VORLESUNGEN ÜBER GASTHEORIE VON Dr. LUDWIG BOLTZMANN PROFESSOR DER THEORETISCHEN PHYSIK AN DER UNIVERSITÄT WIEN. II. THEIL: THEORIE VAN DER WAALS’; GASE MIT ZUSAMMENGESETZTEN MOLEKÜLEN; GASDISSOCIATION; SCHLUSSBEMERKUNGEN. LEIPZIG, VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH. 1898. VORLESUNGEN ÜBER GASTHEORIE. VORLESUNGEN ÜBER GASTHEORIE VON Dr. LUDWIG BOLTZMANN PROFESSOR DER THEORETISCHEN PHYSIK AN DER UNIVERSITÄT WIEN. II. THEIL: THEORIE VAN DER WAALS’; GASE MIT ZUSAMMENGESETZTEN MOLEKÜLEN; GASDISSOCIATION; SCHLUSSBEMERKUNGEN. LEIPZIG, VERLAG VON JOHANN AMBROSIUS BARTH. 1898. Uebersetzungsrecht vorbehalten. Druck von Metzger \& Wittig in Leipzig. Vorwort . „ The impossibility of an incompensated decrease of entropy seems to be reduced to an improbability “. Gibbs, Conn. acad. trans. 3. p. 229. 1875 ; Ostwald’ s deutsche Ausg. S. 198. Als der erste Theil der Gastheorie gedruckt wurde, hatte ich bereits ein Manuscript für den vorliegenden zweiten und letzten Theil fast vollständig fertig, in welchem die schwierigeren Partien derselben nicht behandelt wurden. Gerade in dieser Zeit aber mehrten sich die Angriffe gegen die Gastheorie. Ich habe nun die Ueberzeugung, dass diese Angriffe lediglich auf Miss- verständnissen beruhen, und dass die Rolle der Gastheorie in der Wissenschaft noch lange nicht ausgespielt ist. Die Fülle mit der Erfahrung übereinstimmender Resultate, welche van der Waals aus ihr rein deductiv ableitete, werde ich in diesem Buche an- schaulich zu machen suchen. Auch in neuester Zeit hat die- selbe wieder Fingerzeige gegeben, welche man in keiner anderen Weise hätte erhalten können. Aus der Theorie des Verhält- nisses der specifischen Wärmen erschloss Ramsay das Atom- gewicht des Argons und damit dessen Stelle im Systeme der chemischen Elemente, von welcher er nachher durch Entdeckung des Neons nachwies, dass sie in der That die richtige war. Ebenso folgerte Smoluchowski aus der kinetischen Theorie der Wärmeleitung die Existenz und Grösse des Temperatur- sprunges bei der Wärmeleitung in sehr verdünnten Gasen. Es wäre daher meines Erachtens ein Schaden für die Wissenschaft, wenn die Gastheorie durch die augenblicklich Vorwort. herrschende ihr feindselige Stimmung zeitweilig in Vergessen- heit geriethe, wie z. B. einst die Undulationstheorie durch die Autorität Newton’ s. Wie ohnmächtig der Einzelne gegen Zeitströmungen bleibt, ist mir bewusst. Um aber doch, was in meinen Kräften steht, dazu beizutragen, dass, wenn man wieder zur Gastheorie zu- rückgreift, nicht allzuviel noch einmal entdeckt werden muss, nahm ich in das vorliegende Buch nun auch die schwierigsten, dem Missverständnisse am meisten ausgesetzten Theile der Gas- theorie auf und versuchte davon wenigstens in den Grund- linien eine möglichst leicht verständliche Darstellung zu geben. Freilich muss ich um Entschuldigung bitten, wenn dadurch einige Capitel etwas weitschweifig wurden, da eine einiger- maassen präcise Darstellung dieser Theorien ohne einen ent- sprechenden Formelapparat wohl nicht möglich ist. Besonderen Dank schulde ich Hrn. Dr. Hans Benndorf für die Zusammenstellung zahlreicher Literaturbehelfe während meiner Abwesenheit von Wien. Volosca , Villa Irenea, im August 1898. Ludwig Boltzmann. Inhaltsverzeichniss. I. Abschnitt. Seite Grundzüge der Theorie van der Waals’ 1 § 1. Allgemeine Anschauungen van der Waals ’ 1 § 2. Aeusserer und innerer Druck 4 § 3. Zahl der Stösse auf die Wand 6 § 4. Berücksichtigung der Ausdehnung der Moleküle bei der Stosszahl 7 § 5. Bestimmung des den Molekülen ertheilten Antriebes 10 § 6. Gültigkeitsgrenzen der in § 4 gemachten Vernachlässigung 12 § 7. Bestimmung des inneren Druckes 13 § 8. Ein ideales Gas als thermometrische Substanz 16 § 9. Temperatur-Druckcoefficient. Bestimmung der Constanten der van der Waals’ schen Gleichung 18 § 10. Absolute Temperatur. Compressionscoefficient 20 § 11. Kritische Temperatur, kritischer Druck und kritisches Volumen 23 § 12. Geometrische Discussion der Isothermen 27 § 13. Specialfälle 31 II. Abschnitt. Physikalische Discussion der Theorie van der Waals’ 33 § 14. Stabile und labile Zustände 33 § 15. Unterkühlung, Verdampfungsverzug 36 § 16. Stabile Coexistenz der beiden Phasen 38 § 17. Geometrische Darstellung des Zustandes, wobei zwei Phasen coexistiren 42 § 18. Definition der Begriffe Gas, Dampf und tropfbare Flüssigkeit 45 § 19. Willkürlichkeit der Definitionen des vorigen Paragraphen 47 § 20. Isopykne Zustandsänderung 49 § 21. Calorimetrie einer das van der Waals’ sche Gesetz befolgen- den Substanz 51 § 22. Grösse der Moleküle 54 § 23. Beziehungen zur Capillarität 55 § 24. Trennungsarbeit der Moleküle 59 Inhaltsverzeichniss. III. Abschnitt. Seite Für die Gastheorie nützliche Sätze der allgemeinen Mechanik 62 § 25. Auffassung der Moleküle als mechanische Systeme, welche durch generalisirte Coordinaten charakterisirt sind 62 § 26. Liouville’ s Satz 66 § 27. Ueber Einführung neuer Variabeln in Producte von Diffe- rentialen 69 § 28. Anwendung auf die Formeln des § 26 74 § 29. Zweiter Beweis des Liouville’ schen Satzes 77 § 30. Jacobi’ s Satz vom letzten Multiplicator 82 § 31. Einführung des Energiedifferentiales 86 § 32. Ergoden 89 § 33. Begriff der Momentoide 93 § 34. Ausdrücke für die Wahrscheinlichkeit; Mittelwerthe 96 § 35. Allgemeine Beziehung zum Temperaturgleichgewichte 102 IV. Abschnitt. Gase mit zusammengesetzten Molekülen 105 § 36. Specielle Betrachtung zusammengesetzter Gasmoleküle 105 § 37. Anwendung der Kirchhoff ’schen Methode auf Gase mit zusammengesetzten Molekülen 108 § 38. Ueber die Möglichkeit, dass für eine sehr grosse Zahl von Molekülen die ihren Zustand bestimmenden Variabeln zwischen sehr engen Grenzen liegen 110 § 39. Betrachtung der Zusammenstösse zweier Moleküle 112 § 40. Nachweis, dass die in § 37 angenommene Zustandsvertheilung durch die Zusammenstösse nicht gestört wird 117 § 41. Verallgemeinerungen 120 § 42. Mittelwerth der einem Momentoide entsprechenden lebendigen Kraft 122 § 43. Das Verhältniss κ der specifischen Wärmen 127 § 44. Werthe des κ für specielle Fälle 128 § 45. Vergleich mit der Erfahrung 130 § 46. Andere Mittelwerthe 133 § 47. Betrachtung der gerade in Wechselwirkung begriffenen Moleküle 135 V. Abschnitt. Ableitung der van der Waals’schen Gleichung mittelst des Virial- begriffes 138 § 48. Präcisirung der Punkte, wo van der Waals’ Schlussweise der Ergänzung bedarf 138 § 49. Allgemeiner Begriff des Virials 139 Inhaltsverzeichniss. Seite § 50. Virial des auf ein Gas wirkenden äusseren Druckes 142 § 51. Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von Molekülpaaren mit gegebener Centraldistanz 143 § 52. Virial, das von der endlichen Ausdehnung der Moleküle herrührt 149 § 53. Virial der Waals’s chen Cohäsionskräfte 151 § 54. Ersatzformeln für die van der Waals’ sche 153 § 55. Virial für ein beliebiges Abstossungsgesetz der Moleküle 155 § 56. Das Princip der Lorentz’ schen Methode 157 § 57. Zahl der Zusammenstösse 161 § 58. Genauerer Werth der mittleren Weglänge. Berechnung von W nach Lorentz’s Methode 164 § 59. Genauere Berechnung des für den Mittelpunkt eines Moleküles disponiblen Raumes 165 § 60. Berechnung des Druckes des gesättigten Dampfes aus den Wahrscheinlichkeitssätzen 167 § 61. Berechnung der Entropie eines die Waals’s chen Voraus- setzungen erfüllenden Gases nach der Wahrscheinlichkeits- rechnung 171 VI. Abschnitt. Theorie der Dissociation 177 § 62. Mechanisches Bild der chemischen Affinität einwerthiger gleichartiger Atome 177 § 63. Wahrscheinlichkeit der chemischen Bindung eines Atomes mit einem gleichartigen 180 § 64. Abhängigkeit des Dissociationsgrades vom Drucke 185 § 65. Abhängigkeit des Dissociationsgrades von der Temperatur 188 § 66. Numerische Rechnungen 192 § 67. Mechanisches Bild der Affinität zweier ungleichartiger ein- werthiger Atome 196 § 68. Dissociation eines Moleküles in zwei heterogene Atome 200 § 69. Dissociation des Chlorwasserstoffgases 202 § 70. Dissociation des Wasserdampfes 203 § 71. Allgemeine Theorie der Dissociation 206 § 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs’ 211 § 73. Der empfindliche Bezirk ist um das ganze Atom herum gleichmässig vertheilt 213 VII. Abschnitt. Ergänzungen zu den Sätzen über das Wärmegleichgewicht in Gasen mit zusammengesetzten Molekülen 217 § 74. Definition der Grösse H , welche die Zustandswahrscheinlich- keit misst 217 Inhaltsverzeichniss. Seite § 75. Veränderung der Grösse H durch die intramolecularen Be- wegungen 220 § 76. Charakterisirung des zunächst zu betrachtenden speciellen Falles 222 § 77. Form des Liouville’ schen Satzes in dem betrachteten Specialfalle 224 § 78. Veränderung der Grösse H in Folge der Zusammenstösse 226 § 79. Allgemeinste Charakterisirung des Vorganges eines Zusammen- stosses zweier Moleküle 230 § 80. Anwendung des Liouville’ schen Satzes auf Zusammenstösse allgemeinster Art 232 § 81. Methode der Rechnung mit endlichen Differenzen 235 § 82. Integralausdruck für die allgemeinste Aenderung von H durch die Zusammenstösse 239 § 83. Präcisirung des nun zu betrachtenden Specialfalles 240 § 84. Auflösung der für jeden Zusammenstoss geltenden Gleichung 242 § 85. Es sollen nur die Atome einer einzigen Gattung sich stossen 245 § 86. Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer Centralbewegung von bestimmter Beschaffenheit 246 § 87. Charakterisirung unserer Annahme über die Anfangszustände 251 § 88. Ueber die Rückkehr eines Systemes in den alten Zustand 253 § 89. Beziehung zum zweiten Hauptsatze der Wärmetheorie 254 § 90. Anwendung auf das Universum 256 § 91. Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Mole- kularphysik 259 § 92. Ableitung des Wärmegleichgewichtes durch Umkehr der Zeitfolge 260 § 93. Führung des Beweises durch cyklische Reihen einer endlichen Zahl von Zuständen 264 I. Abschnitt. Grundzüge der Theorie van der Waals’. § 1. Allgemeine Anschauungen van der Waals’ . Wenn die Entfernung, in welcher zwei Gasmoleküle be- merkbar auf einander wirken, verschwindend klein gegen die durchschnittliche Entfernung von einem Molekül bis zum nächst- benachbarten ist, oder, wie man auch sagen kann, wenn der von den Molekülen (resp. deren Wirkungssphären) eingenommene Raum gegenüber dem vom ganzen Gase erfüllten Raume ver- schwindet, so verschwindet auch für jedes Molekül gegenüber der geradlinigen oder bloss unter dem Einflusse der äusseren Kräfte zurückgelegten Bahn seines Schwerpunktes derjenige Theil dieser Bahn, welcher während der Wechselwirkung mit anderen Molekülen zurückgelegt wird. Dann gilt das Boyle- Charles’s che Gesetz für das betreffende Gas, sowohl wenn die Moleküle desselben einfache materielle Punkte oder starre Körperchen, als auch wenn sie beliebig zusammengesetzte Aggregate sind. Das betreffende Gas heisst dann in allen diesen Fällen ein ideales. Die in der Natur vorkommenden Gase erfüllen diese Be- dingung des idealen Gaszustandes nur unvollständig und es ist daher eine Theorie, welche auch der endlichen Ausdehnung der Wirkungssphären der Moleküle Rechnung trägt, höchst erwünscht. Eine solche wurde von van der Waals gegeben, der sich die Moleküle im Uebrigen, wie wir es zu Anfang des ersten Theiles thaten, als verschwindend wenig deformirbare elastische Kugeln denkt. Er verallgemeinert jedoch die Theorie in zwei- facher Weise: Boltzmann, Gastheorie II. 1 I. Abschnitt. 1. setzt er nicht voraus, dass der von den elastischen Kugeln, welche die Moleküle darstellen, wirklich erfüllte Raum verschwindend klein gegenüber dem ganzen Volumen des Gases sei; 2. nimmt er an, dass ausser den nur während der Zu- sammenstösse eine verschwindend kurze Zeit lang thätigen elastischen Kräften noch eine Anziehungskraft zwischen den Molekülen thätig ist, welche in der Richtung ihrer Centrilinie wirkt und deren Intensität eine Function der Centraldistanz ist. Wir nennen diese Anziehungskraft die Waals’s che Co- häsionskraft. Die Nothwendigkeit der Annahme einer Anziehungskraft zwischen den Molekülen folgt unmittelbar aus der nun bei allen Gasen nachgewiesenen Möglichkeit sie zu verflüssigen, da das gleichzeitige Nebeneinanderbestehen einer tropfbar flüssigen und einer dampfförmigen Phase derselben Substanz bei gleicher Temperatur und gleichem Drucke in demselben Gefässe nur erklärlich ist, wenn zwischen den Molekülen nebst der Kraft, die während der Zusammenstösse deren Wieder-Auseinander- prallen bewirkt, auch noch Anziehungskräfte thätig sind. Diese Anziehungskräfte könnten direct durch folgenden Versuch nachgewiesen werden. Man bringe ein mit einem ver- dichteten Gase gefülltes Gefäß plötzlich mit einem anderen Gefässe in Communication, welches dasselbe Gas in verdünn- terem Zustande enthält. Beim Ueberströmen leistet dann das Gas im ersteren Gefässe durch Ueberwindung des Druckes Arbeit und kühlt sich ab; im letzteren Gefässe entstehen zuerst sichtbare Strömungen, welche sich durch Reibung mit der Zeit in Wärme verwandeln. Wenn zwischen den Molekülen bloss Stosskräfte thätig wären, so müsste die hierdurch schliesslich entstandene Wärme vollständig äquivalent der Abkühlung im ersten Gefässe sein. Sind dagegen zwischen den Molekülen auch Anziehungskräfte thätig, die sich auf etwas grössere Ent- fernungen erstrecken, so ist diese Aequivalenz keine vollständige, sondern es findet im Ganzen ein kleiner Wärmeverlust statt, da ja die durchschnittlichen Distanzen der Moleküle grösser ge- worden sind und daher auf Ueberwindung ihrer Anziehung eine gewisse Wärme aufgewendet werden musste. § 1. Van der Waals’ Grundanschauungen. Die nach dieser Methode von Gay-Lussac Mem. d. l. soc. d’Arcueil I, S. 180, 1807; vgl. Anhang zu Mach, Princ. d. Wärmelehre, Barth, 1897. und später von Joule und Lord Kelvin Phil. mag. ser. III, 26, S. 369, 1845. Joule’s gesamm. Abh., deutsch v. Sprengel . angestellten Versuche ergaben zwar kein die Frage nach dem Vorhandensein dieser Anziehungs- kräfte sicher entscheidendes Resultat, doch gelang es den beiden Letzteren nach einer mehr indirecten Methode die Existenz dieser Anziehungskräfte durch Ausdehnungsversuche mit Gasen experimentell nachzuweisen. Phil. trans. 1854, S. 321. 1862, S. 579. Sie zeigten nämlich, dass ein Gas, welches (ohne Wärmeabgabe nach aussen) mit Druck durch einen porösen Pfropf getrieben wird, dabei eine kleine Abkühlung er- fährt, während die Rechnung ergiebt, dass ein vollkommen ideales Gas hierbei seine Temperatur nicht ändern würde. Die gleichzeitige Existenz einer anziehenden Fernkraft und eines elastischen Kernes der Moleküle hat freilich eine gewisse Unwahrscheinlichkeit. Besonders scheint sie der im III. Abschnitte des I. Theiles besprochenen Annahme dia- metral entgegengesetzt zu sein, dass sich zwei Moleküle mit einer der 5. Potenz der Entfernung verkehrt proportionalen Kraft abstossen. Trotzdem könnten beide Annahmen eine ge- wisse Annäherung an die Wirklichkeit gewähren, wenn die Moleküle in grösseren Entfernungen eine schwache Anziehung, in sehr kleinen aber eine nahe der 5. Potenz der Entfernung verkehrt proportionale Abstossung auf einander ausüben würden. Die Anziehung müsste dann mit abnehmender Entfernung weit langsamer wachsen als die Abstossung, so dass erstere bei den Zusammenstössen neben der in sehr kleinen Entfernungen enorm überwiegenden Abstossung nicht in Betracht käme. Wir wollen selbstverständlich eine genauere Formulirung der etwa möglichen Annahmen der Zukunft überlassen und uns im Folgenden unbekümmert um den Zusammenhang mit den im I. Theile discutirten Hypothesen genau an die Voraussetzungen van der Waals’ halten, die wir ganz im Sinne unserer Theorie wieder als ein nur in manchen Stücken zutreffendes Bild be- trachten. Wir haben ja auch bisher im Bewusstsein unserer Un- bekanntschaft mit der wahren Beschaffenheit der Moleküle niemals 1* I. Abschnitt. prätendirt, dass unsere Annahmen in der Natur genau realisirt seien. Dagegen haben wir bisher das grösste Gewicht darauf gelegt, dass die daran geknüpften Rechnungen exact richtig, d. h. logisch nothwendige Consequenzen der Annahmen seien. Die hierdurch erzielte Ausbildung der mathematischen Methoden war unser Hauptzweck. Dadurch, dass aus verschiedenartigen Annahmen die Consequenzen vorliegen, sollte die Auffindung von Experimenten zu ihrer Prüfung erleichtert werden und zugleich sollte dafür gesorgt werden, dass bei jedem Fort- schritte unserer Erkenntniss die mathematischen Methoden zur Bearbeitung der neuen Gesetze möglichst bereit liegen. Leider muss van der Waals auch diese mathematische Strenge in einem Punkte aufgeben, der sich bisher nicht durch Rechnung bewältigen liess. Doch beweist es gewiss den hohen Werth und grossen Nutzen der Waals’s chen Theorie, dass dessen Formel im Allgemeinen ein ziemlich gutes Bild des Ver- haltens der Gase bis zu ihrer Verflüssigung liefert, wenn sie auch nicht durchaus quantitativ mit der Erfahrung stimmt. Man ist auch wohl berechtigt, hieraus zu schliessen, dass sie in ihren Grundzügen kaum je durch eine völlig verschiedene ersetzbar sein wird. Ich will in diesem Abschnitte die Gleichungen van der Waals’ auf möglichst einfachem und kurzem Wege ableiten und Ergänzungen dazu erst im V. Abschnitte bringen. § 2. Aeusserer und innerer Druck . Ein beliebiges Gefäss vom Volum V enthalte n gleich be- schaffene Moleküle, welche vollkommen elastische unendlich wenig deformirbare Kugeln vom Durchmesser σ seien. Das von diesen Kugeln selbst ausgefüllte Volumen sei ziemlich klein, aber nicht vollkommen verschwindend gegen das ganze Volumen V des Ge- fässes. Es wird sich zeigen, dass die Formeln, welche wir er- halten werden, angenähert auch noch auf Zustände der im Gefässe befindlichen Substanz anwendbar sind, in denen diese nicht mehr als Gas, sondern als tropfbare Flüssigkeit bezeichnet werden muss. Wir werden sie daher im Folgenden schlecht- weg als Substanz, nicht als Gas bezeichnen, obwohl wir haupt- sächlich noch immer solche Fälle im Auge haben, wo sich ihr Zustand sehr dem eines Gases nähert. [Gleich. 1] § 2. Aeusserer und innerer Druck. Zwischen den Mittelpunkten je zweier Moleküle der Sub- stanz wirke eine Anziehungskraft (die Waals’s che Cohäsions- kraft), welche zwar auch in Entfernungen, die von der Grössen- ordnung der der Beobachtung zugänglichen sind, verschwindet, aber doch mit wachsender Entfernung so langsam abnimmt, dass sie selbst innerhalb Distanzen, die gross gegenüber der durch- schnittlichen Entfernung zweier Nachbarmoleküle der Substanz sind, noch nahezu als constant betrachtet werden kann. Die Folge davon ist, dass die auf jedes im Innern des Gefässes befindliche Molekül von den umgebenden Molekülen ausgeübten Waals’s chen Cohäsionskräfte sehr nahe nach allen möglichen Richtungen im Raume gleichmässig wirken und sich daher auf- heben, so dass die Bewegung der einzelnen Moleküle wie die gewöhnlicher Gasmoleküle erfolgt und durch die Waals’s che Cohäsionskraft nicht erheblich modificirt wird. Obwohl daher die letztere aus dem Rahmen der im 1. Theile von uns betrachteten Kräfte heraustritt, so kann doch die Bewegung der Moleküle genau nach den dort aufgestellten Principien berechnet werden. Nur auf die Moleküle, die der Grenze der Substanz sehr nahe sind, wirkt die Waals ’sche Cohäsionskraft vorwiegend nach innen. Diese Moleküle werden daher durch zweierlei Kräfte zur Umkehr gezwungen. Erstens durch den Gegendruck der Wand auf das Gas, zweitens durch die Waals’s che Cohäsionskraft. Die Intensität, mit welcher die erstere Kraft auf die der Flächeneinheit anliegenden Moleküle wirkt, heisse p , die der letzteren p i , so dass die der Flächeneinheit der Begrenzungsfläche der Substanz anliegenden Moleküle durch die Gesammtkraft 1) zur Umkehr gezwungen werden. Es sei nun ein Theil D E der Gefässwand vom Flächen- inhalte Ω eben. Die Gesammtkraft , welche im Gleichgewichtszustande auf die in der Zeiteinheit die Fläche D E treffenden Moleküle wirkt und dieselben zur Umkehr zwingt, ist nach § 1 des I. Theiles gleich dem ge- sammten in der Richtung der Normalen N zur Fläche D E geschätzten Bewegungsmomente, welches die Moleküle in der Zeiteinheit durch diese Fläche tragen würden, wenn sich die- I. Abschnitt. [Gleich. 3] selbe im Innern des Gases befände, vermehrt um das Be- wegungsmoment, welches den Geschwindigkeiten entspricht, mit denen diese Moleküle sich wieder von der Fläche weg ins Innere des Gases bewegen. § 3. Zahl der Stösse auf die Wand . Wir heben zunächst aus allen Molekülen nur diejenigen hervor, für welche die Grösse der Geschwindigkeit c zwischen c und c + d c , der Winkel ϑ , den die Richtung derselben mit der zur Fläche D E nach aussen errichteten Normalen N bildet, zwischen ϑ und ϑ + d ϑ und der Winkel ε zwischen einer zu D E normalen, die Richtung der Geschwindigkeit ent- haltenden Ebene und einer fixen, zu D E normalen Ebene zwischen ε und ε + d ε liegt. Wir wollen den Inbegriff dieser Bedingungen als die Bedingungen 2 bezeichnen. Alle Moleküle, welche ihnen genügen, nennen wir Moleküle der hervorgehobenen Art und wir fragen uns zunächst, wie viele Moleküle der hervorgehobenen Art während einer sehr kleinen Zeit d t auf die Fläche D E stossen. Jedes dieser Moleküle ist als Kugel vom Durchmesser σ zu denken und stösst also in dem Momente auf die Ebene D E , wo es dieselbe berührt. Die Mittelpunkte der hervorgehobenen Moleküle legen alle während der Zeit d t den nahe gleichen und gleichgerichteten Weg c d t zurück. Die Anzahl der Mole- küle der hervorgehobenen Art, welche während der Zeit d t auf die Ebene D E stossen, finden wir daher in folgender Weise: Wir lassen die Ebene D E an jedem ihrer Punkte durch eine Kugel tangiren, deren Durchmesser gleich dem Durch- messer σ eines Moleküles ist. Der Mittelpunkt aller dieser Kugeln liegt in einer zweiten Ebene vom Flächeninhalte Ω . Durch jeden Punkt dieser zweiten Ebene ziehen wir eine Ge- rade, welche gleich lang und gleichgerichtet ist wie der Weg c d t , den jedes der hervorgehobenen Moleküle während der Zeit d t zurücklegt. Alle diese Geraden erfüllen einen schiefen Cylinder γ von der Basis Ω und der Höhe 3) d h = c d t cos ϑ , [Gleich. 3] § 3. Zahl der Stösse. § 4. Ausdehnung der Moleküle. also vom Volumen Ω d h und man sieht leicht, dass genau die- jenigen Moleküle der hervorgehobenen Art während der Zeit d t auf die Ebene D E stossen, deren Mittelpunkte zu Anfang des Zeitmomentes d t im schiefen Cylinder γ lagen. § 4. Berücksichtigung der Ausdehnung der Moleküle bei der Stosszahl . Um die Anzahl d z dieser letzteren Moleküle zu finden, bestimmen wir zuerst ganz allgemein die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer bestimmten gegebenen Lage der übrigen Mole- küle der Mittelpunkt eines bestimmten gegebenen Moleküls innerhalb des Cylinders γ liegt. Das gegebene Molekül kann von dem Mittelpunkte keines der übrigen n — 1 Moleküle eine Entfernung haben, die kleiner als σ ist. Den für den Mittel- punkt unseres Moleküles bei gegebener Lage der übrigen Moleküle im ganzen Gefässe überhaupt verfügbaren Raum finden wir daher folgendermaassen: Wir construiren um den Mittelpunkt jedes der n — 1 anderen Moleküle eine Kugel vom Radius σ , welche wir die Deckungssphäre dieses Moleküls nennen wollen. Ihr Volumen ist das achtfache von dem Volumen des als elastische Kugel gedachten Moleküles selbst. Das gesammte Volumen 4 π ( n — 1) σ 3 /3 aller dieser n — 1 Deckungssphären ziehen wir vom Gesammtvolumen V des Gases ab, wobei auch n für n — 1 geschrieben werden kann, da n eine sehr grosse Zahl ist. Um nun d z zu finden, vergleichen wir diesen Raum V — 4 π n σ 3 / 3, welcher für den Mittelpunkt des bestimmten gegebenen Moleküls im ganzen Gefässe zur Verfügung steht, mit dem Raume, der dafür im Cylinder γ zur Verfügung steht. Den letzteren finden wir, wenn wir von dem ganzen Volumen Ω d h des Cylinders γ wieder das Volumen derjenigen Theile desselben abziehen, welche innerhalb der Deckungssphäre irgend eines der n — 1 übrigen Moleküle liegen. Die Deckungs- sphären dieser n — 1 Moleküle werden offenbar durchschnitt- lich gleichförmig im ganzen Volumen V des das Gas ent- haltenden Gefässes vertheilt sein, mit Ausnahme der der Wand sehr naheliegenden Partien im Gefässe. Wenn sich daher der Cylinder γ irgendwie mitten im Innern des Gefässes befände, so würde derjenige Theil A des Gesammtvolumens 4 π n σ 3 / 3 I. Abschnitt. [Gleich. 3] der Deckungssphären aller Moleküle, welcher innerhalb des Cylinders γ liegt, sich zu diesem Gesammtvolumen 4 π n σ 3 / 3 verhalten, wie das Volumen Ω d h des Cylinders γ zum Ge- sammtvolumen V des Gases. Es wäre daher . Von allen Molekülen, deren Deckungssphäre in das Volumen des Cylinders γ eingreift, kann man die Zahl der- jenigen vernachlässigen, deren Mittelpunkt innerhalb des Cy- linders γ selbst liegt, da die Höhe d h dieses Cylinders un- endlich klein ist. Die Mittelpunkte aller Moleküle, deren Deckungssphären in das Volumen des Cylinders γ eingreifen, würden daher, wenn dieser Cylinder mitten im Gefässe läge, gleichmässig zur Hälfte auf der einen, zur Hälfte auf der an- deren Seite des Cylinders γ liegen. Da sich nun der von uns betrachtete Cylinder γ nicht mitten im Innern des Gefässes, sondern im Abstande ½ σ von der Wand desselben befindet, so können bloss auf der einen Seite desselben Mittelpunkte der n — 1 Moleküle liegen, nicht aber auf der anderen. Es fällt also die Hälfte der Moleküle weg, deren Deckungssphären früher aus dem ganzen Cylinder γ das Volumen A herausschnitten, und derjenige Theil des Volumens des Cylinders γ , welcher von den Deckungssphären irgend welcher der n — 1 Moleküle erfüllt wird, ist nur: . Diese Formel kann auch in der folgenden, etwas umständlicheren Weise abgeleitet werden. Wir wollen die Endfläche des Cylinders γ , welche der Gefässwand zugewandt ist, die Basis nennen. Ein Mittel- punkt einer der Deckungssphären kann natürlich nur auf derjenigen Seite der Basis liegen, die von der Gefässwand abgekehrt ist. Wir construiren auf dieser Seite zwei der Basis des Cylinders γ parallele Ebenen, beide vom Flächeninhalte Ω in den Entfernungen ξ und ξ + d ξ von der Basis. Der Raum zwischen diesen beiden Ebenen heisse der Cylinder γ 1 ; sein Volumen ist γ 1 = Ω d ξ . Die Anzahl derjenigen unserer n — 1 Deckungs- sphären, deren Mittelpunkte zur gegebenen Zeit im Cylinder γ liegen, ist: , [Gleich. 6] § 4. Ausdehnung der Moleküle. Das gesammte übrige Volumen des Cylinders γ ist als Ort für den Mittelpunkt des einen ge- gebenen Moleküles verfügbar, falls wir die Wahrscheinlichkeit suchen, dass derselbe im Cylinder γ liegt. Diese Wahrscheinlichkeit ist der Quotient des im ganzen Gasvolumen überhaupt verfügbaren Raumes in den innerhalb des Cylinders γ verfügbaren Raum, also gleich 4) , wofür wir, da die im Zähler und Nenner abgezogene Grösse sehr klein ist, auch schreiben können 5) wobei 6) der halbe von den Deckungssphären aller Moleküle erfüllte Raum, also das vierfache Gesammtvolumen aller Moleküle ist. wofür wir, da das von uns jetzt berechnete Glied überhaupt nur ein kleines Correctionsglied ist, schreiben können: . Jede dieser Deckungssphären schneidet einen Kreis von der Fläche π ( σ 2 — ξ 2 ), daher einen Raum vom Volumen π ( σ 2 — ξ 2 ) d h aus dem Cy- linder γ heraus. Multipliciren wir denselben mit der Anzahl n Ω d ξ / V der Deckungssphären und integriren über alle möglichen Werthe des ξ , also bezüglich ξ von Null bis σ , so erhalten wir für den gesammten Raum, welcher von den Deckungssphären aus dem Cylinder γ heraus- geschnitten wird, also als Ort für das Centrum des gegebenen Moleküls nicht verfügbar ist, den Werth: in Uebereinstimmung mit der Formel des Textes. I. Abschnitt. [Gleich. 9] § 5. Bestimmung des den Molekülen ertheilten An- triebes . Da im Ganzen nicht bloss das eine gegebene, sondern n Moleküle im Gase vorhanden sind, so ist die Gesammtzahl der Gasmoleküle, deren Mittelpunkt im Cylinder γ liegt, gleich 7) . Davon haben eine Geschwindigkeit, welche zwischen c und c + d c liegt, wobei 8) die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Geschwindigkeit eines Moleküles zwischen c und c + d c liegt, also die durch die Gesammtzahl n der Moleküle dividirte Zahl derjenigen Mole- küle, deren Geschwindigkeit diese Bedingung erfüllt. Unter den ν 1 Molekülen werden sich wieder finden, für welche ausserdem der Winkel ϑ zwischen den Grenzen ϑ und ϑ + d ϑ liegt, Vergl. I. Theil, S. 49, Formel 38) und 43). und unter diesen wieder , für welche auch noch ε zwischen den Grenzen ε und ε + d ε liegt. Dies ist also die im Früheren mit d z bezeichnete An- zahl der Moleküle, welche im Cylinder vom Volumen 9) liegen und deren Geschwindigkeit und Geschwindigkeitsrichtung die in § 3 als die Bedingungen 2 bezeichneten Bedingungen erfüllen. Diese Moleküle sind identisch mit den Molekülen, welche während der Zeit d t auf das Stück D E der Gefässwand vom Flächeninhalte Ω so stossen, dass dabei Grösse und Richtung der Geschwindigkeit wieder die Bedingungen 2 er- füllen. Durch Substitution der Werthe 7) und 9) geht der Aus- druck für die Anzahl dieser Moleküle über in: [Gleich. 13] § 5. Antrieb. 10) . Wir setzen nun voraus, dass der Zustand stationär ist. Während einer beliebigen Zeit t 2 — t 1 stossen dann ( t 2 — t 1 ). d z / d t Mole- küle der hervorgehobenen Art auf die Fläche D E . Jedes der- selben hat vor dem Stosse das Bewegungsmoment m c cos ϑ in der Richtung N und erhält durchschnittlich das gleiche Bewegungsmoment in der entgegengesetzten Richtung, so dass ihm durch den auf dieses Molekül entfallenden Antheil des ge- sammten Antriebes Ω p g ( t 2 — t 1 ) der Kraft Ω p g im Ganzen das Bewegungsmoment 2 m c cos ϑ in der Richtung normal zu D E nach innen zu mitgetheilt werden muss. Alle Moleküle der hervorgehobenen Art tragen daher den Betrag 11) zum Antriebe Ω p g ( t 2 — t 1 ) bei. Substituirt man für d z den Werth 10) und integrirt über alle möglichen Werthe, also be- züglich ε von Null bis 2 π , bezüglich ϑ von Null bis π / 2 und bezüglich c von Null bis ∞, so erhält man den ganzen An- trieb Ω p g ( t 2 — t 1 ). Wenn wir in der betreffenden Gleichung sogleich durch Ω ( t 2 — t 1 ) wegdividiren und die Integration nach ε ausführen, so folgt: 12) . Das nach ϑ genommene Integral hat bekanntlich den Werth ⅓. Ferner ist gleich dem mittleren Geschwindigkeits- quadrat eines Moleküls. Man erhält also: 13) . Wäre die Anziehungskraft der Gasmoleküle, welche wir die Waals’s che Cohäsionskraft genannt haben, nicht vorhanden, so wäre p g einfach der äussere Druck des Gases. Wegen jener Cohäsionskraft aber besteht die Gesammtkraft p g aus zwei Theilen: Erstens der Druckkraft p , welche von der das Gas begrenzenden Wand ausgeübt wird und zweitens der An- ziehungskraft, welche die übrigen Moleküle auf jedes sich der I. Abschnitt. [Gleich. 14] Wand nähernde Molekül ausüben und welche ebenfalls dazu beiträgt, das Molekül zur Umkehr zu bringen. Bezeichnen wir daher wie früher die Gesammtintensität jener auf die der Flächeneinheit anliegenden Moleküle wirkenden Anziehungskraft mit p i , so folgt die schon mit 1) bezeichnete Gleichung: . § 6. Gültigkeitsgrenzen der in § 4 gemachten Ver- nachlässigung . Bei Ableitung der Gleichungen 5) und 13) wurden alle Glieder von der Grössenordnung B 2 / V 2 vernachlässigt. Wir können daher nicht erwarten, dass diese Formel auch noch für Werthe des V gilt, welche nicht als gross gegenüber B be- trachtet werden können. In der That liefert die Formel 10) bereits für V = B einen unendlich grossen Druck. Dieses Volumen des Gases ist aber noch 4 mal so gross als der von den Molekülen wirklich erfüllte Raum und daher der ihm entsprechende Druck sicher nicht unendlich gross. Der Druck kann vielmehr erst unendlich gross werden, wenn die Moleküle so dicht gedrängt sind, als man Kugeln im Raume überhaupt zusammendrängen kann. Eine der dichtesten Lagerungen von sehr viel gleich grossen Kugeln dürfte man erhalten, wenn man sie nach Art der aus Kanonenkugeln aufgebauten Pyramiden aufschichtet. Eine leichte Rechnung zeigt, dass sich dann das ganze Volumen, welches sie sammt den kleinen zwischen ihnen frei bleibenden Zwischenräumen einnehmen, zu dem von den Kugeln selbst erfüllten Raum wie verhält. Wenn die Gasmoleküle in dieser Weise gelagert wären, so wäre daher 14) . Es wird also p g erst unendlich, wenn V etwa gleich ⅓ B wird, Dann besteht auch zwischen den in Formel 19) vorkommenden Grössen v und b die Beziehung v = ⅓ b und die in Formel 32) eingeführte Grösse ω wird gleich ⅓. wogegen es nach Formel 13) schon für V = B unend- lich wird. [Gleich. 14] § 6. Gültigkeitsgrenzen. § 7. Innerer Druck. Wir werden übrigens im V. Abschnitte § 58 sehen, dass die Formel 13) schon die Glieder von der Grössenordnung B 2 / V 2 nicht mit dem richtigen Coefficienten liefert. In dieser Hinsicht setzt also van der Waals an Stelle der exact richtigen Formel eine andere, welche sicherlich unrichtig ist, sobald V nicht klein gegen B ist. So wesent- lich nun der quantitative Unterschied ist zwischen einem Aus- drucke, der für V = B verschwindet und einem solchen, der für V gleich ⅓ B verschwindet, so dürfte doch die richtige Formel in qualitativer Beziehung einen ganz ähnlichen Ver- lauf liefern, wie die von van der Waals an ihre Stelle ge- setzte. Daher erklärt sich auch die schöne qualitative Ueber- einstimmung der Waals’ schen Formel mit dem wirklichen Ver- halten der Gase und tropfbaren Flüssigkeiten; aber es erklären sich auch die wesentlichen quantitativen Unterschiede und so lange wie gegenwärtig die Berechnung der exacten Formel auf unüberwindliche mathematische Schwierigkeiten stösst, wird man sich mit der van der Waals’ schen begnügen müssen. Es ist daher zu unterscheiden zwischen dem Verhalten einer Substanz, welche exact die van der Waals’ schen Vor- aussetzungen erfüllen würde und dem durch die van der Waals’ sche Gleichung dargestellten und wir werden im Folgen- den immer einzig uud allein das letztere Verhalten discutiren. § 7. Bestimmung des inneren Druckes . Um die Grösse p i zu berechnen, setzt van der Waals voraus, dass die Anziehung zweier Moleküle zwar auch nur in kleinen Entfernungen wirkt, die aber im Mittel doch noch gross gegenüber der durchschnittlichen Distanz der benach- barten Moleküle der Substanz sind. Wir finden nun die auf die Flächeneinheit wirkende Waals’ sche Cohäsionskraft p i in folgender Weise: Wir wählen irgend ein Flächenelement d s der Begrenzungsfläche der Substanz und construiren in das Innere der Substanz hinein den geraden Cylinder Z , welcher dieses Flächenelement zur Basis hat. Wir construiren ferner die beiden Querschnitte dieses Cylinders, welche sich in den Entfernungen ν und ν + d ν von der Basis d s des Cylinders be- finden. Das Volumen des Cylinders ζ , welches zwischen diesen beiden Querschnitten liegt, ist d s d ν , die daselbst befindliche I. Abschnitt. [Gleich. 15] Masse der Substanz also ρ d s d ν , wenn ρ deren Dichte ist. Durch die Waals’ schen Cohäsionskräfte könnte allerdings eine Veränderlichkeit der Dichte ρ in der Nähe der Gefässwand bewirkt werden, welche wir van der Waals folgend im Texte vernachlässigten. Man würde übrigens zur selben Formel wie dieser gelangen, wenn man nur annähme, dass sich bei Aenderung des Druckes oder der Temperatur die Dichten in verschiedenen Entfernungen von der Grenzfläche des Gases einander proportional ändern. Es würde dann bloss zu den Formeln 15) und 16) ein von ρ und T unabhängiger Factor F treten, und könnte F C , wie im Texte C gleich f (ν) gesetzt werden. Ferner ist die im Texte durchgeführte Berechnung der Stosszahl sicher richtig, wenn die Waals’ sche Cohäsionskraft nicht vorhanden ist. Beim Vorhandensein der letzteren aber könnte es zweifelhaft sein, ob es erlaubt ist, diese Berechnung ungeändert zu lassen und die Cohäsionskraft einfach zum äusseren Drucke zu addiren, wie wir es, ebenfalls van der Waals folgend, in § 4 thaten. Endlich haben wir die Gefässwand nur als undurchdringlich, ohne Adhäsionskraft gegen die Substanz betrachtet. Ich werde übrigens im V. Abschnitte eine Ableitung der Waals’ - schen Formel geben, gegen welche alle diese Einwände nicht erhoben werden können. Da m die Masse eines Moleküles ist, so enthält der Cylinder ζ 15) Moleküle. Jedes derselben befindet sich nahe gleich tief unter der Begrenzungsfläche der Substanz, also nahe unter den gleichen Umständen. Es wird von den Molekülen, welche der Grenze der Substanz noch näher sind, gegen diese hin, von den weiter entfernten aber von ihr hinweg gezogen und da die Anzahl der letzteren überwiegt, so bleibt eine Resultirende, welche das Molekül von der Oberfläche hinwegzieht. Betrachten wir ein Molekül m innerhalb des Cylinders ζ und irgend ein Volumelement ω in der Nähe desselben, so werden alle Moleküle, die sich im Volumelemente ω befinden, auf das Molekül m eine nahe gleiche und gleich gerichtete Anziehung ausüben. Die Gesammtanziehung der Moleküle des Volumelementes ω auf das Molekül m und daher auch ihre Componente normal zu d s wird daher proportional der An- zahl der Moleküle sein, die sich in ω befinden, also pro- portional der Dichte ρ des Gases. Der Proportionalitätsfactor ist bloss mehr von der Grösse des Volumelements ω und seiner relativen Lage gegen das Molekül m abhängig. Namentlich [Gleich. 16] § 7. Innerer Druck. ist er vermöge unserer Annahme bei gleicher Dichte unab- hängig von der Temperatur. Letztere bestimmt ja bloss die Raschheit, mit welcher die Molekularbewegung innerhalb des Volumelementes ω vor sich geht, während nach unserer Voraussetzung die zwischen dem Moleküle m und den in ω liegenden Molekülen wirkende Kraft von deren Bewegung unabhängig sein muss. Alle diese Schlüsse gelten natürlich auch für alle anderen in der Nähe von m liegenden Volum- elemente ω 1 , ω 2 , … und es muss auch die Summe der normal zu d s geschätzten Componenten aller Kräfte, welche alle in der Umgebung von m liegenden Moleküle auf das Molekül m ausüben, der Dichte ρ proportional, von der Temperatur aber unabhängig, also etwa gleich ρ C sein, wobei der Werth von C nur mehr davon abhängt, wie weit das Molekül m von der Begrenzungsfläche entfernt ist. Da sich alle in dem unend- lich kleinen Cylinder ζ befindlichen Moleküle unter denselben Umständen befinden und die Anzahl dieser Moleküle nach Formel 15) gleich ist, so ist die Gesammtkraft, welche auf alle diese Moleküle normal zu d s wirkt, gleich: 16) Da ferner der Werth von C weder von der Temperatur noch von der Dichte der Substanz, sondern nur davon abhängt, wie tief der Cylinder ζ im Innern der Substanz liegt, also nur Function von ν ist, so wollen wir ihn mit f (ν) bezeichnen. Die Gesammtwirkung auf alle im Cylinder Z befindlichen Mole- küle ist . Den Werth des Ausdrucks , welcher, da er weder von der Dichte, noch von der Temperatur abhängt, eine Con- stante der betreffenden Substanz ist, bezeichnen wir mit a , so dass wir für die Gesammtkraft, welche auf alle Moleküle des Cylinders Z nach innen wirkt, den Ausdruck a ρ 2 d s erhalten. Sie ist proportional d s . Die Kraft, welche alle der Flächen- einheit anliegenden Moleküle nach innen zieht und welche wir I. Abschnitt. [Gleich. 20] mit p i bezeichnet haben, ist also a ρ 2 Dieser Ausdruck bedarf noch, falls die Wand gekrümmt ist, einer Correction, aus welcher van der Waals ähnlich wie schon Laplace und Poisson die Capillarerscheinungen erklärt (vergl. § 23). Nach van der Waals ist also auch für ein Gas der Druck von der Krümmung der Wand nicht absolut unabhängig. Doch verschwindet diese Correction natürlich umsomehr, je grösser die Wirkungssphäre der Cohäsionskraft gegen den Durchmesser eines Moleküls ist. und wir erhalten nach Formel 1) und 13): 17) . n m ist die Gesammtmasse der Substanz. V / n m = v ist also das Volumen der Masseneinheit der Substanz bei der Temperatur und dem Drucke, die gerade herrschen, das sogenannte speci- fische Volumen; da die gesammte Masse n m = ρ V ist, folgt 18) und wir können die Formel 17) so schreiben: 19) wobei 20) ist. Dies ist also eine Constante des Gases, das halbe Volumen der in der Masseneinheit des Gases enthaltenen Deckungssphären oder das 4 fache Volumen der in der Masseneinheit enthaltenen Moleküle. § 8. Ein ideales Gas als thermometrische Substanz . Wir wollen nun als Mass der Temperatur die Grösse des Druckes wählen, welchen ein ideales Gas (das Normalgas) bei verschiedenen Temperaturen aber constantem Volumen aus- üben würde. Unter einem idealen Gase verstehen wir ein solches, wie es im I. Theile betrachtet und im II. Theile zu Anfang des § 1 nochmals definirt wurde, dessen Moleküle nur in Distanzen, die gegenüber der mittleren Entfernung zweier Nachbarmoleküle verschwindend klein sind, erhebliche Wirkung auf einander ausüben. [Gleich. 22] § 8. Ideales Gas. Wenn wir für ein bestimmtes ideales Gas die Masse eines Moleküles mit M , das mittlere Geschwindigkeitsquadrat des Schwerpunktes eines Moleküles mit C 2 ̅ und die Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit mit N bezeichnen, so ist der Druck desselben auf die Flächeneinheit nach § 1 des I. Theiles . Bei constantem Volumen ist auch N constant. Die absolute Temperatur T ist also gemäss unserer Wahl des Temperaturmaasses proportional der Grösse C 2 ̅ und wir wollen in Übereinstimmung mit Formel 51) S. 53 des I. Theiles setzen C 2 ̅ = 3 R T , wobei R eine allein durch das Temperaturmaass bestimmte Constante ist. Wir werden im III. Abschnitte § 35 und IV. Abschnitte § 42 gewichtige Gründe anführen, welche dafür sprechen, dass bei gleicher Temperatur die mittlere lebendige Kraft der Schwer- punktsbewegung eines Moleküls ganz allgemein für beliebige Körper gleich ist. Aber abgesehen davon haben wir schon im I. Theile bewiesen, dass dies die Bedingung des Wärmegleich- gewichts zweier idealer Gase mit einatomigen Molekülen ist. Die Beweiskraft unserer damaligen Schlüsse wird durch die von van der Waals angenommenen anziehenden Kräfte nicht beein- trächtigt, da diese auf Entfernungen wirken, die gross gegen die Distanz zweier Nachbarmoleküle sind und daher die Bewegung der Moleküle während der Zusammenstösse nicht stören. Die Bedingung des Wärmegleichgewichtes zwischen dem Normalgase und einem anderen auf das sich Formel 19) bezieht, wird daher jedenfalls, wenn wir uns die Moleküle des ersteren ebenfalls einatomig denken, wieder die Gleichheit der mittleren lebendigen Kraft eines Moleküls des einen und des anderen Gases sein, so dass bei gleicher Temperatur ist. Da nun die letztere Grösse gleich 3 R M T ist, so ist bei derselben Temperatur auch für das andere Gas m c 2 ̅ = 3 R M T . Wir wollen nun das Molekulargewicht des anderen Gases verglichen mit dem des Normalgases, also die Grösse m / M mit μ und die Grösse R / μ mit r bezeichnen; dann wird 21) und daher nach Gleichung 19) 22) . Boltzmann, Gastheorie II. 2 I. Abschnitt. [Gleich. 24] Dies ist die van der Waals’ sche Relation zwischen Druck, Temperatur und Volumen eines Gases. Dabei sind r, a, b Constanten, die dem betreffenden Gase eigenthümlich sind, R aber ist eine bloss auf das Normalgas bezügliche von der Natur des anderen Gases unabhängige Constante. In der Chemie versteht man unter dem Molekularge- wichte eines Gases in der Regel das Verhältniss der Masse eines Moleküls desselben zur Masse eines einfachen Wasser- stoffatoms. Dann ist also für den gewöhnlichen Wasserstoff, dessen Moleküle zweiatomig sind, μ = 2 und die Gasconstante , wogegen R die Gasconstante des Wasserstoffgases wäre, wenn dessen Moleküle in einzelne Atome dissociirt wären. Wenn wir das so dissociirte Wasserstoffgas nicht der Definition zu Grunde legen wollen, so haben wir also R em- pirisch als die doppelte Gasconstante des gewöhnlichen Wasser- stoffgases zu definiren. § 9. Temperatur-Druckcoefficient. Bestimmung der Constanten der van der Waals’schen Gleichung . Wir wollen nun ein Gas betrachten, welches zwar nicht die Eigenschaften besitzt, die wir einem idealen Gase zu- schreiben, bei dem aber die Beziehung zwischen Druck, Dichte und Temperatur mit genügender Annäherung durch die van der Waals’ sche Gleichung 22) ausgedrückt wird. Wir wollen für dasselbe zunächst den Temperaturcoeffi- cienten des Druckes bei constantem Volumen bestimmen, d. h. wir wollen bei constantem Volumen die Temperatur von T 1 auf T 2 erhöhen, die zu diesen Temperaturen gehörigen Drucke auf die Flächeneinheit mit p 1 und p 2 bezeichnen und den Quotienten ( p 2 — p 1 ) / ( T 2 — T 1 ) bestimmen. Wir finden aus Gleichung 22) 23) , woraus folgt: 24) . Es sind also die Druckdifferenzen den Temperaturdifferenzen proportional und der Proportionalitätsfactor ist bloss Function [Gleich. 25] § 9. Temperatur-Druckcoefficient. des Volumens der Masseneinheit. Die Druckdifferenzen eines das Waals’ sche Gesetz befolgenden Gases bei constantem Volumen sind also noch immer ein Maass der Temperatur- differenzen. Bezeichnen wir mit p 3 den zu einer dritten ab- soluten Temperatur T 3 bei gleichem Volumen v der Massen- einheit gehörenden Druck, so ist: 25) . Wir setzen nun zunächst voraus, dass wir ein zweites Gas, z. B. Wasserstoffgas haben, das mit genügender Genauigkeit als ein ideales betrachtet werden kann. Für dieses letztere Gas ist also dann . Es können also die absoluten Temperaturen mittelst desselben direct bestimmt werden, wenn man die Einheit für den Tempe- raturgrad festsetzt, z. B. die Differenz der Temperaturen des siedenden Wassers und schmelzenden Eises (beide beim Normal- barometerstand genommen) gleich 100 setzt. Man kann dann zunächst prüfen, inwieweit die Gleichung 25) für das erste Gas erfüllt ist, inwieweit also für dasselbe das Waals’ sche Gesetz die Abhängigkeit des Druckes von der Temperatur richtig angiebt. Berechnet man aus Gleichung 24) den Temperaturcoefficienten des Druckes r / (v — b) für zwei verschiedene Dichten, also für zwei verschiedene Werthe des v , so kann man daraus r und b für das betreffende Gas bestimmen. Kennt man noch die chemische Zusammensetzung des Moleküls des Gases, so kann man prüfen, mit welcher Genauigkeit die Gleichung μ r = R erfüllt ist. Man kann auch μ statt aus der Dampfdichte aus der empirisch berechneten Waals’ schen Con- stanten r finden. Bestimmt man den Temperaturcoefficienten 24) des Druckes bei constantem Volumen für noch mehr als zwei Werthe von v , so kann man prüfen, inwieweit ihn die Waals’ sche Formel richtig als Function von v darstellt. Dabei ist aber eines zu bemerken. Nach § 6 wurde der Ausdruck r / (v — b) durch eine Vernachlässigung gefunden, welche sicher nicht mehr erlaubt ist, wenn v sich dem Werthe b nähert. Für die kleinsten Werthe des v ist sogar statt b nur ⅓ b zu setzen. In der That zeigt die Erfahrung, dass b , wenn es in der geschilderten Weise für verschiedene Werthe des v 2* I. Abschnitt. [Gleich. 26] bestimmt wird, sich nicht constant ergiebt, sondern mit ab- nehmendem v abnimmt. Daraus folgt also keineswegs, dass die Grundannahmen van der Waals’ für die betreffende Sub- stanz unerlaubt wären, da sich ja aus diesen Grundannahmen, wenn sie exact in eine Formel gekleidet würden, dieselbe Con- sequenz ergeben müsste. Leider war es bisher nicht möglich zu berechnen, welche Function von v bei exacter Durchführung der Rechnung unter den Grundannahmen van der Waals’ an die Stelle von r / (v — b) treten müsste. Wir müssen uns also im Folgenden auf Discussion der Gleichung 22) be- schränken und in Erinnerung behalten, dass wir für kleine Werthe des v nicht mehr als qualitative Uebereinstimmung zu erwarten haben. Aus den Gleichungen 23) folgt ferner 26) , woraus sich auch der Werth der Constanten a ergiebt. Be- rechnet man wieder diesen Werth für mehrere Werthe von v , so kann man sich überzeugen, mit welcher Genauigkeit die Form des auf der linken Seite der Waals’ schen Gleichung 22) zu p additiv hinzutretenden Gliedes der Erfahrung entspricht, inwieweit also die Annahme van der Waals’ in der Natur zutrifft, dass sich die Cohäsionskräfte, die wir nach ihm be- nannt haben, auf Distanzen erstrecken, die gross gegenüber dem mittleren Abstande zweier benachbarter Moleküle sind. § 10. Absolute Temperatur. Compressionscoefficient . Die Bedingung, dass wir die absolute Temperatur mittelst eines idealen Gases bestimmen können, ist niemals exact erfüllt, da kein bekanntes Gas, selbst nicht das Wasserstoffgas, exact die Eigenschaften besitzt, die wir einem idealen Gase zu- schreiben. Die rationellste Definition der Temperatur ist aller- dings die nach der Lord Kelvin’ schen Temperaturscala, welche bekanntlich von der maximalen Arbeit abgeleitet ist, die beim Uebergang der Wärme von einer bestimmten höheren zu einer bestimmten niederen Temperatur geleistet werden kann. Da aber die directe experimentelle Bestimmung dieser Arbeit immer sehr ungenau ausfallen würde, so ist man gezwungen, dieselbe aus der Zustandsgleichung irgend eines Körpers zu berechnen. Nun sind die Abweichungen des Wasserstoffes vom idealen [Gleich. 26] § 10. Absol. Temperatur. Compressionscoefficient. Gaszustande ohnedies gering; daher dürfte man, wenn man diese Abweichungen noch unter der Voraussetzung der Gültig- keit der Waals’ schen Annahmen berücksichtigt, die absolute Kelvin’ schen Temperaturscala mit gegenwärtig kaum zu über- treffender Genauigkeit erhalten. Für alle Temperaturen, die nicht gar zu niedrig liegen, dürfte auch das Verhalten der Luft den Waals’ schen Annahmen schon mit grosser Annäherung genügen. Man könnte also auch die leichter be- obachtbare Luft an Stelle des im Texte gebrauchten Wasserstoffs zu Grunde legen. Man kann dann die soeben entwickelten Gleichungen zur Bestimmung der absoluten Tempe- ratur benutzen, darf aber nicht mehr die Annahme machen, dass T 1 , T 2 und T 3 durch ein anderes idealeres Gas bestimmbar sind. Man kann zunächst mittelst der Proportionen 25) die Temperaturdifferenzen durch Zahlen ausdrücken, wenn man die Einheit des Temperaturgrades willkürlich (z. B. wie oben) fest- gesetzt hat. Zur Controle kann man die Temperaturbestimmung bei mehreren Dichten des Gases ausführen. Wenn beim speci- fischen Volumen v zu den drei Temperaturen T 1 , T 2 , T 3 die Drucke p 1 , p 2 , p 3 , beim specifischen Volumen v' aber zu den- selben Temperaturen die Drucke p' 1 , p' 2 und p' 3 gehören, so muss sein, wenn das Gas mit genügender Annäherung der Waals’ - schen Formel genügt. Sind wieder p' 1 und p' 2 die beim specifischen Volumen v' zu den Temperaturen T 1 und T 2 gehörigen Drucke, so kann man die Gleichung 26) in folgender Weise schreiben: . Versteht man unter T 1 die Temperatur des schmelzenden Eises, unter T 2 die des siedenden Wassers und setzt wieder T 2 — T 1 = 100, so sind in den letzten beiden Ausdrücken dieser Gleichung alle anderen Grössen der Beobachtung zugänglich und es kann T 1 berechnet werden. Ausserdem kann man den Werth der Constanten a für Wasserstoffgas bestimmen. Da man nun die absolute Temperatur kennt, so kann man die dem Wasserstoffgase entsprechenden Werthe der Con- stanten r und b ohne Weiteres nach der im Früheren an- I. Abschnitt. [Gleich. 26] gegebenen Methode bestimmen. Dabei ist aber noch Folgendes zu bemerken: Wenn wir die Waals’ sche Gleichung 22) als bloss empirisch gegeben betrachten würden, so müssten wir in ihrer rechten Seite statt T eine Function der Kelvin’ schen abso- luten Temperatur f (T) schreiben. Die absolute Temperatur selbst wäre dann ohne empirische Angaben über die specifische Wärme oder die Abkühlung beim Joule-Kelvin’ schen Ausströmungs- versuche oder ähnliches nicht bestimmbar. Vergl. Münchn. Sitz.-Ber. 23, S. 321, 1894, Wied. Ann. 1894. Diese empirischen Angaben sind hier durch die kinetische Hypothese ersetzt, dass unser Gas mit einem idealen bei gleicher mittlerer lebendiger Kraft der Schwerpunktsbewegung eines Moleküles im Temperaturgleich- gewichte steht und dass für letzteres bei constantem Volumen der Druck der Kelvin’ schen absoluten Temperatur proportional ist. Um die Beziehung zwischen p und v bei constanter Tempe- ratur T , also den Druckcoefficienten der Dichte zu prüfen, geben wir der van der Waals’ schen Gleichung die Form So lange also v gross sowohl gegenüber b als auch gegenüber a / r T ist, gilt nahezu das Boyle’ sche Gesetz; p v ist bei con- stanter Temperatur nahezu constant. Das Gas ist weit von der Verflüssigung entfernt. Dabei wird, so lange a \> r b T ist, so lange also die durch die Waals’ sche Cohäsionskraft veranlasste Störung der Richtigkeit des Boyle’ schen Gesetzes über die durch die endliche Ausdehnung der Molekülkerne bewirkte überwiegt, p v = p / ρ mit wachsendem Volumen zunehmen. Der Druck- coefficient der Dichte d ρ / d p nimmt mit abnehmendem Drucke ab. Für jedes Gas aber wird für sehr hohe Temperaturen a \< r b T werden, also die letztere Störung über die erstere überwiegen und daher p v mit wachsendem v abnehmen. Dann steigt der Druckcoefficient der Dichte mit abnehmendem Drucke. Dies ist bei Wasserstoffgas schon für gewöhnliche Temperaturen der Fall. Auch der Differentialquotient des specifischen Volumens v bei constantem Drucke nach der Temperatur T , welchen wir den Temperaturcoefficienten des Volumens nennen wollen, ist, wie unsere Formel zeigt, nicht constant. [Gleich. 27] § 11. Kritische Grössen. § 11. Kritische Temperatur, kritischer Druck und kritisches Volumen . Wir wollen nun die durch die Formel 22) dargestellte Relation zwischen dem Drucke, der Temperatur und dem speci- fischen Volumen eingehender discutiren. Nach derselben wird für jede Temperatur T für v = b der Druck unendlich. Wie wir sahen, würde für eine Substanz, welche exact den Waals’ - schen Annahmen genügt, der Druck erst etwa für das Volumen ⅓ b unendlich. Doch wollen wir hierauf nicht näher eingehen, da nicht die ursprünglichen Annahmen van der Waals’ , sondern lediglich die Gleichung 22), insofern sie für grössere v ein angenähert richtiger, für kleinere ein wenigstens qualitativ übereinstimmender Ausdruck derselben ist, das Object unserer gegenwärtigen Untersuchung bildet. Das Volumen v = b ist daher unmöglich; um so mehr jeder kleinere Werth von v , da für einen stabilen Gleich- gewichtszustand durch Verkleinerung von v der Druck noch weiter, also noch über den Werth ∞ hinaus, wachsen müsste. Wir wollen nun die Isotherme, d. h. die Beziehung auf- suchen, welche zwischen Druck und Volumen besteht, wenn die Substanz ihr Volumen bei constanter Temperatur ändert. Da bei einer solchen Volumänderung T als constant zu be- trachten ist, so folgt aus Gleichung 22) 27) . Hier ist die rechte Seite für den kleinsten möglichen Werth des v , der nur wenig grösser als b ist, negativ, ebenso für sehr grosse Werthe des v . Ferner ändert sie sich, sowie ihre Differentialquotienten nach v für alle in Betracht kommenden Werthe des v continuirlich mit der letzteren Grösse. Die rechte Seite der Gleichung 27) kann nur verschwinden für . In dieser Gleichung hat der Ausdruck rechts für Werthe des v , die wenig grösser als b sind, sowie für sehr grosse Werthe des v einen sehr kleinen positiven Werth. Er ist ferner zwischen diesen Grenzen continuirlich und hat innerhalb derselben nur ein einziges Maximum vom Betrage T k = 8 a / 27 r b für v = 3 b . I. Abschnitt. [Gleich. 30] Wenn daher T \> T k ist, so kann d p / d v überhaupt nicht ver- schwinden und daher auch nicht positiv werden; die Isotherme fällt mit wachsendem v beständig ab. Wenn T \< T k ist, so geht d p / d v durch Null zu einem negativen und dann noch- mals durch Null wieder zu einem positiven Werthe über. Die Ordinaten der Isotherme haben ein Minimum und ein Maximum. Für T = T k ist d p / d v sonst immer negativ; nur wird es ein einziges Mal gleich Null und zwar für v = 3 b . Es nimmt also p mit wachsendem v immer ab, aber an dieser Stelle nur um eine Grösse, die unendlich klein höherer Ordnung ist, wenn der Zuwachs von v unendlich klein ist. Diese Stelle nennt man die kritische. Versehen wir die Werthe von v, p und T , welche dieser Stelle entsprechen und welche man die kritischen nennt, mit dem Index k , so ist also: 28) . Für den dazu gehörigen Werth von p , also den kritischen Druck, findet man aus Gleichung 22) den Ausdruck: 29) p k = a / 27 b 2 . v k , T k und p k sind also drei reelle positive Werthe. Ersterer ist grösser als das kleinste Volumen b , dessen die Substanz überhaupt fähig ist. Aus Gleichung 27) findet man, wenn man wieder T constant lässt: und man sieht leicht, dass für die kritischen Werthe d 2 p / d v 2 verschwindet, was zu erwarten war, da wir bereits sahen, dass für die kritischen Werthe die Isotherme ein vollkommen regu- läres Maximum-Minimum hat. Noch einer algebraischen Eigenschaft der kritischen Grössen will ich gedenken. Bringen wir in Gleichung 22) alle Grössen auf dieselbe Seite des Gleichheitszeichens, schaffen die Brüche weg und ordnen nach Potenzen von v , so geht diese Gleichung über in 30) . Dies ist bei gegebenen Werthen von p und T eine Gleichung 3. Grades für v . Wir wollen ihre linke Seite mit f (v) be- zeichnen. Wenn es Werthe von p und T giebt, für welche für denselben Werth von v ausser f (v) auch noch f' (v) und f″ (v) [Gleich. 30] § 11. Kritische Grössen. verschwinden, so hat die Gleichung 3. Grades für die be- treffenden Werthe von p und T drei gleiche Wurzeln für v ; dabei ist f' (v) die erste und f″ (v) die zweite Ableitung von f (v) bei constantem p und T . Lässt man nur T constant, so folgt aus Gleichung 30) . Die Grössen d p / d v und d 2 p / d v 2 sind dieselben, welche oben in gleicher Weise bezeichnet wurden und von denen wir bewiesen haben, dass sie für die kritischen Werthe von p, v und T verschwinden. Für diese Werthe verschwinden also nebst f (v) auch f' (v) und f″ (v) , d. h. die Gleichung 30) dritten Grades hat für v drei gleiche Wurzeln, wenn man für p und T die kritischen Werthe substituirt. Da der Coefficient von v 2 negativ genommen und durch p dividirt die Summe, das von v freie Glied ebenfalls negativ genommen und durch p dividirt das Product, der durch p dividirte positive Coefficient von v 2 aber die Summe der Producte je zweier Wurzeln ist, so erhält man für die Werthe p k und T k , für welche die Gleichung 30) drei gleiche Wurzeln hat, deren Werth mit v k bezeichnet werden soll, die drei Gleichungen , woraus die schon gefundenen Werthe für v k , p k und T k folgen. Für diejenigen Werthe der Temperatur, für welche die Ordi- naten der Isothermen kein Minimum haben, gehört zu jedem p nur ein Werth des v , hat daher die Gleichung 30 nur eine reelle Wurzel, die grösser als b ist; für jene Temperaturen aber, für welche die Ordinate der Isothermen ein Minimum p 1 und ein Maximum p 2 hat, hat die Gleichung 30 drei reelle Wurzeln für v , die \> b sind, falls p zwischen p 1 und p 2 liegt, wie man sofort aus der Gestalt der Isothermen erkennt. Wir haben bisher über die Einheit des Drucks und Vo- lumens keine besondere Festsetzung gemacht. Damit die Formeln besonders einfach werden, wollen wir bei Discussion des Verhaltens einer jeden Substanz deren kritisches Volumen I. Abschnitt. [Gleich. 32] v k als Volumeneinheit und deren kritischen Druck p k als Druck- einheit wählen. Auch die früher angedeutete, von dem Gefrier- und Siedepunkte des Wassers entlehnte empirische Einheit für den Temperaturgrad wollen wir verlassen und für jedes Gas, dessen absolute kritische Temperatur T k als Einheit der absoluten Temperatur wählen. Wir wollen also setzen: 31) . Wir messen daher das Volumen durch ω , also durch die Zahl, welche uns angiebt, wie viel mal es grösser ist als das kritische, ebenso den Druck und die Temperatur durch π und τ . Diese drei Grössen ω, π und τ nennen wir das reducirte Volumen, den reducirten Druck und die reducirte Temperatur, oder wo von der Anwendung eines andern Maasssystems gar nicht die Rede ist, auch nur das Volumen, den Druck und die Temperatur der Substanz. Wir haben dann freilich für jedes Gas andere Einheiten eingeführt, welche wir die Waals’ schen Einheiten nennen wollen; allein dieser Nachtheil wird für unsern Zweck auf- gehoben durch den Vortheil, dass die Gleichungen viel ein- facher werden. Da wir zudem a, b und r , daher auch v k , p k und T k für jedes Gas, aus dessen empirischem Verhalten zu berechnen vermögen, so können wir ja jeden Augenblick von den Waals’ schen Einheiten wieder zu beliebigen anderen über- gehen. Drücken wir in Gleichung 22) p, v und T durch π, ω und τ aus, so erhalten wir, nachdem wir mit einem Factor wegdividirt haben, der jedenfalls nicht Null sein kann: 32) . Aus dieser Gleichung sind alle das Gas charakterisirenden Constanten herausgefallen. Legt man daher der Messung die van der Waals’ schen Einheiten zu Grunde, so erhält man für alle Gase dieselbe Gleichung, welche, wie van der Waals glaubt, bis zur Verflüssigung, ja selbst noch für die tropfbare Flüssigkeit gilt. Von der besonderen Natur der betreffenden Substanz sind also bloss die Werthe des kritischen Volumens, Druckes und der kritischen Temperatur abhängig; die Zahlen [Gleich. 32] § 12. Geom. Discussion d. Isothermen. aber, welche das wirkliche Volumen, den wirklichen Druck und die wirkliche Temperatur als Vielfache der kritischen aus- drücken, erfüllen für alle Substanzen dieselbe Gleichung. Zwischen dem reducirten Volumen, dem reducirten Drucke und der reducirten Temperatur besteht für alle Substanzen dieselbe Gleichung. Man kann sich wohl vorstellen, dass eine so allgemeine Relation ziemlich weit davon entfernt ist, exact richtig zu sein; aber schon der Umstand, dass ihre Annahme ein in den Grund- zügen richtiges Bild der wirklichen Erscheinungen liefert, ist sehr bemerkenswerth. § 12. Geometrische Discussion der Isothermen . Um in die durch die Gleichung 32) dargestellte Relation einen Einblick zu erhalten, wollen wir auf der positiven Ab- scissenaxe O Ω vom Coordinatenursprunge O aus das reducirte Volumen, also den Werth der Grösse ω als Abscisse O M , und über dem Punkte M den reducirten Druck π parallel der Ordi- natenaxe O Π als Ordinate M P auftragen. Jeder Punkt P der Ebene stellt uns dann einen durch Druck und Volumen charak- terisirten Zustand des Gases dar. Die dazu gehörige reducirte Temperatur ist der aus Gleichung 32) für die angenommenen Werthe von ω und π folgende Werth von τ . Unter Voraus- setzung der Richtigkeit der Waals’ schen Gleichung wird für ω = ⅓ für jedes positive τ der reducirte Druck unendlich. Wie also nach dem schon früher Gesagten zu erwarten war, ist es nur durch Anwendung eines absolut unendlichen Druckes möglich, die Substanz auf das Volumen ω = ⅓ zu comprimiren und da der Druck mit abnehmendem Volumen nur wachsen kann, sind noch kleinere Volumina, für welche unsere Formel den Druck negativ ergäbe, nicht möglich. Wir müssen uns also auf Betrachtung der Abscissen, die ≧ ⅓ sind, beschränken. Wir verstehen nun entsprechend der schon eingeführten Bezeichnung unter einer Isotherme den Inbegriff aller Punkte, die solche Zustände unserer Substanz darstellen, für welche die Temperatur τ einen constanten Werth hat. Unter der Gleichung einer Isotherme werden wir daher jene Relation zwischen π und ω verstehen, welche aus Gleichung 32) folgt, I. Abschnitt. [Gleich. 33] wenn wir dem τ einen beliebigen constanten Werth ertheilen. Die Schaar aller möglichen Isothermen erhalten wir, wenn wir dem τ der Reihe nach alle möglichen Werthe von einem sehr kleinen positiven Werthe angefangen bis + ∞ ertheilen. Aus Gleichung 32) folgt für jedes τ , dass π einen sehr grossen positiven Werth hat, wenn ω nur sehr wenig grösser als ⅓ ist. Dagegen hat π einen sehr kleinen positiven Werth, wenn ω sehr gross ist. Ferner folgt bei constantem τ 33) . Da dieser Ausdruck für ⅓ \< ω \< ∞ endlich ist, so sind alle Isothermen zwischen ω = ⅓ und ω = ∞ continuirliche Curven. Sie nähern sich asymptotisch, sobald sich ω der Grenze ⅓ nähert, der parallel der Ordinatenaxe in der Entfernung ⅓ von derselben nach der Seite der positiven Ordinaten hin ge- zogenen Geraden A B , sobald aber ω sehr gross wird, eben- falls auf der Seite der positiven Ordinaten der Abscissenaxe. Denn im ersteren Falle hat π einen sehr grossen positiven, d π / d ω aber einen sehr grossen negativen, im letzteren π einen sehr kleinen positiven, d π / d ω einen sehr kleinen negativen Werth. Für alle Isothermen liegen daher beide ins Unendliche gehenden Aeste auf der positiven Seite der Abscissenaxe. Da- gegen kann zwischen ω = ⅓ und ω = ∞ die Grösse π negativ werden, gewisse der durch Gleichung 32) bei constantem τ dargestellte Curven können also unter die Abscissenaxe hinab- steigen. Um uns hiervon ein Bild zu machen, bedenken wir zu- nächst, dass, wie der Anblick der Gleichung 32) zeigt, bei gleichem ω zum kleineren Werthe von τ immer auch der kleinere Werth von π gehört. Jede einer kleineren Temperatur entsprechende Isotherme muss daher ganz unter der der höheren Temperatur entsprechenden liegen; dergestalt, dass für jede Abscisse ω der ersteren Isotherme eine kleinere Ordinate als der letzteren entspricht und sich zwei Isothermen niemals durchschneiden können. Wir wollen nun den durch Gleichung 33) gegebenen Aus- druck von d π / d ω discutiren. Auch er ist in dem von uns allein betrachteten Intervalle, also zwischen ω = ⅓ und ω = ∞, eine continuirliche Function von ω . Sowohl für sehr grosse ω [Gleich. 34] § 12. Geom. Discussion d. Isothermen. als auch, wenn ω wenig grösser als ⅓ ist, überwiegt das 2. Glied, ist also d π / d ω , wie wir sahen, negativ. d π / d ω kann inner- halb dieses Intervalles nicht positiv werden, ohne durch Null hindurchzugehen. Letzterer Fall aber kann nach Gleichung 33) nur eintreten für 34) . Sowohl wenn ω nur wenig grösser als ⅓ als auch wenn ω sehr gross ist, hat die rechte Seite dieser Gleichung einen sehr kleinen positiven Werth. Ihr Werth ändert sich ferner in diesem Inter- valle continuirlich mit ω und hat, wie man nach den bekannten Methoden findet, ein einziges Maximum vom Betrage 1 für ω = 1. 1. Für τ \> 1 ist also die Gleichung 34) nicht erfüllbar, d π / d ω kann nicht verschwinden, sondern ist im ganzen be- trachteten Bereiche wesentlich negativ und die Isotherme ( 0 Fig. 1) fällt mit wachsendem ω fortwährend gegen die Ab- scissenaxe ab. 2. Es sei τ = 1, d. h. die betreffende Isotherme ent- spreche gerade der kritischen Temperatur. Dann verschwindet nach dem über die rechte Seite der Gleichung 34) Gesagten d π / d ω nur für ω = 1. Nach Gleichung 32) wird dann auch π = 1. Es hat also die Sub- stanz die kritische Temperatur, das kritische Volumen und den kritischen Druck. Dieser Zustand (der kri- tische Zustand) werde durch den Fig. 1. Punkt K der Fig. 1, dessen Abscisse und Ordinate gleich 1 sind, dargestellt. Aus Gleichung 33) folgt, wenn man die Differentialquotienten immer bei constantem τ nimmt: I. Abschnitt. [Gleich. 35] 35) , Für den kritischen Zustand ist daher (wie schon wegen des Verschwindens von d 2 p / d v 2 für den kritischen Zustand zu erwarten war) auch d 2 π / d ω 2 = 0, dagegen d 3 π / d ω 3 negativ. Die Isotherme hat also daselbst einen Inflexionspunkt. Ihre Tangente wird zwar der Abscissenaxe parallel; aber die Ordi- nate π nimmt zu beiden Seiten mit wachsendem ω ab. Die- selbe Isotherme hat einen 2. Inflexionspunkt etwa für ω = 1,87; sie wendet also für die zwischen diesem Werthe und der Einheit liegenden Abscissen ω ihre concave, für die übrigen Abscissen ihre convexe Seite nach abwärts. Curve 1 der Fig. 1 stellt die der kritischen Temperatur entsprechende Isotherme dar. Die beiden Inflexionspunkte beginnen bei der Isotherme, welche zur reducirten Temperatur τ = 3 7 .2 —11 = 1,06787 gehört, wo sie beide unmittelbar bei ω = 4/3 liegen d 2 π / d ω 2 verschwindet nämlich für τ = (3 ω — 1) 3 / 8 ω 4 . Der Aus- druck rechts ist für sehr grosse Werthe von ω , sowie für solche, die wenig grösser als ⅓ sind, positiv und verschwindend klein. Er ist zwischen diesen Grenzen continuirlich und hat ein einziges Maximum 3 7 .2 —11 für ω = 4/3. Für τ \> 3 7 .2 —11 kann daher d 2 π / d ω 2 nicht verschwinden. und rücken für kleinere τ immer weiter aus einander. Für grössere τ fallen die Isothermen ohne Inflexionspunkt unter fortdauernder Ab- nahme von d π / d ω gegen die positive Abscissenaxe ab. 3. Es sei 0 \< τ \< 1, d. h. die Temperatur liege unter der kritischen. Dann ist, wie man aus Gleichung 33) sieht, für ω = 1 die Grösse d π / d ω positiv, während sie für grosse Werthe des ω und solche, die nahe an ⅓ liegen, negativ ist. Es muss also d π / d ω sowohl für einen Werth des ω , der grösser als 1 ist, als auch für einen, der zwischen 1 und ⅓ liegt, verschwinden. Für keinen dieser Werthe kann auch noch d 2 π / d ω 2 verschwinden, denn aus Gleichung 35) folgt, dass d π / d ω und d 2 π / d ω 2 nur für ω = 1 gleichzeitig verschwinden können. Dies folgt übrigens auch aus dem Umstande, dass dann die Gleichung 30), die sich nur in der Wahl der Maass- einheiten von unseren jetzigen unterscheidet, für v drei gleiche Wurzeln haben müsste, was, wie wir sahen, nur für den [Gleich. 36] § 13. Specialfälle. kritischen Druck, das kritische Volumen und die kritische Temperatur möglich ist. Für den zwischen ⅓ und 1 liegenden Werth des ω , für welchen d π / d ω mit wachsendem ω von einem negativen zu einem positiven Werthe übergeht und sich d 2 π / d ω 2 aus Gleichung 35) positiv ergiebt, ist also π ein Minimum, für den anderen Werth des ω ein Maximum. Für einen dritten Werth von ω kann d π / d ω nicht verschwinden, denn die Gleichung 34), welche die Bedingung hierfür angiebt, kann in der Form geschrieben werden: 36) 4 τ ω 3 — (3 ω — 1) 2 = 0. Ihr Gleichungspolynom ist für ω = 0 negativ und für ω = ⅓ positiv, ihre dritte Wurzel liegt also in dem zwischen diesen beiden Werthen des ω eingeschlossenen Intervalle, welches für uns nicht in Betracht kommt. Für alle Isothermen, die Tempe- raturen entsprechen, welche kleiner als die kritische sind, hat also die Ordinate π für eine Abscisse ω , die zwischen ⅓ und 1 liegt, ein Minimum und für eine Abscisse, die grösser als 1 ist, ein Maximum. Curve 3 Fig. 1 zeigt im Allgemeinen ihre Gestalt. § 13. Specialfälle . Wir betrachten nun noch zwei Specialfälle des dritten Falles. 3 a. Es sei τ nur wenig kleiner als 1, etwa gleich 1 — ε . Die beiden Ordinaten, für welche π einen Grenzwerth hat, sind dann ebenfalls nahe gleich 1, wir schreiben sie in der Form 1 + ξ . Die Substitution von τ = 1 — ε und ω = 1 + ξ in Gleichung 36) liefert, wenn man bloss die Glieder von der niedrigsten Grössenordnung beibehält, , während Gleichung 32) liefert π = 1 — 4 ε. τ und π sind also von der Einheit um ein unendlich kleines von der Ordnung ε ver- schieden, während der Unterschied zwischen ω und der Ein- heit nur unendlich klein von der Ordnung ist. Die un- mittelbar unter der kritischen liegenden Isothermen verlaufen daher (wie Curve 2 in der Fig. 1) in der Nähe des kritischen Punktes K sehr nahe horizontal, was übrigens schon daraus folgt, dass sie ganz nahe diesem Punkte ein Minimum und ein Maximum haben. Der geometrische Ort der Maxima und Minima aller Isothermen (die in Fig. 1 punktirte Maximumcurve) hat daher in K selbst ein Maximum und berührt daselbst die kritische Isotherme. I. Abschnitt. [Gleich. 36] 3 b. Es sei τ sehr klein, die Substanz habe also eine Tempe- ratur, die nahe dem absoluten Nullpunkte ist. Dann findet man aus Gleichung 36) leicht für die Wurzel, welche nahe gleich ⅓ ist, den Werth . Die andere für uns brauchbare Wurzel aber wird sehr gross und man findet dafür . Das Minimum von π gehört also zu einer Abscisse, die nur sehr wenig grösser als O A = ⅓ ist. Der Werth dieser kleinsten Ordinate ist . Die betreffende Isotherme (5a Fig. 1) sinkt also unendlich nahe der Verlängerung der Geraden B A nach abwärts bis zur Ordinate — 27 unter die Abscissenaxe hinab. Sie kommt dann wieder herauf (Curve 5 b Fig. 1, wo übrigens dieser auf- wärts gehende Ast anfangs viel zu steil ansteigend und zu nahe am Coordinatenursprunge gezeichnet ist) und schneidet nochmals die Abscissenaxe. Bezeichnen wir die Abscisse, für welche sie die Abscissenaxe wieder schneidet, mit ω 3 , so ist , also, da der nahe an ⅓ liegende Werth von ω 3 , welcher dieser Gleichung ebenfalls genügen würde, dem Durchschnittspunkte des niedersteigenden Astes 5 a mit der Abscissenaxe entspricht, nahe ω 3 = 9 / 8 τ . Dieser Ausdruck hat für unendlich kleine τ einen unendlich grossen Werth. Die Ordinaten der Curve gehen also erst in unendlicher Entfernung vom Coordinaten- ursprunge wieder zu positiven Werthen über. Für ω = ω 2 = 9 / 4 τ , also in doppelter Entfernung vom Coordinatenursprunge, er- reichen die wieder positiv gewordenen Ordinaten ihr Maximum, das den auch nur unendlich kleinen Werth π 2 = 16 τ 2 / 27 hat, worauf die Curve sich noch mehr der Abscissenaxe nähert. Zwischen dieser äussersten Isotherme und der Isotherme 3 Fig. 1, welche noch lauter positive Ordinaten hat, liegen natür- lich zahlreiche Isothermen, welche bereits unter die Abscissenaxe hinuntersteigen und von denen Curve 4 Fig. 1 ein Beispiel ist. Gleich. 36] § 14. Stab. u. lab. Zustände. Besonders grosse Anschaulichkeit erzielt man in folgender Weise. Man zieht eine dritte zu der Axe O Ω und O Π senkrechte Coordinatenaxe. In den verschiedenen der Ω O Π Ebene parallelen Ebenen construirt man die verschiedenen, den con- tinuirlich wachsenden Temperaturen entsprechenden Isothermen und modellirt die von allen diesen Isothermen gebildete Fläche aus Gyps. II. Abschnitt. Physikalische Discussion der Theorie van der Waals’. § 14. Stabile und labile Zustände . Wir wollen nun die physikalische Bedeutung des Dia- grammes der Fig. 1 ins Auge fassen. Jeder Punkt P des von den beiden unendlichen Geraden A Ω und A B begrenzten Quadranten stellt ein bestimmtes Volumen und einen be- stimmten Druck dar, also einen bestimmten Zustand der Sub- stanz, da die Gleichung 32) die dazu gehörige Temperatur liefert. Wir nennen diesen Zustand einfach den Zustand P . Jede in diesem Quadranten liegende Curve P Q (die übrigens sowie der Punkt P in der Figur nicht gezeichnet ist) stellt uns daher eine Zustandsänderung dar, nämlich die Reihenfolge der verschiedenen Zustände, welche den verschiedenen Punkten der Curve entsprechen. Wir sagen, die Substanz erfährt die Zu- standsänderung P Q , wenn sie alle Zustände durchläuft, welche durch die verschiedenen Punkte dieser Curve dargestellt sind. Die Isotherme 0 der Fig. 1 stellt uns, wenn wir mit sehr grossem Volumen beginnen, eine Compression der Substanz dar, welche dabei fortwährend auf der constanten Temperatur τ 0 \> 1 erhalten wird. Der Druck nimmt fortwährend zu, je mehr das Volumen abnimmt, und ist für sehr grosse Volumina nahezu dem Volumen verkehrt proportional, da dann in Formel 22) die Grössen b und a / v 2 fast verschwinden. Da verhält sich also die Substanz sehr nahe wie ein ideales Gas. Ist dagegen ω nur wenig grösser als ⅓, also das Volumen nahe gleich dem Boltzmann, Gastheorie II. 3 II. Abschnitt. [Gleich. 36] dritten Theile des kritischen, so steigt die Isotherme sehr rasch an und nähert sich asymptotisch der Geraden A B . Dann bewirkt also eine sehr grosse Drucksteigerung nur mehr eine sehr kleine Volumabnahme; die Substanz ist unmerkbar com- pressibel, sie verhält sich wie eine tropfbare Flüssigkeit. Der Uebergang von dem gasförmigen in den tropfbar flüssigen Zu- stand geschieht aber vollkommen allmählich; eine Unterbrechung der Continuität des Ueberganges ist an keiner Stelle bemerk- bar. Dies gilt auch noch für die der kritischen Temperatur entsprechende Isotherme 1, Fig. 1; nur wird im kritischen Zu- stande also wenn Temperatur, Druck und Volumen ihre kritischen Werthe haben, die Tangente zur Isotherme parallel der Ab- scissenaxe, d. h. einer unendlich kleinen isothermen Volumände- rung entspricht an dieser Stelle eine Druckänderung, die un- endlich klein höherer Ordnung ist. Wir wollen nun die Substanz bei einer Temperatur, die kleiner ist, als die kritische isotherm comprimiren, d. h. wir wollen eine Isotherme durchlaufen, für welche τ \< 1 ist, z. B. die Isotherme 3 der Fig. 1, welcher die Temperatur τ 3 ent- sprechen soll. Wir zeichnen diese Isotherme in Fig. 2 noch- Fig. 2. mals und bezeichnen mit C und D die Punkte, deren Ordinaten C C 1 und D D 1 den Minimum- resp. Maxi- mumwerth haben. Die von C und D aus parallel der Abscissenaxe gezogenen Geraden sollen die Iso- therme in E bezw. F noch- mals treffen. Die Projec- tionen der letzteren beiden Punkte auf die Abcisssen- axe seien E 1 bezw. F 1 . So lange der Druck kleiner als E E 1 ist, befinden wir uns auf dem Aste L E der Isotherme. Es ist bei der gegebenen Temperatur für jeden Druck nur ein Zustand der Substanz möglich und zwar ist das Boyle ’sche Gesetz mit um so grösserer Annäherung giltig, je kleiner der Druck ist. Sobald dagegen der Druck gleich E E 1 geworden ist, sind bei derselben Temperatur und demselben Drucke zwei ganz [Gleich. 36] § 14. Stab. u. lab. Zustände. verschiedene Zustände (Phasen der Substanz) möglich, die durch die beiden Punkte E und C der Isotherme dargestellt werden, welchen gleich grosse Ordinaten zukommen. Der durch den Punkt E dargestellten Phase (der Phase E ) entspricht ein grösseres specifisches Volumen, also eine kleinere Dichte, der Phase C dagegen entspricht eine grössere Dichte. Die erstere Phase heisst der Dampf, die zweite die tropfbare Flüssigkeit. Wenn die Isotherme einer Temperatur entspricht, die nur wenig tiefer als die kritische ist, so liegen die beiden Punkte C und E sehr nahe an einander, die Substanz hat also in den beiden ihnen entsprechenden Zuständen nur wenig verschiedene Eigenschaften. Tief unter der kritischen Temperatur dagegen ist die tropfbar flüssige und dampfförmige Phase total ver- schieden. Sobald der Druck gleich D D 1 ist, giebt es wieder zwei Punkte D und F der Isotherme, von denen jeder eine Phase darstellt, welche bei der gewählten Temperatur und dem ge- wählten Drucke möglich ist. Liegt dagegen der Druck zwischen E E 1 und D D 1 , ist er z. B. gleich G G 1 , so haben wir sogar drei Punkte der Isotherme G, H und J , denen dieser Druck entspricht. Man überzeugt sich jedoch leicht, dass der dem mittleren Punkte H entsprechende Zustand ein labiler ist. Gesetzt, die Substanz befände sich in einem cylindrischen Gefässe, welches mit einem leicht verschiebbaren Stempel ver- schlossen ist und hätte anfangs den Zustand H , so dass also im Falle des Gleichgewichts der Druck H H 1 auf dem Stempel lastet. Würde nun der Stempel ohne Aenderung des von aussen auf ihn ausgeübten Druckes ein wenig hineingeschoben, also das Volumen etwas verkleinert, während die Substanz von so guten Wärmeleitern umgeben ist, dass ihre Temperatur fortwährend constant gleich der der Umgebung bleibt, so würde, wie der Verlauf der Isotherme in der Nähe des Punktes H zeigt, der Druck der Substanz auf den Stempel abnehmen; der Stempel würde sich also durch den Aussendruck noch weiter hinein bewegen, bis das Volumen gleich O C 1 geworden ist. Da Analoges auch für eine unendlich kleine isotherme Ausdehnung gilt, so würde die mindeste Bewegung des Stempels bewirken, dass das Volumen in ein ganz anderes von dem ur- sprünglichen um einen endlichen Betrag verschiedenes über- 3* II. Abschnitt. [Gleich. 36] geht. Für jeden Druck also, der zwischen E E 1 und D D 1 liegt, sind bei der der Isotherme 3 entsprechenden Tempe- ratur τ 3 immer nur zwei stabile Phasen möglich. § 15. Unterkühlung, Verdampfungsverzug . Was wird aber eintreten, wenn bei der Temperatur τ 3 das kritische Volumen der Masseneinheit der Substanz zwischen O C 1 und O D 1 liegt? Einem solchen Volumen entspricht bei der Temperatur τ 3 kein stabiler Zustand der Substanz und doch muss dieses Volumen möglich sein, da ja zwischen dem kleineren Volumen der flüssigen Phase und dem grösseren des Dampfes nothwendig irgend ein Uebergang vorhanden sein muss. Dieser Widerspruch löst sich durch die Möglichkeit, dass gleichzeitig ein Theil der Substanz die tropfbar flüssige, ein anderer die dampfförmige Phase hat, wobei selbstverständlich die Punkte, welche die beiden coexistirenden Phasen darstellen, für den Fall des Wärme- und Druckgleichgewichtes auf derselben Iso- therme liegen und von der Abcissenaxe denselben Abstand haben müssen, da Temperatur und Druck für beide Phasen gleich sein müssen. Unter dem Einfluss der Schwere sammelt sich natürlich die schwerere tropfbar flüssige Phase am Boden des Gefässes an und der Dampf steht darüber. Die Coexistenz der tropfbaren und dampfförmigen Phase kann auch eintreten, wenn das Volumen zwischen O F 1 und O C 1 oder zwischen O D 1 und O E 1 liegt. Wenn daher die Substanz zunächst die Zustandsänderung L E durchlaufen hat und dann das Volumen isotherm noch weiter vermindert wird, so lassen unsere bisherigen Betrachtungen zwei Möglichkeiten zu. Die weitere Zustandsänderung kann durch die Curve E D darge- stellt werden, so dass die gesammte Substanz in jedem Momente den gleichen Zustand hat. Es kann aber auch in irgend einem Momente nur ein Theil der Substanz den durch irgend einen Punkt G der Curve D E dargestellten Zustand behalten, während ein anderer Theil in den Zustand übergeht, der durch den Punkt J dargestellt wird, der derselben Temperatur und dem- selben Drucke entspricht. Eine weitere Volumverkleinerung kann dann statt durch Fortschreiten auf der Curve G D da- durch bewirkt werden, dass eine grössere Menge der Sub- stanz aus der Phase G in die Phase J übergeht. In der That [Gleich. 36] § 15. Unterkühlung, Verdampfungsverzug. kann ein Dampf, wenn sich darin kein Staub und kein sonstiger Körper befindet, welcher die Condensation einleitet, bei constanter Temperatur ohne Condensation eine Volum- verkleinerung erfahren, bei welcher unter anderen Umständen, besonders bei Anwesenheit einer kleinen Menge derselben Substanz im tropfbar flüssigen Zustande schon längst Con- densation eingetreten wäre. Da dieser Zustand öfter durch Abkühlung als durch Compression erzeugt wird, so nennt man ihn den eines unterkühlten Dampfes. Wenn dann endlich die Condensation eintritt, so verflüssigt sich plötzlich eine grössere Menge in nicht umkehrbarer Weise, d. h. das ent- standene Gemisch von Flüssigkeit und Dampf kann nicht wieder so in unterkühlten Dampf übergeführt werden, dass es dabei alle früher durchlaufenen Zustände nun in umgekehrter Reihenfolge annimmt. Aehnliches gilt natürlich auch bei der Verdampfung. Die Substanz habe zuerst die Zustandsänderung M F durchlaufen, d. h. sie sei tropfbar flüssig und anfangs stark comprimirt gewesen. Wenn nun das Volumen über den Punkt F hinaus isotherm vergrössert wird, so kann sie entweder die durch die Curve F J C dargestellten Zustände durchlaufen oder es kann an irgend einer Stelle die Coexistenz zweier Phasen beginnen, so dass von da an ein Theil der Substanz in den dampf- förmigen Aggregatzustand übergeht. Bei weiterer Ausdehnung hat dann ein Theil der Substanz einen durch einen Punkt J des Curvenastes F C , der andere den Zustand, welcher durch den in gleicher Höhe befindlichen Punkt G des Curvenastes D E dargestellt wird. Die Verdampfung kann verspätet eintreten, wenn die Flüssigkeit und die Gefässwand luftfrei sind. Es wird aber dann bei weiterer Ausdehnung oder Erhitzung plötzlich eine grosse Menge verdampfen (Verdampfungs- oder Siedverzug). Letzterer Process ist wieder nicht umkehrbar. Befinden wir uns auf einer Isotherme, welche wie die Iso- therme 4 der Fig. 1 unter die Abscissenaxe hinabsteigt, so kann der Druck sogar negativ werden. Davon giebt gut aus- gekochtes Quecksilber in einem Barometerrohre ein Beispiel. Zieht man das oben zugeschmolzene Barometerrohr allmählich aus dem Quecksilber heraus, so vermindert sich am oberen Ende desselben der Druck immer mehr; das Quecksilber da- II. Abschnitt. [Gleich. 36] selbst durchläuft die Zustandsänderung M F J C Fig. 2. Die Quecksilbersäule reisst aber, selbst nachdem sie höher als der Barometerstand geworden ist, noch nicht ab, was beweist, dass der Punkt C , wo die Ordinate der Isotherme ihr Minimum hat, wie bei der Isotherme 4 der Fig. 1 unterhalb der Ab- scissenaxe liegt. Endlich reisst die Säule plötzlich und das Quecksilber verdampft rapid; letzteres ist bei der geringen Tension des Quecksilberdampfes freilich nur wenig bemerkbar. Wenn sich aber in dem Barometerrohre oberhalb des Queck- silbers gut ausgekochtes Wasser befindet, so ist in demselben die reichliche Dampfentwickelung dem Auge sichtbar. Auch in gut ausgekochtem Wasser kann bei Zimmer- temperatur ein negativer Druck sich erhalten. Es steigt also auch für Wasser die der Zimmertemperatur entsprechende Iso- therme, wie die Isotherme 4 in Fig. 1 unter die Abscissen- axe herab. Dagegen steigen beim Aether für leicht beobachtbare Temperaturen die Isothermen nicht mehr unter die Abscissen- axe herab. Hat man daher in dem angeführten Versuche etwas Aether über dem Quecksilber, so kann man bei diesen Temperaturen die Quecksilbersäule zwar auch so lang machen, dass der im Aether herrschende Druck kleiner als der Sätti- gungsdruck des Aetherdampfes bei dieser Temperatur wird, aber nicht mehr so lang, dass er negativ wird. Bei den Vorgängen, die man meist als Siedverzüge be- zeichnet, steht die Substanz gewöhnlich mit ihrem eigenen Dampfe in Berührung; dann ist der Zustand kein Gleichge- wichtszustand, vielmehr findet an der Oberfläche heftige Ver- dampfung statt; daselbst ist die Temperatur gleich der dem Drucke des darüberstehenden Dampfes entsprechenden Siede- temperatur. Nur im Innern ist sie höher, daselbst herrscht also der gleiche Zustand, wie bei einem Verdampfungsverzuge und es kann dieser Zustand, wenn die Flüssigkeit mit ihrem Dampfe in Berührung steht nur bei steter Verdampfung an der Oberfläche und Wärmeleitung durch das Innere dauernd bestehen. § 16. Stabile Coexistenz der beiden Phasen . Man sieht, dass unser Schema die Art der Zustandsände- rung nicht eindeutig bestimmt. Es ist aber zu erwarten, dass [Gleich. 36] § 16. Coexistenz der zwei Phasen. eindeutige Bestimmtheit auftritt, wenn wir nicht-umkehrbare Ueberführungen, sowie Unterkühlungen und Verdampfungsver- züge ausschliessen. Zu diesem Zwecke betrachten wir ein bestimmtes Quantum q unserer Substanz, dessen Masse gleich 1 sei. Es habe wieder anfangs den Zustand, der in Fig. 2 durch den Punkt L dar- gestellt ist, und werde isotherm comprimirt. Sobald es in den durch den Punkt E derselben Figur dargestellten Zustand ge- langt ist, werde es versuchsweise von Zeit zu Zeit mit tropf- barer Flüssigkeit von gleicher Temperatur und gleichem Drucke in Berührung gebracht. Anfangs, wo die Substanz q noch nahezu den Zustand E hat, wäre dies Flüssigkeit, die sich im Zustande des Verdampfungverzuges befindet. Sie wird explosiv in die Substanz q hinein verdampfen. Wir stellen aber allsogleich wieder den alten Zustand der Substanz q her, comprimiren dieselbe wieder ein wenig isotherm und bringen sie nochmals probeweise mit Flüssigkeit von gleicher Tempe- ratur und gleichem Drucke in Berührung. Dies wiederholen wir so lange, bis wir zu einem Zustande der Substanz q ge- langen, bei welchem, wenn diese mit Flüssigkeit von gleicher Temperatur und gleichem Drucke in Berührung gebracht wird, keine Flüssigkeit mehr in die Substanz q hinein verdampft, aber auch noch kein Theil der Substanz q sich condensirt, also Flüssigkeit und Dampf sich im Gleichgewichtszustande befinden. Dabei habe bei dieser Temperatur die tropfbare Flüssigkeit den in Fig. 2 durch Punkt J , der Dampf den durch Punkt G dargestellten Zustand. Dieser Gleichgewichtszustand zwischen Dampf und Flüssig- keit kann nicht von dem Mengenverhältnisse dieser beiden Phasen, sondern bloss von deren Zustand an der Berührungs- fläche abhängen; denn die Moleküle unmittelbar an der Be- rührungsfläche sind es allein, welche unter einander im Gleich- gewichte stehen. Aber auch die absolute Grösse der Berührungs- fläche kann nicht von Einfluss sein, da sich jeder Theil der- selben unter den gleichen Umständen befindet. Die Krümmung der Berührungsfläche ist allerdings von einem, wenn auch äusserst kleinen Einflusse. Ueber einer concaven Oberfläche, wie sie an dem Meniscus in einer Capillarröhre auftritt, ist nämlich der Es muss II. Abschnitt. [Gleich. 36] also eine beliebige Substanzmenge von der Phase J mit einer beliebigen andern von der Phase G im Gleichgewichte neben einander bestehen können, wenn überhaupt irgend zwei Mengen dieser Phasen mit einander in Berührung im Gleichgewichte sein können. Der Zustand G bildet dann die Grenze zwischen dem normalen und unterkühlten Dampfe, der Zustand J aber die Grenze zwischen dem normalen Zustande und dem Zustande des Verdampfungsverzuges bei der tropfbaren Flüssigkeit. Wenn man die Substanz q mit Ausschluss von Körpern, welche Condensation bewirken können, weiter comprimiren würde, so könnte sie Zustände durchwandern, welche durch Punkte der Curve G D dargestellt sind. In jedem solchen Zustande würde sie sich aber mit tropfbarer Flüssigkeit von gleicher Temperatur und gleichem Drucke in Berührung ge- bracht, plötzlich und in nicht umkehrbarer Weise condensiren. Wenn dagegen die Substanzmenge q vom Zustande G aus- gehend in Berührung mit tropfbarer Flüssigkeit von gleicher Temperatur und gleichem Drucke isotherm zusammengedrückt wird, so condensirt sie sich immer mehr und mehr, bis sie ganz in den tropfbaren Zustand übergegangen ist und dieser Vorgang ist umkehrbar, da die Substanz genau in derselben Weise wieder verdampft, wenn man das Volumen bei der gleichen Temperatur wieder vergrössert. Die Lage der Punkte G und J , welche bei jeder bestimmten Isotherme die Grenze zwischen dem normalen Zustande und dem des Verdampfungverzuges bezw. der Unterkühlung bilden, findet Maxwell in folgender Weise unter Zuziehung einer Hypothese. Nature Bd. 11, Scient. pap. Bd. 2, p. 424. Vergl. auch Clausius , Wärmetheorie, 3. Bd. (Gastheorie). S. 201, 1889—91. Bekanntlich ist für jeden umkehrbaren Kreis- process ∫ d Q / T = 0, wobei d Q die zugeführte Wärme T die absolute Temperatur ist. Erstere wollen wir in Arbeitsmaass Dampfdruck um den hydrostatischen Druck der Dampfsäule kleiner, welche zwischen der Höhe des Meniscus und der der ebenen Flüssigkeits- oberfläche ausserhalb der Capillarröhre liegt. Ueber einer in gleichem Grade convexen Oberfläche ist er um den gleichen Betrag grösser. (Vergl. Schluss des § 23.) [Gleich. 36] § 16. Coexistenz der zwei Phasen. messen. Maxwell setzt nun voraus, dass diese Gleichung auch richtig bleibt, wenn unter den durchlaufenen Zuständen labile Zustände vorkommen, wie sie durch den Curvenast C H D (Fig. 2) dargestellt werden. Geschieht der Kreisprocess bei constanter Temperatur, so kann der Factor 1 / T vor das Integralzeichen kommen und es bleibt ∫ d Q = 0. d Q ist gleich dem Zuwachse d J der innern Energie des Körpers mehr der geleisteten äusseren Arbeit, welche letztere gleich p d v ist, sobald sich, wie dies hier an- genommen wird, die äusseren Kräfte auf eine normale Druck- kraft reduciren, deren auf die Flächeneinheit bezogene Intensität p für alle Oberflächenelemente gleich ist. Da ∫ d J für jeden Kreisprocess verschwindet, so hat man also für einen solchen ∫ p d v = 0, wofür man auch schreiben kann ∫ π d ω = 0, da ja die Wahl der Maasseinheiten vollkommen willkürlich ist. Wir beobachten nun wieder die Masseneinheit der Substanz. Dieselbe erfahre den folgenden bei constanter Temperatur verlaufenden Kreisprocess. Sie habe anfangs in allen ihren Theilen die Phase J , dann verwandle sich, bei der constanten Temperatur τ 3 ein immer grösserer und grösserer Theil in die Phase G . Dabei bleibt der Druck constant gleich J J 1 , das Volumen aber wächst vom Werthe O J 1 bis zum Werthe O G 1 . Die dabei geleistete äussere Arbeit ∫ π d ω ist gleich dem Producte aus dem Drucke in den Volumenzuwachs, also gleich der Fläche des Rechtecks J J 1 G 1 G = R . Nun können wir uns den Zustand auf der Curve G D H C J wieder in den alten zurückgeführt denken. Da hierbei das Volumen verkleinert wird, so wird der Substanz äussere Arbeit zugeführt. Die geleistete Arbeit ist also gleich dem negativ genommenen über die ganze Zustandsänderung erstreckten Integrale ∫ π d ω . Nun sind aber ω die Abscissen, π die Ordinaten der Curve, das Integral ist also gleich der Fläche J 1 J C H D G G 1 J 1 = Φ , welche oben von der Curve J C H D G , unten von der Abscissen- axe, rechts und links aber von den beiden Ordinaten J J 1 und G G 1 begrenzt ist. Zum Schlusse ist die Substanz wieder in den alten Zustand J zurückgekehrt; ∫ π d ω über die ganze Zustandsänderung erstreckt ist daher gleich der Differenz R — Φ , welche wieder gleich der Differenz J C H — H D G der beiden in Fig. 2 schraffirten Flächenräume ist. Macht man daher II. Abschnitt. [Gleich. 36] die Maxwell ’sche Hypothese, dass der zweite Hauptsatz gelten muss, obwohl ein Theil der im Gedanken durchlaufenen Zu- stände labil ist, so findet man folgendes Resultat: Die Gerade G H J , welche zwei Phasen G und J verbindet, die sich in Con- tact mit einander im Gleichgewichte befinden (die Zweiphasen- gerade), muss so gezogen werden, dass die beiden in der Fig. 2 schraffirten Flächenräume gleich ausfallen. Ist diese Bedingung nicht erfüllt, so können zwei Phasen G und J , wenn sie auch auf derselben Isotherme liegen und die gleiche Entfernung von der Abscissenaxe haben, niemals mit einander im Gleich- gewichte sein. (Bezüglich der Gleichung, welche diese Bedingung ausdrückt, vgl. § 60.) § 17. Geometrische Darstellung des Zustandes, wobei zwei Phasen coexistiren . Wenn wir in Hinkunft immer unter G H J diejenige der Abscissenaxe parallele Gerade verstehen, für welche die beiden schraffirten Flächenräume gleich sind, so kann dem Gefundenen gemäss das Verhalten der Substanz, wenn dieselbe bei der Tempe- ratur τ 3 isotherm comprimirt wird, folgendermaassen beschrieben werden. So lange das Volumen grösser als O E 1 ist, hat sie den dampfförmigen Aggregatzustand. Liegt das Volumen zwischen O E 1 und O G 1 so kann die flüssige Phase noch nicht mit der dampfförmigen zusammen bestehen. Condensation könnte nur eintreten, wenn gleichzeitig ein Salz oder sonst ein Körper vorhanden wäre, dessen Theilchen die Theilchen der Substanz stärker anziehen, als sich diese unter einander anziehen. Die gebildete tropfbare Flüssigkeit löst dann das Salz oder über- zieht den Körper und wenn davon nicht eine unendliche Menge vorhanden ist, so steigt der Dampfdruck, je mehr dieser Process fortschreitet (verfrühte Condensation). Ist kein solcher Körper vorhanden, so bleibt die Substanz dampfförmig, bis ihr Volumen gleich O G 1 wird. Hier tritt dann bei weiterer isothermer Compression, wenn die kleinste Menge derselben Substanz im tropfbar flüssigen Zustande hinzu gebracht wird, sofort Conden- sation ein und der Dampfdruck steigt nicht mehr, bis alle Substanz tropfbar flüssig geworden ist, da Dampf von höherem Drucke nicht neben der flüssigen Phase bestehen kann (normale Condensation). Ist kein die normale Condensation veranlassender [Gleich. 36] § 17. Geometr. Darstellung. Körper anwesend, so kann die Substanz ohne Condensation noch weiter comprimirt werden, wobei ihre Zustände durch die krumme Linie G D dargestellt werden (unterkühlter Dampf). Tritt aber dann Condensation ein, was mindestens geschehen muss, wenn das Volumen kleiner als O D 1 wird, so verflüssigt sich plötzlich eine endliche Substanzmenge und der Druck sinkt, wenn die Temperatur constant erhalten wird, sofort auf den Werth G G 1 . Ganz analog verhält sich die Substanz, wenn sie anfangs tropfbar flüssig war und allmählich ausge- dehnt wird, wobei nur an Stelle einer kleinen in den Dampf gebrachten Flüssigkeitsmenge eine kleine in der Flüssigkeit erzeugte leere oder mit Dampf oder Gas erfüllte Höhlung tritt. Wir haben also von jeder Isotherme das Stück C H D wegzulassen, da es Zuständen entspricht, die sich physikalisch gar nicht realisiren lassen. Wir wollen aber auch weder die Verdampfungsverzüge noch den unterkühlten oder verfrüht condensirten Dampf, sondern nur die normale Condensation betrachten, welche den directen umkehrbaren Uebergang von dem tropfbar flüssigen zu dem dampfförmigen Aggregatzustande darstellt. Dann haben wir von jeder Isotherme nur die Stücke M J und G L (Fig. 2) beizubehalten. Die Vermittelung zwischen beiden bilden Zustände, wobei bei derselben Temperatur ein Theil der Substanz tropfbar ist und den durch den Punkt J dargestellten Zustand hat, während der andere dampfförmig ist und den durch den Punkt G dargestellten Zustand, also die gleiche Temperatur und den gleichen Druck wie der erstere Theil hat. Jeden dieser Zustände könnten wir gleichzeitig durch die beiden Punkte G und J zusammen darstellen, wobei etwa jedem der Punkte um so mehr Gewicht beizulegen wäre, ein je grösserer Antheil der Substanz die betreffende Phase hat. Weit anschaulicher aber ist es, diese Zustände durch die verschiedenen Punkte der Gerade J G darzustellen (Zwei- phasengerade). Die Ordinate N N 1 Fig. 2 eines beliebigen Punktes N dieser Geraden stellt uns den Druck dar, welcher für beide coexistirenden Phasen derselbe ist. Die Abscisse O N 1 aber soll immer so gewählt werden, dass sie gleich dem Volumen ist, welches die Gesammtmasse der Substanz hat, die immer gleich der Masseneinheit vorausgesetzt wird, also gleich der Summe der Volumina des tropfbar flüssigen und dampf- II. Abschnitt. [Gleich. 37] förmigen Antheils. Je grösser daher der tropfbar flüssige Antheil ist, desto näher bei J liegt der den betreffenden Zu- stand darstellende Punkt der Zweiphasengeraden J G und um- gekehrt. Bezeichnen wir daher dann mit x die Masse der tropf- bar flüssigen Substanz, also mit 1 — x die Masse der dampf- förmigen Substanz in dem durch den Punkt N dargestellten Zustande, so ergiebt sich x folgendermaassen: Da O J 1 das specifische Volumen der tropfbaren Flüssigkeit, O G 1 das des Dampfes in diesem Zustande ist, so ist x . O J 1 das Volumen des tropfbar flüssigen, (1 — x ) . O G 1 das des dampfförmigen Antheils in dem durch den Punkt N dargestellten Zustande und da die Summe der Volumina gleich der Abscisse O N 1 des Punktes N sein soll, so hat man die Gleichung x . O J 1 + (1 — x ) . O G 1 = O N 1 , woraus folgt: 37) . Denkt man sich daher im Punkte J die Masse x , die sich im tropfbaren Zustande befindet, im Punkte G die gasförmige Masse 1 — x concentrirt, so ist N der Schwerpunkt des aus beiden Massen gebildeten Systems. Die Regel, dass die reciproke Abscisse immer die Dichte darstellt, gilt natürlich für die Punkte der Zweiphasengeraden nicht mehr. Ist vielmehr ϱ 1 die Dichte des tropfbaren, ϱ 2 die des dampfförmigen Antheils, so ist die Abscisse . Wenn wir die Zustände, wo tropfbare Flüssigkeit und Dampf neben einander bestehen, in dieser Weise darstellen und den unterkühlten Dampf, sowie die Verdampfungsverzüge nicht berücksichtigen, so erhalten die Isothermen an Stelle der in Fig. 1 dargestellten die in Fig. 3 dargestellte Gestalt. Die in Fig. 1 und 2 mit 3 bezeichnete Isotherme nimmt den in Fig. 3 ebenfalls mit Ziffer 3 bezeichneten Verlauf. Der Theil J G derselben ist gerade und ein Punkt N dieses geraden Theiles stellt einen Zustand dar, in welchem bei der dieser Isotherme entsprechenden Temperatur ein Theil x der Substanz tropfbar, [Gleich. 37] §. 18. Gas, Dampf, Flüssigkeit. der Rest 1 — x dampfförmig ist und beide unter dem Drucke N N 1 stehen, wogegen die Summe ihrer Volumina O N 1 ist. x und 1 — x sind dann durch die Gleichungen 37 gegeben. Auch für diejenigen Isothermen, bei de- nen der den Ver- dampfungsverzug darstellende Theil unter die Abscissen- axe herabsinkt, giebt es immer eine ober- halb der Abscissen- axe liegende Gerade J G , für welche die beiden in Fig. 2 schraffirten Flächen Fig. 3. gleich ausfallen; denn die Fläche zwischen der Abscissenaxe und dem unter dieselbe herabsteigenden Theile der Isotherme ist immer endlich, der Flächenraum zwischen dem zu grösseren Abscissen gehörigen Theile der Isotherme und der Abscissen- axe aber wird logarithmisch unendlich, wenn die Abscissen ins Unendliche wachsen. Daher ist die Gleichheit der beiden in Fig. 2 schraffirten Flächenräume immer durch eine oberhalb der Abscissenaxe liegende Zweiphasengerade herstellbar. § 18. Definition der Begriffe Gas, Dampf und tropfbare Flüssigkeit . Wir können den über der zur kritischen Temperatur ge- hörigen Isotherme 1 liegenden, in Fig. 3 horizontal schraffirten Flächenraum als den Gasraum bezeichnen. Die Punkte des- selben, welche grossen Abscissen entsprechen, stellen in der That Zustände dar, die dem idealen Gaszustande sehr nahe kommen. Die kleinen Abscissen entsprechenden, also nahe der Geraden A B liegenden Punkte stellen freilich Zustände dar, in denen sich die Substanz ganz wie eine tropfbare Flüssigkeit verhält, aber da dieselben isotherm ohne Continuitätsunterbrechung in entschiedene Gaszustände übergeführt werden können, so rechnen wir sie noch zum Gasraume. Ein Beispiel dafür bietet sehr stark comprimirte Luft von gewöhnlicher Temperatur. II. Abschnitt. [Gleich. 37] Den von den Zweiphasengeraden erfüllten Flächenraum nennen wir den Zweiphasenraum; er ist in der Fig. 3 vertikal schraffirt. Da die punktirte Curve der Fig. 1, welche der geometrische Ort aller Maxima und Minima der Isothermen ist, jedenfalls ganz innerhalb des Zweiphasenraumes liegt, so hat die diesen Raum begrenzende Curve im kritischen Punkt K eine noch schwächere Krümmung, als die punktirte Curve, jedenfalls keine Spitze. Unterhalb des Gasraumes liegt rechts vom Zweiphasen- raume der Dampfraum, in welchem sich die Substanz ähnlich wie ein Gas verhält; links vom Zweiphasenraume, und zwar von der Geraden A B begrenzt, der Flüssigkeitsraum, in dem wir sie als tropfbare Flüssigkeit bezeichnen. Diese beiden letztgenannten Räume sind in Fig. 3 schief schraffirt. Sie sind dadurch characterisirt, dass kein Zustand des einen in einen Zustand des anderen ohne Condensation isotherm übergeführt werden kann. Die typische, diese Räume durchsetzende Isotherme ist die Curve 3 der Fig. 3. Durchläuft man sie, von der höchsten Verdünnung ausgehend, so kann man folgendes über das Ver- halten der Substanz bei isothermer Compression aussagen: Im Dampfraume gilt, so lange das Volumen gross ist, angenähert das Boyle ’sche Gesetz. Verkleinert man das Volumen, so treten die Abweichungen von diesem Gesetze immer mehr her- vor. Sobald man den Zweiphasenraum betritt, bleibt bei weiterer Volumverkleinerung der Druck constant und es verflüssigt sich ein immer grösserer Theil der Substanz. Nachdem alle Sub- stanz flüssig geworden ist, steigt bei weiterer Compression der Druck rapid. Zwei extreme Fälle hievon bieten die Isothermen 2 und 5; erstere liegt noch nahe der kritischen. Da ist die flüssige Phase noch wenig von der dampfförmigen verschieden. Die Condensation dauert nur sehr kurze Zeit, so dass sie nur den Charakter einer vorübergehenden Unregelmässigkeit in der Zu- sammendrückbarkeit hat. Die Isotherme 5 dagegen entspricht einer Temperatur, die sehr tief unter der kritischen liegt; der Dampf kann da überhaupt nur mehr einen verschwindenden Druck ausüben und macht sich gar nicht mehr bemerkbar. Sobald der Druck einigermaassen erheblich und keine andere [Gleich. 37] § 19. Willkürlichkeit im vorigen Paragraphen. Substanz mit der betrachteten gemischt ist, kann letztere nur als Flüssigkeit existiren, der ein bestimmtes Volumen zukommt, das durch Druck nur verhältnissmässig wenig verkleinert werden kann. Die Compressibilität der Flüssigkeit tief unter der kritischen Temperatur ist also sehr klein. Natürlich nähert sich aber nach unserem Diagramme der Dampfdruck nur asym- ptotisch der Nulle. Eine Spur von Verdampfung müsste also selbst bei den tiefsten Temperaturen noch möglich sein. § 19. Willkürlichkeit der Definitionen des vorigen Paragraphen . Wir haben hier bei der Definition der Begriffe Gas, Dampf und tropfbare Flüssigkeit die isotherme Zustandsänderung zu Grunde gelegt. Dies ist natürlich eine Willkürlichkeit, welche man höchstens damit motiviren kann, dass man in der Praxis gewöhnlich bestrebt ist, die Temperatur möglichst gleich der der Umgebung also möglichst constant zu erhalten. Wir könnten auch solche Zustandsänderungen betrachten, wobei sich die Substanz in einem cylindrischen Gefässe befindet, das durch einen luftdicht schliessenden, sehr leicht beweglichen Stempel verschlossen ist, auf dem ein constanter Druck lastet. Anfangs soll die Temperatur sehr hoch sein. Bei Wärmeent- ziehung wird sich das Volumen verkleinern. Eine solche Zu- standsänderung wollen wir eine isobare nennen; sie ist durch eine der Abscissenaxe parallele Gerade dargestellt (die Isobare). Ist der constante Druck, unter welchem die Substanz hiebei erhalten wird, grösser als der kritische, so geht sie wieder ohne Unterbrechung der Continuität von einem angenähert gas- förmigen zu einem angenähert tropfbar flüssigen Zustande über. Ist dagegen der Druck kleiner, als der kritische, so sinkt die Temperatur mit abnehmendem Volumen nur so lange, bis der Zweiphasenraum erreicht ist. Da alsdann die Isobare mit der Isotherme zusammenfällt, bleibt die Temperatur constant, bis die ganze Substanz verflüssigt ist. Wollte man also bei der Definition der Begriffe Dampf und Gas die isobare Compression zu Grunde legen, so wäre die durch den kritischen Punkt ge- zogene der Abscissenaxe parallele Gerade die Trennungslinie zwischen beiden Zuständen, da oberhalb derselben die isobare Ueberführung irgend eines Zustandes in irgend einen anderen II. Abschnitt. [Gleich. 37] niemals mit Condensation verknüpft ist, wogegen unterhalb die isobare Compression stets den Zweiphasenraum passirt. Noch eine andere Scheidung zwischen Dampf und Gas würde man erhalten, wenn man die adiabatische Zustands- änderung, d. h. die Zustandsänderung ohne Wärmezufuhr oder -entziehung zu Grunde legen würde. Um dieselbe zu berechnen, müsste man das Differentiale d Q der zugeführten Wärme (vergl. § 21) gleich Null setzen. Wir wollen uns hierauf nicht näher einlassen und nur bemerken, dass, wenn man nicht eine be- stimmte, sei es die isotherme, isobare oder adiabatische oder sonst eine genau definirte Zustandsänderung zu Grunde legt, eine Scheidung der Zustände in solche, welche man continuir- lich in einander überführen kann oder nicht, überhaupt un- möglich ist; denn man kann jeden Zustand in jeden anderen ohne den Zweiphasenraum zu passiren, also continuirlich, aber auch, indem man den Zweiphasenraum in der einen oder an- deren Richtung passirt, also unter Condensation oder Ver- dampfung überführen. Man sieht dies in folgender Weise ein: Legen wir den Punkten des Zweiphasenraumes die bisherige Bedeutung bei, so dass ihre Ordinaten gleich dem Drucke, ihre Abscissen aber gleich dem Gesammtvolumen des tropfbaren und dampfförmigen Antheiles zusammen sind, so stellt uns jeder Punkt des Quadranten B A Ω der Fig. 3 einen möglichen Zustand der Substanz dar. Seien uns zwei beliebige Zustände gegeben. In jedem derselben habe die ganze Substanz dieselbe Phase, sie entsprechen also zwei Punkten P und Q , welche beide ausserhalb des Zweiphasenraumes liegen. (Sie sind in der Figur nicht gezeichnet.) Wir können dieselben immer durch eine Curve verbinden, welche ohne den Zweiphasen- raum zu passiren oberhalb K von P nach Q geht. Diese Curve stellt uns dann eine continuirliche Reihe von Zu- ständen dar, durch welche die Substanz vom Zustande P in den Zustand Q übergeführt werden kann, ohne dass irgend einmal ein Theil derselben eine andere Phase als die übrige Substanz hat. Wir können aber auch von P eine Curve nach der linken Begrenzungslinie A J K des Zweiphasenraumes, dann quer durch diesen hindurch von links nach rechts und endlich oberhalb desselben hinweg nach Q ziehen. Diese Curve würde eine Zustandsveränderung darstellen, wobei die Substanz zuerst [Gleich. 37] § 20. Isopykne Zustände. continuirlich in die flüssige Phase übergeführt, dann allmählich verdampft und wenn sie ganz Dampf geworden ist, continuir- lich in den Endzustand Q geschafft würde. Eine Curve, welche umgekehrt von P oberhalb des Zweiphasenraumes nach einem Punkte der rechts liegenden Begrenzungscurve K G Ω des Zwei- phasenraumes, dann quer durch diesen nach einem Punkte der Curve A J K und dann oberhalb des Zweiphasenraumes nach Q geführt würde, würde aber eine Zustandsänderung darstellen, wobei die Substanz vom Zustande P zuerst continuirlich in einen dampfförmigen übergeführt, dann condensirt und endlich in den Zustand Q gebracht würde. Die Substanz kann sogar aus einem ausgesprochen tropf- bar flüssigen in einen ausgesprochen dampfförmigen Zustand nicht durch Verdampfung, sondern durch Condensation über- geführt werden. Man braucht sie nur anfangs bei kleinem Volumen über die kritische Temperatur zu erhitzen, dann bei dieser stark auszudehnen, dann unter die kritische Temperatur abzukühlen, dann zu condensiren und die entstandene Flüssig- keit wieder bei kleinem Volumen über die kritische Temperatur zu erhitzen und dann in den gewünschten Endzustand überzu- führen. Ebenso kann man einen ausgesprochenen Dampfzustand durch Verdampfung in einen offenbar tropfbar flüssigen über- führen. Man wird also allerdings die Substanz sicher als tropfbar flüssig, als dampfförmig oder als gasförmig bezeichnen, wenn ihr Zustand durch einen Punkt dargestellt wird, welcher ent- weder nahe dem unteren Theile der Geraden A B oder nahe der Curve K G Ω oder weit oberhalb der kritischen Isotherme in grosser Entfernung von der Geraden A B liegt. In den Zwischen- bereichen aber werden diese Zustandsformen allmählich in ein- ander übergehen, so dass eine scharfe Grenze, wenn man eine solche überhaupt wünscht, durch irgend eine willkürliche Defi- nition festgesetzt werden muss. § 20. Isopykne Zustandsänderung . Wenn wir eine bestimmte Menge der Substanz (wir wählen wieder die Masseneinheit) in eine beiderseits verschlossene Röhre einschliessen und allmählich erwärmen, so haben wir wenigstens sehr angenähert eine Zustandsänderung bei con- Boltzmann, Gastheorie II. 4 II. Abschnitt. [Gleich. 37] stantem Volumen (eine isopykne Zustandsänderung). Ist das Volumen genau gleich dem dritten Theile des kritischen (kleinere kann es überhaupt nicht geben), so ist der Druck ausser beim absoluten Nullpunkte immer unendlich. Bei jedem anderen Volumen befinden wir uns für genügend tiefe Temperaturen im Zweiphasenraume. Es ist also ein Theil der Substanz im unteren Theile der Röhre tropfbar flüssig. Darüber steht der Dampf derselben Substanz, dessen Druck für sehr kleine Temperaturen nahe gleich Null ist und hernach wächst. Die Grenze zwischen der tropfbaren Flüssigkeit und dem Dampfe wollen wir den Meniscus nennen. Da wir voraus- setzen, dass das Volumen constant erhalten wird, so wird die Zustandsänderung durch eine der Ordinatenaxe parallele, zu- nächst noch im Zweiphasenraume verlaufende Gerade dar- gestellt, z. B. die Gerade N 1 N der Fig. 3. In dem durch den Punkt N derselben dargestellten Zustande ist nach den Glei- chungen 37) die Masse des flüssigen Antheils der Substanz und die des dampfförmigen Antheils . Wir haben nun drei Fälle zu unterscheiden: 1. Die Gerade N 1 N , welche unsere Zustandsänderung darstellt, liege rechts von der durch den kritischen Punkt der Ordinatenaxe parallel gezogenen Geraden K K 1 ; das gewählte constante Volumen sei also grösser als das kritische. Dann wird mit wachsender Temperatur das Stück N G immer kleiner im Verhältnisse zu J G . Die Menge der tropfbaren Flüssigkeit in der Röhre nimmt mit wachsender Temperatur ab, der Meniscus sinkt. Endlich wenn die Gerade N 1 N die Grenze des Zweiphasenraumes erreicht hat, ist die ganze Substanz dampfförmig geworden. 2. Die Gerade N N 1 liegt links von K K 1 . Dann nimmt mit wachsender Temperatur umgekehrt J N gegen N G ab, der Meniscus steigt und die ganze Substanz wird in dem Momente, wo die Grenze des Zweiphasenraumes erreicht wird, tropfbar. 3. Wenn die Sub- stanz gerade das kritische Volumen O K 1 hat, so bleibt während der Erwärmung bei constantem Volumen das Verhältniss zwischen J N und N G immer endlich, bis der kritische Punkt K erreicht [Gleich. 37] § 21. Calorimetrie. ist; es bleibt also der Meniscus immer zwischen dem oberen und unteren Ende der Röhre, bis er endlich bei der kritischen Temperatur verschwindet, da daselbst die tropfbare Flüssigkeit und der Dampf gleiche Beschaffenheit annehmen. Wir sahen, dass die Grenze des Zweiphasenraumes in der Nähe des kritischen Punktes fast horizontal verläuft. Deshalb verschwindet der Meniscus auch schon nahezu, wenn die Ge- rade N N 1 nur in der Nähe von K K 1 liegt. Theoretisch müsste er sich im Inneren der Röhre erhalten, bis die Tempe- ratur fast gleich der kritischen geworden ist und dann enorm schnell ans obere oder untere Ende der Röhre wandern. Doch kann dies nicht mehr beobachtet werden, da er vorher so un- deutlich wird, dass man aufhört, ihn zu sehen und da auch die Temperatursteigerung nicht an allen Stellen der Röhre ab- solut gleichmässig erfolgt. Zudem verursachen kleine Verun- reinigungen der Substanz gerade an dieser kritischen Stelle leicht erhebliche Störungen. § 21. Calorimetrie einer das van der Waals’sche Gesetz befolgenden Substanz . Da wir eine bestimmte mechanische Vorstellung zu Grunde gelegt haben, so hat es keine Schwierigkeit, auch den Ausdruck für das Differentiale d Q der zugeführten Wärme zu bestimmen. Sei wie in Formel 19) und im I. Theile § 8 das mittlere Geschwindigkeitsquadrat der Schwerpunktsbewegung (fortschrei- tenden Bewegung) eines Moleküles, daher ½ die mittlere lebendige Kraft der Schwerpunktsbewegung der in der Massen- einheit der Substanz befindlichen Moleküle. Wird die Tem- peratur der Masseneinheit um d T erhöht, so ist also derjenige Antheil der zugeführten Wärme, welcher auf Erhöhung der lebendigen Kraft dieser Schwerpunktsbewegung verwendet wird, in Arbeitsmaass gemessen: . Letztere Relation folgt nach Gleichung 21). Obwohl wir bei Ableitung des Waals ’schen Gesetzes voraussetzten, dass sich die Moleküle bei den Stössen nahezu wie elastische Kugeln verhalten, so schliessen wir jetzt doch der Allgemeinheit wegen intramolekulare Bewegungen nicht aus 4* II. Abschnitt. [Gleich. 38] und setzen wie im I. Theile § 8 die in Arbeitsmaass gemessene, bei der Temperaturerhöhung d T auf Erhöhung der lebendigen Kraft der inneren Bewegung und Arbeitsleistung gegen die intramolekularen Kräfte verwendete Wärme bezogen auf die in der Masseneinheit befindlichen Moleküle 37a) d Q 3 = β d Q 2 . Da die Waals ’sche Cohäsionskraft für jedes Molekül nahezu nach allen Richtungen gleichmässig wirkt, so wird sie die innere Bewegung nicht beeinflussen. Für diese gilt daher genau das- selbe, was wir in den §§ 42 bis 44 für ideale Gase mit zu- sammengesetzten Molekülen ableiten werden. Die innere Be- wegung hängt nicht davon ab, wie oft ein Molekül mit anderen zusammenstösst, sondern bloss von der Temperatur, so dass β nur Function der Temperatur sein kann. Wenn die Moleküle starre Rotationskörper sind, ist, wie wir dort sehen werden, 03B2; = ⅔, wenn sie von Rotationskörpern verschiedene starre Körper sind, so ist es gleich 1. Wenn innere Bewegungen vorhanden sind und f die Anzahl der Freiheitsgrade eines Moleküles ist, so ist der durch die Erhöhung der mittleren lebendigen Kraft bedingte Antheil gleich ⅓ f — 1 und es kann noch ein durch intramolekulare Arbeitsleistung bedingter An- theil hinzukommen, welcher Function der Temperatur sein kann. Gegenwärtig wollen wir jedoch in diese Details nicht ein- gehen, sondern in Gleichung 37 a) β als irgend eine Function der Temperatur betrachten. Die specifische Wärme der Masseneinheit bei constantem Volumen ist also: . Wächst gleichzeitig das Volumen um d v , so ist dazu noch auf Ueberwindung des äusseren Druckes die Arbeit p d v , auf Ueberwindung des inneren Molekulardruckes aber die Arbeit a d v / v 2 aufzuwenden. Es ist also die gesammte, der Massen- einheit zuzuführende Wärme 38) . Da Waals ’ kinetische Hypothese nicht bloss seine Zustands- gleichung bestimmt, sondern auch Aussagen über die specifische [Gleich. 38] § 21. Calorimetrie. Wärme gestattet, so ist es klar, warum man mittelst einer Sub- stanz, welche die Bedingungen der Hypothese erfüllt, die abso- lute Temperatur bestimmen kann, nicht aber mit einer Substanz, für welche bloss empirisch die Waals’ sche Zustandsgleichung gilt. Die Entropie ist: , was sich, wenn β constant ist, auf . reducirt, wobei l den natürlichen Logarithmus bedeutet. Die Constantsetzung dieser Grösse giebt die Gleichung für die adiabatische Zustandsänderung. Die auf die Masseneinheit bezogene specifische Wärme bei constantem Drucke ist und das Verhältniss der specifischen Wärme ist . Würde sich das Gas ähnlich wie beim Gay-Lussac’ schen Versuche plötzlich in ein Vacuum so ausdehnen, dass speci- fisches Volumen und Dichte anfangs die Werthe v und ρ , zum Schlusse die Werthe v' und ρ' hätten, so wäre die gegen die Molekularanziehung geleistete Arbeit pro Masseneinheit des Gases , also unabhängig von der Temperatur. Dehnt sich aber das Gas in umkehrbarer Weise adiabatisch aus, so folgt aus Gleichung 38) . Die Masseneinheit der Substanz soll nun ursprünglich den tropfbaren Aggregatzustand haben und bei constanter Tempe- ratur T und dem dieser Temperatur entsprechenden Sättigungs- II. Abschnitt. [Gleich. 38] drucke p des Dampfes verdampfen. Dann ist in Gleichung 38) d T = 0 zu setzen. Die gesammte Verdampfungswärme ist also, wenn v und ρ specifisches Volumen und Dichte für den tropf- baren, v' und ρ' aber bei derselben Temperatur für den dampf- förmigen Aggregatzustand sind: . Das letzte Glied stellt die zur Ueberwindung des äusseren auf dem Dampfe lastenden Druckes erforderliche Arbeit dar. Vernachlässigt man daher die Dichte des Dampfes gegenüber der der Flüssigkeit, so ist: T = a ρ die Trennungsarbeit der Flüssigkeitstheilchen. Man kann nun die Constante a aus den Abweichungen des verdünnten und erhitzten Dampfes vom Boyle-Charles’ schen Gesetze berechnen. Daraus ergiebt sich dann für den flüssigen Zustand derselben Substanz der sogenannte innere oder Mole- kulardruck (d. h. die Differenz des im Innern der Flüssigkeit nahe der Oberfläche herrschenden und des ausserhalb an ihrer Oberfläche herrschenden Druckes) zu a ρ 2 ; die in Arbeitsmaass gemessene Verdampfungswärme der Flüssigkeit (genauer die Trennungswärme ihrer Theilchen) aber ergiebt sich zu a ρ , welche Grösse mit der Erfahrung verglichen werden kann. Letzteres Resultat ist unabhängig von den Voraussetzungen, aus denen wir die van der Waals’ sche Gleichung gewonnen haben, und nur durch die Form derselben bedingt, so dass es auch richtig bleiben würde, wenn man diese als eine empirisch gegebene auffassen würde. § 22. Grösse der Moleküle . Durch Berechnung der Constante b aus den Abweichungen eines Gases vom Boyle-Charles’ schen Gesetze kann man die im § 12 des I. Theiles angeführte Loschmidt’ sche Bestimmung der Grösse der Moleküle verbessern. Wir können nämlich jetzt das von den in der Masseneinheit enthaltenen Molekülen wirklich erfüllte Volumen genau berechnen, da es gleich ¼ b ist, während es im I. Theile nur mittelst der Annahme geschätzt wurde, dass das Volumen der in der verflüssigten Substanz [Gleich. 38] § 22. Grösse der Moleküle. § 23. Capillarität. enthaltenen Moleküle nicht kleiner als das gesammte Volumen derselben sein kann und nicht grösser als das zehnfache davon sein dürfte. Aus den Formeln 77) und 91) des I. Theiles folgt für die Reibungsconstante eines Gases der Werth , wobei nach Formel 89) des I. Theiles k nur wenig von ⅓ ver- schieden ist, wenn man unter c die mittlere Geschwindigkeit der fortschreitenden Bewegung der Gasmoleküle versteht. σ ist der Durchmesser eines Moleküles, ρ die Masse in der Volumen- einheit, n die Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit, so dass ρ / n die Masse m eines Moleküles ist. Man kann daher auch schreiben ; ferner hatten wir , daher , wobei die mittlere Geschwindigkeit c aus den Formeln 7) und 46) des I. Theiles mit genügender Genauigkeit berechnet werden kann. Auf irgend welche Zahlenangaben will ich verzichten, da die Auswahl möglichst verlässlicher Zahlen ohne eine Kritik der vorliegenden experimentellen Daten nicht möglich wäre, letztere aber dem Zwecke dieses Buches vollkommen fremd ist. § 23. Beziehungen zur Capillarität . Van der Waals gewinnt das Glied a / v 2 seiner Formel auf einem Wege, der etwas länger als der von uns im § 7 eingeschlagene ist, indem er Betrachtungen anstellt, die denen vollkommen analog sind, durch welche Laplace und Poisson die Grundgleichungen der Capillarität abgeleitet haben. Da gerade diese Beziehung zur Capillarität nicht ohne alle Wichtig- keit ist, so will ich der ursprünglichen Schlussweise van der Waals’ hier noch in Kürze gedenken. Die folgenden Betrachtungen finden auf tropfbare Flüssig- keiten und Gase meist aber auf erstere Anwendung, weshalb wir die in Betracht kommende Substanz kurz „die Flüssigkeit“ II. Abschnitt. [Gleich. 38] nennen wollen. Wir nehmen an, dass die Anziehung zweier Massen- theilchen m und m' derselben in die Richtung ihrer Verbindungs- linie fällt und eine Function ihrer Entfernung f , etwa gleich m m' F ( f ) ist. Wir setzen: , so dass m m' χ ( f ) die Arbeit ist, welche erfordert wird, um die beiden Theilchen m und m' aus der Entfernung f in sehr grosse Entfernung zu bringen. Die Kraft F ( f ) wird jedenfalls nur in molekularen Entfernungen von Null verschiedene Werthe haben. Wir nehmen an, dass sie mit wachsendem f rascher als die reciproke 3. Potenz von f abnimmt, so dass nicht nur F ( f ), sondern auch χ ( f ) und ψ ( f ) immer verschwindet, wenn nicht f einen sehr kleinen Werth hat. Aus unseren Ansätzen folgt, dass die zwischen den beiden Theilchen m und m' wirkende Kraft gleich ist — m m' . Wir construiren nun in der Flüssigkeit eine Kugel K vom Radius b , Darunter ist jetzt nicht die früher mit b bezeichnete Constante zu verstehen. bezeichnen mit d o ein Flächenelement derselben und construiren ferner den geraden Cylinder Z , welcher ausser- halb der Kugel auf diesem Flächenelemente aufsitzt und die sehr grosse Länge B — b hat. Den Mittelpunkt O der Kugel wählen wir als Coordinatenursprung und legen die positive Abscissenaxe in die Axe des Cylinders. Wir stellen uns nun die Aufgabe, die Anziehung d A zu finden, welche die in der Kugel K enthaltene Flüssigkeit auf die im Cylinder Z enthaltene ausübt. Wir construiren zu diesem Behufe im Cylinder Z das Volumelement d Z , welches zwischen den Querschnitten mit den Abscissen x und x + d x liegt. Sein Volumen ist d o d x , die darin enthaltene Flüssigkeitsmasse also ρ d o d x , wenn ρ die überall constant vorausgesetzte Dichte der Flüssigkeit ist. Ferner schneiden wir aus der ganzen Kugel K eine con- centrische Kugelschale S heraus, welche zwischen den Kugel- flächen von den Radien u und u + d u liegt und aus dieser wieder jenen Ring R , für welchen die Verbindungslinie seiner [Gleich. 38] § 24. Capillarität. Punkte mit dem Coordinatenursprunge und die positive Ab- scissenaxe Winkel bildet, die zwischen ϑ und ϑ + d ϑ liegen. Das Volumen des Ringes R ist 2 π u 2 sin ϑ d u d ϑ . Das ρ fache hiervon ist also die gesammte darin enthaltene Masse. Irgend ein Flüssigkeitstheilchen mit der Masse m' , das innerhalb des Ringes R liegt und die Abscisse x' hat, übt also auf irgend ein Flüssigkeitstheilchen m , das im Cylinder d Z liegt und die Abscisse x hat, die Anziehung aus, deren in der Richtung der negativen Abscissenaxe ent- fallende Componente ist. Die gesammte im Ringe R enthaltene Flüssigkeitsmasse übt daher auf die im Volumelemente d Z enthaltene die An- ziehung aus. Die gesammte Anziehung der in der Kugel K enthaltenen Flüssigkeit auf die im Cylinder Z enthaltene können wir daher, wenn wir die Reihenfolge der Integrationen so ordnen, wie es für die Rechnung am bequemsten ist, in der Form schreiben: . Bei Ausführung der Integration nach ϑ integriren wir bloss über die Kugelschale S , haben also u als constant zu betrachten. Führen wir f statt u als Integrationsvariable ein, so erhalten wir also u x sin ϑ d ϑ = f d f und die Grenzen für f werden x — u und x + u . Es wird also: , wobei ψ die schon am Anfange dieses Paragraphen in derselben Weise bezeichnete Function ist. Die Integration nach x wird nun ausgeführt, indem man in diesem Ausdrucke x = B setzt II. Abschnitt. [Gleich. 39] und davon den Werth subtrahirt, den man erhält, wenn man in demselben Ausdrucke x = b setzt. Es ist zu bedenken, dass die Function ψ immer ver- schwindet, wenn die Grösse unter dem Functionszeichen nicht einen sehr kleinen Werth hat. B und b sind sehr gross gegen die molekularen Dimensionen und zwar ist B noch weit grösser als b , also auch grösser als alle in Betracht kommenden Werthe von u . Daher verschwindet ψ ( B + u ), ψ ( B — u ) und ψ ( b + u ). Nur ψ ( b — u ) kann von Null verschiedene Werthe annehmen und man erhält: , also . Führt man in dem bestimmten Integrale die Variable z = b — u ein, so verwandelt es sich in . Da ψ ( z ) für grosse Werthe von z verschwindet, kann man in der oberen Grenze der Integrale auch ∞ für b schreiben. Setzt man daher 39) , so wird . Wenn der Cylinder Z rings gleichförmig mit Flüssigkeit umgeben ist, so heben sich offenbar alle auf ihn wirkenden Kräfte auf. Daher muss die die Kugel K umgebende Flüssig- keit genau dieselbe, aber entgegengesetzt gerichtete Kraft auf die im Cylinder befindliche ausüben, wie die in der Kugel K enthaltene. Wenn nun die in der Kugel K enthaltene Flüssig- keit hinweggenommen wird, so bleibt nur noch eine Flüssigkeits- masse, deren Oberfläche die Kugelfläche K ist. d A ist dann [Gleich. 40] § 24. Trennungsarbeit. der Zug, welchen diese Flüssigkeitsmasse auf den über einem ihrer Oberflächenelemente d o nach innen aufsitzenden Cylinder Z in der Richtung nach innen ausübt, der im § 2 mit p i d o be- zeichnet wurde. Ist die Oberfläche eben oder ihre Krümmung so gross, dass 1 / b vernachlässigt werden kann, so erhalten wir den schon im § 7 gefundenen Werth p i = a ρ 2 wieder, können aber die Constante a nach Formel 39) durch das Anziehungsgesetz der Moleküle ausdrücken. Das Glied — 2 α ρ 2 / b zeigt, dass dieser Ausdruck einer kleinen Correction bedarf, wenn die Oberfläche gekrümmt ist. Diese Correction giebt bekanntlich zu den Capillarerscheinungen Veranlassung und nimmt, wenn die Oberfläche nicht Kugel- gestalt hat, die Form an 40) , wo R 1 und R 2 die beiden Hauptkrümmungsradien der Ober- fläche sind. § 24. Trennungsarbeit der Moleküle . Wir wollen nun noch die Verdampfungswärme durch die Function χ ausdrücken. Wir construiren uns um ein Flüssig- keitstheilchen von der Masse m in der Flüssigkeit eine Kugel- schale S , welche von den beiden Kugelflächen mit den Radien f und f + d f begrenzt ist, in welcher sich also die Flüssigkeits- masse 4 π ρ f 2 d f befindet. Da m m' χ ( f ) die Arbeit ist, welche aufgewendet werden muss, um die Flüssigkeitstheilchen m und m' in unendliche Entfernung zu bringen, wenn sie sich anfangs in der Entfernung f befanden, so ist die Arbeit, die erforderlich ist, um das Flüssigkeitstheilchen m aus dem Mittel- punkte der Kugelschale S in sehr grosse Entfernung von der- selben zu bringen: 4 π ρ m f 2 χ ( f ) d f . Die ganze Arbeit, die man braucht, um das Flüssigkeits- theilchen m aus dem Innern der Flüssigkeit in sehr grosse Entfernung von allen anderen Flüssigkeitstheilchen zu bringen, ist also: . II. Abschnitt. [Gleich. 41] Wenn die Masseneinheit der Flüssigkeit n Theilchen enthält, so ist m n = 1. Nimmt man an, dass im Dampfe jedes Theilchen schon nahezu der Wirkungssphäre aller anderen entrückt ist, so ist also die bei der Verdampfung der Masseneinheit der Flüssigkeit auf Ueberwindung der Cohäsionskraft geleistete Arbeit . Dazu kommt bei der Verdampfung natürlich noch die auf Ueberwindung des äusseren Druckes verwendete Arbeit ∫ p d v . T ist deshalb nur die Hälfte von n B , weil im Ausdrucke n B die Trennungsarbeit jedes Theilchens von jedem anderen doppelt gezählt ist. Wir fanden in § 21 für die Trennungs- arbeit T den Werth a ρ , wobei a durch die erste der Glei- chungen 39) gegeben ist. Die partielle Integration der rechten Seite dieser Gleichung liefert in der That . Es stimmt also der früher erhaltene Werth von T mit dem gegenwärtig gefundenen überein. Man würde die Trennungsarbeit T direct durch das Inte- grale der ersten der Formeln 39) ausgedrückt erhalten, wenn man zuerst die Trennungsarbeit eines Massentheilchens von einer in der Entfernung h davon befindlichen aus der Flüssig- keit gebildeten ebenen Platte von der Dicke d h berechnen würde. Dieselbe wäre: 41) . Dieselbe würde mit n multiplicirt, und bezüglich h von Null bis unendlich integrirt, die ganze Trennungsarbeit T liefern. Mittels der gleichen Formel können wir folgende Aufgabe lösen. Es sei ein Cylinder vom Querschnitte 1 gegeben; wir legen durch denselben irgendwo einen Querschnitt A B und suchen die Arbeit, welche erforderlich ist, um die Flüssigkeit, die sich auf der einen Seite des Querschnittes befindet, von der auf der anderen Seite befindlichen zu trennen. [Gleich. 41] § 24. Trennungsarbeit. Wir berechnen zunächst die Trennungsarbeit einer Schicht von der Dicke d x , die sich in der Entfernung x vom Boden des Gefässes befindet und unterhalb des Querschnittes A B liegen soll, von einer Schicht von der Dicke d h , die sich ober- halb A B befinden soll. Diese Trennungsarbeit finden wir, indem wir in Formel 41) m = ρ d x setzen. Sie ist gleich . Dabei ist h der Abstand beider Schichten. Diesem wollen wir vorläufig einen constant gegebenen Werth ertheilen und über alle bei diesem Werthe des h zulässigen Werthe von x inte- griren. Ist c der Abstand des Querschnittes A B vom Boden, so ist also bei constantem h von x = c — h bis x = c zu inte- griren, was liefert . Integrirt man ausserdem noch bezüglich h über alle möglichen Werthe, also von Null bis ∞, so folgt für die ganze Trennungs- arbeit der Flüssigkeit oberhalb A B von der unterhalb A B der Werth . Da bei dieser Trennung die Oberfläche der Flüssigkeit um zwei Einheiten vermehrt wird, so ist die Arbeit, die zur Ver- mehrung der Oberfläche der Flüssigkeit um die Flächeneinheit erforderlich ist, halb so gross, also genau gleich α ρ 2 · α ist die durch die zweite der Formeln 39) gegebene Grösse. Diese Grösse ist aber zugleich der Coefficient von in der Grundgleichung 40) der Capillarität. In der That ist bekannt, dass dieser Coefficient die Arbeit darstellt, welche zur Vermehrung der Flüssigkeitsoberfläche um die Flächeneinheit erforderlich ist. III. Abschnitt. [Gleich. 41] Diese Formeln werden erheblich weitschweifiger, wenn man daran die Verbesserung anbringt, die schon Poisson an der alten Laplace’s chen Capillaritätstheorie anbrachte, indem er die Veränderlichkeit der Dichte beim Uebergange aus dem Innern an die Oberfläche der Flüssigkeit in Betracht zog. Doch bleibt die Form der sich ergebenden Gleichungen dieselbe, nur der Ausdruck der Constanten durch bestimmte Integrale ändert sich. Da uns hier die Capillaritätstheorie als solche nebensäch- lich ist, so will ich hierauf nicht näher eingehen und nur auf eine bezügliche Abhandlung Stefan ’s verweisen. Wien. Sitzungsber. II, Bd. 94, S. 4, 1886. Wied. Ann. Bd. 29, S. 655, 1886. III. Abschnitt. Für die Gastheorie nützliche Sätze der allgemeinen Mechanik. § 25. Auffassung der Moleküle als mechanische Systeme, welche durch generalisirte Coordinaten charakterisirt sind . Wir haben bisher in allen Rechnungen, mit Ausnahme der auf die specifische Wärme bezüglichen, die Gasmoleküle als vollkommen elastische Kugeln oder als Kraftcentra, immer aber als einfache, nicht weiter zusammengesetzte Individuen be- trachtet. Viele Umstände beweisen, dass diese Annahme kein exactes Bild der Wirklichkeit liefert. Alle Gase können zum Leuchten gebracht werden und ihr Licht liefert dann ein mitunter wunderbar complicirtes Spectrum. Dies wäre bei einfachen materiellen Punkten unmöglich; aber auch die Schwingungen elastischer Kugeln können den Spectral- erscheinungen schwerlich und jedenfalls nur dann Rechnung tragen, wenn man die inneren Bewegungen der elastischen Substanz mitberücksichtigt, was wir bisher unterliessen. Ferner zwingen die Thatsachen der Chemie zur Annahme, dass in den chemisch zusammengesetzten Gasen die Moleküle aus mehreren heterogenen Theilen bestehen. Aber selbst von [Gleich. 41] § 25. Generalisirte Coordinaten. den Molekülen der meisten chemisch einfachen Gase kann man zeigen, dass sie mindestens aus zwei von einander trennbaren Theilen bestehen müssen. Wenn z. B. Cl und H sich zu ClH verbinden, so nimmt das gebildete ClH-Gas bei gleicher Tempe- ratur und gleichem Drucke genau denselben Raum ein, wie das aufgewandte Cl- und H-Gas zusammen. Da nach dem Avogadro’s chen Gesetze (I. Theil § 7 S. 52) bei gleicher Temperatur und gleichem Drucke sich von allen Gasen in der Volumeneinheit gleich viel Moleküle befinden, so müssen aus einem Moleküle Cl und einem Moleküle H zwei Moleküle ClH entstanden sein; es muss also sowohl das Cl- als auch das H-Molekül sich in zwei Hälften getheilt haben. Die eine Hälfte des Cl-Moleküles gab mit der einen Hälfte des H-Moleküles zu- sammen das eine ClH-Molekül; die beiden anderen Hälften der beiden ursprünglichen Moleküle aber gaben das andere ClH- Molekül. Um dieser unzweifelhaften Zusammengesetztheit der Gas- moleküle Rechnung zu tragen, dachte man sich dieselben zu- nächst als Aggregate einer gewissen Anzahl materieller Punkte, welche unter einander selbst wieder durch Centralkräfte zu- sammengehalten werden. Man erreichte aber mit dieser Vor- stellung nur wenig Uebereinstimmung mit der Erfahrung, wo- gegen man für eine Reihe von Gasen wenigstens in thermischer Hinsicht gute Uebereinstimmung mit der Erfahrung erhält, wenn man voraussetzt, dass ihre Moleküle starre Körperchen sind, deren Gestalt von der Kugelgestalt abweicht. Für Mole- küle dieser Gase scheint also die Verbindung ihrer Theile eine so innige zu sein, dass sie sich in thermischer Hinsicht wie starre Körper verhalten, während bei anderen wieder Schwingungen der Bestandtheile gegen einander stattzufinden scheinen. Bei dieser Sachlage wird es am besten sein, unsere Vor- stellung von der Beschaffenheit der Moleküle so allgemein zu gestalten, dass alle diese Möglichkeiten als specielle Fälle darin enthalten sind. Wir werden so jedenfalls ein mechanisches Bild gewinnen, das für neue Erfahrungen möglichst grosse Anpassungsfähigkeit besitzt. Wir wollen daher ein Molekül als ein System betrachten, von dessen Natur wir weiter nichts wissen, als dass seine Zustands- änderungen durch die allgemeinen mechanischen Gleichungen III. Abschnitt. [Gleich. 41] von Lagrange und Hamilton bestimmt sind und es handelt sich vor allem darum, jene Eigenschaften mechanischer Systeme im allgemeinsten Sinne zu studiren, welche uns später von Nutzen sein werden. Es sei uns die Beschaffenheit eines beliebigen mechanischen Systemes gegeben. Die Lage aller seiner Theile soll durch μ independent veränderliche Grössen p 1 , p 2 … p μ eindeutig be- stimmt sein, welche wir die generalisirten Coordinaten nennen. Da uns die geometrische Natur des Systems und die Masse aller Theile desselben gegeben ist, so ist uns auch die lebendige Kraft L des Systems als Function der Aenderungsgeschwindig- keiten der Coordinaten gegeben. Dieselbe sei eine homogene quadratische Function der Ableitungen p' 1 , p' 2 … p' μ der Coordi- naten nach der Zeit, deren Coefficienten selbst wieder irgend welche Functionen der Coordinaten sein können. Die partiellen Ableitungen der Function L nach p' heissen die Momente q , so dass man also für jeden Werth des i hat , Die q sind also lineare Functionen der p' , deren Coefficienten wieder Functionen der p sein können. Man kann bekanntlich umgekehrt die p' als Functionen der q ausdrücken. Substituirt man die betreffenden Werthe in L ( p, p' ), so erhält man L als Function der p und q . Diese Function L ( p, q ) ist also auch durch die geometrische Natur des Systems bestimmt. Die auf die verschiedenen Theile des Systems wirkenden Kräfte sollen uns ebenfalls genau gegeben sein. Sie sollen eine Kräftefunction V haben, welche nur Function der p ist und deren negative partielle Ableitungen nach den Coordinaten die Kräfte liefern sollen, so dass also für jede beliebige Verschie- bung des Systems der Zuwachs d V dieser Function die vom Systeme geleistete Arbeit darstellt. Ist dabei die lebendige Kraft des Systems um d L gewachsen, so ist nach dem Energie- principe d V + d L = 0. Es ist also sowohl die geometrische Natur des fraglichen Systems, als auch der Inbegriff der darauf wirksamen Kräfte gegeben. Dadurch sind die Bewegungsgleichungen des Systems bestimmt. Soll der wirkliche Werth sämmtlicher Coordinaten [Gleich. 41] § 25. Generalisirte Coordinaten. und Momente zu irgend einer Zeit t bestimmt sein, so muss noch der Anfangszustand des Systems gegeben sein. Es können die Werthe gegeben sein, welche die Coordinaten und deren nach der Zeit genommene Differentialquotienten zu Anfang der Zeit (zur Zeit Null) hatten. Es können aber auch ebenso gut die Werthe der Coordinaten und Momente zur Zeit Null gegeben sein, da die Momente gegebene Functionen der p' sind. Wir wollen die Werthe, welche die Coordinaten und Momente zur Zeit Null hatten, mit P 1 , P 2 … P μ , Q 1 , Q 2 … Q μ bezeichnen. Als gegebene Functionen dieser Werthe und der verflossenen Zeit t sind die Werthe p 1 , p 2 … p μ , q 1 , q 2 … q μ der Coordinaten und Momente zur Zeit t zu betrachten. Da nun L und V als Functionen der p und q gegebenen sind, so können wir für jeden Zeitmoment L und V als Functionen von P, Q und t berechnen. Wenn wir dies in dem Integrale thun, so erscheint es ebenfalls als Function der Anfangswerthe P, Q und der verflossenen Zeit t , da ja durch P und Q die ganze Bewegung bestimmt ist und das Integrale berechnet werden kann, wenn auch noch die Zeit gegeben ist, über welche es zu er- strecken ist. Wir sahen soeben, dass die 2 μ Grössen p, q als Func- tionen von P, Q und t gegeben sind, d. h. mit anderen Worten, es bestehen 2 μ Gleichungen zwischen den 4 μ + 1 Grössen p, q, P, Q und t . Aus diesen 2 μ Gleichungen dachten wir uns bisher die 2 μ Grössen p, q als Functionen der übrigen bestimmt. Wir können uns aber diese Gleichungen auch nach den 2 μ Grössen q, Q aufgelöst denken, so dass die 2 μ Grössen q, Q als Functionen der 2 μ + 1 übrigen p, P, t ausgedrückt erscheinen. Wir wollen für einen Augenblick eine Function dieser letzteren Variabeln mit einem darüber gesetzten Querstriche markiren. bedeutet also, dass die Grösse q i als Function der p, P und der Zeit t ausgedrückt zu denken ist. Da wir W als Function von P, Q und t kennen gelernt haben, so können wir auch darin die Q als Functionen von p, P und t ausdrücken, wodurch W selbst (jetzt mit zu Boltzmann, Gastheorie II. 5 III. Abschnitt. [Gleich. 43] bezeichnen) als Function von p, P und t erscheint. Es ist nun bekanntlich Jacobi , Vorlesung. üb. Dynamik, 19. Vorles., Gleich. 4, S. 146. . Daraus folgt sofort: 42) , wobei der Querstrich bloss besagt, dass bei der Differentiation nach irgend einem p alle übrigen p , alle P und noch die Zeit als constant zu betrachten sind; analog bei der Differentiation nach irgend einem P. i und j können unabhängig von einander beliebige ganze Zahlenwerthe von 1 bis μ annehmen. § 26. Liouville’s Satz . Wenn man irgend eine Curve discutiren will, deren Gleichung einen willkürlichen Parameter enthält, so pflegt man sich oft alle Curven gleichzeitig vorzustellen (so gut es geht, sogar gleichzeitig an die Tafel zu zeichnen), für welche dieser Parameter in continuirlicher Aufeinanderfolge alle möglichen Werthe von seinem kleinsten bis zu seinem grössten Werthe hat. Wir haben hier ein durch gegebene Bewegungsgleichungen bestimmtes mechanisches System, dessen Bewegung noch von den Werthen der 2 μ Parameter P, Q abhängt. Gerade so, wie man sich dort eine Curve unendlich oftmal vorstellte, jedes Mal wieder mit einem anderen Werthe des Para- meters, so wollen wir uns auch das eine mechanische System unendlich oftmal vorstellen, so dass wir unendlich viele mecha- nische Systeme erhalten, alle von gleicher Natur und denselben Bewegungsgleichungen unterworfen, aber von den verschie- densten Anfangswerthen ausgehend. Unter dieser unendlich grossen Zahl oder Schaar mechanischer Systeme wird es ge- wisse geben, für welche die Anfangswerthe der Coordinaten und Momente zwischen bestimmten, unendlich nahen Grenzen, z. B. 43) [Gleich. 49] § 26. Liouville’s Satz. liegen. Für alle diese letzteren Systeme sollen, nachdem sie sich während einer für alle gleichen Zeit t ihren Bewegungs- gleichungen gemäss bewegt haben, die Coordinaten und Momente zwischen den Grenzen 44) liegen. Unsere Aufgabe ist, das Product 45) d p 1 d p 2 … d p μ d q 1 d q 2 … d q μ durch das Product 46) d P 1 d P 2 … d P μ d Q 1 d Q 2 … d Q μ auszudrücken. Wir wissen, dass wir die q auch als Functionen von p, P und t auffassen können. Wir können daher in den Differentialausdruck 45) auch die Variabeln p und P statt p und q einführen. Die Zeit t gilt ein für alle Mal als Constante. Dadurch folgt zunächst nach dem bekannten Satze Jacobi’s über die sogenannten Functionaldeterminanten: 47) , wobei 48) ist. Ebenso können wir aber auch in den Ausdruck 46) die Variabeln p und P einführen, indem wir die Q als Functionen der P, p und t ausdrücken, wodurch wir dann erhalten: 49) , 5* III. Abschnitt. [Gleich. 52] wobei 50) . Die partiellen Differentialquotienten der Functionaldeterminante D sind so zu verstehen, dass die q als Functionen von p, P und t aufzufassen sind, also genau so, wie die im Früheren durch einen darüber gesetzten Querstrich markirten. Wir wollen sie daher wiederum so markiren. Dasselbe gilt von den partiellen Differentialquotienten der Functionaldeterminante Δ , in denen die Q als Functionen derselben Variabeln p, P und t zu betrachten sind. Wir können daher die Gleichungen 42) anwenden und da eine Determinante ihren Werth nicht ändert, wenn man die Horizontalreihen in Verticalreihen und um- gekehrt verwandelt, so wird 51) . Da es hier nur auf den Grössenwerth, nicht auf das Vorzeichen ankommt, so folgt schon aus den Gleichungen 47), 49) und 51) die gewünschte Relation 52) . Doch erhalten wir auch allgemein das richtige Vorzeichen, wenn wir die Zeichenänderung berücksichtigen, welche die Veränderung der Anordnnng der Differentiale beim Uebergange von Formel 47) zu Formel 49) bedingt. Gesetzt, man führe in einen Differentialausdruck statt 2 μ beliebiger Variabeln x 1 , x 2 … x 2 μ andere 2 μ Variabeln ξ 1 , ξ 2 … ξ 2 μ ein, welche mit den ersteren durch folgende Gleichungen verknüpft sind: ξ 1 = x μ + 1, ξ 2 = x μ + 2 … ξ μ = x 2 μ , ξ μ + 1 = x 1 … ξ 2 μ = x μ , so folgt nach dem Functionaldeterminantensatze: [Gleich. 52] § 27. Einführung neuer Variabeln. d x 1 d x 2 … d x 2 μ = Θ d ξ 1 d ξ 2 … d ξ 2 μ , wobei ist. Da nun durch Vertauschung je zweier Horizontalreihen die Determinante ihr Zeichen wechselt, so ist . Setzt man daher x 1 = p 1 , x 2 = p 2 … x μ + 1 = P 1 , x μ + 2 = P 2 …, so wird ξ 1 = P 1 , ξ 2 = P 2 … ξ μ + 1 = p 1 , ξ μ + 2 = p 2 …, daher d p 1 d p 2 … d p μ d P 1 d P 2 … d P μ = = (— 1) μ d P 1 d P 2 … d P μ d p 1 d p 3 … d p μ , und es folgt aus 47) d p 1 d p 2 … d p μ d q 1 d q 2 … d q μ = = (— 1) μ D d P 1 d P 2 … d P μ d p 1 d p 2 … d p μ , also nach Gleichung 51) d p 1 d p 2 … d p μ d q 1 d q 2 … d q μ = = Δ d P 1 d P 2 … d P μ d p 1 d p 2 … d p μ , was in Verbindung mit Gleichung 49) die Gleichung 52) auch mit richtigem Vorzeichen liefert. § 27. Ueber Einführung neuer Variabeln in Producte von Differentialen . Die Gleichung 52) ist die Fundamentalgleichung für das Folgende. Ehe ich auf ihre Anwendung eingehe, will ich jedoch eine Schwierigkeit erwähnen, welche freilich lediglich in die III. Abschnitt. [Gleich. 53] Theorie der bestimmten Integrale gehört, dort aber nicht immer völlig klargestellt wird. Ich betrachte da den allgemeinsten Fall. Es seien n be- liebige, in einem bestimmten Bereiche eindeutige und continuir- liche Functionen ξ 1 , ξ 2 … ξ n von n independenten Variabeln x 1 , x 2 … x n gegeben. Umgekehrt seien auch die x eindeutige continuirliche Functionen der ξ . Setzen wir dann , so gilt zwischen den Differentialen die Gleichung: 53) . Die Bedeutung dieser Gleichung lässt an Klarheit nichts zu wünschen übrig, wenn ξ 1 bloss Function von x 1 , ξ 2 bloss Function von x 2 u. s. w. ist. Wenn dann von allen x bloss x 1 sich ändert, etwa um d x 1 wächst, so ändert sich von allen ξ auch bloss ξ 1 ; sein Zuwachs heisse d ξ 1 . Ebenso gehört zu einem Zuwachse d x 2 von x 2 ein bestimmter Zuwachs d ξ 2 von ξ 2 u. s. w. Zwischen den so bestimmten Zuwächsen der x und ξ besteht nun die Gleichung 53). Weit complicirter wird aber die Sache, wenn, wie es im Allgemeinen angenommen werden muss, jedes der ξ eine Function aller x ist. Wenn dann x 1 alle möglichen Werthe durchläuft, welche zwischen x 1 und x 1 + d x 1 liegen, während x 2 einen constanten Werth, der zwischen x 2 und x 2 + d x 2 liegt, ebenso x 3 einen constanten zwischen x 3 und x 3 + d x 3 liegenden Werth hat und in gleicher Weise alle folgenden x constante Werthe haben, so wird im Allgemeinen keineswegs bloss ξ 1 sich ändern, sondern es werden vielmehr alle ξ gleichzeitig sich ändern. Ebenso werden sich im Allgemeinen alle ξ ändern, wenn bei Constant- haltung aller übrigen x nur x 2 alle Werthe von x 2 bis x 2 + d x 2 durchläuft und zwar wird jedes ξ im zweiten Falle einen ganz anderen Zuwachs erfahren, als im ersten. Wir haben also [Gleich. 53] § 27. Einführung neuer Variabeln. n verschiedene Zuwächse der Grösse ξ 1 ; keiner derselben ist gleich der in Formel 53) mit d ξ 1 bezeichneten Grösse. Ebenso wenig würde die Gleichung 53) bestehen, wenn man unter d ξ h den grössten Zuwachs verstünde, den ξ h überhaupt erfahren kann, wenn jeder zwischen x 1 und x 1 + d x 1 liegende Werth von x 1 mit jedem zwischen x 2 und x 2 + d x 2 liegenden Werthe des x 2 , ferner jedes so gebildete Werthepaar von x 1 und x 2 mit jedem zwischen x 3 und x 3 + d x 3 liegendem Werthe des x 3 u. s. w. combinirt wird. Um die Bedeutung der Gleichung 53) im allgemeinen Falle klar darzustellen, müssen wir etwas weiter ausholen. Diese Gleichung hat überhaupt nur eine Bedeutung, wenn es sich um die Verwandlung bestimmter, über gewisse Werthecomplexe aller x zu erstreckender Integrale in andere handelt, in welche statt der x die Variabeln ξ einzuführen sind. Wir wollen uns da der folgenden Bezeichnungen bedienen. Sei der Werth jeder der Variabeln x gegeben; dadurch sind die dazu ge- hörigen Werthe aller ξ bestimmt. Wir nennen sie die den gegebenen x entsprechenden Werthe der ξ . Unter einem Werthegebiete G der x verstehen wir einen Inbegriff von Werthesystemen dieser Variabeln, der folgendermaassen ab- gegrenzt ist: In das Werthegebiet sind zunächst alle reellen Werthe von x 1 einzubeziehen, welche zwischen zwei beliebig gegebenen Grenzen x 0 1 und x 1 1 liegen. Jedem Werthe von x 1 , der zwischen diesen Grenzen liegt, sind alle reellen Werthe der zweiten Variabeln x 2 zuzugesellen, die ebenfalls zwischen beliebig gegebenen Grenzen x 0 2 und x 1 2 liegen, wobei aber x 0 2 und x 1 2 continuirliche Functionen des Werthes von x 1 sein können, dem die betreffenden Werthe von x 2 zugesellt werden. Ebenso werden jedem Werthepaar von x 1 und x 2 , das die bisher aufgestellten Bedingungen erfüllt, alle Werthe von x 3 zu- gesellt, die zwischen x 0 3 und x 1 3 liegen, wobei x 0 3 und x 1 3 con- tinuirliche Functionen von x 1 und x 2 sein können u. s. w. Ausnahmen von der Continuität müssten auf einzelne Stellen be- schränkt sein. Es ist dann bekannt, was man unter dem bestimmten Integrale ∫ ∫ … f ( x 1 , x 2 … x n ) d x 1 d x 2 … d x n erstreckt über das ganze Gebiet G versteht. Dieses Werthe- III. Abschnitt. [Gleich. 53] gebiet heisst nach allen n Dimensionen oder allseitig unend- lich wenig ausgedehnt oder kürzer allseitig ( n fach) unendlich klein, wenn die Differenz , ferner die Differenz für jeden Werth von x 1 , die Differenz für jedes Werthe- paar von x 1 und x 2 u. s. w. unendlich klein ist. Wenn n = 2 ist, können x 1 und x 2 als die Coordinaten eines Punktes in der Ebene aufgefasst werden; jedem Werthegebiete entspricht dann ein be- grenztes Flächenstück in der Ebene; für n = 3 kann jedes Werthe- gebiet durch ein begrenztes Volumen im Raume dargestellt werden. Jedem Werthesysteme der x , welches im Gebiete G liegt, entspricht nun ein Werthesystem der ξ . Unter dem Gebiete g der ξ , welches dem Gebiete G der x entspricht, verstehen wir den Inbegriff aller Werthesysteme der ξ , welche allen im Ge- biete G liegenden Werthesystemen der x entsprechen. Nach Aufstellung dieser Definitionen lässt sich der Jacobi’s che Functionaldeterminantensatz in folgender, voll- kommen unzweideutiger Weise aussprechen. Es sei eine beliebige eindeutige, continuirliche Function der independenten Variabeln x 1 , x 2 … x n gegeben. Wir be- zeichnen sie mit f ( x 1 , x 2 … x n ). Drücken wir darin x 1 , x 2 … x n durch ξ 1 , ξ 2 … ξ n aus, so soll die Function f ( x 1 , x 2 … x n ) über- gehen in F ( ξ 1 , ξ 2 … ξ n ), so dass also identisch f ( x 1 , x 2 … x n ) = F ( ξ 1 , ξ 2 … ξ n ) ist. Es ist aber deswegen keineswegs ∫ ∫ … f ( x 1 , x 2 … x n ) d x 1 d x 2 … d x n = = ∫ ∫ … F ( ξ 1 , ξ 2 … ξ n ) d ξ 1 d ξ 2 … d ξ n , wenn das erstere Integrale über ein beliebiges Gebiet G der x , das letztere über das entsprechende Gebiet g der ξ erstreckt wird. Bezeichnen wir vielmehr wieder die Functionaldeterminante mit D , so ist das über das Gebiet G erstreckte n fache be- stimmte Integrale [Gleich. 54] § 27. Einführung neuer Variabeln. ∫ ∫ … f ( x 1 , x 2 … x n ) d x 1 d x 2 … d x n immer gleich dem über das entsprechende Gebiet g erstreckten n fachen bestimmten Integrale . Natürlich ist analog wobei ist. Alle Integrale nach den x sind über ein beliebiges Gebiet G , die nach den ξ aber über das entsprechende Gebiet g zu erstrecken. Ist das Gebiet G n fach unendlich klein, so ist es, falls für die in Betracht kommenden Werthe die ξ continuirliche Functionen der x sind, auch das Gebiet g und es kann der Werth der Functionen f und F , sowie der der Functionaldeterminante im ganzen Gebiete als constant betrachtet werden. Da zudem der Werth beider Functionen derselbe ist, kann durch diesen Werth hinwegdividirt werden und es folgt: 54) . Respective Δ ∫ ∫ … d ξ 1 d ξ 2 … d ξ n = ∫ ∫ … d x 1 d x 2 … d x n . In dieser Form schreibt in der That Kirchhoff die Gleichung. Vorles. über Theorie d. Wärme. Teubner, 1894, S. 143. Es ist jedoch allgemein üblich, wie auch wir es im vorigen Paragraphen thaten, einfach zu schreiben . Dabei ist streng genommen unter d x 1 d x 2 … d x n das n fache Integrale dieser Grösse über ein beliebiges n fach unendlich III. Abschnitt. [Gleich. 54] kleines Gebiet G und unter d ξ 1 d ξ 2 … d ξ n das n fache Inte- grale der letzteren Grösse über das entsprechende Gebiet g zu verstehen. Da der Satz nur zur Berechnung bestimmter, über endliche Gebiete erstreckter Integrale verwendet wird und sich diese immer in unendlich viele über unendlich kleine Gebiete erstreckte zerlegen lassen, so erhält man immer richtige Resul- tate, wenn man die Gleichungen in folgender Form schreibt: , daher und daraus dann schliesst: . Die erste dieser Gleichungen hat folgenden Sinn. Jedes n fache über alle x erstreckte bestimmte Integrale kann in unendlich viele über n fach unendlich kleine Gebiete erstreckte zerlegt werden. Will man nun die ξ als Integrationsvariabeln ein- führen, so ist in jedem der letzteren und daher auch im ganzen Integrationsgebiete das Produkt d x 1 d x 2 … d x n durch zu ersetzen. § 28. Anwendung auf die Formeln des § 26 . Wollte man sich im § 26 dieser correcteren Ausdrucksweise bedienen, so müsste man, statt zu sagen: „für gewisse Systeme liegen die Anfangswerthe der Coordinaten und Momente zwischen P 1 und P 1 + d P 1 … Q μ und Q μ + d Q μ ,“ sich der Redeweise bedienen: „jene Anfangswerthe liegen in einem 2 μ fach unendlich kleinen Gebiete G = ∫ d P 1 d P 2 … d P μ d Q 1 d Q 2 … d Q μ .“ Statt zu sagen: „dann liegen zur Zeit t die Werthe zwischen p 1 und p 1 + d p 1 … q μ und q μ + d q μ ,“ müsste man sich ent- [Gleich. 55] § 28. Anwendung auf den § 26. sprechend des Ausdruckes bedienen: „sie liegen in dem ent- sprechenden Gebiete g = ∫ d p 1 d p 2 … d p μ d q 1 d q 2 … d q μ .“ Hierbei ist die Integration über das ganze betreffende Gebiet Kürze halber durch Vorsetzung eines einzigen Integralzeichens ausgedrückt. Das dem Gebiete G entsprechende Gebiet g um- fasst alle Werthecombinationen, welche die Variabeln nach der constant zu betrachtenden Zeit t annehmen, wenn dieselben zur Anfangszeit irgend eine innerhalb des Gebietes G fallende Werthecombination hatten. Alle Schlüsse des vorigen Para- graphen würden dann unverändert gültig bleiben, nur dass an Stelle der einfachen Producte der Differentiale immer Inte- grale dieser Differentialproducte über allseitig unendlich kleine Gebiete treten würden. Die Gleichung 52) lautet in dieser präciseren Fassung: 55) . Man sieht also, dass sich an der Schlussweise nicht das Mindeste ändert, nur dass vor jedem Differentialausdrucke noch die Integralzeichen stehen, welche die Integration über ein entsprechendes unendlich kleines Gebiet ausdrücken. Sollte es noch eines Beispieles bedürfen, so kann man sich unter den x die räumlichen Polarcoordinaten r , ϑ , φ , unter den ξ die rechtwinkeligen Coordinaten x , y , z eines Punktes denken. Das Werthegebiet, für welches x , y und z zwischen x und x + d x , y und y + d y , z und z + d z liegt, ist durch ein Parallelepiped bestimmt. Wir wollen den Variabeln ϑ und φ verschiedene Werthepaare ertheilen, denen allen Punkte entsprechen sollen, welche innerhalb dieses Parallel- epipedes liegen. Die Grenzen r und r + d r , zwischen denen r für alle diejenigen Punkte liegt, welche innerhalb des Parallel- epipedes liegen und einem bestimmten dieser Werthepaare entsprechen, werden keineswegs für alle diese Werthepaare die- selben sein. Welches aller dieser d r ist nun das in der Gleichung III. Abschnitt. [Gleich. 55] , gemeinte, welche auch keineswegs gilt, wenn man unter d r die grösste Differenz der Werthe des r verstünde, welche bei Punkten vorkommen kann, die innerhalb jenes Parallelepipedes liegen, und dem d ϑ und d φ einen analogen Sinn unterlegte? Diese Gleichung hat vielmehr folgende Bedeutung: Das bestimmte Integrale ∫ ∫ ∫ d x d y d z , erstreckt über ein beliebiges dreifach unendlich kleines Ge- biet, hat denselben Werth wie das Integrale ∫ ∫ ∫ r 2 sin ϑ d r d ϑ d φ , erstreckt über das entsprechende Gebiet; beide sind nämlich gleich dem von allen Punkten des Gebietes erfüllten Volumen, wogegen es offenbar ganz falsch wäre, ∫ ∫ ∫ d x d y d z = ∫ ∫ ∫ d r d ϑ d φ zu setzen, wenn sich auch da beide Integrale über entsprechende Gebiete erstrecken. Von den speciellen Beispielen, welche zur Versinnlichung der Bedeutung der mechanischen Gleichungen 52) und 55) gerechnet wurden, Boltzmann , Wien. Sitzungsber. Bd. 74, S. 508, 14. Dec. 1876. Bryan , Phil. Mag. (5) 39, S. 531, 1895. sei hier nur kurz auf das einfachste hin- gewiesen. Ein materieller Punkt mit der Masse 1 bewege sich in der Abscissenrichtung unter dem Einflusse einer constanten Kraft, welche ebenfalls die Abscissenrichtung hat und ihm die Beschleunigung γ ertheilt. Wir verstehen unter den Variabeln, die wir zu Anfang dieses Paragraphen die x nannten, nun die Anfangsabscisse X und die Anfangsgeschwindigkeit U des materiellen Punktes, unter den ξ aber die Abscisse x und Ge- [Gleich. 57] § 29. Zweiter Beweis d. Liouville’schen Satzes. schwindigkeit u nach Verlauf einer unveränderlich gegebenen Zeit t . Es ist also 56) . Da wir nur zwei Variable haben, können wir sowohl deren Anfangswerthe als auch deren Werthe zur Zeit t durch je einen Punkt in der Ebene darstellen, dessen Abscisse gleich der Abscisse, dessen Ordinate aber gleich der Geschwindigkeit des materiellen Punktes ist. Alle Punkte eines Rechteckes mit den Seiten d X und d U stellen ein zweifach unendlich kleines Gebiet der x dar, d. h. sie repräsentiren alle möglichen mate- riellen Punkte, für welche zu Anfang der Zeit Coordinate und Geschwindigkeit zwischen X und X + d X und U und U + d U lagen. Das diesem Gebiete G entsprechende Gebiet g der ξ umfasst die Coordinaten x und die Geschwindigkeiten u , welche alle diese materiellen Punkte nach Verlauf der constant anzu- sehenden Zeit t haben. Nach den Gleichungen 56) ist u ein- fach um die Constante γ t grösser als U . Dagegen ist die Differenz x — X um so grösser, je grösser U ist. Man sieht daher leicht, dass das Gebiet g ein schiefwinkeliges Parallelo- gramm ist, dessen Basis gleich d X und dessen Höhe gleich d U ist, das also, wie es nach Gleichung 52) sein muss, mit dem Rechtecke G = d X d U flächengleich ist. § 29. Zweiter Beweis des Liouville’schen Satzes . Wir wollen noch einen zweiten Beweis der Gleichung 52) oder 55) geben, wobei wir nicht von der Zeit Null direct auf die Zeit t , sondern zunächst nur von der Zeit t auf eine un- endlich nahe Zeit t + δ t schliessen. Wir wollen aber den Satz zugleich noch etwas verallgemeinern, indem wir von unserer independenten Variabeln, die wir demgemäss mit s bezeichnen, nicht gerade unbedingt voraussetzen, dass es die Zeit sei; wir wollen dieselbe vielmehr ganz unbestimmt lassen, obwohl wir zur Veranschaulichung noch immer an die Zeit als independente Variable denken können. Beliebige dependente Variable s 1 , s 2 … s n sollen durch folgende Differentialgleichungen: 57) III. Abschnitt. [Gleich. 60] als Functionen der Independenten s bestimmt sein. Die σ sollen explicit als Functionen von s , s 1 , s 2 … s n gegeben sein. Da wir den Buchstaben d für eine andere Art von Zuwächsen reserviren wollen, haben wir den Zuwachs der Independenten mit δ s , die entsprechenden Zuwächse der Dependenten aber mit δ s 1 , δ s 2 … δ s n bezeichnet. Für ein System materieller Punkte wäre δ s mit dem Zu- wachse δ t der Zeit zu identificiren. Unter δ s 1 , δ s 2 … δ s n aber wären sowohl die Zuwächse δ x 1 , δ y 1 … der Coordinaten, als auch die Zuwächse δ u 1 , δ v 1 … der Geschwindigkeits- componenten während der Zeit δ t zu verstehen. Es wäre z. B. δ x 1 = u 1 δ t . Die Werthe der dependenten Variabeln s 1 , s 2 … s n sollen durch ihre zu einem bestimmten s , z. B. s = 0, gehörigen An- fangswerthe 58) S 1 , S 2 … S n und durch die ein für alle Male unveränderlich gegebenen Differentialgleichungen 57) als eindeutige Functionen der In- dependenten s bestimmt sein. Wir können uns nun im Geiste alle Werthe der Depen- denten, welche bei gegebenen Anfangswerthen zu allen mög- lichen Werthen der Independenten s gehören, vorstellen. Wir wollen den Inbegriff aller dieser Werthe eine Werthereihe nennen. Dieselbe entspricht dem ganzen Verlaufe der Be- wegung eines mechanischen Systemes, wenn dieses seine Be- wegung von einem bestimmten Anfangszustande ausgehend beginnt. In derjenigen Werthereihe, welche von den Anfangs- werthen 58) ausgeht, sollen die dependenten Variabeln für einen bestimmten Werth s der Independenten die Werthe 59) s 1 , s 2 … s n , für einen unendlich wenig verschiedenen Werth s + δ s der Independenten aber die Werthe 60) s' 1 = s 1 + δ s 1 , s' 2 = s 2 + δ s 2 … s' n = s n + δ s n haben. Wir bezeichnen dann Kürze halber die Werthe 59) als die „den Anfangswerthen 58) nach s (nach dem Werthe s der Independenten) entsprechenden“ Werthe der Dependenten. Die [Gleich. 61] § 29. Zweiter Beweis d. Liouville’schen Satzes. Werthe 60) werden wir daher als die den Anfangswerthen 58) nach s + δ s entsprechenden Werthe der Dependenten zu be- zeichnen haben. Gemäss den Differentialgleichungen 57) sind die Werthe 59) und 60) durch die Gleichungen verknüpft 61) , wobei in die gegebenen Functionen σ 1 , σ 2 … σ n die Werthe 59) der Dependenten und der entsprechende Werth der Indepen- denten zu substituiren sind. Nun wollen wir noch weiter gehen und uns statt einer einzigen alle möglichen Werthereihen vorstellen, welche von allen möglichen Anfangswerthen ausgehen. Von allen diesen Werthereihen heben wir aber nur diejenigen hervor, für welche die Anfangswerthe zwischen den Grenzen S 1 und S 1 + d S 1 , S 2 und S 2 + d S 2 … S n und S n + d S n oder in einem irgendwie anders begrenzten n fach unendlich kleinem Gebiete G liegen, Der Sinn dieser Ausdrücke ist der in § 27 ausführlich erörterte. in dem auch die Werthe 58) liegen. Diejenigen Werthe der Dependenten, welche allen im Gebiete G liegenden Anfangswerthen „nach s entsprechen“, bilden wieder ein n fach unendlich kleines Gebiet, welches das Gebiet g heissen soll. Dagegen soll mit g' das Gebiet bezeichnet werden, welches alle Werthe der Dependenten umfasst, die allen im Gebiete G liegenden Anfangswerthen „nach s + δ s entsprechen“. Das Integrale des Productes d s 1 d s 2 … d s n der Differentiale aller Dependenten, über das ganze Gebiet g erstreckt, soll einfach mit ∫ d s 1 d s … d s n , dasselbe Integrale, über das Gebiet g' erstreckt, aber mit ∫ d s' 1 d s' 2 … d s' n , bezeichnet werden. Diese Integralzeichen drücken also eine Integration über alle Werthereihen aus, welche in dem n fach unendlich kleinen Gebiete G entspringen. Dann ist nach Gleichung 54) III. Abschnitt. [Gleich. 64] 62) ∫ d s' 1 d s' 2 … d s' n = D ∫ d s 1 d s 2 , .. d s n , wobei unter D wieder die Functionaldeterminante zu verstehen ist. Bei Bildung der partiellen Differential- quotienten dieser Functionaldeterminante ist sowohl s als auch s + δ s , daher auch δ s als constant zu betrachten, da s für alle Werthereihen, über welche hier integrirt wird, denselben Werth hat, ebenso δ s . Es folgt daher aus der Gleichung 61) u. s. w. Vernachlässigt man die mit höheren Potenzen der unendlich kleinen Grösse δ s multiplicirten Glieder, so wird , wobei 63) ist. Der oben angehängte Strich bedeutet immer, dass der betreffende Werth zum Werthe s + δ s der Independenten ge- hört, während als Anfangswerthe die Werthe 58) zu betrachten sind. Man kann daher die Gleichung 62) auch in der Form schreiben: 64) . Ganz analog, wie wir hier vom Werthe s der Independenten zum Werthe s + δ s übergingen, können wir auch vom Werthe s + δ s zu s + 2 δ s , von s + 2 δ s zu s + 3 δ s u. s. w., aber auch von s — δ s zu s u. s. f. übergehen. Wir wollen z. B. alle [Gleich. 66] § 29. Zweiter Beweis d. Liouville’schen Satzes. Werthe, welche zum Werthe s + 2 δ s der Independenten ge- hören, wenn man von den Anfangswerthen 58) ausgeht, mit zwei oben angehängten Strichen bezeichnen. g″ sei das Gebiet, welches alle Werthe der dependenten Variabeln umfasst, die den im Gebiete G liegenden Anfangs- werthen nach dem Werthe s + 2 δ s der Independenten ent- sprechen und ∫ d s″ 1 d s″ 2 … d s″ n sei das über das Gebiet g″ erstreckte Integrale des Productes der Differentiale aller dependenten Variabeln. Dann findet man analog, wie man die Gleichung 64) erhielt, . Da nun eine analoge Gleichung für alle vorhergehenden und folgenden Zuwächse der Independenten s gilt, so hat man allgemein: 65) . Hier bedeuten σ 0 und τ 0 die Werthe von σ und τ für s = 0; ∫ d S 1 d S 2 … d S n aber ist das über das Gebiet G erstreckte Integrale des Productes der Differentiale aller dependenten Variabeln. Man sieht sofort, dass die Gleichung 55) derjenige specielle Fall der Gleichung 65) ist, welchen man erhält, wenn man unter s wieder die Zeit, unter s 1 , s 2 … s n aber die generali- sirten Coordinaten p 1 , p 2 … p μ und die Momente q 1 , q 2 … q μ eines beliebigen mechanischen Systemes versteht. Ist nämlich wie in § 25 L und V die kinetische und potentielle Energie des mechanischen Systemes und setzt man L + V = E , so lauten die Lagrange’ schen Gleichungen für das mechanische System folgendermaassen: 66) . Jacobi , Vorlesungen üb. Dynamik, 9. Vorles., S. 71, Gleich. 8. Thomson und Tait , Nat. phil., new ed., Vol. I, p. 1, S. 307, Art. 319, deutsch S. 284. Rausenberger , Mechanik, Leipz. 1888, I. Bd., S. 200. Boltzmann, Gastheorie II. 6 III. Abschnitt. [Gleich. 67] Das Zeichen d hat hier dieselbe Bedeutung, wie in unseren früheren Entwickelungen das Zeichen δ . Wir haben daher die vorigen Formeln dahin zu specialisiren, dass wir setzen n = 2 μ , σ = 1, s = t , . Daher wird . und die Gleichung 65) geht sofort in die Gleichung 55) über. Entwickelungen, welche denen dieses Paragraphen ganz analog sind, wurden zuerst von Liouville , Liouv. journ. Bd. 3, S. 348. dann von Jacobi Jacobi , Vorlesungen üb. Dynamik, S. 93. (von letzterem in dessen Vorlesungen über Dynamik behufs Ableitung des Satzes vom letzten Multiplicator) gemacht. Zu statistischen Betrachtungen über den zeitlichen Verlauf der Bewegung eines Systems und einer Schaar gleichzeitig be- stehender Systeme aber wurden sie wohl zuerst vom Verfasser dieses Buches und dann von Maxwell Boltzmann , Wien. Sitzungsber. II, Bd. 63, S. 397 und S. 679, 1871; Bd. 58, S. 517, 1868. Maxwell , on Boltzmanns theorem, Cambr. phil. trans. XII, 3, p. 547, 1879; scient. pap. II, p. 713. verwendet. § 30. Jacobi’s Satz vom letzten Multiplicator . Da wir die erforderlichen Gleichungen gerade zur Hand haben, so wollen wir hier noch das allerdings mit dem Folgenden sonst nicht in näherem Zusammenhange stehende Theorem vom letzten Multiplicator ableiten. Wir bezeichnen mit φ i ( s , s 1 , s 2 … s n ) = const., i = 1, 2 … n die n Integrale der Differentialgleichungen 57). Den Anfangs- werthen 58) sollen die Werthe a 1 , a 2 … a n der Integrations- constanten entsprechen, so dass also 67) φ i (0, S 1 , S 2 … S n ) = a i , i = 1, 2 … n [Gleich. 68] § 30. Jacobi’s Satz vom letzten Multiplicator. ist. Allen Anfangswerthen der dependenten Variabeln, welche innerhalb des Gebietes liegen, das wir im vorigen Para- graphen das Gebiet G nannten, werden gewisse Werthe der Integrationsconstanten a entsprechen, welche wieder ein n fach unendlich kleines Gebiet bilden, das wir das Gebiet A nennen wollen. ∫ d a 1 d a 2 … d a n soll das über das ganze Gebiet A erstreckte Integrale des Pro- ductes der Differentiale der Integrationsconstanten sein. Da- gegen sollen wie im vorigen Paragraphen mit s 1 , s 2 … s n die Werthe der dependenten Variabeln bezeichnet werden, welche den Anfangswerthen 58) „nach dem Werthe s der Indepen- denten entsprechen“. Es ist also 68) φ i ( s , s 1 , s 2 … s n ) = a i , i = 1, 2 … n , wobei die Grössen a dieselben Werthe haben wie in Gleichung 67). Ebenso werde wie im vorigen Paragraphen mit g das Gebiet bezeichnet, welches von allen Werthen der dependenten Variabeln gebildet wird, die allen im Gebiete G liegenden Anfangswerthen nach dem Werthe s der Independenten entsprechen und mit ∫ d s 1 d s 2 … d s n das über das Gebiet g erstreckte Integrale des Productes der Differentiale der Dependenten, während ∫ d S 1 d S 2 … d S n das entsprechende Integrale über das Gebiet G sei. Da die a mit den S durch die Gleichung 67), mit den s 1 … s n aber durch die Gleichungen 68) verbunden sind, in welch letzteren s con- stant anzusehen ist, so hat man: ∫ d a 1 d a 2 … d a n = Δ 0 ∫ d S 1 d S 2 … d S n = Δ ∫ d s 1 d s 2 … d s n , wobei 6* III. Abschnitt. [Gleich. 70] und Δ 0 der Werth des Δ für s = 0 ist. Daher ist nach Gleichung 65) . Da Δ 0 , τ 0 und σ 0 Ausdrücke sind, welche nur von den Anfangs- werthen der Dependenten oder, wenn man will, von den In- tegrationsconstanten a , nicht vom Werthe des s abhängen, so hängt auch C nur von diesen Grössen ab. Wir setzen nun voraus, dass wir alle Integrale bis auf das eine φ 1 = a 1 bereits kennen. Die Gleichung 69) ∫ d a 1 d a 2 … d a n = Δ ∫ d s 1 d s 2 … d s n gilt für jeden Werth des s . Wir denken uns daselbst dem s einen beliebigen constanten Werth ertheilt und führen in den beiden bestimmten Integralen der rechten und linken Seite die Variabeln s 1 , a 2 , a 3 … a n ein, welche ja, da s als constant gegeben betrachtet wird, eindeutige Functionen sowohl von a 1 , a 2 … a n , als auch von s 1 , s 2 … s n sind. Wir erhalten so: , wobei in bei der partiellen Differentiation s und s 1 immer als constant zu betrachten sind. In dem Integrale der linken Seite der Gleichung 69) aber ist zu setzen . Da das Integrationsgebiet n fach unendlich klein ist, kann der letztere Factor vor das Integralzeichen kommen und man er- hält, wenn man mit ∫ d s 1 d a 2 d a 3 … d a n wegdividirt: 70) . Wenn aber alle Integrale bis auf φ 1 bekannt sind und aus denselben in der letzten zu integrirenden Differentialgleichung [Gleich. 71] § 30. Jacobi’s Satz vom letzten Multiplicator. 71) die Grössen s 2 , s 3 … s n durch s , s 1 und die Constanten a 2 , a 3 … a n ausgedrückt werden, so ist der Ausdruck 70) der integrirende Factor dieser letzten Differentialgleichung. Durch Multiplication mit demselben verwandelt sich ihre linke Seite in und daher muss sich die rechte Seite in verwandeln. Dies ist Jacobi’s Theorem vom letzten Multi- plicator. Da C nur Function der Integrationsconstanten ist, so ist auch σ/ Δ 1 τ integrirender Factor der Differential- gleichung 71). σ ist gegeben. Δ 1 kann berechnet werden, wenn alle In- tegrale bis auf φ 1 bekannt sind. τ ist freilich im Allgemeinen unbekannt; doch kann es oft durch Zufall gefunden werden, wie z. B. bei den mechanischen Aufgaben, wo es sich auf eine Constante reducirt. Wenn die Bewegungsgleichungen 66) eines materiellen Systemes die Zeit nicht explicit enthalten, so haben sie auch noch nach Elimination des Differentiales der Zeit die Form 57), worin aber jetzt s eine der Coordinaten ist, etwa p 1 . Es ist dann und die Gleichung , aus welcher τ = const. folgt, besteht noch immer. Es kann daher der inte- grirende Factor der Differentialgleichung ohne Weiteres ge- funden werden, welche das Differential der letzten Coordinate durch das der übrigen und der Momente ausdrückt, wenn jene übrigen Coordinaten und die Momente unter Elimination der Zeit bereits als Functionen der Integrationsconstanten und der beiden letzten Coordinaten gefunden sind. Bei den meisten Anwendungen, welche Jacobi vom Principe des letzten Multi- plicators macht, werden die allgemeinen Gleichungen in dieser Weise angewendet. III. Abschnitt. [Gleich. 73] § 31. Einführung des Energiedifferentiales . Ehe wir zu den speciellen Anwendungen auf die Gas- theorie übergehen, wollen wir noch einige allgemeine Lehrsätze entwickeln. Wir kehren da zurück zu der schon in § 26 betrachteten unendlichen Schaar gleichbeschaffener mechanischer Systeme. Der Zustand jedes derselben soll wieder durch die in § 25 eingeführten Variabeln bestimmt sein. Wie bisher sei L die kinetische, V die potentielle, E = L + V die Gesammtenergie eines der Systeme. Wir setzen voraus, dass die Systeme so- genannte conservative sind, d. h. dass für jedes der Systeme E während der ganzen Bewegung desselben constant bleibt. Dazu ist erforderlich, dass wir dissipative Kräfte, wie Reibung, Mittelswiderstand etc. überhaupt ausschliessen und dass in jedem Systeme entweder nur innere Kräfte wirken, oder falls äussere Kräfte vorhanden sind, diese letzteren von unbeweg- lichen, mit der Zeit unveränderlichen Massen ausgehen. Die Kräfte sollen überhaupt nur von der Lage abhängig, also V nur eine Function (und zwar eine eindeutige) der Coordinaten p 1 … p μ sein. Die Werthe 72) p 1 , p 2 … p μ , q 1 … q μ , welche die Coordinaten und Momente zur Zeit t für ein System annehmen, für welches sie zur Anfangszeit (der Zeit Null) die Werthe 73) P 1 , P 2 … P μ , Q 1 … Q μ hatten, nennen wir die jenen Anfangswerthen entsprechenden Werthe. Durch die Anfangswerthe 73) ist auch der Werth E der Energie des Systems bestimmt, welcher ebenfalls der jenen Anfangswerthen entsprechende Werth der Energie heissen soll. Da die Systeme conservativ sind, so hat die Energie für ein bestimmtes System zu jeder beliebigen späteren Zeit t den- selben Werth E wie zur Anfangszeit. Wir wollen nun zunächst alle Systeme betrachten, welche von Anfangswerthen ausgehen, die irgend ein 2 μ fach unendlich kleines, die Werthe 73) umfassendes Gebiet G erfüllen. Das Ge- biet, welches von den Werthen der Coordinaten und Momente erfüllt wird, welche allen diesen Systemen nach einer bestimmten, [Gleich. 76] § 31. Einführung des Energiedifferentiales. beliebigen, für alle Systeme gleichen Zeit t zukommen, soll das Gebiet g heissen. Das über das Gebiet G erstreckte Integrale des Produktes der Differentiale der Coordinaten und Momente bezeichnen wir mit 74) ∫ d P 1 … d Q μ , das gleiche über das Gebiet g erstreckte Integrale aber mit 75) ∫ d p 1 … d q μ . Dann ist zunächst nach Gleichung 55) 76) ∫ d P 1 … d Q μ = ∫ d p 1 … d q μ . In jedes dieser Integrale können wir statt eines der Diffe- rentiale, z. B. statt des Differentiales des ersten Momentes q 1 , das Differentiale der Energie E einführen. Dabei müssen wir sowohl die Zeit t , welche ja bei allen diesen Integrationen die Rolle einer Constanten spielt, als auch alle Coordinaten und alle übrigen Momente als Constante betrachten. Wir er- halten also: , wo bei der partiellen Differentiation die soeben besprochenen Grössen als constant anzusehen sind. Es ist nun . Da V nur Function der Coordinaten ist, so verschwindet der erste Addend rechts; ferner ist bekanntlich, wenn wir die Diffe- rentialquotienten nach der Zeit wieder durch einen beigefügten Strich ausdrücken, . Jacobi , Vorlesungen über Dynamik, 9. Vorles., S. 70, Gleich. 4. Es wird also und d E = p' 1 d q 1 . Ebenso ergiebt sich d E = P' 1 d Q , III. Abschnitt. [Gleich. 80] wobei P' 1 den Werth vorstellt, den der Differentialquotient von p 1 . nach der Zeit zu Anfang der Zeit hat. Die Substitution dieser Werthe in die Gleichung 76) liefert: 77) . Diese Gleichung gilt, über was für Gebiete man immer die Integration erstrecken mag, wenn dieselben nur 2 μ fach unendlich klein sind und g das dem Gebiete G entsprechende Gebiet ist. Wir können daher das Gebiet G so wählen, dass für alle Werthe der übrigen Variabeln die Energie zwischen den- selben Grenzen E und E + d E liegt, während die übrigen Variabeln, nämlich 78) in irgend einem beliebigen 2 μ — 1 fach unendlich kleinen Ge- biete G 1 liegen, das die Werthe 79) P 1 , P 2 … P μ , Q 2 … Q μ umfasst. Das eine Moment Q 1 ist dabei auszulassen, da es durch die Werthe der Variabeln 78) und den der Energie be- reits bestimmt ist. Für alle Systeme, welche diesen Anfangsbedingungen ge- nügen, wird nach der Zeit t die Energie wieder zwischen den- selben Grenzen liegen; das 2 μ — 1 fach unendlich kleine Gebiet aber, das von den Werthen erfüllt wird, welche die Variabeln 78) jetzt für diese Systeme haben, soll das Gebiet g 1 heissen. Es umfasst natürlich die den Anfangswerthen 79) nach der Zeit t entsprechenden Werthe der Coordinaten und Momente. Wählt man die Gebiete in dieser Weise, so sieht man, dass d E auf beiden Seiten der Gleichung 77) vor das Integral- zeichen kommen und dann diese Gleichung mit d E hinweg dividirt werden kann, wodurch sich ergiebt: 80) . [Gleich. 81] § 32. Ergoden. Hier ist das Integrale links über das Gebiet g 1 , das rechts über das Gebiet G 1 zu erstrecken, während E constant ist. Die Gleichung 80) hat also folgende Bedeutung: Wir betrachten sehr viele Systeme, für welche alle die Energie denselben Werth E hat, während die Werthe der Variabeln 78) zu An- fang der Zeit in dem 2 μ — 1 fach unendlich kleinen Gebiete G 1 liegen und das noch fehlende Moment q 1 durch den an- genommenen Werth von E bestimmt ist. Für alle diese Systeme wird nach der Zeit t die Energie wieder denselben Werth E haben, das Gebiet aber, welches nach der für alle Systeme gleich zu wählenden Zeit t von den diesen Systemen zukommenden Werthen der Variabeln 78) erfüllt wird, soll mit g 1 bezeichnet werden und das dem Gebiete G 1 nach der Zeit t entsprechende Gebiet heissen. Es besteht dann immer die Gleichung 80), wenn man das Integrale rechts über das Gebiet G 1 , das links aber über das entsprechende Gebiet g 1 erstreckt. § 32. Ergoden . Wir denken uns nun wieder eine enorm grosse Zahl mechanischer Systeme, welche alle die gleiche, früher ge- schilderte Beschaffenheit haben. Auch die gesammte Energie E soll für alle genau denselben Werth haben. Dagegen sollen im Uebrigen zu Anfang der Zeit die Coordinaten und Momente für die verschiedenen Systeme die verschiedensten Werthe haben. Es sei ganz allgemein f ( p 1 , p 2 … p μ , q 2 … q μ , t ) d p 1 … d p μ d q 2 … d q μ die Anzahl der Systeme, für welche zur Zeit t die Variabeln 78) zwischen den Grenzen p 1 und p 1 + d p 1 … p μ und p μ + d p μ , q 2 und q 2 + d q 2 … q μ und q μ + d q μ liegen, während natürlich q 1 durch den angenommenen Werth der Energie bestimmt ist. Die Zahl der Systeme, für welche die Werthe der Variabeln 78) ein beliebiges, die Werthe 81) p 1 … p μ , q 2 … q μ umfassendes (2 μ — 1) fach unendlich kleines Gebiet g 1 erfüllen, ist daher zur Zeit t III. Abschnitt. [Gleich. 85] 82) f ( p 1 … p μ , q 2 … q μ , t ). ∫ d p 1 … d p μ d q 2 … d q μ , wobei die Integration eben über das Gebiet g 1 zu erstrecken ist. Statt zu sagen, die Werthe der Variabeln 78) liegen für gewisse Systeme innerhalb des Gebietes g 1 , werden wir uns öfters mit Vortheil des Ausdruckes bedienen, diese Systeme haben die Phase p q . Wir können daher auch sagen: der Ausdruck 82) giebt die Zahl der Systeme an, welche zur Zeit t die Phase p q haben. Das Gebiet, innerhalb dessen für alle Systeme, welche zur Zeit t die Phase p q haben, die Werthe der Variabeln 78) zur Zeit Null liegen, soll das Gebiet G 1 heissen. Da das Gebiet g 1 die Werthe 81) umfasst, so muss natürlich auch das Gebiet G 1 die den Werthen 81) entsprechenden Anfangswerthe der Variabeln 83) P 1 … P μ , Q 2 … Q μ umfassen. Statt zu sagen, die Werthe der Variabeln liegen für ein System im Gebiete G 1 , wollen wir wiederum den Aus- druck anwenden, das System hat die Phase P Q . Das über das Gebiet G 1 erstreckte Integrale des Productes der Differentiale der Variabeln 78) soll analog der in Formel 82) verwendeten Bezeichnung mit ∫ d P 1 … d P μ d Q 2 … d Q μ bezeichnet werden. Da t im Ausdrucke 82) jeden beliebigen Werth haben kann, so wird 84) f ( P 1 … P n , Q 2 … Q n , 0) ∫ d P 1 … d P n d Q 2 … d Q n die Anzahl der Systeme sein, welche zu Anfang der Zeit die Phase P Q haben. Da ferner diese Systeme genau dieselben sind, wie diejenigen, welche zur Zeit t die Phase p q haben, so müssen die Ausdrücke 82) und 84) unter einander gleich sein, woraus unter Berücksichtigung der Gleichung 80) folgt: 85) p' 1 f ( p 1 … p n , q 2 … q n , t ) = P' 1 f ( P 1 … P n , Q 2 … Q n , 0). Wir bezeichnen nun die Zustandsvertheilung unter den Systemen als eine stationäre, wenn sich die Anzahl der Systeme, welche eine beliebige Phase p q haben, für welche also die Werthe der Variabeln in einem beliebigen Gebiete g 1 liegen, nicht mit der Zeit ändert. Da die Anzahl der Systeme, welche zur [Gleich. 88] § 32. Ergoden. Zeit t die Phase p q haben, durch den Ausdruck 82) gegeben ist, so kann man die Bedingung, dass die Zustandsvertheilung stationär sei, dahin aussprechen, dass für beliebige Werthe der Variabeln und für beliebige Gebiete g 1 der Werth des Ausdrucks 82) von dem Werthe der Zeit t vollkommen unab- hängig ist, so lange das Gebiet g 1 und die Werthe der Variabeln 78) dieselben bleiben. Setzt man daher den Werth, welchen der Ausdruck 82) einmal für die Zeit Null, das andere Mal für eine beliebige andere Zeit t hat, untereinander gleich, so kann durch das über das Gebiet g 1 erstreckte Integrale wegdividirt werden, und die Bedingung, dass der Zustand stationär ist, nimmt die Form an: 86) f ( p 1 … p n , q 2 … q n , t ) = f ( p 1 … p n , q 2 … q n , 0), worin die Variabeln p, q beliebige, aber rechts und links die- selben Werthe haben. Man kann sie daher auch mit den ent- sprechenden grossen Buchstaben bezeichnen, wenn man unter P Q wieder beliebige, aber zu beiden Seiten des Gleichheits- zeichens gleiche Werthe versteht, so dass die Gleichung 86) die Form annimmt: 87) f ( P 1 … P n , Q 2 … Q n , t ) = f ( P 1 … P n , Q 1 … Q n , 0). Mit Rücksicht auf die letzte Gleichung geht die Gleichung 85) über in P' 1 f ( P 1 , P 2 … P n , Q 2 … Q n , t ) = p' 1 f ( p 1 , p 2 … p n , q 2 … q n , t ). Diese oder die damit identische Gleichung 88) ist nothwendig, damit die Vertheilung stationär sei; sie ist aber dazu auch hinreichend, denn aus ihr und der Gleichung 85) folgt sofort wieder die Gleichung 87) für beliebige Werthe der Variabeln P und Q oder 86) für beliebige p und q , welche eben der mathematische Ausdruck dafür ist, dass die Vertheilung stationär ist. Da die Function f jetzt die Zeit nicht mehr enthält, so ist es besser, t unter dem Functionszeichen wegzulassen und zu schreiben: 88) P' 1 f ( P 1 , P 2 … P n , Q 2 … Q n ) = p' 1 f ( p 1 , p 2 … p n , q 2 … q n ). Hierbei sind P 1 , P 2 … P μ , Q 2 … Q μ ganz beliebige Anfangs- werthe; p 1 , p 2 … p μ , q 2 … q μ sind die Werthe der Coordinaten und Momente, welche ein von diesen Anfangswerthen aus- III. Abschnitt. [Gleich. 89] gehendes System nach einer übrigens auch beliebigen Zeit t erreicht. Denken wir uns daher ein System S , welches von be- liebigen Anfangswerthen der Coordinaten und Momente aus- gehend, sich bewegt, so werden im Verlaufe der Bewegung die Coordinaten und Momente immer andere und andere Werthe annehmen. Die Coordinaten und Momente sind also Functionen der Anfangswerthe und der Zeit. Es wird aber im Allgemeinen gewisse Functionen der Coordinaten und Momente geben (nennen wir sie Invarianten), welche während der ganzen Bewegung constante Werthe haben, wie bei einem freien Systeme die Geschwindigkeitscomponenten des Schwerpunktes oder die nach dem Flächenprincipe unveränderlichen Momentsummen. Wir wollen uns nun in den Ausdruck p' 1 f ( p 1 , p 2 … p μ , q 2 … q μ ) zuerst die Anfangswerthe, von denen ein System ausging, und dann fort und fort die Werthsysteme substituirt denken, welche die Coordinaten und Momente jenes Systemes mit wachsender Zeit der Reihe nach annehmen. Damit die Vertheilung stationär sei, ist nothwendig und hinreichend, dass der Werth von p' 1 f dabei immer unverändert bleibt, oder mit anderen Worten, p' 1 f darf nur solche Functionen der Coordinaten und Momente enthalten, welche während der ganzen Bewegung eines Systems constant bleiben, also zwar von den Anfangs- werthen, nicht aber von der verflossenen Zeit abhängen; p' 1 f darf also nur Function der Grössen sein, welche wir soeben Invarianten genannt haben. Wir erhalten den einfachsten Fall einer stationären Zu- standsvertheilung unter den Systemen, wenn wir die Grösse p' 1 f ( p 1 , p 2 … p μ , q 2 … q μ ) gleich einer Constanten setzen; dann ist also 89) die Anzahl der Systeme, für welche die Variabeln 78) im Ge- biete g 1 liegen, über welches auch die Integration zu erstrecken ist. Ich habe mir einmal erlaubt, die durch diese Formel ausgedrückte Zustandsvertheilung unter einer unendlichen Anzahl von Systemen eine ergodische zu nennen. [Gleich. 90] § 33. Begriff der Momentoide. § 33. Begriff der Momentoide . Die am Schlusse des vorigen Paragraphen besprochene Zustandsvertheilung wollen wir im Folgenden weiter be- handeln, und zwar wollen wir an Stelle der Momente andere Variable einführen. Die lebendige Kraft L eines der Systeme ist eine homogene quadratische Function der Momente; es ist also , wobei im Allgemeinen die Coefficienten a Functionen der gene- ralisirten Coordinaten p sind. Es lassen sich bekanntlich immer lineare Substitutionen von der Form 90) finden, für welche man erhält . Die Ausnahmsfälle, wo L nicht in diese Form gebracht werden kann, können bei mechanischen Systemen niemals eintreten und es kann keiner der Coefficienten α , welche im Allgemeinen natürlich wieder Functionen der Coordinaten sind, gleich Null oder negativ sein, weil sonst für gewisse Bewegungen des Systems die lebendige Kraft gleich Null oder negativ ausfiele. Durch Multiplication aller r mit einem und demselben Factor, der natürlich auch wieder sowie die Coefficienten b und α im Allgemeinen Function der Coordinaten ist, kann zudem be- wirkt werden, dass die Determinante der b gleich 1 wird. Wir wollen im Folgenden die mit diesem Factor bereits multi- plicirten Grössen mit r bezeichnen. Sie lassen sich natürlich auch umgekehrt linear durch die q ausdrücken. Ich habe vorgeschlagen, sie die den Coordinaten p entsprechenden Momentoide zu nennen. Wir wollen uns ein μ fach unendlich kleines Gebiet H der q abgegrenzt denken und in dem über dasselbe erstreckten Integrale ∫ d q 1 d q 2 … d q μ III. Abschnitt. [Gleich. 92] vermöge der Gleichungen 90) die r statt der q als Integrations- variable einführen. Die p betrachten wir dabei als constant. Da die Determinante der b gleich 1 ist, so folgt 91) ∫ d q 1 d q 2 … d q μ = ∫ d r 1 d r 2 … d r μ , wobei das letztere Integrale über das dem Gebiete H ent- sprechende Gebiet der r , d. h. über jenes Gebiet zu erstrecken ist, welches alle Werthecombinationen der r umfasst, die in Folge der Gleichungen 90) allen im Gebiete H enthaltenen Werthecombinationen der q entsprechen. Wir wollen nun in das Integrale der rechten Seite der Gleichung 76) statt der q die damit durch die Gleichungen 90) verbundenen r als Integrationsvariable einführen. Dasselbe verwandelt sich nach Gleichung 91) in ∫ d p 1 … d p μ d q 1 … d q μ = ∫ d p 1 … d p μ d r 1 … d r μ . Das letztere Integrale ist über das Gebiet zu erstrecken, welches dem früher mit g bezeichneten Integrationsgebiete des ersteren entspricht. Nun wollen wir in dieser Gleichung, genau wie wir es bei Ableitung der Gleichungen 77) und 80) aus der Gleichung 76) thaten, links für q 1 , rechts für r 1 die Integrationsvariable E einführen. Da ist, so folgt . Wir können nun, wie wir es bei Ableitung der Gleichung 80) aus 77) thaten, das Gebiet so wählen, dass für alle mög- lichen Werthe der übrigen Variabeln E zwischen denselben Grenzen E und E + d E liegt. Dann können wir mit d E weg- dividiren und finden bei constantem E . Substituiren wir dies in Formel 89), so finden wir, dass bei ergodischer Zustandsvertheilung die Anzahl der Systeme, für welche die Variabeln 92) p 1 … p μ , r 2 … r μ [Gleich. 99] § 33. Begriff der Momentoide. in einem beliebigen (2 μ — 1) fach unendlich kleinen, diese Werthe umfassenden Gebiete liegen, gleich 93) ist, wobei die Integration eben über dieses Gebiet zu er- strecken ist. Die Abgrenzung dieses Gebietes ist eine beliebige. Wir wollen sie im Folgenden in der einfachsten Weise dadurch bewerkstelligen, dass wir festsetzen, dass die Variabeln 92) zwischen den Grenzen 94) p 1 und p 1 + d p 1 , p 2 und p 2 + d p 2 … p μ und p μ + d p μ 95) r 2 und r 2 + d r 2 , r 3 und r 3 + d r 3 … r μ und r μ + d r μ liegen sollen. Die Anzahl der Systeme, für welche diese Be- dingungen erfüllt sind, ist nach 93) 96) . Bezeichnen wir zur Abkürzung das Product der Differentiale d p 1 d p 2 … d p μ mit d π und das Product d r k + 1 d r k + 2 … d r μ mit d ρ k , so ist 97) die Anzahl der Systeme, für welche die Coordinaten zwischen den Grenzen 94) und r μ zwischen 98) r μ und r μ + d r μ liegt, während die übrigen r alle möglichen, mit der Gleichung der lebendigen Kraft verträglichen Werthe haben können. Die Anzahl der Systeme, welche bloss der Bedingung unterworfen sind, dass die Coordinaten zwischen den Grenzen 94) liegen, während die Momente keiner sonstigen Bedingung unterworfen sind, als der Energiegleichung, ist 99) . III. Abschnitt. [Gleich. 103] Die Gesammtanzahl aller Systeme endlich hat den Werth 100) ; dabei ist überall, wo ein Product mehrerer Differentiale sym- bolisch durch ein einziges Differentialzeichen ausgedrückt ist, auch die Integration über alle Werthe aller darin enthaltenen Differentiale durch ein einziges Integralzeichen ausgedrückt. § 34. Ausdrücke für die Wahrscheinlichkeit; Mittelwerthe . Die Ausdrücke 1. d N / N , 2. d N 1 / N , 3. d N 2 / N sind die Definitionen folgender Wahrscheinlichkeiten: 1. dass für ein System Coordinaten und Momentoide zwischen den Grenzen 94) und 95) liegen; 2. dass die Coordinaten zwischen den Grenzen 94) und das Momentoid r μ zwischen den Grenzen 98), 3. dass nur die Coordinaten zwischen den Grenzen 94) liegen. Für alle Systeme, deren Anzahl durch die Formel 96) ge- geben ist, deren Coordinaten und Momente also zwischen den Grenzen 94) und 95) liegen, ist die dem ersten Momentoide r 1 entsprechende lebendige Kraft dieselbe. Der Mittel- werth dieser Grösse für alle Systeme, deren Coordinaten den Bedingungen 94) unterworfen bleiben, ist daher 101) , wo das Integralzeichen bloss eine Integration über alle mög- lichen Werthe der Momentoide ausdrückt. Der Mittelwerth von für alle Systeme überhaupt ist 102) . Der Mittelwerth der Kraftfunction V für alle Systeme aber ist 103) . [Gleich. 104] § 34. Wahrscheinlichkeitswerthe. Die Integrationen bezüglich der Momentoide können leicht nach folgendem Schema ausgeführt werden. Seien A und α Con- stanten, so findet man durch die Substitution: folgende Gleichung: 104) . Mit B und Γ sind die bekannten Euler ’schen Functionen bezeichnet. Diese Formel benutzen wir zunächst zur Berechnung des Integrales . Wir bezeichnen die Grösse mit A k , die Grösse E — V mit A μ . Dann ist , daher . Das Momentoid r 2 nimmt die äussersten möglichen Werthe an, wenn r 1 = 0 daher ist. Zwischen diesen Grenzen ist also die Integration nach r 2 zu nehmen. Führt man dieselbe nach Formel 104) aus, so findet man: Boltzmann, Gastheorie II. 7 III. Abschnitt. [Gleich. 105] . Führt man auch die Integration nach r 3 nach Formel 104) aus, so folgt: 105) . Wir finden hieraus das Integrale der Formel 97), indem wir das letzte Differentiale d r μ sammt seinem Integralzeichen weg- lassen, die übrigen Integrationen aber genau so ausführen, wie wir im Ausdrucke für J κ bereits zwei ausgeführt haben und κ = — 1 setzen. So folgt . Bezeichnet man den letzten Ausdruck mit γ , so ist der Mittelwerth von für alle Systeme, für welche die Coordi- naten zwischen den Grenzen 94) liegen, [Gleich. 106] § 34. Wahrscheinlichkeitswerthe. . Die Ausführung der Integrationen liefert 105 a) . Lässt man aber in Formel 105) κ willkürlich und führt alle Integrationen aus, so folgt: . Mittelst der beiden letzten Formeln kann das Resultat, das sich nach Ausführung der Integrationen nach den r in allen vorhergehenden Ausdrücken ergiebt, ohne Weiteres hin- geschrieben und d N 1 , d N 2 und in geschlossener Form berechnet werden. Zur Ausführung der Integrationen nach den p wäre natürlich die Kenntniss der Kraftfunction V er- forderlich. Es folgt z. B. für die Wahrscheinlichkeit, dass für ein System, welches den Bedingungen 94) genügt, r μ zwischen r μ und r μ + d r μ liegt, der Werth 106) . Setzt man = x , so ist , daher ist die Wahrscheinlichkeit, dass für ein die Bedingungen 94) er- 7* III. Abschnitt. [Gleich. 110] füllendes System r μ positiv ist und zwischen x und x + d x liegt: . Da für negative r μ ein gleicher Werth von gleich wahrscheinlich ist, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass bei positivem oder negativem r μ zwischen x und x + d x liegt, gleich 107) . Dabei kann unter r μ jedes beliebige Momentoid verstanden sein. Ist μ sehr gross und setzt man A μ = μ ξ , so geht obiger Aus- druck über in 108) . Aus den allgemeinen Formeln findet man ferner: 109) in Uebereinstimmung mit Formel 105 a). Da dasselbe natür- lich für die Antheile der lebendigen Kraft gilt, die den übrigen Momentoiden entsprechen, so folgt: 110) . Wie immer daher auch die Grenzen 94) gewählt werden mögen, es wird bei der von uns vorausgesetzten (ergodischen) Zustands- vertheilung unter den Systemen stets folgender Satz gelten: Wir heben von allen Systemen bloss diejenigen heraus, für welche die Coordinaten zwischen den Grenzen 94) liegen. Wir bezeichnen mit die irgend einem Momentoide ent- sprechende lebendige Kraft und berechnen das Mittel aller Werthe, welche die Grösse für alle hervorgehobenen Systeme zu irgend einer Zeit t hat. Dieses Mittel wird für alle Zeiten und alle Werthe des Stellenzeigers i gleich aus- [Gleich. 111 a] § 34. Wahrscheinlichkeitswerthe. fallen. Es ist gleich dem μ ten Theile des Energiewerthes E — V , welcher bei dem angenommenen Werthe der Coordinaten in jedem Systeme die Form von lebendiger Kraft hat. Die Integration nach den Coordinaten kann man natür- lich nur anzeigen und findet für den Mittelwerth von für alle Systeme überhaupt wieder unabhängig vom Stellen- zeiger i 111) . Selbstverständlich ist diese Gleichheit des Mittelwerthes der jedem Momentoide entsprechenden lebendigen Kraft nur für die vorausgesetzte (ergodische) Zustandsvertheilung bewiesen. Diese Zustandsvertheilung ist sicher eine stationäre. Es kann und wird im Allgemeinen aber auch andere stationäre Zustandsvertheilungen geben, für welche diese Sätze nicht gelten. In dem speciellen Falle, dass V eine homogene quadra- tische Function der Coordinaten, wie L eine solche der Momente ist, kann auch die Integration nach den Coordinaten genau nach derselben Methode durchgeführt werden, nach welcher wir die bezüglich der Momente durchführten. Dann ergiebt sich aus Formel 103) 111 a) , wenn man die zu V hinzutretende Constante so bestimmt, dass V verschwindet, wenn sich alle materiellen Punkte in ihren Ruhelagen befinden. Bevor ich zur Anwendung der bisher vorgetragenen Theo- reme auf die Theorie von Gasen mit mehratomigen Molekülen schreite, will ich zunächst eine ganz allgemeine Betrachtung anschliessen, welche zwar nicht consequent auf dem mathe- matischen Standpunkte stehen bleibt, sondern von vorneherein gewisse Erfahrungsthatsachen zu Hülfe nimmt, aber doch vielleicht die Vermuthung rechtfertigt, dass die Bedeutung dieser Theoreme nicht auf die Theorie der mehratomigen Gas- moleküle beschränkt ist. III. Abschnitt. [Gleich. 111 a] § 35. Allgemeine Beziehung zum Temperatur- gleichgewichte . Wir denken uns nun einen beliebigen warmen Körper unter dem Bilde der im Bisherigen betrachteten mechanischen Systeme, also als ein System von Atomen oder Molekülen oder sonstigen Bestandtheilen, deren Lage durch generalisirte Coordinaten be- stimmt werden kann. So oft ein und derselbe Körper mit derselben Wärme- energie und unter denselben äusseren Umständen sich selbst überlassen bleibt, nimmt er, wie die Erfahrung lehrt, mit der Zeit denselben Zustand an, aus was immer für einem Anfangs- zustande er unter diese Bedingungen gebracht worden sein mag. Im Sinne der mechanischen Naturanschauung kommt dies daher, dass nur gewisse Mittelwerthe, wie die mittlere lebendige Kraft eines Moleküles in einem endlichen Theile des Körpers, das Bewegungsmoment, welches die Moleküle in einer endlichen Zeit durchschnittlich durch eine endliche Fläche hin- durchtragen etc. zur Wahrnehmung gelangen. Diese Mittel- werthe haben aber bei der weitaus grössten Zahl der überhaupt möglichen Zustände dieselben Werthe. Wir nennen jeden Zustand, wo jene Mittelwerthe diese Werthe haben, einen wahr- scheinlichen Zustand. Wenn daher auch der Anfangszustand kein wahrschein- licher Zustand war, so wird der Körper unter gleichbleibenden äusseren Bedingungen doch bald in einen wahrscheinlichen Zustand übergehen und während der weiteren Beobachtungs- zeit darin verharren, so dass es, obwohl der Zustand fort- während wechselt und innerhalb einer über alle Vorstellbar- keit und Beobachtbarkeit hinausgehend langen Zeit sogar hier und da wieder erheblich von einem wahrscheinlichen abweichen würde, doch den Anschein hat, als ob der Körper einen stationären Endzustand angenommen hätte, da alle zur Beobachtung gelangenden Mittelwerthe unverändert bleiben. Die mathematisch vollkommenste Methode bestände nun allerdings darin, für jeden bestimmten Zustand eines ge- gebenen warmen Körpers die Anfangsbedingungen zu berück- sichtigen, von denen zufällig ausgehend er gerade diesmal zu dem Wärmezustande gelangte, den er nun lange Zeit un- [Gleich. 111 a] § 35. Beziehungen zum Wärmegleichgewichte. verändert besitzt. Da aber die gleichen Mittelwerthe sich jedesmal einstellen, wie immer der Anfangszustand gewesen sein mag, so können sie nicht verschieden sein von den Mittel- werthen, die wir erhalten, wenn wir uns statt eines warmen Körpers deren unendlich viele vorhanden denken, welche voll- ständig von einander unabhängig sind und bei gleichem Wärme- inhalte und gleichen äusseren Bedingungen in beliebiger Weise von allen möglichen Anfangszuständen ausgehen. Wir erhalten daher die für warme Körper geltenden Mittelwerthe, wenn wir uns in unserem mechanischen Bilde statt eines einzigen mecha- nischen Systemes unendlich viele gleich beschaffene vorstellen, welche von beliebigen verschiedenen Anfangsbedingungen aus- gehen. Nur müssen die Mittelwerthe zu allen Zeiten gleich ausfallen, was sicher der Fall ist, wenn der mittlere Zustand des Inbegriffes aller Systeme stationär bleibt, und die von uns betrachteten Zustände dürfen nicht einzelne singuläre sein, son- dern müssen alle möglichen Zustände des Systems umfassen. Diese Bedingungen sind erfüllt, wenn wir uns unendlich viele mechanische Systeme denken, unter denen zu Anfang eine solche Zustandsvertheilung bestand, welche wir in § 32 als eine ergodische bezeichnet haben. Denn erstens sahen wir, dass diese Zustandsvertheilung stationär ist und zweitens umfasst sie alle möglichen Zustände, die überhaupt mit der Gleichung der lebendigen Kraft vereinbar sind. Es hat daher eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die in § 34 gefundenen Mittelwerthe nicht bloss für den dort defi- nirten Inbegriff von Systemen, sondern auch für den stationären Endzustand jedes einzelnen warmen Körpers gelten, dass na- mentlich auch in diesem Falle die Gleichheit der jedem Momentoide entsprechenden mittleren lebendigen Kraft die Bedingung des Temperaturgleichgewichtes zwischen den ver- schiedenen Theilen des warmen Körpers ist. Dass die Be- dingung des Temperaturgleichgewichtes warmer Körper eine sehr einfache, von deren Anfangszustand unabhängige mecha- nische Bedeutung hat, wird schon dadurch wahrscheinlich ge- macht, dass dieselbe durch Pressung, Dehnung, Verschie- bung etc. einzelner Partien nicht beeinflusst wird. Substituiren wir für unser allgemeines System ein von zwei verschiedenen, durch eine feste, wärmeleitende Scheide- III. Abschnitt. [Gleich. 111 a] wand getrennten Gasen gebildetes System, was offenbar ein specieller Fall des allgemeinen, früher betrachteten ist, so können wir unter einigen der r die mit der Gesammtmasse eines Moleküles multiplicirten Geschwindigkeitscomponenten seines Schwerpunktes verstehen. Nach Gleichung 110) muss also die mittlere lebendige Kraft des Schwerpunktes eines Moleküles für beide Gase gleich sein, woraus dann das Avo- gadro ’sche Gesetz folgt. Diese mittlere lebendige Kraft müsste zudem gleich sein der mittleren, einem beliebigen Momentoide entsprechenden lebendigen Kraft, das die Molekularbewegung eines beliebigen, mit dem Gase im Wärmegleichgewichte befindlichen Körpers bestimmt. Verwenden wir daher ein vollkommenes Gas als thermometrische Substanz, so müsste der Zuwachs der jedem solchen Momentoide entsprechenden lebendigen Kraft gleich dem mit einer für alle Momentoide gleichen Constanten multiplicirten Temperaturzuwachse sein. Die in Form von lebendiger Kraft der Molekularbewegung in irgend einem Körper vorhandene Wärme wäre also gleich dem Produkte der absoluten Tempe- ratur und der Anzahl der die Molekularbewegung bestimmen- den Momentoide in eine für alle Körper und Temperaturen constante Grösse. Substituiren wir für eines der mechanischen Systeme ein einziges Gas mit zusammengesetzten Molekülen, was wieder ein specieller Fall ist, so folgt, dass für jedes Molekül die mittlere lebendige Kraft des Schwerpunktes gleich der drei- fachen mittleren lebendigen Kraft sein muss, die irgend einem die innere Bewegung des Moleküles bestimmenden Momentoide entspricht. Wir werden übrigens diese Sätze, soweit sie Gase betreffen, in den folgenden Paragraphen noch auf ganz anderem Wege ableiten. Unter sechs der Momentoide r eines bloss inneren Kräften unterworfenen Systems können wir die drei Com- ponenten der Geschwindigkeit des Schwerpunktes und die Flächenmomente bezüglich dreier rechtwinkliger Axen ver- stehen. Für ergodische Systeme ist die ihnen entsprechende mittlere lebendige Kraft gleich der einem beliebigen anderen Momentoide entsprechenden, also verschwindend klein, wenn das System aus sehr vielen Atomen besteht. Es beziehen sich [Gleich. 111 a] § 36. Zusammengesetzte Moleküle. unsere Betrachtungen also in der That auf ruhende, sich nicht drehende Körper, auch wenn diese bloss inneren Kräften unter- worfen sind. Wie wir uns in § 32 auf solche Systeme beschränkten, in denen die Energie denselben Werth hat, so können wir uns noch weiter bloss auf solche Systeme beschränken, in denen auch noch andere, während der ganzen Bewegung eines Systems constante Grössen dieselben Werthe haben, z. B. die Geschwindig- keitscomponenten des Schwerpunktes oder die Flächenmomente, wenn es sich um Systeme handelt, die bloss inneren Kräften unterworfen sind. Man hat dann deren Differentiale statt der Differentiale gewisser Momente einzuführen, wie wir in § 31 das Energiedifferential einführten. Man erhält so andere, nicht ergodische, stationäre Zustandsvertheilungen. Die betreffenden Sätze dürften nicht ohne alles mechanische Interesse sein; wir wollen aber hier nicht näher auf dieselben eingehen, da wir sie für das Folgende nicht brauchen werden. Vergl. Boltzmann , Wien. Sitzungsber. II, Bd. 63, S. 704, 1871. Maxwell , Cambr. phil. trans. XII, 3, S. 561, 1878. Scient. pap. II, S. 730. IV. Abschnitt. Gase mit zusammengesetzten Molekülen. § 36. Specielle Betrachtung zusammengesetzter Gasmoleküle . Wir wollen nun zu den allgemeinen Gleichungen des § 26 zurückkehren, denen keine andere Hypothese zu Grunde liegt, als diejenigen, aus denen die Principien der Mechanik abgeleitet werden. Wir wenden dieselben auf folgenden speciellen Fall an: In einem allseitig von elastischen Wänden umschlossenen Gefässe soll sich ein Glas befinden. Die Moleküle desselben brauchen nicht alle gleichartig zu sein; wir schliessen also den Fall eines Gemisches mehrerer Gase nicht aus. IV. Abschnitt. [Gleich. 112] Jedes Molekül soll als mechanisches System betrachtet werden, wie wir dieselben in § 25 definirt haben. In der Gas- theorie wird in der Regel angenommen, dass die Schwerpunkte je zweier Moleküle durchschnittlich so weit entfernt sind, dass die Zeit, während welcher ein Molekül mit einem anderen in Wechselwirkung begriffen ist, klein ist gegenüber der Zeit, während welcher es einer solchen Wechselwirkung nicht unter- liegt. Wir wollen jedoch hier den Fall nicht ausschliessen, dass zwei oder noch mehr Moleküle durch längere Zeit in Wechselwirkung begriffen sind, wie er bei theilweise dissociirten Gasen vorkommt; nur soll immer die Zahl der an einer Stelle des Raumes gleichzeitig mit einander in Wechselwirkung be- griffenen Moleküle ausserordentlich klein gegenüber der Ge- sammtzahl der im Gefässe vorhandenen Moleküle sein. Es sollen im Gase immer nur einzelne kleine Gruppen von Mole- külen in Wechselwirkung begriffen sein, deren Abstand von allen anderen Molekülen sehr gross ist, gegenüber ihrer Wirkungssphäre. In Folge dessen wird jedes Molekül von dem Momente an, wo es mit allen anderen ausser Wechsel- wirkung tritt, bis zu dem Momente, wo es wieder in Wechsel- wirkung mit anderen tritt, einen sehr weiten Weg zurücklegen, so dass die Häufigkeit der verschiedenen Arten von Zusammen- stössen nach den Principien der Wahrscheinlichkeitsrechnung berechnet werden kann. Die Lage eines Moleküles einer bestimmten Gattung, welche wir die erste nennen wollen, sowie die relative Lage seiner Bestandtheile soll durch μ generalisirte Coordinaten p 1 , p 2 … p μ bestimmt sein. Diese Coordinaten und die dazu gehörigen Momente q 1 , q 2 … q μ nennen wir die Variabeln 112). Die dazu gehörigen Momentoide seien r 1 , r 2 … r μ . Drei der Coordinaten werden die absolute Lage eines Punktes des Moleküles, z. B. seines Schwerpunktes im Gefässe, bestimmen. Es sollen dies die drei Coordinaten p 1 , p 2 und p 3 sein, von denen wir, um eine bestimmte Vorstellung zu haben, voraussetzen, dass es die rechtwinkeligen Coordinaten des [Gleich. 112] § 36. Zusammengesetzte Moleküle. Schwerpunktes des betreffenden Moleküles seien. Die Drehung des Moleküles um den Schwerpunkt und die relative Lage seiner Bestandtheile ist daher durch die übrigen Coordinaten bestimmt. Wenn keine äusseren Kräfte wirksam sind, so ist jede Stelle innerhalb des Gefässes gleichberechtigt. Es werden daher alle möglichen Werthe der drei Coordinaten p 1 , p 2 und p 3 gleich wahrscheinlich sein. Wir wollen aber, um die Aufgabe möglichst allgemein zu fassen, auch das Vorhandensein von äusseren Kräften nicht ausschliessen. Wir haben daher ausser den Kräften zwischen den Molekülen und der Gefässwand noch dreierlei Kräfte: 1. die inneren Kräfte eines Moleküles, oder die intramolekularen Kräfte, welche zwischen den verschiedenen Bestandtheilen eines und desselben Moleküles wirksam sind, 2. die äusseren Kräfte, wie z. B. die Schwere, welche von ausserhalb des Gefässes be- findlichen Körpern auf die Moleküle ausgeübt werden, 3. die Wechselwirkungskräfte, welche zwischen zwei, eventuell noch mehr verschiedenen Molekülen auftreten, wenn sich diese un- gewöhnlich nahe kommen. Die Kraftfunction der beiden ersten Gattungen von Kräften soll nur eine Function der Coordinaten des betreffenden Mole- küles sein, die Kraftfunction der dritten Gattung von Kräften wird eine Function der Coordinaten sämmtlicher in Wechsel- wirkung begriffener Moleküle sein. Von den äusseren Kräften setzen wir noch voraus, dass sie sich innerhalb des Ge- fässes von Punkt zu Punkt nur sehr langsam ändern, so dass wir dessen Inneres in Volumelemente d p 1 d p 2 d p 3 zerlegen können von folgender Beschaffenheit: Obwohl jedes solche Volumelement noch immer sehr viele Moleküle von jeder Gattung enthalten soll, so sollen die äusseren Kräfte doch nur eine verschwindend kleine Veränderung erfahren, wenn der Schwerpunkt irgend eines Moleküles ohne sonstige Aenderung der Lage und des Zustandes des Moleküles an eine beliebige andere Stelle innerhalb des Volumelementes gebracht wird. Wie in Ermangelung äusserer Kräfte überhaupt alle Stellen innerhalb des Gefässes, so sollen jetzt wenigstens für jedes dieser Volumelemente alle innerhalb desselben gelegenen Stellen gleichberechtigt sein. IV. Abschnitt. [Gleich. 115] § 37. Anwendung der Kirchhoff’schen Methode auf Gase mit zusammengesetzten Molekülen . Es sei nun speciell zur Anfangszeit, welche wir wieder als die Zeit Null bezeichnen, die Anzahl der Moleküle erster Gattung, deren Schwerpunkt sich in einem beliebig gelegenen Parallel- epipede d P 1 d P 2 d P 3 befindet, für welche die Werthe der Variabeln 113) p 4 … p μ , q 1 … q μ zwischen den Grenzen P 4 und P 4 + d P 4 … Q μ und Q μ + d Q μ liegen und welche mit keinerlei anderen Molekülen in Wechsel- wirkung stehen: . Dabei sei A 1 eine Constante, welche für die verschiedenen Molekülgattungen verschiedene, h eine solche, welche für alle Molekülgattungen denselben Werth hat. E 1 sei der Werth der Summe der gesammten lebendigen Kraft eines Moleküles und der Kraftfunction der intramolekularen und äusseren auf das Molekül wirkenden Kräfte zur Anfangszeit. Unter der Kraftfunction verstehen wir dabei diejenige Function, deren negative partielle Ableitungen nach den Coordinaten die Kräfte liefern, so dass also E 1 die gesammte Energie des Moleküles darstellt, deren Werth constant bleibt, so lange das Molekül nicht mit anderen in Wechselwirkung tritt. Die Anzahl der mit anderen nicht in Wechselwirkung stehenden Moleküle erster Gattung, für welche zur Zeit Null diejenigen Variabeln, welche wir im vorigen Paragraphen die Variabeln 112) nannten, in einem 2 μ fach unendlich kleinen Gebiete G liegen, das die Werthe 114) P 1 , P 2 … P μ , Q 1 , Q 2 … Q μ umfasst, ist also: 115) , wobei die Integration über das Gebiet G zu erstrecken ist. Dabei soll innerhalb des Gebietes G der Schwerpunkt noch einen so grossen Spielraum haben, dass, obwohl alle Variabeln zwischen sehr engen Grenzen eingeschlossen sind, doch noch der Ausdruck 115) eine sehr grosse Zahl darstellt. [Gleich. 118] § 37. Kirchhoff’sche Methode. Wenn sich ein Molekül erster Gattung, ohne mit einem anderen in Wechselwirkung zu treten, bloss unter dem Einflusse der inneren und äusseren Kräfte fortbewegt und dabei die Variabeln 112) von den Anfangswerthen 114) ausgingen, so sollen sie nach Verlauf einer beliebigen Zeit t die Werthe 116) p 1 , p 2 … q μ haben. Es sollen dies bestimmte Werthe dieser Variabeln sein, während 112) nur im Allgemeinen die Variabeln namhaft macht. ε 1 soll der Werth sein, den dann die gesammte Energie, also die Summe der lebendigen Kraft und der Kraftfunction der intramolekularen und äusseren Kräfte zur Zeit t hat, so dass also nach dem Principe der Erhaltung der Energie 117) ε 1 = E 1 ist. Wenn ferner alle Moleküle, für welche die Werthe der Variabeln 112) zu Anfang das Gebiet G erfüllten, sich wieder, ohne mit anderen in Wechselwirkung zu treten, bloss unter dem Einflusse der inneren und äusseren Kräfte fortbewegen, so sollen für dieselben die Werthe dieser Variabele nach der Zeit t ein Gebiet erfüllen, welches das Gebiet g heissen soll. Es umfasst natürlich die Werthe 116). Wenn nun zunächst weder zwischen den verschiedenen Molekülen derselben Gattung, noch zwischen den Molekülen verschiedener Gattungen irgend eine Wechselwirkung stattfände, so müssten die Moleküle, für welche zur Zeit Null die Variabeln im Gebiete G lagen, dieselben sein als die, für welche sie zur Zeit t im Gebiete g liegen. Bezeichnen wir die Zahl der letzteren Moleküle mit d n 1 , so wäre daher d n 1 ebenfalls gleich dem Ausdrucke 115), also . Nun ist aber nach Gleichung 55) ∫ d P 1 … d Q μ = ∫ d p 1 … d q μ , wobei die letztere Integration über das dem Gebiete G nach der Zeit t entsprechende Gebiet g zu erstrecken ist. Berück- sichtigt man dies, und die Gleichung 117), so wird: 118) . IV. Abschnitt. [Gleich. 118] Dieser Ausdruck unterscheidet sich von dem Ausdrucke 115) nur dadurch, dass die Werthe der Variabeln 116) an die Stelle der Werthe 114), also speciell ε 1 an die Stelle von E 1 und das Gebiet g an die Stelle des Gebietes G getreten ist. Da aber die Formel 115) für beliebige Werthe der Variabeln und beliebige sie umfassende Gebiete gelten soll, so stellt der Aus- druck 118) auch die Anzahl der Moleküle erster Gattung dar, für welche zu Anfang der Zeit die Werthe der Variabeln 112) im Gebiete g lagen. Es hat sich also die Anzahl der Moleküle erster Gattung, für welche die Werthe der Variabeln 112) im Gebiete g liegen, während der Zeit nicht verändert. Da end- lich das Gebiet G und daher auch das Gebiet g vollkommen willkürlich gewählt waren, so muss dies von jedem beliebigen Gebiete gelten, d. h. die Anzahl der Moleküle, für welche die Variabeln 112) in irgend einem beliebigen Gebiete liegen, er- fährt während der ebenfalls beliebigen Zeit t keine Verände- rung; die Zustandsvertheilung bleibt, soweit nur die intramole- kulare Bewegung in Betracht kommt, stationär. § 38. Ueber die Möglichkeit, dass für eine sehr grosse Zahl von Molekülen die ihren Zustand bestimmenden Variabeln zwischen sehr engen Grenzen liegen . Wir haben im Bisherigen vorausgesetzt, dass die Gebiete G und g sehr eng umgrenzt sind und trotzdem angenommen, dass für eine sehr grosse Zahl von Molekülen die Werthe der Variabeln innerhalb dieser Gebiete liegen. Wenn keine äusseren Kräfte wirken, so hat dies keine Schwierigkeit. Es verhalten sich ja dann alle Punkte innerhalb des ganzen Gases, wenn sie als Ort für den Schwerpunkt eines Moleküles gewählt werden, vollkommen gleich. Das Gebiet Γ = ∫ ∫ ∫ d P 1 d P 2 d P 3 , innerhalb dessen der Schwerpunkt eines Moleküles liegen soll, braucht dann nicht unendlich klein zu sein, sondern es kann sogar beliebig gross gewählt werden, da wir dafür das ganze Innere des das Gas umschliessenden Gefässes setzen können, welches wir beliebig gross wählen dürfen. Nur das Gebiet, innerhalb dessen die übrigen Variabeln p 4 … q μ eingeschlossen Gleich. 118] § 38. Enge Grenzen. sind und das wir symbolisch das Gebiet G / Γ nennen wollen, muss 2 μ — 3 fach unendlich klein sein. Wir haben daher zwei Grössen, von denen die eine (näm- lich das Gebiet Γ ) beliebig gross gewählt werden kann, wo- gegen die andere (nämlich das Gebiet G / Γ ) sehr klein zu machen ist, ohne dass jedoch die Grössenordnung der einen mit der Grössenordnung der anderen irgendwie zusammen- hängen würde. Die Differentiale d p 4 … d q μ drücken ja sonst nichts aus, als dass wir das Gebiet G / Γ so klein wählen können, als wir wollen. Für jede bestimmte solche Wahl aber können wir das Gebiet Γ , dessen Grössenordnung ganz unab- hängig ist, so gross wählen, dass im Gebiete G noch immer sehr viele Moleküle liegen. Wenn dagegen äussere Kräfte wirken, so hat die Grösse des Gebietes Γ eine obere Grenze. Dieses Gebiet muss näm- lich so klein gewählt werden, dass darin die äusseren Kräfte noch als constant betrachtet werden können. Dann ist also das Gebiet G und ebenso auch das Gebiet g als 2 μ fach sehr klein zu betrachten und die Bedingung, dass die Zahl der Moleküle, für welche die Werthe der Variabeln innerhalb eines dieser Gebiete liegen, eine sehr grosse sei, wäre nur erfüllbar, wenn die Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit im mathematischen Sinne unendlich wäre. Nun wird aber in der Gastheorie angenommen, dass die Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit eine zwar sehr grosse, aber doch nicht im mathematischen Sinne unendliche ist. Daher bleibt die Erfüll- barkeit obiger Bedingung in diesem Falle allerdings bloss ein Ideal, von dem wir aber trotzdem aus den nachfolgenden Gründen Uebereinstimmung mit der Erfahrung erwarten dürfen. Wir setzen in der Molekulartheorie stets voraus, dass die Gesetze der in der Natur sich bietenden Erscheinungen nicht mehr wesentlich von der Limite abweichen, der sie sich bei unendlicher Zahl und unendlicher Kleinheit der Moleküle nähern würden. Dieselbe Annahme wurde schon im I. Theile gemacht und auf S. 45 motivirt. Sie ist für jede Anwendung der Infinitesimalrechnung auf die Molekulartheorie unentbehr- lich; ja ohne sie lassen sich streng genommen überhaupt unsere stets an grosse endliche Zahlen geknüpften Vorstellungsbilder nicht auf continuirlich scheinende Grössen übertragen. Wie IV. Abschnitt. [Gleich. 118] berechtigt diese Annahme ist, wird am besten demjenigen klar, der über Experimente zum directen Beweise der atomistischen Constitution der Materie nachsinnt. Selbst in der nächsten Umgebung der kleinsten in einem Gase suspendirten Körperchen ist die Zahl der Moleküle schon so gross, dass es aussichtslos erscheint, selbst in sehr kleinen Zeiten irgendwie eine beobacht- bare Abweichung von der Limite zu hoffen, der sich die Er- scheinungen bei unendlicher Zahl der Moleküle nähern. Unter dieser Annahme müssen wir aber auch Ueberein- stimmung mit der Erfahrung erhalten, wenn wir die Limite berechnen, der sich die Gesetze der Erscheinungen bei stets ins Unendliche wachsender Anzahl und abnehmender Grösse der Moleküle nähern. Bei Berechnung der letzteren Limite haben wir aber in der That wieder zwei Grössen, die unab- hängig von einander beliebig klein gemacht werden können: die Grösse der Volumelemente, und die Dimensionen der Mole- küle, und wir können bei jeder gegebenen Kleinheit der ersteren letztere noch so klein wählen, dass jedes Volumelement noch sehr viele Moleküle enthält, deren Eigenschaften in gegebenen engen Grenzen eingeschlossen sind. Wenn man sich mit Kirchhoff unter den Ausdrücken 115) und 118) blosse Angaben des Grades einer Wahrscheinlich- keit vorstellt, so kann man diese Ausdrücke allerdings auch als Brüche oder sogar als sehr kleine Grössen auffassen; doch verliert man hierbei sehr an Anschaulichkeit. Wir kommen darauf noch am Schlusse dieses Buches in § 92 zurück. § 39. Betrachtung der Zusammenstösse zweier Moleküle . Wir haben bisher die Wechselwirkung je zweier Moleküle nicht berücksichtigt und haben noch die Bedingungen zu unter- suchen, unter denen die zu Anfang unter den Molekülen be- stehende Zustandsvertheilung auch durch die Zusammenstösse der Moleküle nicht verändert wird. Zu diesem Zwecke müssen wir die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von Gruppen mehrerer Moleküle untersuchen. Wir wollen uns zunächst auf den Fall beschränken, dass die gleichzeitige Wechselwirkung von mehr als zwei Molekülen so ausserordentlich selten vor- kommt, dass sie ganz einflusslos ist und daher nicht betrachtet [Gleich. 121] § 39. Zusammenstösse zweier Moleküle. zu werden braucht. Wir können uns dann auf die Betrachtung von Molekülpaaren beschränken. Es soll zu Anfang der Zeit die Zahl der Moleküle erster Gattung, für welche die Variabeln 112) in dem die Werthe 114) umfassenden Gebiete G liegen und von denen keines mit einem anderen in Wechselwirkung begriffen ist, wieder durch die Formel 115) gegeben sein. Analog sollen die Coordinaten und Momente, welche die Lage und den Zustand eines Moleküles bestimmen, das einer anderen Gattung angehört, welche wir die zweite nennen wollen, mit: 119) p μ + 1 , p μ + 2 … p μ + ν , q 1 … q μ + ν bezeichnet werden. Von einer dritten Gattung von Molekülen wollen wir vorläufig absehen. Doch hat die Ausdehnung unserer Schlüsse auf die gleichzeitige Wechselwirkung von mehr als zwei Molekülen sonst nicht die mindeste Schwierigkeit, als dass dadurch die Ausdrucksweise noch schwerfälliger würde. Zu Anfang der Zeit soll die Zahl der Moleküle zweiter Gattung, für welche die Variabeln 119) in einem die Werthe 120) P μ + 1 … Q μ + ν umfassenden Gebiete H liegen und von denen keines mit irgend einem anderen Moleküle in Wechselwirkung begriffen ist, gleich 121) sein, wobei die Integration über das Gebiet H zu erstrecken ist. A 2 ist eine Constante. E 2 die gesammte Energie des be- treffenden Moleküles zweiter Gattung. Die Schwerpunkte aller dieser Moleküle sowohl erster als auch zweiter Gattung sollen zudem innerhalb solcher Räume, innerhalb derer die äusseren Kräfte als nahezu constant be- trachtet werden können, ganz regellos vertheilt sein, so dass bei der Wahrscheinlichkeitsberechnung die beiden Ereignisse, dass für ein Molekül erster Gattung die Variabeln im Gebiete G und dass sie andererseits für ein Molekül zweiter Gattung im Gebiete H liegen, als vollkommen von einander unabhängige Ereignisse betrachtet werden können. Es wird also zu Anfang der Zeit die Anzahl der Molekülpaare, bei denen das eine Molekül der ersten Gattung angehört und für dasselbe die Werthe der Variabeln im Gebiete G liegen, während das Boltzmann, Gastheorie II. 8 IV. Abschnitt. [Gleich. 122] andere der zweiten Gattung angehört und dafür die Werthe der Variabeln im Gebiete H liegen, das Product der beiden Ausdrücke 115) und 121) sein, also den Werth 122) haben. Wir wollen die Integration durch ein einziges Integral- zeichen ausdrücken und das Gesammtgebiet, über welches sie zu erstrecken ist, als das Gebiet J aller Variabeln bezeichnen, worunter also der Inbegriff der beiden Gebiete G und H zu verstehen ist. Ausdrücke, welche dem Ausdrucke 122) analog sind, gelten natürlich, wenn beide Molekülpaare der ersten, oder beide der zweiten Gattung angehören. Die Grössenordnung der verschiedenen Bezirke ist hier sehr verschieden zu wählen. Wenn keine äusseren Kräfte wirken, kann wieder das Gebiet Γ = ∫∫∫ d P 1 d P 2 d P 3 , innerhalb dessen der Schwerpunkt des ersten Moleküles liegt, gleich dem ganzen Innenraume des das Gas umschliessenden Gefässes, also beliebig gross gewählt werden. Unter P μ + 1 kann dann die Differenz der x -Coordinaten der Schwerpunkte beider Moleküle verstanden werden, analog unter P μ + 2 und P μ + 3 die Differenz der entsprechenden y - und z -Coordinaten. Hier- durch wird die Gültigkeit des Ausdruckes 121) nicht beein- trächtigt, in welchem P μ + 1 , P μ + 2 , P μ + 3 einfach die Coordi- naten des Schwerpunktes des Moleküles zweiter Gattung waren, da ja für denselben ebenfalls jeder Ort im Raume gleich wahr- scheinlich ist. Ferner giebt bei dieser Ausdehnung des Ge- bietes Γ der Ausdruck 115), nämlich die Anzahl der Moleküle erster Gattung im ganzen Gefässe, für welche die Variabeln 113) in dem 2 μ — 3 fach unendlich kleinem Gebiete ∫ d P 4 … d Q μ liegen. Jedem dieser Moleküle entspricht ein relativ gegen den Schwerpunkt desselben voll- kommen gleich gelegenes Volumelement ∫ d P μ + 1 d P μ + 2 d P μ + 3 ; [Gleich. 122] § 39. Zusammenstösse zweier Moleküle. die Anzahl dieser Volumelemente ist also gleich der durch Formel 115) gegebenen Zahl d N 1 und ihr Gesammtvolumen ist gleich d N 1 ∫ ∫ ∫ d P μ + 1 d P μ + 2 d P μ + 3 . Die Anzahl der Moleküle zweiter Gattung, welche in allen diesen Volumelementen liegen und für welche ausserdem die übrigen Variabeln im Gebiete ∫ d P μ + 4 … d Q μ + ν liegen, ist daher nach Gleichung 121) . Dies ist aber zugleich die Anzahl d N 12 der Molekülpaare, für welche sämmtliche Variabeln im Gebiete J liegen, was mit Formel 122) übereinstimmt. Diese Formel, welche wir früher aus dem Satze über die Wahrscheinlichkeit des Zusammen- treffens mehrerer Ereignisse ableiteten, ist also nun auch noch durch blosse Abzählung gewonnen. Falls äussere Kräfte wirken, muss das Gebiet Γ = ∫∫∫ d P 1 d P 2 d P 3 so klein gewählt werden, dass darin die äusseren Kräfte nicht merklich veränderlich sind, dagegen weit grösser als der ganze Raum, den die Wirkungssphäre zweier in Wechselwirkung be- griffener Moleküle einnimmt, so dass es eine enorm grosse Anzahl von Molekülpaaren enthält, für welche die Variabeln im Gebiete J liegen. Das Gebiet für den Schwerpunkt des zweiten Moleküles aber muss enorm klein gegenüber dem Gebiete Γ gedacht werden. Wenn alle Gebiete unendlich klein sind, und in der Volumeneinheit nur eine endliche Zahl von Molekülen vor- handen ist, so können natürlich wieder nicht für eine grosse Zahl von Molekülen die Werthe der Variabeln in diesen Ge- bieten, also innerhalb mathematisch unendlich enger Grenzen liegen. Wir stellen uns also bei dem Vorhandensein äusserer Kräfte wieder nur die Aufgabe, die Limite zu suchen, welcher die Erscheinungen zueilen würden, wenn die Anzahl der Mole- küle in der Volumeinheit unendlich wäre und setzen voraus, 8* IV. Abschnitt. [Gleich. 123] dass die wirklichen Erscheinungen von dieser Limite nicht in bemerkbarer Weise abweichen. (Vergl. § 38.) Unter p μ + 1 , p μ + 2 , p μ + 3 verstehen wir wieder statt der Coordinaten des Schwerpunktes des zweiten Moleküles die Differenz der Schwerpunktscoordinaten beider Moleküle, wo- durch wie früher die Gültigkeit der Formel 121) nicht beein- trächtigt wird. Hieraus ist dann genau wie früher bei Ab- wesenheit äusserer Kräfte die Zahl d N 12 zu berechnen, für welche sich wiederum der Werth 122) ergiebt. Da wir von den Fällen, wo mehr als zwei Moleküle gleich- zeitig in Wechselwirkung stehen, vorläufig absehen, so haben wir nur noch alle Molekülpaare zu betrachten, welche gerade im Momente des Zeitanfanges in Wechselwirkung stehen. Wir betrachten wieder zunächst ein solches Paar, wo das eine Molekül der ersten, das andere der zweiten Gattung angehört. Die Anzahl derjenigen derartigen Paare, welche gerade im Momente des Zeitanfanges in Wechselwirkung begriffen sind und bei denen die die Lage und den Zustand des ersten und zweiten Moleküles bestimmenden Variabeln in einem 2 ( μ + ν ) fach unendlich kleinen Gebiete J liegen, soll durch den Ausdruck 123) gegeben sein. Dieses Gebiet J soll wieder bestimmt gegebene Werthe der Variabeln 112) und 119) umfassen, die wir wie früher mit P 1 … Q μ und P μ + 1 … Q μ + ν bezeichnen und ebenfalls wie dort die Werthe 114) und 120) nennen wollen, obwohl sie natürlich nicht numerisch mit den früher so bezeichneten Werthen über- einstimmen können, da beim Herrschen dieser Werthe früher keine, jetzt aber Wechselwirkung stattfindet. In Formel 123) ist die Integration über das Gebiet J zu erstrecken. Ψ ist der Werth der Kraftfunction der Wechselwirkungskräfte, d. h. der- jenigen, welche während der Zeit der Wechselwirkung zwischen den Bestandtheilen des einen und anderen Moleküles thätig sind. Die zu Ψ hinzukommende additive Constante ist so zu bestimmen, dass diese Function für alle Distanzen der Mole- küle, in denen keine Wechselwirkung stattfindet, verschwindet. Unter p μ + 1 , p μ + 2 und p μ + 3 können wir uns wieder die Diffe- renzen der Schwerpunktscoordinaten beider Moleküle vorstellen. [Gleich. 124] § 40. Zustandsvertheilung. Es soll übrigens wieder bei jedem betrachteten Molekül- paare für die Lage des Schwerpunktes des ersten Moleküles jeder Punkt innerhalb eines Volumtheiles des Gefässes gleich wahrscheinlich sein, wenn dieser Volumtheil nur so klein ist, dass darin die äusseren Kräfte als constant betrachtet werden können. § 40. Nachweis, dass die in § 37 angenommene Zu- standsvertheilung durch die Zusammenstösse nicht gestört wird . Die Formel 123) ist übrigens als die allgemeinste zu be- trachten, welche auch die Formel 122) in sich begreift, da sie im Falle, dass beide Moleküle zu Anfang der Zeit nicht in Wechselwirkung stehen, dass also Ψ = 0 ist und das Gebiet J in die beiden getrennten Gebiete G und H zerfällt, in die Formel 122) übergeht. Eine der Formel 123) analoge soll wiederum gelten, wenn beide in Wechselwirkung begriffenen Moleküle derselben Gattung angehören. Wir lassen jetzt eine beliebige Zeit t vergehen, welche aber so kurz sein soll, dass die Fälle, wo während dieser Zeit ein Molekül mehr als einmal mit einem anderen in Wechselwirkung tritt, vernachlässigt werden können. Wenn für ein Paar von Molekülen, von denen das eine der ersten, das andere der zweiten Gattung angehört, zu An- fang der Zeit die die Lage des ersten bestimmenden Variabeln die Werthe 114), die die Lage des zweiten bestimmenden Variabeln aber die Werthe 120) hatten, so sollen dieselben Variabeln nach Verlauf der Zeit t die Werthe 124) p 1 … q μ , p μ + 1 … q μ + ν haben. Die dazu gehörigen Werthe der gesammten Energie sollen für das erste Molekül mit ε 1 , für das zweite mit ε 2 be- zeichnet werden, wobei in die Energie bloss die lebendige Kraft und die Summe der Kraftfunctionen der inneren und äusseren Kräfte, nicht aber der Wechselwirkungskräfte ein- gerechnet sind; der Werth der Kraftfunction der letzteren soll ψ heissen. Die Werthe 124) sind natürlich wieder numerisch IV. Abschnitt. [Gleich. 127] verschieden von den Werthen 116) und 119), obwohl sie mit gleichen Buchstaben bezeichnet wurden. Das Gebiet, welches die Werthe der die Lage und den Zustand beider Moleküle charakterisirenden Variabeln zur Zeit t erfüllen, wenn sie zur Anfangszeit das Gebiet J er- füllten, soll das Gebiet i heissen. Wir können den Inbegriff der beiden Moleküle jedenfalls als ein mechanisches System betrachten, für welches also die der Gleichung 55) analoge Gleichung gelten wird, so dass man hat 125) ∫ d p 1 … d q μ + ν = ∫ d P 1 … d Q μ + ν , wobei das zweite Integrale über das Gebiet J , das erste über das ihm entsprechende Gebiet i zu erstrecken ist. Die Richtig- keit dieser Gleichung ist unabhängig davon, ob die Moleküle zu Anfang der Zeit oder zur Zeit t in Wechselwirkung standen oder nicht. Diese Gleichung gilt auch, wenn beide Moleküle während der ganzen Zeit t niemals in Wechselwirkung traten, in welchem Falle von den beiden Gebieten J und i jedes in zwei getrennte Gebiete zerfällt, das erstere in die Gebiete G und H , das letztere in die Gebiete g und h . Ferner ist all- gemein wegen des Principes der Erhaltung der Energie 126) E 1 + E 2 + Ψ = ε 1 + ε 2 + ψ . Auch die letztere Gleichung gilt unabhängig davon, ob Wechselwirkung stattfindet oder nicht, da zu jeder Zeit, wo keine Wechselwirkung stattfindet, die Kraftfunction der Wechsel- wirkungskräfte einfach verschwindet. Für die Anzahl der Molekülpaare, für welche zu Anfang der Zeit die Werthe der ihre Lage und ihren Zustand be- stimmenden Variabeln das Gebiet J erfüllten, gilt allgemein der Ausdruck 123). Dieser Ausdruck geht mit Rücksicht auf die Gleichungen 125) und 126) über in 127) , wobei die Integration über das dem Ge entsprechende Gebiet i zu erstrecken ist. [Gleich. 127] § 40. Zustandsvertheilung. Nun sind aber die Molekülpaare, für welche zur Zeit t die Werthe der Variabeln das Gebiet J erfüllten, identisch mit den Molekülpaaren, für welche die Werthe der Variabeln zur Zeit t das Gebiet i erfüllen. Die Formel 127) giebt also auch die Anzahl der letzteren Molekülpaare. Die Berechnung der Anzahl der Molekülpaare, für welche die Werthe der Variabeln zu Anfang der Zeit t das Gebiet i erfüllten, kann aber wieder nach der allgemein gültigen Formel 123) geschehen. Man hat in derselben bloss E 1 , E 2 , Ψ und das Gebiet J mit ε 1 , ε 2 , ψ und dem Gebiete i zu vertauschen. Dadurch erhält man genau wieder den Ausdruck 127) und zwar wieder unabhängig davon, ob zur Zeit Null oder t oder überhaupt innerhalb dieses Zeit- intervalles Wechselwirkung stattfindet oder nicht. Da aber das Gebiet J und daher auch das dadurch bestimmte Gebiet i ein ganz beliebiges ist, so ist also für beliebig gewählte Gebiete die Anzahl der Molekülpaare, für welche die Werthe der Variabeln innerhalb derselben liegen, zur Anfangszeit und zur Zeit t dieselbe; die Zustandsvertheilung ist also auch unter Berücksichtigung der Zusammenstösse stationär geblieben. Man sieht sofort, dass man ganz analoge Betrachtungen auch auf Molekülpaare anwenden kann, bei denen beide Mole- küle derselben Gasart angehören und dass sich unsere Be- trachtungen in ganz analoger Weise auch auf die Fälle aus- dehnen lassen, wo mehr als zwei Gasarten im Gefässe vor- handen sind. Wir haben bisher die Zeit t so klein gewählt, dass von Molekülen, die während dieser Zeit zweimal mit anderen in Wechselwirkung treten, abgesehen werden kann. Allein, da wir sahen, dass zur Zeit t genau wieder dieselbe Zustands- vertheilung wie zur Zeit Null besteht, so kann nun abermals dieselbe Schlussweise auf eine weitere gleich lange Zeit t und dann nochmals auf eine gleich lange Zeit u. s. w. angewendet werden. Man sieht also, dass die Zustandsvertheilung dauernd stationär bleiben muss. Auch die von uns gemachte Annahme, dass bei Berechnung der Wahrscheinlichkeit eines in bestimmter Weise vor sich gehenden Zusammentreffens zweier Moleküle die beiden Ereignisse, dass sich das eine und andere Molekül in den ihnen enden Zuständen befindet, als zwei völlig von einander gige Ergebnisse betrachtet werden können, IV. Abschnitt. [Gleich. 127] muss auch zu allen späteren Zeiten der Wahrheit entsprechen; denn unserer Voraussetzung gemäss bewegt sich jedes Molekül von der Stelle, wo es zum letzten Male mit einem anderen in Wechselwirkung war, bis zu der, wo es zum nächsten Male wieder mit einem Moleküle in Wechselwirkung tritt, zwischen sehr vielen anderen Molekülen vorbei und es ist daher der Zustand des Gases an der letzteren Stelle vollkommen unab- hängig von dem an der ersteren und nur durch die Wahr- scheinlichkeitsgesetze bestimmt. Natürlich ist aber zu bedenken, dass es eben Wahrscheinlichkeitsgesetze sind. Die Möglichkeit der Abweichung von denselben kommt praktisch nicht in Be- tracht; doch ist ihre Wahrscheinlichkeit im Falle, dass die Zahl der Moleküle eine endliche ist, wenn auch unvorstellbar klein, so doch nicht Null; ja sie kann sogar in jedem bestimmt gegebenen Falle nach den Wahrscheinlichkeitsgesetzen numerisch berechnet werden und verschwindet nur für den Grenzfall einer unendlichen Zahl der Moleküle. § 41. Verallgemeinerungen . Wir haben uns noch durch die Annahme eine Beschränkung auferlegt, dass die Fälle, wo mehr als zwei Moleküle in Wechselwirkung begriffen sind, keine Rolle spielen. Man sieht aber ein, dass diese Beschränkung nur zur Vereinfachung des Beweises gemacht wurde, dessen Richtigkeit von ihr vollkommen unabhängig ist. Ganz ebenso, wie wir die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens gewisser Molekülpaare discutirt haben, könnten wir ja auch die Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von Gruppen von drei und mehr Molekülen der Rechnung unterziehen und es würde sich ergeben, dass auch durch eine etwaige Wechsel- wirkung dreier und mehrerer Moleküle der Satz nicht gestört wird, dass die durch eine der Formel 123) analoge Formel dar- gestellte Zustandsvertheilung eine stationäre ist. Auch der bisher nicht besprochene Einfluss der Wände kann den stationären Charakter dieser Zustandsvertheilung nicht stören, falls die Mole- küle von ihnen gerade so zurückkehren, als ob jenseits gleich beschaffenes Gas wäre. Jede andere Beschaffenheit der Wände würde natürlich neue Rechnungen erfordern. Doch ist ersicht- lich, dass auch dann bei genügender Grösse der Gefässe sich deren Einfluss nicht weit ins Innere erstrecken würde. [Gleich. 127] § 41. Verallgemeinerungen. Wir haben im Bisherigen freilich nicht den Beweis ge- liefert, dass die durch die Formel 123) ausgedrückte Zustands- vertheilung unter allen Umständen die einzig mögliche statio- näre ist. Dieser Beweis kann in dieser Allgemeinheit auch nicht geliefert werden, da es in der That andere specielle Zustandsvertheilungen giebt, welche sich ebenfalls stationär erhalten können. Solche Fälle würden z. B. eintreten, wenn sämmtliche Gasmoleküle aus materiellen Punkten bestehen würden, welche ursprünglich alle in einer Ebene oder in einer Geraden liegen würden, und wenn die Wände überall auf dieser Ebene oder Geraden senkrecht wären. Allein dies sind specielle Zustandsvertheilungen, bei denen alle Variabeln nur verhältniss- mässig wenige der für sie möglichen Werthe annehmen, wo- gegen die Formel 123) eine Zustandsvertheilung liefert, für welche alle Variabeln alle für sie möglichen Werthe annehmen. Es erscheint nun von vorneherein kaum denkbar, dass es mehrere solche Zustandsvertheilungen geben könne, welche stationär sind und bei denen alle Variabeln unbeschränkt alle für sie möglichen Werthe durchlaufen. Dazu kommt noch die complete Analogie, welche die durch die Formel 123) dar- gestellte Zustandsvertheilung mit der für Gase mit einatomigen Molekülen gefundenen zeigt. Diese Analogie hat ihren be- stimmten inneren Grund. Wie nämlich beim Lottospiele jede bestimmte gegebene Quinterne um kein Haar unwahrscheinlicher ist, als die Quin- terne 1 2 3 4 5, sondern letztere nur das von anderen voraus hat, dass sie eine bestimmte hervorstechende Eigenschaft be- sitzt, die keiner anderen zukommt, so besitzt auch die wahr- scheinlichste Zustandsvertheilung die Eigenschaft ihrer Wahr- scheinlichkeit nur dadurch, dass dieselben Durchschnittswerthe, durch welche sie sich der Beobachtung erkennbar macht, bei weitem an der grössten Anzahl von gleich möglichen Zustands- vertheilungen vorkommen. Das Kriterium für die gleiche Möglichkeit liefert der Liouville ’- sche Satz. Es ist also diejenige Zustands- vertheilung die wahrscheinlichste, welche ohne Aenderung dieser Durchschnittswerthe die grösste Anzahl von Permutationen der Einzelwerthe unter den einzelnen Molekülen zulässt. Ich habe IV. Abschnitt. [Gleich. 127] schon im I. Theile § 6 gezeigt, wie die mathematische Bedingung hiefür unter Voraussetzung einatomiger Gasmoleküle zur Max- well ’schen Zustandsvertheilung führt. Ohne darauf näher einzu- gehen, will ich doch bemerken, dass die Gültigkeit der dort an- gestellten Betrachtungen keineswegs auf den Fall einatomiger Moleküle beschränkt ist, sondern dass sich ganz analoge Be- trachtungen auch im Falle zusammengesetzter Moleküle anstellen lassen. Dabei spielen dann die den generalisirten Coordinaten entsprechenden Momentoide genau dieselbe Rolle, welche bei einatomigen Molekülen die Geschwindigkeitscomponenten des Schwerpunktes spielen, und die Kraftfunction der inneren und äusseren Kräfte zusammen spielt dieselbe Rolle, wie früher die Kraftfunction der äusseren Kräfte allein, so dass wir als Verallgemeinerung der im I. Theile gefundenen Formeln un- mittelbar die Formel 123) erhalten. Dass die Formel 123) die einzige dem Wärmegleich- gewichte entsprechende ist, werden wir noch im VII. Ab- schnitte durch mehrere Gründe wahrscheinlich zu machen suchen, auch werden wir in einigen der einfachsten speciellen Fälle einen directen Beweis dafür liefern. An dieser Stelle aber wollen wir uns, um nicht durch zu langes Verweilen bei allzu abstracten Gegenständen zu ermüden, vorläufig mit dem zu Gunsten der Formel 123) Vorgebrachten begnügen und aus derselben die wichtigsten Consequenzen ziehen. § 42. Mittelwerth der einem Momentoide ent- sprechenden lebendigen Kraft . Wir wollen zunächst den Fall betrachten, dass wir mehrere Gase im Gefässe haben, von denen jedoch keines in theilweiser Dissociation begriffen ist. Es ist dann zu jeder Zeit die An- zahl der Moleküle, welche mit einander in Wechselwirkung begriffen sind, verschwindend klein gegenüber der Anzahl der- jenigen, welche mit keinem anderen in Wechselwirkung stehen und es ist erlaubt, bei Berechnung der Mittelwerthe nur die letzteren zu berücksichtigen, auf welche sich die Formel 118) bezieht. Führen wir daselbst statt der Momente q 1 , q 2 … q μ die dazu gehörigen Momentoide r 1 , r 2 … r μ ein, so wird die An- [Gleich. 132] § 42. Mittelwerth der lebendigen Kraft. zahl der Moleküle der betreffenden Gattung, für welche die Coordinaten und Momentoide in irgend einem die Werthe 128) p 1 , p 2 … p μ , r 1 … r μ umfassenden Gebiete K liegen, durch den für jede beliebige, im Gefässe vorhandene Gasart geltenden Ausdruck 129) d n = A e - 2 h ε ∫ d p 1 … d p μ d r 1 … d r μ gegeben sein, da die Determinante für die Verwandlung der Variabeln q in die Variabeln r gleich 1 ist. Die Constante h muss für alle in demselben Gefässe vorhandenen Gase den- selben Werth haben. Die Constante A dagegen kann für jede Gasart einen anderen Werth haben. ε ist die Summe der kinetischen Energie eines Moleküles und der Kraftfunction der intramolekularen und äusseren Kräfte für dasselbe, welche Kraftfunction jetzt V heissen soll. Für die kinetische Energie eines Moleküles hat man, wie wir sahen, den Ausdruck , wo wir wieder das erste Glied als den durch das erste Momentoid bedingten Theil der lebendigen Kraft bezeichnen. Wenn wir daher das Gebiet K in der einfachsten Weise, d. h. so wählen, dass es alle Werthecombinationen umfasst, für welche die Coordinaten zwischen den Grenzen 130) p 1 und p 1 + d p 1 … p μ und p μ + d p μ und die Momentoide zwischen den Grenzen 131) r 1 und r 1 + d r 1 … r μ und r μ + d r μ liegen, so wird 132) . Dies ist die Anzahl der Moleküle irgend einer bestimmten Gattung, für welche die Werthe der Variabeln zwischen den Grenzen 130) und 131) eingeschlossen sind. IV. Abschnitt. [Gleich. 134] Der Mittelwerth des durch das Momentoid r i bedingten Antheiles der lebendigen Kraft hat für ein beliebiges i den Werth 133) , wobei das einzige Integralzeichen eine Integration über alle möglichen Werthe der Differentiale anzeigt. Führt man im Zähler und Nenner zuerst die Integration nach r i aus, so kann man sowohl im Zähler als auch im Nenner alle r i nicht enthaltenden Factoren vor dasjenige In- tegralzeichen setzen, welches die Integration nach r i ausdrückt. Der so vor dieses Integralzeichen kommende Ausdruck ist im Zähler und Nenner genau derselbe. Das nach r i zunehmende Integrale lautet im Zähler , im Nenner aber . Um hier die Integrationsgrenzen zu finden, bedenken wir, dass für die Geschwindigkeit p' der Aenderung jeder Coordinate alle Werthe zwischen — ∞ und + ∞ möglich sind. Die r sind lineare Functionen der p' und können daher ebenfalls alle Werthe von — ∞ bis + ∞ durchlaufen. Dies sind also die Integrationsgrenzen für r i und es wird , wie man entweder durch partielle Integration des ersten Inte- grales oder durch Berechnung beider Integrale nach Formel 39) § 7 des I. Theiles findet. Man kann nun im Zähler den Factor 1/2 h , im Nenner den Factor 2 vor alle Integralzeichen setzen; es werden dann die mit jedem dieser Factoren im Zähler und Nenner multiplicirten Ausdrücke gleich; man kann mit ihnen wegdividiren und erhält: 134) . L ̅ bedeutet dabei den Mittelwerth der gesammten lebendigen Kraft eines Moleküles der betreffenden Gattung. Die jedem [Gleich. 135] § 42. Mittelwerth der lebendigen Kraft. Momentoide entsprechende lebendige Kraft hat also im Mittel denselben Werth und zwar ist dieser für alle Gasarten gleich, da ja h für alle Gasarten den gleichen Werth hat. Aehnlich wie im I. Theile S. 137 kann dieser Satz auch auf Gase aus- gedehnt werden, welche durch eine die Wärme leitende Wand getrennt mit einander im Wärmegleichgewichte stehen. Da wir überall nach jedem p und r unabhängig von den übrigen integrirt haben und überhaupt die p immer als unab- hängige Variable betrachtet haben, so haben wir stets voraus- gesetzt, dass zwischen den generalisirten Coordinaten p 1 , p 2 … p μ keine Gleichung besteht. Es ist also μ die Anzahl der unab- hängigen Variabeln, welche zur Bestimmung der absoluten Lage aller Bestandtheile eines Moleküles im Raume und deren relativer Lage gegen einander erforderlich sind. Man nennt μ die Anzahl der Freiheitsgrade eines als mechanisches System aufgefassten Moleküles. Für drei der r können immer die drei Geschwindigkeits- componenten des Schwerpunktes eines Moleküles in den drei Coordinatenrichtungen gewählt werden, da die gesammte leben- dige Kraft eines Systems immer die Summe der lebendigen Kraft der Schwerpunktsbewegung und der Bewegung relativ gegen den Schwerpunkt ist. Vergl. Boltzmann , Vorles. üb. d. Principe d. Mechanik, I. Theil § 64, S. 208. Das Product der halben Ge- sammtmasse eines Moleküles in das mittlere Quadrat einer dieser Geschwindigkeitscomponenten seines Schwerpunktes ist dann die durch das betreffende Momentoid bedingte mittlere lebendige Kraft; dieselbe hat also nach 134) für jede der Coordinatenrichtungen den Werth 1/4 h . Die Summe dieser drei mittleren lebendigen Kräfte für die drei Coordinatenrichtungen ist aber gleich dem Producte aus der halben Gesammtmasse eines Moleküles in das mittlere Geschwindigkeitsquadrat seines Schwerpunktes. Dieses letztere Product wollen wir die mittlere lebendige Kraft der Schwerpunktsbewegung oder der Progressiv- bewegung des betreffenden Moleküles nennen und mit S ̅ be- zeichnen. Es ist also: 135) . IV. Abschnitt. [Gleich. 135] Die mittlere lebendige Kraft der Schwerpunktsbewegung eines Moleküles ist daher ebenfalls für beliebige unter einander im Wärmegleichgewichte stehende Gase dieselbe. Hieraus folgt, wie wir in § 7 des I. Theiles sahen, das Boyle-Charles-Avo- gadro ’sche Gesetz, welches hiermit also auch für Gase mit zusammengesetzten Molekülen kinetisch begründet erscheint. Wir wollen uns einen bestimmt gegebenen festen oder tropf- bar flüssigen Körper unter dem Bilde eines Aggregates von n materiellen Punkten denken, welches also 3 n Freiheitsgrade hat, etwa die 3 n rechtwinkeligen Coordinaten. Wenn es von einer weit grösseren Gasmasse umgeben ist, so kann es gewissermassen als ein einzelnes Gasmolekül betrachtet und es können die im Texte gefundenen Gesetze darauf angewendet werden. Die gesammte lebendige Kraft ist also . Erfährt die Temperatur einen Zuwachs, wobei um wächst, so ist die gesammte in Arbeitsmaass gemessene Wärme, die behufs Erhöhung der mittleren lebendigen Kraft zugeführt werden muss, . Diese Wärme pro Einheit der Masse und Tempera- turerhöhung ist das, was Clausius die wahre specifische Wärme nennt. Sie ist in allen Zuständen und Aggregatformen unveränderlich. Sie wäre die gesammte specifische Wärme, wenn der Körper den Zustand eines in seine Atome dissociirten Gases hätte. Sie ist für alle Körper pro- portional der Anzahl der Atome, woraus sie bestehen. Dieser Anzahl ist auch die gesammte specifische Wärme proportional ( Dulong- Petit ’sches Gesetz für chemische Elemente, Neumann ’sches für che- mische Verbindungen), wenn die auf innere Arbeitsleistung verwendete Wärmezufuhr d Q i in einem constanten Verhältnisse zu der auf Erhöhung der lebendigen Kraft verwendeten d Q l steht. Dies ist immer der Fall, wenn die auf jedes Atom wirkenden inneren Kräfte der Entfernung des- selben aus seiner Ruhelage proportional oder noch allgemeiner lineare Functionen seiner Coordinatenänderungen sind. Dann ist die Kraft- function V eine homogene quadratische Function der Coordinaten genau so, wie die lebendige Kraft L eine solche der Momente ist. Die In- tegrationen in der Formel für V ̅ lassen sich dann genau so durchführen, wie die, durch welche Formel 134) erhalten wurde, und man findet d Q i = d Q l . (Vergl. Formel 111 a und Schluss des § 45). Die gesammte Wärmecapacität ist dann das Doppelte der wahren oder der im ein- atomigen Gaszustande. Das angenommene Wirkungsgesetz der inneren Molekularkräfte gilt wohl angenähert für die meisten festen Körper. Bei solchen, deren Wärmecapacität kleiner als die halbe aus dem Dulong-Petit ’schen Gesetze folgende ist (Diamant), muss man an- nehmen, dass sich die durch gewisse Parameter bedingten Bewegungen so langsam mit den anderen ins Gleichgewicht setzen, dass sie bei den Experimenten über specifische Wärme nicht in Betracht kommen. [Gleich. 136] § 43. Das Verhältn. d. spec. Wärmen. § 43. Das Verhältniss κ der specifischen Wärmen . Wir wollen nun für einen Augenblick annehmen, dass in dem betrachteten Gefässe eine einzige Gasart vorhanden ist und dass die darauf wirkenden äusseren Kräfte vernachlässigt werden können, so dass die intramolekularen und Wechselwirkungskräfte der Moleküle und der Gegendruck der Gefässwände gegen das Gas die einzigen in Betracht kommenden Kräfte sind. Wir bezeichnen wie im I. Theile § 8 mit d Q 2 die Wärme- menge, welche auf Erhöhung der lebendigen Kraft der Schwer- punktsbewegung aller Moleküle, mit d Q 3 aber die Wärme, welche auf Erhöhung der lebendigen Kraft und Kraftfunction der intramolekularen Bewegung verwendet wird, wenn das Gas einen bestimmten Temperaturzuwachs d T erfährt. Das Verhält- niss d Q 3 / d Q 2 bezeichnen wir ebenfalls wie im I. Theile § 8 mit β . Die Wärme soll dabei immer in Arbeitsmaass gemessen werden. Die Wärmemenge d Q 3 zerfällt naturgemäss in zwei Theile, in den Antheil d Q 5 , welcher auf Erhöhung der lebendigen Kraft der intramolekularen Bewegung verwendet wird, und in den Antheil d Q 6 , der auf Erhöhung des Werthes der Kraft- function der zwischen den Bestandtheilen eines Moleküles thätigen, d. h. der intramolekularen Kräfte verwendet wird. Die mittlere lebendige Kraft der Schwerpunktsbewegung eines Moleküles haben wir mit S ̅ bezeichnet. Ist n die Ge- sammtzahl der Moleküle des Gases, so ist also die gesammte lebendige Kraft der Schwerpunktsbewegung seiner Moleküle n S ̅, daher ist d Q 3 = n d S ̅. Da wir mit L ̅ die gesammte mittlere Kraft eines Moleküles bezeichnet haben, so ist L ̅ — S ̅ die mittlere lebendige Kraft der intramolekularen Bewegung eines Moleküles. Die lebendige Kraft der intramolekularen Be- wegung aller Moleküle des Gases ist daher n ( L ̅ — S ̅) oder nach Formel 135) , woraus folgt: 136) (Vergl. § 35. Ueber den. Fall, dass die Moleküle angenähert Pendel- schwingungen machen, siehe Wien. Sitzungsber. Bd. 53, S. 219, 1866; Bd. 56, S. 686, 1867; Bd. 63, S. 731, 1871; Richarz , Wied. Ann. 48, S. 708, 1893; Staigmüller , Wied. Ann. 65, S. 670, 1898.) IV. Abschnitt. [Gleich. 138] Bezeichnen wir den Mittelwerth der Kraftfunction für ein Molekül mit V ̅, so ist 137) d Q 6 = n d V ̅. Die letztere Grösse können wir nicht berechnen, wenn wir nicht eine besondere Annahme über die Kraftfunction V machen. Wir wollen daher ohne Beschränkung der Allgemeinheit vor- läufig bloss setzen: d Q 6 = ε d Q 3 und erhalten dann: . Das Verhältniss κ der specifischen Wärmen des Gases wird also nach Formel 56) des § 8 des I. Theiles 138) . § 44. Werthe des κ für specielle Fälle . Falls die Moleküle einzelne materielle Punkte sind, so haben sie ausser der Bewegung des Schwerpunktes keinerlei andere Bewegung; es ist also ε = 0. Zur Bestimmung ihrer Lage im Raume genügen drei rechtwinkelige Coordinaten; es ist also μ = 3, κ = 1⅔. Es sollen nun die Moleküle als absolut glatte undeformir- bare elastische Körper betrachtet werden; dann ist eine Aenderung der Kraftfunction der intramolekularen Kräfte aus- geschlossen; daher ε = 0. Wenn zudem jedes Molekül um seinen Schwerpunkt ab- solut symmetrisch gebaut ist, oder noch allgemeiner, wenn es die Gestalt einer Kugel hat, deren Schwerpunkt mit ihrem Mittelpunkte zusammenfällt, so kann zwar jedes Molekül be- liebige Drehungen um eine beliebige, durch seinen Mittelpunkt gehende Axe machen; allein die Geschwindigkeit dieser Drehung kann für kein einziges Molekül durch die Zusammenstösse irgendwie verändert werden. Wenn alle Moleküle anfangs [Gleich. 138] § 44. Werthe für specielle Fälle. rotationslos waren, so bleiben sie es für alle Zeiten. Hatten sie dagegen anfangs eine Drehung, so behält jedes Molekül unabhängig von allen anderen seine Drehung bei, ohne dass dieselbe je irgend eine beobachtbare Wirkung ausübt. Von den die Lage eines Moleküles bestimmenden Variabeln kommen daher für die Zusammenstösse allein die drei Coordi- naten des Schwerpunktes in Betracht und es ist wieder μ = 3, κ = 1⅔. Ueberhaupt erhält man in diesen beiden Fällen aus der Formel 118) sofort alle Formeln wieder, welche wir im I. Theile für einatomige Mole- küle entwickelten und zwar für den Fall des Fehlens äusserer Kräfte in § 7, für den Fall des Vorhandenseins solcher in § 19. Diese Formeln sind also nur specielle Fälle der Formel 118). Anders ist es, wenn die Moleküle absolut glatte, undeformir- bare elastische Körper sind, welche entweder die Gestalt von Rotationskörpern haben, die von der Kugelform verschieden sind oder zwar die Gestalt von Kugeln, aber ohne dass der Schwerpunkt mit deren Mittelpunkt zusammenfällt. Wenn sie Rotationskörper sind, die nicht Kugelgestalt haben, wird an- genommen, dass entweder ihre Masse überhaupt vollkommen symmetrisch um die Rotationsaxe angeordnet ist, oder dass diese wenigstens Hauptträgheitsaxe ist, dass der Schwerpunkt auf derselben liegt und das Trägheitsmoment des Moleküles bezüglich jeder durch den Schwerpunkt senkrecht zur Rotations- axe gelegten Geraden gleich ist. Wenn sie Kugeln mit excentrisch liegendem Schwerpunkte sind, muss ebenfalls das Trägheits- moment des Moleküles bezüglich jeder durch den Schwerpunkt senkrecht auf der Verbindungslinie von Schwerpunkt und Mittel- punkt gezogenen Geraden gleich sein. Dann wird nur die Drehung um die Rotationsaxe auf die Zusammenstösse ohne Einfluss sein. Alle anderen Drehungen werden durch die Zu- sammenstösse fortwährend verändert, so dass sich deren lebendige Kraft mit der lebendigen Kraft der Progressivbewegung ins Wärmegleichgewicht setzen muss. Zur Bestimmung der Lage eines Moleküles im Raume sind jetzt fünf Variabeln nothwendig, die drei Coordinaten seines Schwerpunktes und zwei die Lage seiner Rotationsaxe im Raume Boltzmann, Gastheorie II. 9 IV. Abschnitt. [Gleich. 138] bestimmende Winkel. Es ist also μ = 5 und da ε wieder gleich Null ist, so hat man κ = 1,4. Wenn die Moleküle absolut glatte, undeformirbare elastische Körper sind, welche aber keinen der soeben betrachteten Fälle realisiren, so wird ihre Drehung um alle möglichen Axen durch die Zusammenstösse modificirt. Es sind daher dann zur Bestimmung der Lage eines Moleküles ausser den drei Coordinaten seines Schwerpunktes noch drei die gesammte Drehung um den Schwerpunkt bestimmende Winkel nothwendig und es ist μ = 6, κ = 1⅓. § 45. Vergleich mit der Erfahrung . Es ist beachtenswerth, dass für den Quecksilberdampf, dessen Moleküle aus chemischen Gründen schon längst als einatomig betrachtet wurden, nach den Versuchen von Kundt und Warburg in der That κ sehr nahe gleich dem für ein- fache Moleküle sich ergebenden Werthe 1⅔ ist. Auch für Helion, Neon, Argon, Metargon und Krypton fand Ramsay einen nahe ebenso grossen Werth von κ . Es spricht die ge- ringe chemische Activität dieser Gase ebenfalls für die Ein- atomigkeit ihrer Moleküle. Für viele Gase mit sehr einfach gebauten zusammen- gesetzten Molekülen (vielleicht für alle, bei denen eine Ver- änderlichkeit des κ mit der Temperatur bisher nicht con- statirt werden konnte) ergiebt ferner die Beobachtung Werthe des κ , die den beiden anderen von uns gefundenen 1,4 und 1⅓ sehr nahe liegen. Damit ist freilich die Frage noch lange nicht erledigt. Für viele Gase hat κ noch kleinere Werthe; ausserdem fand Wüllner , dass oft und zwar gerade für diese letzteren Gase κ mit der Temperatur stark veränderlich ist. Eine Veränderlichkeit des κ mit der Temperatur ergiebt sich aus unserer Theorie ebenfalls im Allgemeinen, sobald auch die Kraftfunction V der intra- molekularen Kräfte, welche zwischen den Bestandtheilen eines Moleküles wirken, von Einfluss ist; doch ist leicht zu ersehen, dass auch hiermit die Theorie des Verhältnisses der specifischen Wärmen nicht erschöpft sein kann. Wenn die Moleküle rund um ihren Mittelpunkt herum [Gleich. 138] § 45. Vergleich mit der Erfahrung. symmetrisch mit Masse erfüllte Kugeln sind, so ist freilich keine Möglichkeit vorhanden, dass sie durch die Zusammen- stösse in irgend eine Rotation versetzt werden können, noch dass ihnen eine Rotation, die sie einmal besitzen, genommen werden kann. Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass sie wirklich durch alle Ewigkeit rotationslos oder mit der gleichen Rotation begabt bleiben. Weit mehr hat die Annahme für sich, dass sie diese Beschaffenheit nur mit sehr grosser Annäherung besitzen, so dass sich ihr Rotationszustand bloss innerhalb der Zeit, welche auf Bestimmung der specifischen Wärme verwendet wird, nicht erheblich verändert, während sich dieser Rotations- zustand doch im Verlaufe einer sehr langen Zeit mit der übrigen Molekularbewegung ausgleicht, und zwar so langsam, dass sich der dabei stattfindende Energieaustausch unserer Beobachtung entzieht. Analog kann man dann annehmen, dass in den Gasen, für welche κ = 1,4 ist, die Bestandtheile der Moleküle keineswegs zu absolut undeformirbaren Körpern verbunden sind, dass viel- mehr diese Verbindung bloss eine so innige ist, dass innerhalb der zur Beobachtung der specifischen Wärme aufgewendeten Zeit die Schwingungen dieser Bestandtheile gegen einander sich nicht merklich ändern und erst in späterer Zeit sich so langsam ins Wärmegleichgewicht mit der Progressivbewegung setzen, dass dieser Vorgang nicht mehr der Beobachtung zu- gänglich ist. Jedenfalls müssen für Luft bei Temperaturen, wo sie merklich Wärme auszustrahlen beginnt, ausser den fünfen noch andere den Zustand eines Moleküles bestimmende Variabeln sich in der auf die Beobachtungen verwendeten Zeit am Wärme- gleichgewichte betheiligen, so dass κ mit der Temperatur ver- änderlich und kleiner als 1,4 wird und muss Gleiches für alle anderen Gase gelten. Natürlich sind bei der Verborgenheit der Natur der mole- kularen Vorgänge alle Hypothesen über die Natur derselben mit der grössten Reserve auszusprechen. Experimentell würde die hier vorgebrachte Hypothese eine Bestätigung finden, wenn es sich zeigen würde, dass bei jenen Gasen, bei denen κ mit der Temperatur veränderlich ist, Beobachtungen, die eine längere Zeit in Anspruch nehmen, einen kleineren Werth von κ liefern würden, als kürzer dauernde. 9* IV. Abschnitt. [Gleich. 138] Trotz des Auftretens einer Kraftfunction der intramole- kularen Kräfte bleibt κ in dem Falle von der Temperatur un- abhängig, dass die Bestandtheile der Moleküle gewisse relative Ruhelagen haben und die bei ihrer Entfernung aus den Ruhe- lagen auftretenden Kräfte lineare Functionen jener Entfernungen sind. Wenn dann λ die Anzahl der Variabeln ist, von denen die relative Lage der Bestandtheile eines Moleküles abhängt, so können immer die Coordinaten so gewählt werden, dass die Kraftfunction die Form annimmt: . Die Grösse soll dann die der Coordinate p i entsprechende potentielle intramolekulare Energie heissen. Ihr Mittelwerth kann genau so berechnet werden, wie wir soeben den Mittel- werth der Grösse berechnet haben und ergiebt sich ebenfalls gleich 1/4 h für jedes i . Daher wird: V ̅ = v /4 h , S ̅: V ̅ = 3 : λ . Da diese Gleichungen vollkommen analog den Gleichungen 135) sind, so wird d Q 6 = ⅓ λ d Q 3 , daher ε = ⅓ λ , . Vergl. Staigmüller , Wied. Ann. 65, S. 655, 1898 und Fussnote zu S. 126 und 127 des vorliegenden Buches. Als Beispiel betrachten wir den Fall, dass jedes Molekül aus zwei einfachen materiellen Punkten oder aus zwei um ihren Mittelpunkt herum vollkommen symmetrisch mit Masse erfüllten, absolut glatten Kugeln besteht. Dieselben sollen in einer be- stimmten Entfernung keine Kräfte auf einander ausüben, in grösseren Entfernungen aber eine Anziehung, in kleineren eine Abstossung, welche jedesmal der Entfernungsänderung pro- portional sind. Dann ist diese Entfernung die einzige die relative Lage bestimmende Coordinate, daher λ = 1. Zur Bestimmung der absoluten Lage im Raume sind ausser- dem noch fünf Coordinaten erforderlich. Die Gesammtzahl μ der p oder der Freiheitsgrade ist daher sechs und es wird κ = 1 2/7 = 1,2857. [Gleich. 138] § 46. Andere Mittelwerthe. Die Betrachtung weiterer specieller Fälle wäre nicht schwierig, scheint mir aber überflüssig, so lange nicht um- fassenderes experimentelles Material vorliegt. § 46. Andere Mittelwerthe . Wir haben im Vorhergehenden denjenigen Mittelwerth der durch ein Momentoid bedingten lebendigen Kraft berechnet, welchen wir erhalten, wenn wir aus allen Werthen, die bei allen Molekülen einer bestimmten Gattung im Gefässe vor- kommen, das Mittel nehmen. Dieser Mittelwerth ändert sich nicht, wenn wir zugleich einer oder mehrerer der Coordinaten be- liebige Beschränkungen auferlegen, wenn wir z. B. nur aus den- jenigen Werthen das Mittel nehmen, welche an allen Molekülen dieser Art vorkommen, deren Schwerpunkte innerhalb eines beliebig kleinen Gebietes ∫ ∫ ∫ d P 1 d P 2 d P 3 liegen: die Tem- peratur ist an allen Stellen des Gases dieselbe. Dieser Satz, welcher selbstverständlich ist, wenn keine äusseren Kräfte wirken, gilt auch bei Wirksamkeit beliebiger äusserer Kräfte. Die betreffenden Mittelwerthe ändern sich ebenso wenig, wenn wir nur jene Moleküle ins Mittel einbeziehen, bei denen auch noch andere der Coordinaten in beliebige endliche oder sehr nahe Grenzen eingeschlossen sind. Der betreffende Mittel- werth wird dann wieder genau durch die Formel 133) gegeben; nur dass die Integration nicht über alle Werthe der Coordi- naten, sondern bloss über die gegebenen, für den Zähler und Nenner natürlich gleichen Gebiete zu erstrecken ist. Es kann dann ganz wie im § 42 im Zähler und Nenner der ganze Factor, welcher bei dem nach d r i zu nehmenden Integrale steht, vor das Integralzeichen kommen und nach Ausführung der Integration nach r i im Zähler und Nenner damit weg- dividirt werden, wodurch man wie dort für das Integrale den Werth ¼ h erhält. Wenn die α constant sind, so ist, wie die Formel 132) zeigt, die relative Wahrscheinlichkeit, dass der Werth irgend eines Momentoides zwischen irgend welchen Grenzen liegt und dass er zwischen irgend welchen anderen Grenzen liegt, ganz unabhängig von der Lage des Moleküles im Raume und der relativen Lage seiner Bestandtheile. Wir wollen diesen Satz, IV. Abschnitt. [Gleich. 140] den wir später benutzen werden, den Satz S nennen. Der Fall, auf den er sich bezieht, tritt ein, wenn unter den r den Ge- schwindigkeitscomponenten materieller Punkte oder den Winkel- geschwindigkeiten eines starren Körpers um dessen Hauptträg- heitsaxen proportionale Grössen verstanden werden. Für diejenige Gasart, auf welche sich die Formel 129) bezieht, findet man die Anzahl d n' der Moleküle, für welche bloss die Werthe der Coordinaten zwischen den Grenzen 130) liegen, ohne dass die Werthe der Momente irgend einer be- schränkenden Bedingung unterworfen sind, indem man die Formel 129) bezüglich aller r von — ∞ bis + ∞ integrirt. Es ergiebt sich in dieser Weise 139) . Der Mittelwerth V̅ der Kraftfunction ist ∫ V d n'/∫ d n' , wo die Integrationen über alle möglichen Werthe der Coordinaten zu erstrecken sind. Die Anzahl der Moleküle, für welche die Coordinaten in irgend einem μ fach unendlich kleinen Gebiete F liegen, ver- hält sich daher zur Anzahl der Moleküle, für welche sie in einem ebenfalls μ fach unendlich kleinen Gebiete F' liegen, und zwar ohne Beschränkung bezüglich der Werthe der Mo- mente wie 140) , wobei die Buchstaben ohne Striche die Werthe für das Ge- biet F , die mit Strichen die für das Gebiet F' bedeuten und auch das erste Integrale über das erstere, das zweite über das letztere Gebiet zu erstrecken ist. Wenn gar keine intramolekularen und äusseren Kräfte thätig sind und die Moleküle aus lauter einfachen materiellen Punkten bestehen, so ist dies das Verhältniss der Producte der Volumina aller Volumelemente, welche den materiellen Punkten im Gebiete F zur Verfügung stehen, zum analogen Producte [Gleich. 140] § 47. Betrachtung der Molekularstösse. für das Gebiet F' . Dann sind die Exponentiellen gleich 1 und es ist also stets gleich dem Verhältnisse dieser Producte von Volum- elementen. § 47. Betrachtung der gerade in Wechselwirkung begriffenen Moleküle . Wir sind in den letzten Paragraphen immer von For- mel 129) ausgegangen, d. h. wir haben vorausgesetzt, dass die Wechselwirkung zweier Moleküle so kurze Zeit dauert, dass wir bei Berechnung der Mittelwerthe diejenigen Moleküle, welche augenblicklich gerade mit anderen in Wechselwirkung stehen, vernachlässigen dürfen. Doch gelten die in diesem und dem vorigen Paragraphen entwickelten Sätze auch von den gerade in Wechselwirkung begriffenen Molekülen. Wir wollen z. B. alle Paare von Molekülen im Gase betrachten, bei denen das eine Molekül der ersten, das andere der zweiten Gattung angehört und für welche die Coordinaten beider Mole- küle innerhalb irgend eines ( μ + ν ) fach unendlich kleinen Ge- bietes D liegen, ohne dass den Momentoiden irgend eine Be- dingung auferlegt ist. Falls keine äusseren Kräfte wirken, kann natürlich wieder das Gebiet für den Schwerpunkt des einen der Moleküle über das ganze Innere des Gefässes erstreckt werden. Für die Anzahl dieser Molekülpaare finden wir, indem wir den Ausdruck 127), in den wir vorher die r statt der q einführen, bezüglich aller r integriren, den Ausdruck: . Hierbei ist V die Kraftfunction der intramolekularen und äusseren Kräfte für das erste, V 1 für das zweite Molekül. ψ ist die Kraftfunction der Wechselwirkungskräfte. Die Summe be- zieht sich auf alle Momentoide beider Moleküle. Das Integrale nach den p ist bezüglich der Coordinaten beider Moleküle über das Gebiet D , das nach den r aber über alle möglichen Werthe dieser Variabeln, also bezüglich jedes r von — ∞ bis IV. Abschnitt. [Gleich. 142] + ∞ zu erstrecken. Die Ausführung der Integration nach den r liefert 141) . Man kann nun für alle Moleküle erster Gattung, welche in allen denjenigen Molekülpaaren vorkommen, deren Gesammtzahl mit d N bezeichnet wurde, den Mittelwerth der durch eines der Momentoide bedingten lebendigen Kraft ½ α i berechnen. Der- selbe ergiebt sich wieder gleich ¼ h . Ich will die ausführ- lichen Formeln, aus denen dies folgt, gar nicht anschreiben, da sie ganz analog den entsprechenden Formeln sind, die wir im § 42 für ein Molekül entwickelt haben. Für alle diese Molekülpaare ist die mittlere lebendige Kraft der Bewegung des Schwerpunktes je eines Molekülpaares ebenfalls wieder gleich ¾ h . Ich will nur noch einen Satz ableiten, den wir in der Theorie der Dissociation der Gase brauchen werden. Wir wollen ausser dem soeben mit D bezeichneten Gebiete noch ein beliebiges anderes ( μ + ν ) fach unendlich kleines Gebiet D' für die Coordinaten beider Moleküle betrachten und alle auf dieses zweite Gebiet Bezug habenden Werthe der Variabeln mit einem Striche bezeichnen, so dass also jetzt die p' nicht die Ab- leitungen nach der Zeit, sondern andere Werthe der p be- deuten. Die Anzahl der Moleküle, von denen das eine der ersten, das andere der zweiten Gattung angehört und für welche die Variabeln im Gebiete D' liegen, ohne dass die Werthe der Momentoide irgendwie beschränkt sind, ist entsprechend der Formel 141) . Es ist also 142) . [Gleich. 142] § 47. Betrachtung der Molekularstösse. Diese Formel, sowie die Formel 140) sind nichts als durch ihre Einfachheit und Symmetrie bemerkenswerthe Verall- gemeinerungen der Formel 167) S. 136 des I. Theiles, ja der ganz trivialen Formel für das barometrische Höhenmessen, nach welcher sich ja auch in verschiedenen Höhen z die auf die Volumeinheit entfallenden Molekülzahlen, wie verhalten. Da dieselbe Formel den Druck des gesättigten Dampfes und die Gesetze der Dissociation zu berechnen er- laubt (vergl. §§ 60 und 62—73), so muss sie als eine der Fundamentalformeln der Gastheorie bezeichnet werden. Wenn ohne Aenderung aller anderen Umstände die Molekülpaare, weder wenn die Werthe im Gebiete D , noch wenn sie im Gebiete D' liegen, eine Wechselwirkung auf ein- ander ausüben würden, so hätte man denselben Ausdruck für den Quotienten , nur dass darin ψ = ψ' = 0 zu setzen wäre. Wenn es daher gelungen ist, für diesen letzteren Fall das Verhältniss zu berechnen, so kann man daraus den Werth, welchen dieses Verhältniss annimmt, wenn irgend eine Wechselwirkung stattfindet, erhalten, indem man den für den Fall des Fehlens der Wechselwirkung berechneten Werth von d N'/d N mit e — 2 h ( ψ' — ψ ) multiplicirt; daher mit e — 2 h ψ' , wenn nur im Gebiete D' einmal Wechselwirkung stattfindet, das andere Mal nicht, im Gebiete D aber in beiden Fällen keine Wechselwirkung Platz greift. Man kann das Verhältniss d N' / d N auch als die relative Wahrscheinlichkeit der beiden Ereignisse bezeichnen, dass für ein Molekülpaar die Werthe der Variabeln im Gebiete D' oder im Gebiete D liegen. Ein ganz analoger Satz gilt, wie sich leicht zeigen lässt, auch für die Wechselwirkung von mehr als zwei Molekülen. Die relative Wahrscheinlichkeit zweier Constellationen derselben ist e — 2 h ( ψ' — ψ ) mal so gross, wenn für beide Moleküle Wechsel- wirkung stattfindet, als wenn solche fehlt, wobei ψ und ψ' die Werthe der Kraftfunction der Wechselwirkungskräfte für beide Constellationen sind. V. Abschnitt. [Gleich. 142] V. Abschnitt. Ableitung der van der Waals’schen Gleichung mittelst des Virialbegriffes. § 48. Präcisirung der Punkte, wo van der Waals’ Schlussweise der Ergänzung bedarf . Wir sind im I. Abschnitte bei Ableitung der Waals ’schen Gleichungen im Allgemeinen der Methode gefolgt, nach welcher sie dieser selbst zuerst begründete und welche sich durch grosse Einfachheit und Anschaulichkeit auszeichnet. Es wurde jedoch schon in der Anmerkung auf S. 14 bemerkt, dass sie vielleicht nicht vollkommen einwurfsfrei ist. Es könnte zunächst die Annahme in Zweifel gezogen werden, welche wir in § 3 und auch noch später gemacht haben, dass sowohl im ganzen Gefässe, als auch in dem nahe der Grenze des Gasraumes liegenden Cylinder, den wir dort den Cylinder γ nannten, jedes Volumelement als Ort für den Mittelpunkt eines Moleküles gleich wahrscheinlich ist, ob dessen Entfernung vom Mittelpunkte eines anderen Moleküles nur wenig grösser als σ ist, oder ob es von allen anderen Mole- külen viel weiter entfernt ist. Falls ausser den Stosskräften keine anderen Kräfte thätig sind, folgt die Richtigkeit dieser Annahme allerdings unmittel- bar aus der Gleichung 140), in welcher dann V constant ist, so dass sie also die durchschnittliche Anzahl der in gleichen Volumelementen enthaltenen Molekülmittelpunkte überall gleich liefert. Dagegen wird die Waals ’sche Cohäsionskraft im Innern der Flüssigkeit eine dichtere Anordnung der Moleküle als in der unmittelbaren Nähe der Wand bewirken, was jedoch van der Waals weder bei Ableitung des Ausdruckes der Stösse auf die Wand, noch bei Berechnung der Abhängigkeit des Gliedes a/v 2 von der Dichte des Gases berücksichtigt. [Gleich. 142] § 48. Ergänzung zu Waals’ Schlussweise. In beiden Fällen ist aber gerade die Betrachtung von an der Grenze des Gases liegenden Volumelementen wesentlich und verschwindet die ganze zu berechnende Grösse um so mehr, je mehr die der Oberfläche anliegenden Theilchen gegen die im Innern liegenden verschwinden. Es kann also nicht, wie dies bei den Formeln dieses Abschnittes der Fall sein wird, die Genauigkeit dadurch beliebig erhöht werden, dass man das Volumen gegenüber der Oberfläche beliebig vermehrt denkt. Van der Waals berechnet die durch die endliche Aus- dehnung des starren Kernes der Moleküle bedingte Correction des Boyle-Charles ’schen Gesetzes, so wie es im I. Abschnitte auseinandergesetzt wurde, gerade so, als ob die Cohäsionskraft nicht vorhanden wäre, das vermöge der Cohäsionskraft zum äusseren Drucke hinzukommende Glied aber wieder, als ob die Moleküle verschwindend klein wären. Da die Berechtigung hiervon bezweifelt werden könnte, so werden wir noch eine zweite Ableitung der Waals ’schen Formel aus der Theorie des Virials, das übrigens van der Waals ebenfalls schon beizog, geben, gegen welche dieser Einwand nicht gemacht werden kann. Diese zweite Ableitung zeigt, dass van der Waals Schlussweise vollkommen berechtigt ist. Doch können wir in exacter Weise natürlich nicht den in der Waals ’schen Formel vorkommenden reciproken Werthes von v — b erhalten, welcher von van der Waals selbst als nicht exact bezeichnet wird; wir erhalten vielmehr eine nach Potenzen von b/v fort- schreitende unendliche Reihe. § 49. Allgemeiner Begriff des Virials . Der Begriff des Virials wurde von Clausius in die Gas- theorie eingeführt. Es sei eine beliebige Anzahl von materiellen Punkten gegeben. m h sei die Masse eines derselben, x h , y h , z h , c h , u h , v h , w h seien seine rechtwinkeligen Coordinaten, seine Geschwindigkeit und deren Componenten nach den Coordinaten- axen zu irgend einer Zeit t ; ξ h , η h , ζ h seien die Componenten der Gesammtkraft, welche zur selben Zeit auf diesen materiellen Punkt wirkt. Die wirkenden Kräfte sollen so beschaffen sein, dass sich sämmtliche materielle Punkte eine beliebig lange Zeit hindurch unter ihrem Einflusse bewegen können, ohne V. Abschnitt. [Gleich. 142] dass je weder irgend eine Coordinate noch irgend eine Ge- schwindigkeitscomponente eines derselben ins Unendliche wächst und die Anfangsbedingungen sollen solche sein, dass dies wirk- lich stattfindet. Wie lange man auch die Bewegungszeit wählen mag, so soll doch der Absolutwerth jeder der Coordinaten und Geschwindigkeitscomponenten kleiner bleiben, als eine be- stimmte endliche Grösse, welche für die Coordinaten den Werth E , für die Geschwindigkeitscomponenten den Werth ε haben mag. Solche Bewegungen, zu denen offenbar alle zu den Wärmeerscheinungen Anlass gebenden Molekularbewegungen in endlich ausgedehnten Körpern gehören, wollen wir endlich bleibende nennen. Sei nun G der Werth irgend einer Grösse zu einer be- stimmten Zeit t , so nennen wir wie bisher die Grösse das Zeitmittel der Grösse G während der Bewegungszeit τ . Vermöge der Bewegungsgleichungen der Mechanik ist: . Daher . Multiplicirt man diese Gleichung mit d t , integrirt über eine beliebige Zeit (von Null bis τ ) und dividirt schliesslich durch τ , so folgt: , wobei durch den oberen Index τ die Werthe zur Zeit τ , durch den oberen Index Null aber die zur Zeit Null charakterisirt sind. Vermöge des Charakters der Bewegung als einer end- lich bleibenden ist kleiner als 2 m h E ε . Lässt man die Zeit τ der ganzen Be- wegung über jede Grenze hinaus wachsen, so bleibt 2 m h E ε endlich; es nähert sich daher der Ausdruck 2 m h E ε/τ mit [Gleich. 144] § 49. Allgemeiner Begriff des Virials. wachsendem τ der Grenze Null. Nimmt man daher die Mittel- werthe für eine genügend lange Zeit der Bewegung, so wird: . Analoge Gleichungen erhält man für alle Coordinatenrichtungen und alle materiellen Punkte. Addirt man sie alle, so folgt: 143) . ist die lebendige Kraft L des Systems. Den Ausdruck å( x h ξ h + y h η h + z h ζ h ) nennt Clausius das Virial der auf das System wirkenden Kräfte. Obige Gleichung besagt also, dass das doppelte Zeit- mittel der lebendigen Kraft gleich dem negativen Zeitmittel des Virials des Systems während einer sehr langen Zeit ist. Wir nehmen nun an, dass zwischen je zwei materiellen Punkten m h und m k , deren Entfernung r h k sei, eine in die Richtung von r h k fallende Kraft f h k ( r h k ) wirkt, welche wir die innere Kraft nennen und mit positivem Zeichen versehen, wenn sie eine abstossende, mit negativem Zeichen, wenn sie eine an- ziehende ist. Ausserdem soll noch auf jeden materiellen Punkt m h eine äussere Kraft wirken, welche von ausserhalb des Punktsystems liegenden Ursachen herrührt und deren Compo- nenten nach den Coordinatenrichtungen wir mit X h , Y h und Z h bezeichnen. Dann ist Man sieht leicht Am einfachsten, indem man das Virial jeder zwischen je zwei materiellen Punkten wirkenden Kraft, sowie das der äusseren Kräfte separat berechnet und bedenkt, dass bei gleichzeitiger Wirkung mehrerer Kräftesysteme das Virial gleich der Summe derjenigen Viriale ist, welche jedem Kraftsysteme einzeln zukämen, da ja die ξ h , η h , ζ h linear im Aus- drucke für das Virial enthalten sind. , dass dann die Gleichung 143) übergeht in: 144) . Der erste Addend ist das doppelte Zeitmittel der lebendigen Kraft L des ganzen Systems. Der zweite soll das äussere und V. Abschnitt. [Gleich. 146] der dritte das innere Virial heissen. Die beiden Viriale sollen mit W a und W i bezeichnet werden, so dass also die Gleichung 144) übergeht in 145) 2 L̅ + W a + W i = 0. § 50. Virial des auf ein Gas wirkenden äusseren Druckes . Wir betrachten als speciellen Fall ein im Gleichgewichte befindliches Gas, dessen Moleküle sich genau den im I. Ab- schnitte auseinandergesetzten Annahmen van der Waals ’ ge- mäss verhalten. Dasselbe sei in einem beliebigen Gefässe vom Volumen V eingeschlossen; es bestehe aus n gleich be- schaffenen Molekülen von der Masse m und dem Durch- messer σ , das mittlere Geschwindigkeitsquadrat eines Moleküls sei . Dann ist: 146) . Es sollen keine anderen äusseren Kräfte wirken, als der auf dem Gefässe lastende Druck, dessen Intensität bezogen auf die Flächeneinheit gleich p sei. Das Gefäss habe zunächst die Gestalt eines Parallelepipedes von den Kanten α , β , γ , von denen drei zusammenstossende der Reihe nach als x -, y - und z -Axe gewählt werden sollen. Die beiden Seitenflächen des selben vom Flächeninhalte β γ sollen die Abscissen Null, resp. α haben. Auf dieselben wirken in der Richtung der positiven Abscissenaxe die Druckkräfte p β γ , resp. — p β γ . Für diese beiden Seitenflächen zusammen hat daher die Summe å x h X h den Werth — p α β γ = — p V . Da das Gleiche auch für die beiden anderen Coordinatenrichtungen gilt, so ist für das ganze Gas: å( x h X h + y h Y h + z h Z h ) = — 3 p V . Dies ist, da die Druckkräfte mit der Zeit nicht veränderlich sind, zugleich auch der Mittelwerth dieser Grösse, also das äussere Virial W a . Dieselbe Gleichung lässt sich leicht auch für ein beliebig gestaltetes Gefäss beweisen. Sei d ω ein Flächenelement der [Gleich. 147] § 50. Virial d. Druckes. § 51. Stossende Molekülpaare. Projection ω der Gefässoberfläche auf die y z -Ebene und K der über d ω aufstehende, senkrecht beiderseits ins Unendliche ge- zogene Cylinder. Dieser Cylinder schneide aus der Gefäss- oberfläche der Reihe nach die Oberflächenelemente d o 1 , d o 2 … aus, deren Abscissen x 1 , x 2 … und deren in den Innenraum des Gases gezogene Normalen N 1 , N 2 … seien. Die x -Com- ponente der auf d o 1 wirkenden Druckkraft ist: p d o 1 cos ( N 1 x ) = p d ω . Dieselbe x -Componente hat für das Flächenelement d o 2 den Werth p d o 2 cos ( N 2 x ) = — p d ω u. s. f. Die Summe å x h X h , erstreckt über alle innerhalb des Cylinders K liegenden Oberflächenelemente, hat also den Werth: — p d ω ( x 2 — x 1 + x 4 — x 3 + …) Der Factor der Grösse — p ist genau das vom Cylinder K aus dem Innern des Gefässes herausgeschnittene Volumen. Die Summe å x h X h über das ganze Gas erstreckt findet man, indem man diesen Ausdruck über alle Flächenelemente d ω der gesammten Projection ω integrirt, wodurch sich das Pro- duct des gesammten Volumens V des Gases in die Grösse — p ergiebt. Da dieselben Betrachtungen auch auf die y - und z -Axe anwendbar sind, so folgt wieder: 147) å( x h X h + y h Y h + z h Z h ) = — 3 p V = W a . § 51. Wahrscheinlichkeit des Vorkommens von Molekül- paaren mit gegebener Centraldistanz . Das innere Virial wird aus zwei Theilen bestehen, von denen der erste W' i von den während des Stosses zweier Mole- küle thätigen Kräften, der zweite W″ i von den von van der Waals angenommenen Anziehungskräften herrührt. Um W' i zu finden, bezeichnen wir, wie früher, mit σ den Durchmesser eines Moleküles und nennen eine um den Mittel- punkt eines Moleküls mit dem Radius σ beschriebene Kugel V. Abschnitt. [Gleich. 147] dessen Deckungssphäre, so dass das Volumen der Deckungs- sphäre achtmal so gross ist, als das Volumen des Moleküles selbst. Der Mittelpunkt eines zweiten Moleküles kann sich dann dem Mittelpunkte unseres Moleküles nicht weiter als bis zur Entfernung σ nähern und wir wollen zunächst die Wahr- scheinlichkeit berechnen, dass der Mittelpunkt eines bestimmten hervorgehobenen Moleküles von dem Mittelpunkte eines der anderen Moleküle, welche wir, um einen präcisen Namen zu haben, die restirenden Moleküle nennen wollen, einen Abstand hat, der zwischen σ und σ + δ liegt, wobei δ noch unendlich klein gegenüber σ sein soll. Um den Begriff der Wahrscheinlichkeit möglichst ein- wurfsfrei fassen zu können, denken wir uns dasselbe Gas un- endlich oftmal ( N mal) in lauter gleichbeschaffenen und an verschiedenen Stellen des Raumes befindlichen Gefässen vor- handen. Unser hervorgehobenes Molekül wird in jedem dieser N Gase im Allgemeinen sich an einer anderen Stelle des Gefässes befinden. Von allen N Gasen seien in N 1 Gasen die restirenden Moleküle sehr nahe in derselben relativen Lage gegen das Gefäss. N 1 ist dann sehr klein gegenüber N , soll aber noch immer eine sehr grosse Zahl sein. Der Einfluss der Wände auf das Innere kann jedenfalls um so kleiner gemacht werden, je grösser man das Gefäss wählt und im Inneren heben sich die auf ein Molekül nach allen Rich- tungen wirkenden Waals ’schen Cohäsionskräfte auf. Daher werden nach Gleichung 140) für den Mittelpunkt des hervor- gehobenen Moleküles in allen diesen N 1 Gasen alle möglichen Stellen im Gefässe gleich wahrscheinlich sein. Es wird also die Gesammtzahl N 1 dieser Gase sich zur Zahl N 2 derselben, in denen der Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles von einem der restirenden eine Entfernung hat, die zwischen σ und σ + δ liegt, sich so verhalten, wie der Gesammtraum, der in einem der N 1 Gase dem Mittelpunkte des hervorgehobenen Moleküles zur Verfügung steht, zum Raume, in dem sich dieser Mittelpunkt befinden muss, damit seine Entfernung vom Mittel- punkte eines der restirenden Moleküle zwischen σ und σ + δ liege. Letzteren Raum wollen wir den günstigen nennen. Da in allen N 1 Gasen der Mittelpunkt jedes der restiren- den Moleküle eine gegebene Position hat und da ihm der [Gleich. 148] § 51. Stossende Molekülpaare. Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles nicht näher als in die Entfernung σ kommen darf, so erhalten wir den für den Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles in einem dieser Gase überhaupt verfügbaren Raum, indem wir vom ganzen Volumen V des Gases das Volumen der Deckungssphären aller restirenden Moleküle, also die Grösse abziehen. Da wir die Einheit gegen n vernachlässigen können, so ist der gesammte für den Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles in einem der N 1 Gase verfügbare Raum 148) . Das negative Glied ist das gesammte Volumen aller im Volumen V enthaltenen Deckungssphären oder das achtfache Volumen der im Volumen V enthaltenen Moleküle. Es soll klein gegenüber V sein und wir bezeichnen den Grad seiner Klein- heit gegenüber V als Kleinheit erster Ordnung. Um den günstigen Raum zu finden, construiren wir um den Mittel- punkt jedes der restirenden Moleküle eine Kugelschale, welche zwischen zwei Kugelflächen eingeschlossen ist, deren Mittel- punkt mit dem Mittelpunkte des Moleküles zusammenfällt und deren Radien gleich σ resp. σ + δ sind. Die Summe der Volumina aller dieser Kugelschalen ist der günstige Raum. Man findet für denselben den Betrag Δ = 4 π ( n — 1) σ 2 δ , wofür wir auch schreiben können Δ = 4 π n σ 2 δ . In erster Annäherung dürfen wir im Ausdrucke 148) das negative Glied vernachlässigen und es ist also das Verhältniss des günstigen zum überhaupt verfügbaren Raume 4 π n σ 2 δ/V . Es wird also in 4 π n σ 2 N 1 δ/V Boltzmann, Gastheorie II. 10 V. Abschnitt. [Gleich. 149] von unseren N 1 Gasen der Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles sich von dem eines restirenden Moleküles in einer Entfernung befinden, die zwischen σ und σ + δ liegt. Da aber der Zustand unserer N 1 Gase doch auch wieder vollständig beliebig gewählt war, so gilt dasselbe auch von allen N Gasen. In 4 π n σ 2 N δ/V derselben wird der Mittelpunkt des hervor- gehobenen Moleküles die besprochene Eigenschaft haben. Da dasselbe auch von allen anderen Molekülen gilt, so werden sich in allen N Gasen im Ganzen 4 π n 2 σ 2 N δ/V Moleküle befinden, deren Mittelpunkte vom Mittelpunkte irgend eines anderen Moleküles eine Entfernung haben, die zwischen σ und σ + δ liegt. In jedem Gase werden daher 4 π n 2 σ 2 δ/V Moleküle diese Bedingung erfüllen und die Anzahl der in einem Gase vorkommenden Molekülpaare, für welche die Central- distanz zwischen σ und σ + δ liegt, ist 149) 2 π n 2 σ 2 δ/V . Will man aber auch die Glieder berücksichtigen, welche klein von der nächst höheren Ordnung sind, so hat man nicht nur statt V den Ausdruck 148) zu substituiren, sondern man hat auch im Zähler eine Correction anzubringen. Δ war das gesammte Volumen aller Kugelschalen von der Dicke δ , welche wir um die Mittelpunkte aller restirenden Moleküle construirt hatten. Dieses Volumen ist nicht ganz als günstiges Volumen anzurechnen. Es können sich nämlich die Deckungssphären zweier Moleküle theilweise durchschneiden. Dann liegt ein Theil einer solchen Kugelschale innerhalb der Deckungssphäre eines anderen Moleküles, ist also als Ort für den Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles nicht verfügbar und muss von dem günstigen Raume Δ abgezogen werden. Streng genommen hätten wir den Umstand, dass zwei Deckungssphären in einander greifen können, auch bei Berechnung des Raumes Γ berück- sichtigen sollen, den wir von V abgezogen haben, um den über- haupt verfügbaren Raum zu finden; allein man sieht sofort, dass wir dadurch ein Glied erhalten hätten, welches unendlich [Gleich. 149] § 51. Stossende Molekülpaare. klein zweiter Ordnung im Vergleiche mit dem ersten als Addenden danebenstehenden Gliede V ist und daher jetzt, wo wir nur die kleinen Glieder erster Ordnung berücksichtigen, zu ver- nachlässigen ist. Die Grösse δ/σ soll klein von weit höherer Ordnung als σ 3 / V sein. Daher können alle δ 2 enthaltenden Glieder also die Fälle, wo unter den restirenden Molekülen zwei oder mehr Kugelschalen von der Dicke δ in einander greifen, vernachlässigt werden und es braucht auch weder das gleichzeitige Ineinandergreifen dreier Deckungssphären noch die Wechselwirkung dreier Moleküle berücksichtigt zu werden. Wir wollen nun das Correctionsglied der Grösse Δ berech- nen. Die Deckungssphären zweier Moleküle durchdringen sich, wenn die Entfernung ihrer Mittelpunkte zwischen σ und 2 σ liegt. Sei r eine zwischen diesen Grenzen liegende Länge, so ist analog der Formel 149) die Anzahl der in einem der Gase vorkommenden Molekülpaare, deren Mittelpunkte eine Ent- fernung haben, welche zwischen r und r + d r liegt, gleich: ν = 2 π n 2 r 2 d r/V . Unter der Deckungssphäre verstanden wir eine um das Molekülcentrum mit dem Radius σ geschlagene Kugelfläche. Da σ \< r \< 2 σ ist, so greifen für alle diese ν Molekülpaare die Deckungssphären in einander und zwar zeigt eine leichte Rechnung, dass für jedes solche Molekülpaar derjenige Theil der Oberfläche der einen Deckungssphäre, welche innerhalb der zweiten liegt, gleich π σ (2 σ — r ) ist. Ueber der ganzen Deckungssphäre liegt eine Kugelschale von Dicke δ . Derjenige Theil dieser Kugelschale, welcher innerhalb der Deckungs- sphäre des anderen Moleküles liegt, also nicht als Ort für den Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles verfügbar ist, hat also das Volumen: π σ (2 σ — r ) δ . Ein gleicher Theil der mit dem anderen Moleküle des Molekülpaares verbundenen Kugel- schale liegt innerhalb der Deckungssphäre des ersten Moleküles des Paares und ist also ebenfalls nicht verfügbar. Von den beiden Kugelschalen des Molekülpaares ist also das Volumen 2 π σ (2 σ — r ) δ als für den Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles nicht verfügbar abzuziehen. Für alle ν Paare aber ist der Raum 10* V. Abschnitt. [Gleich. 150] abzuziehen. Da r alle Werthe zwischen σ und 2 σ anzunehmen im Stande ist, so ist das gesammte Volumen, welches von allen Kugelschalen abzuziehen ist, gleich: . Das gesammte Volumen aller in einem Gase befindlichen Kugelschalen war: Δ = 4 π n σ 2 δ . Daher bleibt als günstiges Volumen, d. h. als Volumen innerhalb dessen der Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles liegen kann, wenn seine Ent- fernung von dem Mittelpunkte eines der restirenden Moleküle zwischen σ und σ + δ eingeschlossen ist, der Betrag: . Der Quotient dieses Betrages und des gesammten verfügbaren Volumens , welcher, da wir die Glieder zweiter Ordnung nicht berück- sichtigen, in der Form geschrieben werden kann, giebt die Wahrscheinlichkeit, dass der Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles von einem anderen Moleküle eine Entfernung hat, die zwischen σ und σ + δ liegt. Die weiteren Schlüsse bleiben wie früher. Der letzte Ausdruck liefert mit ½ n multiplicirt in einem beliebig gewählten Zeitmomente die Anzahl der Molekülpaare eines Gases, bei denen die Mittelpunkte der beiden Moleküle eine Entfernung haben, welche zwischen σ und σ + δ liegt. Die Anzahl dieser Molekülpaare ist also: 150) . Die Anzahl der Moleküle, aus denen diese Paare gebildet sind, ist natürlich doppelt so gross. [Gleich. 151] § 52. Endliche Molekülgrösse. § 52. Virial, das von der endlichen Ausdehnung der Moleküle herrührt . Wir können hieraus das mittlere Virial in verschie- dener Weise bestimmen. Am einfachsten ist es, von der Formel 142) § 47 Gebrauch zu machen. Wir ersetzen da die Elasticität der Moleküle durch eine Abstossungskraft f ( r ) ihrer Mittelpunkte, welche eine Function der Entfernung r derselben ist, für r ≧ σ verschwindet und sobald r nur etwas kleiner als σ wird, sofort über alle Grenzen wächst. Eine solche Ent- fernung der Mittelpunkte zweier Moleküle, welche nur sehr wenig kleiner als σ ist, soll von jetzt ab mit r bezeichnet werden. Würde die Abstossung erst für Entfernungen beginnen, die ein wenig kleiner als r sind, so wäre die Zahl der Molekül- paare, für welche die Entfernung der Mittelpunkte zwischen r und r + δ liegt, analog der Formel 150) gleich: 151) , wofür wir, da r nur unendlich wenig von σ verschieden ist, auch den Ausdruck 150) selbst setzen können. Wir haben nun noch zu berechnen, wie die Anzahl dieser Molekülpaare durch die abstossende Kraft vermindert wird. Setzt man in Formel 142) für die p die rechtwinkeligen Coordinaten der Molekülmittel- punkte ein, so findet man, dass die Anzahl der Systeme, für welche diese in gewissen Volumelementen d o 1 , d o 2 … liegen, proportional … ist, wobei V 0 die potentielle Energie bedeutet, deren negativer Differentialquotient nach den Coordinaten die Kräfte liefert, welche diese Coordinaten zu vergrössern streben. Für unsere Molekülpaare ist V 0 bloss Function von r und zwar gleich dem negativen Integrale von f ( r ) d r . Sobald die Entfernung der Mittelpunkte zweier Mole- küle gleich oder grösser als σ ist, ist keine Abstossung mehr vorhanden, die potentielle Energie hat also denselben Werth wie in unendlicher Entfernung, welchen wir mit F (∞) bezeich- nen wollen. Den Werth der potentiellen Energie in der Ent- fernung r dagegen wollen wir mit F ( r ) bezeichnen. V. Abschnitt. [Gleich. 153] Die Wahrscheinlichkeit, dass die Entfernung der Mittel- punkte zweier Moleküle bei Abwesenheit aller Abstossungskräfte zwischen r und r + δ liegt, verhält sich daher zu der, dass sie beim Vorhandensein der Abstossungskräfte zwischen den- selben Grenzen liegt, wie e — 2 h F (∞) : e — 2 h F ( r ) , und für die Anzahl der Molekülpaare, für welche die Ent- fernung der Mittelpunkte zwischen r und r + δ liegt, findet man statt des Ausdruckes 151) den Ausdruck: 152) . Da V 0 = F ( r ) = — ∫ f ( r ) d r ist, so ist . Da ferner δ in Formel 152) einen unendlich kleinen Zuwachs von r darstellt, so wollen wir es nach dem allgemeinen Ge- brauche der Differentialrechnung mit d r bezeichnen und die Formel 152) geht also über in 153) . Multipliciren wir diesen Ausdruck mit dem Viriale r f ( r ) des betreffenden Molekülpaares und integriren über alle im Zu- sammenstosse begriffenen Moleküle, so erhalten wir das ge- sammte von den während der Zusammenstösse thätigen Kräften herrührende Virial W' i . Ist daher σ — ε die kleinste Distanz, bis zu welcher sich die Mittelpunkte zweier Moleküle nähern, wenn dieselben mit enormer Geschwindigkeit aufeinander zu- fliegen, so erhält man: . Da r immer unendlich wenig von σ verschieden ist, so kann es, wo es nicht unter dem Functionszeichen f steht, mit σ [Gleich. 154] § 53. Virial der Waals’schen Cohäsionskräfte. vertauscht werden und vor das Integralzeichen kommen und es folgt: . Das letzte Integral kann leicht gefunden werden, wenn man die neue Variable einführt, welche für die obere Grenze gleich Null, für die untere aber gleich unendlich, nämlich gleich der lebendigen Kraft wird, mit welcher das eine Molekül auf das andere ruhend gedachte zufliegen muss, damit sich die Mittelpunkte bis zur Distanz σ — ε nähern; es wird daher bei Einführung dieser neuen Variabeln , da nach § 42 1/4 h die mittlere, einem Momentoide ent- sprechende lebendige Kraft ½ m ist und jede der Componenten der gesammten Geschwindigkeit c ein Momentoid darstellt. (Ver- gleiche auch I. Theil S. 50, Gleichung 44.) Setzen wir wie früher in Gleichung 20) S. 16 b = 2 π σ 3 /3 m , so folgt also 154) , wobei v = V/n m das specifische Volumen ist. § 53. Virial der Waals ’schen Cohäsionskräfte . Das von den Anziehungskräften herstammende Virial findet sich, unter Beibehaltung der in § 2 S. 5 gemachten Hypothese über Wirkungsweise derselben, ohne Schwierigkeit. Ist ρ die Dichte des Gases und sind d o und d ω zwei Volumelemente V. Abschnitt. [Gleich. 156] desselben, die sich in der Entfernung r befinden, in welcher sich die Moleküle mit der Kraft F ( r ) anziehen, also mit der Kraft — F ( r ) abstossen, so ist ρ d o/m und ρ d ω/m die Anzahl der Moleküle in dem einen und anderen Volumelemente und das Virial der in beiden Volumelementen enthaltenen Moleküle. ist also das gesammte Virial der in d o enthaltenen Moleküle auf alle übrigen. Da nur die in molekularen Entfernungen befindlichen Moleküle hierzu erheblich beitragen, so hat für alle Volumelemente d o im Inneren des Gases denselben Werth, welcher, da er nur von der Natur der Function F ab- hängt, eine der Substanz eigenthümliche Constante sein muss, welche wir mit 3 a bezeichnen wollen. Das gesammte Virial W″ i finden wir, indem wir noch über alle Volumelemente d o integriren, wodurch wir das ganze Volumen V erhalten. Die sehr nahe an der Oberfläche liegenden Moleküle tragen hierzu nur unendlich wenig bei. Es ist also 155) W″ i = 3 ρ 2 a V . Die Substitution von W i = W' i + W″ i mit den Werthen 154) und 155) für W' i und W″ i , sowie der Werthe 146) und 147) in die Virialgleichung 145) liefert daher: . Wir wollen nun nach Gleichung 21) = 3 r T setzen. Ferner ist V/n m = v = 1/ ρ , daher geht die obige Gleichung über in 156) . Wenn man die Grössen von der Ordnung vernachlässigt, so wird die rechte Seite, mit dem von van der Waals ge- [Gleich. 157] § 54. Ersatzformeln f. d. van der Waals’sche. fundenen Ausdrucke r T /( v — b ) identisch. Allein schon die Glieder von der Grössenordnung b 2 / v 2 stimmen nicht mehr überein. Dass der Ausdruck van der Waals ’ nicht für be- liebige v gelten kann, bemerkt schon van der Waals selbst, da gemäss desselben p für v = b unendlich werden müsste, während der Druck offenbar erst für weit kleinere Werthe von v unendlich werden kann. § 54. Ersatzformeln für die van der Waals ’sche. Unsere gegenwärtigen Betrachtungen lehren, dass der von van der Waals angegebene Ausdruck für den Druck auch schon für sehr kleine Werthe des v nicht mehr mit dem theo- retisch sich ergebenden übereinstimmt, sobald man die Glieder von der Grössenordnung b 2 / v 2 berücksichtigt. Da nun die theoretische Bestimmung der Glieder von noch höherer Grössen- ordnung äusserst weitschweifig wird, so könnte man versuchen, an Stelle der Gleichung van der Waals ’ eine solche zu setzen, welche wenigstens die Glieder von der Ordnung b 2 / v 2 noch mit der Theorie übereinstimmend liefert. Wir sahen ferner, dass man auch den kleinsten Werth des v , für welchen der Druck unendlich zu werden beginnt, theoretisch bestimmen kann. Derselbe ist v = ⅓ b (vergl. § 6), weil wenigstens sehr angenähert für diesen Werth von v die Moleküle so dicht ge- drängt sind, als es überhaupt möglich ist und bei jeder Ver- kleinerung des v die Moleküle in einander eindringen müssten. Man kann daher die Zustandsgleichung obendrein noch so formen, dass p für diesen Werth des v unendlich wird. Um uns von der Form der van der Waals ’schen Glei- chung möglichst wenig zu entfernen, wollen wir, indem wir mit x , y und z passend zu wählende Zahlen bezeichnen, die Zustandsgleichung in der Form schreiben: 157) . Wir haben dann zudem den Vortheil, dass wir bei ge- gebenen p und T für v eine Gleichung dritten Grades erhalten. Setzen wir y = 1 — x , , so stimmen für kleine Werthe V. Abschnitt. [Gleich. 158 a] von b/v auch noch die Glieder von der Ordnung b 2 / v 2 mit den von uns theoretisch gefundenen. Setzen wir 158) , so wird auch die Bedingung erfüllt, dass p für v = ⅓ b ver- schwindet. Da alle unsere Betrachtungen nur angenähert richtig sind, so ist es übrigens vielleicht rationeller den Zahlen x , y und z nicht gerade diese, sondern vielmehr solche Werthe zu ertheilen, dass eine möglichst gute Uebereinstimmung mit den Beobachtungen erzielt wird. Wollte man im Zähler keinen Factor zu r T hinzufügen, so würde eine quadratische Function von b/v im Nenner, also ein Gesetz von der Form wohl schwerlich sehr empfehlenswerth sein; denn es müsste dann p , wenn es überhaupt unendlich wird und wenn die Glieder mit der ersten Potenz von b/v stimmen sollen, auch für einen Werth des v , der grösser oder gleich ½ ist, unend- lich werden. Der letzte Fall träte ein, wenn man setzen würde. Man würde wohl besser 158 a) setzen und für ε eine transscendente oder doch algebraische Function höheren Grades wählen, welche für grosse v nahe gleich 1, für v = ⅓ b nahe gleich ⅓ wird, und auch sonst die Beobachtungsdaten möglichst gut wiedergiebt. Die Formel 158 a) verdanke ich einer mündlichen Mittheilung Hrn. van der Waals ’. (Vgl. auch die S. 167 citirte Abhandlung des Hrn. Kamerlingh- Onnes .) Uebrigens hat van der Waals mit seiner Formel einen so glücklichen Griff gethan, dass es Mühe kosten wird, durch die subtilsten Erwägungen eine Formel zu erhalten, die [Gleich. 158 a] § 55. Beliebiges Abstossungsgesetz. wesentlich brauchbarer wäre, als die von van der Waals gewissermaassen durch Inspiration gefundene. Ein allgemeinerer Weg, um die ursprüngliche Formel van der Waals in bessere Uebereinstimmung mit der Erfahrung zu bringen, bestünde darin, dass man in den beiden Aus- drücken a/v 2 und v — b dieser Formel an Stelle der Con- stanten empirisch zu wählende Functionen von Volumen und Temperatur oder, ganz allgemein, dass man an Stelle von a/v 2 und v — b den Beobachtungen möglichst gut ange- passte derartige Functionen zu setzen versuchte, welche natür- lich so gewählt werden müssten, dass die Sätze über die kritischen Grössen und über die Verflüssigung nicht qualitativ verschieden ausfielen. In diesem Sinne haben Clausius und Sarrau die van der Waals ’sche Formel modificirt. Wenn dieselben wohl auch von theoretischen Ideen geleitet wurden ( Clausius scheint besonders die Berücksichtigung der Ver- einigung der Moleküle zu grösseren Complexen im Auge gehabt zu haben), so haben deren Gleichungen doch mehr den Cha- rakter empirischer Annäherungsformeln, auf welche ich hier nicht weiter eingehen will, ohne natürlich damit deren Nutzen für die Praxis irgendwie bestreiten zu wollen. § 55. Virial für ein beliebiges Abstossungsgesetz der Moleküle . Wir können mittelst der Gleichung 153) nach derselben Methode auch die Grösse W' i für den Fall berechnen, dass sich die Moleküle nicht wie elastische Kugeln verhalten, son- dern wie materielle Punkte, zwischen denen während des Zu- sammenstosses eine beliebige centrale Abstossung f ( r ) thätig ist. Da dann die Zeit, während welcher zwei Moleküle bei einem Zusammenstosse auf einander wirken, nicht mehr ver- nachlässigt werden kann, so ist die Correction, vermöge welcher die Formel 150) aus 149) entstand, nicht mehr richtig; aber letztere Formel ist in erster Annäherung noch immer richtig. Die Anzahl der Molekülpaare im Gase, deren Entfernung zwischen r und r + d r liegt, ist also 2 π n 2 r 2 d r/v , sobald in der Entfernung r noch keine Kraft wirkt. Die Veränderung dieser Zahl durch Wirkung der abstossenden Kräfte wurde im Früheren V. Abschnitt. [Gleich. 159] nach der allgemeinen Formel 142) gefunden. Auch diese Formel bleibt hier unverändert anwendbar, und es ist also, sobald in der Entfernung r eine abstossende Kraft thätig ist, entsprechend der Formel 153) die Anzahl der Molekülpaare, welche sich in einer zwischen r und r + d r liegenden Entfernung befinden, gleich: . Jedes solche Molekülpaar liefert in das Virial W' i den Betrag r f ( r ). Die Summe aller dieser Beträge ist daher 159) , wobei ζ die kleinste Entfernung ist, in welche zwei Moleküle gelangen können, σ die grösste, in welcher sie aufhören auf einander zu wirken. Man kann übrigens statt zwischen ζ und σ auch zwischen Null und ∞ integriren, da für r \< ζ die Ex- ponentielle, für r \> σ aber f ( r ) verschwindet. Setzt man wie im III. Abschnitte des I. Theiles f ( r ) = K/r 5 , so sind freilich die hier gemachten Voraussetzungen nicht strenge erfüllt, da ja eigentlich alle Moleküle fortwährend ab- stossend auf einander wirken; allein diese Abstossung nimmt mit wachsender Entfernung so rasch ab, dass die dadurch in unseren Formeln erzeugte Abweichung wahrscheinlich ganz un- erheblich ist. Wir erhalten somit: . Wir wollen hier noch die im I. Theil S. 201 verwendete Distanz einführen, bis zu welcher sich zwei Moleküle nähern würden, wenn das eine festgehalten würde, das andere aber mit einer Geschwindigkeit darauf zuflöge, deren Quadrat gleich dem mittleren Geschwindigkeitsquadrate eines Moleküles ist. Wir wollen aber diese Distanz hier mit σ , statt wie dort mit s bezeichnen. Dann ist: . [Gleich. 159] § 56. Princip der Lorentz’schen Methode. Daher: . Denkt man sich ausserdem die von van der Waals ange- nommenen Anziehungskräfte vorhanden und zieht sie wie früher in Rechnung, so erhält man durch Substitution aller Werthe in die Gleichung 145) für die Masseneinheit des Gases die folgende Gleichung: , wobei . Doch ist jetzt σ nicht constant, sondern der 4. Wurzel aus der absoluten Temperatur verkehrt proportional. Es ist daher bloss der numerische Coefficient b des einen Correctionsgliedes ein anderer und mit der Temperatur veränderlich geworden. Die Grösse b ist nämlich der ¾ Potenz der absoluten Tem- peratur verkehrt proportional, da die Grösse σ der 4. Wurzel der Temperatur verkehrt proportional ist. § 56. Das Princip der Lorentz’schen Methode . Wir haben früher für den Fall, dass die Gasmoleküle sich wie elastische Kugeln verhalten, das innere Virial aus der Formel 154) mittelst der Formel 142) abgeleitet. Man kann dasselbe auch, ohne die letztere Formel zu benutzen, auf einem anderen Wege finden, welchen zuerst H. A. Lorentz einge- schlagen hat. Es ist gemäss der Definition , wobei die Summe über alle während der sehr langen Zeit t zusammenstossenden Molekülpaare zu erstrecken ist. Da der Zustand stationär ist, kann statt der sehr langen Zeit t auch V. Abschnitt. [Gleich. 161] die Zeiteinheit gewählt, also t = 1 gesetzt werden. Integriren wir jedes Glied der Summe einzeln, so folgt: 160) , wobei die Summe über alle während der Zeiteinheit zusammen- stossenden Molekülpaare zu erstrecken ist. Nun geschieht aber die relative Bewegung der Moleküle genau so, als ob das eine ruhen würde und das andere die halbe Masse hätte. Wenn bei dieser relativen Bewegung das erste Molekül auf das zweite ruhend gedachte mit der relativen Geschwindigkeit g zufliegt, so wird die Componente von g senkrecht zur Centrilinie der Moleküle nicht verändert. Die Componente y in der Richtung der Centrilinie aber wird durch die Gesammtkraft f ( r ) gerade umgekehrt. Daher ist für jeden Zusammenstoss: . ∫ r f ( r ) d t ist aber gleich σ ∫ f ( r ) d t , da r während des Zusammenstosses immer nahe gleich σ ist. Substituirt man dies in die Gleichung 160), so folgt: 161) W' i = m σ å γ , wo die Summe über alle in der Zeiteinheit zusammenstossen- den Molekülpaare zu erstrecken ist. Um diese Summe zu berechnen, wollen wir zunächst fragen, wie viel Moleküle im Gase während einer sehr kurzen Zeit d t in einer bestimmt gegebenen Weise zusammenstossen. Sollen die Moleküle während des Verlaufes der Zeit d t zu- sammenstossen, so müssen sich ihre Mittelpunkte schon zu Anfang der Zeitstrecke d t in einer Entfernung befunden haben, welche nur sehr wenig grösser als σ ist. Nach Formel 150) sind zu einer beliebigen Zeit, also auch zu Anfang der Zeit- strecke d t im Gase 2 π n 2 σ 2 β δ/V [Gleich. 165] § 56. Princip der Lorentz’schen Methode. Molekülpaare vorhanden, deren Mittelpunkte eine Entfernung haben, die zwischen σ und σ + δ liegt, worin 162) und v das specifische Volumen ist. Diese Molekülpaare be- stehen aus: 163) Molekülen. Jedes dieser Moleküle liegt einem anderen so nahe, dass die Entfernung ihrer Mittelpunkte zwischen σ und σ + δ liegt. Hier müssen wir nun allerdings wieder zwar nicht speciell die Gleichung 142), aber doch einen Wahrscheinlich- keitssatz zuziehen, indem wir annehmen, dass in dem Raume, wo sich die Moleküle befinden, deren Zahl durch Formel 163) gegeben ist, dieselbe durchschnittliche Vertheilung der Mole- küle und unter diesen dieselbe Zustandsvertheilung herrscht, wie im ganzen Gase. Dies folgt unmittelbar aus dem Satze, den wir in § 46, S. 133 den Satz S genannt haben. Es werden dann von den Molekülen, deren Anzahl durch Formel 163) gegeben ist, 164) eine Geschwindigkeit haben, welche zwischen c und c + d c liegt, wenn, wie in Formel 8) φ ( c ) d c die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Geschwindigkeit eines Moleküles zwischen diesen Grenzen liegt, so dass von allen n Gasmolekülen n φ ( c ) d c eine zwischen diesen Grenzen liegende Geschwindigkeit haben. Dann ist, wie wir im I. Theile sahen (vgl. auch Formel 8) S. 10 dieses Theiles): 165) . Der Ausdruck 164) giebt also die Anzahl der Moleküle, welche zu Anfang der Zeitstrecke d t eine Geschwindigkeit haben, die zwischen c und c + d c liegt und deren Mittelpunkt von dem irgend eines anderen Moleküles eine Entfernung hat, die V. Abschnitt. [Gleich. 166] zwischen σ und σ + δ liegt. Nun wollen wir von allen diesen Molekülen bloss diejenigen betrachten, bei denen die Ge- schwindigkeit jenes anderen Moleküles zwischen c ' und c ' + d c ' liegt und ihre Richtung mit der der Geschwindigkeit des ersten Moleküles einen Winkel bildet, der zwischen ε und ε + d ε liegt. Da auch unter jenen anderen Molekülen vollkommen unab- hängig von dem Zustande jenes einen in der Nähe befind- lichen Moleküles die Maxwell ’sche Geschwindigkeitsvertheilung herrscht und für ihre Geschwindigkeit jede Richtung im Raume gleich wahrscheinlich ist, so müssen wir, um die Anzahl der- jenigen Moleküle zu finden, welche wir jetzt aus allen den Molekülen, deren Zahl durch den Ausdruck 164) gegeben ist, hervorgehoben haben, den letzteren Ausdruck mit ½ φ ( c' ) d c' sin ε d ε multipliciren. Das Product 166) , giebt also die Zahl der Molekülpaare, für welche die Ge- schwindigkeit des einen Moleküles, das wir das Molekül c nennen wollen, zwischen c und c + d c , die des anderen Moleküles (des Moleküles c ') zwischen c ' und c ' + d c' , der Winkel der Rich- tungen beider Geschwindigkeiten zwischen ε und ε + d ε liegt und die Mittelpunkte der Moleküle ausserdem im Momente des Beginnes der Zeitstrecke d t eine Entfernung haben, welche zwischen σ und σ + δ liegt. Zeichnen wir daher um den Mittelpunkt jedes der Mole- küle, deren Geschwindigkeit zwischen c und c + d c liegt, eine von zwei concentrischen Kugelflächen begrenzte Hohlkugel, deren Innenfläche den Radius σ , deren Aussenfläche den Radius σ + δ hat, so giebt der Ausdruck 166) die Anzahl der Mole- küle, deren Mittelpunkt zu Anfang der Zeitstrecke d t in einer dieser Hohlkugeln liegt und für welche zudem die Geschwindig- keit zwischen c ' und c ' + d c' liegt und mit der Geschwindig- keit des Moleküles, in dessen Hohlkugel sein Centrum liegt, einen Winkel bildet, der zwischen ε und ε + d ε liegt. Gleich. 167] § 57. Zahl der Zusammenstösse. § 57. Zahl der Zusammenstösse . Jedes Molekül c ' liegt einem Moleküle c sehr nahe. Um zu finden, wie viele während der unendlich kleinen Zeitstrecke d t wirklich zusammenstossen, denken wir uns alle Moleküle c ruhend, jedes Molekül c ' aber mit seiner relativen Geschwin- digkeit 167) bewegt, die ihm relativ gegen das in seiner Nähe befindliche Molekül c zukommt, so dass es während der Zeit d t den Weg g d t in der Richtung der relativen Geschwindigkeit g zurücklegt. Ferner denken wir uns wieder um den Mittelpunkt jedes der Moleküle c eine Kugel K vom Radius σ beschrieben. Vom Mittel- punkte jeder dieser Kugeln K aus denken wir uns eine Gerade G gezogen, welche die Richtung der relativen Geschwindigkeit desjenigen Moleküles c ' hat, das sich in der Nähe des be- treffenden Moleküles c befindet. Die Gerade G verlängern wir nach der entgegengesetzten Seite und ziehen alle Radien jeder der Kugeln K , welche mit der Verlängerung einen Winkel bilden, der zwischen ϑ und ϑ + d ϑ liegt. Die Endpunkte aller dieser Radien werden auf der Oberfläche jeder der Kugeln K einen Gürtel besetzen, dessen Flächeninhalt 2 π σ 2 sin ϑ d ϑ ist. Von jedem Punkte jedes dieser Gürtel aus ziehen wir eine Gerade, deren Länge gleich g d t ist, deren Richtung aber der Richtung der relativen Geschwindigkeit des betreffenden Mole- küles c ' entgegengesetzt ist. Alle von den Punkten eines Gürtels aus gezogenen Geraden erfüllen einen ringförmigen Raum vom Volumen 2 π σ 2 g sin ϑ cos ϑ d ϑ d t und man sieht leicht, dass sämmtliche Moleküle c ', deren Mittelpunkte zu An- fang der Zeitstrecke d t innerhalb eines dieser ringförmigen Räume lagen und deren Anzahl d ν heissen mag, während der Zeit d t mit dem in ihrer Nähe befindlichen Moleküle c so zu- sammenstossen, dass der Winkel zwischen der vom Moleküle c ' gegen das Molekül c gezogenen Centrilinie und der relativen Geschwindigkeit des Moleküls c ' gegen das Molekül c zwischen ϑ und ϑ + d ϑ liegt. Es verhält sich aber d ν zu der durch die Gleichung 166) gegebenen Zahl d μ wie das Volumen Boltzmann, Gastheorie II. 11 V. Abschnitt. [Gleich. 169] 2 π σ 2 g sin ϑ cos ϑ d ϑ d t eines der ringförmigen Räume, in welchen sich der Mittelpunkt der d ν Moleküle befinden muss zum Volumen 4 π σ 2 δ einer der Kugelschalen, in denen sich die Mittelpunkte der d μ Moleküle befinden, woraus sich ergiebt: . Dividiren wir durch d t , so finden wir für die Anzahl der Mole- külpaare, welche in der Zeiteinheit in unserem Gase so zu- sammenstossen, dass vor dem Stosse die Geschwindigkeit des einen Moleküles zwischen c und c + d c , die des anderen zwischen c ' und c ' + d c' , der Winkel dieser beiden Geschwin- digkeiten zwischen ε und ε + d ε und der Winkel zwischen der vom zweiten zum ersten Moleküle gezogenen Centrilinie mit der Relativgeschwindigkeit des zweiten gegen das erste Molekül zwischen ϑ und ϑ + d ϑ liegt, den Ausdruck: 168) . Dividiren wir den Ausdruck 168) durch n φ ( c ) d c , so erhalten wir die Anzahl der Zusammenstösse, welche ein einzelnes Mole- kül, dessen Geschwindigkeit fortwährend gleich c bliebe, in der Secunde im Gase so von Molekülen erfahren würde, deren Geschwindigkeit zwischen c ' und c ' + d c' liegt, dass auch die Winkel ε und ϑ obigen Bedingungen genügen. Integriren wir hierauf bezüglich ϑ von Null bis ½ π , bezüglich ε von Null bis π und bezüglich c ' von Null bis ∞, so erhalten wir die Ge- sammtanzahl n c der Zusammenstösse, welche ein Molekül, das sich fortwährend mit der Geschwindigkeit c im Gase bewegen würde, überhaupt in der Secunde erfährt. Wir können den Ausdruck 169) als den Mittelwerth aller relativen Geschwindigkeiten bezeich- nen, welche ein mit der Geschwindigkeit c bewegtes Molekül gegenüber allen anderen möglichen Molekülen hat. Es ist also . [Gleich. 170] § 57. Zahl der Zusammenstösse. Substituirt man in 169) für die Function φ den Werth 165) und für g den Werth 167), so findet man, wie wir schon im I. Theile S. 64 sahen . Da φ ( c ) d c die Wahrscheinlichkeit ist, dass die Geschwin- digkeit eines Moleküles zwischen c und c + d c liegt, also auch der Bruchtheil der Zeit, während welcher seine Geschwindig- keit zwischen diesen Grenzen liegt, in die ganze Zeit seiner Bewegung, sobald letztere sehr lang ist, so ist die Gesammt- zahl der Zusammenstösse, welche ein beliebiges Molekül durch- schnittlich während der Zeiteinheit erfährt, gleich 170) , wobei der Mittelwerth der relativen Geschwindigkeiten aller mög- lichen Molekülpaare des Gases ist. Wir haben eine ganz analoge Integration schon im I. Theile S. 68 durchgeführt; führt man diese genau in derselben Weise durch, so folgt: . Die mittlere relative Geschwindigkeit ist also gerade so gross, als ob sich die beiden Moleküle jedes mit seiner mittleren Ge- schwindigkeit in auf einander senkrechter Richtung bewegen 11* V. Abschnitt. [Gleich. 171] würden. Dieser Satz ist auch noch richtig, wenn die beiden Moleküle verschiedenen Gasarten angehören. Setzt man den für gefundenen Werth in Gleichung 170) ein, so folgt: . § 58. Genauerer Werth der mittleren Weglänge. Berechnung von W' i nach Lorentz’s Methode . Da die mittlere Weglänge ist, so folgt ferner , oder nach Substitution des Werthes 162) für β und Ent- wickelung nach Potenzen von b/v 171) . Dies ist also der Werth für die mittlere Weglänge, welcher bezüglich der Glieder von der Grössenordnung b/v um eine Grössenordnung genauer ist, als der im I. Theile S. 70 an- gegebene. Das mittlere Virial aller beim Zusammenstosse thätigen Kräfte finden wir nun leicht aus den Formeln 161) und 168). Für jeden der Zusammenstösse, deren Anzahl durch die Formel 168) gegeben ist, hat die Componente γ der relativen Geschwindigkeit g in der Richtung der Centrilinie den Werth γ = g cos ϑ , jeder dieser Zusammenstösse liefert daher in die Summe 161) das Glied m σ g cos ϑ . Multiplicirt man dies mit dem Ausdrucke 168), so findet man den Betrag, den alle diese Zusammenstösse in die Summe 161) liefern. Integrirt man dann noch über alle mög- lichen Werthe, so erhält man schliesslich den Gesammtbetrag der Summe, also nach Gleichung 161) die Grösse W' i . Schliess- lich muss man aber noch durch 2 dividiren, da man sonst jeden Zusammenstoss doppelt zählen würde, einmal so, dass die Geschwindigkeit des einen, dann so, dass die des anderen [Gleich. 171] § 58. Mittlere Weglänge. Berechnung von W' i . Moleküles diejenige ist, die zwischen c und c + d c liegt. Es ist also: . Substituirt man für g den Werth 167) und bedenkt, dass: , so erhält man den schon früher gefundenen Werth . Den corrigirten Werth 171) für die mittlere Weglänge hat zuerst Clausius Kinetische Gastheorie, 3. Bd. der mech. Wärmetheorie. Vieweg , 1889—1891, S. 65. angegeben. Die Zusatzglieder von der Grössenordnung b/v zum Boyle-Charles ’schen Gesetze hat nach der im Vorhergehenden eingeschlagenen Methode zuerst H. A. Lorentz Wied . Ann. Bd. 12, S. 127 und 660, 1881. berechnet, die Zusatzglieder von der Grössen- ordnung b 2 / v 2 haben Jäger Wien. Sitzungsber. II, Bd. 105, S. 15, 16. Januar 1896. und van der Waals Kgl. Acad. d. Wissenschaften zu Amsterdam, 31. October 1896. be- rechnet; der von Jäger , nicht aber der von van der Waals gefundene Werth stimmt mit dem hier berechneten. § 59. Genauere Berechnung des für den Mittelpunkt eines Moleküles disponiblen Raumes . Es seien wieder in einem Gefässe vom Volumen V im Ganzen n gleichbeschaffene Moleküle vorhanden, die wir als Kugeln vom Durchmesser σ betrachten. Den für den Mittel- V. Abschnitt. [Gleich. 172] punkt eines einzigen noch in das Gefäss bei gegebener Lage aller Moleküle zu diesen hineingebrachten Moleküles dis- ponibeln Raum D finden wir (vergl. Gleichung 148), indem wir vom ganzen Volumen V den von den n Molekülen gedeckten Raum Γ = 4 π n σ 3 /3 = 2 G b abziehen. m ist wie früher die Masse eines Moleküles, m n = G aber ist die gesammte Gas- masse und wie in Formel 20) die halbe Summe der Deckungssphären aller in der Masseneinheit des Gases befindlichen Moleküle. Hierbei sind aber die Glieder von der Grössenordnung Γ 2 / V 2 vernachlässigt, welche dadurch bedingt sind, dass hier und da die Deckungssphären zweier Moleküle in einander eingreifen. Diese Glieder wollen wir jetzt berechnen, indem wir aber die Glieder von der Ordnung Γ 3 / V 3 noch immer vernachlässigen. Sei Z die Summe der Volumina aller derjenigen Theile der Deckungssphären der Moleküle, welche innerhalb der Deckungs- sphäre irgend welcher anderer Moleküle liegen, so haben wir also zu setzen: 172) D = V — 2 G b + Z . Der Fall, dass die Deckungssphären zweier Moleküle in einander greifen, tritt jedesmal ein, wenn ihre Mittelpunkte eine Ent- fernung haben, die zwischen σ und 2 σ liegt. Sei x eine solche Entfernung. Die Deckungssphären sind Kugeln vom Radius σ , welche mit dem betreffenden Moleküle concentrisch sind. Wenn die Mittelpunkte zweier Moleküle die Entfernung x haben, so hat der gesammte Raum, welcher den Deckungssphären beider Moleküle gleichzeitig angehört, die Gestalt zweier Kugel- abschnitte von der Höhe . Ein solcher Kugelabschnitt hat das Volumen . Wir wollen jedem Moleküle concentrisch eine Kugelschale vom Innenradius x und Aussenradius x + d x construiren. Die Summe 4 π n x 2 d x der Volumina dieser Kugelschalen verhält [Gleich. 173] § 59. Raum für einen Molekülmittelpunkt. sich dann zum Gesammtvolumen V des Gases wie die An- zahl d n x der Moleküle, deren Mittelpunkte von dem eines anderen eine Entfernung haben, die zwischen x und x + d x liegt, zur Gesammtanzahl n der Moleküle. Es ist also . Hierbei sind allerdings Glieder von der Grössenordnung Γ d n x /V vernachlässigt, welche aber, wie man sich leicht über- zeugt, in unser Schlussresultat nur Glieder von der Ordnung Γ 3 / V 3 liefern würden. Die Anzahl der Molekülpaare, für welche die Central- distanz zwischen x und x + d x liegt, ist ½ d n x . Da für jedes solche Molekülpaar zwei Kugelabschnitte vom Volumen K inner- halb der Deckungssphären liegen, so liefern alle diese Mole- külpaare zur Grösse Z den Betrag K d n x und wir finden die Grösse Z selbst, indem wir diesen Betrag von x = σ bis x = 2 σ integriren. Es ergiebt sich in dieser Weise , 173) . § 60. Berechnung des Druckes des gesättigten Dampfes aus den Wahrscheinlichkeitssätzen. Dasselbe Problem behandelt Hr. Kamerlingh-Onnes , arch. neerl. T. 30, § 7, S. 128, 1881. Es soll nun bei einer bestimmten Temperatur T die tropf- bare und dampfförmige Phase der Substanz neben einander bestehen. Die Gesammtmasse des tropfbaren Antheiles soll G f , deren gesammtes Volumen V f sein, die Masse des dampfförmigen Antheiles soll G g sein und das Gesammtvolumen V g erfüllen, so dass v f = V f /G f , v g = V g /G g die specifischen Volumina oder die reciproken Werthe der Dichten ϱ f und ϱ g der Flüssigkeit und des Dampfes sind. Bringt man noch ein Molekül in den Raum hinein, in dem sich die beiden Phasen der Substanz befinden, so ist nach der V. Abschnitt. [Gleich. 173] Formel 173) für den Mittelpunkt desselben innerhalb der tropf- baren Flüssigkeit noch der Raum . innerhalb des Dampfes aber der Raum verfügbar. Das Verhältniss dieser beiden Räume wäre, wenn die Waals ’sche Cohäsionskraft nicht existiren würde, das Ver- hältniss der Wahrscheinlichkeiten, dass bei gegebener Lage aller übrigen Moleküle das letzte innerhalb der tropfbaren Flüssigkeit oder innerhalb des Dampfes liegt. Dieses Verhält- niss ist wegen der Wirksamkeit der Waals ’schen Cohäsions- kraft nach Formel 142) noch mit zu multi- pliciren, wobei ψ f und ψ g die Werthe der Kraftfunction der Waals ’schen Cohäsionskraft für ein Molekül sind, das sich im ersten Falle innerhalb der Flüssigkeit, im zweiten innerhalb des Dampfes befindet. Bestimmt man daher die Constante so, dass ψ für unendliche Entfernungen verschwindet, so ist — ψ f die Arbeit, welche erforderlich ist, um ein Molekül von der Masse m unter Ueberwindung der Waals ’schen Cohäsionskraft aus dem Inneren der Flüssigkeit heraus in grosse Entfernung von derselben zu bringen. Für diese Arbeit fanden wir aber in § 24 den Ausdruck 2 m a ϱ f = 2 m a/v f , während a ϱ f die ge- sammte Trennungsarbeit aller in der Masseneinheit der Flüssig- keit befindlichen Moleküle war. Ebenso ist — ψ g = 2 m a ϱ g = 2 m a/v g . Mit Rücksicht auf die Waals ’sche Cohäsionskraft ist also das Verhältniss der Wahrscheinlichkeit, dass sich das letzte Molekül in der tropfbaren Flüssigkeit befindet, zu der, dass es sich im Gase befindet: . Dies muss im Gleichgewichtszustande auch das Verhältniss der Anzahl n f der Moleküle der tropfbaren Phase zu der An- [Gleich. 175] § 60. Druck des gesättigten Dampfes. zahl n g der Moleküle der dampfförmigen Phase, also gleich n f : n g oder, wenn man n f und n g mit m multiplicirt, gleich G f : G g sein. Schreibt man die Proportion aus, so ergiebt sich aus derselben sofort . Nun ist nach Gleichung 21) und 135) Es ist nämlich . (vergl. auch I. Theil Gleichung 44) , wenn r die Gasconstante des be- treffenden Dampfes bei hoher Temperatur und Verdünnung ist. Nimmt man ferner die Logarithmen, entwickelt nach Potenzen von b und bleibt wieder bei den Gliedern mit b 2 stehen, so folgt 174) . Natürlich ist von dieser Formel kaum mehr als eine quali- tative Uebereinstimmung zu erwarten, da die gemachte Voraus- setzung, dass b klein gegen v sei, für tropfbare Flüssigkeiten nicht zutrifft. Wenn wir die Celsiustemperatur t einführen, ϱ f als con- stant und gross gegen ϱ v betrachten und voraussetzen, dass der Dampf das Boyle-Charles ’sche Gesetz befolgt, also p v g = r T ist, so folgt aus 174) eine Gleichung von der Form 175) , wie sie auch, freilich mit theilweise geänderter Bedeutung der Constanten A, B, C und D in der Praxis verwendet wird. Wir können den Druck des gesättigten Dampfes auch aus der in § 16 gefundenen Bedingung berechnen, dass die beiden schraffirten Flächen der Figur, welche dort als die Fig. 2 be- zeichnet wurde, gleich sein müssen. In dieser Figur ist die V. Abschnitt. [Gleich. 179] Abscisse O J 1 gleich dem specifischen Volumen v f der Flüssig- keit, die Abscisse O G 1 gleich dem specifischen Volumen v g des Dampfes, während die Ordinaten J 1 J = G 1 G gleich dem dazu gehörigen Sättigungsdrucke sind. Die Gleichheit der schraffirten Flächen bedingt, dass das Rechteck J J 1 G 1 G J = p ( v g — v f ) gleich der Fläche sein muss, welche oben von der Curve J C H D G , unten von der Abscissenaxe, links und rechts von den Ordinaten J 1 J und G 1 G begrenzt wird. Man erhält also: 176) . Legt man die Waals ’sche Gleichung 177) zu Grunde, so folgt durch Ausführung der Integration: 178) . T und die Constanten a, b und r sind als gegeben zu betrachten. Die drei Unbekannten p, v f und v g folgen aus Gleichung 178) und den beiden Bedingungen, dass v f die kleinste, v g die grösste Wurzel der Gleichung 177) ist. Nimmt man wieder für den Dampf das Boyle-Charles ’sche Gesetz p v g = r T an, ver- nachlässigt b und v f gegen v g , σ g , gegen σ f , welches letztere man sich als lineare Function der Temperatur denkt, so er- hält man zwar wieder für den Sättigungsdruck einen Ausdruck von der Form 175); doch stimmt die Gleichung 178) keines- wegs genau mit der Gleichung 174). Diess war auch nicht zu erwarten, da die benutzte Glei- chung 177) nur eine provisorische, keineswegs exact aus den Bedingungen der Aufgabe folgende ist. Dagegen muss man exact die Gleichung 174) erhalten, wenn man statt Gleichung 177) die Gleichung 179) [Gleich. 180] § 61. Corrigirter Werth der Entropie. benutzt, die unter Weglassung der Glieder, welche höhere Potenzen von b als die zweite enthalten, die Bedingungen der Aufgabe exact befriedigt. In der That folgt dann aus 176) nach Ausführung der Integration 180) . Da nun sowohl v g als auch v f die Gleichung 179) befriedigen müssen, so kann man p v g berechnen, indem man in dieser Gleichung v = v g setzt, p v f aber, indem man v = v f setzt. Die Subtraction beider Werthe liefert , was in Verbindung mit Gleichung 180) vollkommen exact die Gleichung 174) liefert. § 61. Berechnung der Entropie eines die Waals’schen Voraussetzungen erfüllenden Gases nach der Wahr- scheinlichkeitsrechnung . Ich will hier noch kurz andeuten, wie die Entropie eines Gases, für welches der von den Molekülen erfüllte Raum nicht gegenüber dem ganzen Gasvolumen verschwindet und in welchem auch die Waals ’schen Cohäsionskräfte wirken, nach den Prin- cipien berechnet werden kann, welche ich im I. Theile §§ 8 und 19 entwickelt habe. Die Waals ’sche Cohäsionskraft än- dert die Geschwindigkeitsvertheilung unter den Molekülen gar nicht, sondern bewirkt nur ein engeres Zusammenrücken der- selben. Sie hat daher gerade so wie die Schwerkraft gar keinen Einfluss auf die Entropie, so dass die Abhängigkeit der Entropie von der Temperatur für das jetzt betrachtete Gas genau so erhalten wird, wie wir sie in den citirten Para- graphen für ein ideales Gas fanden und im jetzt betrachteten V. Abschnitt. [Gleich. 180] Falle nur eine Correction wegen der endlichen Grösse des von den Molekülen erfüllten Raumes erforderlich ist. Der Ausdruck, den wir in § 8 des I. Theiles S. 60 für die Entropie fanden, die wir im Folgenden mit S bezeichnen wollen, kann leicht in die Form gebracht werden S = R M l W = R M l ( v n T 3n/2 ). In § 8 des I. Theiles ist nämlich n die Anzahl der Moleküle in der Volumeneinheit, daher Ω n die Gesammtanzahl der Moleküle eines Gases vom Volumen Ω , die wir hier mit n bezeichnet haben. Wenn M die Masse eines Wasserstoffatomes ist, so ist R die Gasconstante des dissociirten Wasserstoffes, also die doppelte Gasconstante des gewöhnlichen Wasserstoffgases. Der Exponent von T muss statt heissen, wenn innere Be- wegungen im Moleküle vorhanden sind, für welche die Aen- derung der Summe der mittleren lebendigen Kraft und Kraft- function zu der der mittleren progressiven lebendigen Kraft im constanten Verhältnisse β : 1 steht. Ist β Function der Tem- peratur, so müsste an Stelle von l T 3 n/2 treten. Verstehen wir unter S die Entropie der Masseneinheit, so ist n die Anzahl der Moleküle der Masseneinheit; v ist das Volum der Masseneinheit. Fasst man S als Wahrscheinlichkeitsausdruck auf, so hat die darin vorkommende Grösse v n folgende Bedeutung: Sie stellt das Verhältniss der Wahrscheinlichkeit, dass sich alle n Moleküle gleichzeitig im Volumen v befinden, zur Wahr- scheinlichkeit irgend einer Normallage dar, z. B. zur Wahr- scheinlichkeit, dass sich das erste Molekül in einem bestimmten Raume vom Volumen 1, das zweite in einem völlig davon ver- schiedenen anderen Raume vom Volumen 1 u. s. w. befindet. Diese Grösse ist es allein, welche dadurch eine Veränderung erfährt, dass wir die Ausdehnung der Moleküle jetzt berück- sichtigen und zwar tritt an ihre Stelle die Wahrscheinlichkeit W des gleichzeitigen Zusammentreffens des Ereignisses, dass sich das erste Molekül in v befindet mit dem, das sich auch das zweite und auch das dritte u. s. w. dort befindet, nicht wie in [Gleich. 181] § 61. Corrigirter Werth der Entropie. § 60 bloss die Wahrscheinlichkeit, dass sich ein neu hinzu- kommendes Molekül in v befindet. Für den Mittelpunkt des ersten Moleküles ist der ganze Raum v verfügbar. Das Verhältniss der Wahrscheinlichkeit, dass er sich daselbst befindet, zu der, dass er sich in dem gegebenen Raume vom Volumen 1 befindet, ist daher v . Bei Berechnung der Wahrscheinlichkeit, dass sich gleichzeitig der Mittelpunkt des zweiten Moleküles im Raume v befindet, ist die Deckungssphäre \frac{4}{3} π σ 3 = 2 m b des ersten Moleküles von v abzuziehen. Wenn sich bereits ν Moleküle im Raume v be- finden, so ist der daselbst für den Mittelpunkt eines ( ν + 1) ten Moleküles noch verfügbare Raum nach Formel 173): 181) . Dieser Ausdruck ist also auch gleich dem Verhältnisse der Wahrscheinlichkeit, dass sich das ( ν + 1) te Molekül im Raume v befindet zu der, dass es sich in einem anderen völlig von allen übrigen Räumen unabhängigen Raume vom Volumen 1 befindet. Daher stellt das Product das Verhältniss folgender Wahrscheinlichkeiten dar: der Wahr- scheinlichkeit, dass gleichzeitig alle n Moleküle im Raume v liegen und der, dass jedes davon in einem getrennten Raume vom Volumen 1 liegt. Natürlich sind dabei die Glieder von der Ordnung b 3 vernach- lässigt und es ist auch berücksichtigt, dass ν in allen Gliedern bis auf verschwindend wenige gross gegenüber der Einheit ist. Dieser Ausdruck hat in S an die Stelle von v n zu treten, wenn wir die Ausdehnung der Mole- küle berücksichtigen. Es wird also die Entropie der Massen- einheit . Hierbei ist r die Gasconstante unserer Substanz in denjenigen Zuständen, welche dem idealen Gaszustande genügend nahe liegen, so dass r m = R M ist. V. Abschnitt. [Gleich. 181] Entwickelt man den Logarithmus nach Potenzen von b und vernachlässigt, wie wir es immer thaten, die Potenzen von b , welche höher als die zweite sind, so folgt: . Da wir ferner n als gross gegen die Einheit voraussetzen, so können wir setzen: , , so dass wir, da n m = 1 ist, erhalten . Da der bei constanter Temperatur genommene partielle Differen- tialquotient von T S nach v gleich dem durch die Molekular- stösse allein bewirkten Drucke ist, so finden wir für diesen in Uebereinstimmung mit dem früheren den Werth . Die Berechnung der Glieder mit den höheren Potenzen von b in diesem Ausdrucke dürfte am leichtesten genau nach der gegenwärtig eingeschlagenen Methode geschehen, indem man in den Ausdrücken S und W noch diese Glieder berücksichtigt. Den gegenwärtig für S gefundenen Ausdruck dürfen wir natür- lich nicht mit dem in § 21 für die Entropie gefundenen vergleichen, da bei Berechnung des letzteren die exacte Gültigkeit der Waals ’schen Formel vorausgesetzt ist. Wir finden aber genau denselben Ausdruck für die Entropie, wenn wir in die Formel 38) des § 21, aus welcher man findet , statt der Gleichung 22) die Zustandsgleichung substituiren, welche die Grundlage unserer jetzigen Rechnungen bildet. Wenn die Moleküle nicht Kugelform hätten, aber sich doch wie starre Körperchen verhielten, so wäre die Wahr- scheinlichkeit, dass der Mittelpunkt des ( ν + 1) Moleküles im [Gleich. 184] § 61. Corrigirter Werth der Entropie. Volumen v liegt, noch immer durch einen Ausdruck von der Form: gegeben. Wir nehmen an, dass die Reihenentwickelung liefert 182) ; dann ist . Daher wird der bloss von den molekularen Stössen herrührende Druck und der gesammte äussere auf dem Gase lastende Druck: 183) . Substituiren wir dies in die Gleichung , so erhalten wir als Bedingung, dass Dampf und Flüssigkeit neben einander bestehen können: , was unter abermaliger Anwendung der Gleichung 183) auch so geschrieben werden kann: 184) . V. Abschnitt. [Gleich. 184] In Uebereinstimmung hiermit erhält man nach derselben Me- thode, nach welcher wir früher die Gleichung 174) gewannen, jetzt folgende Bedingung für das Gleichgewicht von Flüssig- keit und Dampf: , was mit Rücksicht auf 182) wieder die Gleichung 184) liefert. Es mögen hier noch folgende Ergänzungen zum I. Ab- schnitte Platz finden, auf welche mich Hr. van der Waals mündlich aufmerksam machte, nachdem dieser Abschnitt bereits gedruckt war. 1. Derselbe macht die in § 2 S. 5 erläuterte Annahme, dass die Anziehungskraft der Moleküle mit wachsender Entfernung derselben so langsam abnimmt, dass sie innerhalb Entfernungen, die gross gegen den durchschnittlichen Abstand zweier Nachbar- moleküle sind, noch nahe constant ist, niemals ausdrücklich und hält ein solches Wirkungsgesetz auch nicht für wahr- scheinlich; doch konnte ich ohne diese Annahme nicht zu einer exacten Begründung seiner Zustandsgleichung gelangen. 2. Wenn man die Begrenzungscurve J K G des Zwei- phasenraumes (Fig. 3 S. 45) in der unmittelbaren Nähe des Punktes K als Parabel oder als Kreislinie auffasst, so sieht man, dass J N um so mehr gleich N K wird, je näher N an K rückt, wenn N stets auf der Geraden K K 1 bleibt. Wenn daher eine Substanz genau das kritische Volumen hat und bei con- stantem Volumen erwärmt wird, so ist im Momente des Ver- schwindens des Meniscus das Volumen des tropfbaren An- theiles genau gleich dem des dampfförmigen. Ist dagegen das Volumen ein wenig vom kritischen verschieden, so wandert der Meniscus immer weit von der Mitte der die Substanz um- schliessenden Röhre fort, bevor er praktisch verschwindet. Unter den Störungen des theoretischen Verhaltens spielt nach den Versuchen von Küenen die Schwerkraft eine wich- tige Rolle. [Gleich. 184] § 62. Einwerthige gleichartige Atome. VI. Abschnitt. Theorie der Dissociation. § 62. Mechanisches Bild der chemischen Affinität einwerthiger gleichartiger Atome . Ich habe früher einmal das Problem der Dissociation der Gase unter gewissen möglichst allgemeinen Voraussetzungen be- handelt, Sitzungsber. d. Wien. Akad. Bd. 88, 18. Oct. 1883; Bd. 105, S. 701, 1896. Wied. Ann. Bd. 22, S. 39, 1884. die ich freilich zum Schlusse specialisiren musste. Da es mir hier jedoch mehr um Anschaulichkeit als um Allgemein- heit zu thun ist, so will ich ganz specielle, möglichst einfache Voraussetzungen machen. Man möge das Folgende nicht missver- stehen und etwa meinen, ich sei der Ansicht, dass die chemische Anziehung genau nach den Gesetzen wirkte, wie die im Fol- genden angenommenen Kräfte. Die letzteren sind vielmehr als möglichst einfache und anschauliche Bilder von Kräften anzusehen, welche mit den chemischen Kräften eine gewisse Aehnlichkeit haben und daher im vorliegenden Falle mit einer gewissen Annäherung dafür substituirt werden können. Ich will zunächst den einfachsten Fall der Dissociation betrachten, als dessen Prototyp die Dissociation des Jod- dampfes dienen kann. Bei nicht allzu hoher Temperatur be- stehen alle Moleküle desselben aus zwei Jodatomen; bei wachsender Temperatur aber zerfallen immer mehr Moleküle in einzelne Atome. Wir erklären die Existenz der aus zwei Atomen zusammengesetzten Moleküle (der Doppelatome) durch eine zwischen den Atomen thätige anziehende Kraft, welche wir die chemische Anziehung nennen. Die Thatsachen der chemischen Valenz oder Werthigkeit machen es wahrschein- lich, dass die chemische Anziehung keineswegs einfach eine Function der Entfernung der Mittelpunkte der Atome ist, dass sie vielmehr bloss an verhältnissmässig kleine Bezirke auf der Boltzmann, Gastheorie II. 12 VI. Abschnitt. [Gleich. 184] Oberfläche der Atome gebunden ist. Man kann auch nur unter der letzteren, keineswegs unter der ersteren Annahme ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild der Gasdissociation erhalten. Sowohl der Einfachheit der Rechnung halber, als auch wegen der Einwerthigkeit des Jodes setzen wir voraus, dass die von einem Jodatome ausgeübte chemische Anziehung nur in einem einzigen gegenüber der Grösse des Atomes kleinen zu- sammenhängenden Raume thätig ist, welchen wir den empfind- lichen Bezirk nennen wollen. Derselbe soll unmittelbar an dessen Oberfläche anliegend und fest mit dem betreffenden Atome ver- bunden sein. Die vom Mittelpunkte des Atomes nach einem be- stimmten Punkte des empfindlichen Bezirkes (z. B. dessen Mittel- punkte oder dessen Schwerpunkte im rein geometrischen Sinne) gezogene Gerade nennen wir die Axe dieses Atomes. Nur wenn zwei Atome so liegen, dass sich ihre empfindlichen Bezirke be- rühren oder theilweise in einander fallen, soll die chemische An- ziehung zwischen ihnen thätig sein. Wir sagen dann, sie sind chemisch mit einander verbunden. An jeder anderen Stelle der Oberfläche können sie sich berühren, ohne dass chemische An- ziehung eintritt. Der empfindliche Bezirk soll einem so kleinen Theile der ganzen Oberfläche des Atomes anliegen, dass die Möglichkeit vollkommen ausgeschlossen ist, dass sich die em- pfindlichen Bezirke dreier Atome gleichzeitig berühren oder durchschneiden. Es ist für die folgende Rechnung nicht noth- wendig, sich die Atome in Gestalt von Kugeln zu denken. Da dies jedoch das einfachste ist, wollen wir es thun. σ sei der Durchmesser eines kugelförmig gedachten Atomes. Wir heben ein bestimmtes Atom hervor; es sei durch den Kreis M der Fig. 4 dargestellt. A sei sein Mittelpunkt. Der schraffirte Raum α sei der empfindliche Bezirk desselben. Wir brauchen den Fall, dass dieser theilweise im Inneren des Atomes liegt, nicht gerade auszuschliessen, doch wollen wir die Zeichnung so machen, dass er zwar unmittelbar an der Oberfläche des Atomes, aber doch ganz ausserhalb desselben liegt, wie man natürlich annehmen müsste, wenn man sich das Atom vollkommen undurchdringlich denkt. Soll ein zweites Atom M 1 mit dem ersten chemisch verbunden sein, so muss der empfindliche Bezirk β des zweiten Atomes theilweise in [Gleich. 184] § 62. Einwerthige gleichartige Atome. den Raum α fallen oder ihn wenigstens berühren. Wir wollen wieder die Deckungssphäre des ersten Atomes, also die Kugel vom Mittelpunkte A und dem Radius σ construiren, welche in der Figur durch den Kreis D angedeutet ist. Unmittelbar an der Oberfläche der Deckungssphäre D lässt sich ein Raum (der kritische Raum, in der Figur der schraffirte Raum ω ) construiren von der Beschaffenheit, dass die empfindlichen Be- zirke α und β niemals in einander fallen oder sich berühren können, wenn nicht der Mittelpunkt B des zweiten Atomes in diesen kritischen Raum ω oder in dessen Begrenzung fällt. Dies gilt jedoch nicht umgekehrt. Wenn der Mittelpunkt B des zweiten Atomes in dem kritischen Raume ω liegt, so kann dasselbe trotzdem eine solche Drehung haben, dass die empfind- lichen Bezirke α und β weit von einander entfernt sind. Um die Lage genau zu definiren, welche das zweite Atom gegenüber dem ersten haben muss, damit beide Fig. 4. chemisch verbunden seien, wollen wir zunächst im kritischen Raume ω ein Volumelement d ω construiren. Es soll ω zugleich das gesammte Volumen des kritischen Raumes sein. Um die Möglichkeit einer chemischen Bindung dreier Atome auszuschliessen, ist also nothwendig und hinreichend, dass, wenn zwei Atome chemisch gebunden sind, der kritische Raum ω des ersten immer ganz in der Deckungssphäre des zweiten Atomes liegt, d. h. dass kein Punkt des kritischen Raumes von einem anderen Punkte desselben Raumes eine Entfernung hat, die gleich oder grösser als σ ist. Ferner wollen wir uns mit dem ersten Atome eine concentrische Kugel vom Radius 1 fest verbunden denken, welche in der Fig. 4 durch den Kreis E angedeutet ist. Soll nun das zweite Atom mit dem ersten chemisch verbunden sein, so darf die Axe des zweiten Atomes mit der Geraden B A keinen zu grossen Winkel einschliessen, weil sonst die empfindlichen Bezirke α und β aus einander fallen. Die vom Punkte A aus parallel und gleichgerichtet der Axe des zweiten Atomes gezogene Gerade soll die Kugelfläche E in einem Punkte treffen, den wir immer 12* VI. Abschnitt. [Gleich. 184] den Punkt Λ nennen wollen. Da die Kugel E fest mit dem ersten Atome verbunden ist, so ist durch diesen Punkt Λ die Lage der Axe des zweiten Atomes relativ gegen das erste vollkommen bestimmt und wir können nun für jedes Volum- element d ω des kritischen Raumes auf der Kugelfläche E ein Flächenstück λ von folgender Beschaffenheit construiren. Wenn der Punkt Λ innerhalb oder an der Grenze des Flächen- stückes λ liegt, so sollen, sobald der Mittelpunkt des zweiten Atomes innerhalb oder an der Grenze des betreffenden Volum- elementes d ω liegt, die beiden empfindlichen Bezirke α und β in einander greifen oder sich berühren, sobald dagegen der Punkt Λ ausserhalb des Flächenstückes λ liegt, sollen die beiden empfindlichen Bezirke α und β ebenfalls ausserhalb einander liegen. Dieses Flächenstück λ wird natürlich im Allgemeinen je nach der Lage des Volumelementes d ω inner- halb des kritischen Raumes ω verschiedene Grösse und auch verschiedene Lage auf der Kugel E haben. Liegt nun der Mittelpunkt des zweiten Atomes innerhalb oder an der Grenze irgend eines Volumelementes d ω des kritischen Raumes und der Punkt Λ innerhalb oder an der Grenze irgend eines Flächenelementes d λ derjenigen Fläche λ , welche zu dem be- treffenden Volumelemente d ω gehört, so wird das zweite Atom mit dem ersten chemisch verbunden sein, d. h. beide werden sich lebhaft anziehen. Die Arbeit, welche nothwendig ist, um sie aus dieser Lage in eine Entfernung zu bringen, in welcher sie nicht mehr merklich auf einander wirken, soll mit χ be- zeichnet werden. Dieselbe kann im Allgemeinen verschieden sein, je nach der Lage des Volumelementes d ω innerhalb des kritischen Raumes und auch je nach der Lage des Flächen- elementes d λ auf der dazu gehörigen Fläche λ . § 63. Wahrscheinlichkeit der chemischen Bindung eines Atomes mit einem gleichartigen . Es seien nun beim Gesammtdrucke p und der absoluten Temperatur T in einem Gefässe vom Volumen v im Ganzen α gleich beschaffene derartige Atome vorhanden. Die Masse eines Atomes sei m 1 , die aller Atome a m 1 = G . Wir heben eines der Atome hervor. Die übrigen nennen wir wieder die Gleich. 184] § 63. Bindung zweier gleichartiger Atome. restirenden Atome. Für einen Augenblick denken wir uns das Gas wieder unendlich oftmal ( N mal) in ebenso viel gleich beschaffenen, nur räumlich getrennten Gefässen bei gleicher Temperatur und gleichem Drucke vorhanden. In jedem dieser N Gase seien von den restirenden Atomen n 1 nicht mit einem anderen restirenden Atome verbunden, dagegen seien 2 n 2 der restirenden Atome zu je zwei chemisch verbunden, so dass sie n 2 Doppelatome bilden. Wir fragen nun, in wie vielen der N Gase das hervorgehobene Atom mit einem der übrigen chemisch verbunden sein wird und in wie vielen dies nicht der Fall ist. Wir betrachten zunächst nur eines der N Gase. Da wir eine chemische Verbindung dreier Atome ausgeschlossen haben, so kann das hervorgehobene Atom, wenn es überhaupt chemisch verbunden ist, nur mit einem der n 1 noch nicht chemisch ge- bundenen Atome dieses Gases vereint sein. Wir zeichnen daher zunächst, wie in Fig. 4, für jedes dieser n 1 Atome die Deckungssphäre und die concentrische Kugel E vom Radius 1; auf jeder dieser Deckungssphären wird sich irgendwo der kritische Raum ω befinden. In jedem der zu allen n 1 Atomen gehörigen kritischen Räume zeichnen wir das Volumelement d ω , welches genau dieselbe relative Lage zum betreffenden Atome hat, wie das Element d ω der Fig. 4 gegen das dort gezeichnete Atom, und auf jeder Kugelfläche E zeichnen wir ein Flächenelement d λ , welches ebenfalls gegen das be- treffende Atom dieselbe Lage hat, wie das in der Fig. 4 ge- zeichnete Flächenelement d λ . Befindet sich nun der Mittelpunkt des hervorgehobenen Atomes in irgend einem der Volum- elemente d ω und ausserdem der Punkt Λ in dem Flächen- elemente d λ der dazu gehörigen Fläche λ (oder an deren Grenze), so ist es an ein anderes Atom chemisch gebunden, und zwar bei ganz bestimmter Lage relativ gegen jenes andere Atom, so dass die mit χ bezeichnete Grösse einen bestimmten Werth hat. Wäre diejenige Anziehungskraft, welche wir die chemische genannt haben, nicht thätig, so würde sich die Wahrschein- lichkeit w 1 , dass der Mittelpunkt des hervorgehobenen Mo- leküles sich in einem der Volumelemente d ω befindet, zur Wahrscheinlichkeit w , dass er sich in einem beliebigen, inner- halb des Gases construirten Raume Ω befindet, der weder ein VI. Abschnitt. [Gleich. 187] Stück der Deckungssphäre eines restirenden Atomes, noch eines der Räume ω enthält, verhalten wie n 1 d ω : Ω . Der Raum Ω ist dem Gesagten gemäss so construirt, dass sich der Mittelpunkt des hervorgehobenen Atomes in jedem Punkte desselben befinden kann, ohne chemisch gebunden zu sein. Die Wahrscheinlichkeit w 2 , dass nicht nur der Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles in einem der Volumelemente d ω , sondern dabei auch noch der Punkt Λ innerhalb des Flächen- elementes d λ liegt, würde sich bei Abwesenheit der chemischen Kraft zu w 1 verhalten wie d λ : 4 π , so dass also: wäre. Durch die chemische Anziehung wird diese Wahrschein- lichkeit nach Formel 142) im Verhältnisse e 2 h χ : 1 vergrössert; daher ist beim Vorhandensein der chemischen Anziehung diese Wahrscheinlichkeit . Um alle möglichen Lagen, wobei das hervorgehobene Atom mit irgend einem der n 1 restirenden Einzelatome chemisch verbunden ist, zu umfassen, müssen wir diesen Ausdruck über alle Volumelemente d ω des ganzen kritischen Ranmes ω und für jedes solche Volumelement über alle Flächenelemente d λ der zum betreffenden Volumelemente d ω gehörigen Fläche λ integriren, wodurch wir für die Wahrscheinlichkeit, dass das hervorgehobene Atom überhaupt chemisch verbunden ist, den Ausdruck 185) erhalten. Setzen wir 186) , so wird 187) w 3 = n 1 w k / Ω . Dabei ist w die Wahrscheinlichkeit, dass der Mittelpunkt des hervorgehobenen Moleküles in einem beliebigen Raume Ω liegt, in den jedoch nirgends die Deckungssphäre oder der kritische Raum eines der restirenden Atome fallen darf. [Gleich. 188] § 63. Bindung zweier gleichartiger Atome. Es ist nun die Wahrscheinlichkeit zu berechnen, dass das hervorgehobene Molekül in dem betrachteten Gase nicht che- misch verbunden ist. Letzterer Umstand wird immer eintreten, wenn sich sein Mittelpunkt in dem von den Deckungssphären aller restirenden Atome und von den kritischen Räumen der n 1 Atome frei gelassenen Raume befindet. Die Summe jener kritischen Räume ist n 1 ω , der gesammte von den Deckungs- sphären erfüllte Raum sei wie in § 59 gleich G b . Da das gesammte Volumen des Gases V ist, so ist der von den Deckungssphären und kritischen Räumen freigelassene Raum V — G b — n 1 ω . Der Fall, dass zwei Deckungssphären oder eine Deckungssphäre und ein kritischer Raum sich überdecken, ist dabei vernachlässigt, da er nur sehr kleine Grössen höherer Ordnung liefert. Die Wahrscheinlichkeit w 4 , dass sich der Mittelpunkt des hervorgehobenen Atomes in diesem Raume befindet, verhält sich zur Wahrscheinlichkeit, dass er sich im Raume Ω befindet, wie die Volumina der betreffenden Räume, da ja der letztere Raum nur ein beliebig heraus- geschnittener Theil des ersteren ist. Es ist also: w 4 = w ( V — G b — n 1 ω ) / Ω . Das hervorgehobene Atom ist aber auch dann nicht che- misch gebunden, wenn sich sein Mittelpunkt zwar in einem Volumelemente eines der kritischen Räume befindet, aber der Punkt Λ nicht auf der dazu gehörigen Fläche λ liegt, da es dann so gedreht ist, dass die empfindlichen Bezirke ausserhalb einander fallen. Für die Wahrscheinlichkeit dieses letzteren Ereignisses findet man vollkommen analog der Formel 185) den Ausdruck 188) , wobei aber für jedes Volumelement d ω unter d λ 1 ein Element der Kugelfläche E zu verstehen ist, welches nicht auf der zu d ω gehörigen Fläche λ liegt, und wieder über alle Flächen- elemente, welche dieser Bedingung genügen und ausserdem noch über alle Volumelemente d ω zu integriren ist. Die Ex- ponentielle ist natürlich jetzt weggelassen, da ja in keiner der jetzt betrachteten Lagen Anziehungskräfte thätig sind. In jedem der N Gase hat daher die gesammte Wahrscheinlich- VI. Abschnitt. [Gleich. 190] keit, dass das hervorgehobene Atom chemisch nicht gebunden ist, den Werth: 189) . Die drei Grössen G b , n 1 ω und sind von den chemischen Anziehungskräften vollkommen unabhängig. Die erste stellt die von van der Waals berücksichtigte Ab- weichung vom Boyle-Charles ’schen Gesetze wegen der Mess- barkeit der Ausdehnung der Moleküle dar. Da der kritische Raum sehr klein gegenüber der Deckungssphäre ist, so ist von den obigen drei Grössen die zweite und dritte noch klein im Vergleiche mit der ersten. Wir wollen alle drei Grössen gegen- über v vernachlässigen, da wir die Dissociation eines Gases be- rechnen wollen, welches im Uebrigen die Eigenschaften eines idealen hat, bei welchem also die von der Dissociation unab- hängigen Abweichungen vom Boyle-Charles ’schen Gesetze vernachlässigt werden können. Umsomehr können wir auch alle Glieder vernachlässigen, welche in Gleichung 189) zum Aus- drucke in der Klammer noch hinzukämen, wenn man noch grössere Genauigkeit anstreben würde. Daher geht die Glei- chung 189) über in 190) . Dagegen darf die durch die Gleichung 186) gegebene Grösse k nicht als klein gegenüber v betrachtet werden, da wegen der grossen Intensität der chemischen Kräfte die Exponentielle einen sehr grossen Werth hat. Erhebliche Dissociation tritt eben nur dann ein, wenn die Exponentielle e 2 h χ von derselben Grössenordnung wie V / n 1 ω ist und daher auch k und v von derselben Grössenordnung sind. Aus den Gleichungen 187) und 190) folgt w 6 : w 3 = V : n 1 k . Kehren wir jetzt zu allen N gleich beschaffenen Gasen zurück und nehmen an, dass in N 3 derselben das hervor- gehobene Atom chemisch verbunden in N 6 aber nicht chemisch gebunden sei, so ist natürlich auch N 6 : N 3 = w 6 : w 3 = V : n 1 k . [Gleich. 194] § 64. Dissociation und Druck. Da wir aber ebenso gut jedes andere Atom hätten hervor- heben können, so muss dies für den Gleichgewichtszustand auch das Verhältniss der Zahl n 1 der unverbundenen Atome zur Zahl 2 n 2 der chemisch gebundenen sein. Es ist also n 1 : 2 n 2 = V : n 1 k , daher 191) . § 64. Abhängigkeit des Dissociationsgrades vom Drucke . Wir haben bei Bestimmung des Begriffes der beiden Zahlen n 1 und n 2 freilich das eine Molekül, welches wir das hervorgehobene nannten, ausgeschlossen. Da aber diese Zahlen unbedingt sehr gross gegenüber der Einheit sind, so gilt die Gleichung 191), auch wenn unter n 1 überhaupt die Zahl aller unverbundenen Atome (einfachen Moleküle) des Gases, unter n 2 die aller Doppelatome (zusammengesetzten Moleküle) verstanden werden. Da a die Gesammtzahl aller Moleküle des Gases ist, so hat man ausserdem n 1 + 2 n 2 = a . Daraus folgt: 192) . Wir bezeichneten mit G die gesammte Gasmasse, mit m 1 die Masse eines Atomes, so dass a = G / m 1 ist. a / G = 1 / m 1 ist die Anzahl der dissociirten und chemisch gebundenen Atome zusammen, welche auf die Masseneinheit entfallen. Ferner wollen wir wieder mit v = V / G das specifische Volumen, also das Volumen der Masseneinheit des theilweise dissociirten Gases bei der betreffenden Temperatur und dem betreffenden Drucke und mit q = n 1 / a den Dissociationsgrad, d. h. das Verhältniss der Anzahl der chemisch nicht gebundenen (dissociirten) Atome zur Gesammtzahl aller Atome bezeichnen. Endlich setzen wir 193) . Dann geht die obige Gleichung über in: 194) . VI. Abschnitt. [Gleich. 194] Zur Orientirung sei hier noch Folgendes bemerkt: Wenn zwei Einzelatome zufällig so zusammenstossen, dass ihre empfind- lichen Bezirke in einander eindringen, so wird wegen der Kleinheit dieser Bezirke und wegen der grossen relativen Ge- schwindigkeit der Atome, welche durch die chemischen Kräfte nur erhöht wird, in den meisten Fällen die Zeit des Ueber- einandergreifens der empfindlichen Bezirke, das wir in diesem Falle eine uneigentliche chemische Bindung nennen, klein sein gegenüber der Zeit, die durchschnittlich von einem bis zum nächsten Zusammenstosse eines Moleküles vergeht. Dabei ist die Energie des Doppelatomes so gross, dass sich beide Atome wieder von einander trennen können. Die Anzahl dieser uneigentlich gebundenen Atome ist jedenfalls verschwindend klein gegen a , da sie immer nur sehr kurze Zeit beisammen bleiben. Sie können also, wenn n 2 nicht sehr klein gegen a ist, auch zu n 2 nur verschwindend wenig beitragen. Nur durch Verwandlung von lebendiger Kraft der Atomschwerpunkte in innere Energie der Atome (z. B. Drehung derselben um ihre Axe oder innere Bewegung derselben) könnte, falls die Atome nicht starre Kugeln sind, ein etwas längeres Zusammensein bewirkt werden. (Erste Art eigentlicher che- mischer Bindung.) Dagegen kann durch Intervention eines dritten einfachen Atomes oder Doppelatomes, während die empfindlichen Bezirke zweier anderer Atome in einander über- greifen, die Energie so herabgesetzt werden, dass sie zum Wiederauseinandergehen der beiden Atome gar nicht mehr hinreicht, diese also mindestens bis zu einem neuen Zusammen- stosse beisammen bleiben müssen. (Zweite Art der eigentlichen chemischen Bindung.) In allen Fällen, wo unsere Rechnung ergiebt, dass die Anzahl n 2 der Doppelatome nicht verschwin- dend klein ist gegen die Anzahl a aller Atome, müssen zahl- reiche Doppelatome lange mit einander vereint bleiben. Der Hauptvorzug unserer allgemeinen Formel ist gerade der, dass sie die Anzahl der chemisch gebundenen Atompaare zu be- rechnen gestattet, ohne dass man speciell auf den Vorgang der Entstehung oder Wiederauflösung derselben einzugehen braucht. Jedenfalls werden von den n 2 durch Rechnung ge- fundenen Doppelatomen, falls diese Zahl nicht überhaupt sehr klein ist, in allen bis auf verschwindend wenige die Atome [Gleich. 196] § 64. Dissociation und Druck. längere Zeit mit einander vereint sein, so dass diese also als Moleküle im Sinne der Gastheorie aufzufassen sind. Behufs Berechnung des Druckes müssen wir also die Sache so betrachten, als ob wir ein Gemisch zweier Gase hätten. Das Molekül des einen dieser Gase ist ein Einzelatom, das Molekül des anderen Gases aber ist ein Paar zweier Atome. Der Gesammtdruck eines beliebigen Gasgemisches ist: , wenn m 1 , m 2 … die Massen, , … die mittleren Geschwin- digkeitsquadrate der Schwerpunkte der verschiedenen Molekül- gattungen sind. n 1 ist die Gesammtzahl der Gasmoleküle erster Gattung, ebenso n 2 u. s. w. (Vergl. I. Theil, Gleichung 8, S. 14). Ist ausserdem M die Masse eines Moleküles des Normal- gases, dessen mittleres Geschwindigkeitsquadrat bei der- selben Temperatur T , μ h = m h / M das Atomgewicht eines der anderen Gase, wenn das Molekulargewicht des Normalgases gleich 1 gesetzt wird, so ist: , daher: 195) . In unserem speciellen Falle ist 2 n 2 = a — n 1 , n 3 = n 4 … = 0, daher: , also, da v = V / a m 1 ist, 196) . Substituirt man hier für q den Werth 194), so folgt der Druck p als Function des specifischen Volumens v und der Tempera- tur T . Dabei ist aber K noch Function der Temperatur, wo- von später noch die Rede sein wird. In der That giebt die directe Beobachtung die Relation zwischen p , v und T . Die Chemiker pflegen aber gewöhnlich den Dissociationsgrad q als VI. Abschnitt. [Gleich. 198] Function von p und T anzugeben. Man gelangt dazu, indem man die Formel 191) zunächst in der Form schreibt: . Die Multiplication dieser Gleichung mit der Gleichung 196) liefert , daher: 197) . Substituirt man diesen Werth in die Gleichung 196), so erhält man v als Function von p , T und K . § 65. Abhängigkeit des Dissociationsgrades von der Temperatur . Es erübrigt noch die Discussion der Grösse K . Setzen wir in die Gleichung 193) für h seinen Werth 1 / 2 M R T , so folgt: 198) , was jedenfalls nur eine Function der Temperatur ist. Bei constanter Temperatur ist also K eine Constante und die Formeln 194), 196) und 197) geben ohne Weiteres die Be- ziehung zwischen p und v , sowie die Abhängigkeit der Grösse q von p und v , wobei nur eine einzige neue zu bestimmende Constante K eingeht. Da die Formel 198) die Temperatur unter dem Integral- zeichen enthält, so kann die Abhängigkeit der Grösse K von der Temperatur nicht ohne Weiteres in einfacher Weise an- gegeben werden. Man muss vielmehr noch eine Voraussetzung über die Art und Weise der Abhängigkeit der Function χ von dem Maasse des Uebereinandergreifens der beiden empfind- lichen Bezirke machen. Um uns da nicht in allzu unbestimmte Hypothesen zu verlieren, wollen wir nur die allereinfachste Annahme discutiren, dass χ immer einen constanten Werth [Gleich. 200] § 65. Dissociation und Temperatur. hat, sobald die zwei Atome nur überhaupt chemisch verbunden sind, d. h. sobald die beiden empfindlichen Bezirke überhaupt in einander greifen, mögen sie nun mehr oder weniger tief in einander greifen. Es wäre dies der Fall, wenn zwischen den beiden Atomen in dem Momente, wo die empfindlichen Be- zirke sich berühren, eine an allen Stellen der Oberfläche dieser Bezirke gleiche, mächtige Anziehung aufträte, die jedoch sofort wieder auf Null herabsänke, sobald die empfindlichen Bezirke etwas tiefer in einander eindrängen. Es wäre dann χ die constante Trennungsarbeit der beiden chemisch gebundenen Atome oder umgekehrt die Arbeit, welche bei der chemischen Verbindung derselben von der chemischen Anziehungskraft ge- leistet wird. Wenn alle in der Masseneinheit des Gases vorhandenen a / G Atome anfangs unverbunden sind und sich nachher zu a / 2 G Doppelatomen verbinden, so wird dabei die Arbeit αχ / 2 G geleistet; es ist also Δ = α χ / 2 G die gesammte, im Arbeits- maasse gemessene Verbindungs- oder auch Dissociationswärme der Masseneinheit des Gases und man hat: 199) χ = 2 G Δ / a , . 200) . Die Masse 2 μ 1 nennt man in der Chemie „ein Molekül“. 2 μ 1 Δ ist also die Dissociationswärme „eines Moleküles“. Man sieht leicht, dass χ für keine Constellation der Atome von höherem Grade als höchstens logarithmisch unendlich werden kann, da sonst die Wahrscheinlichkeit der betreffenden Constellation unendlich von der Ordnung e χ würde, also so gross, dass sich die Atome niemals trennen könnten. Was daher χ auch immer für Function der Position der Atome sein mag, so wird man kein qualitativ verschiedenes Resultat erhalten, wenn man für χ immer seinen Mittelwerth für alle Positionen setzt, wodurch man wieder zur Formel 200) gelangt, welche also sicher auch im allgemeinen Falle einige Annäherung an die Wirklichkeit bietet. In dem Falle, wo χ constant ist, wird bei der Relativ- bewegung der chemisch gebundenen Atome, so lange sie ge- VI. Abschnitt. [Gleich. 204] bunden bleiben, keine intramolekulare Arbeit geleistet. Die mittlere lebendige Kraft aber ist bei gleicher Temperatur immer dieselbe, ob die Atome chemisch gebunden sind oder nicht; daher entsprechen auch gleichen Temperaturerhöhungen gleiche Zuwächse der mittleren lebendigen Kraft und ist die specifische Wärme unabhängig davon, ob die Atome chemisch gebunden sind oder nicht, sobald χ constant ist. Natürlich ist dabei die specifische Wärme vor Beginn oder nach dem Ende der Dissociation gemeint oder es ist, falls der Disso- ciationsgrad sich ändert, die Dissociationswärme nicht zur spe- cifischen Wärme zu rechnen. Wir wollen nun zur Abkürzung 201) , 202) , 203) setzen, wobei λ das Flächenstück auf der Kugel E ist, welches der Punkt λ nicht verlassen darf, ohne dass sich die chemische Verbindung auflöst, wenn der Mittelpunkt B des zweiten Atomes der Fig. 4 innerhalb d ω liegt; dann folgt aus den Gleichungen 197), 200), 201), 202) und 203) 204) . Ist q als Function von p und T experimentell gegeben, so können aus dieser Formel die beiden Constanten α und γ bestimmt werden. Aus α folgt dann sofort mittelst Formel 201) die Dissociationswärme, oder wenn man lieber will, die Ver- bindungswärme Δ der Masseneinheit des Gases. Aus γ kann nach Formel 203) die Grösse β bestimmt werden. Dieselbe hat nach Gleichung 202) eine merkwürdige molekulare Be- deutung. Für jedes Volumelement d ω des einem Atome an- gehörigen kritischen Raumes muss der Punkt Λ auf einem gewissen Flächenstücke λ der Kugelfläche E liegen, damit [Gleich. 204] § 65. Dissociation und Temperatur. chemische Verbindung Platz greife. Wir wollen nun das Volumen jedes Volumelement d ω eines kritischen Raumes nicht voll zählen, sondern bloss den Bruchtheil desselben, welcher entsteht, wenn wir das Volumelement mit λ / 4 π multi- pliciren. Diesen Bruchtheil des ganzen Volumelementes nennen wir das reducirte Volumen desselben. ist dann die Summe der reducirten Volumina aller Volumelemente des einem Atome angehörigen kritischen Raumes, wir sagen ein- fach das reducirte Volumen des kritischen Raumes. Wir wollen uns noch einer abgekürzten Redeweise be- dienen. Statt zu sagen, der Mittelpunkt des zweiten Atomes liegt im Volumelemente d ω und gleichzeitig der Punkt Λ auf der dazu gehörigen Fläche λ , sagen wir einfach, das zweite Atom liegt im reducirten Volumelemente d ω . Statt zu sagen, es liegt in irgend einem reducirten Volumelemente des kritischen Raumes, sagen wir einfach, es liegt irgendwo im reducirten kritischen Raume. Da endlich 1 / m 1 die Gesammtanzahl der in der Massen- einheit befindlichen Atome ist, so ist β die Summe der redu- cirten Volumina aller kritischen Räume, welche allen auf die Masseneinheit entfallenden Atomen zukommen. Würde man eine bestimmte Annahme über die Gestalt der empfindlichen Bezirke machen, so könnte man daraus die Gestalt des zu jedem Volumelemente d ω des kritischen Raumes gehörigen Flächenstückes λ , und daher nicht bloss das reducirte, sondern auch das absolute Volumen aller kritischen Räume berechnen, welche allen in der Masseneinheit liegenden Atomen zukommen. Doch wollen wir uns hierauf nicht näher einlassen. Setzt man den Ausdruck 204) in die Gleichung 196) ein, so kann man das specifische Volumen v als Function des Druckes p , der Temperatur T , der Gasconstante R / μ 1 des dissociirten Gases und der beiden Constanten α und γ aus- drücken. Will man lieber p als Function von v und T aus- drücken, so substituirt man zweckmässiger den Ausdruck 194) für q , nachdem man darin (nach Gleichung 200) gesetzt hat, in die Gleichung 196). VI. Abschnitt. [Gleich. 204] § 66. Numerische Rechnungen . Es soll hier ausnahmsweise eine kurze numerische Rech- nung angeschlossen werden. Ich habe in den Wiener Sitzungs- berichten II., Bd. 88, S. 891 und 895, 1883. die Versuche von Deville und Troost Par. compt. rend. 64, 237; 86, S. 332 u. 1395, 1878; Jahresber. f. Ch. 1867, S. 177; Naumann , Thermochemie S. 115 bis 128. und Nau- mann Ber. d. deutsch. chem. Gesellsch. Bd. 11, 1878, S. 2045; Jahres- ber. f. Ch. 1878, S. 120. über Dissociation der Untersalpetersäure und die von Fr. Meier und Crafts Ber. d. deutsch. chem. Ges. Bd. 13, 1880, S. 851—873. über Dissociation des Joddampfes nach der hier mit 204) bezeichneten Formel numerisch be- rechnet. Die dort von mir mit a und b bezeichneten Con- stanten stehen mit den hier mit α und γ bezeichneten in folgender Beziehung: . l bedeutet wieder den natürlichen Logarithmus. Ich fand dort, wenn man die auf Untersalpetersäure bezüglichen Grössen mit dem Index u , die auf Joddampf bezüglichen mit dem Index j markirt: , b u = 3080 . 1°C., , b j = 6300 . 1°C., woraus folgt α u = 3080 . l 10 . 1°C., , α j = 6300 . l 10 . 1°C., . p u ist der mittlere Druck, den Deville und Troost bei ihren Versuchen über Dissociation der Untersalpetersäure anwandten (etwa 755·5 mm Hg), p j der bei den Versuchen Meier und Crafts über Dissociation des Joddampfes (728 mm). Nach [Gleich. 208] § 66. Numerische Rechnungen. Gleichung 201) ist nun die Dissociationswärme eines Moleküles (im chemischen, makroskopischen Sinne) Π = 2 μ 1 Δ = α R . Dieser Formel liegt das mechanische Maass der Wärme zu Grunde. Misst man im Wärmemaass, so ist noch mit dem betreffenden Umrechnungsfachtor J zu multipliciren. Die im Wärmemaasse gemessene Dissociationswärme eines chemischen Moleküles ist also 205) P = α R J. Wir wollen für die mechanischen Grössen die Masse des Grammes, den Centimeter und die Secunde als Einheiten ver- wenden. 430 Kilogewichte, einen Meter hoch gehoben, er- zeugen eine Kilocalorie. Daher ist 206) . Hierbei ist G = 981 cm / sec 2 die Schwerebeschleunigung, cal eine Grammcalorie. Den Werth der Gasconstante r für Luft finden wir, wenn wir in der Zustandsgleichung p v = r T für Luft setzen: T = der dem schmelzenden Eise entspr. abs. Temp. 273°, p = dem atm. Drucke = , . Das Molekül μ 0 der Luft ist etwa 28·9, wenn H = 1, H 2 = 2 gesetzt wird. Wegen R = r μ ist also für einatomigen Wasserstoff: 207) . Endlich folgt 208) . Boltzmann, Gastheorie II. 13 VI. Abschnitt. [Gleich. 214] Daher erhält man für Untersalpetersäure: 209) . Hieraus folgt durch Division mit dem Molekulargewicht 2 μ 1 = 92 der Untersalpetersäure (N 2 O 4 ) für die Dissociationswärme eines Grammes derselben der Werth 210) , was mit directen Bestimmungen der Dissociationswärme der Untersalpetersäure durch Berthelot und Ogier C. r. d. Par. Ac. XCIV, S. 916, 1882. Ann. d. chim. et phys. (5) XXX, S. 382—400, 1883. in guter Uebereinstimmung steht. Für den Joddampf ( J 2 ) folgt: 211) , . Nach den Formeln 202) und 203) ist ferner die Summe der reducirten kritischen Räume aller auf die Masseneinheit entfallenden Atome 212) . Nun hatten wir . p u entspricht einer Quecksilbersäule von 755·5 mm. Daher ist 213) Wenn man für R den Ausdruck μ 0 p 0 / ρ 0 T 0 schreibt, wobei sich μ 0 , p 0 , ρ 0 und T 0 auf ein beliebiges Gas, z. B. Luft von 0° C. unter dem Drucke des Normalbarometerstandes beziehen, so folgt und man kann direct den für γ p gefundenen Werth benutzen, ohne den von p gesondert zu benöthigen. . Daher wird 214) . [Gleich. 215] § 66. Numerische Rechnungen. Dieser Werth ist dreimal so klein, als der von mir in den Wien. Ber. l. c. gefundene, was daher rührt, dass ich daselbst die schon dort als unwahrscheinlich bezeichnete Voraussetzung machte, dass sich die vier Sauerstoffatome bei der Vereinigung und Wiedertrennung zweier NO 2 -Gruppen beliebig austauschen, wogegen ich hier jede solche Gruppe als sich nicht zerlegend, ganz die Rolle eines Atomes spielend betrachtete. Für Joddampf fand ich (l. c.) 215) . Die betreffenden Versuche wurden ebenfalls unter Atmosphären- druck (im Mittel 728 mm Quecksilber) angestellt. Ferner ist das Molekulargewicht 2 μ 1 von J 2 gleich 253·6. Die Substitution dieser Werthe liefert beiläufig . Weder für Untersalpetersäure, noch für Joddampf ist der Werth der Waals ’schen Constanten b bekannt, man kann daher den von den Molekülen ausgefüllten Raum nicht aus der Waals ’- schen Formel berechnen, die ihn übrigens auch nur der Grössen- ordnung nach liefert, da sie die Moleküle als fast undeformir- bare Kugeln betrachtet und noch verschiedene andere Verein- fachungen annimmt, welche das Resultat beeinflussen können. Es bleibt uns ausschliesslich die Loschmidt ’sche Schätzungs- methode. Wir wollen die Dichte der flüssigen Untersalpeter- säure gleich 1·5, die des festen Jodes gleich 5 setzen, was Temperaturen entspricht, die etwas unter der des schmelzen- den Eises liegen. Bei diesen Temperaturen ist der Dampf- druck beider Substanzen nur mehr gering; für Jod freilich noch viel geringer als für Untersalpetersäure; doch kommt dies hier, wo wir nur Grössenordnungen roh schätzen, nicht in Betracht. Wir nehmen daher ganz willkürlich an, dass in diesen beiden Substanzen zwei Drittel des Gesammtraumes von den Molekülen erfüllt ist. Dann wäre der von den Molekülen eines Grammes Untersalpetersäure erfüllte Raum 0·44 cm 3 / gr; die Summe der Volumina der Deckungssphären dieser Moleküle ist achtmal so gross, also 3·55 cm 3 / gr. Die- selben Grössen wären dann für Jod 0·133 cm 3 / gr und 13* VI. Abschnitt. [Gleich. 215] 1·07 cm 3 / gr. Es ist also für Untersalpetersäure der reducirte kritische Raum für eine als ein Atom betrachtete Gruppe NO 2 nur etwa der achtmillionste Theil der Deckungssphäre, für ein Jodatom dagegen der acht- bis neunte Theil der Deckungs- sphäre. Die geringe Dissociirbarkeit des Jodes ist also vor- wiegend in der relativen Grösse des kritischen Raumes gegen- über der Deckungssphäre begründet, wogegen der Unterschied in der Dissociationswärme pro Gramm der Substanz verhält- nissmässig gering ist. Bei millionenfacher Verdünnung würde daher der Joddampf nahe ebenso leicht dissociirbar sein, wie die Untersalpetersäure. § 67. Mechanisches Bild der Affinität zweier ungleichartiger einwerthiger Atome . Wir betrachten ein zweites, ebenfalls sehr einfaches Bei- spiel. Es seien im Raume V bei der Temperatur T und dem Gesammtdrucke p zweierlei Gattungen von Atomen vorhanden. Von der ersten Gattung sollen sich im Ganzen a 1 , von der zweiten a 2 im Raume befinden. Die Masse eines Atomes erster Gattung sei m 1 , die eines Atomes zweiter Gattung m 2 . Zwei Atome erster Gattung sollen sich zu einem Moleküle (Doppel- atome erster Gattung) verbinden können, ebenso zwei Atome zweiter Gattung (Doppelatom zweiter Gattung). Für jede dieser Verbindungen sollen genau die im vorigen Paragraphen fest- gesetzten Regeln gelten und wir wollen alle auf ein Doppel- atom erster Gattung sich beziehenden Grössen mit dem Index 1, die auf ein Doppelatom zweiter Gattung bezüglichen aber mit dem Index 2 bezeichnen. Ausserdem soll aber auch noch die chemische Verbindung eines Atomes erster Gattung mit einem Atome zweiter Gattung zu einem Moleküle, das wir ein ge- mischtes nennen wollen, möglich sein. Für diese Verbindung sollen wieder analoge Gesetze gelten und wir wollen den darauf bezüglichen Grössen die beiden Indices 1 und 2 bei- fügen. Im Gleichgewichtszustande sollen nun in unserem Gase enthalten sein: Erstens n 1 einzelne Atome erster und n 2 ein- zelne Atome zweiter Gattung, zweitens n 11 Doppelatome erster und n 22 Doppelatome zweiter Gattung, drittens n 12 gemischte [Gleich. 216] § 67. Einwerthige, ungleichartige Atome. Moleküle. Chemische Verbindungen von mehr als zwei Atomen sollen ausgeschlossen sein. Die Atome erster Gattung sollen undurchdringliche Kugeln vom Durchmesser σ 1 sein. Eine um den Mittelpunkt eines solchen Atomes mit dem Radius σ 1 beschriebene Kugel nennen wir seine Deckungssphäre be- züglich eines gleichbeschaffenen Atomes. An dieselbe wird sich der kritische Raum ω 1 für die Wirkung auf ein gleich- beschaffenes Atom anschliessen, von dem d ω 1 ein Volumele- ment sei. Liegt der Mittelpunkt eines anderen Atomes erster Gattung nicht innerhalb ω 1 , so soll dasselbe niemals mit dem ersteren Atome chemisch verbunden sein. Liegt er innerhalb d ω 1 , so soll nur dann chemische Verbindung Platz greifen, wenn er sich im reducirten Volumen d ω 1 befindet, d. h. wenn auch noch der Punkt Λ 1 innerhalb eines bestimmten Flächen- stückes λ 1 der dem ersteren Atome concentrisch liegenden Einheitskugelfläche E liegt. d λ 1 sei ein Element der Fläche λ 1 . Λ 1 ist wie früher der Durchschnittspunkt der vom Mittelpunkte des ersten Atomes aus parallel der Axe des zweiten gezogenen Geraden mit der Einheitskugelfläche. Endlich ist wieder χ 1 die Arbeit, die geleistet wird, wenn beide Atome aus grosser Entfernung in diejenige Lage kommen, wo der Mittelpunkt des zweiten innerhalb d ω 1 und der Punkt Λ 1 innerhalb d λ 1 liegt. Hebt man dann wieder ein Atom erster Gattung hervor, so kann man annehmen, dass von den restirenden Atomen erster Gattung noch immer n 1 weder mit einem Atome zweiter Gattung, noch mit einem anderen restirenden Atome erster Gattung verbunden sind. Soll das hervorgehobene Atom ein Doppelatom erster Gattung bilden, so kann es nur mit einem dieser n 1 noch einzeln stehenden Atome erster Gattung verbunden sein, da wir dreiatomige Moleküle ausschliessen. Die Wahr- scheinlichkeit hierfür verhält sich zur Wahrscheinlichkeit, dass es einzeln steht, wie k 1 n 1 : V , wobei 216) ist. Dies kann ganz wie im vorigen Paragraphen gefunden werden. Das Verhältniss dieser beiden Wahrscheinlichkeiten muss aber auch gleich dem Verhältnisse 2 n 11 : n 1 der Zahl der VI. Abschnitt. [Gleich. 219] in Doppelatomen erster Gattung befindlichen zu der der einzeln stehenden Atome erster Gattung sein, woraus folgt: 217) . Ebenso findet man für die Atome zweiter Gattung die Glei- chung 218) , wobei alle Grössen die analoge Bedeutung haben. Es ist also: 219) . Es erübrigt noch die Discussion der Bildung der ge- mischten Moleküle. Da wir uns ein Atom erster Gattung als eine undurchdringliche Kugel vom Durchmesser σ 1 , ein Atom zweiter Gattung aber als eine undurchdringliche Kugel vom Durchmesser σ 2 gedacht haben, so wollen wir consequenter Weise auch annehmen, dass die Entfernung zwischen dem Mittelpunkte eines Atomes erster und eines Atomes zweiter Gattung nicht kleiner als ½ ( σ 1 + σ 2 ) werden kann. Eine um den Mittelpunkt eines Atomes erster Gattung construirte Kugel vom Radius ½ ( σ 1 + σ 2 ) wollen wir die Deckungs- sphäre dieses Atomes bezüglich eines Atomes zweiter Gattung nennen. Auf der Oberfläche jedes Atomes erster Gattung soll wieder ein gewisser empfindlicher Bezirk liegen, ebenso auf der Oberfläche jedes Atomes zweiter Gattung ein an- derer empfindlicher Bezirk von der Beschaffenheit, dass zwischen dem Atome erster und dem zweiter Gattung nur dann erhebliche Anziehung stattfindet, wenn der empfindliche Bezirk des ersten den des zweiten Atomes berührt oder theil- weise in denselben eindringt. Am wahrscheinlichsten wird es wohl sein, dass diese empfindlichen Bezirke für die Wechsel- wirkung eines Atomes erster und eines Atomes zweiter Gattung dieselben sind, wie die für die Wechselwirkung zweiter Atome erster Gattung auf einander, respective zweier Atome zweiter Gattung auf einander; doch ist diese Annahme nicht gerade nothwendig. Jedenfalls können wir, ganz wie früher, anliegend der Deckungssphäre eines Atomes erster Gattung bezüglich eines Atomes zweiter Gattung wieder den kritischen Raum für dessen chemische Wirkung auf ein Atom zweiter Gattung con- [Gleich. 221] § 67. Einwerthige, ungleichartige Atome. struiren, der jetzt ω 12 heissen soll. Für jedes Volumelement d ω 12 dieses kritischen Raumes können wir auf der der Deckungs- sphäre concentrischen Einheitskugelfläche E eine Fläche λ 12 construiren, so dass, wenn der Mittelpunkt des zweiten Atomes innerhalb des Volumelementes d ω 12 liegt, zwischen den beiden Atomen nur dann Anziehung stattfindet, wenn ausserdem noch der analog wie früher zu bestimmende Punkt Λ 12 innerhalb irgend eines Flächenelementes d λ 12 der Fläche λ 12 liegt (wenn sich das Atom im reducirten Volumelemente d ω 12 befindet). In diesem Falle soll dann χ 12 die Trennungsarbeit sein. Wir heben wieder irgend ein Atom zweiter Gattung hervor. Damit es Einzelatom sei, steht ihm bis auf verschwindend Kleines das ganze Volumen V des Gases zur Verfügung. Soll es dagegen ein gemischtes Molekül bilden, so muss sein Mittel- punkt innerhalb irgend eines Volumelementes d ω 12 irgend eines der zu den n 1 noch nicht chemisch gebundenen Atomen erster Gattung gehörigen kritischen Räume und dabei noch der Punkt Λ 12 in irgend einem Flächenelemente d λ 12 der dazu gehörigen Fläche λ 12 liegen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sein Mittelpunkt in einem bestimmten Volumelemente d ω 12 und der Punkt Λ 12 in einem bestimmten Flächenelemente d λ 12 liegt, verhält sich zu der, dass bei beliebiger Stellung seiner Axe sein Mittelpunkt innerhalb V liegt, wie: . Die Wahrscheinlichkeit, dass das hervorgehobene Atom überhaupt zu einem gemischten Moleküle verbunden ist, verhält sich daher zu der, dass es ein Einzeltatom ist, wie . Man erhält also, wenn man wieder 220) setzt, die Proportion: n 2 : n 12 = V : n 1 k 12 , daher 221) V n 12 = k 12 n 1 n 2 . VI. Abschnitt. [Gleich. 221] § 68. Dissociation eines Moleküles in zwei heterogene Atome . Wir wollen zuerst den speciellen Fall betrachten, dass k 1 und k 2 verschwinden, respective so klein gegenüber k 12 und V / n 1 sind, dass die Anzahl der Doppelatome erster und zweiter Gattung vollkommen vernachlässigt werden kann. Das Gas besteht dann nur aus dreierlei Molekülen. Einzelatomen erster, Einzelatomen zweiter Gattung und gemischten Molekülen. Wir specialisiren den Fall zuerst noch weiter dahin, dass keine der beiden einfachen Gasarten im Ueberschusse vor- handen ist, dass also die Anzahl der Einzelatome erster Gattung genau gleich der Anzahl der Einzelatome zweiter Gattung ist. Dann setzen wir: a 1 = a 2 = a . Es wird n 1 = n 2 = a — n 12 . Bezeichnen wir wieder den Quotienten q = ( a — n 12 ) / a als den Dissociationsgrad, so folgt aus Gleichung 221) a k 12 q 2 = V (1 — q ). Ferner hat man nach Gleichung 195) , Daher . Wir wollen wieder χ 12 als constant voraussetzen, dann ist die Dissociationswärme der ursprünglich aus lauter gemischten Molekülen bestehenden Masseneinheit. Ferner ist: . μ 1 ist das Atomgewicht eines aus Einzelatomen erster Gattung bestehenden Gases, bezogen auf H 1 = 1, H 2 = 2, eine analoge Bedeutung hat μ 2 für die zweite Gasart. Die im Exponenten [Gleich. 222] § 68. Dissociation des Bromwasserstoffamylen. stehende Grösse ( μ 1 + μ 2 ) Λ 12 = Π ist die in Arbeitsmaass ge- messene Dissociationswärme eines Moleküles der undissociirten Substanz im chemischen oder makroskopischen Sinne, dessen Masse (das chemische Molekulargewicht) μ 1 + μ 2 ist. Setzen wir , so ist wiederum . κ 12 ist der reducirte kritische Raum eines Atomes erster Gattung bezüglich seiner Wirkung auf ein Atom zweiter Gattung. κ 12 / m 1 wäre die Summe aller reducirten kritischen Räume, welche allen in der Masseneinheit der ersten Gasart enthaltenen Atomen entsprechen, κ 12 / M dagegen ist die Summe aller kri- tischen Räume, die allen in einem Moleküle im Sinne der Chemie enthaltenen Atomen der ersten Gasart entsprechen, d. h. in der Masse m 1 / M der ersten Gasart, welche der Massen- einheit der Normalsubstanz chemisch äquivalent ist. Ist ein Gas im Ueberschusse vorhanden, so liefert die Gleichung 221) 221 a) 222) . Da n 12 weder grösser als a 1 , noch grösser als a 2 sein darf, so wurde die Wurzel mit negativen Zeichen genommen. Wäre a 1 sehr gross, so müsste der andere Factor a 2 — n 12 der linken Seite der Gleichung 221 a) sehr klein, also n 12 nahe gleich a 2 sein, was übrigens auch aus 222) folgt, wenn man darin a 1 gross gegen a 2 ansieht. Mit wachsender Zahl der Atome erster Gattung verbinden sich also immer mehr Atome zweiter Gattung mit denselben, bis endlich fast alle Atome zweiter Gattung chemisch gebunden sind, was mit dem Massenwirkungsgesetze von Guldberg-Waage in Uebereinstimmung steht. VI. Abschnitt. [Gleich. 223] § 69. Dissociation des Jodwasserstoffgases . Wir wollen nun den anderen extremen Specialfall des in § 67 behandelten allgemeineren Falles betrachten. Es soll wieder a 1 = a 2 = a sein, aber V/a soll gegen k 1 , k 2 und k 12 verschwinden, so dass die Anzahl der Einzelatome beider Gattungen verschwindend klein ist, wie dies zum Beispiel der Fall ist, wenn sich JH in J 2 und H 2 dissociirt. Wir erhalten dann, wenn wir die Gleichung 221) quadriren, . Substituiren wir die Werthe von und aus den Gleichungen 217) und 218), so folgt: 223) . Bezeichnet man wieder mit q = ( a — n 12 ) / a den Dissociations- grad, so ist: . Daher folgt aus Gleichung 223), nachdem man die Quadrat- wurzel ausgezogen hat: . Setzt man wieder die χ als constant im ganzen reducirten kritischen Raume voraus und bezeichnet die reducirten kri- tischen Räume für die Wirkung zweier Atome erster Gattung auf einander, zweier Atome zweiter Gattung auf einander respective eines Atomes erster Gattung auf ein Atom zweiter Gattung mit κ 1 , κ 2 und κ 12 , so ist nach den Gleichungen 216), 219) und 220): . [Gleich. 223] § 69. Dissociation des Jodwasserstoffgases. Bei Bildung von 2 JH Molekülen aus einem J 2 - und einem H 2 -Molekül wird die Wärme 2 χ 12 — χ 1 — χ 2 frei. ist also die Wärme Δ , welche bei der Bildung der Massen- einheit JH aus gewöhnlichem Jod- und Wasserstoffgase frei wird. Daher ist . Π = 2( μ 1 + μ 2 ) Δ ist natürlich wieder die Bildungswärme zweier Moleküle JH im chemischen Sinne aus einem Moleküle ge- wöhnlichen Joddampfes und einem Moleküle gewöhnlichen Wasserstoffgases. Für sehr hohe Temperaturen nähert sich q der Grenze . Aus den übrigens vielleicht wegen falschen chemischen Gleichgewichtes nicht ganz sicheren Versuchen von Lemoine Ann. d. Ch. e. d. phys. (5), Bd. 12, S. 145, 1877; vergl. auch Hautefeuille , Par. c. r. Bd. 64, S. 608 u. 704, 1867. berechnet sich diese Grenze etwa zu 3/4. Es wäre also der reducirte kritische Raum für die Wirkung eines Jodatomes auf ein Wasserstoffatom nur etwa der dritte Theil des geo- metrischen Mittels der reducirten kritischen Räume für die Wirkung zweier Jod- resp. zweiter Wasserstoffatome auf einander. § 70. Dissociation des Wasserdampfes . Wir wollen noch einen speciellen Fall in Kürze betrachten, nämlich die Dissociation zweier Wasserdampfmoleküle (2H 2 O) in zwei Wasserstoffmoleküle (2H 2 ) und ein Sauerstoffmolekül (O 2 ). In einem Volumen V werden bei der Temperatur T und dem Drucke p streng genommen alle möglichen Moleküle vorhanden sein, die durch Combination von Sauerstoff- und Wasserstoff- VI. Abschnitt. [Gleich. 224] atomen sich bilden lassen. Es seien: n 10 , n 01 , n 20 , n 02 , n 11 und n 21 Moleküle von der Form H, O, H 2 , O 2 , HO und H 2 O vorhanden. Wir bezeichnen mit κ 20 , κ 02 , κ 11 und κ 21 die redu- cirten kritischen Räume für die Vereinigung zweier Wasser- stoff-, zweier Sauerstoffatome, eines Sauerstoff- mit einem Wasserstoffatome zur Gruppe HO, einer solchen Gruppe mit einem neuen Wasserstoffatome zu Wasserdampf. Ferner mit χ 20 , χ 02 , χ 11 und χ 21 die bei den betreffenden Verbindungen frei werdenden, in Arbeitsmaass gemessenen Wärmemengen, so dass: 2 χ 11 + 2 χ 21 — 2 χ 20 — χ 02 . die Bildungswärme zweier Wasserdampfmoleküle aus zwei Wasserstoff- und einem Sauerstoffmoleküle ist. Jedes der χ soll im betreffenden kritischen Raume constant sein. Wir wollen zunächst ein Wasserstoffatom hervorheben. Es ist zu einem Moleküle von der Form HO gepaart, wenn es sich im reducirten kritischen Raume κ 11 eines der n 01 Sauer- stoffatome befindet. Die Wahrscheinlichkeit, dass es einzeln ist, verhält sich also zur Wahrscheinlichkeit, dass es eine Gruppe von der Form HO bildet, wie . Dies ist aber zugleich dem Verhältnisse n 10 : n 11 gleich, woraus folgt: . Vergleicht man die Wahrscheinlichkeit, dass das hervor- gehobene Wasserstoffatom einzeln steht mit der, dass es mit einem Moleküle HO zu H 2 O vereint ist, so folgt ebenso: , daher: 224) . Die Wahrscheinlichkeit, dass das hervorgehobene Wasser- stoffatom einzeln steht, verhält sich zu der, dass es mit einem restirenden Wasserstoffatome zu einem Moleküle H 2 vereint ist, wie . [Gleich. 228] § 70. Dissociation des Wasserdampfes. Dies ist aber wieder das Verhältniss der Zahl n 10 der einzeln stehenden Wasserstoffatome zur Zahl 2 n 20 der an andere Wasserstoffatome gebundenen. Daher ist: und ebenso . Hieraus und aus Gleichung 224) folgt: 225) . Nehmen wir an, es seien ursprünglich a Wasserdampf- moleküle gewesen. Nun seien davon nur mehr n 21 undissociirt, die übrigen a — n 21 seien dissociirt und zwar nahezu aus- schliesslich in Moleküle von der Form H 2 und O 2 . Der Quotient q = ( a — n 21 ) / a soll wieder der Dissociationsgrad heissen. Da aus den a — n 21 Wasserdampfmolekülen, a — n 21 Wasser- stoff- und Sauerstoffmoleküle entstanden sind, so ist: n 20 = a q , n 02 = ½ a q , n 21 = a (1 — q ). 2 χ 21 + 2 χ 11 — 2 χ 20 — χ 02 ist die Wärme, welche frei wird, wenn sich zwei Wasserdampfmoleküle aus zwei Wasserstoff- und einem Sauerstoffmoleküle bilden. Bezeichnen wir daher die Wärme, welche entsteht, wenn sich die Masseneinheit Wasser aus gewöhnlichem Knallgase bildet, mit Δ , so ist . Setzt man noch 226) , so wird: 227) . Ferner ist nach Formel 195) 228) . VI. Abschnitt. [Gleich. 228] Eliminirt man q , so ergiebt sich die Relation zwischen p , υ und T . Eliminirt man dagegen υ , so erhält man für die Abhängigkeit des Dissociationsgrades von Druck und Tem- peratur die folgende Gleichung: . Die Gleichung zwischen q, p und υ würde sich durch Eli- mination von T aus 227) und 228) ergeben. Um der Bivalenz (Zweiwerthigkeit) des Sauerstoffatomes Rechnung zu tragen, könnte man annehmen, dass auf der Oberfläche desselben zwei gleichbeschaffene empfindliche Be- zirke liegen. Es wäre dann der kritische Raum für die Bildung von HO aus H und O gerade doppelt so gross, wie für die Bildung von H 2 O aus HO und H. Dann dürften aber die empfindlichen Bezirke sich nicht gerade vis à vis liegen oder müssten auf der Oberfläche der Moleküle beweglich sein, um die Doppelbindung zweier Sauerstoffatome zu ermöglichen. Eine der Bivalenz wenigstens theilweise ähnliche Erscheinung würde man auch erhalten, wenn man annähme, dass der kri- tische Bezirk eines Sauerstoffatomes durch die Deckungssphäre eines einzigen, damit chemisch verbundenen Sauerstoff- oder Wasserstoffatomes nicht ganz überdeckt wird, so dass noch Platz für die chemische Bindung eines zweiten Atomes bleibt. Ich bin weit entfernt, eine genauere Specialisirung der hierauf bezüglichen Ansichten schon jetzt für aussichtsvoll zu halten; doch spreche ich, wenn es erlaubt ist, die Worte eines grossen Forschers auch auf diese Theorie anzuwenden, die Hoffnung aus, dass diese allgemeinen mechanischen Bilder den Fort- schritt der Erkenntniss der Thatsachen der Chemie eher fördern als hemmen werden. § 71. Allgemeine Theorie der Dissociation . Wir wollen nun noch wenige Bemerkungen über den allgemeinsten Fall der Dissociation machen. Seien beliebig viele Atome von beliebig vielen verschiedenen Gattungen ge- geben. Ein Molekül, welches a 1 Atome erster, b 1 Atome zweiter, c 1 Atome dritter Gattung u. s. w. enthält, bezeichnen [Gleich. 229] § 71. Allgemeine Theorie der Dissociation. wir symbolisch mit ( a 1 b 1 c 1 …). Es soll sich der Inbegriff von C 1 Molekülen von der Form ( a 1 b 1 c 1 …), C 2 Mole- külen ( a 2 b 2 c 2 …), C 3 Molekülen ( a 3 b 3 c 3 …) u. s. w. in den In- begriff von Γ 1 Molekülen ( α 1 β 1 γ 1 …), Γ 2 Molekülen ( α 2 β 2 γ 2 …), Γ 3 Molekülen ( α 3 β 3 γ 3 …) u. s. w. umsetzen können. Da dann beide Inbegriffe dieselben Atome enthalten müssen, so be- stehen die Gleichungen 229) Wir nehmen nun an, dass alle möglichen Combinationen un- serer Atome, wenn auch nur in minimalen Mengen, in dem Gase vorhanden sind und bezeichnen mit n 100 … die Anzahl der Einzel-, mit n 200 … die Anzahl der Doppelatome erster Gattung u. s. w. Ebenso sei n 010 … die Anzahl der Einzel-, n 020 … die Anzahl der Doppelatome zweiter Gattung u. s. w., n 110 … die Anzahl der Moleküle, die aus einem Atome erster und einem zweiter Gattung bestehen u. s. f. Isomerien lassen wir Einfachheit halber bei Seite. Ein Doppelatom erster Gattung kann sich nur bilden, wenn der Mittelpunkt eines Atomes erster Gattung im reducirten kritischen Raume eines anderen Atomes erster Gattung liegt. Ist daher κ 200 … dieser reducirte kritische Raum und χ 200 … die innerhalb desselben als con- stant betrachtete Verbindungswärme eines Doppelatomes erster Gattung, so folgt aus den Principien unserer Theorie . Ebenso folgt , wobei χ 300 … die Verbindungswärme eines aus drei Atomen erster Gattung bestehenden Moleküles aus einem Einzel- und einem Doppelatome erster Gattung, κ 300 … aber der reducirte kritische Raum ist, welcher behufs dieser Verbindung in der Nähe des Doppelatomes für das Einzelatom zur Verfügung steht. Aus beiden Proportionen folgt: , VI. Abschnitt. [Gleich. 230] wobei κ ' 300 … der sechste Theil des Productes der reducirten kritischen Räume κ 200 … und κ 300 …, ψ 300 … = χ 100 … + χ 200 … aber die Verbindungswärme dreier einzelner Atome erster Gattung zu einem Moleküle ist. In dieser Schlussweise fort- fahrend findet man leicht , wobei das durch a 1 ! dividirte Product aller redu- cirten kritischen Räume und die Verbindungswärme von a 1 Atomen erster Gattung mit einander ist. Jedes so entstandene Molekül soll für die Angliederung eines Atomes zweiter Gattung wieder einen gewissen reducirten kritischen Raum … haben. … soll die Bildungs- wärme eines Moleküles, das a 1 Atome erster und ein Atom zweiter Gattung enthält, aus seinen Atomen sein. Dann ist Gliedert man noch ein, dann zwei, drei u. s. f. Atome zweiter Gattung, dann Atome dritter Gattung u. s. w. an, so folgt schliesslich , wobei die Bildungswärme des Moleküles ( a 1 b 1 c 1 …) aus seinen Atomen und … das durch a 1 ! b 1 ! c 1 ! … divi- dirte Product aller hierbei in Frage kommenden reducirten kritischen Räume ist. Vollkommen analog gebaute Ausdrücke folgen natürlich für u. s. w. Die n , welche einen Einer und sonst lauter Nullen als Indices haben, können leicht mit Rücksicht auf die Gleichungen 229) eliminirt werden, wo- durch sich ergiebt: 230) … ist der Quotient, worin alle re- ducirten kritischen Räume der Verbindungen ( a 1 b 1 …), ( a 2 b 2 …) jeder mit dem betreffenden C als Exponenten und alle Fac- [Gleich. 231] § 71. Allgemeine Theorie der Dissociation. toriellen … im Zähler, die kritischen Räume der Verbindungen ( α 1 β 1 …), ( α 2 β 2 …) zu den Potenzen Γ 1 , Γ 2 … erhoben, sowie die Factoriellen aber im Nenner stehen. ist die Umsetzungswärme, welche frei wird, wenn C 1 Moleküle ( a 1 b 1 …), C 2 Moleküle ( a 2 b 2 …) u. s. w. in Γ 1 Moleküle ( α 1 β 1 …) Γ 2 Moleküle ( α 2 β 2 …) u. s. w. übergehen. Ferner ist Σ C = C 1 + C 2 + …, ΣΓ = Γ 1 + Γ 2 + … Wir wollen nun mit die Masse eines Moleküles ( a 1 b 1 …) im gastheoretischen Sinne und mit … die Masse eines Moleküles dieser Substanz im makroskopischen Sinne, d. h. den Quotienten … / M bezeichnen. In einem Moleküle ( a 1 b 1 …) im makroskopischen Sinne sind dann 1 / M gastheoretische Moleküle enthalten. Ebenso sind in dem Inbegriffe von C 1 makroskopischen Molekülen ( a 1 b 1 …), C 2 makroskopischen Mole- külen ( a 2 b 2 …) u. s. w. im Ganzen C 1 / M gastheoretische Mole- küle ( a 1 b 1 …), ferner C 2 / M gastheoretische Moleküle ( a 2 b 2 …) u. s. w. enthalten. Es ist also die Wärme, welche frei wird, wenn sich der Inbegriff von C 1 makroskopischen Molekülen ( a 1 b 1 …), C 1 makroskopischen Mole- külen ( a 2 b 2 …) u. s. w. aus dem Inbegriffe von Γ 1 makroskopischen Molekülen ( α 1 β 1 …), Γ 2 makroskopischen Molekülen ( α 2 β 2 …) u. s. w. bildet. Man kann daher die Gleichung 230) auch so schreiben: 231) . Diese Gleichung gilt für jede mögliche Umsetzung. Wir setzen nun den ganz speciellen Fall voraus, dass im Gase nur eine einzige derartige Umsetzung möglich ist. Anfangs seien a mal C 1 (gastheoretische) Moleküle ( a 1 b 1 …), ebenso a mal C 2 Mole- küle ( a 2 b 2 …) u. s. w. und keine Moleküle ( α 1 β 1 …), auch keine ( α 2 β 2 …) u. s. w. da. Beim betrachteten Drucke p und der be- trachteten Temperatur T seien nur mehr ( a — b ) × C 1 Moleküle ( a 1 b 1 …), ( a — b ) × C 2 Moleküle ( a 2 b 2 …) u. s. w., dagegen b × Γ 1 Moleküle ( α 1 β 1 …), b × Γ 2 Moleküle ( α 2 β 2 …) u. s. w. Boltzmann, Gastheorie II. 14 VI. Abschnitt. [Gleich. 232] vorhanden; dann ist b / a = q der Dissociationsgrad. Es ist dann ferner Daher nimmt zunächst die Gleichung 231) die Gestalt an: . Die Masse des vorhandenen Gases ist . Bezeichnen wir daher wieder mit υ das Volumen der Massen- einheit, so ist , und wir wollen setzen . Dann geht obige Gleichung über in 232) . Diese Gleichung giebt die Abhängigkeit des Dissociations- grades von der Temperatur und dem specifischen Volumen an. γ und wenn die Umsetzungswärme nicht anderweitig bekannt ist, auch Π / R sind aus den Experimenten zu bestimmende Constanten. Will man statt υ den Gesammtdruck p einführen, so erhält man nach Gleichung 195) . Da das Molekulargewicht der un- dissociirten Substanz ist, so stimmt dies für q = 0 mit dem Boyle-Charles-Avogadro ’schen Gesetze und giebt, wenn q von Null verschieden ist, die Abweichungen von diesem Gesetze wegen der Dissociation. [Gleich. 232] § 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs’. Eliminirt man aus dieser und aus Gleichung 232) die Grösse q , so erhält man wieder die Relation zwischen p, υ und T ; eliminirt man aus denselben Gleichungen υ , so erhält man den Dissociationsgrad q als Function von p und T . Allgemeinere Formeln würden aus der Annahme folgen, dass einige Atome erster Gattung sich mit einigen zweiter, dann erst diese Complexe wieder mit Atomen erster Gattung verbinden, die aber mit den zuerst besprochenen Atomen erster Gattung nicht zusammenhängen etc. (Isomerie). Alle diese Formeln stimmen, soweit die bisherigen Beob- achtungen reichen, mit der Erfahrung. § 72. Verhältniss dieser Theorie zur Theorie Gibbs’ . Wesentlich gleiche Formeln wurden von Gibbs Conn. acad. trans. III, p. 108, 1875; Sill. Journ. 18, p. 277, 1879; deutsch unter dem Titel Thermod. Studien von Ostwald , Leipzig 1892, Engelmann; vergl. auch van der Waals , Verslagen d. k. Acad. v. Wetensch. 15, p. 19, 1880; Planck , Wied. Ann. 30, S. 562, 1887; 31, S. 189, 1887; 32, S. 462, 1887. aus den allgemeinen Principien der Wärmelehre ohne Zuziehung der Dynamik der Moleküle abgeleitet. Man vergesse jedoch nicht, dass auch das Fundament der Gibbs ’schen Ableitung in der An- nahme besteht, dass in einem in Dissociation begriffenen Gase sämmtliche Bestandtheile wie einzelne Gase unabhängig vorhan- den sind und sich Energie, Entropie, Druck u.s.w. einfach addiren. Diese Hypothese ist vom molekulartheoretischen Standpunkte vollkommen klar, weil da wirklich die verschiedenen Moleküle gesondert neben einander vorhanden sind und aus vielen Stellen geht deutlich hervor, dass Gibbs auch diese molekulartheore- tische Anschauung fortwährend vor Augen hatte, wenn er auch von den Gleichungen der Molekularmechanik keinen Ge- brauch machte. Stellt man sich dagegen auf den modernen Standpunkt, welcher von Mach Populärwissenschaftliche Vorlesungen, Barth, 1896, Vorl. XI. Die ökonomische Natur der phys. Forschung, S. 219. und Ostwald Die Ueberwindung des wissenschaftl. Materialismus. Verh. d. Ges. d. Naturf. I, S. 5 und 6, 1895. am schärfsten ausge- sprochen wurde, dass in der chemischen Verbindung einfach etwas vollkommen Neues an die Stelle der Bestandtheile ge- 14* VI. Abschnitt. [Gleich. 232] treten sei, so hat es keine Bedeutung anzunehmen, dass z. B. während der Dissociation des Wasserdampfes in dem Raume Wasserdampf, Wasserstoff und Sauerstoff gleichzeitig neben einander bestünden, sondern man muss consequent sagen, dass bei niederer Temperatur nur Wasserdampf, bei Zwischentem- peraturen etwas ganz Neues vorhanden ist, was endlich bei sehr hohen Temperaturen in Knallgas übergeht. Die Annahme, dass bei diesen Zwischentemperaturen sich die Energie und Entropie von Wasserdampf und Knallgas addiren, verliert dann jeden Sinn; ohne diese Annahme können aber die Grundgleichungen der Dissociation weder aus dem ersten und zweiten Hauptsatze der mechanischen Wärmetheorie, noch aus irgend welchen energetischen Principien abgeleitet werden. Es bleibt also nichts übrig, als dieselben einfach als empirisch gegeben zu betrachten. Es ist keine Frage, dass zur Berechnung der Naturvor- gänge die blossen Gleichungen ohne deren Begründung aus- reichen; ebenso wenig, dass empirisch bestätigte Gleichungen einen höheren Grad von Sicherheit haben, als die zu ihrer Begründung dienenden Hypothesen. Aber andererseits scheint mir die mechanische Begründung zur Veranschaulichung der abstracten Gleichungen in ähnlicher Weise förderlich, wie in anderen Fällen die geometrische Construction algebraischer Relationen. So wenig letztere durch die blosse Algebra jemals wird ganz überflüssig gemacht werden, ebenso wenig glaube ich, dass man die Veranschaulichung der für die Wirkung makroskopischer Massen geltenden Gesetze durch die Dynamik der Moleküle je wird ganz entbehren können, selbst wenn man an der Erkennbarkeit, ja an der Existenz der Moleküle zweifelt. Gerade die Anschauung ist ja für die Erkenntniss ebenso wichtig, als die Fixirung der Resultate durch Gesetze und Formeln. Es ist noch zu erwähnen, dass wir hier nur die einfachsten Beziehungen, welche zu dem sogenannten theoretischen Disso- ciationsgleichgewichte Veranlassung geben, discutirt haben. Erst ein tieferes Eingehen in die Molekularmechanik giebt dann auch von den Erscheinungen Rechenschaft, welche man als falsches chemisches Gleichgewicht bezeichnet. Pelabon , Doctordiss. d. Univ. Bordeaux, Paris bei A. Hermann 1898. Zu diesen ge- [Gleich. 232] § 73. Kugelige empfindliche Bezirke. hört schon folgende Thatsache. Bei Zimmertemperatur kann sowohl Knallgas als auch Wasserdampf beliebig lange bestehen, ohne dass sich das eine in das andere umsetzt. Alle betreffen- den Moleküle sind nämlich so fest gebunden, dass in beob- achtbarer Zeit keine Dissociation und daher auch keine Um- setzung einer beobachtbaren Menge von Molekülen möglich ist. In einer im mathematischen Sinne unendlich langen Zeit würde natürlich die Umsetzung eintreten. Die Erscheinungen des falschen chemischen Gleichgewichtes sind vollkommen analog mit dem Phänomen der Unter- kühlung und des Verdampfungsverzuges, das wir in § 15 ausführlich besprochen haben und es sind auch die Erschei- nungen des falschen chemischen Gleichgewichtes ganz in der- selben Weise zu begründen, wie dort die Verflüssigungs- und Verdampfungsverzüge begründet wurden. § 73. Der empfindliche Bezirk ist um das ganze Atom herum gleichmässig vertheilt . Wir wollen nun noch zum Vergleiche den einfachsten Fall der Dissociation unter Zugrundelegung eines anderen mechanischen Bildes, welches allerdings als Specialfall des früheren betrachtet werden kann, nochmals betrachten. Es sollen wieder lauter gleich beschaffene Atome, a an der Zahl, vorhanden sein, welche den Durchmesser σ haben. Es soll jedoch jetzt das, was wir den empfindlichen Bezirk genannt haben, nicht bloss auf eine kleine Stelle der Oberfläche des Moleküles beschränkt, sondern gleichmässig über das ganze Molekül vertheilt sein. Der empfindliche Bezirk soll also die Gestalt einer dem Moleküle concentrischen Kugelschale haben, deren innerer Radius ½ σ , deren äusserer ½ ( σ + δ ) ist, wobei δ klein gegen σ sein soll. Jedesmal, wenn die empfindlichen Bezirke zweier Moleküle einander berühren oder in einander greifen, sollen die Moleküle chemisch gebunden sein. Die in Arbeitsmaass gemessene Trennungswärme aber soll für alle diese Positionen constant gleich χ sein. Die Deckungssphäre ist dann eine dem Moleküle concen- trische Kugel vom Radius σ , der kritische Raum, welcher mit dem reducirten kritischen Raume zusammenfällt, ist eine Kugel- VI. Abschnitt. [Gleich. 233] schale, welche zwischen der Oberfläche der Deckungssphäre und einer concentrischen Kugelfläche vom Radius σ + δ liegt. Jedesmal, wenn das Centrum eines zweiten Atomes innerhalb dieses kritischen Raumes liegt, ist es mit dem ersten chemisch gebunden und die Trennungswärme sei constant gleich χ . Seien n 1 einfache und n 2 Doppelatome vorhanden, so ist n 1 : 2 n 2 = V : 4 π n 1 σ 2 δ e 2 h χ , wobei V das ganze Volumen des Gases ist. Daraus ergiebt sich 233) . Die Mittelpunkte zweier zu einem Doppelatome vereinigter Atome befinden sich nahezu in der Distanz σ . Von dem kritischen Raume 4 π σ 2 δ jedes der beiden Atome liegt der Theil 3 π σ 2 δ ausserhalb, der Theil π σ 2 δ aber innerhalb der Deckungssphäre des zweiten Atomes. Nur im ersteren Theile kann der Mittelpunkt eines dritten Atomes liegen, weshalb wir ihn „frei“ nennen wollen. Der gesammte „freie kritische Raum“ der beiden Atome eines Doppelatomes hat also das Volumen 6 π σ 2 δ . Dabei ist aber noch zu beachten, dass eine kleine Zone existiren wird, wo die kritischen Räume beider Atome in einander greifen, so dass bei jedem Doppelatome ein ganz schmaler ringförmiger Raum vom Volumen 2 π σ δ 2 , welchen wir „den kritischen Ring“ nennen wollen, beiden kritischen Räumen gleichzeitig angehört. Bei Berechnung des Volumens des gesammten freien kritischen Raumes sollte eigentlich das doppelte Volumen des kritischen Ringes von 6 π σ 2 δ abgezogen werden, was man aber unterlassen kann, da das Volumen des kritischen Ringes gegen das des freien kritischen Raumes ver- schwindet. Damit sich also ein drittes Atom mit einem Doppel- atome zu einem Tripelatome, d. h. einem aus drei Atomen be- stehenden Moleküle vereinige, steht seinem Mittelpunkte erstens der ganze Raum zur Verfügung, welchen wir den freien kritischen Raum des Doppelatomes genannt haben, zweitens aber auch der kritische Ring des Doppelatomes. Bei der ersteren rela- tiven Lage ist die Trennungsarbeit des dritten Atomes vom Doppelatome χ , bei der letzteren aber 2 χ . Wenn wir daher [Gleich. 234] § 73. Kugelige empfindliche Bezirke. mit n 3 die Anzahl der Tripelatome bezeichnen, so erhalten wir nach den Principien unserer Theorie die Proportion: n 1 : 3 n 3 = V : n 2 (6 π σ 2 δ e 2 h χ + 2 π σ δ 2 e 4 h χ ), daher 234) . Der Vergleich dieser Formel mit Formel 233) zeigt sofort, dass jedenfalls ( n 3 / n 2 ) \> ( n 2 / n 1 ) sein muss. Ein Dissociations- zustand, wobei schon sehr viele Doppelatome, aber noch ver- schwindend wenige Tripelatome vorhanden sind, wäre also in diesem Falle, wo der kritische Raum gleichförmig über die ganze Wirkungssphäre verbreitet ist, unmöglich. Ja noch mehr. Wir können die rechte Seite der Gleichung 233) in der Form schreiben: . Nun ist 4 π n 1 σ 3 /3 der von den Deckungssphären der n 1 Einzel- atome erfüllte, V aber der gesammte Raum des Gases. Daher ist 2 π n 1 σ 3 / V jedenfalls eine sehr kleine Grösse. Soll daher nicht schon n 2 sehr klein gegen n 1 , also das Gas fast ganz dissociirt sein, so muss e 2 h χ . δ/σ sehr gross, daher auch in Gleichung 234) das zweite Glied sehr gross gegen das erste sein. Nun ist aber das erste gleich n 2 / n 1 . Es muss also n 3 / n 2 sehr gross gegenüber n 2 / n 1 sein. Sobald also überhaupt eine erhebliche Zahl von Einzel- atomen sich zu Doppelatomen vereint, müssen sich sogleich die meisten der letzteren in Tripelatome verwandeln. Eine Paarung der meisten Atome zu Doppelatomen, wie wir sie in den bekanntesten Gasen finden, ist also nur möglich, wenn der kritische Raum einem relativ kleinen Theile der Oberfläche der Deckungssphäre jedes Atomes anliegt. In dem jetzt betrachteten Falle, wo der kritische Raum über die ganze Oberfläche der Deckungssphäre gleichmässig vertheilt ist, würden sich, sobald die Atome sich überhaupt zu verbinden anfangen, sofort mit Vorliebe Aggregate bilden, die eine grössere Atomzahl enthalten. Es würde daher sogleich etwas Aehnliches wie bei der Verflüssigung eines Gases ein- VI. Abschnitt. [Gleich. 234] treten. Leider stösst, mit Ausnahme des Falles, wo n 2 klein gegen n 1 ist, die weitere Durchführung der Rechnung auf kaum zu überwindende Schwierigkeiten, so dass es unentschieden bleibt, ob man unter dieser Annahme ähnliche Gesetze für die Verflüssigung erhielte, wie sie die van der Waals ’sche Formel liefert, welche wir aus einer Hypothese ableiteten, die der gegenwärtigen in gewisser Beziehung gerade entgegen- gesetzt ist; denn während wir dort von der Voraussetzung ausgingen, dass sich die directe Anziehung jedes Moleküles auf Distanzen erstreckt, welche gross gegen die Entfernung der Mittelpunkte zweier Nachbaratome sind, so haben wir hier angenommen, dass der Anziehungsbereich eines Atomes sogar noch klein gegen den vom Atome erfüllten Raum ist. Der Verfasser des vorliegenden Buches suchte sich ein- mal Wien. Sitzungsber. Bd. 89, II, S. 714, 1884. in folgender Weise ein mechanisches Bild vom Verhalten der Gasmoleküle zu machen. Dieselben werden als materielle Punkte (einzelne Atome) von der Masse m und dem mittleren Geschwindigkeitsquadrate c 2 ̅ betrachtet. In Entfernungen, die sind, wirken sie nicht auf einander, ebenso wenig in Entfernungen, die sind. In den dazwischen liegenden Entfernungen aber üben sie eine enorme Anziehung auf ein- ander aus, so dass ihre lebendige Kraft beim Uebergange von der Entfernung σ + ε in die Entfernung σ um χ wächst. ε soll noch klein gegenüber σ sein. Sei ω = 4/3 π σ 3 eine Kugel vom Radius σ , n 1 die Zahl der Einzelatome im Volumen v , n 2 die der Doppelatome daselbst, d. h. derjenigen, für welche die Entfernung der Mittelpunkte kleiner als σ ist. Dann findet man wie früher . Wäre z. B. wie bei gewöhnlicher Luft n 1 ω/v etwa gleich 1/1000, und ausserdem m c 2 ̅ = χ , so könnte n 2 ziemlich klein gegen n 1 sein; ausserdem würden je zwei Atome beim Zusammentreffen erheblich abgelenkt, so dass im Grossen und Ganzen noch der Gas-Charakter gewahrt bliebe. Allein schon bei zehnfacher ab- soluter Temperatur würde die Ablenkung der Moleküle von [Gleich. 234] § 74. Definition von H . ihrer geradlinigen Bahn beim Zusammentreffen zweier der- selben so gering, dass das System kaum mehr die Eigenschaften eines Gases zeigen dürfte. Bei zehnmal kleinerer absoluter Temperatur aber würde schon n 2 viel grösser als n 1 und es würde, wie in dem vorher betrachteten Falle, ein Zusammen- rücken grösserer Atomcomplexe in ihre Anziehungssphären, also eine Verflüssigung eintreten. Wenn daher auch das mechanische System für einzelne Temperaturen noch beiläufig den Gas-Charakter zeigen würde, so wäre es doch als mechanisches Bild für alle Temperaturen unbrauchbar. Aehnliches dürfte wahrscheinlich auch von dem anderen Bilde gelten, das der Verfasser an derselben Stelle vorschlug, welches auf einer der fünften Potenz der Entfernung verkehrt proportionalen Anziehungskraft basirt ist. Würde dieses Gesetz bis zur Entfernung Null gelten, so würden alle Atome sich zusammenballen. Würde für gewisse kleine Ent- fernungen die Wirkung aufhören, so müsste über einer ge- wissen Temperaturgrenze auch die Ablenkung bei den Zu- sammenstössen sehr klein werden. Ein bloss auf anziehende Kräfte basirtes, auch elastische Stosskräfte vermeidendes, in allen Stücken mit den Thatsachen übereinstimmendes mecha- nisches Bild für den gasförmigen und tropfbar flüssigen Aggregat- zustand ist also noch nicht gefunden. VII. Abschnitt. Ergänzungen zu den Sätzen über das Wärmegleichgewicht in Gasen mit zusammengesetzten Molekülen. § 74. Definition der Grösse H , welche die Zustands- wahrscheinlichkeit misst . Wir haben im I. Theile § 3 den Beweis geliefert, dass das Maxwell ’sche Geschwindigkeitsvertheilungsgesetz für Gase mit einatomigen Molekülen den Bedingungen genügt, welche der stationäre Zustand erfüllen muss; dann haben wir in § 5 VII. Abschnitt. [Gleich. 235] des I. Theiles unter Zuziehung der Voraussetzung, dass die Moleküle so unregelmässig durch einander fliegen, dass die Wahrscheinlichkeitsgesetze Anwendung finden, bewiesen, dass sie die einzige ist, welche diesen Bedingungen genügt, dass sie daher die einzige ist, welche sich, sobald diese Voraus- setzung zutrifft, dauernd stationär im Gase erhalten kann. Jetzt, im II. Theile, haben wir von der allgemeinen, durch Formel 118) S. 109 dargestellten Zustandsvertheilung bewiesen, dass sie die Bedingungen erfüllt, welche man für eine stationäre Zustandsvertheilung in einem Gase mit zusammengesetzten Molekülen findet. Die vollständige Durchführung des Beweises jedoch, dass es die einzige ist, die diesen Bedingungen genügt, ist bisher in vollkommener Allgemeinheit nicht gelungen. Doch ist die Durchführung dieses Beweises in den einfachsten und für die Praxis wichtigsten Fällen in demselben Umfange wie für Gase mit einatomigen Molekülen möglich. Ich will daher im Folgenden diejenigen Schritte des Beweises allgemein durchführen, bei denen dies möglich ist, und die übrigen wenigstens für einige specielle Fälle ergänzen. In einem Gefässe sei ein aus lauter gleich beschaffenen zusammengesetzten Molekülen bestehendes Gas oder ein Ge- misch mehrerer verschiedenartiger so beschaffener Gase vor- handen. Dieselben sollen die Eigenschaft idealer Gase haben, d. h. die Wirkungssphäre der Moleküle soll verschwindend klein gegenüber dem mittleren Abstande zweier zunächst ge- legener Moleküle sein. x , y , z seien die rechtwinkeligen Co- ordinaten, 235) u , v , w die Geschwindigkeitscomponenten des Schwerpunktes eines Moleküles der ersten Gattung; p 1 … p ν seien die generalisirten Coordinaten, welche die relative Lage der Bestandtheile eines solchen Moleküles gegen drei durch dessen Schwerpunkt ge- zogene Coordinatenaxen bestimmen, deren Richtungen im Raume unveränderlich sind, q 1 … q ν seien die dazu gehörigen Momente. Die Betrachtung äusserer Kräfte würde die Schwierigkeiten nicht qualitativ erhöhen, aber die Formeln noch mehr compli- ciren. Wir schliessen solche daher aus und nehmen ausserdem [Gleich. 241] § 74. Definition von H . an, dass die Mischung und Zustandsvertheilung unter den Molekülen in allen Volumtheilen im Gefässe, welche so gross sind, dass sie sehr viele Moleküle enthalten, dieselbe ist. Es sei 236) f 1 ( u , v , w , p 1 … q ν , t ) d u … d q ν die Anzahl der Moleküle erster Gattung in der Volumenein- heit, für welche zur Zeit t die Variabeln 235), sowie die Variabeln 237) p 1 … p ν , q 1 … q ν zwischen den Grenzen 238) u und u + d u , v und v + d v , w und w + d w , 239) p 1 und p 1 + d p 1 … q ν und q ν + d q ν liegen. Wir lassen Kürze halber die Variabeln unter dem Functions- zeichen weg und setzen 240) H 1 = ∫ ∫ … f 1 l f 1 d u d v d w d p 1 … d q ν , wobei l den natürlichen Logarithmus bedeutet und die Inte- gration über alle möglichen Werthe der Variabeln zu er- strecken ist. Da f 1 d u d v d w d p 1 … d q ν die Anzahl der Moleküle ist, für welche zur Zeit t die Variabeln 235) und 237) die Be- dingungen 238) und 239) erfüllen, so erhält man den Werth, welchen die Grösse H 1 zu einer beliebigen Zeit hat, in folgen- der Weise: man substituirt in die Function l f 1 die Werthe, welche die Variabeln 235) und 237) für jedes im Gase vor- handene Molekül erster Gattung zu dieser Zeit haben und addirt alle so für die Function l f 1 gefundenen Werthe. Wir wollen deshalb auch 241) H 1 = Σ l f 1 setzen, wobei hinzuzufügen ist, dass die Summe über alle im Gase zur Zeit t vorhandenen Moleküle erster Gattung zu er- strecken ist. Analog definiren wir für die zweite Gasart die VII. Abschnitt. [Gleich. 243] Grösse H 2 , für die dritte Gasart die Grösse H 3 u. s. w. und setzen 242) H 1 + H 2 + H 3 + … = H . Zwischen der Grösse H und der Wahrscheinlichkeit des betreffenden Zustandes des Gases besteht eine ganz analoge Beziehung, wie solche im § 6 des I. Theiles zwischen der dort ebenfalls mit H bezeichneten Grösse und der Zustandswahr- scheinlichkeit nachgewiesen wurde. Doch wollen wir hierauf nicht näher eingehen, da wir absichtlich alles bei Seite liegen lassen, was nicht unmittelbar zur Erreichung unseres Zieles beigezogen werden muss. § 75. Veränderung der Grösse H durch die intramolekularen Bewegungen . Wir suchen zunächst die Veränderung, welche die Grösse H in Folge der inneren Bewegungen der Moleküle erfährt, und abstrahiren ganz von den Zusammenstössen. Da dann jede Molekülgattung von den übrigen Molekülgattungen vollständig unabhängig ist, so genügt es, lediglich die erste Molekülgattung zu betrachten. Vom Einflusse der Wände soll im Folgenden immer abstrahirt werden. Es ist dies erlaubt, wenn das Gefäss so gross ist, dass das Wärmegleichgewicht im Innern desselben ganz unabhängig von den speciellen Vorgängen an den Wänden ist, oder auch, wenn jedes Molekül bei der Reflexion an der Wand bis auf die Veränderung der Geschwindigkeitsrichtung seines Schwerpunktes seinen Bewegungszustand im Uebrigen vollkommen unverändert beibehält, wenn man sich also zur Vereinfachung die abstossende Kraft der Wand so denkt, dass sie auf alle Bestandtheile jedes einzelnen Moleküles vollkommen gleichmässig wirkt, ähnlich wie z. B. das Gewicht eines Körpers auf alle Theile desselben. Für genau dieselben Moleküle, für welche zur Zeit t die Variabeln 237) zwischen den Grenzen 239) liegen, sollen sie zu irgend einer früheren Zeit, der Zeit Null, zwischen den Grenzen 243) P 1 und P 1 + d P 1 … Q ν und Q ν + d Q ν [Gleich. 249] § 75. Intramolekulare Bewegung. gelegen sein. Wir bedienen uns jetzt immer dieses abgekürzten Ausdruckes, statt wie im § 28 von dem Gebiete zu sprechen, innerhalb dessen die Werthe der Variabeln liegen. Die Werthe von u , v , w erfahren ohnedies keine Veränderung mit der Zeit. Den Ausdruck, welchen wir erhalten, wenn wir in die Function f 1 für t den Werth Null und für p 1 … q ν die Werthe 244) P 1 … Q ν substituiren, bezeichnen wir mit F 1 . Es ist dann 245) F 1 d u d v d w d P 1 … d Q ν die Anzahl der Moleküle, für welche zur Zeit Null die Werthe der Variabeln 235) und 237) zwischen den Grenzen 238) und 243) liegen und da dies dieselben Moleküle sind, wie diejenigen, für welche diese Variabeln zur Zeit t zwischen den Grenzen 238) und 239) liegen und die Anzahl der letzteren Moleküle f 1 d u d v d w d p 1 … d q ν ist, so hat man: 246) F 1 d u d v d w d P 1 … d Q ν = f 1 d u d v d w d p 1 … d q ν . Wegen Gleichung 52) aber ist: d p 1 … d q ν = d P 1 … d Q ν ; daher folgt F 1 = f 1 und 247) l F 1 = l f 1 . Sei ferner H' 1 = Σ F 1 l F 1 der Werth der Function H 1 zur Zeit Null. Die Moleküle, für welche zur Zeit t die Variabeln 235) und 237) zwischen den Grenzen 238) und 239) liegen, liefern in die Summe H 1 = Σ f 1 l f 1 den Betrag 248) f 1 l f 1 d u d v d w d p 1 … d q ν . Für dieselben Moleküle lagen dieselben Variabeln zur Zeit Null zwischen den Grenzen 238) und 243). Dieselben Moleküle liefern also in H' 1 den Betrag 249) F 1 l F 1 d u d v d w d P 1 … d Q ν . VII. Abschnitt. [Gleich. 249] Wegen der Gleichungen 246) und 247) sind die Ausdrücke 248) und 249) einander gleich. Dieselben Moleküle liefern also genau denselben Addenden zur Summe H 1 wie zur Summe H' 1 und da dies ganz allgemein von beliebigen Molekülen und für beliebige Zeiten gilt, so ist klar, dass H 1 und daher auch H durch die intramolekulare Bewegung überhaupt nicht verändert wird. Letzteres folgt, weil dasselbe auch von jeder anderen Molekülgattung gilt. § 76. Charakterisirung des zunächst zu betrachtenden speciellen Falles . Obwohl die Veränderung von H durch die Zusammen- stösse für ideale Gase mit zusammengesetzten Molekülen noch ganz allgemein berechnet werden kann, so wollen wir hier zunächst doch einen speciellen Fall behandeln, in dem sich diese Rechnung besonders einfach gestaltet. Wir betrachten wie in den beiden vorigen Paragraphen ein Gemisch beliebiger idealer Gase mit beliebig zusammen- gesetzten Molekülen. In jedem Moleküle jeder Gasart soll jedoch immer nur ein einziges Atom enthalten sein, welches fähig ist, eine Kraft auf ein Atom irgend eines fremden Mole- küles derselben oder einer anderen Gasart auszuüben und die Wirkung zweier solcher Atome zweier verschiedener Moleküle soll immer nur darin bestehen, dass sich dieselben wie zwei vollkommen elastische, unendlich wenig deformirbare Kugeln stossen. Es soll daher die Wechselwirkung zweier Moleküle nur so kurze Zeit dauern, dass sich während derselben die relative Lage der Bestandtheile beider Moleküle und auch Geschwindigkeit und Geschwindigkeitsrichtung aller anderen Atome, mit Ausnahme der zusammenstossenden, nur unendlich wenig ändert. Wir wollen nun die Veränderung berechnen, welche H während einer unendlich kleinen Zeit d t durch die Zusammen- stösse der Moleküle erster mit denen zweiter Gattung erfährt. Wir haben den Zustand eines Moleküles erster Gattung durch die Variabeln 235) und 237) und seine absolute Lage im Raume durch die Coordinaten x , y , z seines Schwerpunktes charakte- [Gleich. 256] § 76. Specieller Fall. risirt. Wir wollen jetzt die Variabeln 237) beibehalten, statt der Variabeln 235), aber die Geschwindigkeitscomponenten 250) u 1 , v 1 , w 1 desjenigen Atomes einführen, welches mit einem Atome des anderen Moleküles zusammenstösst, und welches wir das Atom A 1 nennen wollen, während wir das andere, mit dem es zusammen- stösst, das Atom A 2 nennen wollen. Die absolute Lage des Moleküles erster Gattung im Raume bestimmen wir entsprechend durch die Coordinaten x 1 , y 1 , z 1 des Mittelpunktes des Atomes A 1 . Da durch die Variabeln 237) die Unterschiede der Geschwindig- keitscomponenten sämmtlicher Atome von denen des Schwer- punktes gegeben sind, also auch die Grössen u 1 — u , v 1 — v , w 1 — w , so ist bei Constanz der Variabeln 237) d u 1 = d u , d v 1 = d v , d w 1 = d w . Daher ist 251) f 1 d u 1 d v 1 d w 1 d p 1 … d q ν die Anzahl der Moleküle, für welche die Variabeln 237) und 250) zwischen den Grenzen 239) und 252) u 1 und u 1 + d u 1 , v 1 und v 1 + d v 1 , w 1 und w 1 + d w 1 liegen. Es ist gleichgültig, ob man hierbei in f 1 ebenfalls u 1 v 1 w 1 statt u v w eingeführt oder die alten Variabeln belassen denkt. Die Coordinaten des Mittelpunktes des Atomes A 2 des zweiten Moleküles bezeichnen wir mit x 2 , y 2 , z 2 , seine Ge- schwindigkeitscomponenten mit 253) u 2 , v 2 , w 2 und die übrigen zur Bestimmung des Zustandes des zweiten Moleküles nöthigen generalisirten Coordinaten und Momente mit 254) p ν + 1 … p ν + ν' , q ν + 1 … q ν + ν' . Dann kann analog dem Ausdrucke 251) die Anzahl der Mole- küle zweiter Gattung, für welche die Variabeln 253) und 254) zwischen den Grenzen 255) u 2 und u 2 + d u 2 , v 2 und v 2 + d v 2 , w 2 und w 2 + d w 2 , 256) p ν + 1 und p ν + 1 + d p ν + 1 … q ν + ν' und q ν + ν' + d q ν + ν' VII. Abschnitt. [Gleich. 258] liegen, mit 257) f 2 d u 2 d v 2 d w 2 d p ν + 1 … d q ν + ν' bezeichnet werden. Genau nach der im I. Theile § 3 einge- schlagenen Methode kann die Anzahl der Molekülpaare ge- funden werden, von denen das erste Molekül der ersten, das zweite der zweiten Gattung angehört, und welche in der Zeit d t so in Wechselwirkung treten, dass dabei das Atom A 1 des ersten Moleküles mit dem Atome A 2 des zweiten zusammen- stösst, und dass im Momente des Stosses noch folgende Be- dingungen erfüllt sind. Die Variabeln 250), 237), 253) und 254) sollen zwischen den Grenzen 252), 239), 255) und 256) liegen und die Centrilinie der beiden Atome A 1 und A 2 soll einer der verschiedenen, innerhalb eines unendlich schmalen Kegels d λ liegenden Geraden parallel sein. Alle Fälle von Wechsel- wirkung zweier Moleküle, welche während der Zeit d t so er- folgen, dass alle diese Bedingungen erfüllt sind, nennen wir die hervorgehobenen Zusammenstösse. Wenn σ die Summe der Radien der beiden Atome A 1 und A 2 , g deren relative Geschwindigkeit ist und letztere mit der Richtung der Centrilinie der stossenden Atome im Momente des Stosses einen Winkel bildet, dessen Cosinus ε ist, so findet man genau nach der im citirten Paragraphen einge- schlagenen Methode für die Anzahl der hervorgehobenen Zu- sammenstösse: 258) d N = σ 2 f 1 f 2 g ε d u 1 d v 1 d w 1 d u 2 d v 2 d w 2 d p 1 … d q ν + ν' d λ d t . § 77. Form des Liouville’schen Satzes in dem betrachteten Specialfalle . Da die Zusammenstösse momentan erfolgen, so werden durch dieselben die Werthe der Variabeln 237) und 254) nicht geändert. Auch g , ε und die Geschwindigkeitscomponenten ξ , η , ζ des gemeinsamen Schwerpunktes der Atome A 1 und A 2 haben bekanntlich (vergl. I. Theil § 4) nach dem Stosse dieselben Werthe, wie vor demselben. Nur die Werthe von u 1 , v 1 , w 1 , u 2 , v 2 , w 2 werden geändert. Die Werthe dieser Grössen nach dem Stosse sollen mit den entsprechenden [Gleich. 262] § 77. Allgemeine Stossgleichung. grossen Buchstaben bezeichnet werden, und zwar sollen bei den angenommenen Werthen von g und ε die Werthe der Variabeln u 1 , v 1 , w 1 , u 2 , v 2 , w 2 , wenn sie vor dem Zusammen- stosse zwischen den Grenzen 252) und 255) lagen, nach dem- selben zwischen den Grenzen 259) U 1 und U 1 + d U 1 , V 1 und V 1 + d V 1 , W 1 und W 1 + d W 1 , 260) U 2 und U 2 + d U 2 , V 2 und V 2 + d V 2 , W 2 und W 2 + d W 2 liegen. Es kann leicht aus Gleichung 52) bewiesen werden und wurde schon unabhängig von dieser ausserordentlich allgemeinen Gleichung mit sehr einfachen Mitteln im § 4 des I. Theiles bewiesen, dass dann die Gleichung 261) d u 1 d v 1 d w 1 d u 2 d v 2 d w 2 = d U 1 d V 1 d W 1 d U 2 d V 2 d W 2 oder besteht. Statt u , v , w wurden dort die Buchstaben ξ , η , ζ gebraucht, statt Anwendung der grossen Buchstaben aber wurden oben Striche angehängt. Es enthält jedoch der dortige Beweis ein Versehen, worauf mich zuerst C. H. Wind Wien. Sitzungsber. Bd. 106, S. 21, Januar 1897. und später M. Segel in Kasan auf- merksam machte. Ich will daher diesen Beweis hier nochmals mit ebenso einfachen Mitteln nach einer einwurfsfreien Methode liefern. Wir führen anstatt u 2 , v 2 , w 2 die Componenten ξ , η , ζ der Geschwindigkeit des Schwerpunktes ein, welcher den beiden Atomen A 1 und A 2 zusammengenommen zukommt, wenn man diese beiden Atome als ein mechanisches System auffasst. Sind m 1 und m 2 deren Massen, so ist alsdann mit zwei analogen Gleichungen für die beiden übrigen Coordi- natenrichtungen. Aus diesen Gleichungen folgt, wenn man die Variabeln u 1 , v 1 , w 1 ungeändert lässt und nur ξ , η , ζ für u 2 , v 2 , w 2 einführt 262) Boltzmann, Gastheorie II. 15 VII. Abschnitt. [Gleich. 263] In dem Ausdrucke rechts führen wir nun statt u 1 , v 1 , w 1 die Variabeln U 1 , V 1 , W 1 ein, während wir ξ , η , ζ unverändert belassen. Es ist geometrisch aus Fig. 2 S. 19 des I. Theiles evident, dass bei unveränderter Lage des Schwerpunktes der Endpunkt der Geraden, welche in Grösse und Richtung die Geschwindigkeit des ersten Atomes vor dem Stosse darstellt, ein Volumelement beschreibt, welches dem Volumelemente con- gruent ist, das der Endpunkt derjenigen Geraden beschreibt, welche die Geschwindigkeit desselben Atomes nach dem Stosse in Grösse und Richtung darstellt. Daher ist 263) d u 1 d v 1 d w 1 d ξ d η d ζ = d U 1 d V 1 d W 1 d ξ d η d ζ . Nun erst führen wir bei unverändertem U 1 , V 1 , W 1 für ξ , η , ζ die Variabeln U 2 , V 2 , W 2 ein. Da wiederum die Gleichung mit zwei analogen Gleichungen für die beiden übrigen Coordi- natenrichtungen besteht, so folgt: Aus dieser und den beiden Gleichungen 262) und 263) folgt sofort die zu beweisende Gleichung 261). Da der im § 4 des I. Theiles betrachtete Fall derjenige Specialfall des soeben discutirten ist, wo ausser den Atomen A 1 und A 2 überhaupt keine anderen in den Molekülen vorhanden sind, so ist hiermit der im erwähnten § 4 enthaltene mangel- hafte Beweis ergänzt. § 78. Veränderung der Grösse H in Folge der Zusammenstösse . Wir haben in § 76 eine gewisse Gattung von Zusammen- stössen als die hervorgehobenen bezeichnet. Es waren die- jenigen, welche zwischen einem Moleküle erster und einem Moleküle zweiter Gattung während der Zeit d t so erfolgen, dass im Momente des Beginnes der Wechselwirkung die Variabeln 250), 237), 253) und 254) zwischen den Grenzen 252), 239), 255) und 256) liegen, und dass die Centrilinien der [Gleich. 263] § 78. Aenderung von H . stossenden Atome im Momente des Stosses einer der Geraden innerhalb eines gegebenen unendlich kleinen Kegels d λ parallel ist. Für dieselben liegen im Momente des Endes der Wechselwirkung die Variabeln 237) und 254) zwischen den- selben Grenzen, die Variabeln 250) und 253) aber zwischen den Grenzen 259) und 260). Auch g , ε und d λ werden durch die Zusammenstösse nicht verändert. Wir bezeichnen nun diejenigen Zusammenstösse, welche während der Zeit d t im Gase so erfolgen, dass für dieselben umgekehrt im Moment des Beginnes die Variabeln 250) und 253) zwischen den Grenzen 259) und 260), die übrigen Variabeln aber zwischen denselben Grenzen, wie bei den hervorgehobenen Zusammenstössen liegen, als die entgegengesetzten Zusammen- stösse. Für diese letzteren Zusammenstösse muss im Momente des Beginnes der Wechselwirkung, damit solche überhaupt stattfindet, auch die relative Lage beider Moleküle im Raume so verändert sein, dass das zweite Molekül relativ gegen das erste parallel zu sich selbst um eine Strecke verschoben er- scheint, welche der vom Atome A 1 gegen das Atom A 2 ge- zogenen Centrilinie genau gleich und genau entgegengesetzt gerichtet ist. Bayr. Akad. d. Wissensch. Bd. 22, S. 347, 1892; Phil. Mag., 5. Serie, vol. 35, p. 166, 1893. Für die entgegengesetzten Zusammenstösse werden umgekehrt die Variabeln 250) und 253) im Momente des Endes der Wechselwirkung zwischen den Grenzen 252) und 255) liegen. Wir berechnen nun die Veränderung, welche die im § 74 mit H bezeichnete Summe (siehe Gleichung 241) und 242) während der Zeit d t durch die hervorgehobenen und entgegengesetzten Zusammenstösse vereint erfährt. Durch jeden der ersteren Zusammenstösse wird die Anzahl der Moleküle erster Gattung, für welche die Variabeln 250) und 237) zwischen den Grenzen 252) und 239) liegen, um eine Einheit, daher H 1 um l f 1 ver- mindert; ebenso wird die Anzahl der Moleküle zweiter Gattung, für welche die Variabeln 253) und 254) zwischen den Grenzen 255) und 256) liegen, um eine Einheit, daher H 2 um l f 2 ver- mindert. Dagegen wird durch dieselben Zusammenstösse die An- 15* VII. Abschnitt. [Gleich. 264] zahl der Moleküle erster Gattung, für welche die Variabeln 250) und 237) zwischen den Grenzen 259) und 239) liegen, sowie die der Moleküle zweiter Gattung, für welche die Variabeln 253) und 254) zwischen den Grenzen 260) und 256) liegen, um je eine Einheit, daher H 1 um l F 1 und H 2 um l F 2 vermehrt, wenn wir zur Abkürzung F 1 und F 2 für f 1 ( U 1 , V 1 , W 1 , p 1 … q ν , t ) und f 2 ( U 2 , V 2 , W 2 , p ν + 1 … q ν + ν' , t ) schreiben. Die Anzahl der hervorgehobenen Zusammenstösse ist durch Formel 258) gegeben; daher wächst im Ganzen durch alle hervorgehobenen Zusammenstösse H um 264) Durch jeden der entgegengesetzten Zusammenstösse vermin- dert sich umgekehrt die Anzahl der Moleküle erster Gattung, für welche die Variabeln 250) und 237) zwischen den Grenzen 259) und 239) liegen, um eine Einheit, die Anzahl der Moleküle aber, für welche dieselben Variabeln zwischen den Grenzen 252) und 239) liegen, wächst um eine Einheit. Ebenso nimmt die Anzahl der Moleküle zweiter Gattung, für welche die Variabeln 253) und 254) zwischen den Grenzen 260) und 256) liegen, um eine Einheit ab und wächst diejenige, für welche dieselben Variabeln zwischen den Grenzen 255) und 256) liegen, um eine Einheit. Es wächst also durch jeden der entgegen- gesetzten Zusammenstösse H 1 um l f 1 — l F 1 , H 2 aber um l f 2 — l F 2 , daher H um l f 1 + l f 2 — l F 1 — l F 2 . Die Anzahl der entgegengesetzten Zusammenstösse, welche während der Zeit d t im ganzen Gase erfolgen, ist aber, da g , ε und d λ durch die Zusammenstösse nicht verändert werden, genau analog der Formel 258) gleich: σ 2 g ε F 1 F 2 d U 1 d V 1 d W 1 d U 2 d V 2 d W 2 d p 1 … d q ν + ν' d λ d t , oder wegen Gleichung 261) σ 2 g ε F 1 F 2 d u 1 d v 1 d w 1 d u 2 d v 2 d w 2 d p 1 … d q ν + ν' d λ d t , [Gleich. 266] § 78. Aenderung von H . so dass im Ganzen durch alle entgegengesetzten Zusammen- stösse H um ( l f 1 + l f 2 — l F 1 — l F 2 ). σ 2 g ε F 1 F 2 × × d u 1 d v 1 d w 1 d u 2 d v 2 d w 2 d p 1 … d q ν + ν' d λ d t wächst. Vergleicht man dies mit Formel 264), so sieht man, dass durch alle hervorgehobenen und entgegengesetzten Zu- sammenstösse zusammengenommen die Grösse H den Zuwachs 265) erfährt. Der Werth des letzteren Ausdruckes ist wesentlich negativ. Integrirt man über alle möglichen Werthe aller Differentiale ausser d t und dividirt durch 2, da man dann alle Zusammenstösse doppelt, einmal als hervorgehobene und einmal als entgegengesetzte gezählt hätte, so erhält man den gesammten Zuwachs von H während der Zeit d t . Dieser ist also auch eine wesentlich negative Grösse, sobald nur über- haupt eine bemerkbare Veränderung von H eintritt. Da das- selbe für alle übrigen Molekülgattungen gilt und Analoges auch für die Zusammenstösse der verschiedenen Moleküle der- selben Gattung unter einander bewiesen werden kann, so ist in dem betrachteten Specialfalle der Beweis geliefert, dass durch die Zusammenstösse der Werth von H nur abnehmen kann. Für den stationären Zustand ist eine fortwährende Ab- nahme der Grösse H ausgeschlossen, für denselben muss also allgemein der Ausdruck 265) verschwinden. Es muss also die Gleichung 266) f 1 f 2 — F 1 F 2 für alle möglichen Zusammenstösse aller Gattungen von Mole- külen bestehen mit analogen Gleichungen für die Zusammen- stösse der Moleküle derselben Gattung unter einander. VII. Abschnitt. [Gleich. 266] § 79. Allgemeinste Charakterisirung des Vorganges eines Zusammenstosses zweier Moleküle . Wir wollen nun von der ganz speciellen, in § 76 charak- terisirten Art der Wechselwirkung zweier Moleküle zur allge- meinsten Form derselben übergehen. Wir bezeichnen da mit s die laufende Distanz der Schwer- punkte eines Moleküles erster und eines Moleküles zweiter Gattung und nehmen an, dass, wenn s grösser als eine gewisse Constante b ist, niemals eine bemerkbare Wechselwirkung zwischen beiden Molekülen stattfindet. Eine Kugel vom Radius b , deren Centrum der Schwerpunkt eines Moleküles erster Gattung ist, bezeichnen wir kurz als die Sphäre des betreffenden Mole- küles. Wir können daher auch sagen: Sobald der Schwer- punkt eines Moleküles zweiter Gattung ausserhalb der Sphäre eines Moleküles erster Gattung liegt, findet zwischen beiden niemals erhebliche Wechselwirkung statt. Jeder Vorgang, wobei der Schwerpunkt eines der ersteren Moleküle in die Sphäre eines der letzteren eindringt, soll ein Stoss heissen. Es ist dabei allerdings möglich, dass der Schwerpunkt des ersteren Moleküles die Sphäre des letzteren wieder ver- lässt, ohne dass erhebliche Wechselwirkung stattgefunden hat, dass also durch einen Stoss die Bewegung keines der beiden stossenden Moleküle erheblich modificirt wird. Durch die Mehrzahl der Stösse aber wird in der That eine bedeutende Modification der Bewegung der beiden Moleküle bewirkt werden. Wie in den §§ 75—78 soll die Lage der Bestandtheile relativ gegen den Schwerpunkt, die Drehung um den Schwer- punkt und die Geschwindigkeit sämmtlicher Theile für ein Molekül erster Gattung durch die Variabeln 250) und 237), für ein Molekül zweiter Gattung aber durch die Variabeln 253) und 254) charakterisirt werden, wobei aber jetzt u 1 , v 1 , w 1 die Geschwindigkeitscomponenten des Schwerpunktes eines Mole- küles erster, u 2 , v 2 , w 2 die eines Moleküles sweiter Gattung sein sollen. Wir wollen eine Zusammenstellung eines Moleküles erster und eines Moleküles zweiter Gattung eine kritische Con- stellation nennen, wenn die Entfernung der Schwerpunkte [Gleich. 267] § 79. Charakterisirung eines Stoffes. gleich b ist. Wir betrachten die kritischen Constellationen, welche folgende Bedingungen erfüllen: Für das Molekül erster Gattung sollen die Variabeln 250) und 237) zwischen den Grenzen 252) und 239) liegen, für das Molekül zweiter Gattung sollen die Variabeln 253) und 254) zwischen den Grenzen 255) und 256) liegen. Endlich soll die Richtung der Verbindungslinie der Schwerpunkte irgend einer der innerhalb eines unendlich kleinen Kegels von der Oeffnung d λ liegenden Geraden parallel sein, was wir zusammen die Bedingungen 267) nennen wollen. Jede kritische Constellation stellt, wenn in dem Momente, wo sie eintritt, der Schwerpunkt des zweiten Moleküles sich in die Sphäre des ersteren hineinbewegt, den Beginn des Processes der Wechselwirkung der beiden Moleküle (des Stosses im weiteren Sinne des Wortes) dar, sie heisse dann eine An- fangsconstellation; wenn dagegen in diesem Momente der Schwerpunkt des zweiten Moleküles die Sphären des ersten verlässt, stellt sie das Ende eines Stosses dar. (Endcon- stellation.) Die kritischen Constellationen, für welche die Schwerpunktsdistanz beider Moleküle im Momente ihres Ein- trittes ein Minimum ist, können ausser Acht gelassen werden, da sie gleichzeitig Beginn und Ende eines Stosses darstellen, welcher aber keinen modificirenden Einfluss auf die Bewegung der Moleküle hat. Wir bezeichnen zwei Constellationen als entgegengesetzt, wenn in beiden sämmtliche Coordinaten die gleichen Werthe, sämmtliche Geschwindigkeitscomponenten aber ebenfalls die gleiche Grösse, aber entgegengesetztes Vorzeichen haben; wir bezeichnen zwei kritische Constellationen als einander ent- sprechend, wenn die Coordinaten 237) des ersten und 254) des zweiten Moleküles und ebenso sämmtliche Geschwindigkeits- componenten für beide Zusammenstösse dieselbe Grösse und dasselbe Zeichen haben, wogegen die Coordinaten des Schwer- punktes des einen Moleküles bezüglich solcher Coordinaten- axen, die den fixen parallel durch den Schwerpunkt des an- deren gezogen sind, zwar dieselbe Grösse, aber gerade das entgegengesetzte Vorzeichen haben. Aus irgend einer Con- stellation wird also die ihr entsprechende gebildet, indem man VII. Abschnitt. [Gleich. 267 a] das erste Molekül völlig unverändert lässt und das zweite Molekül ohne Aenderung der Configuration und Geschwindig- keiten seiner Bestandtheile parallel zu sich selbst um das Stück 2 b in der Richtung der von seinem Schwerpunkte gegen den Schwerpunkt des ersten Moleküles hin gezogenen Geraden verschoben denkt; mit anderen Worten, indem man ohne Aenderung des Zustandes und ohne Drehung der Moleküle im Raume die Orte der Schwerpunkte der beiden Moleküle vertauscht. Es ist nun ohne Weiteres Folgendes klar: Denken wir uns sämmtliche Anfangsconstellationen zusammengefasst und die jeder derselben entgegengesetzte Constellation aufgesucht, so erhalten wir sämmtliche Endconstellationen und umgekehrt. Ebenso erhalten wir sämmtliche Endconstellationen, wenn wir die sämmtlichen Anfangsconstellationen entsprechenden auf- suchen, was auch wieder umgekehrt gilt. § 80. Anwendung des Liouville’schen Satzes auf Zusammenstösse allgemeinster Art . Sei nun wie im Früheren durch den Ausdruck 251) die Anzahl der Moleküle erster Gattung im Gase gegeben, für welche zur Zeit t die Variabeln 250) und 237) zwischen den Grenzen 252) und 239) liegen. Ebenso sei die Anzahl der Moleküle zweiter Gattung im Gase, für welche zur Zeit t die Variabeln 253) und 254) zwischen den Grenzen 255) und 256) liegen, durch den Ausdruck 257) gegeben. Schreiben wir noch zur Abkürzung d ω 1 und d ω 2 für d u 1 d v 1 d w 1 d p 1 … d q ν und d u 2 d v 2 d w 2 d p ν + 1 … d q ν + ν' , so ist 267 a) d N = f 1 f 2 d ω 1 d ω 2 b 2 k d λ d t die Zahl der Zusammenstösse, welche während der Zeit d t im Gase so geschehen, dass deren Anfangsconstellation eine durch die Bedingungen 267) bestimmte kritische Constellation ist. k ist dabei die Componente der relativen Geschwindigkeit des Schwerpunktes des zweiten Moleküles gegen den des ersten Moleküles, die in die Richtung fällt, welche die Verbindungs- [Gleich. 271] § 80. Neue Form des Liouville’schen Satzes. linie dieser beiden Schwerpunkte im Momente des Beginnes des Zusammenstosses hat. Für die kritischen Constellationen, mit welchen alle diese Stösse enden, sollen die Variabeln 250) und 237) für das erste Molekül zwischen den Grenzen 259) und 243), die Variabeln 253) und 254) für das andere Molekül aber zwischen den Grenzen 260) und 268) P ν + 1 und P ν + 1 + d P ν + 1 … Q ν + ν' und Q ν + ν' + d Q ν + ν' liegen und soll die Verbindungslinie der Schwerpunkte der Moleküle einer der innerhalb eines Kegels von der Oeffnung d Λ liegenden Geraden parallel sein. Den Inbegriff dieser Be- dingungen bezeichnen wir als die Bedingungen 269). Von der weitschweifigeren, aber genaueren Ausdrucksweise des § 27 nehmen wir wieder Umgang. Wir schreiben ferner d Ω 1 und d Ω 2 für d U 1 d V 1 d W 1 d P 1 … d Q ν und d U 2 d V 2 d W 2 d P ν + 1 … d Q ν + ν' und es sei K die Componente der relativen Geschwindigkeit der Schwerpunkte beider Moleküle im Momente des Endes des Stosses, welche in die Richtung fällt, die die Verbindungs- linie der Schwerpunkte derselben in diesem Momente hat. Endlich bezeichnen wir wie früher die Differenz der Co- ordinaten der Schwerpunkte beider Moleküle (die des ersten abgezogen) für die Anfangsconstellation mit ξ , η , ζ , für die Endconstellation mit Ξ , H , Z . Dann lautet der Liou- ville ’sche Satz (nämlich die Gleichung 52) auf diesen Fall angewendet: 270) d ξ d η d ζ d ω 1 d ω 2 = d Ξ d H d Z d Ω 1 d Ω 2 . Wir führen nun für ξ , η , ζ und Ξ , H , Z Polarcoordinaten ein, indem wir setzen: ξ = s cos ϑ , η = s sin ϑ cos φ , ζ = s sin ϑ sin φ , Ξ = S cos Θ , H = S sin Θ cos Φ , Z = S sin Θ sin Φ . Dadurch verwandelt sich die Gleichung 270) in 271) s 2 sin ϑ d s d ϑ d φ d ω 1 d ω 2 = S 2 sin Θ d S d Θ d Φ dΩ 1 d Ω 2 . sin ϑ d ϑ d φ und sin Θ d Θ d Φ sind die Oeffnungen der Kegel, VII. Abschnitt. [Gleich. 272] innerhalb deren die Verbindungslinie der Schwerpunkte vor und nach dem Zusammenstosse liegen. Da wir die Oeffnungen dieser Kegel schon früher mit d λ und d Λ bezeichneten, so ist also: sin ϑ d ϑ d φ = d λ und sin Θ d Θ d Φ = d Λ . Wir wollen ferner für d s und d S das Zeitdifferential d t einführen. Sei g die relative Geschwindigkeit der beiden Schwerpunkte und s die Verbindungslinie der beiden Schwer- punkte vor dem Stosse, so sind die Richtungscosinus dieser beiden Geraden und . Die Componente der relativen Geschwindigkeit in der Richtung der Geraden s ist daher: . Der entsprechende Wert dieser Componente der relativen Ge- schwindigkeit nach dem Stosse wurde mit K bezeichnet. Es ist also d s = k d t , d S = K d t . Durch Substitution aller dieser Werthe nimmt die Gleichung 270), wenn man noch bedenkt, dass sowohl im Momente des Beginnes als auch des Endes des Stosses s = b ist, die Form an: b 2 k d λ d t d ω 1 d ω 2 = b 2 K d Λ d t d Ω 1 d Ω 2 , wobei d t rechts und links denselben Werth hat, da der Liou- ville ’sche Satz immer so zu verstehen ist, dass darin t als unveränderlich betrachtet werden muss. Dividiren wir die letzte Gleichung noch durch b 2 d t hinweg, so folgt: 272) k d λ d ω 1 d ω 2 = K d Θ d Ω 1 d Ω 2 . Wir wollen nun sämmtliche Endconstellationen derjenigen Stösse ins Auge fassen, deren Anzahl in Formel 267 a) mit d N bezeichnet wurde, ferner die jeder derselben entsprechende Constellation bilden und mit d N' die Zahl der Stösse bezeichnen, [Gleich. 273] § 81. Rechnen mit endlichen Differenzen. welche während der Zeit d t im Gase so geschehen, dass sie mit den in der beschriebenen Weise gebildeten entsprechenden Constellationen beginnen. Dann ist 273) d N' = F 1 F 2 b 2 K d Ω 1 d Ω 2 d Λ d t , wobei F 1 und F 2 zur Abkürzung für f 1 ( U 1 , V 1 , W 1 , P 1 … Q ν , t ) und f 2 ( U 2 , V 2 , W 2 , P ν + 1 … Q ν + ν' , t ) geschrieben wurde und man hat allgemein d N = d N' , wenn für alle Zusammenstösse die Gleichung 266) erfüllt ist. Nun tauscht durch jeden der d N Stösse ein Molekül erster Gattung einen Zustand, bei welchem die Variabeln 250) und 237) zwischen den Grenzen 252) und 239) liegen, gegen einen solchen aus, bei welchem diese Variabeln zwischen den Grenzen 259) und 243) liegen, während umgekehrt durch jeden der d N' Zusammenstösse ein Molekül erster Gattung den letzteren Zustand gegen den ersteren austauscht und Analoges für die zweite Molekülgattung und für alle anderen Zusammenstösse gilt. Daraus folgt, dass die Zustandsvertheilung durch die Zusammenstösse nicht verändert wird, wenn allgemein die Gleichung 266) erfüllt ist, und da sich leicht beweisen lässt, dass diese Gleichung durch die Formel 115) in der That er- füllt wird, so haben wir zunächst bloss einen zweiten Beweis geliefert, dass die durch diese Formel dargestellte Zustands- vertheilung die Bedingungen erfüllt, welche für eine stationäre Zustandsvertheilung erfüllt sein müssen. Um auch, soweit dies überhaupt möglich ist, den Beweis zu liefern, dass sie die einzige ist, welche diesen Bedingungen genügt, wollen wir wieder die Veränderung der Grösse H berechnen. § 81. Methode der Rechnung mit endlichen Differenzen . Im Folgenden wird uns eine Abstraktion sehr förderlich sein, welche vielleicht manchen anfangs etwas befremdet, welche aber doch sicher jedem sehr natürlich erscheinen muss, der klar erfasst hat, dass die ganze Symbolik der Differential- und Integralrechnung keinen Sinn hat, wenn man nicht zuerst von der Betrachtung grosser endlicher Zahlen ausgeht. VII. Abschnitt. [Gleich. 273] Wir wollen voraussetzen, dass die Moleküle nur eine end- liche Anzahl von Zuständen anzunehmen im Stande sind, welche wir der Reihe nach mit 1, 2, 3 u. s. w. bezeichnen; übrigens kann jeder beliebige Zustand mit 1, jeder beliebige andere mit 2 u. s. w. bezeichnet werden. Diese gegenwärtige Vor- stellung steht mit der einer continuirlichen Reihe von Zu- ständen so in Zusammenhang, dass immer alle Zustände als dieselben zu betrachten sind, die solche Gebiete erfüllen, die sich nach dem Liouville ’schen Satze entsprechen. ( a , b ) drücke symbolisch eine kritische Constellation zweier Moleküle aus, welche die Zustände a und b haben, ( b , a ) drücke die ihr entsprechende, (— a , — b ) die ihr entgegengesetzte Con- stellation aus. Ein Stoss, welcher mit der Constellation ( a , b ) beginnt und mit der Constellation ( c , d ) endet, soll mit bezeichnet werden. w a sei die Zahl der Moleküle in der Volumeinheit, welche den Zustand a haben, eine analoge Bedeutung habe w b u. s. w. sei die Anzahl der Stösse im Gase, welche mit der Constellation ( a , b ) beginnen und mit der Con- stellation ( c , d ) enden; wenn dann d w a den Zuwachs bedeutet, den w a durch die Stösse während der Zeit d t erfährt, so ist , wobei die Summen über alle möglichen Werthe der Grössen x , y , z , n , p , q zu erstrecken sind. Wir denken uns nun alle Aus- drücke für … aufgeschrieben, setzen E = ω 1 ( l ω 1 — 1) + ω 2 ( l ω 2 — 1) + …, bezeichnen mit d E den Zuwachs, welchen E während der Zeit d t durch die Stösse der Moleküle erfährt und denken uns in die obigen Werthe von , … substituirt; l bedeutet den natürlichen Logarithmus. Der Stoss , in welchem übrigens 1, 2, 3, 4 beliebige Zustände, (2, 1) und (3, 4) beliebige [Gleich. 273] § 81. Rechnen mit endlichen Differenzen. kritische Constellationen sein können, liefert sowohl in den Ausdruck für d w 1 als auch in den für d w 2 das Glied , in die Ausdrücke für und aber je ein gleiches posi- tives Glied. Alle diese Glieder liefern dann in die Summe . Der entsprechende Stoss , d. h. derjenige, welcher als An- fangsconstellation diejenige Constellation (4, 3) hat, welche der Endconstellation (3, 4) des früher betrachteten Stosses entspricht, liefert in und je das Glied , in und aber wieder je zwei gleiche positive Glieder. In gleicher Weise schreite man zu dem Stosse fort, welcher dem Stosse entspricht u. s. w. Da wir es jetzt nur mit einer endlichen Zahl von Zuständen zu thun haben, so müssen wir in dieser Reihe einander ent- sprechender Stösse jedenfalls einmal zu einem Stosse gelangen, welchem irgend ein vorhergehender entspricht und es lässt sich beweisen, dass dem ersten Stosse, für welchen dies stattfindet, der Stoss entsprechen muss, denn würde ihm z. B. der Stoss entsprechen, so müssten ( x , y ) und (6, 5) entsprechende Constellationen sein, es müsste also ( x , y ) identisch mit (5, 6) sein und zwei Stösse, von denen der eine mit der Constellation ( k , k — 1), der andere mit (4, 3) beginnt, müssten zur gleichen Endconstellation führen, folglich müsste die Anfangsconstellation (— 5, — 6) sowohl zur Endconstellation (— 4, — 3), als auch zur Endconstellation (— k , — k + 1) führen. Die beiden letzteren Constellationen müssten daher ebenfalls identisch sein, daher müsste der Stoss mit dem Stosse und aus demselben Grunde der Stoss mit VII. Abschnitt. [Gleich. 275] dem Stosse identisch sein, der Cyklus wäre also schon früher geschlossen. Die Gleichung 272) in unsere jetzige Bezeichnungsweise übertragen, bedeutet aber, dass die Coefficienten und einander gleich sein müssen, da wir stets alle Zustände, für welche die Variabeln Gebiete erfüllen, die nach dem Liou- ville ’schen Satze gleich sind, als einen und denselben Zustand zusammenfassen. Hieraus folgt, dass man alle in ent- haltenen Glieder in Cyklen von der Form anordnen kann: . Bezeichnet man den Ausdruck in der eckigen Klammer mit l X und setzt w 1 w 2 = α, w 3 w 4 = β …, so ist: 274) X = β α ‒ β γ β ‒ γ δ γ ‒ δ … α σ ‒ α . Unter den Zahlen α , β , γ … muss es mindestens eine, z. B. γ geben, welche nicht grösser ist, als ihre beiden Nachbarwerthe β und δ ; est ist dann 275) , wobei Y = β α ‒ β δ β ‒ δ … α σ ‒ α genau dieselbe Form, aber um ein Glied weniger als X hat. Der Factor von Y in Gleichung 275) ist = 1, wenn entweder γ = β oder γ = δ ist, sonst immer kleiner als 1. Wendet man dieselbe Betrachtung auf Y an u. s. w., so reducirt sich X end- lich auf ein Produkt von Brüchen, deren jeder ⪙ 1 ist und die nur dann alle = 1 sein können, wenn die Grössen α , β , γ … alle unter einander gleich sind. Es kann daher die Grösse E , deren Differentialquotient nach der Zeit, da Σ w constant ist, beim Uebergang zum Un- endlichkleinen mit d H / d t zusammenfällt, in Folge der Zu- sammenstösse nur abnehmen oder constant sein und zwar letzteres nur dann, wenn für alle Zusammenstösse die Gleichung w a w b = w c w d [Gleich. 276] § 82. Integralausdruck. erfüllt ist. Da nun für den stationären Zustand E nicht weiter abnehmen kann, so muss für denselben die Gleichung w a w b = w c w d für alle möglichen Zusammenstösse erfüllt sein, welche beim Uebergange zum Unendlichkleinen mit Gleichung 266) iden- tisch wird. § 82. Integralausdruck für die allgemeinste Aenderung von H durch die Zusammenstösse . Will man den Uebergang von der Betrachtung einer end- lichen Zahl von Zuständen zu der einer unendlichen vermeiden und sogleich von den Differentialen Gebrauch machen, so wäre die im Folgenden skizzirte Methode anzuwenden. Aehnlich wie im I. Theile § 18 und hier in den §§ 75—78 incl. findet man 276) , wobei das einfache Integral eine Integration bezüglich der in d ω 1 , das Dreifache eine Integration bezüglich aller in d ω 1 d ω 2 d λ enthaltenen Differentiale bezeichnet, d ∫ f 1 l f 1 d ω 1 bezeichnet die Veränderung, welche dieses Integral bloss in Folge der Stösse der Moleküle erster auf die zweiter Gattung während der Zeit d t erfährt. Die in Folge der intramolecularen Be- wegung ist Null. Die übrigen Grössen haben dieselbe Be- deutung wie in den vorhergehenden Paragraphen. Wir wollen uns den jedem Stosse entsprechenden gebildet denken, dessen Anfangsconstellation also der Endconstellation des zuerst be- trachteten Stosses entspricht, und bezeichnen mit f″ 1 und f″ 2 die Werthe, welche die Functionen f 1 und f 2 annehmen, wenn man darin die Variablen substituirt, welche den Zustand der beiden Moleküle am Ende dieses zweiten Stosses charakteri- siren; ferner wollen wir uns zu diesem zweiten Stosse noch- mals den entsprechenden bilden und mit f‴ 1 und f‴ 2 die Functionswerthe bezeichnen, welche durch Substitution der die Endzustände beider Moleküle für diesen letzteren Stoss charak- terisirenden Werthe der Variablen entstehen, u. s. f. VII. Abschnitt. [Gleich. 278] Dann kann die Grösse in die Form ge- bracht werden: 277) . Setzt man wieder f 1 f 2 = α , F 1 F 2 = β , f″ 1 f″ 2 = γ u. s. w., so wird der Ausdruck, welcher in Formel 277) in der eckigen Klammer steht, der natürliche Logarithmus von 278) β α ‒ β γ β ‒ γ δ γ ‒ δ … Es hat diese Grösse genau die Form des Ausdruckes 274), nur dass jetzt der Cyklus der Grössen α , β , γ … im Allgemeinen kein endlicher ist. Doch wird man jedenfalls, wenn man die Reihe dieser Grössen nur genügend lange fortsetzt, zu einem Gliede gelangen, dessen Basis wieder sehr nahe = α ist, so dass der Unterschied zwischen dem Ausdrucke 278) und einem in sich geschlossenen, beliebig klein gemacht werden kann. Sobald durch einen Stoss die Bewegung beider Moleküle nicht verändert wird, kann es freilich vorkommen, dass von den Grössen α , β , γ … eine gleich der ihr benachbarten ist; wenn wir aber nur b nicht so gross wählen, dass dies bei der Mehr- zahl der Stösse der Fall ist, so wird auch die Mehrzahl dieser Grössen gänzlich verschieden von den beiden benachbarten sein, es wird also auch die Mehrzahl der Brüche kleiner als 1 sein, als deren Product der Ausdruck 278) dargestellt werden kann, und welche alle die Form des Factors von Y in der Formel 275) haben. Daher wird negativ und nur dann gleich Null sein, wenn für alle Stösse die Bedingung 266) er- füllt ist. § 83. Präcisirung des nun zu betrachtenden Specialfalles . Wir haben in den vorigen Paragraphen bewiesen, dass für das Wärmegleichgewicht in idealen Gasen mit beliebig be- schaffenen zusammengesetzten Molekülen für alle Zusammen- [Gleich. 278] § 83. Specialfall. stösse gleich beschaffener und ungleicher Moleküle die Glei- chung 266) gelten muss. Wir haben bei der Beweisführung äussere Kräfte allerdings ausgeschlossen, doch lässt sich der Beweis in derselben Weise auch unter Zulassung äusserer Kräfte durchführen. Man sieht ferner unmittelbar, dass die Gleichung 266) befriedigt wird, sobald die Zustandsvertheilung durch die Formel 118) bestimmt ist. Der Beweis jedoch, dass diese Formel die einzig mögliche Lösung der Gleichung 266) sei, scheint sich nicht vollkommen allgemein durchführen zu lassen und es scheint daher nichts übrig zu bleiben, als diesen Beweis in jedem Falle im Speciellen zu liefern. An dieser Stelle muss natürlich bezüglich aller verschiedenen Specialfälle auf die Monographien verwiesen werden und können nur ganz wenige gewissermaassen als Muster behandelt werden. Am einfachsten gestaltet sich die Rechnung in folgendem Specialfalle. Es sei ein Gemisch beliebiger idealer Gase ge- geben, auf welche keine äusseren Kräfte wirken. Die Atome der verschiedenen Moleküle sollen durch beliebige conservative Kräfte zusammengehalten werden, für welche die Lagrange ’- schen Gleichungen gelten. Die Wechselwirkung zweier verschie- dener Moleküle derselben Gasart oder verschiedener Gasarten soll aber immer darin bestehen, dass ein Atom des einen und ein Atom des anderen der in Wechselwirkung begriffenen Moleküle sich wie elastische, unendlich wenig deformirbare Kugeln stossen. Wegen der unendlich geringen Deformirbarkeit wird sich während jedes solchen Stosses weder der Ort der stossenden, noch Position, Geschwindigkeitsgrösse und Geschwindigkeits- richtung für die übrigen Atome der in Wechselwirkung be- griffenen Moleküle ändern. Da aber vor dem Stosse offenbar jede Richtung im Raume für die Geschwindigkeitsrichtung eines einzelnen Atomes gleich berechtigt ist, so kann man die Wahr- scheinlichkeit eines in bestimmter Weise vor sich gehenden Zusammenstosses gerade so berechnen, wie dies im I. Theile § 3 geschah. Wir betrachten der Allgemeinheit halber einen Zusammen- stoss, bei welchem die beiden in Wechselwirkung tretenden Moleküle verschiedenen Gasarten angehören und nennen die Boltzmann, Gastheorie II. 16 VII. Abschnitt. [Gleich. 280] Gasart, welcher das eine (das erste) der in Wechselwirkung tretenden Moleküle angehört, die erste Gasart, die, welcher das andere (das zweite Molekül) angehört, die zweite Gasart. Uebrigens gilt Analoges auch, wenn beide Moleküle der gleichen Gasart angehören. § 84. Auflösung der für jeden Zusammenstoss geltenden Gleichung . Ein bestimmtes Atom mit der Masse m 1 des ersten Mole- küles soll mit einem bestimmten Atome mit der Masse m 2 des zweiten Moleküles zusammenstossen. Wir wollen alle dem ersten Atome gleichartigen Atome die Atome m 1 , alle dem zweiten gleichartigen die Atome m 2 nennen. c 1 und c 2 seien die Geschwindigkeiten des ersten und zweiten der stossenden Atome im Momente des Zusammenstosses aber noch vor demselben, γ 1 und γ 2 die Geschwindigkeiten derselben Atome unmittelbar nach dem Stosse. Es sind dann die Werthe von c 1 und c 2 vollkommen willkürlich. Auch γ 1 kann einen willkürlichen, zwischen den Grenzen Null und 279) gelegenen Werth annehmen, nur γ 2 muss vermöge der Gleichung der lebendigen Kraft gleich sein, da wegen der Kürze der Dauer des Stosses im Uebrigen die Energie keines der Moleküle während desselben bemerkbar verändert wird. Die Anzahl derjenigen Atome m 1 im ganzen Gase, für welche die drei Componenten der Geschwindigkeit ihres Mittel- punktes in den drei Coordinatenrichtungen zwischen den Grenzen 280) u 1 und u 1 + d u 1 , v 1 und v 1 + d v 1 , w 1 und w 1 + d w 1 liegen, während alle anderen, den Bewegungszustand des Mole- [Gleich. 282] § 84. Gleichung für jeden Stoss. küles bestimmenden Variabeln alle überhaupt möglichen Werthe haben können, wollen wir mit: f 1 ( c 1 ) d u 1 d v 1 d w 1 bezeichnen. Weil für die Richtung der Geschwindigkeit dieses Atomes jede Richtung im Raume gleichberechtigt ist, so ist der Coefficient des Productes der Differentiale offenbar nur Function von c 1 und wurde daher mit f 1 ( c 1 ) bezeichnet. Analog sei die Anzahl der Atome m 2 im Gase, für welche ebenfalls ohne Beschränkung der Grenzen für den sonstigen Zustand des betreffenden Moleküles die Componenten der Ge- schwindigkeit ihres Mittelpunktes in den Coordinatenrichtungen zwischen den Grenzen 281) u 2 und u 2 + d u 2 , v 2 und v 2 + d v 2 , w 2 und w 2 + d w 2 liegen, f 2 ( c 2 ) d u 2 d v 2 d w 2 . Die Gleichung 266) reducirt sich dann für die von uns betrachteten Stösse auf: 282) . Da diese Gleichung für alle möglichen Werthe der Variabeln c 1 , c 2 und γ 1 erfüllt sein muss, welche der Gleichung der lebendigen Kraft genügen, so folgt daraus, wie eine einfache Rechnung lehrt (vergl. auch I. Theil § 7), . Diese Formeln im Vereine mit der Bedingung, dass für die Geschwindigkeitsrichtung jede Richtung im Raume gleich- berechtigt ist, bestimmen die Wahrscheinlichkeit der verschie- denen Geschwindigkeitscomponenten vollständig. Wenn alle Atome aller Moleküle unter einander zusammenstossen können, so muss h für alle denselben Werth haben. Es ist daher die mittlere lebendige Kraft für alle Atome, und wie sich aus der Gleichberechtigung aller Geschwindigkeitsrichtungen leicht nachweisen lässt, auch für die progressive Bewegung der Schwer- punkte aller Moleküle dieselbe und gleich der mittleren leben- 16* VII. Abschnitt. [Gleich. 282] digen Kraft eines Atomes. Die Coefficienten A 1 und A 2 sind Constanten; sie wären aber Funktionen der übrigen den Zu- stand des Moleküles bestimmenden Variabeln und der dafür angenommenen Grenzen, falls für diese Variabeln nicht alle möglichen, sondern nur bestimmte zwischen gegebenen Grenzen eingeschlossene Werthe zugelassen würden. Ein specieller Fall des betrachteten ist der, dass die Mole- küle zweiatomig, die Atome aber starre Kugeln sind, die wie die Kugeln der sogenannten Hanteln der Turner durch eine Verbindungsstange zu einem starren Systeme vereint sind. Vergl. Ramsay , Les gaz de l’atmosphère. Paris, Carré 1898. S. 172. Sieht man die Verbindungsstange zunächst als elastisch an, so werden allerdings Radialschwingungen der Atome gegen und von einander anzunehmen sein. Wir können aber dann zum Grenzfalle übergehen, dass die Deformirbarkeit der Stange verschwindet, daher die Amplitude dieser Schwingungen so klein ist, dass sie sich gerade so wie die Drehbewegung um die Verbindungslinie der Atommittelpunkte nicht in beobacht- barer Zeit mit den übrigen Bewegungen ins Wärmegleich- gewicht setzt. Dann stimmt das Resultat vollkommen mit dem früher erhaltenen überein, wo wir für das Verhältniss der Wärme- capacitäten den Werth 1·4 erhielten. Wir erhalten ebenso einen speciellen Fall des im vorigen und zu Anfang dieses Paragraphen betrachteten Falles, wenn wir uns die Moleküle als starr verbundene Systeme dreier oder einer grösseren Anzahl starrer Kugeln denken. Dann erhalten wir den Fall, für welchen sich schon früher das Ver- hältniss der Wärmecapacitäten zu 1⅓ ergab. Es würde übri- gens keine Schwierigkeiten machen, diese Fälle besonders in extenso zu behandeln, noch auch die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Werthecombinationen der Coordinaten in dem allgemeinen, im vorigen und zu Anfang dieses Paragraphen be- handelten Falle zu finden. Wir wollen jedoch hierauf nicht näher eingehen, dafür aber als Muster für die Behandlungs- weise schwieriger Fälle den folgenden Specialfall betrachten. [Gleich. 283] § 85. Beschränkte Stossfähigkeit. § 85. Es sollen nur die Atome einer einzigen Gattung sich stossen . Es sei ein ideales Gas mit durchaus gleich beschaffenen Molekülen gegeben. Jedes Molekül bestehe aus zwei verschieden beschaffenen Atomen mit den Massen m 1 und m 2 (dem Atome erster und dem zweiter Gattung). Die beiden Atome jedes Moleküles sollen sich bezüglich der intramolekularen Bewegung wie materielle Punkte verhalten, die in den Mittelpunkten der Atome concentrirt sind, und auf einander eine Kraft ausüben, welche in die Richtung ihrer Verbindungslinie fällt und Function ihres Abstandes ist. Die intramolekularen Bewegungen sollen also gewöhnliche Centralbewegungen Boltzmann , Vorlesungen über die Principe der Mechanik. §§ 20—24. sein. Die Wechsel- wirkung zweier verschiedener Moleküle aber soll darin be- stehen, dass sich je zwei Atome erster Gattung mit den Massen m 1 wie unendlich wenig deformirbare elastische Kugeln stossen; zwischen den Atomen erster und zweiter Gattung, wenn sie verschiedenen Molekülen angehören, sowie zwischen den Atomen zweiter Gattung unter einander aber soll gar keine Wechselwirkung stattfinden. Wir erhalten dann durch Anwendung einer ähnlichen Schlussweise, wie wir sie im vorigen Paragraphen aus einander gesetzt haben, für die Atome erster Gattung die der Glei- chung 282) analoge, aus welcher folgt: 283) . Es sind hier wie dort u 1 , v 1 , w 1 die Geschwindigkeitscompo- nenten eines Atomes erster Gattung; f 1 ( c 1 ) d u 1 d v 1 d w 1 ist die Anzahl der Atome erster Gattung des gesammten Gases, für welche u 1 , v 1 , w 1 zwischen den Grenzen 280) liegen; A kann noch von den für den sonstigen Zustand des Moleküles an- genommenen Grenzen abhängen. Dagegen kann die gleiche Schlussweise nicht auf die Atome zweiter Gattung angewendet werden, da dieselben niemals mit anderen Atomen fremder Moleküle zusammenstossen. Wir VII. Abschnitt. [Gleich. 287] müssen uns also da auf Betrachtung der Wahrscheinlichkeit irgend einer Bahnform und Bewegungsphase der Centralbe- wegung einlassen. § 86. Bestimmung der Wahrscheinlichkeit einer Centralbewegung von bestimmter Beschaffenheit . Wir bezeichneten bereits mit c 1 und c 2 die absoluten Ge- schwindigkeiten des ersten und zweiten Atomes in irgend einem Zeitmomente. ρ sei die Distanz der Mittelpunkte des ersten und zweiten Atomes zur selben Zeit; α 1 und α 2 seien die Winkel, welche die Richtungen von c 1 und c 2 mit der Richtung der vom ersten gegen das zweite Atom hingezogenen Geraden ρ bilden; endlich sei β der Winkel der beiden Ebenen, von denen jede durch die Gerade ρ und ausserdem die eine durch die Richtung von c 1 , die andere durch die von c 2 geht. Die gesammte Energie des Moleküles ist 284) , wenn φ die Kraftfunction der wirkenden Centralkraft ist. Die doppelte Flächengeschwindigkeit des Atomes m 2 relativ gegen m 1 in der Bahnebene ist: 285) , die mit m 1 + m 2 multiplicirte Geschwindigkeit des Schwer- punktes des Moleküles ist 286) und sie hat senkrecht zur Bahnebene die Componente 287) . Die Zahl der Moleküle in der Volumeneinheit, für welche K , L , G , H zwischen den Grenzen K und K + d K , L und L + d L , G und G + d G , H und H + d H liegen, soll Φ ( K , L , G , H ) d K d L d G d H [Gleich. 288] § 86. Centralbewegung. heissen. Die Zahl derjenigen unter allen diesen Molekülen, für welche noch ρ zwischen ρ und ρ + d ρ liegt, ist . Hierbei ist ist die Zeit, welche von einem Peri- bis zu einem Apocentrum vergeht, also eine gegebene Function von K , L , G , H ; ist ebenfalls eine Function dieser vier Grössen. Beschränken wir uns auf jene Moleküle, für welche erstens noch die letzte Apsidenlinie der Bahn mit einer in der Bahnebene einer fixen Ebene parallel gezogenen Geraden einen Winkel bildet, der zwischen ε und ε + d ε liegt, zweitens die beiden durch die Geschwindigkeit des Schwerpunktes normal zur Bahnebene und parallel einer fixen Geraden Γ gelegten Ebenen einen Winkel bilden, der zwischen ω und ω + d ω liegt, und endlich drittens noch die Geschwindigkeitsrichtung des Schwerpunktes innerhalb eines Kegels von gegebener Richtung und unendlich kleiner Oeff- nung d λ fällt, so haben wir noch mit d ε d ω d λ : 16 π 3 zu multi- pliciren. Die Zahl der Moleküle im Gase, welche alle diese Bedingungen erfüllen, ist daher 288) . Bezeichnen wir mit g und g + d g , h und h + d h , k und k + d k die Grenzen, zwischen denen für diese Moleküle die Geschwindig- keitscomponenten des Schwerpunktes bezüglich der fixen recht- winkeligen Coordinatenaxen liegen, so ist G 2 d G d λ = dg dh dk . Nun lassen wir g, h und k constant, legen durch das Centrum des ersten Atomes ein rechtwinkeliges Coordinatensystem, dessen z -Axe die Richtung von G hat, bezeichnen Coordinaten und Geschwindigkeitscomponenten des zweiten Atomes bezüglich dieses Systemes mit x 3 , y 3 , z 3 , u 3 , v 3 , w 3 und transformiren VII. Abschnitt. [Gleich. 288] diese sechs Variabeln in K , L , H , ρ , ε , ω . Wir legen zu diesem Behufe durch den Mittelpunkt des ersten Atomes ein zweites Coordinatensystem, bezüglich dessen Coordinaten und Geschwindigkeitscomponenten des zweiten Atomes mit x 4 , y 4 , z 4 , u 4 , v 4 , w 4 bezeichnet werden sollen. Die z -Axe des zweiten Systemes soll senkrecht zur Bahnebene, die x -Axe in deren Durchschnittslinie mit der alten xy -Ebene liegen. Es ist dann H = G sin ϑ , wenn 90 — ϑ der Winkel beider z -Axen ist; daher, weil G constant ist, d H = G cos ϑ d ϑ . Endlich bezeichnen wir den Winkel der beiden x -Axen mit ω , da er sich von dem früher so bezeichneten Winkel jedenfalls nur um einen Betrag unterscheidet, den wir jetzt als constant zu betrachten haben. Wir finden: z 4 = x 3 cos ϑ sin ω + y 3 cos ϑ cos ω + z 3 sin ϑ w 4 = u 3 cos ϑ sin ω + v 3 cos ϑ cos ω + w 3 sin ϑ , welche beide Ausdrücke verschwinden müssen, da die x 4 y 4 ‒ Ebene Bahnebene ist. Mittelst dieser beiden Gleichungen kann man bei constantem x 3 , y 3 , u 3 , v 3 zunächst ϑ , ω statt z 3 , w 3 einführen und findet . Nun ist weiter x 4 = x 3 cos ω — y 3 sin ω y 4 sin ϑ = x 3 sin ω + y 3 cos ω und analoge Gleichungen folgen für u 4 , v 4 . Daraus folgt y 3 u 3 — x 3 v 3 = sin ϑ ( y 4 u 4 — x 4 v 4 ) = K sin ϑ und bei constantem ϑ und ω d x 4 dy 4 sin ϑ = d x 3 dy 3 ; du 4 dv 4 sin ϑ = du 3 dv 3 , daher dx 3 dy 3 dz 3 du 3 dv 3 dw 3 = K cos ϑ dx 4 dy 4 du 4 dv 4 dϑ dω . Nun bezeichnen wir, wie früher, mit σ und τ die Geschwindig- keitscomponenten der Relativbewegung des zweiten gegen das [Gleich. 289] § 86. Centralbewegung. erste Atom in der Richtung von ρ und senkrecht darauf; dann ist bei constantem x 4 und y 4 dσ dτ = du 4 dv 4 , wobei L g die jetzt constant betrachtete Energie der Schwer- punktsbewegung ist. Ist endlich ψ der Winkel zwischen ρ und der letzten Apsidenlinie, so folgt x 4 = ρ cos ( ε + ψ ), y 4 = ρ sin ( ε + ψ ), wobei ψ Function von ρ, K und L ist; letztere beide sind jetzt constant, daraus folgt ρ d ρ dε = dx 4 dy 4 . Fasst man alles zusammen, so ist: und man sieht sofort, dass, wenn x , y , z die Coordinaten des zweiten Atomes bezüglich eines durch den Mittelpunkt des ersten Atomes gehenden Coordinatensystemes sind, dessen Axen den ursprünglich gewählten ganz beliebigen Coordinatenaxen parallel sind, ebenfalls sein muss. Führen wir dies in den Ausdruck 288) ein und bedenken noch, dass bei constantem u 2 , v 2 , w 2 ist, so finden wir 289) VII. Abschnitt. [Gleich. 290] als die Zahl der Moleküle in der Volumeneinheit, für welche die Variabeln x … w 2 zwischen x und x + d x … w 2 und w 2 + d w 2 liegen. Wir wollen diese Zahl gleich 290) setzen. Nach 283) kann B einerseits nur Function von c 2 , ρ und α 2 , andererseits kann es nach 289) nur Function von K , L, G und H sein. Es muss B also eine solche Function dieser letzteren Variabeln sein, welche von den Werthen von c 1 , α 1 und β ganz unabhängig und bloss Function von c 2 , ρ und α 2 ist. Setzen wir also B = f ( K, L, G, H ), so muss diese Function, wenn man für K, L, G, H die Werthe 284) bis 287) substituirt, von c 1 , α 1 und β ganz unabhängig werden. Da dies für alle Werthe von c 2 , ρ und α 2 gelten muss, so wollen wir zunächst c 2 = 0 setzen; dann wird K = ρ c sin α , , G = m c , H = 0, also . Da dies von c 1 und α 1 unabhängig sein soll, darf K in f gar nicht, L und G nur in der Verbindung 2 m L — G 2 vorkommen. Letzteres erkennt man sofort, wenn man sich in f statt der beiden Variabeln L und G eingeführt denkt 2 m L — G 2 und G . Wir erhalten also B = f (2 m L — G 2 , H ) und nach Einsetzung der allgemeinen Werthe 284) bis 287) . Dies muss vollständig unabhängig von c 1 , α 1 und β sein. Man sieht sofort, dass dann beide Grössen unter dem Functions- zeichen überhaupt ganz unabhängig von einander sind und daher B eine Constante sein muss. Alsdann wird aber in der That die Formel 290) ein specieller Fall der Formel 118). [Gleich. 290] § 87. Annahme üb. d. Anfangszustände. Ein anderer specieller Fall, dessen Behandlung ohne prin- cipielle Schwierigkeiten ist, wäre der, dass die Moleküle be- liebige starre Körper sind, die entweder die Gestalt von Rotationskörpern haben oder nicht. Ich fürchte aber ohnehin schon zu viel Zeit auf weitschweifige Berechnung specieller Fälle aufgewendet zu haben und ziehe es daher vor, alle weiteren speciellen Aufgaben für Doctordissertationen aufzu- sparen. § 87. Charakterisirung unserer Annahme über die Anfangszustände . Wenn ein Gas von starren Wänden umschlossen ist und anfangs ein Theil desselben eine sichtbare Bewegung gegen- über der übrigen Gasmasse hatte, so kommt derselbe bald in Folge der inneren Reibung zur Ruhe. Wenn zwei Gasarten anfangs unvermischt waren, aber frei mit einander in Be- rührung stehen, so mischen sie sich, auch wenn sich die leichtere anfangs oben befand; allgemein wenn ein Gas oder ein System mehrerer Gasarten anfangs irgend einen unwahr- scheinlichen Zustand hatte, so tritt mit der Zeit immer der unter den gegebenen äusseren Bedingungen wahrscheinlichste Zustand ein und bleibt in aller beobachtbaren Folgezeit er- halten. Zum Beweise, dass dies eine nothwendige Consequenz der kinetischen Gastheorie ist, diente uns die in diesem Ab- schnitte definirte und discutirte Grösse H . Wir wiesen nach, dass dieselbe in Folge der Durcheinanderbewegung der Gas- moleküle stets abnimmt. Die Einseitigkeit des Vorganges, welche hierin liegt, ist offenbar nicht in den für die Moleküle geltenden Bewegungsgleichungen begründet. Denn diese ändern sich nicht, wenn die Zeit ihr Vorzeichen wechselt. Diese Ein- seitigkeit liegt vielmehr einzig und allein in den Anfangs- bedingungen. Dies ist aber nicht etwa so zu verstehen, als ob man für jeden Versuch wieder speciell annehmen müsste, dass die An- fangsbedingungen gerade bestimmte und nicht die entgegen- gesetzten, ebenso gut möglichen sind; sondern es genügt eine einheitliche Grundannahme über die anfängliche Be- schaffenheit des mechanischen Weltbildes, aus welcher dann VII. Abschnitt. [Gleich. 290] mit logischer Nothwendigkeit von selbst folgt, dass, wo immer Körper in Wechselwirkung treten, sich die richtigen Anfangs- bedingungen vorfinden müssen. Unsere Theorie erfordert näm- lich nichts, als dass jedesmal, wo Körper in Wechselwirkung treten, der Anfangszustand des von ihnen gebildeten Systemes ein durch besonders hervorragende Eigenschaften ausgezeich- neter (geordneter, unwahrscheinlicher) sei, welche verhältniss- mässig nur sehr wenigen Zuständen desselben mechanischen Systemes unter den in Frage stehenden äusseren mechanischen Bedingungen zukommen. Hierdurch erklärt es sich, dass dieses System mit der Zeit Zustände annimmt, denen diese Eigen- schaft nicht mehr zukommt, und welche man ungeordnete nennt. Da weitaus die meisten Zustände des Systemes un- geordnete sind, so nennt man die letzteren auch die wahr- scheinlichen Zustände. Die geordneten Anfangszustände verhalten sich zu einem ungeordneten nicht etwa wie ein bestimmter Zustand zu dem gerade entgegengesetzten (durch alleinige Umkehr der Richtung aller Geschwindigkeiten daraus entstandenen), sondern der einem geordneten Zustande entgegengesetzte ist immer wieder ein geordneter Zustand. Der sich einstellende wahrscheinlichste Zustand, welchen wir den der Maxwell ’schen Geschwindigkeitsvertheilung nennen wollen, da Maxwell dafür zuerst in einem speciellen Falle den mathematischen Ausdruck fand, ist nicht etwa ein ausge- zeichneter singulärer Zustand, welchem unendlich vielmal mehr nicht Maxwell ’sche Geschwindigkeitsvertheilungen gegenüber- stehen, sondern er ist im Gegentheile dadurch charakterisirt, dass die weitaus grösste Zahl der überhaupt möglichen Zu- stände die charakteristischen Eigenschaften der Maxwell ’- schen Zustandsvertheilung hat und gegenüber dieser Zahl die Anzahl derjenigen möglichen Geschwindigkeitsvertheilungen, welche bedeutend von der Maxwell ’schen abweichen, ver- schwindend klein ist. Das Kriterium der gleichen Möglichkeit oder gleichen Wahrscheinlichkeit verschiedener Zustandsver- theilungen liefert dabei immer der Liouville ’sche Satz. Um zu erklären, dass die unter dieser Voraussetzung aus- geführten Rechnungen den wirklich beobachteten Vorgängen entsprechen, muss man annehmen, dass ein enorm complicirtes [Gleich. 290] § 88. Rückkehr in den alten Zustand. mechanisches System unter der Voraussetzung ein gutes Welt- bild darstellt, dass es sich als Ganzes, oder wenigstens ein enorm grosser uns umgebender Theil davon, anfangs in einem sehr geordneten, also sehr unwahrscheinlichen Zustande befand. Wenn dies der Fall ist, so wird auch, wo immer zwei oder mehrere kleine Theile desselben mit einander in Wechsel- wirkung treten, sich das von diesen gebildete System anfangs in einem geordneten Zustande befinden, und wenn es sich selbst überlassen bleibt, dem ungeordneten wahrscheinlichsten Zu- stande zueilen. § 88. Ueber die Rückkehr eines Systemes in den alten Zustand . Wir wollen hierzu noch Folgendes bemerken: 1. Es ist keineswegs das Vorzeichen der Zeit, welches den charakte- ristischen Unterschied zwischen einem geordneten und un- geordneten Zustande bedingt. Würde man in demjenigen Zu- stande, den man sich als Anfangszustand des mechanischen Weltbildes gedacht hat, die Richtungen aller Geschwindigkeiten genau umkehren, ohne ihre Grösse und die Lage der Theile des Systemes zu ändern; würde man, wie man sagen kann, die Zustände des Systemes nach rückwärts verfolgen, so würde man ebenfalls zuerst einen unwahrscheinlichen Zustand haben und zu immer wahrscheinlicheren gelangen. Nur in derjenigen Zeitstrecke, welche von einem sehr unwahrscheinlichen Anfangs- zustande bis zu einem weit wahrscheinlicheren späteren Zu- stande führt, verändern sich die Zustände in der positiven Zeitrichtung anders als in der negativen. 2. Der Uebergang von einem geordneten zu ungeordneten Zuständen ist nur äusserst unwahrscheinlich. Auch der um- gekehrte Uebergang hat eine gewisse berechenbare, wenn auch unvorstellbar geringe Wahrscheinlichkeit, welche nur im Grenz- falle, wo die Anzahl der Moleküle unendlich wird, sich in der That der Null nähert. Die Thatsache, dass ein abgeschlossenes System einer endlichen Zahl von Molekülen, wenn es anfangs einen geordneten Zustand hatte und dann zu einem ungeord- neten übergegangen ist, endlich nach Verlauf einer bei grosser Zahl der Moleküle unvorstellbar langen Zeit wieder geordnete VII. Abschnitt. [Gleich. 290] Zustände annehmen muss, ist also nicht nur keine Widerlegung, sondern sogar eine Bestätigung unserer Theorie. Man darf sich aber die Sache nicht so vorstellen, als ob zwei Gase, die in einem mit absolut glatten indifferenten Wänden versehenen, 1/10 Liter enthaltenden Gefässe anfangs unvermischt waren, sich mischen, nach einigen Tagen wieder entmischen, dann wieder mischen u. s. w. Man findet vielmehr nach denselben Principien, nach denen ich in Wied. Ann., Bd. 57, S. 783, 1896, eine analoge Rechnung anstellte, dass erst nach einer Zeit, die noch enorm gross gegenüber Jahren ist, sich nach der ersten Mischung wieder eine irgendwie bemerkbare Ent- mischung einstellen würde. Dass dies praktisch gleichbedeutend ist mit niemals, erkennt man, wenn man bedenkt, dass in diesem Zeitraume gemäss den Wahrscheinlichkeitsgesetzen viele Jahre enthalten sein müssten, in welchen durch blossen Zufall an demselben Tage alle Einwohner einer grossen Stadt einen Selbstmord begingen, oder in allen Gebäuden derselben ein Brand entstünde, während doch die Versicherungsgesellschaften sich in guter Uebereinstimmung mit den Thatsachen befinden, wenn sie solche Fälle nicht in Betracht ziehen. Wenn nicht eine selbst viel geringere Unwahrscheinlichkeit praktisch gleich- bedeutend mit der Unmöglichkeit ist, so könnte sich Niemand darauf verlassen, dass auf den heutigen Tag eine Nacht und auf diese wieder ein Tag folgen wird. Wir haben hier unser Augenmerk hauptsächlich auf die Vorgänge in Gasen gerichtet und für diesen Fall die Function H berechnet. Doch sind die Wahrscheinlichkeitsgesetze, welche die Atombewegung in festen und tropfbar flüssigen Körpern beherrschen, in dieser Hinsicht offenbar nicht qualitativ von den für Gase geltenden verschieden, so dass die Berechnung der der Entropie entsprechenden Function H auch für feste und tropfbar flüssige Körper zwar vielleicht grössere mathe- matische Schwierigkeiten, aber keinerlei principielle hat. § 89. Beziehung zum zweiten Hauptsatze der Wärmetheorie . Wenn wir uns also die Welt unter dem Bilde eines enorm grossen, aus enorm zahlreichen Atomen zusammengesetzten mechanischen Systemes denken, das von einem sehr voll- [Gleich. 290] § 89. Zweiter Hauptsatz. kommen geordneten Anfangszustande ausging und sich noch gegenwärtig in einem der Hauptsache nach geordneten Zu- stande befindet, so erhalten wir daraus Consequenzen, welche factisch mit den beobachteten Thatsachen durchaus in Ueber- einstimmung stehen, obwohl diese Auffassung vom rein theo- retischen, ich möchte sagen philosophischen Standpunkte gegen- über dem der allgemeinen Thermodynamik, welche sich auf den rein phänomenologischen Standpunkt stellt, gewisse neue Seiten aufweist. Die allgemeine Thermodynamik geht von der Thatsache aus, dass sich, soweit unsere bisherigen Erfahrungen reichen, alle Naturvorgänge als irreversibel erwiesen haben. Gemäss den Principien der Phänomenologie formulirt daher die allgemeine Thermodynamik den zweiten Hauptsatz zunächst so, dass die unbedingte Irreversibilität aller Naturvorgänge als sogenanntes Axiom aufgestellt wird, gerade so wie die allgemeine, auf dem rein phänomenologischen Standpunkte stehende Physik die unbedingte Theilbarkeit der Materie bis ins Unendliche als Axiom aufstellt. Gerade so wie die Differentialgleichungen der Elasticitäts- lehre und Hydrodynamik, welche dieses letztere Axiom als Grundlage haben, immer als die einfachsten angenäherten Ausdrücke der Thatsachen die Grundlage der phänomeno- logischen Beschreibung einer grossen Gruppe von Natur- erscheinungen bleiben werden, so gilt dies auch von den For- meln der allgemeinen Thermodynamik. Nie fiel es Jemandem bei, der Molekulartheorie zu Liebe zu fordern, dass sie ganz aufgegeben werden sollen. Aber auch das entgegengesetzte Extrem, das Dogma von der allein seligmachenden Phäno- menologie, ist zu vermeiden. Wie die Differentialgleichungen bloss eine mathematische Rechenmethode darstellen, deren klare Bedeutung nur durch Bilder erfasst werden kann, welche von einer grossen endlichen Zahl von Elementen ausgehen, Boltzmann , Die Unentbehrlichkeit der Atomistik i. d. Natur- wissenschaft. Wien. Sitzungsber. II, Bd. 105, S. 907, 1896; Wied. Ann. Bd. 60, S. 231, 1897. Ueber die Frage nach der Existenz der Vorgänge in der unbelebten Natur, Wiener Sitzungsber. II, Bd. 106, S. 83, Januar 1897. so ist neben der allgemeinen VII. Abschnitt. [Gleich. 290] Thermodynamik und, unbeschadet ihrer nie zu erschütternden Wichtigkeit, auch die Pflege mechanischer Bilder zu ihrer Versinnlichung für die Vertiefung unserer Naturerkenntniss förderlich und zwar nicht trotzdem, sondern gerade weil sie sich nicht in allen Stücken mit der allgemeinen Thermo- dynamik deckt, sondern den Ausblick auf neue Gesichtspunkte bietet. So hält die allgemeine Thermodynamik an der unbe- dingten ausnahmslosen Irreversibilität aller Naturvorgänge fest. Sie nimmt eine Function an (die Entropie), deren Werth durch jegliches Geschehen in der Natur sich nur einseitig ändern, z. B. zunehmen kann. Es unterscheidet sich also jeder spätere Zustand der Welt von jedem früheren durch einen wesentlich grösseren Entropiewerth. Die Differenz der Entropie von ihrem Maximumwerthe, welcher das Treibende aller Naturvor- gänge ist, wird immer geringer. Trotz der Unveränder- lichkeit der Gesammtenergie wird daher deren Umwandel- barkeit immer geringer, das Naturgeschehen immer matter und jede Widerherstellung des alten Entropievorrathes ist aus- geschlossen. Man kann nicht behaupten, dass diese Consequenz der Erfahrung widerspricht, da sie ja über unsere gegenwärtigen Erfahrungen hinausgeht, aber bei aller Anerkennung der Vor- sicht, welche bei solchen über die Erfahrung hinausgehenden Schlüssen auf das Weltganze nothwendig ist, muss man doch zugeben, dass sie wenig befriedigend ist und die Auffindung eines allseitig befriedigenden Ausweges wünschenswerth er- scheinen lässt, mag man sich nun die Zeit als unendlich oder als einen geschlossenen Ring denken. In jedem Falle werden wir lieber die uns gegebene erfahrungsmässige Einseitigkeit derselben als einen bloss durch unseren speciellen beschränkten Gesichtspunkt erzeugten Schein betrachten. § 90. Anwendung auf das Universum . Ist nun die erfahrungsmässig gegebene Irreversibilität des Verlaufes aller uns bekannter Naturvorgänge mit dem Ge- danken einer Unbeschränktheit des Naturgeschehens, die uns gegebene Einseitigkeit der Zeitfolge mit der Unendlichkeit oder ringförmigen Geschlossenheit derselben vereinbar? Wer diese [Gleich. 290] § 90. Anwendung auf das Universum. Frage im bejahenden Sinne beantworten wollte, müsste als Weltbild ein System benutzen, dessen zeitliche Veränderungen durch Gleichungen gegeben werden, in denen die positive und negative Zeitrichtung gleich berechtigt sind und mittelst dessen doch durch eine besondere specielle Annahme der Schein der Irreversibilität in langen Zeiträumen erklärbar ist. Dies trifft aber gerade bei der atomistischen Weltanschauung zu. Man kann sich die Welt als ein mechanisches System von einer enorm grossen Anzahl von Bestandtheilen und von enorm langer Dauer denken, so dass die Dimensionen unseres Fixsternhimmels winzig gegen die Ausdehnung des Universums und Zeiten, die wir Aeonen nennen, winzig gegen dessen Dauer sind. Es müssen dann im Universum, das sonst überall im Wärmegleichgewichte, also todt ist, hier und da solche ver- hältnissmässig kleine Bezirke von der Ausdehnung unseres Sternenraumes (nennen wir sie Einzelwelten) vorkommen, die während der verhältnissmässig kurzen Zeit von Aeonen erheb- lich vom Wärmegleichgewichte abweichen, und zwar ebenso häufig solche, in denen die Zustandswahrscheinlichkeit gerade zu- als abnimmt. Für das Universum sind also beide Rich- tungen der Zeit ununterscheidbar, wie es im Raume kein Oben oder Unten giebt. Aber wie wir an einer bestimmten Stelle der Erdoberfläche die Richtung gegen den Erdmittelpunkt als die Richtung nach unten bezeichnen, so wird ein Lebewesen, das sich in einer bestimmten Zeitphase einer solchen Einzelwelt befindet, die Zeitrichtung gegen die unwahrscheinlicheren Zustände anders als die entgegengesetzte (erstere als die Vergangenheit, den Anfang, letztere als die Zukunft, das Ende) bezeichnen und vermöge dieser Benennung werden sich für dasselbe kleine aus dem Universum isolirte Gebiete, „anfangs“ immer in einem unwahrscheinlichen Zustande befinden. Diese Methode scheint mir die einzige, wonach man den 2. Hauptsatz, den Wärmetod jeder Einzelwelt, ohne eine einseitige Aenderung des ganzen Universums von einem bestimmten Anfangs- gegen einen schliesslichen Endzustand denken kann. Gewiss wird Niemand derartige Speculationen für wich- tige Entdeckungen oder gar, wie es wohl die alten Philo- sophen thaten, für das höchste Ziel der Wissenschaft halten. Ob es aber gerechtfertigt ist, sie als etwas völlig müssiges zu Boltzmann, Gastheorie II. 17 VII. Abschnitt. [Gleich. 290] bespötteln, könnte noch fraglich sein. Wer weiss, ob sie nicht doch den Horizont unseres Ideenkreises erweitern und durch Erhöhung der Beweglichkeit der Gedanken auch die Erkenntniss des erfahrungsmässig Gegebenen fördern? Dass sich in der Natur der Uebergang von einem wahr- scheinlichen zu einem unwahrscheinlichen Zustande nicht ebenso oft vollzieht als der umgekehrte, dürfte durch die An- nahme eines sehr unwahrscheinlichen Anfangszustandes des ganzen uns umgebenden Universums genügend erklärt sein, in Folge dessen sich auch ein beliebiges System in Wechsel- wirkung tretender Körper im Allgemeinen anfangs in einem unwahrscheinlichen Zustande befindet. Aber, könnte man einwenden, hier und da muss doch auch ein Uebergang von wahrscheinlichen zu unwahrscheinlichen Zuständen vorkommen und zur Beobachtung gelangen. Darauf geben gerade die zuletzt angestellten kosmologischen Betrachtungen Antwort. Aus den Zahlenangaben über die unvorstellbar grosse Seltenheit eines in beobachtbaren Dimensionen während beobachtbarer Zeit sich abspielenden Ueberganges von einem wahrscheinlichen zu unwahrscheinlicheren Zuständen erklärt sich, dass ein solcher Vorgang innerhalb dessen, was wir in der kosmologischen Be- trachtung eine Einzelwelt, speciell unsere Einzelwelt genannt haben, so überaus selten ist, dass jede Beobachtbarkeit aus- geschlossen ist. Im ganzen Universum, dem Inbegriffe aller Einzelwelten, aber kommen in der That Vorgänge in der umgekehrten Reihenfolge vor. Nur zählen die sie etwa beobachtenden Wesen die Zeit wieder von den unwahrscheinlicheren zu den wahrscheinlicheren Zuständen fortschreitend und es kann niemals entdeckt werden, ob sie die Zeit entgegengesetzt wie wir zählen, da sie in der Zeit durch Aeonen, im Raume durch Siriusfernen von uns getrennt sind und obendrein ihre Sprache keine Beziehung zur unserigen hat. Man belächelt dies, gut; aber man muss zugeben, dass das hier entwickelte Weltbild ein mögliches, von inneren Wider- sprüchen freies und auch ein nützliches ist, da es uns manche neue Gesichtspunkte eröffnet und uns vielfach nicht nur zur Speculation, sondern auch zu Experimenten (z. B. über die Grenze der Theilbarkeit, die Grösse der Wirkungssphäre und [Gleich. 290] § 91. Wahrscheinlichkeitsrechnung. dadurch bedingte Abweichungen von den hydrodynamischen, den Diffusions-, Wärmeleitungsgleichungen u. s. w.) anregt, zu denen keine andere Theorie die Anregung zu geben vermag. § 91. Anwendung der Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Molekularphysik . Es wurde die Erlaubtheit der im Vorhergehenden gemachten Anwendungen der Wahrscheinlichkeitsrechnung in Zweifel ge- zogen. Da sich aber die Wahrscheinlichkeitsrechnung in so vielen mehr specielleren Fällen bewährt hat, so sehe ich keinen Grund ein, warum sie nicht auch auf Naturvorgänge allgemeinerer Art anwendbar sein sollte. Die Anwendbarkeit der Wahr- scheinlichkeitsrechnung auf die Molekularbewegung in Gasen kann natürlich nicht streng aus den Differentialgleichungen für die Bewegung ihrer Moleküle hergeleitet werden. Dieselbe folgt vielmehr aus der grossen Anzahl der Gasmoleküle und der Länge ihrer Wege, vermöge deren die Beschaffenheit der Stelle des Gases, wo ein Molekül zum Zusammenstoss gelangt, völlig unabhängig von der Stelle ist, wo es das vorige Mal zusammenstiess. Diese Unabhängigkeit könnte sich freilich nur für eine unendliche Zahl von Gasmolekülen durch eine be- liebig lange Zeit erhalten. Bei einer endlichen Zahl von Molekülen, die sich in einem unveränderlichen Gefässe mit vollkommen glatten, indifferenten Wänden bewegen, wird nie unbedingt genau und durch alle Zeiten die Maxwell ’sche Ge- schwindigkeitsvertheilung gelten können. Von der hier einschlägigen Literatur führe ich nur an: Loschmidt, Ueber den Zustand des Wärmegleichgewichts eines Systems In der Praxis aber werden von den Wänden stets Stö- rungen ausgehen, welche jede durch die endliche Zahl der Moleküle bedingte Periodicität aufheben. Auf jeden Fall ist die Anwendbarkeit der Wahrscheinlichkeitsrechnung auf die Gastheorie niemals widerlegt, vielmehr durch die in Aeonen eintretende Periodicität der Bewegung eines endlichen ab- geschlossenen Systemes sogar bestätigt worden, und da man durch dieselbe zu einem allseitig übereinstimmenden, zu Specu- lationen und Experimenten anregenden Weltbilde gelangt, so ist sie wohl in der Gastheorie beizubehalten. 17* VII. Abschnitt. [Gleich. 290] Uebrigens sehen wir die Wahrscheinlichkeitsrechnung in der Physik auch sonst eine Rolle spielen. Die Fehlerrechnung nach Gauss ’ berühmter Methode bewährt sich bei rein phy- sikalischen Vorgängen ebenso, wie die Versicherungsrechnung bei statistischen. Dass sich im Orchester die Klänge eines Unisonos regelmässig verstärken und nicht manches Mal durch Interferenz zufällig aufheben, verdanken wir den Wahrschein- lichkeitsgesetzen, welche auch die Natur des unpolarisirten Lichtes erklären. Da heute Ausblicke auf die Zeit, wo sich unsere Naturanschauung völlig verändert haben wird, beliebt sind, so will ich noch die Möglichkeit erwähnen, dass sich die Fundamentalgleichungen für die Bewegung der einzelnen Mole- küle als blosse Annäherungsformeln herausstellen, welche Durch- schnittswerthe angeben, die nach der Wahrscheinlichkeits- rechnung aus dem Zusammenwirken sehr vieler selbständig sich bewegender das umgebende Medium bildender Individuen folgen, wie z. B. in der Meteorologie die Gesetze immer bloss von Durchschnittswerthen gelten, die sich erst aus langen Beob- achtungsreihen nach der Wahrscheinlichkeitsrechnung ergeben. Diese Individuen müssten freilich so zahlreich sein und so rasch wirken, dass man schon in Millionsteln von Secunden die richtigen Durchschnittswerthe erhielte. § 92. Ableitung des Wärmegleichgewichtes durch Umkehr der Zeitfolge . Mit den zuletzt angestellten Betrachtungen hängt eine Ableitungsweise der Gleichung 266) zusammen, welche zuerst von Maxwell Phil. mag. IV. ser. vol. 35, S. 187, 1868, Scient. pap. II, S. 45. angedeutet und dann von Planck Sitzungsber. d. bair. Acad., Bd. 24, Nov. 1894. Wied. Ann., Bd. 55, S. 221, 1895. etwas weiter von Körpern mit Rücksicht auf die Schwere. Wiener Sitzungsber. II, Bd. 73, S. 139, 1876. Boltzmann , Wiener Sitzungsber. II, Bd. 75, S. 67, 1877; Bd. 76, S. 373, 1878; Bd. 78, S. 740, 1878. Almanach der Wiener Akademie 1886; Nat. 51, S. 413, 28. Febr. 1895. Vorlesungen über Gas- theorie, I. Theil, S. 42. Wied. Ann. Bd. 57, S. 773, 1896; Bd. 60, S. 392, 1897. Klein’s math. Ann., Bd. 50, S. 325, 1898. Burbury, Nat. 22. Nov . 1894. Bryan, Amer. journ. Bd. 19, S. 283. Zermelo, Wied. Ann. Bd. 57, S. 485, 1896; Bd. 59, S. 793, 1896. [Gleich. 292] § 92. Ableitung des Wärmegleichgewichtes. entwickelt wurde. Wir denken uns ein Gemisch beliebig vieler beliebig beschaffener idealer Gase von unbeweglichen, starren, indifferenten Wänden umschlossen, welches wir unser mecha- nisches System nennen wollen. Die Lage sämmtlicher Theile eines Moleküles einer Gasart, welche wir die erste nennen, sei durch μ Coordinaten p 1 , p 2 … p μ , die eines Moleküles einer anderen (der zweiten) Gattung durch ν Coordinaten p μ + 1 , p μ + 2 … p μ + ν bestimmt. Die dazu gehörigen Momente seien q 1 , q 2 … q μ + ν . Wir setzen voraus, dass mit Ausnahme weniger singulärer Zustände alle Anfangszustände allmählich zu wahrscheinlichen Zuständen führen, in denen dann das System stets während einer Zeit verbleibt, die enorm lang ist, gegenüber den Zeiten, während welcher es unwahrscheinliche Zustände hat. Für alle wahrscheinlichen Zustände sollen die Mittelwerthe der ver- schiedenen Grössen in jedem selbst kleinen Bezirke gleich sein, obwohl sonst bei denselben die einzelnen Moleküle noch in der verschiedensten Weise vertheilt sein und die verschieden- sten Zustände haben können. Wir verstehen jetzt unter 290 a) f 1 ( p 1 , p 2 … q μ ) d p 1 d p 2 … d q μ die Wahrscheinlichkeit, dass für ein Molekül erster Gattung die Variabeln 291) p 1 , p 2 … q μ zwischen den Grenzen 292) p 1 und p 1 + d p 1 , p 2 und p 2 + d p 2 … q μ und q μ + d q μ liegen und definiren diese folgendermaassen: Wir betrachten unser System während einer langen Zeit T , während welcher es sich fortwährend in wahrscheinlichen Zuständen befindet. Das Verhältniss der Summe aller Zeitstrecken, während welcher die Variabeln 291) für irgend eines der Moleküle erster Gattung zwischen den Grenzen 292) liegen, zur ganzen mit der Anzahl der Moleküle erster Gattung multiplicirten Zeit T ist dann die Definition der Wahrscheinlichkeit, dass die Variabeln 291) für ein Molekül erster Gattung zwischen den Grenzen 292) liegen. Es können dabei in der Zeit T auch solche Zeiten ein- VII. Abschnitt. [Gleich. 296] begriffen werden, während welchen das System einen unwahr- scheinlichen Zustand hat, da diese ohnehin äusserst selten sind. Nur singuläre Zustände, die dauernd von wahrscheinlichen ab- weichen, müssen ausgeschlossen werden. Wenn während einer kurzen Zeit gleichzeitig für 2 oder 3 Moleküle erster Gattung die Variabeln 291) zwischen den Grenzen 292) liegen, so sind diese Zeitmomente zwei- resp. dreifach zu zählen. Analog dem Ausdrucke 290) sei 293) f 2 ( p μ + 1 , p μ + 2 … q μ + ν ) d p μ + 1 d p μ + 1 … d q μ + ν die Wahrscheinlichkeit, dass für ein Molekül zweiter Gattung die Variabeln 294) p μ + 1 , p μ + 2 … q μ + ν zwischen den Grenzen 295) liegen. Es seien nun die Grenzen 292) und 295) so gewählt, dass die beiden Moleküle augenblicklich sich noch nicht in Wechsel- wirkung befinden, aber bald in Wechselwirkung treten. Wir wollen die in dieser Weise zu Stande kommende Art der Wechselwirkung einen Stoss von der Beschaffenheit A nennen. Dann ist analog der Formel 122) 296) f 1 ( p 1 … q μ ) f 2 ( p μ + 1 … q μ + ν ) d p 1 … d q μ + ν die Wahrscheinlichkeit, dass für ein Molekülpaar Wenn wir von einem Molekülpaare reden, so wollen wir im Fol- genden immer ein solches verstehen, wobei das eine Molekül der ersten, das andere der zweiten Gattung angehört. die Va- riabeln 291) und 294) zwischen den Grenzen 292) und 295) liegen, welche wir auch kurz die Wahrscheinlichkeit eines Stosses von der Beschaffenheit A nennen wollen. Von dem Momente, wo für irgend ein Molekülpaar, das aus dem Moleküle B der ersten und C der zweiten Gattung besteht, die Werthe der Variabeln 291) und 294) in die Grenzen 292) und 295) eingetreten sind, soll nun eine bestimmte Zeit t ver- gangen sein, welche länger ist als die Zeit, während welcher [Gleich. 298] § 92. Ableitung des Wärmegleichgewichtes. bei irgend welchen Stössen zweier Moleküle die Wechselwirkung andauert. Die Werthe der Variabeln 291) und 294) sollen für die Moleküle B und C im Momente des Endes der Zeit t zwischen den Grenzen 297) P 1 und P 1 + d P 1 … Q μ + ν und Q μ + ν + d Q μ + ν liegen. Wir wollen am Ende der oben mit T bezeichneten Zeit die Richtungen der Geschwindigkeiten aller Bestandtheile aller Moleküle umkehren, ohne die Grösse dieser Geschwindig- keiten und die Lage der Bestandtheile irgendwie zu ändern. Das System wird dann alle Zustände, die es früher während der Zeit T durchlief, gerade in umgekehrter Reihenfolge wieder durchlaufen, was wir den inversen Process nennen wollen, im Gegensatze zur ursprünglich betrachteten Zustandsänderung während der Zeit T , welche wir den directen Process nennen. Beim inversen Processe wird genau so oft der Fall ein- treten, dass für ein Molekülpaar die Variabeln 291) und 294) zwischen den Grenzen 298) liegen, als für den directen Process der Fall, dass sie zwischen den Grenzen 292) und 295) liegen. Wir wollen zunächst annehmen, dass in unserem Systeme zwei Zustände, in denen alle Coordinaten und alle Grössen der Geschwindigkeiten dieselben sind, aber nur die Richtungen der letzteren durchaus gerade den entgegengesetzten Sinn haben, stets gleich wahrscheinlich sind. Wir wollen diese Annahme als die Annahme A bezeichnen. Dieselbe ist selbstverständlich, wenn die Moleküle einfache materielle Punkte, oder beliebig gestaltete starre Körper sind und noch in manchen Fällen. In anderen Fällen freilich bedarf sie noch des Beweises. Dann tritt also beim inversen Processe der Fall, dass für ein Molekülpaar die Variabeln zwischen den Grenzen 297) liegen, gerade so oft ein, als beim directen der Fall, dass sie zwischen den Grenzen 292) und 295) liegen. Nun be- steht aber der inverse Process ebenfalls aus einer sehr langen Reihe von Zuständen, wobei die Variabeln die verschiedensten VII. Abschnitt. [Gleich. 300] Werthe annehmen. Diese Zustände können also nicht aus- schliesslich oder vorwiegend aus singulären bestehen, müssen vielmehr zum weitaus grössten Theile sehr wahrscheinlich sein. Es müssen also die verschiedenen Mittelwerthe für den inversen Process die gleichen wie für den directen sein und die Wahr- scheinlichkeit, dass für ein Molekülpaar die Werthe der Variabeln zwischen den Grenzen 297) liegen, muss durch den dem Ausdrucke 296) vollkommen analogen Ausdruck f 1 ( P 1 … Q μ ) f 2 ( P μ + 1 … Q μ + ν ) d P 1 … d Q μ + ν gegeben sein, was nach dem Gesagten gleich dem Ausdrucke 296) sein muss. Nun ist aber nach dem Liouville ’schen Satze d p 1 … d q μ + ν = d P 1 … d Q μ + ν ; daher ergiebt sich schliesslich die Gleichung 299) f 1 ( r 1 … q μ ) f 2 ( p μ + 1 … q μ + ν ) = f 1 ( P 1 … Q μ ) f 2 ( P μ + ν … Q μ + ν ), womit also die Gleichung 266) für alle Gattungen von mög- lichen Stössen bewiesen ist. § 93. Führung des Beweises durch cyklische Reihen einer endlichen Zahl von Zuständen . Will man die Annahme A nicht machen, die in der That keineswegs in allen Fällen evident ist, so muss der Beweis, ähnlich wie in § 81, mittelst in sich zurücklaufender Cykeln geführt werden. Wir setzen dabei Einfachheit halber voraus, dass alle Moleküle gleichartig sind und betrachten die Reihe von Stössen 300) . Die Bezeichnungen sind hierbei und in allem Folgenden genau die des § 81. Die Wahrscheinlichkeit des ersten dieser Stösse ist , die des nächsten Nun ist aber vermöge des Liouville ’schen Satzes Bezeichnen wir daher den gemeinsamen Werth aller dieser Coefficienten mit C ohne weitere Indices, so ist die Wahr- [Gleich. 300] § 93. Endliche Zahl von Zuständen. scheinlichkeit der verschiedenen in 300 zusammengestellten Stösse der Reihe nach C w 1 w 2 , C w 3 w 4 , C w 5 w 6 …, C w a -1 w a . Wir wollen uns nun die ganze Zustandsänderung unseres Systemes von Molekülen in der schon oft geschriebenen Weise umgekehrt denken. Wir müssen dann wieder eine stationäre Zustandsvertheilung erhalten. Es muss also die Wahrschein- lichkeit irgend eines bestimmten Stosses bei der umgekehrten Zustandsfolge dieselbe wie bei der ursprünglichen sein. Nun ist bei der umgekehrten Zustandsfolge die Wahrscheinlichkeit des letzten Stosses der Reihe 300 C w 1 w 2 , die des vorletzten C w a -1 w a u. s. w. Es muss also w 1 w 2 = w a -1 w a = w a -2 … = w 3 w 4 sein. Da nun diese Gleichungen für alle verschiedenen Stösse gelten müssen, so ist wieder die Gleichung 66) bewiesen. Ich glaube hier in extenso die Idee entwickelt zu haben, welche Maxwell bereits Phil. mag., IV. ser., vol. 35, 1868, S. 187; Scient. pap. II, S. 45 an der Stelle andeutet, welche mit den Worten beginnt: „This is therefore a possible form of the final distribution of velocities; it is also the only form.“