Börne's Briefe aus Paris 1830—1831. Erster Theil. Börne's Schriften 1r bis 8r Band sind bis zum Schluß der Leipziger Ostermesse 1832 noch zum zweiten Subscriptionspreise zu 6 Thlr. zu bekommen. Dann tritt der Ladenpreis dafür mit 8 Thlr. ein. Gesammelte Schriften von Ludwig Boͤrne . Neunter Theil. Hamburg . Bei Hoffmann und Campe . 1832 . Briefe aus Paris 1830—1831 von Ludwig Boͤrne . Erster Theil . Hamburg . Bei Hoffmann und Campe . 1832 . Inhalt . Erster Brief Seite 1 Zweiter Brief — 4 Dritter Brief — 8 Vierter Brief — 14 Fünfter Brief — 29 Sechster Brief — 35 Siebenter Brief — 46 Achter Brief — 53 Neunter Brief — 60 Zehnter Brief — 65 Eilfter Brief — 73 Zwölfter Brief — 81 Dreizehnter Brief — 90 Vierzehnter Brief — 98 Funfzehnter Brief — 110 Sechszehnter Brief — 116 Siebzehnter Brief — 124 Achtzehnter Brief — 129 Neunzehnter Brief Seite 137 Zwanzigster Brief — 147 Ein und zwanzigster Brief — 155 Zwei und zwanzigster Brief — 163 Drei und zwanzigster Brief — 168 Vier und zwanzigster Brief — 172 Fünf und zwanzigster Brief — 183 Sechs und zwanzigster Brief — 197 Sieben und zwanzigster Brief — 210 Acht und zwanzigster Brief — 223 Erster Brief. Karlsruhe, Sonntag den 5. September 1830. I ch fange an den guten Reisegeist zu spüren, und einige von der Legion Teufel, die ich im Leibe habe, sind schon ausgezogen. Aber je näher ich der französischen Grenze komme, je toller werde ich. Weiß ich doch jetzt schon, was ich thun werde auf der Kehler Brücke, sobald ich der letzten badischen Schildwache den Rücken zukehre. Doch darf ich das keinem Frauen¬ zimmer verrathen. Gestern Abend war ich bei S. Die hatten einmal eine Freude mich zu sehen! Sie wußten gar nicht, was sie mir alles Liebes erzeugen sollten, sie hätten mir gern die ganze Universität gebraten vor¬ gesetzt. Mir Aermsten mit meinem romantischen Magen! Nicht der Vogel Rock verdaute das. Die W. hat einen prächtigen Jungen. Ich sah eine I. 1 schönere Zeit in rosenrother Knospe. Wenn die ein¬ mal aufbricht! Wie gern hätte ich ihn der Mutter gestohlen, und ihn mit mir über den Rhein geführt, ihn dort zu erziehen mit Schlägen und Küssen, mit Hunger und Rosinen, daß er lerne frei sein und dann zurückkehre, frei zu machen. In Heidelberg sah ich die ersten Franzosen mit dreifarbigen Bändern. Anfänglich sah ich es für Orden an, und mein Ordens-Gelübde legte mir die Pflicht auf, mich bei solchem Anblicke inbrünstig zu ärgern. Aber ein Knabe, der auch sein Band trug, brachte mich auf die rechte Spur. Ich mußte lachen als ich nach Darmstadt kam und mich erinnerte, daß da vor wenigen Tagen eine fürchterliche Revolution gewesen seyn soll, wie man in Frankfurt erzählte. Es ist eine Stille auf den Straßen, gleich der bei uns in der Nacht, und die wenigen Menschen, die vorübergehen, treten nicht lauter auf als die Schnecken. Erzählte man sich sogar bei uns, das Schloß brenne, und einer meiner Freunde stieg den hohen Pfarr-Thurm hinauf, den Brand zu sehen! Es war Alles gelogen. Die Bür¬ ger sind unzufrieden, aber nicht mit der Regierung, sondern mit den Liberalen in der Kammer, die dem Großherzoge seine Schulden nicht bezahlen wollen. Das ist deutsches Volks-Murren, das laß ich mir gefallen; darin ist Rossinische Melodie. Wenn Sie mir es nicht glauben werden, daß ich gestern drei Stunden im Theater gesessen, und mit himmlischer Geduld Minna von Barnhelm bis zu Ende gesehen — bin ich gar nicht böse darüber. Aber das Unwahrscheinlichste ist manchmal wahr. Auf der Reise kann ich alles vertragen. Die Theaterwache in Darmstadt war gewiß funfzig Mann stark. Ich glaube auf je zwei Zu¬ schauer war ein Soldat gerechnet. Noch viel zu wenig in solcher tollen Zeit. Und diesen Morgen um sechs Uhr zogen einige Schwadronen Reiter an meinem Fenster vorüber und trompeteten mich, und alle Kinder, und alle Greise, und alle Kranken, und alle süßträumenden Mädchen aus dem Schlafe. Das geschieht wohl jeden Tag. Diese kleinen deutschen Fürsten in ihren Nußschal-Residenzen sind gerüstet und gestachelt wie die wilden Kastanien. Wie froh bin ich, daß ich aus dem Lande gehe. Adieu, Adieu. Und schreiben Sie mir es nur auf der Stelle, so oft bei uns eine schöne Dumm¬ heit vorfällt. 1 * Zweiter Brief. Strasburg, den 7. September. Die erste französische Kokarde sah ich an dem Hute eines Bauers, der von Strasburg kommend in Kehl an mir vorüberging. Mich entzückte der Anblick. Es erschien mir wie ein kleiner Regenbogen nach der Sündfluth unserer Tage, als das Friedens¬ zeichen des versöhnten Gottes. Ach! und als mir die dreifarbige Fahne entgegenfunkelte — ganz un¬ beschreiblich hat mich das aufgeregt. Das Herz pochte mir bis zum Uebelbefinden und nur Thränen konnten meine gepreßte Brust erleichtern. Es war ein unentschiedenes Gemisch von Liebe und Haß, von Freude und Trauer, von Hoffnung und Furcht. Der Muth konnte die Wehmuth, die Wehmuth in meiner Brust den Muth nicht besiegen. Es war ein Streit ohne Ende und ohne Friede. Die Fahne stand mitten auf der Brücke, mit der Stange in Frankreichs Erde wurzelnd, aber ein Theil des Tu¬ ches flatterte in deutscher Luft. Fragen Sie doch den ersten besten Legations-Sekretär, ob das nicht gegen das Völkerrecht sei? Es war nur der rothe Farbenstreif der Fahne, der in unser Mutterland hineinflatterte. Das wird auch die einzige Farbe seyn, die uns zu Theil wird werden von Frankreichs Freiheit. Roth, Blut, Blut — ach! und nicht Blut auf dem Schlachtfelde. Gott! könnte ich doch auch einmal unter dieser Fahne streiten, nur einen einzigen Tag mit rother Dinte schreiben, wie gern wollte ich meine gesam¬ melten Schriften verbrennen, und selbst den unschul¬ digen achten Theil von ihnen, der noch im Mutter¬ schoose meiner Phantasie ruht! Schmach, Schmach über unser Andenken! Einst werden die siegesfrohen, siegesübermüthigen Enkel spottend einen Gansflügel auf unseren Grabeshügel stecken, während glücklichere Todte unter dem Schatten der Lorbeeren ruhen. Ich begreife, wie man gegenwärtige Uebel geduldig er¬ trägt — es gibt kein gegenwärtiges Uebel, es wird nach jeder Minute zur Vergangenheit — aber wie erträgt man zukünftige Leiden? das fasse ich nicht. Diesen Mittag war ein junger Mensch bei Tische, der in Paris mit gefochten. Es war mir gerade als brennten ihm die Haare, und unwillkühr¬ lich rückte ich von ihm weg, ob zwar ich deutsches nasses Holz ihn eher ausgelöscht hätte, als er mich angezündet. Wir waren unserer neun, worunter drei alte Weiber, mich mitgerechnet, und ich habe in einer einzigen Stunde mehr sprechen hören, als im eng¬ lischen Hofe während der zwei Monate, daß ich dort zu Tische ging. Ich wollte hier einen Platz im Coupe nehmen, aber schon auf acht Tage voraus war das Cabriolet in Beschlag genommen, und so lange habe ich keine Geduld zu warten. Mich in den innern Wagen zu setzen, dazu kann ich mich nicht entschließen. Uebri¬ gens sind auch hier die Plätze schon auf mehrere Tage besetzt. Diese Frequenz kommt von den un¬ zähligen Soliciteurs, die täglich nach Paris eilen, den jungen Freiheitsbaum zu schütteln. Donnerstag, den 8. September. Um zehen Uhr reise ich weiter. Ich habe mir einen Miethwagen bis Chalons genommen. Das ist zwei Dritt-Theile des Weges. Mit dem nehmlichen Kutscher und dem nehmlichen Wagen, ist vor kurzem Potter nach Paris gefahren. Ich wohnte hier in dem nehmlichen Zimmer, das er bewohnte. Was das Zimmer betrifft, ist mir nicht bange; eine Nacht, das kann mir nicht schaden. Aber acht Tage in Potters Wagen? Ich werde ihn durchräuchern lassen. Eben zog die National-Garde vorüber. Ich erstaunte über ihr gesundes und frisches Aussehen, da sie doch einige Jahre scheintodt im Grabe gele¬ gen. Aber die Freiheit lebt auch im Grabe fort und wächst, bis sie den Sarg sprengt. Das sollten sich die Todtengräber merken. Dritter Brief. Lüneville, den 9. September. Guten Morgen oder guten Abend? Ich weiß nicht um welche Tageszeit Sie meine Briefe erhal¬ ten. Hier übernachte ich, morgen Mittag komme ich nach Nancy. Ich befinde mich sehr wohl und reise bequem. Es ist freilich eine Schneckenfahrt, doch hat das auch seine Vortheile. Während die Räder sich langsam drehen, hat man Zeit manches zu bemerken, und die Physiognomie des Landes zu beobachten. Aber nein, so ein leeres Gesicht ist mir noch gar nicht vorgekommen. Lebloseres, langweili¬ geres, verdrüßlicheres gibt es gar nicht als dieser ganze Weg von der deutschen Grenze bis nach Paris. Es ist jetzt das dritte Mal, daß ich ihn zurücklege. Mir kommt er vor wie ein langer stiller Gang, nur gebaut, in das wohnliche Paris zu führen, und die mir begegnenden Menschen erscheinen mir als die Diener des Hauses, die hin und her eilen, die Befehle ihres Herrn zu vollziehen und ihm aufzu¬ warten. Die Bevölkerung in den Provinzen hat eine wahre Lakaien-Art, sie spricht von nichts als von ihrem gnädigen Herrn Paris. Die Städte, die Dör¬ fer sind Misthaufen, bestimmt Paris zu düngen. Wenn auch die andern Provinzen Frankreichs denen gleichen, die ich kenne, so möchte ich außerhalb Paris kein Franzose sein, weder König noch Bürger. Vitry-sür-Marne, den 12. September. — Das menschliche Leben ist voller Rechnungs¬ fehler und ich weiß wahrhaftig nicht, wozu uns das Einmal Eins nützt. Der Teufel ist Controlleur und hat seine Freude am Widerspruch, um jeden Abend den ehrlichen Buchhalter zu verwirren. Am zwölften September des vorigen Jahres war ich, wie ich aus meinem Tagebuche ersahe, in Soden, der letzte Gast im Bade, der einzige Städter im Dorfe, saß gefan¬ gen auf meinem Zimmer, von dem schlechtesten Wet¬ ter bewacht, ward gefoltert von den boshaftesten Ner¬ ven. Es war Abends acht Uhr, ich lag auf dem Sopha, das ungeputzte Licht brannte düster, Wind und Regen klopften leise an das Fenster, es war mir, als wenn die Elemente riefen: komm zurück, wir erwarten dich! Es war mir unendlich wehe. Ich fühlte mich wie fortgeschleppt von den gewaltigen Armen der Natur, und kein Freund kam zu meiner Hülfe .... Wer mir damals gesagt hätte: heute über das Jahr bist du um diese Stunde in Vitry- sür-Marne, froh und gesund und wirst dort schlafen und nicht unter der Erde — ich hätte ihn ausge¬ lacht inmitten meiner Schmerzen. Und wer am nehmlichen Tage dem Könige von Frankreich gesagt hätte: heute übers Jahr bist du nicht König mehr, und schläfst in England? .. Es ist doch schön, kein König sein! Daran will ich künftig denken, so oft ich leide. Armer Karl! Unglücklicher Greis! die Menschen — nein, unbarmherzig sind sie nicht, aber sie sind unwissende Thoren. Sie begreifen gar nicht, was das heißt: König seyn; sie begreifen nicht was das heißt, auf schwachen menschlichen Schultern den Zorn und die Rache eines Gottes tragen; sie be¬ greifen nicht, was es heißt, einem einzigen Herzen, einer einzigen Seele die Sünden eines ganzen Volkes aufladen! Denn warum haben die Menschen Könige, als weil sie Sünder sind? Ist das Fürstenthum etwas Anderes als ein künstliches Geschwür, welches die heilbedächtige Vorsehung, den Völkern zuzieht, daß sie nicht verderben an ihren bösen Säften, daß ihre giftigen Leidenschaften alle nach außen fliehen und sich im Geschwür sammeln? Und wenn es auf¬ springt endlich — wer hat es strotzend gemacht? Nicht schonen soll man verbrecherische Könige, aber weinen soll man, daß man sie nicht schonen dürfe. Doch erzählen sie das ja keinem wieder. Denn die Thoren anderer Art möchten sagen: da ist nun ein Freiheitsliebender Mann, der doch noch sagt, es sey dem Könige von Frankreich Unrecht geschehen! Was? Recht! Unrecht! leere, tolle Worte! Verklagt den Sturm, verklagt den Blitz, verklagt das Erdbeben, verklagt das Fieber, verklagt die spitzbübische Nacht, die euch um den halben Tag geprellt — und wenn ihr den Proceß gewonnen, dann kommt ihr geschick¬ ten Advokaten und verklagt ein Volk, es habe seinem Könige Unrecht gethan! — Ich habe schon viel in Frankreich geschla¬ fen: in Strasburg, in Pfalzburg, Lüneville, Nancy, Toul, Bar-le-Düc, und heute schlafe ich hier. Es ist eine schöne Erfindung, wie Sancho Pansa sagt; und wo man schäft , man schläft immer zu Hause, und wo man träumt, man hat überall vaterländische Träume. Aber was geht das mich an? Ich bin auch wachend nirgends fremd. In den Niederlanden scheint es arg herzugehen. Was aber die Leute dort wollen und nicht wollen, begreife ich nicht recht. Ihr hättet mich nicht ab¬ halten sollen über Brüssel zu reisen. Es ist freilich kein Vergnügen todtgeschossen zu werden, und nicht zu wissen wofür. Aber wenn man im Bette stirbt, wie die Meisten, weiß man dann besser, wofür es geschieht? die Unannehmlichkeit dauert einige Minu¬ ten; das Vergnügen aber, nicht todtgeschossen wor¬ den, der Gefahr entgangen zu seyn, reicht für das ganze Leben hin. Man muß rechnen, zählen, wie¬ gen. Auf mehr oder weniger, schwerer oder leichter kommt alles an. Die Qualitäten sind nicht sehr verschieden. Ach! ich spüre es schon, es ergeht mir dieses¬ mal in Frankreich, wie die beiden vorigenmale. Die feuchte Philosophie schlägt an mir heraus, wie, wenn warme Witterung eintritt, die Stein-Wände naß werden. Es ist mir recht, diese Haut-Krankheit der Seele ist meiner betrübten Konstitution sehr heilsam. — So eben las ich in einem Pariser Blatte, die aus einer englischen Zeitung entlehnte Nachricht: in Hamburg wären Unruhen gewesen, man hätte die Juden aus den Kaffeehäusern verjagt. Und in Han¬ nover hätten sie geschrieen; à bas la noblesse! Ich kann mir gar nicht denken, wie das im Deut¬ schen gelautet haben mag; denn unsere guten Leute können keinen andern Zorn-Ruf als das lateinische Pereat! was nun den Adel betrifft, so habe ich, bei aller Menschenfreundlichkeit, nichts dagegen. Mit guten Fallschirmen versehen, wird er herunter kom¬ men ohne sich sehr wehe zu thun. Aber die Juden! die Franzosen hatten ihre Julitage, wollen die Deut¬ schen ihren August-, ihre Hunds-Tage haben? Fängt man so die Freiheit an? O, wie dumm! O, wie lächerlich! O, wie unästethisch! Von der Nieder¬ trächtigkeit will ich gar nicht sprechen; die versteht sich von selbst. Ist es aber wahr? — Die Kellnerin kam herauf und sagte mir: sie hätte meinem Bedienten ein ganz gutes Zimmer angewiesen, er verlange aber ein Appartement . Ich ließ ihn rufen, und fragte, was das seyn sollte? Da fand sich denn, daß er die bescheidenste Forde¬ rung gemacht, und eine unschuldige Neugierde zu be¬ friedigen gesucht, der kein Mensch, von welchem Stande er auch sey, lange widerstehen kann. Als feiner Nordländer war er gewohnt, das unartige Ding Appartement zu nennen. Vierter Brief. Dormans, den 15. September. Der Ort liegt 28 Stunden von Paris entfernt, hat 2300 Einwohner und 2 Seelen, die meinige mitgerechnet. Denn das weiß ich nun aus achttägiger Erfahrung, daß alle Franzosen eine gemeinschaftliche Seele haben, und die in der Provinz gar nur eine Mondseele, ein Licht aus zweiter Hand; Paris ist die Sonne. Napoleon, Rothschild, schlimme Nachrichten und andere berühmten Couriere haben den Weg von Frankfurt bis Paris schon in 48 Stunden zurück¬ gelegt. Aber wer vor mir könnte sich rühmen, diesen Weg in dreizehn Tagen gemacht zu haben, wenn es vielleicht eintrifft, daß ich morgen nach Paris komme, was noch gar nicht entschieden ist? Bin ich ein Narr? Ach wie gern wollte ich Einer sein, fände sich wenigstens ein Echo, das es mir bejahte. Aber nicht einmal eine menschliche Seele, die mich auslacht! Allein zu sein mit seiner Weisheit, das ist man gewöhnt, das hat man ertragen gelernt; aber allein mit seiner Thorheit, das ist unerhörter Jammer, dem unterliegt der Stärkste! O, theures Vaterland, wie einfältig verkannte ich deinen Werth! Dort fand ich in jedem Nachtquartier eine kleine Residenz, oder den Sitz einer hohen Regierung, oder eine Garnison, oder eine Universität, und in jedem Gasthofe eine Weinstube mit scharf geprägten Gästen, die mir gefielen oder nicht gefielen, die meinem Herzen oder meinem Geiste Stoff gaben, der aus¬ reichte bis zum Einschlafen. Aber hier in diesem vermaledeiten Rath-losen Lande! Seit acht Tagen saß ich jeden Abend allein auf meinem Zimmer und verschmachtete. Glauben Sie mir, man stirbt nicht vor Langerweile; das ist nur eine dichterische Redens¬ art. Aber wie gern hätte ich für jeden Lieutenant einen Schoppen Wein bezahlt, für jeden Hofrath eine Flasche, für jeden Professor zwei Flaschen, für einen Studenten drei; und hätte ich gar einen schönen Geist, einen Theaterkritiker an mein Herz drücken können, nicht der ganze Keller wäre mir zu kost¬ spielig gewesen. Hofräthe, Hofräthe! wenn ich je wieder euerer spotte, dann schlagt mir auf den Mund und erinnert mich an Dormans. Dormans — wie das lieblich lautet! Wie Wiegen Eyapopeya. Und doch steckt der Teufel in jedem Buchstaben. Aber lesen Sie nur erst das Stück dormantische Poesie, das Gebet an die Ge¬ duld , das ich diesen Vormittag in der Verzweiflung meiner Ungeduld niedergeschrieben, und dann sollen Sie meine Leiden erfahren. Geduld , sanfte Tochter des grausamsten Va¬ ters; Schmerzerzeugte, Milchherzige, weichlispelude Göttin; Beherrscherin der Deutschen und der Schild¬ kröten; Pflegerin meines armen kranken Vaterlands, die du es wartest und lehrest warten. Die du hörest mit hundert Ohren, und siehest mit hundert Augen, und blutest an hundert Wunden und nicht klagest. Die du Felsen kochst und Wasser in Steine verwandelst. Schmachbelastete, Segenspendende Geduld; hol¬ des Mondlächelndes Angesicht; heiligste Mutter aller Heiligen, erhöre mich! Sieh! mich plagt die böse Ungeduld, deine Nebenbuhlerin; befreie mich von ihr, zeige, daß du mächtiger bist als sie. Sieh! mir zucken die Lippen; ich zapple mit den Füßen, wie ein Windelkind, das gewaschen wird; ich renne toll wie ein Sekunden¬ zeiger um die schleichende Stunde; ich peitsche und sporne vergebens die stättige Zeit: die hartmäulige Mähre geht zurück und spottet meiner. Ich ver¬ zweifele, ich verzweifele, o rette mich! Lösche mein brennendes Auge mit dem Wasser¬ strahle deines Blickes; berühre mit kühlen Fingern meine heiße Brust. Hänge Blei an meine Hoffnun¬ gen, tauche meine Wünsche in den tiefsten Sumpf, daß sie aufzischen und dann ewig schweigen. Deutsche mich, gute Göttin, von der Ferse bis zur Spitze meiner Haare und lasse mich dann friedlich ruhen in einem Naturalien-Cabinet unter den seltensten Ver¬ steinerungen. Ich will dir von jetzt an auch treuer dienen und gehorsamer sein in Allem. Ich will dir tägliche Opfer bringen, welchen du am freundlichsten lächelst. Die Didaskalia will ich lesen und das Dresdner Abendblatt und alle Theaterkritiken, und den Hegel, bis ich ihn verstehe. Ich will bei jedem Regenwetter ohne Schirm vor dem Palaste der deutschen Bundes- Versammlung stehen und da warten bis sie heraus¬ kommen und die Preßfreiheit verkündigen. Ich will in den Ländern das Treiben des Adels beobachten und nicht des Teufels werden, und nicht eher komme Wein über meine Lippen, bis dich die guten Deut¬ schen aus dem Tempel jagen und dein Reich endiget. l. 2 Vorgestern gegen Mittag kam ich nach Chalons. Ich wollte meinen Strasburger Wagen, den ich einst¬ weilen nur bis dahin gedingt hatte, nun weiter bis Paris miethen. Aber der Kutscher hatte keine Lust dazu, die Wege wären zu schlecht, oder was ihn sonst abhielt. Ich schickte nach einem andern Mieth¬ kutscher. Jetzt denken Sie sich die gräuliche Sta¬ tistik: In Chalons, einer Stadt von 12,000 Ein¬ wohnern, gibt es nur eine einzige Miethkutsche, und für diese wurde für die Reise nach Paris, das nur zwanzig Meilen entfernt ist, 200 Franken gefordert! Da dieses viel mehr als die Reise mit Postpferden beträgt, entschloß ich mich zu Letzterem. Da hatte ich mich wieder verrechnet. In Deutschland findet der Reisende auf jeder Post Kutschen, die ihn von Station zu Station führen. Hier aber hat die Post zu diesem Gebrauche nur zweiräderige bedeckte Wa¬ gen, die nicht in Federn hängen, uns leicht die Seele aus dem Körper schleudern, und nicht einmal Platz haben, einen Koffer aufzupacken. So blieb mir nichts anderes übrig, als mit der Diligence zu reisen, die eine halbe Stunde vor meiner Ankunft in Chalons abgegangen war, und die erst den andern Mittag wiederkehrte. Vier und zwanzig Stunden sollte ich warten! Ich war an diesem Tage ganz gewiß der verdrießlichste Mensch in ganz Europa, und war schwach genug zu überlegen, was besser sey, Pre߬ freiheit ohne Rotourwagen , wie in Frankreich, oder Retourwagen ohne Preßfreiheit wie in Deutschland. Ich machte einige Gänge durch die Stadt, aber in den Straßen war es so öde und stille, die Men¬ schen erschienen mir so langweilig und gelangweilt, und selbst im Kaffehause, sonst dem Pochwerke jeder französischen Stadt, hatte Alles so ein schläfriges Ansehen, daß ich bald wieder nach Hause eilte. Dort zog ich Pantoffeln und Schlafrock an, um we¬ nigstens mit Bequemlichkeit zu verzweifeln. Da er¬ innerte mich ein zufälliger Blick in den Kalender, daß es wieder Zeit sei, den guten Blutigeln, die zur Erhaltung meiner Liebenswürdigkeit so vieles beitragen, ihr kleines monatliches Fest zu geben. Es war mir eine willkommene Zerstreuung, und ich schickte nach einem Chirurgen. Statt dessen kam aber eine Frau von sechzig Jahren, die sich mir als Hebamme vorstellte, und mich artig versicherte, der von mir verlangte Dienst sei eigentlich ihr Ge¬ schäft. Ich muß gestehen, daß die Französin die Operation mit einer Leichtigkeit, Sicherheit, Schnel¬ ligkeit und ich möchte sagen mit einer Grazie aus¬ führte, die ich bei dem geschicktesten deutschen Chi¬ rurgus nie gefunden hatte. Sie zeigte so viel An¬ stand in ihrem Betragen, war so abgemessen in allen ihren Bewegungen, sprach so fein, so bedächtig und umsichtig, daß ich mich nicht enthalten konnte, sie 2* mit der Ober-Hofmeisterin einer gewissen deutschen Prinzessin zu vergleichen, die ich vor vielen Jahren zu hören und zu beobachten Gelegenheit hatte. Vor meinem Bette sitzend unterhielt sie mich auf das an¬ genehmste und lehrreichste. Von der letzten Revo¬ lution sprach sie kein Wort, und dieses überzeugte mich, daß es keine Prahlerei von ihr war, wenn sie mich versicherte, daß sie nur die vornehmsten Kran¬ kenhäuser besuche. Sie erzählte mir viel von Unter- Präfekten, von einem gewissen Colonel, von der Frau des Gerichts-Präsidenten, und daß sie weit und breit als Hebamme gebraucht werde. Erst kürzlich wäre sie zu einer Entbindung nach St. Denis geholt wor¬ den. Sie war die treueste und verschwiegenste Heb¬ amme, verrieth nichts, hatte aber eine so geschickte Darstellung, daß auch die schläfrigste Phantasie Alles errathen mußte: zuweilen unterbrach sie ihren Be¬ richt von den auswärtigen Angelegenheiten, warf einen Blick auf mich und rief mit Künstler-Begeiste¬ rung aus: ils travaillant joliment, ils travaillant joliment! So ging mir eine Stunde angenehm vorüber, aber drei und zwanzig Leidens-Stunden bis zur Ankunft der Diligence blieben noch übrig und als die Hebamme fort war, jammerte ich armer Kindbetter, daß es zum Erbarmen war. Ich nahm Reinhards Reisebuch zur Hand, und da las ich zu meinem Schrecken, daß Chalons einen Spaziergang habe, Jard genannt, und das wäre die schönste Promenade Frankreichs. Ferner: in der Nähe von Chalons wäre das Schlachtfeld, wo einst Attila von den Römern und Franken besiegt worden. Das hätte ich nun alles sehen mögen, war aber jetzt so schwach, daß ich nicht ausgehen konnte. Es war mir lieblich zu Muthe! Aber Alles geht vor¬ über; es kam der folgende Tag, und mit ihm die Diligence, auf der ich Platz nahm. Man fährt von Chalons in 24 Stunden nach Paris, aber ich fühlte mich unbehaglich, scheute die Nachtfahrt und faßte den rasenden Entschluß mich nur bis Dormans, wo man Abends ankömmt, einschreiben zu lassen und da zu übernachten. So that ich es auch. Meine Gefährten im Coupe waren eine junge schöne Modehändlerin aus der Provinz, die ihre pe¬ riodische Kunstreise nach Paris machte, und ein schon ältlicher Herr, der, nach seiner dunklen Kleidung und der Aengstlichkeit zu beurtheilen, in welche ihn die kleinste schiefe Neigung des Wagens versetzte, wohl ein protestantischer Pfarrer oder Schulmann war. Diese beiden Personen von so ungleichem Alter und Gewerbe unterhielten sich, ohne die kleinsten Pausen, auf das lebhafteste mit einander; aber ich achtete nicht darauf, und hörte das alles nur wie im Schlafe. In früheren Jahren war mir jede Reise ein Mas¬ kenballfest der Seele; alle meine Fähigkeiten walzten und jubelten auf das ausgelassenste, und es herrscht in meinem Kopfe ein Gedränge von Scherz und Ernst, von dummen und klugen Dingen, daß die Welt um mir her schwindelte. Was hörte, bemerkte, beobachtete, sprach ich da nicht alles! Es waren Wolkenbrüche von Einfällen, und ich hätte hundert Jahrgänge des Morgenblatts damit ausfüllen kön¬ nen, und hätte die Zensur nichts gestrichen, tausend Jahrgänge. Wie hat sich das aber geändert! .. Ich sitze ohne Theilnahme im Wagen, stumm wie ein Staatsgefangener in Oestreich und taub wie das Gewissen eines Königs. In der Jugend bemerkt man mehr die Verschiedenheiten der Menschen und Länder, und das eine Licht gibt tausend Farben, im Alter, mehr die Aehnlichkeiten, alles ist grau, und man schläft leicht dabei ein. Ich kann jetzt einen ganzen Tag reisen ohne an etwas zu denken. Fand ich doch auf dem langen Weg von Strasburg hier¬ her nichts weiter in mein Tagebuch zu schreiben, als die Bemerkung, daß ich in Lothringen mit sechs Pfer¬ den habe pflügen sehen und daß mein Kutscher Stun¬ denlang mit Konrad von der Preßfreiheit und den Ordonnanzen mit einem Eifer gesprochen als wäre von Hafer und Stroh die Rede. Und selbst dieses wenige schrieb ich nur kurz und trocken nieder, ohne alle satirische Bemerkungen gegen die Miethkutscher in der großen Eschenheimer Gasse , in der kleinen Eschenheimer Gasse , hinter der schlimmen Mauer und den übrigen Frankfurter Gassen, die in der Nähe des Taxischen Palastes liegen. Den kleinen guten Gedanken: was würde Herr von Münch-Bellinghausen thun, wenn sich ein¬ mal sein Kutscher erkühnte, von Preßfreiheit zu spre¬ chen und würde ihm das nicht Anlaß geben, eine vertrauliche Sitzung der hohen Bundes-Versammlung zu veranstalten und darin auf schärfere Zensur in den Bundesstaaten anzutragen? — diesen habe ich jetzt in diesem Augenblicke erst, und ihn ganz allein der Verzweiflung der Langenweile zu verdanken; im Tagebuch steht nichts davon Ist das nicht sehr traurig? — Man reist jetzt auf der Diligence unglaub¬ lich wohlfeil. Der Platz von Strasburg bis Paris, kostet nicht mehr als 20 Franken, im Kabriolet 26. Diese Wohlfeilheit kömmt daher, weil es drei ver¬ schiedene Unternehmungen gibt, die sich wechselseitig zu Grunde zu richten suchen. Bei solchen niedrigen Preisen, haben die Aktionärs großen Verlust, den sie nicht lange ertragen können. Es kömmt jetzt darauf an, wer es am längsten aushält. Von Chalons bis Paris gehen täglich, die Malle-Poste ungerechnet, sechs Diligencen, drei von Metz, drei von Stras¬ burg kommend. Unter diesen sieben Loosen habe ich schon drei Nieten gezogen, denn in den drei Wagen, welche diesen Mittag durchkamen, waren keine Plätze mehr. Heute Abend kommen die Andern und wenn ich Glück habe wie bisher, werden sie gleichfalls be¬ setzt seyn, und ich vielleicht acht Tage in Dormans bleiben müssen. Das wäre mein Tod. Und wel¬ cher Tod! Der Tod eines Bettlers. Denn man wird hier auf eine so unerhörte Art geprellt, daß ein achttägiger Aufenthalt meine Kasse erschöpfen, und mir nicht so viel übrig bleiben würde, meine Begräbnißkosten zu bestreiten. Hören Sie weiter wie es mir ging. Um, wenn der Wagen ankäme, nicht aufgehal¬ ten zu seyn, verlangte ich diesen Vormittag schon meine Wirthshaus-Rechnung. Die Wirthin machte die unverschämte Forderung von etlichen und zwanzig Franken. Ich hatte gestern Abend nichts als Bra¬ ten und Dessert gehabt, ein elendes Schlafzimmer, und diesen Morgen Kaffee. Der Bediente das nehm¬ liche und wahrscheinlich alles noch schlechter. Ich sagte der Wirthin, sie sollte mir die Rechnung spe¬ zifiziren. Sie schrieb mir auf: Nachtessen 9 Fr., Zimmer 8, Frühstück 3, Zuckerwasser 1 Fr. und für einige Lese-Bücher, die ich aus der Leihbibliothek hatte holen lassen, 30 Sous. Ich fragte sie kalt und giftig, ob sie bei dieser Forderung bestände, und als sie erwiederte: sie könne nicht anders, nahm ich die Rechnung und ging fort, die Wirthin zu verklagen. Ich wollte einmal sehen, wie in einer, auf ei¬ ner Monarchie gepfropften Republik die Justiz be¬ schaffen sei. Ich trat in den Laden eines Apothekers um mich nach der Wohnung des Friedensrichters zu erkundigen. Die Apotheke sah derjenigen, welche Shakspeare in Romeo und Julie beschrieben, sehr ähnlich, und ich glaube, ich hätte da leicht Gift haben können. Der müßige Apotheker las die neue Charte Constitutionelle . Statt aber auf meine Frage nach der Wohnung des Friedensrichters zu antworten, fragte er mich, was ich da suche? Ich erzählte ihm meinen theuren Fall. Er erkundigte sich nach dem Wirthshause, nnd als ich es ihm bezeichnet, erwie¬ derte er mir, er wisse nicht, wo der Friedensrichter wohne. Wahrscheinlich war er mit der spitzbübi¬ schen Wirthin befreundet. Ich ging fort und ließ ihm einen verächtlichen Blick zurück. So sind die Liberalen! Ich ließ mir von einem Andern das Haus des Friedensrichters bezeichnen. Ich trat hinein, ein Hund sprang mir entgegen, der mich bald zerrissen hätte, und auf dessen Gebell eilte ein Knecht herbei, der mir sagte, der Friedensrichter wäre verreist und ich sollte mich an den Greffier wen¬ den. Mit Mühe fand ich die Wohnung des Gref¬ fiers. Der war über Land gegangen. Ich suchte den Maire auf; man sagte mir, der wäre zum Prä¬ fekten gerufen worden, und ich sollte zum Maire¬ Adjunkten gehen. Diesen fand ich zu Hause. Es war ein kleines altes Männchen in blonder Perücke, der einen großen Pudel auf dem Schoos hatte und ihn schor. Ein junges Frauenzimmer, Tochter oder Haushälterin, war mit Bügeln beschäftigt. Als ich eintrat, ließ der Maire-Adjunkt den Hund laufen, hörte meine Klage an, und sah mir über die Schul¬ ter in die Rechnung, die ich ihm vorlas. Das Mädchen trat auf meine linke Seite, sah mir gleich¬ falls über die Schulter in die Rechnung, verbrannte mir mit dem heißen Bügeleisen den kleinen Finger und rief in größtem Eifer aus: Nein, das ist uner¬ hört, aber diese Leute machen es immer so. Der Maire-Adjunkt fiel seiner wahrscheinlichen Haushäl¬ terin nicht ohne Schüchternheit in das Wort, bemerkte, er könne sich nicht in die Sache mischen, das ginge den Friedensrichter an. Uebrigens, mein Herr, schloß er seine Rede, Sie werden schon öfter gereist sein. Diese kurze und weise Bemerkung brachte mich zur Besonnenheit, ich strich meinen verbrannten Finger an der noch ungeschornen Seite des Pudels, welches mir sehr wohl that, und ging fort. Nach Hause zurückgekommen, erzählte ich der Wirthin, ich hätte sie verklagen wollen, aber die Be¬ hörden wären alle abwesend, und so blieb mir nichts übrig, als sie noch einmal zu fragen, ob sie sich denn gar nicht schäme, ich hätte ja ganz schlecht zu Nacht gegessen? Die Tochter der Wirthin erwiederte dar¬ auf: ich hatte sehr gut zu Nacht gegessen, ich hätte ein Suprême de Volaille . gehabt. Dieses Suprême de Volaille war nichts als ein Dreieck von dem Leibe eines Huhns, in dessen einem Winkel eine kalte Krebsscheere stak, welche irgend ein Passagier viel¬ leicht schon vor der Revolution ausgehöhlt hatte. Ich glaube, die Suprematie dieses Gerichts bestand blos in dieser hohlen Krebsscheere, denn das Uebrige war etwas ganz Gewöhnliches. Ich ward heftig und antwortete der Tochter: Que me parlez-vous d'un Suprême de Volaille? Vous êtes un Su¬ prême de Canaille ! Kaum hatte ich das Zorn¬ wort ausgesprochen, als ich es bereute. Erstens aus Höflichkeit, und zweitens aus Furcht; denn der Koch war mit seinem langen Messer hinzugetreten, und ich dachte, er würde mich auf der Stelle schlachten. Aber zu meinem Erstaunen achteten Wirthin, Toch¬ ter und Koch gar nicht auf mein Schimpfen, sie verzogen keine Miene und es war, als hätten sie es gar nicht gehört. Ich kann mir diese Unempfindlich¬ keit nicht anders erklären, als daß ich zu feines Französisch gesprochen, welches die Kleinstädter nicht verstanden. Ich bezahlte meine Rechnung, um mich aber an den Leuten zu rächen und sie zu ärgern, ließ ich meine Sachen in das gerade gegenüber liegende Wirthshaus bringen. Hier aß ich zu Mittag, und ließ mir dann ein Zimmer geben, wo ich Ihnen schreibe und auf die Ankunft der Diligence warte. Morgen oder übermorgen schreibe ich von Paris. Sollten Sie aber morgen wieder einen Brief mit dem Postzeichen Dormans erhalten, dann öffnen Sie ihn nur gleich mit weinenden Augen, denn Sie können voraus wissen, daß ich Ihnen mei¬ nen Tod melde. Fuͤnfter Brief. Paris, den 17. September 1830. Seit gestern bin ich hier und Alles ist verges¬ sen. Ob ich gesund und froh , wie Sie es wün¬ schen, in Paris angekommen, oder durch mein An¬ kommen erst geworden bin, wüßte ich kaum zu be¬ stimmen; doch glaube ich eher das Letztere. Ich habe wunderliche Nerven. Wenn sie kein Lüftchen berührt, sind sie am unruhigsten und zittern wehkla¬ gende Töne gleich Elvirens Harfe in der Schuld. Diese Kränkelei macht mich so wüthend, daß ich meine eigenen Nerven zerreißen möchte. So oft sie aber ein grober Sturmwind schlägt, bleiben sie phi¬ losophisch gelassen, und verlieren sie ja die Geduld, brummen sie doch männlich, wie die Saiten einer Baßgeige. Ich kann es Ihnen nicht genug sagen, wie mir so behaglich worden gleich von der ersten Stunde an. Das moralische Klima von Paris that mir immer wohl, ich athme freier, und meine deutsche Engbrüstigkeit verließ mich schon in Bondy. Rasch zog ich alle meine Bedenklichkeiten aus und stürzte mich jubelnd in das frische Wellengewühl. Ich möchte wissen, ob es andern Deutschen auch so be¬ gegnet wie mir, ob ihnen, wenn sie nach Paris kom¬ men, wie Knaben zu Muthe ist, wenn an schönen Sommerabenden die Schule geendigt und sie springen und spielen dürfen! Mir ist es gerade, als müßte ich unserm alten Conrector einen Esel bohren. — Ich wohne hinter dem Palais-Royal. Die Zimmer sind gut, aber die enge Straße mit ihren hohen Häusern ist unfreundlich. Kein Sonnenblick den ganzen Tag. Und doch ist es mir manchmal noch zu hell; denn ich habe merkwürdige Gegen¬ über . Erstens, sehe ich in die Küche eines Restau¬ rateurs. Schon früh Morgens fangen die ungewa¬ schenen Köche zu tüchten und zu trachten an, und wenn man so mit ansieht, wie die Grazie, die allen französischen Schüsseln eigen ist, zu Stande kömmt, kann man die Eßlust auf eine ganze Woche verlie¬ ren. Dann sehe ich in das Zimmer einer Demoi¬ selle; in eine Schneiderswohnung; in einen Roulette- Saal und in eine lange Gallerie von Cabinets ino¬ dores . Wie schön, freundlich und glänzend ist Alles nach der Gartenseite des Palais-Royal; nach hin¬ ten aber, wie betrübt und schmutzig Alles! Ich werde mich eilen aus diesen Coulissen zu kommen und mich nach einer andern Wohnung umsehen. Sie können es sich denken, daß ich nicht lange zu Hause geblieben, sondern gleich fort eilte, die alten Spielplätze meiner Phantasie aufzusuchen und die neuen Schlachtfelder, die ihr Wort gehalten. Aber ich fand es anders als ich erwartete. Ich dachte in Paris müsse es aussehen wie am Strande des Meeres nach einem Sturm, Alles von Trüm¬ mern bedeckt seyn, und das Volk müsse noch tosen und schäumen. Doch war die gewohnte Ordnung überall und von der Verheerung nichts mehr zu se¬ hen. Auf einigen Strecken der Boulevards fehlen die Bäume, und in wenigen Straßen wird noch am Pflaster gearbeitet. Ich hätte die Stiefeln ausziehen mögen; wahrlich, nur barfuß sollte man dieses heilige Pflaster betreten. Die vielen dreifarbigen Fahnen, die man aufgesteckt sieht, erschienen mir nicht als Zeichen des fortdauernden Krieges, sondern als Frie¬ denspaniere. Die Fahne in der stolzen Hand Lud¬ wigs XIV . auf dem Place des Victoires machte mich laut auflachen. Wir haben die Reiterstatüe vor acht Jahren zusammen aufrichten sehen. Wer hätte das damals gedacht? Träume von Eisen und Mar¬ mor — und doch nur Träume! — Noch schwebt jener Tag mir vor, noch höre ich den Polizei-Jubel, höre alle die Lieder mit ihren Melodien, welche be¬ zahlte Bänkelsänger auf dem Platze sangen. Das eine Lied fing an: vive le roi, le roi, le roi, que chante le monde á la ronde — jetzt müßte es hei¬ ßen statt que chante , que chasse le monde à la ronde . Wenn er nur nicht so alt wäre! das verbittert mir sehr meine Freude. Gott segne dieses herrliche Volk, und fülle ihm die goldnen Becher bis zum Rande mit dem süßesten Weine voll, bis es überströmt, bis es hinabfließt auf das Tischtuch, wo wir Fliegen herum kriechen und naschen. Summ, summ — wie dumm! Alte deutsche Bekannte suchte ich gleich gestern auf. Ich dachte durch sie mehr zu erfahren, als was ich schon gedruckt gelesen, aber nicht Einer von ihnen war auf dem Kampfplatze, nicht Einer hat mit¬ gefochten. Es sind eben Landsleute! Engländer, Nieder¬ länder, Spanier, Portugiesen, Italiäner, Polen, Grie¬ chen, Amerikaner, ja Neger haben für die Freiheit der Franzosen, die ja die Freiheit aller Völker ist, gekämpft und nur die Deutschen nicht. Und es sind deren viele Tausende in Paris, theils mit tüchtigen Fäusten, theils mit tüchtigen Köpfen. Ich verzeihe es den Handwerksburschen; denn diese haben es nicht schlimm in unserm Vaterlande. In ihrer Jugend dürfen sie auf der Landstraße betteln, und im Alter machen sie die Zunfttyrannen. Sie haben nichts zu gewinnen bei Freiheit und Gleichheit. Aber die Gelehrten! Diese armen Teufel, die in Schaaren nach Paris wandern, und von dort mit dem Mor¬ genblatte, mit dem Abendblatte, mit dem Gesell¬ schafter, mit der allgemeinen Zeitung correspondiren; die das ganze Jahr von dem reichen Stoffe leben, den ihnen nur freies Volk verschaffen kann; die im dürren Vaterlande verhungern würden — diese wenigstens, und wäre es auch nur aus Dankbarkeit gegen ihre Ernährer, hätten doch am Kampfe Theil nehmen sollen. Aber hinter einem dicken Fenster¬ pfosten, im Schlafrocke, die Feder in der Hand, das Schlachtfeld begucken, die Verwundeten, die Gefalle¬ nen zählen und gleich zu Papier bringen; zu bewun¬ dern statt zu bluten, und die Leiden eines Volks sich von einem Buchhändler bogenweise bezahlen zu las¬ sen — nein, das ist zu Schmachvoll, zu Schmach¬ voll! — Die Pracht und Herrlichkeit der neuen Gallerie d' Orleans im Palais-Royal kann ich Ihnen nicht beschreiben. Ich sah sie gestern Abend zum ersten Male in sonnenheller Gasbeleuchtung, und war überrascht wie selten von etwas. Sie ist breit und von einem Glashimmel bedeckt. Die Glasgassen, die wir in früheren Jahren gesehen, so sehr sie uns damals gefielen, sind düstere Keller oder schlechte Dachkammern dagegen. Es ist ein großer Zauber¬ saal, ganz dieses Volks von Zauberern würdig. Ich l. 3 wollte die Franzosen zögen alle Weiberröcke an, ich würde ihnen dann die schönsten Liebeserklärungen machen. Aber ist es nicht thöricht, daß ich mich schäme, Diesem und Jenem die Hand zu küssen, wozu mich mein Herz treibt — die Hand, die un¬ sere Ketten zerbrochen, die uns frei gemacht, die uns Knechte zu Rittern geschlagen? Sechster Brief Paris, den 18. September. — Ich komme aus dem Lesekabinett. Aber nein, nein, der Kopf ist mir ganz verwirrt von allen den Sachen, die ich aus Deutschland gelesen! Un¬ ruhen in Hamburg; in Braunschweig das Schloß angezündet und den Fürsten verjagt; Empörung in Dresden! Seien Sie barmherzig, berichten Sie mir Alles auf das genaueste. Und wenn Sie nichts Besonderes erfahren, schreiben Sie mir wenigstens die deutschen Zeitungen ab, die ich hier noch nicht habe auffinden können. Den französischen Blättern kann ich in solchen Dingen nicht trauen; nicht der zehnte Theil von dem, was sie erzählen, mag wahr seyn. Was aber deutsche Blätter über innere An¬ gelegenheiten mittheilen dürfen, das ist immer nur der zehnte Theil der Wahrheit. Hätte ich mich also doch geirrt, wie mir schon manche vorgeworfen? 3* Wäre Deutschland reifer als ich gedacht? Hätte ich dem Volke Unrecht gethan? Hätten sie unter Schlaf¬ mützen und Schlafrock heimlich Helm und Harnisch getragen? O, wie gern, wie gern! Scheltet mich wie einen Schulbuben, gebet mir die Ruthe, stellt mich hinter den Ofen — gern will ich die schlimmste Züchtigung ertragen, wenn ich nur Unrecht gehabt. Wenn sie sich nur erst die Augen gerieben, wenn sie nur erst recht zur Besinnung gekommen, werden sie sich erstaunt betasten, werden im Zimmer umher blicken, das Fenster öffnen und nach dem Himmel sehen, und fragen: welcher Wochentag, welcher Monatstag ist denn heute, wie lange haben wir geschlafen? Unglückselige! nur der Muthige wacht. Wie hat man es nur so lange ertragen? Es ist eine Frage, die mir der Schwindel gibt. Einer erträgt es, noch Einer, noch Einer — aber wie ertragen es Millio¬ nen? Der Spott zu seyn aller erwachsenen Völker! wie der kleine dumme Hans, der noch kein Jahr Hosen trägt, zu zittern vor dem Stöckchen jedes alten, schwachen, gräulichen Schulmeisters! .. Aber Wehe ihnen, daß wir erröthen! Das Erröthen der Völker ist nicht wie Rosenschein eines verschämten Mädchens; es ist Nordlicht voll Zorn und Ge¬ fahren. Sonntag, deu 19. September. Mitternacht ist vorüber; aber ein Glas Ge¬ frorenes, das ich erst vor wenigen Minuten bei Tortoni gegessen, hat mich so aufgefrischt, daß ich gar keine Neigung zum Schlafe habe. Es war himmlisch! Das Glas ganz hoch aufgefüllt, sah wie ein langes weißes Gespenst aus. Nun bitte ich Sie — haben Sie je gehört oder gelesen, daß Jemand ein Glas Gefrorenes mit einem Gespenste verglichen hätte? Solche Einfälle kann man aber auch nur in der Geisterstunde haben. Den Abend brachte ich bei *** zu. Es sind sehr liebenswürdige Leute und die es verstehen, wenn nur immer möglich, auch ihre Gäste liebenswürdig zu machen. Das ist das Sel¬ tenste und Schwerste. Es war da ein Gemisch von Deutschen und Franzosen, wie es mir behagt. Da wird doch ein gehöriger Salat daraus. Die Fran¬ zosen allein sind Oehl, die Deutschen allein Essig, und sind für sich gar nicht zu gebrauchen, außer in Krankheiten. Bei dieser Gelegenheit will ich Ihnen die höchst wichtige und einflußreiche Beobachtung mittheilen, daß man in Frankreich dreimal so viel Oehl und nur ein Dritttheil so viel Essig zum Sa¬ late verwendet, wie in Deutschland. Diese Ver¬ schiedenheit geht durch die Geschichte, Politik, Re¬ ligion, Geselligkeit, Kunst, Wissenschaft, den Handel und das Fabrikwesen beider Völker, welches vor mir die berühmtesten deutschen Historiker, die sich doch immerfort rühmen, aus der Quelle zu schöpfen, leichtsinnig übersehen haben. Sie sollen sich aber den Kopf darüber nicht zerbrechen. Es ist gerade nicht nöthig, daß Sie alles verstehen was ich sage, ich selbst verstehe es nicht immer. Wie herrlich wäre es, wenn beide Länder in allem so verschmolzen wären, als es beide Völker heute Abend bei *** waren. In wenigen Jahren wird es ein Jahrtau¬ send, daß Frankreich und Deutschland, die früher nur ein Reich bildeten, getrennt wurden. Dieser dumme Streich wurde, gleich allen dummen Streichen in der Politik, auf einem Congresse beschlossen, zu Verdün im Jahr 843. Aus jener Zeit stammen auch die köstlichen eingemachten Früchte und Dra¬ g é es, wegen welcher Verdün noch heute berühmt ist. Einer der Congreß-Gesandten hatte sie erfunden, und war dafür von seinem genädigen Herrn in den Grafenstand erhoben worden. Ich hoffe im Jahre 1843 endiget das tausendjährige Reich des Anti¬ christs, nach dessen Vollendung die Herrschaft Gottes und der Vernunft wieder eintreten wird. Wir haben nehmlich den Plan gemacht, Frankreich und Deutsch¬ land wieder zu einem großen fränkischen Reiche zu vereinigen. Zwar soll jedes Land seinen eignen König behalten, aber beide Länder eine gemeinschaft¬ liche National-Versammlung haben. Der französische König soll wie früher in Paris thronen, der deutsche in unserem Frankfurt, und die National-Versamm¬ lung jedes Jahr abwechselnd in Paris oder in Frank¬ furt gehalten werden. Wenn Sie Ihre Nichte O*** besuchen, benutzen sie doch die Gelegenheit, mit dem Koche des Präsidenten der Bundesversammlung von unserem Plane zu sprechen. Der muß ja die Ge¬ sinnungen und Ansichten seines Herrn am besten kennen. — Die lieben Tuilerien habe ich heute wieder¬ gesehen. Sie hießen mich willkommen, sie lächelten mir zu und alles dort war wie zu meinem Empfange glänzend und festlich eingerichtet. Ich fühlte mich ein Fürst in der Mitte des fürstlichen Volkes, das unter dem blauen Baldachin des Himmels von seiner Krönung zurückkehrte. Es ist etwas Königliches in diesen breiten, vom Goldstaube der Sonne bedeckten Wegen, die an Pallästen vorüber, von Pallast zu Pallast führen. Mich erfreute die unzählbare Men¬ schenmenge. Da fühlte ich mich nicht mehr einsam; ich war klug unter tausend Klugen, ein Narr unter tausend Narren, der Betrogene unter tausend Be¬ trogenen. Da sieht man nicht blos Kinder, Mäd¬ chen, Jünglinge, Greise, Frauen; man sieht die Kindheit, die Jugend, das Alter, das weibliche Ge¬ schlecht. Nichts ist allein, geschieden. Selbst die mannichfachen Farben der Kleider, erscheinen, aus der Ferne betrachtet, nicht mehr bunt; die Farben¬ geschlechter treten zusammen; man sieht weiß, blau, grün, roth, gelb, in langen breiten Streifen. Wegen dieser Fülle und Vollständigkeit liebe ich die großen Städte so sehr. Seine angeborne Neigung und Rich¬ tung kann keiner ändern, und um zufrieden zu leben, muß darum jeder, was ihm lieb ist, auf seinem Wege suchen. Aber das kann man nicht überall. Zwar findet man auch in der kleinsten Stadt jedes Landes Menschen von jeder Art, unter welchen man wählen kann; aber was nützt uns das? Es sind doch nur Muster, die zu keinem Kleide hinreichen. Nur in London und Paris ist ein Waaren-Lager von Menschen, wo man sich versehen kann, nach Neigung und Vermögen. Still, heiter, freundlich und bescheiden wie ein verliebtes glückliches Mädchen, lustwandelte das Pa¬ riser Volk umher. Als ich dieses sah, und bedachte: noch sind zwei Monate nicht vorüber, daß es einen tausendjährigen König niedergeworfen, und in ihm Millionen seiner Feinde besiegt — wollte ich meinen Augen oder meiner Erinnerung nicht trauen. Es ist der Traum von einem Wunder! Schnell haben sie gesiegt, schneller haben sie verziehen. Wie mild hat das Volk die erlittenen Kränkungen erwiedert, wie bald ganz vergessen! Nur im offenen Kampfe, auf dem Schlachtfelde hat es seine Gegner verwundet. Wehrlose Gefangene wurden nicht ermordet, Ge¬ flüchtete nicht verfolgt, Versteckte nicht aufgesucht, Verdächtige nicht beunruhigt. So handelt ein Volk! Fürsten aber sind unversöhnlich und unauslöschlich ist der Durst ihrer Rache. Hätte Karl gesiegt, wie er besiegt worden, wäre das fröhliche Paris heute eine Stätte des Jammers und der Thränen. Jeder Tag brächte neue Schrecken, jede Nacht neues Verderben. Wir sehen ja, was in Spanien, Portugal, Neapel, Piemont und in andern Ländern geschieht, wo die Gewalt über die Freiheit siegte. Seit Jahren ist der Sieg entschieden und das Werk der Rache und der Verfolgung geht fort wie am Tage der Schlacht. Und es war ein Sieg, den man nur dem Meineide verdankte! Tausende schmachten noch im Kerker, Tau¬ sende leben noch in trauriger Verbannung, das Schwert des Henkers ist immer gezückt, und wo es schont, wo es zaudert, geschieht es nur, um länger zu drohen, um länger zu ängstigen. So entartet, so herabgewürdigt hat sich die Macht gezeigt, daß sie oft mit Grausam¬ keiten prahlte, die sie gar nicht begangen; sich der Gerechtigkeit schämend, manche ihrer Gefangenen nur heimlich schonte, und es als Verläumdung bestrafte, wenn man sie mild gepriesen! Mich empört die nieder¬ trächtige Unverschämtheit der Fürstenschmeichler, welche die Völker als Tiger, die Fürsten als Lämmer dar¬ stellen. Wenn jeder Machthaber, sobald er zum Besitze der Macht gelangt, gleich seine Leidenschaft zur Regel erhebt, grausame Strafen für jeden Wi¬ derspruch voraus bestimmt, und diese Regel, diese Anwendung sich herabrollt durch Jahrhunderte — nennen sie das Gesetzlichkeit . Das Volk hat seine Leidenschaft nie zum Gesetz erhoben, die Ge¬ genwart erbte nie die Missethaten der Vergangenheit, sie vermehrt der Zukunft zu überlassen. Wenn dumme, feige oder bestochene Richter aus altem Herkommen und verblichenen Gesetzen nachweisen können, daß sie in gleichen Fällen immer gleich ungerecht gewesen — nennen sie das Gerechtigkeit . Wenn der schuldlos Verurtheilte, durch Reihen schön geputzter Soldaten, durch die Mitte des angstzitternden Volkes, das nicht zu weinen, nicht zu athmen wagt, ohne Laut und Störung zum Blutgerüste geführt wird — nennen sie das Ordnung ; und schnellen Tod in langsame Qual des Kerkers verwandeln — das nennen sie Milde . — Ich eilte die Terrasse hinauf, von wo man in die elysäischen Felder herabsieht. Dort setzte ich mich auf einen Traumstuhl und meine Gedanken¬ mühle, die wegen Frost oder Dürre so lange still gestanden, fing gleich lustig zu klappern an. Welch ein Platz ist das! Es ist eine Landstraße der Zeit, ein Markt der Geschichte, wo die Wege der Ver¬ gangenheit, Gegenwart und Zukunft sich durchkreuzen. Da unten steht jetzt ein Marmor-Piedestal, auf welches man die Bildsäule, ich glaube Ludwig des Sechzehnten, hat stellen wollen. Die dreifarbige Fahne weht darüber. Es ist noch nicht lange, daß Karl X . mit großer Feierlichkeit den Grundstein dazu gelegt. Die Könige sollten sich doch nicht lächerlich machen und noch ferner den Grundstein zu einem Gebäude legen. Sie thäten besser, den letzten Ziegel auf dem Dache anzunageln; die Vergangenheit raubt ihnen Keiner. Wahrlich, die Zeit wird kommen, wo die fürstlichen Köche, wenn sie Morgens vor ihren Töpfen stehen, einander fragen werden: wem decken wir das wohl Mittags? und in ihrer philo¬ sophischen Zerstreuung manche Schüssel verfehlen werden. ... Was kam mir da oben nicht alles in den Sinn. Sogar fiel mir ein, woran ich seit zwanzig Jahren nicht gedacht: daß ich vor zwanzig Jahren in Wien gewesen. Es war ein schöner Tag wie heute, nur ein schönerer, denn es war am ersten Mai. Ich war im Augarten, welcher schöner ist als die Tuilerien. Die Volksmenge dort war groß und festlich ausgebreitet, wie die hier. Doch heute bin ich alt und damals war ich jung. Meine Phan¬ tasie lief umher wie ein junger Pudel, und sie war noch gar nicht dressirt; sie hatte noch nie etwas dem Morgenblatte oder sonst einem Zeitblatte apportirt. Sie diente nur sich selbst, und was sie holte, holte sie nur es als Spielzeug zu gebrauchen und ließ es wieder fallen. Und da fragte ich mich heute in den Tuilerien: damals, im Frühlinge des Lebens und der Natur, was dachtest du mit deinem frischen Geiste, was fühltest du mit deinem jungen Herzen? Ich besann mich ... auf nichts . Mir fiel nur ein, daß der Erzherzog Karl, und noch andere kaiserliche Prinzen öffentlich im Gartensaale gefrühstückt, und daß sie unter andern Chokolade getrunken, und gleich darauf Spargel mit Buttersauce gegessen, worüber ich mich zu seiner Zeit sehr gewundert. Ferner: daß ich selbst gefrühstückt, und zwar ganz köstliche Brat¬ würstchen, nicht länger und dicker als ein Finger, die ich seit dem in keinem Lande mehr gefunden ... Chokolade, Spargel, Bratwürste — das waren alle meine Jugenderinnerungen aus Wien! Es ist ein Wunder! Und erst heute in den Tuilerien lernte ich verstehen, daß man auch die Freiheit der Gedanken fesseln könne, wovon ich oft gehört; es aber nie habe fassen können. Als nun die Frau kam und für ihren Stuhl zwei Sous einforderte, sah ich sie verwundert an und gab ihr zehen. Für diesen Stuhl, diese Stunde, diese Aussicht, diese Erinnerung hätte ich ein Gold¬ stück bezahlt. Das macht Paris so herrlich, daß zwar Vieles theuer ist, das Schönste und Beste aber wenig oder gar nichts kostet. Für zwei Sous habe ich meinem Zorn einen Schmaus gegeben, habe hun¬ dert Könige und ein großes Reich verspottet, und Taschen voll der schönsten Hoffnungen mit nach Hause gebracht. — Es ist drei Uhr, und die Rasenden im Roulette-Zimmer gegenüber stehen noch in dicken Kreisen um den Tisch. Das Fenster nach der Straße ist durch ein Drathgitter verwahrt. Die Unglücklichen dahinter sehen wie wilde Thiere aus. Ich hoffe es ist keiner darunter, der im Juli mitgefochten. Gute Nacht. Siebenter Brief. Paris, Dienstag den 21. September 1830. Schreiben, Schriftstellern, Gedanken bauen — wie wäre mir das möglich hier? Der Boden wankt unter meinen Füßen, es schwindelt um mich her, mein Herz ist seekrank. Manchmal kömmt es mir selbst spaßhaft vor, daß ich die Sorgen eines Königs habe, und so angstvoll warte auf die Entscheidung der Schlacht, als hätte ich dabei eine Krone zu ge¬ winnen oder zu verlieren. Ach, wäre ich doch König nur einen kurzen Monat! Wahrlich, ich wollte keine Sorgen haben, aber geben wollte ich sie. Die tägliche, ja allstündliche Bemühung der stärksten Denkreize macht die Menschen hier endlich stumpf und gedankenlos. Wenn es nicht so wäre, man ertrüge nicht Paris sein ganzes Leben durch. Die Erfahrung, die anfänglich bedächtig macht, macht später leichtsinnig, und so erkläre und entschuldige ich den Leichtsinn dieses Volkes. Wir Deutschen, die wir am längsten unter einem sanften Wolkenfreien Traumhimmel leben, sind rheumatisch, sobald wir wachen; wir spüren jede Erfahrung und jeder Wech¬ sel der Empfindung macht uns krank. Diesen Mittag stand ich eine halbe Stunde lang vor dem Eingange des Museums, und ergötzte mich an der unvergleichlichen Beredtsamkeit, Geistes¬ gegenwart und Keckheit eines Marktschreiers, der ein Mittel gegen Taubheit feil bot, und Mehrere aus der umstehenden Menge, in Zeit von wenigen Mi¬ nuten von dieser Krankheit heilte. Als ich unter dem herzlichsten Lachen fortging, dachte ich: mit diesem Spaße ernähre ich mich den ganzen Tag. Und er dauerte keine drei Minuten lang, reichte keine dreißig Schritte weit! Im Hofe des Louvre's begegnete ich einem feierlichen Trauerzuge, dessen Spitze dort still hielt, um sich zu ordnen. Voraus ein Trupp National¬ garden, welche dumpfe Trommeln schlugen, und dann ein unabsehbares Gefolge von stillen, ernsten, be¬ scheidenen, meistens jungen Bürgern, die paarweise gingen, und in ihren Reihen viele Fahnen und Standarten trugen, welche mit schwarzen Flören behängt, und deren Inschriften von Immortellen oder Lorbeeren bekränzt waren. Ich sah, fragte und als ich die Bedeutung erfuhr, fing mein Blut, das kurz vorher noch so friedlich durch die Adern floß, heftig zu stürmen an, und ich verwünschte mein Geschick, das mich verurtheilte jeden Schmerz verdampfen zu lassen wie eine heiße Suppe und ihn dann löffelweise hinunter zu schlucken. Wie glücklich ist der Kämpfer in der Schlacht, der seinen Schmerz, seinen Zorn kann ausbluten lassen und der keine andere Schwäche fühlt als die dem Gebrauche der Kraft nachfolgt! Es war eine Todtesfeier für jene vier Unter- Officiere, welche in der Verschwörung von Berton der Gewalt in die Hände gefallen und als wehrlose Gefangene ermordert wurden. Heute vor acht Jah¬ ren wurden sie auf dem Greve-Platz niedergemetzelt, und weil es ein Mord mit Floskeln war, nannte man es eine Hinrichtung. Abends war Concert bei Hofe. Es ist zum rasend werden! Acht Jahre sind es erst und schon hat sich in Tugend umgewandelt, was damals für Verbrechen galt. Wenn man, wie es die Menschlichkeit und das Kriegsrecht will, auch die im Freiheitskampfe Besiegten in Gefangenschaft behielte, statt sie zu tödten, dann lebten jene unglück¬ lichen Jünglinge noch. Mit welchem Siegesjubel wäre ihr Kerker geöffnet worden, mit welchem Ent¬ zücken hätten sie das Licht, die Luft der Freiheit begrüßt! Könige sind schnell, weil sie wissen, daß es keine Ewigkeit gibt für sie, und Völker sind lang¬ sam, weil sie wissen, daß sie ewig dauern. Hier ist der Jammer. Wie damals, als ich die fluch¬ würdige Hinrichtung mit angesehen, so war auch heute mein Zorn, weniger gegen den Uebermuth der Gewalt, als gegen die niederträchtige Feigheit des Volkes gerichtet. Einige Tausend Mann waren zum Schutze der Henkerei versammelt. Diese waren ein¬ geschlossen, eingeengt von Hundert tausend Bürgern, welchen allen Haß und Wuth im Herzen kochte. Es war kein Leben, kaum eine Wunde dabei zu wagen. Hätten sie sich nur so viel bemüht, als sie es jeden Abend mit Fröhlichkeit thun, sich in die Schauspiel¬ häuser zu drängen; hätten sie nur rechts und links mit den Ellenbogen gestoßen: die Tyrannei wäre er¬ drückt und ihr Schlachtopfer gerettet worden. Aber die abergläubische Furcht vor der Soldatenmacht! Warum thaten sie nicht damals schon, was sie acht Jahre später gethan? Es ist zum Verzweifeln, daß ein Volk sich erst berauschen muß in Haß, ehe es den Muth bekömmt, ihn zu befriedigen; daß es nicht eher sein Herz findet, bis es den Kopf verloren. Mit solchen Gedanken ging ich neben dem Zuge her und begleitete ihn bis auf den Greve-Platz. Dort schlossen sie einen Kreis, und Einer stellte sich auf eine Erhöhung und schickte sich zu reden an. Ich aber ging fort. Was an diesem Orte und über solche jammervolle Geschichten zu sagen ist, war mir bekannt genug. Ich ging die neue Kettenbrücke hinan, I. 4 die jetzt vom Greve-Platze hinüberführt und setzte mich auf eine der Bänke dort, um auszuruhen. Ich sah den Strom hinab, maß die kurze Entfernung zwischen dem Louvre, wo Frankreichs Könige herrsch¬ ten, und dem Revolutions-Platze, wo sie gerichtet wurden von ihrem Volke, und ich erstaunte, daß die Gerechtigkeit, wenn auch eine Schnecke, so lange Zeit gebrauchte, diesen kurzen Weg zurückzulegen. Zwischen der Bartholomäus-Nacht und der Erobe¬ rung der Bastille sind mehr als zwei Jahrhunderte verflossen. Heillos wuchert die Rache der Könige; aber die edle Rache der Völker hat niemals Zinsen begehret! Man kann ungestört träumen auf dieser Brücke. Sie ist nur für Fußgänger, und so oft einer darüber ging, zitterte die Brücke unter mir und mir zitterte das Herz in der Brust. Hier, hier an dieser Stelle, wo ich saß, fiel in den Juli- Tagen ein edler Jüngling für die Freiheit. Noch ist kein Winter über sein Grab gegangen, noch hat kein Sturm die Asche seines Herzens abgekühlt. Die Königlichen hatten den Greve-Platz besetzt, und schossen über den Fluß, die von jenseits andrängenden Studenten abzuhalten. Da trat ein Zögling der polytechnischen Schule hervor, und sprach: „Freunde, wir müssen die Brücke erstürmen. Folgt mir! Wenn ich falle gedenket meiner. Ich heiße d'Arcole ; es ist ein Name guter Vorbedeutung. Hinauf!“ Er sprach's und fiel von zehn Kugeln durchbohrt. Jetzt liest man in goldnen Buchstaben auf der Pforte, die sich über die Mitte der Brücke wölbt: Pont d'Ar¬ cole , und auf der andern Seite: le 28 Juillet 1830. Für Ossians Aberglauben hätte ich in dieser Stunde meine ganze Philosophie hingegeben. Wie hätte es mich getröstet, wie hätte ich mich versöhnt mit dem zürnenden Himmel, hätte ich glauben können: um stille Mitternacht schreitet der Geist des gefalle¬ nen Helden über die Kettenbrücke, setzt sich auf die eiserne Bank, und schaut hinauf nach seinem goldnen Namen, der im Glanze des Mondes blinkt. Dann vernehmen die am Ufer wohnen ein leises seliges Jauchzen, süß wie sterbender Flötenton und sagen: das ist d'Arcole's Freude. Tugend, Entsagung, Aufopferung — ich habe dort viel darüber nachgedacht. Soll man oder soll man nicht? Der Ruhm; er ist ein schöner Wahn¬ sinn, aber doch ein Wahnsinn. Nun, wenn auch! Was heißt Vernunft? Der Wahnsinn Aller . Was heißt Wahnsinn? Die Vernunft des Einzelnen . Was nennt Ihr Wahrheit? Die Täuschung, die Jahrhunderte alt geworden. Was Täuschung? Die Wahrheit, die nur eine Minute gelebt. Ist es aber die letzte Minute unseres Lebens, folgt ihr keine andere nach, die uns enttäuscht, dann wird die Täuschung, der Minute zur ewigen Wahrheit. Ja, 4* das ist's. O schöner Tod des Helden, der für einen Glauben stirbt! Alles für Nichts gewonnen. Die Zukunft zur Gegenwart machen, die kein Gott uns rauben kann; sich sicher zu stellen vor allen Täu¬ schungen; unverfälschtes, ungewässertes Glück ge¬ nießen; die Freuden und Hoffnungen eines ganzen Lebens in einen, einen Feuertropfen bringen, ihn kosten und dann sterben — ich habe es ausgerechnet bis auf den kleinsten Bruch — es ist Verstand darin! Ich ging auf der andern Seite zurück. Dort fragte mich ein Bürger, der das Gedränge auf dem Greve-Platz bemerkte: Est-ce que l'on guillotine ? Ich antwortete: au contraire, on déguillotine . „ Wird guillotinirt ?“ Ist das nicht köstlich ge¬ fragt? Ich glaube, daß ich darüber gelacht. Achter Brief. Paris, den 28. September 1830. Es ist gräßlich, es ist zu gräßlich, was in Brüssel geschieht! Was Paris im Juli gesehen, war Tändelei dagegen. Man könnte rasend werden über die Niederträchtigkeit der Fürsten. Und der König von Holland ist noch einer der bessern. Männer erwürgen, weil sie sich nicht länger wie Schulbuben wollen behandlen lassen, über den Köpfen ihrer wehr¬ losen Weiber und Kinder die Dächer mit vergiftetem Feuer, mit Congrevischen Raketen anzünden — das ist die väterliche Liebe der Väter des Volkes, so thun sie sie kund! Ein Brüsseler Zeitungsschreiber fragt: „Wie viele Leichen braucht denn eigentlich ein König, damit er mit Behaglichkeit in seine Haupt¬ stadt einziehe?“ Unglückseliger Spötter! Wie viele Leichen braucht Ihr denn, bis es euch unbehaglich wird, und ihr die Geduld verliert mit euren Unter¬ drückern? Sie machen es noch lange nicht arg genug. Ich habe kein Mitleid mit den Belgiern, mit keinem Volke. Tu l'as voulu, tu l'as voulu, George Dandin ! Der Prophet Samuel hat sie schon vor drei Tausend Jahren gewarnt. Sie haben nicht hören wollen, sie mögen fühlen. Gestern habe ich zum ersten Male unsern König gesehen — unsern König, den wir gemacht haben. Es wird sich zeigen, ob wir geschickter sind als Gott, der die frühern Könige gemacht hat, wie Kunstkenner behaupten. Er zeigte sich auf einer offenen Gallerie im Palais-Royal und wurde vom Volke mit wahrer Herzlichkeit begrüßt. Sie lachten ihn an, ließen ihn hoch leben und es schien mir alles aus der innersten Seele zu kommen. Ich stimmte mit ein. Man liebt gern, wenn es einem nicht gar zu sauer gemacht wird. So eben erfahre ich, in Gera wäre eine Re¬ volution ausg ebrochen. Dem D., der mir diese freudige Nachricht brachte, habe ich zum Lohne ein Beefsteak holen lassen. Habe ich sie endlich einmal, die Fürsten Reuß , Greiz , Schleiz und wie sie sonst heißen! Ist der Tag der Rache endlich erschie¬ nen! Schon dreißig Jahre gedenke ich es ihnen. Wie haben sie mich in meiner Jugend gequält mit der verworrenen Geographie ihrer Länderlein, und den Verzweigungen ihrer Familie! Das war ein Linienwerk wie in der flachen Hand; man mußte eine Zigeunerin seyn, um daraus klug zu werden. Die Familienhäupter heißen alle Heinrich und sich von einander zu unterscheiden, sind sie numerirt. Der Eine heißt Heinrich XVIII ., der Andere Hein¬ rich LX ., der Dritte Heinrich LXIII ., der Vierte Heinrich LXX . Das Ein-Mal-Eins geht nicht weiter, und das sollten wir armen Kinder alle aus¬ wendig lernen für die nächste Ostern-Prüfung. Ich lernte damals lieber die Geographie von Aegypten, wo gerade Buonaparte durchzog. Wenn mein sanfter Lehrer, Doctor Schapper, mich in den Pyramiden ertappte, sagte er mit feiner Kindbetterin-Stimme: das ist auch nützlich; aber mit der vaterländischen Geographie muß man den Grund legen. Nun schwöre ich es Ihnen bei der heiligen Ignoranz, daß wenn ich jetzt auf der Stelle nach Cairo reisen müßte, ich ganz genau den Weg wüßte, den ich zu nehmen; wenn aber nach dem Lande Reuß, müßte ich erst hinüber und herüber im Postbuche nachschla¬ gen. In welchem Theile von Deutschland Gera liegt, oben, unten, rechts, links — ich weiß es wahrhaftig nicht. Aber so viel weiß ich, daß man Gera mit allen seinen Einwohnern in die Richelieu¬ Straße stellen könnte. Jetzt stellen Sie sich vor, daß diese kleine Stadt, zwei oder gar drei Fürsten hat, die sie gemeinschaftlich beherrschen. Ist es da ein Wunder, wenn es zur Revolution gekommen? Es ist schon mit einem Fürsten nicht auszuhalten. Der Doctor Schapper hat aber einen guten vater¬ ländischen Grund in mir gelegt! Er wird sich freuen, wenn er es erfährt. Freitag, den 1. October. — Cotta will hier in Paris eine Zeitung her¬ ausgeben, wie mir eben D. erzählte, an den er sich vorläufig deswegen gewendet. Wenn es nur zur Ausführung kömmt — es wäre himmlisch. Hundert deutsche Minister würden darüber verrückt werden. Was könnte dieser Mann mit seinem Reichthume, seiner Thätigkeit, seinem Geschäftskreise und seinen Verbindungen nicht alles wirken, wenn er wollte! Er allein versteht es, wie man die furchtsamen Federn beherzt macht, und die verbor¬ gensten Schubladen der Geheimnißkrämer öffnet. Wenn ich an die Censur denke, möchte ich mit dem Kopfe an die Wand rennen. Es ist zum Verzwei¬ feln. Die Preßfreiheit ist noch nicht der Sieg, noch nicht einmal d e r Kampf, sie ist erst die Bewaffnung; wie kann man aber siegen ohne Kampf, wie kämpfen ohne Waffen? Das ist der Zirkel, der einen toll macht. Wir müssen uns mit nackten Fäusten, wie wilde Thiere mit den Zähnen, wehren. Freiwillig gibt man uns nie die Preßfreiheit. Ich möchte unsern Fürsten und ihren Rathgebern nicht Unrecht thun, ich möchte nicht behaupten, daß bei allen und überall, der böse Wille, alle Mißbräuche, welche durch die Presse offenkundig würden, fortzusetzen, Schuld an der hartnäckigen Verweigerung der Pre߬ freiheit sei; das nicht. Wenn sie regierten wie die Engel im Himmel und auch der anspruchsvollste Bürger nichts zu klagen fände: sie würden doch Preßfreiheit versagen. Ich weiß nicht — sie haben eine Eulen-Natur, sie können das Tageslicht nicht ertragen; sie sind wie Gespenster, die zerfließen, sobald der Hahn kräht. — Die Frankfurter Bürgerschaft wäre ja rein toll, wenn sie dem Senate die Anwerbung von Schweizertruppen bewilligte. Das gäbe nur eine Leibwache für die Bundesversammlnng und die steckt gewiß hinter dem Plane. — Merkwürdig sind die Hanauer Geschichten! Wer hätte das erwartet? Kann sich die Freiheit in der Nähe von Frankfurt bewegen? Es gibt irgendwo einen See von so giftiger Ausdünstung, daß alle Vögel, die darüber fliegen, gleich todt herabfallen. So erzählt man, aber ich glaube es nicht. — Es hat sich hier seit einiger Zeit eine re¬ ligiöse Gesellschaft gebildet, welche die Lehren des St . Simon zu verbreiten sucht. Ich habe früher nie etwas von diesem Simon gehört. Es werden Sonntags Predigten gehalten. Wie man mir er¬ zählt, soll gleiche Vertheilung der Güter eine der Grundlehren seyn. Die Gesellschaft zählt schon viele Anhänger und der Sohn meines Banquiers gehört zu den eifrigsten Mitgliedern. Wenn ich Geld bei ihm hole, und ich ihm einen Wechsel anbiete, wird er mir gewiß sagen: das ist ja gar nicht nö¬ thig, sein Geld sei auch das meinige. Ich freue mich sehr darauf. Gestern habe ich die Giraffe gesehen, die in einem Gehege frei umhergeht. Ein erhabenes Thier, das aber doch viel Lächerliches hat; eine tölpelhafte Majestät. Man muß oft lange warten, bis es ihr gefällig ist, die Beine aufzuheben und sich in Be¬ wegung zu setzen. Gewöhnlich steht sie still, an Bäumen oder an der Mauer eines dort befindlichen Gebäudes und benagt die obersten Zweige oder das Dach. Das Thier sieht sehr metaphysisch aus, lebt mit dem größten Theile seines Wesens in der Luft, und scheint die Erde nur zu berühren, um sie ver¬ ächtlich mit Füßen zu treten. In dem nehmlichen Gehege befanden sich auch noch andere Thiere, me¬ lancholische Büffel und sonstige. Zuweilen gingen diese unter dem Bauche der Giraffe weg, und dann sah es aus wie Schiffe, die unter einem Brücken¬ bogen hinfuhren. Neunter Brief. Paris, Mittwoch den 6. October 1830. Ob ich zwar vorher wußte, daß die deutschen Regierungen den Forderungen des Volkes nicht nach¬ geben, sondern Maasregeln der Strenge ergreifen würden; ob ich zwar vom Schauplatz entfernt bin, so hat mir Ihr heutiger Bericht von den Truppen¬ bewegungen, von dem Mainzer Kriesgerichte , doch die größte Gemüthsbewegung gemacht. Ich hielte das nicht aus und ich bin froh, daß ich mich entfernt habe. Gott hat die Fürsten mit Blindheit geschlagen und sie werden in ihr Verderben rennen. Sie haben die ruhigsten und gutmeinendsten Schriftsteller mit Haß und Verachtung behandelt, sie haben nicht ge¬ duldet, daß die Beschwerden und Wünsche des Volkes in friedlicher Rede verhandelt würden, und jetzt kommen die Bauern und schreiben mit ihren Heugabeln, und wir wollen sehen, ob sich ein Cen¬ sor findet, das wegstreicht. Die alten Künste, in jedes aufrührerische Land fremdes Militär zu legen, Nassauer nach Darmstadt, Darmstädter nach Nassau, werden nicht lange ausreichen. Wenn ein¬ mal der Soldat zur Einsicht gekommen, daß er Bür¬ ger ist eher als Soldat, und wenn er einmal den großen Schritt gethan, blinden Gehorsam zu verwei¬ gern, dann wird er auch bald zur Einsicht kommen, daß alle Deutsche seine Landsleute sind, und wird nicht länger um Tagelohn ein Vater- oder Bruder¬ mörder seyn. Alle alte Dummheiten kommen wie¬ der zum Vorschein, nicht eine ist seit fünfzehn Jah¬ ren gestorben. So habe ich in deutschen Blättern gelesen, man habe entdeckt, daß eine geheime Ge¬ sellschaft die revolutionären Bewegungen überall geleitet, und man sei den Rädelsführern auf der Spur. Die schlauen Füchse! — Gestern Abend war ich bei Lafayette, der jeden Dienstag eine Soiree gibt. Wie es da zuging, davon kann ich Ihnen schwer eine Vorstellung geben, man muß das selbst gesehen haben. In drei Salons waren wohl drei Hundert Menschen versammelt, so gedrängt, daß man sich nicht rühren konnte, aber im wörtlichsten Sinne nicht rühren. Lafayette, der 73 Jahre alt ist, sieht noch ziemlich rüstig aus. Er hat eine sehr gute Physiognomie, ist immer freundlich und drückt jedem die Hand. Wie es aber der alte Mann den ganzen Abend in dem Gedränge und in der Hitze aushält, ist mir unbegreiflich. Dazu muß man ein Franzose seyn. Als man ihm die Nachrich¬ ten aus ... mittheilte, schien er sehr vergnügt und lachte. Ich habe den Abend viele Leute gesprochen, die ich natürlich nicht alle kenne. Auch viele Deut¬ sche waren da, junge Leute, die sehr revolutionirten. Die ganze Gesellschaft würde im Oesterreichischen gehenkt werden, wenn man sie hätte. Es geht da sehr ungenirt her, ja ungenirter als im Kaffeehause. Und dabei hat man die Erfrischungen umsonst. Ich ging schon um zehn Uhr weg. Da waren noch die Treppen bedeckt von Leuten, die kamen. Wie die aber Platz finden mochten, weiß ich nicht. Es waren auch zwei Sophas mit Frauenzimmern da, meistens Nordamerikanerinnen. Talleyrand war neulich, ehe er nach London abreiste, in Lafayette's Salon; es hat aber kein Mensch mit ihm gesprochen. Ich sprach unter andern zwei Advokaten, welche die Vertheidigung der angeklagten Minister übernommen. Sie sagten, die Sache stände schlimm mit ihren Klienten und sie ständen in Lebensgefahr. Sie wä¬ ren aber auch so dumm, daß sie nicht einmal so viel Verstand gehabt hätten, zu entwischen, was die Re¬ gierung sehr gern gesehen hätte. Jetzt sei es zur Flucht zu spät. Der Kommandant in Vincennes, wo die Minister eingesperrt sind, sei streng und lasse nicht mit sich reden. Man erzählte auch von einem Bauern-Aufstand in Hanau. Wissen Sie etwas davon. — Ihre Briefe machen mir eigentlich nur Freude ehe ich sie aufmache, und in der Erwartung, daß sie recht groß sind. Aber einmal geöffnet ist auch alles vorüber. In einer Minute habe ich sie gelesen, es ist das kürzeste Vergnügen von der Welt. Ich werde durch Ihre langen Buchstaben und gestreck¬ ten Zeilen sehr übervortheilt. Ihre ganzen Briefe brächte ich in zwanzig Zeilen. Was können Sie aber dafür? Ihre Freundschaft reicht nicht weiter. — Was mag jetzt nicht in Deutschland alles vorgehen, was man gar nicht erfährt, weil es nicht gedruckt werden darf! Ich habe den Abend oft das ganze Zimmer voll deutscher Jünglinge, die alle re¬ volutioniren möchten. Es ist aber mit den jungen Leuten gar nichts anzufangen. Sie wissen weder was sie wollen, noch was sie können. Gestern traf ich bei Lafayette einen blonden Jüngling mit einem Schnurrbarte und einer sehr kecken und geistreichen Phy¬ sionomie. Dieser war von*** wo er wohnt, als dort die Unruhen ausgebrochen, hierhergekommen, hatte La¬ fayette, Benjamin Constant, Quiroga und andere Revolutionshäupter besucht und um Rath gefragt, ge¬ rade als hätten diese Männer ein Revolutionspulver, das man den Deutschen eingeben könnte. — Was sagen Sie dazu, daß die Todesstrafe abgeschafft werden soll, vor jetzt wenigstens bei poli¬ tischen Vergehen? Ist das nicht schön? Und das geschieht nur in der Absicht, die angeklagten Mi¬ nister zu retten. Und nicht etwa die Regierung allein will das, sondern der bessere Theil des Volkes selbst. Diese Woche kam eine Bittschrift von hun¬ dert blessirten Bürgern, die alle die Abschaffung der Todesstrafe fordern, an die Kammer. Mich rührte das sehr, daß Menschen, welche von den Ministern unglücklich gemacht worden, um das Leben ihrer Feinde bitten. Wenn man bei unserer lieben Deut¬ schen Bundesversammlung um die Abschaffung der Todesstrafe in politischen Vergehen einkäme, würde man freundlichen Bescheid bekommen! Und doch, wenn sie klug wären, sollten sie schon aus Egoismus die alten blutigen Gesetze mildern. Heute noch haben sie die Macht, wer weiß wie es morgen aussieht. Zehnter Brief. Paris, den 19. October 1830. Seit gestern bin ich in meiner neuen Wohnung. Ich wollte sie schon Freitag beziehen, aber meine Wirthin, eine junge hübsche Frau, machte eine ganz allerliebste fromme Miene, sagte: c'est vendredi und bat mich meinen Einzug zu verschieben. Ich bot ihr an, alles Unglück, was daraus entstehen könnte, auf mich allein zu nehmen, doch sie gab nicht nach. Man sagte mir, dieser Aberglaube sei hier in allen Ständen sehr verbreitet. Es giebt zum Transporte der Möbel beim Ein- und Ausziehen eine eigene Anstalt, ein besonderes Fuhrwesen. Bei den häufi¬ gen Wohnungsveränderungen, die hier statt finden, sind jene Wagen nicht täglich zu haben, man muß oft Wochen lang vorher seine Bestellung machen. An den Freitagen aber sind sie unbeschäftigt, weil da Nie¬ mand sein Haus wechseln will. Sollte man das von Parisern erwarten? I. 5 Gestern am achtzehnten Oktober, am Jahres¬ tage der Leipziger Schlacht und der Befreiung Deutschlands, fing es mich zu frieren an, und da ließ ich zum erstenmale Feuer machen. Jetzt brennt es so schön hell im Kamine, daß mir die Augen übergehen. Der Preis des Holzes ist ungeheuer. Man kann berechnen, wie viel einem jedes Scheit kostet; die Asche ist wie geschmolzenes Silber. Da¬ bei gedachte ich wieder mit Rührung meines, nicht theuern, sondern im Gegentheile wohlfeilen Vater¬ landes. Als meine Wirthin mich seufzen hörte und sah, wie ich aus Oekonomie die Hände über den Kopf zusammenschlug, tröstete sie mich mit den Wor¬ ten: mais c'est tout ce qu'il y a de plus beau en bois ! Diese kleine Frau gibt einem die schön¬ sten Redensarten, aber sie sind kostspielig. Den Miethpreis der Zimmer, den ich zu hoch fand, her¬ abzustimmen, gelang aller meiner Beredsamkeit nicht. Sie widerlegte mich mit der unwiderleglichen Bemer¬ kung: Der englische Ort sei doch ganz aller¬ liebst — mais vous avez un lieu anglais qui est charmant . Die reichen Engländer setzen viel Ge¬ wicht darauf, und der arme Deutsche muß das mit bezahlen. Ich habe mit einigen deutschen Zeitungs-Redak¬ teuren Verbindungen angeknüpft, um eine Correspon¬ denz zu übernehmen, die mir das allerschönste Holz und den anmuthigsten aller englischen Orte bezahlen helfe; es ist aber nichts zu Stande gekommen. Die Einen und die Andern wollten nicht Geld genug hergeben, oder können auch nicht mehr bei den arm¬ seligen Verhältnissen, in welchen sich die meisten deut¬ schen Blätter befinden. Die Hamburger Zeitung, welche, da sie einen bedeutenden Absatz hat, mir meine Forderungen vielleicht bewilligt hätte, machte mir die Bedingung, ich müßte mich auf Thatsa¬ chen beschränken und dürfe nicht resonniren . Da ich aber nicht nach Frankreich gereist bin, um ein Stockfisch zu werden, sondern gerade wegen des Ge¬ gentheils, brach ich die Unterhandlung ab. — — Eine ganze Stunde habe ich das Schrei¬ ben unterbrochen und darüber von dem langen Briefe, den ich im Kopfe hatte, den größten Theil ver¬ gessen. Mich beschäftigte eine Kritik meiner gesam¬ melten Schriften, welche in den neuesten Blättern der Berliner Jahrbücher steht, und die mir ein Freund zugeschickt. Es darf Sie nicht wundern, daß ich mich dadurch zerstreuen ließ; mit einer Recension könnte man einen Schriftsteller selbst vom Sterben abhalten. Ich bin mit meinem Kritiker sehr zufrie¬ den, und alles was er sagt, hat mir Freude ge¬ macht. Er lobt mich von Herzen und tadelt mich mit Verstand. So oft von meinen polischen Ansich¬ ten und Gesinnungen die Rede ist, stellt er sich frei¬ 5 * lich an als verstände er mich nicht und widerspricht mir; doch wird es keinem Leser entgehen, wie das gemeint ist. Im Grunde denkt Herr Neumann (so heißt der Berliner Recensent) ganz wie ich; aber ein königlich Preußischer Gelehrter muß sprechen wie der Herr von Schuckmann. Das ist das Preußen¬ thum , das ist die protestantirte Oesterreichische Politik. Das ist, was ich in meiner Brochüre über die Berliner Zeitung alles vorhergesagt. — Vor einigen Tagen war ich zum ersten Male im Theater, und zwar in meinen geliebten Vari é t é s . Ich wurde den Abend um einige Pfunde leichter, was bei einem deutschen Bleimänn¬ chen, wie ich eins bin, schon einen großen Unterschied macht. Es wird einem dabei ganz tänzerlich zu Muthe, die Füße erheben sich von selbst und man könnte sich nicht enthalten, selbst Hegel zu einem Walzer aufzufordern, wenn er grade in der Nähe stände. Ich habe meine Freude daran, wie sich das leichtsinnige Volk alles so leicht macht. Sie schrei¬ ben schneller ein Stück, als man Zeit braucht, es aufführen zu sehen. Kaum waren acht Tage nach der Revolution verflossen, als schon zwanzig Komö¬ dien fertig waren, die alle auf das Ereigniß Bezug hatten. Gewöhnlich ist kein gesunder Menschenver¬ stand darin, aber wozu auch? Ist nicht jedes Volk ein ewiges Kind und brauchen daher Volks-Schau¬ spiele Verstand zu haben? Alle diese Gelegenheits¬ stücke sind nun jetzt wieder von der Bühne verschwun¬ den, — „die Todten reiten schnell“ — und ich eilte mich daher, eins der wenigen übrig gebliebenen noch auf seiner Flucht zu erhaschen. Ich sah Mr. de la Jobardière . Das ist einer von den altadeligen geräucherten Namen, die schon Jahrhunderte im Schornstein hängen, und jetzt von der jungen Welt herabgeholt und gegessen werden. Der alte Edel¬ mann ist ein guter Royalist, lang und hager und sehr gepudert. Seine Frau ist eine gute Royalistin, dick und rund und geschminkt. Der junge Hausarzt — versteht sich ein Bürgerlicher — ist in die Toch¬ ter verliebt. Jetzt kommt der Vorabend der Revolu¬ tion Der Arzt, ein Patriot, giebt den Eltern sei¬ ner Geliebten, theils um ihnen die Unruhe zu erspa¬ ren, theils um ihnen eine Ueberraschung zu bereiten, Opium ein, so daß sie während der drei Revolu¬ tionstage schlafen und erst am dreißigsten Juli auf¬ wachen, da Karl X . schon auf dem Wege nach Ram¬ bouillet war. Der Royalist, im Schlafrocke, nimmt, wie gewöhnlich beim Frühstücke, seine Zeitungen vor. Da findet er ein Blatt la Révolution , ein anderes le Patriote genannt, Blätter die während seinem Schlafe erst entstanden waren. Er reibt sich die Augen und klingelt seinem Bedienten. Dieser tritt wie ein Bandit mit Säbel und Pistolen bewaffnet herein und trägt einen Gensd'arme-Hut auf dem Kopfe. Der Royalist fragt, ob er verrückt gewor¬ den, und als er von ihm die Erzählung der vorge¬ fallenen Ereignisse vernimmt, fängt er an an seinem eigenen Kopf zu zweifeln und schickt nach dem Arzte. Bald erscheint dieser in der Uniform eines National¬ garden-Officiers und bestätigt alles. Der Royalist wankt, aber seine festere Frau will noch nichts glau¬ ben, sagt: Der König verjagt — das könne nur ein Mißverständniß seyn, und sie wolle in die Faux¬ bourg St. Germain gehen und Erkundigungen ein¬ ziehen. Sie geht fort, kehrt nach einer Weile zu¬ rück und zwar mit einer dreifarbigen Kokarde, groß wie ein Wagenrad auf der Brust, und sagt, leider sei alles wahr. Das royalistische Ehepaar tröstet sich aber sehr bald, und ist der sehr vernünftigen Meinung, ein König sei wie der andere, der Her¬ zog von Orleans sei König und darum das Unglück nicht so groß. Le Roi est mort , vive le Roi ! schreien sie und der Arzt bekommt die Tochter. Ist das nicht eine prächtige Erfindung? Der dreißigste Juli war auch der Himmel¬ fahrts-Tag Napoleons. Seitdem wird er als Gott angebetet. Ich sah la redingote grise . Es ist die bekannte Geschichte von der sogenannten kai¬ serlichen Großmuth gegen die Prinzessin Hatzfeld in Berlin. Der Theater-Lieferant hatte den Verstand, Napoleon nichts sprechen zu lassen. Er erscheint als Graumännchen auf einige Minuten, und verschwin¬ det dann wieder. Es ist recht schauerlich. Die unheilige Dreieinigkeit vollständig zu ma¬ chen, erschien nach der Volks-Souveränetät und Buonaparte, am nehmlichen Abende der leibhaftige Teufel selbst auf der Bühne, unter Voltaire's Ge¬ stalt. Das Vaudeville heißt Voltaire chez les Capucins. Das Stück spielt in einem Capuzi¬ ner-Kloster, worin Voltaire als ungekannter Gast eingekehrt war. Es sind heuchlerische Pfaffen, die dort ihr Wesen treiben. Voltaire entdeckt ihre Schelmereien, ihre geheimen Liebschaften, ihre Ränke und Missethaten; er schürt das Feuer, und schwelgt ganz selig in Schadenfreude und Bosheit. Es war eine Lust, wie gut ihn der Schauspieler dargestellt — aber gottlos, sehr gottlos. — Sie fragen mich, was ich erwarte, was ich denke? Ich erwarte, daß die Welt untergehen wird, und daß wir den Verstand darüber verlieren wer¬ den. Ich zweifle nicht daran, daß bis zum nächsten Frühlinge ganz Europa in Flammen stehen wird, und daß nicht blos die Staaten über den Haufen fallen werden, sondern auch der Wohlstand unzähliger Fa¬ milien zu Grunde gehen wird. Zu ihren Lustbar¬ keiten laden die Fürsten nur Edelleute ein; aber wenn das Unglück über sie kömmt, bitten sie auch ihre Bürger zu Gaste. Dafür sorgen sie voraus, zu diesem edlen Zwecke machen sie Staats¬ schulden . Wir können stolz darauf seyn; es ist eine große Ehre in so vornehmer Gesellschaft zu jammern. Eilfter Brief. Paris, den 30. October 1830. Ich Unglücklichster muß meine Wohnung von neuem wechseln. Der Kamin raucht, und der Fu߬ boden, obzwar parquetirt, ist von einer beleidigenden Kälte. Nicht ohne Grobheit machte ich meiner schö¬ nen Wirthin Vorwürfe, daß sie mir die geheimen Fehler der Zimmer verschwiegen. Sie stellte sich ganz überrascht und erwiederte: das wäre ihr un¬ begreiflich; ein junger Spanier habe doch zwei Win¬ ter bei ihr gewohnt und sich nie über das Geringste beschwert. Das will ich wohl glauben! Ich ließ mich durch die schönsten französischen Versprechungen von Teppichen und Kamin-Verbesserungen nicht täu¬ schen, kündigte sogleich auf und ging fort, mich nach einer andern Wohnung umzusehen. Als ich unten von der Straße nach meinem geöffneten Fenster hin¬ aufsah, bemerkte ich, daß mein Wohnzimmer über dem Thorweg liegt, und die Kälte des Fußbodens gar nicht zu heilen ist. Das war mir entgangen, sowohl beim Miethen als während der vierzehn Tage, daß ich im Hause wohne. Und doch bin ich Doktor der Philosophie! Wie dumm mögen erst ge¬ wöhnliche Menschen seyn, die von Fichte und Schel¬ ling nie ein Wort gelesen! Ich schämte mich im Stillen und nahm mir fest vor, mich nie mehr mit Staatsreformen zu beschäftigen. — Eine Flinte möchte ich haben und schießen. Mit guten Worten, das sehe ich täglich mehr ein, richtet man nichts aus. Ich wünsche, daß es Krieg gäbe, und der kränkelnde Zustand der Welt in eine kräftige Krankheit übergehe, die Tod oder Leben ent¬ scheidet. Wenn es Friede bleibt, wird die Zucht¬ meisterei in Deutschland immer unerträglicher werden, und glauben Sie ja keinem Menschen das Gegen¬ theil; ich werde Recht behalten. Dem deutschen Bürgerstande wird Angst gemacht vor dem Pöbel und er bewaffnet sich, stellt sich in seiner viehischen Dummheit unter das Commando der Militärmacht und vermehrt dadurch nur die Gewalt der Regie¬ rungen. Hier und in den Niederlanden wird der Pöbel auch aufgehetzt. Die National-Garde hält ihn im Zaum, läßt sich aber nicht zum Besten ha¬ ben, sondern vertheidigt und beschützt nur seine eignen Rechte und seinen eignen Vortheil. Heute las ich in einer hiesigen Zeitung, daß ein Koch in Dresden zu sechszehnjähriger Zuchthausstrafe verurtheilt wor¬ den, weil man bei einem Volksauflaufe ein Messer bei ihm gefunden. Als wenn es nicht ganz was natürliches und gewöhnliches wäre, daß ein Koch ein Messer bei sich führe! Auch hat man einen Grafen Schulenburg, der das Volk aufgewiegelt haben soll, arretirt, und nach Berlin geführt. Es versteht sich, daß die deutschen Zeitungen nicht Graf Schulenburg schreiben durften, sondern nur Graf S. Nur in den französischen Blättern war der Name ausge¬ schrieben. Ich zweifle zwar nicht daran, daß es in Deutschland Menschen gibt, die aus Patriotismus oder Muthwillen das Volk aufwiegeln; aber gewiß haben sie die verschiedenen Insurrektionen nicht herbei geführt, sondern höchstens benutzt. Die Regierungen aber, in ihrer alten bekannten Verstocktheit, werden glauben oder sich anstellen zu glauben, einzelne Auf¬ wiegler wären an allen Unruhen Schuld, und wenn sie nun diese in ihre Gewalt bekommen, werden sie denken, alles sei geendigt, auf die Klagen des Volkes ferner keine Rücksicht nehmen, und in die alte Lage zurück fallen. Nur Krieg kann helfen. Vor einigen Tagen stand in einem hiesigen Blatte ein sehr merkwürdiger Brief aus Deutschland, der über die dortigen Unruhen ein großes und neues Licht verbreitet. Es wird darin erzählt, wie Met¬ ternich diese Unruhen angefacht habe und wozu er sie habe benutzen wollen. Er gedachte nehmlich, die bairischen Truppen und die der andern süddeutschen Staaten, unter dem Vorwande, sie zur Dämpfung der ausgebrochenen Insurrektionen zu verwenden, in die Ferne zu locken und dadurch jene Länder wehrlos zu machen. Der König von Baiern habe aber den Plan durchschaut und ihn vereitelt. Der Bericht ist sehr interessant und ist, wie mich Einer versicherte, von Herrn von Hormayr in München eingesandt. Dieser war früher in Wien angestellt und ist ein großer Feind von Metternich. Es ist sehr traurig, daß in deutschen Blättern der genannte Artikel nicht erscheinen darf, und er daher gar nicht bekannt wer¬ den wird. Ich hörte auch: die Liberalen in Baiern suchten den König zu revolutioniren, daß er sich an die Spitze der Bewegung stelle und sich zum Herrn von Deutschland mache. Die Sache ist gar nicht unmöglich. Ueberhaupt sollen geheime Gesellschaften, besonders der alte Tugendbund, gegenwärtig wieder sehr thätig sein. Mit geheimen Gesellschaften möchte ich nichts zu schaffen haben, am wenigsten mit dem Tugendbunde, der es auf eine heillose Prellerei an¬ gelegt hat. Er wird von Aristokraten geleitet und hat aristokratische Zwecke, die man vor den dummen ehrlichen Bürgersleuten, die daran Theil nehmen, freilich geheim hält. Das heißt, mit der heiligen Schrift zu reden, den Teufel durch Beelzebub aus¬ treiben. Der heutige Constitutionnel meldet, ein Corps deutscher Bundestruppen von einem Nassauer Ge¬ nerale commandirt, würde zusammengezogen, und das Hauptquartier solle nach Frankfurt kommen. Haben Sie davon gehört? Das arme Frankfurt sieht doch einer traurigen Zukunft entgegen Seit funfzehn Jahren ist dort das Hauptquartier der Dummheit, und wenn diese einmal ihre Früchte trägt, wird es Frankfurt am ersten schmecken. Ich fange an einzusehen, daß ich die deutschen Verhältnisse falsch beurtheilt. Ich habe den entgegengesetzten Fehler der Minister, ich bekümmere mich zu viel um Sachen und zu wenig um Personen. Mehrere unter¬ richtete Deutsche, die ich hier kennen gelernt, haben mir die Ueberzeugung beigebracht, daß in Deutsch¬ land alles zu einer Revolution reif sei. Wann und auf welche Art es losbrechen werde, könne man nicht wissen; aber es werde losbrechen, und das bald. — Victor Hugo's Hernani habe ich mit großem Vergnügen gelesen. Es ist wahr, daß ich Werke solcher Art bei einem französischen Dichter nach ganz andern Grundsätzen beurtheile, als ich es bei einem deutschen Dichter thue. Das Ding an sich kümmert mich da gar nicht; sondern ich betrachte es blos in seiner Verbindung, das heißt bei roman¬ tischen poetischen Werken, in seinem Gegensatze mit der französischen Nationalität. Also je toller je besser; denn die romantische Poesie ist den Franzosen nicht wegen ihres schaffenden, sondern wegen ihres zerstörenden Prinzips heilsam. Es ist eine Freude zu sehen, wie die emsigen Romantiker alles anzünden und niederreißen, und große Karren voll Regeln und klassischem Schutte vom Brandplatze wegführen. Die Stockfische von Liberalen, deren Vortheil es wäre, die Zerstörung zu befördern, widersetzen sich ihr, und dieses Betragen ist ein Räthsel, das ich mir seit zehen Jahren vergebens zu lösen suche. Die armen Romantiker werden von ihren Gegnern ver¬ spottet und verfolgt, daß es zum Erbarmen ist, und man kann ihre herzbrechenden Klagen nicht ohne Thränen lesen. Aber warum klagen sie? Warum gehen sie nicht ihren Weg fort, unbekümmert, ob man sie lobe oder tadle? Ja, das ist's eben. Sie sind noch nicht romantisch genug; die Romantik ist nur erst in ihrem Kopfe, noch nicht in ihrem Her¬ zen; sie glauben ein Kunstwerk müsse einen unbe¬ strittenen Werth haben, wie eine Münze, und darum seufzen sie nach allgemeinem Beifall. Victor Hugo wiederholt in der Vorrede zu seinem Drama folgende Stelle aus einem Artikel, den er vor kurzem, als ein romantischer Dichter in der Blüthe seiner Jahre starb, in einem öffentlichen Blatte geschrieben hatte. Dieses Händeringen, dieses Wehklagen, dieser Le¬ bensüberdruß — es ist gar zu wunderlich! „Dans ce moment de mêlée et de tour¬ mente littéraire, qui faut-il plaindre, ceux qui meurent ou ceux qui combattent? Sans doute, c'est pitié de voir un poète de vingt ans qui s'en va, une lyre qui se brise, un avenir qui s'évanouit; mais n'est-ce pas quelque chose aussi que le repos? N'est-il pas permis à ceux autour desquels s'amassent incessamment calom¬ nies, injures, haines, jalousies, sourdes menées, basses trahisons; hommes loyaux auxquels on fait une guerre déloyale; hommes dévoués qui ne voudraient enfin que doter le pays d'une liberté de plus, celle de l'art, celle de l'intel¬ ligence; hommes laborieux qui poursuivent paisiblement leur oeuvre de conscience, en proie d'un côté à de viles machinatures de censure et de police, en lutte de l'autre, trop souvent, à l'ingratitude des esprits mêmes pour lesquels ils travaillent; ne leur est-il pas permis de retourner quelquefois la tête avec envie vers ceux qui sont tombés derrière eux, et qui dor¬ ment dans le tombeau? — — Qu'importe toutefois? Jeunes gens ayons bon courage! Si rude qu'on nous veuille faire le présent, l'avenir sera beau. Le romantisme, tant de fois mal défini, n'est, à tout prendre, et c'est là sa définition réelle, que le libéra¬ lisme en littérature .“ Was doch das Glück übermüthig macht! Diese jungen Leute jammern und verwünschen sich das Leben, weil einige poetische Absolutisten nicht haben wollen, daß sie romantisch sind: Absolutisten, die doch keine andern Waffen haben als die Feder und den Spott, welchem man gleiche Waffen entgegensetzen kann — und wir unglückseligen Deutschen, Alt und Jung, sobald wir nur einen Augenblick aufhören romantisch zu seyn und uns um die Wirklichkeit be¬ kümmern wollen, werden gescholten wie Schulbuben, geprügelt wie Hunde und müssen schweigen und dürfen uns nicht rühren! — Der Bundestag, wie ich höre, will in Deutschland die Preßfreiheit beschränken. Wie sie das aber anfangen wollen, möchte ich wissen. Wo nichts ist, hat der Kaiser sein Recht verloren. Zwoͤlfter Brief. Paris, den 3. November 1830. Ich habe bis jetzt noch sehr wenige Bekannt¬ schaften gemacht, und wahrscheinlich werde ich es darin nicht weiter bringen, als das vorige Mal auch. Man mag sich anstellen wie man will, man fällt immer in sein Temperament zurück. Zu Menschen¬ kennerei hatte ich immer die größte Unlust; meine sinnliche und mehr noch meine philosophische Träg¬ heit hält mich davon zurück. Was die einzelnen Menschen der nehmlichen Gattung von einander unter¬ scheidet, ist so fein, daß mich die Beobachtung an¬ strengt; es ist mir als sollte ich einen kleinen Druck lesen. Und wird man bezahlt für seine Mühe? Selten. Darum halte ich mich lieber an Menschen¬ massen und an Bücher Da kann ich fortgehen, die kann ich weglegen, wenn sie mir nicht gefallen oder wenn ich müde bin. In Gesellschaften muß ich I . 6 hören, was ich nicht Lust habe zu hören, muß spre¬ chen, wenn ich nicht Lust habe zu sprechen, und muß schweigen, wenn ich reden möchte. Sie ist eine wahre Krämerei, die sogenannte gesellschaftliche Un¬ terhaltung. Was man in Centnern eingekauft, setzt man lothweise ab. Wie selten trifft man einen Menschen, mit dem man en gros sprechen kann! Wem, wie mir, seine Meinungen zugleich Gesin¬ nungen sind, wem der Kopf nur die Pairskammer ist, das Herz aber die volksthümlichere Deputirten¬ kammer, der kann sich nicht in Gesellschaften behag¬ lich fühlen, wo der aristokratische Geist allein Gesetze gibt. Drei, höchstens fünf Freunde, oder dann Markt oder ein Buch — so liebe ich es. Das ist die Philosophie meiner Trägheit. Dazu kömmt noch, daß ich, wie gewöhnlich auf meinen Reisen, ohne alle Empfehlungsbriefe hierher gekommen. Zwar braucht man sie in Paris weniger als an andern Orten, hier wird man leicht von einem Bekannten zu einem Unbekannten geführt und so geht es schnell fort; aber sich vorstellen zu lassen, mit anhören zu müssen, wer und was man ist, sich unverdient, und was noch schlimmer, sich verdient loben zu hören — das thut einem doch gar zu kurios! — Was sagen Sie zu Antwerpen? Ist es nicht ein Jammer, daß einem das Herz blutet? Ist je so eine Schändlichkeit begangen worden? .... Das ist nicht der und der Fürst, der es gethan, das ist nicht der König der Niederlande, der nicht der schlimmste Fürst ist; das ist die Fürstennatur , die sich hier gezeigt, die wahnsinnige Ruchlosigkeit, die meint, ihrem persönlichen Vortheile dürfe man das Wohl eines ganzen Volkes aufopfern. Es ist nicht mehr zu ertragen und ich fange an und werde ein Republikaner, wovon ich bis jetzt so weit ent¬ fernt war. Sie sollten heute nur (im Messager) de Potter's Glaubensbekenntniß lesen und wie er sagt, der beste Fürst tauge nichts, und er wäre für eine Republik. Nie hat Einer so klar und wahr gesprochen. — Was sagt man denn in Frankfurt von der Pest ( Cholera morbus ), die jetzt in Moskau herrscht? Die Krankheit hat sich von Asien dort hin gezogen. Es ist eine Geschichte gar nicht zum La¬ chen. In der gestrigen Zeitung steht, der englische Gesandte in Petersburg habe seiner Regierung be¬ richtet, diese fürchterliche Krankheit werde sich wahr¬ scheinlich auch über Deutschland und weiter verbrei¬ ten. Das ist wieder Gottes nackte Hand! Die Fürsten werden gehindert seyn, große Heere zusam¬ menzuziehen und thun sie es doch .... Es ahndet mir — nein ich weiß es, die Pest wird vermögen, was nichts bis jetzt vermochte: sie wird das trägste und furchtsamste Volk der Erde antreiben und er¬ 6* muthigen. Pest und Freiheit! Nie hat eine häßlichere Mutter eine schönere Tochter gehabt. Was kann der kommende Frühling nicht noch für Jammer über die Welt bringen! Thränen werden nicht ausreichen, man wird vor lauter Noth lachen müssen. Und das Alles um des monarchischen Prinzips, und das alles um eines Dutzends armseliger Menschen willen! Es ist gar zu komisch. — Die Revüe, welche verflossenen Sonntag auf dem Marsfelde über die Nationalgarde gehalten wurde, gewährte einen unbeschreiblich schönen Anblick. Hundert tausend Mann Soldaten, und wenigstens eben so viel Zuschauer, alle auf einem Platze, den man auf den angrenzenden Höhen so bequem über¬ sieht. Was mich besonders freute, war, daß hinter manchem Bataillon, auch ein kleiner Trupp unifor¬ mirter Kinder zum Spase mit zog. Die Officiere hatten, wie ich bemerkte, oft ihre Noth zu kom¬ mandiren, die Buben kamen ihnen immer zwischen die Beine. Dann zogen auch die Blessirten vom Juli an dem König vorüber, und darunter auch zwei Weiber mit Flinten, die damals mitgefochten. Der König wurde mit großem Jubel empfangen. Der Kronprinz (Herzog von Orleans) dient als gemeiner Kanonier bei der Nationalgarde und stand den ganzen Tag bei seiner Kanone und legte die Hände an wie die Uebrigen. Den fremden Gesandten, die alle bei der Revüe waren, mußte die ganze königliche Pöbel¬ wirthschaft doch wunderlich vorkommen. An den deutschen Höfen wird jeder Prinz, sobald er auf die Welt kömmt, gleich in ein Regiment eingeschrieben, um von unten auf zu dienen, und so während er in's Bett pisst, avancirt er immerfort, ist im sieben¬ ten Jahre Lieutenant, im zehnten Obrist, und im achtzehnten General. Die Revüe dauerte von Mor¬ gens bis Abends; ich hatte natürlich nicht so lange Geduld. Wie es nur die Leute aushalten, so lange auf den Beinen zu seyn. Um acht Uhr Morgens zogen sie aus, und es war acht Uhr Abends als die letzten Legionen noch über die Boulevards zogen. Viele Nationalgarden, um sich nicht zu ermüden, sind zur Revüe hingefahren, und die vielen Cabriolets und Omnibus, aus welchen auf beiden Seiten Flin¬ ten hervorsahen, gewährten einen seltsamen Anblick. Heute ist das Ministerium geändert, wie Sie aus den Zeitungen erfahren werden. Thiers, der Verfasser einer Geschichte der französischen Revolu¬ tion, wird Unter-Staats-Sekretair der Finanzen, also ohngefähr so viel als Minister. Ich kannte ihn früher. Er ist kaum dreißig Jahre alt, kam zur Zeit als wir in Paris waren mit seinem Landsmann Mignet hierher, ganz fremd und unbeholfen. Ein Deutscher meiner Bekannten nahm sich der jungen Leute an und wies sie zurecht, und jetzt ist der Eine Staatsrath, der Andere Minister! Was man hier sein Glück macht! Möchte man nicht vor Aerger ein geheimer Hofrath werden! Es ist gerade so als wäre der Heine Minister geworden oder der Menzel oder ich. Und was sind wir? Freitag, den 5. November. Mittwoch Abend war ich bei Gerard, dem be¬ rühmten Maler, dessen Salon schon seit dreißig Jahren bestehet und wo sich die ausgezeichnetsten Personen versammeln. Es ist eine eigentliche Nacht¬ gesellschaft ; denn sie fängt erst um zehn Uhr an, und man darf noch nach Mitternacht dahin kommen. Gerard ist ein sehr artiger und feiner Mann; aber er hat viel Aristokratisches. (Ich mußte darüber lachen, daß ich unwillkührlich aber schrieb.) Er sieht mir nicht aus, als hätte er je das Mindeste von unserm deutschen Kunst-Katzenjammer gefühlt. Ich möchte ihm einmal die Phantasieen eines Kunstlie¬ benden Klosterbruders oder so ein anderes schluchzendes Buch zum Lesen geben — was er wohl dazu sagte! Ich fand dort die Dichterin Del¬ phine Gay; den dramatischen Dichter Ancelot; Hum¬ boldt; Mayer-Beer; den Bildhauer David, der im vorigen Sommer in Weimar war, um Goethes Büste aufzunehmen; unsern Landsmann, den jungen Hiller, der hier als Komponist und Klavierspieler in großer Achtung steht; Vitet, den Schriftsteller, der unter dem Namen Stendthal schreibt und noch viele andere Gelehrte und Künstler. Ein armer deutscher Ge¬ lehrter wird gelb vor Aerger und Neid, wenn er siehet, wie es den französischen Schriftstellern so gut gehet. Außer dem vielen Gelde, das sie durch ihre Werke verdienen, werden sie noch obendrein von der Regierung angestellt. Stendthal ist eben im Begriff nach Triest abzureisen, wo er eine Stelle als Con¬ sul erhalten. Vitet schreibt sogenannte historische Romane, die sehr schön sind: Henri III, les bar¬ ricades, les états de Blois. Der hat jetzt eine Anstellung bekommen, um die ich ihn beneide. Er ist conservateur des monuments d'antiquité de la France. Diese Stelle bestand früher gar nicht und der Minister Guizot, der Vitet protegirte, hat sie erst für ihn geschaffen. Sein Geschäft bestehet darin, daß er jährlich ein paar Mal durch Frank¬ reich reist und die allen Bauwerke aus der römischen Zeit und aus dem Mittelalter, Tempel, Wasserlei¬ tungen, Amphitheater, Kirchen besichtiget und darauf siehet, daß sie nicht verfallen. Dafür hat er einen jährlichen Gehalt von funfzehn tausend Franken und die Reisekosten werden besonders bezahlt. Gäbe es eine angenehmere Stelle als diese für einen Menschen wie ich bin, der faul ist und gern reist? Möchte man sich nicht den Kopf an die Wand stoßen, daß man ein Deutscher ist, der aus seiner Armuth und Niedrigkeit gar nicht heraus kommen kann? In Deutschland geschieht wohl manches für Kunst und Wissenschaft, aber für Künstler und Schriftsteller gar nichts. Hier vertheilt die Regierung jährliche Preise für die besten Werke der Malerei, der Bildhauer¬ kunst, Lithographie, Musik und so für Alle. Der erste Preis besteht darin, daß der Gewinnende auf fünf Jahre lang, jährlich 3000 Franken erhält, und dafür muß er diese Zeit in Rom zu seiner Ausbildung zubringen. Einem Deutschen würde dieses Müssen in Rom leben komisch klingen, denn er ist lieber in Rom als in Berlin, Carlsruhe. Aber Franzosen erscheint dieses oft als Zwang, denn sie verlassen Paris nicht gern. So hat die vorige Woche ein junger Mensch, Namens Berlioz, den ersten Preis der musikalischen Composition erhalten. Ich kenne ihn, er gefällt mir, er siehet aus wie ein Genie. Geschiehet je so etwas bei uns? Denken Sie an Beethoven. O! ich habe eine Wuth! Schicken Sie mir doch einmal eine Schachtel voll deutscher Erde, daß ich sie hinunterschlucke. Das ist ohne dies gut gegen Magensäure, und so kann ich das verfluchte Land doch wenigstens symbolisch ver¬ nichten und verschlingen. Neukamp, ein deutscher Componist (ich glaube er macht Kirchenmusik) lebt in Talleyrands Hause; aber nicht als Musiker, sondern als Attach é ! Er begleitet Talleyrand überall hin und ist ihm auch jetzt nach England gefolgt. Es mag recht angenehm seyn, in Talleyrands Nähe zu woh¬ nen. Bei uns gelangt man gar nicht zu so etwas. Gerard sagte mir, daß er die Deutschen sehr liebe, und hielt ihnen eine große Lobrede. Es war Mitter¬ nacht als man erst den Thee auftrug. Welche Le¬ bensart! Ich muß Ihnen doch die statistische Merk¬ würdigkeit mittheilen, daß man hier zum Thee keine Serviette auflegt, sondern die Tassen und was dazu gehört auf den nackten Tisch stellt. Gefällt Ihnen das? Aber dem Liberalismus ist nichts heilig. Dreizehnter Brief. Paris, den 9. November 1830. Spontini ist gegenwärtig mit seiner Frau hier. Sie waren vorgestern bei ***. Er kehrt wieder nach Berlin zurück. Ehe er von Be lin abreiste, erließ er an die Kapelle eine Art Tagesbefehl, worin er seine Zufriedenheit mit ihr zu erkennen gibt, und die Kapelle antwortete darauf. Beide Briefe sind gedruckt und Spontini vertheilt sie hier. Als ich sie bei *** las, hätte ich vor Wuth bald eine Tasse zerbrochen. Von Seite Spontini's die größte fran¬ zösische Unverschämtheit; er spricht mit der Kapelle wie ein Fürst mit seinen Unterthanen. Und von Seite der Kapelle die größte deutsche Niederträchtig¬ keit und Kriecherei. Es gibt nichts Bezeichnenderes als das. Spontini erzählte: in Berlin wird gegn¬ wärtig Rossini's Willhelm Tell aufgeführt, aber mit ganz verändertem Texte wegen des revolutionären Geistes darin, und Schillers Wilhelm Tell dürfe gar nicht mehr gegeben werden. So weit schon ist es jetzt in Preußen gekommen, die zweimal in Paris waren! Es flog ein Gänschen über den Rhein, Und kam als Gans wieder heim. — Die Theater werden jetzt frei gegeben, daß heißt: es darf jeder, der Lust hat, ein Theater errichten und mau braucht kein Privilegium mehr dazu, keine allergnädigste, keine hohe, keine hochobrigkeitliche Er¬ laubniß mehr. Seit der Revolution hat auch die Theater-Censur aufgehört und es herrscht vollkom¬ mene Lachfreiheit. Das alte Zeug wandert aus, und Deutschland ist das große Coblenz, wo alle emigrirten Mißbräuche zusammentreffen. In Zeit von zehn Jahren werden die Freunde der politischen Alterthümer aus allen Ländern der Erde nach Deutsch¬ land reisen, um da ihre Kunstliebhaberei zu befrie¬ digen. Ich sehe sie schon mit ihren Antiquités de l'Allemagne in der Hand, Brille auf der Nase und Notizbuch in der Tasche, durch unsere Städte wandern, und unsere Gerichtsordnung, unsere Stockschläge, unsere Censur, unsere Mauthen, un¬ sern Adelstolz, unsere Bürgerdemuth, unsere aller¬ höchsten und allerniedrigsten Personen, unsere Zünfte, unsern Judenzwang, unsere Bauernnoth, begucken, betasten, ausmessen, beschwatzen, uns armen Teufeln ein Trinkgeld in die Hand stecken, und dann fortgehen und von unserm Elende Beschreibungen mit Kupfer¬ stichen herausgeben. Unglückliches Volk! .. wird ein Beduine mit stolzem Mitleide ausrufen. — Es gehet jetzt in der Kammer ganz erbärm¬ lich her. Man hört da von den ehemaligen Libe¬ ralen Reden gegen die Preßfreiheit halten, wie sie der Metternich nicht besser wünschen kann. Es ist ein Ekel, und ich mag gar nicht davon sprechen. Benjamin Constant, Lafayette und noch einige Weni¬ gen sind die Einzigen, die der alten Freiheit treu geblieben. Das Ministerium und die Kammer ha¬ ben Furcht und handeln darnach und haben freilich die Masse der Nation auf ihrer Seite, nehmlich den Teig, aber ohne die Hefen, nehmlich die Industriellen , das heißt auf Deutsch: die mise¬ rablen Kaufleute und Krämer, die nichts haben als Furcht und Geld. Da nun die letzte Revolution ihren Zweck nicht erreicht hat (denn die jetzigen Machthaber wollen darin nur eine Veränderung der Dynastie sehen) und man den Franzosen nicht frei¬ willig gibt, um das sie gekämpft haben, wird eine neue Revolution nöthig werden; und die bleibt ge¬ wiß nicht aus. Mittwoch, den 10. November. Neulich bin ich bei Ferusac eingeführt worden, der jede Woche Reunion hat. Er gibt ein Jour¬ nal heraus, das in Deutschland bekannt ist. Er ist jetzt Deputirter geworden. Man findet in seinem Salon alle fremden und einheimischen Blätter und Journale, alle interessanten Bücher und Kupferwerke und Gelehrte von allen Formaten. Man vertreibt sich die Zeit mit Lesen und Kupferstiche betrachten. Er fragte mich, was mein literarisches Fach wäre? Antworten konnte ich darauf nicht, weil ich es selbst nicht wußte. Wenn Sie etwas Näheres davon wissen, theilen Sie mir es mit. — Ich habe in diesen Tagen gelesen: Contes d’Espagne et d’Italie par Alfred de Musset . Ein junger Dichter. Es ist merkwürdig, was der Aehnlichkeit mit Heine hat. Sollte man das von einem Franzosen für möglich halten? — Die Memoiren von St. Simon machen mir erstaunlich viel Freude. Vom Hofe Lud¬ wigs XIV . bekommt man die klarste Vorstellung. Es ist mir, als hätte ich dort gelebt. Aber auch nur vom Hofe. Vom Volke, von der Welt ist gar keine Rede. Welche Zeit war das! Ich glaube, das Buch hat zwölf Bände. — Manchmal, wenn ich um Mitternacht noch noch auf der Straße bin, traue ich meinen Sinnen nicht, und ich frage mich, ob es ein Traum ist? Ich hätte nicht gedacht, daß ich noch je eine solche Lebensart vertragen könnte. Aber nicht allein, daß mir das nichts schadet, ich fühle mich noch wohler dabei. Ich war seit Jahre nicht so heiter, so ner¬ venfroh, als seit ich hier bin. Die Einsamkeit scheint nichts für mich zu taugen, Zerstreuung mir zuträg¬ lich zu seyn. Die langen Krankheiten der letzten Jahre haben mich noch mehr entmuthigt als ge¬ schwächt, und hier erst bekam ich wieder Herz zu leben. Die geistige Atmosphäre, die freie Luft , in der man hier auch im Zimmer lebt, die Lebhaf¬ tigkeit der Unterhaltung und der ewig wechselnde Stoff wirken vortheilhaft auf mich. Ich esse zwei¬ mal so viel wie in Deutschland und kann es ver¬ tragen. Es kömmt aber daher, daß ich mich beim Tische unterhalte, selbst wenn ich allein beim Restau¬ rateur esse; die ewig wechselnden Umgebungen, die Kaumanieren aller europäischen Mäuler, das würzt die Speisen und macht sie verdaulicher. Und die Ferien, die schönen Ferien! Das Ausruhen von der Logik — das ist's vor allem, was meine Nerven liebkost. Aber dem Sauerkraute bleibe ich treu, das eine Band zerreiße ich nie, nie. Dienstag, den 16. November. Mit Belgien, denke ich, wird sich alles fried¬ lich beilegen. Die großen Mächte haben seine Un¬ abhängigkeit bereits anerkannt, und dem Gedanken entsagt, ihm dem Prinzen von Oranien aufzudrin¬ gen. Nur das Eine wird verlangt, daß es sich zu keiner Republik mache. Die meisten, wenigstens die einflußreichsten Belgier, sollen freilich für die republikanische Regierungsform gestimmt seyn; sie werden aber nachgeben müssen. Ich wollte, sie gäben nicht nach. Zwar halte ich eine Republik weder Belgien, noch einem andern Lande unsers entnervten Welttheils zuträglich; doch wäre das an deutscher Grenze von großem Vortheile; es würde unseren Absolutismus etwas geschmeidiger machen. Die Furcht ist die beste Gouvernante der Fürsten, die einzige, der sie gehorchen. Die Furcht muß Deutschlands Grenze bilden, oder alle Hoffnung ist aufzugeben. Auf Talleyrand in London setze ich großes Zutrauen, und ich lasse mich hierin von den Pariser Manieristen nicht irre machen. Er setzt bestimmt alles durch; denn er ist der einzige Staats¬ mann, der keine Leidenschaften und kein System hat und darum die Verhältnisse klar erkennt, wie sie sind. Er wußte die Fehler der Andern immer sehr gut zu benutzen, und an Fehlern wird es auch diesmal nicht fehlen. Ich muß lachen, so oft ich den Jammer in den liberalen Zeitungen lese, Talleyrand werde als ein Mitarbeiter an dem Wiener Frieden die Beschlüsse und Verträge der heiligen Allianz vertheidigen. Das ist der rechte Mann, dem etwas heilig ist! Ich will es wohl gern glauben, wie es auch hier von Vielen behauptet wird, daß die Katastrophe von Antwerpen von den Insurgenten übermüthig her¬ beigezogen worden; daß Chass é zu Bombardiren gezwungen worden ist; aber was ändert das? Man muß sich nur immer fragen: wem gehört Belgien, oder jedes andere Land? Gehört es dem Volke, oder gehört es dem Fürsten? Die Belgier mögen vielleicht Unrecht haben mit ihrem Könige — ich habe selbst nie deutlich eingesehen, worüber sie zu klagen hatten — aber es ist jeder Herr in seinem Hause, und ein König, den man nicht leiden kann, und wäre es auch blos wegen der Form seiner Nase, den wirft man mit Grund zur Thüre hinaus. Ich finde das ganz einfach. Der französische Gesandte in Holland, der nach dem Bombardement dem Könige Vorstellungen machte, wegen des Schadens, den die französischen und andern Kaufleute in Antwerpen erlitten, erhielt vom Könige zur Antwort: Mr. l'Ambassadeur, je ne sacrifierai jamais les droits de ma couronne aux intérêts particuliers . Das soll erhaben seyn! Ich finde es sehr lächerlich. Man macht noch viel zu viel Umstände mit den Königen, man heuchelt zu viel. Man sollte ihnen allen einen Termin von vier Wochen setzen, binnen welchen sie eine bessere Re¬ gierung einzuführen hätten, oder — fort mit ihnen. — Das Buch der Lady Morgan habe ich noch nicht gelesen; ich will es mir aber heute noch holen lassen. Die Straße Rivoli verdient ganz die Be¬ geisterung, mit der sie von ihr spricht. Es ist eine Straße einzig in der Welt, die schönste Symphonie von Kunst, Natur, Geist und Leben. Es ist ein Anblick, das kurzsichtigste Auge, die engste Brust zu erweitern. Ich wollte, unsere Philister wohnten alle Jahre vier Wochen lang in der Straße, statt nach Wiesbaden zu gehen: das würde nicht allein sie, sondern auch uns heilen, die wir krank von ihnen werden. Mich ärgert es, so oft ich hierher komme, daß ich nicht reich genug bin, mich da einzumiethen. Den ganzen Tag stände ich am Fenster und blätterte in dem großen Buche mit den schönen Zeichnungen. Ich hätte gar nicht nöthig, aus dem Hause zu ge¬ hen, die Welt käme zu mir in das Zimmer. Aber Geld, Geld! nervus rerum gerendarum — das heißt auf Deutsch: ich habe schwache Nerven. — Schicken Sie mir durch Gelegenheit meine Andacht¬ stunden. I. 7 Vierzehnter Brief. Paris, Mittwoch, den 17. November 1830. Gestern bin ich in mein neues Logis gezogen. Ich wohne — o der Schande! — wie eine Opern¬ tänzerin, die einen reichen Liebhaber hat. Alle Mö¬ bel von Mahagoni, Marmor und Bronze; prächtige Pendule; fünf großen Vasen, voll der schönsten Blu¬ men; stolze allerhöchste Flambeaus, die sich der bür¬ gerlichen Talglichter schämen, die ich ihnen aufgesteckt; Stühle und Sopha, mit braunem gelbgeblümten Sammt überzogen; die zärtlichsten Bergeres, in die man eine halbe Minute einsinkt, ehe man den Grund erreicht; scharlachrothe Fußdecken und die Wände mit Spiegeln bedeckt. Es ist alles so voll von Möbeln, daß ich kaum Platz zu wohnen habe. Unter den vielen Kostbarkeiten wage ich mich nicht zu bewegen, wage ich nicht, was sonst meine Lust ist, gedankenlos oder gedankenvoll im Zimmer auf- und abzugehen; denn da steht überall umher so viel herabzuwerfen, so viel Zerbrechliches, daß die kleinste Zerstreuung mich zu Grunde richten könnte. Einige Schlingels von Deutschen, welche mich besuchen, machen mir die größten Sorgen. Sie rauchen Cigarren und die heiße Asche, welche herabfällt, brennt Löcher in die Fußdecke. Dann schaukeln sie sich mit vaterländi¬ scher Ungezogenheit und ausländischer Lebhaftigkeit auf den Stühlen und halten mich in beständiger Angst, daß sie einmal das Gleichgewicht verlieren und auf eine theure Vase oder einen, selbst vereinigtem Pa¬ triotismus unbezahlbaren Spiegel fallen möchten. Mein Schlafzimmer — das ist über alle Beschrei¬ bung. Die darin befindlichen Möbels und Toilet¬ ten-Geräthschaften sind nach den schönsten herkulani¬ schen Mustern, theils im hetrurischen, theils im grie¬ chischen Style geformt. Ich wasche mich aus einem Delphischen Weihkessel und knüpfe mein Halstuch vor einem Altare der Venus. Mein Bett ist das Lager der Aurora. Morgenrothe Wolken, von wei¬ ßen und grünen Sonnenstreifen durchzogen, schmücken seinen Himmel. Die Wand, an welcher es steht, ist ein großer Spiegel; darin muß ich mich be¬ schauen — da ist keine Rettung. Das Kopfkissen ist mit Spitzen garnirt, die mir wie Spinnen im Gesicht herumkrabbeln und mich schon einige Male auf eine schauerliche Weise aus dem Schlafe geweckt 7* haben. Kurz, es giebt nichts schöneres, anmuthige¬ res, adligeres, als meine neue Wohnung; sie ist ein kostbares Etui, das nur viel zu zierlich ist für den unzierlichen Schmuck, den es einschließt. — Sie werden gelesen haben, daß die franzö¬ sische Regierung die Juden auf gleichen Fuß mit den christlichen Staatsbürgern setzen und die Besoldung ihres Kultus übernehmen will. Es ist doch wieder ein Schritt vorwärts. Wie lange wird es noch dauern, bis man bei uns an so etwas nur denkt — von der Ausführung gar nicht zu sprechen. Die gefoppten Theologen des adligen Tugendbundes haben in ihrer Weisheit und Menschenliebe die Lehre zu verbreiten gesucht: die bürgerliche Gesellschaft sei eine Taufanstalt und es könne daher ein Jude kein Staats¬ bürger seyn. Diese frommen Herren haben schwere Köpfe und noch schwerere Füße. Erst dauert es Jahrhunderte, bis sie fortschreiten wollen , und dann andere Jahrhunderte, bis sie fortschreiten können . Es ist zum Erbarmen! Aber die französische Regierung, wie jede an¬ dere, sieht ihre Entwickelung zur Freiheit als eine auferlegte Buße an, und gleich jenen Wallfahrern nach Rom, macht sie einen Schritt zurück, so oft sie zwei Schritte vorwärts gethan. Den Juden hat sie etwas gegeben und dafür hat sie der Preßfreiheit viel genommen. Die Cautionen für die Journale, eine Tyrannei der vorigen Regierung, sollen beibehalten werden. Es ist dieses so sehr gegen den Geist der Freiheit, daß man die letzte Revolution als ganz fruchtlos ansehen kann. Wie merkwürdig! Diese Juli-Regierung, die kaum aus dem Ei gekrochen und noch ganz dotrig ist, kräht schon wie ein alter Hahn, und thut stolz und fest wie ein unbestrittener Hof-König! Die Majorität der Kammer unterstützt sie nicht bloß in ihren unbedachten Schritten sondern sie verleitet sie noch dazu. Das sind die Gutsbesitzer, die reichen Bankiers, die Krämer, die sich mit einem vornehmen Worte die Industriellen nennen. Diese Menschen, die funfzehn Jahre lang gegen alle Ari¬ stokratie gekämpft — kaum haben sie gesiegt, noch haben sie ihren Schweiß nicht abgetrocknet und schon wollen sie für sich selbst eine neue Aristrokratie bil¬ den: eine Geld-Aristrokatie, einen Glücks-Ritter¬ stand. Wehe den verblendeten Thoren, wenn ihr Bestreben gelingt, wehe ihnen, wenn der Himmel nicht gnädig ist und sie aufhält, ehe sie ihr Ziel er¬ reichen. Die Aristrokatie des Adels und der Geist¬ lichkeit war doch nur ein Princip, ein Glaube; man konnte sie bekämpfen und besiegen, ohne den Edel¬ leuten und den Geistlichen in ihrer sinnlichen Lebens¬ sphäre wehe zu thun. War dieses in der französi¬ schen Revolution doch geschehen, so war dieses nur Mittel, nicht Zweck, war eine zwar schwer zu ver¬ meidende, doch keineswegs nothwendige Folge des Kampfes. Werden aber Vorrechte an den Besitz gebunden, wird das französische Volk, dessen höchste Leidenschaft die Gleichheit ist, früher oder später das zu erschüttern suchen, worauf die neue Aristokratie gegründet worden — den Besitz und dieses wird zur Gütervertheilung, zur Plünderung und zu Gräu¬ eln führen, gegen welche die der frühern Revolution nur Scherz und Spiel werden gewesen seyn. Was mich aber an diesen Journal-Kautionen am meisten betrübt, sind die üblen Folgen, welche sie, wie ich sicher erwarte, für Deutschland haben werden. Unsere Regierungen werden gewiß, wenn sie den Forderun¬ gen der Preßfreiheit nicht länger ausweichen können, jene französische Erfindung der Kautionen benutzen, und dann ist Preßfreiheit nur ein trügerisches Wort. Wir haben keine reichen Schriftsteller, wie es deren so viele in Frankreich gibt; sie sind alle arm oder dem Staate dienstbar. Keiner wird daher im Stande seyn, die Kaution aus seinem eigenen Vermögen zu leisten, und man wird, um ein Journal zu gründen, sich in den Sold eines Buchhändlers geben müssen, der nur auf seinen merkantilischen Vortheil sieht und daher leicht durch Hoffnung des Gewinns bestochen, oder durch Furcht vor Verlust eingeschüchtert wer¬ den kann. — Das Gebet um Preßsklaverei in der Mün¬ chener Flora hat mich erquickt wie Bairisch Bier. Ich danke Ihnen dafür. Geräth diese holde Flora ein¬ mal in meine Gewalt, o, wie will ich sie zerblättern und zerknittern! Sie können mir keine größere Freude machen, als wenn Sie mir deutsche Dummheiten mittheilen. Gestern las ich wieder etwas sehr schö¬ nes von dem Berliner Correspondenten in der allge¬ meinen Zeitung, meinem Schätzchen. Er sagt unter andern: der Volksauflauf neulich in Berlin hätte gar nichts zu bedeuten gehabt, das wären blos „Neugie¬ rigkeits-Aufläufe“ gewesen. So wird doch immer auf das Beste dafür gesorgt, daß ich in Frankreich mein Deutsch nicht verlerne! Samstag den 20. November. Ein Wiener Gelehrter hat mir in diesen Tagen geschrieben und ich will Ihnen Einiges aus seinem Briefe mittheilen. Eine Art Kerkerluft weht durch alle seine Worte, eine gewisse Trauer ist über seine Reden verbreitet und so wahr und liebevoll ist alles, was er spricht, daß es mir in das Herz gedrungen. Wie sehr sind die armen Wiener Gelehrten zu be¬ mitleiden! Sie leben im schnödesten Geistesdrucke, und darum und weil sie sich gar nicht aussprechen dürfen, müssen sie die freisinnigen Ideen in Philo¬ sophie und Politik weit lebhafter fühlen und müssen viel schmerzlicher von ihnen gequält werden, als wir Andern, die wenigstens klagen dürfen. Nachdem Herr *** von dem Eindrucke gesprochen, den meine Schriften auf ihn und einen andern gleichgesinnten Freund gemacht, und mir seine Uebereinstimmung mit meinen Ansichten lebhaft zu erkennen gegeben, fährt er fort: „Es thut Noth in so zerspaltener, einheits¬ „liebloser Zeit, daß ihre Besseren und Edleren sich „finden, erkennen, lieben und vereinigen für ihr glei¬ „ches Ziel — das allein Rechte — die Freude des „Menschen und das Wohl der Einzelnen wie des „ganzen Geschlechts, das ja nur die Summe aller „Einzelnen ist. Darum ist eben so schön und tief „der Satz, den Sie im siebenten Bande Ihrer „Schriften aussprechen und gegen den nicht nur die „Theologen, sondern alle, die selbstsüchtig und Feinde „der Freiheit sind, aufstehen — der Satz: die „Menschheit ist um der Menschen willen „ da .“ „Es ist wohl an der Zeit, daß der eingerissene „Ideen-Götzendienst einmal aufhöre und daß der le¬ „bendige Mensch nicht mehr einem luftigen Ideal „geopfert und mit ihm nicht mehr Experimente an¬ „gestellt werden. Ihr ausgesprochener Satz, folge¬ „recht durchgeführt, wirft alle Systeme über den „Haufen und statt des todten Begriffs Menschheit „steht der lebendige Mensch schaffend im Mit¬ „telpunkt der Welt.“ „Diesen Satz kann aber eben nur wahrnehmen „und aussprechen der Mensch, der in sich Kern, „Werth und Würde trägt; wer selbst nichts ist, muß „sich natürlich entweder unter den Schutz, ich weiß nicht „welcher Idee, als einer eingebildeten Macht begeben, „oder er muß geradezu, wenn er scheinbar etwas „stärker ist, das Thierrecht des Stärkeren, d. h. die „Selbstsucht schlechtweg für sich ansprechen.“ „Wir sehen auch die Zeit nach dieser Spal¬ „tung in zwei Theile getheilt. Der eine, die Ge¬ „lehrten, brütet über Ideen und sucht im Trüben zu „fischen; der andere, die Materiellen, als die Stär¬ „kern, spricht geradezu durch Wort und That die „Selbstsucht aus und tritt den Begriff wie den le¬ „bendigen Menschen in allen Verhältnissen mit Füßen, „wogegen die andern blos die Hände ringen uud die „Vorsehung zum Zeugen der Frevel ausrufen. — „Was uns am meisten Noth thut, ist — Vereini¬ „gung . ...“ Ich erstaune gar nicht, einen Wiener so spre¬ chen zu hören; denn eigentlich ist Oesterreich die hohe Schule des Liberalismus. Wohin uns Andere oft nur philosophische Spekulation führt, dahin bringt jene die Noth , und Noth ist eine bessere Lehrerin als Philosophie. Hören Sie ferner, was er von Goethe sagt, wobei ich nur nicht begreife, was ihn auf den Gedanken gebracht haben mag, daß ich hierin anderer Meinung sei, als er selbst. Ich er¬ innere mich zwar nicht, je meine Abneigung gegen Goethe deutlich ausgesprochen zu haben; aber sie ist so alt und so stark, daß sie in meinen Schriften doch wohl einmal hervorgeschienen haben muß. „Was mich aber wundert, ist dies, daß Sie „den wilden Goethe öfters anführen. Dieser „Mensch ist ein Muster von Schlechtigkeit; man „kann in der Weltgeschichte lange suchen, bis man „einen seines Gleichen findet. Thöricht ist es, daß „man immer sagt: Schiller und Goethe, wie Voltaire „und Rousseau. Um so viel Rousseau mehr ist als „Schiller, um so viel ist Goethe schlechter als Vol¬ „taire. Goethe war immer nur ein Despotendiener; „seine Satyre trifft weislich nur die Kleinen; den „Großen macht er den Hof. Dieser Goethe ist ein „Krebsschaden am deutschen Körper, und das Aergste „ist noch, daß Alles die Krankheit für die üppigste „Gesundheit hält und den Mephistopheles auf den „Altar setzt und Dichterfürsten nennt. Ja Fürsten¬ „d. i., Despotendichter sollte er eigentlich heißen.“ Wie wahr, wie wahr das Alles, und wie heil¬ sam wäre es, solche Gesinnung — nicht zu verbrei¬ ten, sie ist verbreitet genug — sondern den Muth zu verbreiten, sie auszusprechen. Goethe ist der König seines Volkes; ihn gestürzt, und wie leicht dann mit dem Volke fertig zu werden! Dieser Mann eines Jahrhunderts hat eine ungeheuer hindernde Kraft; er ist ein grauer Staar im deutschen Auge, wenig, nichts, ein bischen Horn — aber beseitigt das und eine ganze Welt wird offenbar. Seit ich fühle, habe ich Goethe gehaßt, seit ich denke, weiß ich warum. Wir haben oft davon gesprochen und Sie begreifen meine Freude, in einer Geistes-Wüste, wie Oesterreich ist, einem menschlichen Wesen begeg¬ net zu sein, das fühlt und denkt wie ich. — Saphir wurde von allerhöchsten Händen aus Baiern gejagt, weil er gegen einen Komödianten ge¬ schrieben! C'est perruque — würde ein Pariser sagen; aber ich kann nicht lachen darüber. Was helfen Barrikaden gegen solche Charlesdischen , ge¬ gen solche Ordonnänzchen ? Das kriecht einem zwischen die Beine durch, das macht sich, wie Was¬ ser, durch die kleinste Lücke Bahn. Es ist zum Ver¬ zweifeln, daß deutsche Tyrannei zugleich so viel Lä¬ cherliches hat: das lähmt den Widerstand. Warum aber unsere Fürsten sich so große Mühe geben, die französische Revolution, die viel Metaphysisches hat, den Bürgern und Landleuten durch Zeichnungen, Mo¬ delle und Experimente faßlich zu machen — das be¬ greife ich freilich nicht. Es muß wohl Schickung seyn. — Wenn sich unsere Kaufleute, die viel dabei verlieren, über Belgien ärgern, so lasse ich das hin¬ gehen. Aber die Andern sie betrachten das Alle aus einem falschen Gesichtspunkte. Es ist wahr, es fanden viel Pfaffen-Intriguen Statt; aber was thut das? Die Belgier haben ihren König nicht länger behalten wollen, sie haben ihn fortgejagt und seine Leute geprügelt — ist das nicht schön und ein gutes Beispiel nachzuahmen? Ein König für Saphir, das ist billig. Herr Wellington ist auch abgesetzt. Wahrhaftig, mich dauern die armen Diplomaten; es kömmt diesen Schwachköpfen gar zu viel auf ein¬ mal über den Hals; wie eine Sündfluth gießen die Verlegenheiten auf sie herab. Die Aenderung des englischen Ministeriums ist für uns auch gut. Lesen Sie im heutigen Constitutionnel, wie der Belgische Gesandte in London, Herr v. Weyer, nach seiner Rückkehr öffentlich im Congresse von seiner Sendung Rechenschaft abgelegt, und wie er vor allem Volke er¬ erzählte , was Wellington, Aberdeen, der Prinz von Oranien und Andere mit ihm verhandelt. Das hat mich sehr amüsirt. Diplomatische Geheimnisse öffent¬ lich in einer Ständeversammlung auszuplaudern und das während die Verhandlungen noch im Gange sind, das ist unerhört, das ist himmelschreiend — werden sie in Berlin, Wien und Frankfurt sagen. — Der neue Minister des Innern, Montali¬ vet, ist erst achtundzwanzig Jahre alt. Er war nie Referendär, nie Hofrath, nie Regierungsrath, nie Geheimer-Regierungsrath, nie Kammerdirector, nie Präsident — plötzlich ist er Minister geworden. Es gibt keinen Gott mehr. Funfzehnter Brief. Freitag, den 3. Dezember 1830. Es raucht heute wieder in meinem Zimmer, und ich schreibe Ihnen unter Thränen und Seufzern. Aber das ist nun einmal nicht zu ändern in Paris, es gehet in vielen Häusern nicht anders. Man hat hier eine eigene Art Aerzte für kranke Kamine, Rauchkünstler (fumistes) genannt. Es sind aber eben Aerzte. Man weiß oft nicht, ob die Krankheit sie, oder ob sie die Krankheit herbeigeführt. Gestern hat ein solcher Künstler an meinem Kamine gearbei¬ tet, und als man ihn heute wieder holte, weil es noch stärker rauchte als vorher, sagte er, es läge am Wetter und er wolle kommen, sobald es nicht mehr rauche und dann helfen. — Jetzt um diese Weihnachts-Zeit, was wird hier in den Läden nicht alles ausgestellt, das Größte und das Kleinste, für Könige und für Bettler. Es ist gefährlich über die Straße zu gehen, es ist als wenn Räuber, die Pistole auf der Brust, uns unser Geld abforderten. — Ich lese mit großem Vergnügen Diderots nachgelassene Briefe an eine Freundin, die erst im Anfange dieses Jahres erschienen sind. Wenn ich Ihnen solche große Briefe schriebe, dann wären Sie mit mir zufrieden. Briefe, zwölf, gedruckte Seiten lang, und über alles. Als er seine Freundin, seine Sophia kennen lernte, war er schon 46 Jahre alt! Aber es ist nicht Freundschaft, es ist die heißeste jugendlichste Liebe, wenigstens in den Reden; denn es kann leicht seyn, daß sie sich beide nur etwas weiß gemacht. Die Briefe sind an eine Mademoiselle Volland gerichtet, ein Mädchen, das bei der Mutter lebte. Wie alt sie ist, erfährt man nicht. Aber die Liebe und die Correspondenz dauern länger als zwan¬ zig Jahre. Und Diderot war verheirathet! Ich habe keine Vorstellung davon, wie ein Mann von 46 Jah¬ ren und der noch überdies an der Ehe leidet, welche doch immer eine Art Gicht ist, sich noch verlieben kann. Das kann aber auch nur ein Franzose. Der Deutsche hat gewiß mehr wahres Gefühl, mehr innere Wärme; aber die theilt sich nicht mit. Wir haben kalte Hände und sind kalt bei der Berührung. Die Briefe sind charmant, nur muß man beim Lesen die unverdaulichen Liebeserklärungen wie die Kirsch¬ kerne ausspeien. Schreibt doch einmal der alte Junge: „que vos regards étaient tendres hier! Combien ils le sont depuis quelque temps! Ah! Sophie, vous ne m'aimiez pas assez si vous m'aimez aujourd'hui davantage. “ O! das ist noch kühl gegen das Uebrige, er schreibt oft mit ko¬ chender Dinte. — Haben Sie in der gestrigen französischen Zeitung die Rede gelesen, welche August Perrier für die Juden gehalten? darin bekommen auch die Frank¬ furter Kaufleute einen tüchtigen Hieb, indem gesagt wird, wie sie aus Handelsneid in den freien Städten die Juden verfolgen. — Schreiben Sie mir doch genau und um¬ ständlich, ob man bei uns an den Krieg glaubt. Nach den gestrigen Nachrichten hätten Frankreich und England vor einigen Tagen eine Offensiv- und De¬ fensiv-Allianz geschlossen. Es wäre schön, wenn das wahr wäre; dann wäre es doch endlich einmal dahin gekommen, wohin es früher oder später kommen muß, zum strengen Gegensatze der feindlichen Ele¬ mente: die Freiheit hier, die Despotie dort — und jetzt schlagt Euch, ich sehe zu. Ich weiß wahrhaftig noch nicht, was ich thue, wenn es Krieg gibt, ob ich unter die Kavallerie, oder die Infanterie gehe, oder unter dem Federvolk diene; denn thun muß ich etwas. Sie werden auf jeden Fall mein Knappe, tragen mir Pflastersteine zu oder versorgen mich mit feinen Federlappen. — Diese Woche habe ich mich einen Abend sehr amüsirt. Ich war zu einem jungen Dichter, Na¬ mens ***, eingeladen, um eine Uebersetzung des Makbeths vorlesen zu hören. In Deutschland hätte mich schon der Gedanke einen ganzen Abend auf dem Stuhle fest zu sitzen, um eine Vorlesung zu hören, zur Verzweiflung gebracht, und die Wirklichkeit hätte mich getödtet. Aber hier wußte ich vorher, daß die theatralische Beleuchtung, die alle gesellschaftlichen Verhältnisse glänzend macht, mich unterhalten würde. Und so kam es auch. Da waren genau gezählt 32 Schriftsteller versammelt, meistens jüngere, alle Romantiker. Da war nichts zum Lachen, die Masse war zu groß, zu Ehrfurcht gebietend, es war wie eine Kirche, wie eine Gemeinde. Ich habe mit Vielen gesprochen, mit Victor Hugo und Andern ... Sie sprachen mir von Goethe und Schiller und von Schiller und Goethe ohne Ende. Sie meinten wohl, ich hätte Vergnügen daran. Einer fragte mich nach Klopstock, Kleist, Ramler, die ich alle nicht kenne. Jetzt setzte sich die romantische Gemeinde an den Wänden herum, und Herr *** stellte sich vor das Kamin, Rücken gegen Feuer gelehnt uud fing zu lesen an. Mir war doch ein bischen Angst vor der Zukunft und was ich in den nächsten drei Stunden I . 8 würde mit anhören müssen. Aber es ging alles gut. Die Uebersetzung war ganz vortrefflich, ich hätte es nicht für möglich gehalten. Es war freilich immer nur durchgeschlagener Shakespeare, es blieb aber noch genug zu leisten übrig. Auch las er meisterhaft vor und — applaudirt und bravo! wie auf dem Theater. Und da kam ein Zufall dazu, der die Sache noch theatralischer machte. In der Scene, wo sich Makbeth an den Tisch setzen will, und vor dem Geiste des ermordeten Königs, der seinen Stuhl eingenommen, zurückschaudert, fing der Kamin zu rauchen an, und bildete eine Wolke, die recht gut einen Geist vorstellen konnte. Mir, der am Kamine neben dem stehenden Dichter saß, gingen die Augen über, aber der begeisterte Vorleser merkte nichts eher, als bis sein grauer Staar reif geworden war und er gar nichts mehr sehen konnte. Da mußte er sich unterbrechen, und die Thüre öffnen lassen. Spaßhaft war es mir, recht deutlich zu merken, daß alle die Herren da, welche den Shakespeare nicht so aus¬ wendig wissen, als wir Deutschen, überrascht von den Schönheiten des Drama's in begeisterndes Lob ausbrachen, aber dieses Lob gar nicht dem Shakespeare, sondern dem Uebersetzer zuwandten. Dreißig Schrift¬ steller in einem Zimmer, das findet man in Deutsch¬ land selten. Mit den Lithographien von den französischen Revolutionsscenen, zu welchen ich gern den erklä¬ renden Text geliefert, ist es anders, als ich mir gedacht. Es kömmt kein Text dazu; sondern die Zeichnungen werden zu den schon vorhandenen Frei¬ heitsliedern, der Marseillaise , der Parisienne und andern gemacht. Wenn nur die Zeichnungen nicht von altdeutscher, süßlicher, wehmüthiger, ro¬ mantischer Art werden, wie ich es von dem Zeichner, dessen frühere Arbeiten ich gesehen, fast erwarte. Die praktischste Sache von der Welt, die letzte Re¬ volution, würde dann in lauter romantischen Rauch aufgehen, und die Deutschen, die sich ja daran be¬ geisterten, würden lernen, wie sie einst in jener Welt, im Himmel, den Satan mit seinem Volk niederpflastern und verjagen, aber nicht wie in dieser die Minister und Polizei. Das Freiheitsgedicht von Simrock, das Sie mir geschickt, ist auch in diesem unseligen romantischen Geiste. Gar nichts Muth¬ entflammendes darin, nur Muthtödtendes. Ich mag mit diesem Heiligen nichts mehr zu thun haben. Es ist aber eine schöne Erfindung mit den Pflastersteinen; dem Gegengift der Pulvererfindung! 8* Sechszehnter Brief. Paris, Mittwoch den 8. Dezember 1830. — Es ist entsetzlich mit Goethe's Sohn! Ich hätte weinen mögen. Wie hart mußte ein Schicksal seyn, das diesen harten Mann mürbe machte. Nach dem letzten Berichte war er hoffnungslos und jetzt ist er wahrscheinlich todt. Es ist mir, als würde mit Goethe die alte deutsche Zeit begraben, ich meine an dem Tage müsse die Freiheit geboren wer¬ den. — — Heute stehen wieder schöne Lügen im Constitutionnel. In Berlin und in den Rheinpro¬ vinzen hätten aufrührerische Bewegungen Statt ge¬ funden, und die preußischen Truppen kehrten von den Grenzen zurück. Und in Metz hätten zwei Deutsche 2000 französische Cocarden gekauft, und das alles, wird versichert, käme aus achtungswerther Quelle. Aber in der Schweiz gehet es ernsthaft her. Das wäre ein großer Schritt für Deutschland, wenn sich die Schweizer frei machten von ihren Aristokra¬ ten, die schlimmer sind als die Könige und gefähr¬ licher. Dann hätte das südliche Deutschland einen Stützpunkt, und es könnte handeln. Auch wäre gewonnen, daß man in der Schweiz dann freie Zeitungen schreiben und von dort nach Deutschland verbreiten könnte: Aber was hilft mich alle Freiheit, wenn ich keinen Tabak habe? Ich bin überzeugt, daß wenn mir noch sechs Monate der Tabak fehlte, ich ein vollkommener Aristokrat würde. Ich fühle leider schon wie ich täglich sauberer und höflicher werde. — Der Artikel im Constitutionnel le faux¬ bourg St. Germain ist freilich nicht versöhnlicher Art; aber das will und soll er auch nicht seyn. Die Regierung und ihre Anhänger werden durch die halsstarrigen edlen Vorstädter in wirkliche Verlegen¬ heit gesetzt und sie sind ärgerlich darüber, weil sie es nicht ändern können. Die Ultras haben sich fast alle aus Paris zurückgezogen, und wohnen diesen Winter auf ihren Gütern. Dadurch (und das ist ihre edle Absicht) leiden die Gewerbsleute ganz un¬ gemein. Man hat berechnet, daß durch die Abwe¬ senheit der Ultras und eines Theiles von der ge¬ wöhnlichen Anzahl der Fremden, der durch die Re¬ volution verscheucht worden ist, Paris in diesem Jahre fünf und siebenzig Millionen verliert, und daß, wenn nicht glücklicher Weise der reiche B. an¬ gekommen wäre, der Verlust auf hundert Millionen steigen würde. Der Constitutionnel ärgert sich dar¬ über und das macht ihn bitter. Es amüsirt mich sehr, daß mich der Constitutionnel, sonst mein lu¬ stiger Rath, seit der Revolution so sehr ennuyirt. So auch die andern Kameraden. Sie sind erschöpft, ihre Zeit ist aus, und ihr fortgesetztes Liberal-Thun stehet ihnen so lächerlich, wie alten Weibern das Kokettiren an. Man muß sich an die jungen Zei¬ tungen halten; le temps, national, la révolution . Selbst der Figaro ist nicht mehr so witzig als ehe¬ mals: Es geschehen nicht Dummheiten genug mehr. Warum gehet er nicht nach Deutschland? — — H. hat mir gesagt, seine Mutter hätte ihm geschrie¬ ben, die St ... hätte ihr gesagt, Sie hätten ihr gesagt, ich hätte Ihnen geschrieben, ich ginge in Paris noch Nachts zwei Uhr auf der Straße herum. Ist das wahr? das ist ja ein schöner Klatsch-Knäul. — Sie haben Angst vor den zwölf Löwen und Tigern? das wundert mich gar nicht, Sie haben schon vor weniger Angst gehabt. Hören Sie, was neulich dem Dr. *** begegnete. Er wird Abends zu einer Kranken gerufen. Die Frau lag im Bette, und der Schirm vor dem Lichte machte das Zimmer unhell. Während nun *** seine Kranke ausfragte, fühlte er auf seiner herunterhängenden Hand den heißen Kuß einer breiten stechenden Zunge. Er blickt hin und gewahrte einen lieblichen großen Tiger. Behutsam ziehet er die Hand zurück. Dann erhebt sich der freundliche Tiger stellt sich auf die Hinter¬ füße und legt seine Vorderfüße auf *** Schultern. „Fürchten Sie sich nicht — sagte die kranke Frau — der Tiger ist zahm.“ Die Kranke war die Frau eines gewissen Martin, der hier eine Menagerie zeigt, und durch die Kühnheit, mit welcher er mit seinen Bestien spielt, vieles Aufsehen macht. Ich glaube, er war früher auch in Frankfurt. Der zahme Tiger, den er in seinem Wohnzimmer frei herum¬ laufen läßt, gehörte früher dem Marine-Minister. Ich, an Dr . *** Stelle hätte große Angst gehabt. Er erzählte Folgendes: der verstorbene B. in Rom glaubte die Gabe zu besitzen, jedes Menschen künf¬ tiges Schicksal aus dessen Gesichtszügen zu erkennen. Dabei wurde er wie von einer dämonischen Gewalt wider seinen Willen angetrieben, allen seinen Be¬ kannten ihr Schicksal vorher zu sagen. Dr . *** bat ihn oft, ihn mit solchen Sachen zu verschonen, er wolle sein Schicksal nicht wissen. B. aber konnte sich nicht bezwingen, und sagte ihm endlich: er solle sich vor wilden Thieren hüten . Ich habe Martins Menagerie noch nicht gesehen, habe mir aber vorgenommen, nur in Dr . *** Gesellschaft dahin zu gehen, damit wenn einer von uns ge¬ fressen werden soll, er es werde, wie es prophezeit worden. — Sonntag habe ich einem Conzerte im Con¬ servatoire beigewohnt. Ein junger Componist, Na¬ mens Berlioz, von dem ich Ihnen schon geschrieben, ließ von seinen Compositionen aufführen; das ist ein Romantiker. Ein ganzer Beethoven steckt in diesem Franzosen. Aber toll zum Anbinden. Mir hat alles sehr gefallen. Eine merkwürdige Symphonie, eine dramatische in fünf Acten, natürlich blos Instrumen¬ tal-Musik; aber daß man sie verstehe, ließ er wie zu einer Oper einen die Handlung erklärenden Text drucken. Es ist die ausschweifendste Ironie, wie sie noch kein Dichter in Worten ausgedrückt, und alles gottlos. Der Componist erzählt darin seine eigene Jugendgeschichte. Er vergiftet sich mit Opium und da träumt ihm, er hätte die Geliebte ermordert , und würde zum Tode verurtheilt. Er wohnt seiner eigenen Hinrichtung bei. Da hört man einen unver¬ gleichlichen Marsch, wie ich noch nie einen gehört. Im letzten Theile stellt er den Blocksberg vor, ganz wie im Faust, und es ist alles mit Händen zu greifen. Seine Geliebte, die sich seiner unwürdig zeigte, erscheinet auch in der Walpurgisnacht; aber nicht wie Gretchen in Faust, sondern frech, Hexen¬ mäßig ..... In der Kunst und Literatur wie in der Politik, gehet die Frechheit der Freiheit vor¬ aus. Das muß man zu würdigen wissen, um die jetzigen französischen Romantiker nicht ungerecht zu verurtheilen. Sie sind oft rein toll, und schreiben Sachen, wie man sie im romantischen Deutschland niemals lies't. Das wird sich geben. Sie werden wieder zurückpurzeln, es ist noch kein Franzose in die Sonne gefallen. Neulich bei der Makbeth-Vor¬ lesung fragte ich nach einem bekannten romantischen Dichter und man sagte mir, er wäre gegenwärtig in Spanien. Das Nehmliche hörte ich von einigen Andern. Es scheint, dies junge Volk gehet nach Spanien, romantische Luft einzuathmen. Ich mußte darüber lachen. — Gestern war ich bei Franconi. Da wurde ein neues Spectakel-Stück gegeben: L'empereur ; alle seine Schlachten und Lebensbegebenheiten bis zu seinem Tode. Als ich diesen Morgen aufwachte, war ich verwundert, daß ich keine zwölf Kugeln im Leibe hatte, und überhaupt noch lebte. Aus so vielen blutigen Schlachten ist noch Keiner unverwundet ge¬ kommen. Denn es war kein Spiel, es war die Wirklichkeit. Ich saß hart an der Bühne in einer Loge, und da ich jetzt so sehr kriegerisch gestimmt bin, war ich ganz selig über das Kanonen- und Gewehrfeuer Man kann wirklich die Täuschung nicht weiter treiben. Welche Scenerie! welche De¬ corationen! mehr Soldaten als das ganze Frank¬ furter Militär beträgt; aber nicht übertrieben. Ich will Ihnen die wichtigsten Begebenheiten nennen, die man vorgestellt (nicht alle): wie Napoleon aus dem Hafen von Toulon nach Aegypten absegelt. In meiner Loge waren junge Leute, die Toulon kannten, die waren außer sich über die Aehnlichkeit. Die ganze Flotte, einige hundert Segel, siehet man vor¬ beifahren — die Schlacht bei den Pyramiden — die Höllenmaschine — die Krönung Napoleons — Scene aus Madrid — der Brand von Moskau — der Uebergang über die Berezina; das war am grau¬ lichsten und zum Weinen. Die Armee im jammer¬ vollsten Zustande ziehet über die Brücke. Nach und nach stopft sie sich. Gegenüber der Feind. Endlich stockt alles. Da gehen die Uebrigen, Reiter, Fu߬ volk, Weiber über die gefrorene Berezina. Das Eis bricht, die Weiber kreischen, die Brücke stürzt zusammen, alles versinkt unters Eis. — Abschied in Fontainebleau — Napoleon am Bord des Northum¬ berland — Napoleons Tod auf Helena. Er stirbt im Bette. — Außer den Chören, dem Volke, waren 103 Hauptrollen, alle berühmte Leute aus jener Zeit und alle naturtreu dargestellt. Napoleon wie er lebte. Alle seine Manieren, alle seine Tics waren nach¬ geahmt. Und jetzt denken Sie sich dazu den Lärm der Zuschauer. Franconi's Theater ist das größte in Paris und der meiste Pöbel ist dort. Sieben Franken hat mich mein Platz gekostet. Erst ging ich hinein zu drei Franken, weil keine Loge mehr zu haben war. Die Gallerie war aber schon ganz voll und ich ging wieder fort. Vor dem Hause schrie ich laut: qui est-ce qui achète un billet de balcon ? Ich ward von einem ganzen Trupp Billethändler umringt. Da kam einer und bot mir einen Logen- Platz an, für mein Balkon-Billet und ich mußte noch 4 Fr. darauf legen. Ich ging wieder zurück, zankte mich zur Uebung im Französischen mit einem Dutzend Menschen, die mir keinen Platz machen wollten, setzte es mit Unverschämtheit durch und saß und sah sehr gut. Aber wie höflich sind jetzt die Gensdarmen! früher wäre ich wegen meines Lärmens gewiß arretirt worden. Dies machen die Pflastersteine. Siebzehnter Brief. Paris, Samstag den 11. Dezember 1830. Bis von uns Einer auf den Brief des Andern antwortet, verstreichen gewöhnlich neun Tage, so daß wir oft Beide nicht mehr wissen, worauf sich die Antwort bezieht. Das ist verdrießlich, aber nicht zu ändern, wenn man weit von einander entfernt lebt. Diderot in seinen Briefen ärgert sich auch oft darüber und sagt: es ist mir wie jenem Reisenden, der zu seinem Gesellschafter im Wagen sagte: das ist eine sehr schöne Wiese. Eine Stunde darauf antwortete dieser: ja, sie ist sehr schön. Wissen Sie schon, daß Benjamin Constant ge¬ storben ist? Morgen wird er begraben. Kränklich war er schon seit mehreren Jahren. Der Kampf für die Freiheit hielt ihn aufrecht, dem Siege unter¬ lag er. Der Gram getäuschter Hoffnung hat sein Leben verkürzt; die Revolution hat ihm nicht Wort gehalten; die neue Regierung vernachlässigte den, der so viel gethan, die alte zu stürzen. Benjamin Constant hatte unter allen Liberalen die reinste Ge¬ sinnung, und er war der gediegenste Redner. Es gab Andere, die glänzender sprachen, aber es war doch nur Alles vergoldetes Kupfer. Er hatte Recht, durch und durch. Er hatte einen deutschen Kopf und ein französisches Herz. Gestern sind die Minister nach dem Luxembourg gebracht worden. Sie sollen sehr niedergeschlagen aussehen und Polignac sehr mager geworden seyn. Mittwoch geht der Prozeß an und bis Weihnachten wird er geendigt seyn. Ich durfte nicht daran den¬ ken, mir ein Billet für die Pairs-Kammer zu ver¬ schaffen, es war nicht durchzusetzen. Der Plätze sind zu wenige. Vierzig Journalisten, die Diplomaten und andere solche Privilegirten müssen untergebracht werden. Wie wäre wohl einem deutschen Minister zu Muthe, wenn er in einem Saale mit vierzig Zeitungsschreibern sitzen müßte. Er wäre lieber unter Menschenfressern. Es dürfen keine Frauenzimmer in die Pairs-Kammer, man fürchtet, sie möchten den Mund nicht halten können. Große Ehre für das Geschlecht! — Von Polen wußte ich schon seit ge¬ stern. Das gehet gut. Es ist mir aber doch nicht ganz recht; es wäre besser, die Polen hätten noch gewartet mit ihrer Empörung. Ich wünsche Krieg und ich fürchte durch die polnische Revolution wird der Krieg mit Frankreich verhindert. Jetzt ist nicht allein Rußland beschäftigt und abgehalten, an Frank¬ reich zu denken, sondern auch Oesterreich und Preußen, die auch Theile von Polen besitzen und fürchten müssen, daß sie sich ebenfalls insurgiren. Uebrigens ist mir bange, die Polen möchten ihre Sache nicht so leicht durchsetzen als die Belgier. Die Russen sind zu mächtig. Es wird dort ein erschreckliches Gemetzel geben. Sie werden aber sehen, daß nach und nach alle Staaten sich frei machen werden, nur Deutschland wird in seinem miserablen Zustande bleiben. So lange der Bundestag bestehet, ist keine Hoffnung zum Bessern. Die kleinen Staaten gingen vielleicht vorwärts; aber Oesterreich und Preußen dulden es nicht. Hat sich bei uns denn eine Stimme aus den höhern Klassen für die Freiheit erhoben? Man überläßt alles dem Pöbel. Ob sie in Braun¬ schweig einen Wilhelm oder einen Carl zum Fürsten haben, das ist alles eins. Von der Schweiz schrieb ich Ihnen schon. Wenn dort die Censur aufgehoben wird, kann die Censur in Deutschland nicht viel mehr schaden. Dann könnte man wohl eine vernünftige Zeitung schreiben. Ich denke viel daran. Neulich im Palaisroyal reichte ein Arbeitsmann dem Könige die Hand, der sie ihm freundschaftlich drückte. Der entzückte Maurer sagte: quel brave homme! je jure de ne jamais la laver ! Wenn mir einmal ein König die Hand drückte, im Feuer wollte ich sie reinigen, das kann gefährlich werden, wenn der Druck in das Blut übergeht. Neulich war eine Auction von den Meublen, Kleidungsstücken und andern Hinterlassenschaften der Herzogin von Berry. Das hätte ich nicht versäumen sollen. Die treuen Royalisten waren alle da, und kauften Reliquien zu ungeheuren Preisen. Für ein Paar Handschuhe, welche die Berry getragen, wur¬ den sechzig Franken bezahlt. Gleich interessant waren auch die Versteigerungen der Sachen des Königs: der Krönungswagen unter andern; 7000 Flaschen Wein des königlichen Privat-Kellers, Weine enthal¬ tend, welche seit funfzig Jahren von allen Fürsten der Welt, an Ludwig XVI ., Napoleon, Ludwig XVIII. , Charles X. geschenkt worden. Die Geschichte dieser Weine soll merkwürdig gewesen seyn. Alle solche humoristische Stoffe für eine geschickte Feder, werden aber von den hiesigen Blättern selten und ungeschickt benutzt. Es fehlt diesen Herren an deutscher Philo¬ sophie und Tiefe der Empfindung. Es ist wahr, der Figaro zum Beispiel hat angenehmen Witz und ist schön fa ç onnirt: liest man ihn aber einige Zeit, so siehet man, daß alles nur plattirt ist; man braucht nur zu reiben und das Gold gehet ab. Nichts gediegen, nichts durchgehend. Eins der besten Journale ist die Revue de Paris. — Von Lafayette stand vor einigen Tagen in der Zeitung: er wäre krank; seitdem ist aber keine Rede mehr davon. Wenn der jetzt während des Prozesses der Minister krank würde, oder er stürbe, ich glaube die Regie¬ rung wäre im Stande und hielte das geheim. Er ist der Einzige, der im Falle eines Aufruhrs das Volk im Zaum halten könnte. Ich glaube, daß er ruhig bleiben wird, aber die Regierung hat große Furcht, und trifft alle möglichen Vorsichtsmaßregeln. Ganze Regimenter National-Gardisten thun den Dienst, kein National-Gardist, auch wenn er nicht die Wache hat, darf seine Uniform während des Prozesses ablegen: man wird also in den nächsten vierzehn Tagen nichts als Soldaten sehen, und Pa¬ ris wird einem Lager gleichen. Sie glauben nicht, wie komisch das aussiehet, wenn in den Läden die Krämer in Uniform Zucker wiegen, Stiefel anmessen. Ich habe oft darüber lachen müssen — Ich bin be¬ gierig — welche neue Revolutionen zwischen diesem und meinem nächsten Briefe vorfallen werden. — Auf dem Bastillen-Platz wird ein neues Theater ge¬ bauet. Adieu bis zur nächsten Revolution. Achtzehnter Brief. Paris, Dienstag den 14. Dezember 1830. Die Polen! .. Das Theater Fran ç ais hier könnte Gott verklagen, daß er auf seinem Weltthea¬ ter Stücke aufführen läßt, wozu es allein privilegirt ist — hohe Tragödien. Ich begreife nicht, warum die Leute noch ins Theater gehen. Mir ist die Zei¬ tung wie Shakespeare, wie Corneille. Das Schick¬ sal spricht in Versen und thut pathetisch wie ein Schauspieler. Die Nacht der Rache in Warschau muß fürchterlich gewesen seyn! Und doch, als die Geschichten in Brüssel und Antwerpen vorfielen, glaubten wir, alle Schrecken wären erschöpft. Ja der Tag des Herrn ist gekommen und er hält ein fürchterliches Gericht. In den hiesigen Blättern stand, es wäre ausgebrochen in der Militärschule, als man zwei jungen Leuten die Knute geben wollte. Hier I . 9 war es auch so; auch hier haben die Zöglinge der polytechnischen Schule alles angefangen und das Meiste geendigt. Das gefällt mir, daß jetzt die Ju¬ gend dem Alter die Ruthe gibt. Wie wird es aber den arm Polen ergehen? Werden sie es durch¬ fechten? Ich zweifle; aber gleichviel. Verloren wird ihr Blut nicht seyn. Und unsere armen Teu¬ fel von Deutschen! Sie sind die Lampenputzer im Welttheater, sie sind weder Schauspieler noch zu Zuschauer, sie putzen die Lichter und stinken sehr nach Oel. Wie können Sie mir nur jetzt mit den Juden kommen und verlangen, daß ich für sie schreibe? Sie sollen Lärm machen, sie sollen schreien. Mit guten Worten richtet man nichts aus, aber mit Drohungen viel. Die Regierungen sind jetzt so schreckhaft, daß man alles von ihnen erlangen kann, wenn man nur selbst nicht zaghaft ist. In Warschau haben die Weiber und Kinder auch mitgefochten. Constantin soll am Kopfe ver¬ wundet seyn; aber das sind alle Fürsten. — Die Preußische Staatszeitung lese ich, wie auch die mei¬ sten deutschen Blätter. Gestern habe ich sogar das Frankfurter Journal und die Didaskalia aufgefunden. Ich habe sie mit Küssen bedeckt. — Die Cholera Morbus ist eine prächtige Erfindung. Das ist etwas, was auch die Deutschen in Bewegung setzen könnte. Möchte es nur bei uns friedlich abgehen; denn eine Revolution der Deutschen wäre selbst mir ein Schrecken. Diese Menschen wissen noch gar nicht, was sie wollen, und das ist das Gefährlichste. Sie wären im Stande und metzelten sich um einen Punkt über das I. Vielleicht gehet es besser, als ich er¬ warte; vielleicht wenn der Sturm heftiger wird, werfen sie freiwillig von ihren schweren Dummheiten über Bord. An unsern Fürsten liegt es nicht allein; die Aristokratie, die Beamten. Gestern las ich in einer deutschen Zeitung: in Selters hätte das Landvolk auch eine kleine Revo¬ lution haben wollen und Unruhen angestiftet, und man hätte sogleich Truppen hingeschickt. Ich erwarte nun, daß der Bundestag den Selterswasserbrunnen, die wahrscheinliche Quelle der Nassauer Revolution, verschütten lassen wird. Das käme mir gar nicht lächerlicher vor, als die bisherige Hülfe, die man gegen Revolutionen angewendet. Soldaten, Gewalt, Aderlassen, das sind ihre einzigen Heilmittel. Es einmal auf eine andere Art zu versuchen, fällt ihn nicht bei. Im Badischen scheint man nachgeben zu wollen. Die Revolution in der angrenzenden Schweiz hat wohl die Regierung ängstlich gemacht. Die Stände kommen nächstens in Karlsruhe zusam¬ 9* men und da hat man sich geeilt, ein liberales Mini¬ sterium zu bilden. Herr v. Berstett, Minister der auswärtigen Angelegenheiten und Metternichs guter Freund, ist abgesetzt, und noch ein anderer Minister. Ich möchte jetzt in Karlsruhe seyn. Ich weiß gar nicht, wohin ich mich wenden soll; gewiß gibt es keinen Minister in Europa, der so beschäftigt ist, wie ich, und gar kein Weg, etwas zu thun. Gäbe es nur ein Mittel für den Geist, wie das Aderlassen eines ist für den Leib, ich würde es gern gebrauchen. Ich bin so vollseelig, daß mir das Herz pocht. Doch ist das ein angenehmes Gefühl. Und warum ich so froh bewegt bin? Von meiner Gesinnung brauche ich Ihnen nicht zu sprechen, die kennen Sie. Daß ich mich freue über den Sieg der guten Sache, mich freue, daß der Mensch seinen Prozeß gewonnen gegen die Hölle, das wissen Sie. Aber das ist es nicht allein, es ist auch die Schadenfreude zu sehen, wie das armselige Dutzend Menschen in Europa, das klüger zu seyn glaubt, als die ganze Welt, mächtiger als Gott, gefährlicher als der Teufel — wie es zu Schanden wird, und von uns, die sie wie Hunde behandelt, in die Waden gebissen und aus Haus und Hof gejagt werden. Das elende Volk! Gestern las ich die neueste Didascalia, und als ich darin immer noch die „ Scenen aus den Kreuzzügen “ fand, mußte ich laut auflachen, und ein grämlicher Engländer sah mich mit Erstaunen an, als wolle er mich fragen, wie kann man lachen? Hätte ich ihm mein Vergnügen so recht klar machen können, es hätte ihm gewiß seinen Spleen vertrieben. — Der Senator *** hatte doch so unrecht nicht, als er vorigen Sommer sagte, er wolle lieber Schwein¬ hirt seyn, als französischer Minister. Heute hat er gewiß Recht. Heute beginnt der Prozeß der Minister. Welch ein Gefühl muß das für einen alten Edelmann wie Polignac seyn, vor allen Diplo¬ maten Europens, mit denen er früher unter einer Decke gespielt, vor vierzig Lumpenkerls von Zeitungs¬ schreibern auf dem armen Sünderstuhl zu sitzen und Rede und Antwort zu geben. Die spätere Strafe ist nichts gegen dieses Verhör. Man hat bei der Untersuchung den Polignac am schuldigsten gefunden. Die Andern waren verführt. Am 25. Dezember wird das Urtheil gesprochen werden. Eine schöne Weihnachtsbescherung! Viele glauben, Polignac allein werde zum Tode verurtheilt, aber der Gnade des Königs empfohlen werden. Wie wird man sich heute Abend um den Messager reißen, der um acht Uhr erscheint und die heutige Sitzung enthalten wird! Vergangenen Sonntag war Benjamin Constants Leichenbegängniß, dessen ausführliche Beschreibung Sie wohl im Constitutionnel gelesen haben werden. Ich setzte mich auf den Boulevards in eine Kutsche und sah alles bequem mit an. Länger als zwei Stunden dauerte der Zug. Was mir an Franzosen auffiel und gefiel, war, daß in der ganzen Feier¬ lichkeit durchaus nichts Theatralisches war, son¬ dern alles sah ernst, gesetzt und kleinbürgerlich aus. Die Masse gab den Pomp. So wurde noch kein König begraben. Ich sprach einen Mann, der vor vierzig Jahren Mirabeau's Leichenbegängniß mit angesehen; der sagte, so feierlich sei jenes nicht ge¬ wesen. Constant hat vom König Philipp bei seiner Thronbesteigung 150,000 Fr. zum Geschenke erhal¬ ten, und seine Wittwe wird eine Pension bekommen. Madame Constant hat drei Männer gehabt. Den ersten verlor sie durch Tod, von dem zweiten ließ sie sich scheiden, der dritte war Constant. Der zweite lebte in Paris und war Mitglied der Deputirten- Kammer. Nun geschah es einmal, daß er zugleich mit seinem ehelichen Nachfolger, Benjamin Constant, in der Kammer das Wort forderte, beide zugleich auf die Tribune sprangen, und ehe es zu verhindern war, Nase gegen Nase da standen, worüber das ganze Haus in lautes Lachen ausbrach. Der Gram, von der Akademie Fran ç ais nicht als Mitglied auf¬ genommen worden zu seyn, und daß die Regierung ihn nicht nach Verdienst behandelte, soll sein Ende beschleunigt haben. Die letzten Worte vor seinem Tode verriethen seine Gemüthsstimmung. Er sagte: après une popularité de douze ans justement acquise — oui justement acquise — und mit dem Worte acquise hauchte er seine Seele aus. — Die Geschichte mit Polen macht die Leute hier wie betrunken. Es war immer eine große Freundschaft zwischen beiden Nationen. Ein Pole in Uniform mit einem langen Säbel hat eine Rede bei Benjamin Constants Grabe gehalten. Ich bin sehr begierig auf die nächste Revolution. Wo wird es zuerst los¬ brechen? Es wird Sie nicht überraschen, daß ich Ihnen Victor Hugo's Gedichte schicke, welche Sie ge¬ wünscht haben. Sie haben zwar nur von einem Bande Gedichte gesprochen, und ich schicke Ihnen drei Bände, aber dafür kann ich nichts. Es ist nicht meine Schuld, daß Hugo drei Bände Gedichte geschrieben. Wer kann einem Dichter Einhalt thun? Lieber in ein Mühlenrad greifen. Das kostbarste aller Weihnachtsgeschenke, so kostbar, daß es kein König bezahlen kann; kostbarer als alles, was alle Frauen der Welt erhalten, seitdem Christus geboren, wird diese Weihnachten eine Pariserin bekommen: Frau v. Polignac — das Leben ihres Mannes . Gerade am 25. Abends, wenn die Lichter angezün¬ det werden zum Bescheren, wird das Urtheil gespro¬ chen werden, und Polignac, hofft man, würde das Leben behalten. Behüte einen Gott vor solchen an¬ genehmen Ueberraschungen. Neunzehnter Brief. Paris, Samstag, den 18. Dezember 1830. ....... An der preußischen Constitution will ich wohl glauben, sie wissen dort vor Angst nicht mehr, was sie thun. Es wird ein Spaß sein, ihre Gesichter zu sehen, wenn sie in den sauren Apfel beissen. Aber was wird das auch für eine allerliebste Constitution werden! Frankreich hat großes Glück. Wer wird jetzt wagen, es anzugreifen? Vielleicht in der Verzweiflung thun sie es doch. Ich möchte jetzt einmal in Frankfurt bei *** seyn, wo ich dieses alles schon vor zehn Jahren vorausgesagt habe, und wo man mich ausgelacht. Und doch ist das alles noch nichts gegen das, was kommen wird. Näher darf ich mich darüber nicht erklären; aber Sie werden sich wundern. Ein Sperling wird zwei Tiger verzehren, und gebratene Fische werden ver¬ schiedene Arien singen. Und ein Dintenfaß wird austreten, und wird eine ganze Stadt überschwem¬ men. Und .... aber, um des Himmels willen, nicht geplaudert! Ich mache Sie aufmerksam, im Constitutionnel den Gesetzvorschlag über die Civilliste zu lesen; be¬ sonders die Einleitung, wo von der göttlichen Be¬ deutung eines Königs so süß-romantisch gesprochen wird, daß man meinen sollte, es wäre in Deutsch¬ land geschrieben. Ich habe mich erschrecklich darüber geärgert. Man will achtzehn Millionen für den König. Das ist zwar nur die Hälfte von dem, was der vorige König bekommen, aber es ist immer noch die Hälfte zu viel. Es ist eine Krankheit König seyn, und man muß darum die Könige Diät halten lassen. Zehen Millionen sind genug. Auch hat das allgemeines Mißfallen erregt, es heißt heute, das Gesetz soll zurückgenommen werden, und man wolle der Kammer frei stellen, wie viel sie dem Könige geben wollen. — Ich tröste mich wegen des Tabaks. Die ganze Welt dampft jetzt, das ersetzt mir die Pfeife. — Ich lese täglich das deutsche Journal und die Didascalia, was mir großen Spaß macht. Wie wenig gehet in Frankfurt vor. Dies merkt man erst hier recht, wenn man die dortige Zeitung liest. — Ich habe mich der Neugierde wegen in eine Art Casino aufnehmen lassen. Ich gehe heute Abend zum ersten Male hin. Es ist kostspielig, man zahlt monatlich dreißig Franken; aber die Einrichtung soll auch prächtig seyn. Ich will Ihnen, der Curiosität wegen einige Stellen aus den Statuten abschreiben: Ancien cercle de la rue de Grammont Art. III. „Les salons du cercle seront ouverts tous les jours, celui de lecture à neuf heures, les autres à midi; et fermés, les sa¬ lons de lecture á minuit , les antres à deux heures après minuit . — Un diner sera servi tous les jours à l'heure fixe. — II sera servi tous les jours, et sans frais, des raf¬ fraîchissemens convenables, et un thé dans la soirée. — Art. XIII. II pourra être fait des abonnemens mensuels, en faveurs des Fran¬ çais et des Etrangers, habitant momentanement Paris — le prix de l'abonnement est de 30 francs par mois. — Art. XX. La société n'ayant d'autre but que de former une union d'hommes de bonne compagnie, ayant la fa¬ culté de lire les journaux, brohures et livres nouveaux, de diner ensemble, et de jouer les seuls jeux de commerce, Messieurs les socié¬ taires et abonnés s'interdisent toute dis¬ cussion politique, et il est du devoir ri¬ goureux de messieurs les commissaires, de maintenir cette règle, et de la rapeller s'il ar¬ rivoit qu'un sociétaire l'oubliât .“ Ist das nicht auffallend, daß man nicht von Politik sprechen darf? Das ist ja gerade wie bei uns. Dienstag, den 21. Dezember. Gestern war wieder ein unglückschwangerer Tag für Paris, Frankreich, die Welt, und heute, morgen kann das Gewitter losbrechen. Die Regierung hat schon seit acht Tagen eine Verschwörung entdeckt und viele Menschen sind arretirt worden. Man fordert das Leben der Minister, deren Prozeß sich wahr¬ scheinlich morgen entscheidet. Gestern versammelten sich einige tausend Menschen vor der Pairs-Kammer mit drohenden Aeußerungen, und heute fürchtet man größern Aufruhr. Ich bin doch ein rechter Unglücks¬ vogel! Ich mußte mir gestern einen Zahn heraus¬ nehmen lassen, und kann noch heute wegen meines dicken Gesichts nicht ausgehen. Ganz Paris kann heute in Flammen stehen, und ich werde nichts er¬ fahren, bis heute Abend die Zeitung kommt. Sie freuen sich vielleicht darüber und wünschen mir meine Zahnschmerzen von ganzem Herzen. Ich ärgere mich und dazu habe ich noch 20 Fr. für das Zahnheraus¬ ziehen bezahlen müssen. Was man hier geprellt wird! Wie die Blutsauger hängen sich die Pariser an den Fremden und ziehen ihm das Geld aus. Ich hoffe, daß die Regierung Kraft genug haben wird, die Un¬ ruhen zu dämpfen, es bleibt aber immer eine be¬ denkliche Sache. Man kann auf die National-Garde nicht fest zählen; ein großer Theil derselben ist Rache¬ durstig gegen die Minister, und würde einem Volks¬ aufstande keinen ernstlichen Widerstand leisten. Dazu gesellen sich noch 1) überspannte Köpfe, die eine Republik haben wollen. 2) Mäßigere, die mit dem Gange der Regierung nicht zufrieden sind, und eine liberalere Kammer und ein liberaleres Ministerium wünschen. 3) Die Anhänger Karls X . 4) Endlich die Emigrirten aus allen Ländern, Italiener, Spa¬ nier, Polen, Belgier, die Frankreich in einen Krieg verwickeln wollen, damit es in ihrem eignen Lande auch endlich einmal zur Entscheidung komme. Diese Letztern sollen besonders großen Theil an der Auf¬ hetzung haben. Heute wird die Pairs-Kammer von drei und dreißig tausend Mann National-Garden und Linien-Truppen beschützt seyn. Wenn es nur zu keiner neuen Revolution kömmt, mir thäte das bitter leid; denn es könnte alles wieder darüber zu Grunde gehen. Sie werden die Vertheidigungs-Rede der Minister wohl im Constitutionnel lesen. Am besten nach meiner Ansicht hat Peyronnet gesprochen, der doch gewiß der Schuldigste ist. Aber er ist ein Mann von festem Willen, und darum hat er auch am meisten gerührt; er hat geweint und weinen ge¬ macht. Polignac zeigt sich als ein solcher Schwach¬ kopf und seelenloser Höfling, daß man ihn bemitleiden muß. Er verdient es gar nicht geköpft zu werden. Der Advokat und Vertheidiger des Guernon Ran¬ ville, Namens Cremieux, der gestern gesprochen, ist aus Gemüthsbewegung in Ohnmacht gefallen und mußte weggebracht werden. In welcher schrecklichen Lage sind doch die vier unglücklichen Minister! Und ihre armen Weiber und Kinder! Gewöhnliche Ver¬ brecher dürfen doch hoffen, die Richter würden ihnen das Leben schenken; aber die Minister müssen vor ihrer Freisprechung zittern, weil sie dann schrecklicher als durch das Schwert des Henkers, durch die Hände des Volks ihr Leben verlören. Am meisten dauert mich der Guernon Ranville. Dieser ist der Schuld¬ loseste von Allen, er hat an den Ordonnanzen den wenigsten Theil genommen, er war nur schwach und ließ sich verführen. Und dieser ist krank und hat eine Krankheit, die ich kenne, die ich vor zwei Jahren in Wiesbaden hatte, kann ohne Schmerzen kein Glied bewegen, und so, bleich, leidend, fast ohne Kraft der Aufmerksamkeit, muß er täglich sieben Stunden lang in der Pairs-Kammer schmachten, und zuhören, wie man sich um sein Leben zankt! Dagegen war doch mein Rheumatismus, von Ihnen gepflegt, ge¬ wiß eine Seligkeit. Und doch stähle ich mich wieder und mache mir meine Weichherzigkeit zum Vorwurfe, wenn ich mich frage; aber jene Könige und ihre Henkersknechte, wenn wir aus dem Volke ihnen in die Hände fallen, haben sie Mitleiden mit uns? Diese Minister, die dem Volke zur Rede stehen, werden doch wenigstens öffentlich gerichtet. Sie sehen sich von ihren Freunden umringt, sie lernen ihre Feinde, ihre Ankläger kennen, sie dürfen sich ver¬ theidigen und das Gesetz verurtheilt sie, nicht die Rache. Und wenn sie auch als Opfer der Volks¬ wuth fallen, weiß man doch, daß sie unschuldig ge¬ mordet. Wer aber in Mailand, Wien, Madrid, Neapel, Petersburg wegen eines politischen Vergehens gerichtet wird, der gehet aus der Dämmerung des Kerkers in die Nacht des Grabes über, und ob schuldig oder unschuldig, das weiß nur Gott. Vormittags halb zwölf. Mein Barbier (mein Minister der auswär¬ tigen Angelegenheiten) erzählt mir eben, es sähe schlecht aus in der Stadt. Das Militär und die National-Garden ziehen durch die Straßen. Das Volk schreit vive la ligne ! à bas la garde Na¬ tionale ! à bas Lafayette ! (da sieht man doch ganz deutlich, wie diese Bewegung von den Carlisten an¬ gelegt) la mort des Ministres ! vielleicht ist es doch gut für mich, daß ich heute nicht ansgehen kann, und wenn Sie mir versprechen, mir die zwan¬ zig Franken zu erstatten, die mir meine Zahn¬ schmerzen kosten, will ich mit allem zufrieden seyn und Gott preisen. — Mein heutiger Brief wird auch nicht viel größer werden, als er jetzt schon ist, ich habe keine Geduld zum Schreiben. Ich bin neugierig, was in der Stadt vorgehet, und ärgerlich, daß ich nicht ausgehen kann. — Wie konnten Sie nur glauben, daß mich Polen nicht interessirt! Das ist ja der Hauptakt der ganzen Tragödie. Ich meine doch, ich hätte Ihnen darüber geschrieben, und ge¬ I . 10 nug vorgejubelt. Aber seit acht Tagen hörte ich von keiner neuen Revolution; das ist sehr langweilig. Ich bin wie die Branntweintrinker; nüchtern bin ich matt. Die Revolution, die heute Paris bedroht, schmekt mir nicht. Das ist Gift und verderblich. Doch ich hoffe, es geht alles gut vorüber. Zwanzigster Brief . Paris, Freitag, den 24. Dezember 1830 Das war wieder eine merkwürdige Pariser Woche! Aber Sie in Frankfurt, wenn Sie nur die Zeitungen gelesen, wissen nicht weniger davon, als ich hier; denn ich habe gar nichts selbst gesehen. Seit dem vorigen Samstag habe ich wegen meines dicken Gesichts das Zimmer nicht verlassen, und erst gestern Abend war ich zum Erstenmal wieder aus. Ist das nicht ein einziger Ort, in dem man mitten in einem Volksaufruhr, umringt von einem Lager von mehr als vierzig tausend Soldaten, so still und so einsam leben kann, wie auf dem Lande? Jetzt ist alles vorüber. Wollen Sie genau wissen, was eigentlich der Kampf dieser Tage für eine Bedeutung gehabt, und genauer als es irgend ein europäisches Cabinet von seinem Gesandten erfahren wird? Es war ein Kampf zwischen der alten classischen und 10* der neuen romantischen Parthei in der Politik, und letztere, die schwächste, weil sie die jüngste und un¬ erfahrenste ist, unterlag. Die romantische Parthei will individuelle Freiheit, die classische nur nationelle haben. Wenn Sie von Carlisten lesen, glauben Sie kein Wort davon. Natürlich haben diese den Zwie¬ spalt benutzt, aber angestiftet haben sie ihn sicher nicht. Aber wie schade, daß ich diese schöne Oper nicht mit angesehen. Vierzigtausend Mann Natio¬ nal-Garden, wie Riesenbesen die Straßen säubernd, und so unverletzend wie diese; denn es ist kein Trop¬ fen Blut vergossen worden. Dann Nachts bei Wachtfeuer auf der Straße bivouacquirend; die to¬ bende Menge, der König selbst patrouillirend, die vereinigten Studenten, über fünftausend, umher¬ ziehend und Ruhe und Ordnung schreiend — welche Scenen! Das Einzige an der Sache ist romantisch schön, daß die Minister nicht am Leben bestraft worden. Das wird freilich die Despoten in Lissabon, Mailand und Petersburg nicht abhalten, ihre wehrlosen Gefangenen zu morden; aber das wird doch der Welt zeigen, daß Völker edler sind als Fürsten. Gestern Abend dachte ich noch nicht daran, auszugehen, ich wollte es erst heute; da sah ich zufällig durch die Spalte des Fensterladens, und bemerkte etwas ungewöhnlich Helles. Ich öffnete deu Laden und sah zu meiner Ueberraschung, daß das gegenüber stehende Haus illuminirt war. Da zog ich mich schnell an, ließ einen Wagen kommen, und fuhr eine Stunde lang in der Stadt herum. Viele Häuser waren illuminirt, theils aus Freude daß die Ruhe wieder hergestellt, theils zur Ehre des Königs, der noch spät von einer Revüe der National¬ garde zurückkehrend, zu Pferde die Straßen durchzog. Er hatte von gestern Mittag bis gestern Abend neun Uhr alle Quartiere der Stadt besucht und in jedem Quartier die National-Garden gemustert. Ueber den König ist nur eine Stimme. Alle Partheien (na¬ türlich nur die Carlisten nicht) lieben ihn. Auch ist er ganz wie die Franzosen einen König lieben und brauchen. Er ist ein Bürger-König. Zwar ist er das aufrichtig, und so viel aus Temperament und Gesinnung als aus Politik; aber dabei ist er es auch zugleich theatralisch. Er spricht gut, leicht, von Herzen, aber doch mit Pathos und Geberden, wie man es hier gern hat. Es ist so leicht ein guter König seyn, und es kostet die Fürsten viel größere Anstrengung, sich verhaßt zu machen bei ihren Untherthanen, als es sie kosten würde, ihre Liebe zu erwerben! ... Der einzige schöne Charakter der neuesten Zeit ist und bleibt doch Lafayette. Er ist die altgewordene Schwärmerei , wie sie nie, nicht einmal gemalt worden ist. Er ist bald 80 Jahre alt, hat alle Täuschungen, alle Verräthereien, Heuchelei, Gewaltthätigkeit jeder Art erfahren — und noch glaubt er an Tugend, Wahrheit, Freiheit und Recht! Solche Menschen beweisen besser, daß es einen Gott gibt, als das alte und neue Testament und der Koran zusammen. Noch heute, zwar von vielen geliebt, von allen geachtet, aber auch von allen verkannt, wird er nur von seinen Feinden nicht betrogen, die ihren Haß offen aussprechen; aber von seinen Freunden gebraucht, misbraucht, getäuscht und oft verspottet. Er ist wie ein Gottesbild im Tem¬ pel, in dessen Namen heuchlerische Priester fordern, wonach ihnen selbst gelüstet, und die heimlich das gläubige Volk und seinen Gott auslachen. Er aber gehet seinen Weg unveränderlich wie die Sonne, und unbekümmert, ob die Guten sein Licht zu guten Handlungen oder die Bösen zu schlechten gebrauchen. Wie lange wird es noch dauern, bis Frankreich Lafayette's würdig ist! Aber es wird einmal kom¬ men. Er erscheint mir wie die Mauer einer neu¬ zugründenden Stadt, die man rund umhergezogen, und inwendig ist noch alles öde und kein Haus ist gebauet. Samstag den 25. Dezember. Als ich gestern über die Rue de la paix ging, begegnete ich einem Trupp National-Garden, Trommel voraus, die auf einer Bahre die Lorbeer¬ bekränzte Büste des Königs trugen, ich weiß nicht wohin, wahrscheinlich in eine Wachtstube. Lustig Volk die Franzosen; den ganzen Tag Komödie. — Jetzt macht die Schuljugend der Regierung wieder viel zu schaffen, und ich habe meine herzliche Schaden¬ freude daran. Die Schulen haben in dem Aufstande dieser Tage zur Herstellung der Ruhe sehr viel bei¬ getragen. Nun hat vorgestern die Kammer den Schulen feierlichsten Dank votirt. Diese aber haben gestern Abend in einer Zeitung Proclamationen drucken lassen, worin sie hönisch der Kammer sagen: Euren Dank begehren wir nicht, gebt uns die Frei¬ heit, die ihr uns versprochen, „la liberté qu'on nous marchande maintenant et que nous avons payé comptant au mois de Juillet.“ O wie Recht haben sie! Ihr in Deutschland braucht gar nicht so stolz zu seyn, wir haben hier so dumme Leute als dort auch. Hier sagen sie auch, die Franzosen sind noch nicht reif zu mehr Freiheit als sie jetzt besitzen, das müsse der Zukunft überlassen bleiben. Und so bleiben sie nun stehen; bis die Zukunft im Galopp herkömmt und sie umwirft, statt wenn sie der Zukunft entgegen gegangen wären, alles friedlich wäre geordnet worden. Ganz gewiß, Frankreich wird früher oder später noch eine Revo¬ lution erleiden. Es ist der Fluch der Menschen, daß sie nie freiwillig vernünftig werden, man muß sie mit der Peitsche dazu treiben. Es ist zum Ver¬ zweifeln, daß Lafayette, der Einzige, der es auf¬ richtig mit der Freiheit meint, einen so schwa¬ chen Charakter hat. Er, wenn er wollte, könnte alles durchsetzen. Er brauchte nur zu drohen, er würde das Commando der National-Garde aufgeben, und sich zurückziehen, wenn man den Franzosen nicht gäbe, was man ihnen versprochen, und der König, die Minister und die Kammer müßten nachgeben. Der König von Bayern glaubt wahrscheinlich, weil er so viel gereimt hat in seinem Leben, dürfte er sich auch Ungereimtes erlauben. Der Liesching, den ich viel kenne, ist der fünfte Schriftsteller, der seit kurzem auf so schnöde Weise von München ver¬ jagt worden. „ Vor der Hand als unpassend ausgewiesen ,“ ist sehr schön gesagt. Der deut¬ schen Despotie werden vor Alterschwäche die Glieder steif. Dieses Betragen der bayerischen Regierung ist so ganz über die Maaßen dumm, so ganz un¬ gewöhnlich verkehrt, daß ich denken möchte, es steckt unter der Dummheit eine Art Superklugheit; daß sie nehmlich unter dem Scheine des Einverständnisses mit der jetzt völlig toll gewordenen Bundesversamm¬ lung ihre eigenen Pläne verfolgt. Anders kann ich mir es nicht erklären. Aber vielleicht irre ich mich auch; es giebt nichts Genialischeres als der Blödsinn einer deutschen Regierung, er ist gar nicht zu be¬ rechnen. Was mir an der polnischen Revolution am besten gefällt, ist, daß man in Warschau den Chef der geheimen Polizei gehenkt hat, und daß man die Liste aller Polizei-Spione drucken läßt. Das wird, hoffe ich, den Spionen anderer Länder zur War¬ nung dienen. Diese geheime Polizei gibt einer des¬ potischen Regierung weit mehr Sicherheit, als es ihre Soldaten thun, und ohne sie wäre die Freiheit schon in manchem andern Lande festgestellt. Die ge¬ heime Polizei hat in Warschau täglich 6000 Gulden gekostet. Diese Notizen und andere Papiere, die sich auf die Polizei beziehen, hat man in Constantins Schlosse gefunden. Dreißig junge Leute von der Cadettenschule drangen in das Schloß. Die Hälfte davon ist geblieben. Drei Generale wurden im Vorzimmer Constantins getödtet. Dieser rettete sich mit Mühe. Die Verschwornen begegneten Constan¬ tins Frau, vor der sie sich sehr artig verneigten und sagten, mit ihr hätten sie nichts zu schaffen, sie such¬ ten nur ihren Mann. Ich fürchte aber, den armen Polen wird es schlecht gehen. Der Kaiser Nicolaus ziehet ihnen mit Macht entgegen, und ich weiß nicht, wie sie widerstehen können. Doch verlasse ich mich auf Gott. — — — Gemüthsbewegung! nein. Das ist nicht wie früher, wo wir in einer schweren Kutsche saßen, und mit der guten Sache langsam fortrollten, gestoßen wurden, langsam den Berg hin¬ aufschleichen mußten, auch manchmal umgeworfen wurden — jetzt trägt uns ein großes Schiff schla¬ fend über das Meer, und der Wind treibt schnell. Kein Staub, kein Rütteln, keine Müdigkeit. Stürme können kommen, Klippen; aber das macht mich erst recht munter. Die kleinen Zänkereien, das weibische Keifen des Schicksals, nur das konnte mir Gemüths¬ bewegung geben. Die Tyrannei kann uns noch ein¬ mal besiegen; aber dann wird es doch im offnen Kampfe geschehen, nachdem wir uns gewehrt haben. Uns wie Hunde prügeln und an die Kette legen, damit ist es aus. Nur nicht wehrlos fallen. Ich bin sehr ruhig, und schwimme vergnügt wie ein un¬ gesalzener Häring im Weltmeer herum. Ein und zwanzigster Brief. Paris, Sontag, den 26. Dezember 1830. Ich scherze und bin doch ganz von Herzen be¬ trübt, und aus Verzweiflung ließ ich mir eine Tasse Chocolade holen. Ich will denken, die Chocolade habe mir dickes Blut gemacht, sonst nichts. Aber meine Träume von Frankreichs Freiheit sind auch dahin. In der Politik ist weder Sommer noch Winter, es ist der erbärmlichste Revolutions-Frühling, der mir je vorgekommen. Nicht warm genug des Feuers zu entbehren, und nicht kalt genug zum Einheitzen, fröstelt man ohne Rettung. Bei uns zu Hause weiß man doch woran man ist; es ist Win¬ ter und man trägt Flanell. Es ist doch ein schönes Land, wo, wie ich gestern in deutschen Zeitungen gelesen, man sich auf der Straße und in den Casi¬ nos bang und freudig einander fragt, wird der Herzog von Coburg wieder heirathen oder nicht? und man schweigt und lächelt — und wo der Staats¬ rath Niebuhr in Bonn, da er gedruckt gelesen, er habe früher in Rom mit de Potter Umgang gehabt, mit Händen und Füßen gegen diese Lästerung zappelt, wie ein Kind gegen das kalte Waschen, und be¬ hauptet auf Ehre, er habe diesen Unheilstifter nie mit den Fingern berührt! Aber hier? die Wie¬ sen waren schon grün und jetzt schneit es wieder darauf. Die Kammer, diese alte Kokette, die sich schminkt, Mäulchen macht und auf die Jugend lä¬ stert — ich könnte sie auspeitschen sehen. Als sie noch selbst jung war, war sie so schlimm als Eine. Man hat Lafayette als Commandant der National¬ garde abgesetzt, und der Kriegsminister hat der gan¬ zen polytechnischen Schule Arrest gegeben! Diese jungen Helden waren es, welche den Kampf im Juli gelenkt, und ohne sie wären alle Deputirten und alle diese Minister vielleicht eine Speise der Raben ge¬ worden. Lafayette war es, der die Revolution rein erhalten und vor Anarchie bewahrt, und ihm hat Orleans seine Krone und die Fürsten Europas zu verdanken, daß Frankreich keine Republik geworden. Er hat dem Volke gesagt, es wäre möglich, daß ein König die Freiheit liebe, und man hat es ihm ge¬ glaubt. Behüte mich Gott, daß ich je Theil an der Staatsgewalt bekomme! Ich sehe es hier an den Besten, daß, sobald man zur Macht kömmt, man erst das Herz, dann den Kopf verliert, und daß man vom Verstande nur so viel übrig behält, als man braucht, das Herz nicht wieder aufkommen zu lassen. Es ist hier keine Zweideutigkeit, kein Un¬ verstand, keine Deutelei — man hat wörtlich nicht Wort gehalten, man hat dem Volke nicht gegeben, was man ihm versprochen. Die Machthaber reden hier ganz so wie bei uns: von wenigen Unruhstiftern, die das Volk verführten, von jugendlicher Schwär¬ merei, von Republikanern. Aber kein Mensch will Republik, man verlangt nur die republikanischen In¬ stitutionen, die man in den Tagen der Noth ver¬ sprochen. Für die Machthaber hier (wie bei uns) fängt da, wo ihr eigner Vortheil aufhört, die Schwär¬ merei an. Eben erzählte mir Jemand, man spräche heute davon, Lafitte und Dupont würden aus dem Ministerium treten, und der Präfect von Paris ab¬ gesetzt werden. Ich zweifle nun zwar gar nicht, daß die Regierung mächtig genug ist, es durchzu¬ setzen, und jeden gefährlichen Ausbruch zu verhüten. Aber was wird dabei gewonnen? die Ruhe, die sich auf eine allgemeine Zufriedenheit aller Bürger¬ klassen gründet, die einzig wünschenswerthe und dauerhafte, wird sie auf diese Weise nicht gründen. Die Unzufriedenheit wird sich aufhäufen, die Mis¬ vergnügten werden sich vermehren, bis sie stärker werden als die Regierung, und dann gehet der Kampf von neuem an. Wenn ich einmal Minister werde, halten Sie mir meine demokratischen Briefe vor die Augen. Ich weiß schon jetzt, was ich Ih¬ nen antworten werde — nichts werde ich antworten. Ich werde lächeln und Sie auf meinen nächsten Ball einladen, und dann werden Sie auch lächeln. Wir Minister und Ihr Menschen, wir sind nun einmal nichts anders. Jetzt will ich mich ankleiden und die Zeitungen lesen, neuen Aerger zu sammeln. Im Rocken ist mehr Nahrungsstoff als in Kartoffeln, im Weizen mehr als im Rocken, aber am meisten ist im Aerger. Schnee und Weh ist hier das Neueste. Habt Ihr auch Schnee? nach Weh brauche ich wohl nicht zu fragen. Dienstag, den 28 Dezember. Ich glaube nicht, daß ich Talent zu poetischen Naturbeschreibungen habe; ich grüble zu viel und sammle mehr Wurzeln als Blüthen. Aber mit der Reise, nach wiederhergestellter Ruhe, damit haben Sie recht. Ich möchte wohl gern einmal Seelen¬ frieden genießen. Bis künftiges Jahr sind die Oesterreicher aus Italien verjagt, und dann könnte man hinreisen. Zwar wird es alsdann in Italien noch nicht ruhig seyn, aber nur die schreckliche Ruhe unter Oesterreich könnte mich aus dem Lande ent¬ fernt halten, nicht die Unruhe der Freiheit, noch die der erzürnten Natur. Was der **** prophezeihet, ist auch mir offenbart worden. Man wird es in Frankfurt früher als in Paris erfahren. Fürchter¬ lich! Es stehet mir klar vor Augen, wie die Schnitter der Zeit mit ihren kleinen Messern die großen Sensen wetzen. — Hiesige Blätter sagen bestimmt, im nächsten Monate würde in Preußen eine Constitution promulgirt werden, und ein Brief aus Berlin, den ich gestern gelesen, behauptet das Nehmliche. Aber eine Constitution, die man im Dunkeln macht, kann nur ein Werk der Finsterniß werden. Die Freiheit, die man von Herren geschenckt bekömmt, war nie etwas werth; man muß sie steh¬ len oder rauben. Es ist doch gar zu traurig mit Briefen, die so weit aus eiander stehen, wie die Unsrigen; man wünscht einem viel Vergnügen zum bevorstehenden Schmause, und wenn man den guten Wunsch liest, hat man schon den Katzenjammer. Sie wissen in Ihrem Briefe noch den Ausgang des Prozesses nicht, und was ist seitdem nicht Alles vorgegangen! Paris hat jetzt wirklich den Katzenjammer vom Schmause im Juli, und bei mir thut der Ekel vom Zuschauen dieselbe Wirkung, wie bei den Andern das Trinken. Die Regierung ist jetzt ganz in den Händen von Mechanikern, die den Staat als eine Uhr betrachten, wozu sie den Schlüssel haben, und die gar nichts wissen von einem Leben, das sich selbst aufzieht. Das Herz soll schlagen zur bestimmten Minute, und das nennen sie Ordnung! Es ist alles wie bei uns, nur daß bei uns Werk und Zifferblatt bedeckt sind, hier aber sich in einem gläsernen Gehäuse be¬ finden, das alle Bewegungen sehen läßt; der Gang ist der nehmliche. Mit dem hiesigen Casino bin ich sehr getäuscht worden. Das sind meistens alte, reiche und vor¬ nehme Leute, die mit einander flüstern und sehr ari¬ stokratisch aussehen. Der Fluch geschlossener Gesell¬ schaften ist sehr deutlich ausgedrückt in diesen ver¬ schlossenen Gesichtern. Man meinet es wären Di¬ plomatiker. Ich werde nicht wieder hingehen, und für die funfzehn Franken, die ich bezahlen mußte (für 14 Tage) habe ich doch ein neues Beispiel zu meiner alten Theorie gefunden: Langeweile ist die Tochter des Zwanges, und Freiheit ist die Mutter geselliger Freuden. Wie kann es anders seyn? In diesem Casino darf nicht von Politik gesprochen wer¬ den. Und dürfte man nicht vom Monde sprechen, doch sonst von allem, das hätte die nehmlichen Fol¬ gen. Jeder Zwang ist Gift für die Seele. Wir haben jetzt prächtiges Wetter! Auf die Kälte eines Tages folgte gleich Thauwetter. Dreck bis an die Knie (es ist ein gutes ehrliches deutsches Wort), die Gassen ein Eismeer. Es ist doch son¬ derbar, daß sich die Franzosen aus dem Drecke nichts machen! Sie gehen lustig durch, als gingen sie über eine Blumenwiese. Aber ein paar Grade Kälte bringt sie zur Verzweiflung. Sie sperren sich dann gleich ein. Was bin ich so vergnügt, daß ich acht Paar gute wasserdichte Stiefeln mit hieher ge¬ bracht. Es macht mir die größte Freude, ihre deut¬ sche Treue auf die Probe zu stellen und damit durch den Schlamm zu waden. Pariser Sohlen sind nicht dicker als zwei über einander gelegte Oblaten, man könnte den Puls hindurch fühlen. Ich hoffe doch mit Vielen hier, die Polen wer¬ I . 11 den es durchsetzen. Man gewinnt immer, wenn man keine andere Wahl hat als zwischen Sieg oder Tod. Vom Kaiser Nikolaus ist keine Gnade zu hoffen, die Polen müssen ihn begnadigen. Wie es im Preußich-Polen aussieht, weiß ich nicht, die heu¬ tigen Zeitungen sprechen auch von einer Revolution, die sich dort begeben haben soll. Von Oesterreichisch- Polen darf man, wie ich glaube, etwas erwarten Das kluge Oesterreich kann sich da vielleicht eine dumme Falle gelegt haben. Die italienischen Regi¬ menter, welchen sie nicht trauten, haben sie schon vor mehreren Jahren aus ihrem Vaterlande gezogen und sie nach Gallizien versetzt, und jetzt, wenn sich die Polen insurgiren, sind diese Regimenter wahrschein¬ lich geneigt, mit ihnen gemeinschaftliche Sache zu machen. Sei einer klug heute; betrüge einer den lieben Gott! Nun Glück zum neuen Jahre! und möge es uns und unsern Freunden im neuen Jahre besser gehen, als Kaisern und Königen. Das sind beschei¬ dene Wünsche, die wohl der Himmel erhören wird. Ich werde dem Conrad sagen: wenn ein Kaiser kommt, sehen Sie ihm auf die Hände und lassen ihn nicht allein im Zimmer. Im nächsten Jahre wird das Dutzend Eier theurer seyn als ein Dutzend Fürsten. Zwei und zwanzigster Brief. Paris, Freitag, den 31. Dezember 1830. Die polnischen Juden zeigen sich brav, sie wol¬ len sich ein Vaterland erkämpfen. Waffen in der Hand, das sind bessere Gründe, Freiheit zu gewin¬ nen, als Prozeßschriften beim deutschen Bundestage eingereicht. Schon im Jahre 1794 haben sich die polnischen Juden gut gehalten; sie bildeten damals ein eigenes Regiment, das, als der wilde Suwarow nach Warschau kam, ganz ausgerottet worden. Wie wird es diesesmal werden? — Heute , diese Nacht wird etwas Großes, etwas Entsetzliches ge¬ schehen. Es wird ein Sturm seyn, der die Mensch¬ heit dahin schleudern wird, wohin sie der Compaß, selbst bei der günstigen Fahrt dieser Zeit, erst spät geführt hätte. Wenn das Schicksal die Stunde nicht verschläft , wird es eine entscheidende Nacht werden. 11 * Gestern Abend war ich in einer Gesellschaft, die man in Paris nicht suchen würde — in einer philosophischen : „Conversations phiosophi¬ ques“ stehet über den gedruckten Einlaßkarten. Junge Leute, Schriftsteller und andere, aber sehr elegante Herren, mit den feinsten Röcken und Cra¬ vatten, versammeln sich an bestimmten Tagen in ei¬ nem sehr eleganten Lokale, und philosophiren bei Limonade, Orgeade und Himbeersaft. Mir war das amusanter als die Variet é s. Immer zwei stehen beisammen, um sie bildet sich eine Zuhörer-Gruppe, und wird dann gestritten über Gott, Unsterblichkeit, äußere Sinne, innere Sinne, Natur, Attraction, daß es eine Lust ist. Hegel würde vergehen vor Lachen. Keiner weiß, was er will. Es gibt nichts komischeres. Und doch begreife ich nicht recht, warum diese gu¬ ten Leuten darin so zurück sind. Zwar waren die Franzosen nie tiefsinnige Philosophen auf deutsche Art; doch hatten sie im vorigen Jahrhunderte in einer gewissen praktischen Philosophie viel Gewandt¬ heit erlangt, und die Schriften und die Gesellschaf¬ ter der damaligen Zeit waren ganz parfümirt davon. Es scheint aber, in der Revolution haben sie das alles wieder vergessen, und die jungen Leute fangen jetzt von vorn an. Einer fragte mich, ob ich mich auch mit Philosophie beschäftigt? Ich sagte: O gewiß, uns Deutschen ist die Philosophie Kinderbrei. Ein Anderer fing mit mir an von Kant zu spre¬ chen, und als er glaubte ich hätte den Namen nicht verstanden, dachte er wohl, er hätte ihn falsch aus¬ gesprochen und wiederholte Känt . Ein dritter sagte mir, Anatomie wäre die Hauptsache in der Philo¬ sophie. Ich antwortete: Ganz gewiß. Wären Sie keine Frauenzimmer, ich könnte Ihnen noch die schön¬ sten Dummheiten erzählen; aber Sie verstehen das nicht. Und mit welcher Leidenschaftlichkeit wurde gestritten! Ich dachte sie würden sich einander in die Haare fallen. Aber die Franzosen haben eine be¬ wunderungswürdige Gewandtheit, einen Streit bis an die Grenze der Beleidigung zu führen, ohne diese zu überschreiten, und mit den Händen sich einander unter die Nase zu gesticuliren, ohne sich Ohrfeigen zu geben. Ich saß auf einem Sopha von blauer Seide, unter den Füßen eine Decke von Pelz, trank ein Glas Orgeade nach dem andern und beneidete das glückselige Volk, das gar nichts weiß, von dem, was es nicht weiß, entgegengesetzt uns armen Deut¬ schen, die wir am besten kennen was wir nicht kennen. „Eh bien je vais vous exposer ma doctrine“ sagte einmal ein junger blasser Mensch mit einem Schnurrbarte zu einem Andern ohne Schnurr¬ bart ... und da sagte er ihm etwas, was in je¬ dem deutschen ABC-Buche stehet. Samstag, d. 1 Januar 1831. „ Prost neu Jahr !“ Aber es ist eine dumme Geschichte, ich bin schon gewohnt daran, es ist schon Mittag. Dieses Jahr ist mit Zähnen auf die Welt gekommen, und will sich nicht wickeln lassen. Es wird mit Blut getauft werden. Könnte ich nicht einen Kalender schreiben? Ich spräche wie ein Prophet: Ein großer Fürst wird sterben in diesem Jahre. Aber das ist falsch prophezeihet; es lebt gegenwärtig kein großer Fürst. Aber der Frühling wird naß werden (nicht von Wasser) der Sommer heiß (nicht blos von der Sonne) und der Herbst gut (nicht blos an Wein). — Unser König hier soll und will in die Tuilerien ziehen, weil das Palais- Royal wirklich zu klein ist, und auch sonst zur könig¬ lichen Wohnung nicht schicklich. Aber die Königin sträubt sich mit aller Macht gegen die Tuilerien. Sie sagt, das wäre une maison de malheur . Die Frau hat Recht und ich hätte auch aberglaubi¬ sche Furcht davor. — Beim Conseil in Genf wurde von einem Deputirten der Antrag gemacht, den Ju¬ den die bürgerliche Freiheit zurückzugeben, die sie bis zum Jahre 1816, wo die französische Herrschaft aufhörte, genossen haben. Der Antrag wurde von Vielen unterstützt. Die Zeit wird auch bald für Deutschland kommen, wo die bürgerlichen Verfassun¬ gen Verbesserungen erfahren werden, und das nicht blos durch Revolution, sondern auch auf friedlichem Wege, weil die Regierungen nicht länger werden ausweichen können. Dann wird auch wieder von Juden die Rede seyn, und unsere Juden thun so Vieles, sich bei den Freunden der Freiheit unbeliebt zu machen. Ich begreife das nicht recht. Diese Menschen sind doch sonst so klug auf ihren Vortheil und wissen immer den Mantel nach dem Winde zu hängen. Was wollen sie denn jetzt noch von den Fürsten und Ministern haben? Es ist nichts mehr an ihnen zu verdienen. Sie sollten sich jetzt dem Volke zuwenden, ihre Geldkasten verschließen, und den großen Herren den Rücken zukehren. Drei und zwanzigster Brief. Paris, Dienstag den 4. Januar 1831. Saphir ist hier, und sein Anfang ist nicht schlecht. Schon haben einige Blätter von ihm gesprochen, als von Einem, den der Zorn seines Königs verfolgte. Da wird nun natürlich auch gelogen, so viel nöthig ist, um einen guten Witz zu machen. Im Figaro stand ungefähr Folgendes: Der König von Baiern, selbst Poet, habe aus poetischer Eifersucht den Saphir verjagt. ... Der Vorwand seiner Verbannung wäre gewesen, weil er gegen das Theater geschrie¬ ben, der eigentliche Grund aber, weil Saphir dem König ein hübsches Mädchen abwendig gemacht. Sie hätten sich entzweit pour une bavaroise (das bekannte Kaffehaus-Getränk). Der König von Baiern wird genannt: „ sa majesté brutale .“ Als ich das las, habe ich treuer deutscher Unterthan aller Fürsten ohne Unterschied mich gekreuzigt. Aber der König von Baiern beträgt sich doch gar zu wunderlich. Das ist ein Gelehrter, der bringt seine Verirrungen in ein System und da ist keine Hülfe mehr. ... Es ist gar keine Möglichkeit, die deut¬ schen Regierungen zu parodiren. Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen vor einiger Zeit, als ich mich dar¬ über geärgert, daß man hier für die Zeitungen die Cautionen beibehalten, geschrieben: es wäre recht spaßhaft, wenn sie in Deutschland das mit den Cau¬ tionen nachahmten. Censur und Caution! Das sollte ein Witz von mir seyn, im Ernste hielt ich das für nicht möglich. Aber es ist eingetroffen. In einem hiesigen Blatte las ich heute aus Baiern, daß man von einem gewissen Coromans , der eine Zeitung herausgeben will, Caution verlangt habe. Das ist gerade, als wolle man von einem, den man in den Kerker wirft und an Händen und Füßen kettet, noch eine Caution fordern, daß er nicht fort¬ läuft. Ich habe in der Berliner Zeitung die Prokla¬ mation des russischen Kaisers an die Polen gelesen. Sie ist im alten Style datirt und im alten Style geschrieben. Der spreizt sich! der will den Helden machen und den europäischen Fürsten zeigen, wie man mit Revolutionen fertig wird. Schlimm für die Polen, wenn es ihm gelingt, aber dann noch schlimmer für die andern Fürsten. Sie werden es ihm nachmachen wollen, sie werden die Zügel los¬ lassen, durch welche sie bis jetzt mit so großer An¬ strengung ihre eigne Leidenschaft gebändigt, sie wird durchlaufen und sie abwerfen. — In München und Göttingen waren auch wieder Unruhen. Deutsch¬ land zahnt. Das arme Kind! Nichts ist komischer als die Art, wie die deutschen Regierungen von sol¬ chen Unruhen Bericht erstatten. Sie stellen sich an, als wäre ihnen an solchen unbedeutenden Vorfällen nicht viel gelegen, und sind doch voll tödtlicher Angst. Sie machen Gesichter wie Menschen, die Leibschmer¬ zen haben und sich lustig stellen wollen. — — Die alte Genlis ist gestorben. Sie starb den schönen Tod auf dem Schlachtfelde — die Feder in der Hand. Sie hat viel gelebt und viel erlebt. Wenn die an das Himmelsthor kommt, welch merkwürdigen Paß kann sie vorzeigen, von allen Regierungen visirt, von allen Zeiten gestempelt! Sie kann sich nicht beklagen, sie hat ein empfängliches Herz gehabt und hat tausend Jahre gelebt. Was glauben Sie wohl, das mich hier täglich am meisten daran erinnert, daß jetzt Frankreich mehr Freiheit hat als sonst? Der Telegraph . Unter der vorigen Regierung war ich zwei Jahre in Pa¬ ris und ich kann mich keinen Tag erinnern, wo ich den Telegraphen aus dem Tuilerien-Garten nicht in Bewegung gesehen. Aber seit einem Vierteljahre, das ich jetzt hier bin, habe ich, so oft ich auch in den Tuilerien war, den Telegraphen noch nicht ein¬ mal arbeiten gesehen. In Friedenszeiten hat der Telegraph nur gesetzwidrige Befehle zu überbringen. Die Herrschaft der Gesetze bedarf keiner solchen Eile und duldet keine solche Kürze. Wie schön und früh¬ lingswarm war es gestern in den Tuilerien! Dort habe ich Paris am liebsten. Die Wege sind so breit, und breite Wege sind zu eng für Philister; da fürchte ich keinem zu begegnen, schlenkere sorglos umher und sehe Jedem ins Gesicht. Es ist nicht möglich, in den Tuilerien kleinstädtisch zu bleiben. — Gestern bemerkte ich wieder eine artige Pariser Charlatanerie. Auf der Straße sah ich eine Art Deligence, angefüllt mit Knaben, und auf allen Sei¬ ten des Wagens stand mit großen Buchstaben ge¬ schrieben: Institut von Herrn N. zu Passy, Straße, Nr., und so wurden die fröhlichen Kinder als le¬ bendige Musterkarten eines Instituts in Paris her¬ umgefahren, andere Kinder und ihre Eltern anzulocken. Hier verstehet man die Geschäfte. Vier und zwanzigster Brief. Paris, Donnerstag, den 6. Januar 1831. Suchen Sie sich Diderots Briefe zu verschaffen. Ich bin jetzt mit dem zweiten Theile fertig. Daß so breite Briefe zugleich so tief seyn könnten — ich hätte es nie gedacht. Sie nehmen kein Ende, und doch hört das Vergnügen, sie zu lesen, nur mit jeder letzten Zeile auf. Alles ist darin, das Schlechte und Gute, Schöne und Häßliche, Gift und Balsam, Gestank und Wohlgeruch, Ekel und Erquickung des achtzehnten Jahrhunderts. Denn man muß jene Zeit als die Apotheke betrachten und die französischen Schriftsteller als die Apotheker, welche unser Jahrhundert geheilt haben. Sollten Sie wohl glauben, daß ich Mensch, ein Vierziger, der alle sieben Farben durchgelebt hat, mehr als zwanzig Male dabei roth geworden bin? und ich war doch allein — aber allein mit Gott und der Natur. Ein Frauenzimmer darf das ohne Furcht lesen; kann sie das verstehen, kann sie nicht mehr erröthen. Welche Unsittlichkeit. Es ist wahr, die französische Sprache ist eine Art Flor, der den häßlichen Anblick blässer und milder macht; aber der Deutsche, der sich beim Lesen übersetzt, ziehet den Flor weg, und schaudert zurück. Jene Menschen hätten doch wenigstens aus Dankbarkeit die Zucht mehr schonen sollen, da sie ihnen das Vergnügen verschafft, sie zu verspotten und mit Füßen zu tre¬ ten. Und wo sie Recht haben, das ist am Schreck¬ lichsten! Den schönen Aberglauben der Unschuld, der eine irdische Freude zur himmlischen macht, zer¬ stören sie, und von der ganzen Ewigkeit bleibt nichts übrig, als eine Minute. Und so verfuhren sie mit der Tugend und mit der Religion. Waren jene Schriftsteller des achtzehnten Jahrhunderts darum sittenlos, entartet, schlecht, gottlos? Gewiß nicht. Sie führten Krieg. Die Heuchelei hatte sich mit der Sittsamkeit umhüllt; sie mußten diese zerreißen, um jene in ihrer häßlichen Nacktheit zu zeigen. Die Priesterschaft hatte sich hinter der Religion verschanzt; sie mußten über die Religion wegschrei¬ ten, um zu den Pfaffen zu gelangen. Der Des¬ potismus führte das Schwert der Gesetze; sie mu߬ ten ihn entwaffnen, um ihn zu besiegen. Daher jene Zeit der Sittenlosigkeit, des Unglaubens, der Anarchie. Sie ist vorüber, Frankreich gesunder als je gewesen, und Doktor und Apotheker sind ver¬ schmäht, vergessen. Samstag, den 8. Januar. Heute ist es sehr kalt, ganz Winter. Wie geht es Euch? Aber was liegt daran! Gegen Frost hat man Kamine und warme Kleider; wenn nur das Herz nicht friert. Die deutschen Frost¬ künstler (so übersetze ich sehr sauber das fransösische Glacier ) mögen nur diesmal ihren Eiskeller recht reichlich versehen, hoch hinauf bis an das Gewölbe; denn es wird ein heißer Sommer werden. Und wer weiß, ob es im nächsten Jahre wieder friert. Ich denke, die Bären sollen es in unserm Lande nicht lange mehr aushalten können. — Haben Sie Victor Hugo's Gedichte schon gelesen? Ich em¬ pfehle Ihnen auch seine Romane: Le dernier tour d'un condamné; Bug-Jargal; Han d'ls¬ lande . Alles herrlich, voll Sommergluth; aber man sehnt sich manchmal nach Schatten und Kühle und die fehlen. Kaum gehet die Geschichte auf, so stehet sie schon im vollen Mittagsglanze da, gehet im vol¬ len Mittagsglanze unter; die Augen thun Einem weh und man verschmachtet vor Hitze. Hugo ist erst einige und zwanzig Jahre alt, aber das Alter kann ihn nicht ändern; denn die romantische Poesie, (wie man das hier nennt) ist erst in ihrer Jugend, und das ganze Geschlecht wird darüber hingehen, bis sie besonnener wird und sich mäßigen lernt, und lernt Gründe annehmen Ich habe den Hugo etwas we¬ niges gesprochen, bin aber gar nicht begierig ihn näher zu kennen; denn es ist nicht nöthig und nicht möglich. Dem geistreichsten französischen Schrift¬ steller liegt die ganze Seele vorne im Munde; sie hat kein geheimes Kabinet, keine Hinterthüre, wozu man blos nach genauerer Bekanntschaft dringt. Hugo ist mündlich nicht anders wie die Andern. Das ist nicht wie bei uns. Ein deutscher Dichter ist ein frommer treuer Knecht der Poesie, und er trägt ihre Farbe. Aber ein französischer Dichter ist Herr der Poesie, sie trägt seine Livree und gehet hinter ihm, wo er öffentlich erscheint. Sie fragen, ob Frankreich den Polen beistehen wird? wahrscheinlich geschiehet es. Frankreich wäre ja ganz von Sinnen, wenn es diese Gelegenheit Rußland zu schwächen, die nicht zum zweitenmale wiederkehrte, ungebraucht vorüber gehen ließe. Würden die Polen besiegt, dann kehrte sich Rußland gegen Frankreich. England hat gleiches Interesse und ich hoffe, sie vereinigen sich, den Polen zu hel¬ fen. Sie können zwar Rußland nicht zu Lande, aber doch zur See angreifen, und können es beschäf¬ tigen, indem sie durch Geld und Intriguen Unruhen auch in den andern russischen Provinzen anzetteln. Es ist zwar gegründet, daß die polnische Revolution von dem Adel ausgegangen, ich glaube aber darum nicht, daß das Volk gleichgültig dabei geblieben. Die Armee, die den größten Enthusiasmus zeigt, be¬ stehet ja aus Bauern, übrigens sind die Bürger in den Städten keine Leibeigne, und auf diese kömmt alles an. Denn die Polen können sich in keine Ge¬ fechte auf dem offnen Lande einlassen, sie müssen sich in den Städten verschanzen und wehren; thun sie das nur standhaft, sind die Russen, wenn auch noch so mächtig, verloren. Ich hoffe das Beste, denn ich zähle auf die Weisheit Gottes und auf die Dumm¬ heit seiner sogenannten Stellvertreter. Hier gehet es schlecht, man hat die Suppe kalt werden lassen, und dabei rufen die Väter des Volks demselben, wie einem Kinde, noch ganz ironisch zu: verbrenne dich nicht! das gute Volk hat sich mit Blut und Schweiß die Freiheit erworben, und die spitzbübische Kammer, die in Pantoffeln in ihrem Comptoir saß, sagte ihm: Ihr wißt mit dem Gelde doch nicht umzugehen, wir wollen es Euch verwalten. Und ich sehe nicht, wie die Sache besser werden kann, außer durch eine Art neuer Revolution. Nach dem bis jetzt bestehenden Wahlgesetz wählen nur die Reichen, also die aristo¬ kratisch Gesinnten, und nur die Reichsten können Deputirten werden. Lößt das Ministerium, welches liberaler ist als die Kammer, diese auf, so werden die nehmlichen Deputirten wieder gewählt. Um die¬ I . 12 ses zu verhindern, müßte das Wahlgesetz geändert, demokratischer gemacht werden. Allein die Kammer votirt die Gesetze, und wird natürlich kein Wahlge¬ setz genehmigen, das ihnen die Macht aus den Händen zieht. Das Ministerium hat wirklich vor einigen Tagen ein demokratisches Wahlgesetz der Kammer vorgelegt, und diese wird es, wie man gar nicht zweifelt, verwerfen. Wo also der Ausweg? der König müßte durch Ordonnanz ein Wahl¬ gesetz promulgiren. Das wäre aber Gewalt und die Franzosen sind zu gewitzigt, ihrem Fürsten eine solche zu erlauben, und wäre es auch für die Freiheit. Man sagt heute mit ziemlicher Bestimmtheit, der zweite Sohn des Königs von Baiern sey zum Könige von Belgien erwählt worden. Ist dieses wahr, kann das nur eine Folge von Frankreichs Verwendung seyn, welches die belgischen Angelegen¬ heiten nach Belieben leitet, und das würde dann beweisen, daß Baiern mit Frankreich einen geheimen Vertrag abgeschlossen, und daß es im Falle eines Kriegs gegen den deutschen Bund auftreten würde. Und dann Baden und Würtemberg auch. Es wäre recht komisch! Was würden Stein, Görres, Arndt und der alte Vater Rhein dazu sagen! Und zum Lohne für die Dienste, die jene Fürsten Frank¬ reich leisten, wird dieses ihnen beistehen, ihre Unter¬ thanen in Gehorsam zu unterhalten. Wir bezahlen immer die Zeche. Der Tugendbund hat viel ausgerichtet! Jeder Mensch hat das Recht, ein Dummkopf zu seyn, dagegen läßt sich nichts sagen; aber man muß selbst ein Recht mit Bescheidenheit benützen. Die Deutschen mißbrauchen es. Die Mittel, welche die Franzosen gebraucht, die Freiheit zu erwerben, werden von den deutschen Regierungen benutzt werden, um die Despotie zu verstärken. Ich muß nur lachen über die Unwissenheit der hiesigen Zeitungsschreiber. Sie erzählen es im Triumph: in Deutschland, in Oesterreich sogar, würden Nationalgarden eingeführt, und sie meinen, das wäre ein Fortschritt der Freiheit; die Esel be¬ greifen nicht, daß das ein neues Werkzeug der Ge¬ walt ist, das alte abgenutzte damit zu ersetzen. Die Deutschen! — nicht einzusehen, daß die Uniform eine Art Gefängniß ist, die Disciplin eine Kette an Händen und Füßen — nicht einzusehen, daß wenn man Schildwache stehet, man am meisten selbst be¬ wacht wird den sogenannten Pöbel im Zaum halten, das heißt die armen Leute, das heißt die Einzigen, welchen das verfluchte Geld nicht die ganze Seele, allen Glauben abgehandelt; die Ein¬ zigen, denen der Müßiggang nicht alle Nerven aus¬ gesogen, und die einen Geist haben die Freiheit zu wünschen, und einen Leib für sie zu kämpfen — sich 12* wie ein todter Ofenschirm vor der Gluth des Volks zu stellen, damit die Großen hinter uns nicht schwitzen und gemächlich ihr Eis verzehren — und sich noch weiß machen zu lassen, das geschähe für die Freiheit — sich so foppen zu lassen, ein solcher Tölpel zu seyn — es ist unglaublich! Montag, den 10. Januar. Kann man es besser haben als ich? die Tage wachsen schnell und mit ihnen meine Hoffnungen. Das Wetter ist sehr gelinde; schon sind die Wander¬ vögel dem Norden zugezogen: bald endet der Winter, bald thauet der deutsche Bund auf, bald blühn alle Veilchen ; über meinem Kopfe Saphirs Fußtritte, und eine deutsche Küche. Ja, ich habe eine deutsche Köchin entdeckt, eine vortreffliche Augsburgerin, die eine Table d'Hôte hält, wo man lauter vater¬ ländische Gerichte und Gäste findet. Rindfleisch mit rothen Rüben und Kräutersauce, Kartoffeln, Sauer¬ kraut mit Schweinefleisch, Reisauflauf und Kommis in Menge. Man wird doch satt und es kostet nicht viel. Was aber mein Glück stört, ist, wie man hier mit Bestimmtheit behauptet, daß Metternich das Ruder verliert. Darüber bin ich sehr verdrießlich, es ist ein Unglück. Metternich war eine reine Farbe, die der feindlichen entgegengesetzt, es bald zu irgend einer Entscheidung gebracht hätte; wenn aber nach ihm die graue Neutralität regiert, wird keiner wissen, wo seine Fahne ist, alle werden durch ein¬ ander laufen und keiner das Ziel finden. Metternich war starr, eigensinnig und der Sturm hätte ihn bald gebrochen; sein Nachfolger wird auch nicht wei¬ chen, nur vielleicht sich etwas biegen, und alles wird krumm bleiben. Es ist sehr schlimm. Gott erhalte nur meinen Metternich. Der Enthusiasmus der Polen soll ganz unbe¬ schreiblich seyn. In der heutigen Zeitung steht, die Vorsteherin eines Mädchen-Instituts in Warschau habe mit ihren Zöglingen von Morgen bis Abend an den Festungswerken gearbeitet. In dem Schrei¬ ben eines Polen, worin die schändlichen Tyranneien der russisch-polnischen Regierung erzählt werden, heißt es unter Andern: man habe eigens einen Commissair nach Wien geschickt, um das System der österreichi¬ schen Regierung, wie man das Volk dumm erhalte ( Stock-deutsch , heißt es wörtlich,) in allen seinen Theilen zu studiren, um es dumm in Polen einzu¬ führen. Fuͤnf und zwanzigster Brief. Paris, Donnerstag, den 13. Januar 1831. Gestern Abend habe ich mich im Odeon recht satt gehört und gesehen; das ganze Gesicht ist mir noch roth und dick davon. Von halb sieben bis halb zwölf Uhr bei Tische, und zwanzig Schüsseln! Dreißig Jahre dauert die Geschichte, Napoleons Anfang und Ende ist darin; aber die größte aller seiner Thaten ist gewiß die: daß er mich sechs Stunden weniger zehn Minuten auf einer Stelle festgehalten, so daß ich nicht einmal in den Zwischen- Akten hinausging. In einem deutschen Theater habe ich nie drei Stunden aushalten können. Den Hun¬ ger zu stillen war es zu viel und den Appetit über den Hunger zu reizen fehlte es an Würze. Ja das ist ein großer Unterschied! — —— Eine starke halbe Stunde mußte ich das Schrei¬ ben unterbrechen und meine Wuth war grenzenlos. Da ich Napoleon gestern Abend hatte sterben sehen, und ich vergessen hatte, in welchem Jahre er ge¬ storben, wollte ich das im Conversations-Lexikon nachsuchen. Ich schlug den Artikel Napoleon auf, da hieß es: suche Bonaparte . Ich suche Bona¬ parte auf, da hieß es: suche Buonaparte . Ich suche Buonaparte auf und sehe nach dem Ende seines Lebens, da hieß es: suche Helena . Ich suche He¬ lena auf, da hieß es: suche St . Helena . Ich suche Saint -Helena und St . Helena und kann bei¬ des nicht finden. Endlich entdeckte ich Sanct He¬ lena . Da war aber von Napoleon gar keine Rede, sondern es hieß: suche Longwood . Ich suche Longwood, finde aber nichts über Napoleons Tod, und da entdecke ich endlich, daß mein Conversations- Lexikon nur bis 1819 gehet. Da lebte Napoleon noch. Das sind die Leiden des menschlichen Lebens! wozu noch gehört: des Morgens harte Butter auf weiches Brod schmieren, mein täglicher Schmerz. Mein Zorn war aber schrecklich und erhaben. Ohne dies bin ich seit einem Jahre voll Gift und Haß gegen das Conversations-Lexikon; denn der Verleger Brock¬ haus hat in der neuesten Auflage aus Krämerei alles was das Buch an Geschichten und Meinungen Frei¬ sinniges enthielt, auslöschen oder bedecken lassen; wahrscheinlich, damit es, so gesäubert, im Oester¬ reichischen erlaubt werde. Ist es nicht entsetzlich, daß es in Deutschland Gelehrte gibt, die Geist, Herz und Ehre bogenweise einem Buchhändler ver¬ kaufen; daß das nützlichste und ausgebreiteste Buch in Deutschland, welches so vieles Gutes gestiftet hat und noch ferner hätte bewirken können, die Farbe der Lüge angenommen und daß es vou der schnöden Gewinnsucht eines Krämers abhängen soll, was er das Volk lehren oder ihm verschweigen will? ..... Jetzt zurück zum Odeon. Napoleon tritt zum erstenmal 1793 auf, da er in Toulon als Artillerie-Lieutenant diente. Da ist er noch ganz mager und trägt einen Zopf, das Haar ungepudert. In der vorausgehenden Ouvertüre wurde der Marseiller Marsch und Ça-ira gespielt, Melodieen, die mir seit meinen frühesten Kinderjahren im Herzen schlummerten. Es sind vielleicht vierzig Jahre, daß ich sie nicht gehört, und ich weinte Thränen des Entzückens. Frei seyn , es ist nichts. Aber es werden , die Genesung, da ist das Glück. In Toulon waren auch Kommissaire des National- Convents, die damals bei allen Kriegen den Gene¬ ralen als Aufpasser zur Seite standen. Merkwür¬ dig diese Mord-Physionomien, und wie die Kerls gekleidet waren; sie sahen ganz aus wie Räuber¬ hauptleute. Dieser erste Akt war mir der schönste: was nachher folgte, war für Ohr, Auge und Geist, aber nichts mehr für das Herz. Der Kaiser, der Ruhm, goldgestickte Kleider, Bücklinge bis auf die Erde, und die uns wohlbekannten Märsche der kai¬ serlichen Garde, und der lange Hanswurst von Tambour-Major, den wir so oft gesehen. Aber ge¬ wiß, das ist die beste Art, Geschichte zu lernen, und vergangene Zeiten und Menschen und entfernte Län¬ der uns so frisch und nahe vor die Augen zu brin¬ gen als hätten wir sie gekannt, darin gelebt. Keine Erzählung, kein Gemälde, selbst kein Drama in sei¬ ner eigenthümlichen Bestimmung ersetzt das. Es ist alles vereinigt. Jedes Schlachtfeld, jeder Pallast, jede Stadt; Lager Soldaten, Waffen und Kleidung, alles wie es wirklich gewesen. Napoleon wie er aussah, wie er gekleidet war, wie er stand, saß, sprach, in den Tuilerien, und in seinem Zelte, vor, in, nach der Schlacht; welche Gesichter er machte, wie er schnupfte wie er bei guter Laune seinen Leu¬ ten das Ohr kneipte, seine Marschälle, Rustan, Alles. Mein Widerwille gegen Napoleon fing (auf dem Theater — denn im Leben erst zehen Jahre später) 1804 an. Da erscheint er als Kaiser in St. Cloud. Da kommen goldene Dintenfässer, schwervergoldete Lakaien. Er trug damals einen rothen Rock. Noch einmal liebte ich ihn; es war 1812. Er kommt in Moskau an, tritt in ein Zimmer im Kremlin. Ich wußte vorher, es war die Grenze seines Glückes. Einige Stunden später brach der Brand los. Fürch¬ terlich auch im Spiele. Er ist allein im Zimmer, die Fenster werden roth vom Feuer und immer röther. Die Flamme kommt immer näher. Einer nach dem Andern stürzt herein, ihn zur Flucht zu bewegen. Er will nichts hören von Rettung, wirft sich verzweiflungsvoll in einen Sessel, und dumpf¬ brütend senkt er den Kopf auf den Tisch wie zum Schlafen. Die Fenster werden geöffnet und man sieht Moskau brennen. Das übertrifft an natur¬ wahrem Schrecken Alles, was ich bis jetzt gesehen. Beim Rückzuge stellt die Scene eine große leere Bauernhütte vor. Einzelne Soldaten, Marketender¬ innen, halberfroren, schleichen wie Gespenster herein. Sie nähern sich der Flamme und fallen todt hin. Dann kommt Napoleon. Jetzt beginnt der Kanonen¬ donner der Schlacht, die Hütte stürzt zusammen, wer noch Kraft hat, flüchtet, und jetzt sehen wir das Schlachtfeld an der Berezina. Es schneit, die Fran¬ zosen ziehen über die Brücke, neben ihr, über den gefrornen Strom, er bricht unter ihnen und verschlingt sie. Die Dekorationen übertreffen aber auch Alles, was sich die Phantasie erfinden kann. Eine der schön¬ sten Scenen ist Napoleons Abfahrt von Elba, um nach Frankreich zurückzukehren. Er mit seinen Sol¬ daten steht auf dem Verdecke eines Kriegsschiffes, und die Fahrt des Schiffes wird im höchsten Grade täuschend dadurch nachgeahmt, daß die Seegegend sich immer ändert, von Fels zu Fels fortschreitend bis in die offne See, so daß man glaubt, das feste Schiff bewege sich. Es ist ein Kind darüber zu wer¬ den vor Freude. Dann die Scene in den Tuilerien am Abend, da man Napoleon erwartet. Ludwig XVIII. , dick, alt und lahm, watschelt durch ein Vorzimmer, sich zu flüchten, hinter ihm die Hofleute. Die gute Art der Franzosen und ihr Zartgefühl verläugnete sich bei dieser gefährlichen Probe nicht. Im Odeon sind die jungen Leute, die Schüler der polytechnischen Schule, Meister, da herrscht der Liberalismus un¬ beschränkt. Aber die Scene mit Ludwig XVIII. war unanständig, der Spott grausam, und im ganzen Hause wurde gepfiffen und gezischt, und nicht Einer hat applaudirt, und das Klatschen hörte doch sonst den ganzen Abend nicht auf. Deß freuete ich mich, und die komischen Scenen jenes Abends in den Tui¬ lerien! Wie die heißesten Bourbonisten, als Napo¬ leon kam, schnell die weiße Kokarde abnahmen und sie in die linke Westentasche steckten und aus der rechten eine dreifarbige zogen, die sie für jedes Er¬ eigniß bereit hielten. Und wie ein Ultra-Dicker eine dreifarbige Fahne herbeibrachte, und die legitimsten Kehlen Vive l'Empereur ! schrien. Es war schön und lehrreich. Jetzt die Hauptsache. Eine Deputation der Pairskammer erscheint vor dem wiederaufgegangenen Napoleon. Der schnauzt sie grimmig an, denn sie waren es, die ihn verrathen. Wo sind die Depu¬ tirten? schreit er mit einer Löwenstimme. „La chambre des Députés s'est rendu indigne de la France“ ... Götter! und wenn in diesem Augen¬ blicke tausend Jupiter gedonnert hätten, es wäre nicht gehört worden, vor dem Beifallklatschen des ganzen Hauses. Es war ein Sturm, es war als stürzte das Dach ein. Man hatte die Saite berührt, die jetzt durch das Herz jedes freiheitsliebenden Franzo¬ sen zieht: der Haß und die Verachtung gegen die jetzige Deputirtenkammer. In den ersten Reihen des Parterres saßen die Schüler der polytechnischen Schule. Wenn diesen nicht die Hände bluteten, müssen sie lederne Hände haben. Aber — ich habe genau Acht gegeben — nicht blos diese, nicht blos die Studenten waren es, die so offen und laut bei diesem Anlasse ihre Herzensneigung kund gethan; sondern auch alte, bedächtige Männer, Alle klatschten, und ich war vielleicht der Einzige, der es nicht ge¬ than. Ich sah frohlockend umher, denn das ist .... Freitag, den 14. Januar. Mitten im Satze, der die vorige Seite endigt, wurde ich gestern unterbrochen und heute habe ich ver¬ gessen, was ich sagen wollte. Als ich sah, wie die edle Gesinnung der Jugend sich hier so frei und laut äußern durfte, und Keiner wagte, sich ihr zu wider¬ setzen, fragte ich mich: träume ich denn, ist es Wahr¬ heit? Liegt Frankreich in dem nehmlichen Europa, in dem auch Deutschland liegt? Ein Fluß, über den jeder Hase schwimmt, kann er die Freiheit von der Tyrannei abhalten, oder Sklaven, herüber zu kom¬ men? Unsere deutschen Polizei-Aerzte würden gewal¬ tig zornig werden, wenn sie den Lärm gehört: sie würden sagen, die Regierung sollte nicht dulden, daß man im Theater so die Leidenschaften aufrege. Aber sie irren sich; das besänftigt gerade gereizte Leiden¬ schaft. Ich habe das an mir selbst erfahren. Noch Morgens, da ich mein Journal las und mich wie gewöhnlich über die seelenlose Deputirten-Kammer ärgerte, welche der französischen Jugend gern alles Blut auspumpen möchte, hatte ich den sehnlichsten Wunsch, den hochmüthigen Deutschen Pedanten Ro¬ yer Collard und den Goldfuchs Dupin dafür durch¬ zuprügeln; als ich sie aber am Abend durchklatschen sah, war ich ganz zufrieden, und ich hätte ihnen nichts zu Leide gethan, wenn ich ihnen gleich darauf in einem Salon begegnet wäre. Ich wünschte mir auch unsern Senator aus Soden herbei, der lieber Schweinhirt seyn möchte, als französischer Minister. So einem deutschen Polizei-König muß in London und Paris zu Muthe seyn, wie einem Nordländer in Neapel. Die Freiheit hat wohl ihre rauhen Tage; da sie aber selten sind, ist nicht gesorgt für Kamin und Pelz. Und jetzt spricht der Russe, wäre ich nur zu Hause, da ist es wärmer und besser und der Tölpel macht sich lustig über die schöne Natur im Süden! ... Nach dem Akte, der Napoleons Rückkehr von Elba spielt, fällt ein Vorhang, auf welchem die Stadt Paris in der Vogelperspective gemalt ist, und hoch in der Luft schwebt ein Adler, im Schnabel einen Lorberzweig, in der Klaue die dreifarbige Fahne tragend, und Ruhm und Freiheit nach Frank¬ reich zurückbringend; das ist von unglaublich schöner Wirkung. ... Manchmal waren die Zuschauer auch wie die Kinder. Als auf Helena Hudson Lowe auf¬ trat, wurde er ausgezischt mit einer Bosheit, mit einer Erbitterung, als wäre er der wahre Lowe und nicht ein armer unschuldiger Schauspieler im rothen Rocke. Man sieht Napoleon sterben; Krämpfe, Phantasien, Röcheln, alles nach der medicinischen Natur. Diese widerliche und lächerliche Spital- Scene wird auf allen Theatern dargestellt. Es gibt nichts Sinnloseres ... Nachdem der Kaiser in sei¬ ner letzten Minute gethan, was seine Brüder, die andern Kaiser und Könige, schon gleich bei ihrem Regierungsantritte thun — nehmlich den Geist auf¬ geben, fällt ein Vorhang von schwarzem Flor, wel¬ ches artig und schauerlich war ... Das ganze Or¬ chester erschien in der National-Garde-Uniform, auch befanden sich viele Officiere darunter. Der Kapell¬ meister, der wohl Hauptmann oder Major seyn mochte, trug schwere silberne Epaulettes. Das sah wunderlich aus an seinem Platze und in seiner Be¬ schäftigung. Endlich war das Stück aus und ich satt. Es war ohne dies die zweite Mahlzeit, die am nehm¬ lichen Tage mein Herz genommen. Ich sah vorher eine Reihe panorama-artiger Gemälde, die Schlacht¬ tage im Juli vorstellend. Die Gefechte auf den Boulevards, auf dem Greve-Platze, die Barricaden, das Pflaster-Geschoß, die schwarzen Fahnen und die I . 13 dreifarbigen, die königlichen Soldaten, die abge¬ hauenen Bäume, die Leichen auf der Straße, die Verwundeten und neben ihnen die gutmüthigen Französinnen, die sie laben und verbinden. Man bekommt von Allem eine klare Anschauung, es ist, als wäre man dabei gewesen, und es ist zum Todt¬ weinen! Denn ich habe die Kämpfenden gemustert, ich habe die Leichen betrachtet und gezählt und die Verwundeten — es waren viele junge Leute; die meisten Alten aber gehörten zum sogenannten, so gescholte¬ nen Pöbel, der jung bleibt bis zum Grabe. Einen bejahrten Mann in einem guten Rocke, ich sah kei¬ nen, weder unter den Streitenden, noch unter den Gefallenen. Die Männer in guten Röcken sitzen in der Pairs- und Deputirten-Kammer und halten sich die Nase zu vor den stinkenden Pöbel-Leichen und sagen: wir haben Frankreich gerettet, es gehört uns wie eine gefundene Sache, wie eine Entdeckung, und sie ließen sich ein Patent darüber geben. Und die reichen Leute, die verfluchten Banquiers kamen und sagten: halb part! und haltet uns nur den Pöbel im Zaum, damit die Renten steigen. An diese muß die Rache auch noch kommen. In Basel sind sie jetzt eingesperrt die hochmüthigen Ellenritter. Sie wollen allein regieren, das Landvolk soll gehorchen. Aber das Landvolk kennt seine Rechte und will sie geltend machen und belagert die Stadt. Das ist wie im Frankfurt, wo das Landvolk auch unmündig ist, und weder an der Regierung, noch an der Ge¬ setzgebung Theil hat. Wie gefällt Ihnen der Moskowiter? Sei¬ nem Gesandten nach Warschau gab er ein Zet¬ telchen an die Polen mit, worauf er eigen¬ händig in französischer Sprache und mit Blei¬ stift geschrieben: „Au peuple polonais; soumis¬ sion ou la mort ! Nicolas.“ O, was ist Gott für ein Phlegmatikus! Aber ich bin selbst nicht besser. Diesen Morgen las ich etwas von der neuen hessischen Constitution. Und sehen Sie es dem Briefe an? Ist er zerknittert? naß von Thrä¬ nen der Wuth? habe ich Komma, Punktum ver¬ gessen? O blödes Vieh! nicht einem Ochsen würde man so etwas weiß machen! Ein Ochs ist dumm, aber er ist eigensinnig und hat Hörner. Schafe sind wir, arme, geschorne, zerfetzte Schafe.... Daß die Deutschen ihren Fürsten und Sängerinnen die Pferde ausspannen, fällt mir nicht auf. Sind sie besser als Pferde? Sie werden sehen, die guten Hessen ziehen auch noch die Gräfin Reichenbach von Frankfurt bis nach Cassel. Eine solche Constitution, wie man den Hessen gegeben, hätten sich die Pferde 13* nicht gefallen lassen. Mit den guten Deutschen wird noch schlimmer verfahren als mit dem Heiland. Dieser mußte zwar auch das Kreuz selbst tragen, woran man ihn gepeinigt: aber es selbst auch zim¬ mern, wenigstens das mußte er nicht. Ich kann in Paris Französisch lernen; aber, guter Gott! wie lerne ich Deutsch vergessen? Der Mensch hat über¬ haupt viel Deutsches an sich. Heute las ich: in England hat die französische Regierung 500,000 Flinten bestellt, die russische 600,000, die preußische 900,000. Werden damit anderthalb Millionen Mör¬ der bewaffnet, die, drei bis vier Fürsten einen Spaß zu machen, sich wechselseitig die Eingeweide aus dem Leibe reißen. Diese Flinten kosten 38 Millionen Franken, und die närrischen Völker dürfen nicht eher sterben, als bis sie ihre eignen Leichenkosten voraus¬ bezahlt! Ich möchte diesen Sommer in einem stillen Thale wohnen, aber so still, so heimlich, so abge¬ legen, daß kein Mensch, keine Zeitung hinkommt, und im October wieder hinaustreten in die Welt und sehen, wie es aussieht. Vielleicht würde ich da nicht mehr erkennen, ob ich im Monde oder auf der Erde bin. Es hat sich eine Zahl Damen vereinigt, wor¬ unter auch die Königin, und haben Handarbeiten ver¬ fertigt, die zum Besten der Armen ausgespielt wer¬ den. Ich habe auch einen Zettel, und wenn Sie glücklich sind, bekommen Sie vielleicht eine Arbeit von der Königin Hand. Der Postwagen, der diese allerhöchste Arbeit nach Frankfurt brächte, würde sicher von Kehl nach Frankfurt vom Volke gezogen werden, erführe es davon. Verharre voll Gift und Galle Ihr ganz Ergebenster. Sechs und zwanzigster Brief. Paris, den 16. Januar 1831. Lachen Sie mich aus! Ich bin gar nicht libe¬ ral mehr, sondern seit gestern Abend ein vollständi¬ ger Narr und lachender Gutheißer. Was gehet mich die Noth der Menschen an, wenn ich froh bin? Was ihre Dummheit, wenn ich selbst klug bin und das Leben genieße! Mögen sie weinen, wenn es singt um mich herum. Ich habe bei den Italienern Rossini's Barbier gehört, und darin Lablache als Figaro, die Malibran als Rosine. Und schlimmer als gehört auch gesehen. Ich war entzückt und bin es noch, daß ich mich todt schämen sollte. Stunde auf Stunde, diese so bittern Pillen unserer Zeit schluckte ich fröhlich hinunter, so vergoldet waren sie mir. Ich dachte nicht mehr an die hessische Con¬ stitution und ließe jede fünf gerade seyn, würde die Lüge immer so gesungen. Welch ein Gesang! Welch ein Spiel! Figaro in den besten Jahren — die Weiber zum Besten zu haben, und dick. Ich weiß nicht, ob Lablache so ist von Natur oder ob er sich durch Kunst so gemacht. Aber gewiß, mit dieser Gestalt muß sich ein Figaro ausstatten. Ja nicht flink, ja nicht jung, sich ja nicht zu schön gemacht, wie es alle die Andern waren, die ich noch gesehen. Wie ist es möglich fröhlich zu seyn, so lange man den Weibern gefährlich ist? Wer Ruhe stören kann, dem kann man sie auch stören. Das Fett der gu¬ ten Laune umgab diesen Figaro von allen Seiten, beschützte ihn, und ließ keine feindliche Minute durch. Sie hätten den Spitzbuben sehen sollen mit seinen Augen! Er hätte bis auf die Augen das ganze Ge¬ sicht verhüllen, er hätte kein Glied zu bewegen brau¬ chen, und man hätte ihn doch verstanden. Wenn er Rosinen, den Grafen, den Alten ansah, wußte man vorher, was diese sagen würden: man erkannte es aus Figaro's Gesicht, der sie durchschaute und uns sein Errathen errathen ließ. Welch unvergleichliche Mimik! Seine Worte waren eigentlich nur die Vo¬ kale, zu welchen seine Bewegungen die Consonanten fügten. Und der Gesang! Schnell, leicht und glänzend wie Seifenblasen, stiegen ihm die Töne aus der Brust. Und Rosine! — ich bin verliebt, verliebt, verliebt: Schön ist sie gar nicht, bis auf die Augen. Aber diese wonnesüße Schelmerei, dieses zaubervolle Lächeln, das man trinkt und trinkt und nie berauscht wird; und so ohne alle Tücke, man siehet es, sie will ihren alten Vormund einen Tag betrügen, nur um ihn nicht Jahre lang betrügen zu müssen; so ohne alles Streben zu gefallen! Kein Hauch von Koketterie an der Malibran. Wäre es aber doch, käme ihr Zauberlächeln nicht aus der Seele, — dann seid ihr Weiber fürchterliche Ge¬ schöpfe. Ihr Gesang! Er kam aus dem Herzen des Herzens. Ich mußte mich daran erinnnern , ge¬ recht zu seyn, um mich zu erinnern, daß die Sontag eben so schön gesungen. Ich will Kenner fragen, die Beide gehört. Aber das will ich verbürgen: die Sontag singt schön, weil sie gefallen will, und die Malibran gefällt, weil sie schön singt. ... Ich werde sparen, und reicht das nicht hin, werde ich stehlen, und reicht das nicht hin, werde ich rauben, und reicht das nicht hin, werde ich in die Didaskalia schreiben; aber ich versäume die Malibran nicht mehr, so lange ich hier bin. Zwölf Franken kostet mich mein Platz, den vornächsten zu ihr, den man haben kann. Ehe ich die Malibran gehört, ahndete ich gar nicht, daß ein musikalischer Vortrag auch genia¬ lisch seyn könne; ich dachte der Gesang stände im Dienste der Composition, und wie der Herr so der Diener. Aber nein. Aus der Spielerei Rossinischer Musik machte die Malibran etwas sehr Ernstes, sehr Würdiges. Dem schönen Körper gibt sie auch eine schöne Seele. Von ihr habe ich begreifen lernen, wie es möglich war, daß einst der Schauspieler Gar¬ rick das ABC so deklamirte, daß alle Zuhörer wei¬ nen mußten ..... Lablache mußte ich bewundern wegen seiner Mäßigung in seiner Kraft. Wie kann man nur eine Stimme, die so große Gewalt hat, so meistern, wie man will? Es stürmt aus seiner Brust, und er sagt jeder Tonwelle: so hoch und nicht höher. Gleiche Mäßigung in seinem Spiele, und wie schwer das in dieser leichtsinnigen Rolle! Es ist wie ein Eiertanz. Er bewegt sich im klein¬ sten Raume, kühn zwischen zarten, leicht verletz¬ lichen Verhältnissen, berührt sie alle und verletzt Keines. — Unter allen Späßen dieser spaßhaften Zeit gefällt mir keiner besser, als der, den die National¬ versammlung in Brüssel mit der europäischen Diplo¬ matik treibt. Alles, was die Herren Diplomatiker über die belgische Angelegenheit in ihrem Schlafzim¬ mer oder in ihren Rathsstuben gesprochen, versprochen, gelogen, geheuchelt, geleugnet oder eingestanden, ver¬ sagt oder bewilligt, wird von jenen dummen Bür¬ gersleuten öffentlich vor allem Volke mitgetheilt. Vergebens schreien die diplomatischen Köche: wartet ins Teufels Namen, bis das Essen gar ist! Die Belgier erwiedern: wir wollen nicht warten bis die Suppe verbrannt, das Essen ist uns gar genug und wir haben Hunger. Die Diplomatiker sind in Ver¬ zweiflung darüber. Stellen Sie sich vor, in welche Wuth Janchen von Amsterdam käme, wenn auf der Frankfurter Messe, in jedem Bier- und Wein¬ hause Einer hinter ihm stände und den anstaunenden Zuschauern erklärte, wie man ein zerschnittenes Band wieder ganz mache, eine Karte verändere, eine kleine Muskatnuß in einen großen Federball verwandele, und wie das Alles so natürlich zuginge! Er würde jammern, daß man ihn um Brod und Ansehen bringe. So ist es hier. Es ist zum Todtlachen, sie wissen sich vor Angst nicht mehr zu helfen. Ich erinnere mich, in welchen Zorn es die Diplomatiker versetzt, als vor sieben Jahren, während der spanischen Re¬ volution, der damalige Minister der auswärtigen Angelegenheiten in Spanien, über einen diplomatischen Gegenstand einen aufrichtigen und verständ¬ lichen Brief drucken ließ. Sie hatten schon, wenn auch mit saurem Gesichte, die ganze Revolution ver¬ schluckt; aber diesen Brief — das konnten sie nicht hinunter bringen. Göttliche Leute sind die Belgier! O dahin muß es kommen: die Kellerlöcher der Di¬ plomatik müssen geöffnet werden, und dann erst wird es frisch und hell im ganzen Hause seyn. Die Ga¬ zette hier, die über jene Unverschämtheit des belgi¬ schen Congresses auf ihre Art spricht und lästert, endigt mit den Worten: „tout cela prouve com¬ bien une nation est petite quand elle n'a pas de Roi!“ Ich bin wahrhaft erschrocken, wie ich das gelesen habe. Wie ist es möglich, dachte ich, daß zwei Menschen, von welchen nicht wenigstens Einer im Tollhaus sitzt, so verschiedene Meinungen haben können? Wer von uns ist verrückt, die Ga¬ zette mit den Ihrigen, oder ich mit den Meinigen? Montag, den 17. Januar. Haben Sie es gelesen, daß die Stunde in Cassel gleich damit angefangen, den Churfürsten um seine allergnädigste Erlaubniß zu bitten, daß ihm sein getreues Volk eine Statue errichten dürfe? Haben Sie es denn wirklich auch gelesen, und hat mir das nicht ein neckischer Geist auf einem Zeitungsblatte vorgegaukelt? Nein, daß sich die Freiheit in Deutsch¬ land so schnell entwickeln würde, das hätte ich nie gedacht! Ich hatte den guten Leuten doch Unrecht gethan. Wenn das so rasch fortgehet, werden wir in drei Wochen den vereinigten Staaten nichts mehr zu beneiden haben. In Hannover haben sie sich auch erhoben. Das wird dem armen Lande wieder sechs Schimmel, einen schönen Wagen und eine Statue kosten. Hätten sie nicht gleich damit anfangen können, dem Herzog von Cambridge die Pferde auszuspan¬ nen und als Vice-Schimmel seinen Wagen zu ziehen? Was brauchen sie erst vorher eine Revolution zu machen? Ist aber ein treuer Gimpel der Deutsche! Man kann ohne Sorge den Käfig offen lassen, der Vogel fliegt nicht fort. ... Haben Sie auch ge¬ lesen, daß der König von Baiern seinen Soldaten, welche in seine Bürger eingehauen, einen dreitägigen Sold geschenkt? Ich verstehe nicht mehr. Sie schü¬ ren das Feuer und ihr eigenes Haus brennt; sie gießen Oel in die Wunde und es ist ihr eigener Schmerz! Ich verliere mich darin. Dienstag, den 18. Januar. — Was ich von der hannövrischen Revolution erwarte, habe ich Ihnen schon oben geschrieben. Wenn freilich das englische Ministerium selbst die Sache angestiftet hat, so ändert das die Verhältnisse — aber auch nur etwas, aber nicht viel. Doch kann ich mich hierin irren. Von dem hannövrischen Volke selbst, wenn es sich allein, ohne geheime An¬ regung von London erhoben, erwarte ich nicht viel. Hat doch die neue Regierung in Göttingen in ihrer Proclamation auf die Freiheit von Hessen angespielt! Diese Constitution schwebt ihren Wünschen als Ideal vor, und sie ist doch die unverschämteste Betrügerin, die man sich nur ersinnen kann. Es wäre ein Mei¬ sterstreich von Politik, wenn das englische Ministerium dem Königreiche Hannover eine wahre vollkommene Freiheit gäbe. Es würde dadurch diesen kleinen Staat zum mächtigsten in ganz Deutschland erheben. Dann könnte England, Preußen und Oesterreich trotzen, wenn diese ihm einmal den Krieg erklärten — ein Fall, der leicht und bald eintreten kann. Ist dieses so, dann müßte das englische Ministerium na¬ türlich im Geheimen agiren, und das hannövrische Volk gegen den Adel in Bewegung setzen, der, eigen¬ sinnig und hochmüthig, wie er dort ist, die Emanci¬ pation des Bürgerstandes nie bewilligt hätte. Im heutigen Temps steht eine ausführliche und richtige Erzählung von den Göttinger Vorfällen. Sie müssen sich das Blatt zu verschaffen suchen, denn in deut¬ schen Zeitungen werden die Vorfälle natürlich ent¬ stellt werden. Ein Göttinger Bürger, der die Schlachtsteuer zu bezahlen verweigert, soll die erste Anregung zum Aufstande gegeben haben. Diese Schlachtsteuer wird im Temps zu meiner großen Belustigung Schlacrstener genannt. Mittwoch, den 19. Januar. — Die Nachricht, die Sie mir gestern gege¬ ben, daß das englische Ministerium selbst die Revo¬ lution in Hannover angestiftet, habe ich auf der Stelle nebst einigen Bemerkungen in die Zeitungen setzen lassen, und sie steht gestern im Messager. Wahr oder nicht, man muß die Spitzbuben hinter einander hetzen. Es ist aber doch schön, daß man hier alles gleich in die Zeitung bringen kann, und die Redacteurs küssen einem für jede Nachricht die Hände, und für jede Lüge die Füße. Was mich ge¬ gen die deutsche Censur am meisten aufbringt, ist nicht, daß sie das Bekanntwerden der Wahrheit verhindert — diese macht sich früher oder später doch Luft — sondern daß sie die Lüge unterdrückt, die nur einen armen kurzen Tag zu leben hat, und einmal todt, vergessen ist. Am interessantesten, und merken Sie sich das, sind die hiesigen Blätter immer am Mon¬ tage; denn da Sonntag keine Kammersitzung ist, bleibt den Tag darauf den Zeitungen kein anderes Mittel, ihre Seiten zu füllen, als so viel Lügen als möglich herbei zu schaffen. Wie angenehm beschäf¬ tigt das die Einbildungskraft. Und was liegt daran! Was heißt Lüge? Kann Einer in unsern Tagen etwas ersinnen, was nicht den Tag darauf wahr werden kann! Es gibt in der Politik nur eine mög¬ liche Lüge: Der deutsche Bund hat die Pre߬ freiheit beschlossen . — Also *** hat sich gescheut nach Pesth zu gehen, und schon in Ungarn fürchtet man die Cho¬ lera morbus ? In Gallizien, drei Tagereisen von Wien, und in Russich-Polen ist sie nach bestimmten Nachrichten auch schon ausgebrochen. Mir macht das sehr bange. Nicht wegen der sinnlichen Schrek¬ ken, welche die Pest begleiten — das ist ein Schrek¬ ken, der sich selbst verzehrt, das ist zu furchtbar, um sich lange davor zu fürchten — aber die ver¬ derblichen Folgen! Die Lähmung des Geistes, welche im Volke nach jeder Pest zurück bleibt! Das kann alten Frost zurück führen, und die Freiheit, die noch auf dem Felde steht, zu Grunde richten. In solchen Zeiten der Bedrängniß braucht man Gott und ruft ihn an, und da kommen gleich die Fürsten und mel¬ den sich als dessen Stellvertreter. Was kein Kaiser von Rußland, kein Teufel verhindern könnte, das kann die Pest verhindern. Dann kommen die Pfaf¬ fen und verkündigen Gottes Strafgericht. Dann lassen die Regierungen fort und fort im ganzen Lande räuchern, um Nebel zu machen überall. Strenge Gesetze sind dann nöthig und heilsam. Die Pest geht vorüber, die Strenge bleibt. Bis das er¬ schrockene Volk wieder zur Besinnung kommt, sind I. 14 die alten Fesseln neu genietet, die Krankenstube bleibt nach der Genesung das Gefängniß, und zwanzig Jahre Freiheit gehen darüber verloren. Hessische Constitution, Schimmel, Kosacken, Bundes-Versamm¬ lung, Censur, was Gott will, nur keine Cholera morbus. — Es ist köstlich mit der Hanauer Zeitung: Gnädigste Freiheit , statt gnädigste Erlaub¬ niß ! Ich wollte, der allergnädigste Teufel holte sie aufs allergeschwindeste Alle mit einander. Il faut tous lier, juges et plaideurs . Sieben und zwanzigster Brief. Paris, Donnerstag, den 20. Januar 1831. Gestern las ich zu meinem Erstaunen in der Allgemeinen Zeitung: der geniale Schriftsteller Heine, von dem es früher hieß, er würde eine Professur der Geschichte auf einer preußischen Universität erhal¬ ten, bleibt in Hamburg, wo man ihm das erste er¬ ledigte Syndikat zugedacht. Heine Syndikus? Was sagen Sie dazu? Heine Professor? Aber es ist gar nicht unmöglich. In dieser gefährlichen Zeit durfte man wohl daran denken, die Genies in ein Amt oder in eine Professur zu sperren. Aber ein Narr, wer sich fangen läßt. Ich habe Grimms Correspondance littéraire zu lesen angefangen, die durch vierzig Jahre gehet. Ich bin noch nicht weit hinein, hoffe aber es ganz durchzulesen. Das Buch hat zwölf Bände, und ist 14* noch nicht fertig. Man lernt viel daraus, und wird an Vieles erinnert. Paris war damals die Küche, worin die Revolution gekocht wurde. Da siehet man noch die ursprünglichen Bestandtheile der Mahlzeit, das rohe Fleisch, gerupfte Vögel, Salz, Gewürz und die Schweinerei der Köche. Aus dem saubern Mischmasch später ist nicht mehr klug zu werden. Grimm zeigt Verstand genug, aber gar keinen Geist, und nicht so viel Wärme, daß man eine feuchte Adresse daran trocknen könnte. Dieser Mensch war mir immer unleidlich; er hat eine geräucherte Seele. Welch ein guter Gimpel mußte Rousseau seyn, daß er, ob zwar älter als Grimm, diesen Menschen nicht durchschauete, und eine Zeitlang mit ihm in Ver¬ traulichkeit lebte! Nie standen zwei Seelen so weit aus einander, und die Natur scheint Rousseau und Grimm gleichzeitig geschaffen zu haben, um darzu¬ thun, welche verschiedenartige Talente sie hat. Merk¬ würdig bleibt es immer, daß so ein deutscher blöder Pfarrerssohn, der im gepuderten Leipzig studirt hatte, sich unter den kühnen und glänzenden Geistern des damaligen Paris bemerkt machen, ja sich auszeichnen konnte! Das kam aber daher: der deutsche Junge war Hofmeister in adeligen Häusern, wo man das Einmaleins, das unserm Glücke oft im Wege stehet, leicht verlernet. Es macht dem deutschen Adel Ehre, daß Grimm unter den französischen Spitzbuben so schnell bis zu einem der Hauptmänner hinaufstieg. Er begriff leicht, daß alles darauf ankomme, die Weiber zu gewinnen, und es gelang ihm mit einem Streiche. Er stellte sich in eine schöne Schauspie¬ lerin verliebt, die ihn abwies. Grimm legt sich ins Bett und bekommt eine Art Starrkrampf. Er be¬ wegt sich nicht, spricht nicht, ißt und trinkt nichts, außer wenige eingemachte Kirschen, die er aber mit nicht ganz unsichtbarem Vergnügen herunter schluckt. Seine besorgten Freunde, worunter auch Rousseau, umgeben sein Bett. Einer derselben beobachtete ängstlich die Miene des Arztes, wie man es in sol¬ chen Fällen gewöhnlich thut. Der Arzt sagt, es hätte nichts zu bedeuten, und man sah in lächeln, als er wegging. Eines Morgens stand Grimm auf, kleidete sich an, und war gesund. Jetzt war sein Glück gemacht. Er wurde als das Muster treuer Liebe gepriesen. Seine Correspondenz machte ihn reich, er stand mit einem Dutzend nordischer Fürsten und Fürstinnen in Briefwechsel, die sich die Früchte des französischen Geistes, wie Apfelsinen, kommen und schmecken ließen. Er bekam einen großen Gehalt dafür. Uebrigens machte er auch noch für Privat¬ leute Abschriften von den literarischen Berichten, für ein Abonnement von 300 Fr. monatlich. Zweimal monatlich, den 1. und den 15., schrieb er solche Briefe, die gewöhnlich keinen Druckbogen groß sind. Viel Geld für wenig Arbeit. Ich wollte, es fände sich auch ein dummer Prinz oder eine kluge Prin¬ zessin, die mich auf solche Weise beschäftigte und be¬ zahlte. Ich beneide den Grimm um diese Stellung. Was haben wir armen Teufel heute von allem un¬ sern Schriftstellern? Den besten Theil verschlingen die Grundsteuern und Zehenten der Censur vorweg, und für das Uebrige wenig Geld und späten Beifall, der uns kalt und abgestanden zukommt. Grimm war auch eine Zeitlang Frankfurter Gesandte mit 24,000 Franken Gehalt. Die kindische Regierung hier hat wieder ein großes Stück Freiheit abgebissen; denn sie kommt mir vor, wie ein Kind, das einen Apfel in der Hand trägt, den es sich vorgenommen, auf später zu verwahren. Erst leckt es daran, seine Enthaltsamkeit zu prüfen; dann schält es ihn etwas dick mit den Zähnen; dann beißt es tiefer hinein, dann ißt es ein herzhaftes Stück herunter und endlich bleibt vom ganzen Apfel nichts mehr übrig. Nach der Revolu¬ tion hat sich das Volk auch die Theater-Freiheit ge¬ nommen. Die Regierung sah dieses als eine Sache an, die sich von selbst verstände. Nun ist es seitdem geschehen, daß die Theater-Directionen die Freiheit, so viel Geld als möglich zu verdienen, als die beste angesehen haben. Um die Leute anzulocken, spielen sie die Geschichten gleichzeitiger Personen. Napoleon, Josephine, Robespierre, Lavalette, der Herzog von Orleans, Benjamin Constant, sie mußten alle auf die Bretter. Das war nun freilich oft unanständig. Allein, wenn das Gesetz sogar Unanständigkeiten ver¬ bietet und bestraft, was bleibt dann der Sittlichkeit und der Moral übrig? Uebrigens hatte Jeder, der sich selbst durch jene Theater-Injurien, oder einen Angehörigen seiner Familie, oder das Andenken eines Verstorbenen verletzt fühlte, Mittel genug, bei den Gerichten Hülfe zu suchen und die Regierung brauchte sich nicht hinein zu mischen. Auch wären nach einem Vierteljahre diese albernen Wachsfiguren-Komödien wieder außer Mode gekommen. Aber die Regierung benutzte das, um eine Gewalt mehr zu erwerben. Jetzt haben die Minister ein Gesetz vorgelegt, diese Freiheit zu beschränken. Zwar haben sie nicht ge¬ wagt die Theater-Censur wieder einzuführen, doch sind sie dem heißen Brei so nahe als möglich ge¬ kommen. Wer ein neues Stück spielen läßt, muß es vierzehn Tage vor der Aufführung dem Minister oder dem Präfekten vorlegen. Verboten kann zwar die Aufführung auf keine Weise werden; wird es aber aufgeführt und es kommen Beleidigungen darin vor (und jetzt wird die endlose Reihe der Vergehun¬ gen aufgezählt: gegen den König, gegen die Kammer, gegen fremde Fürsten, gegen Privatpersonen), dann treten die Strafen ein. Bis zu fünf Jahre Ge¬ fängniß, bis zu 10,000 Franken Geldstrafe. Kurz, es ist die Leute zu Grunde zu richten. Nachgeahmt oder auch nur kenntlich bezeichnet, darf Niemand mehr werden auf dem Theater. Es ist zum Ver¬ zweifeln. Und jetzt gibt es dumme gute Leute ge¬ nug, hier wie bei uns, die gar nicht begreifen, was denn an einem so löblichen Gesetze zu tadeln sei. Diese Menschen sehen nicht ein, daß solche hemmen¬ den Gesetze den Faschinen gleichen. Anfänglich fließt das Wasser frei durch, aber nach und nach führen Zeit und Arbeit so viel Sand und Erde herbei, daß endlich ein fester Damm daraus wird. Und jetzt wird noch die Kammer kommen, die sich darüber är¬ gert, daß sie alle Tage im Odeon ausgeklatscht wird, und wird das Gesetz noch strenger machen. So wird eine Freiheit nach der andern zurückgedrängt, und ich glaube, daß bei unsern Machthabern viel Eitelkeit, ja mehr als böser Wille dabei im Spiele ist. Die Regierung, von bürgerlicher Abstammnng heraufgekommen, wie sie ist, will zeigen, daß sie so gut zu regieren verstehet, als die älteste Regierung, und daß sie das Volk im Zaum zu halten weiß. Die fremden Gesandten mögen wohl in freundschaft¬ licher Unterhaltung die Minister necken, sie ständen unter der Zucht des Volks. Diesen wird dadurch der Ehrgeiz aufgeregt, sie stellen sich auf die Fu߬ spitze, und zeigen ihre Größe. Die fremden Höfe lassen gewiß nicht ab, die französische Regierung auf¬ zumuntern, strenge Ordnung im Lande zu erhalten. Nicht etwa als nennten sie das strenge Ordnung, womit hier die Regierung sich bis jetzt begnügte, und über die hinaus sie wahrscheinlich auch nicht ge¬ hen will — in den Augen jener Höfe ist das im¬ mer noch die greulichste Anarchie; — sondern weil sie hofft, das französische Volk werde sich das ewige Hofmeistern nicht gefallen lassen, und es würde end¬ lich die Geduld verlieren und wieder losbrechen. Freitag, den 21. Januar. Gestern war ich im italienischen Theater und habe die Malibran wieder gesehen. Aber entzückt wie das vorige Mal im Barbier war ich nicht, was aber gar nicht unsere Schuld ist, denn wir hatten gewiß beide den besten Willen. Cenerentola von Rossini wurde gegegeben . Musik bis auf einige Stücke, besonders ein herrliches Sextett, sehr matt und leer; das Gedicht langweilig, schwerfällig. Keine Spur von der Grazie und der Laune, die im Aschen¬ brödel von Nicolo und Etienne herrschen. Die Ma¬ libran sang und spielte zwar gut, aber es war keine Rosine. Lablache spielte den Hofmann, welcher beide Schwestern den Prinzen vorstellt. Es ist merkwür¬ dig was dieser Mann spielt, merkwürdiger was er nicht spielt. Eine solche Entsagung ist mir noch bei keinem Schauspieler vorgekommen. Seinen Ge¬ sang bewundere ich immer mehr und mehr. Alle andere Sänger, die ich noch gehört, selbst die gött¬ liche Malibran — es bleibt doch immer ein Instru¬ ment, das sie spielen. Sie und die Töne sind ge¬ trennt, sie bringen sie hervor. Lablache aber ist eins mit seinem Gesange, er ist wie eine Singuhr, die einmal aufgezogen, von selbst fortsingt. Den Abend hörte ich auch zum Erstenmale zwei andere vortreffliche Sänger, Donzelli und Zuchelli . Ich sage zum Erstenmal , ob zwar der eine im Barbier den Gra¬ fen, der Andere den Bartholo machte. Aber ich hörte sie damals nicht über die Malibran. Zuchelli, der hochmüthige Vater der eitlen Töchter, hat ein komisches Duett mit Lablache, das Einen, der unter dem chirurgischen Messer schmachtet, zum Lachen bringen müßte. Welch ein Leben, welch ein hohes Mienenspiel, was wird da nicht alles eingesetzt! Ich hätte nicht geglaubt, daß das Menschengesicht so reich an Zügen wäre. So ein italienischer Bouffon ist doch ganz anders, wie ein deutscher oder französi¬ scher. Letztere, selbst in ihrer ausgelassensten Laune, auch wenn sie sich der Fröhlichkeit noch so keck und unbedacht hingeben, verrathen doch eine versteckte Aengstlichkeit. Es ist als hätten sie ein böses Ge¬ wissen, als fühlten sie, daß sie etwas Unrechtes, et¬ was Unschickliches begingen, indem sie so fröhlich sind. Der Italiener aber hat den ächten katholischen Glauben, er sündigt getrost fort und verläßt sich auf die Absolution. Ich habe *** gefragt, wie sich die Sontag zur Malibran verhalte? Er sagte mir: Man dürfe die Sontag gar nicht nach dem beurthei¬ len, was sie war, ehe sie nach Frankreich gekom¬ men; sie habe sich in Paris ungemein entwickelt und ausgebildet. Es ist schade, daß sie nicht alle ihre deutschen Bewunderer mit sich hieher geführt, damit sie auch etwas lernen. Die Sontag war mir ganz zuwider, wegen der mir verhaßten Anbetung, die sie in Deutschland gefunden hat. Dort haben sie eine hohe Obrigkeit aus ihr gemacht, und man weiß doch, was das heißt — eine hohe Obrigkeit ist dem Deutschen eine höchste Gottheit. Hier ist das ganz anders. Sie haben es früher selbst gesehen, welcher Aufregung die Franzosen im Theater fähig sind. Es ist nicht blos wie bei den Deutschen ein Toben mit dem Körper, ein Klatschen, ein Schreien, es ist ein inneres Kochen, ein Seelensturm, der nicht mehr zurückgehalten werden kann, und endlich losbricht. Aber wenn der Vorhang fällt, ist alles aus. Man verehrt keine Sängerin wie eine Königin, man betet sie nicht wie eine Heilige an. In keiner Gesellschaft hier werden Sie je vom Theater sprechen hören, in Berlin nie ein Wort von etwas Anderm. — Die italienische Oper hier mögen viele Kenner, wenigstens viele geübte Dilettanten besuchen. Man merkt die¬ ses bei der Aufführung bald an der Sicherheit und Bestimmtheit des Urtheils. Manchmal brach ein Beifallsgemurmel aus, manchmal that sich ein ta¬ delndes Stillschweigen kund, ohne daß ich entdeckte, was die Veranlassung zu diesem und jenem war. Und diese entscheidenden Kenner schienen mir sehr streng zu seyn. Im Orchester (was man hier so nennt, die ersten Reihen der Parterre-Sitze) bemerkte ich einige musikalische Grauköpfe, die gewohnt da saßen, als wären sie in ihrem Schlafzimmer. Sie horchten ernst und streng auf, als wären sie Ge¬ schworne bei den Assisen. Sie kamen mir wie In¬ validen vor, die noch den musikalischen Krieg zwi¬ schen den Italienern und Franzosen mitgemacht. Jene ganze Zeit, Rousseau schwebte mir vor, ich sah nach der Ecke der Königin ! und in dem Sturme jener Zeit, der in meiner Erinnerung lebte, ging mir eine ganze Arie zu Grunde. Mit Niebuhr mag es sich wirklich so verhalten, wie die preußische Staats-Zeitung erzählt. Das hat aber die preußische Staats-Zeitung weislich ver¬ schwiegen, daß Niebuhrs Gram daher floß, weil er die Gefahren voraussah, welchem der preußische Staat entgegen eile. Die Wahnsinnigen in Deutsch¬ land — sie eilen dem Abgrunde entgegen. Schon vor einigen Monaten erzählte mir ein Bekannter hier, der entweder selbst mit Niebuhr, oder doch mit des¬ sen vertrauten Freunden in Verbindung stehet: dieser gelehrte Mann wäre seit der französischen Revolu¬ tion in brütenden Gram versunken und ganz aus dem Häuschen . Aber eine Seele, die in einem Häuschen wohnte, die konnte nicht sehr groß seyn. Heute Abend auf den Ball. Ich erwarte den Fri¬ seur. Ich lasse mich à la Franz Moor frisiren. Der Ball wird so glänzend wie der im vorigen Jahre. Ich werde Ihnen alles genau beschreiben. — In Hessen gehet es gut. Vorwärts, Kinder! die Göttinger Bibliothek verbrennen! Es ist ein erha¬ bener Gedanke! Das hat Gott herabgerufen! Eine halbe Million Bücher weniger, das kann die Deut¬ schen weiser machen! Es lebe die Freiheit! Acht und zwanzigster Brief . Paris, den 24. Januar 1831. Sie warten gewiß schon diese vier Tage lang auf eine herrliche Beschreibung des Opernballes; aber kehren Sie nur gleich um. Ich weiß von dem Balle nicht mehr, als jeder Fürst von seinem Lande; denn ich habe ihn nur von oben herab gesehen. Nun, ich bin da gewesen, und — bin noch da . Das ist das Wunder! Der Ball scheint nur eingerichtet worden zu seyn, um zu zeigen, wie wenig Raum und Luft ein Mensch braucht um zu leben. Das nennen sie ein Vergnügen! Wenn ich einmal einen Criminal-Codex mache, würde ich die schweren Ver¬ brecher verurtheilen, dreißig Nächte hinter einander auf solchen Bällen zuzubringen. Nach den besten medicinischen und chirurgischen Handbüchern hätten von den Anwesenden 7000 Menschen 2000 ersticken, 2000 erdrückt werden und die drei übrigen Tausend mehr oder weniger krank werden müssen. Doch von dem allen ist nichts geschehen, und die 7000 leben sämmtlich noch. Von den Weibern begreife ich das; die erhält auf jedem Balle die Religion, der Märtyrerglaube, der den Körper ganz unempfindlich macht und wie vernichtet. Aber wie hielten es die Männer aus? Es hatte keiner mehr Platz und Luft als in einem Sarge. Die Franzosen müssen mit Springfedern gefüttern seyn. Aber es ist wahr, der Anblick war herrlich, bezaubernd, es war ein Mähr¬ chen aus Tausend und eine Nacht. Dieser sonnen¬ helle Lichterglanz, dieses strahlende Farbengemisch von Gold, Silber und Seide, von Weibern, Kry¬ stall und Blumen, und das Alles mit so viel Sinn und Kunst angeordnet, daß es das Auge erquickte und nicht blendete, und die Musik dazwischen, wie hinein gestickt in den großen Teppich, eins damit — es war zu schön. Das Parterre verlängert durch die Bühne, hatte Reihen von Bänken, auf welchen die Damen saßen, oder hinter Balustraden an den Wänden herum. Zwischen schmalen Gassen bewegten sich die dunkeln Männer, oder (sollte ich sagen) zog der Mann ; denn sie waren alle wie zusammen¬ gewachsen. Und jetzt vom Boden an aufwärts, saßen die Frauenzimmer in ungeheuren Kreisen im¬ mer höher übereinander, in den Logenreihen, bis hin¬ auf zur Decke, wo sonst nur das letzte Volk sitzt. Die einzelnen Bewegungen waren unerkennbar, der Mensch verlor sich in eine Sache, das Leben ward zum Gemälde. Aus der Mittelreihe der Logen sah ich hinab, hinauf, umher, aber der Anblick von unten vom Hintergrunde des Theaters zumal, muß noch viel schöner gewesen seyn. Ich konnte nicht hinein dringen, und mich, wie die Andern hinein drängen zu lassen, das wagte ich nicht. Der große Foyer der Oper war gleich herrlich wie das Theater selbst beleuchtet und ausgeschmückt. Da wurde auch ge¬ tanzt. Da sammelte sich alles, was Theater und Logen nicht fassen konnten, und was überströmte. Corridor und Treppen, sonst uur bestimmt durch zu gehen, hinauf und hinab zu steigen, dienten zum blei¬ benden Aufenthalte und waren so gedrängt voll Men¬ schen wie der Saal selbst. Unten beim Eingange wurde man von einem Musikchore empfangen; die Treppen waren mit gro¬ ßen Spiegeln und Blumen geschmückt, der Boden mit Teppichen belegt. Durch zwei Reihen National-Gar¬ disten stieg man hinauf. An mehreren Orten waren Büffets eingerichtet. Erfrischungen aller Art im reich¬ I . 15 sten Ueberflusse. Das kostete nichts, das war mit dem Billet zugleich bezahlt. Königliche Diener ser¬ virten auf dem Silbergeschirre des Königs. Am Büf¬ fet unterhielt ich mich sehr. Da stand ich oft und lange; nicht um zu genießen, sondern in den reinsten Absichten, nehmlich um reine Luft einzuathmen. Von den Büffets führten offenstehende Thüren zu zwei Balkons nach der Straße, die nur mit Zelttuch be¬ deckt waren, und zur Küche dienten. Da und nur da allein im ganzen Hause, konnte man frei athmen. Das Schauspiel bei den Büffets war auch ohne dies ergötzlich. Es ist doch etwas Erhabenes, eine so große Menschenmenge essen und trinken zu sehen! Hohe Berge von Kuchen, Torten, Confitüren, Früch¬ ten; Ströme von Limonade, Himbeersaft, Orgeade; ganze Schollen von Eis — das war in einer Mi¬ nute wie verschwunden, man wußte nicht wo es hin¬ gekommen, es war wie eine Taschenspielerei. Augen¬ blicklich wurde alles wieder ersetzt, erneuert und augenblicklich war alles wieder verschwunden, und so immer fort, und alles in den kleinen Mund hinein! Ich sah, wie ein Offizier der Nationalgarde seinen kriegerischen Muth zeigte, indem er seinen Säbel zog, und damit eine ungeheure Torte zusammen hieb. Er hörte nicht eher auf mit hauen und verschlingen, bis er das Gebiet seines Körpers erweitert hatte. Das nennt aber ein Franzose nicht erobern, sondern seine natürliche Grenze wieder bekommen. Und so werden sie nächstens das süße Belgien anschneiden, und den Rhein austrinken wie ein Glas Limonade. Sehr bald! nous n'aimons pas la guerre, mais nous ne la craignons pas — Das heißt: wir lieben den Krieg, aber bis jetzt haben wir ihn gefürchtet, weil wir noch nicht gerüstet waren. Die Ordnung auf dem Balle war musterhaft, es war ein Meisterstück von Polizei. Es waren so¬ gar zwei allerliebste kleine Feldspitäler eingerichtet, bestimmt zur Aufnahme und Pflege verwundeter Weiber. Es war zu artig! Dunkelgrün drapirte Zimmerchen, Dämmerlicht, Servietten, frisches Was¬ ser, alle möglichen Salze und riechenden Sachen, Scheeren zum Aufschneiden der Corsetts, Essig, Ci¬ tronen, kurz alles, mas man braucht, um Weiber wieder zur Besinnung zu bringen. In jedem Spi¬ tälchen eine geübte Krankenwärterin, erfahren in al¬ len Geheimnissen weiblicher Ohnmacht; draußen ein Thürsteher zur Wache. Ich, der das Schlachtfeld gesehen, dachte, es müßten Schaaren von gefallenen Weibern herbei getragen werden; es kam aber bis Mitternacht nicht Eine. Ich hätte freilich wissen sollen, daß Frauen öfter in Kirchen als auf Bällen in Ohn¬ macht fallen. .... Der König mit der ganzen kö¬ 15 * niglichen Familie waren auch anwesend. Ich sah sie zum Erstenmale ganz in der Nähe. Die jungen Prinzen sehr charmant. Wären sie nur legitim ge¬ wesen, ich hätte sie küssen mögen. Sie wurden mit lauter und herzlicher Liebe empfangen. Ich war auf dem Vorplatze und hörte auch den Jubel von innen heraus. Es soll ein ganz herrlicher Anblick gewesen sein, wie beim Eintritte des Königs alle die vielen Tausend Menschen sich von ihren Sitzen erhoben und ihn begrüßten. Dieses Eine nicht gesehen zu haben, that mir am meisten leid. Um Mitternacht lag ich schon im Bette, ganz herzlich froh, daß mein Ver¬ gnügen ein Ende hatte, und die armen Menschen be¬ jammernd, die noch auf dem Balle waren. Die Hitze war zum Ersticken. Lieber in einer arabischen Sandwüste weilen, wo man doch wenigstens nicht den verdorbenen Athem anderer Menschenn einzuhauchen braucht. Ich habe so viele französische Luft einge¬ sogen, daß ich begierig bin, was es für Folgen haben, und welche Veränderung es in meiner deutschen Na¬ tur hervorbringen wird. Ich wollte, ein Arostat hinge mir ein Schiffchen an die Beine und versuchte mich. Um halb acht Uhr Morgens fuhren die letzten Wagen fort. Ich habe kleine Berechnungen angestellt, wie viel ein solcher Ball kostet, und wie viel Geld er in Umlauf bringt. In Paris gehet alles gleich in's Große und die kleinste Ausgabe eines Einzelnen, wird für die Menge ein hohes Budget. 7000 Billets wurden verkauft zu 20 Fr. Außerdem gab die königliche Familie 8000 Fr. für ihren Eintritt, und mehrere Privatleute haben ihre Billets mit 1000 Fr. bezahlt. 7000 Paar Handschuhe zu 50 Sous im Durchschnitt, machen 17,500 Fr., 2500 Weiber (so viele waren auf dem Balle) zu frisiren, der Kopf im Durchschnitt zu 4 Fr. 10,000 Fr., 2500 Paar Schuhe zu 4 Fr. macht 10,000 Fr., Miethkutschen hin und her we¬ nigstens 16,000 Fr., das bisherige allein macht schon über 200,000 Fr., und jetzt dazu gerechnet, was Damen und Herren an andern Putzsachen und Kleidern verwendet haben! Auf dem Balle habe ich auch zum Erstenmale alle Figuren des Frankfurter Mode-Journals (nur mit schönern Gesichtern) lebend gesehen. Ach, was für schöne Kleider! Ich wollte, ich wäre eine Putzmacherin, um Ihnen das alles be¬ schreiben zu können. Besonders habe ich ein Kleid bemerkt, gemacht ich weiß nicht wie, von einer Farbe die ich vergessen und darüber einen Kopfputz den ich nicht verstanden — Sie werden mich schon verstehen — aber das war einzig! Doch habe ich auch Putz¬ werke gesehen, sinn- und geschmacklos und so klein¬ städtisch, als kämen sie aus Friedberg. Das mögen wohl Bürgersweiber und Bürgerstöchter aus dem Marais und der Rüe St. Denis gewesen seyn, die reich sind aber nicht an Geschmack. Auch erinnere ich mich, nie auf deutschen Bällen so viele alte hä߬ liche, ja mißgestaltete Weiber gesehen zu haben, die sich so unverschämt jung und schön gekleidet hätten, als ich hier sah.