Liebe und Irrthum von Clauren . Nordhausen , Rosinus Landgraf . 1827 . 1. Das Zusammentreffen. Blauenstein war im Begriff von einer langen Reise in die seit vielen Monden schmerzlich ent¬ behrte Heimath zuruͤckzukehren. Er hatte fast saͤmmtliche Hauptstaͤdte des gebildeten Europa besucht, nach allen Richtungen durchstreift, ihre Annehmlichkeiten, ihre ungeheure Verdorbenheit kennen gelernt. Die sogenannte vornehme Welt ekelte ihn an; er wuͤnschte sich aus diesem unstaͤ¬ ten Treiben heraus in die freundliche Stille seines heimathlichen Lebens! — War es unbefriedigte Sehnsucht, war es eine gewisse, ihm sonst so unbe¬ kannte, Leere seines Herzens: je naͤher er seiner Vaterstadt kam, je wehmuͤthiger ward er gestimmt, je mehr wurde es ihm einleuchtend, daß ihm etwas mangle, was eigentlich dem Leben wahren Reiz giebt. 1 * In dieser Stimmung bestieg er den Wagen, welcher ihn um eine halbe Tagereise dem Ziele naͤher bringen sollte. Er uͤberdachte die letzte Vergangenheit noch einmal; er wollte den heim¬ lichen Grund seines Truͤbsinnes aufsuchen. War es etwa der letzte Brief seines Vaters, der darin beilaͤufig von einer Verbindung mit einem jungen Maͤdchen gesprochen, die er nicht einmal dem Namen nach kannte? „Ich wuͤnsche, mein Sohn,“ hatte der Vater gesagt, „ich wuͤnsche, daß Dein Herz sich nicht fruͤher durch die Bande der Liebe fesseln lassen moͤge, als Du das Maͤdchen gesehn, welches ich Dir im Stillen als Dein treuster Freund erwaͤhlt!“ Wer mogte, wer konnte dies sein? Wie kam der Herr Papa auch gerade jetzt auf diesen Einfall? — Blauenstein schloß die Augen, er traͤumte sich wachend in alle diese kuͤnf¬ tigen Verhaͤltnisse hinein, und wuͤnschte nichts sehnlicher, als die voͤllige Freiheit in Beziehung auf die dereinstige Wahl seines Her — — Ich hab' einmal ein Schaͤtzel gehabt, Ich wollt' ich haͤtt' es noch! ꝛc. schmetterte der Postillon in sein Horn; die Peitsche flog den abgemagerten Commissionsgaulen um die Rippen, und der polternde Wagen durch das duͤstere Thor des Staͤdtchens Friedlingen. Der junge Reisende fuhr aus seinem Taumel auf, und starrte nach wenigen Augenblicken dem flinken Marquer des Gasthauses, vor dem der Schwager seine keuchenden Thiere anhielt, in's Gesicht, und fragte, wie das Hotel heiße. „Ew. Excellenz belieben zu spaßen,“ erwiederte der Gefragte schmunzelnd. „Das ehrenwerthe, einzige Gasthaus zu Friedlingen nennt sich zum blauen Fuchs, Ew. Gnaden zu dienen!“ Blauenstein sah sich ein wenig in dem ihm eingeraͤumten Zimmer um; er streckte die muͤden Glieder aus, und goß, mit seinen Gedanken wieder einmal im elterlichen Hause, ein Stutzglas Bur¬ gunder in die durstige Kehle. Indem trat der Postillon herein, kam treuherzig naͤher mit gekruͤmmter Hand, und nickte laͤchelnd. „Hab' ich Ew. Gnaden nicht gut gefahren? Das macht der Bergunter und der Habersack, den mir Ew. Gna¬ den in Beutelwitz einschenkten; ha ha. Hab' aber mein Handpferd besser in der Faust, wie der Blumenauer Graf. Daß dich! flog doch mein Seel' der alte Grauschimmel in den Graben, daß ich denke, der Herr zerschmettert sich justemente die Beine am Marksteine!“ „Von wem redest Du Schwager?“ fragte Blauenstein aufmerksamer gemacht. „Wir nennen ihn nur den Blumenauer Grafen,“ erwiederte der Gefragte, „Ew. Gnaden zu dienen. Er weiß sich was auf sein Reiten; und er setzt sich justemente immer auf solche dickdroͤbische Bestien, wie der Schimmel. Ich wollte mich wahren; wer spatzieren reiten will, muß — so wahr ich lebe,“ unterbrach sich der redselige Pfer¬ debaͤndiger, und trat ohne weitere Umstaͤnde an das offene Fenster, „dort geht er hin! Daß Dich, wie der leibhaftige Satan!“ Blauenstein war ebenfalls zum Fenster gegan¬ gen, er sah die offenbare Gefahr des Reiters. Mit Blitzesschnelle war er auf der Straße. Das wuͤthende Thier war von seinem Herrn nicht mehr zu baͤndigen, die eine Gurt sprang, und in dem¬ selben Augenblicke wurde der Mann uͤber die Straße geschleift. Der Fuß war aus dem Buͤgel nicht herauszuziehn, und mit verzweifelnder An¬ strengung suchte sich der Ungluͤckliche empor zu raffen. Mit drei bis vier Saͤtzen war Blauenstein dem wuͤthenden Thiere nahe; den Zuͤgel hastig ergreifend, und es bei demselben mit kraͤftiger Faust zuruͤckreißend, war Eins. Nach wenigen Minuten lag der Graf gerettet auf dem Kanapee der Gaststube. Der so unerwartet schreckliche Vorfall hatte den sonst kraͤftigen Mann fuͤr einige Minuten der Sinne beraubt; Blauenstein stand neben der geschaͤftigen Wirthin, und rieb die Schlaͤfe des Ohnmaͤchtigen mit Coͤlnischem Wasser. Der Graf oͤffnete nach einigen Minuten die Augen; er reichte Blauenstein die Hand, ein Druck derselben dankte fuͤr die edle That, und als er der Sprache in etwas wieder maͤchtig war, bat er um einen Boten nach Blumenau, daß ihm ein Wagen so schnell als moͤglich zum Abholen gesendet werde. Der alte Herr richtete sich auf; eine Thraͤne schwamm in seinem feurigen Auge, und sich zu seinem Retter wendend, sagte er mit schwankender Stimme: „Sie erhielten mir daß Leben, einer geliebten Familie den Vater; vergelten kann ich Ihnen nicht, was Sie an mir gethan. Ihr Äußeres sagt mir, daß Sie ein Biedermann sind. — Schlagen Sie mir meine Bitte nicht ab, wenig¬ stens fuͤr einige Zeit mein Gast in Blumenau zu sein. Darf ich auf Ihre Gegenwart rechnen, wie ich als ein dem Ungluͤck Preisgegebener auf Ihre Huͤlfe rechnen durfte?“ — — „Schonen Sie Ihre Kraͤfte,“ erwiederte Blauenstein, und ergriff die ihm dargereichte Hand des Fremden, „reden Sie nicht auf Kosten einer Gesundheit, welche den Ihrigen so theuer sein muß! Aber Ihre Bitte will und kann ich nicht ablehnen!“ Der Graf laͤchelte freundlich, aber mit einer Mattigkeit, die einen neuen bewußtlosen Zustand befuͤrchten ließ. Blauenstein uͤberließ ihn der jetzt so beduͤrftigen Ruhe, und trat zum Fenster. Die Neugierde hatte eine Menge Menschen versammelt; man unterhielt sich von dem Unfalle des Grafen in den laͤcherlichsten Übertreibungen, der erwaͤhnte Postillon war mitten darunter, und belobte die tugendsame That Blauensteins mit rednerischer Gelaͤufigkeit, und einer Stimme, welche dem Schalle der Erfurter Susanna nichts nachgab. Seine Absicht war erreicht, und er nahm das ihm von Blauenstein dargereichte Trinkgeld mit freundlichem Schmunzeln. Ein schoͤner Wagen, ein graͤfliches, einfach verziertes Wappen ließ leicht vermuthen, wem die Equipage zugehoͤre, rollte vor das Gasthaus, von vier schloßweißen Schimmeln gezogen. Halt, saß nicht im Fond des Wagens eine weibliche Figur? — Richtig, ein Schleier und eine zierliche Hand kamen zum Vorschein. In demselben Augenblicke hielt der reichbetreßte Kutscher; zwei Jokeien sprangen hinten herunter, der eine riß den Wagen auf, den Tritt herab, der andere hob die Dame heraus. Der lange Schleier ließ vom Gesicht nichts sehn. Die Gestalt mußte Blauen¬ stein schon irgendwo einmal gesehn haben, so ungewoͤhnlich dies herrliche Ebenmaß, diese so verfuͤhrerische Fuͤlle der lieblichsten Formen auch waren. Nein, — doch ja, in seinem elterlichen Hause hing ein Bild nach Angelika Kaufmann, die Hore des Fruͤhlings vorstellend; war es doch, als ob die junge Fremde zu dem Bilde gesessen habe. Die junge ? war sie denn auch noch jung, konnte nicht eine aͤltere Person ihre schoͤne Gestalt conservirt haben? — Der Graf war neu gestaͤrkt erwacht; die Thuͤre oͤffnete sich, die Dame trat herein, und warf sich mit zuruͤckgeschlagenem Schleier dem Grafen in die weit geoͤffneten Arme. Es war seine Tochter. Beide waren anfangs keines Wortes maͤchtig, bis sich endlich der Graf erhob, und den entfernt stehenden Blauenstein herbei¬ winkte. „Hier,“ sagte er, und fuͤhrte sein lieb¬ liches Kind dem jungen Manne um einen Schritt naͤher, „hier steht mein Lebensretter! Ihm danke naͤchst der Vorsehung fuͤr seine That, fuͤr seine edle Aufopferung!“ — Blauenstein, war es Überraschung, war er verwirrt von dem Glanze dieser nie gekannten Schoͤnheit, welche leuchtend wie ein Meteor vor seinen Blicken aufging, war es die ploͤtzliche Loͤsung des Zweifels, ob die Dame noch jung sei, oder bereits dem alten Register angehoͤre, war es das verlegene Wesen einer zu weit gehenden Bloͤ¬ digkeit? — Blauenstein stand stumm wie ein Fisch, verlegen wie ein Schulknabe dem engel¬ schoͤnen Maͤdchen gegenuͤber, und wußte am Ende nichts zu erwiedern, als ein mageres „bitte recht sehr!“ — Hundertmal, ja sein halbes Leben lang warf er sich diese abgeschmackte Redensart vor. Hatte er auch etwas Geistloseres sagen koͤnnen, als dies infame „bitte recht sehr!“ Und was mußte dies Maͤdchen von ihm denken, in welchem Lichte erschien er ihr, die ihm in so schoͤnen, so unendlich weichen Worten fuͤr die Erhaltung ihres theuersten Gutes mit einer Glut auf den Wangen gedankt, die er in diesem Augenblicke nicht werth war. Wie dumm, wie entsetzlich dumm, sagte er bei sich; jedenfalls muß deine Albernheit dem Maͤdchen anstoͤßig sein. Das Kind war auch offenbar zu wunderhuͤbsch, und Blauenstein verdiente einigermaßen Entschul¬ digung. Wo blieb Angelika Kaufmanns Fruͤh¬ lingshore! Man hat die Lieblichkeit der Formen in den Werken dieser Kuͤnstlerin oft geruͤhmt; hier wurde ihr Ruhm zu Schanden; ihre Hore war gegen diese Wundergestalt hoͤchstens ein nied¬ liches Kammerkaͤtzchen! Diese brandschwarzen Ringellocken, dieser blendende Teint, der das zarte Weiß des Pariser Überroͤckchens beschaͤmte, der sich verraͤtherisch verhuͤllend um dieses herrlichen Koͤr¬ pers wellige Formen schmiegte, des jungfraͤulichen Busens schneeige Fuͤlle, das uͤber allen Ausdruck liebliche, kußliche Rosenmuͤndchen, diese mit dem zartesten Carmin uͤberdufteten Wangen, welche die scharfe Zugluft des Septembers noch dunkler geroͤthet, das wunderbare Feuer der blauen Liebes¬ sterne, der himmelreine Spiegel ihrer Seele, und gar noch das zum Lachen kleine Fuͤßchen, — nein, beschreibe ein anderer diese Schoͤnheiten, kein Pinsel hat hier Muth, die schwache Feder sinkt nieder! — Blauenstein war es, als er in die Wunderblaue dieses Blickes sah, als fielen die Schlacken des Irdischen ihm von Herz und Seele, als veredle sich sein geistiges Innere! — „Du boͤses Vaͤterchen,“ hob das Maͤdchen mit seiner Floͤtenstimme an, und streichelte dem alten Herrn mit den weichen Flaumenpatschchen die rauhen Wangen, daß es unserm Blauenstein ganz bruͤh¬ heiß um's Herz ward, „Du boͤses Vaͤterchen! wie oft haben wir Dich nicht flehendlich gebeten, den haͤßlichen Grauschimmel nicht mehr zu reiten! Jetzt, in diesem mir unvergeßlichen Augenblicke gelobe mir, das Pferd abzuschaffen, wenigstens es nicht mehr zu besteigen!“ „Nun, nun, mein Kind,“ sagte der Vater mit einem milden Laͤchlen, und kuͤßte das liebholde Maͤdchen auf die blendendweiße Stirn, „beruhige Dich! Gott hat mich durch diesen jungen Mann errettet; ich erkenne der Vorsehung Fingerzeig, und muthwillig mag ich mich in Gefahr nicht begeben. — Aber nun, fuhr der Graf fort, und wandte sich halb gegen seinen jungen Freund, ihn freundlich, wenn gleich ein wenig vornehm, anblickend, nun koͤnnen wir zuruͤckfahren. Der Herr ist mein Gast, Tina!“ Also Tina hieß sie. Ein Gluͤck, dachte Blauen¬ stein bei sich, daß das Himmelskind den Aufent¬ halt in des Grafen Hause verschoͤnert. Denn er selbst hat eben nicht ein allzueinladendes Äußere; sein Benehmen ist hoͤflich, aber stolz und verdammt kalt. Aber diese Tina, dies frische, duftende Roͤs¬ chen mit dem Veilchen im Auge und dem Bluͤ¬ thenschnee auf Hals und Brust, dem der Himmel so unendlichen Reiz verliehn, dem jeder von ganzer Seele gut sein muß, der sie nur mit einem halben — „Wenn Ihnen gefaͤllig waͤre, mein Herr,“ sagte der Graf, der sich beinahe voͤllig erholt hatte, Blauenstein in seinem Selbstgespraͤch unterbre¬ chend, „die Pferde sind angespannt.“ „Ich stehe zu Ihrem Befehl,“ erwiederte der letztere, „nur erlauben Sie mir, die noͤthigen Arrangements wegen meiner Angelegenheiten zu treffen. Vor wenigen Stunden kam ich hier an, ich weiß kaum, wo meine Koffer geblieben sind.“ „Seien Sie ohne Sorgen,“ fuhr der Graf fort, „Ihre Koffer sind bereits auf dem Wagen befestigt; es bedarf nur des Einsteigens.“ „Ihre Guͤte beschaͤmt mich,“ sagte Blauenstein, und bot der holden Tina, welche ihn von fern, aber nur ganz geheim, im Auge gehabt, seinen Arm. „Sieht es nicht beinahe aus, als gedaͤchte ich jetzt erst meine kaum vollendete Reise anzutreten?“ — Man stieg ein; Blauenstein, wurde er nicht vom Grafen fuͤr einen Menschen aus einem gewoͤhnlichen, wenn auch nicht niedern, Stande gehalten, ließ dies vielleicht seine bestaͤubte Rei¬ sekleidung vermuthen? Blauenstein nahm gern mit dem Ruͤcksitze vorlieb; hier saß er der lieb¬ lichen Jungfrau gegenuͤber, hier konnte er ihr in die reine Tiefe ihres Seelenauges blicken! — Der alte Herr bat wegen seines Stillschweigens, was ihm die gehabte heftige Erschuͤtterung auf¬ erlege, um Entschuldigung, und beauftragte seine Tochter, den Gast vor Langerweile zu schuͤtzen. Aber die edlen Rosse griffen weit aus, als wollten sie die Sonne einholen, die sich in purpurnes Gewoͤlk huͤllte, und der schaukelnde Wagen flog durch das geoͤffnete Gatter eines dichtlaubigen Thiergartens. Solche Bestaͤnde gab es nicht weiter im Lande; die Blumenauer Jagd war weit und breit beruͤhmt, und das scheu vorbeiei¬ lende, feiste Wildprett bestaͤrkte diese gute Meinung. „Ich bewundere diese romantische Gegend, diese trefflichen Waldungen,“ hob Blauenstein an, sich an seine Nachbarin wendend, mit welcher er bei¬ nahe noch kein Wort geredet hatte; „eine passende Einleitung zu dem Allen, was meiner noch 'wartet.“ „Spricht Sie diese Gegend als heimisch an?“ fragte Tina, und draͤngte die hervorquellenden Ringellocken mit der kleinen Schwanenhand in ihr Spitzenhaͤubchen zuruͤck. „Es giebt Gegenden, die man mit einem kaum erklaͤrbaren Wohlgefallen betritt, bei denen es uns scheint, als ob sie uns laͤngst innig befreundet, dem sehnsuͤchtigen Herzen so recht vertraut waͤren. In solchen Orten, sagt man, soll es uns wohlergehn, da soll das Gluͤck beginnen, wenn es uns lange ungetreu war! — Wie wuͤrde es uns erfreuen, wenn Ihnen diese Berge, diese Thaͤler nicht ganz gleichguͤltig blieben!“ „Meine Erwartungen waren gespannt,“ erwie¬ derte Blauenstein mit einem Blicke, welcher seiner wie in braͤutlicher Liebe erwachenden Nachbarin recht unzweideutig sagte, wie sein Inneres fuͤr sie gluͤhe, „aber wie hatte ich glauben koͤnnen, daß sie nicht weit uͤbertroffen werden wuͤrden! Nur eine Bewohnerin dieses Paradieses, wie Sie, mein Fraͤulein, macht den Gedanken an dasselbe verschwinden; sie muß dem Fremdlinge unendlich mehr gelten, der Vertrauen, Theilnahme sucht, und dieser schoͤnen Gaben auf eine so beneidens¬ werthe Art theilhaft wird! Was das Herz ver¬ heißt, das ist auch die Stimme unseres bessern Schicksals!“ Tina schlug erroͤthend das schoͤne Auge nieder, und Blauenstein wollte sich ein wenig uͤber sich selbst aͤrgern, daß er, genau genommen, nichts besseres, als eine fade Schmeichelei gesagt. Er legte sich in einem kurzen Schweigen eine Art von Buße auf, und schaute in die ihn umgebende reiche Landschaft. Welche Üppigkeit der Natur in jedem einzelnen Landstriche, welche Verschoͤne¬ rungen und Anlagen! Das muß ein tuͤchtiger Mann sein, der Graf, dachte der junge Buͤßende bei sich, und ergoͤtzte sich an dem Anblicke einer Quaderbruͤcke mit eisernem Gelaͤnder, an deren Ende sich ein ganz im antiken Styl gearbeiteter Obelisk erhob. Er dachte an den colossalen Dieser 113 Palmen hohe Colloß wurde bekannt¬ lich unter Syrtus V . im Jahre 1586 von dem beruͤhmten Baukuͤnstler Fontana mit ungeheuren Schwierigkeiten auf den schoͤnen Platz vor der Peterskirche gebracht, wo er noch jetzt die Be¬ wunderung aller Reisenden erregt. Bruder in Rom, den er noch vor wenigen Mo¬ naten gesehen, und sah von hier uͤber eine reiche Lindenallee hinaus nach dem reizenden Blumenau, das mit seinen schoͤnen Gebaͤuden, wunderbar in dem benachbarten Landsee schimmernd und glaͤn¬ zend, sich im Strahl der Abendsonne aus gruͤnem Gebuͤsch wie aus einem Feenlande erhob. „Da liegt mein Haus,“ sagte der aus seinem Schlummer erwachende Graf, und zeigte mit einer gewissen Freude daruͤber, eine solche Besitzung sein nennen zu koͤnnen, nach der nahen Heimath hin, und nach wenigen Minuten rollte der Wagen in einer Bogenwendung, welche die andere Seite der Gegend freundlich sehn ließ, durch die lange, breitaͤstige Allee in den geraͤumigen Gutshof. Blauenstein folgte, die holde Tina am Arme, dem vorangehenden Grafen nach dem Wohn¬ zimmer. Das war kein Haus, das war ein Palast; die Treppen mit feinen Lioner Teppigen belegt, auf beiden Seiten frisch bluͤhende Blumen, Alles geschmackvoll und elegant decorirt, und im ganzen Hause eine Heiterkeit, welche das Herz erquickte. Ein alter Silberkopf von Kammerdiener riß die Fluͤgelthuͤren des reich mit Landschaften und Still¬ leben von Wocher, Friedrich, Weenix u. a. aus¬ gezierten Vorzimmers auf. Gott, dachte Blau¬ enstein, wenn ich im blauen Fuchse geblieben waͤre! Ein solches Schloß, mit dieser koͤstlichen Einrichtung, solche Felder und Waͤlder, und eine Tina im Arme, was giebt es noch Reizenderes und Schoͤneres? — — 2 Der Graf oͤffnete das Wohnzimmer; er fuͤhrte seinen Gast einem aͤltern Herrn und einer Dame entgegen, welche ebenfalls der Jugend nicht mehr angehoͤrte, und stellte ihm in ersterm seinen Schwager, in letzterer seine Schwester vor. „Die¬ ser Herr,“ fuhr er fort, ja wahrhaftig, ich muß so indiscret sein, um Ihren Namen zu bitten, damit ich den neuen Freund meinen Verwandten vorstellen kann.“ Blauenstein konnte es nicht unterlassen, seiner Haltung einen gewissen Stolz zu geben, und sagte mit einer Verbeugung: „Mein Name ist August, Baron von Blauenstein; mein Vater ist der Ge¬ neral-Major gleiches Namens, und Ihnen viel¬ leicht nicht unbekannt!“ Was doch ein Name thut! Auf des Grafen vornehmer Physiognomie malte sich ein leb¬ haftes Erstaunen; aber Schlaukoͤpfchen Tina that, als ob sie das Alles schon sicher vermuthet habe. Die Tante Letty machte mehrere tiefe Verbeu¬ gungen, murmelte einiges von der ihrem Hause wiederfahrenden Ehre mit laͤstiger Breite, und Oncle Heinrich, als er die Errettungsgeschichte von seinem Schwager erfahren, fiel dem verwun¬ derten Blauenstein um den Hals, und schuͤttelte ihm statt allen Dankes auf biedermaͤnnische Art die Hand. Daß Blauenstein von dem Augenblicke an, als er dem Grafen seinen Namen genannt, un¬ gleich hoͤflicher und zuvorkommender behandelt wurde, bis allenfalls auf den Oncle Heinrich und die reizende Tina, machte ihm einigen Verdruß. Aber der erwaͤhnte Oncle, dem Anscheine nach ein drolliger, biederer Kautz, ließ ihm zum Nachden¬ ken keine Zeit. „Kommen Sie,“ sagte er, und zog den jungen Mann in eine Fenstervertiefung des Zimmers, ohne sich an die mißbilligende Miene seines Schwagers zu kehren, „haben Sie die Guͤte, mir zu sagen, wie sich eigentlich das Un¬ gluͤck mit dem Pferde zutrug. Sie nehmen mir das nicht uͤbel, nicht wahr?“ Blauenstein gehorchte gern. Tina aber, das Zimmer war dem Maͤdchen zu enge fuͤr das unge¬ stuͤm klopfende Herz, Tina schluͤpfte hinaus in den Garten. Der Abendwind saus'te durch die hohen, schlanken Pappeln am See, und das leichte Ge¬ buͤsch des Bosquets fluͤsterte treulich der Lieblichen den Willkommen entgegen. Der Gaͤrtner hatte eben ein Beet mit den schoͤnsten Astern gereinigt und ausgeputzt; Tina pfluͤckte sich eine davon, 2 * und besah sinnend das freundliche Farbenspiel der zarten Blaͤtter. Ist es doch, sagte sie zu sich selbst, und senkte den Stengel der Blume in die blendende Tiefe des jungfraͤulichen Busens, ist es doch, als ob mit diesen Blumen die Freuden des Jahres uns Lebewohl sagen wollten. Aber sie lassen dem hoffenden Herzen einen suͤßen Trost, und die sinnige Sprache der freundlichen Blumen¬ welt bezeichnet mit der Aster die Bestaͤndigkeit, die Treue! Sie ging durch die lauschigen Gaͤnge des Lustwaͤldchens, sie hoͤrte das Rauschen des Roͤhr¬ wassers am Fischhaͤlter, das Brusseln der Gie߬ kanne des fleißigen Gaͤrtners, welcher die trockne Erde netzte, sie hoͤrte das lustige Springen der Karpfen im See, und doch war sie mit ihrem Koͤpfchen wo ganz anders, als im Garten. Sie rufte sich die Scene noch einmal zuruͤck, wo sie zuerst dem jungen Fremden im Gasthause begeg¬ nete; sie malte sich jede seiner anziehenden Stel¬ lungen vor, sie wiederholte sich noch einmal seine gemuͤthlichen Äußerungen, und das edle Beneh¬ men gegen ihren Vater. Er war auch gar zu huͤbsch; es hatte ihr zwar schon mancher junge elegante Herr den Hof gemacht; aber eine solche Bildung, ein so angenehmes Äußere hatte auch keiner gehabt. Diese dunklen Locken, die zarten Braunen, unter denen die dunklen Augen so freundlich, so vielbedeutend gluͤhten, der lieblich geformte Mund, die maͤnnliche Kraͤftigkeit in dem gesunden Roth der Wangen und der zarten Blaͤue des Bartes, das geistvolle Laͤcheln, und der Tan¬ nenwuchs! — Tina druͤckte die Augen zu, und fuhr in dem allerliebsten Gedankenspiele fort, und senkte das zarte Naͤschen ihres Schelmengesicht¬ chens in den frischen Kelch der duftigen Aster. Wie er sie zum Wagen gefuͤhrt, hatte er sie mit so feinem Anstande hineingehoben, und ihr die Hand gekuͤ — ja gekuͤßt hatte er sie, sie wußte es noch ganz genau, und sie hatte ihm die Hand ganz leise, aber nur ganz ganz leise, wieder gedruͤckt. Was war auch dabei weiter? Druͤckt man doch jedem guten Menschen die Hand, und nun gar dem Retter ihres so sehr geliebten Vaters, der ihr Alles war, seit ihr Muͤtterchen im Schooß der kuͤhlen Erde schlummerte! — Aber sie mußte wohl wieder herauf, die Daͤmmerung ward immer duͤsterer, und das Bereiten des Thees durfte sie der Tante Letty unmoͤglich uͤberlassen. Sie hatte gar nicht die freundliche, manierliche Art, wie es eigentlich geschehen mußte; und dann lag auch in dem Theestuͤndchen selbst ein gar zu besonderer Reiz, etwas so Trauliches und zur Unterhaltung Einladendes. Im letzten Kriege war einmal ein junger Pole bei ihnen gewesen, richtig, Potocky hieß er; der liebte auch das Theestuͤndchen uͤber Alles. Da war sie nur noch so ein Backfischchen; aber sie gefiel dem jungen freundlichen Kriegs¬ manne recht wohl, er nannte sie immer seine kleine Hebe, weil sie ihm den dampfenden Thee¬ becher jedesmal selbst credenzte. Zuletzt sang er dann eins und das andere seiner reizenden Na¬ tionallieder, und erzaͤhlte vom Kriege. — — Aber nun herauf, im Wohnzimmer schimmerte bereits Licht! — Blauenstein erzaͤhlte von seinen Reisen; mit dem Thee war es heute nichts, weil der Graf fruͤher als gewoͤhnlich zu essen wuͤnschte; aber auch bei Tische, war es Zufall, oder hatte es Tante Letty einmal wieder nach ihrer alten Ma¬ nier so gekartet, mußte er gerade neben dieser sitzen, und die arme Tina, welche sich auf die sinnige Unterhaltung mit dem Gaste so gefreut, sie kannte ihn ja auch schon laͤnger, und hatte gewissermaßen ein Vorrecht, erhielt ihren Platz neben Oncle Heinrich und dem alten Verwalter Herrn Sander. Was war hier fuͤr eine Ent¬ schaͤdigung fuͤr das arme Kind zu erwarten? Sander sprach von nichts, als seiner faden, langweiligen Öconomie. Er hatte einige Tage vorher ein Gut besehn, welches in der Nachbar¬ schaft zu verkaufen war, und stattete nun, als eine seiner Lieblingsmaterien, dem Oncle genauen Bericht ab. „Eine exemplarische Ordnung,“ hob er an, und stach mit kraͤftiger Faust in die wol¬ lige Masse eines duftenden Puddings, als sei es ein Stuͤck Rindfleisch, „eine exemplarische Ordnung, herrscht in der Wirthschaft! Das Molkenwesen hat nicht seines Gleichen, und ein Duͤnger! nein, das Wasser laͤuft einem im Munde zusammen! Das mußte man dem alten Berninger lassen, den Rummel verstand er, wie einer; aber was ihn in's Ungluͤck brachte, war der ewige vornehme Besuch, der den Mann belaͤstigte, und dann das dumme Wirthshaus, der gruͤne Esel, das er zu einem Hotel machen wollte, ohne einen Gast zu haben. Ich dachte gleich, der Berninger wird noch seinen Esel zwischen die Beine nehmen, und in den Schuldthurm reiten muͤssen!“ Nein, es war zu arg! Der Oncle Heinrich lachte laut auf; aber Tina wandte, heimlich im Innern ergrimmt, ihre Äugelein nach der Seite, wo Blauenstein saß. Der Oncle zupfte sie zwar am Kleide, und fluͤsterte in einer Art Weinlaune: „Tinchen, gefaͤllt Dir der? Das ist ein Kerlchen, das sich gewaschen, tuͤchtig und brav, und reich wie ein Croͤsus! Er hat gerade ein halbes Dutzend der schoͤnsten Guͤter im Lande, dann die weltbe¬ ruͤhmte Bleiweißfabrik in Osterberg, und Conne¬ xionen! Armes Tinchen, schade, daß er Dir verloren ist!“ Aber Tina uͤberhoͤrte den Scherz aͤrgerlich; sie sah nach dem schoͤnen Croͤsus, der seiner Ge¬ sellschaft da oben an der Tafel herzlich muͤde zu sein schien. In dem puren Ärger uͤber die lang¬ weiligen Redensarten der vergelbten Letty ver¬ schlang er eben ein halbes gespicktes Haͤhnchen, murmelte hoͤchstens ein kurzes Ja oder Nein, und stuͤrzte den Wein hinunter, als solle er acht Tage duͤrsten. Es war ihr nicht entgangen, als man des Vaters Gesundheit ausgebracht, und der Oncle Heinrich hinterher seinen alten Witz mit dem General von Knusemon angebracht, hatte Blauen¬ stein sie so bedeutungsvoll angesehn, und sein Glas auf einen Zug geleert. Aber was half zuletzt die so unzulaͤngliche Sprache der Augen bei so vielen Beobachtern? — Tina wuͤrfelte mit fuͤnf weissagenden Brodkuͤgelchen, um ein Kreuz zu werfen, das ihr Gluͤck verheißen sollte. Aber war es ihre Hastigkeit, war es eine unfreundliche Vor¬ bedeutung, es wollte auch absolut kein Kreuz zum Vorschein kommen. Das lose Kind fabricirte aͤr¬ gerlich aus den Kuͤgelchen eine große Kartaͤtsche, und warf sie dem Oncle Heinrich in den unfoͤrm¬ lich großen Jabot. Endlich war die langweilige Tafel aufgehoben; der Graf, welcher durch den Sturz vom Pferde noch immer sehr angegriffen war, zog sich nach wenigen Minuten in sein Schlafzimmer zuruͤck, und wuͤnschte seinem Gaste, der um 100 pro Cent in seiner Achtung gestiegen war, eine ange¬ nehme Ruhe. Oncle Heinrich bot Blauenstein noch eine Parthie Schach an, welches der letztere nicht ausschlagen durfte. Tina, mußte es ihr nicht unangenehm sein, abermahls um die Unter¬ haltung mit dem interessanten, jungen Manne geprellt zu werden? Tina machte dem Oncle uͤber dies Anerbieten Vorwuͤrfe. „Schmaͤle mir mein Schach nicht!“ erwiederte dieser freundlich; „es bleibt doch das Spiel aller Spiele. Aber halt, mein Maͤuschen, Du spieltest ja selbst eben nicht so uͤbel, und am Ende macht der Baron doch mit Dir lieber eine Parthie, als mit einem alten Kerl, nicht?“ Das war einmal wieder vom Oncle ein dummes Streichelchen, dachte Tina erroͤthend, nahm den ihr von Blauenstein dargebotenen Stuhl freundlich an, und stellte die fein und zierlich ge¬ arbeiteten Steine auf das glaͤnzende Brett. „Das Schach hatte eine edle Bestimmung,“ begann Blauenstein, und lud seine schoͤne Gegnerin zum Beginnen des Kampfes ein, „es sollte einen Koͤnig bessern!“ „Der Erfolg war gut,“ sagte Tina, und ging mit dem rechten Springer auf die beiden, vorge¬ ruͤckten Bauren Blauensteins mit keckem Muthe los. „Aber bietet es uns nicht mehr, giebt es uns nicht ein treffendes Bild des Lebens?“ Ihr Gegner sah sie mit fragenden Blicken an; und erwiederte: „Sie haben recht, mein Fraͤulein; die Koͤnigin, man braucht wohl eben nicht immer an die Inhaberin eines Thrones zu denken, ist die Hauptperson. Ihr schwacher Ge¬ mahl wird ohne sie ein trauriges Bild der Hin¬ faͤlligkeit; nur sie giebt dem Leben Reiz, nur sie giebt ihm Bedeutung!“ „Aber ihre Wege sind immer die geraden,“ fiel Tina ein, und bot zuerst ihrem Nachbar ein wohltoͤnendes „Schach!“ „Mit weiblicher Wuͤrde vertraͤgt sich Falschheit nicht, und wenn die arme Koͤnigin ihren Untergang findet, wem dankt sie ihn anders, als der Treulosigkeit ihrer Um¬ gebungen?“ „Tinchen,“ fiel der Oncle Heinrich ein, „schwatze nicht zu viel, der Baron verliert seine Plaͤne, und ohne Plan kann kein vernuͤnftiges Spiel zu Stande kommen!“ Blauenstein sann uͤber die trostlose Lage seiner Steine nach, und sagte kleinlaut: „Dies danke ich der edlen Frau; ich habe ihre geraden Wege nicht gesehn, denn sie liegen hinter großen Bollwerken. Aber das Lebensbild erkenn' ich an, gewiß, und zwar mit meiner betruͤbten Niederlage!“ „Matt!“ rief Tina lachend aus, aber in einen freundlichen Ernst zuruͤckkehrend fuhr sie fort: „Kein Krieg ohne Verlust auf der andern Seite; wer im Leben siegt, d. h. im wahren, geistigen Leben, sieht der nicht im Herzen der Gegner, die keine Feinde sind, so wie in der eignen Brust die unheilbarsten Wunden?“ „Die Erfahrung lehrt es,“ sagte Blauenstein, der holdergluͤhten Tina Hand an seine brennenden Lippen fuͤhrend, „und nie wurde mir diese Wahrheit besser vertraut, als in dieser schoͤnen Stunde!“ 2. Die Verlobung. Die Schloßuhr brummte die zwoͤlfte Stunde in die schweigende Nacht, als Blauenstein mit der Niederlage des Oncle Heinrich, der seine Kraͤfte auch an ihm messen wollte, das Schachbrett und das Zimmer verließ. Tina war schon vorher mit Tante Letty verschwunden, welche seit einer Stunde immerwaͤhrend mit dem Kopfe genickt; sie hatte bestimmt schon ihr bluͤthenweißes Bettchen aufge¬ sucht, und schlummerte in das Reich der gluͤck¬ lichsten Traͤume hinuͤber, als Blauenstein in der Begleitung des alten Graukopfs Martin in sein ihm angewiesenes Zimmer trat. „Waren der gnaͤdige Herr schon einmal in dieser Gegend?“ hob der letztere schmunzelnd an. „Nein,“ erwiederte Blauenstein kurz, und ließ sich die schneeweiße Halsbinde loͤsen. „Hoffentlich erzeigen Ew. Gnaden dem Hause die Ehre,“ fuhr der andre fort, „und erwarten die Ankunft des Herrn von Staunitz.“ „Staunitz?“ fragte Blauenstein, „wer ist dieser erwartete Gast?“ „Nun? wissen Ew. Gnaden noch nicht? — Er ist ja der Verlobte der Comtesse Albertine!“ „Verl — ?“ fragte Blauenstein, und das schreckliche Wort blieb ihm halb im Munde stecken. „Also bereits — verlobt, im wahren Ernst? Du machst Scherz, Alter?“ „Erlauben mir Ew. Gnaden, zu widersprechen, sagte der letztere laͤchlend, und schien sich an der Betroffenheit Blauensteins zu weiden. „Der Herr von Staunitz ist ein entfernter Vetter meiner Herrschaft, ein gar liebenswuͤrdiger Herr! Die beiden Leutchen wurden von ihren Eltern gewis¬ sermaßen als Kinder schon fuͤr einander bestimmt; seit zwei Jahren ist der Herr von Staunitz auf Reisen, und wird nach seinem letzten Briefe in diesen Tagen zuruͤckerwartet. Das ist ein Maͤnn¬ chen, auf den warteten unsere jungen Fraͤulchens in der Nachbarschaft wie auf den Messias, aber sie mußten sich das Maͤulchen wischen!“ „Und Comtesse Albertine?“ fragte Blauenstein ganz blaß und bebend wie Espenlaub. „Nun,“ sagte der Verlobungsreferendar heim¬ lich laͤchelnd, „die hoffte just nicht, denn die konnte nur pfeifen, und sie hatte zehn an jedem ihrer Finger. Jung, huͤbsch, reich, und dabei gut, wie die lieben Engel im Himmel; ich will den jungen Mann sehn, dem sie mißfiele. Was in der Welt koͤnnte der noch mangeln?“ Weibliche Wuͤrde! dachte Blauenstein tief im Innersten verwundert bei sich, und entließ den alten Schwaͤtzer. — Wie ungeheuer hatte ihn das Maͤdchen getaͤuscht! Verlobt, verlobt! toͤnte es in ihm wieder, und das ganze Riesengebirge waͤlzte sich mit seiner Last auf das gequaͤlte Herz. Wie war es moͤglich, sich so zu ver¬ stellen, sein redliches Streben so zu belohnen! — Und ihre Anspielungen beim Schach, waren sie nicht eine Buͤrgschaft fuͤr seine besten Hoff¬ nungen? — Die alte Tante Letty hatte ihm bei Tische erzaͤhlt, Tina habe seit dem Tode ihrer Mutter im Hause der Madam Lafleure in der Residenz eine Zeit lang zugebracht, und sei von dieser in jeder Art unterrichtet worden. Das war ja ausgemacht, im Hause einer solchen Dame konnte man in der Residenz nur zur Koquette gebildet werden. Nichts als die raffinirteste Buhlerei leitete ihr Betragen! — Weshalb denn auch die irrenden, wie in suͤßer Liebe schwimmenden Augen, wes¬ halb das so fein Zuvorkommende ihres ganzen Wesens, die unzaͤhligen. Anspielungen auf Liebe, und Gott weiß, was alle noch!? Nein, es war keinem Maͤdchen mehr zu trauen! Diese kannte er erst seit einer Reihe von Stunden, und doch hatte sie ihn so furchtbar getaͤuscht! — Der Gequaͤlte warf sich auf die andere Seite; die Kissen des weichen Bettes waren mit tausend Nadelspitzen gespickt, die Decke kam ihm vor, wie ein Gewebe von Nesseln; — das war nicht zu ertragen! Er sprang auf, und legte sich zum Fenster hinaus, als wolle er einen salto mortale machen; die kuͤhle Luft saͤuselte erquickend um die fieberheiße Brust, sie spielte leicht mit seinen schwarzen Locken, und kuͤhlte die ungestuͤme Glut der Wange! — Aber hatte er denn auch recht, kam es ihn denn zu, auf Tina so zu zuͤrnen? Was ging ihm eigentlich, genau genommen, das ganze Maͤdchen und sein buhlerisches Betragen an! Das Beste war, noch allenfalls einen Tag zu warten, denn das war er wohl dem Grafen schuldig, und dann im Fluge nach der Heim — halt, war da nicht im andern Fluͤgel des Schlosses im Eckzimmer Licht? Eine Gestalt wurde sichtbar, dicht am Fenster. Vielleicht die gelbe Letty. Aber behuͤte, die konnte es nicht sein, die war zu plump gegen diese frische, leichte Gestalt. Blauenstein tappte nach seinem Koffer; er wuͤhlte darin nach dem Perspective, mit dem er meilenweit einen Menschen erkannte, und legte den gefundenen Schatz am Fenster an. Es war Tina. Was in aller Welt machte das Maͤdchen noch in dieser Stunde? Vor ihr auf dem Tische lagen eine Menge zusammengelegter Papiere, ver¬ muthlich Briefe; ihr Auge schien truͤbe, als haͤtte sie geweint, der wogende Busen hob das weiße Nachtkorsettchen schnell und schneller empor, daß alle rothen Schleifen daran wie Espenlaub zit¬ terten. Hier mußte etwas vorgefallen sein, das war klar. Jetzt verschwand das Licht, Alles war dunkel, die Nacht breitete ihre Rabenfittige uͤber den Park und den See. Was mag ihr fehlen? dachte Blauenstein, und schloß das Fenster mit einem Froͤsteln, hat sie einen Kummer, hat sie etwas zu bereuen? Man urtheilt oft so unuͤber¬ legt, so ruͤcksichtslos. Vielleicht, ja gewiß hing es so zusammen, war sie zu der Verbindung mit dem Staunitz, Taugenichts, oder wie der Ungluͤck¬ liche hieß, von ihrem Vater oder den naͤchsten Verwandten uͤberredet, sie wuͤnschte wieder frei zu sein, oder — Gott, wer mogte aus diesem Chaos herauskommen! Ein mitleidiger Schlummer senkte sich auf Blauensteins Augen; eine Menge verworrener Traͤume gaukelten ihm ihre Bilder vor, und er erwachte erst, als bereits der alte Martin an seinem Lager stand, und fragte, ob der gnaͤdige Herr Kaffee oder Chocolate befoͤhlen? — In wenig Augenblicken war er in den Kleidern, dies¬ mal aber nicht in dem Reisegewande, sondern in dem schoͤnen knappen schwarzen Anzuge, der ihm so gut stand, mit dem Kreuze geschmuͤckt, das er sich bei der unvergeßlichen Voͤlkerschlacht bei Leip¬ zig verdient. Jetzt erschien auch der Oncle Hein¬ rich unten im Garten, sah bestaͤndig nach Blauen¬ steins Fenstern, und als er ihn endlich erblickt, lud er ihn laut ein, mit ihm ein Pfeifchen in der koͤstlichen Frische des Morgens zu rauchen. Blauenstein war es gern zufrieden. Auf der Treppe, warum auch gerade jetzt diese Begegnung? trat ihm Tina entgegen, bot ihm mit ihrer hold¬ 3 seligen Freundlichkeit einen guten Morgen, und schluͤpfte, ein haͤusliches Geschaͤft vorgebend, in eine Seitenthuͤr. „Hoͤren Sie, Blauensteinchen,“ hob Oncle Heinrich an, und faßte ihn zutraulich am Arme, „erzeigen Sie mir und uns Allen eine Freund¬ schaft. Wir kennen uns zwar erst seit gestern, aber alle gute Menschen sind leicht erkennbar; unser Herrgott hat seine Lieblinge mit etwas ge¬ zeichnet, das wie glaͤnzende Schrift auf den Ge¬ sichtern steht. Und sehn Sie, just so einer sind Sie auch!“ „Sehr verbunden,“ erwiederte Blauenstein laͤchlend. „Aber Sie sprachen von einem Wunsche, wenn ich Sie recht verstand; darf ich ihn wissen?“ „Gleich, gleich, Freundchen,“ sagte Heinrich, nahm aus einer unfoͤrmlichen Dose eine verhaͤltnißmaͤ¬ ßige Priese, und bot seinem Begleiter ein Gleiches an. „Ach Sie sind wohl nicht schnippisch?“ fuhr er fort, als Blauenstein dankte. „Nun, das ist in der Ordnung; ein junger Herr will stets nett und zierlich aussehn; und der Taback besu¬ delt doch immer Jabot und Weste. Aber, was ich sagen wollte; in kurzer Zeit erwarten wir den Staunitz, unsern Tinchens Braͤutigam.“ „So, so,“ fiel Blauenstein mit scheinbarer Gleich¬ guͤltigkeit ein, obgleich es ihm die Kehle beinahe zuschnuͤrte. „Also die Comtesse ist verlobt. Nun, das stand zu erwarten!“ „Zu erwarten,“ murmelte Heinrich nach. Aber Sie werden so blaß, die Morgenluft schadet doch nicht? — Nun sehn Sie, Freund, da giebts denn so diese und jene Gesellschaft im Hause, und wir Alle wuͤnschen Ihre Gegenwart. Sie verstehn sich nebenbei so gut auf die Unterhaltung, kurz Sie wissen, wie ich meine. Ich hoffe, es mi߬ faͤllt Ihnen nicht bei uns; freilich wuͤnschte ich wohl, unser Tinchen waͤre noch frei, und der Vet¬ ter Staunitz waͤre sonst wo, Sie verstehn mich, nicht?“ — „Durchaus nicht!“ erwiederte Blauenstein kalt, und wandte sein erroͤthendes Gesicht ab. „A ha!“ begann Heinrich lachend, „etwa schon verplempert, Blauensteinchen? — Nun, nur ruhig, thut nichts, deshalb sind Sie uns noch kein Stein des Anstoßes, ha, ha, ha! Aber im Ernst, es giebt noch eine Menge huͤbscher, char¬ manter Dinger hier in der Nachbarschaft, reich, nun, das ist bei Ihnen nicht noͤthig, aber herzig 3* und gut, wie die Engel. Da ist z. B. Land¬ raths Molly in Herzhausen, und dann ihre Schwe¬ ster Ida; freilich, das ist eigentlich nur so ein Distanceblender; aber die junge Baronesse Gruͤn¬ heim, daß dich der Donner und das Wetter! hat die einmal Augen! Wer in deren Brennpunct so recht ordentlich hineinkommt, dessen Herzen geht es, wie dem nassen Holze unter Tschirn¬ hausens Brennglase, es wird in wenigen Augen¬ blicken zu Asche verbrannt!“ „Wenn Sie solche gefaͤhrlichen Syrenen hier haben,“ sagte Blauenstein, und fuͤhlte immer mehr die Nothwendigkeit, Blumenau verlassen zu muͤssen, „so ist es Zeit, daß ich mich fort begebe in meine friedliche Heimath, wo die Frauen mildere Gesin¬ nungen hegen, als in dieser Gegend, wenn sie auch paradiesisch ist!“ „Steht es so um Euch?“ fragte Heinrich, und schlug mit Blauenstein einen Seitenweg ein, auf welchem ihnen Tina heiter und lieblich wie das Roͤschen, das an ihrem Busen zitterte, entgegen kam. „Aber die da wird besser verstehn, Sie zu fesseln, als ich alter Kerl! — Hoͤre Tinchen, unser junge Freund bekommt eine Art Heimweh, er will fort; aber leid' es nicht, verstehst Du?“ — Tinchen nickte freundlich, und sagte dem Oncle, daß ihn jemand zu sprechen wuͤnsche. Er entfernte sich brummend, wie er immer zu thun pflegte, wenn ihn jemand zur Unzeit stoͤhrte oder entgegen trat, und praͤgte der suͤßen Albertine nochmals ein, den Blauenstein auf alle Weise zu fesseln. Wo waren des letztern Vorsaͤtze, wo sein scheinbarer Gleichmut! Diesem Maͤdchen gegen¬ uͤber, wer vermogte da an eine schleunige Abreise zu denken? So spielt das schwache Herz, wenn es die allmaͤchtige Liebe mit ihren Rosenschlingen umfangen haͤlt auch der Vernunft des Kaltsin¬ nigsten einen Streich! „Darf ich dem Oncle glauben,“ hob Tina an, und schlug ihre Vergißmeinnichtaugen mild laͤchlend zu dem verwirrten Blauenstein auf, „ist es Ihr wirklicher Ernst, Herr Baron, daß Sie sich so schnell der Dankbarkeit einer Familie entziehen wollen, die Ihnen so Viel verdankt?“ „Wenn ich diesen reizenden Landsitz verlassen muß, so kann mich nur der Gedanke dazu bewe¬ gen.“ erwiederte Blauenstein etwas verwirrt, „daß meine Gegenwart laͤstig wird, zumal da mehr, und ich darf hinzufuͤgen, willkommnere, Gaͤste er¬ wartet werden. Ohnehin sieht mein Vater laͤngst meiner Ankunft entgegen.“ — „Ich zweifle nicht,“ fiel Tina ein, und heftete ihren dunklen Feuerblick auf Blauensteins aͤngst¬ liche Zuͤge, „daß Sie ein guter Sohn sind. Aber nur Ihre Bescheidenheit giebt Ihnen das sonder¬ bare Recht, zu vermuthen, es sollten bessere Gaͤste an Ihre Stelle treten. Verlassen duͤrfen Sie uns nicht! Wie koͤnnten wir auch Freunden ent¬ gegen sehn, die unserm Her — zen,“ das Wort war einmal heraus, „naͤher staͤnden, als der“ — „O Gott!“ rief Blauenstein aus, und zog wie in stuͤrmischer Leidenschaft Tinas Hand an seine brennenden Lippen, „quaͤlen Sie mich Ärm¬ sten nicht! Vorhin vertraute mir Ihr Oheim,“ fuhr er leiser fort und mit einer gewissen Blaͤsse auf den Wangen, „daß Ihr Herz bereits gewaͤhlt, daß Ihr Verlobter taͤglich erwartet werde. Darf ich Ihnen Gluͤck wuͤnschen, darf ich“ — „Ei, ei! Sieh da!“ rief ploͤtzlich eine Stimme und in demselben Augenblick sprang ein junger, bildschoͤner Mann in reicher Uniform aus dem Gebuͤsch hervor, und schloß mir nichts, Dir nichts, die erschrockene Tina in seine Arme. „Staunitz!“ rief Tina, und druͤckte einen Kuß auf des Fremden Lippen, „woher zu dieser Stunde?“ „Aber Blauenstein war seiner Sinne kaum maͤchtig; hier stand der Hassenswerthe an der Seite des angebeteten Engels, er lag in ihren Armen, und sog den Honig der suͤßesten Liebe aus den Lippen des Maͤdchens, das er mit der ganzen Leidenschaft seines Herzens umfaßte! Es war ihm, als lasteten zehntausend Muͤhlensteine auf seiner Brust, als zoͤge es ihn mit Riesenge¬ walt hinab in die unendliche Tiefe des zerrei¬ ßendsten Liebesschmerzes! Staunitz war mit seiner Tina verschwunden, das gluͤckliche Paar hatte den Ungluͤcklichen ver¬ lassen, und er verwirrte sich, halb von Wehmuth niedergebeugt, halb innerlich empoͤrt, in dem Chaos seiner Stimmung. Die Welt war ihm nun mit allen ihren Freuden verhaßt; das Maͤdchen, nein, eine solche Liebe, wie sein Herz beseelte, hatte diese Erde nicht wieder aufzuweisen, und das Maͤdchen konnte ihm so ungeheuer wehe thun! Gott wollte einen Engel zeigen, dachte Blauen¬ stein bei sich, und in einer Furie hatte sich dieser unsaͤgliche Reiz vereinigt? Aber nein, es war ja nicht moͤglich, es konnte ja nicht sein, solcher Falschheit war ja eines zarten Maͤdchens Herz nicht faͤhig! — Tausend heiße Thraͤnen fielen aus seinem Auge, seine Hand hatte sich krampfhaft geballt, und die wild tobende Phantasie gauckelte furchtbare Schreckbilder ihm vor! — Aber wozu dieses Bruͤten, wozu dieser toͤdtende Schmerz uͤber die falsche Treulosigkeit eines Maͤdchens? Blauen¬ stein raffte sich auf; mit hastigen Schritten durch¬ wanderte er die hohe Lindenallee, als wolle er noch heute zu Fuß die Heimath erreichen. Jetzt rauschte es in dem nahen Gebuͤsch; es mußte wer in der Naͤhe sein, ein bunter Schawl wurde sichtbar, und Albertine stand mit all' ihrer Lieb¬ lichkeit und Anmuth vor ihm. „Weshalb entzogen Sie sich unserer Gesellschaft, Herr Baron? fragte Tina und machte ein Gesicht, als waͤre das In¬ quiriren ihr eine hoͤchst gelaͤufige Sache. „Sie sind so duͤster, so still, ich fuͤrchte, es mißfaͤllt Ihnen in unserm Kreise!“ „Duͤster, still?“ fragte Blauenstein, und ging an der Seite des freundlichen Engels wie ein Verdammter, „duͤster bei Ihnen, Fraͤulein?“ „Nun,“ entgegnete Tina mit einem Seufzer, der ihre Schwanenbrust erfuͤllte, „zeigt dies nicht Ihr ganzes Äußere? — Es ist Ihnen unangenehm, den Bitten meines Oncles vielleicht nachgegeben zu haben, der Sie bat, laͤngere Zeit auf unserm einsamen Lande zuzubringen, nicht wahr?“ „Wie koͤnnte mir das jetzt in den Sinn kommen,“ sagte Blauenstein betheurend, „wie koͤnnen Sie den Gedanken in sich aufkommen lassen, ich sei ungern hier! — Aber ein Versprechen gab ich Ihrem Herrn Oncle nicht; kindliche Pflichten rufen mich zu meinem Vater zuruͤck!“ „Sie wollen mir ausbiegen,“ hob Tina mit einem leisen Erroͤthen an, „aber ich verliere mein Thema nicht. Koͤnnen Sie sich entschließen, mir zu versprechen, wenigstens noch acht Tage hier zu verweilen, da Sie es meinem Oncle nicht zusagen mogten?“ Blauenstein sah seine Begleiterin mit einer gewissen Verwunderung an, und erwiederte: „Wer vermoͤgte Ihnen etwas abzuschlagen? — Aber ich begreife Sie nicht! Und wenn ich bleibe, sollte mich dieser Gedanke schon nicht erschrecken, sagen Sie Graͤfin, sollte er mich nicht erschrecken?“ „O nein, nein!“ rief Tina lebhaft aus. „Und wenn ich dies denken koͤnnte, gewiß wuͤrde ich mich uͤber eine so traurige Wahrheit zu taͤu¬ schen suchen!“ „In der That?“ fragte Blauenstein, und man sah an seinem geheimen Beben, wie er mit sich selbst kaͤmpfte. „O Gott, ich vermag keinen Widerstand zu leisten! Albertine, koͤnnten Sie einen Blick in mein Herz werfen!“ — Mit raschem Ungestuͤm druͤckte er bei diesen Worten die brennenden Lippen auf Tinas Hand, und floh, sich loßreißend, nach dem Schlosse zu. Es war klar, sie liebte ihn, ihr ganzes Wesen verrieth es, sie selbst legte es ja offenbar darauf an, so recht genau verstanden zu werden! Konnte man das ein Verbrechen nennen? Sie war verlobt; aber liebte sie denn jenen Staunitz auch, war es ihr zur Last zu legen, wenn das Herz sich nach wahrer Liebe sehnte? Hundert solcher Fragen durchkreuzten sich in Blauensteins Kopfe, er lief, als ob es hinter ihm brenne, bog rasch um die Ecke des Treibhauses, und rannte gegen Oncle Heinrich, welcher mit Staunitz ploͤtzlich vor ihm stand! „Schweden und die Propheten!“ rief der erstere aus, und faßte Blauenstein am Arme, „wo soll denn die Reise hingehn? Hier sollen Sie erst noch einen gewissen Jemand kennen lernen, der noch nicht einmal ein Wort mit Ihnen sprechen konnte. Kinderchen, ihr paßt so recht fuͤr einander; Schade, ewig Schade, daß Tinchen nicht noch eine Schwester hat, die Blauenstein zu seinem Weib¬ chen machte, he?!“ Blauenstein erwiederte auf die letzte sonderbare Äußerung Heinrichs nicht ein Wort, und sprach mit Staunitz uͤber allerlei gleichguͤltige Dinge. Er hatte auch Reisen gemacht, und daß er sie gehoͤrig benutzt, das zeigte der Umfang seines gediegenen Wissens, sein gruͤndliches Urtheil, die Waͤrme, mit welcher er uͤber Italien besonders und seine Kunstschaͤtze sich verbreitete. Was so wenigen vergoͤnnt ist, er hatte das Grabmahl des Cajus Cestius besucht, und die uralten Gemaͤlde der durch den Fackeldampf neugieriger Kunstver¬ ehrer geschwaͤrzten Waͤnde der Pyramide mit Kennerblicken beschaut, mit einem Worte, es war ihm nichts entgangen, er hatte mit wahrem Reise¬ genie seine Zeit hingebracht Und das mußte man ihm lassen, er war schoͤn wie der Sonnengott! Und den sollte ein junges, so empfaͤngliches Maͤd¬ chen wie Tina, dem die ganze, weite Welt fuͤr seine Liebe zu enge schien, nicht lieben? Nein, dachte Blauenstein bei sich weiter, da muͤßte ich die Weiber schlecht kennen, die so veraͤnderlich sind wie die Schmetterlinge auf der schoͤnen Insel St. Catharina . Millionen Blumen hauchen hier suͤße, wuͤrzige Duͤfte, eine immer reizender, als die andere, aber dennoch verweilen sich die windi¬ gen, hirnlosen Flatterteufel nur Secundenlang in den Honigkelchen der zarten Bluͤthenkinder. Machen es die Maͤdchen bei uns jetzt nicht eben so? Und was kuͤmmert sich ein so leichtes Herz darum, wenn ein anderes bricht, das voll ge¬ heimer, unendlicher Liebe war! — „Aber sagen Sie, Blauensteinchen“ hob Oncle Heinrich an, und ruͤttelte am Arme des letztern, als wollte er ihn aus dem Schlafe wecken, „sagen Sie in's drei Teufels Namen, Gott verzeih mir die Suͤnde, woran denken Sie so herzinniglich, so unablaͤssig? Und dabei gehn ihre Augen so ganz naͤrrisch hinter dem armseligen weißen But¬ tervogel Vermuthlich: Phal. libatrix, oder Ph. Cassinia, eine Schmetterlingsart, die sich erst im Spaͤt¬ herbst zu paaren pflegt. her, der in den langen Malven Die hohe Staudenaster, Aster amellus . eben keine Nahrung finden mag.“ „Halten Sie mich etwa nicht fuͤr einen Schmetterlingskundigen?“ fragte Blauenstein, und suchte eine kleine Verlegenheit zu verbergen. „Noch kuͤrzlich ergoͤtzte ich mich an den Berichten der Brasilianischen Flatterwelt, die uns Crusen¬ stern und Langsdorf in ihren Reisen geben.“ — — 3. Der Ball. Der Graf, er mogte wohl nicht mehr an seinen Unfall von neulich denken, war uͤber die Gegenwart seines kuͤnftigen Schwiegersohns hoͤchst erfreut; aber von der Abreise Blauensteins, den er recht lieb gewonnen hatte, wollte er keines¬ wegs etwas hoͤren. Sich zu fuͤgen, diesmal die Freuden und Leiden einer Liebe mitzunehmen, welche ploͤtzlich am Lebenswege des jungen Man¬ nes wie ein zartes Bluͤmchen emporsproßte, war ihm das Raͤthlichste. Oncle Heinrich hatte sich zwar lange widersetzt, allein die milzsuͤchtige Letty und ihr Bruder, der Graf, blieben dabei stehn, daß man einen laͤngst verabredeten Ball geben wolle, und zwar sobald wie moͤglich. Der Ober¬ Verwalter Sander, welcher sich im Secretariat zu arbeiten einmal nicht nehmen ließ, erhielt den Auftrag, die Familien aufzuzeichnen, welche zum Balle geladen werden sollten. Nach einer Stunde kam der Eilfertige bereits mit einem Register von Damen zuruͤck, so daß man schier vermeinte, der verschrumpfte Leporello stehe mit dem Verzeich¬ nisse der schrecklichen Anzahl von Liebschaften des edlen Don Juan vor einem! Staunitz lachte dem ehrlichen Sander gerade in's Gesicht; aber Oncle Heinrich nahm die Papiere, und sagte mit einer graͤmlichen Miene; nachdem er die einzelnen auf¬ gezeichneten Familien durchlaufen: „Wenn wir funfzig Personen streichen, lieber Schwager, so bleiben noch genug uͤbrig fuͤr unsern Zweck; aber,“ fuhr er leiser fort, „ich habe hier einige Leutchen, die in unsern Kreis nicht paffen! Da ist z. B. die alte Drostin Steinburg mit ihrem Sohne, dem Musje Unausstehlich, und der alte Kammerherr Wehrmann; das Volk taugt nichts! Und nun gar hier der verwelkte Tulpen¬ stengel, Fraͤulein Babet mit ihrer Mama Klatsche! „Schwager!“ sagte der Graf, und schuͤttelte mißbilligend den Kopf, „halt doch Deine Zunge endlich einmal besser im Zaum. Deine Ansichten von der vornehmen Welt, wie Du sie immer spoͤttisch nennst, sind die meinigen nicht; ich gebe den Ball, und nicht Du! Laß doch,“ fuhr er fort, und blickte leichter um's Herz werdend, hinter Staunitz her, welcher Blauenstein einige Bilder im Schlosse zeigen wollte, die er fuͤr gute Origi¬ nale von Berghem und Ruysdael hielt, „laß doch wenigstens dergleichen in Gegenwart der jungen Maͤnner, wenigstens des Barons! Der Kammerherr von Wehrmann ist so unrecht nicht; Du mußt nur richtig zu calculiren verstehn! Wie lange wird es dauren, so kehrt mein Sohn Emil zu uns zu¬ ruͤck, und versucht sein Gluͤck in der Hofwelt. Und da gilt der alte graue Kammerherr mehr, als die alte Excellenz, der Canzler. Und was noch mehr sagen will, er hat von seinem Bruder, dem Oberlandjaͤgermeister ein sehr bedeutendes Vermoͤgen zu erwarten; das erbt Alles einmal die kleine Gustel, des Kammerherrn einziges Kind. Gegen den uralten Adel des Mannes ist doch wahrhaftig auch nichts einzuwenden! „Was?!“ rief Heinrich verwundert aus, „die Gustel, meinst Du, waͤre so eine Parthie fuͤr unsern Emil? Nun, der Herr erleuchte Dich! Dick und rund ist sie, und dabei verliebt, wie eine todte Ratte! — Und nun gar das Vermoͤgen; brauchst Du denn immer nur Geld, nichts als Geld zu Deinem Gluͤcke, und fuͤr Deine Kinder? Tina und Emil, beide sind reich genug; mein Bischen kriegen sie auch noch hinzu, und werden nicht Hungers sterben. Aber, lieber Freund, fuͤr den alten Adel des Kammerherrn gebe ich keinen Heller! Es ist wahr, der mag so alt sein, wie seine enormen Schulden! Alter Adel, alter Adel! Mein Himmel, welcher vernuͤnftige Mensch giebt was auf den Adel! Jeder Mensch hat seine Ahnen; er giebt sich aber nicht die Muͤhe, sie zu zaͤhlen, und nimmt sich nicht die impertinente Freiheit, sich die Tugenden seiner Altvordern mir nichts, dir nichts, beizumessen, wie die soge¬ nannten Adligen. Nimm mir's nicht uͤbel, Du thatest auch einst sehr Unrecht, dich in den Grafen¬ stand mit schwerem Gelde zu, kaufen, was Dir noch obenhin die ganze Welt verdacht hat. Hier, im Herzen, in der Brust,“ fuhr Heinrich in seinem Eifer fort, und klopfte stark auf seine Brust, daß es droͤhnte, „da ist der Adelsbrief, den haben die Engel geschrieben, und wer den nicht mehr vor¬ zeigen kann, ist ein Taugenichts, ein heilloser Windbeutel!“ „Nun, nur gemach!“ erwiederte der Graf laͤchlend; „Du bist eine brave Seele, aber in den besprochenen Puncten ein wahrer Heide! Laß mir doch meinen Willen; zwingen will ich den Jungen, den Emil, zu nichts in der Welt, was wider seine Herzensneigung waͤre. Ich bin auch einmal jung gewesen, und habe erfahren, wie hoch man seine Freiheit zu schaͤtzen hat! Nun erzeige mir noch den Gefallen, und sei gegen unsere Gaͤste, wenn sie Dir auch zuwider sind, recht artig und zuvorkommend; mir sind sie auch nicht immer an's Herz gewachsen, aber der Mann von Welt druͤckt ein Auge zu, wo es nicht anders geht! Und nun kein Wort weiter von solchen Dingen. — — Aber hoͤre, Schwager, der Blauen¬ stein, scheint der nicht auf unser Tinchen ordent¬ lich ein Auge geworfen zu haben? — Mir fiel es in der That auf; er verwandte kaum den Blick von ihr!“ „I nun,“ antwortete Heinrich mit dem Tone einer halb erzwungenen Gleichguͤltigkeit, „er mag Gefallen an dem Dinge finden, denn huͤbsch ist sie, das muß ihr der giftigste Neid lassen, aber weiter ist es auch wohl nichts; wenigstens muß er sich wohl nun den Muth vergehn lassen, um ihre Gunst zu werben, da er weiß, daß sie mit Vetter Staunitz verlobt ist! 4 „Glaubst Du denn,“ hob der Graf wieder an, und machte eine recht bedenkliche Miene, als er aus des Schwagers dargebotener Dose eine kleine Priese nahm, „glaubst Du denn, daß sich so ein junger Herr, der die Welt kennt, an das Verlobt¬ sein kehrt? Doch er kann eine Ausnahme machen, und ich muß gestehn, das ganze Wesen des jungen Mannes gefaͤllt mir, er hat so etwas Festes, und dabei so viel Witz und den aͤchten bon ton ! — „Bon ton hin, bon ton her,“ brummte Heinrich halb bei sich, „er hat Lebensart, bei meiner Seele!“ — — Die guten Maͤnner! Keiner hatte Arges! sie konnten mit Recht uͤberzeugt sein, Tinas, so wie Blauensteins Inneres sei ohne Falsch; aber in beider Herzen, diese unergruͤndliche Tiefe, in der niemand das Rechte gewahrt, was er eigentlich sucht, einen durchdringenden Blick zu thun, das vermogten sie nicht! Der Graf galt fuͤr einen feinen Menschenkenner, und bei Hofe fuͤr aͤußerst turnirt; aber die eigene, geliebte Tochter hatte er noch nicht ergruͤndet! Man hatte sich lange gestritten, ob man den Ball in Blumenau selbst, oder in dem benachbarten Staͤdtchen Friedlingen geben sollte; die Stimmen¬ mehrzahl entschied indeß fuͤr Blumenau, und man hatte nun nichts Eifrigeres zu thun, als die Gaͤste in bester Form einzuladen. Der vom juͤngern Hauspersonale heiß ersehnte Tag erschien. Tina stand, geputzt mit allen Kuͤnsten der zartesten Toilette, in dem hohen Bogenfenster des zum Empfange der Gaͤste bestimmten Zimmers neben Oncle Heinrich, und malte mit dem niedlichsten aller kleinen Finger Buchstaben in den Fenster¬ schweiß. „Was machst Du denn Kind?“ fragte der Oncle. „Du malst ja einen zierlichen B neben den andern?“ „Nun,“ sagte Tina, und ihr Schelmengesicht¬ chen vermogte kaum das Lachen zu bekaͤmpfen, „ich darf doch wohl an Staunitz denken? Heißt er denn nicht etwa Bernhardt? Aber liebes Onkelchen, ich habe eine Bitte, welche Du mir durchaus nicht abschlagen darfst.“ „Was ist denn schon wieder?“ fragte Heinrich. „Aus euch Weibern werde der Henker klug! Erst tiefsinnig, ganz sehnsuͤchtig und mit den Gedanken wo anders, als am passenden Orte, und auf 4* einmal wieder so ein rasches Anliegen, ein Draͤn¬ gen! — Aber nur heraus damit!“ „Wo denkst Du hin! Mir fehlt in der Welt nichts,“ erwiederte Tina, „und daß wir nicht immer von Euch verstanden werden, ist im Grunde recht gut! Doch das gehoͤrt nicht hieher! — Du weißt, daß der Vater heute Abend waͤhrend der Tafel meine mit Staunitz laͤngst bekannte Ver¬ lobung mit Pauken und Trompeten auf solenne Weise den Gaͤsten zu eroͤffnen beschlossen, und das ist mir so recht widrig und obenein aͤngstlich!“ „Mein Himmel,“ rief Heinrich verwundert, „das ist ja die eigentliche Tendenz unseres schoͤnen Balles, und die willst Du nun so frisch weg ver¬ nichten? Was wollte der Vater sagen, wenn ich davon anfinge?“ „Bitte, bitte, Onkelchen!“ sagte Tina, und kuͤßte den Aufgebrachten auf die rauhe Wange, „rede mit dem Vater! Nicht wahr, Du thust es?“ „Wer kann der Hexe etwas abschlagen!“ erwiederte Heinrich freundlich, umschlang das suͤße Maͤdchen, und druͤckte ihm drei, vier feurige On¬ kelkuͤsse auf die purpurnen Lippen. „Aber, mein liebes Kind, die Gaͤste koͤnnen nun nicht lange mehr weilen, daher mit Tante Letty auf Euren Posten!“ Tina huͤpfte froͤhlich fort; sie wies den eben eintreffenden Hautboisten, welche die kleine Haus¬ capelle noch unterstuͤtzen sollten, ihr Zimmer an, und eilte zur Tante Letty. Rasch hintereinander rollten mehrere Wagen uͤber die donnernde Bruͤcke des Schloßhofes; das reich gallonirte Bedienten¬ heer des Grafen stuͤrzte wie auf ein Signal her¬ aus, zeigte die gluͤcklichsten Dienertalente, und foͤrderte nach wenigen Augenblicken dem die Ho¬ neurs machenden Herrn des Hauses die geputzten, duftenden Gaͤste in die Haͤnde. Zu des Oncles Ärger waren die Drostin von Steinburg, nebst ihrem Goldsoͤhnchen, dem franzoͤsirten Antoͤnchen, deren Cousine, Babet von Kufen und der alte Schmecker, der Kammerherr von Wehrmann, welcher in dem jungen Hofrath von Wernburg noch einen Taͤnzer mitgebracht hatte, die ersten der Gaͤste. Blauenstein verlor sich in einen Winkel des koͤstlich erleuchteten und dekorirten Saales; er fuͤhlte das geheime Weh der immer mehr und mehr wachsenden Liebe in seiner Brust, und mit irrendem Auge suchte der die Koͤnigin des Festes, die liebreizende Albertine. So reizend, so uͤberaus schoͤn und hinreißend hatte er das Himmelskind noch nicht gesehn! Durch die schwarze Pracht der uͤppigen Ringel¬ locken zogen sich schimmernde Perlen, wie Sterne am duͤstern Nachthimmel; aber vorn uͤber der hohen, blendend weißen Stirn glaͤnzte ein herr¬ licher Brillant aus Visiapur in einem zarten Dia¬ deme von Amethisten. Das leichte, zephirartige Ballkleid von indischem Mull schmiegte sich um die wellenfoͤrmigen Glieder dieser vollendeten Hebe verraͤtherisch und suͤß, und an dem Wogen des keuschen Schneebusens ersah man die geheime Lust, die Sehnsucht nach etwas, dem man nicht zu jeder Stunde eine Sprache zu leihen vermag; aber wer dem schoͤnen Maͤdchen in's Auge sah, das in seiner Azurtiefe feuriger, bedeutungsvoller glaͤnzte, als jener Brillant aus Visiapur, haͤtte es sich nicht wegleugnen lassen, daß nichts, als ein heiliges Liebessehnen seine Brust erfuͤlle! Die Gaͤste waren endlich alle versammelt; eine koͤstliche Auffoderung zum Tanz, bei der das zarte Clarinettensolo einen tuͤchtigen Virtuosen zeigte, dessen rauschender Allegrosatz aber in jeden Tanzlustigen wahres Ballentzuͤcken goß, machte den sinnenden Blauenstein darauf aufmerksam, daß er die liebholde Tina wohl zum ersten Walzer engagiren muͤsse. Sie war nicht versagt; aber statt des einleitenden Walzers braus'te vom Or¬ chester eine volltoͤnige Polonaise herab, und der gluͤckliche Blauenstein schlang seinen kraͤftigen Arm um die liebliche Tina. Das laue Wehn ihres suͤßen Athems, die Grazie jeder ihrer Bewe¬ gungen, dazu der freundliche, scherzende Ton ihrer Unterhaltung entzuͤckten ihren Taͤnzer dermaßen, daß er schier vermeinte im Paradiese zu sein. Jedes Auge hing an dem schoͤnen Paare, auch die giftigsten Neider und Neiderinnen, und wo sollten diese fehlen? gestanden sich ganz geheim, Tina, so wie der gluͤckliche Blauenstein, beide waͤren unuͤbertrefflich! Wer der Blauenstein eigentlich sei, was er hier in Blumenau vorstelle, war schnell in der Nachbarschaft und unter den Gaͤsten bekannt ge¬ worden. Tina wußte in der That von dem lie¬ benswuͤrdigen jungen Manne am wenigsten. Aber war es auch noͤthig, mehr zu wissen, als daß er sehr brav, vom besten Herzen und Muth, und dabei engelhuͤbsch sei? Was ging das liebende Maͤdchen der Zusammenhang seiner Verhaͤltnisse, was sein Reichthum, oder seine Armuth an! — So denkt die jugendliche Unerfahrenheit, das von der ersten, wahren Liebe befangene Maͤdchen! — Die Drostin Steinburg stand mit ihrer alten Busenfreundin, der Geheimderaͤthin Wandler im mittelsten Fensterbogen des glaͤnzenden, von hun¬ dert und aber hundert Kerzen hell schimmernden Saales, und vergnuͤgte sich nach ihrer alten, be¬ liebten Manier an dem Bekritteln der Anwesen¬ den. „Sehn Sie um's Himmels Willen,“ nahm die letztere das Wort, „sehn Sie den allerliebsten Blauenstein! Unter uns, meine Beste, das ist ein Goldfischchen; ich kenne seine Verhaͤltnisse ge¬ nauer, wenn der Springin'sfeld sich meiner auch nicht mehr erinnern mag, denn er thut wie fremd. Ich hatte einmal so eine Idee mit meinem Huld¬ chen; nun, Sie verstehn mich; und ich mogte sie nicht aufgeben. Aber nun, dies Thun mit der Tina, der koquetten Naͤrrin, ist ja ganz abscheu¬ lich; und was die Sache besonders himmel¬ schreiend macht, sie soll mit dem Baron Stau¬ nitz so gut wie verlobt sein?!“ „Ja, erwiederte die Steinburg, und sah sich heimlich um, ob sich auch kein unberufener Horcher nahe, „so spricht man; aber ich habe so unter der Hand erfahren, daß es mit der Par¬ thie nichts wuͤrde. Sie halten reinen Mund, liebe Freundin; aber ich glaube selbst daran, und freue mich, denn mein Anton waͤre des Todes. Haben Sie vorhin nicht bemerkt, wie fein, wie aufmerksam sich das Paͤrchen behandelte und un¬ terhielt? Der Junge hat ordentlich so was Apartes mit aus Paris gebracht, und mich reut nun mein schoͤnes Geld nicht, was er mich kostete. Wahrhaftig, es waͤre reizend, wenn unsere Plaͤne, meine liebe Wandler, ausgefuͤhrt wuͤrden. Und eigentlich ist kein Grund da, daran zu zweifeln. Was meinen Sie?“ Aber die letztere erwiederte in ihrem Grimme auf die arme Tina kein Wort, und goß in die ihr dargereichte Tasse Thee so eine Menge eng¬ lischen Rum, daß der hieruͤber ganz erschrockene Diener meinte, Ihre Gnaden haͤtten sich ver¬ griffen. Der Kammerherr von Wehrmann stand in diesem Augenblicke vor der Erboßten, und freute sich, eine Gleichgesinnte gefunden zu haben. Der alte Herr schwaͤnzelte mit seinem goldbro¬ kadenem Kleide, dessen alterthuͤmliche Garnitur am Kragen reich mit Spaniol bestreut war, der theeschluͤrfenden Dame naͤher, und kuͤßte ihr mit einem grinsenden Laͤchlen die Hand. „Eh bien, ma chere!“ hob er an, und warf seine stechen¬ den, grauen Augen nach der Seite des Saales, wohin sich Blauenstein mit der suͤßen Albertine hingefluͤchtet, um vorlaͤufig die Touren zu einer neuen Quadrille zu besprechen, „wie sieht es mit unserm aimabeln Huldchen? Bemerken Sie, meine Gnaͤdige, bemerken Sie die holde Albertine, oder vielmehr den blauen Stein, der sich Ihnen so recht con amore in den Weg wirft, ohne auf Dero geheimste Wuͤnsche Ruͤcksicht nehmen zu wollen?“ „Nicht anzuͤglich, mein Freund!“ sagte die Wandler in einem Tone, der wie eine bittere Verstimmung herauskam. „Aber, ist das Recht, ist das Sitte, nennt man das Erziehung und Ton?! Nein, eine solche ausgesuchte Gefallsucht ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen! Der Mensch muͤßte ganz dumm sein, wenn er nicht zur angenehmen Kurzweil Gebrauch von der Zuvorkommenheit der graͤflichen Koquette machen wollte!“ Hatten die in diesen angenehmen Zwiesprach verwickelten Personen zu giftige Blicke auf Blauen¬ stein, auf die in suͤßer Liebesverirrung vorge¬ hende Tina geworfen? — Blauenstein hielt es fuͤr passend, die Augen der Neugierigen von sich abzuwenden, trat mit recht ausgesuchter Freund¬ lichkeit zu dem gepriesenen Huldchen, und for¬ derte sie zu dem eben angestimmten Laͤnderer auf. Er kannte die Geheimderaͤthin; vor mehreren Jahren lernte er sie in der Residenz kennen; aber die niedrige Denkungsart der Frau, ihre Raͤnkesucht, die nichts, auch das Heiligste nicht, schonte, war ihm fruͤhzeitig verhaßt gewesen, und als er zufaͤllig bemerkte, eine Parthie zwischen ihm und der Hulda sei der Mutter einziges Stre¬ ben, zog er sich kalt zuruͤck, und that jetzt, nach¬ dem mehrere Jahre vergangen waren, in denen er sich merklich veraͤndert haben sollte, als kenne er die Frau gar nicht. Huldchen war an und fuͤr sich so uͤbel nicht; ihr Gesicht, das freilich den uͤbergroßen Mund ihres verstorbenen Vaters ererbt hatte, war von einem gutmuͤthigen Aus¬ druck; sie dachte nicht an die geheimen Plaͤne der verdrießlichen Mamma, und gefiel sich in den kraͤftigen Armen des sie umschlingenden jungen Mannes recht sehr wohl. Die Drostin Stein¬ burg war innerlich froh, daß sich ihre Aussichten aufklaͤrten. Behalt' Du Deinen Blauenstein, liebes Puttchen, dachte sie bei sich; mein Antoͤnchen wird hoffentlich auch noch zum Ziele kommen. Gott, an dem Kinde selbst, an der hochfahrenden Familie des Grafen uͤberhaupt liegt mir herzlich wenig; aber Tinchen, Dein unmenschliches Geld, deine Guͤter will ich mir, oder vielmehr dem An¬ ton sichern! Koͤmmt nicht bald ein rettender Goldengel, so gehts schief; meine Leute kuͤndigen mir auf, die Glaͤubiger machen drohende Gesich¬ ter, — Himmel, ich mag nicht daran denken, mir wird gruͤn und gelb vor den Augen! — Sie rannte schnell zum Sohne, der mit einem Schaafsgesicht den Tanzenden zusah. Sie gab ihm ganz geheim einen muͤtterlichen Seiten¬ stoß, und raunte ihm ziemlich vernehmlich in die uͤbergroßen Ohren, hinter denen ein Paar widri¬ ge Pflaster dufteten: „Mensch, Du stehst hier, und kuckst wie ein Narr zu?! Habe ich Dir nicht gleich gesagt, Du sollst etwas um die Tina herum sein, mit ihr sprechen, tanzen, sie von Deinen Reisen unterhalten?! Steht der Mensch hier in der Ecke! Wie oft habe ich Dich gebeten, Du sollst Dein verfluchtes Schielen lassen; denn wenn Dich die Comtesse sieht, wie Du mit einem Auge ihr auf die Fußspitze, mit dem andern nach dem Kronleuchter kuckst, so nimmt sie Dich im Leben nicht!“ „Mais mon dieu, gnaͤdige Mamma!“ er¬ wiederte Antoͤnchen betreten, „man darf doch nicht uͤbermaͤßig zudringlich sein; et quand à moi, ich habe ihr meine Huldigungen devotest bereits zu Fuͤßen gelegt!“ „Hast Du das?“ fragte die aufgebrachte Mamma etwas beruhigter. „Nun, so fahre fort, und der Himmel wird das Ende segnen!“ Der Laͤnderer hatte das seinige erreicht; die jungen Herrn fuͤhrten ihre Schoͤnen zu den Sitzen, fuhren mit den wehenden Tuͤchern uͤber die gluͤhende Stirn, waͤhrend ein anderer Theil zu der Tanzordnung huͤpfte, um bei Zeiten fuͤr reizende Engagements zu sorgen. Eine liebliche Oboe¬ stimme intonirte einen allerliebsten Wienerwalzer; Antoͤnchen meinte, diesen muͤsse er nothwendig mit der reizenden Albertine tanzen; er nahm daher den Muth zusammen, und fand sie gluͤck¬ licher Weise noch nicht versagt. Mit aͤngstlichem Bedauren sah sie Blauenstein nach, welcher sie eben von seiner Heimath unterhalten, und legte mit einem wahren Widerwillen ihr Marmor¬ patschchen in die duͤrre Hand des franzoͤsirten Narren, der in seinem albernen Duͤnkel meinte, er sei der Liebling aller und jeder, denen er sich nahe. Schon vorhin hatte der Pariser Unaussteh¬ lich sie mit seinen faden, nichts sagenden Witze¬ leien verfolgt, und sie oft durch seine beliebten Zweideutigkeiten erroͤthen gemacht, und jetzt fing er gar an, suͤß zu thun, und eine Menge Ge¬ waͤsch von der Kunst, hauptsaͤchlich von der Musik, herzuschwatzen, daß Tina nicht mehr wußte, was sie dem Aufgeblasenen antworten sollte. Jetzt kam das Walzen an Antoͤnchen; seine Lunge war nicht im besten Zustande, daher seine Respi¬ ration in einer hoͤchst traurigen Verfassung, und der rasche Wiener nahm ihm dermaßen die Lust, daß er seufzte und pruͤgte wie der schadhafte Ka¬ stenblasbalg einer Eisengießerei. An Unterhaltung mit seiner Taͤnzerin, die in ihrer frischen Kraͤf¬ tigkeit das bischen Herumdrehen nicht achtete, war gar nicht zu denken, und Tina war herzlich froh, als Oncle Heinrich sie mit dem Finger auf die blendendweiße Achsel tippte, und ihr in's Ohr raunte, man koͤnne wohl nun an die Tafel denken. Der unausstehliche Walzer war aus, Antoͤnchen buͤckte sich keuchend, und bot der er¬ zuͤrnten Comtesse seinen Arm; allein sie erwie¬ derte kurz, daß sie ein kleines Geschaͤft schnell hin¬ wegrufe, und ließ den Narren stehn. Tina flog in den Speisesaal; schon waren die Tafeln mit allen Gaumenherrlichkeiten besetzt, daß sie unter der Last seufzten, und an jedem Couvert schim¬ merte ein Zettel mit dem Namen der Person, welche hier sitzen sollte. Mit irrendem Auge suchte Tina Blauensteins Namen; richtig, er lag neben Huldchen, und jetzt fiel es erst der un¬ angenehm Überraschten auf, daß ihr in der Naͤhe des Saales die Geheimderaͤthin in einer gewissen Verlegenheit begegnet war. Irrte sie nicht, so hatte diese Blauensteins Namen neben den ihrer Tochter gelegt. Oncle Heinrich glaubte, die Zet¬ tel waren noch nicht recht geordnet, aber auf der andern Seite neben Blauenstein las er zu seiner Verwundrung den Namen der Tante Letty, und dachte bei sich, daß die alberne Person eigentlich ganz unten hin gehoͤre, wo sie auf die Unterhal¬ tung eines jungen Mannes nicht rechnen konnte. Tina ordnete nun die Namen nach ihrem Koͤpf¬ chen, huͤpfte hoͤchst vergnuͤgt uͤber ihr Arrange¬ ment zu den Gaͤsten zuruͤck, und reichte dem ihr freundlich entgegen tretenden Staunitz die Schwa¬ nenhand, welche dieser an seine Lippen zog. „Hast Du,“ hob Tina an, und blickte dem schoͤ¬ nen Manne in das klare Seelenauge, „hast Du auch nicht vergessen, was Du mir versprachest, mein theurer, lieber Freund? Siehst Du,“ fuhr sie fort, als Staunitz genickt hatte, und langte aus der Schneetiefe ihres von geheimer Lust be¬ benden Busens ein goldenes Medaillon hervor, „hierin soll das Heiligthum ruhn!“ Sie blickte sich um, ob niemand gelauscht habe, und bemerkte Blauenstein nicht, welcher sie laͤngst aus der Ferne beobachtet, und jetzt ganz genau sah, wie Tina aus seiner Hand eine Locke fuͤr das Medaillon empfing, welche von niemand anders, als von Staunitz sein konnte, denn hatte ihn sein Auge nicht getaͤuscht, so war sie braun gewesen, wie Staunitz Lockenkopf. So viel war gewiß, Tina blieb mit ihrem Betragen ein hoͤchst raͤthselhaftes Geschoͤpf; und er konnte das eben nicht fuͤr Nai¬ vetaͤt nehmen, wenn sie auch mit keinen buhleri¬ schen Kuͤnsten um sich warf. Blauenstein nahm sich vor, es koste auch, was es wolle, mit sich in Beziehung auf Tina in's Klare kommen zu wol¬ len. Eine zarte, silberhelle Trompete rief jetzt zur Tafel; Blauenstein suchte das augenblicklich Truͤbe seiner Stimmung zu vergessen, Staunitz fuͤhrte ihn mit freundlicher Zuvorkommenheit, welche ganz den feinen Weltmann verrieth, seiner reizenden Braut entgegen, und unter einer rau¬ schenden Simphonie suchten die durch die Trom¬ pete aufgeregten Gaͤste ihre Plaͤtze. Ungluͤcklicher Weise fand die Drostin Steinburg ihren Platz in der Naͤhe des Hofrath Wernburg, dessen bei¬ ßender Satyre sie gar nicht auszuweichen wußte; aber die Geheimderaͤthin Wandler hatte ihren Sitz dicht neben dem alten Kammerherrn, dem hecktischen Canonicus Osdorf gegenuͤber, aufge¬ schlagen, und freute sich im Voraus einer Unter¬ haltung, die nur dann von ihr geruͤhmt wurde, wenn sie ihrem giftigen Herzen Luft machen konnte. Mit geheimer Schadenfreude sah sie, daß das eitle, duftende Antoͤnchen sich neben Fraͤulein Babet umsonst bemuͤhte, durch schale Witze zu vergessen, daß ihm fuͤr den Abend die holde Gegenwart der Comtesse Albertine geraubt sei, und nahm sich nebenbei vor, von den vor¬ trefflichen Speisen auch nicht eine einzige unan¬ geruͤhrt voruͤbergehn zu lassen. „Vorhin“ begann sie grinsend, und wandte sich an den Kammer¬ herrn, welcher ungern von seiner fetten Truͤffel¬ pastete abließe, „vorhin waren wir zu oft in un¬ serm Discours gestoͤhrt; jetzt ist die Gelegenheit guͤnstiger. Was halten Sie so eigentlich von dem Maͤdchen, der Tina?“ „Englische Frau,“ erwie¬ derte der Kammerherr in einiger Verlegenheit und wischte mit der Serviette uͤber den Mund, „ich glaube, das Kind mag so uͤbel nicht sein! Daß sie an huͤbschen jungen Maͤnnern Gefallen findet, die sich ihr so zu sagen zur Auswahl praͤ¬ sentiren, wer kann darin etwas Schlimmes fin¬ den? Denken Sie an unsere Jugend, wir mach¬ ten es im Grunde nicht besser. Das arme Kind hat keine Mutter; schon dieser Grund enthaͤlt reichliche Entschuldigungen!“ „Mein Himmel!“ sagte die Geheimderaͤthin, und schien betroffen, „welche ploͤtzliche Veraͤnde¬ 5 rung der Sinnesart! Sie scherzen, Freund! Bedenken Sie, das Maͤdchen ist Braut, und thut mit dem Baron, als sei sie so frei, wie vor ihrer Verlobung mit Staunitz! Wenn dies keine Suͤnde ist, so weiß ich nicht, wie man bei jungen Maͤdchen eine aͤrgere finden kann! Ich war auch einmal jung, und Sie wissen, was mir meine Nichte Louise fuͤr Kummer gemacht mit ihrem Wesen; aber so etwas ist denn doch zu arg! Wenn ich dagegen an ihr Gustelchen denke, wie sittsam, wie haͤuslich, wie viel Zucht und Sitte; — Nein, an der Tina ist nichts; und unter uns gesagt, sie soll es in der Residenz auch ebenso gemacht haben!“ „In der That?“ keuchte der lauschende Canonicus, und bekaͤmpfte seinen verjaͤhrten Magenhusten. „Man spricht so dies und jenes! Wahrhaftig, der Oncle Heinrich ist um solch eine Nichte zu beneiden, die ihm mit so viel Huld entgegenkoͤmmt!“ „Wie verstehn Sie das?“ fragte die Geheim¬ deraͤthin rasch und dringend. „Nun,“ sagte der Canonicus kleinlaut, und blinzte mit seinen kleinen grauen Augen, „der Mann ist noch recht huͤbsch und kraͤftig; Sie kennen doch die Lisette, meiner Schwaͤgerin Kammermaͤdchen, welche fruͤher hier in Blumenau diente, die erzaͤhlte, sacre dieu , es wird einem warm bei den Gedanken! daß der chere Oncle sein holdes Nichtchen oft im Bette uͤberrascht, und gekuͤßt habe. Das sagte das Maͤdchen; das Übrige folgt leicht von selbst. Und dann, wie oft war sie nicht bei Praͤsidents, und wie es da herging, ist ja weltbekannt!“ — „Haben Sie gehoͤrt, Herr Kammerherr?“ fragte die Geheimderaͤthin triumphirend. Ich irre mich so leicht nicht, und wenn man so zwanzig Jahre in der großen Welt lebt, da kennt man zuletzt seine Leute!“ „Allerdings!“ murmelte der Kammerherr, und besah sich im goldigen Spiegel des gefuͤllten Kelch¬ glases. „Aber wo bleibt der Mantel christlicher Liebe, meine Gnaͤdige, den Sie mir neulich so angepriesen? Ha, ha ha! — Ich erinnere mich einst gelesen zu haben, die Welt sei eigentlich ein großes Mißverstaͤndniß; und ich bin uͤberzeugt, der Autor meinte hauptsaͤchlich hiermit die Welt, aus welcher Sie, meine Theure, Ihren Kummer schoͤpfen; meinen Sie nicht auch?“ 5* Aber die Raͤthin erwiederte nichts; mit einem geheimen Ärger auf sich selbst dachte sie eben daran, daß der Kammerherr zwischen des Grafen Sohn und seiner kugelrunden Tochter eine Ver¬ bindung beabsichtigte; der Graf, wie die verehr¬ ten Leser wissen, war keineswegs abgeneigt, und der Hofmann wollte sich seine Aussichten nicht verderben. Sein wohleingerichteter Appetit hielt ihn auch fuͤr jede Unterhaltung schadlos, und mit einem ungewoͤhnlichen Wohlbehagen uͤberrechnete er bereits seiner Tochter kuͤnftiges Gluͤck, sah im Voraus die hoͤchst zufriedenen Mienen seiner Glaͤu¬ biger, und sich in einer glaͤnzenden Wohlhabenheit schon als Oberkammerherr. — Anders sah es bei Blauenstein aus; es war ein ploͤtzlicher Ernst uͤber ihn gekommen, und alle froͤhlichen Scherze seines Nachbars Staunitz vermogten ihn nicht zu bannen. Er hatte an seinen Vater geschrieben, wo er sich aufhalte, und was eigentlich der Grund seines Verweilens in Blumenau sei. Mit einer gewissen Ängstlichkeit gedachte er seines Vaters, und gab sich selbst das Versprechen, seinen Aufent¬ halt, moͤge er auch noch mehr Reize darbieten, wo moͤglich abzukuͤrzen. Tina war die Ausge¬ lassenheit, die frohe, heitere Laune selbst; Blauen¬ steins Ernst schien ihr wahrhaft Spaß zu machen, und sie unterließ nicht, ihn auf alle und jede schlaue Art damit aufzuziehn. Es war ihm jetzt unmoͤglich, dem Maͤdchen gram zu sein; wo er noch vor Kurzem Verstellung, Koquetterie, Gefall¬ sucht, und wer weiß, was noch alle! gesehn, erblickte er jetzt nur gefaͤllige Natuͤrlichkeit, unbe¬ fangene Liebenswuͤrdigkeit; und dann durfte er ja auch wahrhaftig ihr dankbares Herz nicht ver¬ gessen. Wer des Vaters Leben, wenigstens seine gesunden Glieder rettete, hatte gewiß Anspruch auf der Tochter Freundschaft. Und ihre Verlo¬ bung? — nun ja, das war freilich dumm, recht ungelegen, und vielleicht die Quelle alles Kummers, der den jungen Mann quaͤlte und noch quaͤlen sollte; aber sie liebte ihren Braͤutigam herzlich, mit so viel kindlicher Anhaͤnglichkeit; nein, mit einem Worte, Tina war und blieb ein hoͤchst liebenswuͤrdiges Geschoͤpf, nur Schade, ewig Schade, daß ihm das Himmelskind auf immer verloren war! „Aber mein Himmel,“ unterbrach Staunitz seines Nachbars Betrachtungen, „warum sind Sie immer so ernst, so in sich zuruͤckgezogen, lieber Baron? Lassen Sie uns,“ fuhr er fort, und sah Blauenstein tief in's Auge, als gelinge es ihm jetzt, sein Herz zu ergruͤnden, „lassen Sie uns zu den Glaͤsern fassen! Der Wein macht froͤhlich, er ist freundlichen Hoffnungen guͤnstig und der Liebe!“ „Freundlichen Hoffnungen?“ fragte Blauen¬ stein, und sah Staunitz laͤchlend, aber wehmuͤthig an. „Nun ja, der Hoffnungen sind verschiedene, wer sie beloben darf, dem fehlt keine Sicherheit; aber auf mich kann es keine Anwendung leiden; meine Erwartungen vom Leben, vom Gluͤck sind nicht hoch gespannt. Und lieben kann man nur einmal wahrhaft; nur einmal erschließt sich dem Geweihten des Himmels Klarheit, und er empfaͤngt den Kranz, der seine Stirne zieren soll! Oft tritt ein neidischer Zufall kalt und tuͤckisch zwischen das Gluͤck und das liebende Herz!“ „Sie sprachen tief aus meinem Herzen, mein Freund,“ erwiederte Staunitz, und druͤckte Blauen¬ steins Hand mit Feuer, „und ihre Gesinnungen machen Ihnen Ehre. Aber die Zukunft ist fuͤr unser kurzsichtiges Auge nicht geschaffen!“ Blauenstein nickte Beifall, sah dem Zersprin¬ gen der feinen Blaͤschen in seinem Glase zu und sog das duftige Aroma des koͤstlichen Weines ein; aber Tina schien unzufrieden uͤber der jungen Maͤnner ernstes Gespraͤch, und fragte, ob es denn auch erlaubt sei, solchen Betrachtungen zu dieser Zeit Raum zu geben? „Ich glaube,“ fuhr sie heiter fort, und nahm eine Messerspitze Himmbeer¬ gelee in den kleinen Rosenmund, „ich glaube, es ist an der ganzen Tafel niemand, der sich mit wahrhaftem Ernste befassen moͤgte. Hoͤren Sie um des Himmels Willen diesen Laͤrm, kaum daß die Musik unser Ohr erreicht. Aber sehn Sie, dort koͤmmt der wahre Genius der Freude!“ Blauenstein sah vom Teller auf, und erblickte die hin und her springenden Bedienten mit den Champagnerflaschen, deren tobender Geist empor spritzte, und die Glaͤser schaͤumend uͤberlief. Den Damen entfuhr ein kleiner Schreckensschrei, sie fuͤrchteten fuͤr ihre Toilette, und streckten doch die zarten Haͤnde nach dem ungestuͤmen Kreidewein aus, um mit den lustigen Nachbarn mit den klappernden Lilienglaͤsern anzustoßen. Tina cre¬ denzte Blauenstein ein volles Glas, und nippte vorher ein wenig mit dem wuͤrzigen Rosenmunde; er aber faßte ihre bebende Hand, und stuͤrzte den Wein auf ihr Wohl eilig hinunter. „Weshalb so ungestuͤm, so rasch?“ fragte sie den geistig Berauschten. „Sie sind wie der Wein, den Sie trinken!“ „Die Freude, die der Himmel uns zumißt, ist kurz fuͤr die verlangende Brust. Aber dem Weine gilt dieser Eifer nicht!“ sagte Blauenstein mit Bedeutung, und zog fast seiner unbewußt Tinas Hand an seine brennenden Lippen. Das Desert war herumgereicht, und wurde zum Theil von den Übersatten verschmaͤht; da toͤnte vom Orchester ein herrlicher Cotillon, und die Tanz¬ lustigen stuͤrzten hinter den Stuͤhlen hervor, suchten nach ihren Schoͤnen, und eilten, vom Weine mit Muth beseelt, in den Tanzsaal. Wie der Wind stand Antoͤnchen an Tinas Seite, und buͤckte sich tief, und bat um den Goͤttertanz. Aber sie war an Blauenstein versagt. „Das ist mir doch zu arg! dachte der Beleidigte bei sich, und zog nun mit freundlich fletschender Miene ab. „Sie muͤssen sich schon entschließen,“ sagte das kleine Luͤgen¬ kind erroͤthend zu Blauenstein, „und diesen Tanz mit mir tanzen; es war mir unmoͤglich, dem unausstehlichen Narren meine Hand zu reichen, der mir mit seiner Gemuͤthsleere, wie mit seinem faden Pariser Witze, der nicht einmal aͤcht ist, immer verhaßter wird!“ Blauenstein war von dieser Offenheit, diesem Vertrauen entzuͤckt, und huͤpfte an der Hand des angebeteten Maͤdchens zu dem sich bildenden Kreise des beliebten Tanzes. Aber die Freude sollte nicht lange dauren; kaum war die erste Haupttour beendigt, als ein donnernder Kanonen¬ schlag ein brillantes Feuerwerk verkuͤndigte, das jetzt mit einigen, bis in das tiefste naͤchtliche Blau des Himmels aufrauschenden, Racketen begann. Der Tanz war wie auf ein Kommando¬ wort zerstreut, die aͤltern Personen suchten sich an den hohen Fenstern des geraͤumigen Saales einen guͤnstigen Platz, aber die juͤngern eilten am Arme ihrer Taͤnzer oder Anbeter hinab in den Park, und ergoͤtzten sich an dem zischenden Spruͤh¬ regen der bunten Feuerraͤder, welche das glaͤn¬ zende Schauspiel der kommenden Feuerherrlich¬ keiten lustig begannen. Blauenstein war mit Tina an das Ufer des Sees getreten, wohin ihm Staunitz mit Oncle Heinrich folgte. Der letztere war entzuͤckt uͤber sein gelungenes Werk, und machte die jungen Leute auf ein kleines Fahr¬ zeug aufmerksam, das mit einem Male im bun¬ testen Brillantfeuer stand. Lauter Oh's und Ah's schallten von allen Seiten; blaͤulich schimmernde Leuchtkugeln fuhren lautlos durch die heitre Nacht¬ luft, und erhellten die Ufer, an die sich ein Theil der Gaͤste herangewagt hatte, bis ein prasselnder Schwaͤrmertopf die Neugierigen mit Blitzesschnelle zerstreute. Da krachte ploͤtzlich das Schiff, daß die Wellen an seinen Blanken hinaufschlugen, und in der Mitte des Mastes schimmerten wie Sterne die Worte: „Treue Liebe,“ auf einem Transparente, das nach wenigen Minuten sammt dem Schiffe in lodernde Flammen aufging, die wunderbar im Wasser wiederglaͤnzten, als habe sich die Fluth in ein Feuermeer verwandelt. Jeder deutete sich die erwaͤhnten Worte nach seiner Weise; aber Staunitz zog die geliebte Tina an seine Brust, und eine Thraͤne inniger Ruͤh¬ rung glaͤnzte in den Augen beider Liebenden. Blauenstein hatte keinen Sinn mehr fuͤr die Herrlichkeiten der Feuerwerkerkunst; es war ihm, als sei mit dem Verloͤschen des blauen Sterns an den Wimpeln des durch die Flammen absicht¬ lich verzehrten Schiffs auch der Stern seines Lebensgluͤckes untergegangen in die finstere Tiefe unseliger Verhaͤltnisse. Umsonst bemuͤhte sich Oncle Heinrich seine Feuerwerkstheorie dem weh¬ muͤthigen jungen Freunde zu entwicklen; er warf noch einen Blick auf den Laͤrm und die bunte Funkenpracht der Drehsonnen, Knallcapricen. Gi¬ randolen, Bomben mit blauen Sternen, Feuer¬ kastanien und alle die gedraͤngt voruͤberschwebenden Herrlichkeiten, und war im Begriff, sich nach dem dunklen, lautlosen Lustwaͤldchen zu wenden, als Staunitz mit Oncle Heinrich zu ihm trat, und letzterer ihm sagte, es sei ein Fremder vor einer Stunde angekommen, welcher ihn, als Blauenstein, dringend zu sprechen verlange. „Der arme Teufel,“ sagte Heinrich und faßte Blauen¬ steins Hand, „der arme Teufel war sehr ermuͤdet, und haͤtte ich ein Wort von einem fremden Boten fallen gelassen, so waͤre mein Schiffchen sammt dem ganzen Feuerwerke verloren gewesen. Der Henker weiß, ob Sie etwas gemerkt haben, Sie thaten kaum auf meine Kunstsachen einen Blick, und nun ziehen Sie hin in Frieden zu dem eili¬ gen Manne, der bestimmt gute Bothschaft bringt!“ Blauenstein war erschrocken; er dachte an seinen Vater, an seine Heimath. Gott, wenn der erstere ploͤtzlich gestorben, wenn irgend ein anderes Ungluͤck vorgefallen waͤre! Er lief in aller Eile nach dem Schlosse zuruͤck, und suchte nach einem Domestiken, der ihn zu dem Fremden fuͤhre. Aber das Feuerwerk hatte die gesammte Dienerschaft hinaus in's Freie gelockt, nur des Fraͤuleins Kammermaͤdchen war zuruͤckgeblieben, und versicherte ganz unaufgefordert, sie koͤnne das infame Schießen nicht vertragen und das ewige Knallen der Feuerraͤder, da waͤre sie noch im Hause, und wolle eben dem fremden Herrn eine Erfrischung holen. 4. Die Bothschaft. Voll banger Erwartung trat Blauenstein, von dem Kammermaͤdchen geleitet, in des Frem¬ den Zimmer. Seine Ahnung hatte ihn nicht ge¬ taͤuscht, es war seines Vaters getreuer Secretair. „Erschrecken Sie nicht, Herr Baron,“ hob dieser an und trat Blauenstein mit milder Freundlichkeit entgegen. „Vor allen Dingen muß ich Ihnen sagen, wie ich mich Ihrer Zuruͤckkunft von der langen Reise freue, der Ihre koͤrperliche Ausbildung viel ver¬ dankt, denn ich finde manche vortheilhafte Ver¬ aͤnderung!“ „O, lassen wir jetzt dergleichen, lieber, guter Blum,“ entgegnete Blauenstein dringend, „sagen Sie mir vielmehr schnell heraus, was Sie so ploͤtzlich zu mir fuͤhrt. Mein Vater hat doch meinen Brief empfangen? —“ „Allerdings,“ nahm Blum mit einem Seufzer das Wort, „das hat er. Der gute Herr ist krank, was soll ich es laͤnger verhelen, aber ich hoffe, nicht gefaͤhrlich. Unterbrechen Sie mich nicht, junger Herr, ich werde gleich am Ende meines Berichtes sein, und wir haben beide große Eile. Schon kurz vor Empfang Ihres Briefes klagte der gute Herr uͤber eine Laͤhmung in seinem Koͤrper, und er sagte, es sei gewesen, als wenn mit einem Male alle Nerven zusammengezuckt seien, und als haͤtte es wie in einem langgehalte¬ nen, sonderbaren Tone vor dem Ohre geklungen. Sie kennen seine Vorliebe fuͤr die Musik, und ich schob auch hierauf die sonderbare Erscheinung; aber die Ärzte meinten doch, es waͤre eine Art Schlagfluß gewesen. Nun kam Ihr Brief, mein lieber junger Herr; er mogte einen freudigen Eindruck aͤußern, denn Ihr Herr Vater verlangte sehnlichst nach Ihnen, fast in demselben Grade, als sein Übelbefinden stieg. Blum, sagte er zu mir am Morgen, Sie muͤssen mir den August schaffen, ich werde immer schwaͤcher und schwaͤcher, und fuͤhle, daß meine Stunde bald schlagen wird. Auf alle Weise redete ich dem guten Herrn solche finstern Gedanken aus, ließ den Reisewagen an¬ spannen, und fuhr Tag und Nacht. Mit Nerven¬ zufaͤllen ist kein Spaßen; daher halte ich es fuͤr nothwendig, daß wir Blumenau so schnell wie moͤglich verlassen, und wenn es irgend angeht, noch in dieser Nacht!“ Blauenstein war keines Wortes maͤchtig, er druͤckte die Hand des ehrlichen Blum, winkte ihm, im Zimmer zu bleiben, und eilte hinaus in's Freie. Das Feuerwerk war zu Ende; die be¬ friedigten Zuschauer suchten den verlassenen Tanz¬ saal wieder auf; auch Tina trat, in ihren Shawl gehuͤllt, Blauenstein laͤchlend entgegen, und fragte, ob der Cottillon noch ausgefuͤhrt werden koͤnne. Er hatte sich ein wenig erholt, und erwiederte auf Tinas Frage, was ihm sei, denn eine Todten¬ blaͤsse habe sein Gesicht uͤberwogen, und sein Auge schwimme in Thraͤnen, daß er eine ploͤtzliche Trauerbothschaft erhalten. „Mein Vater,“ fuhr er mit wankender Stimme fort, „liegt vielleicht schon jetzt in seinen letzten Zuͤgen; er verlangt nach seinem Kinde, und ich habe auf keiner Stelle Ruhe mehr. Ich muß fort, verstatten Sie mir, daß ich Ihnen, den theuren Ihrigen danke fuͤr die mir erwiesene herzliche Aufnahme!“ — Wei¬ ter vermogte Blauenstein nicht zu reden, ein Strom von Thraͤnen erstickte seine Stimme, und er oͤffnete, um sich der Aufmerksamkeit der Vor¬ uͤbergehenden zu entziehn, das erste, beste Zimmer, und dachte nicht daran, daß er sich in Tinas kleinem Heiligthum befinde. Das erschrockene Maͤdchen war ihm gefolgt, und seinen Mißgriff gewahrend, erhob er sich eben so schnell von dem Sessel, auf den er sich niedergelassen, und zog Tinas Hand an seine fieberisch brennenden Lippen. „Entschuldigen Sie mich, Comtesse,“ hob er an, „haben Sie Nachsicht mit mir. Ich liebe meinen Vater uͤber Alles, aber ich sehe auch noch andern Verlusten entgegen, die mich tief schmerzen! Um Ihre Liebe zu werben, ist mir nicht vergoͤnnt; aber ich habe vielleicht einen kleinen Anspruch auf Ihre Freundschaft. Jetzt leben Sie wohl, entschuldigen Sie mich bei Ihrem Herrn Vater und den uͤbrigen Verwandten, und wenn ich noch um etwas bitten darf, so ist es das, mir zuwei¬ len einen Augenblick freundlicher Erinnerung zu schenken!“ Tina war zu sehr uͤberrascht von dem ploͤtz¬ lichen Ereignisse, als daß sie einer ruhigen Er¬ wiederung faͤhig gewesen waͤre. Sie ließ ihre Hand in der ihres Freundes ruhn, sie war es sich kaum selbst bewußt, daß er sie an seine Brust zog und ihre Stirn mit einem leisen Kusse be¬ ruͤhrte. Ist es denn ein boͤser Traum, daß er wirklich fort will, ist es Wirklichkeit? diese Fragen durchkreuzten sich in ihrem Koͤpfchen, und erst als Blauenstein zum letzten Lebewohl ihre Hand ergriff, und eine Thraͤne sich in sein Auge stahl, vermogte sie wieder zu reden, und sich gefaßt und ruhig uͤber die Sache zu aͤußern. „Warum diese Eile, mein Freund?“ fragte sie mit dem zarten Wohl¬ laut ihrer Stimme, und sah dem jungen, schoͤnen Manne mit milder Freundlichkeit in die in Thraͤnen halb schwimmenden Augen. „Ich weiß, was es heißt, einen Vater krank zu wissen, und ein guter Sohn wird nicht vom Himmel gestraft werden durch einen herben Verlust; aber warten Sie den morgenden Tag ab, und gelangen Sie zu gehoͤriger innerer Ruhe. Ihr Auge brennt fieberisch, Sie sind selbst krank, und duͤrfen nicht so ohne Schonung mit sich umgehn!“ „Ihre Worte buͤrgen mir fuͤr Ihr Wohlwollen, mein Fraͤulein,“ entgegnete der aͤngstlich Bedraͤngte, „aber mich rufen heilige Pflichten! Um eins wage ich noch zu bitten, gewaͤhren Sie mir ein kleines Angedenken!“ Tina erroͤthete; aber schnell entschlossen eilte sie an ihren Arbeitstisch, nahm aus einem Schub¬ fache eine reichgestickte Brieftasche, und legte sie in Blauensteins Hand. Im naͤchsten Augenblick war er verschwunden, und sie sank wie erschoͤpft auf die weichen Polster ihres Sophas. — — Der alte Martin flog mit einem andern Die¬ ner in Blauensteins Zimmer; er selbst half seine zerstreuten Habseligkeiten zusammenlegen und ein¬ packen, und verwahrte das eben erhaltene theure Geschenk auf seiner Brust. Der Wagen stand vor der Thuͤre, Oncle Heinrich dicht dabei. Er hatte vom Secretair Blum das Naͤhere erfahren, und bedauerte herzlich, daß er den jungen Freund so schnell verlieren sollte. „Versprechen Sie mir,“ fuhr er fort, „uns in dem stillen, abgelegenen Blumenau recht bald wieder besuchen zu wollen, Blauensteinchen, und zwar auf einige Wochen, nicht auf Tage, wie diesmal. Übrigens wird sich mein Schwager verdammt wundern, wenn er morgen hoͤrt, daß Sie ausgeflogen sind. Aber es ist gut so; Sie haben Eile, und er machte nur noch laͤngern Aufenthalt! — Nun, Gott be¬ fohlen; der Himmel gebe, daß Sie Ihren Papa frisch und gesund antreffen! — — “ Heinrichs Worte verhallten im Wehen der scharfen Nachtluft; im Saale ertoͤnte hell und lustig ein froͤhlicher Walzer, halb vom Winde verschlungen, durch die angelaufenen Fenster sah man die rasch vorbeischwebenden, froͤhlichen Tanz¬ paare, aber Blauensteins Wagen rollte in der raschesten Eile durch die rauschende Lindenallee 6 in die duͤstere Nacht hinein. Der Secretair Blum war im hoͤchsten Grade ermuͤdet; ein mitleidiger Schlaf wiegte ihn in eine ununterbrochene Ruhe, die nur Blauenstein selbst nicht hold war. Die Ereignisse der letzten Tage, die vor wenigen Stunden erhaltene Trauerpost durchkreuzten sich in seinem Kopfe; er schloß in finsterer Wehmuth die Augen, und warf sich in die weichen Leder¬ kissen seines Wagens. 5. Liebespein . Tina wuͤnschte nichts sehnlicher, als der Ball moͤge zu Ende sein. Sie uͤberlegte hin und her, ob sie sich der Gesellschaft entziehen koͤnnte; sich krank melden, das war zu gewagt, denn noch kaum war sie gesund wie ein Fischchen im Saale herumgehuͤpft; irgend etwas anderes vorwenden, war auch nicht raͤthlich, denn die giftige Verlaͤum¬ dung brachte sie dann in's Gerede mit dem Baron, der bereits viel zu viel Liebhaberinnen gewonnen hatte. Also das Beste blieb auf jeden Fall, in den Saal zuruͤckzugehn, zu tanzen, und zu thun, als sei in der Welt nichts vorgefallen. Schlau¬ koͤpfchen glaubte auf diese einfache Weise Alles recht wohl uͤberlegt und bedacht zu haben, wie ein Feldherr; und erhob sich daher vom weichen Sitze, um die Operationen schleunigst zu beginnen, weil keine Zeit zu verlieren war: da trat Tante Letty mit einem Gesicht in das Zimmer, auf welchem Ärger, innerer Unwille und heftige Bit¬ terkeit kaͤmpften. „Sage um des Himmels Willen“ hob sie an, und trat dem erschrockenen Maͤdchen ganz nahe, als wolle sie recht Gefaͤhrliches unternehmen, „sage um des Himmels Willen, wo Du bleibst? Der Hofrath, die Steinburg fragten drei, viermal nach Comtesse Albertine; der gutmuͤthige Anton, der Deinen wahrhaften Grobheiten eine englische Geduld entgegensetzte, desgleichen, weil er mit Dir engagirt zu sein vorgiebt, aber wer sich nicht sehn laͤßt, ist die hochweise, die superkluge Tina! O mein Schaͤfchen, wir kennen Deine Wege und Deine Schliche! Denn kaum war der Baron Blauenstein in unser Haus getreten, als Du auch wie versessen nicht von des Menschen Seite wichst. Und nun gar heute! Es war ja wahr¬ haftig kein Auseinanderkommen, als waͤret Ihr beide die Hauptpersonen, alle die uͤbrigen nur zu 6 * Eurem Amusement! Was mag der feine junge Mann von Dir denken, wie mag Staunitz Glaube an Dich gesunken sein!“ „Tante!“ unterbrach Tina die Zuͤrnende, und sie bebte am ganzen Koͤrper, „maͤßigen Sie sich in Ihren Ausdruͤcken; an dem Allen, was Sie in Harnisch bringt, ist kein wahres Wort. Blauenstein ist ein zu edler Mensch, als daß er von meiner Aufrichtigkeit Übles denken sollte!“ „O, erschrecklich edel!“ fiel Letty ihr spoͤttisch in die Rede. „Unsere jungen Herren, und edel, das ist ein laͤcherlicher Widerspruch; denn das Volk nimmt mit, wo etwas zu finden ist. Ohne¬ hin ist dies Nebensache, und ich habe des Men¬ schen Parthie schon anderwaͤrts genommen; aber von Dir spreche ich; Du bist um Deinen Ruf, wenn Dein Betragen in der Umgegend, und in der Residenz bekannt wird! Denn auffallender ist mir auch noch keins vorgekommen! Heute Abend bei der Tafel machst Du eine Menge eigenmaͤch¬ tiger Änderungen, verlegst die Namen, und pflanzest Dich mir nichts, Dir nichts neben den Blauen¬ stein, sprichst, tanzest mit beinahe niemand, als nur mit ihm! Eine Braut, und solch ein Be¬ tragen, Pfui, schaͤme Dich!“ „Sie verstehn es,“ entgegnete Tina in einem ruhigen Tone, als die Tante in ihrer Eiferrede still stand, „Sie verstehn es, sich in meiner Ach¬ tung zu befestigen, indem Sie auf eine mir jetzt sehr auffallende Weise ihre Eifersucht zeigen! Glauben Sie etwa, daß der Baron an Ihrer Seite lieber gesessen, als an der meinigen? — Ich zweifle beinahe. Und was Staunitz betrifft, so hat er in meinem Betragen nichts Anstoͤßiges gefunden, das zeigt mir seine Freundlichkeit, seine Liebe. Was aber die elenden Menschen aus der Residenz belangt, den Narren, den Anton, sammt seiner hochfahrenden Mamma, so gilt mir deren Meinung ganz gleich, das moͤgen Sie ihr selbst sagen, wenn es beliebt! Ich sollte uͤberdieß auch meinen, ich sei zu sehr Herrin meiner Handlun¬ gen, als daß Sie sich berufen fuͤhlen koͤnnten, meine Hofmeisterin zu spielen; aus den Kinder¬ jahren bin ich heraus, und ich verbitte mir solche beleidigenden Äußerungen, wie Sie sich dieselben auf meinem Zimmer erlauben, das ich doch zu jeder Zeit gern fuͤr mich zu behalten wuͤnsche!“ Das hatte Tante Letty nicht erwartet. Sie trat einige Schritte zuruͤck, und fragte kleinlaut: „Also zieht es die gnaͤdige Comtesse wohl vor, auf ihrem Zimmer zu bleiben? Dies entspricht meinen Wuͤnschen, und ich befehle Dir hiermit, es vor Morgen nicht wieder zu verlassen!“ „Diesmal kann ich leider nicht Folge leisten,“ sagte Tina kurz und mit Ruhe; „ich finde es dem Anstande gemaͤß, sogleich in den Tanzsaal zuruͤckzugehn!“ „Untersteh es Dir! rief Letty ganz in Wuth, und die kleinen Augen spruͤhten Flammen. „Noch bin ich die Schwester des Grafen, Deines Vaters, und habe ein Wort zu reden!“ Aber Tina warf ihren Shawl um, meinte, sie moͤge sich nicht zur Unzeit erhitzen, und stand nach wenigen Secunden mit dem unausstehlichen Antoͤnchen in den Reihen der Tanzenden. Er suchte, wie immer, nach Witzen, aber Tina ant¬ wortete so kurz und so bestimmt, daß er Gott dankte, als die Musici Halt machten, und klagte der Mamma Drostin sein ausgemachtes Malheur fuͤr heute, denn die schoͤne Comtesse Albertine sei auch gar zu kurz und empfindlich. Dem Hof¬ rathe erging es nicht viel besser; er wollte uͤber den armen Blauenstein seine Sarcasmen aus¬ streuen, und spielte entfernt, aber bitter, auf Blauensteins Artigkeiten gegen sie, so wie auf die freundliche Gunst an, welche sie ihm geschenkt! aber hier hatte er seine Meisterin gefunden; Oncle Heinrich, welcher nicht weit davon stand, und vom Gespraͤch nichts verloren hatte, freute sich innerlich uͤber seines Lieblings festen, bestimm¬ ten Charakter, und trat nach beendigtem Tanz ihr mit der Frage naͤher, was sie eigentlich so verstimmt habe. „Ich habe eben,“ fluͤsterte Tina ihm leise in's Ohr, „ich habe eben mit Letty einen unangenehmen Auftritt gehabt, der mich aͤrgert; aber unter uns, Onkelchen!“ „A ha!“ sagte Heinrich, und faßte zutraulich die Hand des reizenden, Kindes, „das heißt so viel, als ein eigentlicher Zank, nicht wahr? — Laß nichts auf Dir sitzen, ich kenne die alberne Naͤrrin; und wenn sie Dir zu nahe treten will, so hat sie es mit mir zu thun! Hoͤrst Du, Tinchen?“ — Tina nickte freundlich, und sah sich gezwungen, mit der alten Drostin Steinburg in einer ihr hoͤchst laͤstigen Conversation, denn sie betraf nie¬ mand anders, als den Pariser Goldsohn, den Saal einigemal auf und abzuwandeln. Es war ihr unbegreiflich, wie die Frau ihren alten Plan, sie, als Tina, mit dem einfaͤltigen Anton zu ver¬ binden, nicht aufgeben wollte, da Tinas Verlo¬ bung mit Staunitz weltbekannt war. Glaubte sie vielleicht fuͤr ihren Sohn mehr erwarten zu duͤrfen, oder hatte sie gar, — nein, das war unmoͤglich, rein unmoͤglich; und wie sollte die Alte auch dazu kommen! — Am Besten war es, gegen die Drostin und Consorten freundlich und zuvorkommend zu bleiben, weil mit boͤsen Maͤu¬ lern nicht zu spaßen ist; gegen des Vaters etwai¬ gen Unwillen, wenn Tante Letty plauderte, setzte sie kindliche Ergebenheit und zaͤrtliche Liebe, welcher der Vater nie widerstand, gegen die Tante aber Kaͤlte und abgemessenes Betragen, und gegen alle uͤbrigen, mogten sie reden, was sie wollten, eine große Gleichguͤltigkeit. Daß diese in vielen Verhaͤltnissen oft unertraͤglich sei, und mehr schmerze, als laute Verantwortung, wußte Tina Schlaukoͤpfchen recht wohl, und nahm sich fest vor, von ihrem strategischen Plane nicht ab¬ zuweichen. Nur vor Allem ein Angriff mit der leichten Reiterei zaͤrtlichen Zuvorkommens auf des Herrn Papas Herz, dann ging es mit schwerem Geschuͤtz auf Tante Letty los. Der Feinde wurden vielleicht viel, das sah sie kommen; aber nur sich nicht mit allen auf einmal geschlagen, das verdarb die Schlachtordnung, einzeln lieber, und zwar mit Nachdruck. — Der Mond war endlich aufgegangen; die Gaͤste hatten bis auf einige, welche in Blumenau bleiben wollten, auf diesen freundlichen Gefaͤhrten der Nacht sehnsuͤchtig gewartet, und bestellten ihre Wagen. Tina sagte gern den Scheidenden ein Lebewohl, denn sie hatte fuͤr heute das ewige Treiben herzlich satt; er war ja nicht mehr da, und Staunitz hatte sein Zimmer aufgesucht. Sie huschte ehe man es sich versah in ihr bluͤthen¬ weißes Bettchen, tanzte die herrliche Polonaise mit Blauenstein in Gedanken noch einmal durch, huͤllte sich recht dicht in die waͤrmende Decke, und schlummerte nach gewohnter Weise in die gluͤck¬ lichsten Traume hinuͤber! Die freundliche Herbstsonne schien bereits recht hoch in Tinas lauschiges Cabinet, als die kleine Langschlaͤferin erwachte. Sie hatte sich die Baͤck¬ chen ganz roth geschlafen, und mußte uͤber sich selbst lachen, als der erste Blick ihrer hellen Lie¬ bessterne in den deckenhohen Spiegel fiel, und ihr Kammermaͤdchen mit der Meldung hereintrat, daß so eben der Rest ihrer Gaͤste abgereis't sei. Sie war herzlich froh, der Last dieser platten Menschen uͤberhoben zu sein, und ließ durch die kunstgeuͤbte Lisette langsam ihre Toilette vollenden. Jetzt hinauf zum Vater zu gehn, und den Ope¬ rationen der gereizten Tante Letty zuvorzukommen, hielt sie nicht fuͤr raͤthlich, und nahm sich fest vor, so unruhig auch das kleine Herz unter dem Schneebusen klopfte, sich den Vormittag uͤber allein auf dem Zimmer zu beschaͤftigen. Sie oͤffnete mit einem etwas verdrießlichen Gesichtchen den eleganten Buͤcherschrank, waͤhlte und waͤhlte, und setzte sich endlich am Fenster zum Lesen nieder. Aber das war Alles zu lau, langweilig und breit, also mit dem Buche nur sogleich wieder in den Schrank hinein bis auf andere Zeiten. Im verwichenen Sommer hatte sie ein Blumenbouquet zu malen angefangen; sie ließ sich von Lisetten reines Tuschwasser herbeiholen, und rieb die Farben auf. Aber das war nicht zum Aushalten, die Pinsel wollten nicht schließen, und die Farbe war kruͤmlich und unrein. Blauen¬ stein war auch ein geuͤbter Maler; er hatte oͤfter mit ihr uͤber die Kunst geredet, er schwebte vor ihrem Auge, aus jeder Rosenknospe ihres Bou¬ quets schien er herauszuschauen, und nun war an ein ruhiges Ausfuͤhren der freundlichen Bluͤthen¬ kinder nicht mehr zu denken. Also ebenfalls weg damit; ohnehin schmerzten die Augen ein wenig vom gestrigen Ballstaube und vom langen Schlaf, und da durfte man ihnen eine solche Anstrengung nicht zumuthen. — Lisette trat wieder ein, und brachte ein Packet, welches der Postbote gestern aus der Stadt geholt hatte; es enthielt die neusten Musikalien, und zugleich die Auffor¬ derung, am Pianoforte zu versuchen, was eigentlich an den Saͤchelchen sei. Mein Gott, wie hatte sich das Instrument ploͤtzlich verstimmt! Wahr¬ scheinlich war die ungewohnte Ofenwaͤrme daran schuld, denn seit einigen Tagen hatte man wieder eingehitzt; und das vertrug die gute Stimmung nicht. Die Guittarre; nein, es war ordentlich darauf abgesehn, sie zum Besten zu haben, denn es waren doch nicht weniger, als drei Saiten gesprungen, und jetzt neue aufzuziehn, war eine gar zu langweilige Sache. Der kleine allerliebste Amor auf der Spieluhr unterm Spiegel legte seinen Pfeil auf den Schleif¬ stein, und nachdem er elfmal darauf gedruͤckt, und die silberhelle Glocke dieselbe Stunde angegeben, meinte Tina, es sei unverzeihlich an einem hellen Tage im Zimmer zu sitzen und Gedankenspaͤne zu schnitzen, wenn gleich es ihr beduͤnken wollte, als habe der kleine Cupido auf der Uhr wirklich den nadelspitz geschliffenen Pfeil an seine eigentliche Adresse gefoͤrdert. Sie druͤckte die kleine Hand auf die Schwanenbrust, sann ein wenig nach, ließ sich von der schlaͤfrigen Lisette einen Überrock bringen, und eilte in den Park hinab. In der Allee begegnete ihr Oncle Heinrich, fragte nach dem Befinden mit gewohnter Freundlichkeit, und schlug ihr vor, ob sie mit nach dem Vorwerke fahren wolle; er muͤsse sogleich hinuͤber und da sei ihm seines Tinchens Gesellschaft recht erwuͤnscht. Das war ihr sehr willkommen; in Blumenau kam es ihr heute auch gar zu langweilig und eintoͤnig vor, und dann war sie auch so lange nicht in dem reizenden Wiesenbrunn, so hieß das Vorwerk, gewesen. Sie sagte recht freundlich zu, und der Oncle versprach in wenigen Minuten mit dem Wagen bereit zu sein. Im Freien, beson¬ ders in dem Waͤldchen am See, der sich nach Wiesenbrunn herunter zog, war es so lauschig, so zu freundlichen Erinnerungen einladend; da konnte sie recht ungestoͤrt an Blauenstein denken, und sich die Zukunft ausmalen. Und wie er¬ quickend war nicht ein Luftbad nach einem durch¬ schwaͤrmten Abend, besonders wenn das Blut so unruhig durch die Adern wogte, wie gerade jetzt. Also schnell mit Heinrich fort! — 6. Das Geheimniß . „Sag einmal, Tinchen,“ hob der Oncle an, und ermahnte die Gaule zur Eile, „wie hat Dir so eigentlich unser glaͤnzende Ball gefallen?“ „Sehr gut,“ erwiederte Tina unbefangen, bis allenfalls auf einige Scenen, welche durch ver¬ schiedene gewisse Gaͤste zu wahrhaft peinlichen wurden. Mir ist z. B. die alte Drostin mit Antoͤnchen von je unausstehlich gewesen, und was die giftige Schwaͤtzerin, die alte Geheimderaͤthin betrifft, so kann ich nicht sagen, daß ich mich gern an sie erinnere.“ „Brav! Tinchen, so mag ich Dich gern hoͤren;“ nahm Heinrich das Wort, „mir waren diese Menschen mein Lebenlang zu¬ wider. — Aber, was ich sagen wollte, Du hast ja mit Vetter Staunitz im Ganzen so wenig ge¬ tanzt und geredet? Ist denn zwischen Euch etwas vorgefallen?“ „Nicht das Mindeste!“ entgegnete Tina. „Was koͤnnte das auch sein? Überdies mag ich es nicht leiden, wenn Verlobte in Gesellschaften und an dritten Orten immer und ewig bei einan¬ der sitzen und stehn, mit niemand beinahe reden, als nur unter sich, und dergleichen Possen mehr. Ist es ein Wunder, wenn man jetzt von so vielen ungluͤcklichen Ehen hoͤrt? Die Leute werden sich vor der Zeit zu laͤstig, sie vermoͤgen das gegen¬ seitige Interesse nicht mehr zu erhalten, und nach und nach erschlafft das Band, das sie zusammen¬ halten sollte.“ „Du sprichst ja wie ein Buch!“ sagte Heinrich, und schien mit Tinas Grundsaͤtzen nicht ganz zufrieden. „Aber Du scheinst auch ein wenig zu uͤbertreiben. Ich muß Dir gestehn, mir kam es beinahe vor, als habest Du Vetter Staunitz einen Theil Deiner Liebe entzogen. Sitzt Dir etwa der schoͤne Blauenstein im Kopfe? He?“ „Wie kommst Du auf diesen, lieber Oncle?“ sagte Tina mit einem leisen Erroͤthen, und sah nach einer Schaar wilder Enten, welche sich uͤber dem See ausbreitete. „Es bleibt uns Allen ein interessanter Mensch, dem wir sehr verpflichtet sind; was koͤnnte mich auch sonst zu seiner Freun¬ din machen, als der Dienst, den er meines Va¬ ters Gesundheit erwies? Aber Ihr hier im Hause, naͤmlich Du und Letty, Ihr wißt gar nicht, wie Ihr Euch quaͤlen wollt mit dem Baron Blauen¬ stein! Was ist denn weiter, wenn mich seine geistreiche Unterhaltung anzog? Staunitz war hieruͤber keineswegs aufgebracht, und ohnehin bin ich ja noch gar nicht seine Braut, und wo in der Welt steht denn auch geschrieben, daß ich lediglich von seinen gestrengen Befehlen abhaͤnge!“ „Kind,“ brummte Heinrich halb vor sich hin, „Du bist verdruͤßlich, der Ball liegt Dir noch in den Gliedern, und der Ärger uͤber die scheelsuͤch¬ tige Letty. Aber was Du uͤber Staunitz da sagtest, hat mir nicht gefallen wollen. Es klingt just eben so, als: Staunitz ist mir zuwider, ich kann ihm meine Hand nicht reichen! — Tinchen, ich liebe Dich, wie mein eignes Kind, aber wenn Du je“ — „Mein Himmel!“ unterbrach ihn Tina rasch, „wie kamst Du auf die hoͤchst sonderbare Ver¬ muthung, Staunitz koͤnnte mir je zuwider sein?! Ich liebe ihn, wie meinen Bruder. Aber Ihr Kurzsichtigen stoßt allenthalben an, Ihr berechnet nicht, ihr wollt gar an keine Faͤlle glauben, die einmal eintreten koͤnnten!“ „Mit Deinen verdammten Faͤllen!“ rief Hein¬ rich aͤrgerlich. „Meinst Du mit Deinen unvor¬ hergesehenen Faͤllen etwa einen Karren Schaafs¬ felle, welche um eine Ecke biegen, wie Staberle?“ Staberles Reiseabentheuer ꝛc., eine bekannte Posse. „Gott, lieber Oncle,“ sagte Tina und kehrte das verdrießliche Gesichtchen nach der andern Seite, „nur jetzt nicht diese faden Witze!“ Oncle Heinrich holte aus der Wagentasche eine dickleibige Meerschaumpfeife, und lud sie mit feinem hollaͤndischen Kanaster, der ihm von Blauen¬ stein zum Geschenk gemacht war; aber Tinchen wickelte sich in ihren warmen Shawl, und kuͤm¬ merte sich nicht viel um des Oncles voruͤberschwe¬ bende Dampfwolken. Wiesenbrunn war erreicht. Tina schickte sich an, ihr Lieblingswaͤldchen am See aufzusuchen, und Heinrich ging an sein Geschaͤft. Die ganze Geschichte mit Blauenstein und Staunitz ging ihm im Kopfe herum. Daß Tina etwas auf dem Herzen hatte, was sie nicht sagen mogte, bezweifelte er nicht. Aber was das eigentlich fuͤr ein Geheimniß sei, daruͤber konnte er nicht in's Reine kommen. Vielleicht, ja, das war das Beste, konnte er von Staunitz selbst Auskunft erhalten. War der in Beziehung auf Tina ver¬ drießlich und mißmuthig, so mußte zwischen beiden nothwendig etwas nicht Unwichtiges vorgefallen sein. Auf jeden Fall wollte er noch heute mit Staunitz reden, denn im Truͤben zu fischen, war ihm unertraͤglich. Die Geschaͤfte waren bald abgemacht, und mit schmollender Miene stieg Heinrich in den Wagen, den Tina bereits aufgesucht hatte, um nur recht schnell in ihr stilles Zimmer zuruͤckzuge¬ langen, wo man sie weder durch laͤstige Fragen, noch durch unbegruͤndete Vermuthungen peinigte. Heinrich saß ganz stumm auf seinem Platze, er schien sich nur mit den dicken Dampfwolken seiner Pfeife zu unterhalten, waͤhrend er doch nicht von seinem Thema abkommen konnte. Es aͤrgerte ihn heimlich, daß ihm Tina so wenig Vertrauen bewies, und gerade aus diesem Grunde nahm er sich vor, die Sache aufzuklaͤren, wenn sie auch noch mehr Schwierigkeiten darbiete. Heinrichs erste Frage bei seiner Zuruͤckkunft nach Blumenau war nach Staunitz. Der alte 7 Martin berichtete, der junge Herr sei auf der Jagd. Der Oncle murmelte Einiges, was wie ein Fluch klang, und machte sich ebenfalls zur Jagd zurecht. Aber er hatte den Forst beinahe nach allen Richtungen durchstreift, und Staunitz war nicht zu finden; mit Anstrengung stieg er in das Wolfsthal hinab, wo manche unheimlichen Erinnerungen der Vorzeit schauerlich geweckt wurden, aber er mußte unverrichteter Sache auf der andern Seite des Klippenthales wieder hinauf klimmen. Eine halbe Stunde von da wohnte der Forstinspector Kluge in einem einsamen Hause, aber freundlich und anlockend; Staunitz pflegte den biedern Mann sonst wohl zu besuchen; viel¬ leicht war er auch heute dort, und es blieb das Raͤth¬ lichste, nun auf das Forsthaus loszusteuern. Das letztere lag etwas versteckt von der einen Seite, so daß man aus der Ferne nicht leicht bemerkt weiden konnte Heinrich kam immer naͤher, und blieb zuletzt voll unangenehmer Überraschung stehn. Hatte er sich nicht ganz und gar geirrt, so stand Vetter Staunitz oben im Eckzimmer des Hauses, und hatte seinen Arm um eine junge, schoͤne Dame geschlungen. Er sah noch einmal hin, und zwar mit einem guten Dollond bewaffnet, den er aus Vorliebe fuͤr Aussichten in die Ferne gern bei sich fuͤhrte. Richtig, es war Staunitz; aber er zog sich in den Hintergrund des Zimmers, und die fremde Dame, welche Heinrich nie gesehn zu haben sich erinnerte, blieb stehn. Schoͤn war sie; aber mit Tinchen, meinte er, hielte sie wohl eigentlich einen Vergleich nicht aus. Sie hatte eine sehr liebliche Fuͤlle, ganz deutlich konnte er es sehn, wie der volle Schwanenbusen sich leise hob und neigte, als ob irgend eine innere Bewe¬ gung das Blut des Maͤdchens aufgeregt, allein eine zarte Blaͤsse, welche sich uͤber ihr Gesicht zog, gab ihr ein krankes Ansehn, wenn sie auch dadurch interessanter wurde. Aber wer in aller Welt mogte das sein? — Wie kam Staunitz, der sein Herz bereits an Tina, verschenkt, und an sie mit festen Banden geknuͤpft war, wie kam der dazu, seinen Arm um den schlanken Leib einer Dritten zu schlingen? — Vielleicht war es eine Verwandte des Forstinspectors, und Staunitz, als ein junger, lebhafter Mann, machte sich einen Scherz. Aber dem widersprachen die ernsthaften Gesichter des Paares. Sollte Staunitz auch etwa so ein Bruder Luͤderlich, so ein geckenhafter Thunichtgut sein, und hier etwas Liebes sitzen haben? — Nein, dazu war er zu ehrlich, von zu festen Grundsaͤtzen! Jetzt noch in das Haus zu gehn, war nicht 7* zu rathen; Heinrich machte Kehrt, und setzte sich unter einer alten Eiche nieder, von wo aus der Holzweg leicht zu uͤbersehn war. Es war kaum eine Viertelstunde vergangen, als jemand durch das Gebuͤsch schluͤpfte. Das Geraͤusch kam naͤher, und nach einigen Augenblicken stand Staunitz mit Flinte und Jagdtasche vor ihm. „Was Henker,“ begann Heinrich, und sah dem jungen Manne scharf in's Auge, so daß er ein wenig erroͤthete, „was schleichen Sie gleich auf die Jagd, wenn man sich wahrhaft nach ihrer Unterhaltung sehnt? — Aber Scherz bei Seite, ich habe den ganzen Tag nach Ihnen gefragt, Vetterchen; ich mußte nach Wiesenbrunn, und haͤtte gern gesehn, wenn Sie mich begleitet haͤtten, aber Sie waren nicht da, und Tina fuhr mit. Das arme Kind war verdrießlich, aber der Him¬ mel weiß, woruͤber!“ Heinrich glaubte so seine Sache am Besten eingerichtet zu haben; er sah Staunitz fragend an, aber dieser schien es nicht zu, bemerken, und sagte rasch und mit unverkennbarer Besorgniß: „Ist Albertine unwohl? Sie scherzen, Vetter, nicht wahr, Sie scherzen? — “ „Nun, nun!“ erwiederte der Oncle, „was ist denn da weiter; ein junges Maͤdchen kann ja wohl nach einem Balle ein wenig unpaß sein! Aber der Ball,“ fuhr er fort, und wußte sich in Staunitz gar nicht zu finden, „der Ball war wohl eigentlich die wahre Ursache nicht. Mir scheint der Grund tiefer zu liegen. Sagen Sie mir einmal, lieber Vetter, aber aufrichtig, haben Sie etwas gegen unser Tinchen, ist Ihre Liebe nicht mehr die alte, ist die treue Anhaͤnglichkeit ver¬ schwunden? — Es giebt der Faͤlle mehr in der Welt, denn fuͤr sein Herz kann ja niemand stehn, das ist bekannt. Aber aus Tinas Benehmen ging hervor, daß etwas der Art zwischen Euch Leutchen vorgefallen sein mußte.“ „Lieber Vetter!“ rief Staunitz und druͤckte des ganz weich gewordenen Heinrichs Hand, „wie koͤnnen Sie so etwas ahnen, oder glauben! Ich liebe Albertine wie meine Schwester, und ich habe keine Ursache, an ihrer Gegenneigung zu zweifeln. Hat sie Ihnen etwas gesagt, oder woraus schließen Sie, daß irgend eine Mißhellig¬ keit entstanden sein koͤnne?“ „Aufrichtig gesagt,“ erwiederte Heinrich, und war beinahe verlegener, als der junge Mann, „mir fiel Euer Benehmen gestern auf. Der junge interessante Baron Blauenstein zeigte eine ungewoͤhnliche Aufmerksamkeit fuͤr Tina, und sie selbst war ganz Ohr bei seiner Unterhaltung, — sagen Sie, Vetter, sind Sie eifersuͤchtig?“ „Sie moͤgen in der That ein guter Beobachter sein,“ sagte Staunitz ruhig, und schien sich inner¬ lich zu erholen, „aber sollte ich dem Engel nicht trauen, dem mein Herz angehoͤrt? Gerade in dem groͤßten Vertrauen liegt auch nach meiner Ansicht die groͤßte Liebe! — Nein, mein bester Vetter, so sehr ich Ihnen dankbar sein muß, aber hier sind Sie im Irrthum! — Freilich koͤnnen Verhaͤltnisse eintreten, welche diese und jene Art irgend eines auffallenden Benehmens motiviren, und zugleich rechtfertigen; aber es bleibt eine andere Frage, ob man in solchen Umstaͤnden strafbar handelt, wenn die innere und aͤußere Nothwendigkeit gebot!“ „Was fuͤr eine Nothwendigkeit, was fuͤr Ver¬ haͤltnisse?“ fragte Heinrich rasch und neugierig. „Lassen Sie uns hiervon schweigen!“ ent¬ gegnete Staunitz, und erhob sich von dem weichen Moossitze, auf welchen er sich neben Oncle Heinrich vorhin niedergelassen hatte. Der letztere ging aͤrgerlich neben ihm her, und meinte bei sich, er sei jetzt so klug, wie vor einer Stunde. Der Henker konnte aus der Geschichte klug werden! Er glaubte den Staunitz nun entweder gegen Tina kalt gesinnt, oder hoͤchst eifersuͤchtig zu finden, aber wahrhaftig, keins von beiden! Es blieb jetzt nichts mehr uͤbrig zu vermuthen, als daß Staunitz ein Heuchler, oder selbst der Betro¬ gene sei. Das erstere war leider das Glaubhaf¬ teste, denn was machte der Mensch bei dem Forstinspector Kluge, was ging ihn das Frauen¬ zimmer an, mit dem er Arm in Arm im Fenster stand? Die Sache mußte klar werden, es mogte auch kosten, was es wolle! — — Staunitz ließ sich nach seiner Zuruͤckkunft in Blumenau sogleich bei Tina melden, was den Oncle Heinrich vollends aus dem Concepte brachte. Er ging daher auf sein Zimmer, klingelte den alten Martin herbei, und fragte, ob er wohl heute noch zum Forstinspector Kluge gehn koͤnne. „Es wohnt da,“ fuhr er fort, und faßte den Alten zutraulich beim Arme, „es wohnt da seit einiger Zeit eine fremde Dame. Es liegt mir Alles daran, zu wissen, wer die ist, und zwar bald, bald zu wissen. Such Dir irgend einen Vorwand, und forsche nach der Fremden, einen Ducaten, wenn Du es heraus bekoͤmmst!“ Martin bemuͤhte sich, recht schlau zu nicken, und begab sich gegen alle Politik sogleich auf den Weg. Heinrich war voller Erwartung, er konnte sich vor Unruhe nicht lassen, und lief endlich den Weg nach dem Forste mit anstren¬ gender Schnelligkeit. Endlich sah er seinen Merkur aus dem Gehoͤlze kommen, und er athmete wieder freier. „Ew. Gnaden haben die Zeit wohl nicht er¬ warten koͤnnen,“ hob Martin an, als er naͤher gekommen war, und seine Phisiognomie verrieth, wie wenig er ausgerichtet haben mogte, „aber Ew. Gnaden haͤtten es meinetwegen nicht noͤthig gehabt!“ „Wie so?“ fragte Heinrich rasch. „Mach' mir keine Flausen, Kerl, oder Du kennst diesen Solotaͤnzer hier!“ Dabei hob er seinen Spanier hoch empor, daß Martin von der Seite prallte wie ein scheuer Gaul. „Ich will Alles getreulich Ew. Gnaden be¬ richten,“ begann der Erschrockene mit einem Sei¬ tenblicke auf den zudringlichen spanischen Taͤnzer, „wenn ich auch eben nicht viel Gutes zu sagen weiß. Ich ging zu dem alten Jost, dem Haus¬ meister, den ich von Alters her kenne, und wollte so krumm herum kommen. Daß Dich, fuhr mir doch meinetwegen der Kerl auf's Leder, daß ich denke, er will mich fressen. Er nannte mich einen Schleicher, der sich um anderer Leute Verhaͤlt¬ nisse nicht zu kuͤmmern habe. Ich sage nun zu ihm, er habe mich unrecht verstanden, ich wollte eigentlich fragen, ob er gutes Hirschhorn vorraͤthig habe, und da haͤtte ich auf meinem Hinwege eine junge Frauensperson am Fenster bemerkt, ob das e t w a die Braut des jungen Herrn waͤre. Aber der Luͤmmel war stumm wie ein Fisch; er meinte, Geweihe koͤnnte ich genug bekommen, wenn er gleich nicht begriffe, was ich damit wolle, da mich meine Frau schon seit Jahren mit Hoͤrnern ver¬ sorgt habe. Denken Ew. Gnaden, wie grob! Nun kam der Herr Forstinspector selbst, er fragte, was ich wollte; ich wußte meinetwegen nicht gleich wohin, da meinte er, ich solle mich zum Teufel scheeren, als ihm der alte Jost zu verstehn gegeben, wonach ich mich erkundigt.“ „Du bist ein alter Narr, den man zu nichts brauchen kann,“ sagte Heinrich und wandte sich nach Blumenau um. „Also hast Du eine Dame gesehn?“ „Nein, außer der alten Justine habe ich keine Frauensperson bemerkt,“ sagte Martin, und war nur froh, daß seine Gnaden ein nicht allzu ver¬ drießliches Gesicht machte. Also wieder angefuͤhrt, dachte Heinrich, nahm eine Prise, und beschloß, sich um die alberne Geschichte gar nicht weiter zu kuͤmmern. Wer konnte auch je aus Verliebten klug werden, und nun gar aus einem liebenden Maͤdchen! — Guter Heinrich, auf Deine Feldwirthschaft verstandest Du Dich, auf die hohe und niedere Jagd vor¬ trefflich, aber wenn ein jugendliches Herz ange¬ schossen ist von dem Pfeile des gefaͤhrlichen Waid¬ mannes Cupido, und zu verbluten droht, wenn nicht rasch Huͤlfe erscheint, das ging uͤber den Horizont Deiner einfachen Weise! Aber dennoch war und blieb es hoͤchst auffallend, daß sich der Forstinspector Kluge nebst dem alten Jost so, sonderbar gegen Martin benommen, wenn dieser die Sache auch ein wenig albern angefangen. Mogte dem sein, wie ihm wolle, es blieb eine verdrießliche Angelegenheit, und Heinrich meinte allenfalls, wenn Noth an Mann ginge, waͤre er ja immer mit seiner Huͤlfe noch da, die man bestimmt nicht verschmaͤhen werde. So hatte jeder und jede in Blumenau etwas zu ertheilt erhalten, was einen voruͤbergehenden Kummer verursachte. Tina erbebte in der innern Liebespein, Tante Letty bemuͤhte sich vergebens, ihren Bruder, den Grafen, fuͤr ihre Racheplaͤne zu bearbeiten, und Heinrich war aͤrgerlich uͤber das Mißlingen seiner Operationen. Anders sah es mit unserm Blauenstein aus. 7. Das Testament. Der Secretair Blum hatte mit gewissenhafter Treue dafuͤr gesorgt, daß man sich in keinem Orte lange aufzuhalten brauchte, und so ging die Reise in die Heimath mit moͤglichster Raschheit. Am Abend des dritten Tages erhoben sich die hohen Thuͤrme von Blauensteins Vaterstadt in die duͤstere Luft. Das Wetter war stuͤrmisch; der Wind braus'te im nahen Walde, und jagte die geraubten Blaͤtter heulend uͤber die gelben Stoppeln. Die Stadt, das elterliche Haus waren erreicht; mit bangen Ahnungen verließ Blauenstein den Reisewagen. Mit welchen Empfindungen hatte er das Haus verlassen, und wie mußte er es jetzt wieder betreten! — Die Dienerschaft bewillkommte ihn freundlich, aber so still, daß seine erste Frage nach seines Vaters Befinden unbeantwortet blieb. Im Kran¬ kenzimmer stand der Arzt am Schmerzenslager, er verbeugte sich gegen den Sohn dessen, den seine Kunst nicht zu retten vermogte, und fuͤhrte ihn an das Bett. Der Kranke athmete schwer, er war unruhig, und als haͤtte er die Naͤhe des geliebten Sohnes geahnet, schlug er das matte Auge zu ihm auf, und ein leises Laͤchlen flog uͤber die versunkenen Zuͤge. „Vater!“ rief Blauen¬ stein in seinem tiefsten Schmerze, und warf sich vor dem Bette nieder, „erwache zum Leben, erwache fuͤr Deinen Sohn!“ Aber der sterbende Vater hob mit seiner letzten Kraft seine Hand empor, und beruͤhrte des Sohnes Haupt, als ob er ihn segnen wollte. Noch ein langer Athemzug, und er hatte vollendet! — Blauensteins Schmerz war seinem unersetz¬ lichen Verluste gleich. In der ganzen Residenz galt der Generalmajor v. Blauenstein fuͤr den vortrefflichsten Mann, und sein fruͤher Hintritt verbreitete eine allgemeine Trauer. Sein nieder¬ gebeugter Sohn schlich umher wie ein Schatten, er war ein ganz anderer geworden, und seine Brust ergriff die Gewalt eines unendlichen Wehes! Als die Tage der ersten betaͤubenden Trauer voruͤber waren, erinnerte der Secretair Blum den jungen Erben, daß sein Vater kurz vor seinem Tode einen letzten Willen errichtet habe, dessen genauere Kenntniß vielleicht jetzt von Wichtigkeit sei. Blauenstein uͤberließ das Weitere jedoch der Justiz, und war zunaͤchst beschaͤftigt, die hinter¬ lassenen Papiere seines geliebten Vaters zu ordnen, und Trost aus ihnen zu schoͤpfen. In dem Schreibepulte des Seligen fanden sich eine Menge Briefschaften, die eine Periode aus seinem Leben betrafen, welche dem Sohne gaͤnzlich unbekannt geblieben war. Indeß fehlte es ihm doch noch sehr an den naͤhern Aufschluͤssen; ein kleines Miniaturbild, reich mit Brillanten eingefaßt, und einen uͤberaus schoͤnen Maͤdchenkopf darstellend, dessen Zuͤge unsern jungen Freund auf eine wun¬ derbare Weise uͤberraschten, indem das Bild mit seiner angebeteten Albertine eine unverkennbare Ähnlichkeit hatte, machte den Drang nach genauerer Kenntniß der ihm noch verborgenen Verhaͤltnisse sehr lebhaft, und mit klopfendem Herzen sah er dem Publicationstage des vaͤterlichen Testaments entgegen. Dem Geheimderath Werden, einem bewaͤhrten Freunde des Verstorbenen, war von dem Justiz¬ collegio dies Geschaͤft uͤbertragen worden, und Blauenstein begab sich zu dem Ende in das alte Regierungsgebaͤude, wo die Themis ihren Sitz aufgeschlagen hatte. Mit milder Freundlichkeit wurde er von dem Geheimderath empfangen; nach einigen Gespraͤchen uͤber den Seligen, brachte ein Secretair ein versiegeltes Packet Schriften nebst dem verschlossenen Testamente. Das letztere war sehr einfach, enthielt einige Bestimmungen uͤber die Verwaltung des hinterlassenen Vermoͤgens nebst mehreren zu wohlthaͤtigen Zwecken verwen¬ deten Legaten, und am Schlusse eine Bemer¬ kung, welche wir kuͤrzlich hier mittheilen. „Es war seit einigen Jahren mein inniger Wunsch, daß mein geliebter Sohn und einziger Erbe dem Maͤdchen seine Hand reichen moͤge, die ich ihm im Stillen zur treuen Gattin erwaͤhlt, vorausgesetzt, daß ihm von Seiten der letztem keine Hindernisse in den Weg gelegt werden. Ist dies letztere der Fall, oder vermag mein Sohn und Erbe diesen meinen liebsten Wunsch nicht zu erfuͤllen, so soll das sub. Art. V erwaͤhnte Capi¬ tal von 80,000 Rthlr. Gold der Armenanstalt hiesiger Residenz nach Ablauf von einem Jahre anheim fallen. Der Name so wie die ander¬ weitigen Verhaͤltnisse des Maͤdchens sind in der Beilage enthalten, welche nach Publication des Testaments meinem geliebten Sohne behaͤndigt werden sollen.“ Blauenstein suchte seine Ruͤhrung zu bekaͤm¬ pfen; aber er konnte die Frage an den Geheimde¬ rath nicht unterlassen, ob dieser als Freund des Seligen von der erwaͤhnten jungen Dame keine Kenntniß habe. Der letztere verneinte dies, und uͤbergab dem Erben die erwaͤhnten Papiere. Mit aͤngstlicher Unruhe bestieg er seinen Wagen, und fuhr nach seiner Wohnung zuruͤck. Der Secretair Blum fragte eilig und voll Theil¬ nahme nach dem Erfahrenen; sein junger Goͤnner versicherte ihn indeß, daß es auch ohne einen letzten Willen seines unvergeßlichen Vaters bei der jetzigen Anordnung der Dinge verbleiben werde, und suchte mit dem Heiligthume unterm Arme sein einsames Zimmer auf. Gleich bei Eroͤffnung des Packets fielen ihm einige Briefe von einer weiblichen Hand entgegen, darauf folgten aber einige Bogen von der des Generalmajors, welche wir dem freundlichen Leser hier mittheilen. „Mein theurer, geliebter Sohn! Du bist noch immer nicht von Deiner Reise zuruͤckgekehrt, und doch hoffe ich so sehnsuͤchtig auf Deine Ankunft. Ein Brief wuͤrde Dich nicht treffen, und ich muß mich in Geduld fassen. Ist mirs doch seit einiger Zeit, als ob ich bald am Ziele meiner Tage sei; ich fuͤhl' es, es wird mit mir nicht lange dauren, der Todesengel naht, ich reiche ihm meine Hand willig, und ver¬ zage nicht! Du hast mir seit einigen Wochen keine Nach¬ richt gegeben, und ein finsterer Traum sagt mir, ich solle Dich nicht mehr in meine vaͤterlichen Arme schließen. Wie der Himmel auch uͤber mich gebieten moͤge, ich folge willig! Du bist nun seit beinahe drei Jahren abwesend; schon als Du mich verließest, draͤngte es mich, Dir eine Kata¬ strophe aus meinem Leben mitzutheilen, welche von so vielem Einflusse auf mich war. Jetzt ist Dein Sinn mehr gelaͤutert, erfahrungsreicher, denn die Welt, wie sie dem mit Verstande Reisenden entgegen tritt, erweitert die Lebenskenntniß, sie erweckt bessere, gediegenere Ansichten. Wie lieb, wie unendlich lieb waͤre es mir, wenn Du, mein August, hier am heutigen truͤben Tage neben mir sitzen koͤnntest, Du haͤttest Alles erfahren aus dem Munde dessen, dem so harte Pruͤfungen auf¬ erlegt wurden; aber mir ist, als waͤre die Zeit fern, ach, als sollten wir uns in dieser Welt nicht wiedersehn! Du findest in diesen Blaͤttern, die ich mit bebender Hand beschreibe, manche Auf¬ schluͤsse uͤber mein fruͤheres Leben, und der geheime Wunsch, den mein letzter Brsef an Dich beruͤhrte, wird Dir hieraus klarer werden. Du weißt, daß ich sehr fruͤhzeitig als Cadett meinen ersten Militairunterricht in S. empfing. Es ging mir wohl, denn dem Mangel an eignen 8 Mitteln half ein alter Freund meines Vaters ab. Kurz vor seinem Tode und meinen Eintritt in mein Regiment hatte mich der edle Mann an dem P. schen Gesandten auf das Beste empfohlen, der mir durch sein Wohlwollen manche schoͤne Stunde bereitete. In den hinterlassenen Papieren meines Vaters fand ich eine Menge Schriften und Acten, welche auf einen langwierigen Prozeß hindeuteten, der wegen des dazwischentretenden Kriegs aber in langes Stocken gerieth. Er betraf zum Theil eine verwickelte Erbstreitigkeit, und nach meiner Überzeugung hatte ich ein naͤheres Recht, als ein entfernter Vetter, der die weit¬ laͤufigen, schoͤnen Guͤter, das Object unseres Pro¬ zesses, bereits im Besitz hatte. Mein geringes Vermoͤgen war beinnhe ganz geschmolzen, der kleine Gehalt reichte kaum zu den dringendsten Beduͤrfnissen hin, und zuletzt traf mich gar das Ungluͤck, daß unser Regiment aufgeloͤs't, und ich demnach ganz außer Brod gesetzt wurde. Wie ein Donnerschlag ruͤhrte mich diese Nachricht, ich hatte durchaus keine Aussicht auf Anstellung, auf irgend einen Ersatz fuͤr meinen Verlust, aber es war einmal so, und ich mußte mich fuͤgen. Wie bitter klagte ich das harte Schicksal an, wie innerlich empoͤrt mußte ich auf reiche Prasser sehen, die in der Fuͤlle ihrer Schaͤtze keine Ahnung von der geheimen Qual des schuldlos Verarmten hatten, wenigstens nicht geneigt schienen, ihm auf irgend eine menschen¬ freundliche Art behuͤlflich zu sein. Wie leicht wird der Arme nicht verletzt, wie schwer ist es, ihn mit zarter Schonung sein Ungluͤck weniger fuͤhlen zu lassen! Von meiner eigentlichen Lage hatten nur die eine hinreichende Kenntniß, welche nicht zu helfen im Stande waren, denn sie bedurften selbst der Unterstuͤtzung. In dieser druͤckenden Verlegenheit machte mir der P. sche Gesandte, welcher von meinen Umstaͤnden wenig wissen mogte, den Vor¬ schlag, ob ich nicht Lust haͤtte, die diplomatische Laufbahn einzuschlagen, und einige Jahre zu meiner Vervollkommnung in einem Buͤreau des Auslandes, versteht sich, gratis, zu arbeiten. Ich mußte dies Anerbieten, so erwuͤnscht es mir unter andern Verhaͤltnissen gewesen sein moͤgte, ablehnen; der Gesandte zuckte die Achseln, und machte ein Gesicht, als wolle er sagen, Du bist ein Narr! Indeß war er freundlich und entließ mich mit seiner gewohnten Artigkeit. Mit einer halben Verzweiflung eilte ich in mein einsames Stuͤbchen; mir war Alles verhaßt, Alles zuwider, an keine 8* Freundschaft, keine Huͤlfe mogte ich mehr glauben, und gab mich der finstersten Wehmuth hin. Da fielen mir wieder die alten Prozeßacten ein, der Gedanke, daß der Streit fuͤr mich noch zu gewinnen sei, gab mir neue Spannkraft, und ich sammelte Alles, was auf die Sache Bezug hatte. Eine Meile von der Residenz lebte ein ausgezeichneter Rechtsgelehrter aus seinen weitlaͤufigen Besitzungen; er hatte seine Geschaͤfte aber laͤngst niedergelegt, und gab nur zuweilen einem Freunde guten Rath. An ihn beschloß ich mich zu wenden; ich verfertigte mit unsaͤglicher Muͤhe einen gedraͤngten Auszug aus den Acten, und machte mich damit eines Tags nach dem ehemaligen Notar auf den Weg. Ich hatte eine Menge Sonderbarkeiten von dem Manne erfahren, aber keine derselben konnte meinen Entschluß wankend machen, weil man durchgaͤngig darin uͤbereinstimmte, daß Herr Maiberg, dies war der Name des Mannes, un¬ streitig der erste Jurist des Landes sei, und daß man seinen Verlust als wirkender Staatsbuͤrger nie zu hoch anschlagen koͤnne. Aber er hatte ein großes Vermoͤgen, und der Juristenkram schien ihm zuwider zu sein. Verdenken konnte ich es dem Manne nicht, daß er jetzt nur sich selbst lebte, wenn gleich hiermit meine Hoffnung, er werde mir helfen koͤnnen, merklich sinken mußte. Mit pochendem Herzen kam ich auf dem Landgute an. Alles verrieth Geschmack in der Anlage, Reichthum und Überfluß, und ich dachte an meine druͤckende Armuth. Ein kleines Bauer¬ maͤdchen zeigte mir den Weg nach der Wohnung der Herrschaft; ich waͤhlte den Weg durch den weitlaͤufigen Garten, und oͤffnete die hohe eiserne Gitterthuͤre, welche dahin fuͤhrte. In einer schat¬ tigen Lindenallee promenirte ein langer, hagerer Mann, dessen Kleidung den Eigenthuͤmer der herrlichen Besitzungen nicht verrieth. Auch hatte man mir Herrn Maiberg als einen corpulenten Mann geschildert; dieser konnte es nicht sein. Ich trat dem Manne naͤher, fragte, ob er mich nicht an Herrn Maiberg weisen koͤnne, den ich zu sprechen wuͤnsche, und ob er selbst etwa zu dem Hause desselben gehoͤre. Der Mann sah mich mit einem sonderbaren Laͤchlen an, und erwiederte, er gehoͤre allerdings zum Hause, allein Herr Maiberg waͤre in Ge¬ schaͤften jetzt nicht zu sprechen. Er mogte bemer¬ ken, wie unangenehm mir dies sei, und fragte daher, was mein Anliegen waͤre. Ich trug meine Sache kurz vor, und als der hagere Spatzier¬ gaͤnger freundlicher wurde, holte ich aus meiner Tasche den quaͤstionirten Actenauszug. Aber da verfinsterten sich seine Zuͤge, er warf nur einen fluͤchtigen Blick in die Papiere, und mir die letztern ziemlich heftig zu, indem er sagte, er habe zu dergleichen keine Zeit. Ich entgegnete, daß ich von ihm noch keine Belehrung und keine Huͤlfe verlangt, daß ich lediglich und allein Herrn Maiberg fragen wolle. Da lachte er laut auf, faßte mich bei der Hand und sagte: „Nun, so muß ich Sie schon zu ihm hinfuͤhren!“ Wir gingen der Allee entlang nach dem schoͤnen Wohngebaͤude zu. Ein Diener oͤffnete die hohe Fluͤgelthuͤre des naͤchsten Zimmers, und wir traten ein. Das umstehende Geraͤthe, eine Menge Buͤcher und Schriften verriethen, daß dies eine Studierstube sei, und ich nahm ganz ermuͤdet auf einem weichen Sessel Platz. Mein brummiger Gesellschafter las eifrig in meinem Auszuge, schnippte waͤhrenddem oͤfter mit dem Finger und schnitt Gesichter, daß mir angst und bange wurde. Als er zu Ende war mit Lesen, fragte er: „War der hier, erwaͤhnte v. Blauenstein ein Verwandter des Grafen Selwitz?“ Ich bejahte kurz, und der Mann fragte weiter, wer den so eben durchlaufenen Auszug geschrieben, der ganz in Form einer Relation, bis allenfalls auf's votum , abgefaßt sei. Ich nannte mich als Verfertiger, da erhob sich mein neuer Goͤnner und sprach: „Nun, es wird sich hierin wohl etwas thun lassen. Ich selbst bin Maiberg, nach dem Sie fragten; mir thut Ihr Schicksal leid, denn es scheint, als ob Sie in keinem Überflusse lebten!“ Ich erroͤthete, und war zugleich uͤberrascht, aber Maiberg fuhr fort: „Sie entschuldigen mein sonderbares Beneh¬ men vorhin im Garten; aber Sie glauben nicht, wie oft ich uͤberlaufen werde, und von den ab¬ geschmacktesten Menschen, die oft nichts, als Neu¬ gierde hertreibt. Wo es Pflicht ist, zu handeln, da bin ich immer bereit, und meine Dienste sollen Ihnen nicht fehlen, denn mich interessirt Ihre Angelegenheit. Senden Sie mir, denn es ist keine Zeit zu verlieren, alle vorraͤthigen Acten heraus, und sein Sie heute mein Gast!“ Ich mußte bleiben. Die biedere Herzlichkeit des Mannes that mir unendlich wohl. Er nahm mich bei der Hand, und indem er mich zu seiner Familie fuͤhrte, sagte er halb leise: „Nun von keinem Geschaͤft mehr!“ — Ein Paar muntere Knaben sprangen uns heiter entgegen, ein junges, liebliches Maͤdchen von ungefaͤhr vierzehn Jahren saß an einem schoͤnen Wiener Fluͤgel, und der aͤltere der kleinen Rangen zog mich ohne weitere Umstaͤnde nach dem Instrumente hin, und fragte den laͤchlenden Vater, ob ich der neue Oncle sei. Aber Maiberg machte mich von den Kindern los, und stellte mich als einen neuen Hausfreund seiner in's Zimmer tretenden Gemahlin vor, deren einfache Weise mich bezauberte, so daß ich die Schnelligkeit nicht begriff, mit der mir die Zeit entschwand. Nach Tische that Maiberg noch einige Fragen an mich im Betreff meiner Rechtsangelegenheit, schrieb Einiges auf, und fragte dann schnell, ob ich musikalisch sei. Ich konnte es nicht laͤugnen, und mußte mich an den Fluͤgel setzen. Als ich das Spiel geendigt hatte, dem eine tiefe innere Wehmuth eine besondere Richtung gegeben haben mogte, schuͤttelte mir der sonderbare Mann die Hand, und meinte, ich muͤsse ihm schon wegen meines musikalischen Talents noch einige Tage schenken. Zwei Tage verschwanden mir auf das Ange¬ nehmste; Die beiden Knaben waren meine un¬ zertrennlichen Gefaͤhrten, und so bald der Abend nahte, durfte ich von dem Fluͤgel nicht wieder fort. Eine Auswahl der trefflichsten Composi¬ tionen machte mir mein eignes Spiel zum Genuß, und ich durfte den reizenden Landsitz meines neuen Freundes nur mit dem festen Versprechen verlassen, recht bald dahin zuruͤckkehren zu wollen. Meine erste Sorge nach meiner Ankunft in der Residenz war, alle vorraͤthigen Acten des quaͤstionirten Prozesses aufzusuchen, und sie an Maiberg zu schicken. Mein Großoncle hatte seine sehr betraͤchtlichen Erbguͤter an die Familie P. verkauft; allein es war keine Zahlung erfolgt, und jene Familie, bisher in einem Pachtverhaͤlt¬ nisse, gerirte sich als Eigenthuͤmer. Mein Vater hatte auf Zahlung als naͤchster Erbe geklagt, nebenbei ein bedeutendes Capital gekuͤndigt, welches der Rath P. von ihm geliehn, und so standen die Sachen, als der Krieg ausbrach. P. behauptete seine Zahlung, die er als selbststaͤndige Behauptung zu beweisen hatte, und fuͤhrte den Beweis auf eine raͤnkevolle Art, indem er sich eines spitzfindigen Anwaldes bediente. Eine Menge erschwerender Umstaͤnde machten die Angelegenheit hoͤchst ver¬ wickelt, und ich hatte in der That schlimme Aus¬ sichten, da meine Gegner verjaͤhrt zu haben behaupteten. Den Tag nach meiner Zuruͤckkunft von Mai¬ berg erhielt ich eine Einladung zum Probst von Kirchheim, der oͤfter musicalische Abendunterhal¬ tungen veranstaltete, und wo ich zuweilen ein Quar¬ tet mitgespielt. Mir war von dem ewigen Acten¬ lesen der Kopf zu wuͤst geworden, so daß ich mich auf den Abend herzlich freute, und wohlgemuth mit meiner Geige unterm Arme die weitlaͤufigen Gebaͤude des ehemaligen Benedictinerklosters auf¬ suchte, welche sich der Probst recht elegant hatte einrichten lassen. Ich fand eine sehr große, aus¬ gesuchte Gesellschaft; der Neffe des Wirthes, ein junger Wildfang, machte mich mit den meisten der Anwesenden bekannt, und zischelte mir in das Ohr, daß die Krone der Gesellschaft in wenigen Minuten noch erscheinen werde. Ich wollte fragen, wer dies sei, als die Thuͤren des Gesellschaft¬ saales aufrauschten, und an der Hand eines mit Orden behangenen Mannes traten zwei Damen herein. Die eine wurde von mir fuͤr die Mutter gehalten, und ich hatte mich nicht geirrt, aber die juͤngere war leicht als die schoͤne Tochter der Matrone zu erkennen. Es entstand eine allgemeine Bewegung; die jungen und aͤltern Herrn beugten sich tief vor der Wundergestalt der vollendeten Hebe, und machten ehrfurchtsvoll den vornehmen Gaͤsten Platz. Der Probst zeigte sich mir als sehr zuvor¬ kommend und artig; er zog uͤber meine Geige freundliche Erkundigungen ein, und meinte, daß ich heute Abend mein Meisterstuͤck machen koͤnne. „Wir haben,“ fuhr er fort und zeigte nach einem im Nebenzimmer befindlichen Notenstoße, bei welchem mir angst und bange wurde, „wir haben heute vortreffliche Musikalien; die vor wenigen Minuten eintretende junge Dame, Fraͤulein von Struen, singt koͤstlich, und nimmt es bei Gott mit unsern besten Theatersaͤngerinnen auf. Sie kennen ja das herrliche Duett aus A Moll unseres Capellmeisters, das soll uns heute Abend ergoͤtzen, und Sie sind so gut, und uͤbernehmen die ob¬ ligate Geige!“ Ich erschrak, aber ehe ich einer Antwort faͤhig war, hatte sich der Probst entfernt, und sprach mit dem Freiherrn von Struen. Jetzt erst hatte ich Zeit und Gelegenheit, das schoͤne Maͤdchen von Weitem heimlich zu betrachten. Mir war so etwas noch nicht erschienen, diese himmlische Milde, dieses sehnsuͤchtige Verlangen im tiefen Blau des offnen Seelenauges, der zarte, rosige Teint, und die uͤppige Fuͤlle des goldigen Haars, das in langen, glaͤnzenden Ringellocken den blendenden Nacken hinabrollte, wer haͤtte solchen Reizen widerstehen koͤnnen?! Mit einer gewissen Betroffenheit sahn die Frauen und Maͤdchen diese hohe Schoͤnheit an, die in ihrer Demuth noch viel reizender wurde, und manche mogte vom gehaͤssigen Neide nicht frei bleiben. Wie der Freiherr eigentlich hieher kam, in welchen Verhaͤltnissen er zu dem Probste stand, wußte niemand, und der Neffe des letztern, der einzige, welcher haͤtte Aufschluß geben koͤnnen, wurde von der seinen Blicken aufgegangenen Schoͤnheit so angezogen, daß er fuͤr immer an ihren Siegswagen gefesselt schien, denn er erfreute sich einer sehr lebhaften Unterhaltung mit dem schoͤnen Maͤdchen. Ich mußte ihn beneiden, wenn gleich an ihrem Wesen nicht zu bemerken war, daß sie ihm ein besonderes Wohlwollen schenke. Aber sein glaͤnzender Witz, sein umfassendes Wissen, ja sein sehr vortheilhaftes Äußere, nebenbei auch wohl sein Stand, denn er arbeitete als Legations¬ rath im diplomatischen Buͤreau des russischen Gesandten, raͤumten ihm wohl manches Vorrecht ein. Endlich erhob er sich, machte eine tiefe, verbindliche Verbeuung, und trat wieder in den hohen Fensterbogen, in den ich mich zuruͤckgezogen hatte. „Blauenstein,“ begann er, und seine Augen glaͤnzten, „das ist ein leibhaftiger Engel! Ich habe das Himmelskind schon einmal gesehn, aber gesprochen vor wenigen Augenblicken zum ersten Male. Bei aller feinen, hohen Bildung, diese einfache Weise, diese laͤndliche Unschuld bei so viel richtigem Blick; Freund, suchen Sie mit dem herrlichen Maͤdchen nur ein Wort zu reden, und Sie werden entzuͤckt sein!“ Ein reichgallonirter dienstbarer Geist des Probstes praͤsentirte duftenden Punsch in glaͤnzenden Crystallglaͤsern, und stoͤhrte unsere Unterredung, und nach einem halben Stuͤnd¬ chen, das ich dem Hoforganisten, der ein Langes und Breites uͤber eine neue Clavierschule von ihm sprach, nicht entziehn konnte, lud der freundliche Wirth den musicalischen Theil seiner Gaͤste in das benachbarte geraͤumige Concertzimmer, wo ich meine getreue Geige mit pochendem Herzen aus dem gruͤnausgeschlagenen Kasten nahm. Der Probst, ein recht wackerer Geiger, ließ sich die Leitung des Ganzen nicht nehmen, und der Legationsrath postirte sich mit seinem silbernen Horne dicht hinter mich. Auf dem Pulte lag eine Ouvertuͤre, die mir in einem delicaten Geigensatze eine wahre Angst aufbuͤrdete, die mir sonst unbekannt war. Aber ich sollte ja vor ihr spielen, sie hatte schon einigemal, wie wohl gleichguͤltig, wie es schien, nach mir hin geblickt, als wollte sie sagen: Wenn Du nur nicht umwirfst! — Aber es ging Alles gluͤcklich von Statten, ein lautes Beifallklatschen ermuthigte den Hof¬ organisten und meine arme Person zu einer Ca¬ price fuͤr die Geige, welche des Organisten wohl¬ toͤnendes Cello recht capricioͤs begleitete. Ich hatte es deutlich bemerkt, waͤhrend mein Mitspie¬ ler das nach der Einleitung von mir piano into¬ nirte Thema kraͤftig wiederholte, wie das schoͤne, interessante Maͤdchen einigemal mit ihrer Nachbarin leise fluͤsterte, und dann jedesmal nach mir hinsah, als sei ich der Gegenstand ihres Gespraͤchs. Im Adagio suchte ich all mein sehnsuͤchtiges Verlangen auszudruͤcken, das mit so schneller Gewalt mein Herz erfuͤllte; noch nie hatte mein Instrument so rein, so volltoͤnig angesprochen, und nach Been¬ digung des Stuͤcks war ich noch so in die treff¬ liche Composition versunken, daß ich nur halb die Lobpreisungen vernahm, die sich ergossen. Auch sie hatte in ihre zarten, weißen Haͤnde ge¬ klatscht, und wie haͤtte ich, wenn sie belohnte, auf den Beifall anderer hoͤren koͤnnen, welche in's Gesicht lobten, und hinterher ihrer Galle Luft machten! Die innere Ruͤhrung hatte mir Thraͤnen in's Auge gelockt; ich war herzlich froh, daß eine Pause uns Ruhe goͤnnte, und schluͤpfte in das kuͤhle Vorzimmer, mich zu erholen. Ich weiß nicht, wie es kam, es wogten Em¬ pfindungen in mir, die mir bis dahin noch fremd geblieben waren; das Herz pochte ungestuͤm, eine heimliche Angst durchbebte mich, und dennoch mischte sich in dies Alles eine namenlose Seligkeit, ein suͤßes Weh! Was war das? — Nein, das mußte anders werden, ich mußte Ruhe, Ruhe erkaͤmpfen, denn ich sollte ja spielen, ich sollte ja ihre suͤße Stimme begleiten! — — In etwas ruhiger trat ich in den Gesellschafts¬ saal; der Probst hatte bereits nach mir gefragt, und winkte zum Pulte, der mir ganz schrecklich vorkam. Fraͤulein von Struen hatte ihren Platz bereits eingenommen, ich durchblaͤtterte fluͤchtig meine Parthie, und sie begann mit ihrer glocken¬ reinen; unendlich biegsamen Bruststimme das Re¬ citativ. Mir war fuͤr meine Geige ganz bange, aber der Hoforganist nickte mir freundlich Muth zu, und es ging. Ihre wundervolle Metallstimme verklang zauberisch in dem geraͤumigen Gemache und drang mir bis in das Tiefste meiner Seele; und als sie den zartesten Mollton minutenlang aushielt, anfangs sanft und lieblich intonirt, dann staͤrker und immer staͤrker, dann die Octave hinauf ging, noch drei vier Toͤne hoͤher stieg, und wie aus weiter Ferne den schoͤnen Satz mit einem leise anschwellenden und sich dann in ein liebliches Piano aufloͤsenden Triller schloß, — da verging mir der Athem, ich konnte nicht laͤnger, die Finger versagten ihren Dienst, ich mußte aufhoͤren. Der Organist erschrak uͤber mein ploͤtzliches Ver¬ stummen, und spielte auf dem Cello meine Parthie aus dem Kopfe. Zum Gluͤck mogte es eben niemand gemerkt haben, bis auf die holdselige Marie, dies war ihr Name, denn sie sah mich mit einem wunderbaren Blicke an, als wolle sie mir damit Muth einfloͤßen, und ich nickte dem Cellospieler zu, zum Zeichen, daß ich fortfahren werde. Ich hatte wirklich nun wahren Muth bekommen, ich fuͤhrte meinen Bogen keck, alle schwierigen Passagen gelangen auf das Beste, und als ich am Schlusse des herrlichen, seelenvollen Gesanges wie ein verklingendes Echo den letzten Stimmensatz wiederholen mußte, und dann mit einigen energischen Strichen schloß, sagte mir der rauschende Beifall, daß ich meine Sache so gar uͤbel nicht gemacht habe. Ich legte schnell die Geige bei Seite, und trat schuͤchtern dem engelschoͤnen Maͤdchen naͤher. „Sie muͤssen mir zuͤrnen, mein Fraͤulein,“ begann ich mit bebender Stimme, „die Begleitung Ihres meisterhaften Gesanges wurde einem unerfahrnen Stuͤmper zu Theil, wenn ich gleich gestehn muß, daß mich nichts, als Ihr hinreißender Vortrag aus den Noten herausbrachte. Darf ich auf Ihre Vergebung rechnen?“ Mariens Gesicht uͤberflog ein leises Erroͤthen, sie hob ihr klares Seelenauge zu mir empor, und sagte laͤchlend: „Es bedarf der Vergebung nicht; und wenn ich dem, was Sie zuletzt sagten, trauen darf, so waͤre jeder Tadel von meiner Seite ein Vergehen, denn Ihre Verirrung bliebe dann immer eine Lobrede meines unvollkommnen Ge¬ sanges!“ Eine so freundliche und fein verbindliche Wendung hatte ich nicht erwartet; ich ergriff die runde, weiche Flaumenhand der lieblichen Saͤngerin, die sie mir willig uͤberließ, und zog sie an meine brennenden Lippen. Da kam ihr Vater herbei, er sah mich mit einem stolzen Blicke an, und ich trat zu dem nicht fern stehenden Le¬ gationsrath. Er fragte mich hundertmal in einem 9 Athem, und ich wußte kaum, was ich geantwortet. Ich sah nach meiner Uhr; es war in der That spaͤt geworden, und beschloß, am Arme des ent¬ zuͤckten Legationsrathes meine einsame Wohnung aufzusuchen. In der letzten Aufregung hatte ich mich sehr an den koͤstlichen Punsch gehalten, es mogte wohl zu viel gewesen sein, denn es schien sich mir Alles zu verwirren, und ich waͤhnte zu traͤumen. Vor dem Hause hielt ein schoͤner Wagen; nach wenigen Augenblicken erschien der Freiherr mit Marien und seiner Frau. Die Be¬ dienten hielten hellleuchtende Laternen in den Haͤnden, und ein magischer Schein fiel auf die reizende Gestalt des Maͤdchens, das in meinem Herzen eine so ploͤtzliche Verheerung angerichtet, und ehe ich noch recht zu mir selbst kam, rollte der Wagen bereits um die Ecke der duͤstern Straße. Der Legationsrath faßte krampfhaft meinen Arm in den seinen, und nach einem kurzen Schweigen begann er: „Mir ist solch ein Engel noch nicht vorgekommen, aber was mich im Vor¬ aus betruͤbt macht, ja mich empoͤren kann, ist der alberne, sinnlose Stolz des Alten. Wir sind doch meiner Seele nicht vom gemeinsten Gewaͤchs, und haben Sie wohl die Blicke gesehn, die mir der Mensch zuwarf, als ich mit seinem Kinde sprach?“ „Wenn Sie daruͤber klagen wollen,“ entgeg¬ nete ich mit einem Seufzer, „was soll ich da sagen? Ihre Aussichten in die Zukunft sind die angenehmsten; Sie werden ein Sie ehrendes Amt erhalten, eine reiche Erbschaft fehlt eben so wenig; was wollen Sie noch?“ Mein Begleiter lachte, daß es in der oͤden Straße wiederhallte, und fuhr fort: „Da sind Sie im Irrthum; wenn ich ein Graf waͤre, ein Gesandter selbst, oder so ein aͤhnliches Wunderthier, da waͤre das ein anderes. Aber Sie kennen diese eigentlich erbaͤrmlichen Menschen noch nicht! — Ich weiß durch meinen Oheim, den Probst, der den Freiherrn genau kennt, was er fuͤr Plaͤne macht. Und staͤnde mein Oheim nicht so gut bei Hofe angeschrieben, haͤtte er nicht alle Dienstverbesserungen bloß darum abgelehnt, weil er reich, und durch seinen alten Adel vornehm genug ist, wer weiß, ob der alte Struen in ihm seinen Verwandten ehrte!“ „Sind sie denn verwandt?“ fragte ich. „Nun auf diese Weise muͤssen Sie, mein Freund, leichtes Spiel haben. Ich wuͤnsche Gluͤck!“ „Nein,“ erwiederte der Legationsrath, und schlug mit mir rasch einen Seitenweg ein, der mich von meiner Wohnung immer mehr entfernte, 9 * „ich nehme hier ein anderes Interesse, denn mein Herz ist bereits unter billigen und angenehmen Bedingungen untergebracht. Sehn Sie, die alte Struen ist catholisch; ihr Mann ist zwar Pro¬ testant, aber ein bigotter Narr, der seiner Gemahlin das Wort gegeben hat, nur ein Catholik solle dereinst die Hand ihres Kindes empfangen. Freilich weiß ich, daß der Mann auch einen enor¬ men Geiz besitzt, und wenn so ein aͤchter Gold¬ fisch kommt, so widersteht er keinen Augenblick. Beim Himmel, das Maͤdchen ist zum Anbeten schoͤn und liebenswerth! Und dabei diese Beschei¬ denheit, diese Demuth in Blick und Haltung! Blauenstein, hier zu siegen, muß goͤttlich sein! —“ Ich konnte auf seine stuͤrmischen Äußerungen nur mit einem Seufzer antworten, und ließ mich von ihm durch eine Reihe von Straßen mit fort¬ ziehn. Endlich stand mein Begleiter vor einem Palais der Vorstadt still, das mir schon laͤngst wegen seiner soliden, geschmackvollen Bauart auf¬ gefallen war, und zeigte nach einem hell erleuch¬ teten Zimmer, indem er sagte: „Da wohnt sie, von der wir sprachen; versuchen Sie Ihr Gluͤck, ihr Auge hat einigemal wohlgefaͤllig auf Ihnen geruht. Aber nun auch gute Nacht, bald mehr!“ Der sonderbare Mensch rannte fort, und ließ mich tief in Gedanken allein. Oben an den be¬ zeichneten Fenstern bewegte sich eine Gestalt; sie oͤffnete einen Fensterfluͤgel, und ich druͤckte mich an eine Seitenmauer. Es war niemand anders, als Marie; ihre Gestalt konnte ich mit Bestimmt¬ heit unterscheiden, nur ihr liebliches Gesicht war mit Nacht bedeckt. Hatte ich nicht sehr geirrt, so entquoll ihrer keuschen Brust ein Seufzer, es war Alles um mich her in eine Grabesstille ver¬ sunken, es konnte meinem Ohre nichts entgehn. Gott, wenn sie nicht gluͤcklich waͤre, dachte ich bei mir, und machte eine leise Bewegung. Viel¬ leicht hatte sie mich bemerkt, denn das Fenster schloß sich, und die liebholde Gestalt kam nicht wieder zum Vorschein. Ich suchte in Gedanken versunken meine stille Wohnung auf. Der alte Diener meiner Wirthin oͤffnete mir mit einem schlaftrunkenen Gesicht, und haͤndigte mir einen Brief ein, der am Abend noch ange¬ kommen war. Er kam von meinem Schutzpatron Maiberg, und enthielt die angenehme Neuigkeit, daß er von meiner Angelegenheit das Beste hoffe. Jedes sich noch vorfindende Actenstuͤck sollte ich ihm nur sogleich zusenden, und Muth haben. Fuͤr die Erhaltung meines mir von Gott und Rechts wegen zukommenden Vermoͤgens hatte ich wirklich Muth, denn meine Sache lag in der Hand eines redlichen, geistvollen Mannes, so wie des oft stets gerechten Schicksals. Aber eine neue Sorge ging in meinem Innern auf; ich dachte kaum an die Erlangung von Reichthuͤmern, und hing meiner stillen Wehmuth nach. Ich fuͤhlte es, ohne Marien konnte ich nicht gluͤcklich sein, nur ihre Liebe vermogte meinem Leben die wahre Bedeutung zu verleihn! War ich denn aber auch berechtigt, so zu denken, mußte ich nicht erst pruͤ¬ fen, ehe ich mich einer Liebe hingab, die in Lei¬ denschaft auszuarten drohte? — Das liebende Herz waͤhlt stets seinen eigenen Weg, es fraͤgt die Vernunft nicht lange um Rath, will zum Ziele gelangen, oder in seinem Grame vergehn! — Ich hatte seit jenem Abende Marien nicht wiedergesehn, und ich sehnte mich so innig nach ihrem Anblick. Aber wie es anfangen? — Eines Tags kam der Legationsrath zu mir, und fragte, ob ich die neue Gemaͤldesammlung schon gesehn, welche seit einiger Zeit im Gebaͤude der Kunstacademie aufgestellt sei. Ich mußte verneinen, aber beschloß, die neuen Schaͤtze sogleich in Augenschein zu nehmen. Der Legationsrath ruͤhmte besonders eine heilige Caͤcilie eines unbe¬ kannten Meisters, welche unverkennbar mit Marien Ähnlichkeit habe, und versprach, mich nach einer Stunde, waͤhrend welcher er beschaͤftigt war, in der Gallerie aufzusuchen. Ich trat nach wenigen Minuten in das Heiligthum der Kunst; eine Menge Kenner und Neugierige aller Staͤnde wogten in den Saͤlen umher; nur in einem Sei¬ tengemache, wo die auserlesensten Stuͤcke hingen, war es nicht so voll von Beschauern, indem hier nicht ein jeder hineingelassen wurde. Der Auf¬ seher, ein freundlicher Greis, der mir laͤngst be¬ kannt war, fuͤhrte mich hinein, und deutete mit der Hand nach den besten Bildern hin. Vor dem Bilde der heiligen Caͤcilie stand eine junge Dame, die mir den Ruͤcken zuwandte; ich ging nach der andern Seite, und sah ihr Gesicht. Gott, es war Marie! Sie erwiederte meinen Gruß freundlich laͤchlend, und fragte mit der ganzen Anmuth ihres bezaubernden Wesens, ob ich ein Gemaͤldefreund sei. Wir kamen bald auf den Concertabend beim Probst; sie entwickelte mir ein so tiefes Gefuͤhl im Bezug auf Musik und ihr ganzes kindliches Gemuͤth, daß mir die Zeit mit unbegreiflicher Schnelligkeit entfloh. Eine junge Dame, sie mogte mit Marien gekommen sein, hing sich jetzt mit freundlichem Kosen an ihren Arm, und erinnerte sie an das ihr gegebene Versprechen, mit ihr ein Stuͤndchen im botanischen Garten zuzu¬ bringen. Marie schien unwillkuͤhrlich zu erschrecken, daß sie die Gallerie so ploͤtzlich verlassen solle; Antonie, dies war der Name ihrer Freundin, deren Eltern, wie ich mich jetzt genau erinnerte, ich kannte, schmeichelte aber so suͤß, und bat so drin¬ gend, daß sich Marie zum Aufbruch entschloß. Sie fluͤsterte ihr ein Paar Worte in das Ohr, erroͤthete, und sah mich ein wenig von der Seite an. Noch ehe ich uͤberlegen konnte, was dies zu bedeuten habe, verkuͤndete der alte Gallerieinspector, daß die Saͤle geschlossen wuͤrden. „Siehst Du, meine holde Marie,“ sagte Antonie und sah ihrer Freundin in das klare Seelenauge, „die Stunde hatte geschlagen, und wir duͤrfen hier nicht laͤnger weilen!“ Ich bot den Damen meinen Arm, denn das Gedraͤnge der Menschen ließ nicht ab; vor dem hohen Portale des Hauses wollte dann Marie den Wagen erwarten, und mit ihrer Freundin nach dem botanischen Garten fahren. Aber es kam kein Wagen; die Damen waren ungeduldig, und schon entschlossen, zu Fuß die Wanderung zu unternehmen, als ich einen eleganten Mieths¬ kutscher herbeirief, und die Damen bat, den Wagen als ein Surrogat ihrer Equipage anzusehn. Antonie wurde etwas verlegen, aber Marie dankte mir in ihrer liebenswuͤrdigen Unbefangenheit, und stieg mit ihrer Freundin, von mir unterstuͤtzt, ein. Unmoͤglich konnte ich mich fuͤr immer, oder doch auf eine lange Zeit von den Damen trennen, ich fragte daher nicht ohne eine gewisse Ängstlichkeit, ob es mir erlaubt sei, nach dem Garten zu folgen. Marie sah ihre Freundin fragend an, und erwie¬ derte, sie habe gemeint, ich werde beide in diesem Wagen hinaus begleiten; ich sei ihr auf jeden Fall sehr willkommen. Allein ich verbeugte mich tief, gab dem Kutscher einen Wink und war in wenig Minuten an dem bezeichneten Orte. Ich lief durch die Straße, daß mir der Athem ganz fehlte; meine erste Frage an einen der Diener im Garten war, ob die Damen bereits angekommen, und wo sie sich befaͤnden. Der Toͤlpel lachte mir in's Gesicht, vielleicht mag ich eigen ausgesehn haben, und zeigte nach einem Pavillon, auf den ich nun mit starken Schritten losging. Ich be¬ merkte allerdings zu meiner Freude ein Paar Damen, vermogte jedoch noch keine zu erkennen. Hatte der verschmitzte Narr vom Gaͤrtnerburschen seinen Scherz mit mir getrieben? das waren die ersehnten Himmelskinder nicht! Zwei unfoͤrmliche, alte Weiber aus der gewoͤhnlichen Classe saßen hier, schluͤrften mit widrigem Appetit Kaffee, und verschlangen einen Berg von kleinen Milchbroden. Sie sollten also noch kommen. Wie konnte ich auch erwarten, die beiden Maͤdchen schon zu finden, da ich so uͤber die Maßen gelaufen war! — Kam nicht durch die hohe eiserne Gartenthuͤr etwas? Richtig; aber nicht zwei, sondern drei Damen, und die sehnlich Erwarteten waren nicht dabei! Es verging eine schmerzliche Viertelstunde nach der andern, ich rannte wie ein halb Ver¬ ruͤckter von einem Gange des herrlichen Gartens zum andern, und niemand erschien. Wie oft war ich schon hier gewesen, wie hatte ich mich ergoͤtzt an den tausend herrlichen Blumen des Auslandes, die hier in den großen Gewaͤchshaͤusern so uͤppig gediehn; aber heute hatte die Blumenwelt keinen Reiz fuͤr das ungestuͤme Herz. Nur um nicht mehr von dem Burschen verlacht zu werden, denn der Mensch verlor mich nicht aus dem Auge, trat ich vor einen Glasverschlag, und blickte gleich¬ guͤltig nach dem großen Cactus Cactus grandiflorus . , dessen gelbliche Duͤte so wuͤrzigen Duft spendet und in einem gelben Blaͤtterstrahle wie eine Sonne glaͤnzt, und verweilte hoͤchst zerstreut bei seinem juͤngern Bruder, Cactus speciosus. der zwar geruchlos, aber wunderherrlich in seinem Purpur schimmerte. Doch da bluͤhte ein wunderbares Pflaͤnzchen; es verdiente Auf¬ merksamkeit, weil ich es mit meinem Herzen ver¬ gleichen konnte, das von der Beruͤhrung der jetzt oft rauhen Außenwelt in einander zuckte; es war die bekannte, empfindliche Sinnpflanze Mimosa sensitiva , eine besonders an den Ufern des Amazonenflusses heimische Pflanze. aus Brasilien. Die Geigenblaͤttrige Trompeten¬ blume Bignonia pandorana. a) Corchorus japonicus. b) Reginae Amaryllis , auf den caraibischen Inseln zu Hause. c ) Vermuthlich eine Anspielung auf eine sehr hochstaͤmmige Palme aus der Barbarei, chamaeraps barbarea. erhielt nur wegen ihrer musicalischen Verwandtschaft einen fluͤchtigen Blick; das japa¬ nische Stattkraut a ) und die koͤnigliche Amaryllis b ) wurden ganz uͤbergangen, sammt einer unfoͤrmlichen Palme, c ) die ich schon deshalb haßte, weil sie barbarisch war. Ohne mich um die Kaffeeschluͤr¬ ferinnen, die sehr neugierig mein Benehmen zu beobachten schienen, eines Blicks zu wuͤrdigen, rannte ich fort nach dem Platze, um wenigstens meines treulosen Miethskutschers noch einmal an¬ sichtig zu werden, der noch seinen Lohn nicht er¬ halten hatte. Wahrhaftig, der Mensch hielt mit seinem Wagen bereits in der Naͤhe der Academie, und lachte, als er mich erblickte. Meine erste Frage war, weshalb er die Damen nicht nach dem Garten gefahren; aber er meinte, er habe den Befehl erhalten, zu schweigen, und auch als ich meine Boͤrse zog, um ihn durch Geld mehr beredt zu machen, schuͤttelte er mit dem Kopfe, und sagte, er habe seinen Lohn bereits erhalten, und zwar sehr reichlich. — An jedem der dazu bestimmten Tage war ich in der Gemaͤldegallerie; ich stand ganze Stunden vor der heiligen Caͤcilie, aus der mir Mariens En¬ gelszuͤge entgegenlaͤchleten, aber sie selbst erschien nicht wieder. Endlich, es mogten einige Wochen vergangen sein, traf ich Antonie auf der Prome¬ nade. Im freudigen Erschrecken blieb ich vor ihr stehn, sie war ganz allein, und harrte nur ihres juͤngsten Bruͤderchens, das sich am Wege niedergebuͤckt hatte, und bunte Steinchen auflas. Ich konnte also reden. Sie selbst schien uͤberrascht, und beantwortete meine Frage, weshalb sie neulich mit ihrer Freundin so grausam und spurlos ver¬ schwunden sei, zweideutig und ausbeugend. „Sie sind,“ hob ich an, und sah in ihr ehrliches Auge, „Sie sind Mariens Freundin, Sie besitzen ihr Vertrauen; darf ich Ihnen ein Gestaͤndniß thun?“ „Reden Sie nicht vor der Zeit, Herr von Blauenstein,“ erwiederte sie mit einer gewissen Beklommenheit, „es hat sich Manches ereignet, das bedeutende Folgen nach sich ziehen koͤnnte. Sie selbst, warum soll ich es nicht sagen, sind mit im Spiele, und wenn ich Ihnen schon die Versicherung geben kann, daß Marie Ihnen wohl will, so weiß ich doch bestimmt, daß es ihr lieber sein muß, wenn Sie meine Freundin vermeiden!“ „Sie sprechen in Raͤthseln, mein Fraͤulein,“ erwiederte ich, „es muß etwas vorgefallen sein, von dem ich nichts weiß, wenigstens kann ich den Zusammenhang nicht fassen. Ich beschwoͤre Sie, reißen Sie mich aus dieser toͤdtenden Ungewißheit!“ „Daß Sie meine Freundin lieben, ist mir nicht unbekannt,“ erwiederte sie; „aber es ist noͤthig, Ihnen kuͤrzlich eine Aufklaͤrung zu geben, da Sie noch jetzt kraͤftig fuͤr sich selbst wirken koͤnnen. Sie lernten meine theure Marie im Hause des Probstes Kirchheim kennen; was Sie empfanden, moͤgen Sie selbst ermessen. Der Freiherr, Mariens Vater, erkundigte sich lebhaft nach Ihnen, als er Sie im Gespraͤch mit seiner Tochter erblickte. Er ist ein feiner Menschenkenner, und mogte Sie vielleicht ergruͤndet haben, ehe Sie es vermutheten. Sie trafen uns neulich in der Gemaͤldegallerie; vor dem Hause mußten wir, wie Sie sich erinnern, auf den ausbleibenden Wagen warten, und wurden vom Freiherrn gesehn, der sich zufaͤllig gegenuͤber im Hotel de Saxe bei einem eben angekommenen Fremden befand. Er schoͤpft nach seiner kalten, ach wohl herzlosen Weise Verdacht, und schickt unserm Wagen seinen Diener nach. Ich mußte mir die bittersten Dinge sagen lassen, denn er bildete sich ein, ich sei Ihre Vertraute, und wuͤnsche eine Zusammenkunft zwischen Marien und Ihnen zu bewerkstelligen. Marie wurde einem strengen Verhoͤr unterworfen; nach Ihnen wurde geforscht, man zog Erkundi¬ gungen aller Art uͤber Sie ein. Den Grund moͤgen Sie selbst errathen. Marie hat mir seit der Zeit nur schreiben koͤnnen, weil sie mich auf Befehl ihres Vaters vermeiden mußte.“ Antonie schwieg, und meine Verwunderung war meinem Schmerze gleich. Es traten Thraͤnen in meine Augen, ich ergriff Antoniens Hand, ich beschwor sie, mir Gelegenheit zu verschaffen, Marien zu sprechen. „Vielleicht,“ sagte ich, „hegt der Freiherr mildere Gesinnungen, als wir glauben, denn weshalb haͤtte er sich sonst nach mir er¬ kundigt? Mein Vermoͤgen wird mir bald gerettet sein, ich darf ihr meine Hand reichen, denn meine Geburt ist der ihrigen gleich!“ „Was Ihr Vermoͤgen betrifft,“ erwiederte Antonie, „so hat der Freiherr geaͤußert, es waͤre so gut als verloren; auch in diesem Punkte hat er sich zu unterrichten gewußt. Aber seine Ge¬ mahlin ist catholischen Glaubens, und Marie soll nur einem Glaubensverwandten ihre Hand reichen!“ „Sie verwunden mein Herz durch diese Nach¬ richt tief!“ erwiederte ich. „Aber dennoch bitte ich Sie, mir meine Bitte nicht abzuschlagen. Ich werde mit Ihrer Mutter reden, sie wird Mitleid mit mir haben, und mir gewaͤhren, ohne das ich nicht gluͤcklich sein kann!“ „Sind Sie,“ fragte Antonie laͤchlend, „Sind Sie denn Ihrer Sache so gewiß, Herr v. Blauen¬ stein? Halten Sie ein bloßes Wohlwollen von Seiten meiner Freundin nicht gleich fuͤr Gegen¬ liebe. Aber ich selbst wuͤnsche eine Zusammenkunft, vielleicht laͤßt sich Manches ausgleichen, Sie koͤnnen sich mit Marien berathen, um vielleicht alle Mißverstaͤndnisse aus dem Wege zu raͤumen, aus denen der Freiherr Gift saugt!“ „Also bloß darum?“ fragte ich schmerzlich. Aber Antonie laͤchelte freundlich, und erwiederte, ich moͤge in ihren Mittheilungen ihr Vertrauen ehren, und das Lebensgluͤck ihrer Freundin nicht stoͤh¬ ren, welches allein sie zu den heutigen unangenehmen Eroͤrterungen gefuͤhrt. „Heute Nachmittag,“ fuhr sie fort, und sah sich um, ob etwa ein unberufener Lauscher zu befuͤrchten sei, „heute Nachmittag besucht mich Marie. Sie kennen unsere Wohnung; mit meiner Mutter rede ich sogleich, und Sie moͤgen dann um fuͤnf Uhr erscheinen. Aber ja nicht fruͤher! Wir wollen noch eine Vorsicht an¬ wenden ; Sie wissen vielleicht, daß wir hinter unserm Wohnhause einen Garten besitzen; er liegt so, daß der Eintretende nicht bemerkt werden kann; und es moͤgte wohl rathsam sein, wenn Sie auf diese Weise durch den Garten in unser Haus gelangten. Also um fuͤnf Uhr finden Sie sich an der gruͤnen Gartenpforte ein. Aber auch nun kein Wort mehr, ich eile zu meiner Mutter!“ Antonie reichte mir ihre Hand, die ich an meine Lippen druͤckte, und ließ mich mit meinen Gedanken allein. Ich war ganz im Innern ver¬ wirrt; mein Herz pochte ungestuͤm, und mir kam der ganze heutige Tag vor, wie ein Traum. Meine alte Wirthin schuͤttelte uͤber mein auffallendes Benehmen den Kopf; ich ruͤhrte keine Speise an, und rannte unruhig in meinem Zimmer umher. Es schlug endlich vier Uhr; nach fuͤnf Minuten war ich vor den Thoren der Residenz, ich durchschweifte die Gegend, und entdeckte endlich Antoniens Garten. Mit welchen Empfin¬ dungen oͤffnete ich die Thuͤre, als die fuͤnfte Stunde herbeigekommen war! — Antonie saß mit ihrer Mutter in einem freund¬ lichen Gartenhaͤuschen, und ich wurde mit einer Artigkeit empfangen, die mich meine druͤckende Angst vergessen ließ. Antoniens Mutter verließ uns kurz darauf, und ehe ich noch fragen konnte, wo denn Marie weile, trat sie selbst in ihrer Anmuth zu uns heran, und schloß ihre Freundin in die Arme. „Vergeben Sie diese Raschheit,“ hob ich an, und nahte mich Marien, „aber mein Herz sah keinen andern Ausweg. Ich weiß, was man mit Ihnen vorhat, mein Fraͤulein, aber fuͤrchten Sie die Plaͤne der Politik nicht, wo treue Liebe 10 Ihnen die Hand bietet! — Darf ich Ihnen gestehn, wie unendlich theuer Sie meinem Herzen sind?“ — Marie erroͤthete, sie entzog mir leise ihre Hand und sagte: „Wir sollten uns wohl erst mehr kennen lernen; kaum, daß ich Sie zweimal sah! — Aber Sie verkennen meine Eltern, wenig¬ stens meinen Vater. Sollte Antonie in ihrem Eifer zu weit gegangen sein, sollte sie die so ganz mißverstehen, welche mir ihre Liebe so unver¬ kennbar zeigen?“ Antonie wandte sich von uns ab; es schien, als unterdruͤcke sie eine Thraͤne, und ich sprach im Rausch meiner Seligkeit von nichts, als der Zukunft, die sich mir zum Himmel gestalten wuͤrde, wenn ich ihr an Mariens Hand entgegen¬ gehn koͤnnte. Marie sah mich mit einem Blick des suͤßesten Wohlwollens an; in ihrem Auge lag das Gestaͤndniß ihrer Gegenliebe; ich schloß sie in tiefer Bewegung in meine Arme, und ein minutenlanger Kuß besiegelte den schoͤnen Bund der treusten Herzen! Ich war ein anderer Mensch geworden, Ma¬ riens Liebe hatte mich umgewandelt! „Aber Kinder,“ hob Antonie darauf mit em¬ porgehobenem Finger an, und machte ein zum Todtlachen ernsthaftes Gesichtchen, „Ihr steht hier und raspelt Suͤßholz, ohne Eurer Lage und des eigentlichen Zwecks Eures heutigen Zusammen¬ seins zu gedenken. Auch zugegeben, Mariens Eltern sind dieser Verbindung nicht entgegen, so waͤre es doch wohl rathsam und ersprießlich, wenn man sich gegenseitig etwas mehr zu ergruͤnden suchte; denn diese Raschheit will mir nicht ganz gefallen!“ Aber ich lachte ihr in die ernsthafte Miene, erzaͤhlte ihr in einem Athem zehn Beispiele, wie sich treue Herzen in wenig Augenblicken erkannt, und in suͤßer schneller Vereinigung ihr ganzes Gluͤck gefunden. „Meinen Sie denn, fuhr ich fort, und schlang meinen Arm um Mariens schlanken Sylphenleib, „meinen Sie denn, daß eine langgedehnte Bekanntschaft zu etwas Großem hilft? Im Gegentheil; die Beobachtete giebt sich immer anders, als sie ist; und nur das uͤberraschte Herz wird in seinem Werth oder Unwerth erkannt!“ Antonie murmelte so etwas von einer sonder¬ baren Theorie, der sie keinen Geschmack abge¬ 10 * winnen koͤnne, und erinnerte mich zuletzt an die Scheidestunde. „Sein Sie nicht grausam, theure Antonie,“ flehte ich mit emporgehobenen Haͤnden, „diese Stunden kehren nie, nie wieder, und Sie wollen sie mir freventlich abkuͤrzen?“ — „Doch, doch, es muß sein!“ sagte meine Marie dringend, und legte ihr Koͤpfchen an meine Schulter. „Aber wir sehn uns bald wieder! Der Mittwoch sei unserer Zusammenkunft bei Antonie geweiht. Nicht wahr, mein Maͤdchen, Du wirst nicht boͤse?“ — Diese suͤße, holde Natuͤrlichkeit brachte mich ganz aus aller Fassung; ich konnte von dem Engel nicht loskommen, immer zog es mich wieder in ihre keuschen Arme, jeder Kuß, den mir ihre wuͤrzigen Lippen mit braͤutlicher Hingebung boten, sollte der Abschiedskuß sein, und doch stand ich noch immer, meinen Arm um sie geschlungen, das Land der paradiesischen Liebe hatte sich mir geoͤffnet, und ihr Zauber umsing meine Sinne! Ich konnte nicht fort. Da wurde es Antonie zu arg, sie ergriff eine Weinranke, und verfolgte mich, wie der erzuͤrnte Engel mit dem Flammen¬ schwert im Paradiese, bis zur Gartenthuͤr; noch einen Kuß auf Mariens Lippen wollte ich mit¬ nehmen, aber es wurde nicht verstattet, und ich stand vor dem verschlossenen Himmel meiner se¬ ligsten Freuden! Beinahe taͤglich war ich in der Gesellschaft Antoniens und ihrer trefflichen Mutter; im Daͤmmerstuͤndchen sprachen wir, nachdem ich einen kurzen Bericht uͤber die Lage meines Prozesses erstattet, von der Zukunft, von meinem Gluͤck an der Seite des holden Engels, der mich durch seine Liebe zum reichsten Sterblichen erhob. Das herrliche Stammschloß meiner Ahnen, das mein gewissenloser Gegner mit aller gemaͤchlichen Ruhe bewohnte, sollte unser Sommeraufenthalt werden; Antonie durfte dabei niemals fehlen, und in dieser gemuͤthlichen Unterhaltung entschwand der Abend wie auf Fluͤgeln. Jeden Mittwoch regelmaͤßig erschien Marie, und brachte mir der Kuͤsse suͤßeste mit keuscher Liebe entgegen! Einst sagte mir Antonie im Vertraun, es schiene ihr, als sei mir der Freiherr abermals auf der Spur, ich moͤge alle moͤgliche Vorsicht anwenden. Allein mir kam dies sehr, unwahr¬ scheinlich vor, und sorglos uͤberließ ich mich den stillen, seligen Freuden meiner Liebe. Hatte ich erst mein Vermoͤgen wieder erworben, dann war mir nicht mehr fuͤr meine Liebe bange, und der Freiherr sagte ja. An einem Herbsttage, es war am 23sten October, erschien die ersehnte Stunde, wo ich zu Antonie ging, um mich an Mariens Trost und Liebe zu erholen, denn Maibergs Nachrichten hatten mich traurig gemacht, aber mein Gluͤck sollte gebrochen werden. Ich fand meine Marie bereits im Garten; wir gingen Arm in Arm durch die lauschigen Gaͤnge, und ich theilte ihr meine Aussicht mit, vielleicht in ein Regiment eintreten zu koͤnnen, das in dieser Zeit organisirt wurde. Sie sprach ihre Zufriedenheit daruͤber aus, und war eben im Begriff nach meiner Rechtsangelegenheit zu fragen, als Antonie ganz erschrocken und bleich heraneilte, und uns zuwinkte; ich wollte fragen, was ihr zugestoßen sei, da vertrat mir ploͤtzlich der alte Freiherr v. Struen, Mariens Vater, mit hoͤhnischer und halb zorniger Miene den Weg. Ich faßte mich schnell, und wollte reden, allein er wendete mir den Ruͤcken, und sagte zu der beinahe ohnmaͤchtigen Marie, indem er sie ungestuͤm bei der Hand ergriff: „Ungera¬ thenes, entartetes Kind, muß ich Dich hier in solch sauberer Gesellschaft, in den Armen eines ehrvergessenen Verfuͤhrers aufsuchen?!“ „Herr!“ begann ich im hoͤchsten Grade beleidigt, „nur der Zorn giebt Ihnen dies uͤbereilte Wort ein! Wuͤßten Sie, wie treu ich Marien liebe, wie —“ „Mit Ihnen,“ unterbrach er mich schnell, „rede ich kein Wort, und Sie werden so gut sein, uns zu verlassen. Ich verbitte daher alles Romanen¬ geschwaͤtz!“ Marie war ihrer nicht maͤchtig, sie sank er¬ schoͤpft dem gereizten Vater in die Arme. Ich stand stumm und wie vernichtet, ich hoͤrte nur noch die Schmaͤhungen, die er gegen die arme Antonie ausgoß, und entfernte mich auf einen Wink der letztern. Es vergingen drei, vier Tage, ich vermogte keinen Entschluß zu fassen. Endlich schien es mir rathsam, an den Freiherrn zu schreiben, ihm meine Lage auseinander zu setzen, und um die Hand seiner Tochter zu werben. Antonie war nie im Hause anzutreffen, oder sie verlaͤugnete sich; von ihr hatte ich keinen Rath zu erwarten, und geschehen mußte doch etwas. Ich setzte mich nieder, und schrieb in demselben Augenblicke, als mir Maiberg meldete, das quaͤstionirte Capital von 80,000 Thalern in Golde sei gewonnen, und der Zahlungstermin festgesetzt. Herzlicher, uͤber¬ redender konnte niemand schreiben, als ich es von meiner Liebe begeistert gethan; wurde der Frei¬ herr hierdurch nicht bewegt, so war mir Marie fuͤr immer verloren, Am Morgen sandte ich den Brief in des Freiherrn Hotel, und gegen Abend empfing ich folgende Zeilen: „Mon chere Lieutenant! Es stand zu vermuthen, was Ihr Brief ent¬ halten wuͤrde, und ich wollte anfangs Bedenken tragen, ihn zu erbrechen. Damit ich nicht fuͤr unbillig gelte, gab ich nach, und habe ihre An¬ traͤge gelesen. Sie haben einen nicht unbedeutenden Rechtshandel, je le sais; mais mon chere, ob er zu Ihren Gunsten ausfaͤllt, bezweifelt jeder Sachverstaͤndige, denn Ihre Sache ist critisch, und ungerecht; çela en passant . Aber Sie sind ohne Dienst, und einem Bettler reicht mein Kind ihre Hand nie. Dies auf den ersten Theil Ihres Schreibens. Allein Sie sind auch ferner refor¬ mirten Glaubens, meine Tochter dem catholischen ergeben, und nur Glaubensverwandte duͤrfen es wagen, sich um meine Tochter zu bewerben, wonach sich zu richten. Behelligen Sie weder mich, noch meine Tochter mit fernern unerwuͤnschten Antraͤgen, und suchen Sie vor allen Dingen wieder einen Dienst zu bekommen! Ihr wohlaffectionirter Boromaͤus, Freiherr von und zu Struen.“ Das ungluͤckliche Blatt flog in meiner Hand; ich sank erstarrt nieder, und waͤhnte mich im Arme irgend eines schrecklichen Traums. Aber das Erwachen zum wirklichen Leben erinnerte mich an die furchtbare Wahrheit dessen, was sich begeben: ich hatte sie verloren! — Antonie mogte von meinem letzten Schritte gehoͤrt haben, sie verweigerte mir nicht mehr, mich zu sehn, und gestand mir unter heißen Thraͤnen, daß Marie fort sei, niemand wisse wohin. Ich war wie vernichtet, keines Entschlusses faͤhig, und schwankte umher, wie ein Schatten. Ein dringender Brief von Maiberg lud mich zu ihm ein; er machte mir nebst seiner Familie lebhafte Vorwuͤrfe, wes¬ halb ich gar nichts vor mir hoͤren und sehn lasse, und bestellte mir herzliche Gruͤße von seiner Tochter Hannchen, welche auf vielleicht einige Jahre zu einer Tante gereis't war. Das gute Kind hing an mir mit schwesterlicher Innigkeit. „Aber mein Himmel, was fehlt Ihnen?“ fragte mich Maiberg, und zog mich beim Arme in sein Arbeitszimmer, „sagen Sie, junger Freund, was ist Ihnen widerfahren? Ihr Prozeß steht trefflich, Sorgen von dieser Seite koͤnnen nicht vorhanden sein, und doch sagt Ihre Miene, Ihre Leichenblaͤsse, daß hier etwas vorgefallen sein muß?“ — Maiberg war ja jetzt fast mein einziger Freund; ich erzaͤhlte ihm die ganze Geschichte, und fragte ihn um Rath. „Hm, hm!“ brummte er vor sich hin, „das ist eine kitzliche Sache. Aber Sie thun mir herzlich leid. Ich weiß einen Weg, ich will ihn versuchen; wenn der nicht gluͤckt, so giebt es keinen in der Welt weiter!“ „Und der waͤre?“ fragte ich neugierig und rasch. „Ich wende mich an den Probst Kirchheim, vielleicht der einzige Freund des alten Struen, der einigen Einfluß hat,“ sagte Maiberg schnell. „Kirchheim will mir wohl,“ erwiederte ich, „aber ich zweifle nicht am Mißlingen dieses Planes!“ — „Nun, nur Muth!“ sprach Maiberg troͤstend. „Und wenn es fehl schlaͤgt, waͤhlen Sie eine andere; bald gehoͤren Sie zu den reichsten Maͤnnern des Landes, und ich wollte das Maͤdchen sehn, das bei Ihren uͤbrigen Eigenschaften nicht gleich zufassen wollte!“ — Ich fuhr nach der Residenz zuruͤck. Nach vierzehn Tagen meldete mir Maiberg, meine Vermuthung sei eingetroffen, und auch dieser Plan fehlgeschlagen. Der Lega¬ tionsrath war durch den Probst, seinen Oheim, von meiner Angelegenheit unterrichtet worden; er eilte zu mir mit der Nachricht, daß Marie wahrscheinlich einem Grafen die Hand reichen werde, der schon fruͤher um sie geworben, der aber die Residenz noch nicht wieder betreten. Seinen Namen wisse er nicht, doch muͤsse er wahrscheinlich Marien bereits im Hause ihres muͤtterlichen Großvaters in N. kennen gelernt haben. Die Residenz ekelte mich an; Maibergs freundschaftliches Anerbieten, zu ihm zu ziehn auf sein freundliches Landgut, schlug ich nicht aus, und nahm mit warmen Thraͤnen von An¬ tonien und ihrer Mutter auf eine lange Zeit Ab¬ schied. Nach einem halben Jahre hoͤrte ich, daß der stolze Freiherr, der allenthalben durch sein anmaßendes Wesen angestoßen, die Residenz ver¬ lassen habe, weil er bei Hofe in Ungnade gefallen sei. Sechs Monat spaͤter erschallte die Nachricht, Marie sei vermaͤhlt, doch herrschten verschiedene Ansichten daruͤber, wer ihr Gemahl sei. Daß die Arme gezwungen war, bezweifelte ich nicht, und suchte ein thaͤtiges Leben auf. Mein Prozeß war nach Jahresfrist gewonnen; aber ich konnte mich in meinem Schmerze des Gutes nicht freun. Ich nahm Kriegsdienste; das Gluͤck begleitete mich, und als die Friedenspalme wehte, kehrte ich als Oberst in meines Freundes Maiberg Arme zuruͤck. Ich hatte ihm kurz vor meiner Ankunft Nachricht gegeben, wann ich eintreffen wuͤrde, und nun empfing mich die befreundete, liebenswuͤrdige Familie mit der alten, bewaͤhrten Herzlichkeit. An Hannchens Hand traten mir die juͤngsten Kinder jubelnd entgegen, und brachten mir den freundlichsten Willkommen. Hannchen, hatten sie die wenigen Jahre, welche ich sie nicht gesehn, so veraͤndert, war Mariens Bild in den Hintergrund meines Herzens getreten, Hannchen uͤberraschte mich durch ihre herangebluͤhte Schoͤn¬ heit eben so sehr, als durch die treu erhaltene Anhaͤnglichkeit an mich, und mit einem Freuden¬ schrei flog sie an mein Herz! — Maiberg freute sich meiner Zuneigung zu seinem Kinde, das er so sehr liebte. Ich mußte dem gefuͤhlvollen Maͤdchen von Marie erzaͤhlen, von meinem Schmerze, meinen zertruͤmmerten Hoff¬ nungen. Nur an der Seite eines so reinen Engels, als Johanne, hatte die Ruͤckerinnerung weniger Herbes; sie stand meinem Herzen nah, und ehe es sich Maiberg versah, warb ich um ihre Hand. Maiberg war verwundert, uͤberrascht, aber mit Freuden segnete er einen Bund, den unsere Herzen geschlossen. Meine Johanne be¬ reitete mir den Himmel auf Erden, ihre Engels¬ guͤte, ihre Reinheit waren nicht fuͤr diese Welt, wo so viel Falsch ist; darum riefen sie auch die Geister des Himmels in ihre bessere Heimath. Nur zwei Jahre lebte ich an der Seite meines Hannchens, und Du kanntest Deine Mutter kaum mein Sohn. Mehrere Jahre nach dem Tode der Unver¬ geßlichen besuchte ich Carlsbad zur Herstellung meiner Gesundheit. Eines Abends durchstreifte ich die Promenade, die gerade ganz menschenleer zu sein schien. Vor mir aber ging eine Dame mit einem kleinen Maͤdchen, das einen Kranz ge¬ wunden hatte, der mit einem Male dem spielenden Haͤndchen entfiel, und von den Wellen des nahen Wassers fortgeschwemmt wurde. Ich fischte den Blumenschatz aus der feuchten Tiefe mit meinem Stocke auf, und reichte ihn dem laͤchlenden Kinde hin. Jetzt blickte sich die Mutter desselben nach mir um; Gott, es war Marie! Sprachlos stand ich ihr gegenuͤber; sie hatte auch mich wieder erkannt, und mir ihre schoͤne Hand reichend, sagte sie: „So finden wir uns wieder?“ Ich mußte ihr von meinem Leben Bericht erstatten; sie freute sich, daß ich an Hannchens Seite gluͤcklich gewesen war, und theilte mir kurz mit, daß sie nach langen Überredungen endlich dem Grafen von Blumenau ihre Hand gereicht, besonders da man ihr von mir erzaͤhlt, ich habe sie laͤngst vergessen und ergoͤtze mich an meinen errungenen Reichthuͤmern. Ihr Gemahl war nicht mit im Bade, und taͤglich war ich in Ma¬ riens Gesellschaft; die Zeit meiner Liebe lebte vor mir auf, ein suͤßes Weh durchbebte mein Herz, und ich sah ein, daß es besser waͤre, der Gefahr zu entfliehn, und alte Wunden nicht wie¬ der aufbrechen zu lassen. Am Abende vor meiner Trennung von Marien, ich wußte, daß ihr Gemahl sie schonend, liebevoll und edel behandelte, bekannte ich ihr den herzlichen Wunsch, daß ihre Tochter Albertine einst die Gattin meines Sohnes werden moͤge. Sie versprach mir, wenn in einem reifen Alter eine Neigung ihres Kindes die Aus¬ fuͤhrung dieses Planes unterstuͤtze, nur Dir, mein Sohn, ihren muͤtterlichen Segen zu ertheilen. Ich reis'te ab, und habe seit der Zeit Marien nicht wieder gesehn. Ich vermied ein Zusammen¬ treffen, weil ich des Grafen heftige Gemuͤthsart und seine Eifersucht durch einen Freund kannte, der sein Vertraun besaß. Aber an Nachricht fehlte es mir nie, eben so wenig an herzlichen Gruͤßen von Marien. Du weißt nun meinen letzten Wunsch; ich fuͤhle, ich werde bald bei meinem Hannchen sein; aber Dich moͤgt' ich noch einmal an meine vaͤ¬ terliche Brust druͤcken. Drum eile, mein geliebter Sohn, eile in meine Arme, daß Du den Seegen Deines Vaters empfangest. —“ 8. Der Brief . Blauenstein war mit den Blaͤttern von der Hand seines Vaters zu Ende. Die letzten Seiten waren unleserlich und mit weniger Zusammen¬ hang geschrieben, so daß man vermuthen konnte, Koͤrperschwaͤche haͤtte ihn abgehalten, mehr auszu¬ fuͤhren, als es gegen das Ende seiner Mitthei¬ lungen der Fall war. Wie sonderbar, wie hoͤchst sonderbar! rief Blauenstein, den letzten Bogen der Lebensgeschichte seines Vaters in der zitternden Hand haltend. Mußte sich dies Alles zu einer Zeit so gestalten, wo ich ohne Hoffnung, nichts als ein wundes Herz mit mir trage? — Es scheint, als ruhe auf unserm Hause ein Fluch; denn des hoͤchsten Gluͤckes, ein theures, innigge¬ liebtes Weib zu besitzen, soll sich niemand von uns erfreun! — Aber ohne sie leben, ohne Tina durchs Leben gehn, wie schaal, wie erbaͤrmlich waͤre das! — Nein, das Schicksal kann so hart nicht sein, es hat seine Opfer empfangen, wenn es sie zu fordern berechtigt war. Aber Staunitz? Er vermogte kein Licht zu gewinnen, und ver¬ langte doch so sehnlich danach. Am rathsamsten schien es ihm, nach langer Überlegung und Pruͤ¬ fung, Tina zu meiden, und wo moͤglich eine Wunde zu heilen, die immer tiefer und gefaͤhrlicher zu werden drohte. So vergingen einige Tage im freudeleeren Hinbruͤten, als ploͤtzlich der Post¬ bote einen Brief von einer unbekannten Hand brachte. Blauenstein oͤffnete, und erstaunte nicht wenig, als er am Ende desselben den Namen Staunitz las. Der Brief lautete folgendergestalt: Blumenau im Febr. 18.. Muß ich Sie, mein verehrter Baron, an eine Nachricht von sich mahnen, die Sie uns Allen seit Monden schuldig geworden sind? Fast vermuthen wir, es moͤge sich etwas ereignet haben, was Ihnen schmerzlich sein, was Sie fuͤr einige Zeit der heitern Sphaͤre Ihres Lebens entziehn muß. Meine Albertine fragt mich taͤglich mit einer gewissen Besorgniß, wie es komme, daß Sie nichts von sich hoͤren ließen. Sie kennen die Ängstlichkeit des schoͤnen Geschlechts, besonders in einem solchen Falle, wie der gegenwaͤrtige; der liebenswerthe Lebensretter meines kuͤnftigen Schwiegervaters hat sich zu sehr unsere Anhaͤng¬ lichkeit erworben, als daß wir fuͤr ihn nicht besorgt sein sollten. Wie dem auch sei; Sie kennen die Veraͤnderlichkeit des Geschicks; daher moͤgten Sie auch in unserm Kreise Manches veraͤndert finden, und eine Nachricht uͤber Ihr Wohlbefinden, am meisten uͤber Ihren hoͤchst angenehmen Be¬ such waͤre fuͤr mich, uns Alle, hauptsaͤchlich fuͤr jemand erwuͤnscht, den Sie selbst mit Ihrem ge¬ woͤhnlichen Scharfsinn errathen moͤgen. Meine Braut weiß zwar nicht, daß ich schreibe, und ich kann demnach keine Gruͤße von ihr bringen; aber sein Sie ihres herzlichen Wohlwollens gewiß. Wie waͤre auch der freundliche, holdselige Engel einer Verstellung faͤhig? Also nochmals, kommen Sie bald hieher; begruͤßen Sie den Lenz mit uns, oder schreiben Sie bald Ihrem treuergebenen Staunitz.“ 11 Was war das nun wieder fuͤr eine sonderbare Nachricht, wie vieldeutig dieser im ganzen so schmeichelhafte Brief? — Was sollte, was konnte sich in Blumenau veraͤndert haben? Wußte etwa Staunitz oder Tina um das Testament, um den innigen Wunsch des Verstorbenen, und wollten beide zu Gunsten Blauensteins sich entsagen? — Aber nein, das war ja nicht moͤglich, weshalb sollte auch Staunitz der Comtesse nur als seiner Braut Erwaͤhnung thun, da er doch hatte frei reden koͤnnen! — So viel hatten nun die geheim¬ nißvollen Zeilen bewirkt, daß Blauensteins Plaͤne im Betreff der Entsagung zerschellten, das war nicht zu laͤugnen. Den Brief mit Stillschweigen uͤbergehn, das waͤre unartig gewesen, jetzt gleich nach Blumenau zu reisen ging auch nicht, denn noch war die schmerzliche Wunde, die ihm des Vaters Tod geschlagen, zu neu, ohnehin die Zeit zum Reisen hoͤchst unguͤnstig, und es blieb nichts uͤbrig, als Staunitz sogleich zu antworten. Blauenstein flog zum Pulte; er wollte die Zeit nuͤtzen, und schrieb in seiner augenblicklichen Aufregung, daß er durch den Verlust seines Vaters eine neue Wunde zu einer bereits geschlagenen erhalten, daß er unmoͤglich so bald wieder an einen Ort zuruͤckkehren koͤnne, wo er des Lebens hoͤchste Seeligkeit, aber auch das schmerzlichste Wehe seiner Brust empfunden. Er faͤnde seinen Trost in stiller Entsagung, und so unaussprechlich theuer ihm die Erinnerung an seinen Aufenthalt im Hause des Grafen an der Seite der unver¬ geßlichen Albertine, so wie Staunitz freundschaft¬ liches Wohlwollen sein muͤsse, so koͤnne er doch nicht vergessen, daß das Gluͤck der Liebe fuͤr ihn stets verloren sei, u. s. w. Der Brief wurde ge¬ siegelt und nach der Post gesandt. — Aber es war doch wohl zu viel gewesen, was er gesagt; was mußte Staunitz von dieser offen¬ baren Liebeserklaͤrung denken, denn weiter war es eigentlich nichts, was die feine Albertine, wenn ihr Staunitz, und das stand zu erwarten, den saubern Brief zeigte! Es wurde Blauenstein ganz angst um's Herz, es lief ihm bald siedend¬ heiß, bald eisig kalt uͤber den Ruͤcken. Koste es auch, was es wolle, der Brief durfte nicht fort, er mußte zuruͤckgebracht werden! In der Verzweiflung lief er selbst nach dem Postamte; vor einer Stunde war eine Estaffette abgegangen, und man hatte seinen Brief mit beigelegt. 11* Es blieb nichts uͤbrig, als sich in die Sache zu finden, und Blauenstein hoffte auf einer Reise nach seinen Guͤtern den Kummer und die ganze aͤrgerliche Geschichte zu vergessen. Der Maͤrz war ungewoͤhnlich heiter und anmuthig; der Secretair Blum redete zu, und Blauenstein reis'te ab. Aber konnte er sich aus dem Sinne schlagen, was ihm das Liebste jetzt war auf dieser Welt, konnte er hineingreifen in das Herz, und Albertinens laͤchlendes Liebesbild herausreißen? Sie war, sie blieb sein einziger Gedanke; ihre Liebenswuͤrdig¬ keit war eben so wenig zu vergessen, wie Staunitz raͤthselhaftes Schreiben, und wollte er das seinige verbessern, sich uͤberhaupt in einem guͤnstigern Lichte zeigen, so blieb am Ende nichts uͤbrig, als nach Blumenau zu reisen. Er uͤberlegte hin und her; die Administratoren seiner Guͤter, welche dem jungen Herrn ihre Huldigung dargebracht, wußten sich in sein Benehmen nicht zu finden, und meinten, in seinem Kopfe muͤsse es nicht richtig sein, aber zu einem Entschluß zu kommen, war ihm rein unmoͤglich. Allen veranstalteten Festen wohnte er mit der groͤßten Zerstreuung bei, er wußte auf die wohlstudirten Reden seiner ihn empfangenden Prediger keine Sylbe zu sagen, weil er ihre kunstreichen Worte gar nicht gehoͤrt; vollends waren alle Essereien und Gastmaͤhler ihm herzlich zuwider, und doch mußte das Alles ertragen werden. In Bohlingen, dem Stamm¬ schlosse seiner Familie, hatten sich alle Beamte und Diener versammelt, um dem neuen Guts¬ herrn ihre Huldigungen darzubringen; der letztere veranstaltete demnach ein großes Diner, und spaarte keine Kosten, um sich bei seinen Leuten in Liebe und Ehre zu erhalten. Aber ließ ihm denn die ganze Zeit waͤhrend des Tisches der Gedanke an Tina Ruhe? — Er rang nach Licht, nach Aufklaͤrung, er zerbrach sich den Kopf, was eigentlich Staunitz in seinem Briefe mit so Manchem habe sagen wollen, und dennoch war kein Herauskommen! — Endlich war das Essen zu Ende; man heftete theils besorgte, theils mitleidige Blicke auf den Spender so vieler Herr¬ lichkeiten, denn man hielt ihn fuͤr krank oder halb verruͤckt ; ein junger Pachter, der in den Contract seines Vorgaͤngers eingetreten war, wagte kaum das Instrument Blauenstein zum Unterzeichnen vorzulegen, bis sich sein Vater ein Herz nahm, und dem Gutsherrn das Papier uͤberreichte. Blauenstein hatte kurz vorher schon uͤber die Sache geredet; er nahm die Feder und tauchte ein. Aber die Buchstaben tanzten vor seinen Augen wie schwaͤrmende Muͤcken, und mit Schrecken gewahrte er, daß er statt seines Namens sehr deutlich „ Albertine “ unter den Contract geschrieben. — Nein, das sollte, das mußte anders werden; er durchstrich den Namen mit einem breiten Zuge, setzte den seinigen darunter, und rief mir solcher Hastigkeit nach seinen Pferden, baß jedermaͤnniglich meinte, der Herr Baron muͤsse vom leibhaftigen Satan besessen sein. Der Kammerdiener packte in aller Eile die noͤthigsten Sachen zusammen, und nach einer halben Stunde saß der Ungeduldige in seinem Reisewagen. Der Mai hatte bereits sein Reich begonnen; die Waͤlder belaubten sich mit neuem Gruͤn, und zwitschernde Voͤgel wiegten sich auf den duftigen Laubaͤsten. Wie anders war es jetzt, gegen die Reise im verwichenen Spaͤtherbst! Der Unmuth wich aus Blauensteins Herzen, sein Blick heiterte sich auf und neue, erhebende Hoff¬ nungen schwellten seine Brust! Die anhaltenden Regenguͤsse hatten die Wege schlecht und uneben gemacht; die Eile, mit welcher Blauenstein seinem Ziele entgegen flog, war dem Wagen hoͤchst nachtheilig, und in dem letzten Staͤdtchen vor Blumenau brach die rechte Vor¬ deraxe. Es blieb daher nichts uͤbrig, als die Herstellung des Fuhrwerks im Wirthshause abzu¬ warten. Das einzige Gastzimmer der Kneipe, denn ein Hotel war hier nicht einmal dem Namen nach bekannt, hatte bereits ein Fremder occupirt, den ein aͤhnliches Abentheuer hier fest¬ gebannt. Er trat in demselben Augenblicke aus der Thuͤr der Stube, und Blauenstein er¬ kannte den liebenswuͤrdigen franzoͤsirten Anton, dessen Bekanntschaft er waͤhrend des Balles in Blumenau gemacht. „Eh bien bon jour werthester Baron!“ rief er grinsend Blauenstein entgegen, und beehrte ihn mit einer Umarmung. „Sans doute auf einer Reise zu der aimablen Comtesse Albertine?“ „Nein,“ erwiederte der Befragte, und bemuͤhte sich, gleichguͤltig auszusehn, „ich reise in Ge¬ schaͤften!“ „So so!“ nahm der andere das Wort. „Ich glaubte in der That, Sie reis'ten nach dem ro¬ mantischen Blumenau. Mais mon dieu ! wie schnell wird man in seinen Erwartungen getaͤuscht; ich habe vor wenigen Stunden erfahren, daß die Comtesse in der That nicht die treueste Braut sein soll. Oft gehn laͤcherliche Geruͤchte herum, aber hier ist es Ernst.“ „Wie so?“ fragte Blauenstein bestuͤrzt. „Nun,“ fuhr der andere hoͤhnisch fort, und lachte recht teuflisch in sich hinein, „die Parthie mit dem Staunitz hat sich zerschlagen, weil er die Comtesse auf Dingen ertappt hat, die ein Braͤutigam sich nicht gern gefallen laͤßt. Sie haͤlt sich in den Armen eines Andern schadlos, und wenn sie nicht bereits entfuͤhrt ist, so wird es naͤchstens geschehn! Aujourd'hui ce n'est plus çela, et l'amour va cahin, caha!“ „Albertine entfuͤhrt?“ rief Blauenstein er¬ schrocken aus. „Aber das ist ja nicht moͤglich, ein solcher Engel kann so nicht sinken; das ist schaͤndliches Gewaͤsch irgend eines Neidischen. Ich kenne die Comtesse zwar nur seit kurzer Zeit, aber ein edles Herz verbirgt sich den Blicken nicht!“ „Sie sind alterirt, lieber Baron,“ sagte An¬ toͤnchen ruhig; „aber es ist so, und was den Edelmuth ihres Herzens belangt, so muͤssen Sie bedenken, daß die aͤußere Schoͤnheit unser Urtheil leicht besticht. Die Comtesse hat feuriges Blut; ich zweifle keineswegs an dem, was ich Ihnen eben sagte, und bedaure nur den Braͤutigam. Denn das Gerede der Menschen muß ihm hoͤchlich zuwider sein. Mais, pardonnez, ich brachte vielleicht unwillkommene Bothschaft, denn Sie sind ganz blaß. Reden wir von andern Dingen.“ „Woher haben Sie Ihre Nachrichten?“ fragte Blauenstein rasch. „Wie gesagt,“ entgegnete Antoͤnchen freundlich, „aus reiner Quelle.“ „Herr!“ rief Blauenstein gereizt, und ahnete, daß der schaͤndliche Verlaͤumder sich vielleicht nur einen niedrigen Scherz erlaube, „mich geht die Comtesse nichts an, aber sind Ihre Geschichten eine Erfindung von Ihnen, so sind Sie ein Kind des Todes!“ Er wollte den erschrockenen Narren beim Kragen fassen, aber Antoͤnchen sprang mit fran¬ zoͤsischen Katzenspruͤngen uͤber die Hausflur in sein Zimmer, und schloß hinter sich in aller Eile ab. Blauenstein ging selbst nach der Schmiede, um nach dem Wagen zu sehn, denn es litt ihn nicht mehr in der unausstehlichen Naͤhe des schaͤnd¬ lichen Verlaͤumders. Konnte Tina wirklich, — aber nein, das war ja niedertraͤchtige Erfindung der laurenden Bosheit; sie war bestimmt rein, schuldlos wie ein Engel der bessern Welt. Aber Gewißheit mußte er haben, und zwar so bald wie moͤglich. — Der nothduͤrftig reparirte Wagen fuhr vor, und in kurzer Zeit war Blumenau er¬ reicht. Blauenstein stieg in der Naͤhe des Parks aus, befahl seinen Leuten, langsam vorauf zu fahren und ging in den Garten, der von tausend frischen Bluͤthenkindern prangte und duftete. War nicht im Garten, rechts vom Schlosse jemand? Beinahe eine Figur wie Tina; neben ihr saß ein junger Mann, vielleicht Staunitz; nein, der war es nicht. Himmel, wenn Antoͤnchen doch recht gehabt haͤtte, denn Tina erhob sich lachend und schaͤkernd, Blauenstein war unvermerkt naͤher gekommen, und konnte es ganz deutlich sehn, klopfte dem Menschen die Wangen und, — ja wahrhaftig, und setzte sich ihm auf den Schooß! Nicht genug, sie schlang den vollen Arm um seinen Nacken, und druͤckte ihm einen Kuß auf die schwellenden Lippen. Blauenstein war es, als fiele er herab vom Himmel in den Tartarus, sein Auge fuͤllte sich unwillkuͤhrlich mit Thraͤnen. Er suchte sich zu fassen und that einen Schritt vorwaͤrts. Was ging es ihn auch an, daß die Comtesse sich so ungemein vergaß, und mit einem jungen Schaͤfer in der Laube liebelte und kos'te, sie war ohnehin fuͤr ihn verloren, mogte sie daher ihre Ehre brandmarken, oder nicht, es mußte ihm gleichguͤltig bleiben. Gleichguͤltig? wie Schuppen fiel es ihm jetzt von den Augen, die veraͤnderten Verhaͤltnisse, von denen Staunitz in seinem Briefe sprach, hier hatte er sie ja lebendig vor sich! Sie war mit Staunitz wegen einer neuen Lieb¬ schaft zerfallen, und dieser hatte die loͤbliche Ab¬ sicht, ihn, als Blauenstein, von seiner Neigung zu Tina zu heilen. Ja, so war es bestimmt, und Antoͤnchen hatte er zu viel gethan. 9. Liebe und Irrthum . Blauenstein war im Begriff einen andern Weg zum Schlosse zu waͤhlen, um der verliebten Comtesse Albertine durch sein ploͤtzliches Erscheinen eine Verlegenheit zu ersparen. Aber Tina machte indem eine Bewegung des Kopfes nach der Seite, wo Blauenstein herkam, sie erkannte ihn im Augenblick, stieß einen kleinen Schrei des Schreckens aus, sie mogte sich ihrer schweren Schuld bewußt sein, und kam ihm erroͤthend und mit zarter Zuvorkommenheit, in der doch so viel Sitte lag, entgegen. War denn seinem armen Herzen zum Trotz das Maͤdchen in den wenigen Monaten noch schoͤner geworden, hatte ihm die frische, belebende Mailuft den zarten Sammt der Wange noch lieb¬ licher uͤberpurpurt, dem schmachtenden Blicke des Seelenauges noch innigern Reiz verliehn, Blauen¬ stein blieb vor ihr stehn, und stammelte irgend eine Entschuldigung muͤhsam hervor. „Sie haben mich recht erschreckt,“ erwiederte Tina freundlich, „wenn uns schon Staunitz Ihren Besuch ankuͤndigte. Ich saß mit Bruder Emil in der Laube, aber bestimmt haben Sie uns von Weitem — “ „Ihr Bruder, Fraͤulein?!“ rief Blauenstein in der hoͤchsten Überraschung, und Tina fuͤhrte den jungen, liebenswuͤrdigen Mann ihm entgegen. Wie ungeheuer hatte er das Maͤdchen verkannt, wie hatte er sich verblenden lassen von seiner Hitze, wo er doch seiner Sache haͤtte gewiß sein sollen. Kindisch freute er sich seines Irrthums, und erwiederte des jungen Grafen Worte mit ver¬ bindender Freundlichkeit und Laune. Der letztere war seit wenigen Tagen in das elterliche Haus zuruͤckgekehrt; er liebte seine Schwester mit inni¬ ger Zaͤrtlichkeit, und Tina erwiederte diese Liebe in demselben Grade. Die jungen Leute waren noch nicht recht im Gange der Unterhaltung, als Staunitz mit Vetter Heinrich aus dem Hause trat, und den Gast mit lebhafter Freude umarmte. Er mußte erzaͤhlen von seiner Reise, von dem ploͤtzlichen Hintritt seines Vaters, bei dessen Er¬ waͤhnung Blauenstein unwillkuͤhrlich in seine alte Melancholie verfiel. Staunitz druͤckte seine Hand lebhaft, und fuͤhrte ihn dem alten Grafen ent¬ gegen, der so eben die Ankunft seines jungen Freundes erfahren hatte. Jetzt erst fiel es dem letztern schwer auf's Herz, daß der Graf wohl uͤber seinen ploͤtzlichen Besuch, den eigentlich nur eine Einladung von Seiten Blauensteins ver¬ ursacht hatte, befremdet sein muͤsse. Aber der alte Herr bewillkommnete ihn mit freundlicher Herzlichkeit, und indem er sein Beileid uͤber den Tod des Generalmajors sehr theilnehmend aus¬ sprach, meinte er, die Zerstreuung des Landlebens werde seinen Schmerz mindern. Tante Letty war gluͤcklicher Weise nicht in Blumenau gegen¬ waͤrtig, ein ziemlich heftiger Streit mit dem Grafen, Tina betreffend, hatte sie so erbittert, daß sie auf einige Zeit zu einer Verwandten gereis't war, wo sie ihrem gepreßten Herzen Luft machen zu koͤnnen glaubte. So sehr sich Blauenstein seiner Anwesenheit in Blumenau freute, denn er war ja in ihrer Naͤhe, er athmete ja mit ihr eine Luft und durfte in die blauen Seelenaugen des Himmelskindes sehn, die in zarter Liebessehnsucht schwammen, er fuͤhlte eine Bangigkeit, eine Angst, die er sich nicht gern erklaͤren mogte. Seines Vaters lieb¬ ster Wunsch war es gewesen, daß er sie zu seiner Gattin erwaͤhle, und nun war sie einem andern geworden, was sie ihm haͤtte sein sollen, — nein, es war nicht zu ertragen! — Staunitz sah den sonderbaren Zustand Blauensteins, er hatte es so zu veranstalten gewußt, daß beide auf einem Zimmer wohnten, und als sie nach dem Nacht¬ essen dasselbe aufsuchten, um der Ruhe zu genie¬ ßen, fragte Staunitz: „Was fehlt Ihnen, mein Freund? Soll, darf ich errathen, was in Ihnen vorgeht?“ „Sie sprachen.“ erwiederte Blauenstein, und wandte sein erroͤthendes Gesicht ab, „Sie sprachen in Ihrem Briefe von Veraͤnderungen im Hause, ich habe bis jetzt nicht bemerkt, worin diese be¬ stehn koͤnnten. Aber worin wollen Sie den Grund meines Truͤbsinnes finden?“ „Nun, wir wollen uns nicht vor uns selbst verbergen,“ sagte Staunitz, und ergriff Blauen¬ steins Hand; „ich ehre Ihr Zartgefuͤhl und wuͤnsche Ihnen Gluͤck. Nicht wahr, ich hoffe, Sie werden mir Ihr Herz nicht verschließen, Sie lieben Albertine?“ Blauenstein gerieth uͤber diese kitzliche Frage in Verlegenheit und wollte ausbiegen; aber Stau¬ nitz fuhr nur desto dringender fort: „Sie thun mir namenlos wehe, wenn Sie nicht aufrichtig sind; ich weiß, Sie fuͤrchten, mich mit einem Gestaͤndniß zu beleidigen, das ich wohl erwarten darf; aber so wissen Sie denn, daß —“ „Ich begreife Sie nicht!“ rief Blauenstein verwundert aus. „Was kann Ihnen daran liegen, die Gestaͤndnisse eines mit sich selbst halb Zer¬ fallenen zu vernehmen! Aber ich will offenherzig gegen Sie sein, mag daraus entspringen, was da will, ja, ich liebe Albertine mit aller Kraft meiner Seele, aber ich habe Muth, diese Liebe zu be¬ kaͤmpfen, denn ich muß ihr ja entsagen! — Als ich sie sah, da gestaltete sich mein Leben neu und freudig, ich hatte sie gefunden, ich schwelgte in dem kurzen Gluͤcke der jungen Liebe. Da trat mir das Schicksal hoͤhnisch entgegen, und foderte das Opfer der Entsagung. Ich weiß, was ich verliere, aber ich weiß auch, daß ich dieses edlen Herzens nicht werth bin! — Und nun, wenn Sie mich lieben, wenn Sie mein Freund bleiben wollen, nie, niemals hiervon ein Wort mehr, oder es druͤckt mir das Herz ab! —“ „Sonderbarer Mensch,“ sagte Staunitz und sah ihm in's feuchte Auge, „sonderbarer Mensch, Sie wollen, daß ich hieruͤber schweige? Nein, das kann ich wegen Ihres eigenen Wohles nicht; ich freue mich Ihrer Liebe zu Tina, denn sie kann nie die Meine werden!“ „Wie!“ rief Blauenstein ganz uͤberrascht, und auf sein gepreßtes Herz schien sich das ganze Riesengebirge zuwaͤlzen. „Sie kann nie die Ihre werden? Also haͤtte mich meine Ahnung nicht getaͤuscht, und jener verlaͤumderische Narr haͤtte am Ende doch recht gehabt?“ „Welcher Narr kann Ihnen etwas von Tina und mir gesagt haben?“ erwiederte Staunitz ruhig. „Aber kehren Sie sich an kein Geschwaͤtz, Tina ist frei, wenden Sie sich an ihr Herz, und Ihre Wuͤnsche sind der Erfuͤllung nahe. Weiter mag und kann ich Ihnen fuͤr heute nichts mit¬ theilen; morgen mehr, ich fuͤhle mich ergriffen und unwohl. Gute Nacht denn, und schoͤne Traͤume!“ Noch ehe Blauenstein eine neue Frage thun konnte, oͤffnete jener die Thuͤre des Schlafcabi¬ netts und verschwand. — Also, ja so war es ohne allen Zweifel, Antoͤnchen hatte die Wahrheit gesagt, wenn seine Bosheit auch vielleicht Manches in einem grellen Lichte zeigte. Staunitz war der Koquette muͤde, er zog seinen Kopf aus der Schlinge und wollte ihm die verlassene Braut aufschwatzen. — Sollte wohl Staunitz das ver¬ moͤgen? — Aber warum hatte er ihn so langsam auf das Alles vorbereitet, warum war er so dringend? Und dann lag ja in seinem ploͤtzlichen Übelbefinden, daß er sich nicht schuldlos fuͤhlte, daß er in Blauensteins Gegenwart die innern Vorwuͤrfe nicht mehr ertragen konnte. Nein, dachte der letztere bei sich, da irrt sich der gute Freund, seine geheimen Wege sind noch zu er¬ kennen, seine Cabalen zu ergruͤnden. — Blauen¬ stein fuͤhlte sich erschoͤpft, er mogte nicht weiter nachdenken, eine innere Stimme sprach fuͤr Tinas lautern Werth, und doch zeugten fast alle Um¬ staͤnde gegen sie! Der Schlaf, er erquickt ja mitleidig jeden Muͤden und jedes Gequaͤlten Herz, der Schlaf senkte sich auf seine Augen, 12 und verworrene Traͤume gaukelten vor seiner Seele. Am andern Morgen, er war hell und ungetruͤbt, durchzog Oncle Heinrich nach seiner gewohnten Weise den Park, schaute immerwaͤhrend nach dem Zimmer der jungen Maͤnner, und rief, als dies nichts fruchtete, Blauensteins Namen. Der letztere war fruͤh erwacht; er fuͤhlte sich wohl und heiter, die Sorgen hatte der suͤße Schlaf verscheucht, und er folgte auf Heinrichs Ruf in den duftenden Garten. Tausend junge Bluͤthen neigten ihr Haupt dem erquickenden Strahle der Fruͤhsonne entgegen, und glaͤnzten in den Perlen des Thaus, der sich wie Diamanten im Lichte spiegelte, und er haͤtte einer Grille, denn war es die nicht eigentlich, da er uͤber Tinas Verhaͤltnisse so viel als nichts mit Bestimmtheit wußte, er haͤtte dieser Grille zum Opfer werden sollen? — „Sagen Sie, Freund,“ hob Oncle Heinrich an, als beide mit einander die Lindenallee erreicht hatten, in der sich eine Schaar zwitschernder, lebensheiterer Voͤgel herumjagten, „sagen Sie, ist Ihnen nichts Neues bei uns aufgefallen? Oder hat Vetter Staunitz seinem Herzen schon Luft gemacht, und Ihnen erzaͤhlt?“ „Allerdings hat er mir gesagt,“ entgegnete Blauenstein, „daß er Albertinens Hand ent¬ sagt habe.“ „Entsagt?“ rief Heinrich lachend, „Nun ja, eine charmante Art der Entsagung, der ich mir jeden Falls auch nicht zum Kummer werden ließe! — Aber den Grund hat er noch verschwiegen, nicht wahr?“ „Ich gestehe,“ erwiederte Blauenstein in eini¬ ger Verlegenheit, „ich gestehe, daß ich den Grund noch nicht erfuhr, daß — — daß mir vor ihm bangte. Denn was kann Staunitz abhalten, diesem edlen Maͤdchen seine Hand zu reichen?“ „Pots Schweden und die Propheten,“ platzte Heinrich hervor, „was bilden Sie sich ein? Nein, mein liebes Blauensteinchen, sein Sie außer Sorgen, dieser Grund ist sehr triftig und wirft auf unser Tinchen kein schlechtes Licht. Denn, hoͤren Sie und staunen Sie, Vetter Staunitz, noch kaum nach unserm Defuͤrhalten Tinchens Verlobter, ist seit einem Jahre hoͤchst gluͤcklich verheirathet!“ „Verhei — rathet?“ fragte Blauenstein, und 12 * das Wort blieb ihm vor Erstaunen beinahe im Munde stecken. „Nein, das habe ich mir auch im Traume noch nicht beikommen lassen. Aber Comtesse Albertine?“ „Nun,“ sagte Heinrich schmunzelnd, „Die ist wohl und munter wie ein Fischchen; sie hat laͤngst darum gewußt, und mir ist die Sache auch so recht. Denn mir wollen die Heirathen unter nahen Verwandten einmal nicht gefallen, und dann liebten sich auch die jungen Leute nicht wie Braͤutigam und Braut, sondern wie alte gute Freunde. Aber wie eigentlich seine verdammte Heirathsgeschichte zusammenhaͤngt, will er mir nicht eher mittheilen, als bis ich meinen Schwa¬ ger in Kenntniß gesetzt habe, denn der weiß noch kein Wort, und wird sich verflucht wundern. Wir sollen dann auch seine Frau kennen lernen, er spricht von ihr, wie von einer Heiligen, und Tina meinte, sie haͤtte ein kleines Bildchen von ihr gesehn, das gliche der alten medicinischen Venus, wie wir das Ding oben im Vorsaale immer nennen, gerade auf's Daus. Aber ich haͤtte es dem Blitzdinge gar nicht angesehn, so geschickt nahm es sich, wenn mir schon die Sache, ehe ich den wahren Zusammenhang erfuhr, manchen Kummer gemacht hat!“ Blauenstein ging jetzt die Sonne der Liebe von Neuem auf, er fuͤhlte sich frei von der Last des schwarzen Verdachtes, und verwuͤnschte Antoͤnchen in die Hoͤlle der Unterwelt; denn solche Stunden wie gestern hatte er noch nicht erlebt. Jetzt zog es ihn maͤchtig zu Tina, er zweifelte nicht, — aber halt, wenn sie nun statt ja, nein sagte, wenn sie bereits — aber behuͤte, sie hatte es ihm ja ganz unzweideutig bewiesen, wie sie ihn ehrte, wie zart die Lie— Liebe? — nun, von der war freilich noch nicht die Rede gewesen, aber das mußte, das sollte sich finden. „Was Teufel,“ unterbrach endlich Oncle Heinrich den Seeligen in seinen Liebestraͤumen, „was haben Sie eigentlich vor, Freundchen? Ich frage hundertmal, ob sie unser Tinchen heute Morgen schon gesehn haben, ob sie ihr etwa ein Visittchen machen wollten —“ „Wo ist die Comtesse?“ fragte Blauenstein hastig und gluͤhend auf den Wangen. „Nun, nun,“ entgegnete Heinrich heimlich lachend, „sie laͤuft uns nicht fort. Gelt, Blauen¬ steinchen, Ihr habt ihr auch zu tief in die Ver¬ gißmeinnichtaugen gesehn? — Aber fuͤr Ihre Gluth wuͤßte ich Rath; es ist zwar erst etwas uͤber acht Uhr, aber unser Tinchen weis't uns von ihrer Thuͤre nicht ab; kommen Sie!“ „Also wollen sie mich zu ihr fuͤhren, so darf ich ihr sagen, wie unendlich ich sie liebe?“ „Immer hin!“ sagte Heinrich, und klopfte von Außen an Tinas Zimmer. Sie steckte selbst das Engelkoͤpfchen heraus, ward gluͤhend roth, als sie Blauenstein gewahrte, und sah es vielleicht herzlich gern, daß Oncle Heinrich dies¬ mal so gut war, und sich zuruͤckzog. Blauenstein trat in das kleine Heiligthum des suͤßen Maͤd¬ chens, das in braͤutlicher Verwirrung ihr Auge nicht zu ihm zu erheben vermogte; er ergriff ihre weiche Flaumenhand, und sah in das blaue, schmachtende Auge. Die Harpune saß, Freund Amor war sein Verbuͤndeter gewesen, und dies vielbedeutende Schweigen unterbrechend hob er an: „Albertine, theures, heiliggeliebtes Maͤdchen, der Gott der Liebe selbst fuͤhrt Sie in meine Arme! Darf ich hoffen, da Ihr Herz frei ist, darf ich dem Gedanken Raum geben, Sie mein zu nennen? — O sprich, suͤßes Maͤdchen, laß mich nicht vergehn in dieser Angst!“ Tina sah mit einem halben Viertelsblick zu ihm auf, sie druͤckte ihn mit sanfter Gewalt ein wenig von sich ab, zog ihn wieder naͤher, und ihr Koͤpfchen ihm in suͤßer Hingebung entgegen¬ neigend, vereinigten sich die Lippen beider Lie¬ benden zu einem langen, seelenvollen Kusse, der den Bund der treuesten Herzen besiegelte! Nun war auch aller Zwang entfernt, Tina war nicht die Comtesse von Blumenau, sie war das unbefangene, taͤndelnde Kind der Natur, und im suͤßen Kosen flog ihr die Zeit an der Seite des heiß Geliebten pfeilschnell hinweg. Sie erwie¬ derte das trauliche Du, sie ließ es geschehn, daß sie Blauenstein auf seinem Knie wiegte, und ver¬ galt seine stuͤrmische Zaͤrtlichkeit mit hundert Kuͤssen der keuschesten Liebe. Von solcher zarten Hin¬ gebung, solch kindlicher, suͤßen Vertraulichkeit haben die erbaͤrmlichen Menschen unserer vornehmen Welt keine Ahnung, keinen Begriff. Aber wer sie kennen lernen will die Seligkeit der ersten, warmen Liebe reiner, unbefangener Herzen, der suche sich eine Tina! Nun ging es an ein Fragen und Erzaͤhlen, daß Tina selbst laut auflachen mußte, wie sich das Alles so schnell gemacht habe. Sie zupfte den Geliebten schelmisch und schaͤckernd am krau¬ sen Backenbaͤrtchen, sprang lachend fort, wenn er sich durch einen Kuß auf das noch gar zu kitz¬ liche Ohrlaͤppchen revangiren wollte, und kehrte nur unter vortheilhaften Capitulationen zuͤruͤck. „Aber,“ begann sie auf einmal und ihr laͤchlendes Schelmengesichtchen wurde ganz ernst, „aber der Vater darf noch nichts von unserer Liebe wissen, mein theurer Freund. Oncle Heinrich bereitet ihn ein wenig vor, und dann fuͤhrt ihm Staunitz seine Frau selbst entgegen. Hat er Dir schon von ihr erzaͤhlt?“ „Noch kein Wort weiß ich von ihm,“ erwie¬ derte Blauenstein, und er wurde unwillkuͤhrlich ernst. Aber Oncle Heinrich hat mir von seiner Verheirathung gesagt; das Naͤhere wird er uns noch erzaͤhlen, nicht wahr?“ „Ja,“ erwiederte Tina, „und ich hoffe, das wird bald geschehn. Aber Du bist mit einem¬ male so ernst, mein August, Deine Augen schwim¬ men in Thraͤnen —; was fehlt Dir? —“ „Ich gedachte Deiner Mutter!“ sagte Blauen¬ stein, und preßte Tinas Hand an sein hochschla¬ gendes Herz. „Noch weißt Du es nicht, daß sie die Jugendgeliebte meines unvergeßlichen Vaters war, daß, als das harte Geschick der Liebenden Bund entzweit, Du mir zum Weibe bestimmt wurdest. Hast Du nie hiervon etwas erfahren?“ „Mein Muͤtterchen Deines Vaters Geliebte?“ fragte Tina voller Verwunderung. Ja, jetzt geht mir ein Licht auf! Ich war noch ein Kind, da begleitete ich meine Mutter in's Bad, und es begegnete uns ein schoͤner Mann, der mir Blumen schenkte, und meine Mutter war betroffen bei seinem Anblick. Sie redeten viel mit einander, und der freundliche Mann nahm mich auf seinen Schooß, und hatte mich sehr lieb. Sollte das Dein Vater gewesen sein?“ „Er war es!“ erwiederte Blauenstein voll Ruͤhrung. „Aber,“ fuhr Tina fort, „er reis'te ploͤtzlich ab, meine Mutter weinte viel, und schrieb immer in ein Buch ihre Gedanken nieder, das ich noch jetzt habe.“ „Mein Vater hat mir die Geschichte seiner Jugendliebe schriftlich hinterlassen,“ nahm Blauen¬ stein das Wort; „ich habe sie mit mir genom¬ men, und Du magst sie selbst lesen, meine Tina. Jetzt sage mir, mein heilig geliebtes Maͤdchen, wo liegt die Huͤlle Deiner Mutter begraben? Ich moͤgte an ihrem Grabe sie um ihren Segen bitten, sie soll unserm Bunde die Weihe geben!“ „Hast Du am See die Rosenlaube noch nicht bemerkt?“ fragte Tina, und eine Thraͤne draͤngte sich unter den seidenen Wimpern hervor. „Da ist ihre Ruhestaͤtte. Sie mogte nicht in unser Erbbegraͤbniß, und noch gestern habe ich einen Rosenstock selbst dorthin gepflanzt, wo mein Muͤtterchen schlummert.“ Oncle Heinrich klopfte jetzt an die Thuͤre, steckte den Kopf neugierig herein, und fragte mit so drolliger Betonung, ob Alles richtig und abge¬ macht sei, daß das ernste Paar in lautes Lachen ausbrach, und Blauenstein auf Tinas Bitten unter feurigen Kuͤssen Abschied auf einige Stun¬ den von ihr nahm. Heinrich zog ihn hinaus in's Freie, jauchzte vor innerer Freude laut auf und sagte: „Lieber, englischer Freund, Dir vor allen goͤnne ich unser Tinchen von ganzer Seele, und eine Hochzeit wollen wir feiern, die sich gewaschen haben soll. Mein Schwager ist vor einer halben Stunde nach Friedlingen gefahren, er bittet des¬ halb um Entschuldigung, aber ich hoffe, das wird nichts weiter schaden; wenn er zuruͤck kommt, und leicht kann der Abend herankommen, also, was ich sagen wollte, die Freude hat mich ganz verwirrt gemacht, wenn er zuruͤckkommt, ruͤhre ich ihm die Heirathsgeschichte mit dem Staunitz wie ein Puͤlverchen ein, er darf nicht mucken, und wenn ich mir mit ihm nach Tische einen Haarbeutel getrunken habe, dann kommt unser Blauensteinchen, und bittet um sein Jawort! Daß er es nicht verweigert, darauf wette ich meinen alten Kopf, und dann soll es ein Leben werden wie im Himmel!“ Nach diesen Worten umarmte er den rein verklaͤrten Blauenstein mit solch einem Feuer, daß dieser schier vermeinte, er solle aus seiner Haut fahren, was doch unter den jetzigen Umstaͤnden ein wenig zu fruͤh gewesen waͤre. Sie gingen auf die duftige Weinlaube zu, aus der jetzt Emil mit Staunitz heraustrat, und beide junge Maͤnner umarmten ebenfalls gluͤckwuͤnschend und froͤhlich weinend den ergluͤhten Blauenstein, der sich in sein errungenes Gluͤck gar nicht zu finden wußte. „Aber zum Teufel,“ begann Heinrich, und sah Staunitz scharf an, „ich sehe Thraͤnen in Euren Augen, lieber Vetter; was soll das heißen?“ „Sie gelten der herzlichen Freude uͤber Tinas Gluͤck,“ sagte Staunitz geruͤhrt. „Es ist mir dies ein wichtiger Tag, er hat mir eine Nachricht gebracht, die ich nicht genug schaͤtzen kann. Die Stunde ist gekommen, wo Ihr alle, meine Lieben, die noͤthige Aufklaͤrung erhalten sollt; ich hoffe, ich werde bald vor Euch gerechtfertigt dastehn, da ich es weiß, daß mir meine geliebte Albertine verziehen. Meine Erzaͤhlung ist nicht allzu kurz; schlagen sie uns einen Ort vor, Vetter Heinrich, wo ich ungestoͤhrt erzaͤhlen kann!“ „I, da waͤre ja wohl kein Plaͤtzchen im gan¬ zen Hause schicklicher, als der Gartensallon,“ sagte dieser. „Allein ich schlage vor, daß wir saͤmmtlich erst ein Fruͤhstuͤck, oder das Mittagsmahl einneh¬ men, denn mit hungriger Seele hoͤrt man nicht gern dergleichen vortragen, ohnehin ist es schon ziemlich spaͤt, und in einigen Stunden laͤßt sich gar Manches erzaͤhlen!“ — Die jungen Maͤnner waren diesen Vorschlag zufrieden. Tina machte an Blauensteins Seite die Wirthin mit so unnachahmlicher Grazie und Zierlichkeit, daß er ihr seine hoͤchste Zufriedenheit durch einige, fast zu oft wiederholte Umarmungen und mit feurigen Kuͤssen inniger Liebe an den Tag legte; denn Oncle Heinrich und Bruder Emil meinten, wenn das so fortgehe, so muͤßten sie gegenseitig, sammt und sonders den Tisch ohne gehoͤrige Speise und Trank verlassen. Emil schlug daher vor, man solle Herrn Sander, den Ober¬ verwalter rufen, der vermoͤge seiner geistreichen, oͤconomischen Unterhaltung die alte Ordnung leicht herstellen koͤnne; aber Staunitz wußte ein weit einfacheres Mittelchen, und setzte sich ohne weitere Umstaͤnde zwischen das darob fast zuͤrnende Paar, das jetzt auf nichts, als vielsagende Blicke beschraͤnkt blieb. Tina schmollte ein wenig, denn sie hatte wohlweislich den Tisch nur fuͤr die Familie und Gaͤste eingerichtet, damit die Verwalter, welche ihr Vater auf Heinrichs Empfehlung immer um sich hatte, nicht Zeuge ihrer Unterhaltung sein sollten, und nun war ihr Plan gescheitert! — Blauenstein vermogte kaum einen Bissen der delicaten Speisen zu genießen, so voll des suͤßen Liebesgluͤcks war er, und sah mit Verwunderung dem Schnellesser Emil zu, der sich um das ganze Treiben weiter nicht kuͤmmerte. „Sagen Sie,“ brach endlich Staunitz das eingetretene Schweigen, und wendete sich an Blauenstein, „sagen Sie, lieber Baron, Sie konn¬ ten wohl aus meinem Briefe gar nicht klug wer¬ den, da er Ihnen in der That sehr zweideutig klingen mußte. Aber ich hatte eine sehr weise Absicht, einmal, um Sie ein ganz klein wenig zu quaͤlen, aber dann besonders, um Sie recht zu uͤberraschen, wenn sich Ihr Irrthum auf eine freundliche Weise aufgeloͤs't!“ „Diesen Zweck haben Sie vollkommen erreicht,“ sagte Blauenstein, und reichte der braͤutlichen Tina an Staunitz weg seine Hand, so daß der letztere meinte, dergleichen Contrebande koͤnnen nicht mehr statuirt werden, „und wenn ich der¬ maleinst meine Jugendgeschichte niederschreiben sollte, so nenne ich diesen Abschnitt meines Lebens auf jeden Fall Liebe und Irrthum, oder Irr¬ thum und Liebe, was wohl auf Eins heraus¬ kommen wird!“ „Bravo!“ rief Emil, und hob sein Kelchglas hoch empor. „Dieser Einfall ist vortrefflich, und verdient einen tumultuarischen Kelchklang. Daher angestoßen, Herr Schwager in spe, und Du, Meine suͤße Schwester!“ „Ei, ei, wie zaͤrtlich, lieber Bruder,“ sagte Tina. „Aber fuͤr diesen feierlichen Tag ist denn doch dieser Glaͤserlaͤrm zu arg. Wir wollen die Tafel aufheben, und ich hoffe, Vetter Staunitz, mein nunmehr mir aus schnoͤde Weise ungetreu gewordener Braͤutigam, wird seine interessanten Mittheilungen bald beginnen, da es nun Zeit ist.“ Die froͤhliche Gesellschaft brach auf das Sig¬ nal der liebenswuͤrdigen Wirthin nach dem Gar¬ tensallon auf, wo bereits eine dampfende Kaffee¬ maschine aromatische Duͤfte verbreitete, und dessen ganze innere Anordnung zu einem traulichen Ge¬ spraͤch einlud, Oncle Heinrich ließ sich von Mar¬ tin seine groͤßeste Meerschaumpfeife laden, denn er waͤhlte sich noch einen Zeitvertreib, weil er dergleichen Geschichten immer zu lang fand, um ohne Beschaͤftigung dabei sitzen zu koͤnnen, schluͤrfte behaglich einen Becher Kaffee, den ihm sein Tin¬ chen credenzt, und sagte zu Staunitz, er koͤnne seine heillose Geschichte immerhin anfangen, denn es moͤgten wohl zweidrittel Luͤgen darin sein, da man ihm nicht mehr recht trauen duͤrfe. 10. Der Klosterbesuch. „Es bedarf kaum der Erwaͤhnung,“ hob Staunitz an, und warf einen freundlichen Blick auf Tina, welche ihm zufrieden und heiter zu¬ laͤchelte, „es bedarf kaum der Erwaͤhnung, daß ich vor meiner Reise mit unserer liebenswuͤrdigen Wirthin gewissermaßen verlobt, und daß dies der gegenseitige Wunsch der Verwandten war, welche sich fuͤr uns interessirten. Wir dachten kaum daran, uns unser Treuwort zu geben, denn bruͤ¬ derliche Neigung fesselte mich, den Elternlosen, an Tinas weiches Herz. Der Tag der Abreise kam; ich hatte ihr gelobt, oft und viel zu schreiben, und sie wird versichern koͤnnen, daß ich nicht schreibefaul war.“ „Aha!“ fiel Blauenstein Staunitz in die Rede. „Als ich im vergangenen Herbst so gluͤcklich war, in Blumenau zu sein, und mich die innere Liebes¬ unruhe nicht schlafen ließ, bemerkte ich, daß unsere liebe Tina in einer Menge Papieren herum suchte; mir fiel dies auf, daß man sogar in der Nacht sich mit solcher Lectuͤre beschaͤftigen koͤnne. Waren dies etwa ein Dutzend der erwaͤhnten Briefe, und warum hatte meine suͤße Albertine Thraͤnen im Auge?“ „Also hast Du mich damals bereits belauscht?“ fragte Tina verwundert, und bediente sich schuͤchtern in der Gesellschaft der Maͤnner des traulichen Du. „Das ist doch zu arg. Und ich muß glauben, Deine Augen sind mit irgend einem Tubus be¬ waffnet gewesen, denn auf eine solche Weite Thraͤnen sehn zu wollen, ist mir sonst unbegreiflich. Doch weshalb sie vergossen wurden, magst Du selbst errathen, mein Freund! — Aber nun unter¬ breche auch niemand unsern guten Vetter mehr! Blauenstein beruͤhrte mit seinem kuͤsselustigen Munde Tinas empfindliches Ohrlaͤppchen, daß sie leicht aufschrie und mit dem niedlichen Zeigefinger drohte. Emil stellte die Ruhe wieder her, und Staunitz fuhr fort: „Zu meinem Reisegefaͤhrten hatte ich mir meinen academischen Genossen, den Sohn unseres Nachbars, des Forstinspector Kluge erwaͤhlt, der —“ „Donnerwetter, da geht mir ein Licht auf, 13 eine wahre Fackel eigentlich!“ rief Oncle Heinrich, und wollte weiter reden; aber Tina hielt mit ihrem Flaumenpatschchen dem Oncle den Mund so fest zu, daß er gezwungen war, eine Menge Tabacksdampf den Weg durch die Nase gehn zu lassen, so daß ihm reichliche Thraͤnen aus den Augen quollen. Die Gesellschaft schlug ein lautes Gelaͤchter an, und Staunitz nahm hierauf den Faden seiner Geschichte wieder auf: „Also der gemuͤthliche, talentvolle Kluge war mein Reisegefaͤhrte. Wir durchzogen die Nieder¬ lande, den schoͤnsten Theil Frankreichs, uͤberstiegen das collossale Juragebirge, suchten die erhabene Schweiz heim, und wanderten sodann nach dem herrlichen Ausonien. Bekanntlich ein alter Name Italiens. Vir¬ gils Aeneide. “ „Meine Absicht,“ fuhr Staunitz nach einem kleinen Ruhepuncte fort, „meine Absicht ist nicht, eine Reisebeschreibung zu geben, daher uͤbergehe ich meinen Aufenthalt in Italien, wie einst, wo ich als Soldat die schoͤnsten Provinzen mancher Laͤnder mit unangenehmer Geschwindigkeit durch¬ eilen mußte, und will nur noch bemerken, daß ich, durch die herrlichsten Kunstwerke begeistert, meine Lieblingsbeschaͤftigung, die Malerkunst, tapfer uͤbte, und daß mich mein wackerer Reise¬ gefaͤhrte, der sich auf diese Kunst versteht, wie ein Meister, in meinem loͤblichen Vorhaben sehr unter¬ stuͤtzte. Wie sehr dies angenehme Studium uns, und hauptsaͤchlich mir, nutzte, wird sich bald er¬ geben. In dem prachtvollen Rom waren wir bereits einige Monden gewesen, und im Begriff, durch die edle porta del popolo wieder abzu¬ reisen, als ich einen Besuch einer jungen, liebens¬ wuͤrdigen Deutschen erhielt, welche durch unsern Wirth erfahren, wer wir waͤren, und daß wir nach Deutschland zuruͤckreisen wollten. Sie er¬ zaͤhlte mir, daß sie Deutschland ploͤtzlich an der Hand ihres Gemahls verlassen, der in Handels¬ angelegenheiten nach Italien gemußt, daß sie von ihrer lieben Freundin Adeline von Rosen in B . wegen der Eile ihres jungen Gemahls nicht ein¬ mal habe Abschied nehmen koͤnnen, und ihr sei doch so viel daran gelegen, von ihr Nachricht zu erhalten, besonders, da sie waͤhrend der Reise gehoͤrt, es sei im Betreff ihrer Freundin etwas Unangenehmes vorgefallen. Auf meiner Ruͤckreise nach Deutschland werde ich wohl B . beruͤhren, und von einem Landsmanne ließe sich eine puͤnctliche Bestellung schon erwarten, denn mit 13 * der Post wolle kein Brief an seine Adresse ge¬ langen. — Und waͤre unser Plan in der That auch nicht auf B . gerichtet gewesen, ich haͤtte schon wegen der liebreizenden jungen Frau dahin reisen muͤssen; aber es traf sich ganz vortrefflich, denn mein Freund Kluge hat dort einen Ver¬ wandten, den er zu besuchen sich laͤngst vorge¬ nommen hatte; so nahm ich denn den Brief auch ohne Weiteres an, und meine holde Lands¬ maͤnnin verabschiedete sich mit ihrem jungen Gatten, der uns eine Zeit lang mit schelen Blicken angesehn hatte. Nach einigen Anstrengungen war B . endlich erreicht, und ich zog uͤber den Aufenthalt, der mir natuͤrlich gaͤnzlich unbekannten Adeline v. Rosen Erkundigungen ein. Zufaͤllig kannte unsere Wirthin, die erste, an welche ich mich in dieser Beziehung wandte, die Dame recht gut, meinte aber, daß ich den Brief nicht leicht werde abge¬ ben koͤnnen, indem die arme Adeline jetzt im Ursulinerkloster ihr Probejahr bestehe. Weshalb das schoͤne, liebe Kind, fuhr meine weichherzige Berichterstatterin fort, ihr junges Leben in den dumpfen Mauren des Klosters vertrauren will, begreift niemand, und ich vermuthe beinahe, ihr Stiefvater, der alte Commercienrath von Berger, hat hier seine Hand im Spiele. Wenn Sie das Maͤdchen sprechen koͤnnen, so erzeigen Sie mir einen wahren Liebesdienst, denn seiner Mutter verdanke ich mein ganzes Gluͤck! Ich theilte die Erzaͤhlung der Wirthin meinem Freunde mit; er meinte, dies koͤnne am Ende ein interessantes Abentheuer geben, und wir wollten auf jeden Fall dem alten Kloster einen Besuch abstatten. So fanden wir uns denn regelmaͤßig zu der dazu bestimmten Stunde am Sprachgitter ein; aber es ließ sich keine Ade¬ line sehn, vielmehr wurde uns gesagt, daß die Einkleidung des armen Kindes bereits in vier Wochen vor sich gehn werde. Zeit war daher nicht zu verlieren, und wir hatten einmal den Kopf darauf gesetzt, doch das Maͤdchen wenigstens zu sehn. Weshalb die Briefe ihrer Freundin in Rom nicht angekommen waren, ließ sich leicht vermuthen. Einige Tage spaͤter erfuhr Kluge, in solchen Dingen uͤberhaupt ein wahrer Gluͤcks¬ pilz, daß die ehrwuͤrdige Äbtissin ein Bild der Klostercapelle wolle restauriren lassen, und daß sie sich lange vergebens nach einem gewandten Kuͤnstler umgesehn, welcher der Restaurationskunst gewachsen sei. Weißt Du was, sagte Kluge mit einer Miene, welche die heitersten, Aussichten verkuͤndigte, weißt Du was, wir melden uns im Kloster als Maler aus Italien. Der Sprache dieses Landes sind wir gewachsen, und es muͤßte schlecht gehn, wenn wir die arme Adeline nicht zu Gesicht bekommen sollten. Der Plan schien mir allerliebst, aber verteufelt kitzlich, denn wenn die alte Kloster¬ mamma der Sache so recht auf den Grund kam, und schlau sind dergleichen Damen, es war keine Frage, so waren wir prostituirt, und wurden am Ende als Betruͤger ohne weitere Ceremonien bei¬ gesteckt. Allein Kluge lachte mich mit meinen Bedenklichkeiten aus, nannte mich einen schlaͤfrigen Deutschen, der von der italischen Gluth herzlich wenig zugetheilt bekommen haben muͤsse, und gab meinem Ehrgeize einen so harten Stoß, daß ich unabaͤnderlich beschloß, mich in seinen Willen zu fuͤgen, und ebenfalls fuͤr einen Restaurator aus Rom auszugeben. Indeß fehlten wir nur sehr selten oder nie am Sprachgitter. Manches huͤbsche, allerliebste Kind erschien dahinter, manches trauliche Wort wurde mit den sprachlustigen Nonnen heimlich und ver¬ stohlen gewechselt, aber immer wollte Schwester Adeline, die am Ende schon einen andern Namen angenommen, nicht erscheinen. Einst bemerkte ich ganz im Hintergrunde des Sprachzimmers am Eingange eines duͤstern Corridors, welcher hieher fuͤhrte, eine junge, wunderhuͤbsche Nonne mit brennenden Kohlenaugen und einem Gesichtchen, auf dem mehr Schalkheit, als kloͤsterliche Demuth zu wohnen schien; aber das liebe Kind kam durchaus nicht naͤher. Sollte das wohl Adeline sein? dachte ich bei mir, und stellte mehrere ver¬ gebliche Versuche an, das Maͤdchen zu sprechen. Endlich fand sie sich einmal am Gitter selbst ein; ich suchte ein Gespraͤch mit ihr zu beginnen, und fragte, nachdem es mir gelungen war, ihre Aufmerksamkeit ein wenig fest zu halten, ob sie nicht Adeline v. Rosen heiße. Da wandte sich das lose Kind ab, fing an zu kichern und zu lachen, daß es endlich weggehn mußte, um kein Aufsehn zu erregen. Nein, das kann Adeline nicht sein, meinte Kluge und aͤrgerte, sich, daß wir so lange vergeblich auf die Ersehnte hofften; aber ich ließ mich nicht abschrecken, und am fol¬ genden Tage war ich schon wieder mit der Lacherin im lebhaften Gespraͤch. Auf meine Frage, und ich mußte sie gewiß recht fein eingerichtet haben, wie denn ihr Name sei, lispelte sie halb verschaͤmt, halb freundlich, Beata. Nun examinirte ich ein Langes und Breites uͤber Adeline, suchte zu erforschen, ob sie sich freiwillig dem Klosterleben weihe, oder was sie außerdem zwinge, ihr junges Leben im Kloster zu vertrauren. Da schuͤttelte Schwester Beata das Koͤpfchen, und ein Seufzer schwellte ihre Brust, indem sie sagte: Glauben Sie denn, Sie eifriger Fremdling, daß uns blos ein hartes Schicksal, ein zerknirschtes Herz oder dergleichen hieher treibt in die geweihten Mauren? Es giebt Augenblicke im Leben, die keine Sprache zu bezeichnen vermag; in ihnen erschließt sich eine andere, schoͤnere Welt, wir sehnen uns nach geistiger Ruhe, nach geistiger Reinheit. — Koͤnnen Sie sich, fuhr sie fort, und ihre Purpurlippen schienen mir besser zum Kusse, als zum Beten geformt, koͤnnen Sie sich einen Begriff davon machen, was man Klosterberuf nennt? — Ich nannte aber das Klosterleben ein verkehrtes, das aller menschlichen und gesellschaftlichen Bildung zuwider sei, und behauptete keck, die holde Schwester Beata moͤgte wohl freiwillig auch nicht hinter dem schweren Eisengitter stehn. Zuletzt schlug ich mich ihr als ehrsamen Beichtvater vor; allein sie meinte, dergleichen ehrwuͤrdige Leute, wie ich, taugten fuͤr kein Kloster; ich moͤge mir immerhin eine Gemahlin erwaͤhlen, und diese er¬ kenne mich vielleicht als Beichtvater an, allein sie selbst sei bereits gut versorgt. Ich war durch diese Scherze ganz von meinem Thema abgekommen und fragte nochmals recht dringend nach Adeline, die ich nothwendig sprechen muͤsse. Allein die liebliche Beata legte den niedlichsten aller Zeige¬ finger auf den kleinen Rosenmund, zum Zeichen, daß sie uͤber diesen Punct ein tiefes Schweigen beobachten muͤsse. Das fiel mir auf. Ich wurde mit meinen Bitten dringender, und bekam dann endlich so viel aus der kleinen Hexe heraus, daß Schwester Adeline, die bald ihren schoͤnen Namen fuͤr immer aͤndern werde, viel weine und sich sehr ungluͤcklich fuͤhle. Ich dankte dem wunderhuͤbschen Klosterkinde fuͤr diese Mittheilung, warf ihr eine Kußhand zu, woruͤber sie beinahe boͤse wurde, und beschloß mit meinem Freunde, unsern Plan aus¬ zufuͤhren, es koste auch, was es wolle. Zufaͤllig lernte ich den Beichtvater des Klo¬ sters kennen; ich trug mein Anliegen im Betreff des zu restaurirenden Bildes vor, und er gewann ein schnelles Zutraun zu mir, indem er versprach, mich mit meinem Reisegefaͤhrten der Äbtissen bei naͤchster Gelegenheit empfehlen zu wollen. Aber es verging ein Tag nach dem andern, es kam keine Bothschaft, und leider ruͤckte die Zeit von Adelinens Einkleidung immer naͤher. Meine Wirthin unterließ nicht, der armen Adeline das Wort zu reden, und so laͤcherlich auch ihre Eroͤrterungen waren, so dienten sie wirklich dazu, meinen und meines Freundes Eifer zu vermehren. Eines Morgens, es war am 9ten July, kam die gute Frau ploͤtzlich zu mir und sagte: Ich habe so unter der Hand erfahren, weshalb das arme Linchen in den vertracten Mauren schmachten soll; ihr Vater ist ein alter Filz, und hat sie an einen luͤderlichen Grafen haͤngen wollen, der noch obendrein eine Masse Schulden hat. Unser Linchen widersetzt sich tuͤchtig, und der schaͤndliche Stiefvater kartet es so mit seiner alten Freundin, der Äbtissin, die auf des Maͤdchens Mutter einen unversoͤhnlichen Haß geworfen, daß die Arme in das vermaledeite Ursulinerkloster gefuͤhrt wird. Es ist eine him¬ melschreiende Barbarei! Und was thut uͤberhaupt der Mensch im Kloster? Wir sind alle fuͤr ganz etwas anderes da, nicht wahr Herr Baron? — nicht fuͤr etwas so Apartes. Ein junges, froͤh¬ liches Ding von einem Maͤdchen gehoͤrt nicht in die Betklause; es geht einmal nicht, daß wir ein solches albernes Leben fuͤhren, es geht nimmermehr nicht; und warum geht's nicht? weil es gegen unser Gefuͤhl ist, weil wir fuͤr ewiges Fasten und Beten nicht sind geschaffen worden! — Ich lachte bei diesen sehr eifrigen Worten meiner lieben Berichterstatterin laut in's Gesicht, was sie beinahe uͤbel genommen, denn sie fuhr sogleich fort: Lachen Sie nur! Sie sollten ein¬ mal das herzige Maͤdchen sehn; meiner Seele, wie Milch und Blut; und gewachsen wie eine Tanne und engelgut. Unsere jungen Herren, und es giebt hier recht nette Buͤrschchen, waren in das Ding wie vernarrt; sie liefen sich die Beine ab, um es nur zu sehn; aber jetzt fluchen sie auf's Kloster und helfen doch nicht. Das ist nur so lauter unnuͤtze Waare; aber der Herr Baron koͤnnten schon etwas thun! — — Die Frau hatte ihren Sermon kaum geendet, als Kluge zu uns trat, mir in's Nebenzimmer winkte und sagte, er habe die Äbtissen gesprochen, sie sei, als Verehrerin der Kunst, sogleich bereit gewesen, durch ihn und mich, denn er habe ihr erklaͤrt, ohne seinen Genossen dergleichen schwie¬ rige Arbeiten nicht unternehmen zu koͤnnen, die quaͤstionirte Restauration vornehmen lassen zu wollen. Ich war einmal in einer hoͤchst vergnuͤgten Laune und lachte uͤber diesen tollen Schwank. Wenn ich mir die alte Nonne dachte, wie sie eifrig unsern Arbeiten zusah, und eine Menge neugie¬ riger junger Noͤnnchen im Hintergrunde lauschend und fluͤsternd, vielleicht die liebliche Adeline mitten unter ihnen, da wurde mir doch ganz eigen um's Herz, und ich wuͤnschte, wir haͤtten uns auf die Sache nicht weiter eingelassen. Denn wir verstanden beide vom Restauriren so viel wie nichts, und konnten hoͤchstens ein ertraͤgliches Bildchen zu Stande bringen. Aber nun wieder die arme, in Thraͤnen sich aufloͤsende Adeline, mit der gluͤhenden Sehnsucht nach Freiheit in der Brust, — nein, der Gedanke gab neuen Muth, neue Spannkraft; es mußte, es sollte ihr geholfen werden! — An dem bestimmten Tage fanden wir uns im Kloster ein. Eine alte zahnlose Laienschwester grins'te uns grisgramig an, und geleitete uns durch eine Menge finstere Corridors und Vor¬ hallen zu der ehrwuͤrdigen Frau, die mir sehr verhaßt war, wenn sie mir auch die Hand zur Rettung der armen Gefangenen unbewußt darge¬ boten. Die Dame empfing uns mit wahrhaft seltener Wuͤrde; in ihrem Auge lag Geist und Scharfblick, und ich fuͤrchtete beinahe, wir wuͤrden vor ihr nicht bestehen koͤnnen. Allein im Puncte der Kunst, und auf diesen kam es hier haupt¬ saͤchlich an, schien sie nicht am festesten, denn ihr Urtheil war unbedeutend, und es war ihr nur darum zu thun, ein Paar Bilder wieder her¬ stellen zu lassen, die sie fuͤr Meisterwerke der roͤmischen Schule hielt. Sie sprach auch daruͤber ein Langes und Breites, und lud uns zuletzt ein, ihr nach den Bildern zu folgen. Allein es ergab sich nun leicht, daß wir zwei hoͤchst mittelmaͤßige Copien vor uns hatten, die eigentlich der Restau¬ ration durchaus nicht werth waren. Ich vergaß auch wirklich meinen eigentlichen Zweck nicht, ich besah mir das Local mit Genauigkeit, suchte die Wohnungen der Schwestern zu erforschen, und beschloß mit meinem Freunde, unsere Arbeit so schnell als moͤglich zu beginnen, da wir eilen mußten, um Adeline zu sehn und zu sprechen. Unsere Vorrichtungen waren fertig, und ich ver¬ sprach mir von einem großen Schwamme, der den Bildern ihren recht antiken Schmutz abneh¬ men sollte, am meisten. Die Äbtissin sah unsern Arbeiten am ersten Tage zu, am folgenden stellte sich die Schwester Beata mit noch einigen andern Nonnen zu meiner Freude ein, und ihre Blicke sagten mir, daß sie mich zu sprechen wuͤnsche. Leider waren eine zu große Menge von Zeugen gegenwaͤrtig; aber auch dafuͤr hatte die kleine Klosterhexe gesorgt, denn als sie mir naͤher kam, um ihrem Vorgeben nach das Bild, woran ich besserte, recht nahe zu beaugenscheinigen, ließ sie ein zierliches Zettelchen auf meine Palette fallen, gab mir einen vielsagenden Blick, der ungefaͤhr sagte: Es ist Zeit zu helfen; schweig wie ein Grab, aber spare keine Muͤhe, und rette! und entfernte sich hierauf. Es war mir beinahe nicht moͤglich, meine Arbeit fortzusetzen; das Zettelchen brannte in meiner Tasche wie Zunder, der einen Funken gefaßt, und ich beurlaubte mich eine Stunde fruͤher, als es sonst geschehen war. Die Zeilen liegen noch unversehrt in meiner Brieftasche, und lauten folgendergestalt: „Meine Freundin Adeline, eigentlich durch Sie, mein verehrter Herr, ist sie es geworden, hat mir ihr Herz aufgeschlossen, und ich habe dem Hoͤchsten gelobt ihr zu helfen. Der gluͤckliche Zufall unterstuͤtzt unsern Plan, und Sie reichen meiner Freundin wohl gern die Hand zur Ret¬ tung aus diesen Mauren, die solch ein edles, un¬ befangenes Herz nicht umschließen duͤrfen. Lassen Sie uns wissen, wie Sie Adeline die verlorne Freiheit wieder geben koͤnnen; vergessen Sie nie, daß schaͤndliche Cabale sie zu uns brachte, daß niedrige Bosheit oder Rache das ungluͤckliche Kind hier fuͤr ewig fesseln will! B.“ Die niedliche Beata hatte nach diesen Zeilen bei mir sehr gewonnen; schon ihre Ansicht, das Kloster sei fuͤr unbefangene Herzen nicht gebaut, also doch wahrscheinlich fuͤr buͤßende, schuldbewußte Gemuͤther, gefiel mir, und ich schrieb ihr auf die¬ selbe Art, wie das lose Kind es auch gethan, daß es mir schiene, als koͤnne man wohl die Schwester Pfoͤrtnerin mit einigen Ducaten breit schlagen, und daß ich, wenn Adeline nur erst aus den Mauren unbemerkt heraus sei, schon fuͤr das Übrige auf's Beste sorgen wolle. Beata empfing auf die erwaͤhnte Weise meine geheime Nachricht, und am vierten Tage schrieb sie, mit der Pfoͤrt¬ nerin sei es nichts; allein im Klostergarten, zu welchem ihre Freundin zu jeder Stunde ohne Beschwerde gelangen koͤnne, befinde sich eine alte Pforte, die seit langen Jahren nicht benutzt sei, und wohl geoͤffnet werden koͤnne. Vermoͤge ich, das Schloß aufzumachen, so solle ich es schnell auf dem alten Wege, naͤmlich uͤber meine Palette, melden, und dann sei Alles zur Flucht reif. Auch von Adeline lagen wenige Zeilen bei, worin sie mich um Befreiung in den ruͤhrendsten Ausdruͤcken bat, und ich schlich in der folgenden Nacht mit meinem Freunde Kluge nach dem Klostergarten. Eine Blendlaterne ließ uns die zerbrechliche Pforte bald finden; mein Freund verstand sich auf Mechanik, und nach einigen kraͤftigen Versuchen knarrte die alte Thuͤr auf. Sie kam uns vor wie der Eingang in die andere Welt, wie sie sich die Alten dachten; die Pfade zum Tartarus und zum Elysium grenzten dicht an einander. Wir verschlossen den holden Eingang hierauf wieder mit aller Vorsicht, und begaben uns voll Freude uͤber unsere gelungene Arbeit zu unserm Gast¬ hause zuruͤck. Wir brannten vor Begierde, Schwester Beata von den Resultaten unserer naͤchtlichen Wande¬ rungen in Kenntniß zu setzen, allein wer nicht erschien, war die liebe Beata. Vielleicht, dies war am glaubhaftesten, war es ihr von der uͤber¬ strengen Äbtissin verboten, die Capelle zu be¬ treten, waͤhrend wir darin arbeiteten, sie war vielleicht auch gar erkrankt, Gott, man hat in solchen Momenten eine Menge trauriger Ent¬ schuldigungen! und unser ganzes Bemuͤhn erschien als hoͤchst vergeblich. — So vergingen drei Tage. Ich war so mißmuthig, daß ich die ganze fatale Geschichte beinahe aufgegeben haͤtte, allein Kluge gab meiner Thaͤtigkeit neue Spannkraft, und es ging besser. War ich denn ganz mit Blindheit geschlagen gewesen, hatte mich meine innere Un¬ geduld verwirrt gemacht? — ich fand ploͤtzlich im Ramen des Bildes, woran ich gearbeitet, d. h. mit dem Schwamme tuͤchtig gewaschen, und wo es noͤthig war, frische Farben aufgesetzt hatte, ein Streifchen Papier mit wenigen Zeilen von Beatas Hand. Sie hatte vor der Äbtissin sich mir nicht nahen koͤnnen, aber meinen letzten Brief erhalten, worin ich ihr unsere gluͤckliche Pforten¬ operation gemeldet, und sie bestimmte bereits die folgende Nacht zur Flucht der armen Adeline. Sonderbar war es, daß gerade an demselben Tage die Restaurationen zu der Äbtissin voͤlliger Zufriedenheit beendigt waren. Die alte Dame fragte hierauf mit hoͤchst eigenem Munde, wie hoch sich ihre Schuld belaufe, und ich lachte ihr in einer Haare gerade in's Gesicht, als sie jedem von uns, da wir nicht fordern mogten und konnten, einen Beutel mit Geld einhaͤndigte. Sie erkun¬ digte sich nochmals nach unsern Namen und Ge¬ burtsort; das arme, eben verlassene Italien, mußte herhalten, wuͤnschte dann eine gluͤckliche Reise, und entließ uns mit einem huldreichen Laͤcheln. Wir lachten auch, aber wahrhaftig nur aus Schaden¬ freude, daß wir die Alte hinter's Licht gefuͤhrt. Um elf Uhr, als die uns von Schwester Beata bezeichnete Stunde, wartete ich mit Kluge an der verwitterten Klostermauer; im naͤchsten 14 Dorfe hielt unser bequeme Reisewagen mit allen Vorrichtungen zu einer Flucht dieser Art versehn, und nichts in der Welt konnte sich uns mehr als Hinderniß in den Weg legen. Allein es floh eine Viertelstunde nach der andern, es wurde uns zuletzt ganz bange zu Muth, und niemand erschien. Endlich, Mitternacht war eben voruͤber, und die dumpfe Glocke des Klosterthurmes brummte den letzten Schlag der zwoͤlften Stunde in die duͤstere Nacht hinein, pochte es an die Pforte. Wir oͤffneten, und Schwester Beata stand mit ihrer Freundin vor uns. Adeline zerfloß in Thraͤnen, als sie sich vielleicht zum Letztenmale an Beata wenden sollte, um ihr Lebewohl zu sagen; da meinte Freund Kluge, dem die liebenswuͤrdige Schwester Beata recht sehr zu gefallen schien, er wolle ihr hiemit den freundschaftlichen Rath geben, dem traurigen Klosterleben ebenfalls Ade zu sagen, und mit ihrer lieben Freundin in die freie Welt zu ziehn. Allein die junge Nonne wandte sich erroͤthend ab, druͤckte einen Scheide¬ kuß auf Adelinens Lippen, und verschwand in den duͤstern Gaͤngen des Klostergartens. Adeline reichte mir ihre Hand und sagte, indem sie den langen Schleier uͤber ihr schoͤnes Gesicht gleiten ließ: Verzeihen Sie, mein Freund, meine vielleicht unbesonnene Raschheit, verkennen Sie mich, verkennen Sie die Beweggruͤnde nicht, die mich aus meinen bisherigen Verhaͤltnissen treiben. Daß Sie menschenfreundlich denken, daß Sie mir wie ein rettender Bruder Ihre Hand reichen wuͤrden, das vertraute mir mein guter Genius, und ich werde mein ganzes Leben hindurch Ihre Schuldnerin sein. — Wie koͤnnen Sie, erwiederte ich geruͤhrt, wie koͤnnen Sie daran denken, Ihre Handlungsweise vor mir rechtfertigen zu muͤssen, da ich auf das Innigste uͤberzeugt bin, daß nur ganz unge¬ woͤhnlich widrige Verhaͤltnisse Sie aus den hei¬ ligen Mauren vertreiben, die vielleicht laͤngst zu unheiligen haben werden muͤssen. Übrigens ver¬ dient mein Freund Ihren Dank vielleicht in einem noch hoͤhern Grade, als ich, denn ohne seinen Scharfsinn, ohne seine Thaͤtigkeit haͤtte ich kaum zu einem guten Ziele gelangen koͤnnen. — Aber Adeline schien, was ich zuletzt sagte, halb zu uͤberhoͤren, Kluge wurde ohnehin etwas verlegen, das bewies der Seitenstoß, den er mir versetzte, und nach einer halben Stunde hatten wir das Grenzdoͤrfchen erreicht, wo der Reise¬ wagen unserer harrte. Adeline war maͤchtig 14 * ergriffen, sie schien einen sonderbaren Kampf mit sich zu kaͤmpfen, und wir stoͤhrten sie in dieser schmerzlichen Ruhe nicht. Endlich, sie hatte sich vielleicht uͤberzeugt, daß sie sich gerade keinen Windbeuteln anvertraut, und einen Plan fuͤr ihre Zukunft ersonnen, wurde sie heiter und wieder froh. Der Morgen brach an, und zeigte mir in seiner lieblichen Klarheit, was mir das naͤchtliche Dunkel noch neidisch entzogen hatte. Ich bekam Zeit, das engelgleiche Wesen zu beschaun, und war in einem Grade uͤberrascht, den ich nicht in Worte fassen kann. Dieses herrliche Ebenmaß in Wuchs und Gesichtsbildung, bei aller Schoͤn¬ heit dieser unvergleichlichen Zuͤge dieser Liebreiz, diese kindliche Ergebenheit und Demuth, diese Weichheit des Gefuͤhls! — nein, ich vermag das Alles nicht zu beschreiben, was in dem Augen¬ blicke mit himmlischer Gewalt auf mein armes Herz eindrang! — — Adeline ergoß sich noch einmal in heißem Dankgefuͤhl gegen mich und meinen Freund, ver¬ traute mir, daß in Hamburg eine Tante von ihr wohne, in deren Arme sie sich werfen, daß sie mir daher nicht weiter beschwerlich fallen wolle, indem es ihr nicht ganz an Mitteln fehle, diese Reise anzutreten. Bis zur naͤchsten Stadt muͤsse sie meine Guͤte noch in Anspruch nehmen, um hier ihre fernern Einrichtungen treffen zu koͤnnen. Ich weiß nicht, wie es kam, denn mich ging die Sache eigentlich weiter nichts an, aber mich ergriff nach ihren Worten eine sonderbare Angst, alle Pulse schlugen in verwirrter Aufregung, und mir war, als koͤnne ich mich nimmermehr von diesem Wesen trennen! — Ich ehre, sagte ich endlich in einiger Verwirrung, ich ehre ihre Ge¬ sinnung, denn sie zeigt mir Ihr edles Herz. Sie wollen aus einer vielleicht zu weit gehenden Schonung oder Scheu nicht weiter unter unserm Schutze reisen. Allein glauben Sie, daß mir dies gleichguͤltig sein kann? Die Welt, und sie ist oft verkehrt genug, die Welt billigt vielleicht nicht, was jetzt Verhaͤltnisse gutheißen; aber trennen Sie das zarte Band nicht so schnell, so scho¬ nungslos, das uns jetzt gegenseitig umschlingt. Was ich mit meinem Freunde that, wird jeder gute Deutsche thun, daher waͤre es suͤndlich, irgend eine Belohnung zu erwarten. Aber sein Sie einmal großmuͤthig, lassen Sie das meine Beloh¬ nung werden, daß ich Sie bis Hamburg geleite. In der naͤchsten Stadt laͤßt sich dies Alles auch bequemer und ruhiger abmachen, daher denken Sie jetzt an nichts, als an die nicht unfreundliche Gegenwart. — Adeline reichte mir laͤchlend die kleine Schwa¬ nenhand, und meinte, sie wolle die Sache ein wenig uͤberlegen. Übrigens muͤsse sie mir und meinem Freunde zu ihrer Rechtfertigung mit¬ theilen, weshalb sie ganz wider ihre Neigung zum Klosterleben verdammt worden sei. Ich war natuͤrlich nebst meinem Reisegefaͤhrten hoͤchst be¬ gierig, welche Verhaͤltnisse diesem Engel solchen Kummer bereitet, und sie fuͤhrte uns denn fol¬ gendermaßen in ihr fruͤheres Leben ein. Adelinens Mutter, nach ihrer Beschreibung war sie der Tochter Ebenbild, wurde von dem Freiherrn von Rosen geliebt, und sie reichte ihm nach kurzen Bewerbungen ihre Hand. Die er¬ waͤhnte Äbtissin, welche damals noch an kein Kloster, geschweige an ihre Nonnenschaft dachte, lernt den Freiherrn vor seiner Verbindung kennen, und in ihrem vielleicht zu warmen Herzen ent¬ zuͤndet sich eine heftige Leidenschaft, die der junge liebenswuͤrdige Mann nicht erwiedern konnte, weil er theils die nachmalige Äbtissin als eine hoͤchst unleidliche, zudringliche Person nicht leiden mogte, theils sein Herz bereits weit besser untergebracht hatte. Die Äbtissin, ich weiß mich fuͤr jetzt ihres Namens nicht zu erinnern, wirft nun auf die junge, engelschoͤne Frau ihres angebeteten Lieblings einen toͤdtlichen, unmenschlichen Haß, sie wird gegen sich selbst zur Furie und gelobt sich, an der Unschuldigen Rache zu nehmen, indem sie sich einbildet, des Freiherrn junge Gemahlin habe sie durch alle schaͤndlichen Kuͤnste der Koquetterie in seinen Augen herabgesetzt und verkleinert. Das liebenswuͤrdige Weib wußte hiervon kaum ein Wort, wenn gleich ihrer Nebenbuhlerin un¬ kluges Benehmen allgemein bekannt war, und lebte in der Liebe zu ihrem Gatten die schoͤnsten Stunden, da rief der unerbittliche, ernste Todes¬ engel den Heißgeliebten von ihrer Seite ab. Ihre Ehe hatte kaum sechs Jahre gedauert. Wie oft irrt das menschliche Herz, dem die Zukunft dicht verschleiert ist! Sie wandte allen Fleiß auf die Erziehung ihres einzigen Kindes, Adeline, und nahm die ihr bezeigte Aufmerksam¬ keit des erwaͤhnten Commercienraths, eines hab¬ suͤchtigen Heuchlers, fuͤr reine Freundschaft, und reicht ihm, in der Hoffnung, als Witwe in ihm einen kraͤftigen Schutz zu haben, nach einigen Jahren die Hand. Der Schaͤndliche wollte nichts, als ihr Vermoͤgen erringen, er zeigte sich bald in seiner wahren Gestalt, und machte die Arme namenlos ungluͤcklich. Sie schaute aus diesem Tartarus zuruͤck in ihr Blumenleben mit dem edlen Hingeschiedenen, und ehe zwei Jahre dahin¬ geeilt waren, folgte sie ihm dahin nach, wo kein Kummer mehr ist. Die Äbtissin hatte kurze Zeit vorher den Schleier genommen, und auf diese Weise ihr Herz wie in einer Feuerassecuranz gesichert; sie wurde, durch ihren alten Adel unter¬ stuͤtzt, Vorsteherin des Ursulinerklosters in B., wo der Commercienrath, ihr alter Jugendfreund, der armen Adeline Thraͤnen des bittersten Kummers auspreßte. Das Maͤdchen ist ihm im Wege, ein geckenhafter Graf, der durch ihr Vermoͤgen ange¬ zogen wird, wie ein Magnet das Eisen zieht, macht vergeblicher Weise Bewerbungen, und der schaͤndliche Stiefvater, da sich Adeline zu des erstern Gunsten nicht aͤußern kann, die niedrigsten Anstalten, das liebenswuͤrdige Geschoͤpf an den Narren zu verkuppeln, indem er gleichfalls ihr Vermoͤgen zu erangeln Lust hat. Daß beide sich betruͤgen wollten, war nur der im innern Schmerz vergehenden Adeline klar. Es koͤmmt zu heftigen, unangenehmen Auftritten, sie endigen mit einer tiefen, betaͤubenden Ohnmacht Adelinens, und als sie endlich zum unfreundlichen, truͤben Leben er¬ wacht, sieht sie sich, statt im traulichen, einsamen Stuͤbchen, im benachbarten Ursulinerkloster. Der schaͤndliche Vater hatte durch die Äbtissin von deren fruͤhern Verhaͤltnissen zu dem Freiherrn v. Rosen gehoͤrt; sie freut sich, Rache an dem un¬ schuldigen Maͤdchen nehmen zu koͤnnen, und ver¬ abredet, nachdem sie den elenden Commercienrath auf alle Weise zugesetzt, mit diesem Adelinens Einsperrung in's Kloster, da sie sich in seine Wuͤnsche nicht fuͤgen will. Die rohe Bosheit verraͤth sich leicht, und so durchschaute die arme Adeline sehr bald den Zusammenhang. Nicht die traurige Aussicht, auf ewig der Welt zu entsagen, die ihr schon seit Jahren truͤbe und freudenleer vorkam, sondern nur die schaͤndliche, niedertraͤchtige Behandlung der Äbtissin trieb sie aus den Mauren fort, die durch die Elende laͤngst entwuͤrdigt waren. Wer konnte die wunderhuͤbsche Erzaͤhlerin anschaun, ohne im Innersten ergriffen zu werden! Wir hingen mit wahrer Gier an jedem Worte was der kleine Rosenmund unter hundert herab¬ fallenden Thraͤnen sprach, und wenn ich so recht ordentlich daran dachte, daß ich mich vielleicht schon am andern Morgen von Adelinen trennen, sie auf dieser Welt wohl nie, nie wiedersehn sollte, da war mir's, als wuͤrde mir das arme, bedraͤngte Herz mit gluͤhenden Zangen mitten aus der Brust herausgerissen. Der Gedanke verfolgte mich wie ein Krampf, ich hatte Noth, meine Fassung zu behaupten, und war zuletzt herzlich froh, als wir die naͤchste Stadt erreicht hatten. Hier rieth ich Adelinen, auf keinen Fall so auf's Geradewohl nach Hamburg zu reisen, um hier eine alte Tante aufzusuchen, von der sie seit mehreren Jahren gar keine Nachricht erhalten hatte, sondern wo moͤglich erst von hier aus Er¬ kundigungen uͤber sie einzuziehn. Da ward Ade¬ line ploͤtzlich ernster, und schien zu erschrecken. Gott, sagte sie, ich habe eine liebe Freundin, die vor nicht zu langer Zeit ihrem Gatten nach Ita¬ lien gefolgt sein muß; diese kennt meine Tante, und wird Bericht von ihr geben koͤnnen. Aber sie ist weit fort, und keine Hoffnung da, sie zu sehn. Jetzt erst fiel mir der Brief der niedlichen Deutschen ein, den sie mir in Rom zur Besor¬ gung anvertraut. Unter tausend Entschuldigungen, wie haͤtte ich auch in dieser verhaͤngnißvollen Zeit an den Brief denken koͤnnen! uͤberreichte ich ihn Adelinen, die ihn rasch durchlas, und zuletzt laut weinend in das Kanapee zuruͤcksank, auf dem wir Platz genommen hatten. Ich begriff diesen sonderbaren Zustand nicht; der Brief war zur Erde gefallen, und als ich einen Blick hinein gethan, uͤberzeugte ich mich, daß die Hamburger Tante bereits seit einem Jahre mit Tode abge¬ gangen sei, und wenig oder kein Vermoͤgen hin¬ terlassen habe. — Geholfen mußte werden, aber wie, das war mir unter diesen Umstaͤnden noch unbekannt. Zum Stiefvater zuruͤckzukehren, — nein, das ging nicht; denn nach dem, was mir Adeline uͤber diesen Punct gesagt, so waͤre sie lieber in den Tod gesunken, als in das nun verwais'te vaͤterliche Haus zuruͤckgekehrt. — — Ich faßte Adelinens Hand, als sie zu sich selbst gekommen war, ich suchte ihr Trost zuzusprechen, und schlug ihr zuletzt Blumenau als einstweiligen Aufenthalt vor. Aber sie winkte mildlaͤchlend mit der kleinen Hand, schimmernde Thraͤnen im Auge, und bat, sie ein wenig, allein zu lassen. Freund Kluge war ausgegangen, und ich zog mich, im Innern auf das Sonderbarste aufgeregt, in das benachbarte Cabinet zuruͤck. Ich konnte es mir nicht laͤnger verbergen, was auch meine Verhaͤltnisse zu Tina dagegen streiten mogten, was ich auch selbst mit Vernunft¬ gruͤnden dagegen kaͤmpfte, mit einem Worte, ich liebte Adeline mit der ganzen Leidenschaft meines Herzens! — — Nun ging ich mit mir zu Rathe, was zu thun sei, ob ich ihr entsagen, und Tina meine gelobte Treue halten muͤsse, aber ich ver¬ mogte kein vernuͤnftiges Ende zu finden, und schrieb Albertinen einen vorbereitenden Brief. Eine unsaͤgliche Angst druͤckte nach dem Abgange des Schreibens meine Brust, ich hatte, wie ein zum Tode Verdammter, auf keiner Stelle Ruhe, und mußte sehen, wie Adeline immer schwaͤcher und schwaͤcher werdend, zuletzt auf das Kranken¬ lager sank. Die ploͤtzliche, heimliche Flucht hatte ihre Nerven erschuͤttert, und eine Erkaͤltung fesselte sie jetzt an's Zimmer. Da kam eine Antwort von Blumenau; mit bebender Hast erbrach ich Tinas Zeilen, und las. Unser Wort, schrieb sie mir unter andern huldvoll zuruͤck, unser Wort verpfaͤndeten wir uns nicht, mein Freund, und wer dem Herzen Fesseln anlegt, der nimmt dem Leben Licht und Waͤrme! Warum sollen auch gerade Verwandte Gatten sein? Deshalb sei un¬ besorgt wegen des Streichs, den Dir Amor spielt, und nimmer sollst Du einer Grille meines Vaters Deines Lebens Gluͤck zum Opfer werden lassen. So schrieb mir Tina, und heiße Thraͤnen der Ruͤhrung rannen mir vom Auge. Ich durfte zu manchen Stunden Adelinens Pfleger sein, und wenn dann ein himmlisches Laͤcheln ihres Engel¬ antlitzes mir Dank sagte fuͤr das Wenige, was ich that, dann fuͤhlte ich mich unwerth, auf das Gluͤck meiner Liebe hoffen zu duͤrfen, die ich gewissermaßen mit einer Untreue erkaufte. Ich wuͤnschte hundertmal, ich haͤtte Adeline nie gesehn, oder diese Reise gemacht, ich flehte den Himmel an, mein Herz umzuschaffen, aber es blieb Alles, wie es war, und ich machte mir die bittersten Vorwuͤrfe. Denn wenn ich nun auch frei war, und daran dachte, wie Tina vielleicht unter Schmerzen und Kaͤmpfen dahin gelangt sei, mir mein Wort zuruͤckzugeben, wie sie mit der men¬ schenfreundlichsten Großmuth mir begegnete, dann verdunkelte sich Alles vor meinem Blicke, und ich sah in der oͤden Zukunft nichts, als starre Bilder!“ — „Jetzt sei es erlaubt,“ fiel Tina lachend dem Erzaͤhler in die Rede, „jetzt sei es erlaubt, ein Wort einzusprechen. Vetter Staunitz zeigt uns eben, wie ungeheuer eitel die Maͤnner sind; denn aus purer Eitelkeit bildet er sich ein, ich sei zum Sterben in ihn verliebt, und koͤnne nicht ohne ihn leben. Und welche Veraͤnderlichkeit! Am Ende wechselt er noch einmal!“ „Tinchen!“ rief Oncle Heinrich, „Vetter Staunitz dachte dennoch sehr edel; und was faͤngt jetzt die Hexe zu raisonniren an, da sie ihren Theil hat?!“ Die Gesellschaft lachte laut auf; Tina reichte Staunitz zur Versoͤhnung die kleine Hand, und bat ihn, die Geschichte fortzusetzen. Er begann daher von Neuem: „Adeline war genesen; aber sie mogte sich der wieder erlangten Gesundheit nicht freun, denn ihr Geschick war truͤbe, zu unruhvoll, um mit Zuver¬ sicht in die naͤchste Zukunft sehn zu koͤnnen. Wir uͤberlegten zusammen auf alle Weise, wie sie auf eine selbststaͤndige Art leben koͤnne, denn ein Gestaͤndniß meiner gluͤhenden Liebe vermogte ich jetzt nicht zu thun; da sagte sie mit einem unendlich truͤben Blicke: Mein Freund, ich kann Ihnen nicht laͤnger laͤstig sein, wenn mir gleich nichts uͤbrig bleibt, als mein Leben durch meiner Haͤnde Arbeit zu fristen. Vielleicht, es giebt ja in unserer Zeit so manche Erziehungsanstalt, so manche Schule, wo eine Stelle unbesetzt ist, viel¬ leicht oͤffnet sich mir auf diese Weise eine Aussicht. Zu dem Manne zuruͤckzukehren, der meiner Mutter letzte Tage verbittert, der mich mit rauher Hand von sich stieß, um mich im Kloster schmachten zu lassen, das geht nicht, das muthen Sie mir auch nicht zu. Mehren sie meine Schuld nicht durch fernere Beweise Ihrer Menschenfreundlichkeit, lassen Sie die Verstoßene ihren Weg gehn, haben Sie Mitleid mit mir! Adeline! rief ich, Sie wollten es darauf an¬ kommen lassen, ob der Zufall Ihnen guͤnstig ist, so wollen Sie gegen den Tyrann, Ihren Vater, die Gerechtigkeit nicht aufrufen, die seine Schaͤnd¬ lichkeit bestrafen muß? — Aber lassen wir doch diese Angelegenheit in ihrem Schleier ruhn; Ade¬ line, Sie muͤssen es laͤngst errathen haben, stoßen Sie mich nicht von sich; ich liebe Sie, ohne Sie hat das Leben keinen Werth fuͤr mich, ohne Sie bin ich arm und verlassen! Ich habe Ihr Herz erkannt, es schlaͤgt kindlich rein und edel; Adeline sei mein, sei der Engel, der meine Zukunft segnet! Lieben? sagte Adeline, und ich erschrack, als ob das ganze Eis des Jungfraugebirges durch meine Nerven stuͤrzte, lieben? — nein, das duͤrfen Sie nicht! Sie kennen mich kaum seit wenigen Tagen, ich bin eine Waise, vielleicht ist Ihr Schick¬ sal selbst ungewiß, es kann nicht sein, es — Weshalb diese sonderbaren Zweifel? unterbrach ich sie rasch und etwas ruhiger. Meine Zukunft ist sicher, wenigstens kenne ich fuͤr jetzt keine Sorge, als die, dieses ungestuͤme Herz zu befrie¬ digen. Ich gehe zuruͤck auf meine Guͤter, ich will meine Untergebenen zu gluͤcklichen Menschen machen. Und wie wuͤrden sie gesegnet werden, wenn ich an der Hand eines Engels heimkehrte, der mich zum seligsten der Sterblichen macht! — Also schlage ein, mein heilig geliebtes Maͤdchen, sei mein, sprich, ob Du mich lieben kannst! Sie reichte mir ihre Hand; ein zartes Erroͤ¬ then uͤbergoß ihr liebliches Gesicht mit jungfraͤu¬ licher Scham, und sie vermogte keinen Laut uͤber die suͤßen Lippen zu bringen. Da zog ich sie mit stuͤrmischer Freude an mein Herz, sie war mein, und eine lange, selige Umarmung, schloß den Bund der keuschesten Liebe! — — Wir ver¬ mogten nun auf einmal aus der suͤßen Taͤndelei nicht herauszukommen, und begriffen in der That nicht, wie wir noch vor wenigen Stunden so mißmuthig, so verstimmt hatten sein koͤnnen. Die Liebe kennt nur suͤße Sorgen, wir enteilten daher der Gegenwart mit dem Gedanken an die naͤchste Zukunft, wie wir die Verwandten in Blumenau uͤberraschen, auf welcher meiner Besitzungen wir leben wollten, und feierten am Abend desselben gluͤcklichen Tags mit dem hoͤchlich verwunderten Kluge unsere Verlobung. — Tina wußte durch meine Briefe, welchen Schritt ich in dem Bewußtsein gethan, nur mit meiner angebeteten Adeline gluͤcklich werden zu koͤnnen, und wir beredeten uns lange vergeblich, wie wir die Sache dem Grafen beibringen wollten, der auf keinen Fall einen solchen Ausgang erwar¬ tete. Das Zartgefuͤhl stritt heftig dagegen, mit Adeline, die ja allein ein Opfer der Angst und der Huͤlflosigkeit geworden sein wuͤrde, laͤnger unter solchen Verhaͤltnissen zusammen zu sein, oder gar in meine Heimath zu reisen, da unsere bisherige Vereinigung ein Gebot der Nothwendig¬ keit war. Hierzu kam, daß unsere liebe Tina mir schrieb, sie wuͤnsche nichts sehnlicher, als daß sie meine Adeline, die sie durch meine Briefe hinreichend kannte, so bald als moͤglich als Ba¬ ronesse Staunitz umarmen koͤnne; und so schlug ich denn meiner in braͤutlicher Verwirrung erroͤ¬ thenden Geliebten vor, je eher je lieber am Tische des Herrn die Weihe des ehelichen Bundes zu empfangen. Du bist sehr rasch, mein Freund, sagte Adeline freundlich ernst; aber als ich ihr meine Gruͤnde mit diplomatischer Genauigkeit 15 auseinander gesetzt, und die Aufrichtigkeit meines heißesten Wunsches mit einem Seelenkusse bekraͤf¬ tigt, den sie, ganz Hingebung und Liebe, mit demselben Feuer erwiederte: da war weiter nichts noͤthig, als einen willigen Priester zu suchen, der uns den Segen sprach. In dieser Zeit erhielt Freund Kluge einen Brief, der ihn an das Krankenlager seines Vaters beschied. — Ich hatte genau genommen keine feste Heimath; meine Guͤter, saͤmmtlich in Admi¬ nistration und bereits bewohnt, konnten und sollten uns als junges, lebenslustiges Ehepaar nicht auf¬ nehmen. Nach Blumenau selbst zu gehn, war noch weniger anzurathen, da der Graf noch gar nicht von meinem Schritte unterrichtet war, und so schlug mir denn Kluge als scharfsinniger Rath¬ geber vor, meine Adeline einstweilen dem Hause seiner Eltern anzuvertrauen, indem ich auf diese Weise ganz in Blumenau wohnen, und die Sache leicht ausgleichen koͤnne. Dieser Rath war mir recht, und Kluge reis'te ab, mit den noͤthigsten Auftraͤgen versehn. Zufaͤllig fuͤhrte Adeline ihr Taufzeugniß bei sich; wir begaben uns zu einem Prediger der Vorstadt, dessen einfache Kirche so romantisch und bedeutsam gelegen war, daß ich sehr wuͤnschte, hier getraut zu werden. Wir fanden in dem Prediger einen biedern Greis, der, als Adeline ihre Lebensgeschichte kurz und wahr erzaͤhlt, mit Freuden in unsern Wunsch willigte und uns bat, einen Tag zu bestimmen, an dem wir fuͤr immer vereinigt sein wollten. Der Himmel war uns guͤnstig; er woͤlbte sich blau uͤber seiner schoͤnen Welt, Millionen jauchzten freudig ihr Danklied dem Hoͤchsten zu, und in unser Herz senkte sich eine suͤßbeklemmende Wehmuth. — Eine Menge auf dem Kirchplatze spielender Kinder zogen uns nach, und waren Zeugen der heiligen Handlung, die mir mein edelstes Gut sicherte, und als ich mit meiner jungen Frau unsere Wohnung erreicht, fiel sie mir selig weinend um den Hals, und be¬ schwor mich, fuͤr das ganze Leben treu zu halten, was ich ihr in der heiligsten Stunde ihrer Tage gelobt. Wir waren kaum zu uns selbst gekommen, als mir ein Brief von meiner ehemaligen Wirthin in B . uͤberbracht wurde, die ich schriftlich gebeten, mir Nachricht zu ertheilen, falls Adelinens Ent¬ fernung aus dem Kloster irgend ein Aufsehn mache. Sie berichtete nun unter tausend Seegens¬ wuͤnschen, wie die Äbtissin uͤber Adelinens 15 * Verschwinden ganz außer sich gewesen, und wie ferner der alte Commercienrath ganz ploͤtzlich, von keiner Seele beklagt, an einem Schlagflusse gestorben sei. Ich dankte der guten Frau fuͤr ihre Nachricht, machte schnell wegen der Erbschaft und des muͤtterlichen Vermoͤgens meiner Frau die desfalsigen Antraͤge bei der Justizbehoͤrde in B., und reis'te hierauf mit Adeline meinem lieben Freunde nach. Anfangs September des vergangenen Jahrs langten wir am Ziele gluͤcklich an. Adeline war entzuͤckt von der schoͤnen Lage meiner Heimath, wenn sie gleich ein wenig zuͤrnte, als ich ihr mein bisheriges Verhaͤltniß zu Tina und den Grund nannte, weshalb wir nicht in Blumenau unsern Wohnsitz aufschluͤgen. An meiner Liebe so wie an Tinas aufrichtiger Einwilligung konnte sie indeß nicht zweifeln, denn ich brachte tuͤchtige Beweise, und hatte ihre Verzeihung. Aber man denke sich meine Verwunderung, als ich meinen Reisegefaͤhrten in dessen elterlichem Hause nicht antreffe, und erfahre, daß er bereits wieder das Weite gesucht! Übrigens war der alte, vortreff¬ liche Forstinspector, der beilaͤufig gesagt, ein stein¬ reicher Mann ist, von seiner hypochondrischen Krankheit voͤllig genesen, und von meinen Ver¬ haͤltnissen genau unterrichtet, so daß er uns bat, sein Haus als das unsere anzusehn. —“ „Ihr verschmitztes Volk,“ rief Oncle Heinrich aus. „Aber ich merkte gleich so etwas, und ver¬ folgte schon im vergangenen Herbst die Spur. —“ „Es sei mir erlaubt,“ fiel Staunitz dem Oncle freundlich in die Rede, und forschte auf den Ge¬ sichtern der Anwesenden, ob man sich gelangweilt oder nicht, „es sei mir erlaubt, meinen Bericht zu beendigen. Ich eilte nicht ohne große Besorg¬ niß meines Herzens hieher nach Blumenau, ich lernte unsern Blauenstein kennen, und zwar in einer Gemuͤthsverfassung, die ihn mir sehr inte¬ ressant machte. Ich sah wie ihn Tina verehrte, wie er fuͤr sie brannte und sich selbst den Mund verschloß, mit aller Muͤhe an sich hielt, nicht in gluͤhende Liebesworte auszubrechen, denn ich galt ja noch immer fuͤr Tinas Verlobter. Aber trotz diesen guͤnstigen Verhaͤltnissen durfte ich mein Geheimniß noch nicht aufklaͤren, und es setzte mich in eine sehr große Verlegenheit, als mich der Graf ganz als seinen Schwiegersohn empfing. Nur Tina sah meine Adeline, und mit heimlichen Lachen bemerkte ich, wie Blauenstein auf dem letzten Balle ganz eifersuͤchtig nach mir hinblickte, als ich unserer lieben Wirthin' eine Haarlocke meines lieben Frauchens brachte, die ich erst am Nachmittage empfangen. Ihm die Sache anzu¬ vertraun, waͤre gegen alle Politik gewesen, denn wer konnte bei seiner feurigen Gemuͤthsart fuͤr ihn stehen? — Eines Tags flog ich hinuͤber zu Freund Kluge, um zu hoͤren, ob denn mein alter Reisecumpan noch immer nicht zuruͤckkehren wollte, und man denke sich meine Ueberraschung, als er mir an der Hand eines jungen, reizenden Maͤdchens ent¬ gegentritt, die er mir unter Scherz und Lachen als seine kuͤnftige Gemahlin vorstellt. Ich machte ihm Vorwuͤrfe, weshalb er gar zu verschlossen und verschwiegen gegen mich, seinen vertrauten Freund, gewesen, allein er erklaͤrte denn bald die Sache auf seine eigne Weise. Der alte Kluge ist mit der halben Welt verwandt, und ich muß te oft von Herzen lachen, wenn mein Begleiter beinahe in jedem Orte von einiger Bedeutung mir einen Vetter nannte, den er doch nothwendig besuchen muͤsse. Eines Tags kam er auch von einer alten Base zuruͤck, und zwar ganz im enthu¬ siastischen Feuer, welches niemand anders, als ein allerliebstes junges Baͤschen angefacht hatte. Ich lachte ihn aus, er machte noch einige Besuche, und wir reis'ten ab. Daß Amor ihn aber uner¬ bittlich zu seinem Sclaven gemacht, hatte ich nicht vermuthet, und dachte an die Geschichte nicht mehr. Als Kluge die Nachricht von seinem Vater erhielt, schnell seine Ruͤckreise anzutreten, dessen hypochondrisches Wesen ihm seit Jahren bekannt war, kam er, wie er meint, mehr zufaͤllig in den Geburtsort des schoͤnen Cousinchens, allein ich glaube, es ist dies so ein ganz eigener Zufall gewesen. Er merkt, daß er dem Maͤdchen nicht gleichguͤltig ist, daß sie seiner lebhaft und innig gedacht hat, und er verlobt sich mit ihr. Mein Freund liebt das Sonderbare, Auffallende, daher feine Eile, mit welcher er die liebe Braut sammt der alten Base holt, und seinen Eltern entgegen¬ fuͤhrt. Meine Adeline sreute sich der Gesellschaft um so mehr, da Klugens Braut die liebe Schwester Beata, welche mit ihr einen Geburtsort hat, recht gut kennt. Die Äbtissin soll, wie man mir ferner mittheilte, halb unklug geworden sein, und das Ursulinerstift aufgehoben werden, da es schlecht dotirt und mithin in der Lage ist, daß man es von Seiten der hohen Geistlichkeit eben nicht beguͤnstigt. Wir koͤnnen daher bei Gelegen¬ heit dem Besuche der lieben Beata entgegen sehn, ohne welche ich vielleicht nie so gluͤcklich geworden waͤre, als ich es bin. Daß sie unseres Blauensteins Dank ebenso verdient, versteht sich. Aber auf jeden Fall moͤgte das allerliebste Kind eine gute Parthie fuͤr Vetter Heinrich sein, nicht wahr?“ „Was!?“ rief der letztere, „eine ehemalige Nonne? Gott soll mich behuͤten und bewahren! In diesem Punkte lobe ich mir die dienstbereite Wirthin, deren Klosterraisonnement recht eindring¬ lich von Staunitz vorgetragen wurde. Ein Weib, das aus reiner sentimentaler Laune in ein Kloster zieht, ist mir zuwider; uͤberhaupt taugen solche Schmachtlampen nicht viel, und koͤnnen meinet¬ wegen bleiben wo sie sind. Daher begreife ich noch nicht, wie ein vernuͤnftiger Mensch vom sogenannten Klosterberufe sprechen kann!“ „Wie Du doch wunderlich bist, lieber Oncle!“ sagte Tina, und in ihrem Auge lag ein Ausdruck tiefbewegter Empfindung. „Hat man nicht im Kloster Zeit, wieder gut zu machen, was man durch Leichtsinn und Unerfahrenheit verdarb, kann man hier nicht rein werden von allen Schlacken des Irdischen, und sein Gemuͤth empor heben zu dem, der unser Schicksal waͤgt?“ „Kind,“ erwiederte Heinrich lachend, „das klingt Alles recht fein, aber es ist dummes Zeug! Und am Ende ist Dir das Kloster, was Blauen¬ stein Dir zeigen oder erweisen wird, zehnmal lieber, als so ein alter verwetterter Steinhaufen mit Eulen und alten Weibern angefuͤllt!“ — Tina versetzte dem Oncle einen leichten Schlag, verbarg ihr Erroͤthen an Blauensteins seliger Brust, und fragte Staunitz, ob er zu Ende sei. „Allerdings,“ erwiederte dieser, „meine Leidens- und Liebesgeschichte waͤre aus, und jetzt, meine Theuren, lade ich Sie gegenseitig ein, mir nach dem gastlichen Hause des Forstinspectors zu fol¬ gen, und erwarte durchaus keine abschlaͤgliche Antwort. Das Wetter ist heiter und zu einem Gange in's Freie einladend, wenn es daher beliebt, so gehn wir zu Fuß durch den schoͤnen Forst!“ Man dankte dem Erzaͤhler fuͤr seine Mitthei¬ lungen; Heinrich meinte, seine Rechtfertigung waͤre im Ganzen so uͤbel eben nicht, und verdiene beachtet zu werden. Die Gesellschaft war auch sogleich, von innerer Neugierde getrieben, bereit, dem ungeduldigen Staunitz zu folgen, der so sehnlich wuͤnschte, sein Frauchen in des Grafen Haus nun endlich einzufuͤhren. Blauenstein durchzog einstweilen mit seiner angebeteten Albertine den lauschigen Park. Beide hatten sich noch so unendlich viel zu sagen, die Liebe machte sie gegenseitig so beredt, und zog sie zur Einsamkeit hin, daß sie die Zeit nutzten und am Ufer des plaͤtschernden Sees in suͤßer Hin¬ gebung sich ihrer Liebe freuten. Aber Tina, war es Adelinens sonderbares Zusammentreffen mit Staunitz, ohne welches sie ihres Herzens Auser¬ waͤhlten doch nimmer das haͤtte sein koͤnnen, was sie jetzt ihm war, oder war es die Erinnerung an ihre ungluͤckliche Mutter, die im nahm Rasen¬ huͤgel des freundlichen Gartens den ewigen Schlaf des Todes schlief, Tina brach in ein sanftes Weinen aus, und zog den tief geruͤhrten Freund an ihres Muͤtterchens frisch erbluͤhtes Grab. Eine zarte blaue Winde hatte ihre rankigen Faͤden um eine aufgebluͤhte Fruͤhrose geschlungen, und lachte dem Paare anmuthig entgegen. „Mein Freund, mein einzig geliebter Freund!“ hob Tina an, und ließ sich an dem einfachen Denksteine nieder, „hier schwoͤre mir, nur mir anzugehoͤren, hier, an meines unvergeßlichen Muͤt¬ terchens Grabe! Sieh, hier sei Dein Ebenbild, die blaue Winde, die sich treuliebend um die Rose schlingt, bis der spaͤte Herbst dem suͤßen Leben ein Ziel setzt!“ — Sie vermogte in ihrer Ruͤh¬ rung nicht weiter zu reden, und das liebende Paar gelobte sich tief im Innern der keuschen Herzen Treue bis zum Tode! — 11. Aufklaͤrungen. Nach einer halben Stunde war die Gesellschaft im anmuthig gelegenen Forsthause angelangt, da oͤffnete sich die Thuͤr des naͤchsten Zimmers, und ein anmuthiges junges Weib flog mit Thraͤnen der Freude an Staunitz Brust, um nach wenig Augenblicken an Tinas hochschlagendem Herzen auszuruhn. „Wahrhaftig,“ sagte Oncle Heinrich zu sich selbst, „Vetter Staunitz hat keinen schlechten Geschmack, und mein Dollond mag doch ein wenig getaͤuscht haben, denn damals sah das wunderhuͤbsche, liebliche Kind viel blaͤsser und unfreundlicher aus.“ „Hier meine Theuren,“ sagte Staunitz, und ergriff die zarte Lilienhand seines Frauchens, „hier ist meine Adeline!“ Indem trat der alte Forstinspector mit seiner Gemahlin aus dem Zimmer, und lud die verehrten Gaͤste ein, naͤher zu treten und ein Stuͤndchen froͤhlich zu verplaudern, was auch nicht ausge¬ schlagen wurde. Nach kurzer Zeit gesellte sich auch der junge Kluge, Staunitz einstiger Reise¬ gefaͤhrte mit seiner Braut zu ihnen, und der froͤhlichen Scherze und des Austausches witziger Neckereien war gar kein Ende. — Auf jeden Fall sollte der Graf den folgenden Tag von Allem unterrichtet werden, so daß die reizende Adeline ihrem geliebten Gatten nach Blumenau folgen koͤnne; man gab sich das gegenseitige Versprechen, sein Moͤglichstes in der zarten An¬ gelegenheit zu thun, damit keine Art irgend einer Mißhelligkeit entstehe, und mit einem feurigen Kuße keuscher Gattenliebe eilte Staunitz aus der Umarmung seines Weibes mit der uͤbrigen Ge¬ sellschaft in der kuͤhlen Abenddaͤmmerung nach Blumenau zuruͤck. Es wurde eine Zeitlang hin und her uͤber¬ legt, wer eigentlich dem Grafen von Staunitz Verheirathung, von Blauensteins Liebe zu Tina sagen sollte, ob Staunitz, ob Tina oder Oncle Heinrich. Der letztere meinte zwar, das werde sich schon finden, erfahren muͤsse er es doch, und dann sei es im Grunde einerlei, durch wen. Aber er beschloß heimlich bei sich, die Sache selbst, und zwar noch heute Abend abmachen zu wollen. Der Graf war von seiner Geschaͤftsreise zu¬ ruͤckgekehrt; Oncle Heinrich ging schnurstracks zu ihm in's Cabinet, und beide Herren kamen auch daraus nicht wieder fuͤr den Abend zum Vorschein. Der alte Martin wurde von Tina einmal gar beauftragt, vor dem erwaͤhnten Zimmer vorbei¬ zugehn, ob etwa drinnen heftig geredet wuͤrde, denn es war ihr so bang um's Herz, als solle die kaum emporsteigende Sonne ihres jungen Liebesgluͤckes wieder hinabsteigen in ein finsteres Wolkenmeer; und wirklich berichtete der alte Graukopf, es werde ziemlich laut gesprochen, aber man koͤnne durchaus kein Wort verstehn. Die heimliche Angst ließ sie nicht zu sich selbst kommen; sie vermogte bei Tisch keinen Bissen zu essen, und die Nacht entschwand unter tausend Qualen. Blauenstein erging es nicht viel besser; er starrte eine Zeitlang auf Tinas kunstreiches Ge¬ schenk, die zierlich gestickte Brieftasche, um die sich ein Gewinde von Vergißmeinnicht und Rosen auf gruͤnem Grunde schlang. Gruͤn, dachte Blauenstein, ist die Farbe der Hoffnung, Liebe und Treue deuten mir die andern sinnigen Blumen, und so will ich getrost in die Zukunft sehn. — Am andern Morgen beschied der alte ergraute Kammerdiener Blauenstein zum Grafen. Er schrak unwillkuͤhrlich in einander, und begab sich voll banger Erwartung in des letztern Gemach. Der Graf trat ihm freundlich entgegen, aber doch lag in seinen Zuͤgen ein Ernst, eine halb unter¬ druͤckte Wehmuth, die er sich nicht zu erklaͤ¬ ren wußte. „Entschuldigen Sie,“ hob der Graf an, und winkte dem erschrockenen jungen Manne zum Niedersitzen, „entschuldigen Sie, mein junger Freund, daß ich Sie zu dieser ungewohnten Stunde zu mir rufen lasse. Ich moͤgte gern wieder gut machen, was ich einst, wenn auch unbewußt, verschuldet, und Sie sollen mir Auf¬ klaͤrung geben.“ Nach diesen Worten, deren Sinn Blauenstein nicht begriff, nahm der Graf aus einem Secretair ein reicheingefaßtes Miniaturbild, zeigte es dem jungen Manne, und dieser erkannte die Zuͤge seines verklaͤrten Vaters, der hier in seiner Jugend gemalt sein mußte. „Ist dies das Bild Ihres seligen Herrn Vaters?“ fragte der Graf mit feuchtem Blicke. „Ohne allen Zweifel!“ entgegnete Blauenstein „Ich dachte es wohl,“ fuhr der erstere fort, „aber ich wollte Gewißheit haben. Ich darf voraussetzen, daß Ihnen die Jugendgeschichte Ihres Vaters nicht verborgen geblieben ist. Er liebte Fraͤulein Marie von Struen, meine nachmalige Gattin, aber ich wußte davon nichts und warb, halb ein Spiel meiner Verwandten, halb von Mariens zauberischer Liebenswuͤrdigkeit hingerissen, um ihre Hand in einer Zeit, wo das Band, welches sie an Ihren vortrefflichen Vater knuͤpfte, gewaltsam getrennt war, und ich glaubte sie gluͤcklich. Erst ein Jahr nach unserer Verhei¬ rathung erhielt ich Licht, und kaum begreife ich, wie ich hatte so verblendet sein koͤnnen, und ich habe mir lange, lange die heftigsten Vorwuͤrfe gemacht, weshalb ich an der Seite dieses holdseligen Engels einen Gedanken an Eifersucht in mir aufkommen lassen konnte. Aber erst wenige Jahre vor ihrem Tod: ließ mich meine theure Marie einen Blick in ihr fruͤheres Leben thun; sie dankte mir fuͤr die Geduld, die ich mit ihr gehabt, der Himmel weiß, wie schwach ich war und es wohl noch bin, und beruͤhrte dann die Sache nicht wieder. — In ihrem Nachlasse fand ich das Miniaturbild, was Sie so eben sehen, und aus eini¬ gen Papieren Mariens erhellt, das Ihr seliger Herr Vater auch ihr Bild empfangen haben muß. —“ Blauenstein erinnerte sich augenblicklich des lieblichen Bildes, das er im Hause seines Vaters gefunden, das mit seiner geliebten Albertine eine so taͤuschende Ähnlichkeit zeigte, und bat den Gra¬ fen, fortzufahren. „Wie mußte es mich nun uͤberraschen, als ich Sie in Friedlingen kennen lernte,“ sagte der letztere, „denn jenes Bild und Ihr Gesicht ist ganz eins, als ich wenige Stunden nach Ihrer edlen Retterthat aus Ihrem eignen Munde hoͤrte, Ihr Name sei Baron von Blauenstein. Ich dachte an die Mittheilungen meiner unvergeßlichen Marie, aber ich konnte diese Saite, nennen Sie es Schwaͤche, nennen Sie es mit einem schlimmern Namen, in Ihrer Gegenwart damals nicht beruͤh¬ ren, und behielt meine Entdeckung bei mir. — Gestern Abend kommt mein Schwager Hein¬ rich, erzaͤhlt mir Staunitz wunderbare Ver¬ heirathung, und entdeckt mir in's Geheim, daß seine Gemahlin hier in der Naͤhe wohne, und nur des Augenblicks harre, wo sie mit ihrem Gatten hieher eilen koͤnne. Mein armes Kind, meine Tina, that mir unaussprechlich leid, denn ich glaubte, sie wuͤrde ein Opfer ihres Grames werden, und sagte dies meinem Schwager, da lacht mir der Mensch, meine Stimmung contrastirte widrig hiemit, laut in's Gesicht, und meint, Sie, mein junger Freund, wuͤrden Staunitz Stelle schon auszufuͤllen wissen. Allerdings ist es mir nicht entgangen, daß Sie mein Kind auszeichneten, aber ich ahnete nicht, daß ein sonderbares Ungefaͤhr Tinas Verbindung mit Staunitz aufhob.“ Der Graf ergriff nach diesen Worten das kleine Bild seiner verstorbenen Gemahlin, trocknete die darauffallenden Thraͤnen von dem spiegelreinen Glase, aus welchem die zauberischen Zuͤge der Verklaͤrten hervorlaͤchelten, und fuhr, nachdem er sich wieder erholt, denn es schien ein Kampf sonderbar geweckter Empfindungen in ihm zu 16 beginnen, zu Blauenstein gewendet, folgender¬ maßen fort: „Was ich vorhin nur andeutete, muß ich Ihnen zu meiner eigenen Rechtfertigung naͤher auseinander setzen, denn Sie stehn mir jetzt nahe wie ein geliebter Sohn. Ich habe mannigfache Erfahrungen in meinem Leben eingesammelt, ich habe die Menschen, ihr oft so verwirrtes, zweck¬ loses Treiben kennen gelernt, und war selbst zu einer Zeit ein Spiel ungluͤckseliger Verhaͤltnisse, die ich fuͤr die seligste meines Lebens hielt. — Der Freiherr von Struen, meiner seligen Marie Vater, war stolz und, moͤge es ihm der Himmel verzeihn, von einer nie zu billigenden Habsucht erfuͤllt; Geld, Adel und vornehme Ver¬ bindungen waren seiner Goͤtzen angebetetste, ihnen opferte er Alles, Alles, nur sich selbst nicht, denn er war Egoist. Die Liebe hatte meine Augen verblendet, ich — “ „Entschuldigen Sie meine Unterbrechung;“ fiel Blauenstein dem Grafen in die Rede, „ich kenne zwar meines Vaters Verhaͤltnisse zu dem von Struenschen Hause, aber ich fand keinen Auf¬ schluß daruͤber, wo der Freiherr fruͤher gelebt, wo er nach seinem Zwiespalt mit unserm Hofe sich hingewendet, und wie Sie, mein vaͤterlich gesinnter Freund, die holde Marie, Ihre nachmalige Gattin, kennen gelernt haben. Zuͤrnen Sie mir dieser Fragen halber nicht; denn meine Verehrung, die ich der Verklaͤrten zolle, muß meine Neugierde rechtfertigen, und zu sehr regten sie die letz¬ ten Mittheilungen meines unvergeßlichen Vaters auf!“ — „Ich weiß es zu wuͤrdigen,“ fuhr der Graf mit mildem Ernste fort, und schaute unverwandten Blickes auf das Miniaturbild, „ich weiß es zu wuͤrdigen, mein junger Freund, und Sie sollen Alles wissen. Wie leicht koͤnnten Sie mich fuͤr herzlos halten, wie leicht koͤnnten Sie vermuthen, ich habe mit kalter Überlegung das Band zerrissen, was die Liebe um meiner Marie, und um Ihres verklaͤrten Vaters Herz geschlungen, denn ich ahnete nicht, daß Marie Ihren Vater je geliebt, ich kannte ihn nicht einmal dem Namen nach, da ich mich in der Residenz nie lange Zeit aufhielt. Aber hoͤren Sie mich an, vernehmen Sie meine Rechtfertigung. Und waͤre jener verklaͤrte Engel, dessen Leben so oft getruͤbt wurde, selbst gegen¬ waͤrtig, er koͤnnte es nicht anders vorstellen, als es geschehn wird!“ 16 * „Herr Graf,“ sagte Blauenstein, als jener ein wenig in seiner Rede still stand, „Sie sind in einer zu aufgeregten Stimmung, schonen Sie Ihre Kraͤfte! Schon der innige Antheil an dem Mißgeschick meines Vaters zeigt mir, das Ihnen seine Verhaͤltnisse zu Fraͤulein Marie von Struen unbekannt sein mußten!“ „Entschuldigen Sie diese innere Aufregung,“ entgegnete der Graf mit Ruhe, „aber ich weiß nicht, was mich heute so innig bewegt und wei¬ bische Thraͤnen in mein Auge lockt. Hoͤren Sie mich denn an, ich werde bald zu Ende sein. — Ich lernte Marien auf dem Landsitze einer Tante kennen, in deren Naͤhe Struens Erbguͤter liegen, welche schon damals sehr uͤberschuldet waren. Wer haͤtte diesen holden Engel sehn und nicht augenblicklich lieben koͤnnen! — Ich sah sie oft, beinahe taͤglich; wir unterhielten uns, ich las ihr vor, meine Hand leitete mit sicherer Keckheit den Kahn uͤber den großen, mit Wald begrenzten Weiher meiner Tante, und Marie folgte mir gern. Der Freiherr und seine Gemahlin mogten bemer¬ ken, was ich fuͤr ihr Kind empfinde, und zeigten sich mir jeder Zeit freundlich und zuvorkommend; aber mein Mund war verschlossen, eine namenlose Angst ergriff mein Herz, wenn mir in Mariens Gegenwart der Gedanke beikam, es sei eine guͤn¬ stige Zeit, ihr meine gluͤhende Liebe zu gestehn. Ich gehoͤrte nie zu den eitlen Gecken, welche sich bei jeder natuͤrlichen Offenheit und Freundlichkeit eines jungen, unbefangenen Maͤdchens einbilden, sie seien geliebt, es beduͤrfe nur der Anfrage, um sich am Ziel ihrer Wuͤnsche zu sehn; aber ich war vielleicht zu sehr zuruͤckhaltend, hatte zu wenig Kenntniß des menschlichen Herzens, das ja immer unergruͤndlich bleibt. Oft nahm ich mir vor, etwas weiter auszuholen, Mariens eigentliche Empfindungen zu erforschen, aber ich fand immer nur die heitere, unbefangene Natuͤr¬ lichkeit ihres so unendlich einnehmenden Wesens, und wußte mir selbst nicht zu rathen. Meine Tante, welche mit der alten Frau von Struen ziemlich vertraut war, wuͤnschte eine Verbindung zwischen Marien und mir von ganzer Seele; sie sah meine Zaghaftigkeit und wollte doch auch nicht gegen meinen Willen mit Mariens Eltern von der Sache reden. So verging eine lange Zeit. — — Endlich, ich hatte gar keine Ahnung davon, erhielt ich die Nachricht, daß der Freiherr seine Guͤter verlasse und nach der Residenz gehe, wo er auch in Verhaͤltnissen gestanden und operirt hat, die mir niemals bekannt geworden sind. — Die Leidenschaft fuͤr Marie hatte den hoͤchsten Grad erreicht, ich verzehrte mich selbst, schwand, wie mich meine Verwandten versicherten, sichtlich hin wie ein Schatten, und sah doch keine freund¬ liche Aussicht vor mir. Meine Tante schlug mir vor, schnell nach der Residenz zu reisen, und beim Freiherrn von Struen um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Es blieb mir im Grunde kein an¬ derer Weg uͤbrig, und voll, theils suͤßer, theils banger Erwartungen, reis'te ich mit nichts, als meiner Liebe beschaͤftigt, nach der Residenz ab. Der Freiherr empfing mich nebst seiner Gemahlin unendlich freundlich; sie mogten beide die Absicht meines Besuches kennen, und erleichterten mir meinen Antrag, den ich machte. Der Freiherr sagte mir, ich sei ihm als Schwiegersohn herzlich willkommen, ich habe mit seiner Tochter einen Glauben, und sei von ihr geachtet und geliebt. — Meine Freude kannte keine Grenzen, ich ver¬ langte nach Marien, aber sie war nicht in der Residenz gegenwaͤrtig, sondern in N. bei ihrem Großvater muͤtterlicher Seite, wo ich nach einigen Monaten hinreis'te, indem der Freiherr die Resi¬ denz wegen einer Unannehmlichkeit am Hofe meiden mußte. Man sagte spaͤter, er sei in Un¬ gnade gefallen, doch habe ich das Naͤhere hieruͤber ebenfalls nie erfahren, da er einige Zeit nach meiner Verbindung mit Marien starb, und ihm seine Gemahlin kurz darauf folgte. Marie empfing mich freundlich, aber mit einer Niedergeschlagenheit, die ich nur in meiner Ver¬ blendung nicht bemerkte. Sie hielt mich zu ent¬ fernt, als daß ich ihr haͤtte ein Gestaͤndniß meiner Liebe thun koͤnnen, und so vergingen viele Mo¬ nate. Ich war bald im Hause meiner Tante, bald in N., indem der Freiherr seine Guͤter aus einer Ursache nicht bezog, die ich erst spaͤterhin erfuhr. Was ich nicht uͤber meine Lippen bringen konnte, vertraute ich einem Briefe an Marien, sie lud mich gleichfalls schriftlich zu sich ein, und ich verlobte mich mit ihr in Gegenwart ihrer nun ganz zufriedengestellten Eltern. Ich war von meinem Gluͤcke berauscht, mit Freuden bezahlte ich eine ziemlich bedeutende Summe Schulden, welche den Freiherrn druͤckte, und war gern bereit, ihm aͤhnliche Dienste zu erweisen. Erlassen Sie mir die Eroͤrterung dieser Puncte, mein lieber junger Freund, Sie werden den Zusammenhang leicht errathen. Auf einer kleinen Reise hatte ich hier Blu¬ menau kennen gelernt; seine schoͤne Lage bestach mich und ich freute mich herzlich, als ich erfuhr, der Landsitz solle verkauft werden. Ich erzaͤhlte Marien davon; sie wuͤnschte sich immer ein gewisses einsames Leben, und freute sich meines neuen Ankaufes, da sie Blumenau ebenfalls bereits kannte. Hier feierte ich auch meine Ver¬ maͤhlung, wenn es mir gleich nicht entgehen konnte, daß Marie nicht so heiter war, als ich erwartet hatte. Im Rausche meines Gluͤcks war ich kurzsichtig geworden; die heimlichen Thraͤnen, welche Marie vergoß, fielen, es konnte mir zuletzt ihr geheimer Kummer nicht mehr entgehn, wie gluͤhendes Blei in mein Herz, meine Augen oͤffneten sich, und ich war nun vielleicht noch un¬ gluͤcklicher als sie selbst. Ich beschwor Marien bei Allem, was ihr theuer sei, bei der Ruhe meines Lebens, sie moͤge mir gestehn, was ihr sei, was in ihr vorgehe, Beide Eltern waren kurz vorher gestorben, ich darf es nicht unberuͤhrt lassen, und dieser Umstand mogte ihr zartes Herz tief erschuͤttern. Anfangs laͤchelte sie uͤber meine Besorgniß, aber dann sank sie mir weinend an die Brust, und gestand mir Alles, wie sie Ihren Vater kennen gelernt, wie innig sie ihn geliebt habe, daß der alte Freiherr dies Band gewaltsam getrennt, vielleicht wie sie meinte, wie ich aber mit Zuverlaͤssigkeit annehmen konnte, aus elender Geld¬ sucht, aus Furcht, sein Haus moͤge ohne meine Un¬ terstuͤtzungen in Elend versinken. Die Religions¬ verschiedenheit Mariens und ihres Geliebten war nur Nebensache gewesen! — Mariens Herz war in der That merklich er¬ leichtert durch ihre Mittheilung; sie schwebte wie ein holder Engel des Himmels um mich her, und machte mich durch meine beiden Kinder zum gluͤcklichsten Vater. Aber ein heimliches Gift nagte an der zarten Bluͤthe ihres edlen Lebens, und ehe noch die kleine Tina ihr achtes Jahr erreichte, war meine Marie — todt! — — Sie war nicht fuͤr diese Welt, das elende Treiben dieser jaͤmmerlichen Menschen stimmte nicht zu der klaren Reinheit ihres himmlischen Herzens. — Erlassen Sie mir fuͤr heute die Auseinander¬ setzung mancher kleinen Nebenumstaͤnde, die Sie vielleicht schon von selbst errathen. Ich hoffe, ich stehe in Ihren Augen als kein Schuldiger da; ich war schwach, und des Engels nicht werth, aber kein Falsch kam in mein Gemuͤth. Sie wurde mir zu fruͤh genommen, und meine einzige Freude sind meine Kinder, die meine letzten Tage mit Blumen reichlich schmuͤcken! Ich weiß es, Convenienzverbindungen sind keine Grundpfeiler eines daurenden Lebensgluͤckes; dem Herzen lasse man seine Gewaͤhrung, man greife nicht stoͤhrend in die Seligkeit der Liebenden, die sich gefunden. Geheime Thraͤnen habe ich geweint, als ich durch meinen Schwager der Liebe Tinas zu Ihnen gewiß sein konnte. Wenn Ihr trefflicher Vater nicht gluͤcklich sein konnte, so sollen Sie es werden durch die Hand meines Kindes, das Ihrer werth ist. Mir gilt es gleich, wem Tina einmal die schoͤnsten Tage ihres Lebens dankt; also sein Sie mir als Sohn herzlich willkommen; nennen Sie es nicht zudringliche Voreiligkeit, daß ich eher von Ihrer Liebe sprach, als Sie es selbst gethan. Aber ein liebender Vater durchbricht gern die Schranken einer angenommenen Regel!“ Das hatte Blauenstein nicht erwartet, er eilte in die ihm entgegen gebreiteten Arme des edlen Grafen, und erzaͤhlte, wie es der innigste Wunsch seines verklaͤrten Vaters gewesen sei, die holde Tina als seine Tochter einst an sein Herz zu schließen, und wie dies sein hinterlassenes Testament erweise. Da oͤffnete der Graf eine Seitenthuͤre, Tina, von braͤutlicher Scham uͤbergossen, eilte in liebreizender Verwirrung an des uͤberseligen Blauensteins Brust, um mit ihm vereint den vaͤterlichen Seegen zu empfangen. 12. Das Verlobungsfest. Oncle Heinrich war ein großer Freund der Familienfeste, und meinte bei sich, wenn sich auch Tinchen mit ihrem Blauenstein schon verlobt habe, so koͤnne dies doch um so mehr noch ein¬ mal in optima forma geschehen, da man der¬ gleichen Feierlichkeiten auf eine unverzeihliche Weise zu vernachlaͤssigen anfange. „Ich bin zwar niemals verlobt gewesen,“ sagte er zu Staunitz mit dem er uͤber die Arrangements das Naͤhere besprechen wollte, „allein es ging zu der Zeit, wie ich noch jung war, ganz anders her. Da versammelte man sich feierlich im Hause der Braut, der Ringwechsel fand statt, und hinterher passirte auch wohl ein Aufzug, oder ein Taͤnzchen. Heutzutage schaͤmt man sich beinahe, die edle Sitte hervorzurufen. Die letzte Verlobung, der ich beiwohnte, war bei dem Oberlandforstmeister; da gings bunt her; meiner Seele, ist da doch getollt worden! Der Geheimrath Sacken hatte schwer geladen, und wie er dem Paare Gluͤck wuͤnschen wollte, rannte er mit dem hintern Theile seines Koͤrpers dem Vater der Braut vor seinen dicken Bauch, wurde von diesem elastischen Berge zuruͤckgeschleudert, und schoß eine Lerche, daß er an der Erde lag, wie ein Sack! Das gab nun freilich einen tollen Laͤrm, aber wir ließen uns nicht stoͤhren. — Diesmal, hoffe ich uͤbrigens, soll es nicht auf einen solchen Sturz ausgehen, und ich bin im Grunde froh, daß die Sache so endigte.“ „Wie so?“ fragte Staunitz. „Nun,“ erwiederte Heinrich lachend, „daß Tinchen bei der Parthie nicht leer ausgeht. Anfangs dachte ich immer, sie wuͤrde ohne den Vetter Staunitz nicht leben koͤnnen, und wie ich so dem Dinge auf die Spur kam, dachte ich immer bei mir, es waͤre gut, wenn der Mensch sein Herz verzehren und ein neues in sich werden lassen koͤnnte, wie der Magen beim Krebse. Es sei mir erlaubt, dies merkwuͤrdige Ereigniß in der Natur des Krebses hier naͤher ausein¬ anderzusetzen. Zur Zeit der Haͤutung oder Mau¬ serung die es Insects, eine angreifende Periode fuͤr dasselbe, fuͤhrt es die bekannten halbkug¬ lichen, kalkartigen, sogenannten Krebssteine im Magen, welche sich von den Nahrungsmitteln abgesetzt haben. Der Magen selbst liegt im Kopfe, nahe bei den Augen, und ist mit drei scharfen, breiten, dicht aneinanderstehenden Zaͤh¬ nen versehn. Nach Abloͤsung der Schale ist der Krebs weich und butterartig, jedoch verhaͤrtet sich die aͤußere Decke, vermuthlich durch Auf¬ loͤsung der erwaͤhnten Krebssteine, welche sich in eine fluͤssige Masse aufloͤsen. Bei dieser Haͤu¬ tung erneuern sich Magen und Gedaͤrme, indem sich beide Eingeweide abloͤsen, und sich neue an deren Stelle bilden. Der neue jetzt entstandene Magen verschlingt nun zugleich die erwaͤhnten alten Abgaͤnge als erste Nahrung. Man kennt uͤbrigens jetzt mehr als 200 Gattungen der Krebse! — Aber nun geht ja die Sache frisch und nicht den Krebsgang, daher ist Alles gut, wie es der Himmel gefuͤgt hat!“ Staunitz war froh, daß Oncle Heinrich seinen Sermon geendigt hatte, und traf Anstalten zum Abholen seiner Adeline vom einsamen Forsthause; da meinte aber Emil, die Sache habe noch ein wenig Zeit, weil ein gehoͤrig geordneter und geschmuͤckter Reiter und Wagenzug vor der jungen Frau erscheinen muͤsse, damit ihr Einziehn in die Burg seiner Vaͤter auch freundlich und uͤberraschend sei. Fuͤr den weiblichen Theil hielt ein glaͤnzender Wagen in Bereitschaft, die jungen Maͤnner aber sollten unter Heinrichs Anfuͤhrung die Wagen zu Pferde in moͤglichstem Putz begleiten, und dann die liebreizende Adeline dem im Schlosse zuruͤck¬ bleibenden Grafen entgegenbringen. Heinrich bestieg auch mit froͤhlichem Eifer seine alte Isa¬ belle, kehrte sich nicht an ihr unziemliches Quiecken und Bocken, und sprengte vor dem Maͤnnerklee¬ blatte her, das seinen Platz vor dem glaͤnzenden graͤflichen Wagen einnahm. Unter Thraͤnen der edelsten Ruͤhrung und Freude stieg Adeline, von Rosalie, der Braut des jungen Kluge, und Tina begleitet, waͤhrend sich der letztere als vierter Reiter mit zu den Maͤnnern gesellte, in den festlich geschmuͤckten Wagen. In der großen Lindenallee vor Blumenau hielt der Zug an; die auserlesenste Jugend von den Guͤtern des Grafen harrten hier mit einem kleinen Triumphwagen, der mit den lieblichsten Rosen¬ gewinden anmuthig und kunstreich durchschlungen war; auf dem Sitze lag ein weiches Polster von rothem Sammt mit reichen Kanten. Tina so¬ wohl, als ihre neue Freundin Adeline war hoͤchst von der glaͤnzenden, phantastischen Erscheinung uͤberrascht, denn Bruder Emil und Oncle Heinrich hatten Alles ganz heimlich in großer Geschwin¬ digkeit angeordnet, und diese Verwunderung stieg noch hoͤher, als die drei Damen genoͤthigt wurden, in dem Rosenwagen Platz zu nehmen, und sich von der geputzten Landjugend nach dem Park von Blumenau ziehn zu lassen. Im Bosquet war in aller Schnelligkeit ein gruͤner Laubtempel errichtet, ebenfalls mit Rosen und andern Fruͤh¬ lingsbluͤthen durchflochten, und unter einer in der Mitte der durchsichtigen Decke schwebenden Blu¬ menkrone erhob sich ein einfacher Altar mit der flackernden Flamme. In der Naͤhe des einen Blumenpfeilers stand der Graf in glaͤnzendem Hofstaat mit Kreuz und Orden, und empfing die Gemahlin seines Vetters Staunitz mit der ihm eigenen zuvorkommenden Freundlichkeit und Guͤte. Adeline war fast keines Wortes maͤchtig; sie war ihrer Freundin Albertine in die Arme ge¬ sunken, als koͤnne sie diese Fuͤlle freudiger Ereig¬ nisse nicht ertragen. Da faßte der Graf, der seine Fassung zuerst wieder gewonnen, ihre zarte Hand, fuͤhrte sie Staunitz laͤchelnd entgegen, und sagte: „Sein Sie gluͤcklich mit ihm! Ich hatte gehofft, er werde in wenigen Wochen meines Kindes Gatte sein, aber die Maͤchte dort oben, wo unser Schicksal bestimmt wird, wollten es anders. Jetzt ist sie Braut eines jungen Mannes geworden, dessen Schuldner ich mich nennen muß, und ich habe den schoͤnen Glauben, daß er meine Tina gluͤcklich machen wird. Die Wege der Vorsehung sind nicht die unsern; das heitere Liebesgluͤck, auf das meine Marie an der Seite eines wider ihren Willen gewaͤhlten Mannes ver¬ zichten mußte, mag der Himmel den Verlobten geben. Sie haben, ein Spiel des freundlichen Zufalls, in die Naͤhe dieses Engels gerathen muͤssen, lieber Vetter,“ fuhr der Graf fort, sich an Staunitz wendend, „um in seinen Armen fuͤr ein Gut entschaͤdigt zu werden, daß Blauenstein Ihnen nahm, ehe er es selbst sich bewußt war. Der Geist meiner verklaͤrten Marie spende Euch, meine Theuren, seinen Seegen!“ — — Der Graf vermogte nicht weiter zu reden, die Erinnerung an die zu fruͤh Verlorne war zu stark, als daß er sich in seiner lebhaften Ruͤhrung haͤtte ermannen koͤnnen, und er beurlaubte sich bei den jungen Paaren, indem er sein einsames Zimmer aufsuchte. Die Liebe erheitert das jugendliche Gemuͤth, wenn sie auch in jedes fuͤhlende Herz eine suͤße, zarte Wehmuth gießt. Die jungen Paare ge¬ lobten sich Treue bis zum Tode, und reichten sich im Vollgefuͤhl ihres verdienten Gluͤcks die Haͤnde uͤber der emporlodernden Flamme des Altars, und aus dem nahen Waldgebuͤsch schwebte auf den Fittigen des frischen Windes der Fruͤhlingshymnus der froͤhlichen Ästebewohner heruͤber. „Wenn Ihr nicht gluͤcklich werdet,“ sagte endlich Oncle Heinrich, indem er heiter und sorglos die feierliche Stille unterbrach, „wenn Ihr nicht gluͤcklich werdet, so muß es nicht mit rechten Dingen zugehn! Solche Ceremonien sind mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen, und meine Praxis ist im Ganzen so uͤbel nicht; allein ich finde dies Alles brav und lobenswerth! — Doch, ehe ich die Sache wieder vergesse, muß ich schnell eine Querfrage thun. Vetter Staunitz meinte gestern, wenn ich nicht irre, er habe eine frohe Nachricht bekommen, die moͤgten wir doch gern wissen, wenn die Sache nicht eine bloße Windbeutelei ist. Man darf dem Herrn Vetter 17 nicht recht trauen, und daher rathe ich Ihnen, meine schoͤne Cousine,“ wandte er sich an die holdselige Adeline, „auf den Patron ein wachsames Auge zu haben!“ — „Gut, daß Sie mich jetzt daran erinnern!“ erwiederte Staunitz, und schlang seinen Arm um den schlanken, bluͤhenden Sylphenleib seines lie¬ benswuͤrdigen jungen Weibes. „Die angenehme Nachricht besteht aber darin. Ich erhielt von B . einen vielsagenden Brief; die vaͤterliche Erbschaft, welche wir fuͤr verloren hielten, ist glaͤnzend aus¬ gefallen, und hier,“ fuhr er fort, und zog aus der Tasche mehrere sauber zusammengelegte Papiere, „hier in diesen Documenten steht es schwarz auf Weiß, daß meine theure Adeline außer ihrem Muttergute noch uͤber eine Tonne Goldes zu befehlen hat!“ — „Bringst Du mir weiter nichts, wie immer nur Geld und Reichthum, mein Geliebter?“ fragte Adeline mit komischer Traurigkeit im Blicke. „Hast Du keine andern Nachrichten? — Vor Allem bewahre mir Deine Liebe, ohne diese sind Tonnen Goldes eitler Tand, nichts sagender Prunk, der nur kalte Herzen zu erfreuen vermag, die eben so hart sind, als ihr angebetetes Metall!“ „Wohl Dir,“ sagte Staunitz mit einem zaͤrt¬ lichen Haͤndedrucke, „wenn Du edlere Guͤter kennst und besitzest, als den Reichthum! Aber findet sich Zufriedenheit, wahres inneres Gluͤck mit Reichthum vereint, warum soll man sich desselben nicht freun? — Doch ich habe noch etwas zu berichten; der Curator Deines Vermoͤgens sendet mir aus dem Nachlasse Deiner seligen Mutter eine Menge Schriften nebst ihrem Bilde, das Du Dir immer so sehnlich gewuͤnscht hast!“ Adeline dankte mit einem Seelenkusse fuͤr diese Nachrichten, und schmiegte sich an des Ge¬ liebten Seite. Die Flamme des Altars flackerte noch matt auf, als wolle sie erloͤschen; „Kinder,“ sagte daher der ungeduldige Emil, und stieß mit dem Arme einen Blumentopf um, in dem eine schoͤne Wachsblume Asclepias carnosa. prangte, so daß Oncle Heinrich meinte, er taumle schon, ehe man noch ein Glas des edlen Champagners genossen, den man unmoͤglich laͤnger im Gartensallon harren lassen duͤrfe, „Kinder, die Flamme des Altars mahnt uns an den Einzug in das Festzimmer!“ Auf diese Aufforderung fuͤhrte Oncle Heinrich die geschmuͤckte Adeline, Blauenstein seine Tina nach dem erwaͤhnten Gartensallon, wo ein koͤst¬ liches Gabelfruͤhstuͤck, in welchem ein neuer Koch aus der Residenz seine Meisterschaft erschoͤpft, den Eintretenden entgegenduftete, und die drollige Braut des froͤhlichen Kluge, das reizende Baͤs¬ chen, fuͤhrte den uͤber den Raub, welchen Oncle Heinrich begangen, ganz uͤberraschten Staunitz dem lachenden Emil entgegen. Unter lautem Jubel waͤhlten die frohen, gluͤcklichen Menschen ihre Plaͤtze an der reich geschmuͤckten Tafel, an der man keinen uͤbelredenden, ironischen Gast ge¬ wahrte, wie an der Abendtafel des den freund¬ lichen Lesern oben beschriebenen Balles. Als der Graf mit entwoͤlkter Stirn eintrat und die Anwesenden begruͤßte, da hob Heinrich sein Kelchglas hoch empor, und indem er in den Paukenwirbel und die schmetternden Trompeten¬ toͤne der im Nebenzimmer verborgenen Musik ein lautes: „Die Verlobten und das edle junge Paar sollen leben, hoch!“ hineinrief, — da schallte aus jedem Munde ihm ein froͤhliches Hoch! aus voller, freudiger Brust nach, und in dem fest¬ lichen Brautjubel entfloh den gluͤcklichen Menschen der seligste Tag ihres freudenreichen Lebens! Punctum. Denn daß Blauenstein wenige Wochen nachher seiner holden Tina am Altare die Hand zum ehelichen Bunde reichte, daß er sie der getroffenen Verabredung gemaͤß nach seinem schoͤnen Stamm¬ schlosse Bohlingen fuͤhrte, wo es sich leben lassen soll wie im Paradiese, daß ferner Emil, Tinas geliebter Bruder, ernstlich beschlossen hat, irgend einer der reizenden Leserinnen seine Hand zu reichen, keineswegs aber der kugelrunden Tochter des alten Kammerherrn, so wie, daß Tante Letty nach endlicher Verzeihung und erfreulichen Auf¬ klaͤrung wieder in Gnaden in die sich alljaͤhrlich auf einige Monate vereinigende Familie aufge¬ nommen ist, das sind alles Dinge, die sich von selbst verstehn. Einige Jahre nach dem, was die freundlichen Leser so eben erfuhren, gelangte ich auf einer Geschaͤftsreise in die Naͤhe des reizend gelegenen Blumenau. Der uͤberaus fette Boden war an den schlechten Wegen schuld, welche meinem Rei¬ sewagen auf aͤhnliche Weise ein Rad raubten, wie dem Brautfahrer Blauenstein, und ich sah mich genoͤthigt, die gastfreundliche Guͤte des nahen Gutsbesitzers in Anspruch zu nehmen, den ich nicht einmal dem Namen nach kannte. Im Garten, die freundliche Welt Florens zog mich zunaͤchst an, kam mir ein kleiner bausbackiger Junge entgegengehuͤpft, und fragte dann mit seinem Silberstimmchen: „Willst Du zum Vater?“ Ich nahm den kleinen Amor an die Hand, und er zog mich nun auf Kinderart nach der zunaͤchst liegenden Laube. Ein junger, bluͤhender Mann, an der Seite eines engelschoͤnen Weibes trat mir, auf die Signale, die mein kleiner Fuͤhrer gab, bewill¬ kommend entgegen, und ich erkannte in dem erstern augenblicklich den Baron v. Blauenstein, der ein ganzes Jahr mein Studiergenosse gewesen. Der junge, liebenswuͤrdige Mann hatte neben seiner Feinheit, neben seinem glaͤnzenden Wissen seine Bescheidenheit, den geraden Charakter bewahrt. Nach Verlauf einer halben Stunde waren wir wieder so bekannt, so innig vertraut und heiter, wie einst als academische Buͤrger, so daß mich der Baron nebst seiner reizenden jungen Frau bat, einige Tage in Blumenau zu verweilen, wo sie selbst als Gaͤste eingezogen waren. Wer haͤtte den trefflichen Menschen eine solche Bitte abschla¬ gen koͤnnen! Ich blieb also, und zwar drei volle Tage. Neben seiner Tina fuͤhrte mich mein Freund in sein fruͤheres Leben zuruͤck; die interessante Art, wie er seine jetzige Frau kennen gelernt, wie er so lange Zeit den irregefuͤhrten Anbeter gespielt, und endlich an's Ziel seiner Wuͤnsche ge¬ kommen war, ferner die Geschichte seines treff¬ lichen Vaters, so wie Staunitz Reiseabentheuer: Alles dies erregte meine Theilnahme lebhaft, so daß ich nicht umhin konnte, zu aͤußern, die mir geschehenen Mittheilungen gaͤben den besten Stoff zu einer Erzaͤhlung aus der wirklichen Welt. Die muntere, lebensfroͤhliche Baronin lachte laut auf, wenn sie sich als Geschichtsheldin dieser Art dachte; allein sie verweigerte mir nebst ihrem Gemahl keineswegs die Erlaubniß, meine belobte Idee wirklich in Ausfuͤhrung zu bringen. Am dritten, schmerzlichen Tage meiner Ab¬ reise kam Staunitz mit seiner engelhuͤbschen Ade¬ line, die holde Exnonne, um das junge Ehepaar zu entfuͤhren, was dem Grafen, meinem edlen Wirthe, nicht sehr gefallen wollte. Der kleine Albert, Tinas wackeres Soͤhnchen, in dem aͤcht Blauensteinisches Blut rollt, wollte sich von mir, seinem Freunde, den er ja zuerst zu dem Eltern¬ paare gefuͤhrt, gar nicht trennen, selbst Staunitz Dogge, deren starker Ruͤcken den jungen Reiter oftmals durch den lauschigen Park tragen mußte, vermogte ihn nicht zu troͤsten oder zu entschaͤdigen, und er streckte mir sehnsuͤchtig die Haͤnde nach, als mein Wagen uͤber den Schloßhof davon eilte. Noch in den Wagen rief mein Freund, ich solle des Romans nicht vergessen. Die Resultate dessen, was meine geringe Kunst vermogt, sieht hier der freundliche Leser vor sich. Daß gute, edle Menschen ein schoͤnes Ziel auf dieser Welt erreicht, daß sie neben wahrer Tugend auch im Überflusse reicher Gluͤcksguͤter theil¬ haftig werden, gehoͤrt freilich heutzutage, wo weder wahre Tugend, noch Kraft und innerer Werth an's Licht der Welt treten, zu den seltensten Seltenheiten. An der Seite eines geliebten Weibes, Vater eines gesunden Kindes, ein reines Herz in der Brust, eine der Vernunft gemaͤße Beschaͤftigung und dann nebenbei Herr bluͤhender Guͤter und liebender, treuer Unterthanen, freilich, auf diese Weise lebt es sich paradiesisch. Aber wir koͤnnen nicht alle gleich gebettet sein, und wer reines Herzens ist, die druͤckende Sorge nicht kennt, der lebt in seiner frommen Genuͤgsamkeit uͤberall im Paradiese, denn es bedarf zu seinem Gluͤcke der goldenen Schaͤtze nicht!