Briefe aus Paris 1832—1833 von Ludwig Boͤrne . Fünfter Theil . Paris . Bei L. Brunet . 1834 . Gesammelte Schriften von Ludwig Boͤrne . Dreizehnter Theil . Paris . Bei L . Brunet . 1834 . Inhalt zum V. Bande. Erster Brief Seite 1 Zweiter Brief 8 Dritter Brief 20 Vierter Brief 30 Fünfter Brief 36 Sechster Brief 44 Siebenter Brief 57 Achter Brief 65 Neunter Brief 72 Zehnter Brief 83 Eilfter Brief 104 Zwölfter Brief 131 Dreizehnter Brief 148 Vierzehnter Brief 152 Fünfzehnter Brief — 164 Sechszehnter Brief — 175 Siebenzehnter Brief — 197 Achtzehnter Brief — 201 Neunzehnter Brief — 217 Zwanzigster Brief — 224 Erster Brief. Paris, Samstag, den 10. November 1832. D iesen Brief, vom Samstag datirt, fange ich heute Sonntag erst an. Ich habe mich einer Treu¬ losigkeit gegen Sie schuldig gemacht; nicht wegen Mademoiselle **** — denn diese besuchte ich erst um zwei Uhr, ich hätte also den ganzen Vormittag Zeit gehabt Ihnen zu schreiben — sondern wegen eines Buches, das mich so angezogen. Ich empfehle Ihnen scènes de la vie privée par Mr. Balzac . Ich glaube es sind vier Bände. Ein moralischer Erzähler von seltener Vortrefflichkeit und der die V. 1 Tugend so liebenswürdig darzustellen weiß, daß man sie, zu seinem eignen größten Erstaunen, noch vierzig Jahre nach der Kindheit lieb gewinnt. Sie hatten also einen ganzen Tag lang keine andere Nebenbuh¬ lerin als die Tugend selbst. Montag, den 12. November. Sie wundern sich gewiß, daß ich noch kein Wort Politik gesprochen in diesen sechs Briefen; ich wundere mich selbst darüber und ich weiß nicht wie es kömmt .... O! es ist so langweilig, so lang¬ weilig! ich knurre wie ein alter Hund der unter dem Ofen liegt und kann es vor lauter Bosheit nicht zum Bellen bringen. Bosheit gegen wen? Nicht gegen den bürgerfreundlichen Großherzog von Baden, der die Professoren Rotteck und Welcker abgesetzt: son¬ dern gegen die Letzteren, die aus Schaafs-Gutmü¬ thigkeit, ein aktives Verbum haben zum passiven werden lassen. Nicht gegen den Minister Winter in Carlsruh, der sich für einen freisinnigen Mann aus¬ gegeben und den ich immer für einen Pascha von drei Fuchsschweifen gehalten; sondern gegen die Nar¬ ren, die ihm das geglaubt. Nicht gegen die Scham¬ losigkeit der baierischen Regierung, die Landeskinder nach Griechenland schickt, um deutsches zahmes Kuh¬ pockengift in das edle griechische Blut zu bringen, damit ein Heldenvolk bewahrt werde vor dem Fieber 1* und den Blatternarben der Freiheit und ein hübsches, weibliches, polizeiglattes Gesicht behalte; sondern ge¬ gen die Baiern, die ruhig und breit dastehen, wie die Bocksbierfäßer, und ohne sich zu rühren, sich anzapfen lassen von dem unersättlichen Gewalts-Durste ihres Königs. Nicht gegen die hessische Maitressen-Re¬ gierung, welche alle freisinnigen Deputirten mit Fä¬ cherschlägen aus der Kammer jagt; sondern gegen diese selbst, die sich wie Spatzen durch ein Husch! Husch! vertreiben lassen. Die in Cassel begreife ich nicht. Die Cholera ist dort und wie ich gelesen ha¬ ben sie große Furcht davor. Wenn man aber die Cholera fürchtet, wie kann man zugleich Gefängniß und Geldstrafen fürchten? Aber der Deutsche hat ein großes Herz! Als einst Napoleon einen Offi¬ zier ausschmähete, antwortete dieser: Ihr Zorn ist nicht gefährlicher als eine Kanonenkugel — und dar¬ auf schwieg der Kaiser und lächelte. Es war freilich Napoleon; wäre es ein deutscher Wachtparadenfürst gewesen, er hätte den Offizier kassirt und ihn auf die Festung geschickt. Es ist doch etwas sehr ge¬ heimnißvolles in der Furcht; den Heldenmuth begreift man viel leichter. Hunderte von freisinnigen Bürgern in Frankfurt lassen sich dort von der Polizei schul¬ bübisch examiniren und abstrafen und denken gar nicht daran, daß wenn sie hunderte wie ihrer sind, sich Alle in einer Reihe stellten, Alle für Einen für Je¬ den sprächen und handelten, man ihnen ja gar nicht beikommen könnte; da Frankfurt nicht genug Gefäng¬ nisse hat sie einzusperren. So knurre ich; ich wollte aber ich wäre im Ernste ein Hund. Wann ein Hund von seinem Herrn geprügelt wird, so ist es doch ein höheres Wesen, das ihn beherrscht; der Mensch ist der Gott des Hundes, es ist seine Religion ihm treu und ge¬ horsam zu sein. Läßt sich aber je ein Hund von einem andern Hunde beißen ohne sich zu wehren? Oder hat man gar je gesehen, daß tausend Hunde einem Einzigen gehorchen? Der Mensch aber läßt sich von einem andern Menschen prügeln; ja tausend Menschen erdulden es von einem Einzigen und we¬ deln dabei mit den Schwänzen! Und Jarke in Berlin, ist an die Stelle von Genz nach Wien ge¬ kommen. Erinnern Sie mich an diesen Jarke, wenn ich ihn vergessen sollte. Ich habe etwas über ihn zu sagen. Zwar hat mich Heine gebeten, ich möchte ihm den Jarke überlassen; aber ich denke es ist genug an ihm für uns Beide. Die andere europäische Tyrannei gefällt mir weit besser als die Deutsche. Ich weiß nicht — es ist etwas Genialisches, Großes darin. Es ist we¬ nigstens eine hohe Mauer, die jeder sieht, der jeder ausweichen kann, und es müßte einer sehr zerstreut sein, mit dem Kopfe dagegen zu rennen. Unsere aber — das ist ein Scheitholz mitten auf dem Wege, in der Nacht und keine Laterne dabei; man fällt dar¬ über und bricht das Bein. So fiel neulich der Ge¬ burstag des Kaisers von Rußland ein, oder solch' ein anderer heilloser Tag und da befahl die Polizei in Warschau: es müßte Jeder illuminiren und für jedes Fenster das dunkel bliebe, müßte man dreißig Gulden Strafe bezahlen. Das ist deutlich! Eine Dame in Neapel schrieb an ihren Sohn nach Mar¬ seille, sein alter Vater säße schon einige Monate im Kerker, weil er, der Sohn, liberale Artikel in eine Marseiller Zeitung schriebe! So weit bringt es der Bundestag in seinem Leben nicht. Doch wer weiß! Schreiben Sie mir ja recht oft und viel und freundlich, daß mir gar nichts von meinem Herzen übrig bleibe; denn ich wüßte nicht, wie ich diesen Winter auch nur den kleinsten Rest verwenden sollte. Die Malibran ist nicht hier und sie kömmt auch nicht. Ich wollte ich wäre zwanzig Jahre jünger, daß ich darüber weinen dürfte. Während der Schneetage von Paris log sie mir den Sommer vor; wenn sie sang, sah ich blitzen, hörte ich donnern und wo in meiner Brust noch ein altes Körnchen Pulver lag, da kam ihr Feuer hin und verzehrte es! Ihr ar¬ mer Freund! Jetzt bleibt meine einzige Lust, die Seifenblasen der Bundesknaben steigen sehen und nach den Schuldoktrinairs mit Schneeballen werfen. Zweiter Brief. Paris, Montag, den 12. November 1832. ....... Fragen Sie doch allerlei und ver¬ schiedenartige Leute — es müssen aber natürlich Solche sein, welchen hierin ein Urtheil zuzutrauen: ob sie mich für fähig halten eine Geschichte der fran¬ zösischen Revolution zu schreiben? Ich selbst habe es oft überlegt, konnte es aber noch zu keiner ent¬ schiedenen Meinung bringen. Ich weiß nur, daß ich Lust dazu habe; welches aber gar nicht beweißt, daß ich auch das Talent dazu habe. Zu den Speisen die man am wenigsten vertragen kann, hat man oft den größten Appetit. Ich möchte eher urtheilen, daß ich die Fähigkeit nicht habe, als daß ja. Zu einer Geschichtsschreibung gehört ein künstlerisches Talent und die Leute sagen, daß mir das durchaus fehle. In einer Geschichte müssen die Dinge dargestellt werden wie sie sind, wie sie sich im natürlichen Tageslichte zeigen; nicht aber, wie sie sich durch das Prisma des Geistes betrachtet, als Farben erscheinen, noch weniger wie sie in der Camera obscura des Herzens sich abschatten. Glauben Sie nicht auch, daß ich zu¬ viel denke und empfinde! Die gefährlichste Klippe in einer Geschichte der französischen Revolution ist: daß diese noch nicht geendigt ist, ihr Ziel noch nicht erreicht hat; daß man also, je noch der Gesinnung ohne Furcht und Hoffnung von der Sache gar nicht sprechen kann; und Furcht und Hoffnung drücken sich oft als Haß und Liebe aus, und das darf nicht seyn. Ein Geschichtsschreiber muß seyn wie Gott; er muß Alles, Alle lieben, sogar den Teufel. Ja, er darf gar nicht wissen, daß es einen Teufel giebt. Also fragen Sie Den und Jenen, und theilen Sie mir genau mit, was Jeder von ihnen sagt. Es ist ein Werk langer und schwerer Arbeit und ich möchte es, ohne Hoffnung, daß es gelinge, nicht unternehmen. Ich bin jetzt schon gerührt, wenn ich daran denke, wie ehrwürdig ich mich ausnehmen werde, wenn ich als großer Gelehrter und Narr unter tausend Bü¬ chern sitze, und sie Eines nach dem Andern durchlese und ausziehe, und wie mir dabei heiß wird und ich seufze: ach! wie glücklich war ich in frühern Zeiten, da ich noch leicht wie ein Schneidergesell, dem man in der Herberge das Felleisen gestohlen, durch Feld und Wald zog, und überall ohne Geographie und Führer den Weg und jeden Abend ein Wirthshaus fand. Aber es ist Zeit, daß ich das Schwärmen einstelle und mich in eine Arche zurückziehe; denn ich sehe die Sündfluth kommen. Vierzig Monate wird sie dauern, und dann, wenn die Gewässer abgelaufen sind und der Regenbogen am Himmel steht, werde ich mit einer versöhnlichen Geschichte der französischen Revolution hervortreten, voller Liebe und Feuchtig¬ keit — und da alsdann alle Rezensenten ersoffen seyn werden, das einzige Rezensentenpaar ausgenommen, daß ich aus Liebe zur Naturgeschichte in meine Arche gerettet, so wird auch mein Werk allgemeinen Beifall finden, wenn es ihn verdient. Auch denke ich daran, wie ich meine baldigen grauen Haare ver¬ berge, sey es unter einem Lorbeerkranze, sei es un¬ ter einen Schellenkappe — gleichviel. Nun gefragt. Von den bedeutenden Männern, welche in der französischen Revolution eine wichtige Rolle gespielt, lebt noch Mancher, wie Lafayette, Talleyrand, die Lameths. Aus diesen lebendigen Quellen schöpfen zu können ist ein großer Vortheil. Aber man muß die noch kurze Zeit benutzen ehe sie der Tod entführt, oder sie altersschwach werden. So lebt Sieyes noch, aber wie ich höre in großer Geistesschwäche. Auch von den Volksmassen, welche die Revolution unter freiem Himmel getrieben, leben in Paris noch ganze Schaaren. Man sollte es nicht denken — kürzlich hat die Regierung Allen, welche an der Bestürmung der Bastille Theil genommen, eine Pension bewilligt und es fanden sich noch fünf bis sechshundert von jenen Sappeurs der Monarchie, die noch am Leben sind und deren Namen der Moniteur mittheilte. Auch diese zu berathen ist nützlich, um von den ent¬ scheidenden Gassengeschichten, und den seitdem so sehr umgestaltenen Schauplätzen der französichen Revolution eine lebhafte Anschauung zu gewinnen. Dienstag, den 13. November. Ein herrliches deutsches Buch habe ich hier ge¬ lesen; schicken Sie gleich hin es holen zu lassen. Briefe eines Narren an eine Närrin . Auch in Hamburg bei Campe erschienen, der seine Freude daran hat, die Briefe aller Narren an alle Närrin¬ nen drucken zu lassen. Es ist so schnell abwechselnd erhaben und tief, daß Sie vielleicht müde werden es zu lesen, ich bin es selbst geworden und bin doch ein besserer Kopfhänger als Sie. Aber es ist der An¬ strengung werth. Der Narr ist ein schöner und edler Geist und so unbekümmert um die schöne Form, wel¬ cher oft die besten Schriftsteller ihr Bestes aufopfern, daß diese, wie jede Kokette, weil verschmäht, sich ihm so eifriger zudringt. Der Verfasser schreibt schön ohne es zu wollen. Er ist ein Republikaner wie alle Narren; denn wenn die Republikaner klug wären, dann bliebe ihnen nicht lange mehr etwas zu wünschen übrig und sie gewönnen Zeit sich zu verlieben und Novellen zu schreiben. Nichts kommt ihm lächerlicher vor als das monarchische Wesen, nichts sündlicher gegen Gott und die Natur. Er theilt meinen Abscheu gegen die vergötterten großen Männer der Geschichte und meint, die schöne Zeit werde kommen, wo es wie keine Hofräthe, so auch keine Helden mehr geben wird. Die Klügsten unter den Gegnern des Libera¬ lismus haben diesen immer vorgeworfen, es sei ihm gar nicht um diese oder jene Regierungsform zu thun, sondern er wolle gar keine Regierung. Ich trage diese Sünde schon zwanzig Jahre in meinem Herzen und sie hat mich noch in keinem Schlafe, in keiner gefährlichen Krankheit beunruhigt. Die Tyrannei der Willkühr war mir nie so verhaßt, wie die der Gesetze. Der Staat, die Regierung, das Gesetz, sie müssen alle suchen sich überflüssig zu ma¬ chen, und ein tugendhafter Justizrath seufzt gewiß, so oft er sein Quartal einkassirt und ruft: O Gott! wie lange wird dieser elende Zustand der Dinge noch dauern? Und bei dieser Betrachtung hat der Ver¬ fasser eine schöne Stelle, die ich wörtlich ausschreiben will. „Freilich ist das Firmament ein Staat, und „Gott ein Monarch, der sich die Gesetze und die „Bahnen unterordnet; aber die Sterne des Himmels „werden einst auf die Erde fallen, und Gott wird „sein strahlendes Scepter und die Sonnenkrone von „sich werfen, und den Menschen weinend in die Arme „fallen, und die zitternden Seelen um Vergebung „bitten, daß er sie so lange in seinen allmächtigen „Banden gefangen gehalten.“ Küssen Sie den Un¬ bekannten in der Seele, der über die Wehen, die Geburten und Misgeburten dieser Zeit so schöne Dinge gesagt. Auch eine betrübte räthselhafte Er¬ scheinung unserer Tage, erklärt der Verfasser gut. Woher kömmt es, das so Viele in Deutschland, die früher freisinnig gewesen, es später nicht geblieben? Spötter werden sagen: sie haben sich der Regierung verkauft; ich aber möchte nie so schlecht von den Menschen denken. Ich war immer überzeugt, daß ein Wechsel der Hoffnung, gewöhnlich dem Lohne voraus¬ ginge, mit dem Regierungen, zur Aufmunterung der Tugend, diesen Wechsel bezahlten. „Sie könnten „den Nachwuchs eines neuen Geschlechtes nicht er¬ „tragen; sie wollten nicht, daß man munterer, drei¬ „ster dem gemeinschaftlichen Feinde die Spitze bieten „könne. Es ist in Frankreich ebenso gegangen. Die „in der alten französischen Kammer einst die äußerste „Linke bildeten, die ausgezeichnetsten Glieder der ehe¬ „maligen Opposition sind nur darum in die rechte „Mitte des Centrums hinaufgerückt, weil sie nicht „ertragen mochten, daß eine Weisheit, die ihnen ge¬ „borgt war, sich in jugendlichern Gemüthern lebendi¬ „ger bethätigte. So sind in Deutschland die ehema¬ „ligen Heerführer des Liberalismus die loyalsten Or¬ „gane der Regierung geworden. Früher sprachen sie „allein über gewisse Wahrheiten, jetzt thun es ihnen „hundert Andere nach.“ An dem Buche habe ich nichts zu tadeln, als seinen Titel. Man soll sich nicht toll, oder betrunken stellen wenn man die Wahrheit sagt. Auch nicht ein¬ mal im Scherze soll man eine solche Maske vor¬ halten, denn es gibt unwissende Menschen genug, welche die Vermummung als einen Beweis ansehen, daß man nicht jeden Tag das Recht habe die Wahr¬ heit zu sagen, sondern nur während der Fastnachts¬ zeit und in der Hanswurstjacke. Ueberhaupt sollten wir jetzt keinen Spaß machen, damit die großen Her¬ ren erkennen, daß uns gar nicht darum zu thun sei, witzig zu seyn, sondern sie selbst zu witzigen. Mittwoch, den 14. November. Ich muß noch einmal auf die Briefe eines Narren zurückkommen; das Wichtigste hätte ich fast vergessen. Stellen Sie sich vor es wird in dem Buche erzählt: der goldene Hahn auf der frankfurter Brücke sei abgenommen worden, und unsere Regie¬ rung habe es auf Befehl der Götter des taxischen Olymps thun müssen, weil der Hahn ein Symbol der Freiheit sei, der, ob er zwar nicht krähen könnte, sintemal er von Messing ist, doch als Kräh-Instru¬ ment in dem Munde eines sachsenhäuser Revolutio¬ nairs Staats- und diner -gefährlich werden könnte. Es wäre merkwürdig! aber ich glaube es nicht. Vielleicht war es ein Scherz von dem Verfasser, oder er hat es sich aufbinden lassen. Aber was ist in Frankfurt unmöglich? Ich bitte, lassen Sie doch **** auf die Sachsenhäuser Brücke gehen und nach dem uralten Hahne sehen. Ist er noch da, dann werde ich den närrischen Briefsteller öffentlich als einen Ver¬ läumder erklären. Donnerstag, den 15. November. Heute marschieren die Franzosen in Belgien ein, angeblich nur um Antwerpen zu erobern, vielleicht aber auch um den König Leopold gegen sein eigenes Land zu schützen, das seiner in den nächsten Tagen überdrüßig werden dürfte. Den Franzosen gegenüber ziehen sich die Preußen zusammen, darauf zu wachen, daß das Volk in seiner Lust nicht übermüthig werde, und sich nicht mehr Freiheit nähme, als man ihm zugemessen. Was ist dieses Frankreich gesunken! Wenn noch ein Stäubchen von Napoleons Asche übrig ist, es müßte sich jetzt entzünden. Gleich schwach und verächtlich wie heute, war Frankreich unter den Di¬ rektoren; aber die Ohnmacht damals war zu entschul¬ digen, sie war Erschöpfung nach einem ungeheuern Tagewerke. Die jetzige Regierung aber ist schwach und schlaff von vielem Schlafen. Und der Ernst ge¬ gen Holland soll nur Komödie seyn, gespielt der dok¬ trinären Regierung Gelegenheit zu geben mit Kraft zu paradiren, daß sie sich befestige; denn von den Doktrinärs erwartet die heilige Allianz den Ruin Frankreichs. Es ist die wohlfeilste Art Krieg zu füh¬ ren. Schon um acht Uhr diesen Morgen erhielt ich ein Billet von einem, guten Freunde von Rentier, der mich auf heute zu Tische bittet, um ihm den V . 2 Triumph des Juste-Milieus feyern zu helfen. Ich werde essen und lachen. Ich fange an einzusehen, daß die Menschheit kein Genie hat für die Wissen¬ schaft. Seit einigen tausend Jahren geht sie in die Schule und sie hat noch nichts gelernt. Gott hätte sie nicht sollen zum Studieren bestimmen, sondern ein ehrliches Handwerk lernen lassen. Die arme Berry! Ihr verzeihe ich Alles, denn sie ist Mutter, und sie glaubt an ihrem Rechte. Das ist ihr von der frühesten Kindheit an gelehrt worden wie der Katechismus. Die heillosen Königs-Pfaffen aber, die Bürgerblut für Wasser ansehen, womit sie ihren verkümmerten Thron-Sprößling begießen — Diese möchte ich Alle in dem Stübchen hinter dem Kamine einsperren, in welchem die Berry sich ver¬ steckt hatte, und dann wollte ich das Feuer recht schüren. Was aber die neue Geschichte schöne Ro¬ mane schreibt! wer es ihr nachthun könnte! Es that mir noch niemals so leid als jetzt, daß ich keine Ge¬ schicklichkeit zu so etwas habe. Das Ereigniß mit der Berry, welch ein herrlicher Stoff zu einem Ro¬ mane. Ihr Verräther der getaufte Jude, welch ein schönes Nacht- und Rabenstück! Man begreift nicht warum dieser Judas katholisch geworden ist. Als hätte er als Jude nicht auch ein Schurke werden können. Ich glaube es ist kein gewöhnlicher Böse¬ wicht; sein Gewissen hat ein halbe Million gekostet, und er ist blaß geworden, als er den Verrath voll¬ endete. Ein Münchner Bierbrauer und der Dr . Lindner, werden mit dem Könige Otto nach Griechenland zie¬ hen, um dort baierisch Bier und russische Treue ein¬ zuführen. Griechenland soll ein Theil des deutschen Bundes werden, und die griechischen Zeitungen müs¬ sen Alle in deutscher Sprache geschrieben werden, da¬ mit sie der Hofrath Rousseau verstehe, der zum Cen¬ sor in Nauplia ernannt worden ist. Carove tritt zur griechischen Religion über und wird Consistorial-Rath in Athen. Der Professor Bömel wird Censor aller griechischen Classiker, die ohne Censur nicht neu ge¬ druckt werden dürfen. Diese Neuigkeiten standen gestern Abend im Messager. Adieu für heute. 2 * Dritter Brief. Paris, Mittwoch, den 21. November 1832. Schon gestern wollte ich zu schreiben anfangen; aber da lag mir der Schrecken von Vorgestern zehn Pfund schwer in den Fingern, und ich konnte nicht. Sie wissen jetzt, daß man unsern guten König hat umbringen wollen, und daß die beste aller Republi¬ ken in großer Gefahr war. Nie hat sich die Vor¬ sehung so glänzend gezeigt als dieses Mal. Sie hat nicht allein verhindert, daß der König getroffen werde, welches ihr als Leibwache der Fürsten Pflicht war; sondern sie hat auch verhindert, daß keiner von den Hunderten von Nicht-Königen, die den König eng umschlossen und um die sie sich nicht zu bekümmern hat, verletzt werde. Sie hat noch mehr gethan. Sie hat, was ihr ein Leichtes gewesen wäre, den Mör¬ der (oder den Elenden , wie die Minister in allen Blättern sagen) nicht den Händen der Gerechtigkeit überliefert, sondern ihn entwischen lassen, damit er ohne Buße sterbe und jenseits in ewiger Verdammniß leide. Der Mörder gab sich alle mögliche Mühe entdeckt zu werden, aber es half ihm nicht. Statt einen andern Tag zu wählen, wo dem Könige, da er weniger be¬ wacht ist, so leicht beizukommen wäre, wählte er ge¬ rade einen Tag, wo viele tausend Soldaten alle Straßen besetzt hielten, wo unzählige Polizei-Agen¬ ten unter dem Volke gemischt waren, und der König selbst von einem dichten undurchdringlichen Gefolge umpanzert war. Statt sich auf die freie Straße hinzustellen, wo nach der That Hoffnung zur Flucht blieb, stellte sich der Mörder auf die Brücke, wo auf zwei Seiten nicht auszuweichen war, und die zwei engen Zugänge augenblicklich gesperrt werden konnten, wie es auch wirklich geschehen. Die Kugel war nir¬ gends zu finden, und der König war naiv genug Abends bei Hofe zu erklären, er habe die Kugel nicht zischen hören. Sehen Sie, das nennt man regie¬ ren , und wenn Sie das jetzt nicht begreifen, bleiben Sie dumm ihr Leben lang. Bei dieser Gelegenheit aber konnte ich mich schämen, daß ich, ein Liberaler, erst mit anderthalb Jahren begreife, was die Abso¬ lutisten schon längst verstanden und erklärt haben: daß nämlich nichts lächerlicher sei als eine constitu¬ tionelle Monarchie. Wenn in Petersburg, Wien und Berlin solche Polizei-Komödien aufgeführt wer¬ den, dort, wo nur Kinder und unerfahrne Menschen auf der Galerie sitzen, die alles für Ernst nehmen, und gleich Kotzebue's Landedelmann in der Residenz, im Stande sind einen Schauspieler durchzuprügeln, der als Graf Leicester die schöne Maria Stuart ver¬ rathen — dort hat doch der Spaß einen Zweck, und findet sich ja einmal ein naseweiser Theater-Kritiker, der das Spiel beurtheilt, dreht man ihm den Hals um. Hier aber, wo Oeffentlichkeit, wo Preßfreiheit herrscht, wo tausend Menschen es laut aussprechen, es sei ein Polizeischuß gewesen — wozu? Darum ist eine constitutionelle Monarchie ein lächerliches Ding, darum bin ich Republikaner geworden, und verzeihe es den andern, wenn sie Absolutisten sind. Einer von uns wird den Sieg davon tragen; das Juste- Milieu aber, diese Misgeburt mit zwei Rücken, be¬ stimmt auf beiden Seiten Prügel zu bekommen — wird sie bekommen und wird, nachdem ihm aller Saft ausgedrückt worden, wie eine Citronenschale, auf die Gasse geworfen werden. Aber in diesen Augenblicke erhalte ich Ihren Brief und ich will mich eilen ihn zu beantworten, ehe das Gemetzel in Antwerpen angeht, das vielleicht die Sperrung des Postenlaufs nach Deutschland zur Folge haben kann. Die Holländer in der Citadelle haben zwei hundert Mörser, die Franzosen in der Stadt vierhundert. Diese sechshundert Mörser kön¬ nen in Zeit von einer Stunde zwölftausend Men¬ schen zerstoßen. Dann gäbe es zwar zwölftausend Narren weniger in der Stadt; aber sie dauern mich doch die armen zerquetschten Menschen! Es bleiben so viele Narren noch übrig, daß man den kleinen Abgang nicht spüren wird. Sich todt schießen zu lassen um einen Taufnamen, daß ein König Wilhelm oder Leopold heiße! Die Erde ist das Tollhaus der Welt und alle Narren des Firmaments sind da ver¬ sammelt. Es darf Sie nicht wundern, daß die vier Bände Tugend von Balzac mir keine Langeweile ge¬ macht. Denn erstens ist es weibliche Tugend, die mich nicht hindert, ich meine nicht mehr . Dann sind es gerade nicht immer tugendhafte Personen die auftreten, sondern im Gegentheile. Nachdem man aber mit den andern den Blumenweg der Un¬ tugend gewandert, stellt der Verfasser tugendhafte Betrachtungen an, die man sich gefallen läßt, weil sie nichts kosten, denn man hat den Profit voraus. Aber ich kann Ihnen den Balzac nicht genug loben. Noch ein anderes Werk liegt auf meinem Tische von dem nämlichen Schriftsteller; ich habe es aber noch nicht gelesen: Physilogie du mariage ou méditations de philosophie éclectique sur le bonheur et le malheur conjugal. Publiée par un jeune célibataire . Zwei Theile. Es wird aber noch lange dauern, bis ich mit Ihnen von dem Buche sprechen kann; denn ich will es nicht blos lesen, sondern studiren. Und warumu studiren ? Darüber hängt noch der Schleier des Geheimnisses; aber man wird erstaunen zur gehörigen Zeit. Wichtige Dinge sind im Werke. Schicken Sie mir doch künftig zur Erleichterung des Briefporto's ein Verzeichniß derjenigen Personen in Frankfurt, die noch nicht arretirt sind. Sie trei¬ ben es dort in's Große und es fehlt ihnen wenig mehr zu einer Macht des erstens Ranges. Wenn sie in Frankfurt einen Jarke gebrauchen, sollten sie sich an mich wenden; ich habe hier einen guten Freund, der gar zu gern ein Spitzbube werden möchte; er hat aber bis jetzt noch keine Gelegenheit dazu gefunden. Er besucht mich um keinen Preis und weicht mir aus soviel er kann, aus Furcht für einen ehrlichen Mann gehalten zu werden und dadurch seinem Fortkommen zu schaden. Nach dem Eschen¬ heimer Thurm wässert mir der Mund, ich möchte gar zu gern darin sitzen. Welch' ein romantisches Ge¬ fängniß! Auf der einen Seite die Aussicht nach der Promenade, auf der andern in die Zimmer des Herrn von Nagler. Sein erster Legationssekretair stünde den ganzen Tag am Fenster, meine Seufzer zu de¬ chifriren. Welch' einen schönen Roman könnte unser Frankfurter Walter Scott daraus machen! Ist es wahr, daß der Senat den Mehlberg will befestigen lassen, angeblich gegen die Franzosen, eigentlich aber um die rebellischen Frankfurter im Zaume zu halten, und daß man alle Staatsverbrecher nach der Brücken¬ insel deportiren will? Gestern in der Kammer hat man davon gesprochen. Hören Sie. Ein Deutscher hier, der sich für die Auswanderung nach Amerika interessirt und dafür schreibt, forderte mich neulich auf, auch dahin zu zie¬ hen. Ich antwortete ihm: das thäte ich wohl gern, wenn ich nicht fürchtete, daß, sobald unserer Vierzig¬ tausend am Ohio wären, und nun der neue Staat organisirt werden sollte, von diesen vierzigtausend gu¬ ten deutschen Senaten, neun und dreißig tausend neun hundert neun und neunzig, den Beschluß fassen möchten, sich aus Deutschland ein geliebtes Fürstenkind zum Oberhaupte kommen zu lassen. Es war ein Scherz des Augenblicks; aber nachdem er verschallt, fiel mir bei wie viel Ernst in der Sache sey. O! wäre ich nur sicher in meiner Vermuthung — auf der Stelle ging ich nach Amerika, blos um unsterblich zu wer¬ den; denn es wäre ein gewürzhafter Spaß, der mich einbalsamirte, meine Gebeine ein Jahrtausend gegen Verwesung schützte — es wäre ein unsterblicher Spaß. Donnerstag, den 22. November. Die Rede, mit welcher der König die Kammer eröffnet, ist wieder die alte Vorrede der Tyrannei. Die Regierung erklärt sich für schwach und verlangt Kraftbrühen. Man weiß aus welchen Bestandtheilen diese zusammengesetzt werden: förmliches Recht zu je¬ dem beliebigen Unrechte, Unterbrechung der Constitu¬ tion und Belagerungszustand, so oft man Furcht hat, besonders Beschränkung der Preßfreiheit, um der hei¬ ligen Allianz eine Bürgschaft für Frankreichs Ohn¬ macht zu geben. Vielleicht fällt aber noch heute eine Bombe aus Antwerpen in den Topf. Die Kammer hat gestern ihre Majorität ausgesprochen. Sie hat sich nicht für die linke Seite erklärt, aber auch nicht für die Doktrinairs. Düpin ist zum Präsident er¬ nannt worden, er wird also Minister werden. Sein Blatt ist der Constitutionell, daraus können Sie also sein System kennen lernen. Es ist aber besser, Sie lesen den Balzac. Ich bin so kleinlaut und genüg¬ sam geworden, daß ich mit Düpin zufrieden genug bin. Da mir eigentlich nur an Deutschland liegt, so hoffe ich, daß Düpin Casimir Perriers Krämer- Politik gegen das Ausland nicht fortsetzen wird. Daß sich Dr . Bunsen steif gemacht, das hat mich sehr amusirt. Wenn sich alle steiften, ginge alles besser. Aber wenn man einen Deutschen in's Gefängniß führt ist er im Stande und zieht Schuhe an, um recht flink zu gehorchen. Adieu. Ich gehe auf die Börse um Neuigkei¬ ten zu erfahren. Das thue ich jetzt oft. Man hat gestern einen jungen Mann arretirt, der den Schuß nach dem König gethan haben soll. Er hat dadurch sich verdächtig gemacht, daß er seine großen Backen¬ bärte abschneiden ließ. Was man vorsichtig sein muß! Gerade heute wollte mir der Barbier auch meine Backenbärte stutzen; aber aus Furcht die Po¬ lizei könnte denken, ich wollte mich unkenntlich machen, ließ ich es nicht geschehen. Ich warte damit bis der Mörder eingestanden, dann bin ich sicher. — Ich danke es den unbekannten Freunden sehr, daß sie mir die Polizeihunde angeben, die nach Paris geschickt werden. Zwar bringt mir selbst die Warnung keinen Nutzen, da ich nichts zu vertrauen habe und auch keinem trauen würde als dem Teufel selbst, der eigentlich ein ehrlicher Mann, weil er sich für nichts anders ausgiebt als was er ist. Aber es giebt Andere hier, die etwas zu verschweigen haben und welche von der schwarzen Magie der heiligen Allianz nicht viel wissen. Diese werde ich warnen. Uebrigens so oft ein Liberaler als ein Judas aus¬ gegeben wird, muß man das ohne Untersuchung nicht annehmen. Es ist eine von den Künsten der Polizei, um unter den Patrioten Mistrauen zu erregen und Verbindungen zu verhindern. Ich werde sehen. Es ist etwas in den Augen eines Menschen was der geübteste Schurke nicht in seiner Gewalt hat. Dieses Etwas verräth ihn. Adieu! Vierter Brief. Paris, Samstag, den 24. November 1832. Abends . Heute Mittag ging das Ungeheuer von Briefträger an meinem Hause vorbei und brachte mir nichts. Darüber war ich sehr verdrießlich, ging früher als gewöhnlich aus und besuchte die ****. Aber es gelang mir nicht, Sie dort zu vergessen. Auch war es thöricht, daß ich es versucht. Ist ein Frauenzimmer langweilig, kommen Sie mir zurück; ist sie liebenswürdig, noch mehr, es ist keine Rettung als ich bleibe bei Ihnen. Gegen sieben kam ich nach Hause. Da lag der Brief auf meinem Pulte ... Den Gedanken des ****, statt einer förmlichen französischen Revolutionsgeschichte, französische Revo¬ lutions-Charaktere zu beschreiben, hatte ich früher selbst schon gehabt. Er hat aber auch darin Recht, daß dieses eben so viel Arbeit als eine vollkommene Geschichte nöthig machen würde. Robespierre war die höchste Spitze der Revolution und da hinauf zu kommen, müßte ich auch den ganzen Weg zurücklegen; nur brauchte ich freilich mich nirgends so lange auf¬ zuhalten, als wenn ich die ganze Geschichte beschriebe. Aber **** hat Unrecht, wenn er meint ich wäre zu viel Patriot, nicht unbefangen genug. Ich bin es nur zu sehr, zu sehr Fatalist. Ich würde den Adel entschuldigen, wie es noch keiner gethan; aber frei¬ lich auch Robespierre. Ich übernähme es, alle rein zu waschen von ihren Sünden, die Aristokraten von ihren Rostflecken, die Demokraten von ihren Blut¬ flecken — nur nicht die welche Geld genommen wie Mirabeau. Diesen Schmutz nimmt keine Liebe weg. Also mit dem Brückenhahn war es gelogen? Da sehen Sie, da sehen Sie, so sind die Liberalen! Mit Feuer und Schwert sollte man das Gesindel ausrotten. Nichts als Lug und Trug und Brand und Mord und Plünderung! So ist es auch viel¬ leicht nicht wahr, was in einigen französischen Zei¬ tungen steht: Daß die Sachsenhäuser die Staats¬ gefangenen zu befreien gesucht, und daß darüber ein Aufruhr statt gefunden: warum schreiben Sie mir denn gar nichts davon? Sie glauben es nicht, welche lächerliche Lügen über Deutschland täglich in den hie¬ sigen Blättern stehen. So las ich heute in der Tri¬ büne: der bekannte Vidocq sei als Professor der Spitzbüberei nach Heidelberg berufen worden, mit drei tausend Gulden Gehalt und dem Titel als ge¬ heimer Hofrath. Soviel ist gewiß, daß Vidocq von der Pariser Polizei seinen ehrenvollen Abschied be¬ kommen, und daß er weggereist, man weiß nicht wo¬ hin? Nur geschwind von etwas anderem, sonst komme ich in die Fronterie hinein — und in die Effroniterie. Von Diderots Briefen an seine Freundin (Mademoiselle Volland hieß sie) habe ich Ihnen im vorletzen Winter geschrieben. In diesen Tagen las ich die Fortsetzung. Da wir — Diderot und ich — seitdem zwei Jahre älter geworden, bewunderte ich noch mehr die Jugendlichkeit dieses Mannes. So viel Punkte, so viel Küsse sind in seinen Briefen. Und die unnachahmliche Kunst, daß man durch die zehen Jahre, die der Briefwechsel dauert, nie merkt, wie alt sie denn eigentlich ist. Anfänglich war ich ein dummer tugendhafter Deutscher und urtheilte: weil er mit ihr von gewissen Dinge auf eine gewisse Art spricht, muß sie wohl ihre Jugendzeit hinter sich haben. Als ich aber den dritten Band las, sah' ich ein wie ich mich geirrt. Da spricht Diderot einmal von und mit seiner eigenen Tochter, die sechszehen Jahre alt ist. Nein, das Blut kann einem dabei gefrieren! Ueber Dinge in welchen ein Frauenzim¬ mer nicht eher Schülerin werden darf, als bis sie Meisterin geworden, und worin sie nur die Erfah¬ rung belehren soll, wird Diderots Tochter von ihrem Vater wissenschaftlich unterrichtet. Und er erzählt seiner Freundin umständlich und mit väterlichem Ent¬ zücken, wie verständig sich seine Tochter dabei benom¬ men. Gut — sagt sie zuletzt — wir wollen keine Vorurtheile haben; aber der Anstand, die Ueberein¬ kunft, der Schein ist zu achten. Dann spricht sie von Geist und Materie wie Holbach und die Andern. Der Satan von sechszehen Jahren erkennt keine V. 3 Seele an. Sie trägt an dem Tage eine Art Haube, die man damals Caleche nannte. Sie lächelt, sagt ihrem Vater, wie auf der Straße sie alle jungen Leute schön fänden, und wie ihr das Freude mache. „Ich will lieber Vielen ein wenig gefallen, als Ei¬ „nem viel.“ Der Vater weint vor Freude. Gott! wann ich eine solche Tochter hätte — es käme auf die Jahreszeit an — Sommers würde ich sie in das Wasser, Winters in den Kamin werfen. Doch ge¬ nug moralisirt. „ Ich bin des trocknen Tones satt , muß wieder einmal den Teufel zeigen .“ Hören Sie. — Damals kam ein König von Dänemark, blut¬ jung, erst neunzehen Jahre alt nach Paris. Les deux rois se sont vus. Ils se sont dit tout plein des choses douces: — vous êtes monté bien jeune sur le Trône! — Sire, vos sujets ont encore été plus heureux que les miens . — Je n'ai point encore en l'honneur de voir votre famille. — Cela ne se peut pas: vous ne nous restez pas assez de tems , ma famille est si nombreuse; ce sont mes sujets . — Et puis tous les Crocodiles qui étaient là présent se sont mis à pleurer. — Ueber den Brutus! der König von Dänemark besuchte Diderot in seiner Wohnung im vierten Stocke und blieb zwei Stunden bei ihm. An dem nämlichen Tage traf er ihn Abends bei Hol¬ bach. Dieser wußte nicht, daß Diderot den König schon gesehen, und hatte seine heimliche Freude daran, daß Diderot glaube er spräche mit einem ge¬ wöhnlichen Menschen. Und Diderot lachte heimlich über Holbachs Täuschung. Und wie liebenswürdig dieser König sei (er war den größten Theil seines Lebens und starb 1808 wahnsinnig). Und was er schönes während seines Aufenthalts in Paris ge¬ sprochen — über alle diese Erbärmlichkeiten zu sprechen, wird der Philosoph Diderot nicht müde. So sind die Liberalen! Etwas was ich nicht früher bemerkt, ist mir beim Lesen von Diderots Briefen plötzlich klar ge¬ worden. Es ist zum Erstaunen! Voltaire starb eilf Jahre, Diderot fünf vor dem Ausbruche der französi¬ schen Revolution. Andere berühmte Staatsphilo¬ sophen des achtzehenten Jahrhunderts haben noch länger herabgelebt. Und keiner dieser Schriftsteller (wenigstens so viel ich mich erinnere) hatte auch nur eine Ahndung von dem Herannahen einer socialen Umwälzung Frankreichs. Ja man kann nicht einmal sagen, daß sie einen deutlichen systematischen Wunsch darnach ausgesprochen. Sie tadelten zwar viel und 3 * stark die bestehende Ordnung der Dinge; aber ihr Eifer war doch mehr gegen die Staatsverwaltung als gegen die Verfassung gerichtet. Rousseau's Sy¬ stem machte auf praktische Wirkung keinen Anspruch Voltaire schrieb nie auch nur ein einziges Wort ge¬ gen den Adel. Nur von Chamfort ist mir bekannt, daß er aufrührerische Wünsche und Hoffnungen aus¬ gesprochen; aber das geschah sehr spät, nur in ver¬ trauter mündlicher Unterhaltung, und seine Gleichge¬ sinnten selbst haben ihn wie einen tollen Menschen angehört. Der Haß und der Kampf aller jener re¬ volutianären Schrifsteller waren nur gegen die Geist¬ lichkeit gerichtet. Es scheint also daß die geistliche Macht, wenn auch nicht die stärkste, doch die vorderste und höchste Mauer bildete, welche als Befestigung die Tyrannei umzog, und daß man erst, nachdem diese Mauer durchbrochen war, dahinter Adel und Fürstenthum als Graben und Wall, gewahrte, aus¬ füllte und stürmte. Waren selbst damals die Philo¬ sophen so blind, darf man sich über die Verblendung des Adels und der Fürsten gewiß nicht wundern. Wie wurden die französischen Schriftsteller des acht¬ zehnten Jahrhunderts von allen Großen geliebkost! Freilich stellten sie sie nicht höher als gute Schau¬ spieler und schöne Opertänzerinnen; aber sie wären gewiß nicht so freundlich gegen sie gewesen, hätten sie deren Gefährlichkeit eingesehen. — Quand la raison vient aux hommes ? — wollte Diderots Freundin wissen. Le lendemain des femmes, et ils attendent toujours ce Lendemain — ant¬ wortete er. Fünfter Brief. Sonntag, den 25. November. Ist es wahr, was heute die hiesigen Blätter erzählen, daß die Polizei in Frankfurt so unver¬ schämt gewesen, dort den Frauenverein vor ihr bru¬ tales Gericht zu laden, weil er für die vertriebenen und eingekerkerten Patrioten, Geldbeiträge gesammelt und daß der Frauenverein sich die große Freiheit ge¬ nommen, die Polizei auszulachen und nicht zu er¬ scheinen? Es wäre gar zu schön, und daß die Männer erst von ihren Frauen lernen müssen, wie man den Muth habe sich dem Uebermuthe entgegen zu setzen. Ich sage nicht die Deutschen wären feige, denn ich bin ein warmer Anhänger von Lichtenbergs menschendfreundlicher Moral. Lichtenberg aber be¬ hauptet, es sei boshaft und lächerlich, eine Tugend die irgend ein Mensch nur im kleinen Grade besitzt, Laster zu nennen. Statt zu sagen ein Mensch habe einen kleinen Grad von Thätigkeit, einen kleinen Grad von Verstand, sage man er sei faul, dumm. Ich thue das nicht. Ich lobe die Deutschen daß sie einen kleinen Grad von Muth haben. Nur das tadle ich, daß sie nicht alle ihren Pfennigsmuth in eine gemeinschaftliche Kasse werfen, wodurch sich die Na¬ tion zu ihrem eignen Erstaunen eine Million von Heldenthum sammeln könnte. Es ist unglaublich was man durch eine beharrliche und allgemeine Asso¬ ciation, selbst der kleinsten Kräfte für eine große Macht bilden kann. Kürzlich wurden den englischen Ministern, welche für die Reformbill gestimmt, von einem Theile der Stadt London große goldene Becher als Zeichen des Dankes überreicht. Jeder der Beitragenden hatte nur einen Pfennig gege¬ ben. Aber es waren dreimalhundert tausend Pfennige. Wenn unter den dreißig Millionen Deutschen, nur sechs Millionen, jeder nur eine Minute lang Muth hätte — und so lange hat ihn selbst ein Hase, der von Hunden verfolgt, sich zuweilen auf die Hinter¬ füße setzt — so hätten die sechs Millionen Helden zusammengerechnet Muth auf zwölf Jahre, und reichte der auch nicht hin den Senator Miltenberg und den Herrn von Guerike einzuschüchtern, so würde doch der Bundestag dieser imposanten Macht nicht widerstehen können. Association — das ist das ganze Geheimniß. Die tapfern Würtemberger Li¬ beralen haben alle eine Minute Muth, sie verstehen aber nicht Stunden und Tage daraus zu machen, wodurch sie den falschen aber traurigen Schein ge¬ winnen als wären sie feige. Neulich hat der König von Würtemberg einigen hochgeachteten Deputirten in Stuttgard auf ihr Allerunterthänigstes Ansuchen, die allergnädigste Erlaubniß ertheilt, sich jede Woche einmal , an einem bestimmten Tage , in einem Hause außerhalb der Stadt zu ver¬ sammeln, um die Paragraphe der Verfassung juri¬ stisch zu erläutern — juristisch nur, bei Leibe nicht politisch — setzte das menschenfreundliche könig¬ liche Rescript, mit aufgehobnem Finger lächlend dro¬ hend, hinzu. So verfährt eine gute Polizei auch mit dem Schießpulver und allen stinkenden Gewer¬ ben. Zur Stadt hinaus! Nun, ich nehme die allergnädigste königliche Erlaubniß nicht übel, im Gegentheile, ich finde sie sehr erhaben. Aber, daß die Deputirten um solche Bewillung allerunterthä¬ nigst nachgesucht, das empört mich. Ich mag mich gegen den guten Staberl, der mir so viele frohe Stunden gemacht nicht undankbar bezeigen; sonst würde ich das deutsche Volk mit ihm vergleichen. Ich sah einmal Staberl als Ehemann. An einem rauhen Wintermorgen saß seine Frau vor dem Ofen und trank Chocolade. Da kam Staberl mit einem großen Korbe, der mit Gemüsen, Eiern, Hühnern angefüllt war, vom Markte zurück. Die Frau lobte oder schmähte den Gimpel, je nachdem sie mit seinen Einkäufen zufrieden oder unzufrieden war. „Wo „sind denn die Krebse?“ fragte die Frau. „Ach — „erwiederte Staberl — sie sind aus dem Korbe ge¬ „sprungen, ich ihnen nach; da sie aber rückwärts „gingen, konnte ich sie nicht einholen.“ Darauf gibt ihm die Frau eine Ohrfeige. Aber Staberl ärgert sich nicht, sondern bittet seine Frau unterthänigst freundlich um einen Kreutzer, sich damit einen Bretzel zu kaufen .... Ist das deutsche Volk nicht ein ächter Staberl. Seine Regierung, wie jede, ist seine Frau, bestimmt seine Wirthschaft und Haushal¬ tung zu führen. Statt dessen aber geht das Volk, der Mann, auf den Markt, während die Frau Re¬ gierung sich gütlich thut, und das Gimpelvolk bettelt bei seiner Regierung um einen Kreutzer, und ist glücklich wenn es ihn erhält! ... Und die Krebse? Run , das sind die constitutionellen Fürsten, und die Staberl von Liberalen, entschuldigen sich, daß sie sie nicht hätten einholen können weil sie rückwärts ge¬ laufen. Ohrfeigen den Gimpeln! — Victor Hugo hat vor einigen Tagen ein neues Drama Le roi s'amuse auf das Theatre Fran ç ais gebracht. Hinein zu kommen war mir nicht möglich an diesem Tage; denn alle brauchbare Plätze waren lange vorher bestellt. Das Stück wurde fast ausgepfiffen und nur mit der größten Anstrengung vermochten die Freunde des Dichters es von gänzlichem Sturze zu retten. Ich habe ge¬ stern einen flüchtigen Blick in die Zeitungskritiken geworfen. Alle Blätter und von den verschiedensten Farben verdammen das Drama. Doch ich traue nicht recht. Sie sagen Hugo habe Scherz und Ernst, Possen und erhabene Reden unter einander gemischt. Nicht Aristoteles, nicht Racines Lehren habe er gekränkt — über solche Pedanterie sei man längst hinaus. Nein, die Natur selbst habe er be¬ leidigt. Es muß etwas Ungeheures seyn, was Hugo begangen; er muß eine entsetzliche Schuld auf sich geladen haben — seit Müllner ist Hugo ein Name schlimmer Vorbedeutung. Wir werden sehen; in einigen Tagen wird das Stück gedruckt erscheinen. Dazu kömmt noch, daß — auf allerhöchste Ver¬ anlassung , wie wir in Deutschland sagen würden, die fernere Aufführung des Drama's von dem Mi¬ nister verboten worden ist. Um Aristoteles und die Natur bekümmert sich kein Minister, das Verbot muß also einen andern Grund haben. Adieu. Sechster Brief. Paris, Montag, den 26 November 1832. .... Dabei fiel mir ein, wie nöthig und nützlich es wäre, einmal mit Ernst und Würde, doch in einer faßlichen, Kindern und Weibern, und kindisch weibischen Männern verständlichen Sprache, die Gräuel und Verrücktheiten der monarchischen Regie¬ rungen zu besprechen. Es ist unglaublich mit wel¬ cher Unverschämtheit die Fürsten und deren Götzen¬ diener die Fieberphantasien und Krämpfe der franzö¬ sischen Revolution zu vorbedachten Verbrechen stem¬ peln, und diese Verbrechen als Nothwendigkeit, als angebohrne Natur jeder Republik darstellen! Es ist unglaublich, mit welcher blöden Geistesträgheit so viele Menschen diese dummen Lügen annehmen; denn sie brauchten nur die Hand nach ihrem Bücher¬ schranke auszustrecken, sie brauchten nur eine Stunde lang die Weltgeschichte zu durchblättern, um mit Schaamröthe zu erfahren, wie grob man sie getäuscht. Drei Jahre haben die Gräuel der französischen Re¬ volution gedauert, diese rechnet man; aber daß die schweizerische Republik jetzt schon fünf hundert Jahre schuldlos lebt, daß die amerikanische Republik keinen Tropfen Bürgerblut gekostet, daß Rom ein halbes Jahrtausend, daß Athen, Sparta, die italienischen Republiken des Mittelalters, die vielen freien Städte Deutschlands ein vielhundertjähriges Leben glücklich und ruhmvoll vollendet, das rechnet man nicht! Seitdem der letzte Römer fiel, von Augustus bis Don Miguel, durch neunzehen Jahrhunderte, haben tausend Königsgeschlechter die Welt gemartert, durch¬ mordet, vergiftet — das rechnet man nicht! und die Gewaltthätigkeiten der französischen Revolution haben nur das sinnliche Glück derer zerstört, welche jene betroffen; aber die Gewaltthätigkeiten der Monar¬ chien haben die Sittlichkeit der Bürger verdorben, haben Treue, Recht, Wahrheit, Glaube und Liebe rund umher ansgerottet und haben uns nicht bloß unglücklich gemacht, sondern uns auch so umgeschaf¬ fen daß wir unser Unglück verdienten. Am Grabe der Schlachtopfer der Revolution darf man doch wei¬ nen; die Schlachtopfer der Fürsten verdienen keine Thränen. Darum habe ich mir vorgenommen: es soll mein nächstens Werk sein, die Unschuld der Re¬ publiken zu vertheidigen und die Verbrechen der Mo¬ narchieen anzuklagen. Zwanzig Jahrhunderte werde ich als Zeugen um mich herumstellen, vier Welttheile werde ich als Beweisstätte auf den Tisch legen, funf¬ zig Millionen Leichen denke ich, werden den Thatbe¬ stand des Verbrechens hinlänglich feststellen, und dann wollen wir doch sehen, was die Advokaten der Für¬ sten, die wortreichen Jarkes darauf zu antworten finden. Dieser Jarke ist ein merkwürdiger Mensch. Man hat ihn von Berlin nach Wien berufen, wo er die halbe Besoldung von Genz bekömmt. Aber er verdiente nicht deren hundersten Theil, oder er ver¬ diente eine hundertmal größere — es kömmt nur darauf an, was man dem Genz bezahlen wollte, das Gute oder Schlechte an ihm. Diesen katholisch und toll gewordenen Jarke liebe ich ungemein, denn er dient mir, wie gewiß auch vielen andern zum nützli¬ chen Spiele und zum angenehmen Zeitvertreibe. Er giebt seit einem Jahre ein politisches Wochenblatt heraus. Das ist eine unterhaltende Camera obscura; darin gehen alle Neigungen und Abneigungen, Wün¬ sche und Verwünschungen, Hoffnungen und Befürch¬ tungen, Freuden und Leiden, Aengste und Tollkühn¬ heiten und alle Zwecke und Mittelchen der Monar¬ chisten und Aristokraten mit ihren Schatten hinter einander vorüber. Der gefällige Jarke! Er ver¬ räth alles, er warnt Alle. Die verborgensten Ge¬ heimnisse der großen Welt, schreibt er auf die Wand meines kleinen Zimmers. Ich erfahre von ihm, und erzähle jetzt Ihnen, was sie mit uns vorhaben. Sie wollen nicht allein die Früchte und Blüthen und Blätter und Zweige und Stämme der Revolution zerstören, sondern auch ihre Wurzeln, ihre tiefsten ausgebreitesten festesten Wurzeln und bliebe die halbe Erde daran hängen. Der Hofgärtner Jarke geht mit Messer und Schaufel und Beil umher, von einem Felde, von einem Lande ist das andere, von einem Volke zum Andern. Nachdem er alle Revo¬ lutionswurzeln ausgerottet und verbrannt, nachdem er die Gegenwart zerstört hat, geht er zur Vergangen¬ heit zurück. Nachdem er der Revolution den Kopf abgeschlagen und die unglückliche Delinquentin ausge¬ litten hat, verbietet er ihrer längstverstorbenen, längst¬ verwesten Großmutter das Heirathen; er macht die Vergangenheit zur Tochter der Gegenwart. Ist das nicht toll? Diesen Sommer eiferte er gegen das Fest von Hambach. Das unschuldige Fest! Der gute Hammel! Der Wolf von Bundestag der oben am Flusse soff, warf dem Schaafe von deutschem Volke, das weiter unten trank vor: es trübe ihm das Wasser, und er müsse es auffressen. Herr Jarke ist Zunge des Wolfes. Dann rottet er die Revo¬ lution in Baden, Rheinbaiern, Hessen, Sachsen aus; dann die englische Reformbill; dann die polnische, die belgische, die französische Juli-Revolution. Dann vertheidigt er die göttlichen Rechte des Don Miguel. So geht er immer weiter zurück. Vor vier Wochen zerstörte er Lafayette, nicht den Lafayette der Juli- Revolution, sondern den Lafayette vor fünfzig Jah¬ ren, der für die amerikanische und die erste französi¬ sche Revolution gekämpft. Jarke auf den Stiefeln Lafayette's herumkriechen! Es war mir, als sähe ich einen Hund an dem Fuße der größten Pyramide scharren, mit dem Gedanken sie umzuwerfen! Im¬ mer zurück! Vor vierzehn Tagen setzte er seine Schaufel an die hundert und fünfzigjährige englische Revolution, die von 1688. Bald kömmt die Reihe an den älteren Brutus, der die Tarquinier verjagt, und so wird Herr Jarke endlich zum lieben Gott selbst kommen, der die Unvorsichtigkeit begangen, Adam und Eva zu erschaffen, ehe er noch für einen König gesorgt hatte, wodurch sich die Menschheit in den Kopf gesetzt, sie können auch ohne Fürsten be¬ stehen. Herr Jarke solle aber nicht vergessen, daß sobald er mit Gott fertig geworden, man ihn in Wien nicht mehr braucht. Und dann Adieu Hof¬ raht, Adieu Besoldung. Er wird wohl den Verstand haben, diese eine Wurzel des Hambacher Festes ste¬ hen zu lassen. Das ist der nämliche Jarke, von dem ich in einem früheren Briefe Ihnen etwas mitzutheilen ver¬ sprochen, was er über mich geäußert. Nicht über mich allein, es betraf auch wohl andere; aber an mich gedachte er gewiß am meisten dabei. Im letz¬ ten Sommer schrieb er im politischen Wochenblatte einen Aufsatz: Deutschland und die Revolution . Darin kommt folgende Stelle vor. Ob die artige Bosheit oder die großartige Dummheit mehr zu be¬ wundern sey, ist schwer zu entscheiden. „Uebrigens ist es vollkommen richtig, daß jene „Grundsätze, wie wir sie oben geschildert, niemals „schaffend ins wirkliche Leben treten, daß Deutsch¬ „land niemals in eine Repulik nach dem Zuschnitte „der heutigen Volksverführer umgewandelt, daß jene „Freiheit und Gleichheit selbst durch die Gewalt des „Schreckens niemals durchgesetzt werden könne; ja „ es ist zweifelhaft , ob die frechsten Führer „ der schlechten Richtung nicht selbst blos ein „ grausenhaftes Spiel mit Deutschlands „ höchsten Gütern spielen , ob sie nicht selbst „ am besten wissen , daß dieser Weg ohne „ Rettung zum Verderben führt und blos „ deshalb mit kluger Berechnung das Werk „ der Verführung treiben , um in einem V . 4 „ großen welthistorischen Akte Rache zu neh¬ „ men für den Druck und die Schmach , den „ das Volk , dem sie ihren Ursprung nach an¬ „ gehören , Jahrhunderte lang von dem uns¬ „ rigen erduldet .“ O Herr Jarke, das ist zu arg! Und als Sie dieses schrieben, waren Sie noch nicht österreichischer Rath, sondern nichts weiter als das preußische Ge¬ gentheil — wie werden Sie nicht erst rasen, wenn Sie in der wiener Staatskanzlei sitzen? Daß Sie uns die Ruchlosigkeit vorwerfen, wir wollen das deut¬ sche Volk unglücklich machen, weil es uns selbst un¬ glücklich gemacht — das verzeihen wir dem Crimi¬ nalisten und seiner schönen Imputations-Theorie. Daß Sie uns die Klugheit zutrauen, unter dem Scheine der Liebe unsere Feinde zu verderben — da¬ für müssen wir uns bei dem Jesuiten bedanken, der uns dadurch zu loben glaubte. Aber daß Sie uns für so dumm halten, wir würden eine Taube in der Hand für eine Lerche auf dem Dache fliegen lassen — dafür müssen Sie uns Rede stehen, Herr Jarke. Wie! Wenn wir das deutsche Volk haßten, würden wir mit aller unserer Kraft dafür streiten, es von der schmachvollsten Erniedrigung in der es versunken, es von der bleiernen Tyrannei die auf ihm lastet, es von dem Uebermuthe seiner Aristokraten, dem Hochmuthe seiner Fürsten, von dem Spotte aller Hofnarren, den Verläumdungen aller gedungenen Schriftsteller befreien zu helfen, um es den kleinen, bald vorübergehenden und so ehrenvollen Gefahren der Freiheit Preis zu geben? Haßten wir die Deut¬ schen, dann schrieben wir wie Sie, Herr Jarke. Aber bezahlen ließen wir uns nicht dafür; denn auch noch die sündevolle Rache hat etwas das entheiligt werden kann. 4 * Dienstag, den 27. November. Meiner Wohnung gegenüber ist eine gute und große Leihbibliothek, und weil ich es so bequem habe, lese ich viel und verschlinge alles durcheinander wie ein heißhungriger Gymnasiast. Zu zwei Tassen Thee verzehrte ich gestern den ersten Band eines neuen Romans: Indiana , par G. Sand . Er ist aber nicht von dem dummen Sand der nur den Kotzebue umgebracht; der Verfasser ist weder ein Deutscher noch ein Franzose, sondern eine Französin, die die¬ sen Namen angenommen. Ich habe mich nach der Verfasserin erkundigt und erfuhr, sie sei eine junge schöne, geistreiche und liebenswürdige verheirathete Dame, die aber von ihrem Manne sich getrennt habe, um ungestört mit ihrem Liebhaber Apollo zu leben. Nun äußerte ich irgendwo, ich möchte die Verfasserin des Romans kennen lernen. Darauf bemerkte mir eine Dame: das würde für mich schwer zu erreichen sein. Denn um von jenem Frauenzimmer empfan¬ gen zu werden, müsse man jung, schön und liebens¬ würdig sein. „ Mais comme vous n'êtes qu'aima¬ ble“ ..... Es ist doch ein jämmerlicher Cours, mit dem Leben 66 Prozent unter Pari zu stehen! Es wäre tausendmal klüger gar Bankerott zu machen, und sich eine Kugel durch den Kopf zu jagen. Mittwoch, den 28. November. In Frankfurt haben sie ja den Wilhelm Tell verboten! Sie verbieten auch noch die Baseler Leb¬ kuchen wegen der Unruhen im Lande. Es ist merk¬ würdig was die deutschen Regierungen für ein Ta¬ lent besitzen, in die schrecklichsten Geschichten Lächer¬ liches zu bringen. Wenn ich höre was sie thun und sprechen, weine ich mit dem rechten Auge und lache mit dem linken. Der König von Baiern läßt sich von allen Städten, Dörfern und Flecken seines Rei¬ ches Deputationen schicken, die ihm, seinem Sohn, den Baiern, am meisten aber Griechenland selbst Glück wünschen, daß ein baierisches Kind den griechi¬ schen Thron besteigt. Was mich am meisten kränkt, ist, daß auch die Bürger von Feuchtwangen stolz auf Griechenland sind; daß ich aber als Kind eine Zeit lang unter ihnen gelebt — darauf sind sie nicht stolz die dummen Philister. O welche Zeiten! Jetzt muß man die bürgerlichen Reden und die königlichen Ant¬ worten hören. Hellas, Dinkelsbühl und deutsche Gauen! Denn um keinen Preis der Welt würde König Otto Griechenland anders nennen als Hellas, und die deutschen Schmachfelder anders als deutsche Gauen. Und wie König Otto den Bürgermeister von Nürnberg sagte: er möge nicht daran vergessen, daß einst Nürnberg für die deutschen Gauen war, was Hellas für die Welt gewesen, und weil einst Hellas die Welt mit Künsten und Wissenschaften ver¬ sorgt, müsse auch Nürnberg die deutschen Gauen mit Künsten und Wissenschaften versorgen und Hellas und Nürnberg die wären wie zwei Brüder! — Mit den Briefen eines Narren haben Sie Recht was die Form betrifft. Sie ist affectirt und man merkt gleich, daß die Briefe nicht wirklich ge¬ schrieben. Uebrigens sind sie gut und schön und man muß solche Gesinnungen aufmuntern. Die Xe¬ nien und das Göthe-Büchlein und die Didaskalia schicken Sie mir doch, wenn sich eine Gelegenheit findet. — Das neue Drama von Viktor Hugo, dessen fernere Aufführung untersagt worden ist, wurde aus keinem politischen Grunde verboten, sondern wegen seiner Unmoralität. Alle Minister, welche die Cho¬ lera nicht gehabt haben, werden jetzt moralisch. Das ist eine merkwürdige Influenz! In einem der Zei¬ tungsartikel, die aus dem berliner Kabinette einge¬ schickt worden, beklagte man sich neulich über Talley¬ rand, daß er die Preußen bei der londoner Conferenz betrogen habe und er wäre so zu sagen, ein Spitz¬ bube. Talleyrand ein Spitzbube! Was die Un¬ schuld leiden muß! Und die ehrlichen Preußen jam¬ mern, daß sie der Spitzbube überlistet habe. Die verächtliche Schwäche der französischen Regierung hat es dahin kommen lassen, daß die noch verächtlichere Preußische wieder eine Rolle spielt. Schon ist sie ganz von Sinnen aus Hochmuth, sie steht wieder im Mai 1806 und hat nur noch ein halbes Jahr bis zu Oktober. Damals wurde an Preußen der Ver¬ rath Deutschlands, diesmal wird der Verrath Polens bestraft. Siebenter Brief. Paris, Dienstag, den 4. Dezember 1832. O theure Freundin! was ist der Mensch? ich weiß es nicht. Wenn Sie es wissen, sagen Sie es mir. Vielleicht ein Hund der seinen Herrn verloren. Das Leben ist ein Abc Buch. Ein Bischen Gold¬ schaum auf dem Einbande ist all unser Glück, un¬ sere Weisheit nichts als ba, be, bi, und so bald wir buchstabiren gelernt, müssen wir sterben und die Unwissenheit fängt von Neuem an. Wer ahndet meinen Schmerz? Wer sieht den Wurm der an meinem Herzen nagt? O! man kann essen und lachen und Zahnschmerzen haben und doch unglücklich seyn! Wenn ich auf die Straße hinuntersehe, und sehe die Tausende von Menschen vorüber gehen, und keiner weicht meinem Fenster aus, und keiner fürchtet zerschmettert zu werden — — — sollte nicht jeder Mensch, wie ein Dachdecker, ein Warnungs¬ zeichen vor seine Wohnung hängen? Ist man denn nur eine einzige Stunde seines Glückes sicher? Ist einer sicher, daß er sich nicht in der nächsten Stunde zum Fenster hinausstürzt, und dabei einen Vorüber¬ gehenden todt schlägt? Aber Morgen, Uebermorgen entscheidet sich mein Schicksal und ich bin jetz ruhi¬ ger. Hören Sie meine jammervolle Geschichte. — — — — — — Ich habe Sonntag im Theater Fran ç ais Hamlet gesehen — einen Hamlet. So etwas kann mich recht traurig machen. Was ist Schönheit, was Hoheit, ja was jede Tugend? Sie sind nicht mehr als was sie erscheinen, nichts Anders als wofür sie jedes hält. Wenn aber dieser Jeder ein Volk ist, ein ganzes Land, ein Jahrhundert? Dann ist der Schein alles und die Wirklichkeit nichts für Alle. Können nicht große Menschen, ja Völker und Jahr¬ hunderte gelebt haben, die wir gar nicht erkannt, oder falsch, oder nicht genug? Vielleicht wird der wahre Christ erst einem kommenden Geschlechte ge¬ bohren. Das ist die Traurigkeit. Was ist Shake¬ spare den Deutschen und was den Franzosen? Dü¬ cis hat diesen Hamlet vor siebenzig Jahren zurecht gemacht. Aber Dücis ist kein einzelner Mensch, er ist ein Volk, er ist Frankreich und das Frankreich des achtzehenten Jahrhunderts, wo die Philosophie der Kunst und jede Wissenschaft in der schönsten Blüthe stand. Es reicht nicht aus zu sagen, Dücis habe den Shakespeare französirt — nein. Er hat brittische Formen, welche mit französischen Sitten im Widerspruche standen, geändert; sonst aber hat er den Shakespeare ganz wiedergegeben, wie er ihn gefunden. Aber seine Augen? Hat er denn nicht mehr gelesen? Nein was sind Augen? die Diener des Geistes; sie sehen nicht mehr und nicht anders, als was ihnen ihr Herr zu sehen befiehlt. Dücis Hamlet sieht auch den Geist seines Va¬ ters; aber nur er allein, der Zuschauer nicht. Daß man mit rothen Backen und einem guten Magen Geister sehen könne, davon hat ein Franzose keine Vorstellung. Also ist Hamlet verrückt und weil der Wahnsinn eine körperliche Krankheit immer zur Ur¬ sache oder Folge hat, ist Hamlet auch krank. Das ist nun schauderhaft zu sehen. Hamlet trägt einen schwarzen Ueberrock, ist leichenblaß, hat ein wahres Choleragesicht, schreit wie besessen und fällt alle fünf Minuten in Ohnmacht. Wie nur der Lehnstuhl nicht brach unter den vielen Ohnmachten, denn Hamlet fiel immer mit seinem ganzen Gewichte hinein? Sein Freund und Vertrauter sucht ihm seine Einbildung auszureden. Er erklärt ihm sehr vernünftig und psychologisch, woher es komme, daß er glaube den Geist seines Vaters zu sehen. Kürzlich wäre ein König von England gestorben und, dem Gerüchte nach, am Gifte das ihm seine Gemahlin gereicht. Ihn, Hamlet, habe diese Erzählung sehr erschüttert, er denke von Morgens bis Abends daran, und wo¬ mit sich der Mensch bei Tage beschäftige, das komme ihm im Traume vor. Der Schauspieler Ligier, Talma's Nachfolger — im Amte, aber nicht im Gehalte — hat den Hamlet auf französische Art gut genug gespielt. Aber mir ward ganz übel dabei; es war eine Lazareth- und Tollhausscene die zwei Stunden gedauert. Als ich nach dem Schauspiel im Foyer Voltaires Büste betrachtete, da ward mir Dücis Hamlet erst recht klar. Ein Gesicht wie Scheidewasser, der wahre Anti-Hamlet. Man sollte einen Tempel für unglücklich Liebende bauen, und Voltaires Bild als den Gott hineinstellen. Auch ein Werther käme geheilt heraus. Darum liebe ich ihn so sehr, weil ich ihn hassen müßte wenn ich ihn nicht liebte, und er hat mir doch so wohl gethan. An einigen der wenigen unglücklichen Tage meines Lebens warf er einen Strahl seines Geistes in mein dunkles Herz, ich fand den Weg wieder und war gerettet. Unglück ist Dunkelheit; Wem man die Gestalt seiner Schmerzen zeigt dem zeigt man deren Grenzen. Daher begreife ich auch wie es so Viele giebt, die Voltaire tödtlich hassen. Wie den Schmerz zerstört er auch die Freude; denn Glück ist auch Dunkelheit. — Die Börse ist heute selig wie eine Braut. Die Renten sind um einen Franken gestiegen, weil der König der Deputation der Kammer gesagt hat, der Friede gedeihe herrlich und unsre Kinder wür¬ den bald von Antwerpen zurückkommen. Unsere Kin¬ der! wie man nur so etwas sagen und anhören kann ohne zu lachen, begreife ich nicht. Was die Regierung Furcht hat vor ihrem eignen Muthe, was sie zittert sie möchte Ruhm erwerben, das glaubt keiner. Gott weiß auf welche Jüste milieu-Art sie Antwerpen belagern mögen! wahrscheinlich sind die Bomben mit welchen sie schießen nur halb gefüllt. Aber wie undankbar zeigt sich die Regierung und die Börse gegen mich! sie denken gar nicht daran, daß wenn sie den Frieden behalten, sie es mir zu ver¬ danken haben — ganz im Ernste, mir. Wir, wir , Hambacher verhindern den Krieg. Die heilige Allianz fürchtet uns, sie zittert vor uns. Zwar sind viele Hambacher eingesteckt, aber viele sind noch frei. So lange ich frei umhergehe, wird es Preußen ge¬ wiß nicht wagen, Frankreich den Krieg zu erklären. Eigentlich sollten die Renten steigen, so oft ich auf der Börse erscheine. Aber die französische Regierung versteht nichts von der deutschen Politik, sie ist noch zu vernünftig dazu; es kann noch kommen. Nun gute Nacht. Viktor Hugo's Drama le roi s'amuse habe ich heute bekommen. Vor dem Schlafengehen lese ich noch eine Stunde darin. Mittwoch, den 5. Dezember. Was ich diese ganze Zeit über, unter Freunden, im Scherze vorher gesagt: die Polizei würde endlich für den fünften Akt der Königsmord-Komödie Einen herbeischaffen der freiwillig bekennt: er habe den Pistolenschuß gethan, das ist jetzt wirklich eingetrof¬ fen. Ein junger Mann aus Versailles ist gestern zum Polizei-Präfecten gekommen und hat erklärt, er sei der Mörder, und Alle die als verdächtig einge¬ kerkerten wären unschuldig. In einem zweiten Ver¬ hör nahm er sein Bekenntniß zurück und erklärte wei¬ nend, er sei unglücklich, des Lebens überdrüßig und habe diese schöne Gelegenheit, guillotinirt zu werden, benutzen wollen. So wird die Geschichte gestern Abend in den ministeriellen Blättern erzählt. Nun bin ich begierig, ob der König von Baiern, um eine Macht des ersten Ranges zu werden, nicht auch eine solche Mord-Komödie aufführen, und bei irgend einer feierlichen Gelegenheit auf sich schießen lassen wird. Es geht fürchterlich in diesem Lande her! dem Kö¬ nige ist Hellas in den Kopf gestiegen, und er sieht alle Liberalen für antike Statuen, und die Gefäng¬ nisse seines Landes für Museen an, in welchen er sie aufstellt. Ja es ist wirklich wahr: diesem Geist- und Körperschwachen Könige ist Hellas in den Kopf gestiegen. Um den Preis dieser Krone hat er die Ehre, das Glück, die Freiheit seines Volkes und seine eigne Unabhängigkeit verkauft. Um diesem schnöden Tagelohn (denn nach Tagen, nicht nach Jahren wird man die Regierung Ottos zählen) ist er ein Helfers-Helfer der heiligen Allianz, ein Knu¬ tenmeister Rußlands, ein Polizei-Scherge Oesterreichs geworden. Achter Brief. Paris, Samstag, den 8. Dezember 1832. In der heutigen Zeitung steht, in Heidelberg wäre ein Aufruhr gewesen mit Blut und Fenster¬ scheiben; aber die deutschen Blätter dürften nicht da¬ von sprechen. Was ist Wahres an der Sache? Alle hiesigen Blätter sprechen von der Verstei¬ gerung der Frankfurter Mittwochsgesellschaft, von den fünfzehen Gulden, von den ledernen Hosen und dem Senate. Es ist Schade, daß die Zeitungen, wegen Antwerpen und den Kammersitzungen so wenig Platz haben, sonst wären die Hosen länger geworden. Es ist ein herrlicher Spaß, aber der Ernst in der Sache ist noch schöner. Nur ist es betrübt, daß V . 5 man über den Spaß den Ernst vergessen wird. Ich habe es immer gesagt: wenn zweihundert Bürger zusammenhalten in gerechten Dingen, sind sie unbe¬ siegbar. Aber zusammenhalten auf die rechte Art. Nicht wie ein langer Faden — er sey noch so lang, das macht ihn nicht stärker, ein Kind zerreißt ihn — sondern wie ein Knäul. Und nicht zusammenge¬ halten in seltenen und großen Dingen — zu seltenen und großen Dingen finden sich seltene und große Menschen, die das allein vollbringen — sondern in kleinen Dingen, die alltäglich wiederkehren. Um zu lernen wie man die Freiheit erwerbe und behaupte, beobachte man, wie die Tyrannei ihre Macht erlangt und erhält. Wodurch? Man glaubt gewöhnlich durch die bewaffnete Macht, durch physische Gewalt; es ist aber Täuschung. Wo noch so despotisch, wird durch eine sittliche Gewalt regiert. Wodurch wird eine bewaffnete Macht zusammengebracht, zusammen¬ gehalten? Durch maralische Einflüsse, Furcht, Eigen¬ nutz, Ehre, Gemeingeist. Alle diese Hülfsmittel der Tyrannei stehen der Freiheit auch zu Gebote. Und wie selten wird die bewaffnete Macht gebraucht, und wo es geschieht, da ist es schon ein Kampf auf Le¬ ben und Tod zwischen der Tyrannei und der Freiheit. Eine Patrouille, womit man eine große Versammlung Bürger aus einander treibt, ist keine physische, son¬ dern eine moralische Gewalt, denn sie ist nur ein Symbol der Macht. Die Polizei , in ihr ist die Macht der Tyrannei. Sie ist die Krämerei des Despotismus, die ihn stündlich aber den ganzen Tag und alle Tage Lothweise ausgiebt und die Freiheit Pfennigweise einninmmt . Dieser Krämerei des Des¬ potismus muß man eine Krämerei der Freiheit ent¬ gegen setzen. Man kann in Frankfurt alle Tage Hambacher Feste feiern, ohne daß es die Polizei ver¬ hindern oder bestrafen kann. Wie dort zwanzig Tau¬ sende auf einem Berge sich versammeln, mögen sich hier fünfhundert freisinnige Bürger täglich in den verschiedenen Gasthöfen zerstreuen. Statt wie dort lange Reden, mögen hier kurze Sätze für die Frei¬ heit gesprochen werden. Sie sollen nur unbekümmert seyn, das Wort im Schwanen findet sich mit dem Worte im englischen Hofe zusammen — es giebt einen Gott der das redigirt. Man muß die Polizei müde machen, man muß blinde Kuh mit ihr spielen; es ist nichts leichteres als das. Besonders bei der Frankfurter; der fehlt zur blinden Kuh nichts als ein Schnupftuch. Freilich pflügt sie jetzt mit dem Kalbe des Herrn von Münch-Bellingshausen, und kann manches Räthsel errathen, so verstockt sie sonst auch ist. Aber wenn auch! Nicht zu vergessen Le roi s'amuse ... Les rois s'amusent — aber Geduld! ... Sehen Sie, es giebt Schriftsteller, die man liebt, deren 6* Werke nämlich; liebt mit freier Liebe, nicht blos weil sie Achtung verdienen. Mir ist Victor Hugo ein solcher. Seine Vorzüge sehe ich mit großen Augen, seine Fehler wie zwischen Schlafen und Wa¬ chen an. Ich entschuldige sie und wenn ich das Buch zu Ende gelesen, habe ich sie vergessen. Aber dieses Mal kann ich nicht. Ich habe das vor fünfzehen Jahren kommen sehen, ich habe seitdem oft davon gesprochen. Es herrscht jetzt ein Terrorismus, ein Sanscülotismus, ein Jacobinismus (drei Worte wie Kampher, die Censurmotten abzuhalten) in der französischen Litteratur. Es ist der Uebergang vom Despotismus zur constitutionellen Freiheit. Sie haben noch nicht gelernt Freiheit mit Ordnung paaren. Jede Regel ist ihnen Tyrannei, jeder Anstand Ari¬ stokratismus, Tugend, Schönheit und Würde — in der Kunst — sind ihnen Vorrechte. Sie nivelliren alles, sie dutzen alles. Sie sagen: Bürger Gott, Bürger Teufel, Bürger Pfarrer, Bürger Henker. Sie dulden keine Kleidung an nichts, und hätte sie die Natur selbst angemessen. So führt Despotie auch in der Kunst zur Anarchie. Die alte französi¬ sche Kunst ging im Reifrocke; das war lächerlich, ab¬ geschmackt, ungesund, naturwidrig. Aber zwischen Reifrock und Haut liegt noch manches Kleidungs¬ stück, man soll die Kunst nicht bis auf das Hemd ausziehen. Sie wollen es nackt — gut es sei; man kan sich daran gewöhnen. Aber geschunden! Die neuen französischen Dramatiker schinden alles: Die Liebe, den Haß, das Verbrechen, das Unglück, Schmerz und Lust. Das ist abscheulich! Die Na¬ tur selbst gibt jedem Dinge eine Haut, jedem Dinge wenigstens eine Farbe zur Hülle. Das farbenlose Licht, das ist der Tod, die Fäulniß, das ist gräßlich. Sonntag, den 10. Dezember. Ich habe aufhören müssen. Seit einigen Tagen werde ich von grausamen Zahnschmerzen geplagt. Am Tage sind sie leidlicher; da bin ich aber müde von der schlaflosen Nacht. Es ist ein Fluß und ich werde sehen wie ich hinüber komme. Der unschul¬ dige Hugo kann wohl darunter leiden; ein Rezensent ist ein Wolf, einer der Zahnschmerzen hat, gar ein toller Wolf. Ich habe oben die äußerste Grenze des Verderbens bezeichnet, der man freilich noch viel nä¬ her kommen kann als Victor Hugo. Er hat eine Grazie die ihn am Aermel zupft, so oft er es gar zu toll macht. Die Handlung spielt in der Zeit und am Hofe Franz des Ersten. Das ist der französische König der in seinem vier und fünfzigsten Jahre an einer unglücklichen Liebe starb. Damals war eine un¬ glückliche Liebe noch nicht heilbar. König Franz liebt sein ganzes Leben und das ganze Drama durch. Das Kosen, das Küssen, das Umarmen nimmt kein Ende. Und alles in Gegenwart der Hofleute und der Tausende von Zusehern unter welchen Leute sind wie ich. Es ist abscheulich. Racines Fürsten und Helden schmachten und weinen wenn sie lieben; ihre Krone schmilzt ihnen auf dem Kopfe und tröpfelt in goldenen Thränen herab. Das ist Unnatur; denn ein König ist früher König als Mensch. Victor Hugo's Franz der Erste überläßt das Weinen seinen Geliebten, er schmachtet nicht, sondern er lacht, er liebt wie ein König — le roi s'amuse . Das ist Natur, aber es ist die häßliche Natur und was hä߬ lich, ist unsittlich. Bis jetzt die komische Unmorali¬ tät; jetzt kömmt die tragische, die tragische Häßlich¬ keit .... Jetzt kömmt aber auch der Zahnarzt nach dem ich geschickt habe. Fortsetzung im nächsten Briefe. Neunter Brief. Paris, Montag, den 10 Dezember 1832. Le roi s'amuse ; Fortsetzung. Vielleicht mache ich den Beschluß erst in einem dritten Briefe. Sie hätten es dann immer noch besser, als die Le¬ ser des Abendblattes und Morgenblattes, die mit himmlisch deutscher Geduld vier Monate lang an einer Novelle buchstabiren und längere Zeit brauchen die Geschichte zu lesen, als die Geschichte selbst brauchte um zu geschehen. Ich bin heute noch etwas satyrisch, ich habe noch Zahnschmerzen. Triboulet ist der Hofnarr des Königs. Er ist klug und bos¬ haft wie alle Hofnarren, und hat einen Buckel. Viktor Hugo sagt (in der Vorrede) er sei auch kränklich; woher er das weiß, weiß ich nicht. Er sagt ferner: Triboulet hasse den König, weil er Kö¬ nig sei; die Hofleute, weil sie Vornehme wären; alle Menschen weil sie keine Buckel hätten. Ich habe aber von dem Allem nichts gemerkt und ich halte es für Verläumdung. Es ist überhaupt merk¬ würdig, wie wenig der Dichter sein eignes Werk ver¬ stand, oder vielmehr wie er es zu verkennen sich an¬ stellt, um sich gegen die Beschuldigung der Unsittlich¬ keit zu vertheidigen. So oft Triboulet aufspürt, daß einer der Hofleute eine schöne Frau, Tochter oder Schwester hat, verräth er es dem Könige. Der Kuppelei bedurfte es übrigens nicht viel; denn König Franz, wie die Könige aller Zeiten und die Vorneh¬ men der damaligen, machte wenig Umstände. Franz geht verkleidet auf nächtliche Abentheuer aus, besucht die Weinschenken und garstigen Häuser und taumelt singend und betrunken in sein Louvre zurück. Aber der Dichter ließ dem Könige von seiner ganzen fürst¬ lichen Natur nichts als die Schonungslosigkeit, und man begreift nicht, warum er seinen liederlichen jun¬ gen Menschen gerade unter den Königen wählte. Wie ganz anders hat Shakespeare es verstanden, als er einen liebenswürdigen Kronprinzen, den kurzen Car¬ neval vor der langen und traurigen königlichen Fa¬ stenzeit lustig und toll durchleben ließ. Bei Heinrich ist die Gemeinheit eine Maske, bei Franz ist die Krone eine. Die Hofleute hassen diesen Triboulet, weil er sie Alle ungestraft necken und ihnen boshafte Streiche spielen darf. Da machen sie die Entdeckung, daß sich der Narr oft des Nachts verkleidet in ein ab¬ gelegenes Haus schleiche. Es kann nichts anders sein, meinen sie, Triboulet hat eine Geliebte, und sie nehmen sich vor, daß lustige Geheimniß aufzudecken. Beim Lever des Königs war von nichts Anderm die Rede: Triboulet hat ein Schätzchen. Der König und der ganze Hof wollen sich todt darüber lachen. Eines Abends im Dunkeln, macht Triboulet seinen gewohnten geheimnißvollen Gang und schleicht sich mit ängstlicher Vorsicht in ein Haus, zu dem er den Schlüssel hat. Wir wollen uns mit hineinschlei¬ chen; es muß schön sein zu sehen, wie der bucklichte und tückische alte Narr liebt. Schön war es auch, nur ganz Anders als die schurkischen Hofleute es sich vorgestellt. (Die Erde liege schwer auf ihnen, weil sie meinen Triboulet, den ich liebe so unglücklich ge¬ macht.) Nachdem Triboulet die Thüre hinter sich verschlossen, setzt er sich im Hofe, der das Haus um¬ giebt, auf eine Bank nieder und weint. Doch weint er nicht vor Schmerz, er weint vor Lust; das Wei¬ nen ist sein Feierabend und er weint alle Thränen, die er zurückhalten muß so lange die Sonne scheint. Er klagt im Selbstgespräche: jeder Mensch, der Sol¬ dat, der Bettler, der Galeerensclave, der Schuldige auf der Folter des Gewissens, der Verbrecher im Kerker, diese Unglücklichen Alle hätten das Recht, nicht zu lachen wenn sie nicht wollten, das Recht zu weinen so oft sie wollten, nur er hätte diese Rechte nicht. Er tritt in das Haus, ein junges holdes Mädchen kömmt ihm entgegen und wirft sich in seine Arme. Unter Weinen und Lachen drückt er sie an seine Brust. Es ist seine Tochter. Jeder weiß wie ein Vater sein Kind liebt; wenn es aber in der gan¬ zen großen Welt das einzige Geschöpf ist das ihn, das er liebt; wenn er sonst überall nur Haß, Spott und Verachtung findet und austheilt — wie dann ein Vater seine Tochter liebe, das kann nur ein Dichter errathen. Diese Scene, gleich noch einigen andern des Dramas ist herrlich, und man muß sie vergessen, um den Muth zu behalten, das Ganze zu verdammen. Triboulet ließ seine Tochter in stiller Verborgenheit aufblühen, um sie vor der bösen Luft in Paris zu schützen. Sie kennt die Welt nicht, kennt die Stellung nicht die ihr Vater darin hat, weiß nicht einmal seinen Namen. Sie ahndet nur er müsse unglücklich sein. Sie spricht: Que vous devez suoffrir ! vous voir pleurer ainsi . Non , je ne le veux pas , non cela me déchire . worauf der Vater antwortet: Et que dirois-tu , si tu me voyois rire ? Darauf verläßt er das Haus, nachdem er seine Toch¬ ter gewarnt sich nie in das Freie zu wagen. Auf der Straße hört er Geflüster mehrerer Menschen, er horcht, er kennt die Stimmen bekannter Hofleute, er¬ schrickt, tritt endlich zu einem von ihnen und fragt, was sie vorhätten? Dieser nimmt Triboulet bei Seite und vertraut ihm lachend an, sie wären gekom¬ men die Frau eines Hofmannes die der König liebt, und deren Haus auf dem Platze stand, zu entführen und in's Schloß zu bringen. Triboulet fällt gleich in seine alte Bosheit zurück und erbietet sich schaden¬ froh bei der Entführung behülflich zu sein. Alle waren vermummt, man legt Triboulet auch eine Maske auf und ist dabei so geschickt ihm zugleich mit einem Tuche Auge und Ohren zu verbinden, Es ist dun¬ kele Nacht und Triboulet merkt nicht, daß er nichts sieht. Man giebt ihm die Leiter zu halten, auf der man in das Haus steigen wollte. Die Leiter wird an die Mauer gelegt, hinter welcher Triboulets Toch¬ ter wohnt, und diese geraubt. Triboulet wird end¬ lich ungeduldig, reißt sich Maske und Binde vom Gesicht weg, findet die Leiter an seinem eignen Hause gelehnt und zu seinen Füßen liegt der Schleier seiner Tochter. Die Räuber waren schon weg; sie brach¬ ten die arme Taube in ihres Königs Küche, aus der sie der unglückliche Vater gerupft wieder be¬ kam. — Triboulet ist seiner Sache noch nicht ganz ge¬ wiß, er vermuthet nur erst, wohin man seine Toch¬ ter geführt. Am andern Morgen erscheint er im Louvre, zeigt sich wie immer, aber er lauert. Das Flüstern und Lachen der Höflinge wird ihm immer deutlicher, und bald weiß er, daß seine Tochter beim Könige ist. Er weint und fleht und droht, man solle ihm sein Kind zurückgeben. Es muß in den Thränen, den Bitten und dem Zorne eines Vaters etwas sein, was selbst den Spott und Uebermuth der Höflinge entwaffnet. Alle schweigen und sind bestürzt. Triboulets Muth steigt, und er kehrt mit seinen Blicken die ganze Rotte zum Saale hinaus. So drückt sich der Dichter aus. Bald stürzt Triboulets Tochter aus des Königs Zimmer und sinkt unter Todesblässe erröthend, in die Arme ihres Vaters. Sie will ihm Alles erzählen, er erläßt ihr den Schmerz, er weiß schon Alles. Er führt seine Toch¬ ter fort, kehrt zum Hofe zurück und macht den lusti¬ gen Rath wie vor. Er sinnt im Stillen auf Rache. Triboulet hatte früher schon einen Banditen kennen gelernt, der um einen bestimmten Preis jeden Lusttragenden von seinen Feinden befreit. An diesen wendet er sich. Der Bandit hat zwei Manieren zu morden: entweder im Freien der Straße oder in seinem Hause, wie man es wünscht. Für das Haus hat er eine junge schöne Schwester, eine liebliche Zi¬ geunerin, welche die Schlachtopfer anlockt und sie unter Lächeln und Kosen dem Messer ihres Bruders ausliefert. Triboulet erfährt, daß der König verklei¬ det und ungekannt die schöne Zigeunerin besuche. Er kauft seinen Tod, bezahlt die eine Hälfte des Prei¬ ses voraus, und wird auf Mitternacht bestellt, wo ihm die Leiche des Königs in einem Sacke gesteckt ausgeliefert werden solle, daß er sie dann selbst in die nahe Seine werfe. Gegen Abend führt Tribou¬ let seine Tochter (sie heißt Blanche ) auf den Platz wo das Haus des Banditen steht. Er sagt ihr, doch nicht ganz deutlich, die Stunde der Rache an ihrem Verführer nahe heran. Blanche liebt den Kö¬ nig, der schon früher als unbekannter Jüngling in der Kirche ihr Herz gewonnen. Sie bittet ihren Vater um Schonung, schildert die Liebe des Königs zu ihr, wie heiß sie sey, und wie oft er das in schö¬ nen blühenden Worten zu erkennen gegeben. Tri¬ boulet, seine Tochter zu enttäuschen, führt sie an das Haus des Banditen, durch dessen zerrissene Mauern und unverwahrte Fenster man von Aussen Alles hören und sehen kann, was sich innen begiebt. Da sieht die unglückliche Blanche den König Franz mit der leichtfertigen Zigeunerin kosen, hört, wie er dem Mädchen die nehmlichen süßen und schönen Worte schenkt, die er ihr selbst gegeben. Das be¬ trübt sie, sie jammert und willigt schweigend in die Rache ihres Vaters. Triboulet heißt sie nach Hause eilen, sich in Männerkleider werfen, sich zu Pferde setzen, und in das Land flüchten, wo er sie an einem bestimmten Orte einholen wolle. Vater und Tochter gehen fort. König Franz sitzt im Hause und scherzt und tändelt mit der Zigeunerin. Müde und trunken ver¬ langt er ein Bett sich auszuruhen. Man führt ihn in eine Dachkammer wo er einschläft. Unten trifft der Bandit die Vorbereitungen zum Morde. Die Zigeunerin, gewöhnlich kalte Mitschuldige ihres Bru¬ ders, bittet diesesmal um Schonung, denn der junge Offizier, von so seltenem edlem Anstande, hatte Ein¬ druck auf sie gemacht. Der Bandit weißt sie kalt zurück, sagt, er sei ein ehrlicher Mann, habe seinen Lohn erhalten und müsse den versprochenen Dienst lei¬ sten. Doch ließ er sich so weit bewegen, daß er versprach, den Offizier zu schonen, wenn unterdessen ein Anderer käme, den er statt jenes ermorden und im Sacke gesteckt ausliefern könnte. Der Brodherr werde es ja nicht merken, da es Nacht sei und der Sack in den Fluß geworfen werde. Wo sei aber Hoffnung, daß noch um Mitternacht sich jemand hie¬ her verirre? Unterdessen hatte Triboulets Tochter über die dunkeln drohenden Worte ihres Vaters nachgedacht. Da wird ihr erst klar, der König solle in dieser Nacht e rmordet werden. Schon zur Flucht gerüstet und als Offizier gekleidet, jagt sie die Angst vor das Haus des Banditen zurück. Sie will beobachten, was sich da begebe. Sie horcht, vernimmt das Gespräch zwischen dem Banditen und der Zigeunerin, und ent¬ schließt sich für den König zu sterben. Sie klopft an die Thüre, sie wird geöffnet, und sobald sie ein¬ tritt fällt sie unter dem Messer des Banditen. König Franz taumelt singend zu seinem Louvre hin. Unterdessen kömmt Triboulet, zahlt dem Ban¬ diten die andere Hälfte des bedungenen Lohnes aus empfängt den Sack mit der Leiche. Der Monolog der jetzt folgt ist herrlich. Es ist grause dunkle Nacht, ein Gewitter tobt am Himmel. Der Sturm heult durch die Luft. Der Sack liegt auf der Erde, Tri¬ boulet, Racheglut und Freude im Herzen, setzt sei¬ nen Fuß auf den Sack, verschränkt stolz die Arme und triumphirt in die Nacht hinaus: wie er endlich, er der schwache, verachtete, verspottete Triboulet, seinen Feind unter sich gebracht. Und welch' einen Feind! einen König. Und welch' einen König! einen König der Könige, den Herrlichsten unter Allen. Und wie jetzt die Welt aus allen ihren Fugen gerissen werde, und morgen werde die zitternde Erde fragen: wer denn das gethan? und da werde er rufen, das habe Triboulet gethan; ein kleiner schlechter Zapfen im Gebäude der Welt habe sich losgemacht von der Harmonie, und der Bau stürze krachend zusammen. So zecht Triboulet fort und immer trunkener durch seinen Sieg, will er noch das Gesicht seines verhaßten Feindes sehen, ehe er ihn in den Wellen begräbt. Aber es ist finstere Nacht; er wartet auf einen Blitz, der ihm leuchten soll. Er öffnet den Sack, der Blitz kömmt, der ihn zerschmettern soll, er erkennt seine Tochter. Im Anfange hofft er, es sei ein Gaukelspiel der Hölle, aber ein zweiter Blitz V . 6 raubt ihm diese Hoffnung. Er zieht seine Tochter zur Hälfte aus dem Sacke, mit den Füßen bleibt sie darin. Sie ist entkleidet, nur ein blutiges Hemd bedeckt sie. Sie röchelt noch, spricht noch einige Worte und verscheidet. Der Vater sinkt zu Bo¬ den, der Vorhang fällt. Beschluß morgen. Zehnter Brief. Paris, Donnerstag, den 13. Dezember 1832. Le roi s'amuse ; Beschluß. Dieses Schick¬ sal im Sacke; diese schauderhaften Fußtritte des Va¬ ters auf das Herz seiner geliebten Tochter; diese Tochter im blutigen Hemde todt, nein schlimmer als todt, im Röcheln des Todes; und dieses Alles, bald vom falben Scheine der Blitze beleuchtet, bald von finsterer Nacht umhüllt, daß sich zum Schrecken der Wirklichkeit auch noch die Angst des Traumes geselle — hat das nicht in seiner gräßlichen Verzerrung auch einen Zug von Lächerlichkeit? Wenigstens als ich diese Scene las, so sehr sie mich auch erschütterte, fiel mir ein: der Narr Triboulet, wie hat er sich 6 * prellen lassen; man soll doch nie eine Katz im Sacke kaufen! Ich weiß nicht woran es liegt. Shakes¬ peare hat ähnliche, er hat noch viel schrecklichere Schrecken; aber bei ihm ist der Schmerz gesund, das Ungeheure hat seine Art Wohlgestalt; denn selbst die Krankheit hat eine Gesundheit die ihr eigen ist, selbst das Verbrechen hat seine moralische Regel. Bei Vikor Hugo aber ist das Mißgestaltete misgestaltet. Ich weiß nicht; es ist darüber nachzudenken. Das ist die tragische Häßlichkeit von der ich sprach, die tragische Unsittlichkeit. Die Komische war in den Libeleien des Königs, die im Sonnenlichte und beim noch hellern Scheine der Kerzen auf das Unverschäm¬ teste dargestellt werden. Viktor Hugo hätte aus dem Allem einen Roman machen sollen. Erzählen kann man Alles, auch das Häßlichste; die Vergangenheit, die Entfernung mildert das Misfällige und ein Buch kann man ja zu jederzeit wegwerfen. Erzählen kann man das Unglaublichste; wer es nicht glauben will, braucht es ja nicht zu glauben, er denkt: es ist ein Dichter, und er hat gelogen. Aber dieses in ein Drama bringen, dieses Alles unter unsern Augen ge¬ schehen lassen, daß wir Ohr und Blick davon abwen¬ den, daß wir nicht daran zweifeln können — nein, das dürfen wir nicht dulden. Aber die Minister! was geht die Minister Louis Philipps die Aesthetik, die Dramarturgie, die Moral an? Warum haben sie die Ausführung des Stückes verboten? Bin ich nicht da? Hören wir jetzt was Viktor Hugo darüber sagt. Am Morgen nach der ersten Aufführung erhielt der Dichter ein Billet vom Theater-Direktor; er habe so eben vom Minister den Befehl erhalten, das Stück nicht ferner geben zu lassen. „ L'auteur, ne pouvant croire à „tant d'insolence et de folie, courrût au théa¬ „tre “ ... Insolence — folie — von einem Mi¬ nister! das wäre nach dem baierischen Strafrechte ein Verbrechen, das von einem Majestätsverbrechen nur durch eine Brandmauer geschieden ist, der Hausnach¬ bar eines Königsmordes. Viktor Hugo eilt in das Theater; es ist wirklich so; er liest den Befehl des Ministers. Das Drama wäre unmoralisch befunden worden. „Cette pièce a revolté la pudeur des „gensd'armes, la brigade Leotaut y étoit et l'a „trouvé obscêne; le bureau des moeurs s'est „voilé la face; monsieur Vidocq a rougi .“ Aber war es von Seiten des Ministers mit der Einwendung der Unmoralität ernst gemeint? Hugo sagt: das sei nur ein Vorwand gewesen, der eigent¬ liche Grund aber des Verbotes sei ein Vers im dritten Akte „ où la sagacité maladroite de quel¬ „sion familiers du palais a découvert une allu¬ „sion à laquelle ni le public ni l'auteur n'avait „songé jusque là, mais qui une fois denoncée „ de cette façon, devient la pluscruelle et la „ plus sanglante des injures .“ Er wolle für jetzt den Vers nicht bezeichnen, treibe ihn aber die Noth der Vertheidigung dazu, werde er sich deutlicher er¬ klären. Ich suchte mit dem größten Eifer, den im drit¬ ten Akte enthaltenen für den König beleidigenden Vers auf und glaubte ihn im Folgenden gefunden zu haben. Un roi qui fait pleurer une femme ! O mon dien Lacheté ! Ich dachte, das könnte auf die Gefangenschaft der Herzogin von Berry bezogen werden, und das denkend kam mir die Aengstlichkeit der Minister um so toller vor. Wer bekümmert sich um die Berry? Wer denkt an sie? Und die wenigen Legitimisten die im Theater fran ç ais sitzen, würden in Gegenwart des demokratischen Parterres uud der Philippisten- Logen, nie wagen eine solche Anspielung laut werden zu lassen. Aber ich bin fehl gegangen. Ich hörte später erzählen, es sei eine andere Stelle im dritten Akte, die den Minister stutzig gemacht. In der Scene nemlich wo Triboulet im Vorzimmer des Kö¬ nigs um seine geraubte Tochter jammert, und die Hofleute ihn verlachen, wendet er sich an diese der Reihe nach und sagt ihnen mit Grimm und Hohn: was wollt ihr? Du da hast eine Frau, du eine Tochter, du eine Schwester, du Page dort eine Mut¬ ter — Frau, Tochter, Schwester, Mutter, der Kö¬ nig hat sie Alle. Und die Großen, welchen er das vorwirft, sind die vornehmsten historischen Familien des Landes, Triboulet nennt sie Alle bei Namen, und unter diesen Bastard-Ahnen wird auch die Familie genannt, von welcher die Bourbons herstam¬ men. Ich habe das Buch schon weggegeben und ich kann die betreffende Stelle nicht selbst beurtheilen. Der Dichter in seinem Zorne gegen die Mini¬ ster triumphirt, daß so viele Kunstfeinde er auch habe, diese doch, nachdem er eine so schnöde Behandlung er¬ fahren, Alle gleich auf seine Seite getreten wären. „ En France, quiconque est persécuté n'a plus „d'ennemis que le persécuteur .“ Alles wie bei uns! Viktor Hugo hat das Theater fran ç ais beim Handels-Gerichte verklagt, es zur ferneren Aufführung des Dramas zu zwingen, oder zu einer Entschädi¬ gung von vierhundert Franken für jeden Theater- Abend zu verurtheilen. Odillon Barrot wird für den Kläger das Wort führen. Was wird er gewinnen? nichts; auch weiß er das und es ist ihm nur um den Scandal zu thun; Aber was gewinnen die Mini¬ ster dabei? Der Dichter sagt es offen heraus: er habe sich bis jetzt nur mit den stillen friedlichen Mu¬ sen beschäftigt; er habe sich von der Politik immer entfernt gehalten; von nun aber, weil gereitzt, werde er gegen die Regierung feindlich auftreten. Ist nun Viktor Hugo ein ehrlicher Mann, wie er wirklich einer ist, werden durch ihn die Feinde der Regierung um einen der Gefährlichsten, der Talentvollsten ver¬ mehrt. Wäre er kein ehrlicher Mann, dann würde seine Feindschaft der Nation hundert tausend Franken kosten, welche die Minister aus ihrem Beutel zögen, einen neuen Feind auf die alte Art zu versöhnen. Was gewinnen also die Minister? Ich glaube aber sie sind nicht so dumm wie sie aussehen. Sie ge¬ winnen was der Dichter auch gewinnt: den Scan¬ dal des Prozesses. Das beschäftigt Paris drei Tage, und für die folgende Tage wird der liebe Gott auch sorgen. Sie sind immer noch klüger als nnsere deut¬ schen Minister; sie lassen zuweilen Rauch aus dem Schornsteine, daß der Kessel nicht platze. Sehen Sie aber was ein deutscher Gelehrter ist. Vorgestern morgen beim Frühstücke, hatte ich den Kopf dicht voll, von Politik und Zahnschmerzen, von den aristotelischen Einheiten, der Abwesenheit der Madame Malibran und der Anwesenheit der ****, von dem König Otto, von baierischer Treue, Ant¬ werpen, dem alten Thurme am Metzgerthore und der Unmoralität des Herrn d'Argout. Da kam ich in der Vorrede Viktor Hugos an die Stelle: „ Il fut „même enjoint au théâtre de rayer de son af¬ „fiche les quatre mots rédoutables: le roi s'amuse .“ Gleich alle Gedanken hinaus, den Kopf auf beide Arme gestützt und eine halbe Stunde dar¬ über nachgedacht. Ces quatre mots le roi s'a¬ muse . Wie? le roi s'amuse sind das vier Worte, sind es nicht blos drei? kann man s mit einem Apostroph ein Wort nennen? ist s'a .. - ein Wort? Freilich kann man auch nicht behaupten, le roi s'amuse wären nur drei Worte. Aber wo ist die Warheit? wo ist das Recht? .. Darüber ward mir mein Thee kalt und Conrad nahm mir unbemerkt die Zeitung von dem Tische, ehe ich sie ausgelesen. So ist der deutsche Gelehrte? dem Vik¬ tor Hugo auf das Wort zu glauben, der die Sache mit den vier Worten doch besser verstehen muß als ich, das kam mir nicht in den Sinn; auch hätte mein protestantisch deutsches Gewissen dieses nie zugegeben. Aber zum Schluße: der Handelsminister hatte Recht, das Stück ist unmoralisch. Wie kam es mit Viktor Hugo dahin? Ich habe es schon gesagt; es ist der Jakobinismus der romantischen Literatur. Viktor Hugo ist einer den Edelsten unter den Skla¬ ven, die ihrem Herrn Boileau entlaufen; aber er ist doch ein Sklave. Im Uebermuthe seiner jungen Freiheit, weiß er diese nicht weise und männlich zu gebrauchen, und sündigt links, weil sein alter Tyrann rechts gesündigt hat. Das Gericht ist aus, ich habe Recht ge¬ sprochen; jetzt Perrücke herunter. Ich habe das Drama vom Anfange bis zum Ende mit dem größten Vergnügen gelesen, und Alles hat mir ge¬ fallen. Freitag, den 14. Dezember. Heute gehe ich zum erstenmale wieder aus, nach¬ dem ich, wegen meiner Zahnschmerzen, drei Tage das Zimmer nicht verlassen. Ich habe dabei gewon¬ nen, daß ich drei Tage lang den stinkenden Nebel auf der Straße nicht zu trinken, und so lange die stinkenden deutschen Zeitungen nicht zu lesen brauchte. Der Geschmack der Letzten, die ich vor einigen Ta¬ gen las, liegt mir heute noch auf der Zunge. Nein es ist nicht zu ertragen. Die Deutschen müssen Ner¬ ven haben wie von Eisendrath, eine Haut von Sohl¬ leder und ein gepöckeltes Herz. Diese Unverschämt¬ heit der Fürstenknechte, dieses freche Ausstreichen eines ganzen Jahrhunderts, dieser weintolle Uebermuth, dieses Einwerfen aller Fensterscheiben, weil das Licht dadurch fällt, als wenn sie mit dem Glase auch die Sonne zerstörten — es übersteigt meine Erwartung. Aber das steigert auch meine Hoffnung. Man muß mit den dummen Aristokraten Mitleiden haben, man muß ihnen nicht eher sagen, daß das Cassations-Ge¬ richt dort oben ihre Appellation verworfen hat, bis an dem Tage wo sie hingerichtet werden. Das deut¬ sche Volk wird einst gerächt werden, seine Freiheit wird gewonnen werden; aber seine Ehre nie. Denn nicht von ihnen selbst, von andern Völkern wird die Hülfe kommen. Ich sehe es schon im Geiste: wenn einst die finstern Gewitterwolken sich werden über den deutschen Pallästen zusammenziehen, wenn der Don¬ ner zu grollen anfängt, wird das geschmeidige deut¬ sche Volk wie ein Eisendrath hinauf kriechen zu allen Dächern seiner Tyrannen, um die geliebten Herrscher vor dem Blitze zu bewahren, und ihn auf sich selbst herabzuziehen. Wem daran gelegen ist verhöhnt und betrogen zu werden, der braucht nur großmüthig ge¬ gen seine Feinde zu seyn, zumal gegen die Fürsten, welche die Feinde aller Menschen sind. Wenn in Frankreich ein Don Miguel und ein Robespierre zu¬ gleich regierten; wenn an jeder Straßenecke rechts ein Galgen, links eine Guillotine stünde — die Fran¬ zosen ertrügen vielleicht lange das Morden von ihren Tyrannen geduldig; aber ihren Spott, ihre Verach¬ tung, ihr unverschämtes Hofmeistern, ihre Ohrfeigen und ihre Ruthe, das was der Deutsche das ganze Jahr erduldet — sie ertrügen es keine Stunde lang. Die Franzosen waren Jahrhunderte lang Sklaven unter ihren Königen; aber sie durften doch singen in ihren Ketten, sie durften ihre Kerkermeister verspotten. Zur Schreckenszeit wurden edle und schuldlose Men¬ schen auf das Blutgerüst gebracht, aber nie fand Robespierre ein Gericht, das so feige und unmensch¬ lich gewesen, einen Aristokraten zu verurtheilen, daß er vor dem Oelbilde der Freiheit knieend Abbitte thue. Unter der Despotie der Könige wie unter der der Republikaner erkannte man etwas im Menschen an, das, weil von Gott gesandt, heilig und unverletzlich ist, und nie zur Verantwortung gezogen werden darf. Aber dieses Göttliche, Heilige und Unverletz¬ liche im Menschen: seine Ehre, seinen Glauben, seine Tugend, das wird in Deutschland am meist, zuerst bestraft, am Boshaftesten gezüchtigt. Ein Dr. Schulz in München, wurde wegen seines politischen Glau¬ bens auf unbestimmten Zeit zum Zuchthause verurtheilt, und zu der schlimmern Züchtigung, vor dem Bilde des Königs knieend Abbitte zu thun. Sie werfen die Freiheit in den Koth, daß sie aus¬ sehe wie die Knechtschaft, damit man keinen Mann von Ehre ferner von einem Hofmanne unterscheiden könne und gemeinschaftlicher Schmuz, Volk und Land und Regierung bedecke. Würde in Paris die Todesstrafe darauf gesetzt, wenn einer es wagte im Theater einen Laut des Misfallens zu äußern, und es versuchte einmal ein schamlos schmeichelnder und bettelnder Hofdichter, die Leidenschaften, Thorheiten und Verbrechen seiner Für¬ sten, durch Poesie, Musik, Tanz und Malerei auf der Bühne zu verherrlichen und so ein ganzes Volk zu Mitschuldigen seiner niederträchtigen Gesinnungen zu machen — und stünde die Todesstrafe auf ein Lächeln — es fänden sich hier Hunderte von Zu¬ schauern die lachen, zischen und pfeifen, und ihr Le¬ ben an ihre Ehre setzen würden. Man jauchzte kei¬ nem schamlosen, tollen Schauspiele zu, wie das was neulich ein Herr von Poißl in München zur Feier der Thronbesteigung des Königs Otto dichtete, und auf der Bühne vorstellen ließ. Vergangenheit und Zukunft hieß das Schauspiel, welches alle das dicke Bocksbier, das seit dem vorigen Sommer in den baierischen Adern stockte, in die freudigste Wallung brachte. Hellas, Bavaria, Glaube, Liebe und Hoffnung treten auf. So oft ein deutscher Hofdichter etwas politisches singt, umgiebt er sich mit Glaube, Liebe und Hofnung. Es sind seine Grazien und seine Parzen zugleich. Mit ihnen versüßt er die Tyrannei, mit ihnen spinnt er die Freiheit zu Tode. Uebrigens ist es eine nützliche Bedeckung; denn ohne Glaube, Liebe und Hoffnung ertrüge man keinen Tag ein deutscher Unterthan zu seyn. Jetzt werden die alten olympischen Spiele dargestellt, in dem Augenblicke wo die Vertheilung der Preise statt findet. Hundert Dichter athmen schwer, die welche den Gott in sich fühlen, jauchzen dem Siegeskranze entgegen. Mich dauern die armen Teufel! Bava¬ ria kömmt und deklamirt Gedichte des Königs von Baiern und Sappho-Bavaria erhielt den Kranz. Das zweite Bild stellt die Gegend von Athen vor. „Mit erst düsterem Himmel, verbrannten Oli¬ „ven-Wäldern und verdorrten Fluren. Nach und „nach kleidete sich der Himmel in Baierns Na¬ „ tionalfarbe . Die Olivenwälder begannen zu grü¬ „nen. Die Fluren bedeckten sich mit Blumen und „Blüthen, aus Ruinen entstanden Paläste. Und in „diesem Augenblicke erschien von der Liebe getragen „und den Glauben und die Hoffnung zur Seite, das „als Seegensgestirn über Hellas aufgehende Bildniß „des Königs Otto, vor dem sich Griechenlands Volk „in freudiger Huldigung neigte.“ Bavaria-Sappho ist verrückt, sie ist verliebt, weiß nicht mehr was sie spricht und ich sehe sie schon vom Leucadische Felsen hinab in die Isar springen. Aber Herr von Poißl hat nicht die geringste Lebensart, daß er den König Otto, der ein Mann ist, von der Liebe , die ein Frauenzimmer ist, tragen ließ. Ich begreife nicht wie das zarte Wesen diese Last von München bis zum Himmel, einen so weiten Weg hat aushalten können; König Otto muß sehr leicht sein! Warum hat er den König nicht dem Glauben auf die breiten Schul¬ tern gesetzt? Der hat schon in seiner Dummheit viel schwerere Lasten getragen. Dann wäre die Liebe an der Seite der Hoffnung, hinter dem Glau¬ ben und dem König Otto leicht hergeflogen, und dann wäre doch Symmetrie dabei gewesen und das Ganze wäre ein Meisterstück geworden. O, Herr von Poißl! ich weiß nicht ob Sie Verstand haben, aber Ge¬ schmack haben Sie nicht den Geringsten. Wie freue ich mich, daß die verbrannten Olivenfelder wieder grün werden; jetzt können doch die armen Griechen wieder Salat essen. Aber die baierische Natio¬ nalfarbe in welche sich der Himmel kleidete, als er Audienz beim König Otto hatte — ist das nicht himmlisch? ja, ja so ist es. Den Himmel selbst möch¬ ten Sie gern zu Lakaien machen, und sein heiliges Blau soll die Livree-Farbe eines deutschen Fürsten seyn! Verdammniß! es kömmt mir manchmal vor, als wäre die Erde ein großer Pfeifenkopf, aus dem Gott raucht und Deutschland wäre der Wassersack der Pfeife, bestimmt um diese rein zu erhalten, allen Schmutz, alle stinkende Säfte aufzunehmen. Die Zeit wird kommen, daß jeder europäische Fürst mit einem Stücke seines Landes in den deutschen Bund treten wird, um sich mit einem solchen heilsamen Wassersacke zu versehen. Hanover ist der Wasser¬ sack Englands, Luxenburg der Wassersack der Nieder¬ lande, Holstein der Wassersack Dänemarks, Neufcha¬ tel der Wassersack der Schweiz. Wie heute die eng¬ lischen Blätter erzählen, soll ein anderer Sohn des Königs von Baiern Donna Maria heirathen. So verspricht Portugal der Wassersack der Spanischen Halbinsel zu werden, und Griechenland ist voraus zum Wassersack des Orients bestimmt, wenn dieser wie sie fürchten der Civilisation und Freiheit ent¬ gegen reist. Der schönste Spaß in dieser baierisch-grichischen Comödie ist: daß König Otto, oder vielmehr sein Vater in dessen Namen, die griechische Constitution nicht hat beschwören wollen; daß Miaulis, der Chef der griechischen Deputation, erklärt hat, nur unter der Bedingung eines solchen Eides sei er beauftragt dem Prinzen die Krone anzubieten, daß er also, da man sich weigere ihn zu leisten, den Otto nicht als König anerkennen dürfe. Die Deputation kehrt allein nach Griechenland zurück, und König Otto zieht an der Spitze seiner Baiern hin und nimmt von seinem Lande mit Gewalt Besitz. Ich fürchte sehr, daß wenn der griechische Himmel das wahre Verhältniß der Sache erfährt, er sein Baierisch-blau wieder ausziehen und seinen grauen Schlafrock anziehen wird. Ich sage Ihnen, ich sage Ihnen, es ist mit dem lieben Gott nichts mehr anzufangen. Da sitzt der alte Herr den ganzen Tag auf seinem Lehnstuhle, liest die Erdzeitungen und brummt über seine entar¬ V . 7 teten Kinder. Es ist ihm kein Lächeln abzugewinnen. Da er noch ein Jüngling war, da er als Jupiter, noch mit dem Honige seiner Kindheit auf den Lippen, durch alle Welten schwärmte, welche himmlische Pagenstreiche machte er, wie liebenswürdig war er damals! wie er seinem Vater dem Fresser Kronos ein Brechmittel eingab; wie er sich als Gans, als Ochs, als Mensch, als Regen verkleidet, zu den Schönen schlich, wie er neun ganze halbe Tage sich mit der gelehrten Mnemosyne einschloß, und mit ihr alle die Millionen Bücher schrieb, die seitdem in die verschiedenen Sprachen der Menschen übersetzt er¬ schienen sind — es ist Alles vorbei, es ist nichts mehr mit ihm anzufangen! Ach! wenn ich Gott wäre, welche Späße wollte ich mir machen mit Ba¬ varia-Hellas! Ich ließ in einer Nacht alle die herr¬ lichen Griechen aller Zeiten und aller Städte aus dem Grabe hervorsteigen, und alle Tempel auch und die alten Götter rief ich herbei. Und an einem schönen Frühlingstage, da der Spatziergang am Ilys¬ sus gedrängt von Menschen war, kömmt ein Sclave athemlos herbeigestürzt und schreit: König Otto ist angekommen! Alles geräth in Bewegung. Die Kinder springen von der Erde auf und vergessen ihre Knöchel mitzunehmen. Die schöne Lais macht die Rosen in ihren Haaren zurecht, Diogenes putzt das Licht in seiner Laterne, Epaminondas ballt die Faust, Plato bekömmt Angst und versteckt seine Republik, Perikles reicht seiner Freundin Aspasia den Arm, Aristoteles zieht seine Schreibtafel heraus Alles zu notiren, die Blumenmädchen suchen Eine der Ande¬ ren vorzukommen und jetzt alle eilig zum pyräischen Thor hinaus. Nur Sophokles geht seinen ernst lang¬ samen Schritt; er dichtet seine Antigone. Als die Athenienser am Hafen ankamen, war König Otto mit seinen blauen Baiern schon gelandet. Das Erste was er that war, daß er dem Perikles den großen Hubertus-Orden umhing. Aristoteles erhielt das Di¬ plom als geheimer Hofrath, und die Berufung als Professor der Natur-Geschichte nach München an Okens Stelle. Phidias bekam den ehrenvollen Auf¬ trag die Büste des Herrn Jarke für das Regens¬ burger Walhalla zu verfertigen. Herr Ober-Bau¬ rath von Klenz zeigte dem Kalikrates die Risse seiner schönsten Gebäude in München und dieser fragte: hat Euer Basileus so viele Pferde? Alcibiades be¬ kam den Kammerherrn-Schlüssel und ein baierscher Obrist fragte Epaminondas wie viel Fourage-Gelder ein hellenischer Obrist bekäme? Professor Thiersch unterhielt sich mit Plato und wurde von den Blumen¬ mädchen wegen seiner schlechten Aussprache verspottet. Herr von Poißl wollte Sophokles gerade sein Fest¬ spiel Vergangenheit und Zukunft überreichen, 7 * als Trommelwirbel Stille gebot. König Otto tritt majestätisch hervor und hält folgende Rede. „Hellenen! Schaut über euch. Der Himmel „trägt die baiersche National-Farbe, denn Griechen¬ „land gehörte in den ältesten Zeiten zu Baiern. Die „Pelasker wohnten im Odenwalde und Imachus war „aus Landshut gebürtig. Ich bin gekommen euch „glücklich zu machen. Eure Demagogen, Unruhestif¬ „ter und Zeitungsschreiber haben euer schönes Land „in's Verderben gestürzt. Die heillose Preßfrechheit „hat Alles in Verwirrung gebracht. Seht wie die „Oehlbäume aussehen. Ich wäre schon längst zu „euch herüber gekommen, ich konnte aber nicht viel „früher, denn ich bin noch nicht lange auf der Welt. „Jetzt seid ihr ein Glied des deutschen Bundes. „Meine Minister werden euch die neuesten Bundes¬ „beschlüsse mittheilen. Ich werde die Rechte meiner „Krone zu wahren wissen, und euch nach und nach „glücklich machen. Für meine Civilliste gebt ihr mir „jährlich sechs Millionen Piaster, und ich erlaube „euch meine Schulden zu bezahlen.“ Die Griechen, als sie diese Rede hörten, erstarrten Alle zu Bildsäulen. Diogenes hielt dem König Otto seine Laterne in's Gesicht, die schöne Lais kicherte, und Aristoteles war in Verzweiflung, daß sein Griffel brach, und er die merkwürdigen Naturbeobachtungen die er machte, nicht mehr notiren konnte. Hippokrates sah die Sache gleich vom rechten Standpunkte an, schickte eilig einen Diener in die Stadt zurück, und ließ sechs Karren voll Nieswurz holen. Die Baiern setz¬ ten sich in Marsch. Vor dem Thore wurden sie von hundert Apothekern aufgehalten, die jedem Baier ein Pulver überreichten. Ein Major schrie: Ver¬ rätherei! Gift! und ließ unter das griechische Ge¬ sindel schießen. Dann zog König Otto über Leichen in die Stadt. Gleich den andern Tag wurde eine Central-Untersuchungs-Kommission gebildet, Hippo¬ krates wurde wegen seines dummen Spaßes als Medicinalrath nach Augsburg versetzt; die geistreiche Aspasia, die griechische Frau von Stael, nach Egyp¬ ten verbannt und Diogenes wurde auf unbestimmte Zeit zum Zuchthause verurtheilt und mußte vor dem Bilde des Königs Otto knieend Abbitte thun. Die Schuldigsten waren schon vor der Untersuchung er¬ schossen wurden. Jetzt ging das Regieren an. Eine Zeit lang ertrugen es die Griechen. Aber eines Morgens braußte das Volk wie ein wogendes Gewässer durch die Stadt. Herr Oberbaurath von Klenz hatte in der Nacht anfangen lassen, durch mehrere hundert baiersche Maurer, den Tempel der Minerva abtra¬ gen zu lassen. Das Bild der Göttin von Phidias und andere Kunstwerke die der Tempel enthielt, lagen schon auf der Straße von Stroh umwickelt um ein¬ gepackt zu werden. Man fragte Herrn von Klenz was diese Tollheit bedeuten solle? Er erwiederte: seine Majestät der König haben zu beschließen geruht, den Tempel der Minerva, das Parthenon, das Pom¬ pejon, die Phöcide, noch zwanzig andere Tempel und mehrere hundert Statuen, allerhöchst ihrem königlichen Vater nach Baiern zu schicken, zufolge eines mit allerhöchst Demselben abgeschlossenen geheimen Ver¬ trags, und Hellas, übervölkert mit Tempeln, Sta¬ tuen und Gemälden, solle nach Baiern Kunstkolonien schicken, und dafür von dort Naturkolonien erhalten unter Anführung des Herrn von Halberg, des baieri¬ schen Cecrops, und das Alles gereiche zur Wolfahrt beider Länder, und sey überhaupt sehr charmant. Aber die Athenienser fanden dieses gar nicht char¬ mant, sondern ergriffen einige der schönsten antiken Steine mit Bas-Reliefs verziert und warfen sie dem armen Herrn von Klenz an den Kopf, bis er todt blieb. Dann stürzten sie die Akropolis hinauf, er¬ griffen den König Otto, der gerade mit seinem Früh¬ stücke beschäftigt war, und dabei Saphirs deutschen Horizont las, bei dem Arme, setzte ihn in eine Sänfte, und ließen ihn an den Hafen tragen, und übergaben ihn dort dem Admiral Nicias, daß er ihn zu Schiffe nach Corcyra bringe. Die baierischen Soldaten blieben zurück und nahmen Dienste im Seythischen Corps. Ihr baierisch Bier braute ihnen ein von München gekommener Bierbrauer, und ihre baierische Treue hatten sie vergessen. So endigte das baierisch-russisch-englisch-französische-hellenische Reich. Eilfter Brief. Paris, Sonntag, den 16. Dezember 1832. Die Berry ist krank; aber wie man sagt, wäre es nicht ihr hoffnungsloser Zustand der sie niederge¬ worfen, sondern gerade das Gegentheil. Wahrschein¬ lich ist das Verläumdung. Wenn man in Frankfurt etwas davon weiß, warum die Herzogin gefangen sitzt und warum Carl X . nicht mehr in Paris lebt, schreiben Sie mir es doch, ich will es in die Zeitung setzen lassen. Hier kann man sich die Sache gar nicht erklären. Diese Abneigung der Völker gegen gewisse Namen und diese Vorliebe für andere ist ganz unbegreiflich. Wenn nicht die Cholera daran Schuld ist, muß die Welt schwanger seyn; sie hat wunder¬ bare Gelüste. Sehen Sie, man hat es mir zum Vorwurfe gemacht, daß ich gesagt: ein Volk dürfe seinen Fürsten verjagen, wenn ihm seine Nase nicht gefiele. Nun, vielleicht war das zuviel behauptet. Aber man muß mir doch zugeben, das eine Nase eine sehr wichtige Sache ist. Eine Nase ist ein be¬ deutender Theil des menschlichen Körpers; eine Nase kann einen Menschen entstellen und zieren; man kann seiner Nase willen einen Menschen lieben oder hassen; kurz eine Nase ist eine Nase; aber ein Name? Gu¬ ter Gott! Was liegt an einem Namen? Die Braunschweiger wollten keinen Carl und gaben sich einen Wilhelm; die Belgier wollten keinen Wilhelm und gaben sich einen Leopold; die Franzosen wollten auch keinen Carl und gaben sich einen Philipp. Der Name Carl scheint besonders unbeliebt zu sein. In Spanien handelt sich's auch um Carl oder nicht Carl; in Portugal ist der Streit zwischen Peter und Mi¬ chel. Meine Nase ist mir tausendmal lieber. Nun haben sie zwar vor zwei Jahren behauptet, man habe den König Carl vom Throne gestürzt weil er die Charte verletzt habe. Hat das der jetzige König nicht auch gethan? Also weil er Philipp heißt und nicht Carl, wäre ihm alles erlaubt? Ja er hat tausend¬ mal schlimmer gehandelt als Carl X . Dieser that es in der Leidenschaft, er konnte sich wenigstens da¬ mit entschuldigen, er konnte alles auf seine Minister wälzen, die Kränkung wieder gut machen, er wollte das wirklich thun. Aber Louis Philipp begnügt sich nicht blos mit dem Rechte der Leidenschaft, er will auch die Leidenschaft zu einem Rechte erheben, er ver¬ langt das Recht, zu jeder Zeit, so oft es ihm be¬ liebt, ungerecht sein zu dürfen. Und er begnügt sich nicht das Verbrechen allein zu begehen, er sucht auch die ganze Nation, in deren Stellvertretern zu seinen Mitschuldigern zu machen. Nun giebt es zwar hier Leute genug, die nicht schlecht sind, sondern nur dumm, welche behaupten, der jetzige Fall wäre doch ganz ein Anderer. Carl X. habe die Constitution aus eigner Machtvollkommenheit verletzt. Louis Philipp thue es in Gemeinschaft mit den Kammern. Bei jenem sei die Aufhebung der Charte Willkühr gewesen, dieser wolle sie gesetzlich machen. Aber was ändert das die Sache? O ja, es ändert die Sache, es macht sie weit weit schlimmer. Ist ein Verbrechen weniger ein Verbrechen weil es zweihundert Menschen theilen? Ist die Tyrannei der Gesetze weniger Tyrannei als die der Willkühr. Und wenn alle die dreißig Millio¬ nen Franzosen in der Kammer säßen, und sie alle stimmten Mann für Mann für ein Gesetz, daß der Regierung verstatte die persönliche Freiheit, die Frei¬ heit der Presse aufzuheben, das heilige Asyl des Hau¬ ses zu verletzen — sie hätten das Recht nicht dazu. Keine Nation hat das Recht der Täuschung, der Furcht, dem Schrecken, der Selbstsucht, der Ermü¬ dung des Tages, die bessere Einsicht, die Wahrheit, die Besonnenheit, die Liebe und Kraft der folgenden Tage, die unveräußerlichen Rechte eines kommenden Geschlechts aufzuopfern. Hier ist der Jammer, hier ist die Trostlosigkeit, das ist's was die wahre Frei¬ heit Europens noch um ein Jahrhundert hinausschickt. Erst fehlt die Kraft, dann fehlt der Muth, dann fehlt die Einsicht. Wenn einmal die Völker Europens sich der Tyrannei ihrer Fürsten werden entledigt haben, wer¬ den sie in die Tyrannei ihrer Gesetzgeber fallen, und sind sie diese los geworden, gerathen sie in die Ty¬ rannei der Gesetze. — Diese Tyrannei der Gesetze ist aber gerade die feste Burg, welche von der Frei¬ heit seit fünfzig Jahren belagert wird. Was sie seitdem erobert, das sind blos einige Außenwerke, wobei noch nichts weiter gewonnen, als daß die Hoff¬ nung der Einnahme der Festung etwas näher gerückt ist. Es muß Menschenrechte geben, die von keiner Staatsgewalt, und hätte jedes Bettlerkind im Lande Theil an deren Ausübung, zu keiner Zeit, in keinem Verhältnisse, um keines Vortheils, um keiner Besei¬ tigung einer Gefahr willen, vernichtet, geschmälert oder eingestellt werden dürfen. Auf der See, wenn Gefahr des Schiffbruchs eintritt, wirft man die Waaren über Bord, die Menschen zu retten; man wirft aber nie die Menschen über Bord die Waaren zu retten. In politischen Stürmen aber, opfert man das was der Menschen ist, dem auf was er hat , man wirft den Mensch über Bord, den Bürger zu erhalten — das ist Wahnsinn. Und wenn es auch alle Staatsbürger zufrieden wären, wenn sie alle so verdorben wären, das was sie haben, dem vorzuziehen was sie sind — es bliebe doch Wahn¬ sinn. Mit besserer Einsicht als Europa ließen die Amerikaner als sie ihre Freiheit gründeten, der Ver¬ fassungsurkunde eine Erklärung der Menschenrechte, nämlich derjenigen Rechte vorangehen, die weder der Heiligung der Gesetze bedürfen um Gültigkeit zu haben, noch je durch ein Gesetz eingeschränkt oder aufgehoben werden dürfen. Die französische Natio¬ nalversammlung hat es auch damit versucht. Aber jetzt denkt keiner mehr daran, und wenn man mit einem Staatsgelehrten von Menschenrechten spricht, lacht er Einen aus, und wenn man in Paris zwischen zwei und vier Uhr Nachmittags das Wort Menschen¬ rechte ausspricht, werden vor Schrecken alle Wangen bleich und die Renten fallen. Menschenrechte — das ist die Guillotine! — Gestern Abend sah ich zum erstenmale De¬ moiselle Georges spielen; nicht zum erstenmale die¬ sen Winter, sondern zum erstenmale im neunzehnten Jahrhunderte. Dieses Schicksal habe ich schon oft in meinem Leben gehabt: daß ich den Sonnenauf¬ gang und den Mittag verschlafen, und erst beim Sonnenuntergange munter geworden bin. Demoi¬ selle Mars habe ich voriges Jahr zum erstenmale gesehen, Talma kurz vor seinem Tode, mich selbst lernte ich erst nach dem dreißigsten Jahre kennen und ohne Sie hätte ich wahrscheinlich erst zehen Jahre später meine angenehme Bekanntschaft gemacht. Als ich vor zwei Jahre nach Paris kam, war die Frei¬ heit schon im Untergehen, und ich mußte sogar auf einen hohen Berg der Begeisterung steigen, um noch ihre letzten Strahlen zu erwischen; denn im Thale war es schon dunkel. So immer zu spät. Ein po¬ litischer Ketzer bin ich geworden, seitdem man nicht mehr verbrennt und viertheilt, sondern blos mit dem Zuchthause auf unbestimmte Zeit und mit einer Ab¬ bitte vor dem Conterfei eines Königs bestraft. Die¬ ses Abbitten vor dem Bilde des Königs von Baiern will mir gar nicht aus dem Kopf. Es ist zu fürch¬ terlich, es ist zu lächerlich! Das ist ja ein christ¬ lich-türkischer Despotismus, ein Despotismus in sei¬ denen Strümpfen und den Turban auf dem Kopfe. Nun möchte ich doch wissen, wie sie Einen, den sie zum Zuchthause verurtheilt, zwingen können Abbitte vor dem Bilde des Königs von Baiern zu thun, wenn dieser nicht will. Ich thäte es nicht; ich spräche wie der Geiger Müller in Cabale und Liebe: da ich doch in's Zuchthaus muß, will ich Euch sagen, daß Ihr Schurken seid. Der Präsident antwortet, glaube ich, darauf: Vergeß er nicht, daß es auch Staupbesen und Pranger giebt! O! es kömmt auch noch zu Staupbesen und Pranger; es kömmt auch noch dazu, daß Einer baarfuß und eine brennende Kerze in der Hand es vor der Kirchthüre büßen muß, wenn er gesagt, der Leib und das Blut des Herrn sei nicht in dem Fürsten. Die wahnsinnige Tyran¬ nei hat keine Grenzen, es kömmt nur darauf an, welche Grenze die wahnsinnige Geduld des deutschen Volkes hat ... Aber wo bin ich? Ich bin weit von Demoiselle Georges abgekommen. Zurück. Sie sieht bei ihren Jahren noch gut genug aus, oder mein Glas müßte trübe gewesen sein. Auch ist in den Rollen die ihr anzugehören scheinen, ein Alter das an Ehrwürdigkeit grenzt gar nicht störend. Sie hat eine schöne, volltönende Stimme, ihre Geberden sind anständig und ihr Mienenspiel ist sehr reich; freilich glaubte ich bemerkt zu haben daß sie beim Mischen ihrer Züge die Volte schlägt, und jede Farbe der Leidenschaft, die sie will, oben auf bringt. Das ist nun nicht die rechte Art. — Die Leidenschaft auch in ihrer entschiedensten Richtung, hat keine bestimmte Farbenleiter und sie ist sehr zufällig gemischt. Ich kann aber die Georges durchaus noch nicht beurthei¬ len, ich muß sie öfter sehen. Auch ist das Stück, in welchem sie auftrat, halb unbedeutend, halb dumm, das heißt: seit einigen Wochen daß es gegeben wird, ist das Haus gedrückt voll, jeder will es sehen. Perinet Le clerc , ou Paris en 1443 , drame historique . Was die Leute schönes daran finden, begreife ich nicht. Außer den Decorationen und den weiblichen Kleidungen der damaligen Zeit gefiel mir doch gar nichts. Diesen Winter ist das Mittelalter Mode, oder vielmehr das dramatische Vieh wurde durch Noth die Alpe hinaufgetrieben dort zu weiden, weil sie in den letzten zwei Jahren die untere Re¬ gion, das Kaiserreich, die Republik und das Zeitalter Ludwigs XV . ganz abgegrast haben. Jedes Theater bringt der Reihe nach ein pariser Mittelalter zur Vorstellung. Gestern kam die komische Oper, auch ein solches Mittelalterstück zum erstenmal Le Pré aux clercs , Musik von Herold. Die heutigen Zeitungen rühmen diese neue Oper sehr. Ich lasse mir das alles sehr gern gefallen, denn ich profitire davon. Seit zwei Jahren leiten die Boulevards- Theater meine historische Studien. So oft ich ein historisches Schauspiel gesehen, ließ ich mir den fol¬ genden Tag alle die Geschichtsbücher, Memoiren und Chroniken holen, die von der Zeit und der Ge¬ schichte handeln, die auf der Bühne vorgestellt wer¬ den, und ich las sie. Jungen Leuten möchte ich diese Art Geschichte zu studiren freilich nicht empfehlen; aber für Kinder und bequeme Leute ist das die rechte Art und ob ich zwar schlecht bestehen würde wenn mich Schlosser examinirte, so bin ich doch im Am¬ bigü Comique der gründlichste Historiker. Das Stück von welchem die Rede ist spielt zur Zeit Carls VI . und die Georges spielte die Isabeau von Baiern. Darüber brauchte ich aber nichts nach¬ zulesen, denn die Geschichte war mir aus Schillers Jungfrau von Orleans schon längst bekannt. Leider! Der Mensch weiß immer zu viel; denn daher kam es, daß mir das Drama lächerlich vorkam. Diese Isabeau ist verliebt, aber nicht wie ein weiblicher Satan, nicht wie eine alte Frau, nicht wie eine Ehr¬ geizige, nicht wie eine Königin, nicht wie eine Ra¬ benmutter, nicht wie eine ausschweifende Frau; son¬ dern wie ein junges unschuldiges Bürgermädchen. Und als ihr poltischer Feind, der Connetable von Armag¬ nac, ihren jungen Geliebten foltern und dann in einen Sack stecken und Nachts in die Seine werfen ließ, weinte sie als ginge sie das was an und als gäbe es keine Männer mehr in der Welt. Aber die Ge¬ orges wußte sich mit guter Manier aus der Dummheit des Dichters heraus zu ziehen. Also der Sack mit dem Schatze wird in's Wasser geworfen, aber wieder her¬ ausgefischt. Der Sack wird geöffnet und der ster¬ bende junge Mensch im Hemde halb herausgezogen. Das ist seit einigen Tagen das zweitemal, daß ich einen sterbenden Menschen im Hemde aus einem Sacke habe kommen sehen. Das ist die historische Treue! Aber die Henkersknechte kehren zurück, werfen den Sack mit Inhalt zum zweitenmal in's Wasser und drohen mit einer Geisterstimme in die Nacht hinaus: laissez passer la justice du Roi ! Das war die damalige Formel. Es ist recht schauerlich. Um das Alter der Georges genau zu erfahren, ließ ich mir den Band der Biographie des contem¬ porains holen, worin ihr Artikel steht. Da las ich etwas was mich stutzig machte. Sie wird dort nicht allein getadelt, sondern auch mit einer gewissen Bit¬ terkeit getadelt, die ich mir nicht erklären konnte. V . 8 Darauf las ich den Artikel im Conversations-Lexikon, der sie betrifft, und der mich etwas auf die Spur brachte. Der deutsche Berichterstatter bemerkt, die Georges habe sich eine romantische Darstellungs¬ art angeeignet. Das mag es seyn. Die Verfasser der Biographie des contemporains , waren Ar¬ nault, Jouy, Jay, und andere solche gedörrte Clas¬ siker, welche der Georges ihr frisches romantisches Wesen nicht verzeihen konnten. Daß ihr dieses ei¬ gen sei, nehme ich übrigens bis jetzt nur auf Glau¬ ben an. Nicht so ihr Alter. Sie war gestern Abend 47 Jahre, 7 Monate und 13 Tage alt. Wie viel Stunden weiß ich nicht, da die Stunde nicht angegeben in der sie auf die Welt gekommen. Aber mein Gott, was ist die Georges hinabgerückt. Früher im Theater Fran ç ais, bis voriges Jahr im Odeon, spielt sie jetzt im Porte-St.-Martin, in einem Boulevardtheater. O hätte ich sie in meiner Kammer! Ich würde mit ihr verfahren wie einst ein Buchhändler mit Rousseau und Voltaire zu verfahren wünschte. Ich gäbe ihr gut zu essen und zu trinken, aber sie müßte mir arbeiten. Sie müßte mir dikti¬ ren, von Paris, von Erfurt, von Wien, von Peters¬ burg, vom Kaiser Napoleon, vom Kaiser Alexander und von hundert andern Dingen und Menschen. Doch es ist merkwürdig! Wenigstens nach mehreren Erfahrungen die ich gemacht, haben die schönen Schau¬ spielerinnen gar keine Beobachtungsgabe und Menschen¬ kenntniß, und sie verstehen gewöhnlich ihr eignes, oft so interessantes Leben, nicht kunstreich aufzufassen. Haben Sie als Sie in Paris waren, die Georges nicht spielen sehen? Außer dem erwähnten Drama gab man den Abend noch ein Melodrama l'Auberge des Adrets ; eine ganz gemeine sentimentale Mörder- und Räubergeschichte. Aber ein Schauspieler Na¬ mens Frederic führte eine komische Rolle vortreff¬ lich durch. Ich habe lange nicht so sehr gelacht. Das Merkwürdige bei der Sache ist, daß das Ko¬ mische gar nicht in der Rolle liegt, sondern in dem selbsterfundenen Spiele des Schauspielers und das zu seinem Charakter und den Reden die er führt gar nicht paßt. Es ist ein zerlumpter, niederträchtiger, boshafter, ganz gemeiner Dieb, Räuber und Mörder. Er bringt einen Mann im Stücke selbst um, ihm sein Geld zu nehmen. Und Frederic machte einen gutmüthigen Schelm daraus der höchst ergötzlich ist. Zuletzt freilich werden die Possen, doch wahrscheinlich dem Pöbel und der Kasse zu gefallen, etwas gar zu weit getrieben. Stellen Sie sich vor: Am Ende 8* werden beide Räuber von Gensd'armen gepackt, sie entspringen aus dem Zimmer, die Gensd'armen ihnen uach . Der Vorhang fällt. Das Stück ist aus. Auf einmal gewahre ich, daß die Leute nach der Gallerie hinaufsehen und lachen. Ich hebe den Kopf in die Höhe und sehe in einer Loge des zweiten Ranges die beiden Räuber mit den sie verfolgenden Gensd'armen sich herumbalgen. Endlich wird ein Gensd'arme (ein ausgestopfter) von einem der Räu¬ ber hinab in's Orchester gestürzt. Und auf diesem Theater spielt die Georges, einst die Königin so vieler Königinnen! Dienstag, den 18. Dezember. Als ich gestern Abend nach Hause kam fand ich eine schwarze Visitenkarte vor, mit dem Namen weiß darauf. Es war ein Schauer wie sie da lag auf dem schwarzen Marmortische im röthlichen Scheine der Lampe; es war wie der Besuch eines Geistes. Es war der Name eines Polen. Ich habe solche schwarze Karte hier nie gesehen. Sollten sie viel¬ leicht die Polen als ein Zeichen der Trauer ange¬ nommen haben? Ich werde es erfahren. Da haben Sie sie, ich schicke sie Ihnen, bewahren Sie sie gut. Und haben Sie je eine Thräne für einen König ver¬ gossen, und sollte das Glück es wollen, daß Sie noch ferner eine weinten; dann sehen Sie diese Karte an, daß Ihr Herz zur Wüste werde und der Sand alle Brunnen der Empfindung verschütte. Denn wahrlich es ist edler die ganze Menschheit hassen, als nur eine einzige Thräne für einen König weinen. Ein sterbendes Volk zu sehen, das ist zu schreck¬ lich; Gott hat dem Menschen keine Nerven gegeben solches Mitleid zu ertragen. Jahre, ein Jahrhundert lang in den Zuckungen des Todes liegen und doch nicht sterben! Glied nach Glied unter dem Beile des Henkers verlieren und all das Blut, alle die Nerven der verstorbenen Glieder erben, und dem ar¬ men und elenden Rumpfe den Schmerz des ganzen aufbürden — o Gott! das ist zu viel! Denn einem Volke, wenn es leidet, werden nicht wie einem kran¬ ken Menschen Geist und Sinne geschwächt, es ver¬ liert das Gedächtniß nicht, sei es noch so bejahrt, wird es im Unglücke wieder zum Jüngling, zum Kinde, und die Jugend mit all ihrer Kraft und Hoff¬ nung, die Kindheit mit ihrer Lust und allen ihren Spielen kehren ihm zurück. Als Gott die Tyrannen erschuf, diese Folterknechte der Welt, hätte er wenig¬ stens die Völker sollen sterblich machen. Man hat jetzt den Deutschen eiserne Reife um die Brust geschmiedet, Sie dürfen nicht mehr seufzen um die Polen; aber die Franzosen brauchen noch nicht zu schweigen. Es kommt dahin auch noch, aber bis dahin kömmt auch die Hülfe. Haben Sie in den französischen Blättern von dem neuen Jammer gele¬ sen, den man auf die Polen gehäuft? Aus jeder polnischen Provinz werden fünftausend Edelleute ein¬ gefangen und nach dem Caucasus getrieben, um dort unter die Cosaken eingesteckt zu werden. Sie dürfen auf ihre Verbannung nicht vorbereitet werden, sie müssen unvermuthet Nachts aus ihrem Bette geschleppt werden. So befiehlt es ausdrücklich der kaiserliche Befehl. Und dem Belieben des Gorverneurs bleibt es frei gestellt, welche sie zur Verbannung wählen wollen; nur ist ihnen auf das strengste untersagt die Begnadigung mit dem Caucasus, auf die schuldigsten der Polen fallen zu lassen; diese kommen nach Si¬ birien oder werden hingerichtet oder werden im Ge¬ fängnisse erdrosselt und vergiftet. Was ich gestern gelesen das ist noch ungeheurer. Fünfzig Polen wur¬ den in Kronstadt, im Hafen, wie im Angesichte ganz Europas, auf Tod und Leben gegeiselt, weil sie ihr Vaterland nicht abschwören, weil sie dem Nicolaus nicht Treue schwören wollten. Und während sie die Reihen der Soldaten durchschlichen, durch Bajonette auf der Brust, am schnellen Gehen gehindert, ging ein Geistlicher zusprechend neben den Verurtheilten, und ermahnte sie zu schwören. Ein Geistlicher, das Cruzifix in der Hand, ermahnte im Namen des Er¬ lösers zum Meineide! Aber wo gab es je einen Kaiser oder König, der nicht einen Pfaffen gefunden hätte, der noch schlechter war als er? Dreitausend andere Polen, standen in einen Haufen zusammen¬ getrieben, auf dem Richtplatze, den Jammer ihrer Brüder mit anzusehen, und hinter ihnen sechstausend Russen, Kanonen vor sich, den Haufen Polen nieder¬ zuschmettern, wenn einer von ihnen murren sollte. Die anwesenden russischen Offiziere lachten — o nein, ich erzähle das nicht ihnen zum Vorwurfe, son¬ dern daß man diese Schlachtopfer der Tyrannei auch beweine. Sie mußten lachen; nicht zu lachen wäre ihnen als Kaisermord angerechnet worden. Und das duldet der Himmel? Das heißt nicht die Mensch¬ heit, daß heißt Gott selbst in den Koth treten. Aber nicht an Nicolaus allein denke ich; so schuldig er ist, er hat es nicht verdient unsern ganzen Fluch zu tra¬ gen. Er ist nur der gefällige Wirth, er gab seinen königlichen Brüdern ein königliches Schauspiel. Denn es ist kein Fürst in Europa, der nicht aus seiner Lage dieses blutige Schauspiel mit Wollust ansähe, und nicht dabei auf sein eignes Volk hinabschielte und ihm den stummen Wunsch zugrinste: nun wohl be¬ komme euch diese Lehre! Der Haß und der Ekel steigen mir manchmal bis an den Hals hinauf und da werde ich meiner Wün¬ sche und selbst meiner Verwünschungen überdrüßig. Es sind jetzt fünfzig Jahre daß die europäische Menschheit aus ihrem Fieberschlummer erwachte, und als sie aufstehen wollte, sich an Händen und Füßen gekettet fand. Fesseln trug sie immer, aber sie hatte es nicht gefühlt in ihrer Krankheit. Seitdem kämpf¬ ten die Völker mit ihren Unterdrückern. Und rechnet man jetzt zusammen all das edle Blut das vergossen worden, all den schönen Heldenmuth, all den Geist, alle die Menschenkraft die verbraucht worden, alle die Schätze, die Reichthümer, drei kommenden Ge¬ schlechtern abgeborgt, die verschlungen worden — und wofür? für das Recht frei zu sein, für das Glück, auf den Punkt zu kommen wo man aufhört Schulden zu haben und wo erst die Armuth beginnt. Und be¬ denkt man wie dieses Blut, dieser Heldenmuth, dieser Geist, diese Kraft, diese Reichthümer, wären sie nicht verbraucht worden zur Vertheidigung des Daseyns, zur Veredlung, zur Verschönerung, auf die Freuden des Daseyns hätten verwendet werden könnnen — möchte man da nicht verzweifeln? Alles hinzugeben für die Freiheit, alles aufzuopfern — nicht für das Glück, sondern für das Recht glücklich sein zu dür¬ fen, für die Möglichkeit glücklich sein zu können! Denn mit der Freiheit ist nichts gewonnen als das nackte Leben, dem Schiffbruche abgekämpft. Und gewönnen nur die Feinde der Menschlich¬ keit etwas durch ihren Sieg, ja theilten sie nur selbst die Hoffnung des Sieges, es wäre noch ein Trost dabei. Aber nein, der Sieg ist unmöglich. Eine neue Macht die Widerstand findet, kann im Kampfe den Sieg finden, und im Siege ihre Befesti¬ gung; aber eine alte befestigte Macht war schon be¬ siegt an dem Tage, wo der Kampf gegen sie begann. Wäre es nicht toll, wenn Männer die Zahnschmerzen haben, sich einredeten sie zahnten? Aber so toll sind unsere Tyrannen nicht. Dort die Pfaffen — sie wissen recht gut, daß der Zauber ihrer Gaukelkünste nicht mehr wirkt. Dort die Edelleute — sie wissen recht gut, daß die Zeit ihrer Anmaßung vorüber ist. Dort die Fürsten — sie wissen recht gut, daß ihre Herrschaft zu Ende geht. Ja alle diese unsere Feinde wissen das besser als wir selbst; denn ihren Untergang sehen sie durch das Glas ihrer Furcht weit näher, als wir es sehen durch das Glas unse¬ rer Hoffnung. Aber weil sie es wissen, darum wü¬ then sie; sie wollen sich nicht retten, sie wollen sich rächen. Es giebt in Europa keinen Fürsten mehr, der so verblendet wäre, daß er noch hoffte, es werde einer seiner Enkel den Thron besteigen. Aber weil ohne Hoffnung, ist er auch ohne Erbarmen und nimmt sich die Tyranney seines Enkels voraus, sie zu der seinigen gesellend. — Heute kaufte ich einen schönen Geldbeu¬ tel für Sie, von der Farbe des griechischen Him¬ mels und der Königlich baierischen Nation: nämlich hellblau, mit einem goldenen Saume und mit weißer Seide gefüttert. So wonniglich weich anzufühlen, daß es einer zarten Seele schwer fiele, hartes uner¬ bittliches Geld hineinzulegen. Aber Sie werden ihn zu Almosen bestimmen. Hören Sie wie Sie dazu gekommen. Noch fünf Minuten vorher dachte ich nicht daran ihn zu kaufen, ob ich zwar an Sie dachte, denn ich schrieb Ihnen gerade. Ich las die allge¬ meine Zeitung und darin von den hannöverischen Ständen und von der Oeffentlichkeit die man ihnen bewilligt, von der Größe eines Nadelstichs; und wie man doch noch Angst gehabt, es möchten Spitzbuben von außen durch diesen Nadelstich in die Kammer steigen, und wie man darum den Nadelstich mit einem eisernen Gitter verwahrte und von außen Läden an¬ brachte, und innen eine Gardine davor hing. Dar¬ über mußte ich so lachen, daß ich das Pult erschüt¬ terte; von der Erschütterung floß mein Stacheldinten¬ faß über, das eben gefüllt worden war und zu hoch. Jetzt kam ein Dintenbach von der Höhe herab, und strömte über die allgemeine Zeitnng gerade durch das hanöverische. Schnell rettete ich meinen Brief, faßte die allgemeine Zeitung am trocknen Zipfel und warf sie ins Feuer. Dann holte ich Wasser und wusch das Pult ab. Während dem Trocknen machte ich einige Gänge durch das Zimmer, und kam bei dieser Gelegenheit an das Fenster, und sah die Straße hinab. Da gewahrte ich, daß in das große Haus mir gegenüber viele Menschen gingen und daß viele glänzenden Equipagen davorstanden. Dann sah ich wieder viele Menschen und Wagen herauskommen und so ging das abwechselnd immer fort. Ich ward neugierig, schickte hinunter, und ließ Erkundigungen einziehen; erhielt aber keine Aufklärung. Da zog ich mich schnell an und ging selbst hinüber. Ich fragte den Portier des Hotels: où est ..... weiter wußte ich nicht was ich fragen sollte. Er antwor¬ tete mir: im Hofe, links, im zweiten Stocke über den Entre-Sol. Da stieg ich hinauf und kam durch eine Reihe Zimmer, voll der schönsten Frauen und Waaren; es war ein Bazar und Serail zugleich. Man sah alle möglichen Handarbeiten in Nähereien, Strickereien, Stickereien, Malereien und wie sie sonst heißen. Auch männliche Handarbeiten, Bücher waren zum Verkaufe ausgestellt. An jedem Tische oder Laden stand eine Dame die verkaufte; an jedem Artikel war der Preis geschrieben. Eine Bekannte die ich dort fand erklärte mir: das wäre der Bazar eines Frauenvereins, der jeden Winter zum Besten der Armen diese Waare verfertigte und verkaufte. Stifterin dieses Vereins ist eine Madame Lutteroth , Schwiegertochter des reichen Kaufmanns, der früher in Frankfurt wohnte. Die wohlthätige Neigung die¬ ser Dame wurde durch die Religionssekte zu welcher sich ihr Mann bekennt (ich glaube zu den Mennoni¬ ten) noch verstärkt und angetrieben. Auch ist es ihre Wohnung in welcher die Waaren ausgestellt sind. Es war recht artig zu sehen wie die Damen alle ihre Sachen priesen und anboten, mit einem Eifer, einer Zuthulichkeit, als verkauften sie zu ihrem eig¬ nen Gewinnste. Auf diese Art sind Sie zu dem blauen Geldbeutel gekommen. Jetzt aber bleiben Sie nicht länger eine verstockte Aristokratin, und lernen Sie endlich begreifen, wozu die Oeffent¬ lichkeit gut ist. Ich bringe ihn mit wenn die Lerchen und die Veilchen kommen und unter Otto's Strahlen die verdorrten Oelbäume wieder blühen. Mittwoch, den 19. Dezember. Bei den hiesigen Civilgerichten kam neulich ein Prozeß zwischen dem Kaiser Don Pedro und einem Pariser Bürger vor. Als der Huissier die Tages¬ ordnung ausrief: Dumoulin contre Don Pedro ! schrie einer der Zuhörer à Oporto , und Gelächter im ganzen Saale. Nemlich dieser Dümoulin ver¬ langt von dem Kaiser einige und dreißigtausend Fran¬ ken, für die Mühen, Reisen und Kosten die es ihm verursacht, als er ihm seine jetzige Frau die Beauhar¬ nois verschaffen half. Don Pedro will nicht bezah¬ len. Den Kuppel-Pelz nach den Flitterwochen ein¬ fordern — eine solche Dummheit hätte ich keinem Pariser zugetraut, die eigentlichen Prozeß-Verhand¬ lungen haben noch nicht angefangen; die Sache muß hübsch werden. Dem guten Don Pedro geht es sehr schlecht in Oporto, er rückt nicht vor und ist wie fest genagelt. Das ist der böse Zauber des Juste-Milieu, den sein Freund und Beschützer Louis Philipp über ihn ausgesprochen. Dieser hat ihm gesagt: lassen Sie sich mich zur Warnung dienen; besser keine Krone als eine aus den Händen des Volkes; lieber gar nicht regieren, als mit einer Constitution; bleiben Sie nur ruhig stehen, gehen Sie weder rechts noch links, halten Sie sich gerade und die Krone wird Ih¬ nen schon einmal auf den Kopf fallen. Das hat sich Don Pedro gemerkt und er war so ehrlich den con¬ stitutionellen Portugiesen nicht einmal etwas zu ver¬ sprechen, außer, daß er sie wahrscheinlich nicht werde hängen lassen, wenn er wieder zur Regierung käme. Diesen aber genügt die Galgenfreiheit nicht, und sie leisten ihm darum in seinem Kampfe keinen Beistand. Louis Philipp wird ihm auch gesagt haben, er solle die heilige Allianz nicht ärgern, und sich darum nicht anstellen als wäre ihm an dem Glücke seines Volkes gelegen, sondern aufrichtig gestehen, es liege ihm blos an seiner Herrschaft, und dann würde sie nichts ge¬ gen ihn haben. So ist er auf seine Lohnsoldaten be¬ schränkt, und wie will er mit diesen gegen ein von Glaubenswuth fanatisirtes Volk, gegen seinen von den mächtigsten Fürsten der Welt gut berathenen, gut unterstüzten Nebenbuhler kämpfen? Die Komödie die jetzt in Spanien gespielt wird ist auch merkwürdig. Ich nenne es Komödie, weil ich mich heute nicht ärgern will, denn es ist Mitt¬ woch, ich erwarte Ihren Brief und nichts soll meine Freude stören. Aber an jeden der fünf andern Tage der Woche hätte ich der Sache einen andern Namen gegeben. Es empört mich viel stärker wenn Fürsten ihre Unterthanen wie Kinder behandeln, und sie mit Mährchen amusiren und sie mit groben Lügen täu¬ schen, als wenn sie sie wie Männer und Sklaven züch¬ tigen. Die spanische Königin hat ein Töchterchen, dem sie eine Krone verschaffen möchte. Aber ihrem Wunsche steht eine mächtige Parthei entgegen, und um diese Parthei zu bekämpfen, wirft sie sich in die Arme der Liberalen, und verspricht ihnen Freiheit, daß es eine Lust ist. Hat sie einmal ihren Zweck erreicht, oder ein anderes Mittel gefunden, ihren Zweck zu erreichen, wird sie die constitutionellen Spanier, die so thöricht waren ihr zu trauen und in ihre Falle zu gehen, eben so behandeln wie es Fer¬ dinand gethan. Aber trotz der Maske, trotz der fei¬ nen List, in welcher alle Fürsten so geübt sind, bricht in den Reden und Handlungen der Königin Katharine, die angeborne Natur oft komisch genug vor. Ein Fürst der von Freiheit spricht, macht dann ein Ge¬ sicht wie Robespierre — von dem einst Mirabeau sagte: er sieht aus wie eine Katze die Essig getrunken hat . Neulich machte die Königin eine Proklamation an die Spanier bekannt, voll Honig¬ worte, voll Freiheit, voll Glück, voll Ruhm, voll Versöhnlichkeit, kurz, voll Glaube, Liebe und Hoff¬ nung — wie der Hofrath Roußeau in der Postzei¬ tung am ersten Januar, wahrscheinlich singen wird. Plötzlich wendete sie sich an die verstockten Gegner ihrer himmlischen Absichten, krazt sie und spricht wie folgt: „Wer meinen mütterlichen Ermahnungen nicht „Gehör giebt, auf den wird das Beil niederfallen, „das schon über seinem Kopfe hängt.“ Schöne, gute, liebe Mama! Die in Frankreich sich aufhaltenden Spanier, die nach erhaltener Bewillung jetzt zurück¬ kehren, müssen an der Grenze, angeblich wegen der Cholera, dreißig Tage Quarantaine halten. Nun kann das Lazareth nur sechzig Personen fassen, und man hat berechnet, daß es drei Jahre dauern werde, bis alle Spanier in ihr Vaterland kommen. Drei Jahre! Das ist ein Glück für wenigstens zwei Dritt- Theile dieser Unglücklichen, die noch nach zwei Jahren Zeit haben umzukehren, und sich so vom Henkertode zu retten. Euer Journal de Francfort neulich, eiferte mit edlem Unmuthe gegen die Refor¬ men, welche die Königin von Spanien und der tür¬ kische Kaiser in ihren Staaten vornehmen wollten, obzwar ihre Völker solchen Reformen entgegen sind. Welche schöne Theilnahme, welche Zärtlichkeit für das Glück und die Wünsche der Völker! Was hat denn die hohe Bundesversammlung auf einmal so weich gemacht? Ist etwa Rothschild's Koch krank gewor¬ den? Wie konnte aber ..... daß ich ein Narr wäre — da ist Ihr Brief. — Fragen Sie mich doch einmal was die Dok¬ trinairs eigentlich bedeuten. Ich weiß es selbst nicht recht, möchte mich darnach erkundigen und Ihnen davon schreiben. V. 9 — Der **** ist nicht ohne Geist und Witz, aber er schreibt etwas rauh. Er ist ein arger Hypo¬ chondrist und seine Satyre hat etwas Menschenfeind¬ liches, das sie sauer macht. — Ja wohl, ich habe es damals schon von mehreren Vornehmen gehört, daß ihnen meine Post¬ schnecke sehr gefallen. Die erschien ihnen als eine Oase in meinen wüsten Schriften. Es war, weil ich mich darin über einen Demagogen und seinen langen Bart und über die Turnkunst lustig gemacht. Welche Menschen! Zwoͤlfter Brief. Paris, Donnerstag, den 20. Dezember 1832. Gestern kam Victor Hugo's Klage gegen den Minister bei dem Gerichte vor. Das Handelsgericht dem diese Sache zufiel, hat im Börsengebäude seinen Sitz, und da es gerade die Stunde war in der ich dort täglich vorbeigehe, bekam ich Lust die Verhandlungen mit anzuhören. Als ich die Treppe hinaufging — mir pochte, wie immer, das Herz vor Zorn und Scham. Es ist eines der herrlichsten Gebäude der Welt; das Alterthum kannte kaum ein schöneres; unter diesem Säulendache sollte Phidias Jupiter thro¬ nen und strahlen und seine Menschenkinder mit hohem Stolz erfüllen auf solch einen Vater! Aber drinnen 9 * sitzt Merkur in einem gepolsterten Lehnstuhle, mit gekrümmtem Rücken, den Geldbeutel in der Hand und klingelt. Merkur der alte Wucherer, der Phönizier, der Jude, der Mäkler, der Betrüger, der mit falschen Renten würfelt. Merkur der Schelm, der Meineidige, der Gott der Kaufleute und der Diebe, der am Tage seiner Geburt sich aus der Wiege schlich, hinauskroch auf das Landgut seines Stiefbruders Apollo, ihm die schönsten Ochsen stahl und dann, entdeckt, bei dem Haupte seines Vaters schwur, er wisse von gar nichts. Merkur Feind des Schönen, der Liebesläugner, der schon als Kind den holden Amor durchgeprügelt und seiner Mutter die ihn auf den Schoos genommen, ihren Gürtel stahl .... Also da ich die Treppe hinaufging, kam eine junge, schöne, blasse Frau, an dem Arme eines Herrn, die Treppe herunter, und ich hörte, wie sie einem ihr begegnenden Bekannten sagte: on étouffe ! Ich kehrte wieder um. Mein Leben daran zu setzen, um einen halben Tag früher zu erfahren, ob Victor Hu¬ go's König sich ferner amüsiren werde, oder nicht, schien mir Verschwendung. Abends bei Tische sprach ich einen der dabei war und es ausgehalten. Es war ein junger Mensch von achtzehn Jahren mit überflüssigem rothem Blute, dem etwas zu ersticken eher gesund als schädlich war. Es soll fürchterlich gewesen sein. Ueber dem Lärm, dem Gedränge, dem Angstgeschrei hinaus , Fenster auf , wir er¬ sticken , konnte man kein Wort von den Verhandlun¬ gen hören. Einer hat seine Hand verloren, die ihm zwischen Thüre und Angel zerquescht wurde. Der Angstruf: Fenster auf , wir ersticken , wurde immer stärker und allgemeiner. Der Präsident er¬ klärte, er könne die Fenster nicht öffnen lassen; man höre schon jetzt wenig, bei offnen Fenstern würde man gar nichts hören. Da rief Einer: Herr Präsident , ich rufe Sie zum Zeugen auf , daß ich er¬ sticke ! Endlich wurden die Fenster geöffnet, man trieb den überflüssigen Theil des Publikums zum Saale hinaus, und die Verhandlungen wurden ruhi¬ ger fortgesetzt. Aus dem, was ich davon in der Gazette des Tribunaux gelesen, will ich Ihnen einiges mittheilen. Dieses Blatt wird von Advoka¬ ten des Juste-Milieu redigirt. Nun kann man ihnen zwar nicht vorwerfen, daß sie die gerichtlichen Ver¬ handlungen mit Partheilichkeit darstellten; keineswegs. Ihre Nemesis legt in beiden Wagschalen gleiches Ge¬ wicht. Sie hält aber die Wage nicht mit der Hand, sondern sie hängt ihr von der Nasenspitze herab, als der rechten Mitte zwischen rechter und linker Hand, welches zur Folge hat, daß so oft Nemesis die Nase rümpft, die Wage etwas schwankt. Doch werde ich das schon in Abzug bringen. Es war ein Rechtsstreit zwischen der romanti¬ schen und der klassischen Schule, es war wörtlich nichts anders als das, wie wir später aus Victor Hugo's Rede sehen werden — und diesen Streit sollte ein Handelsgericht entscheiden! Ist das nicht merkwürdig? Die Anhänger der romantischen Schule hatten sich in großer Menge frühzeitig im Saale ein¬ gefunden und sollen sich sehr unanständig und unge¬ bührlich betragen haben. Als ihr König und Feld¬ herr Victor Hugo eintrat, wurde er von seinem treuen Heere mit rauschendem Beifallklatschen empfan¬ gen; aber es schien, daß ihn diese kleine Huldigung mehr in Verlegenheit gesetzt als geschmeichelt habe. Odillon-Barrot, der Advokat des Klägers, nahm das Wort. „Die Berühmtheit meines Clienten überhebt „mich der Pflicht Sie mit ihm bekannt zu machen. „Seine Sendung, die ihm von seinem Talente, sei¬ „nem Genie angewiesen, war, unsere Literatur zur „Wahrheit zurückzuführen; nicht zu jener Wahrheit „die nur ein Werk zur Uebereinkunft ist, zu einer „gemachten Wahrheit; sondern zu der Wahrheit, die „aus der Tiefe unserer Natur, unserer Sitten und „Gewohnheiten geschöpft wird. Diese Sendung, er „hat sie mit Muth übernommen, mit Ausdauer und „Talent durchgeführt.“ Nun bitte ich Sie, was das für Menschen sind! Da ist Viktor Hugo, der Fürst der Romantiker, der sein Land und Volk vertheidigt; da ist Odillon-Barrot, der erste Advokat Frankreichs, der ihm beisteht, und beide wissen nicht einmal, worin das Wesen der Romantik, worin ihr gutes Recht besteht. Es besteht nicht in der Wahrheit , wie sie sagen, sondern in der Freiheit . Freiheit und Wahrheit sind aber zwei ganz verschiedene Dinge ... Diese goldenen Worte, die ich da aussprach werden dem Herrn v. *** sehr gut gefallen, und er wird sie rühmen wie meine Postschnecke, und meinen Freun¬ den sagen, da hätte ich wieder einmal sehr schön ge¬ schrieben und Sie sollten mich aufmuntern auf diesem guten Wege zu bleiben. — Odillon-Barrot forderte für seinen Clienten, daß die Comödie-Française entweder Le roi s'amuse aufführe, oder dem Dichter eine Entschädigung von 25,000 Franken zahle. Dann geht er zur Rechts¬ frage über. Wir wollen uns aber damit nicht auf¬ halten, uns kümmert blos der kleine, liebe, gute Skandal. Nachdem er gezeigt, daß kein Gesetz vor¬ handen wäre, das einem Minister das Recht gäbe, die Aufführung eines Stückes zu verhindern, setzt er hinzu: und gebe es auch ein solches Recht, so gehört es nicht zu den Amtsbefugnissen des Ministers der öffentlichen Arbeiten, und Herr von Argout indem er es in Anwendung brachte, hat sich also eine Gewalt angemaßt die ihm nicht gebührt. — „Aber in der „That, der Herr Minister des Handels greift sehr „um sich; er hat sich die Verwaltung der National¬ „garde genommen; die Präfekturen sind ihm unter¬ „geordnet, und jetzt maßt er sich noch die Direktion „der Theater an, die durch ein Gesetz der hohen „Staatspolizei vorbehalten wurde. Wenn das so ist, „was wird denn dem armen Minister des Innern „noch übrig bleiben.“ Großer Beifall und allge¬ meines Gelächter. Es ist nämlich zu wissen, daß unser guter Monarch Louis Philipp, von den repu¬ blikanischen Institutionen, die ihm umgaben, sich so geängstigt fühlte, daß er beschloß sich gleich Napoleon einen Polizei-Minister zu geben, der auf diese repu¬ blikanische Institutionen Acht haben sollte. Aber es war noch um einige Monate zu frühe. Die Berry war noch nicht gefangen, Antwerpen noch nicht ein¬ genommen und die Adresse der Kammer noch nicht erlangt. Darum begnügte er sich einstweilen, Thiers in's Geheim zum Polizei-Minister zu ernennen, und ihm öffentlich den Titel eines Ministers des Innern beizulegen. Alle Geschäfte aber, die sonst dem Mi¬ nister des Innern oblagen, wurden ihm entzogen und dem Minister des Handels zuertheilt, und Thiers behielt nur die Polizei und einige Aemter die mit ihr verwandt sind. Jetzt nahm Victor Hugo das Wort und sprach wie ein Poet und zwar wie ein romantischer Poet. Ein Dutzend solcher Reden vor einem deutschen Han¬ delsgerichte gehalten, würden es verlernen machen, welch ein Unterschied zwischen einer Schuldverschrei¬ bung und einem Wechsel sei. Es war ein Corpus Juris oder eine Frankfurter Stadtreformation in Almanachsformat gedruckt und in Seide eingebunden. Er sagte, er hielt es für seine Pflicht, die kecke und strafbare Handlung, welche in seiner Person die Rechte aller gekränkt, ohne streng und feierlichen Widerspruch nicht vorübergehen zu lassen. Diese Sache sei keine gewöhnliche, nicht eine bloße Handelsangelegenheit, eine persönliche. „Nein, meine Herren, es ist mehr „als das, es ist der Prozeß eines Bürgers gegen „die Regierung.“ .... „Ich hoffe, Sie werden was „ich Ihnen zu sagen habe mit Theilnahme anhören, „Sie werden durch Ihren Richterspruch die Regierung „belehren, daß sie auf bösem Wege ist, und daß sie „Unrecht hat, die Kunst und die Wissenschaft mit „solcher Ungeschliffenheit zu behandeln; Sie werden „mir mein Recht und mein Eigenthum wieder geben; „Sie werden die Polizei und die Censnr , die nächt¬ „licher Weise zu mir gekommen sind und, nach Er¬ „brechung der Charte, mir meine Freiheit und mein „Geld gestohlen, auf der Stirne brandmarken.“ Eine Polizei und eine Censur brandmarken — es ist doch gar zu schauderhaft! — „Die Bewegungs¬ „gründe welche die Gesellen der Polizei einige Tage „lang gemurmelt haben um das Verbot dieses Stückes „zu erklären, sind dreierlei Art: es ist der moralische „Grund, der politische Grund und, es muß gesagt „werden, so lächerlich es auch ist, der literärische „Grund. Virgil erzählt, daß zu den Blitzen, welche „Vulkan für Jupiter verfertigt, drei verschiedene „Stoffe genommen wurden. Der kleine ministerielle „Blitz, welcher mein Drama getroffen, und den die „Censur für die Polizei geschmiedet hatte, ist aus ,drei schlechten Gründen zusammengedreht, gemengt „und gemischt.“ Der Dichter untersucht nun diese drei Gründe. Ueber den Vorwurf der Unmoralität bemerkt er: „Alle vorgefaßte Meinungen, welche gegen „die Moralität meines Werkes zu verbreiten der Po¬ „lizei auf einen Augenblick gelungen war, sind in „dieser Stunde wo ich da spreche verschwunden. „Drei tausend Exemplare des Buches in der Stadt „verbreitet, als so viele Advokaten, haben meinen „Prozeß geführt und gewonnen.“ Betreffend den politischen Grund des Verbots beruft sich Victor Hugo auf die Vorrede seines Dramas, und führt die dort befindliche Stelle an, die ich Ihnen früher mitgetheilt. Nach dieser Anführung bemerkt er: „Diese Schonung zu welcher ich mich verbindlich ge¬ „macht, ich werde sie halten. Die hohen Personen, „welchen daran liegt, daß dieser Streit würdig und „anständig bleibe, haben nichts von mir zu fürchten; „ich bin ohne Groll und ohne Haß. Nur daß die „Polizei einem meiner Verse einen Sinn gegeben, „den er nicht hatte, das, erkläre ich, ist unverschämt „und gleich unverschämt gegen den König wie gegen „den Dichter. Die Polizei wisse es ein für alle „Male, daß ich keine Stücke mit Anspielungen mache. „Sie lasse sich das gesagt sein.“ „Nach dem moralischen und dem politischen „Grunde kömmt der literärische. Daß eine Regie¬ „rung aus literärischen Bewegungsgründen ein Stück „verbietet, das ist seltsam, aber es ist wirklich so. „Erinnern Sie sich, wenn es sich ja der Mühe lohnte, „sich einer solchen Sache zu erinnern, daß im Jahr „1829, als die ersten sogenannten romantischen „Werke auf dem Theater erschienen, zur Zeit wo die „französische Comödie Marion de Lorme annahm, „eine von sieben Personen unterzeichnete Bittschrift „dem Könige Karl X . überreicht wurde, worin man „verlangte daß das Theater Fran ç ais ohne weiteres, „und von wegen des Königs, allen Werken die man „ die neue Schule nannte verschlossen werden möge. „Karl X . lachte und antwortete mit Geist, daß in „literarischen Angelegenheiten, er, wie wir alle, nur „ seinen Platz im Parterre habe . Die Bitt¬ „schrift starb an ihrer Lächerlichkeit. Nun wohl, „meine Herren, heute sind mehrere von den Unter¬ „zeichnern jener Bittschrift, Deputirte, einflußreiche „Deputirte der Majorität, die Theil an der Macht „haben und über das Budget stimmen. Um was sie „1829 ängstlich baten, das haben sie, mächtig wie „sie sind, 1832 thun können. Das öffentliche Ge¬ „rücht erzählt wirklich, daß sie es waren die den „Tag nach der ersten Aufführung, in der Deputirten¬ „kammer den Minister angegangen und von ihm er¬ „langt haben, daß, unter allen möglichen und mora¬ „lischen und politischen Vorwänden Le roi s’ amuse „unterdrückt werden solle. Der Minister, ein schlich¬ „ter, unschuldiger, gutmüthiger Mensch, ging in die „Falle .... Es ist merkwürdig! Die Regierung „leihet 1832 der Akademie ihre bewaffnete Macht! „Aristoteles ein Staats-Grundgesetz geworden! De¬ „putirte welche Karl X . abgesetzt haben, arbeiten in „einem Winkel an der Restauration Boileaus! Wie „armselig!“ Jetzt erinnert sich Victor Hugo, daß er der Regierung gedroht ihr Feind zu werden, und fängt gleich an zu zeigen, daß es ihm mit der Drohung Ernst gewesen. „Doch verhehle ich mir es nicht, „daß die Zeit in der wir sind, nicht mehr jenen letz¬ „ten Jahren der Restauration gleicht, wo der Wider¬ „stand gegen die Anmaßungen der Regierung so ge¬ „priesen, so aufgemuntert, so volksthümlich war. „Die Ideen von Ruhe und Macht, genießen in die¬ „sem Augenblick größere Gunst als die von Fort¬ „schreiten und Freiheit. Es ist das eine natürliche „Rückwirkung der Revolution von 1830, wo wir alle „unsere Freiheiten im Sturmschritte zum zweitenmal „genommen haben. Aber diese Rückwirkung wird „nicht lange dauern. Unsere Minister werden sich „eines Tags über das unversöhnliche Gedächtniß er¬ „staunen, mit welchen selbst diejenigen Menschen, die „jetzt ihre Majorität bilden, ihnen alle die Ungerech¬ „tigkeiten zurückrufen werden, die man heute so schnell „zu vergessen sich den Anschein giebt ... Ich muß „es hier sagen, ich habe starke Gründe zu glauben, „daß die Regierung diesen Schlaf des öffentlichen „Geistes benutzen wird, um die Censur in aller Form „einzuführen, und daß meine Sache nur ein Vorspiel, „eine Vorbereitung, eine Bahn zur allgemeinen Achts¬ „erklärung aller Theater-Freiheiten ist. Indem sie „kein Repressiv-Gesetz gab, indem sie geflissentlich „seit zwei Jahren die Ausschweifungen der Bühne „alle Dämme überschreiten ließ, glaubte die Regie¬ „rung in der Meinung aller gesitteten Menschen, „welche jene Ausschweifungen empören mußten, ein „günstiges Vorurtheil für die dramatische Censur ge¬ „schaffen zu haben. Meine Meinung ist, daß sie „sich betrügt, und daß in Frankreich die Censur nur „eine verhaßte Gesetzwidrigkeit bleiben wird.“ „Und bemerken Sie, daß in dieser Reihe will¬ „kührlicher Handlungen, die seit einiger Zeit auf ein¬ „ander folgen, die Regierung aller Größe, aller Offen¬ „heit, alles Muthes ermangelt. Dieses schöne, ob¬ „zwar noch unvollendete Gebäude, welches die Juli- „Revolution entworfen hat die Regierung untergräbt „es langsam, unter der Erde leise, auf krummen „Schleichwegen. Sie faßt uns verrätherisch von hin¬ „ten, in einem Augenblicke wo wir uns dessen nicht „versehen. Sie wagt mein Stück vor der Auffüh¬ rung nicht zu censiren, sie legt den andern Tag die „Hand darauf. Sie macht uns unsere wesentlichen „Freiheiten streitig; sie chikanirt uns in unsern best¬ „erworbenen Gerechtsamen; sie setzt das Gerüste „ihre Willkühr auf einen Haufen alter, wurmstichiger, „abgekommener Gesetze; sie stellt sich, uns unsere „Freiheiten zu rauben, in einem Hinterhalte, in dem „Spessart kaiserlicher Dekrete, durch welchen die „Freiheit nie kömmt ohne ausgeplündert zu werden.“ (Victor Hugo sagte, Foret de Bondi ; aber ich habe Spessart daraus gemacht, denn ich binn ein guter Patriot. Ich schreibe vaterländische Briefe wie Herr von Gagern in der allgemeinen Zeitung, und bei mir hat alles eine deutsche Tendenz.) „Ich sage unsere Regierung nimmt uns Stück¬ „weise alle die Rechte und Freiheiten, die wir in „den vierzig Jahren unserer Revolution erworben „haben. Ich sage, es kömmt der Rechtlichkeit der „Gerichtshöfe zu, sie auf diesem Wege, der so ver¬ „derblich für sie selbst als für uns ist, einzuhalten .... „Bonaparte, als er Consul und Kaiser wurde, wollte „auch den Despotismus; aber er machte es anders. „Gerade zu und mit einem Schritte trat er hinein. „Er gebrauchte keine jener erbärmlichen, kleinlichen „Pfiffe, mit welcher man uns heute, eine nach der „andern, alle unsere Freiheiten aus der Tasche spielt „die alten wie die neuen, die von 1830, wie die „von 1789. Napoleon war kein Duckmäuser und „kein Heuchler. Napoleon stahl uns nicht im Schlafe „unsere Rechte eines nach dem anderu , wie man es „jetzt thut. Napoleon nahm alles auf einmal, mit „einem einzigen Griffe, und mit einer einzigen Hand. „Der Löwe hat nicht die Art des Fuchses.“ „Damals, meine Herren, war es groß! Reich, „Regierung, Verwaltung — Ganz gewiß war es „eine Zeit unerträglicher Tyrannei; aber erinnern „wir uns, daß wir unsere Freiheit in Ruhm reichlich „bezahlt erhielten. Das Frankreich von damals, „hatte wie Rom unter Cäsar, eine zugleich unterwür¬ „fige und stolze Stellung. Es war nicht das Frank¬ „reich wie wir es wollen, das freie sich selbst be¬ „herrschende Frankreich; es war Frankreich. Sklave „eines Mannes und Gebieter der Welt.“ „Damals, das ist wahr, nahm man uns die „Freiheit; aber man gab uns ein erhabenes Schau¬ „spiel dafür. Man sagte: an diesem Tage, zu die¬ „ser Stunde, werden wir in diese Hauptstadt hinein¬ „gehen, und am bestimmten Tage zur bestimmten „Stunde, zog man dort ein. Man entthronte eine „Königsfamilie mit einem Dekrete des Moniteurs. „Man ließ sich alle Arten Könige, in seinem Vor¬ „zimmer herumtreiben. Hatte man den Einfall eine „Säule aufzurichten, ließ man vom Kaiser von Oest¬ „reich das Metall dazu liefern. Man regelte, ich „gestehe es, etwas eigenmächtig die Verhältnisse der „französischen Schauspieler; aber die Verordnung „war von Moskow datirt. Man nahm uns alle un¬ „sere Freiheiten, sage ich; man hatte ein Censur- „Büreau, man zerstampfte unsere Bücher, man strich „unsere Stücke von dem Anschlagezettel; aber auf „alle unsere Klagen konnte man uns mit einem ein¬ „zigen Worte prächtige Antworten geben, man konnte „uns antworten: Marengo! Jena! Austerlitz!“ „Damals, ich wiederhole es, war es groß; heute „ist es klein. Wie damals gehen wir der Willkühr „entgegen, aber wir sind keine Kolossen mehr. Un¬ „sere Regierung ist keine solche, die uns über den „Verlust unserer Freiheit zu trösten versteht. Be¬ „trifft es die Kunst — wir entstellen die Tuilerien; „betrifft es den Ruhm — wir lassen Polen unter¬ „gehen. Doch hindert das unsere kleinen Staats¬ „männer nicht, die Freiheit zu behandeln, als wenn „sie wie Despoten gewachsen wären; Frankreich un¬ „ter ihre Füße zu stellen, als hätten sie Schultern „die Welt zu tragen. Wenn das noch wenige Zeit „so fortgeht, wenn die vorgeschlagenen Gesetze ange¬ „nommen werden, wird der Raub aller unserer Frei¬ „heiten vollendet werden. Heute läßt man mir von „einem Censor die Freiheit des Dichters nehmen, „morgen wird man mir durch Gensdarmen die Frei¬ „heit des Bürgers nehmen lassen. Heute verbannt „man mich vom Theater, morgen wird man mich „aus dem Lande verbannen. Heute knebelt man „mich, morgen wird man mich deportiren; heute der „Belagerungs-Zustand in der Literatur, morgen in „der Stadt. Von Freiheit, Garantien, Chárte, V. 10 „öffentlichem Rechte, kein Wort mehr; nichts da. „Wenn nicht die Regierung, von ihrem eignen In¬ „teresse besser berathen, auf diesem Abhange einhält, „während es noch Zeit ist, werden wir sehr bald „allen Despotismus von 1807 haben, und ohne den „Ruhm. Wir werden das Kaiserreich haben ohne „Kaiser.“ „Noch zwei Worte, meine Herren, und möchten „sie Ihnen, wenn sie berathschlagen, gegenwärtig „seyn. In diesem Jahrhunderte gab es nur einen „großen Menschen, Napoleon, und eine große Sache, „die Freiheit. Wir haben den großen Menschen „nicht mehr, suchen wir wenigstens die große Sache „zu behalten.“ Sprach's ! wie Voß im Homer zu sagen pflegt. Das Urtheil wird erst in vierzehen Tagen gesprochen... Da fällt mir ein, das ich etwas vergessen, das schön ist. Das Gesetz aus welchem der Minister sein Recht ein Stück zu verbieten herleitet, stammt aus der Schreckenszeit der Republik und wurde im Jahr 1793 gegeben. Darin heißt es wörtlich: Die Thea¬ ter sollten wöchentlich dreimal, Brutus , Wilhelm Tell , Timoleon und überhaup nur republika¬ nische Stücke aufführen, aber jedes Drama von der Bühne entfernt halten, das geeignet ist den öffent¬ lichen Geist zu verderben, und den schmählichen Aberglauben des Königthums wieder auf¬ zuwecken. Wozu sich doch der Teufel nicht alle brauchen läßt — sogar zum Engel! Merkwürdig! 10 * Dreizehnter Brief. Paris, Montag, den 24. Dezember 1832. — — — Heute Nachmittag verkündete der Donner der Kanonen die Uebergabe von Antwerpen Ich sage: der Donner , weil das so üblich ist; ge¬ hört habe ich nichts davon. Auf der Straße wurde der Sieg für zwei Sous ausgerufen; aber ich kaufte ihn nicht, sondern ging nach Hause um mit Ihnen zu überlegen, ob die Einnahme von Antwerpen zwei Sous werth sei. Wer weiß! Was mag der König Philipp froh seyn, daß der Theater-Vorhang endlich gefallen ist, was mag er Furcht vor seinem eignen Muthe gehabt haben! Welche artigen höflichen Briefe mag er heute an alle Tyrannen Europens geschrieben und sie um Verzeihung gebeten haben für die sehr große Freiheit die er sich genommen, eine Citadelle zu erobern! Das war wieder ein ächt monarchischer Krieg, eine Schachparthie, wo sich Bauern für den König schlugen. Zu vertheidigen war Antwerpen gar nicht, nicht mit aller Tapferkeit; der König von Holland wollte seine Ehre retten Die Ehre eines Königs erhält sich nur, im Blute — das ist bekannt. Es ist mir als wenn ich dabei wäre: der Marschall Gerard wird den General Chass é zu Tische bitten und da werden sie sich wechselseitig die artigsten, schönsten Dinge von der Welt sagen; dem Einen für seine heldenmüthige Vertheidigung, dem Andern für seinen heldenmüthigen Angriff. Es wird viel gelacht und Champagner getrunken und vor der Thüre spielt die Regimentsmusik. Unterdessen jam¬ mern die holländischen und französischen Verwundeten in den Spitälern, unterdessen jammern ihre Mütter, Weiber und Bräute. Der Herzog von Orleans zieht triumphirend in Paris ein, Marschall Gerard wird belohnt, und die Gebliebenen bekommen den Orden des heiligen Grabes. Warum? Lesen Sie in den Spaziergängen eines Wiener Poeten , das herrliche Gedicht. Warum ? „Von dem poßierlich „kleinen Männlein, das sich auf der Sprache „ garbenreichem , unermeßnem Erntefeld ein „ einziges goldnes Körnlein liebend auser¬ „ wählt ; das Männerwort: Warum ?“ Ich bin selbst solch ein poßierlich kleines Männlein: wenn man mir den Kopf herunterschlüge, er murmelte im¬ mer fort: warum? — Doch wer weiß! die heilige Allianz hat den französischen Löwen wieder einmal brüllen hören, und ist er auch noch in ihrem Käfig, so erinnert sie das doch, daß es ein Löwe sei und keine Katze. Vielleicht erschrickt sie darüber, vielleicht bekömmt sie größere Furcht vor Frankreich als vor Hambach und fängt Krieg an und dann ist uns ge¬ holfen. Ich bin so hoffnungslos, daß alles mir Hoff¬ nung giebt. Ich habe manchmal Mitleid mit mir selber und komme mir vor wie jener schwedische Sol¬ dat, der das Rauchen so leidenschaftlich liebte, daß, als ihm einst im Kriege der Taback mangelte, er an einem angezündeten Strohhalm dampfte. Ein Bis¬ chen Strohrauch wird mir zur Wolke, jede Wolke zum Himmel, und von jedem Himmel hole ich die Frei¬ heit herab. Und welche Freiheit! Es ist so wenig was ich fordere. Ich verlange nichts als Hosen, für mich und meine deutschen Kameraden, und daß uns nicht jedes alte Weib von Regierung soll immer¬ fort dutzen dürfen. Mein einziger Ehrgeitz ist Deutsch¬ lands Oedip zu werden, der es von der Augsburger Sphinx befreit, die mich noch zu Tode ärgert. Sie ist schuld an meinen Zahnschmerzen. Täglich bringt der Berliner Correspondent eine diplomatische Nuß zum aufknacken; ich nehme sie in den Mund, beiße zu mit allen Kräften der Zähne — und die Nuß ist hohl, zerbricht wie Eierschaalen, meine Zähne knir¬ schen unvermuthet auf einander und meine erschrocke¬ nen Nerven zittern von den Zehen bis zu den Haa¬ ren. Und das muß man sich gefallen lassen, muß schweigend zusehen, wie dieser Berliner Affe die Zunge gegen die französische Regierung und das deut¬ sche Volk herausstreckt, und darf ihm nicht auf das Maul schlagen! Vierzehnter Brief. Paris, Sonntag, den 30. Dezember 1832. Louis Philipp, der gute Friedensrichter, hat seine Gerichtsdiener, nachdem sie jetzt den König von Holland ausgepfändet, gleich wieder aus Belgien zu¬ rückgerufen. Ich fange an zu glauben, der Mann ist ein Philister. Es wäre merkwürdig! Ist er kein Bösewicht, oder ist er nicht wahnsinnig, ist er ein Philister. Seine königlichen Vorfahren, durch viele Jahrhunderte, waren der Reihe nach, einige groß, die meisten klein; manchmal gut, öfter schlecht; viele leer, die meisten unmäßig. Aber so glatt ge¬ strichen, wie ein Scheffel Hafer, gleich diesem Louis Philipp, war noch kein französischer König. Die Andern hatten ihre Leidenschaften, sie hatten ihre Krankheiten; aber diese Leidenschaft der Ruhe, dieses Ordnungsfieber hatte keiner von ihnen. O Gott! mußte ich das noch erleben, daß die Könige Hofräthe werden! Und seine Dintenlecker, seine besoldeten Red¬ ner und Zeitungsschreiber, was sie ihm Hymnen sin¬ gen! So wurde nicht Achilles und Hektor, nicht Alexander, nicht Cäsar, nicht Napoleon besungen. Sie sagen: vor Antwerpen sei ein Krieg geführt worden, wie noch keiner. Die Franzosen hätten nicht für die Freiheit gekämpft, wie unter der Repu¬ blik, nicht für den Ruhm, wie unter Napoleon, son¬ dern für die Gesetze hätten sie gekämpft, es sei ein legaler Heroismus gewesen. Für die Gesetze wären Frankreichs Heldensöhne drei Wochen lang zwei Fuß tief im Wasser gestanden, und hätten sich be¬ regnen und niederschmettern lassen, und hätten dabei ihren fröhlichen Muth behalten; nicht aber die Mar¬ sellaise gesungen, wie die revolutionairen Blätter ge¬ logen, sondern die guten Kinder hätten gerufen: vive le roi, vive le roi ! ... Und darum jene drei heißen Juli-Tage, und darum kam uns die Sonne um drei Erdfernen näher, um zwei armselige Könige, einen Regenten und einen Herzog auszubrüten! Ei¬ nen Braunschweiger Herzog, der kürzlich auf jeden falschen Zahn seiner Unterthanen seine Abgabe von zwei Thaler gelegt hat, vierundsechszig Thaler für einen ganz falschen Mund! (Wenn dieser gute Her¬ zog viele Beamten und Höflinge hat, muß er ein reicher Fürst werden.) Und darum dieses dreitätige Fest, welches die Götter selbst mit ihrer Gegenwart beehrten, um den Namenswechsel einiger Tyrannen zu feiern! Und darum verschleuderte Jupiter in drei Tagen alle seine Blitze um ein frommer Jurist zu werden, und Götter und Menschen ferner durch Con¬ ferenzen und Protokolle zu beherrschen! Was ist da zu machen? Ich will mir einen Haarbeutel anhän¬ gen und mich von dem Fürsten von Sigmaringen zum Legationsrath ernennen lassen. Ein deutscher Esel in London hat in einem englischen Journale von meinen Briefen gesprochen; ein deutscher Esel in Leipzig hat das im literarischen Conversationsblatt übersetzt und ein deutscher Esel in Paris hat mir den Artikel zu lesen gegeben und dar¬ auf geschworen, ein Engländer habe das gemacht. Ein Engländer soll gesagt haben: „Wir lieben eine vernünftige Preßfreiheit!“ Ein Engländer soll durch vier Seiten von Jude gesprochen und gesagt haben: ich sei „eingestandenermaßen“ ein Jude! Einge¬ standenermaßen — wie gefällt Ihnen das? Ein Engländer habe gesagt: das Ganze habe eine Sa¬ tyre sein sollen auf das Reden und Treiben der Li¬ beralen! Ein Engländer: ich sei ein kalter Mensch, ohne allen Enthusiasmus, und man höre es mir an, daß mir alles gleich wäre, so oder so! Dieses Lum¬ pengesindel ist nur zu Löschpapier zu gebrauchen; aber sie drucken ihr bestes darauf und nennen es gutes weißes Druckpapier . Sie verstehen das nicht, Sie haben nicht den Witz davon; aber wüßten Sie was das heißt gutes weißes Druckpapier , das gäbe Ihnen ein lebhafteres Bild von unserm öffent¬ lichen Leben. O das Vieh — eingestandener¬ maßen ! Vorigen Sommer unternahmen einige Deutsche in London, ein freisinniges Blatt in deutscher Sprache. Als dort der Oesterreichische und der Preußische Ge¬ sandte das erfuhren, ließen sie von einem ihrer ver¬ trauten Gesellen ein ähnliches Blatt ankündigen, das sie verschenkten oder wohlfeil weggaben, um das an¬ dere zu unterdrücken. Ihre Absicht gelang ihnen auch. Wenn man Patriotismus, Muth und Beharrlichkeit genug hätte, mich hier in Paris bei solch einem wohlthätigen Unternehmen zu unterstützen, nicht dem ganzen diplomatischen Korps den Nunzius an der Spitze sollte es gelingen, mich niederzudrücken, zu schrecken oder zu bestechen. Aber .... aber ... gutes weißes Druckpapier ! Montag, den 31. Dezember. Ein neues Journal auf das kommende Jahr, das heißt auf Morgen angekündigt. L'Europe littéraire, Joural de la Littérature na¬ tionale et étrangère . Das einzige Interessante bei der Sache ist, daß Heine die Redaction der deutschen Litteratur übernommen, alles Uebrige, fürchte ich, ist Wind und wird zu Wasser werden wie jeder Wind. Die Natur mag es mir verzeihen wenn ich ihr Unrecht thue, ich weiß wahrhaftig nicht gewiß, ob jeder Wind zu Wasser wird; aber es steht ein¬ mal da. Die Ankündigung des Journals liegt vor mir: Prospectus confidentiel inprimé pour MM. les fondateurs et les redacteurs de l'Europe lit¬ téraire . Ich habe keine Geheimnisse vor Ihnen, und Sie sollen alles erfahren. Pour nous faire l'écho fidèle des littératu¬ res et des Arts de tous les peuples, et arriver ainsi à cette universalité qui sera le but constant de nos efforts, nous avons dû nouer d'immen¬ sesrelations, non seulement avec les acadé¬ mies et les corps savants de nos provinces et des diverses capitales de l'Europe, qui représen¬ tent les centres d' antant de cercles partiels, mais encore nous mettre en rapport direct avéc tous les comités littéraires et artistes du monde ci¬ vilisé . Nous devons dire qu'en France, comme à l'étranger, tous les noms célèbres dans la littérature, la philosophie et les diverses bran¬ ches de l'art, ont accueilli notre projet avec le même enthousiasme , et qu'ils ont promis de contribuer de leurs travaux et de leurs noms au succès de cette grande et utile entreprise.‟ Das ist alles Wind! Was wenigstens die berühm¬ ten deutschen Litteratoren betrifft, so ist nicht möglich, daß sie versprochen haben, an dem neuen Journale mitzuarbeiten, oder der Hofrath Rousseau in Frank¬ furt müßte ein Lügner seyn, was auch nicht möglich ist. Dieser hat ja kürzlich erst bekannt gemacht „daß die vorzüglichsten Schriftsteller Deutschlands“ sich ver¬ pflichtet hätten in sein Frankfurter Conversa¬ tions-Blatt zu schreiben; und um ein Journal das der Hofrath Rousseau redigirt interessant zu machen, das allein könnte schon alle Kraft und Zeit einiger Dutzend Voltaires beschäftigen. Was bliebe ihnen für Paris übrig? Also gelogen. Weil ich gerade von ihm spreche — neulich erzählte mir jemand: in einem neuen Bande liri-liri-lirili-lyrischer Gedichte von Rousseau stehe auch eine Ode an den berühmten Pfeilschifter, worin diesem gesungen wird, er habe wie ein mächtiger Sturmwind, alle Demagogen, gleich welken Blättern vor sich hergetrieben. Wenn Sie mich lieb haben, wenn Sie mich erquicken wollen, schicken Sie mir das Gedicht. Jetzt das Wasser. „ La politique sera complètement exclue de l'Europe litté¬ raire. Notre feuille, ainsi concentrée dans le domaine de l'art, restera toujours placée en de¬ hors des passions du moment: elle formera, pour ainsi dire, un territoire neutre, oû pour ¬ roit demeurer et vivre en paix tous les partis et toutes les opinions. Le premier avantage, qui résultera pour notre recueil de cette exclu ¬ sion totale de la politique, c'est qu'il pourra franchir toutes les frontières, et trouver auprès de tous les gouvernemens la protection et l'ap ¬ pui nécessaires au succès universel qu'il l'am ¬ bition d'obtenir. Déjà des hauts patronages sont assurés à l'Europe littéraire. Nous avons l'espoir de recontrer partout cette même bien¬ veillance qui ne manqua jamais aux publica¬ tions dont l'art et le progrès furent le but uni¬ que et special“ .... Ich muß in der Mitte aufhören um zu horchen; es ist zehen Minuten vor Mitternacht. Hoch! Hoch! Hoch! Dienstag, den 1. Januar 1833 Ich kehre zum französisch-europäisch-litterarischen Winde zurück. Der Herausgeber des neuen Jour¬ nals schrieb früher den Figaro mit viel Geist und Witz. Unter der Regierung Casimir Periers zog er sich mit seinem Witze, seinem Gelde und seiner Tu¬ gend zurück, und hing, wie man zu sagen pflegt, die Politik an den Nagel, das haben schon viele ge¬ than; es ist eine gefahrlose Inokulation des Gal¬ gens. Seitdem lebt er von seinen Renten. Die Moral eines Schriftstellers hat in Frankreich große Fortschritte gemacht. Der ärgste Schelm wenn er sein Gewerbe versteht, kann mit dem Code moral in der Hand sich vor die himmlischen Assisen stellen, und Gott und seine Engel keck herausfordern, ihm den Paragraphen zu nennen, den er übertreten. Ein deutscher Journalist verkauft sein Gewissen, ein französischer verkauft seine Aktien. So kömmt das Journal in andere Hände und man braucht die eig¬ nen nicht zu beschmutzen. Ein deutscher Journalist stellt sich an den Pranger, ein französischer begnügt sich ihn zu verdienen. Der Unternehmer der Eu¬ rope litéraire , der die Gefahren der Tugend einmal kennen gelernt, meidet sie ängstlich und, um nicht zum zweitenmale in Versuchung zu kommen, seine Aktien zu verkaufen, nahm er sich lieber vor, das neue Journal von aller Politik rein zu halten. Daher hat er auch hauts patronages gefunden, näm¬ lich eine große Menge Aristokraten und Juste-Milia¬ ner, die das Unternehmen mit Geld unterstützen. Sie sind hier wie bei uns, es ist gar kein Unterschied. Sie glauben auch, es sei möglich dem Geiste der Zeit eine andere Richtung zu geben, und wenn man die Aesthetik gut bezahlt, werde die ungereimte Po¬ litik zu Grunde gehen. Sie sehen nicht ein, daß es ihnen an Verstand mangelt, sie glauben nur es mangle ihnen an Geld. Sie begreifen nicht, daß es ihnen an Kopf fehlt, sie meinen es fehlen ihnen nur die Köpfe Anderer — zum Abschlagen. Käme ich morgen zu dem ersten Minister jedes Staates auf dem europäischen Festlande und brächte ihm tausend Million Dukaten und einen ausführbaren Plan, hun¬ dert Tausend unruhige Köpfe nach beliebiger Auswahl herunter zu schlagen — er bestellte mich auf über¬ morgen wieder, und verspräche mir bis dahin die gute alte Zeit wieder herzustellen. Ich glaube ihr Irren kömmt daher, daß sie die Geschichte nicht kennen oder nicht verstanden haben, die Welt wurde immer von einer Idee beherrscht, und Völker wie ihre Regie¬ rungen mußten sich ihr unterwerfen. Zwischen einer und der andern Idee, kam aber immer ein Jahr¬ hundert des Stillstandes; da schlief die Menschheit. Diese Zeit des Schlafes benutzten die Machthaber um die Völker zu unterjochen. Diese erwachten und da gab es Revolutionen — da war erst das Chri¬ stenthum, dann die Völkerwanderung, dann kamen die Kreuzzüge, darauf die Rückkehr der Künste und Wissen¬ schaften nach Europa, dann folgte die Reformation, endlich die Idee der Freiheit. Zwischen dem Frieden der die Religionsstreitigkeiten endigte und der franzö¬ sischen Revolution war ein Jahrhundert des Schlafes, und während dieser Zeit bildete sich das ministerielle Regieren aus, das früher gar nicht statt fand. Die Menschheit erwachte endlich und ihr neues Tage¬ werk war die Idee der Freiheit, für die Machthaber die gefährlichste unter allen; denn die Freiheit ist eigentlich keine Idee, sondern nur die Möglichkeit, jede beliebige Idee zu fassen, zu verfolgen und fest¬ zuhalten. Man kann eine Idee durch eine andere verdrängen, nur die der Freiheit nicht. Wenn die Fürsten ihren Völkern sagen: wir geben euch Friede, Ordnung, Religion, Kunst, Wissenschaft, Handel, Gewerbe, Reichthum für die Freiheit — antworteten die Völker: Freiheit ist das alle zugleich; wozu sie wechseln lassen, wozu uns mit der Scheidemünze un¬ seres Glücks beschleppen? Es ist also da gar nichts zu machen und die Europe littéraire wird die Welt nicht ändern. Uebrigens erscheint sie viermal wöchentlich in groß Folio „ sur papier grand-raisin V . 11 vélin, satiné .“ Das würde man bei uns ein Prachtwerk nennen, ein deutsches Nationalwerk. Da¬ von würden nur 36 Exemplare abgezogen für unsere 36 Fürsten, die andern aber bekämen das Journal auf gutem weißem Druckpapier . Heute Vormittag habe ich im magnetischen Schlafe die Postzeitung von diesem Morgen gelesen. Auf der ersten Seite steht ein Neujahrsgedicht, von Glaube , Liebe und Hoffnung . Glaube ist Friedrich Wilhelm , Liebe ist Franz und Hoff¬ nung ist Nicolas . Habe ich recht gelesen? Spä¬ ter ward es mir etwas dunkel und ich konnte nicht unterscheiden ob „ Jakob hatte sieben Söhne “ darin steht. Mittwoch, den 2. Januar. Sie sind klug. Sie geben mir auf Neujahr ein Trinkgeld und ziehen mir es dann an meinem Lohne wieder ab. Warum habe ich heute keinen Brief von Ihnen? Ist das Recht? Ist das schön? 11* Fuͤnfzehnter Brief. Paris, Mittwoch, den 2. Januar 1883. Ihr Päckchen wurde mir gestern gebracht: Die Didaskalia, die Xenien, der Taback, das Büchlein von Goethe und der falsche Liberalismus. Den letz¬ tern habe ich jetzt zweimal. Es entgeht keiner sei¬ sem Schicksale: ich und der Krug, wir waren be¬ stimmt: er, von mir gelesen zu werden, ich, ihn zu lesen. Erst vor wenigen Tagen kaufte ich ihn für dreißig Sous, weil man mir gesagt, daß ich darin stünde. Ich las die Stelle, die mich betrifft, welche mich meine Neugierde leicht finden ließ, und dann wollte ich die Schrift von vorn lesen. Aber bei'm Aufschneiden der Blätter fand ich: „Die Servilen wollen sehr viel , aber die Liberalen wollen lieber alles “ — und das sei das witzigste was je aus einem deutschen Munde gekommen und könne sich mit dem besten französischen Calembourg messen. Dann kam unter meinem Messer hervor: „ ebendeshalb “. Da verlor ich die Geduld. Was soll ich mit so einer alten Köchin machen? Was kann ich mit ei¬ nem Hofrathe anfangen, der Ebendeshalb schreibt? Eben deshalb warf ich das Buch in meinen Papier¬ korb. Da Sie mir es aber auch geschickt, erkenne ich darin den Finger Gottes. Ich werde es lesen und Ihnen dann meine Meinung darüber sagen. Dieser Krug ist Professor in Leipzig und hat nach der polnischen Revolution, weil er gegen die Polen geschrieben — ich weiß nicht, ob Prügel bekommen, oder Prügel verdient, oder Prügel gefürchtet. Aber eins von diesen drei Dingen hat sich ereignet. Er ist einer der breitesten Köpfe Deutschlands. Die schöne Welt hält ihn für einen großen Philosophen, weil er so langweilig ist, und die Philosophen halten ihn für einen schönen Geist, weil er so seicht ist. Ich aber halte ihn weder für das eine, noch für das andere, sondern für einen Lump. Er schreibt über alles was geschieht ganz jämmerlich, und wenn ich die Geschichte wäre, wollte ich lieber gar keine Geschäfte machen, als solch einen Buchhalter haben. Er ist ein litera¬ rischer armer Teufel, der sich jeden Tag vor der Thüre des Welttheaters hinstellt und so oft ein Stück aus ist, die Hand aufhält und bettelt. Kurz, er ist ein Ebendeshalb und ein Hofrath. Wozu Sie mir die fünf Blätter Disdaskalia geschickt, begreife ich auch nicht recht. Ich glaube Sie wollen mich ärgern. Da ist zuerst: Lionell und Arabella , (Fortsetzung) „Arabelle schauderte „bei diesen Worten in sich zusammen und drängte „sich näher an den Mann ihrer Liebe, als suche sie „Schutz bei ihm vor unsichtbarer Gefahr. Er schloß „sie fest an sich, legte ihr niedergesunkenes Haupt „an seine Brust und sprach feierlich: Weib meines „Herzens!“ Weib meines Herzens! — um auch feierlich zu sprechen — was kommen Sie mir mit solchen Sachen? ... Ferner: Predigt über ei¬ nen Rosenstock . (Schluß) „Wie viele Küße würde „man z. B. um so mauche meiner schönen Zuhörer¬ „innen finden?“ Davon verstehe ich nicht einmal die Grammatik ... Weiter: Sitzung des Assi¬ senhofs in Mainz . (Schluß). „Am 29. März „steckt er ein Messer in seine Hosentasche“ ... Unterhaltungen auf dem Marktschiffe zwi¬ schen Frankfurt und Mainz . (Fortsetzung.) „Hinter mir saß ein Mägdlein“ .... Dresden den 25 . Novbr . „Die erfreuliche Nachricht von „der Vermählung unseres Mitregenten mit einer „Prinzessin aus dem Hause Wittelsbach ist nun hier „für niemanden ein Geheimniß mehr. Es ist zu „hoffen, daß diese neue Verbindung zwischen zwei „bereits verschwägerten Familien auch segensreich für „die beiden Länder wirken werde.“ Ich gratulire und hoffe auch. — Bitte sehr um Verzeihung. Da finde ich end¬ lich den Artikel, den Sie mit einem Kreuzchen bezeich¬ net, den „ Aufruf an die Germanier “ des Herrn von Hallberg . Sie hätten aber ein großes Kreuz davor setzen sollen. Danke für den guten Willen; doch ich habe den Artikel schon vor drei Wochen ge¬ lesen, ihn gerupft und gebraten wie eine Gans und ihn ganz allein verzehrt, ohne Sie zu Gaste zu bit¬ ten. Es thut mir leid, aber es ist nichts mehr da¬ von übrig als ein Stückchen Erinnerung. Dieser Freiherr von Hallberg auf der Birkeneck bei Freising, auch unter dem Namen „ Eremit von Gauding “ bekannt, mag ein ehrlicher Mann seyn, der es gut meint; aber irgend ein Hof-Federfuchser, der vielleicht an dem Tage gerade bei ihm schmarozt, hat ihm wohl den Aufruf in die Feder diktirt. Griechenland solle das Baierische Algier werden! Dahin kann es freilich noch kommen. Die Geschichte der Deut¬ schen „blieb leer seit siebzehen Jahren, bis ein gro¬ „ ßer , hochherziger König das alte unterdrückte „Volk der Griechen in Schutz nahm, und ihm sei¬ „nen Sohn als König gab.“ Schön gesagt! (Ich bin schläfrig. 11 Uhr) die Deutschen sollen nicht nach Amerika gehen, dort Knechte zu werden; sondern nach Griechenland, um dort unter Baierisch-Russischer Regentschaft freie Männer zu seyn. Da wären die besten Früchte, Wein, schöne Mädchen, „ Da könnt Ihr Euren Muth zeigen .“ Gute Nacht. Freitag, den 4. Januar. Ich habe die Xenien gelesen und habe mich sehr daran ergötzt. Die Hauptsache ist jetzt, die schläfri¬ gen Deutschen wach zu erhalten, sei es durch Kaffe oder Schnupftaback, sei es durch singen oder schreien — gleichviel; nur daß sie nicht einschlafen. Schla¬ fend durch die Pontinischen Sümpfe zu reisen, soll lebensgefährlich sein. Viele Xenien haben mir unge¬ mein gut gefallen, besonders die über mich — ver¬ steht sich. Grob sind sie freilich alle, grobianißimo. Aber was liegt daran, wie eine Katze die Mäuse abthut, wenn wir sie dadurch los werden? Auch hat ja der Dichter sehr gut erklärt warum die Gra¬ zien ausgeblieben. Aber seine hebräischen Späße sind entsetzlich einfältig. Das war wohl die Vermögens¬ steuer des Frankfurter Bürgers, und der Mann hat sich aus Eitelkeit für dümmer angegeben als er ist. Er mag sich hüten, daß Heine nicht über ihn kömmt, er mag seine Nachtmütze nur recht tief über die Au¬ gen herunterziehen. Erinnern Sie sich: Gefährlicher Bund? Schmul und Heyum sie schreiben als deutsche Männer für Freiheit, Kommt noch der Itzig dazu, stürzen die Fürsten vom Thron. Nun, warum nicht? Wenn ein Jude stark genug ist, die wankenden Fürsten auf ihren wanken¬ den Thronen zu halten, warum sollten drei Juden nicht Macht genug haben sie herunter zu stürzen? Auch Christus war ein Jude, und er hat die Göt¬ ter aus dem Olymp gestürzt, und das war doch eine ganz andere Fürstenschaft als die der heiligen Allianz und des hohen deutschen Bundes! Wo ist jetzt Ju¬ piter mit seinen Blitzen? Vor unserm Spotte schützt ihn nur unser Vergessen — und das hat ein Jude gethan! — Ich glaube, der Schmul bin ich, und der Heyum wird wohl Heine seyn; aber wo bleibt der Itzig? Itzig! Itzig! Itzig! Itzig! ... Es giebt aber doch nichts dümmeres als so ein deut¬ scher Philister, besonders wenn er ein Gelehrter ist. Sie kennen mich, ich kenne die Andern — nicht Ei¬ ner unter uns dachte je an den Juden; nie, so oft wir die Dummköpfe und Philister züchtigten kam es uns in den Sinn, daß es die nehmliche Peitsche sei, mit der sie selbst uns einst geschlagen! Und jetzt kommen sie und erinnern daran, und bringen uns täglich die schönsten Schadenfreuden in das Haus! So dumm zu seyn — ich verliere mich darin. Samstag, den 5. Januar. Am Neujahrstage — o! Man könnte den Verstand darüber verlieren. Die Juli-Revolution, ein Zorn-Vulkan von dem Himmel selbst geladen, da¬ mit die Könige zu schrecken und zu strafen, ist ein wasserspeiender Berg geworden, den Völkern zum Verdruße und den Fürsten zum Gespötte! Ich fürchte, daß ich aus Verzweiflung noch ein Dichter werde und mich blamire. Am Neujahrstage, diesem monarchischen Erndtefeste überall wo Land und Gut des Volks, das Landgut des Fürsten bilden, haben Philipps Knechte, die schweren Garben Frankreichs, sein Glück und seinen Ruhm, seine Tugend und seine Ehre, seine Rosen und seine Lorbeeren — ha¬ ben das duftende Heu der dürren Rednerblumen ihm auf Wagen jauchzend in den Hof gefahren. Feld und Wiese, alles dem König; wer nicht sein Kind ist, ist sein Knecht. Man schämt sich ein Mensch zu sein. Wer weiß, ob nicht das Pferd in edlem Zorne seinem Reuter flucht; nur verstehen wir sein Wiehern nicht. Aber das gezäumte Menschenvolk küßt die Sporen seines Reiters. Sie haben den König Vater des Vaterlands genannt: dies Findelkind vom Greve-Platze! Das französische Heer in Belgien wurde glücklich gepriesen, von zwei königlichen Prinzen Beispiele der Tapferkeit zur Nach¬ ahmung zu erhalten. Die grauen Helden von Ma¬ rengo wurden in die Kriegsschule zweier Milchsuppen- Gesichter gegeben! Sie haben den König gesagt: er hätte die Cholera besiegt, vor seiner Barmherzig¬ keit hätte sich die unbarmherzige Vorsehung geflüchtet — Sie haben ihn vergöttert, daß er im Juni seine Feinde niedergeschlagen, und mehr als jede andere Schmeichelei, hat König Louis Philipp diese mit Wol¬ lust eingeschlürft. Er hat geprahlt und gespottet: Die Republik wäre erbleicht vor seinem Sterne . Es war ein Bürgerkrieg, Bürgerblut war geflossen; ein König sollte das vergessen, oder kann er es nicht vor Schmerz, einen Trauerflor über seine Erinnerung hängen. Aber dieser König rühmt sich seines Sieges und jubelt darüber wie ein Schneider der einmal Muth gehabt aus Furcht. Der Schmerz und die Verachtung der edelsten Franzosen kümmert ihn nicht, ihm lächelt der Beifall seiner Brüder in Wien, Berlin und Petersburg. Und in der Mitte , nicht, wie seine Schmeichler sagten, an der Spitze von vierzig tausend Soldaten, ist er gegen drei hun¬ dert Republikaner gezogen, die sich wie Helden ver¬ theidigt. Frankreich hat das Scharlachfieber; Blutigel rund am Halse, Purpur über den ganzen Leib und zum Königsmantel muß es sich die Haut abziehen. Der alte Riese mit einer Kinderkrankheit! Scham¬ rother Purpur! Herr Hofrath Frankreich! Herr, deine Hand liegt schwer auf deinem Knechte; aber ich will es für meine Sünden in Demuth tragen. Sechszehnter Brief. Paris, Sonntag, den 6. Januar 1833. Ueber Frankfurt habe ich merkwürdige Dinge erfahren, theils aus guten gedruckten Quellen, theils aus den mündlichen Berichten eines sehr glaubwür¬ digen Reisenden. Von meiner theuren Gesandtschaft dort erfahre ich nie das Geringste; wenn diese dinirt hat, denkt sie, sie habe auch genug repräsentirt und eine geheime Schublade ist ihr heilig. Das soll aber anders werden. Erstens, habe ich aus dem Theater¬ Repertoire für den Monat December, das in der Didaskalia steht, ersehen, wie in Zeit von wenigen Tagen, vier verschiedene Stücke von Shakespeare auf¬ geführt worden sind; und nicht etwa der alte Hamlet mit seinem ewigen Sein und Nichtsein, sondern die zwei Heinriche, Richard, Lear. Das ist ja zum erstaunen, das hat sich ja sehr zum Guten geändert. Waren sie denn nie bei einer solchen Aufführung? wie wird gespielt? wie der junge Heinrich, wie Fal¬ staff? In der That, ich freue mich darüber um Frank¬ furts Willen. Ich bin der Meinung, daß man durch das Schauspiel auf den öffentlichen Geist einwirken könnne so abgestumpft man auch gegen solche Reiz¬ mittel sein mag. Ein guter Bürger der aus einem Stücke von Shakespeare kömmt, kann noch den nehm¬ lichen Abend seinen besten Freund todtstechen, aber ihn todt langweilen, das kann er nicht. Ferner wurde mir erzählt, man habe mehrere aus¬ gezeichnete Juden zu Mitgliedern des Museums auf¬ genommen und allen ohne Unterschied erlaubt, Aecker zu kaufen und Landwirthschaft zu treiben. Sehen Sie, mein eignes Feld, das ich seit fünfzehen Jah¬ ren im Schweiße meines Angesichts bebaue, fängt an grün zu werden. Man muß nur die Geduld nicht verlieren; die geistige Erdkugel dreht sich alle Jahr¬ hundert nur einmal um die Sonne. Aber Geduld! Ich habe schon oft daran gedacht, ob nicht möglich wäre, wie Geldanleihen, Geduldanleihen zu machen, und so wie die Fürsten durch Rothschild sich die Ab¬ gaben der Urenkel ihrer Unterthanen ein Jahrhun¬ dert voraus bezahlen lassen, uns auch die Geduld die unsern Urenkeln zufallen wird voraus zu nehmen. Das letzere wäre unschädlicher als das erstere ist; denn unsere Urenkel werden keine Geduld brauchen. Im Gegentheile, alsdann werden die sie brauchen, gegen die wir sie jetzt brauchen. Uebrigens bleibt es immer schön was die Direktoren des Museums und der Gesetzgebende Körper gethan haben. Zugleich hoffe ich aber daß sie bei ihren Reformen mit weiser Vorsicht zu Werke gehen werden. Sie haben wegen der Juden schöne Beschlüsse gefaßt; das möge aber hinreichen für gegenwärtiges Jahrhundert, die Aus¬ führung bleibe dem kommenden vorbehalten. Sie mögen beherzigen was der Kaiser von Oesterreich kürzlich in der Rede gesagt, mit welcher er den Un¬ garischen Landtag eröffnete. Er sagte nehmlich: „Schwierig sind die Geschäfte zu deren Verhandlun¬ „gen wir euch diesmal berufen haben; sie übertreffen „weit alle die Gegenstände, worüber während der „vierzigjährigen Dauer meiner Regierung auf Reichs¬ „tagen zu berathen war ... Unsere Väter haben „durch das, was sie im 91 sten Jahre des vo¬ „rigen Jahrhunderts beschlossen ihre Sorg¬ „falt bereits auf diesen Gegenstand gewendet, die „Art und Weise der Ausführung aber, welche „reichlichen Stoff sich um das Vaterland verdient zu „machen darbietet, uns ganz überlassen .“ Und jetzt fordert der Kaiser seine getreuen Stände auf, V. 12 bei diesen Verhandlungen langsam und vorsichtig zu Werke zu gehen, und den gefährlichen Reizen der Neuerungen zu widerstehen. Wenn nun der Kaiser von Oesterreich sogar einen reichlichen Stoff sich um das Vaterland verdient zu machen , vierzig Jahre geschont hat, wie viel nöthi¬ ger ist es, daß die Regierung des kleinen Frankfurts einen so ärmlichen Stoff als die Verbesseruug des Zustandes der Juden ist, nicht zu früh angreife, son¬ dern durch Aufhäufung der Zinsen das Kapital wach¬ sen lasse, damit der Stoff sich um das Vaterland verdient zu machen nach verzig Jahren auch reich werde. Ihnen aber gebe ich jetzt drei Aufträge und einen zwar freundschaftlichen aber ernst gemeinten Rath. Erstens, gehen Sie in das Theater und sehen Sie wie Richard hinkt. Zweitens gehen Sie in das Museum und geben Acht, ob nicht die g moll-Sym¬ phonie von Mozart, aus Verdruß das sie Juden mit anhören, in das Dur überspringt. Drittens, lassen Sie auf dem Römer Erkundigungen einziehen ob man die Aecker der Juden in dem Grund Lager¬ buche unter der Rubrik Aecker jüdischer Nation einschreibe. Mein Rath ist: berichten Sie mir künftig besser, sonst werden Sie zurückberufen; dann giebt es Kriegsfurcht, die Papiere fallen und die Handels-Kammerdiener erheben ein Jammergeschrei daß alle Milch davon gerinnt. Haben Sie „ die Thronrede “ des Gro߬ herzogs von Darmstadt gelesen? Schlafen Sie recht wohl. 12* Montag, den 7. Januar. Von Chateaubriand ist eine neue Schrift erschie¬ nen: Mémoire sur la captivité de la de Madame la Duchesse de Berry . Sie sollen sich aus Freundschaft für mich etwas darüber freuen; denn dieser gute Mann nimmt mir jeden Winter die Hälfte meines Zornes ab. So oft er erscheint, gehe ich in mein Zelt und lasse ihn kämpfen. Freilich muß ich diese Hülfe mit melancholischen Gedanken bezahlen. Wenn ich sehe, wie ein so geistreicher und edler Mensch von der Legitimität faselt, greife ich nach meinem Kopfe und rufe betrübt aus: Auch Chateaubriand hat den Verstand verloren und war doch mehr als du! Die Legitimität , diese Hoff¬ nungslosigkeit des Unglücks, diese Erblichkeit der tief¬ sten menschlichen Erniedrigung — das vertheidigen, das preisen! O Wahnsinn! Als Chateaubriand von der Gefangenschaft der Herzogin erfuhr, eilte er aus der Schweiz nach Pa¬ ris, und bot sich ihr in einem Schreiben zu ihrem Sachwalter an. Aber die Minister erlaubten weder ihm noch seinen Briefen den Einlaß in Blaye. Schon dreimal seit der Revolution hat Chateaubriand von der Welt Abschied genommen und sich in die Ein¬ samkeit begeben, und dreimal schon kehrte er zurück. Er sagt: „Ich habe Hunger und Durst nach Ruhe; „es kann mir keiner lästiger sein als ich es mir selbst „bin; aber ich suche mich mit meiner eignen Achtung „von der Welt zurückzuziehen: man sehe sich vor „welche Gesellschaft man in der Einsamkeit wähle.“ Nun, warum hat er nicht gleich das erstemal als er Paris verließ seine Selbstachtung mitgenommen? Wie vergißt man dreimal sein Paket zu machen? Ja, die Berry ist unterdessen gefangen worden! Nun was geht ihn die Herzogin an? Man höre, „meine Denkschrift über das Leben und den „ Tod des Herzogs von Berry , in die Haare „der Wittwe gewickelt, die jetzt im Kerker schmachtet, „liegt bei dem Herzen, das Louvel dem Herzen Hein¬ „richs IV . noch ähnlicher machte. Ich habe diese „ ausgezeichnete Ehre ( insigne honneur ) nicht „vergessen, die im gegenwärtigen Augenblicke die Be¬ „zahlung fordert; ich fühle lebhaft meine Schuld.“ Das ist artig. Ich ließe es mir selbst gut gefallen, wenn eine schöne Witte ihr langes seidnes Haar um meine Schriften flechtete; aber sie hineinlegen in die Todesurne, zu dem Herzen ihres Mannes — nichts da! Man kann nicht wissen, ob sie nicht eine Wittwe von Ephesus ist, die nach vier Wochen die Haare wieder herausnimmt, sie ihrem neuen Liebhaber zu schenken, und dann meine Schriften allein verfaulen läßt bei dem Herzen des geliebten Todten. Nichts da, und habe ich nicht recht, daß ich nach meinem Kopfe fühle? Notre-Dame de Blaye , nennt Chateaubriand die Herzogin und erzählt von den Wallfahrten, die fromme Gläubige in großen Schaa¬ ren dahin machten. Er sagt: „man wirft mir vor, „daß ich eine Familie dem Vaterlande vorziehe. „Nein; ich ziehe die Treue des Eides, dem Mein¬ „eide, die moralische Welt der materiellen Gesellschaft „vor. Das ists.“ Freilich ist es das, nach der Lehre der Monarchisten. Der Räuber nachdem er sein Handgeld empfangen und dem Hauptmanne Treue geschworen, darf plündern und morden; denn Treue ist heiliger denn das körperliche Wohlbehagen der Wanderer! Chateaubriand meint: nur die Legitimität gäbe einer Regierung und der bürgerlichen Ordnung Dauer¬ haftigkeit. Aber wäre dies auch, wie es nicht ist, was würde das beweisen? Nicht die Dauerhaftig¬ keit, der Vollgenuß ist die Bestimmung jedes Daseins. Es kömmt nicht darauf an lange, sondern viel zu leben. Nichts ist dauerhafter als ein Stein, aber die Pflanze, das Thier vergehen schnell. Wenn die Oe¬ sterreichische Monarchie noch zehen Tausend Jahre lebte und der Nordamerikanische Freistaat endigte morgen, in seinem fünfzigsten Jahre, wäre darum Oesterreich ein besserer, ein glücklicherer Staat als Nordamerika gewesen? Napoleon sagte auf St. He¬ lena: „Daß meine Dynastie nicht älter war, das hat „mich zu Grunde gerichtet. Noch vom Fuße der „Pyrenäen hätte ich mich wieder emporgehoben, wäre „ich mein Enkel gewesen.“ Und daraus will Chateau¬ briand die Herrlichkeit der Legitimität beweisen! Gu¬ ter Gott! Das beweißt ja eben ihr Fluchwürdiges, ihre Verderblichkeit. Das große Glück, wenn Na¬ poleon noch zwanzig Jahre länger die Völker Euro¬ pens auf dem Altare seines Ehrgeizes hätte schlach¬ ten dürfen! Das schöne Loos der Franzosen, wenn Napoleon, als legitimer Fürst mit seinen gekrönten Vettern befreundet, der Freiheit und Gleichheit, die er im Kriege als Waffen gegen sie gebrauchte dann gar nicht mehr bedürftig, Frankreich völlig zur Ga¬ leere hätte machen können! Was ist es aber, was einer legitimen Monar¬ chie größere Dauerhaftigkeit gewährt, als einer usur¬ pirten oder einer Republik? Etwa weil erstere in den Herzen der Völker Wurzeln schlägt? O nein. Es ist nichts, als daß alle Fürsten die Sache eines legitimen Monarchen als eine Familienangelegenheit, als ihre eigne betrachten, und ihm darum in Gefah¬ ren Beistand leisten. Es ist nichts, als weil die le¬ gitimen Fürsten alle Usurpatoren und Republiken als Broddiebe hassen und sie offen oder heimlich, mit Gewalt oder mit List zu Grunde zu richten suchen. Redet von der Macht der legitimen Fürsten, redet aber nicht von ihrem Rechte. Sagt, daß die Völker einen ligitimen Fürsten fürchten, sagt aber nicht, daß sie ihn lieben. Die Franzosen haben dreimal die Bourbons verjagt, so legitim sie waren, und haben für den Usurpator Napoleon mehr gethan als je für einen ihrer Könige; denn sie liebten ihn. Die Schweizerische Republik lebt schon ein halbes Jahr¬ tausend im Glücke und Frieden, weil sie ihre Berge gegen die Fürsten schützte oder diese über die Thei¬ lung des Raubes nicht einig werden konnten. Nord¬ amerika genießt seit sechszig Jahren Freiheit und Ordnung, weil es die Könige nicht erreichen können. Don Pedro ist ein legitimer Fürst, warum gelingt es ihm nicht? Weil er seinem Volke die Freiheit zu geben gedenkt und ihn darum seine gekrönten Brüder als ein unwürdiges Glied aus der Familie gestoßen, und ihm schaden soviel sie können. Don Miguel ist ein Usurpator, warum erhält er sich? Weil er die Tyrannei meisterhaft handhabt, und die entzückten Fürsten ihm darum heimlich Beistand leisten. Das ist der Segen der Legitimität, daß ist die Ruhe und Ordnung in Monarchien: man findet sich mit den Räubern ab, und gegen den Beutel lassen sie uns das Leben. Und will einer sein Leben und seinen Beutel behalten, schlägt man ihn todt und dann heißt es: Seht! das sind die blutigen Folgen der Revolu¬ tionen. Vor einigen Jahren machte Vidocq der Regierung den Vorschlag: er wolle jede gestohlene Sache gegen dreißig Prozente ihres Werthes zurück¬ schaffen. Nun, wer sich mit zwei Dritt-Theile sei¬ nes Glückes begnügen will, wer nicht den Verstand und den Muth hat, Diebe und Räuber von seinem Eigenthume abzuhalten, der hat Recht die Monar¬ chien zu lieben. Chateaubriand, als Sachwalter der Berry, spricht von ihrem Rechte nach Frankreich zu kommen um die Krone ihres Sohnes zu fordern. Sie ist Mutter ; er berufe sich auf das Herz jeder Mutter. Das ist stark! Ich sehe gauz deutlich, was alles in einem mütterlichen Herzen liegt, aber eine Krone sehe ich nicht darin. Eine Mutter mag für ihr Kind ein Schaukelpferd, eine Puppe kaufen; aber dreißig Mil¬ lionen Franzosen zum Spielwaaren Lager! Aber ein Land wie Frankreich zur Schachtel! O Herr Vi¬ comte! Es ist Ihr Ernst nicht. Nein, was wir armen Menschen jetzt geplagt sind, die Steine könn¬ ten sich darüber erbarmen! Früher hatte man es doch nur mit erwachsenen, mit regierenden Fürsten zu thun, jetzt quälen uns die fürstlichen Kinder, schon während dem Leben ihrer Eltern! Da ist der Her¬ zog von Bordeaux, da ist die Donna Maria, da ist die Tochter der Königin von Spanien, die erst ei¬ nige Monate alt ist. Als gebe es kein anderes Mit¬ tel die Schmerzen eines zahnenden Kindes zu stillen, als ihm einen Scepter in den Mund zu stecken! Was Chateaubriand noch ferner von den Rech¬ ten der Berry sagt, das kümmert mich nicht; nicht darum habe ich seine Schrift gelesen, nicht darum schreibe ich Ihnen davon. Ich will mich nur an das halten, was er gegen unsern gemeinschaftlichen Feind hervorgebracht, daran will ich mich erquicken. Sie erkennen an Chateaubriand und mir, das wirklich ein Bündniß zwischen den Carlisten und Republikanern besteht. Es ist die Sympathie des Hasses gegen die bestehende Ordnung der Dinge. Ob aber die Repu¬ blikaner und die Carlisten sich auf der Gasse und in geheimen Clubbs zu Thaten vereinigt, bezweifle ich. Es wäre dumm von den Republikanern und toll von den Carlisten. Erstere könnten leicht überlistet werden, denn die Carlisten haben das Geld, also auch den Verstand; diese aber, würden, sobald die jetzige Regierung gestürzt wäre, ehe ihnen Hülfe von außen käme, und würden ihnen die Armeen auf Dampwagen zugeführt, alle todt geschlagen werden, so daß keiner von ihnen übrig bliebe, sich des Sie¬ ges der Legitimität zu erfreuen. Sehen wir jetzt wie der neue Jeremias sieden¬ des Oel auf die Köpfe der Sünder herabgießt. „Wenn in dieser Wüste ohne Spur von Geist und „Herz sich am Horizont ein großes einsames Denk¬ „mal zeigt, wenden sich plötzlich alle Blicke dahin. „Die Frau Herzogin von Berry erscheint um so er¬ „habener, als alles rund um sie her flach ist. Ja, „sie hätte zu fürchten verkannt zu werden, denn sie „ist diesseits oder jenseits eines Jahrhunderts das „ihres Gleichen hervorzubringen vermochte. Um zu „bewundern muß man fassen; der Muth bleibt der „Furcht stets ein Geheimniß; die Mittelmäßigkeit „knurrt den Genius an. Die Gefangene von Blaye „ist nicht von ihrer Zeit, ihr Ruhm ist ein Anachro¬ „nismus.“ Larifari! Doch sind es respektabele gol¬ dene Lügen und ich ziehe meinen Hut vor ihnen ab. Es sind noch keine vierzehen Tage, daß Chateaubri¬ ands Schrift erschienen und schon sind dreißig Tau¬ send Exemplare davon gekauft, die dem edlen Ver¬ fassar fünfzig Tausend Franken eingebracht haben. Die Legitimisten nehmlich haben auf diese delikate Weise seine Treue belohnen wollen. Jetzt kann doch Chateaubriand mit seiner eigenen Achtung nach Genf zurückkehren und in seiner Einsamkeit die sehr ange¬ nehme Gesellschaft von hundert Bankzetteln genießen. Fünfzig Tausend Franken für sieben Bogen, die Ar¬ beit einiger Tage! So viel hat mir mein dicker Li¬ beralismus in meinem ganzen Leben nicht eingebracht. Der Mund wässert einem darnach ein Royalist zu werden. Zum Glücke bezahlen sie einem in Deutsch¬ land schlecht. Um fünfzig tausend Franken zu ver¬ dienen, müßte ich die Schweiz, ganz Nordamerika, Columbien, Buenos-Ayres, Mexiko todtschlagen und fünf oder sechs Preßfreiheiten, eben so viele Constitu¬ tionen, die Reformbill, den Dr . Wirth, den ganzen Hambacher Berg, Rotteck, Welcker, und zum Desert mich selbst verschlingen. Das wäre ein saurer Ver¬ dienst. Dienstag, den 8. Januar. Ich will Ihnen wieder einen Beweis geben, daß die Tugend beloht wird, was Sie mir so oft nicht glauben wollten. Verflossenen Samstag wollte ich auf den Opernball gehen. Einige Tage vorher, hörte ich, daß auf dem Theater (im le mari et l'a¬ mant ) eine Cousine in der Provinz, ihren Vetter der zum erstenmale nach Paris reiste, die Lehre gab: surtout Charles, n'allez pas au bal de l'opéra; on s'y perd. Trotz dieser Warnung aber gedachte ich doch hinzugehen, so mächtig wirkt das Laster auf junges Blut. Auf dem Wege aber fing mir an das Gewissen zu zittern, oder was es sonst war; es war sehr kalt. An der Ecke des Boulevard stand ich am Scheidewege des Herkules. Da ging ich nach Hause zurück und schlief, wie man nach einer edlen Hand¬ lung zu schlafen pflegt. Am andern Morgen erfuhr ich, daß auf dem Balle ein gräulicher Lärm gewesen. Die neue moralische Polizei des Jüste-Milieu, wollte, ich weiß nicht welchen Bachantischen Tanz, verbieten. Darüber gab es Streit, die Gendsarmerie drang ein, mishandelte viele, und nahm mehrere gefangen. Das Lustigste bei der Sache aber war, daß die Polizei diesmal die Witterung verloren, und gerade die edelste Jugend des Jüste-Milieu, königliche Beamte, Ban¬ quiersöhne und andere solche Heilige angetastet hatte. Sie mußten den andern Tag sehr um Verzeihung bitten. Wäre ich nun dabei gewesen, ich hätte sehr leicht in die Bachanalien, die Schläge und das Ge¬ fängniß mit hinein gezogen werden können. Meine Tugend bewahrte mich davor. Ich kehre zu Chateaubriand zurück. Ich ge¬ stehe es Ihnen aufrichtig, die fünfzigtausend Franken wollen mir gar nicht aus dem Kopfe. Was meinen Sie, würde es wohl meiner Seligkeit viel schaden, wenn ich einmal sieben Bogen gegen meine Gesin¬ nung schriebe? Ach! wär' ich doch ein Katholik und könnte an die Wirksamkeit der Absolution glauben! Chateaubriand fährt fort: man entgegnet mir: Die Herzogin von Berry sei in keiner so großen Gefahr, man werde sie zur gelegenen Zeit wieder frei geben. „Aber die Minister des Königs sind nicht unabsetz¬ „bar. Ihr seid gutmüthige Seelen, ich will es „glauben; allein kennt Ihr Eure Nachfolger! Fand „nicht Elisabeth, daß Maria Stuart, nach neunzehen „Jahren Gefangenschaft, in der Verborgenheit ihres „Kerkers, nach außen Unruhen errregt und Einver¬ „ständniße mit dem Auslande und den Feinden des „Staates hatte? Dann hat man bei Volks-Unruhen, „nie in den Gefängnissen gemordet? Endlich, wenn „ich Kerkermeister wäre, würde ein Gedanken mich „schaudern machen. Ich würde bei mir sagen: es „wäre möglich, daß Gott in seiner Barmherzigkeit „Die welche auf Erden nur Trübsale gefunden, zu „den Freuden des Himmels abriefe; ich würde mir „sagen: man hat das Loos der Waise im Tempel „noch nicht vergessen. Wenn ein so großes persön¬ „liches Interesse an dem Leben einer Fürstin hängt (!), „wenn aus einer Gefangenschaft, die einen undank¬ „baren Ehrgeitz (!!) laut anklagt, eine Schaam und „ein tiefer Groll, so natürlich fließen müssen: Da „kann aus dem Zusammenfluß von Umständen die Ver¬ „läumdung schrecklich hervorgehen. Die Verläumdung „aber kann in der Geschichte, den Charakter der „Wahrheit (!!!) annehmen. Seht euch vor .... „Die Wohltaten der Willkühr, die man der Herzogin „angedeihen läßt rühren mich wenig; ich könnte fürch¬ „ten, daß diese Wohlthaten zu einer Quelle neuen „Jammers würden. Schwer würde mir fallen in „Erinnerung zu bringen, was ich neulich von gewissen „Gespenstern (!!!!) sagte, die in einem gewissen „Schloße (!!!!!) haußen. Ich hoffe, um der Ruhe „der Nächte der Macht selbst willen die ich be¬ „kämpfe (!!!!!!) — ich hoffe nie gezwungen zu „sein, jenen nächtlichen Erscheinungen, die einer halb¬ „verbrannten Frau, ihr nacktes Kind in den Armen „und Ketten nach sich schleppend (!!!!!!!) zuzuge¬ „sellen; eine Deputation von Schatten, die käme ei¬ „nem Schatten-Könige (!!!!!!!!) ihr Kompliment „zu machen.“ — — ††† Gelobt sei Gott und seine guten Gei¬ ster; ich bin glücklich durch den Hexen-Wald. Ich habe, gleich einem guten Zeitungsschreiber fromme Ausrufungszeichen geschlagen und, wie sie bemerkt haben werden, in steigender Angst und arithmethischer Progression. Früher habe ich mich oft über solche abergläubische Furcht lustig gemacht; aber Noth kennt kein Gebot, ich konnte mir nicht anders helfen. Ich bin ein Patriot; ich zitterte in deutscher Sprache zu denken, was Chateaubriand wagte in französischer drucken zu lassen. Mündlich das Weitere. Ver¬ brennen Sie diesen Brief oder noch sicherer: legen Sie ihn in einen Band von Carove's Werken. „ Pas mal pour un Allemand .“ Wie gefällt Ihnen das? Wüthend war ich darüber. Wartet nur! Wenn wir einmal das Elsas wieder haben, Lothringen, Burgund und Euren König zum Grafen von Paris gemacht — da werden wir Euch zeigen, daß wir witziger sind als Ihr. Da hatte einmal ein Deutscher in Paris bei Tische etwas ge¬ sagt, was seiner Meinung nach sicher nicht witzig sein sollte, und da rief ein Franzose, der dabei ge¬ wesen und dieses erzählt, gnädigst aus: Pas mal pour un Allemand ! Brazier heißt die Canaille. Ich las so eben im livre des cent-et-un , im Arti¬ kel La chanson et les sociétés chantantes . Da ist von den Vaudevillediners die Rede, welche man in Deutschland frömmer und romantischer Lieder¬ tafeln nennt. Zu einem solchen Sing-Essen war einmal „ le fameux Docteur Gall “ eingeladen. „Le jour où nous reçumes la visite de ce der¬ „nier , on Iui servit un plat de friture composé „seulement de têtes de gibiers, de pois¬ „sons et de volailles . On lui demanda s'il „voulait tâter les crânes de ces messieurs ou de „ces dames ? Le savant se dérida, et répondit „en riant: qu'il fallait qu'il tâtât les corps au¬ „paravant, vu qu'à table son systême ne s'iso¬ „lait point . Pas mal pour un Allemand .“ Aber nur Geduld bis zum Frühlinge! V . 13 Mittwoch, den 9. Januar. ...... Es ist recht unartig von Ihnen daß Sie mir so lange nicht geschrieben. Ich habe Ihnen schon oft gesagt, daß Sie mir außerordentlich schreiben mögen, so oft Sie wollen; aber die gewöhn¬ lichen Brieftage müssen Sie darum nicht versäumen. Ich bin gewöhnt daran und wenn ich an solchen Ta¬ gen nichts erhalte verdaue ich schlecht. Seit vorigen Freitag habe ich keinen Brief bekommen und es scheint mir ein Jahr zu seyn. Sie hätten sich doch vor¬ stellen können, daß ich vor Begierde brenne etwas näheres von meinem Buche zu erfahren. Die Eigen¬ liebe hat ewige Flitterwochen und ich liebe meine verblühten Schriften wie in den Tagen ihrer Jugend. Ich gehe voller Angst umher, gleich einem Ehemanne, dessen Frau zum Erstenmale in Kindesnöthen liegt. Wird es ein Sohn? Wird es eine Tochter? „Es „ist weder ein Sohn, noch eine Tochter geworden, „sondern eine Misgeburt.“ Diese kleine schöne Sa¬ tyre schenke ich dem ersten Rezensenten meiner Briefe aus Freundschaft und Hochachtung. Er kann damit machen was er will. Der Leithammel meiner Re¬ zensenten hat sich auch schon hören lassen. In der Leipziger Zeitung ist in einem Berichte aus Wien von den Pariser Briefen die Rede; „deren dritten Band Börne eben jetzt druckt .“ Zum Unglücke kann man sich gar nicht auf den Styl dieser guten Leute verlassen. Was heißt das: Eben jetzt druckt ? Auf jeden Fall soll das bedeuten: drucken läßt ; aber sind sie schon gedruckt? oder werden sie erst gedruckt? Und wenn das letztere — woher will denn ein Wiener wissen was darin steht? Werden die Briefe etwa in Wien gedruckt? Das wäre ein Meisterstreich von dem Verleger. Als der schlaue Casanova aus dem Gefängnisse der Staats-Inquisi¬ tion von Venedig entsprang, flüchtete er sich in das Haus des Sbirrenhauptmanns; dort hielt er sich am sichersten. In dem Berichte heißt es: ich hätte mich gerühmt, daß meine Schreibereien am meisten von den Wienern gelesen würden; das möchte aber wohl eine Aufschneiderei sein. Der Himmel wolle meine Demuth vor größeren Gefahren befahren! Jetzt bitte ich Sie aber auch, fleißiger als es vorigen Winter geschehen, auf die erscheinenden Rezen¬ sionen Acht zu haben, sie für mich zu sammeln und mir mit Gelegenheit zu schicken. Nicht die Hälfte von dem was über mich geschrieben worden, habe ich damals zu lesen bekommen. Einige der interessante¬ sten Rezensionen kamen mir erst nach meiner Rück¬ kehr in Deutschland unter die Augen: wie die von Görres und Carov é und eine in der Abendzeitung, worin es heißt: „Börne steht jetzt anf dem Punkte, 13* „ wo der Mensch in den Tiger übergeht .“ Es wäre zwar damals noch Zeit gewesen darüber zu schreiben und es in meine Briefe einzuschieben; aber es wäre ein Anachronismus meiner Gefühle geworden und ich lüge nicht gern. Also thun Sie was ich verlange und vergessen Sie nicht, daß ich auf dem Punkte stehe, wo der Mensch in den Tiger übergeht und daß es gefährlich ist mich zu reizen. Siebzehnter Brief. Paris, Donnerstag, den 10. Januar 1833. ..... Ich wollte ich wäre be i Ihnen, ich habe etwas Wichtiges mit Ihnen zu überlegen, et¬ was Gelehrtes, einen Punkt aus dem Staats- und Hausrechte. Ich kann aber ohne Sie nicht fertig werden. Hören Sie was es betrifft. Im Jahre 1817 machte die französische Regierung den Entwurf zu einem Wahlgesetze für die Deputirtenkammer. Solche Wahlordnungen wurden natürlich im Inter¬ esse der Macht eingerichtet. Da nun die Freiheit, statt, der Gesundtheit gleich, etwas angebohrnes, Unbemerktes, Ungefühltes zu sein, stets etwas Er¬ worbenes, Bestrittenes, kurz, ein ewiger Kampf ist, und man dieses wie jedes Kampfes in den reifern Jahren, theils müder, theils unkräftiger wird — sieht die Regierung überall darauf, daß die Bürger erst im höhern Alter zu Volksvertretern gewählt werden können. In jenem französischen Wahlgesetze war also bestimmt, daß ein unverheiratheter Mensch erst mit dem vierzigsten Jahre, ein verheiratheter mit dem fünf und dreißigsten, und ein Wittwer schon mit dem dreißigsten wählbar sein. Daß ein Ehemann früher erschöpft wird als ein lediger Mensch, begreift sich leicht: Der Kampf für seine persönliche Freiheit läßt ihm wenige Tapferkeit zum Kriege für die öffentliche übrig. Warum aber ein Wittwer schon im dreißig¬ sten Jahre matt ist, und fünf Jahre früher als ein Verheiratheter, verstehe ich nicht, und darüber möchte ich Ihre Weisheit vernehmen. Wenn ich ein Wahl¬ gesetz zu machen hätte — ich verfaßte es im Inter¬ esse der Freiheit würde ich festsetzen: daß ein lediger Mensch nicht mehr nach dem dreißigsten, und ein Verheiratheter nicht mehr nach dem fünf und zwanzigsten Jahre Deputirter werden könnte. Doch was die Wittwer beträfe, ließe ich sie lebenslänglich wählbar sein; denn ich würde annehmen: ein Witt¬ wer müsse das Herrliche und Köstliche der Freiheit so lebhaft fühlen, daß er noch im siebenzigsten Jahre ein Spartakus werden könnte. Was denken Sie davon. Samstag, den 12. Januar. .... Spricht man denn in Frankfurft auch von einem Congresse, der nächsten Frühling dort ge¬ halten werden soll, und wozu beide Kaiser kommen? Es wäre schön. Das würde ja der deutschen Re¬ volution eine Eisenbahn eröffnen. Achtzehnter Brief. Paris, Samstag, den 12. Januar 1833. Ich komme auf Chateaubriand zurück, den edlen Narren, der mir aber lieber als die sieben Weisen jeder Schule; auch der Liberalen, das dürfen Sie mir glauben. Die Treue ist seine geliebte und verehrte Dulcinea. Nicht den Bourbons, nicht der Legitimi¬ tät, sich ist er treu. Wäre das nur Jeder in sei¬ nem Glauben, in seiner Gesinnung, wie weit besser wäre dann Alles! Wollte nur Jeder was er will, ganz und immer, wie viel milder wäre der Wider¬ spruch, wie viel menschlicher der Streit! Denn wahr¬ lich, nicht das eigensinnige Festhalten auf jeder Mei¬ nung, wie die guten Leute glauben, sondern das furcht¬ same oder heuchlerische Nachgeben macht die Partheien so unversöhnlich. Gäbe es keine Royalisten die Liebe zur Freiheit heuchelten, freilich, zur wahren , wie sie sagen — gäbe es keine Freisinnigen die Anhäng¬ lichkeit für den Fürsten heuchelten — beide aus List, Trug oder Schwäche — man könnte sich besser ver¬ ständigen, denn man verstünde sich besser. Es ist gut daß Sie wissen, was Chateaubriand von der gegenwärtige Lage Frankreichs, von seinen äußern Verhältnissen, was er von der Erbärmlichkeit der Regierung, und der Ermüdung der Nation spricht, auf welche die Tyrannei die Hoffnung ihres Gelin¬ gens gründet. Chateaubriand ist kein Zimmerspeku¬ lant, wie ich, der die Welt durch das Fenster an¬ sieht, er hat nichts zu errathen und zu vermuthen, er braucht keinen Argwohn und keine Hoffnung; er ist ein vornehmer Mann, steht an der Spitze einer reichen und mächtigen Parthei, die Alles weiß, Alles erfährt, und Vieles selbst thut oder stört. Er ist selbst ein Staatsmann, der die Mittel und Wege, die Stärke und Schwäche aller Regierungen kennt. Ihn konnte nicht, wie mich, die Liebe zur Freiheit verblenden; denn er ist ein guter Royalist der rein¬ sten Art, ein Legitimist. Es könnte sich freilich fin¬ den, daß das was er Louis Philipp vorwirft, nur das Verderbniß jedes Fürsten sei; aber dann, desto schlimmer für Chateaubriand und desto besser für uns. Darum noch einiges aus seiner Schrift. „Die Revolution der Juli-Tage, aus dem Volke „hervorgegangen, hat, abtrünnig von ihrem Ursprunge „sich von dem Ruhme geschieden und um die Schande „gebuhlt, als gäbe das Eine ihr den Tod, als wäre „die Andere ihre Lebensquelle. Das Jüste-Milieu „hat sich einer ausschweifenden Macht ergeben, an „welche die Regierung Carls X . nie gedacht, und die „man nie von ihr geduldet hätte. Verächter der „Gesetze, zum Spotte der Charte vor 1830, hat er „den Belagerungs-Zustand eingeführt; zehen wichtige „Artikel des neuen Vertrags sind von ihm gebrochen „worden. Er trieb seinen Spott mit der persön¬ „lichen Freiheit; er hat die Gefängnisse angefüllt, die „Haussuchungen, die Militär-Kommissionen, die Pre߬ „processe vermehrt und einen Schriftsteller wegen ei¬ „nes Wortspiels zum Tode verurtheilt ... Der „ Fetfa , welchen die Minister der Pairskammer vor¬ „gelegt haben, verwandelt dem Geiste nach, die con¬ „stitutionelle Monarchie in einen orientalischen Des¬ „potismus. Es ist Constantinopel mit den Enuquen „der Doktrine als Janitscharen; nur tragen sie, wie „Mahmud, Chalwaris auf englische Art, als Zei¬ „chen der Fortschritte der Civilisation. Aber wenn „die Franzosen nicht bis zur letzten Staffel der Völ¬ „kerleiter herabgekommen sind, wenn man noch ohne „zu erröthen oder zu lachen von Freiheit reden darf; „werde ich mit meinen Betrachtungen fortfahren.“ „Es ist augenscheinlich, daß das Prinzip der „Juli-Revolution, und das Prinzip der continental¬ „Monarchien sich feindlich entgegen stehen, daß diese „beiden unvereinbaren Prinzipien nicht lange neben „einander fort dauern können; daß das Eine noth¬ „wendig das Andere zerstören muß. Wenn die über¬ „raschten Fürsten im ersten Augenblick das König¬ „thum der Barrikaden anerkannt haben, werden sie „früher oder später, ohnfehlbar davon zurückkommen; „denn keinem von ihnen wird sonderlich viel daran „liegen, von einem Pflastersteine umgeworfen oder „von einem Vetter verdrängt zu werden. Ja, jemehr „sich in Frankreich ein Anschein von Ordnung und „Wohlstand zeigte, jemehr würden sich die absoluten „Regierungen entsetzen, denn die Versuchung für ihre „Völker wäre dann um so größer. Wie wäre auch „möglich eine freie Tribüne, freie Journale, die „Gleichheit der Stände, die Theilung aller Aemter „und jedes Glückes zu haben, ohne daß die Revolu¬ „tion, minder bedächtig als ihre schwachen Führer, „über den Rhein ginge? .. Daß Souveraine, von „einem dreißigjährigen Kriege ermüdet, schlafen wol¬ „len; daß Gesandte lieber in Paris bedeutende Per¬ „sonagen sind, als bei sich zu Hause hinten an ge¬ „setzt und vergessen; daß sie darum in Angelegen¬ „heiten von welchen sie sich selbst Rechenschaft geben „oder nicht, sie ihrem Hofe die Wahrheit verbergen „ — das begreift sich. Lasset aber einen gewissen „Tag kommen um einen gewissen Menschen ge¬ „hen und ihr werdet es erfahren.“ Die letzte Aeußerung bezieht sich auf den russischen Ge¬ sandten, den Grafen Pozzo di Borgo, von welchem gesagt wird, er liebe so sehr den Aufenthalt in Pa¬ ris, daß er darum seit der Revolution sich die größte Mühe gäbe, seinen Kaiser in friedlicher Stimmung gegen Frankreich zu erhalten. Dieses erregte in der letzten Zeit endlich den Argwohn des russischen Hofes und Pozzo di Borgo wurde nach Petersburg berufen um Rechenschaft abzulegen. Aber durch Auf¬ opferung einer bedeutenden Geldsumme an eine ein¬ flußreiche Person, soll ihm gelungen sein seine Un¬ schuld darzuthun, und er durfte nach Paris zurückkehren. „Die gesellige Ordnung lößt sich auf; die Anar¬ „chie die in die Köpfe eingedrungen, bedroht die ma¬ „terielle Gesellschaft. Man versteht sich über nichts „mehr, die Verwirrung der Ideen ist unglaublich. „Wenn der Nachbar nicht seinen Nachbaren erwürgt, „so unterbleibt es, nicht weil ihn die Staatsgewalt „hindert, sondern weil die Fortschritte der sittlichen „Bildung ihm den Gedanken der Gewaltthätigkeit ge¬ „nommen haben. Keine Parthei, kein Mensch glaubt „innerlich an den Bestand der gegenwärtigen Ord¬ „nung der Dinge — für eine Regierung die aller¬ „gefährlichste Stimmung. Die Quasi-Legitimität, „sich für stark, entschlossen, unerschrocken ausgebend; „Willkühr für Kraft, den unverschämtesten Gesetzes¬ „bruch für Gesetzlichkeit haltend, gibt über die Prin¬ „zipien nach und verträgt sich mit Allem was ihr „Furcht macht. Sie erhält sich nur, durch das vor¬ „gehaltene Schreckbild einer noch schlimmern Zukunft „als sie selbst ist; sie stellt sich als eine traurige „Nothwendigkeit dar und sagt: (sonderbarer Anspruch „auf das öffentliche Vertrauen!) ich bin immer „noch besser , als das was kommen wird . „Das ist so ausgemacht nicht.“ „Vierzigjährige Stürme haben die stärksten „Seelen niedergeworfen; die Gefühllosigkeit ist groß, „der Egoismus fast allgemein; man duckt sich um un¬ „bemerkt zu bleiben und sich in Frieden durchzubrin¬ „gen. Wie nach einer Schlacht die Leichen die Luft „verderben, so bleiben nach jeder Revolution ange¬ „fressene Menschen übrig, die Alles mit ihrem Eiter „beschmutzen.“ „Die Freiheit ist nirgends mehr als in den „Herzen einiger Wenigen, die würdig sind ihr eine „Zuflucht zu eröffnen. Ein Gegenstand der Spötter „aller jener Elenden, die einst ihr Feldgeschrei dar¬ „aus gemacht, wird diese verkaufte, geschändete, an „allen Straßenecken ausgebotene und verschacherte „Freiheit; diese Freiheit, welche die Possenreißer des „Jüste-Milieu sich mit Fußstößen einander zuwerfen; „diese gebrandmarkte und mit der Haspel der Aus¬ „nahmsgesetze erwürgte Freiheit, wieder durch ihre „Vernichtung die Revolution von 1830, in eine „große Schmach und eine hündische Schurkerei ver¬ „wandelt.“ „Die Gleichheit, diese Leidenschaft der Franzo¬ „sen, scheint allen Bedürfnissen genug zu thun. „Der Bürger der glaubt einen König gewählt zu „haben, der an dem Tische dieses Königs zu Mittag „ißt, und mit seinen Töchtern tanzt, weiß sich in „seiner Pfauen-Eitelkeit, mit Freiheit und Ruhm „wohlfeil abzufinden. Wenn man ihn festhält und „ihm Handschellen anlegt, denkt er, er habe sie sich „selbst angeschnallt; denn er ist die Quelle der Macht, „er klirrt aus Prahlerei mit seinen eignen Ketten, „als Zeichen seiner starken Unabhängigkeit. In sei¬ „nen Augen ist die Monarchie eine Haushaltung und „das Diadem das Band einer Nachtmütze“ „Die Frau Herzogin von Berry sah einen „Theil dieser Dinge vom fremden Strande aus ... „Man sagte der edlen Tochter Heinrichs IV. , daß „es in Frankreich eine Parthei gäbe, die mit Hunde¬ „Geduld Alles ertrage (!); Freiheit heuchelnd, scham¬ „los ihre Reden durch ihre Handlungen Lügen stra¬ „fend (!!); die Verachtung der Nation und die Fu߬ tritte des Auslandes (!!!) unterwürfig hinnähme; „sich gegen künftige Mißfälle in ihrer Filzigkeit (!!!!) „Rettung sichere und in der Hoffnung zu leben krieche, „krieche, krieche, weil es schwer ist zu zertreten was „sich so platt macht unter den Füßen (!!!!!). Die „wohlwollende Prinzessin ...“ — Doch genug von „der Prinzessin; gute Nacht Prrinzessin ! Montag, den 14. Januar. Jetzt nur noch was Chateaubriand über den belgischen Krieg gesagt. Mir seinem Sancho Pansa, ziemt es, wie jedem treuen Diener, die edlen Reden seines Herrn zu verkündigen. „Aus dem was heute „unsere mit der Klugheit der Quasi-Legitimität um¬ „windelten Soldaten gethan, kann man sich überzeu¬ „gen was die ächten Juli-Männer hätten thun kön¬ „nen. Man hat vor Antwerpen das Heldengeschlecht „von Marengo, Friedland, Navarin und Algier er¬ „kannt; nur sah man mit Schmerz, daß das Jüste- „Milieu so viel Tapferkeit verschwendete, so viele „Menschen aufopferte, um das Feuer der Linken zum „Schweigen zu bringen, um sich eine Kammermajo¬ „rität zu schaffen, und, mit einer dummen Naivität „eine Festung zum Vortheil unserer Nachbarn zu er¬ „obern. Wir, uns eilend über die Grenzen zurück „zu gehen, und nachdem jeder unserer Soldaten auf „den Apell des englischen Controleurs geantwortet „haben wird, wir werden die Kosten eines glänzen¬ „den Kriegszugs übernehmen, der aber nichts endet, „weder für Frankreich, noch für Holland, noch für „Belgien — ein mörderisches Tournier, dessen mit¬ „telbare Folge, früher oder später ein Krieg, dessen „unmittelbare Folge sein wird, die Schelde dem Han¬ V. 14 „del Großbrittanniens zu eröffnen. Dieses, das in „dem blutigen Spiele keinen Schiffsjungen gewagt, „hat nur einige Guineen auf hohe Zinsen angelegt. „Fünf bis sechs tausend von dem Geschütze oder der „Krankheit hingerafften Soldaten, mehrere tapfere und „geschickte Offiziere getödtet oder verwundet, einige „und vierzig Millionen aus der Tasche der Steuer¬ „pflichtigen genommen, bilden die Mitgift, welche wir „das Glück und die Ehre haben werden, die Ehe¬ „liebsten des englischen Präfekten von Belgien anzu¬ „bieten.“ Dienstag, den 15. Januar. Ein preußischer Naturforscher wollte eine wissen¬ schaftliche Reise nach Nordamerika machen und bat seinen König um Unterstützung. Dieser antwortete: Amerika sey schon genug ausgeforscht, aber in Si¬ birien wären noch die schönsten Entdeckungen zu ma¬ chen. Als sich nun ein anderer Naturforscher fand der sich bereitwillig zu Sibirien erklärte, bekam er achthundert Thaler Reisegeld. Ist das nicht artig? ja, dieses Amerika thut ihnen wehe wie ein hohler Zahn und stört sie im Schlafe. Wenn es nur zu plombiren wäre! Eine Republik ohne Guillotine — und sie sagen uns doch seit vierzig Jahren: Repu¬ blik und Guillotine, das wäre Alle eins! Freiheit ohne Blut — und sie lehren doch der Hofraths-Ju¬ gend in allen Schulen: die Freiheit sey eine Art Fisch der nur im rothen Meere lebe! Aber sie hof¬ fen sehr auf eine bessere Zukunft, auf Blut und Königthum auch in der neuen Welt. Sie haben es längst vorher gesagt, das Band welches die verschie¬ denen Länder Amerikas aneinander knüpfe würde bald zerrissen und dann würden die vereinigten Staaten aus der gottlosen Liste der Republiken gestrichen und in die heilige Civilliste gesetzt werden. Und in diesen Tagen hat sich wirklich ereignet, daß eine Provinz 14 * der vereinigten Staaten, aus Unzufriedenheit mit ei¬ nem Douanengesetze, das ihrem Handel schadet, sich von der Union gewaltsam loszutrennen droht. Schon fangen die Aristokraten zu jubeln an. „ Das Werk Washingtons und Frankreichs stürzt zu¬ sammen ;“ schon halten die Europäischen Fürsten im Stillen eine Familien-Musterung und vertheilen Ame¬ rika zwischen ihre Ottos, Carls, Wilhelms und Fried¬ richs; schon erkundigt sich Herr von Gagern ver¬ traulich bei Herrn Rothschild, welcher Fürst am mei¬ sten Credit habe, und arbeitet an einer schönen Rede für die hessendarmstädtische Kammer, worin er von der Brüderschaft des Missisippi und des Rheins spricht. Unvergleichlich ist die dumme Naivität mit welcher die Royalisten die Naturnothwendigkeit der monarchischen Regierungen darthun und ihre feste Hoffnung aus¬ drücken, daß Gott in seiner Barmherzigkeit auch bald den amerikanischen Völkern Könige verleihen werde. Sie sagen: ein Staat in seiner Kindheit und in seinem Greisenalter könne der Monarchie nicht ent¬ behren. O! zugegeben mit tausend Freuden. Aber was folgt daraus? daß eine Monarchie nichts als eine Laufbank oder eine Krücke ist, und daß wenn man der Laufbank nicht mehr und der Krücke noch nicht bedarf, man keine Könige braucht. Ich gebe ihnen mehr zu als sie verlangen, und bekenne daß die Staaten nicht blos in ihren Kinderjahren und im hohen Alter, sondern auch zu jeder Zeit ihres Lebens einer fürstlichen Regierung bedürfen — sobald sie krank werden. Dann ist die Monarchie das Heil¬ mittel und der Fürst der Arzt. Aber sobald die Ge¬ sundheit zurückkehrt, wirft man das Arznei-Glas zum Fenster hinaus und verabschiedet die Aerzte. In die¬ sem Zustande der Wiedergenesung ist jetzt der größte Theil der europäischen Welt. Wozu also noch län¬ ger Doktor und Apotheker? wozu so vieles Geld für Arznei-Mittel ausgeben, das wir für unsere Nah¬ rung nützlicher und angenehmer verwenden könnten? Aber da giebt es Völker die von Gesundheit strotzen und in der Einbildung krank sind, nur da sehen wir die ganze lächerliche und traurige Geschichte von Mo¬ lieres malade imaginaire . Lesen Sie gleich vorn die Apotheker-Rechnungen: es ist eine Satyre auf die monarchischen Budgets. Da sind die Volks-Doktoren Dnifarius Vater und Sohn; da ist der Volks-Apo¬ theker Pargo, die den unglücklichen Argan anführen und abführen, daß es ein Erbarmen ist. Wohlmei¬ nende Freunde belehren ihn, daß er gesund sey, und er möge doch Doktor und Apotheker zur Thüre hin¬ aus werfen; aber da tritt jedesmal madame Belise , der nach dem Gelde des armen Tropfes gelüstet, zur rechten Zeit hinzu und spricht zärtlich mon petit fils, mon ami, mon pauvre mouton ! und erstickt ihn unter Federbetten. Endlich aber, ich hoffe es, wird wie Argan auch das Volk klug werden, sich selbst zum Doktor kreiren und das erhabene und geheim¬ nißvolle clysterium donare, postea segnare, en¬ suita purgare — was man regieren nennt — selbst lernen und ausüben. Haben Sie aber, wenn Sie Thee getrunken, je daran gedacht, daß er der Thee ist dem wir die Ame¬ rikanische Freiheit zu verdanken und alle die herrlichen Folgen, die sie für Europa gehabt? Ein Zoll den das englische Parlament auf den Thee gelegt, veran¬ laßte den Abfall der amerikanischen Colonien. Ich rede da freilich im Geiste der Monarchisten, die jede Revolution einem unglücklichen Zufalle zuschreiben; wäre es nicht der Thee gewesen, wäre eine andere Veranlassung dazu gekommen; nicht die Freiheit, die Tyrannei bedarf einer Erklärung. Doch ist es im¬ mer schön, daß es der Thee war, und daß er so wieder gut machte was er verdarb. Nehmlich der Thee, der Kaffe und andere indischen Gewürze, haben erstaunlich viel dazu beigetragen, die Despotie in Europa zu begründen — einerseits, indem sie die Völker durch den Genuß körperlich, durch Gewöhnung an Ueppigkeit geistig entnervt haben, und andererseits, indem das Emporblühen des Handels die Fürsten be¬ reichert hat, so daß sie sich stehende Heere bilden konnten, mit welchen sie die Freiheit niederschlugen. Trinken Sie die nächste Tasse Thee auf die Gesund¬ heit Carolinens , nehmlich jener amerikanischen Provinz, die durch ihren Widerspruch das Land zu entzweien droht; trinken Sie auf das Wohl der Frei¬ heit überhaupt; es geht dem armen Mädchen gar zu schlecht. Weil wir gerade vom Thee sprechen, muß ich Sie doch über etwas fragen, das mich seit einigen Tagen sehr beunruhigt. Ich kaufte mir Thee, grü¬ nen und schwarzen, von beiden gleich viel an Gewicht. Ich habe für jede Sorte eine besondere Büchse. Als ich nun zu Hause die Büchse füllte, machte der schwarze Thee die Büchse ganz voll, der grüne aber nur zur Hälfte. Es ist nun die Frage: bin ich betrogen oder nimmt der grüne Thee weniger Raum ein, als der schwarze? Es wäre merkwürdig wenn ein Betrug stattgefunden, es war doch ein maison de confiance in dem ich den Thee kaufte. Ein maison de confiance nennt man hier einen Kauf¬ laden, worin man geprellt wird wie in jedem; aber man darf kein Wort dagegen sagen. Beklagt man sich im mindesten, antworten sie stolz c'est une maison de conficiance. Mittwoch, den 15. Januar. Da ist Ihr Brief, ich kann aber heute nicht mehr auf Alles antworten, ich bin gestört worden, es ist zu spät. Ein Spanier hat mich besucht, einst beim Corps des Marquis Romana. Ich erzähle Ih¬ nen noch von ihm. — Eine gemischte Schulkommission , heißt eine Schulkommission, die aus Dummheit und Pedanterie gemischt ist. Adieu. Neunzehnter Brief. Paris, Freitag, den 18. Januar 1833. Ich glaube es war mein vorletzter Brief, dessen Kürze ich durch störende Besuche erklärte. Kein wahres Wort daran. Es war wieder ein schönes Buch, in dem ich herumkroch wie eine Fliege in der Zuckerdose, und ich konnte nicht heraus. Wenn Sie mir auf das Heiligste versprechen wollen, es gar nicht in die Hand zu nehmen an den Tagen an wel¬ chen Sie mir zu schreiben haben, will ich es Ihnen verrathen. Es heißt: Mémoires d'un cadet de famille , aus dem Englischen übersetzt, bis jetzt zwei Bände. Der Name des Verfassers steht auf dem Titel, aber ich habe ihn vergessen und das Buch schon weggegeben. Er nennt sich Freund des Lord Byron . Der Held dieser Denkwürdig¬ keiten war ein Seeräuber und hat dem Lord Byron den Stoff zu seinem Corsar und den Giour ge¬ geben. Freilich können diese Denkwürdigkeiten für eine Frau nicht so anziehend sein als für einen Mann .... Für einen Mann? O! Es ist mein Spott. Ich meine: für Männer wie wir sind; ich meine: für einen Mann wie ich bin, der glaubt et¬ was zu sein, weil er sich schämt nichts zu sein. Ich schwöre es Ihnen, als ich in dem Buche las, hob ich meinen Arm hoch empor und redete ihn an: Schlingel, alter Schlingel! sage mir doch, was hast du denn gethan in deinem halben Jahrhunderte? Ich saß am Kamine und starrte in die lodernde Glut. Brennen — leben! Von diesem Holze bleibt ein wenig Asche übrig, das Andere Alles geht als Rauch in die Luft. Aber dieser Rauch sammelt sich zu Wolken, diese Wolken stürzen als Regen herab der die Erde befruchtet, und so ernährt der Tod das Leben. Auch von den Menschen bleibt nur ein we¬ nig Asche übrig, auch sein ganzes Dasein geht in Rauch auf; aber dieser Rauch wird nicht zur Wolke, er kehrt nicht zurück, er befruchtet nichts. Wo kom¬ men nun die zahllosen, unbeuutzten , ungenossenen Kräfte aller der Millionen Menschen hin, die nichts waren, die nichts werden durften? Die Erziehung schlägt sie todt. Gut, ich weiß das; aber was wird aus ihnen nach dem Tode? Wehe, die Erziehung! Sobald ein Mensch geboren wird — gleich umstellen und umlauern ihn die Mutter, die Amme, der Va¬ ter, die Wärterin; später kömmt der Lehrer, später der Polizeimann dazu. Die Mutter bringt ein Stückchen Zucker, die Amme ein Mährchen, die Wär¬ terin eine Ruthe, der Vater den Vorwurf, der Leh¬ rer den Stock, der Staat seine Ketten, sein Henker¬ beil. Und zeigt sich eine Kraft, rührt sich, stammelt nur eine Kraft — gleich wird sie fortgeschmeichelt, fortgepredigt oder fortgezüchtigt. So werden wir wohlerzogene Menschen, so bekommen wir schöne Ta¬ lente. Wissen Sie was ein großes Talent heißt? Ein Talent ist eine große fette Gansleber. Es ist eine Krankheit; der Leber wird das ganze arme Thier aufgeopfert. Wir werden in einen engen Stall ge¬ sperrt, dürfen uns nicht bewegen, daß wir fett wer¬ den; werden gestopft mit moralischem Welschkorn und gelehrten Nudeln, und dann schnaufen wir und ersticken fast vor Moral, Gelehrsamkeit und Polizei¬ furcht, und dann kömmt eine alte Köchin von Re¬ gierung, betastet uns, lobt uns, schlachtet uns, rupft uns und benutzt unsere schönen Talente. Was nur an uns stirbt möchte ich wissen; ich möchte wissen, was nur der Tod an uns zu holen findet! Aber der Tod ist ein armer Hund; nichts als Knochen sein ganzes Leben lang, selten daß ihm ein voller Mensch herabfällt. Dieser Corsar — man kann es aus den Epo¬ chen seines Lebens berechnen, er war ein Knabe als die Seeschlacht von Trafalgar vorfiel — ist jetzt erst vierzig Jahre alt und lebt wahrscheinlich schon längst wieder in seinem Vaterlande und baut sein Feld. Ein Jahrtausend am Leben hat er schon zurückgelegt und die dreißig Jahre die er noch leben mag, sind ihm ein Desert, eine Sieste. Thaten, von welchen, eine einzige nur, das ganze arme Leben eines Men¬ schen bereichern könnte, hat er vergessen, und jetzt in seiner Einsamkeit, da er seine Denkwürdigkeiten schrieb, war es oft eine seltene Waffe, die er erbeutet und noch besitzt, oder ein anderes Zeichen, was ihn an eine blutige Schlacht, an eine furchtbare Gefahr er¬ innert. Der indische Ocean, mit seinen liebeswar¬ men, seligen Inseln, war sein Spielplatz. Dort ist die kriegerische Sonne, deren Pfeile Niobes Töchter getödtet; dort ist das ächte Urbild der Sonne, die wir nur aus Kupferstichen kennen. Da wachsen An¬ nanas wie bei uns die Rüben. Der Tiger beheult die Nacht, wie bei uns die Nachtigall sie besingt. Der Pfeil eines Wilden ist Morgengruß, der ver¬ giftete Dolch eines Malaien ist Abendgruß. Er hatte eine Liebe, ein arabisches Mädchen, Zela , die Tochter eines Scheiks. Einmal in der Nacht überfiel er einen malaiischen Ort und metzelte die Einwohner nieder, sie für verübte Gewaltthätig¬ keiten zu züchtigen. Die Gefangenen der Malaien befreite er. Unter diesen war ein Araber, zum Tode verwundet, der ehe er verschied, die Hand seiner vierzehenjährigen Tochter in die ihres Erretters legte. Der Corsar trug sie auf seinen Schultern in sein Schiff. Sie ward sein Weib, die Mutter seiner Kinder, sie begleitete ihn auf allen seinen Seezügen, theilte alle seine Gefahren, ward sein Schutzgeist. Könnte ich Ihnen die arabische Zela schildern! Sie ist der holde Genius des Kaffes , der heiße dunkle Blick des Morgenlandes, ein Brennspiegel der Seeligkeit. Zela ist für den Geist des Corsaren, was der Kaffe für sein Fleisch. Denn ich muß Ihnen sagen, er trinkt Kaffe, wie ich auch, nur unter an¬ dern Umständen, und das hat mich am meisten ge¬ ärgert und darüber bin ich roth geworden. Ich trinke Kaffe — nicht einmal des Morgens, da kann ich ihn nicht vertragen; sondern Mittags nach dem Essen, nachdem ich etwas geschlummert, um neue Kraft zu neuer Schwäche zu sammeln; ehe ich mich wieder an den Schreibtisch setze und federfuchse und schimpfe wie ein altes Weib gegen Buben, die mit Steinen nach mir werfen. Er — wenn ihn eine tolle Meereswoge in die See schleudert und die Wel¬ len mit ihm spielen und ihn sich einander zurollen; sein Muth und seine Stärke helfen ihm wieder em¬ por, er wird halbtodt an Bord gebracht — er trinkt Kaffe und alles ist wieder gut. Wenn er aus sechs Wunden blutend ohnmächtig niedersinkt; der dumme Schiffs-Chirurg kömmt mit Kübeln von Arzneitränken, mit seinen Messern ihm Arme und Beine abzuschnei¬ den — der Held schlägt die Augen auf, fordert eine Tasse Kaffe, trinkt sie und ist geheilt. Wenn — doch genug. O Schlingel! — ich. O Schlingels! — Ihr. Samstag, den 19. Januar. ..... Auf das was **** sagt, lassen Sie Acht geben. Er steht zwar ganz unten in der vor¬ nehmen Welt, aber unter der aristokratischen Sipp¬ schaft herrscht eine merkwürdige Sympathie, und wenn man aufmerksam ist, kann man oft unten hö¬ ren was oben gesprochen wird und so erfahren was sie vorhaben. Es kann recht leicht sein, daß sie die߬ mal meine Briefe nicht verbieten, planmäßig nicht; denn aus der Polizeilumperei kommen sie nie heraus. Sie halten immer für leicht und möglich die öffent¬ liche Meinung zu unterdrücken oder zu beherrschen, und wenn es ihnen mislingt, denken sie, sie hätten nur das rechte Mittel nicht gewählt. Das Verbot der Briefe hat nichts geholfen, jetzt denken sie die Duldung werde wirksamer sein, aber ihre Verachtung wird mir so wenig schaden, als ihr Haß. Ich habe den Artikel in der Nürnberger Zeitung gelesen. Er ist gut gemeint; aber ich finde mich noch schwerer in diese Menschen, als sie sich in mich finden. Da heißt es wieder: es sei doch jammer¬ schade, daß ein so geistreicher Mann, wie ich sei, und der so unendlich viel Gutes wirken könnte, so unmäßig wäre! Guter Gott! Auf wen soll ich denn wirken? Auf die Regierungen etwa? Auf den Fürsten von Wallerstein, den Herrn von Blit¬ tersdorf, den Herrn von Nagler? Oder wohl gar auf die regierenden Fürsten, auf den Großherzog von Baden etwa, den ein Fluß über welchen eine be¬ queme Brücke führt von der Weltschule trennt und der nichts gelernt. Auf einen Fürsten der sein Wort gebrochen, und für die Klagen und Schmähungen seines Volkes reichlichen Ersatz in einem preußischen Generals-Titel findet und in einem artigen Briefe, den ihm sein König geschrieben? Ich soll Gehör bei Menschen suchen, die vierzig Jahre lang den Don¬ ner des Himmels überhört? Und das noch mit freund¬ lichen Worten, mit Höflichkeit und Bescheidenheit! Meine Hofmeister sehen eine deutsche Regierung für eine alte gute Großmutter an. Sie meinen: die Großmutter hat ihre Launen, denn sie ist alt und kränklich; aber sie ist doch unsere Großmutter, wir müssen Nachsicht mit ihr haben. Nein, nein, nein, zum Teufel! nein. Nicht Großmütter, Furien sind unsere Regierungen. Ist es großmütterlich was Baiern thut, das jeden Mann von Gefühl auf die Folter einer peinlichen Untersuchung spannt, bis er bekenne, wer seine Mitfühlenden gewesen? Ist es großmütterlich, wenn die Nassauer Regierung einen Greis von siebenzig Jahren in einer Winternacht aus seiner einsamen Landwohnung reißt und ihn auf drei Jahre zu Dieben und Räubern ins Zuchthaus sperrt, weil er in einer ausländischen Zeitung freimüthig über die Finanzen des Landes gesprochen? Ist es gro߬ mütterlich, wenn die preußische Regierung, wie sie selbst bekannt macht, Spione in Paris hält, die ihr jedes Wort der Klagen eines ihrer Unterthanen be¬ richten? Mit des Teufels Großmutter will ich höf¬ lich sein, aber mit keiner Rabenmutter von deutscher Regierung. Ich habe mir das oben besprochene Buch aus der Leihbibliothek noch einmal holen lassen. Der Verfasser heißt Trelawney und nennt sich „ Com¬ pagnon et ami de Lord Byron .“ Ich habe nicht Zeit mehr das Blatt herunterzu¬ schreiben; ich bin wieder durch Besuche gestört wor¬ den. Adieu. V. 15 Zwanzigster Brief. Paris, Sonntag, den 20. Januar 1833. Meine deutsche Eselshaut ist schon wieder voll und ich muß sie aufräumen, um für die neue Woche Platz zu bekommen. Deutsche Eselshaut nenne ich die Pergamentblätter in meiner Schreibtafel, die dazu bestimmt sind, beim Zeitungslesen die deutschen Angelegenheiten zu merken. Wollte ich sie, wie ich es mit dem übrigen Europa mache, auf Papier zeich¬ nen, müßte ich mir jeden Monat ein neues Taschen¬ buch kaufen. Sie sollten nur einmal das kleine gelbe Ding sehen, man glaubt es nicht wie viel Aerger hineingeht. Wenn ich das nachher in Briefen aus¬ breite, ist es nichts mehr; es ist dann Schaam, Zorn, Wuth, Schrecken in vieler Dinte aufgelößt. Aber auf dem Pergamente ist es die reine natürliche Leidenschaft, wie sie aus dem Herzen kömmt. Oft nur ein Wort, ein Zeichen, ein Schrei; aber beredt¬ samer als die schönste lange Rede. Wenn Worte, wenn ein Ach, ein O, ein Weh zünden könnten, schleuderte ich einmal mein Taschenbuch in das ver¬ fluchte taxische Haus, daß das ganze Sünden-Regi¬ ster mit allen Sünden-Registratoren in Rauch und Feuer aufginge. Dort ist die Büchse der Pandora, nur ohne die Hoffnung. Doch nein, nicht ohne Hoff¬ nung! die Hoffnung ist da, aber nicht in der Büchse; ich hoffe mehr als je. Es kann nicht lange mehr so bleiben, sie machen es zu arg. Ein Volk erträgt lange den Haß, den Zorn, den Druck, wohl auch den Spott seiner Tyrannen: aber die Verachtung — nein. Was! die Milch, das sanfte, harmlose Ding, wird sauer und gerinnt, steift sich und widersteht, wenn man sie etwas tückisch anhaucht wenn sie einer schlägt — und das stolze Blut, der edle Sohn des Körpers und der Seele, sollte sich nicht rühren, wenn freche Edelbuben in ihm herum plätschern? Es kann nicht sein, das ist nicht möglich, das ertragen sie nicht lange mehr — es ist Eisen im Blute. Die Volkskammer in Weimar hatte die Oeffent¬ lichkeit ihrer Sitzungen beschlossen; denn was wäre selbst die Wahrheit im Verborgenen? Nur eine ge¬ fährliche Waffe mehr in den Händen der Lüge. Aber die Edelleute in der andern Kammer haben die Oef¬ fentlichkeit verworfen, denn sie meinten in ihrer Weis¬ heit, damit hätten noch alle Revolutionen und Repu¬ 15 * bliken angefangen und alle Monarchien geendet — worin sie auch ganz Recht haben. Der Hauptmann der Edelleute, der Landesfürst, hat den Antrag der Kammer auch verworfen, mit all dem lächerlichen Hochmuthe, dessen ein kleiner deutscher Fürst nur fä¬ hig ist, mit dem ganzen Trotze, den der Schwager eines Kosaken-Kaisers sich glaubt erlauben zu dürfen. Man muß die Epistel lesen, die der Großherzog sei¬ nen getreuen Ständen vor die Füße geworfen hat! Er sagt ihnen: sie möchten ihm ja mit solchem Zeuge nicht mehr kommen, und das Volk solle ja nie in Menge etwas fordern, mit zahlreichen Bittschriften nahen; denn wenn er noch so geeignet wäre etwas zu bewilligen , und wenn es das Bil¬ ligste wäre — nie würde er thun was viele , was Alle von ihm verlangten ! Die Epistel schließt mit den Worten: „Wir bestätigen übrigens „sämmtlichen Abgeordneten und durch solche sämmt¬ „lichen geliebten Unterthanen noch wörtlich die Fort¬ „dauer unserer festbegründeten Huld und Gnade.“ Bedenke dich glückliches Volk! Sehen Sie, so spricht Göthes würdiger Zögling. Aber ich hoffe die Zeit wird bald kommen, daß wir diesen deutschen Fürstchen unsere Huld und Gnade bezeigen und bei Gott! ich hoffe, das nicht blos wörtlich. In Hannover ist ganz das nämliche geschehen; auch dort hat die Adelskammer den Antrag der Volks¬ Deputirten auf Oeffentlichkeit verworfen. Die ar¬ men Hanoveraner sind am schlimmsten daran, unter allen deutschen Völkerschaften. Sie müssen ihrem Könige vergüten was er an zwölf Millionen freier brittischer Bürger verliert; auf jeden Hanoveraner kömmt die Tyrannei von dreizehen Seelen. So ist der deutsche Adel! Nach der Juli-Revolution mußte er gezwungen ein ganzes Jahr fasten, und jetzt holt er heißhungrig die 365 versäumten Mahlzeiten nach. Wohl bekomme es ihnen! Nur daß sie sich hüten, sich nicht den Magen zu verderben, daß sie sich wohl hüten; denn wahrlich, lassen sie es zum Brechen kommen, möchte es ihnen schlimm ergehen. So ist der Adel aller Länder und Zeiten, so wird er bleiben, so lange man ihn duldet. Er ist immer so gewesen, er ist im Livius was in der Mannhei¬ mer Zeitung. Sie erkennen keinen Gott der Men¬ schen, sie erkennen nur einen Gott der Edelleute; sie erkennen keinen Volks-Fürsten, sie erkennen im Für¬ sten nur ihren Hauptmann; sie erkennen kein Vater¬ land, der Hof ist ihr Wald, das Land eine Stätte ihrer Räuberei, das Volk ihre Leute . Im Jahr 1816 hielt der Vicomte von Castelbajac, ein restau¬ rirter Emigrant, in der französischen Deputirtenkam¬ mer eine feurige Rede über die Wiederherstellung der Religion, durch Vermehrung der Macht und des Reichthums der Geistlichkeit. Da, im heiligen Eifer, entwischte ihm der Ausdruck: „ das Wohl des Vaterlandes “ ... Vaterland ! Er erschrack seines unwillkührlichen Verbrechens und sich entschul¬ digend sagte er der Kammer: „ Du reste, en em¬ „ployant le mot patrie , je n'entends point le „mot dont on a tant abusé, qui a servi de pré¬ „texte à tous les interêts, à toutes les passions, „et d'excuse à tous les crimes ; j'entends „ par patrie , non le sol où je suis atta¬ „ ché sous les honteuses lois de l'usur ¬ „ pation , mais le pays de mes pères avec „ le gouvernement légitime .‟ — Die Freiburger Bürger hatten den Herrn von Rotteck zu ihrem Bürgermeister gewählt, aber die Badische Regierung hat diese Wahl verworfen. Nun darüber läßt sich nichts sagen, das ist etwas Bundestägliches. Die Minister hatten ihre ganze Macht gebraucht, all ihren Einfluß geübt, alle ihre Ränke spielen lassen, diese Wahl zu verhindern; sie hatten dem Herrn von Rotteck ihren eignen Candi¬ daten entgegengesetzt, und er bekam achthundert Stim¬ men, und der Regierungs-Candidat nur zweihundert. Sehen sie, was die höchst- und allerhöchst weisen Bundestagsbeschlüsse für ganz unterthänigste Folgen haben. Freiburg, in dem größten Theile seiner Be¬ völkerung, war gar nicht liberal. Viele waren aus alten Zeiten noch östreichisch gestimmt, die meisten waren Gegner von Rotteck und Welcker, denn die guten Bürger hatten sich von ihren Regierungs- Pfaffen weiß machen lassen, Welcker und Rotteck wären Schuld an der Sündfluth. Als ich verflosse¬ nen Sommer dort war, wohnte ich einem Abendessen von dreißig bis vierzig Personen bei. Darunter wa¬ ren etwa zehen Bürger, alle übrigen waren aus dem gelehrten Stande. Man versicherte mich, ich sähe da alles beisammen was in Freiburg an Liberalismus aufzutreiben gewesen. Und wie hat sich das jetzt geändert! Das haben die Bundestags-Gesandten bewirkt, das sind die wahren Revolutionärs, die gu¬ ten ächten Hambacher. Der Großherzog von Baden hätte tausendmal eher den Herrn von Blittersdorf pensioniren sollen als Rotteck und Welcker. Aber sie sind mit Blindheit geschlagen, mit einer Blind¬ heit gegen welche die Aegyptische Finsterniß blendendes Tageslicht ist. Ich bitte Sie, thun Sie mir doch den Gefallen und fragen Sie mich in Ihrem näch¬ sten Briefe: ob ich denn gar nichts über die Bun¬ destagsbeschlüsse schreiben werde? Ich möchte Sie gern auslachen, das wird mich erheitern. Den vie¬ len Narren, die seit vorigem Sommer diese Frage an mich gethan, wollte ich aus Höflichkeit nicht in das Gesicht lachen: aber mit Ihnen als meiner lie¬ ben Freundin brauche ich keine Umstände zu machen. Ich soll von den Bundestags-Beschlüssen sprechen! Als hätte ich mich darüber gewundert, als wäre ich einer jener Thoren die das überrascht. Ich hatte die Bundestags-Beschlüsse schon ein Jahr früher gelesen, ehe sie gedruckt, ja ehe sie geschrieben waren. Habe ich denn in den Pariser Briefen von vorigem Win¬ ter nicht davon gesprochen? Doch vielleicht das nicht einmal; es schien mir so etwas natürliches, so et¬ was zu seyn, was sich ganz von selbst versteht.