt Das innere Mysterium. Mir ist so dumm, als ob ich sey Ein in der Stichedunklichkeit Der finstern Mittelaltrichkeit Gelegtes ausgeblas'nes Ei. Belehr mich doch! — ich weiß nicht mehr, Wo kommen alle wir nur her, Wo Gockel, wo Alektryo, Wo jener Ring des Salomo? Da erwiederte Alektryo: Du dauerst mich, du armer Tropf! Faß an den Ring in meinem Kropf, Sprich: Urgockel! dort an der Wand, Hast's ABC-Buch in der Hand, Gehorch' dem Ring des Salomon Und sag mir auf dein Lektion, Links vom Altar bis zu der Thuͤr Die alten Bilder explizir'! Graf Gockel nahm nun den Alektryo unter den Arm, faßte mit der Hand an seinen Kropf und sprach diese Worte ganz feierlich zu dem Bilde Urgockels an der Wand. Da rauschte es dumpf in dem Steinbild, der steinerne Hahn Ur¬ gockels schlug sich mit den Fluͤgeln in die Seite, daß Moos und Kalk niederfiel; er streckte den Hals und kraͤhte, wenn gleich ein wenig heiser, doch so laut und feierlich, als wolle er den Schlafenden den juͤngsten Tag verkuͤnden, und Alek¬ tryo antwortete ihm mit ehrfuͤrchtigem Ernst. Nun aber fiel hie und da bruͤchiges Gestein an der Wand rasselnd nieder, es regte sich das steinerne Bild Urgockels, hob langsam die Haͤnde, streckte sich, rieb sich die Augen, gaͤhnte etwas zu laut, machte aber dabei ein Kreuz vor dem Mund, welches ein schoͤnes Zeugniß fuͤr die fromme Sitte des finstern Mittelalters war; er schob sich auch die Muͤtze ein wenig hin und her und nießte sehr hef¬ tig, und Graf Gockel sagte ernsthaft: „wohl bekomm's!“ und er erwiederte: „schoͤnen Dank!“ — Dann aber stellte er sich ruhig in Positur, deutete der Reihe nach auf die Bilder an der Mauer hin und las dabei aus seinem ABC-Buch schoͤn deutlich wie ein verstaͤndiger Knabe, aber freilich, wie es von seiner Zeit nicht anders zu erwarten war, ohne Ge¬ fuͤhl, ohne Betonung, ohne Ausdruck, ohne Deklamation, etwas eintoͤnig folgende Reime ab: Urgockel werde ich genannt, Zog weit umher im Morgenland Und schlief einst dorten auf dem Mist, Wo Job versuchet worden ist. Da traͤumte mir, der Dulder fromm Heiß' mich auf seinem Mist willkomm Und schenk' mir einen schwarzen Hahn Und spraͤch': „es hat des Hahnen Ahn Bei mir auf diesem Mist gekraͤht, Zu Gott geklagt, zu Gott gefleht, So klug, daß ich den Spruch erfand: Wer giebt dem Hahnen den Verstand? Leb wohl — er heißt Alektryo.“ Da weckte mich auf meinem Stroh Ein ritterlicher Hahnenschrei; Ich sah, daß es derselbe sey, Den mir Herr Job im Traume gab, Er saß auf meinem Pilgerstab Und weckt' mit Schrei und Fluͤgelschlag Sich, mich und auch den jungen Tag. Ich theilt' mit ihm mein Sorgenbrod Und zog mit ihm durch Morgenroth, Durch Mittagsgluth und Abendschein, Durch Mond- und Sternennacht, allein, Ach so allein, allein, allein, Als Mann und Hahn kann jemals seyn! Alektryo so mit mir kam Durch Persiam und Mediam, Armeniam, Mingreliam, Durch Gock- und Magockeliam; — In Montevillas Reisbuch stehn Die Laͤnder all, die wir besehn. Wann Nachts ich ruht', da wacht' der Hahn, Zeigt' redlich mir die Stunden an, Da stand ich auf, that ein Gebet — Schlief wieder bis er wieder kraͤht'; Oft hielt sein Kraͤhn — Lob Gott den Herrn, Die wilden Loͤwen von mir fern. Ich hatte ein Geluͤbd gethan, Zu Ehren Jobs mit meinem Hahn Zu schlafen staͤts auf einem Mist, Weil da er mir erschienen ist. Zu Tadmor einst war meine Rast Am Mist vor Salomo's Palast; Da weckte mich Alektryo, Kraͤht' laut und scharrte aus dem Stroh Ein Kleinod licht, ein blinkend Ding Und steckte mir den Siegelring Selbst an den Finger meiner Hand. — Wer gab dem Hahnen den Verstand? — Den Ring ich gegen Morgen hielt, Der junge Tag drin lieblich spielt'; Ich dacht: wem nur das Wunderding, Der schoͤne Ring, verloren gieng? Da drangen gleich zu meinem Ohr Die Worte aus dem Ring hervor: — „Der Siegelring von Salomo Macht alle Menschen reich und froh, Wer an dem Finger um mich kehrt, Dem ist ein jeder Wunsch gewaͤhrt!“ Da dankt ich Gott still im Gebet, Bis laut Alektryo gekraͤht, Und wuͤnscht': „waͤr ich dem Land heraus, Mit Hahn und Ring bei mir zu Haus!“ Als auf dies Wort den Ring ich dreh', Bei Hanau hier im Wald ich steh'; Mit Amen schloß mein Fruͤhgebet, Der Morgenschrei war ausgekraͤht Im Walde hier, was Hahn und Mann Zu Tadmor eben erst begann. Ich fand nicht Vater, Mutter mehr, Sie waren todt — die Huͤtte leer! Ich dreh' den Ring — „haͤtt' ich ein Schloß Und Knecht, Magd, Ochs und Kuh und Roß!“ Und sieh das Schloß stand alsobald Mit Knecht, Magd, Ochs, Kuh, Pferd im Wald. Ich dreh den Ring — „haͤtt' ich zur Frau Das liebste Herz aus Hennegau, Und haͤtt' mein Hahn ein Huͤhnlein gut, Es wuͤrde eine edle Brut.“ Da hoͤrt' im Wald ich ein Geschrei Und eilt' mit Roß und Knecht herbei, Und bei der Hennen-Linde draus, Da hatt' ich einen blut'gen Strauß. Der Schrei von einem Fraͤulein war, Entfuͤhrt von wilder Raͤuberschaar. Die Raͤuber schlug ich alle todt Und half dem Fraͤulein aus der Noth; Und in der Linde Schattenraum Sprach sie: „schon ruͤndet sich mein Traum, Ich ward durch eines Hahnen Schrei Aus wilder Loͤwen Kralle frei, Giebt nun der Hahn mir noch den Ring, Dann Alles in Erfuͤllung gieng.“ Ich gab den Ring dem lieben Bild, Vereint ward unser Wappenschild; Urhinkel wars von Hennegau, Der Kaiser gab sie mir zur Frau. Ein Huhn sie mir als Brautschatz gab, Das von dem Hahnen stammte ab, Der einstens kraͤhte hell und klar, Als Petrus in Versuchung war. Es bracht' dies edle Huhngeschlecht Aus Syria ein Edelknecht, Der bei Pilati Leibwach stand, Salm hieß er, aus Savoierlaud. — Nun fing ich und mein edler Hahn Ein ritterliches Leben an; Ich hatte Soͤhnchen nach der Reih, Er Hahn und Huͤhnchen, Ei auf Ei! Ich dreht den Ring — den Grafenhut Hat ich sogleich, er stand mir gut. — Doch als ich ward ein edler Greis, Gedacht ich an die weite Reis, Ins andere gelobte Land. Ich dreht' den Ring — „haͤtt' ich Verstand!“ Da war ich klug wie Salomo Und sprach da zu Alektryo: „Ich hab den Ring bald ausgedreht, „Und du die Zeit bald ausgekraͤht, „Es naht der Ring der Ewigkeit, „Da mißt kein Hahnenschrei die Zeit; „Die Schlange beißt sich in den Schweif, „Ohn' End und Anfang ist der Reif, „Und da es geht zum Ende nun, „Sprich, was soll mit dem Ring ich thun?“ Alektryo sprach: „hoͤr' sey klug! „Du laͤßst wohl Geld und Gut genug „Den Soͤhnen dein, sie koͤnnen sich „Als Grafen naͤhren ritterlich; „Gaͤbst ihrer Einem du den Ring, „Gar leicht ein Zank und Streit angieng; „Er wuͤnschte sich solch Gluͤck und Ehr, „Daß druͤber er sein Seel' verloͤr'! „Da Keiner von dem Ring noch weiß, „Wird Keinem um den Ring auch heiß. „Dem Erstgebornen gieb das Haus, „Die Andern statte reichlich aus; „So soll jed Erstgeborner thun, „Bis alle Gockel bei dir ruhn. „Ich, dein Alektryo, fuͤg' bei: „Aus der Gallinen erstem Ei, „Der Erstling der Alektryonen, „Soll staͤts bei allen Gockeln wohnen, „Daß er vor Mißbrauch und Gefahr „Dem Haus den Ring im Kropf bewahr'. „So komm' dein Ring von Kropf zu Kropf, „Dein Grafenhut von Kopf zu Kopf, „Und wenn erlischt der Mannesstamm „Vom Gockelhut, vom Hahnenkamm, „Schlaͤgt ab des letzten Gockels Schwert „Dem Schluß-Alektryo den Kopf, „Und Salomonis Ringlein kehrt „In Grafen Hand aus Hahnen Kropf. „Der letzte Sproß den Ring dann dreht, „Bis neu der Hahn vom Tod ersteht, „Der auf den Wunsch von einem Kind „Das End vom Liede schnell ersinnt.“ Zu mir dem Urgockelio Sprach so der Uralektryo, Und hat mit seinem Kopf gezuckt Und schnell in seinen Kropf verschluckt Den Siegelring des Salomo, Und hat dann dunkel, als Prophet, Den Schicksalsspruch mir vorgekraͤht, Der auf dem Grab und Wappen steht, Und richtig, ward er gleich verdreht, Noch heute in Erfuͤllung geht. Doch ich hab' nicht recht zugehoͤrt, Ich sprach im Bett zur Wand gekehrt: „Wer gab dem Hahnen den Verstand?“ Dann reiste in das andre Land, Wohin den Weg noch Jeder fand, Ich, der Urgockel, an der Wand! Nach diesen Worten schwieg Urgockel still und war ein lebloses Steinbild wie vorher. Graf Gockel, der waͤhrend der Explication die Bilder der Reihe nach betrachtet hatte, schuͤttelte den Kopf und sprach: „curios, curios, was doch einem Men¬ schen alles passiren kann. Es ist und bleibt doch halt im¬ mer ein hoͤchst merkwuͤrdiger klassischer Boden, die Gegend zwischen Hanau und Gelnhausen!“ — dann wendete sich Gockel zu Alektryo und fuhr fort: „o! nun weiß ich Alles, verstehe ich Alles, theurer schaͤtzbarer Freund meines Stam¬ mes; aber sage mir doch, wenn es zu fragen erlaubt ist, wie ist dann dieser unvergleichliche Siegelring Salomonis eigentlich in deinen Kropf gekommen?“ — da erwiederte Alek¬ tryo: Urahnherr sterbend spie aus den Stein, Da schluckte ihn mein Ahnherr ein. Mein Ahnherr sterbend spie aus den Stein, Da schluckte ihn mein Großvater ein. Großvater sterbend spie aus den Stein, Da schluckt ihn mein Herr Vater ein. Herr Vater sterbend spie aus den Stein, Da schluckte ihn der Alektryo ein. Alektryo sterbend speit aus den Stein, Da kehrt er zu Gockel, dem Herren sein. Gallina todt, die Kuͤchelchen todt — Alektryo frißt nun mehr kein Brod. Er will nun sterben durch Grafenschwert, So wie ein edler Ritter es werth! Was Uralektryo prophezeit, Geht Alles in Erfuͤllung heut. „Wohlan,“ sprach Gockel, „so will ich dann sogleich all¬ hier ein hochnothpeinliches Halsgericht halten, du sollst Zeter uͤber die Moͤrder der Deinigen rufen und strenge Genugthu¬ ung erhalten. — Dann aber will ich an dir thun, was du verlangst. — Rufe sogleich als Herold meines Stammes alle Bewohner dieses Schloßes vor die Schranken.“ Da nun eben der Morgen graute, flog Alektryo auf die hoͤchste Giebel-Mauer des Schloßes und kraͤhte dreimal so laut und heftig in die Luft hinein, daß sein Ruf wie der Schall einer Gerichtstrompete von allen Waͤnden wiederhallte, und alle Voͤgel erwachten und streckten die Koͤpfe aus dem Neste hervor, um zu vernehmen, was er verkuͤnde; und da sie hoͤrten, daß er sie zu Recht und Gericht gegen die moͤr¬ derische Katze vor den Raugrafen Gockel von Hanau rief, fiengen sie an, mit tausend Stimmen ihre Freude uͤber die¬ sen Ruf zu verkuͤnden, schluͤpften alle aus ihren Nestern, schuͤt¬ telten sich die Federn und putzten sich die Schnaͤbel, um ihre Klagen vorzubringen, und flogen in den Raum der Kapelle, wo sie sich huͤbsch ordentlich in Reih und Glied in die leeren Fenster, auf die Mauervorspruͤnge und auf die Straͤucher und Baͤume, welche darin wuchsen, setzten und die Eroͤffnung des Gerichts erwarteten. Als die Voͤgel alle versammelt waren, trat Alektryo vor den Huͤhnerstall, worin Hinkel und Gackeleia noch schlie¬ fen; und indem er gedachte, daß hier der Mord an der frommen Gallina geschehen, kraͤhte er mit solchem Zorne in den Stall hinein, und schlug dermassen mit den Fluͤgeln dazu, daß Frau Hinkel und Gackeleia mit einem gewaltigen Schrecken erwachten, und beide zusammen ausriefen: „o weh, o weh! da ist der abscheuliche Alektryo schon wieder, er ist gewiß dem Vater im Walde entwischt, wir muͤssen ihn nur gleich fangen.“ Nun sprangen sie beide auf und verfolgten den Alektryo mit ihren Schuͤrzen wehend; er aber lief spornstreichs in die Kapelle hinein; wie erschracken Hinkel und Gackeleia, als sie daselbst auf den Stufen des Altares den Gockel mit finsterm Angesicht das grosse rostige Gra¬ fenschwert in der Hand haltend sitzen sahen. Sie wollten ihn eben fragen, wie er wieder hieher gekommen sey, aber er gebot ihnen zu schweigen und wies ihnen mit einer so finstern Miene einen Ort an, wo sie ruhig stehen bleiben sollten, bis sie vor Gericht gerufen wuͤrden, daß sie sich ver¬ wundert einander ansahen. Der Hahn Alektryo gieng immer sehr traurig und in schweren Gedanken mit gesenktem Kopfe vor Gockel auf und ab, wie ein Mann, der in traurigen Umstaͤnden sehr tiefsinnige, verwickelte Dinge uͤberlegt. Ja es sah ordentlich aus, als lege er die Haͤnde auf dem Ruͤcken zusammen. Auch Gockel sah einige Minuten still vor sich hin und alle Voͤgel ruͤhrten sich nicht. Nun stand Gockel auf und hieb mit seinem Grafenschwert majestaͤtisch nach al¬ len vier Winden mit dem Ausruf: „Ich pflege und hege ein Hals-Gericht, Wo Gockel von Hanau das Urtheil spricht Und uͤber den Moͤrder den Stab zerbricht.“ Nach diesen Worten flog Alektryo auf die Schulter Gockels und kraͤhte dreimal sehr durchdringlich. Frau Hin¬ kel wußte gar nicht, was das alles bedeuten sollte, und schrie in grossen Aengsten ans: „o Gockel, mein lieber Mann, was machst du? ach ich ungluͤckselige, er ist naͤrrisch gewor¬ den!“ Da winkte ihr Gockel nochmals zu schweigen, und sprach: „Wer koͤmmt zu Ruͤge, wer koͤmmt zu Recht?“ Da trat Alektryo hervor, und sprach mit gebeugtem Haupt: „Alektryo klagt, dein Edelknecht!“ Ach! wie fuhr das der Frau Hinkel und der kleinen Gacke¬ leia durch das Gewissen, als sie hoͤrten, daß der Hahn re¬ den konnte; sie zitterten, daß nun Alles gewiß herauskom¬ men wuͤrde. Da sprach Gockel: „Alektryo, was ward dir gethan?“ Da antwortete Alektryo: „Graf Gockel, trag mir das Schwert voran, Trag es voran mit gewaffneter Hand, Dann rufe ich Zeter wohl durch das Land.“ Da zog Gockel einen alten Blechhandschuh an die rechte Hand, in der er sein Schwert trug, und gieng so vor Alek¬ tryo, der ihm folgte, im Kreis durch die Kapelle wieder zu den Gebeinen Gallina's zuruͤck. Da trat Alektryo zu den Gebeinen der Gallina und kraͤhte Zeter mit zitternder Stimme. „Ach Herr, schau diese Gebeinlein an, Das war mein Weib und meine Brut, Die Katze zerriß sie und trank ihr Blut. Zeter uͤber Schurrimurri und Gog, Mack, Benack, Magog, Demagog; Zeter und Weh und aber Weh, Und immer und ewig Herr Jemine!“ Bei diesen Worten kraͤhte er wieder gar betruͤbt, und Gockel sagte: „Alektryo, du mein edler Hahn, Ich hoͤrte, du haͤttest es selbst gethan. Nun bringe du mir auch Zeugen bei, Daß deine Klage wahrhaftig sey.“ Da antwortete Alektryo: „Hier war ich schon lange ein laͤstiger Gast, Sie haben den redlichen Waͤchter gehaßt; Oft mußte ich hoͤren den Wiegengesang, Der mir, wie ein Messer, die Kehle durchdrang: „Ha heia, popeia, schlag's Kickelchen todt, Es legt keine Eier und frißt mir mein Brod, Dann rupfen wir ihm seine Federchen aus, Und machen Gackeleia ein Bettchen daraus!“ O waͤr ich gestorben! wie waͤr' mir jetzt gut Mit meiner Gallina und mit meiner Brut, Bei dir lieber Hiob, bei dir Salomo In himmlischen Hoͤfen auf goldenem Stroh! Doch fehlte der Muth hier zu blutiger That, Ich sollte verderben durch Lug und Verrath. Weil oft ich zu fruͤh das Gewissen erweckt, Ward mit dem Gewissen in Sack ich gesteckt. So hab ich gehoͤrt nur und hab nicht gesehn, Wie hier ist die graͤßliche Unthat geschehn, Und lad' drum die lieben Schloßvoͤgelein ein, Sie sollen wahrhaftige Zeugen mir seyn.“ Nach diesen Worten fiengen alle die Voͤgel an, so ge¬ waltig durcheinander zu zwitschern, zu schnarren und zu klappern, daß Gockel sprach: „Halt ein, huͤbsch stille, macht kein Geschrei, Ich will euch vernehmen nun nach der Reih'! Zuerst Frau Schwalbe, die fruͤh aufsteht, An dich mein Zeugenruf ergeht.“ Da flog die Schwalbe heran und sprach: „Noch zittere ich und beb ich, Es ist wirklich, gewiß, sicherlich geschehn, Sterb ich, oder leb ich, will ich's immer und ewig Sicherlich nimmer mehr wieder sehn; Wie die wilde Kaͤtzin und ihre Kaͤtzchen Sprangen mit zierlichen Spruͤngen und Saͤtzchen Zum Nestchen und rissen ripps, rapps, Die Kuͤchlein und ihr Muͤtterlein treu, Gripps, grapps in viele, viele Nestchen, Und federwinzige Fetzen entzwei. Ich blieb druͤber schier vor Schrecken Zwier im zierlichen Gezwitscher stecken. Wie ich eben im Begriffe bin gewesen. Meinen Kindern, wie uͤblich, gar lieblich Ein Capitel ersprießlich aus der Bibel Von Tobiaͤ Schwaͤlblein und Saͤlblein Exegisirend, explicirend zu lesen, Geschah das himmelschreiende grimmige Uebel; Als ich, wie's schicklich, erquicklich ist, Mit witziger, spitziger List Die Hirngespinnste meiner Gesichte, Die figuͤrlichen, manierlichen Traumgedichte Den Kindern ein bischen zimperlich, spaͤrlich, Doch ziemlich klimperklaͤrlich Im glitzernden Fruͤhlichts-Schimmer Spintisirlich rezitirte, ist, was ich gewiß nimmer Bis jetzt je gesehen, nie wieder will sehen, Die verzwiefelte, verzweifelte Misse — Misse — Missethat binnen kuͤrzester Frist geschehen, Daß die wilde Kaͤtzin ohne Rezepisse Und Gewissen die Gallina zerrisse; Sieh, es ist die fleißige, aͤmsige, sitzende, Giksende, gacksende, kratzende, kritzende Gickel, Gackel, Gallina nicht mehr, Das von weißen, weichen Ginster und Weidenzweigen Zierlich gewickelte, figuͤrlich gezwickelte, fleur-de-lysirte, Gothisch verzierte, stilisirte, persisch ziselirte, Von piependen, trippelnden, nickenden, pickenden Kuͤchelchen wimmelnde Erbhuͤhnernest ist zerrissen, Zerbissen und lee, lee, lee, leer; Zwischen den Splittern zittern und wehen die Federchen rings her, Ich theile gewißlich mit denen, die drum wissen, Das stechende, beissende, boͤse Gewissen Immer und ewiglich nimmer me, me, me, mehr! Nach dieser sehr beweglichen Aussage der kleinen Schwal¬ be kraͤhte Alektryo wieder: „Zeter uͤber Schurrimurri und Gog, Mack, Benack, Magog, Demagog; Zeter und Weh und aber Weh, Und immer und ewig, Herr Jemine!“ Bei dem Kraͤhen aber ward der Frau Hinkel und der kleinen Gackeleia fast zu Muthe, wie Einem, der seinen Herrn verlaͤugnet hat, beim Hahnenschrei zu Muthe ward. Gockel sprach nun: „Hab Dank Frau Schwalbe, tritt von dem Plan, Nun komm Rothkehlchen als Zeug' heran.“ Da flog das liebe kleine Rothkehlchen auf einen wilden Rosenstrauch in die Naͤhe des Altars und sagte: „Auf des hoͤchsten Giebels Spitze Sang im ersten Sonnenblitze Ich mein Morgenliedlein fromm, Pries den lieben Tag willkomm. Bei mir saß gar freundlich laͤchelnd, Sich im Morgenluͤftchen faͤchelnd, Der erwachte Sonnenstrahl, Unten lag die Nacht im Thal. Unten zwischen finstern Mauern Sah ich Katzenaugen lauern, Und ich dankte Gott vertraut, Daß ich hoch mein Nest gebaut. Und ich sah die Katze schleichen, Mit den Kaͤtzchen unten streichen In den Stall, und hoͤrt Geschrei, Wußt' bald, was geschehen sey; Denn sie und die Kaͤtzchen alle Sprangen blutig aus dem Stalle, Trugen Huͤhnchen in dem Maul Und zerrissen sie nicht faul. Ach, da war ich sehr erschrecket, Hab' die Fluͤgel ausgestrecket, Flog ins Nest und deckt' in Ruh Meine lieben Jungen zu. Ja ich muß es eingestehen, Hab' den boͤsen Mord gesehen, Und mein kleines Mutterherz Brach mir schier vor Leid und Schmerz! Nach diesen Worten kraͤhte Alektryo wieder: Zeter uͤber Schurrimurri und Gog, Mack, Venack, Magog und Demagog! Zeter und Weh und aber Weh! Und immer und ewig, Herr Jemine! Nun hoͤrte Gockel noch viele andere Voͤgel als Zeugen ab, und alle, vom Storch bis zur Grasmuͤcke, erzaͤhlten, wie sie den Mord durch die Katze gesehen. Als aber Gockel sich nun zu Frau Hinkel und Gackeleia wendete und sie beide fragte, wie sie das haͤtten koͤnnen ge¬ schehen lassen, da die Gallina doch dicht neben ihrem Ruhe¬ lager gebruͤtet habe, und wie sie Alles auf den edlen Alektryo 5 geschoben haͤtten, sanken beide auf die Kniee, gestanden ihr Unrecht unter bitteren Thraͤnen, und versprachen, es niemals wieder zu thun. Gockel hielt ihnen eine scharfe Ermahnung und bat den Alektryo, ihnen selbst ihre Strafe zu bestimm¬ men. Der gute Alektryo aber bat fuͤr sie und verzieh ihnen selbst. Gockel sagte nun: „deine Strafe, Frau Hinkel, soll seyn, daß ich dir und deiner Tochter ein Huͤhnerbein und einen Katzenellenbogen in das Wappen setze zum ewigen An¬ denken fuͤr eure boͤse Handlung, und außerdem soll Gacke¬ leia, weil sie die Katze Schurrimurri mit ihren verwegenen Soͤhnen, Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog sich heimlich zum Spiele erzogen und durch diese ihre Spielerei ein solches Ungluͤck angestellt hat, nie eine Puppe besitzen, nie mit einer Puppe spielen duͤrfen.” Ach, da fiengen Frau Hinkel und Gackeleia bitterlich zu weinen an. Gockel befahl nun dem Hahn den Scharfrichter zu ho¬ len, damit die Katze mit ihren Jungen hingerichtet wuͤrde. Da schrie der Hahn und alle Voͤgel: „das ist die Eule, die große alte Eule, die dort draus in der hohlen duͤrren Eiche mit ihren Jungen sitzt”, und sogleich ward die Eule geru¬ fen. Als diese ernsthaft und finster wie ein verhaßtes, ge¬ fuͤrchtetes, von allen andern Voͤgeln geflohenes Thier mit ihren Jungen zu der Kapelle mit schweren Fluͤgeln herein¬ rasselte und mit dem Schnabel knappte und hu hu schrie, und die Augen verdrehte, versteckten sich die Voͤgel zitternd und bebend in alle Loͤcher und Winkel; und Gackeleia verkroch sich schreiend unter die Schuͤrze ihrer Mutter, welche sich selbst die Augen zuhielt. Gockel aber legte den Sack, worin die boͤse Katze mit ihren Jungen stack, in die Kapelle und die Eule trat mit ihren drei Jungen vor den Sack hin und sprach: Ich komm zu richten und zu rechten Mit meinen drei Soͤhnen und Knechten; Nun hoͤret ihr armen Suͤnder, Katz Schurrimurri und Kinder, Du Mack, du Benack und du Gog, Du Magog und du Demagog, Die ihr seid arme Suͤnderlein, Ein Exempel muß statuiret seyn. Nun Hackaug, Blutklau, Brich-das-Genick! Meine Soͤhne, macht eurer Meisterstuͤck. Da wollten sie den Sack aufmachen und die Katzen vor aller Augen hinrichten, aber Gackeleia schrie so entsetzlich, daß Gockel der Eule befahl, mit ihren Soͤhnen den Sack fortzutragen und sich zu Hause mit den Katzen abzufinden, was sie auch buchstaͤblich gethan. — Ja, ja sie fanden sich mit ihnen ab! Als so dieses schreckliche Schauspiel vermieden war, trat Alektryo vor Gockel und verlangte, daß er ihm nun den Kopf abschlagen, sich den Siegelring Salomonis aus seinem Kropfe nehmen und ihn sodann mit den Gebeinen der Gal¬ lina und ihrer Jungen verbrennen sollte. Gockel weigerte sich lange, dem Begehren des Alektryo zu folgen, aber da er sich auf keine Weise wollte abweisen lassen und ihn versicherte, daß er sich doch in jedem Falle zu Tode hungern werde, so willigte Gockel ein; er umarmte den edlen Alektryo nochmals von ganzem Herzen. Dann streckte der ritterliche Hahn den Hals weit aus und rief, auf der Inschrift des Grabsteins scharrend, mit lauter Stimme aus: Alektryo bringt dir Gluͤck selbst um Undank. O Gockel! hau' ihm den Kopf ab, Schneid' ihm den Kropf auf! Salomo's Siegelring Jedem noch Brod gab. Am Schluße dieser Worte schwang Gockel das Grafen¬ schwert und hieb den Hals des Alektryo mitten durch, daß ihm der Kopf des Hahnen vor die Fuͤße fiel und der todte Rumpf in den Scheiterhaufen sank. Gockel nahm das ehrwuͤrdige Haupt bei dem Kamm, hob es empor, kuͤßte es, 5 * schuͤttelte es dann uͤber seiner Hand, und der Siegelring Sa¬ lomonis fiel ihm hinein. Alle Anwesenden weinten, Gockel legte das Haupt zu dem Leibe auf den Scheiterhaufen der Gebeine Gallina's; alle Voͤgel brachten noch duͤrre Reiser und legten sie drum her, da steckte Gockel die Reiser an und ver¬ brannte alles zu Asche; aus den Flammen aber sah man die Gestalt eines Hahns wie ein goldenes Woͤlkchen durch die Luft davon schweben. Nun begrub Gockel die Asche und deckte den Stein mit der Schrift wieder mit Erde zu, und hielt dann eine herrliche Leichenrede uͤber die Verdienste Gallina's und besonders Alektryo's, wie des edlen Hahnenge¬ schlechts uͤberhaupt. Nachdem er die Herkunft Alektryo's von dem Hahne Hiobs nach der Erzaͤhlung Urgockels mit¬ getheilt hatte, sprach er unter Anderm: „Wer gibt die Weisheit ins verborgene Herz des Menschen, wer giebt dem Hahnen den Verstand? Gleich¬ wie der Hahn den Tag verkuͤndet und den Menschen vom Schlaf erweckt, so verkuͤnden fromme Lehrer das Licht der Wahrheit in die Nacht der Welt und sprechen: „die Nacht ist vergangen, der Tag ist gekommen, las¬ set uns ablegen die Werke der Finsterniß und anlegen die Waffen des Lichtes.“ Wie lieblich und nuͤtzlich ist das Kraͤ¬ hen des Hahnen; dieser treue Hausgenosse erwecket den Schlafenden, ermahnet den Sorgenden, troͤstet den Wande¬ rer, meldet die Stunde der Nacht und verscheuchet den Dieb und erfreuet den Schiffer auf einsamem Meere, denn er verkuͤndet den Morgen, da die Stuͤrme sich legen. Die Frommen weckt er zum Gebet und den Gelehrten ruft er, seine Buͤcher bei Licht zu suchen. Den Suͤnder ermahnet er zur Reue, wie Petrum. Sein Geschrei ermuthiget das Herz des Kranken. Zwar spricht der weise Mann: „Dreierlei haben einen feinen Gang und das Vierte geht wohl, der Loͤwe maͤchtig unter den Thieren, er fuͤrchtet Niemand — ein Hahn mit kraftgeguͤrteten Lenden, ein Widder und ein Koͤ¬ nig, gegen den sich Keiner erheben darf“ — aber dennoch fuͤrchtet der Loͤwe, der Niemanden fuͤrchtet, den Hahn und fliehet vor seinem Anblick und Geschrei; denn der Feind, der umhergeht wie ein bruͤllender Loͤwe und suchet, wie er uns verschlinge, fliehet vor dem Rufe des Waͤchters, der das Gewissen erwecket, auf daß wir uns ruͤsten zum Kampf. Darum auch ward kein Thier so erhoͤhet; die weisesten Maͤn¬ ner setzen sein goldenes Bild hoch auf die Spitzen der Thuͤr¬ me uͤber das Kreuz, daß bei dem Waͤchter wohne der War¬ ner und Waͤchter. So auch steht des Hahnen Bild auf dem Deckel des ABC-Buchs, die Schuͤler zu mahnen, daß sie fruͤh aufstehen sollen, zu lernen. O wie loͤblich ist das Beispiel des Hahnen! Ehe er kraͤht, die Menschen vom Schlafe zu wecken, schlaͤgt er sich selbst ermunternd mit den Fluͤgeln in die Seite, anzeigend, wie ein Lehrer der Wahrheit sich selbst der Tugend bestreben soll, ehe er sie anderen lehret. Stolz ist der Hahn, der Sterne kundig, und richtet oft seine Blicke zum Himmel; sein Schrei ist prophetisch, er kuͤndet das Wetter und die Zeit. Ein Vogel der Wachsamkeit, ein Kaͤmpfer, ein Sieger wird er von den Kriegsleuten auf den Ruͤstwagen gesetzt, daß sie sich zurufen und abloͤsen zu ge¬ messener Zeit. So es daͤmmert und der Hahn mit den Huͤh¬ nern zu ruhen sich auf die Stange setzt, stellen sie die Nacht¬ wache aus. Drei Stunden vor Mitternacht regt sich der Hahn, und die Wache wird gewechselt; um die Mitternacht beginnt er zu kraͤhen, sie stellen die dritte Wache aus, und drei Stunden gen Morgen rufet sein tagverkuͤndender Schrei die vierte Wache auf ihre Stelle. Ein Ritter ist der Hahn, sein Haupt ist geziert mit Busch und rother Helmdecke und ein purpurnes Ordensband schimmert an seinem Halse; stark ist seine Brust wie ein Harnisch im Streit, und sein Fuß ist bespornt. Keine Kraͤnkung seiner Damen duldet er, kaͤmpft gegen den eindringenden Fremdling auf Tod und Leben und selbst blutend verkuͤndet er seinen Sieg stolz emporgerichtet gleich einem Herold mit lautem Trompetenstoß. Wunderbar ist der Hahn; schreitet er durch ein Thor, wo ein Reiter hindurch koͤnnte, buͤcket er doch das Haupt, seinen Kamm nicht anzustoßen, denn er fuͤhlt seine innere Hoheit. Wie liebet der Hahn seine Familie! Dem legenden Huhn singt er liebliche Arien: „bei Huͤhnern, welche Liebe fuͤhlen, fehlt auch ein gutes Herze nicht, die suͤßen Triebe mit zu fuͤhlen, ist auch der Hahnen erste Pflicht;“ — stirbt ihm die bruͤtende Freundin, so vollendet er die Brut und fuͤhret die Huͤhnlein, doch ohne zu kraͤhen, um allein Muͤtterliches zu thun. — O welch erhabenes Geschoͤpf ist der Hahn! Phidias setzte sein Bild auf den Helm der Minerva, Idomeneus auf sein Schild. Er war der Sonne, dem Mars, dem Mercur, dem Aesculap geweiht. O wie geistreich ist der Hahn! Wer kann es den morgenlaͤndischen Kabbalisten verdenken, daß sie sich Alektryo's bemaͤchtigen wollten, da sie an die Seelen¬ wanderung glaubten und der Hahn des Mycillus sich seinem Herrn selbst als die Seele des Pythagoras vorstellte, die inkognito kraͤhte. Ja wie mehr als ein Hahn ist ein Hahn, da sogar ein gerupfter Hahn noch den Menschen des Plato vorstellen konnte“! u. s. w. Noch unaussprechlich vieles Erbauliche, Moralische, Hi¬ storische, Allegorische, Medizinische, Mystische, selbst Poli¬ tische brachte Gockel in dieser schoͤnen Leichenrede an, welche auch oft von dem lauten Schluchzen und Weinen Gockels, der Frau Hinkel und der kleinen Gackeleia unterbrochen ward. Selbst alle Voͤgelein gaben ihre Ruͤhrung mit leisem Piepen zu verstehen; weil aber der groͤßte Theil der Rede aus Co¬ leri Haushaltungsbuch und aus Gesneri Vogelbuch u. s. w. herruͤhrte, zogen sich die zuhoͤrenden Voͤgel, denen es viel zu lang dauerte, nach und nach in der Stille zuruͤck, — und da er nun gar noch allerlei Aberglaͤubisches von der Alek¬ tryomantie, einer Art zauberischer Wahrsagerei vermittelst der Hahnen, und von dem Hahnenei, woraus die Basilisken entstehen, vorbrachte, ward Frau Hinkel auch etwas unru¬ hig — doch hielt sie sich noch zuruͤck — dann aber kam er auf einen gewissen unpartheiischen Englaͤnder zu sprechen, und was dieser von Hahnen und Hinkeln gesagt; da ward es Frau Hinkel nicht recht wohl und sie sprach: „Lieber Gockel, ich glaube, wir haben das schon gehoͤrt, wir sind auch noch nuͤchtern, ich fuͤrchte die Milch wird sauer, ich habe auch noch kein Wasser zum Kaffee am Feuer, ich daͤchte wir hielten einen kleinen Leichenschmaus.“ Da laͤchelte der gute Gockel, umarmte Frau Hinkel und Gackeleia und be¬ gab sich, selbst ermuͤdet von der schlaflosen Nacht, gern mit ihr in den Huͤhnerstall. Den ganzen uͤbrigen Tag weinten Frau Hinkel und Ga¬ ckeleia noch oͤfter, und wollten sich gar nicht zufrieden ge¬ ben, daß sie an dem Tode der Gallina und Alektryo's Schuld gewesen. Gockel gab ihnen die schoͤnsten Ermahnungen, sie versprachen die aufrichtigste Besserung, und so entschlief die ganze Familie am Abend dieses traurigen Tages nach einem gemeinschaftlichen herzlichen Gebet. Als Gockel in der Nacht erwachte, gedachte er der Frau Hinkel und seines Toͤchterleins Gackeleia mit vieler Liebe, und entschloß sich, ihnen nach dem vielen Schrecken, den sie gehabt, eine rechte Freude zu machen, und zugleich den Siegelring Salomonis zu versuchen. Er nahm daher den Ring aus der Tasche, steckte ihn an den Finger und drehte ihn an demselben herum mit den Worten: „Salomon du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Mach' mich und Frau Hinkel jung, Trag' uns dann mit einem Sprung Nach Gelnhausen in ein Schloß, Gieb uns Knecht und Magd und Roß, Gieb uns Gut und Gold und Geld, Brunnen, Garten, Ackerfeld, Fuͤll' uns Kuͤch und Keller auch, Wie's bei großen Herrn der Brauch, Gieb uns Schoͤnheit, Weisheit, Glanz, Mach' uns reich und herrlich ganz, Ringlein, Ringlein, dreh' dich um, Mach's recht schoͤn, ich bitt' dich drum!“ Unter dem Drehen des Ringes und dem oͤfteren Wie¬ derholen dieses Spruches schlief Gockel endlich ein. Da traͤumte ihm, es trete ein Mann in auslaͤndischer reicher Tracht vor ihn, der ein grosses Buch vor ihm aufschlug, worin die schoͤnsten Palaͤste, Gaͤrten, Springbrunnen, Haus¬ geraͤthe, Kleidungsstuͤcke, Tapeten, Schildereien, Alamode- Kutschen, Pferde, Livreen und andere dergleichen Dinge abge¬ bildet waren, aus welchen er sich heraussuchen mußte, was ihm wohlgefiel. Gockel beobachtete bei der Wahl Alles mit großem Fleiße, was Frau Hinkel und Gackeleia gefallen konnte, denn er traͤumte so klar und deutlich, als ob er wache. Da er aber das Buch durchblaͤttert hatte, schlug der Mann im Traume es so heftig zu, daß Gockel ploͤtz¬ lich erwachte. Es war noch dunkel, und er war so voll von seinem Traume, daß er sich entschloß, seine Frau zu wecken, um ihr denselben zu erzaͤhlen; auch fuͤhlte er ein so wunderbares Behagen durch alle seine Glieder, daß er sich kaum enthalten konnte, laut zu jauchzen. Da er sich immer mehr vom Schlafe erholte, empfand er die lieblichsten Wohlgeruͤche um sich her und konnte gar nicht begreifen, was nur in aller Welt fuͤr koͤstliche Gewuͤrzblumen in seinem alten Huͤhnerstall uͤber Nacht muͤßten aufgebluͤht seyn. Als er aber, sich auf seinem La¬ ger wendend, bemerkte, daß kein Stroh unter ihm knistre, sondern daß er auf seidenen Kissen ruhe, begann er vor Erstaunen auszurufen: „o Jemine, was ist das?“ In dem¬ selben Augenblicke rief Frau Hinkel dasselbe, und dann riefen beide: „wer ist hier?“ und beide antworteten: „ich bin's, Gockel! — bin's, Hinkel!“ aber wollten's beide nicht glauben, daß sie es seyen. Es hatte ihnen beiden dasselbe getraͤumt, und sie wuͤrden geglaubt haben, daß sie noch traͤumten, aber sie fanden gegenseitig ihre Stimmen so veraͤndert, daß sie vor Bewunderung gar nicht zu Sinnen kom¬ men konnten. „Gockel,“ fluͤsterte Frau Hinkel, „was ist mit uns geschehen? Es ist mir, als waͤre ich zwanzig Jahre alt.“ „Ach ich weiß nicht,“ sagte Gockel, „aber ich moͤchte eine Wette an¬ stellen, daß ich nicht uͤber fuͤnf und zwanzig alt bin.“ „Aber sage nur, wie kommen wir auf die seidenen Betten?“ fragte Frau Hinkel, „so weich habe ich selbst nicht gelegen, als du noch Fasanenminister in Gelnhausen warst, — und die himm¬ lischen Wohlgeruͤche umher, — aber ach, was ist das? Der Trauring, der mir immer so lose an dem Finger hieng, daß ich ihn oft Nachts im Bettstroh verloren, sitzt mir jetzt ganz ordentlich, so daß ich ihn eben drehen kann, ich bin gar nicht mehr so klapperduͤrr.“ — Diese letzten Worte erinnerten Gockel an den Ring Salomonis; er dachte: „ach, das mag Alles von meinem gestrigen Wunsche herkommen;“ da hoͤrte er auch Roße im Stalle stampfen und wiehern, hoͤrte eine Thuͤre gehen, und es fuhr ein Licht durch die Stube an der Decke weg, als wenn Jemand mit einer La¬ terne Nachts uͤber den Hof geht. Er und Hinkel sprangen auf, aber sie fielen ziemlich hart auf die Nase, denn jetzt merkten sie, daß sie nicht mehr auf der ebenen Erde, son¬ dern auf hohen Polsterbetten geschlafen hatten, und der Schein, der durch die Stube gezogen war, hatte nicht die rauhe Wand ihres Huͤhnerstalles, an welcher Stroh und die alte Huͤhnerleiter lag, sondern praͤchtige gemalte und vergoldete Waͤnde, seidene Vorhaͤnge und aufge¬ stellte Silber- und Gold-Gefaͤße beleuchtet. Sie rafften sich auf von einem spiegelglatten Boden, sie stuͤrzten sich in die Arme und weinten vor Freude, wie Kinder. Sie hatten sich so lieb, als haͤtten sie sich zum erstenmale gesehen. Nun bemerkten sie den Schein wieder, und sahen, daß er durch ein hohes Fenster herein fiel. Mit verschlungenen Armen liefen sie nach dem Fenster und sahen, daß es von der La¬ terne eines Kutschers in einer reichen Livree herkam, der in einem großen geraͤumigen Hof stand, Haber siebte und ein Liedchen pfiff. Im Schein der Laterne, der an das Fenster fiel, sah Gockel Hinkel an und Hinkel Gockel, und beide lachten und weinten und fielen sich um den Hals und riefen aus: „ach Gockel, ach Hinkel, wie jung und schoͤn bist du geworden!“ Da sprach Gockel: „Alektryo hat die Wahrheit gesprochen, der Ring Salomonis hat Probe gehalten, alle meine Wuͤnsche, bei welchen ich ihn drehte, sind in Erfuͤl¬ lung gegangen“; und da erzaͤhlte er der Frau Hinkel, wie ihm der Mann mit dem großen Bilderbuch erschienen und er Alles heraus gesucht und den Ring dabei gedreht ha¬ be. — „Ach Gockel, Herzens-Gockel! hast du wirklich Alles so gewuͤnscht. Alles wie es mich freuet und erquicket? Die¬ ses lange, lange Hemd, diesen tiefrothen, chinesischen Schlaf¬ rock, fein, fein, man kann ihn ganz in den Raum einer Nuß verbergen. Gockel! und dieses seidene Netz um meine Haare — Alles, Alles so nach meiner Lust?“— „Ja“, sagte Gockel, „Alles nach deiner Lust, es wird schon Tag werden, da wirst du erst sehen die hohen, hellen Raͤume, Saͤaͤle, um Wett¬ rennen darin anzustellen, lauter Doppelthuͤren, Fußboͤden mit Purpurteppichen bedeckt, herrliche breite Treppen auf Saͤulen ruhend, Terrassen, Gallerien, offne Hallen; ach Hinkel! welche Gaͤrten und Springbrunnen und Saͤulenhallen und Statuen und Aussichten und schoͤne Berglinien und Lorbeern-, Myrten-, Cypressen-, Citronen-, Pomeranzen-, Orangen-, Granatenhai¬ ne und eine Schaukel darin von weißen Rosen — und eine Wiege von weißen Lilien — vom Kuͤchengarten will ich gar nicht reden, es wird dir genug seyn, wenn ich sage, daß die Pflaumenbaͤume ihre Aeste mit getrockneten Fruͤchten zum Kuͤchenfenster hineinhaͤngen. — Was soll ich von der Garde¬ robe sprechen, ehe ich dir nur den hundertsten Theil der Stie¬ felchen, Pantoͤffelchen, Roͤckchen, Schuͤrzchen, Huͤtchen, Tuͤ¬ chelchen, Quaͤstchen, Trottelchen u. s. w. nenne, ist es Tag, und du knieest mitten darunter und raͤumst und packst und probirst Alles nach der Reihe; — aber Herz Hinkel, das Schoͤnste ist: da ist kein Zapfenbrett, wie im Huͤhnerministe¬ rium, nein, da stehen ganze Choͤre Choͤre der großartigsten, edelsten, lieblichsten, erhabensten, kindlichsten Marmorfiguren von Engeln, Genien, Denkern, Dichtern, Propheten, Goͤttern und Helden, und auf ihren Haͤnden tragen sie die Kleider, die in krystallenen Schalen zwischen duftenden Blumen ruhen, in der Mitte der Garderobe stehen die drei Grazien um einen dicken Lilienbusch, und wenn du zu traͤge bist, dich selbst an¬ zukleiden, trittst du zwischen die Grazien und sagst nur den Spruch deiner Ahnfrau von Hennegau: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit! Schoͤnster Baum im Paradies, Gieb mir Das und gieb mir Dies, Ruͤttel dich und schuͤttel dich, Schuͤttel Leib und Herz und Geist, Und was diesen zierlich heißt, Huͤllend, fuͤllend uͤber mich.“ O Hinkel! — dein blaues, oder wie du willst, farbiges Wunder sollst du da sehen, augenblicklich sollst du da fix und fertig auf die schoͤnste und vortheilhafteste Weise bekleidet dastehen. — Ich will nicht weiter sprechen, o Hinkel von Hennegau, von allen Kabinetten und Kabinettchen, von der Bibliothek, der Hauskapelle, der Kuͤche, der Speisekammer, dem Saal, Ball zu schlagen, dem Musiksaal, der Gemaͤlde- Gallerie, der Aepfelkammer, der tiefsinnigen Denkhalle, der Kinderstube, dem Karoussel, dem Badhaus, dem Huͤhnerhof, ach! und dem bezaubernd schoͤnen Stall voll der edelsten Pferde und Pferdchen, vor Allem ein arabisches Schimmel¬ chen, weiß wie der gefallne Schnee, Maͤhnen und Schweif mit Purpurbaͤndern durchflochten, mit tief rothem Sammet gezaͤumt, Gebiß und Buͤgel von Gold und Rubin; ach Hin¬ kel! und der Sattel! — der Sattel ist ihm von Natur auf den Ruͤcken gewachsen! nun denke!“ „Lieber Gockel,“ sagte Frau Hinkel, „es ist nicht moͤg¬ lich, es ist zu viel, ich kanns nicht glauben; aber ich moͤchte trinken, kannst du mir nicht ein Glas Wasser herbeidrehen?“ — „Geh nur links an deinen Waschtisch,“ erwiederte Gockel, „und halte den Krystall-Pokal zum Fenster hinaus.“ „O Go¬ ckel, gehe mit,“ sagte Hinkel, sich an seinen Arm haͤngend, „ich weiß nicht Bescheid hier, es ist mir ganz bang vor lauter Schoͤnheit, ich fuͤrchte, ich moͤchte uͤber das siebente Wunder der Welt stolpern und in das achte hineinstuͤrzen.“ Da fuͤhrte Gockel sie zu ihrem Waschtisch an ein zwei¬ tes Fenster, dessen Vorhang der volle Mond mit angenehmem Licht durchstrahlte. O da gieng Verwundern erst recht an; neben einem Schirm von goldnen Staͤben, an welchem weiße Rosenstraͤucher hinaufrankten, die alle ihre Rosen nach In¬ nen senkten, stand das Waschtischchen; aber welch ein Wasch¬ tischchen, ein Waschtischchen, das sich nicht nur gewaschen hatte, sondern sich auch in alle Ewigkeit fortwusch. — In den mit tiefrothem Sammet belegten Marmorboden war ein eirundes tiefes Becken von Krystall versenkt, der Rand oben war von Muscheln, Korallen und lebendigen Blu¬ men umgeben, Reseda und Veilchen und Vergißmeinnicht; diese Wanne war voll Rosenwasser; uͤber diesem ragte wie schwimmend ein mit Lotos-Blumen gesattelter Delphin von Perlenmutter hervor, auf seinem Ruͤcken saß ein feingefluͤ¬ geltes Kind von weißem Marmor, in der einen Hand hielt es ein Sieb von Krystall voll der duftendsten Rosen, in welches von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang zwey Strahlen des frischesten, klaresten Wassers aus den Nuͤstern des Delphins sprudelten und als Rosenwasser in das Be¬ cken niederfloßen, mit der andern Hand stuͤtzte das Mar¬ morkind die krystallne, durchsichtige Tischplatte, welche den Waschtisch bildete, und da war erst die rechte Herrlichkeit von schoͤnen sieben Sachen. Frau Hinkel sah und fuͤhlte Alles mit großem Entzuͤcken an, aber sie hatte gestern so viel geweint und nachher so viel gesalzenes Fleisch gegessen, so daß sie ungemein duͤrstete und sprach: Wunder uͤber Wunder, Gockel! Wunderherrlich ist der Sockel Von dem Wischiwaschi-Tisch; Herzerquicklich scheint der Fisch Lustig in dem Meer zu gaukeln Und das flinke Kind zu schaukeln Mit dem vollen Rosensieb, Alles ist so suͤß und lieb, Alles ist so fein und frisch! — Doch, eh ich das Glas erwisch, Kann ich gar nichts recht betrachten Und muß schier vor Durst verschmachten. „Verzeih, Herz Hinkel!“ sprach Gockel, „ich selbst ver¬ gesse uͤber den kuriosen Sachen Essen und Trinken“ — da gab er ihr das Glas von dem Waschtisch, duͤnn und klar und rein wie eine Seifenblase, die sich auf eine Lilie nieder¬ gelassen, so war Kelch und Stiel gebildet — „halte es zum Fenster hinaus, ich will den Ring Salomonis drehen.“ Gockel zog den rothdamastenen Vorhang hinweg, da sah man durch die bluͤthenvollen Wipfel der Orangenbaͤume in den blauen Himmel, an dessen Osten der Tag graute; der Mond stand am Himmel wie ein freigebiger Kavalier, wel¬ cher der Frau Graͤfin Hinkel von Hennegau ein Staͤndchen von der Nachtigall will bringen lassen. — „Reiche nur den Pokal hinaus,“ sagte Gockel, „fahre nur mit der Hand mitten durch die Orangenbluͤthen, die Geister Salomonis werden schon einen Wasserstrahl senden, der dir das Herz erlabt. — Frau Hinkel that, wie Gockel befahl, und Go¬ ckel sprach den Ring drehend: „Salomo, du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Fuͤll' Frau Hinkel den Pokal Mit der reinsten Quelle Strahl, In der Felsen Herz entsprungen, Durch der Erde Brust gedrungen, Durch der Bluͤthen Duft geschwungen, Von der Nachtigall besungen, Von der Sterne Licht gegruͤßt, Von des Mondes Strahl gekuͤß't; Gieb zum Labsal durst'ger Zungen Ein Glas Wasser, bitt' dich drum! Ringlein, Ringlein, dreh dich um.“ Schon waͤhrend diesen Worten plaͤtscherte es unter den Orangen-Baͤumen heftiger, die Blaͤtter bewegten sich, die Bluͤthen kuͤßten sich, und zwischen ihnen spritzte der feine, im Mond- und Sternenlicht schimmernde Strahl eines Spring¬ brunnens aus dem unten liegenden Garten empor und fuͤllte den Pokal, welchen die Hand der Frau Hinkel hinaushielt, ohne sie selbst im Mindesten zu benetzen. Frau Hinkel trank und trank wieder, auch Gockel trank, und die allerliebste Frau Nachtigall sang in der nahen Linde das freundlichste: „Wohl bekomm's, Frau Graͤfin von Hennegau“ dazu. „Ach“! sagte Frau Hinkel, indem sie den Pokal wieder auf den Waschtisch setzte, „das hat aber einmal geschmeckt, das Wasser duftete ganz von Bluͤthen, und wie die liebe Nach¬ tigall singt“! — „Horch“! sagte Gockel, „da singt noch was“, es war aber der Kutscher, der den Haber siebte; als er die Nachtigall hoͤrte, fieng er an zu singen: „Nachtigall, ich hoͤr dich singen, s'Herz im Leib moͤcht mir zerspringen, Komme doch und sag mir bald, Wie sich Alles hier verhalt'. Nachtigall, ich seh dich laufen, An dem Baͤchlein thust du saufen, Tunkst hinein dein Schnaͤbelein, Meinst es sey der beste Wein! Nachtigall, wohl ist gut wohnen In der Linde gruͤnen Kronen, Bei dir, lieb Frau Nachtigall, Kuͤß' dich Gott viel tausendmal!“ Das gefiel nun Gockel und Hinkel gar wohl, denn es war ihr Lieblingslied und ihre Mutter hatte es ihr an der Wiege gesungen. — Gockel war so froh, uͤber Alles, was er so erfinderisch herbeigewuͤnscht hatte, daß er wuͤnschte, Frau Hinkel moͤge gleich Alles betrachten, was auf ihrem Wasch¬ tisch weiter liege. Sie sagte aber: „nein, ich muß warten bis der Tag anbricht, es ist Alles so herrlich und fein, ich zittre so vor Freude, ich habe eine solche Wallung im Blut. Wir sahen nun dort in den Hof, hier in den bluͤhenden Garten, voll Duft und Springbrunnen und Nachtigallen, jetzt laß uns an jener Seite hinaus schauen, was dort zu sehen ist.“ — Nun liefen sie an ein drittes Fenster; „o je, welche Freude!“ rief Frau Hinkel aus, „wir sind in Gelnhau¬ sen, da oben liegt das Schloß des Koͤnigs, und da druͤben, o zum Entzuͤcken! da sehe ich in einer Reihe alle die Baͤcker- und Fleischerladen; es ist noch ganz stille in der Stadt; horch, der Nachtwaͤchter ruft in einer entfernten Straße, drei Uhr ist es; ach, was wird er sich wundern, wenn er hieher auf den Markt koͤmmt und auf einmal unsern praͤch¬ tigen Palast sieht! Und der Koͤnig, was wird der Koͤnig die Augen aufreissen und alle die Hofherrn und Hofdamen, die uns so spoͤttisch ansahen, da wir in Ungnade fielen, was werden sie gedemuͤthiget seyn durch unsern Glanz! O Go¬ ckel, liebster Gockel, was bist du fuͤr ein herzallerliebster, beßter Gockel mit deinem Ring Salomonis!“ und da fielen sie sich wieder um den Hals und fuhren vor Freude gleich¬ sam Schlitten auf dem spiegelglatten Boden. Es brach aber der Tag an und es war kein Traum; Alles hatte Bestand, sie blickten Arm in Arm scheu und doch freudig bald sich in ihrer verjuͤngten Gestalt und praͤch¬ tigen Kleidung, bald die wunderbare Pracht ihres Schlaf¬ gemaches an, und als sie neben ihrem großen Prachtbett, welches wie ein Himmelwagen aussah, mit Federbuͤschen be¬ steckt, ein anderes schoͤnes Bettchen sahen, fiel ihnen erst im Taumel der großen Freude ihre liebe Gackeleia ein; sie rissen die rothsammetnen, goldgestickten Vorhaͤnge hin¬ weg, da lag Gackeleia schoͤn wie ein Engel, ach viel schoͤ¬ ner als sie je gewesen. Gockel und Hinkel erweckten sie mit Kuͤssen und Thraͤnen: „wach auf, Gackeleia, ach alle Freude ist um uns her; ach Gackeleia, sieh alle die schoͤnen Sachen an!“ Da schlug Gackeleia die blauen Augen auf, und glaubte, sie traͤume das Alles nur; und da sie Vater und Mutter, welche beide so jung und schoͤn geworden waren, gar nicht wieder erkannte, fieng sie an zu weinen und ver¬ langte nach ihren lieben Aeltern. Ja alle die schoͤnen Sa¬ chen konnten sie nicht zufrieden stellen; sie sagte immer: „o was soll ich mit all der Herrlichkeit, ich will zu meiner lie¬ ben Mutter, Frau Hinkel, zu meinem guten Vater, Gockel, zuruͤck.“ Die Mutter und der Vater konnten sie auf keine Weise bereden, daß sie es selbst seyen. Endlich sagte Go¬ ckel zu ihr: „Wer bist du denn?“ „Gackeleia bin ich,“ er¬ wiederte das Kind. „So,“ sagte Gockel, „du bist Gacke¬ leia? Aber Gackeleia hatte ja gestern ein Roͤckchen von grauer Leinwand an, wie koͤmmt den Gackeleia in das schoͤne, buntgebluͤmte, seidene Schlafroͤckchen?“ „Ach, das weiß ich nicht,“ antwortete Gackeleia, „aber ich bin doch ganz gewiß Gackeleia; ach ich weiß es gewiß, die Augen schmerzen mich so sehr, ich habe gestern gar viel ge¬ weint, ich habe grosses Ungluͤck angestellt, ich habe die Katze an das Nest der Gallina gefuͤhrt; ich bin Schuld, daß sie gefressen worden, ich habe dadurch den guten Alektryo in den Tod gebracht, ach ich bin gewiß die boͤse Gackeleia;“ dabei weinte sie so bitterlich und fuhr fort: „o du bist Gockel nicht; der Vater Gockel hat ganz schneeweiße Haare und einen weißen Bart und ist bleich im Gesicht und hat eine spitze Nase; du Schwarzer mit den ro¬ then Wangen bist Gockel nicht; du bist auch die Mutter Hinkel nicht; du bist ja so huͤbsch glatt und anmuthig wie ein Turteltaͤubchen; die Mutter Hinkel ist klapperduͤrr wie ein Zaunpfahl; ich will fort in das alte Schloß, ihr habt mich gestohlen;“ und da weinte das Kind wieder heftig. Gockel wußte sich nicht anders zu helfen, als daß er sagte: „schau mich einmal recht an, ob ich dein Vater Gockel nicht bin.“ Da guckte ihn Gackeleia scharf an, und er drehte den Ring Salomonis ganz sachte am Finger und sprach leis: „Salomon, du großer Koͤnig, Mache mich doch gleich ein wenig Dem ganz alten Gockel aͤhnlich; Mach' mich wieder wie gewoͤhnlich.“ Und wie er am Ring drehte, ward er immer aͤlter und grauer, und das Kind sagte immer: „ach Herr je, ja, fast wie der Vater!“ und als er ganz fertig mit dem Drehen war, sprang das Kind aus dem Bett, und flog ihm um den Hals und schrie: „ach ja, du bist's, du bist's, liebes, gu¬ tes, altes Vaͤterchen! aber die Mutter ist es mein Lebtag nicht.“ Da begann Gockel auch fuͤr Frau Hinkel den Ring zu drehen, daß sie wieder ganz alt ward. Aber dieser machte das gar keine Freude, und sie sagte immer: „halt ein Go¬ ckel, nein das ist doch ganz abscheulich, einen so herunter zu bringen, nein das ist zu arg! so habe ich mein Lebtag nicht ausgesehen; du machst mich viel aͤlter, als ich war!“ und begann zu weinen und zu zanken, und wollte dem Gockel mit Gewalt nach der Hand greifen und ihm den Ring wie¬ der zuruͤckdrehen. Aber Gackeleia sprang ihr in die Arme und kuͤßte und herzte sie, und rief einmal uͤber das andere¬ 6 mal aus: „ach Mutter, liebe Mutter, du bist's, du bist's ganz gewiß!“ Da sagte Frau Hinkel: „nun meinethalben“, und kuͤßte das Kind Gackeleia von ganzem Herzen. Go¬ ckel aber sprach: „ei, ei, Frau Hinkel, ich haͤtte mein Lebtag nicht gedacht, daß du so eitel waͤrest; es ist gut, nun habe ich ein Mittel, dich zu strafen; sieh, bist du mir nun nicht fein ordentlich und fleißig, oder brummest du, oder bist du neugierig, so drehe ich gleich den Ring um und ma¬ che dich hundert Jahre alt.“ Da sagte Frau Hinkel: „thue was du willst, ich habe es nicht gern gethan, es hat mich nur so uͤberrascht.“ Nun umarmte sie Gockel und drehte den Ring wieder, und sie wurden wieder jung und schoͤn. So erfuhr auch Gackeleia das Geheimniß mit dem Ringe, und Gockel schaͤrfte ihr und der Frau Hinkel ein, ja niemals etwas von dem Ringe zu sprechen, sonst koͤnnte er ihnen gestohlen werden, und dann muͤßten sie wohl wieder arm und elend in das alte Schloß zuruͤck. „Bewahr uns Gott davor!“ sagten alle, und Gockel fuhr fort: „ja, daß er uns davor bewahre, lasset uns vor Allem beten und danken; ihm allein gebuͤhrt die Ehre!“ da knieten sie in Mitte der Stube nieder und dankten Gott von Herzen. Als sie wieder aufgestanden waren, sagte Frau Hinkel: „jetzt kommt, jetzt geht das Hauptplaisir an, jetzt geht es ans Betrachten, und mit uns selbst wird angefangen.“ Nun tra¬ ten sie alle drei vor einen großen Spiegel und beschauten sich in Lebensgroͤße von alleu Seiten und lachten und huͤpften; Frau Hinkel machte einige spitze Maͤulchen und Gackeleia probirte so vielerlei, daß sie sogar die Zunge ziemlich weit herausstreckte, worauf aber Gockel sagte: „Pfui, wawa, das ist unartig!“ Hierauf gieng Frau Hinkel nach ihrem Waschtisch, um Alles zu betrachten, was sie in der Nacht noch nicht gesehen. In einer andern Fensternische stand der Wasch¬ tisch Gockels, und zwischen beiden ein Waschtischchen Ga¬ ckeleia's. Auf der krystallenen Platte des Tisches stand Wasch¬ becken und Kanne von gleichem Stoff, man konnte sie so oft man wollte bei dem Delphin unter dem Tische fuͤllen; hin¬ ter dem Waschbecken war etwas Hohes mit einem feinsten weißen Tuche bedeckt. — „Was ist nur das?“ — sagte Frau Hinkel und zog das Tuch weg, — aber Alle wurden still und ernst, als sie sahen, was es war; denn es war das Bild einer Gluckhenne auf dem Neste sitzend mit ausgebrei¬ teten Fluͤgeln und uͤber Huͤhnchen bruͤtend, die hie und da die Koͤpfchen hervorstreckten; Alles von Gold und Silber, auf das natuͤrlichste kunstreich ausgearbeitet; die Augen waren alle von Edelsteinen und die Kaͤmme von Rubinen! „Ach!“ sagte Frau Hinkel, „das ist wohl eine ernste Erinnerung, das kann uns wohl demuͤthigen; sieh Gackeleia, da ist das Bild der Gallina, wie sie leibte und lebte, da koͤnnen wir an die betruͤbte Geschichte denken!“— „Ach ja,“ sagte Gackeleia, und weinte. Gockel aber sprach: „wol¬ len wir dabei an irgend etwas denken, was uns vor Ueber¬ muth bewahrt, so ist das gut. Hier aber steht die goldene Henne nur als ein altes Familienkleinod, das ich selbst zum erstenmal sehe; dort auf meinem Waschtisch wird wohl der goldene Hahn stehen.“ — Da deckte Gockel auf seinem Wasch¬ tisch das Gefaͤß auf, und wirklich stand das Bild Alektryos von Gold in groͤßter Vollkommenheit da. — Sie waren Alle ganz erstaunt. Gockel aber sprach weiter: „du wirst dich erinnern, Frau Hinkel, daß in unsrer Familie ein altes Sprichwort ist, der goldne Hahn kraͤht nicht mehr, die goldne Henne legt nicht mehr, um unsre Verarmung anzudeuten. Das bezieht sich auf diese beiden unschaͤtzbaren Kunstwerke, die lange in dem Schatze der Kapelle zu Gockelsruh bewahrt wurden. Als aber die Franzosen ihre angeblichen Rechte auf alle Hahnen geltend machten, weil in dem wohl anatomirten Gehirn je¬ des Hahns ihr Wappen, naͤmlich das Bild einer Lilie zu 6 * finden seyn soll, haben sie sich dieses goldnen Gefluͤgels vor allem Andern bemeistert. — Bei seiner Vermaͤhlung mit Ur¬ hinkel von Hennegau drehte Urgockel den Ring Salomos, und wuͤnschte ihr das herrlichste Toiletten-Geschenk, das Sa¬ lomo selbst der Koͤnigin von Saba gegeben; — dann drehte die Graͤfin von Hennegau den Ring und wuͤnschte dem Ur¬ gockel das Gegengeschenk der Koͤnigin von Saba, und so standen am Hochzeitmorgen dieser Waschtisch mit der gold¬ nen Henne und jener dort mit dem goldnen Hahn im Braut¬ gemache, und von dieser Hochzeit an wurden die goldne Henne und der goldne Hahn bei jeder Hochzeit in Gockels¬ ruh dem Brautpaar vorgetragen und bei der Mahlzeit auf¬ gestellt, bis sie verloren giengen. Jetzt wollen wir einmal sehen, wie die Geschenke beschaffen sind, vor Allem die Pro¬ be, ob es gut Gold ist. Sich da unten an dem Neste die Probe in phoͤnizischer Schrift; ich drehe den Ring und wuͤn¬ sche es zu lesen, und sieh, ich kanns lesen. „Dieses Necessaire, vorstellend das Siebengestirn als eine Gluckhenne mit sechs Kuͤchlein fuͤr Ihre Majestaͤt die Koͤni¬ gin Balkis von Saba, verfertigte auf Befehl Seiner Maje¬ staͤt des Koͤnigs Salomo von Jerusalem, dessen erster Gold¬ schmied Hieram von Tyrus, aus 24 karatigem Gold von Ophir in Angsburgirter Butzbacher-Fa ç on.“ Nun sieh, wel¬ che Raritaͤt, was mag aber Alles darin enthalten seyn?“ Nun zerlegte Gockel das ganze Huhn nach der Tran¬ schierkunst, die er als Huͤhnerminister aus dem Fundament verstand; Alles bestand aus Deckeln, Buͤchschen und Faͤ¬ chern u. s. w. Wenn man den Ruͤcken mit den ausgebrei¬ teten Fluͤgeln der Henne in die Hoͤhe schlug, hatte man ei¬ nen aufgerichteten Handspiegel; im Innern der Henne be¬ fanden sich in verschiedenen goldenen Kaͤstchen mehrere Schwaͤmme und Kaͤmme, weite und enge, Haarbuͤrsten, Zahnbuͤrsten, Ohrloͤffel, Zahnstocher, Puderbuͤchsen von al¬ len Farben, Schoͤnheitspflaͤsterchen, Schminke aller Farben, Nagelscheeren und Buͤrsten, eine Haarzange, ein Kaͤmmchen fuͤr die Augenbraunen, erstaunlich viele Sachen. In dem Kopf der Henne fand man Huͤhneraugensalbe fuͤr den linken und rechten Fuß. Der Hals enthielt eine Nadelbuͤchse voll allerlei Nadeln, auch eine Insektenfalle. In jedem der Huͤhnchen, die man oͤffnen konnte, fand sich eine andre wohlriechende Seife, oder Salbe, oder Essenz; das Nest im Innern selbst war ein Naͤh- und Nadelkissen von tyrischem Purpur, worauf die schoͤnsten Muster mit goldenen Demantnadeln abgesteckt wa¬ ren. Das ganze kuͤnstliche Flechtwerk des goldenen Nestes hieng und stack voll tausenderlei Geschmeid, Ringen, Ketten, Spangen, Agraffen, Amuletten, Talismanen, Perlen und Bernsteinschnuͤren. Aus dem Nest streckten sich vier Zweige von gewachsenem Gold mit Lilien, weißen und rothen Rosen von Edelsteinen. Diese Zweige bildeten Leuchter, worauf Wachskerzen standen und woran viele Wachsstoͤckchen hiengen, alle von wohlriechendem Wachse gemacht, das Erstlingsbie¬ nen beim Aufgang des Siebengestirns auf den Linden des Hymettus und von Lilien gesammelt hatten, die schoͤner be¬ kleidet waren, als Salomo selbst. Außerdem hiengen an diesen Goldzweigen Siegelringe, kleine Kalenderchen und Notizbuͤchelchen von Elfenbein. Vor der Henne kniete ein feines Kind mit Fluͤgeln von Edelsteinen; es hielt in der ei¬ nen Hand eine Schale voll der koͤstlichsten Staͤrkungskuͤgel¬ chen, in der andern eine Schale voll Balsam von Mekka, als wolle es die Henne fuͤttern. Das Wunderbarste aber war, daß die Henne die Stundenzahl und die Huͤhnchen die Viertelstundenzahl mit suͤßem Glucksen und Piepen angaben, und wenn man an einer Feder zog, so sang eine im Innern befindliche Orgel die Melodie des hoͤchsten Liedes, das Sa¬ lomo je gedichtet. Frau Hinkel wußte sich gar keinen Rath uͤber allen diesen Wundern und schaute sich weiter bei dem Wasch¬ tische um, da sah sie in das Gitter der Rosenschirms mehrere Engelchen geflochten; einige reichten Koͤrbe mit Rosenblaͤttern, Orangenbluͤthen und Mandelkleie herein, andre boten lange weiche Tuͤcher von weißer oder purpurfarbiger indischer Lein¬ wand oder Wolle dar. — „Ach,“ sagte Frau Hinkel, „allen Respekt vor der Frau Koͤnigin Balkis, aber sie muß viele Zeit und wenige Schoͤnheit gehabt haben, wenn sie Alles das gebraucht hat, sich zu waschen; ich werde es nie gebrau¬ chen.“ — „Da hast du wieder Recht,“ sagte Gockel, „es ist auch nur ein Schau- und Familienstuͤck, du wirst schon ein andres Waschtischchen mit allem Noͤthigen finden; ich aber will meinen goldenen salomonischen Alektryo gleich gebrauchen, denn ich sehe, er enthaͤlt nichts außer Stiefelzieher und Stiefelhacken, Schuh-, Kleider- und Zahnbuͤrste, Kamm und Scheere, nicht viel mehr, als ein veritables englisches Rasirzeug, das habe ich mir lange gewuͤnscht,“ und somit fing er gleich an und pinselte sich den Bart mit Seifen¬ schaum ein. Gackeleia gieng auch nach ihrem Waschtischchen, aber es wollte ihr nicht recht gefallen, denn es stand ein goldnes Kaͤtzchen darauf, das ein silbernes Huͤhnchen im Maul hatte. Sie wollte schon wieder anfangen zu weinen, aber Frau Hin¬ kel sagte zu ihr: „komm Gackeleia, damit wir den Vater beim Rasiren nicht stoͤren, er ist es lange nicht mehr ge¬ wohnt, er koͤnnte sich schneiden. — Wir wollen in die Klei¬ derkammer gehen und uns unter das Baͤumchen stellen und sagen: Baͤumchen ruͤttel dich und schuͤttel dich, Schuͤttle schoͤne Kleider uͤber mich!“ Da verließ Gackeleia sehr erfreut die Stube mit ihr, und bald traten sie in schoͤnen Morgenkleidern von schneeweißem Piqué mit leichter Goldstickerei wieder herein. Nun war die Sonne aufgegangen und der Nachtwaͤch¬ ter war auf den Markt gekommen und hatte das Wunder¬ Schloß Gockels, das wie ein Pilz in der Nacht hervorge¬ wachsen, kaum erblickt, als er ein ungemeines Geschrei erhob: „Hoͤrt ihr Herrn und laßt euch sagen, Die Glocke hat vier Uhr geschlagen, Aber das ist noch gar nicht viel Gegen ein Schloß, das vom Himmel fiel; Da steht's vor mir ganz lang und breit, Wir leben in wunderbarer Zeit, Ich schau es an, es koͤmmt mir vor, Wie der alten Kuh das neue Thor. Wacht auf ihr Herrn und werdet munter, Schaut an das Wunder uͤber Wunder, Und wahrt das Feuer und das Licht, Daß dieser Stadt kein Leid geschieht Und lobet Gott den Herren!“ Da wachten die Buͤrger rings am Markte auf, die Baͤcker und die Fleischer rieben sich die Augen und rissen die Maͤuler sperrangelweit auf und streckten die Koͤpfe mit sammt den Nachtmuͤtzen zum Fenster heraus und schauten das Schloß mit großem Spektakel der Verwunderung an. — Gockel, Hinkel und Gackeleia standen am Fenster und guckten hinter dem Vorhang Allem zu. Endlich schrie ein dicker Fleischer: „da ist da, das Schloß kann Keiner wegdisputiren; aber, ob Leute darin sind, die Fleisch essen, das moͤcht ich wis¬ sen.“ „Ja, und Brod und Semmeln und Eierwecken,“ fuhr ein staubiger, untersetzter Baͤckermeister fort. Da gieng aber auf einmal die Schloßthuͤre auf, und es trat ein großer, baͤrtiger Thuͤrsteher heraus mit einem großen Kragen, wie ein Wagenrad, und einem breiten, silberbordirten Bandelier uͤber der Brust und weiten gepufften Hosen und einem Feder¬ hut, wie ein alter Schweizer gekleidet; er trug einen langen Stock, woran ein silberner Knopf war, wie ein Kuͤrbis so groß, und auf diesem ein großer silberner Hahn mit ausge¬ breiteten Fluͤgeln. Die versammelten Leute fuhren alle aus¬ einander, als er mit ernster drohender Miene ganz breit¬ beinig auf sie zuschritt; sie meinten, er sey ein Gespenst. Auch Gockel und Hinkel oben am Fenster waren sehr uͤber ihn verwundert und oͤffneten das Fenster ein wenig, um zu hoͤren, was er sagte. Er sprach aber: „hoͤrt einmal ihr lieben Buͤrger von Gelnhausen, es ist sehr unartig, daß ihr hier bei Anbruch des Tages einen so abscheulichen Laͤrm vor dem Schloße Seiner Hoheit des hochgebornen Raugrafen Go¬ ckel von Hanau, Hennegau und Henneberg, Erbherrn auf Huͤhnerbein und Katzenellenbogen macht, Seine hochgraͤflichen Gnaden werden es sehr ungern vernehmen, so ihr Sie also fruͤhe in der Ruhe stoͤret, und wuͤnsche sich das nicht wie¬ der zu erleben, das laßt euch gesagt seyn.“ — „Mit Gunst“ sagte da der Fleischer und zog seine Muͤtze hoͤflich ab, „wenn erlaubt ist zu fragen, wird dieß Schloß, das uͤber Nacht wie ein Pilz aus der Erde gewachsen ist, von dem ehema¬ ligen hiesigen Huͤhnerminister bewohnt?“ „Allerdings,“ er¬ wiederte der Schweizer, „es ist bewohnt von ihm und seiner Graͤflichen Gemahlin Hinkel und Hochdero Toͤchterlein Ga¬ ckeleia, außerdem von zwei Kammerdienern, zwei Kammer¬ frauen, vier Bedienten, vier Stubenmaͤdchen, zwei Jaͤgern, zwei Laufern, zwei Kammerriesen, zwei Kammerzwergen, zwei Thuͤrstehern, wovon ich einer zu seyn mir schmeicheln kann, zwei Leibkutschern, sechs Stallknechten, zwei Koͤchen, sechs Kuͤchenjungen, zwei Gaͤrtnern, sechs Gaͤrtnerburschen, einem Haushofmeister, einer Haushofmeisterin, einem Ka¬ paunenstopfer, einem Huͤhnerhofmeister, einem Fasanenmei¬ ster und noch allerlei anderem Gesinde, welche alle zusam¬ men hundert Pfund Kalbfleisch, fuͤnfzig Pfund Hammelfleisch, fuͤnfzig Pfund Schweinefleisch, sechszig Wuͤrste und dergleichen essen.“ — „Ach“, schrie da der Metzger und kniete beinahe vor dem Schweizer nieder, „ich recommandire mich beßtens als Hochgraͤflicher Hofmetzger.“ Und der Baͤcker zupfte den Schweizer am Aermel mit den Worten: „Seine Hoch¬ graͤflichen Gnaden nebst Familie werden doch das viele Fleisch nicht so ohne Brod in den nuͤchternen Magen hineinfressen; das koͤnnte ihnen unmoͤglich gesund seyn.“ „Ei behuͤte,“ sagte der Schweizer, „sie brauchen taͤglich dreißig große Weißbrode, hundert fuͤnfzig Semmeln, hundert Eierwecken, hundert Bubenschenkel und zweihundert und sechs und neunzig Zwiebacke zum Kaffee.“ — „O so empfehle ich mich beßtens zum Hochgraͤflichen Hofbaͤcker“, rief der Baͤckermeister. „Wir wollen sehen“, sprach der Schweizer, „wer heute gleich das beßte liefern wird, koͤmmt ans Brett.“ Da stuͤrzten alle die Baͤcker und Fleischer nach ihren Buden und hackten und kneteten und rollten und glasirten die Eierwe¬ cken und rissen die Laͤden auf und stellten Alles hinaus, daß es eine Pracht war; und so gieng es nun auf allen Seiten von Gelnhausen; alle Kraͤmer und alle Krauthaͤndler ka¬ men, sahen, staunten und wurden berichtet und waren voll Freude, daß sie so viel Geld verdienen sollten. Gockel und Hinkel und Gackeleia aber liefen im Schloß herum und sahen Alles an; alle die Dienerschaft setzte sich in Bewegung; man kleidete sich an, man wurde frisirt, man putzte Stiefel und Schuh, man klopfte Kleider aus, traͤnkte die Pferde, fuͤtterte Huͤhner, fruͤhstuͤckte; es war ein Leben und Weben wie in dem groͤßten Schloß. Die Buͤrgerschaft, um ihre Freude zu bezeigen, kam mit fliegenden Fahnen ge¬ zogen, jede Zunft mit dem Bild ihres Schutzpatronen auf der Fahne und schoͤner Musik; sie standen Alle vor dem Schloße, feuerten ihre rostigen Flinten in die Luft und schrieen: „Vivat der Herr Graf Gockel von Hanau! Vi¬ vat die Graͤfin Hinkel und die Comtesse Gackeleia! Vivat hoch! und abermal hoch!“ — Gockel und Hinkel und Ga¬ ckeleia standen auf dem Balkon am Fenster und warfen Geld unter das Volk. Gockel warf den Maͤnnern hundert Stuͤck neue Gockeld'ors, Hinkel den Frauen hundert Stuͤck neue Hinkeld'ors, worunter auch eine große Anzahl Basler Hen¬ nenthaler, und Gackeleia den Kindern hundert Stuͤck neue Gackeleid'ors aus. Sie riefen dabei immer: „theilt unter¬ einander aus, laßt wechseln, Einer gebe dem Andern her¬ aus!“ Weil aber damals der Cours in Gelnhausen sehr hoch stand und das Gold sehr gesucht und man mit Schei¬ demuͤnze und Stuͤbern und mit Waaren, z. B. Nuͤssen, Fei¬ gen, Schellen und Kappen wohl assortirt war, so ward der Wechsel- und Tauschhandel sehr lebhaft auf dem Markt. Je mehr das Gold fiel, desto hoͤher stieg es; der Platz ward mit ausgetheilten, gewechselten, ausgetauschten, voll¬ wichtigen Nasenstuͤbern, Kopfnuͤssen, Ohrfeigen, Maulschellen und gestochenen Kappen uͤberschwemmt und Alles mußte los¬ schlagen, weil Viele ganz unverzeihlich mit diesen Artikeln schleuderten. Man hat auch unter der Hand vertrauliche In¬ formation eingezogen, daß damals das Haus: „Gebruͤder Vatermoͤrder“, welches spaͤter die Frankfurter Messe in Wachs poussirt bezog, den ersten Grund zu seinem Renommee gelegt habe. — Als man sich nun bereits bei den Haaren um das Gold riß, so daß Keiner mit einem blauen Auge davon kam, der nicht Haare gelassen hatte, drehte Gockel den Ring Salomonis und mit ihm den Kellermeister nebst einem Stuͤck Faß Wein aus dem Keller, und es ward eingeschenkt, Je¬ dem der trinken wollte und ein Gefaͤß bei sich hatte. Da liefen sie auseinander nach Haus und holten Eimer und Kuͤ¬ bel und Zuͤber und Schoͤpfkellen und Kessel und Kruͤge und was sie fanden, und tranken, da der Goldregen aufgehoͤrt, Gockels Gesundheit am Weinfaß. Der Koͤnig von Gelnhausen wohnte damals nicht in der Stadt, sondern eine Meile davon, in seinem Lustschloße Ka¬ stellovo, auf deutsch Eier-Burg, denn das ganze Schloß war von ausgeblasenen Eierschalen errichtet, und in die Waͤnde waren bunte Sterne von Ostereiern hineingemauert. Dieses Schloß war des Koͤnigs Lieblingsaufenthalt, denn der ganze Bau war seine Erfindung, und alle diese Eierschalen waren bei seiner eigenen Haushaltung ausgeleert worden. Das Dach der Eierburg aber war in Gestalt einer bruͤtenden Henne wirklich von lauter Huͤhnerfedern zusammengesetzt, und in¬ wendig waren alle Waͤnde eiergelb ausgeschlagen. Gerade der Bau dieses Schloßes war schuld gewesen, daß Gockel einstens aus den Diensten des Koͤnigs gegangen war, weil er sich der entsetzlichen Huͤhner- und Eierverschwendung wi¬ dersetzte und dadurch den Koͤnig erbittert hatte. Taͤglich kam nun der koͤnigliche Kuͤchenmeister mit einem Kuͤchenwa¬ gen nach Gelnhausen gefahren, um die noͤthigen Vorraͤthe fuͤr den Hofstaat einzukaufen. Wie erstaunte er aber heute, als er die ganze Stadt in einem allgemeinen Buͤrgerfest vor einem nie gesehenen Palaste erblickte und den Namen Go¬ ckels an allen Ecken ausrufen hoͤrte. Aber sein Erstaunen ward bald in einen großen Aerger verwandelt; denn wo er zu einem Baͤcker oder Fleischer oder Kraͤmer mit seinem Kuͤ¬ chenwagen hinfuhr, um einzukehren, hieß es uͤberall: Alles ist schon fuͤr Seine Raugraͤflichen Gnaden Gockel von Hanau gekauft. Da nun endlich der koͤnigliche Kuͤchenmeister sich mit Gewalt der noͤthigen Lebensmittel bemaͤchtigen wollte, widersetzten sich die Buͤrger und es entstand ein Getuͤmmel. Gockel, der die Ursache davon erfuhr, ließ sogleich dem Kuͤ¬ chenmeister sagen, er moͤge ohne Sorgen seyn, denn er wolle Seine Majestaͤt den Koͤnig und Seine ganze Familie und Seine ganze Dienerschaft allerunterthaͤnigst heute auf einen Loͤffel Suppe zu sich einladen lassen, und er, der Kuͤchen¬ meister, moͤchte nur mit seinem Kuͤchenwagen vor seine Schloß-Speisekammer heranfahren, um ein kleines Fruͤhstuͤck fuͤr den Koͤnig mitzunehmen. Der Kuͤchenmeister fuhr nun hinuͤber, und Gockel ließ ihm den ganzen Kuͤchenwagen mit Kibitzeneiern anfuͤllen und setzte seine zwei Kammermohren oben drauf, welche den Koͤnig unterrichten sollten, wie man die Kibitzeneier mit Anstand esse; denn der Koͤnig hatte seiner Lebtage noch keine gegessen. Der Kuͤchenmeister fuhr durch den Sand in gestrecktem Ga¬ lopp mit seinem Kuͤchenwagen voll Eiern nach dem Lustschloß, ohne ein Einziges zu zerbrechen, nur daß die zwei Mohren, wo es zu langsam ging, manchmal absteigen und zu Fuß gehen mußten; sie kamen jedoch zugleich in der Eierburg an. Mit hoͤchster Verwunderung hoͤrte Koͤnig Eifrasius die Geschichte von dem Schloß und dem Gockel durch den Kuͤ¬ chenmeister erzaͤhlen, und ließ sich sogleich ein Hundert von den Kibitzeneiern hart sieden. Als nun die zwei schwarzen Kammermohren in ihren goldbordirten Roͤcken mit der silber¬ nen Schuͤssel voll Salz, in welches die Eier festgestellt wa¬ ren, hereintraten, und mit ihrer schwarzen Farbe so schoͤn gegen den weißen Eierpalast abstachen, hatte der Koͤnig Ei¬ frasius große Freude daran. Er ließ seine Gemahlin Eile¬ gia, und seinen Kronprinzen Kronovus zum Fruͤhstuͤck beru¬ fen, und erzaͤhlte ihnen das große Wunder vom Palast Gockels. „Ach“, sagte Kronovus, „da ist wohl die kleine Ga¬ ckeleia, mit welcher ich sonst spielte, auch wieder dabei.“ „Na¬ tuͤrlich“, sprach Eifrasius, „wir wollen gleich nach diesem Fruͤhstuͤck hinein fahren und das ganze Spektackel ansehen. Aber seht nur die kuriosen Eier, die er uns zum Fruͤhstuͤck sendet; gruͤn sind sie mit schwarzen Puncten; man nennt sie Kibitzeneier, sie kommen weit aus Rußland und werden so genannt, weil sie in Kibitken, einer Art von Huͤhnerstall auf vier Raͤdern gefunden, oder gelegt, oder hieher gefah¬ ren werden.“ Da sprach der eine Kammermohr: „ich bitte Eure Maje¬ staͤt um Vergebung, man nennt sie Kibitzeneier, sie werden vom Kibitz, einem Vogel gelegt, der ungefaͤhr so groß wie eine Taube und grau wie eine Schnepfe ist, und wie eine franzoͤsische Schildwache beim Eierlegen immer Ki wi, Ki wi schreit, wenn man dann: „gut Freund“ antwortet, so kann man hingehen und ihm die Eier nehmen, worauf er gleich wieder andere legt.“ Den Koͤnig Eifrasius aͤrgerte es, daß der Mohr ihn in Eierkenntnissen belehren wollte, und sagte zu ihm: „halt er sein Maul, er versteht nichts davon, sey er nicht so nasen¬ weis.“ Daruͤber erschrack der Mohr wirklich so sehr, daß er ganz weiß um den Schnabel wurde. Der andere Mohr sprach nun: „der Raugraf Gockel hat uns befohlen, Eurer Maje¬ staͤt zu zeigen, wie diese Eier jetzt nach der neuesten Mode gespeist zu werden pflegen.“ „Ich bin begierig“, sagte der Koͤ¬ nig, „es zu sehen.“ Da nahm jeder der Kammermohren eins von den Eiern in die flache linke Hand, und nun traten sie mit aufgehobener Rechte einander gegenuͤber und baten den Koͤnig eins, zwei, drei zu kommandiren. Das that Eifrasius, und wie er drei sagte, schlug der eine Mohr dem andern so auf das Ei, daß der gelbe Dotter gar artig auf die schwarze Hand herausfuhr. Dem Koͤnig gefiel dieses uͤber die Mas¬ sen, und sie mußten es ihm bei allen hundert Eiern da Capo machen, wofuͤr er ihnen beim Abschied beiden den Orden des rothen Ostereies dritter Klasse ohne Dotter taxfrei zur Be¬ lohnung um den Hals haͤngte. Nun fuhr der Koͤnig und seine Gemahlin und der Kron¬ prinz mit dem ganzen Hofstaat auf einer Wurst nach Geln¬ hausen zu Gockel, der ihm mit Hinkel und Gackeleia an der Schloßthuͤre entgegen trat. Die Verwunderung uͤber den Reichthum und die jugendliche Schoͤnheit Gockels konnte nur durch die außerordentliche Mahlzeit noch uͤbertroffen werden. Alles war in vollem Jubel. Kronovus und Gackeleia saßen an einem aparten Tischchen und wurden von den zwei Kam¬ merzwergen bedient, und Musik war an allen Ecken. Beim Nachtisch tranken Eifrasius und Gockel Bruderschaft, und Eilegia und Hinkel Schwesterschaft, und Kronovus und Ga¬ ckeleia Spielkameradschaft, sprechend: „du bist mein Koͤnig und du bist meine Koͤnigin.“ Eifrasius zog dann den Gockel an ein Fenster und hieng ihm das Großei des Ordens des goldnen Ostereies mit zwei Dottern und Petersilie um den Hals und borgte hundert Gockeld'ors von ihm, worauf das Ganze mit einem grossen Volksfeste beschlossen wurde. So lebten Gockel und die Seinigen beinah ein Jahr in einer ganz ungemeinen irdischen Gluͤckseligkeit zu Gelnhausen, und der Koͤnig war so gut Freund mit ihm und seiner vor¬ trefflichen Kuͤche und seinem unerschoͤpflichen Geldbeutel, und alle Einwohner des Landes hatten ihn seiner grossen Frei¬ gebigkeit wegen so lieb, daß man eigentlich gar nicht mehr unterscheiden konnte, wer der Koͤnig von Gelnhausen war, Gockel oder Eifrasius. Auch wurde es unter beiden fest be¬ schlossen, daß einstens Gackeleia die Gemahlin des Erbprin¬ zen Kronovus werden und an seiner Seite den Thron von Gelnhausen besteigen sollte. Aber der Mensch denkt und Gott lenkt, und so kamen auch uͤber diese guten Leute noch manche Schicksale, an die sie gar nicht gedacht hatten. Alles hatte die kleine Gackeleia in vollem Ueberfluß, nur keine Puppe; denn Gockel bestand streng auf dem Ver¬ bot, das er uͤber sie bei dem Tode des Alektryo hatte er¬ gehen lassen, sie sollte zur Strafe niemals eine Puppe haben. Wenn sie nun um Weihnachten oder am St. Niklastage alle Maͤgdlein in Gelnhausen mit schoͤnen neuen Puppen herum¬ ziehen sah, war sie gar betruͤbt und weinte oft im Stillen; eine solche Sehnsucht hatte sie nach einer Puppe. Merkte der alte Gockel aber, daß Gackeleia, die er wie seinen Aug¬ apfel liebte, so traurig war, so that er ihr Alles zu lieb, um sie zu troͤsten, zeigte ihr die schoͤnsten Bilderbuͤcher, er¬ zaͤhlte ihr die wunderbarsten Maͤhrchen, ja er gab ihr auch wohl manchmal den koͤstlichen Ring Salomonis in die Haͤn¬ de, der mit seinem funkelnden Smaragd und den wunderba¬ ren Zuͤgen, die darauf eingeschnitten waren, alle Augen er¬ quickte, die ihn anschauten. Einstens gieng nun Gackeleia in ihrem kleinen Gaͤrt¬ chen spazieren, welches am Ende des Schloßgartens, dicht an der Landstraße lag. Da waren die zierlichsten Beete voll schoͤner Blumen, alle mit Buchs, Salbei und Schnittlauch ein¬ gefaßt, und die Wege waren mit glitzerndem Goldsand be¬ streut; in der Mitte war ein Springbruͤnnchen, worin Gold¬ fischchen schwammen, und uͤber demselben ein goldener Kaͤfig voll der buntesten singenden Voͤgel; hinter dem Brunnen aber war eine kleine Laube von Rosen und eine kleine Ra¬ senbank. Ein schoͤnes goldenes Gitter umgab das ganze liebe Gaͤrtchen. „Ach“, dachte Gackeleia, „wie gluͤckselig waͤre ich, wenn ich eine Puppe in meinem schoͤnen Gar¬ ten spazieren fuͤhren koͤnnte, so allein gefaͤllt er mir gar nicht, was hilft es mir auch, wenn ich mir aus meinem Taschentuche durch allerlei Knoten eine Puppe zusammen¬ knuͤpfe, sie ist doch nie eine schoͤne Gliederpuppe, ganz wie ein Mensch, mit einem schoͤnen lakirten Gesicht — und der Vater hat mir selbst solche Puppen verboten.“ Waͤhrend Gackeleia so in schweren Puppensorgen auf ihrer Rasenbank saß, hoͤrte sie auf einmal eine angenehme summende, aber sehr leise Musik ganz nahe hinter ihr vor dem Garten, der an einem Feldweg lag. Da guckte sie durch die Blaͤtter und sah etwas Seltsames. Dicht vor dem Gitter saß ein Mann in einem schwarzen Mantel ohne Kopf an der Erde zusammengehuckt, und unter dem Mantel her¬ vor schnurrte die Musik. Gackeleia beugte sich zur Erde, um zu sehen, wo nur in aller Welt die feine Musik herkomme; wie war sie erstaunt, als sie da unten ein paar allerlieb¬ ste Puppenbeinchen in himmelblauen, mit Silber gestickten Schnuͤrstiefelchen ganz im Takte der Musik herumschnurren sah, sie wußte gar nicht, was sie vor Neugier, die Puppe ganz zu sehen, anfangen sollte. Oft war sie im Begriffe, die Hand durchs Gitter zu stecken und den schwarzen Man¬ tel ein wenig aufzuheben, aber die Furcht, weil sie an die¬ ser Gestalt keinen Kopf sah, hielt sie immer wieder zuruͤck. Endlich brach sie sich eine lange Weidenruthe ab, steckte sie durch das Gitter und luͤftete den Mantel ein wenig, da schnurrte eine wunderschoͤne Puppe in den artigsten Kleidern, wie eine Reisende geputzt, unter dem Mantel hervor, und rannte gerade auf das Gitter des Gartens zu, stieß einige¬ male an die goldenen Gitterstaͤbe und wuͤrde gewiß zu ihr hineingekommen seyn, wenn sich nicht eine hagere Hand aus dem Mantel nach ihr hingestreckt und sie wieder in die Verbor¬ genheit zuruͤckgezogen hatte, wo die kleine Puppe von einer rauhen Stimme sehr ausgeschimpft wurde, daß sie sich un¬ terstanden habe, unter dem Mantel hervorzulaufen. Gackeleia konnte nicht mehr laͤnger zuruͤckhalten, und rief einmal uͤber das anderemal: „bitte, bitte du schwarzer Mantel, zanke doch die liebe schoͤne Puppe nicht so, lasse sie doch ein wenig heraus zu mir in den Garten.“ Da that sich auf einmal der Mantel auf, und ein alter Mann mit einem langen weißen Bart richtete sich vor Gackeleia auf und sprach: „ich bitte recht sehr um Verzeihung, daß ich meine Puppe hier ein wenig unter meinen Mantel tanzen ließ und auf der Maultrommel dazu spielte, ich habe nicht gewußt, daß das Comteßchen zusah. Ich wollte nur ver¬ suchen, ob sie mir auf der Reise nicht melancholisch gewor¬ den sey; denn ich will sie hier in Gelnhausen fuͤr Geld auf dem Rathhause tanzen lassen. Sehen das Comteßchen nur, sie ist ganz artig, jetzt ist sie in ihren Reisekleidern mit einem Mantel und Reisehut und einem Blumenstrauß und einer Landkarte und einem Nachtsack; aber die Schnuͤrstiefelchen sind doch allerliebst, sie haͤlt gewaltig auf einen schoͤnen Fuß, aber Comteßchen, sie hat eine viel schoͤnere Garderobe, sie kann sich verkleiden, in was sie will, bald so, bald so, wenn das Comteßchen erlaubt, werde ich die Ehre haben, Ihnen alle ihre Kleidchen und sieben Saͤchelchen zu zeigen, ich habe mir hier um meinen Regenschirm sechszehn Silbergloͤckchen befestigt und bei jedem Gloͤckchen ein anderes Kleidchen und was dazu gehoͤrt, und wenn sie schmutzig sind, waͤscht mir sie der Regen und im Sonnenschein trocknen sie. Lasse ich im Wetter tanzen, geschieht es unter dem Schirm, da ist sie wie unter einem chinesischen Dach, Alles ist einfach und kurz beisammen, man muß auf Alles denken.“ — Da rief Gackeleia aus: „ach! zeige mir Alles, Alles, explicire mir Alles; o wie artig ist die Puppe! wie wackelt sie mit dem Koͤpf¬ chen, wie schuͤttelt sie die Zoͤpfchen, wie reicht sie die Aerm¬ chen, ach gieb sie mir nur ein klein Bischen zu betrachten.“ Der Alte sagte: „Comtesse, das kann ich nicht, aber die Kleider will ich Ihnen gleich zeigen und Alles expli¬ ciren.“ Da steckte er die Puppe in den Guͤrtel, die anfangs mit dem Kopf daraus hervorwackelte und nachher stille ward; dann spannte der alte Mann einen großen Regenschirm aus, der am Rande mit vielen kleinen Gloͤckchen und bei jedem mit allerlei niedlichen Puppenkleidchen und Kleinigkeiten be¬ haͤngt war. Zuerst drehte er den Schirm schnell herum, daß die Schellen lieblich klingelten und die Puppenkleider bunt im Kreise wehten, dann hielt er ploͤtzlich den Schirm still und fing an, mit einem Staͤbchen deutend jedes Stuͤck zu explicieren, wobei er halb sprach, halb durch die Nase sang, und Gackeleia jedesmal antwortete. Der Alte sang: „Guck', hier bei dem ersten Gloͤckchen Dieses gruͤne, kurze Roͤckchen Zieht sie an als Gaͤrtnerin, Moͤchte in dein Gaͤrtchen hin; Hier dies Gießkaͤnnchen, zu gießen Alle Bluͤmchen, die drin sprießen, Kriegt sie in die kleine Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Sie ist klein, kann ohne Buͤcken Mir die schoͤnsten Straͤußchen pfluͤcken.“ 7 Der Alte: „Guck', hier bei dem zweiten Gloͤckchen Dieses schwarze, seidne Roͤckchen Und das schwarze Schuͤrzchen dran, Zieht sie als Seribentin an; Denn da giebt's leicht Tintenfleckchen. Sieh' das Tintenfaͤßchen klein Und das art'ge Federlein. Hier ist auch das Wochenblatt, Wenn sie es gelesen hat, Putzt sie dran die Feder rein, Alles muß huͤbsch sauber seyn. Ein Wachsstoͤckchen haͤngt auch hier Und ein niedliches Petschier Und ein Sieg'llakstaͤngelchen, Grad wie fuͤr ein Engelchen. Und dies Briefchen mit Adresse, Alles voll Accuratesse, Kriegt sie dann in ihre Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant Wollen wir correspondiren, Invitiren, gratuliren!“ Der Alte: „Guck', hier bei dem dritten Gloͤckchen Haͤngt ein gruͤnes, krauses Roͤckchen Und ein Hut mit gruͤnem Band, Goldne Fransen an dem Rand; Spielhahnfeder, Gemsenbart Stecket drauf, nichts ist gespart; Sieh' den Brustlatz goldgeschnuͤrt, Alles, wie es sich gebuͤhrt, Rothe Struͤmpfe, goldne Zwickel, Ja, es fehlet kein Artikel, Wenn sie als Tyrolermaͤdchen, Schmuck als wie ein Silberdraͤthchen, Zitherspielend zieht durch's Land.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Zimm, zimm, zimm so spielest du, Und ich singe Eins dazu.“ Der Alte: „Guck', hier bei dem vierten Gloͤckchen Haͤngt ein dunkelbraunes Roͤckchen Und ein Haͤubchen in der Ferne, Denn sie traͤgt es gar nicht gerne — Und ein ABC-Buͤchlein, Wenn sie Lehrerin soll seyn, Auch von Christoph Schmidt nicht fehlen Die Histoͤrchen, zum Erzaͤhlen. O, wie kann sie buchstabiren! Fast so gut als deklamiren; Und hier diese feine Ruthe Fuͤr die kleinen Thunichtgute Kriegt sie dann in ihre Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Nur die Ruthe nicht probiren, Ich will recht huͤbsch deklamiren.“ Der Alte: „Hier bei diesem fuͤnften Gloͤckchen Blinkt ein luft'ges Flitterroͤckchen Ganz voll Troddeln, Quaͤstchen, Fransen, Wenn sie soll als Taͤnz'rin tanzen; Sieh' die Goldpantoͤffelchen, Wie zwei Zuckerloͤffelchen, Zieht sie an und mit dem netten Tamburin und Kastagnetten Schnurrt und rasselt ihre Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Schnurre, raßle, klappre nur Und wir tanzen nach der Schnur.“ 7 * Der Alte: „Guck', bei diesem sechsten Gloͤckchen Haͤngt ein schwarz und weißes Roͤckchen; Wenn sie soll ein Noͤnnchen seyn, Huͤllt man ihr die krausen Loͤckchen Hier in dieses Schleierlein, Setzt ihr auf dies Dornenkraͤnzchen, Und giebt ihr dies Rosenkraͤnzchen In die kleine, fromme Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Sag', hast du auch Pfeffernuͤßchen, Bildchen, Bluͤmchen, Leckerbißchen?“ Der Alte: „Guck', hier bei dem sieb'ten Gloͤckchen Haͤngt ein feuerfarbig Roͤckchen Nach der Mode von Vadutz Zugestutzt, ein Zauberputz. Auf dem Guͤrtel schwarz auf weiß, Der zugleich der Zauberkreis, Groß das ganze Alphabeth Abera-Cadabra steht. Hier ist auch der Zauberstab, Wen er anruͤhrt, geht in's Grab; Ist es heut nicht, ist es morgen, Keiner braucht darum zu sorgen. Und hier ist der Zauberspiegel, Wer hineinblickt, sieht das Siegel Seiner Thorheit im Gesicht, So bei Nacht als Tageslicht. Und hier ist das Zaubersieb, Wer es stiehlt, der kennt den Dieb; Doch sieh' hier ein Wunderding, Sieh' von Gold ein runder Ring, Wer ihn traͤgt, ist nicht ganz klug, Hat zu viel und nie genug. Lischt die Zauberlampe hier, Riecht der Docht gar uͤbel schier, Zuͤnde schnell den Wachsstock an, Weil man sonst nichts sehen kann. Dieses hier der Wuͤnschhut ist, Wuͤnsch dich hin, wo du nicht bist. Dies der Sack des Fortunat, Gold ist drin, so viel man hat. Aber hier dies Baͤumchen heißt: Ruͤttel dich und schuͤttel dich, Schuͤttle, ruͤttle Herz und Geist, Leib und Seele uͤber mich. Gieb mir Das und gieb mir Dies, Schoͤnster Baum im Paradies; Wer dies sagt und ruͤhrt den Baum Hat, was ihm gebuͤhrt, im Traum, Schwer und leicht und sticht und tief, Links und rechts und grad und schief. Alles dies mit sauber'm Sinn Braucht sie, wenn als Zauberin Sie die Geister um sich bannt.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Ruͤttel dich und schuͤttel dich Liebes Baͤumchen uͤber mich.“ Der Alte: „Guck', hier bei dem achten Gloͤckchen Haͤngt ein gruͤnes, kurzes Roͤckchen, Jaͤgerhut und Jaͤgertasche Und die fein umflocht'ne Flasche Und die Stiefelchen, die knappen, Um im Wald herum zu tappen; Alles dies wird angezogen, Wenn geschmuͤckt mit Pfeil und Bogen Sie die flinke Jaͤg'rin spielt, Und nach Reh und Haͤschen zielt; Dann auch fuͤhrt an einem Band Sie dies Windspiel an der Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Doch, das sollst du nicht mehr thun, Lass' nur Reh und Haͤschen ruhn.“ Der Alte: „Guck', hier bei dem neunten Gloͤckchen, Ein ganz reputirlich Roͤckchen, Wenn sie ist ein Naͤhemaͤdchen; Hier im Koͤrbchen, Naͤhelaͤdchen, Sind viel Zwirn- und Seidenfaͤdchen, Nadeln, Scheerchen, Fingerhut Und noch viele Dinger gut. Nimmermehr ihr Finger ruht, Denn zuletzt noch zupfet sie Alle Restchen zur Charpie; Und nimmt dann die Kinderkaͤppchen, Flickelfleckt aus hundert Laͤppchen, All die Hemdchen, Roͤckchen, Jaͤckchen Und die Schuͤrzchen mit zwei Saͤckchen, Ausgespitzt aus vielen Fleckchen, All' die art'gen Dingerchen Auf die feinen Fingerchen, Drehet sie mit Freudenblicken Und mit kind'schem Beifallnicken Appetitlich auf der Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Komm', ich hab gar schoͤne Laͤppchen, Komm', wir machen Kinderkaͤppchen.“ Der Alte: „Guck', hier bei dem zehnten Gloͤckchen Haͤngt fuͤr sie ein krauses Roͤckchen Und ein Hut mit Blumenstrauß, Geht als Sennerin sie aus. Sieh' im Korb die Blaͤtter decken Viele reine Butterwecken; Fette Milch und frische Eier Traͤgt sie feil, ist gar nicht theuer, Jeder sie noch billig fand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Sennerin komm' und mess' geschwind Mir ein Schoͤppchen Milch fuͤr's Kind.“ Der Alte: „Guck', bei diesem eilften Gloͤckchen Haͤngt ein grob geflicktes Roͤckchen Und ein graues Futtersaͤckchen, Und hier in dem Wanderbuͤndlein Traͤgt ein schreiend Wickelkindlein, Mit dem Lutscher in dem Muͤndchen, Sie als Pilgerin durch's Land; Hier ihr kluges, mag'res Huͤndchen, Das Septemberle genannt, Ist in aller Welt bekannt.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Armes Kindchen komm' zu mir, Deinen Lutscher fuͤll' ich dir.“ Der Alte: „Guck', bei diesem zwoͤlften Gloͤckchen Glaͤnzt ein Purpur-Sammetroͤckchen, Breit verbraͤmt mit Hermelin, Und am Kroͤnchen goldig, perlich, Und am Scepter blitzend herrlich Lacht Smaragd und gluͤht Rubin. Wenn sie sich als Koͤnigin Setzt auf's goldne Throͤnchen hin, Und die goldgestickte Schleppe Niederhaͤnget auf der Treppe, Kuͤßt man still den goldnen Rand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Doch ich kuͤsse ihre Hand, Denn ich bin vom Grafenstand.“ Der Alte: „Guck', hier bei'm dreizehnten Gloͤckchen Haͤnget bei dem braunen Roͤckchen Schaͤferhut mit breitem Rand, Rosen drauf und gruͤnes Band, Und dazu auch Schaͤfertasche, Schaͤferstab und Kuͤrbisflasche, Und dies Lamm an rothem Band Fuͤhrt die Hirtin durch das Land.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Braucht mein Lamm nicht mehr zu seyn So allein, allein, allein!“ Der Alte: „Guck', hier bei'm vierzehnten Gloͤckchen Haͤnget fuͤr das flinke Doͤckchen Ein garnirtes Kaffeebrett, Wenn sie schoͤn die Wirthin macht; O, das kann sie gar zu nett! Sie nimmt Alles wohl in Acht, Traͤgt nicht hoch das feine Naͤschen, Stoͤßt nicht um die kleinen Glaͤschen, Theilt den Kuchen ein so klug, Daß er reicht mehr, als genug. Flinker als ein Wassernixchen Praͤsentirt sie, macht ein Knixchen: „Bitte, bitte!“ rings herum. Und kein Bischen koͤmmt je um, Alles, was da uͤbrig blieb, Giebt den Armen sie aus Lieb', Oder streut's den Voͤgelein — Kann man allerliebster seyn! — Mit der milden, treuen Hand.“ Gackeleia: „O wie artig! wie scharmant Invitir ich sie zur Noth Gleich auf Thee und Butterbrod.“ Der Alte: „Guck', hier bei'm fuͤnfzehnten Gloͤckchen Haͤngt ihr spiegelnd Panzer-Roͤckchen, Helm und Speer und Schwert und Schild Herrlich in der Sonne blitzt, Wenn sie fuͤr Minerva gilt Und das Eulchen bei ihr sitzt. Ich verstehe nichts davon, Doch ein hoher Kunstpatron, Der mir schuldet, leider, leider! Zahlte mich durch diese Kleider; Er ist Extheaterschneider Von Person und Condition, Giebt auch Kindern Lektion In der Mytholologie Und Demagogokolie. Er sprach: „Industrierende, Krieger und Studierende Rufen dir bei vollem Haus Ihre Goͤttin gern heraus.“ Wie er sprach, so ist's gescheh'n, Jeder will Minervchen sehn. Keiner weiß doch, was im Schild Fuͤhrt das kleine Goͤtterbild; Durch das Gitter aus dem Helm Lauscht sie wie ein schlauer Schelm. Haͤlt sie's mit der Wissenschaft, Gleich um ihres Speeres Schaft Rosen, Myrthen und Gedanken Sich in buntem Wechsel ranken. Tritt sie krieg'risch in die Schranken, Eifersuͤchtig gleich ihr Schwert Jedes Listgeweb zerstoͤrt, Das der Muͤckchen heiter'm Leben Gift'ge Spinnen lauernd weben. Raͤchend, daß Arachne's Hand Sie einst webend uͤberwand. Ich verstehe nichts davon, Sag' nur her die Lektion Von dem hohen Kunstpatron, Der wohl selbst sie nicht verstand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Kann die Spinnen nicht bedauern, Die so auf die Muͤckchen lauern.“ Der Alte: „Guck', hier bei dem letzten Gloͤckchen Haͤngt ein lust'ges, rothes Roͤckchen, Fallhut, Rassel, rothe Schuh' Und ein Puͤppchen auch dazu, An Figur und Art und Sitten, Wie ihr aus dem Aug geschnitten. Wenn sie spielt die Kinderrolle, Huͤpft dies Puͤppchen hinter drein, Und sie neckt es: Molle, Molle! Weil es nicht wie sie so fein. Kind und Puͤppchen wetten dann, Wer von ihnen beiden kann Suͤßer: „bitte, bitte“ sagen, Daß Mama nichts ab kann schlagen. Und dann spielt das Kind Verstecken, Mit dem Puͤppchen sich zu necken, Thut sich mit dem Schurz bedecken, Ruft: „Wu Wu“, es zu erschrecken. Hierauf streut das noch verhuͤllte Kind, den Voͤglein die Brosamen, Womit es die Saͤckchen fuͤllte, Und sie rathen seinen Namen: Klandestinchen? Schirosellchen? Penseroͤschen? Hirondellchen? Kaschettinchen? Allerleja? Und das Kind spricht: „Eja! Eja! Gukuk! gukuk — nit da, nit da!“ Laͤßt sie fressen aus der Hand.“ Gackeleia: „O wie artig, wie scharmant! Aber ich ruf', um zu necken, Girri, girri beim Verstecken.“ Nun drehte der wunderliche Alte seinen Schellenschirm wieder klingend im Kreis und machte ihn dann ploͤtzlich vor den Augen Gackeleia's zu, der das Herz flog vor Begierde nach der Puppe und all den schoͤnen Kleinigkeiten. — „Ach die Puppe, die Puppe, ach die schoͤnen Kleider“, sagte sie einmal uͤber das andremal, „ach duͤrfte ich sie nur ein bischen haben, nur ein klein bischen! bitte, bitte, bitte!“ „Halten Sie ein Comteßchen,“ sagte der Alte: „halten Sie ein, es wird mir so ruͤhrend, mein Herz laͤuft mir aus; ich kann das Lamentiren nicht hoͤren von einem so artigen Frauenzimmerchen; wollen Sie mir eine kleine Freundschaft erweisen, nur ein bischen, ein bischen, so sollen sie die Puppe und die schoͤnen Kleidchen haben fuͤr immer, fuͤr immer! bitte, bitte, bitte!“ „Die Puppe haben?“ sagte Gackeleia mit großem Schmerz und rang die Haͤndchen, „ach edler Mann! Ga¬ ckeleia darf keine Puppe haben, nie, nie! Gackeleia hat Schurrimurri zu Gallina gefuͤhrt, Gallina ward erwuͤrgt, und Gackeleia ward verurtheilt: nie, nie eine Puppe haben zu duͤrfen — ach und ich haͤtte diese so gern! ach nur ein bischen, ein bischen, bitte, bitte!“ Waͤhrend Gackeleia so wehklagte, machte der Alte sei¬ nen Schirm bald halb auf, bald wieder zu, so daß alle die schoͤnen Kleidchen immer vor den Augen des Kindes herum¬ flatterten, und sagte dann: „ein grausames Urtheil, ein har¬ tes Wort, da muͤßte sich ein Stein erbarmen, wider die Natur, wider die Menschheit, wider alle Sinnlichkeit fuͤr re¬ ligioͤse Gefuͤhle! ein Kind, ein so schoͤnes, liebes Comteßchen soll keine Puppe haben? — hat doch jed Huͤndchen sein Knoͤ¬ chelchen, hat doch jed Kaͤtzchen sein Maͤuschen, womit es spielt!“ — „Schweig still, schweig still“, sagte Gackeleia, „sag nichts von den Kaͤtzchen, ach die Kaͤtzchen sind eben daran Schuld, daß ich keine Puppe haben darf! — aber es geht nicht, es geht nicht, ich haͤtte diese doch gar zu gern, ach nur ein Bischen, bitte, bitte!“ — Da fieng Gackeleia an zu weinen, und der gefuͤhlvolle Alte, der unter einem rauhen Aeußern ein zartes kindliches Herz im Busen zu tragen hatte, weinte, oder ich muͤßte mich sehr irren, mit. „Comteßchen“, sagte er, „ich halte das Mitleid nicht laͤn¬ ger aus, mir wird wie der große Dichter in der Poesie sagt: Liebes Kind! was soll mir das? Wein' nicht so, du wirst ganz naß, Ich muß lachend dir gestehen, Gleich werd' ich dich trocken sehn.“ „Comteßchen, wischen Sie sich die Augen, putzen Sie sich die Augen, putzen Sie sich das Naͤschen an die Schuͤrze, aber an der innern Seite, damit man's nicht sieht; Heimlichkeit, Verborgenheit sitzt ganz still und koͤmmt doch weit. Jetzt geben Sie acht: verbietet uns der Herr Doctor das Bier, so trinken wir Gerstensaft, die Aepfel, essen wir suͤße Po¬ meranzen, das Brod, essen wir Kuchen — verstehen Sie Com¬ teßchen, jed Ding will sein Sach haben, man muß dem Beil einen Stiel suchen und dem Kind ein Puͤppchen.“ — „Ach! ich darf aber keine haben“, jammerte Gackeleia, „gewiß, gewiß, ich darf keine Puppe haben“! — „Ganz gut“, sagte der Alte, „bei Leibe nicht! Gehorsam muß seyn, aber koͤnnen das Comteßchen lesen? schauen Sie da oben auf die Inschrift uͤber meinem chinesischen Sonnen¬ schirm, was steht da geschrieben? denn man muß immer sehen, was geschrieben steht. Da fieng Gackeleia an zu buchstabiren: k. e. i. kei, n. e. ne keine u. s. w. — keine Puppe, sondern nur eine schoͤne Kunstfigur — und sie guckte den Mann und dann wieder die Puppe in seinem Guͤrtel mit großen Augen an und sprach: „wie, das waͤre keine Puppe? keine Puppe?“ Nun nahm der Alte die Puppe aus seinem Guͤrtel in seine Hand und sagte: „Mit Verstand sind wir erschaffen, Menschen haben nicht, wie Affen, Alles nur gleich nachzumachen; Zu begruͤnden sind die Sachen. Und so werd' ich auch beweisen, Daß dies nicht kann Puppe heißen, Daß Comteßchen ohne List Sie darf haben, denn es ist Keine Puppe, sondern nur Eine schoͤne Kunstfigur Nach der Schnur und nach der Uhr, Und ein Maͤuschen von Natur. Eine Puppe steht ganz starr, Aber hier der liebe Narr, Hat da an dem Kettchen fein Zu der Uhr ein Schluͤßelein. Ich zieh' auf — horch — knirr, knirr, knirr! Sieh', schon geht sie in's Geschirr! Wackelt mit dem klugen Koͤpfchen, Schuͤttelt ihre Seidenzoͤpfchen, Regt die Aermchen hin und her, Bis die Stund voruͤber waͤr'. Alles, Alles nach der Schnur, Alles, Alles nach der Uhr Thut kein Puͤppchen, sondern nur Eine schoͤne Kunstfigur.“ „Ja“, sagte Gackeleia, „das ist einmal richtig, keine Puppe, sondern nur eine schoͤne Kunstfigur“; und der Alte fuhr fort: „Eine Puppe kann nicht laufen, Man muß staͤts herum sie schleppen, Diese rennt auf Flur und Treppen Jede Puppe uͤber'n Haufen. Eine Puppe kann nicht hoͤren, Diese hier ist leicht zu stoͤren, Niemand hoͤrt sie, doch sie hoͤrt, Wenn ein Blumenblatt sich kehrt, Wenn ein Holzwurm leise pickt, Das Figuͤrchen um sich blickt, Spitzt die Oehrchen und erschrickt; Und wenn gar die Katze maut, Schaudert ihr die zarte Haut, Bang ist ihr, es koͤnnt' die Katze Halten sie fuͤr eine Ratze, Und sie hielt' mit einem Satze Sie in ihrer scharfen Tatze; Und gleich sucht sie eine Ecke, Daß sie sich darin verstecke. Keine Puppe, so thut nur Eine schoͤne Kunstfigur, Die trotz Uhr und die trotz Schnur Ist ein Maͤuschen von Natur; Darum bitt' ich um die Guͤte, Daß man sie vor Katzen huͤte.“ Da sprach Gackeleia: „Ach ich huͤt' mich schon davor, Vater schrieb mir's hinter's Ohr!“ Der Alte fuhr fort: „Eine Puppe kann nicht essen, Die Figur hat's nie vergessen, Ißt zu der bestimmten Stund' Immer sich huͤbsch satt und rund; Braungebackne Semmelrinde Knuppert sie gern ab geschwinde, Koͤnnte auch nach ihrem Magen Speck und Schinken wohl vertragen, Was sie aber niemals that, Denn sie ist zu delikat, Daß des Morgenlands Gesetze Sie durch solche Kost verletze, Drum lass' ich steinharten Kuchen Sie belohnend oft versuchen. Andern goͤnnt sie staͤts das Beste, Und sich selbst laͤßt sie die Reste, Was so uͤbrig ist geblieben, Ganz demuͤthiglich belieben. Zuseh'n laͤßt sie sich nicht gerne, Wenn sie ißt, sonst waͤr's gar leicht, Daß man menschlich essen lerne Und nicht mehr den Thieren gleicht. — Ja ich zweifle, ob Comtessen Jemals zierlicher gegessen.“ Bei diesen Worten des Alten hob Gackeleia ihr Koͤpf¬ chen mit einigem Selbstgefuͤhl in die Hoͤhe, denn sie wußte wohl, daß sie eine Comtesse sey, und daß sie sehr anstaͤndig nach den Tischregeln zu essen gelernt hatte; ja sie bildete sich etwas darauf ein; daher sprach sie zu dem Alten etwas in verweisendem Tone: „Wie Comtessen essen, weiß ich, Denn ich uͤbe mich gar fleißig. Die Erzmundwischmeisterin, Comteß Torschon de Popin, Lehrte mich, wie staͤts bei Tische Jeder anders, laͤndlich, sittlich, Appe- und unappetitlich. Standsgemaͤß das Maul sich wische. Denk', die große Lektion Vom Maulwischrecht kann ich schon; Als ich mit Gefuͤhlsbetonung Sie bei Hof hab' deklamirt, Wischt' die Koͤnigin, geruͤhrt, Mir das Maͤulchen zur Belohnung.“ Dann wendete sich Gackeleia gegen die Puppe und er¬ zaͤhlte ihr, was ihr vom anstaͤndigen Betragen bei Tisch ge¬ lehrt worden war: „Hoͤr' — nicht Puppe, sondern nur Allerschoͤnste Kunstfigur Nach der Uhr und nach der Schnur Und du Maͤuschen von Natur! Hoͤr', was sittlich und dezent Nach dem Tischzuchtreglement, Alles, Alles sag ich dir. Meine Meist'rin sprach zu mir: „Alle Prinzen und Prinzessen, Alle Grafen und Comtessen, Alle Junker, alle Fraͤulchen Wischen sich so Mund als Maͤulchen, Dupse-Daͤumchen, Fingerlein An der Serviette rein. O Comtesse, nie vergesse, Wie ein Kind von deinem Adel Mit Delikatesse esse — Gackeleia ohne Tadel! Schluck' nicht große Brocken ein, Spuck' huͤbsch aus die Pflaumenstein'; Alles esse mit Manier, Ohne Traͤgheit, ohne Gier, Doch mit angeborner Zier; Pruͤfe, ordne jeden Bissen Recht mit zartestem Gewissen, Ja mit feinem Skrupel schier. Schiebe mit der Gabelspitze Zierlich Alles, was nichts nuͤtze, Nicht an Reinheit ebenbuͤrtig, Nicht an Feinheit speisewuͤrdig, Daß du's uͤber's Herzchen bringst Und in's Maͤgelchen verschlingst, Zaͤhe Adern, harte Flechsen, Harte Fasern von Gewaͤchsen, Schiebe solche Dingerchen Leis auf deines Tellers Rand, Heb' das kleine Fingerchen Fein dabei an rechter Hand, O, das steht dir ganz scharmant! Niemals hoͤr' ein Mensch dich schmatzen Wie die Teller-Lecker-Katzen, Die unehrbar unter'm Tisch Hoͤrbar fressen Fleisch und Fisch. Nein, mit staͤts geschloss'nen Lippen Mußt du knuppern, und bei'm Trinken Laͤßt du sanft die Aeuglein sinken, Mußt du wie ein Voͤglein nippen. Wie man leckt und schmeckt und kaut, Werde nie durch einen Laut Irgend Jemand anvertraut, Eben so, wie man verdaut — Alles still, gleich wie es thaut. Gar Nichts lass' zu Grunde geh'n, Was nicht soll zum Munde geh'n, Jedes Kruͤmchen noch so klein, Streue aus den Voͤgelein!“ Gackeleia hatte ihre Lektion hergesagt und erwartete eine Antwort von der Puppe, indem sie fortfuhr: „Wie ich esse sagt' ich dir, Wie du ißt, auch sage mir, O! du Puppe, o du nur Eine schoͤne Kunstfigur Nach der Uhr und nach der Schnur Und ein Maͤuschen von Natur! So plauderte Gackeleia mit der Puppe, welche mit Kopf und Aermchen in der Hand des Alten wackelte. Der Alte aber sagte: „Comtesse Gackeleia, sie wird es Ih¬ nen nicht sagen, Sie sollen sie auch nicht fragen, ich habe es nie gewagt; es giebt Geheimnisse im kunstfiguͤrlichen Her¬ zen, es ist gefaͤhrlich da eindringen zu wollen nach den Wor¬ ten des großen Abulfeda: 8 „In's Inn're der Natur dringt kein erschaffner Geist, Zu gluͤcklich, wem sie nur die aͤußre Schaale weis't. Zum Kern der Kunstfigur, zu wissen wie sie speis't, Dringt jener Frevler nur, den in die Nas' sie beißt.“ „Sehen kann man es nicht, aber hoͤren sollen Sie es gleich!“ — „Hoͤren?“ sagte Gackeleia, „sie schmatzt doch nicht, das waͤre nicht artig!“ — „Geduld,“ sagte der Alte, „geben mir das Comteßchen ihr Koͤrbchen, haben Sie nichts zu naschen?“ — „O ja“, sagte Gackeleia, „da sind Knack¬ mandeln von Jungfer Widder, der Schuljungfer, sie hat sie nach ihrem Braͤutigam geworfen, und Prinz Kronovus hat sie aufgelesen und mir geschenkt.“ — „Herrlich,“ sagte der Alte, „aber eine ist genug,“ und er that die Figur in den Korb und die Knackmandel dazu und den Deckel daruͤber, und nun stellte er den Korb dicht ans Gartengitter und sagte: „Jetzt horchen Sie, wie die Kunstfigur krustilliret.“ — Gackeleia hielt das Ohr an den Korb und hoͤrte die Kunstfigur bald so artig mit den Zaͤhnchen knuppern, daß sie freudig ausrief: „Knupper, Knupper Kneischen, Du knupperst ja im Haͤuschen, O du schoͤne Kunstfigur! Wie ein Maͤuschen von Natur.“ Dann nahm der Alte die Kunstfigur wieder heraus, zog das Uhrwerk auf und sagte. „Jetzt wird ihr zur Ver¬ dauung ein Spaziergang gesund seyn, sonst schlaͤft sie uns ein: Denn nach Tische soll man stehn, Oder tausend Schritte gehn, Sagt der wuͤrdige Galen.“ Die Puppe aber wackelte mit Kopf und Haͤndchen und da er sie an den Boden setzte, lief sie gar geschaͤftig am Gar¬ tengitter hin und her, nickte und winkte und stieß manchmal ans Gitter, weil sie durch wollte in den Garten, aber nicht konnte, denn die Oeffnungen waren nicht groß genug. Gackeleia außer sich vor Freude rief: „ach sie winkt mir, sie winkt mir, sie moͤchte zu mir in den Garten — ach lie¬ ber alter Mann sage mir geschwind, was ich dir zu Gefal¬ len thun soll, daß du mir die Kunstfigur giebst!“ — Da steckte der Mann die Kunstfigur wieder in seinen Guͤrtel und sprach: „O Comteßchen! es ist nur eine Miniatur von einer Kleinigkeit von einer Bagatelle; ach! ich bin ein armer, betruͤbter, verlassener Mann, ich habe nicht Vater nicht Mut¬ ter, nicht Schwester nicht Bruder, nicht Kind nicht Rind, nicht Kuh und nicht Kalb, nicht ganz und nicht halb, mir fehlet Alles, was man nicht begehren darf, seines Naͤchsten Weib, Knecht, Magd, Ochs, Esel und Alles, was sein ist, ach! ich habe selbst keine Puppe, sondern nur diese schoͤne Kunstfigur nach der Uhr und nach der Schnur und ein Maͤus¬ chen von Natur; aber mein Kummer ist so groß, daß auch sie mich nicht troͤsten kann. Doch Sie koͤnnen es, o Exzellenz¬ chen, daß ich lustig werde wie ein Laͤmmerschwaͤnzchen.“ Nach diesen Worten fieng der wunderliche Alte so zu weinen und zu wimmern an, daß Gackeleia mit Thraͤnen in den Au¬ gen zu ihm sprach: „ach weine nur nicht so, du armer Mann! ich will dir ja Alles thun, was dich troͤsten kann, wenn du mir die schoͤne Kunstfigur giebst; sage mir doch um Gottes¬ willen, was dich troͤsten kann.“ — Da erwiederte der Alte: „Dein Vater hat ein Ringelein Mit einem gruͤnen Edelstein, Der hat gar einen schoͤnen Schein, Laß mich nur einmal sehn hinein, So werd ich gleich durch Mark und Bein Froh wie ein Laͤrmmerschwaͤnzchen seyn, Dann soll das Kunstfiguͤrchen fein Zu dir ins Gaͤrtchen gleich hinein; Es bleibt mit allen Kleidern sein O lieb Comteßchen! immer dein, Damit die Gackeleia klein Nicht so allein, allein, allein!“ „Ei!“ sagte Gackeleia, „den Ring kenne ich wohl, er hat auch mich manchmal schon froͤhlich gemacht, wenn ich ihn 8 * ansehen durfte. Gehe nur ein bischen weg, gleich wird mein Vater in einer nahen Laube sein Mittagsschlaͤfchen hal¬ ten, da will ich den Ring schon auf ein Weilchen kriegen. Aber, daß du mir gleich wieder da bist, wenn ich den Ring bringe.“ „Ganz gewiß“, sagte der Alte, „ich will Ihnen die Kleider der Kunstfigur als ein Pfand gleich hier lassen, Sie koͤnnen sie alle huͤbsch glatt streichen und in ihr Koͤrbchen legen, sie sind an dem Schirm ein bischen aus der Fa ç on gekommen.“ Da gab er ihr die Kleider und Kleinigkeiten, die er von dem Schirme abloͤste, und verließ dann mit der Kunstfigur die kleine Gackeleia, die ihm immer nachrief: „aber daß du nur auch ganz gewiß koͤmmst, der Ring soll dich recht an¬ lachen!“ „Ja, ja ganz gewiß“, rief der Alte und verschwand hinter den Hecken. Gackeleia aber setzte sich in ihre Laube, musterte und ordnete alle Kleider der Puppe, und dachte schon, wie die kleine Gaͤrtnerin bei ihr zwischen den Blumen¬ beeten herumlaufen wuͤrde, und konnte sich zum Voraus vor Freude gar nicht fassen. Aber schnell bewahrte sie die Kleider in ihrem Korb, da sie den Vater Gockel auf seinem Stuhle in der Laube schnar¬ chen hoͤrte. Sie schlich hin, setzte sich zu seinen Fuͤßen, hatte seine Hand in der ihrigen und sah in den gruͤnen Stein des Ringes. Als sie nun den Stein beruͤhrte und vor sich sagte: „ach wenn ich den Ring nur leise von seinem Finger herunter haͤtte!“ da that der Ring seine Wirkung. Gockel schlief fest und schnarchte, und der Ring fiel in das Haͤnd¬ chen der Gackeleia, welche geschwind wie der Wind nach ih¬ rem Gaͤrtchen lief, wo der alte Mann vor Begierde nach dem Ring sein mageres Gesicht mit dem Barte schon wie ein alter Ziegenbock uͤber das Gitter heruͤber streckte. Gackeleia hielt ihm den Ring entgegen und sprach: „die Kunstfigur her! die Kunstfigur her! sieh hier ist der Ring; aber ich gebe ihn nicht, bis du mir erklaͤret hast, wie man die Figur aufzieht und wie ich sonst mit ihr umgehen muß, damit sie mir nicht krank wird, und bis ich sie in den Haͤnden habe, dann kannst du geschwind in den Ring gucken, denn ich muß ihn schnell in die Laube zuruͤck bringen, ehe der Vater aufwacht.“ Der Alte, der nach dem Ring noch gieriger hin sah, als das Kind nach der Puppe, nahm diese, steckte ihr das Schluͤßelchen, welches sie anhaͤngen hatte, in das Ohr und sagte: „Comteßchen! links muͤssen Sie leise drehen, bis Sie Widerstand fuͤhlen, sonst koͤnnte die Figur uͤberschnappen. Sie muͤssen sich nicht wundern, daß man die Kunstfigur durch das Ohr aufzieht, man zieht ja auch die Kinder auf durch das Gehoͤr. Man schraubt auch die Jugend auf und ver¬ schraubt sie eben so leicht, daß kein Uhrmacher mehr helfen kann, nur knarrt es ein bischen mehr bei der Kunstfigur. Aber ich hoffe, die Comtesse werden ihr dieses wegen anderer treff¬ licher Eigenschaften zu Gute halten. Wenn ich nun aufge¬ zogen, knirr, knirr, knirr, nickt sie ein Weilchen gar lieblich mit dem Kopf und winkt mit den Haͤndchen, ja laͤuft auch auf ebenem Boden, weil aber Berg und Thal zusammen kommen, so wird ihr das Laufen beschwerlich, und muß da¬ rum die Natur der Kunst zu Huͤlfe kommen, wie umgekehrt bei Menschen die Kunst der Natur oft nachhelfen muß. Was nun die Kunst dieser Figur betrifft, so lassen ihr die Comtesse, so sie harthoͤrig wuͤrde, manchmal ein Troͤpfchen Mandeloͤl ins andere Ohr laufen; dann geht sie wieder wie geschmiert. Was die Natur betrifft, habe ich schon gesagt, was sie gern ißt: braune Semmelrinde, auch hartes Zucker¬ brod und Knackmandeln; ich rathe nicht zu vielen fetten Spei¬ sen, weil sie sich leicht dadurch ihre Garderobe beflecken koͤnnte. Sie trinkt nicht viel, und setzt Comteßchen ihr alle Tage ihr Fingerhuͤtchen voll Wasser in den Korb, ist es zum Trin¬ ken, Mundausspuͤhlen und Waschen genug. In das Koͤrb¬ chen machen Sie ihr Bettchen, Sie brauchen sie nicht schla¬ fen zu legen, sie legt sich von selbst. Morgens den Finger¬ hut und was zu knuppern, Mittags, Abends eben so. Die Kleiderchen halten Sie huͤbsch reinlich, und verbleichen sie, so lassen Sie sie faͤrben. Huͤten Sie sie vor Ungeziefer, besonders vor Spinnen und vor Allem vor Katzen. Ihre Stiefelchen und Tanzschuhe halten Sie besonders in Ord¬ nung, denn sie haͤlt viel darauf und hat Huͤhneraugen; dar¬ um bitte ich, ihr nicht auf die Fuͤße zu treten; sie ist sehr em¬ pfindlich. — Hoͤren Sie, um Sie ganz zu uͤberzeugen, daß sie keine Puppe ist, will ich Ihnen ihr Stimmchen hoͤren lassen.“ Da zwickte der Alte die Figur an der Spitze des Fuͤßchens, und sie ist piepte wie ein Maͤuschen, so daß Gackeleia laut aufschrie: „ach dem Klandestinchen nicht weh, weh thun!“ der Alte aber sagte: „nicht wahr Comteßchen, schreien kann doch Keine Puppe, sondern nur Eine schoͤne Kunstfigur Nach der Uhr und nach der Schnur Und ein Maͤuschen von Natur.“ „Gewiß“, sagte Gackeleia und sprach diese Worte mit. Der Alte aber sagte noch: „Sie muͤssen ihr nicht beim Essen und Trinken zusehen; wenn sie heraus ist, lassen Sie sie ruhig laufen, aber nicht wo es ganz offen ist, sonst laͤuft sie Ihnen davon.“ Dann gab er die Puppe der Gackeleia, und sie gab ihm den Ring, mit dem er sich unter seinem Man¬ tel verbarg, wo er ihn eifrig zu betrachten schien. Gackeleia setzte die Puppe in dem Gaͤrtchen nieder und tanzte voll Entzuͤcken vor ihr her, die ihr uͤberall artig nachschnurrte; Gackeleia patschte freudig in die kleinen Haͤnde, der Alte aber patschte in seine großen Haͤnde. „Ach!“ rief ihm Gackeleia zu, „gelt, du hast dich in dem Ring schon recht lustig geguckt? O gieb ihn geschwind, geschwind zuruͤck, ich hoͤre den Vater schon in der Laube gaͤhnen.“ — „O mir ist schon ganz froͤh¬ lich“, sagte der Alte, „bald werde ich noch lustiger seyn!“ Nun gab er ihr den Ring zuruͤck und wuͤnschte ihr mit ei¬ nem haͤßlichen Gelaͤchter viel Gluͤck zu der schoͤnen Kunstfi¬ gur, worauf er sich in das Gebuͤsch verlor. Gackeleia hatte bereits alle Kleiderchen in ihr Koͤrbchen gelegt, sie legte nun die Kunstfigur oben drauf und deckte den Deckel huͤbsch daruͤber. Das Koͤrbchen am Arm lief sie schnell in die Laube und setzte sich zu den Fuͤßen Gockels, der wieder eingeschlafen war, und leise, leise schob sie ihm den Ring wieder an den Finger. Es war ihr, als haͤtte sie einen Stein von dem Herzen. Gackeleia saß nicht so lange zu den Fuͤßen Gockels, als man braucht, um ein Ei zu sieden, da ertoͤnte in der Ferne ein Oratorium von sechs Posthoͤrnern von der Composition des Cospetto di Bacco, und von der beruͤhmten Agatha Gaddi ward darin eine Fuge Solo gesungen nach den tiefsinnigen Worten des Koͤniglich Gelnhausenischen General-Ober-Hof¬ postamts-Dichters, der, seinen Namen zu verschweigen, aus uͤbertriebener Bescheidenheit allzufruͤh mit Tod abgegangen ist: „Fahr', fahr', fahr' auf der Post, Frag', frag', frag' nit, was's kost, Spann' mir sechs Schimmel ein, Ich will der Postknecht seyn, Fahr', fahr', fahr' auf der Post!“ Gleich erwachte Gockel und sprach: „ei, es ist schon vorgefahren, gut, daß du da bist Gackeleia, geschwind laß uns einsteigen, die Mutter sitzt gewiß schon in der Alamode- Barutsche, wir sind von Eifrasius auf die Eierburg zum Eier¬ tanz eingeladen.“ „Ich habe es gewußt“, sagte Gackeleia, „ich bin schon ganz geputzt und habe Alles bei mir.“ — Da eilten sie vors Schloß, wo bereits Frau Hinkel breit in der Barutsche saß, die mit sechs Schimmeln bespannt war, auf welchen sechs Postillone das Oratorium bliesen. Die Sig¬ nora Agatha Gaddi gieng, die Fuge Solo singend, mit einem Teller unter den versammelten Baͤckern und Metzgern herum und nahm Heller und Pfenninge ein, als sie aber Gockel kom¬ men sah, legte sie ein variirtes Hahnengeschrei in ihre Par¬ tie ein, und Gockel warf ihr eine brilliantene Repetir-Uhr mit Schnupftabackdosen von Lava besetzt, worauf der Adler des Gesangs, den Ganymed des Gefuͤhls zum Himmel hin¬ reißend, in Stein gehauen war, in die Schuͤrze, dabei rief er: „bravissimo! da capissimo! cito citissimo!“ — hob Gackeleia in die Barutsche und sprang mit gleichen Beinen hinter ihr drein; Alles das zugleich, und die Postillone knallten ein Fi¬ nale mit den Peitschen, und sie kamen gerade auf der Eierburg an, als die Signora ihren Danktriller geendet, der bis zum Pfarrthurm hinauf stieg. Wir haben es aus seinem Munde vernommen. — Das heiße ich mir gefahren! — Bei der Eierburg waren viele Menschen auf einer gruͤnen Wiese versammelt, wo getanzt und gespielt wurde um Eier; denn es war Ostern, und das große Ordensfest des Ostereier¬ ordens. Man lief und sprang um die Wette nach aufgestellten Eiern, man warf mit Eiern nach Eiern, man stieß mit Eiern gegen Eier, und wessen Ei eingeknickt wurde, der hatte ver¬ loren. Die Kinder von ganz Gelnhausen suchten Eier, welche der große koͤnigliche geheime Oberhof-Osterhaas in versteckten Winkeln ins hohe Gras gelegt hatte; kurz die Freude war allgemein. Bei Gockels Ankunft war das Volk in einem weiten Kreis unter dem Baume versammelt, auf welchem die koͤniglichen Hofmusikanten und die Gelnhausener Stadt¬ pfeifer einen herrlichen Tanz aufspielten, naͤmlich den Eier¬ tanz, den die koͤnigliche Familie mit der Raugraͤflichen in hoͤchsteigener Person tanzen wollte. Auf einem koͤstlichen Teppich wurden hundert vergoldete Pfaueneier, immer zehn und zehn, in Reihen gelegt. Nun trat die Koͤnigin Eilegia zu Gockel und verband ihm die Augen mit einem seidenen Tuch, und er that ihr dasselbe; eben so verbanden der Koͤnig Eifrasius und Frau Hinkel, und der Prinz Kronovus und Gackeleia sich die Augen und wurden nun von den Hofmar¬ schaͤllen auf den Eierteppich gefuͤhrt, auf welchem sie mit den zierlichsten Schritten, Spruͤngen und Wendungen zwi¬ schen den Eiern herumtanzen mußten, ohne auch nur Eines mit den Fuͤßen zu beruͤhren. Die Zuschauer sahen mit ge¬ spannter Aufmerksamkeit ganz stille zu, und bewunderten die erstaunliche Agilitaͤt der hohen Herrschaften. Aber nicht weit davon in einem Gebuͤsche saßen ein paar alte Maͤnner, die hatten keine Freude an dem Tanz und guckten mit unabgewendeten Augen nach dem Fußsteige, der aus der Stadt herlief, ob ihr Geselle, der dritte, nicht bald komme, und ehe sie sichs versahen, stand er mitten un¬ ter ihnen. „Hast du, hast du?“ schrieen sie dem Neuange¬ kommenen entgegen und machten Finger so spitz wie Krallen gegen seine festgeschlossene Faust, und er erwiederte: „Ja ich habe gluͤcklich den Ring durch Gackeleia's Puppensucht er¬ tappt, ich habe ihr einen ganz aͤhnlichen mit einem falschen gruͤnen Glasstein gegeben, welchen Gockel jetzt am Finger hat. Jetzt koͤnnen wir uns an ihm raͤchen, daß er uns bei dem Hahnenkauf betrogen und uns in die Wolfsgrube hat fallen lassen, wo wir elend verhungert waͤren, wenn uns die Bauern nicht herausgeholfen haͤtten.“ So sprachen die drei alten morgenlaͤndischen Petschier¬ stecher, die Gockel hatten anfuͤhren wollen, und die er angefuͤhrt hatte. Sie hatten sich doch durch ihre List in den Besitz des Ringes gebracht und wollten jetzt gleich seine Wunderkraft versuchen. Sie faßten alle drei an den Ring und sprachen zu gleicher Zeit die Worte: „Salomon du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Mach' den Gockel wieder alt, Zumpig, lumpig, mißgestalt, Mach' Frau Hinkel wieder haͤßlich, Zaͤnkisch, raͤnkisch, griesgram, graͤßlich, Mach' die Gackeleia schmutzig, Ruppig, stuppig, zuppig, trutzig. Nehme ihnen Gut und Geld, Schloß und Roß und Hof und Feld, Jag' sie wieder Knall und Fall In den alten Huͤhnerstall. Aber uns drei Petschaftstechern, Bau' ein Haus mit goldnen Daͤchern, Mache uns zu Hofagenten, Hoffactoren, Consulenten, Rittern und Kommerzienraͤthen, Commissaͤren und Propheten. Gieb uns Gold und Geld und Glanz, Stell' uns hoch in der Finanz, Mach' uns schoͤn wie Davids Sohn, Den scharmanten Absalon, Mach' uns gluͤcklich ganz enorm, Orden gieb und Uniform! Ringlein, Ringlein dreh' dich um, Mach' es schoͤn, wir bitten drum. Waͤhrend sie so am Ring drehten, entstand lautes Mur¬ ren und lachen und Schimpfen unter dem versammelten Volk. „Ei, seht den alten Bettler, die alte schmutzige Bettlerin, das schmutzige freche Kind, nein das ist unverschaͤmt; jagt sie fort, pratsch, pratsch, wie sie die Eier zertreten!“ — und bald ward das Geschrei und Getuͤmmel so allgemein, daß der Koͤnig Eifrasius und die Koͤnigin Eilegia und der Prinz Kro¬ novus ihre Binden von den Augen rissen, und wie erstaunten sie nicht, als sie den Raugrafen Gockel und die Frau Hin¬ kel und Fraͤulein Gackeleia, die vorher so schoͤn und jung, und praͤchtig gekleidet gewesen waren, in eine alte, haͤ߬ liche, zerrissene Bettlerfamilie verwandelt sahen, welche alle Eier auf dem koͤstlichen Teppich zertreten hatten; auf ihr unwilliges Geschrei rissen nun auch diese Ungluͤcklichen die Binden von den Augen, und fiengen an, bitterlich zu wei¬ nen und zu klagen uͤber ihren verwandelten Zustand, beim sie erkannten sich kaum mehr wieder. Gockel griff nach sei¬ nem Ring Salomonis und drehte, aber der falsche verwech¬ selte Ring vermochte nichts; da sah er den Ring an und erkannte, daß er ausgetauscht war, und schrie laut aus: „o weh mir! ich bin verloren, ich bin um den Ring betrogen!“ Er wollte eben dem Koͤnig Eifrasius zu Fuͤßen fallen und ihm sein Ungluͤck klagen, aber dieser stieß ihn zuruͤck, zog sein Schwert und stieß einen Schwur aus, auf welchen seine Adjutanten, ihn in jedem Falle zuruͤckzuhalten, perenni¬ renden Befehl hatten, damit er nicht das Alleraͤußerste thue. Die Koͤnigin Eilegia war so entsetzt, daß sie unter Glucksen und Schluchsen in Nerven-Zu- und Umstaͤnde und in die Arme der Ober- und Unter-Eiermarschallin ohnmaͤchtig sank. Gockel und Hinkel welche diese Erscheinungen theils aus fruͤhe¬ rer Erfahrung, theils aus den Annalen der leidenden Mensch¬ heit kannten, nahmen die Beine auf die Schultern und liefen davon, um so mehr und schneller aber, als die Mit¬ glieder der k. Hofkapelle erstaunliche Leistungen, mit Eiern nach ihnen werfend, gegen sie zu Stande brachten, worin sie von der hochloͤblichen Gelnhausener buͤrgerlichen Scharfschuͤ¬ tzen-Compagnie patriotisch unterstuͤtzt wurden, nachdem der wachsame Stadthuͤrmer zu Huͤlfe geblasen hatte. Das hoffnungsvolle Prinzchen Kronovus allein statuirte abermals ein Exempel seines standhaften Charakters. Als Gackeleia die Eltern alt, haͤßlich und verlumpt fliehen und sich selbst schmutzig und zerrißen sah, schrie sie weinend: „ach Kronovus, ach wie bin ich so schmutzig und wa wa gewor¬ den! wer hat mich so schmutzig gemacht?“ da reichte mit schoͤ¬ ner Fassung ihr Kronovus sein Schnupftuch mit den Wor¬ ten: „da Gackeleia wische dich schoͤn ab und putze dir die Nase tuͤchtig, so — so, das ist brav, da hast du auch dein Koͤrb¬ chen, ich hab dirs beim Tanzen aufgehoben.“ — dann warf er ihr noch einen Thaler in die Schuͤrze — „da hast du mein Taschengeld. Samstag Abends hinten am Entenpfuhl, wo die Vergißmeinnicht stehen, sollst du immer ein Ei finden, worauf Vivat Gackeleia steht, und worin mein Taschengeld steckt, das hole dir!“ — dann zog er eine Bretzel hervor und sagte: „ziehe!“– — da zogen sie, und jedes riß ein davon; — und einen Bubenschenkel und sprach; „reiße!“ und jedes riß die Haͤlfte davon; dann sprach er: „jedes von uns bewahre seinen Theil, und wenn wir uns wieder sehen und jeder bringt sei¬ nen Theil wieder, und die Stuͤcke passen noch huͤbsch zusam¬ men, dann sind wir recht brave, treue Spielkameraden gewe¬ sen, und ich schwoͤre dir, wie du mir, bei dem Grab des alten Urgockels, von dem du mir erzaͤhlet hast, daß wir dann immer beisammen bleiben wollen!“ — da hoben sie beide die Haͤnde auf und schworen. — Gackeleia weinte in dem feierlichen Mo¬ mente und wollte Kronovus umarmen, da rief Gockel: „Ga¬ ckeleia tummle dich geschwind, der Bettelvogt koͤmmt!“ — worauf Kronovus diesem zurief: „halte er sich zuruͤck, Meister Schelm, ich werde das Comteßchen selbst fortfuͤhren“; in demselben Augenblicke kam aber ein Adjutant des Eifrasius, forderte dem Prinzchen seinen Degen ab und fuͤhrte ihn fort in das koͤnigliche Oberhof-Ofenloch. Kronovus aber sagte vorher noch dem Bettelvogt: „daß er sich nicht untersteht, meine liebe Spielkameraͤdin, das Comteßchen anzuruͤhren!„ reichte ihr die Hand und sprach: „leide geduldig, aber jetzt lau¬ fe, was du kannst!“ da lief Gackeleia, was giebst du, was hast du? ihren Eltern mit ihrem Koͤrbchen nach, und der Bettelvogt begleitete die ungluͤckliche Familie, mehr um sie mit seinem aufgespannten Regenschirm gegen den Regen von Eiern zu schuͤtzen, welchen die unartigen Gassenbuben auf sie schleuderten, als daß er sie fortgetrieben haͤtte. Auf dem Eiercirkus war große Verwirrung eingetreten; der Koͤnig Eifrasius war allzusehr außer sich, die Koͤnigin Eilegia allzusehr inner sich gekommen. Eifrasius hatte sein Schwert gezogen, er wollte dem Gockel ans Leben, er stram¬ pelte mit allen vier Fuͤßen, da er aber den allerhoͤchsten Fa¬ milienschwur ausstieß: „in Kraft sechzig destillirter Eierschnaͤp¬ se, ich fresse den Kerl auf einem Butterbrod!“ so faßten ihn der Kommandant der Leibgarde unter den Armen und der Obrist des Garde-Zwergen-Korps hielt ihm ein Bein fest, bis die erste Courage beruhiget und die Außersichkeit wieder nach Haus gekommen war. Die Koͤnigin Eilegia forderte noch groͤßere Anstrengung, um sie aus ihrer Innerlichkeit wieder ans Tageslicht zu bringen; sie war in sich selbst, wie in einen tiefen Ziehbrunnen, vor Schrecken hinabgestuͤrzt. Die Nerven, an welchen bekanntlich der goldene Eimer haͤngt, in dem die Seele des Menschen sitzt, waren bei Eilegia von so großer Zartheit und Feinheit, daß sie vor Schrecken zer¬ rissen und die hehre Seele mit sammt dem goldenen Eimer tief, tief, tief in ihr schoͤnes Gemuͤth hinunter plumps'te. Eilegia war unter einem lauten Schrei: „ horreur ! welche Bettelbagage!“ der Oberhof-Eiermarschallin ohnmaͤchtig in die Arme gesunken. Nur den vereinten Anstrengungen der Akademie der Rettungswissenschaften fuͤr Verungluͤckte, welche sogleich eine außerordentliche Sitzung hielt, gelang es, die theure Innige wieder zuruͤckzurufen; die geheime Kammer- Schnuͤrdame schnuͤrte sie auf, um ihrem hehren Gemuͤthe mehr Luft zu geben; der so ganz fuͤrs Vaterland gluͤhende Oberhof-Osterhaas legte sinnig in kuͤrzester Baͤlde ein frisches Osterei mit der Inschrift: „Vivat Eilegia!“, mit welchem die Ohnmaͤchtige angestrichen ward; und der fuͤr das Beßte der leidenden Menschheit immer auf dem Sprung stehende Leibchi¬ rurg und Aderlaßschnepper rief die Seele der edeln, sinni¬ gen, innigen Eilegia durch eine, mit eben so viel Geschmack, als Wirkung, mit eben so viel Grazie als Praͤzision geleiste¬ te Blutentlassung wieder aus der innern Tiefe ihres herrli¬ chen Gemuͤthes auf ihr edles Antlitz zuruͤck — ach! — und ihr erstes schoͤnes Thun war, ihre geliebten Gelnhausener an¬ zulaͤcheln. Die Hofkapelle spielte eine patriotische Dankgal¬ lopade, unter welcher Eifrasius und Eilegia in zwei Port¬ chaisen sitzend in die Eierburg zuruͤckwalzten, um sich ganz zu erholen; Prinz Kronovus aber mußte die Nacht im Ober¬ hof-Ofenloch bei Bisquit-Torte und suͤßem Wein einen stren¬ gen Arrest aushalten. Alles Volk zog nach Gelnhausen laͤrmend zuruͤck, um Gockels Palast zu pluͤndern und dem Boden gleich zu ma¬ chen, aber sie kehrten unterwegs so oft in den Wirthshaͤu¬ sern ein, daß sie erst in tiefer Nacht auf dem Markte an¬ kamen, wo ihnen der Nachtwaͤchter entgegen sang: „Hoͤrt ihr Herrn und laßt euch sagen, Die Glocke hat zwoͤlf Uhr geschlagen, Aber das ist noch gar nicht viel Gegen ein Schloß, das in Staub zerfiel; Hier hat's gestanden lang und breit, Wir leben in wunderbarer Zeit; Der Markt ist leer als wie zuvor, Die Kuh steht wieder vor dem alten Thor, Schaut an ihr Herren dieses Wunder Gieng schnell, wie es entstanden, unter; Bewahrt das Feuer und das Licht, Daß nicht der Stadt selbst Ungluͤck g'schiecht, Und lobet Gott den Herrn.“ Wirklich war auch das herrliche Schloß Gockels und alle seine Gaͤrten und Alles, was darin war, mit Mann und Maus verschwunden; auf dem Markte plaͤtscherte der alte Stadtbrunnen, als wenn er gar nichts wuͤßte. Die guten Buͤrger giengen nach Hause, nachdem sie lange in die leere Luft geschaut hatten, und uͤberlegten, wo sie mit allen ihren Semmeln und Braten hin sollten, da der große Hof¬ staat Gockels nicht mehr bei ihnen einkaufen wuͤrde. — Die guten Gelnhausener konnten aber doch nicht viel schlafen, denn der Buͤrgermeister hatte von der Eierburg bis auf das Rath¬ haus eine lange Reihe von Nachtwaͤchtern aufgestellt, welche sich einander zubliesen, wie Eifrasius und Eilegia sich be¬ faͤnden, was der Leibarzt alle Viertelstunden auf der Schlo߬ wache melden ließ, und was die Nachtswaͤchter sich in der ganzen Stadt wieder zufluͤsterten, wozu die unzaͤhligen Metz¬ gerhunde bellten und heulten und alle Haͤhne kraͤhten. Es war eine beispiellos angestrengte, theilnahmvolle, schlaflose, patriotische Nacht fuͤr Gelnhausen. Kaum hatten die Buͤr¬ ger die Schlafkappen aufgesetzt, als ploͤtzlich alle Nachtwaͤch¬ ter an den Fensterladen pochten und ausriefen: „Patriotisches Gelnhausen jubilire, Deine Fenster gleich all' illuminire, Hochloͤbliche staͤdtische Metzgerschaft Beurkunde jetzt deiner Treue Kraft; Liefre Schweinsblasen viel und billig, Zeig' edles Gelnhausen dich willig, Lass' donnern den hehren Feierknall, Erfuͤlle die Nacht mit Freudenschall; Eifrasius und Eilegia theuer Geruhen harmonisch ungeheuer Zu ruhen, zu schlafen und zu schnarchen, Wer kann's ihnen unterthaͤnigst verargen? Es war ja, was ich schier heiser sag, Wohl gestern fuͤrwahr ein heißer Tag. Prinz Kronovus im Oberhof-Ofenloch Ist ganz wohl auf und singt munter noch: „Gackeleia, liebste Gackeleia mein, „Wann werden wir wieder beisammen seyn.“ Postfkriptum. „Jetzt allgemeine Illumination, Nebst großer Blasendetonation; Morgen fruͤh vor dem Hanauerthor Große Parade vom Nachtwaͤchterchor, Dann nach Eierburg Deputation Vom weißgekleideten Bataillon Der Maͤdchen, Blumen zu streuen, Sie koͤnnen heute Nacht noch heuen Im Mondschein auf staͤdtischer Weide; Das keinen Schaden doch leide Die Au buͤrgermeisterlicher Schafe Wird geboten bei fuͤnf Gulden Strafe.“ Auf diese Bekanntmachung hatten schon mehrere Buͤr¬ ger ihre Nachtlichter aus Fenster gestellt, da kam ein an¬ derer Befehl: „Der Patriotismus soll sich noch fassen Und alles Obige unterlassen; Nach einem aͤrztlichen Consulte Sind zu vermeiden alle Tumulte. Ein Genesungsfest in leisester Stille Ist Eifrasii allerweisester Wille. Die guten Buͤrger waren so muͤd und schlaͤfrig, daß sie ihren Patriotismus diesmal beruhigen ließen, und ganz Gelnhausen in das tiefe Schnarchen der Eierburger ein¬ stimmte. — Auf dem Markt am folgenden Tag stieg der Eierpreis um 3 und 7/87 Procent. Der arme Gockel, die arme Frau Hinkel, die arme Ga¬ ckeleia zogen wieder wie ehedem durch den wilden Wald nach dem alten Schloß; aber sie waren viel trauriger und rede¬ ten kein Wort, ja Frau Hinkel hatte gar die Schuͤrze uͤber den Kopf gehaͤngt, weil sie sich schaͤmte, so haͤßlich gewor¬ den zu seyn. Als sie auf einer Hoͤhe angekommen waren, wo man Gelnhausen noch einmal sehen konnte, drehte sich Gockel um, und sprach: „unseliger Ort, wo ich um den koͤstlichen Ring Salomonis betrogen ward; abscheulicher, un¬ dankbarer Eifrasius, wie schaͤndlich hast du mich in meinem Ungluͤck verstoßen, und hast nicht daran gedacht, mir die hundert Stuͤck neue Gockeld'ors wieder zu geben, die du in gluͤcklicher Zeit von mir geborgt.“ Frau Hinkel aber rief aus: „o Koͤnigin Eilegia! wie manches indianische Vogel¬ nest sammt den Eiern habe ich dir zum Geschenk gemacht, wie viele Eierspeisen habe ich dich bereiten gelehrt, wie viel hundert Ostereier habe ich dir mit schoͤnen Blumen und Blaͤt¬ tern bunt gesotten, die schoͤnsten Muster zu Hauben und Gar¬ nituren a l'oͤff de Puffpuff habe ich dir mitgetheilt, und nun, da wir den Ring verloren und arm geworden, laͤssest du Un¬ dankbare mich zerlumpt und hungernd uͤber die Graͤnze fuͤh¬ ren!“ — Nun erhob auch Gackeleia ihre Stimme und sprach: „Ach du herzliebes Prinzchen Kronovus, du bist doch der Beste von Allen, du hast mir deinen Thaler ge¬ schenkt und dein Taschentuch gereicht, daß ich mich abwi¬ schen konnte; du willst mir dein Taschengeld alle Sonnabend am Entenpfuhl bei den Vergißmeinnicht in ein Ei verstecken; ach, du bist doch mein guter Kronovus geblieben und hast die arme, schmutzige Gackeleia nicht von dir weggestoßen. Ach, es thut mir recht leid, daß ich in der Angst vergessen, dir meine herrliche Puppe zum Andenken zu schenken.“ Kaum hatte Gackeleia das Wort Puppe ausgesprochen, als Gockel zornig nach ihr blickte und sprach: „du unseliges Kind! du hast eine Puppe? welche Puppe? woher hast du die Puppe? weißt du nicht mehr das Urtheil bei dem hoch¬ nothpeinlichen Halsgericht wegen der Ermordung Gallina's, daß du von nun an und nimmermehr keine Puppe haben darfst! — ach, ich ahnde die Ursache meines Verderbens!“ Und da er hierauf die kleine Gackeleia ergreifen wollte, lief sie vor dem erzuͤrnten Vater nach dem aͤußersten Rande ei¬ nes Felsens hin, der uͤber einen schroffen Abhang hinaus¬ ragte. Frau Hinkel schrie: „um Gotteswillen, das Kind faͤllt sich zu Tode!“ und hielt Gockel beim Arme zuruͤck. Gackeleia aber kniete auf dem aͤußersten Rande des Felsens, breitete ihre Aermchen gegen den Vater aus und sprach: „Vater Gockel ach verzeih', Mutter Hinkel steh' mir bei, Oder Gackeleia klein Springt und bricht sich Hals und Bein!“ Da bat die Frau Hinkel den Gockel sehr, er solle dem Kind verzeihen, und Gockel sagte: sie solle nur Alles er¬ zaͤhlen, was sie angestellt, er werde sie nicht umbringen. 9 „Erzaͤhle Gackeleia“, sagte die Mutter, „wo hast du eine Puppe herbekommen?“ Da war Gackeleia in großer Angst, denn der Vater riß waͤhrend der Erzaͤhlung an einer Birke, die bei dem Felsen stand, dann und wann ein Zweiglein ab, und es sah so ziemlich aus, als wenn er, wo nicht einen Besen, doch wenigstens eine Ruthe binden wolle; aber was half Alles, das Kind mußte sprechen und sprach: „An mein Gaͤrtchen kam heut Morgen Ein alt Maͤnnchen ganz voll Sorgen, Ließ vor mir im Tanz sich drehn Ach! ein Puͤppchen, wunderschoͤn.“ „Da haben wir es“, rief Gockel und riß ein starkes Birkenreis ab, „da haben wir die saubere Bescheerung, eine Puppe, o es ist himmelschreiend!“ Gackeleia aber sagte ge¬ schwind : „Keine Puppe, es ist nur Eine schoͤne Kunstfigur, Eine kleine Gaͤrtnerin, Lehrerin und Taͤnzerin, Wirthin, Hirtin und so weiter, Jede hat besondre Kleider.“ „Abscheulich, abscheulich!“ sagte Gockel, aber Gackeleia fuhr fort: „Allerliebst, kaum auszusprechen, Mir wollt' schier das Herz zerbrechen Nach dem schoͤnen Wunderding; Als es an zu laufen fieng, Als die Raͤder in ihm knarrten, Wollt' es zu mir in den Garten, Lief am Gitter hin und her, Als ob es lebendig waͤr'. Und ich glaubt' des Alten Schwur, Daß es eine Kunstfigur, Daß es keine Puppe sey, Dacht' nichts Arges mir dabei.“ „Schoͤne Ausreden“, sagte Gockel unwillig und riß wie¬ der ein Birkenreis ab; Gackeleia gefiel das gar nicht, und sie sagte: „Vater, bitte, bitte schon, Laß das Birkenreis doch stehn, Ach ich sorg' vor Angst verwirrt, Daß es eine Ruthe wird.“ Da sprach Gockel ernsthaft: „Gackeleia glaub' du nur, Daß es eine Kunstfigur, Daß es keine Ruthe sey, Denk' nichts Arges dir dabei.“ Da sagte Gackeleia: „Kunstfigur von Birkenreis? Ach du machst mir gar zu heiß!“ Und Gockel sagte: „Kunstfigur fuͤr Kunstfigur, Ruthe fuͤr die Puppe nur.“ Da ward Gackeleia wieder sehr betruͤbt und schrie wie¬ der ganz erbaͤrmlich: „Vater Gockel ach verzeih', Mutter Hinkel steh' mir bei, Oder Gackeleia klein, Springt und bricht sich Hals und Bein!“ Frau Hinkel bat sehr, und Gockel sagte: „ich werde sie nicht umbringen, sie soll nur erzaͤhlen, was der Alte weiter gesagt hat, und was sie ihm fuͤr die Kunstfigur gege¬ ben hat.“ Da fuhr Gackeleia fort: „Ach der Alte weinte sehr, Haͤtt' nicht Vater, Mutter mehr, Bruder nicht, noch Schwesterlein, Keinen Sohn, kein Toͤchterlein, Keinen Vetter, keine Base, Nichts als eine lange Nase, Einen Bart ganz weiß und lang, War betruͤbt und angst und bang.“ 9 * „Der alte Schelm“, rief da Frau Hinkel aus und riß nun auch ein starkes Birkenreis ab, „der alte Schelm ist schuld, daß ich auch wieder eine so haͤßliche lange Nase habe.“ Und Gockel sagte: „Schau, Frau Hinkel, jetzt merkst du auch, was wir ihm zu danken haben, du die Nase und ich den Bart. O ungluͤckselige Kunstfigur, was sind wir fuͤr ab¬ scheuliche Figuren durch dich geworden. Aber erzaͤhle weiter Gackeleia, was wollte er fuͤr die Puppe“? Da erwiederte Gackeleia mit großer Angst: „Fuͤr die schoͤne Kunstfigur Wollt' in deinen Ring er nur Einmal ein klein bischen blicken, Seinen Kummer zu erquicken.“ „O du abgefeimter Gaudieb“, rief Gockel aus, „o du un¬ seliges, leichtsinniges, spielsuͤchtiges Kind! — und da zogst du mir den Ring im Schlafe ab, und gabst dem Schelmen den Ring, sprich, sprich, hast du das gethan? sprich gleich, oder ich werfe dich auf der Stelle vom Felsen hinab.“ Da rief Gackeleia wieder in großer Angst: „Vater Gockel ach verzeih', Mutter Hinkel steh' mir bei; Ja als Vater Gockel schlief, Mit dem Ring ich zu ihm lief, Doch er sah nicht lang hinein, Gab zuruͤck den Edelstein, Den ich schnell zuruͤckgebracht, Eh' der Vater aufgewacht. Ach ich will's nicht wieder thun, Einmal ist das Ungluͤck nun Durch mich boͤses Kind geschehn. Werdet ihr die Puppe sehn — Nein nicht Puppe, es ist nur Eine schoͤne Kunstfigur, Ganz natuͤrlich nach dem Leben — Ach ihr muͤßt mir dann vergeben.“ Und nun nahm sie die Puppe aus ihrem Koͤrbchen, das sie am Arm haͤngen hatte, zog das Uhrwerk auf, und die kleine Reisende schnurrte so artig zwischen dem Thymian auf dem Felsen herum, daß Gackeleia ihr, in die Haͤnde patschend, nachlief. Da erwischte der alte Gockel das Kind beim Arm und sagte: „Nun habe ich dich, habe ich dir nicht tausend¬ mal verboten, meinen Ring ohne meine Erlaubniß anzuruͤh¬ ren? Du hast ihn aber dem alten Betruͤger gegeben, und der hat ihn mit einem andern vertauscht, der keinen Heller werth ist, und so hast du deine Eltern und dich in Schande und Armuth gebracht durch deine Begierde nach einer elenden Puppe“. Da schrie Gackeleia ganz erbaͤrmlich: „Keine Puppe, es ist nur Eine schoͤne Kunstfigur. Vater, Vater laß mich los! Ach sie laͤuft durch Stein und Moos Von dem Fels in vollem Lauf, Mutter Hinkel halt' sie auf! Daß sie nicht den Hals zerbricht; Denn sie kennt die Wege nicht.“ Die kleine Puppe lief auch ganz wie toll den Felsen hin¬ unter, und Frau Hinkel wollte sie aufhalten, aber glitt auf dem glatten Rasen aus und rutschte ein ziemlich Stuͤck Weg hinab. Daruͤber wurde der alte Gockel noch viel ungeduldiger und sagte: „nun sieh, das Ungluͤck, deine Mutter bricht noch schier ein Bein uͤber der abscheulichen Puppe. Recht muß seyn, du hast unverzeihlich gefehlt; jetzt waͤhle Gackeleia: ent¬ weder kriegst du hier recht tuͤchtig die Ruthe, oder du laͤßt die Puppe laufen“, und da Gackeleia wieder schrie: „Keine Puppe, es ist nur Eine schoͤne Kunstfigur, Nach der Uhr und nach der Schnur, Und ein Maͤuschen von Natur.“ — legte Gockel sie uͤber das Knie und gab ihr tuͤchtig die Ru¬ the mit den Worten: „Keine Ruthe, es ist nur Eine Birken-Kunstfigur, Und du kriegst sie nach der Schnur, O du Nichtsnutz von Natur!“ Und Gackeleia schrie: „Mutter halt', o Jemine! Halt' sie auf, sie thut sich weh.“ Und Gockel schlug immer zu und schrie: „Fitze, fitze, Domine Thut die ganze Woche weh!“ Er haͤtte auch noch laͤnger zugeschlagen, aber Frau Hin¬ kel schrie so erbaͤrmlich, sie koͤnne nicht wieder herauf, daß Gockel das Kind los ließ und hinabgieng, ihr zu helfen. Kaum aber war Gackeleia los, so ruͤttelte und schuͤttelte sie sich uͤber die fatale Kunstfigur, die sie empfunden hatte, und lief ihrer fluͤchtig gewordenen schoͤnen Kunstfigur nach, die sie eben unten im Thale uͤber den Steg eines Baches laufen sah; die Puppe lief, als ob sie vier Beine haͤtte, uͤber den Steg und links um und in den Wald hinein und Gackeleia immer hinter ihr drein. Gockel hatte indessen Frau Hinkel durch einen Umweg wieder auf die Hoͤhe hinauf gebracht, und sie klagten sich un¬ terwegs einander, wie der Schelm, der sie durch Gackeleia's Spielsucht um den koͤstlichen Ring Salomonis gebracht, ge¬ wiß einer von den alten Petschierstechern sey, die ihn einst um den Hahn Alektryo hatten betruͤgen wollen. Als sie un¬ ter solchen Reden auf den Fels zuruͤckkamen und die Gacke¬ leia nicht mehr sahen, riefen sie nach allen Seiten nach dem Kinde, aber nirgends hoͤrten und sahen sie etwas von ihr. Da ward ihr Kummer um allen ihren Verlust in eine große Sorge um ihr Kind verwandelt, sie liefen hin und her und schrieen durch den Wald: „Gackeleia, Gackeleia!“ und wenn das Echo wieder rief: Eia, Eia! glaubten sie, das Kind antworte, und so verirrten sie sich immer tiefer in der Wildniß, bis sie endlich beide, ach aber ohne Gackeleia, sich bei ihrem Stammschlosse wieder fanden. Die Voͤgel wachten alle auf und flogen wie alte Bekannte um sie her und gruͤ߬ ten sie, aber Gockel und Hinkel riefen immer in alle Buͤ¬ sche hinein: „Gackeleia, komm doch nur, S'ist ja eine Kunstfigur, Komm' es soll dir nichts geschehn, Wenn wir dich nur wieder sehn.“ Aber keine Antwort von keiner Seite. Da saßen die zwei armen Eltern auf der Schwelle des alten Huͤhnerstalles nieder und weinten die ganze Nacht bitterlich, und alle Voͤ¬ gelein weinten mit. Am Morgen aber schnitt sich Gockel einen tuͤchtigen Knotenstock und gab auch der Frau Hinkel einen und sagte: „Liebe Frau! wir sind arme Leute gewor¬ den; aber es gebuͤhrt einem Raugrafen Gockel von Hanau und einer Raugraͤfin Hinkel von Hennegau nicht, im Un¬ gluͤcke zu verzweifeln; laß uns auf Gott vertrauen und un¬ ser Fraͤulein Tochter Gackeleia durch die weite Welt suchen, und sollten wir unterwegs Hungers sterben. Geh' du links, und ich geh' rechts. Alle Monate kommen wir hier wieder zusam¬ men und sagen uns einander, was wir entdeckt haben, dabei koͤnnen wir zugleich dem Dieb unsers Ringes nachfor¬ schen.“ Frau Hinkel war das zufrieden, sie umarmten sich beide unter bitteren Thraͤnen und wanderten dann auf getrenn¬ ten Wegen, Herr Gockel rechts, Frau Hinkel links. Und wenn sie in die Doͤrfer oder Staͤdte kamen, sangen sie vor allen Thuͤren: „Habt ihr nicht ein Kind gesehn? Ein klein Maͤgdlein wunderschoͤn, Blaue Augen, rothe Backen, Zaͤhnchen weiß zum Nuͤsseknacken, Einen rothen Kirschenmund, Frisch und froh und dick und rund, Glaͤnzend wie ein Mandelkern, Huͤpft und spielt und singt so gern. Es hat einen blonden Zopf, Einen Strohhut auf dem Kopf, Traͤgt auch eine alte Juppe Und laͤuft hinter einer Puppe Her und schreit, es ja sey nur Eine schoͤne Kunstfigur. Barfuß laͤuft es ohne Schuh, Fragt man es, wie heißest du? Sagt es gleich ganz freundlich: „Eja Ich bin Gockels Gackeleia.“ Ach das Kind hab' ich verloren Und hab' einen Eid geschworen, Nicht zu ruhn, bis ich das Kind Gackeleia wieder find'!“ Aber immer sagten die Leute: „Wir haben so kein Kind gesehn, Ihr armer Mensch muͤßt weiter gehn; Da habet ihr ein Stuͤcklein Brod, Gott helfe euch in eurer Noth!" Da nahmen sie dann das Brod, die armen Eltern, und as¬ sen es mit Thraͤnen und setzten ihren Stab traurig weiter. So waren sie schon dreimal wieder in dem alten Schloße ohne Gackeleia zusammen gekommen, hatten mit großem Jam¬ mer im alten Huͤhnerstall geschlafen, und sich ihre vergeblichen Nachforschungen einander mitgetheilt. „Ach Gott“, sagte Frau Hinkel, „das arme Kind ist gewiß umgekommen, haͤttest du es doch nicht so hart wegen der Puppe behandelt.“ Da er¬ wiederte Gockel: „Und haͤttest du besser auf sie Acht gegeben, so haͤtten wir den Ring und das Kind nicht verloren; nichts ist leichter zu sagen, als — haͤttest du. Lasse uns lieber auf dem Grabe des Alektryo in der Kapelle recht herzlich beten, daß wir das Kind morgen zum viertenmale nicht ver¬ gebens suchen moͤgen.“ Hierauf giengen sie nach der Kapelle und beteten recht eifrig, legten sich dann auf ihr Moosla¬ ger und schliefen einen gar suͤßen Schlaf und traͤumten von Gackeleia. Gegen Morgen hoͤrte Gockel noch halb im Schlafe et¬ was um sich her rasseln, es war noch sehr dunkel in dem Stalle; aber er sah etwas an der Erde hinlaufen und ver¬ schwinden, er stieß Frau Hinkel und sagte: „Mir war ge¬ rade, als wenn die fatale Puppe der Gackeleia voruͤber ge¬ laufen waͤre.“ Da sprach eine Stimme: „Keine Puppe, es ist nur, Eine schoͤne Kunstfigur.“ Gockel meinte, Frau Hinkel habe das gesagt, und ver¬ wies ihr, daß auch sie so eigensinnig wie Gackeleia spreche. Frau Hinkel hatte schlaftrunken die Worte gehoͤrt und be¬ hauptete, er habe es selbst gesagt. Sie wollten eben zu zanken anfangen, als sie leise an der Thuͤre pochen hoͤrten. Sie fuhren ordentlich vor Schrecken zusammen, wer das wohl seyn koͤnne, der in dem wuͤsten zerstoͤrten Schlosse so leise anpoche. Da es aber zum drittenmale pochte, fragte Gockel laut: „Wer ist draus?“ und es antwortete eine maͤnn¬ liche Stimme: „Ich bitte allerunterthaͤnigst um Verzeihung, Herr Graf, daß ich so fruͤh stoͤre, aber die Eseltreiber las¬ sen mir keine Ruhe; sie sagen, daß ich ihnen drei Zentner Kaͤse aus der graͤflichen Kaͤsefabrik auf ihre Thiere packen soll, nun wollte ich doch den Befehl des Heren Grafen selbst abholen.“ Gockel wußte auf diese Rede gar nicht, wo ihm der Kopf stand; „drei Zentner Kaͤse“, sagte er, „aus der graͤflichen Kaͤsefabrik, hast du gehoͤrt Hinkel?“ „Ja“, sagte Frau Hinkel, „was kann das seyn? ich weiß nicht, ob ich traͤume oder wa¬ che.“ Da der Mann aber immer von neuem pochte und um die Erlaubniß bat, die Kaͤse abzuliefern, schrie Gockel hef¬ tig: „bist du, der da pochet, toll oder ein Spoͤtter, der einen armen Greis zum Narren haben will? so nehme dich in Acht, oder ich komme mit dem Knotenstock uͤber dich. Wo habe ich denn Kaͤse oder eine Kaͤsefabrik? Gehe von dan¬ nen und goͤnne den Armen ihr einziges Gut: die Ruhe und den Schlaf.“ Da antwortete die Stimme wieder: „Gnaͤ¬ digster Graf, vergebet mir, daß ich euch erweckte, ich sehe wohl, daß ihr den Leuten die Kaͤse nicht abliefern lassen wol¬ let, ich werde sie abweisen!“ Nun hoͤrte Gockel draußen auf dem Hofe sprechen und hin und wieder gehen, und seine Verwunderung, was das zu bedeuten habe, wuchs immer mehr. „Ach“, sagte er zu seiner Frau, „ich fuͤrchte fast, es ist irgend eine Nachstel¬ lung von unsern Feinden aus Gelnhausen, die uns ermorden wollen.“ „Das waͤre entsetzlich“, erwiederte Frau Hinkel und druͤckte sich in der Angst dicht an ihn. Da pochte es wie¬ der an der Thuͤre, und Gockel rief zwar erschrocken, aber doch ziemlich laut: „Wer da?“ Da antwortete eine andere Stim¬ me: „Eurer Hochgraͤflichen Gnaden unterthaͤnigster Kuͤchen¬ meister fragt an, ob er einen Zentner Schinken aus der graͤflichen Rauchkammer abliefern darf, welche auf den drei Eseln, die vom Koͤnig Sissi angekommen sind, abgeholt wer¬ den sollen?“ Gockel, dem bei diesen Reden zu Muthe ward, wie ei¬ nem Hahn ohne Kopf, rief aus: „Warte, ich will dir Schin¬ ken geben, du nichtswuͤrdiger Spoͤtter!“ indem er aufsprang und nach seinem Stocke suchte. Als er aber ganz klar und deutlich drei Esel vor der Thuͤre schreien hoͤrte, rief er und Frau Hinkel zugleich: „Herr Jemine, die Esel sind wirklich da.“ Es war noch dunkel in dem Stalle, der kein Fenster hatte, und dessen verschlossene Thuͤre nur durch einen Spalt einen Schimmer des Tages hereinfallen ließ. Gockel tappte an der Wand nach seinem Knotenstock herum, und ploͤtzlich wurde er von ein paar zarten Armen herzlich umschlossen, so daß er laut aufschrie: „um Gotteswillen, wer ist das?“ Aber die Unbekannte hoͤrte nicht auf, ihn mit den zaͤrtlich¬ sten Kuͤssen zu bedecken, und als Frau Hinkel auch dazu kam, gieng es derselben nicht besser; und da sie sich in diese Liebkosungen gar nicht finden konnten, sagte endlich das un¬ bekannte Wesen mit einer wohlbekannten Stimme zu ihnen: „Ach! kennt ihr denn euer Toͤchterlein Gackeleia gar nicht mehr?“ — „Du, Gackeleia?“ riefen Beide aus, „nein das ist nicht moͤglich, du bist ja eine erwachsene Jungfrau.“ — „Ach, groß oder klein“, antwortete es, „ich bin doch eure Gackeleia“, und da riß sie die Thuͤre auf, und es fiel zu gleicher Zeit so viel Fremdes und Wunderbares in die Au¬ gen des alten Gockels und der Frau Hinkel, daß sie sich ein¬ ander in die Arme sanken und weinen mußten. Erstens sahen sie wirklich die ganze Gackeleia vor sich, aber nicht mehr als ein kleines Maͤdchen, sondern als eine bluͤhende, wunderschoͤne, allerliebst geputzte Jungfrau; und zweitens sahen sie sich selbst beide nicht mehr alt und in Lumpen, sondern als zwei schoͤne wohlbekleidete Leute in den besten Jahren; und drittens sahen sie durch die Thuͤre nicht mehr in einen verfallenen, mit Schutt und wildem Unkraut bewachsenen Burghof hinaus, sondern in einen schoͤn gepflasterten, reinlichen Hof von schoͤnen Schloßgebaͤu¬ den, Staͤllen, Gaͤrten und Terrassen umgeben; in der Mitte des Hofes aber, an einem plaͤtschernden Springbrun¬ nen, sahen sie drei verdrießliche alte Esel mit langen Oh¬ ren angebunden, welche die Koͤpfe zusammendruͤckten, als ob sie sich schaͤmten. Auch sahen sie allerlei Bediente in schoͤnen Livreen geschaͤftig auf und niedergehen, die immer, so oft sie am Huͤhnerstall voruͤber kamen, tiefe Verbeugungen mach¬ ten und schoͤnen guten Morgen wuͤnschten. „Ach, was ist das, es ist nicht moͤglich, woher alle diese Wunder?“ rief Gockel aus; da reichte Gackeleia ihm ihre schoͤne Hand und sah ihm freundlich laͤchelnd in die Au¬ gen, und Gockel schrie mit lautem Jubel aus: „ach der Ring, der koͤstliche Ring Salomonis ist wieder da, den du durch die Puppe verloren!“ Da sagte aber Gackeleia gleich wieder: „Keine Puppe, es ist nur Eine schoͤne Kunstfigur“, und Gockel sagte: „meinetwegen, ich will dir die Ruthe nicht mehr geben, du bist auch zu groß dazu, und Alles ist ja wieder gut.“ „Aber wie hast du nur Alles angefangen?“ sagte Frau Hinkel, welche immer um die schoͤne, praͤchtige Jung¬ frau herumgegangen war, sie zu betrachten und zu kuͤßen und zu druͤcken, „um Gotteswillen, Herz-Wunder-Gackeleia, erzaͤhle!“ „Ja, erzaͤhle“, rief Gockel und druͤckte sie herzlich an seine Brust. Gackeleia aber erwiederte: „lobet mich nicht zu sehr, geliebter Vater, denn all unser neues Gluͤck haben wir allein Euch selbst zu verdanken.“ „Mir?“ fragte Go¬ ckel, „das muͤßte seltsam zugehen; ach ich habe ja nichts thun koͤnnen, als vor den Haͤusern nach dir suchend herum¬ betteln.“ Da sagte Gackeleia: „schon gut, Ihr sollt Alles hoͤren; folgt mir nur an einen andern Ort, wir wollen das wieder hergestellte Stammschloß unsrer lieben Vorfahren ein¬ mal ein wenig durchmustern, wir werden gewiß ein Plaͤtz¬ chen finden, wo es uns besser gefaͤllt, als in dem alten Huͤhnerstall, in dem wir ohnedieß dem Federvieh Platz ma¬ chen wollen, das gleich wieder hinein muß.“ Da drehte Ga¬ ckeleia den Ring und sprach: „Salomon, du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Fuͤlle gleich den Huͤhnerstall, Lass' die bunten Huͤhner all' Gackeln, scharren, glucken, bruͤten, Und vom hohen Hahn behuͤten; Alle soll er uͤbersehen, Stolz mit Spornen einhergehen, Kamm und Sichelschweif hoch tragen, Streitbar mit den Fluͤgeln schlagen; Kraͤhen wie ein Hoftrompeter, Daß bei seinem Anblick Jeder Ganz mit Wahrheit sagen kann: „Das ist recht ein Rittersmann.“ Bringe uns auch schoͤne Pfauen, Die bei ihren grauen Frauen Gold'ne Augenraͤder schlagen, Abends nach der Sonne klagen. Gieb uns dann auch waͤlsche Hahnen, Zornig schwarze Indianen, Solch' hoffaͤrtige Gesellen, Denen roth die Haͤlse schwellen, Die sich kollernd neidisch blaͤhen, Wenn sie rothe Farben sehen, Aufgespreitzt mit Hofmanieren Um die Hennen her turniren. Schenk' uns Enten bunt und praͤchtig, Weiße Gaͤnse, die bedaͤchtig Nach dem Wolkenhimmel sehn Und auf einem Beine stehn, Oder auf der Wiese gackeln, Bis sie in das Wasser wackeln. Lasse auch schneeweiße Schwaͤne, Rein, wie blanke Silberkaͤhne, Ernst und klar mit edlem Schweigen Schwimmen in den Spiegelteichen. Auf dem Dache lass' sich drehen Tauben, schimmernd anzusehen, Um den Hals mit gold'nen Strahlen, Schoͤner, als man sie kann malen. Alles sey recht auserlesen, Wie's im Paradies gewesen. Ringlein, Ringlein dreh' dich um, Mach's recht schoͤn, ich bitt' dich drum.“ Kaum hatte Gackeleia dieses gesagt, als aus dem Huͤh¬ nerstalle, den sie verlassen hatten, ihnen eine Schaar der buntesten Huͤhner, Pfauen, Puter, Enten, Gaͤnse und Schwaͤne nachstroͤmte, und auf dem Dache Alles von Tau¬ ben wimmelte. Gockel und Hinkel hatten die groͤßte Freude an dem herrlichen Federgeviehzel und folgten, nachdem sie Alles einzeln bewundert hatten, der Gackeleia in das Schloß. Freudig und neugierig betrachteten sie eine Reihe von Ge¬ maͤchern und Saͤlen, welche alle mit dem praͤchtigsten alten Hausrath versehen waren, und traten endlich oben auf einer Terrasse heraus, von welcher sie herab in den Huͤhnerhof, links auf das Schloß und vor sich hin Gaͤrten und Wald in die Ferne bis nach Gelnhausen und Hanau sahen. „Hier ist es gar schoͤn“, sagte Gackeleia, „seht wie die schoͤnen Tauben neben uns schweben, und der Pfau sieht auf der Spitze des Thurmes der Sonne entgegen; hier will ich Euch Alles erzaͤhlen, wie ich den Ring wieder erhalten habe, aber wir wollen auch etwas fruͤhstuͤcken.“ Kaum hatte sie dieses gesagt, als ein alter Diener einen großen Praͤsentirtel¬ ler mit Fruͤchten und kaltem Fleischwerk und feinem Gebacke¬ nem und Wein und Milch uͤber die Treppe heraufbrachte, und als er Alles vor sie niedergesetzt hatte, nochmals fragte: „sol¬ len die drei Esel mit dem Kaͤse und den Schinken bepackt werden!“ „Ja“, sagte Gackeleia, „und daß nur Alles recht gut und ausgesucht sey; ich werde hernach das Weitere selbst befehlen.“ Gockel und Hinkel waren sehr begierig nach ih¬ rer Erzaͤhlung und baten sie zu beginnen. Da erzaͤhlte sie Folgendes: „Lieber Vater, als meine Puppe — nein, meine schoͤne Kunstfigur — so weit vor mir vorausgelaufen und eure Ru¬ the — nein, eure haͤßliche Kunstfigur — so dicht hinter mir her war, zappelte ich mit Haͤnden und Fuͤßen, von euerm Knie herunter auf die Beine zu kommen, um meinem lie¬ ben Klandestinchen nachzueilen, welche bergab lief, wie sie noch nie gelaufen war; da ließest du mich los und eiltest den Felsen hinab der Mutter zu Huͤlfe, ich aber raffte mein Koͤrbchen auf und rannte uͤber Hals und Kopf der Kunstfi¬ gur nach, die einen guten Vorsprung hatte. Da wir aber in den dichten Wald kamen, hinderten sie oͤfter Gras und Ge¬ straͤuch im Lauf, und ich war ihr endlich so nah, daß ich die Hand ausstreckte, sie zu ergreifen, aber in demselben Augenblick entschluͤpfte sie zwischen zwei Felsstuͤcken in eine kleine Hoͤhle. — Ich war in der groͤßten Betruͤbniß, ich konnte ihr nicht nach; ich kniete vor der Oeffnung nieder und rief zu ihr hinein: „Klandestinchen, Klandestinchen! wie handelst du so undankbar gegen mich, ich habe dich so lieb, so lieb, daß ich lieber die schimpflichste Strafe uͤber mich ergehen ließ, als dich zu verlassen, und jetzt versteckst du dich vor mir, als wenn ich deine aͤrgste Feindin waͤre.“ „Als ich diese Worte gesprochen hatte, fiel mir auch erst ein, wie sehr weit ich von Euch, liebe Aeltern, fortge¬ laufen war; ich sah die Sonne bereits sinken und war außer allem Weg und Steg. Weinend schrie ich in den Wald hinein: „Vater Gockel, Mutter Hinkel!“ aber Alles war vergebens, nur das Echo antwortete mir. Dann fiel mir ein, daß jetzt die Stunde sey, wo der alte Mann gesagt, daß die Puppe etwas muͤsse zu knuppern haben; ich holte etwas Zuckerbrod aus meinem Koͤrbchen und legte es auf ein reines Blatt vor die kleine Hoͤhle und fuͤllte meinen Fin¬ gerhut in einem nahen Quell und stellte ihn aufrecht in den feuchten Sand gedruͤckt darneben, dann rief ich in das Hoͤhl¬ chen hinein: „Klandestinchen, wenn's gefaͤllig ist, es ist ser¬ virt.“ — Ich dachte, der Alte hat von ihrem guten Appetit gesprochen, sie hat Bewegung genug gehabt, es sollte ihr wohl schmecken, wenn sie merkt, daß aufgetragen ist. Ich selbst hatte Hunger, und nahm ein Stuͤck hartes Brod aus meinem Bettel¬ sack, tauchte es ins Wasser und aß in einiger Entfernung, weil ich gehoͤrt hatte, daß sie sich nicht gern beim Essen zusehen lasse. — Ach ich war so muͤd, so muͤd, Haͤnde und Fuͤße zuck¬ ten mir, ich lag im Gras, der Schlaf krabbelte mir den Ruͤcken herauf und machte mir die Augendeckelchen zu, denn das Sandmaͤnnchen kam und wollte mir Sand hinein streuen, und das waͤre nicht gut gewesen, aber ich raffte mich noch einmahl auf und wusch mich ein bischen am Bach, weil ich so viel Staub und Schmutz im Gesicht und an Haͤnden und Fuͤßen hatte, denn ich habe nie vergessen, was die Mutter mich gelehrt, man soll nie ungewaschen und ungebetet zu Tische gehen, aufstehen und schlafen gehen. — Ich setzte mich also ins weiche Moos, und war so muͤd, so muͤd und wußte nicht, sollte ich mich rechts, sollte ich mich links legen, und sagte alle meine Kindergebetchen durch einander her: „Guten Abend, gute Nacht, Von Sternen bedacht, Vom Mond angelacht, Von Engeln bewacht, Von Blumen umbaut, Von Rosen beschaut, Von Lilien bethaut, Den Veilchen vertraut; Schlupf' unter die Deck' Dich reck' und dich streck', Schlaf fromm und schlaf' still, Wenns Herrgottchen will, Fruͤh Morgen ohn' Sorgen Das Schwaͤlbchen dich weck'!“ Unter diesen Gebetchen kehrte ich mich nach einer Seite, zuckte noch einige Male und schlief ein. Da traͤumte mir, ich sehe Clandestinchen die schoͤne Kunstfigur aus der Hoͤhle kommen, sie verzehrte das Zucker¬ brod, sie trank aus dem Fingerhut, und kam nachher zu meinem Bettchen und sagte: „Herzkind, Gackeleia, schlaf nur suͤß fort, denn nur im Schlaf kannst du mich verstehen; sag, suͤß Lieb! darf ich wohl ein bischen zu dir kommen? o nimm dein Puͤppchen in den Arm an dein lieb Herzchen, meine Fuͤßchen sind ganz wund vom vielen Laufen, auch ist mir gar nicht wohl, ich muß mich verkaͤltet haben, ach Kind nimm die Puppe zu dir“ — da sagte ich ganz er¬ schrocken : Darf nicht, darf nicht, denn ich schwur, Keine Puppe, sondern nur Eine schoͤne Kunstfigur, Nach der Uhr und nach der Schnur Und ein Maͤuschen von Natur. „Ach Gackeleia“, sprach sie, „das bin ich alles, und noch mehr, ich weiß kaum mehr, was ich bin, ich will dir ja Alles erzaͤhlen, nimm mich doch, ich bin ja gewiß keine Puppe.“ — Hierauf schlupfte sie zu mir und ich hielt sie schlummernd im Arm an meinem Herzen, wobei ich sagte: Zu Bett, zu Bett, Die ein Puͤppchen haͤtt', Die keines haͤtt', Muß auch zu Bett! Und da ich mein Schuͤrzchen uns Beiden gegen den Nachtthau uͤbers Gesicht deckte, ward mir ganz weich ums Herz und ich wiegte das Klandestinchen ein bischen, daß es schlafen sollte, und sprach: Eia popeia popolen! Unser Herr Gottchen mag uns nur holen, Kommt er mit dem goldenen Laͤdchen, Legt uns hinunter ins Graͤbchen, Ueber mich Kraͤuterlein, Ueber dich Bluͤmelein, Bis wir beisammen im Himmelreich sein. Da sagte die Figur: „Das ist alles gar schoͤn, und man mag die Puppe und die Kunstfigur nach der Uhr und nach der Schnur in einem goldenen Laͤdchen immer ins Grab legen, nur das Maͤuschen von Natur, muß ich bitten, damit zu verschonen, denn es muß fuͤr Gatte und Familie, fuͤr Volk und Vaterland noch lange leben; drum Gackeleia bitte ich dich um Gotteswillen, mache mir das fatale Drathguͤrtel¬ 10 chen los, womit mich der boͤse Alte unter die verschraubte Kunstfigur festgeschnuͤrt hat, ich habe solches Leibschneiden, ich hab' mich uͤberlaufen, ich hab' mich uͤbergessen, es ist mir zum Sterben, geschwind, geschwind hilf dem Maͤuschen von Natur, denn ich bin keine Puppe, keine Kunstfigur, ich bin die ungluͤckliche Maͤuse-Prinzessin Sissi von Mandelbiß, der dein Vater einmal das Leben gerettet hat.“ Da sah ich gleich nach und fand wirklich das schoͤnste weiße Maͤuschen von Natur mit einem Drath zwischen kleine Raͤder befestigt, die an den Fuͤßchen der Puppe angebracht waren, ich machte die arme Prinzessin los, die mir freudig dankte und sagte: „schlaf fort Herz-Gackeleia, gleich komm ich wieder, ich muß mich nothwendig ein bischen bewegen und durch das thauichte Gras laufen, um mich zu waschen und zu erfrischen, gleich komme ich wieder zu dir“ — und husch war sie fort.“ So weit hatte Gackeleia erzaͤhlt, da sah Gockel nach den beiden Maͤusen, die sich in ein Stuͤck Kuchen eingefres¬ sen hatten und ruhig darin schliefen, und sprach: „Es ist doch eine kuriose Theater-Prinzessin, die Sissi von Mandel¬ biß; wo die uͤberall herum koͤmmt, die kann auch mehr als Brod essen! Aber erzaͤhle weiter, wie ist sie nur mit der Kunstfigur zusammengekommen?“ Da fuhr Gackeleia fort: „Als Sissi wieder kam, schlupfte sie mir dicht ans Ohr, versteckte sich warm in meine Haarlo¬ cken und erzaͤhlte mir alles ganz ausfuͤhrlich, und ich war so neugierig, daß ich sie nie unterbrach. Sie sagte: „dein Vater Gockel hat mich und meinen Gemahl Prinz Pfiffi von Spe¬ ckelfleck vor der Katze Schurrimurri gerettet und uns wieder nach Haus befoͤrdert; der Mord der Gallina durch dieselbe Katze und die Hinrichtung der Katze und der edle Tod Alek¬ tryos ward uns durch Musterreiter unsers Volkes erzaͤhlet, wir wollten Gallina und Alektryo ein Mausoleum auf dem Mauskirchhof setzen lassen, und da ich mit Prinz Speckelfleck wegen unserer Rettung eine Wahlfahrt nach dem Mausthurm bei Bingen gelobt hatte, gedachten wir damit eine Kunstreise zu verbinden und uns mit den schoͤnsten Mausoleen in Kirchen und auf Kirchhoͤfen bekannt zu machen. Prinz Spe¬ ckelfleck meinte, wir muͤßten incognito wie gemeine Maͤuse nur in geringen Haͤusern einkehren; — ich folgte, aber nie thue ichs wieder, denn was man da erwischen kann, ist nichts werth, und am Ende wird man noch selbst erwischt. — So waren wir in Friedberg neben drei alten schmutzigen Maͤn¬ nern mit langen Baͤrten im Stroh eingekehrt. Pfiffi schlupfte zur Thuͤre hinaus, mir etwas zu essen zu suchen, und ich war so unbesonnen dem Geruch von gebranntem Speck in meiner Naͤhe nach zu gehen, ach schon nagte ich ein bischen — klapp that es einen Schlag, die Falle schloß sich zu, und ich war gefangen. Meine Verzweiflung kannst du dir denken. — Der Schlag der Falle hatte die drei Alten auf dem Stroh erweckt; sie liefen mit der Falle ans Fenster, der Tag brach schon an. „Da haben wir, was wir brauchen“, sagte der eine, „eine schoͤne, große weiße Maus hat sich gefangen; die befestige ich mit einem Drathguͤrtel unter die Kunstfigur, die wir in Nuͤrnberg gekauft haben; das Raͤderwerk ist zu schwach, die Puppe kann nicht lang laufen, da kann die Maus als Vorspann dienen, damit sie von der Stelle koͤmmt. Geschwind zuͤnde ein Licht an, sagte er zu dem Andern, ich will mich gleich an die Arbeit machen.“ Da schlug der An¬ dere Licht, und der Alte hatte mich bald mit einem Drath an die kleine Puppe befestigt, die er aus seinem Schnapp¬ sack holte; dann zog er das Uhrwerk in der Puppe auf und setzte sie an den Boden, und ich lief von dem Saum des seidenen Puppenkleides bedeckt an der Erde in großer Angst umher; da ich aber aus Begierde zu entfliehen, in allen Ecken anstieß, ergriff er mich mit der Puppe und sagte mit einem widerlichen Zorn zu mir: „ich muß andre Saiten mit dir aufspannen, hoͤre Madame weiße Maus, wenn du mir so toll herum rennst, lasse ich dich hungern, daß du schwarz 10 * wirst, oder gebe dich der Katze, die soll dich besser tanzen lehren.“ — Vor dieser Drohung hatte ich einen solchen Re¬ spekt, daß ich mir vornahm, Alles zu thun, was der Alte nur wollte. Er sprach aber noch allerlei wunderliche Worte Abracadabra uͤber ein Stuͤckchen harten Kuchen, das er mich zu essen zwang, es muß das ein Zauberwerk gewesen seyn; denn nun mußte ich Alles thun, was er nur wollte, bald lau¬ fen, bald huͤpfen, bald so, bald so, wie er verlangte, und auf alle Namen, die er mir gab, hoͤrte ich, wie ein gut abgerichtetes Huͤndchen. — „Nun“, sagte er zu den Andern, „reisen wir nach Gelnhausen, ich zeige die Puppe der kleinen Gackeleia und schwaͤtze ihr leicht den Ring Gockels dafuͤr ab; ich habe schon einen aͤhnlichen nachmachen lassen, und haben wir den Ring, so haben wir fuͤr nichts mehr zu sorgen.“ — Nach diesen Worten steckte er mich mit der Puppe in seinen Guͤrtel, und sie zogen nach Gelnhausen. O ich war froh, zu dir, Gackeleia, zu kommen, ich machte die artigsten Spruͤnge vor dir, ich dachte, wenn du schlafen wuͤrdest, dir Alles zu sagen, und durch die Großmuth deines Vaters nochmals ge¬ rettet zu werden; — das Uebrige weißt du, liebste Herz¬ gackeleia! — Jetzt aber werde ich dich bald aufwecken, wir sind nicht weit von der Residenz meines Herrn Vaters, Al¬ les ist gewiß noch in großer Trauer um meinen Verlust, du sollst die Freude sehen, wenn ich wieder komme. Ich muß dir nur noch sagen, daß unsre Stadt nicht ist wie eure Staͤdte, Alles ist laͤndlich, sittlich; du koͤnntest nicht bequem bei uns wohnen, es ist alles zu eng. — Sieh unsre Stadt ist gegruͤndet worden auf einem ehemaligen Schlachtfeld; der Proviantwagen der Marketenderin und allerlei andere Bagage wurden zerschlagen und gepluͤndert, und das zwar in einer einsamen unwegsamen Gegend. Meine Voraͤltern waren als freiwillige Maͤuse mit den Proviantwagen gezo¬ gen, und da nun alles zerstoͤrt und die Soldaten fort waren, ließen sie sich dort nieder, sammelten noch andere edle Maͤuse, richteten Alles in eine vollkommene Stadt ein, und es wird jetzt von dort aus ein großes Maͤusereich regiert. Du wirst dein blaues Wunder an den herrlichen, geschmackvollen An¬ lagen sehen. Sobald wir dort sind, lasse ich dir ein Blumen¬ bettchen auf unserm Maifeld machen, da legst du dich gleich nieder und schlaͤfst und kannst dann Alles verstehen, was ich sagen und thun werde, um deinem Vater Gockel den Ring Salomonis wieder zu verschaffen. — Jetzt erschrick nicht, ich beiße dich ein bischen ins Ohr, damit du aufwachst; dann nehme ich einen leuchtenden Johanniswurm in den Mund und laufe vor dir her nach meiner Heimath, da folgst du mir, wie einer Fackeltraͤgerin. Gluͤck auf Gackeleia!“ Nun biß die Prinzessin Mandelbiß mich ins Ohrlaͤppchen, und ich erwachte. Schnell packte ich die Kunstfigur und alles Andre wie¬ der in mein Koͤrbchen und ruͤstete mich zum Abmarsch. Die Maͤuseprinzessin machte die lustigsten Freudenspruͤnge mit dem leuchtenden Johanniswuͤrmchen vor mir her durch das Gras, was gut war; denn da der Mond noch nicht aufge¬ gangen, so war es im dichten Wald noch sehr dunkel und ich wußte weder Weg, noch Steg. Ich folgte dem Lich¬ te; aber sie eilte so sehr, daß ich sie oft aus dem Ge¬ sichte verlor. Wenn ich dann aͤngstlich rief: „Mandelbi߬ chen, laß mich nicht im Stiche!“ pfiff sie laut und sprang mit dem Lichtchen vor mir hoch aus dem Gras auf, wo¬ durch ich mich wieder zurecht fand. Als wir ungefaͤhr eine halbe Stunde gegangen waren, hoͤrte ich ein großes Gepfeife und sah um einen Huͤgel herum die Residenz des Maͤusekoͤnigs im Sternenschein liegen, die ich euch gleich beschreiben will. Kaum hatte die Prin¬ zessin sich am Thore der Stadt gezeigt, als es weit aufflog, und ein freudiges Gepfeife durch die ganze Stadt und das oben liegende Schloß sich verbreitete, aus welchem viele weiße Maͤuse ihr entgegenstuͤrzten und sie mit großem Ju¬ bel empfingen. Sie wollte aber nicht in das Schloß hinein, sondern drehte sich abwechselnd gegen mich und die Ihrigen, welchen sie von mir zu erzaͤhlen schien, so, daß alle die Maͤuse bald ihre Koͤpfchen gegen mich aufhoben und allerlei pfiffen, was ich nicht verstand. Da sagte ich zu ihnen: „ihr lieben Maͤuse, gleich will ich mich schlafen legen, damit ich eure Gespraͤche verstehen kann,“ und kaum hatte ich das gesagt, als sie auch zu Tausenden anstroͤmten und das zarteste Moos an einem reinen Plaͤtzchen zwischen Blumen zusammen tru¬ gen. Ich sah wohl, das dieß ein Bettchen fuͤr mich werden sollte, und betrachtete unterdessen die schoͤne Maͤuse-Stadt. Oben auf dem Huͤgel lag das koͤnigliche Schloß, von gros¬ sen hollaͤndischen Kaͤsen erbaut, die alle auf das reinlichste ausgenagt waren. Alle Thuͤren und Fenster waren zwar etwas nach altem Geschmack, und nicht ganz gleichfoͤrmig vertheilt; doch hatte die Burg ein sehr ehrwuͤrdiges Ansehen; sie war pyramidalisch im perspektivischen Stile erbaut, und ich kann noch nicht begreifen, wie es Maͤuse-moͤglich war, ein so kuͤhnes Werk zu Stande zu bringen. Rings um das Schloß her und selbst auf seinen Daͤchern waren die schoͤn¬ sten Gaͤrten von Schimmel angelegt, den ich nie hoͤher und feuchter gesehen habe. Thuͤrme von ausgehoͤhlten Commis¬ broden, mit Kuppeln von Flaschen-Kuͤrbissen schmuͤck¬ ten das mit Bretzeln und dergleichen verzierte Schloß. Die neuern Haͤuser der Unterthanen bestanden aus hohlen Kuͤrbissen und Melonen, die sie fruͤher selbst mit Muͤhe her¬ angewaͤltzt, in der neuern Zeit aber, bei zunehmender Bil¬ dung und Industrie, an den Stellen gepflanzt und, wenn sie groß waren, ausgehoͤhlt hatten. Aeltere adelige und Pa¬ trizier-Geschlechter bewohnten alte Reiterstiefel, Patronta¬ schen, Tornister, Pistolenhulfter, Mantelsaͤcke, Filzhuͤte und Lederhelme und was auf dem Schlachtfelde liegen geblieben war; jedoch schienen diese Gebaͤude der Reparatur zu be¬ duͤrfen. Einen alten Reutersattel sah ich als Thor oder Triumphbogen zwei Stadttheile verbinden. Alle Gebaͤude der etwas sehr unregelmaͤßigen Stadt wurden durch groͤßere und kleinere Anlagen von Schimmel, Pilzen und vielerlei andern Pflanzen umher verschoͤnert. Auch bemerkte ich viele Hoͤhlen in die Erde hinein, die theils Keller und Vorraths¬ kammern waren, theils von einem eigenen Stamm der Feld¬ maͤuse bewohnt wurden. Das Schoͤnste aber von allem war Folgendes: herr¬ lich und kunstreich schaute von einer Hoͤhe eine große gothi¬ sche Kirche auf die ganze Stadt wie ein Hirt auf seine Heerde herab; ihr Schiff bestand aus einem großen alten Koffer, woruͤber ein zerrissener Flaschenkorb stand, die beiden Thuͤrme waren aber zwei weißgebleichte Pferdeschaͤdel, welche das Gebiß noch im Maule hatten. Leider war, wie bei den meisten solchen Werken der Stil nicht ganz gleichartig, denn das eine Gebiß war eine Treuse, das andre eine Stange. Die Thurmspitzen selbst waren mit tausend kleinen Knochen¬ splittern verziert und verspitzt; um die Kirche her breitete sich der Kirchhof aus, Grab an Grab schoͤn geordnet, und mit¬ teu darauf ein Beinhaus von lauter Maͤusegerippen und Beinchen, weiß wie Elfenbein, in schoͤnster Ordnung zusam¬ mengelegt. Etwas tiefer als die Kirche lag ein Bauwerk, das zu den sieben Wundern der Welt gezaͤhlt wird, es be¬ stand aus einem Trinkhumpen der gekroͤnt von einem Reu¬ terhelm in einer Trommel stand. Man nannte es das Mausoleum, denn hier ist der erste Koͤnig dieses Volkes Namens Mausolus I . begraben, und seine Gattin Artemi¬ sia I . hat es ihm errichtet. Alles das konnte ich nicht ge¬ nug bewundern, und der Mond schien so hell in die kleine wimmelnde Welt, daß es eine Lust war hinein zu schauen. Waͤhrend dem hatten die Maͤuschen mein Bettchen und neben mir eines fuͤr die Kunstfigur von dem weichsten Moose zwischen Blumen fertig gemacht. Die meisten giengen ihrer Wege, einige konnten aber gar nicht fertig werden, mir gute Nacht zu sagen, und ich war doch von den vielen Anstren¬ gungen so muͤde, daß ich schier vergessen haͤtte, wie ich hier bei weltfremden Leuten war; ja, lieber Vater! ich war so in der Empfindung des Schlafes, daß ich glaubte, ich sey bei Mutter Hinkel in Gelnhausen, und ich rieb mir die Au¬ gen und hatte schon angefangen, mit weinerlicher Stimme zu sagen: „Mutter, Mutter, Gackeleia ins Bettchen legen, Gackeleia ist muͤd, muͤd! — Da ich aber die Worte der Mutter nicht hoͤrte: „ja, schlafen gehen, das Kind ist muͤde, das Sandmaͤnnchen koͤmmt angeschlichen“, besann ich mich und schaute um mich, und sprach mit majestaͤtischer Stim¬ me: „Ich habe die Ehre, Ihnen saͤmmtlich eine geruhsame Nacht zu wuͤnschen, lassen Sie sich etwas recht Schoͤnes traͤu¬ men. Sie wuͤrden mich unendlich verbinden, wenn Sie sich zuruͤckziehen wollten, damit ich mich schlafen legen kann.“ Da aber die dummen Maͤuse immer noch verwundert da standen, jagte ich sie endlich mit meiner Schuͤrze nach Haus. Es ist mir nichts peinlicher, als das lange unentschiedene Zaudern, und doch war ich nun, da ich mich zum Schlafen niederlegte, laͤngere Zeit beunruhiget, daß ich die armen Schelmen so hart angefahren hatte nnd bat sie in meinem Innern herzlich um Verzeihung. Kaum war ich entschlafen, so versammelte sich die koͤ¬ nigliche Maͤusefamilie mit ihrem Ministerium um mich her, und ich hoͤrte alle die schoͤnen Reden, die sie hielten, an de¬ nen nichts auszusetzen war, als daß die kurzen zu langwei¬ lig und die langen zu kurzweilig waren. Die Hauptsache war, wie sie der Raugraͤflich Gockelschen Familie nun schon zweimalige Rettung verdankten. Prinz Pfiffi sagte, als seine Gemahlin in die Gefangenschaft unter die Kunstfigur gekom¬ men, sey er den drei Petschierstechern gefolgt, habe gesehen, wie sie sich den Ring verschafft und sich zu vornehmen, schoͤ¬ nen, jungen Leuten gemacht, den Graf Gockel und seine Fami¬ lie aber in arme Bettler verwuͤnscht haͤtten. Kurz er wußte Alles, und wollte morgen allein ausziehen, mir den Ring wie¬ der zu verschaffen, was ihm wegen der Uneinigkeit der Besi¬ tzer sehr leicht schien. „Nein, nein“ rief da die Prinzeß Sissi, „ich will dabei seyn, du bist viel zu ungestuͤm, wir wollen es zusammen versuchen, und Gackeleia soll auch mitgehn.“ Da sprach ich: „ja, ja, das wollen wir, und ich verspreche euren koͤniglichen Eltern, wenn ich den Ring wieder erhalte, einen Zentner der schoͤnsten hollaͤndischen Kaͤse und einen Sack der besten Knackmandeln, um ihre Residenz neu erbauen zu koͤnnen, und dazu noch einen Zentner der beßten Schin¬ ken zur allgemeinen Belustigung der Nation, und sonst Alles, was dem edeln Volk der Maͤuse lieb und angenehm seyn kann.“— „Ach“, rief der alte Koͤnig aus, „meine liebe Ge¬ mahlin sagt mir so eben, daß sie vor ihr Leben gerne ein¬ mal Koͤnigsberger Marzipan und Thornischen Pfefferkuchen und Jauersche Bratwuͤrste und Spandauer Zimmtbretzeln und Nuͤrnberger Honigkuchen und Frankfurter Brenten und Sachsenhauser Kugelhupfen und Mainzer Vitzen und Geln¬ hauser Bubenschenkel und Koblenzer Todtenbeinchen und Lie¬ staller Leckerli und Botzner Zelten und dergleichen patriotische Kuchen essen moͤge.“ „Alles das sollt ihr im Ueberfluße erhalten“, sagte ich, „sobald ich den Ring besitze.“ — „Wohlan“, sprach der Koͤnig, „so moͤgt ihr morgen mit Tagesanbruch auf das Abentheuer ausziehen. Jetzt aber soll gleich, sobald unsre Rathsitzung geschlossen ist, in die Kirche gezogen werden, um den Se¬ gen des Himmels zu erflehen; die fliegende Gensdarmerie soll gleich die noͤthigen Anstalten treffen.“ — Nach diesen Worten des Koͤnigs Mausolus VIII . sah ich viele Fleder¬ maͤuse geschaͤftig durch die Stadt hin- und wiederfliegen. Jetzt trat noch ein fataler Schmeichelredner auf, um den Muth herauszustreichen, mit welchem ich die Ruthe fuͤr Prinzessin Sissi ertragen haͤtte. Ein alter Pair aber unter¬ brach ihn mit den Worten: „Ehre, dem Ehre, Ruthe, dem Ruthe gebuͤhrt! Sie litt nicht weil sie eine Maͤusefreundin, sondern eine Spielratze und einst eine Katzenfreundin war; wer weiß, ob sie nicht noch jetzt deren Spionin ist“ — die¬ ser Verdacht schnitt mir durchs Herz, so daß ich im Schlafe wie eine Katze zu miauen begann, worauf dem Redner das Wort in der Kehle stecken blieb, und das ganze Parlament uͤber Hals und Kopf auseinanderlief und sich in alle moͤg¬ liche Wohnungen und Loͤcher verkroch. Die Prinzessin von Mandelbiß hatte nach ihrem Zartge¬ fuͤhl mich wohl verstanden, sie blieb bei mir und sagte: „liebe Gackeleia, du hast die Sitzung etwas schnell aufge¬ hoben, aber ich haͤtte es an deiner Stelle auch gethan; jetzt will ich gleich verkuͤnden lassen, woher das Katzengeschrei kam, dann faͤllt Alles auf den undelikaten Redner. Vor¬ her muß ich dich bitten, mir die Kunstfigur als Koͤnigin ge¬ kleidet aufzubinden, denn ich will mit derselben die Prozes¬ sion begleiten, das wird eine so große Wirkung thun, als das Trojanische Pferd; — ich bringe sie dir nachher wieder, wenn wir nach der Feierlichkeit auf die Eroberung des Rin¬ ges ausziehen.“ Schnell kleidete ich die Figur nach ihrem Verlangen, heftete sie ihr wieder auf den Ruͤcken und zog die Uhr in ihr auf. Da lief sie so schnell durch die Gassen hin, daß die Maͤusekinder, welche sich schon vor der Thuͤre des Schulmeisters zur Prozession versammelt hatten, nicht wenig uͤber sie erschracken. Ich war froh, endlich ein wenig Ruhe zu haben, und kauerte mich recht auf meinem Lager zusammen; aber es dauerte nicht lange, da gieng wieder was Neues los. Die Kirchenmaͤuse liefen auf die Thuͤrme der Kirche und riefen das Volk zum Gebet; sie hatten keine Glocken, und ich glaube darum, daß sie eine Art tuͤrkischer Religion haben. Die Fledermaͤuse, eine Art fliegender Nachtwaͤchter-Gens¬ darmerie, schwebten uͤber der Stadt hin und wieder und ver¬ kuͤndeten, das gehoͤrte Katzengeschrei sey nur im Traume ge¬ schehen, die Prozession finde Statt, Prinzeß Mandelbiß trage die schoͤne Kunstfigur als Koͤnigin dabei durch die Stras¬ sen u. s. w. Nun hoͤrte ich ein fernes Singen immer naͤ¬ her und naͤher kommen; endlich verweilte der Gesang in der Naͤhe meines Lagers, und ich hoͤrte, daß Prinz Spe¬ ckelfleck ausrief: „hier wird das ganze Lied sanft wiederholt, um der Comtesse Gackeleia den Schlaf zu versuͤßen.“ — Ich hoͤrte nun das folgende Lied, welches von Zeit zu Zeit von dem Chor der voruͤberziehenden Maͤuseprozession unterbro¬ chen ward. Kein Thierlein ist auf Erden Dir lieber Gott zu klein, Du ließt sie alle werden, Und alle sind sie dein. Zu dir, zu dir Ruft Mensch und Thier; Der Vogel dir singt, Das Fischlein dir springt, Die Biene dir brummt, Der Kaͤfer dir summt, Auch pfeifet dir das Maͤuslein klein: Herr, Gott, du sollst gelobet seyn. Das Voͤglein in den Luͤften Singt dir aus voller Brust, Die Schlange in den Kluͤften Zischt dir in Lebenslust. Zu dir, zu dir u. s. w. Die Fischlein, die da schwimmen, Sind, Herr, vor dir nicht stumm, Du hoͤrest ihre Stimmen, Vor dir koͤmmt Keines um. Zu dir, zu dir u. s. w. Vor dir tanzt in der Sonne Der kleinen Muͤcken Schwarm, Zum Dank fuͤr Lebenswonne Ist Keins zu klein und arm. Zu dir, zu dir u. s. w. Sonn', Mond geh'n auf und unter In deinem Gnadenreich, Und alle deine Wunder Sind sich an Groͤße gleich. Zu dir, zu dir u. s. w. Zu dir muß Jedes ringen, Wenn es in Noͤthen schwebt, Nur du kannst Huͤlfe bringen, Durch den das Ganze lebt. Zu dir, zu dir u. s. w. In starker Hand die Erde Traͤgst du mit Mann und Maus, Es ruft dein Odem: „werde“, Und blaͤst das Lichtlein aus. Zu dir, zu dir u. s. w. Kein Sperling faͤllt vom Dache Ohn' dich, vom Haupt kein Haar, O theurer Vater wache Bei uns in der Gefahr! Zu dir, zu dir u. s. w. Behuͤt' uns vor der Falle Und vor dem suͤßen Gift Und vor der Katzenkralle, Die gar unfehlbar trifft. Zu dir, zu dir u. s. w. Daß unsre Fahrt gelinge, Schuͤtz' uns vor aller Noth, Und hilf uns zu dem Ringe Und zu dem Zuckerbrod. Zu dir, zu dir u. s. w. Nach diesem frommen Gesang hielten sie eine kleine Pause, dann stimmten sie in einem rascheren Takt folgende drei Verse an: Vivat! beim hoͤchsten Schwure Nicht Puppe, sondern nur Nach Uhr und nach der Schnure Die schoͤne Kunstfigur! Von ihrer Zier Spricht Mensch und Thier Das Voͤgelein singt, Das Fischelein springt, Das Bienelein summt, Das Kaͤferlein brummt, Auch pfeifen alle Maͤuselein: Die Kunstfigur ist schoͤn allein. Vivat! du feine gute Prinzessin Mandelbiß, Die sich mit Heldenmuthe Aus schlimmem Handel riß. Von ihr, von ihr Spricht Mensch und Thier Das Voͤgelein singt, Das Fischelein springt, Das Bienelein brummt, Das Kaͤferlein summt, Auch pfeifen alle Maͤuselein: Prinzeß Sissi ist superfein. Vivat! hoch Gackeleia, Singt ihr ein Wiegenlied, Singt Heia und Popeia, Das Kind ist muͤd, so muͤd! Von ihr, von ihr Spricht Mensch und Thier, Das Voͤgelein singt, Das Fischelein springt, Das Bienelein brummt, Das Kaͤferlein summt, Auch pfeifen alle Maͤuselein: Schlaf' Gackeleia popeia ein! Ich erwachte uͤber dem, schoͤnen Gesang und hatte schon im Sinn aufzustehen und fuͤr die Nachtmusik zu danken, aber ich fuͤrchtete, dann moͤchten sie kein Ende in ihren Ge¬ genkomplimenten finden, und so hielt ich mich dann maͤus¬ chenstille und schien wie eine Ratze zu schlafen, bis die Saͤnger weiter gezogen waren; dann aber richtete ich mich auf und sah die schoͤnste Procession ein wenig an. An der Spitze gieng die schoͤne Kunstfigur, umgeben von der koͤnig¬ lichen Familie und dem ganzen Hofstaat. Unter den Hof¬ fraͤulein sah ich eine viel zu große, kuriose Person mitgehen, sie war wie eine Riesin unter ihnen, tanzte mehr als sie gieng, und ihre Stimme paßte gar nicht in den Gesang. Hierauf folgten mehrere fremdartige Maͤuse, sie unterschie¬ den sich nicht nur durch Gestalt, Groͤße und Farbe, sondern auch leider meistens durch ihr nicht sehr erbauliches Betra¬ gen; sie guckten viel umher und fluͤsterten immer sehr ange¬ legentlich unter einander. Ich erfuhr spaͤter, wer sie waren. Auf sie folgten alle adelichen Geschlechter, worunter das schoͤne Geschlecht meistens aus weißen Maͤuschen von hoher Zartheit und Delikatesse bestand. Alle, von welchen ich bis jetzt gesprochen, trugen Fackeln, aus leuchtenden Johanniskaͤ¬ fern bestehend, welche ihnen die herumschweifenden Fleder¬ maͤuse hatten einfangen muͤssen. Hierauf folgten nun die Buͤrgerlichen und endlich die Landmaͤuse, alle in ihren Na¬ tional- und Naturalfarben; diese bedienten sich der Splitter von leuchtendem faulem Holze als Fackeln, welche sie im Voruͤbergehen an einem alten Weidenstumpf abbissen. Ich kann euch gar nicht sagen, wie feierlich sich der Zug der vie¬ len kleinen Lichter durch die Straßen der wunderlichen Maͤu¬ sestadt den Huͤgel hinan in den ehrwuͤrdigen Dom hinein schlaͤngelte — es war, als wenn die Funken an einem ver¬ glimmenden Zunderlappen hinlaufen; weißt du noch Vater, du sagtest mir manchmal in Gelnhausen am Kamin, „das sind die Studentchen, die aus der Schule laufen“, ich dachte noch an diese deine Rede. Vor der Thuͤre der Kirche empfieng eine sehr elegante Maus an der Spitze der andern Kirchenmaͤuse die schoͤne Kunstfigur und den Hof und geleitete sie in den Dom, den ich nun aus allen seinen Oeffnungen erleuchtet sah; dann vernahm ich einen sanft pfeifenden Gesang, wor¬ auf es maͤuschenstille ward. — Da nun Alles in der Kir¬ che, und die ganze Stadt todt und stille war, warf ich noch einen Blick auf die seltsamen Gebaͤude im Sternenlicht. Ach, da wuchs mir das Herz; die Welt ward zu enge, weit ward es um die Seele, meine Locken schienen mir Gefuͤhle und Wuͤnsche, die sich sehnten, im Winde zu spielen, und ich gab sie ihm hin; denn, horch', jetzt kam auch ein Wehen und regte die Wipfel des Hains auf; sieh, und das Eben¬ bild unsrer Erde, der Mond, kam da geheim nun auch; die schwaͤrmerische, die Nacht kam, trunken von Sternen und wohl wenig bekuͤmmert um uns glaͤnzte die Erstaunende dort, die Fremdliugin unter den Menschen, uͤber Gebirgsanhoͤhen traurig und praͤchtig herauf! — Ach! da dachte ich nichts mehr, als waͤre nur Vater und Mutter hier, und wenn selbst nur Kronovus hier waͤre, daß ich mittheilen koͤnnte, was ich fuͤhle! ja liebe Eltern, es giebt Eindruͤcke, die ein armes Kind nicht allein fassen kann, wo es sich anklam¬ mern moͤchte an ein vertrautes festeres Wesen, wie an ei¬ nen Fels, einen Baum des Ufers, wenn der Strom der Empfindung anschwillt und uns reißend ins weite Meer der Begeisterung dahin tragen will! — nirgends aber ist dieses mehr der Fall, als bei großer Architektur im Mondschein“ — da hielt Gackeleia ein wenig in der Erzaͤhlung ein, Frau Hinkel schloß sie ans Herz und sagte: „O das ist eine sehr poetische Stelle, o das ist aus meinem Herzen, ja du bist mein Kind, mein herz- und seelenvolles Kind, auch mich haͤtte einst zu Gelnhausen im Pallast Barbarossa's im Mond¬ schein der Strom der Empfindung ins Meer der Begeisterung reißend dahin getragen, — aber Vater Gockel war bei mir und so einerlei, daß ich nicht so allerlei empfinden konnte.“ „Bleibe bei der Wahrheit“, sagte Gockel, „du hast doch zweier¬ lei empfunden, du hast an die Fleischerladen und Baͤckerladen ge¬ dacht und den Schnupfen bekommen. Dir aber Gackeleia, sage ich: ich muͤßte mich sehr irren, oder du bist eine Schwaͤrmerin mit deinen verschimmelten Kaͤsen, Kuͤrbißen, alten Reuterstie¬ feln, Saͤtteln, Patrontaschen und gothischen Kirchen im Mond¬ schein — auch finde ich deine Gefuͤhle im Mondschein nicht kindlich genug ausgesprochen, waͤrst du damals schon so groß gewesen, als jetzt, so waͤren dergleichen Redensarten zu ver¬ zeihen, aber so warst du ja kaum vor einigen Stunden der Ruthe entlaufen.“ — „Vater“, erwiederte Gackeleia, „ent¬ schuldiget mich, ich bin durch den Ring Salomonis jetzt wie eine erwachsene Jungfrau und kann nicht mehr Alles so wie eine kleine Gackeleia vorbringen, ich sage als Jungfrau, was ich als Kind gefuͤhlt, und gewiß, Vater, als Kind habe ich nur anders gesprochen.“ „Gott, lasse dich immer weise, immer ein Kind zugleich seyn,“ sagte Gockel, „aber erzaͤhle weiter, damit wir aus der kuriosen Stadt herauskommen — jetzt, wo du den Ring Salomonis hast, brauchst du in dem sehnsuͤchtigen Strom der Empfindung nicht mehr herum zu patschen — jetzt heißt es, dreh' den Ring, und du wirst so viel Baͤume am Ufer der Sehusucht haben, daß du Kohlen daraus brennen kannst und zuletzt ausrufen mußt: „ach, es ist Alles, Alles einerlei! o Eitelkeit der Eitelkeiten und Alles Eitelkeit, spricht der weise Salomo selbst und sein Siegel¬ ring wird ihm nicht widersprechen“ — aber erzaͤhl weiter Herz Gackeleia!“ „Ja“, fuhr Gackeleia fort, „wie ich mein Herz so groß, meine Seele so weit fuͤhlte, erkannte ich wohl, daß jedes Geschoͤpf der Eitelkeit unterworfen begehret und verlanget und immerfort seufzet und sich quaͤlt; so gieng ich um¬ her und schaute in alle Winkel, ob gar kein Wesen da sey, dem ich mein Herz auspacken koͤnne, und sang dabei stille vor mich hin: Mutter-seelig ganz allein, Wie der stille Mondenschein Schauet in die Stadt hinein, Muß die Gackelia klein In der weiten Welt noch seyn, Wie ist Alles klar und rein, Wie ist Alles licht und fein, Wie ist Alles im Verein Zwei und zwei, und mein und dein; Aber ich, ich bin allein, Mutterseelig ganz allein!“ Da hoͤrte ich einige Schritte von meinem Moosbettchen entfernt einen dumpfen Ton, wie von leisem, verstecktem Katzen¬ geschrei, was mich fuͤr die frommen Maͤuse sehr besorgt machte; ich schlich mich leise hinzu und fand, von Distel und Dornen uͤberwachsen, eine alte, leere Pulvertonne dort liegen, das Spundloch war gegen mich gekehrt, der Mond schien hinein — ich guckte auch hinein — ach liebe Eltern! ich sah etwas so Entsetzliches, daß mich der Schrecken wie mit einer Gaͤnsehaut uͤberzog; in der alten Pulvertonne, deren einer Boden fehlte, saßen fuͤnf junge Kater, in welchen ich zu meinem groͤßten Schrecken — ach, sie waren mir nur zu be¬ kannt geworden: — die fuͤnf Soͤhne Schurrimurri's, Mack, Be¬ nack, Gog, Magog und Demagog, erkannte. Sie waren also der Hinrichtung entgangen — ihre Mutter Schurrimurri aber hatte ihre Strafe erlitten, denn sie saßen um deren Todtenkopf herum, der in einer alten Alongeperuͤcke lag. — Mack schien eine heftige Rede zu halten, aber nur leise, leise, alle machten große Buckel, spreitzten die Haare, und schlugen einander den Pelz mit ihren Schweifen, daß Feuer¬ funken umher flogen; manchmal konnten sie ihren Grimm nicht ganz unterdruͤcken und ließen ein dumpfes Murren und Wimmern, wie ein unterirdisches Erdbeben, hoͤren, wo¬ bei sie ihre weit vorgestreckten Krallen auf dem Todtenkopf, wie Dolche, wetzten. Das Ganze hatte vom Monde im Faß beleuchtet etwas hoͤchst Graͤuliches, Tuͤckisches; mir war, als sehe ich in die Hoͤlle, und unwillkuͤhrlich kam mir in die Seele, das ist eine Verschwoͤrung, eine Meuterei, rette deine Freun¬ 11 de, die frommen Maͤuse! Diese Verbrecher sind schon gerich¬ tet, sie duͤrfen ihrer Strafe nicht entgehen. — Ich besann mich nicht lang, erwischte das Faͤßchen beim hinteren Ende und stellte es aufrecht, so daß es wie eine Glocke uͤber der ganzen Verschwoͤrung stand; das junge Katzenellenbogen war gefangen, und das Spundloch stopfte ich mit einem Stuͤck Rasen zu. Ich legte noch soviel Steine auf das Faß, als ich in der Eile rings finden konnte, damit die Gefangenen es nicht umwerfen moͤchten, und begab mich mit dem Ge¬ fuͤhle, eine edle Handlung gethan zu haben, nach meinem Moosbettchen; ich horchte noch ein Bischen nach dem Faße hin, aber sie hielten sich ganz stille, und so deckte ich mein Schuͤrzchen uͤber die Augen, zuckte ein Bischen und schlief einen suͤßen Schlaf ein. Nach einer Weile traͤumte mir, die Prinzeß Mandelbiß komme wieder mit der schoͤnen Kunstfigur zu mir und sage mir ins Ohr: „Gackeleia, mache mich los und lege die Kunst¬ figur neben dich in ihr Bettchen, sie wird wohl so muͤde seyn wie ich, ich will mich in deine Locken an dein Oehrchen legen und dir alles erklaͤren, was du bei der schoͤnen Prozes¬ sion gesehen hast und wie unser Hofredner Muskulus so herrlich gesprochen hat.“ Ich that halb traͤumend, wie sie verlangte, dann legte sie sich in meine Locken und plauderte mir wie ein Schlaf¬ kameraͤdchen ins Ohr; da habe ich dann Alles folgende gehoͤrt: Die große, seltsame Person, die mir unter den Hof¬ fraͤulein der Prinzeß Sissi so sehr gefallen, war eine vor¬ nehme Bergmaus, die Marquise Marmotte, welche, aus der Gefangenschaft eines Savoyardenbuben entflohen, hier bei Hof eine anstaͤndige Gelegenheit abwartete, wieder in ihr Vaterland zuruͤckzureisen. Sissi war nicht gut auf sie zu sprechen, denn Prinz Speckelfleck hatte sich zu oft nach ihr umgeschaut und sie allzusehr gelobt, was sie bei keinem Men¬ schen recht leiden konnte. Er bewunderte ihren Tanz, ihre schoͤnen Traͤume und vor Allem ihre artigen Vorderpfoͤt¬ chen. — Sissi, blind fuͤr alle diese Vorzuͤge, sagte: „Vor¬ derpfoͤtchen! es ist mir schier laͤcherlich! in allen Naturge¬ schichten steht von den Murmelthieren: ihre Vorderfuͤße ha¬ ben vier Zehen und einen sehr kurzen Daumen, die Hinter¬ fuͤße fuͤnf; aber, daß dieses schoͤn sey, das steht nirgends! — Wie mag sie sich nur eine Maus nennen? ihrer Groͤße nach koͤnnte sie eben so gut Bergbaͤr als Bergmaus heißen; diese Marquise Marmotte hat einen großen, runden Kopf, Nase und Lippen wie ein Hase, Haare und Klauen wie ein Dachs, un¬ bedeckte Zaͤhne wie ein Biber, einen Schnurbart wie eine Katze, Augen wie ein Siebenschlaͤfer, Pfoten wie ein Baͤr, einen kurzen Schweif und gestutzte Ohren. Wenn man ihr schoͤn thut, so knurrt sie wie ein Huͤndchen. Was ist Schoͤnes hieran? ihr Tanzen und Purzeln ist ihr von dem Sa¬ voyarden mit Hunger und Schlaͤgen eingequaͤlt, und schlaͤft man, wie sie, vom Oktober bis in den April, so hat man allerdings Zeit, sich etwas Schoͤnes traͤumen zu lassen.“ Jene, welche ich in der Prozession so viel umherschauen und untereinander plaudern gesehen, waren die Abgesandten von mancherlei fremden und auslaͤndischen Maͤusegeschlechtern und Arten, welche sich hier am Hofe befinden, Buͤndnisse abzuschließen, Gratulationen abzustatten und sich Erfahrun¬ gen mitzutheilen, wie den Katzen, Eulen, Geiern und an¬ dern Maͤusefeinden zu entgehen sey, auch theilten sie sich Warnungen vor gelegtem Gift und Gegenmittel und Nach¬ richten von neu erfundenen Mausfallen mit. Eine unter diesen Standespersonen hatte der Prinzeß Sissi ganz beson¬ ders gefallen, er war mit einem Schiffe uͤber See sehr weit her, von den Autillen gekommen, um zu hohen und allerhoͤch¬ sten wohlthaͤtigen Zwecken eine Collekte zu machen, er hatte die Gestalt einer großen Ratte, trug einen schwarzen Frack und weiße Unterkleider. Er hieß Herr Piloris, und Sissi be¬ hauptete, er habe durch seinen Moschusgeruch die ganze Pro¬ 11 * zession erbaut und sehr wohlthaͤtig auf ihre schwachen Ner¬ ven gewirkt. Die uͤbrigen Abgesandten waren von den Spitz¬ maͤusen, Bergmaͤusen, Waldmaͤusen, Wurzelmaͤusen u. dgl. Sie plauderten in der Kirche und bei der Prozession von der Rettung der Prinzeß Sissi und besonders von der Hin¬ richtung der Katze Schurrimurri und ihrer Jungen, aͤußerten sich alle aber sehr bedenklich uͤber ein umlaufendes Geruͤcht, daß die fuͤnf verwegenen Soͤhne der Schurrimurri der Hin¬ richtung durch Einverstaͤndniß mit den Soͤhnen des Scharf¬ richters entgangen seyn und unter dem Nahmen des jungen Katzenellenbogens eine hoͤchst gefaͤhrliche Verschwoͤrung, an¬ geblich zur Rache ihrer Mutter, eingegangen haben sollten; ihre Absicht aber sey eigentlich gegen das edle Mausgeschlecht, gegen Huͤhner und Voͤgel; die Eulen seyen bereits fuͤr sie gewonnen, ebenso die Fuͤchse, mit den Wieseln unterhandel¬ ten sie, man muͤsse sehr auf seiner Hut seyn u. s. w. — Sissi erzaͤhlte mir dieses Gerede der ausgezeichneten Staats¬ maͤuse mit großer Bangigkeit; — o wie froh war ich, ihr versichern zu koͤnnen, obgleich jenes Geruͤcht gegruͤndet, sey dennoch gar nichts von diesen Verschwoͤrern zu befuͤrchten. Sissi erzaͤhlte mir auch noch den Inhalt der Rede, welche der edle Hofredner Muskulus im Dome gehalten. Er sprach uͤber Mann und Maus, Menschheit und Mausheit, Mensch¬ lichkeit und Maͤuslichkeit, Menschenmoͤglichkeit und Maͤuse¬ moͤglichkeit. Er erwaͤhnte den Verstand der Maͤuse, welche staͤts von jeder Speise das beste Theil erwaͤhlen; ihre Gro߬ muth, weil sie trotz ihrer Bloͤdigkeit vor allen Thieren ein sehr großes Herz haben; ihre Dankbarkeit, wie sie den Loͤ¬ wen aus dem Netze befreit; ihren Heldenmuth weil sich der Elephant fuͤrchtet, sie moͤchten ihm in den Ruͤssel schluͤ¬ pfen; ihren prophetischen Geist, weil sie ein Haus verlas¬ sen, ehe es zusammenstuͤrzt. Er sprach von der Ehrfurcht der Katzen gegen ihre Eltern, welche, wenn sie alt sind, von den Jungen gefuͤttert werden. Er erwaͤhnte die große Naͤch¬ stenliebe der Maͤuse, welche, wenn eine in eine Grube ge¬ fallen ist, sich einander in die Schwaͤnze beißend, eine Kette bilden, um ihre verungluͤckte Nebenmaus aus der Grube zu ziehen. Er sagte, wie thoͤricht bei all diesen großen Eigen¬ schaften die Fabel sey: ein Berg habe gebaͤren wollen, und eine laͤcherliche Maus sey hervorgekommen; er fuͤhrte die Maͤuse als Werkzeuge Gottes in den Aegyptischen Plagen, und bei dem geitzigen Hatto von Mainz an, den sie gefres¬ sen, obschon er sich auf den Mausthurm mitten in den Rhein gefluͤchtet. Er sprach auch von der Holdseligkeit der Maͤuse, daß sogar die Menschen ihre artigsten Kinder: „kleine Maus, liebes Maͤuschen,“ nennen. Er erwaͤhnte, daß die Maͤuse das feinste Gehoͤr außer den Eseln haben. Aber auch vom Uebermuth der Maͤuse sprach der edle Muskulus, er sprach: wenn die Maus satt ist, schmeckt ihr das Mehl bitter. Er sprach von gefaͤhrlichen Zeiten, und daß die Maͤuse, welche auf dem Tische herumtanzten, wenn die Katze nicht zu Hause sey, sich nicht so mausig machen, sondern bedenken sollten, daß die Katze das Mausen nicht lasse. Dann flehte er noch den Segen des Himmels auf das edle Vorhaben der Prin¬ zessin Mandelbiß und des Prinzen Speckelfleck herab und forderte sie auf, das Sprichwort wohl zu uͤberlegen: „Zu bedauern ist die Maus, Kennt sie nur ein Loch im Haus; Aber ins Verderben rennt Jene, die gar keines kennt,“ und nun setzte der gelehrte Muskulus hinzu, wie er bei sei¬ nen Studien eine halbe Bibliothek durchfressen und wie treff¬ lich ihm endlich die schoͤne Stelle des heidnischen Komoͤdien¬ schreibers Plautus geschmeckt habe: „Bedenk' die Weisheit der kleinen Maus, Sie hat viel Thuͤren in ihrem Haus, Sperrst du ihr einen Schlupfwinkel zu Flieht sie zum andern und sitzt in Ruh'.“ Als der Klingelbeutel in dem Dom herumgieng, hielt der edle Muskulus noch eine ruͤhrende Auslegung des tief¬ sinnigen Wortes: „er ist so arm wie eine Kirchenmaus,“ welche den ganzen Klingelbeutel mit Waitzenkoͤrnern so reich¬ lich fuͤllte, daß die Marquise Marmotte genug zu thun hatte, ihn herum zu schleppen, wenn gleich der duftende Herr Pi¬ loris ihr dabei den Arm gab. So erzaͤhlte mir Prinzeß Sissi Alles, daß ich es eben so gut wußte, als wenn ich in der Rede des edlen Musku¬ lus geschlafen haͤtte. — Ich dankte ihr herzlich dafuͤr und sagte ihr: „Liebste Sissi, ich bin gluͤcklich, daß sich unsre Herzen gefunden haben und daß wir uns du nennen — ach so kann ich auch alle meine Leiden in deinen schwesterlichen Busen ausschuͤtten; ach ich muß dir zu meiner großen Be¬ schaͤmung gestehen, es ist mir so sehnsuͤchtig um's Herz, ich sehne mich nach einem Gegenstand, den ich freßlieb ha¬ ben konnte, es ist mir so leer, so leer, ich moͤchte Alles ver¬ schlingen; ich muͤßte mich sehr irren, oder ich habe einen ganz abscheulichen Hunger, denn seit ich das Birkenreis ge¬ schmeckt, habe ich nichts mehr uͤber mein Herz gebracht, als einige Wald-Erdbeeren; Sissi, schaffe mir etwas zum schna¬ belieren, oder ich sterbe aus Sehnsucht.“ — Da erwiederte Sissi: „Herz Gackeleia! du hast ja noch eine halbe Bretzel und einen halben Bubenschenkel in deinem Koͤrbchen;“ aber ich entgegnete: „daß sind Dokumente, und ich wollte eher ver¬ hungern, als Dokumente essen.“ „Wohlan,“ sagte Sissi, „ich will sehen, was ich dir auftreiben kann,“ da pfiff sie einige Mal, worauf eine Fledermaus zu ihr heranflog, welcher sie den Auftrag gab: die reinsten Schulmauskinder sollten au¬ genblicklich Beeren pfluͤcken und auf gruͤnen Blaͤttern mir zu Fuͤßen legen — eben so solle sie den anwesenden Geschaͤfts¬ traͤger der Haselmaͤuse, den wohlriechenden Chevalier Mus¬ cardin in ihrem Namen um eine Portion Haselnuͤße bitten und diese hieher besorgen, uͤberhaupt moͤge sie Alles, was sie von menschlichen Eßwaaren auftreiben koͤnne, ohne großes Aufsehen zu machen, so schnell als moͤglich herbeischaffen. — Die Fledermaus machte ihr unterthaͤniges Kompliment und flog von dannen. — Schon nach einigen Minuten bemerkte ich eine große Thaͤtigkeit: die Maͤuse schleiften ein altes, rund genagtes Trommelfell auf den Rasen in meine Naͤhe und deckten mehrere große Pilze, die wie kleine Tische um¬ herstanden, mit Blaͤttern und trugen allerlei Eßwaaren da¬ rauf zusammen. Nun sprach ich zu Sissi: „Hoͤre mich an, du bist be¬ sonnen und klug, was ich dir sage ist wahr, was ich ver¬ lange, mußt du thun, sonst seyd ihr Alle verloren, Aufsehen muß vermieden werden, damit kein unnoͤthiger Schrecken das schuͤchterne Volk verwirrt. Sich dort die kleine Pulver¬ tonne aufgerichtet und mit Steinen belegt: Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog, die fuͤnf Raͤdelsfuͤhrer des jungen Katzenellenbogens, welche darin in einer Alonge-Pe¬ ruͤcke ihre Krallen auf einem Todtenkopf zu eurem Untergange gewetzt haben, wurden von mir darunter gefangen, ich habe ihre Loge gedeckt und die Pulververschwoͤrung, das Spundloch der Hoͤlle, verstopft. Gehe gleich mit deinem Gatten, Prinz Speckelfleck, zu deinem koͤniglichen Vater Mausolus VIII ., zeige es ihm an, und sage ihm, er solle eilend befehlen, daß alle Maͤuse und den Maͤusen Befreundete ohne Ausnahme Lehm, Erde und Rasen zu dem Fasse hintragen und es rund damit umgeben, bis es ganz ummauert eine Pyramide wird. So eingeschlossen werden sie einander selbst zerreißen und ihr werdet euch durch euer frommes Gebet gerettet fin¬ den. — Dem Volke soll gesagt werden, das Ganze sey ein Monument zum Andenken meiner Anwesenheit und deiner Ret¬ tung und heiße Gackeleioeum, ein Gegenstuͤck zu dem Mau¬ soleum. Er soll nur sein Volk, aber keine Maurer daran arbeiten lassen, denn die da drinnen duͤrften nur einmal rufen: „Mack,“ und die draußen antworten: „Benack,“ so waͤre Alles verrathen. — Eile, es ist keine Zeit zu verlieren, der Bau muß fertig seyn, wenn ich deinem Vater die versprochenen patriotischen Backwerke schicke, welche bei der Einweihung das Fest verherrlichen koͤnnen. Mache deinen Bericht kurz und kehre schnell mit Prinz Speckelfleck zuruͤck, damit wir inkognito fortreisen.“ Ich bewunderte die Gemuͤthsfassung der hochherzigen Prinzessin Sissi: ein Blick des Entsetzens gegen die Pulver¬ tonne, ein Blick des Dankes gegen mich, ein Blick der Hoff¬ nung gegen den Himmel war alles, was sie erwiederte, und sogleich lief sie in der groͤßten Eile zu dem koͤniglichen Kaͤse¬ pallast hinauf. Der Hunger weckte mich nun, ich naͤherte mich der von den Maͤusen zusammengetragenen Mahlzeit, da fand ich auf dem Trommelfell eine kleine Melone, welche die Marquise Marmotte selbst herangewaͤlzt hatte; der Che¬ valier Muskardin hatte nicht nur ein halb Hundert der schoͤn¬ sten Haselnuͤße eigenmaulig heraufgetragen, sondern auch aufgeknackt; die Schuljugend hatte einen Haufen Erdbeeren und Heidelbeeren herbeigetragen und in Nußschaalen sehr ar¬ tig angerichtet, eine Speckmaus hatte einen gewaltigen Flug gethan und mir einen ganzen frischen Bubenschenkel aus einem Baͤckerladen und ein Wuͤrstchen aus einem Fleischerrauchfang von Gelnhausen gebracht, Dank dem edlen, biedern, deut¬ schen Herzen! an ihm wird die alle edlen Anstrengungen so sehr beachtende Familie der Mausoleer das Sprichwort wahr machen: „dem Verdienste seine Kronen.“ Ach! wie ruͤhrend war es, als nun noch ein gemuͤthvoller, junger Igel von der schoͤnsten Haltung zu mir heran rasselte, wie ein ganzer Ruͤstwagen; er hatte sich in einem benachbarten Ort unter den Borstorfer Aepfelbaͤumen gewaͤlzt und alle herabgefalle¬ nen Aepfel auf seinen Stacheln aufgespießt, die ich ihm dankbar herabnahm, worauf er sich schweigend empfahl. Er war etwas melancholisch, denn er war verkannt, sein Ge¬ schlecht gehoͤrt zu den Feinden der Maͤuse, aber er hatte seine Natur besiegt und lebte in einsamer Betrachtung als philo¬ sophischer Wohlthaͤter und Maͤusefreund unter ihnen von dem schoͤnen Herzen der geistvollen Prinzessin Sissi geschuͤtzt. Ich aß nun im Zwielicht (denn der Mond war unter¬ gegangen und es daͤmmerte im Osten) ohne große Wahl, was mir unter die Finger kam, lustig hinein, Alles, Alles schmeckte koͤstlich — o da kam erst das Beste! — ach es ra¬ schelte etwas neben mir und es rollte etwas in mein Schuͤrz¬ chen, ich fuͤhlte, es war ein Ei, ich hielt es neugierig dem ersten Strahle des Tages entgegen — es war schwarz mit einem schoͤnen Vergißmeinnicht bemahlt, ringsum standen die Worte: „Vivat Gackeleia,“ ich schuͤttelte es, ach es ras¬ selte Geld darin; wie ein Blitzstrahl durchfuhr es meine Seele: es ist das Ei meines lieben Kronovus, das er fuͤr mich alle Wochen mit seinem Taschengeld hinten an den En¬ tenpfuhl verstecken wollte! meine Freude war unaussprechlich — aber wer ist der wohlthaͤtige Sterbliche, der mir diese hoͤchste Freude gemacht? dachte ich und sprang auf und rief aus: „o mein heimlicher Wohlthaͤter entziehe dich meinem Danke nicht!“ aber ich hoͤrte es fern weg eilen, und ein wundersuͤßer Moschusgeruch drang mir entgegen. Da wurde es mir klar, und ich rief ihm nach: „du bist es edler Piloris, fernher pilgernden Menschenwohlbezwecker im schwarzen Frack und weißen Unterkleidern, der Wohlgeruch deiner schoͤnen Hand¬ lungen verraͤth dich!“ „Ja, liebe Eltern,“ unterbrach sich hier Gackeleia, „ich hatte mich nicht geirrt, diese edle Moschusratte Piloris war es gewesen. Sissi, der ich von dem Ei des Kronovus er¬ zaͤhlte, hatte ihm schon in der Kirche zugefluͤstert, welche große Freude es ihr machen wuͤrde, wenn sie meine Wohl¬ thaten gegen sie mit diesem Eie belohnen koͤnnte. Piloris, so hohes Interesse er auch an der Rede des edlen Musku¬ lus hatte, verließ sogleich den Dom und eilte, ohne sich um¬ zusehen, nach der Eierburg an den Entenpfuhl und brachte dies Ei, welches Kronovus seinen Worte getreu mit 1 Gul¬ den 30 Kreuzer beschwert dort hin versteckt hatte.“ Gockel und Hinkel sahen das Ei mit großer Ruͤhrung an, die beiden Maͤuschen kamen herbeigelaufen und tanzten lustig umher, als gaͤben sie ihren Beifall. Frau Hinkel aber sagte: „erzaͤhle weiter Gackeleia, damit du einmal von all dem Ungeziefer wegkommst“ und Gackeleia fuhr fort: Gleich werde ich davon weg seyn, um zu noch viel aͤrgerm Ungeziefer zu kommen. Ich hatte mich pumpsatt ge¬ gegessen , ich packte die Puppe — nein die nur eine schoͤne Kunstfigur — in mein Koͤrbchen, ich legte mein liebes Ei, einige Aepfel und Haselnuͤße und den halben Bubenschenkel, der noch uͤbrig, hinein und auch das Wuͤrstchen und von dem Moos meines Lagers; kaum war ich fertig, da kam Prinz Speckelfleck und Prinzeß Mandelbiß und huͤpften in das Koͤrbchen und pfifferten allerlei, was ich nicht verstand — aber es mußte wohl heißen, daß meine Sendung ausgerich¬ tet sey, denn ich sah das Andringen von unzaͤhligen Maͤusen mit Erde und Rasen durch alle Straßen und Schluchten in solcher Menge, daß ich mich auf die Hoͤhe vor den Dom retirirte, um keinen der Arbeiter zu zertreten. Es war ein wunderbarer Anblick, viele stroͤmten gegen die Pulvertonne hin und bissen die Dornen und Disteln rings weg, andere wuͤhlten Erde und Lehm auf, andere benetzten sie und mach¬ ten Klumpen daraus, dann legten sich Ratzen und Maͤuse auf den Ruͤcken und faßten die Erde mit den Fuͤßen, und die andern zogen sie bei den Schweifen wie beladene Wagen fort. Vor allen zeichnete sich die Marquise Marmotte aus, sie hatte einen Klumpen Rasen, groͤßer als ein Backstein, zwischen ihren Pfoten, der Chevalier Muskardin und der edle Piloris spannten sich vor und zogen sie bis an die Pulvertonne; der edle Igeljuͤngling war auch mit Rasenstuͤcken bedeckt und trug sie hinauf. — Ich segnete die liebe Maͤusestadt und eilte mit meinen zwei Maͤuschen und sieben Saͤchelchen im Korbe dem Walde zu. Ich zog uͤber Berg und Thal und fragte vergebens nach euch, liebe Eltern; manchmal ließ ich bei Baͤckerlaͤden meine Kunstfigur vor den Kindern herumtanzen und der Baͤcker gab mir gern ein Broͤdchen zur Belohnung. So fristete ich mein Leben. Wir zogen um Gelnhausen herum, denn ich fuͤrchtete den Bettelvogt, Meister Schelm; da ich aber die Hahnen dort kraͤhen und auf den Thurmspitzen in die Ferne blinken sah, ward mir es recht schwer ums Herz, und wenn etwas im Gebuͤsch raßelte, guckte ich um und meinte immer das Prinzchen Kronovus kaͤme vielleicht auf seinem Schimmel¬ chen zur Jagd geritten. Aber, wer nicht kam, das war er. Da ich nun einige Stunden weiter, nahe bei einer ganz herr¬ lichen Stadt, reisemuͤd an einem Baͤchlein niedersaß und mich im Wasser beschaute, mußte ich mich recht schaͤmen, ich hatte vergessen, mich am Morgen meiner Abreise und am folgen¬ den Abend zu waschen und sah nun, daß ich Mund und Nase ganz schwarz von den vielen Heidelbeeren hatte, die ich in der Maͤusestadt im Dunkeln gegessen hatte. Nun wußte ich erst, warum die Kinder uͤberall mich ausgelacht hatten, und ich war recht froh, daß Kronovus mich nicht so schmu¬ tzig gesehen hatte. Geschwind wusch ich mich und erfrischte mich durch und durch. Ich aß auch ein Bischen mit mei¬ nen Maͤuschen, und da es sehr heiß gewesen, war ich schlaͤf¬ rig und legte mich vom Gebuͤsch versteckt auf den weichen Rasen und schlief. Da kam Prinz Speckelfleck an mein Ohr und sagte mir: „Wir sind am Ziel unserer Reise, wir ha¬ ben die herrliche Hauptstadt Urbs des Weltreichs Orbis vor uns. Hier ist der Ring deines Vaters, hier woh¬ nen die morgenlaͤndischen Petschierstecher; als sie mir Sissi entfuͤhrt, bin ich ihnen bis hieher gefolgt, wo sie hingiengen, weil Alles, was Salz lecken kann, hier frei und ungestoͤrt leben darf. Sie sind immer in Angst vor allen Menschen und vor einander selbst. Sie fuͤrchten des Ringes halber ge¬ toͤdtet zu werden; damit man nun nicht merken moͤge, wo ihr großer Reichthum herkoͤmmt, haben sie hier die großen Salzbergwerke gekauft und sind Salzverschwaͤrzer, Salzver¬ silberer, Salzjunker und endlich Salzgrafen geworden; sie ha¬ ben sich einen salzgraͤflichen Pallast erbaut, sie sagen, daß sie Gold machen koͤnnen; aber Alles ist durch den Ring Salomonis. Trage mich und Sissi nur gleich in die Kirche und bete einst¬ weilen, daß Gott uns hilft, so wollen wir den Ring bald erwischen. So gern ich und Sissi und alle Maͤuse Salz le¬ cken, brauchen wir doch kein Scheffel Salz mit diesen kurio¬ sen Grafen zu essen, bis wir sie kennen lernen.“ Nach diesen Worten wachte ich auf und trug die Maͤus¬ chen geschwind, geschwind in meinem Korb in die Kirche nach Urbs; der Gedanke, dem lieben Ring so nah zu seyn, lehrte mich so schnelle zu laufen, als da ich die Puppe und mich die Ruthe verfolgte. — O liebe Eltern, welche Kirche! welches Wunder der Architekto-Natuͤrlichkeit, der ungeheure große gothische Saͤulenwald mit unzaͤhlichem Schnitz-, Spitz-, Glitz-, Blitz-, Ritz-, Kritz- und Spritzwerk im vorgothischen und hintergelnhausenschen Spitzbubenschenkel-Katzenellenbo¬ gen-Styl uͤbertraf das Unerhoͤrte. — Alles, alles war von Salz, die Kirche war ein Salzkrystall, die Fenster waren Salzscheiben, die Kanzel war ein Salzfaß; das Merkwuͤr¬ digste aber war die Erbauung dieser Kirche: ein eifriger Mann hatte hier vom Krystalismus predigend gesagt: wer die Hand an den Pflug gelegt, der solle sich nicht mehr um¬ schauen, die Weiber sollten an Loths Weib denken, die durch das Umschauen in eine Salzsaͤule verwandelt worden; „ach!“ rief er aus, „wollte Gott ein Wunder zur Erbauung der Kirche thun, an eurem Umschauen fehlt es nicht, so haͤtten wir einen Wald von Saͤulen, ehe man sich umsieht, um eine Kirche darauf zu stuͤtzen.“ In demselben Augenblick kam die Frau Salzinspektorin mit einem neuen Hut in die Kirche, Da schauten sich um alle Fraͤulen und dienten verwandelt in Saͤulen zur allgemeinen Erbauung der Kirche im go¬ thischen Styl, denn in diesem Styl war der Hut der Frau Inspektorin. So wurde die Kirche zwar sehr schnell, aber doch nicht, ehe man sich umsah, erbaut. Als ich in das Salzmuͤnster hineintrat, verließ eben nach der Nachmittags- Predigt der Redner die Kirche, aber ich versaͤumte nichts, die Kirche ist echoistisch gebaut, der Redner braucht nur ein paar Worte zu verlieren, so werden sie sogleich von Frau Echo, der unverbesserlichen Widerbellerin, aufgeschnappt und eine halbe Stunde lang zwischen den Saͤulen herumgehetzt und geschleudert, und so lief auch jetzt zwischen allen Salz¬ saͤulen die Rede umher: „so gut auch das Salz sey, waͤre es doch mißlich, wenn es dumm werde, man habe Nichts, um es zu salzen und es mache weder das Feld noch den Mist besser.“ — Ich kniete in ein Winkelchen und be¬ tete herzlich um die Huͤlfe Gottes; nicht weit von mir kniete eine praͤchtig geputzte Koͤchin, und neben ihr stand ein von Makaroninudeln geflochtener Gemuͤskorb, auf welchem mit goldenen Buchstaben stand: „salzgraͤflich-Salomon- Salabonischer Salatkorb.“ Sissi und Pfiffi merkten gleich, daß dieses die Koͤchin der drei morgenlaͤndischen Petschier¬ stecher sey, sie schlupften in den Korb und ließen sich von ihr in den salzgraͤflichen Pallast tragen. Als ich nun in der Kirche einsam und allein war, vernahm ich durch das geschaͤftige Echo jedes Gebet, jedes Fluͤstern und Seufzen der Umherknieenden; der Eine betete: „ach Gott! befreie uns von dem Hoffaktor Salzgraf Salathiel Salaboni, er ist schuld, daß das Salz so dumm und theuer geworden;“ der Andere: „befreie uns von dem Commerzienrath, Salzgraf Salomon Salaboni, er ist schuld, daß die Salzkukummern so kuͤmmerlich schmecken und so klein sind;“ der Dritte seufzte: „ach hilf uns aus dem Salz des Elendes, befreie uns von dem Hoflieferanten, Salzgraf Salmanasser Salaboni, er ver¬ salzt uns alles Leben, fuͤllt unsere Augen mit gesalzenen Thraͤnen und fegt unsre Beutel aus dem Salz!“ — Da betete ich dann auch so recht von Herzen, Gott moͤge mir wieder zu dem Ringe helfen, weil die drei Morgenlaͤnder doch keinen Menschen damit gluͤcklich machten. — Da es aber in der Kirche so huͤbsch stille und kuͤhl war, uͤberfiel mich ein leiser Schlummer, und ich hatte schier so lange geschlafen, daß mich der Kuͤster in die Kirche eingesperrt haͤtte; aber Sissi kam gerade zur rechten Zeit und fluͤsterte mir in die Ohren: „geschwind Gackeleia, geh mit mir aus der Kirche; hoͤrst du? der Kuͤster rasselt schon mit den Schluͤsseln; geh mit mir, du sollst selbst sehen, wie wir den Ring erwischen, wir haben die beste Hoffnung.“ Froͤhlich nahm ich nun die kleine Maus in mein Koͤrbchen und gieng mit ihr nach dem Schlosse der Petschierstecher. Als wir an die Gartenmauer kamen, sprang Sissi an die Erde und zeigte mir den Weg. Die Sonne war im Begriff unterzugehen. Ich gelangte hin¬ ter ein artiges Lusthaus, Krystalline genannt, wo ich auf den Kuͤbel eines Orangenbaumes stieg und durch eine Spalte im Fensterladen Alles sehen und hoͤren konnte, was im Gar¬ tenhaus vorgieng. Die drei Salzgrafen saßen jung und glaͤnzend mit wohl¬ akkomodirten Peruͤcken in verschiedenen alamodischen kuriosen Uniformen um einen Tisch, in dessen Mitte der koͤstliche Ring Salomonis lag und stritten miteinander, wer den Ring am Finger tragen und wuͤnschen sollte; sie nannten sich Commer¬ zienrath, Hoffaktor, Hoflieferant untereinander und Jeder wollte nicht mehr so heißen, jeder wollte den Salzgrafenti¬ tel haben; der Eine schrie: „einer muß der Erste seyn,“ die Andern schrien: „das geht nicht, wir sind Drillinge, wir sind eine große Merkwuͤrdigkeit, keiner geht vor dem andern;“ da schrie der Eine wieder: „ich habe die Maus gefangen und unter die Puppe geheftet, wodurch wir der Gackeleia den Ring abgelockt, ich muß ihn haben, wem ich was wuͤnschen soll, der bringt mir einen vollwichtigen Go¬ ckelsd'or, da wuͤnsche ich ihm Etwas, wie gerade der Kurs steht.“ — „Wie kommst du mir vor?“ sprach der Andere, „habe ich doch den falschen Ring gemacht, der fuͤr den aͤch¬ ten dem Gockel an den Finger gesteckt ward, ich muß den Ring haben!“ — „Was soll mir das?“ schrie der Dritte, „habe ich doch die Puppe gekleidet und tanzen lassen und die große Arie gedichtet uud abgesungen von der großen Gar¬ derobe, habe ich doch der Spielratze die Puppe aufgeschwaͤtzt, den Ring abgeschwaͤtzt und euch den Ring gebracht, mein muß er seyn!“ Da sie aber gar nicht einig werden konnten und lange geschrieen und gezankt hatten, weil immer der Eine fuͤrchtete, der Andere moͤge ihm den Tod anwuͤnschen, wenn er den Ring am Finger habe, griff endlich der Eine mit solcher Heftigkeit nach den Ring, daß er den Tisch um¬ stieß, und dieß machte sich der Andere zu Nutz und ertappte den an die Erde gefallenen Ring, steckte ihn an den Finger und drehte und schrie: „Salomon du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Mach' zwei Esel aus den Beiden, Die in diesem Garten weiden, Ringlein, Ringlein dreh dich um, Mach's geschwind, ich bitt dich d'rum.“ Waͤhrend er dieses mit der groͤßten Eile hergeschnattert hatte, rissen die Beiden Andern ihn hin und her; aber es waͤhrte nicht lange, so waren sie Beide zwei dicke, haͤßliche Esel, und er nahm einen Pruͤgel und trieb sie aus dem Gar¬ tenhaus hinaus, das er hinter ihnen verschloß. Sie schrieen und bissen sich unter einander noch eine Weile, fiengen aber bald an, sich in ihre neue Natur zu schicken und Trau¬ ben und Disteln durcheinander zu fressen. Ich guckte wieder in das Gartenhaus, da wollte sich der, welcher den Ring hatte, schier bucklicht lachen, weil er seine Gesellen endlich so sauber angefuͤhrt. „Gott sey Dank,“ sagte er, „nun kann unser eins doch einmal ruhig ausschla¬ fen, ohne die Gefahr, daß der andre ihm den Tod wuͤnscht.“ Nach diesen Worten schaute er sich lachend im Spiegel an und haͤngte seinen Federhut auf die Spitze einer wunderba¬ ren Kaktuspflanze, die an der Wand bluͤhte. Der Ankaufs¬ preis stand auf dem Topf. Die Peruͤcken und Huͤte der zwei andern lagen noch an der Erde, wie auch ihre Stuͤhle. Nun lehnte er sich breit in seinen Prachtstuhl, stellte die Fuͤße auf einen Schemel und sprach: „reich zum zahlen, klug zum prahlen, schoͤn zum malen — was fehlt mir noch, ich will beruͤhmt werden — da faͤllt mir was ein — ich will den Namen Pictus, Salzgraf von Orbis annehmen, und will einen neuen Orbis Pictus herausgeben, da sollen alle unbefriedigten Wuͤnsche der Welt nach dem ABC darin abge¬ malt werden, und ich will sie mir alle mit dem Ring befrie¬ digen von A bis Z — aber Alles, Alles mit Geschmack und Kunstgefuͤhl — poetisch, sympathetisch, magnetisch“ — und nun fieng er an, bald tuͤchtig zu schnarchen. Nun ist es Zeit, dachten Pfiffi und Sissi und schlupften beide durch ein Loch in das Gartenhaus. Ich wendete kein Auge von dem Schlafenden und dem Ring an seinem Finger; ach, er hatte eine Faust gemacht, und der Ring schien sehr schwer zu bekommen; aber Sissi nahte sich seinem Ohr und sang mit der suͤßesten Stimme nichts als das Verslein: „Louisd'ore und Dukaten Aechte Perlen, Diamant, Ritterorden, Ihro Gnaden, Hohe Bildung, Ordensband, Witz und Wesen, scharf und zart, Gaͤnsefett und Backenbart.“ Kaum hatte der Schlafende diesen Vers gehoͤrt, als er die Hand so oͤffnete, als wolle er nach all den schoͤnen Sa¬ chen greifen. Nun biß ihn Prinz Pfiffi in den Ringfinger; er wachte auf und sagte: „ein scharmanter Traum, aber der Ring druͤckt mich und weckt mich auf, wer kann ihn mir hier nehmen? die zwei Esel grasen draußen nach dem besten Appetit; was brauchen sie mehr? ungebildete Menschen ken¬ nen keine hoͤheren Beduͤrfnisse. Sie sollen nicht einmal die Ehre haben unter den dreihundert weißen Mauleseln zu seyn, die ich mir wuͤnschen werde, um die Schluͤssel meiner Schatz¬ kammer zu tragen. Ach, der schoͤne Traum! ich will ver¬ suchen, ob ich ihn wieder traͤumen kann; Psyche, das an¬ genehmste Frauenzimmerchen aus der klassischen Literatur, ruͤhrte mich an der Nase mit einer Blumenzwiebel an und beleuchtete mit einer hetrurischen Lampe das Traumbild mei¬ ner Wuͤnsche — ich will nochmals geruͤhrt werden, ich will geruͤhrt seyn, der Ring soll mich nicht wieder stechen, ich lege ihn, bis ich erwache, auf den Tisch.“ Nun zog er den Ring ab und schlief wieder ein, indem er fluͤsterte: „Psyche ruͤhr'! und nicht vergebens! Fuͤhr', was ich im Schilde fuͤhr', Fuͤhr' das Traumbild meines Lebens, Mir empor dort an der Thuͤr!“ kaum aber schnarchte er, als Sissi ihm wieder ins Ohr sang: „Louisdore und Dukaten, Aechte Perlen, Diamant, Ritterorden, Ihro Gnaden, Hohe Bildung und Verstand, Witz und Wesen scharf und zart, Gaͤnsefett und Backenbart.“ Da laͤchelte er so suͤß wie ein Topf voll saurer Milch und antwortete mit schmachtender Stimme im Traume: „Psyche ruͤhrt und nicht vergebens, Seh' das Traumbild meines Lebens, Seh', was ich im Schilde fuͤhr', Ich im Wappen an der Thuͤr, 12 Von dem Goldsack blasonirt, Mit Papieren kraus verziert, Grand-Kordon und Lorbeerkron, Huldigung, Dedikation, Und weil ich gemalt seyn muß, Seh' ich dort mich als Modell Vor dem kuͤhnsten Genius, Der sein eigner Pegasus, Der sein eigner Musenquell, Schoͤpfer schier, kaum Kreatur, Alles lernte von Natur. Ja, ein solcher Geist haucht nur Treu in ganzer Positur Und urspruͤnglicher Figur Meiner Grazie Formenzauber Auf die Leinwand zart und sauber; O wie duftig! wie moelleux ! Kunst, das ist die hoͤchste Hoͤh!“ Hierauf breitete er die Arme mit großer Innigkeit aus und sprach: „Seyd umschlungen Millionen, Diesen Kuß der ganzen Welt! Schoͤnste Psyche, o verschonen Sie doch mein, ich hab' kein Geld, Bin geruͤhrt und alterirt, Denn die Schildwach' praͤsentirt!“ Da brachte mir Sissi den Ring Salomonis durch das Loch heraus, ich steckte ihn in tausend Freuden an den Fin¬ ger, drehte ihn und sagte voll Neugier: „Ringlein sag' mir unversaͤumt, Was der Petschaftstecher traͤumt!“ Und gleich sah ich, daß dem Petschierstecher Alles, was er im Schild fuͤhrte, in einem praͤchtigen Wappen im Traume vorgestellt wurde. Ein Geldsack war der Helm, allerlei Pa¬ piere und Wechselbriefe die Helmzierde, er selbst stand voll An¬ stand in der Mitte, ein Genius kroͤnte ihn mit Lorbeern, ein Andrer reichte ihm ein Ordensband, einer huldigte ihm mit Kleinodien, einer dedizirte ihm ein Buch; auch war das Sinnbild der Sternsehenden Wachsamkeit eine fette Gans vor seinen Fuͤssen. Ganz unten aber im Wappen malte der gefluͤgelte Genius der Kunst selbst den Schoͤnsten der Sterb¬ lichen, denn ein Anderer haͤtte nie vermocht, einen so ur¬ spruͤnglichen Menschen aufzufassen. Nun aber oͤffnete sich ploͤtzlich der purpurfarbichte Sammetkelch einer Kaktusbluͤthe und zwischen den weißseidenen Staubfaͤden schwebte eine feine Jungfer mit Schmetterlingsfluͤgeln hervor an die Seite des Wappens hin; in der einen Hand hatte sie eine Zwiebelpflanze, mit der sie die Nase des Gluͤcklichen beruͤhrte, in der andern trug sie eine antike Lampe, womit sie das Wappen beleuch¬ tete. Er nannte sie Psyche. — An der andern Seite des Wappens erschien ein Grenadier, der das Gewehr praͤsen¬ tirte. — Ach, der gute Salzgraf traͤumte so selig, daß er mich schier dauerte; aber ich konnte ihm nicht helfen, ich mußte ihm aus dem Traum helfen; — ich drehte also den Ring mit den Worten: „Salomon du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Lasse diesen, wie die andern Gleich als einen Esel wandern; Schaff' auch einen Eseltreiber, Der mir ihre faulen Leiber Mit dem Pruͤgel tuͤchtig ruͤhrt. Und zum Vater Gockel fuͤhrt. Ringlein, Ringlein dreh dich um, Mach's recht schnell ich bitt' dich drum.“ Und sieh da, gleich war der Esel fertig, und der Trei¬ ber stand schon bei ihm, trieb ihn mit einem Pruͤgel aus dem Gartenhaus hinaus und mit den beiden Andern hieher. Ich aber drehte den Ring und wuͤnschte bei euch zu seyn. Da war ich gleich hier in dem Hof und als ich euch in dem alten Huͤhnerstall so klagen hoͤrte, wuͤnschte ich, daß das 12 * Schloß wieder seyn moͤchte, wie es einst im hoͤchsten Glanze bei unsern Voraͤltern gewesen; auch wuͤnschte ich euch als schoͤne Leute in den besten Jahren und mich als eine schoͤne vernuͤnftige Jungfrau, uͤber die Puppen — wollt' ich sagen Kunstfiguren-Jahre hinaus zu sehen; zuͤrnet nicht lieber Vater, aber der Gedanke an die Kunstfigur von Birkenreis kann mich noch jetzt erbittern.“ — Gockel lachte und sagte: „Ga¬ ckeleia dreh' den Ring nur noch einmal, um verstaͤndig zu werden, es steckt noch viel vom eigensiunigen Kind in der erwachsenen Jungfrau, du willst die Ruthe noch nicht kuͤ¬ ßen!“ — da kuͤßte Gackeleia ihm die Hand und fuhr fort: „Als nun Alles nach meinem Wunsche geworden war, schlich ich zu euch in den Huͤhnerstall und druͤckte mich in einen Winkel, um eure Ueberraschung recht zu genießen. Sissi aber wollte mit aller Gewalt unter die Puppe gebunden seyn, um euch zu wecken; da lief sie uͤber euer Stroh und als ihr aufriefet: „die Puppe! die Puppe!“ sagte ich: „Keine Puppe, es ist nur Eine schoͤne Kunstfigur.“ „Das Andre wißt ihr Alles.“ Nach dieser Erzaͤhlung umarmten Gockel und Hinkel die Gackeleia unter Freudenthraͤnen und sagten: „Dank, tausend Dank, liebes Kind; du sollst zum Lohne deiner Guͤte nun auch den Ring immer am Finger haben, du sollst Alles wuͤnschen, was du willst!“ Gackeleia sagte: „ich nehme es an, vor Allem wollen wir die drei Esel, welche im Hofe stehen mit Allem bepa¬ cken; was ich dem guten Maͤusekoͤnig versprochen habe und dann sollt ihr sehen, wie vernuͤnftig ich wuͤnschen will“ Nun giengen sie hinab und wuͤnschten, nachdem die Kaͤse und die Schinken den Eseln auf den Ruͤcken gepackt waren, den Koͤnigsberger Marzipan, den Thornischen Pfefferkuchen, die Jauerischen Bratwuͤrste, die Spandauer Zimmetbretzeln, den Nuͤrnberger Lebkuchen, die Frankfurter Brenten, die Sachsenhauser Kugelhupfen, die Mainzer Vitzen, die Geln¬ hausner Bubenschenkel, die Koblenzer Todtenbeinchen, die Liestaller Leckerli und die Botzener Zelten auch dazu, welche sich ohne Verzug einstellten und die Esel so belasteten, daß sie schier niederbrachen. Als nun die Zeit kam, daß Prinz Speckelfleck und Prin¬ zessin Sissi Abschied nehmen wollten, drehte Gackeleia den Ring Salomonis mir dem Wunsch, die Sprache der Maͤuse zu verstehen, ohne grade zu schlafen, und dadurch ward die Unterhaltung jetzt ganz leicht. Gackeleia sagte: „Meine lieb¬ sten durchlauchtigen Freunde! Euer Abschied thut mir sehr leid, wir verdanken euch Alles; ich will es euch belohnen. Ihr habt gesehen was der Ring vermag; die Petschierstecher hat er in Esel verwandelt — so ihr es verlangt, soll er euch gleich in Menschen verwandeln, und ihr koͤnnt fuͤr immer hier bei uns bleiben.“ — Die beiden Maͤuschen schauten sich ernsthaft an und dann erwiederte Sissi: „Gackeleia, du sagst ein großes Wort — aber lasse uns bleiben, was wir sind, wir wollen uns nicht von unserm Volke trennen, wolltest du auch unser ganzes Volk zu Menschen machen, wo waͤre das Land, das sie fassen und ernaͤhren koͤnnte? — o es gaͤbe Mord und Todschlag und Hungersnoth! — nein, wir sind uns als Maͤuse genug; uns bleibt Nichts mehr zu wuͤnschen uͤbrig, als daß wir, gluͤcklich nach Hause gekommen, die Verschwoͤrung Mack, Benack, Gog, Magog und Demagog mit der Pulvertonne in dem herrlichen Monumente Gacke¬ leioeum auf ewig eingemauert finden, daß wir unsre koͤnig¬ lichen Eltern mit all den koͤstlichen Leckerbissen erquicken koͤn¬ nen und daß weder Papa noch Mama sich den Magen ver¬ dirbt. O die Einweihung des Monuments wird monumen¬ tal werden! — o wie hinreißend wird Muskulus deklamiren! wie suͤß wird der edle Piloris duften!“ — da fiel Speckel¬ fleck ein: „und nie bezaubernd die holde Marquise Marmotte tanzen!“ — Sissi aber that, als wenn sie ihn nicht hoͤrte; und Gackeleia erwiederte: „Sissi! du sprichst sehr vernuͤnf¬ tig, aber frage doch den anmuthigen jungen Igel, ob er vielleicht ein Mensch seyn moͤchte, er scheint mir melancho¬ lisch;“ — „ich glaube kaum,“ versetzte Sissi, „aber ich will es thun.“ Als hierauf Prinz Pfiffi und Prinzessin Sissi von ihren Freunden den zaͤrtlichsten Abschied genommen hatten, befe¬ stigte Gockel den falschen Ring Salomonis dem Esel, der ihn nachgemacht hatte, als ein Andenken in das Ohr, hef¬ tete ihm seine Pudelmuͤtze auf den Kopf und setzte die Maͤus¬ chen hinein, dann ließen sie durch die Treiber die drei Esel nach dem Maͤuseland hintreiben und recht viele schoͤne Gruͤße aus¬ richten. Als sie fort waren, sagte Gackeleia: „jetzt wollen wir auch einmal in unsre Schloßkapelle gehen und sehen, wie sie sich veraͤndert hat.“ Kaum hatte sie diese Worte gespro¬ chen, als die Glocke zu laͤuten anfieng und sie in die Ka¬ pelle rief. Sie traten hinein und konnten sich nicht satt se¬ hen, wie Alles so reinlich und festlich mit Blumen und Laub¬ kraͤnzen geschmuͤckt war. Alle Waͤnde und Steinbilder, das Grabmal des Urgockels und die Bilder aus seinem Leben waren wie neu, rein und polirt. Es war eine schoͤne Kan¬ zel an der Seite und gegenuͤber eine Orgel mit einem statt¬ lichen Organisten und seinen Blasebalgtretern. Mehrere kleine Jungen laͤuteten am Glockenstrang aus Leibeskraͤften. Ein Anderer lief mit Wasser und Sprengwedel umher und sprengte, daß es kuͤhl sey. An einer Seite streuten weißgekleidete Maͤdchen Blumen, an der anderen standen Knaben hinter großen Straͤußern versteckt. Aber es war doch keine rechte Kapelle, der Altar war auch nicht, wie zu Urgockels Zeiten, da waren keine Leuchter, keine Kerzen, kein Heiligthum. Der Ring Salomonis hatte sein Moͤgliches gethan; aber er kann nur Zeitliches, Natuͤrliches, Kuͤnstliches, Weltliches, aber nichts Ewiges und Geistliches geben. Als sie Alles mit Freuden betrachtet hatten, wurden sie durch den Anblick des Hahns auf dem Grabmal des Urgo¬ ckels recht lebhaft an den guten Alektryo erinnert. Sie dach¬ ten an das Halsgericht, das Gockel hier gehalten. Frau Hinkel und Gackeleia schlugen die Augen nieder; da spielte auf einmal der Organist eine sehr ruͤhrende Arie: „Wie sie so sanft ruhn.“ Es war ein gar feierlicher Moment. — „Ach der edle Alektryo!“ seufzte Gockel, „ich kanns nicht aushalten,“ schluchzte Frau Hinkel, „ach waͤre er nur wieder da!“ — „Ei,“ dachte Gackeleia, „dazu kann ich helfen“ und drehte ganz still an ihrem Ring: „Salomo du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Mache meine Eltern froh Durch den Hahn Alektryo; Ringlein! Ringlein! dreh' dich um, Mach geschwind, ich bitt' dich drum.“ Da hob sich ein Woͤlkchen auf der Stelle aus dem Bo¬ den, wo die Gebeine Alektryo's verbrannt worden waren, und wirbelte und ballte sich zusammen und ward wie ein Hahn und der Uralektryo auf dem Grabmal ruͤhrte sich, streckte den Hals, schlug mit den Fluͤgeln und kraͤhte durch¬ dringend, und es fuhr wie ein Feuerstrahl aus seiner Kehle sichelfoͤrmig zu der kleinen Wolke nieder, die im Augenblick der alte kraͤftige Alektryo ward, auf Gockels Schulter flog, mit den Fluͤgeln schlug und mit ritterlichem Kraͤhen dem steinernen Hahn antwortete, worauf draußen in dem Huͤh¬ nerhof alle Hahnen antworteten; es gieng wie ein Zurufen der Schildwachen von Hahn zu Hahn das Kraͤhen umher. Aller Freude uͤber Alektryo war sehr groß, er selbst aber war tiefsinnig und nachdenklich, er meditirte. Da nun von allen Seiten die Huͤhner und Hahnen in die Kapelle hinein kamen, den Alektryo zu sehen, benutzte dieser die durch seine Wiedergeburt erschuͤtterten Hahnenherzen und Huͤhnergemuͤ¬ ther, schwang sich auf die Kanzel empor und hielt eine ganz erstaunlich ergreifende Rede uͤber Familiengluͤck und Kinder¬ zucht, so daß auch kein Huͤhnerauge ohne Mitgefuͤhl blieb, all das unten zuhoͤrende Federvieh schluchzte und piepte ganz leise — der Organist accompagnirte gar lieblich mit einer melancholischen Arie: „Ach Schwester! die du sicher u. s. w.“ Auch die raugraͤfliche Familie war sehr geruͤhrt. Als nun Alektryo am Schluße seiner Rede ausrief: „ist Jemand unter den verehrten Anwesenden, der feierliche Ver¬ loͤbniß oder Hochzeit zu halten wuͤnscht?“ — drehte Gacke¬ leia den Ring, ohne zu wissen wie, und sprach ganz heim¬ lich, ohne zu wissen was: „Salomo du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Bring' doch den Kronovus her So ganz, wie von ungefaͤhr; Ringlein! Ringlein! dreh' dich um, Mach' geschwind, ich bitt' dich drum.“ Da ertoͤnten ploͤtzlich Jagdhoͤrner im Schloßhof, Gacke¬ leia lief hinaus, als ob ihr der Kopf brenne, und sah das Prinzchen Kronovus in einem gruͤnen Jagdroͤckchen von sei¬ nem Schimmelchen springen, und sie flogen sich einander in die Arme mit dem Ausruf: „Ach wie bist du so groß, buͤck dich!“ — „Ach wie bist du so klein, streck dich!“ — Gackeleia aber drehte, schnell den Ring hinter dem Ruͤcken des Kronovus und wuͤnschte, daß er so erwachsen und verstaͤndig seyn moͤge, als sie selbst, und sieh da, er ward es zusehends, woruͤber sie eine große Freude hatte. Da eilte sie mit ihm in die Kapelle, sein Jagdgefolge aber blieb in den Thuͤren stehen. Gockel und Hinkel gruͤßten den Kronovus herzlich und dieser sagte sogleich, da sein Herr Vater Eifrasius und seine Frau Mutter Eilegia, das Zeitliche gesegnet haͤtten und mit Tod abgegaugen seyen, erklaͤre er ihnen, daß, so sie ihm die Hand ihrer Tochter Gackeleia geben wollten, er sie zu seiner Koͤnigin von Gelnhausen zu machen Willens sey. Da alle Theile zufrieden waren, fuͤhrten die Eltern das junge Paar zu dem blumengeschmuͤckten Altar. Indessen spielte und sang der Organist die schoͤne Arie: „Schoͤnstes Hirschlein uͤber die Maßen, hoͤrst du nicht den Jaͤger blasen?“ Alektryo aber schrie dreimal hinter einander von der Kanzel: „Zum Verloͤbniß hier sich melden Die Hochachtbar Wohlbestellten, Majestaͤt Kronovus, Koͤnig Von Gelnhausen, oberthaͤnig, Mit der zarten Raugraͤfinn Gackeleia, unterthaͤnig, Grafen Gockels Gau-Erbinn, Wend't Niemand was dawider ein, So sollen sie verlobet seyn!“ Kein Piepswoͤrtchen von einer Einwendung ließ sich hoͤren, als er aber zum drittenmal fragte: „wer wendet was dawi¬ der ein?“ erschallte eine dumpfe Stimme, die alle erschreckte: „Ich Urgockelio sag: Nein!“ Alles schaute das Bild des Urgockels an, Kronovus aber zog grimmig seinen Degen und schrie gegen den Grabstein: „Wer wagt's und spricht ein Wort darein?“ Urgockel aber schlug mit der Ruthe auf das steinerne Abc¬ buch, daß es rasselte und sprach, die Augen wie ein erzuͤrnter Schulmeister rollend: „Gleich steck' mir ein den Flederwisch, Sonst ich dich bei dem Fell erwisch' Und lasse dir die Kunstfigur Von Birkenreis recht tuͤchtig schmecken; Kennst du sie nicht? die Braut frag' nur, Sie wird dir, wie sie schmeckt, entdecken!“ Das ploͤtzliche Reden des steinernen Urgockels brachte keine geringe Stoͤrung unter die hohen Anwesenden und deren Federvieh, Gackeleia hatte kaum das Wort „Kunstfigur von Besenreis“ gehoͤrt, als eine gluͤhende Roͤthe ihre Wangen uͤberzog; aber sie sammelte sich augenblicklich und winkte dem Organisten, der in einem Spiegelchen Alles sah, was am Altare geschah, und dieser ließ ploͤtzlich alle Pfeifen los und machte einen Tusch wie mit Paucken und Trompeten, so daß die ganze Drohung Urgockels nicht gehoͤrt ward. Indes¬ sen zog Gackeleia die Kunstfigur auf, gab ihr einen kleinen Klingelbeutel in die Haͤndchen und ließ sie unter den anwe¬ senden Huͤhnern herumschnurren, mehrere junge Hahnen aber, welche kein kleines Geld bei sich hatten, fiengen daruͤber zu schwaͤtzen und endlich zu streiten an, und ein kleiner Junge nahm einen Sprengwedel und spritzte unter sie, daß sie mit großem Geschrei wegliefen, dazu schrie Alektryo fortwaͤhrend von der Kanzel, und Gackeleia war herzlich froh, daß man uͤber all dem Spektakel die Worte Urgockels nicht gehoͤrt und Kronovus seinen Degen wieder eingesteckt hatte. Als es wieder etwas ruhig geworden, rief Alektryo zum drittenmal: „Wendt Niemand was dawider ein, So sollen sie verlobet seyn!“ und aller Anwesenden Augen waren auf das Bild Urgockels gerichtet, welches sprach: „Ich segne euer Buͤndniß nur, Wenn ihr gehalten euern Schwur, Den ihr bei meinem Namen sprachet, Als ihr beim Fest die Bretzel brachet, Nur dann einander nie zu lassen, Wenn die gebrochnen Stuͤcke passen!“ Urgockel hatte aber diese Worte kaum ausgesprochen, als auch Gackeleia gleich aus ihrem Koͤrbchen und Kronovus aus seiner Jagdtasche, die Haͤlfte der Bretzel und des Bu¬ benschenkels hervorzogen und zusammenhielten; und die Bruch¬ stuͤcke paßten so scharf zusammen, als ob sie eben jetzt erst gebrochen waͤren. — Sie entschuldigten sich nicht, daß sie ihr Geluͤbde in der Freude des Wiedersehens vergessen hatten, aber sie wurden bei den Worten Urgockels roth bis uͤber die Ohren und sahen ganz bloͤd vor sich hin, weil sie sich be¬ schaͤmt fuͤhlten. Bei dieser feierlichen Handlung herrschte eine allgemeine Stille, man hoͤrte nichts als das Gloͤckchen am Klingel¬ beutel, den die Kunstfigur herumtrug. Urgockel aber streckte seine steinerne Hand hervor und segnete Kronovus und Ga¬ ckeleia mit den Worten: „Wie die beiden Haͤlften Eines, Trenne sich vom Andern Keines; Und in euren Wappenschilden Sollt in einem Myrthenkranz Ihr im goldnem Feld abbilden, Glaͤnzend, unverletzt und ganz, Bretzel und auch Bubenschenkel Zum Gedaͤchtniß spaͤter Enkel. Zwei gekroͤnte Maͤuschen fein Sollen die Schildhalter seyn; Unter'm Schild am Ordensband Haͤnge als der Treue Pfand Des Kronovus buntes Ei, Worauf Vivat Gackelei. Auf des Schilds zwei Helmen stehen Koͤnigskrone, Grafenkrone, Und Alektryo mit Kraͤhen Auf der Koͤnigskrone throne Und ein starkes Nest behuͤte, Worin Frau Gallina bruͤte. Auf der Grafenkrone Rand Schweb' in purpurnem Gewand, Hebend mit der kleinen Hand Hoch des Gluͤckes Unterpfand, Salomonis Siegelring, Jenes liebe Wunderding, Keine Puppe, sondern nur Eine schoͤne Kunstfigur!“ Nach diesen Worten zog Urgockel seine Hand wieder zu¬ ruͤck und war ein unbeweglicher Grabstein wie zu vor. Der Organist aber sang eine schoͤne kunstfigurirte Arie, wozu Men¬ schen und Federvieh einstimmten und die Glocken laͤuteten — denn sieh, ein merkwuͤrdiges Ereigniß hatte den Bund be¬ kraͤftiget, die beiden Stuͤcke der Bretzel und des Bubenschen¬ kels waren fest und wieder Eins geworden, als seyen sie nie getrennt gewesen. — Gackeleia aber drehte den Ring mit dem Wunsche das Wappen moͤge nach dem Willen Urgockels fertig seyn und sogleich stand es auf einer schoͤnen Fahne neben der Orgel. Schon wollte man sich ordnen mit der vorgetragenen Fahne in den Speisesaal zu ziehen, als Gackeleia an den goldnen Hahn, die goldne Henne, das Geschenk von Salomo und der Koͤnigin von Saba gedachte, das sonst bei jeder Hochzeit in Gockelsruh im Brautzug getragen worden. Schnell drehte sie den Ring und wuͤnschte, dieses Kleinod moͤge sich im Schatze der Kapelle befinden und in ihrem Zuge getragen werden. — Da trat ein Juͤngling und eine Jungfrau, beide in morgenlaͤndischer Tracht, herrlich geschmuͤckt in die Ka¬ pelle vor eine eiserne Thuͤre in der Wand, die mit Rasseln aufsprang. Da sah man die beiden Brautgeschenke schim¬ mernd stehen. Sie nahmen sie heraus und praͤsentirten sie dem Brautpaare, welche sie auf den Altare stellten und mit großer Freude anschauten. — Indem nun Alektryo von der Kanzel das Bild der bruͤtenden Gallina in der goldnen Henne erkannte, schlug er mit den Fluͤgeln und kraͤhte gar wehmuͤ¬ thig. Gackeleia verstand seine Sehnsucht und drehte den Ring, auch die gute Gallina moͤge wieder im Kreise ihrer Lieben verweilen. Da hob sich ein Woͤlkchen auf dem Grabstein, wo die Gebeine Gallinas und ihrer Jungen verbrannt wor¬ den, wirbelte, drehte, ballte sich und ward zum großen Er¬ staunen aller Anwesenden Huͤhner, denen die Federn daruͤber zu Berge stiegen — Gallina; Alektryo unterbrach seine ernste Rede und flog von der Kanzel zu seiner Gefaͤhrtin nie¬ der, die er freudig begruͤßte; aber Alektryo besann sich, flog wie¬ der auf die Kanzel, bat die Anwesenden um Vergebung, daß er von der Freude des Wiedersehens hingerissen, ihre ernsten Betrachtungen unterbrochen habe und forderte abermals Jene sich zu melden auf, welche sich zu vereinigen gedaͤchten. Da trat die Primadonna von Gelnhausen in die Ka¬ pelle und da der Organist eben die Fuge anstimmte: „Laurentia, schoͤnste Laurentia mein, Wann werden wir endlich vereiniget seyn?“ wollte sie kuͤnftig die Fugen nicht mehr Solo singen, son¬ dern mit ihm, da sie aber sich immer mit dem Gesang einander flohen und nachliefen, ohne jemals sich zu vereini¬ gen und ihr Zusammensingen eine Fuga perpetua , eine im¬ merwaͤhrende Flucht war, und da der graͤfliche Erztruch¬ seß hereintrat, vermeldend, daß bereits servirt sey und bei laͤngerem Verziehen das Fett am Hammelsbraten leicht gerinnen koͤnne, so ordnete sich der Brautzug die Kapelle zu verlassen. Man hatte die Wappenfahne bereits in Bewegung gesetzt, die Traͤger der Braut-Henne und des Braut-Hahnes hiel¬ ten bereits diese Reichskleinodien auf purpurnen Sammtkissen vor ihrer Brust, und Kronovus und Gackeleia wollten so eben von den Stufen des Altares herabsteigen, als Urgockel auf dem Grabstein sich abermals sehr heftig bewegte und mit drohender Stimme sprach: „Wohl ist das Sprichwort wahr gestellt: Undank ist stets der Lohn der Welt, Undank ward dem Alektryo, Undank dem Urgockelio. Ich habe euch den Ring geschenkt, Doch ist hier Niemand, der mein denkt, Ich muß euch Ringe wechseln sehn Und Keiner will den Ring mir drehn, Ich stehe hier auf meinem Stein — Verlassen, einsam, ganz allein, Und draußen bei der Linde ruht Mein edles Weib, Urhinkel gut, Sie waͤhlte diesen Ort zum Grab, Weil ich sie dort errettet hab'. Drei Lilien stehn auf ihrer Gruft Und senden Weihrauch in die Luft; Wenn ein Geschick voruͤbergeht, Ihr Geist bei diesen Lilien steht, Mit denen er zum Himmel fleht' Und Gott erhoͤret ihr Gebet. Die Lilien leuchten dann zumal, Die Sterne senken Strahl um Strahl In ihre reinen Kelche ein; Auch schweben schoͤne Engelein In sie hinein und singen fein; Das hoͤret Alles klar und rein Urhinkel an und stimmt mit ein Und laͤßt das weiße Schleierlein Im Sternenschein, im Mondenschein, Hin spielen in den Luͤftelein; Ich aber muß hier einsam seyn Und recht in meines Herzens Pein, Wie's Kindlein nach dem Muͤtterlein, Nach dem Urhinkel draußen schrein: O laß doch den Urgockel dein Nicht so allein, allein, allein! Du plauderst draußen mit der Lilie, Vom Thau berauscht im Sternenschein, Mich huͤllt hier trocken ohne Familie Der alte kalte Epheu ein. Urhinkel komm! ich ruͤck' zur Seite, Du bist ja Bein von meinem Bein, Es ist vollkommen fuͤr uns Beide Raum, Licht und Luft auf diesem Stein.“ Dann schaute Urgockel das Brautpaar sehr gebieterisch an und fuhr fort: „Was euch ist recht, das ist mir billig, Ihr wollet zwei und zwei hier seyn, Und drum in Zukunft nicht mehr will ich Das ein mal eins hier seyn allein; Dreh, Gackelei den Ring und fuͤhre Die Ahnfrau her mit Sang und Klang; Bleibt Wahrheit immer vor der Thuͤre, Wird Zeit und Maͤhrchen staͤts zu lang.“ Gackeleia, welche großes Mitleid mit dem Urgockel hatte, drehte den Ring Salomonis schnell, schnell mit dem Wunsche, die Gebeine der Frau Urhinkel moͤchten aus dem Grabe unter der Hennenlinde erhoben und Alles bereit seyn, um sie in die Gruft Urgockels beisetzen zu koͤnnen. Als sie nun aus der Kapelle hinausgezogen waren, fanden sie Alles folgendermassen geordnet; im Schatten der Hen¬ nenlinde um das Hennenkreuz standen bei den Lilien drei schneeweiß gekleidete Klosterjungfrauen und mitten zwischen ihnen schwebte der Geist der Frau Urhinkel von Hennegau in einem schneeweißen, schimmernden Gewand; ihr von langen schwarzen Locken umstroͤmtes Haupt war uͤber einem weißen Schleier mir weißen Rosen gekroͤnt, auf ihrer Schulter saß eine weiße Henne, in der einen Hand hielt sie eine goldne Spindel, in der andern ein feines leuchtendes Brod. Ihr Angesicht war nicht irdisch schoͤn, aber von einer himmlischen Liebe und Freundlichkeit uͤbergossen, man konnte nicht auf¬ hoͤren, sie anzuschauen, ihr Blick war eine segnende Verbin¬ dung von Thau und mildem Sonnenlicht. In kleiner Ent¬ fernung von ihnen war das Grab der Ahnfrau eroͤffnet und stand neben demselben ihr irdisches Kleid im Sarge auf einer Tragbahre; nicht weit von diesem aber bei jenen Kraͤutern, die bei dem Begraͤbniß Gallina's so großes Beileid bezeigt hatten, stand die Erscheinung von acht altfraͤnkisch festlich ge¬ kleideten Jungfrauen, sie waren mit Kraͤutern bekraͤnzt und mit einem Orden an amaranthfarbigem Band geschmuͤckt. Eine Jede trug ein schoͤnes Huhn in einem Koͤrbchen unter dem Arm. Sie blickten alle mit dem Ausdruck ernster Freude und Ruͤhrung nach dem Geiste und dem Leibe der Ahnfrau und waren in einer lieblich schwebenden Bewegung. Sie schienen Etwas zu erwarten, die Tragbahre war mit einer tiefrothen Sammtdecke, worauf das Hennegausche Wappen in Gold gestickt, bedeckt. Auf dieser Bahre stand nun der offne Sarg, worin die liebste Frau Urhinkel ruhte; aber welch ein seltsamer Sarg! es war ein langer Gitterkorb von Zypressen und Myrthenzweigen geflochten und mit erstaunlich vielerlei Blumen durchschlungen, welche durch ihre Namen und Be¬ deutungen ausdruͤckten, wie sehr die Todte von den Armen ge¬ liebt worden war, die ihr den Sarg geflochten und ausge¬ schmuͤckt hatten und ihrer Leiche gefolgt waren. Gackeleia hatte oft von dem Blumensarg ihrer Ahnfrau erzaͤhlen hoͤren. Es gab ein Maͤhrchen davon in der Gockelschen Familie, das man den Kindern erzaͤhlte, um ihnen Milde gegen die Ar¬ men einzufloͤßen. — Nun sah sie diesen Blumensarg vor ih¬ ren Augen; aber er war ganz welk und verdorrt. — Sie wollte um Alles in der Welt den Blumensarg wieder in sei¬ ner ganzen Schoͤnheit sehen. So drehte sie dann den Ring Salomonis mit den Worten: „Salomo, du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Lasse neu den Sarg verzieren Mit des Dankes Blumengaben; Wolle uns voruͤber fuͤhren Alle Armen, alle Kinder, Die den Sarg gewebet haben; All der Liebe Kraͤnzewinder, Die in Blumen einst begraben Dieses Herz, den Trost der Kinder. Sende all die Kronenbinder, Jene Blumen einzusammeln, Jene Kraͤuter, jene Halmen, Deren Namen Wuͤnsche stammeln, Deren Namen Dankespsalmen, Suͤße Gruͤße, Wohlgefallen, Wie unschuldge Kinder lallen. Um das Bettlein, wo in Frieden Ruht das ird'sche Kleid der Braut, Die vom Leib der Zeit geschieden, Ward dem ew'gen Geist getraut, Werde von dem Dank hienieden Neu ein Blumenzelt gebaut. Schmuͤcket neu dies Herz mit Bluͤthen, Liebeswerke, die drin gluͤhten, Daß die Blumen, Erdensterne, Zeitlich hier den Leib umkraͤnzen, Wie des Himmels Blumen, Sterne, Ewig dort den Geist umglaͤnzen; Ringlein! Ringlein! dreh dich um, Schmuͤck' den Sarg, ich bitt dich drum!“ Auf diese Worte Gackeleias ertoͤnte ein leiser, ungemein reiner und lieblicher Gesang von den drei Lilien her, welche zu Haͤupten des Hennenkreuzes standen: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Nach diesen Stimmen nahte hinter der Linde hervor von beiden Seiten eine gar ruͤhrende Prozession von Greisen, Maͤnnern, Frauen, Juͤnglingen und Jungfrauen, Knaben und Maͤgdlein, ja Saͤuglingen auf den Armen der Muͤtter. Alle waren sie durch Kraͤnze und Gewinde der manichfaltig¬ sten Blumen und Kraͤuter verbunden, die sie in der einen 13 Hand hielten, waͤhrend sie in der andern an weißen Staͤben schimmernde Fahnen trugen und rings um Frau Urhinkel aufpflanzten. Diese Fahnen aber bestanden aus nichts an¬ derm, als aus Hemden, Struͤmpfen, Roͤcken, Waͤmsern und besonders aus vielen allerliebsten, kleinen Kindermuͤtzchen, welche Frau Urhinkel mit eigenen Haͤnden verfertigt hatte, um die Armen damit zu bekleiden. Alle die Kleidungsstuͤcke schimmerten wie Silber und Gold und was mit großem Fleiße, mit großer Liebe und Ueberwindung genaͤht war, das war wie mit Edelsteinen und Perlen ausgeziert. Es waren die Werke der Frau Urhinkel, welche ihr nachfolgten. Als nun alle diese Siegsfahnen um die liebe Seele aufgepflanzt waren, zogen die Geister der Armen, welche sie durch milde Austhei¬ lung der Gaben Gottes vor Noth, Verzweiflung und Ver¬ brechen gehuͤtet und als dankbare Kinder in das Haus des Vaters gefuͤhrt hatte, hin zu dem Sargkorbe, worin der Leib ihrer Wohlthaͤterin ruhte, und verwandelten ihn mit allen ihren Laubgewinden durchflechtend in ein Schiff von Blu¬ men. Die guten, dankbaren Seelen schmuͤckten das Ruhe¬ bettlein der Ahnfrau mit allem Danke, aller Liebe, die sich durch Blumennamen aussprechen lassen, und als der Blumen¬ sarg neu erbluͤht war, brach Gackeleia freudig in die Worte aus: „o das ist eine schoͤne Leichenrede, das sind keine red¬ nerischen Blumen, das ist eine Blumenrede, mir ist, als spraͤche ich selbst so, wenn ich diese Blumengewinde ansehe; denn was die Blumen heißen, das sind sie mir!“ „Ja, liebe Ahnfrau, da ist Augentrost fuͤr dich, welche alle Thraͤnen getrocknet, Liebaͤugelein fuͤr dich, weil du alle Arme so lieblich anblicktest, brennende Liebe mit den granatrothen Blumen, weil dein Herz von Naͤchsten¬ liebe gegluͤht; Thymian , das gewuͤrzige Demuthkraut fuͤr dich du Demuͤthige; Ehrenpreis fuͤr dich du aller Ehren werthe; — Engelsuͤß und Engelblume sprechen: „du suͤßer milder Engel in aller Noth! — O du Herzbluͤm¬ lein , du Herzenstrost , du Herzensfreude fluͤstern drei andre Bluͤmlein; — du Honigbluͤmchen , je laͤnger je lieber hatten wir dich, sagen andre. — Wie viele stam¬ meln mit Kinderaugen, „ vergiß mein nicht .“ — Das Schlafkraͤutlein spricht: „schlummere suͤß“ — und das Fuͤhlkraut : „ ruͤhr mich nicht an .“ — Das Mollen¬ kraut , das Wunderbaͤumchen , Palme Christi saͤu¬ ßelt um dein Haupt. — Das Herrgottsbaͤrtlein weht durch deine Locken. — Die Passionsblume schaut dich an — ruhe sanft lieb Denkeli — an deinem schattigen sonnigen Herzen, du Liebstoͤckel , bluͤhet dein Herzge¬ spann , das demuͤthige Sophienkraut , das Sonnen¬ braͤntlein , der Sonnenthau fuͤllt ihm die Loͤffelchen sei¬ ner Haͤnde, im tiefsten Schatten, wie in gluͤhender Sonne heilend und erquickend. Dem lieben Herzen, dem es nahe ist, muͤssen die Feinde vergeben, wie es ihnen vergiebt, alle muͤssen es lieben, kein Zauber kann es kraͤnken, selbst der eigne nicht. — O schlummere selig, der Engeltrank dir Wohl verleih ! — Sey Wohlgemuth , Gottes Gnade , Gottes Huͤlfe , Gottes Heil sind mit dir. — Zum Himmel kehr dich du Sonnenwende . — Wandle traͤumend durch den Himmelsthau zu dem Kreuz¬ bluͤmlein , dem Jesusbluͤmlein . — Der Heiland legt den Himmelsschluͤssel in deine Haͤnde — Du ewige Blume . — Gotteshuͤlfe sey dir ewig gruͤn . — Tau¬ sendblaͤttchen hast du reine, feine Garbe voll Heilkraft — und Floramor , Tausendschoͤn , die purpursammtne Ama¬ ranthe schimmert dich an, daß dir das Herz lacht u. s. w. — Wer kann alle Liebe aussprechen, welche die Blumen stam¬ melten? — Zu ihren Fuͤßen deutete die Jerusalemsblu¬ me , die feurige Liebe , die Mannstreue auf die Liebe und Treue Graf Gockels. Alle diese Blumen waren von vie¬ len weißen Rosen durchflochten und an den Ecken des Sar¬ ges ragten Lilien hervor, und beide wußten nichts freudi¬ 13 * geres zu sagen, als, sie liebte uns.“ In der Hand hatte die liebe Todte einige Heilkraͤuter, einen Strauß von Schluͤs¬ selblumen , Chamomillen , Melissen , weißen Nes¬ seln , Lindenbluͤthe und Orangenblaͤttern . — Ein Monatroͤschen , das sie lange gepflegt, bluͤhte in einem Koͤrbchen an ihrer Seite. — Die ganze sprechende Blumen¬ decke des Sarges war von einer immergruͤnen Epheuranke uͤbersponnen, welche an dem Kreuze zu Haͤupten des Sar¬ ges hinanrankend sagte: „immergruͤn ist meine Treue, wer will mich trennen von meiner Liebe, ich halte ihn und lasse ihn nicht. Wer ist treuer als ich? selbst von der Wurzel getrennt, lasse ich nicht von dem, was ich umarmte, und gruͤne und lebe klammernd an meiner Stuͤtze. Mit ewigem Gruͤn umschließet die Treue die Asche der Todten und bin¬ det die Scherben der Urne; denn losgerissen wuͤrde sie ster¬ ben. Selbst den gefallenen Stamm umgruͤne ich. Seit ich lebe, ringe ich aufwaͤrts, nicht aus eigener Kraft, sondern getragen von zuvorkommender Gnade, die ich dankbar mit den Wurzeln meiner Zweige erfaße. — Weil ich barmherzig den nackten Fels bekleide, decket die ewige Liebe meine eigne Armuth und traͤgt mich aufwaͤrts mit den Barmherzigen, die sie selig spricht; auf daß ich aufsteige aus der Wuͤste, gestuͤtzt auf den Geliebten uͤberfließend von Begluͤckungen.“ — Solches und vieles andere stammelten die Blumen und Kraͤu¬ ter, womit die Geister der dankbaren Armen, denen Frau Urhinkel alle Barmherzigkeit erwiesen hatte, ihren Sarg von neuem schmuͤckten. — Als sie den Sarg geschmuͤckt hatten, zogen sie sich zu beiden Seiten der Frau Urhinkel zuruͤck, er¬ hoben ihre Fahnen wieder und traten in den Hintergrund. Alles das sahen Gockel, Hinkel, Gackeleia und Krono¬ vus ganz still mit tiefer Ruͤhrung an und nun sprach Gacke¬ leia: „das also ist der schoͤne Blumensarg unsrer Ahnfrau von dem du mir so oft erzaͤhlt liebe Mutter, daß die Engel die Blumen dazu im Himmelsgarten gepfluͤckt?“ — da er¬ wiederte Frau Hinkel: „ja, und er ist noch viel schoͤner als ich wußte, denn die Engel waren die Armen, die sie in den Himmel durch ihre Liebe geleitet und der Himmelsgarten war der Garten ihres liebvoll barmherzigen Wirkens und alle die Blumen und Kraͤuter waren ihre Liebeswerke. Sie hat mit der Gnade Gottes ihren Garten selbst gebaut!“ — Da sprach Gockel: „Hier kann man wohl sagen, unsere Werke folgen uns, und wie man von Kummer und Boͤsem sagt, das ist ein Nagel in meinen Sarg, kann man wohl von al¬ len Werken der Liebe sagen, sie sind Blumen auf meinem Grab, o wer sollte sich nicht einen solchen Garten zu bauen wuͤnschen!“ — „Ach,“ sprach Kronovus, „du mußt helfen Gackeleia, wir wollen fleißig im Garten arbeiten.“ Gacke¬ leia hatte Thraͤnen in den Augen und nickte still. So standen sie und sahen den Leib der Ahnfrau an, der ernst und ehrwuͤrdig und doch so lieblich mit seinem Braut¬ kleid in dem Blumenbettchen ruhte. Keine Spur von Ver¬ wesung entstellte die ruͤhrende Gestalt. Sie war ganz die¬ selbe, wie man sie in dem Grafensaal in Gockelsruh als Braut gemalt sah, nur noch weiser, noch reiner. Das edle, kluge Haupt trug die Grafenkrone uͤber einen Kranz von Amaranthen, der die reichen mit Perlen durchflochtenen Lo¬ cken umfieng und ruhte mit geschloßnen Augen, wie das Antlitz eines schlummernden Heldenkindes, auf einem runden goldnen, mit Rubinen verzierten Polster, das sie gleich einem Heiligen Schein umleuchtete; die eine Wange jedoch lehnte etwas zur Seite geneigt an einem Kissen von der feinsten schneeweißen Leinwand. — „Kennst du das kleine Kissen?“ fragte Frau Hinkel die Gackeleia und diese antwortete: „o ge¬ wiß, davon hast du mir ja auch erzaͤhlt, wie von dem Blu¬ menensarg; die Graͤfin Amey von Hennegau spann so fein, so fein, webte so fein, so fein, und trocknete mit ihrem Linnen die Thraͤnen der Armen; weil aber noch so fein gesponnen, end¬ lich doch koͤmmt an die Sonnen, so haben ihr die Armen die¬ ses Linnen an der Sonne mit Thraͤnen des Dankes gebleicht. Sie theilte aber Alles mit ihnen und so auch dieses Linnen; da haben dann die dankbaren Armen ihr aus ihrem Theil ein Brauthemd und ein Todtenhemd genaͤht, und da noch ein Stuͤckchen uͤbrig blieb, verfertigten sie dies kleine Kissen daraus und naͤhten den Spruch darauf: „ein gutes Gewis¬ sen ist das ruhigste Kissen.“ Es kamen aber alle Voͤgelein, denen sie von Jugend auf ihre Brosamen ausgestreut hatte, herangeflogen, und rupften sich selbst aus Dankbarkeit die zartesten Flaumfederchen aus der Brust in das Kissen, bis es recht weich und reichlich gefuͤllt war. Diese Gaben ver¬ ehrten sie der lieben Wohlthaͤterin als Brautgeschenk und sie nahm sie mit in den Blumensarg.“ — „Du weißt Alles noch recht schoͤn,“ erwiederte Frau Hinkel, „sieh, zum An¬ denken dieses so ehrenvollen Ereignisses haben auch alle Jung¬ frauen und Frauen unseres Stammes in ihrer Ausstattung zwei solche Hemden und ein solches kleines Kissen, welche von den Armen verfertigt werden muͤssen und dieser Theil der Aus¬ stattung heißt die Armen-Linnen-Spiegelgabe, weil wir uns an der Milde unsrer Ahnfrau spiegeln sollen.“ „Ach,“ sagte Gackeleia, „es ist schwer den Blick von dem lieben Angesicht zu trennen, es ist so ehrwuͤrdig, so ernst wie eine Sybille, welche Schicksale traͤumt, so lieb¬ voll sorgend und warnend wie eine fromme Mutter, und auf der sinnenden Stirne ruht der Friede besiegter Leiden, und wenn ich ganz bewegt bin und die Thraͤnen mir in die Augen treten wollen, laͤcheln mir ihre Wangen und ihre Lippen so kindlich entgegen und es ist mir, als kuͤße mir ein Kind die Thraͤnen von den Augen und streiche mir troͤstend die Locken von der Stirne.“ — Da sprach Gockel: „Kind, du hast ein gutes sicheres Aug, was du sagst, muß wohl so gewesen seyn. Sieh, darum hat das liebe Herz, die gute Ahnfrau auch schon als Jungfrau den Hennegauschen Maͤgdlein-Or¬ den der freudig-frommen Kinder gestiftet, dessen hoͤchster Grad hier im Sarge ihre Brust bedeckt. Es ist derselbe Or¬ den, den Mutter Hinkel und auch du jetzt traͤgst. Es war in den Tagen der guten Ahnfrau im Lande Hen¬ negau unter dem weiblichen Geschlecht eine traurige tiefsin¬ nige Andachtsweise eingerissen; das Ei wollte kluͤger seyn, als das Huhn, und die Huͤhner sprachen erstaunlich viel uͤber ungelegte Eier. Es war wie eine Krankheit unter den Maͤgd¬ lein des Landes geworden, aller weiblichen Handarbeit und Pflege und ebenso aller Freude und Heiterkeit zu entsagen und sich allein einem tiefsinnigen Hinbruͤten zu ergeben, wodurch manche auf sehr verkehrte Dinge kamen. — Da nun im Jahre 1310 Porette, eine Jungfrau aus Hennegau, welche die Graͤfin Amey kannte, durch diese Lebensweise auf so unsin¬ nige Meinungen und Lehren kam, daß sie in Paris zum Feuertode verurtheilt ward, nahm Graͤfin Amey sich dieses so zu Herzen, daß sie sich entschloß, dieser Verkehrtheit durch ihr Beispiel entgegen zu arbeiten. Sie errichtete deswegen fuͤr Jungfrauen den Orden der freudigen frommen Kinder, in welchem, sie alle ihre Freundinnen verbindlich machte, mit Arbeit und Pflege fuͤr die Armen, kindliche Freude und An¬ dacht zu vereinigen. Alles Gute und Heilige hatte einen Altar in ihrem Herzen, alles Kindliche und Heitere aber auch eine gastfreie Herberge darin; und so kam die liebe Amey in ein recht liebes, natuͤrliches Wesen. Sie ward der Trost der Armen und die Freude der Kinder, sie selbst nannte sich als Großmeisterinn des Ordens das arme Kind von Henne¬ gau. Da begann eine gute Zeit fuͤr die Kinder in Henne¬ gau, welche durch die uͤbertriebene Selbstbeschauung ihrer Muͤtter und aͤlteren Schwestern ganz unbeobachtet, verwil¬ dert, schmutzig, zerrissen und zerlumpt geworden waren. Die liebe Amey errichtete große Ordensfeste und jede ihrer Or¬ densgespielinnen mußte eine Heerde Kinder sauber und rein¬ lich gekleidet auf die Wiese bringen, wo getanzt und gespielt, gegessen und getrunken und auch Gott gedankt wurde. Alle edlen Jungfrauen wollten in dem Orden der freudig frommen Kinder seyn, und die weibliche Sitte erhielt eine neue schoͤne Wendung, so daß es ein Sprichwort geworden: „wie wohl waͤr mir, haͤtt' ich zur Frau ein' edle Dirn aus Hennegau!“ Um aber die Verbindung der freudigen Froͤmmigkeit und Kindlichkeit zu bezeichnen, um auszudruͤcken, daß die tiefste Betrachtung es eben nicht viel weiter bringt, als ein lallen¬ des Kind, so besteht das Ordenszeichen aus einer Figur, welche auf der einen Seite ein zur Sonne auffliegendes Lerch¬ lein als das Bild freudiger Betrachtung und auf der ande¬ ren Seite ein kleines, laͤchelndes Wickelkind, das sich ge¬ duldig von einem Arm auf den andern nehmen laͤßt, vor¬ stellt. Es wird dieser Orden aber an einem amaranthrothen, mit allerei Gloͤckchen und Quaͤstchen und sieben Saͤchelchen behaͤngten Bande um den Hals getragen, weil die Amaranthe nicht verwelkt und ihre tiefe, rothe Farbe auch getrocknet bewahrt. Die Amaranthe ist das Sinnbild treuer, bestaͤn¬ diger Gottes- und Menschenliebe, und ein Schmuck gelieb¬ ter Todten, und es ward dem armen Kind von Hennegau hier im Blumenbettlein die schoͤne Amaranthenkrone aufge¬ setzt, weil es recht gewandelt ist. Die Erde traͤgt eigent¬ lich nur den Schatten dieser Blume, der Himmel allein bringt sie in der Fuͤlle ihrer ganzen Bedeutung wirklich her¬ vor, als ein unvergaͤngliches, unbeflecktes, unverwelkliches Erbtheil, das uns in ihm bewahrt ist. — Die Amaranthe ist ein Sinnbild der unschuldigen Kindlein, weil diese durch das Schwert vom Leben getrennt, in ihrem Blute im Him¬ mel wie die tiefrothen Amaranthen gluͤhen, welche selbst von der Pflanze abgeschnitten, ihre Farbe nicht verlieren. — Die Amaranthe ist das Sinnbild der Bestaͤndigkeit, der treuen Ausdauer, und von ihr heißt es, in Kaͤlte und Hitze, auch getrennt bestaͤndig, nimmer welkend, in Thraͤnen erneuet. — Dieser Eigenschaften wegen traͤgt Graͤfin Amey die Amaran¬ then-Krone und den Orden am amaranthrothen Band; daß aber am Saum dieses ernsten Bandes alle die kleinen artigen Spielsachen, Quasten, Gloͤckchen, Troddeln haͤngen, deutet wieder auf unschuldige Freude am Saum des ernsten Tagwerks, so wie die Beete eines Gartens, den wir muͤh¬ selig bauen, mit kleinen lieblichen Blumen eingefaßt sind. Sieh Gackeleia, wegen der tiefen Bedeutung der Amaran¬ thenfarbe hatte die gute Ahnfrau auch wohl eine so tiefe Ruͤhrung bei ihrem Anblick, denn sie konnte sich oft gar nicht zuruͤckhalten, wenn sie diese Farbe sah; oder entsprang die Macht dieser Farbe uͤber sie aus einem Vorgefuͤhl des Schicksals, das ihr durch dieselbe bevorstand? — ich kann es nicht entscheiden — nur muß ich dich ermahnen, liebe Gackeleia, nie eine Hinneigung zu irgend einer Sache allzu heftig werden zu lassen, damit sie dich nicht endlich uͤberwaͤltige; denn sieh — die gute Ahnfrau wurde durch diese Farbe gefangen und aus Hennegau hieher nach Go¬ ckelsruh entfuͤhrt. Die Raͤuber, welche wußten, daß sie dieser Farbe nicht wiederstehen konnte, breiteten auf einer gruͤnen Wiese, auf der sie oft spazieren gieng, eine amaranth¬ farbige, seidene Decke aus, und sangen ein Lied in der Naͤhe, das sie sehr liebte: „Feuerrothe Bluͤmelein, Aus dem Blute springt der Schein, Aus der Erde dringt der Wein, Roth schwing ich mein Faͤhnelein.“ Dieses Lied lockte Amey ans Fenster und als sie den tief¬ rothen Fleck im Abendschein auf der Wiese funkeln sah, konnte sie der Begierde nicht wiederstehen; sie mußte hineilen, und sich auf die Decke niedersetzen, und so entschlummerte sie. Da zogen die Raͤuber mit verborgenen Schnuͤren ploͤtzlich die Decke uͤber ihr zusammen, banden sie auf ein Pferd und entfuͤhrten sie bis hieher unter die Hennenlinde, wo Urgo¬ ckel sie auf ihr Huͤlfsgeschrei befreite. — Sieh, sie ist ganz in ein weites amaranthseidenes Gewand gehuͤllt, das deutet auf jene Decke, in der sie entfuͤhrt, gerettet und die Braut Urgockels ward.“ — „Es paßt recht schoͤn,“ sprach nun Gackeleia, „daß sie diese Farbe auch hier im Tode traͤgt, denn so ist sie auch in dieser Farbe von der Erde entfuͤhrt, und unter dem wahren Hennenkreuz gerettet, eine Braut des Himmels und wie ein Kuͤchlein unter die Fluͤgel der Henne versammelt worden. — Aber sage, warum haben denn die Raͤuber die liebe Ahnfrau entfuͤhren wollen? — Sie sieht doch gar nicht so reichgeschmuͤckt aus wie andere Graͤfinnen, die von funkelndem Geschmeide strotzen, und ich habe mich schon uͤber diese Armuth verwundert, kannst du mir wohl sagen, warum hat sie denn gar keinen andern Schmuck auf ihrem amaranthseidenen Brautkleid, als nur zwei kleine Edel¬ steine auf den beiden Spangen, welche das weite Gewand auf den Schultern zusammen fassen?“ — Da schaute Gockel die Gackeleia laͤchelnd an und sprach: „du bist ein rechter Schelm, du fragst mich uͤber Allerlei, was laͤngst vergessen ist, und dann drehst du heimlich den Ring Salomonis, da¬ mit mir Alles in den Sinn kommen soll, was ich nie oder doch nur dunkel gewußt habe.“ — „Freilich mache ich es so,“ antwortete Gackeleia, „denn wie jede Speise ihr eigen¬ thuͤmliches Gefaͤß hat, so sind solche alte Geschichten immer am schoͤnsten, wenn sie der Vater erzaͤhlt.“ — Da fuhr Go¬ ckel fort: „du fragst ganz recht wegen den Raͤubern, die sie entfuͤhrten und diesen einsamen Edelsteinen auf ihren Achsel¬ baͤndern zugleich, denn wegen dieser wollten die Raͤuber, wel¬ ches boͤse Edelleute aus dem Turgau waren, sie entfuͤhren, und Kronovus mag dich nur gut bewachen, sonst kann dir es auch so gehen; denn auch du traͤgst solche zwei kleine Edelsteine auf den goldnen Spangen, welche die Aermel dei¬ nes amaranthfarbigen Brautkleides auf der Schulter schuͤr¬ zen, und es sind diese Spangen deine eigentliche Morgengabe, welche dir allein gehoͤrt. Es sind die sogenannten heiligen Lehns-Kleinode der Grafschaft Vadutz, deren Wappen da¬ rauf eingegraben ist. Vadutz mit seinen Felsenschloͤßern ist ein Frauenlehn und gehoͤrt allen erstgebornen Graͤfinnen von Hennegau, die mit diesen Spangen auch alle Rechte einer Lehnshuldinn von Vadutz empfangen. Es ist eine alte ge¬ heimnißvolle Sage mit diesen Steinen verbunden; es heißt, die wahren, heiligen Gnaden-Kleinode, habe schon Rebecka auf ihren Schultern getragen, sie seyen wunderthaͤtig, die Ahnfrau habe sie mit ins Grab genommen, um ihre Nach¬ kommen vor Gefahren zu huͤten, und jene, welche diese truͤ¬ gen, seyen gewoͤhnliche Edelsteine; das mag wohl auch so seyn, denn Mutter Hinkel trug diese Kleinode auch, seit sie Graͤfin von Vadutz ward, aber ich habe sie dadurch nie Wunder wirken sehen. Jedoch sind die Kleinode, wodurch die Graͤfin Amey ihre Tochter zur Graͤfin von Vadutz weihte und welche nun bis auf deine Schultern gekommen sind, an die aͤchten Edelsteine angeruͤhrt worden und moͤgen so einen Strahl ihres Segens empfangen haben. Die aͤchten heiligen Lehns-Kleinode aber sehen wir hier auf den Spangen der lieben Ahnfrau, und in dem großen Buche, welches hier neben ihr im Sarge liegt, steht von dem Geheimniß dieser Steine, wir wollen es heute nach der Hochzeitsmahlzeit lesen, jetzt aber sollt ihr mit der Nachricht Vorlieb nehmen, wie diese Klei¬ nodien und das Laͤndchen Vadutz an die Graͤfinnen von Hen¬ negau gekommen sind. — Der Vater der lieben Ahnfrau trug diese Kleinode selbst, er war ein Erb-Graf von Vadutz, vermaͤhlte sich aber mit einer Graͤfin von Hennegau, zog mit den Kleinoden nach Hennegau und nahm dessen Namen an. Er sehnte sich lange nach einem Toͤchterlein; als nun seine Gemahlin die liebe Amey gebohren, war es gerade Neujahrstag, der Graf von Hennegau war in der Schlo߬ kapelle und im Augenblick als man sang: „Uns ist geboren ein Kindelein, Sein Reich lehnt auf den Schultern sein.“ kam ein Edelknab gelaufen, er solle geschwind zu der Frau Graͤfin kommen, so eben habe ihr der Klapperstorch ein al¬ lerliebstes Toͤchterchen gebracht. Da lief der Graf geschwind hinauf in das Zimmer der Graͤfin und sang den ganzen Weg: „Mir ist geboren ein Toͤchterlein, Sein Reich lehnt auf den Schultern sein,“ und als er hinauf kam, saß die Graͤfin aufrecht auf ihrem Lager und hatte das liebe, arme Kind von Hennegau am Herzen, und der Graf war ganz außer sich vor Freude und lehnte sein Haupt auf die Schulter der Mutter und sah dem Toͤchterlein in die lieben Augen und vergoß Freudenthraͤnen, dann nahm er seine Achselbaͤnder, worauf zwei Edelsteine, die Reichskleinode von Vadutz, befestiget waren und sagte feierlich: „weil uns das liebe Toͤchterchen gerade bescheert worden ist, da man das Verschen sang, so will ich ihm auch sein Reich auf seine Schultern lehnen und zwar jetzt dir, als seiner treuen Vormuͤnderin.“ Da heftete er seiner Gemahlin die Achselbaͤn¬ der mit den Edelsteinen, worauf das Wappen von Vadutz eingeschnitten war, auf die Schultern und sagte: „Ich be¬ lehne deine Erstgeborne durch dich und alle erstgebornen Toͤch¬ ter ihrer Nachkommen mit dem Laͤndchen Vadutz, es sey ein Frauenlehn, ein Kunkellehn in unsren Nachkommen, und sol¬ len den erstgebornen Toͤchtern der Grafen von Hennegau, so¬ bald sie die erste Kunkel des zartesten Flachses fuͤr die Ar¬ men, ohne den Faden zu zerreißen, abgesponnen haben, diese Edelsteine auf die Schultern geheftet und sie so mit dem Laͤnd¬ chen Vadutz belehnt werden.“ — Du nun, liebe Gackeleia, traͤgst jetzt diese Kleinodien auf deinen Achselbaͤndern. Der alte Graf von Hennegau sprach nichts von dem Ursprung und den Gnaden dieser Kleinode, die bei seinen Vorfahren schon in Vergessenheit gekommen waren, welche aber der Ahnfrau spaͤter von drei Klosterfrauen erfuhr, denen sie zum Lohn ein Kloster Lilienthal stiftete, es sind dieselben, welche dort neben den Lilien bei ihr stehen. — Wegen diesen Klei¬ noden nun und dem Besitz der Grafschaft Vadutz entfuͤhrten einige Ritter, welche nicht vom Auslande her regiert werden wollten, die Lehnshuldin und wurden hier von Urgockel er¬ schlagen.“ Hierauf schwieg Gackeleia ein Weilchen, und da Gockel sie fragte, „warum sprichst du nicht?“ antwortete sie, in dem sie ihm eine Spindel voll des feinsten Gespinnstes reichte: „Ei Vater, weil ich jenen Rocken nicht abgesponnen, lehnte mir das Laͤndchen so schwer auf den Schultern wie unge¬ rechtes Gut, da drehte ich den Ring Salomonis geschwind, geschwind am Finger wie eine Spindel und da hab ich sie nun voll feinem Garn fuͤr die Armen und es ist mir wieder ganz leicht auf den Schultern.“ Da laͤchelten sie alle uͤber die Gewissenhaftigkeit der neuen Koͤnigin Gackeleia von Gelnhausen, Graͤfin von Go¬ ckelsruh und Hennegau, Lehnshuldin von Vadutz, und schau¬ ten die liebe Ahnfrau weiter an. Die goldnen Armringe, welche einst die weiten Aermel fest angeschlossen, waren los an den duͤrren Armen herabgesunken, die feinen weißen Haͤnde ruh¬ ten an beiden Seiten des Leibes. Die Linke hielt die oben¬ genannten Heilkraͤuter, die Rechte ruhte auf einem großen Buch und faßte acht lange amaranthfarbige, mit Perlen ge¬ stickte Baͤnder, welche von dem aͤhnlichen Guͤrtel ausliefen, der das weite Gewand uͤber den Huͤften umschloß. An die¬ sem Guͤrtel hingen auch Schluͤssel, und ein Loͤffel, Kinder zu speisen und eine Rassel, Scheere und Aehnliches. Die ha¬ gern feinen Fuͤßchen schauten so arm und ruͤhrend unter dem Saum des Gewandes hervor, als zitterten sie, und die mit Perlen gestickten Goldpantoͤffelchen waren zu weit geworden, und eines herunter gefallen, so daß der eine Fuß mit den weißen schimmernden Zehen hervorsah. — Da kniete Gacke¬ leia mit großer Liebe und Ruͤhrung an dem Sarge nieder und kuͤßte den Fuß und benetzte ihn mit Thraͤnen, mit den Worten: „du liebes armes Kind von Hennegau hast ja dein Pantoͤffelchen verloren, o Mutter Hinkel sieh, wie muß das liebe Ahnfrauchen zu den Armen im Schnee herumgepatscht seyn, die Spitze des Fußes ist ganz braun, sie hat sich die Fuͤße verfroren, — wart, ich weiß, was ich thue, in der goldnen Gallina der Koͤnigin von Saba ist eine Frostsalbe, hohle mir sie Kronovus!“ — Gleich brachte Kronovus die Salbe und sie pflegte den Fuß der geliebten Todten damit und schaute mit Thraͤnen den Vater an und sprach: „Vater Gockel, das liebe, arme Kind von Hennegau ist schon lange todt, aber ich darf es doch pflegen, nicht wahr Vater, das ist nicht ganz unvernuͤnftig? denn sieh, ich muß es thun aus Liebe und Dank und wuͤrde mich schaͤmen, so ich es nicht thaͤte, ich thue es mit dem Wunsche, es ihr selbst zu thun, sie wird schon wissen, wozu sie es gebrauchen kann, viel¬ leicht kann sie jetzt, da ich ihr Liebe erwiesen habe, viel lustiger im Paradiesgarten herumtrippeln, und dankt mir es.“ — Unter diesen Worten kuͤßte Gackeleia den Fuß, den sie gepflegt und mit einem reinen Tuͤchlein verbunden hatte und steckte ihn wieder in das Pantoͤffelchen, dann erhob sie sich und alle umarmten sie schweigend, und es ertoͤnte von dem Geiste der Frau Urhinkel mit inniger Freude der Ge¬ sang her: „Mein Schmerz ward milder, tausend Dank! Lieb ewig heilt, was zeitlich krank, Nimm dir zu deiner Liebe Lohn Die aͤchten Steine von Vadutz; Im großen Buche findst du schon, Wie heilsam dieser Gnadenputz; O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Es war eine schimmernde Freude in der Erscheinung und den drei weisen Noͤnnchen bei den Lilien, die suͤßer duf¬ teten, als je. — Gackeleia aber besann sich nicht lange, schnell vertauschte sie ihre Achselspangen mit jenen des armen Kindes von Hennegau, und nahm zugleich das große Buch aus dem Sarg und gab es dem Vater. — Gockel blaͤtterte ein wenig darin und sagte: „es ist kurios geschrieben von beiden Seiten nach der Mitte zu. Von einer Seite enthaͤlt es die Rechnungen der Grafschaft Vadutz, von der andern ein Tagebuch. — Potz tausend! was stehen da fuͤr Lehen und Zinsen darin, aber — aber irren ist menschlich, das Kind hat sich auch da einmal verrechnet. Hier auf diesem Blatt bei der Almosen-Rechnung hatte sie subtrahiren sol¬ len, 1 von 100 bleibt 99, aber sie hat statt dessen gesagt, 1 von 100 kann ich nicht, 1 von 10 bleibt 9 und 9 von 9 geht auf, — das kann ja unmoͤglich eintreffen, aber aufgegangen ist's doch, wie Saat im Garten der Armen. — In der Ortho¬ graphie war sie auch nicht ganz fest, hier in der taͤglichen Haus¬ haltungsrechnung steht immer, eine Maß Michl, ein Schop¬ pen Michl, immer Michl statt Milch; aber halt, da kommt Etwas, das muß jetzt verlesen werden, lies Gackeleia!“ — und er gab ihr das Buch und sie las: Graͤflich Hennegauische Huͤhner- und Menschensatzungen. Zu der Sache ewiger Gedaͤchniß. Wir von Gottes Gna¬ den Graͤfin Amey, Urhinkel von Hennegau, allererste Lehnshul¬ din des Laͤndchens Vadutz, armes Kind von Hennegau und des Ordens der freudigen frommen Kinder Stifterin, erklaͤren in hoher Puͤnktlichkeit, Komma cum Puͤnktlichkeit und Duo¬ puͤnklichkeit. — Als wir, der abgruͤndlichen Untiefe uͤbertrie¬ bener Beschaulichkeit zu begegnen, unsern Orden errichteten, haben wir unsern Namensverwandten und ersten Ordensge¬ spielinnen bei verschiedenen Veranlassungen, welche in den Tagebuͤchern des Jahres 1318 aufgeschrieben sind, mancher¬ lei Gnaden und Rechte fuͤr sich und ihre weiblichen Nachkom¬ men verliehen, wogegen dem Brautzug und Leichenzug jeder Graͤfin von Hennegau eine Nachkommin dieser Gespielinnen gottesfuͤrchtig beizuwohnen und ein Huhn an dem sogenann¬ ten Huͤhnerabend abzuliefern hat. Auch sollen dieselben sol¬ chen Braut- und Leichenzuͤgen mit ihren Namen bezeichnen¬ den Blumen geschmuͤckt beiwohnen und derlei Blumen zu Fuͤßen des Grabes erhalten, mit der kindlichen Liebesmei¬ nung, diese moͤchten dort statt ihrer beten, wenn sie selbst nicht anwesend seyn koͤnnten. — Eine jede erstgeborne Toch¬ ter meiner Nachkommen nimmt mit ihren muͤndigen Jahren das Amt der Ordensgeneralin und den Titel: „das arme Kind von Hennegau“ an und hat an ihrem Guͤrtel als Braut und als Leiche acht Baͤnder von amaranthfarbigem Linnen¬ band befestiget, welche die Ordensgespielinnen anfassen, wenn sie dem Zuge folgen. Sie gehen in dem Grand Cortege dicht hinter den drei Klosterfrauen von Lilienthal. — Sie haben dies Alles zu erfuͤllen bei Verlust ihrer Rechte. Diese unsre Erklaͤrung soll bei Braut- und Leichenzuͤgen den Ordensgespielinnen jedesmal vorgelesen werden. — So¬ dann sind die Pflichten der Klosterfrauen von Lilienthal zu lesen und dieselben aufzurufen, worauf die Ordensgespielin¬ nen oder deren Lehnserben aufgerufen und von ihnen die Pflichthuͤhner abgeliefert werden sollen. Gegeben in unserm Kabinetchen im Jahr, da man sang: „Gott gruͤß dich Mond und Sternenschein, Entlaubet ist das Fensterlein!“ Pflichten der Klosterfrauen von Lilienthal. Als ich am Tage nach Johanni des Jahres 1318 den drei Fraͤulein zur Lilien auf Gottes hoͤhere Mahnung und ihr dringendes Bitten das Kloster Lilienthal gruͤndete und ausstattete, wurde dieses Kloster Lilienthal verpflichtet, den Braut- und Leichenzug jeder Graͤfin von Hennegau und Lehns¬ huldinn von Vadutz, welche das Kleinod auf den Schultern traͤgt, von drei Klosterjungfrauen begleiten zu lassen und auf ewige Zeiten drei weiße Lilien auf meinem Grabe zu erhal¬ ten. — Es sind aber diese drei Klosterschwestern bei solcher Gelegenheit mit den Worten aufzurufen: „Ihr Lilien im Garten Gedenket der Nacht, Gedenket der Zarten, Die bei euch gewacht; Gedenket der Gnade, Die auf euch gethaut, Und duftet am Pfade Der lieblichen Braut, Und bittet am Grabe, In dem sie nun ruht, Daß Friede sie habe, Die lieb war und gut.“ Da neigten sich die drei weißen Klosterfrauen gegen die rechte Schulter der Ahnfrau und man hoͤrte die Worte wieder: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Hierauf nahte die Mutter Gackeleias dem Sarge und legte vier der acht Amaranthbaͤnder, die von dem Guͤrtel der Ahnfrau ausliefen, zur rechten und vier zur linken Seite des Sarges heraus, und indem sie die weiten Aermel ein wenig uͤber den hagern elfenbeinernen Haͤnden der Ahnfrau in die Hoͤhe zog, sprach sie: „sieh Gackeleia, da bewaͤhrt sich das Sprichwort wieder — an der Klaue kennt man den Loͤwen und an der Hand die Graͤfin von Hennegau. — Wenn wir es auch nicht wuͤßten, so wuͤrden uns diese Haͤnde sagen, daß sie der Graͤfin Amey von Hennegau gehoͤren. Sieh, Ga¬ ckeleia, von ihr haben wir die sogenannten Hennegauischen Dockadaumen oder Gnadendaumen geerbt.“ Gackeleia kuͤßte die Haͤnde der Ahnfrau ehrerbietig, indem sie den Vater fragte, woher denn der Name Hennegauische Gnadendau¬ men komme; da erwiederte Gockel: „die ganze Hennegaui¬ 14 sche Familie stammt muͤtterlicher Seite von einem roͤmischen Kaiser Curio und dessen Weib Docka her, die Christen ge¬ worden, nach Deutschland gezogen und auch das Land Va¬ dutz gegruͤndet. Es war aber bei den heidnischen Roͤmern eine grausame Belustigung, Maͤnner mit Schwertern auf auf Tod und Leben mit einander fechten zu sehen. Wenn nun einer der Kaͤmpfer unterlag, setzte ihm der andere das Messer an die Kehle und schaute umher, ob man ihn toͤdten oder begnadigen lassen wolle; wer nun verlangte, der Ueber¬ wundene solle leben bleiben, der hob die Haͤnde in die Hoͤhe und schloß den Daumen fest in die Faust, das war das Zei¬ chen der Gnade; die Kaiserinn Docka soll gleich nach ihrer Geburt schon die Haͤndchen in dieser Stellung gehabt haben, so daß die Mutter ausrief: „Ach mein liebes Kind du bist ein Gnadenkind!“ — Docka aber hielt bei jeder Gelegenheit, wo es Hilfe und Rettung galt, von fruͤhester Jugend auf ihre Haͤndchen immer in dieser Gnadenstellung, so daß ihre Daumen sich ganz darnach bildeten und man dieselben Gnaden¬ daumen, Dockadaumen nannte, und von ihr ist diese Handbil¬ dung auf alle Graͤfinnen von Hennegau, mit der großen Neigung zu begnadigen und zu vergeben, vererbt. — Sieh Gackeleia, daher koͤmmt der Gebrauch, daß man sagt, halte mir den Daumen, wenn man verlangt, ein anderer solle mit seiner ganzen Seele unser Gluͤck wuͤnschen.“ „Nun wissen wir Alles,“ sprach Gackeleia, „so recht, wie man sagt, bis auf den Fingernagel; wir wissen, warum die drei Lilien und die drei weißen Klosterfrauen bei der lie¬ ben Ahnfrau unter der Hennenlinde stehen; und warum dort bei den acht Pflanzen die acht Ordensgespielen des armen Kindes von Hennegau festlich geschmuͤckt erscheinen und Huͤh¬ ner in Koͤrbchen unter dem Arm tragen. Sie kommen zur Leichen-Uebertragung des aͤltesten armen Kindes von Henne¬ gau und zum Brautzug des Juͤngsten, und das bin ich! — Sie wollen ihre Pflichthuͤhner abliefern. — Geschwind, ge¬ schwind, laßt uns sie empfangen, ich sehe, sie schwanken schon ein wenig ungeduldig durcheinander. Wohlan, ich rufe sie auf. — „Im Namen Ihrer Kindlichkeit der Graͤfin Amey von Hennegau, ersten Lehnshuldin von Vadutz und ersten armen Kindes von Hennegau mahne ich, Gackeleia Koͤnigin von Gelnhausen, Graͤfin in Hennegau und von Gockelsruh, juͤngste Lehnshuldin von Vadutz und juͤngstes armes Kind von Hennegau, — Euch, acht erste Ordensgespielen, die acht Pflichthuͤhner abzuliefern. — Zuerst rufe ich auf: Fraͤulein Ornitogalia, fuͤr eine am 30. April 1318 empfangene Weide- Gerechtigkeit liefere ab ein Hirtenhuhn!“ Auf diesen Ruf schwebte Ornitogalia, ein Kraͤnzlein des Kraͤutleins Huͤhnermilch auf den blonden Locken und ein schoͤ¬ nes Huhn in einem Koͤrbchen tragend, zwischen den Sarg und Gackeleia. Sie verbeugte sich gegen den Geist der Ahn¬ frau, kuͤßte dann knieend den Orden, den der Leichnam im Sarge trug. Hierauf erhob sie sich wieder, lehnte ihr Haupt gegen das Kleinod der rechten Achselspange Gackeleias, setzte sodann ihren Korb mit dem Hirtenhuhn zu ihren Fuͤßen nie¬ der und nahm ihn wieder unter den Arm, worauf sie das erste der acht amaranthfarbenen Baͤnder ergriff und ruhig an ihrer Stelle stehen blieb. — Hierauf rief Gackeleia nach der Reihe die sieben folgenden Fraͤulein auf. Alle trugen sie Kraͤnze von Kraͤutern ihres Namens und den Orden der freudig frommen Kinder, und jede that wie Ornitogalia. — Oster¬ luzia lieferte fuͤr ein am 1. Mai empfangenes Stuͤck Wald ein Waldhuhn. — Kretellina brachte fuͤr das am 7. Mai erhaltene Recht, im Wald zu grasen, ein Grashuhn. — Ser¬ poleta gab fuͤr den am 14. Mai verliehenen jaͤhrlichen Holz¬ bedarf ein Rauchhuhn. — Morgelina hatte am 21. Mai das Recht erhalten, im Walde Laub zu sammeln und brachte ein Laubhuhn. — Moskatellina entrichtete fuͤr ein am 28. Mai empfangenes Kornfeld ein Aehrenhuhn. — Kornelia leistete ihre Lehnspflicht fuͤr einen am 4. Juni empfangenen Rosen¬ 14 * garten mit einem Gartenhuhn. — Esparsetta entrichtete fuͤr ein am 13. Juni, Pfingstdienstag, empfangenes Feldgut ein Pfingsthuhn. — Als alle Ordensgespielinnen ihre Pflicht geloͤst und die acht Baͤnder anfassend, zur Rechten und Linken des Blumensarges standen, erhoben Gackeleia und Kronovus die beiden vorderen, Gockel und Hinkel die bei¬ den hinteren Stangen der Tragbahre und zogen mit dem Blumensarge der Kapelle zu. — Der Geist der Ahnfrau folgte seinem eignen Leibe zu Grab. — Es war ein An¬ blick von der ruͤhrendsten Erhabenheit. — Hinter dem von den acht Ordensgespielinnen umgebenen bunten Blumensarg, in welchem das bleiche, arme Kind von Hennegau in tiefro¬ them Gewand gleich einem elfenbeinernen ernsten Jungfraͤu¬ lein zu schlummern schien, schwebte dessen eigner Geist zwi¬ schen den drei weißen Klosterfrauen, welche Lilien trugen — selbst eine Lilie — in unaussprechlich ruͤhrender Einfachheit, in schneeweißem, langem Gewand, Spindel und Brod tra¬ gend, das verschleierte Haupt mit weißen Rosen bekraͤnzt, mit lieblichem Frieden im Angesicht uͤber die Blumen und Gras¬ spitzen dahin. Eine der drei Klosterjungfrauen, welche sie mehr, als die beiden andern zu lieben schien, trug ihr de¬ muͤthig die Schleppe. — Alle drei sangen: „Die reine Lilie prangt mit groͤßrer Herrlichkeit, Als jemals Salomo in seinem Koͤnigskleid, Du traͤgst dies Brautgewand seit deiner Tauf' auf Erden, Du konntest herrlicher niemals geschmuͤcket werden.“ Worauf der Geist der Ahnfrau mit wehmuͤthiger Innigkeit wieder sang: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Nun aber folgte der ganze Zug der Geister der dankba¬ ren Armen, welche den Sarg geschmuͤckt hatten, sie trugen die schimmernden Fahnen von Roͤckchen, Hemdchen, Schuͤrz¬ chen, Jaͤckchen, Muͤtzchen, die guten Werke des armen Kindes von Hennegau. Wer aber kam ganz, ganz zuletzt, so daß gar nichts mehr hinter ihm kam? — Niemand Anders, als jene alte Frau mit einer blauen Schuͤrze, welche bei al¬ len Prozessionen und Leichenzuͤgen zuletzt kommen muß — jene gesetzte, solide Person, die nicht im Himmel ist, nicht auf der Erde ist und die selber nicht weiß, wo sie ist und wer sie ist. Alle Nachforschungen der so ausgezeichneten ge¬ heimen Polizei von Gelnhausen haben doch keine entschiede¬ nere Auskunft uͤber sie zu Stande gebracht, als, es heiße, sie solle ein buckliches Fragezeichen hinter einer Leichenrede seyn, man halte sie fuͤr eine Art Nachrede, sie gebe sich fuͤr ein gewisses Gewissen aus u. dgl. mehr. — Man suchte ih¬ rer auf alle Weise habhaft zu werden, man stellte bei allen Blaufaͤrbern Spionen auf, um sie zu ergreifen, wenn sie etwa ihre Schuͤrze neu wolle faͤrben lassen; aber sie ließ sie nicht faͤrben. Endlich ward sie von der Verschoͤnerungskom¬ mission, als geschmacklos und die kuͤnstlerische Wuͤrde solcher Prachtzuͤge stoͤrend, und von der Aufklaͤrungskommission als ein abgeschmackter alter Aberglauben fuͤr null und nichtig in Contumaziam erklaͤrt. — Der Oberhof-Osterhaas schrieb eine gekroͤnte Preisschrift gegen sie, worin er sie fuͤr eine optische Taͤuschung, oder hoͤchstens fuͤr das fuͤnfte Rad am Wagen erklaͤrte, welches, so oft man seiner auch erwaͤhne, doch ei¬ gentlich niemals da sey. — Unter der Regierung des Krono¬ vus aber ward, weil er sie selbst trotz aller Null- und Nich¬ tigkeits-Erklaͤrung hinter dem Leichenzug seines Herrn Va¬ ters Eifrasius allerhoͤchstaugenscheinlich herschleichen gesehen, alles Schreiben uͤber sie verboten und eingefuͤhrt, bei ihrem Anblick immer einem Armen eine neue blaue Schuͤrze zu schen¬ ken; man hat bemerkt, daß sie seitdem immer eine neue blaue Schuͤrze traͤgt, und daß die Blaufaͤrberei in Gelnhausen ei¬ nen solchen Aufschwung gewonnen hat, daß sie der Baͤcker- und Fleischerzunft gar nichts nachgiebt. So nun kam der Zug in die Kapelle, wo unter dem Vortritt Alektryos und Gallinas alles anwesende Federvieh sich tiefneigend Spalier machte. Als sie mit dem Sarg vor den Altar kamen, drehte Gackeleia den Ring, das Grab Ur¬ gockels oͤffnete sich, da sahen sie das Gerippe des alten Herrn auch im reichen Grafenornat gar ehrbar unten ruhen. Nun legten die acht Ordensgespielinnen, die acht Baͤn¬ der in die Hand der Ahnfrau im Sarge zuruͤck und ergriffen die aͤhnlichen Baͤnder, die zum Guͤrtel Gackeleias gehoͤrten, und standen eine Weile um sie her. Man senkte den Sarg neben den Sarg des Urgockels hinab, das Grab schloß sich, die Jungfrauen stellten ihre Koͤrbchen mit den Huͤhnern dar¬ auf und legten alle ihre Kraͤnze umher. — Der Geist der Frau Urhinkel schwebte licht gegen den Grabstein Urgockels, die drei Klosterfrauen mit den Lilien standen zu dessen Fuͤs¬ sen. Eine Lichtwolke erfuͤllte die Kapelle und zog sich oben wie in einen offnen Himmel hinauf, dahin schwebte der Geist der lieben Graͤfin Amey von Hennegau zwischen den drei Klosterfrauen. — Gackeleia sprach zu den acht Jungfrauen um sich her: „segne euch Gott, liebe Gespielen, ich danke eurer Treue, folget dem liebsten Herzen dahin, wo es noch besser ist als hier in Gockelsruh!“ da neigten sie sich gegen ihre rechte Schulter und schwebten in die Lichtbahn des ersten Kindes von Hennegau hinan, und die ganze Prozession der Armen zog hinten nach und man hoͤrte den Gesang: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ immer leiser und leiser, bis er zuletzt ganz verstummte und Alles in der Kapelle wie vorher war; da sah man das Stein¬ bild der Frau Urhinkel mit der Urgallina auf der Schulter neben dem des Urgockels an der Wand und unter demselben schauten drei weiße Lilien uͤber dem Altare hervor. Auf dem Grab vor dem Altar hatten die Kraͤnze der Ordensgespielen Wurzel geschlagen und gruͤnten alle die Kraͤuter, aus denen sie bestanden. — Gackeleia uͤbergab die verehrten Huͤhner dem Alektryo, der sie sogleich in Eid und Pflicht nahm und nebst der uͤbrigen Huͤhnergemeinde in den Huͤhnerhof fuͤhrte, wo ihnen ein Hochzeitsschmaus von Waitzenkoͤrnern, Brodsamen, allerlei Gruͤnem, Maikaͤfern, Regenwuͤrmern und andern De¬ likatessen zubereitet war. — Waͤhrend allem diesem wurden fortwaͤhrend die Glocken gelaͤutet, lief die Kunstfigur immer mit dem Klingelbeutel umher und endeten der Organist und die Primadonna ihre Fuge nicht. — Hierauf setzte sich der Zug in Bewegung, den Wappenfahnen folgten die blumen¬ tragenden Knaben, die blumenstreuenden Maͤgdlein, die Juͤng¬ linge mit den Geschenken Salomos; — dann Kronovus und Gackeleia, welche die Kunstfigur im Arm trug, und zu¬ letzt Gockel und Hinkel, welchen, als sie die Thuͤre verlie¬ ßen, Alektryo und Gallina auf die Schulter flogen. — So kam der Zug in den herrlichen Raugraͤflich-Gockelschen Spei¬ sesaal, wo eine vortreffliche Mahlzeit aufgetragen war. Im ganzen Schlosse gieng es lustig zu, viele gute Leute aus Gelnhausen, die sich damals uͤber Gockels Pallast so ver¬ wundert hatten, waren Extrapost hergefahren. Der Herr Postmeister hatte nichts zu thun, als einzuspannen, der Herr Schirrmeister schmierte unerschoͤpflich, die Herrn Postillone bliesen sich schier den Athem aus. Alles was in Gelnhausen kurfaͤhig war, wurde zur graͤflichen Tafel gezogen, und sogar der geheime Oberhof-Osterhaas, alle Ritter und Ritterinnen des hohen Eierordens; auch viele reisende Kuͤnstler und Gelehrte und Standespersonen, welche gerade zu der Frankfurter-Messe durchpassirten, benutzten die seltene Gelegenheit, alle die Herrlichkeit mit anzusehen. — Es wurden der Gaͤste so viel, daß Gackeleia alle Augenblicke den Ring drehen mußte, um den Tisch zu verlaͤngern. Einen großen Tisch allein bedurfte der Oberhof-Osterhaas, denn er hatte eine ihm empfohlene großmaͤchtige, breite Schottlaͤnderinn bei sich, deren Gefolge aus einem lebensgroßen Lebkuchenfiguren-Kabinet und ei¬ nem Leib-Lebkuͤchler bestand, die Alle mit ihr an einer Tafel saßen. — Der Oberhof-Osterhaas stellte sie den hohen Herrschaften mit den Worten vor: „die sehr hono¬ rable Konnteß Samsonia Molle Gothol, Meisterinn von St. Eduards Stuhl, auf welchem die Koͤnige von Eng¬ land gesalbt werden, eine Nachkomminn der schottischen Koͤ¬ nige, Gothol, Simon Breach, Fergus, Kenneth u. s. w., welche schon Jahrhunderte vor christlicher Zeit, auf jenem Steine gethronet haben, auf dem Jakob bei Bethel Luz schlief und der jetzt in St. Eduards Stuhl bewahrt wird, des¬ sen Pflege ihr anvertraut ist. Diese hohe Dame ist mir von der Akademie der old druidical Superstitions dringend em¬ pfohlen, sie hat sich eine schwarze Melancholie durch zu uraͤl¬ terliche und altvorderliche Studien zugezogen, indem sie schon auf ihrem Kinderstuͤhlchen vor St. Eduards Stuhl bei dem da¬ rin bewahrten Steine Jakobs anfangs mit der Puppe spie¬ lend zur Wache gesessen und dann durch staͤtes Bruͤten uͤber die Herkunft dieses Steins vor lauter Kindern Gottes und der Menschen und den vielen Kindern Israels die eigne Kindheit verloren hat. Nun aber reist sie mit ihrem Kinderstuͤhlchen umher, dieselbe wieder zu finden und darauf zu setzen. Da sie Alles vom Ei an ergruͤnden muß, und von mei¬ nen geringen Verdiensten als unwuͤrdigem Oberhof-Oster¬ haas gehoͤrt hat, hat sie gehofft, vielleicht in einem Osterei, den wahren Kindskopf zu finden, aber leider vergebens! — Es ist ihr bei laͤngerem Aufenthalt in der Grafschaft Vadutz bekannt geworden, daß die Lehnshuldinnen dieser Grafschaft die Achselspangen Rebekkas auf den Schultern tragen, und weil sie weiß, daß diese Kleinode mit dem Stein Jakobs zusammenhaͤngen, so wuͤnscht sie fuͤr ihre Studien eine naͤ¬ here Kenntniß dieser Alterthuͤmer aus schriftlichen, gleich¬ zeitigen Urkunden zu erlangen. — Die bei ihr befindlichen Lebkuchen sind ihre theils noch heidnische Vorfahren, die schot¬ tischen Koͤnige Gothol, Breach, Fergus, Kenneth und der¬ gleichen. Der sie begleitende Leib-Lebkuͤchler arbeitet mit lau¬ ter Honig aus dem Rachen des Loͤwen Samsons, und da sie eine Vorstellung dieses ihres Namenspatrons, wie er seine Feinde mit dem Eselskinnbacken erschlaͤgt, in Honigkuchenteich poussiren lassen will, hat sie ihn mitgenommen, um Studien zu skitziren, was sehr unterhaltend ist; er hat mich schon portrai¬ tirt, und es gleicht, wie kein Osterei dem andern. — Diese wuͤrdige Maͤrtyrin der Ernsthaftigkeit empfehle ich nun der theil¬ nehmenden Kind- und Kinds-Kindlichkeit der koͤniglichen und graͤflichen Familie, allerunterthaͤnigster, unwuͤrdiger Oberhof- Osterhaas.“ Gackeleia empfand eine große Theilnahme fuͤr die honorable Kounteß und wollte sie umarmen, sie war aber zu groß und zu breit und wollte sich nicht buͤcken, da half sich Gackeleia mit dem Ring und drehte die Kounteß herunter, daß sie gerade groß genug war und schloß sie herz¬ lich in ihre Arme, wobei dieser sehr wohl zu Muthe ward, so daß sie laͤchelnd sagte: „Euer Kindlichkeit koͤnnen auch mehr als Brod essen!“ — Gackeleia laͤchelte und drehte die Kounteß wieder in ihre große, breite Gestalt zuruͤck, worauf sich Alles zu Tisch niedersetzte. — Daß Gackeleia mehr als Brod essen konnte, bewies der Kuͤchenzettel der hochzeitlichen Mahl¬ zeit; denn aus Achtung fuͤr die Kounteß verwandelte Gacke¬ leia durch den Ring Salomonis die ganze Gelnhausische Mahl¬ zeit in eine Schottlaͤndische, und die Verwunderung der auf¬ tragenden Bedienten und die Verlegenheit der Gelnhauser Gaͤste, die nicht wußten, wie sie die fremden Gerichte an¬ fassen sollten, erlustigte das ganze Fest. — Besonders viel zur allgemeinen Freude trug der Leib-Lebkuͤchler der Kounteß Gothol bei. Sie saß zwischen den Bildern ihrer Voraͤltern, er neben dem Oberhof-Osterhaas unten an und war in staͤter Arbeit, daß ihm der Schweiß ausbrach, er hatte einen großen Kuͤbel Honigteich neben sich, und indem er mit großen Appetit zu essen schien, knetete er mit Loͤffel, Messer und Gabel, das Bild irgend eines Anwesenden aus Teig auf den Boden seines Tellers, dann begehrte er einen frischen Teller und ließ den andern am Tische von Hand zu Hand gehen, was ein großes Aufsehen unter allen Gaͤsten machte. Als nun Gackeleias Bild zu Kronovus und des Kronovus Bild zu Gackeleia kam, fanden diese sich so ge¬ troffen, daß sie sich freßlieb gewannen, und das wurde auf einmal Mode am Tisch, Einer aß des Andern Bild auf. Da drehte Gackeleia, die melancholische Kounteß auch wieder durch eine Artigkeit zu erheitern, den Ring Salomonis, daß alle ihre Lebzelten-Voraͤltern neben ihr leben und mit ihr spre¬ chen moͤchten und eben so moͤchten die neugeformten Gesich¬ ter mit dem Lebkuͤchler thun. Das gab nun einen seltsamen Spaß, die alten Schottischen Koͤnige fiengen an mit der Kounteß, und dann unter einander von dem Stein Jakobs zu disputiren und zwar sehr heftig, die Gesichter, welche der Kuͤnstler auf die Teller formte, schnitten Gesichter und streckten ihm die Zunge heraus, er wurde unwillig daruͤber, knetete ihnen die Maͤuler zu, da bliesen sie dann die Backen auf, kurz es ward eine staͤte Abwechslung von Grimassen. Da nun alle die Koͤnige anfiengen, dem Meth und Aepfel¬ wein tuͤchtig zu zusprechen und auch dem Lebkuͤchler haͤufig zutranken, gab es Streit und sie warfen sich die Teller ins Gesicht und modellirten sich ganz grandios mit den Humpen auf den Koͤpfen herum. Diese alten Schotten- Koͤnige hatten eine Art Bauernkrieg unter einander und bald war dieser bald jener Trumpf, — und dazwischen wurde immer vom Stein Jakobs geschrieen, ohne daß sie irgend ei¬ nig werden konnten. Alles das ward der guten Kounteß ein Stein des Anstoßes, sie wußte gar nicht mehr, was sie von ihren Altvorderen halten sollte, sie kam zitternd und be¬ bend mit ihrem Kinderstuͤhlchen zu Gackeleia gelaufen und lehnte ihren großen Kopf Hilfe suchend, da Gackeleia, um dem Streite zu zusehen, auf den Stuhl gestiegen war, ganz bequem gegen das Achselband ihrer rechten Schulter mit den Worten: „o mein Gott, welch ein Greul, o wo seyd ihr hin, ihr schoͤnen Tage meiner Kindheit!“ — Gackeleia aber drehte den Ring mit dem Wunsche, alle die Streitenden moͤchten sich in unschuldige, belustigende Gegenstaͤnde verwandeln und alsbald wurden die Koͤnige und der Lebkuͤchler zu Hollunder¬ maͤnnchen, welche sich einander auf den Kopf stellten und wieder auf die Fuͤße purzelten, was allgemeinen Beifall fand. Die Ueberreste der Lebkuchen-Bilder wurden theils von den Originalen, theils von Alektryo und Gallina verzehrt. — Selbst die Konnteß laͤchelte daruͤber und sagte: „seit ich die Achselspange der Rebecka beruͤhrt habe, ist mir ein solcher kindlicher Friede, eine solche Lust ins Herz gekommen, daß es mir laͤcherlich vorkoͤmmt, wie ich so entsetzlich uͤber den Stein Jakobs habe studieren koͤn¬ nen, o jetzt habe ich keinen Wunsch mehr, als daß ich noch, wie einst auf meinen Kinderstuͤhlchen neben St. Eduards Stuhl sitzen und meine Puppe darauf stellen koͤnnte.“ — Diese Rede gefiel der ganzen graͤflichen Familie so wohl, daß Gockel ihr Kinderstuͤhlchen auf den Tisch und die Puppe da¬ raufstellte, worauf er ihr den eignen Orden der Kinderei, Kronovus den Orden des goldnen Ostereis mit zwei Dottern, und Gackeleia den Orden der freudig frommen Kinder um¬ haͤngten, sie ruͤckten zusammen und nahmen sie in die Mitte und tranken Gesundheiten und Alles war voll Lust und Herr¬ lichkeit. — Gockel aber nahm nun das große Tagebuch der Ahnfrau, das vor ihnen bei den Geschenken Salomos und der Koͤnigin von Saba auf dem Tische lag und uͤberreichte es der Kounteß mit der Bitte, da sie sich so sehr fuͤr schriftliche Urkunden interessire und eine so schoͤne Aussprache habe, moͤge sie mit der Vorlesung die Mahlzeit beschließen; wahrscheinlich werde dort zu ihrer Freude auch etwas von den Spangen der Rebecka und dem Steine Jakobs verzeich¬ net seyn. — Sie nahm das Buch, blaͤtterte ein wenig da¬ rin hin und her, wie ein Kind, das keine Lust zu lesen hat, und sagte: „es sind gar keine Bilder darin, das ist Schade, es ist mir auch jetzt ganz unleserlich zu Muthe; mir ist so lustig und kindisch, daß ich mich ordentlich zusammennehmen muß, um mich nicht da auf den Tisch hinauf auf mein Kin¬ derstuͤhlchen zu setzen und mit den Fuͤßen zu pampeln. So laͤcherlich, ja unmoͤglich dieses bei meiner allzu großmaͤchtigen Figur nun scheint, muß ich dennoch leiblich dagegen kaͤmpfen; denn mein Seelchen sitzt wirklich schon darauf und laͤßt jeder¬ mann seine schoͤnen, neuen, rothen Schuhe bewundern. Nein, jetzt lese ich nicht — ich habe eine große Angst, wieder in die Untersuchungen alttestamentarischer Antiquitaͤten zu fallen, mir ist, als verstuͤnde ich jetzt erst den Stein Jakobs recht, mir ist, als stiege ich mit den Engeln auf der Himmelslei¬ ter, die er auf diesem Steine schlafend im Traume gesehen, auf und nieder, und wir spielten zusammen und einer von ihnen hat mir gesagt: „sey ein frommes Kind, laufe nicht in alle Gassen hinein, halte dich huͤbsch fest an der Schuͤrze der Mutter und trau den falschen Ammen nicht — die treuen Kinder wird die Mutter gewiß zum lieben Vater bringen, und da giebt es Kuchen und Herz, was verlangst du?“ — seht, so ist mir — ich will mir keine neuen Skrupel in den Kopf setzen; aber ich will Euch hernach doch aus dem Buche lesen — jetzt nun haͤtte ich vor mein Leben gern, daß die liebe Gackeleia mir und uns Allen das wuͤnsche, was ihr das Liebste und uns Allen das Nuͤtzlichste und Gott das Wohl¬ gefaͤlligste, am Ende aber ein wenig plaisirlich fuͤr jedermann waͤre. — Wuͤnsche, Gackeleia, wuͤnsche, bitte, bitte, bitte!“ — Die große majestaͤtische Schottlaͤnderin sagte dies so von gan¬ zen Herzen, so ganz wie ein unschuldiges Kind, das erst der Flamme des Lichtes mit den Haͤndchen winkt, und weil sie nicht gleich naht, unbesorgt hinein greift, ja so ganz von Herzen, daß sie in ihrer jetzigen Aeußerung einem schoͤnen, schimmernden Schmetterling glich, der sich aus der finsteren Huͤlle einer Puppe, wie aus einem Kerker hervorwindet, die Fluͤgel traͤumend entfaltet, und ruͤhrt und ruft: o Blumen her, Rosen, Lilien, mich zu schauckeln! — o es war ruͤh¬ rend, leicht haͤtte er das Licht selbst fuͤr eine in der Nacht leuchtende Lilie halten und den Tod darin finden koͤnnen. — Gackeleia fuͤhlte das Alles so tief, daß sie die gute Samso¬ nia Molle Gothol ans Herz druͤckte, mit den Worten: „ge¬ wiß, gewiß, du bist die erste liebste Ordensgespielin des ar¬ men Kindes von Hennegau!“ — Da blickte Gackeleia den Kronovus und Vater und Mutter und alle Gaͤste gar lieblich, schlau und kindlich laͤchelnd der Reihe nach an und hob den Ring an dem Finger mit der Frage empor: „wollt ihr von Herzen mit Allem zufrieden seyn, was ich wuͤnsche?“ und alle riefen einstimmig: „ja, ja, von Herzen zufrieden, wuͤnsche Gackeleia, wuͤnsche!“ Nun umarmte Gackeleia Vater und Mutter und den Kronovus und druͤckte die schoͤne Kunstfigur ans Herz und reichte allen Gaͤsten der Reihe nach die Hand — dann schaute sie rings um uͤber das froͤhliche Volk, uͤber Schloß, Hof und Garten, uͤber die ganze freudige Umgegend und sprach: „o wie ist Alles so einig und freudig umher! nur Eines bleibt zu wuͤnschen uͤbrig — ich wuͤnsche es,“ da drehte sie den Ring Salomonis am Finger und sprach: „Salomo, du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Setz' uns von dem stolzen Pferde, Ohne Fallen sanft zur Erde, Fuͤhr uns von dem hohen Stuhle Bei der Nachtigall zur Schule, Die mit ihrem suͤßen Lallen Gott und Menschen kann gefallen, Laß, das hohe Lied zu singen, Uns aufs Kinderstuͤhlchen schwingen, Fuͤhr uns nicht in die Versuchung Unfruchtbarer Untersuchung; Nicht der Kelter ew'ge Schraube, Nein die Rebe bringt die Traube. Mach' einfaͤltig uns gleich Tauben, Segne uns mit Kinderglauben. Lasse uns um jede Gnade Kindlich bitten, kindlich danken Und durch Dorn und Blumenpfade Treu gepflegt sie ohne Wanken, Freudig, doch mit frommem Zagen, Hin zum lieben Vater tragen. Laß die Engel bei uns wachen, Daß wir wie die Kinder lachen, Daß wir wie die Kinder weinen, Laß uns Alles seyn, nichts scheinen. — Mache uns zu Kindern Alle, Jedes sey nach seiner Art, Wie's dem lieben Gott gefalle, Einsam oder treu gepaart. Bricht ein Herz am andern Herzen, Mach ihm Blumen aus den Schmerzen, Daß mit duftendem Gewinde Seine Wunde es verbinde, Roth, wie Amaranthen bluͤhe, Bis in Schmerzen es vergluͤhe. Wessen Herz ein Anderes spiegelt, Der sey rein und stark gefluͤgelt, Daß er heil empor es trage Zur Befriedung aller Klage, Zur Erloͤsung aller Frage, Aus der Nacht zum Herrn der Tage. Zieh'n schon Engel durch die Halmen, Wogt das Korn schon Well auf Welle, Naht der Schnitter unter Psalmen, Spielen Kinder auf der Schwelle Doch mit Blumen roth und blau, Die des letzten Tages Thau Braͤutlich schmuͤckt mit mildem Glanz Fuͤr des Festes Erndtekranz, Und sie singen: Uns liebt morgen, Der uns heut so treu geliebt, Ein fromm Kind braucht nicht zu sorgen, Wenn's noch Heut und Morgen giebt; Und koͤmmt erst die Ewigkeit, Halt ich reinlich nur mein Kleid, Bin ich fertig und bereit Und geh ein zur Herrlichkeit. Darum liebster Salomo! Mach uns heute groß und klein Gleich zu solchen Kinderlein, Knaben derb und Maͤgdlein fein, Die im Grase frisch und froh All in Kleidchen nett und rein Rings um den Alektryo Gluͤcklich bei einander sitzen Und die Ohren horchend spitzen. Mach, daß Alles auf ein Haͤaͤrchen Nichts ist, als ein altes Maͤhrchen, Das der Hahn uns huͤbsch erzaͤhlt, Den wir lang darum gequaͤlt, Und die Puppe, nein — die nur Eine schoͤne Kunstfigur, Sey gleich eine ganz scharmante, Aprobirte Gouvernante, Schmeidig, wie ein Seidenfaͤdchen, Zierlich, wie ein Silberdraͤthchen, Die mit zimperlichen Schritten Einen Kuchen schon zerschnitten, Weil das Beste koͤmmt zuletzt, Laͤchelnd vor uns niedersetzt. Und wir draͤngen uns um sie, Herzen und bekraͤnzen sie, Und sie stimmet mit uns ein: „Bitte, bitte, artig seyn!“ Und wir patschen in die Haͤnde, Und das Maͤhrchen hat ein Ende; Ringlein, Ringlein, dreh dich um, Mach es so, ich bitt dich drum!“ Waͤhrend Gackeleia diese Worte theils mit tiefer Ruͤh¬ rung, so daß ihr die Thraͤnen in die Augen traten, theils laͤchelnd mit gutmuͤthigem Muthwill aussprach, drehte sie den Ring immer schneller, denn sie ward immer ungeduldi¬ ger, wieder ein Kind zu seyn. Kronovus haͤngte sich an ih¬ ren Arm, er war ordentlich bang, sie wuͤrde ganz klein wer¬ den und ihm endlich gar verschwinden; weil sich aber in sei¬ ner Seele alles zugleich mit ihr veraͤnderte, merkte er keinen Unterschied. — Das verschiedene Betragen aller Gaͤste war lustig anzusehen, einigen sehr soliden Standespersonen aus Gelnhausen war gleich anfangs schon nicht recht wohl bei dem Handel zu Muthe, sie waren froh, die Kinderschuhe ausgetreten zu haben, sie fuͤrchteten, sie muͤßten wieder in die Schule und besonders in die Kinderlehre gehen und wuͤr¬ den sehr beschaͤmt werden, weil sie den Katechismus ganz vergessen hatten. — Einige Damen dachten auch, man koͤnne sich das Verjuͤngen bis auf einen gewissen Grad wohl gefallen lassen, dann aber wollten sie sich unter irgend einem Vorwand zuruͤckziehen; so kam es dann, daß vielen gleich anfangs uͤbel ward, daß sie Nasenbluten bekamen, heftig zu husten anfiengen und sich aus dem Staube machten. Andere, welche tuͤchtig gegessen und getrunken hatten, begannen zu gaͤhnen und schliefen ein oder fiengen an zu taͤndeln und zu spielen und ganz kindisch vertraut allerlei Neckereien mit ih¬ ren Nachbarn zu treiben. — Es kam viele Natur, viele Art und Unart, aber auch gar viel verstecktes Liebes an den Leu¬ ten zu Tag. — Da nun Gackeleia mit ihrem Wunsche fer¬ tig war, zog sie den Ring ab und legte ihn auf den Teller, um ihn fuͤr immer dem Kronovus zu uͤberreichen, aber Alek¬ tryo, der neben ihr auf der Schulter Gockels saß, zuckte mit dem Schnabel hervor nach dem Ringe und verschluckte ihn wieder, in demselben Augenblicke gieng der Wunsch Ga¬ ckeleias ploͤtzlich in seine ganze Erfuͤllung. — Die großmaͤch¬ tige Schottlaͤnderin hatte noch gerade so viel Zeit, das große Tagebuch der Ahnfrau unter den Arm zu klemmen und ihr Kinderstuͤhlchen zu erwischen, denn sonst haͤtte sie mit den andern Kindern auf der Erde sitzen muͤßen. — Mehr als drei dutzend Personen waren gerade noch uͤbrig, und diese waren auch richtig in eben so viele gesunde vergnuͤgte Kinder ver¬ wandelt, die auf einem schoͤnen, blumigen Grasplaͤtzchen am Rande eines Kornfeldes um den Hahn Alektryo herum¬ saßen, der ihnen die Geschichte erzaͤhlte. die ein altes Maͤhr¬ chen war, welches er in seiner Kindheit von einem italieni¬ schen Schockolademacher gehoͤrt, und um das sie ihn schon lange gequaͤlt hatten. Als er nun eben fertig war, kam das Beste zuletzt, nicht die Puppe, sondern nur die allerschoͤnste Kunstfigur war in eine wohl aprobirte Gouvernante verwan¬ delt und trippelte mit einem Praͤsentirteller, worauf ein gro¬ ßer, schon getheilter Kuchen lag, mitten unter die Kinder und ließ sich auf ein Knie nieder und setzte den Kuchen auf den Rasen zwischen die Kinder. Da war der Jubel allgemein, die Kinder draͤngten sich um sie, umarmten sie, schmeichelten ihr, setzten ihr Kraͤnze auf, machten Musik, schrien Vivat, und jedes that nach seiner Art, gesellt oder einsam; es waren auch Kinder da, die schliefen, die gaͤhnten, die auf¬ wachten, die sich neckten, versteckten, liebkosten, Kraͤnzchen aufsetzten. — Sie hatten ihre Laͤmmchen, Huͤndchen, Voͤgel¬ chen u. s. w. bei sich. — Unter allen diesen lustigen Kindern saß Eines ein wenig abgesondert, etwas ernsthafter auf einem Kinderstuͤhlchen, es hatte ein großes Buch unter dem Arm, ein Schmetterling lebte und starb ihm auf dem Haͤndchen. Es schien ein Bißchen tiefsinnig, wie traͤumend, als sey es ein¬ mal eine sehr große breite Figur gewesen und koͤnnte sich noch nicht in Alles recht finden. Ein Knabe auf dem Stecken¬ pferd wollte es vorwaͤrts reißen, wodurch es sich noch mehr zu¬ sammennahm. Es sah auf den Kuchen hin, auf welchem seine Voraͤltern, als Hollundermaͤnnchen um eine Puppe herumpur¬ zelten. — Es laͤchelte kaum, denn es hoͤrte in der Ferne die 15 ernsten Psalmen des Schnitters, es hoͤrte das Wogen der Aehren Welle auf Welle, und wenn es gleich freudig mit den andern Kindern auf der Schwelle des Erndtefestes saß, so spielte es doch nicht mit den blauen und rothen Blumen, die vom Thau des letzten Tages schimmerten, sondern es ge¬ dachte dieses Tages und sah die Boten der Erndte, zwei Engel aus dem Weizen hervortreten; der eine fuͤhrte ein ar¬ mes verwaistes Kind, das lange keine Freude gehabt, hin auf die Schwelle, wo die freudig frommen Kinder spielten, und zu dem Kuchen, der da ausgetheilt ward. — Da sagte das nachdenkliche Maͤdchen auf dem Kinderstuͤhlchen vor sich: „ach und das Leben ist doch so ernst!“ — Gleich darauf sah es den zweiten Engel, sich aus dem Korn hervorbeugend, mit einem andern Kinde in das Nest der Gallina schauen, welche dort bruͤtete; da sprach das ernste Kind: „Engel, die Gott zugesehn, Sonn und Mond und Sterne bauen, Sprechen: »Herr, es ist auch schoͤn, Mit dem Kind ins Nest zu schauen!“ Daruͤber dachte es nun wieder nach, als der Knabe auf dem Steckenpferd voruͤber reitend es an der Schuͤrze zupfte. Als nun Alles so voll Freude und Jubel uͤber die wohl¬ aprobirte Gouvernante und ihren Kuchen war, sagte diese, dem Ungestuͤmm der Kinder wehrend: „bitte, bitte, artig seyn, jetzt will ich austheilen.“ Da patschten Alle so freu¬ dig in die Haͤnde, und ich vor allen so unmaͤßig, daß mir die Haͤnde noch brennen, denn ich war auch dabei, sonst haͤtte ich die ganze Geschichte ja nie erfahren und haͤtte keinen Kuchen erhalten von der Puppe — nein der nur allerschoͤnsten Kunstfigur u. s. w. A lle patschten in die Haͤnde Und das Maͤhrchen schien am Ende Selbst ganz artig zugespitzt, Ja ein kleines Sternchen blitzt Unten an der Himmelsleiter Unter einem — und so weiter; Und dies heißt: der kleine Stern Plauderte noch gar zu gern; Denn, wie sichs versteht am Rande, Hat die edle Gouvernante All die Kinder heimgefuͤhrt, Und dann, wie es sich gebuͤhrt, Gleich die Schaar, daß sie gedeihe, Rein gewaschen, nach der Reihe Umgekleidet und gepflegt, Wie ins Bett man Kinder legt; Und weil Alles auf ein Haͤrchen Mußte sein ein artig Maͤhrchen, Kaͤmmt' und flocht den Kinderkoͤpfchen Allen sie die linden Zoͤpfchen, Sprengte dann mit Wassertroͤpfchen Noch die lieblichen Geschoͤpfchen, So wie Blumen man erquickt, Die man in die Kirche schickt, Und nun ist sie fromm mit Allen Auf die Kniee hingefallen, Hat mit ihnen suͤß gesungen, Daß zum Himmel es gedrungen: „Muͤde bin ich, geh zur Ruh, Schließe beide Aeuglein zu, Vater, laß die Augen dein Ueber meinem Bette seyn; Hab ich Unrecht heut gethan, Sieh es, lieber Gott, nicht an, Deine Gnad und Jesu Blut Macht ja allen Schaden gut; Vater hab mit mir Geduld Und vergieb mir meine Schuld 15 * Wie ich Allen auch verzeih, Daß ich ganz in Liebe sey. Alle, die mir sind verwandt, Herr laß ruhn in deiner Hand, Alle Menschen groß und klein Sollen dir befohlen seyn. Kranken Herzen sende Ruh, Nasse Augen schließe zu, Laß den Mond am Himmel stehn, Und die stille Welt besehn!“ — Alle sagten dann gut Nacht, Haben lieb sich angelacht, Zu einander nach der Reihe Sprachen sie: »verzeih, verzeihe, Morgen, laͤßt uns Gott erwachen, Wollen wir es besser machen.« All ins Bettchen dann gesteckt Hat sie und huͤbsch zudeckt. Als sie dann in sich gekehrt Suchte, was ihr Gott bescheert, Trat ihr Engel ihr entgegen Und gab ihr den Kindersegen, Und, was Alles sie getraͤumt, War mit Himmelsgold gesaͤumt. Nicht lang nach dem Abendlied, Als die Gouvernante schied. Alle Kinder einen tiefen Traum-durchbluͤmten Schlummer schliefen; Eines nur verließ das Pfuͤhlchen, Mit dem Buch und Kinderstuͤhlchen Wollt's zum Mond in's Freie gehn Und die stille Welt besehn. Und ich folgt ihm, sah im Traum, Wie es an der Aehren Saum Zwischen Lilien in dem Feld Vor Sankt Eduards Thronstuhl dicht Hat sein Stuͤhlchen hingestellt. Aus dem Thronstuhl sind von Licht Dann zwei Pflanzen aufgeschossen, Blatt vor Blatt gleich Leitersproßen Waren wie das Blatt des Mohns Und des Siegels Salomons, Und sie wuchsen bis zum Mond. Oben in dem Strauße thront Mild ein Weib in ernster Feier, Thront die Nacht in weiter Huͤlle, Schauet, thauet durch den Schleier Mutterstille, Mutterfuͤlle Traͤumerisch vom blauen Zelt Auf das goldne Aehrenfeld. Ihr zur Rechten, ihr zur Linken Auf des Mohnes Blumen winken Sterne, Kinder aller Launen, Die da sinnen, harren, staunen, Beten, sehnen, prohezeihen, Wenig wohl um uns bekuͤmmert Schweigen und ins Herz uns schreien. Waͤhrend oben es so schimmert, Blaͤttert unten in dem Duͤstern Still das Kind im großen Buche, »Find' nicht,« sprach es, »was ich suche, Hoͤr' doch alle Blaͤtter fluͤstern Von des Jakobs Schlummerstein Und Rebeckas Edelstein, Was zu lesen ich so luͤstern; Stiegen doch die Engel wieder Auf der Himmelsleiter nieder, Braͤchten mir ein Bischen Licht! Denn trotz Mond und Sterngefunkel Ist's zum Lesen doch zu dunkel. Sieh, als kaum das Kind so spricht, Nahen auf der lichten Bahn Gleich zwei Engel sich geschwinde Mit zwei Sternlein und dem Kinde Zuͤnden sie die Lilien linde Zu des Thronstuhls Seiten an, Und nun ist es hell zum Lesen Wie in einem Chor gewesen, Wo man wechselnd singt die Psalmen, Als das Kind hat intoniret, Haben auf des Mohnes Halmen Gleich die Sterne respondiret: „Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid, Zeit und Ewigkeit.“ Und den ganzen Wiederhall Sang das Lied der Nachtigall, Die da auf dem Thronstuhl saß Und kein Woͤrtchen je vergaß, Das das Kind im Buche las. Und ich sah das Kind im Singeu Sich zum hoͤhern Chor erschwingen, Wie es so emporgestiegen, Ließ sein Buch es unten liegen, Hat zu mir sich umgeschaut, Und sprach milde, wie es thaut: „War in Schottland einst geboren, Irrt in Irland lang verloren, Geh ins wahre Engelland An der lieben Engel Hand; Gieb mir Acht auf meine Sachen, Wenn die Kinder all erwachen, Lese ihnen aus dem Buch Von dem Segen, von dem Fluch, Von des Kleinods Heil und Noth, Von der Fahne weiß und roth, Von dem Wolfbrand Hammelstutz Und dem Hego von Vadutz; Jetzt gut Nacht, auf Wiedersehn!“ Und da war's um mich geschehn, Kind gieng in den Himmel ein, Und ich blieb allein, allein! Rings die weite, weite Nacht Und der Sterne ernste Pracht, Keiner hat an mich gedacht, Keiner hat mich angelacht. In der Lilien Wunderlicht Sitz ich gleichsam vor Gericht, Und das liebe Kinderstuͤhlchen Ward mein Armesuͤnderstuͤhlchen; In die Nacht hab ich gedichtet, Was gen Morgen wird gelichtet, Und gesichtet und gerichtet; Vor mir ruht das große Buch, Und ich harre auf den Spruch. Horch, wie ernst die Aehren wogen, Horch, der Schnitter koͤmmt gezogen! Traͤume thauen von dem Mohn Und vom Schlafe uͤbermannt Sinkt das muͤde Haupt mir schon Auf des Thronstuhls harten Rand, Und mir traͤumt, wie zwei Jungfrauen Aus der fruͤhen alten Welt Durch das reiche Aehrenfeld Mild zu mir heruͤberschauen; Und die Junge fragt die Alte: „Vreneli, was macht das Buͤblein?“ „Amey,“ sprach die, „dicht am Gruͤblein Schlaͤft es, o daß Gott sein walte! Seine Sache hats vollbracht, Und daß, wenn der Tag erwacht, In der Erndte es nicht darbe, Leg ihm milde in den Arm Eine kleine feine Garbe, Hart liegt's jetzt, daß Gott erbarm!“ Und so that die liebe, gute, Daß mein Haupt nun friedlich ruhte, Flocht dann bei der Sterne Glanz Aemsig an dem Erndtekranz, Neben ihr die andere kniete, Betend: „Buͤblein ruh in Friede!“ Aber ach! es wehrt nicht lange, Horch! es ruͤhrt sich auf der Stange Bei der Henne schon der Hahn; Morgenthau ruͤhrt mir die Wange Weckend, bald zerrinnt der Wahn; Und der erste Hahnenschrei, Wenn die Kinder auferstehen, Bricht den lieben Traum entzwei; Und sie werden dann verstehen, Wie mir also ist geschehen. Dann wird Alles vorgelesen, Und wird das, was es gewesen, Tretend aus dem truͤben Schein Auch in vollem Lichte seyn; Ja dann ist selbst auf ein Haͤrchen Dieses Maͤhrchen mehr kein Maͤhrchen; Und bis so das Maͤhrchen aus, Sing ich in die Nacht hinaus: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Blätter aus dem Tagebuch der Ahnfrau. Einleitung. D ie wohlaprobirte Gouvernante hatte die verkindete Hochzeitsgesell¬ schaft von Gockelsruh nach der Eierburg bei Gelnhausen gefuͤhrt und dort aus ihnen eine Kleinkinderbewahranstalt gebildet. Da sich aber weder der Staat, noch die einzeln Familien in die Unmuͤndigkeit der Landes- und Hausvaͤter finden konnten, suchten sie Huͤlfe bei dem Pupillen- oder unmuͤndigen Kinder-Collegium, welches erklaͤrte, es sey zwar zur Bevormundung bereit, aber die kleinen Leute zu ver¬ groͤßern gehoͤre in die Kunst der Lebensverlaͤngerung und also ins Medizinalfach. Man wendete sich daher an den Stadtphysikus, der aber entschied dahin, dieser Handel gehe uͤber seinen Horizont, er gehoͤre ins Nachtgebiet der Natur, und beweise das Hereinragen einer Geisterwelt in die unsre. — Weil nun die Rolle einer Koͤnigin der Nacht damals vor der Erfindung der Zauberfloͤte in Gelnhausen un¬ moͤglich besetzt seyn konnte, wußte man keine Autoritaͤt fuͤr das Nacht¬ reich und nahm seine Zuflucht zu der hochloͤblichen Nachtwaͤchterzunft in der Voraussetzung, von Nachtgebiets- und Geisterragerei-Sachen muͤßten sie wohl Bescheid wissen. Sie erklaͤrten aber, in ihr Nacht¬ gebiet gehoͤrten allein die Diebe, die betrunkenen Schwaͤrmer, die Nachtmusikanten, die Nachtwandler, die Muhkaͤlber, die Wehrwoͤlfe, die dreibeinigen Hasen, und dergleichen kurze Waaren; dieser Handel aber sey am hellen Tage geschehen und daher von ihnen nach Recht und Gerechtigkeit verschlafen worden. — In dieser Verlegenheit wen¬ dete man sich, da die Schaͤfer von je im Rufe vieler geheimen Kuͤnste stehen, an die koͤniglich Gelnhausensche, veredelte, spanische Hammel¬ knechtschaft. Der Praͤsident dieses Collegiums, geheimer Oberhof- Haushammel Laͤlaps, ein sehr gelehrter Mann und besonderer Freund des verkindeten Herrn Oberhof-Osterhaas bat sich Bedenkzeit bis nach der Schafschur aus. Als er nun sein Schaͤfchen geschoren und ins Trockene gebracht hatte, erklaͤrte er, er habe zwar unter dem beruͤhmten Johannes Praͤtorius in Leipzig die Rocken-Philosophie stndiert , er besitze dessen Werke, Gluͤckstopf, Wuͤnschelruthe, Blocks¬ berg, wunderbare Menschen, Ruͤbezahl, Weihnachtsfratzen, Schwalben und Storchs Winterquartier, Sieblaufen, Alektryomantie oder Hah¬ nenzauber u. s. w.; aber in allen diesen sey kein Mittel gegen diese unerhoͤrte Curiositaͤt zu finden; da ihm jedoch von allen Wundern des Herrn Magisters Praͤtorius immer als das groͤßte erschienen, daß derselbe zum kaiserlich gekroͤnten Poeten habe gemacht werden koͤnnen und zwar durch einen Hof- und Pfalzgrafen, so mache er darauf auf¬ merksam, daß seit der Erbauung der Pfalz Barbarossas hier in Geln¬ hausen immer ein Pfalzgraf seinen Sitz habe, nnd also bei dem der weiligen Herrn Pfalzgrafen Hanns Diemringer von Staufenberg Huͤlfe zu suchen sey. Da dieser nach seinem Amte nicht nur Dokto¬ ren, Lizentiaten, Baccalaureen, Edelleute und gekroͤnte Poeten, son¬ dern auch Illegitime legitim, Unehrliche ehrlich, Unmuͤndige muͤndig machen, ja sogar mit rothem Wachs siegeln koͤnne, so zweifle er nicht, der liebe Menschenfreund werde die edle Stadt seiner Pfalzkraft genießen lassen und ihre verkindeten Tagsgebieter aus dem Nachtgebiete der Natur heraus, volljaͤhrig an das Tagslicht bringend, ihr Maͤhr¬ chen zur Sage, und ihre Sage zur Geschichte sowohl um ein billi¬ ges Honorar erheben, als auch dieses Alles mit rothem Wachse be¬ siegeln. — Ganz Gelnhausen jubelte uͤber diesen Vorschlag, man hielt eine Gemeindeversammlung, worin alle Leidtragende den ersten Platz hatten. — Jedoch die Deputation, welche in Barbarossas Pallast ge¬ sendet worden war, den Herrn Pfalzgrafen in den Rath einznladen , kam ohne ihn mit dessen Haushaͤlterin zuruͤck, welche eidlich zu Pro¬ tokoll gab, der Herr Pfalzgraf bedaure sehr, nicht vor dem Rath er¬ scheinen zu koͤnnen, indem er vor einigen Tagen in wichtigen Ge¬ schaͤften vereist sey; die Akademie der old druidical superstitions in London sey entschlossen, der eingerissenen seichten Aufklaͤrnng kraͤftig entgegen zu treten, und die in der letzten Zeit ins Reich der Fabel verwiesenen Erd, Wasser, Luft und Feuer- Wundergeschoͤpfe, die Zwerge, Gnomen, Kobolde, Faunen, Satyrn, Nymphen, Dryaden, Hamadryaden, Sirenen, Melusinen, Undinen, Sylphiden, Elfen, Salamandrinen u. s. w., wie uͤberhaupt Alles, was keine Menschen¬ satzung, salvo errore et ommissione , als wirklich bestehend wieder anzuerkennen und ferner nur mit uͤberlieferter Protestation gegen das zu protestiren, was durch lange Ueberlieferung bereits anerkannt und also anerkannt nicht anzuerkennen sey. — Zur Begruͤndung dieser Aberglaubens-Anwandlung habe nun die Akademie dem Herrn Pfalz¬ grafen fuͤr jedes Stuͤck dieser so schaͤndlich unterdruͤckten Wunderge¬ schoͤpfe, das er unter der Bank hervorziehe und durch ein mit rothem Wachs versiegeltes Dokument legitimire, vier Pfund Sterling durch das Handlungshaus Gebruͤder Vatermoͤrder anweisen lassen. Der Herr Pfalzgraf habe hierauf sogleich eine Rundreise zu diesem Ge¬ schaͤft angetreten und sey zuerst auf das Schloß Staufenberg bei Of¬ fenburg in der Ortenau gezogen, um die dortige Meerfey oder Me¬ lusine, welche mit seinem Ahnherrn Peter Diemringer von Staufen¬ berg in Verbindung gestanden, zu legitimiren, und ihr wirkliches Her¬ einragen aus der Geisterwelt in die Leiberwelt auf dem Zwoͤlfflein zwischen Staufenberg, Nußbach und Weilershofen mit seinem rothen Pfalzgrafenwachs zu besiegeln; indem diese Meerfey das vollkom¬ menste Exemplar sey, welches je ein Exempel des Hereinragens sta¬ tuirt habe, was bei seines Anherrn Hochzeit mit einer Muhme des Kaisers aus Kaͤrnthen offenkundig geworden sey, da das elfenbeinerne Geisterbein der Meerfey bis ans Knie uͤber dem leiblichen Hochzeits¬ mahl in Gegenwart aller Gaͤste durch eine Oeffnung der Stubendecke hereingeragt habe, welche den Fremden noch vorgezeigt werde. Dort also sey der Herr Pfalzgraf Diemringer zu finden und alle frankirten Briefe an ihn nach Offenburg poste restante adressirt empfange er richtig. — Nach dieser eidlichen Aussage der Haushaͤlterin erklaͤrte der Praͤsident im Namen der Gemeinde, es stehe dem Volke nicht zu, seine ins Nachtgebiet der Natur gerathenen Landesgebieter aus demselben ohne allerhoͤchste Einwilligung zu verweisen und muͤsse Erlaubniß hiezu vorerst allerunterthaͤnigst nachgesucht werden, allen andern Betheiligten aber sey es freigestellt, bei dem Herrn Pfalzgra¬ fen Huͤlfe zu suchen. — Nach dieser Erklaͤrung erhob sich die Frau Oberosterhaͤsin und sprach: „Hochherzige Gelnhauserinnen, mein ehe¬ maliger Ehegemahl, das nunmahlige Oberhofosterhaͤschen hatte auf die merianische Bilderchronik subskribirt, die so eben in Frankfurt her¬ ausgekommen; gestern erhielt er sein Exemplar und ich habe es mit ihm in seiner nunmehrigen Kindlichkeit durchbildern muͤssen, wei¬ ter aber als bis zu Seite 75 des dritten Theils sind wir nicht ge¬ kommen; denn von dem Bilde der Weiber von Weinsberg, welche ihre Eheherrn auf dem Ruͤcken aus dem von Kaiser Konrad III . belager¬ ten Weinsberg frei heraustragen, wollte er sich nie trennen; immer buchstabirte er wieder die Unterschrift: „Exempel ehelicher Lieb und Treu deutscher Frauen gegen ihre Maͤnner“ und sah mich dabei gar freundlich an, ja ich mußte ihn laͤnger, als mir lieb war, auf dem Ruͤcken herumtragen, habe aber dennoch waͤhrend dem das Geluͤbde gethan, wuͤßte ich, daß der Kaiser meinem Mann durch mich so aus dem Nachtgebiet der Natur koͤnnte heraushelfen lassen, wie er jenen Weibern zugestanden, ihren Maͤnnern aus Weinsberg zu helfen, so wollte ich meinen Eheherrn bis nach Wien auf dem Ruͤcken tragen. — Jetzt aber habe ich diese Huͤlfe im Herrn Pfalzgrafen Diemringer viel naͤher und es waͤre eine Schande, wenn ich wartete, bis er erst das Hereinragen aller Wald und Wassergeister in die Natur urkundlich dokumentirt hat und hierher zuruͤckgekehrt ist. Nein das Emporra¬ gen ist meinem Herrn viel noͤthiger, er hat schon bitterlich geweint, daß er die Wanduhr und den Bratenwender nicht aufziehen, den Vogelkaͤfig nicht herablassen, den Barometer nicht nachsehen, die Lichter auf dem Kronleuchter nicht ausblasen koͤnne und alle Augen¬ blicke muß ich ihn in die Hoͤhe heben. — So will ich dann den Weinsbergerinnen nicht nachstehen; Morgen trage ich meinen lieben Herrn und Gebieter auf dem Ruͤcken nach Staufenberg, um ihn durch den Herrn Pfalzgrafen aus dem Nachtgebiet heraus bringen zu las¬ sen. — Indem ich nun alle meine anwesenden Freundinnen auffordere, in meine Fußstapfen zu treten, frage ich schließlich: „sollten die Geln¬ hauser Bubenschenkel, deren Ursprung niemand kennt, und die wir so oft in schwerer Ladung auf dem Ruͤcken in der Gegend umher zu Markte tragen muͤssen, nicht ein prophetisches Backwerk seyn, welches Morgen in Erfuͤllung geht, wenn wir unsre verkindeten Angehoͤrigen nach Staufenberg tragen?“ — Allgemeiner Beifall kroͤnte den Ent¬ schluß und Vorschlag der hochherzigen Frau. — Am folgenden Mor¬ gen sah man sie und einige zwanzig andere Gelnhauser Frauen und Maͤnner mit ihren Verkindeten Ehehaͤlften auf dem Ruͤcken oder Arm gen Staufenberg in die Ortenau zu Herrn Pfalzgraf Diemringer wallfahrten; dem Erfolg wird mit gespannter Erwartung entgegen¬ gesehen. Die Schottlaͤndische breite Countesse, welche am Schlusse obiger Wunderbegebenheit als Kind von St. Eduards Stuhl mit den Engeln emporgestiegen, soll nach den neuesten Beobachtungen des jungen Herschels auf dem Vorgebirg der guten Hoffnung wirklich im Monde gesehen worden seyn und dort unter den Fledermausmenschen großes Aufsehen durch ihre Studien uͤber den Stein Jakobs gemacht haben. Wir sehen dem Erfolg entgegen. Der Verfasser, welcher bei dem Hochzeitsschmaus auch der Kind¬ heit anheimgefallen und in der Nacht auf dem Kinderstuͤhlchen mit dem Tagebuch der Ahnfrau allein sitzen geblieben ist, schlief endlich ein und als er Morgens erwachte, fand er sich des Tagebuchs be¬ raubt. Was sollte er thun? Er mußte im Nachtgebiete der Natur sitzen bleiben. Er hatte Niemanden auf der weiten Welt, der ihn zum Hern Pfalzgrafen Diemringer nach Staufenberg haͤtte tragen moͤgen oder koͤnnen. — Da er sich nun erinnerte, kurz vor seiner Verkindung von seinem literarischen Vormund Urkundius Regestus vernommen zu haben, daß derselbe alle Augenblicke eine verlorne alte Chronik wieder auffinde, so bat er diesen um Ausspannung aller Entdeckungssegel nach dem verlornen Tagebuch. — Urkundius war, um sich zu besinnen, kaum uͤber drei Registraturen und nicht gauz uͤber fuͤnf Buͤchergestelle gesprungen, als ihm einfiel, daß, wie sonst, Entdeckungsreisen aus Portugal, jetzt solche nach Portugal ausgeruͤ¬ stet wuͤrden und zwar um des Sanchuniatons verlorne Buͤcher seiner phoͤnizischen Geschichte zu entdecken, und so entschloß er sich, der Ex¬ pedition das verlorne Tagebuch zur Nebenentdeckung zu empfehlen, was er fuͤr ganz angemessen hielt, da er von dem Verfasser gehoͤrt, daß Etwas von der Geschichte des Steins Jakobs darin stehe, der bekanntlich von Phoͤnizien nach Brigantium in Galizien in den Be¬ sitz der schottischen Koͤnige gekommen. Seine Absicht wurde mit Er¬ folg gekroͤnt; denn kaum hatte der Verfasser auf dem Kinderstuͤhlchen das vorhergehende Maͤhrchen ausgeschrieben, so ward er auch durch die portugisischen Correspondenten Regesti Urkundii in den Stand ge¬ setzt, aus dem wiederentdeckten Tagebuch der Ahnfrau folgenden Aus¬ zug, der sich auf Gockel, Hinkel und Gackeleia bezieht, einstweilen mitzutheilen. Aus dem Tagebuch der Ahnfrau. (Vom Charfreitag bis Sonnenwende 1317). Der fromme und gelehrte Jakob von Guise ermahnte in dieser heiligen Fastenzeit die Frauen und Jungfrauen des Landes Hennegau gar eindringlich, sie moͤchten, statt ihre Zeit mit Lesung tiefsinniger Buͤcher zu verlieren, doch den elenden Stand der verlassenen armen Kinder, von denen alle Straßen wimmelten, zu Herzen ziehen, und sich Gott durch Barmherzigkeit an diesen gefaͤllig machen. Seine Worte ruͤhrten mein Herz, jede Noth, jede Unart eines Kindes, die mir bekannt ward, fuͤhlte ich wie eine Beschuldigung. Ich dachte nach, wie ich, als die Erste des Landes, mit einem Beispiele vorgehen sollte. — Ich sprach daruͤber mit acht meiner adeligen Gespielinnen, und forderte sie zum Gebet auf, daß Gott mir die rechten Wege dazu zeige. Charfreitag . Jakob von Guise, mit dem ich von meinen guten Wuͤnschen fuͤr die armen Kinder gesprochen hatte, hielt uns heute noch eine Ermahnung, nie der Armen, welche Gott mit vielen Kindern gesegnet, zu spotten. — Er gab uns diese Warnung, weil Gott heute vor 42 Jahren solchen Spott an Margaretha, Graͤfin von Holland strafte, in¬ dem er ihr eine große Zahl kleiner Kinder bescheerte, welche, vom Bischof Guido in zwei Becken, die Knaben Johannes, die Maͤgdlein Elisabeth getauft, nebst der Mutter schnell gestorben und in der Kirche zu Leusden begraben sind. — Er erzaͤhlte auch von der großen Gefahr der aufsichtslosen Kinder ein erschreckliches Beispiel. — Im Jahre 1284 kam gen Hammeln ein Rattenfaͤnger, der hieß Bundting, seines buntgefleckten Gewandes wegen, der ward mit dem Rathe einig, um ein gewisses Geld alle Ratten und Maͤuse der Stadt mit seiner Pfeife hinaus in die Weser zu locken. Er hielt auch sein Wort, den Rath aber gereute der Lohn, und hielt er sein Wort nicht. Darob erbitterte der Bundting und als am 26. Juni Morgens 7 Uhr Alles in der Kirche war und die Kinder auf der Straße spielten, kam er wieder als ein Jaͤger mit schrecklichem Angesicht und einem rothen wunderlichen Hut und pfiff durch die Straßen, da zogen ihm viele Knaben und Maͤgdlein vom vierten Jahr an und darunter des Buͤrgermeisters schon erwachsenes Toͤchterlein nach und er fuͤhrte sie hinaus in einen Berg und verschwand mit 130 Kindern in demselben. Ein stummes Kind hatte sich ver¬ spaͤtet, denn es fuͤhrte ein blindes Kind dem Zuge nach, das stumme zeigte den Ort, wo sie alle verschwunden, das blinde sprach von dem wunderlichen Ton der Pfeife, dem sie alle gefolgt. Ein Knaͤblein, das im Hemd mitgelaufen, kehrte um, seinen Rock zu holen, und da es mit diesem den Andern nachlief, waren alle schon verschwunden; so ward es gerettet und konnte von Allem den Eltern berichten. Diese waren in großem Leid, suchten und forschten aller Orten, sendeten Boten zu Wasser und zu Land nach den Kindern, aber ver¬ geblich; und sind ihrer auch mehrmalen bei uns im Lande Hennegau gewesen. Die Trauer der ungluͤckseligen Leute ist noch also groß um ihre Kinder, daß in der Straße ihres Auszugs weder Trommelschall noch Saitenspiel, noch Tanz, auch selbst bei Brautzuͤgen seyn darf. — Der liebe Herr Jakob von Guise legte diese wahre Geschichte aus gleich einer Parabel auf die Gefahren der verlassenen Kinder, und fuͤgte noch eine Betrachtung hinzu uͤber die Worte des Herrn: „Wie oft habe ich deine Kinder versammeln wollen, wie eine Henne ihre Kuͤchlein unter ihre Fluͤgel versammelt u. s. w.“ dann sagte er: „wen sollte das tiefer treffen, als uns, die wir hier im Lande Hennegau leben; aber wie steht es mit den Kuͤchlein, o gaͤb' ihnen Gott eine Henne, die sie unter ihre Fluͤgel versammelt. — O gnaͤdige Graͤfin Amey gedenket der armen Kinder!“ — Da sagte ich: „Habt Dank hochwuͤrdiger Herr! ja so Gott Segen giebt, will ich ihnen eine Henne werden und meine hier anwesenden Gespielinnen werden mir helfen;“ da erhoben diese sich saͤmmtlich und sprachen: „ja mit Gottes Gnade, das soll wahr seyn!“ Da segnete Jakob von Guise neun Schaupfennige und gab sie uns am Rosen¬ kranz zu tragen. Es ist aber auf der einen Seite eine Gluckhenne abgebildet, welche ihre Kuͤchlein mit den Fluͤgeln decket und auf der andern Seite stehen die Worte: Naͤhre und schirme. Diese Pfennige hatte der gute Mann uns zur Mahnung praͤgen lassen, denn er hatte im Gebet erkannt, mein Herz sey kein steiniger Acker, wenn gleich hie und da eine Heerstraße; darum wollte er es einzaͤunen. Gott segne seinen Willen an mir! — Ich entschloß mich nun fest, gleich nach Ostern eine Ordnung mit meinen Gespielen zum Besten der armen Kinder zu treffen. Charsamstag . Heute sprach ich nochmals mit Jakob von Guise uͤber mein Vorhaben und er ermahnte mich, daß doch Alles, was ich hiezu verordne, einfaͤltig, demuͤthig, fromm und freudig seyn moͤge; ich solle mich mit meinen Andachten und Lesungen an das halten, was die Kirche das Jahr hindurch feiere, und alles Besondere ablegen, dieses sey das geistliche Brod, das ich den armen Kindern taͤglich gehoͤrig zertheilet spenden solle, außerdem solle ich ihnen auch mit dem leiblichen Brod treue Vorsorge thun. Er machte mir hiebei eine gar ruͤhrende Auslegung des Vaterunsers, welche die ganze Regel des weltlichen Ordens enthaͤlt, den ich stiften will unter dem Namen der freudigen, frommen Kinder. Dessen Aufgabe aber soll seyn, daß die Kinder von Hennegau freudig und fromm werden; dazu aber gehoͤret alle Christentugend, zu der helfe mir Gott und lege mir eine treue, freigebige, fleißige Hand auf das Herz und ein auf¬ richtig wahres Herz auf die Hand und auf die Zunge! — Heut brachte mir auch Meister Andreas der Goldschmied die Ordenszeichen, die ich bei ihm bestellt, und war auf der einen Seite ein Windelkindlein, auf der andern ein Lerchlein, das singend zum Himmel fliegt, abgebildet. Ich befestigte sie an amarantfarbige Baͤnder und zeigte sie meinen Gespielen noch nicht. Wir giengen heut alle zur Kirche und versprachen einander, morgen bei dem Feste Gott unser Vorhaben de¬ muͤthig aufzuopfern. Heut auch besuchte ich nach meinem jaͤhrlichen Gebrauch die gottselige Jungfrau Verena und das fromme Huͤhnlein; und da mich Jakob von Guise ermahnt hat, in Allem so zu schreiben, daß es auch die Nachwelt verstehen koͤnne, will ich hier kuͤrzlich von Verena und dem Huͤhnlein sprechen. — Vor vielen hundert Jahren kam ein roͤmischer Soldat von Pilati Leibwache hier in die Lande; er hieß Salmo und war nach dem ersten Pfingstfest in Jerusalem getauft durch Petrus. Er hatte sich zum ewigen Andenken ein Huͤhnlein aus Jeru¬ salem mitgebracht, das von dem Hahn abstammte, der bei Petri Verlaͤugnung gekraͤht. Es war aber hier noch Alles wilder Wald und hie und da ein Edelhof mit Feldern und einigen Bauern umher. Auf einem solchen Hofe saßen dann Kriegsleute, die sich haͤuslich niedergelassen, die lebten von der Jagd, und machten sich so viel Landes unterthan, als sie umreiten wollten. Belgius, ein solcher Kriegsmann hatte sein Haus hier, wo jetzt mein Schloß steht, und da er in den Wald ritt zu jagen, sah er eine schoͤne weiße Henne, deren Art er hier zu Land nie gesehen, im Walde laufen. Da folgte er dem Huͤhnlein tief in den Wald bis in eine Hoͤhle, darin ein Mann gar elendiglich lag. Das war aber Salmo, der roͤmische Soldat, der war im Walde verirrt 16 und schier Hungers gestorben, und war sein frommes Huͤhnlein fortgelaufen, ihm Huͤlfe zu suchen. Da labte Belgius den Salmo und nahm ihn sammt dem Huͤhnlein auf sein Roß und fuͤhrt ihn in sein Haus, und er und sein Weib pflegten ihn, bis er gesund war. Salmo aber erzaͤhlte ihnen, was er in Jerusalem erlebet, und vom Tod, Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn, und von St. Petrus, der ihn ge¬ taufet und auch von dem Huͤhnlein, darob sie groß Wunder hatten. Waͤhrend dem aber legte das Huͤhnlein ein Ei, und sie ließen den Salmo nicht fort, bis es ausgebruͤtet war, da schenkte er ihnen das ausgebruͤtete junge Huͤhnlein und zog weiter. Wann er nicht wußte wohin, ließ er sein Huͤhnlein laufen und folgte ihm. So kam er bis an einen Bach in einer lustigen Gegend, und da sein Huͤhnlein sehr durstet und hungert, kam ein Hahn aus dem Walde geflogen und lockte es bis zu dem Bach, und sie tranken daraus; da sagte Salmo: „das ist der Hahnebach“ und der Hahn lockte wieder und scharrte einen Weizenkern aus dem Boden, den fraß das Huͤhnlein und war wohlgemuth. Da aber Salmo weiter reisen wollte, denn er war aus Savoyer Land, wollt das Huͤhnlein nicht von dannen, und so blieb Salmo hier, und baute sich ein Haus an dem Hahnebach und nannte es Kern wegen dem Weizenkern. Er nahm auch ein Weib und sind die Grafen Salm daraus worden und die Stadt Kern oder Kyrn am Hahnebach. — Das Huͤhnlein aber, das hier im Hause des Belgius geblieben, ward gar gut gehalten und ward Gallina genannt. Belgius aber war ein Heide und ein aberglaͤubischer Mann, und nahm er allerlei Wahrzeichen an der Henne in Acht; nachdem sie fraß und froh oder traurig war, darnach handelte er. Nun war er schon be¬ jahrt und hatte viel Kinder und Leute und wollte sich ein Land gruͤnden und das auf seinem Pferd umreiten; da sah er, wie die Henne fraß, und da sie gar lustig gefressen, war es ihm ein gutes Zeichen, und er setzte sich mit seiner Frau und seinen Soͤhnen und Toͤchtern zu Pferd, und sie ritten in den wilden Wald nach dem Ort, wo er den Salmo gefunden hatte. Da ließ er das Huͤhnlein laufen, und wo es hinlief, ritten sie nach wohl vier Tage lang und kamen sehr durstig an ein Bruͤnnlein, daran saß Lucius, ein Koͤnig von England, der war ein Christ worden und reiste nach Augsburg, das Christenthum zu verkuͤnden und hielt hier Ruhe an dem Bruͤnnlein. Das Huͤhnlein Gallina aber lief auf ihn zu und fraß ihm das Brod aus den Haͤnden. Deß wundert sich Belgius sehr, da Gallina sonst nicht also kuͤhn war und ein gar bloͤd zuͤchtiges Huͤhnlein. Da gedachte Belgius, das muß ein frommer, heiliger Mann seyn, weil das Huͤhn¬ lein ihn so lieb hat. Als sie aber miteinander sprachen, sagte Belgius dem Lucius Alles von dem Huͤhnlein und dem Salmo, und Lucius sprach so eindringlich mit Belgius, daß er sich mit Weib und Kind von ihm in der Quelle taufen ließ. Darnach reiste Lucius weiter gen Raͤthien, und Belgius ritt dem Huͤhnlein Gallina nach, bis sie dahin kamen, wo sie ausgezogen, und nahm Belgius alles das Land in Besitz und nannte es das Hennegau, weil die Henne es umlaufen hatte. — Von dieser Henne Gallina nun ist von damals immer das erstgebohrne Huͤhnlein bei den Grafen von Henne¬ gau aufbewahret und im Schlosse gefuͤttert worden, und nennt man es im Lande allgemein Gallina, das fromme Huͤhnlein und haͤlt es gar hoch. Es ist ihm eine eigne Pflegerin bestellt, wozu immer die aͤlteste tugendlichste Magd aus dem Frauenzimmer der Graͤfinnen genommen wird, und nennt man diese Pflegerin selbst das fromme Huͤhnlein. Dieses Ehrenamt versieht heut zu Tage Jungfer Verena, eine gar gottselige Jungfrau. Sie war oben von dem Rheine her und schon als Waͤrterin meiner Großmutter in Vadutz ge¬ wesen. Es besteht aber das Huͤhnerhaus des Belgius mit seinem Hof und Gaͤrtchen noch, worin die erste Gallina gelebt und gestorben und ist ein feines Stuͤbchen daruͤber 16 * erbaut, worin Verena wohnet, und heißt diese Wohnung das Gallinarium. Es ist auch ein alt Herkommen, daß das fromme Huͤhnlein nicht mit erkauftem, sondern nur mit er¬ betteltem Weizen zur Ehre Gottes ernaͤhrt werden darf, und so wandelt Jungfer Verena mit ihrem langen Korbe am Arm von Haus zu Haus und bittet um Nahrung fuͤr das fromme Huͤhnlein. Es ist dieß aber eine muͤhselige Arbeit, denn sie nimmt nirgend mehr, als drei und dreißig Weizenkoͤrner zu Ehren der Lebensjahre des wahren Weizen¬ koͤrnleins. Alle diese Koͤrnlein zaͤhlet sie nach unter Gebet, und da es fuͤr die Nahrung des Huͤhnleins und seiner vielen Nachkommen, denn es sind sehr viele in dem Gallinarium, doch immer zu vieler Weizen ist, so theilet sie die Koͤrnlein in drei gleiche Theile; den geringsten zum Futter, den bessern, um ein Feld fuͤr die Armen damit zu besaͤen, die allerreinsten Koͤrnlein aber laͤßt sie mahlen und siebt das Mehl selber, und backt selbsten die reinsten, weißesten Hostien daraus fuͤr die Pfarrkirche. Gott segnet ihr Thun, und so bringt ihr Feld immer gar reichlich, und hat sie viel Arme ersaͤttiget in Hungerjahren. Es ist ein Glaube in Hennegau, wer ein Huͤhnlein von dieser Zucht, ja nur ein Federlein davon in seinem Stall habe, dem gedeihen die Huͤhner uͤber die Maßen. — Heute gieng ich aber zu Verena, weil sie Ostereier bunt faͤrbte, um ihr zu helfen. Sie wußte sie gar schoͤn mit Blumen, Kreuzlein, Gotteslaͤmmlein u. dgl. zu verzieren und hatte deren eine große Menge zu bereiten fuͤr die be¬ sonderen Wohlthaͤter des frommen Huͤhnleins. Jenes Osterei, das sie mir besonders bereitete, werde ich erst morgen zu sehen bekommen. Alle meine Gespielen waren gestern und heute schon bei ihr zur Huͤlfe gewesen und zwar nacheinander, denn ihr Stuͤbchen neben der kleinen Kuͤche ist gar enge und nichts darin, als links von der Thuͤre ein Kasten mit Schieb¬ laden, ein Stuhl und das Bett, rechts ein Tisch, ein Stuhl und ein Spinnrad und bei dem Bette noch eine Truhe und der Ofen. Man schreitet auf einer schmalen offnen Treppe, wie auf einer Huͤhnerleiter zu ihr hinauf und trifft dann auf die kleine arme Kuͤche, neben welcher ihre Stubenthuͤre. Das Gallinarium ist unter ihrer Wohnung; da lebet das Huͤhnlein Gallina und seine große Familie und hat dasselbe sein Nest, seine Stange, sein Freß- und Sauftroͤglein, alles abgesondert und von Verena besonders gepflegt. Hier unten ist ein kleiner Garten und Huͤhnerhof, und dem Gallinarium gegen¬ uͤber ein Behaͤlter fuͤr das Holz und in weiteren alten Ge¬ woͤlben sind die Raͤume, wo die Waͤsche des Schlosses besorgt wird. Dieser ganze Theil des Schlosses von Hennegau ist sehr alt und etwas wuͤste; man hat ihn nie erneuert aus Achtung fuͤr das Gallinarium, weil Gallina, das erste fromme Huͤhnlein, welches das Werkzeug zur Bekehrung des Belgius und zur Benennung des ganzen Landes gewesen, hier ge¬ wohnt hatte. Ich gieng aber immer von Kind auf mit einem heiligen Grauen in das Gallinarium; es war da einsam und gar ernsthaft; an der einen Seite liegt St. Petri Muͤnster, die erste Kirche des Landes, die auch durch das fromme Huͤhnlein veranlasset worden, und um das Gallinarium her laͤuft der Kreuzgang von dem ehemaligen Kirchhof St. Peters, worin alte Todtentragen und schwarze Sargdecken und Flitterkraͤnze und Kreuze stehen. An dem Treppchen zu Verenas Stuͤbchen eilte ich immer schnell und scheu hinauf, denn die Waͤscherinnen sagten mancherlei Unheimliches von dem Gewoͤlbe bei dem Gallinarium, und wußte Verena Vieles davon zu erzaͤhlen, aber wollte nie recht damit heraus. Immer wußte ich nicht recht, was das heißen sollte, daß meine Mutter oft zu ihr zu sagen pflegte: „Verena, was macht das Buͤblein?“ worauf sie jedesmal ernst und bedenk¬ lich erwiederte: „es macht sein Sach!“ — und doch war es von Kindheit auf meine Gewohnheit, wenn ich sie sah, diese Frage an sie zu wiederholen und dieselbe Antwort von ihr zu erhalten, ohne daß sie je meine heimliche Neugierde, was und wo dieß Buͤblein sey, und was es eigentlich thue, be¬ friedigt haͤtte. Verena war mir auch durch eine eigne Gewohnheit, die sie wie eine strenge Pflicht in meiner Jugend uͤbte, eine sehr geheimnißvolle Person. Mir wurde immer empfohlen, auf der rechten Seite liegend zu schlafen, und oft wurde ich Nachts aufgeweckt und sah dann Verena an meinem Bettchen, die mich von der linken auf die rechte Seite legte, und dann mit dem Finger drohend sagte: „das fromme Huͤhnlein schickt mich, es weiß Alles.“ — Dann fragte ich gewoͤhnlich: „Vrenchen, was macht das Buͤblein?“ und sie antwortete ihre ewige Antwort: „es macht sein Sach“ und kehrte ins Gallinarium zuruͤck. Besonders aber war mir auch der Gang zu Verena feierlich, weil sie mich zu meiner ersten Buße vorbereitet hatte, und ich mich immer bei solcher Gelegenheit von ihr ermahnen ließ. Da nun das fromme Huͤhnlein vom Hahne Petri abstammte, der bei dessen Schuld gekraͤht hatte, so glaubten wir Kinder, das Huͤhn¬ chen wisse Alles, und wenn wir es im Voruͤbergehen gack¬ sen hoͤrten, meinten wir, es mahne, oder beschuldige uns, und so erforschten wir unser Gewissen mit groͤßerem Ernste. Einigemahl in meiner Jugend kam Verena sogar ploͤtzlich zu mir, waͤhrend ich in Versuchung zu irgend einem Vergehen war, und immer sagte sie: „das fromme Huͤhnlein hat mich gesendet.“ Durch Alles das ist sie mir selbst bis jetzt in mein erwachsenes Alter eine sehr achtbare, geheimnißvolle Person geblieben, und da ich heute mit meinen Gespielen zur Kirche gehen wollte, um morgen das hohe Fest zu halten, so schluͤpfte ich mit meiner gewoͤhnlichen Scheu der Wohnung des frommen Huͤhnleins voruͤber die kleine Treppe zu Verena hinauf. — Die fromme Seele war gar lieb und freundlich, sie war ganz wie neubelebt und ruͤstig in ihrem Bereiten der Ostereier, und ich half ihr nach Kraͤften. Dann erzaͤhlte ich ihr von den Ermahnungen des Jakob von Guise, und wie ich ent¬ schlossen sey, am Ostermontag mit meinen Gespielen einen Orden zum Besten der Kinder zu stiften. Da kuͤßte Verena mir mit Freudenthraͤnen die Haͤnde und sagte: „Schoͤn Dank, tausend Dank fuͤr's fromme Huͤhnlein!“ ich aber fragte mit laͤchelnder Neugierde: „und fuͤrs Buͤblein?“ — Da sammelte sich Verena, ward ernsthaft und sagte wie ehe¬ dem: „das thut sein Sach!“ — Dann sprach ich noch mit ihr von meinem ersten Kirchengang und auch von meinem jetzigen Gewissenszustand. Sie wiederholte mir wie gewoͤhnlich alle meine Hauptfehler von Kind auf und dankte Gott mit mir, wie er mich gehuͤtet, und mir Gnade gegeben, Manches zu bessern, und betete mit mir fuͤr die Zukunft. Ich kann nicht sagen, wie ihr Wesen mich immer ruͤhrte; als ich von ihr gieng, sagte sie: „Gnaͤdigste Graͤfin, o meine goldene Amey, ich danke viel tausendmahl, daß du noch immer so redlich zu mir koͤmmst, dein armes Herz zu erweichen, ehe du es mit Reuethraͤnen vor Gott reinigest. — Ja es ist hier bei mir nicht vergebens das Waschhaus! — Morgen in aller Fruͤhe werden in St. Peter die Ostereier gesegnet, und dann werde ich der gnaͤdigen Amey das goldene Osterei unterthaͤnigst uͤberreichen.“ — Hierauf verneigte sie sich tief und wollte den Saum meines Rockes kuͤssen; aber ich schloß sie in die Arme und lud sie auf den Ostermontag in den Garten zu der Ordensstiftung ein. Sie lehnte es ab und sprach: „es ist besser, daß ich zuruͤckgezogen fuͤr euch bete.“ Sie gab mir dann noch mancherlei Rath in dieser Sache und wir trennten uns mit dem gegenseitigen Wunsche eines gesegneten Oster¬ festes. Sie geleitete mich bis zur Wohnung des frommen Huͤhnchens. Mir war Angst und bang, es moͤge sich ruͤhren, auch vor dem Buͤblein war mir bang; aber alles war still, und Verena fluͤsterte: „Gottes Segen mit dir, goldene Amey! Gallina mahnet nicht, du wirst nichts auf deinem Herzen behalten;“ da gieng ich zur Kirche, wo meine Gespielen mich erwarteten, und behielt nichts auf meinem Herzen; o es war mir so leicht, so leicht, daß ich auf dem Ruͤckweg ohne Scheu nochmals in das Gallinarium schlich, und vor das Huͤhnchen trat, es saß auf seiner Stange, den Kopf unter dem Fluͤgel und ruͤhrte sich nicht. — Droben lischt Verena das Laͤmpchen, gute Nacht Verena! — Hierauf kehrte ich in meine Stube und schrieb dieses nieder; da schlaͤgt es Mitternacht — ich hoͤre meine Gespielen nahen, die feier¬ liche Auferstehungsglocke ruft. Es erleuchten sich alle Fenster; Jakob von Guise traͤgt das Kreuz aus der Kirche um den Kirchhof, alles Volk zieht mit ihm und singt mit lautem Jubel: „Christ ist erstanden aus seinen Todesbanden!“ — Wir ziehen mit. Ostermontag . Heute nach der Kirche las ich meinen Gespielinnen im Garten die Regel des Ordens der freudig frommen Kinder vor, und da sie Alles mit großer Freude angenommen, und nun auch gern Ordensnamen gehabt haͤtten, sagte ich zu ihnen: „Weil ich eure Oberin, die Henne von Hennegau bin, so suchet euch Pflanzen, welche ihren Namen von dem Huͤhnergeschlecht haben; wir wollen sie mischen, daß jede sich einen Namen durchs Loos ziehe.“ So thaten sie und brachten acht verschiedene Pflanzen solcher Namen; ich faßte sie alle in meine Schuͤrze und sie zogen sich nach der Reihe ihre Namen. — So hießen dann die ersten Ordens¬ gespielinnen — Ornitogalia von Huͤhnermilch — Osterluzia von Hahnensporn — Cretelina von Hahnenkamm — Serpo¬ leta von Huͤhnerklee — Morgellina von Huͤhnerbiß — Mos¬ catellina von Hahnenfuß — Cornelia von Hahnenpfoͤtchen — Esparsetta von Hahnenkaͤmmchen. — Sie gelobten mir alle Gehorsam und ich nahm als ihre Oberin den Namen an: „das arme Kind von Hennegau,“ worauf ich ihnen allen das Ordensband umhaͤngte. — Hierauf vertheilten wir unter uns die Gegenden der Stadt, worin eine jede sich der Nothleiden¬ den und besonders der Kinder annehmen sollte. Auch er¬ waͤgten wir nach dem Kalender die altherkoͤmmlichen Volks¬ und Kinderfeste, welche wir in aller guten Weise aufrecht erhalten wollten. Osterdienstag . Nach alter Landessitte hielten wir an diesem Tag den Wiegenzug zu den Eheleuten, auf deren Hochzeit wir gewesen waren. Wir trugen eine schoͤn ge¬ schmuͤckte Wiege, eine Rassel und allerlei Kindergeraͤthe bei uns. Die Wiege ward in die Stube gestellt, um sie her gesungen und gereiht, und daruͤber gesprungen. Alle opferten etwas an Geld oder Flachs oder Linnen, oder Fruͤchten in die Wiege, und da sie wohl angefuͤllt war, wickelten wir alle Gegenstaͤnde in eine Puppe zusammen und spendeten es sammt der Wiege der aͤrmsten Familie. Quasimodo geniti . Weißer Sonntag . Heute hatten wir die erste Ordensversammlung. Wir theilten weiße Taufhemden und Decken aus an arme Woͤchnerinnen. Or¬ nitogalia wiederholte uns gar anmuthig, was Jakob von Guise uͤber die Worte geprediget: „Wie neugeborne Kindlein ohne Trug begehret nach der Milch, daß ihr durch sie zum Himmel aufwachset.“ — Ich schenkte ihr dafuͤr das Recht, eine Anzahl Kuͤhe, Schaafe und Ziegen auf meinen Wiesen weiden zu lassen, wofuͤr sie bei Braut- und Leichenzuͤgen meiner weiblichen Nachkommen ein Hirtenhuhn zu entrichten hat. Mayentag . Wir Gespielinnen zogen mit den armen Kindern hinaus in den gruͤnen Mayen, speisten sie, spielten und tanzten mit ihnen im Kreis und sangen die Weise: Grase, grase, gruͤne, Sieben junge Huͤhner, Glaͤschen Wein, Bretzelchen drein. Sitz nieder! Ich gieng mit Osterluzia in den Wald und suchte Wald¬ meisterlein und andere Kraͤuter zum Maytrank. — Sie war Abends bei mir und sprach so lieblich von der Waldeinsamkeit und wie sie eine Einsiedlerin werden moͤchte, daß ich ihr ein schoͤnes Stuͤck Wald schenkte, wofuͤr sie ein Waldhuhn bei Braut- und Leichenzuͤgen zu entrichten hat. Sonntag Misericordias . Da man liest vom guten Hirten. Ordensversammlung. Wir fuͤhrten die Kinder in die Kinderlehre und hielten hierauf einen Schaͤferzug. Mit Hirtenstaͤben in der Hand, geschmuͤckte Schaafe und Laͤmmer fuͤhrend, giengen wir zu den Armen, die viele Kinder hatten, beschenkten die Eltern mit den Schaafen und fuͤhrten die Kinder, die wir neu kleideten, auf die Wiese, wo wir sie speiseten und mit ihnen spielten. Abends waren die Ordens¬ gespielinnen bei mir im Garten, wir tranken Maiwein, und da wir froͤhlich waren wie Kinder, setzte mir Cretellina einen dichten Kranz von Maigloͤckchen auf das Haupt, als die weisen Gloͤckchen mir zwischen den Locken nieder in die Augen sahen, ward ich wunderbar freudig und sang unter Thraͤnen: „Kling, kling Gloͤckchen Weis durch braune Loͤckchen, Das Huhn sitzt auf dem Osternest Und bruͤtet auf das Pfinsterfest, Zum Segen uͤber Land und Haus Drei schoͤne Seidenpuͤppchen aus. Eins spinnt Seiden, Eins flicht Weiden, Eins thut den Himmel auf, Laͤßt ein Bischen Sonn heraus, Laͤßt ein Bischen drinnen, Draus will Maria spinnen Ein goldig Pfinsttagsroͤckelein Fuͤr ihr holdselig Kindelein.“ Cretellina hatte mir mit dem Kranze etwas Liebes an¬ gethan, ich umarmte sie und schenkte ihr, weil sie die Bluͤm¬ chen weit im Walde zusammensuchte, das Recht, ihre Heerde in meinem Walde grasen zu lassen, wofuͤr sie und ihre Nachkommen bei Braut und Leichenzuͤgen ein Grashuhn zu entrichten haben. Sonntag Jubilate . Wenn man singt: jauchzet Gott alle Lande. Ordensversammlung. Es war eine Rede in Hennegau, der ewige Jude sey gesehen worden und glaubte selbst Serpoleta ihn gestern im Walde gesehen zu haben und beschrieb ihn gar klaͤglich und irrend und wollte nicht sagen, was sie mit ihm gehabt. Ich erzaͤhlte aber, wie mein see¬ liger Herr Vater in England einen gelehrten Moͤnch Mathias Paris besucht, sey zu diesem ein reisender Bischof aus Ar¬ menien gekommen und habe erzaͤhlt, daß er den ewigen Ju¬ den selbst gesprochen, der den kreuztragenden Herrn nicht bei sich ruhen lassen und nun ewig ohne Ruh und Rast zur War¬ nung herumziehen und suchen muͤsse. Da sprach Serpoleta: „ja zur Warnung, denn er sprach zu mir, da ich ihm ein Almosen bot: „Schoͤn Dank! ich brauch nicht Gut noch Geld, Mir fehlt, was ich versaget, Hab Muͤdem keinen Sitz gestellt, Werd ruhlos umgejaget. Koͤmmt je mit seinem Kreuz zu dir Ein muͤder Mann gegangen, Laß ruhen ihn und schenke mir Die Lieb, die er empfangen, Sitz zu ihm, hoͤr ihn an mit Huld, In ihm dem Herrn dies thue, Dann zahlst du mild an meiner Schuld Und hilfst zu meiner Ruhe!“ Er sah mich scharf und traurig dabei an und eilte durch die Buͤsche weg. Ich hoͤre sie noch hinter ihm rauschen. Mir ward so bang seit seinem Blick, ich fuͤhlte mich ohne Ruhe, bis ich den ersten besten Kreuztraͤger eingeladen, bei mir zu ruhen und mir sein Leid zu klagen, da ward mir bes¬ ser. Ich bitte das arme Kind von Hennegau ein Ordensge¬ setz hierauf zu gruͤnden.“ Mich ruͤhrte die Erfahrung Serpo¬ leta's, und ich willfahrte ihr mit dem Gesetze, die Bedraͤng¬ ten bei uns ruhen zu lassen und huldvoll anzuhoͤren. Da Ser¬ poleta mir sagte, ihre und vieler Armen Schornsteine rauchten nicht, gab ich ihr das Recht, in dem Wald, wo ihr Asve¬ rus begegnet, alle ihren Holzbedarf zu schlagen, wofuͤr sie bei Braut- und Leichenzuͤgen ein Rauchhuhn zu entrichten hat. St . Sophientag . Heute hatte ich einen lieben stil¬ len Tag, das treue Mutterherz, das Rothkehlchen unter mei¬ nem Dach weckte mich gar fruͤh mit seinem Liedchen, ich streckte den Kopf durchs Fenster und belauschte es, wie es mit dem ersten Sonnenstrahl oben am Giebel gar einfaͤltig¬ lich in Muttersorgen uͤberlegte, wo und wie es sein Nestchen am sichersten bauen solle; da fiel mir mein Herzgespann ein, dessen Fest heut war und ich lief an einen schattigen feuch¬ ten Ort der Wiese, wo das Sophienkraͤutlein, Sonnenthau, Sonnenbraut stand, dessen große Heilkraft mir wohl bekannt ist, und flocht ich ein Kraͤnzlein daraus und kaufte zwei gleiche seidne Tuͤchlein, eins fuͤr sie und eins fuͤr mich und brachte Kranz und Tuͤchlein meinem lieben Herzgespann und war seelig mit ihr den ganzen Tag. Das Verslein aber, das ich ihr schrieb lautete also: „Dies Kraͤnzlein von Sophienkraut, Weil's deinen Namen fuͤhret, Und weil es heißet Sonnenbraut, Dir liebstes Herz gebuͤhret, Steht sonnig es in offner Au, Steht schattig es verhuͤllet, Heißt immer es doch Sonnenthau, Weil milder Thau es fuͤllet. Der Thau aus seinem Innern quillt, Er ist nicht drauf geregnet, Drum ist, lieb Herz, dein Ebenbild Mir segnend drin begegnet. Wer Sonnenthau im Herzen traͤgt, Hat Schutz vor Zaubereien, Und muß, eh er sich schlafen legt, Wie du dem Feind verzeihen. Auch heute den Sophientag Kann schoͤner ich nicht weihen, Als daß, verzeih uns Gott, ich sag, Wie Allen wir verzeihen.“ Sonntag Cantate . Da man liest: singet dem Herrn ein neues Lied. — Ordensversammlung. Es sollte ein neues Lied gesungen werden, da war das Lied der Mor¬ gelina das neueste und schoͤnste: Es hat einmal geregnet, Die Lauͤbli troͤpflen noch; Ich hab einmal Gott recht geliebt, Ich wollt, ich thaͤt es noch. Wir sangen das Lied alle in großen Freuden nnd ich schenkte Morgelina das Recht in allen meinen Waͤldern Laub zur Streu zu sammeln, wofuͤr sie bei Braut und Leichenzuͤ¬ gen ein Lauberhuhn zu entrichten hat. Sonntag Rogate . Vor der Bittwoche, Ordens¬ sitzung. — Wir uͤberlegten, wie wir die armen Kinder an den drei folgenden Tagen durch die Felder fuͤhren sollten, um Segen fuͤr die Ernte zu erflehen. Jede der acht Gespie¬ linnen sollte der Schaar ihrer Pflegekinder ein Faͤhnlein, wor¬ auf ein Schutzengel im Korn abgebildet, vortragen, und Moskatellina hatte dazu folgendes Lied gedichtet, was wir den Kindern lehrten: „Engel segnet uns das Korn, Laßt es golden reifen, Huͤtet es vor Wetterzorn, Bis wir Aehren streifen. Wiegt ihr unser taͤglich Brod Golden auf den Halmen, Singen frei vor Hungersnoth Wir euch Dankespsalmen. Wollen treu das zehnte Korn Unsern Hirten bieten, Die vor Distel und vor Dorn Schwache Schaͤflein huͤten. Schuͤtzet uns vor Hagelnoth, Gebet Sonn und Regen, Bis wir tragen Wein und Brod Unserm Hirt entgegen. Gebt, daß Alles leben kann, Und daß keiner darbe, Selbst dem aller aͤrmsten Mann Eine feine Garbe. Wenn wir durch die Stoppeln ziehn Und die Aehren lesen, Danken Gott wir auf den Knie'n, Der so treu gewesen. Ich schenkte Moskatellina ein schoͤnes Getreidefeld, wo¬ fuͤr sie bei Braut- und Leichenzuͤgen ein Aehrenhuhn zu ent¬ richten hat. St . Nicomedestag . Hente stand eiu Storch auf dem Thurm meines Schlosses und klapperte. Ich hoͤrte ein Gloͤck¬ chen laͤuten, wußt' nicht, was soll's bedeuten, da sah ich einen Zug kleiner, armer Kinder voruͤberfuͤhren. Sie plau¬ derten durcheinander, daß man sie weit in die Ferne hoͤren konnte. Als sie nun den Klapperstorch hoͤrten, machten sie Halt vor dem Thurme und sangen zu ihm hinauf: „Klapperstorch, Langebein, bring mir doch ein Schwesterlein, Eh die Sonn zum Krebse geht und die Gluck' am Himmel steht Mit den sieben Kuͤchlein fein, das sind sieben Sternelein, Wenn der Mond in voller Pracht lachet in der Mitternacht, Wenn der Widder springt heran zu dem feuchten Wassermann, Da die Rosen gluͤhen und die Linden bluͤhen, Da die Bienlein schwaͤrmen und die Kaͤfer laͤrmen, Da vom Fliederbluͤthenduft ganz berauscht der Kukuk ruft, Da der Wein im Faß sich ruͤhrt, weil er Rebenbluͤthe spuͤrt. Da der Finke musizirt und die Lerche tirelirt, Da die Lilie in der Nacht traͤumend weint und wachend lacht, Da manch Eichhorn huͤpfet, da dem Nest entschluͤpfet Manches liebe Voͤgelein; bring mir doch ein Schwesterlein, Leg es in den Garten, will sein fleißig warten, Leg es, wie der Osterhaas bunte Eier legt ins Gras, Leg mirs in mein Schuͤrzelein, trag ichs in mein Kaͤmmerlein, Mir im Arm soll's liegen, will's am Herzchen wiegen, Dann leg ichs in Mutter Schooß, die mirs aufzieht fromm und groß.« Ich kann nicht sagen, wie dieser Gesang mich ruͤhrte und ich meine auch den Klapperstorch, der sehr ernsthaft zuhoͤrte, dann klapperte und wie in Geschaͤften fort flog, worauf auch die Kinder weiter zogen. Nun ging ich zu des Herzens Nachbarin, bei welcher ich am 25. April mit den Gespielen uͤber die Wiege gesprungen, sie war krank, es kam ihr gar ernst der Gedanke an den Tod, sie legte mir mit Thraͤnen, was ihr theuer, an das liebste Herz, das sie in ihrer Einfalt kennet, und ich habe. Ich verließ sie bang und schwer und wachte bis Mitternacht in Sorgen, der Voll¬ mond stieg auf die Linde und blickte mich so sehnsuͤchtig an, daß er mich entschlummernd hinuͤberzog in das andere Land. »Da traͤumte mir ein Traͤumelein, ich saß ganz einsam und allein, Blos wie ein armes Seelchen fein, ein kleines Thaujuwelchen rein, Auf weiter Himmelswiesen-Flur und sucht' des Paradieses Spur, Ich zitterte durch Mark und Bein, mein Kleidchen war der Mon¬ denschein, Ich flehte zum Ermatten schier, wer gibt ein Bischen Schatten mir? Da flog ein langer Schatten her, ins Kreuz gestaltet ungefaͤhr, That mich in meinem Schrecken ein Weilchen auch bedecken. Es war der Storch, der Langebein, ich sah ihn in dem Monden¬ schein Die Wiese hin spazieren und ringsum spioniren, Da fand er vor dem Hirtenhaus ein junges Lamm gesetzet aus; Es lauert bang gekauert und hat den Storch gedauert, Er sprach: „geschlagen hats schon zwoͤlf, daß Gott dir vor den Woͤlfen helf! Der Widder koͤmmt gelaufen schier und rennt dich uͤbern Haufen hier, Gleich leert der Wassermann sein Faß, da kannst du werden pfuͤtze¬ naß.“ So sprach er manch affabel Wort und trug das Lamm im Schna¬ bel fort, Wohl uͤber Berg und Thal geschwind, daß er ihm eine Mutter find', Die es zum guten Hirten fuͤhr', er flog — da pochts an meine Thuͤr, Und ich erwachte.“ St . Marcellinustag . — Heut stand ich armes Kind von Hennegau mit den andern Kindern um eine Wiege, sie fragten: „Sag Muͤtterchen, wir bitten sehr, Wo koͤmmt das liebe Puͤppchen her? Das hier so artig in der Wiegen Gleich einem Engelein thut liegen.“ Da antwortete die Mutter: „Es ist ein liebes Schwesterlein, Es ist mein armes Kindelein, Verloren vor der Himmelsthuͤr Fand es der Storch und bracht es mir, Nun will ichs treulich ziehen auf Durch seinen ganzen Lebenslauf. Die Kinder hoͤrten die Antwort und standen voll Neu¬ gierde um die Wiege herum, aufmerksam auf jede Bewegung der kleinen Puppe, die darin lag, mit Freude glaͤnzenden Augen. — Ach! und das Leben ist doch so schwer und ernst! Sonntag Exaudi , Rosensonntag . Ordenssitzung. Ich konnte nicht dabei seyn, denn ich wartete heut das Kind¬ lein und trug es umher bis es schlief. Ich bin fast ganz stolz gewesen auf mein kleines Amt, ich meine oft, man koͤnne mich zu gar nichts gebrauchen, und die Leute sagten mir das auch schon oft genug. Es kamen aber meine Ordensspielinnen und streuten Ro¬ sen in der Stube und uͤber das Lager der Freundinn, und setzten mir einen Kranz von weißen Rosen und dem Kinde ein Kraͤnzchen von Rosenknospen auf, waͤhrend ich es trug; dazu sang Cornelia: „Die Rose bluͤht, selig die fromme Biene, Die in der Blaͤtter keuschen Busen sinkt Und milden Thau und linden Honig trinkt, Selig die Magd, die dir o Rose diene! In Freuden schwebet ihr Gemuͤth, Weil ihre Rose bluͤht. Die Rose bluͤht, Gott laß doch milde gluͤhen Der Sonne Licht, huͤll' Ros' und Roͤselein Gen Frost und Gluth in deine Gnade ein, Laß alle Lieb in dieser Rose bluͤhen, Dann singt das ganze hohe Lied: Ach unsre Rose bluͤht! Wie rosigt bluͤht das Roͤslein aller Rosen Und lacht mit solcher Herzempfindlichkeit, Daß selbst die Lilie ihr zu Dienst sich weiht, Mit keiner andern Blume zu liebkosen, Weil aller Unschuld Seelenfried Aus diesem Roͤslein bluͤht. Ich schenkte Cornelien fuͤr dieses Rosenlied einen schoͤnen Rosengarten, wofuͤr sie bei Braut und Leichenzuͤgen ein Gar¬ tenhuhn zu entrichten hat. Vorabend vor Pfingsten . — Ordenssitzung. Ich armes Kind ordnete mit den Gespielen die Festlichkeit der fol¬ genden Tage. Es wurden Maien im Walde gehohlt und Blumen auf der Wiese, nm das Fest zu schmuͤcken. Pfingstsonntag . — Als ich erwachte, fand ich auf der Wiese vor dem Schloß, meinem Fenster gegenuͤber einen schoͤnen Maienbaum von den Gespielen und den Waisenkin¬ dern gepflanzt. Er war mit Kraͤnzen von Siebenfarbenblu¬ men und Baͤndern von siebenerlei Farben geschmuͤckt. Als 17 der Tag anbrach, standen die Gespielinnen darunter und san¬ gen mir ein Pfingstlied. Ich dankte und lud sie auf Mor¬ gen zum Fest unter die Maie. Pfingstmontag . — Meine Ordensgespielinnen fuͤhrten am Nachmittag schier alle Kinder der Stadt unter die Maie; die Armen hatten den Vortritt, sie waren neu gekleidet, sie zogen alle mit Blumen bekraͤnzt um die gedeckten Tische sin¬ gend umher und wurden mit Hirsenmus bewirthet, wir Or¬ densgespielen gossen allen den Honig darauf und dienten ih¬ nen. Hierauf sangen wir und tanzteu Reihentaͤnze und lie¬ ßen viele weiße Tauben fliegen, die mit bunten Baͤndern und Silberpfenningen geschmuͤckt waren, wir waren sehr freudig. Pfingstdienstag . — Heute gegen Abend kam eine große Schaar unserer Pflegekinder mit gruͤnen Zweigen und Blu¬ menkraͤnzen geschmuͤckt, sie zogen einen mit Laub verzierten Kin¬ derwagen, worauf die Pfingstbraut saß, in den Schloßhof. Die Pfingstbraut war eine der Ordensgespielinnen, sie hatten sie im Walde so mit Laub und Blumen verhuͤllt, daß sie, einem großen Blumenstrauß aͤhnlich, ganz und gar nicht zu erken¬ nen war. Ein Schleier von Siebenfarbenblumen bedeckte ihr Gesicht. Sie trug eine weiße Taube in den Haͤnden. Nun mußte ich rathen, welche von meinen acht Gespielinnen die Pfingstbraut sey; die sieben andern folgten in einem dicht verlaubten Wagen dem Zuge. Da ich dreimal falsch rieth, ließ die Braut die Taube fliegen, welche ihren Namen auf einem Zettel anhaͤngen hatte, nun mußte ich die Taube fangen, oder die Braut und alle Kinder beschenken. — Die Taube aber flog hinaus und kreiste uͤber einem schoͤnen Klee¬ felde; da sagte ich zu der Pfingstbraut: „sage mir deinen Na¬ men, mit welchem die Taube das Feld umflogen hat, so schenke ich dir das Feld.“ Da stiegen die andern Gespielen aus dem Wagen und entschleierten Fraͤulein Esparsetta von Hahnenkaͤmmchen, welche ich umarmte und mit dem Feld beschenkte, wofuͤr sie bei Braut- und Leichenzuͤgen ein Pfingst¬ huhn zu entrichten hat. — Wir zogen hinaus auf das Feld und die Kinder steckten Zweige umher, wo die Taube flog, und da wurden Marksteine aufgerichtet; es war ein schoͤnes Stuͤck Feldes. Also habe ich meine acht Ordensgespielen vom weißen Sonntag bis heute alle mit Guͤtern beschenkt. St . Silverinstag . — Entschlummert traͤumte mir, die Lilien meines Gartens haͤtten sich erschlossen, und ich saͤhe zwei leuchtende Frauengestalten in den Garten treten, eine gekroͤnte Matrone mit einem Kreuz in der Hand und eine schlanke, ruͤhrend bewegliche Jungfrau mit langen niederfließenden Haa¬ ren, sie war in eine Decke von Roßhaaren eingehuͤllt, und mit einem bluͤhenden Zweig weißer Dornrosen geguͤrtet. Ich hatte nie diese Frauen gesehen. Ich aber stand bei einem Ro¬ senstrauch; und als sie voruͤber giengen, gab ich ihnen ein neu¬ aufgegangenes Roͤslein, das war aͤußerlich ganz schoͤn und gesund, aber ich fuͤhlte, daß es mit toͤdtlichem Mehlthau be¬ steckt war und sprach zu den Frauen: „laßet es reinigen und heilen.“ Als sie nun mit dem Roͤslein zu den Lilien kamen, sah ich zwischen denselben einen schimmernden Juͤngling erschei¬ nen, von unaussprechlicher Reinheit und Jungfraͤulichkeit, er hatte eine leuchtende Lilie in der Hand, die Lilien um ihn her sahen truͤb aus, gegen ihn und sie. Er sah nicht auf, er schlug die Augen nieder. — Die Frauen hielten ihm das Rosenknoͤspchen auf den Haͤnden hin, und er goß aus dem Kelch der Lilie, die er trug, einen Lichtthau uͤber dasselbe und sprach Namen aus; — da war das Roͤschen ganz heil, ganz rein und licht, und mir war, als gehoͤre es nun auch noch zu einem viel schoͤnern Rosenstrauch mit fuͤnf blutrothen Ro¬ sen, den ich uͤber dem ganzen Bilde erscheinen sah. Da ver¬ schwanden der Juͤngling und auch die beiden Frauen, nachdem sie mir das Roͤschen zuruͤckgebracht, welches ich wieder an den Rosenstrauch heftete, dem ich die ganze Zeit nahe stehend Al¬ 17 * les erzaͤhlt hatte, was geschah. Er verstand mich sehr gut, denn er war ganz selig und schuͤttelte helle Tropfen nieder auf das schoͤne, neue, reine Roͤschen und es spritzten mir Tropfen auf die Wange, da erwachte ich. — Ich war aber so bewegt von dem lebhaften Traum und war seiner so ge¬ wiß, daß ich mich einhuͤllte und auf leisen Socken hinab¬ schlich in den Garten. O wie war es kuͤhl und still und so ruhig, so ruhig! ich meinte immer, ich muͤße die lichten Gestalten irgendwo sehen, aber ich sah nur ein Nachtlicht herschimmern, hoͤrte nur ein Kindlein wimmern und das Bruͤnnchen rauschen. Im Garten war es wie sonst, einige Gluͤhwuͤrmer leuchteten umher, als wollten sie mir suchen helfen, der Mond war untergegangen, es glitzerten nur einige nachsinnende Sternchen. Ich nahte den Lilien, sie dufteten Licht und ich sah Strahlen von den Sternen in sie nieder¬ schießen und von ihnen wieder empor, es war, als truͤgen Himmelsbienen Honig aus ihnen ein fuͤr die Kinder einer bes¬ sern Welt. — Und wie ich so sinnend stand, hoͤrte ich eine Menschenstimme, fern und doch nah mit wehmuͤthigem Tone die Worte sprechen: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!“ Bang huͤllte ich mich dichter ein und eilte aus dem Gar¬ ten. Mein Gewand fieng sich in einer Dornranke; erschreckt rief ich laut: „wer faßt mich?“ und stand. Niemand zeigte sich, so riß ich dann schneller eilend die Ranke mit fort und dachte: sie wird mir morgen ein Zeichen seyn, daß ich nicht getraͤumt. In meinem Schlafgemach hoͤrte ich immer jene Worte noch um mich toͤnen. Ich verstand sie durch und durch und konnte sie doch nicht erklaͤren. Ich verstand ihr Wesen und hatte keine Worte fuͤr sie, als sie selbst. Immer wiederholte ich sie, immer sah ich die leuchtenden Lilien und die Sterne vor mir, die sie gruͤßten. Als ich mir den Nacht¬ thau von dem Angesicht wusch, war mir, als sehe ich ein Haupt so deutlich neben mir, daß ich die Ranke von mei¬ nem Kleide loͤste und das Haupt mit ihr bekraͤnzte. Da hoͤrte ich jene Worte wieder und erschrack nicht, und legte die Hand auf das Haupt und fuͤhlte: diese Worte sollen mein Wahlspruch seyn. Entschlummernd aber hoͤrte ich eine kla¬ gende Stimme: „Ach wer nimmt mir von der Stirne den Traum?“ da versteckte ich mich und hoͤrte zum erstenmal in meinem Leben mein Herz heftig pochen und entschlief. St . Albanustag . Heut ward Alles wahr, ich stand bei meinem lieben Herzgespann und sie trugen das Kind zur Kirche, indessen erzaͤhlte ich ihr, wie ich Nachts im Traum bei der Rose gestanden und was ich gesehen, und sie brachten das Kindlein ganz klar und heil wieder, und ich legte es ihr ans Herz, und mein Herzgespann weinte auf das Roͤslein, wie Nachts die Rose gethan. St . Achatiustag . Heute mußte ich das kleine Roͤs¬ lein in den Garten tragen. Mein Herzgespann glaubte, es bringe ihm einen besonderen Segen, durch mich zuerst an die Luft getragen zu werden. Ich trug es und sagte ihm im Herzen Alles, was ich gesehen, von den leuchtenden Frauen und dem Juͤngling mit der Lilie, und es schien es besser zu verstehen, als ich; denn es sah mich groß an, laͤ¬ chelte und weinte dann gar beweglich. Ich aber hatte im¬ mer Angst, ich moͤge es fallen lassen, und brachte es heim. — NB . Nun nahet aber ein wichtiger Tag, Sonnenwende, des Taͤufers Tag, da die Sonn nicht hoͤher mag; da hat sich auch meine Sonne gewendet, und ist vieles anders geworden mit mir, da ich erfahren von den Kleinoden von Vadutz, die ich bisher unwissend auf den Schultern getragen und da ich gestiftet das Kloster Lilienthal. St . Edeltrudistag vor Sonnenwende . Heut Morgen gegen drei Uhr vor Tages-Grauen ward ich aufge¬ weckt, und sieh, Verena stand bei meinem Bette und be¬ muͤhte sich, mich von der linken auf die rechte Seite zu le¬ gen, dabei sagte sie: „das fromme Huͤhnlein schickt mich, es weiß Alles.“ — Ich richtete mich im Bette auf, ich glaubte zu traͤumen, ich sey noch ein Kind, wo Verena so zu thun pflegte. — Sie aber sprach: „gnaͤdige Graͤfinn, goldne Amey, erschrick nicht. Es ist meines Bleibens nicht mehr lange hier. Du weißt, daß ich am Tag vor Sonnen¬ wende immer mit dem frommen Huͤhnlein in die Hoͤhle gehe, wo der Vater deines Stammes den Salmo und das erste Huͤhnlein Gallina am Sonnwendetag gefunden, und daß ich dort einige Tage in Zuruͤckgezogenheit waͤhrend dem laͤr¬ menden Johannisfest ihrer gedenke. Dieses Jahr treibt es mich etwas fruͤher hinaus, weil du heute mit Tages Anbe¬ ginn unten im Gallinarium große Waͤsche hast und ich nicht von allen deinen Gespielen und Maͤgden will angesprochen werden. — Ich bringe dir hier den Schluͤssel zum Gallina¬ rium und meiner Kammer, du bist die Landesherrinn, ich habe ihn von dir und muß ihn dir wiedergeben, ich bin schon alt, ich hab schon viele Huͤhnlein erlebet, wer weiß seinen letzten Tag. In meiner Kammer in der Truhe wirst du mein Testament finden.“ — Ich ward ganz ernsthaft uͤber diese Reden Verenas und bat, sie moͤge doch bei solchen Ahn¬ dungen nicht allein in die Salmoshoͤhle gehen, damit ich ruhig seyn koͤnne. Sie aber erwiederte: „habe keine Sorge um mich, ich bin zwar bereit, aber wir sehen uns auf Er¬ den doch wieder und wollen noch recht freudig zusammen seyn. — O goldne Amey! achte auf Alles, was dir vertraut ist, besonders auf die amaranthseidne Decke von Hennegau.“ Als sie dieß sagte, ließ sich das heilige Huͤhnlein mit einem warnenden Tone in ihrem Korbe vernehmen. „Hoͤrst du,“ fuhr sie fort, „Gallina ist auch meiner Meinung, uud mah¬ net mich zugleich zum Scheiden, das Huͤhnchen weiß Alles.“ Hierauf fragte ich „und das Buͤblein?“ da erwiederte Ve¬ rena mit großem Ernste: „es hat seine Sache zu Ende ge¬ bracht, hilf ihm sein Buͤndlein schnuͤren;“ da umarmte sie mich und zog von dannen. Ich kann nicht sagen, wie tief mich die Worte erschuͤtterten, die sie zum erstenmal von dem geheimnißvollen Buͤblein gesprochen. Ich ahndete, es stehe mir etwas Großes bevor; jedoch was sollte ich thun, ich mußte es erfolgen lassen. Jetzt aber stand ich auf, zuͤndete meine Leuchte an und ging in das Waschhaus bei dem Gallinarium; wir hatten gewettet, wer zuerst da seyn werde. Ich war die Erste. Keine meiner Gespielinnen oder Maͤgde war zugegen. Ich blickte zwischen den großen Waschbuͤtten scheu durch die weite dunkle Halle, die meine Lampe un¬ bestimmt erleuchtete. — Ich dachte, wenn jetzt das Buͤblein kaͤme! — Da hoͤrte ich die Huͤhner sich ruͤhren und auch wie Schritte und glaubte schon, es nahten meine Maͤgde. Ich ging zu dem Stalle und sah da einen Knaben von etwa sechs Jahren, der aus dem dort haͤngenden Futtersaͤckchen der Ve¬ rena mit einem Maße Weizen schoͤpfte und den Huͤhnern vorwarf. Neben ihm stand ein offnes Reisesaͤckchen, in wel¬ chem ich allerlei Fruͤchte schimmern sah. Mir schauderte ein wenig und ich sagte fluͤsternd: „ach das Buͤblein!“ — Da wendete es den Kopf und schaute mich wehmuͤthig laͤchelnd an, nickte und machte, auf das offne Reisesaͤckchen hindeu¬ tend, mit den Haͤnden die Bewegung des Zubindens; da fuͤhlte ich mich auf die Kniee niedergezogen und betete von Herzen; das Knaͤblein that eben so und antwortete ordent¬ lich im Gebet, und es war, als drehe es aus meinem Gebet eine Schnur zusammen, sein Buͤndelchen zu zu binden; die Schnur ward immer laͤnger, und es faßte den Rand des Saͤck¬ chens zusammen und wickelte die Schnur darum und als ich sprach: „Gott gebe ihm die ewige Ruhe“ sagte es, „und das ewige Licht leuchte ihm!“ da hatte es dem Knoten geschlungen, schloß das Buͤndelchen, schwang es auf den Ruͤcken, sprach: „tausend Gott vergelt's!“ und verschwand in hellem schoͤnen Schein. — Im selben Augenblicke traten meine Maͤgde be¬ tend herein und freuten sich, daß ich die Wette gewonnen. Wir gingen zur Kirche und nach dem Gottesdienst bat mich Jakob von Guise, ihn in das Stuͤblein Verenas zu fuͤhren, weil er mir etwas mitzutheilen habe. Dort sagte mir nuu der fromme Mann: „Verena hat heute, ehe sie ihren Weg zu Salmos Hoͤhle antrat, mir aufgetragen, dir Folgendes zu sagen. Als vor vielen Jahren Verena von deiner seligen Frau Mutter das Pflegeamt des frommen Huͤhnleins erhielt, bestand bereits das Geruͤcht, unten in den Gewoͤlben des Gal¬ linariums lasse sich manchmal ein kleines Buͤblein sehen, welches allerlei Geschaͤfte verrichte und dann wieder ver¬ schwinde. Es war Dieses von mehreren Waͤscherinnen, die dort vor Tag arbeiteten, gesehen worden. Einst ward Verena auf ihrer Kammer Nachts erweckt und sah zum erstenmal jenes Buͤblein vor sich stehen, welches sie mit den Worten aus dem Bett zog: „der Iltis, der Iltis.“ Sie eilte hinab und kam gerade noch fruͤh genug, um einen Iltis zu ver¬ jagen, der zu dem Huͤhnlein hineindringen wollte. Als Ve¬ rena wieder zu Bette gegangen war, erschien ihr das Buͤb¬ lein wieder und sprach zu ihr: „du sollst mir Gutes thun, du bist aus demselben Stamme mit mir, mein Vater ist aus deinem Geschlecht oben am Rhein her. Er war ein Knecht Salmos am Hahnebach und baute mit an dem Schlosse Kirn, worin Salmo mit dem Huͤhnlein wohnte, dessen Fuͤtterung meinem Vater anvertraut war. Wir waren alle Christen, und Salmo hat mich selbst unterrichtet, meine Mutter war seines Soͤhnleins Amme. Wir hatten aber eine Muhme, die war eine arge Heidinn und lebte in einer Hoͤhle des Waldes und war eine Weissaginn. Meine Eltern fuͤrch¬ teten sich vor ihr, und ich mußte manchmal zu ihr gehen nnd ihr freundlich thun, damit sie uns nicht schade. Ich hatte eine große Begierde, zu reisen und zu lernen, die alte Muhme erzaͤhlte mir immer von wunderbaren Laͤndern und von Leuten, bei denen man Alles lernen koͤnne. — „O koͤnnt ich reisen und lernen!“ sagte ich, „jetzt muß ich immer das Huͤhnlein fuͤttern; da erwiederte die Muhme: „ich weiß wohl ein Huͤhnlein, wenn du das fuͤttertest, da waͤre dir geholfen,“ und sie zeigte mir ein Huhn in ihrer Hoͤhle und sagte: „wenn du ihm taͤglich ein Koͤrnlein vom Futter des Huͤhnleins Gallina bringst, bis es fett wird, so wird es ein goldenes Ei legen, wenn wir das verkaufen, kannst du weit reisen und Alles lernen.“ Ich ließ mich verfuͤhren. Ich stahl taͤglich dem frommen Huͤhnchen ein Koͤrnlein. Es reichte nicht hin. Ich lernte zwei, dann drei und zuletzt gar das ganze Futter stehlen. — „Noch einmal,“ sagte die boͤse Muhme, „mein Huhn sitzt schon zu Neste, noch einmal bringe das Fut¬ ter, und das goldene Ei ist da, und du reisest weit und ler¬ nest Vieles.“ Nochmals schlich ich Nachts in großer Angst zu dem Futterkasten des Huͤhnleins, das immer gar weh¬ muͤthig gackernd mich gewarnt hatte, dießmal hoͤrte ich seine Stimme nicht, ich oͤffnete den Kasten, der furchtbare Hund Salmos, der Saufaͤnger sprang mir daraus entgegen und erwuͤrgte mich. — Das Huͤhnlein Gallina war verhungert und Salmo hatte den Hund in den Kasten gesperrt, um den Dieb zu fangen. — Ach da machte ich die große Reise in die andere Welt, und lernte Vieles, nehmlich: „du sollst nicht stehlen, und Alles bis auf den letzten Heller muß er¬ setzet werden!“ — mir aber ist das Urtheil gesprochen worden, daß ich bei Kindern und Kindes Kindern des Huͤhnleins so lange das Futter bewachen und jedes zerstreute Koͤrnlein auf¬ lesen und anwenden muß, bis so viel Weizenkoͤrner zur Ehre Gottes und zum Trost der Armen durch meine Bemuͤhung gewonnen sind, als aus dem von mir gestohlenen Weizen, wenn er gesaͤet worden waͤre, hiezu haͤtten verwendet werden koͤnnen. Seit diesem Urtheil huͤte und sorge ich schon viele, viele Jahre bei dem Futter im Gallinarium und hab schon ziemlich viel ersetzt, aber du kannst mir Hilfe leisten. Ve¬ rena, du weißt, daß das Almosen tausendfaͤltig ersetzt wird, so demuͤthige dich und bettle das Futter fuͤr das Huͤhnlein zusammen, so werden die Wohlthaͤter tausendfach belohnt werden; und du selbst theile das Ueberfluͤßige mit Gott und den Armen, so wird Alles auch tausendfach gemehrt werden, und Alles das schenke dem Aermsten aller Armen, mir — damit ich meine Schuld tilge und zur Ruhe gelange.“ So flehte das Buͤblein zu Verena und sie gab ihm die Hand darauf und es verschwand. — Von dieser Zeit an bettelte Verena immer den Weizen zur Nahrung des ganzen Galli¬ nariums und verwendete den Ueberfluß, wie du weißt, fuͤr die Kirche und die Armen, und Gott segnete ihr Thun reich¬ lich. Niemals hat sie das Geheimniß des Buͤbleins ausge¬ sprochen, nie mehr von ihm gesagt, als: „es macht sein Sach“ — denn man soll die Schuld der Todten tilgen, ohne sie zu verkuͤnden. Gestern Abend nun, als sie alle Huͤhner noch fuͤtterte und das Huͤhnlein im Korb mit auf ihre Kammer nehmen wollte, um heute vor Tag, ohne die andern Huͤhner im Schlafe zu stoͤren ihren jaͤhrlichen Gang zu der Hoͤhle Salmos mit ihm anzutreten, sah sie das Buͤb¬ lein im Gewoͤlbe sehr beschaͤftigt, als packe es seinen Rei¬ sebuͤndel. — Nach Mitternacht, nachdem sie wenige Stun¬ den geschlafen, weckte sie die Erscheinung und sprach: „Ve¬ rena, ich komme Abschied von dir zu nehmen, lohn dir das wahre Weizenkoͤrnlein tausendfaͤltig, was du an mir gethan! Alles, was ich schulde, ist bezahlt, schenk mir doch noch ein Bischen auf den Weg, daß ich doch Etwas mitbringe und nicht ganz so kahl ankomme, sieh, ich habe noch Platz oben in meinem Buͤndlein!“ Da stand Verena auf und betete von Herzen fuͤr das Buͤblein, bis es sagte: „Genug, genug, ich krieg den Seckel sonst nicht zu. Jetzt gehe zu Jakob von Guise und sage ihm, wie es mit dem Buͤblein beschaf¬ fen war, und wie es sein Sach endlich durch dich zu Stande gebracht. Sage ihm auch, er solle der Graͤfin Amey Alles erzaͤhlen und sie bitten, daß sie mir mein Buͤndlein zuschnuͤre, dann sage ich tausend Gottvergelts und reise in den Him¬ mel!“ — nach diesen Worten verschwand das Buͤblein, und Verena gieng zu dir und dann zu mir, ich aber ersuche dich, erfuͤlle den Wunsch des Buͤbleins mit Gebet.“ So sprach Jakob von Guise zu mir, und da ich ihm hierauf erzaͤhlte, was mir vor einer Stunde mit dem Buͤblein geschehen, und wie ich ihm bereits sein Buͤndlein geschlossen und es seinen Weg in den Himmel freudig angetreten habe, gab er mir seinen Segen und sprach: „wir wollen dieses Ereigniß fuͤr uns bewahren.“ So habe ich es dann auch allein fuͤr mich niedergeschrieben. — Als ich in das Gallinarium zuruͤckkehrte, fand ich meine Maͤgde schon in der Waͤsche plaͤtschernd und meine Gespielen mit mancherlei Anordnung und Aufsicht be¬ schaͤftigt. Ich begab mich mit Jungfer Cordula, welche immer bei Krankheit oder Abwesenheit Verenas ihre Stelle vertrat, in das Stuͤbchen Verenas, uͤberreichte ihr die Schluͤs¬ sel zu den Huͤhnern und dem Futter und dem Kornspeicher, nahm in ihrer Gegenwart das versiegelte Testament Verenas aus der Truhe und ließ sie in dem Stuͤbchen zuruͤck. — Ich war nach dem Erlebten eben nicht besonders erschuͤttert; es war mir recht von Herzen lieb, daß dem Buͤblein geholfen war; — aber indem ich mich fragte, warum mich Das nicht staͤrker bewegte, dem Verena doch so viel muͤhselige Jahre gewidmet hatte, antwortete eine Stimme aus meinem In¬ nern, da ich voruͤbergehend mich vor dem großen Kreuze beugte: „hast du je fuͤr das Gluͤck Anderer ein Opfer gebracht? dem Buͤblein, aber nicht dir ist geholfen, auch du thuest das Deine, wer wird dir dein Buͤndlein schnuͤren? Was soll dich erschuͤttern? Zu Leid und Freud gehoͤrt ein Echo, ein Wie¬ derhall, der antwortet; — aber du bist einsam!“ — Als ich diese Stimme in meinem Innern hoͤrte, war mir unheim¬ lich; ich blieb aber mit dem Gewande am Gelaͤnder der Treppe haͤngen, ich schaute um und sah das Kreuz an, da war's, als spreche es zu mir: „Ich bin so einsam, o lasse mich nicht so einsam, o lasse dich erschuͤttern!“ — Das wollte mich schier bewegen, doch ich hoͤrte Gesang nahen und trocknete meine Augen und eilte an den lustigen Spring¬ brunnen des Schloßhofes unter die Linden, da fand ich meine Gespielen beschaͤftigt, meine Halskrausen und Schleier und feineren Geraͤthe zu waschen, und ich gesellte mich zu ihnen nach alter Landessitte, jede haͤusliche Arbeit durch meine Theilnahme zu ehren und wusch. Wie wir nun so plaͤtscher¬ ten und wischi waschi plauderten und Jede vor der Andern ihre innere Armuth, die wir doch gegenseitig kannten, unter einer andern Flitterkrone, ich aber unter meiner Grafenkrone versteckte, zogen Schaaren von armen Kindern mit Koͤrben zu uns heran und bettelten um Geschenke, den Johannisengel morgen zum Feste zu schmuͤcken, und Johannisfeuer anzuzuͤn¬ den. Ich ließ ihnen reichlich Speise und Holz austheilen und schenkte ihnen auch ein schoͤnes rothes Kleid, den Johan¬ nisengel zu bekleiden. Sie sangen aber einen Reim: „Feuerrothe Roͤselein, Aus dem Blute springt der Schein, Aus der Erde dringt der Wein, Roth schwing ich mein Faͤhnelein!“ und konnte ich diese Worte nicht aus den Sinnen los werden, ich weiß nicht warum. Es zog mir dabei ein ban¬ ges druͤckendes Gefuͤhl von der linken Schulter zum Herzen. Nachmittags zogen wir mit der Waͤsche, den Teppichen und der großen amaranthseidnen Decke auf die Wiese, und brei¬ teten Alles zur Bleiche aus; denn es ist in dem Lande Hen¬ negau eine große Verehrung des Taͤufers und herrscht unter dem Volke der Glaube, der Thau in der Johannisnacht be¬ wahre Leinen-, Seiden- und Wollentuͤcher vor Mottenfraß und anderm Verderben. Es waren aber drei fromme arme Fraͤulein, zur Lilien genannt auf der Bleiche. Sie waren aus meinem Laͤndchen Vadutz einen weiten Weg vor einigen Tagen barfuß ins Hennegau gewallfahrtet und zwar zu mir. Sie hatten ein schweres Anliegen und ließen mich durch Ja¬ kob von Guise bitten, ganz allein mit mir zu sprechen und zwar am Abend vor Sonnenwende. Schon vor zwei Jah¬ ren, da meiner Mutter letztes Krankenlager begonnen, waren sie ins Hennegau gekommen mit sehr schoͤnem Bildwerk, denn Klareta, die juͤngste hatte ihres Gleichen der Zeit nicht mit Sticken und Weben von Priestergewand und Tapezerei; war auch eine große Lieblichkeit und Demuth in ihr, gemischt mit seltsamer Trauer und erquickendem Frieden, und konnte sie schoͤne Weisen dichten und singen. Meine Mutter hatte ein Wohlgefallen an ihr, und da das Maͤgdlein sehr darum bat, nahm sie es zur Dienerinn. Wir hatten aber fast gro¬ ßen Schrecken mit ihr, denn Nachts an ihrem Krankenlager wachend, war sie ploͤtzlich unweise geworden, und haben wir sie mit den Schwestern wieder in ihre Heimath senden muͤssen. Sie schied unter großer Wehklage und sprach seltsame Worte; und da die Mutter acht Tage nachher starb, gieng allerlei Rede uͤber sie, wodurch sie mir unheimlich ward; diese un¬ weise Klareta war wieder von ihren Schwestern ins Land ge¬ bracht worden. Sie war mir nicht unlieblich, ja eigentlich meinem Herzen nah; aber ich verlaͤugnete es, es war mir bange vor ihr, es war mir, als sey sie ein Geschick, oder bringe mir eins. — Wo ich war, flog sie nach mir, wie ein Schmetterling ins Licht. — Ich hatte ihnen versprochen, die Nacht vor Sonnenwende bei ihnen allein auf der Bleiche zu seyn; sie hatten uͤbernommen, Kirchenwaͤsche und Tauf¬ hemden um Gotteswillen im Johannisthau zu bleichen und harrten meiner mit Sehnsucht. — Meine Gespielen schlugen mir ein kleines Schlafzelt neben ihrer Bleichhuͤte auf und kehrten zur Stadt. — Als es nun Abend geworden, war all meine Waͤsche ausgebreitet. Der Engel des Herrn laͤu¬ tete, wir standen betend um die Huͤtte, und als wir uns ge¬ gruͤßt, sangen die drei Schwestern dreistimmig einen suͤßen Reim vom Abend, von welchem sie aus fruͤherer Zeit wu߬ ten, daß er mir ungemein lieb war: „O Stunde, da der Schiffende bang lauert Und sich zur Heimath sehnet an dem Tage, Da er von suͤßen Freunden ist geschieden, Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert Auf erster Fahrt, wenn ferner Glocken Klage Den Tag beweinet, der da stirbt in Frieden!“ Nun kehrten meine Gespielinnen nach der Stadt. Ich saß mit den Schwestern um ein Feuerchen, wir redeten gute Dinge. Mein Herz aber war schwer und sehnte sich, wenn ich in die Flamme sah, mußte ich immer leise singen: Feuerrothe Bluͤmelein, Aus der Erde springt der Wein, und selbst der klare Sternhimmel von dem der kuͤhle Thau auf mich sank, gab mir keinen rechten Frieden. Es war aber Klareta in dem Wahn, nur ich koͤnne sie heilen, und war sie den weiten Weg hieher gereiset und hatte Alles ver¬ lassen und vergessen, um in meiner Naͤhe zu seyn. Ich wußte das Alles, weil ich aber gehoͤrt hatte, sie habe den Wahnsinn durch Mitleid von einem andern Menschen uͤber¬ nommen, hatte ich eine Scheu vor ihrer Annaͤherung, fuͤrch¬ tend, ihr Wahnsinn moͤge auf mich kommen. Es war aber ein Weber, ein Diener ihres seligen Vaters, um den sie litt. Er hatte fuͤr die drei Schwestern, die verarmt waren, so muͤhselig gearbeitet, daß er den Verstand daruͤber verlo¬ ren, und da er gewohnt war, Klareta das Seelchen zu nen¬ nen, und fuͤr sie zu weben, so sang er immer Weberlieder von dem Seelchen, und sprach andere unweise Reden. Alle solche Reden sprach nun auch Klareta, und war mir immer bang bei ihr, da meine Natur gar geneigt ist, solche Dinge aufzunehmen. — Ich wußte dieses aus den Reden der Schwestern; wie ich aber Klareta heilen sollte, sagten mir diese nicht, schienen es auch nicht recht zu wissen. Klareta sehnte sich nur, allein mit mir zu seyn, und die Schwestern such¬ ten das zu veranlassen. Sie warfen sich in ihrer Bleichhuͤtte auf die Kniee und beteten. Ich aber suchte der unweisen Klareta auszuweichen, wo es angieng, bis sie endlich doch geheilt mir große Geheimnisse in dieser Nacht offenbarte, die mich reichlich belohnten. — Den Hergang schreibe ich nun hier nieder. Ich saß mit der unweisen Klareta an dem Feuerchen, wir assen Brod und Fruͤchte. Sie schuͤttete mir aber eine Anzahl Haselnuͤsse in den Schoos, Juͤrgo, der kranke Weber aus Vadutz hatte ihr sie mitgegeben, und sie nahm schuͤch¬ tern eine der Nuͤsse und fragte demuͤthig, darf ich dem Seel¬ chen die Nuͤsse aufbeißen? Mir grauste aber vor den Nuͤssen; ich gab sie ihr zuruͤck mit den Worten: „Klareta, ich esse keine Nuͤsse;“ da war sie gar traurig, brach das Brod mit mir und druͤckte es ans Herz und aß nicht viel. — Wie wir so stille ins Feuer schauten, hoͤrten wir fernen Schallmeien¬ klang sich nahen. Es waren die Hirten. Sie hatten nach Landes Sitte, weil der Taͤufer gesagt: „Siehe das Lamm Gottes!“ am Vorabend seines Festes ihre Schafe gewaschen, und nachdem sie sie eingetrieben, zogen sie mit brennenden Kienfackeln, Pfeifen und Schallmeien um den Zaun der Bleiche zu des Taͤufers Kapelle oben vor dem Wald, wo der Bach entspringet. — Die rothen Fackellichter lockteu mich, die Schallmeiklaͤnge bewegten in der Nacht mein Herz gar gewaltig. Bald eilte ich an den Zaun, bald kehrte ich zu Klareta zuruͤck, die mir immer traurig nachschlich; und als ich sprach: „warum uͤben nur Fackeln und Schallmeien in der Nacht so schmerzliche Gewalt uͤber mein Herz?“ blickte mich Klareta mit tiefen Augen an und sagte wunder¬ liche Reime, die sie auch nachher noch wußte, und als sie geheilt war, mir aufschrieb: „Wenn der lahme Weber traͤumt, er webe, Traͤumt die kranke Lerche auch, sie schwebe, Traͤumt die stumme Nachtigall, sie singe, Daß das Herz des Wiederhalls zerspringe, Traͤumt das blinde Huhn, es zaͤhl' die Kerne, Und der drei je zaͤhlte kaum, die Sterne, Traͤumt das starre Erz, gar linde thau es, Und das Eisenherz, ein Kind vertrau es, Traͤumt die taube Nuͤchternheit, sie lausche, Wie der Traube Schuͤchternheit berausche; Koͤmmt dann Wahrheit mutternackt gelaufen, Fuͤhrt der hellen Toͤne Glanzgefunkel Und der grellen Lichter Tanz durchs Dunkel, Rennt den Traum sie schmerzlich uͤbern Haufen, Horch! die Fackel lacht, horch! Schmerz-Schallmeien Der erwachten Nacht ins Herz all schreien; Weh, ohn Opfer gehn die suͤßen Wunder, Geh'n die armen Herzen einsam unter!“ Ich nickte bejahend, wie man einem Kinde nickt, dem man zu zuhoͤren scheint, aber ich hoͤrte auf die Schallmeien. Ich bot ihr schoͤne Fruͤchte, sie aß nicht. Ich fragte: „war¬ um ißt du nicht? sie sind suͤß.“ — Da erwiederte sie mit tiefem Schmerz: „Ohne Opfer gehn die suͤßen Wunder, gehn die armen Herzen einsam unter.“ — Ich wollte ihrer Empfin¬ dung ausweichen, blickte hin und wieder, aber ploͤtzlich fuͤhlte ich mein Herz. Ich blickte die arme Kranke liebevoll an, reichte ihr die Hand uͤber die Fruͤchte und sprach: „Iß mir zum Opfer, armes Herz!“ und sie aß. Als ich auch ge¬ nug gegessen, eilte ich wieder an den Zaun zu den Fackeln und Schallmeien und dachte keines Hungernden, selbst meiner kaum. — Da rasselte es am Zaun neben mir. Klareta war mir nachgeschlichen, und riß sich die Haͤnde blutig in den Dornen, um mir Rosen zu reichen. Ich sprach: „was soll ich mit den Rosen?“ — Klareta erwiederte: „Meine Haͤnde bluten, mein Herz blutet; ohne Opfer gehn die suͤßen Wun¬ der, gehn die armen Herzen alle unter.“ — Ich kehrte mit ihr zu der Bleichhuͤtte, saß am Feuer nieder und ließ mir die Zoͤpfe von ihr um den Kopf unter ein Netz binden, denn ich wollte mich bald schlafen legen. Als sie mir so nahe war, stockte sie ploͤtzlich in ihrer Arbeit, schloß die Augen und naͤherte wie traͤumend ihre Stirne meiner rechten Schulter. Ich stand auf mit den Worten: „was willst du, wer bist du, wer ich?“ Da sprach sie gar demuͤthig: „O meine Herrinn! deine Magd hat ein Anliegen, hoͤre mich an, Morgen ist es zu spaͤt.“ — Ich erwiederte: „Schweige, daß ich die Schallmeien hoͤre, ja Morgen ists zu spaͤt, das scheinen sie zu klagen und reißen drum mich hin.“ — Da eilte ich wieder an den Zaun und lauschte hinuͤber. — Klareta schlich mir nach und sprach: „O waͤr es doch voruͤber, es thut mir großes Leid!“ — „Welch Leid?“ fragte ich und sie antwortete nicht, sondern sang das Lied des Webers Juͤrgo mit irrer Weise in die Nacht hinein: „Das Seelchen auf der Heide Hat nicht genug zum Kleide Und friert durch Mark und Bein, Ich hab in heißer Sonnen Mein Leben aufgesponnen Zu einem Faden fein, Den hab ich treu gewebet, Mein Schifflein ist geschwebet In staͤter Noth und Pein. Mit Thraͤnen ich's erweichte, Mit Thraͤnen ich es bleichte In Mond und Sternenschein. Todtwund lag ich zum Sterben, Der Seele Kleid zu faͤrben Mit rother Farbe Schein. Ich trug es ohn Verweilen Hin viele, viele Meilen, Da war mein Tuch zu klein, Das Seelchen zu bedecken, Da zuckt an allen Ecken Heraus das Flaͤmmelein, 18 Und irret auf der Heide, Mein Zeug reicht nicht zum Kleide Dem Feuer-Laͤmmelein. Dadruͤben die Gesellen, Die schleudern tausend Ellen Roth Zeug zur Nacht hinein; Die Fackeln und Schallmeien, Sie brennen, reißen, schreien Mir tief durch Mark und Bein. Weh, Weh thut das Verschwenden, Mit Noth mußt ich vollenden Mein Tuch — nun ists zu klein. Das Seelchen springet trunken Von Toͤnen, Farben, Funken, Zur rothen Lust hinein. Wenn Toͤn' und Farben starben, Koͤmmt Nacht und bittres Darben, Arm, blos, allein; allein!“ Ich fragte: „was fuͤr Reden sind dies?“ und sie er¬ wiederte: „Es sind Lichter, Melodeien In der Nacht gar manichfalt, Doch die Fackeln und Schallmeien Ueben groͤßere Gewalt. Feuerrothe Roͤselein Aus der Erde dringt der Schein, Aus der Erde springt der Wein.“ Ich blieb an dem Zaun stehen, bis die Hirten mit ihren Kienfackeln heim in das Thor zogen, ich wartete bis auch der letzte Schimmer verschwunden war, dann kehrte ich zum Feuer. Die Unweise war sehr betruͤbt, ich reichte ihr die Hand und sagte: „ich kann nicht anders, was hast du aber von Tuch gesungen, das zu kurz sey?“ — Da legte sie mir ein tiefroth schimmerndes Tuch uͤber die Schulter und sprach: „es ist von mir, mehr hab ich nicht, es reicht nicht zu!“ ich erwiederte: „die Farbe zieht mich an, groß genug waͤre es auch — aber das Muster des Gewebes ist mir zuwider.“ — Sie schwieg und war sehr traurig, sie weinte still, ich fragte: „was fehlt dir? sage es geschwind, ich muß dort in das Zelt gehen, um zu schlafen;“ da erhob ich mich, ordnete meine Arbeit und zuͤndete die Leuchte an. — Die Unweise entsetzte mich, sie zitterte, sank auf die Kniee und sprach: „du mußt uns eine Gnade erweisen, und bis du sie mir bewilligest, soll diese Kohle auf meiner Hand gluͤhen;“ da nahm sie eine gluͤhende Kohle aus dem Feuer in die Rechte und hielt sie mir entgegen nnd flehte: „stifte mir und den Schwestern ein Kloster Lilienthal, daß ich mich verberge und dir vor Gott danke!“ — Ihre That empoͤrte mich, doch schlug ich ihr die Kohle nicht aus der Hand, ich that, als gehe mich das nicht an; ich rief die Schwe¬ stern, die warfen die Kohle weg und fanden ihre Hand heil und ohne Brandmal und knieten nieder und baten wie die Unweise um ein Kloster Lilienthal. — Es lag mir aber et¬ was Gewaltthaͤtiges in der Art des Begehrens, ich sprach: „gut Nacht, ich werde mich besinnen,“ und gieng zitternd und bebend zu meinem Zelt. — Mein Lager war von Heu und ein Teppich daruͤber; ach! wie war ich so muͤde, und schwer und bang, es war schon spaͤt und tiefe Stille umher. Nur Eulen schrieen im nahen Walde. Vor meiner Seele flimmerten noch die Fackeln, toͤnten noch die Schallmeien, dazwischen die wunderlichen Reden der Unweisen und die gluͤhende Kohle und Alles. Mir war so schwer und traurig, als sollte ich bald von Allem scheiden, woran mein Herz noch hieng. — Ich entschlief und hatte einen schweren Traum. — Ich war auf einer Wiese und pfluͤckte feuerrothe Roͤselein, da uͤberfielen mich grausame wilde Loͤwen und tru¬ gen mich weit, weit hinweg in einen dichten Wald. Unter einer breiten Linde war meine Angst am groͤßten, die Loͤwen wollten mir die Achselbaͤnder von den Schultern reißen, da fiel mirs bang aufs Herz — „das ist die Strafe deiner Haͤrte, 18 * bau den armen Schwestern ein Kloster Lilienthal, so Gott dir helfe;“ da gelobte ich es im Traume und es kraͤhte ein Hahn und die Loͤwen flohen, und Verena mit dem Huͤhn¬ lein Gallina kam zu mir, und der rettende Hahn steckte mir einen Ring an den Finger. — Bei dem Hahnenschrei erwachte ich und hoͤrte den Hahn, den die Bleicherinnen als Stun¬ denzeiger bei sich hatten, wirklich kraͤhen. Auch hoͤrte ich Klareta vor meinem Zelte singen: „Was hab ich dir gethan, Was hast du mir gethan? Schon mahnt der Hahn. O senk die rothe Fahn', O heb die weiße Fahn Jetzt Himmel an! O hoͤr mein Leiden an, Dann wird mein kranker Wahn Dir unterthan. Arm Kind von Hennegau! Das Lilienkloster bau, Schon sinkt der Thau.“ Ich oͤffnete das Zelt, sie warf sich am untern Ende meines Bettchens nieder und schloß meine Fuͤße an ihr Herz und wusch sie mit einem Strom von Thraͤnen. — Ich sprach: „Klareta, warum thust du so?“ — Sie fluͤsterte: „aus Dank und Liebe.“ — Ich kann nicht sagen, wie sie mich ruͤhrte, aber ich that mir Gewalt an. Da sie nun so weinte und ihr Herz so heftig schlug, ward ich freundlich und sagte: „setze dich zu mir, reiche mir deine Hand, ich will dir mei¬ nen Traum erzaͤhlen.“ — Sie setzte sich zu meiner Seite, faßte meine Hand, und ihre Stirne sank wie unwillkuͤhrlich auf den Edelstein meiner rechten Schulterspange; denn es ist ein altes Familiengesetz, daß eine Graͤfinn von Vadutz diese Kleinode selbst bei Nacht nicht ablegen darf. Ich zuckte etwas zusammen, ihr Schleier war kalt und naß, ich fragte um die Ursache, sie erwiederte: „Lilie kennst du den Thau nicht?“ — o lasse mich ruhen und nimm mir von der Stirne den Traum und erzaͤhle mir den Traum!“ — Ihre Stimme war ganz ruhig, als sie Dieses sprach, auch mir war wohl und friedlich — ich fuͤhlte, daß ich heilte und genaß selbst; da ließ ich sie ruhen und erzaͤhlte Nichts als: „ich pfluͤckte rothe Blumen, da fielen mich drei wilde Loͤwen an und tru¬ gen mich weit durch einen Wald und unter einer Linde setz¬ ten sie mich nieder, und thaten so grimmig gegen mich, da war mir so bang, so bang!“ Als ich so weit gesprochen, druͤckte sie ihre Stirne wie Eisen so schwer auf meine rechte Schulterspange, daß es mich schmerzte und ich sie mit dem Ausruf wegdraͤngte: „bist du unsinnig?“ — Sie bebte aber vor Angst und sprach: „die Loͤwen sollen mich eher zerrei¬ ßen, als dir die Kleinode rauben, die mich heilen, wart, wart! da koͤmmt der Hahn, horch sein Schrei! die Loͤwen fliehen.“ Da kraͤhte der Hahn wirklich zum zweitenmal, ich war erstaunt, daß sie von dem rettenden Hahnenschrei mei¬ nes Traumes sprach und von dem Raube der Kleinode, wo¬ von ich selbst noch nicht gesprochen hatte, aber ich ließ mir es nicht merken und schwieg, doch wie erstaunte ich erst, als sie fortfuhr: „o armes Kind von Hennegau! das Kleinod meiner Heimath, welches mir meine Sinne geheilt hat — jetzt, jetzt, tausend Dank! sie sind heil, — die lichten Edel¬ steine von Vadutz sind gerettet und der Hahn steckte dir einen weit wunderbareren Ring an den Finger unter der Linde, und Verena mit dem frommen Huͤhnlein Gallina sah freu¬ dig zu, und ich und die Schwestern kamen aus dem Kloster Lilienthal und folgten den Brautzug und folgten dem Leichen¬ zug und standen am Grabe im Garten, und das arme Kind stand vor uns und wir leuchteten und sangen: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.“ „O wie bin ich selig, daß Alles so gut geendet!“ — So sagte also die gute Klareta den ganzen Schluß meines Traumes, von welchem ich kein Wort erwaͤhnt hatte; — sie hatte also dasselbe getraͤumt, und woher kam der Reim, den ich drei Tage vorher im Garten bei den Lilien gehoͤrt, wie¬ der in ihren Traum? — Alles das machte einen tieferen Ein¬ druck auf mich, als mir lieb war. Ich habe einen eignen Abscheu vor Wunderbarem, das meine Freiheit stoͤrt. — Ich aͤußerte Nichts davon, daß sie Dasselbe mit mir getraͤumt und sagte ganz unbefangen: „was haͤltst du von dem Trau¬ me?“ und sie erwiederte mit ernstem Ton: „einstens wird es keiner mehr seyn.“ — Ich fuhr aber fort: „was sagtest du von den Kleinoden auf meiner Schulter, du seyst durch sie geheilt, warum druͤcktest du so mit deiner Stirne darauf?“ da fuͤhlte ich an ihrer Stirne einen tiefen Eindruck von dem spitzen Steine und fuhr fort: „ist dieser unsinnige Eindruck etwa ein Beweis deiner Klugheit?“ — Da richtete sich Kla¬ reta auf und sprach mit ruhigem Bewußtseyn: „meine Her¬ rinn! ich will dir ein wichtiges Geheimniß von den Edel¬ steinen sagen, durch welche du mit dem Laͤndchen Vadutz belehnt und ich dir unterthan geworden. Es ruht in diesen Kleinodien eine wunderbare, schaͤdliche und heilende Kraft, welche ich beide erfahren habe; denn ich ward krank durch sie und bin gesund durch sie geworden vor wenigen Augen¬ blicken. Jetzt aber will ich dir sagen, woher ich das Ge¬ heimniß dieser Kleinode kenne. — Mein Vater ist uͤber Meer gezogen gegen die Sarazenen, er ließ die Mutter und uns drei Maͤgdlein zuruͤck, wir waren nicht reich und lebten von kuͤnstlicher Bildweberei. Ach! bald kam eine Botschaft, der Vater sey gefangen, wir sollten ihn ausloͤsen. Es war aber Juͤrgo, ein Edelknecht des Vaters, unser einziger Schutz und Freund. — Er war ein gar kunstreicher Weber, arbei¬ tete Tag und Nacht fuͤr uns und verkaufte auch unsre Ar¬ beit. Er that uns Alles zu Liebe und wir liebten ihn als einen Bruder. Er bot sich uns an, hinein zu reisen und den Vater zu loͤsen. Wir verkauften alle unsre Habe, um ihn mit dem Loͤsegeld auszuruͤsten und sahen ihn mit großer Be¬ truͤbniß von uns scheiden. Wir beteten viel fuͤr ihn und ge¬ lobten Gott, so er Juͤrgos Weg segne, ein Kloͤsterchen zu gruͤnden, das sollte heißen Lilienthal, und darin wollten wir Gott dienen bis an unser Ende. — Nach zwei Jahren kehrte Juͤrgo heim ins Land Vadutz ohne den Vater, der war ge¬ storben an der Pest im Hospital in Cypern. Der Kummer toͤdtete die Mutter. Wir drei Waisen waren allein ohne alle Stuͤtze, als den treuen Juͤrgo. Nach der Mutter Tod schickte es sich nicht, daß er so viel, wie sonst bei uns sey, dennoch lebte und arbeitete er allein fuͤr uns. Er verkaufte seine kleine Habe, um uns zu ernaͤhren. Er war der treueste Mensch, er that es dem Vater und mir zu lieb. Er hatte durch ei¬ nen Sonnenstich auf der Reise gelitten, er arbeitete sich schier zu Tode fuͤr uns — wir waren ihm dankbar. Er ward krank und kam von Sinnen. Ich trauerte unaussprechlich um ihn. Das edelste Herz ward aus Treue zu meinem Vater und mir ein Thor vor den Menschen. Ich konnte nicht mehr ruhen, ich glaubte mich schuldig, Alles aufzuwenden, ihm zu helfen. Ich betete Tag und Nacht und zog umher, Aerzte und fromme Maͤnner um Rath zu fragen. Als ich einst einem alten Einsiedler, der Moͤnch im Kloster Baͤnderen gewesen war, meine Noth klagte, sagte dieser: „o waͤre das Lehnskleinod von Vadutz noch hier im Lande, ihm waͤre leicht zu helfen!“ — Als ich in ihn drang, mir von diesem Klei¬ nod zu erzaͤhlen, sprach er: „mit dem Kloster Baͤnderen sey ein altes Pergamentbuch verbrannt, in welchem er in seiner Jugend viel Wunderbares von dem Ursprung der Gra¬ fen von Vadutz und ihren heiligen Kleinoden gelesen, das spaͤter, wie alles Heilige bei den Menschen vergessen worden.“ Er erzaͤhlte mir hierauf unter vielem Anderen Folgendes: „Wohl mit Recht ist das Laͤndchen Vadutz kurios zu nen¬ nen, denn Curio ein Kaiser aus Rom war sein Stifter im zweiten Jahrhundert nach Christi Geburt. Sein Eheweib hieß Docka und war durch den heiligen Theonestus heimlich getauft und eine eifrige Christin geworden. Durch sie nahm auch Curio den Christenglauben an und half in Rom den Christen manichfaltig in der Verfolgung. Curio aber be¬ kehrte einen alten juͤdischen Mann, der war zu ihm gekom¬ men mit vielem koͤstlichen Geschmeid von Gold und Edel¬ steinen, dem Kaiser das zu verkaufen. Er war ein sehr eif¬ riger Christ und hatte große Liebe zu Curio und dieser zu ihm. Die Christen aber wurden verfolgt und getoͤdtet, und der he¬ braͤische Mann ward auch gefangen und sollte gemartert wer¬ den, da gab er alle seine Edelsteine dem heiligen Theonestus, daß er den Armen damit helfen solle. Dem Kaiser Curio aber gab er ein unschaͤtzbares Kleinod, zwei schoͤne Spangen von Einhorn, worauf zwei kleine Edelsteine; die Spangen dienten das Gewand auf der Schulter zu fassen. Ehe er den Martertod starb, besuchte ihn Curio im Gefaͤngniß und er erzaͤhlte ihm, daß er aus dem Stamme Juda sey, und daß diese Achselbaͤnder einstens auf den Schultern Rebeckas geruht und von derselben in gerader Linie auf ihn vererbt seyen. — Er theilte ihm seltsame Dinge mit, die ihm von der Geschichte dieser Kleinode durch seine Voraͤltern uͤberliefert waren und die alle der Moͤnch aus dem Buche im Kloster Baͤnderen ausgeschrieben und mir gegeben hat. Ich gab sie vor einigen Tagen dem ehrwuͤrdigen Jakob von Guise, von welchem du sie begehren magst. So viel gedenk ich noch daraus. Es sind diese Kleinode das hoͤchste Heilthum, denn sie kommen aus dem Paradies, und sind sie von dem Stein, auf welchem Jakob die Himmelsleiter sah und von welchem auch der Siegelring Salomos war, durch den dieser alle seine Wuͤnsche erfuͤllen konnte. Als der hebraͤische Mann dem Kai¬ ser Curio das Kleinod der Achselbaͤnder geschenkt hatte, sprach er zu ihm: „trage diese Kleinode auf deinen Schultern und fliehe mit Weib und Kindern aus Rom, denn ich habe im Gebet erkannt, du wirst des Christenthums angeklagt wer¬ den, du sollst aber uͤber die Alpen in Rhaͤtien ziehen, dort sind viele Leute zum Christenthum bekehrt durch St. Lucius, einen Koͤnig aus Schottland; dort nun sollst du ein Fuͤrst vieler Christen werden, und ein Reich gruͤnden, das Gott wohlgefaͤllig ist. So lange du und deine Erben die Kleinode der Rebecka ungetheilt auf den Schultern tragen, werdet ihr Gluͤck und Friede haben. Ich will aber in der Stunde meines Todes deiner gedenken und sollst du die Kleinode am Tage meiner Marter segnen lassen durch Theonestus. Im¬ mer aber bedenke, du mit allen deiner Kinder Kindern, daß Jakob geruhet auf der rechten Schulter Rebeckas und Esau auf der linken, und daß mit geistlicher Staͤrkung und Heilung und Allem, was dahin gehoͤret, gefuͤllt ist das rechte Schul¬ terband, mit leiblicher Kraͤftigung, irdischem Gedeihen aber bis zur Gewaltthat das linke Schulterband. So sey dann weise und lasse Zeitliches, Irdisches, Leibliches nicht uͤberhand nehmen, neige dein Haupt zur Rechten um Rath und Trost, ehe du zur Linken Lnst und Staͤrke verlangest. Jaͤhrlich aber an meinem Sterbetag lasse den Segen uͤber die Kleinode durch einen frommen Priester erneuen. Dann auch magst du seelenkranke Menschen mit ihrer Stirne das Kleinod der rechten Schulter beruͤhren lassen, und so es ihnen zum Heile, werden sie geheilet werden, so aber der Kranke nicht selbst zu kommen vermag und ein Anderer will dessen Leid aus Chri¬ stenliebe auf sich nehmen, soll es ihm auch gedeihen. — Auch ist eine alte Sage, daß einstens der Siegelring Salomonis, der alle Wuͤnsche erfuͤllet, mit diesen Kleinoden zusammen kommen werde in den Haͤnden eines Dieners des Messias, und wuͤnsche ich, daß dieses an dir wahr werde!“— Es starb aber der hebraͤische Mann am Vorabend des Taͤufers Johannes, und ließ Curio die Kleinode segnen durch Theone¬ stus zu Ehren des Taͤufers vor 1100 Jahren am heutigen Tage, an dem ich bin geheilt worden durch die Kleinode, zur Ehre Gottes und des Taͤufers und zur Bestaͤtigung der Worte des hebraͤischen Mannes. — Aber Curio von seinem Bruder des Christenthums angeklagt, floh mit seiner Ge¬ mahlin Docka und seinen Soͤhnen uͤber die Alpen nach Rhaͤ¬ tien und fand dort Alles, wie ihm gesagt worden. Er baute viele feste Schloͤsser und Flecken und setzte seine Soͤhne dar¬ auf und gab ihnen fromme Hausfrauen, und sammelte Got¬ tesmaͤnner in Gotteshaͤusern, und die da reif waren, saͤete er aus in Gottesaͤckern und that alle Wege, wie man thut, da man neue Lande und Leute gruͤndet, das Reich Gottes zu mehren auf Erden. — Auf den beiden Schultern aber trug er die heiligen Achselbaͤnder, und wurden sie genannt die Kleinode des Landes. Von Curio kamen diese Kleinode auf seinen Enkel den Grafen Anselm von Montfort. Seine Gemah¬ linn brachte Zwillingsbruͤder zur Welt, den Wolfbrand von Ro¬ thenfahn, dessen Schild war weiß mit rother Fahne, und den Hego von Weißenfahn, dessen Schild war roth mit wei¬ ßer Fahne. Als der Graf Anselm seinem Tode nahe kam, heftete er seiner Gemahlinn die Kleinode des Landes auf die Schultern und befahl ihr, ihre beiden Soͤhne gleich vor Gott in großer Einigkeit zu erziehen und Keinem den Vorzug zu geben, und wenn sie endlich dem Einen die Lande uͤberlasse, solle sie ihm die beiden Edelsteine auf die Schultern heften und diese niemals trennen, sonst wuͤrde großer Haß und Un¬ friede entstehen. — Die Graͤfinn von Montfort that nicht so, sie liebte den Rothenfahn, der ein Schmeichler und Augen¬ diener mit rothen Wangen und einem Kirschenmund war viel mehr, als den Weißenfahn, der war treu und rein und wahr, aber weiß und bleich von Farbe; und sie hielt den Rothen¬ fahn immer zu ihrer Linken am Herzen und er schlummerte oder lauerte vielmehr immer an dem Schulterband des lin¬ ken Edelsteins, und sie wiegte ihn mit dem Reime ein: „Feuerothe Roͤselein, Aus der Erde springt der Schein, Aus der Erde dringt der Wein; Roth schwing ich mein Faͤhnelein.“ Der Weißenfahn aber mußte wie der Knecht des Bru¬ ders sein und auch meist die Strafe fuͤr ihn aushalten. So erzog sie ein rechtes Unkraut an dem Wolfbrand, und er hatte eine harte Stirne wie ein Widder, sein Sinn war zaͤh und sein Haar war kraus, und weil Hego alles mußte, was er wollte und er Alles wollte, das diesem weh that, so hatte er sich ein Spiel erdacht, das nannte er Hammelstutz. Es be¬ stand aber darin, daß er „Hammel, Hammel stutz!“ sagte und mit seiner harten Stirne gegen die Stirne seines armen Bru¬ ders rannte, daß dieser wie ein Lamm von einem Widder niedergestoßen, oft blutend zur Erde stuͤrzte; und wenn der Bruder fiel, rief der boͤse Bube: „Vadutz!“ und die Mut¬ ter und er gaben dem Hego den Spottnamen Vadutz. Die¬ ser aber war guͤtig und weise, liebte Mutter und Bruder und nahm in Allem zu. — Als nun die Mutter zum Ster¬ ben kam und einem der Soͤhne die beiden Edelsteine auf die Schulter heften und das Land uͤbergeben sollte, waͤhlte sie ihren Liebling Wolfbrand dazu. Dieser aber sprach tro¬ tzig: „ich mag den Stein da druͤben nicht, da hat der Vadutz daran geruht, er mag ihn behalten, so ich einmal Lust da¬ zu habe, mache ich Hammelstutz, da plumpst er nieder Va¬ dutz! und ich nehme ihm den Stein, das macht mir mehr Spaß.“ — Die Mutter konnte ihm nichts abschlagen; da heftete sich Wolfbrand den linken Edelstein selbst auf die linke Schulter und die Mutter uͤbergab ihm zugleich das ganze Land. Hego aber kniete mit gefaltenen Haͤnden betend am Sterbebett der Mutter und bat sie um den Segen, da hef¬ tete sie ihm den Edelstein auf die rechte Schulter und sprach: „dein Bruder hat alles Land, aber da druͤben liegt ein stei¬ ler, oder Berg, da gehen meine Schafe, ich schenke dir die Schafe und den Berg, da bau dir dein Haus.“ Der Juͤng¬ ling benetzte die Hand der sterbenden Mutter mit Thraͤnen des Dankes; — in demselben Augenblick aber ergrimmte Ro¬ thenfahn und rief: „Hammel, Hammel stutz“ und stieß den Bruder mit der Stirne nieder, daß er blutete. — Da entsetzte sich die Mutter, die Augen giengen ihr auf, sie erkannte den Unterschied zwischen links und rechts, sie gedachte des Ge¬ bots des sterbenden Grafen Anselm, die Edelsteine nicht zu trennen, sie sah den boͤsen Sohn zitternd an und sagte: „Gott verzeihe mir, ich habe himmelschreiendes Unrecht gethan, Wolfbrand, du bist ein Ungeheuer, die ganze Macht des Stei¬ nes werde an dir lebendig!“ — Da zog sie den Hego an ihr Herz, und da sie das rothe Blut von seiner weißen Stirne niederrinnen sah, riß sie die Farbe in tiefer Liebe zu ihm hin, und sie kuͤßte seine Stirne und segnete ihn nochmals und sprach: „alle deine Nachkommen sollen Zeugniß davon geben, daß dein rothes Blut zu mir geschrieen und mein Herz in meinem Tod mit Lieb und Reue erfuͤllet hat! aller Segen komme uͤber dich! — Huͤte dich vor deinem Bruder, aber raͤche dich nicht an ihm, — nein! heile mit deiner Rech¬ ten, was meine Linke verdarb, — ich werde keine Ruhe fin¬ den, bis die beiden Edelsteine vereint auf deinen Schultern ruhn!“ da starb sie. — Wolfbrand nahm die Schloͤsser und Burgen des Landes in Besitz und pflanzte seine rothe Fahne uͤberall auf. Er uͤbte große Gewaltthat an Land und Leu¬ ten, Alles floh vor ihm. — Hego zog auf seinen Berg, baute sich ein Haus und huͤtete die Heerden, welche ihm die Mut¬ ter geschenkt. Segen und Friede war mit ihm, Unsegen und Unfriede mit Jenem. Die verfolgten Unterthanen trie¬ ben ihre Heerden zu ihm und flehten ihn um Schutz. Dar¬ uͤber ergrimmte Wolfbrand immer mehr und sein Haß gegen den Bruder stieg bis zum Wahnsinn. Er hetzte ihm hung¬ rige Woͤlfe an seine Heerde, und wenn der Bruder sanft und liebvoll ihn ermahnte, rief er ihn an: „Hammel stutz — und Vadutz!“ — da nun unter dem Volk die Rede entstand, er sey nicht ihr vollkommener Herr, er trage nicht die beiden Edelsteine, das Land sey ihm nur zur linken Hand angetraut, zogen sich die Unterthanen immer mehr zu der weißen Fah¬ ne. — Indessen bauten die Unterthanen dem guten Hego ein festes Schloß auf seinen Berg, um ihn und das Seine vor dem wuͤthenden Wolfbrand zu schuͤtzen und nannten das Schloß Vadutz. Wolfbrand verlangte nun den andern Edel¬ stein von seinem Bruder und war so von Sinnen gekommen, daß er ihn herausforderte, wer von beiden den Andern mit der Stirne niederstoße, solle beide Edelsteine haben. Hego schloß sich in seine Burg Vadutz ein und ließ ihm sagen: „so du willst, stoße diese Veste nieder!“ da belagerte der un¬ sinnige Wolfbrand Vadutz, alles Volk aber verließ ihn, und als er sich allein sah, rannte er mit seiner harten Stirne so wuͤthend gegen das Thor, daß er wie todt niedersank. Hego ließ ihn hereintragen und pflegte ihn, aber es war keine Hoffnung, sein Kopf war gespalten. Da nun Hego uͤberall umfragte, ob Niemand Huͤlfe fuͤr den lieben Bruder wuͤßte, kam ein weiser, frommer Meister, der sagte ihm: „lasse sein Haupt an St. Johannis Vorabend auf dem Edelstein dei¬ ner rechten Schulter ruhen und sieh, was erfolgt.“ Das that Hego, und Wolfbrand ward ruhig und mild und ge¬ wann seinen Verstand wieder, und bat seinen Bruder um Vergebung und alle die er betruͤbet und starb in Hegos Arm einen schoͤnen Tod. Dieser aber trug nun beide Edelsteine und hatte das ganze Laͤndchen, das nannte er Vadutz, wie sein Schloß, und baute dem weisen Meister ein Kloster, wo der Leib seiner Mutter ruhte und legte den Leib Wolfbrands mit seiner rothen Fahne an ihre linke Seite. Er hieß aber das Kloster Baͤnderen, weil die Mutter den Raum dazu auf einer gruͤnen Wiese mit tief rothen Baͤndern abgesteckt hatte. — Dann regierte Graf Hego das Land Vadutz gar milde, hatte viele Soͤhne und Toͤchter, und jaͤhrlich am St. Johannisabend warden unweise, arme Menschen zu ihm gefuͤhrt, die lehnten ihr Haupt auf seine rechte Schul¬ ter, da wurden sie wieder heller Sinne. — Solches erzaͤhlte mir der alte Moͤnch aus den Kloster Baͤnderen und fuͤgte hinzu: „Sieh also, arme Klareta, waͤre das Kleinod von Vadutz noch hier auf dem Schlosse, St. Johannistag ist nahend, so duͤrfte Juͤrgo, der euch Kindern so große Treue geuͤbet, nur sein Haupt auf das rechte Schulterband unsers Grafen von Vadutz lehnen und Gott wuͤrde ihn wie den Wolfbrand von seiner Unweisheit heilen; aber du weist, daß unser Herr jetzt im Hennegau wohnet, und daß die heiligen Kleinodien nicht mehr hier im Lande sind.“ — „Das ist,“ fuhr Klareta fort, „was mir der Moͤnch von dem Geheim¬ niße der Kleinode gesagt, die jetzt auf deinen Schultern ru¬ hen. Du kannst dir denken, o armes Kind von Hennegau, daß mir das Herz brannte, dem treuen Juͤrgo zu helfen; da es aber nicht moͤglich, ihn in seinem Elend ins Henne¬ gau zu fuͤhren, erneuerte ich mit den Schwestern das Ge¬ luͤbd, ein Kloster Lilienthal zu gruͤnden, so Gott den armen Menschen heilen wollte, wenn ich aus dankbarer Menschen¬ liebe statt seiner barfuß ins Hennegau zoͤge und mein Haupt statt seiner auf das Schulterband Rebeckas lehnte. Die Schwestern wollten mich treulich geleiten, der Moͤnch aber sagte: „es sey eine ungewiße Sache, denn er wisse nicht, ob die Kraft der Edelsteine in diesen Zeiten in der Fremde noch geuͤbet werde, oder in Vergessenheit gekommen sey.“ — Ich aber konnte nicht mehr ruhen, ich opferte mich ganz auf fuͤr Juͤrgo und zog mit den Schwestern barfuß gen Hen¬ negau. Ich hatte kuͤnstlich gewebtes Bildwerk mitgenommen und ein Brieflein vom Abt des Klosters Baͤnderen an Jakob von Guise, damit ich Eingang faͤnde bei der Graͤfinn deiner Mutter. Jakob von Guise, dem ich Alles mittheilte, be¬ lobte zwar meine Christenliebe, aber er sagte mir, wie der Gebrauch der Kleinodien zur Heilung bloͤder Sinne hier zu Lande schon lange abgekommen, weil mehrmalen ein uͤbler Erfolg davon verspuͤrt worden sey, außer dem großen Ueber¬ lauf, den der Graf dadurch gehabt; was hauptsaͤchlich eine Ursache gewesen, daß er aus Vadutz ins Hennegau gezogen. Auch sey die Graͤfinn deine Mutter krank und ihr jene Kraft der Kleinode ganz unbekannt. Da ich ihn aber fußfaͤllig bat, mir zu deiner Mutter zu helfen, gieng er in seine Kam¬ mer ins Gebet und da er heraus kam, segnete er mich und sprach: „folge mir in Gottes Namen!“ da fuͤhrte er mich und die Schwestern in das Schloß. Wir wurden auch gut aufgenommen bei deiner seligen Mutter, du gedenkest dessen noch; ja du selbst trugst bei, daß sie mich unter ihr Frauen¬ zimmer nahm, dich das Bildwerk weben zu lehren, und ich brachte es so weit, daß es mir erlaubt ward, in ihrer Krank¬ heit an St. Johannis Vorabend bei ihrem Lager zu wachen. Da man mir hier gar nichts von der Kraft der Edelsteine sagte, sprach ich auch nicht davon, und harrte mit großer Angst, bis deine Mutter entschlief, um mein Haupt auf ihre rechte Schulter zu lehnen. Sie lag aber auf der rech¬ ten Seite, und statt zu beten, daß sie sich umwenden moͤge, ließ ich mich von meiner Begierde, dem armen Juͤrgo zu helfen, hinreißen. Ich sah den lichten Stein auf ihrem lin¬ ken Schulterbande blitzen und senkte meine Stirne mit dem heißen Verlangen auf diesen Stein nieder, es moͤge seine Kraft an mir wahr werden, — und sie ward an mir wahr, ich ward unweise und fuͤhrte unsinnige Reden, und sang laut die thoͤrichten Lieder des Juͤrgo. Deine Mutter erwachte, man brachte mich hinweg, und du weißt, wie ich mit mei¬ nen Schwestern nach Vadutz zuruͤck gesendet ward. Eine Gnade hatte ich, ich wußte von meinem Leide, ich wußte von Allem, was um mich her geschah, aber ich mußte thun und denken, was ich that, und wohl auch manchmal fuͤhlen, daß es im Grunde oft weiser war, als vorher. Ich wußte auch, daß Gott mir einst helfen werde, und so trug ich al¬ len Hohn ohne Murren, und opferte alles Leid Gott auf fuͤr den treuen Juͤrgo und die Seelen meiner frommen Eltern. — Jetzt ist mir wie ein Schleier, wie ein Traum von meiner Stirne genommen, und ich weiß Alles von mir aus diesen zwei Jahren, wie von einer Andern und sage es dir, du magst morgen die Schwestern darum fragen, ich zweifle nicht, daß es so gewesen. Als wir nach Vadutz heim gekommen, fanden wir Juͤrgo nicht mehr. Er war am Vorabend von des Taͤufers Tag in der Kirche des Klosters Baͤnderen be¬ tend von seinem Wahne geheilet worden zur Stunde, da meine Stirne das Kleinod in Hennegau beruͤhrte, und er hatte das Kloster nicht mehr verlassen. Sie hatten ihn aufgenom¬ men in ihren Orden. — Ich aber bin gleich bei meiner An¬ kunft in Juͤrgos Huͤtte naͤchst unserm Haus gegangen und habe mich an seinen Webstuhl gesetzt und an dem rothen Tuch fortgeweht, das er begonnen hatte, und habe seine irren Weberlieder gesungen von dem Seelchen auf der Heide, fort und fort bis dort druͤben am Zaun, wo ich dir das Tuch gegeben. — Als nun der Klostervogt von Baͤnderen zu mir kam und mir einen Schenkungsbrief Juͤrgos brachte, worin dieser mir und den Schwestern Huͤtte, Webstuhl, Garten und Alles, was er zuruͤckgelassen, schenkte, und mir sagen ließ, ich moͤchte doch das rothe Tuch fertig weben, er wolle uns dafuͤr geistlicher Weise eine Aussteuer bereiten fuͤr eine andere Welt, wunderte mich das Alles nicht, denn ich saß schon am Webstuhl nnd sang die Weberlieder, als sey das immer gewesen. — So gieng ein Jahr voruͤber, Sonnenwende nahte heran, die Schwestern hoͤrten, daß nach deiner Mutter Tod nun die Kleinode auf deinen Schultern ruhten, sie wollten mich nochmals um Huͤlfe hieher fuͤhren. Ich aber folgte nicht, denn das rothe Tuch war nicht fertig; auch fuͤrchtete ich heimlich, Juͤrgo moͤge wieder krank wer¬ den, so ich genese. Erst um diese Zeit kam mein Zustand zu den Ohren Juͤrgos in Baͤnderen, der ward sehr traurig darum und starb in kurzer Zeit eines erbaulichen Todes. Als das Sterbgloͤcklein um ihn laͤutete, schoß ich sein We¬ berschifflein zum letztenmal durch die Faͤden, das rothe Tuch war fertig, und ich selbst mahnte nun die Schwestern zur Wallfahrt ins Hennegau; — und Gott sey ewig gepriesen, heut an des Taͤufers Vorabend sind meine Sinne genesen an dem Kleinod des rechten Schulterbandes! — O armes Kind von Hennegau, nun erfuͤlle das Maaß deiner Gnade, stifte uns das Kloster Lilienthal, das wir gelobet, wir wol¬ len treulich dort beten, auf daß der Hahn die Loͤwen von dir verscheuche.“ — Nach diesen Worten kniete Klareta vor mir nieder und umarmte flehend meine Fuͤße. Ich aber, tief¬ bewegt von allem Gehoͤrten, bedurfte Ruhe, um mich zu sammeln und vermochte nur zu sagen: „Klareta gehe, danke Gott mit den Schwestern und ruhe, auch das arme Kind von Hennegau ist muͤde und muß schlafen.“ Da verließ sie das Zelt. — Ich dankte Gott auf den Knieen, ich wußte, daß er durch mich geheilt hatte. O wie arm erschien ich mir neben Klareta! Sie, die so vieles erlitten, die Treue eines Dieners zu belohnen, ließ ich schmachten, um der Fa¬ ckeln und Schallmeien willen. — Manches Eigenthuͤmliche in meinem Wesen, das ich mir selbst zugeschrieben, erschien mir nun mit der geheimen Kraft der Kleinode zusammen¬ haͤngend. — Jetzt erst verstand ich, warum nach alter Sitte den Lehnshuldinnen von Vadutz von fruͤhester Jugend so drin¬ gend eingeschaͤrft wurde, den Kopf nicht haͤngen zu lassen, sondern gerade empor zu tragen. Jetzt verstand ich, warum die Zeremonienmeisterinn bis zur Ungeduld wiederholte: „hal¬ ten sie sich gerade Graͤfinn.“ — Jetzt erst verstand ich die Worte, da mir die Lehnskleinode auf die Schulter ge¬ legt wurden: „wandle in der goldnen Mitte und waͤhle das Rechte.“ — Jetzt erst danke ich meiner Mutter und Verena, daß sie mich mit solchem Eifer anhielten, auf der rechten Seite ruhend zu schlafen; so daß sie oft in der Nacht nach mir sahen und mich weckend im Bette umwendeten, was mich nicht wenig verdroß. — Jetzt schaͤmte ich mich des Ei¬ 19 gensinns und der heimlichen Schadenfreude, mit welcher ich aus Widerspruch mich zur linken Seite wendete, sobald sie den Ruͤcken kehrten, vor Allem aber der Heuchelei, mit wel¬ cher ich mich schnell rechts kehrte, so ich sie nahen hoͤrte. — Aus diesem Widerspruch entstand eine geheime Lust, links zu schlafen, und aus dem Kampfe mit dem Gewissen entstand eine Unentschiedenheit, ob rechts, ob links zu ruhen, die mich noch jetzt stoͤret, wenn ich mich zu Ruhe lege, und welche gewoͤhnlich die Hinfaͤlligkeit des Schlafes entscheidet. — Aber ich muß auch gestehen, daß ich mich oft, wenn ich herzlich gebetet habe, mit Ueberwindung zur rechten lege, und leider mit Beschaͤmung links aufwache. — O wie viele gute Ein¬ fluͤsse des rechten Kleinodes mag ich verschlafen haben. Von nun an will ich es besser machen! — Ich dachte weiter uͤber Alles, was Klareta erzaͤhlt, und entdeckte darin mit Verwun¬ derung eine Spur meiner und der Mutter Neigung zu tief rother Farbe bis in den rothen Kirschenmund meines Ahn¬ herrn Wolfbrand Rothenfahn und die blutende Stirne des frommen Hego Weisenfahn hinein. — Gott habe sie selig! — Nach allen diesen Gedanken saß ich aufrecht auf meinem La¬ ger und kreuzte voll Ehrfurcht und guten Willens die Haͤnde und legte sie auf die Achselbaͤnder Rebeckas und betete und sagte: „gewiß, gewiß, ich will den guten Schwestern das Kloster Lilienthal gruͤnden — aber, ich muß doch erst — da uͤbernahm mich der Schlaf — die große Waͤsche zu Hause und wieder in den Schraͤnken haben — feuerrothe Roͤselein — ich nickte und sank zur linken und schlummerte ein. St . Johannis des Taͤufers Tag . Sonnenwen¬ de . — Als der Tag anbrach hoͤrte ich in der Ferne ein lieb¬ liches Singen. Ich trat vor das Zelt und hoͤrte, daß es die drei Fraͤulein waren, welche vor Tag in den Wald ge¬ gangen waren, mancherlei Kraͤuter und Wurzeln unter Ge¬ bet zu sammeln, wie es in Hennegau an diesem Tag der fromme Gebrauch ist. Sie schmuͤckten die Kapelle des Taͤu¬ fers vor dem Walde damit, auf daß sie bei dem Gottes¬ dienste moͤchten gesegnet werden, und sangen ein Danklied we¬ gen der Genesung Klaretas. Da nun meine Maͤgde kamen, nach mir zu schauen, ließ ich diese auf der Bleiche harren und ging auch zu der Kapelle. Die Schwestern vergossen Thraͤnenstroͤme, sie sprachen wenige Worte, sie kuͤßten alle drei mit Ehrfurcht den Edelstein auf meiner rechten Schul¬ ter und steckten drei große Wachskerzen in Gestalt dreier Li¬ lien vor dem Bilde des Taͤufers auf. Sie mahnten mich dadurch an das Kloster Lilienthal, aber ich ließ mich nichts merken, denn ehe ich durch das Johannisfeuer gesprungen war und den Johannisengel gekuͤßt, und mein Geraͤthe wie¬ der in den Schraͤnken hatte, konnte ich das Kloster nicht ru¬ hig bedenken. — Jakob von Guise hielt uns den Gottesdienst, meine Gespielinnen kamen auch mit den Kinderschaaren her¬ angezogen. Jeder Schaar wurde ein schoͤner Johannistopf voll Blumen vorgetragen und am Fuße des Altars nieder¬ gesetzt. Es war eine gar liebliche Andacht. Die Maͤgdlein fuͤhrten einen gesunden freudigen Knaben, den sie den Jo¬ hannisengel nannten auf einem geschmuͤckten Kinderwaͤgelein in Prozession zur Kapelle. Er war sechs Jahre alt und hieß Immel, weil er wie eine Imme gern uͤber die Blumen hin schwebte und allen lieb war. Er hatte wie ein klein Taͤu¬ ferlein ein Lammfell uͤber der Schulter und ein Kreuzfaͤhn¬ lein in der Hand und war mit Blumen geschmuͤckt. Ein Laͤmmchen lief seinem Wagen nach. Die Kinder halfen ihm aus dem Wagen und ließen ihn in ihrer Mitte in einem schoͤnen dichten Blumenkranz niederknieen. Das Lamm lag neben ihm, da saß er drinnen wie der Sommer, der in ei¬ nem Blumennest aus dem Ei geschluͤpft ist. Meine Gespie¬ linnen knieten rings um die Kinder, und hinter diesen meh¬ rere der Eltern. Es trat aber ploͤtzlich eine schlanke Frau zu der Kapelle heran und griff in den Weihbrunn und seg¬ nete sich und gieng auf den Johannisengel zu und besprengte 19 * ihn tuͤchtig und schien ihn kuͤssen zu wollen in ploͤtzlicher Freude, aber sie besann sich, erroͤthete uͤber und uͤber und trat wieder zu den anderen Frauen. Es war die Mutter des Johannisengels, den sie schier allzu lieb hat. Sie ge¬ hoͤrte wohl hier zum Feste, denn in ihr gluͤhet ein wahres Johannisengelfeuer offen unter freiem Himmel hin und her¬ wehend, und alle Engel springen durch ihr Herz, daß die lichte Lohe herausschlaͤgt, und auch der liebe Immel scheint nur ein Engel, der durch ihr Herz gesprungen, nur ein Flaͤmmchen, das aus diesem Feuer hervorgezuckt. — Wie koͤnnte ich sie nicht lieben, ich muß ja, denn wer sie anschaut, der muß singen: »Feuerrothes Roͤselein, Aus dem Blute springt der Schein, Aus der Erde dringt der Wein, Roth schwingst du dein Faͤhnelein.« Waͤhrend der Andacht sangen die drei Lilienfraͤulein gar schoͤne Lieder und nachher segnete Jakob von Guise mich un¬ ter Gebet, wobei er sprach: „in Rebecka erscheint die Ge¬ walt holdseliger Freundlichkeit uͤber die Herzen anderer, ihre Schultern, die den Krug zum Brunnen trugen, den Boten Abrahams und seine Kameele zu traͤnken, sind die Werke ihrer Menschenliebe, durch welche sie die Brautgeschmeide Jakobs verdiente, dessen Weib sie ward. Aus den Fluthen schoͤpft die Liebe Gluthen.“ — Dann segnete er die Spange auf meiner rechten Schulter mit den Worten Isacks zu Ja¬ kob: „Gott gebe dir vom Thaue des Himmels und dem Fette der Erde die Fuͤlle an Korn und Wein und Oel“ und hierauf die linke Spange mit den Worten zu Esau: „dein Segen wird seyn vom Fette der Erde und vom Thaue des Himmels von oben her.“ — Auch sprach er Worte von den Schulter¬ spangen Aarons und sodann: „gieb deine Fuͤße in die Fesseln der Weisheit und nimm ihr Halsband an deinen Hals, neige deine Schultern und trage sie und habe keinen Verdruß an ihren Banden, zuletzt werden dir ihre Fesseln ein starker Schirm, und ihr Halsband ein Ehrenkleid seyn; denn in ihr ist die Zierde des Lebens, und ihre Baͤnder sind Baͤnder des Heils, du wirst sie wie ein Ehrenkleid anlegen und wie einen Freudenkranz aufsetzen.“ Hierauf sprach er den neunzigsten Psalm und segnete bei den Worten: „er wird dich mit sei¬ nen Schultern uͤberschatten und deine Zuversicht wird unter seinen Fluͤgeln seyn.“ — Sodann sprach er noch: „da du geboren wurdest, sang man: uns ist geboren ein Kindelein, sein Reich ist auf den Schultern seyn.“ — Da machte er mir ein Kreuz auf die beiden Schultern, wobei er sprach: „trage dein Kreuz und folge nach, trage deinen Naͤchsten, wie Gott dich traͤgt, trage Niemand etwas nach, trage nicht auf beiden Schultern, nimm fremde Buͤrde nicht auf die leichte Achsel, zucke die Achsel nicht gegen den Huͤlfesuchen¬ den, wandle in goldner Mitte und waͤhle das Rechte am Scheideweg, deine Linke wisse nie, was deine Recht giebt, dein Reich sey Gnade auf deinen Schultern u. s. w.“ — Dann segnete er auch die drei Schwestern und alle meine Gespielinnen und die Kinder; da er mit den Weihbrunn ge¬ gen den Johannisengel trat, drang dessen Mutter durch die Menge heran, kniete hinter dem Knaben nieder, schloß ihn mit beiden Armen an ihre Brust, streckte ihr Haupt uͤber seinem Blumenkranz hervor und so empfingen sie den Segen zusammen wie Thau des Himmels in Kranz und Locken. Es sah dieses gar ruͤhrend aus. Jetzt erhoben wir uns alle von den Knieen, alle meine Freundinnen kuͤßten das Kleinod auf meiner rechten Schulter und ich umarmte sie. Als ich nun auch die Mutter Immels, umarmt hatte, legte sie mir ungestuͤm den Johannisengel ans Herz, aber ich gedachte Wolfbrands, der im linken Arme seiner Mutter durch Lieb¬ kosung verunstaltet worden und nahm den Immel in den rechten Arm, und er kuͤßte das Kleinod zur Rechten. Ich setzte ihn nun wieder in sein Waͤgelein, das die Kinder her¬ beigefuͤhrt hatten, und Jakob von Guise sprach nun zu den versammelten Muͤttern: „Ihr lieben Muͤtter bedenket bei die¬ sem Feste; schon unter dem Herzen Elisabeths huͤpfte Jo¬ hannes dem Herrn entgegen, da dieses Herz die Mutter des Herrn begruͤßte; so sollen alle Mutterherzen thun, um ihre Kinder dem Herrn entgegen zu bringen. — Fruͤhe schon trennte Elisabeth den kleinen Johannes von ihrem Herzen und fuͤhrte ihn nach Gottes Willen in die Wuͤste, damit er unberuͤhrt von Weichlichkeit, stark werde, damit er kein Sklave werde durch zaͤrtliche Liebkosung und kein Tyrann durch Schmeichelei und befriedigten Eigenwillen; — so sollen alle Mutterherzen thun, sobald ihre Kindlein wandeln koͤnnen, sollen sie sie fuͤhren auf die ernsten Wege der Zucht und Gottesfurcht; wir haben das Paradies der Lust verloren und muͤssen lernen, in die Wuͤste der Buße zu wandeln. Wenn die Mutter sich auch nicht wirklich von ihrem Kinde trennt, wird sie ihm doch eine heilsame Wuͤste bereiten, indem sie gerecht und streng ihm auch die Dornen und nicht allein die Rosen darbietet. — Johannes sollte werden die Stimme des Rufenden, der den Weg und die Wahrheit verkuͤnde, darum ward er von Elisabeth in die Wuͤste gebracht, auf daß seine Zunge von aller Suͤnde rein bleibe; — so trennt jede fromme Mutter ihr Kind von allen weichlichen, verfuͤhrenden Eindruͤcken und wacht uͤber seine Sinne, daß sie rein und wuͤrdig bleiben, der Wahrheit allein zu dienen. — O bedenket ihr Muͤtter, nicht in den Armen der Mutter, nicht unter ihren Liebkosungen, nicht in der Befriedigung seiner Geluͤsten — nein in der Wuͤste der Zucht und des Gehorsams kam die Stimme des Herrn zu Johannes. — O bedenket ihr Muͤtter, in der Wuͤste ward Johannes vor dem Morde der unschuldigen Kindlein bewahrt; so bewahret denn auch ihr in der Wuͤste der ernsten Zucht eure unschuldigen Kinder vor dem Morde der Welt und ih¬ res Fuͤrsten. — Das Herz eurer Kinder ist in eure Hand ge¬ geben, wie das biegsame Wachs in die Hand des Kuͤnst¬ lers, er kann gute Engel, er kann boͤse Engel daraus bil¬ den. — Wie oft ihr Muͤtter, nennt ihr eure Kinder Engel, o bedenket, daß es Engel gibt, die nicht in der Wahrheit geblieben, Engel, die durch den Schmuck auf ihrem Herzen stolz geworden, die bei ihrer Schoͤnheit die Weisheit verloren haben und gestuͤrzt worden sind. Gott gebe euch die Gnade, eure Kinder, wie auch heute diesen kleinen Johannisengel in die Wuͤste der Zucht zu begleiten!“ — Hierauf wendete Ja¬ kob von Guise seine Rede zu den Kindern und sprach: „zum Gedaͤchtniß, daß der Knabe Johannes von seinen Eltern fruͤh in den Wald verborgen ward, wo er mit Kraͤutern und Blumen, mit Fischlein und Voͤglein und allem Gethier ein unschuldiges heiliges Leben fuͤhrte, von Gottes Engel gehuͤ¬ tet, von Gottes Gnade bethaut, ziehet ihr jetzt mit dem klei¬ nen Johannisengel spielend in den wilden Wald und seg¬ net und pfluͤcket mit unschuldigen Haͤnden allerlei Heilkraͤuter, welche nun in der Sonnenwende in ihrer hoͤchsten Kraft stehen. Alle Jahre kommen diese Kraͤuter wieder, koͤmmt dieses Fest wieder, so sey dann eure Andacht und Freude auch heute und alle Jahre in hoͤchster Kraft, und wenn ihr die Johan¬ niskraͤutlein oder Bluͤmlein findet, so zeigt sie dem kleinen Immel, dem Johannisengel, daß er sie breche und in den Korb lege, dabei soll er sprechen: »O lieber Gott im Himmel Segne den kleinen Immel, Segne um das Taͤuferlein Das arme Johannisengelein; Dein Segen komm' auf seine Hand Und auf das Kraͤutlein, das er fand, Und fuͤhre den kleinen Immel Unschuldig einst in den Himmel!« Wenn ihr nun das Kraut Artemisia, Johannisguͤrtel genannt findet und kleine Guͤrtel daraus flechtet, sollt ihr sprechen: »Um Sankt Johannes das Taͤuferlein, Sein wohlgeguͤrtet Vorlaͤuferlein, Segne mir Gott dies Guͤrtelein, Daß, wen es guͤrtet, auf allen Wegen Dir unermuͤdet laufe entgegen!« Wenn ihr nun die heilsame Farrenkrautwurzel aus der Erde grabt und kleine Haͤndchen daraus schnitzelt, die man Johannishaͤndlein nennet, und diese anhaͤngt in der frommen Hoffnung, Gott moͤge auf die Fuͤrbitte Johannis, dessen Hand auf das Lamm Gottes gezeiget und den Herrn getauft, uns an Leib und Seele vor Ungluͤck bewahren, so sprechet dabei: »Der Taͤufer zeigt mit seiner Hand Auf Gottes Lamm am Jordansstrand, Wir schnitzen Johannishaͤndelein Und tragens an einem Baͤndelein, Gott schuͤtz uns auf Wegen und Stegen Und fuͤhr uns dem Lamme entgegen!“ Ihr werdet auch das Heilkraut Johannisblut sammeln; sein rother Saft erinnert uns, wie der Taͤufer sein Blut fuͤr das Lob der Wahrheit vergoß, auf daß wir Gott bitten, daß er uns vor der Verletzung des Leibes und der Seele durch falsches Lob, neidischen Blick, Schmeichelei u. s. w. behuͤte; dabei sprecht: „Johannes, wie ist dein Blut so roth, Du starbst fuͤr Wahrheit den Martertod; Und wo dein Blut geflossen ist, Das Blutkraͤutlein entsproßen ist. Um dich, der wahres Lob erhob, Behuͤt uns Gott vor falschem Lob, Vor boͤsem Blick, vor heimlichem Neid, Wobei nicht Leib, noch Seel gedeiht.“ Und wenn ihr gegen Abend die leuchtenden Johannis¬ wuͤrmlein fliegen sehet, so gedenket an die Worte: „und das Licht leuchtet in der Finsterniß, und ein Mensch von Gott gesandt, Johannes gab Zeugniß von dem Licht!“ — desglei¬ chen denket, wenn ihr dann am Abend um die Johannisfeuer tanzet und springet. So thut, liebe Kinder und auch ihr Erwachsene in Allem, dann werdet ihr auch im Wald und Feld in aller unschuldigen Freude Gottes Lob und Ehre ver¬ kuͤnden.“ — Nach dieser Ermahnung segnete der liebe fromme Greis nochmals alle Anwesende und kehrte in sein Kloster. — Hierauf zogen die Kinder mit dem Johannisengel in den Wald, die rosige Mutter Immels zog mit hinein, und die Kinder nannten sie heute die rosige Mutter Elisabeth und schmuͤckten sie dicht mit Rosen; denn ein Pilger hatte erzaͤhlt, nirgends gaͤbe es im heiligen Lande so viele Rosen, als im Thale St. Johann, wo der Taͤufer geboren ist. Wir alle gaben dem Zuge das Geleit, und meine Ordensgespielen gin¬ gen ganz mit, um die Aufsicht uͤber die Kinder zu haben. Sie hatten einen Kessel und Hirse bei sich, um den Kindern einen Brei zu kochen. Als diese dem Wald nahten, sangen sie mit dem Johannisengel folgendes Lied in Fragen und Antworten. Zuerst zupften sie ihn an seinem Lammsfell und fragten, was fuͤr ein Rock dies sey und sangen dann von Zeit zu Zeit neue Fragen: Kinder. — Sag Engel Johannes, welch Roͤcklein ist dies? Immel. — Dem himmlischen Kaiser sein goldnes Vlies. K. — Sag Engel Johannes, wo steht dann dein Haus? I. — Es steht in dem wilden Walde da draus. K. — Sag Engel Johannes, wovon ist's gebaut? I. — Von Eichen, von Buchen, von Gras und von Kraut. K. — Ist gut auch gedecket dein lustiges Haus? I. — All Fruͤhling bluͤht neu drauf des Zimmermanns Straus. K. — Wo hast du, o Engel, dein Schlafkaͤmmerlein? I. — Nicht weit von Frau Echo im Felsengestein. K. — Und wo ist dein Tischlein, dein Stuhl, deine Bank? I. — Das Alles das ist mir der Erdboden blank. K. — Sag, was fuͤr Gerichte bereitet dein Koch? I. — Wilden Honig, Heuschrecken die ganze liebe Woch' K. — Johannes, o lad' uns zu Gaste heut ein! J. — Von Herzen, wenn ihr in der Faste wollt sein. K. — Und was wird besonders uns heut aufgetischt? J. — Was man so an Hecken und Straͤuchern erwischt. K. — Sag, Engel Johannes, ist klar auch dein Wein? J. — Mond, Sonne und Sternlein die spiegeln sich drein. K. — Wer sind, o Johannes, deine Nachbarsleutlein? J. — Die Hirschlein, die Haͤslein, die Waldvoͤgelein. K. — Johannes, was soll unser Gastgeschenk sein? J. — Wer mit ißt, empfaͤngt ein Johannisguͤrtlein. K. — Geschuͤrzt und geguͤrtet, da laͤuft man viel Stund; J. — Und wird nimmer muͤde und laͤuft sich nicht wund. K. — Sag Engel, was soll unser Abschied dann seyn? J. — Daß Jedem ich reich das Johannishaͤndlein. K. — Wohin zeigt dem Haͤndlein sein Fingerlein fein? J. — Hin auf das Lamm Gottes, dem folget allein. K. — Sag Engel, zum Schlusse, giebt's auch einen Tanz? J. — Ums Feuer, ums Feuer mit Kranz und mit Glanz. K. — Beim Heimgang, wer wird ein Laternchen uns leihn? J. — Die Sternchen und tausend Johanniswuͤrmlein. Als sie so weit gesungen hatten, kamen sie zwischen viele Rosenhecken und Johannisbeerstauden und begannen lustig durcheinander zu schreien: „Feuerrothe Roͤselein, Aus der Erde springt der Wein, Aus dem Blute dringt der Schein, Schwingt das rothe Faͤhnelein!“ Da fingen sie an die Beeren zu essen und den Johan¬ nisengel und seine rosige Mutter mit den Roͤselein zu be¬ kraͤnzen. — Hier verließ ich den Zug mit den drei Lilien¬ fraͤulein, da wir an die Johanniskapelle zuruͤckkamen, hatte Jakob von Guise so eben viele Wachskerzen gesegnet, er theilte sie uns und vielen Anwesenden aus und fuͤhrte uns in Prozession, Gottessegen erflehend, um die Felder. In der Naͤhe der Stadt trennte ich mich von der Schaar und begab mich mit meinen Maͤgden in das Schloß. In mei¬ nem Gemache fand ich eine große Freude. Da trat mir mein liebes Herzgespann mit dem schoͤnsten Johannisengel entge¬ gen. Sie hatte ihr Kindlein, das liebste Roͤschen mit den schoͤnsten Blumen umgeben und legte mir diesen laͤchelnden Johannisstrauß in die Arme. Ich dankte ihr von Herzen und lehnte das liebe Kind mit heißem Wunsche, Gott moͤge es segnen, an meine rechte Schulter. Ich betete still und gab es der Mutter wieder, die es aus den Blumen wickelte und auf mein Kissen legte. — Nun erzaͤhlte ich dem lieben Herzgespann die Heilung Klaretas und das Geheimniß der Kleinode, da lehnte sie ihr Haupt unter Thraͤnen auf meine rechte Schulter und sprach mit großer Junigkeit: „Amey! wie waͤchst mir der Frieden im Herzen, sieh, ich habe im¬ mer geahndet, es muͤße etwas Heiliges an dir seyn, darum machte es mich auch so gluͤcklich, als du mein Roͤschen zu¬ erst in den Garten trugst, du hast es doch auf dem rechten Arme getragen?“ — „Ja,“ erwiederte ich: „aber faͤllt dir Nichts ein, was du einmal zu mir gesagt, da wir zusam¬ men im Kloster erzogen worden? ich habe gleich daran ge¬ dacht, als Klareta mir heute das vergessene Geheimniß der Achselspangen wieder eroͤffnete.“ — „O ich habe dich noch nie vor mir wandeln sehen,“ erwiederte mein Herzgespann, „ohne daran zu denken; — es war, da ich zum erstenmal in der Prozession das Marienbildlein mit dir auf den Schul¬ tern trug; wir waren vier Jungfrauen, und ich wandelte hinter dir, immer mußte ich deine Schultern anschauen, im¬ mer erwartete ich, es sollten Engelsfluͤgel daraus hervorspro¬ ßen, weißt du noch, wie ich dich zu Haus umarmte und dir so ernsthaft sagte, es sey nicht ohne Bedeutung gewesen, daß in der Stunde deiner Geburt gesungen ward: „uns ist ein Kindlein geboren, sein Reich ist auf seinen Schultern“ und daß dein Vater dich mit der Grafschaft Vadutz be¬ schenkte, indem er die Kleinodien auf die Schultern deiner Mutter heftete; — sieh, damals schon, als Niemand mehr etwas von der Bedeutung dieser Edelsteine wußte, ahndete ich eine wunderbare Macht in deinen Schultern, und wie oft hast du mich fragen muͤssen, warum ich in meinen Betruͤb¬ nißen mein Haupt immer auf deine rechte Schulter lehne, da ich mich doch an deinem Herzen ausweinen koͤnne? — aber ich lehnte mein Haupt wieder hin und sagte: O Amey, ich weiß es nicht — aber wenn mein Herz schwer ist, lege ich meine Last auf deine Schulter, denn in ihr ist deine Macht; — sie kann mehr tragen als dein Herz! — sieh Amey, es war die Kraft jener Kleinode, die ich fuͤhlte; und ich bitte dich, bedenke den Wunsch der Lilienfraͤulein, stifte ihnen ein Kloster Lilienthal, du hast durch sie deinen groͤßten Schatz, der versunken war, wieder gehoben; — o thue mir auch diese Liebe noch zu dem Vielen, was ich dir verdanke.“ — „Du mir?“ sprach ich, „mir, welche in dei¬ nem Frieden, deiner Milde und Schonung immer allen Trost gefunden hat.“ — „Amey,“ erwiederte sie, „alle der Friede ist von dir, ist von Gottes Gnade, Gottes Kraft, welche in dem Edelsteine wohnet.“ — Da umarmten wir uns und ich versprach ihr, wegen dem Kloster Lilienthal mit frommen Maͤnnern zu Rathe zu gehn, so etwas muͤße reichlich uͤber¬ legt seyn, und es muͤße doch auch erst das Johannisfest vor¬ uͤber und meine große Waͤsche wieder in den Schraͤnken seyn; in welchem beidem sie mir vollkommen Recht gab. — Kaum hatte sie mich mit ihrem Kindlein verlassen, so kam Jakob von Guise, den ich darum gebeten hatte, nach der Prozession zu mir. Ich erzaͤhlte diesem in geistlichen und weltlichen Dingen hochbewanderten Mann, der eine Chronik des Lan¬ des Hennegau bis zur Erschaffung der Welt hinauf zu schrei¬ ben begonnen, Alles, was ich diese Nacht durch Klareta von dem Ursprung und der Kraft der Achselbaͤnder erfahren und wie die Heilung Klaretas diese Kraft bestaͤtiget habe. Auch dankte ich ihm, daß er heute Morgen in der Kapelle den Segen der Kleinode erneuert, und fragte ihn, wie ich mich zu verhalten haͤtte, so die Kraft der Kleinode bekannt wuͤr¬ de. — Jakob von Guise hoͤrte Alles ruhig und ohne beson¬ deres Staunen an, dann und wann laͤchelte er, freundlichen Beifall gebend, oder richtete die Augen gegen Himmel. Er sprach: „Alles dieses befremdet mich nicht, wir wollen Got¬ tes Gnade darin bewundern und treu bewahren, wir wollen danken, daß keine Suͤnde darin ist und bitten, daß wir nicht versucht werden. Unser Zusammenhang mit dem ersten Menschenpaar ist uns so nah und gewiß, als Suͤnde, Tod und Erloͤsung; wie sollen wir groß staunen, die Spangen Rebeckas, den Stein Jakobs, den Ring Salomonis mit Vadutz und Hennegau in Beruͤhrung zu sehen, habe ich doch in meiner Chronik die nahe Verwandtschaft des Volkes Got¬ tes mit dem Lande Hennegau augenscheinlich bewiesen. Faͤnde aber solche Verwandschaft nicht uͤberall statt, wie waͤre dann die Geschichte jenes Volkes eine heilige Geschichte, und was ginge sie uns an. — Daß die Kraft der Kleinode bekannt werde, ist weder zu suchen, noch zu verhindern. Gott hatte sie verborgen, Gott hat sie wieder zu Tage gelegt, wir wol¬ len einen heiligen Gebrauch davon machen, wie von uns selbst. Bei der Geburt des armen Kindes von Hennegau ward gesungen: „sein Reich ruht auf seinen Schultern,“ wie soll es nun dieses Reich recht regieren, als nach dem Gesetze: „nimm dein Kreutz auf dich und folge mir nach!“ Erwaͤge und befolge, was ich dir heute Morgen in des Taͤu¬ fers Kapelle gesagt, da ich dich und die Kleinode segnete, und du wirst sie wuͤrdig auf deinen Schultern tragen. — Nun will ich dir auch die alten Sagen vom Ursprung der Achselbaͤnder Rebeckas mittheilen, welche der Moͤnch von Kloster Baͤnderen der Klareta mitgegeben und diese mir uͤber¬ reicht hat. Ich habe noch Einiges dazu geschrieben, was ich auf eine so merkwuͤrdige Weise vernommen habe, daß es mir nicht ganz verwerflich schien. — Am Tage St. Ser¬ vatii ging ich von des Taͤufers Kapelle tiefer in den Wald zu meiner Einsiedelei, um ruhiger die Schrift uͤber die Klei¬ node zu lesen, die mir Klareta gegeben. Als ich still wan¬ delnd hin und wieder am Wege einige Kraͤuter brach, be¬ gegnete mir mit fluͤchtigem Schritt ein sehr alter, fremdar¬ tig gekleideter Mann von juͤdischem Aussehen. Da ich nun sehr gern mit solchen Leuten spreche, welche Vieles erlebt, das ich in meine Chronik gebrauchen kann, lud ich ihn nach freundlichem Gruße ein, ein wenig bei mir in der kleinen Einsiedelei zu ruhen, in deren Naͤhe wir angelangt waren. Als ich vom Ruhen sprach, zitterte er, blickte mich an, Thraͤnen floßen von seinen Augen, sein Schritt ward noch eilender und er sprach, indem ich neben ihm her lief: „ich suche Ruhe, aber ich werde sie erst finden, wenn alle ruhen, ich bin Cartophilax, der ewige Jude, Ananias hat mich ge¬ tauft, als Christ heiße ich Joseph, aber ich darf nicht ru¬ hen bis ans Ende der Tage, und doch muß ich immer da¬ hin streben, wo ich Ruhe finden koͤnnte, und komme ich dem Orte nah, so verdoppelt sich meine Flucht.“ Ich fragte ihn, ob er dann hier zu Lande Ruhe finden koͤnne, weil er seine Schritte so beschleunige, da erwiederte er: „der Fels von Edelstein, an dem ich ruhen koͤnnte, ist zersplittert uͤber die ganze Erde; der Stein Sakrath, auf dem ich ruhen koͤnnte wie Jakob, ist zersprungen in drei Theile, ich habe ihn gesucht in Bethel, im Tempel und in St. Eduards Stuhl in England und mußte uͤberall fliehen; von England komme ich und koͤnnte nun hier ruhen an der Schulterspange Rebeckas, welche allen Menschen Friede giebt, aber ich muß fliehen, denn ich habe dem, dessen Reich auf seinen Schul¬ tern war, keine Ruhe gegoͤnnt.“ Kaum hatte er die Schul¬ terbaͤnder der Rebecka erwaͤhnt, als ich ihn beschwor, mir zu erzaͤhlen, was er davon wisse; und er theilte mir man¬ cherlei davon mit, auch wie sie durch den hebraͤischen Maͤr¬ tyrer an Kaiser Curio gekommen und noch bei den Lehns¬ traͤgern von Vadutz seyen. Was er aber Alles aus juͤdischer und morgenlaͤndischer Voͤlker Geheimlehre davon erfahren, schrieb ich mit der Schrift des Moͤnchs aus Baͤnderen zu¬ sammen und werde dir es uͤberreichen, daß du es deinen Tagebuͤchern beifuͤgest. — Da mich dieser entsetzliche Mann nun zu großem Mitleid bewegte, sagte ich zu ihm: „Joseph komme mit mir, die Traͤgerinn der Achselbaͤnder Rebeckas ist milde, sie wird deinem Haupte gern vergoͤnnen ein we¬ nig zu ruhen;“ er aber erwiederte mit erschreckendem Ernst: „ich werde nicht ruhen, als bis alle zerstreuten Edelsteine wieder gesammelt sind um den verworfenen Eckstein des Tempels, den auch ich von mir gestoßen!“ Nach diesen Worten brach er in Wehklage aus und wollte durch die Buͤ¬ sche hinweg eilen, aber ich faßte ihn am Mantel mit den Worten: „erst sage mir von allem Mitgetheilten, was ist Wahrheit?“ — Ihn aber durchzuckte diese Frage mit schreck¬ licher Erinnerung, er zitterte, blickte mich an und erwiederte: „Wie du fragest, so fragte Pilatus den, der gesprochen, ich bin in die Welt gekommen, der Wahrheit zum Zeugniß, wer aus der Wahrheit ist, der hoͤret meine Stimme. — Weh mir! ich war nicht aus der Wahrheit, aber ich hoͤrte doch ihre Stimme, sie sprach zu mir, der sie fortstieß auf den Leidensweg: „ich gehe, und du sollst gehen, bis ich komme“ — das geschah nach der Frage, was ist die Wahr¬ heit? und so irre ich der Wahrheit zum Zeugniß uͤber die Erde bis zum Tage, da sie wiederkehrt.“ — Nach diesen Worten riß er sich von mir los und floh so eilend durch die Buͤsche hinweg, daß ich ein Kreuz hinter ihm schlug. Moͤge ihn der Segen erreichen!“ — Weiter sprach Jakob von Guise zu mir, ich moͤge keine Sorge wegen den Kleinodien haben, es koͤnne sich ja gar leicht bald etwas mit mir aͤn¬ dern, ich soll nur streben, mich der Wirkung der linken Seite zu entziehen und der rechten hinzugeben, ich moͤge bedenken, daß mir gesagt sey, der Siegelring Salomonis werde einst mit diesen Spangen zusammen kommen, und dann komme Alles darauf an, das Rechte zu wuͤnschen. Das Kloster Li¬ lienthal solle ich aus Dankbarkeit gegen Gott den armen Fraͤulein stiften; eine staͤte Fuͤrbitte sey mir bei solchem Be¬ ruf sehr zu wuͤnschen. — Ich versprach ihm, nach seinem Rathe zu thun, kniete nieder, empfieng seinen Segen und er verließ mich, nachdem er mir die Schrift uͤber den Ur¬ sprung der Kleinodien uͤberreicht hatte, die ich hier meinem Tagebuch beifuͤge. Von den Lehnskleinodien von Vadutz . — Ich Jakob von Guise habe folgende Sagen, Meinun¬ gen, Geheimniße und Ueberlieferungen von den Schulterspan¬ gen der Rebecka, dem Stein Jakobs bei Bethel, dem Sie¬ gelring Salomonis, dem Stein Sakrath u. s. w. fuͤr meine Landesherrinn, Graͤfinn Amey von Hennegau, Lehnshuldinn von Vadutz, zusammengeschrieben aus einer Schrift, welche mir Klareta zur Lilien, ein Fraͤulein aus Vadutz mitgetheilt und aus dem, was mir Carthophylax, der da ist der ewige Jude, am St. Servatiustag im Walde erzaͤhlt. Als ich die¬ sen Cartophylax gefragt: „was hievon ist Wahrheit?“ ant¬ wortete er, „nur der sey die Wahrheit, den Pilatus gefragt, was ist Wahrheit?“ Dasselbe erwiedere auch ich Jakob von Guise Jedem, der mich fraget, was an diesen Erzaͤhlungen Wahrheit sey. — Wahr ist, daß ich sie vernommen habe als Reden der auf der Erde spielenden Menschenkinder seit Jahr¬ tausenden. Ob sie dieselben fuͤr wahr gehalten, weiß ich eben so wenig, als ob sie wahr sind. Die Geschichte der Kinder Gottes sind diese Erzaͤhlungen nicht. Da aber die Kinder Gottes nach den Toͤchtern der Menschen gesehen hat¬ ten, wie sie schoͤn waren, erzaͤhlten sie sich Menschenkinder¬ maͤhrchen, die waren kristalisirt in Formen der Wahrheit und waren doch nicht die Wahrheit und rollten von Mund zu Mund im Strom der Rede zu uns nieder, bis sie rund und bunt waren gleich Kieselsteinlein, mit denen auch wir spie¬ len. Einige dieser bunten Steinlein aber habe ich hier gesammelt zum Spiele fuͤr das arme Kind von Hennegau, meine gnaͤdige Herrinn, auf deren Schultern die Lehnskleinode von Vadutz ruhen. Aus den sieben Schichten der jungfraͤulichen Erde ließ der Herr sich den edelsten Staub durch den Engel reichen und bildete den ersten Menschen daraus, und da er ihm eine lebendige Seele eingeblasen, ward der Rest jenes Staubes ein Fels der koͤstlichsten Edelsteine, worin alle Art und Kraft und alles Geheimniß jener zwoͤlf Edelsteine vereinigt war, die in spaͤteren Zeiten auf dem Brustschild und den Schul¬ terspangen Aarons schimmerten. Dieser Fels ward mit Adam in das Paradies versetzet, und er wohnte bei ihm. Er war sein Altar und von ihm aus sprach der Herr mit ihm. Als unsere ersten Eltern nach der Suͤnde aus dem Paradiese auf die Erde gestoßen wurden, ward auch der Edelsteinfel¬ sen hinabgeworfen, er zertruͤmmerte und ward in vielen Thei¬ len uͤber die Erde zerstreut. — Als die Menschen nun Klei¬ der empfingen, sich zu bedecken, ward das Kleid Evas mit Spangen von Einhorn, worin Koͤrnlein dieses Edelsteins, auf den Schultern geschuͤrzt. — Wie nun jetzt im Herzen des Menschen Gutes und Boͤses, Rechtes und Linkes war, so war auch ein Wiederspruch in die Truͤmmer dieses Felsens gekommen. Alle Stuͤcke der linken Seite wirkten irdisch und leiblich, alle Truͤmmer der rechten Seite aber himmlisch und geistlich. — Wo die Menschen Altaͤre bauten, fuͤgten sie Bruch¬ stuͤcke dieses Felsens hinein. Abels Altar enthielt Truͤmmer der rechten, Kains der linken Seite. — Die Toͤchter der Men¬ schen suchten funkelnde Koͤrnlein der linken Seite des Fel¬ sens, die schoͤner schimmerten, und schmuͤckten ihre Schul¬ tern damit, wodurch sie boͤsen Zauber uͤbten. — Ein gro¬ ßes Bruchstuͤck des Felsens, das auf die Erde fiel, hieß Sakrath und war das Fundament des wunderbaren Berges Kaf, der die ganze Erde umfaßt. Wer ein kleines Koͤrnlein dieses Steines Sakrath besitzt, kann große Wunder thun. 20 Als Noah in die Arche ging, trug sein Weib die Achselspan¬ gen Evas auf den Schultern. — Nach der Suͤndfluth wa¬ ren die Truͤmmer jenes Felsens noch weiter zerstreut, und der Fundamentstein des Berges Kaf, der Stein Sakrath, war herausgewaͤlzt und lag im Lande Kanaan. — Abraham wußte, daß die linke Schulterspange Evas in Labans Familie in Mesopotamien war. Er selbst besaß nur die rechte Spange und er sendete seinen Knecht Elieser dahin, die Besitzerinn dieses Kleinods fuͤr Isack zum Weibe zu hohlen. Als nun dieser dort zum Brunnen kam und Rebecka den Krug von der Schulter nahm, um ihm zu trinken zu geben, sah er, daß sie die Spange auf der Schulter trug und erkannte dar¬ aus, daß sie die Frau Isacks werden solle; denn die Truͤm¬ mer des Edelsteinfelsens waren heilige Zeichen, wo sie sich fanden, und die Altvaͤter suchten sie uͤberall auf und brach¬ ten sie zusammen, wie sie nur konnten, weil sie eine Pro¬ phezeihung hatten, wenn der ganze, bei Adams Fall zer¬ truͤmmerte und uͤber die Erde zerstreute Edelsteinfelsen wie¬ der beisammen sey, werde ein Tempel daraus gebaut werden und in diesem sich die Verheißung erfuͤllen. — Unter den Ge¬ schmeiden und Armbaͤndern, welche der Knecht Abrahams der Rebecka als Brautgeschenk am Brunnen anlegte, war auch das rechte Achselband, und da nun die beiden Edelsteine auf ihren Schultern ruhten, war eine große Anmuth, ein schoͤnes Ebenmaas leiblicher und geistlicher, zeitlicher und ewiger Kraft in ihr. — Als spaͤter Rebecka dem Jakob den Segen Isacks vor Esau verschaffen wollte, befestigte sie ihm das Kleid von rauhen Fellen mit diesen Spangen auf die Schultern und da der Erstgeborne diese Kleinode tragen sollte, hielt ihn der blinde Isack fuͤr Esau. — Esau faßte Haß ge¬ gen Jakob und raubte ihm die linke Spange, sein Haß ward durch leibliches, irdisches Gedeihen viel ungestuͤmer und gewaltiger. — Als Jakob nach Mesopotamien zog, um sich bei Laban, dem Bruder seiner Mutter, vor der Verfolgung Esaus zu retten, kam er an die Stelle Lus in Kanaan, wo der Stein Sakrath lag, und da er sein Haupt darauf legte und schlief, sah er eine Leiter von der Erde bis zum Him¬ mel; die Engel stiegen auf ihr auf und nieder, und von oben gab ihm Gott die Verheißung; da richtete er den Stein Sakrath auf und salbte ihn mit Oel zu einem Altar, und er nannte den Ort Bethel. — Als Jakob mit Weib und Kind aus Mesopotamien zuruͤckkehrte und sich mit Esau zu Maha¬ naim versoͤhnte, gab ihm dieser die linke Achselspange zuruͤck, und Jakob wandelte wieder ruhig zwischen beiden. — Von Jakob kamen nun diese Kleinode von Geschlecht zu Geschlecht bis zu dem hebraͤischen Mann, der sie nach der Zerstoͤrung Jerusalems nach Rom brachte und vor seinem Martertode dem guten Kaiser Curio schenkte, von dem sie auf die Lehns¬ hulden von Vadutz gekommen sind. — Der Stein Sakrath, auf welchem Jakob die Himmelsleiter gesehen, hieß fortan Bethel und war lange Zeit ein Ort der Anbetung, und es geschah viel Gnade dort. — Ueberall, wo man Bruchstuͤcke des zertruͤmmerten Edelsteinfelsens aus dem Paradiese fand, richteten die Menschen sie auf, salbten sie zu Altaͤren, und nannten sie Bethel, und viele, welche nur Bruchstuͤcke von der linken Seite des Felsens fanden und denen die Kenntniß der rechten nicht von Vater auf Sohn uͤberliefert war, trieben Abgoͤtterei bei denselben. — Der weise Koͤnig Salomo hatte einen Ring aus einem Edelsteine dieses Felsen, mit dessen Drehen am Finger er alle seine Wuͤnsche erfuͤllen konnte; es ist auch eine alte Sage, dieser Ring und die Achselspan¬ gen Rebeckas wuͤrden einst in den Haͤnden eines Dieners des Messias zusammen kommen. — Als der Tempel vollendet war, wollte Salomon den Stein Sakrath in dessen Mitte legen; aber seine Haͤnde waren nicht mehr rein von Suͤnde und Abgoͤtterei, und da er den Stein Sakrath beruͤhrte, zer¬ brach dieser in drei Stuͤcke. Das eine Stuͤck kam in den Tempel, wo es noch ruhet, das andre blieb zu Bethel, das 20 * dritte aber schenkte Salomo dem Koͤnig Hiram von Tyrus, der ihm den Tempel zu bauen geholfen. Das Stuͤck, welches zu Bethel geblieben, ward nach Salomos Tod, da sich das Reich gespalten, von dem Koͤnig Jerobeam von Israel durch Goͤtzendienst entweiht, er ließ das Volk das goldne Kalb dort anbeten. Das dritte Stuͤck, welches mit Hiram nach Phoͤnizien gekommen, wurde von den Phoͤniziern, die eine Kolonie im Lande Galaͤzien in Hispanien hatten, wohin sie vielen Handel trieben, dorthin in eine Stadt Brigantium gebracht und dort von ihren kunstreichen Meistern in den Thronstuhl des schottischen Koͤniges Gothol angebracht, der hier darauf sitzend regierte. Nachher ward dieser Stein Ja¬ kobs ungefaͤhr 700 Jahre vor Christi Geburt durch den Koͤ¬ nig Simon Breach nach Irland uͤbertragen und spaͤter 330 Jahre vor Christi Geburt durch den Koͤnig Fergus nach Schottland. Endlich im Jahre Christi 650 ließ der Schot¬ tenkoͤnig Kenneth den heiligen Stein in die Abtei zu Scone in der Herrschaft Perth bringen und in den Sitz eines kuͤnst¬ lich gemalten Kroͤnungsstuhls von hartem Holz einschließen. In unsern Tagen aber vor 21 Jahren im Jahr 1296, als Eduard I ., Koͤnig von England des Schottenkoͤnig Johan¬ nes Baillot besiegte, hat er den Stuhl nach London in St. Eduards Kapelle in der Westmuͤnster-Abtei gewidmet, wo er als Kroͤnungsstuhl der englischen Koͤnige bewahrt wird, und sind diesem Stuhle Pfleger bestellt, welches Amt bei den Grafen Gothol aus dem Geschlecht der alten Schottenkoͤnige ist. — Hier endet, was ich von den Kleinoden von Vadutz durch die Chronik von Baͤnderen und den Carthophilax erfahren. Abend des Johannistag . — Ich zog mit den Or¬ densgespielen hinaus zur Bleiche, jede fuͤhrte eine Schaar Kinder, welche alle Reiser- oder Schilfbuͤndlein trugen, jeder Schaar ward ein Blumenkranz vorgetragen. — Waͤhrend ich bei den drei Fraͤulein in meinem Zelte war, das sie mir ganz mit Blumenkraͤnzen bedeckt hatten, legten meine Gespielen die Reiser- und Schilfbuͤndel zu den Johan¬ nisfeuern zusammen. Das erste, mir zu Ehren, ordneten sie vor Johannis Kapelle, welche am hoͤchsten liegt. Jede der acht Schaaren opferte ihre besten Reiser dazu, und Klareta hatte den schoͤnen Blumenkranz geflochten, der daruͤber zwischen zwei Birkenstaͤmmchen aufgehaͤngt ward. Dann baute jede Schaar der Anhoͤhe entlang ihren Schilfhaufen auf und haͤngte ihren Blumenkranz daruͤber, so daß am Waldrand um die Bleiche her neun Haufen errichtet waren. — Alle Jungfrauen und Juͤnglinge der Stadt zogen in ihrem schoͤn¬ sten Putze in Choͤren singend heran. — Aus dem Walde kam nun auch die Kinderschaar mit dem Johannisengel sin¬ gend zur Kapelle gezogen; die Sonne sank, noch brannte kein Licht, außer die Lampe in der Kapelle. Der Johannisengel ward wieder wie am Morgen in den Blumenkranz mit seinem Lamm gesetzt, und seine rosigte Mutter Elisabeth kniete hin¬ ter ihm. Es sah gar lieblich aus, Alles war still und dun¬ kel umher, nur Immel und seine Mutter schimmerten, denn beiden hatte man so viele leuchtende Johanniswuͤrmchen in ihre Blumenkronen befestigt, als man nur finden konnte. — Jakob von Guise sprach noch eine kleine Ermahnung uͤber das heutige Fest und den Gebrauch dieser Feuer. — Er sprach: „bei diesen Feuern sollet ihr gedenken, daß Johan¬ nes nicht das Licht war, das in die Finsterniß leuchtete, son¬ dern daß er Zeugniß davon gab, damit alle Menschen an das Licht glaubten; — ihr sollet denken bei diesen Feuern, daß Johannes gesprochen: „ich taufe euch mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt, wird euch mit dem heiligen Geiste und mit Feuer taufen!“ und wenn ihr durch das Feuer springet sollet ihr gedenken, daß wir alle durch das Feuer der Laͤuterung gehen muͤssen; — wohlan so erwaͤget die Worte der ewigen Wahrheit: „Johannes war eine brennende Leuchte, ihr aber wollet eine kleine Weile in seinem Lichte froͤhlich seyn!“ — Nach diesen Worten segnete Jakob von Guise eine Kerze, zuͤndete sie an der Lampe an und uͤberreichte sie der Mutter des Johannisengels; diese gab sie dem Kna¬ ben hin und fuͤhrte ihn zu den Reisern, die er mit der Fa¬ ckel entzuͤndete. Hoch auf prasselte die Gluth, wir ringten und reihten umher und sangen: „Feuerrothe Roͤselein, Aus der Erde springt der Wein, Aus dem Blute dringt der Schein, Roth schwing ich mein Faͤhnelein!“ O! die schimmernden froͤhlichen Kinder und Jungfrauen in ihrem Schmuck und der Blumenkranz uͤber ihnen von der Flamme unter dem Sternhimmel beleuchtet! — Die rosigte Mutter mußte den Johannisengel fest auf den Arm nehmen, er zappelte mit Haͤnden und Fuͤßen und wollte mit aller Ge¬ walt durch das Feuer springen. Wer kann sagen, wie hin¬ reißend ihr bluͤhendes Antlitz neben dem freudigen Engels¬ kopf Immels im Lichte des Feuers gluͤhte, es war als ringe eine Rose mit einem Schmetterling, der sie fortreißen will in die Gluth. — Da eilte sie fort mit ihm zu dem zweiten Feuer, daß er es entzuͤnde, dann zum dritten und bis zum neunten, wo schon sein Waͤgelein harrte, in dem man ihn muͤde und entschlummernd in die Stadt zuruͤckfuͤhrte. — Wie aber erging es mir? — Von allen vier Winden her lockten die Schallmeien der Hirten und der Gesang: „Feuerrothe Roͤse¬ lein,“ wo ich hinblickte, loderte ein Feuer auf, uͤberall war ich hingerissen; es war, als sey ich ein ausgeruͤstetes Schiff mit allen Segeln dem Winde Preis gegeben, alle ernsten Erfahrungen der letzten Tage lagen zwar, wie ein schwerer Ballast in mir, und wie kraͤftige Anker waren sie ausgewor¬ fen nach allen Seiten, — aber die Taue waren zu schwach oder zu kurz, sie reichten nicht zum festen Ankergrund; die Toͤne und Choͤre hoben und wiegten mich mit stets hoͤher schwellenden Wogen, die rings um bis zum fernsten Hinter¬ grund sich mehrenden Feuer, von huͤpfenden Schatten um¬ kreist, lockten mich, alle Winde fuͤllten meine Segel und ris¬ sen mich dem schimmernden Ziele entgegen. — Ja ich armes Kind von Hennegau war gleich einem Schmetterling, dem das Feuer als ein offnes Thor, zu dem Garten aller leuch¬ tenden Lust aus der traurigen Nacht fuͤhrend, erscheint, und der sich hineinstuͤrzt; — oͤffentlich schaͤme ich mich daruͤber und ganz heimlich freue ich mich, daß es alle gesehen haben, wie mich die allgemeine Freude uͤberwaͤltigte, wie der Sturm einen Vogel fortreißt. „Feuerrothe Roͤselein“ lockten alle Choͤre und antwortete meine Seele. — Mir blieb die Zeit nicht zu fragen: „was sagt das fromme Huͤhnlein dazu, oder was macht das Buͤblein?“ — Auf die Frage aber, was that das arme Kind von Hennegau? antworte ich: „es kreuzte die Haͤnde ehrerbietig auf die Schulterbaͤnder, als bitte es um deren Schutz,“ es rief: „feuerrothe Roͤse¬ lein!“ und sprang freudig die Erste durch das Feuer, und riß wie uͤblich im Sprunge eins der Roͤslein ab, welche an rothen Wollfaͤden von dem großen gruͤnen Kranze uͤber jedem der Feuer niederhiengen; — druͤben flog ich einer Jungfrau in die Arme, ich wußte nicht welcher, so schnell riß ich mich los und sprang durch das zweite Feuer, und wieder fingen mich schuͤtzende Arme auf, und wieder entriß ich mich ihnen und sprang uͤber das dritte, vierte, fuͤnfte, sechste, siebente und achte Feuer, und an jedem riß ich ein Roͤslein vom Kranze, und alle andern sprangen mir nach. — Hier aber ruhte ich wieder an einem sorgenden Herzen. Es war Kla¬ reta, die mir immer vorgeeilt war und mich aufgefangen hatte. Jetzt aber ließ sie mich nicht so schnell entwischen. Sie trocknete mir den Schweiß von der Stirne, huͤllte mich in ihren Mantel und sprach: „Amey, komme zu Athem, welcher Eifer ergriff dich? o lasse es gut seyn — sieh dort ist das neunte Feuer! und alle deine Jungfrauen sind zuruͤckgekehrt; denn es ist ein allgemein bekannter Aberglaube unter dem Volke, ein Maͤgdlein, das uͤber ueun Johannis¬ feuer springe, werde in diesem Jahre noch heurathen.“ — Ich dankte Klareta herzlich, daß sie mich zuruͤckgehalten, denn sonst waͤre ich schon uͤber diesem neunten Feuer druͤben gewesen, und was haͤtten dann die Leute von mir gedacht? denn keine Jungfrau, welche uͤber die acht fruͤhern Feuer gesprungen, sprang uͤber dieses, um nicht der laͤrmenden Neckerei ausgesetzt zu seyn. Mich verdroß der Aberglaube, ich war so schoͤn im Zuge, ich waͤre gern nochmals gesprun¬ gen; ich sprach zu Klareta: „komm fuͤhre mich in mein Bleichzelt, sonst stehe ich dir fuͤr Nichts gut, denn mir ist, als stecke mir noch ein Sprung in den Fuͤßen. Wir mußten aber, um den neunten Feuer auszuweichen, das am Ende eines Hohlwegs brannte, eine Strecke zuruͤckgehen; sieh, da kam uns Gluth und Jauchzen entgegen; in schnellem Lauf trieben die juͤngern Bursche ein mit Stroh und Reisern um¬ wickeltes, großes, brennendes Rad in den Hohlweg auf das Feuer los; vor dem Rade her floh eine Schaar von muth¬ willigen Maͤgdlein, welche sie neckend gegen das neunte Feuer hintreiben wollten. Es war kein Ausweg fuͤr mich zwischen dem Rad und dem Feuer; Klareta warf sich in einen Busch, mich trieb die Schaar der Maͤgdlein vor sich her. Ich war fruͤher am Ziel und im schnellen Sprunge uͤber die Flamme hinaus, und hatte nun auch das neunte Roͤslein erobert und in meinem geschuͤrzten Vortuche bewahrt. — Man erkannte mich nicht in Klaretas Mantel. — Ich eilte aus dem Getuͤmmel und traf bald mit meinen Gespielen zusammen, welche singend mit ihren Kinderschaaren zur Stadt zuruͤckzogen und mich an meinem Schlafzelt auf der Bleiche verließen. — Die Schwe¬ stern Klaretas, welche auf der Bleiche wachend zuruͤckgeblie¬ ben waren, boten mir vor meinem Zelt gute Nacht, kuͤßten mir die Haͤnde und verließen mich. — In dem Zelt fand ich Klareta. Sie saß dicht neben dem Eingang an der Erde. Ich sah sie, wendete mich aber nicht zu ihr; von Thau be¬ netzt, legte ich Klaretas Mantel ab und andere Schuhe an und stand einige Augenblicke stumm vor dem kleinen Tisch, auf welchem meine Leuchte vor einem schoͤnen Johannisblu¬ mentopf brannte und eine Schuͤssel mit Brod und Fruͤchten aufgetragen war. Klareta hatte fuͤr Alles gesorgt. Wie ich so stand, umfaßte sie meine Fuͤße und sagte: „Gott sey Dank, daß du da bist ohne Unfall!“ nun nahm sie die neun Roͤs¬ lein aus meiner Schuͤrze und legte sie auf einen Teller; „sie sind gesegnet,“ sprach sie, „die Maͤgdlein und Frauen tra¬ gen sie an den rothen Wollfaͤden am Halse, das deutet auf das Blut Johannis bei seiner Enthauptnng . Sie tragen sie in frommer Hoffnung, Gott moͤge sie durch die Fuͤrbitte des heiligen Taͤufers vor dem Veitstanz und allen Nervenuͤbeln bewahren.“ — Ich schenkte die neun Roͤslein der Klareta, weil ich, Gott sey Dank, nie eine Spur solcher Krankheiten gehabt; sie dankte herzlich. — Ich war gar einsilbig, ich war ermuͤdet und trotz meiner heftigen Theilnahme an der Johannislust innerlich schwer und traurig. Noch immer be¬ wegte mein Herz der Festjubel durch Musik, Gesang, Jauch¬ zen und Feuer, die in mein Zelt hereinklangen und schim¬ merten, und doch trauerte ich und konnte nicht deutlich sa¬ gen um was. — Es ist ein Hang nach Unabhaͤngigkeit in mir, der mich verschließt, wenn er gefesselt ist. — Es war so viel Außerordentliches uͤber mich gekommen, daß ich alle Aeußerung unterdruͤckte aus Furcht, irgend eine Gewalt uͤber meine Seele zu zugestehen. — „Soll ich das Nachtgebet mit dir beten?“ fragte Klareta. — „Ich will allein beten,“ antwortete ich und stand auf; da verließ sie das Zelt. Ich betete vor meinem Lager knieend und sie draus unter dem Sternhimmel. — Als sie durch meine Bewegung vernahm, daß ich geendet, fragte sie um die Erlaubniß, zu mir zu kommen. Ich gestattete es. Sie brachte ein Gefaͤß mit lau¬ warmem Wasser und setzte es zu meinen Fuͤßen vor mein La¬ ger, auf dem ich saß. Stillschweigend ließ ich mir die Haare von ihr flechten, ich war in einem dumpfen Hinbruͤ¬ ten, das nur dann und wann das ferne Singen: „feuer¬ rothe Roͤselein“ unterbrach. Klareta wnsch mir die Fuͤße, ich bedurfte es, sie hatte es gefuͤhlt, ich nicht begehrt. Als sie aber ihre langen Haare aufloͤßte, um mir die Fuͤße damit zu trocknen, weigerte ich mich des Dienstes; sie aber flehte: „o lasse es geschehen, diese Haare haben mir bis jetzt nur zur Eitelkeit gedient, o lasse mich einen Dienst der dankba¬ ren Liebe mit ihnen verrichten, damit sie doch ein Verdienst haben, wenn sie mir nun bald abgeschnitten werden!“ — ich fuͤgte mich ihrem Willen, aber ich war doch hart gegen sie, indem ich ihre Hoffnung zum Kloster gar nicht zu kennen schien und zu ihr sprach: „du wirst doch deine schoͤnen Haare nicht abschneiden lassen?“ — das that ihr weh, ich fuͤhlte ihre Thraͤnen auf meine Fuͤße rinnen. Da sprach ich: „ich muß mir selbst helfen, sonst erneust du das Fußbad;“ da faßte ich ihre Haare und trocknete meine Fuͤße. — Ich weiß nicht welches Gefuͤhl mich erschuͤtterte, als ich ihre Haare faßte. Ich hatte sie unaussprechlich lieb — das heißt, ich haͤtte diese Neigung getoͤdtet, wenn ich sie ausgesprochen. — „Gieße das Wasser hinaus,“ sprach ich, „damit die Graͤs¬ lein und die Gaͤnsebluͤmchen auch etwas von dem Feste ha¬ ben, es war so heiß heute, sie saͤnftigen ja alle unsre Schritte mit solcher Liebe, wir nehmen es an, als verdienten wir es, und treten sie mit Fuͤßen, als verdienten sie das; so muß man nicht seyn.“ — Da ich nun hoͤrte, daß sie das Wasser ausgoß, sprach ich vernehmlich: „ach, wie das erquicket! Klareta gieb mir auch zu trinken.“ — Sie reichte mir ein Glas frisches Wasser und hielt mir es erst durch eine Oeff¬ nung des Zeltes gegen den Sternhimmel, damit ich seine Klarheit sehe. — „Das ist klar wie Klareta,“ sagte ich und trank und gab ihr den Rest und hatte das Gefuͤhl, gar liebreich gewesen zu seyn, schaͤmte mich auch gar nicht, son¬ dern laͤchelte, wie sehr ich die Tugend gegen die Gaͤnsebluͤm¬ chen empfahl, die ich gegen Klareta vernachlaͤßigte. Ich streckte mich dann zum Schlafen aus, und da Klareta sich schweigend zu meinen Fuͤßen legte, merkte ich es wohl, that aber nicht dergleichen. Ich traͤumte denselben Traum wie gestern, nur durch die vielen Eindruͤcke des Abends und mein Wissen von der Bedeutung der Kleinodien noch lebhafter und banger. Auch Klareta traͤumte Dasselbe zugleich und weckte mich abermals mit aͤngstlicher Theilnahme. Wie gestern erzaͤhlte sie mir weit mehr aus meinem Traume, als ich ihr mitgetheilt hatte. Zum Beispiel sagte sie mir heute: „die Loͤwen woll¬ ten dich hinausfuͤhren auf die Heide, auf das Moos, da solltest du die Kibitze huͤten, aber des Hahnen Schrei hat die Loͤwen verscheucht, und Verena ist mit dem frommen Huͤhnlein gekommen; denn nicht die Kibitzen sollst du huͤten in der Wuͤste, nein, einen ganzen Hof schoͤner bunter Huͤhn¬ chen, — nein, viele liebe, lustige, reine Laͤmmer, nein, viele fromme, freudige Kinder — und Friede wird wohnen auf deinen Schultern, und Salomonis Ring wird dir erfuͤllen alle deine Wuͤnsche; aber stifte uns ein Kloster Lilienthal, daß wir fuͤr dich beten, denn es ist Gefahr auf deinen We¬ gen.“ — Bei diesen Worten umfaßte sie wieder meine Fuͤße und schien sehr bewegt; ich aber sagte zu ihr: „Klareta, sey nicht so ungestuͤm, das macht mich ganz krank; durch neun Feuer bin ich gesprungen, und doch bin ich viel kaͤlter als du, die mich nach acht Feuern in den Armen auffing. Es ist in diesen Tagen so Vieles uͤber mich gekommen, auch ist mir so traurig und schwer, als solle ich bald von Allem scheiden, was mir lieb und theuer ist. Als ich so durch die neun Feuer springen mußte, war es mir, als sollte ich Alles in mir verbrennen, was mich noch feßle. — Ich habe den Orden der freudig frommen Kinder gestiftet; daß ich fromm sey, gebe Gott! aber freudig bin ich nicht mehr; o Klareta! ich will ja das Kloster Lilienthal stiften, aber du siehst doch wohl selbst ein, daß das taͤgliche Thun auch sein Recht hat und ein reiner Boden noͤthig ist, um eine wichtige Sache wuͤrdig zu beginnen. So wirst du dann auch wohl fuͤhlen, daß ich nothwendig erst meine große Waͤsche wieder von der Bleiche in den Schraͤnken haben muß, ehe ich an so etwas mit Ruhe denken kann; hilf mir schoͤn morgen fruͤh, wenn wir fertig, wollen wir sehen, wie es mit dem Kloster wird. Gute Nacht, jetzt bin ich muͤde!“ — Da ging Klareta ge¬ gen die Thuͤre des Zeltes, aber sie kehrte nochmals um, und sagte: „o meine Herrinn! senke doch einschlafend dein Haupt zur rechten Seite, auf daß dir das Kleinod Friede gebe!“— ich nickte und sie schied. Ich wollte thun, wie sie gebeten, aber entschlummernd that ich das Gegentheil und erwachte unter Thraͤnen. St . Eligiustag nach des Taͤufers Tag . — Heute fruͤh weckten mich meine Gespielen mit liebem Gesang; als ich zum Zelt heraustrat, hing alles mein Geraͤthe schon auf den Leinen und wehte der aufgehenden Sonne entgegen. — Klareta und die Schwestern hatten nicht geschlafen und Al¬ les so geordnet. Um acht Uhr war Alles in Koͤrben in das Schloß gefahren, und nun strichen, plaͤtteten und falteten wir alle emsig darauf los. Wir waren sechs und dreißig Maͤgdlein in drei Hallen arbeitend. Es war eine rechte Freude, Alles war schneeweiß und lind. St. Johannis Thau hatte mit vollem Segen gewirkt. Ich habe noch nie eine so gesegnete Waͤsche gehabt. Noch vor Abend war Alles auf¬ geschrieben und in den Schraͤnken. — Nachdem wir ein klei¬ nes Mahl eingenommen, fuͤhrte ich Alle in den Grafensaal, wo Jakob von Guise und mein Kanzler mit der Stiftungs¬ urkunde von Kloster Lilienthal im Laͤndchen Vadutz, die ich ihnen zu verfassen befohlen hatte, unsrer warteten. Ich be¬ gab mich mit den Ordensgespielen in meine Kleiderkammer und legte meinen Grafenmantel an und setzte die Krone auf; dann trat ich von meinen Gespielen begleitet in den Saal und setzte mich auf den Grafenstuhl. Die drei Fraͤulein zur Lilien knieten vor mir auf dem Teppich. Der Kanzler ver¬ las die Urkunde, in welcher ich den drei Schwestern zur Li¬ lien Felder, Wiesen und Gaͤrten und mancherlei Zehnten anwies, um eine kleine Klostergemeinde zu erhalten; zugleich befahl ich meinem Kanzler, in Vadutz den drei Fraͤulein ein Kloster mit Kirchlein und Garten und allem noͤthigen Zubau in die Naͤhe der Huͤtte Juͤrgos aus meinen Mitteln zu er¬ richten. Dem Kloster legte ich die Pflicht auf, auf meinem Grabe drei weiße Lilien zu erhalten und den Braut- und Leichenzuͤgen jeder meiner weiblichen Nachkommen, welche die Lehnskleinode von Vadutz trage, drei Schwestern des Klosters mit weißen Lilien folgen zu lassen. Die Ordensre¬ gel uͤberließ ich ihnen und Jakob von Guise, und stellte sie unter das Kloster Baͤnderen. Ich empfahl ihnen zur Auf¬ nahme in ihre Regel Gebet und Arbeit, namentlich Erzie¬ hung verlassener Maͤgdlein, weil sie selbst Solche waren, und Erbarmen gegen die nachgelassenen Toͤchter der Kreuzfahrer. Ihr Hauptgeschaͤft sollten sie die Weberei zum Kirchenschmuck bei Klareta sein lassen. Auch bestellte ich eine große Tapete, die Geschichte des Kaisers Curio vorstellend und versprach ihr reichlichen Lohn in das Kloster. Nachdem der Kanz¬ ler Alles dieses gelesen hatte, reichte er mir die Urkunde, ich siegelte sie mit dem Kleinod der rechten Achselspange und uͤberreichte sie Klareta, die sie kuͤßte und eben so ihre beiden Schwestern; dann nahten sie mir, beruͤhrten meine rechte Schulter mit der Stirne, ich umarmte sie und verließ den Saal. St . Johannis und Pauli , der Wetterherren Tag . — Ich gieng vor Tag mit einer vertrauten Kammer¬ frau zu des Taͤufers Kapelle, von den drei Fraͤulein Abschied zu nehmen. Ich hatte ihnen einige Roße und Knappen da¬ hin bestellt. Jakob von Guise wollte sie geleiten, um ihnen in Vadutz Alles einzurichten. Sie sollten in den Frauenkloͤ¬ stern seines Ordens unterwegs einkehren. Nachdem er den Gottesdienst gehalten, gab er uns den Segen. — Man fuͤhrte die Roße voraus, ich geleitete sie eine Strecke in den Wald. Klareta folgte still in einiger Entfernung, ich redete mit Jakob von Guise. Als die Stelle da war, wo die Roße ihrer harrten, und ich bereits allen die Haͤnde geboten hat¬ te, wendete ich mich auf dem Punkte zu scheiden, zu Klareta und fragte: „wo warst du dann geblieben?“ — Sie sprach: „ich uͤberdachte Alles, was wir in diesen Tagen erlebt und was du erfahren und betete in deine Fußstapfen, gedenke des Traumes!“ dann warfen sich die drei Schwestern auf die Kniee, dankten und reisten von dannen. Ich eilte aber nach Haus, denn bei den Worten Klaretas: „gedenke des Traumes,“ fiel mir ein, daß ich die verflossene Nacht viel von der amaranthseidenen Decke von Hennegau getraͤumt hatte, welche zu dem Brautschatz meiner Mutter gehoͤrte und auch uͤber ihr Paradebett gebreitet gewesen ist. Was ich von dieser Decke getraͤumt, wußte ich nicht mehr, aber die Mahnung Verenas bei ihrem Abschied, ich solle beson¬ ders auf die Decke achten, und die Stimme des frommen Huͤhnleins bei dieser Mahnung fielen mir gar sorglich auf das Herz. — Ich war in Sorgen um die Decke, ich erin¬ nerte mich nicht, die Decke gestern Abends bei dem Einraͤu¬ men des Geraͤthes an der gewoͤhnlichen Stelle im Schranke gesehen zu haben. Ich war gestern so gestoͤrt durch die vie¬ len Erfahrungen. Ich eilte schnell nach Haus und war so voll Sorge um die Decke, daß ich die mich begleitende Kam¬ merfrau nicht zu fragen wagte, ob sie die Decke gesehen. — Im Schloße durchsuchte ich alle Schraͤnke und Behaͤlter — die Decke fand sich nicht. — Das machte mich ungemein traurig. Diese Decke war mir immer das ruͤhrendste unter all meinem Besitze gewesen; ich hatte die bleiche erhabene Gestalt meiner Mutter zum letzenmale auf ihr erblickt. Sie war eine Art Schatz in der Familie, es hingen allerlei Weissagungen mit ihr zusammen, die mir nie ganz eroͤffnet wurden. Die Mutter hat mir sie oft gezeigt, ja sie hat sie auch ausgebreitet und mit wir darauf knieend mich beten gelehrt. Sie pflegte dann zu sagen: „o herzliebe Amen, du stickest mir so viele Tapeten und naͤhest allerlei Bildwerk zu meiner Freude, hilf mir diese Decke mit Gebet zu ver¬ zieren; wir wollen sie schmuͤcken mit Blumen der Andacht, daß sie bluͤhet wie ein Blumenbeet, und darin will ich ruhen im Tode, und auch du sollst auf dieser Decke sterben. O huͤte die Decke, lasse sie nicht entkommen!“ — Alles das fiel mir peinigend ein und ich suchte von neuem vergebens. — Als ich nun endlich meine Kammerfrauen nach der Decke fragte, sagten sie, allerdings sey die Decke mit auf die Bleiche ge¬ kommen, um durch den Johannisthau vor Mottenfraß ge¬ schuͤtzt zu werden, sie haͤtten sie aber bei dem Ruͤckzug in die Stadt nicht mehr gesehen und seyen der Meinung gewesen, daß sie in mein Schlafzelt gebracht worden. — Ich schwieg, um sie durch den Verlust nicht zu schrecken. Ich suchte ein¬ sam nochmals in allen Winkeln des Schloßes und wurde von Minute zu Minute trauriger und sehnsuͤchtiger nach der Decke. — Ich suchte sogar, wo sie kaum Raum hatte zu ru¬ hen. — Ich oͤffnete eine kleine Lade meiner Mutter, welche ich seit meiner Kindheit nicht geoͤffnet, denn sie beschaͤmte mich, und auch jetzt befiel mich eine große Angst und geschah mir etwas sehr seltsames. — Ich will hier niederschreiben, was mir als Kind mit dieser Lade geschah. — Meine Mut¬ ter bewahrte mancherlei Putz darin, unter anderm lag ihr Brautkraͤnzchen von feinen, feinen amaranthfarbenen Seiden¬ roͤschen und Perlen geflochten, und ein Besatz des Braut¬ kleides darin, der fuͤr mich etwas ganz hinreißendes hatte; um Bauschen von weißem, feinstem Spitzengewebe schlangen sich abwechselnde Gewinde von unaussprechlich feinen, zierli¬ chen kleinen Bluͤmchen, aus bunter Seide um Silberdrath ge¬ wickelt; hie und da blitzte ein Sternchen, oder saß ein kleines Voͤgelchen bei einem Nestchen, worin drei Perlen die Eier vorstellten. Seit ich Das zum ersten Male gesehen, konnte ich es nie wieder vergessen. Dieser Schmuck webte sich in mei¬ ner Kindheit Tags und Nachts in meine Gedanken, ich nannte ihn den Himmelsgarten. Manches Marienkaͤferchen ließ ich durch das Schluͤsselloch in die Lade laufen und dachte, wie wundergluͤcklich es dadrinnen in dem Himmelsgarten herum¬ irren werde, ja ich selbst wuͤnschte nichts sehnlicher, als mit ihm hineinschluͤpfen zu koͤnnen, und oft wandelte ich im Traume in diesen Labyrinthen von zierlichen, kleinen Blumen umher und erlebte dort die artigsten Geschichten. Als ich mich einmal ungemein nach dem Anblick dieses Paradieses sehnte, schlich ich um die Lade und beruͤhrte den Deckel — und sieh da, er war offen und ich oͤffnete. Die Wunderdinge lagen vor mir, ich unterlag der Versuchung, ich nahm einen Theil des Blumenwerks, es war das Bruststuͤck. Mein Herz pochte, meine bebende Hand irrte weiter suchend zwischen den sich deckenden Lagen des Besatzes umher, und mich faßte ein großer Schreck, ich fuͤhlte, als begegne mir eine andere Hand und schiebe mir einen Ring an den Finger; wie der Blitz zuckte ich mit der Hand zuruͤck, schlug den Deckel zu und eilte mit dem Bruststuͤck in meine Kammer und versteckte es in meinem Bette. — Ich konnte nicht erwarten, bis ich zu Bette gieng, ich heftete mir den kleinen Himmelsgarten im Dunkeln mit Nadeln auf mein Nachtjaͤckchen. — Ach, wohl mit Nadeln, sie stochen mich in der Nacht, ich konnte nicht ruhen, mein Gewissen stach mich, — ich hatte zum ersten Male etwas entwendet, und doch hatte ich diese Taͤn¬ deleien so lieb, so lieb, mein Herz pochte so laut und bang, daß ich es hoͤrte. Ich wagte diesen Schmuck nicht zu be¬ ruͤhren, ich zitterte immer, jene Hand moͤge mir entgegen kommen mit dem Ringe. Ich entschlief unter Thraͤnen und traͤumte immer von dem Himmelsgarten, wie ich darin her¬ umirre, und endlich, daß jene Hand wirklich in der meinen ruhe; da stachen mich wieder die Nadeln und ich erwachte. Der Tag schimmerte in die Kammer, die ersten Strahlen streiften uͤber mein Bettchen durch die kleinen Bluͤmchen des geraubten Paradieses zu meinen Augen; ich schaute bang durch die kleinen Blumen gerade vor mich hin, ich wagte nicht links, nicht rechts zu blicken; ich fuͤhlte Etwas schwer auf meinem Herzen, ich war so bang wegen der Hand mit dem Ringe; endlich schob ich meine Hand nach der Stelle, wo mich eine Nadel stach, um diese heraus zu ziehen; — aber welch ein Schrecken! wirklich faßte eine Hand die mei¬ nige fest und eine Stimme sprach: „halt den Dieb!“ — Mit welcher Angst versteckte ich mich unter die Decke, aber ich war bald losgewickelt und sah zu meinem Troste Verena vor mir. Ein sorglicher Traum hatte sie zu mir gefuͤhrt. Sie fand mich in fieberhafter Aufregung, sie legte mir die Hand aufs Herz, da begegnete sie meiner Hand und ergriff sie. Sie kannte meine Begierde zu diesem Putze, den ich entwendet, und nahm mir das Paradies wie einen Stein vom Herzen, um es wieder zu verschließen. Ich weinte bit¬ terlich an ihrem Halse um mein Unrecht. — „Kind,“ sprach sie, „du hast ein Stuͤckchen Paradies verloren, das mußt du beichten, o sage es selbst der Mutter, sie wird dir gern verzeihen. — Kind, das fromme Huͤhnlein weiß Alles;“ — da legte sie mich auf die rechte Seite, ich umarmte sie und fluͤsterte die gewohnte Frage ihr schluchzend ins Ohr: „was macht das Buͤblein?“ „Es macht sein Sach wieder gut,“ erwiederte sie, „das thue du auch!“ — da verließ sie mich. — Erst jetzt, da ich weiß, daß das Buͤblein fuͤr den Ersatz seines Diebstahls buͤßte, verstehe ich, was Verena damals mit den Worten sagte: „es macht sein Sach wieder gut, das thue du auch!“ — Ich hatte diese Lade seit dem nicht wieder beruͤhret, die liebe Mutter war schon in das wahre Paradies eingegangen, dieses kindische Paradies der Taͤnde¬ lei, dessen Versuchung ich als Kind unterlag, war nun mein Eigenthum, ich hatte es seit dem nicht mehr gesehen. — Als ich die Lade oͤffnete, um nach der Decke zu suchen, als ich 21 alle die artigen Bluͤmchen wiedersah, kam mir Alles wieder lebhaft in Erinnerung. Ich nahm das amaranthfarbene Brautkroͤnchen heraus und setzte es auf, ich nahm das Brust¬ stuͤck und steckte mir es vor, ich schob wieder meine Hand zwischen diese Dinge in die Lade; und war es Wahrheit, war es Taͤuschung? — Die Hand mit dem Ring begegnete wie¬ der der meinigen — ich zuckte zuruͤck, wie damals und schlug die Lade zu. — Ich kam die Zimmer durchirrend auf die Stelle, wo ich mit der Mutter auf der verlornen Decke knieend gebetet hatte, ich sah umher, als koͤnne sie noch da liegen. — Die untergehende Sonne stand tief am Himmels¬ rand und blickte durch die Fenster herein; ich sah heftig in sie hinein, als wolle ich die rothe Decke in ihr suchen. Da ich aber meine Augen von dem Sonnenfeuer geblendet weg¬ wendete, schwebte nun ein rother Fleck vor meinen Blicken, wohin immer ich auch schaute. Ich ließ meine Augen, als wolle ich diesen rothen Fleck zwischen Gras und Blumen abstreifen, eine Weile uͤber die thauichte Wiese hin und wieder schweifen, welche vor meinem Fenster in den schraͤgen Strah¬ len der Abendsonne wie ein Schmaragd schimmerte, und sieh da! — o Freude! ich sah bald einen tiefrothen Fleck darauf funkeln, welcher der Bewegung meiner Augen nicht folgte, sondern fest ruhte. — Die Decke, die liebe Decke! rief es in meinem Herzen; — ich schaute schaͤrfer hinaus, sie war es, gewiß, gewiß, der Wind hatte sie wohl von der Bleiche dahin geweht, o wie war ich froh, schon begann ich zu singen: „Feuerrothe Roͤselein, Aus der Erde springt der Schein, Aus der Erde dringt der Wein; Roth schwing ich mein Faͤhnelein.“ Schon wollte ich hinab durch den Garten hinauseilen, als mich die Abendglocke unterbrach, man laͤutete den Engel des Herrn, ich stand still und betete den englischen Gruß, und indem ich immer hinaus nach dem rothen Fleck sah, wurde mein Herz gar tief bewegt, und ich gedachte des Abends auf der Bleiche mit Klareta und sang unter Thraͤnen: „O Stunde, da der Schiffende bang lauert Und sich zur Heimath sehnet an dem Tage, Da er von suͤßen Freunden ist geschieden, Da in des Pilgers Herz die Liebe trauert Auf erster Fahrt, wenn ferner Glocken Klage Den Tag beweinet, der da stirbt in Frieden!“ Ich war aber nun wegen der Decke beruhigt, ich schob es noch ein Weilchen auf, die Decke auf der Wiese zu hoh¬ len, ich wußte ja, daß sie da lag, und so setzte ich mich, um meine Tagsordnung nicht zu verletzen, wie immer nach dem Abendgelaͤute an mein Tagebuch, um bis hieher zu schreiben; die Naͤchte auf der Bleiche hatten mich ohnedies schon gezwungen, Manches nach zu holen. — Jetzt aber blicke ich wieder hinaus nach der Decke, sie schimmert noch roth im letzten Strahl der Sonne, jetzt will ich hineilen allein durch den Garten und will auf der Decke der Mutter geden¬ ken, ihr Brautkroͤnchen habe ich auf dem Haupt, das Pa¬ radiesgaͤrtchen vor der Brust, die heiligen Kleinode von Va¬ dutz auf den Schultern, o wie will ich so geruͤstet, allein, allein, allein auf der Decke, auf welcher ich selbst sterben werde, den Tag beweinen, der da stirbt in Frieden! ich huͤlle mich in meinen Schleier und gehe. — Sechs Wochen spaͤter . — Gott sey Lob und Dank! alle seine Fuͤhrungen seyen gesegnet. Ich war sechs Monate von diesen Blaͤttern getrennt, ich habe sie unter mancherlei harten Pruͤfungen und bittern Leiden niedergeschrieben, sonst waͤren sie klarer und kindlicher und Alles, was das Herz des armen Kindes von Hennegau darin bewegte, wuͤrde dann auch die Herzen aller andren Kinder bewegen, welche sie in Zukunft lesen moͤgen — aller andern Kinder, sage ich und verstehe darunter meine Kinder, so Gott mir deren bescheeren 21 * wird, denn fuͤr sie allein sind diese Blaͤtter geschrieben. Wie mir es aber nach dem obigen Schluße meines Tagebuchs bis heute ergangen, moͤgen diese Kinder, wenn Gott sie mir schenkt, aus meinem folgenden Briefe an Klareta zur Lilien kuͤrzlich vernehmen, den ich nicht abgesendet habe. Liebe Klareta! Ich danke fuͤr dein und der Schwestern Gebet. Es hat die schuͤtzenden Engel auf meine Wege ge¬ rufen, sie haben mich gefunden, wenn du gleich nicht wu߬ test, wo ich war. — Die Erfuͤllung folgte unserm Doppel¬ traum so dicht auf den Fersen, daß sie meinem Traume beide Pantoͤffelchen ausgetreten haben wuͤrde, haͤtte er nicht das eine verloren, und dem deinen die Sandalen, waͤre er nicht baarfuß gegangen. — Feuerrothe Roͤselein habe ich gesucht, die Loͤwen haben mich entfuͤhrt und bedraͤngt, der Hahn hat mich gerettet und — der Ring ist an meinem Finger. — Hoͤre! — Am Morgen des Wetterherrentags schied ich von dir und den Schwestern im Walde — du sagtest: „gedenke des Traumes!“ — Heimgekehrt vermißte ich die amaranth¬ seidne Decke von Hennegau, du kennst sie, sie war nicht von der Bleiche nach Hause gebracht worden. — Ich suchte den ganzen Tag in großen Aengsten nach ihr. — Am Abend aus dem Fenster blickend sah ich sie im Schimmer der sinkenden Sonne auf der entgegengesetzten Seite der Wiese tiefroth funkeln. Ich hatte suchend einen Theil des Brautschmucks meiner Mutter gefunden, ich hatte in kindischer Taͤndelei das Brautkraͤnzchen aufgesetzt und das sogenannte Paradies¬ gaͤrtchen — du kennst Beides — vorgesteckt; in meinen Schleier verhuͤllt eilte ich einsam und unbemerkt durch das Gartenpfoͤrtchen auf die Wiese hin zu der schimmernden Decke. — Je naͤher ich dem rothen Fleck kam, je mehr ver¬ gaß ich die Decke, es war die Macht der rothen Farbe uͤber mein Herz, die mich hinriß, angelangt an die Stelle, flog ich auf die funkelnde Decke hin, wie ein Schmetterling in die Flamme und ich sang und hoͤrte das Lied im Walde sin¬ gen: „feuerrothe Roͤselein,“ — ich fuͤhlte mich so ermuͤdet, ich war seit mehreren Tagen von so vielen Eindruͤcken hef¬ tig bewegt, ich hatte alle diese Naͤchte schier gar nicht ge¬ schlafen, vom fruͤhsten Morgen war ich ganz ohne Ruhe ge¬ wesen. Ich konnte der Muͤdigkeit nicht wiederstehen; ich lag mehr auf der Decke, als ich saß; der letzte Sonnenstrahl streifte uͤber das Gruͤne der Wiese, uͤber die rothe Decke durch die schimmernden Bluͤmchen des Paradiesgaͤrtchens zwischen meine zuckenden Augenlieder, und sie schloßen sich hinter dem Lichtstrahl, wie die Thuͤre deiner Zelle hinter dir, wenn du schlafen gehst. — Leider entschlief ich ploͤtzlich den Kopf nach der linken Seite senkend! — O Klareta! — wie geschah mir! — ich werde dich bald sehen, da sollst du Alles hoͤren. Hier nur Alles in kurzen Zuͤgen. Der Traum ist erfuͤllt, die Loͤwen waren drei Ritter aus dem Thurgau, sie hatten die Decke von der Bleiche entwendet, um mich durch sie wie einen Vogel mit rothen Beeren zu fangen; ich gieng in ihre Netze. Kaum war ich tief entschlafen, als sie die Decke wie einen Sack uͤber mir zusammenzogen, mir den Mund zuhielten, mich auf ein Roß zwischen sich banden und mit gewaltsamer Eile immer nur des Nachts von Wald zu Wald reitend, fern von Hennegau entfuͤhrten. Mein Huͤlfs¬ geschrei verhinderten sie durch die Drohung des Todes. Schon weit entfernt von meinem Vaterlande fragte ich sie: „wohin fuͤhrt ihr mich?“ da erwiederten sie spottend, wie wir ge¬ traͤumt: „auf die Heide, aufs Moos, da sollst du uns die Kibitze huͤten.“ — Ich ergab mich in mein Schicksal, ich vertraute dem guten Ausgang des Traumes, und betete fuͤr diese Elenden, daß Gott sich ihrer erbarmen moͤge, wenn der Hahn uͤber sie komme; und dieser blieb nicht aus. — Ich erkannte alle Gegenden auf der Reise wieder, die ich im Traum gesehen. Endlich nahten wir im Walde einer Linde, ich kannte sie wohl — da sprachen sie zu mir: „ent¬ weder mußt du schwoͤren einen von uns dreien zum Gemahl zu nehmen, und ihn zum Grafen von Hennegau und Vadutz zu machen, oder du mußt uns die Kleinodien von Vadutz von deinen Schultern geben, dann magst du heim ziehen.“ Da ich Keines von Beiden eingehen wollte, wollten sie mir bei der Linde die Achselbaͤnder von den Schultern reißen; mein Geschrei erfuͤllte den Wald; ich flehte zu Gott: „o sende den Hahn, die Loͤwen zu vertreiben, ich gelobe, so es dein Wille, wenn er mich rettet, den Ring demuͤthig von ihm zu em¬ pfangen.“ Da brach ein Ritter hervor mit einem lebendi¬ gen schwarzen Hahn auf dem Helm, sein Schwert schlug meine drei Feinde nieder, und der Hahn kraͤhte siegreich auf seinem Helm. Er half mir, er troͤstete mich, er saß bei mir unter der Linde, er sah mich freundlich laͤchelnd an und drehte einen kostbaren Ring an seinem Finger, leise Worte murmelnd. — Ich wußte schon Alles aus dem Traum und that mir eine unwahre Gewalt an, seinen Ring nicht an zu nehmen; ich ergab mich der schuͤtzenden Kraft des Achselban¬ des, ich neigte das Haupt auf die rechte Schulter; aber lei¬ der saß er mir zur rechten, unwillkuͤhrlich streckte ich den Ringfinger aus, und der Siegelring Salomonis umfaßte ihn, und das arme Kind von Hennegau war die verlobte Braut des Raugrafen Gockel von Hanau auf Gockelsruh. — Das Brautkroͤnchen der Mutter hatte ich auf den Kopf, das Pa¬ radiesgaͤrtchen vor der Brust, seit ich entfuͤhrt ward; mir fiel ein, wie ich einmal als Kind geglaubt, da ich in diesem Schmuck herum fuͤhlte, es begegne mir eine Hand mit einem Ringe. Das war also nun auch erfuͤllt und noch mehr — im Augenblick, da der Ritter mir den Ring an den Finger steckte, kraͤhte der schwarze Hahn Alektryo auf seinem Helm und flog nieder gegen ein Gebuͤsch, aus welchem Verena mit dem frommen Huͤhnlein Gallina hervortrat, das sie in ihrem langen Korbe trug. Du kannst dir meine Freude den¬ ken. — Sie war am Johannisvorabend wie gewoͤhnlich zur Hoͤhle Salmos gewallfahret, das fromme Huͤhnlein aber war weiter und weiter gelaufen bis hieher, und die gute Verena, die das Huͤhnlein verstand, war gefolgt. Als Ve¬ rena vor mir stand, sprach sie: „Goldne Amey, ich brauche dich nicht zur rechten Seite zu wenden, du bist schon selbst dahin gewendet, das fromme Huͤhnlein hat mich hergefuͤhrt, es weiß Alles.“ Da fragte ich wie gewohnt: „Was macht das Buͤblein?“ und sie erwiederte: Es hat sein Sach gemacht, Es hat sein Sach gut gemacht, Du hast sein Buͤndlein zugemacht, Es hat es freudig heimgebracht, Hat angeklopfet fein und sacht, Die Mutter hat ihm aufgemacht, Der Vater hat es angelacht, Dann hat es gleich an uns gedacht, Hat dich auf deinem Weg bewacht, Hat mich und's Huͤhnlein hergebracht, Daß ich hier Alles nehm' in Acht, Bis daß die Hochzeit ist vollbracht. So weit hatte ich Alles in dem Briefe an Klareta ge¬ schrieben, als Verena mich mit den Worten unterbrach: „Warum schreibst du, hast du nicht den Riug Salomonis am Finger, hat denn dein Braͤutigam dich liebste Dirn aus Hennegau durch einen Brief oder durch den Ring hieher ge¬ bracht? so thue du auch.“ — Da drehte ich schnell den Ring, und wuͤnschte die drei Schwestern aus Kloster Lilien¬ thal und meine Ordens-Gespielinnen und Jakob von Guise aus Hennegau zu mir, und daß sie mir alles das Noͤthig¬ ste von dem Meinigen mitbraͤchten; und alsbald kamen die Schwestern mit ihren drei Lilien und die Gespielinnen mit ihren Pflichthuͤhnern zum ersten Mahle zur Hochzeit. Ja¬ kob von Guise, der sie begleitet hatte, vollzog die Trauung in der Schloßkapelle und segnete das ganze Haus, Verena gab das Huͤhnlein Gallina zu dem Hahn Alecktryo in das Raugraf Gockel'sche Gallinarium; und sie sah Nachts das Buͤblein ganz leuchtend, wie es ihnen goldnen Weizen streute und dann verschwand. — Jakob von Guise kehrte mit den Gespielen ins Hennegau, Verena zog mit den drei Schwestern ins Kloster Lilienthal. Mein Eheherr beschloß, mit mir ein Drittheil des Jahres in Gockelsruh, ein Drit¬ theil in Vadutz, ein Drittheil in Hennegau zu leben. — Bis hieher habe ich in mein Tagebuch, das die Gespielen mir aus Hennegau mitgebracht, selbst geschrieben, das Fol¬ gende habe ich durch den Ring Salomonis hinein gedreht. In der Nacht vor meiner Trauung hatte ich folgenden seltsamen Traum. — Ich war mit Verena zu einem Erndte¬ fest geladen und sollte den Kranz flechten. Es war eine muͤhselige Reise; wir gingen durch Waͤlder, Felder, Gaͤr¬ ten, Wildniß und Wuͤste Jahrhunderte lang und kamen doch nicht weiter, als um Gockelsruh und Gelnhausen herum. Es war, als bewegten wir nur die Fuͤße, blieben aber auf demselben Fleck. Nur die Zeiten drehten sich um uns. Un¬ zaͤhlige Male kamen wir durch die Hoͤfe und Gaͤrten von Gockelsruh und sahen immer andere Gesichter, andere Klei¬ der und neue Grabsteine an der Schloßkapelle aufgerichtet. Von Zeit zu Zeit begegneten uns drei Klosterfrauen aus Li¬ lienthal mit Lilien in den Haͤnden und acht Ordensgespielen aus Hennegau mit ihren Pflichthuͤhnern. Oft kuͤndete uns der Schrei eines Alecktryo, einer Gallina die Zeit; — Alles wechselte um uns her, nur Eines fanden wir bei jeder Ruͤck¬ kehr festbestehend und gesund wieder — die treue, dunkel¬ laubige Linde, unter welcher Gockel mich von den Raͤubern befreit und mir den Ring gegeben hatte, breitete ihre Zweige immer reicher und muͤtterlicher umher, gleich einer Henne, die den Fruͤhling ausbruͤtet. O wie oft kamen wir voruͤber und waren wie die Bienen, die um sie schwaͤrmten, trunken von dem Honigdufte des Fruͤhlings in ihren Bluͤthen, und sahen sie bald winterlich entlaubet und dann wieder bluͤhend. — Fuͤnfzig Mal mochten wir zur Linde gekommen seyn, da war ich so muͤd, so muͤd, und sehnte mich wie ein Kind, in meinem Bettchen zu seyn, da kamen so viele arme Kinder, die bauten mir eine Wiege von unzaͤhlichen Blumen und zogen mich aus und legten mir ein gar wunderschoͤn Schlaf¬ roͤckchen an und wuschen mich und beteten das Nachtgebet mit mir und legten mich in die Blumenwiege auf die Ama¬ ranthseidendecke von Hennegau, und sangen ein Schlummer¬ lied um mich her. — Meine Gespielen mit den Pflicht¬ huͤhnern und die drei Noͤnnchen mit den Lilien standen um die Wiege, und ich schlief unter der Linde ein. — Aber es war seltsam, ich stand auch daneben und sah nur meinen schoͤnen Mantel in der Wiege liegen und zog mit Verena von dannen in die Runde, und als wir wieder zur Linde kamen, sahen wir ein Rasenhuͤgelein darunter und ein Stein¬ kreuz, worauf eine Henne abgebildet, zu dessen Haͤupten. — Da knieten wir nieder und beteten; und als wir weiter gingen, sagte ich zu Verena: „ich danke dir, lieb Vreneli fuͤr das arme Kind von Hennegau.“ — Einige Male be¬ gegnete uns viele Noth auf unserm Wege, wir mußten uns durch tobende Kriegsschaaren draͤngen, durch Brand und Verwuͤstung fliehen und uͤber viele Grabhuͤgel steigen. — Dann fanden wir Gockelsruh wie eine eroberte Burg. Die Wildniß hatte ihre Fahnen auf den zerstoͤrten Mauern auf¬ gepflanzt, der wilde Wald lagerte rauschend in allen Hoͤfen und braußte aus den Fenstern, wie Kriegsvolk; da hoͤrten wir den freudigen Ruf Alecktryos des Schloßwaͤchters nicht mehr, aber wohl das Wehgeschrei der Todesmahnerinnen, der Eulen, und die wildentbrannten Weisen der Waldvoͤge¬ lein, uͤber deren Brut die Geyer drohend kreisten. — O da war es gar traurig hier, und ich wendete mich im Traum zu meiner Begleiterinn und sprach: „Verena! ist das Go¬ ckelsruh? — sage, wo sind meine Kindeskinder?“ Sie fuͤhrte mich aber hin zur Linde, die war groͤßer und schoͤner als je, ihr Bluͤhen duftete suͤßen Frieden. Das Huͤgelein unten war eingesunken. Das dicht bemooste Kreuz neigte sich zur Rechten, als ziehe es das Kleinod nieder, das un¬ ter dem Huͤgelein ruht. — Keine Klosterfrauen, keine Or¬ densgespielen standen umher, aber drei einsame Lilien, und die acht Pflanzen, die meinen Jungfrauen den Namen ge¬ geben, leisteten um das Huͤgelein bluͤhend ihre Lehnspflicht. — Die Bienen summten wie ein Traum um die Linde und die Blumen, und sammelten Wachs und Honig; und dieser Traum summte mir durch alle Glieder, und ich lag selbst unter dem Huͤgelein und sah Alles und hatte das Haupt geneigt zur rechten Schulter, und ich war wie eine Bienen¬ koͤniginn; — sie trugen mir Wachs und Honig ein, und ich hatte mein Koͤrbchen voll suͤßer Honigbrode und reiner Wachskerzen und war allein, allein da unten. Es kam aber ein Kind zu mir gelaufen mit einer Puppe, und sprach zu mir: „keine Puppe sondern nur, eine schoͤne Kunstfigur!“ und ich gab ihm all meinen Honig, als mein Wachs. Da spielte es um das Huͤgelein gar lieblich, und ich richtete mich auf und spielte mit, und auch Verena spielte mit. Wir waren Kinder; es saußte aber der Sturm wieder durch das walddurchwachsene Schloß und wir draͤngten uns bei der Linde zusammen und sangen: Treu, dunkellaubige Linde, Wenn rings die Windsbraut tobt, Dein Saͤuseln lieblich linde Den Frieden Gottes lobt. Treu, dunkellaubige Linde, Wie faͤhrt all Gut und Blut Fort, fort im Sturm geschwinde, Nur du hegst festen Muth, Treu, dunkellaubige Linde, Wie bist du stark und gut, Wohl dem, der mit dem Kinde Bei dir im Huͤglein ruht. Indem wir aber so sangen, hoͤrte ich den Alecktryo wieder kraͤhen und sah mich um, und Alles war veraͤndert. — Go¬ ckelsruh stand wieder in vollem Glanze, und es war eine freudige Hochzeit, und ich zog mit dem Brautzug und Lei¬ chenzug durch die geschmuͤckte Schloßkapelle, in der mir mein Mantel und mein Tagebuch genommen ward. — Hierauf zog ich mit Verena wieder umher durch die Gegend. Wir eilten immer schneller, immer muͤder und kamen endlich in der Mitternacht in ein weites Erndtefeld. Wir zogen dem Sensenklang und dem Schalle der Schnitterlieder nach, Ve¬ rena las Aehren und ich sammelte Blumen zum Erndte¬ kranz. Endlich kamen wir mitten in dem Aehrenfeld auf einen kleinen freien Raum, wo der Kranz sollte geflochten werden, da sahen wir Seltsames. St. Eduards Thronstuhl in dessen Sitz der Schlummerstein Jakobs bewahrt ist, stand zwischen zwei hohen Lilien vor den Aehren. Aus dem Sitze des Stuhles strahlte eine Mohnpflanze von Licht mit acht Blumen zum Nachthimmel hinauf. In der Mitte der Pflanze unter dem Monde saß die Nacht, eine liebe muͤtterliche Frau, und ihr zur Rechten und Linken auf den acht Mohnblumen acht Sterne, als sinnende Knaben. Es schwebte aber von dem Thronstuhle an dem Mohnstengel ein ernstes kleines Maͤgdlein zum Sternhimmel empor, und zwei Engel senkten Sterne in die beiden Lilien zur Seite des Throns; dazu sangen die Knaben auf den Mohnblumen oben: „O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit.“ die Sense des Schnitters sauste immer naͤher durch die Halmen, und da ich mich niedersetzte, den Kranz aus den gesammelten Blumen zu flechten, sah ich zu meinen Fuͤßen dicht vor dem Thronstuhl auf einem Kinderstuͤhlchen einen Kna¬ ben schlummernd sitzen. Er hatte eine Feder hinter dem Ohre und schlief, den Kopf auf den Arm lehnend, auf dem scharfen Rande des Thronstuhls. Ich sagte zu Verena: „Was macht das Buͤblein?“ da sprach sie, des langen Mitleides gewohnt: „es hat seine Sache vollbracht und ist dicht an der Grube vor Muͤdigkeit entschlafen; sieh, wie hart es da auf dem Rande liegt, ich habe Aehren lesend eine kleine feine Garbe in meinen Korb gesammelt, o lege sie ihm unter das Haupt, damit es nicht darbt, wenn der Schnitter es weckt; horch, schon naht er in den wogenden Halmen.“ Ich legte ihm die Garbe in den Arm und sah o Wunder! zu seinen Fuͤßen ruhte mein Tagebuch, und ich las gar Vieles mehr darin, als ich hineingeschrieben, z. B. diesen ganzen Traum, und daß Verena gestorben sey und mir zwoͤlf Franken vermacht habe. „Ist das wahr, Verena?“ fragte ich, und sie sprach: „Gewiß, gewiß, und es hat große Zinsen gebracht im Al¬ mosenstock, wie das Schaͤrflein der Wittwe.“ — Da sah ich den Knaben nochmals an, konnte ihn aber nicht erken¬ nen, er hatte sein Angesicht fest in die Garbe verborgen, denn die Thraͤnen floßen von seinen Wangen. „Verena,“ sprach ich, „ist dann dies wirklich dasselbe Buͤblein, wel¬ ches dem frommen Huͤhnlein des Salmo die Weizenkoͤrner entwendet und das Zauberhuͤhnlein der Weissaginn damit gefuͤttert hat? — „Ach,“ erwiederte Verena, „warum das¬ selbe Buͤblein? Alle thun so und auch wir, sieh in das Buch, da wirst du den Weizen finden!“ — „o, wie soll er das alles ersetzen?“ rief ich aus und Verena sprach: „durch unser Gebet und Almosen, o drehe den Ring Salomonis, daß sein Getreide sich mehre. — Horch! das Lied des Schnit¬ ters nahet, schon fallen die Aehren uͤber den Getreidekasten nieder, geschwind beginne den Kranz zu flechten!“ — da sah ich hinuͤber und sah die Sense des Schnitters durch die Halmen greifen, und sie sanken uͤber einen Kasten nieder, grad so groß, wie das Buͤblein, er war gemacht von fuͤnf Brettern und zwei Brettchen, und stand uͤber einer Grube vor einem Feldkreuz, auf dem Alektryo und Gallina schla¬ fend saßen. — Ich machte zuerst ein Kraͤnzlein und legte es auf den Kasten, dann aber drehte ich den Ring Salomonis gar flehentlich am Finger: „Salomo du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Bring doch all den Weizen wieder, Der da auf den Weg fiel nieder Und von Vogeln ward gefressen, Und von Fuͤßen ward zertreten, All den Weizen ungemessen, Den sie auf das Steinfeld saͤeten, Wo, so schnell er aufgebluͤht, In der Sonne er vergluͤht, Bring zuruͤck die Weizenkoͤrner, Die erstickten durch die Doͤrner; Was in guten Grund gefallen, Laße fruchtend uͤberwallen, Daß der Weizen dreißigfaͤltig, Sechzigfaͤltig, hundertfaͤltig Alles Unkraut uͤberwaͤltig', Das der Feind hineingesaͤet. Schnell, o schnell, es ist schon spaͤt! Ringlein, Ringlein dreh dich um, Fruchte schnell, ich bitt' dich drum.“ Kaum hatte ich den Ring drehend, diesen Wunsch aus¬ gesprochen, und mitleidig nach dem Knaben hingeschaut, als ich etwas gar Ruͤhrendes sah. Er blickte mich, ohne den Kopf zu heben, mit stillem Danke an, Thraͤnenstroͤme ran¬ nen von seinen Augen auf die Garbe unter seinem Haupte nieder, und alle die Thraͤnen waren Weizenkoͤrnlein, und die Garbe wuchs und mehrte sich; und als ob sie mit dem Kna¬ ben weine, gossen sich aus ihren Aehren hundertfaͤltige Wei¬ zenkoͤrnlein nieder und aus allen Blaͤttern des Buches ran¬ nen Fruchtkoͤrner heraus, und mein Herz war so bewegt, daß auch ich auf einer Garbe sitzend gar reich und mildig¬ lich weinte, und Verena, die neben mir betend kniete, weinte auch und alle unsre Thraͤnen waren Weizenkoͤrner, und sie keimten und schossen schnell auf in reichen, goldnen Aehren, und fuͤllten die Grube und den Getreidekasten und umgaben den Thronstuhl und das Kinderstuͤhlchen und den Knaben und Verena und mich, und alle Aehren wehten durcheinan¬ der und Keines sah das Andere mehr; denn Alles war nun Eines. — Der Schnitter aber nahte immer mehr und konnte kaum Alles schneiden, was aufschoß; es wuchs ihm unter der Sense empor. Waͤhrend dem Allem flocht ich am Erndte¬ kranz aus vielen Blumen und stimmte in das Lied des Schnit¬ ters ein: Es ist ein Schnitter, der heißt Tod, Er maͤht das Korn, wenns Gott gebot; Schon wetzt er die Sense, Daß schneidend sie glaͤnze, Bald wird er dich schneiden, Du mußt es nur leiden; Mußt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Was heut noch frisch und bluͤhend steht Wird morgen schon hinweggemaͤht, Ihr edlen Narcissen, Ihr suͤßen Melissen, Ihr sehnenden Winden, Ihr Leid-Hyacinthen, Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Viel hunderttausend ohne Zahl, Ihr sinket durch der Sense Stahl, Weh Rosen, weh Lilien, Weh krause Basilien! Selbst euch Kaiserkronen Wird er nicht verschonen; Ihr muͤßt zum Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Du himmelfarben Ehrenpreis, Du Traͤumer, Mohn, roth, gelb und weiß, Aurickeln, Ranunkeln, Und Nelken, die funkeln, Und Malven und Narden Braucht nicht lang zu warten; Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Du farbentrunkner Tulpenflor, Du tausendschoͤner Floramor, Ihr Blutes-Verwandten, Ihr Glut-Amaranthen, Ihr Veilchen, ihr stillen, Ihr frommen Camillen, Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Du stolzer, blauer Rittersporn, Ihr Klapperrosen in dem Korn, Ihr Roͤslein Adonis, Ihr Siegel Salomonis, Ihr blauen Cyanen, Braucht ihn nicht zu mahnen. Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤnes Bluͤmelein. Lieb Denkeli, Vergiß mein nicht, Er weiß schon, was dein Rahme spricht, Dich Seufzer-umschwirrte Brautkraͤnzende Myrthe, Selbst euch Immortellen Wird alle er faͤllen! Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Des Fruͤhlings Schatz und Waffensaal Ihr Kronen, Zepter ohne Zahl, Ihr Schwerter und Pfeile, Ihr Speere und Keile, Ihr Helme und Fahnen Unzaͤhliger Ahnen, Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Des Maies Brautschmuck auf der Au, Ihr Kraͤnzlein reich von Perlenthau, Ihr Herzen umschlungen, Ihr Flammen und Zungen, Ihr Haͤndlein in Schlingen Von schimmernden Ringen, Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Ihr sammtnen Rosen-Miederlein, Ihr seidnen Lilien-Schleierlein, Ihr lockenden Glocken, Ihr Schraͤubchen und Flocken, Ihr Traͤubchen, ihr Becher, Ihr Haͤubchen, ihr Faͤcher, Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Herz, troͤste dich, schon koͤmmt die Zeit, Die von der Marter dich befreit, Ihr Schlangen, ihr Drachen, Ihr Zaͤhne, ihr Rachen, Ihr Naͤgel, ihr Kerzen, Sinnbilder der Schmerzen, Muͤßt in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! O heimlich Weh halt dich bereit! Bald nimmt man dir dein Trostgeschmeid, Das duftende Sehnen Der Kelche voll Thraͤnen, Das hoffende Ranken Der kranken Gedanken Muß in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Ihr Bienlein ziehet aus dem Feld, Man bricht euch ab das Honigzelt, Die Bronnen der Wonnen, Die Augen, die Sonnen, Der Erdsterne Wunder, Sie sinken jetzt unter, All in den Erndtekranz hinein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit! Den Kranz helft mir winden, Die Garbe helft binden, Kein Bluͤmlein darf fehlen, Jed Koͤrnlein wird zaͤhlen Der Herr auf seiner Tenne rein, Huͤte dich schoͤns Bluͤmelein! Unter dem Sausen der Sense, dem Sinken und Aufstei¬ gen der Aehren, dem Niederstroͤmen meiner Thraͤnen in den Blumenkranz, der mich schon ganz umwand, verstummte endlich das Lied, und ich sah nichts mehr Einzelnes. Der Traum ward nun recht wie ein Traum, ich saß darin und fuͤhlte mich wie der bittere Kern in einer suͤßen Frucht, die der Morgenwind auf dem Zweige wiegt. Ich unterschied Nichts mehr deutlich; dichte, weiße Thaunebel lagen uͤberm Stoppelfeld; ich fuͤhlte mich emporgehoben, ich saß in dem thauichten Erndtekranz hoch zwischen Garben. Ich saß auf dem Erndtewagen, er schwankte unter mir vorwaͤrts; es war kalt, ich war naß von Thau und Thraͤnen; ich hoͤrte Lieder um mich und sah die Singenden nicht. Da kraͤhte Alektryo, der mit Gallina vorn auf dem Erndtewagen saß und ich er¬ wachte, und hoͤrte den Hahnenschrei wirklich draußen in dem Schloßhof. — Ich konnte mich nicht gleich finden, meine Augen wa¬ ren noch voll Thraͤnen; ich hoͤrte das Singen noch, aber ich saß auf keinem Erndtewagen, ich lag auf meinem Bettchen; ich drehte den Ring und wuͤnschte, es moͤge doch mein gan¬ zer Traum wahr werden und von dem Knaben auf dem Kin¬ derstuͤhlchen, mit allen Liedern und was darauf folgte, in mein Tagebuch eingeschrieben stehn. — Da ich nun ganz 22 erwacht war, trat Verena zu mir und sprach: „Gesegne dich Gott, goldne Amey, du schoͤne Braut, das fromme Huͤhn¬ lein schickt mich, es weiß Alles, segne uns Gott, daß wir von der langen kuͤnftigen Reise gluͤcklich zuruͤckgekommen sind, vom Erndtewagen auf den Brautwagen. Schoͤn Dank, du hast auf der rechten Seite geruht, Ende gut, Alles gut! — aber stehe auf, daß ich dich schmuͤcke als Braut, hoͤrst du, deine elf Kraͤnzeljungfern, die drei Schwestern mit den Li¬ lien und die acht Ordensgespielen mit deu Pflichthuͤhnern singen schon unten die Brautlieder.“ — Ich erwiederte ihr nach alter Gewohnheit: „Vreneli, was machts Buͤblein?“ und sie sprach: „Es hat sein Sach ganz gut gemacht, Der Wagen trug dich fort mit Pracht, Ich bin bei ihm geblieben, Hab, als es vom Geraͤusch erwacht Und still sein Gaͤrbchen angelacht, Ihm Aehren ausgerieben. Die Koͤrnlein hat es in der Nacht Gar treu gezaͤhlt und mit Bedacht Sie huͤben und auch druͤben Ins Soll und Haben rein und sacht, Wie du es liebst, zu Buch gebracht, Bis Morgens fruͤh geschrieben.“ „Gott sey Dank,“ sagte ich, „so hast du dann Alles mit mir getraͤumt, und Alles wird im Tagebuch stehen, ich habe den Ring Salomonis darum gedreht.“ — Der Gesang aber toͤnte naͤher und naͤher und Verena sprach: „Geschwind stehe auf, daß ich dich ankleide, die Brautjungfern sind schon unter dem Fenster.“ — Ich sprang aber auf und fuhr mit dem linken Fuß zuerst in den Pantoffel und oͤffnete das Fen¬ ster. Draußen lag ein dichter, weißer Nebel, die Lieder klan¬ gen mir so traurig hindurch. Der Nebel fiel mir ins Gesicht, ich ward schwermuͤthig und kriegte den Schnupfen; ich weinte, konnte nicht sprechen, jed Wort schnuͤrte mir die Kehle zu, und da Verena mir den ganzen Brautschmuck meiner seligen Mutter anlegte und das Bruststuͤck mit den vielen feinen, schoͤnen Seidenroͤschen und das Amaranthen-Brautkraͤnzchen, Alles, was ich sonst so geliebt, stroͤmten meine Thraͤnen nie¬ der. Oft fragte sie um die Ursache meiner Thraͤnen, mei¬ ner Stummheit, aber ich antwortete nicht. Als ich ganz geschmuͤckt war, traten die Brautfuͤhrerinnen, die Kloster¬ frauen mit den Lilien, die Gespielen mit den Pflichthuͤhnern herein, und nun begann der Zug; voran ging Verena mit dem langen Korbe, dann folgten meine acht Gespielen mit den Ordenszeichen der freudig frommen Kinder, sie trugen die Pfiichthuͤhner in schoͤn geflochtenen Nestkoͤrben unter dem einen Arme und faßten mit der andern Hand an die ama¬ ranthseidne Decke von Hennegau, die sie zwischen sich aus¬ gebreitet trugen, dann folgte ich armes Kind von Hennegau im Brautkleid meiner Mutter, die Kleinode von Vadutz und das Huͤhnlein Gallina auf der Schulter, an jeder Seite eine der Lilienfraͤulein mit ihren Lilien und hinter mir Kla¬ reta, die mir die Schleppe trug; so zog ich zur Kapelle und war nicht lustig, der Inhalt des Brautgesangs machte mich noch trauriger, meine Thraͤnen stroͤmten immer reichlicher, sie sangen aber abwechselnd; Die Gespielen. Komm heraus, komm heraus, o du schoͤne, schoͤne Braut, Deine guten Tage sind nun alle, alle aus, Dein Schleierlein weht so feucht und thraͤnenschwer, O wie weinet die schoͤne Braut so sehr! Mußt die Maͤgdlein lassen stehn, Mußt nun zu den Frauen gehn. Die Lilienfraͤulein. Ihr klugen Jungfraun zieht hinaus, Die Lampen sind geschmuͤcket, Ans Herz den reinen Blumenstrauß Der Braͤutigam nun druͤcket, 22 * Ihr Lilien gebt der Braut Geleit, Ihr tragt ein schoͤn'res Ehrenkleid, Ein hochzeitlicheres Geschmeid, Als Salomo in Herrlichkeit. Die Gespielen. Lege an, lege an heut auf kurze, kurze Zeit Deine Seidenroͤslein, dein reiches Brustgeschmeid, Dein Schleierlein weht so feucht und thraͤnenschwer, O wie weinet die schoͤne Braut so sehr! Mußt die Zoͤpflein schließen ein Unterm goldnen Haͤubelein. Die Lilienfraͤulein. Heb an du liebe Nachtigall Dein kunstreich Figuriren, Hilf uns mit deinem suͤßen Schall Das Brautlied musiciren, Das Lerchlein soll sein — „dir, dir, dir, Dir Gott sey Lob“ auch fuͤr und fuͤr Erschwingen in dem hoͤchsten Thon Bis auf zu Gott im Himmelsthron. Die Gespielen. Lache nicht, lache nicht, deine Gold und Perlen Schuh, Werden dich schon druͤcken, sind eng genug dazu, Dein Schleierlein weht so feucht und thraͤnenschwer, O wie weinet die schoͤne Braut so sehr! Wenn die Andern tanzen gehn, Mußt du bei der Wiege stehn. Die Lilienfraͤulein. Du blauer Himmel spann ein Zelt, Den Braͤutigam zu gruͤßen, Ihr Bluͤmlein webet uͤbers Feld Den Teppich ihm zu Fuͤßen, Ihr Luͤftlein reget dann geschwind Die Gloͤcklein, daß sie duftend lind Thau-Perlen streuen auf der Au Ums arme Kind von Hennegau. Die Gespielen. Winke nur, winke nur, sind gar leichte, leichte Wink, Bis den Finger druͤcket der goldne Treuering. Dein Schleierlein weht so feucht und thraͤnenschwer, O wie weinet die schoͤne Braut so sehr! Ringlein sehn heut lieblich aus, Morgen werden Fesseln draus. Die Lilienfraͤulein. Wir Lilien aus dem Lilienthal, Wir kehren einstens wieder, Dann in ein Bettchen eng und schmahl Sinkt muͤd dein Brautkleid nieder, Dann naht der Seelenbraͤutigam Das Lamm von koͤniglichem Stamm, Und wer ihm nicht entgegengeht, Bleibt unerhoͤrt und unerhoͤht. Die Gespielen. Springe heut, springe heut deinen letzten, letzten Tanz, Welken erst die Rosen, stehn Dornen in dem Kranz, Dein Schleierlein weht so feucht und thraͤnenschwer, O wie weinet die schoͤne Braut so sehr! Mußt die Bluͤmlein lassen stehn, Mußt nun auf den Acker gehn. Die Lilienfraͤulein. Fuͤhrt sternenreine Engellein Die Braut auf guter Weide, Durch Lieb und Leid, bis klar und rein Der Geist im Lilienkleide Sich scheidet von dem Dornenthal Und mit uns singt beim Hochzeitsmahl: O Stern und Blume, Geist und Kleid Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit! Es wird Jedermann leicht einsehen, daß alles Dieses mehr zum Weinen als zum Lachen war, erst die kuͤhlen Naͤchte auf der Bleiche in Hennegau, dann die Geschichte der Klei¬ nodien von Vadutz, dann durch neun Feuer gesprungen, dann die Angst um die Amaranthseidne Decke, dann die lange gewaltsame Entfuͤhrung zu Pferd, dann der Kampf unter der Linde, dann die ploͤtzliche Verlobung durch die Gewalt des Salomonsringes, dann die Jahrhunderte von Meilen lange Traumreise mit Verena zum Erntekranz, und das muͤhselige Weinen von Weizenkoͤrnern fuͤr das Buͤblein, dann noch pudelnaß von Thraͤnen aus dem Schlafe geweckt durch ein wehklagendes Hochzeitslied, dann in den linken Pan¬ toffel zuerst geschluͤpft, dann den Kopf durchs Fenster hin¬ aus in den kalten Nebel, wie in einen nassen Mehlsack ge¬ steckt, dann muͤhselig eingeschnuͤrt in der verstorbenen Mut¬ ter Brautkleid, das mir viel zu eng ist, dann hinter der Sterbedecke meiner Mutter her, auf der auch ich einst ster¬ ben sollte, durch den kalten Nebel von lamentabelm Gesang begleitet. — Sollte ich nicht schwer und krank und muͤd seyn und den Schnupfen ganz entsetzlich haben? — Das Fatalste war noch, daß das Huͤhnlein Gallina ganz naß und kalt die Fluͤgel haͤngen ließ, und da ich sehr oft und ungemein stark nießte, fuhr es erschreckt zusammen und mir mit den naßkalten Fluͤgeln an den Hals; wodurch ich ge¬ wiß einen Halskrampf bekommen haͤtte, denn der Schluchser stellte sich schon ein; jedoch Klareta haͤngte mir die neun Roͤslein, die ich beim Johannisfeuer erobert hatte um den Hals, das half so ziemlich; aber ich mußte alle Augenblicke denken: waͤre ich nicht uͤber das neunte Feuer gesprungen, so brauchte ich nicht hier im Nebel zu gehn. — Ich werde mein Leben lang an diesen Brautzug denken, wenn ich ver¬ drießlich bin. — Man kann sich keine verdrießlichere Braut denken, als mich, Alles aͤrgerte mich, selbst daß ich keine Wand sah, an der mich eine Fliege haͤtte aͤrgern koͤnnen. — Ach! dachte ich, waͤre doch der fatale Ring Salomonis nicht, der mit der Erfuͤllung aller Wuͤnsche einem schier die Thuͤre einrennt, das ploͤtzliche Gluͤck trifft einen wie ein Schlag¬ fluß, es wird mir nichts zu wuͤnschen uͤbrig bleiben, das ist die groͤßte Armuth. Gockel mag es gut meinen, aber was ist das fuͤr eine Heurath uͤber Hals und Kopf?— alle Schraͤnke sind voll und eingeraͤumt, und keinen Faden habe ich gespon¬ nen, gewebt, gebleicht, genaͤht; — ach die Freuden einer großen Waͤsche sind nun ewig fuͤr mich verloren! o unaus¬ stehliche Vollkommenheit aller Mobilien — nichts zu be¬ sorgen, auszusuchen, zu bestellen, nur wuͤnschen, wuͤnschen, wuͤnschen und auch gleich besitzen — o verwuͤnschtes Wuͤn¬ schen! — In solchen Jammergedanken nahten wir der Ka¬ pelle, und ich hatte noch eine neue Ursache, mich zu aͤrgern. Die Brautgeschenke Gockels zogen mir entgegen, er hatte die Geschenke Salomos und der Koͤniginn von Saba durch den Ring herbei gewuͤnscht, und das war eine Toilette aus einem goldnen Hahn und einer goldnen Henne bestehend von so kunstreichem Innern und Aeußern, daß mir der Geduld¬ faden ganz riß, all das Zeug anzusehen. Was mir in der Kapelle geschah, wuͤrde ich hier gar nicht sagen, wenn es nicht meiner Verdrießlichkeit die Krone aufgesetzt haͤtte. Graf Gockel erwartete mich am Altar, ich sah ihn nicht an, er ward sehr betruͤbt uͤber meinen Unmuth, er bat mich drin¬ gend um die Ursache, ich antwortete nicht; da ward dem Alektryo auf seiner Schulter der Kamm ganz blutroth, und er ließ drohende Toͤne hoͤren; — das fand ich impertinent; daß aber Gallina auf meiner Schulter sich darauf einließ, mit freundlicher Stimme zu antworten, verdroß mich mehr als Alles. — Ich meinte sie habe mir Etwas von meinem Rechte vergeben, und haͤtte sie schier herabgestoßen; aber Verena fluͤsterte: „das fromme Huͤhnlein weiß Alles“ — das verdroß mich wieder; doch nun trat Jakob von Guise vor den Altar und hielt die Trauungsrede, und als wir die Ringe wechselten und ich das Jawort sagen wollte, mußte ich so entsetzlich nießen, daß ich selbst und alle Anwesenden in lautes Lachen ausbrachen. Gockel drehte den Ring mit dem lauten Wunsche „zur Gesundheit!“— da wirkte mein Nie¬ seu und Gockels Prosit ploͤtzlich, der Nebel zerriß, die Sonne stand am blauen Himmel, aller Schnupfen fiel mir wie Schup¬ pen von den Augen, ich war lustig und froh wie ein Kind und haͤtte allen Menschen moͤgen um den Hals fallen. An¬ fangs aͤrgerte mich das noch ein wenig, darum mag es hier stehen, aber weil auch dieser Aerger bald ganz abzog — so will ich Nichts weiter sagen. Als wir die Kapelle verließen, gab mir Gockel den Ring Salomonis wieder, und ich drehte ihn geschwind mit dem Wunsche, mein Tagebuch zu haben, um zu sehen, ob mehr darin stehe, als hier geschrieben steht; da trat auf einmal das Buͤblein zu mir hin mit dem Buche. Es buͤckte sich und wollte Staub vom Boden auf die frische Schrift streuen und dann die Feder an den Aermel wischen, ich klopfte ihm aber auf die Finger und sagte: „pfui,“ und drehte den Ring Salomonis mit den Worten: Salomo du weiser Koͤnig, Dem die Geister unterthaͤnig, Bilde aus dem Nebel mir Gleich rein Seidenloͤschpapier. Zephyr soll ein ganzes Buch, Wie gewebt aus Wohlgeruch, Saͤnftlich zu mir niederhauchen, Nach Belieben es zu brauchen. Vieles leg ich auf die Locken, Bis sie von dem Thaue trocken, Ein Blatt muß ins Tagbuch hier, Denn sonst moͤchte das Geschmier Von dem Buͤblein es beschmutzen, Ein Blatt mag es selbst benutzen, Seine Feder auszuputzen. Ringlein, Ringlein dreh dich um Schnell ein Fließblatt! bitt dich drum. Da kam ein leises lindes Wehen angestroͤmt, es hauchte fuͤnf und zwanzig Mal und mit jedem Hauche ward der Him¬ mel blauer, schien die Sonne heller; und ein wunderliebli¬ cher gefluͤgelter Juͤngling schwebte durch die saͤuselnden Baͤu¬ me und uͤber die wiegenden Blumenglocken zu mir nieder. Er trug eine Blumenkrone, eine Wolke von Wohlgeruch duftete um ihn, es spielte ein Buch des feinsten Seidenpapiers in seiner Hand, vom Hauche seines Mundes und dem Schlage seiner Fluͤgel durchfaͤchelt. Er uͤberreichte es mir, spielte in meinen Locken und entschwebte mit einem Seufzer, ohne die Locken meiner Brautjungfern zu beruͤhren, die mit Hyacin¬ then bekraͤnzt, ihm wehmuͤthige Gedanken erregten. — Ich zaͤhlte das Buch Seidenpapier der Ordnung halber, und es waren richtig fuͤnf und zwanzig Bogen von feinem Nebel vor der Sonne getrocknet; ich hielt einen Bogen vor die Sonne, um das Papierzeichen kennen zu lernen und sah das Him¬ melszeichen der Pleiaden, der Gluckhenne mit ihren Kuͤchlein darauf abgebildet und die Worte umher „Vivat die goldene Amey“, eine Aufmerksamkeit Salomons, welche mir sehr schmeichelte. Ich trocknete meine Locken mit einem Theile der Bogen, legte einen Bogen in das Tagebuch und reichte den Letzten, der ohnedieß etwas schadhaft war, dem Buͤblein, seine Feder daran zu reinigen. Es that dies und verschwand, das Papier mit einem Tintenfleck fiel mir zu Fuͤßen. Das Buͤblein war fort, es war, als habe es sein eignes Daseyn aus der Feder geputzt. Ich legte das Blatt auch in das Buch, als ein Andenken an das arme Buͤblein und las die letzten Worte, die es in das Tagebuch geschrieben: Was reif in diesen Zeilen steht, Was laͤchelnd winkt und sinnend fleht, Das soll kein Kind betruͤben, Die Einfalt hat es ausgesaͤet, Die Schwermuth hat hindurch geweht, Die Sehnsucht hats getrieben; Und ist das Feld einst abgemaͤht, Die Armuth durch die Stoppeln geht, Sucht Aehren, die geblieben, Sucht Lieb, die fuͤr sie untergeht, Sucht Lieb, die mit ihr aufersteht, Sucht Lieb, die sie kann lieben, Und hat sie einsam und verschmaͤht Die Nacht durch dankend in Gebet Die Koͤrner ausgerieben, Liest sie, als fruͤh der Hahn gekraͤht, Was Lieb erhielt, was Leid verweht, Ans Feldkreuz angeschrieben, O Stern und Blume, Geist und Kleid, Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit!