Sammlung Critischer, Poetischer, und andrer geistvollen Schriften, Zur Verbesserung des Urtheils und des Wizes in den Wercken der Wolredenheit und der Poesie. Erstes Stuͤck. Zuͤrich, Bey Conrad Orell und Comp. 1741 . Von dem Vorhaben und dem Endzwecke dieser Sammlung. D Je critischen Abhandlungen, welche seit zwanzig Jahren, und vornehm- lich im lezt vergangenen 1741sten Jahr von etlichen bekannten Kunstrichtern dieser Stadt nach Schlesien und Sachsen, als das Vaterland der deutschen Musen, geschikt wor- den, sind daselbst nicht von jedermann mit Abneigung Verachtung und Verdrusse gele- sen worden. Etliche wenige absonderliche Personen haben mehr davon gehalten, als der grosse Haufen der Leser. Sie haben zu ver- stehen gegeben, daß sie sich fuͤr sich selber, fuͤr ihre Vaͤter, und das Vaterland schaͤmten, )( 2 daß daß man bisher an schlechtem und verworre- nem Zeuge, was Poesie und Wohlredenheit anlanget, mehr Geschmakes gefunden, als an dem Guten und Vortrefflichen, das man in den Schriften Opizens, Hallers, und ihres gleichen noch aufweisen kan. Sie haben sich gefuͤrchtet, daß man sie unter dem gemeinen Haufen der deutschen Leser uͤbersehen, und mit ihnen fuͤr gleich schuldig halten moͤgte; sie haben in den Urtheilen dieser kunstverstaͤndi- gen Schweizer nicht willkuͤrliche Ausspruͤche, sondern die Stimme der Vernunft, die aus der natuͤrlichen Empfindung und der nothwen- digen Uebereinstimmung der Vorstellungen mit dem menschlichen Gemuͤthe redet, wahrgenom- men und erkannt, und es hat ihnen oͤfters ge- schienen, sie erinnerten sich der Wahrheiten nur, die sie von ihnen hoͤreten. Jch habe Briefe von beruͤhmten iztlebenden Maͤnnern gelesen, worinnen sie sich mit der hoͤchsten Sorgfalt uͤber diesen Punct erklaͤrt haben. Einer von ihnen hat es mit diesen Worten gethan: „Jch bitte von dem Leip- „ziger-Geschmak nicht zu urtheilen nach de- „nen vielen schlechten Stuͤken, die hier her- „auskommen. Sie sind nirgend mehr ver- „achtet, als selbst in Leipzig, aber die Licenz „ist zu groß.„ Ein andrer, der selbst ein geschikter Poet ist, hat schon in 1724. die aus- ausdruͤkliche Klage daruͤber gefuͤhrt: „Wa- „rum sind wir so ungluͤklich, daß die Zuͤr- „chischen Kunstrichter, ungeachtet sie ihre „Zusammenkuͤnfte fortsezen, uns dennoch ih- „re Arbeit mißgoͤnnt? Halten sie uns alle „fuͤr …? Oder glauben sie wohl gar, daß „wir alle von dem Geschmake des … seyn? „Wir haben bessere Kenner in Leipzig, und „darunter einige so aufgewekte Koͤpfe, und „zugleich Grundgelehrte Leute ꝛc. ‒ ‒ ‒„ Jn einem andern Briefe entschuldiget eben dieser die geringe Anzahl der Kenner gu- ter Schriften auf eine scharfsinnige Weise: „R … allein, sagt er, kan vor eine gan- „ze Menge dienen, denn er schreibt sehr sinn- „reich, natuͤrlich und wohlfliessend, und „wenn man je hin und wieder einige Wort- „spiele, oder etwas zu hochsteigendes bey „ihm antrifft, so ist es weniger dem Man- „gel an gutem Geschmak, als der Thorheit „des gelehrten Poͤfels daselbst zuzuschreiben, „dem zu gefallen er dergleichen einfliessen las- „sen muß, weil solche Leute sonst glauben, „man koͤnne nicht scharfsinnig, oder, wie sie „sagen, hoch schreiben, so bald sie verste- „hen, was sie lesen; da er doch sonst alle- „zeit wieder die schwuͤlstige hochtrabende „Schreibart gestritten, und in allen derglei- )( 3 „chen „chen Meinungen sich bestaͤndig auf meine „Seite geschlagen.„ Wir haben hier zugleich eine Ursache, wa- rum Maͤnner von gesundem Geschmake, die so reine Begriffe von ihrer Kunst haben, den- noch oͤfters derselben zuwieder nach dem Ge- schmake des Poͤfels schreiben. Sie haben das Herz nicht, den Vorurthei- len des vornehmen Poͤfels entgegen zu han- deln, und der Meinung, welche den Schwang nicht hat, beyzufallen. Ob sie noch etwa die Kuͤhnheit haben, die Augen aufzuthun, und selbst zu sehen, so folgen sie doch nicht dem Bessern, das sie einsehen, sondern dem Sch immern; und mancher haͤlt es sich vor eine Schande ‒ ‒ ‒ Parere minoribus \& quæ Imberbes didicere senes perdenda fateri. Darum hat Herr Weichmann ohne Zweifel die allzuharten und schwuͤlstigen Metaphoren, die laͤppischen Wortspiele und dergleichen Zeug, mehrentheils freywillige Schwachheiten des Verstandes geheissen. Damit hat er zwar vor- gehabt, die Scribenten, die dergleichen haben, zu beschoͤnigen, aber sie nur strafwuͤrdiger ge- macht, gleichwie die Suͤnden, die mit Wis- sen und Vorsaz gethan werden, die schwerern sind. Noch Noch einer von meinen Freunden, der zu unsren Nachkindern eine so gute Hoffnung traͤgt, als er von den gegenwaͤrtigen Zeiten uͤbel denket, meinet, es werde denselben eben so unwahrscheinlich vorkommen, daß ehmahls gewisse theils wassersuͤchtige theils windduͤrre Scribenten die Herrschaft uͤber den Geschmak gefuͤhret haben, als es izo dem gemeinen Schwarm unglaublich vorkoͤmmt, daß etliche wenige Privatpersonen sich wider das, was allen, wie sie sagen, gefaͤllt, auflehnen duͤrf- fen. „Es moͤgte noch zu glauben seyn, sagt „er, daß um den Unterhalt und das Gluͤk „bemuͤhete Leute, oder Lehrlinge, die der „Ruthe nur erst entronnen sind, vornehmen „Stuͤmpern und gefuͤrchteten Orbilen, bey- „stimmeten, welche, uns zur Straffe, mit „dem Wahnwiz geschlagen worden, daß sie „ohne Geist und Gelahrtheit Poeten und „Redner heissen wollen; aber daß so viele „geschikte Koͤpfe von Adel, von Stands- „personen, von Maͤnnern, die in ihrem „Ruhme und Gluͤke fest stehen, solches nicht „nur eine so lange Zeit ungeantet gelitten, „sondern ihnen noch mit ihrem Zujauchzen „geheuchelt haben, meint er, waͤre eine Ge- „faͤlligkeit, eine Hoͤflichkeit, die eben so wi- „dersinnig sey, als sie schaͤdlich und ungerecht „ist. Kein Wunder, schließt er, wenn die )( 4 „Aus- „Auslaͤnder daher Anlaß nehmen, so gar „nachtheilige Meinungen von dem Geschma- „ke und dem Wize der Deutschen uͤberhaupt „zu fassen, wie neulich der Autor der Briefe „uͤber die Franzosen und Deutschen mit einem „triumphierenden Thone an den Tag gegeben, „und dem gesammten geistreichen Deutsch- „land Hohn gesprochen hat.„ Die Hoͤflich- keit ist fuͤrwahr liebenswerth, sie macht die Wahrheit angenehm, und versuͤsset das Bit- tere, so die Vorruͤkung unsrer geringern Ein- sicht mit sich fuͤhrt; aber sie wird zu einer nie- dertraͤchtigen Unbilligkeit, wenn sie die bessere Wissenschaft in hoher Wuͤrde stehnden Schmie- rern aufopfert: es ist eine verraͤtherische Zag- heit, die Wahrheit, die man erkennet, zu verleugnen, zumahl wenn es weder das Gluͤk noch den Kopf gilt. Fuͤrchtet man, daß es den Ruhm kosten moͤgte, als der in der Ge- walt derjenigen stehe, welche izo Beyfall und Ansehen haben, und die uͤber die Pressen, uͤber die Buchhaͤndler, und die gelehrten Mo- natschriften meister sind, so sezt man zu viel Mißtrauen in das Vermoͤgen der Geschicklich- keit, die sich bloß mit ihrer eignen Staͤrke oh- ne die Huͤlfe mechanischer Triebraͤder zu erhal- ten vermag. Jndem man auf diese Weise das Lob derer, mit welchen man umgehet, zu unbedachtsam suchet, verscherzt man den Bey- Beyfall der izo noch nicht gebohrnen Welt, man zieht das hinfaͤllige Lob, das man bey Le- ben geniesset, dem bestaͤndigen vor, das man sich erst nach dem Tod erwerben koͤnnte; oder vielmehr, man will lieber mit elendem Zeuge, das izo gefaͤllt, ein eiteles Lob bey den meh- rern erhalten, als sich mit einem gegruͤndeten Lob etlicher weniger begnuͤgen, die keine Zahl ausmachen. Ein Lob, das wenn es gleich von den Scribenten ihrer Nation auf den hoͤch- sten Gipfel der Schmeicheley erhoben wird, von den mittelmaͤssigen Schriftstellern andrer Nationen ihnen unter Augen auf die spoͤttlichste Weise vernichtet wird! Dieses ist mithin eine Haupt-Ursache, daß die aufrichtige und eben so großmuͤthige als bil- lige Critick nicht so starke Schritte zu ihrer Vollkommenheit thut, als ohnedieß geschehen wuͤrde. Die schaͤdlichen Bemuͤhungen derje- nigen, welche ihr allzu helles Licht scheuen, mittelst tausend Kunststreiche, hoͤnischer Aus- legungen, dreister Ausspruͤche, poͤfelhafter Schimpfreden, falscher Auszuͤge, gelehrter Zu- sammenschwoͤrungen, den freyen Durchbruch critischer Schriften zu hemmen, behalten um so viel leichter die Oberhand, und ihre Par- tey ist noch immer an der Anzahl, wie die Ge- genpartey nur am Gewichte, uͤberlegen. )( 5 Wenn Wenn man denn wenigstens Mittel und Wege erfinden koͤnnte, den verderbten Wil- len in besagten Stuͤken zu verbessern, die zag- hafte Furcht aus dem Wege zu raͤumen, die Liebe zu dem Wahren anzuflammen, und die Großmuth zu dessen Verfechtung in die Her- zen zu pflanzen, so wuͤrde der Geschmak, wenn der Verstand mit Freyheit wuͤrkete, bald fei- ner und allgemeiner werden. Wir wuͤrden nicht ganze Jahrhunderte noͤthig haben, den- selben bey uns auf den gewuͤnschten Gipfel der Verbesserung zu erheben. Man hat eine so lange Zeit zu diesem Werke in der ersten Vor- rede zu den critischen Beytraͤgen in Leipzig ge- fodert. Es heißt daselbst: „Daß mehr als „ein Jahrhundert dazu gehoͤre, wenn ein „ganzes Volk aus seiner natuͤrlichen Rauhig- „keit gerissen werden soll. Opiz, der einen „ganz andern Geschmak bey den Deutschen „eingefuͤhrt, sey noch nicht hundert Jahre „todt, und wir seyn mit der Ausfuͤhrung ei- „nes so grossen Werckes, als die Verbesse- „rung des Geschmakes der Deutschen ist, „kaum bis auf die Helfte gekommen.„ Was vor eine Langsamkeit schreibt man hier den Deut- schen zu, nicht ohne eine heimliche Beschuldi- gung einer ziemlichen Plumpheit? Lasset uns ein besseres Vertrauen zu der Geistes- und Verstandes-Fertigkeit unsrer Landsleute ha- ben. ben. Warum solten wir so viel Jahre zubrin- gen, den Geschmak zu suchen, der doch schon gefunden ist? Die Betrachtungen der Schrif- ten der vortrefflichen auslaͤndischen Scribenten sowohl der alten als der neuen, wohluͤberlegte Anmerckungen daruͤber, wovon sie selbst schon gruͤndliche Lehrbuͤcher geschrieben haben, leh- ren uns viele Sachen, auf welche das eigne Erfinden den fertigsten Geist sehr langsam und sptaͤh gefuͤhrt haͤtte; man kan sich in einem Tage derer Kunst- und Handgriffe bemaͤchti- gen, welche den Erfindern viele Jahre Arbeit und Nachsuchen gekostet haben. Wir wollen darum der Hoffnung, diese allgemeine Verbes- serung zum Stande gebracht zu sehen, kein solch entferntes Ziel sezen, das weit uͤber un- ser Leben hinausreichet. Statt die Gemuͤ- ther durch dergleichen zaghafte Ausrechnungen niederzuschlagen, wollen wir vielmehr unser Bestes thun, und denn andern uͤberlassen nach- zusehen, wie weit wir es gebracht haben. Jn dieser Gemuͤthesverfassung ist man auf das Vorhaben gefallen, unter dem Titel ei- ner eritisch-poetischen Sammlung ein Werk anzufangen, in welchem den Scribenten, die zu unsren Zeiten mit Poesie, Wohlredenheit, Critick, Sprachlehre, umgehen, Lob und Ta- del nach Verdienen zugetheilet wuͤrde; worin- nen die Urtheile nicht auf die veraͤnderlichen Em- Empfindungen, die von Vorurtheilen regiert, und von Gunst, Furcht, Haß, angeschuͤret werden, sondern auf die bestaͤndig gleiche Na- tur des Menschen, und derselben Verhaͤltniß mit den vorgestellten Gegenstaͤnden gesezet waͤ- ren; wo man ein absonderliches Auge auf die schlimmen Kunstgriffe richtete, die angewendet werden, die Vorurtheile, woraus der elende Geschmack entsteht, bey Kraͤften zu erhalten, und mittelst derselben das Monopolium in der Poesie und Wohlredenheit fortzufuͤhren. Die Schweiz ist zu dergleichen Vorhaben vor an- dern Laͤndern bequem. Die Freyheit, die daselbst im Staat regiert, erstreket ihren nuͤz- lichen Einfluß bis in die Schriften, die da- durch einen gewissen Werth der Aufrichtigkeit und der Großmuth bekommen. Die Entfer- nung dieser Landesgegend von dem Vaterlande der Poeten und Redner, und von dem Ge- biethe derer, welche sich ihrer aus Liebe oder Haß annehmen; der Vortheil eines Ortes, wo man sie nicht weiter kennt, als aus ihren Schriften, und die Hochschaͤzung oder Ver- achtung derselben allein nach der innerlichen Beschaffenheit formiert, macht uns eine siche- rere Hoffnung zu unpartheyligen Urtheilen. Und da mittelst dieser Sammlung ein Verfas- ser in den schweizerischen Gebuͤrgen, wie in einem Hinterhalt, verborgen liegt, verspricht man man sich, daß die geschickten Sachsen und Schlesier, die das Elend einiger von ihren be- ruͤhmtesten Scribenten erkennen, aber durch den Strohm des grossen Haufens, durch Hoͤflichkeit, durch Freundschaft, durch Schre- ken, durch Furcht, genoͤthiget sind, mit dem Munde zu verehren, was sie im Herzen ver- lachen, diese Gelegenheit ergreiffen werden, der Wahrheit Zeugniß zu geben, und einiger- massen in der Ferne wieder gut zu machen, was sie in ihrer Heimath verderben. Dadurch koͤnnen sie die Nachwelt auf das allergewisse- ste uͤberzeugen, daß das verderbte Urtheil bey den jeztlebenden Kunstrichtern nicht allgemein ist; sondern, so oft man zu unsern Zeiten von dem uͤbeln Geschmake der Deutschen re- det, eine billige Ausnahme von einer starken und ins Auge fallenden Anzahl gruͤndlicher und vortrefflicher Kenner vorauszusetzen sey. Man uͤberlaͤßt einem jeden, seiner Arbeit, die er durch diesen Weg bekannt machen will, eine Form nach seinem Belieben zu geben, doch wird man diejenigen Stuͤke am werthesten halten, worinnen der trukene Vortrag der dogmatischen Lehre auf eine muntere Weise belebet wird; und man wird den Schertz alle- zeit hochachten, der aus der Sache selber her- vorfließt, und nichts anders ist, als eine kunst- reiche Vorstellung des Laͤcherlichen, das in der der Materie enthalten ist, und sie in dem wah- ren Licht vorstellig macht. Das Gespoͤtte steht vornehmlich denen wohl an, welche zuerst den Grund der Thorheiten und Fehler, die sie izo zum Gelaͤchter machen wollen, durch ernst- liche Untersuchungen in verknuͤpfter Ordnung angezeiget haben. Denn es ist nicht genug, daß es schamroth mache, es muß daneben auch unterrichten. Dergleichen Schertz ist mit de- nen Einfaͤllen eines Lustigmachers, die keinen andern Grund, als dessen verkehrte Phanta- sie haben, gar nicht einerley. Neben diesen critischen, polemischen, und satirischen Schriften wird man bedacht seyn, geschickte Muster in allen Gattungen der Dicht- und Redekunst beydruͤken zu lassen, da- mit man nicht nur Regeln sondern auch Exem- pel gebe. Diese werden aus wohlgerathenen Versuchen, aus Entwuͤrffen zu groͤssern Wer- ken, aus Proben und besondern Stuͤken be- stehen, sie seyn urspruͤnglich von einem Deut- schen verfertigt, oder nur aus einer auslaͤndi- schen Feder geschickt uͤbersezet; sie seyn bisda- hin ungedruͤckt, oder verdienen, da sie schon gedruͤckt, und dennoch aus Nachlaͤssigkeit im Vergessen geblieben sind, an das Licht her- vorgezogen zu werden. Man Man gedenckt sich mithin den Zaum nicht so kurtz zu halten, daß man nicht nach Gele- genheit der Umstaͤnde auch solchen Werken oder deren Beurtheilungen einen Platz in die- ser Sammlung einraͤumen werde, welche nach ihrer Haupt-Absicht zwar nicht zu den oben- gedachten Kuͤnsten gehoͤren, die aber in ihrer Ausfuͤhrung und Abhandlung einen ausneh- menden Grad von Geist, Scharfsinnigkeit, und Geschicklichkeit, bliken lassen. Gelingt es also demjenigen, der die Auf- sicht uͤber diese Sammlung auf sich genom- men hat, so wird man darinnen nicht blosse Versicherungen von dem Vermoͤgen des Gei- stes, und des Urtheiles, das die Deutschen noch im Verborgenen besizen, und man uns auf unser Wort glauben muß, antreffen; sondern man wird den Beweiß dessen im Wer- ke und in der That vor Augen sehen. Wer- den ihm nur die muntern und verstaͤndigen Koͤpfe Deutschlandes mit ihrer Beyhuͤlffe eini- germassen an das Rad stehen, und ihm die Staͤrke ihres Geistes und die Richtigkeit ihres Verstands in vortrefflichen Proben offenbaren und bekannt machen, es sey in poetischen Schrif- ten durch die vielfaͤltige Ausuͤbung ihrer Kunst, oder in critischen Abhandlungen, worinnen die Verschiedenheit der Kunst nach der Verschie- den- denheit einer besondern Materie in dem Gan- zen und in den Stuͤken, in dem eigenen Lich- te ihrer Trefflichkeit an den Tag geleget wird; so wird solches das beste Mittel seyn, denje- nigen, welche unsrer Nation ihres Geschma- kes wegen uͤbels nachreden, den Mund zu sto- pfen. Probe Probe Einer neuen Uebersetzung Johann Miltons Verlohrnen Paradieses. Das erste Buch. S Jnge, himmlische Muse, von dem er- sten Ungehorsam des Menschen, und der verbothenen Frucht, die mit dem Verlust Edens das Elend und den Tod in die Welt gebracht hat, welche allda herrschen soll- ten, bis daß ein groͤsserer Mensch uns zu Huͤlfe kaͤme, und den gluͤckseligen Sitz fuͤr uns wieder eroberte. Du, welche auf dem geheimen Gi- pfel Horebs oder Sinai den Schaͤfer unterwie- sen, der den erwehlten Saamen zuerst gelehrt [Critische Sam̃l.] A hat, Johann Miltons hat, wie der Himmel und die Erde im Anfange aus dem Chaos entsprungen seyn, steige auf mein Bitten von da, oder, wenn dir der Berg Sion und die Bache Siloah, die so nahe an dem goͤttlichen Orackel floß, angenehmer sind, von denselben herunter, meinen kuͤhnen Gesang anzuleiten, der mit einem mehr als mittelmaͤssi- gen Fluge uͤber den Aonischen Berg hinaus flie- gen will, indem er Sachen auf die Spur gehet, die niemand bisdahin weder in Prosa noch in Reimen unternommen hat zu entdecken. Und du vornehmlich, o Geist, der mehr von einem aufrichtigen und reinen Hertzen haͤlt, als von allen Tempeln, unterrichte du mich, denn du weissest von diesen Dingen, du warest zuerst da- bey gegenwaͤrtig, und sassest einer bruͤtenden Taube gleich mit ausgebreiteten Fluͤgeln auf dem ungemessenen Abgrund; und machtest ihn fruchtbar. Erleuchte, was in mir dunckel ist; erhoͤhe und unterstuͤtze, was niedrig ist, daß ich der Hoheit meines edeln Vorhabens gemaͤß die Steige auf mein Bitten) Da der Stof zu diesem Ge- dichte groͤstentheils aus der Welt der Geister hergenommen war, welche den sterblichen Menschen verschlossen ist, konn- te der Poet keine Nachrichten davon haben, als aus der Erzehlung eines von ihren geistlichen Einwohnern. Die- ses machte denn seine Anruffung gantz nothwendig. An- dere Poeten, die von menschlichen Begebenheiten reden, duͤrften eben sich nicht zu den Bewohnern des Himmels wenden, sie um Nachrichten von dem zu fragen, was auf Erden, ihrem eigenen Wohnplatz, geschieht, und wovon ihnen die irdischen Menschen genugsamen Bericht mitthei- len koͤnnten. Verl. Paradies. I. B. die ewige Vorsehung vertheidigen, und die Wege Gottes unter den Menschen retten moͤge. Sage zuerst, denn der Himmel haͤlt vor dei- nem Gesichte nichts verborgen, und der tiefe Strich der Hoͤlle nichts; sage zuerst, was vor eine Ursache bewog unsre grossen Stammaͤltern in ihrem gluͤckseligen Stande, der von dem Himmel so trefflich beguͤnstiget worden, daß sie von ihrem Schoͤpfer abfielen, und seinen Willen um einer einzigen Einschraͤnckung we- gen uͤbertraten, da sie doch uͤbrigens Herren der Welt waren? Wer beredete sie zu dem schaͤndlichen Aufstand? Der hoͤllische Wurm. Derselbe betrog durch seine List die Mutter des menschlichen Geschlechts, von Mißgunst und Rachgier dazu angereizet, nachdem sein Hoch- muth ihn mit seinem ganzen Heere aufruͤhri- scher Engel aus dem Himmel verjaget hatte; weil er gestrebet, sich an Herrlichkeit uͤber sei- ne Gesellen zu erheben, und sich getrauet, vor dem Hoͤchsten, wenn dieser sich ihm wider- setzete, zu bestehen, so daß er in dem Himmel mit einem ehrsuͤchtigen Endzwecke einen gottlo- sen Krieg und eine stoltze Schlacht angezettelt. Ein eiteles Unternehmen! Die allmaͤchtige Kraft warf ihn von der etherischen Buͤhne mit einem graͤßlichen Fall und Brand flammend in das bodenlose Verderben hinunter; daselbst soll- te derjenige in diamantenen Ketten und einem straffenden Feuer wohnen, welcher den Allmaͤch- tigen zu einer Schlacht hatte auffordern doͤrf- fen. A 2 Neun- Johann Miltons Neunmahl das Zeitmaaß, mit welchem die sterblichen Menschen Tag und Nacht zu mes- sen pflegen, lag derselbe mit seinen greulichen Haufen besieget, und welzete sich in dem feuri- gen Meerbusem herum, sinnlos, obgleich un- sterblich. Aber sein Gericht versparte ihn zu mehr Neunmahl das Zeitmaaß, mit welchem ꝛc.) Der Poet sagt nicht schlechtweg, neun Tage, weil er uns in den Ort fuͤhren wollte, wo die Scena seiner Handlung lieget. Jn der Hoͤlle giebt es keine Tage, es ist daselbst lauter Finsterniß, die nur durch die Flammen des feurigen Meer- busems etwas erleuchtet wird, daß man dabey sehen kan; daher sie Milton eine sichtbare Dunckelheit heißt; das ist, eine Dunckelheit, dabey man, wie in einer starcken Daͤm- merung, ein wenig Licht sieht. Hr. Voltaire hat wider die Meinung des Poeten diese sichtbare Dunckelheit so verstan- den, daß es eine Dunckelheit waͤre, die man mit den Augen sehen koͤnnte. Uebrigens ist es nicht ohne Nutzen, daß Milton die Zeit bestimmt, wie lange die Engel nach ihrem Falle vom Himmel sinnlos und ohnmaͤchtig gelegen seyn. Diese Bestimmung bringt viel mehr Leben und Wahr- scheinlichkeit in seine Erzehlung, als wenn er auf eine un- bestimmte Weise gesagt haͤtte, sie waͤren eine lange Zeit in der Ohnmacht gelegen. Eine Ohnmacht von neun Ta- gen ruͤhrt uns mehr, als eine lange Ohnmacht; und zei- get uns einen Geschichtschreiber, der von dem, was er erzehlet, genauere Nachrichten hat. Waͤltzete sich in dem feurigen Meerbusem sinnlos, ob- gleich unsterblich) Magni beschuldiget den Poeten, daß er hier die Beraubung der Sinne mit den feurigen Wellen zusammengereimet habe. Allein das Herumwaͤltzen Sa- tans und seiner Gesellen war nicht eine Wuͤrckung einer in- nerlichen Kraft derselben, sondern der Gewalt, womit sie von diesem wuͤtenden Sturmfeuer in dem Pful hin und her Verl. Paradies. I. B. mehr Qual. Denn jezo plaget ihn der Gedan- ke von der verlohrnen Gluͤckseligkeit und der im- merwaͤhrenden Pein. Er warf rund herum sei- ne giftvollen Augen, welche von einer hohen Betruͤbniß und Schwachheit, die mit einem verstockten Stoltz und hartnaͤckigten Hasse ver- mischet waren, Anzeige gaben. Er uͤbersieht auf einmahl, so ferne als englische Blicke rei- chen moͤgen, die traurige, wuͤste und wilde Ge- gend. Eine greuliche Tiefe, die zu allen Sei- ten rund herum, wie ein grosser Ofen, in Flam- men stuhnd; jedoch schoß kein Licht von diesen Flammen, sondern vielmehr eine sichtbare Dun- kelheit, bey welcher man Gesichter voll Jam- mers, Landschaften voll Kummers, erschreck- liche Schatten, erblickte; wo Friede und Ruhe A 3 nie- her geschlagen wurden. Eben so wohl reimet sich die Ohn- macht derselben mit ihrer Unsterblichkeit. Von der Berau- bung der Sinne ist zwar nur noch ein Schritt bis zum Tod, doch ist sie noch nicht der Tod selbst. Der Poet konnte die Erschlagung der gefallenen Engel nicht nachdruͤcklicher vor- stellen, als durch diesen unempfindlichen Zustand, der dem Tod und der Zerstoͤrung so aͤhnlich ist. Er streitet mit der Unsterblichkeit derselben um so viel weniger, weil diese die Unsterblichkeit nicht von einer eigenen Kraft, sondern von dem Willen des Schoͤpfers hatten. Eine sichtbare Dunckelheit) Die Dunckelheit ist eigent- lich unsichtbar, indem darinnen weder Maß noch Gestalt zu erkennen ist; wenn sie sichtbar werden soll, so daß man die Dinge einigermassen untersche den kan muß sie von ihrer Dicke vieles verliehren. Also schwaͤcht das Beywort Sicht- bar die Kraft der Bedeutung in dem Worte Dunckeiheit. Johann Miltons niemahls wohnen kan, die Hoffnung, die an alle Orte koͤmmt, sich niemahls einfindet; son- dern Qual ohne Ende unaufhoͤrlich auf die Ein- wohner zuschlaͤgt, und eine feurige Suͤndflut stroͤhmt, welche sich von einem ewigbrennenden Schwefel, der niemahls verzehret wird, unter- haͤlt. Diesen Platz hat die ewige Gerechtigkeit fuͤr diese Rebellen zubereitet, ihnen hier in der aͤussersten Finsterniß ihr Gefaͤngniß verordnet, und ihr Theil hier angewiesen, dreymahl so fer- ne von Gott und dem Lichte des Himmels, als der hoͤchste Polus von dem Mittelpunct entfernt ist. O wie ist dieser Platz demjenigen so un- gleich, von dem sie fielen! Daselbst erkennet er bald die Mitgesellen seines Falls, die mit Stroͤhmen und Wirbelwinden von stuͤrmerischem Feuer uͤberschwemmt lagen. Naͤchst an seiner Seite sieht er sich einen uͤberwerffen, der an Macht und Boßheit zunaͤchst auf ihn folgete, wel- cher lange hernach in Palestina bekannt worden, und Beelzebub geheissen ward. Denselben re- dete Die mit Stroͤhmen und Wirbelwinden von stuͤrmerischem Feuer uͤberschwemmt lagen) Der feurige Meerbusem, der flammende Ofen, die Suͤndflut von Feuer, der ewig- brennende Schwefel, die aͤusserste Finsterniß, die Wirbel- winde von Feuer, sind alles bekannte und gelaͤuftige Be- griffe von der Hoͤlle. Mithin sind sie gantz irdisch und coͤr- perlich; ungeachtet die Dinge selbst, wie die Wesen, auf welche sie wuͤrcken, von geistlicher Natur sind. Was man demnach zur Vertheidigung derselben sagen kan, dienet zugleich zur Rechtfertigung der coͤrperlichen Gestalten, in welche die Einwohner dieser geistlichen Gegenden verklei- det werden. Verl. Paradies. I. B. dete der Ertzfeind, der wegen seines Aufstandes in dem Himmel Satan genannt ward, mit kuͤhnen Worten an, die das graͤßliche Still- schweigen dergestalt unterbrachen. Wenn du es bist, o wie sehr bist du gefallen, wie ungleich bist du demjenigen, der in den gluͤck- seligen Koͤnigreichen des Lichtes, mit einem uͤber- schwenglichen Glantz bekleidet, heller als so viele Myriaden Engel von den erhabensten leuchtete; wenn du derselbe bist, welchen ein freundschaft- liches Buͤndniß, gemeinschaftliche Gedancken, einerley Hoffnung und einerley Gefahr ehedessen mit mir zu dem ruhmwuͤrdigen Unternehmen verbunden, jezo das Elend in einem gleichen Nie- derfall mit mir vereiniget, siehest du, in wel- che Tiefe, und von welcher Hoͤhe wir gefallen sind; so mercklich ward er mittelst seines Don- ners der staͤrckere: Aber wer kannte zuvor die Staͤrcke dieses greulichen Werffzeuges? Doch weder Furcht vor demselben, noch vor einer andern Sache, so mir der maͤchtige Ueber- winder im Zorn anthun moͤgte, kan mir ange- winnen, daß ich das geschehene bereue, oder die einmahl festgesezten Gedancken aͤndere, ob sich gleich mein aͤusserlicher Glantz veraͤndert hat, oder den Unwillen ablege, den die empfindliche Verachtung meiner Verdienste zuerst bey mir erreget, und mich vermocht hat, mit dem Maͤch- tigsten anzubinden, und in den wilden Streit ein unzehliges Heer gewaffneter Geister zu fuͤh- ren, welche das Hertz hatten, seine Herrschaft zu verwerffen, mich ihm vorzuziehen, und seiner A 4 hoͤch- Johann Miltons hoͤchsten Macht eine andere entgegenzusetzen, welche in den ebnen Feldern des Himmels seinen Thron in einer zweifelhaftigen Schlacht erschuͤtterte. Gesezt, eine Schlacht sey verloh- ren, alles ist darum nicht verlohren; der un- uͤberwindliche Wille nicht, das Verlangen nach Rache nicht, noch der unsterbliche Haß, und der Vorsatz sich zu keinen Zeiten zu unterwerf- fen und zu ergeben; Und was heißt das an- ders, als, nicht uͤberwunden seyn? Diesen Ruhm soll weder sein Zorn noch seine Macht jemahls von mir erzwingen, daß ich einen flehenden Kniefall vor ihm thun, und ihn um Gnade ersuchen, oder daß ich die Macht de- rer vergoͤttern sollte, welche die Furcht vor meinem Arm noch neulich dahin gebracht, daß sie ein Mißtrauen in seine Oberherrschaft ge- setzet haben. Wahrhaftig, das waͤre etwas niedertraͤchtiges, das waͤre mir eine groͤssere Schmach und Schande, als dieser tiefe Hoͤl- lenfall. Nachdem kraft des Schicksals die Staͤrcke der Goͤtter und dieses empyreische We- sen nicht abnehmen kan; nachdem wir, ver- moͤge der Erfahrung in diesem merckwuͤrdigen Begegniß, an Kraft nichts abgenommen, an Vorsichtigkeit ein grosses zugenommen haben, so koͤnnen wir jezo mit einer gluͤcklichern Hoff- nung uns entschliessen, mit List oder Gewalt einen ewigen Krieg mit unsrem grossen Feinde zu fuͤhren, und keinen Frieden jemahls mit demselben einzugehen, welcher jezo triumphiert, und voller ungemessenen Freude die Herrschaft in Verl. Paradies. I. B. in dem Himmel ohne einen Nebenbuhler be- sitzet. Also sprach der abtruͤnnige Engel und ruͤhm- te mit Worten, obgleich mitten in der Pein, grosse Stuͤcke von sich, aber inwendig ward er von einer tiefen Verzweifelung gepfetzet. Sein frecher Geselle antwortete ihm dergestalt. O Fuͤrst, o Haupt mancher gethronten Macht von Geistern, du, der die Schlachthaufen der Seraphim angefuͤhrt, und in erschrecklichen Be- gegnissen unerschrocken den bestaͤndigen Koͤnig des Himmels in Gefahr gesetzet, und seine hohe Oberherrlichkeit auf die Probe geleget hat, ob die Staͤrcke, oder der Zufall, oder das Verhaͤngniß etwas wider sie vermoͤgten. Doch ich sehe und empfinde nur zuwohl den grausamen Ausgang dieses Unternehmens, wel- ches uns in einer traurigen Niederlage, und schaͤndlichen Flucht des Himmels verlustig ge- machet, und dieses grosse maͤchtige Heer in einer graͤßlichen Zerruͤttung so tief zu Boden geschlagen hat, als es moͤglich ist, daß himm- lische Wesen und Goͤtter zu Grund gehen. Denn das Gemuͤthe und der Geist bleiben un- uͤberwindlich, und die Munterkeit erholet sich in kurtzem wieder, ob unsre Herrlichkeit gleich gaͤntzlich erloschen ist, und unser vormahls gluͤck- selige Stand hier unter einem unendlichen E- lende versencket liegt. Aber wie haben wir es dann, wenn unser Obsieger, den ich jezo ge- zwungen vor allmaͤchtig erkennen muß, weil A 5 kein Den ich jezo gezwungen vor allmaͤchtig erkennen muß) Beel- Johann Miltons kein geringerer als ein Allmaͤchtiger eine sol- che Macht, wie die unsrige war, haͤtte uͤber- waͤltigen moͤgen, uns diesen unsren Geist und unsre Staͤrcke darum unversehrt gelassen hat, damit wir starck genug seyn, unsre Pein zu ertragen, und so unter seinem rachgierigen Zorn aushalten moͤgen, oder damit wir ihm als seine Sclaven, nach Kriegesrecht, desto besse- re Dienste thun, was er auch vorhaben mag, hier mitten in der Hoͤlle im Feuer arbeiten zu lassen, Beelzebub wird mit grosser Kunst zum freyen Bekenntniß gebracht, daß seine Widerparte allmaͤchtig sey. Wie ver- kehrte Glossen auch Satan oͤfters uͤber die Gerechtigkeit, Guͤte, und andere Eigenschaften des Hoͤchsten machet, so gesteht er ihm doch die Allmacht uͤberall zu. Dieses war eine Vollkommenheit Gottes, welche er ihm durch die Waffen gezwungen einraͤumen mußte. Keine andere Be- trachtung, als diese, konnte ihn unter der Schande der erlittenen Niederlage aufrichten. Addison. Damit wir unter seinem rachgierigen Zorn aushalten ꝛc.) Wiewohl Beelzebub sein Urtheil der Verdammniß schon angetreten, so steht er doch der absonderlichen Symptoma- tum halber, so dieselbe mit sich fuͤhren moͤgte, in aͤngst- licher Ungewißheit. Satan hatte ihn mit der Vorstellung aufrichten wollen, daß sie ihr empyreisches Wesen in sei- ner vollen Starcke behalten haben, welches er dem Schick- sal einer unvermeidlichen Nothwendigkeit zugeschrieben; al- lein Beelzebub fand dagegen einzuwenden, daß der Hoͤch- ste, den er fuͤr den Meister des Schicksals erkennt, seine eigenen Ursachen moͤgte gehabt haben, um derer willen er ihnen ihre Staͤrcke ungekraͤnckt gelassen haͤtte. Er macht jezo einige derselben nahmhaft, die so beschaffen sind, daß sie Satans Trost voͤllig uͤber einen Haufen stossen. Verl. Paradies. I. B. lassen, oder damit wir in der finstern Tiefe sei- ne Botschaften hin und her tragen. Was kan uns in solchem Fall unsre Staͤrcke, die wir noch unvermindert fuͤhlen, und unser Wesen, das ewig ist, nuͤtzen, wenn wir ewig in Pein und Qual leben muͤssen? Demselben antwortete der Ertzteufel mit fluͤchtigen Worten: Gefallner Cherub, es ist allemahl eine elende Sache um die Schwaͤ- che, man mag etwas zu thun oder zu leiden haben; Aber dessen versichere dich, daß Gutes thun nimmermehr unser Werck seyn wird, sondern daß wir an Uebels thun unser einziges Ergetzen finden werden; weil es dem hohen Willen dessen entgegen ist, dem wir widerstre- ben. Wenn denn seine Vorsichtigkeit aus unsrem Boͤsen Gutes hervorzubringen trachtet, so muͤssen wir uns befleissen, diesen Endzweck umzukehren, und in dem Guten allemahl An- laß zum Boͤsen zu finden: Welches uns oft so wohl gelingen mag, daß es ihm, wenn ich nicht irre, verdriessen, und seine geheimsten Anschlaͤge hintertreiben soll. Aber siehe, der zor- nige Ueberwinder hat die Diener seiner Ra- che und Verfolgung nach der Pforte des Him- mels zuruͤcke geruffen, der Schwefel-Hagel, der im Sturm nach uns geschossen worden, hat Damit wir in der finstern Tiefe seine Botschaften hin und her tragen) Die Botschaften Gottes hin und her tragen, heißt nichts anders, als, seine Befehle hier und dar ausrichten. Beelzebub erkennt damit, daß der Hoͤch- ste seine Herrschaft bis in die Hoͤlle selbst erstrecken werde. Johann Miltons hat sich zerstreuet, und sich in diesen feurigen Wellen geleget, die uns in unsrem Falle von den Zinnen des Himmels empfangen haben; und der Donner mit rothen wetterleuchtenden Blitzen und stuͤrmerischem Grimme gefluͤgelt, hat vielleicht seine Koͤcher an Pfeilen ausge- laͤhrt, und hoͤret jezo auf durch die ungeheure und ungemessene Tiefe zu bruͤllen. Lasset uns die Gelegenheit nicht verschlafen, unser Feind mag sie uns aus Verachtung, oder aus Gelin- digkeit goͤnnen, weil er seinen Zorn an uns gesaͤttiget hat. Siehest du jene fuͤrchterliche, oͤde und verlassene Ebene, den Sitz der Ver- zweifelung, laͤhr an Licht, ausgenommen, was der Schimmer dieser schwartzgelben Flammen blaß und graͤßlich von sich schießt? Laß uns den Gang von diesen erschuͤtternden feurigen Wellen dorthin wenden, daselbst auszuruhen, wenn je die Ruhe daselbst Platz findet; daselbst wollen wir unsre zu Boden geschlagene Heeres- macht wieder versammeln, und mit einander berathschlagen, wie wir kuͤnftighin unsern Feind am allermeisten beschaͤdigen, wie wir uns un- sers Verlustes wieder erholen, wie wir diesen greulichen Jammer uͤberstehen, was vor eine Staͤrckung wir von der Hoffnung gewinnen, und wenn das nicht angehet, was vor einen Entschluß wir von der Verzweifelung erhalten moͤgen. Also redete Satan mit seinem naͤchsten Bun- desgesellen, mit dem Haupt hoch uͤber den Wellen, und mit Augen, die funkelnd blizeten; seine Verl. Paradies. I. B. seine uͤbrigen Glieder lagen vorwaͤrts auf der Flut, in die Laͤnge und Breite ausgestrecket, und nahmen schwimmend viele Hufen Feldes ein, sie waren in ihrer ungeheuren Groͤsse denen ungefugen Riesen in den Fabeln gleich, dem Titanischen Stamme, den Kindern der Erden, die mit Jupiter Krieg fuͤhreten, dem Briareus und dem Typhon, welche sich in der Hoͤle vor der alten Stadt Tharsus auf- hielten, oder dem Leviathan, einem Seethie- re, welches an Groͤsse das ungeheureste unter allen denen Wercken des Schoͤpfers ist, so in dem Oceanus schwimmen. Wenn ihn et- wann der Pilot eines kleinen verirrten Schif- fes Nachts in der beschaͤumten Norwegischen See Und nahmen schwimmend viele Hufen Feldes ein) Se- het hier geistliche Wesen in coͤrperliche verwandelt. Der Poet redet nicht anderst davon, als wenn es wahrhafte Leiber waͤren. Er konnte sie den Sinnen und der Ein- bildung auf keine andre Weise vorstellig machen, als so er sie sichtbar und coͤrperlich machete. Dieses that er durch eine poetische Schoͤpfung, nach welcher das Moͤgliche ins Wuͤrckliche hinuͤbergebracht wird. Er hat seiner Kunst und seiner Absicht eine vollkommene Gnuͤge gethan, wenn er die Gestalten und Verrichtungen seiner geistlichen Perso- nen also zugerichtet hat, daß sie ihren Character und ihre Geschichte der Phantasie auf eine empfindliche Weise vor- stellen, und alle die Eindruͤcke darinnen hervorbringen, welche zu der Absicht des Poeten dienen koͤnnen. Die Poesie bekuͤmmert sich eigentlich nicht um das Wahre des Verstands; es ist ihr nur um die Besiegung der Phantasie zu thun; darum begnuͤget sie sich an dem Wahrscheinlichen, welches auf das Zeugniß der Sinnen und der Phantasie gegruͤndet ist. Johann Miltons See schlafend findet, sieht er ihn oft vor ein Eiland an, und wirfft, wie die Seefahrer erzehlen, den Ancker auf seine schuppigte Rinde aus, und haͤlt sich an seiner Seite hinter dem Winde, so lange als die Nacht das Meer unsicher macht, und der gewuͤnschte Morgen sich zoͤgert. So weit in die Laͤnge ausgebrei- tet lag der Ertzfeind auf dem brennenden Tei- che, wie mit Fesseln festgemacht, waͤre auch nimmermehr von demselben aufgestanden, oder haͤtte nur sein Haupt empor gehoben, wofern ihn nicht der Wille und die Erlaubniß des allesregierenden Himmels seinen eignen schwar- zen Anschlaͤgen wieder uͤberlassen haͤtte, auf daß er durch wiederholte Uebelthaten die Ver- dammniß nur mit desto schwererer Last auf sein eignes Haupt weltzete, alldieweil er beflissen ist Wirft den Ancker auf seine schuppigte Rinde aus) Die Poesie hat ein eigenes Recht auf die gemeine Sage, die Maͤhrgen, und die Fabeln; massen diese gleichsam eine Historie von dem zweyten Rang ist, welche bey dem ge- meinen Haufen der Menschen eben so viel Glauben findet, und so viel Ansehen hat, als die wahrhafte Geschichte selbst. Denn dieses ist schon genug, die poetischen Vorstellungen, der Absicht des Dichters gemaͤß, wahrscheinlich zu machen. Wer dieses bey sich betrachtet, wird die aberglaubigen Dinge, die etwa von den Poeten zu ihrem Gebrauche an- gebracht werden, vor nichts mehrers nehmen, als vor apocryphische Geschichten, vor Begegnissen aus dem Rei- che der Poesie, vor Bestrebungen und Fruͤchte der Ein- bildungskraft und des Witzes. Das sind diejenigen Ar- ten des Vermoͤgens der Seele, deren Springfedern und Triebraͤder der Poet mit seinen Gewichten und Schluͤsseln aufzieht, daß sie spielen. Verl. Paradies. I. B. ist, andern Schaden zu thun, und vor Zorn berstend saͤhe, wie alle seine Boßheit alleine dienete, den von ihm verfuͤhrten Menschen mit unendlicher Guͤte, Gnade und Gunst zu uͤber- schuͤtten, hingegen auf ihn selber dreyfache Schmach, Entruͤstung und Rache zu ziehen. Jezo hebet er ploͤtzlich seinen maͤchtigen Coͤr- per von dem Pful empor, an beyden Seiten neigeten die zuruͤcke gestossene Flammen ihre scharfen Spitzen, und indem sie sich in Wel- len uͤberweltzeten, oͤffneten sie in der Mitte ei- nen greulichen Thal. Hernach regieret er sei- nen Flug in der Hoͤhe mit ausgespanneten Fluͤgeln, und schwebet in der dunckelbraunen Luft, welche eine ungewoͤhnliche Last fuͤhlete, bis er an das trockene Land hinunterstieg; wenn je Land war, was bestaͤndig mit einem gediegenen Feuer brannte, wie der See mit einem fluͤssigen siedet. Er schien an Farbe wie ein Felsen, den die Macht eines unterirdischen Windes vom Pelorus abgerissen hat, und in einen andern Ort hintraͤgt, oder wie die be- schaͤdigte Seite des donnernden Etna, dessen oͤligtes und hartzigtes Eingeweide, wenn es in einen Brand koͤmmt, mit einer mineralischen Wuth in die Hoͤhe schlaͤgt, die Macht der Winde verstaͤrcket, und einen versengten Bo- den, mit Rauch und Gestanck gantz bedecket, hinterlaͤßt. Eine solche Ruhstatt fanden die Solen der unseligen Fuͤsse. Sein naͤchster Ge- selle folgete ihm, und beyde ruͤhmten sich, daß sie aus dem stygischen Pful als Goͤtter her- aus Johann Miltons ausgestiegen waͤren, kraft ihrer eigenen wie- dererhaltenen Staͤrcke, nicht aus Verguͤnsti- gung der obersten Macht. Jst dieses die Landschaft, sagte hernach der verlohrne Ertzengel, ist dieses das Revier, die Gegend, ist dieses die Wohnung, welche wir mit dem Himmel vertauschen muͤssen; diese leidige Pechschwaͤrtze mit dem himmlischen Lich- te? Jch bin es zufrieden, nachdem derjenige, der jezo der Hoͤchste ist, heissen und gebiethen kan, was recht seyn soll. Es ist am besten, wir seyn am weitesten von dem entfernt, den Vernunft und Billigkeit uns gleiche gemachet, Gewalt uͤber diejenigen, die seines gleichen waren, erhoben hat. Gehabet euch wohl gluͤckselige Felder, wo die Freude auf ewig wohnet! Sey gegruͤßt abscheulicher Ort, sey gegruͤßt unterste Welt, und du, tiefeste Hoͤl- le, empfange deinen neuen Einwohner: Einen, der ein Gemuͤthe mit sich bringt, das weder Ort noch Zeit zu aͤndern vermag. Das Ge- muͤthe wohnet in ihm selbst, und kan in ihm selbst einen Himmel aus der Hoͤlle, und eine Hoͤlle aus dem Himmel machen. Was fra- ge ich darnach, wo ich sey, wenn ich bestaͤn- dig Es ist am besten, wir seyn am weitesten) Dieses ist aus dem griechischen Spruͤchwort genommen, πόῤῥω Διός τε καὶ κεραυνου̃. Bentley. Sey gegruͤßt, abscheulicher Ort) Die Gedancken und Entschluͤsse Satans sind so beschaffen, wie es sich vor ein erschaffenes Wesen von der erhabensten und dabey ver- kehrtesten Natur gehoͤrt. Addison. Verl. Paradies. I. B. dig der vorige bin, und was ich seyn soll, alles, nur alleine geringer, als der ist, wel- chen der Donner groͤsser gemacht hat? We- nigstens werden wir hier frey seyn; der All- maͤchtige hat hier nicht gebaut, was er uns mißgoͤnnen sollte, er wird uns von hier nicht verjagen wollen: Hier moͤgen wir in Sicher- heit regieren, und in meinem Sinn ist Re- gieren des Nachstrebens werth, auch in der Hoͤlle selbst: Es ist besser in der Hoͤlle zu re- gieren, als in dem Himmel zu dienen. Aber warum lassen wir denn unsre getreuen Freun- de, die sich unsers Verlustes mittheilhaftig ge- macht haben, auf dem betaͤubenden Pful so daniedergeschlagen liegen, und ruffen sie nicht zu uns, daß sie ihren Theil an dieser unseli- gen Wohnung mit uns beziehen, oder daß sie noch einmahl mit neuvereinigten Waffen versuchen, ob im Himmel noch etwas koͤnne erobert oder in der Hoͤlle noch etwas verloh- ren werden? Also sagte Satan. Beelzebub antwortete ihm dergestalt: Fuͤhrer dieser glaͤntzenden Krie- gesschaaren, welche niemand als der Allmaͤch- tige hat schlagen koͤnnen, wenn sie nur deine Stimme wieder hoͤren werden, ihr lebhaftestes B Hoff- Hier werden wir zum wenigsten frey seyn) Mitten un- ter den gottlosen Reden, in welche der rasende Geist hier und dar losbricht, hat der Poet nichts einfliessen lassen, was nicht bey seiner Erhabenheit ungereimt und unanstoͤssig ist; Denn seine Reden waren nur dem Scheine nach erhaben, nicht in ihrem wahren Wesen, Addison. [Critische Sam̃l.] Johann Miltons Hoffnungs-Pfand, in Furcht und Noth, die sie so oft in der hoͤchsten Gefahr gehoͤrt, und in dem hartesten Stande des Gefechtes, in allen Anfaͤllen, wenn die Wuth rasete, vor ihr sicher- stes Wahrzeichen gehalten haben, so werden sie bald von neuen einen Muth fassen, und wie- der aufleben, wiewohl sie jezo auf jener Feuer- See mit betaͤubten und erstarrten Sinnen, wie wir selbst unlaͤngst, unter sich gekehrt auf dem Bauche liegen, das kein Wunder ist, nachdem wir von einer so erschrecklichen Hoͤhe gefallen sind. Er hatte kaum aufgehoͤret, als der hoͤhere Teufel nach dem Gestade zu gieng; er hatte sein schweres Schild von einer Etherischen Staͤh- lung, massiv, breit, und rund, auf den Ruͤ- ken geworffen; es hieng in einem weiten Um- fange auf seinen Schultern, und war anzusehen, wie der Mond, dessen Scheibe der Toscanische Kuͤnstler des Abends von dem Gipfel des hohen Fesole oder zu Valdarno durch ein optisches Glas beschauet, damit er in seiner fleckigten Ku- gel neue Laͤnder, Fluͤsse, und Berge, entdecke. Mit seinem Spiesse verglichen, waͤre die laͤng- ste Tanne auf den Norwegischen Bergen, wel- che fuͤr den Mastbaum eines grossen Admiral- Schiffes gehauen wird, nur eine Ruthe. Er stuͤtzete sich auf denselben indem er seine muͤhsa- men Tritte auf dem brennenden Morast fortse- zete, nicht so gemaͤchliche Tritte, als auf dem Lazur des Himmels; das sengende Clima, mit Feuer bewoͤlbet, schmiß daneben haͤftig auf ihn zu. Verl. Paradies. I. B. zu. Nichtsdestoweniger hielt er es aus, bis er den Strand dieser entflammten See erreichet hatte, an demselben stuhnd er stille und rief sei- ne Legionen; Englische Gestalten, welche sinn- los uͤber einander geworffen lagen, so dicht als die Blaͤtter im Herbst, wenn die Baͤche in Val- lombrosa, uͤber welchen die hetrurischen Baͤu- me hangende Sommerlauben ziehen, damit uͤbersaͤet werden; und als das verzetelte Schilf, das an den Kuͤsten des rothen Meers floß, da Orion dasselbe mit unbaͤndigen Winden peitsche- te, und den Busiris mit seiner memphischen Reuterey unter die Wellen versenckete, als sie B 2 aus Das sengende Clima, mit Feuer bewoͤlbet, schmiß haͤf- tig auf ihn zu.) Satans Ankunft auf dem Gestade von zusammengeronnenem Feuer ist keine neue Straffe, wie Ma- gni davor haͤlt, sondern nur eine neue Art der Pein, die in dem Urtheil seiner Verdammniß schon enthalten war. Dieses ward an ihm und seinen Mitgesellen in tausend ver- schiedenen Veraͤnderungen vollstrecket. Und den Busiris unter die Wellen versenckete, ‒ ‒ ‒ und zerbrochenen Wagenraͤder sahen) Milton wußte nichts von der falschen Zaͤrtlichkeit in dem Geschmack einiger neu- ren Kunstrichter, welche in den Homerischen Gleichnissen dasjenige verwerffen, was sie mit einem vielmehr laͤcher- lichen, als artigen Ausdruck, einen langen Schwantz heissen; die keinen uͤberfluͤssigen Pinselzug darinnen leiden koͤnnen, nichts darinnen dulden wollen, was nicht in dem Bild und dem Gegenbild in einem hohen Licht absticht, als ob eine kleine mahlerische, lebhafte und anmuthige Zu- gabe, die bey Gelegenheit einer schoͤnen Schilderey am rechten Orte angebracht wird, in solchen Wercken schaͤd- lich Johann Miltons aus unredlicher Feindschaft den Gaͤsten der Land- schaft Gosen nachjagten, die jezo an dem sichern Ufer ihre schwimmenden Leichnahme und zerbro- chenen Wagenraͤder sahen; eben so dicht, so verstreuet, verzetelt und verlohren, lagen diese gefallenen Engel, bedecketen den Pful, und wa- ren vor Bestuͤrtzung uͤber ihrer graͤßlichen Ver- aͤnderung gantz auser sich selbst. Er rief so laut, daß die gantze hole Tiefe der Hoͤllen davon erschallete. Fuͤrsten, Herzoge, Kriegeshaͤupter, der Aus- bund des Himmels, der unlaͤngst euer war, je- zo verlohren ist, woferne ein solches Erstaunen, wie dieses, ewige Geister uͤberfallen kan; oder habet ihr diesen Ort erwehlet, hier nach der strengen Arbeit des Gefechts eure muͤde Dapfer- keit ausruhen zu lassen, weil ihr vielleicht die Ru- he lich und nachtheilig waͤre, wo das Gemuͤthe durch das Mittel der Phantasie in Bewegung gebracht werden muß. Seine Vergleichungen sind nach Homers Manier verfasset, und dieses dienet ihnen zum Ruhme, weil sie zugleich der Natur derer gemaͤß sind, auf welche sie wuͤrcken sollen. Man hat uͤber dieses beobachtet, daß der so genannte Schwantz eines Gleichnisses bey ihm oͤfters zum Grund ei- ner neuen Vergleichung geleget wird, und daß er das vor- hergehende mit dem nachfolgenden verbindet; diese Ver- bindung koͤmmt desto scharfsinniger heraus, weil wir auf diese Weise zwey Gleichnisse in einem bekommen. Von die- ser Art sind neben dem gegenwaͤrtigen, das von den Chi- nesen im zweyten B. welche ihre Rohrwagen mit Segel und Wind forttreiben, und im vierten B. das von dem Feld der Ceres, und andere mehr. Weil ihr die Ruhe allhier so suͤß findet) Magni hat nicht gemercket, daß Satan allein durch eine Jronie, oder auch Verl. Paradies. I. B. he allhier so suͤß findet, als in den Thaͤlern des Himmels; oder habet ihr geschworen, daß ihr den Ueberwinder in dieser niedertraͤchtigen Stel- lung anbeten wollet? Derselbe sieht jezt den Cherub und Seraph mit weggeworffenen Waf- fen und Fahnen in der Fluth sich uͤberwerffen, und warten bis seine schnellen Nachjager von den Pforten des Himmels ihren Vortheil erblicken, heruntersteigen und uns danieder treten, indem wir so liegen; oder uns mit zusammengeketteten Donnerkeilen auf den Boden dieses Golfo an- heften. Erwacht, steht auf, oder euer Fall muͤsse in Ewigkeit waͤhren. Sie hoͤreten ihn, schaͤmeten sich, und fuhren auf ihren Fluͤgeln auf, wie, wenn Leute, die Amts wegen wachen sollten, von jemandem, den sie fuͤrchten, schlaffend gefunden werden, aufspringen und sich geschaͤftig erzeigen, eh sie recht erwachet sind. Mithin wurden sie ihres schlimmen Zustandes bald gewahr, und fuͤhleten die tobende Pein. Doch gehorsamten sie der Stimme ihres Obristen alsobald. Eine unzaͤh- lige Menge, wie als der maͤchtige Stab des Sohns Amrams an Egyptens boͤsen Tage uͤber B 3 die auch durch eine Verringerung, eine Ruhe heißt, was eine gaͤntzliche Ohnmacht und ein voͤlliges Stillstehen ihrer Kraͤfte war. Sie wurden ihres schlimmen Zustands gewahr, und fuͤh- leten die tobende Pein) Magni macht den laͤcherlichen Schluß, weil sie erst jezo die Pein gefuͤhlt, seyn sie zuvor, als sie noch in dem Pful ohnmaͤchtig gelegen waren, noch nicht verdammt gewesen. Johann Miltons die See-Kuͤste geschwungen ward, und eine pechschwartze Wolcke von Heuschrecken zusammen jagte, welche sich nach dem Ostwinde neigete, und wie eine Nacht uͤber dem Koͤnigreiche des gottlosen Pharaoh hieng, daß das gantze Land am Nil verfinstert ward. So unzaͤhlbar viele boͤse Engel sah man unter dem Dache der Hoͤl- len auf ihren Fluͤgeln schweben, oben, unten, und auf den Seiten mit Feuer umschlossen; bis daß sie auf das gegebne Zeichen, als ihr grosser Sultan den Spieß schwaͤnckete, in geraden Li- nien auf den festen Bimsstein heruntersteigen, und die gantze Ebene anfuͤllen; eine Menge, der- gleichen der volckreiche Norden niemahls aus seinen kalten Lenden ausgeschickt hat, damit sie uͤber den Rhein und die Donau setzeten, als sei- ne barbarische Soͤhne vor Zeiten wie eine Was- serfluth nach dem Suͤden kamen, und sich bis un- ter Gibraltar gegen den Lybischen Sand zu aus- breiteten. Alsobald eilen die Haͤupter und Fuͤh- rer von jeglichem Geschwader und Haufen da- hin, wo ihr grosser Gebieter stuhnd; es waren goͤttliche Gestalten und Bildungen, uͤber die menschlichen erhoben, fuͤrstliche Wuͤrden und Hohei- Goͤttliche Gestalten, und Bildungen, uͤber die mensch- lichen erhaben) Der Poet konnte ihnen unter denen Ge- stalten, die in das coͤrperliche Auge fallen, keine wuͤrdi- gere zuschreiben, als die menschliche; diese leget er nicht alleine den seligen Engeln, sondern auch den verdammten zu, welche ungeachtet ihrer Verdammniß dennoch Engel, obgleich gefallene Engel, waren, fuͤrstliche Wuͤrden und Hoheiten, die unlaͤngst im Himmei auf Thronen sassen. Er Verl. Paradies. I. B. Hoheiten, welche hiebevor in dem Himmel auf Thronen sassen, wiewohl ihre Nahmen jezo in den himmlischen Registern nicht mehr gelesen werden, sondern nach ihrem Aufstand in den Buͤchern des Lebens ausgeloͤschet und ausgetil- get worden. Sie hatten auch die neuen Nah- men noch nicht angenommen, welche sie hernach unter den Soͤhnen der Eva fuͤhreten, als sie aus hoher Zulassung Gottes, zur Pruͤffung der Menschen, den Erdboden durchwanderten, und durch ihre Falschheiten und Luͤgen den groͤsten Theil des menschlichen Geschlechtes verfuͤhrten, daß sie von Gott ihrem Schoͤpfer abtruͤnnig wur- den, und die unsichtbare Herrlichkeit dessen, der sie gemachet hatte, in das Bild eines vernunft- B 4 losen Er setzet ihre Verdammniß mehr in der innerlichen Verkehrt- heit ihres Gemuͤthes und Verstandes, als in der Veraͤn- derung ihrer aͤusserlichen Gestalt, wiewohl er die Merckma- le derselben auch auf diesen wahrzunehmen giebt. Da- durch empfaͤngt die Vorstellung derselben einen vortreffli- chen Grad der Erhabenheit. Die boͤsen Engel, die Dantes, Tasso, und Ceva, aufgefuͤhret haben, sind dieser Hoheit durch ihre viehischen und garstigen Gestalten beraubet. Stampano alcuni il suol di ferine orme E’n fronte umana han chiome d’angui attorte, E lor s’aggira dietro immensa coda Che quasi sferza si ripiega e snoda. TASSO. Milton hat diese hochmuͤthigen Engel nicht alleine solcher erniedrigender, und ihnen zu ihren feindseligen und auf- ruͤhrischen Anschlaͤgen nichts helfender Ungestalten entledi- get, sondern noch uͤberdieß allen Fleiß angewendet, daß er die gemeine menschliche Gestalt, die er ihnen zutheilt, erhuͤbe. Johann Miltons losen Thiers verwandelten, und Teufel fuͤr Gott- heiten anbeteten, die sie mit zierlichen Religio- nen voll bunten Gepraͤnges und Goldes aus- schmuͤcketen. Damahls wurden sie in dem Hei- denthum unter mancherley Nahmen und man- cherley Goͤtzenbildern weit und breit bekannt. Nenne sie Muse bey ihren Nahmen, die sie damahls empfiengen; was vor hohe Fuͤrsten kamen erstlich, nachdem sie in diesem feurigen Lager vom Schlafe erwachet waren, auf den Ruf ihres grossen Beherrschers, nach ihrem Rang, in guter Ordnung, zu ihm an den duͤr- ren Strand, wo er stuhnd, da das gemeine Heer Nenne sie, Muse, bey ihren Nahmen) Milton leget hier nicht einen blossen Kram von Gelehrsamkeit aus, die dabey mit einer poetischen Annehmlichkeit vorgetragen wird, damit er dem Leser zeige, wie viel er wisse; sondern er macht uns naͤher mit diesen gefallenen Engeln bekannt, die in dem folgenden Buche zu unsrem Verderben eine so schwartze und grausame Berathschlagung halten. Er hat ein Mittel gefunden, uns die Erkenntniß derselben durch die Erfindung, daß sie eben die heidnischen Goͤtzen sind, die wir schon zuvor kennen, gewaltig leicht zu machen. Und diese Erkenntniß dienet zu gleicher Zeit, uns in einen gewissen Affect gegen sie zu versetzen, der uns reitzet, an alle demjenigen Theil zu nehmen, was der Poet von ih- rem Zustand, ihren Anschlaͤgen und Verrichtungen, nach- gehends erzehlet. Wir fangen jezo an, uns gegen sie zu partheyen. Daneben steht diese Musterung sehr ge- schickt an diesem Orte, die Aufmercksamkeit, die durch so viele seltsame Vorstellungen und erhabene Begriffe ermuͤdet worden, einigermassen zu erquicken. Da das gemeine Heer immittelst in vermischten Haufen stuhnd) Der Poet laͤßt sie eben die Ordnung, den Rang, und Verl. Paradies. I. B. Heer immittelst auf dem weiten Feld in vermisch- ten Haufen stuhnd? Diejenigen waren die er- sten, welche lange hernach, als sie aus dem Lo- che der Hoͤllen herausgestiegen, auf ihren Raub zu gehen, ihre Wohnungen zunaͤchst bey dem Sitze Gottes, ihre Altare neben seinem Altare setzen durften, wo sie unter den Heiden als Goͤt- ter angebetet wurden, und sich Jehovah, der aus Sion donnerte, und zwischen den Cheru- bim saß, an die Seite stellen durften; ja ihre Greuel, ihre Statuen, mitten in sein Heilig- thum stelleten; und mit laͤsterlichen Dingen sei- ne heiligen Ceremonien und feyrlichen Festtage entheiligten, und mit ihrer Finsterniß seinem Lichte trutzen durften. Zuerst kam Moloch, ein greulicher Koͤnig, mit Blut von geopferten Men- schen, und mit Thraͤnen der Aeltern beschmuͤzt, welche doch das Geschrey ihrer Kinder, die sei- nem grimmigen Bilde auf die gluͤhenden Armen geleget wurden, vor dem lauten Gethoͤne der Trummeln und Paucken nicht hoͤren konnten. Der Ammonite verehrte ihn zu Rabba und in der wasserreichen Ebene daselbst, zu Argob und Ba- san bis an den weit abgelegenen Fluß Arnon. B 5 Er und die Wuͤrde behalten, die sie in ihrem himmlischen Stande gehabt hatten, wie aus dem fuͤnften und sechsten B. erhellet. Die gemeine Lehre von den Engeln lautet: So ward die Geisterwelt; verschiedne Macht und Ehre, Entschieden stuffenweis die unzaͤhlbaren Heere, Die ungleich satt vom Glantz des mitgetheilten Lichts Jn langer Ordnung stehn, von Gott zum oͤden Nichts. Haller. Johann Miltons Er begnuͤgte sich mit dieser verwegenen Nachbar- schaft nicht, sondern verfuͤhrte das weiseste Hertz Salomons durch List, daß er ihm auf dem aͤr- gerlichen Berge dem Tempel Gottes gegen uͤber einen Tempel bauete, und seinen Lustwald, das angenehme Thal Hinnon, zu einem Vorbild der Hoͤlle machte, daher es auch Tophet, und das schwartze Gehenna geheissen ward. Hier- naͤchst kam Chemos, das unkeusche Schreck- Bild der Soͤhne Moab; dieser herrschete von Aroar bis nach Nebo, und weit gegen Suͤden bis in die Wildnissen von Abarim; zu Hesebon, und Heronaim, in dem Koͤnigreiche Sihons, den bluͤhenden Thal Sibma hinunter, der mit Weinreben verhangen ist, und zu Eleale, bis an den Asphaltischen Teich. Peor war sein andrer Nahme, als er Jsrael in ihrem Anzuge von dem Nile anreitzete, ihm wolluͤstige Feste zu halten, welches ihnen viel Schmertzen geko- stet. Dennoch erweiterte er nachgehends sein uͤppiges Reich bis zu dem Berge des Aergernis- ses und dem Hayne des moͤrderischen Molochs, wo Wollust und Grausamkeit neben einander herrscheten, bis daß der fromme Josias beyde von dar zur Hoͤlle jagte. Mit diesen kamen diejenigen, welche von dem alten Graͤntze-Strohme Euphrates an, bis zu dem Flusse, der Egypten von den Syrischen Landschaften scheidet, mit einem gemeinen Nah- men Baalim und Astaroth genannt wurden, jene maͤnnliches, diese weibliches Geschlechts. Denn Geister koͤnnen nach ihrem Willen das eine Verl. Paradies. I. B. eine oder das andere Geschlecht, oder beyde zu- gleich an sich nehmen; so zart und ungemengt ist ihr reines Wesen, nicht mit Gelencken und Gliedmassen zusammengeschlossen und geknuͤpft, noch auf die zerbruͤchliche Staͤrcke der Beine ge- gruͤndet, wie das verhinderliche Fleisch; was vor eine Gestalt sie aber an sich nehmen, eine ausgedaͤhnte, oder zusammengezogene, eine helle oder dunckle, koͤnnen sie in selbiger ihr gei- stiges Vorhaben bewerckstelligen, und Wercke der Liebe oder des Hasses vollbringen. Um die- se vertauschte der Stamm Jsrael oft seine le- bendige Staͤrcke, und ließ seinen heiligen Altar unbesucht, und buͤckete sich hingegen vor unver- nuͤnftigen Goͤttern zur Erden, welches machte, daß er den Nacken eben so tief im Kriege buͤ- ken, und vor den Spiessen veraͤchtlicher Feinde niederfallen mußte. Jn diesem Haufen kam auch Astoreth, welche die Phoͤnizier Astarte nannten, eine Koͤnigin des Himmels mit wach- senden Hoͤrnern; das Sidonische Frauenzim- mer bezahlte des Nachts beym Mondscheine vor ihren glaͤntzenden Statuen ihre Geluͤbde, und sangen ihr Lobgesaͤnge; sie blieb auch in Sion nicht unbesungen, wo ihr Tempel auf dem aͤr- gernden Berge stuhnd, der von dem verbuhl- ten Koͤnig erbauet worden, dessen sonst so groß- muͤthi- Was vor eine Gestalt sie aber an sich nahmen) Dieses dienet, den Leser zu der wunderbaren Zusammenziehung der Englischen Gestalten in dem Saale des Pandaͤmonium vorzubereiten, welche am Ende dieses ersten B. gedichtet wird. Johann Miltons muͤthiges Hertz durch den Reitz seiner schoͤnen Abgoͤtterinnen zu schaͤndlichen Goͤtzen uͤbergieng. Thammuz gieng gleich hinter ihr her, dessen jaͤhrliche Verwundung die Syrischen Frauens- personen auf den Libanon versammelte, damit sie allda sein ungluͤckseliges Schicksal einen gan- zen Sommer-Tag lang in verliebten Liedern beweineten, da der sanftfliessende Adonis inzwi- schen von seiner Geburts-Klippe purpurfarbe in die See floß, wie sie sich einbildeten, von des Thammuz Blut gefaͤrbet, welcher jedes Jahr verwundet ward. Diese Liebesfabel sezte die Toͤchter Sions in eine gleiche Hitze; Ezechiel sah ihre schaͤumenden Luͤste in dem heiligen Vor- hofe, als sein Auge im Gesicht die schnoͤde Ab- goͤtterey des abtruͤnnigen Juda gesehen. Her- nach kam einer, der im Ernst weinete, als die gefangene Bundslade seine thierische Statue zerstuͤmmelte, und ihm in seinem eigenen Tem- pel Haupt und Haͤnde an dem Fuß-Gesimse von dem Rumpf hinwegschlug, an welchem er den Kopf anstieß, und seine Anbeter zu Schanden machete: Dagon war sein Nahme, ein Meer- Wunder, oberhalb ein Mensch, und untenher ein Fisch. Doch hatte er in der Stadt Azot ei- nen hochaufgebauten Tempel, und ward auf der gantzen Kuͤste von Palestina, zu Gad und Ascalon, und Accaron, und an den Graͤntzen der Stadt Gaza gefuͤrchtet. Jhm folgete Rim- mon, der seinen anmuthigen Sitz in dem schoͤ- nen Damascus hatte, an den fruchtbaren Ufern des Abbana, und Pharphars, zweyer heller Fluͤsse. Verl. Paradies. I. B. Fluͤsse. Auch dieser setzete sich voller Verwe- genheit wider das Haus des Herren; auf eine Zeit verlohr er einen Aussaͤtzigen aus seinem Dienst, und gewann hingegen einen Koͤnig; nemlich den albern Achas, der ihn doch uͤber- wunden hatte; denselben uͤberredte er, daß er Gottes Altar wegthat, und einen nach Syri- scher Art dahin setzete, auf welchem er seine ver- haßten Opfer brannte, und die Goͤtter, die er uͤberwunden hatte, anbetete. Nach diesen erschien eine Schaar, welche unter den alten beruͤhmten Nahmen, Osiris, Jsis, Orus, und ihres Gefolges, des fanati- schen Egyptens und seiner Priester mit ungeheu- ren Verwandlungen und zauberischen Kuͤnsten dergestalt spotteten, daß es seine herumirrenden Goͤtter in verlarveten Gestalten suchete, welche vielmehr thierisch als menschlich waren. Die ansteckende Seuche ergriff auch Jsrael, als sie an dem Oreb von dem geborgten Gold ein Kalb macheten, und als der rebellierende Koͤnig diese Suͤnde zu Bethel und zu Dan verdoppelte, und seinen Schoͤpfer in einen grasenden Ochsen bil- dete, denjenigen Jehovah, welcher in einer Nacht, als er aus Egypten zog, im Voruͤber- gehen mit einem Streiche die erstgebohrnen Soͤhne dieses Landes, und alle seine bloͤckenden Goͤtter, umgebracht. Belial kam zulezt, der unzuͤchtigste und groͤ- beste Geist, der von dem Himmel gefallen, der das Laster um des Lasters willen liebete; Jhm war zwar kein Tempel aufgerichtet, und kein Altar Johann Miltons Altar raͤucherte ihm, aber wer wird oͤfter in den Tempeln und beym Altar gesehen, wenn der Priester zum Atheisten wird, wie die Soͤhne des Eli, welche das Haus Gottes mit unrei- ner Lust und Gewaltthaͤtigkeit anfuͤlleten? Er regieret auch an den Hoͤfen, in Palaͤsten, und in wolluͤstigen Staͤdten, wo das Getuͤmmel der Schwelgerey, und Unrecht, und Drangsal, hoͤher, als ihre erhabensten Thuͤrme, steigt. Und wann die Nacht jezo die Gassen dunckel ma- chet, so schwaͤrmen die Soͤhne Belials, von Wein und Muthwillen gespornet, auf densel- ben herum; Zeugen dessen sind die Gassen von Sodom, und jene Nacht zu Gibea, da die gastfreye Thuͤr eine Frau auf die Gasse hinaus- stellte, damit eine aͤrgere Schande vermieden bliebe. Dieses waren die vornehmsten an Rang und an Macht; aller uͤbrigen zu gedencken, wuͤrde zu weitlaͤuftig seyn, wiewohl sie weit und fern beruͤhmt waren; die Jonischen Goͤtter, welchen Javans Nachkommen goͤttliche Ehre angethan haben, da sie doch selber bekennten, daß sie nicht so alt waͤren, als Himmel und Erde, ge- stalt sie diese vor ihre Stammvaͤter ausgaben; Titan, der erstgebohrne Sohn des Himmels mit seiner ungeheuren Brut, welchen Satur- nus sein juͤngerer Bruder seines Geburts-Rechts beraubet, hernach von dem maͤchtigern Jupiter, seinem eigenen und der Rhea Sohn, ein glei- ches Maaß empfangen hat; so daß Jupiter das Reich mit Gewalt uͤberkommen hat. Diese waren Verl. Paradies. I. B. waren erstlich in Creta und auf Jda bekannt, herrscheten hernach auf dem beschneyten Gipfel des kalten Olympus in der mittlern Luft, ih- rem hoͤchsten Himmel; oder auf der delphischen Klippe; oder zu Dodona, und so weit die Graͤn- zen des dorischen Lands sich erstreckten. Andere flohen mit dem alten Saturn uͤber Adria in die hesperischen Landschaften, und streifeten uͤber das celtische Land bis in die entlegensten Jnseln. Alle diese und noch mehr kamen zu Schaaren, aber mit niedergeschlagenen und truͤben Blicken, in welchen doch einige dunckle Funcken von Freu- de glimmmeten, weil sie ihr Haupt nicht aller Hoff- Herrscheteu hernach anf dem beschneyten Gipfel des kal- ten Olympus in der mittlern Luft, ihrem hoͤchsten Himmel) Diese und etliche andere dergleichen Stellen sagen uns deutlich genug, was Milton von den mythologischen Fa- beln hielt. Man muß sehr unbillig mit ihm umgehen, oder von gar bloͤdem Verstande seyn, wenn man den him- melweiten Unterschied, den er zwischen der Mythologie und dem wahren Grund seiner eigenen Erdichtungen ma- chet, nicht wahrnehmen kan. Wer sieht nicht, wenn er die mythologische Geschichte mit einer historischen Art an- fuͤhrt, daß er alsdann nur der Mund der alten Poeten ist, und in ihrem Nahmen das Wort fuͤhret? Es ist so ferne, daß er sie damit beglaubigen wolle, daß er viel- mehr an den meisten Orten ihre Falschheit andeutet, und wo er dieses nicht mit ausdruͤcklichen Worten thut, durch seine Verkleinerung derselben zu erkennen giebt, in welcher Achtung und Ansehen sie bey ihm stehen, und wie er sie vor blosse Vorstellungen der Phantasie gebrauche. Jn welchen doch einige dunckle Funcken von Freude glimmeten) Das war eine Freude nur in Absicht auf die vorige Johann Miltons Hoffnung beraubt sahen, weil sie sich selbst mit- ten in dem Verlust nicht verlohren sahen. Ei- ne zweydeutige Farbe bemahlete auch dessel- ben Gebehrden. Aber er holete seinen ge- woͤhnlichen Hochmuth bald wieder hervor, und richtete ihren sinckenden Muth mit schwuͤlstigen Worten, die zwar den Schein einer Hoheit, aber nicht das Wesen hatten, allmaͤhlig wieder auf, und verjagte die Furcht aus ihren Hertzen. Hernach befahl er, daß seine maͤchtige Stan- darte unter dem kriegrischen Gethoͤne der Lau- ten, Trompeten und Paucken aufgestellt werde. Diese stoltze Ehre gebuͤhrete dem Azazel von Amtes wegen, einem geraden Cherub; welcher stracks das Reichs-Panier von dem schimmern- den Stabe abwickelte; dasselbe leuchtete wie ein Meteorum, als es in der Hoͤhe ausgebrei- tet nach dem Winde flatterte; die Seraphischen Wapen und Siegeszeichen glaͤntzeten von Gold und Edelsteinen, womit sie koͤstlich blasonniert waren, und inzwischen hoͤrte man von dem klin- genden Metall ein martialisches Gethoͤne erschal- len, auf welches das Heer ein allgemeines Feld- geschrey empor sandte, das die Kluft der Hoͤl- len erschuͤtterte, und draussen das Reich des Chaos vorige gaͤntzliche Zerschlagung; und zwar eine Freude fuͤr die Verdammten; nach ihrer Sprache; weil sie ihr Ober- haupt nicht alle Hoffnung aufgeben sahen, weil sie sich selbst wieder fuͤhleten, hielten sie sich vor gluͤcklicher, als sie erst noch vermeint hatten, und empfanden daher eine Lust; die aber an sich selbst so eitel ist, als der Grund, worauf Satan seine Hoffnung gruͤndet, und so elend, als ihr Zustand, in welchem sie sich wieder fuͤhlen. Verl. Paradies. I. B. Chaos und der alten Nacht erschreckete. Au- genblicklich sah man in dem duͤstern Licht zehn- tausend Panniere in die Luft emporsteigen, und von Aurora-Farbe schimmern; mit ihnen stieg ein ungeheurer Wald von Spiessen in die Hoͤhe; und Helme, und Schilde erschienen gedrange und dichtgeschlossen, in einer Schlachtordnung von einer unmenschlichen Breite. Nun ziehen sie in einem vollkommenen Phalanx nach der do- rischen Melodie anmuthiger Floͤten und Pfeifen; einer Melodie, welche die Helden des Alter- thums auf den hoͤchsten Grad der Großmuth erhub, wann sie eine Schlacht antraten, und ihnen an statt der Wuth eine gesezte Dapferkeit C ein- Nach der Dorischen Melodie) Wie der Poet im zwoͤlf- ten B. in den Gesichtern, die Adam vor Augen geleget worden, die Plaͤtze, die damahls noch ohne Nahmen waren, bey ihren Nahmen genannt, so sie nach der Zeit empfangen haben; also hat er hier dieser Melodie den Nah- men gegeben, den sie lange hernach in Griechenland be- kommen hat. Es ist so viel als wenn er gesagt haͤtte: Von dieser Art war nach der Zeit die Dorische Melodie. Was von der Wuͤrckung dieser Melodie folget, ist noch bey weitem nicht zulaͤnglich, die hoͤllischen Geister, wie Magni geglaubt hat, in einen Stand zu setzen, daß sie den seligen Engeln schier nichts mehr zu mißgoͤnnen hatten; denn die Ruhe und Stille, so sie in der Brust verursach- te, und die Verjagung der Angst und der Pein, so ihr durch eine poetische Vergroͤsserung zugeschrieben wird, sind nur fluͤchtige und betruͤgliche Symptomata, von keiner Dauer und von keiner Sicherheit. Die unruhigen Gedan- ken wurden nicht aus dem Wege geraumet, sondern nur eingeschlaͤffert, der Schmertze nicht geheilet, sondern nur gebannet. [Critische Sam̃l.] Johann Miltons einblies, die gantz entschlossen ist, und sich von der Furcht des Todes weder zur Flucht noch zu einem schaͤndlichen Abzug bewegen laͤßt; sie ist mit einer Kraft begabet, die unruhigen Gedan- ken mit ihrem feyrlichen Klange zu besaͤnftigen und zu stillen, und Angst, und Zweifelmuth, und Furcht, und Leid, und Pein, in sterblichen und unsterblichen Gemuͤthern zu vertreiben. Also sammelten diese Geister ihre vereinigten Kraͤfte mit unverwandten Gedancken in eines, indem sie in tiesem Stillschweigen unter dem Spiele der Schalmeyen, welches ihnen ihre muͤhsamen Tritte auf dem verbrandten Boden linderte, heranwerts ruͤcketen. Und jezo, da sie im Ge- sichte stehen, halten sie; ein graͤulicher Fluͤgel von erschrecklicher Laͤnge, in blendenden Ruͤstun- gen, mit Schilden und Spiessen versehen, nach der Weise des Alterthums; sie warteten also auf die Befehle ihres maͤchtigen Haupts. Der- selbe laͤßt seine erfahrnen Augen alle Linien der Schlachtordnung durchlaufen, und uͤbersieht mit geschwinden Blicken das gantze Heer, seine geschickte Stellung, die Gesichter und das An- sehen dieser Krieger, die Goͤttern gleich sahen; zulezt uͤberzehlt er sie. Und jezo blaͤhet sich sein Hertz mit Hochmuth, und pochet verhaͤrtend auf seine Staͤrcke: Denn seit der Mensch er- schaffen worden, ist niemahls eine solche Krie- gesmacht zusammengestossen, welche neben die- ser groͤsser scheinen koͤnnte, als jene kleine Jn- fanterie, die von den Kranichen bekriegt wird; wuͤrde gleich das gantze Riesen-Geschlecht von Phle- Verl. Paradies. I. B. Phlegra mit denen heroischen Nationen, die zu Theben und Jlium fochten, und auf beyden Seiten mit Huͤlfs-Goͤttern untermischt waren, in ein Heer zusammengefuͤget, und wuͤrden uͤber- dieß die Voͤlcker zu ihnen gestellet, welche in der Fabel oder dem Roman von Uthers Soh- ne so viel Aufsehens machen, die Brittischen und die Armorischen Ritter, nebst allen andern, ge- tauften und beschnittenen, die vor Zeiten in Aspramont, und Montalban, Damasco, Ma- rocco, und Trapezunt Ritterspiele gepfleget, und welche Biserta von dem Africanischen Ufer herausgesandt, als der grosse Carl mit allen sei- nen hohen Fuͤrsten zu Fontarabia geschlagen wor- den. So weit uͤberstieg diese Macht alle Ver- gleichungen mit sterblichen Kriegsheeren, den- noch sah sie auf ihren furchtbaren Gebieter. Derselbe stach an Gestalt und Gebehrdung uͤber alle andern hervor, und stuhnd in der Hoͤhe, wie ein Thurm; seine Bildung hatte ihren ur- spruͤnglichen Glantz noch nicht gaͤntzlich verloh- ren, und schien nicht schlechter, als eines Ertz- C 2 Engels, Und schien nicht schlechter, als eines Ertzengels, der gefallen war) Angelici fervens superest natura vigoris. ALCIMUS. Der einzige Milton hat die Vortrefflichkeit der Englischen Natur gebuͤhrend in Acht genommen, indem er sie an den gefallenen Engeln selber in allen denen Stuͤcken vorge- stellet hat, welche nur aͤusserlich sind. Was vor einen Begriff macht er uns nicht von Satans ehmahligen Glantz und Herrlichkeit, den er auch nach seinem Fall so trefflich glaͤntzend vorstellet, indem er sagt, daß nur das Ueber- maß Johann Miltons Engels, der gefallen war, und an einer Herr- lichkeit, die zuvor uͤbermaͤssig gewesen war, verkuͤrtzet worden: Wie wenn die aufsteigende Sonne mit verminderten Strahlen durch die benebelte Horizontal-Luft hervorblickt, oder in einer duͤstern Verfinsterung hinter dem Mon- den hervor eine ungluͤcksreiche Daͤmmerung auf den halben Theil der Welt fallen laͤßt, und die Monarchen in Sorgen setzet, daß Ver- aͤnderungen erfolgen werden. Auf diese Wei- se war der Ertzengel zwar verfinstert, jedoch an Glantz vortrefflicher als die andern alle. Aber auf seinem Angesichte waren von dem Donner tiefe Narben eingegraben, und die Sorge saß auf seinen erblaßten Wangen; aber in seinen Augbraunen las man einen un- gezaͤhmten Muth und einen gesezten Stoltz, der maß derselben sich verlohren habe? Dieser vortreffliche Rest von dem alten Glantze zeiget uns Satans Englische Natur in der Hoͤlle selbst, welche er mit seinem Heere stets behalten, ein jeder hatte noch Glantz nach dem Grade, auf welchem er ihn in den seligen Refieren des Himmels besessen, jedoch alle mit einander mit einiger Verminderung. Miltons Hoͤlle bekoͤmmt durch diese natuͤrliche Vorstellung eine Majestaͤt, welche Dantes, Tasso und Ceva, mit ihren haͤßlichen und eckelhaften Vorstellungen Satans und seiner Engel uͤbel verderbt haben. Wie wenn die aufsteigende Sonne ꝛc.) Als Miltons Gedicht zum ersten mahl sollte gedruͤckt werden, fehlte nicht viel, daß es von dem vorwitzigen Censor waͤre unterdruͤckt worden. Derselbe vermeinte in diesem Gleichniß eine po- litische Ketzerey und einen Hochverrath zu finden. Verl. Paradies. I. B. der auf Rache laurete; sein Auge war grim- mig, doch gab es Zeichen einer nagenden Ge- muͤthsleidenschaft von sich, wenn es seine Mit- gesellen, oder besser zu sagen, seine Nachfol- ger betrachtete, die sich seines Verbrechens mittheilhaftig gemacht hatten, welche er hie- bevor in einem ungleich andern Zustand der Seligkeit gesehen, jezo auf ewig verurtheilt sah, ihr Loos in der Pein zu beziehen; Mil- lionen Geister, die wegen seines Fehlers aus dem Himmel ausgemertzet, und wegen seiner Empoͤrung aus den ewigen Lichtern verstossen worden; wenn es sah, wie sie in ihrem ver- welckten Glantz dennoch so getreu bey ihm stuhn- den. Wie die herrlichen Staͤmme der Wald- Cichen und der Berg-Fichten, wenn sie das Feuer vom Himmel getroffen hat, mit ver- sengtem Gipfel und verduͤrrt noch auf der ver- brandten Heide stehen. Er war jezo bereit, sie anzureden; deßwegen schwenckten sie ihre gedoppelten Linien von Fluͤgel zu Fluͤgel, und schlossen ihn mit seinen Reichsfuͤrsten halbig ein. Die Aufmercksamkeit machte sie stumm. Dreymahl fieng er an, und dreymahl brach C 3 er Dreymahl brach er wider seinen hochmuͤthigen Willen in Thraͤnen aus) Die Thraͤnen der Ungluͤcklichen, wenn das Ungluͤck gleich eine verdiente Straffe ist, so fern es nur mit Reue begleitet ist, vermoͤgen uns zum Mitleiden zu bewegen. Hier empfinden wir solches durch die Kunst des Poeten gegen Satan und seine gefallenen Schaaren selbst, ungeachtet wir so gerechte und schwere Ursachen haben, sie als Gottes und unsre geschwornen und boß- hafte- Johann Miltons er wider seinen hochmuͤthigen Willen in Thraͤ- ner aus, solche, wie die Engel weinen, end- lich haftesten Feinde zu hassen. Die Ursache dessen mag seyn, weil wir uns in den Gedancken in einerley Umstaͤnde setzen, wie der vorgestellten Personen sind, und also denselbigen das Mitleiden zukommen lassen, das wir fuͤr uns selber em- pfinden wuͤrden; zumahl, da die Betrachtung dazu koͤmmt, daß wir selber nur allzu leicht in eine gleiche Noth fallen koͤnnen, oder gewissermassen darinnen begriffen sind. Dem- nach irren diejenigen sehr, welche davor halten, daß die Geschichte der Engel nicht bequem sey, die menschlichen Gemuͤther in Bewegung zu setzen; denn da wir durch die Vorstellung der boͤsen und feindseligen Engel in derglei- chen sanften Affect, wie das Mitleiden ist, gesetzet wer- den, was vor suͤsse Affecte werden nicht die Begegnisse der seligen Engel bey uns erwecken? Solche Thraͤnen, wie die Engel weinen) Milton hat den Engeln nicht nur diejenige coͤrperliche Gestalt angezo- gen, welche die ansehnlichste und bequemste war, nemlich die menschliche, sondern er hat diese noch sehr verbessert und verherrlichet. Jhre Schoͤnheit, Groͤsse, Staͤrcke, Munterkeit, Schnelligkeit, Unsterblichkeit, sind uͤber- menschlich, nicht nur an den seligen, sondern auch an den gefallenen Engeln. Sie haben daneben die Kraft, sich auszudaͤhnen und zusammenzuziehen; das maͤnnliche oder das weibliche Geschlecht an sich zu nehmen; sie leben durch und durch in allen Theilen, ihr Leben besteht nicht, wie bey den gebrechlichen Menschen, nur in dem Eingeweide, dem Hertzen, Haupt, der Leber, oder den Nieren; in denselben ist alles Hertz und Haupt, Auge und Ohr, Ver- stand und Sinnen. Auf diesen Begriff sollen uns auch die Worte fuͤhren, Thraͤnen, wie die Engel weinen; wo- mit bey aller der Gleichheit zwischen unsrem und dem En- glischen Coͤrper ein Unterschied unter denselben angedeutet wird. Verl. Paradies. I. B. lich fanden die Worte, mit Seufzern unter- mischt, einen Weg. O ihr Myriaden unsterblicher Geister, o ihr Heere, die ihres gleichen nicht haben, den Allmaͤchtigen ausgenommen, mit welchem selbst ihr dennoch nicht ohne Ruhm gefochten habet, wiewohl der Ausgang des Streits fuͤr euch entsetzlich war, wie dieser Platz und diese ent- setzliche Veraͤnderung zu erkennen geben, wo- von man nicht ohne Zorn reden kan: Alleine was vor eine Gemuͤtheskraft, was vor eine Gabe, das Kuͤnftige vorherzusehen oder zu er- rathen, konnte aus der tiefen Betrachtung des Vergangenen oder des Gegenwaͤrtigen be- fahren, daß eine solche vereinigte Goͤttermacht, C 4 welche Die Worte mit Seufzern untermischt) Der Grund- Text hat: Die Worte mit Seufzern unterflochten; wovon Bentley sagt, es uͤbertreffe alle menschliche Geschicklichkeit, und komme Satan vor eigen zu. Daher er davor lesen will, mit Seufzern unterbrochen. Seine Critick scheint auf dem Grund zu beruhen, daß es in der That nicht an- gehe, die Worte und die Seufzer unter einander zu flech- ten. Alleine wer hat jemahls zur Rechtfertigung einer Metapher gefodert, daß das, was verglichen wird, und das, womit es verglichen wird, nur ein Ding und eben dasselbe seyn? Es ist genug, daß die Bilder, die verwech- selt werden, eine offenbare Aehnlichkeit mit einander ha- ben. Der betruͤgliche Schein, da etwas fuͤr das andere gesetzet wird, kan dem Verstande dann nicht verborgen blei- ben. Und wie will Bentley seine erwehlte Lesart anderst, als auf eben diese Weise beschuͤtzen? Worte mit Seufzern brechen und unterbrechen, ist eben so wohl, als sie unter- flechten, eine Metapher, die etwas betruͤgliches in sich hat, und gehet in der That eben so wenig an. Johann Miltons welche so fest stuhnd, wie diese, jemahls von Abweisung hoͤren koͤnnte? Und wer kan je- zo noch, selbst nach dem erlittenen Verlust, glauben, daß alle diese maͤchtigen Legionen, deren Verweisung den Himmel laͤhr gemachet hat, nicht aus eigener Kraft wieder hinauf- steigen, und ihren Geburts-Sitz wieder be- ziehen werden? Mich anbelangend nehme ich das gantze Heer des Himmels zum Zeugen, ob ungleiche Anschlaͤge an meiner Seite, oder einige Gefaͤhrlichkeit, die ich haͤtte vermeiden wollen, unsre Hoffnung ruckgaͤngig gemachet habe. Nein, sondern der, welcher in dem Him- mel als ein Monarche herrschet, war bisda- hin in voller Sicherheit auf seinem Throne gesessen, als einer, welchen ein altes Herkom- men, eine lange Gewohnheit, und ein williger Gehorsam darauf befestiget haͤtten, und fuͤhrte seinen koͤniglichen Staat in vollem Pomp, hielt uns aber seine Staͤrcke allezeit verborgen, und eben Der, welcher in dem Himmel als ein Monarche herr- schet) Die Ursache, die der Poet den Satan vorwenden laͤßt, warum ihm und seinen Gesellen die Allmacht Gottes verborgen gewesen, ist zwar eine offenbare Falschheit, denn die Erschaffung ist eine so gute Probe der Staͤrcke Gottes, als die Zerstoͤrung; indessen fuͤhrt sie bey diesen verkehrten Geistern ein desto groͤsseres Blendwerck mit sich, weil sie auch die Erschaffung leugneten; und sich ruͤhme- ten, daß sie durch ihre eigene lebensreiche Kraft entstan- den, als der Lauf des Schicksals seinen Circkel in einen vollen Ring geschlossen hatte, daß sie die reife Frucht des obersten Himmels, ihres Geburtsplatzes, waͤren; wie sie gegen das Ende des fuͤnften B. zu vernehmen geben. Verl. Paradies. I. B. eben dieses veranlassete uns zu unsrem Unter- nehmen, und verursachete unsren Fall. Kuͤnf- tighin kennen wir seine Macht, und kennen die unsrige, insoweit, daß wir nicht Ursache haben, Streit an ihn zu suchen, noch wenn solcher an uns gesucht wird, davor zu erschre- ken. Am vortraͤglichsten fuͤr uns wird wohl dieses seyn, daß wir dasjenige mit verdeckten Anschlaͤgen, durch List oder Betrug, zu erhal- ten trachten, was wir mit Gewalt nicht zu- wege bringen koͤnnen; damit er endlich nichts- destoweniger an uns erfahren moͤge, daß wer seinen Feind durch Gewalt uͤberwindet, ihn nur halb uͤberwunden habe. Der Raum mag neue Welten hervorbringen; wie in dem Him- mel durchgehends eine Sage gieng, daß er solche in kurtzem erschaffen, und ein Geschlech- te darein setzen wuͤrde, welchem er seine Gunst in einem gleichen Grade der Liebe, wie den Soͤh- nen des Himmels zutheilen wuͤrde. Daselbst- hin wollen wir unsren ersten Ausfall thun, und geschaͤhe solches gleich, sie nur zu verkundschaf- ten, daselbsthin oder sonst wohin; denn diese hoͤllische Grube soll himmlische Geister nicht allezeit in Banden behalten, noch der Abgrund sie laͤnger mit Finsterniß bedecken. Aber diese Gedancken muß eine grosse Raths-Versamm- lung zur Zeitigung bringen. Zum Frieden ist keine Hoffnung uͤbrig, denn wer kan an Unter- werffung gedencken? Derowegen muß man sich zum Krieg entschliessen, zum Krieg, der entwe- der offentlich oder verdeckt gefuͤhrt werden muß. C 5 Er Johann Miltons Er sagte so, und zur Bestaͤtigung seiner Worte flogen Millionen flammender Schwerd- ter empor, welche die maͤchtigen Cherubim von den Seiten zuͤcketen; der ploͤtzliche Schimmer erleuchtete die Hoͤlle weit in die Runde; sie raseten haͤftig wider den Hoͤchsten, und schlugen ihre Waffen mit einem wilden Krieges-Ge- thoͤne auf die klingenden Schilde, indem sie Hohn und Trutz nach dem Gewoͤlbe des Him- mels hinaufsandten. Nicht weit von da stuhnd ein Berg, dessen graͤßlicher Gipfel Feuer und wallenden Rauch ausspukete; die uͤbrigen Theile glaͤntzeten mit einer funckelnden Rinde; ein ungezweifeltes Zei- chen, daß er in seinem Schoosse hartes mine- ralisches Erzt fuͤhrete; das Werck des Schwe- fels. Daselbsthin eilete eine zahlreiche Bande mit einer gefluͤgelten Eilfertigkeit. Wie wenn Truppen Minierer mit Schaufeln und Spa- then bewaffnet von einem koͤniglichen Heer- zeuge aufbrechen, ein Lager abzustechen, oder eine Schantze aufzuwerffen. Mammon fuͤhrete sie an, Mammon, der niedertraͤchtigste Geist, der Mammon, welcher im Himmel selbst die Blicke nur nie- derwaͤrts geneigt) Nemlich die wenige Tage uͤber, wel- che die satanischen Rebellen in und nach ihrem Fall noch in dem Himmel gelitten worden. Der Schritt zur Suͤnde und zum Abfall ist in dem Himmel geschehen; man kan nicht einmahl begreiffen, daß er an einem andern Orte haͤtte geschehen koͤnnen, weil man sonst die Engel, die gefallen sind, vor ihrem Fall aus dem Himmel verstossen muͤßte. Die Gluͤckseligkeit und die Aufrichtigkeit der En- gel Verl. Paradies. I. B. der vom Himmel gefallen, der im Himmel selbst seine Blicke und Gedancken allezeit nur nieder- waͤrts geneigt, und den Reichthum des Bodens daselbst, geschlagenes Gold, mehr bewundert hat- te, als irgend andere goͤttliche und heilige Sa- chen, die man in dem seligen Gesichte geniessen konnte. Durch ihn, und durch sein Einblasen wurden die Menschen zuerst gelehrt den Mittel- punct zu pluͤndern, und mit verruchten Haͤnden das Eingeweide ihrer Mutter, der Erde, zu zer- wuͤhlen, um solcher Schaͤtze willen, welche mit besserm Nutzen verborgen laͤgen. Seine Rotte hatte in dem Berge bald eine weite Wunde geoͤffnet, und Rippen von Gold hervorgegra- ben. Niemand verwundere sich, daß der Reich- thum in der Hoͤlle waͤchßt. Der Boden da- selbst ist vor andern dieses theuren Gifts wuͤr- dig gel entspringt auch keinesweges von dem Orte wo sie sind, und ist nicht an denselben gebunden. Der Fall ist in dem Himmel gethan worden; und wenn die Hoͤlleverdammten aus der Hoͤlle auf die Erde oder den Himmel selbst gesezt wuͤrden, so wuͤrden sie nichts desto seliger werden, sie braͤchten die Hoͤlle mit ihnen in alle Gegenden. Diejenige, welche die Vorstellung Mammons in gegenwaͤrtiger Stelle getadelt, haben darinn geirret, daß sie solche vor sei- nem Aufstand verstanden haben; welches Miltons Mei- nung niemahls gewesen ist. Seine Rotte hatte in dem Berge bald eine weite Wunde geoͤffnet) Je kleiner einigen die folgenden Umstaͤnde schei- nen moͤgten, desto mehr ist Milton zu loben, daß er sie in einem so vortrefflichen Licht vorzustellen gewußt hat. Es braucht Kunst dazu, kleine Dinge ohne Niedrigkeit zu be- schreiben. Johann Miltons dig. Und hier moͤgen diejenigen, welche auf menschliche Dinge pochen, und voller Verwun- derung von Babel und den Wercken der Egyp- tischen Koͤnige reden, lernen, wie ihre vor- nehmsten Denckmahle des Ruhms, der Macht, und der Kunst, von verworffenen Geistern ohne Muͤhe uͤbertroffen werden, und in einer Stun- de von diesen verfertiget wird, was sie schwer- lich in einem Jahrhundert mit unaufhoͤrlicher Arbeit und mit unzaͤhligen Haͤnden zu Stande bringen. Unten auf der Ebene schmelzete ein andrer Haufe in vielen zu dem Ende gemach- ten Huͤtten, die unten mit Adern voll fluͤssi- gen Feuers, das aus dem See abgezapfet ward, durchfahren waren, die rohen Klum- pen Ertzes mit verwundersamer Kunst, sonder- te die unterschiedlichen Gattungen, und schaͤum- te die siedenden Schlacken ab. Ein dritter hat- te immittelst mancherley Formen in dem Bo- den eingegraben, und durch seltsame Gaͤnge aus den Schmeltzhuͤtten alle holen Rinnen an- gefuͤllet; wie der Wind in einer Orgel aus einem Blase-Brete in manche Reihe Pfeifen gefuͤhrt wird. Urploͤtzlich stieg ein maͤchtig gros- ses Gebaͤude, wie ein Jrrwisch-Licht aus der Erden, unter dem Schalle lieblicher Melodien und Urploͤtzlich stieg ein maͤchtig grosses Gebaͤude aus der Erden hervor) Da der Poet Personen von uͤbermenschli- chen Kraͤften vor sich hat, welche seinen Bau ausfuͤhren, hat er nicht versaͤumt, das Wunderbare, das in dem epi- schen Gedichte erfodert wird, durch die Vorstellung einer mehr als menschlichen Arbeit vorzustellen. Verl. Paradies. I. B. und suͤsser Stimmen, wie ein Tempel gebauet, wo Pfeiler und dorische Saulen in die Run- de gesetzet, und guͤldene Hauptbalcken daruͤber geleget waren; auch waren daran Karnissen, und Friesen, mit erhobener Bilder-Arbeit, nicht vergessen; und die gewoͤlbete Decke war mit Gold-Blech uͤberzogen. Mit dergleichen Pracht hatte weder Babylon noch das grosse Alcairo in ihrem groͤsten Flor gebauet, dem Belus oder dem Serapis ihren Goͤttern, oder ihren Koͤnigen zu Wohnungen, als Egypten und Assyrien mit Reichthum und Gepraͤnge auf einander eiferten. Die Saulen stuhnden jezo fest, in einer stattlichen Hoͤhe emporstei- gend, und alsobald oͤffnen die Thuͤren ihre eher- nen Fluͤgel, und entdecken inwendig einen wei-L ten Raum auf einem glatten und polirten E- strich. Von der gewelbten Decke hangen mit- telst einer magischen Kunst viele Reihen bren- nender Lampen und schimmernder Leuchter, mit Naphta und Asphalt unterhalten, und gaben das Licht wie von einem gestirnten Himmel von sich. Die gantze Menge eilete voll Verwunde- rung hinein, etliche lobeten das Werck, und etli- Wo Pfeiler und dorische Saulen in die Runde gesetzet waren) Die vollstaͤndige Beschreibung dieses Gebaͤudes, dienete dem Poeten an diesem Orte unter andern, die Leidenschaften, wodurch das Gemuͤthe in der Betrachtung der satanischen Gedancken und Anschlaͤge angestraͤnget wor- den, durch eine geschickte Veraͤnderung der Eindruͤcke zu maͤssigen. Johann Miltons etliche den Baumeister; seine Hand war in dem Himmel von manchem gethuͤrmten hohen Bau bekannt, wo gekroͤnte Engel ihren Sitz hatten, und als Fuͤrsten auf Thronen sassen, weil der hoͤchste Herr und Koͤnig sie zu dieser Macht erhoͤhet, und ihnen die Herrschaft uͤber die glaͤntzenden Orden der Engel, einem jeden seine eigene Hierarchie, anvertrauet hatte. Sein Nahme war auch in dem alten Grecien nicht un- bekannt, noch ohne Anbeter; und in dem Au- sonischen Lande nannten ihn die Menschen Mul- ciber; und sie dichteten von ihm, wie er vom Himmel gefallen, da ihn der erzoͤrnte Jupiter uͤber die cristallinen Zinnen des Himmels hin- aus geworffen hatte, sey er von Morgen bis Mittags, und von Mittag bis zum Abend- Thau, einen Sommertag lang, gefallen, und mit der untergehenden Sonnen wie ein fallender Stern von dem Zenith auf die Jnsel Lemnos in dem Egeischen Meer gesuncken: Also sagen sie aus Jrrthum, denn sein Fall geschah lange vor- her mit dieser aufruͤhrischen Rotte; und mochte ihm jezo nichts helfen, daß er in dem Himmel hohe Thuͤrme gebaut, und er mochte sich mit keinem von seinen Ruͤstzeugen retten, sondern ward quer uͤber Ecke in die Hoͤlle gesenckt, daß er mit seiner arbeitsamen Gesellschaft daselbst bauete. Jmmittelst ward auf Befehl der hoͤchsten Gewalt von gefluͤgelten Herolden mit furchtba- ren Ceremonien, und bey dem Schall der Trom- peten, in dem gantzen Heer ein feyrlicher Reichs- tag Verl. Paradies. I. B. tag ausgeruffen, der in Pandaͤmonium, der Hauptburg Satans und seiner Reichsfuͤrsten unverzuͤglich sollte gehalten werden. Die Mah- nungsbriefe lauteten, daß von jeder Bande, und jedem gevierten Regiment der wuͤrdigste er- scheinen sollte, welchen sein Rang oder die Wahl vor solchen erkennten. Zur Stunde kamen sie schaarweise mit einem zahlreichen Begleite von hunderten und von tausenden. Durch alle Zu- gaͤnge war ein Gedraͤnge. Die Schloß-Thore und die weiten Vorhoͤfe, die doch einem abge- steckten Felde gleich sahen, wo die kuͤhnen Kaͤm- pfer sich zu Pferde tummelten, und vor des Soldans Buͤhne den besten Rittersmann von Panim zu einem Kampf auf Leib und Leben, oder einem Ritt mit stumpfen Lanzen ausforder- ten, wimmelten von dem herzudringenden Schwarm, beydes auf dem Boden und in der Luft, die von dem Gezische sausender Winde erklang. Wie die Bienen im Fruͤhling, wenn die Sonne mit dem Stier durch den Himmel faͤhrt, ihre volckreiche Jugend sich in langen Trauben um den Stock herum anhaͤngen lassen, da sie inzwischen in dem frischen Thau unter den Bluhmen hin und her fliegen, oder auf der glat- ten Plancke, der Vorstadt ihrer Stroh-Festung, die mit Balsam neuuͤberstrichen ist, spatzieren, und von ihren Staats-Angelegenheiten reden. So dicht schwaͤrmeten diese Luft-Voͤlcker, und draͤngeten sich, bis daß das Zeichen gegeben ward. Darauf konnte man Wunder sehen! Diejenige, welche allererst die riesenmassigen Soͤhne der Erden an Groͤsse uͤbertraffen, sind jezo Verl. Paradies. I. B. jezo kleiner als die schmaͤlesten Zwerge, und draͤngen sich, wiewohl sie unzaͤhlig sind, in einen engen Raum zusammen, sie gleichen dem Volcke der Pigmeen jenseit des Jndischen Gebuͤrges, und den zauberischen Aelfen, derer mitternaͤcht- lichen Mummereyen ein Bauer, der sich verspaͤ- tet hat, bey einem Wald oder einem Brunnen sieht, oder sich traͤumen laͤßt, indem der Mond herrschend uͤber seinem Haupt steht, und jezo seinen blassen Lauf naͤher gegen der Erden nim̃t; alldieweil jene auf ihre Lustbarkeiten und Taͤntze erpicht sind, und sein Ohr mit einer lieblichen Musick ergetzen; so daß ihm sein Hertz zu einer Zeit vor Lust und vor Furcht pochet. Also zo- gen diese uncoͤrperlichen Geister ihre ungemesse- nen Gestalten in die duͤnnesten Formen zusam- men, und sassen gantz geraume, wiewohl oh- ne Zahl, mitten in dem Saale dieses hoͤllischen Palasts. Aber weiter hinein, und in ihrem ei- genen Maaß, sich selber gleich, sassen die gros- sen seraphischen Herren und Cherubim, hinter beschlossenen Schrancken in abgesonderten Zim- mern, auf guͤldenen Stuͤhlen, tausend Halb- goͤtter, in voller Anzahl. Nach einem kurtzen Stillschweigen und abgelesenen Mahnungs- Briefen ward jezo der grossen Berathschlagung ein Anfang gemacht. Alexan- Alexander Popen Versuch Von den Eigenschaften Eines Kunstrichters Durch Hrn. Hofrath Drollinger uͤbersetzet. Versuch von den Eigenschaften eines Kunstrichters. E S ist schwer zu sagen, worinnen mehr Ungeschicklichkeit begangen werde, im uͤblen Schreiben, oder im uͤblen Urthei- len. Doch ist das letzte gefaͤhrlicher als das erste. Jenes ermuͤdet nur unsere Geduld, dieses kan auch den Verstand in Jrrthum fuͤhren. Nur wenige irren in jenem, aber in diesem gar viele, und werden allezeit zehen verkehrt urtheilen, fuͤr einen der ungeschickt schreibet. Ehedessen machte ein Thor sich allein selbst zu schanden; nun macht ein Thor in Versen so viel andere in der Prose. Mit unsrem Urtheilen ist es bewandt, wie mit unsern Uhren. Keine koͤmmt mit der andern just uͤberein. Und doch glaubt ein jeder der seini- gen. Jnzwischen ist gleichwohl ein richtiger Ge- schmack bey einem Kunstrichter eben so selten, als das aͤchte Poetische Feuer bey einem Dichter. D 2 Beyde Versuch von den Eigenschaften Beyde mussen ihr Licht vom Himmel empfangen, und der erste muß zum Urtheilen eben sowohl geboh- ren seyn, als der lezte zum Schreiben. Nur die- se sollten andere unterrichten, Qui scribit artificiose ab aliis commode scripta facile intelligere poterit. Cicero ad Heren. lib. 4. die selbst grosse Meister sind, und nur diese solten frey tadeln duͤr- fen, die selber wohl geschrieben haben. Es ist wahr, ein Scribent ist von seinem Witze einge- nommen: Aber ist es der Kunstrichter nicht auch von seinem Urtheile? Zwar was den ersten Samen der Beurthei- lungskraft anbelangt, so finden wir ihn, nach genauer Einsicht, bey den meisten Leuten. Die Natur giebt ihnen wenigstens Omnes tacito quodam sensu sinc ulla arte aut ra- tione, quæ sint in artibiis ac rationibus recta ac prava di- judicant. Cic. de Orat. lib. 3. ein glimmen- des Lichtgen. Die Anfangszuͤge dieser Faͤhigkeit finden sich richtig, obwol nur matt und schwaͤch- lich in ihnen entworfen. Allein wie ein gar zu schwacher Umriß, wenn er regelmaͤssig ist, durch ein ungeschicktes Uebermalen nur desto mehr ver- derbet wird, so wird auch die gesunde Ver- nunft durch eine falsche Schulgelehrtheit verstellet. Manche werden in dem Jrrgarten der Schulen verwirrt, und manche aus blossen Einfaͤltigen, wozu sie die Natur bestimmt hatte, zu laͤcherli- chen Thoren. Dieser verliehrt die Vernunft, weil er dem Witze nachjagt, und dann wird er ein Kunstrichter, um sich selbst zu vertheidigen. Einer eines Kunstrichters. Einer hasset alle Scribenten als seine Mitbuhler. Ein anderer beneidet nur die aufgeweckten Gei- ster, wie ein Lahmer einen fertigen Taͤnzer. Die- se saͤmtlich fuͤhlen eine juckende Begierde, andere zu verlachen, und moͤchten gar zu gern auch hoͤh- nisch seyn koͤnnen. Maͤvius schreibt dem Apollo zum Aergernisse. Noch giebt es Leute, die noch schlimmer urtheilen, als Maͤvius schreiben kan. Mancher konnte im Anfang fuͤr einen aufge- weckten Kopf, und dann gar fuͤr einen Dichter mitlaufen. Bald will er ein Kunstrichter seyn, und da zeigt er sich am Ende, als einen ausge- machten Narren. Einigen fehlt es beydes an Witz und an Urtheilskraft: Sie sind wie die schwer- laͤstigen Maulthiere, weder Pferde noch Esel. Solcher halbgelehrten Witzlinge giebt es so viel in unserer Jnsul, als des halb ausgebildeten Un- geziefers an den Ufern des Nils. Man weis nicht, wie man diese unbestimmten Dinge nennen soll, so ungewiß ist ihr Geschlechte. Alle zu er- zehlen brauchte man hundert Zungen, oder einen eitelen Witzling, der ihrer hundert muͤde machen koͤnnte. Jhr derohalben, die ihr Ruhm austheilen und selbst verdienen wollet, die ihr den ehrenvollen Na- men eines Critici mit Rechte zu fuͤhren verlanget, pruͤfet euch selbst und eure Staͤrcke, und erforschet ja wohl, wie weit euer Verstand, euer Ge- schmack, und eure Wissenschaft reichen. Wagt euch nicht weiter als ihr Grund findet, sondern unterscheidet vernuͤnftig und zeichnet den Punct wohl aus, da Verstand und Dummheit zusam- D 3 men- Versuch von den Eigenschaften mentreffen. Die Natur hat allen Dingen be- queme Grenzen bestimmt, und den Steigens be- gierigen Witz des stolzen Menschen weislich nie- dergebogen. So wie die See, wenn sie an ei- nem Orte etwas an Lande gewinnt, am andern weite Sandfelder zuruͤck laͤßt, so gehet es auch mit unserer Seele. Weil das Gedaͤchtniß darin- nen vortrift, so fehlt es an den hoͤhern Kraͤften des Verstandes. Und wo die Strahlen der warmen Einbildungskraft spielen, da pflegen die zarten Bilder des Gedaͤchtnisses hinweg zu schmel- zen. Fuͤr einen Geist schickt sich nur eine Wissen- schaft. So groß ist der Umfang der Kunst, und so enge sind des Verstandes Grenzen. Ja wir muͤssen uns nicht nur an eine einige Wissenschaft, sondern offt allein an einzele Theile derselben be- schraͤncken. Sonst geht es uns wie einem Mo- narchen, der die bereits gemachten Eroberungen verliehret, weil er aus Ehrgeitz immer neue ma- chen will. Jeder wuͤrde seinen Posten wohl be- haupten, wenn er sich nur an das hielte, was er verstehet. Zuvorderst folget der Natur und messet euer Urtheil nach ihrem gerechten und unaͤnderlichen Probmaasse. Sie irret niemahls. Sie ist ein klares, ein allgemeines, ein unwandelbares Licht. Sie giebt allem Kraft, Leben und Schoͤnheit. Sie ist zugleich die Quelle, der Endzweck und die Probregel der Kunst. Aus ihrem Vorrath nimmt die Kunst alles, was sie mit Rechte braucht. Sie wircket ohne sich zu zeigen und herrschet ohne Gepraͤnge. So macht es in einem schoͤnen Lei- be eines Kunstrichters. be die darinnen verborgene Seele, wenn sie ihn mit Kraft und Lebensgeistern erfuͤllt, wenn sie je- de Bewegung regieret, jede Nerve unterhaͤlt, und doch selbst nicht sichtbar ist, als in ihren Wirckungen. Bey manchem, der einen reichen Vorrath an Witze vom Himmel bekommen, fin- det sich eben so viel Mangel ihn recht zu verwal- ten. Denn Witz und Urtheilskraft sind immer im Zanke, obgleich eines dem andern wie Mann und Weib zur Huͤlfe bestimmet ist. Es ist schwe- rer den Pegasus zu leiten, als anzuspornen, und seine Hitze zu maͤssigen, als seinen Lauf zu rei- zen. Der gefluͤgelte Laͤufer ist gleich einem edlen Pferde. Er zeiget niemalen ein schoͤners Feuer, als wenn man ihn vernuͤnftig zuruͤckehaͤlt. Alle diese Regeln, welche die alten entdeckt und nicht selbst ersonnen haben, sind immer die Na- tur, aber die Natur in richtiger Lehrart. Die freye Natur gleicht einer Monarchie. Sie wird allein durch solche Gesetze beschraͤncket, welche sie anfangs selbsten gegeben hat. Hoͤret wie das gelehrte Griechenland uns seine lehrreiche Regeln eroͤffnet, wann wir unsern Flug zuruͤcke halten, wann wir ihm Freyheit geben sollen. Mich deucht, ich sehe es, wie es uns sei- ne Soͤhne auf dem hoͤchsten Gipfel des Parnassus zeiget, und die schweren Wege andeutet, die sie betreten hatten. Es haͤlt den unsterblichen Preiß von ferne in der Luft, und reizet die andern, mit gleichen Schritten auch dahin aufzusteigen. Es machte die richtigsten Regeln aus grossen Exem- peln, und nahm von den trefflichsten Geistern, D 4 was Versuch von den Eigenschaften was selbige vom Himmel empfangen hatten. Nec enim artibus editis factum est ut argumenta inveniremus. Sed dicta sunt omnia antequam præcipe- rentur; mox ea scriptores observata \& collecta ediderunt. Quintil. Ein edelgesinnter Criticus fachte damals des Poe- ten Feuer an, und lehrte die Welt, wie sie mit Vernunft bewundern sollte. Die Critick war der Musen Aufwaͤrterin, welche fuͤr ihren Aufputz Sorgetrug, um sie dadurch liebenswuͤrdiger zu ma- chen. Aber wie sehr entfernten sich nicht die nach- folgenden Witzlinge von dieser Absicht? Die die Muse nicht gewinnen konnten, die buhlten mit der Dienerin. Sie warfen sich selbst zu Herren auf und fiengen an ein besonders Gewerbe zu trei- ben. Ja sie kehrten wider die Dichter ihre ei- genen Wafen und ermangelten niemals ihre Lehr- meister am heftigsten zu hassen. So macht es heu- te ein Apotheker, wenn er aus des Doctors Re- cepten gelernet hat, selbst einen Doctor zu spielen. Er wird so verwegen in der Ausuͤbung uͤbel ver- standener Regeln, daß er getrost verschreiben, eingeben, und seinen eigenen Meister fuͤr einen Narren ausschreyen darf. Manche fallen wie Raͤuber uͤber die Schriften der Alten und verhee- ren mehr daran, als Zeit und Motten jemals thun koͤnnen. Weil anderwerts ein trockener Re- gelschmied ohne einigen Erfindungsschmuck mage- re Recepte daher schreibt, wie man Gedichte machen solle. Diese raͤumen die Vernunft hin- weg um ihren Schulkram auszulegen, und jene erklaͤ- eines Kunstrichters. erklaͤren einen Scribenten so kuͤnstlich, daß nichts vom Verstande uͤbrig bleibt. Jhr also, die ihr im Urtheilen die rechte Strasse brauchen wollet, bemuͤhet euch den Character je- des Alten wohl zu erkennen. Ueberleget auf je- dem Blatte die Fabel, den Jnhalt und den End- zweck. Erforschet seine Religion, sein Vaterland, den Geist und die Art seiner Zeiten. Liegen euch alle diese Umstaͤnde nicht auf einmal vor Augen, so moͤget ihr wohl kluͤgeln, aber niemals mit Be- stande urtheilen. Lasset euch die Werke des Ho- mers eure Bemuͤhung und eure Wollust seyn. Leset sie bey Tage, und uͤberleget sie bey Nacht. Aus diesen muͤsset ihr euer Urtheil bilden, eure Be- griffe nehmen, und also den Musen aufwaͤrts bis zu ihrem Ursprunge nachfolgen. Durchleset den Text ohnermuͤdet. Vergleichet ihn mit ihm selb- sten, und brauchet die Mantuaner-Muse zur Aus- legung daruͤber. Da der junge Maro erstmals von Koͤnigen und Schlachten sang, Cum canerem Reges \& prœlia, Cynthius aurem vellit. Virgil. Eclog. 6. eh ihm noch der warnende Phoebus sein zitternd Ohr ge- ruͤhret hatte, so glaubte er sich vielleicht auch uͤ- ber die Gesetze der Critick erhaben, und hielt sichs schimpflich, aus einem andern als der Natur Brunnen zu schoͤpfen. Aber da er alles Stuck- weise untersucht hatte, da fand er, daß die Na- tur und Homer einerley waren. Ueber diese Wahrheit erstaunet, bezaͤumte er sein verwege- nes Vorhaben, und ließ uns ein Werck, das D 5 nach Versuch von den Eigenschaften nach den strengsten Regeln so genau ausgearbei- tet ist, als ob der Stagyrite uͤber jede Zeile die Aufsicht gefuͤhret haͤtte. Lernet hieraus eine behoͤ- rige Hochachtung fuͤr die Regeln der Alten. Jh- nen folgen ist der Natur nachfolgen. Jnzwischen giebt es doch auch Schoͤnheiten, welche keine Regeln uns erklaͤren koͤnnen. Denn nicht alle sind Fruͤchte der Arbeit, einige muͤssen gluͤcklich gerathen. Die Dichtkunst gleichet der Musick. Jn jeder sind gewisse Annehmlichkeiten, die man nicht nennen, die kein Unterricht lehren und nur eine Meisterhand erreichen kan. Die Regeln sind nur zu Befoͤrderung eines Endzwe- kes gegeben. Erstrecken sie sich zuweilen nicht weit genug, Neque tam sancta sunt ista præcepta, sed hoc quicquid est utilitas excogitavit. Non negabo autem, sic utile esse plerunque. Verum si eadem illa nobis aliud suadebit utilitas, hanc, relictis magistrorum authorita- tibus, sequemur. Quintil. lib. 2. cap. 13. und man kan den Zweck durch eine gluͤckliche Freyheit erhalten, so wird diese Freyheit selbst zur Regel. So weiß sich der Pe- gasus, mit einem edlen Absprung von der gemei- nen Strasse, einen naͤhern Weg zu finden. So doͤrfen grosse Geister unterweilen einen kuͤhnen Flug, uͤber die Regeln, wagen, und erhabene Fehler begehen, die ein rechtschaffener Critikus nicht verbessern darf. Mit tapferer Unordnung unterfangen sie einen Ausfall aus den gemeinen Graͤnzen, und erbeuten Schoͤnheiten ausserhalb des Gebietes der Kunst, die, ohne durch unser Ur- theil zu laufen, gerade ins Herze dringen, und damit eines Kunstrichters. damit ihren ganzen Zwek auf einmal erreichen. Also vergnuͤget unser Auge zum oͤftern ein Gegen- stand in der Ferne, der von der gemeinen Ord- nung der Natur auch abweichet; ein hangender Berg, ein ungeformter Felsen. Doch ist in der Dichtkunst allezeit eine Sorgfalt und mitten im Poetischen Rasen eine Bescheidenheit noͤthig. Ha- ben gleich die Alten ihre Regeln gebrochen, (wie Koͤnige uͤber Gesetze dispensieren, die sie selbst ge- geben,) so huͤtet euch doch dafuͤr ihr neuere. Oder wenn ihr ja ein Gesetze uͤberschreiten muͤsset, so uͤberschreitet doch niemals seinen Endzwek. Thut es selten, und nur aus Noth gezwungen, zum wenigsten aber nicht ohne Vorgaͤnger, auf die ihr euch beziehen koͤnnt. Sonst macht euch die Critik ohne einiges Bedencken den Proceß und greift vermoͤge ihrer Gesetze auf euren Ruf und Na- men. Jch weis wohl, es giebt einbildische Geister, die dergleichen freyere Schoͤnheiten auch in den Alten fuͤr Fehler halten. Aber viele Bilder scheinen un- formlich und misgestaltet, wenn man sie Stuͤck- weise oder zu nahe betrachtet, denen doch eine be- hoͤrige Entfernung Form und Schoͤnheit giebt, im fall sie nur nach Licht und Stelle vernuͤnftig pro- portionirt sind. Ein kluger Feldherr muß seine Voͤlcker nicht allezeit in regelmaͤssige Haufen und zierliche Ordnung stellen, sondern sich nach dem Platze und der Gelegenheit richten. Er verbirgt zuweilen seine Staͤrke und scheinet wol gar zu flie- hen. Und so ist es oft eine Kriegslist, was wir fuͤr Versuch von den Eigenschaften fuͤr einen Fehler halten. Aber Homerus schlaͤft nicht, sondern wir selbsten traͤumen. Jhr grosse Geister des Alterthums, eure Al- tare sind mit immer gruͤnenden Lorbeeren bedeckt. Keine Raͤuberhand darf sich ihrem Heiligthum naͤ- hern. Sie sind sicher fuͤr Flammen und der noch schaͤdlichern Wuth des Neides. Weder die ver- wuͤstende Wafen, noch selbst die Zeit, die alles verzehret, moͤgen ihnen schaden. Sehet, wie aus jedem Welttheile eure Soͤhne euch Weyhrauch bringen. Hoͤret, wie in allen Sprachen euch uͤbereinstimmende Loblieder erschallen. Und billig sollen sich alle Stimmen zu einem so gerechten Lo- be vereinigen und das sterbliche Geschlecht in ein Chor treten, euch zu erheben. Seyd verehret, ihr triumphierende Dichter, in gluͤcklichern Ta- gen gebohren, ihr unsterbliche Besitzer eines allge- meinen Ruhms. Eure Wuͤrde waͤchst mit dem Wachsthum der Zeiten, wie Stroͤme, die sich im Herabfallen vergroͤssern. Bey Voͤlckern, die noch ungebohren sind, werden eure maͤchtige Nah- men erthoͤnen, und noch ungefundene Welten sol- len euch einst bewundern. O, moͤchte doch den lezten den geringsten eurer Soͤhne, der euch mit schwachen Fluͤgeln von ferne nachfleugt, der bren- net, wenn er eure Wercke liest, aber, wenn er schreibet, zittert, o moͤchte ihn doch ein Funcken von eurem himmlischen Feuer beleben, daß er die eiteln Witzlinge die wenig bekannte Kunst lehren koͤnnte, eine hoͤhere Vernunft zu bewundern und an ihrer eigenen zu zweifeln. Unter eines Kunstrichters. Unter allen Ursachen, welche der Menschen fehlbares Urtheil verblenden, und den Verstand misleiten, ist keine, die ein schwaches Haupt gewaltsamer beherrschet, als der Hochmuth, ein unausbleiblicher Fehler der Thoren. Was im- mer die Natur an wahrem Werthe versaget, das ersezet sie mit einer Fuͤlle von duͤrftigem Stolze. Es gehet in den Seelen zu, wie in den Leibern. Wo Blut und Geister fehlen, da strozet es von Winden. Und wo der Witz mangelt, da kommt uns der Hochmuth zu Huͤlfe, und fuͤllt die gantze vernunftlose Einoͤde aus. Doch wenn der Ver- stand einmal diese Wolcke verjaget hat, so bricht die Wahrheit herein mit einem unwiderstaͤndlichen Lichte. Trauet euch dahero selbsten nicht, son- dern machet euch jeden Freund, ja jeden Feind zu Nuze, um eure Fehler zu erkennen. Ein seichtes Wissen ist gefaͤhrlich. Schoͤpfet tief aus dem Brunnen der Pierinnen, oder lasset ihn gar ungekostet. Trincken wir nur oben herab, so bringt es den Schwindel ins Gehirne, aber starcke Zuͤge machen uns wider nuͤchtern. Die Gaben der Musen entzuͤnden uns beym ersten An- blicke so sehr, daß wir in unsrer verwegenen Ju- gend sogleich vermeinen, den Gipfel der Wissen- schaften zu ersteigen. Denn unser beschraͤnckter Gesichtskreis entdecket uns gar zu wenig, und laͤßt uns die hinter ihm verborgene Weiten nicht erkennen. Aber wenn wir weit er kommen, so sehen wir mit Erstaunen, wie immer neue Schau- plaͤtze unendlicher Wissenschaften sich hinter einan- der entdecken. Eben so fangen wir freudig an, die Versuch von den Eigenschaften die aufgethuͤrmten Alpen zu besteigen. Wir lassen Thaͤler unter uns, und meinen den Himmel schon unter den Fuͤssen zu haben. Es deucht uns, wir haben ihren ewigen Schnee bereits uͤberstiegen, und die ersten Wolcken und Gebuͤrge scheinen uns die letzten. Aber wenn wir diese erreichet haben, wie erschreckt uns nicht der starcke Anwachs un- serer Arbeit auf Wegen, die sich immer verlaͤngern. Eine neue Ferne ermuͤdet unser wanderndes Auge. Huͤgel blicken uͤber Huͤgel heraus und Alpen erhe- ben sich uͤber Alpen. Ein vollkommener Richter lieset jedes Werck mit eben dem Geiste, Diligenter legendum est, ac pœne ad scribendi solicitudinem. Nec per partes modo scrutanda sunt o- mnia, sed perlectus liber utique ex integro resumendus. Quintil. worinnen es der Verfasser geschrieben hat. Er uͤbersiehet das gan- ze und muͤhet sich nicht einen geringen Fehler in solchen Stellen zu finden, wo starcke Triebe uns bewegen und die Entzuͤckung uns anfeuert. Er mag um dieses bosheitsvollen schlechten Kuͤtzels willen sich nicht des edlen Vergnuͤgens berauben, an Geist und Vernunft sich zu ergoͤtzen. Aber in einem Liede, worinnen weder Ebbe noch Fluth, worinnen eine regelmaͤssige Kaͤlte, eine gelehrte Kraftlosigkeit herrschet, welches um nicht zu feh- len bey einerley ruhigem Tone verbleibet, finden wir wohl nichts zu tadeln. Aber wir moͤchten daruͤber schlafen. Jn geistreichen Schriften, wie in der Natur, ist das, was uns ruͤhret, nicht die genaue Richtigkeit einzeler Theile. Was wir Schoͤn- eines Kunstrichters. Schoͤnheit nennen, ist nicht der Mund oder ein Auge, sondern die vereinte Kraft, der volle Jn- halt von allen. So wenn wir einen praͤchtigen Dom, der Welt, ja selbsten Roms gerechtes Wunder erblicken, so pflegen uns nicht seine be- sondere Stuͤcke mit Unterschied zu ruͤhren, alle zu- sammen ziehen unsere Blicke zugleich auf sich. Da sehen wir keine ungeformte Hoͤhen, noch Laͤn- gen, noch Breiten. Das Ganze ist zugleich stoltz und regelmaͤssig. Wer immer ein Werck ohne Fehler zu sehen gedencket, der gedencket etwas, das nie gewe- sen, nicht ist, und niemals seyn wird. Jn je- dem Wercke muß man auf den Zweck des Ver- fassers sehen, den niemand uͤber dessen eigene Ab- sicht erstrecken kan. Und wenn er sich bequemer Mittel und einer richtigen Ausfuͤhrung bedient hat, so sind wir ihm Beyfall schuldig, zu troze der geringen Maͤngel, die darinnen erscheinen moͤchten; denn, wie ein wohlgesitteter Mann im Umgange, so muß ein Scribent im Schreiben oft kleine Fehler begehen, um groͤssere zn vermei- den. Verachtet die Regeln, die ein jeder Wort- gruͤbler stellt. Es ist euch eine Ehre, dergleichen Kleinigkeiten nicht zu wissen. Mancher Critischer Unterbedienter hat sich dergestalt in sein Aemt- gen verliebt, daß er den Stat darnach meistern, und das Ganze immer von einem Theile abhaͤngig machen will. Sie sprechen von Grundsaͤtzen, und ruͤhmen nichts als richtige Begriffe, opfern sie aber alle einer einigen Thorheit auf, in die sie sich verliebet haben. Man Versuch von den Eigenschaften Man sagt, daß einsten der Ritter von Man- cha einen Dichter auf dem Wege angetroffen und sich mit ihm uͤber die Grundregeln der Schaubuͤh- ne unterhalten habe, mit eben so vernuͤnftigen Bli- ken und geschickten Ausdruͤckungen, als immer Dennis thun koͤnnen. Sein Schluß war, daß alle toll und wahnsinnig seyen, die sich hierinnen von des Aristoteles Vorschrift entfernen. Der Autor uͤber einen so geschickten Richter erfreuet, zog eine Tragoͤdie hervor und bat den Ritter um seine Meinung. Er erklaͤrte ihm den Jnhalt der Handlung, ihre Verwicklung, die Sitten und die Leidenschaften der Personen, die Einheit und was nicht mehr. Alles, erinnerte er, waͤre ge- nau nach den Regeln abgepaßt, wann nur ein Ritterkampf daraus geblieben waͤre. Was, schrie der Ritter, den Kampf auslassen! Ja, oder wir muͤssen dem Stagyriten absagen. Nein beym Himmel! Antwortete jener halb rasend. Ritter, Schildtraͤger und Pferde muͤssen alle auf der Buͤhne erscheinen. Aber die Buͤhne faßt kein so grosses Gedraͤnge. So baut eine neue, oder spielt das Stuck auf einem offenen Plaze. So macht es ein Kunstrichter, der mehr Fuͤr- witz als Kenntniß besizet, der staͤrcker an Eigen- sinn als Urtheilskraft, und mehr seltsam als ge- nau im Geschmacke ist. Er hat gar zu enge Be- griffe, und begehet aus Parteyliebe in Wissen- schaften Fehler, wie viele in den Sitten. Einige haben an nichts keinen Geschmack, als an spielenden Gedancken. Jede Zeile muß ihnen von Flittergolde schimmern. Woran sie sich ergoͤzen, das eines Kunstrichters. das sind Wercke, worinnen nichts just und regel- maͤssig ist, ein glaͤnzendes Chaos, ein wilder Haufen von Einfaͤllen. Es gehet den Poeten wie den Malern. Wenn sie nicht geschickt genug sind, die nackte Natur, und lebendige Annehm ich- keiten zu bilden, so bedecken sie alles mit Gold und Edelsteinen, und verbergen ihre Schwaͤche un- ter einem Haufen von Zierrathen. Aechte Schoͤn- heiten in Schriften sind nichts als die Natur zu ihrem Vortheil gekleidet. Naturam intueamur, hanc sequamur. Id facil- lime accipiunt animi, quod agnoscunt. Quintil. lib. 8. c. 3. Etwas, das man oft gedacht, aber nie sowohl ausgedruͤckt hat- te, dessen Wahrheit wir beym ersten Anblike empfinden. Ein Wiederschein der Bilder unse- rer eigenen Seele. Wie der Schatten das Licht angenehmer macht, so wird durch eine sittsa- me Einfalt die Lebhaftigkeit des Wizes erhoͤhet. Dann ein Werck kan auch mehr Geist haben, als ihm gut ist, gleichwie der Ueberfluß an Blut einem Leibe verderblich faͤllt. Andere bekuͤmmern sich allein um die Spra- che, und schaͤtzen die Buͤcher, wie manches Frau- enzimmer die Maͤnner, nur nach dem Aufputze. Jhr Lobspruch heißt immer: Die Schreibart ist vortrefflich. Die Gedanken nehmen sie in De- muth stets fuͤr gerechte Wahre. Jnzwischen sind doch die Worte wie das Laub: Wo sie zu haͤuf- fig sind, da findet man selten viel Fruͤchte des Verstandes darunter. Eine falsche Beredsam- keit spreitet, wie ein dreyekichtes Glas, ihre [Crit. Sam̃.] E Gau- Versuch von den Eigenschaften Gaukelfarben rings herum aus, daß wir die Natur nicht mehr erkennen. Alles glaͤnzet gleich- lich; alles ist ohne Unterschied lebhaft. Aber ein aͤchter Ausdruck ist wie die unwandelbare Son- ne, die alles was sie bescheint, erhellet und zieret, die jeden Gegenwurf verguͤldet, aber keinen ver- aͤndert. Der Ausdruck ist die Kleidung der Ge- danken. Je besser sie ihnen anpaßt, je anstaͤn- diger koͤmmt sie uns vor. Da hingegen ein nied- riger Gedanke in praͤchtigen Woͤrtern ausge- druckt einem groben Bauern gleichet, der in Koͤ- niglichem Purpur einher tritt. Dann ein ver- schiedener Jnhalt erfordert eine verschiedene Schreib- art, so wie nicht einerley Kleidung fuͤr das Land, die Stadt und den Hof, geschickt ist. Einige suchen Ruf und Nahmen durch alte Woͤrter. Abolita \& abrogata retinere insolentiæ cujusdam est \& frivolæ in parvis jactantiæ. Quintil. lib. 1. c. 6. Opus est ut verba à vetustate repetita neque crebra sint neque manifesta; quia nihil est odiosius affectatione nec utique ab ultimis repetita temporibus. Oratio, cujus summa virtus est perspicuitas, quam sit vitiosa, si egeat interprete? Ergo ut novorum optima erunt maximè ve- tera, ita veterum maxime nova. Sie sind alt im Ausdruck, aber voͤllige Neulinge im Verstande. Dergleichen muͤhseeliges Nichts in einer so wunderseltsamen Schreibart bethoͤret die Ungelehrten und macht die Gelehrten lachen. Sie sind so ungluͤcklich als Fungoso in der Comoͤ- die Ben Johnson’s Every Man in his Humour. und meinen trefflich zu prangen, wenn sie in einer alten Kleidung erscheinen, die ein galan ter Hofmann ehdessen getragen hat. So ah- men eines Kunstrichters. men sie auch die grossen Scribenten des Alter- thums nicht besser nach, als Affen unsre Groß- vaͤter, da sie mit ihren Waͤmstern bekleidet wer- den. Jn den Woͤrtern und in der Mode hat ei- nerley Regel statt. Zu neu oder zu alt, ist bey- des gleich phantastisch. Sey nicht der erste, ein neues Wort zu wagen, noch der lezte, ein altes bey Seite zu legen. Aber die meisten beurtheilen ein Gedichte nach dem Wohllaute. Gelind oder hart ist ihnen gut oder schlimm. Laß tausend Annehmlichkeiten sich in der lebhaftesten Muse vereinigen; die Thon- suͤchtigen Thoren werden nichts als ihre Stimme bewundern. Sie besuchen den Parnaß nur um das Ohr zu kuͤzeln und nicht den Verstand zu bes- sern, so wie mancher die Kirche nicht um der Pre- digt, sondern der Musik willen besuchet. Diese sehen auf nichts als gleiche Sylben; (na molli Quis populi sermo est? Quis enim? Nisi carmi- Nunc demum numero fluere, ut per læve severos Effugit junctura ungues: Scit tendere versum Non secus ac si oculo juncturam dirigat uno. Persius Sat. I. Unbekuͤm- mert, ob ein oͤfterer Zusammenlauf der Lautbuch- staben das Ohr beleidige, ob die Flikwoͤrter das beste thun muͤssen, und oft zehen niedrige Woͤrtgen in einem abgeschmakten Verse kriechen. Einerley Schellenklang gehet immer bey ihnen herum, mit E 2 ge- Fugiemus crebras vocalium concursiones quæ vastam atque hiantem Orationem reddunt. Cic. ad He- renn. lib. 4. Vide etiam Quintil. lib. 9. c. 4. Versuch von den Eigenschaften geschwohrnen Reimen die man stets erwartet. Ein Dichter fuͤhrt uns stets durch die smaragdnen Felder. Wohin? Jch weiß es schon. Jn dikbelaubte Waͤlder; Da sucht sein Coridon im Schatten seine Ruh, Und schleußt (bald thu ichs auch) die muͤden Augen zu. Die lezte und einige Strophe ist hinten mit ei- nem verstandlosen Zeuge geschmuͤkt, welches sie einen Gedanken nennen; und endet sich mit ei- nem unnoͤthigen Alexandriner, der wie eine ver- wundete Schlange seinen langgestrekten Coͤrper nachschleppet. Lasset solche ihre eigene dumme Reimen austhoͤnen, und lernet ihr, eine maͤnn- liche Anmuth von einer kraftlosen Weichlich- keit wohl unterscheiden. Preiset den ungezwun- genen Nachdruck einer Zeile, worinnen Den- hams Staͤrke und Wallers Lieblichkeit sich verei- nigen. Eine leichtfliessende Schreibart kommt nicht von ungefehr; sie wird durch Kunst erwor- ben, wie diejenige sich am fertigsten bewegen, welche tanzen gelernt haben. Es ist aber nicht genug, daß keine Haͤrtigkeit das Ohr beleidige. Der Vers muß auch ein Echo des Verstandes seyn. Der Weste Saͤuseln soll im Liede wiederhallen, Und eine sanfte Fluth in sanften Thoͤnen wallen, Doch wenn sie tobt und braust, so stell’ es unsrem Ohr Ein Sturm im Verse selbst mit Lerm und Prasseln vor. Wenn Ajax sich muͤhsam bearbeitet, eine Fel- senlast umzuwelzen; so soll die Rede sich mit bemuͤhen; die Worte seyen langsam, arbei- tend. Aber nicht so, wenn die Fluͤgel-schnel- le Camilla uͤber ein Saatfeld daher fleugt, und kaum die sich nicht biegenden Aehren mit fluͤchti- gem eines Kunstrichters. gem Fusse nur oben bestreift. Hoͤre die verander- lichen Thoͤne des Timotheus, wie sie uns ruͤhren, wie sie den Regungen gebieten, wechselweise zu steigen und zu fallen. Alexander’s Feast or the power of Musick; An Ode by Mr. Dryden. Man schauet den Sohn des Lybischen Jupiters nach jeder Tonver- aͤnderung bald brennend von Ruhmbegierde, bald weich von Liebe. Aus seinen wilden Bliken funkeln jzt Wuth und Rasen, und jzt bricht er in Seufzer aus, und zerschmelzt in Thraͤnen. Perser und Griechen finden gleiche Regungen bey sich, und den Weltbezwinger bezwingen die Thoͤ- ne. Noch jzo muͤssen alle Herzen die Macht der Musik bekennen, und was einst ein Timotheus war, ist jzt ein Dryden. Fallet niemals aufs aͤusserste und vermeidet den Fehler derjenigen Koͤpfe, denen alles zu viel oder zu wenig gefaͤllt. Haltet nicht alle Kleinigkeiten fuͤr wuͤrdig euch daruͤber zu aͤrgern. Dergleichen zeiget allezeit einen maͤchtigen Stoltz oder geringe Vernunft an. Solche Koͤpfe sind, gleich den Maͤgen, gewiß nicht die besten, die uͤber alles ekeln und nichts verdaͤuen koͤnnen. Aber laßt auch nicht jeden lebhaften Einfall euch sogleich entzuͤken. Denn ein Thor bewundert zu leicht, wo ein Ver- nuͤnftiger nur beyfaͤllt. Wie Dinge uns groß vorkommen, die wir durch einen Nebel ansehen, so ist auch die Dummheit immer geschikt zum ver- groͤssern. Einige verachten die franzoͤsischen Scribenten, andere unsere eigene. Von diesem werden nur die E 3 alten, Versuch von den Eigenschaften alten, von jenem die neuen hochgeschaͤzt. So pflegt ein jeder den Wiz, wie den Glauben, nur einer einigen kleinen Secte zuzueignen, und alle ausser ihr zu verdammen. Wie enge wollen die- se die Seeligkeit einschraͤnken und eine Sonne zwin- gen, daß sie nur an einem Ort hinscheine, die doch allgemein ist, sie sublimiert nicht nur den Wiz in warmen Sud-sondern zeitiget auch Gei- ster in den kalten Nordlaͤndern. Wie sie von Anfang her die verlauffenen Alter beschienen, so be- leuchtet sie noch das gegenwaͤrtige, und wird einst das lezte erwaͤrmen, obwohl ein jedes Ab- und Zu- nahme kennet, und bald hellerer bald truͤberer Tage gewahr wird. So fraget denn nicht, ob etwas geistreiches alt oder neu sey; sondern tadelt das schlimme und schaͤzet das gute bestaͤndig. Einige urtheilen niemals aus sich selbsten. Sie fangen die gemeinen Gassen-Urtheile auf und sind ewige Folger in ihren Schluͤssen. Sie eignen sich einen alten sinnlosen Ausspruch zu, den sie selbst niemalen erfunden haben. Andere urtheilen nach dem Namen des Scribenten, und nicht nach sei- nem Werke. Der Mann ists und nicht die Schrift, die sie ruͤhmen oder tadeln. Aber unter dieser knechtischen Heerde ist der aͤrgste, der in seinem dummen Hochmuth sich mit Standes-Per- sonen gesellet. Er gibt einen geschwornen Kunst- richter an der Tafel eines Grossen ab, der dem gnaͤdigen Herren sinnlose Schriften zubringen und austragen muß. Fuͤr was fuͤr ein elendes Zeug wuͤrde nicht dieses Madrigal gehalten wer- den, wenn es einen hungrigen Lohn-Reimen- schmied eines Kunstrichters. schmied oder mich zum Urheber haͤtte. Aber laßt einen Lord sich zum Vater der gluͤklichen Zeilen bekennen. O wie schimmert es darinnen von Gei- ste, wie trefflich ist die Schreibart geschmuͤkt! Vor seinem geheiligten Namen fliehen alle Fehler, und jede erhabene Stanza ist schwanger mit Ge- danken. So irret der Poͤbel im Nachahmen, wie oft die Gelehrten, wenn sie zu sonderlich seyn wollen. Der gemeine Haufen ist ihnen so verhaßt, daß wenn es ihm einmahl blindlings geraͤth, den rech- ten Weg zu finden, sie mit Vorsatz den Abweg erwehlen; nicht anderst als die Sectirer, die sich von den einfaͤltig glaubenden trennen, und nur darum verdammt werden, weil sie zu viel Wiz haben. Viele loben am Morgen, was sie des Abends schelten, und halten doch immer ihre lezte Mei- nung fuͤr die beste. Sie gehen mit ihrer Muse um, wie mit einer Buhlerin. Jn einer Stunde wird sie angebetet, in der andern mishandelt. Jhre schwache Koͤpfe schlagen sich wie unbefestigte Staͤdte taͤglich zu einer andern Partie, und fal- len bald der Vernunft bald der Unvernunft zu. Fraget sie warum. Sie sprechen, daß sie be- staͤndig kluͤger werden, sie seyen heut allezeit kluͤ- ger als gestern. Wir sind so klug geworden, daß wir unsre Vaͤtter fuͤr Thoren halten, und unsre noch kluͤgere Soͤhne werden ohnzweifentlich uns auch dafuͤr erklaͤren. Als einsten die Schul-Theo- logen unsre Eifersvolle Jnsel uͤberschwemmt hat- ten, da war der der groͤste Grundgelehrte, der E 4 die Versuch von den Eigenschaften die meisten Spruͤche wußte. Der Glaube, die Schrift, und alles schienen nur zum disputieren ge- macht, und keiner hatte Verstand genug, sich wiederlegen zu lassen. Nun schlafen Scotisten und Thomisten im Frieden beysammen, unter den Spinnweben, (ihren nahen Anverwandten,) an der Duksstrasse. Jst der Glaube selbst in so ver- schiedenem Aufzug erschienen, was Wunders daß sich auch beym Wize die Moden veraͤndern. Oft muß die thoͤrichteste Mode, die alles, was natuͤr- lich und geschikt ist, verwirft, wenn sie einmal den Lauf hat, fuͤr baren Wiz gelten. Und ein Scri- bente glaubt, es fehle ihm nimmer an Ruhm, wenn er solange lebt, als es Thoren beliebt, ihm zugefallen zu lachen. Viele schaͤzen nur Leute von ihrer eigenen Par- tie oder Gemuͤthsart, und machen sich immer selb- sten der Welt zur Richtschnur. Aus Eigenliebe glauben wir das Verdienst zu verehren, wenn wir nur uns selbst in andern ruͤhmen. Die Fac- tionen unter den Gelehrten hangen von den Staats- factionen ab, und der Unterschied der Partien verdoppelt den Privathaß zwischen ihren Zuge- wandten. Stolz, Bosheit und Thorheit erhuben sich wieder Dryden in allerley Gestalten, bald ei- nes Priesters, bald eines Kunst- und bald eines Moderichters. Doch das Gespoͤtte vergieng und die Vernunft blieb dennoch uͤber, denn ein wah- res Verdienst bringt sich doch zulezt empor. Koͤnnte er wiederkehren und noch einmal unsre Blike beseeligen, so wuͤrde es nicht fehlen, es muͤßten neue Blakmoren und neue Milburnen ent- stehen; eines Kunstrichters. stehen; ja solte der grosse Homer sein ehrenvolles Haupt wieder empor heben, so wuͤrde auch Zoi- lus sich ohnverweilt aus dem Grabe aufrichten muͤssen. Der Neid verfolget das Verdienst, als dessen Schatten; aber er zeiget auch, wie der Schatten, ein Wesen an. Denn ein benei- deter Wiz ist wie die verfinsterte Sonne. Sie beweiset einen groben Stoff an dem Coͤrper, der ihr entgegen steht, und nicht an ihrem eigenen. Wenn diese Sonne gar zu kraͤftig strahlet, so zie- het sie Duͤnste in die Hoͤhe, die Anfangs ihren Glanz verdunkeln. Aber eben diese Wolken ver- herrlichen zulezt ihre Reise, sie zeigen uns neue Schoͤnheiten im Wiederscheine, und vermehren den Tag. Sey du der erste, ein wahres Verdienst zu loben. Wer warten will, biß es jedermann ruͤh- met, der koͤmmt zu spaͤt mit seinem Lobe. Das Leben unsrer heutigen Reimen waͤhret leider ohne das zu kurtz. Wie billich ist es denn, daß wir sie solches desto eher geniessen lassen. Die guͤlde- ne Zeit erscheinet nun nicht mehr, da die alten Weisen, die Vaͤter des Wizes, uͤber tausend Jah- re lebten. Ein langer Nachruhm, unser anderes Leben, wird nun umsonst gehofft. Sechzig eini- ge Jahre sind alles, worauf wir trozen koͤnnen. Unsere Soͤhne entdecken die Maͤngel in ihrer Vaͤ- ter Sprache, und was jezt Chaucer ist, wird Dryden werden. So bringt oft der getreue Pin- sel einen trefflichen Gedanken des Malers ins Werk. Eine neue Welt entstehet auf des Kuͤnst- lers Gebot, und die Natur wartet auf die Be- E 5 wegung Versuch von den Eigenschaften wegung seiner Hand. Bald zeitigen die Farben, und beginnen sich angenehmer zu mildern. Alles schmelzet lieblicher in einander und bringt erst die rechte Schoͤnheit von Schatten und Lichte hervor. Aber wenn eben die Jahre dem Werke seine voͤl- lige Reife gegeben, wenn jedes praͤchtige Bild just anfaͤngt zu leben, so betriegen oft die verraͤthe- rischen Farben die schoͤne Kunst, und die Wun- dervolle Schoͤpfung erbleicht und verschwindet. Ungluͤcklicher Witz, der gleich den betrieg- lichsten Dingen fuͤr die Mißgunst, die er uns zu- zieht, uns nie genug belohnet. Nur in der Ju- gend bruͤsten wir uns mit seinem leeren Ruhme. Aber wie bald ist diese fluͤchtige Eitelkeit verloh- ren, wie eine schoͤne Blume im fruͤhen Lenzen, die frisch bluͤhet, aber eben im Bluͤhen verwelket. Was ist dieser Witz, um den wir uns so bemuͤ- hen? Ein Weib das der Eigenthuͤmer andern uͤberlassen muß. Er macht uns die meiste Unru- he, wenn er am meisten bewundert wird. Je mehr wir geben, je mehr wird immer von uns gefordert. Wir erwerben unsern Ruf zu muͤh- sam, und verliehren ihn gar zu leicht. Sicher, einige zu beleidigen, aber niemals allen zu gefal- len. Er ist eine Sache, die die Boͤsen fuͤrchten, und die Tugendhaften fliehen. Von Thoren wird er gehaßt, und von Lasterhaften vernichtet. Muß der Witz so viel von der Unvernunft lei- den, o so sollte doch die Wissenschaft nicht auch seine Feindin werden. Ehedessen belohnte man einen grossen Meister, und ruͤhmte zum wenigsten diejenigen, die etwas wuͤrdiges nur unterfiengen. War eines Kunstrichters. War gleich der Triumph nur einem Feldherren vorbehalten, so gab es doch auch Kraͤnze, zur Belohnung der Soldaten. Aber nun bemuͤhen sich die, so den Gipfel des Parnasses erreicht, andere herunter zu stossen. Und weil die Eigenlie- be jeden neidigen Scribenten beherrschet, so ma- chen sie sich mit ihrem Zanken den Thoren selbst zum Gespoͤtte. Dem schlimmsten unter ihnen faͤllt es immer am schwersten, etwas zu loben. Denn ein schlechter Scribente ist eben so ein schlechter Freund. Zu was fuͤr einem verwerflichen Ende muß doch die Sterblichen die verdammte Ruhm- sucht beherrschen! Auf was fuͤr schnoͤde Wege verleitet sie sie nicht! O daß doch niemand mit dem verderblichen Ehrdurst prangen, noch in dem Tadler den Menschen verliehren moͤchte! Ein gu- ter Verstand sollte immer mit einem guten Herzen begleitet seyn. Denn irren ist menschlich, aber vergeben goͤttlich. Doch wenn ja in edlen Ge- muͤthern noch solche Hefen uͤberbleiben, die von der schwarzen Galle und jaͤhrenden Saͤure noch nicht gereiniget sind, so laßt eure Wuth uͤber La- ster aus, die es mehr verdienen, und sorget nicht, daß es in diesen Grundverderbten Zeiten euch daran werde manglen. Garstige Dinge sollen in Schriften nie keine Verschonung finden, so sehr auch Wiz und Kunst sich bemuͤhen, sie annehm- lich zu machen. Aber wenn sie dabey mit einer plumpen Dummheit begleitet werden, so verdie- nen sie noch dazu die aͤusserste Verachtung. Jn jener fetten Zeit, da Wollust, Reichthum und Ruhe im Flor waren, entsproß dieses fruchtbare Un- Versuch von den Eigenschaften Unkraut und verbreitete sich bald allenthalben he- rum. Da war die Liebe die einige Beschaͤftigung eines muͤssigen Monarchen, der selten im Rathe, und niemals in den Waffen erschien. Buhlerin- nen regierten den Staat, und die Staats-Be- dienten schrieben Comoͤdien. Man gab dem Wi- ze Besoldung und junge Lords waren damit verse- hen. Die Schoͤnen sassen entzuͤkt bey der Oper eines Hofmanns und keine Maske schied unverbes- sert davon. Kein schamhafter Windfaͤcher wur- de mehr empor gehoben, und Jungfrauen laͤchel- ten uͤber das, woruͤber sie zuvor erroͤtheten. Die solgende Ausgelassenheit einer fremden Regierung oͤffnete allen Hefen des frechen Socinus den Damm. Dann wurde zuerst die Sittenlehre der Belgier erhoben. Wir bekamen ihre Religion und sie unser Gold. Priester ohne Glauben re- formierten die Nation, und lehrten eine angeneh- mere Weise seelig zu werden, bey welcher freye Unterthanen des Himmels auch ihre Rechte ver- theidigen duͤrften. Denn sonst haͤtte Gott selbsten zu Absolut scheinen moͤgen. Man gewoͤhnte die Kanzeln mit ihren heiligen Satiren sparsamer zu thoͤnen, und die Laster wunderten sich ihre Schmeichler darauf zu erbliken. Hiedurch wur- den unsere Titanische Witzlinge so kuͤhne, den Himmel zu stuͤrmen, und die Pressen aͤchzeten uͤ- ber erlaubten Gotteslaͤsterungen. Auf diese Unge- heure schiesset eure Pfeile, ihr Buͤcherrichter. Auf diese richtet euren Donner und erschoͤpfet alle eure Wuth. Doch meidet anbey den Fehler de- rer, die, zum Aergernisse seltsam, einen Scribenten mit eines Kunstrichters. mit Gewalt uͤbel verstehen wollen, um boͤses in ihm zu finden. Einem angesteckten scheint alles angesteckt, wie einem gelbsuͤchtigen Auge alles gelb vorkoͤmmt. Lernet derohalben auch die moralischen Tugen- den eines Critici, denn die blosse Wissenschaft ist nur die Helfte der Pflichten eines Richters. Es ist nicht genug an Witz, Kunst und Gelehrtheit: Es muͤssen auch Wahrheit und Redlichkeit aus allem, was wir reden, hervorbliken, damit jeder- mann bewogen werde, nicht nur unser Urtheil zu schaͤzen, sondern auch unsre Freundschaft zu suchen. Schweigetallezeit, wenn ihr noch an eurer Ein- sicht zweifelt, und seyd ihr wirklich gewiß, so sprecht doch als ob ihr euch nicht genug trauetet. Es giebt Thoren, die in ihren unvernuͤnftigen Machtspruͤchen so halsstarrig sind, daß sie mit Gewalt fort irren wollen, wenn sie einmal geir- ret haben. Aber erkennet ihr eure vergangene Fehler mit Freuden, und stellet jeden Tag eine Critik uͤber den vorigen an. Doch ist es auch nicht genug, einen guten Rath schlechthin zu ertheilen. Eine plumpe Wahrheit stiftet mehr uͤbels als eine kuͤnstliche Unwahrheit. Man muß die Menschen lehren, als ob man sie nicht lehrte, und Dinge, die sie nie gewußt, ih- nen vorbringen, als ob sie sie nur vergessen haͤt- ten. Die Wahrheit findet keinen Eingang, wenn die Hoͤflichkeit sie nicht begleitet. Nur dieses kan den Vorzug unsrer Vernunft einem andern be- liebt machen. Seyd Versuch von den Eigenschaften Seyd niemals sparsam in Mittheilung eurer Meinung. Kein Geitz ist haͤßlicher, als wenn man mit der Vernunft geizig ist. Huͤtet euch daß keine niedertraͤchtige Gefaͤlligkeit eure Aufrichtigkeit befleke, und seyd nie so hoͤflich, daß ihr daruͤber ungerecht wuͤrdet. Jhr duͤrft euch nicht fuͤrchten einen Weisen so leicht zu erzuͤrnen, denn niemand laͤßt sich lieber tadeln, als der geruͤhmt zu wer- den verdienet. Doch o wie gut waͤre es, wenn ein Kunstrich- ter sich allezeit diese Freyheit ausnehmen duͤrfte! Aber dem Appius steigt bey jedem Worte, das ihr sprecht, das Feuer in die Stirne. Er besitzt sich nimmer, und drohet bereits mit fuͤrchterlichen Bliken, wie ein grimmiger Tyrann auf einer al- ten Tapezerey. Fuͤrchtet euch ja einen vorneh- men Thoren anzutasten, der die Freyheit hat, ohne Einrede dumm zu seyn. Ein solcher wird, wenn es ihm gefaͤllig ist, ohne Geist und Witz zum Poeten, und darf sich graduiren lassen, ohne etwas zu wissen. Gefaͤhrliche Wahrheiten muß man einem ohngluͤcklichen Satirenschreiber, und Schmeicheleyen einem eckelhaften Dedications- schmiede uͤberlassen, dessen Lobspruͤchen die Welt nicht mehr Glauben zustellt, als seinen Verspre- chungen, das Buͤcherschmieren aufzugeben. Es ist zuweilen am besten, wenn wir mit unsern Strafpredigten inhalten und dumme Koͤpfe in Lie- be bey ihrer Einbildung lassen, denn wer kan so lange schmaͤlen, als sie schreiben koͤnnen? Sie sind wie Toͤpfe. Sie fangen an zu sumsen, und lassen in ihrem schlaͤfrigen Laufe sich so lange herum peit- eines Kunstrichters. peitschen, bis sie zulezt gar entschlafen. Ein fal- scher Tritt reizet sie nur wieder von vornen anzu- fangen, wie ein liederliches Pferd, wenn es ge- stolpert hat, staͤrker anfaͤngt zu laufen. Was fuͤr Schaaren von diesen ohnbußfertigen Koͤpfen wer- den nicht alt und grau in ihrer Bemuͤhung, mit Sylben zu klingeln. Sie wollen mit Gewalt Poeten seyn, und druken aus toller Reimsucht ihr Gehirne bis auf die Hefen aus; sie erpressen auch die lezte truͤbe Tropfen ihres Verstandes; und reimen mit allem dem Rasen, das die Un- vermoͤgenheit erweket. Solche schandbare Dichter haben wir. Doch giebt es gewiß eben so thoͤrichte und verwerfliche Reimrichter. Ein hirnloser Kopf, mit Lasten von Folianten beschwehrt, Nihil pejus est iis qui paullum aliquid ultra pri- mas literas progressi falsam sibi scientiæ persuasionem in- duerunt. Nam \& cedere præcipiendi peritis indignantur \& velut jure quodam potestatis quo fere hoc hominum genus intumescit imperiosi atque interim sævientes stulti- tiam suam perdocent. Quintil. lib. 1. c. 1. voll von Bele- senheit und leer an Wissen, erbauet sein Ohr stets mit seiner eigenen Zunge. Er scheinet immer sich selbst zuzuhoͤren. Er liest alle Buͤcher uud tastet alle an, die er liest, von Drydens Fabeln, bis auf Duͤrfeys Maͤhrgen herab. Nach seinem Aus- spruche haben die meisten Scribenten ihre Wer- ke gestohlen oder erkauft, und Garth hat sein ei- genes Dispensarium nicht selbst geschrieben. Nen- net ihm eine neue Comoͤdie. Er ist des Poeten Freund. Versuch von den Eigenschaften Freund. Ja er hat ihm seine Fehler gezeigt. ‒ ‒ ‒ Aber wenn wird sich ein Poete weisen lassen? Die heiligste Staͤtte ist nicht genug fuͤr diesen Thoren verwachet, und die Pauls- Kirche ist nicht sichrer fuͤr ihnen, als der Pauls- Kirchhof. Ja fliehet ihr zu den Altaͤren, so wer- den sie euch selbst allda zu tode plaudern. Denn Thoren dringen in Orte, die sich die Engel scheuen zu betreten. Die Vernunft trauet sich nie zu viel. Sie spricht allezeit mit einer sittsamen Vor- sichtigkeit. Sie wagt sich nie zu weit hinaus und sieht immer nach ihrem Heymath zuruͤke. Aber die rasselnde Unvernunft bricht mit vollem Knal- len heraus. Sie stuͤrmet gerade vor sich, ohn- abgewandt, ohnwiderstaͤndlich, und zerbirstet in ein Wetter mit Donnern und Krachen. Jedoch wo finden wir heute einen geschikten Rathgeber? Einen Mann der willig zu lehren und doch von seinem Wissen nicht aufgeblasen ist. Den weder Gunst noch Haß zu lenken vermoͤgen. Der mit keinem dummen Vorurtheile beladen, oder nur blindlings gut ist. Gelehrt aber doch wohlgesittet, und wohlgesittet aber doch aufrich- tig dabey. Dessen Feuer mit Sittsamkeit und dessen Strenge mit Gelindigkeit gemaͤssiget. Der einem Freunde seine Fehler freymuͤthig entdeken, und auch am Feinde das Verdienst aufrichtig ruͤh- men kan. Der einen genauen doch nicht zu be- schraͤnkten Geschmak, und eine Kenntniß der Men- schen sowohl als der Buͤcher besizet. Der einen edlen Umgang und eine Seele hat, die kein Stolz befleket. Der mit Freuden ruͤhmet, wenn er bil- lig ruͤhmen kan. So eines Kunstrichters. So waren ehedessen die Kunstrichter. So war die geringe Zahl der gluͤcklichen Geister beschaffen, welche Athen und Rom in jenen bessern Zeiten ge- kannt haben. Der maͤchtige Stagyrite fuhr am ersten vom Ufer ab. Er ließ alle seine Seegel flie- gen und durfte die Tiefen erkundigen. Er steuer- te sicher und kam weit in seinen Entdekungen, vom Lichte des Maͤonischen Sterns geleitet. Die Poeten, ein Volk, das lange Zeit ungebunden lebte, und eine wilde Freyheit eifrig behauptete; unterwarfen sich seinen Gesezen; und fanden sich uͤberzeugt, daß derjenige billig dem Wize vorste- hen sollte, der die Natur selbst unter sich gebracht hatte. Horaz entzuͤket uns immer mit einer ohnbemuͤ- heten freyen Anmuth. Seine Reden bessern un- sere Vernunft, ohne kuͤnstliche Lehrart. Gleich einem Freunde bringt er uns die schoͤnsten Begrif- fe auf die leichteste Weise vertraulich bey. Er haͤtte beh seiner grossen Staͤrke an Wiz und Ur- theilskraft eben so meisterhaft urtheilen duͤrfen, als meisterhaft er geschrieben. Aber er sang voll feu- riger Bewegung und urtheilte in der sanftesten Stille. Seine Regeln lehren uns nichts, als was seine Werke wirklich in uns erregen. Wie sehr sind nicht unsere heutige Kunstrichter auf die Gegenseite gefallen. Jn ihren Urtheilen herrschet Wuth uͤnd Galle, aber in ihren Schriften das waͤssrigste Wesen; und Dichter beschimpfen den grossen Horaz nicht aͤrger, durch ihre ungeschick- ten Uebersezungen, als Kunstrichter, wenn sie ihn so verkehrt anfuͤhren. [Crit. Sam̃.] F Siehe Versuch von den Eigenschaften Siehe wie Dionysius des Homers Gedanken erheitert, wie er neue Schoͤnheiten aus jeder Zei- le zieht. Dionysius Halicarnasseius. Jn dem lebhaften Petronius spielen Kunst und Einbildungskraft; das Wissen eines Gelehrten mit dem ungezwungenen Wesen eines Hofmanns. Jn des ansehnlichen Quintilianus reichem Wer- ke finden wir die richtigsten Regeln mit der deut- lichsten Lehrart vereinigt. So pflegen wir nuͤtzli- che Wafen in einem Zeughause geschickt einzuthei- len und angenehm zu ordnen; damit sie auf die- se Weise nicht nur unser Auge vergnugen, son- dern auch im Nothfall desto eher gefunden wer- den koͤnnen. Den erhabenen Longin haben alle Musen be- geistert, und ihren Criticum mit der Glut eines Poeten belebt. Er ist ein Richter voller Feuer, und ein Eiferer in seinem Amte. Er urtheilt mit Heftigkeit, aber allezeit gerecht. Sein eigenes Exempel bekraͤftiget alle seine Geseze, und er ist selber das grosse Erhabene, das er abbildet. Also fuͤhrten die Critici in einer langen Folge eine gerechte Regierung. Sie beschraͤnkten die Ausgelassenheit, und ordneten die nuͤtzlichsten Ge- seze. Die Wissenschaften und Rom wuchsen zu- gleich in ihrer Herrschaft; und wohin die Adler flogen, da folgten ihnen immer die Kuͤnste nach. Aber auch beyde wurden zulezt von einerley Fein- den zerstoͤret, und eine gleiche Zeit sah Rom und die Wissenschaften fallen. Der Aberglaube ver- band eines Kunstrichters. band sich mit der Tyranney, und brachte die Seelen, wie diese die Leiber, in die Knechtschaft. Man glaubte viel, aber verstund wenig. Und dumm seyn mußte, nach der damahligen Ausle- gung, fromm seyn heissen. Dergestalten uͤber- schwemmete eine zweyte Suͤndfluth die Wissen- schaften, und die Muͤnche vollendeten, was die Gothen angefangen hatten. Zulezt kam Erasmus; ein grosser so oft ange- griffener Nahme; der Priesterschaft Ruhm und Beschaͤmung! Der stemmte die wilde Fluth der Barbarey und trieb die heiligen Vandalen von der Schaubuͤhne. Aber siehe! wie in Leons guͤldenen Tagen jede Muse von ihrer Ohnmacht erwacht, und ihren verwelckten Lor- beerkranz wieder aufpuzt. Der Geist des alten Roms uͤber dessen Schutt ausgestrekt schuͤttelte den Raub von sich und hub sein ehrenvolles Haupt empor. Dann er- munterten sich die Bildhauerey und ihre verschwisterte Kuͤnste von ihrem Schlafe. Steine eilten zur Form und Felsen begunnten zu leben. Jeder neuaufstehende Tem- pel erschall mit angenehmern Thoͤnen. Ein Raphael mal- te, und ein Vida sang. Unsterblicher Vida, M. Hieronymus Vida von Cremona ein vortreff- licher lateinischer Poet, der eine Dichtkunst in Versen ge- schrieben. Er lebte zu den Zeiten Pabst Leons des zehnten. um dessen wuͤrdige Scheitel sich die Lorbeere der Dichtkunst mit der Critik Epheu vereinigen. Cremona soll ewig mit deinem Nahmen prangen und Mantuen am Ruhme wie in der Lage am naͤchsten seyn. Aber bald wurden die Musen durch den Greuel der Wafen aufs neue aus Latien vertrieben, und verliessen ihre al- ten Graͤnzen. Denn verbreiteten sich die Kuͤnste durch die ganze Norderwelt. Doch florierten die critischen Wissen- F 2 schaften Versuch von den Eigenschaften ꝛc. schaften am meisten in Franckreich. Ein Volck zum Die- nen gebohren gehorchet den Gesezen, und Boileau herr- schet daselbst an Horazen statt. Aber wir muthige Britten verachteten die fremden Geseze und behaupteten unsren Freystand mit unsren rohen Sitten. Verwegene und eif- rige Verfechter der Freyheit des Wizes trozten wir die Roͤmer wie vor Altem. Doch unter dem geringen Hau- fen derer, die mehr Kenntniß und weniger Einbildung hatten, wagten es einige, die bessere Sache der Alten zu vertheidigen und die Grundgeseze des Wizes auch bey uns herzustellen. Von diesen war die Muse, deren Regeln und Exempel gelehret haben, daß das groͤste Meisterstuͤk der Natur sey, wohl zu schreiben Eßay on poetry by the Duke of Buckingham. . So war Roscom- mon, das so gelehrte als tugendhafte Haupt, an Sitten so edel als am Gebluͤte. Er kannte den Roͤmischen u. Grie- chischen Wiz und keines Scribenten Verdienst war ihm ver- borgen, als nur sein eigenes. So war zulezt auch Walsch der Freund und Richter der Musen, der so gruͤndlich zu ruͤh- men als zu tadeln gewußt; Gelind gegen die Fehler nnd eifrig fuͤr das Verdienst; Das aufgeklaͤrteste Haupt und aufrichtig- ste Herze. Empfange diesen demuthsvollen Ruhm von mir, dn werther beweinter Schatten; das einige was meine dank- bare Muse dir noch geben kan. Du hast sie in ihrer fruͤhen Jugend die Thoͤne gelernet. Du hast ihr die zarten Schwin- gen beschnitten und ihrem Fluge die gemessene Hoͤhe vorge- schrieben. Nun, da sie ihren Fuͤhrer verlohren, erkuͤh- net sie sich nicht mehr zu steigen und wagt nur einen kur- zen Ausflug in niedrige Gedichte. Vergnuͤgt, wenn die Ungelehrten von ihr lernen ihre Maͤngel zu erkennen, und die Gelehrten, dem was sie bereits wissen, weiters nach- zudenken. Das Tadeln hat sie nie bekuͤmmert, und der Ruhm nie zu sehr gereizet. Sie erfreuet sich, wenn sie loben kan, und ist nicht furchtsam zu strafen. Schmei- cheln und Beleidigen sind ihr gleich sehr zuwider, und wie sie nicht ohne Fehler ist, so schaͤmet sie sich auch nicht, sich zu bessern. Von Von dem Sinnreichen und dem Scharfsinnigen. Von dem Sinnreichen und dem Scharfsinnigen. D Je deutsche Nation Jm September von 1728. kamen zu Zuͤrich un- ter dem Titel Anklage des verderbten Geschmakes Cri- tische Anmerkungen uͤber den Hamburgischen Patrioten und die Haͤllischen Tadlerinnen heraus, worinnen alles, was in diesen moralischen Blaͤttern seinen Ursprung in dem Vermoͤgen des Wizes hat, mit derjenigen Freyheit un- tersuchet und beurtheilet wird, welche eben so angenehm als lehrreich ist, wenn sie auf die Wahrheit gegruͤndet ist. Diese Critik war schon im Jahr 1725. verfertigt, aber durch verschiedene Zufaͤlligkeiten an dem Druke gehindert worden. Sie beruͤhrt nicht mehr als hundert Stuͤke des Patrioren und vierzig der Tadlerinnen. Der Verfasser hatte eine Fortsezung derselben versprochen, wo die Faͤ- higkeit des Verstands besagter Moralisten, ihre Gelahit- heit, ihre Zuversicht auf ihre Geschiklichkeit, ihre Wissen- schast ist dem tiefsinnigen Weltweisen, Herren Christian Wol- fen, davor verbunden, daß sie die gan- ze Reihe derer Wissenschaften, welche dienen das wahre Beste der Menschen zu befoͤdern, und sie zu einer vernuͤnftigen Bewunderung der Werke Gottes in der Natur aufzumuntern, ohne einen Dollmetscher lesen kan. Wer seine Schriften F 4 mit Von dem Sinnreichen mit Aufmerksamkeit nnd Nachdenken durchgehet, geraͤth oͤfters in Zweifel, ob er die Reinigkeit der Sprache, oder die Deutlichkeit der Begriffe, oder die Gruͤndlichkeit der Beweise, oder die ge- schikte Verknuͤpfung der Wahrheiten am meisten bewundern solle. Die Lehrart in denselben hat et- was Ungemeines, und wird vermuthlich die Fin- sterniß vertreiben, in welcher die Deutschen bis- dahin groͤstentheils in Ansehen derjenigen Wis- senschaften getappet haben, zu welchen etwas mehreres als die Geduld eins Lastthieres erfodert wird. Die Hoffnung, die ich desfalls auf den innerlichen Werth dieser Schriften gesezet habe, hat einen so gewissen Grund, daß ich sie nicht sin- ken lasse, ungeachtet ich wohl sehe, daß die An- zahl derer noch sehr gering ist, welche die darin- nen enthaltene Lehren mit Nuzen zu brauchen wis- sen. Dennoch hoffe ich, daß man in kuͤnftigen Zeiten die grossen und heilsamen Wirkungen der- selben schaft der deutschen Sprache haͤtten untersuchet werden sollen: Allein es ist bey dem Versprechen geblieben. Da mithin in dem gedruͤkten Stuͤke die Urtheile nicht auf das Duͤnkel des Kunstrichters ausgesprochen, son- dern auf gewisse Grundsaͤze, die man jedesmal fest se- zet, gebauet werden, so glaube ich, daß mein Vorhaben die Artilel desselben saͤmmtlich, oder die vornehmsten in meiner Sammlung nach und nach wider aufzulegen, mei- nen Lesern nicht unangenehm seyn werde, ungeachtet die Wochenblaͤtter, welche Anlaß dazu gegeben haben, seit etlichen Jahren die Gunst und den Beyfall der eklern Deut- schen verlohren haben. Jch will den Anfang mit dem Ab- schnitte von dem Sinnreichen und dem Scharfsinnigen ma- chen. und dem Scharfsinnigen. selben nicht ohne Erstaunen verspuͤhren werde, wenn der Neid und die Boßheit, die sich allen nuͤzlichen Unternehmungen entweder durch offentli- che Gewalt oder durch List entgegen sezen, von der Zeit geschwaͤchet, allmaͤhlich verschwinden werden. Mein Zwek erfodert, daß ich mit ei- nem Exempel weise, was fuͤr einen guten Einfluß seine Lehrsaͤze auf alle unsre Erkaͤnntniß haben wuͤrden, wann man dieselben nach seiner Absicht anwenden wollte. Jch finde in den vernuͤnftigen Gedanken von Gott, der Welt, und der Seele des Men- schen eine so deutliche Beschreibung, was der Wiz sey, daß wir sie in der Untersuchung des Sinnreichen uͤberhaupt, vor den sichersten Leit- faden gebrauchen koͤnnen. Der Wiz, sagt er, ist eine Leichtigkeit die Aehnlichkeiten der Dinge wahrzunehmen: Wer hierzu aufgeleget ist, den nennet man Sinnreich. Diese Beschreibung erklaͤret er an einem andern Orte also. „Wenn die Einbil- „dungskraft andere Dinge hervorbringet, die „man vor diesem erkannt, welche mit den Ge- „genwaͤrtigen etwas gemein haben: so erkennet „man durch dasjenige, was sie mit einander „gemein haben, ihre Aehnlichkeit. Derowegen „da die Leichtigkeit die Aehnlichkeiten wahrzuneh- „men der Wiz ist; so ist klar, daß Wiz aus „einer Scharfsinnigkeit und guten Einbildungs- „kraft und Gedaͤchtniß entstehet. Daher tref- „fen wir bey denjenigen Wiz an, die viel behal- „ten, und sich leicht darauf besinnen, oder, F 5 „wie Von dem Sinnreichen „wie man zu reden pfleget, ein gutes Gedaͤcht- „niß haben, wenn sie zugleich auf die Sachen „aufmerksam sind. Wiewohl er in einem gerin- „gen Grade angetroffen wird, wo nicht Scharf- „sinnigkeit dazu koͤmmt. Nemlich wo es an „Scharfsinnigkeit fehlet, da nimmt man nur „Aehnlichkeiten wahr, die bald in die Augen „fallen; hingegen wo man scharfsinnig ist, da „entdeket man Aehnlichkeiten, die nicht ein jeder „gleich wahrnimmt. Jn dem ersten Falle kan „man auch den Schein fuͤr das Wesen nehmen; „in dem andern Falle aber ist jederzeit eine wohl- „gegruͤndete Aehnlichkeit vorhanden. Je mehr „also einer Aehnlichkeiten zu entdeken weiß, je „mehr hat er Wiz, und je sinnreicher ist er. Jn- „gleichen je verborgenere Aehnlichkeiten einer ent- „deken kan, je groͤsser ist sein Wiz. Hingegen „ist einer mit geringem Wize begabet, wann er „gar schwer Aehnlichkeiten entdeken kan, und „ohne allen Wiz ist, der nicht sehen kan, wenn „ein Ding dem andern aͤhnlich ist.„ Jn den Anmerkungen uͤber das erwaͤhnte Buch lehret Hr. Wolf ferner, wie diese Be- schreibung des Wizes und derselben Erlaͤuterung zum Nuzen anzuwenden sey: „Was ich von „dem Wize gelchret habe, dienet nicht allein die „Redner und Poeten, auch Comoͤdien- und „Tragoͤdien-Schreiber, sondern auch selbst die „Autoren, welche die Disciplinen und dahin „gehoͤrige Sachen beschrieben, zu beurtheilen, „und bey denen Erfindern und ihren Erfindungen „hat man auch darauf zu sehen. Ja wenn man „die und dem Scharfsinnigen. „die Regeln der Redner-Kunst, der Poesie, „der Kunst zu erfinden, demonstrativisch unter- „suchen sollte, so wuͤrde man auch noͤthig haben, „unterweilen diese Gruͤnde zu brauchen.„ Jch kenne keinen deutschen Scribenten, der sich uͤber diese Materie deutlicher und gruͤndlicher erklaͤret habe; und kan darum nicht begreifen, warum die Kunstlehrer, die das Sinnreiche in den Schriften untersucht haben, nicht auf diese Grundsaͤze gebauet, sondern lieber ihrem eigenen verwirrten Kopfe gefolget haben. Der Verfas- ser der Haͤllischen Tadlerinnen hat sich in die Ge- fahr gewaget, diese Materie abzuhandeln. Er hat seine Entdekungen derjenigen von seinen aufge- fuͤhrten Personen, die er Phyllis getaufet, in die Feder geleget. Jch habe dieselben mit allem Fleis- se erwogen, und bestaͤndig Anlaß gefunden wahr- zunehmen, wie leicht man sich verirren koͤnne, wenn man gute Anleitungen in den Wind schlaͤgt. Phyllis eroͤffnet ihr Vorhaben schier zu Anfan- ge des sieben und dreissigsten St. mit folgenden Worten: Jch habe vor dreyen Wochen ver- sprochen, meine Gedanken von einem sinnrei- chen Ausdruke im Reden und Schreiben mit- zutheilen.; welche mir Anlaß zu einer Anmer- kung geben, die aus den angefuͤhrten wolfischen Grundsaͤzen natuͤrlich fließt, und die ganze Unter- suchung erleichtert, nemlich, daß kein langes Nachdenken erfodert werde, auszumachen, was im Reden und Schreiben den Nahmen des Sinn- reichen verdiene. Man nennet alles Sinnreich, was uns gewisse Aehnlichkeiten zwischen unterschie- denen Von dem Sinnreichen denen Dingen entdeket, es sey, daß diese Aehn- lichkeiten ihren wahren Grund haben und in der Natur der Sachen wesentlich seyn, oder daß sie auf einem blossen Scheine beruhen. Das giebt uns schon der blosse Ursprung des Wortes sinn- reich zu errathen. Sinnreich oder Geistreich ist eben so viel als reich an Sinnen oder Geist. Es ist eben nicht nothwendig, daß ein Einfall nach dem guten Geschmake sey, wann er mit dem Bey- wort Sinnreich oder Geistreich beleget werden soll. Die Spiele der Phantasie und was die Franzo- sen Esprit faux \& mixte heissen, haben ein gleiches Recht zu diesem Titel. Es wird auch keine gros- se Geschiklichkeit erfodert, in den Schriften das Sinnreiche von dem Vernuͤnftigen oder Wahren, welches alles allgemeine Benennungen sind, zu unterscheiden. Aber wie weit sich die Graͤnzen des Scharfsin- nigen erstreken, worinnen die Natur desselben be- stehe, und wie fern es von dem Sinnreichen un- terschieden sey; dieses sind Fragen, derethalben die Gelehrten annoch mißhellig sind; und die so eigentlich noch nicht eroͤrtert worden. Was der Engellaͤndische Zuschauer in dem zwey und sechzig- sten St. davon gesagt, ist noch das Klaͤreste und Gruͤndlichste, das mir uͤber diese Materie zu Ge- sicht gekommen ist; wiewohl auch seine Begriffe noch ziemlich unbestimmt sind, und die Stufen und Graͤnzen des Scharfsinnigen nicht genug aus einander sezen. Jndessen ist es zu meinem gegen- waͤrtigen Vorhaben genung, daß ich die allgemei- nen Grundregeln des Scharfsinnigen nach Herren Wolfen und dem Scharfsinnigen. Wolfen Anleitung in eine gewissere Ordnung bringe. Jch finde in seiner Metaphysik eine eigene Be- schreibung von dem Scharfsinnigen uͤberhaupt. Es heißt auf dem 469sten Bl. „ Wer viele Deut- „lichkeit in den Begriffen der Dinge hat, „und also genau herauszusuchen weiß, wo- „rinnen eines einem andern von seiner Art „aͤhnlich, und worinnen es hinwiderum von „ihm unterschieden ist; derselbe ist Scharf- „sinnig. Und also ist die Scharfsinnigkeit die „erste Art der Vollkommenheit des Verstandes, „die sich so wol auf die anschauende, als figuͤrli- „che Erkanntniß erstrecket. Und demnach ist ei- „ner um so viel scharfsinniger, je mehr er in einer „Sache, die er sich vorstellet, entdecken kan, als „der andere. Und in der figuͤrlichen Erkanntniß „kommt die Scharfsinnigkeit auf den hoͤchsten „Grad, wenn man alles erklaͤren kan.„ Wenn wir nun diese Beschreibung mit den schon angefuͤhr- ten Stellen zusammenhalten, so koͤnnen wir in un- terschiedlichen Saͤtzen herausbringen, was den all- gemeinen Character des Scharfsinnigen im Reden und Schreiben ausmachet. Erstlich muß die Aehnlichkeit nicht allzu nahe seyn, noch so, daß sie jedermann leicht in die Augen faͤllt. Es wird zum Exempel keine Scharfsinnigkeit er- fodert, in gleichen Dingen Aehnlichkeiten zu ent- decken. Zweytens muß die Aehnlichkeit nicht allzu ent- fernt seyn, so daß man Muͤhe hat, dieselbe nach ei- ner langen Betrachtung zu errathen. Sie muß nicht Von dem Sinnreichen nicht bloß in den Zufaͤllen eines Dinges gesucht werden, z. E. in dem blossen Thone der Worte, wie in den Wortspielen, oder in der aͤusserlichen Figur, wie in den Bilder-Reimen, oder in einer blinden Versezung der Buchstaben und Sylben, wie in dem Anagramma. Drittens ist in einem hohen Grade scharfsinnig, was uns mehrere verborgene Aehnlichkeiten verschie- dener Dinge entdecket. Folglich muß viertens das Scharfsinnige uns grosse, deutliche, und ergetzende Begriffe erweken. Aus diesen Grundregeln kan sich ein jeder leicht einen Begriff von dem machen, was in den Schrif- ten scharfsinnig heißt. Gegen dieselben will ich nun die Entdeckungen der verkappten Phyllis un- tersuchen. Denn wiewohl es das Ansehen hat, als ob ihr Vorhaben nur auf das Sinnreiche gehe; so ist doch die Wahrheit, daß sie diese Benennung in der Bedeutung genommen hat, die an das Wort Scharfsinnig gehaͤnget ist: Woraus die Deut- lichkeit ihrer Begriffe und ihre Kundschaft von der deutschen Sprache, worauf sie sich doch am mei- sten einbildet, abzunehmen ist. Sie hat nachfolgende Stelle aus Canitzen Ge- dichten vor das 37ste Stuͤcke gesetzt. Man redt u. schreibt nicht mehr, was sich zur Sache schiket, Es wird nach der Vernunft kein Einfall ausgedruͤcket; Der Bogen ist gefuͤllt,, eh’ man an sie gedacht; Was groß ist, das wird klein, was klein ist groß gemacht; Da doch ein jeder weiß, daß in den Schildereyen Allein die Aehnlichkeit das Auge kan erfreuen; Weil eines Zwerges Bild die Artigkeit verliert, Wenn man es in Gestalt der Riesen aufgefuͤhrt. Jn und dem Scharfsinnigen Jn der ersten Zeile steht der Text des Poeten verfaͤlscht, die ungereimte Einschiebung des Woͤrt- leins redt, an statt denkt, schwaͤcht und verderbt den Sinn der gantzen Stelle. Die zweyte Zeile hat mir den Betrug verrathen, und mich die wah- re Lection errathen lassen. Ohne Zweifel hat der Poet mit den dreyen ersten Zeilen auf den bekann- ten Vers des Horatz gezielet: Scribendi recte sapere est \& principium \& fons. Aber durch den angeregten Wortwechsel wird der gantze Gedancke des Poeten verderbt. Jn dem Eingang macht sie folgende Glossen uͤber diese Stelle des deutschen Poeten ? Jn diesen herr- lichen Worten hat ein fuͤrtrefflicher Staats- Minister schon zu seiner Zeit den Verfall einer vernuͤnftigen und regelmaͤssigen Schreibart be- dauret. ‒ ‒ Diese Stelle handelt uͤberhaupt von einer guten Schreibart, und wo ich nicht irre, haͤlt sie nachfolgende Regeln in sich. 1. Ein Scribent muß natuͤrlich schreiben. 2. Er muß vernuͤnftig schreiben. 3. Er muß in Vergroͤsserungen und in Verkleinerungen Maaß halten. Jch sahe zwar, daß diese drey Hauptregeln einer guten Schreibart so noth- wendig sind, daß sie auch aus der sinnreichen Art nicht ausgeschlossen werden koͤnnen: Al- lein es schien doch ausser diesen dreyen Stuͤcken noch was mehrers zu einer sinnreichen Schreib- art zu gehoͤren. Jch bin sicher, daß der Poet in diesen Versen nicht den Verfall der scharfsinnigen Schreibart be- klaget; sondern die Quelle des Unnatuͤrlichen ent- decken Von dem Sinnreichen decken will, welche er darinnen findet, daß man ohne Gedanken und Vorbedacht auf das Papier schmieret, was ein ungebundener oder finsterer Sinn in die Feder floͤßt. Es kan hiermit aus seinen Ver- sen die einzige Regel herausgeleitet werden: Man solle natuͤrlich schreiben, d. i. die Begriffe muͤssen sich vor die Sachen, von welchen man reden oder schreiben will, und die Worte vor die Begriffe schicken. Jn dieser Regel sind die zwo andern, die Phyllis so sorgfaͤltig sondert, schon begriffen. Diese allgemeine Grundregel beziehet sich auf alle Gattungen der Schreibarten und giebt uns ein allgemeines Kennzeichen an die Hand, die gute Schreibart uͤberhaupt von der falschen zu unter- scheiden. Es ist fuͤrwahr laͤcherlich, daß Phyllis aus dieser Stelle des Poeten mit Gewalt eine Be- schreibung des Scharfsinnigen herausgruͤblen wol- len. Aber sie faͤhrt auf ihrem Wege fort, und giebt sich in dem Verfolge viele Muͤhe zu erweisen, daß die Schreibart, die nach diesen Regeln ab- gefasset ist, noch nicht scharfsinnig zu nennen sey. Z. E. wenn der Herr von Besser in dem Le- benslaufe seiner Gemahlin so anfaͤngt: „wenn „wir unsere Todten hertzlich beweinet und ih- „re Gebeine ehrlich zur Erden bestattet; schei- „nen wir wol ihr ganzes Verlangen und uns- „re Pflicht erfuͤllet zu haben: aber der aller- „nuͤzlichste Liebesdienst, den wir ihnen und „uns leisten koͤnnen, ist, daß wir ihr Gedaͤch- „niß zum Exempel der Lebenden bewahren, „und wie wir aus ihrem Tode unsre Sterb- „lichkeit erkennen; also auch aus ihrem ruͤhm- „lich und dem Scharfsinnigen. „lich gefuͤhrten Wandel uns zu dieser unver- „meidlichen Nachfahrt bereiten lernen:„ So sind diese Zeilen zwar nach den vollkommensten Regeln einer guten Schreibart abgefasset: sie sind natuͤrlich; denn ich sehe nichts gekuͤnstel- tes oder gezwungenes darinnen: sie sind ver- nuͤnftig; denn alles, was er sagt, ist wahr, man mag es betrachten, von welcher Seite man im- mer will: sie sind endlich auch nicht voller gar zu hochgetriebenen Vergroͤsserungen. Doch die Wahrheit zu sagen, so sind alle diese schoͤ- nen Ausdruͤckungen noch nicht sinnreich. Aber wer ist jemahls in dem Jrrwahne gesteckt, daß alles was gut geschrieben ist, darum auch sinnreich oder scharfsinnig sey? Jedermann siehet leicht, daß die Besserische Stelle weder sinnreich noch scharf- sinnig heissen kan. Der wahre Grund dessen ist, weil darinnen keine Vergleichungen aͤhnlicher Dinge vorkommen, indem sie aus blossen Ver- nnnfts-Saͤtzen zusammengesetzet ist. Jm uͤbrigen koͤmmt mir die Sprache, in welcher Phyllis diese Stelle beurtheilt, gantz unverstaͤndlich vor. Oder was wollen diese Worte sagen? Diese Zeilen sind natuͤrlich, denn ꝛc. sie sind vernuͤnftig, denn ꝛc. sie sind endlich auch nicht voller gar zu hoch- getriebenen Vergroͤsserungen. Kan denn etwas natuͤrlich und dennoch unvernuͤnftig, oder vernuͤnftig und zugleich unnatuͤrlich seyn? Und sind nicht alle zu hochgetriebene Vergroͤsserungen wider die Na- tur? Dieser Stelle setzet sie noch einiche an die Sei- te, die nach ihrem Urtheile den Character des Sinn- G reichen Von dem Sinnreichen reichen an sich haben; durch diesen Gegensatz in ein klaͤrer Licht zu setzen, was sie droben zu behaup- ten gesucht hat, daß nemlich noch was mehrers zu einem sinnreichen Ausdrucke erfodert werde, als daß ein Gedancke natuͤrlich und vernuͤnftig sey. Die erste und zweyte sind aus eben derselben Schrift des Herrn von Besser entlehnet. Das nette und wolgesittete Leipzig die Mutter und Saͤugamme beydes der Musen und Gratien. Diese Stelle ist sinnreich, wegen der Aehnlichkeit und Kraft der Sinnbilder; da Leipzig unter dem Bildniß einer Mutter und Saͤugamme der Musen und Gratien vorgestellet wird. Die Musen sind die Schutzgoͤttinnen der Gelehrten, die Gratien die Goͤttinnen der Annehmlichkeit, beyden wurden von den Dichtern Muͤtter und Saͤugammen zugeeignet; und als eine solche wird Leipzig hier vorgebildet. So bald ihr diese Aehnlichkeiten und Bilder auf- loͤset, und den Satz, der darunter stecket, mit ei- gentlichen unverbluͤmten Worten ausdruͤcket, so verliert sich das Sinnreiche, aber damit auch die Kraft des Ausdrucks. Der blosse einfaͤltige Satz ist folgender: Leipzig erzeuget, nehret und he- get gelehrte und angenehme Leute. Aber das wird mit groͤsserer Deutlichkeit, Kraft und Nach- druck gesagt, wenn man sich ausdruͤckt, wie Besser in dieser Stelle gethan hat. Die Stelle, die hiernaͤchst aus eben demselben Autor angefuͤhrt wird, ist von einer andern Art; wenn er von dem Vater seiner Kuͤhlweinin schrei- bet: Unter den fuͤnfzehen Kindern, mit denen er von dreyen Ehefrauen das Vaterland berei- chert und dem Scharfsinnigen. chert, hat er ausser einer bald nach der Geburt wieder erblichenen Johannen, keine als diese einzige Tochter erzeuget. So werden die Edel- gesteine nur einzeln gefunden; und so sparsam war das Verhaͤngniß gegen denjenigen mit Toͤchtern, der das gemeine Wesen zur Toch- ter hatte. Diese Stelle ist zwar sinnreich; aber nicht scharfsinnig, weil die Aehnlichkeiten in den Vergleichungen allzuweit entfernt sind. Jch will gerne zugeben, daß Edelgesteine nur einzeln gefunden werden; aber einzele Toͤchter sind nicht allemal Edel- gesteine, u. es ist eben keine Nothwendigkeit, daß die Auferziehung schlimm seyn muͤsse, wo viele Toͤchter sind. Man kan diese Edelgesteine, ich meine wolgesit- tete Toͤchter, eben so oft in volckreichen Haushaltun- gen antreffen, als wo nur einzele Toͤchter sind. Fer- ner; was ist fuͤr eine groͤssere Aehnlichkeit zwischen ei- ner Tochter und dem gemeinen Wesen, als zwischen einem Sohne und demselben? Was heißt, das ge- meine Wesen zur Tochter haben? Nichts anders, als fuͤr die Wohlfarth desselben getreulich wachen und sorgen. Warum muß aber der so wenig Toͤch- ter haben, dem die Wohlfarth des gemeinen We- sens angelegen ist? Es ist also diese Stelle, wie- wol sie sinnreich ist, dennoch ein frostiges Spiel der Einbildung, oder, des Geistes. Opitz hat dieses Sinnbild geschickt angewendet, in dem dritten B. der Poet. Waͤlder. Die durch viel Froͤmmigkeit ihr Kind, das Vaterland, Vielmehr geschuͤzet hat, als jemand mit der Hand. Das dritte Beyspiel ist aus des Herrn von Ca- niz Klag-Rede uͤber die damahlige Brandenbur- gische Churprincessin Henriette genommen. Der G 2 Unter- Von dem Sinnreichen Untergang eines Tytannen, entdecket ein Froh- locken bey allen; daß auch ein sterbender He- rodes sein Testament zu einem Blut-Urtheile machen muß, damit, wo nicht sein Abschied, doch zum wenigsten das Angedencken seiner Grausamkeit nasse Augen verursachen moͤge. Da ist nichts gemeiners, als daß man die Lob- schriften und Ehrenpforten mit Fuͤssen tritt, daran Heucheley oder Zwang gearbeitet hat. Diese vortreffliche Stelle ist vielmehr ein Exempel einer starcken und nachdruͤcklichen, als einer scharf- sinnigen Schreibart; weil darinne keine Aehnlich- keiten der Dinge vorkommen, hingegen kraͤftige Ausdruͤckungen, die uns lebhafte und hohe Begrif- fe erwecken. Der Untergang eines Tyrannen entdecket ein Frolocken bey allen; dieses laͤßt euch gedencken, daß man beym Leben eines Ty- rannen nur nicht einmahl die Freiheit hat, die Em- pfindungen seines Hertzens an den Tag zu geben; daß dieses Frolocken schon zuvor in der Hoffnung oder dem Wunsche der gedruͤckten Unterthanen ver- borgen gelegen. Also stecket die gantze Kraft dieses Ausdrucks in dem Worte entdecken, und daß diese Wuͤrckung dem Untergange zugeschrieben wird; sobald ihr dieses veraͤndert, so verliert sich bey gleichem Verstande der Nachdruck dieses Sa- zes; wenn ihr z. E. saget: Ueber dem Tode ei- nes Tyrannen entstehet ein allgemeines Frolo- ken. Diese Art des Ausdrucks ist bey weitem nicht von der Staͤrcke, als die, deren sich Canitz bedient hat. Von gleicher Art sind auch folgende Ausdruͤcke: Das Testament zu einem Blutur- theil und dem Scharfsinnigen. theil machen; Lobschriften und Ehrenpforten, daran Heucheley oder Zwang gearbeitet, mit Fuͤssen treten. Nachdem Phyllis diese Exempel vorher gesetzt hat, so war es nunmehr an dem, daß sie uns die Natur des Sinnreichen oder Scharfsinnigen ent- deckte. Nun fraget sichs, sagt sie, was zu ei- ner so sinnreichen Schreibart gehoͤre? Jch un- terstehe mich dieses nicht auf einmahl und in wenig Worten zu fassen: ich will es derowegen nach und nach in verschiedenen Anmerckun- gen erklaͤren. Das Wort sinnreich selbst scheint schon anzudeuten, daß ein solcher Ausdruck voller Witz und reich an Gedancken seyn muͤsse, so daß er einem Leser viel Nachdenckens ver- ursache. Jn dieser ersten Anmerckung, was das Sinnreiche sey, wird an statt daß sie die Natur des- selben erklaͤren solte, alles so bunt durch einander ge- worfen, daß man mit grosser Muͤhe den Sinn u. die Unrichtigkeit derselben errathen kan. Das Sinn- reiche muß voller Witzseyn. Das ist soviel als, es muß sinnreich seyn. Erklaͤre sie mir zuerst was Witz sey, ehe sie verlangt, daß ich sie verstehen solle. Jch waͤre werth, daß man meiner lachte, wann ich einem, der noch keinen deutlichen Begriff von dem Geld hat, also erklaͤren wolte, was Geldreich sey: Geldreich ist ein Mensch, der viel Geld besitzet, oder dessen Ki- sten voller Geld sind. Das Sinnreiche muß dar- nach reich an Gedancken seyn: Wann sie durch die Gedancken etwas anders verstehet, als die Wuͤrckungen des Witzes, so ist dieser Satz falsch; denn die Vernunftschluͤsse gehoͤren eigentlich nicht G 3 zu Von dem Sinnreichen zu dem Sinnreichen; oder zeige sie mir z. E. die reichen Gedancken (wann wir durch dieß Wort Vernunftschluͤsse verstehen,) welche in der ersten Stelle aus Bessers Schriften stecken. Drit- tens soll das Sinnreiche viel Nachdenckens er- wecken. Jm Gegentheil muß es vielmehr so deut- lich seyn, daß der Leser die Aehnlichkeit, die es vor- stellet, ohne Muͤhe sehen kan. Dahero ist auch die angefuͤgte Warnung, daß man nicht alle Scribenten, die schwer zu verstehen sind, vor sinnreich ausgebe, gantz uͤberfluͤssig. Denn die dunckle und verworrene Schreibart ist nicht dem Sinnreichen entgegengesetzt. Vielleicht geben uns die folgenden Anmerckungen mehr Licht. Das fuͤrnehmste/ sagt sie ferner/ wird in der sinnreichen Schreibart wohl auf verbluͤmte Gleichnißreden ankommen. Die oben erwehn- ten Exempel bestaͤtigen es/ und man kan noch mehrere anfuͤhren. Doch ist hiebey viele Be- hutsamkeit noͤthig: die Gleichnisse muͤssen in der That Gleichnisse seyn; denn ein blosses gleich- wie ‒ ‒ also/ macht es nicht aus; vielmehr muß dieses gantz vermieden werden/ wenn der Aus- druck sinnreich seyn soll. Die Gleichnisse muͤs- sen nicht gar zu gemein/ und bekannt seyn; sonst sind sie unangenehm. Endlich muͤssen sie auch weder von gar zu hohen/ noch gar zu niedrigen Dingen hergenommen seyn. Die ver- bluͤmte Gieichnißreden gehoͤren freylich zu dem Ge- schlecht des Sinnreichen; aber insgemein alles ge- hoͤret dazu, was durch die Vergleichung der Aehn- lichkeiten, so zwischen den Dingen obschweben, her- ausgebracht werden kan. Darum ist der Lehrsatz, daß und dem Scharfsinnigen. daß die offenbare Vergleichungen durch gleichwie- also/ nicht sinnreich waͤren, recht alber: Jch moͤch- te nur auch einigen Beweiß fuͤr diese so verwegene Meinung sehen. Opitz z. E. schreibt in dem er- sten B. der P. W. Ein Geist der Ehre sucht, muß etwas weiter ziehn, Denn wo der Graͤntzstein ligt. Drum bist du ausgerissen Als wie ein junger Leu, im Fall er an den Fuͤssen Die Klauen wachsen sieht, und um den Halß die Maͤhn, Die Zaͤhn im Maule merckt; er will nun ferner gehn Aus seiner Hoͤlen Loch, in der er ist erzogen: Und wie ein Adler thut, der nicht laͤßt ungeflogen, Wiewol er kuͤmmerlich erst jetzt hat ausgekielt, Und noch der Nordwind nicht mit seinen Federn spielt. Er macht sich in die Luft, und schwingt mit freyem Zuͤgel Bis zum Gewoͤlcke hin die wenig starcken Fluͤgel; Alsbald er etwas dann erblickt in einer Bach, So stuͤrtzet er herab, und setzt den Enten nach, Die grossen Schreckens voll sich fuͤr ihm untertauchen. Nun wird mir niemand streitig machen, daß diese Verse nicht nur sinnreich, sondern auch scharf- sinnig seyn, wiewol sie ein offenbares Gleichniß in sich enthalten. Aber auch diejenigen Regeln, die Phyllis von den Gleichnissen vorschreibet, haben nicht uͤberall ihre Richtigkeit. Gleichnisse muͤssen von bekannten Dingen hergenommen seyn, weil sie meistens erklaͤren sollen. Und hohe Sachen muͤssen mit hohen, niedere mit niederen verglichen werden. Jch kan mir keinen deutlichen Begriff von den Superlativis machen: Gar zu gemein und bekannt: Gar zu hoch und gar zu nieder. Sol- che Scribenten, die keine gemessene und deutliche Begriffe von den Dingen haben, sind in ihren Ausdruͤcken gantz unstet und ungewiß. G 4 Die Von dem Sinnreichen Die Exempel, welche Phyllis zur Bestaͤtigung ihrer Lehrsaͤze anfuͤhret, sind wiederum von unglei- cher Art. Das erste aus Canitz verdienet den Nahmen des Scharfsinnigen mit hoͤchstem Rechte: Die Tugend entgehet uns allemahl zur Unzeit/ und weil gemeiniglich auf einen schoͤnen Mor- gen ein schoͤner Mittag folget; so giebt es ein trauriges Ansehen/ wann die Sonne verdun- kelt wird, eh sie kaum halb uͤber unsern Horizont gestiegen. Der Mittag unsers Lebens ist das Mittel von dem menschlichen Alter, in welchem man noch so viele Lebens-Jahre vor sich siehet, als man ungefehr hinter sich gelegt hat; wann nun der Mensch in der besten Kraft seiner Jahre stirbt, ist es dem ordentlichen Laufe nach was eben so uner- wartetes, als wenn die Sonne mitten an dem Him- mel, wo sie zu Mittag stehet, verfinstert wird, wel- ches sonst erst auf den Abend bey ihrem Untergang zu geschehen pflegt. Aber um so viel trauriger und unerwarteter ist das fruͤhzeitige Ableben einer tu- gendhaften Person, als man mehr Ursachen hat, sich nach einem maͤssigen und tugendhaften Leben ein hohes Alter zu versprechen, eben wie nach ei- nem schoͤnen Morgen ein schoͤner Mittag zu fol- gen pfleget. Die naͤchstdarauf folgende Stelle aus Hrn. von Bessers Leichengedichten ist von einer vermischten Art. Die erste Zeile: Ach daß die bleiche Zeit auch Purpur bleichen mag! ist sehr schwach; weil die Aehnlichkeit allzu ent- fernt ist. Purpur ist die Kleidung koͤniglicher Per- sonen, und die Leibfarbe der Schoͤnen. Es ist zwar schade, daß die hohe Farbe des Purpurs durch die und dem Scharfsinnigen. die Abnuͤzung bleich gemachet wird: aber weit mehr ist zu bedauren, daß eine vornehme und schoͤne Frauensperson in dem Tode allen ihren Glantz und Pracht auf einmal verlieren soll. Was Besser hier in der verbluͤmten Gleichnißrede saget, ist viel schwaͤcher als ein blosser einfaͤltiger Ausdruk seines Gedankens. Die zwo Zeilen, die auf diese folgen, sind von besserm Schrote. Daß selbst das Sonnenlicht muß Finsternisse leiden! Daß der Vergaͤnglichkeit auch Fuͤrsten unterthan! Regenten, aber vornehmlich Monarchen, werden mit dem Sonnenlichte verglichen. Bey ihrem Ab- sterben geschiehet so viel als eine Finsterniß, weil dadurch der gute Einfluß ihrer weisen Regierung einsmals gehemmet wird. Und wie geschikt ist nicht der Gegensaz: Fuͤrsten, aber dennoch Un- terthanen der Vergaͤnglichkeit. Auch die lezte Zeile in dieser Stelle ist in einem hohen Grade sinnreich: Was Gott zusammenfuͤgt, der Tod vermag zu scheiden! Als wann der Tod beynahe maͤchtiger waͤre, als Gott. Dennoch weil diese Redensart durch den gemeinen Gebrauch fast zu einem Spruͤchwort geworden ist, so verliert sie die Kraft des Scharf- sinnigen. Was izt ferner die Stelle anlanget, die aus einer Huldigungsrede angefuͤhrt wird, so kan man darinnen den Unterscheid zwischen dem Sinnreichen und dem Scharfsinnigen ohne Muͤhe wahrneh- men: Jch will sie darum uͤbergehen, damit die Bogen nicht ohne Noth verstaͤrkt werden. Lasset G 5 uns Von dem Sinnreichen uns demnach zu der Untersuchung der noch uͤbrigen Anmerkungen der Phyllis fortgehen: Jch fahre also fort und mercke zum andern an/ daß ein sinnreicher Satz bißweilen nur in einem arti- gen Vortrage einer sehr leichten Wahrheit/ und gantz gemeinen Gedanckens bestehe. Das Sinnreiche erfodert eben keine hohen Gedanken; aber was ist ein artiger Vortrag? Es wird sich wol niemand vermessen, uns dieses im Ernste zu er- klaͤren. Diese wortreiche, aber dabey sinn- und kraftlose Lehrsaͤze wuͤrden mich bald bereden, daß Phyllis einen Reifenrok truͤge. Doch es kan seyn, daß ihre dunkle Begriffe aus den beygefuͤgten Exem- peln ein besser Licht empfangen. Das erste ist eine Aufschrift aus Hrn. Rathsherrn Brockes vor- trefflichen Buche, Jrdisches Vergnuͤgen in Gott betitelt; wovon die lezte Zeile also lautet: Der Narr lebt arm um reich zu sterben. Woruͤber die Jgfr. Phyllis diese Auslegung giebt: Was ist bekannter/ als daß ein Geitziger des- wegen Hunger leidet/ weil er gern bis an sein Ende reich bleiben will: und doch hat Hr. Bro- kes dieses so schoͤn, lebhaft und neu ausgedruͤ- ket, daß es mit unter die sinnreicheste Schreib- art gehoͤrt. Jch gebe zu, daß der Ausdruck sinnreich sey; die Ursache dessen ist, weil der Poet mittelst Vergleichung des Lebens und des Todes eines Geitzigen diesen sinnreichen Gegensatz her- ausgebracht, daß er jenes armselig zubringe, da- mit er, wann es verlohren hat, und izt ohne Em- pfindung ist, den Nahmen eines reichen bekom- me, welches die Auffuͤhrung eines Harpax recht laͤcher- und dem Scharfsinnigen. laͤcherlich machet. Und ich erklaͤre mich hier, wie in parenthesi, daß ich geschikten Gegensaͤtzen den Titel, daß sie sinnreich seyn, nicht abspreche, mas- sen sie aus der Vergleichung zweyer Dinge, wel- ches ein Werck der Einbildungskraft ist, entstehen. Man muß mich demnach also fassen, daß ich der sinnreichen Schreibart alles zueigne, was aus der Vergleichung zweyer Dinge hergeleitet ist; das- jenige, was herauskoͤmmt, sey nun gleich eine Ent- deckung verborgener Aehnlichkeiten, oder verbor- gener Ungleichheiten. Wiewol ich aber diesen Ausdruck des Hrn. Brockes fuͤr sinnreich, ja fuͤr scharfsinnig, gelten lasse, muß ich gleichwol be- kennen, daß ich die Scharfsinnigkeit, die er mir entdecket, nicht Hrn. Brockes zuschreibe, weil mir dieser Gegensatz nicht neu; sondern schon vorher anderwaͤrts bekannt gewesen. Jch glaube auch nicht, daß dieser Poet, wann er die Staͤrke seines Wizes beweisen wollte, eine Stelle von dieser Art anfuͤhren wuͤrde; denn man muß ihm das Lob un- streitig lassen, daß er in dem Scharfsinnigen, in- sonderheit was die Beschreibungen der Natur und die Wuͤrckungen der Dinge anbelanget, vortrefflich sey. Das zweyte Exempel ist die bekannte Stelle des Horaz Carm. Lib. I. Od. 4. Pallida mors \&c. Phyllis urtheilet davon also: Dahin gehoͤrt auch folgendes: der Jnhalt ist dieser gemeine Saz: Alle Menschen muͤssen sterben: aber die Art des Ausdruckes macht ihn sinnreich. Der Tod durchdringt sowol die Schloͤsser grosser Kaiser, Als schlechtgebaute Hirtenhaͤuser. Jch erinnere mich daß der Pater Buhurs in sei- nem Von dem Sinnreichen nem critischen Wercke La maniere de bien penser dans les ouvrages d’esprit betitelt, fast gleiche Ge- dancken von dieser Stelle des Horaz hat. Jch will seine Worte hersezen: La mort n’épargne per- sonne: Voila une pensée fort vraye \& qui ne l’est, que trop par malheur; mais c’est une pensée bien simple \& bien commune. Pour la rendre nouvel- le en quelque façon, il n’y a qu’à la tourner de la maniere qu’Horace \& Malhérbe ont fait. Der Jnhalt dieser Stelle ist nicht: Alle Menschen muͤssen sterben; sondern: Grosse Herrn sind vor dem Tode so wenig gesichert/ als geringe Leute; der Tod schont keinen. Die wahre Ursache, daß diese Stelle scharfsinnig genannt wird, ist die Aehnlichkeit, welche sie in der Vergleichung eines Koͤnigs und eines Hirten, zwoer Personen, die so weit von einander entfernt scheinen, als wi- derwaͤrtige Dinge, entdecket; da sie weiter nichts mit einander gemein haben, sind sie doch in dem Tode einander gleich. Allein je weiter Phyllis in Entdeckung der Na- tur des Sinnreichen fortzugehen vermeint, desto- mehr geraͤth sie auf Abwege, welche sie je laͤnger je weiter von der Wahrheit entfernen. Oft/ faͤhrt sie fort, geschieht es, daß eine sinnreiche Rede sich auf eine Zweydeutigkeit gruͤndet. Der Herr von Besser schreibt an Melinden, daß er sie aufrichtig und nicht aus Begierde nach ihrem Reichthum liebe: Was wilst du mehr? Jch meide dich, Jch will dich andern uͤberlassen; Nur, hast du ja kein Hertz fuͤr mich, So hab auch keines mich zu hassen. Die und dem Scharfsinnigen. Die beyden lezten Zeilen enthalten hier das Sinn- reiche: und es entstehet bloß aus der doppel- ten Bedeutung des Worts Hertz. Wenn Me- linde sagt: Jch habe kein Hertz an dich zu ver- schenken, so heist es so viel, ich bin dir nicht gewogen. Wann er aber bittet, daß sie auch kein Hertz haben moͤge ihn zu hassen, so meint er das eigentliche Hertz: denn wenn man sagt. daß man jemanden gram sey/ so wird in keiner Redensart an das Hertz gedacht. Daß zweydeutige Reden und Wortspiele in dem weit- laͤuftigten Sinne, den ich oben erklaͤrt habe, koͤn- nen sinnreich genennet werden, ist nicht zu laͤug- nen; wiewohl sie von aͤusserst verdorbnen Ge- schmack sind: Aber daß sie zu dem Scharfsinni- gen solten gerechnet werden, wie Phyllis in dieser Regel haben will, ist abgeschmakt. Das Exempel ist ein kahles gezwungenes und frostiges Wort- spiel. Man sagt nicht schoͤn: Er hat fuͤr mich ein Hertz, an statt: Er ist mir gewogen. Noch, so hab auch keines, d. i. sey nicht so kuͤhn, mich zu hassen. Die lezte Anmerckung: Es giebt auch eine Gattung sinnreicher Gedancken, die in einer geschickten Vergroͤsserung einer Sache beste- hen. Wenn diese Vergroͤsserung aus einer Ver- gleichung herkoͤmmt. Der Herr von Caniz lobt von seiner hohen Verblichenen, daß sich die Lehrer selbst uͤber ihre Wissenschaft verwun- dert, und daß auch die Unstraͤflichsten durch ihren Wandel erbauet worden. Jmgleichen von seiner eigenen Gemahlin: Man- Von dem Sinnreichen Manches Weib wird hoch gepreisen, Das kaum so viel Tugend zehlt, Als die Seeligste vor diesen Aus Bescheidenheit verhehlt. Diese beyden Stellen sind nicht nur ertraͤglich, sondern koͤnnen dem Buchstaben nach verstanden werden. Aber wenn jemand von dem grossen Alexander geschrieben: Er habe ein rechtes Ertz-Hertz gehabt, in dessen einem Winkel- chen die gantze Welt so raͤumlich habe liegen koͤnnen, daß noch sechs andre Welten neben ihr Platz genug gehabt haͤtten: das kan wol ziemlicher Massen ausgeschweiffet heissen. Die- ser Jemand ist der beruͤhmte Spanier Balth. Gra- cian. Der P. Buhurs fuͤhrt in seinem obener- wehnten B. diese Stelle mit einichen Anmerkun- gen begleitet an. Il traite le cœur d’Alexandre d’Archicœur, dans un coin du quel tout ce mon- de étoit si à l’aise, qu’il y restoit de la place pour six autres. Grande fue el de Alexandro y el ar- chicoraçon, pues cupo en un rincon del todo este mondo holgadamente, dexando lugar para otros seis. Avez-vous rien vû de plus recherché \& de plus enflé? Dieses mag genug seyn den Lesern einen deutli- chen Begriff davon zu machen, was in den Schrif- ten uͤberhaupt sinnreich, und was insbesondere scharfsinnig geheissen zu werden verdienet: Sie koͤnnen daraus nicht allein lernen, woher die all- gemeinen Grundsaͤze dieser Schreibart muͤssen ge- holet, sondern auch wie solche gebraucht werden muͤssen, wann man jede vorkommende Schrift be- urthei- und dem Scharfsinnigen. urtheilen will. Jns besondere darf ich hoffen, daß der Hr. Philologus, der im 34sten St. die Jgfr. Phyllis durch sein schriftliches Ansuchen zu dieser ungluͤcklichen Untersuchung des Scharfsinni- gen veranlasset hat, allhier den vollstaͤndigen Un- terricht, den er bey den Schweizerischen Kunst- lehrern vergeblich gesucht, und von gedachter Phyllis, das ist, von seiner eigenen Scharfsin- nigkeit Denn eben derjenige, der sich in die Phyllis, und die uͤbrigen Tadlerinnen verwandelt hatte, hat auch die Person des Philologus an sich genommen. , in die er sehr verliebt ist, umsonst erwartet hat, zu seiner Befriedigung antreffen, und wenigstens die Bescheidenheit daraus lernen werde, inskuͤnftige nicht mehr so vermessen zu seyn, und sich zu einem Richter des Scharfsinnigen auf- zuwerffen, bevor er gelernet hat, was scharfsin- nig ist. Jch sehe zwar eine einfaͤltige Aufrichtigkeit in dem folgenden Bekaͤnntniß, womit er sich im Eingang verwahrt: Wundert euch nicht/ daß mich diese Ursachen bewogen haben euch um eure Gedanken von der sinnreichen Schreib- art zu ersuchen. Jch gestehe es/ daß ich in ge- wissen Faͤllen gar wol sagen kan, welcher Ge- dancke sinnreich sey oder nicht: allein wenn ich eine Beschreibung geben soll/ so will es nicht fort. Jch habe oftmahls einen Streit gehabt/ ob diese oder jene Redensart in einem Scri- benten sinnreich sey oder nicht, und ich finde, daß man sich ordentlich gantz andre Begriffe davon macht/ als ich. Aber ich entdeke hernach eine so viel groͤssere Vermessenheit bey ihm, wenn ich Von dem Sinnreichen ich betrachte, mit was vor Eigenduͤnkel er als ein vollmaͤchtiger Richter einem Autor die Kundschaft des Scharfsinnigen abspricht, und dem andern zu- erkennet, wie er eine Stelle als laͤcherlich verdam- met, und hingegen eine andere eben so unbegruͤn- det canonisirt. Jch kan nicht fassen, wie sich die- se Auffuͤhrung mit dem ersten Bekaͤnntniß reime. Auf was vor einen Grund kan derjenige seine Ur- theile von dem Scharfsinnigen bauen, der nach eigenem Gestaͤndniß nicht weiß, was scharfsinnig ist? Er muß es nothwendig riechen, oder schme- ken, oder fuͤhlen. Oder es kan seyn, daß der Hr. Magister eine von denen Magischen Maschinen des Hamburgischen Patrioten besizt, mittelst deren er diese unterschiedene Entdeckungen machet. Lasset uns noch mit einem Exempel darthun, wie weit er es durch diese oder dergleichen Mittel gebracht habe. Ein grosser Niedersaͤchsischer Poet/ sind seine Worte in eben demselben 34sten St. der Tadlerinnen/ dessen Verdienste zu schmaͤlern ich nicht im Stande bin/ hat in sei- ner Passions-Geschichte diese Aria: Heil der Welt dein schmerzlich Leiden Schrekt die Seel und bringt ihr Freuden, Du bist ihr erbaͤrmlich schoͤn. Da sind nun einige meiner Freunde in diese Re- densart/ erbaͤrmlich schoͤn, so sehr verliebt/ daß sie jeden Buchstaben eines Ducatens werth ach- ten. Es hilft gar nichts/ wann ich ihnen sa- ge/ daß dieses ein gantz unnatuͤrlicher Aus- druk sey, den die Lateiner contradictionem in ad- jecto nennen. Jch frage sie vergebens. Ob sie und dem Scharfsinnigen. sie denn wohl ein Frauenzimmer abscheulich an- genehm nennen wolten? Sie bleiben allezeit dabey/ das erbaͤrmlich Schoͤne sey was un- vergleichliches/ und sie beruffen sich ihre Mei- nung zu behaupten/ auf die Gluͤkwuͤnsche ande- rer Poeten/ die dem Vater dieses erbaͤrmlich schoͤnen Ausdrucks deswegen gemacht worden. Der Hr. Philologus haͤtte diese Stelle und sei- ne Freunde mit seinen poͤbelhaften Schertzen bil- lig verschonen sollen: Denn sein Gespoͤtte laͤst sehr abgeschmakt, indem es etwas schoͤnes und geschik- tes anpakt. Es ist natuͤrlich, daß die Betrach- tung des Leidens des Heilands zwo gantz verschie- dene Wuͤrkungen oder Empfindungen in dem Ge- muͤthe hinterlaͤst. Die Betrachtung des Schmer- zens oder die Groͤsse des Leidens an ihm selbst, wuͤrket die Empfindung des Mitleidens, des Er- barmens und der Traurigkeit. Aber wenn man die Betrachtung auf desselben Folgen und Wuͤr- kungen kehrt, so entstehet nothwendig in dem Ge- muͤthe eine Freude. Was uns ergezet oder belu- stiget ist nun schoͤn: Und es ist erbaͤrmlich einen Unschuldigen an der Folter des Leidens zu sehen. Kan ich dann nicht mit Recht sagen, der leiden- de Heiland komme der Seele als erbaͤrmlich und als schoͤn vor? Wenn ich z. E. eine schoͤne Frau in einem mitleidenswuͤrdigen Zustande begriffen sehe, so darf ich mich mit gutem Grunde ausdruͤ- ken: eine mitleidenswuͤrdige Schoͤne. Dem- nach muß Hr. Philologus besser lernen was contra- dictio in adjecto bey den Logicis sey, denn die La- teiner reden nicht so kauderwelsch. Freylich waͤ- H re Von dem Sinnreichen ꝛc. re es abgeschmakt, wenn man eine Frau abscheu- lich angenehm nennen wollte, denn dieses sind nicht allein unterschiedene, sondern streitende Din- ge, diversa, non opposita. Jch finde eine gleich- maͤssige Stelle in Opizens IV. B. der P. W. nicht weit vom Ende der Oden, woraus sich zeigt, daß dieser treffliche Poet keinen Abscheu vor dergleichen Gegensaͤzen gehabt hat: Sie weiß nichts von Menschen-Gunst, Wie es zwar manch Freund hier machet, Der aus falscher Liebesbrunst Froͤlich klagt, und klaͤglich lachet; Der zwar gut ist vom Gesicht, Und sich aller Treu verspricht; Das Herze meint es nicht. Solche haben in der That einen besondern Nach- druck, wenn sie nur nicht weit her, wenn sie nicht gezwungen, und nicht unverstaͤndlich sind. Und die Wahrheit zu bekennen, duͤnkte mich derjeni- ge, den ich bißher vertheidiget habe, ein wenig zu gekuͤnstelt und zu dunkel, wenn ihm die naͤchst vorhergehende Zeile nicht zu Huͤlfe kaͤme, und ihn in ein helles Licht sezete. Hans Hans Sachs Ein Heldengedichte. Mit einigen Erklaͤrungen. Fortunate puer, tu nunc eris alter ab illo. Virg. Eccl. 5. Vorrede des Verfassers Dieser ist Herr Wernicke, ehmahliger Koͤniglich-Daͤ- nischer Staatsrath und Resident in Paris. an den Leser. M As die Gelegenheit zu folgendem Gedich- te gegeben Nemlich ein von Postel wider Wernicken verfertigtes Sonnet, weil der lezte den Lohensteinischen Geschmak geta- delt hatte. , das hat man bey der ersten Ausgabe desselben in einer langen Vorrede weitlaͤuftig angefuͤhret. Wie man aber von Natur geneigt ist, allen Dingen ein gewisses Maaß zu setzen; Also hat man anizo dieselbe auch gerne unterdruͤcken, und den Le- ser wegen einiger Oerter dieses Gedichtes lieber im Dunckeln lassen, als die Thorheit eines an- dern weiter ans Licht sezen wollen Auch derjenige, der gegenwaͤrtige neue Auflage besorget, gedenket der Welt hiervon nicht mehrers zu offenbaren, als was der Verfasser ihr nicht hat verbergen wollen, oder nicht genug verborgen hat. Seine Absicht erstreket sich nur auf die Le- benden. Er will gerne die Todten ruhen lassen, die we- der Scham noch Unterricht mehr bessern kan. Und er haͤlt die- se satyrische Schrift alleine hoch, in so ferne sie geschikt und poe- tisch geschrieben ist, nicht in so ferne sie vor ein Zeitungsblat angesehen wird. Wiewohl er nun nicht in Abrede seyn kan, daß Wernicke durch seinen anagrammatisirten Stelpo Posteln gemeinet habe, so waͤre ihm doch lieber daß man solchen kuͤnftig nur vor eine Symbolische Person ansaͤhe, welche uͤber- haupt den Character von einer gewissen Art unnatuͤrlicher Poe- ten . Man H 3 hat Historische Anmerkungen des Herausgebers. Hans Sachs hat Schimpf mit Schertz; und ein kleines Son- net mit einem gantzen Heldengedichte beantwor- tet. Die Erfindung desselben hat man einem Englischen Poeten abgelehnet Nemlich Johann Dryden, der unter dem Nahmen Mac Fleckno die abgeschmakten Poeten seiner Jnsel, wie Wernike Hans Sachsen und Stelpo, auf eine heroisch-co- nische Weise besungen hat. ; die mei- sten Einfaͤlle aber von sich selber nehmen muͤs- sen. Wie solches diejenige, denen die eigent- liche Umstaͤnde des Orts und der Sache be- kannt sind, gar leicht von sich selber werden ersehen haben. Es wuͤrden auch diejenige ihre Muͤhe verliehren, die die angefuͤhrte Deutsche, Welsche, Englische, und Franzoͤsische Oerter den Hans Sachs betreffend, anderswo, als in meinen Anmerckungen aufsuchen wollten. Welches aber bey denen nicht zu besorgen stehet, die so gleich im ersten Anblicke verspuͤhren wer- den, daß auch eben dieselbe nicht ohne ein ge- wisses Absehen geschrieben worden sind. Die beste satyrische Schriften werden in Deutsch- land von den wenigsten recht verstanden, weil wir zu weitlaͤuftig eingetheilet, und keine all- gemeine grosse Hauptstadt haben, wornach sich alle andre richten Ein jeder satyrischer Scribent, er mag in einer all- gemeinen grossen Hauptstadt, oder in einer nicht so volk- reichen Stadt eines weitlaͤuftig eingetheilten Staates schrei- ben, ist der Gefahr unterworffen, daß seine Schriften in allen , so daß in diesem Stuͤke die ten vorstellen soll. Er zweifelt nicht, daß man nicht auf den heutigen Tag noch eine ziemliche Anzahl solcher Stel- po antreffen werde, welche den ersten Stelpo nicht verleug- nen koͤnnen; und darum hat er die Muͤhe genommen, diese Satyre, die voll artigen Scherzes und lehrreicher Sti- cheley ist, aus dem Staube hervorzuziehen. ein Heldengedichte. die heutige Englische und Franzoͤsische Poeten einen grossen Vortheil vor uns haben. Sinte- mahl die erste gantz England in Londen, wie die andre gantz Frankreich in Paris vor sich finden. Unterdessen so hat sich seit der Zeit ein andrer ge- H 4 funden allen denen Stellen dunkel werden, wo er sich zu absonder- lichen historischen Begegnissen, sonderbaren Sitten und Ge- wohnheiten, umstaͤndlichen Gemaͤhlden der Sitten, Allu- sionen, persoͤnlichen Schwachheiten, hinuntergelassen hat. Denn wenn gleich zu der Zeit, da der Autor geschrie- ben, und an dem Orte, wo er seine Schriften an das Licht gestellet, jedermann von diesen Sachen Wissenschaft gehabt hat, wenn die Personen, auf die er deutet, gleich durchgehends bekannt gewesen sind, so gerathen solche doch mit dem Laufe der Zeit, und oͤfters nach wenig Jahren gaͤntzlich ins Vergessen. Wer Satyren an einem grossen Koͤniglichen Hofe schreibt, hat desfalls keinen Vortheil vor einem andern, der in einer vornehmen Handelstadt eben dasselbe thut. Leute, die ausser der allgemeinen grossen Haupt- stadt leben, haben selbst bey Lebezeit des Verfassers so we- nig Wissenschaft von solchen Kleinigkeiten, als diejenige, welche ausser der Provinzialstadt wohnen, von eben derglei- chen Sachen, die darinnen niemanden verborgen sind. Die Umstaͤnde von dieser Art haben in der Hauptstadt sowohl als in der Provinzialstadt nach einer kurtzen Zeit einen Ge- schichtschreiber oder Ausleger vonnoͤthen. Also waͤren des Boileau Satyren noch bey seinem Leben in vielen Stellen unverstaͤndlich geworden, wenn sich nicht einer gefunden haͤt- te, der sich eine Arbeit daraus gemachet hat, daß er alle die Kleinigkeiten darinnen, derer Wissenschaft sich den Nach- kommen entzogen haͤtte, sorgfaͤltig erklaͤret hat. Und wie viele Sachen sind in Horaz, Persius, und Juvenal, zu unsrer Zeit dunkel, welche zu ihren Zeiten der ganzen Roͤmischen Welt bekannt waren. Dieses ist zwar sehr verdrießlich, weil solche moralische und persoͤnliche Umstaͤnde dienen, der Satyre Licht und Leben in einem hohen Grade mitzutheilen, indem sie die Sachen gantz nahe vor das Gesicht bringen. Dennoch lei- det der moralische Unterricht von der Dunkelheit, in welche sie mit der Zeit verfallen, keinen grossen Abbruch, weil sie nur Nebenbegriffe geben, ohne welche die Hauptbegriffe nichtsde- stoweniger wohl verstanden werden. Hans Sachs den Hunold, der so genannte Menantes, der eine ganze Comedie auf Wernike gemacht hat, genannt: Der thoͤrichte Pritschmeister, worinnen er aus Wernike per anagr Weknarr und Narrweke macht und lauter Jniurien vorbringt. , welcher sich wieder Hans Sachsens rechtmaͤssigen Nachfolger empoͤret, und demsel- ben die Folge der Herrschaft streitig machen wollen; indem er in einem gantz kunterbunten Buche so viel Keckheit, so viel Unverstand und so viel grobe und garstige Frazen sehen lassen, daß wenn man diesen mit jenem vergleichen soll- te, jener in der That wegen seines Verstandes vor einen Cato, wegen seines Wizes vor einen Horatius, und wegen seiner Gelahrtheit vor einen andern Varro wuͤrde gehalten werden. Weil nun dieser sich gleichfalls geluͤsten lassen, hin und her groͤblich auf gewisse Leute zu sticheln, so war man schon auf die Gedanken gerathen, einen zweyten Theil von Hans Sachs zu schrei- ben, welchen man die Empoͤrung, wie den er- sten die Kroͤnung, wuͤrde genennet haben. Es haͤtte an der Erfindung nicht gefehlet. Man dachte aber hernach, daß man zwar unterwei- len aus einem Schwan; niemals aber aus ei- ner Ganß ein Schaugeruͤchte machte, und daß es schon genug waͤre, denselben mit einem paar Ueberschriften, dergleichen folgends der Ge- schichte ein gewisser Edelmann wol ehe seinem Koch vergeblich abgefordert, abzuspeisen. Haͤt- te man nichts gesagt, so wuͤrden die Narren, und haͤtte man zuviel gesaget, so wuͤrden kluge Leute ein Heldengedichte. Leute daruͤber gelachet haben. Ja wer weiß, ob sich nicht schon viele von diesen leztern ver- wundern, daß man schon so viel geschrieben ha- be. Es muͤssen dieselbe aber bedenken, daß man niemals eine Thorheit nur halb begehen muͤsse. Hans Sachs ein Heldengedichte. W As irdisch ist, vergeht, was menschlich ist, nimmt ab, Und ein Monarche selbst faͤllt mit der Zeit ins Grab. (herrschte, Diß ward Hanß Sachs gewahr, der lang’ in Deutschland Und nach der Fuͤsse Maaß hier Schuhe macht’ und verschte; Der in der Dummheit Reich’ und Hauptstadt Lobesan Den ersten Preiß durch Reim’ ohn’ allen Streit gewann. Es war in langer Ruh ihm wiedrigs nichts begegnet, Er fand mit manchem Sohn unzehlbar sich gesegnet; Doch alt, und durch die Last der Sorgen matt gemacht, So war er auf die Folg’ im Reich’ anizt bedacht. Er dachte welchem Sohn es moͤchte meist gebuͤhren, Nach ihm mit der Vernunft unendlich Krieg zu fuͤhren; Und ruft: Es ist geschehn! denn Hertz und Neigung schlißt, Daß der mein Folger sey, der mir am gleichsten ist. Mein Stelpo Stelpo per anagramma Postel. zeigt allein mein Bild an seiner Stirne, Und unzertheilte Duͤnst’ umnebeln sein Gehirne; Selbst seine Amme faßt’ in der Geburt ihn um, Weissagt’ und segnet’ ihn mit diesem Wunsch: Sey dumm. Mein Stelpo ists allein von allen meinen Soͤhnen, Den an dem Pegnizstrand ein Pfaltzgraf wuͤnscht zu kroͤnen; Der ein verstaͤndlich Wort vor Ungelahrtheit haͤlt, Und die Undeutlichkeit am klaͤrsten uns vorstellt. Mit Muͤhe kan man noch der andern Meinung rathen, Und Wiz findt Herberg einst bey einem Zes’ und Spaten; H 5 Mein Hans Sachs Mein Stelpo ists allein, der niemals nicht nachsinnt, Und sich im rechten Weg’, aus Jrrthum selbst, nie findt. Bißweilen faͤllt ein Funck von Witz an andrer Seele, Und blizt ein kurzes Licht durch die verstockte Hoͤle; Nur Stelpos Groͤnlands-Nacht duldt keinen solchen Riß, Kennt nichts als duͤrre Kaͤlt’ und dike Finsterniß. Zudem so findt man gleich, wenn man sein Antlitz schauet, Daß um dieß hoͤckricht Feld der Wahn sein Nest gebauet Dieses giebt ohne mein Erinnern zu verstehen, daß Stel- po ein hokrigtes Gesicht voller Kupfer und Finnen gehabt habe. ; Daß Unbedachtsamkeit in voller Majestaͤt Gleichwie in einer Wolck’ an seiner Stirne steht. Die hohle Stimme selbst, die durch die Nas’ erschraubet Diese Worte sagen uns, daß er ein wenig durch die Nase gesprochen habe. Jch bekuͤmmere mich hier nicht, ob diese und dergleichen persoͤnlichen Umstaͤnde ihren historischen Grund haben, oder nur von dem Satyrico zu staͤrkerer Brand- mahlung des Conterfaits erfunden worden seyn. , Zeigt ihren Meister an; und mancher Lehrling glaubet, Wenn durch dieß thoͤnend Ertz’ ein schnarrend Unwort bricht, Das keiner nicht versteht, daß ein Orakel spricht. Schoch Hr. Gottsched leget diesem in dem Hauptstuͤke seiner Dichtkunst fuͤr die Deutschen, wo er von den Hirtenlie- dern handelt, ein grosses Lob bey, und meint er habe in sei- nem Blumengarten viel Ehre eingeleget, obgleich die Verse zuweilen etwas hart seyn. Allein die Strophen, die er zur Probe anfuͤhret, und vor ungemein ausgiebt, bekraͤftigen vielmehr das Urteil unsers Satyrici. , Zeidler, Zes’ und Tiz, und andre Reim-Erfinder Sind, wann man sie mit dir vergleicht, nur arme Suͤnder. Die erste Stell’ hoͤrt dir in dieser Schwanen Reih’ Du grosser Patriarch von der Pritschmeisterey. Jch selbst, ein Dudentopf beruͤhmter als die andern, Must’ hinkend vor dir her mit meinem Schurzfell wandern, Damit ich dir den Weg bereitete, O Held, Und deinen groͤssern Ruhm verkuͤndigte der Welt. Oft, wenn ich lange gnug gebrauchet Ahl’ und Feder, Und manch unschuldig Wort gereket wie das Leder; Wenn ein Heldengedichte. Wenn ich, mit Tint’ und Pech besudelt, Vers’ erdacht, Und manchen Schuh zu kurtz, und Fuß zu lang gemacht: So must’ ein Dudelsak mir meinen Unmuth stillen, Und mein allduldend Ohr mit seinem Schnarren fuͤllen. Doch war mein Dudelsak ein Vorspiel nur von dir, Und deinem hellern Thon, wenn du schlaͤgst dein Clavier Postel spielte etwas mittelmaͤssig auf dem Clavier, wo- mit er sich aber in Gesellschaft breit zu machen pflegte. . Mich duͤnkt, ich hoͤr’ anizt dich neuen Orpheus spielen, Weil deiner Finger Wink die scharfe Seiten fuͤhlen; Man singt. Das Lied ist dein, und K ‒ -rs Jst der beruͤhmte Capellmeister Keyser, ein vortreffli- cher Componist, ohne dessen Musik Postels Singspiele, wie man sagt, unmoͤglich haͤtten gefallen koͤnnen. die Musick, Der in des Stuͤmpers Reim erweißt ein Meisterstuͤck; Der mit dem Thon ersezt, was den Verstand verruͤket, Und uns mit deinem Wahn und Aberwiz entzuͤket; Der dir zu Nuz die Sinn’ uns oft verwirrt gemacht, Und deine falsche Muͤnz’ im Klang’ hat angebracht. Zudem so stehen dir drey Nymphen noch zur Seiten Zielt auf drey beruͤhmte Saͤngerinnen aus der Opera in Hamburg. , Die was man nicht begreift, durch ihre Stimm ausdeuten: O wer ist so verstokt, der diesen Vers nicht schaͤzt, Den Schoͤnheit selber singt, und Kunst in Noten sezt? Jch hoͤre mit Begier die Clytemnestra Clytemnestra ist eine Rolle aus der Opera Jphigenia, welche von einer Saͤngerinn, Nahmens Conradine, gesungen ward, die eine Stimme wie eine Trompete hatte, und eine vortreffliche Aetrice in wuͤtenden Partien war. singen Die durch Gebaͤrd’ und Stimm’ ins Herze weiß zu dringen; Die dein gebrechlich Lied durch ihren Schall beschirmt, Und wie du die Vernunft, so sie den Himmel stuͤrmt; Die durch die Raserey des Schreibers Wahn beschoͤnet, Und dich dem Neid zu Troz, zum Dichter singend kroͤnet. Die Hans Sachs Die Jole Jst eine Rolle aus der Opera Hercules von einer Saͤngerinn, Nahmens Rischmuͤllerin, gemacht, die in trau- rigen Stuͤcken nicht ihres gleichen hatte. folgt hernach, die Aug und Ohr erfreut Durch ihre sanfte Stimm’ und holde Sittsamkeit; Die, weil ein Seufzer hier den andern lieblich jaget, Des Dichters Wahnwiz mehr als Hyllas Noth beklaget; Und der so sehr nicht schmerzt der Dejaniren Die Jole ward von der Dejanira im Singspiele zum Tode verdammt. Schluß, Als daß sie, was du hast geschrieben, singen muß. Zulezt kommt Adelind Adelinda ist eine Rolle aus einem andern Singspiele, die von einer Nahmens Schoberin recitirt ward, die von einem sehr lustigen Humeur und schertzhaften Umgang war. Die unterstrichene Worte sind aus Postels Versen selbst ge- nommen. Jch will diese Entdeckungen nicht vor wichtiger ausgeben als sie sind, und darum bekennen, daß sie der Schilderey des Satyrici eben kein viel groͤsseres Licht mit- theilen. Er hat uns den Character dieser drey Nymphen in einem so hellen Lichte vorgestellet, daß wir sie aus sei- nen lebhaften Pinselzuͤgen genugsam kennen lernen. Er hat ferner den Gegensaz zwischen ihrem Gesange, und dem Jn- halt desselben, wie auch die Huͤlfe, so sie dem Operndich- ter leisten, so sinnreich angezeiget, daß uns der Stachel seiner Satyre nicht verborgen bleibet. Was dieses Gedicht schaͤzbar macht, sind nicht kleine Begegnisse, und Umstaͤnde, die es uns in das Gedaͤchtniß braͤchte, es sind Ausdruͤcke, Vorstel- lungen und Gemaͤhlde, die wir vor sich selbst hochschaͤzen, ohne daß dergleichen Histoͤrgen etwas dazu helffen. Wir halten noch heut zu Tage so viel von des Seneca Satyre auf den Kaiser Claudius, als man zu Rom zwey Jahre nach seinem Absterben davon gehalten hat. , die mit den suͤßten Freuden, Hier stehl’ ich dir den Vers, ersezen kan das Leiden; Die ihre eigne Wort’ oft mit mehr Lust anbringt, Und sprechend mehr gefaͤllt, als wenn sie deine singt; Die ohne Sorgen dich laͤßt deine Verse zimmern, Und dich allein um das, was dich angeht, bekuͤmmern; Die ein Heldengedichte. Die oft so wenig ist, auf was sie singt, bedacht, Als du warst, wie du es hast zu Papier gebracht. Hier schwieg der alte Greiß, und weinte fast vor Freuden, Die er an seinem Sohn’ erlebt, und fing mit beyden Den wolgerathnen Sohn, mit beyden Armen um, Bestetigend den Wunsch der Amme: Sey du dumm. Nah’ einem schoͤnen Fluß, der hundert Schwanen traͤget, Und erst nur um sein Schilf die schwache Wellen schlaͤget; Hernach der Stadt zur Lust sich weit und breit ergießt, Der Stadt, die, wo sie’s selbst erkennet, gluͤcklich ist. An dem ein strenges Haus Zuchthaus an der einen Seite des Alsterflusses. die feste Mauren zeiget, Worinn der Boßheit wird der steiffe Halß gebeuget; Jn dem die Faulheit man zur fruͤhen Arbeit zwingt, Und ungerathne Soͤhn’ oft zur Erkaͤnntniß bringt. (Frieden, Da steht, nicht weit von dem, doch wie vom Krieg der Und gleich wie Tag und Nacht durch diesen Fluß geschieden; Auf daß uns zeig’ ein Blick, daß hier die Ordnung wohnt, Wo man die Laster straft, weil man die Tugend lohnt: Da steht nicht weit von dem ein starck und groß Gebaͤude Das Opernhaus an der andern Seite der Alster. , Der fremden Zeitvertreib, der Eingesessnen Freude; Das ein beruͤhmter Mann Ein gewisser Rathsherr Schott, in dessen eine Toch- ter Postel verliebt und auf Werniken eifersuͤchtig war. zu Nutz und Zier der Stadt, Der Kunst und Sinnligkeit zugleich gewiedmet hat. Jn dem die Goͤtter selbst vom Himmel praͤchtig steigen, Und sich die Element’ in schoͤner Ordnung zeigen; Wo Staͤdte man einnimmt, und manches Reich zerstoͤrt, Verstorbne Fuͤrsten zeigt, und junge Helden lehrt. Schad ists, daß diesen Plaz kein Hofmannswaldau stuͤzet, Noch Lohenstein und Gryph hier hinterm Vorhang sizet, Daß kein Antonius, und keine Catharin, Kein treuer Schaͤfer nicht betritt die Schoͤne Buͤhn Jn diesen Zeilen erkennen wir den Kunstrichter nicht, der ; Denn Hans Sachs Denn wuͤrd’ ein solcher Vers die Anstalt hier begleiten, So koͤnnte man Paris den Vorzug selbst abstreiten: Wiewohl auch dort wie hier die Dichtkunst hinten bleibt, Und das was Luͤlly sezt, allein ein Quinaut schreibt; Gleich als ob die Musik, die doch vom Himmel stammet, An allen Orten waͤr zum Aberwiz verdammet. Nun hatt’ Hans Sachs dieß Haus der Ehre werth geschaͤzt, Daß er des Stelpos Thron hierinnen praͤchtig sezt. Denn es hatt’ eine Hex ihm laͤngst gewußt zu sagen, Daß ein Tyrann allhier ‒ ‒ ‒ Das Volk mit Versen wuͤrd’ als Scorpionen plagen; Daß er die deutsche Sprach’ im Grund erschuͤttern wuͤrd, Gebohrn dem Wiz zu Troz, und der Vernunft zur Buͤrd. Nun hatte Fama schon, die nie mit Schweigen suͤndigt, Des Stelpos Kroͤnungs-Tag der ganzen Stadt verkuͤndigt: So daß ein grosses Volk vom Dreckwall, Mistberg Dieß sind Nahmen einiger Gassen in Hamburg, die er hier angebracht, um durch ihre haͤßliche Benennung den Stelpo noch laͤcherlicher zu machen. Auf dem Gaͤnse- markt steht das Opernhaus, daher er da die Kroͤnung an- gesezt. , kam, Und auf dem Gaͤnse-Marckt die besten Plaͤz’ einnam. Es war der Weg belegt stat koͤstlicher Tapeten Mit Blaͤttern, welche man gepfluͤkt aus den Poeten, Die in dem finstern Thum Jn der Doms- oder Thumskirche haben die Buch- fuͤhrer ihre Gewoͤlber. gleich als begraben sind, Und die man eh’ als hie bey Apothekern findt. Fruchtbringend war der Staub, gekroͤnet alle Steine; Doch aller andern Werk’ erstekten Stelpos seine: Be- der zuerst die Kuͤhnheit gehabt hat, sich dem Lohenfteinischen Schwulst im offentlichen Druke zu widersezen, welches Lob ihm Herr Konig in seiner Untersuchung des Geschmakes mit- getheilet hat. ein Heldengedichte. Betrogne Druker war’n an statt der Leibwach hier, Und S ‒ ‒ S … heist Spiering, welcher Postels Verleger war. ging beherzt als Hauptmann allen fuͤr. Man sah’ hernach das Volk sich vor dem Fuͤrsten neigen, Und diesen auf den Thron mit schweren Tritten steigen; Weil Stelpo, Rechtensfrey, des Reiches Sazung laß, Und ihm zur rechten Hand Roms andre Hoffnung saß. Er war mit diken Dampf gleich einer Wolk umfangen, Und keke Dummheit spielt’ um die verwelkte Wangen. Wie weyland Hannibal vors Vaters Altar tobt’, Und stete Feindschaft da mit einem Eid anlobt; So schwur auch Stelpo hier, und wahrlich nicht vergebens, Jn stetem Krieg und Kampf Zeit seines ganzen Lebens So mit der reinen Sprach’ als der Vernunft zu stehn, Und keinen Stillstand nie mit beyden einzugehn. Die Salbung ward hernach vom Koͤnig selbst verrichtet, Der ihm mit Pech und Talk stat Oels die Haare schlichtet, Er riß ihm die Perruck vom ehrbarn Scheitel ab, Weil sein geharnschter Daum den faulen Segen gab. Jhm ward hernach ein Kranz von Blumen aufgesezet, Von Blumen, derer Kopf ein Roͤmer abgefezet, Von Blumen, die so leer und leicht als sein Gehirn, Jezt sinkend als im Schlaf sich neigten vor der Stirn. Zwoͤlf Eulen sahe man, wo nicht die Leute luͤgen, Jm selben Augenblik ehrwuͤrdig vor ihm fliegen; Und weil die Adler einst in Zahl den Eulen gleich, Dem kuͤhnen Romulus verkuͤndigten das Reich, So ward auch jezt vom Volk die Deutung angenommen, Und jeder strebt im Wunsch dem andern vorzukommen. Es war der alte Greis hieruͤber sehr erfreut, Und schuͤttelt’ einen Dampf der Ungeschiklichkeit Von seinem Kopf auf ihn. Erst stand er wie entzuͤket, Als wann sein Haupt die Kraft der Weissagung verruͤket; Zulezt brach der Prophet in diese Worte aus: Der Himmel segne dich du Zier von meinem Haus, Daß Hans Sachs Daß deine Herrschaft nie moͤg’ ihres gleichen haben, Und sich von Schweizerland erstreke bis in Schwaben; Daß Wahn und Eigenlieb’ umzingle deinen Thron; Und man den Vater kaum mehr nenne vor dem Sohn; Daß alle Dudentoͤpf hinfort nach deinem Nahmen Man Stelpos nenn’. Er schwieg ‒‒ u. alles Volck sagt: Amen. Hernach so fuhr er fort: Mein liebster Sohn nimm du Beyds in Unwissenheit und Unverschaͤmtheit zu. Laß andre viel auf Wiz, Verstand, und Ordnung truzen, Lern’ aber du von mir arbeiten ohne Nuzen; Begreife wie man lang’ in Kindesnoͤthen ringt, Und eine Mißgeburt doch nur zu Lichte bringt. Laß Hofmannswaldau du bey treuen Schaͤfern bleiben, Und Lohenstein und Gryph ein praͤchtig Traurspiel schreiben; Laß du Myrtill, Myrtill, Coris, Corisca seyn, Und bilde keinen Schach und Jbrahim dir ein. Das Verstandes-Auge, das in Gryphius und Lo- hensteins Dramatischen Stuͤcken Weisheit und Ordnung er- bliket, scheint mir so gemacht zu seyn, daß es eben derglei- chen in Postels Singspielen entdecken sollte. Wenn Wer- nike eben so viel Guͤtigkeit fuͤr den leztern, als fuͤr die bey- den erstern gehabt haͤtte, so wuͤrde er vermuthlich wohl ge- sehen haben, daß ihre Urtheilskraft so wie Postels durch sehr enge Graͤnzen eingeschranket gewesen, so daß sie nicht viel vor ihm zum voraus fodern koͤnnen. Laß die mit grosser Muͤh oft Jahr und Tag nachsinnen, Und in dem weiten Lauf den sichern Kranz gewinnen; Sey du, auch wenn du schreibst mit deinem besten Fleiß, Bedacht, daß ja kein Wiz verrathe deinen Schweiß. Laß B ‒ ‒ seinen Kiel in Hippocrene nezen, Und den Parnassus so wie die Stadt Wien entsezen Dieß war von Bostel der Buͤrgermeister, so auch ein Singspiel geschrieben, der Entsatz der Stadt Wien ge- nannt, der aber einen bessern Geschmak hatte als Postel. , Laß ihn einst im Triumph auf deine Buͤhne ziehn’, Weil falsche Wort’ und Reim’ als Tuͤrck und Tartar fliehn, Laß Weisens Christian Weise hat in Zittau viele Comoͤdien ge- schrie- kluge Raͤth’ auf Zittaus Schauplatz steigen, Und des Verfassers Wiz in ihrer Thorheit zeigen: Weil ein Heldengedichte. Weil jeder Narr den man in deinem Singspiel liest, Dein wahres Ebenbild und stets ein Stelpo ist. Laß auch den Helden selbst vom Spiel’ uns Lust erweken, Und unterscheid’ ihn bloß im Nahmen mit dem Jeken; Damit man beyde gleich vor deine Soͤhn’ erkenn’ Den kleinen Stelpo den, und den den grossen nenn., Sieh’ aber zu, wenn du nach Reim- und Versen fuͤhlest, Wie du Euripidens verbotne Waare stielest Postel bracht in seinen Singspielen viel aus dem Eu- ripides an. Dieses ist an sich selbst kein Verbrechen, aber es wird leicht zu einem Verbrechen, wenn es ohne Urtheil, Wahl, Absicht, und Ordnung geschieht. Denn so bald ein Stuͤcke aus seinem Orte, wo es der Absicht und den Um- staͤnden gemaͤß in Grad und Maasse wohlbestimmt war, her- ausgenommen, und in einem andern Orte wieder eingeschal- tet wird, hat es nicht mehr die vorige Gestalt, und Kraft, und thut nicht mehr den vorigen Eindruck. : Vertraue der Natur, schreib was dir erst faͤllt ein, Und brich dir nicht den Kopf ein Dudentopf zu seyn. Laß deinen Kiel sich nie an fremdem Wiz vergaffen; Was hat Euripides mit dir und mir zu schaffen; Daß er mit Deutlichkeit dich etwann uͤbereil’? Du bist mein Blut, an dem hat dieser gar kein Theil. Wenn hat Euripides Verstand und Vers getrennet, Und seiner Sprach’, uns gleich, die Rekbanck zuerkennet? Wenn hat er dem Adon verstoͤret seine Ruh’, Mit: Zoͤgre zoͤgre nicht, ach komm, wo bleibest du? Wenn sagt er: Daß sein Mund nicht kan vor Marmor (sprechen, Daß seine Zunge nicht kan Stahl und Eisen brechen; J Weil schrieben, worinnen die Niedrigkeit in den Erfindungen, den Gedanken, und der Schreibart, eben so merklich ist, als in Lohensteins Trauerspielen, oder Postels Opern, die Verstei- gung. Wer denn raͤth, denselben nachzuahmen, damit man die hohen Fehler vermeide, die diesen beyden vorgeworffen worden, der befiehlt, daß man sich auf die Erde niederlege, dem Fall vorzubiegen. [Crit. Samml.] Hans Sachs Weil ihm, der Vers ist dein, der Geist wie Wachs zerrinnt, Und noch, zum Ueberfluß, die Sinne glaͤsern sind Die groͤber gedruͤckten Verse sind alle von Posteln selbst. . Wenn hat er ‒ ‒ Doch wer wolt’ hier alle Wort’ erzehlen, Die ohne Nothzucht nicht, sich, weil du schreibst, ver- (maͤhlen; Und deren keines nicht weiß wie ihm sey geschehn, Wenn sie als deutsche sich bey Hottentotten sehn? Sorg’ aber daß du stets bey dieser Schreibart bleibest, Auch wenn du ingeheim einst eine Schmaͤhschrift Zielt auf das Sonnet, welches Postel wieder Wer- niken gemacht; und worauf dieses gegenwaͤrtige Gedicht, statt der Antwort, verfertigt worden. schreibest, Druͤck hier in jeden Vers von Stelpo einen Riß, Daß man dich selbst erkenn’ aus deiner Finsterniß. Vor allen suche die am meisten zu beschimpfen, Die dich kaum angesehn und dir kein Haar nicht kruͤmpfen; Mach ohne Wiederred’ im Lande dich bekannt, Zugleich in Wort und Werck durch einerley Verstand. Erweise daß viel Gift dein freflend Herz umzirket, Ob Taratantel gleich es gleich nur Lachen wirket; Doch siehe dich, daß dirs den Kopf nicht koste, fuͤr, Daß es nicht toͤdlich sey, und heils durch das Clavier. Laß, weil du spielst, den Mund viel Affenzuͤge machen, Vertreibe Gift mit Gift, und Lachen durch das Lachen; Fleuch, wenn du tadeln wilst, die sanfte Mittelsteaß, Und wenn du jemand ruͤhmst, so halt’ auch keine Maaß. Laß keinen Dichterling, den du auffuͤhrst, im Blossen, Vergleich’ ihn ungescheut mit Kaiser Carl dem Grossen. Und wenn in fremder Sprach’ ein Buch du blindlings nennst, So ruͤhm am meisten das, das du am minsten kennst. Laß aber andere den Lohenstein verfechten, Und frische Lorbeer-Kraͤnz’ um seine Schriften flechten; Vermeide, wann es ihm am meisten gilt, den Streit: Er ist ein Feind von Uns und der Unwissenheit. Gesezt auch, daß er einst in unser Amt uns faͤllet, Und durch vermessne Wort’ ein jung Gedicht aufschwellet; Er ein Heldengedichte. Er ist ein falscher Freund, der zwar sich uͤbersteigt, Doch unsern Todtfeind Wiz, zulezt im Ende zeigt Man muß nicht denken, daß Wernike nicht den Unver- stand und falschen Witz, den man zu unsern Zeiten in Lohen- steins Schriften ausgesezet hat, eben so wohl eingesehen und erkannt habe, allein er hat ihm geglimpfet damit er es mit seinen Verehrern nicht gaͤnzlich verderbete. . Laß ihn von Syphax viel und Masinissa melden: Weil Hase, Loͤw, und Schwan, du machst zu deinen Helden; Mach als Esopus dich beruͤhmet durch die Thier, Postel hatte in seinem Sonnet den Lohenstein einem Loͤwen und Schwan, Werniken aber einem Hasen vergli- chen, der auf todten Loͤwen tanzt. Und stelle dessen Leib in deinem Wiz uns fuͤr. Du darfst auch ihnen nicht, wie der, die Zunge brechen, Sprich du, und jedermann wird denken, daß sie sprechen. Zeig’ in geliebter Kurz’ uns hundert Fehler an. Den Loͤwen zeigt die Klau’, und ein Sonnet den Mann. Hier kanst du Loͤw und Has’ in einem Kampf auffuͤhren, Jndem du einen machst zum groͤsten von den Thieren; Doch so, daß du auch hier zweydeutig albern scheinst, Und keiner weiß, ob du Has’ oder Loͤwe meinst. Er sagt’, und hatte kaum das lezte Wort gesprochen, Als V ‒ l Vogel war ein Saͤnger in der Opera, der die lu- stige Partien von Postels Erfindung abzusingen pflegte, und dem zu gefallen der Poͤfel sehr in die Opera lief. welcher hier den falschen Grund gebrochen, Jhn taumelnd unter sich auf einem Fallbrett sandt’. Er sanck, und ließ in Eil’ als seiner Liebe Pfand Sein Schurzfell Stelpo nach, worinn er mit viel Segen Verdoppelt seine Kunst: Und das von Rechtes wegen. J 2 Dunk- Hans Sachs Dunkle Erklaͤrungen Diese Erklaͤrungen zielen auf die Postelschen Vorre- den u. Anmerkungen zu seinen Singspielen, item zu seiner Ju- no, wo er aus allen Sprachen aͤhnliche Vorstellungen, Nach- ahmungen, Beschreibungen, Alterthuͤmer, zusammengetra- gen, womit er unleugbar eine weitlaͤuftige Belesenheit ge- zeiget, der es aber an einem ordnenden Verstande gefeh- let hat, sie auf eine geschikte und angenehme Weise zu ge- brauchen. Er hat meistentheils nur Stellen auf Stellen ge- haͤufet, ohne daß er etwas von dem seinigen dazugethan, weil er zu wenig Tuͤchtigkeit besessen, das innre Wesen da- von dieses Heldengedichts. D Jes ward Hans Sachs gewahr.) Wo es dem Leser nicht allbereit bekannt ist, so wird ihm hiemit zu wissen gethan, daß Hans Sachs ein beruͤhmter Schuster und Pritschmeister in Deutschland gewesen, welcher mit Verwunderung nicht allein Schuhe, son- dern auch Fuͤsse zu machen gewußt. Wie sol- ches nicht allein der großmaͤchtige Gregorio Leti in seinem Coglione, davon er in Parenthesi ein ganz ein Heldengedichte. ganz Buch geschrieben, mit diesen Worten klar und hell dargethan: Vaglia il vero, il più grande Coglione che si sia mai trovato fra i Poetastri nella terra Tedescha, fù il chiamato Hans Sachs, und wie die Worte ferner lauten; sondern auch unser eigner Landsmann, und dem deßwegen so viel- mehr zu trauen, der unvergleichliche Stephen Hartkopf in seinem nunmehro nicht mehr zu be- kommenden Gedichte von der Marcketenterey mit diesen Worten bezeuget: Ein feines Knaͤblein Hans Sachs war, Der Gaͤnsefedern braucht, und auch zugleich Schweinshaar; Der zwar durch seine enge Schuh den Leuten Leichtdorn (machte, Doch war derer keiner nicht, Der wenn er seine lange Vers las mit dem Angesicht, Daß er des Schmerzens ohngeacht nicht gleich daruͤber (lachte. Welche schoͤne und vortreffliche Verse der in den uralten deutschen Gedichten wohlerfahrne J 3 und von zu beurtheilen, und den Werth einer jeden Stelle in Vergleichung der andern nach der besondern Absicht bey je- der zu bestimmen und auszumachen. Dazu koͤmmt, daß er sie zu seinen Opern angehaͤngt hat, deren Leser zu der- gleichen gelehrten Kram keinen Magen hatten. Mithin muß ich der Wahrheit zum Behuf erinnern, daß diese Verspot- tung uͤber die Schnur gespannt ist. Denn gesezt daß Po- stels Anmerkungen und Erklaͤrungen ziemlich unverdaut sind, daß sie zu uͤberhaͤuft und am unrechten Orte angebracht sind, so zeigen sie doch eine weitlaͤuftige, seltene, und nicht un- brauchbare, oder der Aufmerksamkeit unwuͤrdige Gelehr- samkeit, welche zum wenigsten bequem war, den denkenden deutschen Lesern die Fußspur der alten Poeten von weiten zu weisen. Und dieses war die untadelbare Absicht des Hrn. Postels, die er uns in der Vorrede zur listigen Juno ge- nugsam erklaͤret hat. Hans Sachs und gelehrte Franzoß, Jerome des Flibustiers, Seigneur de la Rodomontade, also uͤbersezet: Moy Jerome des Flibustiers Je confesse par les presentes, Que Jean Sachs n’avoit pas des rentes, Mais qu’il gagnoit sa vie en faisant des souliers; Que c’étoit un bon Allemand, Qui faisoit mainte vers en vuidant sa bouteille, Quoiqu’il blessoit egalement Les pieds par ses souliers, \& par ses vers l’oreille. Am allerschoͤnsten aber und zwar ja so kurz hat sie der sinnreiche und niemahls gnug gepriesene Englische Ritter Thomas Cuckold also vereng- lischt: John Sachs a German, was a devilish fellow, Whose fists all o’er of pitch and Ink were yellow; Who with his Shoes made the feet sore, But with his Rhymes the head much more. Wie dann auch schon Virgilius diesen Schuster und Poeten viel hundert Jahr zuvor im Geist gesehen, als er diese nachdenckliche Worte ge- schrieben: Ille meas errare boves, ut cernis, \& ipsum Ludere quæ vellem calamo permisit agresti. Denn daß er auf einen ungeschliffenen Poeten mit diesem lezten Verse gezielet, ist sonnen- klar; und daß er durch den ersten in Meldung der Ochsen einen Schuster verbluͤmter Weise bezeichnen wollen, wird der nachdenckliche Leser ermessen koͤnnen, wenn er bedenket, daß man aus Ochsenhaͤuten die Schuhsolen zu machen pfleget. Der ein Heldengedichte. Der in der Dummheit Reich’, und Haupt- stadt Lobesan ꝛc.) Weil sich diese Landschaft in der gemeinen Landkarte nicht befindet, so hat man dem Leser zur Nachricht vermelden wollen, daß derselben Einwohner die wahren Antipodes von Utopia seyn: Und daß derohalben Papst Boni- facius einen gewissen Bischoff unrechtmaͤssiger Weise lebendig verbrennen lassen, dieweil er Antipodes statuirt. Der ein verstaͤndlich Wort vor Ungelahrtheit haͤlt.) Wie Mendoza der vortreffliche Portu- gieß einen unvergleichlichen Tractat de surdo auditu; und der in den Grundgelehrten Schriften der Mohren wohlversirte Spanier Spinalonga einen herrlichen Folianten de pulchra deformita- te: Also scheinet es, daß der hochtrabende Jtaliaͤner Cusa ein ganz Buch de docta Igno- rantia geschrieben. Wie nun diesen leztern Stel- po in einer gewissen Vorrede cum elogio citiret; also erhellet es aus dessen Schriften, daß er ein eifriger Fortpflanzer dieser unwissenden Ge- lahrtheit, oder gelahrten Unwissenheit sey. Sintemahl dieselbe am besten durch ungeheure Worte, die man nicht verstehet, begriffen wird. Daß ein Orakel spricht.) Und dieses nicht ohne grosse Ursach. Ja es ist klar, daß die Orakel nur Stuͤmper gegen Stelpo gewesen. Denn wenn jene nur zweydeutig gesprochen; so weiß dieser so sauber zu schreiben, daß man ihn gar nicht verstehen kan. Dat inania verba, dat sine mente sonum. Von der Pritschmeisterey.) Ob man unse- re alte Meister-Saͤnger deswegen Pritschmei- J 4 ster Hans Sachs ster genennet, weil sie, wie die heutige Harle- quins eine Pritsche an der Seite getragen, und diese vielleicht also jenen den vielbedeutenden Zierrath abgeborget; oder ob es darum gesche- hen sey, daß ihre Verse wie die Pritsche geklap- pert, uud wenn sie die Leute damit Satyrischer Weise angegriffen, mehr Gepolter als Schmer- zen verursachet, solches stellen wir den Gelahr- ten anheim. Dieses aber ist unstreitig, daß dieselbe von undencklichen Jahren her in gros- sem Ruffe gewesen, und die heutige fruchtbrin- gende Gesellschaft in der Dauer bey weitem uͤber- troffen; biß endlich der Opiz. Schlesische Atti- la mit der grausamen Reinligkeit seiner Spra- che, die von Alters hergebrachte loͤbliche Frey- heit der Deutschen ungeschickt u. albern zu schrei- ben zernichtiget; und ihnen nicht allein die un- ertraͤgliche Sclaverey sinnlich und verstaͤndlich in ihren Schriften zu seyn, sondern auch Maaß und Gewicht als eine Tyrannische Schazung auferleget. Wiewohl er dieselbe so gar nicht ausrotten koͤnnen, daß sich nicht denn und wenn noch ein neuer Pritschmeister, als ein aus der Asche der vorigen hervorgekommener Phoͤnix, hervor thun solte. Jedoch mit die- sem Unterscheid, daß da die alte ihre untaugli- che Waare nur nach dem Augenmaaß; diese hergegen dieselbe mit einer richtigen Elle messen. Wie hievon in vielen Sprachen gelehrte Buͤ- cher geschrieben worden, welche diejenige zur weitern Nachricht aufschlagen koͤnnen, die nichts anders zu thun haben. So ein Heldengedichte. So must ein Dudelsak ꝛc.) Daß Hans Sachs auf dem Dudelsack, wie Stelpo auf dem Cla- vier, zu spielen gewußt, solches hat der in der hoͤchloͤblichen fruchtbringenden Gesellschaft so genannte Schaͤfer Hylas, in dem 31sten Cap. des 15den Buchs seines Poetischen Dudelsacks, gar stattlich, obgleich beylaͤufig, aus dem mit Ruhm vorher gemeldten Stephen Hartkopf er- wiesen. Und uns mit deinem Wahn und Aberwiz ent- zuͤket.) Virgilius hat ohne Zweifel auf eine gleiche Sache sein Absehn gehabt, als er gesa- get: ‒ ‒ ‒ Numeros memini, si verba tenerem. Jch hoͤre mit Begier die Clytemnestra singen.) Diesen Ort, wie auch zwanzig andre mehr die- ses Gedichtes; ja was noch mehr ist, diese hier gemachte Erklaͤrungen selbst, denjenigen zu er- klaͤren, welchen Stelpos Schriften samt seinen weitlaͤuftigen und mit allen Sprachen angefuͤll- ten Vorreden, wie auch alle Umstaͤnde hiesiger Gegend nicht bekannt sind, wuͤrde mich weiter fuͤhren, als ich zu gehen gesonnen bin. Deß- halben finde ich vor rathsam hier ex abrupto, und zwar mit folgendem wohlbekannten Verse zu schliessen: Claudite jam rivos pueri, sat prata biberunt. J 5. Aus- Auszuͤge aus Hr. Breitingers Auszuͤge aus Herr Prof. Brei- tingers Widerlegung der Lettres sur la Religion essentielle à l’homme, distinguée de ce qui n’en est que l’ac- cessoire. D Jese Widerlegung fuͤhrt folgenden Titel: De principiis in examinanda \& defi- nienda Religionis essentia, ex men- te nuperi scriptoris Galli adhibendis, Ami- ca Disputatio. Autore Joh. Jac. Breitinge- ro, Prof. Publ. Tiguri Helvetiorum, Li- teris \& sumtibus Conradi Orellii \& Socc. MD CCXLI. Sie ist in allem nicht staͤr- ker als 9. Bogen: Die Absicht des Verfas- sers erforderte nicht mehr. Man schreibt ganze Folianten vergebens, wann man auch nur ei- nen einzigen Grundsaz, darauf ein Gegner bau- et, unberuͤhrt stehen laͤst, und wenige Blaͤter koͤnnen im Gegentheile ganze Folianten zu nich- te machen, wann die Schwaͤche ihrer Grund- saͤze deutlich erwiesen wird. Es ist wahr, man hat alsdann kein Buch von der ersten Groͤsse ge- schrieben, aber dieses ist auch nicht immer noͤh- tig, noch nuͤzlich. Hr. Wiewohl diese Schrift Hr. Breitingers in ihrem Grunde ganz theologisch und voller metaphysischen abgezo- genen Begriffe ist, so hat man doch destoweniger Beden- ken getragen, diesen Auszuͤgen aus derselben in gegenwaͤr- tigem Widerlegung der Relig. Essent. II. Hr. Breitinger sezet seiner Schrift eine Vor- rede fuͤr, die zur Einleitung dienet; ihr Jnn- halt ist dieser: Das einfaͤltige und natuͤrliche Wesen des christlichen Glaubens ist bald nach der Apostel Lebzeiten durch vielerley abgeschmak- te K uͤ nste und unerlaubte Absichten, welche an- gedeutet werden, gaͤnzlich verstellt, und so ver- derbt worden, daß es kein Wunder ist, wann dieser heilige Glauben daruͤber in Verachtung gekommen, wenn demselben Sachen beygemessen worden, woran diese elende Kuͤnstler alleine schuld waren, wenn man endlich von der Ge- wißheit und Wichtigkeit desselben eben nicht viel gehalten hat, weil uͤber denselben so viele un- gleiche Meinungen und Streite entstanden, man auch daneben an den Bekennern solcher Glau- benssaͤze so wenig Friedfertigkeit, Ehrlichkeit, ꝛc. ꝛc. wahrnehmen koͤnnen. Fromme und ge- lehrte Maͤnner konten darum seit der sel. Re- formation ihren Fleiß nicht besser anwenden, als diese Schandfleken von der christlichen Religion abzuwischen, sie in ihrer ersten Einfaͤltigkeit vor Augen zu legen, das Gewisse und Wichtige von dem tigem Werke einen Platz einzuraͤumen, weil der tiefsin- nigste Verstand darinnen von dem gesundesten Wize in dem Vortrage und der Ausfuͤhrung erhoͤhet wird, und sie also mit denen lebhaften Kuͤnsten, um die wir uns in dieser Sammlung eigentlich bekuͤmmern, durch ein merck- liches Band zusammenhaͤngt. Dazu koͤmmt noch, daß der Leser, dem Hr. Breitinger schon aus seinen critisch- poetischen Werken bekannt worden ist, hier mit Vergnuͤ- gen antreffen wird, was ihm die Faͤhigkeit desselben auch in dieser ernstlichen Wissenschaft zu erkennen geben kan. Auszuͤge aus Hr. Breitingers dem Dunklen, Uberfluͤssigen, und zum Wesen der Religion nicht gehoͤrenden zu unterscheiden, und deutlich zu zeigen, was jeder Punct zur wah- ren Froͤmmigkeit fuͤr ein Gewicht und Einfluß habe. Zu diesen nun bekennt sich der unge- nannte Autor der franzoͤsischen Briefe uͤber die wesentliche Religion des Menschen, in welchen er dieselbe in ihrer natuͤrlichen Einfalt mit Weg- schneidung alles dessen, was nicht dazu gehoͤrt, vorzustellen, und mithin die traurigen Folgen ihrer Verderbung zu heben sucht: Ob er aber nicht allzu viel weggeschnitten, und die Religion in seinem Systema nicht von dem ihrigen ver- liehre; ist eine nothwendige Frage. Jndessen gestehet Hr. Breitinger dem ungenannten Ver- fasser gern nebst vieler Geschiklichkeit ein auf- richtig gutes Absehen zu, welches aber der Wahrheit niemahls nachtheilig seyn muͤste: Ansehen und Absicht, sagt er, machen eine Sa- che weder wahr noch falsch, weder nuͤzlich noch unnuͤzlich: Folglich solle auch das Urtheil dar- uͤber nicht auf dieselben fussen. Man weiß daß die Leute nicht allemal Ursach haben zu ge- denken: Isthæc commemoratio est quasi exprobra- tio immemoris officii. Hierauf theilt Hr. Breitinger mit Beyseite- sezung alles aͤusserlichen, das die Person, die Um- staͤnde, ꝛc. des Gegners angehen mag, seine Ar- beit in zwey Stuͤcke; in die Betrachtung derjeni- gen Grundsaͤze, welche der Ungenannte bey der Untersuchung der Religion, zur Regel und zum Fundament sezet; und in die Erwaͤgung derjenigen Glaubenspuncten, welche nach Weg- schaf- Widerlegung der Relig. Essent. schaffung alles uͤberfluͤssigen, wie derselbe meint, uͤberbleiben, und das Wesen der Religion aus- machen. III. Die Religion ist Wahrheit: Der Grund der Wahrheit muß in der Natur und Beschaffen- heit der Sache selbst liegen. Daher entsteht der erste Grundsaz des Verfassers; nemlich: Da die Religion in einer Beziehung zwischen Gott und den Menschen besteht, so muͤssen die Wahrheiten/ welche zur Religion gehoͤren, bey- des in der Beschaffenheit Gottes und der Men- schen gegruͤndet seyn: Folglich muß jeder Saz/ der nicht in einem dieser Stuͤke oder in bey- den seinen Grund hat, oder denselben wider- spricht/ falsch seyn/ oder doch zum Wesen der Religion nicht gehoͤren. So wahr dieser Grundsaz in sich selbst ist, so schwer ist die Anwendung desselben, zu ei- ner genauen Bestimmung derjenigen Wahrhei- ten, welche zur Religion mit Ausschluß alles andern gehoͤren: Wer dieses thun wolte, muͤste nothwendig die Natur Gottes und der Men- schen voͤllig kennen; das ist, wissen was durch die Natur beyder in Absicht auf ihre Beziehung gegen einander moͤglich sey. Das sezet Hr. Breitinger dem Unbekannten entgegen, u. bringt den gemachten Saz darum in solche Schran- ken, in welchen er nuzbar wird: Nemlich, al- les was demjenigen widerspricht, das wir von Gott und dem Menschen deutlich als Wahrheit erkennen, dasselbe ist falsch, ꝛc. Wie oft aber hat Auszuͤge aus Hr. Breitingers hat etwas nur den Schein des Widerspruchs? Wie sehr irrete der, der keinen Unterscheid mach- te zwischen diesen beyden Saͤzen, 1. die Ver- knuͤpfung und Wahrheit der Dinge nicht ver- stehen, und 2. gruͤndlich erkennen daß sie einan- der aufheben? Kan es dann, da wir die Na- tur Gottes ꝛc. nicht genugsam kennen, nicht auch in Absicht auf die Religion Wahrheiten geben, die mit allem Schein des Widerspruchs doch Wahrheiten bleiben, und von uns als solche wuͤrden erkennt werden, wann wir ihren Zu- sammenhang mit andern einsahen? Sind wir also im Stande nach der von dem Ungenannten angegebenen Regel die Zahl und Beschaffenheit der Saͤze, welche zur Religion gehoͤren, gewiß und genau zu bestimmen? Es lassen sich leicht aus einem gegebnen Begriffe, oder auch gewissen Wuͤrckungen, von einem vernuͤnftigen Wesen einige Eigenschaften uͤberhaupt herleiten, Z. E. Guͤte, Weißheit, Verstand, Willen ꝛc. aber wann, was, und wie, ein solches Wesen, nach dem Verhaͤltniß die- ser allgemeinen erkannten Eigenschaften gegen sich selbst und gegen die Dinge ausser sich, wuͤrken solle, da liegt mehr Schwierigkeit: Weil es nicht so leicht angeht, die Zahl, den Grad, das Verhaltniß dieser Eigenschaften gegen einander und gegen andern Dingen zu bestimmen. Ein Kind weiß uͤberhaupt wohl daß seine Eltern gut, weise ꝛc. sind, IV. Lasset uns sehen wie derselbe nun seinen Grund- saz anwende: Er betrachtet erstlich nach demselben die Natur Gottes und sagt: Gott ist ein Wesen das sich selbst genugsam ist; Folglich kan bey der Widerlegung der Relig. Essent. der Religion kein andrer Zwek seyn, als die Befoͤrderung der Gluͤkseligkeit der Menschen; Folglich streitet eine jede Religion, deren Lehr- saͤze in sich schliessen, daß aus derselben Gott ein gewisser Nuzen zukomme, welchen er sich als eine Absicht vorgestellt, mit den offenbaren Wahr- heiten, die von Gott bekannt sind. Da wird leicht zugestanden, daß Gott sich selbst genug- sam sey: Nemlich in dem Verstande daß er keine neue Vollkommenheit, die er noch nicht gehabt, von aussen bekommen, und seine Gluͤk- seligkeit dadurch vermehrt werden, koͤnne: Es ist aber etwas anders ob mit dieser Selbst- genugsamkeit Gottes nicht gar wohl beste- hen koͤnne, daß derselbe in seinen Handlun- gen gegen die Geschoͤpfe seine eigene Vollkom- menheiten, die er schon besizt, offenbare, das ist, sind, aber wenn sie ihm dann Dinge vorsagen und be- fehlen, die es nicht begreift, und meint sie streiten mit den Eigenschaften der Eltern, solten dieselben wegen dieser Schwachheit des Verstandes, die in dem Kind ist, darum in diesen Eigenschaften der Eltern, welche das Kind so uͤber- haupt erkennt, schlechterdings nicht gegruͤndet seyn? Es laͤßt sich auch nicht sagen; gesezt es seyn Wahrheiten, so gehen sie doch das Kind und beyderseitige Relation ge- gen einander nichts an. Denn dazu hat man eben so wenig Grund, als zu laͤugnen, daß dieselben mit de- nen vom Kind uͤberhaupt erkannten Eigenschaften der El- tern uͤbereinkommen. Es ist wohl wahr, es kan in Gott noch viel Wahrheit seyn, die zur Religion nicht dienet; aber darum folget nicht daß nicht viele Saͤze zur Religion gehoͤren und in der Natur Gottes und der Menschen ge- gruͤndet seyn koͤnnen, deren innere Moͤglichkeit und Ver- knuͤpfung mit andern Wahrheiten man nicht einsiehet; weil die Natur Gottes und der Menschen und beyder Thei- le Beziehung gegen einander insoweit unbekannt ist. Auszuͤge aus Hr. Breitingers ist, so handle, wie es ihm nach dem ganzen Umfang seiner Eigenschaften geziemend ist; und ob in diesem Falle dann nur bloß seine Guͤtig- keit, in so fern sie Guͤtigkeit ist, in Betrach- tung komme. V. Die Religion muß hernach auch kraft der Natur des Menschen moͤglich seyn. Was er- kennt der Ungenannte hievon? Dieses: Der Mensch hat ein Vermoͤgen auf eine freye Wei- se das Wahre, das Gute, und das Rechte, von dem Gegentheile aller dieser Stuͤcke, zu unterscheiden und zu erwehlen: Folglich ge- hoͤret zur Religion nichts, dessen Wahrheit ꝛc. einem vernuͤnftigen Menschen nicht klar und deutlich vor Augen ligt. Folglich ist diese Ein- sicht der Wahrheit, nemlich nach des Unge- nannten Sinn, nicht nur die Erkaͤnntniß daß ein Ding sey, sondern auch, wie und warum es sey, die Regel, nach der die Wahrheit, oder Falschheit der Religion zu beurtheilen ist. Es waͤre wol was darum zu geben, der Un- bekannte haͤtte im Grund dieser Folgen, den er annimmt, recht: Nemlich daß der Mensch durch den Gebrauch seiner natuͤrlichen Kraͤf- te aus allen Eigenschaften Gottes zusammen, und aus dem Verhaͤltniß der Menschen, ge- gen denselben, genau bestimmen koͤnnte, was fuͤr und wie viel Saͤze zur Religion gehoͤren. Kan er das nicht, so ist ja moͤglich, daß es Saͤ- ze geben koͤnne, die zur Religion gehoͤren, obschon er der- selben moͤgliche und unmittelbare Verknuͤpfung mit an- dern Aber Widerlegung der Relig. Essent. Aber das fragt sich erst; und nur wann es erwie- sen ist, folgt was der Ungenannte nun ferner wolte: Nemlich, a daß eine Offenbarung im eigentlichen Verstand nicht moͤglich sey; b daß Geheimnissen, weder geoffenbaret, noch geglaubt werden koͤnnen; und c daß der Glaube, und die deutliche Erkaͤnntniß der Dinge, nicht un- terschieden seyn. VI. Jn den drey folgenden Abschnitten zeiget da- rum Hr. Breitinger, daß das Gegentheil die- ser Saͤze auf wahren Begriffen beruhe. Ei- ne Offenbarung ist eine deutliche Erklaͤrung dessen, was man aus der Natur der Sache, durch Huͤlfe der Vernunft, nicht erkennen kan. Die Moͤglichkeit dieses Begriffs, in Ansehung der goͤttlichen Offenbarung insbesondere, ist erwiesen, wann man zugiebt, daß der goͤttli- che Verstand unendlich, der unsre aber sehr eingeschraͤnket sey, und dieses fuͤraus in Absicht auf den Rath, und die Wege Gottes bey unserm Heil, als welche derselbe nach einer un- endlichen Weisheit, durch eine freye Wahl weh- let. Nemlich, diese Wahl und das daher flies- sende Betragen Gottes, ist in dem Meer der ganzen Natur Gottes gegruͤndet. Kan man nun nicht darthun, welches eigentlich diejenige [Crit. Samml.] K Weise dern Wahrheiten nicht einsiehet: Es sey denn Sache, er spreche dem Menschen das Vermoͤgen ab, einen Saz auf das Ansehen eines andern fuͤr wahr zu halten, und sein Betragen darnach einzurichten, welches man glauben heißt. Jn diesem Fall wird ihm jedermann recht geben muͤs- sen: Nur ist schade, daß der Saz allzustarck wider die taͤgliche Erfahrung anstoͤßt. Auszuͤge aus Hr. Breitingers Weise sey, nach der, An sich selbst und uͤberhaupt ist es nicht unmoͤglich dergleichen Wahrheiten zu erkennen die auf eine freye Wahl gegruͤndet sind: Jhr Grund machet sie gewiß. Gott hat z. E. diesen Rathschluß gefasset, handelt so und nicht anderst, in dem Reiche der Natur und der Gnade, weil er die und nicht andere Gruͤnde dazu hat: Diese erkennt er als die besten, weilen er den hoͤchsten Grad des Verstands besizet, und handelt darnach, weil es ihm so geziemet. Allein wir sind eben zu schwach in besondern Fallen die Application auf das, was Gott ohne Abbruch seiner hoͤchsten Vollkommenheit thun soll, zu ma- chen. Er wehlet aber allemahl das beste, welches einzel ist. und keiner andern, es der goͤttlichen Natur mit dem Menschen diesfalls zu handlen geziemend sey; was Gott in besondern Puncten muͤsse wollen, daß sie glau- ben, und daß sie thun; so hat man kein Recht die Moͤglichkeit der Offenbarung dessen zu laͤug- nen, was man natuͤrlicher Weise nicht hat er- kennen koͤnnen: Dies will darum nicht sagen, daß man etwas glauben muͤsse, von dem man nicht sicher ist, daß es geoffenbaret sey, oder welches zu glauben, wir nicht im Stande sind. Jn diese Classe aber gehoͤren gewiß diejenigen Saͤze nicht, deren Grund, und innere Moͤg- lichkeit wir nicht einzusehen vermoͤgen. VII. Man bildet sich leicht ein, was Hr. Breitin- ger zu dem andren Saze des Ungenannten sagen werde, daß nemlich keine Geheimnisse koͤnnen geoffenbaret werden; darum nicht, weil es Ge- heimnisse, das ist, Sachen seyn, die dunkel sind, den menschlichen Verstand uͤbersteigen, und al- so Widerlegung der Relig. Essent. so nicht geoffenbaret heissen koͤnnen, so lange das, was dabey verborgen ist, nicht entdeket werde, wie hingegen was klar und deutlich ist, keine Offenbarung noͤthig habe. Der Unge- nannte haͤlt sich hier mit einem Wortspiele auf: Niemand, wenn er von geoffenbarten Geheim- nissen redet, verstehet Saͤze, in so fern sie ver- borgen bleiben, sondern solche deren Sinn und Nuzen ihm, in so weit es noͤthig ist, durch die Offenbarung genug entdeket werden. Jst es nun ein Widerspruch, etwas durch eine Of- fenbarung entweder voͤllig oder in so weit klar und deutlich machen, was aus keinen Grund- saͤzen der Vernunft konnte hergeleitet werden? Kan nicht ein solcher Saz, in so fern mir et- was davon deutlich gemacht wird, eine geof- fenbarte Wahrheit und in so fern noch anders darinn verborgen bleibet, ein Geheimniß heis- sen? Z. E. wann die Weise und Moͤglichkeit einer Sache nicht offenbar ist. Gewiß bleibt es wahr daß Seel und Leib in ihren Wuͤrkun- gen uͤbereinstimmen, daß wir hiemit etwas von Seel und Leib erkennen, welches schon Nuzen fuͤr uns haben mag, ob wir gleich nicht wissen, wie es mit dieser Uebereinstimmung hergeht. Jn so fern bleibt uns denn die Sache ein Ge- heimniß: Aber in Ansehung dessen, was davon erkennt wird, ist sie klar und nuͤzlich genug. Es laͤst sich wohl etwas fuͤr eine Offenbarung halten, wann uns schon nicht ganz ausgemach- te Wer weiß, nach welchen Gesezen die Begriffe in unsrer Seele entstehen, der wird leicht zugeben daß man von Begriffe davon gegeben werden: Die K 2 Schran- Auszuͤge aus Hr. Breitingers Schranken unsers Verstands sind zu solchen zu enge. Wie kan man eine solche vollkommene Offenbarung fodern? Und wir fuͤgen bey, was haͤtte Gott fuͤr Ursache dazu gehabt; wann das, was er offenbaret, zu dem Zweke, darum er es offenbaret, genugsam und dienlich ist, das an- dere aber das verborgen bleibt, nichts dazu thut? VIII. Soll die deutliche Einsicht in die Moͤglich- keit der Wahrheit, das einige Beurthei- lungs-Mittel der Religion seyn, so muͤste der Ungenannte nothwendig glauben und wissen, zu einer und eben derselben Sache machen. Es klingt wunderlich: Nichtsdestoweniger wird es von ihm behauptet. Der Glaube, sagt er, ist eine Gewißheit, die sich auf einen deutlichen Begriff dessen gruͤndet, was man von Gott und seinen wesentlichen Eigenschaften erkennen kan. Warum so? Der Glaube beziehet sich auf Gott; dieser Gegenstand des Glaubens muß bekannt seyn, der Grund aber dieser Erkaͤnntniß, kan nir- von einer Sache mehr und weniger das historische oder das, was den Grund derselben angeht ꝛc. erkennen koͤnne. Es begegnet kaum daß zween Menschen von einer Sache voͤllig gleiche Begriffe haben: Weil sie nemlich entweder nicht die gleichen Bestimmungen darinn wahrnehmen, oder ihre Begriffe von eben denselben Bestimmungen doch nicht gleich klar, oder deutlich sind. Man sehe Wolfen Psychologie nach, nnd was Hr. Reinbek in der 35sten Betrachtung uͤber die Augsp. Confess. bey einem beson- dern Anlaß anfuͤhrt. Widerlegung der Relig. Essent. nirgend anderswo, als in dem Objecto selbst und dem Vermoͤgen des Menschen dasselbe zu erkennen liegen. Eine offenbare Vermischung zweyer ganz un- terschiedener Dinge, nemlich des Gegenstands des Glaubens, oder dessen was man glaubt, und des Fundaments oder Grunds, darum man glaubt! Hr. Breitinger nimmt daher An- laß den Unterscheid der zwey Begriffe wissen, und glauben, in das rechte Licht zu sezen. Man weiß das, dessen Moͤglichkeit und unmittelba- rer Zusammenhang mit andern schon bekann- ten Wahrheiten eingesehen wird; und man glaubt das, was mit den Wahrheiten welche die Vernunft erkennt, nicht unmittelbar zu sam- menhaͤngt, ja oft mit denselben scheint zu strei- ten, (doch in den geoffenbareten Wahrheiten nur scheint, weil Gott kraft seines unendlichen Verstandes ihren Zusammenhang mit allen an- dern wohl erkennt,) und was wir hingegen durch Mittel anderer Saͤze damit verknuͤpfen, die uns nicht zeigen wie, wol aber daß sie mit denselben zusammenhangen, nemlich bey der Re- ligion mit denen, daß Gott wahrhaftig, gerecht, guͤtig ꝛc. sey: Und gleichwie das zur Erlaͤuterung von unserm Hr. Verfasser angebrachte Beyspiel des glaubenden Abrahams geschikt ist, den Unterscheid dieser zween Begriffe recht empfind- lich zu machen; also glauben wir daß der Un- bekannte selbst eben wie andere Menschen, nach Beschaffenheit der taͤglich vorkommenden Faͤl- le, bald glaube, bald wisse, und so diesem Un- terscheid Zeugniß gebe. Wann nun eine Of- K 3 fenba- Auszuͤge aus Hr. Breitingers fenbarung uͤberhaupt, und ein geoffenbartes Geheimniß insbesondre, moͤglich sind, auch wis- sen und glauben unterschieden bleiben, so ist klar daß der Saz des Ungenannten, die Ein- sicht der Wahrheit, verstehe nemlich in dem angefuͤhrten Sinn, ist die einige Regel nach der die Religion zu beurttheilen ist, falsch sey. IX. Der Glaube kommt mit der menschlichen Na- tur gar wol uͤberein: Desselben thaͤtliche Er- weisung aber, in Religionssachen, hat nicht Plaz bis man weiß, daß eine Offenbarung von Gott herkommt. Daß aber Gott diesfalls etwas, und was er offenbaren wollen, erkennen wir a priori Dazu wuͤrde erfordert daß einer aus dem We- sen und der Natur Gottes bestimmete, wie bey der Beschaf- fenheit und Einrichtung der ganzen Welt nur dieses die einige Weise zu handeln waͤre, welche Gott geziemen koͤnn- te; daß er nemlich eine Offenbarung geben, und daß die- selbige just uͤber die oder diese Puncten gehen wuͤrde. Denn so wuͤrde sie erst aus ihren unmittelbaren Gruͤnden dargethan: Wer hat aber dißfalls des Herrn Gemuͤth er- kennt? ꝛc. Es deucht uns deßwegen daß die Deutsche Autoren, welche sich in Disputationen u. ganzen Tractaten mit dergleichen Erweie Muͤhe machen, selbige wohl ersparen koͤnnten. Das nur juͤngst in den gelehrten Zeitungen von Leipzig dem Hrn. Martin Knuzen, (welcher der Aufschrift seines Buchs nach neulich auch die Nothwendigkeit einer geoffenbarten Religion nach mathematischer Lehrart aus ohngezweifelten Gruͤnden dargethan) freygebig mitgetheil- te Lob wird wenigstens nicht auf diesen absonderlichen Puncten zu ziehen seyn. Wer sich uͤber diese Materie die Muͤhe nicht: Man muß die Goͤtt- lichkeit Widerlegung der Relig. Essent. lichkeit einer Offenbarung aus den Merkmah- len, die sie mit sich fuͤhrt, schliessen. Unser Hr. Verfasstr hat dienlich erachtet, eine kurtze Anweisung dieser Kennzeichen zu geben. Unter dieselben gehoͤren die Wunderwerke; der Unge- nannte haͤlt nichts davon, woruͤber Hr. Theol. Zimmermann, und Hr. de Roches, gegen ihn geschrieben haben. Jndessen gehoͤrt diese Mei- nung mit zu dem Systema desselben: Dann er will bey der Religion lauter solche Saͤze ha- ben, die jedem an sich selbst offenbar und deut- lich sind, diese aber erweisen sich durch ihre K 4 eigene Muͤhe geben wollte nachzusehen, was der Hr. Regierungs- Rath Wolf in seinem Werke Theolog: Natur. Tom. I. davon schreibt, wuͤrde es nicht ohne Nuzen thun Die Art wie er in seinen Erweisen in Ansehung der goͤttlichen Offenbarung zu Werke geht, sezt den Saz voraus, den er nur beylaͤuffig in N. ad §. 448. einfliessen laͤßt: Num qua detur Revelatio, a priori demonstrari haudquaquam potest, sed a posteriori constare debet, inquirendo scilicet num qua alicubi prostet. Es hat ihn aber der gruͤndlich gelehrte Herr Ernesti in einer eignen und von unsrem Ver- fasser bey diesem Anlaß angefuͤhrten kleinen Schrift: De necessitate Revelationis divinæ disputatio adversus eos, qui ejus cognitionem rationi humanæ assertum eunt. Lips. 1739. in 4. vortrefflich abgehandelt. Wir koͤnnen bey die- ser Gelegenheit nicht umhin, auch Meldung einer andern Dissert. des belobten Hrn. Ernesti zu thun, darinn er Saltum in emendanda voluntate bestreitet, welche Anno 1730. zu Leipzig ans Licht gekommen ist. Wer sie mit Bedacht und Lust an dieser Art Schriften liest, wird finden daß sie weder in Ansehung der gruͤndlichen Abhandlung der Sache, noch der vortrefflichen und allgemeinen Nuzbarkeit einer Anpreisung bedarf. Es gibt wenig Ernesti. Wir wuͤnschen demselben von Herzen Musse und Willen oͤfters dergleichen Themata in das wahre Licht zu sezen. Auszuͤge aus Hr. Breitingers eigene Natur schon genug; und Wunderwer- ke koͤnnen zu ihrer desto mehrern Beglaͤubi- gung nichts beytragen: Credimus; \& hoc no- bis non altius Was wuͤrde die Autoritaͤt eines andern (so stark sie immer waͤre) helffen, daß einer zum Exempel desto fe- ster glaubte 2. mahl 2. seyn 4? Nichts. Wann die Menschen bey ihren angenommenen Saͤzen eine Empfindung einer mehrern Gewißheit derselben in dem Fall haben, da ein andrer sie bekraͤftiget, nemlich durch andere als innere und die Natur der Sache selbst ange- hende Gruͤnde, so muͤssen sie in derselben Zeit entweder das Anschauen der Wahrheit beyseite gesezt haben, oder es ist bey ihnen noch ein heimliches Mißtrauen in Anse- hung der Wahrheit eines solchen Sazes uͤbrig geblieben. Es wuͤrde nicht ohne Nuzen seyn, wenn ein geschikter Mann diese Materie ausfuͤhrlich und nach ihren Gruͤnden abhandelte, weil man sie oft anzuwenden Gelegenheit hat. inseret Ammon. Der Be- schluß des ersten Theils dieser Arbeit unsers Hr. Verfassers wird mit einer geschikten und angenehmen Zusammenfassung dessen, was er bisher abgehandelt, gemacht. X. Der andere Theil der gruͤndlichen Arbeit Hr. Breitingers enthaͤlt in sich die Betrachtung der von dem Unbekannten uͤbriggelassenen Fun- damentalartikel der Religion. Dieselbige be- ruhen alle auf dem Saze: Gott ist ein We- sen, das sich selbst genugsam ist. Diesen wird jedermann als wahr gelten lassen: Nur fragt es sich, ob man das, was derselbe gerne wol- te, daraus herleiten koͤnne. Z. E., daß der- selbe das Fundament der Religion sey, und daß jeder Saz der nicht daraus fliesse, auch nicht Widerlegung der Relig. Essent. nicht zur Religion gehoͤre. Er schließt ja gar keine Beziehung ausser Gott in sich ein. Wie folget es? Gott ist sich selbst genugsam: Hie- mit hat er eine Welt erschaffen, Menschen dar- auf sezen muͤssen ꝛc. Sachen ohne welche die Religion nicht besteht; die aber ja nicht aus der Selbstgenugsamkeit Gottes herfliessen! Vielmehr gruͤndet sich keine einige Wuͤrkung Gottes ausser ihm auf diesen Saz, Weil nemlich der Saz wahr bleibt, wann ich auch seze, Gott wuͤrke gar nicht ausser sich: Folglich dersel- be auch nichts in sich schliesset, daraus zu verstehen waͤre warum Gott es thut. Eben wie er auf der andern Sei- te auch fest bleibt, wann ich seze, Gott habe eine Welt ꝛc. erschaffen. Kan er aber (wie der Unbekannte zugibt,) bey dieser Wuͤrkung Gottes, in so fern sie von seiner Guͤte determiniert worden, bestehen, so ist kein Grund vorhan- den warum er nicht auch bey denen Wuͤrkungen desselben sollte bestehen koͤnnen, welche von andern goͤttlichen Ei- genschaften z. Ex. der Liebe zur Ordnung, und moͤglich- sten Vollkommenheit in dem Ganzen, der Weißheit, (die unter anderm insbesondere auch die Faͤhigkeit der Geschoͤ- pfe betrachtet,) Heiligkeit ꝛc. bestimmet werden. Hat Gott nichts fuͤr sich selbst davon, wenn er guͤtig ist, so hat son- dern es werden ganz andere Eigenschaften da- zu erfodert, aus denen man selbige versteht. Mithin ist aller Nuzen dieses Sazes, Gott ist sich selbst genugsam, bey der Untersuchung der Religion dieser: Daß man als falsch verwerf- fen muͤsse, was mit demselbigen streitet. Wie z. E. ist, daß Gott durch seine Werke Vollkom- menheit und Gluͤk zuwachse, welches er zuvor nicht gehabt ꝛc. Hingegen laͤst sich nicht schlies- sen, jeder Saz, den man nicht aus demselben herleiten kan, ist falsch. K 5 Viel- Auszuͤge aus Hr. Breitingers XI. Vielleicht aber hat der Unbekannte es nicht so eigentlich genommen, wann er gesagt, daß dieser Saz, Gott ist sich selbst genugsam, das Fundament der Religion sey. Wenigstens sezen diejenigen Religionspuncten, welche er uͤb- rig laͤst, mehr die Meinung voraus, daß der- selben Gegentheile mit diesem Saze streiten, als daß er sie aus demselben als dessen Fol- gen herleite. Er schließt nemlich so: Gott ist sich selbst genugsam: Darum kan er nichts thun, um eigenen Vortheil zu erhalten. Jst dieses, so hat er bey der Schoͤpfung ꝛc. nicht seine eigene Ehre, sondern nur der Menschen Gluͤk zum Zweke gehabt. Hiemit giebt es a nur einen einigen Zwek Gottes in Ansehung der Menschen, der ist ihre Gluͤkseligkeit; b kan Gott, dessen Liebe und Wille unveraͤnderlich ist, dieses seines Endzwekes nicht verfehlen; und c folget, daß in Gott entweder keine Strafgerechtigkeit Plaz hat er ja auch eben so wenig davon, wenn er weise, hei- lig ꝛc. ist, und mit einem Wort, so wuͤrket, wie es seine Ei- genschaften insgesammt und nicht nur die Guͤtigkeit, in so fern sie selbige ist, erfordern Gesezt man richtete die Frage gegen den Ungenannten so ein: Warum will Gott guͤtig seyn und das Gluͤk seiner Geschoͤpfe befoͤrdern? Fehlt ihm selbst dann etwas, wenn er es nicht thut? Er wird sa- gen muͤssen daß Gott ohne Abbruch seiner Selbstgenugsam- keit, seine Guͤte erweisen koͤnne. Warum soll es aber denn mit derselben streiten, wann man fragt, warum will Gott seine Weisheit, Heiligkeit, Liebe zur Ordnung ꝛc. erzeigen? Fehlt ihm selbst etwas, wann er es nicht thut? Gewiß so wenig, als wenig es der Gegner in dem ersten Fall zugibt. Widerlegung der Relig. Essent. Plaz habe, oder daß sie von seiner Liebe nicht unterschieden sey. Wie diese drey Folgen mit ihrem Grunde zusammenhangen, wird nun von Hr. Breitinger naͤher untersucht. XII. Bey dem ersten, Gott habe die Menschen in keinem andren Endzweke koͤnnen erschaffen, als sie gluͤklich zu machen; mithin koͤnne auch die Religion keinen andern voraussezen ꝛc., wird zugegeben, daß es eine Wuͤrkung der Guͤte Got- tes gewesen, daß die Geschoͤpfe aus dem Stan- de der Moͤglichkeit, von Gott zur Wuͤrklichkeit sind gebracht worden. Man betrachtet nem- lich da nur uͤberhaupt, wie durch diese Hand- lung Gottes die Geschoͤpfe eine Realitaͤt oder Vollkommenheit erhalten, und er dieselbe ih- nen ohne eigennuͤzige Absichten mitgetheilt; allein es ist hiemit noch nicht erwiesen, daß Gott bey der Erschaffung weiter nichts, als diese seine Guͤte habe beweisen wollen, und koͤn- nen. Alle diese andern Absichten aber die die Eigenschaft der Guͤte Gottes nicht aufheben, sind Gott weder ungeziemend, noch werden sie durch den Begriff des sich selbst genugsamen Wesens ausgeschlossen. Daß es nun dergleichen Absichten wuͤrklich gebe, ist offenbar, wann man gesteht, daß man aus den Nuzbarkeiten, welche aus dem Wesen und der Natur der Dinge herfliessen, auf die goͤttliche Absicht sicher schliessen koͤnne. Der Mensch ist nemlich nicht nur ein Ge- schoͤpfe uͤberhaupt; etwas das aus dem Stande der Auszuͤge aus Hr. Breitingers der Moͤglichkeit zur Wuͤrcklichkeit gebracht wor- den, sondern er ist so gemacht wie er ist, mit solchen Vermoͤgen oder Kraͤften ausgeruͤstet, die ihn just zum Menschen, und also zur Re- ligion tuͤchtig machen. Nun fragt es sich nicht bloß, was Gott bewogen habe, dem Men- schen das wuͤrkliche Seyn mitzutheilen, son- dern warum er ihn so und nicht anderst, mit diesem und keinem andern Vermoͤgen, Grade der Kraͤfte ꝛc., erschaffen habe. Kan man anderst antworten, als es sey geschehen, da- mit er dieselbigen gebrauche, Gott, sich selbst, beyder Beziehung, zu erkennen, und sein eige- nes Gluͤck dadurch zu befoͤrdern? Daß er trach- te diesem herrlichen Muster, dessen Vollkom- menheiten, und folglich die Ursache seiner hoͤch- sten Gluͤkseligkeit in seinen Wercken an dem Tage liegen, je laͤnger je naͤher zu kommen? Dies sind die Sachen, die aus der besondern Beschaffenheit des Menschen, aus den abson- derlichen Eigenschaften, die ihm Gott mitge- theilt, fliessen. Da man nun diesen Gebrauch derselben sich nicht ohne den Begriff vor- stellen kan, wie der Befoͤrderung des eigenen Gluͤckes, also der herrlichen Eigenschaften Got- tes, die durch dieses Mittel dem Menschen of- fenbar werden, so laͤst sich ja mit Recht sagen, gen, daß die Absicht Gottes bey der Erschaf- fung des Menschen doppelt gewesen, a die Offen- barung seiner Vollkommenheiten Gesezt Gott habe dieselben erwiesen und der Mensch habe das Vermoͤgen sie zu erkennen, Gott habe aber das- selbe ihm mitgetheilt daß er es gebrauche, und sein Gluͤk hange oder sei- ner Widerlegung der Relig. Essent. ner Ehre, und b der Menschen Gluͤck, wel- ches aber eben durch die Erkaͤnntniß Gottes be- foͤrdert wird, und also diese beyde Absichten, wiewohl eine nicht die andre ist, unzertrennlich beysammen stehen. Jndessen da sich der Un- bekannte alle Muͤhe gegeben zu zeigen daß es mit dem Begriffe der Selbstgenugsamkeit strei- te, wann man sage, Gott habe die Offen- barung seiner Ehre zur Absicht gehabt, so ent- wickelt Hr. Breitinger den Begriff der goͤtt- lichen Ehre, damit das Gegentheil klar wer- de. Gott ist die Liebe, die Liebe ist eine Nei- gung aus dem Anschauen des Vollkommenen Vergnuͤgen zu schoͤpfen, die goͤttliche Ehre ist die Wuͤrde aller Vollkommenheiten, welche seine Natur ausmachen. Gott kennet sie, hie- mit liebet er seine Ehre. Gott ist demnach auch Liebe und Guͤtigkeit in Beziehung auf die Ge- schoͤpfe. Diese Liebe ist ohne Eigennuzen, das ist, durch die Erweisung derselben kommt sei- ner Natur keine neue Vollkommenheit zu, die er nicht besessen haͤtte: Da er aber nicht an- derst handeln kan, als wie es ihm geziemend ist, Nemlich alle Absichten Gottes kommen zuletzt auf den Grund der Geziemendheit an, der in Gott ist ( ratio- nem subjectivam decentiæ ). Warum will Gott seine Ehre an den Tag geben und der Menschen Gluͤk befoͤrdern? Darum weil es ihm so geziemet. Und warum geziemet es oder wie es der ganze Umfang seiner Voll- hange von diesem besondern Gebrauch desselben, der Er- kaͤnntniß Gottes ꝛc. ab, so fehlt es nicht daß Gott die Er- kaͤnntniß seiner selbst, welches seine Ehre heißt, hiedurch zum Zwecke gehabt. Auszuͤge aus Hr. Breitingers Vollkommenheiten, die er schon besizt, erfode- ret, so hat er bey der Schoͤpfung und dem ganzen uͤbrigen Betragen gegen die Menschen ja nicht anderst koͤnnen als seine Ehre an den Tag legen. Er hat vernuͤnftige Menschen er- schaffen, die mit dem Vermoͤgen ausgeruͤstet sind, seine Vollkommenheiten zu erkennen, auch so beschaffen sind, daß durch diese Erkaͤnntniß, die Liebe und Nachahmung seiner Eigenschaften, ihr Gluͤck kan befoͤrdert werden: Er muß hiemit gewollt haben daß seine Ehre offenbar werde. Das aber, um deßwillen einer handelt, ist, sein Zwek. Mithin muß Gottes Zwek auch die Offenbarung seiner Ehre gewesen seyn; wo- raus aber nicht er selbst, sondern seine ver- nuͤnftige Geschoͤpfe Vortheil haben, als de- rer Gluͤk von dieser Erkaͤnntniß entspringet. Und so streitet es ja nicht mit einander, sagen: Gott ist guͤtig ohne seinen eigenen Vortheil zu suchen; Und ferner: Gott hat vernuͤnftige Geschoͤpfe erschaffen, daß sie seine Vollkom- menheiten oder Ehre erkennen. Die Einwuͤrf- fe welche der Unbekannte machet, beruhen al- le es Jhm? Darum weil Er solche Eigenschaften hat, wie Er hat; den hoͤchsten Verstand, die hoͤchste Weisheit, Guͤ- te, Macht ꝛc. Gesezt Er haͤtte sie nicht: So versteht man nicht mehr warum er gehandelt, und warum so und nicht anderst. Da nun dasjenige geziemend ist, davon ein Grund in dem Wesen und den Eigenschaften der Person ligt; und man nicht versteht daß Gott, und warum Er sich diesen Endzwek vorgesezt, wenn man nicht sein We- sen und seine Eigenschaften voraussezt, so findet man in so weit den Grund seiner Absichten in der Beschaffenheit seiner Natur. Widerlegung der Relig. Essent. le auf seinem unrichtigen Begriffe von der Offen- barung der Ehre Gottes, so daß wer nur ver- steht, der Sinn des Sazes, Gott hat die Of- fenbarung seiner Ehre zum Zweke gehabt, sey, er habe wollen daß seine Vollkommenheiten er- kannt, und seine Geschoͤpfe dadurch gluͤklich werden, sich nicht daruͤber aufzuhalten hat; sie fallen von sich selbst weg. Wir wollen sie darum nicht anfuͤh- ren sondern glauben, der Gegner werde obigen Be- weis dieser Sache um so viel eher muͤssen gelten lassen, als er aus desselben eigenen Systema zu ziehen ist. Gott hat nach demselben bey der Er- schaffung der Menschen nichts als seine Guͤte koͤn- nen zu Rath ziehen. Die Menschen werden gluͤk- lich, wann sie diese Guͤte Gottes erkennen, preisen, ihre Pflichten daraus herleiten ꝛc. Weil Gott der Menschen Gluͤck will, so hat er hiemit auch wol- len, daß sie seine Guͤte erkennen. Kan nun die Offenbarung dieser Eigenschaft Gottes mit dem Begriff eines sich selbst genugsamen Wesens wohl bestehen, warum nicht auch andrer Eigenschaften, die in Gott sind, und nach welchen (die Guͤte mit eingeschlossen) allen zusammen die Art und Wei- se der Handlungen Gottes hat muͤssen bestimmet werden. XIII. Gott hat nach des Unbekannten Meinung kein ander Fundament seiner Handlungen als die Guͤ- tigkeit, und keine andre Absicht, als des Men- schen Gluͤck. Daraus schließt er, Gott werde hie- mit seinen Endzweck erreichen und der Mensch un- fehlbar Auszuͤge aus Hr. Breitingers fehlbar zur Gluͤkseligkeit gelangen; weil nemlich Gott immer guͤtig bleibt, und eigener Vortheil oder Nuzen ihm nicht im Wege stehet, diese Absicht zu erhalten. So ziehet ein Jrrthum den andern nach sich. Es fehlt, wie unser Hr. Breitinger oben gezeiget, nur an den Grundsaͤzen dieses Schlusses: Jst es nemlich nicht an dem, daß nur die Guͤte Gottes ohne Schaden des Begriffs seiner Selbstgenugsam- keit, und des daher entstehenden uninteressierten Be- tragens, ausser ihm Plaz habe, so fragt es sich dann erst, ob die andern Eigenschaften Gottes, wel- che er in seinen Werken eben so wenig, als seine Guͤte verlaͤugnen kan, in Ansehung aller Men- schen, so wie sie sind, und sich auffuͤhren, die Guͤte Gottes dergestalt bestimmen, daß dieselben noth- wendig zur Gluͤckseligkeit gelangen muͤssen. Das was der oben belobte Hr. Ernesti in seiner Disser- tation de necessitate Revel. divin. von dem Ungrund dieses Schlusses schreibet, ist eben so buͤndig Es sey denn, der Gegner erweise, daß Gott lieber gar keine Welt habe erschaffen sollen, als eine solche, darin- nen die pretendirte Gluͤkseligkeit aller Menschen nicht plaz findet, wenn sie die hoͤchstmoͤglichen Vollkommenheiten in sich fassen, oder ein Werk seynsoll, welches Gott nach dem ganzen Umfang seiner Natur geziemend ist. Es wird aber schwer hergehen. als hertzhaft. Hr. Breitinger laͤst ihn fuͤr sich re- den, und die Sache kommt dahinaus: Die Men- schen seyn viel zu schwach, zeigen zu koͤnnen, wie Gott seine Macht, Guͤte ꝛc. in besondern Faͤllen erweisen muͤste. Es schiene ihnen oft, Gott habe das oder jenes thun sollen oder muͤsse es thun, welches er Widerlegung der Relig. Essent. er weder thue noch gethan habe; weil es nemlich die Eigenschaften Gottes zu bestimmen einen unend- lichen Verstand braucht, eben wie der ist, nach wel- chem Gott wuͤrklich handelt. Unser Hr. Ver- fasser sezt daher an diesem Schluß des Unbekann- ten mit Recht aus, a daß er die Guͤte Gottes von seinen andern Vollkommenheiten absondere Dieselbigen, und insbesondere die Weißheit, strei- ten darum nicht wieder die Guͤte: Das ist eben die hoͤchst- moͤgliche Guͤte, welche mit der hoͤchsten Weißheit ꝛc. beste- hen kan. Wann ein Kind nicht eines mehrern Genusses der Guͤter faͤhig ist, welche sein Vater besizt, als es ist, so ist der Vater daran nicht schuld, er hoͤrt auch nicht auf guͤtig zu seyn, weil seine Weißheit ihm nicht erlaubt dem Kind mehrers zu geben. Und ein Richter stoͤßt darum auch nicht wider die Guͤte an, wann er einen Schuldigen strafet, und dardurch ein groͤsser Gutes in der ganzen Gesellschaft derer, die unter ihm leben, erhaͤlt, als wann er es nicht thaͤte: Man wird ja nicht wollen daß Gott solle guͤtig seyn, da wo es entweder Physice oder Moraliter nicht moͤglich ist. Es kan also in besondern Faͤl- len niemand besser wissen wie die Guͤte zu erweisen, als der welcher alle diese Physische und Moralische Moͤglichkeiten einsiehet. und zur einigen Richtschnur seiner Thaten mache, als wann er nicht dem ganzen Umfang aller seiner Eigenschaften gemaͤß wuͤrken muͤste; b daß er nicht betrachte ob auch die Geschoͤpfe in Ansehung ihrer natuͤrlichen Beschaffenheit und ihrer Auffuͤh- rung dieser Gluͤckseligkeit allemal faͤhig seyn. Die Menschen sind nemlich freye Geschoͤpfe; und Gott will ihr Gluͤck vermittelst des rechten Gebrauchs dieser Freyheit: Fehlt es nun an ihrem Ort hie- [Crit. Samml.] L ran Auszuͤge aus Hr. Breitingers ran, wer will erweisen, Gott sey verbunden sie mit Gewalt oder mit Aufhebung ihrer Freyheit gluͤcklich zu machen: Es komme dieses und kein anders mit seiner Weisheit und ganzen Natur uͤbe- rein. Die Wuͤrkung seiner Liebe muͤsse nothwen- wendig so weit gehen, wann er soll Gott bleiben. Ohne eine besondere Offenbarung der Sache wird man sich hier vergebens bemuͤhen. Es will darum auch nichts sagen wann der Gegner sezet, die Ehre Gottes bestehe in der Vollkommenheit und Gluͤk- seligkeit der Menschen; hiemit muͤsse er sie dazu bringen, und der Mensch sey kein vollkommenes Werck Gottes wann er nicht gluͤklich Gehet dieser Schluß an, so laͤßt er sich mit glei- chem Recht auch auf andere Geschoͤpfe als die Menschen ziehen; ja weil die besondere Einschraͤnkung des Wesens einer jeden Creatur ein Hinderniß wird mehrerer Voll- kommenheiten; aller deren nemlich die bey solcher Ein- schraͤnkung des Wesens, wie sie ist, nicht moͤglich sind, der Mangel aber eines groͤssern Gluͤks, in so fern es ein Mangel ist, ein Ungluͤk ist, so kan nach dem Schluß des Unbekannten z. Ex. das Thier sagen, ich bin kein voll- kommenes Werk Gottes, darum weil ich kein Mensch bin, und dieser, ich bin es nicht, weil ich kein Engel bin ꝛc. werde. Dann beydes gruͤndet sich auf den unerwiesenen Saz, daß Gott in seinen Wuͤrkungen keine an- dere Eigenschaft zur Regel habe, als allein die Guͤ- te, in so fern sie solche ist. XIV. Endlich ist es um den Begriff der Gerechtigkeit Gottes zu thun, welchen der Unbekannte nach sei- nen Widerlegung der Relig. Essent. nen Grundsaͤzen darinn stellt, daß sie der unveraͤn- derliche Wille Gottes sey, den Menschen zum Gluͤck zu bringen, und weil dieses Gluͤck mit der Ordnung verknuͤpfet ist, ihn zuerst wie- der in die Ordnung zu sezen: Dabey der Be- griff von der Straffgerechtigkeit ausgeschlossen bleibt, weil es seiner Meinung nach mit der Guͤ- te Gottes streitet, daß die Menschen, obschon sie sich durch ihre eigene Schuld ungluͤcklich machen, also bleiben. Diese Guͤte Gottes allein betrachtet, ist also auch in den Augen des Unbekannten der ei- nige Grundsatz seiner Gerechtigkeit. Allein es folget zuviel, und hiemit nichts hieraus. So haͤt- te es ja auch mit dieser Guͤte Gottes streiten muͤs- sen, daß Er zugelassen, daß die Menschen von der Ordnung durch die Suͤnde abwichen, und in soweit als sie in Unordnung gerathen sind, schon ungluͤcklich worden. Kan das damit bestehen, was hindert daß nicht ebenfalls damit bestehen sollte, wann Gott es zulassen will, daß das Ue- bel, welches aus der Suͤnde oder Unordnung fließt, fortdaure. Der Mensch ist frey; Und Gott lie- bet die Ordnung: Kraft der Freyheit muß jener koͤnnen uͤbels thun, und dadurch die Straffe des- selben natuͤrlicher Weise sich zuziehen. Kraft aber der Liebe zur Ordnung, die darinn besteht, daß der Mensch durch die Erkaͤnntnuß der Ehre Got- tes und Ausuͤbung dessen, was daraus fließt, gluͤck- lich werde, wird Gott gehindert, denselben wi- der seinen Willen zum Gluͤcke zu bringen, und seine Guͤte zu erweisen. Sie wird durch Weisheit ge- L 2 leitet Auszuͤge aus Hr. Breitingers leitet, und in so fern heißt sie Gerechtigkeit. Es bestehet diese Erklaͤrung der goͤttlichen Ge- rechtigkeit, so wie sie uͤberhaupt gegeben wird, auch mit dem Lehrgebaͤude des Ungenannten: Allein seiner Meinung nach soll diese Weißheit nur dahin gehen, daß sie den einigen Endzwek der Gluͤkseligkeit der Menschen mit Aus- schluß alles andern wisse zu erhalten. Und diese besondere Application der Sache wird ihm streitig gemacht. Nemlich da alles in der Welt mit einander in einer Verknuͤpfung stehet, so ist es moͤglich, daß durch die Zulassung eines Uebels, die Reihe der kuͤnftigen Begegnissen, welche mit diesem zugelassnen Uebel in Verknuͤpfung sind, mehr Vollkom- menheit in sich schliesset, als wann es waͤre gehindert worden. Gesezt nun, (dann dieses eigentlich einzusehen, ist das Werk eines unendlichen Verstands, der die Ver- bindungen und Wuͤrkungen der Dinge in jeden Umstaͤn- den kennet) daß durch eine fortdaurende Zulassung der Straffen der Suͤnden, solche Vollkommenheiten erhal- ten werden, die groͤsser sind als diejenige, welche bey der Hinderung oder Aufhebung dieser Strafen entstanden waͤren, soll in diesem Fall der weise Gott sie aufheben, darum daß bey einichen Geschoͤpfen einiche Unvollkommen- heit damit nothwendig verknuͤpfet ist, welche aber gegen das in dem Ganzen zuerhaltende Gute gerechnet klein ist? Wie wenn zum Ex. einer auch jezo bey der gegebnen goͤtt- lichen Offenbarung sich nicht bessern will? Wie wann es mit Diese durch Weisheit geleitete Guͤte gehet also nicht unmittelbar auf das Gluͤck der Menschen, son- dern sie wird dadurch, daß sie durch Weisheit ge- leitet ist, zur Liebe der Ordnung, und der Voll- kommenheit. Gott liebet folglich die Menschen und befoͤrderet ihr Gluͤck, sofern sie der Ordnung durch den rechten und vorgeschriebenen Gebrauch ihrer Kraͤfte nachkommen. Welches er Kraft dieser Vorschrift, und Liebe zur Ordnung nicht thun Widerlegung der Relig. Essent. thun kan, wann sie es unterlassen. Dann darinn ist Ordnung daß entgegengesezte Handlungen auch entgegengesezte Wuͤrckungen haben. Und so weit scheinet es daß der Unbekannte wohl gleicher Mei- nung sey, weilen er selbst die Wiederherstellung der Ordnung als eine mit dem Gluͤck der Men- schen verbundene Sache angegeben. Aber es ist zu- viel auch noch behaupten wollen, Gott muͤsse dem Ue- bel, das eine Hinderniß dieses Gluͤcks ist, nothwendig ein Ende machen, und den Menschen wieder in die Ordnung, welche das natuͤrliche Mittel zu Erlangung der Gluͤckseligkeit ist, bringen: „Wie wann sie „nicht mit ihm in alle Ewigkeit so bleiben, und der Wille des- selben aus natuͤrlichen Gruͤnden, die aus seinem Zustand herfliessen koͤnnen, sich je laͤnger je minder darzu neigen wird? Wie, wann ein solcher Zustand des Boͤsen mit dem Zustand z. Ex. der Seligen im Himmel, der Engel, der Erden, und alles dessen, was Gott auf derselben und anderstwo vorhat, so zusammenhaͤngt, daß es in Ansehung dieser Sachen nicht so seyn, und werden koͤnn- te, wie es nach der Absicht Gottes seyn, und werden soll, so fern Gott den Zustand der Boͤsen aͤnderte; soll Er diesen zu gefallen dann lieber Wunderwerke thun? Gewiß wenn er es schon nicht thut, so wird er darum nicht zum unweisen oder unguͤtigen Gott. Nicht jenes, weil er Kraft seiner Weißheit den besten Endzwek des hoͤchstmoͤglichen Guten in dem Ganzen durch die Zulas- sung des Uebels zu erhalten weiß; Nicht dieses, weil die hoͤchste Guͤte bey der Erhaltung der hoͤchstmoͤglichen Vollkommenheit nothwendig miteingeschlossen ist. Die Schwachheit der Einsicht der Menschen nimmt ihnen das Recht, diese Guͤte Gottes darinnen zu sezen daß Gott sie alle ohne weitere Absichten solle gluͤklich machen. Las- se man nur Gott sorgen wie er gerecht seyn, das ist, seine hoͤchste Guͤte durch die hoͤchste Weißheit fuͤhren muͤße. Auszuͤge aus Hr. Breitingers „nicht wollen zu derselben zuruͤckkehren? Soll „Gott durch angewendete Gewalt die Freyheit „ihres Willens aufheben? Kan Er sogleich ohne „Schaden seiner Heiligkeit vergessen, was von „den Menschen geschehen, und das, was ih- „nen darauf gebuͤhrt, aufheben? Oder kan Er „auf gewisse Weise das geschehene zu nicht gesche- „henem machen? Gewiß das zeiget die Vernunft „nicht; da trifft man ihre Graͤnzen an; und „wann es moͤglich ist, so muͤssen wir es durch ei- „ne goͤttliche Offenbarung erfahren.„ So druͤ- ket unser Hr. Verfasser seinen Sinn mit Hrn. Buͤlfingers Worten aus, die am Ende seiner Schrift von dem Ursprung und der Zulassung des Uebels stehen; und beschließt seine geschickte Ar- beit mit einer summarischen Wiederhohlung seiner bisher erklaͤrten Saͤze: Gott habe ohne Absicht eines eigenen Vortheils bey dem Werck der Er- schaffung und der Vorschrift der Religion die Er- kaͤnntniß seiner Vollkommenheiten zum Funda- ment des Gluͤcks der Menschen gemacht: Miß- brauche nun der Mensch seine Freyheit, und verfeh- le also der ihm bestimmten Gluͤckseligkeit, so zeige die Vernunft nicht, daß ihn Gott dessen unge- achtet muͤsse, oder wolle gluͤcklich machen: Viel- mehr scheine die Liebe der Ordnung, die in Gott ist, zu fordern, daß die Menschen sich selbst, und de- nen Straffen, welche sie sich zugezogen haben, uͤberlassen werden. Die Betrachtung seiner unend- lichen Guͤte koͤnnte zwar die Gedanken erwecken, daß Er jenes thun wuͤrde. Allein da Gott nichts wol- le als was seinen Eigenschaften insgesamt und mit- hin Widerlegung der Relig. Essent. hin seiner Ehre geziemend ist, so koͤnne uns auch unser zu kurtzsichtige Verstand nicht zeigen, ob und wie weit es Gott gezieme, bey solcher Beschaf- fenheit seine Guͤte und Erbarmung zu erweisen: Aus welchem also die Groͤsse der Gutthat, welche uns durch die goͤttliche Offenbarung wiederfahren ist, erhelle.