Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten. Das moderne Völkerrecht der civilisirten Staten als Rechtsbuch dargestellt von Dr. J. C. Bluntschli. Nördlingen. Druck und Verlag der C. H. Beck’schen Buchhandlung. 1868 . Das Recht der Uebersetzung ist vorbehalten. Anstatt des Vorworts ein Brief an Professor Dr. Franz Lieber in New-York. Mein lieber Freund ! „Endlich bin ich wieder da“, und dieß Mal nicht in der Gestalt des Meerschaums Diese Anspielung wird durch folgende Stelle eines Briefes erklärt, den Professor Lieber am 23. August 1867 an Bluntschli geschrieben hatte: „Gestern wurde ich drollig und doch nicht unangenehm an Sie erinnert. Einer meiner Söhne ist in Neu-Mexiko stationirt, volle 2500 Meilen von hier, ich meine englische Meilen. In einem Briefe, den ich gestern erhielt, sind die Worte: „Endlich ist Bluntschli wieder da“. Bluntschli? sagen Sie. Ich habe die Gewohnheit allen Gegenständen im Gebrauch Namen zu geben, und so haben auch die kleinen Meerschaumpfeifen, die ich mitunter rauche, ihre Namen. Eine heißt Sadowa; eine andere nannte ich nach Ihnen. Ich gab sie meinem Sohn beim Abschiede, und sie war auf dem langen, schwierigen und gefährlichen Marsche abhanden gekommen. Endlich aber, wie Sie sehen, ist Bluntschli wieder aufgetaucht in jenen fernen wilden Bergen Neu-Mexikos. Mein Sohn ist ungefähr 150 englische Meilen von Santa F è “. , sondern in der ernsteren eines völkerrechtlichen Rechts- buchs, dessen Namengebung und Einführung in die Welt ich Sie bitte, als Pathe beizustehn. Ihr glücklicher Gedanke, der amerikanischen Armee ein kurz gefaßtes Kriegsrecht als Instruction ins Feld mitzugeben, und Vorwort. mit den Mahnungen des Rechts die wilden Leidenschaften des Kriegs möglichst zu zähmen, hat mich zuerst zu dem Vorsatze angeregt, die Grund- züge des modernen Völkerrechts in Form eines Rechtsbuchs darzustellen und Ihre Briefe haben mich ermuthigt, dieses Wagniß durchzuführen. Ihre Kriegsartikel haben durch die Autorität des Präsidenten Lincoln eine amtliche Verstärkung erhalten, welche mein Rechtsbuch völlig entbehren muß. Dasselbe kann nur insofern Autorität gewinnen, als die heutige civilisirte Welt in ihm einen zeitgemäßen und wahren Ausdruck ihres Rechtsbewußtseins erkennt, und die Macht auf die öffentliche Meinung achtet. Meines Erachtens ist die neuere Rechtswissenschaft in einer Beziehung hinter den Fortschritten der Rechtspraxis zurückgeblieben. Sie hat ihre Blicke zu lange an der Vergangenheit haften lassen und darüber die Be- wegung des Lebens nach der Zukunft hin aus dem Gesichte verloren. Die Wahrheit, daß das gegenwärtige Recht ein gewordenes und daher wesentlich aus der Vergangenheit zu erklären ist, bedarf der Ergän- zung durch die andere Wahrheit, daß das gegenwärtige Recht zugleich ein werdendes und berufen ist, das fortschreitende Leben der Menschheit zu begleiten. Viele unserer rechtsgelehrten Collegen können sich nicht losmachen von der hergebrachten Vorstellung, daß das Recht ein unveränderliches starres System fester äußerer Gesetze sei, welche das menschliche Thun beschränken. Sie denken sich das Recht, wie eine Mauer und wie Spaliere, an welchen der Gärtner die rankenden Pflanzen anbindet, wie ein Messer, womit er die geilen Triebe wegschneidet. Nur schwer ringt sich die Wissen- schaft zu dem tieferen Verständniß durch, daß das Recht eine lebendige Ordnung in der Menschheit , nicht eine todte außer der Menschheit sei, daß nur das lebendige und nicht das todte Recht befähigt sei, mit den Völkern zu leben und fortzuschreiten. Am wenigsten paßt jener falsche Gedanke eines an sich todten Rechts zu einer Darstellung des Völkerrechts, das überall noch nicht zu festem Abschluß gekommen, sondern noch in mächtiger unaufhaltsamer Bewegung begriffen ist. Das Recht des natürlichen Wachsthums der Völker und Staten , das Recht der Entwicklung der Menschheit , das Recht des fort- schreitenden Lebens muß von der Wissenschaft unzweideutiger und entschiedener als bisher anerkannt und vertreten werden, wenn dieselbe ihre Vorwort. hohe sittliche und geistige Mission erfüllen soll, ihre leuchtende Fackel auf den Wegen der Menschheit voran zu tragen. Die Rechtswissenschaft darf daher meines Erachtens nicht bloß die schon in frühern Zeiten zur Geltung gelangten Rechtssätze protokolliren, sondern soll auch die in der Gegenwart wirksame Rechtsüberzeugung neu aussprechen und durch diese Aussprache ihr Anerkennung und Geltung ver- schaffen helfen. Je empfindlicher der Mangel gesetzgeberischer Organe ist, welche für die Fortbildung des Völkerrechts sorgen, um so weniger darf sich die Wissenschaft dieser Aufgabe entziehn. Freilich muß sie sich auch davor hüten, der Zukunft vorzugreifen. Sie darf nicht unreife Ideen als wirkliche Rechtssätze und selbst dann nicht verkünden, wenn sie ihre Verwirklichung in der Zukunft klar vorhersieht. Das Recht als ein lebendiges ist immer ein gegenwärtiges und unterscheidet sich dadurch sowohl von dem Rechte der Vergangenheit, das nicht mehr ist als von dem Rechte der Zukunft, das noch nicht ist . Vergangenheit und Zukunft leben beide nur insofern, als sie sich in der Gegenwart begegnen und fruchtbar verbinden. In dieser Gesinnung habe ich, mein verehrter Freund, meine Arbeit aufgefaßt. Die großen Ereignisse des vorigen Jahrs, denen auch Sie mit so lebhafter Theilnahme gefolgt sind, haben mich in dieser Ueberzeugung bestärkt. Wir haben es damals in Deutschland erlebt, daß man im Namen eines veralteten und lebensunfähigen Bundesrechts die naturnothwendige Entwicklung der deutschen Nation zu einem politischen Volke mit aller Gewalt hat verhindern wollen. Allzu lange haben wir unter dem Miß- brauch des Rechts zur Ertödtung des Lebens gelitten. Nachdem endlich, Gott sei Dank, jene falsche Autorität des todten Rechts durch die Preu- ßischen Siege gestürzt und für die Neugestaltung Deutschlands freie Be- wegung erstritten worden ist, darf auch die deutsche Wissenschaft es nicht länger versäumen, das Recht der Entwicklung wie der Völker so der Menschheit offen zu vertreten. Nach Ihrem Wunsche habe ich auch für eine französische Uebersetzung dieses Werks gesorgt. Dieselbe wird in Bälde ebenfalls im Druck erscheinen. Wenn sich das Buch, das den andern trefflichen Darstellungen des Völker- rechts keine Concurrenz machen, sondern dieselben durch den neuen Versuch Vorwort. einer gesetzähnlichen Formulirung ergänzen will, sich als brauchbar erweisen wird, so wird wohl auch eine Uebersetzung in englischer Sprache nicht ausbleiben. So möge denn das Buch seinem freundlichen Pathen keine Schande machen, wenn es in die rauhe Luft des öffentlichen Lebens eintritt. Heidelberg , im September 1867. Inhalt . Einleitung. Die Bedeutung und die Fortschritte des modernen Völkerrechts. Seite Grundlage des Völkerrechts 1. Bedenken gegen das Völkerrecht . 1. Völkerrechtliche Gesetzgebung 7. 3. Angebliche Herrschaft der Gewalt 9. Anfänge des Völkerrechts . 1. Im Alterthum 10. 2. Im Mittelalter. Christenthum 12. Germanen 14. Aufleben des modernen Völkerrechts 15. Befreiung des Völkerrechts von religiöser Befangenheit 16. Schranken des Völkerrechts 17. Maßregeln gegen die Sclaverei 18. Religiöse Freiheit 21. Gesantschaften und Consulate 21. Fremdenrecht . Keine Isolirung der Staten 23. Gemeinschaft der Gewässer . Freie Schiffahrt 25. Vermittlung in Streitfällen . Schiedsrichterliches Verfahren 29. Kriegsrecht . Recht gegen die Feinde. Die Staten sind Feinde, nicht die Privaten 30. Inhalt. Seite. Feindliches Vermögen im Landkriege 36. Feindliches Vermögen im Seekriege 40. Die Neutralität 44. Das Recht der nationalen Entwicklung und der Selbst- bestimmung der Völker 46. Rechtsbuch. Buch I. Begründung, Natur und Grenzen des Völkerrechts. §§ 1—16 53. Buch II. Völkerrechtliche Personen. I. Die Staten . 1. Statspersönlichkeit § 17—27 63. 2. Entstehung und Anerkennung neuer Staten 28—38 67. 3. Einfluß der Verfassungswandlung auf die völkerrechtlichen Verhältnisse der Staten 39—45 72. 4. Untergang der Staten, Abtretung von Statsgebiet, Einver- leibungen, Statenfolge 46—61 75. 5. Völkerrechtliche Eigenschaften der Staten. A. Handlungs- fähigkeit 62. 63 83. B. Souveränetät 64—80 83. C. Rechtsgleichheit 81—94 91. II. Die Statensysteme . 1. Gleichgewicht 95—100 96. 2. Heilige Allianz 101—102 98. 3. Pentarchie 103—107 100. 4. Allgemeine Congresse 108—114 102. Buch III. Völkerrechtliche Organe. I. Die Statshäupter . 1. Repräsentationsrecht der Statshäupter 115—125 107. 2. Die Statshäupter als souveräne Personen 126—134 112. 3. Vom Recht der Exterritorialität 135—153 116. 4. Die Familiengenossen der souveränen Personen 154—158 124. II. Andere Organe des völkerrechtlichen Verkehrs. Gesante . 5. Recht und Pflicht des völkerrechtlichen Verkehrs 159—169 126. 6. Classen und Arten der Gesanten. Diplomatischer Körper 170—182 129. 7. Anfang der diplomatischen Sendung 183—190 133. 8. Persönliche Rechte und Pflichten der Gesanten 191—240 135. Inhalt. III. Von den Agenten und Commissären 241—243 150. IV. Von den Consuln 244—275 151. Buch IV. Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. 1. Bedeutung, Erwerb und Verlust der Gebietshoheit 276—295 163. 2. Grenzen des Statsgebiets 296—303 175. 3. Oeffentliche Gewässer. Die Meeresfreiheit 304—316 179. 4. Schiffsrecht 317—352 185. 5. Von den Statsdienstbarkeiten 353—359 204. Buch V. Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. 1. Schutz der persönlichen Freiheit 360—363 209. 2. Von der Statsgenossenschaft 364—374 211. 3. Hoheitsrecht und Schutzpflicht des States gegenüber seinen Statsgenossen im Ausland 375—380 217. 4. Hoheitsrecht und Rechtsschutz gegenüber den Ausländern im Inland 381—393 220. 5. Auslieferungspflicht und Asylrecht 394—401 225. Buch VI. Völkerrechtliche Verträge. 1. Erfordernisse und Wirksamkeit der völkerrechtlichen Verträge 402—416 231. 2. Form der Verträge 417—424 238. 3. Verstärkung der Verträge. Garantieverträge 425—441 241. 4. Arten der völkerrechtlichen Verträge 442—445 248. 5. Von den Allianzen insbesondere 446—449 251. 6. Aufhören der Vertragsverbindlichkeit 450—461 254. Buch VII. Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. 1. Im Allgemeinen 462—473 259. 2. Bruch der inneren Statsordnung. Intervention 474—480 265. 3. Minneverfahren 481—487 270. 4. Schiedsrichterliches Verfahren 488—498 272. 5. Zwangsmittel ohne Krieg. Selbsthülfe durch Repressalien. Retorsion. Sperre 499—509 278. Buch VIII. Das Kriegsrecht. 1. Begriff des Kriegs. Kriegsparieien, Kriegsursachen und Kriegserklärung 510—528 287. 2. Wirkungen des Kriegszustandes im Allgemeinen. Kriegsziel 529—536 296. 3. Kriegsrecht gegen den feindlichen Stat und in dem feind- lichen Statsgebiete 537—556 300. 4. Unerlaubte Kriegsmittel 557—567 312. Inhalt. Seite. 5. Recht und Pflicht der Kriegsgewalt gegenüber den feindlichen Personen und den friedlichen Bewohnern in Feindesland. Quartiergeben. Verwundete in der Schlacht. Kriegsgefan- gene. Geiseln. Auswechslung der Gefangenen. Entlassung auf Ehrenwort 568—626 317. 6. Verfahren gegen Deserteure und Ueberläufer, Spione, Kriegs- verräther, Wegeführer, Räuber, Marodeurs, Kriegsrebellen 627—643 341. 7. Recht der Kriegsgewalt über das feindliche Vermögen und das Vermögen der friedlichen Personen in Feindesland. A. Im Landkrieg 644—663 348. B. Im Seekrieg 664 361. 8. Verkehr und Verhandlungen unter den Kriegsparteien. Waffenstillstand. Capitulation 674—699 367. 9. Beendigung des Kriegs. Friedensschluß 700—726 380. 10. Postliminium 727—741 394. Buch IX. Recht der Neutralität. 1. Begriff und Arten der Neutralität 742—748 403. 2. Bedingungen der Neutralität und Pflichten der Neutralen 749—782 406. 3. Rechte der Neutralen 783—797 422. 4. Neutraler Handelsverkehr. Kriegscontrebande und Durch- suchungsrecht 798—826 430. 5. Blocade 827—840 448. 6. Prisengerichte 841—862 455. Anhang. Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863 467. Einleitung. Die Bedeutung und die Fortschritte des modernen Völkerrechts. Grundlage des Völkerrechts. Wo immer Menschen mit Menschen verkehren und dauernde Be- ziehungen anknüpfen, da regen sich in ihnen das Rechtsgefühl und der Rechtssinn und verlangen eine gewisse Ordnung der nothwendigen Ver- hältnisse und eine wechselseitige Achtung der daraus entspringenden Rechte. Beide Eigenschaften der menschlichen Seele, das Rechtsgefühl und der Rechtssinn, sind selbst unter barbarischen Stämmen deutlich wahrzunehmen, aber nur bei civilisirten Völkern gelangen sie zu voller Ausbildung des Bewußtseins und mit Hülfe öffentlicher Institutionen zu gesicherter Wirk- samkeit. Sie können wohl gedrückt, aber nie ganz unterdrückt, wohl miß- leitet, aber nicht zerstört werden. Immer wieder erheben sie sich, wenn der Druck nachläßt, und besinnen sie sich, wenn die verwirrende Leiden- schaft erlischt. Der Rechtssinn ist ohne Zweifel stärker in den Männern als in den Frauen und jene sind bereiter als diese, ihr Recht gegen Jeder- mann mit Gründen und im Rothfall mit den Waffen zu verfechten. Aber an zähem und lebhaftem Rechtsgefühl stehen die Frauen den Männern nicht nach. Sie ergeben sich eher der übermächtigen Gewalt, aber sie empfinden und beklagen das Unrecht, das ihnen widerfährt, nicht deshalb weniger, weil sie sich schwächer fühlen und weniger demselben widerstehen können. Schon in den Kindern zeigt sich diese Anlage der Menschennatur für die Rechtsbildung. Auch die Kinder haben ein scharfes Auge für die Ungerechtigkeit, der sie in der Familie oder in der Schule ausgesetzt sind und werden oft tief verletzt und verbittert, wenn sie glauben, parteiisch behandelt zu werden. Wenn es aber eine unbestreitbare Wahrheit ist, daß der Mensch von Natur ein Rechtswesen und mit der Anlage zur Rechtsbildung ausgestattet ist, dann muß auch das Völkerrecht in der Menschennatur seine un- zerstörbare Wurzel und seine sichere Begründung haben. Völkerrecht heißt Bluntschli , Das Völkerrecht. 1 Einleitung. die als rechtlich-nothwendig anerkannte Ordnung, welche die Beziehungen der Staten zu einander regelt. Die Staten aber d. h. die organisirten Völker bestehen aus Menschen, und sind selber als einheitliche Gesammt- wesen Personen , d. h. lebendige mit Willen begabte Rechtskörper, wie die Einzelmenschen. Die Staten sind wie die Einzelnen einerseits indivi- duelle Wesen für sich und andrerseits Glieder der Menschheit . Dieselbe Menschennatur, und demgemäß auch dieselbe Rechtsnatur, die jedes Volk und jeder Stat in sich hat, die findet er wieder in den andern Völkern und Staten. Sie verbindet alle Völker mit unwiderstehlicher Nothwendigkeit. Keines kann sich dieser gemeinsamen Natur entäußern, keines dieselbe in dem andern Volke verkennen. Deshalb sind sie alle durch ihre gemeinsame Menschennatur verpflichtet, sich wechselseitig als menschliche Rechtswesen zu achten. Das ist die feste und dauerhafte Grundlage alles Völkerrechts. Würde es heute geläugnet und untergehen, so würde es morgen wieder behauptet und neu begründet. Bedenken gegen das Völkerrecht. Trotzdem werden heute noch starke Zweifel gegen die Existenz des Völkerrechts vielfältig geäußert. Die grundsätzlichen und die thatsächlichen Bedenken, auf welche sich jene Zweifel stützen, sind in der That nicht geringfügig. Sie fordern vielmehr zu ernster Prüfung auf. Man wendet ein, es fehle vorerst an einer beglaubigten Aussprache des Völkerrechts durch das Gesetz, sodann an einem wirksamen Schutze desselben durch die Rechts- pflege; und man erinnert daran, daß in dem Streite der Staten und Völker der Entscheid eher von der siegreichen Gewalt gegeben werde, als von irgend einer Rechtsautorität. Man fragt dann: Wie kann ernstlich von Völkerrecht die Rede sein, ohne ein Völkergesetz, welches das Recht mit Autorität verkündet, ohne ein Völkergericht, welches dieses Recht in Rechts- form handhabt, wenn die Macht schließlich allezeit den Ausschlag giebt? Wir können es nicht läugnen: Diese Bedenken haben ihren Grund in großen Mängeln und schweren Gebrechen des Völkerrechts. Dennoch ist der Schluß, daß es kein Völkerrecht gebe, übereilt und verfehlt. Fassen wir dieselben schärfer ins Auge. 1. Völkerrechtliche Gesetzgebung . Wir sind heute gewohnt, wenn irgend Fragen des Familienrechts, des Erbrechts, des Vermögensrechts auftauchen, ein privatrechtliches Gesetz- Einleitung. buch nachzuschlagen und dort die Aufschlüsse über die geltenden Rechts- grundsätze aufzusuchen, oder wenn ein Verbrechen verübt worden, nachzu- sehen, mit welcher Strafe es in dem Strafgesetzbuch bedroht sei. Die Fundamentalsätze des Statsrechts sind gewöhnlich in Verfassungsurkunden öffentlich verkündet, und schon finden wir in einzelnen Staten, wie z. B. in dem State New-York, eine Codification auch des öffentlichen Rechts. Aber es giebt kein völkerrechtliches Gesetzbuch und nicht einmal einzelne völkerrechtliche Gesetze , welche die Rechtsgrundsätze mit bindender Autorität aussprechen, nach denen völkerrechtliche Streitfragen zu entscheiden sind. Da meinen denn Manche, gewohnt alles Recht aus Gesetzen abzuleiten: „Ohne Gesetze kein Recht.“ Indessen sind die Gesetze nur der klarste und wirksamste Ausdruck, aber keineswegs die einzige Quelle des Rechts. Bei allen Völkern gab es eine Zeit, in der sie keine Gesetzbücher und dennoch ein geltendes Recht hatten. In der Jugendperiode auch der Culturvölker gab es Ehen, Erb- recht der Anverwandten, Eigenthum, Forderungen und Schulden ohne Ge- setze, welche diese Rechtsverhältnisse ordneten und es wurden die Verbrechen bestraft ohne Strafgesetz. Die in den nationalen Institutionen und in den Volksgebräuchen und Uebungen dargestellte Rechtsordnung ist überall älter als die gesetzlich bestimmte. Erst in dem reiferen und selbstbewußteren Lebensalter der Völker unternimmt es der Stat, das Recht in Gesetzbüchern auszusprechen. Es kann uns daher nicht befremden, wenn das noch junge Völkerrecht vorerst ebenfalls in gewissen Einrichtungen, Gebräuchen und Uebungen der Völker vornehmlich zu Tage tritt. Für das Völkerrecht besteht aber in dieser Hinsicht eine eigenthüm- liche Schwierigkeit. Mag das Verlangen nach einer klaren autoritativen Verkündung völkerrechtlicher Gesetze noch so dringend geworden und die geistige Fähigkeit zu solcher Aussprache noch so unzweifelhaft sein, so fehlt es doch an einem anerkannten Gesetzgeber , der das Gesetz erlassen könnte. In jedem einzelnen State ist durch die Statsverfassung für ein Organ des allgemeinen Statswillens gesorgt, d. h. ein Gesetzgeber aner- kannt. Aber wo wäre der Weltgesetzgeber zu finden, dessen Ausspruch alle Staten und alle Nationen Folge leisteten? Die Einrichtung eines gesetz- gebenden Körpers für die Welt, setzt die Organisation der Welt voraus und eben diese besteht nicht. Vielleicht wird die Zukunft dereinst die erhabene Idee verwirklichen und der gesammten , in Völker und Staten getheilten Menschheit 1* Einleitung. einen gemeinsamen Rechtskörper schaffen, welcher ihren Gesammtwillen mit allgemein anerkannter Autorität aussprechen wird, wie die Vergangenheit den verschiedenen Nationen in den Staten eine einheitliche Rechtsgestalt gegeben hat, und wie die Gegenwart wenigstens das Bewußtsein weckt und klärt, nicht blos, daß die Menschheit in Natur und Bestimmung Ein Gesammtwesen sei, sondern überdem, daß auch in der Menschheit ge- meinsame Rechtsgrundsätze zur Geltung kommen müssen. Wird einst jene zukünftige Organisation der Menschheit erfüllt sein, dann freilich wird auch der Gesetzgeber für die Welt nicht mehr fehlen und es wird dann das Weltgesetz die Beziehungen der mancherlei Staten zu einander und zur Menschheit ebenso klar, einheitlich und wirksam ordnen, wie es das heutige Statsgesetz thut mit Bezug auf die Verhältnisse der Privat- personen unter einander und zum State. Mag man aber dieses hohe Endziel für einen schönen Traum der Idealisten halten oder an dessen Erreichung mit Zuversicht glauben, darüber kann kein Streit sein, daß dasselbe zur Zeit und noch auf lange hin keines- wegs erreichbar sei. Das heutige Völkerrecht entspricht diesem Ideale nicht. Nur langsam und allmählig führt es aus der rohen Barbarei der Gewalt und Willkür zu civilisirten Rechtszuständen. Es kann höchstens als Ueber- gang dienen aus der unsichern Rechtsgemeinschaft der Völker zu der endlichen vollbewußten Rechtseinheit der Menschheit . Jeder neue völkerrechtliche Grundsatz, welcher dem gemeinsamen Rechtsbewußtsein der Völker klar gemacht und in dem Verkehrsleben der Völker bethätigt wird, ist dann ein Fortschritt auf dem Wege zu jenem Ziele. Ganz so schlimm, wie es der oberflächlichen Betrachtung erscheint, steht es übrigens nicht. Es fehlt dem heutigen Völkerrecht nicht völlig an gemeinsamer, autoritativer Aussprache seiner Rechtsgrundsätze, die daher einen Gesetz ähnlichen Charakter hat. Indem von Zeit zu Zeit große völkerrechtliche Congresse der civilisirten Staten zusammengetreten sind und ihre gemeinsame Rechtsüberzeugung in formulirten Rechtssätzen zu Pro- tokoll erklärt haben, haben sie im Grund dasselbe gethan, was der Gesetz- geber thut. Die eigentliche Absicht dabei war nicht, ein Vertragsrecht zu schaffen, welches lediglich die Vertragsparteien und die Unterzeichner des Protokolles binden sollte, sondern allgemeine Rechtsnormen , zunächst freilich nur für die europäische Welt, festzusetzen, welche alle europäischen Staten zu beachten haben; sie wollten nicht ein Willkürrecht hervor- bringen, das ebendeshalb nicht weiter gilt, als jene Willkür Macht hat, Einleitung. sondern ein nothwendiges Recht anerkennen, welches in der Natur der Verhältnisse und in den Pflichten der civilisirten Völker gegen die Mensch- heit seine eigentliche Begründung hat. Die mittelalterliche Rechtsbildung war oft auch in den einzelnen Ländern nicht anders. Man wählte nicht selten die Form des Ver- trags und schuf den Inhalt des Gesetzes . Die heutigen Staten haben nicht einmal die Wahl zwischen zweierlei Formen. Sie können ihre ge- meinsame Rechtsüberzeugung nur in der bedenklichen Form einer viel- stimmigen Erklärung aussprechen; die einheitliche Form der Aus- sprache ist für ihre Gesammtheit unmöglich, so lange diese nicht zu Einer Rechtsperson organisirt ist. Auch in den Verträgen , welche zunächst nur unter einzelnen Staten abgeschlossen worden sind, sind daher manche Bestimmungen zu finden, welche ihrem Wesen nach Rechtsgesetze und keineswegs bloße Vertragsartikel sind, welche die nothwendige Rechtsordnung, nicht die Convenienz der contrahirenden Staten darstellen. Sogar die Gesetzgebung eines Einzelstates kann so völkerrecht- liche Grundsätze mit öffentlicher Autorität aussprechen und dadurch an der Klärung und Fortbildung des Völkerrechts überhaupt einen bedeutenden Antheil nehmen. Die formelle und zwingende Autorität eines States reicht freilich nicht über die Gränzen seines Gebietes hinaus. Aber die geistige und freie Autorität desselben kann sich sehr viel weiter erstrecken, wenn ihr die öffentliche Meinung ihren Beifall zuwendet, wenn die Ueberzeugung sich verbreitet, daß jene Aussprache dem Rechtsbewußtsein der civilisirten Welt entspreche. Wir haben in neuester Zeit einen merkwürdigen Act dieser Art er- lebt, welcher zugleich einen bedeutenden Fortschritt des modernen Völker- rechts bezeichnet. Während des nordamerikanischen Bürgerkriegs nämlich ist im April 1863 eine „Instruction für die Armeen der Vereinigten Staten im Feld“ erschienen, welche geradezu als eine erste Codification des Kriegsrechts im Landkrieg zu betrachten ist. Dieselbe wurde von einem der angesehensten Rechtsgelehrten und Statsphilosophen Amerikas, von Professor Lieber , entworfen, von einer Commission von Officieren geprüft und von dem Präsidenten der Vereinigten Staten, Lincoln , ge- nehmigt. Sie enthält in 157 Paragraphen genaue Vorschriften über die Kriegsgewalt in Feindesland, ihre Macht und ihre Gränzen, über das öffentliche und das Privateigenthum des Feindes, über den Schutz der Privatpersonen und die Interessen der Religion, Kunst und Wissenschaft, Einleitung. über Ausreißer und Kriegsgefangene und die Beute auf dem Schlacht- felde, über Parteigänger und Freischaaren, über Späher, Räuber und Kriegsrebellen, über Sicherheitspässe, Spione, Kriegsverräther, gefangene Boten und den Mißbrauch der Parlamentärfahne, über Auswechslung der Kriegsgefangenen, Waffenstillstands- und Schutzzeichen, über die Entlassung auf Ehrenwort, über Waffenstillstand und Capitulation, über Mord, Auf- stand, Bürgerkrieg, Rebellion. Diese Instruction ist sehr viel ausführlicher und durchgebildeter als die Kriegsreglemente, welche bei den europäischen Heeren in Uebung sind. Da dieselbe aber durchweg Sätze ausspricht von allgemeinem, völkerrechtlichem Rechtsgehalt, und da die Art ihrer Aussprache in Uebereinstimmung ist mit dem Rechtsbewußtsein der heutigen Mensch- heit und mit der civilisirten Kriegsführung der Gegenwart, so wirkt dieses Edict über die weiten Gränzen der Vereinigten Staten weit hinaus; und trägt erheblich dazu bei, einen wichtigen Bestandtheil des modernen Völker- rechts in humanem und der Nothwendigkeit der Verhältnisse entsprechendem Sinne zu allgemeiner Anerkennung zu bringen. Die europäischen Staten können hierin nicht hinter dem Vorbilde der amerikanischen Staten zurück bleiben, ohne sich dem beschämenden Urtheil der öffentlichen Meinung aus- zusetzen, daß sie in der Entwicklung des Völkerrechts hinter dem Fortschritte der civilisirten Menschheit zurück bleiben. Ein anderes Surrogat der Gesetzgebung, welches in vielen Ländern die Ausbildung des Privat- und des Strafrechts, selbst des Statsrechts erheblich gefördert hat, sind die Rechtsbücher , in denen die geltenden Rechtssätze von rechtskundigen Privatpersonen aufgezeichnet und dargestellt werden. Der Inhalt solcher Rechtsbücher ist in der Hauptsache ganz derselbe , wie der Inhalt der Gesetzbücher. Es werden darin die geltenden Rechtsnormen ausgesprochen und verkündet. Aber weil die Rechtsbücher ein Werk der Privaten, die Gesetzbücher dagegen ein Werk der Statsge- walt sind, so haben jene keinen Anspruch auf die bindende Autorität , welche dem Gesetze Gehorsam verschafft. Die Rechtsbücher haben nur in- sofern eine Autorität, als auch die Wissenschaft Autorität besitzt und als sie als wahr und gerecht erkannt werden. Es ist das eher eine inner- liche und geistige, von der Kritik jeder Zeit zu prüfende, freie Autorität, nicht die gebundene unangreifbare der äußern Gewalt, welche dem Gesetze gebührt, und Gehorsam erzwingt. In dem folgenden Buch habe ich, durch das amerikanische Vorbild angeregt, den Versuch gewagt, ein solches Rechtsbuch des Völkerrechts Einleitung. darzustellen. Wenn diese Darstellung dem heutigen Rechtsbewußtsein der civilisirten Welt entspricht, und zur Klärung und Aussprache desselben dienlich ist, so ist der Zweck dieser Arbeit erfüllt; wenn nicht, so wünsche ich nur, daß es in Bälde Andern besser gelingen möge, dieses berechtigte Bedürfniß zu befriedigen. 2. Völkerrechtliche Rechtspflege . Fast noch schlimmer als der Mangel eines Völkergesetzes ist der Mangel eines Völkergerichts . Wenn der vermeintliche Eigenthümer einer Sache von dem Besitzer Herausgabe verlangt, oder der Gläubiger von dem Schuldner Zahlung fordert, so finden die beiden streitenden Parteien einen Richter im State, welcher ihren Streit rechtskräftig entscheidet. Wenn ferner Jemand bestohlen oder mißhandelt wird, so schreitet der Stats- anwalt ein, die Geschwornen erkennen über die Schuld, der Strafrichter bestimmt die Strafe, welche von der Statsgewalt vollzogen wird. Aber wenn ein Stat Ansprüche auf einen Bezirk erhebt, den ein anderer Stat besetzt hält, wenn ein Stat Entschädigung fordert für rechtswidrige Ver- letzung seiner Interessen durch einen andern Stat, wenn ein Stat einen schweren Friedens- und Rechtsbruch begeht wider einen andern Stat, so giebt es keinen Gerichtshof, an welchen der Kläger sich wenden kann, welcher dem Unrecht wehrt, dem Rechte Anerkennung verschafft und auch den Schwachen wider den Mächtigen schützt. Das letzte und in manchen Fällen das einzige Mittel, welches dem verletzten Stat bleibt, um sein Recht zu behaupten, ist der Krieg und im Kriege entscheidet die Gewalt der auf einander stoßenden Naturkräfte. Im Kriege siegt leichter die Partei, welche die Macht, als die, welche das Recht für sich hat. Unläugbar ist daher der Krieg eine rohe und unsichere Form des Rechtsschutzes . Wir können nicht mit Zuversicht darauf rechnen, daß die Macht sich dahin wende, wo das Recht ist und der besser Berechtigte in Folge dessen auch der Stärkere sei. Aber selbst in dieser leidenschaft- lichen und rohen Form der gewaltsamen Selbsthülfe macht sich doch das Rechtsgefühl der Völker geltend. Eben für ihr Recht greifen die Staten zu den Waffen und unternehmen es, indem sie alle ihre Mannes- kraft anspannen und das Leben der Bürger einsetzen, ihrer Rechtsbehauptung den Sieg zu verschaffen. Niemals ist es auch gleichgültig, auf welcher Seite das Recht sei. Der Glaube an das eigene gute Recht stärkt und ermuthigt die Kämpfenden, das Bewußtsein des eigenen Unrechts ängstigt Einleitung. und verwirrt sie. Das offenbare Recht zieht Freunde herbei und gewinnt die Gunst der öffentlichen Meinung; das augenfällige Unrecht reizt die Gegner zur Feindschaft und weckt allgemeine Mißgunst. Der Stärkste selbst, wenn er Sieger wird, fühlt sich nach dem unübertrefflichen Aus- drucke Rousseau’s nicht stark genug ohne das Recht und wird seines Sieges erst froh, wenn es ihm glückt, dem Erfolge der Waffen die endliche An- erkennung des Rechts zu verschaffen. Wenn der Sieg dauernde und in- sofern nothwendige Wirkungen hervorbringt, so bestimmt er wirklich die Rechtsordnung für die Gegenwart und ihre Folge. In der Jugendperiode der germanischen Völker und theilweise noch im Mittelalter war es mit dem Rechtsschutze des Privat- und des Straf- rechts nicht viel besser bestellt. Die männliche Selbsthülfe war auch da eine gewöhnliche Form der Rechtshülfe. Mit den Waffen in der Hand vertheidigte der Eigenthümer den Frieden seines Hauses, der Gläubiger pfändete selber den säumigen Schuldner, gegen die Friedensbrecher wurde die Familien- und die Blutrache geübt, der Rechtsstreit der Ritter und Städte wurde in der Form der Fehde vollzogen. Sogar in die öffent- lichen Gerichte hinein trat die Waffengewalt, der Zweikampf war ein be- liebtes Beweismittel, und selbst der Urtheilsschelte wurde durch die Be- rufung auf die Schwerter Nachdruck verliehen. Nur allmählig verdrängte die friedlichere und zuverlässigere Gerichtshülfe die ältere Selbsthülfe. Es ist daher nicht unnatürlich, wenn die Staten, d. h. die derzeitigen alleinigen Inhaber, Träger und Garanten des Völkerrechts, in ihren Rechtsstreiten im Gefühl ihrer Selbständigkeit und ihrer Rechtsmacht sich noch heute vor- nehmlich selber zu helfen suchen. Indessen der Krieg ist doch nicht das einzige völkerrechtliche Rechts- mittel. Es giebt daneben auch friedliche Mittel , dem Völkerrechte An- erkennung und Schutz zu verschaffen. Die Erinnerungen und Mahnungen, unter Umständen die Forderungen der neutralen Mächte, die guten Dienste befreundeter Staten, die Aeußerungen des diplomatischen Körpers, die Drohungen der Großmächte, die Gefahren von Coalitionen gegen den Friedensbrecher, die laute und starke Stimme der öffentlichen Meinung ge- währen der völkerrechtlichen Ordnung auch einigen — freilich nicht immer einen ausreichenden Schutz, und werden selten ungestraft mißachtet. Zu- weilen endlich werden völkerrechtliche Schiedsgerichte gebildet, welche den Streit der Staten auch in wirklicher Rechtsform nach einem vor- gängigen Proceßverfahren entscheiden. Einleitung. 3. Angebliche Herrschaft der Gewalt . Wer immer einen Blick wirft auf die Geschichte der Völker, wird auch die Wahrnehmung machen, daß die Macht einen großen Antheil hat an der Bildung der Staten und diese Macht erscheint oft genug in der rohen Form der physischen Gewalt, welche mit dem Säbel in der Hand ihre Gebote durchsetzt und unter dem Donner der Kanonen und im Ge- witter der Schlacht die Verhältnisse der Staten umgestaltet. Aber obwohl in allen Zeitaltern viel brutale Gewalt der Mächtigen sich breit macht und auf die Rechtsordnung einen Druck übt, und obwohl viel verübtes Unrecht ungestraft bleibt, so ist die Weltgeschichte doch nicht ein wüstes Durcheinander der entfesselten Leidenschaften und nicht das Ergebniß der rohen Gewaltübung. Vielmehr erkennen wir, bei näherer Prüfung und Ueberlegung des weltgeschichtlichen Ganges, auch eine sittliche Ordnung. Der sichere Fortschritt der allgemein-menschlichen Rechtsentwicklung stellt sich darin unzweideutig dar. Das Wort unseres großen Dichters: „Die Welt- geschichte ist das Weltgericht“ spricht eine tröstliche Wahrheit aus. Die Regel der heutigen Welt ist nicht mehr der Krieg, sondern der Friede . Im Frieden aber herrscht in den Beziehungen der Staten zu einander nicht die Gewalt, sondern in der That das anerkannte Recht. In dem friedlichen Verkehre der Staten mit einander wird die Persönlichkeit und die Selbständigkeit des schwächsten States ebenso geachtet, wie die des mächtigsten. Das Völkerrecht regelt die Bedingungen, die Formen, die Wirkungen dieses Verkehrs wesentlich für alle gleich, für die Riesen wie für die Zwerge unter den Staten. Jeder Versuch, diese Grundsätze ge- stützt auf die Uebermacht willkürlich zu verletzen und ihre Schranken zu überschreiten, ruft einen Widerspruch und Widerstand hervor, welchen auch der mächtige Stat nicht ohne Gefahr und Schaden verachten darf. Aber selbst in dem Ausnahmszustande des Kriegs , in welchem die physische Gewalt ihre mächtigste Wirkung äußert, werden dieser Gewalt doch von dem Völkerrecht feste Schranken gesetzt, welche auch sie nicht überschreiten darf, ohne die Verdammung der civilisirten Welt auf sich zu laden. In nichts mehr bewährt und zeigt sich die Macht und das Wachs- thum des Völkerrechts herrlicher als darin, daß es vermocht hat, die spröde Wildheit der Kriegsgewalt allmählich zu zähmen und selbst die zerstörende Wuth des feindlichen Hasses durch Gesetze der Menschlichkeit zu mäßigen und zu bändigen. Einleitung. Ueberdem dürfen wir bei der Beurtheilung geschichtlicher Ereignisse niemals vergessen: Was dem oberflächlichen Sinn nur als rohe Uebermacht und als brutale Gewalt erscheint, das stellt sich der tieferen Erkenntniß in manchen Fällen als unwiderstehliche Nothwendigkeit der natürlichen Ver- hältnisse und als unaufhaltsamer Drang berechtigten Volkslebens dar, welches die abgestorbenen Formen des veralteten Rechts abstößt, wie die jungen Pflanzentriebe im Frühling das welke Laub des Winters abstoßen. Wo aber das wirklich der Fall ist, da ist die Gewalt in Wahrheit nur der Geburtshelfer des natürlichen oder des werdenden Rechts. Sie dient dann der Rechtsbildung , sie beherrscht dieselbe nicht. Die Mängel also des Völkerrechts sind groß, aber nicht so groß, um dessen Existenz zu behindern. Das Völkerrecht ringt noch mit ihnen, aber es hat schon manchen Sieg über die Schwierigkeiten erfochten, welche seiner Geltung im Wege stehen. Man vergleiche die Rechtszustände der heutigen Statenwelt mit den Zuständen der früheren Zeitalter und man wird durch diese Vergleichung der großen und segensreichen Fortschritte ge- wahr, welche das Völkerrecht in den letzten Jahrhunderten gemacht hat und fortwährend macht. Darin ersehen wir eine Bürgschaft für die weiteren Fortschritte der Zukunft. Die Vervollkommnung des Völkerrechts begleitet und sichert die Vervollkommnung des Menschengeschlechts. Halten wir Ueber- schau und betrachten wir im Großen die Entwicklung des Völkerrechts. Anfänge des Völkerrechts. 1. Im Alterthum . Einzelne Keime des Völkerrechts sind zu allen Zeiten unter allen Völkern sichtbar geworden. Selbst unter wilden und barbarischen Stämmen finden wir fast überall eine gewisse, meistens religiöse Scheu, die Gesandten anderer Stämme zu verletzen, mancherlei Spuren des Gastrechts und die Uebung, Bündnisse und andere Verträge abzuschließen, den Krieg durch den erklärten Frieden zu beendigen. Bei den civilisirten alten Völkern Asiens, wie besonders bei den alten Indiern mehren und entwickeln sich theilweise die Ansätze und Triebe zu völkerrechtlicher Rechtsbildung. Aber selbst die hochgebildeten Hellenen , obwohl sie zuerst den Stat menschlich begriffen haben, sind doch nur in dem eng begränzten Verhältniß der hellenischen Staten zu einander zu einem noch sehr dürftigen Völkerrecht gelangt. Die Gemeinschaft der Re- Einleitung. ligion, Sprache und Cultur hat in den Hellenen aller Städte das Gefühl nationaler Gemeinschaft und Verwandtschaft geweckt. In Folge davon wurde die in eine große Anzahl selbständiger Städte und Staten getheilte Nation doch auch einer gewissen Rechtsgemeinschaft inne. „Alle Hellenen sind Brüder“, sagte man und erkannte an, daß jeder hellenische Stat dem andern gegenüber gewisse Rechtsgrundsätze zu beachten verpflichtet sei. Aber die nicht hellenischen, die sogenannten barbarischen Völker betrachteten sie noch als „ihre natürlichen Feinde“, mit denen keine Rechtsgemeinschaft be- stehe. Der Krieg mit den Barbaren erschien ihnen als die natürliche Regel und jede List oder Gewalt gegen die Barbaren als erlaubt. Sie wiesen die Gleichberechtigung der Barbarenstaten noch mit Verachtung von sich, und hielten sich als die edlere Rasse für berufen, über die Barbaren zu herrschen. Das war nicht etwa nur die Meinung der eiteln und selbstsüchtigen Menge, es war das ebenso die Meinung der berühmten Philosophen Platon und Aristoteles. Die Römer sind als die weltgeschichtlichen Begründer des von Re- ligion und Moral unterschiedenen Rechts und der Rechtswissenschaft an- erkannt. Aber auch den Römern verdankt die Welt noch nicht die erste allgemeine Feststellung des Völkerrechts. Freilich sind in dem alten Rom auch vortreffliche Anfänge eines civilisirten Völkerrechts zu entdecken. Be- vor die Römer einen fremden Stat mit Krieg überzogen, pflegten sie ihre Forderungen in Rechtsform durch ihre Gesandte, die Fecialen, anzumelden und, wenn nicht willfahrt wurde, den Krieg feierlich anzukünden. Sie kannten und übten mancherlei Formen der Statsverträge und Bündnisse mit andern Staten. Obwohl sie während des Kriegs schonungslos und grausam verfuhren, so pflegten sie doch die Religion, die Sitten und theil- weise sogar das Recht der unterthänig gewordenen Völker zu schützen. Sie erhoben sich sogar zu der Idee der Humanität , als der großen Aufgabe ihrer Politik und faßten die Welt als Ein Ganzes in weitgreifendem Ge- danken zusammen. Aber alle diese Keime entwickelten sich doch nicht zu einem humanen Völker- und Weltrecht, weil der Sinn der Römer nicht auf Rechtsgemeinschaft unter den Völkern, sondern auf absolute Herr- schaft Roms über die Völker gerichtet war. Die absolute Weltherrschaft Eines Volkes aber ist die Verneinung des Völkerrechts im Princip. Wir sehen, die Eitelkeit, der Stolz, die Selbstsucht und die Herrsch- sucht der einzelnen Völker verhinderten im Alterthum das Wachsthum des Völkerrechts und zerstörten die noch schwachen Keime, bevor sie erstarkt Einleitung. waren. Ohne wesentliche Gleichberechtigung der verschiedenen Völker ist kein Völkerrecht möglich. 2. Im Mittelalter . Christenthum . Im Mittelalter treten in Europa zwei neue Mächte entscheidend auf, die christliche Kirche und die germanischen Fürsten und Völker . Haben etwa diese Mächte das Völkerrecht zur Welt gebracht? In der That leuchten manche christliche Ideen der Bildung des Völkerrechts vor. Das Christenthum sieht in Gott den Vater der Menschen, in den Menschen die Kinder Gottes. Damit ist die Einheit des Menschen- geschlechts und die Brüderschaft aller Völker im Princip anerkannt. Die christliche Religion beugt jenen Stolz der antiken Selbstgerechtigkeit und fordert Demuth, sie greift die Selbstsucht in ihrer Wurzel an und verlangt Entsagung, sie schätzt die Hingebung für Andere höher als die Herrschaft über Andere. Sie entfernt also die Hindernisse, welche der Gründung eines antiken Völkerrechts im Wege waren. Ihr höchstes Gebot ist die Menschenliebe und sie steigert dieselbe bis zur Feindesliebe. Sie wirkt er- lösend und befreiend, indem sie die Menschen reinigt und mit Gott ver- söhnt. Sie verkündet die Botschaft des Friedens. Es liegt nahe, diese Ideen und Gebote in die Rechtssprache zu übersetzen und zu Grundsätzen eines humanen Völkerrechts umzubilden, welches alle Völker als freie Glieder der großen Menschenfamilie anerkennt, für den Weltfrieden sorgt und sogar im Kriege für die Menschenrechte Achtung fordert. Im Mittel- alter war die römisch-katholische Kirche berufen, die christlichen Ideen zu vertreten, sie hatte die Erziehung der uncivilisirten Völker übernommen. Dennoch hat sie ein derartiges christliches Völkerrecht nicht hervorge- bracht. Vergeblich sieht man sich in dem kanonischen Gesetzbuch darnach um. Nur dem Kriegsrecht ist ein Abschnitt des alten Decretum Gratiani ( II. 23) gewidmet. Allerdings versuchten es die Päpste im Mittelalter, das Amt der obersten Schiedsrichter über die Fürsten und Völker der abendländischen Christenheit sich zuzueignen. Oefter saßen die Päpste zu Gericht über die Streitigkeiten der Fürsten unter sich oder mit den Ständen. Wenn sich nur irgendwie dem Streite eine religiöse Seite oder eine kirchliche Be- ziehung abgewinnen ließ — und wo wäre das nicht möglich? — so hielten sie ihre Gerichtsbarkeit für begründet. Bald bemühten sie sich dann, Vergleiche zu stiften, bald sprachen sie ihr Urtheil aus. Aber diese völker- Einleitung. rechtliche Stellung der Päpste litt doch an großen Mängeln. Wo das öffentliche Recht in Frage war, da waren die mächtigen Parteien nicht ge- neigt, sich dem geistlichen Gericht zu unterwerfen, und die Päpste ver- mochten nicht, den trotzigen Widerspruch zu beseitigen, nicht den Wider- stand zu brechen. Es gelang den Päpsten so wenig, ihr völkerrechtliches Schiedsrichter- amt durchzusetzen, als es ihnen glückte, ihren Anspruch auf Weltherr- schaft zu verwirklichen. Auch dieser Anspruch hatte eher einen völker- als einen staatsrechtlichen Charakter angenommen, seitdem das alte römische Weltreich zerrissen und in eine große Anzahl unabhängiger Fürstenthümer und Republiken zerfallen war. Die Päpste begründeten nun diesen An- spruch auf absolute Weltherrschaft mit der religiösen Autorität Gottes, wie die alten römischen Kaiser ihn politisch mit dem Beruf und Willen des römischen Volkes begründet hatten. Der geistliche Absolutismus war aber im Princip eben so wenig verträglich mit einer allgemeinen Rechtsordnung, welche die Fürsten und Völker in ihren Rechten schützt, als der weltliche. Jener war sogar gefährlicher, als dieser, weil er seine Vollmacht aus dem unerforschlichen Willen des allmächtigen Gottes ableitete und nicht wie dieser in dem ausgesprochenen Menschengesetz eine deutliche Schranke fand. Dennoch war die behauptete göttliche Herrschaft des Papstes über die christ- lichen Völker schwächer als die Hoheit des antiken römischen Kaisers, weil der christliche Papst grundsätzlich genöthigt war, die Zweiheit von Stat und Kirche anzuerkennen und das weltliche Schwert nicht selber hand- haben durfte, sondern dem Könige überlassen mußte. So oft daher eine weltliche Macht dem Papste ihren Gehorsam oder ihren Beistand versagte, wie das trotz Kirchenbann und Interdict auch im Mittelalter nicht selten geschah, so war sein Spruch und sein Gebot in seiner Wirksamkeit gelähmt. Es zeigte sich aber im Mittelalter noch ein zweites Grundgebrechen, welches jede Gestaltung eines päpstlichen Völkerrechts unmöglich machte. Eben die religiöse Begründung des päpstlichen Rechts verhinderte dasselbe allgemein-menschlich zu werden. Die Kirche verlangte den Glauben als die Grundbedingung auch des Rechts. Nur unter der gläubigen Christen- heit sollte der Friede walten und die Rechtsordnung gelten. Den Un- gläubigen gegenüber kannte das Papstthum keine Schonung und keine Achtung der Menschenrechte. Gegen die Ungläubigen war der Krieg die Losung; man ließ ihnen nur die Wahl zwischen Bekehrung oder Ver- tilgung. Jede Ketzerei und den Unglauben auszurotten auf der Erde, das Einleitung. wurde auf allen Kanzeln als die heilige Pflicht der Christenheit verkündet. Damit ist aber die menschliche Grundlage des Völkerrechts im Princip ver- neint. Wenn das Völkerrecht Menschenrecht ist, weshalb sollten denn die ungläubigen Völker sich nicht ebenso darauf berufen dürfen, wie die gläu- bigen? Hören sie denn auf, Menschen zu sein, weil sie andere Vor- stellungen haben als die Kirche von Gott und göttlichen Dingen? Die antike Welt hatte kein Völkerrecht zu Stande gebracht, weil die selbstsüchtigen Völker den Fremden, den Barbaren nicht gerecht wurden, das christliche Mittelalter kam nicht dazu, weil die glaubenseifrigen Völker die Ungläubigen für rechtlos hielten. Die reine Idee der Menschlichkeit konnte die Welt nicht erleuchten, so lange die Atmosphäre von dem Rauche der Brandopfer verdunkelt war, welche der Glaubenshaß angezündet hatte. Die Germanen . Die zweite bestimmende Macht des Mittelalters, die Germanen , brachten ebenfalls eine Anlage zu völkerrechtlicher Rechtsbildung mit, aber auch diese Anlage gelangte im Mittelalter nicht zu voller Entwicklung. Der trotzige Freiheitssinn und das lebhafte Gefühl der besondern Persön- lichkeit, wodurch die Germanen von jeher sich auszeichneten, haben einen natürlichen Zug zu allgemeinem Menschenrecht. Die in zahlreiche Stämme und Völkerschaften getheilten Germanen waren immer geneigt, auch andern Völkern ein Recht zuzuschreiben, wie sie es für sich in Anspruch nahmen. In dem Fremden achteten sie doch den Menschen und hielten es für billig, daß ein Jeder nach seinem angeborenen Stammes- oder seinem gewählten Volksrechte beurtheilt werde. Sie erkannten so ein Nebeneinander ver- schiedener Volksrechte an. Für sie hatten Persönlichkeit, Freiheit, Ehre höchsten Werth, aber sie glaubten nicht im Alleinbesitz dieser Güter zu sein, wenn freilich auch sie sich für besser und schätzenswerther hielten als andere Nationen. Um den Glauben Anderer kümmerten sie sich nicht, bevor sie in die Schule der römischen Kirche kamen. Nicht einmal im eigenen Lande machten sie das Recht vom Glauben abhängig. Sogar im Kriege vergaßen sie das Recht nicht. Sie betrachteten die Fehde und den Krieg als einen gewaltigen Rechtsstreit und glaubten, daß Gott dem Rechte zum Siege verhelfe, in der Schlacht wie im Zweikampf. Auch in dem Feinde und in den unterwürfigen Knechten und eigenen Leuten achteten sie noch immer von Natur berechtigte Menschen. Sicher sind das höchst bedeutsame Ansätze zum Völkerrecht, wie der Belgier Laurent zuerst und vortrefflich gezeigt hat. Einleitung. Aber es fehlte den Germanen anfangs sowohl an der Einheit des politischen Willens und der statlichen Macht als an der nöthigen Geistes- bildung, um einem neuen Weltrecht Ausdruck zu geben und Geltung zu verschaffen. Ihre Sitten waren zu roh, ihr Trotz zu ungefügig, ihre Fäuste zu derb und ihre Rauflust zu unbändig. Als sie aber später von Rom in die geistige und sittliche Schule und Zucht genommen wurden, bekamen sie mit der Einheit des Papstthums und des Kaiserthums und mit der religiösen Bildung auch die Mängel der mittelalterlich-römischen Institutionen und Ideen, und jene Ansätze konnten nicht mehr zu gesundem und fröhlichem Wachsthum gelangen. Vergeblich wurde nun das römische Kaiserthum dem deutschen Königthum aufgepfropft. Die Kaiser nannten sich wohl noch Herren der Welt, Könige der Könige, Häupter der ewigen Stadt und Regenten des Erdkreises. Auch sie behaupteten wohl, die obersten Richter zu sein über die Fürsten und die Völker, und die Schirmer des Weltfriedens. Aber die weltliche Oberherrlichkeit der Kaiser wurde in der abendländischen Christenheit noch weniger allgemein anerkannt als die geistliche der Päpste. Nicht einmal in Deutschland und in Italien vermochten die Kaiser den Landfrieden vor der wilden Fehdelust der vielen großen und kleinen Herren nachhaltig zu schützen. Um die Weltordnung zu handhaben, dazu reichten ihre Kräfte noch weniger aus. In dem Ideale des Mittelalters herrschen überall Recht und Gericht; aber in der Wirklichkeit regiert die rohe Ge- walt. Es ist bezeichnend, daß die „Zeit des Faustrechts“ von jedermann auf die mittelalterlichen Zustände bezogen wird und daß das Wort auf kein anderes Zeitalter besser paßt. Wo aber das Faustrecht in Uebung ist, da hat das Völkerrecht keinen Raum. Aufleben des modernen Völkerrechts. Erst nachdem die kirchlich-päpstliche Einheit in dem abendländischen Europa durch die Reformation des sechszehnten Jahrhunderts zerbrochen war, wie lange vorher schon die weltlich-kaiserliche Einheit sich als unaus- führbar erwiesen hatte, bekamen die lange zurück gehaltenen Rechtstriebe Luft. Die Wissenschaft, welche sich endlich der Herrschaft des Glaubens entwand, förderte nun zunächst mit ihrem Lichte ihre Entfaltung. In der That, die Begründung des neueren Völkerrechts ist voraus ein Werk der Wissenschaft , welche das schlummernde Rechtsbewußtsein der civilisirten Welt aufgeweckt hat. Dann folgte ihr die statsmännische Praxis und Einleitung. übernahm die Pflege und Erweiterung des Völkerrechts. Noch heute sind beide Kräfte thätig. Bald geht die Wissenschaft voraus, indem sie völker- rechtliche Grundsätze ausspricht und erweist, bald folgt die Wissenschaft der rüstiger vorschreitenden Praxis nach, welche von der Culturströmung der Zeit getrieben und von den Bedürfnissen der Zeit gedrängt sich entschließt, neues Recht anzuwenden und ins Leben einzuführen. Wenn es der Wissen- schaft gelingt, der Menschheit ihre Rechtsideen als Rechtsvorschriften klar zu machen, und das Rechtsgefühl der Mächte diese Vorschriften zu beachten beginnt, dann ist wirkliches Völkerrecht offenbar geworden, gesetzt auch es sollte nicht überall und nicht ausnahmslos anerkannt werden und die Be- folgung nicht immer zu erzwingen sein. Ebenso wenn es der statlichen Praxis glückt, sei es durch diplomatische Verhandlungen oder in der Kriegs- übung oder sonst im Leben angesehener Völker bestimmte völkerrechtliche Befugnisse und Pflichten zur Anerkennung und stätigen Wirksamkeit zu bringen, so wird auch auf diese Weise das allmählige Wachsthum des Völkerrechts sichtbar, obwohl es an einer alle Staten bindenden formellen Autorität und an einer gesicherten Rechtspflege noch fehlt. Es ist charakteristisch, daß das Bahn brechende Werk des edeln Hol- länders Hugo de Groot , der mit Recht als der geistige Vater des modernen Völkerrechts geehrt wird, im Angesicht des entsetzlichen Krieges geschrieben wurde (1622—1625), in welchem die deutsche Nation während dreißig Jahren gegen sich selber wüthete. Damals trat der hochgebildete Gelehrte und Statsmann zugleich dem religiösen Fanatismus entgegen, welcher die Ausrottung der Andersgläubigen als ein gottgefälliges Werk ansah und der brutalen Rohheit, welche ihren Leidenschaften und Lüsten zügellosen Lauf verstattete. Er zeigte der Welt das erhabene Bild eines auf die menschliche Natur gegründeten und durch die Zustimmung der Weisen und Edeln aller Zeiten geheiligten Rechts, damit sie sich wieder ihrer Pflicht erinnere und Mäßigung lerne. Befreiung des Völkerrechts von religiöser Befangenheit . Von Anfang an war das neue Völkerrecht frei von dem antiken Vorurtheil, daß nur das eigene Volk berechtigt, die Fremden aber rechtlos seien und ebenso frei von dem mittelalterlichen Wahne, daß die Gültigkeit des Menschenrechts abhängig sei von dem besonderen Gottesglauben. Mit viel Muth und großem Nachdruck hat sodann der Nachfolger Groot’s, der Deutsche Pufendorf ebenfalls noch im siebzehnten Jahrhundert wider die Einleitung. kirchlichen Eiferer die Wahrheit verfochten, daß das Natur- und das Völker- recht nicht auf die Christenheit eingeschlossen sei, sondern alle Völker aller Religionen verbinde, weil alle zur Menschheit gehören. Trotz dieser einleuchtenden Lehren ist in unserm civilisirten Europa der große Fortschritt der Wissenschaft erst vor wenig Jahren zu durch- greifender practischer Anerkennung gelangt. Noch die sogenannte Heilige Allianz vom September 1815 wollte ein ausschließlich christliches Völkerrecht begründen und schützen. Allerdings war sie nicht mehr ganz so enge, wie das mittelalterliche Glaubensrecht. Sie unterschied nicht mehr zwischen rechtgläubigen und nicht rechtgläubigen christlichen Bekenntnissen und beseitigte die feindliche Scheidung der verschiedenen Confessionen. In ihr verband sich der katholische Kaiser von Oesterreich mit dem protestanti- schen Könige von Preußen und dem griechischen Czaren von Rußland. Die verschiedenen Confessionen sollten nur Eine christliche Völkerfamilie bilden. Aber man wollte doch nicht über die Gränze der Christenheit hinaus gehen und meinte in der christlichen Religion die Grundlage des neuen Völkerrechts zu finden. Die Türkei blieb noch ausgeschlossen von der europäischen Statengemeinschaft. Freilich hatte man es schon seit Jahr- hunderten nicht vermeiden können, auch mit der hohen Pforte völkerrecht- liche Verträge abzuschließen. Aber erst auf dem Pariser Friedenscongreß vom Jahre 1856 wurde die Türkei als ein berechtigtes Glied in die europäische Statengenossenschaft aufgenommen und dadurch der allgemein- menschliche Charakter des Völkerrechts anerkannt. Seither ist es auch in der Praxis anerkannt, daß die Gränzen der Christenheit nicht zugleich Gränzen des Völkerrechts seien. Unbedenklich breitet sich dasselbe über andere muhammedanische Staten und ebenso über China und Japan aus und fordert von allen Völkern Achtung seiner Rechtsgrundsätze, mögen dieselben nun Gott nach der Weise der Christen oder der Buddhisten, nach Art der Muhammedaner oder der Schüler des Confucius verehren. Endlich ist die Wahrheit durchgedrungen: Der re- ligiöse Glaube begründet nicht und behindert nicht die Rechts- pflicht . Schranken des Völkerrechts. Das moderne Völkerrecht erkennt voraus das Nebeneinander- bestehen der verschiedenen Staten an. Es soll die Existenz der Staten sichern, nicht dieselbe gefährden, ihre Freiheit schützen, nicht unterdrücken. Bluntschli , Das Völkerrecht. 2 Einleitung. Aber zugleich legt es allen Staten auch Pflichten auf, indem es sie als Glieder der Menschheit verbindet und deshalb von ihnen Achtung vor dem Menschenrechte fordert. Würde man die Souveränetät der Staten als ein unbegränztes Recht fassen, so würde jeder Stat auch dem andern gegenüber thun können, was ihm beliebte, d. h. es würde das Völkerrecht im Princip verneint. Würde man umgekehrt die Zusammengehörigkeit der Staten und die Einheit des Menschengeschlechts rücksichtslos durch- führen, so würde dadurch die Selbständigkeit der einzelnen Staten ge- brochen, ihre Eigenart und ihre Freiheit gefährdet, sie würden am Ende zu bloßen Provinzen des Einen Weltreichs erniedrigt. Deshalb ist es nöthig, daß die Fortbildung des Völkerrechts zugleich die Gränzen beachte, welche seiner Wirksamkeit durch das Statsrecht ge- zogen sind. Aus diesem Grunde bestimmt das Völkerrecht zunächst und hauptsächlich die Rechtsverhältnisse der Staten unter einander und hütet sich davor, sich in die innern Angelegenheiten der Staten ein- zumischen. Den Schutz der Privatrechte stellt es durchweg den Staten anheim, auch dann wenn diese Privatrechte einen allgemein-menschlichen Charakter haben, und greift nicht in die Handhabung der statlichen Straf- gerichtsbarkeit ein, wenngleich auch hier zuweilen menschliches Recht in Frage ist. Es ist nicht unmöglich, daß in der Zukunft das Völkerrecht etwas weniger ängstlich sein und in manchen Fällen sich für berechtigt halten werde, zum Schutze gewisser Menschenrechte einzuschreiten, wenn dieselben von einer Statsgewalt selbst unterdrückt werden; etwa so wie in den Bundesstaten die Bundesgewalt gewisse vorschriftsmäßige Rechte der Privaten auch gegen die Verletzung von Seite eines Einzelstates zu schützen pflegt. Aber die bisherigen Versuche völkerrechtlicher Garantien zum Schutze menschlicher Privatrechte sind noch selten und schwach und überall noch hindert die Furcht vor Eingriffen in die Souveränetät der Staten ein energisches Vorgehen. Maßregeln gegen die Sclaverei. Eine derartige Ausnahme enthalten die völkerrechtlichen Maßregeln gegen die Zufuhr von Negersclaven . Die meisten Völker der alten Welt hatten die Sclaverei geduldet. Die römischen Juristen, wohlbewußt, daß das natürliche Menschenrecht die Freiheit, nicht die Sclaverei sei, suchten diese eben mit der allgemeinen Rechtssitte aller Völker zu rechtfertigen. Auch das Christenthum, obwohl Einleitung. es den Geist der Bruderliebe auch unter Herren und Sclaven weckte, ließ doch die bestehende Sclaverei als Rechtsinstitut unangefochten. Während des Mittelalters wurde in dem germanisirten Europa die antike Sclaverei in die weniger harte Eigenschaft umgestaltet und all- mählich in die bäuerliche Hörigkeit gemildert, aber es erhielt sich doch noch bis tief ins achtzehnte, in einzelnen, auch deutschen Ländern bis ins neun- zehnte Jahrhundert hinein eine erbliche Knechtschaft der eigenen Leute. In Osteuropa nahm diese bäuerliche Eigenschaft sogar in den letzten Jahr- hunderten massenhaft überhand und in den europäischen Colonien von Amerika erhielt sogar die strengste Sclaverei eine neue Gestalt und An- wendung in der absoluten Herrschaft, welche die weißen Eigenthümer über die schwarze Arbeiterbevölkerung erkauften, die aus Afrika dahin verpflanzt ward. In allen diesen Zeitaltern kümmerte sich das Völkerrecht niemals darum. Im achtzehnten Jahrhundert noch schützte und begünstigte das freie England die Sclavenzufuhr aus Afrika. Noch im Jahre 1713 schämten sich die englischen Statsmänner nicht, in dem Frieden mit Spanien zu Utrecht ausdrücklich auszubedingen, daß es den englischen Schiffen gestattet werde, binnen der nächsten Jahre einige tausend Neger- sclaven jährlich in die spanischen Colonien einzuführen. Sie betrachteten den Menschenhandel noch als ein vortheilhaftes Speculationsgeschäft, wofür England sich Privilegien einräumen lassen müsse. Seit ungefähr einem Jahrhundert finden wir eine entschiedene Wendung in den Ansichten der civilisirten Welt. Die Philosophie und die schöne Literatur brachten menschlichere Grundsätze in Umlauf. Von da an beginnt in allen Ländern ein offener Kampf für die persönliche Frei- heit wider die Knechtschaft, und die Gesetzgebung verzeichnet und sichert die Siege der Freiheit. Die Leibeigenschaft und Hörigkeit werden theilweise vor, theilweise nach der französischen Verkündung der Menschenrechte in den westeuropäischen Ländern abgeschafft. Jetzt erst beginnt auch das Völkerrecht die Frage in Betracht zu ziehen; und nun geht England voran in der Bekämpfung der Neger- sclaverei, welche es selber früher großgezogen hatte. Der Wiener Congreß mißbilligt in einer förmlichen Erklärung vom 8. Februar 1815 den von Afrika nach Amerika betriebenen Negerhandel, „durch welchen Afrika ent- völkert, Europa geschändet und die Humanität verletzt“ werde. Früher schon hatten auch die Vereinigten Staten von Amerika diesen schmählichen 2* Einleitung. Seehandel mit schwarzen Menschen gesetzlich verboten. Die Verurtheilung dieser besonders gefährlichen und schädlichen Art der Sclavenzüchtung durch den Spruch der civilisirten Menschheit war nun im Princip entschieden und damit wenigstens erwiesen, daß das Rechtsgefühl der Welt humaner und freier geworden war, als es im Alterthum und im Mittelalter gewesen. Freilich zeigte sich hier sofort wieder die große Schwierigkeit alles Völkerrechts, dem Urtheil der civilisirten Menschheit Geltung zu verschaffen, ohne die Freiheit der einzelnen Staten zu gefährden. Zwar ließen sich die europäischen Staten anfangs herbei, der unablässigen Bestürmung der englischen Diplomatie das verlangte Visitationsrecht ermächtigter Kriegsschiffe gegen verdächtige Sclavenschiffe innerhalb gewisser Meere zuzugestehen und insofern eine Art völkerrechtlicher Seepolicei auch im Friedenszustande ein- zuführen. In diesem Sinne kam der europäische Vertrag vom 20. De- cember 1841 zu Stande. Aber dieses Untersuchungsrecht begegnete dem Widerspruch der Vereinigten Staten, welche besorgten, daß dadurch die Uebermacht der englischen Kriegmarine über ihre Handelsmarine verstärkt und der friedliche Seehandel überhaupt belästigt werde. Auch Frankreich sagte sich nun wieder los von dem Zugeständniß solcher Durchsuchung und trat auf den Standpunkt der Vereinigten Staten über, welche es vorzogen, gemeinsam mit England Kreuzer auszurüsten, welche an den afrikanischen Küsten zunächst die eigenen Sclavenschiffe verfolgen aber sich hüten sollten, fremde Kauffahrer zu belästigen. Auf den Vorschlag der nordamerikanischen Bundesregierung kam dann die weitere Verabredung mit England (9. August 1842) zu Stande, ge- meinsam die Staten, welche noch öffentliche Sclavenmärkte gestatten, zur Abstellung dieses Mißbrauchs zu mahnen. Auch diese Maßregel zur Be- freiung der Welt von der Schmach der Sclaverei ist nicht ohne Wirkung geblieben. Insbesondere sah sich die Ottomanische Pforte veranlaßt, dem Andringen der Diplomatie Gehör zu geben. Neuerdings hat die Aufhebung der Leibeigenschaft in dem russischen Reich durch das Manifest des Kaisers Alexander II. vom 19. Februar 1861 die große Frage endlich für Europa und für einen großen Theil von Asien zu Gunsten der persönlichen Freiheit entschieden. Noch wichtiger ist der Sieg der Freiheit über die Sclaverei in Nordamerika geworden. Seit- dem die Verwerfung der Sclaverei zu einem Grundgesetz der Vereinigten Staten erklärt worden ist (1865), ist dieses Institut nirgends mehr auf dem ganzen Welttheil zu halten. Einleitung. Es wird daher nicht mehr lange dauern, bis das allgemeine Rechts- bewußtsein der Welt die großen Sätze eines jeden humanen Rechts auch mit völkerrechtlichen Garantien schützen wird: Es giebt kein Eigenthum des Menschen am Menschen. Die Sclaverei ist im Widerspruch mit dem Rechte der menschlichen Natur und mit dem Gemeinbewußtsein der Menschheit . Religiöse Freiheit. Noch weniger entwickelt, aber wiederum in den Anfängen sichtbar, ist der völkerrechtliche Schutz der religiösen Freiheit gegen grausame Verfolgung und Unterdrückung durch den Fanatismus anderer von dem State bevorzugter Religionen. Mit Recht überläßt man den gesetzlichen Schutz der religiösen Bekenntniß- und Cultusfreiheit den einzelnen Staten und scheut sich bei geringen und zweifelhaften Anlässen die Selbständigkeit des statlichen Sonderlebens anzutasten. Aber bei großen und schweren Verletzungen jenes natürlichen Menschenrechts bleibt die gesittete Völker- genossenschaft nicht mehr theilnahmelos und stumm. Sie äußert zum mindesten ihre Meinung, giebt Räthe und erläßt Warnungen und Mahnungen. Zuletzt kann eine grobe Mißachtung der Menschenpflicht zu ernster Macht- entfaltung auch der Staten führen, welche sich vorzugsweise berufen fühlen, ihre Glaubensgenossen oder würdiger noch das allgemeine Menschenrecht wider die fanatischen Verfolger zu schützen. Gegenüber der Türkei ist das bereits in einzelnen Fällen geschehen. Die europäischen Mächte haben wiederholt zum Schutze der christlichen Rajahs völkerrechtlich eingewirkt. Das Aufsehen, welches der kirchliche Raub des jüdischen Knaben Mortara auch in dem romanischen und katholischen Westeuropa gemacht hat, beweist, daß das öffentliche Gewissen der heutigen Menschheit nicht blos dann sich zu regen anfängt, wenn die eigene Religion gekränkt wird, sondern auch dann, wenn zu Gunsten der eigenen Religion die heiligen Rechte der Familie verletzt werden. Gesandtschaften und Consulate. Geringere Schwierigkeiten standen der Pflege des friedlichen Verkehrs von Stat zu Stat und der Nationen unter einander im Wege. Zu allen Zeiten hatten die Völker — wenige wilde Stämme ausgenommen — mit einander durch Gesandte, als Repräsentanten unterhandelt; und von Alters her wurden diese Gesandten erst durch die Religion, dann durch das Recht Einleitung. als unverletzlich geschützt. Aber die Einrichtung ständiger Gesandtschaften in den verschiedenen Hauptstädten gehört erst der neueren Zeit an und ist in Europa vorzüglich seit Richelieu und Ludwig XIV. allgemeine Sitte geworden. In Folge dessen wurde der fortdauernde Zusammenhang unter den Staten in dem fortgesetzten persönlichen Verkehr ihrer Vertreter lebendig dargestellt. Das Völkerrecht erhielt so in den Residenzen gleichsam einen persönlichen Ausdruck und eine friedlich wirkende Repräsentation. Es fanden sich da wie in Knotenpunkten des Weltverkehrs die Diplomaten der verschiedenen Staten zusammen und fingen an, als sogenannte diplo- matische Körper sich als völkerrechtliche Genossenschaften zu fühlen. Wenn auch dabei selbstsüchtige Absichten mitgewirkt haben, so hat doch augen- scheinlich die Wirksamkeit des Völkerrechts durch diese Einrichtung sehr ge- wonnen. Wenn ein Stat seine völkerrechtlichen Pflichten offenbar ver- letzen möchte, so findet er sofort in dem diplomatischen Körper eine gewisse Schranke. Da kein Stat mächtig genug ist, um die Mißbilligung der civilisirten Statengesellschaft gleichgültig hinzunehmen, so wird diese Stimme des Völkerrechts nicht leicht überhört. Indem diese ständigen Gesandt- schaften sich immer weiter über die ganze Erde hin erstrecken, wächst der Verband aller Staten zu einer gemeinsamen Weltordnung allmählig heran und die völkerrechtlichen Garantien nehmen an Stärke und Ausdehnung zu. Außer den Gesandtschaften hat das neuere Völkerrecht noch das In- stitut des Consulats weiter ausgebildet. Die Zahl der Consuln ist viel größer als die der Gesandten und in starker Vermehrung begriffen. Durch die Consulate wird so ein zweites Netz völkerrechtlicher Aemter über die Erdoberfläche ausgebreitet, welche dem friedlichen Verkehr aller Nationen dienen und die Rechtsgemeinschaft in der Welt beleben. Die Consuln sind nicht wie die Gesandten berufen, als eigentliche Stellvertreter der Staten zu handeln, sie haben vorzugsweise die Interessen der Privaten in fremden Ländern zu wahren und den heimathlichen Rechtsschutz auch in der Ferne wirksam zu machen. Gerade deshalb steigt ihre Wichtigkeit in dem Maße, in welchem der internationale Verkehr reicher und belebter wird. Zuerst haben die Bedürfnisse und Interessen des Handels die Kauf- leute veranlaßt, ins Ausland zu gehen und mit Fremden zu verkehren. Daher sind die Consulate anfangs nur als Handelsconsulate gegründet worden. Auch heute noch ist der Handelsverkehr die wichtigste Beziehung von Nation zu Nation. Aber er ist es heute schon nicht ganz mehr, wie früher. Es giebt bereits eine Menge von Culturbeziehungen aller Art, Einleitung. welche die Nationen ebenfalls verbinden. Nicht einmal mehr die Mehrzahl der Reisenden sind Kaufleute. Die verschiedensten Ursachen bestimmen die Privaten, vorübergehend fremde Länder zu besuchen, oder sich auf längere Zeit auswärts niederzulassen, Interessen der Bildung, der Wissenschaft, der Kunst, der Landwirthschaft, des Vergnügens, der Verwandtschaft u. s. f. Auch diese Masse von Nichtkaufleuten tritt in den Rechtsverkehr mit den Ausländern und bedarf gelegentlich der Förderung und des Schutzes in der Fremde. Die Consuln sind berufen, auch diesen Classen nöthigenfalls beizustehen. Indem so der Geschäftskreis der Consuln erweitert und ihre Ge- schäftslast vergrößert ward, genügten nicht überall mehr die alten Handels- consuln, welche nur nebenher das Consulat verwalteten. Man konnte dem Kaufmann nicht zumuthen, daß er neben seinem eigenen Handel die man- nigfaltiger, schwieriger und zahlreicher gewordenen Geschäfte des Consulats unentgeltlich als Ehrenpflicht besorge, und man ward genöthigt, an den begangensten Plätzen und in den Hauptstädten, wo man keine Gesandt- schaften unterhielt, für besoldete Generalconsuln zu sorgen, welche dann das Consulat als Hauptberuf verwalteten. Das so im Wachsthum begrif- fene Consulat ist augenscheinlich noch der Hebung und Steigerung fähig und ganz geeignet, die friedlichen und freundlichen Beziehungen der Na- tionen unter einander und mit den Staten vielfältig zu sichern und zu fördern. Um den ersten Ring der Gesandtschaften wird so ein zweites wei- teres Band geschlungen, welches die Gemeinschaft der Welt pflegt. Fremdenrecht. Keine Isolirung der Staten . Die friedlichen Siege des neueren Völkerrechts haben voraus die Zustände der Fremden sehr verbessert. Die antiken Völker waren noch wie die Barbaren geneigt, die Fremden wie Feinde zu betrachten und für rechtlos zu halten, wenn sie nicht von dem Schutz eines einheimischen Gastfreundes oder von der Schirmhoheit eines mächtigen Patrons gedeckt waren. Die Verbannung in die Fremde, das Exil, galt daher als Verstoßung ins Elend. Auch das Mittelalter behandelte die Fremden noch mit offenbarer Ungunst. Die Fremden waren genöthigt, einen unsicheren Rechtsschutz der Landesherren und der Gemeinden mit schwerem Gelde zu bezahlen; wollten sie ihr Vermögen wieder aus dem Lande wegziehen, so mußten sie auch Einleitung. den Wegzug mit Procenten des Vermögenswerthes erkaufen; starben sie in dem für sie fremden Lande, so pflegte die Herrschaft auch auf ihre Verlassenschaft zu greifen und dieselbe wie herrenloses Gut an sich zu ziehen oder doch die Wegfahrt der Erben mit erheblichen Abzügen zu belasten. Das Alles ist anders und besser geworden. Die Fremden werden nun in der civilisirten Welt in ihren Menschenrechten geachtet und in den wichtigsten Beziehungen des Privatrechts und des Verkehrs den Einheimi- schen durchweg gleichgestellt. Die Barbarei des Wildfangs- und des Heim- fallsrechts ist endlich aus Europa verschwunden. Zahlreiche Staatenverträge haben die Abzugsrechte gänzlich abgeschafft und sichern die Freizügigkeit. Der deutsche Privatmann lebt in Paris oder in New-York oder in Calcutta eben so sicher wie in Berlin oder in München. Zahllose Fremde aus allen Ländern der Welt wohnen in allen Welttheilen unter einander ge- mischt friedlich beisammen und fühlen sich in Person, Vermögen und Ver- kehr nicht minder geschützt als in der Heimat. Mit dem Aufschwung der Transportmittel hat auch die gemeinsame Rechtsbildung Schritt gehalten. Auch sie hat die nationale Isolirtheit durchbrochen und ein internationales Verkehrsrecht geschaffen, von dem sich kein Stat abschließen kann. Wollte er dasselbe mißachten, so würde er nicht blos die Mißbilligung der civili- lisirten Welt auf sich laden, sondern auch in Gefahr sein, zur Rechenschaft gezogen zu werden, damit er lerne, in den Fremden die Menschen und in dem Verkehr der Nationen die Gemeinschaft der Völker zu achten. Der Gedanke des Weltbürgerrechts , den Kant als eine ideale Hauptfor- derung des neuen Völkerrechts ausgesprochen, hat heute schon zum Theil eine reale Wahrheit, und dieses Weltbürgerrecht ist so wenig unverträglich mit dem besondern Statsbürgerrecht, als dieses mit dem Gemeinde- und Ortsbürgerrecht. Nur in dem Innern der großen Continente von Asien und beson- ders von Afrika, wohin die Civilisation noch nicht mit Macht vorgedrungen ist, dauert einstweilen noch die früher allgemeine Verneinung des Fremden- rechtes fort, gewiß nicht lange mehr. Mit vollem Rechte nimmt sich jeder Stat seiner Bürger auch in der Fremde insofern an, als dieselben gegen Rechtsverweigerung und Gewaltthat seines Schutzes bedürfen. Der Stats- schutz ist nicht an die Gränzen des Statsgebietes gebannt. Die Verbin- dung der Staten und die Einheit der Menschheit zeigen sich auch darin, daß die schützenden Arme der Statsgewalt überall hin auf der Erdober- Einleitung. fläche so weit sich ausstrecken, als es mit der rechtlichen Selbständigkeit anderer Staten verträglich ist. Dieser statliche Rechtsschutz in der Fremde ist zuweilen von mächtigen Staten anmaßlich und übermüthig überspannt worden, aber im Großen und Ganzen ist es doch ein großer Fortschritt eines wirksamen Völkerrechts, daß der internationale Verkehr und die Rechtssicherheit der Fremden nicht der Willkür einer launischen Statsgewalt Preis gegeben und Staten, welche diese Rechte verletzen, zur Genugthuung und Entschädigung angehalten werden. Selbst die völlige Abschließung und Isolirtheit eines States wider jeden Fremdenverkehr, in früherer Zeit als ein selbstverständliches Recht eines souveränen States betrachtet, erscheint dem heutigen Rechts- bewußtsein als eine Verletzung des natürlichen Menschenrechts, welches für alle Nationen einen gesicherten Rechtsverkehr fordert, damit die Menschen- anlage zu voller und reicher Entfaltung gelangen und so die Bestimmung des Menschengeschlechts erfüllt werden könne. In den letzten Jahrhunderten hatte sich so die ostasiatische Welt gegen die europäisch-amerikanische völlig abgeschlossen. Die chinesischen und japanischen Seehäfen und Handels- städte blieben lange Zeit den Schiffen und Kaufleuten der christlichen Nationen versperrt. Aber in unsern Tagen sind auch diese trennenden Schranken vor der zwingenden Macht des erstarkten menschlichen Völker- rechts gefallen und die ostasiatischen Reiche in die Handels- und Verkehrs- gemeinschaft mit den Europäern und Amerikanern eingetreten. Im Jahre 1842 hat England das chinesische Weltreich zuerst genöthigt, in dem Frie- den von Nanking seine Häfen wieder zu öffnen, und im Jahre 1858 haben die Vereinigten Staaten von Nordamerika zuerst wieder Japan dem Weltverkehr erschlossen. Seither berühren sich und wirken auf einander die christlich-moderne und die ostasiatische alte Civilisation, und das Völker- recht hat wiederum einen gewaltigen Fortschritt zum allgemeinen Weltrecht gemacht. Gemeinschaft der Gewässer. Freie Schiffahrt . Würde sich die Luft nicht jeder menschlichen Absperrung im Großen entziehen, so hätte sicherlich die souveräne Selbstsucht der Einzelstaten auch die Luft über ihrem Lande als ihr ausschließliches Eigenthum anzusprechen hier oder dort den Versuch gemacht. Aber die Staten haben keine Gewalt Einleitung. über die mächtige Bewegung der Luftströme, welche unbekümmert um alle Landesgränzen ihren Weg nehmen. Auch das Meer und die öffentlichen Gewässer sind von der Natur mit einander verbunden und, wenn sie auch die Länder zuweilen trennen, so dienen sie doch zugleich, den Verkehr der verschiedenen Nationen zu erleichtern. Sie verbinden auch die Küsten und Ufer, welche sie bespülen. Da haben es aber die Staten wirklich lange versucht, ihre Alleinherrschaft möglichst weit auch über die Gewässer auszu- dehnen und die Freigebigkeit der gemeinsamen Natur ausschließlich für sich auszubeuten. Sogar über das offene Meer hin wollte die mittelalterliche Statshoheit ihr Eigenthum ausbreiten. Die Republik Genua nahm über das ligurische, Venedig über das adriatische Meer eine ausschließliche See- herrschaft in Anspruch. Die Könige von Spanien und Portugal behaup- teten, die westindischen Meere gehören ihnen allein zu, weil der Papst Alexander VI. , dem diese Meere so wenig als die westindischen Länder jemals gehört hatten, ihnen dieselben geschenkt habe. Als Hugo de Groot zuerst diese sinnlose Anmaßung widerlegte und für die „Freiheit der Meere“ seine Fürsprache unternahm, mußte er noch mancherlei hergebrachte Miß- bräuche schonen. Lange nachher noch und bis ins achtzehnte Jahrhundert hinein wollte England über die Meere, welche die Großbritannischen Inseln umschließen, eine ausschließliche Seehoheit behaupten. Dem langsamen aber stätigen Wachsthum der völkerrechtlichen Er- kenntniß haben endlich alle diese anmaßenden Uebergriffe weichen müssen. In dem heutigen Rechtsbewußtsein der civilisirten Welt haben die beiden wichtigen Sätze feste Wurzeln: Kein Stat hat eine besondere Seehoheit über die offene See. Die unter einander verbundenen Meere sind der freien Schiffahrt aller Nationen offen . Vor wenig Jahren erst sind einige letzte Reste der älteren selbstsüch- tigen Beschränkung und Ausbeutung weggeräumt worden. Das Marmor- meer, obwohl es von den Türkischen Küsten umschlossen ist und seine enge Einfahrt leicht von den Dardanellenschlössern beherrscht werden kann, und das Schwarze Meer, welches Rußland für sich in Beschlag zu nehmen bemüht war, sind durch die Friedensschlüsse von Adrianopel (1829) und Paris (1856) der freien Schiffahrt aller Nationen geöffnet worden. Noch im Jahre 1841 wurde der Sundzoll, den Dänemark von den Seefahrern zwischen der Nordsee und der Ostsee seit Jahrhunderten erhob, als her- kömmliches und in vielen Statsverträgen bestätigtes Recht von den meisten Einleitung. Seemächten anerkannt. Aber als endlich die Vereinigten Staaten erklärten, sie werden dieses geschichtliche Recht, welches dem natürlichen Recht der freien Seefahrt widerstreite, nicht ferner respectiren, ließ sich auch Dänemark willig auf den anerbotenen Loskauf mit den europäischen Staten ein. Die Freiheit der Meere ward nun auch in diesem Falle anerkannt. Nachdem einmal der natürliche Zusammenhang der öffentlichen Ge- wässer und ihre Bestimmung, der Schiffahrt aller Nationen zu dienen, erkannt und anerkannt war, führten diese Gedanken zu weitern Befrei- ungen. Man mußte zugestehen, daß die Gebietshoheit sich nicht ganz auf den festen Erdboden beschränken läßt. Mehr noch als der nasse Küsten- saum am Meere, und als die Buchten und Rheden, welche vom Festland her theilweise beherrscht werden, gehören die großen Ströme und Flüsse, welche durch ein Land fließen oder seine Gränze bilden, und die Häfen, welche durch öffentliche Werke geschützt sind, damit sie hinwieder die Schiffe schützen können, einem bestimmten Statsgebiete zu und sind der Aufsicht und Sorge des Einzelstates unterworfen. Sie sind ein fließender Theil des Landes, und nicht wie das offene Meer frei von jeder besondern Statshoheit. Allein neben jener Zutheilung zu einem Sondergebiete muß auch die natürliche Verbindung der schiffbaren Ströme, Flüsse, Seen, Häfen mit der offenen See beachtet werden, und insoweit ist jene aus- schließliche Gebietshoheit durch die Rücksicht auf die Verkehrsgemeinschaft zu ermäßigen und abzuändern. Von dem freien und offenen Meere her fahren die Schiffe der verschiedenen Nationen in die Seehäfen und in die Flüsse der Staten ein. Die Freiheit des internationalen Verkehrs wäre gehemmt und die Gemeinschaft in der Benutzung öffentlicher Gewässer wäre gestört, wenn jeder Stat willkürlich alle seine Häfen und Flüsse für fremde Schiffe unzugänglich machen dürfte. Wenn ein Fluß durch mehrere Stats- gebiete hindurch fließt, um sich ins Meer zu ergießen, so könnten die einen Staten, insofern ihre Gebietshoheit nicht beschränkt würde, die andern von dem Seeverkehr absperren, und die Gewässer würden ihrer natürlichen Bestimmung, die Nationen zu verbinden, entfremdet. Zuerst wurde diese neue Forderung des Völkerrechts, daß der Zu- sammenhang der öffentlichen Gewässer beachtet und die Freiheit der Schiff- fahrt geschützt werde, im Pariserfrieden von 1814 in Anwendung auf die Rheinschiffahrt ausgesprochen und zugleich eine allgemeine Durchführung des Princips auf allen europäischen Flüssen in Aussicht gestellt. Es war haupt- Einleitung. sächlich das Verdienst des Preußischen Gesandten, Wilhelms von Humboldt , diesen Fortschritt der völkerrechtlichen Verkehrsgemeinschaft anzutragen. Die Wiener Congreßacte von 1815 (Art. 108 ff.) verkün- dete sodann die Freiheit der Schiffahrt auf allen schiffbaren Flüssen, welche zwei oder mehrere Gebiete durchströmen, und wendete diesen Grundsatz ausdrücklich auch auf die schiffbaren Nebenflüsse des Rheins an, ferner auf die Schelde, deren Mündungen lange Zeit durch die Holländer für die Belgischen Schiffe gesperrt waren, die Maas, die Elbe, die Oder, die Weser, die Weichsel und den Po. Von da an mußten allmählig die mancherlei aus dem Mittelalter überlieferten Flußzölle der wachsenden Freiheit weichen und sowohl die Uferstaaten als die Seemächte hatten nun ein festes Princip gewonnen, von welchem aus sie alle herkömmlichen Be- schwerden und Gebühren bekämpften, durch welche der Schiffahrtsverkehr belastet und gehemmt war. Nur solche Gebühren blieben gerechtfertigt, welche als Gegenleistung erschienen für nothwendige oder nützliche Dienste. Später erst nahmen die Donaustaten das neue Princip an. Aber endlich wurde durch den Pariser Frieden von 1856 auch die Donau den Schiffen aller Nationen geöffnet. Die Logik des Gedankens nöthigt uns, dieselbe Freiheit der Schiff- fahrt auch bezüglich der Flüsse zu fordern, welche nur durch Ein Stats- gebiet fließen, aber, indem sie ins Meer münden, von Natur dem Welt- verkehr dienen. Diese Forderung ist aber zur Zeit noch nicht allgemein anerkannt. Mancher Stat verweigert heute noch fremden Schiffen die Benutzung seiner Eigenflüsse, während er für seine Schiffe die freie Schif- fahrt auf Flüssen fordert, deren Wasser nirgends seine Ufer bespült, die durch mehrere fremde Statsgebiete fließen. Das ist ein auffallender und grober Widerspruch. Weshalb sollte Ein Stat mehr Recht haben an seinem Eigenflusse, als die sämmtlichen Uferstaaten zusammen an ihrem Gemeinflusse? Wenn diese genöthigt sind, ihre Flüsse dem Weltverkehr zu öffnen, warum sollte jener seine Flüsse gegen den Welthandel absperren dürfen? Wie sollten die fremden Schiffe, welche völkerrechtlich befugt sind, einen Gemeinfluß zu befahren, diese Befugniß verlieren, wenn in Folge von Gebietsabtretungen, Ein Stat in den Besitz des ganzen Flusses ge- langt? Sollte z. B. der Po der Schiffahrt offen stehen, so lange er durch mehrere Statsgebiete fließt, und abgesperrt werden können, wenn er ganz und gar in den Besitz des Königreichs Italien kommt? Der Mississippi war im vorigen Jahrhundert noch ein Gemeinstrom, an dem auch England und Einleitung. Spanien Theil hatten und gehört heute ganz den Vereinigten Staten zu. Hat er in Folge dessen seine Natur verändert und ist seine Bedeutung für den Weltverkehr geringer geworden? Jene Unterscheidung zwischen der freien Schiffahrt auf mehrstatlichen Weltströmen und der unfreien Schiffahrt auf einstatlichen Weltströmen ist also unhaltbar. Vermittlung in Streitfällen. Schiedsrichterliches Verfahren. Gerathen zwei Staten in einen ernsten Rechtsstreit mit einander, so sind sie noch immer geneigt, in Ermanglung eines völkerrechtlichen Gerichts- hofs, den Weg der Selbsthülfe zu betreten, und die äußerste Selbsthülfe ist der Krieg. Es ist das ohne Zweifel noch eine barbarische Seite der heutigen Weltordnung, und wir müssen zugestehen, daß in dieser höchst wichtigen Hinsicht die Fortschritte des Völkerrechts noch beschämend klein sind. Wir können höchstens einige unentwickelte Keime zu einer civilisir- teren Rechtspflege entdecken. Auf dem Pariser Congresse von 1856 gaben die versammelten Mächte im Interesse des Friedens den Wunsch zu Pro- tokoll, daß die Staten, unter denen ein Streit sich erhebe, nicht sofort zu den Waffen greifen, sondern zuvor die guten Dienste einer befreun- deten Macht anrufen möchten, um den Streit friedlich zu schlichten. Man wagte nicht, den Wunsch als Rechtsforderung auszusprechen, und die Mächte wollten sich selber nicht binden. Vielleicht wird, was hier gewünscht ward, später in eine völkerrecht- liche Rechtspflicht umgewandelt, ebenso wie in manchen Ländern die Rechts- streite der Privatpersonen vorerst an einen Friedensrichter zum Sühnever- such gebracht werden müssen, bevor sie gerichtlich im Proceß verfolgt werden dürfen. Es wäre damit der Krieg nicht verhindert, aber eine neue Ga- rantie für den Frieden gewonnen. In den Statenbünden gibt es auch kein Bundesgericht, welches zu- ständig wäre, über die Streitigkeiten zwischen den verbündeten Einzelstaten zu urtheilen. Da kennt man seit Jahrhunderten das Verfahren vor Schiedsrichtern oder Austrägen , welche den Proceß ohne Krieg durch Rechtsspruch erledigen. Den Einzelstaaten ist es oft zur Pflicht ge- macht, diesen schiedsrichterlichen Weg zu betreten und sich aller kriegerischen Gewalt zu enthalten. Auch unter nicht verbündeten Staten wird zuweilen dieses Mittel der Rechtspflege benutzt, aber eine allgemeine Rechtspflicht dazu besteht noch nicht. Vielleicht wird es einem der nächsten völkerrecht- Einleitung. lichen Congresse gelingen, wenigstens für gewisse Streitfragen die Pflicht des schiedsrichterlichen Verfahrens auszusprechen und dieses zugleich in seinen Grundzügen zu ordnen. Es giebt Streitigkeiten, für welche die letzte Rechtshülfe der Krieg vernünftiger Weise unmöglich ist. Dahin gehören durchweg alle Ent- schädigungs- und alle Etikette- und Rangfragen. Der Werth des Streites steht in solchen Fällen in einem allzu großen Mißverhältnisse zu den noth- wendigen Kriegskosten und zu den unvermeidlichen Kriegsübeln, als daß ein Stat, der bei gesunden Sinnen ist, sich entschließen möchte, zu diesem Mittel zu greifen. Für derartige Fälle sollte immer ein friedliches Schieds- gericht angerufen werden können; sonst bleiben sie unerledigt und verbittern die Stimmung auf die Dauer. Freilich ist es nicht leicht, geeignete Richter zu finden. Wählt man eine neutrale große Macht, so ist man doch nicht sicher, daß dieselbe auch ihre eigenen politischen Interessen und Neigungen bei dem Schiedsspruch in die Wage lege. Man ist auch nicht sicher, daß der gewählte Fürst, auch wenn er kein eigenes Interesse hat, geeignete Berather beiziehe; die zugezogenen aber bleiben oft verborgen und daher unverantwortlich. Den ordentlichen Gerichtshöfen, an die man sich wenden könnte, fehlt meistens die völkerrechtliche Bildung und die freie statsmännische Praxis. Professor Lieber hat neulich in dem englisch-nordamerikanischen Streit über die Frage, ob England für Schaden einzustehen habe, welcher von südstatlichen in England ausgerüsteten Kreuzern verübt worden, den Vorschlag gemacht, das Urtheil einer der angesehensten Juristenfacultäten anzuvertrauen, deren Mitglieder doch ihre wissenschaftliche Ehre einzusetzen haben. Vielleicht könnte zum voraus auf Vorschläge von Justizministern und Juristenfacultäten eine Geschwornenliste von völkerrechtlich gebildeten Männern gebildet werden, aus der im einzelnen Fall — etwa unter der formellen Leitung eines neutralen Statshaupts (Fürsten oder Präsidenten) als Richters, die Urtheiler bezeichnet würden. Man sieht, auf diesem Gebiete sucht man noch tastend nach fried- lichen Rechtsmitteln. Kriegsrecht. Recht gegen die Feinde. Die Staten sind Feinde, nicht die Privaten . Seine herrlichsten Siege hat der humane Geist des modernen Völker- rechts gerade da erfochten, wo dem Rechte gewöhnlich die geringste Macht Einleitung. zugeschrieben wird. Im Kriege nämlich tritt die massive Gewalt wider die Gewalt in den Kampf und die feindlichen Leidenschaften ringen mit einander auf Leben und Tod. Eben in diesem wilden Stadium des Völkerstreites gilt es vor allen Dingen, die civilisatorische Macht des Völkerrechts zu zeigen. In der That, sie hat sich in der Ausbildung eines civilisirten Kriegsrechts , durch welches die alte barbarische Kriegs- sitte großentheils verdrängt und untersagt wird, glänzend bewährt. Die Kriege sind menschlicher, gesitteter, milder geworden, und nicht blos that- sächlich durch die veredelte Kriegsübung, sondern ebenso rechtlich durch die Vervollkommnung des Völkerrechts. Die alten Völker betrachteten die Feinde, mit denen sie im Kriege waren, als rechtlose Wesen und hielten Alles gegen sie für erlaubt. Dem heutigen Rechtsbewußtsein ist es klar, daß die Menschenrechte auch im Kriege zu beachten sind, weil die Feinde nicht aufgehört haben, Menschen zu sein. Bis auf die neueste Zeit dehnte man überdem den Begriff des Feindes ungebührlich aus und behandelte höchstens aus sittlichen oder politischen Rücksichten, aber keineswegs aus Rechtsgründen, die unkriegerische Bevölkerung des seindlichen States mit einiger Schonung. Noch Hugo de Groot und Pufendorf betrachten es als hergebrachte, auf dem Con- sens der Völker beruhende Rechtssätze, daß alle Statsangehörigen der beiden Kriegsparteien, also auch die Weiber, die Kinder, die Greise, die Kranken Feinde und daß die Feinde als solche der Willkür des Siegers unterworfen seien. Erst die schärfere Unterscheidung des heutigen Rechtsbewußtseins hat den Grundgedanken klar gemacht, daß der Krieg ein Rechtsstreit der Staten , beziehungsweise politischer Mächte und keineswegs ein Streit zwischen Privaten oder mit Privaten sei. Dieser Unterschied, den die Wissenschaft erst begriff, als ihn zuvor die Praxis thatsächlich beachtet hatte, zieht eine Reihe der wichtigsten Folgerungen nach sich. Jedes Individuum nämlich steht in einem Doppelverhältniß. Ein- mal ist es ein Wesen für sich, d. h. eine Privatperson . Als solche hat es einen Anspruch auf einen weiten Kreis von persönlichen Familien- und Vermögensrechten, mit Einem Wort auf sein Privatrecht . Da nun der Krieg nicht gegen die Privaten geführt wird, so giebt es auch keinen Rechtsgrund, nach welchem das Privatrecht im Kriege untergehen oder der Willkür des Feindes bloßgestellt werden sollte. Einleitung. Sodann ist jedes Individuum ein Glied und Angehöriger einer Statsgemeinschaft . Insofern ist es allerdings mitbetheiligt bei dem Streite seines Stats. Das Schicksal des Vaterlandes ist den Kindern des Landes nicht fremd. Sie nehmen Theil an den Erfolgen und an den Leiden des States, dem sie angehören. Sie sind auch durch ihre Bürger- pflicht verbunden, dem State in der Gefahr Beistand zu leisten mit Gut und Blut. In dem ganzen Bereich des öffentlichen Rechts sind alle Statsangehörigen dem State verpflichtet. Aus dieser Unterscheidung ergeben sich folgende Hauptsätze des mo- dernen Völkerrechts: Die Individuen sind als Privatpersonen keine Feinde, als Statsangehörige sind sie betheiligt bei der Feindschaft der Staten . So weit das Privatrecht maßgebend ist, dauert also das Friedensverhältniß und das Friedensrecht fort. So weit das öffentliche Recht entscheidet, ist das Feindesverhältniß ein- getreten und wirkt das Kriegsrecht . In Folge dieser Grundsätze sind die Gefahren, welche der Krieg über die friedliche Bevölkerung herbei zieht, sehr viel geringer geworden. Im Alterthum waren auch die wehrlosen Personen, die Frauen und Kinder, in stäter Gefahr, von den feindlichen Kriegern mißhandelt, zu Sclaven gemacht und verkauft oder getödtet zu werden. Der politische Verstand der Römer hielt dieselben in den meisten Kriegen ab, von diesem vermeintlichen Recht einen ausgedehnten Gebrauch zu machen, denn sie wollten die Völker beherrschen, nicht vertilgen; aber die römischen Rechts- gelehrten hatten nicht den geringsten Zweifel an dem Rechte zu solchen Handlungen. Nur die Götter und ihre Tempel gewährten einigen Schutz vor der Rohheit und dem Blutdurst der stürmenden Krieger; aber auch dieser Schutz war unsicher und auf sehr enge Gränzen beschränkt. Auch im Mittelalter gab es keine schützende Rechtsregel. Die eigent- liche Sclaverei war nicht mehr in den Sitten, außer etwa zum Nach- theil kriegsgefangener Muhammedaner. Aber die Rohheit war größer als in dem civilisirteren Römerreiche. Auch friedliche Leute waren der äußersten Gewaltthat und selbst dem Tode ausgesetzt, wenn der Feind mit Kriegs- gewalt ihr Land überzog. Der dreißigjährige Krieg noch ist mit allen Gräueln soldatischer Barbarei befleckt. Der humane Groot wagt es noch nicht, solcher Missethat das Brandmal der völkerrechtlichen Verurtheilung aufzudrücken. Im Gegen- theil, er erkennt noch die völkerrechtliche Erlaubniß dazu an und mißbilligt Einleitung. diese Barberei nur aus moralischen und vernünftigen Gründen. Die ein- zige völkerrechtliche Schranke findet er in dem Verbot, die Frauen zu miß- brauchen, zu welchem endlich das christliche Völkerrecht sich entschlossen habe. Das heutige Völkerrecht verwirft den Gedanken einer absoluten Will- kürgewalt über die Privatpersonen vollständig und gestattet weder Miß- handlung noch Beleidigung, am wenigsten Tödtung derselben. Das Recht der persönlichen Sicherheit, der Ehre, der Freiheit ist Privatrecht und dieses bleibt im Kriege unversehrt. Die feindliche Kriegsgewalt ist nur zu den Maßregeln befugt, welche zu Statszwecken dienen und im Interesse der Kriegsführung liegen. Sie kann die freie Bewegung der Privaten hemmen, den Privatverkehr unterbrechen, Straßen und Plätze absperren, die Einwohner entwaffnen u. s. f. Wie das Privatrecht sich dem ge- waltigeren Rechte der Gesammtheit, d. h. dem Statsrecht auch im Frieden unterordnen muß, aber doch nicht von dem öffentlichen Rechte aufgehoben und verschlungen werden darf, so legt das öffentliche Kriegsrecht seine noth- wendigen Gebote auch den Privaten auf, aber es erkennt zugleich das Privatrecht an. Die allgemeine Noth und Gefahr, welche der Krieg auch über die Privaten verhängt, ist ohnehin groß und schadet genug; die un- vermeidlichen Leiden der Bevölkerung dürfen daher nicht grund- und zweck- los durch vermeidliche Uebel vergrößert und erschwert werden. Freilich wird auch jetzt noch die Rechtsregel in der Praxis nicht immer genau be- folgt, und mancherlei Ungebühr wird noch straflos im Kriege gegen Pri- vaten verübt. Aber im Großen und Ganzen ist es wahr, daß die fried- lichen Bewohner einer Stadt oder selbst eines Dorfes und einzelner Höfe dem Gang der Kriegsereignisse mit weit mehr Ruhe entgegensehen dürfen, als in irgend einer früheren Periode der Geschichte. Es ist ein großes Verdienst Vattel’s , daß er zuerst der humaner werdenden Kriegsübung der stehenden Heere auch einen völkerrechtlichen Ausdruck gegeben und durch seine klare Darstellung des neueren Völkerrechts gerechtere Grundsätze populär gemacht hat. In einer andern Lage freilich sind diejenigen Personen, welche an der Kriegsführung selbst einen thätigen Antheil nehmen, voraus das Heer und wer sonst mit den Waffen oder durch persönliche Dienste den Kampf unterstützt. Nach der ältern wiederum barbarischen Theorie sprach man hier von einem Recht der Kriegsgewalt über Leben und Tod ihrer activen Feinde. Das humane Völkerrecht von heute verwirft auch dieses angebliche Recht der Gewalt als grundlos. Bluntschli , Das Völkerrecht. 3 Einleitung. Allerdings wer an dem Kampfe Theil nimmt, freiwillig oder ge- zwungen, der ist den Gefahren des Kampfes Preis gegeben und dieser Kampf wird auf Leben und Tod geführt. So weit das natürliche Recht des Kampfes reicht, so weit muß auch das Recht gehen, den kämpfenden Feind zu tödten, aber nicht weiter. Jenes Recht aber ist bedingt durch die rechtliche Bedeutung und begränzt durch den Zweck des Kriegs. Nie- mals darf der Krieg mit seiner furchtbaren Gewalt selber Zweck sein. Er ist immer nur statliche Rechtshülfe und ein Mittel für Statszwecke. Des- halb ist die Kriegsgewalt keine absolute. Sie findet demnach von Rechts wegen ihre Gränze und ihr Ende, wo sie nicht mehr dem Statszweck dient. Es ist daher erlaubt, den Feind, der Widerstand leistet, mit tödt- lichen Geschossen zum Weichen zu nöthigen, erlaubt, den bewehrten Gegner im Einzelkampfe zu tödten, erlaubt, den fliehenden Feind zu verfolgen, weil das Alles nöthig ist, um den Sieg zu erstreiten und zu sichern. Aber es ist nicht erlaubt, den Feind, der seine Waffen ablegt und sich ergiebt, oder der verwundet auf dem Schlachtfelde liegt und unfähig ist, den Kampf fortzusetzen, und nicht erlaubt, die Aerzte, Feldgeistlichen und andere Nichtkämpfer einzeln zu tödten, weil das nicht nöthig ist, um den Sieg zu gewinnen, die unzweckmäßige Tödtung aber rohe Grausamkeit wäre. Die kriegerische Gewalt darf nicht dem zügellosen Hasse und wilder Rach- sucht dienen, denn sie ist Rechtshülfe und Statsgewalt. Dies Gebot der Menschlichkeit darf auch nicht von der aufgeregten Wuth der kriegerischen Leidenschaft überhört werden. Der militärische Befehl, „keinen Pardon zu geben und Alles niederzumachen“, ist eine völkerrechtswidrige Barbarei und wird nur als Repressalie noch und zur Abwendung eigener äußerster Lebensgefahr zugelassen. Auch hier ist es wieder Vattel , welcher die humaneren Grundsätze des neuen Völkerrechts zuerst mit Erfolg vertheidigt hat. Um dieses Verdienstes willen um die Civilisation gebührt ihm eine hohe Stelle unter den Lehrern und Förderern des Völkerrechts. Mit großem Nachdruck und Eifer für militärische Ehre bestreitet er auch den absurden Satz der früheren Schriftsteller, daß man dem hart- näckigen Vertheidiger eines festen Platzes den Tod als Strafe drohen dürfe, wenn er denselben nicht übergebe. Die Tapferkeit des Feindes wird nie- mals ein strafwürdiges Verbrechen, auch nicht, wenn sie eine vielleicht un- haltbare Stellung zu behaupten sucht. Während des Kampfes ist Schonung nicht am Platze und, wer sein eigenes Leben einsetzt, mit dem darf man Einleitung. nicht rechten, wenn er das Leben seines Feindes angreift. Die hartnäckigste Vertheidigung kann dazu dienen, dem übermächtigen Feinde Achtung abzu- nöthigen und bessere Friedensbedingungen zu erzielen. Zur Strafe darf der Sieger nur die tödten, welche ein strafbares Verbrechen begangen haben, z. B. die Seeräuber, die Spione oder Marodeurs. Aber diese Art der Tödtung setzt ein strafgerichtliches Verfahren voraus, wenn auch viel- leicht das summarische des Standrechts. Das ist nicht mehr Kampfes- recht, sondern Strafrecht. Auch das Recht, die Angehörigen des feindlichen States, vorzüglich die bei der Kriegsführung Betheiligten zu Kriegsgefangenen zu machen, ist durch den Zweck des Kriegs begränzt und darf nur als ein Mittel zum endlichen Frieden benutzt werden. Die Kriegsgefangenschaft der neueren Zeit ist nicht mehr, wie die antike, eine zeitige Sclaverei. Die Grundsätze, welche Preußen und die Vereinigten Staten in einem Vertrag von 1785 anerkannt haben, sind nach und nach allgemeines Recht ge- worden. Die Kriegsgefangenen dürfen nicht als Verbrecher, nicht als Züchtlinge behandelt werden. Sie werden nicht zur Strafe, sondern der Sicherheit wegen und um den Feind eher zum Frieden zu nöthigen, in ihrer Freiheit beschränkt und verwahrt. Sie dürfen daher nicht miß- handelt und gequält, noch zu Arbeiten angehalten werden, welche ihrer Lebensstellung nicht angemessen sind, auch dann nicht, wenn man von ihnen fordern kann, daß sie ihren Lebensunterhalt mit ihrer Arbeit ver- dienen. Sogar ihre Bewegung und ihre Beschäftigung sind nicht mehr zu beschränken, als es das Interesse der Sicherheit fordert. Die heutige Sitte verlangt sogar, daß die kriegsgefangenen Officiere auf ihr Ehrenwort in relativer Freiheit gelassen werden. Nur wenn sie dieselbe mißbrauchen zu statsfeindlichen Zwecken oder Fluchtversuche machen, sind sie strenger zu be- wachen. So lange nicht die Sicherheit und die gute Ordnung darunter leiden, sind auch den Kriegsgefangenen unbedenklich diejenigen Genüsse zu verstatten, für welche sie auf eigene Kosten sorgen oder die ihnen von ihren Landsleuten und Freunden ermöglicht werden. Mit edler Sorge nimmt sich das heutige Völkerrecht auch der ver- wundeten Feinde an. Die Beschlüsse des internationalen Congresses zu Genf im August 1864, welcher auf Einladung der Schweiz von einer großen Anzahl von Staten beschickt wurde, erkennen den Rechtsgrundsatz an, daß die ärztliche Sorge, welche den eigenen Verwundeten zu Theil wird, auch auf die verwundeten Feinde in wesentlich gleicher Weise aus- 3* Einleitung. gedehnt werden solle. So ward das christliche Princip der Feindesliebe in die bindende Form des Menschen- und Völkerrechts übersetzt. Feindliches Vermögen im Landkriege . Nicht minder groß sind die Fortschritte, welche das neuere Völkerrecht in der Anerkennung und dem Schutze des feindlichen Vermögens gemacht hat. Freilich besteht hier noch zwischen Land- und Seekrieg ein be- deutender Unterschied. In jenem ist die alte Barbarei früher und voll- ständiger überwunden worden, als in diesem. Die antiken Völker, welche den Feind als rechtlos ansahen, betrach- teten auch das Vermögen aller derer, die sie Feinde nannten, als einen Gegenstand freier Besitz- und Wegnahme. Das Grundeigenthum der Feinde verfiel dem siegreichen Stat, ihre Habe ward von den Truppen erbeutet und dem Feldherrn überliefert, welcher über die Vertheilung frei verfügte. Keine Rechtsvorschrift hinderte das Heer, die Häuser der Feinde abzubrennen und ihre Pflanzungen zu verwüsten. Die Sitte war freilich oft mensch- licher als das Recht und die Politik schonte oft, wo das Recht Zerstörung und Raub gestattete. Aber in vielen Fällen zeigte sich auch die wilde Rohheit eines barbarischen Kriegsrechts in ihrer scheußlichen Gestalt, ohne Maß und ohne Scham. Nicht viel anders war es im Mittelalter. Die damaligen Fehden waren weniger blutig als die antiken Schlachten, aber um so verderblicher für das Eigenthum und den Wohlstand der betroffenen Gegenden. Das Grundeigenthum blieb zwar meistens unverändert, aber die Dörfer wurden niedergebrannt, die Burgen gebrochen, die Bäume umgehauen, das Vieh weggeführt, die Habe der friedlichen Leute als gute Beute geraubt. Auch hier bewährt jener Grundsatz des heutigen Rechts, daß der Krieg gegen den Stat und nicht gegen die Privaten geführt werde, seine heilsame Wirkung. Wir unterscheiden nun zwischen öffentlichem Vermögen und Privatgut . Das öffentliche Vermögen, welches dem feindlichen State gehört, darf im Kriege angegriffen und von dem Sieger weggenommen werden. Voraus bemächtigt sich die Kriegsgewalt aller der Sachen des Feindes, welche Bezug auf die Kriegsführung selber haben, der Waffen, der öffentlichen Magazine und Vorräthe, der Kriegscasse, denn voraus ist die Kriegsgewalt berechtigt, dem Feinde die Mittel zu entwinden, mit denen derselbe Krieg führt und Widerstand leistet. Ferner ergreift sie, indem sie Einleitung. in feindlichem State fortschreitet, die Zügel der Statsgewalt und nimmt mit Recht die öffentliche Autorität einstweilen für sich in Anspruch. Sie verfügt daher über die öffentlichen Gebäude, nimmt die Finanzgefälle aller Art in ihre Hand, und erstreckt ihre Hand über die öffentlichen Cassen; denn es dient das, den feindlichen Stat zu überwinden und zum Frieden zu zwingen. Indessen sogar innerhalb des öffentlichen Vermögens beginnt die civi- lisirte Welt feiner zu empfinden und wichtige Unterscheidungen zu machen. Nicht alles öffentliche Gut dient in gleicher Weise dem State und daher auch schließlich seiner Kriegsmacht. Viele öffentliche Anstalten dienen mit ihrem Vermögen andern, eher socialen Zwecken. Die Kirchen sind den religiösen Bedürfnissen der Bewohner geweiht. Die Spitäler sind für Kranke bestimmt. Die Schulen, die Bibliotheken, die Laboratorien, die Sammlungen sind für die Zwecke der Bildung und der Wissenschaft ge- gründet. Eben deshalb sind sie, wie die Amerikanischen Kriegsvorschriften es ausdrücken (§ 34), nicht im Sinne des Kriegsrechts als öffentliches Ver- mögen zu betrachten und sollen ihren Zwecken nicht entfremdet werden. Der Raub von Kunstschätzen und Denkmälern, noch in den Revolutions- kriegen zu Anfang dieses Jahrhunderts oft geübt, erscheint dem öffentlichen Gewissen bereits als anstößig und widerrechtlich, weil diese Dinge keinen nahen Bezug auf den Stat und den Krieg haben, sondern der friedlichen Cultur der bleibenden Nation dienen. Wenn das heutige Völkerrecht sogar einen Theil der öffentlichen Güter vor den Griffen des Siegers bewahrt, so versteht sich der Schutz des Privateigenthums nun von selbst. Ein Recht des Siegers, das Grundeigenthum den Privaten wegzunehmen und sich anzueignen, wird nicht mehr anerkannt. Die Eroberung ist ein Act der Statsgewalt, und läßt das Privateigenthum unversehrt. Der Pariser Cassationshof hat daher mit gutem Grunde entschieden, daß selbst die fürstlichen Privat- güter kein Gegenstand der Eroberung seien und daß nur die Güter, welche dem Fürsten als Statshaupt zugehören, von dem siegenden Feinde weg- genommen werden dürfen. Das Privateigenthum ist also nur insofern der Kriegsgewalt unterworfen, als es auch der Statsgewalt unterworfen bleibt. Die Grundeigenthümer müssen sich gefallen lassen, daß das Heer, soweit die Kriegsoperationen es nöthig machen, vorübergehend ihre Häuser und Güter besetze; aber sobald das kriegerische Nothrecht mit der Noth selbst erlischt, tritt auch die Regel des freien Eigenthums von selber wieder in Kraft. Einleitung. Endlich hat das gereiftere Rechtsbewußtsein der civilisirten Welt es eingesehen, daß auch jenes angebliche Beuterecht im Krieg, trotz der zahlreichen und ehrwürdigen Autoritäten der römischen Rechtswissenschaft und der mittelalterlichen Rechte, eitel Unrecht sei und sich mit einer gesicherten Weltordnung durchaus nicht vertrage. Es ist beschämend für unsere Wissenschaft, daß sie in dieser wichtigen Frage nicht eher die Wahr- heit erkannt hat, als bis ihr die veredelte Kriegsführung der heutigen Staten durch die thatsächliche Mißbilligung und durch das militärische Verbot aller Beutemacherei vorausgegangen ist. Während die Gelehrten sich noch immer durch die alten Autoritäten täuschen ließen, arbeiteten die Generale mit eiserner Disciplin an der Abschaffung jenes offenbaren Raubs, den man vergeblich sich bemüht, als Recht auszugeben. Worauf denn sollte sich dieses angebliche Beuterecht gründen? Etwa auf den alten Wahn, daß der Feind ein rechtloses Wesen sei? Aber der Feind ist ein Mensch und jeder Mensch ein Rechtswesen. Oder auf die Vorstellung, daß im Kriege die Gewalt herrsche? Aber es ist ja der Beruf des Völkerrechts, auch die Kriegsgewalt mit den Zügeln des Rechts zu bändigen. Oder auf den Gedanken, daß dem Feinde zu schaden natürliches Kriegsrecht sei? Aber die Privatpersonen sind als solche nicht Feinde, und das Privateigenthum darf daher nicht willkürlich geschädigt werden. Oder auf die Uebereinstim- mung der Völker? Aber die civilisirtesten Völker verwerfen das Beuterecht als Raubrecht. So entschieden hat sich die civilisirte Kriegsführung in unsern Tagen von der alten Barbarei losgesagt, daß sogar die Lebensmittel, deren das Heer in feindlichem Lande bedarf, regelmäßig eingekauft und baar bezahlt werden. Die scheußliche Maxime, nicht etwa nur des dreißigjährigen Kriegs, sondern noch der Revolutionskriege zu Ende des vorigen und zu Anfang des jetzigen Jahrhunderts, daß der Krieg sich selber ernähren müsse und daß daher die Heere in Feindesland auf Kosten der friedlichen Bewohner leben dürfen, wird heute von der öffentlichen Meinung als Barbarei gebrandmarkt. In der Noth freilich, wenn ausreichende Lebensmittel und andere unent- behrliche Sachen in ordentlicher Verkehrsform nicht zu erwerben sind, viel- leicht weil die Einwohner sie nicht dem Heere verkaufen wollen, oder die Lieferungen zurück bleiben, dann kann es dem Truppenkörper nicht ver- wehrt werden, auch mit Gewalt sich die Dinge anzueignen, ohne die er nicht leben und seine Bestimmung erfüllen kann; denn niemals kann die öffentliche Gewalt ihre Existenz dem Privatrechte zum Opfer bringen, viel- Einleitung. mehr muß dieses der Noth des States weichen. Aber sogar in diesem äußersten Falle erkennt die heutige Kriegsgewalt, soweit nicht das Recht zur Besteuerung oder das Recht auf Kriegslasten (Fuhrwerke, Einquar- tirung) die Forderung unentgeltlicher (wenigstens vorläufig unentgeltlicher) Leistungen rechtfertigt, die Pflicht schatzungsgemäßer Entschädigung an, und zieht die geordnete Auferlegung von Contributionen auch der aus Noth erlaubten Marode entschieden vor. Am wenigsten ist es den Kriegsleuten gestattet, die Hauswirthe, bei denen sie einquartirt werden, zu beschädigen und zu bestehlen. Wo der- gleichen Unfug und Unrecht noch gelegentlich vorkommt und, sei es aus Rachsucht oder aus Gewinnsucht, auch von den Officieren noch geduldet wird, da geschieht dies nicht mehr im Sinne sondern mit Widerspruch des heutigen Kriegsrechts. Die Ehre einer disciplinirten Armee und der civilisirten Kriegsführung fordert strenge Bestrafung solcher Mißbräuche und Missethaten. Nur ganz ausnahmsweise wird im heutigen Landkriege noch die Beute gestattet. Die Kriegsrüstung insbesondere der bewehrten Feinde, ihre Waffen und Pferde sind heute noch Gegenstand erlaubter Beute, weil vor der nahen Beziehung dieser Sachen zur Kampfesführung die Rücksicht auf das Privateigenthum zurück tritt. Diese Sachen dienen dem Krieg und verfallen deshalb dem Sieger. Dagegen gilt es bereits als unwürdig und dem civilisirten Kriegsrechte nicht mehr entsprechend, dem besiegten Gegner sein Geld oder seine Kleinode wegzunehmen. Auch der Kriegs- gefangene bleibt Privateigenthümer. Nur wenn ein Officier große Geld- summen mit sich führt, so werden diese nicht als Privatgut, sondern als Kriegsmittel und Kriegsgut betrachtet. Ebenso wird dem Sieger gewöhnlich noch verstattet, dem todt auf dem Schlachtfeld gebliebenen Feinde die Habe wegzunehmen, die er zurück- läßt. Die völlige Unsicherheit dieser Verlassenschaft läßt die Wegnahme in milderem Lichte erscheinen. Indessen der ehrenhafte Sieger wird solche Sachen doch nur insofern behalten, als er die rechtmäßigen Erben nicht kennt, und sie herausgeben, sobald Jemand ein besseres Recht daran nach- weist. Die heimliche Marode aber den Schlachtfeldern nachschleichender Diebe wird nicht mehr geduldet, sondern als ein schweres Verbrechen bestraft. Zuweilen vertheidigt man noch heute die Erlaubniß zur Plünderung eines hartnäckig vertheidigten Platzes, mit dem Bedürfniß der Kriegsfüh- Einleitung. rung, die Angreifer durch die Aussicht auf Gewinn zum Sturme zu er- muthigen. Indessen ist das nur die alte Barbarei, welche versucht, sich in diesem letzten Schlupfwinkel noch eine Zeit lang wider die bessere Rechts- ordnung zu halten. Ganz mit denselben schlechten Gründen hatte man vordem den Stürmenden auch die Frauen in dem eroberten Platze Preis gegeben. Was seiner Natur nach schändliches Unrecht ist, das darf auch nicht als Belohnung versprochen und nicht als ein Mittel benutzt werden, um den Pflichteifer leidenschaftlich aufzuregen. Feindliches Vermögen im Seekrieg . Viel zäher hat die alte Barbarei im Seekrieg der Aufnahme neuer, das Privateigenthum auch im Kriege schützender Grundsätze widerstanden. Sie ist hier vorzüglich von einem State vertheidigt worden, der in anderer Hinsicht sich unläugbare Verdienste um die Ausbildung eines humaneren Völkerrechts erworben hat, nämlich von England, der größten modernen Seemacht. Die englischen Staatsmänner und Rechtsgelehrten voraus behaupteten, das Beuterecht, das im Landkriege besser aufgegeben werde, sei für den Seekrieg nicht zu entbehren. Sie wiesen darauf hin, daß die Landmächte in der Besitznahme und Eroberung des feindlichen Landes ein eingreifendes und wirksames Zwangsmittel besitzen, um den feindlichen Stat zur Aner- kennung ihrer Rechtsansprüche und Forderungen zu nöthigen, daß aber die Seemächte dieses Zwangsmittels entbehren, weil ihre Macht auf die See und die Seeküsten beschränkt sei. Sie gründeten auf diesen Unterschied die Nothwendigkeit für die Seestaten, nach einem andern Zwangsmittel zu greifen, und als solches, meinten sie, biete sich nur die Unterdrückung des Seehandels und die Wegnahme der feindlichen Schiffe und Kaufwaaren an. Allein niemals kann die Schwäche der rechtmäßigen Kriegsmittel ein Grund sein, um die Zulässigkeit unrechtmäßiger Kriegsmittel zu rechtfer- tigen. So wenig der Finanzmann, dem es nicht gelungen ist, ein Dar- lehen abzuschließen, die leeren Statscassen dadurch füllen darf, daß er den Reichen all ihr Geld wegnehmen läßt, so wenig darf der Kriegsmann des- halb das Privatgut zur See berauben, weil die Kanonen seiner Schiffe nicht ins Innere des Landes wirken. Die Kaufleute des feindlichen States sind als solche keine Feinde, weder der Seemacht noch der Landmacht gegen- über; und wenn diese genöthigt ist, ihr Privatrecht zu achten, so liegt der Seemacht ganz dieselbe Pflicht ob aus ganz denselben Gründen. Die frü- Einleitung. here Barbarei im Landkrieg wurde ganz ebenso damit vertheidigt, daß die Schädigung der Feinde ein unentbehrliches Mittel sei, um den Feind zur Nachgiebigkeit zu zwingen. Man hat dieselbe abgeschafft, weil man das Unrecht und die Verderblichkeit dieses Kriegsmittels erkannt hat. Dieselbe Einsicht wird endlich auch das Beuterecht im Seekrieg als einen Flecken der heutigen Weltordnung erkennen lassen und dieselbe davon reinigen helfen. Vor einem Menschenalter stand es freilich noch schlimmer als gegen- wärtig. Sowohl die Schiffe der feindlichen Nation sammt ihrer Ladung als die feindlichen Kaufgüter, selbst wenn sie auf neutralen Schiffen ver- führt wurden, schienen ein offener Gegenstand der Seebeute zu sein, ob- wohl sie nicht im Eigenthum des Staates waren, mit welchem Krieg ge- führt wurde, sondern der Privaten, gegen welche nicht Krieg geführt ward. Man bedachte nicht einmal, daß die Enteignung dieser als gute Prise weg- genommenen Privatgüter sogar die Gränzen eines Zwangsmittels gegen den Feind überschreite, indem sie nicht wie die Beschlagnahme für die For- derungen ein Unterpfand schafft, sondern über den Frieden hinaus wirkt und das Recht friedlicher Privaten völlig aufzehrt. Indessen einige, freilich noch nicht genügende, Fortschritte sind gemacht worden, um auch das Seekriegsrecht zu civilisiren. Es verdienen vorzüglich folgende Maßregeln Erwähnung: 1. Die endliche Mißbilligung und Abschaffung der Kaperei . Nach der früheren räuberischen Praxis begnügten sich die Seemächte nicht da- mit, durch ihre Kriegsmarine den Seehandel zu behindern und die Rheder und Kaufleute der feindlichen Nation nach Kräften zu schädigen. Sie riefen sogar die Raublust der Privatunternehmer zu Hülfe und ermächtig- ten dieselben, mit ihren Kaperschiffen auf Beute auszulaufen. Es war das ein von Stats wegen in Kriegszeiten autorisirter Seeraub . Ver- geblich hatten sich im vorigen Jahrhundert philanthropische Männer, wie Franklin , gegen diese schmachvolle Unsitte erklärt. Auch ein Staatsver- trag zwischen den Vereinigten Staaten von Nordamerika und Preußen vom Jahr 1785, worin beide Mächte versprachen, niemals Kaperbriefe wider einander auszustellen, blieb ohne allgemeine Nachfolge. Während der Napoleonischen Kriege noch waren die französischen Kauffahrer aus allen Meeren von den Engländern weggefegt worden und französische Waaren nirgends vor der englischen Confiscation sicher, so weit die eng- lische Seemacht reichte. Die Continentalsperre, welche der Kaiser Napoleon gegen England in Europa anordnete, war nur Wiedervergeltung, aber Einleitung. nicht wirksam genug, um von England den Verzicht auf die Seebeute zu erzwingen. Endlich haben sich auf dem Pariser Congreß vom Jahr 1856 die versammelten Mächte zu dem wichtigen Satze des heutigen europäischen Völkerrechts geeinigt: „ Die Kaperei ist abgeschafft “. Leider ist der- selbe durch den Widerspruch der Vereinigten Staten noch nicht allgemein anerkanntes Recht geworden. Die Weigerung Nordamerikas zuzustimmen beruhte freilich auf einem Grunde, der an sich volle Billigung verdient. Der Präsident wollte nicht damit die Kaperei gutheißen, sondern er erklärte nur, daß die Abschaffung derselben für sich allein und, so lange nicht auf das verwerfliche Beuterecht zur See überhaupt verzichtet werde, eine unzu- reichende und sogar eine gefährliche Maßregel sei. Es ist wahr, die großen Seemächte, welche über eine zahlreiche Kriegsmarine verfügen, bedürfen der Beihülfe der Kaper nicht, und ihre Ueberlegenheit im Seekrieg über schwä- chere Seestaten mit zahlreicher Handelsmarine aber wenig Kriegsschiffen wird dadurch eher vergrößert, weil nun die letztern Staten der vielleicht nützlichen Hülfe von Kaperschiffen, in die sich die Kauffahrer verwandeln können, entbehren müssen. Indessen war jene Weigerung doch ein Fehler; denn es ist nicht recht, was man selbst für Unrecht erklärt, deshalb festzu- halten, weil daneben noch anderes Unrecht fortbesteht, noch politisch klug, ein erreichbares minderes Gut nicht anzunehmen, weil ein größeres wünsch- bares Gut noch nicht erlangt wird. Die Abschaffung der Kaperei liegt auf dem Wege zur Abschaffung der Seebeute, sie ist nicht ein Hinderniß dieser Entwicklung. 2. Die Gefahr für die Kauffahrer ist ferner durch die neuere Sitte der kriegführenden Seemächte, eine ergiebige Frist anzusetzen, binnen wel- cher die Schiffe der feindlichen Nation ungefährdet aus den Häfen des Krieg drohenden States auslaufen und sich mit ihrer Ladung nach einem sichern Hafen flüchten können, erheblich ermäßigt worden. In dem Kriege mit Rußland von 1854, 1855 haben die Westmächte England und Frank- reich ein nachahmungswürdiges Beispiel der Art gegeben. 3. Ferner wurden auf dem Pariser Congreß von 1856 zwei wich- tige Gesetze in das Völkerrecht aufgenommen: a) „ Die neutrale Flagge deckt die feindliche Waare, mit einziger Ausnahme der Kriegscontrebande .“ Da kein Staat auf offenem Meere eine Gebietshoheit besitzt, so ist schon lange der völkerrecht- liche Satz anerkannt, daß jedes Schiff auf offener See nur der Schutz- Einleitung. hoheit und Statsgewalt seines eigenen Landes unterthan ist. Die nationale Flagge bezeichnet den Staat, dem das Schiff angehört. Es wird betrachtet wie ein schwimmender Theil des betreffenden Staatsgebiets. Es war da- her nur folgerichtig, das feindliche Privateigenthum in neutralen Schiffen ebenso zu achten, wie wenn es in dem neutralen Lande wäre. Der Krieg darf das neutrale Gebiet nicht antasten. Es ist Friedensland. Die Kriegs- contrebande macht deshalb eine Ausnahme, weil sie der Kriegspartei als solcher zu Kriegszwecken zugeführt wird. Im Uebrigen gilt nun der Satz: „Frei Schiff, frei Gut“. b) Ueberdem soll die „ neutrale Waare “ auch auf feindlichem Schiffe gegen das Prisenrecht gesichert werden, d. h. das Beuterecht darf nur auf feindliche Schiffe und auf Waaren der feindlichen Nation auf feindlichen Schiffen angewendet werden. Auf „unfreiem Schiff“ kann es also „freies Gut“ geben. 4. Endlich hat der Pariser Congreß von 1856 auch das oft un- mäßig geübte Blokaderecht durch die Bedingung beschränkt, daß die Blo- kade „wirksam“ sein müsse, um anerkannt zu werden, d. h. die Seesperre gilt nur insoweit, als die Seemacht, welche sie im Kriege anordnet, dieselbe auch thatsächlich und mit fortgesetztem Erfolg handhabt, also nicht, wenn es ihr an den nöthigen Kriegsschiffen mangelt, um die Ein- und Ausfahrt in den blokirten Hafen durchweg zu verhindern. Es sind das Alles bedeutende Ermäßigungen des hergebrachten Raub- rechtes der Seebeute. Aber ein wahrhaft civilisirtes Seekriegsrecht wird erst dann vorhanden sein, wenn die ganze Seebeute ebenso im Princip untersagt wird, wie die Beute im Landkrieg, wenn Schiffe und Waaren der friedlichen Rheder und Kaufleute zur See ebenso sicher sind, wie die Habe der Bewohner des Landes. Diese Fortbildung des Völkerrechts wird nicht mehr lange ausbleiben. Auch die Seemächte, welche bisher der For- derung des natürlichen Rechts keine Folge gegeben und der Macht der Logik sich nicht gefügt haben, werden schließlich der lauten Stimme der eigenen Interessen Gehör geben. Das Beuterecht, das gegen die fremden Schiffe und Waaren verübt wird, gefährdet und verletzt nicht blos das Vermögen der feindlichen, sondern ebenso der eigenen Nation, denn Handel und Verkehr sind immer wechselseitig. Auch der Handel und der Credit der eigenen Kaufleute leidet schwer in Folge dieser barbarischen Ueberspan- nung der Kriegsübel; und volle Sicherheit hat auch ihr eigenes Privat- eigenthum erst dann, wenn alles Privateigenthum geachtet wird. Seit den Einleitung. Kriegen Englands mit Napoleon I. hat sich auch in dieser Hinsicht die Welt sehr verändert. Der englische Welthandel bedarf nun zu seiner Sicherung kaum minder des völkerrechtlichen Schutzes, als der französische, oder nordamerikanische oder deutsche; denn so mächtig die englische Kriegs- marine auch ist, sie wäre doch nicht im Stande, zugleich der feindlichen Kriegsmarine zu begegnen und überall die englischen Kauffahrer zu schützen. Wir dürfen daher wohl die Hoffnung hegen, daß die Vorschläge, welche Bremen im Jahre 1859 zum Schutz des friedlichen Welthandels gemacht hat, schließlich auch die Billigung Englands finden und dann zum allge- meinen Völkerrecht erhoben werden. Die Neutralität. Zum Schlusse verdient noch die Ausbildung der Rechte und Pflich- ten der neutralen Staten erwähnt zu werden, welche seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts ebenfalls manche Fortschritte gemacht hat. Indem das Recht der Neutralität wächst, wird zugleich das Recht und die Gefahr des Krieges eingeschränkt. Die neutralen Staten umschließen mit ihrem friedlichem Gebiete das Kriegsgebiet. An ihren Gränzen bricht sich die Brandung der Kriegsfluth. Es ist überhaupt ein beachtenswerthes und preiswürdiges Bestreben, wie es sich in dem neuesten Russischen, dem Italienischen und dem Däni- schen Kriege gezeigt hat, den Krieg möglichst zu localisiren , d. h. die unvermeidliche Gewalt und die Uebel des Krieges auf ein möglichst enges Kriegsfeld einzugränzen. Die allmählich erstarkte Neutralität hilft den Krieg im Großen localisiren. Dadurch wird die Welt vor einem allge- meinen Weltbrand geschützt und es wird die Macht des Friedens auch dem Kriege gegenüber fortwährend bewährt. Die neutralen Staaten vertreten das friedliche Regelrecht, setzen der Ausnahme des Kriegsrechts Schranken und tragen überdem dazu bei, die Leiden des Kriegs zu mildern, indem sie den Verfolgten und Flüchtlingen eine friedliche Zuflucht eröffnen, und den Krieg eher zu beendigen, indem sie die Friedensunterhandlungen er- leichtern und vermitteln. Der Anstoß, welchen die Russische Kaiserin Katharina II. auf den Rath ihres Kanzlers Panin in der sogenannten „bewaffneten Neutralität“ von 1780 zum Schutz der neutralen Schiffahrt gegeben, und die Verab- redungen, welche in derselben Richtung im Jahre 1800 von den nordischen Mächten Rußland, Preußen, Schweden und Dänemark getroffen wurden, Einleitung. haben die Rechte der neutralen Schiffahrt in Kriegszeiten gekräftigt und Grundsätze zuerst vertheidigt, welche endlich auf dem Pariser Congreß von 1856 allgemein gebilligt worden sind. Noch bestehen freilich über den Begriff der unerlaubten Contrebande manche Zweifel, welche den Handel unsicher machen; aber auch in Kriegszeiten und selbst wenn der Verdacht der Contrebande sich erhebt, ist doch das früher rücksichtslos geübte Durch- suchungsrecht der feindlichen Kriegsschiffe gegenüber den neutralen Handels- schiffen, sorgfältiger begränzt worden. So lange freilich noch die Kriegs- partei allein die Prisengerichte bestellt, welche darüber erkennen, ob ein weggenommenes neutrales Schiff Contrebande geführt habe oder die recht- mäßige Blokade in unerlaubter Weise habe brechen wollen, so lange sind die Garantien für eine unparteiische Rechtspflege noch gering. Zwar sind die Prisengerichte in neuerer Zeit etwas unbefangener geworden als früher, sie vermuthen nicht mehr wie ehedem so leichtsinnig oder leidenschaftlich für die Schuld des eingebrachten Schiffes, sie sind geneigter worden, auch die Vertheidigung zu hören und zu würdigen, die Freisprechungen sind weniger selten geworden. Aber der Grundcharakter eines ausschließlich von der Partei gesetzten und besetzten Gerichtshofs wird heute noch festgehalten und deshalb können die Neutralen diese Handhabung der Rechtspflege noch nicht mit Vertrauen betrachten. Indessen den Rechten der Neutralen entsprechen auch Pflichten. In- dem die Neutralen verlangen, daß sie von den Folgen und Wirkungen des Kriegs möglichst wenig betroffen werden und daß die Kriegsgewalt der Feinde vor ihrer friedlichen Haltung rücksichtsvoll vorbei gehe, so dürfen sie auch ihrerseits nicht an der Kriegführung sich betheiligen. Die neutralen Staten dürfen nicht kriegen helfen, wenn sie in ihrer friedlichen Neutralität geach- tet bleiben wollen. Wer den Feind im Kriege und zum Kriege unterstützt, der hört auf, neutral zu sein, denn neutral sein heißt auf keiner der beiden Seiten Theilnehmer am Kriege sein . Auf die Ausbildung der Rechte und der Pflichten der Neutralen hat einen großen Einfluß die Neutralitätsacte gehabt, welche zuerst in Nord- amerika auf den Betrieb Hamiltons und im Einverständniß mit dem Ersten Präsidenten Washington im Jahre 1794 erlassen und im Jahr 1818 revidirt worden ist. Sie ist von der Englischen Parlamentsacte von 1819 nach- und fortgebildet worden. Der letzte Bürgerkrieg in den Vereinigten Staten hat freilich den Glauben an die Wirksamkeit dieser Neutralitätsgesetze einiger Maßen geschwächt. Die Vereinigten Staten be- Einleitung. klagen sich darüber, daß England nicht sorgfältig und nicht entschieden genug die Begünstigung der Südstaten verhindert und durch Lieferung von englischen Schiffen die räuberischen Kreuzer ausgerüstet habe, welche die Meere unsicher machten; und manche Zeichen deuten darauf, daß auch die Amerikanische Praxis bei Kriegen europäischer Staten eine laxere Politik befolgen werde und ihren Schiffsbauern verstatten werde, den Kriegsparteien Kriegsschiffe zu liefern. Man sieht, die theilweise widerstrebenden Interessen des freien Han- dels der Neutralen auch mit der Nation der Kriegspartei und der uner- läßlichen Enthaltsamkeit von jeder Theilnahme am Krieg von Seite des neutralen Stats sind noch mit einander im Kampf und suchen noch das gerechte Gleichgewicht. Das Recht der nationalen Entwicklung und der Selbstbestimmung der Völker. In unserer Zeit hört man oft die laute Klage, der Bestand der Staten selber sei nicht mehr wie früher durch das Völkerrecht gesichert, die Revolution von Innen, die Uebermacht von Außen bedrohen alle legitimen Gewalten, und so oft ihnen der Umsturz eines rechtlich begründeten Zu- standes glücke, so werde die vollendete Thatsache, das heißt zumeist das siegreiche Unrecht von den Mächten als neues Recht gutgeheißen und an- erkannt. Man beschuldigt das heutige Völkerrecht, es habe alles Ver- ständniß verloren für die Rechtssicherheit der Staten und ihrer Regierun- gen und huldige jederzeit gefügig dem brutalen Erfolg. Man sehe zu, ob denen, welche so reden, nicht selber alles Ver- ständniß fehlt in die Natur des Völkerrechts und des öffentlichen Rechts überhaupt. Die inneren Verfassungsänderungen eines Stats und die Wechsel der Fürsten und Dynastien sind meistens Vorgänge in dem Leben eines ein- zelnen Volkes und States und eben deßhalb zunächst staatsrechtlich, nicht völkerrechtlich zu beurtheilen. Das Völkerrecht ordnet nicht die einzelnen Staten, sondern nur die Beziehungen der Staten zu einander. Erst in zweiter Linie tritt daher an das Völkerrecht die Frage heran, ob ein Stat, der eine solche Umwandlung erfahren hat und seine thatsäch- lich die Statsgewalt ausübende Regierung auch in der Statengemeinschaft und im Statenverkehr als souveräne Personen anzuerkennen seien. Für Einleitung. das völkerrechtliche Verhalten ist daher die statsrechtliche Erledigung gewöhn- lich Maß gebend. Jene Vorwürfe, auch wenn sie gerecht wären, würden daher eher das moderne Statsrecht treffen als das Völkerrecht, welches genöthigt und berufen ist, die statlichen Bildungen, wie sie in der Welt existiren, neben einander anzuerkennen und mit einander zu ver- binden. In der europäischen Restaurationsperiode von 1815 bis 1830 ver- suchten es die Mächte der Heiligen Allianz auf den Congressen von Aachen und mehr noch auf den Congressen von Laibach und Verona das Princip der dynastischen Legitimität zu einem Grundgesetz des europäschen Völkerrechts zu erheben. Jede constitutionelle Beschränkung der absoluten Fürstengewalt und jede Aenderung in dem neu garantirten Territorialbesitz wurden als Revolution verdammt und der Schutz der bestehenden Stats- autoritäten als eine Pflicht der fünf Großmächte dargestellt, welche berufen seien, das öffentliche Recht in Europa zu sichern und zu schützen. Die Weltgeschichte hat über den damaligen Versuch gerichtet, sie hat die Unausführbarkeit desselben an den Tag gebracht und die Mängel jenes Grundgedankens schonungslos aufgedeckt. Die mittelalterliche Vorstellung, welche von der Legitimitätspolitik zu einem künstlichen Scheinleben wieder erweckt wurde, betrachtete die Landes- herrschaft wie ein göttliches Lehen und wie ein Stamm- und Erbgut der Dynastien, worüber beliebig zu verfügen dem regierenden Familienhaupte zustehe, welches so wenig der Wandlung ausgesetzt sei, wie das feste der Privatperson gehörige Grundeigenthum. Von diesem Standpunkte aus erschien der Kampf um die Regierung eines Landes wie der Kampf zwi- schen Eigenthümer und Räuber. Nach dem Grundsatze solcher Legitimität galt es als selbstverständlich, daß das geschichtlich begründete Thronrecht unter allen Umständen, wie ein Eigenthum erhalten werden müsse wider jede Besitzstörung. Aber diese ganze Grundansicht von Fürstenrecht ist noch unreif und beinahe kindisch. Das Recht und die davon nicht abzutrennende Pflicht, ein Volk zu regieren, ist in Wahrheit kein Privat- und kein Familienrecht, es ist kein Eigenthum. Das Volk ist eine lebendige Person und der Fürst ist nicht außer und nicht wie der Eigenthümer einer Herde Vieh über sondern in dem Volke als das Haupt des Volkes. Sein Recht ist öffentliches Recht und öffentliche Pflicht, Statsrecht und Statspflicht. Alle Fragen der Statsherrschaft sind daher nicht nach den privatrechtlichen Einleitung. Gesetzen über Eigenthum und Besitz, nicht nach den strafrechtlichen Be- griffen von Raub und Diebstahl, sondern von dem Standpunkte des Volkes und des States aus und ihrer Entwicklung zu beurtheilen. Das aber hat allmählich, nicht ohne Fehlschritte und Mißgriffe, das moderne Völkerrecht begriffen, indem es den vielfältig durchlöcherten Schnür- leib der alten Legitimitätsdoctrin abgelegt hat. Es war ein großer Fortschritt in der Rechtserkenntniß, als man endlich einsah, daß die Völker lebendige Wesen seien und daß demgemäß auch das Verfassungs- und Statsrecht, welches als Organisation und gleichsam als Leib des Volkes sein Leben bedingt und darstellt, diejenigen Wandlungen vornehmen muß, welche nöthig sind, um die Ent- wicklung des Volkslebens zu ermöglichen und zu begleiten . Der Rechtsbegriff selbst wurde dadurch vergeistigt. Zuvor war er todt und kalt. Jetzt wurde er voll Leben und Wärme. Die Wissenschaft ist noch in dieser den Charakter alles öffentlichen Rechts wandelnden Arbeit begriffen, wie die Welt in der Bewegung begrif- fen ist, aus dem mittelalterlichen Herren- und Landesrecht die modernen Volksstaten hervorzubilden. Aber heute schon dürfen wir getrost als ein Ergebniß der Kämpfe und Errungenschaften unsers Jahrhunderts folgende moderne von dem heutigen Völkerrecht wenigstens statsrechtlich gebilligte Rechtssätze aussprechen: Die Autorität des geschichtlichen und formulirten Rechts verliert in dem Maße ihre Macht, in dem es offenbar wird, daß dasselbe das Leben des States gefährde statt demselben zu dienen und die Entwicklung des öffentlichen Rechts unmöglich macht, statt dieselbe zu reguliren. Alles öf- fentliche Recht gilt nur, inwiefern es lebenskräftig ist. Neben dem Recht der statlichen Existenz ist auch das Recht der nationalen Entwicklung anzuerkennen. Das Völkerrecht ehrt die Ergebnisse der Weltgeschichte und betrachtet die Verhältnisse, welche sich als nothwendige und fortwir- kende Grundlagen und Bedingungen des derzeitigen Völkerlebens manifestiren, nicht bloß als zu duldende Thatsachen, sondern als geschicht- liche Fortbildung des Rechts . Das Völkerrecht achtet das Recht der Völker , die Form ihres gemeinsamen Verbandes und ihres gemeinsamen Lebens, d. h. ihre Verfassung selber zu bestimmen . Bei näherer Erwägung zeigt sich, daß jene Anklage des modernen Völkerrechts, als sei es rechtlos geworden, völlig eitel ist. Ganz im Ge- gentheil, es ist der höchste Vorzug und die Ehre der modernen Rechtsansicht, Einleitung. daß ihr das Recht selbst nicht mehr als ein todtes und als ein Hinderniß des Lebens, sondern als ein lebendiges und entwicklungsfähiges er- scheint. Die Selbstvervollkommnung ist die Aufgabe der Menschheit, auf dem Gebiete des Rechtes nicht minder als in allen andern Richtungen humaner Cultur. Die angeführten einzelnen Momente mögen genügen, um die großen Fortschritte zu veranschaulichen, welche das Völkerrecht in neuerer Zeit wirklich gemacht hat, wenngleich sie auch darauf hinweisen, daß noch wei- tere Fortschritte zu machen sind, wenn die civilisatorische Aufgabe des Völkerrechts erfüllt und eine humane Weltordnung hergestellt werden soll. Wie die Wissenschaft für die Begründung und Erkenntniß des Völ- kerrechts entscheidend geworden ist, so hat sie die Pflicht, auch seine Fort- schritte vorzubereiten, zu beleuchten und zu begleiten. Obwohl nun die Praxis der Staatsmänner die Leitung übernommen hat, so hängt doch die Wirksamkeit des Völkerrechts hauptsächlich davon ab, daß seine Grundsätze und Grundgedanken von der öffentlichen Meinung gekannt und gebilligt werden und daß das öffentliche Gewissen darüber aufgeklärt werde. Je allgemeiner die Rechtssätze des Völkerrechts verbreitet und verstanden wer- den, je bestimmter und entschiedener das Rechtsbewußtsein der civilisirten Menschheit sich entfaltet, umsomehr ist auch die Wirksamkeit des Völkerrechts in der Welt gesichert. In dem Völkerrecht voraus bethätigt sich noch der Erweis des Geistes und der Kraft. Sein flüssiger Stoff ist noch nicht, wie die andern Rechtsordnungen, zu fester abgeschlossener Form gestaltet, aber unaufhaltsam wächst es seiner Bestimmung und seinem Ende, dem humanen Weltrecht entgegen. Bluntschli , Das Völkerrecht. 4 Rechtsbuch . Erstes Buch. Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts. 1. Völkerrecht ist die anerkannte Weltordnung, welche die verschiedenen Staten zu einer menschlichen Rechtsgenossenschaft verbindet, und auch den Angehörigen der verschiedenen Staten einen gemeinsamen Rechtsschutz ge- währt für ihre allgemein menschlichen Rechte. 1. In der Anerkennung der Weltordnung liegt mehr als in der „Er- kenntniß“ derselben. Diese kann bloße Theorie sein, jene bedeutet zugleich die Be- währung derselben im Völkerleben. Das Wissen allein bildet noch kein Recht; erst wenn die Macht des Rechtsbewußtseins sich in der Praxis offenbart, ist eine Rechts- ordnung da. 2. Zunächst ordnet das Völkerrecht das Verhältniß der Staten zu einander. Sein Hauptinhalt ist öffentliches Recht . Insofern kann es auch, von den ein- zelnen Staten aus betrachtet, „ äußeres Statsrecht “ genannt werden. Der Name ist aber ungenau, weil das Völkerrecht von wesentlich universeller Natur, weil es das Recht der Menschheit ist. Schon Hugo Grotius hat das erkannt. Prol. 17: „Sicut cujusque civitatis jura utilitatem suae civitatis respiciunt, ita inter civitates aut omnes aut plerasque ex consensu jura quaedam nasci potuerunt et nata apparet, quae utilitatem respicerent non coetuum singulorum sed magnae illius universitatis, et hoc jus est quod gentium dicitur“. Da- neben ordnet das Völkerrecht aber auch die überall gleichmäßig wirksamen und unter den Schutz der civilisirten Welt gestellten Rechtsverhältnisse der Privatpersonen, und heißt insofern „ internationales Recht “ im engern Sinn. Diese zweite Be- deutung des Völkerrechts ist aber noch weniger entwickelt als die erste und gewährt Erstes Buch. nur einen mittelbaren Schutz, durch Vermittlung der Staten. Der englisch- amerikanische Sprachgebrauch nennt das Völkerrecht überhaupt „ international law “, versteht aber unter nation , wie der französische das, was wir Volk ( populus ) heißen, d. h. das zum Stat organisirte Gemeinwesen, den lebendigen Stat, nicht die bloße Sprach- und Culturgemeinschaft, welche wir Deutsche Nation heißen. 2. Die gemeinsame Menschennatur ist das natürliche Band, welches alle Völker zur Einen Menschheit verbindet. Daher hat jedes Volk ein natür- liches Recht, in seiner Menschennatur von den andern Völkern geachtet zu werden und die Pflicht, dieselbe Menschennatur in diesen zu achten. Das ist die menschliche Rechtsgleichheit der Völker. In allen Zeiten haben einzelne Weise diese Wahrheit erkannt; aber An- erkennung hat dieselbe erst in dem neueren Völkerrecht gefunden, und heute noch stehen ihrer allgemeinen Durchführung als Rechtssatz vielfältige Vorurtheile, Glaubens- und Rassenhaß und Selbstsucht als Hindernisse im Wege. 3. Es hängt nicht von der Willkür eines States ab, das Völkerrecht zu achten oder zu verwerfen. Da sich kein Stat seiner Menschennatur entledigen kann, so darf er sich auch seiner Menschenpflicht nicht entziehen. 1. Wäre das Völkerrecht ausschließlich das Erzeugniß des freien Willens der einzelnen Staten, so wäre im Grunde alles Völkerrecht Vertragsrecht , d. h. kein Stat wäre andern Staten gegenüber verpflichtet, völkerrechtliche Sätze zu be- achten, wenn dieselben nicht durch Statenvertrag sanctionirt wären. Es bliebe dann sogar unerklärt, weshalb denn die Verträge die Staten auch dann noch binden, wenn der Wille der Vertragsparteien sich ändert, weßhalb nicht jede Willensänderung eine Rechtsänderung nach sich zieht. Die Verbindlichkeit des Völkerrechts setzt die Nothwendigkeit desselben im Gegensatze zur Willkür voraus. 2. Auf dem Congreß zu Aachen im Jahre 1818 wurde von den 5 europäischen Großmächten die Verbindlichkeit des europäischen Völkerrechts — sowohl für ihre wechselseitigen Beziehungen als im Verhältniß zu andern Staten — anerkannt. Protokoll v. 15. Nov. 1818: „Les souverains en formant cette union auguste, ont regardé comme la base fondamentale, leur invariable résolution de ne jamais s’écarter, ni entre eux ni dans leurs relations avec d’autres états, de l’observation la plus stricte des principes du droit des gens, principes qui dans leur application à un état de paix permanent, peuvent seuls garantir éfficacement l’indépendance de chaque gouvernement et la stabilité de l’association générale“. Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts. 4. In demselben Verhältniß, in welchem das Gemeinbewußtsein der Menschheit an Klarheit und Energie zunimmt, wächst auch das Völkerrecht in Inhalt und Geltung, denn das Völkerrecht geht aus dem Rechts- bewußtsein der Menschheit hervor. Vgl. darüber die Einleitung. 5. Die civilisirten Nationen sind vorzugsweise berufen und befähigt, das gemeine Rechtsbewußtsein der Menschheit auszubilden, und die civili- sirten Staten voraus verpflichtet, die Forderungen desselben zu erfüllen. Deßhalb sind sie vorzugsweise die Ordner und Vertreter des Völkerrechts. Das Wesen der Civilisation besteht, wie schon der große Dante erklärt hat, in der harmonischen Ausbildung universeller Menschlichkeit, der Humanität . Das Völkerrecht ist eine der edelsten Früchte der Civilisation, denn es ist seinem Wesen nach eine menschliche Ordnung. Der Anspruch der europäischen und amerikanischen Staten, vor den andern Völkern die Träger und Schirmer des Völkerrechts zu sein, wäre eine eitle Anmaßung, wenn derselbe sich nicht auf die höhere Civilisation jener Staten gründete. 6. Wenn gleich das heutige Völkerrecht vorerst unter den christlichen Nationen ausgebildet worden ist, und der christlichen Religion vielfältige Anregung zu danken hat, so ist es dennoch nicht an das christliche Be- kenntniß gebunden und nicht auf die christliche Welt beschränkt. Seine eigentliche Grundlage ist die Menschennatur, sein Ziel ist die menschliche Weltordnung, seine Mittel sind statliche Rechtsmittel, und seine Ausbildung ist das Werk der menschlichen Wissenschaft und Praxis. Das Völkerrecht verbindet als allgemeines Menschenrecht Christen und Muhammedaner, Brahmanisten und Buddhisten, die Anhänger des Kongfutsü und die Verehrer der Gestirne, die Gläubigen und die Un- gläubigen. 1. Im Gegensatze zu der wissenschaftlichen Begründung und Darstellung des Völkerrechts hatte die „ Heilige Allianz “ der drei östlichen Mächte (14/26. Sept. 1815) nochmals den Versuch gemacht, dasselbe auf die christliche Religion zu basiren. L’empereur d’Autriche, le Roi de Prusse et l’empereur de Russie — déclarent solennellement que le présent acte n’a pour objet que de manifester à la face de l’Univers leur détermination inébranlable, de ne prendre pour règle Erstes Buch. de leur conduite, soit dans l’administration de leurs états respectifs, soit dans leurs relations politiques avec tout autre gouvernement, que les pré- ceptes de cette religion sainte, préceptes de justice, de charité et de paix, qui loin d’être uniquement applicables à la vie privée, doivent au contraire influer directement sur les résolutions des princes et guider toutes leurs démarches comme étant le seul moyen de consolider les institutions humaines et de remédier à leurs imperfections.“ Der Versuch mußte grundsätzlich miß- lingen, weil Christus überhaupt keine äußere Weltordnung eingeführt und keine Rechtsgesetze gegeben hat und er scheiterte thatsächlich als der Widerstreit der In- teressen die Alliirten entzweite, die neuen Bedürfnisse nach einer neuen Rechts- gestaltung drängten, und der selbstbewußte Geist der europäischen Philosophie und Rechtswissenschaft aus dem träumerischen Schlummer der Restaurationszeit wieder aufwachte. 2. Die Religion verbindet die Menschen mit Gott , das Recht ordnet die Beziehungen der Menschen zu den Menschen . Die völkerrechtlichen Fragen sind daher nicht aus der Glaubenslehre, sondern nach menschlichen Grundsätzen zu entscheiden. Die Beschränkung des Völkerrechts auf die christlichen Staten mochte dem glaubenseifrigen und unduldsamen Geist des Mittelalters ebenso natürlich er- scheinen, wie der gleichzeitige Anspruch der islamitischen Staten auf die Tribut- leistung der Ungläubigen. Die heutige Menschheit fühlt und kennt ihre Zusammen- gehörigkeit, wenn gleich verschiedene Religionen in ihr wirken. Ein Stat erwirbt nicht deßhalb besondere Rechte gegen einen andern Stat, weil in jenem das Christen- thum und in diesem der Islam verbreitet ist, und seiner Menschenpflicht kann sich Niemand aus dem Grunde entziehen, weil er orthodox und der Andere nicht orthodox ist. So wenig das menschliche Auge oder Ohr in Folge des religiösen Glaubens andere Eigenschaften erhält, eben so wenig wird das menschliche Recht durch den Glauben geändert. 7. Das Völkerrecht ist nicht auf die europäische Völkerfamilie beschränkt. Das Gebiet seiner Herrschaft ist die ganze Erdoberfläche, so weit auf ihr sich Menschen berühren. Das heutige Völkerrecht ist vorerst inmitten der christlichen und der europäischen Völkerfamilie, zu welcher natürlich die Colonien in Amerika mit zu rechnen sind, entstanden und wird durch ihre Einflüsse allmählich über den Erd- ball hin ausgebreitet. Vgl. § 111. Die germanische und die romanische Rasse haben das Meiste dazu gethan. Aber gerade weil der Geist dieser Rassen einen universellen Charakter hat, und nach Humanität trachtet, so verwirft er grund- sätzlich jede Beschränkung des Völkerrechts auf bestimmte Völker und will allen Völkern gerecht werden. Diese Wahrheit war schon von Pufendorf und Montesquieu klar gemacht worden, und dennoch hat bis tief ins neunzehnte Jahrhundert hinein die mittelalterliche Beschränkung auf die christlichen Staten in der Litteratur und in der Praxis sich erhalten. Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts. 8. So weit das Recht der Menschheit reicht, so weit reicht das Völker- recht. Wo die Eigenthümlichkeit der Staten beginnt, da tritt das besondere Gesetz dem allgemeinen vor. Das Völkerrecht hebt die Selbständigkeit und Freiheit der Staten nicht auf, sondern setzt dieselbe voraus und achtet sie. Die Ausbildung des Statsrechts ist der des Völkerrechts vorausgegangen; die Völker sorgten zunächst für sich , und waren anfangs geneigt, die andern Völker als ihre natürlichen Feinde anzusehen. Spät erst erweiterte sich ihr Blick auf das Allgemeine, was sie zusammenhält, und sie lernten in den andern Völkern ihre Brüder erkennen. 9. Das Völkerrecht nöthigt nur insoweit einen Stat, sein bisheriges Sonderrecht außer Wirksamkeit zu setzen oder abzuändern, als dasselbe mit den nothwendigen Gesetzen des Völkerrechts unverträglich erscheint. Die Unterdrückung des Sclavenhandels und der Sclavenmärkte in vielen amerikanischen und asiatischen Ländern, das Verbot des Seeraubs gegenüber den Barbareskenstaten von Nordafrika, die Nöthigung der ostasiatischen Reiche, dem Welt- handel Thore und Wege zu öffnen, mögen als Beispiele dienen. 10. Da die Menschheit, obwohl ihrer natürlichen Gemeinschaft und Ein- heit bewußt geworden, doch nicht als Eine Gesammtperson und noch nicht einmal als eine Rechtsgenossenschaft organisirt ist, so wird auch das gegen- wärtige Völkerrecht nicht in der Form eines einheitlichen Weltgesetzes noch in der von statutarischen Mehrheitsbeschlüssen geordnet und verkündet. Man kann sich die Menschheit als eine einheitliche Gesammtperson, d. h. als Weltstat denken, sei es nun in Form einer Weltmonarchie oder eines die Welt umfassenden Bundesstats. (Vgl. Bluntschli Allgem. Statsrecht Buch 1. Cap. 2.) Aber dieser Gedanke hat noch keine geschichtliche Verwirklichung erlebt; es fehlt somit an einem Organ für die Weltgesetzgebung . Unserer Zeit liegt der Gedanke einer genossenschaftlichen Verbindung der Staten, zunächst der europäischen, näher, aber selbst ein solcher allgemeiner Statenbund existirt noch nicht und daher gibt es auch keine rechtliche Möglichkeit, durch Mehrheitsbeschlüsse für die ganze Verbindung Vorschriften zu geben. 11. Die heutige Welt muß sich daher mit der weniger vollkommenen Erstes Buch. Offenbarung des Völkerrechts begnügen, welche in der möglichst allgemeinen und gleichmäßigen Anerkennung der einzelnen Staten, vorzüglich der civilisirten Staten liegt. Da nur die Einzelstaten als formale Autorität existiren, nicht ihr Ver- band, so ist der Widerspruch zwischen dem universellen Inhalt des Völker- rechts und der particularistischen Form seiner Aussprache nicht zu vermeiden. Das Völkerrecht erscheint daher als ein Werk der Einzelstaten, während es in Wahr- heit das Erzeugniß ihres Gemeinbewußtseins ist. Die englische Regierung berief sich im Jahre 1753 in einem Streit mit König Friedrich II. von Preußen auf diese ursprüngliche Quelle des Völkerrechts mit den Worten: „Das Völkerrecht ist gegründet auf Gerechtigkeit und Billigkeit, auf die Natur der Sache und wird bestätigt durch lange Uebung.“ ( Phillimore Intern-Law 1. 21.) 12. Die Anerkennung völkerrechtlicher Grundsätze kann von den Staten ausgesprochen werden sowohl in völkerrechtlicher als in statsrechtlicher Form. Sie kann gemeinsam von mehreren Staten ausgesprochen werden auf Congressen der Statshäupter mit ihren Ministern oder in Conferenzen ihrer Gesanten, durch Protokolle oder in Statsverträgen, sie kann aber auch einseitig durch Gesetze oder Verordnungen der Einzelstaten erklärt oder in der völkerrechtlichen Uebung dargestellt werden. 1. Der Unterschied der Congresse und der Conferenzen ist ein fließen- der. Wenn die Statshäupter (Fürsten) selber zu gemeinsamen Beschlüssen zusammen- treten, so wird diese Zusammenkunft Congreß genannt; wenn nur die Gesanten zu- sammen berathen, so heißt das Conferenz. Aber der Charakter des Congresses wird nicht verletzt, wenn etwa, wie z. B. auf dem deutschen Fürstencongreß zu Frank- furt am Main 1863 anstatt eines regierenden Königs sein dazu ermächtigter Sohn oder nach Umständen ein anderer Bevollmächtigter an den Verhandlungen Theil nimmt. Der Congreß kann sogar ohne Fürsten, lediglich aus Bevollmächtigten der Staten zusammen treten. Umgekehrt es kann auch ein Souverain gelegentlich an den Berathungen der Gesanten Theil nehmen, ohne daß die Conferenz um deßwillen zum Congresse wird. Auf den Congressen werden entscheidende Beschlüsse gefaßt, auf den Conferenzen werden dieselben vorbereitet. Zum Congreß können daher nur beschlußfähige Personen zusammentreten, an Conferenzen auch Personen Theil nehmen, welche nicht beschlußfähig sind. 2. In den Protokollen werden die gemeinsamen Erklärungen und Beschlüsse aufgezeichnet, ausnahmsweise auch die Vorbehalte einzelner vertretener Staten ange- merkt. Die gemeinsame Erklärung des übereinstimmenden Willens ist nur dann ein wirklicher Vertrag, wenn dieser Wille dahin gerichtet, sich je den andern Parteien Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts. gegenüber dadurch zu verbinden, nicht aber wenn in demselben nur die Ueberzeugung kund gegeben wird von dem, was allgemeine Rechtsordnung sei und daher auch von jedem State beachtet werden müsse (§ 13). Was völkerrechtlich im Gewande des Vertragsrechts erscheint, ist bei näherer Prüfung oft dem Wesen nach Gesetzes- recht , d. h. eine Rechtsregel, deren nothwendig verbindliche Kraft durch den Vertrag nur anerkannt und bestätigt , nicht erst neu begründet wird. 3. Wenn die Gesetze und Verordnungen der Einzelstaten völkerrechtliche Ver- hältnisse regeln, so sind sie deßhalb eine Quelle des Völkerrechts, obwohl sie der for- mellen Betrachtung sich nur als statsrechtliche Acte darstellen. Dahin gehören z. B. die Prisenreglemente, das Nordamerikanische Neutralitätsgesetz u. s. f. 13. Die Uebereinstimmung der Völker ( consensus gentium ) wirkt mehr noch als Ausdruck des gemeinsamen Rechtsbewußtseins der Menschheit denn als Willensäußerung der einzelnen Staten. Der Widerspruch eines einzelnen Stats genügt daher ebenso wenig, ihn von den offenbaren Pflichten des Völkerrechts zu entbinden, als die Nichtbeachtung einer Rechtsregel in einzelnen Fällen die Uebereinstimmung der Völker zu entkräften vermag. 1. Der Consens der Völker bleibt nicht unveränderlich . Er wandelt sich mit der Zeit und entwickelt sich mit dem Bewußtsein des Menschengeistes. In den Uebungen der Völker wird sowohl das Beharrliche als das Veränderliche darin offenbar (§ 14). 2. Das sogenannte „ conventionelle “, d. h. auf Vertragswillen beruhende Völkerrecht ist nur bindend für die Vertragsparteien ; das nothwendige Völkerrecht dagegen bindet, soweit seine Nothwendigkeit reicht, auch die Staten, welche sich nicht erklärt haben, ja sogar dissentirende Staten. Die Zweifel, ob ein Rechts- satz nothwendig oder nur conventionel sei, sind nicht durch den bloßen Hinweis auf einen Staatsvertrag zu beseitigen, welcher denselben ausspreche, denn in dem Ver- trage kann sowohl conventionelles Recht willkürlich festgestellt als nothwendiges Recht gemeinsam ausgesprochen worden sein. Vgl. unten §. 110. 14. Aus den Uebungen und Sitten der Völker darf man auf ihr Rechts- bewußtsein und auf die Rechtsgesetze schließen, welche darin sichtbar werden. Auch die Uebungen sind nicht unveränderlich noch unverbesserlich. Die Vervollkommnung des Völkerrechts zeigt sich in den verbesserten und ver- edelten Uebungen der Völker. 1. Bynkershoek de Reb. belli praef.: „Ut mores gentium mutan- Erstes Buch. tur, et mutatur jus gentium.“ Quaest. Jur. Publ. II. 7. „Inter mores gen- tium, quae nunc sunt et olim fuerunt, sollicite distinguendum est; nam mo- ribus censetur praecipua pars juris gentium.“ De foro leg. praef.: „Scio ex sola ratione aliud atque aliud placere posse; sed scio eam rationem vincere, quam usus probavit. Vgl. auch die Erklärung des englischen Oberrichters Lord Stowell bei Phillimore I. 46. 2. Gefährlich und ungenau ist der Ausdruck bei Vattel Prélim. §. 26.: Lorsqu’une coutume, un usage est généralement établi, si elle est utile et raisonnable, elle devient obligatoire pour toutes ces nations-là, qui sont censées y avoir donné leur consentement; et elles sont tenues à l’observer les unes envers les autres, tant qu’elles n’ont pas déclaré expressément ne vouloir plus la suivre. Soweit in jenen Uebungen nothwendiges Recht offen- bar wird, dürfen sich die Staten nicht lossagen; nur so weit sie willkürlich sind, können sie auch willkürlich beseitigt werden. 15. Wenn die herkömmlichen Uebungen im Widerspruch sind mit den ewigen Grundsätzen des natürlichen Menschenrechts oder von dem fortschrei- tenden Rechtsbewußtsein der civilisirten Völker gemißbilligt werden, so sind dieselben nicht oder nicht mehr rechtsverbindlich für die einzelnen Staten und ist eine Verbesserung derselben nothwendig. Die Abschaffung der Sclaverei und des Beuterechts ist überall im Gegensatz zu den alten Uebungen der Staten durch Verbesserung der Völkersitte eingeführt worden. 16. Wie in den Uebungen der Völker so ist auch in den Aeußerungen erleuchteter Statsmänner und in den Werken der Wissenschaft das Rechts- bewußtsein der civilisirten Menschheit ausgesprochen. Insofern die Wissen- schaft das Recht darstellt, dient sie der Klarheit des Rechts und der Ver- breitung der Rechtskunde; in wiefern sie eine Autorität über die Menschen übt und die Handlungen und das Verhalten der Staten bestimmt, wirkt sie an der Fortbildung der Rechtsordnung selber mit. Hugo Grotius I. 1. XIV. „Probatur (jus gentium) pari modo quo jus non scriptum civile, usu perpetuo et testimonio peritorum.“ Kent (Comm. of th. Am. Law. I. p. 19.): „In cases where the principal jurists agree, the prasumption will be very great in favour of the solidity of their maxims.“ Die Autorität der Rechtswissenschaft ist freilich nur eine Folge des Glaubens an ihre Erkenntniß des Rechts, das vor ihr schon da war, und nicht wie die Autorität des Gesetzgebers eine ursprüngliche Rechtsmacht. Aber Begründung. Natur und Gränzen des Völkerrechts. der Mangel einer völkerrechtlichen Gesetzgebung erhöht den Werth der secundären Rechtsquellen. Indem die Wissenschaft vornehmlich das Völkerrecht vernunftmäßig begründet und mit Autorität verkündet, hilft sie jene Lücke ausfüllen. Hugo Groot hat in seinem berühmten Werk, welches die Grundlage der neuern Wissenschaft vom Völkerrecht geworden ist, sich vornehmlich auf die Zeugnisse weiser Männer berufen, und ist dann selber wieder zur Autorität für die Nachfolger geworden. Wenn heute Wheaton und Phillimore, Wildmann und Kent, Heffter und Oppen- heim einig sind in der Darstellung eines Rechtssatzes, so wird man, auch ohne ver- tragsmäßige Beurkundung und trotz zweifelhafter Uebung geneigt sein, denselben als modernes Völkerrecht zu betrachten. Freilich hat die kritische Prüfung den Aussprü- chen der Schriftsteller gegenüber eine größere Freiheit als bezüglich des Vertragsrechts. Zweites Buch. Völkerrechtliche Personen. I. Die Staten. A. Statspersönlichkeit. 17. Die Staten sind völkerrechtliche Personnen. Die Persönlichkeit ist eine nothwendige Eigenschaft der Staten. Person im rechtlichen Sinne des Worts heißt ein Wesen, welches fähig ist, Rechte zu erwerben und zu behaupten und Verpflichtungen auf sich zu nehmen. Indem der Stat innerhalb seines Gebietes die Rechtsordnung selbständig ordnet, ist er die höchste Rechtsperson . Indem der Stat nach außen mit andern Staaten in Rechtsverhältnisse eintritt, bewährt sich seine völkerrechtliche Persönlichkeit. 18. Das Völkerrecht verbindet die verschiedenen Staten zu einer gemein- samen Rechtsordnung, sowohl repräsentative als absolute, monarchische, wie republikanische, große und kleine Staten. Es fordert keine bestimmte Verfassungsform oder Größe. Wo immer eine Völkerschaft zu einem regie- rungsmäßig geordneten Ganzen in einem bestimmten Lande dauernd ver- bunden ist, da wird sie völkerrechtlich als Stat betrachtet. Die Verfassung des States wird zunächst nach den innern Verhältnissen eines Volks bestimmt. Sie ist die Organisation des politischen Körpers des betreffenden Volks, und bildet die Grundlage des Statsrechts . Erst wenn der schon organi- sirte Stat nach außen als Person erscheint und sich geltend macht, beginnt für ihn die völkerrechtliche Beziehung. Vgl. §§. 39 f. 115 f. Zweites Buch. 19. Eine vorübergehende Anarchie hindert die Fortdauer eines States nicht, wenn die Reorganisation desselben in Aussicht bleibt. Die regierungsmäßige Ordnung kann in einem State momentan durch Auf- stände oder Revolution erschüttert oder zerstört werden. Dadurch wird die Persön- lichkeit des States nicht aufgehoben, so wenig als der Einzelmensch dieselbe einbüßt, wenn der Fieberzustand seine Handlungsfähigkeit hindert. Frankreich war zur Zeit der Septembermorde 1793 noch ein Stat, wie Neapel, als die Banden Ruffos die Hauptstadt mit ihren Gräueln erfüllten, Juni 1799. Die Auflösung der Statsord- nung zieht aber den Untergang eines States dann nach sich, wenn die Wiederher- stellung oder die Neugestaltung der Ordnung innerhalb des Volks und Landes als unmöglich erscheint. Das ist nur der Fall, wenn eine barbarische Rasse die Zügel des Stats abwirft, wie in den Negeraufständen von St. Domingo 1791 oder wenn eine statsfeindlich gesinnte Menge, wie die Wiedertäufer im sechszehnten Jahrhundert und die Communisten in neuerer Zeit mit Erfolg den Stat verneinen. 20. Nomadenvölker gelten nicht als Stat, weil sie keine festen Wohnsitze und kein eigenes Land haben; aber insofern sie als Völker geordnet sind und durch ihre Häupter oder ihre Versammlungen einen gemeinsamen öf- fentlichen Willen haben, werden sie den Staten ähnlich behandelt und können völkerrechtliche Verträge schließen. Die allgemein-menschlichen Pflich- ten des Völkerrechts liegen auch solchen Völkern ob. Den Wanderstämmen fehlt es an der Stätigkeit und meistens auch an einer wirksamen Einheit. Sie sind hinter der Statenbildung zurück geblieben. Nur wenn sie sich dauernd in einem Lande niederlassen, wie vormals die Juden in Palästina, die arabischen Nomaden in Bagdad und Syrien und an den Küsten des Mittel- meeres, die Mongolen in China, die Türken in dem oströmischen Reiche, kön- nen sie neue Staten bilden. Aber auch während sie wandern, sind die Staaten, in deren Gebiet oder an deren Grenzen sie sich umher treiben, genöthigt, mit ihnen einzelne Rechtsverhältnisse durch völkerrechtliche Verträge zu ordnen oder sie zur Be- achtung völkerrechtlicher Pflichten anzuhalten. Die Staten haben ein Recht, den Menschenraub der Turkmannen zu verhindern und die Beduinen und Kir- gisen zu nöthigen, daß sie die Pflanzungen der civilisirten Nationen respectiren, wenn gleich jene Völker nicht das Recht von Staten haben. 21. Dasselbe gilt von Statsvölkern mit einer Regierung, welche ihr bis- heriges Land verlassen, um ein neues Gebiet in Besitz zu nehmen. Sie Völkerrechtliche Personen. sind inzwischen nicht Staten und daher nicht Mitglieder der Völkergenossen- schaft, aber sie dürfen sich den allgemeinen Pflichten nicht entziehen und können völkerrechtliche Verträge schließen. Zur Zeit der großen Völkerwanderung zu Anfang des Mittelalters fand die- ser Satz öftere Anwendung. In der heutigen Welt sind die Staten fester geworden; aber unmöglich ist eine Erneuerung solcher Auswanderungen nicht, wie schon die Hinweisung auf den Mormonenstat zeigt. 22. Die Staten sind die Träger und Garanten des Völkerrechts und in- sofern völkerrechtliche Personen im höchsten Sinne des Worts. Erst seit der Auflösung der Einen romano-germanischen Christenheit des Mittelalters in eine Anzahl selbständiger europäischer Staten ist das heutige Völker- recht entstanden. Es ruht auf der Nothwendigkeit des menschlich geordneten Neben- einander der Staten, es wird gehandhabt durch die Autorität und geschützt durch die Macht dieser Staten. Käme es zu einer neuen einheitlichen Gesammtordnung und zu gemeinsamen Organen ihres Willens, so würde die gegenwärtige nicht organisirte Völkergenossenschaft zum organisirten Weltreich geeinigt, und das heutige Völkerrecht in die Form des Weltrechts in höherem Sinne übergehen. Vgl. oben § 10. 23. Die einzelnen Menschen sind keine völkerrechtliche Personen in diesem Sinne. Aber sie haben Anspruch auf den Schutz des Völkerrechts, wenn in ihrer Person die von dem Völkerrecht gewährleisteten Menschenrechte mißachtet worden sind. Die Anlage zum Weltbürgerrecht ist bereits sichtbar, aber ihre Ausbildung ist nur möglich, wenn es zu der politischen Organisation der Welt kommen wird. Der Einzelne ist zunächst als Individuum eine Privatperson, sodann hat er als Bürger der Gemeinde und des Stats Antheil an den öffentlichen Rechten der Ge- meinde und des Stats. Dort hat er auf Privatrecht, hier auf Statsrecht Anspruch. Auch seine Menschenrechte werden zunächst im State und durch die Rechtspflege des States geschützt. Seine menschliche Persönlichkeit reicht aber über den Stat hinaus. „Das gemeinsame Vaterland ist die Erde“. Heffter §. 15. Daher kann auch der Einzelmensch vorzüglich als Landesfremder in Beziehungen kommen, welche durch das Völkerrecht geschützt werden. Gäbe es ein Weltreich, so wäre er in diesem Weltbür- ger. Da es nur ein lockeres Nebeneinander der Staten gibt, so ist er genöthigt, zu- nächst bei dem State, dem er als Statsgenosse angehört, auch die völkerrechtliche Hülfe zu suchen. Indessen zeigt sich auch darin die noch unvollständig entwickelte Anlage zu höherer Statengemeinschaft, daß auch fremde Staten sich aus völkerrecht- lichen Gründen des verletzten „ Weltbürgers “ annehmen können, und oft an- Bluntschli , Das Völkerrecht. 5 Zweites Buch. nehmen, wenn es an dem Schutz des genössischen States fehlt. In unzähligen Fällen sind so in Asien Europäer von englischen oder russischen Gesanten geschützt worden, die weder dem englischen noch dem russischen Statsverband angehörten. 24. Auch die Parteien, selbst die organisirten Kriegsparteien gelten, wenn sie nicht Staten sind, nicht als völkerrechtliche Personen im eigentlichen Sinn, obwohl sie völkerrechtliche Pflichten zu beachten und je nach Um- ständen durch das Völkerrecht geschützte Ansprüche haben. Ein Versuch zur Statenbildung zeigt sich zuweilen in der Organisation von Kriegsparteien, welche sich statliche Macht aneignen. Aber so lange sie es nicht zu wirklicher Statenbildung gebracht haben, können sie auch nicht als Glieder des Staten- vereins angesehen werden. Von der Art waren z. B. die aufständischen Bewohner der Vend é e, während der französischen Revolution, die Tyroler im Jahr 1809, das Corps von Schill 1813, die Freischaar Garibaldi’s 1860. Vgl. unten Buch VIII. Cap. I. 25. Nationale Gemeinschaften, welche keine statliche Organisation erhalten haben, sind weder im Stats- noch im Völkerrecht Personen geworden. Aber soweit in ihnen das allgemeine Menschenrecht zu schützen ist, ist der Schutz des Völkerrechts begründet. Inwiefern die Nationen zugleich politische Völker geworden sind oder den Hauptstoff von Völkern bilden, bedürfen sie keines besondern völkerrechtlichen Schutzes. Der Statsschutz genügt . Wohl aber wird ein völkerrechtlicher Schutz Bedürfniß, wenn Nationen, welche nicht im State eine politisch gesicherte Stellung haben, in einer das Menschenrecht mißachtenden Weise von dem State selber unter- drückt werden, auf dessen Schutz sie zunächst angewiesen sind. Es ist ein auffallender Mangel des zeitigen Völkerrechts und eine Ueberspannung der Statssouveränetät, daß für diesen Schutz noch so wenig gesorgt ist. Die gewaltsame Ausrottung der bar- barischen Ureinwohner in dem Machtgebiete europäischer und amerikanischer Colonien, wie z. B. der Indianer in Amerika, ist eine Verletzung des Völkerrechts. Aber auch die zeitweisen Judenhetzen in europäischen Staten sind nicht bloß stats- sondern ebenso völkerrechtswidrig. 26. Die christlichen Kirchen sind keine völkerrechtlichen Personen im obi- gen Sinn, indem sie nicht Träger und Garanten des Völkerrechts sind, aber sie sind den Staten ähnliche Personen und können mit den Staten Völkerrechtliche Personen. in Rechtsbeziehungen treten, welche einen mehr oder weniger ausgeprägten völkerrechtlichen Charakter haben. Im Mittelalter betrachtete sich die römisch-katholische Kirche als oberste völkerrechtliche Autorität. Das heutige Völkerrecht aber beruht nicht auf einer reli- giösen und kirchlichen, sondern allein auf politischer und statlicher Autorität. Aber es erkennt die Persönlichkeit der Kirchen an und betrachtet die Verträge zwischen Kirche und Stat besonders dann ähnlich wie die Verträge zwischen Stat und Stat, wenn die Kirche nicht bloß auf das Statsgebiet begränzt ist, und ihr selbständiger Charakter auch in der Organisation ausgebildet erscheint. Am deutlich- sten zeigt sich das in den Concordaten zwischen einzelnen Staten und dem päpst- lichen Stuhl. Aber auch eine Landeskirche kann vertragsmäßige Rechte haben gegenüber dem State, mit dem sie verbunden ist. Nur wird dann das Verhältniß eher einen stats- oder privatrechtlichen , seltener einen völkerrechtlichen Cha- rakter haben. 27. Die Statshäupter (Souveräne) und die Gesanten der Staten sind nur in abgeleitetem Sinne als völkerrechtliche Personen insofern zu betrach- ten, als sie als Organe oder Repräsentanten der Staten erscheinen und mit andern Staten in Beziehung treten. Es gilt das nicht allein von den Fürsten, sondern auch von republikanischen Regierungen, ebenso nicht bloß von den eigentlichen Gesanten, sondern von den diplo- matischen Personen überhaupt. Sie alle aber sind nur völkerrechtliche Personen in mittelbarem Sinne, durch Vermittlung der Staten als der eigentlichen völker- rechtlichen Personen. Hören sie auf, Organe oder Vertreter der Staten zu sein, so erlischt damit ihre völkerrechtliche Bedeutung von selbst. 2. Entstehung und Anerkennung neuer Staten. 28. Die neue Statenbildung ist ein geschichtlicher Vorgang in dem poli- tischen Leben der Völker. Das Völkerrecht schafft nicht neue Staten, aber es verbindet die gleichzeitig vorhandenen Staten zu einer gemeinsamen menschlichen Rechts- ordnung. 5* Zweites Buch. Das Völkerrecht erkennt die dauerhaften Ergebnisse der Weltgeschichte als rechtsbeständig an. Bei der Statenbildung wirken verschiedene politische Kräfte zusammen, der Ordnung und der Freiheit, der Macht und des Willens, der instinctiven Triebe und des leitenden Gedankens, der inneren oder äußeren Nöthigung und der freien Selbst- bestimmung. Je nachdem ein Factor als entscheidende Autorität erkannt und aner- kannt wird, erhält der Stat seine besondere Verfassungsform, denn wer die höchste Autorität hat, der nimmt gewöhnlich die Zügel des Regiments in seine Hand. Nur die Geschichte macht es offenbar, ob ein Fürst, oder eine Aristokratie oder die Ge- meinde der Bürger die öffentlichen Angelegenheiten leite. Das Alles sind nicht völ- kerrechtliche sondern statsrechtliche Bildungen und Bestimmungen ( Bluntschli , Allg. Statsrecht. Buch III. ). Das Völkerrecht setzt das Nebeneinander der Staten voraus, wie sie geschichtlich geworden sind. Die vorhandenen Staten verpflichtet es, gemeinsame Rechtsgrundsätze zu beachten. Da das Völkerrecht selbst durch die Weltgeschichte fortgebildet wird, so muß es auch im übrigen die Ergebnisse der Weltgeschichte respectiren. 29. Die Frage, ob, aus welchen Ursachen und in welcher Form ein neuer Stat entstanden sei, ist voraus statsrechtlich. Die Frage dagegen, ob und in welcher Stellung ein neu gebildeter Stat in der Genossenschaft der Staten Zutritt erhalte, ist wesentlich völ- kerrechtlich. Die Aufnahme des neuen States in die völkerrechtliche Staten- gemeinschaft geschieht durch die Anerkennung der bisherigen Staten. Die Frage, ob ein wirklicher Stat existire, und was für eine Verfassung er habe, ist zunächst eine Frage, welche ohne Rücksicht auf andere Staten lediglich im Hinblick auf das bestimmte , zu einem Stat geeinigte und in einem besonderen Lande organisirte Volk , d. h. welche stats- nicht völkerrechtlich zu beant- worten ist. Aber wenn ein neuer Stat mit andern Staten in Beziehungen tritt, dann ist für diese die Ueberlegung nöthig, ob auch wirklich eine neue Statspersönlichkeit da sei, auf welche die Rechte und Pflichten des Völkerrechtes passen. Als die nord- amerikanischen Colonien sich von England losrissen, war dieser geschichtliche Vorgang zunächst ein Ereigniß innerhalb des englischen Stats und vorerst nach englischem Statsrecht zu beurtheilen; in dem Maße aber, in welchem die Colonien ihre Selb- ständigkeit erkämpften und zu neuen Staten wurden, entstand ein neues Stats- recht der nordamerikanischen Republiken, und in Folge dessen eine neue völker- rechtliche Beziehung derselben zu andern Staten. Die Frage, ob diese Staten auch von den übrigen europäischen Staten anerkannt werden sollen, war nach völker- Völkerrechtliche Personen. rechtlichen Grundsätzen zu entscheiden. Wie die Statenbildung so geht auch das Statsrecht in diesen Dingen dem Völkerrechte vorher . 30. Die Anerkennung des bei der Neubildung betheiligten und vielleicht dadurch verletzten alten Stats hat eine stärkere Wirkung als die Anerken- nung von Seite der unbetheiligten und daher neutralen Staten, aber es ist nicht nothwendig, daß die erstere der letzteren vorausgehe, wenn gleich sie einmal vollzogen eher die letztere nachzieht. Die Anerkennung von Seite des alten betheiligten States hebt die Zweifel und beendigt den Streit über die Neubildung. Sie drückt derselben daher den Stem- pel der Rechtmäßigkeit auf. Vgl. darüber die Rede des Ministers Canning bei Phillimore II. §. 11. Aber es wird dem betheiligten alten Stat oft schwerer, den neuen Stat anzuerkennen, als den unbefangenen dritten Staten. So hat, um nur Beispiele aus dem letzten Jahrhundert zu geben, Frankreich früher die Ver- einigten Staten von Nordamerika anerkannt, als der Mutterstat England , und hinwieder England früher die südamerikanischen Staten als der Mutterstat Spanien , die meisten europäischen Mächte früher das Königreich Italien , als das mittelbar betheiligte Oesterreich und dieses früher als das unmittelbar betheiligte Papstthum . 31. So lange noch der offene Kampf über die neue Statenbildung fort- dauert und es demgemäß zweifelhaft ist, ob wirklich ein neuer Stat ent- standen sei, ist kein anderer Stat verpflichtet, den neuen Stat anzuerkennen. Beispiele aus neuerer Zeit sind die eine Zeit lang verfehlten Versuche der südamerikanischen Colonien sich loszureißen von den Mutterstaten, die unglücklichen Kämpfe der Polen 1830/32, 1863 und der Magyaren 1848/49 für Herstellung eines besonderen States, der nordamerikanische Südbund 1861—1865. 32. Es kommt, in Ermanglung eines Weltgerichts, jedem vorhandenen State zu, selbständig zu beurtheilen, ob die Neubildung eines States den zeitigen Bedürfnissen des Völkerlebens entspreche und eine ausreichende statliche Kraft vorhanden sei, um der Neubildung Sieg und Dauer zu verleihen. Wenn er sich überzeugt, daß diese Fragen zu bejahen seien, so ist er auch berechtigt, den neuen Stat als Stat anzuerkennen, obwohl der Kampf noch fortdauert. Zweites Buch. In dieser frühzeitigen Anerkennung liegt keine Theilnahme an dem Kampf und keine Rechtsverletzung gegen den Stat, welcher seinerseits die neue Statenbildung bekämpft. Beispiele sind die Anerkennung der Vereinigten Staten durch Frank- reich im Jahr 1778 während des englisch-amerikanischen Kriegs und die Verhand- lungen zwischen Frankreich und England darüber (vgl. Wheaton ( hist. d. Droit des gens I. p. 354) die Anerkennung der südamerikanischen Staten durch England 1825 (Depeschen von Canning bei Phillimore II. App. 1.), der Vertrag zwischen England, Frankreich und Rußland vom 6. Juli 1827 über Griechenland als einen neuen Stat, die Anerkennung des Königreichs Bel- gien durch die V Mächte 1830 trotz der Einsprache des Königs der Niederlande, die Anerkennung des Königreichs Italien auch in dem Neapolitanischen Gebiete und in der Romagna durch England , während der König Franz II. von Neapel noch in Ga ë ta sich zu halten suchte. (Vgl. die merkwürdige Note Lord Russels vom 27. Oct. 1860.) 33. Die frühzeitige Anerkennung kann jedoch in der Absicht geschehen, sich an dem Kampfe zu betheiligen und für die statenbildende Macht Partei zu ergreifen. In diesem Falle ist der Stat, welcher die neue Staten- bildung mit Kriegsgewalt zu verhindern sucht, berechtigt, jene Handlung als eine feindliche That zu betrachten und demgemäß zu handeln. Vgl. Anm. zu §. 32. England hat in Folge der frühen Anerkennung der Vereinigten Staten durch Frankreich 1778 seinen Gesanten von Paris abgerufen, und darin einen casus belli gesehen. Die Proclamation des französischen Nationalconvents an die Völker vom 19. Nov. 1793 und das An- erbieten der Bundesgenossenschaft war eine active Begünstigung und Theilnahme an der Neugestaltung republikanischer Staten, ebenso die Unterstützung der helveti- schen Republik durch die französische wider die alten Republiken der Eid- genossenschaft 1798. 34. Kein Stat ist verpflichtet, den neuen Stat sofort nach dem sieg- reichen Durchbruch der neuen Statenbildung anzuerkennen, wenn noch eine ernste Gefahr in Aussicht ist, daß der Kampf um dessen Existenz erneuert werde, indem ebendeßhalb seine Fortdauer noch als zweifelhaft betrachtet werden kann. Aber jeder Stat ist berechtigt, trotz solcher Zweifel im Vertrauen auf Völkerrechtliche Personen. die Lebenskraft des neuen Stats, demselben seine Anerkennung zu ge- währen. Um deßwillen geschieht die Anerkennung neuer Staten gewöhnlich nicht gleich- zeitig durch die übrigen Staten, sondern nur stufenweise und allmählich, je nachdem dieselben derartigen Zweifeln ein geringes oder ein schweres Gewicht beilegen. Natürlich hat bei der Schätzung des Zweifels auch die Neigung oder Abneigung einigen Einfluß, und es wirken auch die politischen Interessen bald verzögernd bald förderlich ein. 35. Der neu gebildete Stat hat ein Recht auf Eintritt in die völker- rechtliche Statengenossenschaft und auf Anerkennung von Seite der übrigen Staten, wenn sein Bestand unzweifelhaft und gesichert ist. Er hat dieses Recht, weil er existirt und das Völkerrecht die in der Welt existirenden Staten zu gemeinsamer Rechtsordnung verbindet. Die Anerkennung eines wirklichen States durch andere Staten erscheint frei- lich in der Form eines freien Actes souveräner Staten, aber sie ist doch nicht ein Act der absoluten Willkür , denn das Völkerrecht verbindet die vor- handenen Staten auch wider ihren Willen zu menschlicher Rechtsgemeinschaft. Die in der älteren Litteratur vielfältig vertretene Meinung, daß es von dem bloßen Be- lieben eines jeden States abhänge, ob er einen andern Stat anerkennen wolle, oder nicht, verkennt die Rechtsnothwendigkeit des Völkerrechts und wäre nur dann richtig, wenn das Völkerrecht lediglich auf der Willkür der Staten beruhte, d. h. bloßes Vertragsrecht wäre. 36. So wenig ein bestehender Stat sich der völkerrechtlichen Gemeinschaft willkürlich entziehen kann, ebenso wenig können die übrigen Staten einen bestehenden Stat willkürlich aus dem Völkerverband ausschließen. 37. Die Pflicht zu völkerrechtlicher Anerkennung wird nicht durch die Rücksicht darauf aufgehoben, daß die Statenbildung nicht ohne Gewaltthat und Unrecht zu Stande gekommen sei, indem das Völkerrecht die wirk- lichen Staten auch dann verbindet, wenn sie Unrecht thun und die Frage, ob ein wirklicher Stat da sei, nicht von der Untadelhaftigkeit seiner Geburt abhängt. Die Bildung neuer Staten geht fast niemals ohne Gewalt vor sich; indem Zweites Buch. dabei Kräfte, die bis dahin nicht im Besitz der Statsgewalt waren, diese durch Kampf mit andern Gewalthabern erstreiten müssen. Man braucht nur die Entstehungs- geschichte der gegenwärtigen Staten näher zu prüfen, so wird man überall wahr- nehmen, daß die alten Autoritäten und das geschichtliche alte Recht der neuen Statenbildung ihren Widerstand entgegen zu setzen versucht haben und daß die neue Rechtsbildung genöthigt war, diesen Widerstand zu überwältigen. Kriege, Revo- lutionen, Usurpationen haben einen weit größeren Antheil an der Bildung neuer Staten als friedliche Verträge, oder freiwillige Verleihungen und unwidersprochene Statsacte. Für das Völkerrecht ist aber immer entscheidend die Existenz der Staten . Da diese Rechtspersonen sind, so müssen sie als solche betrachtet und ihre Beziehungen zu einander menschlich geregelt werden. Die Mängel in der Rechtsform der Entstehung haben gewöhnlich nur eine statsrechtliche Bedeutung und werden auch statsrechtlich geheilt . Das Völkerrecht braucht sich nicht darum zu kümmern. Nur wenn im Kampf mit einem andern State die Neu- bildung durchgeführt wird, wird diese Frage zu einer völkerrechtlichen. Davon handelt der folgende Artikel. 38. Wenn ein Stat, dessen Rechte bei der Neubildung eines andern States verletzt worden sind, außer Stande ist, diese Neubildung und den Bestand des neuen States zu verhindern, so hat er auch das Recht nicht, demselben seine Anerkennung länger zu versagen. Der Gang der Weltgeschichte, in welchem sich die dauernde Macht der Verhältnisse offenbart, also auch das lebendige Recht sichtbar wird, zerstört alte und begründet neue Rechte. Wenn jene unhaltbar geworden sind, so gehen sie unter, und wenn diese ihre Macht und Autorität bewährt haben, so sind sie nicht mehr zu ignoriren. Spanien hat die Losreißung der Niederlande und das deutsche Reich hat die Unabhängigkeit der Schweizerischen Cantone erst im Westphälischen Frieden anerkannt. So zähe die alten Mächte das längst erstorbene Recht der frühern Jahrhunderte noch bewahren wollten, sie waren dennoch schließlich durch die Macht der Zeit genöthigt, die Umgestaltung anzuerkennen. Vgl. unten B. IV. 3. Einfluß der Verfassungswandlung auf die völkerrechtlichen Verhältnisse der Staten. 39. Die besondere Verfassung eines States bildet in der Regel keinen Theil des Völkerrechts, sondern ist dessen Statsrecht. Völkerrechtliche Personen. Die Veränderung einer Statsverfassung hat daher in der Regel keine völkerrechtlichen Wirkungen. Vgl. oben §§ 9, 17, 18. Verfassungsfragen sind innere Statsfragen . Ob ein Stat als Monarchie oder Republik oder ob er absolut oder repräsentativ organisirt sei, das ist zunächst für das Völkerrecht gleichgültig. Die politischen Beziehungen eines States zu andern Staten werden durch solche Verfassungs- änderungen wohl oft genug verändert, indem die frühern Machthaber gestürzt werden und andere Parteien zur Herrschaft gelangen. Mit der frühern Regierung bestand vielleicht eine intime Freundschaft, die mit der neuen nicht fortgesetzt werden kann, oder es waren damals gespannte Verhältnisse mit jener, die leicht mit dieser ausgeglichen werden. Aber die völkerrechtlichen Rechtsverhältnisse werden durch die innere Verfassungsänderung nicht betroffen und nicht geändert. Möglich daß die geänderte Politik im Krieg und Frieden auch diese Verhältnisse im Verfolge ändert. Das ist aber nicht eine unmittelbare Wirkung der Verfassungsänderung, sondern eine Folge anderer rechtbildender Ereignisse. 40. Der Stat bleibt dieselbe völkerrechtliche Person, wenn er gleich bald in der Gestalt einer Monarchie bald in der Form einer Republik erscheint, in der einen Zeitphase constitutionel, in einer andern autokratisch regiert wird. Deßhalb bleiben auch seine Rechte und Verpflichtungen gegenüber andern Staten fortbestehn. Der englische Stat war völkerrechtlich derselbe Stat vor, während und nach den Revolutionen von 1649 und 1688, obwohl die Statsformen und die Re- gierungen heftige Wechsel erlebten. Ebenso blieb der französische Stat als Person fortbestehn, ungeachtet er seit 1789 eine Reihe der durchgreifendsten Ver- fassungsänderungen erfahren hat. Die Individualität des Volks und die Fortdauer des Landes bestimmen die Existenz des States und jene verharren im Wesen, wenn auch die äußeren Erscheinungsformen sich verändern. 41. Da die Staten als Personen Verträge mit einander eingehen, so ist die Fortdauer der Vertragsverhältnisse nicht bedingt durch die Fortdauer der Regierungen, welche die Verträge abgeschlossen haben. Nicht bloß die Gesanten, sondern auch die Fürsten schließen die Verträge ab nicht für sich, sondern als Repräsentanten der Staten . Die Staten selbst erwerben daraus Rechte und werden dadurch verpflichtet. Vgl. unten Buch VI. Deßhalb dauern diese Rechtsverhältnisse fort, wenn gleich eine andere Dynastie in einem der Staten zur Herrschaft erhoben oder die Monarchie in die Republik um- gewandelt wird. Der Satz wurde auch in den Verhandlungen der europäischen Zweites Buch. Mächte mit Frankreich nach der Erhebung Napoleons III. zum Kaiser von Frank- reich allseitig anerkannt. Vgl. unten § 123. Der moderne Grundsatz ist in dem Protokoll der V Großmächte zu London (19. Februar 1831) ausgesprochen: „D’après ce principe d’un ordre supérieur, les Traités ne perdent pas leur puissance, quels que soient les changemens qui interviennent dans l’organi- sation intérieure des peuples.“ 42. Ueberhaupt werden Rechte und Pflichten eines States gegen einen andern Stat nicht verändert, wenn gleich die Regierungsform eines dieser Staten eine Wandelung erfährt. Auch das Statsvermögen verbleibt dem State trotz des Wechsels der Dynastie oder der Statsform. Es zeigt sich das z. B. in den Grenzverhältnissen und bei Statsdienst- barkeiten. Dieselben bleiben dieselben, mag der Stat monarchisch oder republikanisch regiert werden, diese oder jene Verfassung haben. 43. Nur diejenigen völkerrechtlichen Verträge und Rechtsverhältnisse, welche sich wesentlich nicht auf den Stat selbst sondern nur auf die Per- sonen bestimmter Regenten oder Dynastien im State beziehen, verlieren durch eine Verfassungswandelung ihre Geltung und Wirksamkeit, wenn jene Personen in Folge derselben ihre Eigenschaft als Häupter oder Dynastien dieses States einbüßen. Deßhalb haben Verträge eines States mit der Dynastie eines andern States, welche den Schutz derselben bezwecken, nur eine beschränkte Wirksamkeit. Wenn trotzdem diese Dynastie durch eine Revolution gestürzt oder durch eine Usurpation beseitigt wird und die Verfassungsänderung so vollzogen ist, daß ein neues Statsrecht zur Wirksamkeit gelangt ist, so hört auch für den Stat, welcher die gestürzte Dynastie zu schützen versprochen hatte, diese Verpflichtung auf. Beispiele sind die Verträge König Ludwigs XIV. von Frankreich mit Jakob II. von England, die Verträge des Kaisers von Oesterreich mit dem Bourbonischen Königshause von Neapel und andern Italienischen Fürsten, nach der Restauration von 1815, die Verabredungen Napoleons III. mit dem Kaiser Maximilian von Mexico in unsern Tagen. Das Statsrecht wirkt in allen diesen Dingen ent- scheidend und das Völkerrecht wirkt nur nachträglich unter der Voraussetzung des Statsrechts . 44. Wird eine entthronte oder vertriebene Dynastie später wieder re- staurirt, so ist sie nicht berechtigt, die völkerrechtlichen Verhältnisse, welche Völkerrechtliche Personen. in der Zwischenzeit von der damals anerkannten Regierung geschaffen worden sind, als nicht geschehen zu betrachten, indem der Stat inzwischen fortlebt und seinen Rechtswillen durch die jeweiligen in Wirksamkeit be- griffenen Organe äußert. Z. B. Es kam den restaurirten Stuarts in England und den restaurirten Bourbonen in Frankreich nicht zu, Verträge als nichtig zu behandeln, welche dort der Protector Cromwell für England und der Kaiser Napoleon für Frank- reich inzwischen abgeschlossen hatte und es war nicht Rechtsübung, sondern eitle Dynastenlaune, wenn der restaurirte König von Piemont , und der restaurirte Kurfürst von Hessen 1814 die ganze Periode der Zwischenregierung als nicht vor- handen fingirten. Die Statshandlungen verbinden den Stat, der bleibt , und deßhalb auch die wechselnden Repräsentanten des Stats. 45. Nur wenn die Zwischenregierung nicht zu wirklichem Bestande ge- langt ist und deßhalb ihre Handlungen nicht als Statsacte gelten, braucht sich die restaurirte Regierung nicht darum zu kümmern. Z. B. Die Zwischenregierung des Dictators Manin in Venedig, Kossuths in Ungarn , die republicanischen Regierungen von Rom und in Baden im Jahre 1849 wurden mit Recht nicht als wahre Repräsentanten der betreffenden Staten anerkannt. 4. Antergang der Staten, Abtretung von Statsgebiet, Einverleibungen, Statenfolge. 46. Die bloße Gebietsverminderung bedeutet so wenig Untergang eines States als die Abnahme seiner Bevölkerung, wenn nur Land und Volk wesentlich dieselbe verbleiben. Man sieht dabei auf die Hauptbestandtheile des Landes, welche vorzüglich den Charakter des States bedingen und den Kern des Volkes. In dem antiken Römerreiche bildeten Italien und Rom den Hauptkern des römischen States, welcher daher noch als fortdauernd angesehen ward, obwohl eine römische Provinz nach der andern von den Germanen abgerissen wurde. Auch in unserm Jahr- hunderte blieb Preußen derselbe Stat, nachdem er im Frieden von Tilsit 1807 Zweites Buch. fast die Hälfte seines Gebietes eingebüßt hatte, weil die alten Stammlande er- halten blieben. Ebenso blieb Frankreich nach den Abtretungen in den beiden Pariserfrieden 1814/15 und Oesterreich nach dem Verluste der Lombardei 1859 und von Venedig 1866, weil Frankreich nur seine Eroberungen wieder aufgeben mußte und nicht die italienischen Provinzen, sondern die Donauländer den Kern der österreichischen Monarchie bilden. 47. Die Abtretung einer Provinz oder eines andern Theiles des Stats- gebietes hat insofern auf die völkerrechtlichen Verhältnisse des fortdauernden States einen Einfluß, als diejenigen Rechte, welche ihm bezüglich des ab- getretenen Gebietes gegen andere Staten bisher zustanden, und diejenigen Verpflichtungen, welche ihm bisher mit Rücksicht darauf oblagen, nun von ihm abgelöst werden und mit der Abtretung auf den Stat übergehen, welcher dieselbe erwirbt. Von der Art sind Grenzregulirungen, Bestimmungen über den Uferbau und die Flußschiffahrt (über Kirchen, Spitäler u. s. f.), offene Straßen, besondere Provincialschulden. Man kann diese Rechte und Pflichten, insofern sie einem bestimmten Landes- theile anhaften, örtliche , und insofern sie einem bestimmten Stamme oder be- stimmten Personenclassen anhängen, persönliche nennen. Die örtlichen Rechte und Pflichten sind an den Ort, die persönlichen an die Person gebunden und folgen dem politischen Schicksale derselben. Im Einzelnen freilich können Zweifel entstehen, ob der örtliche und persönliche Zusammenhang oder die Beziehung auf den Stat als wesentlich erscheint. Die im Auftrag der beiden Nachbarstaten gesetzten Mark- steine zur Bezeichnung der Grenzen gelten natürlich in derselben Weise für die Grenzländer fort, wenn schon das eine Grenzgebiet einem andern State einverleibt worden ist. Ebenso verhält es sich mit den Verabredungen zweier Staten über den Uferschutz, über Anlegung und Unterhaltung von Dämmen, über die Schiffahrt auf einem bestimmten Flusse, über Landungsplätze u. dgl.; sie beziehen sich auf eine be- stimmte Oertlichkeit, und wirken fort auch gegenüber dem State, welcher später die Hoheit über diese Oerter neu erworben hat. Wenn gleich dieser Stat bei der Be- gründung dieser Rechtsverhältnisse nicht mitgewirkt hat, so kann er doch das neue Gebiet nur in dem rechtlichen Zustande übernehmen, in dem es sich befindet, d. h. mit den vorhandenen Ortsrechten und Ortspflichten . Aehnlich verhält es sich mit den durch Statenverträge garantirten persönlichen Rechten z. B. einer bestimmten Religionsgenossenschaft auf Ausübung ihres Cultus, mit dem An- theil, der einer bestimmten Classe von Fremden an der Benützung örtlicher Anstalten (Krankenheil- und pflegehäuser, Pfründhäuser, Bildungsanstalten u. s. f.) zugesichert worden ist. Diese Rechte gehen nicht unter, wenn gleich an die Stelle des States, zu welchem bisher jene Religionsgenossen und diese Anstalten gehörten, ein anderer Völkerrechtliche Personen. Stat tritt. Aber immerhin ist die Fortdauer und Wirksamkeit solcher persönlichen Rechte mehr gefährdet als die der örtlichen Rechte, weil die persönlichen Verhältnisse von der politischen Umgestaltung leichter erfaßt und gewandelt werden als bloße örtliche Einrichtungen. 48. Dagegen gehen keineswegs alle vertragsmäßigen Rechte und Ver- bindlichkeiten eines States gegenüber andern Staten von Rechts wegen, weder im Ganzen noch im Verhältniß der Ausdehnung des Gebietes oder der Volkszahl auf den abgetrennten Theil über, wenn gleich dieser Theil nun zu einem selbständigen neuen State geworden ist. Die alte Vertrags- person bleibt berechtigt und verpflichtet, der neue Stat ist weder Ver- tragsperson, noch Nachfolger jener Vertragsperson. Z. B. Die Vereinigten Staten von Nordamerika sind nicht in alle Vertragsverhältnisse von Rechts wegen eingetreten, welche von den Königen von England zu der Zeit mit fremden Staten abgeschlossen worden waren, als die nordamerikanischen Colonien noch einen Theil des englischen Reiches bildeten. Ebenso tritt das Königreich Italien nicht ohne weiters in die sämmtlichen Vertragsver- hältnisse Oesterreichs mit andern Staten ein, an welchen auch die norditalienischen Provinzen mittelbar Theil hatten, so lange sie zu Oesterreich gehörten, sondern nur in diejenigen, welche sich örtlich auf die Lombardei oder auf Venedig insbesondere bezogen, wie z. B. die Lombardische und Venetianische Schuld. 49. Zerfällt ein Stat in zwei oder mehrere neue Staten, von denen keiner als die Fortsetzung des alten States zu betrachten ist, so ist der alte Gesammtstat untergegangen und es treten die neuen Staten als neue Personen an seine Stelle. Neuere Beispiele sind die Auflösung des römischen Reiches deutscher Nation in eine Anzahl souveräner deutscher Staten 1805 und 1806, die Theilung des Cantons Basel in die Halbcantone Baselstadt und Baselland, 1833. Das Beispiel der Theilung der Vereinigten Niederlande in die Königreiche Hol- land und Belgien 1831 gehört theilweise auch hieher, obwohl in gewissem Sinne die Niederlande in Holland vorzugsweise fortdauerten, namentlich im Verhältniß zu den Colonien. 50. Wird ein bisheriger Stat einem andern State einverleibt, so geht zwar jener Stat unter, aber sein Untergang zieht deßhalb nicht noth- Zweites Buch. wendig den Untergang seiner völkerrechtlichen Rechte und Pflichten nach sich, weil die Volkssubstanz und das Land fortdauern und nur in den neuen Statenverband übergehen. Vielmehr gehen Rechte und Pflichten insoweit mit Volk und Land auf den Nachfolgestat über, als ihre Fortdauer möglich und in den fort- wirkenden Verhältnissen begründet erscheint. Die Beispiele sind in neuerer Zeit nicht selten. Das erste Napoleonische Kaiserreich hatte sich eine große Anzahl von Staten nach und nach einverleibt. Aber auch die deutschen Staten hatten zur Zeit der Auflösung des alten Kaiserreichs viele geistliche und weltliche Territorien annexirt. Eine Zeit lang brachte die Wiener Congreßacte das europäische Statensystem zur Ruhe. Indessen hatte sie selber manche Einverleibung bestätigt und Oesterreich annexirte später die Republik Krakau. Zahlreichere Annexionen kennt die neueste Entwicklung der nationalen Politik, insbesondere Savoyen durch Frankreich , der italienischen Fürstenthümer durch das neue Königreich Italien (1860), der deutschen Staten Hannover, Kurhessen, Nassau, Schleswig-Holstein und Frankfurt durch Preußen (1867). 51. Wenn ein Stat durch Wahl oder in Folge des Erbrechts das Statshaupt eines andern States auch zu seinem Statshaupt erhält (Personalunion), so hört er noch nicht auf, als eine besondere Stats- person zu gelten; und es tritt in diesem Falle keine Statenfolge ein. Jeder der so verbundenen Staten verbleibt in seinen völkerrechtlichen Ver- hältnissen. Im Mittelalter waren die Beispiele häufiger, als in unsrer Zeit, welche die Tendenz hat, entweder die Personalunion in eine Realunion umzuwan- deln, damit die Einheit in der Politik und die Gleichheit im Recht zur Geltung kommen oder die bloß durch Personalunion verbundenen Staten wieder gänzlich zu trennen. Neuere Beispiele sind die Verbindung von Schweden und Norwegen, der Herzogthümer Schleswig und Holstein mit der Krone Dänemark, des Königreichs Hannover mit der englischen Krone, des Fürstenthums Neuenburg mit der Krone Preußen, des Großherzogthums Luxemburg mit der Holländischen Krone. 52. So viel wirkliche Staten vorhanden sind, so viel völkerrechtliche Per- sonen sind vorhanden. Der Stat, welcher mehrere andere Staten sich ein- verleibt hat, hat völkerrechtlich nur Eine Stimme, nicht mehrere Stimmen, da er nur Eine Statsperson ist. Umgekehrt haben die mehreren Staten, welche aus der Spaltung Eines States hervorgegangen sind, völkerrechtlich Völkerrechtliche Personen. jeder eine Stimme, wenn gleich diese Völker bis dahin zu Einem State geeinigt nur Eine Stimme hatten. In dem ältern deutschen Reichsrecht und ebenso in dem früheren schweizerischen Bundesrecht hatte ein anderer Grundsatz gegolten, nämlich der ein für alle Mal an bestimmte Territorien und Cantone geknüpfter Stimmrechte, so daß z. B. Oester- reich und Preußen mehrere Stimmen in der Curie der Fürsten und Herren übten, weil sie mehrere Herrschaften besaßen und die schweizerischen Halbcantone nur je zusammen Eine Stimme auf den Tagsatzungen führten. Der statlich richtige Grund- satz ist aber später auch im deutschen Bunde und in dem schweizerischen Bundes- state durchgedrungen. 53. Mit dem Untergang eines States verliert sein Verfassungsrecht die selbständige Autorität und Wirksamkeit. Aber es ist möglich, bestimmte statsrechtliche Einrichtungen, welche trotz des Ueberganges in einen Nach- folgestat fortdauern sollen, auch für die Zukunft unter den Schutz des Völkerrechts zu stellen. Die bisherige Verfassung und das bisherige Statsrecht hatten in dem Willen des untergegangenen States die Quelle ihrer Autorität und in seiner Macht die Garantie für ihre Wirksamkeit gefunden. Jener besondere Statswille und diese Statsmacht sind nun aber mit dem State selber untergegangen und es ist ein neuer Stat an seine Stelle getreten, dessen Wille und Macht nun entscheiden. Eben deßhalb versteht sich auch die Fortdauer der bisherigen Verfassung und des bisherigen öffentlichen Rechts nicht von selber. In den wichtigsten Beziehungen — insbesondere der politischen Regierung und Vertretung — ist dieselbe geradezu unmöglich ge- worden, wenn der Nachfolgestat wirklich zur Herrschaft und Entwicklung gelangen soll. Sie können daher nur insoweit fortdauern, als der Nachfolgestat das für zulässig erachtet und seinerseits gutheißt. Wohl aber lassen sich auch bei Einverleibungen bestimmte Verfassungs- zustände und Einrichtungen erhalten und es kommt wohl vor, daß das ver- tragsmäßig verabredet wird. So sind z. B. bei der Vereinigung der deutschen Ostseeländer mit dem Russischen Reiche bestimmte Zusicherungen gegeben worden, zum Schutz der bestehenden politischen und confessionellen Rechte der Bewohner. Ebenso enthält die Wiener Congreßacte manche derartige Vorbehalte bezüglich der Zutheilung von Ländern an die anerkannten europäischen Staten. Dieselben haben freilich nur eine beschränkte Wirksamkeit und sind immerhin unsicher, weil die Eini- gung innerhalb eines States mit der Zeit Fortschritte macht, und es schwer, oft un- möglich und unzulässig ist, der souveränen Statsgewalt Widerstand zu leisten, wenn sie an die Stelle des alten ein neues Recht zu setzen entschlossen ist. Zweites Buch. 54. Das Statsverwögen der untergehenden Staten geht in Activen und Passiven auf den oder die Nachfolgestaten über. Es gibt ein statsrechtliches Folgerecht , das eine gewisse Analogie hat mit dem privatrechtlichen Erbrecht , aber nicht mit demselben zu verwechseln ist. Das Statsvermögen kann bestehen: a ) aus öffentlichem Gute ( Domaine public ), welches entweder von Natur, wie die öffentlichen Gewässer, Straßen, Plätze, Häfen u. s. f. oder durch besondere statliche Anordnung wie Residenzen, Rath- und Gerichts- häuser, Casernen, Gefängnisse u. dgl. dem Privatrecht entzogen ist und ausschließlich der öffentlichen Herrschaft und Benutzung angehört oder b ) aus Privatgut , welches dem Fiscus gehört, wie z. B. einzelne Ge- werbe, landwirthschaftliche Grundstücke, Geld. Auf all dieses Vermögen bezieht sich dieses statliche Folgerecht. Für das öf- fentliche Gut versteht es sich von selber, daß dasselbe dem State folgt, dem es dient. Aber auch das Privatvermögen des States wird nicht herrenloses Gut, wenn der Stat untergeht, sondern da die Person, welcher es bisher angehörte, nicht gänzlich verschwindet, sondern mit Volk und Land, also ihrem Stoffe nach in den neuen Stat übergeht , folgt es naturgemäß dieser persönlichen Wandelung nach, und wird deßhalb Privatgut des neuen States, in welchem der Stoff des alten States fortlebt . 55. Sind mehrere Nachfolgestaten vorhanden, welche an die Stelle des Einen untergehenden States treten, und ist die Art der Theilung des Staatsvermögens nicht vertragsmäßig geordnet worden, so sind nicht die privatrechtlichen Regeln der Erbtheilung unter mehrere Erben einfach an- zuwenden, sondern es ist voraus die öffentlich-rechtliche Natur des öffent- lichen Gutes zu berücksichtigen. Die öffentlich-rechtliche Statenfolge und das privatrechtliche Erbrecht sind in- sofern ähnlich, daß in beiden Fällen das bisherige Subject des Vermögens dort durch Untergang hier durch Tod wegfällt, aber das Vermögen desselben auf andere Per- sonen übergeht, welche in gewissem Sinne als Fortsetzer seiner Persönlichkeit ange- sehen werden. Aber das gesetzliche Privaterbrecht beruht auf dem Familienverband zwischen Erblasser und Erben, welcher bei der Statenfolge fehlt, und die Statenfolge beruht auf dem totalen oder theilweisen Uebergang von Volk und Land auf den Folgestat. Die privatrechtliche Verlassenschaft hat nur eine Beziehung auf die Per- sonen der Erben und wird daher je nach der Nähe ihrer Verwandtschaft unter die- selben vertheilt, sei es nach Stämmen, sei es nach Köpfen. Das zurückgelassene Statsvermögen dagegen hat eine natürliche Beziehung zu Volk und Land und Völkerrechtliche Personen. den öffentlichen Bedürfnissen beider . Daher ist die Vertheilung nach öffent- lich-rechtlichen Grundsätzen zu ordnen. 56. Demgemäß fällt das für öffentliche Zwecke bestimmte liegende Gut, wie öffentliche Gebäude, Anstalten und Stiftungen zunächst dem State zu, in dessen Gebiete sie gelegen sind oder sie ihren Hauptsitz haben und der erwerbende Stat ist nur insofern eine billige Entschädigung an die Thei- lungsmasse schuldig, als dieselben bisher auch den öffentlichen Bedürfnissen der Bevölkerung der andern Staten gedient haben und diese zur Befrie- digung solcher Bedürfnisse zu neuen Vermögensleistungen genöthigt werden. Selbstverständlich fallen auch die öffentlichen Gewässer, Straßen, Plätze, Küsten, Häfen u. s. f. ohne Entschädigung dem State zu, mit welchem sie von Natur ver- bunden sind. Auch wenn damit gewisse Einkünfte verbunden sind, wie z. B. Wege- gelder, Hafengebühren u. dgl., so ist dafür kein Ersatz zur Theilung zu bringen, so wenig als für den Unterhalt der Straßen, Häfen u. s. f. eine Forderung. Anders verhält es sich z. B. mit einer Pflegeanstalt für Kranke, welche auch von den Kranken der Gemeinden benutzt werden konnten, die nun einem andern State zugetheilt sind, als dem, in dessen Gebiet die Krankenpflegeanstalt gelegen ist. Da ist ein billiger Ersatz in Anrechnung zu bringen. 57. Die vorhandenen Waffenvorräthe und Kriegsausrüstungen (Kanonen, Gewehre, Uniformen u. s. f.) sind im Zweifel nach Verhältniß der Volks- zahl zu vertheilen. Nach der Volkszahl richtet sich auch die Wehrpflicht und die Größe des Be- dürfnisses der Ausrüstung. Anders freilich ist es, wenn die Waffenvorräthe durch Matrikularbeiträge beschafft worden sind, wie in dem deutschen Bunde von 1815. Dann wird das Verhältniß der Matrikel auch bei der Theilung zu beachten sein. 58. Die eigentlichen Domänen, die öffentlichen Cassen und überhaupt das Privateigenthum des Stats, welches nur mittelbar den öffentlichen Zwecken dient, bildet eine gemeinsame Theilungsmasse und wird, wenn nicht beson- dere Gründe eine Abweichung rechtfertigen, nach Verhältniß der Volkszahl unter die mehreren Folgestaten vertheilt, so jedoch, daß die Liegenschaften dem State verbleiben, in dessen Gebiete sie liegen und nur der Schätzungs- werth derselben zur Vertheilung kommt. Bluntschli , Das Völkerrecht. 6 Zweites Buch. Es gibt kein natürlicheres Theilungsverhältniß, und keinen sichereren Maßstab der Theilung als die Volkszahl , obwohl vielleicht die eine Bevölkerung z. B. die städtische vor der anderen z. B. der bloß ländlichen durch Vermögen, Bildung und durch höhere Bedürfnisse hervorragt. Um eine gerechte und allgemein verständliche Lösung zu finden, muß man zu den einfachsten und ursprünglichsten Elementen des States zurückgehen und das sind doch die Menschen, die er einigt. 59. Die Statsschulden sind nicht nach Verhältniß der Volkszahl, sondern wenn sie hypothesirt oder fundirt sind, im Anschluß an die verpfändeten Liegenschaften oder das Fundirungsgut, im übrigen nach Verhältniß der Steuerleistungen zu vertheilen. 1. Indem der Stat seine Anleihen hypothesirt oder fundirt, bringt er diesel- ben in einen nähern Zusammenhang mit andern Gütern, und dieser Zusam- menhang wirkt fort , obwohl der Stat sich auflöst. Die Gläubiger halten sich daran und kommen eben deßhalb nur mit dem Folgestat in eine neue Beziehung, welchem diese Güter zugefallen sind. Eine Scheidung der persönlichen Schuld und der dinglichen Sicherung ist hier nicht ebenso statthaft wie im Privatrecht. 2. Die Sicherheit der übrigen Statsschulden beruht auf der Steuerkraft der Statsgenossen und diese wird bemessen nach der wirklichen Steuer- leistung . Diese gibt daher einen gerechteren Maßstab als die Volkszahl. Man denke sich z. B. einen Stat in zwei Staten aufgelöst, von denen der eine eine reiche Städtebevölkerung, der andere eine arme Landbevölkerung hat. Da würde bei einer Vertheilung der Statsschulden nach der Volkszahl der eine Stat überlastet, er könnte die Schuld nicht tragen, und der andere Stat unverhältnißmäßig in der bisherigen Steuerleistung erleichtert, zum Schaden der Gläubiger. 60. Geht ein Stat durch Aussterben oder Zerstreuung oder Aus- wanderung seines Volkes auch in der Volks- oder Landessubstanz unter, dann erlöschen mit seiner Persönlichkeit auch seine Rechte und Verpflich- tungen. Als die Juden mit Vertilgung der fremden Einwohner Palästina besetzten, ward der neue jüdische Stat in keiner Weise Rechtsnachfolger der daselbst unter- gegangenen Staten. Ebenso als die Germanischen Völker zur Zeit der Völkerwan- derung ihre alten Wohnsitze verließen, gingen auch ihre alten Staten unter und die nachrückenden germanischen oder slavischen Völker traten ebenso wenig als ihre Rechts- nachfolger an ihre Stelle als das römisch-byzantinische Reich, welches jene aufnahm, deßhalb zum Rechtsnachfolger ihrer untergegangenen Staten ward. Völkerrechtliche Personen. 61. Die vorübergehende Schwäche oder Noth eines States führt nicht seinen Untergang herbei; wohl aber die dauernde Ohnmacht und die offen- bare Unfähigkeit desselben, ferner selbständig zu leben. Es gibt kein Recht, die „kranken“ Staten zu vernichten und dann zu beerben. Es ist möglich, daß ein tief zerrütteter und geschwächter Stat sich wieder erhole. Wenn aber diese Möglichkeit verschwunden und die Ohnmacht dauernd geworden ist, dann geht mit der Fähigkeit zu leben auch das Recht als Stat zu leben unrettbar unter. Das Völkerrecht schützt nur lebensfähige Staten. So gefährlich dieser Satz ist, weil er sophistisch mißbraucht werden kann, so ist doch die Wahrheit desselben unbestreitbar. „Nur der Lebende hat Recht“. 5. Völkerrechtliche Eigenschaften der Staten. A. Handlungsfähigkeit . 62. Jeder Stat ist als Rechtswesen berechtigt, seinen Rechtswillen zu äußern und Handlungen mit Rechtswirkung vorzunehmen. Aber er bedarf dazu besonderer von Menschen erfüllter repräsentativer Organe. Weil der Stat eine Gesammtperson ist und in seiner Verfassung nicht einen natürlichen sondern einen nachgebildeten Culturleib hat, so bedarf er menschlicher Organe und Vertreter seines Willens und seiner Handlungen. Das Statshaupt repräsentirt voraus den Stat im Verkehr mit andern Staten. 63. Im Verhältniß der Staten zu einander wird der thatsächliche In- haber und Träger der Statsgewalt (das wirkliche Statshaupt) als das Organ des Statswillens und als der Vertreter des States betrachtet. Vgl. unten § 315 ff. B. Souveränetät . 64. Die Souveränetät eines States zeigt sich 6* Zweites Buch. a ) in der Unabhängigkeit desselben von einem fremden State und in der Ablehnung jeder fremden Statshandlung auf seinem Gebiet; b ) in der Freiheit desselben, ohne Behinderung fremder Staten seinen eigenen Statswillen selbst zu bestimmen und nach eigenem Ermessen zu äußern und zu bethätigen. Die Souveränetät ist zunächst wieder ein statsrechtlicher Begriff und bedeutet die Statsgewalt in höchster Potenz und in oberster Instanz . Die völkerrechtliche Bedeutung derselben tritt erst hervor im Verhältniß zu fremden Staten. 65. Souveränetät heißt nicht absolute Unabhängigkeit noch absolute Frei- heit eines States, denn die Staten sind keine absoluten Wesen, sondern rechtlich beschränkte Personen. Der Begriff der Souveränetät ist zuerst in Frankreich und zwar in der Zeit ausgebildet worden, als das französische Königthum alle Statsgewalt in möglichst absolutem Sinne in seiner Hand zu concentriren unternahm, im Gegensatze zu den Beschränkungen der mittelalterlichen ständischen Rechte und der Lehensverfassung. Seither ist eine gewisse Tendenz zum Absolutismus in dem Worte verblieben, die schwer auszumerzen ist. Dennoch widerspricht dieser Absolutismus sowohl der Rechts- natur des modernen Verfassungsstates als der völkerrechtlichen Gemeinordnung. 66. Jeder Stat darf nur in dem Maße Unabhängigkeit und Freiheit für sich ansprechen, als sich mit der nothwendigen menschlichen Weltordnung, mit der Selbständigkeit der andern Staten und mit der Verbindung aller Staten verträgt. Das Völkerrecht erhält aber beschränkt zugleich die Souveränetät der Einzel- staten, weil es das friedliche Nebeneinander sämmtlicher Staten schützt und auch den Krieg durch Rechtsvorschriften civilisirt. Gegen das Völkerrecht kann sich kein Stat auf seine Souveränetät berufen, weil die Grundlage des Völkerrechts nicht die Will- kür der Staten sondern die Gemeinschaft der Menschheit ist. 67. Innerhalb der völkerrechtlichen Schranken spricht die Rechtsver- muthung für volle und ungetheilte Souveränetät eines jeden States. Die Souveränetät ist die selbstverständliche Eigenschaft des wirklichen States, d. h. eines Gemeinwesens, das sich selbst regiert. Hoheit und Einheit sind mit dem Völkerrechtliche Personen. Statsbegriff gegeben. Weitere Beschränkungen andern Staten gegenüber erfordern daher eine besondere Begründung, wie namentlich durch Verträge. 68. Zu den regelmäßigen Souveränetätsrechten eines States gehören: a ) das Recht, seine Verfassung selber zu bestimmen; b ) das Recht selbständiger Gesetzgebung für sein Volk und Land; c ) die Selbstregierung und Selbstverwaltung; d ) die freie Besetzung der öffentlichen Aemter; e ) das Recht, für den Verkehr mit andern Staten seine Stellvertreter zu bezeichnen und zu ermächtigen. Es kommt den fremden Staten nicht zu, sich in die Ausübung die- ser Rechte einzumischen, es wäre denn, daß bei derselben das Völkerrecht mißachtet würde. In der Verfassung spricht der Stat die Grundsätze seines eigenen Daseins aus und bildet er die Organe seines eigenen Lebens aus. Die Verfassunggebende Gewalt ist daher Statsgewalt. Jeder Stat erscheint daher dem andern gegenüber als eine sich selber ordnende Macht . So wenig meine Nachbarn berechtigt sind, den Styl und die Einrichtung meines Hauses mir vorzuschreiben, so wenig haben die Nachbarstaten ein Recht, über die Verfassung eines fremden States Vor- schriften zu geben. Es ist freilich auch für die Nachbarstaten politisch nicht gleich- gültig, wie die Verfassung eines anstoßenden States beschaffen sei und es können je nach Umständen Parteiverbindungen von einem State zum andern bald förderlich bald gefährlich erscheinen. Daher haben oft schon mächtigere Staten einen Einfluß geübt auf die Verfassungsänderungen ihrer Nachbarstaten. Die französische Republik hat sich gegen Ende des vorigen Jahrhunderts mit republikanischen Nachbar- staten , Napoleon I. hat Frankreich mit Napoleonischen Vasallenstaten zu umgeben gesucht. Aber gerade diese Beispiele warnen vor solchen Eingriffen in die natürliche Verfassungsbildung fremder Völker, denn nirgends sind durch die Einwir- kung von außen her dauernde Verfassungszustände zu Stande gekommen. Auch die Interventionen der heiligen Allianz in Italien und Spanien zur Herstellung der absoluten Monarchie haben nur vorübergehend den natürlichen Entwicklungs- gang zu stören, aber nicht auf die Dauer zu hindern vermocht. Ebenso unglücklich ist in neuester Zeit der Versuch Napoleons III. ausgefallen, in Mexiko ein Kaiserthum mit französischer Hülfe einzurichten. Recht und Politik weisen darauf hin, daß man jedem Volke überlasse, die Formen seines Gesammtlebens selber zu bestimmen. Erst wenn daraus eine wirkliche Gefahr entsteht für die Sicherheit der andern Staten und für die völkerrechtliche Rechtsordnung, ist eine Einmischung in die Verfassungs- arbeiten zu rechtfertigen. 69. Kein Stat braucht zu dulden, daß innerhalb seines Gebietes ein Zweites Buch. fremder Stat irgend welche Statshandlungen vornehme, sei es der Policei oder der Besteurung, der militärischen oder der Justizgewalt. Jeder Stat ist verpflichtet, sich der statlichen Ein- und Uebergriffe in fremdes Stats- gebiet zu enthalten. Vorbehalten sind theils allgemeine völkerrechtlich anerkannte Aus- nahmen theils die besonderen Statsdienstbarkeiten. 1. In dem Bereich der civilisirten europäischen und amerikanischen Staten- welt ist dieser Grundsatz vollständiger anerkannt, als im Verhältniß zu barbarischen Völkern oder Staten einer der unsrigen sehr fernen und fremden Civilisation. Da wird noch die Policei und die Justiz über die auswärts wohnenden Landsleute in fremdem Gebiet möglichst von dem State ihrer Heimat verwaltet. Der Grundsatz des persönlichen Rechtes , welches das Volk verbindet, wo immer seine Genos- sen sich aufhalten, überwiegt da noch über die Regel des Landesrechtes , welches ausschließlich von der im Lande bestehenden Statsgewalt gehandhabt wird. 2. Allgemeine völkerrechtlich anerkannte Ausnahmen sind z. B. das Recht der Exterritorialität und das Recht der Schiffahrt über den Küstensaum. 70. In der Regel gibt es nur Eine Souveränetät für ein bestimmtes Volk und Land, wie nur Einen Stat. Ausnahmsweise zeigt sich in zusammengesetzten Staten (Bundes- staten, Statenreichen, Statenbünden) auf demselben Boden und für dieselbe Bevölkerung eine Doppelsouveränetät wie eine zwiefache Statenbildung, die eine des Gesammtstates, die andere der Einzelstaten. Bundesstaten und Statenbünde sind beides föderative und daher meist repu- blikanische Verbände einer Anzahl von Einzelstaten. Aelter ist die Form der Staten- bünde , welche nur eine genossenschaftliche Gemeinschaft der mehreren Einzelstaten zu gemeinsamen Zwecken darstellt und daher nur Gesantencongresse keine einheitlichen Gesammtorgane kennt. Man kann daher diese Verbindung nur in uneigentlichem Sinne Gesammtstat nennen. Sie schwankt noch zwischen völkerrechtlicher und stats- rechtlicher Gestaltung. Von der Art waren die Hansestädte im Mittelalter die Republik der Niederlande , die schweizerische Eidgenossenschaft vor 1798 und wieder 1803 bis 1848, die ursprüngliche Bundesverfassung der Ver- einigten Staten von 1776 bis 1787, der deutsche Bund von 1815—1866. Der Bundesstat dagegen ist eine einheitliche Gestaltung des Gesammtstates, der schärfer unterschieden wird von den Einzelstaten und in sich als Stat vollstän- dig organisirt ist. Zuerst erscheint diese Form ausgebildet in Nordamerika seit 1787, und ist in der Schweiz 1848 nachgebildet worden. Das Statenreich ist mehr eine monarchische und daher in höherem Sinne einheitliche Zusammenfassung einer Mehrzahl von Einzelstaten zu einem Gesammtstate. Im Mittelalter hatte das Völkerrechtliche Personen. deutsche Reich diesen Charakter, bevor es seiner Auflösung entgegen ging, und heute noch das Türkische Osmanenreich . Der Norddeutsche Bund von 1867 läßt sich nicht unter einen dieser Begriffe unterbringen, indem er von allen drei Grundformen etwas an sich hat. Er ist geschichtlich aus einem Statenbund (dem deutschen Bund) durch die entscheidende Führung einer mächtigen Monarchie (des Preußischen Stats) und unter Einwirkung bundesstatlicher Ideen entstanden, und trägt überall die Spuren dieser Entstehung an sich. Er ist ein Compromiß der verschiedenen idealen und realen Mächte, so jedoch, daß immerhin die Natur des Statenreichs überwiegt. 71. Sowohl der Gesammtstat (der Statenverein) gilt völkerrechtlich als Statsperson als die Einzelstaten. Die Souveränetät des Gesammtstates äußert sich innerhalb des ver- fassungsmäßigen Bereiches der Gesammtheit und die der Einzelstaten in den Sonderangelegenheiten des einzelnen Landes. Die Persönlichkeit auch der Statenbünde zeigt sich deutlicher noch im Völker- recht als im Statsrecht. Die schweizerische Eidgenossenschaft galt im europäischen Staten- system während Jahrhunderten als Ein Statswesen , obwohl sie in sich selbst durchaus nicht als Stat organisirt, sondern nur ein dauernder Verband von souveränen Staten war. 72. In den Bundesstaten und den Statenreichen wird die völkerrechtliche Vertretung nach außen regelmäßig durch die Bundes- oder Reichsgewalt bestimmt und besorgt. Indessen sind auch Verträge der Einzelstaaten unter sich oder mit fremden Staten zulässig, wenn gleich in den Schranken der Verfassung und unter Aufsicht des Gesammtstats. In der Schweiz werden die Verträge der Cantone unter sich Concordate genannt. Der intercantonale Charakter derselben ist analog dem völkerrechtlichen der Verträge unter fremden Staten, wird aber dadurch modificirt, daß die Cantone hin- wieder bundesstatlich verbunden sind und daher der Bund eine Aufsicht über die Concordate übt und dieselben unter seinen Schutz stellt. 73. In den Statenbünden gehört die diplomatische Vertretung regelmäßig der Regierung der Einzelstaten zu. Indessen ist auch die Gesammtheit be- rechtigt, sich als Eine zusammengesetzte Statsperson vertreten zu lassen und Verträge abzuschließen. Zweites Buch. In den Statenbünden tritt die Souveränetät der Einzelstaten voller und ent- schiedener hervor, als in den Bundesstaten. Deßhalb wird in der Regel auch der Gesantschaftsverkehr vorzugsweise mit den Einzelstaten gepflogen. Aber weil doch der Statenverband wieder ein Interesse hat, sich als völkerrechtliches Ganzes darzu- stellen, so muß auch ihm die Befugniß gewahrt werden, gemeinsame Bundesgesante zu bezeichnen und bei sich fremde Gesante zu empfangen. Bei dem deutschen Bunde waren manche fremde Gesante accreditirt und in einzelnen Fällen ließ er sich durch einen gemeinsamen Bundesgesanten auswärts vertreten. 74. Wenn zwei oder mehrere Staten durch dasselbe Statshaupt nur vorübergehend geeinigt sind, so werden sie im Völkerrecht als zwei verschiedene Personen behandelt und haben demgemäß auf Conferenzen und Congressen zwei oder mehrere Stimmen und können durch verschiedene Gesante ver- treten werden. Beispiele treten ein, wenn ein Erbfürst in einem andern Lande auf Lebens- zeit zum Wahlfürst gewählt wird. Karl V. war als römischer Kaiser und deut- sches Reichsoberhaupt Vertreter des deutschen Reiches und als König von Spanien Vertreter Spaniens, ohne daß irgend eine nähere stats- oder völkerrechtliche Bezie- hung dieser beiden Staten zu einander eintrat. 75. Ist aber die Einigung unter Einem Statshaupt eine dauernde und erscheint die Verbindung der so geeinigten Staten als eine politische, wenn auch noch nicht als eine statsrechtlich organisirte Lebensgemeinschaft, so wird dieselbe völkerrechtlich wie ein Gesammtstat betrachtet und in einer gemein- samen Vertretung durch Eine Stimme dargestellt. Soweit indessen die Verhältnisse der einzelnen verbundenen Staten besonders hervortreten, ist hinwieder eine besondere Vertretung zulässig. Von der Art sind die fortdauernden Personalunionen durch dieselbe fürstliche Dynastie. Frühere Beispiele sind die ursprüngliche Personalunion des Erzherzog- thums Oesterreich mit der Böhmischen und der Ungarischen Krone, auch die anfängliche Verbindung der Englischen mit der Schottischen und mit der Irischen Krone, das heutige Verhältniß der Königreiche Schweden und Nor- wegen . Siehe oben zu § 70. 76. Wenn die Souveränetät eines States abgeleitet erscheint von der Souveränetät eines andern Hauptstates und in Anerkennung und in Folge dieser Ableitung eine theilweise Unterordnung jenes States unter diesen Völkerrechtliche Personen. fortdauert, so wird der eine Vasallenstat und der andere lehensherrlicher oder oberherrlicher Stat genannt. Die völkerrechtliche Selbständigkeit des erstern wird durch die noth- wendige Rücksicht auf den letztern beschränkt. Es sind hier immerhin mancherlei Uebergangsstufen von einer Gebundenheit, welche den diplomatischen Verkehr des Vasallenstates mit andern Staten nur durch Vermittlung des oberherrlichen States gestattet, bis zu völlig freier Bewegung des Vasallenstates denkbar. Die deutschen Territorialstaten des spätern Mittel- alters waren solche Vasallenstaten, indem sie ihre Regalien von dem deutschen Könige empfingen und von Kaiser und Reich abhängig waren. Aber seit dem Westphälischen Frieden war doch ihr Recht anerkannt, mit fremden Mächten Allianzen zu schließen. In mancherlei verschiedenen Rechtsverhältnissen stehen die Vasallenstaten der Türkei , die mohammedanischen Fürstenthümer Tunis und Tripolis , das Vicekönigthum Aegypten , sodann das christliche Fürstenthum Serbien und die rumänischen Donaufürstenthümer Moldau und Wallachei und das Fürstenthum von Montenegro zur hohen Pforte. Das frühere Königreich Neapel war nur dem äußeren Scheiue nach gleichsam zum Zeichen der Ehrfurcht, ein Vasallenstat des päpstlichen Rom und in Wahrheit wurde es im europäischen Völkerrecht als ein voll-souveräner Stat betrachtet und behandelt. 77. Da die Souveränetät, in welcher sich die Einheit und Hoheit des States gipfelt, eine natürliche Tendenz zur Einheit hat, so ist diese Spal- tung derselben in eine Oberherrliche und in eine Vasallensouveränetät nicht dauerhaft. Entweder erheben sich im Laufe der Zeit die Vasallenstaten zu vollsouveränen Staten, indem die Oberherrlichkeit immer mehr zur bloßen Form und ohnmächtig wird, oder der oberherrliche Stat zieht hinwieder die verliehenen Hoheitsrechte an sich und einverleibt sich den Vasallenstat. Die geschichtliche Entwicklung beweist die Wahrheit dieses Satzes. Im Mittel- alter gab es eine große Masse von Vasallenstaten sowohl in Europa als in Asien. Gegenwärtig sind fast alle verschwunden, weil sie in Einheitsstaten umgewandelt worden sind. Nur in dem Türkischen Reiche ist dieser Umbildungsproceß noch nicht zum Abschluß gekommen. Das Völkerrecht muß diese natürliche Entwicklung beach- ten und es soll sie schützen, es darf sie nicht dadurch hemmen wollen, daß es un- haltbare Formen der ältern Rechtsbildung zu verewigen sucht. 78. Die Souveränetät der Schutzstaaten, das heißt der Staten, welche im Gefühl ihrer Schwäche den Schutz eines mächtigeren States gesucht Zweites Buch. und sich der Schutzhoheit desselben unterworfen haben, gilt ebenfalls als Halbsouveränetät, weil sie durch eine übergeordnete höhere Souveränetät dauernd beschränkt wird. Die Schutzhoheit ist insofern ähnlich der Lehenshoheit, als der Schirmherr, wie der Lehensherr eine übergeordnete Stellung behauptet. Aber es wird nicht von jenem wie von diesem die halbe Souveränetät des Schutzstates abgeleitet, sondern nur um der Rücksicht auf den Schirmherrn willen die Souveränetät des Schutzstates beschränkt. Auch dieses Verhältniß trägt übrigens den Keim des Todes in sich, denn ein Stat, der sich nicht selber schützen kann, verdient nicht ein selbstän- diger Stat zu bleiben. Die Beispiele solcher Staten sind daher wieder selten in dem heutigen Statensystem. Die Republik Krakau , welche unter der Schutzhoheit der drei Ostmächte, Oesterreich, Rußland und Preußen, gewesen war, ist 1846 von Oesterreich einverleibt; die Jonischen Inseln , ein Schutzstat Englands, sind 1864 mit Griechenland vereinigt worden. Wenn auch die Donaufürsten- thümer zunächst Vasallenstaten der Ottomanischen Pforte zugleich Schutzstaten der europäischen Großmächte sind, so dient dieses Schutzverhältniß eher dazu, ihr Wachs- thum zur Unabhängigkeit von der Türkischen Herrschaft zu fördern, als ihre freie Entwicklung zu gefährden. 79. Den Colonialstaten, welche dem Mutterstate untergeordnet sind, kann ebenfalls eine beschränkte Selbständigkeit zugestanden sein, so daß sie als halbsouveräne Staten in besondere völkerrechtliche Beziehungen treten. Schon die große Entfernung vieler überseeischen Colonien von dem Mutter- state macht im Interesse derselben eine besondere Regierung und daher auch eine be- sondere Repräsentation oft wünschenswerth. Wenn daher auch ursprünglich das Mutterland der alleinige Sitz der Souveränetät war, so erfordert das Wachsthum der Colonie doch mit der Zeit eine Ausstattung mit größeren Rechten freier Bewe- gung. So entwickeln sich die Colonien zu eigenthümlichen Statswesen, ähnlich den Schutzstaten und scheiden sich zuletzt wohl auch als neue vollsouveräne Staten aus. Die Geschichte von Amerika enthält in dieser Hinsicht große Lehren auch für das Völkerrecht. Als Vorbild einer guten Colonialpolitik darf die englische gegen- über von Canada und Australien seit den Reformen von Lord Durham (1836) angesehen werden. 80. In ähnlichen Verhältnissen theilweiser Abhängigkeit von den Haupt- staten und theilweiser Selbständigkeit stehen auch die mancherlei Neben- länder. Es kommt hier freilich vieles darauf an, wie diese Nebenländer beschaffen seien, ob die darin lebende Bevölkerung fähig sei, ihre öffentlichen Interessen selb- Völkerrechtliche Personen. ständig zu besorgen, und ob sie geneigt sei, das so zu thun, daß dabei die Interessen des Hauptstates nicht verletzt werden. Wenn sie unfähig und feindlich gesinnt ist, so wird ihr entweder überhaupt keine Selbständigkeit verstattet oder dafür gesorgt wer- den, daß die Verwaltung der besonderen Landesinteressen nicht der unterworfenen Bevölkerung überlassen, sondern von der dahin verpflanzten Colonie des Herrscher- volkes besorgt werde. Da diese Nebenländer meistens durch Eroberung dem Haupt- state unterworfen worden sind, wie z. B. die Ostindischen Länder den Engländern, Algier dem Französischen State, so ist es schwerer, dieselben zu statlicher Selb- ständigkeit heranzubilden, als die eigentlichen Colonialländer. C. Rechtsgleichheit . 81. Jeder Stat ist als Rechtsperson dem andern State gleich. An dem Völkerrecht haben alle Staten gleichen Antheil und gleichen Anspruch auf Achtung ihrer Existenz. Die Rechtsgleichheit der Staten ist ebenso zu verstehen, wie die Rechtsgleich- heit der Privatpersonen. Der Unterschied der Größe, der Macht, des Ranges ändert an der wesentlichen Gleichheit Nichts, welche in der Anerkennung aller dieser Per- sonen als Rechtswesen und der gleichmäßigen Anwendung der völkerrechtlichen Grundsätze auf Alle besteht. 82. Kein Stat ist berechtigt, die individuellen Kennzeichen eines andern Stats — dessen Namen, Wappen, Fahne, Flagge — sich anzueignen oder zu mißbrauchen. In diesen Zeichen spricht sich die besondere Persönlichkeit eines Sta- tes aus und jeder Stat hat ein Recht, in derselben geachtet zu werden. Die Rechts- gleichheit verwischt nicht die individuelle Verschiedenheit, sondern erkennt sie an und schützt sie für Alle. Selbstverständlich geht hier die ältere Wahl solcher Namen und Zeichen der späteren vor. So weit jene vollzogen ist, muß diese sie als bereits vor- handenes Recht respectiren und darf keine Verwirrung stiften durch Aneignung der- selben Namen und Zeichen. 83. Jeder Stat hat gleichen Anspruch darauf, als eine geistig-sittliche und als eine Rechtsperson geachtet zu werden, und demgemäß auch ein Recht auf Ehre. Die Verletzung der Statsehre begründet das Recht, Genugthuung zu fordern. Zweites Buch. Auch in dieser Beziehung verhält es sich mit den Staten ähnlich, wie mit den einzelnen Menschen. Der Mensch als solcher hat eine Würde und es gibt eine gemeinsame Menschenehre wie eine Statsehre, die im Verkehr mit Menschen und Staten nicht verletzt werden darf. Freilich kann auch ein Stat in einzelnen Fällen eine unsittliche und eine geistig-niedrige Politik verfolgen, wie ein einzelner Mensch zuweilen schlecht und dumm handeln kann; und natürlich wird dieses Verhalten auch einen Einfluß üben auf die öffentliche Meinung und auf das Vertrauen der übrigen Staten. Aber der Rechtsanspruch auf die allgemeine Statsehre wird dadurch so wenig zerstört, als das Recht jener Privatpersonen auf Anerkennung der gemeinen Menschenehre, durch einzelne Fehler. Die Menschenehre strahlt immer wieder neu hervor aus der an sich hohen Menschennatur, dem Ebenbilde Gottes, und ebenso die Statsehre aus dem majestätischen Wesen des States, das heißt der einheitlichen und männlichen Gestaltung des Völkerlebens. 84. Aus der persönlichen Rechtsgleichheit der Staten folgt nicht gleicher Rang derselben noch das Recht eines jeden States, einen beliebigen hohen Titel anzunehmen. Aber es steht einem jeden State zu, einen seiner Be- deutung und Machtstellung entsprechenden Titel zu wählen. Die beiden Sätze, daß jeder Stat Anspruch habe auf gleichen Rang, und daß jeder Stat beliebige Titel annehmen könne, die man zuweilen aus der mißver- standenen Rechtsgleichheit gefolgert hat, sind falsch. Denn der Rang , den ein Stat in der Gesellschaft der übrigen Staten einnimmt, ist nicht eine einfache Wir- kung seiner Persönlichkeit, welche für alle Staten dieselbe rechtliche Bedeutung hat, sondern er ist die Wirkung der Machtstellung und des Einflusses, welche verschieden sind unter den Staten. Der Titel aber bezeichnet den Rang, den ein Stat unter den andern einnimmt und kann eben deßhalb nicht willkürlich von jenem ohne Rück- sicht auf diese gewählt werden. Es war der Gipfel der Lächerlichkeit, als ein Neger- häuptling auf Haiti den Kaisertitel für seine Flitterkrone in Anspruch nahm. Als der Kurfürst Friedrich I. von Brandenburg im Jahr 1700 den Königstitel an- nahm, konnte die innere Berechtigung desselben noch bezweifelt werden, aber die Ge- schichte des Preußischen Stats hat seither alle Zweifel zerstreut. Aehnlich verhält es sich mit der Annahme des Kaisertitels durch Peter den Großen, welche nur sehr allmählich Anerkennung fand, (von dem deutschen Kaiser erst 1744, von Frankreich erst 1762 und von Polen 1764) und in unserm Jahrhunderte durch Frankreich und Oesterreich . Auf dem Aachener Congreß erklärten die fünf Großmächte aus- drücklich in dem Protokoll vom 11. Oct. 1818, daß dem Wunsche des Kurfürsten von Hessen auf den Titel eines Königs nicht zu entsprechen sei und daß sie über- haupt in Zukunft über andere Titelerhöhungen gemeinsam verhandeln wollen. 85. Auf kaiserlichen Rang und Titel haben nur diejenigen Staten einen natürlichen Anspruch, welche nicht eine bloße nationale, sondern eine uni- Völkerrechtliche Personen. verselle Bedeutung haben für die Welt oder mindestens einen Welttheil und insofern Weltmächte sind oder welche doch als Großstaten verschiedene Völker in sich einigen oder auf verschiedene Völker einen statlich bestimmen- den Einfluß haben. Das charakteristische Merkmal des Kaiserthums ist das, daß es sich als Stats- autorität über den engen Gesichtskreis eines besonderen Volkes und die engen Gren- zen eines einzelnen Landes erhebt. Das Kaiserthum hat einen weltgeschichtlichen Ursprung und eine universelle Bedeutung in der Geschichte. Daher darf auch der Kaisertitel nicht von der anmaßlichen Eitelkeit bloßer Volks- und Landes- fürsten mißbraucht werden. Die fränkischen und die deutschen Könige des Mittelalter erhielten denselben als römische Kaiser und standen als Verwalter des Weltfriedens und der christlichen Weltordnung (damals imperium mundi genannt) an der Spitze der abendländischen Christenheit. Der Russische Czar Peter der Große nahm den Kaisertitel 1701 in der Absicht an, die Erinnerung an das Ost- römische Kaiserthum zu erneuern. Napoleon I. wollte das Reich Karls des Großen in moderner Gewalt wieder aufrichten, als er 1804 den Kaisertitel sich aneignete. Das Oesterreichische Kaiserthum (seit 1804) und das zweite französische (seit 1852) haben eine weniger universelle, aber doch nicht eine bloß nationale und einzelstatliche Bedeutung. 86. Der Kaiserliche Rang eines States ist nicht bedingt durch den Kaiser- titel. Auch eine von Königen regierte Weltmacht hat Anspruch auf kaiser- lichen Rang und ebenso eine weltmächtige Republik. Die Großbrittanische Krone hat den Königsnamen aber den Kaiser- lichen Rang. Keine andere steht ihr an universeller Bedeutung gleich. Nichts wird die Bundesrepublik der Vereinigten Staten von Nordamerika hindern, wenn sie sich als Weltmacht darstellen will, Kaiserlichen Rang anzusprechen und zu behaupten. 87. Königlichen Rang haben die übrigen wesentlich auf ein Volk und ein Land beschränkten Staten von ansehnlichem Umfang und erheblicher Bedeutung im Völkerverkehr. Dahin rechnet man nach dem diplomatischen Gebrauch, außer den Staten, deren Häupter als Könige völkerrechtlich anerkannt sind, auch die Republiken von ähnlicher Größe und Bedeutung und die vorhandenen Groß- herzogthümer. Schon im Mittelalter nahmen die Kurfürsten des heiligen römischen Reichs deutscher Nation für sich denselben Rang in Anspruch, den die Könige der Zweites Buch. andern christlichen Völker hatten. Ueber ihnen allen erhoben sich ja nach der Fiction der mittelalterlichen Reichslehre in derselben Weise die kaiserliche Majestät und die päpstliche Heiligkeit . 88. Es besteht kein Rangvorzug der Königreiche vor den Republiken mit königlichem Rang oder umgekehrt dieser vor jenen. Das höfische Ceremoniel kennt wohl den Vortritt der Könige vor den Groß- herzogen, aber nicht einen Vortritt der Königsstaten vor den königlichen Freistaten. Die Macht und der politische Einfluß, welche die natürliche Grundlage auch für die Rangordnung der Staten bilden, sind von diesem Verfassungsunterschied unabhängig. England hatte als Republik unter Cromwell eine größere Bedeutung aber kei- nen andern Rang als zur Zeit des Königs Karls I.; und die französische Republik behauptete im Frieden von Campo-Formio 1797 denselben Rang, wie vormals unter den Bourbonischen Königen. 89. In allen wesentlichen Beziehungen stehen alle Königlichen Staten unter einander und auch den Kaiserlichen gleich. Insbesondere kommt allen das unbeanstandete Recht zu, Botschafter zu senden und zu empfan- gen, königliche Embleme in Krone, Scepter, Wappen anzunehmen und zu führen, im Ceremoniel und bei Unterzeichnung der Verträge auf dem Fuße der Gleichheit behandelt zu werden. Die Fürsten dieses Ranges geben sich im brieflichen Verkehr den Brudernamen. Indessen erhalten nur die Könige als Statshäupter den Titel der „Majestät“, nicht auch die übrigen Fürsten von Königlichem Rang, und es haben jene vor diesen den Vortritt. Der Titel der Majestät, ursprünglich auf den Kaiser beschränkt, ist seit dem titelsüchtigen siebenzehnten Jahrhunderte auch auf die Könige ausgedehnt worden. Jedenfalls paßt er nur zu einer Würde, welche mit dem Vollgenuß der vollkommenen Regierungssouveränetät verbunden ist, aber nicht auf statsrechtlich abhängige Könige. Es wird aber wohl schwerer noch werden, die Titel zu ermäßigen, als die wirklichen Hoheitsrechte zu vermindern. 90. Unter Staten von gleichem Rang haben je die älteren den Vortritt vor den jüngern. Ueberdem können die Rangverhältnisse zwischen einzelnen Staten durch Vertrag oder Observanz bestimmt sein. Völkerrechtliche Personen. Die Versuche, auf dem Aachener Congresse diese Dinge genauer völkerrechtlich zu ordnen, sind an den Schwierigkeiten gescheitert, welche die Eitelkeit und die höfi- schen Sitten jeder Uebereinkunft der Art in den Weg stellen. Besondere Verträge und Gebräuche finden z. B. Statt in einzelnen Ländern bezüglich des Schiffsgrußes. Vgl. Phillimore , Intern. Law. Bd. II. § 34 ff. 91. Die Verwantschaft der Souveräne ändert das Rangverhältniß der- selben nicht. Protokoll des Wiener Congresses vom 19. März 1815. Art. V.: „Les liens de parenté ou d’alliance de famille entre les Cours ne donnent aucun rang à leurs employés diplomatiques. Il en est de même des alliances politiques“. 92. Halbsouveräne Staten (Vasallenstaten, Schutzstaten, abhängige Ein- zelstaten) stehen jederzeit im Rang den übergeordneten oberherrlichen Sta- ten, (Schutzmächten, Gesammtstaten oder Hauptstaten) nach. Da die Unterordnung jener Staten unter diese sogar eine statsrechtliche ist, so folgt die Ueberordnung dieser Staten im Rang von selber daraus. Es gilt das z. B. von den Moldauischen Fürstenthümern im Verhältniß zur Türkei, aber auch von Pennsylvanien gegenüber den Vereinigten Staten und von Sachsen gegenüber dem Norddeutschen Bunde. 93. Gegenüber dritten Staten nimmt der halbsouveräne Stat diejenige Stellung ein, welche ihm seinem anerkannten Titel oder seiner anerkannten Bedeutung in der Statenfamilie gemäß zukommt, neben und gleich voll- souveränen Staten. Der Grund liegt in der Regel der Gleichheit, welche überall eintritt, wo keine besonderen Gründe einen Unterschied rechtfertigen. Den dritten Staten gegenüber besteht keine Unterordnung, und daher ist auch der gleiche Rang am Platz. Wenn also z. B. Virginien mit Brasilien einen Vertrag schließt, oder Sachsen mit Oesterreich , so ist der Umstand, daß jenes zu den Vereinigten Staten, dieses zu dem Deutschen Nordbunde gehört, nur erheblich im Verhältniß zu der Bundes- gewalt, aber nicht erheblich für die Rangstellung gegenüber dem auswärtigen State. 94. Die Rangerhöhung eines States bedarf, um allseitig zu wirken, der Zweites Buch. völkerrechtlichen Anerkennung der übrigen Staten, welche indessen nicht willkürlich und ohne Grund versagt werden darf. Vgl. zu Art. 84. Die grundlose Verweigerung der Anerkennung ist zum mindesten ein Zeichen unfreundlicher Gesinnung und kann zur Beleidigung des Sta- tes werden, der sich emporgeschwungen hat. II. Statensysteme. 1. Gleichgewicht . 95. Das Gleichgewicht unter den Staten besteht nicht darin, daß diesel- ben gleich groß an Umfang des Gebiets und an Volkszahl und gleich mächtig seien. Die Verschiedenheit der Staten an Größe und Macht ist eine nothwendige Wirkung der natürlichen Unterschiede des Bodens der Volksindividualitäten und der geschichtlichen Entwicklung. Das Völkerrecht muß diese Verschiedenheit anerkennen und darf sie nicht bekämpfen. Ihre Zerstörung würde die Bestimmung der Menschheit gefährden, welche auf der Wechselwirkung verschiedener Kräfte beruht. Der Gedanke eines mathematischen Gleichgewichts war zu Anfang des XVIII. Jahrhunderts beliebt. Man hoffte von seiner Verwirklichung die Sicherung des Weltfriedens und die gründliche Beseitigung jeder Gefahr von Universalmonarchie. Der bekannte Vorschlag des Abb é Saint Pierre : „Projet de la paix éternello“ von 1715 am Schluß des großen europäischen Krieges gegen das Uebergewicht Frankreichs, sucht diesen Gedanken in einer neuen Karte Europas darzustellen. Aber der Gedanke ist schon deßhalb falsch, weil er die geistigen Charakterkräfte, die sich nicht abzählen lassen, mißachtet und eine künstliche Gleichheit da einrichten will, wo die Natur große und dauernde Unterschiede zeigt. 96. Es ist ferner keine Forderung des Gleichgewichts, daß die bestehenden Staten allezeit unverändert erhalten bleiben. Es gibt ein natürliches und insofern nothwendiges Wachsthum der Staten und ebenso eine unvermeid- liche Abnahme ihrer Kräfte und ihrer Wirksamkeit. Das Völkerrecht muß die umbildende Macht der Geschichte anerkennen. Völkerrechtliche Personen. Das Mittelalter war der Zerbröckelung der Nationen in kleine Fürstenthümer und Städte, zumal in Deutschland und in Italien sehr günstig. Der Zustand war erträglich, so lange der Verkehr gering, das nationale Bewußtsein schwach, die öffent- lichen Bedürfnisse klein waren und keine äußeren Gefahren die Existenz dieser Stätchen bedrohten. In der neueren Zeit ist das Alles anders geworden. Deßhalb gingen die meisten Kleinstaten bereits unter und es bildeten sich größere Volks- staten aus. 97. Es ist kein völkerrechtliches Gesetz, daß die Erweiterung eines Stats- gebiets einen andern vielleicht rivalen Stat berechtige, auch seinerseits eine Vergrößerung zu verlangen. In der statlichen Praxis des vorigen Jahrhunderts hat man sich oft auf diese angebliche Folgerung aus dem Princip des Gleichgewichts berufen, um die Erobe- rungssucht mit einem scheinbaren Rechtssatze zu bemänteln. So verlangte Oester- reich ein Stück der Türkei, weil Rußland sich in Polen ausdehne. Die Thei- lung Polens unter die drei Nachbarmächte wurde auch mit solchen Argumenten beschönigt. Aber noch in unserm Jahrhunderte ist mit solchen Scheingründen viel- fältig Mißbrauch getrieben worden. Man hat noch im Jahr 1803 deutsches Land nach dem Ausdruck Fichte’s „zu Zulagen gemacht zu den Hauptgewichten in der Wage des europäischen Gleichgewichts“. Sogar noch 1860 wurde die Annexion Savoyens durch Frankreich wenigstens nebenher mit dem großen Wachsthum des Königreichs Italien zu rechtfertigen gesucht. Da das völkerrechtliche Gleichgewicht nicht gleich große Staten, noch ein unveränderliches Größenverhältniß der vorhan- denen bedeutet, noch bedeuten darf, so ist eine derartige mathematische Anwendung jenes Princips unzulässig. Die Existenz und die Entwicklung der Völker und Sta- ten darf nicht nach so plumpen Regeln beschnitten und zugeschnitten werden. 98. Das wahre Gleichgewicht bedeutet das friedliche Nebeneinanderbestehen verschiedener Staten. Es wird gefährdet und gestört, wenn das Ueber- gewicht Eines States so unverhältnißmäßig zu werden droht, daß die Sicherheit und Freiheit der übrigen Staten daneben nicht mehr fortbestehen kann. In solchen Fällen sind nicht bloß die zunächst gefährdeten schwä- cheren Staten, sondern es sind auch die übrigen ungefährdeten Staten veranlaßt und berechtigt, das Gleichgewicht herzustellen und für ausreichen- den Schutz desselben zu sorgen. Es gilt dieser Satz vorzüglich von der europäischen Statenfamilie , welche den Fortbestand einer Anzahl selbständiger Staten als Grundbedingung ihrer Wohlfahrt betrachtet. Daraus erklären sich die zahlreichen und am Ende glücklichen Bluntschli , Das Völkerrecht. 7 Zweites Buch. Allianzen wider die drohende Universalmonarchie zuerst gegen Kaiser Karl V. , dann gegen König Philipp II. von Spanien, später gegen Ludwig XIV. und wiederum gegen Kaiser Napoleon I. , zuletzt wider die Russische Oberherrschaft in Südosteuropa. Aber nicht ebenso scheint der Satz auf Amerika anwendbar, indem die Vereinigten Staten offenbar schon zur leitenden Hauptmacht für den gan- zen Welttheil geworden sind. Wenn aber Amerika bestimmt ist, in die Vereinigten Staten aufgenommen zu werden, so bedarf es dieses Satzes nicht, wenn es aber auch für Amerika wie für Europa nöthig erscheinen sollte, eine Statengenossen- schaft von einander unabhängiger Staten zu bilden, so wird der Satz auch in das Amerikanische Völkerrecht aufgenommen werden müssen. 99. Das Streben nach einer auf die Uebermacht Eines Volkes gestützten Universalherrschaft über die andern Völker ist eine Gefährdung des Gleich- gewichts und rechtfertigt den gemeinsamen Widerstand der übrigen Staten. Vgl. die vorige Anmerkung. Mit dieser völkerrechtswidrigen Bedrohung selb- ständiger und nicht zusammengehöriger Staten darf nicht verwechselt werden die Be- drohung unhaltbarer Particularstaten durch einen nationalen Groß- stat . Denn es kann die Einverleibung jener durch diesen vielleicht eine nothwendige Bedingung sein für die Sicherheit der nationalen Existenz und Gesammtwohlfahrt, oder eine unvermeidliche Folge der nationalen Entwicklung eines Volks. Die Ge- schichte Italiens im Jahr 1860, und die von Deutschland im Jahr 1866 machen das klar. Das Gleichgewicht der italienischen und der deutschen Particular- staten war überhaupt kein Gut von hohem und von dauerndem Werth und es konnte leicht darauf verzichtet werden, wenn man statt dessen die unschätzbare Errungen- schaft eines nationalen States und eine würdigere Stellung in der Welt erhielt. 100. Auch eine theilweise Uebermacht eines States kann die Sicherheit und die Freiheit der andern Staten und damit das Gleichgewicht gefährden und rechtfertigt den gemeinsamen Widerstand der übrigen Staten, um die- selbe zu beschränken. Das gilt insbesondere von einer übermächtigen Seeherrschaft eines States. Ein Beispiel geben die Verträge der neutralen Staten zur Bekämpfung der englischen Universalherrschaft über die Meere . 2. Heilige Allianz . 101. Die heilige Allianz vom Jahr 1815, welche auf das Princip der Völkerrechtliche Personen. christlichen Religion ein neues christliches Völkerrecht begründen will, kann nicht als modernes Völkerrecht gelten. Die heilige Allianz, zu Paris von den drei Monarchen von Rußland, Oester- reich und Preußen unterzeichnet 14/26. Sept. 1815, war ein Versuch der Restaurations- epoche, im Gegensatze zu der französischen Revolution, ein neues Völkerrecht zu be- gründen. Die Grundgedanken waren zum Theil der religiösen Ueberlieferung des Mittelalters, zum Theil der Russischen Weltansicht entnommen. Eben deßhalb konn- ten sie weder das moderne Rechtsbewußtsein, noch die Bedürfnisse der civilisirteren Völker befriedigen. Sie gehörten einem frühern Standpunkte der Entwicklung an und waren daher ungeeignet, den Fortschritt der Neuzeit zu leiten und zu ordnen. Vgl. den Artikel Heilige Allianz im Deutschen Statswörterbuch von Bluntschli und Brater. 102. Indem sie das Völkerrecht ausschließlich auf die Religion gründet, verkennt sie den Unterschied von Religion und Recht; indem sie nur auf christliche Völker anwendbar ist und die nicht-christlichen Staten außer die menschliche Weltordnung versetzt, verengt sie die Wirksamkeit des Völker- rechts; indem sie Christus als den „alleinigen Souverain der gesammten christlichen Nation“ bezeichnet, geräth sie auf die Abwege der Theokratie, welche dem politischen Bewußtsein der europäischen und der civilisirten Völker überhaupt fremd und unerträglich ist; indem sie die patriarchalischen Ideen zu Statsprincipien erhebt, paßt sie nicht zu der Denkweise und den Bedürfnissen der politisch erzogenen und frei gewordenen Menschheit. Man kann den frommen Geist, der dieses Actenstück beseelt, ehren und sich des großen Fortschrittes erfreuen, welcher in der proclamirten Verbrüderung der Staten der verschiedenen christlichen Confessionen auch im Gegensatz zum Mittelalter liegt, das nur die Christenheit Einer Confession als eine berechtigte Völkerfamilie anerkannte, alle Ungläubigen oder Andersgläubigen aber ausschloß und verdammte. Aber die oben genannten Mängel sind so groß, daß das Werk trotz der wohlwollen- den Absichten seiner Gründer nicht gelingen konnte. Die Bestimmungen der heiligen Allianz sind durch die Wissenschaft als unzu- reichend und theilweise irrthümlich im Princip und durch die seitherige europäische Geschichte als unausführbar und unwirksam erwiesen worden. Die gesammte Entwicklung des Rechts- und des Statsbegriffs sowohl im Alterthum als in der Neuzeit bei sämmtlichen Statsvölkern widerspricht der theokra- tischen Statslehre, welche der heiligen Allianz zu Grunde liegt. England und der Papst sind derselben von Anfang an nicht beigetreten; und die anderen europäischen Staten haben sich seither theils ausdrücklich davon losgesagt, theils stillschweigend dieselbe fallen gelassen. Die gesammte Verfassungsbildung der neuen Zeit wird von menschlichen Rechtsideen bestimmt. In dem Orientalischen Kriege von 1854—1856 7* Zweites Buch. stand Rußland, der Stifter der heiligen Allianz, ganz isolirt, nicht bloß den feind- lichen Westmächten England und Frankreich, sondern ebenso dem übelwollenden Oesterreich und dem neutralen Preußen gegenüber; von der versprochenen wechsel- seitigen „assistance aide et secours“ (Art. 1 des Vertrags) war Nichts mehr zu verspüren. 3. Pentarchie . 103. Der in Aachen 1818 befestigte Verband der fünf europäischen Groß- staten England, Frankreich, Oesterreich, Preußen und Rußland bedeutet nicht einen festen völkerrechtlichen Senat für Europa, sondern nur, daß diese Staten zur Zeit die Macht haben und es als gemeinsame Aufgabe erkennen, bei der Regulirung der europäischen Angelegenheiten mitzuwirken. Die Wiener Congreßacte wurde außer den genannten Staten auch von Spanien und Portugal und dem Könige von Schweden und Norwegen unterzeichnet. Aber man gewöhnte sich, besonders seit dem Congreß von Aachen, auf welchem Frankreich vollends wieder in die „brüderliche“ Gemeinschaft der alliirten Mächte aufgenommen ward, jene fünf mächtigsten Staten als europäische Pentarchie zu betrachten. Die fünf Mächte besaßen über zwei Drittheile des europäischen Bodens und umfaßten beinahe drei Viertheile der europäischen Gesammtbevölkerung. In der militärischen Macht waren sie den übrigen europäischen Staten noch mehr überlegen. Dennoch war diese Vereinigung nur ein unvollständiges Bild der wirklichen Zustände von Europa. Die romanischen Staten waren im Verhältniß zu den germanischen zu wenig, die mittleren und kleineren Staten gar nicht berücksichtigt. Wenn aber ein Stat berechtigt erscheint zu existiren, so kann ihm das Recht nicht abgesprochen werden, in der Versammlung der Statengenossenschaft auch eine Stimme zu haben und sei es unmittelbar sei es mittelbar vertreten zu sein. Die sogenannte Pentarchie mag als Anfang einer Organisation Europas, aber sie kann nicht als ihre Vollen- dung betrachtet werden. 104. Die Zahl der europäischen Großstaten ist nicht abgeschlossen. Es können neue hinzutreten, indem sie stark und so activ werden, daß ihre Mitwirkung in den europäischen Angelegenheiten ohne allgemeine Gefahr nicht zu entbehren ist. Es können auch bisherige Großstaten so schwach werden, daß es ungefährlich und unnöthig erscheint, dieselben weiter bei- zuziehen, wenn unter den Großstaten über die europäischen Angelegenheiten verhandelt wird. Völkerrechtliche Personen. Offenbar hat gegenwärtig das Königreich Italien den nächsten Anspruch darauf, zu den europäischen Großstaten gerechnet zu werden. Spanien , im sech- zehnten Jahrhundert noch die erste europäische Großmacht, ist durch die Mißregierung seiner Könige und den verderblichen Einfluß der kirchlichen Reaction dermaßen ent- kräftet und entgeistet worden, daß es in unserm Jahrhundert nicht mehr als Groß- stat angesehen wurde. Das kann sich aber wieder ändern. Ebenso kann auch Schweden , im siebzehnten Jahrhundert eine wirkliche Großmacht, wieder eine be- deutendere Stellung erwerben, wenn es den Geist der Zeit versteht. Die Bedeutung Preußens unter den Großmächten war nach dem Krimkriege in ein bedenkliches Schwanken gerathen, ist seit dem Kriege von 1866 und seitdem es gewiß ist, daß das deutsche Volk nun in dem Könige von Preußen sein Reichsoberhaupt und daher vorerst thatsächlich den deutschen Kaiser erkennt, sehr gehoben worden. Alle diese Aenderungen in den politischen Verhältnissen der Staten wirken auch auf die Stel- lung und den Einfluß zurück, welche diesen Staten in der Organisation Europas zukommen. 105. Jeder europäische Stat hat ein Recht darauf, daß seine besondern Angelegenheiten nicht von den Großstaten gemeinsam verhandelt werden, ohne daß er zu der Verhandlung eingeladen und zugezogen werde. Aachener Protokoll vom 15. Nov. 1818: „Que si, pour mieux atteindre le but ci-dessus énoncé (le maintien de la paix générale, fondé sur le re- spect réligieux pour les engagements consignés dans les traités) les puis- sances qui ont concouru an présent acte, jugeaient nécessaire d’établir des réunions particulières, soit entre les augustes souverains eux-mêmes, soit entre leurs ministres et plénipotentiaires respectifs, pour y traiter en commun de leurs propres intérêts, en tant qu’ils se rapportent à l’objet de leurs dé- liberations actuelles, l’époque et l’endroit de ces réunions seront chaque fois préablement arrêtés au moyen de communications diplomatiques, et que, dans le cas ou ces réunions auraient pour objet des affaires spécialement liées aux interêts des autres états de l’Europe, elles n’auront lieu qu’à la suite d’une invitation formelle de la part de ceux de ces états que les dites af- faires concerneraient, et sous la réserve expresse de leur droit d’y partici- per directement ou par leurs plénipotentiaires.“ 106. Das Recht des States, über dessen Verhältnisse in der Versammlung der europäischen Großstaten verhandelt wird, zugezogen zu werden, erstreckt sich auf alle Verhandlungen. Er steht dabei den Großstaten nicht wie eine Partei ihrem Richter, sondern als vollberechtigte Person und wesentlich gleichberechtigtes Mitglied der europäischen Statengenossenschaft zur Seite. Zweites Buch. Dieser Grundsatz, welcher aus der völkerrechtlichen Stellung der europäischen folgt, wurde auf den Congressen von Laibach (1821) und Verona (1822) nur unvollständig, besser dagegen auf dem Pariser Congreß (1856) beachtet. 107. Wenn die Zustände eines States dem europäischen Frieden Gefahr bringen oder seine Handlungen die allgemeine Sicherheit der europäischen Staten bedrohen oder die Leiden seiner Bevölkerung der Civilisation Europas unwürdig und unerträglich erscheinen, so sind das nicht mehr besondere Angelegenheiten unr dieses States, sondern ist die europäische Staten- genossenschaft berechtigt, auf Besserung hinzuwirken. In der Zeit der Interventionspolitik zu Gunsten der legitimen Fürstengewalt wurde die erste Bedingung einer Intervention arg mißbraucht, indem man da Ge- fahren für die europäische Rechtsordnung erblickte, wo in Wahrheit nur eine natur- gemäße Fortbildung des Verfassungsrechts zu finden war. Ein Beispiel der zwei- ten Bedingung ist der Krieg der Westmächte gegen Rußland 1853—56, als Ruß- land die Türkei überzog; und auf die dritte Bedingung hat man sich wiederholt im Interesse der christlichen Bevölkerung der Türkei berufen. Das heutige Europa darf nicht mehr dulden, daß die blutigen Ketzerverfolgungen oder die Hexengerichte nach der Weise des Mittelalters erneuert werden. Die civilisirte Menschheit hat ein Recht, die Fortschritte der Menschlichkeit gegen den Wahnsinn verblendeter Fanatiker zu schützen. Vgl. unten Buch VII. 4. Allgemeine Congresse . 108. Zur Zeit gibt es noch keine anerkannte Rechtsordnung für allgemeine europäische Congresse und noch weniger für allgemeine Weltcongresse. Die Institution eines völkerrechtlichen Congresses, auf welchem die Häupter und Vertreter der Staten zu gemeinsamer Berathung zusammentreten, ist noch in ihren ersten mangelhaften und unsicher tastenden Anfängen. Noch immer erscheint der Congreß von Wien 1814—15 als der bedeutendste allgemein-europäische Con- greß. Die folgenden Congresse von Aachen 1818, Troppau 1820, Laibach 1821 und Verona 1822 waren vorzugsweise nur Congresse der fünf europäischen Großmächte. Der großartige Vorschlag des Kaisers Napoleon III. vom Jahr 1863 zu einem allgemeinen europäischen Congreß ist bisher ohne Erfolg geblieben. Aber die Idee der Congresse hat so sicher noch eine große Zukunft, als die fortschrei- tende Menschheit sich mehr den friedlichen Mitteln zuwenden wird, um für den Schutz und die zeitgemäße Fortbildung ihrer gemeinsamen Lebensordnung zu sorgen. Völkerrechtliche Personen. 109. Aus der völkerrechtlichen Existenz der Staten und aus ihrer Bethei- ligung an dem Schicksal der europäischen Statengenossenschaft folgt das natürliche Recht aller europäischen Staten, welche einen selbständigen völker- rechtlichen Verkehr pflegen, zu einem allgemeinen europäischen Congreß zu- gezogen zu werden und eine eigene Stimme zu führen. Staten, welche nur im Bunde mit andern Staten eine völkerrecht- liche Existenz behaupten können, sind nicht zu individueller, sondern nur zur Gesammtvertretung berechtigt. Nach diesem Grundsatze ergingen am 4. Nov. 1863 die Einladungen des Kaisers Napoleon III. an alle souveränen Staten Europas. „Jedesmal“, heißt es in dem Einladungsschreiben, „wenn starke Stöße die Grundlagen der Staten erschüttert und deren Gränzen verändert haben, griff man zu feierlichen Transactionen, um die neuen Elemente zu verbinden und die vollendeten Umgestaltungen zu sich- ten und zu heiligen“. 110. Sind die auf einem allgemeinen europäischen Congresse versammelten Staten einig über völkerrechtliche Bestimmungen, so sind dieselben für alle europäischen Staten verbindliche Rechtsvorschriften. Vgl. oben §. 13. Das gilt auch für die Staten, welche nicht erschienen sind und daher ihre Zustimmung nicht erklärt haben. 111. Ein europäischer Congreß hat nicht die Autorität eines Weltcongresses, aber wenn er einig ist, so spricht er das derzeitige europäische Rechts- bewußtsein auch bezüglich des allgemeinen Völkerrechts aus. Darin liegt freilich keine genügende Sicherheit dafür, daß diese Aussprache auch von den außereuropäischen Staten als richtig anerkannt und beachtet werde. So wurde bekanntlich von Seite der Vereinigten Staten von Amerika das Verbot der Kaperei, zu welchem sich der Pariser Friedenscongreß von 1856 verständigt hatte, nicht anerkannt, so lange nicht zugleich die tadelnswerthe Praxis der Seebeute eben- falls verboten werde. 112. Die Anerkennung und Wirksamkeit allgemeiner Grundsätze des Völ- kerrechts wird besser gesichert, wenn zu der Berathung und autoritativen Zweites Buch. Feststellung derselben mit den europäischen Großstaten auch die außereuro- päischen Weltmächte, insbesondere die amerikanischen Großstaten, zusammen- treten und zusammenwirken, d. h. wenn der Congreß als Weltcongreß erscheint. Vgl. oben § 7. 113. Auf den Statencongressen entscheidet, in Ermanglung einer schützen- den Organisation, nicht die Meinung oder der Wille der Mehrheit. Die Minderheit ist nicht von Rechtswegen verpflichtet, sich der Mehrheit unter- zuordnen. Ein einzelner Stat kann möglicher Weise mit Recht seine ab- weichende Meinung behaupten. Aber wenn die Mehrheit sich für die Nothwendigkeit eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes erklärt, so ist das immer- hin ein beachtenswerthes Zeugniß für das derzeitige allgemeine Rechts- bewußtsein der gebildeten Völker; und wenn gleich die Mehrheit keine for- melle Herrschaft hat über die Minderheit, so liegt doch in der Verletzung eines Grundsatzes, den jene für einen allgemein verbindlichen Rechtssatz erklärt, eine ernste Gefahr für den verletzenden Stat. Wenn dereinst die Congresse organisirt sein werden, dann wird auch eine Be- schlußfassung mit Mehrheit möglich werden. Es ist eine Unvollkommenheit des jetzi- gen Rechtszustandes, daß der einzelne Stat allen andern gegenüber auch seine Willkür als Recht behaupten kann, welche an die noch barbarische Sitte der alten Germani- schen Rechtsfindung erinnert, in welcher nicht die Mehrheit der Stimmen, sondern die Tapferkeit der Fäuste entschieden hat oder an das berüchtigte Veto der einzelnen Polnischen Magnaten, welche das Zustandekommen der Gesetze zu hindern vermocht hat. Aber wie gefährlich die einfache Einführung des Mehrheitsprincips ohne Ga- rantien gegen den Mißbrauch wäre, zeigt schon der Hinblick auf den Gegensatz der Verfassungen. Wollte die monarchische Mehrheit der europäischen Staten die repu- blikanische Schweiz nach monarchischen Grundsätzen bemessen, so würde das offen- bares Unrecht sein, ebenso wie die Beurtheilung des Russischen Stats nach den con- stitutionellen Systemen der übrigen europäischen Staaten unrichtig wäre. 114. Die gegenwärtige Uebung, wornach auf den Congressen nur die Regierungen der Staten vertreten sind, stimmt nicht zu dem repräsentativen Charakter des modernen Statsrechts und ist keineswegs ohne Gefahr für die Verfassungen der einzelnen Staten. Jener Widerspruch und diese Gefahr lassen sich heben oder ermäßigen: a) durch Vollmachten auch von Seite der Volksvertretung der Einzelstaten, Völkerrechtliche Personen. b) durch den Vorbehalt nachträglicher Genehmigung von Seite der gesetz- gebenden Gewalt in den Einzelstaten, c) durch die Verantwortlichkeit der Minister und Gesanten für ihre Stimm- führung auf den Congressen. Die Anwendung der parlamentarischen Vertretung auch auf völkerrechtliche Congresse wird noch lange ein idealer Wunsch bleiben. Inzwischen können aber die Volksvertretungen dafür sorgen, daß nicht durch auswärtige Verhandlungen die ver- fassungsmäßigen Rechte ihres Volkes verletzt oder die besonderen Interessen ihres Landes geschädigt werden. In England und in den Vereinigten Staten ist diese Sorge schon seit langem geübt worden und mit Erfolg, wie manche Beispiele zeigen. Lediglich deßhalb ist die englische Krone der Heiligen Allianz nicht beigetreten und mehr als einmal hat der amerikanische Senat die diplomatischen Verabredungen durch seine Einsprache unwirksam gemacht. Drittes Buch. Völkerrechtliche Organe. I. Die Statshäupter. 1. Repräsentationsrecht der Statshäupter . 115. Das Statsrecht bestimmt, wer die Statspersönlichkeit nach außen darzustellen berechtigt und verpflichtet sei und unter welchen Bedingungen und Beschränkungen. Die Bildung der nöthigen Organe, um den Stat zu leiten und im Namen des States zu handeln, ist die Aufgabe der Statsverfassung. Das Völkerrecht hat den Stat zu nehmen, wie er ist und bestimmt nicht die Verfassung der Staten. Ob Jemand durch Erbrecht oder durch Wahl auf den Thron erhoben wird, ist für die Frage der Repräsentation im Völkerrecht unerheblich. Vgl. oben § 18. 116. In der Regel hat die wirkliche Statsregierung (qui actu regit) das völkerrechtliche Repräsentationsrecht auszuüben. In dem hellenischen Alterthum konnte es in Frage kommen, ob nicht der Volksversammlung das Repräsentationsrecht zukomme. In den modernen Staten wird überall die Repräsentation nach Außen als Aufgabe und Recht der eigentlichen Statsregierung betrachtet. Eine Statsregierung kann aber nur insofern von andern Staten als wirk- lich betrachtet werden, als sie in der That regiert , nicht wenn sie bloß Ansprüche darauf erhebt, die Regierung zu übernehmen. Drittes Buch. 117. Wer in einem Lande die Regierungsgewalt erwirbt, wird in Folge dessen im völkerrechtlichen Verkehr als Organ der Statspersönlichkeit be- trachtet. Mit einem siegreichen und im Lande anerkannten Usurpator können für den Stat verbindliche Verträge abgeschlossen werden. Die europäischen Mächte haben so abwechselnd mit dem Protector Cromwell und später wieder mit dem König Karl II. und nach der Vertreibung Jacobs II. mit dem Könige Wilhelm III. für England verbindliche Verträge abgeschlossen; ebenso mit der französischen Directorialregierung , mit Napoleon I. , mit dem gewaltsam restaurirten König Ludwig XVIII. , mit Ludwig Philipp , und wieder mit der republikanischen Regierung nach 1848 und mit Napoleon III. für Frankreich, ohne näher zu prüfen, ob diese verschiedenen Statshäupter in correcter Rechtsform zur Regierung gelangt seien. Die wirkliche Regierung ist allein in der Lage, für den regierten Stat zu handeln, weil sie allein im Besitz der Mittel ist, um wirksam zu handeln. Die Repräsentation ist nur ein Theil, nur eine einzelne Aeußerung der Regierungsthätigkeit überhaupt. Da der Stat eine lebendige Person und nicht ein todtes System von formellen Rechten ist, so kann er nur von dem vertreten werden, welcher in dem Stat und an der Spitze des States als lebendiges Statsorgan dem State dient, d. h. nur von dem, der wirklich die Regierungsgewalt ausübt oder ausüben läßt. Wie innerhalb des States der thatsächlichen Regierung, dem „actually King“ gehorcht wird und gehorcht werden muß (Englische Parlamentsacte von Heinrich VII. 1494), so erscheint nach außen die thatsächliche Regierung des Volks und Landes als deren natürliche Vertreter. In einer Note vom 25. März 1825 constatirte der englische Minister die allgemeine Uebung der europäischen Staten, mit den Regie- rungen de facto in völkerrechtlichen Verkehr zu treten. Vgl. Phillimore II. 19. Auch die römische Kirche hat trotz ihrer legitimistischen Neigungen in neuerer Zeit, dieselbe Maxime im Verkehr mit den Staten behauptet. Papst Gregor XVI. hat es in einer feierlichen Erklärung vom Aug. 1831 (bei Heffter Völkerr. Anhang. IV. ) als ein Bedürfniß und einen alten Gebrauch der Kirche bezeichnet, daß dieselbe mit denen verhandle „qui actu summa rerum potiuntur“, aber sich zugleich da- gegen verwahrt, daß darin eine Anerkennung ihrer Rechtmäßigkeit liege. Indessen ist in der Aufnahme der völkerrechtlichen Beziehungen und in der Ertheilung der gebräuchlichen Titel (König u. s. f.) doch die Anerkennung einer wirklichen Re- gierung enthalten und es ist das nicht ohne Wirkung auf die neue Rechtsbildung, indem sie die Zweifel gegen deren Bestand vermindert oder vollends beseitigt. 118. Wer die Regierungsgewalt verliert, hört in Folge dessen auf, der völkerrechtliche Vertreter des States zu sein. Völkerrechtliche Organe. Mit einem entthronten Fürsten können keine den Stat verbindliche Verträge abgeschlossen werden. Das nicht mehr wirkliche Statshaupt, außer Stande zu regieren, kann eben deßhalb den Stat auch nicht repräsentiren. Jakob II. konnte nach seiner Flucht und nachdem das Parlament seine Absetzung in Form der angenommenen Abdankung erklärt hatte, nicht mehr England vertreten, noch die Bourbonen Frankreich wäh- rend ihres Exils. Dasselbe gilt von den vertriebenen italienischen und deutschen Fürsten dieser Tage. Selbst wenn man annimmt, daß das Recht solcher entthronten Fürsten noch nicht erloschen und je nach Umständen wieder herzustellen sei, so muß doch, so lange dieses Recht nicht ausgeübt werden kann, auch die daraus abgeleitete Repräsentation ruhen. Die Zumuthung an ein Volk, daß es durch einen Fürsten sich verpflichten lasse, der keine Macht mehr über dasselbe besitzt und außer Stande ist, für den Vollzug seiner Zusagen zu sorgen, ist ungereimt. 119. Daraus, daß ein Stat mit dem thatsächlichen Haupte eines States in regelmäßigen Verkehr tritt, folgt nicht, daß er die Rechtmäßigkeit seiner Erhebung, wohl aber, daß er die rechtliche Wirksamkeit seiner gegenwär- tigen Statsstellung anerkenne. Vgl. zu § 117. Es ist daher möglich, obwohl nicht zweckmäßig, daß ein Stat, wenn er eine neue Regierung anerkennt, zugleich seine Meinung über den revolutionären Anfang der neuen Gewalt ausspricht, wie das im Jahr 1861 in einer Preußischen Note an das neue Königreich Italien geschehen ist. 120. Die Legitimität oder Illegitimität des Ursprungs einer Statsregierung ist eine Rechtsfrage, voraus des Stats-, erst in zweiter Linie des Völker- rechts. Auch eine ursprünglich durch Rechtsbruch erhobene Regierung kann aber rechtmäßig werden, wenn sie im State dauernden Bestand gewinnt und allgemeine Anerkennung findet. Im Gegensatz zu dieser Wahrheit hatte die Legitimitätspolitik der Congresse von Laibach und Verona es für eine Aufgabe der europäischen Völkerfamilie erklärt überall einzuschreiten, wo in einem State der Geist der Revolution sich rege und die legitimen Fürsten in ihrem Besitze der Gewalt auch wider die Völker zu schützen und wiederherzustellen. Am klarsten spricht die damalige Tendenz die Circulardepesche des Fürsten von Metternich aus, datirt Laibach 12. Mai 1821. Es heißt darin: „Les Souverains alliés n’out pu méconnaître, qu’il il n’y avait qu’une barrière à opposer a ce torrent devastateur“ (— de la conjuration impie, Drittes Buch. qui veut renverser ce qui existe —). Conserver ce qui est légale- ment établi , tel a dû être le principe invariable de leur politique, le point de départ et l’objet final de toutes leurs résolutions. Jamais ces Monarques n’out manifesté la moindre disposition de contrarier des améliorations réelles ou la réforme des abus qui se glissent dans les meilleurs gouvernemens. — Les changemens utiles ou nécessaires dans la législation et dans l’admini- stration des États ne doivent émaner que de la volonté libre, de l’impulsion réfléchie et éclairée de ceux que Dieu a rendu responsables du pouvoir. Tout ce qui sort de cette ligne, conduit nécessairement an désordre, aux bouleversemens, à des maux bien plus insupportables que ceux que l’on prétend guérir. Pénétrés de cette vérité éternelle, les Souverains n’ont pas hésité à la proclamer avec franchise et vigueur; Ils ont déclaré qu’en respectant les droits et l’indépendance de tout pouvoir légitime, Ils régar- daient comme légalement nulle et désauvouée par les principes qui constituent le droit publique de l’Europe, toute prétendue réforme opérée par la révolte et la force ouverte“. Nach diesen Legitimitätsgrundsätzen wurde in Piemont , in Neapel , in Spanien intervenirt und die repräsentative Verfassung dieser Länder überall in die absolute Monarchie zurückgeschraubt. Aber weder gelang es, diese Grundsätze gegen die südamerikanischen Colonien, die sich von den euro- päischen Mutterstaten lossagten, durchzuführen, indem die englische Regierung diese Umbildung anerkannte, noch waren dieselben in Europa auf die Dauer festzuhalten. Zuerst schon hinderten das Russische Interesse, der Idealismus Frankreichs und das liberalere Rechtsgefühl Englands die Anwendung derselben auf die griechische Revolution. Im Jahre 1830 schraken die Ostmächte vor der Verantwortlichkeit und Gefahr eines europäischen Krieges zurück und erkannten die gewaltsame Aenderung der französischen Dynastie und die Revolution Belgiens an. Seither sind noch eine Reihe von Regierungswechseln in den Europäischen Staten erst thatsächlich, wenn auch im Gegensatz zu dem Grundsatz der unangreifbaren Legitimität vollzogen, und wenn sie sich als nothwendig und dauerhaft erwiesen, immer unbedenklicher von allen europäischen Staten anerkannt worden. Der Fortschritt, der in der Anerken- nung der neuen Rechtsbildung je nach den Bedürfnissen und der Entwicklung der Völker liegt, ist also seit den Zwanzigerjahren dieses Jahrhunderts allgemein gemacht und die ältere Lehre einer unveränderlichen Legitimität in die Rumpelkammer der mittelalterlichen Antiquitäten verwiesen worden. 121. Wenn es zweifelhaft ist, ob eine Person wirkliches Statshaupt ge- worden oder ob sie noch wirkliches Statshaupt sei, so kann auch die Be- fugniß dieser Person, den Stat nach Außen zu vertreten, von andern Statsregierungen in Zweifel gezogen werden. Bei Umwälzungen, welche einen Regierungswechsel zur Folge haben, tritt ge- wöhnlich eine Zwischenzeit ein, in der es unsicher ist, ob der bisherige Gewalthaber Völkerrechtliche Organe. sich nicht behaupten oder in Bälde seine einstweilen erschütterte Herrschaft wieder herstellen könne und ob der neue Träger der Statsgewalt sich in der neu eingenom- menen Stellung befestigen werde. In dieser Zwischenzeit kann es einer außerhalb dieser Parteikämpfe stehenden Regierung nicht verargt werden, wenn sie auch im Zweifel ist, wen sie als wahren Repräsentanten des betreffenden Stats zu betrachten habe. Im Zweifel hat sie sich aber einer verbindlichen Verhandlung mit dem einen und dem andern zu enthalten, denn es können nicht zugleich zwei verschiedene Re- gierungen und daher zwei Vertreter Eines States bestehn. 122. Die Frage der Anerkennung einer auswärtigen Regierung wird in den modernen Staten durchweg von den inländischen Regierungen ent- schieden; und es haben sich dann die Landesgerichte auch in internationalen Processen nach diesem Entscheide zu richten. Es ist das eine Folge der Repräsentativgewalt, welche in den modernen Sta- ten von Europa und Amerika fast überall ganz den Regierungen anvertraut ist. Wo aber eine Verfassung, wie die schweizerische Bundesverfassung (Art. 74. 4) diese Anerkennung fremder Staten und Regierungen dem Gesetzgebenden Körper vorbehält, da ist natürlich nur dieser und nicht die Regierung competent. Die Competenz der statlichen Organe wird durch das Statsrecht, nicht durch das Völkerrecht geregelt. Die völkerrechtlichen Beziehungen der verschiedenen Staten zu einander wür- den übrigens verwirrt, wenn es den einzelnen Gerichten zustände, im Gegensatze zu dem Entscheide der Statsregierung eine fremde Regierung sei es nicht als zu Recht bestehend sei es als berechtigt zu erklären. Phillimore ( II. 23) führt manche Urtheile der Englischen und Nordamerikanischen Gerichte an, welche diese Regel bestätigen. 123. Die völkerrechtliche Persönlichkeit eines States erleidet keine Aende- rung, wenn gleich die Regierung desselben einen Wechsel — und auch dann nicht, wenn sie einen gewaltsamen Wechsel — erfährt, vorausgesetzt nur, daß Volk und Land in ihrer Individualität fortbestehen. Da nicht einmal die vollständige Wandlung der Statsverfassung die Fort- dauer der Statsperson verhindert (vgl. oben § 41. 42), so kann der Wechsel in der Person und dem System der Regierung noch weniger eine so erschütternde Wirkung haben. 124. Das wirkliche Statshaupt ist berechtigt, auch die völkerrechtlich dem Drittes Buch. State zukommende Ehre, Würde und Rangstellung in Anspruch zu nehmen und den entsprechenden Titel zu führen. Die Verweigerung solcher Titel wird mit Grund als eine Beleidigung betrach- tet, wenn erst die neue Regierung sich als unzweifelhaft wirkliche Regierung betrachten darf. Schon die leise Mißachtung, welche Napoleon III. von Kaiser Nikolaus erfuhr, als dieser in seinem Schreiben den üblichen Brudernamen ( mon frère ) unter- ließ, ist von dem Erstern schwer empfunden und gerächt worden: und doch ließ sich da von keiner Rechtsverletzung sprechen, sondern höchstens von einem Verstoß gegen die höfische Sitte, denn es war darin Napoleon ausdrücklich als wirkliches Statshaupt der Franzosen anerkannt worden. 125. Die diplomatische Sitte fordert, daß die in regelmäßigem Verkehr mit einander befindlichen Staten einander jeden Personenwechsel in dem Statshaupt anzeigen. Die Unterlassung oder Verschiebung dieser Anzeige ist indessen nicht als Rechtsverletzung zu betrachten und hat keine Aende- rung der Rechtsverhältnisse zur Folge. Zuweilen wird die Anzeige aus dem Grunde aufgeschoben oder vermieden, um unangenehme Erörterungen über die Rechtmäßigkeit der Aenderung zu vermeiden und die stille Heilung der Zeit nicht zu stören. In dieser Weise verfuhr die neue Regierung des Königreichs Italien 1862/64 mit einer wohlberechneten Zurück- haltung, um nicht die deutschen Staten zu feindseligen Gegenäußerungen zu veran- lassen und nicht der österreichischen Politik, welche dem neuen Stat die Anerkennung verweigerte, willkommenen Anlaß zu Demonstrationen zu geben. 2. Die Statshäupter als souveräne Personen . 126. Die Frage, ob dem jeweiligen Statshaupt auch persönliche Souve- ränetät zukomme oder nicht, ist zunächst wieder eine Frage des Statsrechts, nicht des Völkerrechts. In der Regel wird diese Frage in den heutigen Monarchien bejaht , und in den heutigen Republiken verneint . Der Fürst wird als eine souve- räne Person betrachtet, der republikanische Präsident nicht. Das war nicht immer so und ist nicht nothwendig so. Die alt-römischen Consuln galten nicht minder als souveräne Personen als die Könige der andern Völker; und zwischen den erblichen Reichsfürsten des Mittelalters und dem gewählten Dogen der Republik Venedig wurde in dieser Hinsicht kein Unterschied gemacht. Der Grund, weßhalb die heutigen Völkerrechtliche Organe. Republiken ihren Regierungen diese persönliche Eigenschaft absprechen, ist der, sie wollen dieselben fortwährend daran erinnern, daß ihre Gewalt eine abgeleitete, keine ursprüngliche sei, während die monarchischen Völker es lieben, die Hoheit des States in der Majestät des Monarchen persönlich darzustellen. 127. Die Familien der Souveräne in den europäischen Staten werden als „souveräne Familien“ bezeichnet und sind unter sich ebenbürtig. Der Ausdruck souveräne Familie ist freilich ungenau , denn der Familie kommt keine Souveränetät zu, weder die ursprüngliche Statssouveränetät, noch die concentrirte Fürstensouveränetät. Vielmehr sind alle ihre übrigen Glieder Unterthanen des Stats und des Statshaupts. 128. Wenn gleich der Präsident einer Republik nicht als Souverän gilt, so kommen ihm dennoch, insofern er als Repräsentant seines States er- scheint, alle diejenigen Rechte zu, welche dem souveränen Repräsentanten eines States gebühren. Inwiefern er den Stat repräsentirt, ist in ihm das Recht des States zu ehren, den er darstellt. Es gilt das auch von dem Rang und den besondern Ehren des republicanischen Stats im Verhältniß zu den monarchischen Staten. 129. Die Unabhängigkeit eines States gegenüber andern Staten wird durch die Unabhängigkeit des Statshauptes von fremden Statsgewalten be- währt. Die Statshäupter sind in der Regel keiner fremden Statshoheit unterworfen, auch dann nicht, wenn sie ein fremdes Statsgebiet betreten. Die sogenannte Exterritorialität , von der in dem folgenden Capitel die Rede sein wird, ist eine weit getriebene Anwendung dieses Grundsatzes, welche die völkerrechtliche Beschränkung der Statshoheit, die sich im übrigen auf das ganze Land ausdehnt, zu Gunsten der fremden Souveräne erklären und rechtfertigen soll. Die Rücksicht auf die völkerrechtliche Sicherheit und Unabhängigkeit der Vertreter der Staten hat hier das Uebergewicht erlangt über die Rücksicht auf die besondere statsrechtliche Gebietshoheit . 130. Die Souveräne können jedoch in fremdem Gebiet ihre Befreiung von der dortigen Statsgewalt nur insofern behaupten, als sie Bluntschli , Das Völkerrecht. 8 Drittes Buch. a) daselbst als souveräne Personen bekannt und anerkannt sind, b) als ihnen der Eintritt in das fremde Land nicht untersagt wor- den ist, oder sie nicht gemahnt worden sind, dasselbe wieder zu verlassen, c) als die beiden Staten sich im Frieden mit einander befinden. Zu a) Wenn ein Souverän, während er in fremdem Lande ist, entthront wird, so kann ihm auch der Stat seines Aufenthaltsorts die Anerkennung entziehn und er ist nachher als Privatperson zu betrachten. Wenn ein Fürst nach seiner Entthronung oder nach seiner Abdankung in ein fremdes Land zieht und daher nicht mehr berechtigt erscheint, den Stat zu repräsentiren, so hat er auch kein Recht auf diese Ausnahmsstellung. Als die Exkönigin Christine von Schweden in Frank- reich ihren Diener Monaldeschi tödten ließ (1657), war sie dafür den französischen Gerichten verantwortlich, wenn gleich die französische Regierung sich darauf beschränkte, sie deßhalb aus Frankreich zu verweisen. Auch die Königin Marie Stuart war schon Jahre lang von England nicht mehr als Königin von Schottland anerkannt, als ihr der Proceß gemacht wurde. Zu b) Jeder Stat ist zunächst ausschließlich Herr seines Gebietes und braucht daher nicht zu dulden, daß sich in demselben ein fremder Souverän gegen seinen Willen festsetze . Er kann daher demselben je nach Umständen den Eintritt in das Land verweigern, ohne eine Rechtsverletzung zu begehen und er kann denselben zum Austritt anhalten. Je nach Umständen kann aber darin nicht bloß eine Un- freundlichkeit, sondern sogar eine Beleidigung erkannt werden, wenn solches in der Absicht geschieht, die Ehre des betreffenden Stats oder seines Fürsten zu verletzen. Zu c) Im Kriege kann der fremde Souverän, der als Feind zu betrachten ist, gefangen gesetzt werden. Die Gefangennahme des Kurfürsten von Hessen durch Preußen im Jahr 1866 war nicht, wie es in dem Manifest des Herzogs von Nassau vom 15. Juli heißt „ein in der Geschichte der Civilisation einzig dastehendes Beispiel“. Die Beispiele von kriegsgefangenen Fürsten sind in der europäischen und in der deutschen Geschichte nicht selten. Die Kriegsgefangenschaft des Kaisers Napoleon I. ist noch in frischer Erinnerung der Mitlebenden. Vgl. unten § 142. 143. 131. Wenn ein Souverän in einem fremden State ein Amt annimmt, so wird er durch das Amt dem fremden State verpflichtet. Er ist ver- bunden, so lange er das Amt bekleidet, alle Pflichten desselben auszuüben und bleibt insofern der fremden Statsgewalt untergeordnet. In dieser Lage sind einzelne deutsche Fürsten , welche zugleich als Ge- nerale in der Preußischen Armee dienen. Freilich ist hier leicht ein Conflict möglich zwischen der statsrechtlichen Amtspflicht und der völkerrechtlichen Selbständigkeit , dessen Lösung in Art. 132 gegeben wird. Völkerrechtliche Organe. 132. Dem Souverän steht es jeder Zeit zu, das Amt in fremdem State wieder zurückzugeben und seine souveräne Stellung wieder geltend zu machen. Ebenso steht es der fremden Statsgewalt frei, ihm das Amt ohne Verzug wieder abzunehmen. Vgl. darüber die vorige Anmerkung. Kommt es wirklich zum Conflict, so ist derselbe dadurch zu beseitigen, daß der Fürst entweder sich auf seine völker- rechtliche Stellung zurückzieht , indem er das fremde Statsamt niederlegt, oder daß ihm das letztere abgenommen und er auf die völkerrechtliche Stellung zurückgewiesen wird. Allerdings läßt sich auch das Gegentheil als Lösung den- ken, das Aufgeben der souveränen Stellung und das volle Uebergehen in den frem- den Statsdienst. Dann wird aber der Fürst Privatmann und kommt nicht mehr als souveräne Person in Betracht. 133. Reist ein Souverän incognito in fremdem Lande, so wird seine souveräne Eigenschaft ignorirt und er als Privatperson behandelt. Im Nothfall aber kann er das Incognito ablegen und sich als Souverän zu erkennen geben. Von da an kann er die Rechte eines Souveräns an- sprechen. Ein bekannter Fall ist die Reise des Czars Peter von Rußland incognito im Gefolge seiner Gesantschaft nach Berlin. 134. Wenn der Präsident einer Republik in fremdem Lande reist, so wird er in der Regel als Privatperson betrachtet und behandelt. Insofern er aber daselbst als Repräsentant seines States auftritt, hat er dieselbe Befreiung von der fremden Statsgewalt anzusprechen, wie ein Souverän in fremdem Lande. Regel und Ausnahme drehen sich um, je nachdem dem Statshaupt persön- liche Souveränetät oder nur repräsentative Darstellung der Stats- souveränetät zugeschrieben wird. In der Monarchie ist die souveräne Erscheinung die Regel, die Erscheinung als Privatperson die Ausnahme. In der Republik ist diese die Regel und jene die Ausnahme. Vgl. oben zu § 128. Der Unterschied der monarchischen und der republikanischen Verfassung begründet keinen Unterschied in den Rechten und Pflichten des völkerrechtlichen Verkehrs, der durch die Statshäupter vermittelt wird. 8* Drittes Buch. 3. Vom Recht der Exterritorialität . 135. Zu Gunsten fremder Souveräne oder überhaupt zu Gunsten der Personen, welche einen Stat in fremdem Lande repräsentiren, wird, um ihre Unabhängigkeit von einer andern Statsgewalt zu sichern, in mancher Beziehung fingirt, sie seien außerhalb des fremden Landes ( extra territorium ), gleich wie wenn sie überallhin ihre Heimat mitzunehmen vermöchten. Die Fiction der Exterritorialität ist nicht der Grund der Exemtion von frem- der Statsgewalt, welche jene Personen in fremdem Lande genießen, sondern nur eine bildliche Darstellung dieses Ausnahmerechts. Der wirkliche Grund liegt in der völkerrechtlichen Achtung vor der Unabhängigkeit der repräsentirten Staten in ihrem Verkehr mit einander. Vgl. § 129. Die Fiction wirkt deßhalb nur relativ, sie wirkt nicht über die wirklichen Gründe der Exemtion hinaus. 136. Die exterritoriale Person wird der Statshoheit des einheimischen States in der Regel nicht unterworfen, obwohl sie thatsächlich in dessen Gebiet sich aufhält. Der einheimische Stat bleibt jedoch berechtigt zu fordern, daß die exterritoriale Person hinwieder seine Unabhängigkeit, Sicherheit und Ehre nicht verletze und die zur Erhaltung derselben nöthigen Maßregeln zu ergreifen. Die Exemtion von der einheimischen Statsgewalt ist nur ein negatives Recht , sie hindert die Ausübung derselben gegen die exterritoriale Person. Aber sie ist nicht eine positive Befugniß des Exterritorialen, nun seinerseits den Stat anzu- greifen, der ihm jene Rücksicht und Gunst erweist. Der Stat ehrt in dem fremden Souverän einen Genossen seiner eigenen Souveränetät, aber er braucht nicht einen offenbaren Feind in seinem Lande zu dulden. Es ist wiederholt und mit Recht ge- schehen, daß Gesante gefangen gesetzt wurden, weil sie an einer Verschwörung wider die Regierung Theil nahmen, in deren Land sie waren, z. B. der Schwedische Gesante in England 1716 ( Wheaton hist. I. 308). Vgl. unten Absch. II. 137. Die exterritoriale Person ist der Policeigewalt des einheimischen Sta- tes nicht unterworfen. Die Policei darf keinen unmittelbaren oder mittel- baren Zwang gegen sie üben. Aber die Policei ist nicht gehindert, die- jenigen Maßregeln zu ergreifen, welche nöthig sind, um Rechts- oder Völkerrechtliche Organe. Sicherheitsgefährliche Handlungen der exterritorialen Person zu verhindern und die exterritoriale Person ist ihrerseits verbunden, die allgemeinen policeilichen Anordnungen und Einrichtungen des Landes nicht zu stören. Wollte die exterritoriale Person z. B. Schießproben in ihrem Garten vorneh- men, welche die Nachbarn bedrohten, oder ein Feuer anzünden, durch welches die anstoßenden Häuser in Gefahr versetzt würden, so wäre die Policei im Recht, das zu hindern. Die Rücksicht auf die Würde des fremden Stats muß sich vereinigen lassen mit der nothwendigen Sorge für die eigene Sicherheit. Die bau- und feuerpoliceilichen Vorschriften gelten daher auch für die Wohnungen der Ex- territorialen. 138. Die exterritoriale Person ist nicht steuerpflichtig. Inwiefern aber im Lande Gebühren erhoben werden für öffentliche Dienstleistungen, so ist auch die exterritoriale Person, insofern sie diese Leistungen benutzt, nicht von Rechts wegen von der Gebühr befreit. Die Steuerbefreiung erklärt sich zunächst wieder aus der Verneinung der Steuerhoheit des einheimischen States über den fremden Souverän. Dieselbe wird aber aus Courtoisie zuweilen in weiterem Sinne geübt, als die rechtliche Con- sequenz des Princips fordert. Es versteht sich, daß der Exterritoriale keiner Ein- kommens- oder Vermögenssteuer , keiner Kriegs- oder Armensteuer unterworfen ist und ebenso, daß er Zoll- und Octroifreiheit genießt für die Effekten und Waaren, welche er mit sich führt oder zu seinem Gebrauche kommen läßt. Aber zweifelhafter ist schon die Befreiung von Weg- und Brücken- geldern , weil das Gebühren sind für die Anlage und Unterhaltung der Wege und Brücken. Indessen die Courtoisie reicht gewöhnlich so weit. Nicht ebenso verhält es sich mit den Taxen für Erwerb von Grundstücken oder andern Sachen, oder bezüglich der Gerichtsgebühren in Processen, welche der Exterritoriale freiwillig vor den einheimischen Gerichten führt oder führen läßt. Diese Gebühren werden meistens gefordert und können jedenfalls gefordert werden. Selbstverständlich sind auch die Postgebühren , die Telegraphengebühren , die Kosten für Be- nutzung der Eisenbahnen ohne Unterschied, ob diese Anstalten von Privaten unternommen oder von Stats wegen besorgt werden, nicht in jener Steuerfreiheit inbegriffen. Wird der Exterritoriale zuweilen auch von den Briefporti befreit, so ist das eine ihm erwiesene Gefälligkeit, keine Rechtspflicht. 139. Die Landesgerichte nehmen in der Regel keine bürgerliche Klage, insbesondere keine Schuldklage gegen die exterritorialen Personen an und Drittes Buch. dürfen gegen dieselben keine Zwangsmittel anwenden, weder gegen deren Person, noch gegen deren Vermögen. Es ist das wieder nur eine Folge der persönlichen Unabhängigkeit des Ex- territorialen von anderer Statsgewalt. Die Civilgerichtsbarkeit ist freilich nur zum Schutz der Privatrechte und des Privatverkehrs eingeführt. Das Privat- recht aber ist seinem Wesen nach für Jedermann dasselbe und hat mit Statssouve- veränetät nichts zu schaffen. Wenn der Souverän ein Haus sich zufertigen läßt oder ererbt, oder einen Miethvertrag eingeht, oder einen Wechsel ausstellt, so erscheint er in allen diesen Rechtsgeschäften ganz ebenso als Privatperson, wie jeder Andere und handelt in denselben Rechtsformen, nach denselben Grundsätzen, mit denselben Wirkungen. Als Privateigenthümer, als Privatgläubiger oder Schuldner ist er in keiner Weise Repräsentant des Stats, nicht Souverän. Wenn trotzdem die civilisir- ten Staten ihre Gerichte anweisen, in der Regel keine Civilklage gegen die exterri- torialen Personen anzunehmen, so liegt der Hauptgrund in der völkerrechtlichen Rücksicht, daß die Durchführung der gerichtlichen Zwangsmittel (Arrest, Pfändung, Concurs, Versilberung) gegen die privatrechtliche Person und ihr Ver- mögen mittelbar auch ihre völkerrechtliche Unverletzlichkeit, Unabhängigkeit und Ehre treffen und gefährden würde. Man zieht es daher vor, im Interesse der Sicherheit und Würde des statlichen Verkehrs von der strengen Consequenz des privat- rechtlichen Grundsatzes abzusehen, und will das Gericht nicht der Gefahr aussetzen, daß seine Autorität sich machtlos zeige. Ueberdem kam dieser Befreiung der Exter- ritorialen von der Civilgerichtsbarkeit jene Fiction zu Statten, indem nun fingirt wurde, sie wohnen nicht innerhalb des Gerichtsbezirkes der inländischen Civilgerichte, sondern ihr Domicil liege in ihrer Heimat. Während daher im Mittelalter noch, welches den privatlichen Charakter des Rechts mit Vorliebe betont, die privatrecht- liche Klage gegen Fürsten unbedenklich überall an Hand genommen wurde, wo die Gerichtsbarkeit an sich begründet erschien, so ist dagegen in der neuern Zeit die Exemtion der souveränen Personen auch von der fremden Civilgerichtsbarkeit allge- meiner zur Uebung der gebildeten Völker geworden. Im Jahr 1827 hat sich das französische Civilgericht von Havre sogar, ungeachtet der abweichenden Meinung der Statsanwaltschaft, für incompetent erklärt, eine Civilklage gegen den Präsidenten der Negerrepublik von Haiti an Hand zu nehmen. Vgl. Phillimore II. App. IV. 140. Ausnahmsweise wird die einheimische Gerichtsbarkeit der Civilgerichte begründet: a) insofern die Klage auch dann hierorts anzubringen wäre, wenn der Exterritoriale in Wahrheit außer dem Lande wohnte und die Execution ohne Gefährdung der statlichen Unabhängigkeit und Ehre durchzuführen ist, wie insbesondere bei Realklagen auf lie- gendes Gut; Völkerrechtliche Organe. b) insofern der Exterritoriale eine besondere Privatstellung z. B. als Kaufmann im Lande inne hat, oder ein einheimisches Amt be- kleidet und daher in diesen Eigenschaften der inländischen und Ge- richtshoheit untergeordnet ist; c) wenn der Exterritoriale vertragsmäßig oder sonst in rechtlich wirksamer Form die hiesige Gerichtsbarkeit anerkannt hat. Auch in diesen Ausnahmsfällen ist jedoch der unmittelbare Zwang gegen die Person (Personalverhaft) insoweit zu unterlassen, als dadurch die völkerrechtlichen Beziehungen verletzt werden könnten, und es hat sich die gerichtliche Execution auf vermögensrechtliche Zwangsmittel zu beschränken. Zu a) Die Vindication eines Grundstücks, welches der Exterritoriale im Besitz hat, ist nur vor den Landesgerichten durchzuführen, wo das Grundstück wirk- lich gelegen ist. Ebenso die Klagen am Nachbarrecht (z. B. wegen Wasser- ablauf) und auf oder gegen behauptete Dienstbarkeiten . Dagegen für Arrest- klagen kommt hinwieder die Rücksicht auf die gefährdete Würde und Freiheit des Beklagten hemmend in Betracht, sowie die Erwägung, daß die moderne Rechtsbil- dung in Schuldklagen überhaupt nicht geneigt ist, die gerichtliche Competenz der inländischen Gerichte über auswärtige Souveräne oder Gesante zuzulassen. Zu b) Wenn ein Statshaupt zugleich ein Handelsetablissement betreibt und als Kaufmann an dem Handelsverkehr Theil nimmt, so hat er sich in dieser Eigenschaft des Vorzugs seiner Würde begeben und muß vor den Handelsgerichten für seine Handelsgeschäfte Rede stehen. Ebenso hat der englische Master of rolls in einem Proceß des entthronten Herzogs von Braunschweig gegen den König von Hannover und Herzog von Cumberland (13. Jan. 1844) sein Urtheil dahin aus- gesprochen: „I am of opinion, that his majesty the King of Hanover is and ought to be exempt from all liability of beeng sued in the Court of this country, for any acts done by him as King of Hanover, or in his character of Sovereign Prince, but that, being a subject of the Queen, he is and ought to be liable to be sued in the Courts of this country, in respect of any acts and transactions done by him, or in which he may heve been engaged as subject“. ( Phillimore II. App. IV. S. 589). Zu c) Wenn eine souveräne Person oder ein anderer Exterritorialer sich die Klage gegen ihn gefallen läßt, oder wenn er etwa selber eine Civilklage in dem fremden Lande anstellt, so muß er, oder sein Vertreter sich nach der Proceßord- nung des anerkannten Gerichts in dem Processe fügen und kann für sich kein weiteres Privilegium ansprechen. Im letzteren Fall wird er sich daher auch der Eidesleistung nicht entziehen können, wo diese als nothwendig gilt, noch der Bezah- lung der Proceßkosten, wenn er unterliegt. Im Jahr 1828 entschied das englische Obergericht, daß fremde Souveräne ebensowohl vor den Billigkeits- wie vor den Rechtshöfen Klage führen können ( Phillimore II. App. IV. S. 548). In einem andern Fall wurde ebenfalls in der Appellationsinstanz von den rechtsgelehr- Drittes Buch. ten Lords von England der Satz ausgesprochen, daß ein fremder Souverän, wenn er vor einem englischen Gerichte eine Klage verfolge, jedem andern Privatkläger gleich zu behandeln, also je nach Erforderniß der Sache ihm auch der Eid aufzulegen sei. (Proceß zwischen dem Könige von Spanien und dem Hause Hullet and Widder. Aug. 1833. Phillimore II. App. IV. 3.) Auf eine Widerklage dagegen braucht sich der Exterritoriale nicht einzulassen, weil dieselbe eine Klage ist, und alle Gründe, welche gegen die Zulassung von Klagen sprechen, auch auf die Widerklage passen. 141. Die exterritoriale Person ist der Strafgerichtsbarkeit des einheimischen States nicht unterworfen. Dieser Stat hat aber das Recht, theils die nöthigen Maßregeln zu ergreifen, um ein Vergehen des Exterritorialen zu verhindern, theils von dem State des Exterritorialen Genugthuung zu for- dern, wenn dieser die Rechtsordnung des Landes in einer Weise verletzt, welche an sich zu strafgerichtlicher Verfolgung berechtigt. Auch diese Bestimmung, welche durch den allgemeinen Gebrauch der civilisir- ten Völker bestätigt wird, ist singuläres Recht, weil dieselbe die an sich berechtigte Wirksamkeit der Strafrechtspflege hemmt. Es verhält sich damit ähnlich wie mit der statsrechtlichen Unverantwortlichkeit der Souveräne. Aber es ist zweckmäßig, daran zu erinnern, daß es gefährlich ist, die Haltbarkeit solcher Rechtsfictionen auf eine zu harte Probe zu setzen. 142. Wenn die exterritoriale Person in dem Lande feindliche Handlungen verübt, so darf sie von der einheimischen Regierung als Feind erklärt und behandelt und im Nothfall gefangen genommen werden. Das ist nicht Anwendung des Strafrechts, sondern des Kriegsrechts. Die Gefangenschaft ist Kriegsgefangenschaft, nicht Strafgefängniß. Vgl. oben zu § 130. 143. Der einheimische Stat ist jeder Zeit berechtigt, der exterritorialen Person aus erheblichen Gründen das Gastrecht und damit die Fortdauer der Exterritorialität zu kündigen. Die Kündigung darf nicht auf einen kürzeren Termin gestellt wer- den, als es dem Exterritorialen möglich ist, mit Sicherheit das Land zu verlassen. Vgl. oben zu § 130. Völkerrechtliche Organe. 144. Wenn der Exterritoriale andere Personen in ihrem persönlichen, Familien- oder Vermögensrechte gewaltsam angreift oder ernstlich bedroht, so ist auch ihm gegenüber die Nothwehr erlaubt. Phillimore II. 105. Der Gewaltthat darf man mit Gewalt begegnen, und wenn in Folge der Nothwehr gegen widerrechtliche Gewaltthat der Exterritoriale umkommt, so ist das keine Verletzung des Völkerrechts. Das Recht der Nothwehr ist natürliches Menschenrecht , welches von dem Völker- wie von dem Stats- recht anerkannt werden muß, nicht unterdrückt werden darf. 145. Die Exemtion von der einheimischen Statshoheit wird auch auf die Familiengenossen, Beamten, Begleiter und Diener des Exterritorialen aus- gedehnt. Sein Gefolge hat indessen nur einen mittelbaren Anspruch auf Exterritorialität, nicht um seiner selbst willen, sondern nur aus Rücksicht auf den exterritorialen Gefolgsherrn. Die Familiengenossen haben Theil an seiner Befreiung, insofern sie that- sächlich zu ihm gehören , also in seinem Hause wohnen, aber nicht, wenn sie eine selbständige Stellung außerhalb seiner Familie behaupten. Im letztern Fall sind sie fremde Privatpersonen gleich andern Fremden. Die Uebergänge aus dem einen in den andern Zustand können freilich zu mancherlei Zweifeln den Anlaß geben. Der Hauslehrer der Kinder des Exterritorialen gehört zu seinem Ge- folge, aber die übrigen Lehrer am Ort, welche nur einzelne Lehrstunden geben, ge- hören nicht dazu. 146. Der Exterritoriale darf nicht sein Ausnahmerecht dazu mißbrauchen, um Personen, welche im Lande gerichtlich oder policeilich verfolgt werden, durch Aufnahme in sein Gefolge der einheimischen Gerichts- oder Policei- gewalt zu entziehen. Ueberhaupt ist das Privilegium im Sinn des guten Glaubens zu inter- pretiren. Als ein Musiker, um seinen Gläubigern zu entgehen, sich in die Capelle eines Bayrischen Gesanten in London aufnehmen ließ, wurde diese Aufnahme von dem englischen Gerichtshof als illusorisch behandelt, weil kein wirklicher bona-fide- Dienst nachgewiesen sei. In ähnlicher Weise wurden noch gegen mehrere andere angebliche Diener dieses Gesanten verfahren, der offenbar das Privilegium zu einem ungebühr- lichen Patronate mißbraucht hatte. Siehe die Fälle bei Wildmann I. 124. Drittes Buch. 147. Die Personen im Gefolge des Exterritorialen sind in der Regel ebenfalls von der Gerichtsbarkeit des einheimischen States befreit. Dieser Stat ist aber berechtigt, von dem State des Exterritorialen zu fordern, daß er den einheimischen Gläubigern oder andern einheimischen Klägern Recht gewähre und wegen der im Lande verübten Vergehen und Verbre- chen dieselben bestrafe. Vattel ( IV. § 124) berichtet über einen merkwürdigen Fall, der sich in England ereignete, als ein Edelmann im Gefolge des französischen Botschafters Marquis von Rosny, spätern Herzogs von Sully, sich einer Tödung schuldig machte. Derselbe wurde von dem Botschafter zum Tode verurtheilt und die Hinrichtung der englischen Justiz anheimgestellt, dann aber trat Begnadigung ein. 148. Verübt eine Person aus dem Gefolge des Exterritorialen ein Ver- gehen, so ist der Letztere berechtigt, dieselbe nöthigenfalls gefangen zu neh- men und in seine Heimat zur Bestrafung zu überschicken. Die Gefangennahme derselben durch die einheimische Statsgewalt zum Behuf der Ueberlieferung an den Exterritorialen oder dessen Stat ist nicht Verletzung, sondern Anerkennung dieser mittelbaren Exterritorialität. Die Gefangennahme geschieht in diesem Fall nicht in der Absicht, die eigene Gerichtsbarkeit auszuüben, auch nicht in der Meinung, den fremden Stat zu ver- letzen, sondern in dem Vorsatz, demselben in der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit behülflich zu sein. 149. Es steht den Exterritorialen frei, ihr Gefolge der ortspoliceilichen und gerichtlichen Autorität ebenso unterzuordnen, wie die andern Bewohner des Ortes es sind. Keinenfalls dürfen die Gefolgsleute ungestraft Stö- rungen der öffentlichen Ordnung des Orts verüben. Wenn die Gefolgsleute des Exterritorialen Unterthanen des einheimischen States selber sind, so werden sie gewöhnlich dessen Jurisdiction unterstellt. Es kann das aber unbedenklich auch auf Angehörige des States, den der Exterritoriale reprä- sentirt, ausgedehnt werden, sobald dieser es zweckmäßig findet, denn sie haben alle kein persönliches, sondern nur ein abgeleitetes Recht auf Exterritorialität. Auf dem Friedenscongreß zu Münster in Westphalen am Schluß des dreißigjährigen Kriegs kamen so die Gesanten überein, um die Rauf- und Streitlust ihrer Gefolge im Zaum Völkerrechtliche Organe. zu halten, dieselben gemeinsam der Ortspolicei zu unterwerfen. Ueberhaupt ist eine allzu weite Ausdehnung der Exterritorialität für die Rechtssicherheit und die öffentliche Ordnung durchaus schädlich und nicht zu empfehlen. Das Völkerrecht for- dert grundsätzlich nur, daß die Ehre und Freiheit der Staten in ihren Repräsen- tanten geschützt, und durchaus nicht, daß die Missethaten der Individuen begünstigt werden. 150. Die Exemtion des Exterritorialen erstreckt sich auch auf die Wohnung, welche er inne hat, aber nicht auf den Grundbesitz, welchen er als Privat- mann bewirthschaftet. Wenn ein Souverän ein Gut in einem fremden Lande kauft, um seine Capitalien darin anzulegen, und sein Vermögen in solcher Weise zu bewirthschaften, nicht um daselbst als Souverän zu leben und den Stat repräsentiren zu lassen, so ist kein Grund da, dieses Gut als exterritorial zu betrachten. Nur inwiefern das Hotel des Exterritorialen seiner Person als Wohnung dient und in Folge dessen seine repräsentative Stellung und Freiheit sichert, gilt dasselbe als exempt. Dann darf es, ohne seinen Willen, nicht von der einheimischen Statsgewalt betreten und durchsucht werden. Als die Russische Finanzwache am 3. April 1752 in das Hotel des Schwedischen Gesanten in Petersburg eindrang und ein paar Diener des- selben gefangen nahm, welche beschuldigt waren, das Statsmonopol verletzt zu haben, gab die Kaiserin Elisabeth dem beleidigten Gesanten volle Genugthuung wegen die- ser Verletzung des Völkerrechts. Vattel IV. § 117. 151. Die Wohnung des Exterritorialen darf nicht zum Asyl mißbraucht werden für gerichtlich Verfolgte. Der Exterritoriale ist verpflichtet, solchen Flüchtlingen die Aufnahme zu untersagen, beziehungsweise dieselben an die ordentliche Gerichtsgewalt auszuliefern. Oft wurde ein solches Asylrecht behauptet und oft auch ausgeübt. Am wei- testen war dieser Mißbrauch in Rom gediehen, wo auch die Kirchen ein Asyl ge- währten. Im Mittelalter dienten die zahlreichen Asyle, welche in Herrenhöfen und Kirchen und von Schutzheiligen gewährt wurden, um die wilde Verfolgung der Blutrache, der Fehde und einer barbarischen Justiz zu mäßigen. Mit einer civilisir- ten und einer wirksamen Rechtspflege aber sind dieselben nicht mehr vereinbar. Bynkershoek ( de jure legatorum c. 21) hat den Beweis geführt, daß keinerlei völkerrechtliche Rechtsgründe für ein derartiges Asylrecht sprechen. Seither ist diese Ansicht, die schon Hugo de Groot ( II. 18, 8) vertrat, allgemein von der Wissen- schaft anerkannt worden, wenn gleich einzelne Exterritoriale immer noch von Zeit zu Zeit den Versuch machten, auch ihr angebliches Asylrecht auszuüben. Drittes Buch. 152. Ebenso ist das Quartier, welches der Exterritoriale auf Reisen be- zogen hat und ist der Wagen, in dem er fährt, zu Ehren seiner Sicher- heit und Unabhängigkeit vor policeilicher oder gerichtlicher Gewaltübung gefreit. 153. Die Exemtion erstreckt sich auch auf das dem Exterritorialen gehörige Mobiliar, welches zu seinem Gebrauche dient, wie insbesondere Arbeits- tische, Schränke, Kisten und Kasten, die Ausstattung seiner Wohnung, Wagen und Pferde. Der alte technische Ausdruck für die Befreiung ist: „Legatus instructus et cum instrumento“. Die Ausdehnung der Befreiung auch auf die Mobilien sichert besonders auch die Acten und Correspondenzen des Exterritorialen. Vgl. unten Abschnitt 8 dieses Buches. 4. Die Familiengenossen der souveränen Personen . 154. Die Ehegatten, Kinder und andere Anverwante einer souveränen Person haben als solche kein Recht der Souveränetät, sondern sind Unter- thanen. Sie haben daher auch, wenn sie in fremdem Lande sind, keinen Rechtsanspruch auf Exemtion von der dortigen Statsgewalt noch auf Ex- territorialität. Alle diese Personen, selbst der Gemal einer regierenden Königin, der nicht zugleich Mitregent ist, oder die Gemalin eines Königs, obwohl sie den Titel Köni- gin führt, sind nicht Repräsentanten des States selbst, noch Träger der Souveränetät, also völkerrechtlich ohne Anrecht auf jene Privilegien, welche um der Souveränetät oder Repräsentation des States willen zugestanden werden. Die Courtoisie geht aber hier zuweilen über die Rechtsnothwendigkeit hinaus und befreit zu- weilen auch solche hohe Personen von manchen Belästigungen, deren andere Reisende ausgesetzt sind. 155. Das Statsrecht bestimmt zunächst die Titel und den Rang, welche diesen Personen zukommen. Aber damit diese Titel und Rangstufen im völkerrechtlichen Verkehr beachtet werden, müssen dieselben dem herkömm- lichen Gebrauche entsprechen oder, wenn sie erhöht werden die Erhöhung von den Mächten anerkannt worden sein. Völkerrechtliche Organe. Vgl. das Protokoll der fünf Großmächte auf der Conferenz zu Aachen vom 11. Oct. 1818: „Les Cabinets preunent en même tems l’engagement de ne recounaître à l’avenir aucun changement ni dans les titres des souverains ni dans ceux de princes de leurs maisons sans en être préablement convenus entre eux“. 156. Die Gemalinnen der souveränen Fürsten führen in der Regel den- selben Titel und haben denselben Rang, wie diese, aber nicht ebenso all- gemein die Gemale von souveränen Fürstinnen. Die Gemalinnen der Kaiser und Könige werden Majestäten genannt, obwohl ihnen die eigentlichen Majestätsrechte nicht zustehn. Prinz Albert erhielt als Gemal der Königin Victoria von England den Königstitel nicht; dagegen wurde dem Herzog Ferdinand , ebenfalls aus dem Hause Coburg, als Gemal der Königin Maria II. da Gloria von Portugal der Königstitel verliehen. 157. Den Prinzen der souveränen Häuser kommt regelmäßig die nächst- folgende Rangstufe in der Titulatur zu. Aus Kaiserlichen Häusern der Titel Kaiserliche Hoheit , aus Königs- häusern der Titel Königliche Hoheit , in Großherzoglichen Häusern Hoheit , der Erbprinz auch Königliche Hoheit, aus Herzoglichen Häusern der Erbprinz Hoheit, andere Verwante von herzoglicher oder fürstlicher Abkunft Durchlaucht . 158. Die Princessinnen von souveränen Häusern pflegen den angeborenen höheren Titel beizubehalten, wenn sie in Folge ihrer Heirath nur einen minderen Titel erhielten. Die Gemalin eines Prinzen, welcher den Titel Hoheit führt, kann so den Titel Kaiserliche oder Königliche Hoheit führen, wenn sie aus einem Kaiser- oder Königshause stammt. Drittes Buch. II. Andere Organe des völkerrechtlichen Verkehrs. 5. Recht und Pflicht des völkerrechtlichen Verkehrs . 159. Jeder Stat ist als souveräne Person berechtigt, Gesante und andere Agenten mit dem Auftrag zu ernennen, seinen Verkehr mit andern Staten zu vermitteln. Dieses sogenannte „ active Gesantschaftsrecht “ ist eine Anwendung der Souveränetätsrechte auf die völkerrechtlichen Beziehungen der Staten zu einander. 160. In zusammengesetzten Staten (Statenbünden, Bundesstaten, Staten- reichen) wird dieses Recht je nach der Verfassung derselben entweder von den Einzelstaten und dem Gesammtstate, oder nur von diesem, oder vor- herrschend von jenen oder von diesem geübt. In der alten Deutschen Reichsverfassung hatten die Landesherrn das Gesantenrecht erworben, neben dem Kaiser und Reich insgesammt. Der deutsche Bund von 1815 erkannte das vorzugsweise Gesantenrecht der Einzelstaten an, schloß aber eine Gesammtvertretung nicht aus. Die Verfassung der Vereinigten Staten von Nordamerika von 1787 concentrirt das Gesantenrecht fast ausschließlich in der Hand des Präsidenten, ebenso die schweizerische Bundesverfassung von 1848 in der des Bundesraths; beide Verfassungen schließen aber eine besondere außerordentliche Vertretung der Einzelstaten nicht völlig aus, aber ordnen dieselbe der Aufsicht der Bundesgewalt unter. Auch einzelnen Türkischen Vasallenstaten ist ein beschränktes Gesantenrecht zugestanden worden. Die Verfassung des norddeut- schen Bundes weist die völkerrechtliche Vertretung desselben ausschließlich der Krone Preußen zu, hebt aber das Gesantenrecht der Einzelstaten in ihren besondern Interessen nicht auf. (Art. 11). 161. Ausnahmsweise wird das Recht, einen Gesanten zu senden, auch auf die Vicekönige und die Statthalter entlegener Provinzen oder abhängiger Länder übertragen. Da diese Provinzen oder Länder eine besondere relative Sonderexistenz haben, so bedürfen sie unter Umständen auch eine besondere Vertretung. Da der Völkerrechtliche Organe. Hauptstat der großen Entfernung wegen nicht in der Lage ist, diese Vertretung wirk- sam zu besorgen, so ist eine Uebertragung dieses beschränkten Gesantenrechts auf die besondere Provincial- oder Landesregierung nicht zu entbehren. Fälle der Art sind z. B. die Gesanten, welche von den englischen Regierungen in Ostindien , in Australien , von der Holländischen Colonialregierung in Ostasien versendet werden. Es bedarf jedoch einer besondern Ermächtigung von Seite der souveränen Hauptregierung. 162. Die Wahl des Gesanten oder Agenten steht dem Absendestate frei. Es wird keine bestimmte Standeseigenschaft erfordert. Das Wahlrecht folgt wieder aus der Souveränetät des Absendestats. Ein bestimmter Stand, etwa Adels- oder geistlicher Stand, ist auch für die obersten Classen der Gesanten nicht erforderlich, so wenig als für andere oberste Statsämter. Ein Botschafter aus bürgerlicher Familie hat genau dasselbe Recht , wie ein Botschafter von fürstlicher Abkunft, denn er repräsentirt in beiden Fällen nicht seine persönliche und Standeswürde, sondern den Stat . 163. Jeder Stat ist in Folge des völkerrechtlichen Verbandes aller Staten verpflichtet, den Gesanten eines andern völkerrechtlich anerkannten States zu empfangen und anzuhören. Nur besonders erhebliche Ausnahmsgründe können eine Abweisung rechtfertigen. Die allgemeine Weigerung , Gesante zu empfangen, würde die Mög- lichkeit eines völkerrechtlichen Verkehrs ausschließen. Damit aber wäre der völker- rechtliche Verband der Staten unwirksam gemacht. Dagegen wird die Zulassung ständiger Gesanten als ein Act des Friedens betrachtet und in Kriegszeiten dieser friedliche Verkehr gewöhnlich abgebrochen. Von der besondern Weigerung, eine bestimmte Person zu empfangen, handelt § 164. 164. Dem Empfangstate steht es zu, gewisse ihm anstößige Personen sich als Gesante oder Agenten zu verbitten. Mit Grund erregt es Anstoß, wenn ein Stat einen von einem andern State früher wegen eines Verbrechens Bestraften oder Verfolgten nun als seinen Gesanten bei diesem State accreditiren will; daher ist in einem solchen Fall die Annahme dieser Person nicht zu erwarten. Bynkershoek ( Quaest. Publ. II. v. ) erwähnt eines Falles, in dem England als Gesanten nach dem Hag einen Mann schickte, welcher zuvor von der Holländisch-Ostindischen Compagnie verurtheilt worden war, Drittes Buch. daß ihm die Zunge geschlitzt werde. Derselbe wurde anfangs widerrechtlich in Hol- land gefangen gesetzt, dann aber mit Recht zurückgewiesen. Es ist schon ein zurei- chender Grund, sich eine Person als Gesanten zu verbitten, die sich zuvor durch be- sondere Gehässigkeit und Feindschaft gegen den besendeten Stat oder dessen Haupt hervorgethan hat. Dagegen wäre es unpassend, wenn etwa ein Stat überhaupt keine bürgerlichen Personen oder keine Geistlichen, oder keine Frauen als Gesante empfangen wollte; denn die Standes- oder Geschlechtsunterschiede bilden keine rechtlichen Erfordernisse oder Hindernisse für das Amt eines Gesanten und können auch keinen Grund zu persönlichem Anstoß geben. 165. Ebenso kann der Empfangstat die Annahme eines persönlich nicht anstößigen Gesanten dann verweigern, wenn derselbe als Träger eines das Recht oder die Ehre des Empfangsstates verletzenden Mission erscheint. Eine wichtige Anwendung dieses Satzes ist die auf die päpstlichen Le- gate und Nuncien , die nach den Kirchengesetzen Vollmachten in Anspruch neh- men, welche mit dem Verfassungsrecht des besendeten States nicht verträglich sind. In Folge dessen wurde schon vor der Revolution am französischen Hofe kein päpst- licher Gesanter angenommen, welcher nicht eine beschränkte Vollmacht vorweisen konnte. Das französische Statsbewußtsein gestattete nicht, daß die päpstlichen Gesanten die Ansprüche und Anmaßungen der römischen Hierarchie mit den völkerrecht- lichen Privilegien der Gesanten decken und ausrüsten. 166. Ferner gilt es als ein ausreichender Grund, die Annahme eines Gesanten zu verbitten, welcher ein Unterthan des besendeten States ist. Das war eine Zeit lang Maxime des französischen und ist noch Gebrauch des schwedischen Stats, keinen Gesanten zu empfangen, der Unterthan dieser be- sendeten Staten war. Man scheut den Conflict zwischen den Rechten des Gesanten auf Unabhängigkeit zu Ehren des States, den er repräsentirt und den Pflichten gegen den Stat, dem er als Unterthan zugehört. 167. Die völkerrechtliche gute Sitte verlangt, daß vor der Absendung eines Gesanten dem Empfangstate davon Anzeige gemacht und die Person genannt werde. Wird keine Einsprache gemacht, so wird angenommen, der Genannte sei dem Empfangstate nicht anstößig. Durch diese Uebung wird auch eine schroffe Zurückweisung vermieden. Es genügt gewöhnlich, daß der zu besendende Stat seine Bedenken gegen die fragliche Person eröffnet, um den Absendestat zu bestimmen, eine andere Person zu wählen. Völkerrechtliche Organe. 168. Ist ein Gesanter einmal aufgenommen, so genießt er alle Rechte und Ehren seiner Stellung und es darf nachträglich nicht eine Einsprache gegen seine Person erhoben werden aus Gründen, welche schon zur Zeit seines Empfangs vorlagen und bekannt sein konnten. 169. In der Annahme des Gesanten liegt die Anerkennung des Absende- stats, beziehungsweise der Statsregierung, welche denselben bevollmächtigt, durch den Empfangstat. Es widerspricht der Einheit des States , der repräsentirt werden soll, gleichzeitig zwei verschiedene Gesante, den einen des vertriebenen Fürsten, der auf Wiederherstellung hofft, den andern des vielleicht durch Usurpation zur Gewalt ge- langten Fürsten, als Repräsentanten des Einen Stats zu empfangen. Indem der Empfangstat den einen oder den andern empfängt, erklärt er, daß er dessen Voll- machtgeber als das wirkliche Statshaupt betrachte. Die Annahme des Gesanten der neuen Regierung ist daher mit der Entlassung des Gesanten der alten Regierung zu verbinden. Vgl. oben § 28 ff. 6. Classen und Arten der Gesanten. Diplomatischer Körper . 170. Als Gesante werden diejenigen Personen betrachtet, welche von einem State ermächtigt und dazu beglaubigt sind, dessen Rechte und Interessen bei einem andern State zu vertreten. Die Ermächtigung allein gewährt noch nicht die Stellung und Rechte eines Gesanten; auch der geheime Agent ist ermächtigt; es muß die Beglaubigung gegen- über dem besendeten State hinzutreten. 171. Das heutige Völkerrecht unterscheidet drei bis vier Classen von Gesanten: 1) die Botschafter (ambassadeurs); 2) die Gesanten im engern Sinn (envoyès) und die bevollmächtigten Minister; 3) die Geschäftsträger (chargés d’affaires). Zwischen der zweiten und der dritten Classe nehmen die Minister- residenten eine Mittelstellung ein. Bluntschli , Das Völkerrecht. 9 Drittes Buch. Im Alterthum gab es nur Eine Classe von Gesanten, von den Römern Legati genannt. In den wesentlichen Beziehungen sind sich auch heute noch alle Classen gleich. Die Unterschiede, welche seit dem fünfzehnten Jahrhundert nach und nach aufgekommen sind, haben vornehmlich einen Bezug auf die Hofstellung, das Ceremoniel und den Rang . Auf dem Wiener Congreß wurde von den acht Mächten am 19. März 1815 ein Protokoll unterzeichnet, dessen Artikel 1 die obigen 3 Classen unter- scheidet: „Les employés diplomatiques sont partagés en trois classes: celle des ambassadeurs, légates ou nonces, celle des envoyés ministres ou autres accrédités auprès des souverains, celle des chargés d’affaires accrédités auprès des ministres chargés des affaires étrangères“. Dazu kam nun das Protokoll des Aachener Congresses der fünf Großmächte vom 21. Nov. 1818, welches die vierte Zwischenclasse anerkannte: „Il est arrêté entre les cinq cours que les ministres résidens accrédités auprès d’elles formeront par rapport à leur rang une classe intermédiaire entre les ministres du second ordre et les chargés d’affaires“. 172. Botschafter werden in der Regel nur von Staten von Königlichem Rang abgesendet und empfangen. Die Legati und Nuncien des Papstes haben den Rang der Botschafter. Die Botschafter allein repräsentiren auch die äußere Würde des Souverains, der sie beglaubigt. 1. Die Beschränkung der Botschafter auf die Staten von königlichem Rang beruht weniger auf einem festen Rechtsgrundsatz als auf der Sitte und hat eine natürliche Unterlage in den größeren für kleinere Staten unverhältmäßigen Kosten solcher Vertretung. Da aber nur die Botschafter die persönliche Würde des Sou- veräns repräsentiren, so ist grundsätzlich nicht einzusehen, weßhalb nicht auch ein souveräner Herzog oder ein anderer Fürst bei außerordentlichem Anlaß sich nicht ebenfalls in seiner persönlichen Würde vertreten lassen, d. h. daher nicht ebenfalls einen Botschafter senden dürfte, der dann freilich keinen höheren Rang behaupten könnte, als sein Vollmachtgeber besitzt, also den Botschaftern, welche Könige vertreten, nachstehen müßte. 2. Die Legati a latere oder de latere (die Cardinäle führen diesen Namen), oder die nuncii (Nicht-Cardinäle), welche der Papst entsendet, haben durchweg eher kirchliche als politische Missionen und repräsentiren daher den Papst vornehmlich in seiner Eigenschaft als Hauptes der römisch-katholischen Kirche. Die Bedeutung und der Rang dieser päpstlichen Repräsentanten ist daher unabhängig von der Fortdauer eines Kirchenstates. Protokoll des Wiener Congresses vom 19. März 1815 Art. II.: „Les ambassadeurs, légates ou nonces ont seuls le caractère représentatif“. Völkerrechtliche Organe. 173. Die Gesanten der zweiten Classe werden wie die Botschafter bei dem Souverän des Empfangstates persönlich beglaubigt, aber repräsentiren nicht zugleich mit dem State auch die persönliche Würde (Dignität) des Souveräns. Die Internuncien des Papstes werden ihnen gleichgestellt. Vgl. zu Art. 172. Dahin gehören die sogenannten bevollmächtigten Minister (plena potentia muniti), die außerordentlichen oder ordentlichen Gesanten , die Gesanten schlechtweg. Auch der Oesterreichische „Internun- cius“ zu Constantinopel gehört in diese Classe. Das ist die eigentliche Haupt- und Negelclasse, über welche sich die Botschafter um etwas erheben und welche die folgen- den Classen nicht völlig erreichen. 174. Die Geschäftsträger werden nur bei dem Ministerium der auswär- tigen Angelegenheiten beglaubigt. Für die Rangstufe ist es unerheblich, wenn ihnen der Titel Minister verliehen wird. Dagegen erhalten die Ministerresidenten, welche bei dem Hofe be- glaubigt werden, einen mittleren Rang zwischen der dritten und vierten Classe. Vgl. zu § 171. 175. Die Eigenschaft einer außerordentlichen Mission oder Vollmacht gibt keinen höhern Rang. Protokoll vom 19. März 1815 Art. III. „Les employés diplomatiques en mission extraordinaire n’out à ce titre aucune supériorité de rang“. 176. Unter einander nehmen die Gesanten einer jeden Classe ihre Rang- ordnung nach dem Tage der officiellen Anmeldung ihrer Ankunft. Ebenda Art. IV. „Les employés diplomatiques prendront rang entre eux dans chaque classe d’après la date de la notification officielle de leur arrivée. Le présent règlement n’apportera aucune innovation relativement aux représentans du Pape“. 177. Die Verwantschaftsverhältnisse unter den Höfen haben keinen Einfluß auf den Rang ihrer Gesanten. 9* Drittes Buch. Ebenda Art. VI. „Les liens de parenté ou d’alliance de famille entre les Cours ne donnent aucun rang à leurs employés diplomatiques de chaque classe“. 178. Bei der Unterzeichnung von Acten und Verträgen unter mehreren Staten, welche sich das Alternat zugestehn, entscheidet das Loos unter den Ministern über die Reihenfolge der Unterschriften. Ebenda Art. VII. „Dans les actes ou traités entre plusieurs puissances qui admettent l’alternat, le sort décidera entre les ministres, de l’ordre qui devra être suivi dans les signatures“. Statt dessen wird oft die Reihenfolge nach den Anfangsbuchstaben der Statennamen gewählt, um jede Eifersucht der Stellung abzuschneiden. 179. Daraus, daß ein Stat ständige Gesante eines andern States em- pfängt, entsteht keine Verpflichtung des letztern States, ebenfalls ständige Gesante bei jenem State zu beglaubigen. Es kann auch ein Stat, ohne seinem Rechte oder seiner Ehre etwas zu vergeben, fremde Gesante von höherem oder geringerem Rang empfan- gen, als er hinwieder absendet. Unter den Großmächten wird freilich das Interesse möglichster Gleich- heit auch in der Repräsentation meist dahin wirken, daß sie sich durch Gesante von gleich hohem Rang vertreten lassen. Aber das ist keine Rechtsnothwendigkeit. Die Beispiele sind nicht selten, in denen ein Stat einen Gesanten von höherem Rang empfängt, als er absendet, oder umgekehrt. 180. Es gibt sowohl ständige als nichtständige Gesante. Zu den letztern gehört auch der Interimsgesante, welcher für den ständigen, aber zur Zeit abwesenden oder verhinderten Gesanten die Geschäfte besorgt. Dieser Gegensatz hat keinen Einfluß auf den Rang des Gesanten, sondern nur auf die Dauer seiner Vollmacht. 181. Die Ceremonialgesanten (ministres d’étiquette, de cérémonie) ver- treten lediglich die persönlichen Beziehungen der Höfe und Regierungen und bedürfen zur Vertretung in Statsgeschäften einer besondern Ermächtigung, in Folge welcher sie aufhören, bloße Ceremonialgesante zu sein. Völkerrechtliche Organe. Solche Ceremonialgesante werden oft zu gewissen Feierlichkeiten, bei Krö- nungen, Heirathswerbungen, Vermählungen, Taufen entsendet und empfangen, oder zu Beglückwünschungen . Auch die an den Papst früher ge- sendeten legati reverentiae der katholischen Fürsten gehören hieher. 182. Die gleichzeitig bei einer Regierung beglaubigten Gesanten aller Classen bilden zusammen den diplomatischen Körper (corps diplomatique). Derselbe ist nicht eine juristische oder politische Person, sondern ein freier Verein verschiedener Personen, aber er stellt die völkerrechtliche Ge- meinschaft der Staten dar und ist berechtigt, den gemeinsamen Empfin- dungen und Meinungen einen Ausdruck zu geben. Darin liegt ein Keim einer völkerrechtlichen Organisation, der sich in der Zukunft weiter entwickeln läßt. Die übereinstimmende Meinungsäußerung des diplo- matischen Körpers hat eine gewisse völkerrechtliche Autorität , die zu miß- achten nicht ungefährlich ist. Der Sitte nach führt gewöhnlich — wenigstens bei bloß formellen Aeußerungen des diplomatischen Körpers — der älteste (d. h. am längsten daselbst amtirende) Gesante das Wort. Es steht aber kein Rechtsgrund der Bezeichnung eines andern Sprechers entgegen. 7. Anfang der diplomatischen Sendung . 183. Dem Absendestat gegenüber beginnt der Charakter eines Gesanten schon mit der vollzogenen Ernennung. Im völkerrechtlichen Verkehr mit dem besendeten State wird die Eigenschaft des Gesanten durch das Creditiv beglaubigt. 184. Das Creditiv ist die schriftliche und förmliche Vollmacht, welche der Gesante zum Behuf seiner Beglaubigung bei dem besendeten State erhält und demselben mittheilt. 185. Das Creditiv wird gewöhnlich in Form eines Beglaubigungsschreibens (lettre de créance) ausgestellt und in den obern Classen von Souverän an Souverän, in der Classe der Geschäftsträger von Minister an Minister gerichtet. Drittes Buch. 186. Schon vor Ueberreichung des Creditivs wird der Gesante, der sich durch seine Pässe oder in anderer glaubhafter Form als solchen ausweist, als eine völkerrechtlich besonders gesicherte und begünstigte Person behandelt, aber erst in Folge der Abgabe und Annahme des Creditivs erhält er dem besendeten State gegenüber volles Gesantenrecht seinem Range gemäß. Das Völkerrecht muß den Gesanten schon unterwegs schützen, wenn er an den besendeten Hof reist. Aber erst von der Ueberreichung des Creditivs an ist er wirklicher Gesanter bei dem besendeten State. Bis dahin war er designirter Ge- santer. Auf jenen völkerrechtlichen Schutz hat der Gesante auch in einem fremden Lande, durch welches er reist, einen naturgemäßen Anspruch. Die Ermordung der französischen Gesanten nach Venedig und Constantinopel in der Lombardei gab dem Könige Franz I. einen gerechten Grund zu der ernstesten Beschwerde gegen Kaiser Carl V als über eine schwere Verletzung des Völkerrechts. Vgl. Vattel IV. § 84. 187. Der Ueberreichung des Creditivs geht die Notification der Ankunft des Gesanten bei dem Ministerium des Aeußern vorher. Von da an wird der diplomatische Altersrang gerechnet (Art. 176). Mit der Notification wird die Mittheilung einer Abschrift des Creditivs ver- bunden. 188. Der Unterschied der verschiedenen Classen der Gesanten hat einen Einfluß auf das bei der Ueberreichung und Annahme des Creditivs übliche Ceremoniel und auf die persönlichen Beziehungen am Hofe, aber ist für das statliche Rechtsverhältniß selbst nicht erheblich. So läßt der Botschafter seine Ankunft durch einen Cavalier der Gesantschaft oder seinen Secretair anmelden, die Gesanten zweiter und dritter Classe schreiben unmittelbar an den Minister des Aeußern. Der Botschafter wird mit Kanonen- schüssen bei dem feierlichen Empfang salutirt, die übrigen Gesanten nicht; u. dgl. 189. Das Ceremoniel wird im Einzelnen durch die Landes- und Hofsitte bestimmt. Aber es ist eine völkerrechtliche Pflicht des Empfangstates, in demselben nichts anzuordnen, was die Ehre des Absendestates verletzt oder Völkerrechtliche Personen. den Rang desselben herabsetzt. Dem Gesanten darf keine unwürdige Zumuthung gemacht werden und jeder Gesante hat Anspruch auf die vollen regelmäßigen Ehren seiner Classe. An despotischen, insbesondere an orientalischen Höfen wird dem Statshaupte oft eine abgöttische Verehrung bezeugt und es werden daher an die Gesanten der fremden Staten zuweilen Zumuthungen gemacht, die mit der Würde freier Männer sich so wenig vertragen, als mit der Würde der repräsentirten Staten. Obwohl da- her der besendete Stat selber das äußere Ceremoniel bestimmen kann, so ist doch der Gesante in seinem Recht, wenn er sich derlei Zumuthungen nicht gefallen läßt. 190. Die Besuche der Gesanten und bei Gesanten und ebenso die Ein- ladungen zu Festen und Tafeln fallen in den Bereich der Höflichkeit und der Sitte, nicht in den des Völkerrechts, so lange dabei die Ehre und der anerkannte Rang der Staten und ihrer Vertreter unverletzt bleiben. Etiketteverstöße sind nicht an sich beleidigend, sondern nur, wenn darin die Absicht der Beleidigung offenbar wird. Im vorigen Jahrhundert hatten diese Dinge noch mehr Bedeutung, als in unsrer Zeit. 8. Persönliche Rechte und Pflichten der Gesanten . 191. Die Gesanten haben das Recht der Unverletzbarkeit. Wenige Sätze des Völkerrechts haben eine so frühe und allgemeine Anerken- nung, nicht bloß unter den civilisirten Staten, sondern sogar unter barbarischen Völkern gefunden, wie die Unverletzbarkeit der Gesanten. Im Alterthum waren dieselben unter den Schutz der Götter gestellt und galten insofern als personae sanctae. Die Scheu vor den Göttern mußte damals noch die Ohnmacht des Völkerrechts er- setzen. Die moderne Welt stellt sie unter den Schutz des menschlichen Völker- rechts . Vgl. darüber Hugo Grot . II. c. 18. 1. 192. Der Stat, bei welchem die Gesanten beglaubigt sind, ist nicht bloß verpflichtet, sich jeder Gewaltübung gegen dieselben zu enthalten, sondern auch dieselben vor jeder Vergewaltigung zu schützen, welche ihnen von an- dern Bewohnern des Landes droht. Drittes Buch. Dem State liegt freilich auch gegen andere Personen die Pflicht ob, sie wider Gewaltthat zu schützen. Aber diese allgemeine Schutzpflicht wird zu Gunsten des directen Völkerverkehrs mit Bezug auf die Gesanten gesteigert und gleichsam poten- zirt. Der besendete Stat hat darauf eine besondere Sorge zu verwenden und je nach Bedürfniß dem Gesanten eine außerordentliche Bedeckung oder Schutzwache zur Sicherung beizuordnen. 193. Die widerrechtliche Verletzung des Gesanten gilt zugleich als Ver- letzung des repräsentirten States, und in schweren Fällen als Verletzung auch der völkerrechtlichen Statengenossenschaft überhaupt. Alle Staten sind dabei betheiligt, daß die Unverletzlichkeit der Gesanten aner- kannt und geschützt bleibe; daher sind auch die übrigen Staten berechtigt, theils das Begehren um Genugthuung des zunächst betheiligten States zu unterstützen, theils sogar von sich aus auf Wiederherstellung des Rechts und Sühne zu dringen. Vgl. Phillimore II. 142. 194. Wird ein Gesanter in gerechter Nothwehr verletzt, so ist kein Grund zu völkerrechtlicher Beschwerde da, denn Nothwehr ist erlaubt. Vgl. oben § 144. 195. Ein Gesanter, der sich in Gefahr begibt, ist auch den Zufällen die- ser Gefahr ausgesetzt; wenn er dabei verletzt wird, so ist das keine Belei- digung seines States und keine Verletzung des Völkerrechts. Wenn er z. B., ohne die nöthige Vorsicht zu üben, sich in einen aufrührerischen Haufen begibt, und an dem Straßenkampfe Theil nimmt oder wenn er sich auf ein Duell einläßt und bei dieser Gelegenheit verwundet oder gar getödtet wird, so trifft diese Verletzung ihn nicht als Gesanten und daher auch nicht den von ihm repräsen- tirten Stat. Es ist das ein persönlicher Unfall, für den nicht der Stat verant- wortlich gemacht werden kann, der die Unverletzlichkeit des Gesanten zu schützen hat. 196. Ueberdem kommt den Gesanten das Recht der Exterritorialität zu. Dasselbe erstreckt sich auch auf ihr Gefolge und ihre Wohnung (§ 135 ff.). Die Lehre von der Exterritorialität wurde vornehmlich im Hinblick auf die Ausnahmsstellung der Gesanten ausgebildet. Völkerrechtliche Organe. 197. Der besondere Schutz und die Exemtion von der einheimischen Stats- gewalt, welche den fremden Gesanten gewährt werden, beziehen sich vor- züglich auf ihre Papiere, Acten und Correspondenzen. 198. Demgemäß sind auch die Curiere, welche mit amtlichen Depeschen von Gesanten und an Gesante geschickt werden, vor policeilicher oder poli- tischer Wegnahme ihrer Depeschen gesichert. 199. Die Verletzung des Briefgeheimnisses bezüglich der amtlich bezeich- neten Gesantencorrespondenz ist auch als Verletzung des Völkerrechts zu mißbilligen. Obwohl diese Anwendung des Grundsatzes selbstverständlich ist, so hat sich doch die Praxis mancher Staten so wenig darnach gerichtet, und sich so oft durch das politische Interesse verlocken lassen, die Briefe zu durchspähen, daß eben dieser Mißbrauch dahin geführt hat, wichtige Depeschen in Chiffern zu schreiben und da- durch unleserlich für Dritte zu machen und überdem Depeschen, die man besser sichern will, gar nicht mehr der Post auzuvertrauen, sondern mit besondern Curieren zu versenden. 200. Mit der Wohnung des Gesanten ist kein Asylrecht verbunden. Viel- mehr ist der Gesante verpflichtet, wenn ein von der einheimischen Gerichts- oder Policeigewalt Verfolgter sich dahin geflüchtet hat, entweder den Flücht- ling an die zuständige Behörde auszuliefern oder die Nachforschung nach demselben auch in seiner Wohnung zu gestatten. Vgl. oben 77. Als ein englischer Botschafter 1726 in Madrid sich weigerte, den in sein Hotel geflüchteten Spanischen Minister, Herzog von Ripperda, auszu- liefern, wurde derselbe gewaltsam herausgeholt. Ueber die Form des Verfahrens hatte England Grund zur Beschwerde, aber in der Hauptsache war Spanien im Recht ( Phillimore II. 204). In Martens Erzählungen ( I. 217) findet sich ein Bericht über den vergeblichen Versuch des englischen Gesanten in Stockholm, den in sein Hotel geflüchteten, wegen eines Statsverbrechens verfolgten Kaufmann Sprin- ger zu retten (1747). Das Hotel wurde von schwedischen Truppen umstellt und der Flüchtling mußte ausgeliefert werden. Der Gesante aber wurde abberufen, weil er zu weit gegangen war in der Ausdehnung seines Schutzes. Drittes Buch. 201. Ebenso wenig kann der Gesante sich auf die Freiheit seiner Equipage berufen, um Flüchtlingen durchzuhelfen, welche er in seinen Wagen auf- genommen hat. Wenn in einem solchen Fall die einheimische Gerichts- oder Policeigewalt den Wagen anhält und den Flüchtigen verhaftet, so ist das keine Verletzung des Völker- rechts. Ein Beispiel aus Rom führt Vattel an ( IV. 119), indem ein französischer Gesanter vergeblich versuchte, verfolgte Neapolitaner vor den päpstlichen Wachen zu retten. 202. Der Gesante darf sein Hotel nicht zu feindlichen Handlungen gegen den Stat mißbrauchen lassen, bei welchem er beglaubigt ist. Verletzt er diese Pflicht, so schützt ihn auch die Exterritorialität nicht vor denjenigen Maßregeln, welche die Selbsterhaltung und Sicherung des besendeten Sta- tes erfordern. Er darf also insbesondere keine Versammlungen von Verschwornen daselbst gestatten, keine Waffenmagazine da einrichten, zur Unterstützung eines Aufstandes u. s. f. Als der schwedische Gesante in London an einer Verschwörung gegen den König von England Theil nahm, ließ dieser den Gesanten verhaften und seine Papiere in Be- schlag nehmen. Dieses Verfahren wurde von den englischen Statssecretären der Diplomatie gegenüber, die anfangs Bedenken aussprach, gerechtfertigt. Martens Causes Célèbres I. 75. Vgl. auch Vattel IV. 101. 203. Der Gesante hat das Recht der freien Religionsübung in dem Gesantschaftshotel, zunächst für sich, seine Familie, sein Gefolge und seine Dienerschaft. Dieses Privilegium des Gesanten hat seinen Werth großentheils verloren, seitdem die Cultusfreiheit als allgemeines Recht die frühere Unduldsam- keit in den meisten civilisirten Staten endlich verdrängt hat. Aber es ist heute noch von Bedeutung in den Staten, welche in dieser Hinsicht hinter dem Fortschritte der Zeit zurückgeblieben sind. 204. Den Gesanten der oberen Classen wird allgemein ein sogenanntes Capellenrecht zugestanden, d. h. das Recht, in weiterem Sinne innerhalb der exterritorialen Wohnung für den Gottesdienst zu sorgen. Völkerrechtliche Organe. Ein völkerrechtlicher Grund, das Capellenrecht auf jene Classen zu beschränken und den Geschäftsträgern zu versagen, besteht nicht. Dasselbe ist nur früher zu Gunsten der vornehmern Gesanten gestattet und anerkannt worden. 205. In dem Capellenrecht ist enthalten: a) eine gesantschaftliche Capelle für Cultuszwecke zu bauen und zu benutzen, b) die Befugniß, einen besondern, der Gesantschaft beigeordneten Geistlichen (Priester, Prediger) für den Gottesdienst zu halten, c) das Recht, auch andere Personen, mindestens die Landsleute und Schutzbefohlenen des Gesanten, sowie andere fremde Glaubensgenossen zur Theilnahme an dem gesantschaftlichen Gottesdienst zuzulassen. Die neuere Rechtsbildung ist wie überhaupt der Cultusfreiheit so auch einer Ausdehnung des Capellenrechtes günstig. Indessen kommt zuweilen noch ein Verbot in einzelnen Staten für dessen Unterthanen vor, den andersgläubigen Gottesdienst zu besuchen. Gegenwärtig noch ist es den Römern untersagt, dem protestantischen Gottesdienst in der preußischen Gesantschaftscapelle zu Rom beizuwohnen. 206. Es ist nicht nothwendig in dem Capellenrecht auch die Befugniß inbegriffen, den Cultus nach außen hin öffentlich darzustellen, wie ins- besondere durch Glockengeläute, Processionen, Erscheinen des Geistlichen außerhalb der eximirten Räume in der Tracht seines kirchlichen Amtes. Innerhalb der Capelle dagegen und in dem Gesantschaftshotel darf der Geistliche ungehindert in der Amtstracht erscheinen. Er darf daselbst Taufen und Trauungen vollziehen und auf dem dazu gehörigen Begräbniß- platze den Trauergottesdienst abhalten. Das Capellenrecht des Gesanten ist zunächst Hausrecht desselben und er- streckt sich deßhalb nicht auf den öffentlichen Cultus außerhalb des Gesantschaftshotels und seiner Zubehörde, der Capelle. 207. Die vorübergehende Abwesenheit des Gesanten hindert die Fortdauer des gesantschaftlichen Gottesdienstes nicht. Wird aber der gesantschaftliche Verkehr abgebrochen, so erlischt auch das Capellenrecht. Drittes Buch. 208. Die Familie, die Begleiter und Diener des Gesanten haben ebenfalls freie Religionsübung innerhalb des Gesantschaftshotels je nach ihrer Religion und Confession. Es gilt das auch dann, wenn diese Personen eine andere Confession bekennen, als der Gesante selbst. Die Capelle z. B. eines Preußischen Gesanten kann protestantisch sein, während der Gesante selbst katholisch ist. 209. Der Gesante und sein Gefolge sind der Strafgerichtsbarkeit des be- sendeten States nicht unterworfen. Dieser Stat aber ist berechtigt, wenn durch solche Personen die Rechtsordnung des Landes in strafwürdiger Weise verletzt worden ist, auf diplomatischem Wege Genugthuung und je nach Umständen Entschädigung zu fordern. Vgl. oben zu § 141 f. 210. Verübt der Gesante selber eine strafbare Handlung, so kann solches der Regierung des Absendestates angezeigt und Abberufung und Bestrafung des Gesanten gefordert werden. In schweren Fällen können auch dem Gesanten sofort die Pässe zugestellt und er in kurzer Frist aus dem Lande weggewiesen werden. In Nothfällen und insbesondere, wenn der Gesante an hochverrätherischen oder feindlichen Handlungen gegen das Land theil- genommen hat, bei dem er beglaubigt ist, kann er, um die Ansprüche des verletzten States auf Genugthuung zu sichern, gefangen genommen werden. Aber sogar in diesem Fall darf das einheimische Strafgericht nicht über ihn richten. Vgl. oben § 142. Ein Beispiel ist die Gefangennahme des Prinzen von Cellamare, Spanischen Gesanten in Paris, der sich an einer Verschwörung gegen die damalige französische Regierung betheiligt hatte, 1718. Manche Juristen be- haupteten früher, der Gesante verwirke das Privilegium durch ein schweres Verbre- chen gegen den besendeten Stat oder dessen Souverän, aber die Meinung von Gro- tius , daß selbst in solchen Fällen die Strafgewalt des besendeten Stats nicht zur Anwendung komme, ist die herrschende geworden. Weil hier leicht die völkerrecht- lichen Beziehungen an einer empfindlichen Stelle verwundet werden, darf in solchen Fällen nicht eine untergeordnete Behörde, sondern nur die oberste Autorität das Nöthige anordnen. Völkerrechtliche Organe. 211. Wird das Vergehn von einer Person aus dem Gefolge verübt, so ist der Gesante verpflichtet, mitzuwirken, daß der Angeklagte vor Gericht gestellt und wenn schuldig erfunden, gestraft werde. 212. Die Befreiung von der Strafgewalt des besendeten States und die Unterwerfung unter die Strafgewalt des Absendestates erstreckt sich auch auf solche Diener fremder Gesanten, welche Unterthanen des erstern sind. Es kommt hier auf die Zeit an, in welcher die gerichtliche Verfolgung be- ginnt. Gegen den wirklichen Diener des Gesanten — bona fides des Dienstes wird jederzeit vorausgesetzt — wird sie aus Rücksicht auf die völkerrechtliche Exemtion vorerst gehemmt beziehungsweise abgelenkt. 213. Diese Befreiung erstreckt sich nicht auf Personen, welche ohne Amt und ohne Dienst lediglich aus freier Neigung oder Gewinnsucht sich einer Gesantschaft anschließen, noch auf solche, welche nur zum Scheine in ein Dienstverhältniß eintreten, in Wahrheit aber von dem Gesanten unabhängig und nicht der Gesantschaft beigeordnet sind. Vgl. oben § 146. 214. Wenn der Gesante in Anbetracht, daß die unabhängige Stellung der Gesantschaft und die Interessen des Absendestats nicht in Frage gesetzt werden, Personen seines Gefolges oder seiner Dienerschaft, die wegen eines Vergehens entweder auf handhafter That ergriffen worden sind oder sonst in unverdächtiger Weise verklagt werden, der ordentlichen Landesgerichts- barkeit zur Beurtheilung freiwillig überläßt oder überliefert, so ist das Gericht nicht durch völkerrechtliche Rücksichten gehindert, seine regelmäßige Gerichtsbarkeit auszuüben. Inwiefern hier der Gesante die Vorschriften und Instructionen des Absende- stats gehörig beachtet habe, ist eine Frage des Stats- nicht des Völkerrechts , welche in den Bereich der Verantwortlichkeit fällt, die der Gesante seiner Regierung schuldet. In der Regel darf der Gesante mit Rücksicht auf seine völkerrechtliche Stellung und Aufgabe weder für sich, noch für diejenigen Personen, welche mit den Drittes Buch. öffentlichen Geschäften des Amtes bekannt sind, auf die Befreiung von der einheimi- schen Strafgerichtsbarkeit verzichten und darf weder sich, noch solche Personen zum Schaden seiner Stellung und seiner Amtsthätigkeit dieser Gerichtsbarkeit freiwillig unterwerfen. 215. Der einheimischen Statsgewalt ist es nicht verwehrt, Personen, welche zur Gesantschaft gehören, wenn sie auf handhafter That in Verübung eines Vergehens ergriffen werden, vorläufig in Haft zu nehmen. Nur ist sofort dem Gesanten davon Kenntniß zu geben und der Gefangene zu dessen Verfügung zu stellen. 216. Dem Gesanten kommt wohl eine Disciplinargewalt über seine An- gehörigen zu, aber in der Regel keine eigentliche Strafgerichtsbarkeit. Aus- nahmen bedürfen einerseits der Ermächtigung des Absendestats, andrerseits der Zulassung des Empfangstats. Da der Ausspruch auf Exterritorialität für sich allein nur die Ausschlie- ßung der fremden , an sich berechtigten Strafgerichtsbarkeit, nicht aber die Aus- übung der eigenen Strafgewalt von Seite des Exterritorialen begründet, so kann es auch nicht von dem Ermessen des Absendestates allein abhängen, seinen Ge- santen diese Gewalt zu übertragen. Der besendete Stat kann sich jede Ausübung der Strafgewalt in seinem Gebiete durch einen Fremden verbitten. Der Gesante ist in der Regel nur zu denjenigen vorbereitenden Gerichtshandlungen er- mächtigt, welche zur Sicherung des nachfolgenden Gerichtsverfahrens nöthig sind. Ausnahmsweise wird den fränkischen Gesanten und sogar den Consuln in der Türkei und hinwieder muselmännischen Gesanten in Europa eine Strafgerichtsbarkeit dort über ihre christlichen, hier über ihre mohammedanischen Landsleute zugestanden. 217. Der Gesante kann den äußern Thatbestand des Vergehens, soweit derselbe innerhalb des exterritorialen Bezirks erkennbar ist, constatiren, seine Angehörigen einvernehmen und das einheimische Gericht auffordern, daß es auch seinerseits in seinem Bereich die Thatsachen feststelle und Zeugen ein- vernehme. Er kann die angeschuldigte Person seines Gefolges verhaften und für Ablieferung an das zuständige Gericht des Absendestats sorgen. 218. Da der Gesante auch der Civilgerichtsbarkeit des Empfangstates Völkerrechtliche Organe. nicht unterworfen ist, so darf er auch nicht vor Gericht geladen werden, um eine Civilkage zu beantworten, noch darf irgend ein Gerichtszwang gegen seine Person oder seine Habe ausgeübt werden. Vgl. oben zu § 139. 140. In England ist unter der Königin Anna am 21. April 1709 ein besonderes Gesetz zum Schutz der Gesanten erlassen worden, nachdem zuvor die Verhaftung eines Russischen Gesanten wegen Schulden heftige Beschwerden des Czars Peter über Verletzung des Völkerrechts hervorgerufen hatte. Das Gesetz wurde als Genugthuung für den beleidigten Russischen Hof betrachtet. Die Uebungen der Völker gehen in dieser Befreiung der Gesanten von der Civil- gerichtsbarkeit vielleicht weiter, als die inneren Rechtsgründe — insbesondere die Rücksicht auf die Würde, Sicherheit und Unabhängigkeit des repräsentirten States es erfordern. Es ist daher oft schon arger Mißbrauch von diesem Privilegium ge- macht worden, indem einzelne Gesante dasselbe zu leichtfertigem Schuldenmachen ausgebeutet haben und dann die Gläubiger zu Schaden gekommen sind. Uebrigens ist der Gesante so wenig als ein souveräner Fürst gehindert, eine Schuldfrage oder eine andere bürgerliche Rechtsstreitigkeit, freiwillig an ein Schiedsgericht oder selbst an das ordentliche Gericht des besendeten Landes zu bringen und dessen Urtheil an- heim zu geben. Die Juristen, welche ihn daran verhindern wollen, überspannen das Interesse des Absendestates, für dessen Würde und Sicherheit es je nach Um- ständen ganz unerheblich sein kann, derariige Civilprocesse ausschließlich der eigenen Gerichtsbarkeit vorzubehalten. Ob der Gesante das thun dürfe oder nicht, ist eher eine Frage des Stats- als des Völkerrechts. Er ist statsrechtlich verpflichtet, die Instruction zu befolgen, die er von seiner Regierung empfängt. 219. Da die Gefolgsleute des Gesanten nicht um ihrer Person, sondern lediglich um der Gesantschaft willen von der Civilgerichtsbarkeit des Landes befreit sind, in dem sie sich thatsächlich aufhalten, so kann der Gesante verstatten, daß dieselben von diesem Landesgericht belangt werden und es kann unter dieser Voraussetzung das Gericht die Klage an Hand nehmen, ohne Verletzung der völkerrechtlichen Rücksichten. Vgl. oben zu § 149. 220. Dem Gesanten steht in der Regel keine bürgerliche Gerichtsbarkeit in Streitsachen zu über seine Angehörigen. Eine Ausnahme wird nur durch besondere Vollmacht des Absendestats und durch Zulassung des Empfang- stats begründet. Vgl. oben § 216. Drittes Buch. 221. Dagegen sind in der Regel die Gesanten befugt, Acte der freiwilli- gen Gerichtsbarkeit mit Bezug auf die Gefolgspersonen und überdem mit Bezug auf ihre Landsleute und Schutzbefohlenen vorzunehmen, soweit ein derartiges Bedürfniß vorhanden ist. Insbesondere können sie Unterschriften und Urkunden dieser Personen amtlich beglaubigen, letzte Willenserklärungen aufnehmen, bürgerliche Standesverhältnisse (Geburt, Ehe, Tod) beurkunden und im Interesse der Sicherstellung von Verlassenschaften schützende Maß- regeln theils ergreifen, theils veranlassen. Die freiwillige Gerichtsbarkeit hat weniger den Charakter der Gerichtshoheit an sich, als der gewaltlosen Rechtshülfe . Sie kann daher auch unbedenklich von dem Empfangstat zugestanden werden. Aus ähnlichen Gründen kann der Ge- sante auch Zeugenaussagen seiner Gefolgsleute zu Protokoll nehmen. 222. Die Steuerfreiheit des Gesanten beruht nur insofern auf Rechts- nothwendigkeit, als sie eine Folge der Befreiung derselben von aller Stats- hoheit des besendeten States ist. Ihre Ausdehnung über dieses Maß hinaus mag in den Sitten und in der Gastfreundlichkeit begründet sein, aber ihre Beschränkung auf jenes Maß kann nicht als Verletzung des Völkerrechts betrachtet werden. Vgl. § 138. Im Einzelnen weichen die Sitten und Verordnungen der ein- zelnen Staten von einander ab, und es ist nach Heffters Ausdruck (Völkerr. 217) „eine völlig gleichförmige Regel bei diesem völkerrechtlichen Privilegium nicht erweis- lich.“ Es ist z. B. keine Verletzung des Völkerrechts, wenn von dem Gesanten wie von andern Reisenden Straßen- und Brückengelder gefordert werden, obwohl das aus Höflichkeit oft unterlassen wird. 223. Der Gesante ist verpflichtet, die Zollbefreiung, deren er für die Be- dürfnisse seines Haushalts genießt, in gutem Glauben zu gebrauchen und er darf dieselbe weder zu eigenen Handelszwecken ausbeuten, noch zu Gun- sten dritter zollpflichtiger Personen mißbrauchen. Das Völkerrecht hindert die Zollbehörden nicht, auch die Sendungen von Waaren an den Gesanten einer Prüfung zu unterwerfen, wenn nur das Hotel des Gesanten und diejenigen Räume (Statswagen, Archiv) verschont werden, für welche er Völkerrechtliche Organe. den besondern Statsschutz in Anspruch nimmt und die Versicherung gibt, daß sie keine zollpflichtigen Güter in sich schließen. Wenn der Gesante zugleich Kaufmann ist, so sind seine Handelswaaren der gewöhnlichen Verzollung unterworfen. 224. In allen zweifelhaften Fällen, wo Conflicte über die Ausdehnung oder Beschränkung der Exterritorialität mit fremden Gesanten drohen, sol- len die untern Landesbehörden es vermeiden, von sich aus dem Entscheide der obersten Regierungsautorität vorzugreifen und ist durch Verhandlung dieser mit der Gesantschaft ein freundliches Einverständniß anzustreben. Es ist das eine zur Verhütung schädlicher Streitigkeiten wichtige Maxime Der Amtseifer der Unterbehörden sieht leicht nur das Nächste und beurtheilt das nach dem gewöhnlichen Geschäftsgang, während die Centralregierung einen weiteren Horizont von höherem Standpunkte aus überschaut und daher die Rücksichten von Stat zu Stat richtiger zu würdigen versteht. Der Gesante ist berechtigt, bei einem drohenden Conflicte mit einem Unterbeamten diesen darauf hinzuweisen, daß er wohl thue, an höhere Behörde zu berichten und weitere Befehle abzuwarten. 225. Der Gesante ist verpflichtet, die Selbständigkeit und Ehre des States, bei welchem er beglaubigt ist, sorgfältig zu achten. Er darf sich nicht in die innern Landesangelegenheiten ungebührlich einmischen, und hat sich aller autoritativen Acte zu enthalten, welche in den Bereich der Statshoheit des besendeten States eingreifen. Er soll alle Aufreizungen oder Drohungen oder Bestechungen unterlassen, durch welche die Freiheit des Volkes, die Autorität der Regierung und die Ehrbarkeit des politischen Lebens gefähr- det oder verletzt würden. Bloße Meinungsäußerung und Ertheilung von guten Räthen bezüglich der innern Politik, zumal im Privatverkehr, ist nicht als unerlaubte Einmischung zu betrachten. Aber immerhin ist auch hier Mäßigung zu empfehlen, damit nicht der Eindruck einer versuchten Einmischung entstehe, welche der fremden Macht und ihrem Vertreter nicht zukommt. Die Grenze, welche die freie Besprechung von ungebühr- licher Zudringlichkeit unterscheidet, kann nur durch den ausgebildeten Takt der Per- sonen inne gehalten werden. 226. Ohne Ermächtigung des Absendestats darf der Gesante weder Ge- schenke noch Orden von dem Empfangstate annehmen. Bluntschli , Das Völkerrecht. 10 Drittes Buch. Die repräsentative Stellung des Gesanten erfordert nicht allein, daß der Ge- sante sich nicht durch persönliche Ehren oder Vortheile von dem besendeten State ge- winnen lasse, sondern daß er auch den Schein einer solchen Gewinnung vermeide. Aber wenn der Absendestat darüber beruhigt ist und seine Zustimmung gibt, so ist der Gesante auch nicht gehindert, eine Auszeichnung von dem besendeten State an- zunehmen. 9. Ende der diplomatischen Sendung . 227. Wenn die diplomatische Sendung zu einem besondern Zweck geschehen ist, wie vorzüglich bei Ceremonialgesanten, so wird dieselbe durch Erfüllung des Auftrags beendigt. 228. Ist der Gesante in fortdauernder Eigenschaft beglaubigt, so wird seine Gesantschaftsstellung gewöhnlich durch die Abberufung beendigt. Das dem besendeten State mitgetheilte Abberufungsschreiben (lettre de rappel) hebt die Geltung des Creditivs auf. Dem Absendestat steht es jederzeit frei, seinen Gesanten abzuberufen. Die Abberufung kann aber erst für den besendeten Stat rechtsverbindlich wirken, wenn ihm dieselbe angezeigt worden ist. 229. Der Tod oder die Abdankung des absendenden Souveräns hebt die Wirksamkeit des Creditivs nicht nothwendig auf. Der Grund ist, weil das Statshaupt fortdauert , wenn gleich die Person des Fürsten wechselt und das Statshaupt den Gesanten ermächtigt hat, nicht das fürstliche Individuum. Uebungsgemäß wird durch die Notification der Thronfolge ohne Abberufung die Fortdauer des alten Creditivs von Seite des Absendestats bestätigt. 230. Wird dagegen der absendende Souverän durch eine Statsumwälzung entsetzt oder sonst gewaltsam entthront, so daß die Nachfolge nicht durch die regelmäßige Thronfolge bestimmt wird, so wird die Fortdauer des Völkerrechtliche Organe. alten Creditivs als zweifelhaft betrachtet. Uebungsgemäß wird in solchen Fällen ein neues Creditiv erwartet und gegeben. Wenn aber der Absendestat durch eine bloße Notification das alte Creditiv bestätigt und der Empfangstat sich dabei beruhigt, so besteht kein völkerrechtliches Hemmniß seiner Gültigkeit. Der Grund, weßhalb in diesen Fällen anders gehandelt wird, als in den vorigen Fällen, ist der, daß solche Umwälzungen zugleich eine Wandlung der Politik bedeuten und es daher zweifelhaft erscheint, ob der von der gestürzten Regierung ernannte Gesante auch das Vertrauen der neuen Regierung habe. 231. Wenn der Souverän des Empfangstates stirbt, bei welchem der Gesante persönlich beglaubigt war, so wird übungsgemäß ein neues Cre- ditiv an den Thronfolger ausgestellt. Aber es gibt kein völkerrechtliches Hinderniß, das alte Creditiv statlich fortwirken zu lassen. Da der Stat und das Statshaupt dieselben bleiben, wenn gleich die Person des Fürsten geändert wird, so ist auch hier kein nöthigender Rechtsgrund vorhanden, um dem anerkannten Creditiv seine Wirksamkeit zu entziehen. Nur die diplomatische Sitte hat hier die Ausstellung eines neuen Creditivs eingeführt, wohl nur in der Absicht, den Gesanten und ihren Regierungen einen Anlaß zu ver- schaffen, um den Verkehr mit dem neuen Fürsten in feierlicher Weise einzuleiten. Gegenüber dem Regierungswechsel in Republiken besteht diese Uebung nicht, obwohl das Rechtsverhältniß dasselbe ist. 232. Wird der Souverän des Empfangstates gewaltsam entsetzt, so ist es zweifelhaft geworden, ob der Gesante ferner bei seiner Person oder bei der neuen Regierung beglaubigt sei. Wenn der Absendestat die letztere aner- kennt, so wird eine Bestätigung des alten Creditivs oder selbst die Fort- setzung des Geschäftsverkehrs mit der neuen Regierung als genügend er- achtet, um derselben gegenüber die Fortwirkung des Creditivs zu sichern. Vgl. zu § 230. In solchen Fällen tritt oft anfangs ein Schwanken und eine Unsicherheit darüber ein, ob der Gesante noch bei dem gestürzten Souverän oder nun bei der neuen Regierung beglaubigt sei. Da beide ein Interesse haben, den Verkehr fortzusetzen, der erstere in der Hoffnung auf Wiederherstellung seiner Autorität, die letztere in der Absicht auf Sicherung ihrer neuen Stellung, so sind beide bereit, die Fortdauer des Creditivs zu gewähren und geneigt, in diesem Sinne das Verhalten der Gesanten auszulegen. Daher fordert keine von beiden Regierungen neue Credi- 10* Drittes Buch. tive, sondern hält sich gerne an die ihrer Auffassung günstigen Aeußerungen oder Handlungen. Vgl. oben § 39 und unten § 237. 233. Eine Aenderung in der Person des Ministers des Auswärtigen übt auch dann keinen Einfluß auf die Fortdauer des Creditivs aus, wenn dasselbe lediglich an das Ministerium gerichtet war. Das ist der Fall bei den Creditiven der Geschäftsträger. 234. Bei schweren Verletzungen der Rechte oder der Ehre seines States kann der Gesante, auch ohne seine Abberufung abzuwarten, seine Pässe fordern und den diplomatischen Verkehr abbrechen. Seinem State gegenüber wird er freilich für eine solche Handlung verant- wortlich ; und diese Rücksicht wird ihn daher gewöhnlich abhalten, ohne besondern Auftrag einen derartigen Riß zu constatiren. Für die äußersten Fälle aber, ins- besondere wenn ein rascher Verkehr mit der Absenderegierung unterbrochen oder allzu schwierig ist, muß dieses Recht des Gesanten doch anerkannt werden. Dasselbe ab- solut verneinen, hieße in solchen Fällen den repräsentirten Stat den größten Ge- fahren und Beleidigungen vorerst preisgeben. 235. Bei schwerer Verschuldung des Gesanten gegen den besendeten Stat und ebenso in Folge eines ernsten Streites mit dem Absendestat, kann die besendete Regierung dem Gesanten ebenfalls einseitig seine Pässe zurück- stellen und ihrerseits den diplomatischen Verkehr abbrechen. Der Abbruch des Verkehrs und die Wegweisung des Gesanten ist nicht als ein Act der Willkür in das beliebige Ermessen der besendeten Regierung gestellt, sondern es bedarf, um diese schweren Maßregeln völkerrechtlich zu rechtfertigen, eines ernsten Grundes. 236. Die Beförderung eines Gesanten zu höherer Rangclasse veranlaßt übungsgemäß die Uebergabe eines neuen Creditivs. Aber inzwischen dauert das Recht der Vertretung auf Grundlage des alten Creditivs fort. Ein Rechtsgrundsatz liegt dieser Uebung nicht zu Grunde. Würde der Ab- sendestat die Rangerhöhung einfach notificiren, so wäre der Empfangstat nicht gehin- dert, das für genügend zu erachten. Völkerrechtliche Organe. 237. Eine bloße Unterbrechung der diplomatischen Sendung, welche die Fortwirkung des Creditivs zweifelhaft macht, findet Statt: a) in Folge von Streitigkeiten, welche noch nicht zum Abbruch aber zu einstweiliger Einstellung der diplomatischen Functionen führen, b) bei Statsumwälzungen in einem der beiden Länder, deren Aus- gang noch ungewiß ist, c) wenn der Gesante in Folge persönlicher Hindernisse vorübergehend außer Stande ist, seine Thätigkeit fortzusetzen. In zweifelhaften Fällen der ersten und zweiten Classe hängt es immerhin von dem Ermessen der Staten oder ihrer Gesanten ab, diesen Zweifeln eine größere oder geringere Wirkung zu verstatten. In Fällen der dritten Art wird die Verhand- lung mit Nothwendigkeit unterbrochen. Dahin gehört z. B. die Absperrung der Verbindung in Kriegszeiten, oder eine Krankheit des Gesanten, die ihn zur Vertre- tung unfähig macht — ohne Zwischenvertretung — u. dgl. In dieser Zwischenzeit wird die Wirksamkeit des Creditivs als suspendirt betrachtet. Wenn jedoch das Hemmniß beseitigt, oder die Ungewißheit zu Gunsten der Fortsetzung des diplomati- schen Verkehrs gehoben wird, so tritt das alte Creditiv wieder in volle Kraft und wird angenommen, es habe auch in der Zwischenzeit gegolten. Wird umgekehrt diese Zwischenzeit durch den Abbruch des Verkehrs beendigt, so wird angenommen, das suspendirte Creditiv sei unwirksam geblieben. 238. Wird die diplomatische Sendung in friedlicher Weise durch Abberu- fung des Gesanten beendigt und ist derselbe bei dem Souverän persönlich beglaubigt, so kann eine dem feierlichen Empfang entsprechende feierliche Verabschiedung des Gesanten stattfinden. Der Gesante erhält dann gegen das Abberufungsschreiben von dem Souverän des besendeten Stats ein Recreditivschreiben (lettres de récréance) an den Souverän des Absende- stats, welches die Beendigung des bisherigen Repräsentationsverhältnisses beurkundet. Jene Feierlichkeit und dieses Recreditiv sind aber nicht nothwendig, um das frühere Creditiv außer Wirksamkeit zu setzen. 239. Unter allen Umständen, selbst nach einer Kriegserklärung, hat der Empfangstat die Pflicht, dafür zu sorgen, daß der scheidende Gesante un- Drittes Buch. versehrt das Statsgebiet verlassen könne. Wenn nöthig, hat er ihm be- waffnete Bedeckung zum Schutze beizugeben. Die Unverletzbarkeit des Gesanten ist wie bei der Herreise so auch bei der Rückreise zu wahren; und es ist Pflicht des States, die Gefahren, welche ihm, namentlich von aufgeregten Parteien drohen, durch seine Schutzmittel zu entfernen. Dabei wird indessen vorausgesetzt, daß der Gesante ohne Verzug, sobald es die Natur der Verhältnisse gestatten, zurückreise. Will er dauernd in dem Lande bleiben, in dem er früher als Gesanter fungirt hat, so tritt er durchaus in die Stellung eines Privatmanns zurück und hat keinen weitern Anspruch auf einen besondern qualifi- cirten Schutz. 240. Stirbt der fremde Gesante innerhalb des einheimischen Statsgebiets, so pflegt übungsgemäß die eigene Kanzlei, oder wenn keine geeignete Person in derselben vorhanden ist, eine befreundete Gesantschaft die Verlassenschaft unter Siegel zu nehmen und einstweilen sicher zu stellen. Nur im Noth- fall, wenn überall keine derartige Hülfe zur Stelle ist, wird die Siegelung von der einheimischen Behörde vorzunehmen sein. Unter allen Umständen aber hat sich die fremde einschreitende Behörde jeder Durchsuchung der Gesantschaftspapiere zu enthalten und sich auf Sicherstellung derselben zu beschränken. Die Leiche darf in die Heimat des Gesanten abgeführt werden. III. Von den Agenten und Commissären. 241. Bloße Beauftragte für nicht völkerrechtliche und nicht internationale Angelegenheiten eines auswärtigen States haben keinen völkerrechtlichen Charakter. Dahin gehören z. B. Agenten zum Abschluß eines Darlehens mit Privat- gläubigern, zum Ankauf von Lebensmitteln, zur Bestellung von Waffen in fremden Fabriken u. dgl. 242. Die geheimen Agenten, welche zwar in der Absicht entsendet werden, Völkerrechtliche Organe. die öffentlichen Interessen eines States in fremdem Lande zu wahren, aber ohne als Statsbeauftragte daselbst amtlich bezeichnet zu werden, haben auch wenn sie sich als geheime Agenten zu erkennen geben, keinen Anspruch auf einen besondern völkerrechtlichen Schutz. Sie werden nur als Privatpersonen, nicht als Repräsentanten des Stats be- trachtet, und genießen daher nur den allgemeinen Rechtsschutz für die Fremden über- haupt. Dahin gehören auch diejenigen Personen, welche als Techniker oder Experten die Einrichtungen in einem fremden Lande studiren und darüber Bericht erstatten sollen. 243. Dagegen stehen öffentlich ermächtigte Personen (Agenten und Com- missäre), welche ohne den Charakter von Gesanten zu haben, von einem State oder von dessen Behörden an einen andern Stat oder dessen Behör- den abgeschickt werden, um gewisse öffentliche Geschäfte daselbst abzumachen, unter dem besondern Schutze des Völkerrechts. Aber auf Exemtion von der Gerichtsbarkeit und auf Exterritorialität haben solche Personen keinen Anspruch, wenn nicht und so weit nicht durch besondere Vergünstigung des besendeten States ihnen solches verstattet worden ist. Solche Sendungen kommen auch in untergeordneten Zweigen der Policei- oder Gerichtsverwaltung , in Angelegenheiten des Straßenwesens , der Post- und Eisenbahnverbindung , der Grenzregulirung , des Ufer- schutzes und Wasserbaues , bei internationalen Industrieausstellungen u. s. f. vor. Weil sie entweder eine völkerrechtliche Mission haben, insofern die Be- ziehungen von Stat zu Stat zu ordnen sind, oder doch eine internationale und zu- gleich amtliche Aufgabe in einem fremden State zu lösen berufen sind, so verdienen sie eine besondere Berücksichtigung des Völkerrechts. IV. Von den Consuln. 244. Die Consuln sind nicht wie die Gesanten beglaubigte Vertreter frem- der Staten im völkerrechtlichen Verkehr, aber sie sind anerkannte Vertreter und Schützer des internationalen Privatverkehrs der Fremden im Inland, Drittes Buch. beziehungsweise der Einheimischen im Ausland, innerhalb ihres Consular- bereichs. Das Institut der Consuln, im Mittelalter aus den städtischen Handels- körperschaften hervorgegangen, hat eher eine gesellschaftliche als politische, eher eine internationale als zwischenstatliche Bedeutung. Die Consuln dienen vorzüglich dem Privatverkehr der verschiedenen Nationen auch in der Fremde, nicht dem Verkehr der Staten. 245. Die Consuln erhalten, wenn sie nicht zugleich Geschäftsträger und daher Gesante sind, kein Creditiv, aber ein Patent von der Regierung, welche sie beauftragt. Dieses Patent (lettre de provision) wird dem Ministerium des Auswärtigen in dem Lande mitgetheilt, wo das Consulat seinen Sitz hat. Der Consul bedarf keines Creditivs, weil er nicht ermächtigt ist, für den Stat als dessen Vertreter zu handeln. Aber er bedarf eines Patents, weil er genöthigt ist, in dem fremden Lande den Auftrag seines States zu documentiren. 246. Damit der fremde Consul im Inland anerkannt und zu seiner Wirksamkeit legitimirt werde, ist das sogenannte Exequatur von Seite der einheimischen Statsgewalt nothwendig, d. h. die Anweisung an die untern Orts- und Bezirksbehörden, mit dem Consul so weit nöthig in amtlichen Verkehr zu treten. Das Exequatur ist ein schriftlicher Auftrag der Statsregierung an die unter- geordneten Behörden, den fremden Consul in solcher Eigenschaft anzuerkennen und demgemäß zu behandeln. Bevor das Exequatur ertheilt ist, darf der Consul keine amtlichen Functionen ausüben. 247. Es hängt von der einheimischen Regierung ab, ob sie in einzelnen Städten die Errichtung von Consulaten gestatten wolle. Auch dieser Entscheid beruht nicht auf bloßer Laune und Willkür. Wo ein großer und bedeutsamer Handelsverkehr seinen festen Sitz hat, wie insbesondere in den Seestädten, die zugleich Handelsstädte sind, da wird die Errichtung von Con- sulaten im Interesse dieses Verkehrs schicklicher Weise nicht versagt werden können Völkerrechtliche Personen. und würde die unmotivirte Ausschließung der Consuln eines States, während andern Staten die Errichtung von Consulaten verstattet würde, von jenem State mit Recht als eine Beleidigung angesehn. 248. Ebenso ist die Landesregierung berechtigt, einer bestimmten ihr mißfälligen oder ungeeignet erscheinenden Person das Exequatur zu ver- weigern. In dem Exequatur liegt auch die Anerkennung, daß der Consul keine ingrata persona sei. Die Weigerung, das Exequatur einer bestimmten Person zu ertheilen, bedarf keiner Angabe der besondern Gründe, aus welchen diese Person mißfalle. 249. Ob ein Consul aus seiner Heimat gesendet oder unter den Bewoh- nern des Consulatssitzes, und sogar unter den Unterthanen des States, wo das Consulat gelegen ist, ernannt werde, ist für den Rang, wie für die Rechte und Pflichten der Consuln nicht erheblich. Indessen werden den Consuln, welche ausschließlich oder doch vor- zugsweise dem Consularberufe leben und nicht ein Privatgewerbe als Haupt- beruf betreiben, den Berufs- und Amtsconsuln eher die Privilegien der diplomatischen Personen verstattet, als den Consuln, welche das Consulat nur als Nebengeschäft verwalten. Die Ausdehnung der Consulatsgeschäfte wird manchenorts so groß, daß die Thätigkeit eines ganzen Manns erfordert wird und die Nation hat ein so großes Interesse, die Rechte ihrer Angehörigen im Auslande sorgfältig und unparteiisch ge- wahrt und umsichtig geschützt zu wissen, daß dafür die bloße Nebenverwendung eines Kaufmanns und seiner Commis nicht mehr genügt, sondern die besser geschulte Thätigkeit von ordentlichen Beamten erfordert wird. So ausgedehnte Amtspflichten werden von besoldeten Berufsconsuln erfüllt. Die Verbesserung des Con- sularwesens beruht zu gutem Theil darauf, daß an den wichtigsten Verkehrsknoten Berufs- und Amtsconsulate errichtet werden, an welche sich dann eine Anzahl von Nebenconsulaten der Kaufleute anschließen. Die Engländer , die Nordameri- kaner und die Franzosen haben die Nothwendigkeit besoldeter Consulate viel früher begriffen, als die Deutschen (Preußen) und die Schweizer . Vgl. die Zusammenstellung bei Quehl d. preußische und deutsche Consularwesen. Berlin 1863. S. 221. Drittes Buch. 250. Die Consuln sind insofern auch politische und diplomatische Agenten, als sie a) beauftragt sind, über die Erfüllung der Handels- und anderer Verkehrsverträge zu wachen und wenn widerrechtlich verfahren würde, die Ortsbehörden um Abhülfe anzugehen, beziehungs- weise ein höheres Einschreiten ihrer Gesanten oder Regierung anzuregen, b) als ihnen von ihrer Regierung aufgetragen wird, über die öffent- lichen Zustände auch des fremden Landes Bericht zu erstatten, c) als sie besondere politische Vollmachten erhalten. Ihre amtlichen Acten und ihre Correspondenz mit ihrer Regierung oder ihrer Gesantschaft oder andern Consuln stehen unter dem Schutz des Völkerrechts und dürfen von der einheimischen Statsgewalt nicht durchsucht werden. Es besteht kein Hinderniß für den Stat, der Consuln bestellt, sich derselben auch zu politischer Berichterstattung zu bedienen. Da die Consuln gewöhnlich nicht in der Residenz, sondern in einer Provincialstadt wohnen und nicht mit der dortigen Regierung, sondern durchweg mit den Bürgern verkehren, so werden ihre Wahrnehmungen einen andern Gesichtskreis und einen anderen Charakter haben als die der Gesanten, aber sie können trotzdem von hohem Werthe sein für die Kenntniß der Zustände und die Beziehungen sowohl der betreffenden Staten als der Nationen. Wichtiger aber als die politischen Berichte, die doch nur ausnahmsweise den Consuln obliegen, sind die commerciellen Berichte, welche vorzugsweise in den Geschäfts- kreis der Consuln gehören. Die Consuln können für die Handels-, Verkehrs- und Culturinteressen ihrer Landsleute durch einfache Mittheilung statistischen Materials und ihrer eigenen Wahrnehmungen nach Umständen sehr nützlich wirken. Auch diese Seite der internationalen Wirthschafts- und Culturpflege ist noch einer fruchtbaren Entwicklung fähig. 251. Die Consuln dürfen ihren Statsgenossen Pässe in die Fremde aus- stellen und ebenso ihren dort erscheinenden Statsfremden Pässe in das Statsgebiet, dessen Auftrag sie erhalten haben. Der Paß ist nur eine Legitimationsurkunde, ausgestellt zu Gunsten eines Reisenden, um denselben dem Schutz der fernen Behörden zu empfehlen, und all- fällige Hindernisse der freien Bewegung wegzuräumen. Da die Consuln vornehmlich die Interessen des Fremdenverkehrs zu wahren haben, so eignen sie sich zur Aus- Völkerrechtliche Organe. stellung solcher Pässe, die freilich in Folge des allgemeinen und leichter gewordenen Verkehrs glücklicher Weise großentheils entbehrlich geworden sind. Indessen hängt es von dem beauftragenden State ab, diese Vollmacht der Consuln zur Paßausstel- lung oder selbst zum Paßvisa zu verweigern oder zu beschränken. Die englischen Consuln z. B. sind darin beschränkt. Verordnung von 1846 § 29. 252. Die Consuln haben keine Gerichtsbarkeit zu üben, wenn nicht aus- nahmsweise ihnen eine solche übertragen und in dem Lande ihrer Wirk- samkeit anerkannt worden ist. Vom Mittelalter her haben die europäischen ( fränkischen ) Consuln in der Levante und in den Mohammedanischen Staten, vorzüglich an den Küsten des Mit- telländischen Meeres eine derartige Ausnahmsstellung. Auch in den Ostasiatischen Sta- ten hat dieselbe eine neue Anwendung erhalten. Vgl. unten § 269. 253. In Streitigkeiten ihrer Landsleute können sie zu Schiedsrichtern er- wählt werden. In diesem Falle haben sie dafür zu sorgen, daß auf die Berufung gegen ihren Spruch an die Ortsgerichte verzichtet werde. Ohne diese Clausel ist Gefahr vorhanden, daß der Spruch des Consuls, der vielleicht dem Landesrecht der Parteien entspricht, von den Ortsgerichten, die ein anderes Recht befolgen, verworfen und da- durch auch die Stellung des Consuls und das von ihm beachtete Recht seines States compromittirt werden. 254. Sie sind berechtigt und verpflichtet, die Rechte abwesender und nicht gehörig vertretener Statsgenossen in dem fremden Gebiete zu schützen, in- dem sie zu diesem Behuf die erforderlichen Maßregeln ergreifen und ein- leiten. Sie haben weder imperium noch jurisdictio , aber eine Art von Patronat und Procuratur in Nothfällen im Interesse ihrer Landsleute. Es ist durchaus grund- los und unpassend, diese internationale Rechtshülfe auf die Kaufleute und die Schiffs- mannschaft zu beschränken. Die andern Reisenden haben ganz denselben Anspruch auf Schutz im Auslande, wie die Handelsleute. 255. Sie können daher Verlassenschaften ihrer Landsleute unter Siegel Drittes Buch. stellen und Gelder desselben, sowie Waaren, Schuldtitel und andere Ver- mögensstücke in amtliche Verwahrung nehmen. Unter „Landsleuten“ verstehen wir in diesem Zusammenhang die Bürger und Unterthanen des States, dem die Consuln dienen, im weiteren Sinne werden aber die Personen mitbegriffen, welchen der Stat im Ausland als seinen Schutz- befohlenen und Schutzverwanten dieselbe Hülfe gewährt. 256. Wo es das Recht und die Interessen ihrer Landsleute erfordern und diese verhindert sind, für sich selber zu sorgen, können die Consuln für dieselben bei den Orts- und Landesbehörden die zur Sicherstellung dersel- ben nöthigen Anträge stellen, Beschwerden erheben, Proteste einreichen. Das Recht der Consuln zur Vertretung für ihre schutzbedürftigen Landsleute ist freilich nur ein Nothrecht und beschränkt sich daher auch auf die Nothhülfe . Die Consuln sind demnach nicht berechtigt, für dieselben Speculationsgeschäfte zu machen, sondern nur berechtigt, diejenigen Vorsichtsmaßregeln zu ergreifen, welche zur Er- haltung ihres Vermögens und insbesondere zur Abwendung von drohendem Schaden dienen. Dagegen bedürfen sie zu einer bloß schützenden Vertretung selbst im Proceß vor Gericht keiner besondern Vollmacht. (Vgl. Kent Comment. I. S. 42.) 257. Sie sind als ermächtigt zu betrachten, in Nothfällen diejenige Hülfe zu gewähren, welche erforderlich ist, um ihren Landsleuten die Rückkehr in ihre Heimat möglich zu machen oder hülfsbedürftigen Landsleuten in Noth- fällen die unentbehrliche Unterstützung auf öffentliche Kosten zu gewähren. Die Consuln vertreten die Statshülfe, die sonst innerhalb des Statsgebiets in Nothfällen gewährt wird, in der Fremde. Durch sie erstreckt der Stat seine ret- tenden Hände über den Erdboden hin. Aber keinenfalls reicht diese amtliche Sorge über die Bedingungen und den Umfang der regelmäßig geübten Statshülfe hinaus; denn es ist kein Grund, die Bürger außerhalb ihrer Heimat besser zu schützen, als in derselben. Es darf daher die Ermächtigung zu solcher Hülfe nur unter sehr engen Bedingungen und in engem Umfang verstanden und keineswegs auf eine all- gemeine Unterstützung aller Personen ausgedehnt werden, welche in dem fremden Lande sich nur schwer ernähren können und es vorziehen, auf öffentliche Kosten wie- der heimzukehren. 258. Die Consuln der Seestädte und der an Flüssen oder Binnenseen Völkerrechtliche Organe. gelegenen Städte, welche mit dem Seeverkehr in Verbindung sind, üben innerhalb gewisser Schranken eine Schiffspolicei aus bezüglich der Handels- und Verkehrsschiffe ihrer Landsleute. Sie prüfen und visiren die Schiffspapiere und ertheilen die erforder- lichen Bescheinigungen zum Ein- und Auslauf. Diese Schiffspolicei findet ihre Schranken a) in der Policeihoheit des States, in dessen Gebiet sich die Schiffe finden, b) in der Rücksicht auf die nationalen In- teressen, welche von dem Consul im Ausland zu wahren sind, c) darin, daß dieselbe sich nur „innerhalb des Schiffsraums“ geltend machen kann. 259. Bei Streitigkeiten zwischen dem Schiffscapitän und den Schiffsleuten (Matrosen oder Passagieren) üben sie das Vermittleramt aus und sind berechtigt, erhebliche Thatsachen festzustellen und zu beurkunden, und uner- läßliche Vorsichtsmaßregeln zu treffen zum Behuf des Rechtsschutzes. Diese vermittelnde Stellung wird von dem Consul auf Ansuchen einer der beiden Parteien eingenommen, die schiedsrichterliche (§ 253) nur im Einverständniß beider Parteien. Das deutsche Handelsgesetzbuch ertheilt den Consuln sogar eine provisorische Gerichtsbarkeit über die Schiffsmannschaft (Art. 537). 260. Die Gebiets- und Gerichtshoheit über die fremden Schiffe in ein- heimischen Häfen kommt in der Regel dem einheimischen State zu. Aber soweit die Streitigkeiten auf das Schiff und die darauf fahrenden Per- sonen beschränkt sind, die Ordnung des Landes oder Hafens nicht gefährdet erscheint und die einheimische Behörde nicht um ihr Einschreiten angerufen wird, kann der Consul auch eine Disciplinargewalt üben und das Nöthige im Interesse der guten Ordnung und des Friedens anordnen. Es kann ein solches Einschreiten des Consuls wichtig werden z. B. in Fällen von Insubordination der Matrosen oder Unfügsamkeit der Passagiere auf den Schiffen oder gegenüber von Willkürlichkeit, Grausamkeit oder Sorglosigkeit eines Schiffs- capitäns. Der Consul erscheint dabei immerhin als eine statlich anerkannte und er- mächtigte Autorität, welche in Ermanglung der Landesautorität die statliche Ordnung und Sorge darstellt und handhabt. Die Grenze solcher Disciplinargewalt ist nicht überall dieselbe, sie verschiebt sich nach den besondern Landessitten und Umständen. In einem civilisirten Lande wird sie enger zu bemessen sein, als an einer barbarischen Küste oder unter Wilden, wo es überhaupt an einer wirksamen Statsgewalt fehlt. Vgl. unten IV. 323. Drittes Buch. 261. Wenn Matrosen desertiren, so kann der Consul die Landesbehörden angehen, daß dieselben wieder eingefangen und auf das Schiff zurück- gebracht werden. Die Gefahren für die Schiffahrt und die daran geknüpften Interessen sind in diesem Falle so groß, daß sie einen persönlichen Zwang gegen desertirende Matrosen rechtfertigen. Der Consul ist aber wieder berufen, in diesem Nothfalle dem Schiffs- führer hülfreich beizustehn. 262. Die Consuln sind auf Begehr der Betheiligten verpflichtet, den See- schaden sowohl der großen (gemeinschaftlichen) als der besonderen Haverei, soweit derselbe aus dem thatsächlichen Zustande ersichtlich ist, zu constatiren, nöthigenfalls mit Zuzug von Sachverständigen und darüber Urkunde aus- zustellen. Als große Haverei versteht man „alle Schäden, welche dem Schiff oder der Ladung oder beiden zum Zweck der Errettung beider aus einer gemeinsamen Gefahr von dem Schiffer oder auf dessen Geheiß vorsätzlich zugefügt werden, sowie auch die durch solche Maßregeln ferner verursachten Schäden und die Kosten, welche zu diesem Zweck aufgewendet werden“. Begriffsbestimmung des deutschen Handels- gesetzbuchs Art. 702. Die große Haverei wird von Schiff, Fracht und Ladung ge- meinschaftlich getragen. Anderer durch einen Unfall verursachter Seeschaden wird als besondere Haverei betrachtet (Deutsches Handelsg. Art. 703) und von den Eigenthümern des Schiffs und der Ladung von jedem einzeln für sich getragen. 263. Sie ertheilen nach Bedürfniß Ermächtigung zu den nöthigen Schiffs- reparaturen und wenn das Schiff seeuntüchtig ist, selbst zum Verkaufe desselben. Natürlich wieder unter der Voraussetzung, daß nicht der Schiffseigenthümer selber zur Stelle ist oder sein Bevollmächtigter für ihn handeln kann. 264. Im Falle eines Schiffbruchs in dem Bereich oder in der Nähe ihres Consulats sind sie ermächtigt, Alles zu verfügen, was nöthig ist, um die schiffbrüchigen Personen zu retten und von Schiff und Ladung möglichst viel Vermögen zu bewahren. Zu diesem Behuf können sie auch den Ver- kauf der geborgenen Güter vornehmen und haben im Nothfall die Liqui- dation zu besorgen oder zu überwachen. Sie haben darüber durch Ver- Völkerrechtliche Organe. mittlung ihrer Regierung den Betheiligten Rechnung abzulegen, und sind denselben für getreue Geschäftsführung verantwortlich. Bei Schiffbrüchen wird das Bedürfniß einer Nothhülfe in höchstem Maße fühlbar. Um deßwillen wird auch die Thätigkeit der Consuln hier besonders ange- strengt, und ihre Vertretungsvollmacht in weitestem Umfange ausgelegt. 265. Je nach ihrem Landesrecht sind die Consuln berechtigt, den Civil- stand ihrer Landsleute zu beurkunden und die Standesregister zu führen. Sie nehmen demgemäß Act von Geburten und Todesfällen ihrer Lands- leute und wirken nach Umständen bei Eheschließungen mit, an der Stelle des bürgerlichen Beamten. Ob und in welchen Formen die Consuln auch die Functionen des Civilstands- beamten im Auslande zu besorgen haben, hängt freilich zunächst von ihren beson- deren Instructionen und der Beschaffenheit des Landesrechts ab, welches für die Statsgenossen diese Dinge regelt. Wo die Civilstandsbücher nach der Weise des Mittelalters noch vorzugsweise oder ausschließlich durch die Geistlichen besorgt wer- den, da wird jene Thätigkeit weniger in Anspruch genommen werden, als wo das System der bürgerlichen Standesbücher durchgeführt ist. 266. Nur ausnahmsweise, in Folge besonderer Ermächtigung ihrer Stats- gewalt, ertheilen sie auch Volljährigkeitserklärungen. Das ist ein Act der Statsgewalt im Sinn der jurisdictio; und diese hat der Consul in der Regel nicht zu üben. Indessen wird angenommen, wenn der ernennende Stat die Ermächtigung dazu gebe, habe der Stat des Consulatssitzes kein Interesse, einer solchen — wesentlich privatrechtlichen — Verfügung entgegen zu treten. Daher bedarf es keiner besondern Erlaubniß desselben. 267. Den Consuln wird das Recht der Exterritorialität nicht zugestanden. Auch sind sie in der Regel von der Ortsgerichtsbarkeit nicht befreit. Sie haben keinen besondern Anspruch auf Steuerbefreiung. Weil sie nicht den Stat repräsentiren, sondern, wenn auch im Namen und Auftrag eines fremden Stats hauptsächlich Privatinteressen vertreten, so kom- men ihnen die Privilegien der Gesanten nicht zu. 268. Indessen erfordert die internationale und die völkerrechtliche Bedeutung Drittes Buch. des Consulats eine schonende Rücksicht auf die Würde des Amts und die Sicherung seiner Wirksamkeit. Insbesondere ist eine Verhaftung des Consuls nur im Nothfall zulässig und sind seine Amtspapiere vor unberufener Durchsicht zu bewahren. Oefter ist für die Consuln die Befreiung von jeder Haft gefordert worden. Indessen ohne zureichenden Grund. Wenn der Consul eines Vergehens angeklagt wird, so wird auf den Stat, der ihm das Amt übertragen hat, insoweit Rücksicht zu nehmen sein, als die Interessen des Amts und die Ehre des Stats es erfordern; weiter nicht. Im Uebrigen geht der Proceß in gewohntem Gange fort. Es wird unter Umständen rathsam sein, den Consul nur in seiner Wohnung bewachen zu lassen, statt in ein öffentliches Gefängniß abzuführen, bis auch der Auftrag gebende Stat unterrichtet sein und Vorsorge für eine andere Vertretung getroffen haben wird. 269. Die Consuln christlicher Staten in nicht christlichen Ländern erhalten gewöhnlich weiter gehende Vollmachten auch der Gerichtsbarkeit und haben dann Theil an einer ausgedehnteren Immunität, ähnlich den Geschäfts- trägern. Der Grund liegt in der größeren Verschiedenheit der ganzen Stats- und Rechtsordnung. Sie läßt es als ein Bedürfniß erscheinen, daß über die Unterthanen der erstern Staten nicht eine völlig fremdartige Gerichtsbarkeit geübt, sondern ihre Rechtsverhältnisse mehr nach ihrem heimischen Rechte beurtheilt werden. Zu den Consulaten in der Levante und in den Mohammedanischen Staten des Mittel- meers kommen in neuerer Zeit auch die Consulate in China und Japan und auf den Inseln des chinesischen und stillen Weltmeers hinzu. Diese Consuln re- präsentiren dann als Träger der Gerichtsbarkeit auch den Stat in höherm Grade als die gewöhnlichen Consuln, wenn gleich noch in minderem Grade als die eigent- lichen Gesanten. Daher rechtfertigt sich eine mäßige Ausdehnung der Privilegien der Gesanten auf sie. 270. Es ist Sache des Stats, welcher den Consul bestellt, sei es demsel- ben eine Besoldung auszusetzen, sei es die Gebühren zu bestimmen, welche derselbe für seine Verrichtungen erheben darf. Die einen Consuln sind besoldet, die andern nicht. Daß der Ernennungs- stat das zu bestimmen hat, ist selbstverständlich. Aber auch das Recht, die Gebüh- ren für die Amtsverrichtungen festzusetzen, steht diesem State zu und es wird darin nicht ein Eingriff in die ausschließliche Finanzhoheit der Ortsregierung ge- sehen, weil diese Verrichtungen sich immer nur auf fremde Personen beziehen, welche die Thätigkeit des Consuls in Anspruch nehmen. Völkerrechtliche Organe. 271. Ebenso ordnet der Ernennungsstat die Rangclassen seiner Consuln. Die Errichtung eines Generalconsulats, welchem andere Consulate unter- geordnet werden, bedarf der Zulassung des States, in dem dasselbe ge- gründet wird. Die Unterscheidungen der Generalconsuln , ferner der Consuln erster und zweiter Classe und der Viccconsuln haben großen Theils ihre Bedeutung in der verschiedenen Rangstufe, weniger in der Verschiedenheit der Functionen und Aufgaben. Indessen kann ein Verhältniß der Ueber- und Unterordnung stattfinden. Insbesondere üben die Generalconsuln gewöhnlich eine Aufsicht über die andern Con- sulate eines bestimmten Bereiches aus; und nehmen die bloßen Consularagenten überhaupt keine selbständige Stellung ein, sondern sind Hülfsarbeiter eines Consuls. 272. Die Consuln sind berechtigt, ihre Wohnung mit dem Wappen und der Flagge ihres States zu bezeichnen und damit ihren völkerrechtlichen Charakter auch dem Publicum gegenüber darzustellen. 273. Die Statsgewalt, welche den Consul bestellt, kann jederzeit ihren Auftrag zurückziehen. Solches ist aber der Regierung des Aufnahmestates anzuzeigen. Damit erlöscht auch die Wirksamkeit des Exequatur von Rechtswegen. 274. Ebenso kann die Statsgewalt des Consulatsitzes ihr Exequatur wider- rufen, wenn dafür ernste Gründe vorhanden sind. Sobald dem Consul das zur Kenntniß gekommen ist, hat er seine amtlichen Verrichtungen ein- zustellen. 275. Gehört der Consul nicht dem Lande des Consulatsitzes an, so ist der Aufnahmestat verpflichtet, auch für sichern Wegzug des abberufenen oder entlassenen Consuls zu sorgen. Vgl. zu 125. Bluntschli , Das Völkerrecht. 11 Viertes Buch. Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. 1. Bedeutung, Erwerb und Verlust der Gebietshoheit. 276. Die Statshoheit (Souveränetät) heißt in ihrer Anwendung auf ein bestimmtes, dem State zugehöriges Gebiet (Reich, Land) Gebietshoheit. Die Gebietshoheit , als einzelne Anwendung der nach innen gerichteten Souveränetät, ist zunächst ein Begriff des Statsrechts ; aber inwiefern das Völ- kerrecht diese Anwendung in den Verhältnissen und Beziehungen der verschiedenen Staten anerkennt und schützt, erhält dieselbe eine völkerrechtliche Bedeutung. 277. In der Gebietshoheit liegt nicht das Eigenthum an dem Boden. Inwiefern aber der Boden des Privateigenthums nicht fähig ist, wie bei öffentlichen Gewässern, Wüsten, Gletschern und ähnlicher Wildniß, oder wenn der Boden zwar des Eigenthums fähig aber noch nicht in Besitz genommen und zu Eigenthum erworben worden ist oder wenn derselbe von den Besitzern und Eigenthümern wieder verlassen worden und ins Freie zurückgefallen ist, insoweit steht dem State, welcher die Gebietshoheit hat, auch das Recht zu, über solchen Boden wirthschaftlich zu verfügen, be- ziehungsweise Eigenthum daran zu verleihen oder die Besitznahme zu gewähren. 11* Viertes Buch. 1. Die Gebietshoheit gehört dem öffentlichen , wie das Eigenthum dem Pri- vatrecht an und beide Arten der Herrschaft treffen nicht zusammen. Die Person, welcher Gebietshoheit zukommt, ist und kann nur sein der Stat , weil nur der Stat die öffentlichen Hoheitsrechte und daher öffentliche Herrschaft hat. Dagegen das Eigen- thum, welches nur Privatherrschaft ist, kommt umgekehrt nur den Privatper- sonen zu, welche dasselbe als Privatgut verwerthen können. Wenn der Stat zu- fällig auch Privateigenthum hat, so hat er es nicht als Stat, sondern ebenso wie jede andere Privatperson und verfügt darüber in den Geschäftsformen des Privat- rechts. 2. Nur insofern macht sich die öffentlich-rechtliche Statsherrschaft auch in wirthschaftlicher Richtung anstatt des Eigenthums an solchem Boden geltend, an wel- chem entweder Privateigenthum nicht möglich oder nicht (noch nicht oder nicht mehr) vorhanden ist. In der letztern Hinsicht freilich sind zwei Meinungen mög- lich und beide in der Rechtsbildung vertreten. Nach der einen ist der eigenthums- fähige aber nicht im Eigenthum befindliche Boden als herrenlose Sache zu betrachten, welche durch freie Besitznahme (occupatio) ins Eigenthum gelangt. Nach der andern macht sich die Gebietshoheit an dem eigenthümerlosen Boden nach allen Seiten als ursprüglich statliche Bodenherrschaft geltend und kann daher nicht Jedermann denselben willkürlich sich aneignen, sondern bedarf man dazu der Ermächtigung des Stats . War die erste Meinung wenigstens zum Theil in dem alten römischen Recht anerkannt, so beherrscht die letztere Meinung, welche den germanischen Rechtsansichten entspricht, die moderne Welt. Am großartig- sten wird dieselbe in den Colonien Englands und der Vereinigten Staten von Nordamerika durchgeführt. Die Interessen einer geordneten und friedlichen Besitznahme und Cultivirung des Bodens werden offenbar durch die letztere Rechts- bildung besser geschützt und gefördert als durch die erstere. Der unwirthliche, des Eigenthums unfähige Boden kann auch nicht im Eigenthum des Stats sein, obwohl man die Hoheit des Stats darüber, insbesondere über die öffentlichen Gewässer oft Eigenthum nennt. Die Grenzen des wirthlichen Bodens werden aber durch die fortschreitende Cultur auf Kosten des unwirthlichen Gebietes beständig erweitert, und umgekehrt durch schlechte Cultur und Vernachlässi- gung wieder verengert. Insbesondere übt eine geordnete Bewässerung und Entwäs- serung einen mächtigen Einfluß aus auf die Culturfähigkeit des Bodens. 278. An statenlosem Land wird die Gebietshoheit erworben durch die Besitznahme einer bestimmten Statsgewalt. Der bloße Wille, Besitz zu ergreifen, genügt nicht dazu, auch nicht die symbolische oder ausdrückliche Erklärung dieses Willens, noch selbst eine bloß vorübergehende Besetzung. Zur Zeit der großen europäischen Entdeckungen überseeischer Länder meinte man, schon die bloße Entdeckung unbekannter Länder sei ein genügender Rechts- titel für die behauptete Gebietshoheit. Während Jahrhunderten begründete die eng- Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. lische Krone ihre Herrschaft über den nordamerikanischen Continent damit, daß in ihrem Auftrag ein kühner Seefahrer, der Venetianer Caboto zuerst, im Jahre 1496, die amerikanische Küste vom 56sten bis zum 38sten Grad nördlicher Breite entdeckt habe, wenn gleich er nur der Küste entlang gefahren war und in keiner Weise das ungeheure Land besetzt hatte. Nicht anders leiteten die Spanier und Portugiesen ihr Recht im Süden und in Centralamerika zunächst von ihrer Ent- deckung her und die Vertheilung der neuen Welt unter die beiden Völker, welche der Papst Alexander VI. im Jahr 1493 vornahm, war eine Schlichtung und Aus- gleichung ihrer streitigen Ansprüche, und eine Bestätigung ihrer auf die Entdeckung eher als auf die Besitznahme gegründeten Ansprüche durch die vornehmste Autorität der Christenheit. Die Entdeckung ist aber nur ein Act der Wissenschaft, nicht der Politik und daher auch nicht geeignet, Statsgewalt zu begründen. Viel- mehr besteht die öffentlich-rechtliche Besitznahme in der thatsächlichen Aus- übung der ordnenden und schützenden Statsgewalt , verbunden mit dem Willen , das statenlose Land auf die Dauer statlich zu beherrschen. Die Symbole der Herrschaft, wie Auspflanzen einer Fahne u. dgl. können diese Absicht klar machen, aber nicht den Mangel einer realen Statsherrschaft ersetzen. 279. Diese Besitznahme kann auch im Auftrag oder mit Vollmacht einer Statsgewalt durch Privatpersonen, insbesondere durch Colonisten vollzogen werden, aber nur, indem sie in dem bisher statenlosen Lande eine öffent- liche Gewalt aufrichten oder sogar ohne vorherigen Auftrag, aber unter der Voraussetzung nachheriger Genehmigung durch die Statsgewalt. Die Erweiterung der europäischen Statsherrschaft in den außereuropäischen Ländern ist großentheils durch solche Vermittlung der Colonisten bewirkt worden, welche sich in unbewohnten und verlassenen Gegenden ansiedelten und ihre heimische Statsordnung dahin verpflanzten. Der vorherige Auftrag des durch solche Vermittler Besitz ergreifenden Stats kann unbedenklich durch die nachherige Geneh- migung ersetzt werden. Es hindert nichts, in dieser Beziehung die Analogie der privatrechtlichen Occupation anzuwenden. Auch kann im Princip nicht bestritten werden, daß sogar ohne Statsvollmacht und Statsgenehmigung eine ganz neue Statenbildung dadurch entstehen kann, daß Auswanderer auf einer unbewohnten Insel einen neuen Stat gründen, wie es z. B. die ausgewanderten Norweger auf Island während des Mittelalters gethan haben. Eine Reihe neuer Staten in Nordamerika sind in dieser Weise durch Privaten gegründet worden und erst später ist die Anerkennung, früher des europäischen Mutterstats, später der Amerikanischen Union hinzugekommen. Wenn aber neue Staten so entstehen können, so können noch eher vorhandene Staten in dieser Weise erweitert werden. 280. Ist die statenlose Gegend im Besitz und Genuß von barbarischen Viertes Buch. Stämmen, so dürfen dieselben nicht willkürlich und gewaltsam von den civilisirten Colonisten verdrängt werden, sondern sind zum Behuf geregelter Ansiedlung von denselben friedlich abzufinden. Zum Schutze der Ansied- lung und zur Ausbreitung der Cultur darf der colonisirende Stat seine Statshoheit auch über das von Wilden besessene Gebiet erstrecken. Es ist die Bestimmung der Erdoberfläche, der menschlichen Cultur zu dienen und die Bestimmung der fortschreitenden Menschheit, die Civilisation über die Erde zu verbreiten . Diese Bestimmung ist aber nicht anders zu erfüllen, als indem die civilisirten Nationen die Erziehung und Leitung der wilden Stämme übernehmen. Dazu ist die Ausbreitung der civilisirten Statsautorität noth- wendig. Die wilden, ohne Stat lebenden Stämme kennen gewöhnlich das Grund- eigenthum so wenig als den Stat, aber sie benutzen das Land zu ihren Viehweiden und Jagdgründen. Ein Recht der höher gesitteten Nationen, sie zu vertreiben, läßt sich durch Nichts begründen, so wenig als ein Recht, sie zu tödten und auszurotten. Das natürliche Menschenrecht erkennt voraus die Existenz aller menschlichen Wesen an und schützt das Leben und die erlaubten Genüsse des Wilden so gut, wie das Eigenthum der Civilisirten. Im Mittelalter noch waren die Christen sehr geneigt, alle Nichtchristen als rechtlose Wesen zu betrachten und die Päpste haben freigebig den Königen das Recht zugestanden, alle nichtchristlichen Nationen, selbst wenn diese in Staten lebten, ihrer Herrschaft zu unterwerfen. Selbst die heutige Praxis verfährt gelegentlich, freilich nicht mehr aus religiöser Ueberhebung, noch sehr rücksichtslos gegen uncivilisirte Rassen. Das richtige Verhalten ist aber schon ziemlich früh erkannt und auch angewendet worden, besonders von den Puritanern in Neu-England und William Penn in Pennsylvanien , welche den In- dianern den Boden abkauften, den sie urbar machen und zu Grundeigenthum ge- winnen wollten. Wenn erst die rechtliche Möglichkeit der Ansiedlung gewonnen ist und in Folge dessen statliche Menschen da leben können, dann ist auch die Nothwendigkeit klar, daß diese Ansiedlung sowohl des Statsschutzes als der Sicherung des Grundeigenthums bedarf und die Wege zur Erziehung auch der wilden Nachbarn sind eröffnet. Wenn Heffter (§ 70) zwar anerkennt, daß „der Stat überhaupt seine Herrschaft über die Erde ausdehne“, aber nicht zugibt, daß ein bestimmter Stat sich statenlosen Stämmen aufdringen dürfe, so heißt das ein theo- retisches Princip anerkennen, aber seine practische Anwendung verwerfen, denn „der Stat überhaupt“ lebt nur in der Gestalt bestimmter Staten. Wenn die deutsche Nation ihren Culturberuf erfüllen und nicht immer wie bisher ihre auswandernden Nachkommen zur Auflösung in fremde Nationen verurtheilen will, so wird auch sie dem Vorbild der civilisirten Westvölker folgen und nicht bloß „in abstracto“ denken, sondern ihren Stat „in concreto“ colonisirend und civilisirend ausbreiten. Vgl. Vattel I. 1. 5. 81. Phillimore I. 244 f. 281. Kein Stat ist berechtigt, ein größeres unbewohntes oder unstatliches Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. Gebiet sich statlich anzueignen, als er statlich zu ordnen und zu civilisiren die Macht hat, und diese Macht thatsächlich ausübt. Der Rechtsgrund der Occupation liegt nur in der statlichen Natur und Be- stimmung des Menschengeschlechts. Indem ein Stat, wie das von England in Nordamerika und in Australien, von Spanien und Portugal in Südamerika und von den Niederlanden auf den Inseln des stillen Oceans geschehen ist seine angebliche Statsherrschaft über unermeßliche, unbewohnte , oder nur von Wilden bewohnte Länder erstreckt, die er in Wahrheit weder zu cultiviren noch statlich zu beherrschen die Macht hat, so wird jene statliche und Culturbestim- mung nicht erfüllt , sondern im Gegentheil ihrem Fortschritt ein Hemmniß ent- gegengestellt, indem andere Nationen verhindert werden, sich da anzusiedeln und andere Staten verhindert, sich daselbst civilisirend einzurichten. Nur die wahr- hafte und dauernde Besetzung ist als wirkliche Occupation zu betrach- ten, die bloße scheinbare Occupation kann höchstens den Schein des Rechts, nicht wirkliches Recht gewähren. Ein Stat verletzt daher das Völkerrecht nicht, wenn er sich einer Gegend bemächtigt, welche nur angeblich und scheinbar von einem andern Stat früher in Besitz genommen worden ist. Wenn auch darüber leicht Streit entstehen kann zwischen den beiden Staten, so ist das nur eine politische Rücksicht, die zu erwägen, nicht eine rechtliche Schranke, die zu beachten ist. 282. Geschieht die Besitznahme von der Seeküste aus, so wird angenom- men, daß das hinter der Küste liegende Binnenland insoweit mitbesetzt sei, als es durch die Natur, insbesondere durch die ins Meer einmündenden Flüsse mit derselben zu einem natürlichen Ganzen verbunden ist. Dieser Grundsatz wurde von den Vereinigten Staten in einer Verhand- lung mit Spanien über das Gebiet von Louisiana am besten ausgesprochen. (Vgl. Phillimore I. 237.) Die europäischen Colonien gingen gewöhnlich von einem Seehafen der Küste aus, welcher dann als das eigentliche Centrum der ganzen Colonie und der Herrschaft über das Land angesehen wurde. Eine engere Beschrän- kung ist ebenso unpractisch, wie eine weitere Ausdehnung, jene weil die Civilisation und Statenbildung genöthigt ist, von da aus ihre Macht zu erstrecken und das Hin- terland und Flußgebiet genöthigt ist, auf diesem Wege in den Verkehr mit andern Nationen einzutreten, und diese, weil je größer die Entfernungen sind und je weiter die Länder sich im Innern erstrecken, auch der Zusammenhang mit der Küste schwä- cher wird und ganz neue selbständige Verhältnisse möglich sind. Der obige Grund- satz hat daher auch keine absolute, sondern nur eine relative Geltung. Wo große Ströme, wie der Missisippi , einen ganzen Continent durchfließen, kann aus dem Besitz der Mündung natürlich nicht die Herrschaft über das ganze Flußgebiet abgeleitet werden. In der alten Welt sehen wir oft, daß umgekehrt von den Quel- Viertes Buch. len der Flüsse her allmählich das Statsgebiet sich über deren Gebiet und bis an die Mündung ausgedehnt hat. Von den Quellen des Indus und Ganges her ist die alte indisch-arische Eroberung allmählich vorgedrungen bis ans Meer. Am Oberrhein setzten sich die alten Germanen früher fest, als an den Ausläufen des Rheins ins Meer und der österreichisch-ungarische Donaustat ist nicht im Besitz der Sulinamündungen. Die Behauptung englischer Publicisten und Statsmänner, daß England im Besitz der amerikanischen Seeküste auch eine Herrschaft habe über den ganzen nördlichen Continent Amerikas , von Meer zu Meer, war offenbar phantastisch übertrieben und wurde von den andern colonisirenden Mächten auch nicht anerkannt. 283. Wenn zwei Staten von zwei benachbarten Punkten aus sich coloni- sirend festsetzen und statlichen Besitz ergreifen und nicht durch die Rücksicht auf den natürlichen innern Zusammenhang zweier verschiedener Flußgebiete und eine Bergscheide ihre Gebiete sich naturgemäß unterscheiden, so wird eine mittlere Linie zwischen den beiden Gebieten als Grenze angenommen. Vgl. Phillimore a. a. O. Selbstverständlich kann vertragsmäßig auch eine andere Grenzlinie verabredet werden. 284. Das Statsgebiet ist in der Regel unveräußerlich und untheilbar. Die Veräußerlichkeit und die Theilbarkeit des Statsgebiets wider- streitet der organischen Natur der Dauerhaftigkeit und der Einheit des Stats. Weil das Statsbewußtsein im Mittelalter wenig ausgebildet war und das Statsgebiet wie ein im Eigenthum des Landesherrn befindliches Grundstück betrachtet wurde, so meinte man damals Territorien, wie Landgüter verkaufen und unter mehrere Erben vertheilen zu dürfen. Freilich schon damals suchten die Stände oft solchen Uebeln durch Verträge zu begegnen, welche sie mit den Fürsten abschlossen. Aber nur all- mählich ist die richtige Regel erkannt und in das allgemeine Statsrecht der neuern Zeit aufgenommen worden. 285. Ausnahmsweise kann ein Stat einen Theil seines Gebiets aus poli- tischen Gründen und in öffentlich-rechtlicher Form an einen andern Stat abtreten. Es ist das nicht eine sachliche, dem Privatverkehr entlehnte Veräußerung, sondern eine statliche, in Inhalt und Form öffentlich-rechtliche Abtretung. Am Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. öftersten kommt dieselbe in Friedensschlüssen , nachdem ein Krieg die politi- sche Nothwendigkeit derselben klar gemacht hat. Sie kann aber auch ohne Krieg aus Einsicht in die politische Zweckmäßigkeit und freiwillig vollzogen werden. Eines der merkwürdigsten und rühmlichsten Beispiele dieser Art ist im Jahr 1863 die Abtre- tung der Jonischen Inseln an das Königreich Griechenland von Seite der englischen Krone. Andere neuere Beispiele einer friedlichen Abtretung sind die Abtretungen Savoyens an Frankreich 1860 von Seite Italiens, die des österreichischen Antheils an dem Fürstenthum Lauenburg an Preußen 1865 und die der russischen Besitzungen in Nordamerika an die Vereinigten Staten 1867. 286. Die Rechtsgültigkeit einer derartigen Abtretung setzt voraus: a) die zusammenstimmende politische Willenserklärung sowohl des abtretenden als des empfangenden States, b) die thatsächliche Besitzergreifung von Seite des erwerbenden States, c) mindestens die Anerkennung von Seite der politisch berechtigten Völkerschaft, welche das abgetretene Gebiet bewohnt und nun in einen neuen Stat übertritt. Durch den Vertrag allein wird die Abtretung nicht vollzogen, sondern nur vorbereitet. Ohne Statsregierung gibt es keine Statshoheit . Die letz- tere muß also durch die erstere bewährt werden und das geschieht durch die dauernde Besitzergreifung. Die Anerkennung der politisch berechtigten Völkerschaft ist deß- halb unerläßlich, weil dieselbe nicht ein willen- und rechtloser Gegenstand der Ver- äußerung ist, sondern ein lebendiger Bestandtheil des Stats, und der Widerstand der Bevölkerung eine friedliche Besitzergreifung unmöglich macht. Es genügt aber die Anerkennung der Nothwendigkeit , und es ist nicht nöthig, wenn auch wün- schenswerth, die freie und freudige Zustimmung der Bevölkerung. Auch die Noth- wendigkeit, der man sich widerwillig und ungern, aber aus Einsicht in das Unver- meidliche unterordnet, begründet in öffentlichen Verhältnissen neues Recht. Diese Anerkennung liegt daher schon in dem Gehorsam , welchen man der neuen Landes- regierung erweist und in dem Unterlassen des Widerstandes gegen dieselbe. Die freie Zustimmung dagegen ist zugleich eine active Billigung der Abtretung. Besser ist es unzweifelhaft, wenn die letztere gewonnen werden kann und der erwer- bende Stat nicht genöthigt ist, sich vorerst mit der erstern zu begnügen. Vgl. unten § 288. 289. 287. Wird das ganze Statsgebiet abgetreten, so ist das zugleich Unter- Viertes Buch. gang des bisherigen Stats und Einverleibung desselben in den erwerben- den Stat. Es ist das daher strenge genommen nicht mehr Abtretung, sondern nur Ein- verleibung . Den Schein der Abtretung hat dieselbe, insofern sie in Form der Abtretung der Hoheitsrechte von Seite des bisherigen Fürsten an ein anderes Stats- haupt geschieht, wie z. B. in der rühmlichen Abtretung der Hohenzollerischen Fürsten- thümer an die Krone Preußen. Aber dem Wesen nach ist das Einverleibung, weil im entscheidenden Augenblick des Uebergangs nur Ein Stat übrig bleibt. 288. Ohne Uebertragung des abtretenden Stats kann ein Statsgebiet, oder ein Theil desselben von einem andern State in Besitz genommen und rechtmäßig einverleibt werden: a) in Folge der Verzichtleistung der bisherigen Statsgewalt auf die Statsherrschaft, b) in Folge der wohlbegründeten Beseitigung der bisherigen Stats- gewalt durch die Bevölkerung und des freien Anschlusses derselben an den erwerbenden Stat, c) in Folge des nothwendigen Fortschritts in der Entwicklung eines nationalen Stats. In allen diesen Fällen ist die Anerkennung der neuen Statsgewalt durch die politisch berechtigte Bevölkerung des erworbenen Gebiets eine Bedingung des rechtmäßigen Erwerbs. 1. Diese Anerkennung (vgl. zu § 189) ist nicht nöthig zu thatsächlicher Un- terwerfung und Beherrschung, aber sie ist nothwendig, um dem neuen Erwerb den Stempel des Rechts aufzudrücken. In der Anerkennung wird die dauernde Noth- wendigkeit d. h. das Recht der veränderten Zustände offenbar. 2. Dem ausgesprochenen Verzicht steht das thatsächliche Verlassen des besesse- nen Gebietstheiles gleich. Als die Römer ihre Beamten und ihre militärischen Stationen aus den Germanischen Ländern hinter die Grenzwälle und den Rhein zurückzogen, war das ein thatsächlicher Verzicht auf ihre Herrschaft außerhalb dieser Grenzen. Wenn ein moderner colonisirender Stat eine bisher besetzte Insel oder Küstengegend, ohne für den Statsschutz zu sorgen, verläßt, so kann ein anderer Stat rechtmäßiger Weise sich dieses Gebiets bemächtigen. 3. Wohlbegründet ist die Beseitigung der bisherigen Statsherrschaft, wenn dieselbe in einen ernsten und dauernden Widerspruch gerathen ist mit dem Recht oder mit der Wohlfahrt der Bevölkerung, so daß die gesicherte Existenz oder die Entwick- lung derselben eine Aenderung fordert, oder wenn dieselbe nothwendig erscheint, um Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. den Fortschritt einer größeren (nationalen) Lebensgemeinschaft möglich zu machen, zu welcher die Bevölkerung sich verwandt und zugehörig fühlt. Beispiele sind in neuerer Zeit die Beseitigung des souveränen Fürstenthums Neuchatel und der Eintritt dieses Cantons in den schweizerischen Bundesstat , und noch deutlicher die Einverleibung der italienischen Fürstenthümer Toscana, Mo- dena und Parma in das Königreich Italien . 4. Wenn sich ein neuer Stat bildet, vielleicht aus einer größern Zahl von verbundenen alten Staten, oder aus Stücken derselben, so entsteht immer zugleich eine neue Gebietshoheit jenes Stats und eine theilweise oder gänzliche Verdrängung der bisherigen Gebietshoheit der alten Staten. Die Grundsätze über neue Statenbildung und Anerkennung neuer Staten (§ 28 ff.) finden somit hier wieder Anwendung. Ganz wie die ursprüngliche Statenbildung, so ist auch die Statsentwicklung, sobald sie als nothwendig sich erweist, geeignet, eine bisherige Gebietshoheit zu Gunsten einer neuen Statshoheit zu beseitigen. Diese Umgestaltung kann möglicher Weise von der Bevölkerung der einverleibten Theile nicht gewünscht werden und dennoch nothwendig und deßhalb gerechtfertigt sein. Die Säcularisation der geistlichen Fürstenthümer in Deutschland und die Einverleibung ihrer Gebiete in die benachbarten Staten zu Anfang dieses Jahrhunderts, die gleichzeitige Mediatisirung zahlreicher bisher reichsunmittelbarer Herrschaften, und wenig- stens theilweise auch die im Jahr 1866 vollzogene Einverleibung von Hannover, Kurhessen, Nassau, Schleswig-Holstein und Frankfurt in Preußen sind aus dieser nothwendigen Entwicklung des modernen deutschen Statslebens zu erklären. Indem sich die Nation als Eins fühlt, und zum Volke wird, schafft sie sich mit Recht die Bedingungen ihres statlichen Gesammt- lebens, und es steht den Theilen das Recht nicht zu, das Leben des Ganzen zu verhindern . 289. Obwohl die Eroberung eines statlichen Gebietstheils im Krieg zunächst in der Form kriegerischer Gewalt vollzogen wird, so begründet sie dennoch die Statshoheit über das eroberte Gebiet und wird als rechtmäßige Er- werbart betrachtet, insofern durch den Friedensschluß oder auch ohne solchen durch Aufhören des Widerstandes und Anerkennung von Seite der politisch berechtigten Bevölkerung die Fortdauer des neuen Statsverbandes als noth- wendig sich darstellt. Von Alters her wird die Eroberung als Begründung einer neuen Stats- hoheit des Siegers über das eroberte Gebiet betrachtet, und man beruft sich dabei auf den Consensus gentium . Trotzdem sträubt sich das feiner empfindende Rechtsgefühl der heutigen Menschheit gegen diese Annahme; denn die Eroberung erscheint zunächst in der Gestalt eines Gewaltacts und nicht als Rechtsact . Die Gewalt ist aber keine natürliche Rechtsquelle, sondern umgekehrt das Recht hat Viertes Buch. die Aufgabe, der Gewalt Schranken zu setzen. In der That hat die Eroberung, in- sofern sie nur als physische Unterwerfung mit Gewalt unter die Herrschaft des Sie- gers erscheint, für sich die Kraft nicht, neues Recht zu schaffen, außer höchstens das vorübergehende Nothrecht des Kriegs . Damit die Eroberung Recht bil- dend wirke, muß noch ein anderes rechtliches Moment zu dem der thatsächlichen Ueberlegenheit des Siegers hinzukommen, es muß insbesondere die Nothwendig- keit der Umgestaltung offenbar geworden sein. Dann ergibt sich daraus, daß jene Gewalt selbst nicht rohe und bloße Gewalt war, sondern daß sich in ihr die Macht der natürlichen Verhältnisse und ihrer Entwickelung gezeigt habe, und in dieser Macht ist allerdings der stärkste Trieb zu statlicher Rechtsbildung zu erkennen. Das wird im Friedensschluß voraus klar gemacht; denn indem die kriegführenden Parteien Frieden schließen, erkennen sie die dauernde Nothwendig- keit der im Frieden bekräftigten Ordnung an. Dem Frieden steht aber die Aner- kennung der Bevölkerung beziehungsweise das gänzliche Erlöschen jedes Wider- stands gleich. Die offenbar gewordene Unfähigkeit und Unmöglichkeit, den Kampf fortzusetzen oder zu erneuern, macht jene Recht bildende Macht ebenfalls offenbar. Die Ausdehnung schon der alten Jüdischen Statshoheit über Palästina ist in grausamster und rohester Form der Eroberung vollzogen worden und dennoch in ihrem Erfolg anerkannt worden. Die Gründung der meisten germanischen Staten auf römischem Boden ist ebenso durch Eroberung geschehen und öfter durch Anerkennung der Bevölkerung als durch Friedensschlüsse bestätigt worden. 290. Auch wenn es an einem besondern Rechtstitel für den Erwerb fehlt oder sogar erweislich die anfängliche Besitznahme gewaltsam und mit Ver- letzung des Rechts vollzogen worden ist, aber der Besitzstand so lange Zeit ruhig fortdauert, daß derselbe nunmehr von dem Bewußtsein des Volks als fortdauernd nothwendig anerkannt wird, so ist anzunehmen, der ur- sprüngliche Gewaltzustand sei von der reinigenden Macht der Zeit in den entsprechenden Rechtszustand umgewandelt worden. Eine Verjährung in diesem Sinne, freilich ohne daß eine bestimmte An- zahl Jahre wie in der privatrechtlichen Ersitzung fixirt werden kann, und ohne daß die privatrechtlichen Bedingungen dafür gelten, ist völkerrechtlich geradezu unentbehr- lich, wenn nicht die Entwicklung der geschichtlichen Statenbildung und Statenerwei- terung einer nie endenden Bestreitung Preis gegeben werden soll. Dieselbe ist denn auch in der Hauptsache schon von Hugo Grotius II. 4,1 als nothwendig erklärt worden. Nur indem die reinigende und Recht bildende Macht der Zeit anerkannt wird, kann das Gefühl der Rechtssicherheit unter den Völkern befestigt und der all- gemeine Friede gesichert werden. Vgl. oben § 37. 38. Phillimore I. 255 ff. Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. 291. Ueberhaupt ist jede neue Statenbildung zugleich Begründung einer neuen Gebietshoheit. Vgl. darüber oben § 28 f. Die Gebietshoheit ist nur eine einzelne Eigen- schaft und Richtung der Statshoheit , und diese die folgerichtige Eigenschaft der Existenz des Stats . 292. Die Formen des privatrechtlichen Verkehrs und der privatrechtlichen Willenserklärung in Kauf- und Tauschverträgen, Zufertigung im Grund- buch, Verpfändung, Erbeinsetzung und Vermächtniß, Erbvertrag, obwohl im Mittelalter vielfältig auch auf die Landesherrschaft angewendet, sind nicht mehr anwendbar auf den Erwerb moderner Statshoheit. Ein Tausch ist heute noch möglich, aber nur in völkerrechtlicher und stats- rechtlicher Form, z. B. in einem Friedens- oder einem andern Statsvertrag, nicht mehr in privatrechtlicher Form. Der Verkauf dagegen, durch welchen auf der einen Seite die Statshoheit veräußert und auf der andern Seite dafür eine Summe Geldes bezahlt wird, ist unsers Zeitalters unwürdig. Wohl aber lassen sich schick- licher Weise auch mit statsrechtlich und völkerrechtlich motivirten Abtretungen Geld- leistungen verbinden . Weil die Gebietshoheit kein Privatrecht, kein Eigenthum ist im privatrechtlichen Sinn, sondern Statsrecht, so passen auch die von der Privat- willkür benutzten Formen des Privatrechts nicht auf die Regulirung dieser öffent- lichen Verhältnisse. 293. Das Erbrecht dynastischer Häuser kann insofern noch den rechtmäßigen Erwerb einer Statshoheit begründen, als dasselbe zugleich als Thronfolge- recht eine verfassungsmäßige Geltung hat oder die Anerkennung der poli- tisch berechtigten Bevölkerung hinzutritt. Am längsten haben sich die mittelalterlichen Ansichten eines Familienerbrechts in den dynastischen Häusern und vorzüglich noch in den Anschauungen deut- scher Volksstämme erhalten. In unsern Tagen glaubte man noch, freilich zum Erstaunen fremder Völker, in Deutschland die Frage des Erbrechts in den Nord- albingischen Herzogthümern Schleswig und Holstein wesentlich aus dem verwickelten Studium des mittelalterlichen Privatfürstenrechts allein entscheiden zu können. Das Thronfolgerecht in dem modernen State aber ist nichts als ein Stück Statsver- fassung und ganz denselben Umgestaltungen und Veränderungen ausgesetzt wie diese. Da Niemand einen privatrechtlichen Anspruch auf die Regierung eines Volkes Viertes Buch. hat, noch in dem entwickelten State haben kann, sondern alle Thronfolge statsrecht- liche Succession ist, so legt die moderne Rechtsbildung den dynastischen Erbansprüchen nur dann Wirksamkeit bei, wenn sie auch in der Statsverfassung begründet sind oder allgemeine Anerkennung im Lande finden und keine öffentlichen Rechtsgründe entgegenstehen. 294. Das bestehende Statsgebiet kann erweitert werden durch Zuwachs, insbesondere durch Erhebung der Seeküste durch Aufschwemmungen, oder durch künstliche neue Anlagen und Bauten auf bisher unstatlichem Boden. Es kann ebenso vermindert werden durch Versenkung der Küste, durch Wegschwemmung der Ufer und durch erneuerte Verödung und Rückzug der statlichen Cultur. Die einen Erweiterungen und Verminderungen des Statsgebiets sind eine nothwendige Wirkung der Natur , die andern das freie Werk der Menschen . Da das Meer nicht Statsgebiet, sondern frei von jeder Statsgewalt ist, so verändert naturgemäß der Rückgang oder das Vordringen des Meers auch den Umfang des Statsgebiets. Bedeutende Aenderungen der Art sind noch in ge- schichtlicher Zeit, größere freilich in vorgeschichtlicher Zeit vorgekommen und im Klei- nen sind fortwährend Aenderungen wahrzunehmen. Die Veränderungen, welche der Mensch durch Uferbauten oder durch Cultivirung am Wüstenrande verwirkt, sind durchweg auf einen engen Raum beschränkt. 295. Wenn sich neue Inseln im Strome oder Flusse bilden, so gehören sie, abgesehen von besondern Verträgen, dem zunächst gelegenen Uferstate zu. Entstehen sie in der Mitte des Flusses, so unterliegen sie der Thei- lung der beiden Uferstaten nach der Mitte. Aehnliche Grundsätze hat das römische und deutsche Privatrecht bezüg- lich des Grundeigenthums auf der neuen Insel ausgesprochen ( L. 7. § 3. D. de adq. rer. dom. Sachsenspiegel II. 56. § 2). Das Grundeigenthum ist freilich nicht die Grundlage der Statshoheit, und die Analogie seiner Grundsätze nur mit Vorsicht auf das Statsrecht anzuwenden. So muß für dieses der Satz anerkannt werden, daß die neue Landbildung innerhalb der Grenzen eines States, auch wenn sie nachweisbar durch Wegschwemmung fremden Bodens bewirkt und deßhalb dem frühern Grundbesitzer zu Eigenthum verbleiben würde, aus statsrechtlichen Gründen dennoch zu dem Gebiete gehört, in dem sie entsteht; denn unmöglich kann ein Stat sich durch bloße Erdanspülung von dem Ufer wegdrängen und einen fremden Stat sich da festsetzen lassen, bloß weil das Eigenthum an den Erdstücken von einem zum Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. andern Ufer versetzt wird. Wer Eigenthümer sei, ist für die Statshoheit ganz gleich- gültig, und weder die Ausdehnung seiner Macht noch die Sicherheit seiner Grenze von der Frage, wem das Grundeigenthum gehöre, abhängig zu machen. Vgl. dar- über auch Oppenheim III. 7. Durch Neubildung von Inseln kann überdem die Landesgrenze insofern er- weitert werden, als nun von dem Ufer der Insel aus nach dem Meere hin der Stat seine Macht weiter als bisher von dem Flußufer her erstrecken kann. Ein Beispiel einer solchen Erweiterung durch Inselbildung in der Mündung des Missisippi führt Phillimore an I. 240. Der Uferstat kann, schon um seiner Sicherheit willen, nicht zugeben, daß die im Meere, d. h. auf statenlosem Boden entstandene Insel der freien Occupation, vielleicht einer rivalisirenden Macht offen stehe, sondern vielmehr begründet die Statshoheit über das Flußgebiet und über die Mündung des Flusses ein natürliches Anrecht auf die Besetzung der Inseln, die durch An- schwemmungen des Flusses in bisher freiem Meer gebildet werden. 2. Grenzen des Statsgebiets. 296. Wo zwei Statsgebiete zusammenstoßen, sind die Nachbarstaten ver- pflichtet, die Grenzlinie gemeinsam zu ordnen und möglichst klar zu be- zeichnen. Die Pflicht der Grenzbestimmung folgt aus dem friedlichen Nebeneinandersein der Staten. Jeder von beiden ist berechtigt, bis an seine Grenze zu herrschen und jeder verpflichtet, nicht darüber hinaus in das Nachbargebiet überzugreifen. Daher haben beide Recht und Pflicht, die Grenze, die sie von einander scheidet und ihnen gemeinsam ist, auch gemeinsam ins Klare zu setzen. Die Analogie des privat- rechtlichen judicium finium regundorum findet hier Anwendung, immerhin natürlich mit Berücksichtigung der Unterschiede zwischen dem Grundeigenthum der Privatpersonen und der öffentlich-rechtlichen Natur der Gebietshoheit. Als Grenz- zeichen werden Marksteine oder Grenzpfähle gesetzt, Graben gezogen, eine Lichtung durch den Wald hergestellt, Wälle und Mauern gebaut, schwimmende Tonnen be- festigt u. dgl. 297. Wenn ein Gebirgszug die Grenze bildet zwischen zwei Ländern, so wird im Zweifel angenommen, daß der oberste Berggrat und die Wasser- scheide die Grenze bestimmen. Viertes Buch. Die Bergzüge sind sehr oft Völkerscheiden. Ist die Höhe des obersten Berg- grats erreicht, so ist zugleich die Wasserscheide gefunden. Wie die Wasser zu Thal fließen, und sich da zu Bach und Fluß einigen, so sammelt sich auch der Verkehr der Menschen von allen umliegenden Höhen her in dem einigenden Thal. Frühe schon haben aufgeweckte Nationen das bemerkt und daher an jener Linie die natürliche Grenze erkannt. 298. Bildet ein Fluß die Grenze und ist derselbe nicht in den ausschließ- lichen Besitz des einen Uferstates gelangt, so wird im Zweifel angenommen, die Mitte des Flusses sei die Grenze. Bei schiffbaren Flüssen wird im Zweifel der Thalweg als Mitte angenommen. Weit öfter bilden die Flüsse nicht die Grenze zwischen zwei Ländern, sondern dienen zur Verbindung und zum Verkehr der beiderseitigen Uferbewohner. Gewöhn- lich finden wir dieselbe Nation und denselben Stamm auf beiden Ufern angesiedelt. Daher fließen sehr viele große Ströme und Flüsse innerhalb des- selben Statsgebiets und gehören dann zu diesem Statsgebiet. Der Nyl in Aegypten, der Indus und Ganges in Indien, der Tigris und der Euphrat in Assyrien, Medien und Persien, der Po in Norditalien, die Weser und die Elbe in Norddeutschland, aber auch der Missisippi in den Vereinigten Staten von Nordamerika u. s. f. gehörten fast in allen Zeiten meistens auf beiden Seiten der- selben Nation und demselben State an. Auch der Rhein ist auf beiden Ufern von deutschen Stämmen bewohnt, und die Donau fließt durch Bayerisches, Oester- reichisches, Ungarisches und Türkisches Gebiet. Aber zuweilen werden die Flüsse aller- dings zur Grenze benutzt zwischen zwei Ländern, sei es weil verschiedene Nationen nur bis an den Fluß kamen, aber sich nicht darüber hin wagten, sei es weil haupt- sächlich militärische Gründe auf diese Art der Beschränkung einwirkten. So zog sich das spätere römische Kaiserreich auf die Südseite der Donau und auf die Westseite vom Rhein zurück, um sich besser gegen die Einfälle der Germanen zu vertheidigen. Die Flußgrenze ist für die Vertheidigung des Gebiets insofern nütz- lich, als dem feindlichen Uebergang natürliche Hindernisse im Wege stehen, welche durch die Kriegskunst noch verstärkt werden können. Sie ist überdem insofern auch eine klare Grenze, als die Ufer, als je dem einen oder andern State angehörig, scharf bezeichnet sind. Aber im Uebrigen ist die Flußgrenze nicht zweckmäßig , weil die eigentliche Grenzlinie inmitten des Flusses beständig verwischt und auch verändert wird und wenn die Flüsse schiffbar sind, die Schiffahrt sich gerade auf der Grenzlinie bewegt , daher die Unterscheidung der Statshoheit während der Fahrt entweder zweifelhaft wird, oder nach andern Erwägungen als der Grenzlinie bestimmt werden muß. Man untersucht daher gewöhnlich nicht, ob das Schiff eher dießseits oder jenseits der Mittellinie sich bewegt habe, wenn etwa die gerichtliche Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. Competenz über ein verübtes Vergehen zu ermitteln ist, sondern nimmt im Zweifel an, daß je nachdem das Schiff dem einen oder andern Uferstat angehöre oder auch nur da stationirt sei, die Gerichtsbarkeit des betreffenden Stats im Zweifel begrün- det sei. Der Thalweg selbst gilt dann als eine gemeinsame Grenze . Mit Unrecht wird er als neutral bezeichnet. Er gehört nicht keinem der beiden, sondern eher jedem der beiden Gebiete an, soweit das überhaupt möglich ist. Er wird daher von beiden Nationen frei zur Schiffahrt benützt, und keiner der beiden Staten darf diesen Gebrauch hemmen. Vgl. unten § 303. 2. Die Mitte des Flusses kann auch von dem festen Uferrand aus be- messen werden. In neuerer Zeit aber zieht man bei schiffbaren Flüssen den Thalweg vor, weil eben da der Hauptfluß sich bewegt, welcher als Grenze dient. Der Aus- druck ist sogar in den französisch geschriebenen Friedensvertrag von Luneville vom 9. Febr. 1801 Art. III. übergegangen: „le Thalweg de l’Adige servant de ligne de démarcation“ und ist auch für die Rheingrenze zwischen Frankreich und Deutsch- land anerkannt. Reichsdeputationsbeschluß von 1853 § 30. 299. Die Flußgrenze ist insofern veränderlich, als der Fluß sein Bett und seinen Thalweg gelegentlich verändert. Wenn aber der Fluß sein Bett ganz verläßt und eine neue Richtung einschlägt, dann bleibt das alte Flußbett die Grenze. Die Veränderung des Thalwegs kann auch künstlich durch Wasserbauten be- wirkt werden. Schon deßhalb, weil dadurch die gemeinsame Grenze afficirt wird, darf kein Uferstat willkürlich solche Uferbauten vornehmen, welche jene Aenderung nach sich ziehen. Wird dagegen die Flußcorrection in wechselseitigem Einverständniß vollzogen, so wird unbedenklich auch der künstlich veränderte Thalweg als Grenze anerkannt. Wenn der Fluß eine ganz andere Richtung nimmt und ein neues Bett gräbt, so ist das nicht mehr die unvermeidliche Wandelbarkeit der Flußgrenze, sondern ein neuer Einschnitt in das eine oder andere unzweifelhafte Statsgebiet hinein in Abweichung von der bisherigen Landesgrenze. Das darf natürlich keinen Gebiets- verlust des einen und keine Gebietserweiterung des andern Stats begründen. Vgl. Hugo Grotius II. 3. § 16. 300. Insoweit nicht die Nationalität eines Schiffes entscheidend einwirkt, steht beiden Uferstaten eine concurrirende Gebietshoheit (Policeigewalt und Gerichtsbarkeit) über die auf der Grenzlinie hinfahrenden Schiffe zu. Vgl. zu § 298. 316. 301. Ebenso wird die Mitte eines Landsees als Grenze zwischen den ent- Bluntschli , Das Völkerrecht. 12 Viertes Buch. gegengesetzten Uferstaten vermuthet, wenn nicht durch Verträge oder Uebung eine andere Grenze bestimmt ist. Daneben wird die freie Schiffahrt auf dem See für beiderlei Uferbewohner als Regel anerkannt. Hier muß die Mitte von beiden Ufern ausgemessen werden, da es einen Thal- weg nicht gibt, oder wenigstens derselbe nicht ebenso deutlich ist, wie bei Flüssen. 302. Bildet das freie Meer die Grenze des Statsgebiets, so wird ange- nommen, der nasse Küstensaum sei noch so weit der Statshoheit unter- worfen, als die Statsmacht vom Ufer her sich darüber erstreckt, also auf Kanonenschußweite. Eine genauere oder engere Grenze, wie insbesondere die von drei Seemeilen von der Küste — zur Zeit der Ebbe — kann vertragsmäßig oder statsrechtlich bestimmt werden. 1. Diese Ausdehnung der Gebietshoheit über das feste Land hinaus in den Bereich des seiner Natur nach statenlosen Meeres ist freilich nur eine beschränkte, keine vollständige. Vgl. darüber unten § 310. 322 ff. Das Maß der Ausdehnung ist überdem seit Erfindung der weittragenden gezogenen Geschütze erheblich größer ge- worden; indessen ist diese Erweiterung nur die natürliche Wirkung der gesteigerten Stats- macht. Anfangs mochte der Hammerwurf , dann der Pfeilschuß die engere Grenze bezeichnen, dann kam die Erfindung und der große Fortschritt der Feuer- waffen in einer Reihe von Abstufungen von den unsichern und nur in kurzer Flugbahn wirkenden ersten Geschützen bis zu der scharf und weittreffenden gezo- genen Kanone der Gegenwart. Immer ist der leitende Gedanke der: „Terrae dominium finitur, ubi finitur armorum vis“. 2. Die Seegrenze von 3 Seemeilen ist z. B. in den Verträgen zwischen England und den Vereinigten Staten von Amerika vom 28. Oct. 1818 (Art. 1) und von Frankreich und England in dem Vertrag vom 2. Aug. 1839 (Art. 9 und 10) anerkannt. Vgl. Oppenheim Völkerrecht III. § 6. Phillimore I. 240. 303. Wenn zwei Staten, welche an das freie Meer grenzen, einander so nahe sind, daß der Küstensaum je des einen Stats in den Küstensaum des andern hinüberreicht, so sind sie verpflichtet, einander in dem gemein- samen Gebiet wechselseitig den Küstenschutz zuzugestehen, oder über eine Scheidelinie sich zu vereinbaren. Das Verhältniß der beiden Uferstaten wird hier ähnlich wie in den Fällen der Fluß- oder Seegrenze. Es tritt eine concurrirende Gebietshoheit ein. Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. 3. Oeffentliche Gewässer. Die Meeresfreiheit. 304. Das Meer ist von Natur zur Sonderherrschaft ungeeignet und dem gemeinen Gebrauch aller Nationen geöffnet. Das Meer ist frei. An dem offenen, freien Meer ist keine Gebietshoheit eines einzelnen States oder mehrer verbundener Staten möglich und zulässig. Noch im siebzehnten Jahrhundert versuchten es einzelne Staten, sich eine ausschließliche Seeherrschaft über bestimmte Meere anzumaßen und andern Nationen die Schiffahrt oder Fischerei daselbst zu verbieten. So z. B. Por- tugal und Spanien in den Ost- und Westindischen Meeren unter Berufung auf die Verleihung des Papstes. Auch England behauptete ein besonderes Recht auf die Meere zu haben, welche die britischen Inseln umfließen. Gegen diese Anmaßung erhob sich Hugo Groot in seiner berühmten Schrift „mare liberum“ (Utrecht 1609) mit wissenschaftlichen Gründen. Dem heutigen Rechtsbewußtsein der Mensch- heit ist die Freiheit des Meeres von jeder Statsherrschaft nicht mehr zweifelhaft; und die seefahrenden Völker üben diese Freiheit in allen Richtungen unangefochten aus. In Folge dessen ist der größere Theil der Erdoberfläche allen Völkern gemeinsam und dient so dem menschlichen Verkehr . 305. Das heutige Völkerrecht gestattet nicht mehr die Abschließung eines Meeres von dem Weltverkehr, welches von Natur oder durch menschliche Cultur der Schiffahrt zugänglich und mit der offenen freien See verbun- den ist, auch dann nicht, wenn jenes Meer von einem Statsgebiet um- schlossen ist. In alter Zeit war diese Regel noch nicht anerkannt. Die Phönizier und Karthager betrachteten das mittelländische Meer großen Theils als ihre See, ebenso später die Römer. Dänemark machte eine Zeit lang ähnliche Ansprüche der Herrschaft über das Baltische Meer; die Republik Venedig wollte im Adriati- schen Meer allein herrschen, die Republik Genua im ligurischen Meer, die Türkei behauptete, daß das Aegäische wie das Marmarameer ihr Eigenthum sei, Rußland weigerte fremden Nationen die Seefahrt auf dem schwarzen Meer . Alle diese Prätensionen mußten schließlich der steigenden Anerkennung der Meeres- freiheit weichen. Durch die Pariser Congreßacte von 1856 Art. II. ist der Satz ausgesprochen worden: „La mer Noire est neutralisée, ouverte à la marine mar- chande de toutes les nations“. 12* Viertes Buch. 306. Geschlossene Meere werden nur insofern anerkannt, als sie für die Schiffahrt vom offenen Meer her unzugänglich und von diesem völlig ab- getrennt sind. Dieselben sind dann ähnlich, wie die Binnenseen mit süßem Wasser, der Statshoheit unterworfen. Ein von jeher anerkanntes Beispiel ist das Todte Meer in Syrien. An dem Kaspischen Meer begegnen sich verschiedene Nationen und Staten, aber eine Verbindung mit dem Weltmeer ist nicht da. Die Möglichkeit, daraus ein Russisches Meer zu machen, liegt daher nicht sehr ferne. 307. Auf offenem Meere ist sowohl die Schiffahrt als die Fischerei für alle Nationen und für Jedermann völlig frei. Die Schiffahrt ist zunächst als Handels- und Verkehrsschiffahrt frei. Eben für den Weltverkehr ist das Meer offen. Neben der Schiffahrt zum Verkehr kommt als zweite Hauptnutzung des Meeres die Fischerei in Betracht. Auch in dieser Hinsicht hat kein Stat ein Recht, für seine Fischer ein Privilegium anzuspre- schen und die fremden Fischer davon auszuschließen. Die reichen Schätze des Meeres sind der ganzen Menschheit offen. Noch im achtzehnten Jahrhundert maßte sich die Krone Dänemark das ausschließliche Recht der Fischerei an in den Gewässern der Nordsee in der Nähe von Island und Grönland und gerieth darüber mit den Vereinigten Staten der Niederlande in Streit. Auch die Beschränkung dieses Rechts auf 15 Seemeilen von der Küste weg, welche die dänische Regierung schließlich zu- gestand, ist durchaus ungenügend und wurde von den andern Staten nicht anerkannt. In unserm Jahrhundert entstand wiederholt Streit zwischen England und den Ver- einigten Staten von Nordamerika über die ergiebige Fischerei in den Gewässern von Neufundland . Ein Vertrag vom 2. August 1839 gestand den Amerikanischen Fischern die Fischerei zu bis auf drei Meilen von der Küste. Vgl. darüber Phil- limore I. 189 ff. 308. Das Recht der freien Schiffahrt auf offenem Meere wird nicht ver- letzt, sondern nach Umständen geschützt durch völkerrechtliche Beschränkungen der Kriegsmarine in bestimmten Meeren. Ein Beispiel ist die Beschränkung der Zahl der Russischen Kriegs- schiffe im schwarzen Meer, welche der Pariserfriede von 1856 angeordnet hat. Die Statshoheit im Verhaltniß zum Land. Gebietshoheit. 309. Einer beschränkten Gebietshoheit unterworfen sind: a) der das Land bespülende Küstensaum (§ 212), b) die Seehäfen, c) die Meereseinbrüche, d) kleinere zwischen zwei Vorsprüngen des Landes gelegene Buchten. Die nahe Beziehung solcher Theile des Meeres zum Lande und zum Stat rechtfertigt eine relative Ausdehnung der Gebietshoheit. Dieselben werden als Zu- gehörigkeit des Landes betrachtet, dessen Macht und Schutz sich darüber erstreckt. Die Sicherheit des States und seiner Rechtsordnung ist dabei so offenbar interessirt, daß der gewohnte Maßstab der Kanonenschußweite bei Buchten nicht immer als genügend erachtet wird. Indessen ist diese Ausdehnung doch nur da zuzugestehn, wo ihre Gründe wirksam sind und nicht wo der Umfang der Bucht sich weiter erstreckt, und lediglich als Theil des offenen Meeres erscheint, wie z. B. in der Hudsons-Bai , und in dem Meerbusen von Mexico . Unbestritten ist die Seeherrschaft Eng- lands zwischen der Insel Wight und der Englischen Küste, aber keineswegs gutzu- heißen in dem ganzen Kanal oder in dem Meer zwischen England und Irland, wenn gleich der englische Admiralitätshof die Lehre von den „ Engen Meeren “ ( Narrow Seas ) oft mit Erfolg über Gebühr ausdehnte und große Stücke des offenen Meeres als sogenannte „ Königskammern “ ( King’s chambers ) in Be- schlag zu nehmen versuchte. Ebenso kann die Herrschaft der Türkei über die Meer- engen der Dardanellen und des Bosphorus nicht bezweifelt werden, wenn gleich das neuere Völkerrecht für die freie Schiffahrt auch durch diese Meerengen ins schwarze Meer sorgt. 310. In Folge dieser beschränkten Gebietshoheit ist der Stat berechtigt, alle zum Schutze seines Gebietes und seiner Rechtsordnung nöthigen Maß- regeln auch über diese Theile des Meeres auszudehnen, policeiliche Anord- nungen zu treffen bezüglich der Schiffahrt und der Fischerei, aber er ist nicht berechtigt, im Frieden die Durchfahrt oder die Benutzung dieser Ge- wässer für die Schiffahrt willkürlich zu untersagen oder mit Steuern zu beschweren. So kann der Uferstat im Interesse seines Zollsystems die fremden Schiffe anweisen, nur an bestimmten Stellen zu landen und sich des Verkehrs mit den Küstenbewohnern zu enthalten, im Interesse der Sicherheit die Annäherung von bewaffneten Schiffen verhindern u. s. f. Selbst Verbote der fremden Fischerei kommen hier noch vor und werden anerkannt. Die Regulirung der Fischerei in diesen Gewässern ist ganz unbedenklich. Viertes Buch. 2. Eine sehr starke und im Grunde ungerechte Benutzung der Seeherrschaft geschah durch Dänemark, indem es während Jahrhunderten im Besitz der beiden Erdzungen, welche den Sundpaß einengen, auf der einzigen Fahrstraße aus dem baltischen Meere in die Nordsee den sogenannten Sundzoll erhob. Den mittel- alterlichen Rechtsansichten war diese Zollerhebung nicht ebenso anstößig, wie dem modernen Rechtsbewußtsein. Die europäischen Staten ließen sich daher diese Belä- stigung gefallen und suchten nur durch Verträge eine weitere Erschwerung zu ver- hüten. Erst der offene und entschiedene Widerspruch der Vereinigten Staten von Amerika nöthigte Dänemark über Ablösung des Sundzolls zu verhandeln. Seit dem Jahr 1857 ist nun diese Beschwerde der Schiffahrt von den übrigen Staten vertrags- mäßig losgekauft und die freie Schiffahrt am 1. April 1857 hergestellt worden. 311. Die Ströme und Flüsse gehören, wenn sie innerhalb eines Landes fließen, zu dem Statsgebiet des Landes, wenn sie zwischen zwei Staten die Grenze bilden, im Zweifel je zur Hälfte bis in die Mitte den beider- seitigen Uferstaten zu. Vgl. oben zu Art. 298. 312. Schiffbare Ströme und Flüsse, welche das Gebiet mehrerer Staten durchfließen, begründen ein gemeinsames Recht und Interesse aller dieser Staten an der geordneten und freien Benutzung derselben zur Schiffahrt. Jeder der betheiligten Staten ist verpflichtet, auf seinem Gebiet so- wohl für die Offenhaltung des Fahrwegs für die Schiffe als für den Unterhalt der Leinpfade zu sorgen. Es ist das einer der wenigen Fortschritte, welche die Entwicklung des Völker- rechts hauptsächlich auf Betrieb des Preußischen Gesanten Wilh. v. Humboldt den Verhandlungen des Wiener Congresses verdankt. Die Wiener Congreßacte von 1815 Art. 108 lautet: „Les Puissances, dont les états sont séparés ou traversés par une même rivière navigable, s’engagent à regler d’un commun accord tout ce qui a rapport à la navigation de cette rivière. Art. 113. Chaque état riverain se chargera de l’entretien des chemins de halage qui passent par son territoire et des travaux nécessaires pour la même étendue dans le lit de la rivière, pour ne faire éprouver aucun obstacle à la navi- gation“. Der Fluß bildet ein natürliches Band, welches die Länder verbindet, die er durchfließt. Sein Gewässer ergibt sich nicht völlig der Sonderherrschaft eines Sta- tes, es fließt weiter, unbekümmert um die statliche Grenze. Es dient daher auch der gemeinsamen Schiffahrt , soweit der Fluß schiffbar ist. Es ist nur eine An- Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. erkennung dieser natürlichen Verhältnisse, wenn die Rechtsordnung diesen Zusammen- hang und diese Gemeinschaft schützt, und nicht gestattet, daß einer der Uferstaten ein- seitige Hemmnisse bereite, sondern vielmehr alle Uferstaten verpflichtet, zur Erhaltung der Schiffahrt die nöthigen Maßregeln (z. B. Reinigung des Flußbetts, Herstellung der Reckwege und Leinpfade) anzuordnen. 313. Die Fluß- und Schiffahrtspolicei soll, soweit sie gemeinsame Inter- essen betrifft, auch gemeinsam nach denselben Rechtsgrundsätzen geordnet werden. Ausnahmen erfordern eine besondere Begründung. „Règlement pour la libre navigation des rivières. Art. II. La navi- gation dans tout le cours des rivières indiquées —; du point où chacune d’elle devient navigable jusqu’à son embouchure, sera entièrement libre et ne pourra, sous le rapport du commerce, être interdite à personne, en se conforment toutefois aux règlements qui seront arrêtés pour sa police d’une manière uniforme pour tous, et aussi favorable que possible au commerce de toutes les nations. Art. III. Le système qui sera établi, tant pour la per- ception des droits que pour le manitien de la police, sera, autant que faire se pourra, le même pour tout le cours de la rivière, et s’étendra aussi, à moins que des circonstances particulières ne s’y opposent, sur ceux de ces embranchemens et confluens qui dans leur cours navigable séparent ou tra- versent différens états.“ 314. Wenn die schiffbaren Ströme oder Flüsse mit dem offenen Meer in Verbindung stehen, so sind dieselben den Schiffen aller Nationen im Frie- den offen zu halten. Die freie Schiffahrt darf nicht zum Nachtheil ein- zelner Nationen gehemmt, noch ungebührlich belästigt werden. Die Wiener Congreßacte sprach diesen Grundsatz zunächst nur für die europäischen Flüsse und nur unter der Voraussetzung aus, daß ein Fluß durch zwei oder mehrere Statsgebiete fließt. Art. 109. „La navigation dans tout le cours des rivières indiquées dans l’article précédent sera entièrement libre.“ Aber ganz dieselben Gründe, welche die freie Flußschiffahrt in Europa als völkerrechtliche Forderung rechtfertigen, finden auch auf die a merikanischen Ströme und in allen Welttheilen Anwendung. Das neue völkerrechtliche Princip muß also allmählich überall zur Geltung gebracht werden. Sodann ist die Beschränkung des Grundsatzes auf die sogenannten Gemeinflüsse deßhalb unhaltbar, weil die Schiffahrt auf diesen nicht bloß für die Schiffe der Uferstaten , sondern für den Weltverkehr frei ist und nicht einzusehen ist, weßhalb die zwei oder mehreren Uferstaten verpflichtet sein sollen, fremde Schiffe zuzulassen, während ein einzelner Viertes Buch. Flußstat dieselben an der Einfahrt verhindern könnte. Der Eine Stat, dessen Ge- biet der Fluß allein durchfließt, kann nicht mehr Rechte und keine größere Herrschaft haben, als die mehreren Uferstaten an einem Gemeinflusse zusammen. Es gibt kei- nen innern Grund, weßhalb für fremde Nationen die Schiffahrt auf dem Rhein freier sein sollte, als auf der Themse, sonst müßte man zu der unsinnigen Schluß- folgerung kommen, daß die Einigung eines ganzen Flußgebietes, das früher un- ter mehrere Staten getheilt war, in Einem Statsgebiete die Auf- hebung der freien Schiffahrt für fremde Nationen nach sich zöge, die zur Zeit der Vielstaterei als Völkerrecht gegolten hatte. So war z. B. der Missisippi früher ein Gemeinstrom und ist jetzt ganz in dem Gebiet der Vereinigten Staten. Ebenso ist nun der Po ein italienischer Fluß, der früher ein Gemeinfluß gewesen war. Die Freiheit der Weltschiffahrt auf diesen Flüssen gründet sich nicht auf die Betheiligung mehrerer bestimmter Staten an dem Flußufer und der Flußhoheit, sondern auf den Zusammenhang des Flusses mit dem freien Meer und auf die Verbindung der Ge- wässer, welche den Verkehr der Menschen vermitteln. Die ins Meer mündenden Ströme sammt ihren Nebenflüssen, welche sie während ihres Laufes aufnehmen, ge- hören , soweit der Weltverkehr sich darauf bewegt, zum Meer und es wirkt dessen Freiheit auf ihre Freiheit zurück . 315. Es dürfen nur solche Gebühren der Benutzung der dem Weltverkehr offenen Gewässer auferlegt werden, welche als Gegenleistung für die An- stalten, Werke und Arbeiten zu rechtfertigen sind, für welche der Stat im Interesse der Schiffahrt und eines geordneten Zustandes sorgt. Ebenso dürfen die Vorschriften über Stapel- und Landungsplätze nicht dazu miß- braucht werden, durch Nöthigung zum Anlanden und Umladen die Schiff- fahrt zu erschweren. Nur allmählich gelingt es, diese Folge des Princips der freien Schiffahrt zur Geltung zu bringen und die zahlreichen Lasten, womit die mittelalterliche Landes- hoheit den Verkehr beschwert hat, abzuschütteln. Einzelne Bestimmungen bezüglich der Gemeinflüsse hat wieder die Wiener Congreßacte . Art. III.: „Les droits sur la navigation seront fixés d’une manière uniforme, invariable et assez indépendante de la qualité différente des marchandises pour ne pas rendre nécessaire un examen détaillé de la cargaison autrement que pour cause de fraude et de contravention. — Le tarif une fois réglé, il ne pourra plus être augmenté que par un arrangement commun des états riverains ni la navi- gation grévée d’autres droits quelconques, outre ceux fixés, dans le règle- ment.“ Art. 114: „On n’établira nulle part des droits d’étappe, d’échelle ou de relâche forcée.“ Selbstverständlich ist die Erhebung von Waarenzöllen eine ganz andere Angelegenheit und hat grundsätzlich mit der financiellen Belastung der Schiffahrt nichts zu schaffen. Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. 316. Die Binnenseen gehören ebenso dem Statsgebiete zu, von dem sie umschlossen werden. Liegen dieselben zwischen mehreren Staten, so werden sie analog den Strömen behandelt. Abgesehen von besondern Verträgen und Verhältnissen breitet jeder Uferstat seine Statshoheit vom Ufer aus bis in die Mitte des Sees. Die Benutzung des Sees ist jedoch gemein- sam für die Schiffahrt aller Uferbewohner und wenn der See mit dem Meere in schiffbarer Verbindung steht, auch für die Schiffahrt aller Nationen. Die Binnenseen sind gewöhnlich nur ausgebreitete und in Folge der Aus- breitung ruhig gewordene Flußbecken. Daher ist das Flußrecht auf diese Seen analog auszudehnen, und der Zusammenhang mit Fluß und Meer wohl zu beachten. Eine Abgrenzung der Mittellinie ist freilich hier noch schwieriger als auf Flüssen und man ist aus practischen Gründen genöthigt, eine concurrirende Gewalt leichter zu- zugestehen oder die Nationalität der Schiffe zu berücksichtigen. Vgl. oben zu § 300. 4. Schiffsrecht. 317. Die Schiffe werden als schwimmende Gebietstheile des Landes be- trachtet, dem sie nach ihrer Nationalität angehören und dessen Flagge sie zu führen berechtigt sind. Die völkerrechtliche Annahme, daß die Schiffe, welche von dem Lande her, welchem sie angehören, auf die offene See hinausfahren, gleichsam wandernde oder schwimmende Theile des Territoriums seien, ist schon ziemlich alt, und hat einen natürlichen Grund in dem fortwirkenden nationalen Zusammen- hang des Schiffs mit dem Land, der in der Flagge symbolisch dargestellt wird, in dem Schutzbedürfniß des Schiffs gegen feindliche Angriffe und in der Ausdehnung der nationalen Macht und des nationalen Verkehrs durch die Kriegs- und Handels- marine. Daher ist es auch sehr wichtig, die Nationalität der Schiffe klar zu stellen. Die englischen Juristen sträubten sich einige Zeit gegen die Anerkennung jenes Satzes bezüglich der Handelsschiffe . Für Kriegsschiffe war dieselbe unvermeidlich, weil in dem Kriegsschiff die bestimmte Statsmacht handgreiflich fühlbar war. Viertes Buch. Aber die Angehörigkeit der Handelsschiffe an den Stat, dessen Flagge sie führen, ist ebenso unzweifelhaft. 318. Wenn die Schiffe auf offener See fahren, so erstreckt sich die Gebiets- hoheit ihres States ungehemmt auf den Bereich der Schiffe und den Theil des Meeres, in welchem das Schiff sich gerade befindet. Eine bloße Folge dieses Satzes ist die Begründung der statlichen Gerichts- barkeit in allen Vergehensfällen, welche sich während der Seefahrt ereignen, und die Ausschließung einer fremden Gerichtsbarkeit. Das gilt aber nicht bloß von Ver- gehen, die innerhalb des Schiffes, sondern auch von solchen, welche etwa von schwim- menden Schiffsgenossen um dasselbe her verübt worden sind. 319. Wenn aber die Schiffe in ein fremdes Statsgebiet einfahren, indem sie in einem fremden Seehafen Anker werfen oder einen Strom oder Fluß befahren u. dgl., so werden sie der fremden Statshoheit so lange unter- geordnet, als sie sich in deren Bereich aufhalten. Die fremden Schiffe können sich so wenig als fremde Reisende der Statshoheit entziehen, in deren Herrschaftsbereich sie gekommen sind. Es gibt keinen Grund, diese Statshoheit innerhalb ihres Gebiets zu hemmen, und fremden Schiffen Im- munitätsrechte zuzugestehen. Die Policei des Hafenstats erstreckt sich daher über alle fremde Schiffe im Hafen und die Gerichte desselben sind competent zur Ver- waltung der Rechtspflege, auch wenn die Schiffsleute Streit unter einander haben oder ein Vergehen verüben, weil dieselben sich innerhalb dieses Statsgebiets befinden . 320. Indessen wirkt die Unterordnung der Schiffe und ihrer Mannschaft unter ihre nationale Statsgewalt insoweit fort, als entweder das Völker- recht dieselbe verlangt oder die Statsgewalt des Aufenthaltsorts dieselbe gewähren läßt. Die Consuln vermitteln jene Unterordnung unter die nationale Statshoheit. Vgl. oben § 260. Die französische Jurisprudenz erkennt die fremde Gerichtsbarkeit in den Fällen an, wo lediglich unter den fremden Schiffs- leuten Streit ist, ohne daß derselbe die gemeine Ordnung und den Frieden ge- fährdet, und ebenso in Disciplinarfällen der Schiffsmannschaft . So- gar als ein Matrose des amerikanischen Schiffs The Sally im Hafen von Marseille Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. von einem Schiffsofficier verwundet wurde, weil er den Befehlen desselben nicht fol- gen wollte, überließ der Statsrath (1806) die Beurtheilung dem amerikanischen Consul. Phillimore I. 349. Das Gutachten des Statsraths vom 20. Novbr. 1806 spricht darüber folgende Grundsätze aus: Considérant qu’un vaisseau neutre ne peut être indéfiniment considéré comme lieu neutre et que la protection qui lui est accordée dans les ports français ne saurait dessaisir à la juri- diction territoriale, pour tout ce qui touche aux intérêts de l’état. — Qu’ainsi, le vaisseau neutre admis dans un port de l’état est de plein droit soumis aux lois de police qui régissent le lieu où il est reçu. — Que les gens de son équipage sont également justiciables des tribunaux, du pays pour les délits qu’ils y commettraient, même à bord, envers des personnes étrangères à l’équipage, ainsi que pour les Conventions civiles qu’ils pourraient faire avec elles; — Mais, que si jusque-là, la juridiction territoriale est hors de doute, il n’eu est pas ainsi à l’égard des délits qui se commettent à bord du vaissau neutre de la part d’un homme de l’équipage; — Qu’en ce cas, les droits de la puissance neutre doivent être respectés, comme s’agissant de la discipline intérieure du vaissau, dans la quelle l’autorité locale ne doit pas s’ingérer, toutes les fois que son secours n’est pas réclamé ou que la tranquillité du port n’est pas compromise. 321. Ausnahmsweise gelten als exterritorial und von der einheimischen Statsgewalt befreit a) fremde Schiffe, welche souveräne Personen oder fremde Gesante an Bord haben und zu deren ausschließlicher Verfügung sind, (§ 150. 152), b) fremde Kriegsschiffe, insofern sie mit Erlaubniß des States in dessen Eigengewässer eingelaufen sind. 1. Die erste Ausnahme ist nur eine Anwendung der regelmäßigen Exterrito- rialität der Souveräne und Gesanten und reicht eben deßhalb nicht über die sonsti- gen Grenzen derselben hinaus. Wenn z. B. ein Souverain oder Gesante nur ein Postschiff benutzt neben andern Passagieren, so beschränkt sich seine Immunität und Exterritorialität nur auf die Räume, die er mit seinem Gefolge und seinen Effekten in Beschlag genommen hat. 2. Die Exterritorialität der Kriegsschiffe beruht noch weniger auf einer naturrechtlichen Nöthigung als die Exterritorialität der Souveräne, sondern ist ein Zugeständniß, welches die Seestaten einander wechselseitig und der Völkersitte gemäß gewähren, und hat seinen Grund nicht bloß in der gegenseitigen Freundlichkeit, son- dern vielmehr in der Schwierigkeit und Gefahr, die örtliche Policei- und Statsgewalt gegenüber der wohl bewaffneten fremden Schiffsmannschaft thatsächlich gelten zu ma- chen. Die Grundbedingung dieses Zugeständnisses ist aber immer die, daß dem frem- Viertes Buch. den Kriegsschiff der Einlauf in das Eigengewässer erlaubt worden ist, ebenso wie die Privilegien fremder Souveräne im Inland die freiwillige Auf- nahme derselben voraussetzen. Diese Befreiung von der Ortsgerichtsbarkeit und Ortspolizei bezieht sich aber nur auf die Ordnung im Schiff und findet wieder ihre natürliche Grenze, wenn etwa von dem Schiffe aus rechts- oder ordnungswidrige Handlungen gegen die übrigen Schiffe oder die einheimische Bevölkerung verübt würden. In diesem Falle ist die Ortsbehörde vollkommen berechtigt, die zum Schutze des Hafens nöthigen Maßregeln zu ergreifen, nöthigenfalls auch das fremde Kriegs- schiff aus dem Hafen wegzuweisen. Ebenso wenn die Mannschaft des Kriegsschiffs auf dem Lande Vergehen verübt, kann dieselbe der einheimischen Gerichtsgewalt unterworfen werden. Indessen ist in solchen Fällen dem Commandanten des fremden Kriegsschiffs ohne Verzug Anzeige zu machen und ein Einverständniß über die wei- tere Verfolgung und Bestrafung der Schuldigen, sei es durch die Ortsgerichte, sei es durch die Justiz des fremden Kriegsschiffs zu versuchen. Die strenge Consequenz des Rechts spricht für die Anwendung der Landesgerichtsbarkeit , aber die Rück- sicht auf die Völkersitte und die freundlichen Beziehungen zu den auswärtigen Staten empfiehlt öfter eine Ausdehnung der fremden Marinegerichtsbarkeit . 322. Schiffe, welche bloß durch den Küstensaum eines fremden States hindurch fahren, werden der Statshoheit des Küstenstates nur in so weit vorübergehend unterworfen, als sie die militärischen und policeilichen Ord- nungen beachten müssen, welche derselbe zum Schutz seines Gebietes und der Küstenbewohner für nöthig erklärt hat. Vgl. oben § 302. 310. Die Gerichtsbarkeit des Küstenstats er- streckt sich in der Regel nicht anders auf diesen Küstensaum, als soweit die Hand- habung der Militär- und Policeihoheit das nöthig macht. In allen übri- gen Beziehungen wird das Schiff betrachtet, als wäre es auf offener See, d. h. als ein schwimmender Theil seines nationalen Stats. 323. Die fremden Schiffe haben sich der Hafenordnung und insbesondere den seepoliceilichen Vorschriften über Lootsen, Remorqueurs, und den gesund- heitspoliceilichen Anordnungen der Hafenobrigkeit zu fügen. Bei diesen Verordnungen sind jedoch die verschiedenen seefahrenden Nationen nach denselben Rechtsgrundsätzen zu behandeln. Der erste Satz ist eine Folge des in § 319 ausgesprochenen Princips. Dahin gehören die Vorschriften über die Signale der Annäherung , über das Anlegen der Schiffe, Festmachen derselben, Feuer an Bord , die La- Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. ternen , die Benutzung der Hafenanstalten , aber auch die Verordnungen der Sanitätspolicei zur Abwehr von ansteckenden Krankheiten, je nach Umstän- den die Nöthigung zu den Contumazanstalten . Der zweite Satz schützt das allgemeine Recht des Weltverkehrs gegen den Mißbrauch der Policeigewalt zum Ausschluß einzelner Nationen. 324. Zunächst ist es das Recht eines jeden States, die Bedingungen fest- zusetzen, unter denen er die Angehörigkeit (Nationalität) seiner Schiffe an- erkennt, dieselben ermächtigt, seine Flagge zu führen und sie unter seinen Schutz nimmt. Wie es offenbar die Sache des Statsrechts ist, die Bedingungen festzu- setzen, unter denen ein Stat einzelne Personen und Familien in seine Statsgenossen- schaft aufnimmt, so fällt ebenso in den Bereich des Statsrechts auch die Festsetzung der Bedingungen, unter denen ein Stat die Schiffe als statsgenössig anerkennt. Die Flagge ist das Symbol und Kennzeichen dieser Angehörigkeit zu einem bestimmten State. Indessen so einleuchtend jener Rechtssatz ist, so wird er doch noch nicht vollständig anerkannt. Auch die Wahl der Flagge ist zunächst Sache des betreffenden Stats und nur insofern völkerrechtlich beschränkt, als nicht eine bereits vorhandene Flagge gewählt werden darf. Die Flagge soll die verschiedenen Nationen darstellen und unterscheiden. Vgl. oben § 82. 325. Auch den Binnenstaten, nicht bloß den Küstenstaten steht das Recht zu, nationale Schiffe zu haben und eine nationale Flagge zu führen. Dagegen wird das Recht der freien Schiffahrt und der nationalen Flagge nur denjenigen Völkern zugestanden, welche ihrerseits die völkerrechtlichen Pflichten anerkennen. Wie alle Nationen an dem Welthandel Theil haben, so haben auch alle an der freien Weltschiffahrt Theil. Es besteht kein Rechtsgrund, um irgend eine Nation zu nöthigen, sich für ihren Handel fremder Schiffe zu bedienen, statt eigene dazu zu verwenden. Wenn in neuester Zeit in der Schweiz der Vorschlag einer natio- nalen Flagge gemacht wurde, so können keinenfalls Rechtsgründe der Annahme die- ses Vorschlags im Wege stehen. Nur die Zweckmäßigkeit einer derartigen Neuerung kann in Frage kommen, und je nach politischen Erwägungen kann sie verschieden beurtheilt werden. Dagegen wird den Schiffen barbarischer Stämme, welche die Sicherheit Viertes Buch. des Welthandels und der civilisirten Schiffahrt gefährden, kein Recht der freien Schiffahrt zugestanden und werden dieselben auch auf offener See nicht geduldet. Zuweilen wird die Flagge nur von einzelnen Städten geübt, sogar zum Unterschiede von der Landesflagge, wie z. B. die Flagge von Rostock sich von der Mecklenburgischen unterscheidet. Indessen ist das eher ein Ueberrest mittelalterlicher Zustände, als eine Erscheinung des modernen Lebens und jedenfalls bedarf der be- sondere Gebrauch einer städtischen Flagge der Erlaubniß und Anerkennung des States , welchem die Stadt zugehört. Völkerrechtlich stehen doch nur die Staten miteinander in unmittelbarer Verbindung. 326. Zum Beweise der Nationalität dienen die öffentlich beurkundeten Schiffspapiere, welche von dem Schiffscapitän nöthigenfalls vorzuweisen sind. Als solche Schiffspapiere sind in Uebung: a) der Beilbrief , ein Zeugniß über den Bau und das Signalement des Schiffs. Er gibt Aufschluß über die Herkunft (Bauart), das Bau- material, die Größe und den Namen des Schiffs, und dient auch dazu, die Identität des Schiffs erkennbar zu machen. b) der Seebrief oder Seepaß , eine Legitimation zur Seefahrt unter nationaler Flagge. Derselbe ist meistens auf den Namen des Schiffs- führers (Capitäns) ausgestellt; c) ein Eigenthumscertificat des Rheders ; d) die Musterrolle (rolle d’équipage) , Verzeichniß über die Schiffs- mannschaft und deren Nationalität. Es können auch in Einer Urkunde die meisten oder alle vorgenannte Zwecke zusammen berücksichtigt werden. Das Einzelne gehört nicht der völkerrechtlichen, sondern der statsrechtlichen Bestimmung zu. Nur die Nothwendigkeit einer authentischen Beurkundung der Nationalität ist völkerrechtlich nothwendig. 327. Nach bisheriger Uebung setzen auch die Seemächte ihrerseits die Be- dingungen fest, unter welchen sie die Nationalität fremder Schiffe innerhalb ihres Gebietes (in Seehäfen und Flüssen) anerkennen. Es darf das aber nicht in so beschränkender Weise geschehen, daß dadurch der freie Schiffahrts- verkehr einer fremden Nation unmöglich gemacht oder ungebührlich er- schwert sind. Die gegenwärtigen Hafenordnungen gerade der großen Seemächte sind noch nicht ganz von dem engherzigen Geiste der frühern Ausschließung der Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. fremden Schiffe und der Begünstigung der eigenen Schiffe befreit. Man wollte jenen doch noch den Verkehr erschweren, wenn gleich man denselben nicht mehr verhindern wollte. Die englische zur Zeit der Republik unter Cromwell erlassene Navi- gationsacte , damals für die Entwicklung der englischen Marine nützlich, war aus- schließlich in dem Sonderinteresse der englischen Rhederei und Schiffahrt erlassen. Andere Staten ahmten dieselbe nach und so hinderte jeder hinwieder den andern in der freien Thätigkeit. Die neuere englische Navigationsacte vom 29. Juni 1849 beseitigt einen Theil der alten Schranken, aber fordert immer noch Nationalität des Schiffscapitäns und von ¾ der Mannschaft, wofür es keine zurei- chenden Rechtsgründe gibt. Es ist nicht einzusehen, weßhalb ein nationaler Rheder nicht auch einen Fremden als Capitän oder fremde Matrosen anstellen dürfte, indem die Nationalität einer Fabrik oder einer Handelsfirma auch keinen Abbruch erleidet, wenn fremde Techniker, Commis und Arbeiter von derselben beschäftigt werden. Die- selbe weitgehende Forderung hat die französische Gesetzgebung. Die Vereinigten Staten von Nordamerika fordern die Nationalität von ⅔ der Mannschaft, Ruß- land dagegen nur ¼, und Preußen sieht ganz ab von diesem Erforderniß. Schon diese Vergleichung zeigt, wie willkürlich diese Beschränkung ist. Am liberalsten ist das Preußische Seerecht, welches nur Angehörigkeit des Capitäns und nationales Eigenthum des Schiffs fordert. 328. Es besteht kein völkerrechtliches Hinderniß für die einzelnen Staten, auch ursprünglich fremden Schiffen in Friedenszeiten Aufnahme in die eigene Nationalität zu gewähren oder dieselben vorübergehend unter den Schutz der eigenen Flagge zu stellen. Nur darf das nicht in betrügerischer Absicht geschehen, noch zur Schädigung bestehender Rechtsverhältnisse damit Mißbrauch getrieben werden. Wie der Uebergang der Person aus einem Statsverband in einen an- dern möglich ist, so auch der Uebergang eines Schiffes in eine andere Nationa- lität. Dem State kommt das Recht zu, die Bedingungen festzusetzen, unter denen er die Aufnahme eines bisher fremden Schiffes in seinen Verband gestattet. Aber auch hier, wie überhaupt im Staten- und Völkerverkehr ist die bona fides zu be- achten. Würde ein Stat fremden Schiffen nur in der Absicht vorübergehend seine Flagge gestatten und dieselben als seine Schiffe bezeichnen, um die Zollgesetze des befahrenen States zu umgehen und diesen Schiffen Zollbefreiungen zuzuwenden, an denen sie ihrer wahren Nationalität nach keinen Antheil haben, so würde sich der letztere Stat das nicht gefallen lassen müssen. In früherer Zeit wurden im Mittelländischen Meer oft die Schiffe der nord- deutschen Seestädte unter den Schutz der Dänischen Flagge gestellt, um dieselben gegen die Piratenschiffe der muhammedanischen Küstenstaten zu sichern, mit welchen Dänemark, aber nicht die Hansestädte Verträge hatten. Diese Leihe des Schutzes Viertes Buch. hat nun für Deutschland ihr Ende gefunden. Aber für Staten mit Handelsmarine ohne Kriegsmarine können auch heute ähnliche Bedürfnisse sich zeigen. 329. Der Gebrauch einer fremden Flagge ohne Erlaubniß des betreffenden Stats ist untersagt und wird insofern als Vergehen bestraft, als darin sei es eine betrügerische, sei es eine die Ehre des States gefährdende Handlung zu erkennen ist. Sowohl der Stat, dessen Flagge mißbraucht wird, als der Stat, welchem gegenüber der Mißbrauch geübt wird, haben ein Recht und Interesse sei es Bestra- fung zu fordern sei es, soweit die Umstände es verstatten, selber die Strafgerichtsbarkeit anzuwenden. Zuweilen werden aber fremde Flaggen ohne strafbare Absicht aufgezogen, und dann ist auch kein Grund, eine Strafe zu verhängen. 330. Auf offener See sollen sich die begegnenden Schiffe in der Regel rechts ausweichen. Jedoch sind die Dampfschiffe vorzugsweise verpflichtet, den Segelschiffen und vor dem Winde segelnde Schiffe den bei dem Winde liegenden auszuweichen. Alle diese Regeln haben nur einen relativen Werth und wird natürlich vor- ausgesetzt, daß das Ausweichen möglich sei. Dann aber ist es billig, daß das Schiff, dessen Bewegung leichter zu leiten und größer ist, auch vorzugsweise aus- weiche . Die englische Schiffahrsacte von 1854 (17. u. 18. Vict. c. 104) enthält darüber in § 296 die Regel: „the helms of both ships shall be put to port so as to pass on the portside of each other“. 331. In engem Fahrwasser sollen die Dampfschiffe, soweit es sicher und thunlich ist, die Seite des Fahrwassers oder diejenige Mitte des Fahrwegs halten, welche auf der Steuerbordseite liegt. Engl. Schiffahrsacte von 1854 § 296. 332. Bei Nachtzeit, d. h. in der Zeit zwischen Sonnenuntergang und Sonnenaufgang, sollen die Segelschiffe auf der Fahrt und wenn sie an Stellen ankern, wo eine Begegnung mit andern Schiffen stattfinden kann, Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. ein helles weißes Licht aufstecken, Dampfschiffe aber außer dem hellen wei- ßen Licht auf dem Fockmast ein grünes Licht auf der Steuerbordseite und ein rothes Licht auf der Backbordseite haben. Das weiße Licht an der Mastspitze soll in dunkler Nacht und bei klarer Luft wenigstens auf 5 Seemeilen hin sichtbar sein. Auch hier hat eine Verordnung der Brittischen Admiralität Grundsätze ausge- sprochen, welche im Verfolg von den andern Seestaten gutgeheißen und von der Uebung angenommen worden sind. Es dient die Beachtung derselben wieder zur Vermeidung eines gefährlichen Zusammenstoßes der Schiffe. Nach englischem Recht kann der Eigenthümer eines durch den Zusammenstoß verletzten oder in den Grund gebohrten Schiffs dann auf Schadloshaltung mit Erfolg gegen den Vertreter des andern Schiffs klagen, wenn das zweite Schiff jene Vorschriften mißachtet und den Zusammenstoß verschuldet hat und zugleich die Mannschaft des ersten Schiffs den nöthigen Fleiß vergeblich aufgewendet hat, um der Gefahr zu entgehn. Vgl. Abbott (Lord Tenterden .) Treatise of the law relative to Merchant Ships and Seamen. Ed. 10 bei W. Shee . London 1856. Ueber das deutsche Recht vgl. das deutsche Handelsgesetzbuch Art. 736 ff. 333. Niemals darf einem in Seegefahr befindlichen Schiffe und dessen Mannschaft der Weg zur Rettung nach dem Lande verschlossen noch die Benutzung der zur Rettung vorhandenen öffentlichen Anstalten versagt werden. Heffter , Völkerrecht § 79. 1. Es ist das ein Gebot der Menschlichkeit, welches die civilisirten Staten als verpflichtend in neuerer Zeit wechselseitig anerken- nen und dessen Mißachtung zu gegründeten Reclamationen berechtigt. Auch den barbarischen Stämmen gegenüber, welche diese Menschenpflicht verletzen, sind die civi- lisirten Staten berechtigt, diese Forderung mit Zwang durchzusetzen. Ausführliche Bestimmungen über diese Pflicht enthält das englische Schiffahrtsgesetz von 1854 § 439 f. 334. Niemand darf sich an den Personen oder an den Gütern der Schiff- brüchigen vergreifen. Das sogenannte Strandrecht wird als ein barbarischer und völkerrechtswidriger Mißbrauch nicht mehr geduldet. Im Mittelalter noch waren die Schiffbrüchigen und ihre Güter der Gefahr ausgesetzt, von den Küstenbewohnern als Beute behandelt zu werden. Die Personen wurden oft zu Sclaven gemacht oder ihnen ein Lösegeld aufgezwungen, die Güter Bluntschli , Das Völkerrecht. 13 Viertes Buch. wurden weggenommen. Man suchte dieses Raubrecht damit zu vertheidigen, daß die hülflosen Fremden Feinde und als solche rechtlos und ihre Güter herrenlos ge- worden seien. Die humanere Rechtsbildung der neuen Zeit verwirft diese Barbarei und achtet auch in dem Fremden sowohl das Recht der Person als das Eigenthum. 335. Die Schiffstrümmer (Wrack) und die gestrandeten Waaren sind kein Gegenstand der freien Occupation, außer wenn die Eigenthümer in un- zweideutiger Weise auf ihr Eigenthum verzichtet haben. Sie können von den Eigenthümern jederzeit so lange angesprochen werden, als nicht die Eigenthumsklage verjährt ist. Dasselbe Recht steht auch den Personen zu, welche auf diese Güter versichert sind. Das englische Schiffahrtsgesetz von 1854 § 477 verpflichtet die ganze Ufergemeinde für den Schaden einzustehn, welcher von den Uferbewoh- nern an dem Wrackgute verübt worden ist, und bedroht überdem alle, welche sich an dieser unerlaubten Wegnahme betheiligt haben, auch wenn kein anderes Vergehen darin liegt, mit einer Geldbuße. 336. Dagegen ist ein mäßiger Anspruch auf Rettungs- und Bergelohn von Seite der rettenden und bergenden Uferbewohner wohl begründet. Der eigentliche Bergelohn (Salvage) setzt einen Schiffbruch oder doch das Verlassen des Schiffs in Seenoth durch die Schiffsmannschaft voraus. In andern, beziehungsweise mindern Fällen, in denen der Schiffsmannschaft nur dritte Personen zu Hülfe kommen, ist nur von Hülfslohn die Rede. Vgl. über diesen Unterschied das deutsche Handelsgesetzbuch Art. 742. Der Ausdruck Rettungslohn be- zieht sich vorzüglich auf die Rettung von Menschenleben. In allen diesen Fällen sind die Personen, welche gewöhnlich mit eigener Gefahr und schwerer Arbeit hülf- reiche Dienste leisten, berechtigt, einen Lohn zu fordern. Aber es darf diese Forde- rung nicht so weit gespannt werden, daß dieselbe in der Praxis wieder zu einem verdeckten Raubrecht wird. Es darf nicht auf das Unglück und die Noth der See- fahrer speculirt, sondern nur Ersatz für nützliche Dienste verlangt werden. Das deutsche Handelsgesetzbuch setzt für Bergelohn als äußerstes Maß den dritten Theil des Werthes der geborgenen Güter fest, welches nur in einzelnen Ausnahmen bis auf die Hälfte des Werthes erhöht werden darf, Art. 748. 749. Im Einzelnen entscheidet, wenn über das richtige Maß Streit entsteht, das richterliche Ermessen mit billiger Erwägung aller Umstände. Ebenda 744. Von einem Rettungslohn für Menschen ist in dem Gesetz nicht die Rede. Indessen, wenn auch das Leben ein unschätzbares Gut ist, so ist doch die Arbeit für Erhaltung des Lebens wohl zu schätzen und es ist zweckmäßiger, im Interesse der Lebensrettung, von Rechts wegen Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. für diesen Lohn zu sorgen, der aus dem geretteten Gut zu bezahlen ist, als Alles von dem guten Willen der Betheiligten abhängig zu machen. Die Bestimmungen der englischen Schiffahrtsacte von 1854 finden sich Art. 458 f. Vgl. v. Kaltenborn , Seerecht II. § 147. 148. 337. Die Uferstaten sind völkerrechtlich verpflichtet, nicht bloß die zur Ret- tung in Seenoth befindlicher Schiffe vorhandenen öffentlichen Anstalten auch im Dienste der gefährdeten fremden Schiffe, ohne Unterschied der Natio- nalität oder Religion zu verwenden und die schiffbrüchigen Personen und Güter möglichst zu schützen und zu bewahren. In England werden die Beamten, welche den Auftrag haben, die zur Ret- tung und zum Schutze der gefährdeten Schiffe und ihrer Bemannung nöthigen Maß- regeln anzuordnen, receivers genannt. Sie sind berechtigt, die allgemeine Bei- hülfe der Küstenbewohner und der in der Nähe befindlichen Boote aufzurufen. Schiffahrtsacte von 1854 § 439 f. 338. Jeder Stat ist berechtigt, für die Ausgaben, welche er zur Rettung und zum Unterhalt des Lebens fremder Schiffbrüchiger gemacht hat, nöthi- genfalls von deren Heimatsstate Ersatz zu fordern, wenn dieselben nicht in der Lage sind, diese Kosten selber ohne Verzug zu ersetzen. Vorbehalten bleibt dem Heimatsstate der Regreß auf die betheiligten Privatpersonen. Die allgemeinen Anstalten dagegen für Rettung Schiffbrüchiger, welche der Stat getroffen hat, fallen auf seine Kosten, und es ist dafür der andere Stat nicht zum Ersatze verbunden. Diese Ersatzforderung des States an den Stat hat ihren Grund in der sub- sidiären Pflicht des States , das Leben seiner Angehörigen im Nothfall zu schützen, einer Pflicht, welche freilich noch immer nicht in dem Umfang anerkannt ist, wie sie es verdiente. Indem der eine Stat für die Fremden in ihrer Noth sorgt, leistet er daher auch dem Heimatsstate derselben einen Dienst und leistet das, was dieser nach natürlichem Recht in der Noth seiner Angehörigen für dieselben zu leisten hätte. Wird dieses Recht anerkannt, so wird eher und besser für Hülfe gesorgt, und zugleich das richtige Verhältniß der Küstenländer gegenüber den Binnenländern ge- wahrt. Natürlich ist der Küstenstat nicht genöthigt, jene Forderung geltend zu machen und es sprechen auch manche Gründe der Zweckmäßigkeit, freilich nur unter der Voraussetzung einer hohen Civilisationsstufe dafür, daß ein Küstenstat alle diese im Interesse der Humanität auch für Fremde gemachten Verwendungen auf seine 13* Viertes Buch. eigenen Kosten übernimmt. Wird diese Sorge wechselseitig von den Uferstaten geübt, so liegt darin im Großen auch wieder die Ausgleichung der Kosten . Jedenfalls aber gehören die Rettungsanstalten zu den policeilichen Einrichtun- gen eines States, welche zunächst dem eigenen Statszweck dienen und sind daher nicht in Anrechnung zu bringen. 339. Keinem State kommt im Zustande des Friedens eine öffentliche Gewalt über fremde Schiffe auf offener See zu. Die Flagge deckt das Schiff. Es ist das die Consequenz der beiden Sätze a) daß das offene Meer von jeder besondern Statsgewalt frei ist und b) daß die Schiffe schwim- mende Theile ihres nationalen Statsgebiets sind. Auf jedem Schiff dauert also das einheimische Recht und die einheimische Statsgewalt fort, wenn es auf offener See ist und von jedem Schiff ist also fremde Statsgewalt ausge- schlossen. 340. Dagegen ist jeder Stat verpflichtet, für Beschädigungen oder Belei- digungen, welche durch die Mannschaft seiner Schiffe gegen fremde Schiffe oder deren Mannschaft auf offener See verübt werden, den Klägern gutes Recht zu halten. Auch auf offener See ist die friedliche Rechtsordnung wechselseitig zu achten und die gewaltsame Selbsthülfe nur in Nothfällen gestattet. Die Statenlosigkeit des Meeres bedeutet nicht Rechtlosigkeit, sondern im Gegentheil friedliche Rechtsgemeinschaft aller Nationen . Als Noth- fälle, welche die Selbsthülfe im Gegensatze zu der regelmäßigen Gerichtshülfe recht- fertigen, gelten a) alle Fälle der Nothwehr (vgl. unten § 348) gegen böswilligen Angriff, b) die Fälle, in denen zur eigenen Rettung gegen die Gefährdung von Seite eines andern Schiffes, auch wenn dieselbe nicht beabsichtigt und nicht als Vergehen zu betrachten ist, durchgreifende Maßregeln nothwendig erscheinen, c) die Fälle der vorherigen Rechtsverweigerung von Seite des fremden Stats. 341. In Friedenszeiten ist kein Stat berechtigt, fremde Schiffe in ihrer Fahrt auf offener See aufzuhalten, noch sie durch seine Officiere zu be- suchen und Vorzeigung ihrer Papiere zu fordern oder gar ihre Schiffs- räume durchsuchen zu lassen. Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. Da kein Stat eine Policeigewalt über fremde Schiffe auf offener See hat , so darf er auch keine Handlungen vornehmen, welche sich nur aus einem Rechte der Policeiaufsicht erklären und begründen ließen. Die fremden Schiffe sind durchaus nicht schuldig, anzuhalten, sondern berechtigt, ohne Rücksicht auf die Zumuthungen eines andern Schiffs ihre Reise fortzusetzen. Zuweilen haben wohl seemächtige Staten weiter gehende Ansprüche gemacht und gelegentlich eine Art von Seepolicei auch über fremde Schiffe üben wollen. Aber es wird das heute nicht mehr zugestanden und diese Anmaßung ist wenigstens thatsächlich selbst von England aufgegeben. 342. Wenn jedoch die Mannschaft eines fremden Schiffes in den Eigen- gewässern eines States oder auf dem Lande ein Vergehen verübt hat und deßhalb von der einheimischen Strafgerichtsbarkeit verfolgt wird, so darf die Verfolgung gegen das fliehende Schiff über die Eigengewässer hinaus in die offene See fortgesetzt werden. Ist aber einmal das Schiff dieser Verfolgung entgangen, so darf es später nicht mehr auf offener See von den Schiffen des verletzten States angegriffen werden. Die Verfolgung auf die offene See hinein gilt dann nur als Fortsetzung der in den Eigengewässern begonnenen Verfolgung und die Rechtfertigung die- ser wird auf jene ausgedehnt. Diese Ausdehnung ist aber nöthig, um die Wirk- samkeit des Strafrechts zu sichern. Dieselbe findet ihre nothwendige Grenze, wenn die Verfolgung abgebrochen werden muß. 343. Die Piratenschiffe werden wegen ihrer Gemeingefährlichkeit nicht ge- duldet. Sie haben keinen Anspruch auf den Schutz der Flagge und können jeder Zeit auch auf offener See angegriffen und weggenommen werden. Als Piraten-, Räuber-, Seeräuberschiffe werden die Schiffe betrach- tet, welche ohne Ermächtigung eines kriegführenden States auf Beute fah- ren, sei es auf Menschenraub, sei es auf Raub von Gütern (Schiffen oder Waaren) oder auch auf böswillige Zerstörung von fremden Gütern ausgehen. Schon Cicero erklärt den „pirata“ einen „communis hostis omnium“ (de offic. I. 3, 29). Die Seeräuber gelten als Feinde des Menschen- geschlechts und ihre Unterdrückung wird als ein Recht und eine Pflicht aller Viertes Buch. civilisirten Staten betrachtet. Deßhalb wird auch gegen Seeräuber das Recht der freien Schiffahrt und der besondern Nationalität nicht gewahrt. Das Interesse der all- gemeinen Verkehrssicherheit rechtfertigt die Beschränkung der allgemeinen Schiffahrts- freiheit. Die Seeräuber, welche jene fortwährend als Feinde bedrohen, dürfen sich nicht auf diese berufen. In den meisten Erklärungen des Begriffs wird die gewinnsüchtige Ab- sicht der Seeräuber, der animus furandi , als Hauptmerkmal hervorgehoben. Die meisten Fälle des Seeraubes haben auch unzweifelhaft diesen Charakter. Aber wenn ein Schiff in der Absicht ausfährt, fremde Schiffe, vielleicht einer verhaßten Nation zu zerstören und ihre Güter zu versenken oder an dem Ufer Verheerungen anzu- richten, die Häuser in Brand zu stecken, und das Alles nicht aus Gewinnsucht, son- dern aus Haß oder Rache , so wird auch ein solches Schiff als Piratenschiff zu betrachten sein, weil die Gemeingefährlichkeit dieselbe und das Verbrecherische solcher Unternehmungen ebenso offenbar ist. Der Richter Jenkins erklärte folgende 3 Merkmale für nöthig zum Begriff des Seeraubs: a) gewaltsamer Angriff, b) Weg- nahme fremden Guts, c) Erregung von Furcht des Veraubten. Phillimore I. § 335. Dem zweiten Merkmal fügen Andere mit Recht zu oder Mord oder Men- schenraub. Daß das dritte nothwendig sei, darf billig verneint werden, denn die Seelenstimmung des Verletzten ist für das Verbrechen ohne Bedeutung. Auch wenn die Angegriffenen sich nicht fürchten und den Kampf mit den Seeräubern sieg- reich durchfechten, sind diese dennoch als Seeräuber zu bestrafen. 344. Wenn ein ernster Verdacht besteht, daß ein Schiff ein Räuberschiff sei, so ist jedes Kriegsschiff eines jeden Stats als ermächtigt zu betrachten, dasselbe anzuhalten und zu untersuchen, ob jener Verdacht begründet sei. Wenn einige Schriftsteller auch in diesem Falle den Kriegsschiffen das Recht absprechen, Seepolicei zu üben und ein verdächtiges Piratenschiff anzuhalten, so ver- kennen sie das dringende Bedürfniß aller Nationen, von der Seeräuberei befreit zu werden. Würde die sonstige Regel, daß kein Stat auf offener See über fremde Schiffe eine Macht üben dürfe, absolut festgehalten, so wäre damit die Verfolgung der Seeräuber in den meisten Fällen unmöglich gemacht. Jene Regel aber wird anerkannt im Interesse der Sicherheit und Freiheit der friedlichen Seefahrer. In demselben Interesse wird derselben die ergänzende Ausnahme hinzugefügt, daß alle Staten gleichmäßig berechtigt sind, die Raubschiffe als Feinde zu verfolgen. Zu diesem Behuf müssen sie dieselben auch ihrerseits angreifen können, wenn sie sich zeigen. 345. Ergibt sich bei der Prüfung, daß der Verdacht unbegründet sei, so Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. ist das angehaltene Schiff berechtigt, Genugthuung und je nach Umständen Schadensersatz zu fordern. Es ist das die Garantie gegen Mißbrauch jenes Verfolgungsrechts zum Nach- theil der rechtmäßigen Schiffahrt. 346. Erscheint der Verdacht begründet, so wird das Räuberschiff als Prise genommen. Dasselbe kann in jeden Hafen eines civilisirten States, nicht nothwendig des Nehmestates, gebracht und daselbst die Mannschaft vor Gericht gestellt und bestraft werden. Das betreffende Prisengericht entschei- det auch über Schiff und Gut. Dem Recht der Verfolgung, woran alle civilisirten Staten gleichmäßig Theil haben, entspricht das Recht der Bestrafung, worin wieder alle Staten concur- riren . Aber das gilt nur von der völkerrechtlich anerkannten Seeräuberei und ist keineswegs auf die Fälle auszudehnen, welche nur nach besonderem Landesgesetz als Piraterie behandelt werden. Für solche Fälle gelten die ge- wöhnlichen Grundsätze der Gerichtsbarkeit. Vgl. Wheaton , Intern. Law. édit. 8. by H Dana. Boston 1866. § 124. 347. Insoweit keine andern Eigenthumsrechte als der Räuber selbst in Betracht kommen, wird das genommene Räuberschiff sammt der Bewaff- nung und Ladung als gute Seebeute dem State zugesprochen, dessen Schiff das Räuberschiff genommen hat. Es hängt von diesem State ab, die Mannschaft des Kriegsschiffes dafür zu belohnen. Es ist das eine analoge Anwendung des Kriegsrechts auf Seebeute, welche wieder damit erklärt wird, daß die Seeräuber Feinde aller Staten sind. 348. Wird ein Privatschiff von einem Seeräuberschiff angegriffen, aber dieses von jenem überwunden und ist der Sieger außer Stande, die gefangenen Räuber sicher zu verwahren und nach einem geeigneten Seehafen, der in seiner Richtung liegt, abzuliefern, so ist derselbe berechtigt, standrechtlich über die Räuber zu richten und ein Todesurtheil sofort zu vollziehen. Es ist jedoch in solchen Fällen ein sorgfältiges Protokoll über die Zusammensetzung und Viertes Buch. die Verhandlung des Gerichts, die Aussagen der Zeugen und die Verthei- digung der Angeklagten aufzunehmen. Die Vertheidigung der Handelsschiffe gegen die Seeräuber ist, wenn irgend eine Aussicht auf Erfolg vorhanden ist, nicht bloß ein Recht, sondern eine Pflicht der Mannschaft. (Vgl. Kaltenborn , Seerecht I. S. 181.) Es ist das ein Fall be- rechtigter Selbsthülfe (oben § 243), in welchem die Gewalt des Capitäns sich bis zur Gerichtsgewalt steigert. „Es geht den Räubern an die Raa“, ist die alte Seemannsdrohung. Aber wenn hier der Selbsthülfe eine so eingreifende Wirksamkeit verstattet wird, so ist es auch eine Rechtspflicht derer, welche sie üben, den Aus- nahmefall genau und sorgfältig zu constatiren, und zugleich eine Garantie gegen den möglichen Mißbrauch jenes Nothrechts zu ungerechter Gewaltthat. 349. Da kein Stat im Frieden berechtigt ist, Seebeute zu machen, so darf auch kein Stat im Frieden Schiffe ermächtigen, auf Beute auszu- fahren. Geschieht es dennoch, so macht sich der Stat der Piraterie schul- dig. Alle civilisirten Staten sind in diesem Falle berechtigt, den Piraten- stat als einen gemeinsamen Feind zu bekämpfen, und denselben zu zwin- gen, daß er für den verübten Schaden Ersatz leiste, Genugthuung und Garantien für künftige Beachtung des Völkerrechts gebe. 1. Während langer Zeit erniedrigten sich die europäischen Staten dazu, an die Piratenstaten der nordafrikanischen Seeküste Tribut zu bezahlen, um da- durch für ihre Handelsschiffe Sicherheit gegen den Seeraub zu erkaufen. Erst in unserer Zeit ist endlich das Mittelländische Meer von dieser Gefahr befreit und hat die unwürdige Duldung von Piratenstaten nun aufgehört. 2. Auch in diesen Fällen sind die Kriegsschiffe aller Staten veranlaßt und er- mächtigt, solche Piratenschiffe auf offener See anzugreisen und wegzunehmen. Die Mannschaft derselben kann aber in diesem Falle, weil sie die Erlaubniß ihres States für sich hat, nicht wegen Piraterie gerichtet werden, sondern ist in der Regel als kriegsgefangen zu behandeln. So wurde von dem englischen Admiralitäts- gerichtshof (Richter Sir Jenkins ) im Jahr 1668 entschieden, als Algierische Pi- raten an der Irischen Küste gefangen wurden. Phillimore I. 355. Wildman I. S. 202. 3. In dem großen amerikanischen Bürgerkriege erklärte der Präsident Lincoln (19. April 1861) alle südstatliche Kaperschiffe als Piratenschiffe und bedrohte dieselben mit der Strafe der Seeräuber. Indessen erklärte sich das englische Oberhaus gegen diese Ausdehnung des Begriffs als nicht im Völkerrecht begründet; und thatsächlich wurden auch in den Nordstaten gefangene Seeleute solcher Kaperschiffe als Kriegsgefangene behandelt. Wheaton Intern. Law. § 125. Anm. Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. 350. Wenn von Schiffsleuten eines nationalen Schiffes, d. h. eines Schiffes, welches sich nicht dem Verbande mit einem geordneten State entzogen hat, auf offener See Raub oder Mord oder andere Verbrechen verübt werden, so ist die völkerrechtliche Gerichtsbarkeit über Seeräuber nicht begründet, sondern nur die statsrechtliche des States, welchem das Schiff zugehört. Anders ist es, wenn die aufrührerische Schiffsmannschaft eines unter natio- naler Flagge fahrenden Schiffs nun sich von der Statsordnung losgesagt, und eigen- willig Räuberei betreibt. Dadurch wird das Schiff zum Piratenschiff. Ueber einen Fall der Art aus den Chilesischen Gewässern berichtet Phillimore I. 357. Wenn gleich die von einem englischen Kriegsschiff gefangene Mannschaft an die Ge- richte von Chili zur Bestrafung überliefert wurde, so erachtete sich doch der englische Admiralitätshof ebenfalls für zuständig. Dagegen gilt für alle andern Verbrechen, die nicht völkerrechtlich als Seeräuberei betrachtet werden, die ordentliche Gerichtsbarkeit. 351. Das freie Meer darf nicht zur Zufuhr von Sclaven über See miß- braucht werden. Die Schiffe, welche gegen das völkerrechtliche Verbot Sclaven füh- ren, unterliegen aber zunächst der Gerichtsbarkeit des States, welchem sie angehören. Das heutige Völkerrecht verwirft die Institutionen der Sclaverei als einen Widerspruch des natürlichen Menschenrechts. Vgl. darüber Buch V. Abschnitt 1. Früher galt der Handel insbesondere mit farbigen Sclaven als erlaubt, und noch in dem Frieden von Utrecht von 1713 ließ sich England von Spanien aus- drücklich das Recht zusichern, eine bestimmte Anzahl Negersclaven alljährlich in die Spanischen Colonien einzuführen. Seither hat das moderne Rechtsgefühl diesen Handel als ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit gebrandmarkt. Auf dem Wiener Congreß erklärten am 8. Febr. 1815 im Anschluß an den Zusatz des Pariserfriedens zwischen England und Frankreich vom 30. Mai 1814 die versammelten Mächte ihr Verlangen „de mettre un terme au fléau qui avait si longtemps désolé l’Afrique, dégradé l’Europe et affligé l’humanité“ und ver- sprachen einander beizustehen in der möglichst baldigen „abolition universelle de la traite des nègres“ ( Wheaton histoire I. 183). Auf den Congressen von Aachen 1818 und Verona 1822 wurde die Abschaffung des Negerhan- dels neuerdings im Princip ausgesprochen. Vor allen andern Staten war Eng- land bemüht, diesen schändlichen Seehandel zu unterdrücken und schloß mit einer großen Anzahl von Staten darüber besondere Verträge ab. Das Verzeichniß dieser Verträge gibt Phillimore I. § 307. Von größter Bedeutung waren insbeson- Viertes Buch. dere die Verträge mit Frankreich (Verträge von 1831. 1833. 1845), mit Spa- pien (1817. 1822. 1835), mit Portugal (1826), mit den europäischen Nord- und Ostmächten Oesterreich, Preußen und Rußland (1845), mit den Ver- einigten Staten von Nordamerika (1842). In vielen Verträgen und Gesetzen wird dieser verbotene Handel der See- räuberei gleichgestellt und werden die Sclavenschiffe wie Piraten- schiffe bedroht. Indessen ist diese Gleichstellung durchaus nicht selbstverständlich und es läßt sich der völkerrechtliche Begriff der Piraterie nicht ohne weiters auf ganz andere Handlungen übertragen. Die Piraterie gefährdet die Sicherheit des gesamm- ten Seeverkehrs, der Sclavenhandel bedroht den Seeverkehr gar nicht, sondern bedroht nur das Menschenrecht in seiner eigenen Ladung. Die Piratenschiffe erkennen keine geordnete Statsgewalt über sich an, die Sclavenschiffe fahren unter nationaler Flagge. Die Unterdrückung des Sclavenhandels hat daher auch nicht denselben nationalen Charakter wie die Verfolgung der Seeräuber. Deßhalb besteht auch keine allge- meine Concurrenz aller Staten in der Gerichtsbarkeit über das weggenom- mene Sclavenschiff, sondern ist zunächst die nationale Gerichtsbarkeit begründet. 352. Soweit durch Statenverträge ein Besuchs- oder Durchsuchungsrecht gegen die eigenen Schiffe fremden Kriegsschiffen zu dem Behuf gestattet worden ist, um verdächtige Sclavenschiffe anzuhalten und je nach Umstän- den zur Verantwortung zu ziehen, ist dieselbe auszuüben. Aber es versteht sich ein solches Recht nicht von selbst, auch nicht gegen Schiffe eines Stats, welcher die Zufuhr von Negersclaven mit den Strafen gegen Seeraub bedroht. Die Schwierigkeit, das Verbot des Sclavenhandels auf offener See durchzu- führen, ohne zugleich die völkerrechtliche Selbständigkeit der Flagge und die freie Schiffahrt zu gefährden , ist bei den diplomatischen Verhand- lungen sehr entscheidend hervorgetreten. Als eine englische Parlamentsacte vom Jahr 1839 die englischen Kreuzer ermächtigte, auf verdächtige Portugiesische Sclavenschiffe zu fahnden, wurde dieselbe vielseitig als eine völkerrechtswidrige Anmaßung Englands getadelt. Durch den Vertrag Englands mit Portugal von 1842 wurde ein wechselseitiges Untersuchungsrecht (right of search) zugestanden. In dem Ver- trag der fünf europäischen Großmächte von 1841 war erklärt, daß die Sclavenschiffe „den Schutz der Flagge“ einbüßen und daß die Mächte ihren bevoll- mächtigten Kreuzern das Recht wechselseitig zugestehn, jedes Schiff, das einer der be- treffenden Nationen angehört, aus verständigen Verdachtsgründen zu untersuchen. Indessen soll dieses Recht, „droit de visite“ genannt, nicht im Mittelländischen Meer und nur bis zum 32° nördlicher und zum 45. Grad südlicher Breite in dem atlantischen Meere geübt werden. Indessen wurde dieser Vertrag von dem franzö- Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. sischen Könige nicht ratificirt, eben weil gegen dieses Untersuchungsrecht sich ernste Bedenken erhoben. Die Diplomatie fing nun an, genauer zwischen einem Besuchs- recht, droit de visite , im engern Sinn und einem Durchsuchsrecht, droit de perquisition , zu unterscheiden. Endlich kam im Jahr 1845 ein Vertrag zwischen England und Frankreich zu Stande, in welchem zwar das alte Droit de visite (im weitern Sinn) aufgegeben, aber doch in Art. 7 bestimmt wurde, daß die beiderseitigen Kreuzer an der afrikanischen Küste ermächtigt seien, die wirkliche Nationalität der Schiffe zu prüfen , welche unter englischer oder französischer Flagge fahren, und vielleicht nur unter dieser Flagge ihren Sclaven- handel oder andere Verbrechen zu verbergen suchen. Zu diesem Behuf muß aber natürlich das fremde Schiff doch besucht und seine Papiere müssen eingesehen wer- den. Ergibt sich dabei, daß das Schiff wirklich einer Nation zugehört, deren Regie- rung das Untersuchungsrecht nicht anerkennt, so muß dasselbe ohne Verzug verlassen und jedenfalls über das ganze Verfahren genaues Protokoll geführt werden. Die Instructionen der beiden Staten an ihre Kreuzer sind genau und werden wechselseitig mitgetheilt. Die lebhafteste Einsprache machten die Vereinigten Staten von Nordamerika gegen das Durchsuchungsrecht, indem sie die Gefahr für die freie Schiffahrt lebhaft betonten, welche eine derartige Seepolicei vorzüglich Englands zur Folge haben würde. Der Präsident Webster behauptete, daß das Droit de visite und das rhigt of search bisher immer als dasselbe Recht betrachtet und nur als Kriegsrecht, nicht im Frieden anerkannt worden sei. Die Vereinigten Staten erklärten daher, ein derartiges Recht keiner Seemacht zuzugestehen. Dagegen ver- standen sich die Vereinigten Staten dazu, an der afrikanischen Küste gemeinsam mit England Kreuzer zu halten, um den Sclavenhandel möglichst zu verhindern. Man sieht, der Widerspruch der Vereinigten Staten war von Einfluß auch auf das Ver- halten von Frankreich. Auch mit Brasilien gerieth England über diese Seepolicei im Jahr 1845 in Streit. Seither hat sich die Gefahr einer ungebührlichen See- herrschaft Englands erheblich vermindert, indem auch andere Staten eine ansehnliche Kriegsmarine inzwischen geschaffen haben und England die Freiheit des Meers im Princip und in dessen Consequenzen umfassender als früher anerkennt. Mir scheint, daß ein wechselseitiges Besuchsrecht gegenüber von Schiffen, welche verdäch- tig sind, eine falsche Flagge zu führen und zugleich als Sclavenschiffe benutzt zu werden, wenn dieses Recht in wohlgeordneten Formen und mit den nöthigen Ga- rantien gegen Mißbrauch ausgeübt wird, gefahrlos für den redlichen Schiffahrtsver- kehr und dennoch ein nothwendiges Mittel sei, das Verbot der Negerzufuhr wirksam zu machen. Das andere Mittel, eigene Kreuzer zu halten, welche fortwährend eine Küste beaufsichtigen, ist zu kostbar und in der Praxis ohne Anhalten der verdächtigen Schiffe doch nicht durchzuführen. Der Besuch des vermeintlichen Sclavenschiffs hat sich jedoch fürs erste auf die Prüfung der Nationalität des Schiffs zu beschränken und darf nur, wenn weitere Verdachtsgründe sich ergeben , zu einer Durchsuchung führen. Viertes Buch. 4. Von den Statsdienstbarkeiten. 353. Wenn die Gebietshoheit eines States zu Gunsten eines andern States — oder ausnahmsweise auch zu Gunsten einer unter völkerrecht- lichem Schutze stehenden Körperschaft oder Familie — vertragsmäßig und dauernd beschränkt wird, so wird diese Beschränkung Statsdienstbarkeit genannt. Wir nennen diejenigen Beschränkungen der Gebietshoheit, welche aus dem völkerrechtlichen Zusammenhang der Staten und aus der allgemeinen Natur der Verhältnisse mit Rechtsnothwendigkeit sich ergeben, wie die Pflicht zum Gesanten- verkehr und Fremdenschutz, die Gewährung der freien Schiffahrt auf den großen Strömen und am Küstensaum u. dgl. nicht Dienstbarkeiten, weil sie zu der regel- mäßigen Rechtsordnung gehören, weil hier die Statshoheit selbst als ein da- durch nothwendig beschränktes Recht erscheint. Die eigentlichen Statsdienst- barkeiten verstehn sich nicht von selber, sondern bedürfen einer besondern Begründung im einzelnen Fall. Sie sind ein jus singulare , für welches keine Vermuthung spricht. Die Analogie der privatrechtlichen Grundsätze über die sogenannten Prädial- servituten darf nur mit Vorsicht angewendet werden, weil es sich hier nicht um Verhältnisse handelt, welche der Wilkür von Privatpersonen anheimfallen, sondern um Zustände, bei welchen das Wohl der Völker betheiligt ist. Die Sicherheit und Unabhängigkeit der Staten ist doch ein ganz anderes Ding als das Grundeigenthum und daher eine Beschränkung derselben von ganz anderer Wirkung als eine Privatservitut. 354. Der Begründung einer Statsdienstbarkeit durch Vertrag steht die Berufung auf unvordenklichen Besitz gleich, insofern aus der fortdauernden Ausübung solcher Beschränkung ohne Widerspruch des beschränkten States auf die Anerkennung der Dienstbarkeit durch diesen geschlossen werden kann. Es ist unmöglich, die herkömmlichen Statsdienstbarkeiten zu ignoriren, aber man darf doch nicht leichthin derartige Beschränkungen als ursprünglich gewillkürte annehmen. Vielmehr bedarf es eines strengen Beweises dafür, daß nicht etwa der beschränkte Stat bloß gutwillig und aus Freundlichkeit für den Nach- barn, aber ohne Rechtsverbindlichkeit sich die thatsächliche Beschränkung habe gefallen lassen, sondern dieselbe als nothwendig und bindend anerkannt habe. Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. 355. Die Statsdienstbarkeiten bestehen entweder darin, daß der dienende Stat um derselben willen verhindert wird, seine Statshoheit in einer be- stimmten Richtung vollständig auszuüben oder darin, daß derselbe genöthigt wird, eine statliche Action des fremden berechtigten States innerhalb seines Gebietes zu dulden, die er ohne die Dienstbarkeit verwehren dürfte. Die erstern Dienstbarkeiten bestehen im Nichtthun (in non faciendo) und sind von negativer Wirkung, die letztern dagegen sind positiv und bestehn im Dulden eines Thuns (in patiendo) von Seite des berechtigten Stats. 356. Negative Dienstbarkeiten sind: a) die Beschränkung eines States in der Größe seines Heeres oder in der Anlage und Zahl seiner Kriegsschiffe oder in der von Festungen u. s. f., b) die Verpflichtung eines Stats, sich jeder an sich begründeten Gerichtsbarkeit über die Angehörigen des berechtigten States zu enthalten, c) die Schranken, welche der Ausübung der Kirchenhoheit aus Rück- sicht auf den berechtigten Stat gesetzt werden, d) die theilweise Befreiung gewisser Körperschaften, Stiftungen oder Stände von der Steuerpflicht in dem dienenden State, wenn dieselbe mit Rücksicht auf einen berechtigten Nachbarstat zugestan- den worden ist, e) die Verhinderung von Zollstationen zu Gunsten des freien Grenz- verkehrs der Nachbarn. Es sind das nur einzelne Beispiele, welche öfter vorkommen und meistens in Friedensverträgen näher bestimmt oder bei Gebietsabtretungen vorbehalten worden sind. 357. Beispiele von positiven Dienstbarkeiten sind: a) das Recht eines fremden Stats, die inländischen Straßen zu seinen Truppenmärschen zu benutzen (Etappenstraßen), b) das Recht eines fremden Stats, einen inländischen Gebietstheil unter Umständen mit seinen Truppen zu besetzen, Viertes Buch. c) das Recht eines fremden Stats, seine Gerichtsbarkeit oder Po- liceigewalt oder Steuerhoheit auf einen inländischen Gebietstheil auszudehnen, d) das Recht, Zollstationen daselbst anzulegen und zu unterhalten, Durchsuchungen dort vorzunehmen, e) das Recht, Postanstalten daselbst zu errichten und das Postregal auszuüben. 358. Im Zweifel ist allezeit zu Gunsten der dienstfreien Statshoheit und die anerkannte Dienstbarkeit als ein Ausnahmerecht in beschränkendem Sinne zu interpretiren. Je größer der Werth ist, welchen die moderne Statsentwicklung der Ein- heit und Freiheit des Stats zuschreibt, um so weniger günstig werden diese Dienstbarkeiten betrachtet, welche immer jener Einheit Abbruch thun, indem sie die wenn auch beschränkte Herrschaft eines fremden States begründen, und immer diese Freiheit hemmen, indem sie den einheimischen Stat verhindern, seine Souveränetät vollständig auszuüben. Sie sind daher weit hinfälliger als die privatrechtlichen Ser- vituten, indem sie unter Umständen von einer neuen Statsentwicklung verdrängt und beseitigt werden. Vgl. § 359. 359. Eine Statsdienstbarkeit geht unter a) durch einen Befreiungsvertrag des pflichtigen mit dem berechtigten Stat, b) durch Verzicht des berechtigten Stats. Als Verzicht ist auch ein über ein Menschenalter fortgesetzter Nichtgebrauch anzusehen, wenn die Veranlassung zum Gebrauch wiederholt gegeben war, c) wenn dieselbe aufgehört hat, mit der Entwicklung des Völkerrechts verträglich zu sein, d) wenn dieselbe mit der naturgemäßen Fortbildung der Statsver- fassung oder mit den öffentlichen Zuständen und Bedürfnissen des pflichtigen Landes unverträglich und deßhalb unleidlich und un- ausführbar geworden ist. Da das Statsrecht und ebenso das Völkerrecht nur um der gemeinsamen öffentlichen Bedürfnisse willen als nothwendige Ordnung der öffentlichen Zustände besteht, so kann es auch im Einzelnen nicht aufrecht Die Statshoheit im Verhältniß zum Land. Gebietshoheit. erhalten werden, insofern es mit der allgemeinen Entwicklung nicht zugleich fort- dauern kann. Diese Entwicklung kann und darf nicht durch Verträge, welche einer andern vergangenen Zeit angehören und damals einen Sinn hatten, der inzwischen verloren gegangen ist, verhindert werden. Denn das hieße die Staten und die Menschheit an der Erfüllung ihrer Bestimmung verhindern und das Wesen des Rechts selber verderben. In dieser Weise sind unzählige Statsdienstbarkeiten, welche im Mittelalter entstanden waren und damals zu der herrschenden Lehensverfassung paßten, seit der Ausbildung des modernen States mit dem Lehensrechte untergegan- gen. Wenn ein Stat in seinem Innern Einheit und Gleichheit der Rechtspflege einführte und in Folge dessen die patrimoniale Gerichtsbarkeit der Grundherrn ab- schaffte, so ließ er sich auch nicht abhalten, aus denselben Gründen und einfach durch seine Verfassungs- und Gesetzesreform die patrimoniale Gerichtsbarkeit eines fremden Landesherrn in seinem Lande abzuschaffen, welche mit jener grundherrlichen Gerichts- barkeit des einheimischen Adels wesentlich identisch und ganz eben so wenig mit den modernen Grundsätzen der Rechtspflege verträglich ist. In ähnlicher Weise ist besonders seit der französischen Revolution die vom Mittelalter überlieferte Verflechtung verschiedener Landeshoheiten auf demselben Gebiete gelöst und ein einfacheres und gleichmäßigeres Rechtsverhältniß hergestellt worden. Fünftes Buch. Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. 1. Schutz der persönlichen Freiheit. 360. Es gibt kein Eigenthum des Menschen am Menschen. Jeder Mensch ist Person, d. h. ein rechtsfähiges und mit Recht begabtes Wesen. Dieser natürliche Rechtssatz, der schon von den römischen Juristen erkannt wurde, ist während Jahrtausenden von den meisten Völkern gegen ihr besseres Ge- wissen mißachtet und verdunkelt worden. Im Alterthum hat man sich, um die un- natürliche Sclaverei zu rechtfertigen, auf die gemeine Rechtsübung der Völker, das jus gentium berufen. Nur ganz allmählich und langsam hat die europäische Civi- lisation jenen schändlichen Mißbrauch der Gewalt des herrschenden über den dienen- den Menschen, den man Eigenthum nannte und mit dem Eigenthum an Hausthieren auf Eine Linie stellte, gemildert und endlich abgeschafft und das natürliche Menschen- recht der Person anerkannt. Als bereits in Italien, in England und in Frankreich die Eigenschaft aufgehoben war, bestand dieselbe noch in einigen deutschen Ländern fort, und später als in Deutschland, erst in unsern Tagen wurde sie in Rußland beseitigt. So bildete sich nach und nach das europäische Recht aus, welches die Sclaverei nicht mehr als wirkliches Recht in Europa gelten ließ, sondern die per- sönliche Freiheit als Menschenrecht ehrte. Nachdem die Vereinigten Staten von Nordamerika sich ebenfalls gegen die Sclaverei der Schwarzen erklärt und innerhalb ihres Machtbereichs die widerstrebenden Staten genöthigt haben, die persönliche Frei- heit und die bürgerlichen Rechte auch der dunkeln Rassen anzuerkennen, ist jenes Menschenrecht auch in Amerika durchgedrungen und nunmehr zu allgemeiner Bluntschli , Das Völkerrecht. 14 Fünftes Buch. Anerkennung in dem Rechtsbewußtsein der christlichen Welt gelangt. Die chine- sische Cultur in Ostasien hatte schon lange vorher denselben natürlichen Rechtssatz anerkannt. Man darf daher in Zukunft nicht mehr wie bisher die Berufung auf die Souveränetät einzelner Staten gelten lassen, welcher es nicht verwehrt werden dürfe, bei sich die Sclaverei festzuhalten oder einzuführen. Höchstens dürfen Ueber- gangsbestimmungen, welche aus der herkömmlichen Sclaverei schrittweise zur persön- lichen Freiheit hinüberleiten, geachtet werden. Die Souveränetät der Staten darf nicht mehr so ausgeübt werden, daß dadurch das höhere und allgemeinere Recht der Menschheit vernichtet wird, denn die Staten sind menschliche Orga- nismen und pflichtig, das allgemein erkannte Menschenrecht zu respectiren. 361. Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Sclaverei an, weder wenn Einzelne noch wenn Staten sie behaupten. Es ist das nur der negative Ausdruck des obigen Princips der persönlichen Freiheit, welche das Völkerrecht anerkennt. 362. Wenn fremde Sclaven den Boden eines freien States betreten, so werden sie sofort von Rechts wegen als Freie betrachtet und ohne daß es einer Freilassung des Herrn bedarf, auch gegen diesen in ihrer Freiheit geschützt. Die Luft des freien Stats macht noch schneller und entschiedener frei, als im Mittelalter die Luft der freien Stadt . Damals bedurften die eigenen Leute, welche in die Stadt geflüchtet waren, einer Ersitzung der Freiheit von Jahr und Tag und waren meistens vor Ablauf derselben der Vindication der nachjagenden Herrn ausgesetzt. Wenn heute ein fremder Herr mit seinen Sclaven als Dienern in ein freies Land kommt, wohin auch die Fahrt in freiem Schiffe auf offener See gehört, so sind die letztern berechtigt, gegen jede Gewalt des Herrn den Schutz der Gerichte und je nach Umständen der Policei anzurufen. Dieser Schutz wird unbe- denklich gewährt, ohne daß der betreffende Sclavenstat sich deßhalb als über die Mißachtung seines nationalen Rechts beschweren kann, denn das Völkerrecht hält die Sclaverei nirgends mehr für Recht. 363. Es wird weder überseeischer Handel mit Sclaven, noch werden Sclavenmärkte geduldet. Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. Vielmehr ist es das Recht und die Pflicht der civilisirten Staten, wo solche Mißbräuche noch geübt werden, deren Abstellung zu fördern. England gebührt der Ruhm, die Barbareskenstaten zuerst theils durch diplo- matischen Einfluß, theils durch kriegerischen Zwang (Beschießung von Algier im August 1816) dahin gebracht zu haben, daß sie auf die Christensclaven Verzicht lei- steten, für Gegenwart und Zukunft. Auch Frankreich wirkte in derselben Richtung. Die europäische Diplomatie erreichte auch in Constantinopel ähnliche Zugeständnisse. Aber noch ist die Sclaverei, und sind selbst die Sclavenmärkte abgesehen von Süd- amerika, wo sie nun im Erlöschen begriffen sind, bei den rohen Nationen von Mittelasien und im Innern von Afrika, welche von der Bewegung der christlich- arischen Civilisation bisher wenig berührt sind und der Ausbreitung der Humanität noch viele Hindernisse entgegensetzen, noch in voller Uebung. Zuletzt werden aber auch diese barbarischen Rassen oder halbbarbarischen Nationen der wachsenden Macht des humaner gewordenen modernen Völkerrechts sich nicht entziehen können. 2. Von der Statsgenossenschaft. 364. Jedem Stat steht das Recht zu, selbständig festzusetzen, unter wel- chen Bedingungen seine Statsgenossenschaft (Statsangehörigkeit) erworben und verloren werde. Es ist das zunächst eine innere Angelegenheit des States und daher eine statsrechtliche , nicht eine völkerrechtliche Frage. Aber insofern als die An- gehörigkeit eines Individuums zu einem bestimmten State auch von fremden Staten zu beachten ist, schließen sich internationale Wirkungen an den statsrechtlichen Ent- scheid an und hat sich das Völkerrecht damit zu befassen. Die Grundsätze, welche in den verschiedenen Ländern beachtet werden, sind noch sehr verschieden. In den einen Staten wird vorzugsweise auf den persön- lichen Familienzusammenhang (Abstammung und Ehe) gesehen, in den andern mehr auf die örtliche Beziehung zum Lande (Geburtsort, Wohnort) der Nachdruck gelegt. Vgl. Bluntschli , Allgem. Statsrecht. Buch II. Cap. 20 (19). 365. Im Zweifel wird angenommen, daß die Ehefrau durch die Heirat in die Statsgenossenschaft ihres Ehemannes eintrete, und daß die ehelichen 14* Fünftes Buch. Kinder mit der Geburt und so lange sie in dem väterlichen Hause leben, der Statsgenossenschaft ihres Vaters folgen. Der Ehemann und der Vater als Haupt des Hauses verbindet auch die Glie- der des Hauses, die Frau und die Kinder mit dem State, zu dem er gehört. Da- bei wird jedoch vorausgesetzt, daß die Ehe in diesem State als rechtsgültig anerkannt werde, und daß nicht etwa besondere Vorbehalte gemacht und zugestanden worden sind oder andere gesetzliche Vorschriften in einem Lande bestehen. So gibt es Län- der, welche wohl den ehelichen Kindern bei ihrer Geburt die Statsgenossenschaft zu- erkennen, aber nicht ohne weiteres gestatten, daß dieselben ihrem Vater folgen, wenn derselbe später ein anderes Statsbürgerrecht erwirbt. 366. Die unehelichen Kinder erhalten, wenn sie nicht von dem State des geständigen oder ermittelten Vaters aufgenommen werden, das Heimatsrecht in dem State der Mutter, aber folgen dieser nicht in einen andern Stats- verband nach, wenn sie später durch Heirath eine neue Statsgenossenschaft erwirbt. Der erste Satz folgt aus der sichern Abstammung des Kindes von der Mutter. Nur in der Ehe gilt die Abstammung vom Vater als ebenso sicher und entscheidet überdem die Rücksicht auf die leitende Stellung des Vaters im Hause und die bedeutsam hervortretende Beziehung desselben zum State. Außer der Ehe und außerhalb des Hauses kann zunächst nur die Abstammung von der Mutter über die Angehörigkeit zunächst entscheiden. Indessen nehmen manche Rechte der Einzelstaten auch die unehelichen Kinder in das Heimatsrecht auf, das der Vater besitzt, wenn er dieselben als seine Kinder anerkennt oder sogar, wenn er als Vater gerichtlich erwie- sen und erklärt worden ist. Der zweite Satz hat seinen Grund darin, daß die Mutter nicht als Haupt sondern als Glied der Familie in die Ehe kommt und damit in einen neuen Statsverband eintritt, daher auch ihre Kinder nicht selbständig nachziehen kann. 367. Es ist möglich, daß Jemand einen festen Wohnort in einem Lande besitzt und daselbst niedergelassen ist, ohne in den Statsverband dieses Landes einzutreten und ebenso, daß Jemand Grundeigenthum in einem Lande erwirbt und bewirthschaftet, ohne Statsgenosse daselbst zu werden. Wenn Heffter § 59 alle „in einem Lande Domicilirten“ d. h. jeden, der darin eine feste häusliche Einrichtung für sich getroffen hat ( Landsassen im wei- testen Sinne des Wortes) als Statsangehörige nach völkerrechtlichen Grundsätzen be- Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. zeichnet, so geht er meines Erachtens zu weit. Es gibt in vielen civilisirten Staten eine große Anzahl ansässiger fremder Kaufleute, Fabrikanten u. s. f., welche nicht in den Statsverband ihres Wohnorts aufgenommen sind, sondern in dem nationalen Statsverband verbleiben, dem sie vor ihrer Niederlassung in fremdem Lande ange- hört haben. Die Niederlassung und der Gewerbsbetrieb geschieht zunächst aus pri- vatrechtlichen Motiven, und es ist keineswegs nothwendig, daß damit die statsrechtliche Absicht, aus einem Statsverband in einen andern überzugehen, verbunden wird. Der Code civil (§ 17) erklärt ausdrücklich, daß die kaufmännische Etablirung in einem fremden Lande im Zweifel nicht als Auswanderung anzusehen sei. Sie geschieht nicht „sans esprit de retour“. 368. Jeder Stat ist verpflichtet, seine Angehörigen wieder in seinem Lande aufzunehmen, wenn sie von andern Staten aus öffentlich-rechtlichen Grün- den heimgewiesen oder zugeschoben werden. Die Heimweisung und der Zuschub findet hauptsächlich aus zwei Gründen Statt, a) wenn die Individuen außer Stande sind, sich selber zu ernähren und der Hülfe bedürfen, b) wenn dieselben die Rechtssicherheit in dem fremden Lande bedrohen. Der Heimatsstat kann sich in beiden und in ähnlichen Fällen überhaupt nicht wei- gern, seine Landsleute aufzunehmen, da sie zu seinem Lande gehören. Eben darum ist auch die Strafe der Verbannung nur unter der Voraussetzung durchzuführen, daß die verbannten Personen sich in der Fremde zu erhalten im Stande sind und nicht überall zurückgewiesen werden. In neuerer Zeit beklagen sich die Vereinigten Staten von Nordamerika und wohl noch andere außereuropäische Colonialstaten dar- über, daß die europäischen Staten ihre Gefängnisse dadurch entleeren, daß sie Ver- brecher und liederliches Gesindel dorthin auswandern lassen und ihre Uebersiedlung unterstützen. Diese Beschwerde ist nicht ohne Grund und es entstehen aus einer solchen Praxis für die Colonien ernstliche Gefahren. Die überseeischen Staten können sich gegen solchen Mißbrauch ihres Gebiets dadurch wahren, daß sie ihren Entschluß ankündigen, sie werden solche Verbrechercolonisten wieder in den absendenden Heimatsstat zurückbringen lassen. Dazu sind sie ohne Zweifel berechtigt, und der Heimatsstat, der seine Angehörigen aufnehmen muß, wird in Zukunft nicht mehr das fremde Land als einen bequemen Ort für Verbrecher-Colonisten be- trachten. 369. Zur Vermeidung der Heimatlosigkeit ist die Annahme begründet, daß aus dem Wohnort in einem bestimmten State oder selbst aus lange fort- gesetztem Aufenthalt in einem Lande, in Ermanglung anderer Gründe für einen andern Statsverband, auf Statsangehörigkeit geschlossen werde. Fünftes Buch. Heimatlose werden die Personen genannt, deren Statsangehörigkeit un- sicher ist. In der civilisirten Statenwelt besteht ein allgemeines Interesse, daß es keine Heimatlosen gebe. Sie sind eine Ausnahme von der wichtigen Regel, daß die Individuen im Statsverbande leben und meistens auch eine Gefahr für die Sicher- heit der Gesellschaft. Daher die Versuche, die Fälle der Heimatlosigkeit möglichst zu beschränken. Die Convention der deutschen Staten vom 15. Juni 1851 bestimmt, daß jeder Stat Personen, welche keinem der Staten erweislich zugehören, dann als Angehörige bei sich aufnehmen müsse, wenn dieselben fünf Jahre lang als Volljährige sich in seinem Gebiete aufgehalten oder als Eheleute daselbst auch nur sechs Wochen lang gewohnt oder daselbst ihre Ehe geschlossen haben, eventuell, wenn sie in diesem Lande geboren sind. Der wechselseitige Zuschub von heimatlosen Per- sonen von einem State zum andern ist nicht bloß inhuman, sondern auch mit Ge- fahren für die Sittlichkeit und die Sicherheit verbunden und eine Quelle von un- nützen Streitigkeiten zwischen den Nachbarstaten. 370. Wie der freie Mensch nicht an die Scholle gebunden ist, so ist auch der freie Statsbürger nicht an das Land seiner Heimat gebunden. Die Verhältnisse in beiden Fällen sind allerdings nicht gleich, denn im ersten Fall wird nur das Verhältniß einer Person zu einer Sache , dem Grund- stück gelöst und es ist selbstverständlich, daß der Sache kein Recht zukommt, die Person an sich zu fesseln. Im zweiten Fall dagegen wird der Verband zwischen dem einzelnen Statsgenossen und dem ganzen Stat gelöst, also der Verband zwischen zwei Personen , von denen überdem die letztere der erstern übergeordnet ist. Indem die frühere Rechtsbildung diese Abhängigkeit betonte, sprach sie den ent- gegengesetzten Grundsatz aus, daß kein Statsgenosse willkürlich auf seine Statsange- hörigkeit verzichten, beziehungsweise aus seinem Unterthanenverband austreten dürfe. Heute noch hält das englische Statsrecht diesen Grundsatz im Princip fest, wenn gleich es in der Praxis der Auswanderung keine ernsten Hindernisse bereitet. Viele Statsrechte legen wenigstens noch auf die Form der „ Entlassung “ aus dem Statsverband einen Werth. Aber allmählich hat doch die Ansicht Geltung erlangt, daß es des States unwürdig sei, seine Angehörigen wider Willen fest zu halten, als wären sie Statshörige , und daß es für die heutige Civilisation und den reicheren Wechselverkehr der Nationen weit ersprießlicher sei, die volle Auswanderungs- freiheit anzuerkennen. 371. Durch die vollzogene Auswanderung wird das Band gelöst, durch welches der Auswanderer bisher mit seinem frühern Heimatlande verbun- den war. Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. Die Auswanderung wird dadurch vollzogen, daß der bisherige Statsgenosse sein Heimatland in der Absicht verläßt, die Statsgenossen- schaft mit demselben aufzugeben und von einem andern State in dessen Statsverband aufgenommen wird. Es kann Jemand sein Vaterland in der Absicht verlassen, anderwärts ein Etablissement zu gründen oder irgend einen Beruf zu treiben, ohne daß er die Ab- sicht hat, sein Statsbürgerrecht aufzugeben. Das ist nicht Auswanderung. Aber auch die Absicht allein genügt nicht zur Lösung des Bandes. Abgesehen von der in manchen Staten geforderten Entlassung aus dem Statsverband, ist als entscheidend die Aufnahme in eine neue Statsgenossenschaft anzusehn. Denn es besteht ein allgemeines völkerrechtliches Interesse, keine neue Heimatlosigkeit aufkom- men zu lassen. Daher dauert die alte Statsgenossenschaft in völkerrechtlichem Sinne dennoch fort, bis die neue an ihre Stelle getreten ist; aber auch nicht darüber hinaus, gegen den Willen des Betheiligten, weil sonst leicht Conflicte zwischen den beiden Staten entstehen, die im Interesse des friedlichen Verkehrs zu vermeiden sind. Der neue Statsverband verdient deßhalb den Vorzug vor dem ältern, weil dieser nicht mehr, wohl aber jener mit dem Willen des Auswanderers und mit den that- sächlichen Verhältnissen desselben zusammen stimmt. Die französische Gesetzgebung ( Cod. civ. § 17) spricht das richtige Princip aus: „La qualité de Français se perdra par la naturalisation en pays étranger.“ 372. Wenn der Auswanderer die Pflichten verletzt, welche er nach dem Gesetze seines Landes zu erfüllen hat, bevor er auswandern darf, so kann er von dem verlassenen State auch dann noch innerhalb dessen Gerichts- barkeit zur Rechenschaft und Strafe gezogen werden, wenn er eine neue Statsgenossenschaft erworben hat, aber er hat trotzdem Anspruch auf den Schutz seines neuen Heimatstats dafür, daß nicht durch jene Bestrafung sein gegenwärtiger Rechtsverband mißachtet werde. Nach Preußischem Rechte wurden so Preußische Auswanderer, welche sich der gesetzlichen Militärpflicht entzogen hatten, wenn sie später wieder nach Preußen zurückkamen, vor Gericht gestellt und gestraft. Darüber kam es mit den Vereinigten Staten von Amerika wiederholt zu Erörterungen, indem sich diese ihrer Einwanderer und neuen Bürger annahmen. Der Conflict der beiden Staten läßt sich, abgesehen von besonderen Verträgen, nur dadurch lösen, daß jedem State sein Recht wird , dem vormaligen Heimatstate sein Recht, die Fahnenflüchtigen wegen der unbestreitbaren Pflichtverletzung zu strafen, aber auch dem neuen Heimat- state sein Recht, nunmehr seinerseits den Neubürger als solchen zu schützen und dessen militärische Dienste vorzugsweise in Anspruch zu nehmen. Fünftes Buch. 373. In der Regel ist jedes Individuum nur mit Einem State verbunden und ist die Statsgenossenschaft wie das Statsbürgerrecht auf Ein Land beschränkt. Die Natur der Statsgenossenschaft, welche hinwieder eine Vorbedingung ist des Statsbürgerrechts, ist so entscheidend für das ganze persönliche Rechtsverhältniß und der Verband des Einzelnen mit dem State ist ein so enger, daß eine Spaltung der Einen Person nach zwei Staten hin oder eine zwiefache Verbindung derselben erhebliche Schwierigkeiten und ernste Bedenken gegen sich hat. Man kann ohne Be- denken zugleich Mitglied verschiedener Actiengesellschaften, aber nicht ebenso leicht Bürger in zwei Staten sein. Daher ist in manchen Ländern die gesetzliche Bestim- mung vorgeschrieben, daß Niemand neu als Statsgenosse aufgenommen (naturalisirt) werde, wenn er nicht aus seinem bisherigen Statsverbande entlassen worden sei. Man will dadurch den möglichen Conflicten einer zwiefachen Statsgenossen- schaft entgehen. Aber es läßt sich in dieser Form nicht immer helfen, weil mög- licher Weise der eine Stat die Entlassung verweigert, während der andere die Natu- ralisation für gerechtfertigt und zweckmäßig hält. In zusammengesetzten Staten (Bundesstaten und Statenreichen) kommt regelmäßig eine doppelte Beziehung der Statsangehörigkeit und des Stats- bürgerrechts vor, einmal gegenüber dem Gesammtstate und sodann gegenüber dem Einzelstate. Diese beiden Verbände widerstreiten sich nicht, weil der zusammengesetzte Stat in sich selber denselben Gegensatz zwischen Einem Gesammtstat und mehreren Einzelstaten friedlich zu einigen weiß. 374. Ausnahmsweise können ein Einzelner und dessen Familie mit zwei oder mehreren einander fremden Staten als Statsgenossen verbunden sein. Wenn aus dieser Doppelbeziehung sich ein Conflict der Statsrechte und der Bürgerpflichten ergeben sollte, so wird angenommen, daß der Statsverband vorzugsweise wirksam sei, in dessen Lande der Doppelbürger gegenwärtig wohnt und daß die Wirksamkeit des Statsverbands suspendirt sei, in dessen Lande der Doppelbürger zur Zeit nicht wohnt. Vgl. die ähnliche Entscheidung in § 371. Derartige Ausnahmen kommen unleug- bar vor. Die standesherrlichen Familien in Deutschland gehören öfter gleichzeitig dem Statsverbande zweier oder mehrerer deutscher Staten an und ihre Häupter haben dann Stimmrecht in den Ersten Kammern verschiedener Staten. Ebenso fin- den sich manche andere Beispiele, daß Angehörige eines Stats, ohne den Verband mit ihrem alten Vaterland abzulösen, in einen fremden Statsdienst eingetreten und in Folge dessen auch Statsgenossen eines andern Stats geworden sind. Ich Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. hatte früher angenommen, daß in dem Conflictfall das ältere Recht vorgehe. Aber ich habe mich seither überzeugt, daß der Grundsatz der Auswanderungsfreiheit und zugleich der thatsächlich nähere Verband mit dem State des Wohnorts als entscheidend anerkannt werden muß. Vgl. v. Bar , Internat. Privat- und Straf- recht S. 88. 3. Hoheitsrecht und Schutzpflicht des States gegenüber seinen Stats- genossen im Ausland. 375. Der Stat ist berechtigt, aus öffentlich-rechtlichen Gründen, insbeson- dere zur Erfüllung der Kriegspflicht, seine Angehörigen aus einem fremden Lande weg- und heimzurufen. Der fremde Stat ist aber nicht verpflichtet, demselben bei dem Voll- zug dieses Befehls beizustehen und solche Fremde aus seinem Gebiete weg- zuweisen. Man nennt diesen Recht jus avocandi . Es ist eine Folge der Herrschaft des Stats über seine Angehörigen, aber diese Herrschaft ist nicht eine absolute, son- dern eine verfassungsmäßig beschränkte . Es darf daher der Rückruf nicht aus bloßer Laune geschehen. Aber auch den wohl begründeten Rückruf braucht der Aufenthaltsstat nicht zu unterstützen, da das ganze Verhältniß nur der Beziehung des Statsgenossen zu seinem Heimatstat angehört, der Aufenthaltsstat aber kein In- teresse daran und daher keinen Grund hat, die persönliche Freiheit der fremden Rei- senden oder derer, die sich in seinem Gebiete aufhalten wollen, zu beschränken. 376. Die Steuerpflicht gegen den Stat wird in der heutigen Rechtsbil- dung regelmäßig von dem Wohnort, und nicht von dem Statsverband abhängig gemacht. Ausnahmsweise aber kann der Heimatstat von seinen im Ausland lebenden Bürgern oder Angehörigen gewisse Steuern (z. B. Armensteuern) fordern. Wenn aber das geschieht, so ist der Stat des Wohnorts oder Aufenthaltsorts in keiner Weise verbunden, bei der Steuererhebung mit- zuwirken. Fünftes Buch. Der Wohnort ist der Centralort des persönlichen Lebens, Wir- kens, Genießens der Steuerpflichtigen und ihres Haushalts. Um deßwillen hält sich der Stat, wenn er Steuern fordert, vorzugsweise an diesen Ort. Die Bei- treibung von Steuern im Auslande ist überdem thatsächlich schwer durchzuführen, weil der Stat dort keine Steuererheber hat und keine Zwangsmittel anwenden kann, und der fremde Stat seine Anstalten und seine Zwangsmittel ihm für solche Zwecke nicht zur Verfügung stellt. 377. Grundstücke und Gewerbe werden in der Regel nur da versteuert, wo jene liegen und diese betrieben werden. Der Stat, in dem dieselben sich befinden, hat gerade ein Interesse, sich einer Besteuerung durch den fremden Stat zu widersetzen, auch dann, wenn der Eigen- thümer des Grundstücks oder des industriellen oder Handelsetablissements ein Stats- genosse dieses letzteren States ist. Denn doppelte Besteuerung von demselben Steuerobject ist Ueberbürdung desselben mit Steuern, und wirkt in nationalwirth- schaftlicher Hinsicht schädlich. 378. Der Stat kann über die Statsgenossen in fremdem Lande seine Gerichtsbarkeit nicht üben, wenn nicht ausnahmsweise der fremde Stat das zugesteht. Beispiele solcher Ausnahmen siehe oben § 216. 220. 379. Es hängt von der Landesgesetzgebung ab, zu bestimmen, inwiefern die Privatgesetze für die Statsgenossen auch im Auslande rechtsverbindlich seien. In der Regel wirkt auch die Civilgesetzgebung nur innerhalb des Landes; d. h. das sogenannte Territorialprincip ist entscheidend. Das entgegengesetzte Personalprincip wirkt am ehesten in den persönlichen und Familienverhält- nissen, wie z. B. den Bedingungen der Ehe, dem Vormundschaftsrecht, dem gesetzlichen Erbverband u. dgl. 380. Der Heimatsstat ist berechtigt und im Verhältniß zu seiner Macht Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. auch verpflichtet, seinen Angehörigen im Ausland den den Umständen an- gemessenen Schutz durch völkerrechtliche Mittel zu gewähren, a) wenn der fremde Stat selber in völkerrechtswidriger Weise wider sie verfahren hat, b) wenn die Mißhandlung oder Verletzung jener Personen zwar nicht unmittelbar dem fremden State zur Last fällt, aber dieser keinen Rechtsschutz dagegen gewährt. Der Heimatsstat ist in solchen Fällen berechtigt, von dem fremden State Beseitigung des Unrechts, Genugthuung und Entschädigung, nach Umständen auch Garantien gegen ähnliche Verletzungen zu fordern. Fälle der Art sind z. B.: Der fremde Stat nimmt die Reisenden ohne Grund gefangen, macht sie zu Sclaven, nöthigt sie zu einem andern Religionsbekenntniß, beraubt sie ihres Vermögens, behandelt sie sonst in grausamer Weise, verletzt an ihnen die zum Schutz des Handels- und Fremdenverkehrs abgeschlossenen Verträge oder die gute Sitte des internationalen Verkehrs. Nur die Staten, nicht die Privat- personen sind völkerrechtliche Personen im eigentlichen Sinne, aber auch diese haben durch Vermittlung jener einen Anspruch auf völkerrechtlichen Schutz. Wird der Inländer im Auslande zunächst nicht durch den fremden Stat d. h. durch dessen Organe (Beamte, Diener) oder der von der Statsgewalt begün- stigten Bevölkerung in seiner Person oder seinem Vermögen verletzt, sondern durch Privatpersonen , denen allein die Rechtsverletzung als Schuld angerechnet wer- den kann, z. B. durch Räuber, Diebe, Raufer u. s. f., so tritt keineswegs in erster Linie der heimatliche Statsschutz ein, sondern es hat zunächst der Stat, in dessen Gebiet die Rechtsverletzung geschehen ist, durch seine Rechtspflege für Beseitigung des Unrechts und je nach Umständen Bestrafung der Verbrecher zu sorgen. Mit gutem Grunde würde dieser Stat, dem allein die Gerichtsbarkeit in seinem Lande zukommt, eine unzeitige Einmengung eines fremden Stats in die Verwaltung seiner Rechts- pflege sich verbitten. Der beleidigte oder verletzte Angehörige eines andern States muß sich demnach zunächst an die Behörden des States um Rechtshülfe wenden, in dem er wohnt . Nur wenn ihm der Rechtsweg abgeschnitten und der Rechtsschutz verweigert wird, vorher nicht, ist Grund zu einer Intervention seines Heimatsstates vorhanden. Man hat sich hier vor zwei Extremen zu hüten, dem einen, welches die Statsangehörigen im Ausland schutzlos der Bedrängniß und Mißhandlung Preis gibt, — es war das bis auf die neuere Zeit die wohl begrün- dete Klage der Angehörigen deutscher Klein- und Mittelstaten — und dem andern, einer ungebührlichen Einmischung in die fremde Rechtspflege und Verwal- tung zu Gunsten von Statsangehörigen, welche die diplomatische Unterstützung da anrufen, wo sie gleich andern Privatpersonen nur berechtigt sind, ordentliche Rechts- mittel anzuwenden — eine Ueberspannung des Statsschutzes, die man nicht ohne Grund zuweilen England vorgeworfen hat. Im erstern Fall wird die Sicherheit Fünftes Buch. der Privatpersonen im Ausland gefährdet, im zweiten die Rechtsgleichheit der Staten und die Selbständigkeit der Rechtspflege bedroht. In allen diesen Verhältnissen wird übrigens bona fides vorausgesetzt. Wenn unter dem Schein der geordneten Rechtspflege die fremden Landesgerichte unsern Statsangehörigen offenbar als rechtlos behandeln oder seiner Nationalität wegen be- drücken, wenn sie ihm nur scheinbar Rechtsschutz gewähren, in Wahrheit aber ihn der Verfolgung Preis geben, so ist auch in solchen Fällen der Heimatsstat berechtigt, sich seines Statsgenossen diplomatisch anzunehmen. Nicht weil er einen Proceß ver- liert, den er gewinnen zu müssen meinte, auch nicht, weil vielleicht nach der Meinung der einheimischen Juristen das fremde Urtheil unrichtig ist, hat er Anspruch auf Schutz des Heimatsstats, sondern nur, weil der fremde Stat in ihm das Völ- kerrecht mißachtet . 4. Hoheitsrecht und Rechtsschutz gegenüber den Ausländern im Inland. 381. Kein Stat ist berechtigt, den Fremden überhaupt die Betretung sei- nes Gebiets zu untersagen und sein Land von dem allgemeinen Verkehr abzusperren. Der Schutz des friedlichen Verkehrs innerhalb der Menschheit ist eine Pflicht des civilisirten Völkerrechts. Die ältere Lehre, von der Souveränetät des States ausgehend, folgerte daraus die Berechtigung der Statsgewalt, alle Frem- den auszuschließen. Aber die Staten sind Glieder der Menschheit und deßhalb ver- pflichtet, die Verbindung der Menschen zu achten, und ihre Souveränetät ist kein absolutes Recht, sondern ein durch das Völkerrecht beschränktes Recht. Die allgemeine Abschließung von jedem Fremdenverkehr ist in den verschiedenen Zeitaltern von ein- zelnen Staten versucht worden, und nicht bloß von barbarischen Stämmen, welche alle Fremde als Feinde hassen, sondern von Culturvölkern, wie im Alterthum von Aegypten, und in neuerer Zeit von Paraguay und Japan. Das heutige Völkerrecht duldet aber diese Abschließung nicht mehr. Vgl. oben § 163. 382. Jeder Stat ist berechtigt, einzelnen Fremden aus Gründen sowohl des Rechts als der Politik den Eintritt in sein Land zu untersagen. Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. Die Ausschließung bedarf der Motivirung mit Gründen der statlichen Ord- nung und Sicherheit oder des öffentlichen Wohls. Sonst wäre sie im Widerspruch mit dem völkerrechtlichen Grundsatz des freien Verkehrs. Die Beurtheilung der Gründe steht aber bei dem State, der innerhalb seines Gebiets die Statshoheit aus- zuüben berufen ist. 383. Ebenso ist der inländische Stat berechtigt, aus öffentlichen Gründen einzelne Fremde, welche sich nur vorübergehend in seinem Lande aufhalten, aus seinem Gebiete wegzuweisen. Haben sie aber einen festen Wohnsitz daselbst erworben, so genießen sie auch den damit verbundenen erhöhten Rechtsschutz. Das sogenannte Droit du renvoi darf wieder nicht als ein absolutes Recht des States betrachtet werden, sonst wäre das Recht des allgemeinen Weltver- kehrs neuerdings bedroht. Der Stat ist kein absoluter Herr weder über das Land noch über die Menschen im Lande. Auch in dieser Hinsicht ist die ältere Lehre zu sehr von der mittelalterlichen Vorstellung des Eigenthums am Land und von der absolutistischen Idee einer unbeschränkten Souveränetät mißleitet wor- den. Meistens wird noch der Statsgewalt die Macht zugestanden, nach eigenem Er- messen durch bloße Verwaltungs- und Regierungsacte über die Wegweisung von Fremden zu entscheiden, ohne daß die davon Betroffenen einen genügenden Rechts- schutz bei den Gerichten finden. 384. Wird ein gehörig legitimirter Fremder ohne Grund verhindert, das Land zu betreten oder grundlos oder in ungebührlicher Form weggewiesen, so ist sein Heimatsstat veranlaßt, wegen Verletzung des völkerrechtlichen Verkehrs Beschwerde zu führen und je nach Umständen Genugthuung zu fordern. In seinen Angehörigen kann auch der Stat verletzt werden, der berufen ist, sie zu schützen. Die bloß willkürliche und gehässige Wegweisung kann daher zu di- plomatischen Erörterungen führen, und der Fremde, der davon betroffen wird, ist jedenfalls veranlaßt, die Beihülfe seines Consuls oder die Dazwischenkunft seines Gesanten anzurufen. 385. Es ist Sache der Landesgesetzgebung, zu bestimmen, ob und unter Fünftes Buch. welchen Bedingungen Landesfremde Grundeigenthum erwerben und Handel oder Gewerbe in dem Lande selbständig betreiben dürfen. Das Völkerrecht entscheidet darüber nicht, sondern das Statsrecht , außer wenn durch Statenverträge nähere auch dem andern Stat gegenüber bindende Be- stimmungen getroffen sind. 386. Die Fremden haben einen rechtmäßigen Anspruch auf den gesetzlichen und landesüblichen Rechtsschutz ihrer Persönlichkeit, ihrer Familien- und Vermögensrechte. Im Alterthum und im Mittelalter verstand sich dieses Recht der Fremden keineswegs. Vielmehr wurden sie als rechtlose Leute betrachtet, wenn sie nicht unter den besondern Schutz eines Gastfreundes oder Patrones oder eines Grundherrn oder angesehenen Bürgers gestellt waren. Die Fremden von heute dagegen stehen unter dem Schutze des humaner gewordenen Rechtes der civilisirten Völker. Auch der früher beliebte Vorzug der Einheimischen vor den Ausländern in der Geltendma- chung von Forderungen und insbesondere im Concurse wird immer mehr als unge- recht und der heutigen auf Gleichheit gegründeten Rechtsbildung zuwiderlaufend all- mählich überall beseitigt. Zunächst freilich entscheidet die Landesgesetzgebung über die Bedingungen und die Ausdehnung des den Fremden zukommenden Rechtsschutzes. Aber offenbare Unbill, welche der Stat gegen die Fremden üben wollte, würde Re- clamationen der Staten rechtfertigen, welchen dieselben angehören. 387. Kein Stat ist verpflichtet, fremden Personen Privilegien oder solche persönliche und Standesrechte zuzugestehn, welche mit der Verfassung und den Grundrechten desselben nicht vereinbar sind. Vorbehalten bleiben die Rechte souveräner Personen und ihrer Vertreter. Ein Stat, dessen Verfassung keinen Adel duldet, wie z. B. die Vereinigten Staten von Nordamerika, kann daher auch fremden Adlichen keine besondern Adels- rechte zugestehen. Strenge genommen braucht aber auch ein Stat, in dem es noch Adelsprivilegien gibt, dieselben fremden Adlichen deßhalb nicht einzuräumen, weil die Institution des Adels von wesentlich öffentlich-rechtlichem Ursprung und ein Theil der besondern Statsverfassung ist, welche als solche nicht auf ein anderes Land übertragbar ist. Indessen werden die Ehrenvorzüge, welche dem eigenen Adel zu- kommen, der Sitte gemäß gewöhnlich auch den Fremden von ähnlicher Rangstellung eingeräumt, und auch insofern eine möglichst gleichmäßige Behandlung der Einhei- mischen und der Fremden angestrebt. Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. 388. Die Fremden sind verpflichtet, die Verfassung und Rechtsordnung des Landes zu beachten und dürfen dieselben nicht verletzen. Sie sind der einheimischen Statsgewalt zwar nicht in Folge des Statsverbands aber insofern unterworfen, als dieselbe allein in dem Lande Autorität und Macht hat. Die Exterritorialität, von der oben § 135 die Rede war, ist eine Ausnahme von der Regel, daß sich die Gerichtsbarkeit und Polizeigewalt über Einheimische und Fremde erstreckt. Andere Ausnahmen gründen sich zuweilen auf besondere Verträge oder auf Herkommen. Immerhin aber wirkt die Rücksicht darauf, daß die Fremden nicht persönlich dem State verbunden sind , wo sie gerade sich aufhalten, sondern einem andern State angehören, sehr bedeutend ein und vermindert und er- mäßigt die Ausübung der einheimischen Statsgewalt gegen Fremde. Selbst bei Ver- waltung der Strafrechtspflege und der Policeigerichtsbarkeit verdient das vielleicht mangelhafte Verständniß der einheimischen Vorschriften und Sitten von Seite der Fremden eine billige und schonende Rücksicht. 389. Die Fremden, welche nur vorübergehend ihren Aufenthalt im Lande nehmen, dürfen nicht zu den Landessteuern beigezogen werden. Wohl aber sind sie schuldig, die Gebühren für öffentliche Leistungen wie die Einhei- mischen zu bezahlen und es kann ihnen auch eine mäßige Gebühr für den Aufenthalt auferlegt werden. Die regelmäßige Steuerpflicht setzt entweder Statsangehörigkeit der Steuerpflichtigen oder Landesangehörigkeit der besteuerten Güter (in- ländische Grundstücke und Etablissements) voraus. In diesen beiden Beziehungen sind die durchreisenden Fremden nicht steuerpflichtig. Inwiefern dagegen von der Verzehrung von Gütern mittelbar eine Steuer erhoben wird (Consumtionssteuer) oder von der Bewegung der Handelsgüter Zölle bezogen werden, so treffen natürlich diese Abgaben die Fremden, welche jene Güter consumiren und zollbare Waaren ein- oder ausführen, ganz ebenso wie die Einheimischen. 390. Fremde, welche im Lande ansässig sind, oder Grundbesitz im Lande haben, sind im Zweifel gleich Einheimischen den Landessteuern und der Grundsteuer unterworfen. Vgl. oben § 280. Fünftes Buch. 391. Landesfremde sind im Inland nicht militärpflichtig. Vorbehalten bleiben Nothfälle zur Vertheidigung eines Ortes wider Räuber oder Wilde. Die Militärpflicht ist wesentlich politische Pflicht und daher von der Statsgenossenschaft nicht zu trennen. Wie den Fremden in der Regel nicht politische Rechte eingeräumt werden, so dürfen ihnen auch nicht so schwere politische Pflichten auferlegt werden. Würden die Fremden genöthigt, Militärdienste in fremdem Lande zu thun, so würden sie unter Umständen genöthigt, für ihnen fremde Statsinteressen und gegen die politischen Interessen ihres Vaterlandes ihr Leben einzusetzen, was offenbar unnatürlich wäre. Selbst wenn die Fremden ansässig im Lande sind, so dürfen sie höchstens zu solchen Militärdiensten herbeigezogen werden, welche den Zweck haben, Personen und Eigenthum durch locale Kraftentwicklung zu schützen, also zur Vertheidigung des Orts, aber nicht zu politischer Kriegsführung . 392. Den Fremden muß der freie Wegzug jederzeit offen stehn. Im Mittelalter war dieses Recht auch in den europäischen Staten keineswegs anerkannt. Heute wird es nur in barbarischen Ländern noch bestritten. Es folgt aus dem natürlichen Recht des menschlich-freien Verkehrs. 393. Auch der Wegzug des Vermögens oder der Verlassenschaft von Fremden darf in der Regel nicht verwehrt, noch mit besondern Steuern oder Abzügen belästigt werden. Bis in unser Jahrhundert hinein galten in den meisten europäischen Ländern noch andere Grundsätze. Der Wegzug insbesondere von Capitalvermögen wurde noch vielfältig mit Abzugssteuern beschwert und noch mehr der Wegzug von Verlassenschaften . Die mittelalterlichen Landesherrn behaupteten öfter ein ausschließliches Recht auf die Verlassenschaft der Fremden zu haben, welche sich in ihrem Territorium vorfand, selbst mit Ausschluß der ausländischen Erben. Man nannte das jus albinagii, droit d’aubaine . War es nicht mehr möglich, den Fremden selbst als ein rechtloses Wesen zu behandeln, so behandelte man doch seine Verlassenschaft als ein herrenloses Gut. Unsere heutige Rechtsbildung erkennt darin eine widerrechtliche Barbarei und gibt auch die ermäßigte Form der Abzugs- steuern nicht mehr zu. In einer sehr großen Anzahl von Statenverträgen sind diese Abzugsgelder vertragsmäßig während unsers Jahrhunderts abgeschafft worden. All- mählich ist aber aus diesem Vertrags- und Gesetzesrecht allgemeines interna- Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. tionales Recht geworden, so daß heute die Einführung solcher Abgaben als Ver- letzung des internationalen Verkehrs empfunden und zu völkerrechtlichen Beschwerden der Staten Anlaß geben würde. 5. Ausführungspflicht und Asylrecht. 394. Jeder Stat ist kraft seiner Selbständigkeit berechtigt, Fremden den Aufenthalt in seinem Lande zu gestatten. Dieses Recht des States, Fremde aufzunehmen und zu schützen, kann ausgeübt werden, ungeachtet der Heimatsstat derselben seine Stats- angehörigen zurückruft oder deren Auslieferung begehrt. Vgl. oben § 375. Freilich läuft der Stat, welcher längere Zeit Fremden gegen den Willen ihres Heimatstats in seinem Lande Aufenthalt gewährt, die Gefahr, daß der Heimatsstat dieselben ihrer Statsgenössigkeit für verlustig erklärt und er genö- ihigt wird, dieselben nun zu behalten, beziehungsweise in seine Angehörigkeit aufzu- nehmen. 395. Eine Pflicht, flüchtige fremde Verbrecher oder eines Verbrechens an- geklagte Flüchtlinge dem verfolgenden Gerichte auszuliefern, wird nur in- sofern anerkannt, als dieselbe entweder durch besondere Statenverträge (Auslieferungsverträge) begründet oder zur Sicherung eines allgemeinen Rechtszustandes als nothwendig erscheint. Im letztern Fall ist die Auslieferungspflicht jedenfalls auf schwere und gemeine Verbrechen beschränkt, und setzt voraus, daß die Rechtspflege des verfolgenden Stats hinreichende Garantien gebe für eine civilisirte Verwaltung der Gerechtigkeit. Die Meinungen über die Auslieferungspflicht und das Asylrecht sind noch sehr getheilt sowohl in der Statenpraxis als in der Wissenschaft. Noch machen sich extreme Meinungen geltend. Zuweilen wird ein unbeschränktes Asylrecht der Staten behauptet, welches nur durch Auslieferungsverträge beschränkt werde. Die Vertheidiger dieser Ansicht — Puffendorf, Martens, Story und andere — führen dafür an, daß diese Flüchtlinge nicht die Rechtsordnung des Bluntschli , Das Völkerrecht. 15 Fünftes Buch. Asylstats verletzt haben, und daher auch nicht von diesem zu verfolgen seien, daß die Strafgewalt ihrem Wesen nach territorial und nicht international sei, daß jedenfalls geringe Sicherheit für eine im Sinne des Asylstates geübte Justiz vor- handen sei und daß daher der Asylstat keine Veranlassung habe, einer fremden Ge- richtsbarkeit zu dienen und keine Verpflichtung, seine Schutzhoheit zu beschränken. Aber auch für die entgegengesetzte Meinung haben sich jederzeit gewichtige Stimmen erhoben, wie die von Grotius, Vattel, Kent u. s. f., welche auf das allgemeine Interesse an der Handhabung der Gerechtigkeit und die Nothwendigkeit der Bestrafung der Verbrecher hinweisen, auf die Gefahren aufmerksam machen, welche daraus für die Gesellschaft entstehen, wenn Verbrecher leicht einen Zufluchtsort fin- den, in dem sie sich sicher fühlen und von wo aus sie ihre Angriffe auf die Rechts- ordnung erneuern, und daraus die Pflicht der Staten ableiten, einander in der wirksamen Handhabung der Strafrechtspflege zu unter- stützen . Meines Erachtens würde ein unbeschränktes Asyl die allgemeine mensch- liche Rechtsordnung und Rechtssicherheit bedrohen, zumal bei der Beweglichkeit der heutigen Verkehrsmittel. Es ist ein allgemeines Interesse, nicht ein bloßes Landes- interesse, daß Mörder, Räuber, grobe Betrüger und große Diebe bestraft werden. Vortrefflich hat der französische Minister Rouher (Rede vom 4. März 1866) die Gründe für die Auslieferungspflicht mit wenigen Worten ausgesprochen: „Der Grundsatz der Auslieferung ist der Grundsatz der Solidarität, der wechselseiti- gen Versicherung unter Regierungen und Völkern gegen ein überall drohendes Uebel ( contre l’ubiquité du mal )“. Aber auch eine absolute Auslieferungspflicht würde in manchen Fällen die Interessen der Humanität und der Freiheit ernstlich gefährden, und man darf nicht vergessen, daß manche Verbrechen ausschließlich den davon betroffenen Stat und nicht die menschliche Gesellschaft verletzen und daß auch die Vertheidiger des Asyls gute Gründe anführen, auf welche innerhalb der nöthigen Schranken billige Rücksicht zu nehmen ist. Wo die Statenverträge die Auslieferung im Einzelnen näher ordnen, und das ist in neuerer Zeit sehr oft geschehen, da kommen natürlich die vertrags- mäßigen Bestimmungen zur Anwendung. Wenn keine Verträge binden, so muß man sich an die allgemeinen Rechtsgrundsätze halten. Da aber diese heute noch nicht gleichmäßig und nicht allgemein anerkannt sind, so hängt es that- sächlich noch von dem Ermessen des Asylstates ab, zu bestimmen, in wie weit er sich durch die allgemeine Rechtsordnung für gebunden erachte. Es ist aber möglich und sogar wahrscheinlich, daß allmählich einige Hauptgrundsätze in der civi- lisirten Welt sich allgemeine Billigung erringen und so weit das geschieht, wird dann die Willkür der einzelnen Staten beschränkt. 396. Den politischen Flüchtlingen darf jeder Stat freies Asyl gewähren. Der Asyl gebende Stat ist nicht verpflichtet, auf Begehren des verfolgenden Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. Stats dieselben auszuliefern oder wegzuweisen. Aber der Asylstat ist ver- pflichtet, nicht zu gestatten, daß das Asyl dazu mißbraucht werde, um die die Rechtsordnung und den Frieden der andern Staten zu gefährden, und völkerrechtlich verbunden, diejenigen Maßregeln zu treffen, welche nöthig sind, um solchen Mißbräuchen zu wehren. Der von vielen Criminalisten bestrittene Gegensatz der politischen und der gemeinen Verbrechen wird in den neuern Statenverträgen und noch mehr in der gegenwärtigen Statenpraxis anerkannt, und sogar von solchen Staten, welche eine allgemeine Auslieferungspflicht selbst von politischen Verbrechern im Princip für nothwendig erklären, thatsächlich dann gemacht, wenn ihre politischen Sympathien den fremden Flüchtling decken. Die politischen Verbrechen beziehen sich nothwendig auf die Verfassung und die politischen Zustände eines bestimmten Stats und sind deßhalb für andere Staten kein Gegenstand der Sorge. Eine Solidarität der politischen Interessen besteht nicht nothwendig und es ist ebenso möglich, daß die politischen Grundsätze und Richtungen des verfolgenden und des Asylstats einander widerstreiten. Der verfolgte politische Verbrecher in einem Land wird in einem andern Lande vielleicht als ein Märtyrer der Freiheit verehrt; und die im Namen des Rechts verfolgenden Gewalthaber des einzelnen Stats werden vielleicht in dem andern State als Unterdrücker des Rechts gehaßt. Selbst wo die Gegensätze der Beurtheilung nicht so schroff auftreten, erinnert man sich doch, daß die Verwaltung der Rechtsflege in politischen Strafprocessen nach dem Zeugniß der Geschichte leichter von den Leidenschaften bald der Machthaber bald einflußreicher Parteien mißleitet wird als die Strafgerichtsbarkeit über gemeine Vergehen und man nimmt Rücksicht darauf, daß zuweilen ehrbare und edle Menschen aus Vaterlands- liebe die politische Rechtsordnung ihres Heimatstats verletzt haben. Die Interessen der Politik, der Gerechtigkeit und der Humanität vereinigen sich daher, um über die politischen Flüchtlinge den Schutz des Asyls auszubreiten. Aber indem der Stat den fremden politischen Flüchtlingen ein Asyl gewährt, ist er nicht von der Pflicht entbunden, den Mißbrauch des Asyls zu verhüten. Das Asyl schützt den Flüchtigen vor Verfolgung, aber es darf nicht zu einer sichern Stätte für die Fortsetzung des politischen Verbrechens werden. Der Flüchtling findet hier Ruhe und einen Ort der Zuflucht in seiner Gefahr, aber er darf nicht die Angriffe auf die Verfassung und das Recht seines States von da aus ungestraft erneuern. Der Asylstat hat auch gegenüber dem Heimatsstat desselben Rücksichten des Friedens und der Freundschaft zu nehmen. Ein Stat, welcher den fremden Räubern Schlupfwinkel eröffnet, aus denen sie ihr verbrecherisches Handwerk mit besserem Erfolg und mit geringerer eigener Gefahr betreiben, macht sich sicherlich einer schweren Verletzung der Nachbarpflichten schuldig; und nicht weniger wird ein Stat, welcher auf seinem Gebiete feindliche Unternehmungen von fremden Flüchtlin- gen gegen einen benachbarten Stat begünstigt, dafür verantwortlich gemacht von dem bedrohten State. 15* Fünftes Buch. 397. Es steht jedem State zu, die Bedingungen festzusetzen, unter welchen er fremden Flüchtlingen ein Asyl gewährt. Die Flüchtlinge selber haben keinen Rechtsanspruch auf Gewährung des Asyls gegen den fremden Stat. Der Flüchtling kann sich nicht wie ein anderer Reisender auf das Recht des freien Verkehrs berufen, denn eine Grundbedingung dieses Rechts ist Unbeschol- tenheit der Reisenden . Kein Stat ist verpflichtet, Verbrecher oder eines Ver- brechens Angeklagte bei sich aufzunehmen und zu dulden, weil solche Fremde auch die Sicherheit seiner Bewohner oder unter Umständen des Stats selbst gefährden. Es gilt das auch von politischen Verbrechern. Aber wohl hat der Stat die moralische Pflicht, dabei nicht inhuman zu verfahren. Die Zurückweisung insbesondere von politischen Flüchtlingen oder gar ihre Auslieferung kann, selbst wenn sie keine Rechts- verletzung ist, doch eine tadelnswerthe Grausamkeit sein. 398. Der Schutzstat, welcher das Asyl gewährt hat, ist auch, wenn das- selbe mißbraucht wird, berechtigt, und bei fortdauernder Gefahr für den befreundeten Heimatsstat des Flüchtlings auch verpflichtet, das Asyl zu entziehen oder insoweit zu beschränken, daß jene Gefahr beseitigt wird. In mindern Fällen wird eine schärfere Aufsicht über den Flüchtling oder die Internirung desselben von der Grenze weg, ins Innere des Landes genügen, in schweren Fällen die Wegweisung in vorgeschriebener Richtung nöthig sein. 399. Zur Auslieferung von Einheimischen an einen fremden Stat, in dessen Gebiet dieselben ein Verbrechen verübt haben, ist der Heimatsstat niemals verpflichtet. Diese gegenwärtig auch von solchen Staten anerkannte Regel, welche eine Auslieferungspflicht bei gemeinen Verbrechen annehmen, macht freilich dann eine be- denkliche Lücke in das Strafrecht , wenn dieselben im Inlande nicht für ein auswärts begangenes Verbrechen zur Verantwortung gezogen werden können. Sie bleiben in diesem Falle straflos, obwohl die allgemeinen Rechtsgrundsätze eine Bestrafung ihres Verbrechens erfordern. Aber man zieht es vor, dem Individuum diesen Glücksfall zuzugestehen, als die Statsgenossen einer fremden Strafgerichts- barkeit zu überliefern. Die Statshoheit im Verhältniß zu den Personen. 400. Die Auslieferung geschieht in der Regel auf Kosten des States, welcher dieselbe begehrt. Die Gestattung des Asyls dagegen fällt dem Schutzstate allein zur Last. Selbstverständlich ist nur von den nöthigen Kosten hier die Rede, welchen sich die Staten nicht entziehen können. Soweit die Flüchtlinge für sich selber zu sorgen im Stande sind, ist von keiner Statspflicht die Rede. 401. Die Auslieferung eines flüchtigen Verbrechers kann auch in bedingter Weise gewährt werden. Z. B. der ausliefernde Stat verlangt, daß der Ausgelieferte nur wegen eines gemeinen, nicht auch wegen eines politischen Verbrechens gestraft werde, oder er liefert nur aus, wenn ihm die Zusicherung ertheilt wird, daß keine Todes- strafe verhängt werde. Der Stat, welcher auf solche Bedingungen hin den Aus- gelieferten empfängt, ist dann dem Auslieferungsstat gegenüber verpflichtet, demgemäß zu verfahren. In der Regel wird die Auslieferung von dem verfolgenden State begehrt, von dem Zufluchtsstat gewährt. Es ist aber auch möglich, daß dieselbe von diesem ange- boten wird, ja sogar, daß der Stat, dem dieß Anerbieten gemacht wird, die Ueber- nahme des Flüchtlings als eine Verlegenheit zu vermeiden wünscht. In solchen Fällen kann sich der Heimatstat zwar nicht der Aufnahme seines Statsgenossen in seinem Lande entziehen (oben § 368), aber wenn er dieselben nicht weiter verfolgt, so geht das den ausliefernden Stat nichts an. Sechstes Buch. Völkerrechtliche Verträge. 1. Erfordernisse und Wirksamkeit der völkerrechtlichen Verträge. 402. Die Staten können als selbständige Personen ihre besondern Rechts- verhältnisse auch durch Verträge unter einander ordnen, so daß daraus eigentliches Vertragsrecht entsteht. Verschieden von diesen Verträgen, welche besonderes Vertragsrecht unter den Vertragsparteien begründen, ist eine völkerrechtliche Uebereinkunft mehrer Staten, welche eine allgemeine Rechtsregel ausspricht. Im letztern Fall ist das pactum instar legis, und es entsteht ein Gesetz , wenn auch in der vielköpfigen Form der Vereinbarung. Sehr viele Bestimmungen der völkerrechtlichen Congresse haben diesen letztern und nicht den ersteren Charakter und begründen da- her nicht conventionelles , sondern nothwendiges Recht . Vgl. oben § 12. 13. In diesem Buch ist nur die Rede von dem eigentlichen Vertragsrecht. 403. Jeder Stat kann als Person auch Vertragspartei werden, und jede unabhängige Macht gilt im Völkerverkehr im Zweifel als vertragsfähig. Wenn aber ein Stat in der Ausübung des Vertragsrechts verfassungs- mäßig beschränkt erscheint, so ist solche Beschränkung auch im Verkehr der Staten zu beachten. Sechstes Buch. Wenn ein Stat der Schutzhoheit eines andern Stats unterworfen ist, so kann ihm das Recht, selbständig mit andern Staten Verträge abzuschließen, gänzlich oder theilweise entzogen sein. Ebenso sind in den zusammengesetzten Staten regelmäßig die Einzelstaten sehr erheblich in der Vertragsbefugniß beschränkt, sei es indem ihnen untersagt ist, gewisse Verträge abzuschließen, die ausschließlich dem Ge- sammtstate vorbehalten sind, z. B. Allianzen, Handels- und Zollverträge, sei es indem sie genöthigt sind, sich der diplomatischen Organe des Gesammtstates zu be- dienen und der Zustimmung des Gesammtstates bedürfen. Verträge, welche im Widerspruch mit diesen Schranken abgeschlossen werden, sind nicht verbindlich. 404. Damit der Vertrag den Stat verbinde, müssen die Personen, welche denselben im Namen des States abschließen, zur Vertretung des States ermächtigt sein. Es gilt das sowohl von der Repräsentationsbefugniß des jeweiligen Inhabers der Statsgewalt (oben § 116), als von der Vollmacht der Gesanten , welche den Vertrag unterhandeln und unterzeichnen (oben § 159 f.). 405. Wird für einen Stat ein Vertrag von einer Person unterhandelt und abgeschlossen, welche nicht dazu ermächtigt ist, so wird der Stat so lange nicht verpflichtet, als er nicht durch nachträgliche Gutheißung jenen Mangel der Vollmacht hebt. Bis dahin steht auch der andern Vertrags- partei der Rücktritt frei, wenn sie nicht darauf verzichtet hat. Man heißt Verträge, welche von nichtbevollmächtigten Vertretern , gewöhnlich in der Hoffnung auf spätere Ratihabition abgeschlossen werden, Spon- siones ; in Erinnerung an die persönliche sponsio der alten Römer. Der Aus- druck, welcher in Rom eine strenge und formelle Vertragspflicht bedeutete, ist freilich nicht geeignet, derartige in ihrer Wirksamkeit höchst zweifelhafte Verträge zu bezeich- nen, während wir im Gegensatze zu den Römern die rechtsverbindlichen Ver- träge der Staten pacta heißen. 406. Wird der von einem nicht ermächtigten Vertreter abgeschlossene Ver- trag von dem State nicht genehmigt, so ist überall kein Vertrag zu Stande gekommen. Der Stat wird nicht verpflichtet, weil er nicht wirklich vertreten war, und der Geschäftsführer ( sponsor ) nicht, weil er kein Stat ist und als Privat- Völkerrechtliche Verträge. person nicht über öffentliche Rechte und Verbindlichkeiten verfügen kann. Wenn er den andern Stat betrogen hatte, indem er sich für ermächtigt angab, ohne er- mächtigt zu sein, so mag er dieses Betrugs wegen verantwortlich gemacht und be- straft werden. Das hat mit der Gültigkeit des Vertrags nichts zu thun. — Das alt-römische Fecialrecht befolgte andere Grundsätze. Der Sponsor haftete mit seiner Person für die Erfüllung des von ihm eingegangenen Vertrags und wurde daher von dem nicht genehmigenden State zur Sühne an den andern Stat ausge- liefert. Die moderne Rechtsbildung ist insofern consequenter, als sie die öffent- lich-rechtliche Natur der Statenverträge vollständiger beachtet. Würde ein dritter Stat ohne Ermächtigung für einen andern Stat einen Vertrag abschließen, so würde er sich allerdings als Stat verpflichten können, für die Ge- nehmigung zu sorgen. 407. Hat der Stat Vortheil von dem Vertragsgeschäft gezogen, das für ihn, aber ohne seine Vollmacht abgeschlossen worden ist, so ist er im Fall der Nichtgenehmigung des Vertrags verpflichtet, den ohne Grund empfan- genen Vortheil, so weit das nach der Lage der Dinge möglich ist, wieder aufzugeben, beziehungsweise eine empfangene Bereicherung zurück zu er- statten. Z. B. Der Unterhändler hat den Loskauf von Gefangenen vermittelt und vorläufig eine Summe bezahlt. Wird der Vertrag nicht genehmigt, und werden die Gefangenen zurückbehalten, so muß auch diese Summe wieder herausgegeben werden. Oder ein Gouverneur einer Colonie gestattet gegen zugesicherte Handelsvortheile einem andern State die Gründung eines Marineetablissements innerhalb der Colonie. Wird der Vertrag nicht genehmigt, so ist auch dieses Etablissement wieder zu räu- men. Hat aber ein Stat im Vertrauen auf die nachfolgende Genehmigung durch den andern Stat einen momentanen Vortheil seiner Machtstellung aus der Hand gegeben, und wird der Vertrag nicht ratificirt, so ist er selten in der Lage, jenen Vortheil wieder zu gewinnen und muß die Folgen seiner unvorsichtigen Handlungs- weise tragen. Das Beispiel der Samniter, welche das römische Heer in den Can- dinischen Pässen gefangen hatten und nachdem Rom den Frieden nicht ratificirte, ihr Uebergewicht nicht mehr herstellen konnten, bleibt eine Warnung der Geschichte. 408. Es wird angenommen, die Willensfreiheit des States sei nicht auf- gehoben, wenn gleich der Stat in seiner Noth und Schwäche genöthigt ist, den Vertrag einzugehen, wie ihn ein übermächtiger anderer Stat ihm vorschreibt. Sechstes Buch. Im Privatrecht hindert eine ernste Drohung und die gewaltsame Nöthi- gung die Gültigkeit des Vertrags. Im Völkerrecht aber wird angenommen, der Stat selbst sei alle Zeit frei und willensfähig , wenn nur seine Vertreter persönlich frei sind. Das Statsrecht erkennt auch sonst die Nothwendigkeit der Verhältnisse als entscheidend an; es ist seinem Wesen nach die als noth- wendig erkannte Ordnung der öffentlichen Verhältnisse. Daher hindern zwingende Einwirkungen, in denen sich jene Nothwendigkeit offenbart, die Gültigkeit des Stats- willens nicht, wenn er denselben Rechnung trägt. Es gilt das insbesondere auch von Friedensschlüssen. Vgl. unten Buch VIII. Cap. 10. Würde man die Verträge der Staten aus dem Grunde als ungültig aufechten können, daß der eine Stat aus Furcht vor dem andern und durch dessen Drohungen geschreckt ohne freien Vertrags- willen den Vertrag abgeschlossen habe, so gäbe es kein Ende des Völkerstreits und wäre niemals ein gesicherter Friedensstand zu erwarten. 409. Wenn jedoch die individuelle Willensfreiheit derjenigen Personen, welche den Stat bei dem Vertragsschluß vertreten, durch Geistesstörung aufgehoben oder durch Besinnungslosigkeit verwirrt oder durch Gewalt oder ernste und nahe Bedrohung gebunden ist, dann sind dieselben nicht fähig, für den Stat verbindliche Erklärungen abzugeben. Wenn z. B. der Gesante, der zum Vertragsabschluß ermächtigt ist, wahnsin- nig wird, oder wenn er so berauscht ist, daß er nicht mehr weiß, was er thut, so ist seine Unterschrift nicht bindend. Ebenso würde auch die Unterschrift eines Sou- veräns nicht den Stat verpflichten, wenn demselben gewaltsam die Hand zum Unter- zeichnen geführt oder er mit Lebensdrohung zur Unterschrift genöthigt würde. Oder wenn, wie das dem Polnischen Reichstag widerfahren ist, die nothwendige Zustim- mung zu einem Vertrag damit erzwungen wird, daß die Rathsversammlung mit Truppen umstellt und die Stimmenden mit dem Tode oder dem Gefängniß bedroht werden, so ist auch ein solcher Vertrag ungültig, nicht weil der Stat keinen freien Willen hat, sondern weil es den Vertretern des Stats an der nöthigen Willen- freiheit fehlt. 410. Die Rechtsverbindlichkeit der Statenverträge beruht auf dem Rechts- bewußtsein der Menschheit, und ist ein nothwendiger Bestandtheil der völ- kerrechtlichen Weltordnung. Verträge, deren Inhalt das allgemein anerkannte Menschenrecht oder die bindenden Gesetze des Völkerrechts verletzen, sind deßhalb ungültig. Der alte Streit über den Rechtsgrund der Verbindlichkeit der Verträge dauert noch fort. Das Völkerrecht kann der Frage nicht damit entgehen, Völkerrechtliche Verträge. daß es auf die Autorität eines Gesetzes hinweist, wie das wohl im Privatrecht oft genügt. Meines Erachtens läßt sie sich nicht auf den freien Willen der Staten gründen. Der Satz, daß die Willensfreiheit auch in der Freiheit sich zu binden , zeigen und bewahren müsse, ist offenbar nicht richtig; denn die Willens- freiheit für sich allein bindet nur, weil sie will und daher nur auf so lange sie will . Sie erklärt die Wirksamkeit des Willensacts, während der wir- kende Wille fortdauert, aber nicht mehr, wenn der Wille wechselt. Der freie Mensch kann und darf seine Willensfreiheit nicht aufgeben, sie begleitet ihn fort durch sein ganzes Leben, sie ist ein Theil seiner Existenz, seiner Person. Er kann und darf sich nicht durch freien Willen um den freien Willen bringen, sich nicht selber zum Sclaven machen. Der individuelle Wille ist überdem für sich allein nicht Rechts- bildend, nicht die erste Ursache des Rechts. Wäre er es, so müßte alles Ge- wollte Recht sein. Es müßte z. B. im Privatrecht möglich sein, eine Ehe auf ein Jahr zu schließen, Grundeigenthum ohne die Grundbücher zu übertragen, Wechsel- verbindlichkeiten ohne die Wechselform einzugehen. Das ist aber so wenig im Privat- recht wie im Völkerrecht der Fall. Die Rechtsverbindlichkeit der Verträge ist also nicht die nothwendige Wirkung der Willensfreiheit, sondern setzt die Existenz einer nothwendigen , nicht von der Willkür geschaffenen Rechtsordnung der Gemein- schaft voraus. Der Willensact der einzelnen Personen, selbst der Staten im Völ- kerrecht, ist demnach nicht die primäre, sondern erst eine secundäre Ursache der Rechtsbildung. Der Einzelwille bewirkt Recht, nur gemäß und nur innerhalb der gemeinsamen Rechtsordnung . Die Verbindlichkeit der Verträge ist selber ein nothwendiger Rechtssatz. Sie ist nothwendig, weil ohne sie kein ge- sicherter Rechtsverkehr und kein friedlicher Rechtszustand der Völker möglich wäre. In ihr äußert sich die nachhaltige fortdauernde Wirkung der Rechtsordnung. Man nehme den guten Glauben weg in die Wahrhaftigkeit der völkerrechtlichen Er- klärung und die Wirksamkeit der ertheilten Zusage und alle Rechtssicherheit stürzt in dem Widerstreit der wechselnden Meinungen und Interessen rettungslos zusammen. Die Willenserklärung noch ist eine Aeußerung der Freiheit, das Halten des Worts aber ist eine Forderung der Treue, welche bewahrt , was die rechtmäßige Freiheit schafft . 411. Dem anerkannten Menschenrecht zuwider und daher ungültig sind insbesondere Verträge, welche a ) die Sclaverei einführen oder verbreiten und schützen (§ 360 f.), b ) die Fremden als rechtlos erklären (§ 381 f.), c ) die freie Schiffahrt auf offener See verhindern (§ 307 f.), d ) Verfolgungen des Glaubens wegen anordnen. Von den Fällen a—c war oben schon die Rede. Der vierte gehört erst der modernen Rechtsbildung an. Die gereifte Menschheit legt mit Recht auf die religiöse Sechstes Buch. Freiheit einen so hohen Werth, daß sie allgemeine Glaubensverfolgungen nicht mehr als rechtsverbindlich betrachtet, selbst wenn sie durch Statsverträge verabredet wären. Die Zeit der Kreuzzüge ist vorbei. Anders freilich ist’s, wenn eine Sekte, wie z. B. die Mormonen, die bürgerliche Rechtsordnung, wenn auch aus scheinbaren oder wirk- lichen religiösen Motiven ernstlich verletzt. 412. Völkerrechtswidrig und deßhalb ungültig sind z. B. Verträge a ) welche die Universalherrschaft eines Einzelstats über die Welt oder b ) die gewaltsame Unterdrückung eines friedlichen und lebensfähigen States bezwecken. Vgl. oben § 98 f. 413. Statenverträge, deren Inhalt das bestehende Verfassungs- und Ge- setzesrecht eines States außer Wirksamkeit setzt oder abändert, sind, wenn sie von der repräsentativen Statsautorität abgeschlossen worden sind, nicht von Anfang an als völkerrechtlich ungültig zu betrachten, aber sie sind nach Umständen nicht vollziehbar und insofern wird ihre Wirkung gehemmt. Die Schwierigkeit ist in diesen Fällen nicht eine völkerrechtliche, denn das Völkerrecht behaftet den Stat, dessen Vertreter den Vertrag abschließt und nimmt an, es sei Aufgabe der Statsgewalt, durch die nöthigen Aenderungen des Statsrechts die völkerrechtlichen Zusagen zu verwirklichen. Aber es ist denkbar, daß innerhalb des Landes eine solche Bestimmung Widerstand findet und da gilt keineswegs ein absolutes Vorzugsrecht des Völkerrechts vor dem Statsrecht in jedem Conflictfall. Sonst könnte in der Form völkerrechtlicher Verträge alles Verfassungsrecht des Landes entkräftet, und könnten alle gesetzlichen Freiheiten der Bür- ger beseitigt werden. Der statsrechtlich begründete Widerspruch gegen die Ausführung solcher verfassungswidriger Vertragsbestimmungen muß also als ein rechtliches Hinderniß ihrer Ausführung anerkannt und kann nicht durch bloße Gewalt durchbrochen, son- dern muß in Rechtsform gelöst werden. Eine Ausnahme machen die Friedens- verträge, mit Rücksicht auf die zwingende Nothwendigkeit, welche in ihnen zur An- erkennung gelangt. Vgl. unten Buch VIII. 414. Verträge, deren Inhalt älteren Verträgen mit andern Staten wider- Völkerrechtliche Verträge. streitet, sind insofern unwirksam, als der früher berechtigte Stat ihrer Ausführung entgegen tritt. Solche Verträge sind nicht an sich ungültig. Wenn der Stat, dessen ältere Vertragsrechte durch Ausführung des neuen Vertrags verletzt werden, sich diese Aen- derung gefallen läßt, so sind dieselben vollwirksam. Aber im Widerstreit geht das bestehende (ältere) Vertragsrecht dem jüngern vor . 415. Auch ungünstige Vertragsbestimmungen und lästige Versprechen sollen gehalten werden. Vorbehalten bleibt das Recht eines States, sich von Verträgen loszusagen, welche mit seiner Existenz oder seiner nothwendigen Entwicklung unverträglich sind. Die bloße Gefährlichkeit oder Schädlichkeit eines Vertrags hindert seine Verbindlichkeit nicht. Würde man jedem Contrahenten gestatten, sich einer Ver- tragspflicht zu entledigen, sobald ihm dieselbe lästig erschiene, so würde die Sicherheit des Vertragsrechts gänzlich zerfallen, und damit die Fortdauer der Weltordnung aufs höchste gefährdet. Aber die Verbindlichkeit des Vertrags hat doch ihre natürliche Grenze in den Grundrechten des States auf seine Existenz und seine nothwendige Entwicklung . Im Conflict mit diesen ursprünglichsten und un- veräußerlichen Rechten muß das secundäre Vertragsrecht zurückstehn. 416. Die Gültigkeit der Statenverträge ist von der Regierungsform der contrahirenden Staten sowie von der Religion der Staten oder ihrer Ver- treter unabhängig. Im Mittelalter nahm man an, Verträge mit Nichtchristen (Ungläubigen) binden nicht. Sogar im siebzehnten Jahrhundert noch wurde von der römischen Curie und von katholischen Bischöfen behauptet, daß die katholischen Fürsten nicht verpflichtet seien, die den ketzerischen (protestantischen) Fürsten gegebenen Zusagen zu halten. Dem heutigen Völkerrecht ist es nicht mehr zweifelhaft, daß die Vertrags- pflicht eine allgemein-menschliche Rechtspflicht sei, welche Christen und Muhammedaner, Juden und Buddhisten gleichmäßig verbinde. Ebenso ist der Unter- schied der Stats- und Verfassungsformen zwar erheblich für die Frage der Stellver- tretung, aber nicht erheblich für die Gültigkeit der Verträge. Monarchien und Repu- bliken, absolute und constitutionelle Monarchien, Aristokratien und Demokratien kön- nen ihre Verhältnisse vertragsmäßig ordnen. Sechstes Buch. 2. Form der Verträge. 417. Die bloße einseitige Willenserklärung eines States, auch wenn sie einem andern State gegenüber geschieht, wirkt nur insofern als Vertrags- erklärung, wenn a ) die Absicht des erklärenden States, sich durch die Erklärung zu binden, offenbar geworden und b ) jener Erklärung die Annahme des Versprechens von Seite des andern States gefolgt ist. Wenn ein Stat in seinen diplomatischen Aeußerungen lediglich die freien Entschlüsse mittheilt, die er auszuführen die Absicht hat, so entsteht kein Vertrags- recht, so wenig als durch die Mittheilung einer Privatperson über ihre freien Vor- sätze. Es muß die Absicht, sich zu binden , ausgesprochen sein. 418. Die sogenannten Tractate, d. h. die Aufzeichnung dessen, worüber sich die unterhandelnden Staten vorläufig verständigt haben, werden nur als Entwurf zu einem Vertrage betrachtet und sind daher noch nicht ver- pflichtend. Solche Punctationen und Tractate sind nur ausnahmsweise verbindlich, wenn die unterhandelnden Vertreter diese Verbindlichkeit ausdrücklich gewollt und zu- gestanden haben. 419. Die Unterzeichnung des bereinigten Vertragsprotocolls oder der fer- tigen Vertragsurkunde durch die bevollmächtigten Gesanten oder Agenten der contrahirenden Staten wirkt für die vertretenen Staten verbindlich, wenn dieselbe ohne Vorbehalt und ohne Bedingung geschehen ist. Der Vorbehalt der nachfolgenden Ratification der Statsgewalt wird aber unter Umständen als selbstverständlich vorausgesetzt. Wenn die Vertreter der unterhandelnden Staten ermächtigt sind, die definitive verbindliche Willenserklärung derselben abzugeben, so muß auch ihre Erklärung bin- den, und die Unterzeichnung des Vertragsprotokolls oder der Vertragsurkunde wird als eine solche Vertragserklärung angesehen. Das schließt freilich die Möglichkeit Völkerrechtliche Verträge. mündlicher Verträge nicht aus; aber man wird, der Sitte gemäß, nicht geneigt sein dürfen, mündliche Verabredungen als bindende Verträge anzuerkennen und aus- zulegen. Die schriftliche Vertragsform ist gegenwärtig so allgemeine Uebung, daß eine Abweichung davon und die Ausnahme eines mündlich abgeschlossenen Ver- trags nur schwer Glauben findet und daher die vollständige Beweisführung schwie- rig wird. Der Vorbehalt der nachfolgenden Ratification wird oft ausdrücklich gemacht und dann ist es klar, daß die Unterzeichnung noch nicht definitiv bindet. Aber derselbe kann auch aus den Umständen als wirkliche Meinung der unterzeich- nenden Vertreter geschlossen werden und wirkt dann ebenso. Die vorbehaltene Aus- wechslung der Vertragsurkunden bedeutet gewöhnlich wieder den Vorbehalt der Ratification, welche durch die Auswechslung der Urkunden erwiesen und voll- zogen wird. 420. Die grundlose Verweigerung der Ratification kann zwar je nach Umständen als eine Verletzung der schicklichen Rücksichten betrachtet werden, das Vertrauen zu dem verweigernden State ernstlich erschüttern und die freundlichen Beziehungen gefährden, aber sie darf selbst dann nicht als ein Rechtsbruch erklärt werden, wenn der unterhandelnde Gesante innerhalb seiner Vollmacht gehandelt und gemäß seinen Instructionen unterzeichnet hat. Einige ältere Publicisten behaupteten, die Ratification dürfe nicht versagt werden, wenn der Gesante seine Vollmacht gezeigt und seine Instructionen nicht überschritten habe. Sie beriefen sich dabei auf die Analogie des Privatrechts. Aber bei der großen Wichtigkeit dieser Statenverhältnisse und bei der thatsächlichen Nöthi- gung, den Gesanten allgemeine Vollmachten mitzugeben, damit sie zweckmäßig unter- handeln können, hat der Ratificationsvorbehalt doch den Sinn einer nochmaligen Prüfung . 421. Wird die vorbehaltene Ratification ertheilt, so wird, abgesehen von andern Verabredungen, die Gültigkeit des Vertrags auf den Zeitpunkt der vorherigen Unterzeichnung des Schlußprotokolls durch die Gesanten oder Agenten der contrahirenden Staten zurückgeführt. Diese Regel entspricht der Völkersitte. Sie hat aber auch einen natürlichen Grund darin, daß durch die erste Unterzeichnung alle Verhältnisse gleichzeitig geord- net werden, und die spätere, an verschiedenen Tagen nachfolgende Ratification nur Sechstes Buch. den Mangel der vollständigen Autorisation hebt, welcher der sofortigen Wirkung noch im Wege war. Die Ratification wird daher in der Regel nach dem Willen der Ratificanten auf den Zeitpunkt des früheren Abschlusses zurückbezogen. Auch ohne förmliche Ratificationserklärung und ohne Auswechslung der Ver- tragsurkunden ist aus dem Vollzug des Vertrags oder aus andern concludenten Handlungen auf Ratification zu schließen. 422. Völkerrechtliche Verträge können in jeder Form gültig abgeschlossen werden, welche den Vertragswillen der contrahirenden Staten offenbar macht. Die schriftliche Form entspricht der heutigen Uebung am besten. Es kön- nen aber unter Umständen auch mündliche Verträge, ja sogar, wie insbesondere im Krieg durch Zeichen Verträge geschlossen werden. Vgl. oben zu 419. 423. Die schriftliche Form kann durch gemeinsame Unterzeichnung eines Protokolls oder durch Eine Vertragsurkunde, welche in mehreren Ori- ginalexemplaren von den Bevollmächtigten oder den Häuptern der Staten gemeinsam unterzeichnet wird, oder durch einseitig unterzeichnete Erklärun- gen der sich verpflichtenden Staten an den berechtigten Stat vollzogen werden. Im letztern Falle muß die Absicht sich zu binden, klar gemacht sein, sonst ist zu vermuthen, daß nur ein Act der freien Autorität zur Mittheilung ge- langt sei. 424. Die Veröffentlichung der Verträge ist keine Bedingung ihrer Gültig- keit und Wirksamkeit, wenn gleich die Beachtung öffentlicher Verträge bes- ser gesichert ist. Geheime Verträge sind noch immer unter gewissen Umständen unver- meidlich, ebenso geheime Bestimmungen in Verträgen, die im übrigen veröf- fentlicht sind. Für die Bevölkerung freilich ist der geheime Vertrag nicht verbindlich, da sie ihn nicht kennt, so wenig als ein geheimes Gesetz. Aber der Stat, welcher den geheimen Vertrag kennt und sich verflichtet hat, dessen Inhalt zu vollziehen, ist dem andern State gegenüber ebenso gebunden, wie durch einen offenen Vertrag. Völkerrechtliche Verträge. 3. Verstärkung der Verträge. Garantieverträge. 425. Der Eid fügt dem beschworenen Vertrage nur eine religiöse nicht auch eine rechtliche Verstärkung bei. Ebenso hat die Bekräftigung mit dem Ehrenwort nur eine moralische keine rechtliche Bedeutung. Der Eid war noch im siebzehnten Jahrhundert im Gebrauch, kommt aber heute fast nur noch gegen barbarische Völker vor, deren Rechtsversprechen man nicht vertraut, wenn es nicht durch die Furcht vor den angerufenen Göttern verstärkt wird. Da die Päpste öfter die contrahirenden Statshäupter ihrer eidlichen Verpflich- tung entbanden, so wurde zuweilen in den europäischen beschwornen Verträgen die Clausel beigefügt, daß keine Eidesentbindung begehrt , oder daß dieselbe, wenn gewährt, ungültig sein solle. Ein Beispiel der Spanische Cessions- vertrag vom Jahre 1703. Ein merkwürdiges Beispiel eines mit Königlichem Ehrenwort bekräftigten Vertrags zwischen Frankreich und Spanien von 1659, der nicht gehalten wurde, findet sich bei Laurent „Études sur l’histoire de l’hu- manité. XI. 424. 434. 426. Werden zur Verstärkung eines Vertrags Geiseln gegeben, so kann der berechtigte Stat die Geiseln zurückhalten, bis der Vertrag vollzogen oder der Vollzug hinreichend gesichert ist. Wenn aber dieß geschehen ist, so dürfen die Geiseln nicht um anderer Forderungen willen an der Heim- kehr verhindert werden. Auch wenn der Vertrag nicht erfüllt wird, so darf den Geiseln kein anderes Uebel zugefügt werden, als daß ihnen die Freiheit der Heimkehr entzogen bleibt. Wenn früher die Geiseln sogar am Leben bedroht wurden, insofern der Vertrag nicht erfüllt ward, so wird das schon lange nicht mehr als Rechtsübung, sondern als widerrechtliche Barbarei ansehen. 427. Werden Geiseln genommen, nicht gegeben, so ist der Nehmer ver- pflichtet, auf seine Kosten für angemessenen Lebensunterhalt der Geiseln zu sorgen. Bluntschli , Das Völkerrecht. 16 Sechstes Buch. 428. Wird zur Verstärkung einer Vertragsverbindlichkeit ein öffentlich-recht- liches Unterpfand gegeben, indem dem berechtigten Stat die Besitznahme eines Platzes oder andern Gebietstheiles zur Sicherung eingeräumt wird, so dauert das Recht dieses Besitzes so lange fort, bis der Vertrag voll- zogen oder in anderer befriedigender Weise für den Vollzug gesorgt ist. Geht die Aussicht auf Vertragserfüllung gänzlich unter, so wird ange- nommen, die ursprünglich bloß pfandweise übertragene Gebietshoheit werde zu dauerndem und nun eigenem Rechte der Statsgewalt, welche das Gebiet thatsächlich besitzt. Nur von der öffentlich-rechtlichen Verpfändung der Gebiets- hoheit ist hier die Rede. Auch sie kam früher öfter vor, als heute; im Mittelalter freilich nach Analogie der privatrechtlichen Verpfändung des Grundeigenthums, in Form der Satzung und nicht selten zur Sicherung für Geldschulden des verpfän- denden Stats. Manche Gebietserweiterungen, besonders der Städtestaten des Mittel- alters sind so begründet und erreicht worden, daß denselben benachbarte Herrschaften verpfändet und nicht wieder gelöst wurden. Das heutige Recht unterscheidet schärfer zwischen der statlichen Verpfändung eines Gebiets und der privatrechtlichen Hypothek. Die Entstehungsform — dort Statenvertrag , hier Fertigung im Grund- buch —, der Inhalt — dort Besitz der Gebietshoheit , hier Sachenbesitz — und die Wirkungen — dort im Nothfall Aneignung , hier gerichtliche Versteigerung oder Zusprechung — sind verschieden. 429. Die gewaltsame Pfandnahme fremden Statsgebietes, zur Sicherung für völkerrechtliche Forderungen an den Stat, dem dieses Gebiet zugehört, ist nur unter denselben Voraussetzungen gestattet, unter denen der Krieg gerechtfertigt ist, es wäre denn, daß dem Pfand nehmenden State die Oberhoheit zustände über den bepfändeten Stat. Wenn sich der bepfändete Stat widersetzt, so ist der Krieg offenbar; wenn nicht, so kann die Pfandnahme immer noch als Selbsthülfe im Frieden betrachtet werden. Aber sie erscheint so sehr in Form der Gewalt über fremdes Gebiet, daß das Völkerrecht dieselbe nicht als regelmäßiges Executionsmittel billigen kann, sondern nur dann, wenn es auch die gewaltsame Selbsthülfe im Krieg zulassen müßte. 430. Die Erfüllung eines Vertrags kann auch im Ganzen oder in ein- Völkerrechtliche Verträge. zelnen Artikeln unter die Garantie (Gewährschaft) einer dritten Macht ge- stellt und dadurch gesichert werden. Dieser Garantievertrag ist ein accessorischer Nebenvertrag , durch welchen der Hauptvertrag verstärkt wird. Der Garant (Gewähre) erscheint als ein accessorischer Paciscent. Zur Entstehung dieses Garantievertrags genügt daher nicht nur die Willenserklärung des Garanten, sondern es ist auch die Zustimmung der Staten erforderlich, deren Vertrag gewährleistet werden soll. Diese Art der Garantie kann nicht aufgenöthigt werden, weil dadurch die Selbständigkeit des States gefährdet würde, über den die Garantie sich schützend erstreckt. 431. Wenn die Garantie eines dritten States nur zur Verstärkung des Hauptvertrags dient, so darf und soll der Garant nur dann einschreiten und seinerseits auf Vertragserfüllung dringen, wenn a ) der vorgesehene Fall des Bedürfnisses einer Hülfe eingetreten ist und b ) der Garant von der berechtigten Vertragspartei um Hülfe ange- rufen worden ist. Es sind das die Folgen des Grundcharakters dieses Garantievertrags als bloßen Nebenvertrags , verbunden mit dem allgemeinen völkerrechtlichen Inter- esse, gegen die Einmischung dritter Mächte und für die Selbsthülfe der betheiligten Hauptparteien . Der Garant darf daher nicht willkürlich interveniren, wenn kein Bedürfnißfall vorliegt, also keine widerrechtliche Zögerung oder Weigerung der Erfüllung vorhanden ist, aber er darf es auch noch nicht, wenn zwar ein äußerer Grund zum Einschreiten sich zeigt, aber die zunächst berechtigte Hauptpartei der Hülfe des Garanten nicht bedarf oder sie nicht will, sondern es vorzieht, sich selber zu helfen. 432. Nur wenn der Garantievertrag als selbständiger Vertrag zum Schutz einer allgemeinen völkerrechtlichen oder statsrechtlichen Anordnung abgeschlossen worden ist, sind die Garanten berechtigt, je nach Umständen auch von sich aus einzuschreiten, wenn ihr eigenes Interesse an jener Anordnung verletzt oder bedroht erscheint. Es sind offenbar zwei verschiedene Rechtsverhältnisse, welche unter dem einen Namen der Garantie zusammengefaßt werden: a ) der Nebenvertrag , durch wel- 16* Sechstes Buch. chen der dritte Garant einer Vertragspartei Hülfe verspricht (Bürgschafts- garantie), und b ) der Hauptvertrag , durch welchen eine Anzahl Mächte einen völkerrechtlichen Rechtszustand unter ihren selbständigen Schutz nehmen ( Garantiebeschluß ). Im ersten Fall erscheint die Pflicht und das Recht ab- hängig von dem Recht des States, zu dessen Gunsten die Garantie übernommen worden ist. Im zweiten Fall ist sie davon unabhängig, weil sie überhaupt nicht bloß oder nicht hauptsächlich für eine andere Hauptpartei, sondern wesentlich aus Gründen und Interessen der Garanten selber und von diesen in selbständiger Weise verabredet wird. Wenn z. B. ein Gesammtstat den Bestand und die Verfassung der Einzelstaten gewährleistet (garantirt), so ist unter Umständen eine Intervention des- selben gerechtfertigt, wenn gleich dieselbe nicht angerufen worden ist. Oder wenn die europäischen Mächte die Neutralität Belgiens aus Gründen des allge- meinen europäischen Interesses (Vertrag von 1839) oder die relative Selbständigkeit der Donaufürstenthümer (1856) garantirt haben, so wären die Garantiemächte unzweifelhaft zum Einschreiten gegen eine einzelne fremde Macht berechtigt, welche jene Neutralität oder diese Selbständigkeit ernstlich mißachtete, auch wenn sie von diesen bedrohten Ländern nicht um Hülfe angerufen würden. 433. Erstreckt sich die Garantie auf den Rechtsschutz der Unterthanen eines Stats, wie z. B. zur Erhaltung von besondern Stiftungen und Anstalten, oder im Interesse der ungehemmten Religionsübung oder bestimmter herge- brachter Freiheiten, so können auch diese betheiligten Privatpersonen die Hülfe der Garanten anrufen, aber nur, wenn zuvor ihre gerechten Be- schwerden oder Begehren bei der eigenen Statsgewalt in dem ordentlichen Rechtsverfahren angebracht, aber kein Rechtsschutz gewährt worden ist. So weit die regelmäßigen statsrechtlichen Mittel ausreichen, um die Rechtsansprüche der Statsangehörigen zu sichern, darf nicht die völkerrecht- liche Intervention der fremden Garantiemacht angerufen werden, theils weil Handhabung des Rechtsschutzes zunächst Sache des eigenen und nicht eines fremden States ist, theils weil jede Einmischung eines fremden Stats für die Selbständigkeit und Freiheit des eigenen States gefährlich ist, theils weil die Garantie des fremden States ihrem Wesen nach nur eine subsidiäre Rechtshülfe ist. Aber im Nothfall darf auch diese Hülfe von denen angerufen werden, zu deren Gunsten die- ses völkerrechtliche Hülfsmittel verabredet worden ist. Der Garant ist nicht verpflichtet, Hülfe zu leisten, so lange der Hülfe Be- gehrende der Hülfe nicht bedarf, und er bedarf ihrer nicht, so lange er im Stande ist, sich selber zu helfen. Völkerrechtliche Verträge. 434. Bei der Leistung der Hülfe darf der Garant nur völkerrechtlich er- laubte und nur verhältnißmäßige Mittel anwenden. Die Waffengewalt ist nur als äußerstes Mittel und nur dann zu rechtfertigen, wenn die friedlichen Mittel nicht ausreichen. 435. Keinenfalls darf der Garant mehr fordern, als die Hauptpartei ver- langt, deren Anspruch er nur unterstützt. Aber er darf und soll die For- derungen der Hauptpartei nur in dem beschränkten Maße unterstützen, in welchem er dieselben als berechtigt anerkennen muß. Niemand ist verpflichtet, mehr zu leisten, als er versprochen hat. Wenn da- her der Hülfe begehrende Stat übertriebene Ansprüche erhebt und unzeitgemäße Forderungen stellt, so kann dem Garanten nicht zugemuthet werden, dafür seine Kräfte anzustrengen. Die Auslegung freilich darf auch nicht in die Willkür des Garanten gegeben werden, sondern soll bona fide geschehen. 436. Wird der Garant von beiden Hauptparteien angerufen, so hat er seine Hülfe jeder Partei in so weit zu leisten, als er sich von ihrem Rechte überzeugt. 437. Wenn die garantirte Bestimmung widerrechtlich ist oder unausführ- bar erscheint, so ist der Garant auch nicht verbunden, seine Beihülfe zu ihrer Durchführung zu gewähren. Da die Vertragsverbindlichkeiten überhaupt nur innerhalb der völkerrecht- lich anerkannten und zu schützenden Rechtsordnung gelten, so ermäßigt sich auch die Hülfspflicht der Garanten. Fälle der Art sind: a ) die garantirte Bestimmung steht mit den Rechten eines dritten States, vielleicht aus einem älteren Vertrage, im Widerspruch, und dieser Stat widerspricht die Ausführung jener; b ) sie verletzt anerkannte Menschenrechte, z. B. der persönlichen Freiheit oder des freien Verkehrs; c ) sie läßt sich nicht mehr mit den Fortschritten des Völkerrechts vereinigen, Sechstes Buch. wie z. B. sie will den Schiffahrtsverkehr auf Strömen verhindern, welche dem Weltverkehr neu eröffnet worden sind; d ) die nothwendige Entwicklung und Wandlung der öffentlichen Rechts- und Statszustände läßt das Festhalten an der älteren Vertragsbestimmung als unnatürlich und nicht mehr zeitgemäß erscheinen. 438. Den Hauptparteien, in deren Interesse der Garantievertrag als blo- ßer Nebenvertrag abgeschlossen worden ist, steht es allezeit frei, die Garan- ten ihrer Währschaftspflicht zu entbinden und damit den Garantievertrag aufzulösen. Das gilt natürlich nicht von solchen Garantieverträgen, welche nicht als bloße untergeordnete Nebenverträge zur Verstärkung des Hauptvertrages eingegangen wor- den sind, sondern eine selbständige Bedeutung auch im Interesse des Garanten haben. Vgl. zu § 432. 439. Haben zwei oder mehrere Garanten einen Vertrag gewährleistet, so kann zunächst jeder derselben von den Betheiligten um Hülfe angerufen werden. Aber der angerufene Garant ist seinerseits berechtigt, bevor er einseitige Hülfe leistet, ein Einverständniß mit den übrigen Garanten zu versuchen. Sobald mehrere Garanten desselben Vertrags vorhanden sind, so besteht min- destens eine objective Verbindung derselben, insofern sie denselben statlichen Zweck durch ihre Beihülfe erreichen sollen, also im Ziel zusammentreffen und dem- nach auch in den Mitteln , mit denen das Ziel zu erreichen ist, einander ergän- zen und unterstützen. Deßhalb ist alle Zeit ein vorheriges Einverständniß zu ver- suchen, so weit die Umstände einen Aufschub erlauben. Die Verbindung kann aber auch von Anfang als persönliche Gemeinschaft der Garanten gewollt sein und dann darf nicht einseitige Hülfe gefordert werden, so lange die Möglichkeit der Gemein- hülfe offen bleibt. Vgl. darüber § 440. 440. Ist die Garantie zweier oder mehrerer Staten ausdrücklich als eine gemeinsame nicht als eine mehrfache Einzelgarantie verabredet worden (Collectivgarantie), so sind die garantirenden Staten zugleich um Beistand anzugehen oder zur Vertheidigung des garantirten Zustandes aufzurufen. Völkerrechtliche Verträge. Der Garantiefall ist gemeinsam von denselben zu prüfen und so weit es nöthig und thunlich erscheint, gemeinsame Hülfe oder Abhülfe zu gewähren. Können sich die Garanten nicht unter einander verständigen, so ist jeder Einzelne berechtigt und bona fide verpflichtet, nach seinem Ermessen dem Vertrag Folge zu geben. Die Collectivgarantie findet sich öfter, wenn ein völkerrechtlicher Zu- stand durch dieselbe geschützt werden soll, z. B. zum Schutz der Neutralisirung eines Gebiets (Garantiebeschluß) als zur Verstärkung einer andern Hauptverpflichtung (Bürgschaftsgarantie), es widerstreitet aber der bona fides , derselben nur eine moralische Bedeutung deßhalb beizulegen, weil es schwierig sei, die Einstimmigkeit zu erzielen, und jeder einzelne Garant, zufolge seiner Souveränetät, die Macht habe, durch seinen Widerspruch eine gemeinsame Action zu verhindern. So unsicher die völkerrechtlichen Verpflichtungen sind, so darf ihre rechtliche Verbindlichkeit doch nicht verkannt werden. Die Garanten, welche den garantirten Zustand, z. B. die angefochtene Neutralität von Belgien nicht wider den Angreifer vertheidigen, obwohl sie das sollen und können, erfüllen ihr Versprechen nicht und handeln inso- fern rechtswidrig . Insoweit ein gemeinsames Interesse der Collectiv- garantie zu Grunde liegt, haben auch alle Betheiligten ein Recht, die andern Theilnehmer zur Ausübung ihres Rechts und zur Erfüllung ihrer Pflicht zu mahnen. Vgl. die Erörterungen über den Garantiebeschluß der Londoner Conferenz von 1867 über die Neutralität des Großherzogthums Luxemburg . 441. Wenn ein Stat für die Verbindlichkeiten eines andern States als Bürge eintritt, so verpflichtet er sich, selber für den andern Stat die Lei- stung zu erfüllen, wenn dieser in der Erfüllung seiner Vertragspflicht sich säumig erweist. Der Garant ist von dem eigentlichen Bürgen zu unterscheiden. Jener verbindet sich, die verpflichtete Hauptpartei zur Erfüllung anzuhalten, beziehungsweise den Be- rechtigten in der Durchführung seiner Forderung zu unterstützen. Dieser dagegen ist verpflichtet, selber subsidiär oder unter Umständen sogar gleichzeitig neben dem Hauptverpflichteten anstatt desselben die Leistung zu erfüllen. Die Bürgschaft kann eine privatrechtliche sein, wenn sie sich auf Bezahlung einer Geldschuld bezieht, sie kann aber auch öffentlich-rechtlich sein, in dem sie sich auf einen öffentlich-recht- lichen Inhalt bezieht. Sechstes Buch. 4. Arten der völkerrechtlichen Verträge. 442. Als völkerrechtliche Verträge im eigentlichen Sinne gelten a ) voraus die sogenannten Statenverträge, d. h. die Verträge zwi- schen zwei oder mehreren Staten von öffentlich-rechtlichem Inhalt; b ) sodann die zwischen untergeordneten Aemtern oder Gliedern ver- schiedener Staten innerhalb ihrer Amts- oder Rechtssphäre ab- geschlossenen Verträge über öffentliche Verhältnisse. 1. In der ersten Classe erscheinen die Staten selber als handelnde Ver- tragspersonen, in der zweiten Classe untergeordnete Gewalten oder Körperschaften im State, aber mit statlicher Ermächtigung. Beiderlei Verträge haben einen öffent- lich-rechtlichen Inhalt . Es ist das selbst dann der Fall, wenn etwa ein Statenvertrag für die privatrechtlichen Verhältnisse der eigenen Landesangehörigen in fremdem Lande sorgt, denn er ordnet und schützt hier das Privatrecht mit stat- licher Autorität, ähnlich wie in der Landesgesetzgebung oder durch die ordentliche Rechtspflege. Dagegen sind Verträge von bloß privatrechtlichem Inhalt , wenn gleich von zwei Staten abgeschlossen, nicht völkerrechtlich, weil insofern die Staten nicht als Staten, sondern gleich Privatpersonen contrahiren. Von der Art sind z. B. Darlehns-, Kauf- und Miethverträge, wobei es ganz gleichgültig erscheint, ob Staten oder ob Privaten dieselben contrahiren. — Aus solchen privatrechtlichen Verträgen entsteht nur eine privatrechtliche Forderung oder Schuld, welche dem Fiscus , als dem personificirten Privatvermögen des States zugehört. Nur wenn ausnahmsweise solche Verträge unter den Schutz des Völkerrechts gestellt worden sind, so daß sie einen Bestandtheil wirklicher Statenverträge bilden, oder eine statliche Garantie erhalten haben, dann fallen sie insofern in das Gebiet des Völkerrechts. 2. Bloß partielle völkerrechtliche Verträge der zweiten Classe sind z. B. Verträge über Grenzregulirung, welche den Provinzialregierungen überlassen sind, gerichtliche Requisitionen, denen Folge gegeben wird, ohne die Intervention der höch- sten Statsautoritäten, provincielle Flußregulirung, Verträge mit einzelnen Truppen- commando’s über die Einquartierung, den Durchmarsch, die Ernährung der Trup- pen, Verträge zwischen Nachbargemeinden verschiedener Staten über Gemeindever- hältnisse u. dgl. 443. Als uneigentliche völkerrechtliche Verträge, weil nicht beiderseits durch Staten geschützt, gelten: Völkerrechtliche Verträge. a ) Verträge zwischen souveränen Personen oder Dynastien unter sich oder mit fremden Staten über persönliche oder dynastische An- sprüche auf Landesregierung oder Thronfolge; b ) Verträge des States mit fremden Privatpersonen über öffentliche Rechtsverhältnisse, wenn dieselben ausnahmsweise unter den Schutz des Völkerrechts gestellt sind; c ) Verträge des States mit der Kirche über stats- und kirchenrecht- liche Verhältnisse, insbesondere die Concordate der Staten mit dem päpstlichen Stuhl. 1. Zu a. Hieher gehören z. B. Verträge eines States mit einem ent- thronten fremden Fürsten über Wiedereinsetzung desselben in die Herrschaft, Verträge zum Schutz einer bestimmten Dynastie in dem Besitz des Throns, oder mit einem auf Herrschaft verzichtenden Fürsten , oder Erbverträge zwischen zwei Linien einer Dynastie oder zwei Dynastien, wenn dieselben verschie- denen Staten angehören. Ein dynastisches Hausgesetz oder eine dynastische Erbver- brüderung innerhalb desselben States hat nur eine statsrechtliche , keine völker- rechtliche Bedeutung. 2. Zu b. Z. B. Die Verträge der deutschen Staten mit der Familie Thurn und Taxis über das Postregal, so lange dieselben unter den Schutz des deutschen Bundes gestellt waren. Abgesehen von solchem Schutz, der über die Hoheit und Macht eines States hinaus wirkt, haben solche Verträge nur einen privatrecht- lichen , höchstens einen statsrechtlichen Charakter. 3. c. Die kirchlichen Concordate zwischen einzelnen Staten und dem römischen Papstthum als Haupt und Repräsentanten der römisch-katholischen Kirche sind keine völkerrechtlichen Verträge im eigentlichen Sinn, weil der Papst nicht als Landesfürst, sondern als Kirchenhaupt dieselben eingeht, also nur auf der einen Seite ein Stat Vertragsperson ist, auf der andern die Kirche. Aber die Ana- logie der völkerrechtlichen Verträge kommt insofern zur Anwendung, als zwei wesent- lich selbständige Mächte als öffentliche Personen mit einander über öffentlich-rechtliche Dinge sich vereinbaren. Der völkerrechtliche Schutz ist bei diesen Verträgen ein unvollständiger, weil wohl der contrahirende Stat die Macht hat, zum Schutz seines Rechts die völkerrechtlichen Mittel, nöthigenfalls die Gewalt, zu gebrauchen, die Kirche dagegen diese Mittel nicht besitzt und statt derselben andere der religiösen Autorität benutzen kann, welche nicht durch das Völkerrecht geordnet werden. Sie bilden demnach eine eigenthümliche Gattung für sich, auf welche die Grundsätze der völkerrechtlichen Verträge nur mit Vorsicht überzutragen sind. Zunächst sind auch diese Concordate als rechtsverbindlich zu betrachten, sowohl für den Stat als für die Kirche. Aber diese Verbindlichkeit bleibt beschränkt, mehr noch sogar als die Verbindlichkeit der eigentlichen Statenverträge, weil hier neben den politischen auch die religiösen Rücksichten in Betracht kommen. Von den Vertheidigern des kirchlichen Standpunktes wird hier der Kirche das Recht vindicirt, Sechstes Buch. jeder Zeit aus religiösen Gründen kraft ihrer Gewissenspflicht von früheren Verträgen sich loszusagen. Wenn das als ein selbstverständliches Recht der religiö- sen Lebensgemeinschaft behauptet wird, weil die religiöse Gewissenspflicht sich nicht durch äußere Rechtsformen dauernd binden läßt, so entspricht dem in derselben Weise ein einseitiges Rücktritts- und Kündigungsrecht des Stats aus politischen Gründen und kraft seiner Pflicht, für das Volkswohl zu sorgen. Muß der Stat der Kirche jene Freiheit gewähren, so kann die Kirche dem State nicht dieselbe Frei- heit versagen; und es ist nur auf beiden Seiten bona fides zu verlangen. Ins- besondere können Dinge wohl dauernd und fest rechtlich geordnet werden, welche der religiösen Betrachtung als indifferent, oder doch als nicht durch die religiösen Pflich- ten mit Nothwendigkeit bestimmt erscheinen, oder für die Existenz und Fortentwick- lung des Stats nicht verderblich sind. Aber immer erscheint um solcher Rücksichten willen die Rechtsverbindlichkeit solcher Concordate nur als eine einstweilige ge- meinsame Regulirung , welche zu wirken und zu binden aufhört, wenn eine der beiden Vertragspersonen kündigt. 444. Weder die ungleiche Macht und Stellung der paciscirenden Staten, noch die ungleiche Belastung eines States zum Vortheil des andern ist ein Hinderniß für die Gültigkeit der völkerrechtlichen Verträge. 1. Es können für’s erste gültige Statenverträge auch zwischen einer Schutz- macht und einem schutzbedürftigen State , zwischen einem oberherrlichen und einem Vasallenstate , zwischen einem Gesammt - und einem Einzel- state geschlossen werden. Es wird zu völkerrechtlichem Vertragsrecht nicht Gleichheit noch auch nur gleiche Unabhängigkeit der Staten vorausgesetzt. 2. Fürs zweite ist das Gleichgewicht der wechselseitigen Leistungen kein nothwendiges Erforderniß der Statenverträge. Es ist möglich, daß der mächtigere Stat schwerere Pflichten übernehme, als der schwächere, z. B. die militärische Schutz- pflicht. Bedenklicher freilich ist es, wenn einem kleinen State von dem großen schwere Leistungen zugemuthet werden, denen keine vertragsmäßige Gegenleistung entspricht. Indessen auch das foedus iniquum ist ein rechtsgültiger Vertrag . Es kann darin die Nothwendigkeit der Lage sich richtig darstellen. 445. Dem Gegenstande nach sind die völkerrechtlichen Verträge so mannig- faltig, als die Rechtsverhältnisse sind, in denen Staten mit Staten sich befinden können. Nur einzelne Anwendungen sind z. B. a) Grenzverträge , b) Verträge über Abtretung von Statsgebiet, c) Successionsverträge über die Regie- Völkerrechtliche Verträge. rungsfolge, d) Verträge über Statsdienstbarkeiten , e) Handelsverträge , f) Zollverträge , g) Verträge über Post-, Eisenbahn- und Telegraphen- wesen , h) Verträge über gemeinsame Statsinstitutionen , i) Verträge über die Freizügigkeit und das Paßwesen , über die Niederlassung , k) Auslieferungsverträge , l) Bündniß und Bundesverträge , m) Verträge während des Kriegs über Truppenaufnahme, Capitulatio- nen, Auswechslung von Gefangenen, Waffenruhe und Waffenstill- stand u. dgl., n) Friedensverträge . 5. Von den Allianzen insbesondere. 446. Als Allianz wird ein Statenvertrag bezeichnet, durch welchen ein Stat einem andern Stat für gemeinsame politische Zwecke seine Mitwirkung und seinen Beistand verspricht. Oft sind die Allianzen auf den Kriegszustand berechnet und dann ent- weder Defensivallianzen , insofern ausschließlich die Vertheidigung des gegen- wärtigen Rechts- oder Besitzstandes beabsichtigt wird, oder Offensivallianzen , wenn auch ein Angriffskrieg vorgesehen wird, oder beides zugleich, Defensiv- und Offensivallianzen, Bündnisse zu Schutz und Trutz . Eine Allianz kann sich aber auch auf politische Zwecke beziehn, die im Frieden zu erreichen sind, ohne Rücksicht auf einen Krieg. Von der Art sind politische Allianzen zu gemeinsamer Haltung und Einwirkung auf einem bevorstehenden Congreß oder auch ohne solchen in der diplomatischen Verhandlung und Richtung überhaupt. Immer aber hat die Friedensallianz eine gemeinsame Politik und nicht etwa bloß einzelne gemeinsame Einrichtungen oder Unternehmungen zum Zweck. In den letztern Fällen spricht man wohl von Verbindungen zweier Staten, aber nicht von Allianzen im eigent- lichen Sinne. Die sogenannte heilige Allianz von 1815 (oben § 101) ist ein Beispiel einer umfassenden Friedensallianz. 447. Die nothwendige Voraussetzung der kriegerischen Allianzen ist ein gerechter Krieg. Verträge zu gemeinsamem Kriegsangriff, ohne rechtmäßige Kriegsursache, sind völkerrechtswidrig und daher nicht verbindlich. Es be- Sechstes Buch. steht keine Pflicht für den Alliirten in einem offenbar ungerechten Kriege Hülfe zu leisten. 1. Die Defensivallianz wird abgeschlossen zur Vertheidigung entweder des bestehenden Rechts oder doch des Besitzstandes wider feindliche Gewalt. Es ist nicht erforderlich, daß dabei wenigstens einer der Alliirten als künftige Kriegspartei gedacht wird. Es kann auch eine bewaffnete Allianz der neutralen Staten ver- einbart werden, zur Behauptung der Neutralität während eines Krieges zwischen dritten Mächten und zum Schutz der Rechte der Neutralen. Von der Art war die bewaffnete Neutralität der nordischen Seemächte von 1780. 2. Aber auch die Offensivallianz darf wie der Krieg selbst nur völkerrecht- lich erlaubte Ziele anstreben. Sie hat die Verfolgung gerechter Ansprüche entweder im Sinne der bestehenden Rechtsordnung oder im Sinne der nothwen- digen Entwicklung zum Zweck. Würde sie abgeschlossen, lediglich um auf Er- oberung auszugehen oder um mit vereinter Gewalt andere Staten zu unterdrücken, so wäre sie völkerrechtswidrig. (Vgl. oben oben § 98, 412.) 3. Insofern ist die stillschweigende Voraussetzung ( clause tacite ) einer jeden Allianz auf den Kriegsfall, daß die kriegerische Hülfe völkerrechtlich erlaubt sei, d. h. daß die Partei, welche die Hülfe des Alliirten begehrt, berechtigt erscheine, entweder sich zu vertheidigen oder anzugreifen. Niemals ist der Alliirte schuldig, auch dann Hülfe zu leisten, wenn es ihm offenbar ist, daß der Hülfe fordernde Stat Unrecht verübt , sei es indem dieser rechtmäßige Forderungen zu erfüllen ohne Grund verweigert, sei es indem derselbe ohne Grund einen andern Stat mit Gewalt mit Krieg überzieht. In einem offenbar ungerechten Kriege die Hülfe verweigern, das heißt nicht die Allianz brechen, sondern die völkerrechtliche Pflicht üben . 448. Die Pflicht der Alliirten, Hülfe zu gewähren, wird ermäßigt und beschränkt durch die nähere Pflicht der nothwendigen Selbstvertheidigung. Der Alliirte muß nur Hülfe leisten, soweit er im Stande ist, über Hülfs- kräfte zu verfügen. Es ist das eine stillschweigende Voraussetzung der Allianzen. Einem Stat, welcher alle seine Kräfte zusammenhalten muß, um sein eigenes Gebiet gegen feind- lichen Angriff zu vertheidigen, kann man nicht zumuthen, daß er sich selber Preis gebe, um einem andern Stat Hülfe zu leisten. Die Existenz des eigenen States zu bewahren ist die erste und höchste Pflicht jeder Statsgewalt. Nur wenn es damit verträglich ist, dürfen die Statskräfte für einen befreundeten Stat eingesetzt werden. Wenn das eigene Haus brennt, so gebietet die Pflicht der Selbsterhaltung vorerst da und nicht bei dem Nachbar zu löschen. Es kann freilich dieser Satz mißbraucht und die Nothwendigkeit der Selbsthülfe als Vorwand benutzt Völkerrechtliche Verträge. werden, um sich der Pflicht zur Bundeshülfe zu entziehn. Das ist oft schon gesche- hen und wird wieder geschehn. Aber so tadelnswerth der Mißbrauch ist, so unent- behrlich und unbestreitbar ist jener Rechtssatz selber, wenn er bona fide verstanden und angewendet wird. Wenn militärische Gründe einer wirksamen Kriegsführung verlangen, daß die Truppen aller Bundesgenossen zusammengezogen und einstweilen das Gebiet eines States Preis gegeben werden, so widerstreitet diese Forderung nicht der obigen Regel, denn diese Maßregel gibt nicht der Bundeshülfe den Vorzug vor der Selbsthülfe, sondern schließt die Selbsthülfe in sich . Wenn die Bundes- genossen in Folge der Concentrirung aller ihrer Kräfte siegen, so wird auch jedem verbündeten State am sichersten geholfen und das vorübergehende Leiden feindlicher Besitznahme am sichersten geheilt. Im Uebrigen gilt das Ultra posse nemo tenetur ganz vorzüglich, wenn Verbindlichkeiten der Staten in Frage sind. 449. Bei der Auslegung und Anwendung der Allianzverträge ist beider- seits mit ehrlicher Treue, in gutem Glauben und aufrichtiger Freundschaft zu verfahren. 1. Diese moralischen Rücksichten dürfen überhaupt bei der Interpretation der Statenverträge nicht übersehen werden. Bei den Allianzen, die ein Freundschafts- verhältniß unter den Alliirten begründen, ist es im höchsten Grade nöthig, daß die- selben sorgfältig beachtet werden. Wird der Glaube und das Vertrauen der Alliirten auf aufrichtige Unterstützung zerstört, so ist die Allianz eine todte Form, aus der das Leben gewichen ist, und muß zerfallen. Die Frage, ob wirklich der vorgesehene Fall eingetreten sei, in welchem die Hülfe des Alliirten begehrt werden darf und ge- leistet werden muß (der sogenannte casus foederis ), kann selten anders als nach Erwägung aller Umstände durch freies Ermessen entschieden werden und dafür ist die bona fides unentbehrlich. Ebenso sind die Art, die Größe und die Dauer der Hülfe in den Verträgen nicht leicht zum voraus genau zu fixiren und muß man wieder mit bona fides das Bedürfniß und die verfügbaren Mittel bestimmen. 2. Auch die Frage, inwiefern es gegen den guten Glauben und die Treue ver- stoße, wenn ein Alliirter durch Unterhandlungen mit einem dritten State die Inter- essen des andern Alliirten gefährdet oder verletzt, läßt sich nicht durch eine formelle Rechtsregel ohne moralische Erwägungen richtig entscheiden. Die Treue der Al- liirten ist jedenfalls nur als wechselseitiges Recht und gegenseitige Pflicht aufrecht zu erhalten. Fünftes Buch. 6. Aufhören der Vertragsverbindsichkeit. 450. Die Vertragsverbindlichkeit hört von Rechts wegen auf a ) wenn die verabredete Leistung abschließen erfüllt ist, b ) insofern der Vertrag unter einer auflösenden Bedingung geschlos- sen worden ist, durch Eintritt der Bedingung, c ) insofern der Vertrag auf eine bestimmte Zeitfrist eingegangen worden ist, mit Ablauf dieser Zeitfrist. Diese Sätze ensprechen dem gewohnten Vertragsrecht, wie es auch in Privat- verhältnissen angewendet wird. 451. Ist ein Vertragsverhältniß zunächst nur auf eine bestimmte Zeit- dauer abgeschlossen, so wird auch ohne ausdrückliche Erklärung die einst- weilige Fortsetzung dieses Verhältnisses über jene Zeitgrenze hinaus ver- muthet, wenn thatsächlich demselben weitere Wirkung gegeben wird. Es ist das eine stillschweigende Vertragserneuerung , welche als Fortsetzung des alten Rechtsverhältnisses gilt. Sie wirkt aber nur unter der Voraus- setzung des beiderseitigen Einverständnisses und ist immerhin der freien Kündigung ausgesetzt. 452. Ueberdem wird das Vertragsverhältniß durch eine auflösende Willens- übereinkunft beendigt. Das Ende entspricht dem Anfang. Wie durch Willensübereinkunft ein Ver- tragsverhältniß geknüpft wird, so kann es durch eine solche auch wieder gelöst wer- den. Der mutuus dissensus ist die Negation des früheren mutuus con- sensus . Unter Umständen kann auch aus dem beiderseitigen thatsächlichen Ver- halten auf den Willen der Vertragspersonen geschlossen werden, auseinander zu gehen und den Vertrag aufzulösen. 453. Ebenso hört eine Vertragsverbindlichkeit auf, wenn der Berechtigte darauf Verzicht leistet. Völkerrechtliche Verträge. 454. Durch einseitige Kündigung einer Vertragspartei wird der Vertrag nur dann beendigt, wenn entweder das Recht freier Kündigung vorbehal- ten worden ist, oder wenn sich aus den Umständen ein Recht zur Kündi- gung ergibt. Die Natur des öffentlichen Rechts nöthigt dazu, in manchen Fällen ein Recht zur Kündigung anzunehmen, wo ein solches nicht vorbehalten worden ist. Bei den Statenverträgen ist die Wohlfahrt der langlebigen Völker betheiligt, und es darf nicht ein Geschlecht die folgenden Geschlechter für alle Zukunft binden. Wenn gleich die jeweiligen Repräsentanten eines States diesen selbst und auf die Dauer durch ihre Erklärungen verpflichten können, so muß man sich doch daran erinnern, daß dieses Repräsentativrecht kein absolutes ist, und daß die Repräsentanten von heute weder die Einsicht noch die Macht haben, die öffentlichen Zustände für die Ewigkeit zu ordnen. Ein Beispiel eines solchen selbstverständlichen Kündigungs- rechts siehe oben § 443, andere in den folgenden Artikeln. 455. Wenn eine Vertragspartei ihre Verbindlichkeiten nicht erfüllt, oder die Vertragstreue bricht, so ist die verletzte Partei zum Rücktritt von dem Vertrage berechtigt. In dem gewohnten Vertragsrechte der Privatverträge findet sich diese Regel nur ausnahmsweise. Die Nichterfüllung begründet dort zunächst eine Klage des Ver- letzten auf Erfüllung , aber nur in wenigen Vertragsacten den freien Rück- tritt oder die Kündigung desselben. Aber im Völkerrecht muß jene Regel an- erkannt werden, schon weil es da an einem Richter fehlt, welcher den säumigen Theil zur Erfüllung nöthigt, und die Selbsthülfe durch Krieg in allen Fällen bedenklich, in vielen unthunlich und unwirksam ist. 456. Wenn die thatsächlichen Zustände, welche die ausdrückliche oder still- schweigende Voraussetzung und Grundlage der übernommenen Vertrags- pflicht gewesen sind, sich im Laufe der Zeit in dem Maße ändern, daß die Erfüllung der Vertragsverbindlichkeit unnatürlich oder sinnlos geworden ist, so erlischt solche Verbindlichkeit. Zu weit gehen einzelne Völkerrechtslehrer, wenn sie behaupten, daß die Clau- sel: „rebus sic stantibus“ stillschweigend allen Verträgen der Staten beigefügt Sechstes Buch. sei, und daß demgemäß „rebus mutatis“ die Gebundenheit aufhöre. So weit gefaßt würde der Satz alles Vertragsrecht ganz unsicher machen, da alle öffentlichen Zustände sich fort und fort mit der Zeit ändern. Aber auch das entgegengesetzte Extrem ist zu verwerfen, wornach die Vertragspflicht unverändert fortdauert , wie immer inzwischen die Zustände sich ändern. Nicht jede Aenderung der Zustände wirkt auf die Fortwirkung des Vertrags ändernd ein, aber gewisse Aenderungen müssen auch für diese Folgen haben. Dahin ist voraus der Fall zu rechnen, wenn ein bestimmter öffentlicher Zustand die Voraussetzung und Grundlage eines Vertrages war, und nun so erhebliche Aenderungen erfährt, daß er nicht mehr als Grundlage des spätern Rechtsverhältnisses betrachtet werden kann, dann stürzt mit der Basis des Vertrags auch dessen Wirksamkeit zusammen. Z. B. Ein Vertrag, welcher die katholische oder protestantische Confession der Bevöl- kerung voraussetzt, verliert seine Kraft, wenn die Bevölkerung zu einer andern Con- fession übergeht. Ober ein Vertrag, welcher die republikanische oder monarchische Verfassung eines Landes als Grundlage seiner Bestimmungen voraussetzt, wird un- wirksam, wenn das Land diese Verfassungsform mit einer andern entgegengesetzten vertauscht. 457. Ebenso verlieren die Vertragsverbindlichkeiten ihre bindende Kraft, wenn dieselben mit der Entwicklung des anerkannten Menschen- und Völ- kerrechts in Widerstreit gerathen sind. Vertragsbestimmungen, welche zur Zeit des Vertragsabschlusses als erlaubt und rechtmäßig galten, z. B. der Ausbreitung der Sclaverei oder der Behinderung der freien Schiffahrt, oder über Kaperschiffe können unrechtmäßig werden, wenn im Verlauf der Zeit humanere und freiere Rechtsgrundsätze zu allgemeiner Anerkennung in der civilisirten Welt gelangen. 458. Ferner können Verträge, deren Bestimmungen mit der als noth- wendig erkannten Fortbildung der Verfassung eines States oder mit der nothwendigen Wandlung des Privatrechts unverträglich geworden sind, von diesem State gekündigt werden. Das Vertragsrecht darf nicht zum bleibenden Hinderniß werden der Entwicklung der Statsverfassung und Rechtsordnung eines Volkes. Um sein Leben zu bewahren und seine nothwendige Entwicklung zu sichern, muß der Stat sich von Beziehungen zu andern Staten lösen können, welche er unter ganz andern Rechts- grundlagen eingegangen ist. Das bestreiten, würde heißen, das Wesen der Form opfern und die Vertragstreue bis zum Selbstmord treiben, was der Natur und der Völkerrechtliche Verträge. Bestimmung der ganzen öffentlichen Rechtsordnung widerspricht. So weit dürfen sich die folgenden Geschlechter von den frühern nicht binden lassen, und so weit können diese auch nicht vernünftiger Weise jene binden wollen. Preußisches Manifest vom 9. October 1806: „ Vor allen Tractaten haben die Nationen ihre Rechte “. 459. Ist die Erfüllung einer Vertragsverbindlichkeit dauernd unmöglich oder unausführbar geworden, so wird der Verpflichtete von derselben frei. Das „ultra posse nemo tenetur“ kommt dem State hier zu Gute und zwar nicht bloß dann, wenn die Erfüllung absolut unmöglich geworden ist, sondern auch dann, wenn ihre Erfüllung einen unverhältnißmäßigen Kraft- verbrauch erfordern sollte, oder an rechtlichen Hindernissen scheitern müßte. Vgl. oben § 411 f. 460. Der verpflichtete Stat kann angehalten werden, auch eine ihm lästige und nachtheilige Verbindlichkeit zu erfüllen, aber niemals darf ihm zuge- muthet werden, daß er seine Existenz oder seine nothwendige Entwicklung der Vertragstreue zum Opfer bringe. Würde die bindende Kraft der Verträge nur für vortheilhafte, nicht auch für lästige und nachtheilige Bestimmungen anerkannt, so würde alles Vertragsrecht über- haupt schwankend und unsicher. Aber die Last muß erträglich sein und die Nach- theile dürfen nicht bis zum Verderben des States selber gesteigert werden. Die Ver- bindlichkeit der Verträge hat ihre Grenzen. Das gewillkürte Recht ist immer nur secundär, es setzt das nothwendige und ursprüngliche Recht des Lebens voraus und darf daher nicht das Leben des States selber zerstören. Es kann nur gelten, soweit es mit dem Leben sich vereinbaren läßt. Da alles Recht nur als Ordnung und Bedingung des Gesammtlebens Werth und Sinn hat, so gibt es kein Recht, das Gesammtleben zu verderben. Deßhalb sind statsver- derbliche Verträge nicht verbindlich und es hört ihre Wirksamkeit in dem Augenblick auf, in welchem diese Verderblichkeit offenbar geworden ist . 461. Die Gültigkeit der Verträge ist nicht an die Fortdauer des Friedens- standes gebunden und hört nicht von Rechts wegen auf, wenn es unter den Vertragsparteien zum Kriege kommt. Bluntschli , Das Völkerrecht. 17 Sechstes Buch. Die früher oft vertheidigte Meinung, daß der Krieg alle Verträge aufhebe zwischen den Kriegsparteien, beruhte auf der willkürlichen und unrichtigen Voraus- setzung, daß die Rechtsordnung überhaupt nur im Frieden gelte, und im Krieg der angebliche Naturzustand der Rechtlosigkeit eintrete. Das Recht wirkt aber auch im Kriege fort und daher gibt es keinen Rechtsgrund, aus welchem die Kraft der Verträge von selber mit dem Krieg erlösche. Die Ausführbarkeit der Verträge wird durch den Krieg großentheils unterbrochen und gehemmt und einzelne Verträge gehen im Kriege unter, wenn ihre Grundlagen durch den Krieg zerstört werden; aber nicht die Verträge überhaupt . Davon wird spä- ter in Buch VIII. die Rede sein. Siebentes Buch. Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. 1. Im Allgemeinen. 462. Wenn ein Stat seine völkerrechtliche Verbindlichkeit gegen einen an- dern Stat lediglich nicht erfüllt, so hat der berechtigte Stat die Wahl, ent- weder die Erfüllung, beziehungsweise Schadensersatz wegen Nichterfüllung zu verlangen, oder von dem Vertragsverhältniß zurückzutreten, dessen Be- stimmungen nicht erfüllt worden sind. Auch im Völkerrechte bewährt sich die Macht der Rechtsordnung dadurch, daß aus der Verletzung derselben neues Recht entspricht. Das verübte Unrecht wird zum Recht des Verletzten , je nach Umständen von dem Verletzer Wieder- herstellung, Entschädigung, Genugthuung oder Strafe zu verlangen. Wenn das Unrecht nur in der Nichterfüllung einer übernommenen Verbindlichkeit besteht, ohne Beleidigung und ohne Friedensbruch, so ist das dem Civilunrecht vergleichbar, welches die verletzte Privatperson zur Civilklage berechtigt, womit sie Wiederherstellung des Rechtszustandes (z. B. Herausgabe der Sache, Bezahlung der Schuld oder Schadenersatz) begehrt. Auch das Völkerrecht begnügt sich in diesen Fällen nur mit der Beseitigung des Unrechts und der Herstellung des Rechts . Die Alternative zwischen der Erfüllungs- oder Ersatzforderung auf der einen und dem Rücktritt von dem Vertragsverhältniß auf der andern Seite ist durch die Schwierigkeit erklärt, jene erste Forderung durchzusetzen. Vgl. oben § 455. 17* Siebentes Buch. 463. Wird die Ehre eines andern Stats verletzt oder seine Würde miß- achtet, so ist der beleidigte oder gekränkte Stat berechtigt, entsprechende Genugthuung zu fordern. Es unterscheidet sich diese Art der Rechtsverletzung von der vorhergehenden durch den idealen Charakter des gekränkten Rechts und durch die tiefere Empfin- dung des beleidigten Statsbewußtseins . Die Genugthuung geht da- her auch einen Schritt über die bloße Wiederherstellung hinaus. Sie kann nach Umständen in der Bestrafung derjenigen Personen bestehen, welche jene Belei- digung begangen und die Würde des verletzten States mißachtet haben. Die Genug- thuung kann nicht bloß gewährt , sie kann unter Umständen auch genommen werden. Die Art derselben wird oft durch die Sitte bestimmt. Unsittliches darf man nicht verlangen. 464. Besteht die Verletzung in dem thatsächlichen Eingriff in das Rechts- gebiet (Rechtsbruch) oder in widerrechtlicher Besitzstörung eines andern States, so ist der verletzte Stat berechtigt, nicht bloß Aufhebung des Un- rechts und Wiederherstellung des gestörten Rechts- oder Besitzstandes bezie- hungsweise Schadensersatz zu begehren, sondern überdem Genugthuung und Sühne und je nach Umständen weitere Garantien gegen Erneuerung des Rechtsbruchs zu fordern. Der Rechtsbruch ist eine schwerere Verletzung, als die bloße Nichterfüllung und daher eher dem strafbaren Unrecht der Privatpersonen zu vergleichen. Da es aber im Völkerrechte keine eigentliche Strafgerichtsbarkeit gibt, sondern die Selbsthülfe des Völkerrechts noch auf derselben Stufe sich befindet, wie die alte Rache der in ihrem Frieden verletzten Barbaren, so muß die Bestimmung der Sühne großen- theils dem Ermessen des verletzten States und den Verhandlungen mit dem Ver- letzer überlassen werden. 465. Wird der Rechtsbruch bis zu gewaltsamem Friedensbruch gesteigert, so wird auch das Recht des verletzten States auf Züchtigung des Friede- brechers erweitert. Zwischen Rechtsbruch und Friedensbruch besteht ein ähnlicher Unter- schied, wie zwischen Vergehen und Verbrechen im Strafrecht, der schwer zu definiren Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. ist und doch überall hervortritt und sich bemerkbar macht, ein Unterschied eher des Grades, als der Art. Der gewaltsame Friedensbruch ist um seiner Form willen gefährlicher als anderer Rechtsbruch und verlangt daher auch eine energischere Gegen- wirkung. Der Satz des Strafrechts, daß ideale Personen (Körperschaften, universi- tates ) nicht gestraft werden können, findet im Völkerrecht keine Anerkennung. Ein Stat, der einen Friedensbruch verübt, kann dadurch seine Existenz in Gefahr bringen und durch den Krieg, den er hervorruft, verschlungen werden. Das aber ist die Strafe des Völkergerichts , das in der Weltgeschichte seine Macht kund gibt. 466. Wird die Verletzung ohne Ermächtigung oder Auftrag der Stats- gewalt von Statsbeamten oder Privatpersonen verübt, so kann der verletzte Stat nur fordern, daß der Stat, dem diese Personen angehören, sie dafür zur Rechenschaft ziehe, und für Abstellung des Unrechts, beziehungsweise Bestrafung der Schuldigen sorge. Es wäre offenbar ungerecht, die Missethat des Einzelnen , welche der Stat weder veranlaßt noch erlaubt, dem nichtschuldigen State als Schuld anzurechnen. Aber dieser Stat ist doch verpflichtet, insofern für seine Angehörigen einzustehen, als er zu sorgen hat, daß die völkerrechtlichen Beziehungen zu andern Staten nicht durch seine Angehörigen mißachtet und verletzt werden. Er darf das Unrecht auch nicht durch sein Nichtsthun schützen und begünstigen. Jede Conni- venz , welche er in dieser Hinsicht übt, wird ihm selber zum Vorwurf und macht ihn verantwortlich. Das Alterthum ging darin weiter als das heutige Völkerrecht, daß jenes die Forderung der Auslieferung schuldiger Personen an den verletzten Stat gut hieß, damit dieser dieselben bestrafe, während dieses keine solche Pflicht der Auslieferung mehr anerkennt. Wohl aber kann auch heute noch ein Stat sich von aller weiteren Verantwortlichkeit für die Vergehen seiner Angehörigen dadurch ent- lasten, daß er die Schuldigen freiwillig dem verletzten State zur Bestrafung übergibt. 467. Wenn sich die Rechtspflege eines States unzureichend erweist, um andere Staten gegen Verletzungen des Völkerrechts wirksam zu schützen, so wird der Stat selber dem verletzten State verantwortlich. Die Bestrafung eines Vergehens oder Verbrechens geschieht im einzelnen Fall nach Vorschrift der im Lande geltenden Strafgesetzgebung und Straf- proceßordnung . Die repräsentative Statsgewalt darf sich in der Regel in die Verwaltung der Strafrechtspflege nicht einmischen. Daher wird, wenn nicht für Siebentes Buch. völkerrechtliche Vergehen ein anderes Verfahren vorgeschrieben ist, der ordentlichen Strafjustiz auch in solchen Fällen die Beurtheilung überlassen werden müssen. Der verletzte Stat ist zunächst nicht berechtigt, eine Abweichung von dem ordentlichen Gang der Rechtspflege zu fordern und er muß sich’s gefallen lassen, wenn der An- geklagte freigesprochen oder in eine geringere Strafe verurtheilt wird, als er für gerecht hält. Dabei werden aber zwei Dinge immer vorausgesetzt: 1) daß das Landesrecht in Harmonie sei mit dem Völkerrecht und auch den völkerrechtlichen Rechts- und Friedensbruch, wenn er von Privaten verübt wird, mit Strafe bedrohe. Würde die Strafgesetzgebung des Landes nicht dafür sor- gen, d. h. das Völkerrecht nicht anerkennen und nicht beachten, so wäre das unzwei- felhaft dem State zum Vorwurf zu machen, für welchen das Völkerrecht verbind- lich ist, und die andern Staten wären in ihrem vollen Recht, wenn sie die Ergän- zung und Verbesserung der Landesgesetzgebung forderten. 2) Der Stat ist auch dafür verantwortlich, daß die Strafrechtspflege, soweit sie zum Schutz des Völkerrechts dient, bona fide gehandhabt werde. Die bloß formelle Berufung auf ein rechtskräftiges Urtheil sichert zwar immer den frei- gesprochenen oder milde bestraften Angeschuldigten vor weiterer Strafe, aber nicht immer auch den Stat vor jeder weiteren Forderung. Sollte sich zeigen, daß die Richter oder Geschwornen ihre Pflicht, das Völkerrecht zu schützen, nicht geübt, son- dern vielleicht ihren Landsmann oder die politische Partei in ungehöriger Weise begünstigt haben, so ist das statliche Connivenz ; denn die Verwaltung der Rechtspflege ist eine statliche Function, für welche der Stat selber völkerrechtlich ein- zustehen hat. Keine Rechtspflege üben oder sie schlecht üben, das ist beides Miß- achtung der völkerrechtlichen Pflicht, welche die Staten verbindet. Dafür wird wieder der Stat verantwortlich gemacht . Eben deßhalb erfordert die Rechtspflege bei völkerrechtlichen Beschwerden eine ganz besondere Sorgfalt und Gewissenhaftigkeit und ist es ganz zweckmäßig, entweder durch die Gerichtsorganisation selber dafür zu sorgen, daß nur solche Behörden urtheilen, für deren Kenntniß des Völker- rechts und für deren redlichen Willen, dasselbe zu beachten, besondere Garan- tien vorhanden sind, oder doch die ordentlichen Gerichte auf diese schwere Pflicht- übung und die eigenthümliche Gefahr der statlichen Verantwortlichkeit besonders auf- merksam zu machen, beziehungsweise sie anzuweisen, sich mit der Repräsentativ- gewalt des States ins Einvernehmen zu setzen. 468. Eine völkerrechtliche Verletzung kann auch dadurch verübt werden, daß zwar nicht ein anderer Stat unmittelbar in seinem Rechte gekränkt, sondern dessen Angehörige oder Schutzbefohlene völkerrechtswidrig behandelt werden. Vgl. oben § 380. Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. 469. Art und Maß der Entschädigung, der Genugthuung, der Sühne richten sich nach der Art und dem Umfang der Verletzung. Je größer die Schuld, um so schwerer ihre Folgen. Zwischen beiden ist der Grundsatz der Verhältnißmäßigkeit zu beachten. Uebertriebene Forderungen sind widerrechtlich. Im Privat- und Strafrecht werden die Folgen des Unrechts zum voraus gesetzlich geregelt . Im Völkerrecht fehlt es daran. Vielmehr ist das Einzelne dem Einverständniß oder dem Kampf der Parteien überlassen, die keinen Richter über sich haben. Man kann daher nur den allgemeinen Grundsatz der Verhält- nißmäßigkeit aussprechen, welcher dem natürlichen Rechtsbewußtsein als noth- wendig erscheint. Bei Entschädigungsforderungen ist das selbstverständlich und doch haben auch da einzelne mächtige Staten zuweilen unverhältnißmäßige Summen ge- fordert und die Forderung durchgesetzt. Schwieriger ist es, bei politischen Verlangen das richtige Maß zu bestimmen. Insbesondere steigern sich im Krieg die Ansprüche so sehr, daß der ursprüngliche Streitgegenstand nicht mehr als maß- gebend zu betrachten ist. Vgl. unten Buch VIII. 470. Wenn für Ehrenkränkungen und Verletzungen der Statswürde Ge- nugthuung gefordert wird, so darf doch dem dafür verantwortlichen State keine mit der Fortdauer und Würde eines selbständigen States unverträg- liche Demüthigung zugemuthet werden. Je feiner das ausgebildete Ehrgefühl der civilisirten Welt ist, um so sorg- fältiger ist diese Regel zu beachten. Im Verhältniß der starken Staten wird dieselbe schon aus Klugheit eher beachtet; schwachen Staten wird leichter Ungebührliches auf- genöthigt. Indessen kann ein Stat, der die personificirte Rechtsordnung und Ehre eines Volkes ist, eine offenbare Schmach nicht ertragen, ohne in seiner Existenz gefährdet zu werden. Daher muß das Völkerrecht, welches für den gesicher- ten Fortbestand der Staten sorgt, eine derartige Demüthigung eines Stats unter- sagen. Verdient ein Stat nicht mehr als eine ehrenhafte Person behandelt zu wer- den, so ist es besser, ihm überhaupt nicht mehr eine statliche Selbständigkeit zuzu- gestehn. 471. Wenn die Verletzung des Völkerrechts gemeingefährlich ist, so ist nicht allein der verletzte Stat, sondern es sind die übrigen Staten, welche Siebentes Buch. das Völkerrecht zu schützen die Macht haben, veranlaßt, dagegen zu wirken und für Herstellung und Sicherung der Rechtsordnung einzustehn. Gemeingefährliche Verletzungen bedrohen die allgemeine Weltordnung und regen in Folge dessen alle Staten auf. Wie im Strafrecht die Popularklage die Klage des Verletzten ergänzt und ersetzt hat, so hat aus einem ähnlichen Bedürf- niß, den Weltfrieden und die Weltordnung besser zu sichern, das Völkerrecht diese erweiterte Rechtshülfe gebilligt. Zunächst sind alle Staten in gleicher Weise berechtigt, aber man kann doch eine wirksame Hülfe nur von den Staten erwarten, deren Macht zu activer Politik ausreicht, in der Regel also nur von den Groß- mächten . Wenn in Europa eine Zeit lang die sogenannte Pentarchie der fünf europäischen Großmächte sich vorzugsweise als Protectorat des Völkerrechts gerirt hat, so findet das in dieser Rücksicht eine relative Begründung. 472. Von der Art sind insbesondere: a ) die Seeräuberei (Piraterie) (§ 343 f.), b ) die Beraubung und Rechtloserklärung der Fremden überhaupt (§ 381 f.), c ) die Zerstörung der Weltverkehrswege (§ 307), d ) die Anmaßung einer ausschließlichen Meeresherrschaft (§ 100. 305), e ) die drohende Universalherrschaft Eines States über die andern Staten und die Störung des allgemeinen Gleichgewichts (§ 98. 99. 412), f ) der Bruch des Gesantenrechts (§ 191 f.), g ) der gewaltsame Ueberfall fremder Statsgebiete ohne Kriegsursache (§ 481), h ) die Unterdrückung fremder und selbständiger Völker durch rohe Uebermacht (§ 81. 412), i ) die Einführung der Sclaverei (§ 361 f.), k ) die offenbare und grausame Tyrannei wider Andersgläubige (§ 411). Ueberhaupt kann jeder schwere und unzweifelhafte Bruch und offen- bare Verhöhnung des Völkerrechts das Einschreiten auch der übrigen nicht unmittelbar betroffenen Staten veranlassen und rechtfertigen. 473. Die übrigen Staten können in solchen Fällen ihre diplomatische Ver- Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. wendung eintreten lassen und auf Beseitigung des Unrechts dringen und sie können nöthigenfalls sich verbünden und mit gemeinsamer Macht vor- gehen, um dem anerkannten Völker- und Menschenrecht Achtung und Gel- tung zu verschaffen. In manchen Fällen schon hat die Verwendung des diplomatischen Körpers ausgereicht, um eine Verletzung des Völkerrechts zu beseitigen. Zuweilen half die Intercession einer Macht. Aber zuweilen sind auch ernstere Maßregeln nöthig, wie die gemeinsamen Maßregeln, um die Seeräuberei zu bestrafen und zu verhindern, die Sclavenzufuhr zu hemmen, die Rechte der neutralen Staten zu be- haupten, unmenschliche Grausamkeiten zu zügeln. Wiederholt haben die europäischen Mächte in der Türkei intervenirt zum Schutz vorzüglich der christlichen Bevölkerung. 2. Bruch der inneren Statsordnung. Intervention. 474. Die fremden Staten werden durch das Völkerrecht in der Regel nicht ermächtigt, in die Verfassungsstreitigkeiten eines unabhängigen States sich einzumischen und gegen Statsumwälzungen zu interveniren. 1. Der Schutz der Verfassung eines States und seiner inneren Rechtsordnung ist eine innere Angelegenheit dieses States und nicht Aufgabe des Völkerrechts. Der Sturz einer Regierung, die Entthronung eines Fürsten, die Erhebung eines Usurpators, die Mißachtung verfassungsmäßiger Volksrechte ist ein Bruch des beste- henden Statsrechts , aber an sich nicht eine Verletzung des Völkerrechts , d. h. der Beziehungen eines States zu andern Staten. Deßhalb ist auch in der Regel die Intervention fremder Staten in derartige Verfassungskämpfe und Umge- staltungen ein ungerechtfertigter Eingriff in die statliche Selbständigkeit und eine Gefährdung des allgemeinen Friedens und von dem Völkerrecht gemißbilligt. Die bloße Verwandtschaft der Dynastien oder die Gleichartigkeit der Interessen und Stimmungen rechtfertigt diesen Eingriff in ein fremdes Rechtsgebiet ebensowenig, als die politische Antipathie gegen die Partei, welche durch die Umwälzung zur Herrschaft kommt. Die Solidarität der Interessen muß sich innerhalb des Völkerrechts bewegen, sie darf nicht die völkerrechtliche Selbständigkeit der Staten angreifen und verletzen. (Vgl. oben § 39 f.) 2. Die Praxis der europäischen Staten ist freilich noch nicht in voller Ueberein- stimmung mit diesen natürlichen Rechtsgrundsätzen. Man hat seit hundert Jahren Siebentes Buch. sehr oft dagegen gefehlt. Indessen gerade die Geschichte der zahlreichen Interventionen, welche im Widerspruch mit dem von Zeit zu Zeit dennoch anerkannten Princip voll- zogen worden sind, ist geeignet, dessen Richtigkeit ins Licht zu stellen. Die Folgen dieser Interventionen waren freilich sehr verschieden. Wenn die Intervention, wie im Jahr 1791 der Alliirten gegen die Revolution in Frankreich auf einen Wider- stand stieß, den sie nicht zu bewältigen vermochte, so wurden die Leidenschaften der siegreichen Partei durch dieselbe nicht gebändigt, sondern nur heftiger gereizt. In den meisten Fällen aber siegte die überlegene Macht der intervenirenden Staten und richtete die öffentlichen Zustände so ein, wie die Sieger es für zweckmäßig erachteten. In den Zeiten der französischen Republik wurden so um Frankreich her durch In- terventionen Republiken geschaffen, in der Periode des ersten Napoleonischen Kaiser- thums Napoleonische Vasallenstaten. Die Interventionen der absoluten Mächte Oesterreichs in den Italienischen Staten, Frankreichs in Spanien stellten die absolute Monarchie her und beseitigten die constitutionellen Schranken. Was hat all diese gewaltsame Einmischung aber schließlich erreicht? War der Stat zu schwach, um sich dieser fremden Einwirkung wieder zu entziehen, so wurde er nach und nach das Opfer der Interventionen und verlor zuletzt seine ganze Selbständigkeit. Der Unter- gang Polens ist ein furchtbares Beispiel einer solchen Zerreißung und Tödtung eines Stats. War das Volk, das sich vorübergehend vor der Uebermacht beugen mußte, lebenskräftig, so entzog es sich, sobald jener Druck aufhörte, wieder dieser äußern Beherrschung. Die Directorialrepubliken nach französischem Muster hörten auf, solche Republiken zu sein, als das französische Directorium gestürzt ward, die Na- poleonischen Vasallenstaten erhielten sich nicht in dieser Gestalt, als der Kaiser Napoleon der europäischen Coalition erlag. Die absoluten Monarchien in Italien und Spanien wurden durch eine erneuerte Constitution beschränkt, als die absoluten Ostmächte außer Stande waren, ihnen zu Hülfe zu kommen. Nicht einmal die europäische Wiedereinsetzung der Bourbonen in Frankreich und die in völkerrechtlicher Form beschlossene Ausschließung der Napoleoniden von dem französischen Throne hatte Bestand. Die Freiheit der Völker, sich selber die Form ihrer Ver- fassung zu geben , konnte durch diese Interventionen eine Zeit lang gehemmt , aber nicht auf die Dauer gebunden werden. Die natürliche Entwicklung wurde vorübergehend gestört und verschoben, aber sie machte sich überall wieder gel- tend, sobald der künstliche Druck nachließ, und so mußte es sein, weil die natür- liche Entwicklung das große Gesetz des Statenlebens wie des Einzellebens ist. 3. Auf den Congressen von Laibach 1821 und Verona 1822 wurde geradezu das Princip der Intervention im Interesse der legitimen Fürsten- gewalt als ein neues Princip der europäischen Weltordnung proclamirt. So in der Circularnote des Fürsten Metternich , Laibach 12. Mai 1821: „Les changemens utiles ou nécessaires dans ia législation et dans l’administration des États ne doivent émaner que de la volonté libre, de l’impulsion réfléchie et éclairée de ceux que Dieu a rendus responsables du pouvoir. Tout ce qui sort de cette ligne, conduit nécessairement au désordre, aux boulever- semens, à des maux bien plus insupportables que ceux quel’on prétend guérir. Pénétré de cette vérité éternelle les Souverains n’ont pas hérité Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. à la proclamer avec franchise et vigueur, ils ont déclaré qu’en respectant les droits et l’indépendance de tout pouvoir légitime, ils regardaient comme légalement nulle et désavouée par les principes qui constituent le droit public de l’Europe, toutes prétendue réforme opérée par la revolte et la force ouverte. Ils out agi, en conséquence de cette déclaration, dans les évènemens de Naples, dans ceux du Piémont.“ Nur England protestirte da- mals öffentlich gegen diese ungeheuerliche Theorie und Praxis, welche die Sicherheit aller Staten und die Freiheit aller Völker bedrohe. Als die absolutistischen Mächte den Versuch machten, dasselbe Princip auch nach Amerika überzupflanzen und die Spanischen Colonien mit Gewalt in dem Gehorsam gegen die europäischen Dynastien festzuhalten, trat England durch seine Anerkennung der südamerikanischen Republiken dieser Politik entschlossen entgegen und schützte in Gemeinschaft mit der von den Vereinigten Staten proclamirten Monroedoctrin die Regel der Nichtinter- vention . 4. Aber auch die europäischen Ostmächte wurden bald inne, daß der vermeintliche neue Grundsatz der legitimen Intervention auch in Europa nicht durchzuführen sei. Vergeblich drang Oesterreich auf Intervention gegen die aufständischen Hellenen zu Gunsten der legitimen Herrschaft der hohen Pforte. Rußland fand es nicht mehr in seinem politischen Interesse, den Don Quixotte der Legitimität zu spielen. Als dann in Frankreich 1830 der legitime König Karl X. durch eine Revolution vertrieben wurde, da wagten es die Ostmächte nicht mehr, ihr Interventionsprincip anzuwen- den. Sie traten nicht einmal der entgegengesetzten Intervention Frankreichs ent- gegen, welches die belgische Revolution gegen die legitime Gewalt des Königs der Niederlande in Schutz nahm. Von da an war das Princip als ein europäisches aufgegeben und die spätern Interventionen in Italien, bald von Oesterreich bald von Frankreich vollzogen, wurden nicht mehr aus einem allgemeinen In- terventionsrecht abgeleitet, sondern nur mit concreten Ursachenbegründet . Die Nichtintervention wurde allmählich als die Regel anerkannt. Die Thron- rede der Königin von England vom 5. Febr. 1861 spricht bezüglich Italiens das richtige Princip aus: „Da ich glaube, daß man den Italienern die Ordnung ihrer eigenen Angelegenheiten überlassen sollte, so habe ich es nicht für Recht gehal- ten, in jene Dinge thätig einzugreifen“. Wie Recht die englische Regierung hatte, die französische vor der Intervention in Mexico zu warnen (1861), hat der tragische Ausgang des importirten neuen Kaiserthums in Mexico (1867) gezeigt. 475. Wenn ein Stat freiwillig die Intervention einer befreundeten Macht anruft, oder mit der angebotenen Intervention derselben einverstanden ist, so ist dieselbe gerechtfertigt. Wenn der Stat selber einwilligt, so besteht kein Grund mehr, die Interven- tion als unerlaubt zu betrachten, denn in diesen Fällen wird die Selbständigkeit des Siebentes Buch. States nicht mißachtet. In diesem Sinne hat England zuweilen in Portugal und haben die Schutzmächte Griechenlands in den Hellenischen Angelegenheiten in- tervenirt. 476. Wird die Intervention einer fremden Macht von der bedrohten Statsregierung angerufen, so hängt die Rechtmäßigkeit dieses Begehrens davon ab, daß die Statsregierung noch als vollberechtigtes Organ des Statswillens und als wirklicher Repräsentant des States zu betrachten ist. Ist die Regierung bereits ohnmächtig geworden im Lande, und läßt sich ihre gelähmte Macht nicht durch die eigenen Volkskräfte wiederherstellen, so ist dieselbe auch nicht mehr für ermächtigt zu halten, die bewaffnete Intervention eines andern States herbeizuziehn und dadurch die Selbständigkeit des Stats und die Freiheit der Bürger der Heeresgewalt einer fremden Macht Preis zu geben. Vgl. darüber die Thronrede der König in von England vom 24. Jan. 1860 und oben § 116 f. Ein aus dem Besitz vertriebener Fürst ist jedenfalls nicht mehr zu solcher Stats- repräsentation legitimirt und daher sein Interventionsgesuch nicht als Statsact zu betrachten. 477. Noch weniger ist eine Oppositions- oder eine aufständische Partei als ermächtigt anzusehen, die gewaltsame Intervention einer fremden Macht Namens ihres States anzurufen. Sind die beiden streitenden Parteien darin einig, die Intervention einer befreundeten Macht als Vermittler zu begehren oder gut zu heißen, dann freilich ist das als Meinung des ganzen States anzusehen, und die Intervention gerecht- fertigt. Aber die Oppositionspartei für sich allein repräsentirt niemals den Stat und kann daher auch nicht einen so schweren Eingriff von außen in die innern Statsangelegenheiten rechtfertigen. 478. Werden in Folge der Verfassungskämpfe das allgemein als noth- wendig anerkannte Menschenrecht oder das Völkerrecht verletzt, dann wird auch eine Intervention zum Schutze desselben aus denselben Gründen ge- rechtfertigt, wie das Einschreiten des civilisirten Staten überhaupt bei gemeingefährlichen Rechtsverletzungen. Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. Vgl. darüber oben § 471. In solchen Fällen mag auch eine unterdrückte Partei die Intervention anrufen, nicht im Namen des States, sondern nach Maß- gabe des Völkerrechts. Die Christen in der Türkei haben das wiederholt mit Erfolg gethan. 479. Wenn eine fremde Macht in unberechtigter Weise in einem Lande intervenirt, so sind die andern Staten berechtigt, dafür zu sorgen, daß diese Intervention wieder aufhöre und nicht zur Verletzung der Weltord- nung mißbraucht werde und darüber zu wachen, daß dieselbe nicht zu ihrem Schaden ausgebeutet werde. 1. Die von Spanien her drohende Intervention in Portugal hat 1826 die Engländer zur Intervention bewogen, um die Portugiesische Constitution zu schützen. Die Intervention Oesterreichs im Kirchenstat im Jahr 1831 hat Frankreich veranlaßt, durch Besetzung von Ancona eine Stellung dagegen zu nehmen. Gegen die Russische Intervention in der Türkei 1855 haben sich die Westmächte verbündet und den orientalischen Krieg unternommen. Der französischen Intervention in Mexiko traten die Vereinigten Staten 1866 entgegen. 2. Es ist möglich, daß ein Stat seine Vertragsrechte zu wahren unternimmt, indem er gegen Verfassungsänderungen intervenirt, welche jene verletzen. Dazu ist er berechtigt, aber das nur soweit, als er in den Schranken des Völkerrechts seine Rechte zu vertheidigen das Recht hat. Insbesondere hat die Beseitigung von dyna- stischen Thronfolgerechten durch eine Statsumwälzung zunächst nur eine statsrecht- liche und keine völkerrechtliche Bedeutung. 480. In zusammengesetzten Staten bestimmt die Unions- oder Bundes- verfassung, inwiefern die Intervention der Central- oder Bundesgewalt in die Verfassungsstreitigkeiten der Einzelstaten zulässig sei. Beispiele die zahlreichen Interventionen im deutschen Bund , in den Vereinigten Staten von Amerika, in der schweizerischen Eidgenossen- schaft . Siebentes Buch. 3. Minneverfahren. 481. Wenn zwischen zwei Staten völkerrechtliche Conflichte oder Differenzen entstehn, die sich auf friedlichem Wege schlichten lassen, so ist von Anfang an nicht der Weg der Gewalt, sondern der Weg der Minne einzuschlagen. Die Gewaltübung ist nur in Fällen der Nothwendigkeit gerechtfertigt, weil sie für sich ein Uebel und eine Gefahr für die friedliche Rechtsordnung sel- ber ist. 482. Als Mittel des Minneverfahrens unter den Parteien sind hervorzu- heben: a) diplomatische Verhandlungen, b) Verzicht auf die Durchführung eines behaupteten Rechts mit oder ohne Protest und Rechtsverwahrung für die Zukunft, c) die freiwillige, wenn auch nur thatsächliche Berücksichtigung der Forderungen der Gegenpartei, d) der Vergleich unter den Parteien. 1. Zu a. Zuweilen genügt schon die Mittheilung von Acten zur Aufklärung, oder eine gründliche Rechtsausführung , oder eine einfache Vor- stellung oder Beschwerde , die Aeußerung eines freundlichen Wunsches u. dgl. 2. Zu b. und c. Der Verzicht ist ein einseitiger Act, aber mit Rücksicht auf das Verhältniß zur Gegenpartei. Insofern gehören b) u. c) zusammen. Der Verzicht b) bedeutet Fallenlassen eines Rechtsanspruchs , wenn auch viel- leicht nur thatsächlich dadurch, daß demselben gegenwärtig keine Folge gegeben wird. Dem entspricht die vielleicht ebenfalls nur thatsächliche , nicht principielle Ge- währung der Forderungen c) auf Seite des vermeintlich oder wirklich Verpflich- teten. Die Rechtsverwahrung und der Protest haben den Zweck, die Ver- zichtleistung oder Erfüllung gegen eine Auslegung sicher zu stellen, welche der Han- delnde vermeiden will und seine durch seine Handlung zweifelhaft gewordenen Rechte möglichst vollständig zu bewahren. 3. Zu d. Der Vergleich der Parteien setzt an die Stelle des streiti- gen Rechts nunmehr ein sicheres Vertragsrecht . Zu der Vergleichsverhand- lung können natürlich auch von beiden Seiten Commissäre ernannt und ermächtigt werden. Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. 483. Das Minneverfahren kann auch durch die guten Dienste ( bons of- fices ) einer dritten befreundeten Macht unterstützt werden. Die dritte Macht kann entweder von den beiden Parteien oder mindestens von einer Partei um ihre guten Dienste angerufen worden sein, oder sie kann aus eigenem Antrieb dieselben anbieten. Immer verwendet sie nur ihren moralischen Einfluß in der Absicht, den Zwist freundlich auszugleichen. Sie gibt gute Räthe, macht Vergleichsvorschläge, empfiehlt bestimmte Handlungen. Aber sie darf nicht drohen, so lange die Grenze des eigentlichen Minneverfahrens zu wah- ren ist. 484. Selbst bei ernsten Streitigkeiten zwischen verschiedenen Staten, welche zum Kriege zu führen drohen, erkennt das heutige Völkerrecht es als wün- schenswerth, noch nicht als völkerrechtliche Pflicht dieser Staten an, bevor sie zu den Mitteln des Krieges greifen, vorerst die guten Dienste einer befreundeten Macht anzusprechen. Die noch schwache, nur empfehlende nicht verpflichtende Vorschrift hat auf dem Pariser Congreß eine formelle Anerkennung der europäischen Groß- mächte erlangt. Protokoll vom 14. April 1856: „Messieurs les Plénipotentiaires n’hésitent pas à exprimer au nom de leurs gouvernemens le voeu que les états entre lesquels s’éléverait un dissentiment sérieux, avant d’en appeler aux armes, eussent recours, tant que les circonstances l’admettraient, aux bons offices d’une puissance amicale“. 485. Die guten Dienste werden zur Vermittlung gesteigert, wenn eine dritte unbetheiligte Macht im Einverständniß der Parteien die Minnever- handlung leitet und eine Verständigung herbeizuführen unternimmt. Der Vermittler soll eine urparteiische Stellung behaupten. Es ist möglich, daß eine Partei die „guten Dienste“ einer neutralen Macht annimmt, aber die „Vermittlung“ derselben verwirft. Dem Vermittler kommt es zu, billige Ausgleichungsvorschläge zu machen. Er kann aber auch sich für die Vor- schläge einer Partei erklären, insoweit er sie für billig erachtet. Aber es widerstreitet der unparteiischen Natur des Vermittleramts, daß der Vermittler vorzugsweise die Interessen einer Partei vertrete und gar Vortheile für sich selber ausbedinge, obwohl Siebentes Buch. auch das zuweilen geschehen ist. Ein Beispiel bei Laurent Études sur l’hist. de l’humanité XI. 380. 486. Daraus, daß die Parteien die Vorschläge des Vermittlers annehmen, folgt nicht seine Gewährleistung der Uebereinkunft. Die Gewährleistung des Vermittlers setzt einen besondern Garantievertrag voraus. Vgl. § 430 f. 487. Auch wenn eine Vermittlung angenommen worden ist, besteht kein rechtliches Hinderniß für die Parteien, unmittelbar zu verhandeln und sich unter einander zu vereinbaren. Die Vermittlung tritt nur hinzu, um die Verständigung der Parteien zu befördern. Sie darf nicht zum Hinderniß dieser werden. Der Vermittler kann sich nur dann über Mißachtung seiner Vermittlung beschweren, wenn er durch die Parteien getäuscht wird oder ihm die Erfolge der unmittelbaren Verständigung verheimlicht werden. Denn als anerkannter Vermittler hat er einen berechtigten Anspruch auf das Vertrauen der Parteien , so lange er sein übernommenes Amt unparteiisch und mit Um- und Einsicht verwaltet. 4. Schiedsrichterliches Verfahren. 488. Die streitenden Parteien können auch die Erledigung ihres Streits einem Schiedsgericht übertragen. 1. Ist der Rechtsgrundsatz nicht streitig, aber eine Thatfrage bestritten, auf welche jener Grundsatz Anwendung findet, so nennt man das arbitratio . Z. B. Die Entschädigungsflicht wird anerkannt, aber das Maß des wirklich eingetretenen Scha- dens und daher das Maß der Entschädigung ist streitig. Zu derartigen Schieds- gerichten eignen sich dann gewöhnlich sachverständige Schätzer. Das Verfahren wird daher zum Schätzungsverfahren . 2. Wenn dagegen das Recht selber streitig ist, also z. B. die Entschädigungs- Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. pflicht, so wird das eigentliches arbitrium genannt. Es bedarf dann einer Rechts- entscheidung. 489. In der Regel steht es den Parteien, welche ein Schiedsgericht be- rufen, frei, zu bestimmen, wem das Schiedsrichteramt übertragen werde. 1. Möglich ist’s, daß schon zum voraus durch einen Statenvertrag das schiedsrichterliche Verfahren angeordnet und selbst die Personen der Schiedsrichter bezeichnet oder doch die Art der Wahl regulirt ist. Wenn das nicht geschehen ist, dann müssen im einzelnen Bedürfnißfall sich die Parteien auch darüber vertragen. 2. Es können zu Schiedsrichtern, je nach dem Belieben der Parteien, ernannt werden Statshäupter, oder bestehende Gerichtshöfe, oder Privatpersonen (Rechts- gelehrte), Juristenfacultäten, kirchliche Autoritäten, Ordenscapitel u. s. f. Werden Statshäupter gewählt, so nimmt man als selbstverständlich an, daß dieselben die Verhandlungen durch delegirte Zwischenpersonen leiten und den Schiedsspruch ausarbeiten lassen können, aber der Schiedsspruch wird in ihrem Namen und unter ihrer Autorität verkündet. In manchen Fällen wird es daher nicht zweckmäßig sein, souveräne Personen zu Schiedsrichtern zu machen. Hat der Streit eine politische Seite, oder sind die politischen Interessen des schiedsrichterlichen States mit der Stimmung und Haltung in einem der beiden Parteistaten verflochten, so ist die Gefahr zu besorgen, daß der souveräne Schiedsrichter die eigenen politischen Motive einwirken lasse auf seine Amtsführung. Sind dagegen keine politischen Interessen mit in Frage, und ist daher für die Unparteilichkeit des zum Schiedsrichter gewähl- ten Souveräns nichts zu fürchten, so haben die Parteien hinwieder keine Garantie in den vielleicht unbekannten Personen, welche als geheime Räthe des Schiedrichters die eigentlichen Geschäfte besorgen und den Spruch vorarbeiten. Sehr beachtenswerth scheint mir der im Jahr 1866 in Nordamerika gemachte Vorschlag, daß vorzugs- weise angesehene Publicisten und Rechtsgelehrte aus den neutralen Staten zu Schiedsrichtern gewählt werden sollten, welche ihre wissenschaftliche Ehre für eine richtige und unparteiische Entscheidung einzusetzen haben. Wenigstens wird eine derartige Auswahl vorzüglich da passen, wo der Streit eine wesentlich vermögens- rechtliche Seite hat, wie bei Entschädigungsfragen. Es wäre ein großer Fort- schritt, wenn zum voraus eine Liste von angesehenen Vertretern der völker- rechtlichen Wissenschaft und Kennern der völkerrechtlichen Praxis gebildet würde, aus welcher dann in späteren Streitfällen die Schiedsrichter ernannt würden. Jedem anerkannten State müßte das Recht zustehen, je nach seiner Be- völkerung eine Anzahl solcher Männer auf das allgemeine völkerrechtliche Verzeichniß zu setzen. 490. Vertragen sich die Parteien nicht über gemeinsam zu ernennende Bluntschli , Das Völkerrecht. 18 Siebentes Buch. Schiedsrichter, so ist anzunehmen, jede Partei wähle ihre Schiedsmänner frei, aber in gleicher Anzahl, wie die Gegenpartei. Ist nicht verabredet, wie der Obmann zu bezeichnen sei, so steht es den beiderseitigen Schieds- richtern zu, entweder den Obmann gemeinsam zu wählen, oder einem unparteiischen Dritten die Wahl desselben anheim zu geben. Zunächst sind die Parteien berechtigt, wie ein schiedsgerichtliches Verfahren, so auch die einzelnen Schiedsrichter zu wählen. Das Völkerrecht kann nur einige Regeln aussprechen, die im Zweifel, wenn nicht von den Parteien anders bestimmt worden, als selbstverständliche Meinung der Parteien betrachtet werden sollen, weil sie der Natur der Dinge und der Völkersitte entsprechen. Die Ernennung eines Obmanns wird mindestens dann nothwendig , wenn die Schiedsrichter in glei- chen Hälften sich spalten, damit eine Mehrheit zu Stande komme. Sie ist aber von Anfang an zweckmäßig , um die Einheit des ganzen Verfahrens zu sichern und für eine unparteiische Leitung zu sorgen. Wenn die Parteien nicht unter sich, oder wenn die Schiedsrichter nicht einig werden über die Wahl des Obmanns, so bleibt nur die Ernennung durch einen Dritten übrig, z. B. eine neutrale Regierung oder einen Gerichtshof. Da aber auch darüber, wer als Dritter zu erbitten sei, die Er- nennung des Obmanns vorzunehmen, die Parteien oder ihre Schiedsrichter sich ver- ständigen müssen, so kann auch daran das ganze schiedsrichterliche Verfahren scheitern, daß es zu jenem vorbereitenden Einverständniß nicht kommt. 491. Das aus mehreren Personen bestehende Schiedsgericht handelt ge- meinsam als Ein Körper. Es vernimmt die Parteien und je nach Um- ständen auch Zeugen und Sachverständige, prüft die erheblichen Thatsachen und erhebt die erforderlichen Beweise. Die Thätigkeit des Schiedsgerichts ist, obwohl es seine Vollmacht nur von den Parteien ableitet, dennoch eine richterliche und insofern den Parteien selbst übergeordnete beziehungsweise für die Parteien verpflichtende . Die Pro- ceßleitung ist bei dem Schiedsgerichte. 492. Das Schiedsgericht gilt im Zweifel als ermächtigt, den Parteien billige Vergleichsvorschläge zu machen. Ob das zweckmäßig sei oder nicht, muß dem Schiedsgerichte zu erwägen vorbehalten bleiben. Immerhin aber wird das Schiedsgericht sich davor zu hüten haben, daß es nicht durch den Vergleichsvorschlag das Vertrauen in seine rechtliche Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. Beurtheilung oder in seine Unparteilichkeit untergräbt. Der Vergleichsvorschlag gehört dem Minneverfahren an, nicht dem Rechtsverfahren, für welches hauptsächlich das Schiedsgericht ernannt ist. Aber es kann dieses entbehrlich machen. 493. Der Spruch der Mehrheit gilt als Spruch des ganzen Schieds- gerichts. Bildet sich keine Mehrheit, sei es weil es an einem Obmann fehlt, dessen Beitritt zu einer der beiden Meinungen der in gleicher Zahl gespaltenen Schieds- richter den Ausschlag gibt, oder der für seine eigenthümliche Meinung die Zustim- mung der einen Hälfte der Schiedsrichter gewinnt, sei es weil die individuellen Meinungen aus einander gehen und die Schiedsrichter jeder auf seiner Minderheits- meinung verharrt, und wird nicht etwa dadurch geholfen, daß die Meinung des Obmanns für sich allein entscheide, so fehlt es an einem gültigen Rechtsspruch und das schiedsrichterliche Verfahren ist erfolglos geblieben. 494. Der Spruch des Schiedsgerichts wirkt für die Parteien, wie ein Vergleich. Es wird angenommen, daß die Parteien, welche die Entscheidung ihres Streits vertragsmäßig einem Schiedsgericht anvertraut haben, damit auch ihr eventuelles Einverständniß mit dem Spruch des Schiedsgerichts erklärt haben. In vielen Fällen wird daher aus dem Spruch ein Vertragsrecht unter den Parteien ent- stehn; in andern, wenn etwa einer Partei ein behauptetes Recht einfach abgespro- chen worden ist, wird das wirken, wie ein Verzicht derselben. 495. Der Spruch des Schiedsgerichts kann von einer Partei als ungül- tig angefochten werden: a) wenn und soweit das Schiedsgericht dabei seine Vollmachten überschritten hat, b) wegen unredlichen Verfahrens der Schiedsrichter, c) wenn das Schiedsgericht den Parteien das Gehör verweigert oder sonst die Fundamentalgrundsätze alles Rechtsverfahrens offenbar verletzt hat, d) wenn der Inhalt des Spruchs mit den Geboten des Völker- und Menschenrechts unverträglich ist. 18* Siebentes Buch. Aber der Schiedsspruch darf nicht aus dem Grunde angefochten werden, daß er unrichtig oder für eine Partei unbillig sei. Vorbehalten bleibt die Berichtigung bloßer Rechnungsfehler. 1. Zu a. Wenn das Schiedsgericht über Rechtsverhältnisse entscheidet, welche außerhalb der ihm ertheilten Vollmacht liegen, so ist dieser Entscheid un- gültig . 2. Zu b. Würde z. B. nachgewiesen werden können, daß die Schiedsrichter von einer Partei sich haben bestechen lassen , damit sie einen ihr günstigen Spruch thun, so wäre derselbe anfechtbar . 3. Zu c. Das schiedsrichterliche Verfahren ist Proceßverfahren und daher zwar nicht einer bestimmten Proceßordnung, aber den selbstverständlichen Hauptgrund- sätzen aller Proceßordnungen unterworfen. Der Schiedsspruch kann daher nicht wegen bloßer Formfehler angefochten und für ungültig erklärt werden, aber wenn in auffälliger und unzweifelhafter Weise jene Hauptgrundsätze verletzt worden sind, wenn z. B. den Parteien keine Gelegenheit gegeben worden ist, ihre Behauptungen zu vertreten und die des Gegners zu widerlegen, dann brauchen sie sich auch nicht einen so willkürlichen Machtspruch gefallen zu lassen. 4. Zu d. Was nicht vertragsmäßig vereinbart werden darf, das darf auch nicht durch einen Schiedsspruch auferlegt werden. 5. Würde man dagegen verstatten, einen Schiedsspruch deßhalb anzufechten, weil er die Interessen einer Partei schädige oder unbillig sei, oder auf einer irrthümlichen Rechtsansicht beruhe, so käme es fast niemals zu einer end- gültigen Erledigung des Streits und der ganze Zweck des schiedsrichterlichen Verfah- rens wäre vereitelt. 496. In zusammengesetzten Staten (Statenbünden, Bundesstaten, Staten- reichen) werden die Streitigkeiten der Einzelstaten unter sich oder mit der Bundes- oder Centralgewalt je nach Umständen an verfassungsmäßige Schiedsgerichte oder an festgeordnete Bundes- oder Reichsgerichte zur Ver- handlung und Entscheidung verwiesen. Im erstern Fall übt das Schieds- gericht eine Gerichtsbarkeit aus, welche nicht bloß auf dem Compromiß der Parteien, sondern zugleich auf der Verfassung beruht. In Deutschland pflegt man diese Schiedsrichter Austräge zu nennen und das Austrägeverfahren von dem gewohnten schiedsrichterlichen zu unterscheiden. In der That besteht der Gegensatz der Autorität. Die Austräge haben eine wahre Gerichtsgewalt , kraft des Verfassungsrechts, die andern Schiedsrichter dagegen nur eine von dem Vertrage der Parteien abgeleitete Befugniß, für dieselben zu ur- theilen. Auch die Austräge können gewillkürt sein, d. h. durch freie Ueberein- Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. kunft der Parteien gemeinsam bezeichnet, oder von den beiden Parteien je zur Hälfte freigewählt sein. Aber da die Parteien durch die Verfassung verpflichtet sind, ihren Streit an das Schiedsgericht zu bringen, so wählen sie diese Austräge im Gedanken an jene Rechtsnothwendigkeit und nicht aus völlig freier Willkür. Zur Wahl überhaupt sind sie verpflichtet, nur die Personen können sie frei wählen. Es ist aber ebenso möglich, daß die Verfassung auch die Art der Wahl näher begrenzt, z. B. aus einem bestimmten Gerichtshof, aus einer zum voraus festgestellten Liste von geeigneten Personen, oder geradezu einer bestimmten Behörde den Vorschlag der Schiedsrichter oder die Ernennung des Obmanns anheimgibt, z. B. einem bestimm- ten Gerichtshof oder der Bundes- oder Reichsregierung oder Repräsentation u. dgl. Es ist das dann ein Bestandtheil des Bundes- oder Reichsstatsrechts, aber von zwi- schenstatlicher und insofern völkerrechtlicher Bedeutung. Vgl. darüber Aegidi Artikel Austräge in Bluntschli und Brater Deutschem Stats- wörterbuch. 497. Durch Statenverträge können ebenso für vorgesehene Streitigkeiten, welche unter den von einander unabhängigen Staten entstehen würden, zum voraus nähere Vorschriften über ein schiedsrichterliches Verfahren fest- gesetzt und das Schiedsgericht mit einer wirklichen Gerichtsbarkeit aus- gerüstet werden. Beispiele der Art waren schon im Mittelalter sehr häufig. Sie kommen auch in neuerer Zeit vor, z. B. bei Handelsverträgen. Durch solche Anordnung wird passend für eine friedliche Erörterung und Bereinigung von Streitigkeiten gesorgt, für die es keine ordentlichen Gerichte gibt. 498. Der Fortbildung eines gesicherten Völkerrechts bleibt es vorbehalten, auch durch völkerrechtliche Vereinbarungen überhaupt für ein geordnetes schiedsrichterliches Verfahren zu sorgen, insbesondere bei Streitigkeiten über Entschädigungsforderungen, ceremonielle Ansprüche und andere Dinge, welche nicht die Existenz und Entwicklung des States selbst betreffen. Die Bestimmung des Pariser Congresses von 1856, daß vor Beginn des Kriegs die guten Dienste einer befreundeten Macht angerufen werden möchten (oben § 484), kann als ein erster Versuch betrachtet werden, die friedliche Erledigung der völkerrechtlichen Streitigkeiten zu begünstigen. Die Zukunft wird in derselben Rich- tung hoffentlich noch entschiedenere Fortschritte machen. Bei einer Menge von Strei- tigkeiten ist es für Jedermann klar, daß der Krieg ein ganz unverhältnißmäßi- ges Mittel ist, sich Recht zu verschaffen. Ein Stat, der um eine bloße Geldfor- Siebentes Buch. derung durchzusetzen, zum Kriege greift, gleicht jenem Bären der Fabel, welcher schwere Steine nach der Fliege wirft, welche auf der Stirne des schlafenden Freun- des spaziert und in der Absicht die Fliege zu vertreiben, den Freund damit tödtet. Es wäre nicht mehr zu früh für das humaner gewordene Rechtsbewußtsein der civi- lisirten Welt, wenn endlich von einem Congreß der Staten für derartige Fälle der Krieg untersagt und ein schiedsrichterliches Verfahren zum voraus angeordnet würde, durch welches solche kleine Händel billig geschlichtet werden sollen. 5. Zwangsmittel ohne Krieg: Selbsthülfe durch Repressalien, Retorsion, Sperre. 499. Wenn das Minneverfahren oder das schiedsrichterliche Verfahren den Streit zweier Staten nicht erledigt oder unthunlich erscheint, so ist der verletzte Stat zur Selbsthülfe berechtigt. Wenn ein Stat, der sich in seinem Recht verletzt fühlt, keine Beseitigung des Unrechts und keine Genugthuung erreichen kann durch Unterhandlungen oder in Folge eines geordneten Rechtsverfahrens, so bleibt nur der Weg der Selbsthülfe übrig, wenn er es nicht vorzieht, sich das Unrecht gefallen zu lassen und auf Genug- thuung zu verzichten. Die Mittel der Selbsthülfe sind wieder sehr verschieden, wenn gleich sie nun alle den Zwang und insofern die Anwendung der statlichen Gewalt in sich schließen. 500. Als völkerrechtlich zulässige Repressalien, ohne Krieg, gelten: a) die Beschlagnahme und nach Umständen Pfändung und Ver- silberung von gegnerischem Statsvermögen innerhalb des eigenen Statsgebiets; b) die Beschlagnahme von Privatvermögen der Angehörigen des gegnerischen Stats innerhalb des eigenen Gebiets, insofern der- selbe sich zuvor in widerrechtlicher Weise an dem Privatvermögen der eigenen Statsangehörigen vergriffen hat; c) die Hemmung des Handels- und Postverkehrs, der Eisenbahn- und Telegraphenverbindung, der Schiffahrt; Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. d) die Zurückweisung oder Ausweisung der Angehörigen des ver- letzenden Stats aus dem Gebiete des verletzten Stats; e) die Zurückhaltung von Personen, welche den gegnerischen Stat repräsentiren oder doch demselben angehören, als Geiseln; f) die Gefangennahme von Personen, welche im Dienste des Unrecht übenden Stats sind oder selbst von Privatpersonen, welche dem- selben angehören, wenn die eigenen Angehörigen zuvor von dem beleidigenden State widerrechtlich gefangen gehalten worden sind; g) die Weigerung, vertragsmäßige Leistungen ferner zu erfüllen und die Lossagung von bestehenden Verträgen; h) der Entzug der Privilegien oder selbst des privatrechtlichen Rechts- schutzes gegenüber den Angehörigen des gegnerischen Stats. 1. Die Mittel der Selbsthülfe werden Repressalien (von reprehendere , nicht von reprimere abgeleitet) genannt, wenn dieselben bezwecken, dem Recht ver- letzenden Stat das Bewußtsein seines Unrechts dadurch klar zu machen, daß auch ihm ein Uebel zugefügt wird, das er ebenfalls als Unrecht empfindet, und denselben durch dieses Mittel zur Herstellung des Rechts und zur Genugthuung zu bewegen. Naturgemäß haben daher die Repressalien den Charakter der Wiedervergeltung zum Zweck der Rechtshülfe und Rechtsnöthigung. Die Mittel im Einzelnen sind höchst mannigfaltig und nicht vollständig zum voraus aufzuzählen. Sie ändern ihre Gestalt mit dem Wechsel des Lebens und der mannigfaltigen Erscheinung des voraus- gehenden Unrechts. 2. Zu a. Die Beschlagnahme von gegnerischem Statsvermögen ist eher anwendbar und zu rechtfertigen, als die von gegnerischem Privatgut, weil nur die Staten, nicht die Privaten mit einander streiten, daher zunächst die Selbsthülfe nur gegen den Stat und nicht gegen die Privaten sich zu wenden hat. Das ältere Privatrecht der germanischen Völker gestattete in ähnlicher Weise, zur Zeit einer noch wenig ausgebildeten Gerichtshülfe, dem Privatgläubiger für eine geständige (gichtige) oder erwiesene Schuld die Pfändung als Selbsthülfe gegen den Schuldner anzuwen- den. Das heutige Völkerrecht ist bezüglich der Gerichtshülfe noch ebenso wenig ge- sichert, als das halbbarbarische Privatrecht im Mittelalter; daher ist diese Art der Selbsthülfe, die in dem modernen Privatrechte in der Regel untersagt ist, im Völker- recht noch nicht zu entbehren. 3. Zu b. Die Beschlagnahme von Privatgut in der Absicht dadurch den Stat zu nöthigen, daß er von seinem Unrecht ablasse, ist unter allen Umständen ein höchst bedenkliches Mittel der Selbsthülfe, denn es trifft weder die schuldigen noch die verantwortlichen Personen, und übt auf den nicht betroffenen Stat, den man nöthigen will, eine höchst zweifelhafte, nur sehr mittelbare Einwirkung aus. Gerecht- fertigt wird sie daher höchstens als Gegenrecht, wenn zuvor der gegnerische Stat ähnliches Unrecht gegen Private verübt hat, welche auf den Schutz des eigenen Siebentes Buch. Stats angewiesen sind, und selbst da erheben sich gewöhnlich laute Klagen über ungerechte Gewaltthat. Cromwell hatte, nachdem ein englisches Handelsschiff an der französischen Küste von den französischen Behörden seines Erachtens in völkerrechtswidriger Weise weggenommen und confiscirt worden war, zur Repressalie sofort zwei französische Handelsschiffe im Canal als Prise wegnehmen lassen. Die französische Regierung ließ sich diese trotzige, die diplomatischen Verhandlungen rücksichtslos zur Seite schiebende Eigenmacht gefallen, welche an das Sprichwort erinnert: Schlägst du meinen Juden, so schlage ich deinen Juden. Das Unrecht der Staten wurde auf keiner Seite gut gemacht, aber auf beiden Seiten hatten es nichtschuldige Privaten zu büßen. Zu entschiedenen Reclamationen gab das Verfahren des Königs Friedrich II. von Preußen Veranlassung, welcher die Zahlungen der Schlesischen Landes- schuld an die englischen Gläubiger aus dem Grunde hemmte, weil England seines Erachtens mit Unrecht Preußisches Handelsgut als Prise behandle. Die Denkschrift der englischen Kronjuristen gegen diese Repressalie ist berühmt geworden. Indessen standen sich auch da englisches und preußisches Unrecht gegen Privaten gegenüber; und wenn die Englischen Juristen sich für jenes auf hergebrachte Völkersitte und überkommene Theorien berufen konnten, so konnte sich König Friedrich darauf stützen, daß trotzdem jenes vermeintliche Prisenrecht offenbares Unrecht sei und seine Maß- regel nur als Repressalie demselben die Wage halte und insofern gerechtfertigt sei. Auch die Repressalien Englands gegen Griechenland in der sogenannten Pacifico -Angelegenheit (1850), indem zu Gunsten einer unberücksichtigt geblie- benen Entschädigungsforderung Pacifico’s griechische Kaufschiffe mit Wegnahme be- droht wurden, erregte damals in ganz Europa großes Aufsehen und vielfältige Miß- billigung, selbst im englischen Oberhaus. 4. Zu c. Die Hemmung des Handelsverkehrs als Repressalie geübt, hat wieder ihre großen Bedenken, indem regelmäßig die Hemmung nach beiden Seiten hin nachtheilig wirkt, also den zur Selbsthülfe schreitenden Stat, oder seine Bevöl- kerung ebenso schädigt, wie den gegnerischen Stat und seine Unterthanen. Von der eigentlichen Sperre wird weiter unten (506) näher die Rede sein. 5. Zu d. Auch die Zurückweisung der Angehörigen eines ver- verletzenden Stats und noch mehr die Ausweisung derselben ist eine äußerst harte, selten gerechtfertigte Maßregel der Selbsthülfe. Mit gutem Grund wurde gegen die Anwendung derselben durch die Oesterreichisch-Lombardische Regierung (1856), welche alle Tessiner plötzlich aus Mailand auswies, protestirt, zumal diese Repressalie, welche eine Menge schuldloser Privaten in ihrem Erwerb und in ihrer Wirthschaft empfindlich schädigte, durch kein Unrecht des Cantons Tessin wider Mailändische Privaten, sondern nur durch politische Beschwerden motivirt war. 6. Zu e u. f. Auch der Angriff auf die Freiheit nicht schuldiger Personen kann nur zur Noth und nur unter der Voraussetzung der Wiedervergeltung und des Gegenrechts vertheidigt werden. Wenn ein fremder Stat zuvor unsere Gesanten oder Statsgenossen widerrechtlich gefangen hält, so mag die einstweilige Gefangen- nahme seiner Gesanten und Unterthanen dazu dienen, ihm sein Unrecht zum Bewußt- sein zu bringen und Abhülfe zu erreichen. Aber immer müssen wir uns daran er- Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. innern, daß unsere Gefangenen nicht an jenem Unrecht schuld und überhaupt keine Strafgefangenen sind. Eher tritt die Analogie der Kriegsgefangenschaft ein. Zu g. Vgl. oben § 455. 501. Die civilisirte moderne Völkersitte mißbilligt als barbarisch: a) jede Grausamkeit gegen einzelne, zumal schuldlose Personen, b) die statliche Ermächtigung von Privatpersonen, Angehörige des gegnerischen Stats zu fangen oder zu tödten oder das Vermögen derselben zu zerstören oder wegzunehmen. 1. Zu a. Auch wenn wilde Stämme unsere Statsgenossen grausam miß- handeln, verstümmeln, tödten, so ist es dennoch der civilisirten Staten unwürdig, ebenso barbarisch gegen Angehörige jener Stämme zu verfahren, welche in ihre Ge- walt gerathen. Das Gesetz der Talion darf nicht bis zur Barbarei geübt wer- den. Als solche ist auch die Hinrichtung nichtschuldiger Personen ange- sehen. In dem Befreiungskriege der nordamerikanischen Colonien gegen England kam noch ein solcher Fall vor. Der englische Hauptmann Lippencott ließ einen ge- fangenen nordamerikanischen Officier hängen. Der englische General Clinton miß- billigte das Verfahren und stellte seinen Untergebenen vor ein Kriegsgericht. Der General Washington verlangte aber Auslieferung des Schuldigen und ließ, als diese verweigert ward, zur Wiedervergeltung einen gefangenen englischen Officier, Namens Argill , vor ein Kriegsgericht stellen und ebenfalls zum Tode verurtheilen. In- dessen gelang es den Bemühungen, vorzüglich der Königin von Frankreich, den- selben zu retten und eine Begnadigung des Congresses zu erwirken. Vgl. Philli- more III. 150 f. 2. Zu b. Im Mittelalter kamen solche Ermächtigungen öfter vor und wur- den für erlaubt gehalten. Eine Form derselben, die Caperschiffe in Kriegszeiten, wurde sogar bis in die neueste Zeit geübt. Siehe unten Buch VIII. Mit Recht aber verwirft das heutige Völkerrecht alle solchen Privatacte der Gewalt. Es fehlt dabei an jeder Garantie, daß die Selbsthülfe mit Maß geübt werde. 502. Die Wahl und der Umfang der Repressalien richtet sich nach dem gerügten Unrecht. Unverhältnißmäßige Repressalien sind widerrechtlich. Die Repressalien lassen sich nur als eine Art Nothwehr vertheidigen, in Ermanglung besserer Rechtshülfe . Eben deßhalb sind sie nach dem Grund- satz einer gerechten Wiedervergeltung zu bestimmen und zu bemessen. Der Natur der Dinge nach ist freilich eine genaue Maßbestimmung nicht wohl einzuhalten, aber das Grundprincip der Verhältnißmäßigkeit darf doch niemals unbeachtet Siebentes Buch. bleiben. In dem obigen Pacificohandel (§ 500 Anm. 3.) wurde vornehmlich darüber Klage geführt, daß die angedrohten Repressalien ganz unverhältnißmäßig seien. 503. Zu Repressalien ist nur der verletzte Stat, nicht aber die von der Verletzung betroffene Privatperson berechtigt. Im Mittelalter nahm man an Privatrepressalien geringen Anstoß, wie man ja damals auch die Privatfehde für eine erlaubte Rechtshülfe ansah. Das moderne Stats- und Völkerrecht gestattet nur der geordneten Statsmacht öffentliche Rechtsgewalt auszuüben. Nicht verletzte Staten dürfen nur dann zu Repressalien greifen, wenn es eine gemeingefährliche Verletzung des Völker- und Menschenrechts zu rügen gilt. 504. Die Repressalien dürfen nicht länger dauern, als bis das Unrecht, welches dieselben veranlaßt hat, wieder gutgemacht und gesühnt ist. Das folgt aus der Natur der Repressalien als einer ausnahmsweisen Selbsthülfe gegen Unrecht. Der befriedete Rechtszustand erträgt daher die Fort- dauer der Repressalien nicht. 505. Die Retorsion bezweckt nicht, Unrecht zu rügen, sondern ist ein po- litisches Mittel, einer nachtheiligen Rechtsübung eines andern Stats ent- gegen zu wirken. 1. Die Retorsion ist nicht gegen Unrecht, aber gegen eine unbillige Ausübung fremden Rechtes gewendet. Z. B. Der Stat A gibt in seiner Gesetzgebung den einheimischen Gläubigern einen Vorzug vor den Fremden. Oder: In dem State A besteht eine strenge Zunftordnung, welche den Gewerbebetrieb der Ausländer erschwert. Oder das Zollsystem des States A erschwert den Angehörigen des States B den Handel mit den Angehörigen des States A. In allen diesen und ähnlichen Fällen ist der Stat A in seinem formellen Recht. Er kann diese Verhältnisse nach seinem Ermessen ordnen. Aber seine Gesetze wirken ungünstig auf den Nachbarstat B und dessen Angehörige und werden zugleich von diesem als un- billig empfunden. Da hat die Retorsion des States B , welcher ähnliche für den Stat A und dessen Bürger ungünstig wirkende Einwirkungen trifft, den Zweck, den Stat A seine Unbill empfinden zu lassen und ihn dadurch zu einer Besserung zu Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. bewegen. Der Stat A kann sich nicht beklagen, wenn gegen ihn dasselbe Princip angewendet wird, nach welchem er den Stat B behandelt. 2. Eine bloße Rechtsverschiedenheit , auch wenn sie in einzelnen Fällen dem einen oder andern Stat oder dessen Bewohnern nützt oder schadet, be- gründet keine Retorsion. Z. B. Im State A besteht als Güterrecht der Ehegatten die Fahrhabegemeinschaft, und im State B das System der gesonderten Güter. Oder im State A haben die Söhne ein besseres Erbrecht als die Töchter in der Erbschaft des Vaters, im State B stehen sich die Kinder gleich u. dgl. Diese Ver- schiedenheit hat nicht den Charakter der Unbill eines States gegen den andern Stat, sondern erklärt sich aus verschiedenen Rechtsansichten und Rechtsübungen und wirkt nur zufällig, nicht principiell, nur wechselnd, nicht dauernd für den Nachbarstat bald ungünstig, bald günstig. 3. Die moderne Rechtsbildung liebt übrigens die Retorsion nicht. Als diplo- matisches Mittel der Verhandlung und Drohung läßt sie sich wohl gebrauchen, aber ihre Ausführung gereicht oft dem Retorsion übenden State ebenso zum Schaden wie dem Retorsion leidenden. Ueberdem entstellt der erstere Stat seine Gesetzgebung durch Retorsionsbestimmungen, deren Unbilligkeit und Unzweckmäßigkeit an sich er vollständig einsieht und die er meist in der sehr unsichern Hoffnung einführt, den Nachbarstat dadurch zu bessern. 506. In Folge schwerer Rechtsverletzungen kann auch ohne Krieg eine Verkehrssperre ( blocus ) von der Statsgewalt gegen den verletzenden Stat verhängt werden. 1. Die Verkehrssperre untersagt den Angehörigen des betroffenen Stats den Eintritt in das Gebiet des sperrenden Stats oder verhindert den Uebergang aus diesem Gebiet in jenes, oder sie hemmt den Waarenverkehr von einem Gebiet zum andern, oder die Ein- und Ausfahrt der Schiffe. Das Uebel ist insofern geringer als das des Kriegs, als kein Blut vergossen wird; aber es unterbindet den freien Umlauf der wirthschaftlichen Güter und hemmt die Berührung der Menschen. Es wirkt in der Regel ebenso schädlich für den sperrenden Stat wie für das gesperrte Land, denn aller Verkehr ist zweiseitig und wechselnd. 2. Die Sperre kann zu Land und zur See angeordnet werden, Landsperre und Seeblocade . Gewöhnlich werden beide nur im Kriegszustande geübt. Von der Kriegsblocade wird weiter unten die Rede sein IX. Cap. 5. Beispiele von friedlichen Blocaden sind die Blocade von England, Frankreich und Rußland gegen die Türkisch-Griechische Küste 1827, die Blocade von Frankreich gegen Portugal 1831, die von dem Ministerium Thiers gegen die Schweiz angedrohte Landblocade ( blocus hermétique ) 1836, die französische Blocade in Mexiko 1838. Siebentes Buch. 507. Die neutralen Staten erkennen kein Prisenrecht an, wenn die See- blocade nicht zugleich Kriegsblocade ist, und sind berechtigt, für die neu- tralen Schiffe freie Ein- und Ausfahrt zu fordern. Die Friedensblocade zur See gefährdet bei allgemeiner Durchführung auch den Handel der Neutralen mit der blokirten Küste, wofür kein Rechtsgrund vorliegt. Die neutralen Staten haben daher guten Grund, diese Friedensblocade in die engsten Schranken zu bannen. Wenn dieselbe nur ein Zwangsmittel gegen den Unrecht übenden Stat sein soll, so darf dieser Zwang nicht auch gegen die Neu- tralen geübt werden. Nur der Krieg als Nothstand rechtfertigt die strengeren Grund- sätze, welche in dem Völkerrecht über die Blocade und das Prisenverfahren aufge- kommen sind, der Friedenszustand nicht. Im Jahre 1838 erhoben so die deutschen Hansestädte Einsprache gegen die französische Friedensblocade in Mexiko, und im Jahr 1848 (1. März) erklärte sich der französische Statsrath gegen die Confiscation der Schiffe bei der Friedensblocade. 419. Die gesundheitspoliceiliche Verkehrssperre zur Abwendung von Epi- demien wird durch das Bedürfniß und durch ihren Zweck sowohl näher bestimmt als beschränkt. Sie kann als Vorbeugungsmaßregel gegen die Einschleppung und Verbreitung menschlicher oder thierischer Krankheiten nöthig werden, und je nach Umständen zur Einrichtung von Contumazanstalten führen. Soweit irgend die Interessen der Gesundheitspflege es erfordern, müssen alle diese Anstalten und Maßregeln von den verschiedenen Nationen geachtet werden, welche diese Grenze berühren. 509. Das gewaltsame Embargo, wodurch fremde Schiffe einstweilen in Voraussicht einer nahen Kriegseröffnung am Auslaufen verhindert werden, ist nur als Nothmaßregel und nur so weit gerechtfertigt, als das Kriegs- recht sie nachträglich gut heißt. Man unterscheidet das civile Embargo als eine Maßregel der hohen Stats- policei ohne völkerrechtliche Bedeutung von dem Embargo als völkerrechtliche Vorbereitungsmaßregel für den erwarteten Krieg , welches daher als eventuelle Kriegsmaßregel zu betrachten ist. Der Zustand der zurück- Verletzungen des Völkerrechts und Verfahren zur Herstellung desselben. gehaltenen Schiffe (von embargar, anhalten) ist einstweilen zweifelhaft. Kommt es nicht zum Krieg, so müssen sie wieder frei gegeben werden und in diesem Fall wird auch Entschädigung zu gewähren sein. Bricht der Krieg aus, so tritt bezüglich der vorläufig in Beschlag genommenen Schiffe das Kriegsrecht ein. Dann dient das Embargo insbesondere dazu, um für den Fall, daß der Feind ein übermäßiges Prisenrecht in Anspruch nimmt, ein Mittel zur Repressalie in der Hand zu haben. Das Embargo wurde übrigens vielfach zu Gewalthandlungen mißbraucht, und ins- besondere wurde oft das Privateigenthum in völlig ungerechter Weise dadurch ver- letzt. Zuweilen ist durch Statenverträge das Embargo im Verhältniß der Vertrags- staten ausgeschlossen worden. Handelsvertrag von Preußen mit den Vereinigten Staten von Nordamerika vom 11. Juli 1799 Art. 16. Vgl. über eine Anwen- dung des feindlichen Embargo durch England gegen Holland in nicht englischem Gewässer, am Cap der guten Hoffnung, die Ausführung des Lord Stowell bei Phillimore III. § 38. Achtes Buch. Das Kriegsrecht. 1. Begriff des Kriegs, Kriegsparteien, Kriegsursachen und Kriegserklärung. 510. Krieg ist bewaffnete Selbsthülfe einer statlichen Macht im Widerstreit mit einer andern statlichen Macht. Zunächst erscheint der Krieg nicht, wie der gerichtliche Proceß in der Form eines Rechtsmittels , sondern in der furchtbaren Gestalt eines physischen Kampfes widerstreitender Gewalten. Diese Erscheinung des Kriegs hat, ohne Rück- sicht darauf, aus welchem Rechtsgrunde der Krieg unternommen und was für Kriegs- ziele verfolgt werden, eine Menge auch von rechtlichen Wirkungen. Der Krieg ist immer eine gewaltsame Unterbrechung des friedlichen Zustands und des Friedens- rechts und nur nothdürftig gelingt es dem Völkerrecht, ihn in bestimmten Schranken zu halten. Auch der ungerechtfertigte Eroberungskrieg oder ein Krieg aus bloßem dynastischen Ehrgeiz oder aus nationaler Eifersucht hat diese tief in die öffentliche Rechtsordnung eingreifenden Folgen. Dennoch besteht ein großes humanes Interesse, den Krieg möglichst als Rechtshülfe aufzufassen und darzustellen, damit seine Anwendung beschränkter und die in ihm zu Tage tretende Gewaltthat geordneter werde. Vgl. §§ 511. 516 ff. 511. In der Regel ist der Krieg ein Rechtsstreit zwischen Staten als Kriegsparteien über öffentliches Recht. Achtes Buch. Es widerstreitet den civilisirten Statszuständen, in denen für eine privatrecht- liche Gerichtsbarkeit gesorgt ist, daß über streitiges Privatrecht Krieg geführt werde. Im Mittelalter noch war es anders. Das Fehderecht war in der That das Recht der bewaffneten Selbsthülfe auch bei Streitigkeiten zwischen Privatpersonen über ihr Eigenthum. Es ist durch die Durchführung der statlichen Gerichtsbarkeit verdrängt worden. Aber heute noch stehen die Völker, wenn sie mit einander über ihr öffentliches Recht streiten, auf demselben barbarischen Standpunkt, wie im Mittel- alter die Ritter und die Städte. Sie greifen zu den Waffen und schlagen zu, um sich ihr Recht zu verschaffen. Das Völkerrecht hat noch einen weiten Weg zu machen, bis es ihm gelingen wird, den Streit der Gewalt in einen wahren Rechts- streit umzubilden . 512. Eine bewaffnete Partei, welche nicht von einer bestehenden Stats- gewalt zur Gewaltübung ermächtigt worden ist, wird dennoch insofern als Kriegspartei betrachtet, als sie als selbständige Kriegsmacht organisirt ist und an States Statt in gutem Glauben für öffentliches Recht streitet. 1. Es ist das zwar eine Ausnahme von der Regel, daß nur Staten Krieg führen, aber wenn die politische Partei statliche Zwecke verfolgt und wie eine Stats- macht organisirt ist, so stellt sie gewissermaßen den Stat dar . Das In- teresse der Humanität fordert, daß im Zweifel eine solche Partei eher als Kriegs- partei, nicht als eine Masse von Verbrechern behandelt werde. Indem sie stark genug ist, sich als öffentliche Macht , analog der Statsmacht zu behaupten, durch ihre kriegsmäßige Organisation auch Garantien der Ordnung gewährt, und durch ihre politischen Ziele ihr statliches Streben kund gibt, hat sie auch einen natürlichen Anspruch darauf, einem statlichen Heere ähnlich behandelt zu werden. Die Gefahren der Gewaltübung werden dann nicht bloß für sie selber, sondern ebenso für ihre Gegner ermäßigt. Wird sie dagegen nur strafrechtlich verfolgt, so wird dadurch der thatsächliche Kampf verwildert und es ist Gefahr, daß die bei- den streitenden Parteien in die Barbarei versinken und einander mit grausamen Repressalien zu überbieten suchen. 2. Von der Art sind manche Unternehmungen von Freischaren , um eine politische Umgestaltung zu erzwingen. Wenn dieselben wie ein wohlgeordnetes Kriegs- heer operiren, wie z. B. die deutschen Freischaren unter Major Schill oder die italienischen Freischaren, die mit Garibaldi nach Sicilien und Neapel zogen, so ist es angezeigt, sie als Kriegspartei zu behandeln. 3. Am nöthigsten ist es, den obigen Grundsatz bei Bürgerkriegen zur Anwendung zu bringen, obwohl gerade da die Leidenschaften am liebsten unter der ernsten Maske der Gerechtigkeit ihren Haß und ihre Rachsucht besser verbergen und ungehemmter wirksam zu machen suchen. Die Partei, welche die obrigkeitliche Au- torität für sich hat, erklärt dann gern die Partei, welche sich der Statsgewalt Das Kriegsrecht. widersetzt, als Hochverräther und Aufrührer . Aber auch die aufständische Partei sieht sich meistens nach Rechtstiteln um, in der Absicht, die Regierungspartei als des Landesverraths und des Verfassungsbruchs zu beschuldigen. Wenn einmal die Strafgerichtsbarkeit ihre Macht verloren hat und thatsächlicher Krieg um politische Ziele geführt werden muß, dann ist es richtiger, auch das Strafrecht in Beurtheilung der Kriegsparteien ruhen zu lassen und diese politisch und militärisch als Feinde zu betrachten und zu behandeln. Es ist daher als ein Fortschritt des heutigen Völkerrechts zu betrachten, daß es geneigt ist, sowohl eine aufständische Partei wie geordnete Freischaren als Kriegspartei zu behandeln, obwohl es an statlicher Ermächtigung fehlt, wenn dieselben a ) als Kriegsheer wohl geordnet sind, b ) selber die Rechte des civilisirten Kriegsrechts beachten und c ) in gutem Glauben für politische Ziele kämpft. 4. Am unbedenklichsten wird die Behandlung eines Kriegsheers, ohne Stat, als Kriegspartei dann zugestanden, wenn ein Volk seine Heimat verläßt und während es eine neue sich zu verschaffen sucht, in Krieg verwickelt wird. Die Römer haben so alle Zeit die auf der Wanderung begriffenen germa- nischen Völker als Kriegsparteien betrachtet. 513. Bloße Piraten und Räuber sind niemals Kriegsparteien, wenn gleich sie als Kriegsmacht organisirt sind. 1. Gegen dieselben wird nicht Krieg geführt, sondern Strafgerichtsbarkeit ge- übt, wenn gleich mit kriegerischen Mitteln. Weil dieselben offenbar gemeine Ver- brechen begehen, und es ihnen augenscheinlich an gutem Glauben fehlt, so verlangt das beleidigte allgemeine Rechtsgefühl die Bestrafung, und gibt sich nicht mit dem Siege zufrieden. Die Italienischen Briganti sind keine Kriegspartei, so wenig als die alten Flibustier . 2. Dagegen wird ein Stat , welcher seinen Einwohnern Seeräuberei ver- stattet, wie im Alterthum viele Seestädte im Mittelmeer, und bis in unser Jahr- hundert hinein noch die afrikanischen Raubstaten, trotzdem zur Kriegspartei, wenn er Krieg führt. Die einzelne völkerrechtswidrige Handlungsweise zerstört nicht den Rechtscharakter eines Stats, wenn sie gleich seine Ehre befleckt. 514. In zusammengesetzten Staten ist der Krieg zwischen der bestehenden Statsgewalt des Gesammtstats (Reichs- oder Bundesgewalt) und der Truppenmacht der Einzelstaten, wenn er den Schutz des Reichs- oder Bundesrechts bezweckt, lediglich Executionskrieg, nicht ein völkerrechtlicher Krieg zwischen gleichgestellten Staten. Indessen betrachtet das moderne Völkerrecht beide Parteien im Interesse der Humanität als Kriegsparteien. Bluntschli , Das Völkerrecht. 19 Achtes Buch. 1. Beispiele aus neuerer Zeit sind der Schweizer Sonderbundskrieg vom Jahr 1847 und der nordamerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865. Die Bundesgewalt bezeichnete zwar in beiden Kriegen die widerstreitenden Sonderbünde als strafbare Rebellen, und verzichtete auch nicht völlig auf die Bestra- fung der Anstifter und Führer der Rebellion. Aber trotzdem wurden die Truppen der Einzelstaten doch, und mit Recht, als wirkliche Kriegspartei behandelt und da- durch der Schutz des civilisirten Kriegsrechts über das ganze Kriegsfeld ausgedehnt. Noch entschiedener sahen die auswärtigen Staten in beiden Mächten, die sich bekrieg- ten, wahre völkerrechtliche Kriegsparteien. 2. Auch in dem deutschen Krieg von 1866 versuchte es die Mehrheit des Bundestags dem Krieg den Charakter eines Executionskriegs gegen Preußen beizu- legen, aber ohne Glück. Preußen und Oesterreich, die sich um die Führung der deutschen Nation stritten, waren beide keine bloße Bundesstaten, sondern europäische Mächte und ihr Krieg daher ein völkerrechtlicher Krieg im vollen Sinn des Worts. Von einer Anwendung einer bundesmäßigen Strafgerichtsbarkeit konnte daher keine Rede sein. 515. Der Krieg ist gerecht, wenn und soweit die bewaffnete Rechtshülfe durch das Völkerrecht begründet ist, ungerecht, wenn dieselbe im Widerspruch mit den Vorschriften des Völkerrechts ist. Es ist das nicht bloß ein moralischer, sondern ein wirklicher Rechtssatz , freilich vorerst noch von geringer practischer Bedeutung, weil jede Kriegspartei die Gerechtigkeit ihrer Sache behauptet und es an einem unparteiischen Richter fehlt, welcher über die Wahrheit dieser Behauptung entscheidet. Indessen einige Wirkungen hat diese Unterscheidung doch, insbesondere bezüglich der Allianzpflicht und unter Umständen auch der Intervention bisher unbetheiligter Mächte . Jene ist nur für den gerechten Krieg zu fordern, diese gegen den ungerechten Krieg erlaubt. 516. Als rechtmäßige Ursache zum Krieg gilt eine ernste Rechtsverletzung oder eine gewaltsame Besitzstörung, welche dem zum Krieg greifenden State widerfahren ist oder womit er in gefährlicher Weise bedroht ist, oder eine schwere Verletzung der allgemeinen Weltordnung. Die Gewalt von Mensch gegen Mensch geübt, ist nur durch die Nothwen- digkeit zu rechtfertigen, die wir ihres sittlichen Charakters wegen Recht nennen. Der Krieg als Rechtshülfe setzt daher die Verletzung eines Rechts voraus, das nur mit Gewalt zur Anerkennung zu bringen ist, ganz ebenso wie der gerichtliche Proceß eine Rechtsverletzung voraussetzt, welche die Klage begründet. Das Kriegsrecht. 517. Als rechtmäßige Ursache zum Krieg ist aber nicht bloß die Verletzung geschichtlich anerkannter und erworbener Rechte, sondern ebenso die unge- rechtfertigte Behinderung der nothwendigen neuen Rechtsbildung und der fortschreitenden Rechtsentwicklung zu betrachten. Die Nothwendigkeit der zeitgemäßen Neugestaltung des Stats muß ebenso aner- kannt und durchgeführt werden, wie der Bestand des geschichtlich gewordenen Rechts, so lange es lebensfähig und zeitgemäß ist, geschützt werden soll. Wer die Verfechtung des werdenden Rechts bestreitet, der verkennt die lebendige Natur des Rechts und hindert deren Fortbildung, welche mit der Entwicklung der Völker Schritt halten muß, wenn das Recht seine Bestimmung erfüllen soll. Es ist eine eher kindische als juristische Ansicht, daß ein Volk berechtigt sei, für das dynastische Erbrecht eines Fürsten Krieg zu führen, aber nicht berechtigt sei, für seine nationale Einigung zu den Waffen zu greifen, weil jenes Erbrecht in einer mittelalterlichen Urkunde vorbehalten worden, die nationale Einigung dagegen durch eine traurige Geschichte bisher verhindert und gehemmt worden ist. Dennoch hat diese wunderliche Meinung im Jahr 1866 in Deutschland manche Vertreter gefunden. Meines Erachtens ist das Recht eines Volkes, sich die statliche Gestalt zu geben, deren es bedarf, um seine natürliche Anlage zu entwickeln, seine Bestimmung zu erfüllen, für seine Sicherheit zu sorgen und seine Ehre zu wahren, und daher sein Recht, dafür nöthigenfalls zu den Waffen zu greifen, ein sehr viel heiligeres, natürlicheres und wichtigeres Recht als irgend ein urkundliches Dynastenrecht. 518. Das bloße Statsinteresse für sich allein rechtfertigt den Krieg nicht. Eben weil in dem Krieg die Gewalt zwingend auftritt, sind nur Rechts- gründe , nicht aber bloße Zweckmäßigkeitsgründe geeignet, denselben zu rechtfertigen. Es gibt freilich viele Kriege, welche ohne Rechtsnothwendigkeit, aus bloß politischen Motiven unternommen worden sind, um das Ansehen einer Macht zu vergrößern, eine politische Richtung zu hindern oder zu unterstützen, günstige Ver- bindungen zu erreichen u. dgl. Aber als bloßes Mittel der Politik ist der Krieg durchaus verwerflich. Völlig verschieden von dieser Frage ist die andere, ob der Krieg, wenn er als Rechtshülfe unternommen worden, nicht auch als politisches Mittel benützt werden dürfe. Das ist meines Erachtens nicht zu tadeln. Im Gegentheil, die Be- nutzung des Kriegs, um wenn er einmal da ist, auch nützliche Zwecke zu erreichen, schafft ein Aequivalent für die unvermeidlichen Kriegsübel und bringt die Völker vorwärts. 19* Achtes Buch. 519. Auch in einem ungerechten Krieg gelten dennoch die Vorschriften des Völkerrechts über die Art der Kriegsführung und die Rechte und Pflichten der Kriegsparteien. Ueber den Begriff des ungerechten , d. h. des nicht durch eine rechtmäßige Kriegsursache gerechtfertigten Kriegs vgl. oben zu § 516 bis 518. Die Vorschriften des Kriegsrechts sind aber auch für den ungerechten Krieg bindend. Würde man das nicht zugeben, und etwa gegen die Kriegspartei, welcher man vorwirft, sie habe keinen Rechtsgrund für sich, strengere und grausamere Maßregeln ergreifen oder ihr nicht dieselben Rechte zugestehen, so würde der Krieg überhaupt wieder barbarischer werden; denn wie jede Partei gewöhnlich behauptet, nur ihr Recht zu verfechten, so bestreitet sie gewöhnlich den Rechtsgrund der Gegenpartei. Das Kriegsrecht civilisirt den gerechten und den ungerechten Krieg ganz gleichmäßig. Nur weil es diese Unterscheidung nicht wirken läßt, sichert es seine allgemeine Anwendung. 520. Die rechtmäßige Kriegsursache rechtfertigt den Krieg nur dann, wenn die Herstellung des Rechts und die entsprechende Genugthuung und Sühne nicht auf friedlichem Wege sicher und ohne Zögerung zu erreichen sind. Daß man die Verhandlung über das streitige Recht nicht mit dem Krieg be- ginnen darf, war schon den antiken Völkern klar. Der Krieg ist nicht das erste, sondern das letzte Mittel, sich Recht zu verschaffen, im Grunde doch nur ein un- sicheres, mit den schwersten Uebeln verbundenes Nothmittel . 521. Wenn ein Stat einen Angriffskrieg beginnt, so ist er schuldig, vorerst den Versuch zu machen, ob nicht seine Forderungen ohne Krieg anerkannt und erfüllt werden und ebenso verbunden, vorher seinen Entschluß zum Krieg vor Eröffnung der Feindseligkeiten anzukündigen. Wird ein Angriffskrieg ohne Kriegsdrohung oder ohne vorherige Kriegs- erklärung lediglich durch thatsächliche Ueberraschung mit Feindseligkeiten begonnen, so wird diese Handlung von dem civilisirten Völkerrecht gemißbilligt, es wäre denn, daß ausnahmsweise das Völkerrecht die sofortige Anwendung der Kriegsgewalt, wie z. B. gegen Seeräuber gestattet. In der Regel wird freilich die Verfolgung der Seeräuber als Anwendung der völkerrechtlichen Strafgerichtsbarkeit , Das Kriegsrecht. nicht als eigentliche Kriegsführung zu betrachten sein. Aber sie kann sich unter Um- ständen zum Kriege steigern, wenn die verfolgten Piraten Schutz bei einer statlichen Macht finden. 522. Die Ankündigung des bevorstehenden Kriegs kann durch Gesante oder Herolde dem Gegner gegenüber förmlich erkärt oder sie kann durch ein allgemeines Kriegsmanifest aller Welt gegenüber eröffnet werden. 1. Die antike Rechtsübung der Römer betrachtete die feierliche Krie gs- androhung und sodann die nachfolgende Kriegserklärung als eine Be- dingung des gerechten Kriegs ( bellum justum ). Auch im Mittelalter mußte die rechtmäßige Fehde drei Tage vor Beginn der Gewalt feierlich angesagt werden. Mit Rücksicht darauf erklären manche Publicisten die vorherige Kriegserklä- rung an den Feind für ein Erforderniß eines civilisirten Kriegsrechts. 2. Es läßt sich nicht verkennen, daß ein solches formelles Verfahren, wenn es allseitig beachtet wird, für die Rechtssicherheit nützlich ist. Es wird dadurch der Zeitpunkt genau constatirt , in dem der Friede aufhört und ein ausnahms- weiser Nothstand des Kriegs eintritt. Das genau zu erfahren und sicher zu wissen, ist aber für eine Menge von Rechtsverhältnissen und Rechtsfragen von größter Wich- tigkeit. Aber man darf ebenso wenig übersehn, daß der neuere Kriegsgebrauch seit mehr als einem Jahrhundert diese Form nicht mehr als nothwendige Bedingung einer rechtmäßigen Kriegsführung beachtet. In der That kommt es denn auch nicht auf diese besondere Form der Kriegserklärung an, um den Entschluß zum Krieg zu verkünden und die Thatsache des Kriegs zu constatiren. Ganz dasselbe kann durch ein Kriegsmanifest erreicht werden, welches beides aller Welt und also auch dem Feind gegenüber verkündet. Das heutige Völkerrecht legt daher einem solchen Kriegsmanifest ganz dieselbe Bedeutung bei, wie der gegenseitigen Kriegserklärung. Ueberhaupt ist es geneigt, die ganze Frage weniger formell zu betrachten, als die frühere Völkersitte. Die Rechtsklarheit hat dabei gelitten, aber die Interessen der Politik und der Kriegs- führung haben sich dabei besser befunden. Vgl. besonders Phillimore III. Cap. 5. 523. In der Androhung, daß eine besagte Handlung eines States als Kriegsfall betrachtet und sofortige kriegerische Maßregeln nach sich ziehen werde, liegt unter Umständen eine eventuelle Kriegserklärung. Fälle der eventuellen Kriegserklärung sind in der neueren Kriegs- geschichte nicht selten, so daß dann eine nochmalige Kriegserklärung oder selbst ein Achtes Buch. Kriegsmanifest als entbehrlich betrachtet wird. Wenn hiebei in bona fide verfahren und nicht etwa der Gegner absichtlich getäuscht wird, um ihn unerwartet und plötz- lich zu überfallen, so kann man diese Praxis nicht als völkerrechtswidrig verurtheilen. Aber da der Mißbrauch nahe liegt und jede Unsicherheit über Frieden oder Krieg schädlich wirkt, so ist diese Methode, einer offenen Erklärung auszuweichen, nicht empfehlenswerth und ihre Anwendung möglichst auf solche Fälle zu beschränken, in denen raschestes Handeln durchaus nöthig und zu einer gehörigen Erklärung keine Zeit mehr ist. Fälle solcher Art waren die Verhinderung der Spanischen Expedition nach Sicilien im Jahr 1718 durch den Angriff der englischen Flotte, die Kämpfe zur See zwischen englischen und französischen Schiffen im Jahr 1788, während nur die Kriegsspannung klar, eine eigentliche Kriegserklärung noch nicht geschehen und noch nicht bekannt war. Weil man im Krieg auf Ueberraschungen gefaßt sein muß, so sind die Staten zur Zeit der Vorbereitung und Spannung auf den Krieg zur Wachsamkeit veranlaßt, und fängt die militärische Nothwendigkeit, den Drohungen des Feindes rechtzeitig zu begegnen, an mitzuwirken. Es ist dann eine Aufgabe der Politik, diese militärische Rücksicht mit der auf das Völkerrecht in Harmonie zu bringen. 524. Zum Vertheidigungskrieg bedarf es einer vorherigen Kriegserklärung durch den Vertheidiger nicht. Die kriegerische Abwehr des kriegerischen Angriffs macht die Kriegserklärung entbehrlich. Der Vertheidiger ist nicht gehindert, aber er ist nicht verpflichtet, den Krieg zu erklären. Auch er kann aber seinen Vertheidigungskrieg durch ein Manifest be- gründen und erklären, und er wird in der Regel gut daran thun, ein solches Ma- nifest zu erlassen. 525. Es ist nicht nothwendig, daß ein längerer Zeitraum zwischen der Kriegsandrohung und dem Beginn der Feindseligkeiten für Unterhandlun- gen verstattet werde. Aber der gute Glaube und die Rücksicht auf die Regel des Friedens erfordern, daß dem Gegner soviel Zeit gegeben werde, um noch den Ausbruch des Krieges durch rasche Nachgiebigkeit zu ver- meiden. Die gleichzeitige Kriegserklärung und Eröfsnung des Kriegs ohne vor- herige unzweideutige Kriegsdrohung verstößt nicht allein gegen die Interessen der Humanität, sondern auch gegen die rechtliche Natur des Kriegs, als der gewaltsamen Rechtshülfe aus Noth. Siehe oben § 516 f. Aber es genügt unter Umständen eine ganz kurze Frist vielleicht von wenigen Tagen, wenn die Gefahr drängt, sogar von Das Kriegsrecht. wenigen Stunden; insbesondere da, wo schon frühere ernste Drohungen oder Kriegs- spannungen vorausgegangen waren und es wesentlich davon abhängt, Gewißheit über die Friedens- oder Kriegsentschlüsse des Gegners zu erhalten. 526. Das bloße Anerbieten, über den Frieden zu unterhandeln oder so- gar Genugthuung zu gewähren, hindert den Vollzug der Kriegsdrohung nicht, wenn nicht zugleich verlässige Garantien für wirkliche und sofortige Befriedigung gegeben werden. Ein solches Anerbieten kann auch gemacht werden, um Zeit zu gewinnen für vollständigere Kriegsrüstung. Würde dasselbe daher ein Hinderniß sein für den Beginn des Kriegs, so könnte das leicht nicht den Krieg, aber den Erfolg des Kriegs vereiteln. 527. Die Kriegserklärung bezeichnet zugleich den Zeitpunkt der Kriegs- eröffnung, wenn der Krieg nicht schon vorher thatsächlich durch Acte der militärischen Gewalt begonnen worden ist. Die thatsächliche Kriegseröffnung beendigt unter allen Umständen den bisherigen Friedenszustand, auch wenn noch keine Kriegserklärung erfolgt ist. Aber die Kriegserklärung eröffnet den Krieg ebenfalls, auch wenn die Feindseligkeiten noch nicht begonnen haben. Es entspricht das theils der thatsächlichen Natur des Kriegs, theils der ausdrücklichen Willensbestimmung der Kriegspartei. Die Frage ist besonders wichtig für die Beurtheilung einzelner Acte der Gewalt, die nur im Krieg, nicht im Frieden erlaubt sind. Die Wegnahme von Prisen setzt den Beginn des Kriegs voraus. 528. Ist der Krieg auch nur von einer Partei thatsächlich oder durch Kriegserklärung begonnen worden, so ist von dann an auch die andere Partei berechtigt, das Kriegsrecht anzurufen und anzuwenden. Es folgt das aus der gegenseitigen Natur des Kriegs. Achtes Buch. 2. Wirkungen des Kriegszustandes im Allgemeinen. Kriegsziel. 529. Die Kriegseröffnung hebt die Rechtsordnung nicht auf, auch nicht im Verhältniß der kriegführenden Staten zu einander. Aber sie übt die Rechtsordnung verändernde Wirkungen aus a ) im Verhältniß der Staten, welche Krieg führen zu einander und zu ihren Bundesgenossen, b ) im Verhältniß zu den neutralen Staten, c ) mit Rücksicht auf die Angehörigen der Kriegsparteien oder die Bewohner des Kriegsfeldes. 1. Die ältere naturrechtliche Vorstellung bildete sich einen rechtlosen Natur- zustand ein, welcher aller Statenbildung vorausgehe , in welchem die Menschen wie die Thiere weder eigene Rechte haben, noch Rechte andern Menschen zugestehen, und Jeder so weit seinen Willen geltend mache, als er die physische Macht besitze. Die alten Naturrechtslehrer meinten, nur durch Friedens- und Gesellschafts- verträge werde dieser Zustand eines bellum omnium contra omnes , des allgemeinen Krieges Aller miteinander beschränkt und ein vertragsmäßiger Rechtszustand eingeführt und sie behaupteten, wenn nun die Staten wider einander den Krieg erklären, so bedeute das Rückkehr in jenen ursprünglichen völlig rechtlosen Kriegs- zustand. Sie nahmen in Folge dessen an, im Krieg werden keine Rechte mehr anerkannt, sondern herrsche nur die physische Gewalt. Diese ganze Ansicht wird von der heutigen Rechtswissenschaft als Irrthum verworfen. 2. Im Gegentheil, wir erkennen an, daß es natürliche Menschenrechte gibt, die im Krieg wie im Frieden zu beachten sind, und daß die Rechtsordnung der Welt und der einzelnen Völker in einer steten geschichtlichen Entwicklung begriffen ist, welche nicht auf einmal durch einen Völkerstreit abgebrochen und gänzlich zerstört werden kann. So wenig die Sprache und die Civilisation einer Nation in Folge einer Kriegserklärung plötzlich verschwindet und in die ursprüngliche Roheit und Barbarei zurücksinkt, ebenso wenig kann die Rechtscultur , das Erzeugniß einer Arbeit von Jahrhunderten auf einmal wieder erlöschen und ein Zu- stand völliger Rechtlosigkeit an seine Stelle treten. Da der Krieg wesentlich Rechts- hülfe ist, so darf er nicht die Rechtsordnung verneinen, welcher er dienen will . 3. Die Rechtsordnung im Ganzen bleibt also unversehrt. Aber weil der Krieg einen Nothstand theils voraussetzt, theils herbeiführt, übt er eine Reihe von Wirkun- gen aus, welche das bestehende Recht theilweise suspendiren, theil- weise abändern . Es tritt nun ein eigenthümliches Kriegsrecht ein, welches als Ausnahmerecht das regelmäßige Friedensrecht modificirt. Das Kriegsrecht. 530. Der Krieg wird zwischen den Staten geführt und nicht unter und mit den Privatpersonen. Die Erkenntniß dieses großen Gesetzes, welches aus der Natur des völker- rechtlichen Rechtsstreites folgt, hat auf die Humanisirung des Kriegs und auf die Sicherung der Privatrechte die wohlthätigsten Wirkungen hervorgebracht. Vergleiche darüber die Einleitung zu diesem Werke. So lange freilich, wie im Alterthum, der Einzelmensch im State aufging, konnte diese Unterscheidung nicht vollwirksam werden. Aber seitdem der Gegensatz des öffentlichen und des Privatrechts klarer ge- worden ist und die neuere Rechtsbildung begriffen hat, daß die Privatperson eine Existenz für sich habe, auch im Gegensatz zum State, hat dieselbe das ganze aus dem Alterthum hergebrachte Kriegsrecht wohlthätig umgebildet. 531. Die kriegführenden Staten sind Feinde im eigentlichen Sinn, die Privatpersonen dagegen sind als solche nicht Feinde, weder unter einander noch dem feindlichen State gegenüber. Nur die Statsgewalt tritt mit Heeresmacht den feindlichen Staten ent- gegen und unternimmt es, dieselbe zu zwingen, daß sie das von jener behauptete Recht anerkenne oder auf ihre bestrittenen Forderungen verzichte. Die Privaten als solche sind bei diesem Streite nicht unmittelbar betheiligt, sie sind nicht Kriegs- und nicht Proceßparteien , und eben deßhalb nicht Feinde im eigentlichen und vollen Sinn des Worts. Der von den früheren Publicisten, sogar noch von Kent (Comm. § 6, 7, 8) als allgemein anerkannt behauptete Satz: „ Wenn der Stat im Kriege sei, so seien alle Bürger des Stats Feinde “ ist offenbar falsch und darf daher nicht mehr gelten. Der Stat ist eine andere Per- son als die Privatpersonen im State. Der Stat hat eine ihm eigenthümliche Rechtssphäre, das große Gebiet des öffentlichen Rechts , und die Privatper- sonen haben ebenso ein ihnen eigenes Rechtsgebiet , ihre persönlichen Familien- und Vermögensrechte, welches von dem Streit der Staten nicht unmittelbar, sondern nur mittelbar betroffen wird, über welches kein Streit zwischen den Sta- ten ist. Daher sind die Privatpersonen nicht im eigentlichen Sinne Feinde . Sie können trotz des Kriegs in den freundlichsten Beziehungen leben, der Verwandtschaft, der Wirthschaft, des Verkehrs. Sehr wahr erklärte der berühmte französische Minister Portalis im Jahre VIII. bei der Installation des Prisengerichtshofs: „Entre deux ou plusieurs nations belligérantes, les particuliers dont ces nations se composent, ne sont ennemis que par accident: ils ne le sont point comme hommes, ils ne le sont même pas comme citoyens; ils le sont uniquement comme soldats“. Vgl. Heffter § 119. Achtes Buch. 532. Inwiefern aber die Angehörigen eines States, der Krieg führt, als Statsbürger oder Unterthanen der Statsgewalt öffentlich-rechtlich verpflich- tet sind, werden sie auch von der Kriegsgewalt des Feindes betroffen und inwiefern sie persönlich an dem Kampfe des States Theil nehmen, werden sie auch als mittelbare Feinde betrachtet und behandelt. 1. Der Stat gebietet, soweit das öffentliche Recht es gut heißt, und die öffent- liche Wohlfahrt es erfordert, auch über die Kräfte seiner Bürger . Er legt denselben Kriegslasten auf. Insoweit hemmt natürlich die feindliche Kriegsgewalt, soweit ihre Macht reicht, die Unterstützung des Stats durch die Bürger und fordert im Gegentheil, soweit das Völkerrecht es zuläßt, für sich diese Unterstützung. 2. Wenn ferner dem feindlichen State die Truppen des Stats — gleichviel ob sie nur aus Bürgern des Stats oder vielleicht auch aus fremden Söldnern bestehen — mit den Waffen entgegentreten, so erscheinen diese Truppen thatsächlich als Feinde , und obwohl auch sie nur im Auftrag und Dienste des States Feind- schaft üben, so werden sie nun doch von den friedlichen Unterthanen des gegnerischen States unterschieden und als Feinde im weitern Sinn des Worts ( mittelbare Feinde ) angesehen. Als solche sind sie im Kampfe der Todesgefahr und besiegt der Kriegsgefangenschaft ausgesetzt. 533. Der antike Satz, daß der Feind rechtlos sei, wird von dem heutigen Völkerrecht als unmenschlich verworfen. Vgl. zu 529. Die Menschenrechte dauern auch im Kriege fort und ebenso die Privatrechte, soweit nicht der Nothstand des Kriegs eine Beschränkung nothwen- dig macht. 534. Ebenso wird der Satz, daß wider den Feind Alles erlaubt sei, was dem Krieg führenden State nützlich erscheint, von dem civilisirten Völker- recht als barbarisch mißbilligt. Das Völkerrecht verbindet auch die Kriegsparteien während des Kriegs als Glieder der Menschheit und beschränkt dieselben in der Anwen- dung der zulässigen Gewaltmittel. Da der Krieg gewaltsame Rechtshülfe und sein Endziel Herstellung der Rechtsordnung und des Friedens ist, so muß auch die Kriegsgewalt die Schranken Das Kriegsrecht. der regelmäßigen Rechtsnothwendigkeit beachten, und darf dieselben nur dann und nur insofern überschreiten, als die ausnahmsweise militärische Nothwendigkeit es fordert. Treulosigkeit und barbarische Grausamkeit sind auch dann nicht gegen den Feind erlaubt, wenn dieselben für den Gang des Krieges vortheilhaft zu sein scheinen. Die ganze Existenz des Kriegsrechts bedeutet Beschränkung der Kriegsleidenschaft und der Kriegswillkür . 535. Ausrottungs- und Vernichtungskriege gegen lebens- und culturfähige Völker und Stämme sind völkerrechtswidrig. 1. Der Vertilgungskrieg gegen die abgöttischen Bewohner von Palästina, welchen die alten Juden noch für eine heilige Pflicht hielten, wird von dem huma- neren Rechtsgefühl der heutigen Welt als Barbarei getadelt und darf nicht mehr wie ein nachahmungswürdiges Beispiel gepriesen werden. 2. Zur Zeit noch weniger empfindlich ist das moderne Rechtsgefühl gegenüber von wilden Stämmen . Das Völkerrecht schützt dieselben nicht, weil man an- nimmt, sie gehören nicht zu den großen Völkerfamilien, aus denen die civilisirte Menschheit besteht, weil sie keinen activen Antheil an der Handhabung des Völker- rechts haben. Ich sehe darin noch einen Mangel in dem heutigen Völkerrecht. Weil die Wilden Menschen sind, so sind sie auch menschlich zu behandeln und darf man ihnen nicht alle Menschenrechte absprechen. Sie sind vielleicht schwer an eine Rechts- ordnung zu gewöhnen; ihre Erziehung zu gesitteten Menschen ist vielleicht ein un- dankbares Geschäft, das nur mit geringen Erfolgen die großen Mühen lohnt. Aber es ist dennoch die Aufgabe und die Pflicht der civilisirten Völker, sich auch dieser Heran- bildung der rohesten Stämme anzunehmen und sie zu einem menschenwürdi- geren Zustand heranzubilden . Nimmermehr darf es zugegeben werden, daß die Jagd auf wilde Menschen ebenso Jedermann frei stehe oder auch von der Statsgewalt erlaubt werden dürfe, wie die Jagd auf Füchse und Wölfe. 536. Das Kriegsziel wird durch die Kriegsursache nur zum Theil be- stimmt. Die Forderungen wachsen im Verhältniß der Opfer, welche für den Krieg geleistet, und der Gefahren, welche mit dem Kriege übernommen worden sind. Der Sieg übt durch seine Bethätigung der wirklichen Macht auch eine Recht bildende Kraft aus. 1. Das ist der große Unterschied zwischen andern Processen und dem furcht- baren Rechtsstreit des Kriegs. Das gerichtliche Urtheil geht niemals über das Klage- recht hinaus, es begnügt sich, das Rechtsverhältniß, welches verletzt worden war, wieder herzustellen. Die Proceßkosten erscheinen im Civilproceß als eine meist nur Achtes Buch. unwichtige Nebensache. Im Civilproceß werden aber auch die Proceßmittel, die Streitschriften und die Streitreden der Parteien in den bemessenen Schranken fest- gehalten, welche der Natur der Streitsache entsprechen. Sie greifen nicht über das Klagbegehren und nicht über den Umfang der Einreden hinaus. Im Krieg der Völker ist das Alles anders. Der Krieg ist ein so furchtbares Streitmittel, daß der- selbe eine Menge von Wirkungen und Folgen nach sich zieht, welche mit dem ursprüng- lichen Streitobject nichts zu schaffen haben. Er macht Opfer an Gut und Blut nöthig, die nicht selten viel größer sind, als der Werth des streitigen Rechts. Er regt mit den Volkskräften auch die Volksleidenschaften aus der Tiefe auf und stellt das ganze künftige Verhältniß der streitenden Staten in Frage. Nicht bloß über das Recht, auch um die Interessen der Politik wird nun gestritten. Es offenbaren sich im Krieg die lange gebundenen und verborgenen Kräfte, und verlangen nun ebenfalls Beachtung. So wird der Krieg zu einem Entwicklungsmoment der Völker- geschichte und in veränderter Gestalt gehen aus ihm die Staten hervor. 2. Deßhalb ist das Kriegsziel nicht so enge begrenzt, wie die Kriegs- ursache . Es erweitert sich durch andere Momente, welche der Krieg selbst dem ursprünglichem Streitgegenstand hinzufügt. Es handelt sich meistens nicht mehr allein um die Gewährung des anfangs streitigen Anspruchs oder die Anerkennung des bestrittenen Rechts, selbst nicht bloß um die Entschädigung für die erlittene Un- bill und um die Genugthuung für die erfahrene Beleidigung. Man will auch Sicherheit für die Zukunft und sogar einen neuen Friedenszustand gewinnen, welcher dem im Krieg bewährten Machtverhältniß entspricht und der neuen Rechts- bildung des Statenlebens zu zeitgemäßem Ausdruck dient. 3. Insofern erscheint der Krieg nicht als bloße Abwehr der Rechtsver- letzung und als ein Mittel der Wiederherstellung des verletzten Rechts , sondern zugleich als eine treibende Kraft zu neuer Rechtsgestaltung . Die Neugestaltung des Statslebens geht nun einmal nach dem Zeugniß der Ge- schichte meistens unter Donner und Blitz, im Gewittersturm vor sich. 3. Kriegsrecht gegen den feindlichen Stat und in dem feindlichen Statsgebiete. 537. Der ständige diplomatische Verkehr zwischen den feindlichen Staten wird, wenn er nicht schon vor der Kriegseröffnung abgebrochen worden ist, nun in Folge derselben regelmäßig aufgehoben und die Gesanten wer- den wechselseitig zurückgerufen oder zurückgeschickt. Das Kriegsrecht. Indessen kann der Gesantenverkehr ausnahmsweise auch während des Kriegs fortgesetzt oder neu angeknüpft werden. 1. Der Abbruch des Gesantenverkehrs geht oft der Kriegserklärung voraus und wird dann als Einleitung zu dem drohenden Bruch des Friedenszustands angesehen. Derselbe kann aber auch mit der Kriegserklärung verbunden werden. Auf einer Rechtsnothwendigkeit beruht er nicht; denn es ist kein innerer Widerspruch darin zu finden, daß zwei Staten über ein einzelnes Streitobject mit einander kämpfen und zugleich in andern Beziehungen mit einander durch Gesante friedliche Verhandlungen pflegen. Der Krieg kann ja durch Uebereinkunft localisirt und dadurch auf ein engeres Gebiet begränzt werden, als die beiderseitige Stats- herrschaft reicht. Die wechselseitige Abberufung der Gesanten erscheint daher durchweg als ein freier, durch politische Erwägungen bestimmter Act der Politik , nicht als Rechtspflicht. Eben deßhalb ist die Fortdauer der Gesantschaft nicht unmög- lich, trotz des Kriegs, und der Erneuerung des Gesantenverkehrs steht auch während des Kriegs kein rechtliches Hinderniß im Weg. Dieselbe kann ebenso den Frieden vorbereiten, wie früher die Abberufung den Krieg. 2. Als politischer Grund kommt neben der Abneigung, einen freundlichen Geschäftsverkehr fortzusetzen, während man einander mit tödtlichen Waffen bekämpft, hauptsächlich die Rücksicht in Betracht, daß man nicht in dem Centrum der eigenen Stats- und Kriegsleitung eine Repräsentation des feindlichen Stats haben will, welche diese Stellung gegen die dießseitigen Statsinteressen benutzen kann und allen feindlichen Bestrebungen zu einem Stützpunkte dient. Nicht dieselben Gründe sprechen für die einstweilige Aufhebung der con- sularen Vertretung, welche weniger im Statsinteresse als zu Gunsten des inter- nationalen Privatverkehrs thätig ist. Es kommt daher eher vor, daß die Thätigkeit der Consuln sogar des feindlichen Stats auch während des Kriegs unge- hemmt fortgesetzt wird, selbstverständlich aber nur so lange, als der Stat sein Exe- quatur nicht zurückzieht. Ueber die Consuln der neutralen Staten vgl. § 555. 538. Auch die Vertragsverhältnisse zwischen den Staten, welche Krieg führen, werden nicht nothwendig durch die Kriegseröffnung aufgelöst oder suspendirt. Die Wirksamkeit der Verträge wird während des Krieges nur in- soweit gehemmt, als die Kriegsführung mit derselben unvereinbar ist. Die eigens für den Kriegszustand geschlossenen Statenverträge gelan- gen erst im Kriege zu ihrer Wirksamkeit. 1. Von vielen Publicisten ward früher behauptet, daß der Krieg ipso facto die Verträge zwischen den kriegführenden Staten aufhebe . Achtes Buch. Auch in diplomatischen Actenstücken findet sich diese Behauptung oft, wie ein selbst- verständliches Recht ausgesprochen. Offenbar ist dieselbe eine Folge jener falschen Grundansicht, welche eine Zeit lang das Kriegsrecht verdorben hat, daß durch den Krieg ein rechtloser Naturzustand herbeigeführt werde. (Vgl. zu § 529). Sobald man einmal erkannt hatte, daß der Krieg als Rechtshülfe nicht die Rechtsordnung aufhebt, so überzeugte man sich von der Verwerflichkeit jener älteren Lehre. Die Thatsache des Kriegs kann so wenig alles Vertragsrecht zerstören, als sie die Rechts- ordnung überhaupt aufhebt. Der Krieg kann sogar als Mittel dienen, um einen Stat zur Erfüllung seiner Vertragspflicht zu zwingen. 2. Sehr oft werden auch Verträge eigens für den Kriegsfall geschlossen, wie z. B. über die Beschränkung der Contrebande, über die Gestattung des freien Handels während des Kriegs, über Neutralisirung eines Gebietstheils, zum Schutz gewisser Anstalten gegen die Kriegsgefahr, über die Prisengerichtsbarkeit. Da hat man auch früher schon anerkannt, daß derartige Verträge trotz des Kriegs Gel- tung haben, freilich im Widerspruch mit jenem Grundirrthum. Es ist aber eben so wenig Grund, um die fortdauernde Rechtsgültigkeit anderer Verträge, die keinen Bezug auf den Krieg haben, im Princip zu verneinen, lediglich weil zwischen den Staten über eine andere Rechtsfrage Streit ist. Weßhalb sollen z. B. vertrags- mäßige Feststellung der Grenze, oder die Verträge über Unterhaltung der Flußufer, oder über die Freizügigkeit der Einwohner, über das Erbrecht und das Vormund- schaftsrecht kraftlos werden, ungeachtet der Inhalt derselben nicht streitig geworden ist und dieselben trotz des Kriegs ausgeführt werden können? 3. Verschieden von der rechtlichen Ungültigkeit ist die thatsächliche Wirk- samkeit der Verträge. Diese kann leicht durch den Krieg thatsächlich behindert werden, unter Umständen schon deßhalb, weil der friedliche Verkehr zwischen den Staten abgebrochen wird, oder weil die Kriegführung die Kräfte absorbirt, welche im Frieden für vertragsmäßige Leistungen verwendet wurden. Wenn z. B. der Stat A sich durch Vertrag mit dem State B verpflichtet hat, eine Eisenbahn bis zu einem bestimmten Termin auszubauen, oder eine Flußcorrection auszuführen, so macht wohl, wenn es vorher zwischen diesen Staten zum Kriege kommt, in den meisten Fällen das Bedürfniß der Kriegsführung, welche alle financiellen Kräfte an sich zieht, den Vollzug jenes Vertrags unmöglich. Insofern suspendirt der Krieg die Wirksamkeit vieler Verträge; und es bedarf dann oft im Frieden einer erneuer- ten Regulirung dieser Verhältnisse. (Vgl. oben § 459.) Weil man das in man- chen Fällen erfahren hatte, so meinte man die allgemeine Rechtsregel aussprechen zu dürfen, daß der Krieg die Wirksamkeit der Verträge überhaupt verhindere. Indessen geht auch diese Regel zu weit. Vielmehr ist im einzelnen Fall zu prüfen, ob die Natur des Kriegs zu einem Hinderniß für die Vertragserfüllung werde oder nicht. Da die privatrechtliche Gerichtsbarkeit während des Kriegs auch den Angehö- rigen des feindlichen Stats gegenüber fortdauert, so kann leicht bei Entscheidung eines Privatprocesses das bestehende Vertragsrecht für das richterliche Urtheil maßgebend und daher wirksam sein. Das Kriegsrecht. 539. Wenn ein Theil des feindlichen Statsgebiets — ein Platz, eine Stadt, ein Bezirk, ein Land — von der gegnerischen Kriegsgewalt besetzt wird, so verfällt dieser besetzte Theil sofort dem Kriegsrecht des Heeres, welches Besitz ergriffen hat. Die Gegenwart der kriegführenden Truppen in Feindesland wirkt auch ohne vorherige Erklärung. Vgl. die Amerikanischen Kriegsartikel . 1. Die militärische Besitznahme von Feindesland im Krieg schließt die militärische Autorität in sich. Man kann es daher den Bewohnern des besetzten Gebietes nicht als Schuld anrechnen, wenn sie sich nun den Befehlen dieser Gewalt fügen. Im Gegentheil, der Widerstand gilt nicht mehr als berechtigt, wenn gleich er durch sittliche Motive der Vaterlandsliebe oder Treue gegen den heimatlichen Fürsten veranlaßt wird, son- dern wird je nach Umständen schwer bestraft. Es ist das eine nothwendige Wirkung des Kriegs , in welchem sich eine geordnete Statsmacht geltend macht, die zugleich genöthigt ist, für ihre Sicherheit zu sorgen, damit sie ihre Zwecke weiter verfolgen und schließlich erreichen könne. 540. Das Kriegsrecht suspendirt die Autorität der feindlichen Statsgewalt in dem besetzten Gebietstheil und setzt die militärische Autorität der be- setzenden Macht an ihre Stelle. Amerik. Kriegsartikel 2. Es gilt das sowohl von der Gesetz- gebenden Gewalt als besonders von der obern, im einzelnen Fall anordnenden und befehlenden Regierungsgewalt . Wenn sie weiter befehlen wollte, so würde sie nicht mehr auf Gehorsam rechnen dürfen und die Bewohner nur in einen un- natürlichen Conflict der Neigung und der Pflicht und in eine höchst gefährliche Lage versetzen; denn unmöglich kann die besetzende Kriegsautorität es dulden, daß ihr eine feindliche Gewalt in dem Bereich ihrer errungenen Herrschaft entgegentrete. Die militärische Autorität im Feindesland ist zugleich Statsautorität und zwei entgegengesetzte Statsautoritäten können nicht in demselben Gebiete be- stehen. Mit Nothwendigkeit wird die eine durch die andere aus der Ausübung verdrängt. Vgl. unten § 544. Aber man geht zu weit, wenn man diese Suspen- sion auch auf das ganze bestehende Landesrecht , sowohl das öffentliche als das Privatrecht ausdehnt. Vielmehr dauert die Rechtsordnung so weit fort, als sie mit den Kriegszuständen verträglich ist und nicht von der Kriegsgewalt außer Wirksamkeit gesetzt wird. 541. Der Befehlshaber über die besetzenden Kriegstruppen kann die bür- Achtes Buch. gerliche Verwaltung und Rechtspflege ganz oder theilweise in dem be- setzten Gebiet fortdauern lassen, wie in Friedenszeiten und wie vor der Besitznahme. Aber diese Verwaltung muß hinwieder sich den Anordnungen unter- werfen, welche die militärische Nothwendigkeit und das Bedürfniß einer wirksamen Kriegführung fordern. Amerik. Kriegsartikel 3. Die Interessen der allgemeinen Sicherheit und Wohlfahrt , für welche die statlichen Policei- und Verwaltungs- behörden und die Gerichte zu sorgen haben, dauern auch im Kriege fort und bedür- fen einer Befriedigung. Es ist daher durchaus verkehrt, wenn die ganze Beamtung und sogar die Policeimannschaft (Gensdarmerie) bei dem Vormarschiren des feind- lichen Heeres aus dem Gebiete, das es zu besetzen im Begriffe ist, weggezogen wer- den, wie es noch 1866 in dem letzten Kriege von Oesterreich in Böhmen geschehen ist. Der Feind leidet dabei viel weniger, als die eigenen Landsleute, für welche ja die Verwaltung eingeführt ist. Diesen gegenüber begeht die Landesregierung, welche alle Anstalten zum Schutz der öffentlichen Ordnung beseitigt, ein schweres Unrecht. Allerdings ist aus politischen Motiven ein Unterschied zu machen zwischen den Be- amten und Angestellten, welche wesentlich verwaltende und denen, welche vor- nehmlich politische Functionen hatten. Die erstern haben keinen Grund, zu flüchten, aber viele Gründe, in ihrem Amte auszuharren und ihre Verwaltung im Orts- und Landesinteresse fortzuüben , wenn die feindliche Kriegs- gewalt sie nicht daran behindert. Die letztern dagegen mögen eher vor der Feindes- gewalt weichen, welcher zu dienen sie nicht verpflichtet sind, und welche ihnen schwer- lich die fortgesetzte politische Leitung anvertrauen würde. Diese Unterscheidung wirkt aber eher politisch als rechtlich und ist ebendeßhalb eine fließende. Einzelne Ver- waltungsbeamte, welche politisch vorzüglich compromittirt sind, mögen zureichende Motive haben, die besetzte Gegend und ihr Amt zu verlassen, wenn der Feind ein- zieht, und umgekehrt auch politische Beamte nach Umständen es zweckmäßig finden, zurück zu bleiben und die weiteren Entschlüsse der besetzenden Kriegsgewalt abzu- warten. Nur die Rechtsregel steht fest: Bis zur Besetzung haben die Beamten den verfassungsmäßigen Anordnungen und Befehlen ihrer Regierung Gehorsam zu leisten. Nach vollzogener Besetzung dagegen hört die Wirksamkeit der frühern Autorität auch für die Beamten auf und müssen sie sich der Autorität der besetzenden Kriegsgewalt so weit fügen, als dieselbe völkerrechtlich begründet ist. Am wenigsten werden von der Aenderung die Gemeinde- und überhaupt alle Localämter betroffen. Da dieselben eine rein-örtliche Aufgabe und Beziehung haben, so lassen sie sich nicht von dem Orte trennen und gerathen mit diesem unter die Autorität des Feindes. 542. Die Träger der militärischen Autorität sind nicht entbunden von Das Kriegsrecht. den Gesetzen der Menschlichkeit, der Gerechtigkeit, der Ehre und des civili- sirten Kriegsgebrauchs. Militärische Tyrannei und Unterdrückung ist nicht Ausübung, sondern Miß- brauch des Kriegsrechts . Je größer die Ueberlegenheit der bewaffneten Macht ist über die unbewaffneten Bürger, desto nöthiger ist es, daß dieselbe durch jene menschlichen Tugenden und Vorzüge veredelt und ermäßigt werde. Es ist nicht ein Zeichen militärischer Tapferkeit oder Ehre, wenn der Soldat seine Gewalt zur Un- gebühr mißbraucht, sondern nur ein Zeichen von unwürdiger Roheit, und es ist der Stolz einer civilisirten Armee, Recht und gute Sitte zu achten. Eben dadurch un- terscheidet sie sich von barbarischen Kriegern. Amerik. Kriegsart . 4. 543. Das Kriegsrecht ist weniger streng zu handhaben in Plätzen und Bezirken, deren Besitznahme gesichert erscheint und strenger da, wo die Gefahr des Kampfes um den Besitz fortdauert und nahe ist, am strengsten im Angesicht des wirklichen Kampfes selbst. Am. Kr . 5. Diese Regel wirkt sowohl auf die Bestimmung kriegsrechtlicher Anordnungen, als auf die Anwendung und Auslegung des Kriegsrechts. Die Stei- gerung der Strenge ist wie das ganze Kriegsrecht durch die militärische Nothwen- digkeit und das Bedürfniß der Sicherheit bedingt. Wenn es sich z. B. rechtfertigt, im Angesicht des gegenwärtigen Kampfs Häuser von Privaten ganz in Besitz neh- men, mit Wegweisung der Bewohner und vielleicht dieselben niederzureißen, so würde eine solche Maßregel, wenn ein localer Kampf an der Stelle noch völlig ungewiß ist, als barbarisch erscheinen. Ebenso wird die Hemmung alles Verkehrs, unter Umständen durch militärische Vorsichtsmaßregeln geboten, ohne solches Bedürf- niß ungerechtfertigt sein. 544. So weit die Besitznahme der feindlichen Kriegsmacht reicht und so lange sie dauert, erscheint die Regierungsgewalt des gegnerischen States verdrängt. Inzwischen sind die Bewohner der besetzten Gebiete zu keinem Ge- horsam gegen die verdrängte Regierung verbunden, aber genöthigt, der thatsächlich herrschenden Kriegsgewalt statlichen Gehorsam zu leisten. Vgl. oben zu § 539. Die Besitznahme eines Gebietstheils hört aber nicht schon dadurch auf, daß die besetzenden Truppen wegziehen. Wenn die Armee vor- wärts marschirt in Feindesland, so bleibt zunächst das hinter ihr liegende Bluntschli , Das Völkerrecht. 20 Achtes Buch. Gebiet in ihrem Besitz, auch wenn sie keinen Soldaten mehr dort stehen hat, und zwar so lange, bis sie entweder den Besitz absichtlich aufgibt, oder bis sie wieder mit Gewalt aus dem Besitze verdrängt wird. Vgl. unten § 551. 545. Die Kriegsgewalt kann allgemeine Verordnungen erlassen, Einrich- tungen treffen, Policeigewalt und Steuerhoheit ausüben, soweit solches durch das Bedürfniß der Kriegsführung geboten ist, oder durch die Bedürf- nisse des besetzten Gebietes und seiner Bewohner erfordert wird. Sie hat sich aber bis zu definitiver Regelung der Statsverhältnisse solcher gesetzgeberischer Acte möglichst zu enthalten, durch welche die Verfas- sung geändert wird und darf die hergebrachte Rechtsordnung nur aus dringenden Gründen außer Wirksamkeit setzen. 1. Die Kriegsgewalt ist wesentlich Nothgewalt und provisorische Ge- walt . Daher sind ihre Anordnungen durch die Nothwendigkeit bedingt und be- schränkt, und nicht berufen, die dauernden Grundlagen des öffentlichen Rechts zu verändern. Schon deßhalb soll sie die bestehende Verfassung und Gesetzgebung mög- lichst wenig antasten und ihre Wirksamkeit nur hindern, wo das militärische Be- dürfniß es erfordert. Diese Beschränkung kann freilich durch die Umstände geboten werden. Wenn z. B. das Vereins- und Versammlungsrecht der Bewohner durch die Verfassung gewährleistet ist, so wird dennoch die feindliche Kriegsgewalt die freie Ausübung desselben nicht dulden können, ohne ihren Besitz und ihre Sicherheit zu gefährden. Auch die Preßfreiheit erleidet im Krieg nothwendige Beschränkung. Ist durch die Verfassung eine jährliche Versammlung der Volksvertretung angeordnet, so werden auch diese Wahlen und wird die Versammlung in dem besetz- ten Gebiete gewöhnlich gehemmt werden müssen. 2. Wenn Befreiungskriege geführt werden, dann freilich liegt es oft im Interesse der Kriegführung, so weit die Macht der Kriegsgewalt reicht, auch neue Ordnungen vorläufig einzuführen, durch welche den bisher gedrückten Bewohnern des besetzten Landes bessere Rechte verliehen und die Sympathien derselben gewonnen werden. Derartige Veränderungen haben die französischen Revolutionskriege zu An- fang dieses Jahrhunderts mit sich gebracht, aber auch der neueste Bürgerkrieg in den Vereinigten Staten von Amerika. 546. Da der Kriegszustand ein Nothstand und das Kriegsrecht ein Noth- recht ist, so können die militärisch gerechtfertigten Anordnungen der Kriegs- gewalt nicht aus dem Grunde als ungültig angefochten werden, daß sie der Verfassung oder dem Landesrecht widersprechen. Das Kriegsrecht. Beispiele der Art sind in der Erläuterung zu § 545 gegeben. Das muß aber sogar von der Kriegsgewalt des eigenen Landes ebenso gelten, denn „ Noth kennt kein Gebot “. 547. Soweit nicht die Kriegsgewalt besondere abweichende Vorschriften erläßt, hat die bürgerliche und die Strafgerichtsbarkeit des Landes ihren regelmäßigen Fortgang. Die Einführung einer außerordentlichen kriegsgerichtlichen Rechtspflege — des sogenannten Standrechts — ist nur aus dem Grunde einer ernsten und dringenden Gefahr zulässig und ist vorher öffentlich zu ver- künden. Am. Kr . 6. 1. Die Kriegsgewalt kann z. B. die Wirksamkeit der gesetz- lichen Schutzmittel gegen Verhaftungen (Habeas-Corpusacte) suspendiren oder auch in Folge der Verkehrssperre die Durchführung des Wechselrechts hemmen u. dgl. Vgl. zu § 545. 2. Die Einsetzung von Kriegsgerichten zur Ausübung des standrecht- lichen Verfahrens ist einer der schwersten Eingriffe in die bürgerliche Freiheit und Rechtssicherheit, weil sie eine Menge von Garantien aufhebt, welche das regelmäßige Proceßrecht den Parteien gibt. Es kann daher nur durch die Noth gerechtfertigt werden. Die friedlichen Bewohner aber dürfen den Gefahren desselben nicht ausge- setzt werden ohne vorherige öffentliche Warnung . 548. Auch die standrechtlichen Kriegsgerichte dürfen nicht nach Willkür und nicht leidenschaftlich verfahren, sondern sind verpflichtet, die Funda- mentalgesetze der Gerechtigkeit zu beachten. Insbesondere sollen sie den Angeschuldigten freie Vertheidigung gestatten, keine Tortur anwenden, den Thatbestand wenn auch summarisch doch unparteiisch prüfen und nur eine verhältnißmäßige Strafe über den Schuldigen erkennen. Aber sie sind nicht gebunden an die strengeren Vorschriften der gewöhnlichen Proceß- gesetze. Am. Kr . 12. Die Bestellung dieser Kriegsgerichte geschieht nach den Vor- schriften der Landesverfassung oder der militärischen Vorschriften der einzel- nen Länder . Die obigen Grundsätze dagegen haben eine allgemein mensch- liche Bedeutung. Würden sie verletzt, so würde das Standrecht aufhören eine Rechtspflege zu sein und würde zu einer Bethätigung zügelloser Leidenschaft 20* Achtes Buch. werden. In den Amerikanischen Kriegsartikeln ist auch der Satz enthalten, der sich einer allgemeinen Anerkennung empfiehlt: „Die Todesstrafe darf ohne Erlaubniß des Statshauptes nicht vollzogen werden, außer wo der Drang der Umstände einen schnelleren Vollzug fordert und dann nur mit Erlaubniß des obersten Befehlshabers der betreffenden Truppen“. Ueberdem machen diese Artikel darauf aufmerksam, daß die militärische Gerichtsbarkeit eine zwiefache Begründung habe, einmal in dem Statsrecht des Landes für Aufrechthaltung der militärischen Ordnung und so- dann im Völkerrecht für Fälle, die nicht schon nach Landesgesetz strafbar sind, für welche es daher einer besondern Ermächtigung bedarf, das Kriegsrecht in dieser Form zu hanben. Das gilt vorzüglich in feindlichem Land . 549. Die Kriegsgewalt darf alles das thun, was die militärische Noth- wendigkeit erfordert, d. h. soweit ihre Maßregeln als nöthig erscheinen, um den Kriegszweck mit Kriegsmitteln zu erreichen und in Uebereinstim- mung sind mit dem allgemeinen Recht und dem Kriegsgebrauch der civi- lisirten Völker. Am. Kr . 14. Im Grunde ist das die entscheidende Hauptregel für das Recht der Kriegsgewalt. Was nothwendig sei, ergibt sich nur aus den Umständen. So weit die Nothwendigkeit reicht, so weit reicht die Kriegsgewalt . Darüber hinaus wird sie rohe Willkür. Freilich ist es nicht immer leicht, die Gren- zen in der Praxis zu bestimmen und es ist unmöglich, hier nach formellen Merk- malen zu verfahren. Wenn eine Armee keinen Mangel hat an Lebensmitteln, Klei- dungsstücken, Fuhrwerken u. s. f., so ist sie nicht in der Nothwendigkeit, weitere Forderungen der Art an die Gemeinden oder die Privatpersonen zu stellen. Wenn sie dagegen Mangel leidet, so sind je nach Umständen sogar starke Eingriffe in das Privateigenthum ganz unvermeidlich. Niemals aber hört die Wirksamkeit der Moral auf, gesetzt auch, die regelmäßige Rechtsordnung würde momentanen Scha- den leiden. Schön sagen die Amerikanischen Kriegsartikel (15): „Wenn die Männer einander in offenem Krieg mit den Waffen bekämpfen, so hören sie doch nicht auf moralische Wesen zu sein und bleiben den andern Menschen und Gott verantwortlich für ihre Thaten“. 550. Dagegen verwirft das Kriegsrecht allen Wort- und Treubruch auch gegen den Feind, alle unnöthige Grausamkeit, alle Ausübung der Privat- rache und alle die Handlungen der Gewinnsucht oder der Wollust, welche überall als gemeine Verbrechen verboten und bestraft werden, alle barba- rische Zerstörung, alles was mit der Ehre der Truppen nicht vereinbar ist. Das Kriegsrecht. Am. Kr . 11. Vgl. unten 574. 575. Die Regel, daß auch dem Feinde Treue zu halten sei — Fides etiam hosti servanda — (§ 566) ist uralt, und es kann von dieser natürlichen Menschenpflicht keine priesterliche Auto- rität dispensiren. Die Schranke der Ehre hat sich von jeher als besonders mäch- tig erwiesen in civilisirten Heeren, oft sogar noch stärker als die Schranke des natürlichen Rechts. 551. Die Kriegsgewalt darf von den Beamten in Feindesland den Eid eines zeitlichen Gehorsams fordern und sie entlassen und fortweisen, wenn sie denselben verweigern. Der Gehorsam, den sie der Kriegsgewalt schul- den, ist durch die Dauer der Besitznahme beschränkt. Vgl. oben 540 und 544. Einen Unterthaneneid darf die Kriegsgewalt nicht fordern, bevor die Eroberung dauernd geworden und durch den Frieden gesichert ist. Die Autorität der Kriegsgewalt in Feindesland ist nur eine provisorische , durch den Kriegszustand bedingte. Aber es kann unter Umständen nöthig oder zweck- mäßig sein, daß die Beamten, welche ihre öffentlichen Functionen fortsetzen, eid- lich verpflichtet werden, in der Zwischenzeit nichts gegen die Kriegsgewalt zu thun und deren Anordnungen zu befolgen. Wenn dieselben einen solchen, nur provisorisch wirkenden Eid verweigern, so weist das auf die feindliche Gesinnung dieser Beamten hin und die Kriegsgewalt hat Ursache, denselben mindestens jede öffentliche Autorität zu entziehn. Ueber die Dauer des provisorischen Gehorsams vgl. zu § 544. 552. Der Vertheidiger eines bedrohten Platzes soll die friedlichen Bewohner rechtzeitig auf die Gefahren aufmerksam machen, denen sie ausgesetzt wer- den und darf ihrem Wegzug keine anderen Hindernisse in den Weg legen, als welche die Sorge für die Kriegsführung nöthig macht. 553. Wenn der Commandant eines festen Platzes die unkriegerischen Be- wohner in der Absicht fortweist, um den Platz gegen den Feind länger behaupten zu können, so kann diese Maßregel durch die militärische Noth- wendigkeit gerechtfertigt sein. Aber auch der Belagerer kann sich auf dieselbe Nothwendigkeit be- rufen, wenn er in der Absicht, die Uebergabe des Platzes zu beschleunigen, Achtes Buch. jene Bewohner nicht wegziehen läßt. Greift der Belagerer zu dieser zwar extremen aber nicht völkerrechtswidrigen Maßregel, so ist der Belagerte genöthigt, den Aufenthalt der Bewohner wieder im Platze zu gestatten. Am. Kr . 18. Die Ausweisung wird vorzüglich durch den Mangel an Lebensmitteln in dem befestigten Platz motivirt und die Zurückweisung ebenso durch die Hoffnung begründet sein, den Platz durch Aushungerung zur Ueber- gabe zu nöthigen. Beide Maßregeln sind gegenüber den friedlichen Bewohnern sehr hart, aber die letztere ist noch härter, weil sie dieselben auch den größten persönlichen Gefahren aussetzt. Nur die strengste militärische Nothwendigkeit vermag dieselbe zu rechtfertigen. Ohne diese muß es den Bewohnern frei stehen nach ihrer eigenen Wahl, sei es in dem Platze fort zu wohnen, sei es denselben zu verlassen. Es liegt aber in der Natur der Dinge, daß die Ausweisung unter Umständen von den Belagerungstruppen verhindert werden kann. Wenn sie verhindert wird, so bleibt für den Commandanten des festen Platzes nichts anderes übrig, als die Be- wohner, die nicht wegkommen können, wieder aufzunehmen. Keine militärische Noth- wendigkeit könnte es jemals rechtfertigen, daß dieselben zwischen den beiden streitenden Kriegsgewalten wie zwischen zwei harten Mühlsteinen zerrieben werden. 554. Die gute Kriegssitte verlangt, daß der Belagerer, wenn es thunlich erscheint, vor dem Bombardement eines Platzes die Absicht dazu ankündige, damit die Nichtstreiter, insbesondere Weiber und Kinder entfernt oder sonst in Sicherheit gebracht werden. Indessen kann Ueberraschung mit einem Bombardement nöthig sein, um den Platz bald zu gewinnen und dann ist die Unterlassung jener Anzeige gerechtfertigt. Am. Kr . 19. Es entspricht diese Sitte dem Wesen des Kriegs als eines Streites zwischen Stat und Stat, und nicht mit den Privaten. Möglichste Schonung dieser ist das Kennzeichen der civilisirten Kriegsführung. Um die Bewohner großer Städte möglichst vor den Gefahren des Kriegs zu bewahren, werden daher diese Städte meistens als offene Plätze dem Sieger überlassen und nicht als feste Plätze gegen eine Belagerung vertheidigt. Aber auch im letztern Fall erfordert es die Menschlichkeit, daß die friedlichen Bewohner gewarnt werden, bevor die Stadt beschossen wird, wenn irgend der Gang des Krieges es gestattet. Nur in den drin- gendsten Fällen wird ein plötzlicher Ueberfall, verbunden mit einer raschen Beschießung sich als militärische Nothwendigkeit vertheidigen lassen. 555. Die Thätigkeit der fremden Gesanten und diplomatischen Personen, Das Kriegsrecht. welche bei der feindlichen Regierung beglaubigt sind, hört von Rechtswegen für das besetzte Gebiet auf. Indessen pflegt die besetzende Kriegsgewalt im Interesse des völker- rechtlichen Verkehrs die neutralen Gesanten in diesem Gebiete ebenso zu schützen und ihnen thatsächliche Wirksamkeit zu gestatten, wie wenn dieselben vorübergehend bei ihr beglaubigt wären. Wird die Residenzstadt vom Feinde eingenommen, so verlassen oft die Gesanten auch der neutralen Staten den Ort ihrer bisherigen Wirksamkeit und fol- gen zuweilen dem Hofe nach, der sich zurückzieht. Da sie bei dem weichenden Souverän accreditirt sind, so stehen sie zunächst nur mit ihm in einem völkerrecht- lichen Verhältniß. Es ist aber möglich, daß sie den Befehl erhalten, an ihrem bis- herigen Wohnsitz auszuharren, wenn gleich derselbe in feindliche Gewalt gerathen ist. Da sie bei der besetzenden Kriegsgewalt nicht beglaubigt sind, so können sie auch nicht ferner hier den diplomatischen Verkehr fortsetzen. Indessen liegt es ge- wöhnlich im Interesse der feindlichen Kriegsgewalt, welche erobernd vorgeht, möglichst freundliche Beziehungen auch zu den anwesenden Gesanten der neutralen Staten zu erhalten; daher wird dieselbe selten gegen die Fortsetzung ihres Aufenthalts und selbst ihrer Thätigkeit Schwierigkeit machen und auch die Privilegien der Gesanten einst- weilen unbestritten fortwirken lassen. Würde aber der Verdacht entstehen, daß das Bleiben eines Gesanten dazu mißbraucht würde, um der besetzenden Kriegsgewalt Verlegenheiten zu bereiten, so wäre diese nicht gehindert, den bei ihr nicht beglaubigten Gesanten ohne Verzug wegzuweisen. 556. Auch die fremden Consuln, welche von der feindlichen Regierung ermächtigt worden sind, im Lande thätig zu sein, werden von der erobern- den Kriegsgewalt in ihrer Wirksamkeit möglichst wenig belästigt, und so behandelt, als ob sie von der letztern inzwischen ermächtigt wären. Vgl. zu § 537. Man nimmt an, das Exequatur wirke fort , ganz ebenso wie die Ernennung der Aemter, bis die feindliche Kriegsgewalt diese ruhige Fortdauer der ursprünglichen Vollmacht durch eine entgegengesetzte Erklärung abbricht. Weil die Consuln wesentlich für den internationalen Privatverkehr und nicht für den völkerrechtlichen Verkehr der Staten ermächtigt sind, so läßt sich diese Fortdauer der Consularthätigkeit noch unbedenklicher gewähren, als die des Gesanten- verkehrs. Achtes Buch. 4. Unerlaubte Kriegsmittel. 557. Der Gebrauch vergifteter Waffen oder die Verbreitung von Gift- stoffen und Contagien in Feindesland ist völkerrechtswidrig. Schon das uralte indische Gesetzbuch Manus ( VII. 96) enthält dieses Verbot. Die Beachtung desselben ist ein Kennzeichen der civilisirten Kriegs- führung im Gegensatze zu der Kriegsübung mancher wilden Stämme, welche sich der vergifteten Pfeile bedienen. Die Verbreitung von ansteckenden Stoffen in Feindes- land, um eine Epidemie dahin zu verpflanzen, ist noch abscheulicher, als der Ge- brauch von vergifteten Waffen und ein absolut unzulässiges Mittel, den Feind zu schädigen. 558. Ebenso sind untersagt, Waffen, welche zwecklose Schmerzen verur- sachen, wie Pfeile mit Widerhacken, gehacktes Blei oder Glassplitter statt der Flintenkugeln. Da der Krieg nur von Stat gegen Stat geführt wird, so sind die Kriegs- mittel beschränkt auf die Mittel, den Widerstand des feindlichen Stats zu brechen und denselben zum Nachgeben zu nöthigen. Jede unnöthige Grausamkeit ist Barbarei . 559. Die Benutzung von Wilden, welche das Völkerrecht nicht achten, zur Kriegshülfe, wird den civilisirten Staten durch das Völkerrecht verwehrt. Die civilisirte Kriegsführung duldet überhaupt die Barbarei nicht und darf daher auch barbarische Stämme nicht zu Kriegsgenossen machen. Dagegen ist es ihr nicht verwehrt, solche barbarische Individuen oder Stämme, welche sich den Schranken des Völkerrechts fügen und den Anordnungen der civilisirten Officiere gehorchen, zu verwenden. Vgl. Wheaton (Dana) Elem. of intern. law. § 343. n. II. 560. Der guten Kriegssitte widerspricht das Schießen von Kettenkugeln im Land- und von glühenden Kugeln und Pechkränzen im Seekrieg. Das Kriegsrecht. Im Mittelalter versuchte es der Papst Innocenz III. , die Anwendung von Wurfgeschossen überhaupt gegen Christen zu untersagen. cap. un X. de sagittariis (V. 15). Aber vergeblich. Die moderne Kriegsführung beruht gerade auf den Schußwaffen. Auch geht man zu weit, wenn man alle tödtlichen Waffen, welche massenhaft wirken, für völkerrechtswidrig erklärt. Weßhalb sollten die Waffen erlaubt sein, durch welche einzelne Individuen getödtet werden, aber die verboten, welche Reihen von Individuen bedrohen, da ja doch nicht gegen die Individuen der Krieg geführt wird, sondern gegen die Macht des feindlichen Stats? Jede Kanonenkugel bedroht mehr als Ein Menschenleben, die Kartätschen werfen ganze Scharen nieder und die schweren Kanonen der Strandbatterien und der Kriegs- schiffe können ganze Schiffe in den Grund bohren; eine explodirende Mine kann eine Menge Menschen verschütten, durch ein Branderschiff auch ein feindliches Schiff angezündet werden. Dennoch hält die Kriegssitte diese Mittel für erlaubt, aber sie verwirft die Kettenkugeln ( boulets à chaîne ) und die Stangenkugeln ( boulets à bras ) als barbarisch und nimmt an dem Beschießen der Schiffe mit glühenden Kugeln und dem Werfen von brennenden Pechkränzen in das feindliche Schiff Anstoß. Offenbar ist die Kriegssitte noch zu lax und zu grau- sam, und nicht etwa zu empfindsam und zu ängstlich in ihrem Urtheil über Erlaubtes und Unerlaubtes. 561. Das Völkerrecht verwirft den Meuchelmord eines feindlichen Indi- viduums als unerlaubtes Kriegsmittel. Am. Kr . 148. Nicht bloß der Meuchelmord durch verrätherisches Bei- bringen von Gift, sondern auch durch heimliches Nachschleichen und Erdolchen oder Erschießen wird durch das Kriegsrecht nicht legitimirt, wenn gleich der Mörder oft straflos bleibt. Die Tödtung im Kampf ist erlaubt, der Mord außerhalb des Kampfes ist unehrlich und verboten, auch wenn er, wie z. B. die Ermordung des feindlichen Feldherrn oder Fürsten für die eigene Kriegsführung nützlich ist. Der Unterschied war schon den civilisirten Völkern des Alterthums klar, bedurfte aber von Zeit zu Zeit erneuerter Aussprache, um nicht von den wilden Leidenschaften verkannt zu werden. Selbst im Kampf ist alles unnöthige Tödten der Feinde ver- werflich. 562. Auch die Achterklärung gegen einen Einzelnen, durch welche er als rechtlos und vogelfrei der straflosen Mißhandlung und Tödtung von Jeder- mann Preis gegeben wird, und die Ausschreibung von Preisen auf den Kopf eines Menschen werden von den civilisirten Völkern als eine barba- rische Uebung mißbilligt. Achtes Buch. Im Mittelalter war die Acht noch ein Hauptmittel des Strafrechts und man ließ sie daher im Kriege ohne Bedenken ebenfalls zu. Das heutige Kriegs- wie das Friedensrecht erkennt die große Rechtsregel an: „Der Mensch ist nie- mals rechtlos“ , und kann daher jene Acht nicht mehr zugestehen. In anderem Sinne freilich kann man heute noch von der Aechtung einer feindlichen Person reden, insofern als sie entweder aus dem Lande gewiesen, oder der Verfolgung in der Ab- sicht ausgesetzt wird damit man sich ihrer bemächtige und sie gefangen zur Stelle bringe. Das kann aus politischen und militärischen Gründen als nothwendig er- scheinen und insofern gerechtfertigt werden. In den Napoleonischen Kriegen zu Anfang des Jahrhunderts ist wiederholt gegen politisch bedeutende Männer, die als Feinde erklärt und geächtet wurden, so verfahren worden. Eine solche Aechtung erinnert an den athenischen Ostracismus. Von der Art war auch die berühmte Aechtung des Preußischen Ministers Stein durch Kaiser Napoleon I. , aber auch die spätere Aechtung Napoleons selbst durch die alliirten Mächte. 563. Das Völkerrecht verwirft überhaupt alle Anstiftung zu Verbrechen, auch wenn dieselben der Kriegsführung nützlich wären. Aber es hindert nicht, die Vortheile zu benutzen, welche durch die Verbrechen dritter Per- sonen der Kriegsführung zufällig dargeboten werden. So wenig der Feldherr Mörder dingen darf, ebenso wenig darf er zu Brandstiftung, Raub, Diebstahl u. s. f. anstiften. Das Völkerrecht achtet auch im Kriege die gemeine Rechtsordnung und verabscheut das Verbrechen . Aber wenn durch den Mord eines feindlichen Heerführers das feindliche Heer in Verwirrung gebracht, oder wenn durch eine Brandstiftung ein Vertheidigungswerk des Feindes zerstört worden ist, so sind das für den Gegner vielleicht glückliche Er- eignisse, die zum Siege zu benutzen ihm nicht verwehrt ist. Die Rücksichten der Ritterlichkeit, der Großmuth und der Ehre können auch in solchen Fällen eine hastige und schonungslose Ausbeutung solcher Vortheile als unanständig oder unedel dar- stellen, aber das weniger empfindliche Recht läßt dieselbe gewähren. 564. Dagegen gilt die Aufforderung zu Handlungen, welche zwar in dem feindlichen State als politische Verbrechen strafbar, aber von dem Stand- punkte seines politischen Gegners ehrenhaft sind, und die Unterstützung solcher politischer Verbrecher im Feindeslande, als ein erlaubtes Mittel der Kriegsführung. 1. Die Natur der eigentlichen politischen Verbrechen unterscheidet sich darin von dem gemeinen Verbrechen sehr wesentlich, daß diese das allgemeine Das Kriegsrecht. Rechtsgefühl aller civilisirten Völker tief verletzen und beleidigen, während jene nur einem bestimmten State gegenüber verübt werden und nur dessen Statsordnung betreffen. Dieselbe Handlung kann daher in einem State schwere Strafe verdienen, und von den benachbarten Völkern als eine rühmliche That geprie- sen werden. Auch in der modernen Kriegsführung kommt es oft vor, daß die sym- pathisch gesinnte Partei in Feindesland oder eine unterdrückte Bevölkerung, welche man durch den Krieg befreien will, zum Aufstand angeregt, daß Zuzüger aus dem Feindesland unter die Truppen aufgenommen werden, welche dasselbe einnehmen sollen, daß mit einem Prätendenten, der Ansprüche auf die Regierung im Feindes- land erhebt, Verbindungen angeknüpft und in der Absicht unterhalten werden, die feindliche Regierung im Innern ihres Landes in Gefahr zu bringen. Keine einzige europäische oder amerikanische Kriegsmacht hat sich solcher Mittel enthalten, wenn sie sich ihr darboten und für die Kriegsführung nützlich erschienen. Sowohl die Re- volutions - als die Restaurationspolitik hat sich derselben bedient; aber auch die neueste Befreiungs - und Nationalitätspolitik in Italien und Deutsch- land hat dieselben nicht verschmäht. Die politischen Rücksichten sind in dieser Beziehung so entscheidend, daß die strafrechtlichen in den Hinter- grund treten . 2. Dagegen wird die Aufreizung der feindlichen Officiere und Soldaten zur Desertion oder zum Verrath — wenigstens in der Regel — für ein unerlaubtes Kriegsmittel angesehen, weil hier auch das allgemeine Interesse aller Staten an der Aufrechthaltung der militärischen Ordnung und Disciplin so überwiegend erscheint, daß die politischen Rücksichten eine derartige Störung nur selten zu ent- schuldigen vermögen. 565. Die List ist im Kriege erlaubt und daher auch die Täuschung des Feindes nicht völkerrechtswidrig, sogar nicht die Täuschung durch Uni- formen, Fahnen und Flaggen. Vor dem wirklichen Zusammenstoß aber muß jeder Heereskörper unter seiner wahren Fahne und Flagge erscheinen und darf nur als offenbarer Feind fechten. Im Kriege kämpfen Gewalt und List bald gemeinsam, bald wider ein- ander. Es ist erlaubt, den Feind über die Stärke und die Bewegungen des Heeres zu täuschen, z. B. indem man durch Anzünden zahlreicher Wachfeuer die Anwesenheit eines starken Truppenkörpers glaublich macht, während die Truppen bereits abgezogen sind, oder indem ein geringes Streifcorps bald da, bald dort erscheint und die Mei- nung verbreitet, es seien zahlreiche Truppen in der Nähe. Ebenso kann der Feind durch eine scheinbare Flucht in einen Hinterhalt gelockt und da überfallen werden. Die List dient dazu, die physische Ueberlegenheit des Feindes durch ein geistiges Gegengewicht zu vermindern oder zu überwinden. Bedenklich ist allerdings die Be- nutzung der Kennzeichen des feindlichen Heeres — Uniformen, Fahnen , Achtes Buch. Flaggen — zur Täuschung desselben, um dasselbe sorglos zu machen und leichter in Verwirrung zu bringen. Diese Art der Täuschung darf nicht über die Vorberei- tungen zum Kampf hinausgetrieben werden. In der Schlacht sollen die Feinde einander offen entgegenstehn und nicht hinterrücks in der Maske des Freun- des und Waffenbruders der Feind den Feind anfallen. 566. Auch dem Feinde muß man Treue halten. Der Bruch eines dem Feinde im Kriege gegebenen Versprechens ist völkerrechtswidrig. „Etiam hosti fides servanda“ ist ein uralter Rechtssatz selbst des antiken Völkerrechts (§ 550). Ohne Vertrauen auf die gegebene Zusage und ohne Treue ist überhaupt kein gesicherter Rechtszustand unter den Völkern denkbar. Von jeher hat der natürliche Rechtssinn der Menschen z. B. den Bruch des ertheilten freien Geleites, oder der zugesicherten Schonung bei Uebergabe eines festen Platzes oder des versprochenen freien Abzugs als ein schweres Verbrechen an der menschlichen Rechtsordnung gebrandmarkt. 567. Wenn der Feind die Schranken der guten Kriegssitte mißachtet oder völkerrechtswidrige Kriegsmittel anwendet, so sind Repressalien gestattet. Indessen dürfen bei der Anwendung von Repressalien nicht die Grund- gebote der Menschlichkeit verletzt werden. Vgl. oben § 499 f. Am. Kr . 27. 28. Die Barbarei des Feindes recht- fertigt nicht die eigene Barbarei. Wenn Wilde die gefangenen Feinde zu Tode mar- tern, so dürfen die civilisirten Truppen die gefangenen Wilden höchstens aus Repressalie tödten , aber nicht martern . Die feindliche Leidenschaft des Hasses und der Rache sucht ihre Missethaten zu beschönigen, indem sie sich auf das Recht der Repressalien beruft. Die Ausbildung eines humaneren Völkerrechts fordert daher die Beschränkung dieses Nothrechts auf das wirklich Noth- wendige. Würdiger ist es, von demselben möglichst wenig Gebrauch zu machen. Das Kriegsrecht. 5. Recht und Pflicht der Kriegsgewalt gegenüber den feindlichen Personen und den friedlichen Bewohnern in Feindesland. Quartier- geben. Verwundete in der Schlacht. Kriegsgefangene. Geiseln. Auswechslung der Gefangenen. Entlassung auf Ehrenwort. 568. Das moderne Völkerrecht der civilisirten Völker erkennt kein abso- lutes Recht der Kriegsgewalt an weder über die friedlichen Bewohner in dem feindlichen Lande, noch selbst über die kriegerischen Angehörigen des feindlichen Stats. Vgl. die Einleitung S. 30 f. Am. Kr . 23. Eine große Zahl von ältern Völkerrechtslehrern stellte noch den barbarischen Grundsatz an die Spitze, daß dem Feind wider den Feind Alles erlaubt sei. Bynkershoek spricht noch von einem Recht des Siegers über Leben und Tod der Feinde und versteht unter Feinden alle Statsangehörigen des feindlichen Stats. Sogar Heffter behauptet noch das überlieferte „Kriegsrecht auf Leben und Tod“ (§ 126) als eine vermeint- liche Regel und sucht nur die Anwendung desselben zu beschränken. Dieses angeb- liche Recht des Siegers steht aber in offenbarem Widerspruch mit dem natürlichen Menschenrecht , welches im Krieg nicht aufhört, und mit der natürlichen Beschränkung aller Statsgewalt auf die Bedürfnisse des Gemeinlebens der Menschen, folglich auch mit der Beschränkung der Kriegsgewalt, welche nur Ausübung der Statsgewalt ist. Dasselbe hat auch keinen Grund in dem Rechtsgrund des Kriegs, noch wird es durch den Zweck des Kriegs, Herstellung der Rechtsordnung und des Friedens gefordert. Es ist eine ganze halt- lose Erfindung der Juristen, welche der Wildheit der Kriegsgewaltigen mit einer ungeheuerlichen Rechtsfiction zu Hülfe kommen wollten. 569. Als feindliche Personen im eigentlichen activen Sinne gelten die, welche an dem Kampfe der Staten persönlich und in geordneter Weise Theil nehmen, indem sie zu dem Heere gehören und unter den Befehlen der feindlichen Macht stehen. 1. In weiterem passiven Sinn sind alle Angehörigen des feind- lichen States den Folgen der Feindschaft der Staten ausgesetzt und insofern pas- sive Feinde . Da aber nur die Staten die eigentlichen Kriegsparteien sind, so sind im strengsten Sinne des Wortes nur die Staten Feinde. Die Trup- Achtes Buch. pen der Staten , welche die Feindschaft im Auftrag des Stats thatsächlich aus- üben, werden aber deßhalb ebenfalls als active Feinde betrachtet und behandelt. 2. Unerheblich ist es, ob die Personen, welche zum Heere gehören, zugleich Landesangehörige des feindlichen States oder Landesfremde sind. Sobald sie ins Heer aufgenommen sind, haben sie Antheil an seinen Rechten und Pflichten und an seiner feindlichen Stellung und Handlung. Es steht dem State frei, fremde Truppen in seinen Sold zu nehmen, und diese sind völkerrechtlich den nationalen Truppen gleich. 570. Die Parteigänger und die Freischaren werden insofern als Feinde betrachtet, als sie zu ihrem Unternehmen von einer Statsmacht beauftragt oder ermächtigt sind oder wenigstens in gutem Glauben an ihr politisches Recht eine Kriegsunternehmung wagen und als militärisch geordnete Trup- pen erscheinen und handeln. Am. Kr . 81. 1. Die autorisirten Freicorps sind, wenn gleich sie getrennt von dem eigentlichen Heereskörper einzelne Unternehmungen wagen, eben weil sie von der Statsgewalt autorisirt und den Befehlen der Kriegsmacht unter- worfen sind, unzweifelhaft nach Völkerrecht den regelmäßigen Truppen gleich zu ach- ten. Von der Art waren die Freicorps Garibaldi’s in den beiden Kriegen Italiens mit Oesterreich 1859 u. 1866. 2. Zweifelhafter ist die Gleichstellung der nicht autorisirten Frei- scharen . Die strengere Meinung betrachtet dieselben durchweg als außerhalb des Kriegsrechts stehend. Indessen überwiegt in neuerer Zeit die humanere Mei- nung, daß solche Freischaren dann wie feindliche Truppen behandelt werden, wenn sie in militärischer Ordnung kämpfen und für politische Zwecke , nicht wie Räuber aus Gewinnsucht oder aus Rache. Das Kriegsrecht auch gegen Feinde ist streng genug; und wo die politischen Ideen und Interessen so massenhaft zum Kampfe treiben, daß sich geordnete Truppen bilden, da erscheint es gerechter, das politische Kriegsrecht und nicht das gemeine Strafrecht anzuwenden. Ueberdem spricht dafür die Zweckmäßigkeit ; denn die Gefahren und Leiden des Kriegs werden vermindert durch die kriegsmäßige Behandlung der bewaffneten Truppenkörper, und verschärft und erhöht durch die criminalistische Bedrohung der Freiwilligen. Ein berühmtes neueres Beispiel einer solchen militärisch geordneten Freischar, die ohne — wenigstens ohne offene und anerkannte — Autorisation eines States Krieg führte, ist der Feldzug Garibaldi’s gegen Sicilien und Neapel im Jahr 1860. 571. Personen, welche ohne statliche Ermächtigung auf eigene Faust krie- Das Kriegsrecht. gerische Streifzüge machen und dann wieder willkürlich als Bürger sich gebaren und ihren Beruf als Kriegsleute verbergen, werden nicht als öffentliche Feinde betrachtet und können nach Umständen als Räuber zur Verantwortung und Strafe gezogen werden. Am. Kr . 82. Bei solchen Unternehmungen ist der militärische Charakter nicht mehr offenbar und daher auch nicht entscheidend. Möglich, daß auch hier patriotische und politische Gedanken einwirken, aber die Gefahr der gemein-verbreche- rischen Handlungen — Mord, Mißhandlung, Raub, Diebstahl — ist hier so groß, daß der Schutz der Strafgerichtsbarkeit nicht entbehrt werden kann. In einzelnen Fällen mag durch die Gnade die Härte der Strafjustiz billig gemildert werden, in den mehreren wird gerade die ernste Strenge der Justiz die Rechtssicherheit und den Frieden am besten herstellen und befestigen. 572. Ebenso werden Freischaren, welche ohne statliche Ermächtigung in selbstsüchtiger Absicht kriegerische Gewalt üben und die Unternehmer von Kaperschiffen nicht als Feinde, sondern als Verbrecher behandelt. Im Alterthum wurden solche Abenteuerfahrten zur See und zu Land als rühmlich betrachtet; und heute noch werden zuweilen im Orient unter Turkmannen und Serben solche Raubzüge gegen die Ungläubigen und die Ketzer als preiswürdige Heldenthaten gefeiert. Die civilisirte Welt mißbilligt dieselben aufs entschiedenste, und erkennt darin durchaus strafwürdige Verbrechen. 573. Die friedlichen Bewohner in Feindesland, welche an dem Kampfe keinen thätigen Antheil nehmen, unterliegen zwar den nothwendigen Wir- kungen des Kriegs und müssen der siegreichen Kriegsgewalt Gehorsam leisten, aber sie sind nicht als öffentliche Feinde zu betrachten und zu behandeln. Vgl. Einleitung S. 31. Von größter practischer Bedeutung ist die Unter- scheidung der friedlichen Bewohner des feindlichen States von dem Heere dessel- ben. Erst seitdem die friedliche Eigenschaft derselben erkannt und auch von der feindlichen Kriegsgewalt besser als früher gewürdigt wird, ist die Barbarei des Kriegs einigermaßen gezähmt worden. So lange man noch alle Angehörigen des kriegfüh- renden States gleichmäßig als Feinde ansah, schien jede Gewaltthat und Bedrückung erlaubt. Die große Masse der Einwohner ist aber in den meisten Fällen ganz un- schuldig an dem Streit der Staten, und fügt sich dem Kriege nur, wie einer furcht- Achtes Buch. baren Nothwendigkeit, die über sie kommt, ohne an dem Kampf thätigen Antheil zu nehmen. Selbst in den Fällen, in welchen das ganze Volk für die höchsten natio- nalen Güter und Interessen begeistert ist, welche im Kriege errungen oder vertheidigt werden, enthält sich doch die Menge der Privaten jeder kriegerischen Handlung und betreibt im Krieg wie vor dem Krieg ihre friedlichen Geschäfte; Hirten und Bauern, Handwerker und Krämer, Kaufleute und Fabrikanten, Aerzte und Lehrer suchen, so gut es geht, ihren Beruf fortzusetzen und dieser Beruf hat keine feindlichen Eigenschaften an sich. Weßhalb denn sollten sie als Feinde behandelt werden, da sie wie friedliche Leute leben ? Der bloße Statsverband, die Statsangehörigkeit rechtfertigt das nicht, denn der Krieg wird von Stat gegen Stat geführt, nicht gegen die Privaten; und dieselben Privaten, welche heute dem State A angehören, werden, wenn die Kriegsmacht des States B siegreich fortschreitet, auch der öffentlichen Kriegsgewalt des Siegers gehorchen. Sie können sich diesem Gehorsam nicht entziehen, wenn es ihnen auch schwer wird, sich zu unter- werfen, so lange sie in dem Lande wohnen, über welches der Sieger seine Macht erstreckt hat. Der Sieger ergreift die Statsgewalt im Lande, und dieser müssen sich die einzelnen Bewohner fügen. Auch der Sieger zieht jetzt von ihren friedlichen Arbeiten Vortheil für seine Herrschaft. Es wird auch dem Heere leichter, sich in Feindesland zu ernähren und seine Bedürfnisse zu befriedigen, wenn die friedlichen Bewohner desselben ungekränkt bleiben, wenn die Aecker bebaut werden und das Vieh gezüchtet wird, wenn die Industrie brauchbare Güter hervorbringt und der Handel sie herbeischafft. Wird dagegen das Land barbarisch verwüstet, so findet auch der Sieger darin statt der Nahrung und Unterstützung nur unheimliche Verzweiflung und gefährliche Rache. In der Kriegsführung der civilisirten Völker ist die friedliche Natur der Privaten früher — freilich nur theilweise — respectirt, als von den Publi- cisten begriffen worden. Auch Vattel noch betont die alte Vorstellung, daß nicht bloß die beiden Völker, sondern auch alle Angehörigen der beiden Staten Feinde seien. Selbst die Frauen und Kinder nimmt er nicht aus ( III. § 70. 72). Freilich verlangt er eine größere Schonung derselben, als der kämpfenden Feinde ( III. § 145). Aber die ganze Grundlage des Rechtsverhältnisses wird ver- dorben, wenn dasselbe von dem Geiste der Feindschaft durchwühlt und verbittert wird. Die humane Rechtsbildung drängt die Feindschaft in die engsten Schranken zurück und verstattet dem Geiste des Friedens und der wechselseitigen Lebensförderung möglichst viel Raum. Deßhalb hebt sie mehr die friedlichen Eigenschaften der Privaten hervor, und legt darauf und nicht auf ihren statsrechtlichen Verband mit dem feindlichen State den Nachdruck. Als Privatpersonen sind sie überall keine Feinde , als Statsgenossen aber nur so lange und nur in- sofern , als noch die feindliche Statsgewalt über sie öffentliche Macht übt, von dem Augenblicke an nicht mehr, wo diese Statsgewalt durch den siegreichen Gegner zurückgeworfen und verdrängt ist. Aber nicht bloß der vordringende Sieger, auch der zurückweichende Feind hat kein Recht, sie nun als Feinde zu behandeln, denn nicht sie zwingen ihn zum Rückzug, indem sie sich des Kampfs enthalten, für ihn sind sie nach wie vor friedliche Privatpersonen, über welche er eine Zeit lang öffentliche Macht gewonnen und dann wieder verloren hat. Das Kriegsrecht. 574. Weder die Kriegsgewalt noch die einzelnen siegreichen Krieger sind berechtigt, einzelne Personen willkürlich und zwecklos zu tödten, zu ver- wunden, zu mißhandeln, zu quälen, zu Sclaven zu machen oder zu ver- kaufen, die Frauen zu mißbrauchen oder ihre Keuschheit zu verletzen. Am . 16. 23. 42. Diese Bestimmung gilt ganz allgemein, nicht bloß bezüg- lich der friedlichen Privatpersonen , sondern selbst zum Schutz der feind- lichen Personen , obwohl diese während des Kampfs auch der Todesgefahr aus- gesetzt sind. Tödten des Feindes im Kampf, um den Widerstand desselben zu brechen, ist kriegsrechtlich erlaubt, weil nothwendig, aber Tödten ohne Kampf, ledig- lich aus Blutdurst oder Haß ist auch den Soldaten gegen feindliche Soldaten nicht erlaubt. Es gibt kein jus vitae ac necis gegen den Feind. Vgl. zu § 573 und § 579. 575. Die Kriegsgewalt ist verpflichtet, das Menschenrecht auch in den feindlichen Personen zu beachten und durch ihre Autorität zu schützen und wenn solche Missethaten von Soldaten verübt werden, die Thäter zu bestrafen. Die Kriegsführung im dreißigjährigen Kriege und selbst in den Zeiten Ludwigs XIV. war in Europa noch entsetzlich roh. Die scheußlichsten Mißhand- lungen und Folterqualen, wie die Nothzucht an den Weibern kamen damals noch häufig vor. Alle solche widerrechtliche und verwerfliche Grausamkeit wird von der heutigen Kriegssitte und dem civilisirten Kriegsrecht als barbarisch untersagt . 576. Es ist wider das Völkerrecht, die Unterthanen der feindlichen Staten zu nöthigen, daß sie in den Kriegsdienst der siegenden Macht eintreten, so lange nicht die Eroberung vollzogen und die Besitznahme des eroberten Landes als dauerhaft und festbegründet erscheint. 1. Wenn auch die feindliche Kriegsgewalt, indem sie sich eines Landes be- mächtigt, die bisherige Statsautorität verdrängt und sich an ihre Stelle setzt (vgl. oben § 540 f.), so ist doch während des Kriegs der provisorische Charakter die- ser Besitznahme zu beachten und es gilt als unrechtmäßig, die Bewohner des nur vorläufig besetzten Landes zum Kriegsdienst gegen ihr bisheriges Vaterland zu zwin- gen. Die sittliche Wirkung des bisherigen und statsrechtlich nicht zerstörten Bluntschli , Das Völkerrecht. 21 Achtes Buch. Statsverbandes dauert im Kriege einstweilen noch fort, wenn gleich die rechtliche Autorität der bisherigen Statsgewalt durch die feindliche Besetzung unterbrochen und gehemmt ist. Es ist daher unnatürlich, unsittlich und widerrechtlich, den Stats- angehörigen zuzumuthen, daß sie nun auch activ gegen den Stat feindlich auftreten, den sie noch als ihr rechtmäßiges Vaterland betrachten dürfen. Es war daher völker- rechtswidrig, als die englische Marine nach der Lostrennung der Vereinigten Staten noch amerikanische Matrosen weggenommener amerikanischer Schiffe zwingen wollte, auf englischen Kriegsschiffen zu dienen. (Vgl. Laboulaye hist. des États-Unis II. p. 307.) Wenn sich Freiwillige aus dem eingenommenen Lande an das Heer des Siegers anschließen, so ist das eine ganz andere Sache. 2. Ist aber die Eroberung vollzogen und die Souveränetät auf den Sieger übergegangen, dann tritt das regelmäßige Unterordnungsverhältniß unter die neue Statsgewalt auch in militärischer Hinsicht ein; und die gesetzliche Kriegs- pflicht wird auf die Bewohner des neu erworbenen Gebietes ausgedehnt, ohne Rücksicht auf die frühere Statsgenossenschaft derselben. 577. Die Religion und die Sprache, die Bildung und die Ehre der be- siegten Feinde und der unterworfenen Privatpersonen sind, so weit es die Umstände erlauben, zu schonen und wider Vergewaltigung zu schützen. Am . 37. Auch darin besteht ein großer Fortschritt des modernen Völker- rechts gegenüber den Anschauungen des Mittelalters und den rohen Sitten, die noch im vorigen Jahrhundert in Europa geübt wurden. Die Unterdrückung des Cultus mit feindlicher Gewalt ist Barbarei, es wäre denn, daß dieser Cultus selbst die Menschenrechte und die Gesetze der Sittlichkeit verletzte. Wie zähe die bittern Erinnerungen an die Gräuel des dreißigjährigen Kriegs sich in Deutschland erhalten haben, und wie schädlich die neuen Lehren ultramontaner Verketzerungssucht fortwirken, hat der deutsche Krieg des Jahres 1866 gezeigt. In vielen süddeutschen Land- gemeinden fürchteten die Protestanten eine neue Verfolgung ihrer Religion durch fanati- sirte Katholiken und umgekehrt waren manche katholische Gemeinden ganz erstaunt, als die siegreichen Preußen ihren Gottesdienst mit Achtung behandelten. Erst bei den gebildeten Classen und bei den Regierungen hat der humane Grundsatz eine sichere Stätte gefunden, bedarf aber auch da noch einer weitern Ausbildung, insbesondere mit Rücksicht auf die Culturinteressen der unterworfenen Bevölkerung. 578. Die bewaffneten Feinde sind den unvermeidlichen Gefahren des Kampfes überhaupt ausgesetzt und können auch im Einzelnkampf mit Recht verwundet, verstümmelt, getödtet werden. Die sogenannten Nichtkämpfer im Heere (Justiz- und Verpflegungsbeamte, Feldgeistliche, Aerzte, Marke- Das Kriegsrecht. tender) können sich dem Schicksal, das ihren Truppenkörper betrifft, nicht entziehen und sind auch den allgemeinen Gefahren des Kampfes der Heere ausgesetzt, aber sie werden nur ausnahmsweise, vorzüglich aus Mißver- ständniß und Nothwehr, in den Einzelkampf verwickelt. Die Schlacht richtet sich zunächst nicht gegen einzelne Individuen , sondern gegen einen Heereskörper , dessen Widerstand überwunden werden soll. Insofern erscheint es nicht Absicht, sondern Zufall , daß einer von den feindlichen Kugeln getroffen werde; und es daher auch nicht möglich, die sogenannten Nicht- kämpfer ( non combattans ) vor dieser allgemeinen Gefahr zu bewahren, insofern sie sich innerhalb des Schußbereichs und unter den Kämpfern ( combattans ) be- finden. Die Gefahren des Einzelkampfes dagegen von Mann gegen Mann sind möglichst auf die letztere Classe einzuschränken, welche den Widerstand allein gewaltsam aufrecht halten und daher überwunden werden muß. Die erstere Classe von Per- sonen übt auch im Feld einen friedlichen Beruf aus und nimmt an dem per- sönlichen Kampf keinen Theil. Es ist daher gegen die gute Kriegssitte, diese Per- sonen einzeln anzugreifen und zu verwunden oder zu tödten. Indessen nicht immer wird im Gedränge der Schlacht und bei Verfolgungen richtig unterschieden und Maß gehalten. Dann ist es selbstverständlich auch dem Nichtkämpfer erlaubt, sich zu vertheidigen. Dadurch kann auch er ausnahmsweise in den Einzelkampf hinein- gezogen und vielleicht sogar getödtet werden, vielleicht den Gegner tödten. 579. Der civilisirte Krieg darf nicht mehr auf wechselseitige Schädigung und Tödtung gerichtet sein, sondern nur auf ein gerechtes Friedensziel. Jede unnöthige Tödtung selbst der bewaffneten Feinde ist Unrecht. Vgl. oben § 533. 568. 585. Am . 68. Früher faßte man den Krieg noch so auf, als gelte es nun, dem Feinde möglichst viel Schaden zuzufügen. Die Schädigung des Feindes kann aber nicht Zweck des Krieges sein, wenn gleich sie oft eine Folge des Krieges ist, denn der Krieg ist ein Rechtsmittel und sein Ziel muß daher ein neuer Friedens- und Rechtszustand sein. Die Schädigung anderer Menschen ist aber niemals eine Aufgabe der Rechtsordnung. Jene ältere Vorstellung war also noch barbarisch. Das Christenthum, welches die Feinde als Brüder lieben lehrt, und das Menschenrecht, welches die Existenz der Menschen neben einander und ihre Wohlfahrt sichern will, verwerfen dieselbe gleichmäßig. Die Tödtung auch be- waffneter Feinde aus bloßem Muthwillen oder aus Haß und Rache ist widerrechtlich. Auch die feindlichen Soldaten dürfen nicht wie wilde Thiere dem Schusse der Jäger preisgegeben werden. Das Menschenleben darf nur aus höherer Nothwendigkeit, nicht aus Leidenschaft und zur Lust angegriffen werden. 21* Achtes Buch. 580. Der militärische Befehl, dem Feinde kein Quartier (keinen Pardon) zu geben, darf nur aus Gründen der Wiedervergeltung (Repressalie) oder in äußersten Nothfällen insbesondere dann gegeben werden, wenn es der eigenen Sicherheit wegen unmöglich ist, sich mit Kriegsgefangenen zu be- lasten, niemals aber aus Haß und Rache. Am . 60. Kein Truppenkörper ist berechtigt, zu erklären, daß er überhaupt Quartier weder gebe noch annehme. Das wäre nicht mehr Kriegsführung, sondern mörderische Barbarei . 581. Feindliche Truppen, welche ihrerseits kein Quartier geben, haben auch den Anspruch verwirkt, daß ihnen Quartier gewährt werde. Am . 62. 582. Auch wenn das Quartier mit Recht verweigert wird, so dürfen doch Feinde, welche unfähig geworden sind, Widerstand zu leisten oder bereits in der Kriegsgefangenschaft sich befinden, nicht getödtet werden. Am . 61. Vgl. oben § 501. 583. Truppen, welche in der Uniform oder mit den Fahnen oder Flaggen ihrer Feinde fechten ohne ehrliche und offenbare Kennzeichen ihrer Partei- stellung dürfen kein Quartier erwarten. Am . 63. 65. Zuweilen werden erbeutete Uniformen und Waffen vom Feinde zur eigenen Bekleidung und Ausrüstung benutzt. Darin liegt kein Unrecht. Es kann das sogar zur Nothwendigkeit werden. Aber es dürfen diese Uniformen doch nicht zur Täuschung im Kampfe selbst mißbraucht werden; daher sind in sol- chem Falle die eigenen Feldzeichen (z. B. besondere Armbinden) anzulegen, damit die Feinde sich wechselseitig erkennen. (Vgl. oben § 565.) 584. Die eigene noch so lebhafte Ueberzeugung, daß der Feind für eine Das Kriegsrecht. offenbar ungerechte Sache kämpfe, begründet niemals das Recht, den feind- lichen Truppen das Quartier zu verweigern. Die Kriegsparteien sind fast immer und sogar leidenschaftlich der Meinung, daß sie selber für eine gerechte Sache und ihre Feinde für eine ungerechte Sache streiten. Sogar wenn sie von Anfang an noch Zweifel haben, werden durch die Steigerung der Parteileidenschaft während des Kriegs diese Zweifel meistens ver- drängt, und der Glaube an das eigene Recht und das Unrecht des Feindes oft bis zum Fanatismus erhitzt. Das Völkerrecht vermuthet auf beiden Seiten guten Glauben und kann der Ueberzeugung der einzelnen Parteien durchaus nicht den Einfluß verstatten, daß die humanen und das Menschenleben schonenden Grundsätze des Völkerrechts zur Seite geschoben, und ein Vernichtungskampf gegen die feind- lichen Truppen geübt werde. 585. Feindliche Personen, welche die Waffen strecken und sich dem Sieger ergeben, sind zu schonen und dürfen weder verwundet noch getödtet, wohl aber entwaffnet und zu Kriegsgefangenen gemacht werden. Vgl. oben § 533. 568. 579. Schon in dem uralten Indischen Gesetzbuch Manus ( VII. 91 f.) ist die Pflicht anerkannt worden, den Feind, der sich ergibt, zu schonen. Aber diese milde Gesetzgebung steht im Alterthum noch sehr vereinzelt als ein Zeugniß des früh in Indien erwachten humanen Rechtsbewußtseins. Die Römer erklärten ihre Benennung der Sclaven „servi“ davon, daß den besiegten Feinden das verwirkte Leben geschenkt worden sei, und meinten, die Sclaverei aus solcher Schonung zu rechtfertigen. ( Florentinus Instit. IX. L. 4. de statu hom.: „Servi ex eo appellati sunt, quod imperatores captivos vendere ac per hoc servare nec occidere solent“. ) Im Mittelalter noch wurden die gefan- genen Feinde wie eine gute Beute betrachtet und ihnen, wie das heute noch die Italienischen Briganten thun, ein möglichst hohes Lösegeld ausgepreßt. Erst die moderne Kriegsführung ist gesitteter geworden und hat den alten humanen Grund- satz der Feindesschonung wieder zu Ehren gebracht. Man braucht nur die Aeußerung von Hugo Grotius (Buch III. Cap. 4) mit denen von Vattel ( III. § 139 u. 140) zu vergleichen, um den großen Fortschritt in der Humanität wahrzunehmen, welcher vom siebzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert gemacht worden ist; und doch spricht Vattel noch von einem Recht über Leben und Tod des Feindes, das wir heute als Barbarei verneinen. 586. Die Krankenwagen (Ambulancen) und Militärspitäler werden als Achtes Buch. neutral anerkannt und demgemäß von den Kriegführenden geschützt und geachtet werden, so lange sich Kranke oder Verwundete darin befinden. Die Neutralität würde aufhören, wenn solche Ambulancen oder Spitäler mit militärischer Macht besetzt wären. Erster Artikel des am 22. Aug. 1864 zu Genf abgeschlossenen Vertrags, um das Schicksal der Verwundeten im Krieg zu verbessern . Den Anstoß zu diesem Vertrag, einer der edelsten Errungenschaften der fortschreitenden Humanität, gab eine Schrift des Genfer Arztes Dunant , unter dem Titel: „Souvenir de Solferino“, worin er die entsetzlichen Eindrücke schilderte, welche der Besuch des Schlachtfeldes von Solferino und der Militärspitäler auf ihn gemacht hatte. Der Präsident der Genfer Gemeinnützigen Gesellschaft, Moynier , nahm den Gedanken, daß die Krankenwagen zu neutralisiren seien, auf und beide Menschenfreunde wendeten sich nun an mehrere Regierungen, um deren Auf- merksamkeit auf die wichtige Frage zu lenken. Ueberall bildeten sich Vereine zu freiwilliger Krankenpflege für die verwundeten Krieger und zur Unterstützung der Verwundeten . Ein Jahrhundert früher schon, am 7. Sept. 1759, war zwischen Frankreich und Preußen ein Vertrag zu Stande gekommen, nach welchem die verwundeten Krieger geschont und verpflegt werden sol- len. Damals schon wurden die Spitäler als Asyle bezeichnet, welche auch im Kriege heilig zu achten seien. Eine internationale Versammlung von Commissären vieler Staten bildete nun, unter dem Vorsitz des Generals Dufour , den Gedanken der Neutralisirung weiter aus auf die ganze Pflege der Verwundeten und umgab ihn mit schützenden Garantien. So kam jener Vertrag zu Stande, welcher sofort im Namen der Staten Baden, Belgien, Dänemark, Frank- reich, Großbrittanien, Hessen-Darmstadt, Italien, Niederlande, Portugal, Preußen, Sachsen, Schweden und Norwegen, Schwerin, Spanien, Vereinigte Staten von Amerika und Würtemberg zuge- stimmt wurde. Erst nach dem deutschen Kriege von 1866 trat Oesterreich bei. Auch Rußland hat nun 1867 seine Zustimmung erklärt. Man darf daher wohl diesen Vertrag als den allgemeinen Ausdruck des heutigen Völkerrechts bezeichnen. 587. Das Personal der Spitäler und Ambulancen für die Aufsicht und den Gesundheits-, Verwaltungs- und Krankentransportdienst, sowie die Feldprediger haben, so lange sie ihren Verrichtungen obliegen und Ver- wundete aufzuheben oder zu verpflegen sind, Theil an der Wohlthat der Neutralität. Genfer Vertrag Art. 2. Das Kriegsrecht. 588. Die im vorgehenden Artikel bezeichneten Personen können auch nach der Besitznahme durch den Feind in den von ihnen besorgten Spitälern oder Ambulancen ihrem Amte obliegen oder sich zu dem Corps zurück- ziehen, dem sie angehören. Wenn diese Personen unter solchen Umständen ihre Verrichtungen einstellen, so sind sie den feindlichen Vorposten von Seite des den Platz inne habenden (besitzenden) Heeres zuzuführen. Ebenda Art. 3. 589. Das Material der Militärspitäler unterliegt den Kriegsgesetzen und die denselben zugetheilten Personen dürfen daher bei ihrem Rückzug nur die ihr Privateigenthum bildenden Sachen mitnehmen. Dagegen verbleibt den Ambulancen unter gleichen Umständen ihr Material. Ebenda Art. 4. 590. Die Landesbewohner, welche den Verwundeten zu Hülfe kommen, sollen geschont werden und frei bleiben. Die Generale der kriegführenden Mächte sind verpflichtet, die Einwohner von dem an ihre Menschlichkeit ergehenden Rufe und der daraus folgenden Neutralität in Kenntniß zu setzen. Jeder in einem Hause aufgenommene und verpflegte Verwundete soll diesem als Schutz dienen. Wer Verwundete bei sich aufnimmt, soll mit Truppeneinquartierungen und theilweise mit allfälligen Kriegscontri- butionen verschont werden. Ebenda Art. 5. 591. Die verwundeten oder kranken Krieger sollen, gleichviel welchem Volke sie angehören, aufgehoben und verpflegt werden. Achtes Buch. Den Feldherren soll gestattet sein, die während des Kampfes Ver- wundeten sofort den feindlichen Vorposten zu übergeben, wenn die Um- stände es erlauben und beide Theile zustimmen. Diejenigen, welche nach ihrer Genesung dienstuntüchtig befunden werden, sind heimzuschicken. Die andern können ebenfalls nach Hause entlassen werden unter der Bedingung, daß sie für die Dauer des Krieges die Waffen nicht mehr tragen. Die Evacuationen und das sie leitende (besorgende) Personal wer- den durch unbedingte Neutralität geschützt. Ebenda Art. 6. 592. Eine auszeichnende und überall gleiche Fahne wird für die Spitäler, Ambulancen und Evacuationen angenommen. Ihr soll unter allen Um- ständen die Landesfahne zur Seite stehen. Deßgleichen wird für das neutralisirte Personal ein Armband zu- gelassen, dessen Verabfolgung jedoch der Militärbehörde überlassen bleibt. Fahne und Armband tragen das rothe Kreuz auf weißem Grund. Ebenda Art. 7. 593. Die siegende Kriegsgewalt ist berechtigt, Kriegsgefangene zu machen. Die moderne Kriegsgefangenschaft hat einen durchaus andern Charakter als die antike und selbst die mittelalterliche. Der Grundgedanke der antiken Kriegs- gefangenschaft war die Sclaverei , wenn nicht gar die Absicht des Siegers, mit den Gefangenen im Triumphzuge zu prunken und ihre Führer schließlich aus Rache dem Tode zu weihen; das Mittelalter betrachtete die Gefangenen entweder als ein Mittel, Lösegelder zu erpressen , oder geradezu als Gegenstand der persön- lichen Rache. Das moderne Kriegsrecht sieht in der Kriegsgefangenschaft vorzüglich ein Mittel, die feindliche Kriegsmacht zu schwächen und den Sieg zu sichern . 594. In der Regel sind alle feindlichen Personen der Kriegsgefangenschaft Das Kriegsrecht. ausgesetzt, friedliche Bewohner in Feindesland aber nur ausnahmsweise, insofern solches die Sicherheit des kriegführenden Heeres oder des krieg- führenden States erfordert. 1. Am . 49. Weil nur diejenigen Personen, welche am Kriege thätigen An- theil nehmen, verhindert werden sollen, die feindliche Macht zu verstärken, sind zunächst nur die Glieder des feindlichen Heereskörpers und voraus die Kämpfer der Kriegsgefan- genschaft ausgesetzt, nicht aber die friedlichen Personen. Der obige Unterschied zwischen feindlichen und friedlichen Personen kommt hier wieder zur Wirkung. Früher war man sich dessen weniger bewußt. Noch Vattel ( III. § 148) erklärt es zwar für eine löbliche Sitte der neueren Kriegsführer, daß sie mindestens Weiber und Kinder nicht mehr zu Kriegsgefangenen machen. Aber er meint, das Recht der Generale, die Kriegsgefangenschaft auf alle Angehörige des Feindes, auch auf die friedlichsten Classen, zu erstrecken, sei nicht zu bezweifeln. Man würde einen General, der ohne Grund, aus Laune die ganze Bevölkerung kriegsgefangen machte, wohl für einen harten und rohen Mann halten, aber er würde das Völker- recht nicht verletzen. Seither ist aber die Sitte fester und das Recht selbst humaner geworden. Jeder unnöthige und launenhafte Angriff auf die persönliche Freiheit, jede unbegründete Knechtung friedlicher Menschen ist eine Verletzung des natürlichen Menschen- und des humanen Völkerrechts . 2. Allerdings sind auch solche Personen, welche nicht zum Heere gehören, und im übrigen einem friedlichen Berufe leben, dann der Kriegsgefangenschaft aus- gesetzt, wenn ihre Freiheit zu einer Gefahr wird für die Kriegspartei, welche an dem Orte die Macht hat. Diese ist berechtigt, z. B. feindlich gesinnte Journa- listen und Parteiführer ebenso zu Kriegsgefangenen zu machen, wie feindliche Officiere, weil sie wie diese die Macht des Feindes stärken und vergrößern, oder der herrschenden Kriegsmacht Schwierigkeiten und Verlegenheiten bereiten. Die offenbar activ-feindliche Gesinnung gibt Anlaß und Grund, sich dieser Feinde zu bemächtigen. Vgl. zu § 596. 595. Die Nichtkämpfer im Heere und selbst solche Personen, welche sich dem Heere anschließen, ohne dazu zu gehören, Berichterstatter, Correspon- denten von Zeitungen, Lieferanten, können zu Kriegsgefangenen werden, wenn sich der Truppenkörper ergibt, an den sie sich angeschlossen haben, oder sie auf der Verfolgung ergriffen werden. Am . 50. Indem sich diese Personen dem Heereskörper anschließen, werden sie in die Gefahren desselben verwickelt, und können sich nicht beschweren, wenn sie — wenigstens vorläufig — als feindliche Personen betrachtet und kriegsgefangen gemacht werden. Ein Grund aber, sie als Kriegsgefangen zu be- Achtes Buch. halten — (der Amerikanische Art. 50 gesteht der Kriegsmacht auch dieses Recht zu) — ist doch nur dann vorhanden, wenn ihre Gefangenschaft die Macht des Feindes verstärkt, oder mit ihrer Freigebung eine Gefahr für die Kriegsmacht ver- bunden ist. Jenes wird durchweg der Fall sein, wenn Verpflegungsbeamte der feindlichen Armee gefangen werden, dieses zuweilen auch, wenn fremde Be- richterstatter gefangen werden. 596. Die Eigenschaft einer souveränen oder diplomatischen Person befreit nicht von der Gefahr der Kriegsgefangenschaft, wenn dieselben zu der feindlichen Macht gehören oder Bundesgenossen derselben sind, oder wenn dieselben an der Kriegsführung sich persönlich betheiligt haben. Am . 50. Die Kriegsgefangenschaft des feindlichen Souveräns oder des feindlichen Ministers des Aeußern ist meistens ein sehr förderliches Mittel, um eher einen günstigen Frieden zu schließen. Ein Grund, diese Personen von den Gefahren des Krieges zu befreien, ist nicht vorhanden. Im Gegentheil, da sie gewöhnlich den Krieg verschuldet oder doch entschieden haben, so ziemt es sich, daß die Verantwortlichkeit des Kriegs vorzugsweise auf ihnen laste und sie die Ge- fahren desselben mit bestehen. In ähnlicher Weise sind auch die politischen Regenten und Führer der einzelnen Provinzen und Kreise eher der Gefahr ausgesetzt, zu Kriegsgefangenen gemacht zu werden, als die friedlichen Verwal- tungsbeamten, Richter, Gemeinderäthe . 597. Wenn die Bevölkerung sich in Masse zur Vertheidigung ihres Landes erhebt, so wird dieselbe als feindlich behandelt und kann kriegs- gefangen werden. Am . 51. Es gilt das überhaupt von jeder geordneten activen Theilnahme durch die Bürger an der Kriegsführung. Die bethätigte Parteinahme zer- stört die Eigenschaft der Friedlichkeit und verwandelt die friedlichen Bürger in feind- liche Personen. 598. Kein Befehlshaber ist zu der Drohung berechtigt, daß er die nicht uniformirten Landstürmer als Räuber behandeln werde. Wenn aber eine feindliche Gegend von der Kriegsgewalt eingenommen und besetzt ist, so gilt während dieses Besitzes ein Aufstand als Verletzung des Kriegsrechts und kann strafrechtlich behandelt werden. Das Kriegsrecht. 1. Am . 52. Der Landsturm ist in seinem Recht, wenn er sich zur Ver- theidigung des Landes erhebt. Er steht dann unter den Befehlen seiner Regierung und ihrer Kriegsgewalt. Landstürmer sind dann, wie die Soldaten des stehenden Heeres und der Landwehr, als feindliche Personen zu behandeln und können kriegsgefangen werden. Das Kriegsrecht, nicht das Strafrecht, findet auf sie An- wendung. 2. Aber anders ist es, wenn innerhalb des vom Feinde eingenommenen Ge- bietes die Landstürmer sich gegen die Kriegsgewalt erheben, denn diese ist, so lange sie im Besitz des Gebietes ist, als ermächtigt anzusehn, die öffentliche Gewalt in demselben auszuüben. Sie kann daher einen Aufstand nicht bloß wie einen feind- lichen Widerstand kriegerisch bewältigen, sondern die Schuldigen strafrechtlich verfol- gen. Das gilt auch von Aufständen im Rücken eines fortschreitenden Heeres . Allerdings kann die Volkserhebung so groß werden, daß sie die Grenzen des Strafrechts überschreitet, und eine neue kriegerische Macht schafft. Dann kommen die obigen Grundsätze von § 512 zur Anwendung. Freilich sind die Kriegsmächte nicht immer geneigt, diese Milderung zuzugestehn. Indessen die öffent- liche Meinung hat doch mit gutem Grund schon zur Zeit eines weniger humanen Kriegsrechts es gemißbilligt, daß die französischen Revolutionsheere gefangene Auf- ständische in der Vend é e und Napoleon I. den Tyrolerführer Andreas Hofer strafrechtlich haben erschießen lassen. 599. Geistliche, Aerzte, Apotheker, Heilgehülfen dürfen, wenn sie nicht am activen Kampfe Theil nehmen, nicht zu Kriegsgefangenen gemacht werden, es wäre denn, daß sie verlangten, die Kriegsgefangenschaft mit ihren Truppen zu theilen, oder die Unterstützung dieser durch jene als nothwendig erscheint. Indessen sind sie auch in diesen Ausnahmsfällen um ihres friedlichen Berufes willen im Dienste der Menschheit mit möglichster Scho- nung und Rücksicht zu behandeln. Am . 53. Vgl. oben § 587. 588. Die Neutralisirung dieser Per- sonen bildet die Regel, aber sie findet doch in den Bedürfnissen der Verwundeten und Kranken selbst eine Grenze. Wenn die feindlichen Aerzte nach einer Niederlage das Schlachtfeld verlassen wollten, wo vielleicht Hunderte von Verwundeten in Noth sind und dringend nach Hülfe schreien, so darf der Heerführer, in dessen Gewalt sie gerathen, ihnen wohl zumuthen und sie nöthigenfalls mit Gewalt dazu anhalten, daß sie sich ihrer Pflicht nicht während der höchsten Noth entziehn. Immer aber ist ihnen möglichst bald wieder volle Freiheit zu gewähren. 600. Die Geiseln, welche von dem feindlichen State oder der feindlichen Achtes Buch. Bevölkerung gestellt oder von der Kriegsgewalt aus dringenden Gründen der Sicherheit genommen werden, sind den Kriegsgefangenen ähnlich in ihrer freien Bewegung gehemmt. Indessen wird der Entzug oder die Be- schränkung ihrer Bewegungsfreiheit durch die Rücksicht auf den Zweck näher bestimmt und begrenzt, um dessen willen die Geiseln gegeben oder genommen sind. Am . 54. Geiseln (vgl. oben § 426) werden zuweilen während des Kriegs gegeben in der Absicht, für eine übernommene Leistung, z. B. für Bezahlung einer Kriegscontribution, für Ueberlieferung eines festen Platzes Sicherheit zu ge- währen. Sie werden aber auch zuweilen genommen , um Sicherheit zu gewinnen vielleicht für die Ruhe einer eingenommenen Stadt oder Gegend. Vorzugsweise werden dann angesehene Personen als Geiseln verwendet, weil nur diese theils durch ihren Einfluß auf die Bevölkerung, theils um der Rücksicht willen, welche die- selbe auf jene Personen zu nehmen pflegt, eine persönliche Gewähr zu geben im Stande sind. Solche Geiseln sind im wesentlichen nicht anders zu behandeln, als die Friedensgeiseln , nur wird eine größere Sorgfalt darauf zu nehmen sein, daß sie sich nicht der feindlichen Gewalt durch die Flucht entziehen. 601. Kriegsgefangene sind nicht Strafgefangene, sondern Sicherheits- gefangene. Sie dürfen nicht mißhandelt, noch gequält, noch zu unwürdigen Handlungen gezwungen werden. 1. Am . 56. 75. Die feindlichen Personen haben rechtmäßig gehan- delt , als sie am Kriege Theil genommen hatten, indem sie dazu von Seite ihrer Statsgewalt beauftragt oder ermächtigt waren. Sie dürfen daher von dem Sieger nicht strafrechtlich verfolgt werden. Kriegsgefangene werden sie nur aus potitischen und militärischen , nicht aus strafrechtlichen Gründen. Eben deßhalb ist es nicht bloß barbarisch und grausam, eines civilisirten States nicht würdig, die Kriegs- gefangenen zu mißhandeln, sondern auch widerrechtlich , denn jede ungerecht- fertigte Gewalt , die gegen Andere geübt wird, ist wider das Recht. 2. Schon auf dem Transport sind daher die Kriegsgefangenen vor der Beleidi- gung des vielleicht feindlich aufgeregten Pöbels zu schützen. Dann sind sie — wo möglich — in festen Plätzen , aber nicht in eigentlichen Gefängnissen, unterzu- bringen. Als die französischen Gefangenen noch in den Jahren 1812 u. 1813 von Rußland wie Verbrecher nach Sibirien transportirt wurden, war das eine Maß- regel, welche der ältern Kriegspraxis wohl erlaubt scheinen mochte, aber dem heuti- gen Rechtsbewußtsein nicht mehr entspricht. Ebenso war das Verfahren, welches während des nordamerikanischen Bürgerkriegs in einem südstatlichen Gefängniß gegen Kriegsgefangene der Union gehandhabt wurde, indem die Leute an Luft und Nah- Das Kriegsrecht. rung heftigen Mangel litten und überdem noch roh behandelt wurden, wider das Völkerrecht. 602. Personen, welche wegen eines vor ihrer Kriegsgefangenschaft ver- übten Vergehens der Strafgerichtsbarkeit des Nehmestats unterworfen sind, können auch nachher von dem Gerichte verfolgt und bestraft werden. Am . 59. Die Kriegsgefangenschaft macht natürlich nicht frei von der ohnehin begründeten Verantwortlichkeit für Vergehen und Verbrechen, welche vor der Kriegs- gefangenschaft verübt worden sind. Wenn z. B. Jemand, der zuvor in dem Nehme- stat Werthpapiere unterschlagen oder gestohlen hatte, später Kriegsgefangener wird, so wird er ebenso der Verfolgung des Strafgerichts überliefert, wie wenn er in dem eingenommenen State vorher einen gemeinen Mord begangen hatte. 603. Die Kriegsgefangenen sind nicht Gefangene des Individuums, dem sie sich ergeben haben, sondern des States. Sie können daher auch nicht von jenem losgekauft und freigelassen werden, sondern nur vom State. Am . 74. Die Kriegsgefangenschaft ist Kriegsmittel des Stats , und nicht Machtübung der Einzelnen. Sie besteht nur zu Statszwecken , und nicht zur Befriedigung von Privatinteressen und Privatleidenschaften. Daher kann nur der Stat darüber verfügen. Die Kriegsgefangenen sind abzuliefern an das Com- mando, welches ordnungsmäßig und kraft seines Amts über das weitere Schicksal derselben entscheidet. 604. Kriegsgefangene sind der Eingrenzung in eine Festung oder eine Stadt oder einen anderen Ortsumfang und sogar, wenn nöthig, dem Ge- fängnisse unterworfen, soweit die Interessen ihrer Sicherung es erfordern. Am . 75. Das leitende Motiv der Eingrenzung darf nie das sein, den Kriegsgefangenen ein Leiden zuzufügen, sondern immer nur das politisch-mili- tärische , dieselben einstweilen von der Theilnahme am Kampf fern zu halten und durch den Gewahrsam, in dem sie gehalten werden, den eigenen Sieg und einen günstigen Frieden zu fördern. Officieren, welche sich auf Ehrenwort erklären, keinen Fluchtversuch zu machen, wird daher oft die Freiheit verstattet, beliebig in einer Stadt zu wohnen und sich sogar in der Umgegend frei zu bewegen. Die Festhaltung Achtes Buch. in einem Gefängniß ist eine extreme Maßregel, zu welcher man insbesondere gegen solche Kriegsgefangene berechtigt ist, welche sich derselben durch die Flucht hatten entziehen wollen. Vgl. zu § 601. 605. Der Nehmestat ist verpflichtet, für die Ernährung und für die Ge- sundheit der Kriegsgefangenen soweit nöthig zu sorgen. Vgl. oben zu 601. Die Art der Ernährung wird durch die Landes- und Volkssitte bestimmt. 606. Soweit die Kriegsgefangenen aus eigenen Mitteln für ihren Lebens- unterhalt zu sorgen im Stande sind, ist der Stat nicht dazu verpflichtet. Sie können ihr mitgebrachtes Geld dazu verwenden oder ihren Credit benutzen. Die Verpflichtung des Stats, sie zu ernähren, beruht nicht auf einer Unterstützungs- pflicht an sich, sondern darauf, daß er das vermeintliche Recht über Leben und Tod nicht hat, sondern verpflichtet ist, ihr Leben zu erhalten , für dessen Unterhalt sie wegen der Gefangenschaft außer Stande sind, selber zu sorgen . 607. Die Kriegsgefangenen müssen sich allen den Anordnungen fügen, welche der Nehmestat im Interesse ihrer sichern Verwahrung für nöthig erklärt. Sie dürfen wohl gegen lästige und unpassende Anordnungen der nähern Auf- sicht je an die übergeordnete Stelle Beschwerde führen und auch ihre Wünsche äußern . Aber Widersetzlichkeit kann nicht geduldet, sondern muß sofort unter- drückt werden, wenn nicht für den Stat und seine Kriegsführung daraus ernste Gefahren und Nachtheile entstehen sollen. 608. Dieselben können auch inzwischen zu Arbeiten angehalten werden, welche ihren bürgerlichen Verhältnissen und ihrem Range angemessen er- scheinen. Aber niemals dürfen sie zur Theilnahme an dem Waffenkampf zu Gunsten des Nehmestates angehalten werden. Auch dürfen sie nicht gezwungen werden, irgend welche Aufschlüsse zu geben oder Mittheilungen Das Kriegsrecht. zu machen, welche die Interessen des States gefährden, welchem sie gedient haben. Am . 76. 80. Die Verwendung zu angemessenen und verhältniß- mäßigen Arbeiten dient als Ersatz für die Kosten, welche der Stat auf den Unterhalt der Kriegsgefangenen auszulegen genöthigt ist. Es ist das dem Wesen nach nicht Strafarbeit , sondern Ersatzarbeit . Die bona fides , welche die Staten einander schulden, erfordert, daß man auch den Kriegsgefangenen nichts Un- würdiges zumuthe; und moralisch unwürdig wäre es, sie zum Kampf wider ihr Vaterland und ihre Stats- und Kriegsgenossen zu zwingen. Dagegen hat die Arbeit an Festungsbauten, während der Kampf noch fern ist, nicht diesen Charakter unmittelbarer Feindseligkeit. Dazu können daher Kriegsgefangene wohl angehalten werden. Vgl. oben § 576. 609. Ein Kriegsgefangener, welcher entspringt, kann bei der Verfolgung auf der Flucht getödtet, aber er darf nicht, wenn er wieder eingefangen wird, wegen des Fluchtversuchs gestraft werden. 1. Am . 77. Die Kriegsgefangenschaft wird durch einen Act der feindlichen Kriegsgewalt begründet, welche ihre Ueberlegenheit bewährt. Es ist ein Unglück , kriegsgefangen zu werden, aber es ist kein Unrecht , sich der Gefangenschaft wie- der zu entziehn , denn das heißt nur, die natürliche Freiheit wieder erwerben und einer Demüthigung entgehn. 2. Flüchtige Kriegsgefangene können freilich wieder mit Gewalt ver- folgt werden. Wenn die Flucht vereitelt und sie wieder eingebracht werden, dann ist eine strengere Bewachung , nach Umständen eine engere Einschließung wohl gerechtfertigt, aber nicht die Bestrafung derer, welche kein Vergehen begangen, sondern nur einen menschlich untadelhaften und kriegsrechtlich erlaubten Versuch gemacht haben, die verlorene Freiheit wieder zu gewinnen. 610. Eine Verschwörung unter den Kriegsgefangenen zu allgemeiner Be- freiung kann wegen ihrer Gefährlichkeit kriegsgerichtlich bestraft werden. Ebenso ein Complot unter den Kriegsgefangenen zum Aufruhr gegen die bestehenden Autoritäten. Sogar die Todesstrafe ist in schwereren Fällen der Art gerechtfertigt. Am . 77. Die Kriegsgefangenen sind feindliche Personen, welche nur der Uebergewalt sich fügen. Jede gemeinsame Auflehnung derselben ist daher Achtes Buch. von äußerster Gefährlichkeit. Sowohl kriegerische als strafrechtliche Mittel können hier angewendet werden, um die Gefahr zu bewältigen. Werden die empörten Kriegsgefangenen von Bewaffneten umstellt und für den Fall, daß sie nicht sofort zum Gehorsam zurückkehren, mit Erschießen bedroht, so ist das Erneuerung des Kampfs, eine kriegerische oder, wenn man will, eine policeiliche Maß- regel , nicht Justiz. Aber die Gefährlichkeit solcher Verschwörungen und Aufstände rechtfertigt auch ein strafgerichtliches Einschreiten der Kriegsgerichte. 611. Wenn es einzelnen Kriegsgefangenen oder auch den Kriegsgefangenen insgesammt gelingt, zu entkommen und dieselben Personen später wieder kriegsgefangen werden, so können sie wegen der frühern Flucht nicht ge- straft werden. Am . 78. Sie können wohl sorgfältiger verwahrt werden. Vgl. oben zu 604. 612. Die Auswechslung der Kriegsgefangenen während des Krieges ist Sache der freien Convenienz der kriegführenden Staten. Ohne vorherigen Vertrag ist kein Stat verpflichtet, dieselbe zu gewähren. Auch eine vor- herige Verabredung verliert ihre Verbindlichkeit, wenn der andere Paciscent dieselbe verletzt hat. Am . 109. Das wechselseitige Interesse der beiden kriegführenden Parteien bestimmt dieselben, zumal bei lange dauernden Kriegen, wohl, die beiderseitigen Kriegsgefangenen gegen einander auszuwechseln . Sie vermindern dadurch die Lasten der Unterhaltung und Bewachung, und verlieren nichts dabei, denn die Vor- theile, welche eine Kriegspartei der andern gegenüber von dem Besitze von Kriegs- gefangenen erwartet, können erst beginnen, wenn die eine Partei mehr Kriegs- gefangene besitzt, als die andere. Soweit sich beide gleichstehen, werden die Vor- theile des Besitzes aufgewogen und nur die Nachtheile bleiben beiderseits. Aber eine Pflicht, die Gefangenen umzutauschen, besteht nicht. Vielmehr bedarf es einer beson- dern Verständigung beider Parteien, um die Auswechslung vorzunehmen. 613. Im Zweifel ist anzunehmen, daß die Auswechslung Mann für Mann, Rang für Rang, Verwundete für Verwundete gemeint sei und daß die Entlassenen wechselseitig für die Dauer des gegenwärtigen Krieges nicht mehr zu Kriegsdiensten verwendet werden. Das Kriegsrecht. Am . 105. Der Grundsatz der Gleichwerthung (Parität) entspricht dem natürlichen Rechtssinn, welcher die feineren und bestreitbaren Unterschiede nicht be- achtet wissen will. Es sind daher auch Linienofficiere den Landwehroffi- cieren , und die Soldaten der verschiedenen Waffengattungen einander gleich zu stellen. Die Zeitfrist, während welcher die Entlassenen nicht mehr am Kampfe Theil nehmen dürfen, kann durch Vertrag näher bestimmt werden. Gewöhnlich wird die- selbe auf die Dauer des gegenwärtigen Kriegs beschränkt und deßhalb darf das im Zweifel als die Meinung der Partei vermuthet werden. 614. Für Gefangene von höherem Rang werden in Ermanglung von gegnerischen Gefangenen desselben Ranges je nach der Verabredung eine Anzahl Gefangener von geringerem Range ausgewechselt. Am . 106. Die Schätzung ist freilich sehr willkürlich, sie ist aber nicht zu entbehren, wenn der Zweck des gleichmäßigen Austausches von Gefangenen er- reicht werden soll. Das Nähere wird gewöhnlich durch Cartelverträge bestimmt, welche von den feindlichen Regierungen oder Befehlshabern abgeschlossen werden. 615. Die Kriegsgefangenen haben die Ehrenpflicht, ihren wirklichen Rang anzumelden und weder einen niedrigeren Rang in der Absicht anzugeben, ihrem State bei der Auswechslung einen Vortheil zuzuwenden, noch einen höheren Rang zu behaupten, um eine bessere Verpflegung zu erhalten. Verletzungen dieser Pflicht können bestraft und eine gerechte Ursache werden, die Entlassung solcher Gefangenen zu verweigern. Am . 107. Der Nehmestat ist jedenfalls berechtigt, eine derartige Täuschung disciplinarisch oder strafrechtlich zu ahnden. Aber auch der heimische Commandant kann den Untergebenen nach der Entlassung zur Verantwortung ziehen und bestrafen. Freilich wird der letztere weniger dazu veranlaßt sein, wenn die Täuschung in der Angabe eines geringern Ranges, als wenn sie in der Anmaßung eines höhern Ranges bestanden hatte. 616. Die Ueberzahl von entlassenen Gefangenen mag durch ein entspre- chendes Lösegeld oder andere Gegenleistungen ausgeglichen werden. Solche Verabredungen bedürfen aber im Zweifel der Genehmigung der obersten Autoritäten. Bluntschli , Das Völkerrecht. 22 Achtes Buch. Am . 108. Zu Gegenleistungen dient unter Umständen die Lieferung von Nahrungsmitteln oder Kleidungsstücken besser noch als Geld. Unter der obersten Autorität ist aber nicht nothwendig die Statsregierung, sondern auch der Höchst- commandirende der betreffenden Armee zu verstehen. 617. Kriegsgefangene können nach Umständen auch auf Ehrenwort ent- lassen werden. Am . 119. 618. Ehrenwort (Parole) bedeutet die Einsetzung der persönlichen Ehre und der ehrlichen Treue, die versprochene Zusage zu erfüllen, mit Rücksicht auf welche die Entlassung gewährt ist. Am . 120. 619. Die Abgabe des Ehrenworts ist zwar ein individueller aber kein bloßer Privatact, sondern gehört dem öffentlichen Rechte an. Am . 121. Der Gefangene kann nur sein individuelles Wort geben und nur seine persönliche Ehre verpfänden. Insofern ist das eine individuelle That; aber doch nicht ein Privatgeschäft, denn er kann es wieder nur als Kriegs- gefangener thun, d. h. aus einem völker- und kriegsrechtlichen Zustande heraus und in der Absicht diesen zu lösen. Insofern hat schon die Erklärung eine öffentlich- rechtliche Bedeutung. Noch entschiedener tritt diese Bedeutung hervor in der Annahme der Erklärung von Seite der Statsmacht und in der Entlassung aus der Gefangenschaft. 620. Kein Kriegsgefangener kann zur Ertheilung des Ehrenworts gezwun- gen werden und keine Regierung ist verpflichtet, Kriegsgefangene auf Ehren- wort hin frei zu geben. Die Kriegspartei kann aber durch eine allgemeine Verordnung erklären, ob und unter welchen Bedingungen sie Gefangene auf Ehrenwort entlassen werde. Das Kriegsrecht. Am . 132. 133. Aehnlich verhält es sich mit der Ertheilung einer be- schränkten Freiheit an die Kriegsgefangenen, mit Bezug auf ihr Ehrenwort, daß sie dieselbe nicht zur Flucht mißbrauchen werden. Einem gefangenen Officier kann so verstattet werden, in einer Stadt frei zu leben auf sein Ehrenwort hin, daß er den Umkreis derselben nicht verlassen werde. Weigert er sich, das Ehrenwort zu geben, so ist der Nehmestat veranlaßt und berechtigt, ihn in sichern Gewahrsam zu bringen. 621. Soldaten können das Ehrenwort nur durch Vermittlung ihrer Of- ficiere und auch diese nur mit Genehmigung ihres obersten Officiers geben, der zur Stelle ist. Am . 126. 127. Weil das ganze Verhältniß eine politische und vorzüg- lich militärische Bedeutung hat, so bedarf es der Ermächtigung eines Officiers, dem ein Commando übertragen ist und darf nur, wenn ein solcher nicht da ist, von einem andern Officier eingegangen werden. Wenn kein Officier da ist, dann freilich können die Soldaten auch auf ihr persönliches Ehrenwort hin entlassen werden. Die Soldatenehre ist nicht auf die Officiere beschränkt. Wie man dem Eide der Soldaten vertraut, so kann man auch ihrem Ehrenwort vertrauen. Aber die Sitte des Ehrenworts beschränkt sich gewöhnlich auf die höher gebildeten Classen, und in- sofern kann es Bedenken haben, dasselbe bei gemeinen Soldaten, ohne Officier, zuzulassen. 622. Während der Schlacht ist die Entlassung auf Ehrenwort nicht zu- lässig und unwirksam. Am . 128. Wohl können sich während der Schlacht Truppentheile als Kriegs- gefangene ergeben, aber die Lösung des Verhältnisses auf Ehrenwort hin wird als der Kriegssitte zuwider betrachtet. Das amerikanische Statut geht weiter. Es er- klärt auch die Entlassung ganzer Truppenkörper nach der Schlacht auf Ehrenwort für unzulässig und unverbindlich, und ebenso die allgemeine Entlassung einer Menge Gefangener mit der bloßen Erklärung, daß sie auf Ehrenwort entlassen seien. Es bedarf vielmehr eines besondern persönlichen Acts . 623. Die gewöhnliche Einsetzung des Ehrenworts hat den Sinn, daß der auf Ehrenwort Entlassene während des Kriegs nicht mehr gegen den ent- lassenden Stat kämpfen werde, außer es wäre für ihn später ein anderer 22* Achtes Buch. Kriegsgefangener ausgewechselt worden und in Folge dessen das Recht der Auswechslung maßgebend geworden. Am . 130. Auch bei der Auswechslung kann dieselbe Bestimmung des Nichtdienens verabredet oder auch ohne Verabredung gemeint sein. Vgl. § 612. Es sind aber auch entgegengesetzte Verabredungen möglich, in Folge deren die aus- gewechselten Gefangenen wieder in die Reihen der Armee eintreten dürfen. 624. Das Versprechen bezieht sich nur auf den activen Felddienst gegen die entlassende Kriegspartei und ihre Bundesgenossen, nicht auf den innern Militärdienst und nicht auf civile oder diplomatische Dienstleistungen, auch nicht auf das Fechten wider andere Feinde. Am . 130. Nur das Fechten wider die Kriegspartei gilt als Treu- bruch und als strafbarer Mißbrauch der zurückgegebenen Freiheit. Die auf Ehren- wort entlassenen Officiere können aber zum Einexercieren von Rekruten , oder zu Befestigungs- oder Bureauarbeiten verwendet werden, ohne daß darin ein Treubruch erkannt wird. 625. Ein Officier, welcher dem Ehrenwort zuwider gegen die entlassende Kriegspartei ficht, kann um dieses Treubruches willen, wenn er neuerdings in die Gewalt derselben geräth, kriegsgerichtlich gestraft und sogar zum Tode verurtheilt werden. Am . 130. Es ist das ein schweres Vergehen gegen den Stat, der ihn frei- gelassen hat, aber auch vor dem Ehrgefühl der eigenen Truppen nicht zu rechtfer- tigen. Werden solche wortbrüchige Officiere wieder ergriffen, so können sie vor ein Kriegsgericht gestellt und von diesem verurtheilt werden. Freilich wenn der Krieg zu Ende kommt, dann hört auch das Recht zur Verfolgung und Bestrafung solcher Verletzungen des Kriegsrechts auf. Man darf im Frieden nicht wieder auf solche Straffälle zurückgreifen. 626. Wenn die Regierung, welcher der auf Ehrenwort entlassene Officier angehört, das Versprechen nicht billigt, so ist derselbe verpflichtet, sich wie- der zur Kriegsgefangenschaft zu stellen. Nimmt ihn der Feind nicht mehr Das Kriegsrecht. als Gefangenen an, so ist er von seiner Zusage befreit und des Ehren- wortes entbunden. Am . 131. Er darf nicht etwa, gestützt auf die Nichtgenehmigung, sich als thatsächlich frei betrachten und in seinen Truppenkörper wieder eintreten, sondern er muß sich, da die Entlassung unwirksam geworden ist, nun wieder als Kriegs- gefangenen betrachten und sich dem Feind wieder stellen . Nur dieser kann ihm die Freiheit wieder geben; sie zu nehmen ist Treubruch am Ehrenwort. 6. Verfahren gegen Deserteure und Ueberläufer, Spione, Kriegs- verräther, Wegeführer, Räuber, Marodeurs, Kriegsrebellen. 627. Deserteure, die wieder eingebracht werden, oder Ueberläufer zum Feinde, welche wieder gefangen werden, sind der strafgerichtlichen Behand- lung des Kriegsrechts unterworfen und können mit dem Tode bestraft werden. Am . 1. Es ist das, genau genommen, eher ein Satz des einheimischen Strafrechtes als des Völkerrechts . Indessen mag die Rücksicht darauf, daß die Deserteure , indem sie ihrer Fahnenpflicht untreu werden, sich gewöhnlich in ein fremdes Land begeben und daß die Ueberläufer geradezu zum Feinde übergehen, es rechtfertigen, daß diese Fälle auch in einer Darstellung des Völker- rechts erwähnt werden. 628. Spione können, wenn sie bei Erfüllung ihrer Absicht ergriffen wer- den, kriegsrechtlich mit dem Tode bestraft werden, ohne Rücksicht darauf, daß sie aus Auftrag handelten und ob ihre Späherei von Erfolg war oder nicht. Am . 88. Der Grund der strengen Bestrafung der Spione liegt vorzüglich in ihrer Gefährlichkeit für die Kriegsführung, verbunden mit der als nicht ehrenhaft betrachteten Handlungsweise der Spione, nicht darin, daß dieselben eine verbrecherische Gesinnung bethätigen. Wenn sie im Auftrag ihres States handeln, so können sie in gutem Glauben sein, eine Pflicht zu erfüllen; und Achtes Buch. sogar wenn sie aus freiem Antrieb handeln, so kann auch hier der Patriotismus sie dazu treiben. Die Todesstrafe soll zur Abschreckung dienen. Der Kriegsgebrauch hat sie sogar in der entehrenden Form des Hängens eingeführt. Aber sie darf doch nur als äußerste Strafe in den gefährlichsten Fällen zur Anwendung kommen. In sehr vielen Fällen wäre sie unverhältnißmäßig hart. Die neuere Praxis ist auch hier milder geworden und begnügt sich oft mit geringen Strafen, inbeson- dere mit Verhaft. Ein bekanntes Beispiel der härtesten Strafe, die an einem höhern Officier der feindlichen Armee vollzogen wurde, ist die Hinrichtung des englischen Majors Andr é , des Generaladjutanten der Königlichen Armee, welcher in dem nordamerikanischen Befreiungskriege von einem amerikanischen Kriegsgericht zum Tode verurtheilt und trotz der Verwendungen der englischen Generale gehängt wurde. Er hatte vergeblich darum gebeten, als Kriegsmann erschossen zu werden. Vgl. Phillimore III. 183 f. 629. Als Spion wird betrachtet, wer heimlicher Weise oder unter trüge- rischen Vorwänden sich in die Linien des Heeres in der Absicht einschleicht oder begibt, um Erkundigungen einzuziehn, die für die Kriegsführung des Feindes erheblich sind, und dieselben an den Feind mitzutheilen. Am . 88. Die offen geübte Erkundigung kann zum Verrath mißbraucht werden (vgl. § 631), aber sie ist nicht Spionerie. Der Makel des Anstößigen und Unehrenhaften, welcher der Spionerie anklebt, beruht auf der Heimlichkeit des Verfahrens und den trügerischen Vorwänden . Das — wenn auch heim- liche — Erspähen der feindlichen Rüstungen und Waffenplätze vor dem Ausbruch des Kriegs kann je nach Umständen policeilich geahndet, darf aber nicht als Spio- nerie kriegsgerichtlich bestraft werden. Nur im Kiege und nach Kriegsrecht gibt es Spione. Auch dann aber muß man sich hüten, allzuleicht auf Spionerie zu schlie- ßen. In dem deutschen Kriege von 1866 war die Spionenriecherei besonders in den süddeutschen Heeren zu einer Manie geworden, welche eine Menge höchst un- schuldiger Personen momentan arg belästigte, aber schließlich doch nirgends ernste Folgen hatte. 630. Militärpersonen, welche als erkennbare Feinde in die feindliche Linie eindringen, wenn auch in der Absicht, die Stellung und die Verhältnisse des Feindes zu erkundigen und Truppentheile, welche recognosciren, dürfen wohl kriegsgefangen gemacht, nicht aber als Spione behandelt werden. Die Entsendung von Recognitionspatrouillen gehört zu den erlaubten und wechselseitig geübten Kriegsmitteln. Es können auch einzelne ortskundige Sol- Das Kriegsrecht. daten dazu verwendet werden, und sogar die Führer selbst auf Recognoscirung ausreiten. Die Absicht ist auch hier die Erkundung der Schwächen oder Stärken der feindlichen Stellung und aller Bedingungen der militärischen Action. Diese erlaubte Art der Beobachtung ist nicht minder gefährlich als die Spionerie, aber weil sie als ein Bestandtheil der Kriegsführung selber gilt, darf sie auch vom Feinde nicht strafrechtlich behandelt werden. 631. Auch wer solche Erkundigungen über die Kriegsführung, die ihm auf gesetzlichem Wege oder in erlaubter Weise zugekommen sind, zum Nachtheil des Heeres, in dessen Bereich er sich befindet, an den Feind mittheilt, wird als Kriegsverräther kriegsrechtlich und in schweren Fällen mit dem Tode bestraft. Am . 89. 90. Diese Handlung kann zugleich ein gemeines Verbrechen des Landesverrathes sein, wenn ein Officier des Heeres, oder ein Civilbeamter die ihm anvertrauten Kriegspläne dem Feinde verräth oder wenn der Bewohner einer Stadt oder Festung den feindlichen Heerführern Mittheilungen in der Absicht zukommen läßt, die Eroberung der Stadt oder Festung zu erleichtern. Aber sie kann auch unter Umständen vorkommen, in denen das bürgerliche Strafgesetz kein Verbrechen findet, und dennoch der großen Gefährlichkeit wegen kriegsgericht- lich gestraft werden. Vielleicht gehört der Verräther persönlich dem State an, dessen Heer sich als Feind nähert und macht seine Mittheilungen aus patriotischer Gesin- nung. Trotzdem läuft er Gefahr, von dem am Ort herrschenden Feind als Verräther vor ein Kriegsgericht gestellt und vielleicht erschossen zu werden. Es hilft ihm nicht einmal die Einwendung, daß die Kriegsgewalt, ohne wirkliche Landeshoheit zu be- sitzen, nur vorübergehend den Ort besetzt habe. Dagegen beschränkt sich diese Straf- befugniß der Kriegsgerichte auf die Fälle, in denen ein derselben Kriegsgewalt, wenn auch nur vorübergehend unterworfener Bewohner ihr zum Nachtheil dem Feinde Mittheilungen gemacht hat, und darf nicht auf solche Fälle ausgedehnt werden, in denen die Kriegsgewalt erst nachher in den Besitz des Ortes kommt, von dem aus die Mittheilung gemacht worden ist. 632. Von der Strafe des Kriegsverraths wird auch der bedroht, welcher aus einem von der feindlichen Kriegsmacht besetzten Orte an sein heimat- liches Heer oder seine heimatliche Regierung Mittheilungen in der Absicht macht, die jene Orte besetzende Kriegsmacht zu gefährden. Am . 92. Vgl. zu § 631. Indessen wird in solchen Fällen die Strafe nur Achtes Buch. aus dem kriegerischen Nothrecht zu rechtfertigen sein. Die That selbst kann nicht als ehrlos gebrandmarkt werden. 633. Wenn ein Spion oder Kriegsverräther glücklich zu seinem Heere zurückkehrt, dem er zugehört, oder das seinem Vaterlande dient und später wieder von dem Feinde gefangen wird, so wird er wegen seiner früheren kriegsgefährlichen Handlung nicht mehr bestraft, aber ist als besonders gefährlicher Gefangener schärferer Ueberwachung ausgesetzt. Am . 104. Das Kriegsrecht ist Nothrecht. Indem sich der Spion oder der Kriegsverräther der feindlichen Kriegsgewalt entzieht, hat er sich auch der Stats- gewalt des Feindes entzogen; und diese einmal erloschen, lebt nicht wieder auf, ohne eine neue wegen ihrer Gefährlichkeit für die Kriegsführung kriegsrechtlich straf- bare That. 634. Wer freiwillig dem feindlichen Heere als Wegeführer sich anbietet und die Wege zeigt, wird als Kriegsverräther betrachtet und bestraft. Am . 95. 96. Auch hier ist zu unterscheiden zwischen dem gemeinen Verbrechen des Landesverraths , welches der gewohnten Strafjustiz dann anheimfällt, wenn die Kriegsgewalt entweder nicht befugt oder nicht geneigt ist, ein- zuschreiten und der bloß kriegsgerichtlich strafbaren That, die an sich kein Verbrechen ist, aber wegen ihrer besondern Gefährlichkeit für die Kriegsführung ge- straft wird. Wenn z. B. der Bürger eines von dem Feinde besetzten Ortes sich als Wegeführer einem vaterländischen Truppenkörper anbietet, damit derselbe den Feind überfalle und wieder verdränge, und wenn er bei dem Versuch ergriffen wird, so kann er von dem feindlichen Kriegsgerichte als Kriegsverräther verurtheilt und er- schossen werden, obwohl er eine patriotische That zu vollziehen in guter Mei- nung war und nicht zur Treue , sondern nur zum Gehorsam vorübergehend der feindlichen Kriegsgewalt verpflichtet war. 635. Wer dagegen von den feindlichen Truppen genöthigt wird, als Wegeführer die Wege zu zeigen, ist auch vor dem Kriegsrecht gerechtfertigt. Am . 93. 94. Der Einzelne kann der Kriegsgewalt nicht Widerstand leisten und muß schließlich der Bedrohung sich fügen; denn man darf nach mensch- Das Kriegsrecht. lichem Recht Niemandem zumuthen, daß er eher zum Märtyrer werde und sich eher mißhandeln oder tödten lasse, als der thatsächlichen Statsgewalt Folge leiste. Alle Armeen bedürfen der Wegeführer und alle wenden im Nothfall Drohung und Zwang an, um dieselben zu bekommen. Daher darf auch Niemand gestraft werden, weil er dieser Nothwendigkeit sich unterwarf . 636. Wegeführer, welche die Truppen absichtlich mißleiten, verfallen dem Kriegsrecht dieser Truppen und können mit dem Tode bestraft werden. Am . 97. Die große Gefahr , in welche die Truppen durch absichtliche Irreleitung gebracht werden können, rechtfertigt auch hier die militärische Strenge. Die Kriegsgerichte müssen sich aber davor hüten, leichthin eine verrätherische Absicht des Wegeführers zu vermuthen, denn es ist sehr möglich, daß dieser sich selber ge- täuscht und sich verirrt hat, während er die Absicht hatte, den richtigen Weg zu finden und zu suchen. In diesem Falle darf er nicht gestraft werden. Es bedarf daher zur Bestrafung des Irreführers eines Beweises der bösen Absicht , welche freilich nur aus den Umständen zu erschließen ist. 637. Auch den diplomatischen Agenten ist nicht gestattet, während des Kriegs aus dem von Truppen besetzten Lande über die militärischen Zu- stände und Vorgänge Mittheilungen nach außen zu machen, welche der kriegführende Gegner zum Schaden der erstern Kriegspartei benutzen kann. Zuwiderhandelnde können sofort weggewiesen und bei großer Gefahr sogar verhaftet und einstweilen sicher verwahrt werden. Am . 98. Die privilegirte Stellung der diplomatischen Personen darf nicht mißbraucht werden, um die Kriegsführung zu schädigen. Die Sicherheit dieser ist eine so überaus wichtige Angelegenheit, daß selbst ein Eingriff in das Privilegium der Unverletzlichkeit der Gesanten und in ihre Exterritorialität gerechtfertigt erscheint, sobald und in so weit derselbe nöthig ist, um die Kriegsführung gegen solche Ge- fährdung zu schützen. 638. Auch den fremden Besuchern und Berichterstattern ist in dieser Hin- sicht große Vorsicht zur Pflicht gemacht. Die Befehlshaber können ihnen bestimmte Mittheilungen untersagen und nach Umständen eine Controle Achtes Buch. ihrer Correspondenzen anordnen, sie in Folge der Mißachtung der nöthigen Vorsicht wegweisen oder wenn Gefahr vorhanden ist, sie in schweren Fällen ungehöriger Mittheilung sogar der kriegsgerichtlichen Bestrafung überant- worten. 1. Am . 98. Zuweilen werden Officiere neutraler Staten in der Ab- sicht dem Heere beigegeben, damit sie den Gang des Krieges beobachten und die Kriegsführung studiren. Es hängt natürlich von den Kriegsführern ab, ob sie die- selben zulassen wollen oder nicht. Diese Officiere haben den Auftrag, an ihre Re- gierungen zu berichten. Dabei ist die Grenze nicht immer leicht zu finden zwischen der unverfänglichen und daher erlaubten , und der gefährlichen und daher verbotenen Mittheilung. Der nächste Entscheid darüber muß der Kriegs- gewalt selber vorbehalten bleiben. 2. Aehnlich verhält es sich mit den Berichterstattern der Zeitungen , sei es aus neutralen Staten oder aus den kriegführenden Staten selber. Auch da ist große Vorsicht nöthig, damit nicht gefährliche Mittheilungen gemacht und dafür die Correspondenten zur Verantwortung gezogen werden. 639. Couriere mit Depeschen oder Boten mit mündlichen Aufträgen wer- den, wenn sie offen in solcher Eigenschaft reisen oder als Soldaten in Uniform den Dienst erfüllen und in die Gewalt des Feindes gerathen, als Kriegsgefangene behandelt. Wenn sie aber heimlich und nicht als Soldaten erkennbar sich durchzuschleichen suchen, so sind sie zwar nicht als Spione oder Kriegsverräther anzusehen, aber sie verfallen doch einer den Umständen entsprechenden kriegsrechtlichen Bestrafung. Am . 99. Es gilt als ein durchaus ehrenvoller militärischer Auf- trag , in einen vom Feinde belagerten Platz von den Entsatztruppen her einen Boten zu schicken oder umgekehrt. Trotz der Gefährlichkeit solcher Verbindung darf der Soldat, welcher bei der Erfüllung seines Dienstes von den feindlichen Wachen ergriffen wird, doch nicht als Spion oder Verräther betrachtet und bestraft, sondern nur zum Kriegs- gefangenen gemacht werden. Wenn aber Nichtsoldaten in heimlicher Weise den Botendienst übernehmen und heimlich ausführen, dann laufen sie Gefahr, vor ein Kriegsgericht gestellt zu werden. 640. Bösartige Versuche, den Feind zu schädigen, welche nicht zu der militärisch geordneten Kriegsführung gehören, können wegen ihrer Gefähr- Das Kriegsrecht. lichkeit kriegsrechtlich, in besonders schweren Fällen sogar mit dem Tode bestraft werden. Am . 101. Hieher können z. B. das Abfangen der Kriegsposten durch unbe- rufene Personen und das Verbreiten falscher Nachrichten gerechnet werden. Die Kriegsführung muß sich solcher feindlichen und nicht gerechtfertigten Schädigung er- wehren und darf deßhalb im Nothfall eine abschreckende Strenge eintreten lassen. 641. Bewaffnete Räuber oder andere Missethäter, welche auf eigene Faust morden, verwunden, rauben, plündern, brennen, Brücken und Canäle zer- stören, Eisenbahnschienen aufreißen, Telegraphendrähte abschneiden, um den Truppen Schaden zuzufügen oder unter dem Schein der Kriegsführung ihren Leidenschaften zu fröhnen, können, wenn sie in die Gewalt der Truppen fallen, kriegsrechtlich, in schweren Fällen mit dem Tode bestraft werden. Am . 84. Hier concurrirt wieder sehr oft, aber nicht immer, ein gemeines Verbrechen mit einer kriegsrechtlich strafbaren That . Werden die Ein- wohner eines Ortes zu gemeinsamer Abwehr des Feindes von der militärischen Ge- walt aufgefordert und verüben sie in Folge dessen Thaten der Gewalt, so ist das kriegerische Action. Aber nicht als solche gilt es, wenn etwa die Einwohner die bei ihnen einquartierten Soldaten im Schlafe überfallen und binden oder tödten, oder wenn Parteigänger unter dem Scheine der autorisirten Truppen Erpressungen üben oder wenn fanatisirte Weiber auf die einrückenden Feinde heißes Wasser ausgießen. Auch wenn solche Thaten vielleicht nicht aus einer verbrecherischen, sondern einer patriotischen Gesinnung verübt werden, so sind sie ihrer Verderblichkeit wegen dennoch und weil sie außerhalb der geordneten Kriegsführung gesche- hen, kriegsrechtlich zu bestrafen. 642. Ebenso unterliegen der kriegsrechtlichen Bestrafung bis zur Todes- strafe die Marodeurs, welche den Truppen nachschleichen und auf uner- laubte Beute ausgehen. Den Truppen folgt im Kriege ein Schwarm frechen und diebischen Gesindels nach, welches sich auf die Schlachtfelder stürzt, wie die Raben und unleidlichen Unfug treibt. Diese Marodeurs bestehlen die Leichen, morden auch wohl Ver- wundete, um sie zu berauben. Um sie zu verscheuchen und zu bändigen, hilft nur Achtes Buch. eine gute Feldpolicei (Gensdarmerie) und die äußerste Strenge einer raschen militä- rischen Justiz. 643. Auch die Kriegsrebellen, d. h. die, welche in einem von den Trup- pen besetzten Gebiete die Waffen gegen dieselben oder gegen die von der Kriegsgewalt niedergesetzten Autoritäten ergreifen, können vor ein Kriegs- gericht gestellt und mit dem Tode bestraft werden. Am . 85. Derartige Aufstände werden nicht bloß mit Waffengewalt unter- drückt, sondern auch, weil sie nicht zur ordentlichen Kriegsführung gehören und um ihrer Gefährlichkeit willen kriegsrechtlich bestraft . Es gilt das auch dann, wenn etwa die ganze Bevölkerung einer besetzten Stadt oder Gegend aufstehen sollte, während die feindlichen Truppen noch diese Orte besetzt oder in ihrer Macht haben. Die Aufständischen können sich auch nicht damit gegen die herrschende Kriegsgewalt rechtfertigen, daß sie sich auf Befehle berufen, welche sie von ihrer rechtmäßigen — aber zur Zeit außer Besitz gesetzten — Regierung erhalten haben. 7. Recht der Kriegsgewalt über das feindliche Vermögen und das Vermögen der friedlichen Personen in Feindesland. A. Im Landkrieg . 644. Die siegende Kriegsgewalt eignet sich nach Kriegsrecht alle öffentliche Habe des Feindes an, so weit sich ihre Macht erstreckt. Vorbehalten bleibt das Recht des Heimfalls an den Stat, dem diese Habe nach Friedens- recht zugehört hat bis zur endlichen neuen Friedensordnung. Am . 31. Als Feind im eigentlichen und vollen Sinne ist nur der Stat zu betrachten, gegen welchen der Krieg geführt wird (vgl. Einleitung S. 30 f.). Dem Stat gegenüber wird heute noch eine Art Beuterecht insofern anerkannt, als die öffentliche Habe desselben von dem feindlichen Sieger weggenommen und angeeignet werden darf. Aber die rechtliche Grundlage desselben ist nicht mehr, wie im Alterthum, die Ansicht, daß Feindesgut herrenlos ( res nullius ) und deßhalb Das Kriegsrecht. der Occupation preisgegeben sei, sondern es wird im Gegentheil voraus- gesetzt, gerade weil es dem feindlichen Stat zu gehöre , dürfe es demselben im Krieg weggenommen werden. Man sieht darin ein kriegerisch gerechtfer- tigtes Zwangsmittel gegen den feindlichen Stat. Indessen sogar innerhalb der Habe des feindlichen Stats werden weitere Unterscheidungen zur Beschränkung der feindlichen Wegnahme gemacht. Vgl. unten § 648 f. 645. Insbesondere sind die Kriegscassen, Waffen und Waffenvorräthe, Magazine mit Lebensmitteln, Transportmittel für das Heer und überhaupt alles das Vermögen, welches der Kriegsführung unmittelbar dient, als Kriegsbeute zu betrachten und fallen zur Verfügung und Benutzung dem siegenden Heere zu, vorbehalten die besondern Anordnungen der siegenden Statsgewalt. Am entschiedensten macht sich nach der Natur und den Bedürfnissen der Kriegsführung das Recht der Wegnahme geltend mit Bezug auf die gesammte Kriegsausrüstung des Feindes. Da greift die Kriegsgewalt zu, soweit sie sich derselben bemächtigen kann, selbst ohne zu untersuchen, ob dieselbe nicht vielleicht zum Theil Privatgut sei. Wenn die Beziehung zur feindlichen Kriegs- ausrüstung offenbar ist, so verfallen alle derartigen Gegenstände der Wegnahme des siegenden Heeres, indem es eine der wichtigsten Aufgaben der Kriegsführung ist, den Feind zu entwaffnen. Es gilt das in neuerer Zeit auch von dem Material der Eisenbahnen (Locomotiven, Personen- und Güterwagen), obwohl dasselbe vielleicht nicht Eigenthum des Stats, sondern einer Privatgesellschaft ist. Die Eisen- bahnen dienen doch dem öffentlichen Verkehr in eminenter Weise und ihre Verwendung für die Kriegsführung zu Truppenmärschen und Lieferungen von Lebens- mitteln u. s. f. ist so äußerst wichtig, daß die Kriegsgewalt dieselben wenigstens pro- visorisch als öffentliches Gut behandelt und es den Gesellschaften überläßt, sich deß- halb im Frieden mit dem State, in dessen Gebiet die Eisenbahnen verbleiben, aus einander zu setzen. Aehnlich verhält es sich mit Waffenmagazinen , welche zur Kriegsführung dienen, aber vielleicht einer Privatperson gehören. Die Bestim- mung dieser Sachen für Kriegszwecke bringt sie in die Gefahr, von der Kriegsfüh- rung weggenommen zu werden. Magazine von Lebensmitteln verfallen aber nur dann dieser Wegnahme, wenn sie für Kriegszwecke , nicht aber, wenn sie zur Ernährung der friedlichen Bevölkerung bestimmt waren. Natürlich bleibt immer das Recht der Kriegsgewalt vorbehalten, für die nöthige Ernährung des Heeres durchgreifende Sorge zu üben. 646. Ebenso ist die siegende Kriegsgewalt berechtigt, sich der öffentlichen Achtes Buch. Gebäude und Grundstücke in Feindesland zu den Zwecken der Kriegsfüh- rung und zur Verwaltung der Statsgewalt einstweilen zu bemächtigen und die Einkünfte derselben zu benutzen. Ob das Eigenthum an diesen liegenden Gütern auf den siegenden Stat übergehe, hängt von dem Frie- densschlusse und insbesondere davon ab, ob der siegende Stat dauernde Hoheit über den Gebietstheil erwerbe, in welchem diese Güter gelegen sind. Es gilt das nicht bloß von Festungen, Casernen und ähnlichen unmit- telbar der Kriegsmacht dienenden Gebäuden, sondern ebenso von Residenzen, Ministerialgebäuden, Amts- und Rathhäusern jeder Art. Auch über die Einkünfte der Domänen kann die siegende Kriegsgewalt verfügen, soweit dieselben in ihren Bereich fallen. Aber das Eigenthum an dem liegenden Gute geht mit der Besitznahme noch nicht auf dieselbe über, sondern erst dann und nur dann, wenn sie auch die Statshoheit endlich im Frieden erwirbt. Inwiefern der bisherige Stat Eigenthümer ist, tritt der neue Stat , der die Gebietshoheit erwirbt, an seine Stelle. Vgl. oben § 54. 647. Die siegende Kriegsgewalt verfügt auch über die öffentlichen Ein- künfte und Steuern, welche in dem eingenommenen Gebiete erhoben wer- den, in dem Sinne jedoch, daß die regelmäßigen und unvermeidlichen Ausgaben für die Verwaltung des Rechts und der öffentlichen Interessen daraus fortbestritten werden. Vgl. oben § 541. 547. Auch andere Cassen, als die Kriegscassen, welche dem State zugehören, können von dem Feinde weggenommen werden (§ 644). Aber die civilisirte Kriegsführung darf diese Gelder doch nicht ohne weiters als gute Prise behandeln. Es soll auch während des Kriegs für die Handhabung des Rechts und eine geordnete Verwaltung gesorgt werden. Das ist eine Forderung des allgemeinen Rechts und zugleich ein Interesse der Kriegsführung selbst. Die Auflösung aller Ordnung ist ebenso Barbarei, wie die Verwüstung der Pflanzungen. Soweit daher jene Gelder für diese öffentlichen Interessen bestimmt und nöthig sind, soweit sind sie auch dafür zu verwenden. Ueberhaupt greift die civilisirte Kriegs- führung möglichst wenig in die bestehende Landes- und Gemeinde- verwaltung ein und nur dann, wenn ihre militärisch-politischen Auf- gaben es verlangen. 648. Das Eigenthum der Kirchen, Spitäler, wohlthätigen Anstalten, der Das Kriegsrecht. Schulen, Universitäten, Akademien, Observatorien, Museen und anderer Culturanstalten ist möglichst zu schonen und das dazu gehörige bewegliche Vermögen ist nicht als öffentliche Habe des Feindes im Sinne des § 644 zu betrachten. Indessen übt der siegende Stat auch in dieser Hinsicht einst- weilen die Rechte der verdrängten Statsgewalt aus. Am . 34. Diese Anstalten haben durchweg einen öffentlich-rechtlichen Charakter und gehören großentheils auch dem State zu Eigenthum. Aber ihre Be- stimmung ist so entschieden friedlich und sie dienen so sehr den örtlichen und den allgemeinen Culturbedürfnissen , daß es der civilisirten Kriegsführung nicht würdig und dem humaneren Rechtsbewußtsein der Gegenwart nicht zulässig erscheint, dieselben feindlich zu behandeln. Vielmehr ist ihre Schonung und Achtung hier die Regel; und nur ausnahmsweise, soweit die Noth, z. B. das Bedürfniß Verwundete unterzubringen, einen Eingriff erfordert, ist derselbe gerechtfertigt. Das Völkerrecht kann nur den humanen Grundsatz aussprechen, im Gegensatz zu brutaler Gewalt- übung. Im Einzelnen muß natürlich Vieles der Einsicht und dem Rechtsgefühl der Commandirenden überlassen werden. 649. Die muthwillige Zerstörung oder Schädigung wissenschaftlicher In- strumente oder Sammlungen, der Denkmäler und Kunstwerke in dem ein- genommenen Gebiete wird durch das civilisirte Kriegsrecht nicht entschuldigt, sondern ist offenbare Barbarei. Am . 35. Es ist die Pflicht der Führer, welche nicht als Barbaren, sondern als civilisirte Männer den Krieg leiten, daß sie derartige Brutalität, welche die edeln Güter der Menschheit schädigt, ohne dem Kriegszweck irgend zu nützen, verhindern. Niemals ist zwecklose Zerstörung und Schädigung zu entschuldigen. Wenn sogar noch in unserm Jahrhundert Soldaten im Dienste von europäischen Culturvölkern durch gemalte Fresken Nägel in die Wand geschlagen, Oelgemälde zerschnitten, Statuen verstümmelt, Denkmäler zerstört haben u. dgl., so hat unsere Zeit Ursache, sich dessen zu schämen. Den Barbaren mag man das verzeihen, weil sie nicht wissen, was sie thun, eine civilisirte Armee darf ihre Ehre nicht damit be- flecken. Vielleicht erscheint die Aufnahme solcher Sätze in das Völkerrecht manchen zu wenig juristisch , und zu sehr moralisch . Ueber dieses Bedenken kommen wir leicht durch den Gedanken hinweg, daß die Rettung auch nur eines wahren Kunst- werks durch Verbreitung solcher humaner Grundsätze einen größern Werth hat, als die juristische Enthaltsamkeit, welche dieselben ruhig verstümmeln und zerstören läßt. 650. Das heutige Völkerrecht verwehrt dem Sieger noch nicht, Kunstwerke, Achtes Buch. wenn es ohne Beschädigung derselben geschehen kann, wegzunehmen und anderwärts aufzustellen. Ueber das Eigenthum daran entscheidet dann der Friede. Aber es wird von der heutigen Völkersitte nicht mehr gestattet, daß solche Kunstwerke von dem Sieger während des Krieges verkauft, verschenkt oder in anderer Weise zu Privateigenthum gemacht werden. Heute schon gilt die Wegnahme von wissenschaftlichen Sammlungen, Bibliotheken, Instrumenten zum Schaden der wissenschaftlichen Cultur des betreffenden Landes als eine Maßregel, welche wider die civilisirte Völker- sitte verstößt. 1. Am . 36. Unter dem Namen von Kriegstrophäen wurden früher wohl Kunstwerke und Kunstschätze von dem Sieger weggenommen und nach seiner Hauptstadt geschleppt, um diese zu schmücken. Wie in alten Zeiten die Römer Griechenland und die Vandalen Rom geplündert hatten, so haben in neuerer Zeit noch die Franzosen aus Italien eine Menge von Kunstschätzen nach Paris gebracht und damit die Säle des Louvre und öffentliche Plätze geschmückt. Obwohl dieses Verfahren den früheren Rechtsansichten wenig anstößig erschienen und immerhin die Aenderung im Eigenthum durch die Friedensschlüsse legitimirt war, so ist es doch als ein Fortschritt in der Humanisirung des Völkerrechts zu betrachten, daß die alliirten Mächte im Jahr 1815 die französische Regierung nöthigten, diese Kunst- erzeugnisse wieder an die Länder zurückzuerstatten, denen sie vor der Wegnahme zu- gehört hatten. Das künftige Völkerrecht wird wohl die Regel aussprechen, daß Kunstwerke überhaupt kein Gegenstand kriegerischer Erbeutung seien, denn sie dienen in keiner Weise der Kriegsführung, indem sie in militärischer Beziehung ganz unbrauchbar und als Zwangsmittel, um eher Frieden zu erhalten, ebenfalls ungeeignet sind. Sie zu verkaufen und das Geld für den Krieg zu benutzen, das ist ebenfalls gegen alle gute Sitte und eine offenbare Verletzung der Rücksicht auf die dauernden Cultur- interessen des Landes , welche der Krieg, als ein vorübergehendes Zwangs- mittel, möglichst schonen soll. Es ist aber noch zu früh, diese Regel auszusprechen, da dieselbe auch von den heutigen Staten der civilisirten Welt noch nicht allgemein anerkannt wird. Vgl. übrigens Wheaton , Intern. Law. § 352—354. 2. Man könnte daran denken, jener Regel die Ausnahme beizufügen, daß sie auf solche Kunstwerke, die eine wesentlich politische Bedeutung haben, wie vorzüglich die Siegesdenkmäler , keine Anwendung leide. Indessen sogar in dem Fall ist es würdiger, die geschichtliche Errichtung solcher Denkmäler zu respectiren, und wenn in der Folge der Sieg sich dem früher Besiegten zuwendet, die erforderliche Ergänzung und Correctur anzubringen, als das ältere Kunstwerk wegzunehmen. 3. Soweit darf man in der Aussprache des heutigen Völkerrechts schon gehen, daß die kriegsmäßige Wegnahme von wissenschaftlichen Sammlungen und Instrumenten nicht mehr als zulässig gilt. Diese Dinge können offenbar nicht als „Trophäen“ benutzt werden, und sie gehören als Culturschätze den dauernden Das Kriegsrecht. und friedlichen Culturinteressen des Landes an. Unsere Universitätsstadt Heidelberg beklagt es heute noch als ein schweres, nicht hinreichend gesühntes Unrecht, daß ihre handschriftlichen Schätze als „Palatina“ von dem Bayerischen Eroberer der Stadt weggenommen und dem römischen Papst zur Bereicherung des Vaticans geschenkt worden sind. Die Stadt Cöln freut sich dagegen darüber, daß die Preußische Re- gierung nach dem deutschen Kriege von 1866 die Großherzoglich Hessische im Frieden vom 3. Sept. 1866 angehalten hat, die zur Zeit der Revolutionskriege von 1794 weggenommenen Werke der Cölner Dombibliothek zurückzuerstatten. 651. Die muthwillige Zerstörung oder Schädigung der dem Verkehr ge- widmeten Anstalten ohne militärische Nothwendigkeit, wie insbesondere der Straßen, Brücken, Eisenbahnen, Seehäfen, Leuchtthürme u. dgl. ist wider- rechtliche Barbarei. In manchen Fällen wird die militärische Nothwendigkeit die Zer- störung solcher Werke rechtfertigen, z. B. um den Rückzug der Truppen gegen die Verfolgung des Feindes zu decken oder den feindlichen Angriff ernstlich zu erschweren. Aber bloß aus Uebermuth oder aus übertriebener Furcht darf das nicht geschehn; denn die Interessen des Verkehrs sind auch nach dem Kriege von höchster Bedeutung für die Wohlfahrt der Völker, und der Krieg darf nur soweit Schaden anrichten, als die Noth des Krieges und die Kriegszwecke es erfordern. 652. Das Privateigenthum ist auch im Kriege von Seite der siegenden Kriegsgewalt zu respectiren und darf nur in Folge der militärischen Noth- wendigkeit angegriffen werden. Am . 38. Da der Krieg nicht gegen die Privaten , sondern gegen den Stat geführt wird und die Rechtsordnung auch im Kriege insoweit fort- besteht, als nicht die militärische Nothwendigkeit ausnahmsweise eine Verletzung er- fordert, so versteht sich die Schonung und Achtung des Privateigenthums als Hauptgesetz des civilisirten Kriegsrecht. Es gilt das nach allen Seiten und Richtungen hin. Damit wird der moderne Grundgedanke des natürlichen Rechts ausgesprochen, im entschiedensten Gegensatz sowohl zu dem antiken römischen Recht, welches im Kriege kein Privateigenthum der Feinde , wie die Angehörigen des feindlichen States genannt wurden, anerkannte als zu dem mittelalterlichen Rechte, welches möglichste Schädigung auch der feindlichen Unterthanen für erlaubte Kriegsführung hielt. Nur die Rücksicht auf die militärische Noth- wendigkeit entschuldigt und rechtfertigt eine Verletzung des Privateigenthums. Wenn eine militärische Stellung erobert werden muß, so treffen die Kanonenkugeln Bluntschli , Das Völkerrecht. 23 Achtes Buch. auch die Privathäuser. Wird eine andere Stellung vertheidigt, so müssen vielleicht die Bäume eines Privatgartens umgehauen oder gar ein Privathaus niedergerissen werden. Die Bewegung des Marsches und der Schlacht geht oft durch die Saat- felder verheerend hindurch. Alle diese Schädigungen des Privateigenthums sind Fol- gen des kriegerischen Nothrechts. Inwiefern der einheimische Stat dafür den Privateigenthümern Entschädigung leisten solle, ist keine Frage des Völkerrechts, sondern eher des besondern Stats- und Landesrechts , meistens auch der be- sonderen Landespolitik und der Finanzwirthschaft . Der feindliche Stat leistet keine Entschädigung. 653. Die herrschende Kriegsgewalt ist berechtigt, die durch die Kriegs- führung nothwendig gewordenen Leistungen der Bevölkerung für die Ver- pflegung und Transportirung der Truppen und des Kriegszeugs soweit ohne Entschädigung zu fordern, als diese Leistungen der Kriegssitte und Uebung gemäß als öffentliche Pflichten anzusehen sind. 1. Die Armee bedarf der Quartiere , der Lebensmittel , der Beklei- dung , der Transportmittel . Die neuere Sitte der civilisirten Kriegsführung ist die, daß möglichst durch vertragsmäßig bezahlte Lieferungen für die Nahrung und Kleidung der Armee gesorgt wird. Indessen nicht immer langen die bestellten Transporte rechtzeitig an, oder sie sind überall nicht zu erwarten, oder ungenügend. Unter Umständen kann es auch ungefährlich und zweckmäßig sein, die Steuerkräfte des besetzten Landes für diese Zwecke anzuspannen. Da die Kriegs- gewalt auch die Kriegs- und Steuerhoheit ausübt, so weit ihre Gewalt sich thatsächlich erstreckt, so kann sie auch von der Bevölkerung dieses Gebietes die erfor- derliche Beihülfe für die Verpflegung der Truppen fordern. 2. Sie übt vorerst das Recht der Einquartierung aus, wenn gleich zu- nächst durch Vermittlung der einheimischen Behörden und möglichst den Landesein- richtungen und Landessitten gemäß. Besondere Immunitäten und Privilegien ein- zelner Personen oder Classen braucht sie freilich nicht anzuerkennen. Ebenso kann sie die Hauswirthe anhalten, den einquartierten Officieren und Soldaten ihren Kräften gemäß und nach Bedürfniß die erforderliche Speise zu geben und den Ge- meinden, soweit nöthig und ausführbar, Beiträge von Fleisch, Brod, Hafer, Heu u. s. f. für die Ernährung von Mannschaft und Pferden auferlegen. Auch hier bildet das: „Ultra posse nemo tenetur“ eine natürliche Schranke für die zugemutheten Leistungen, und übermäßige Ansprüche brauchen auch dann nicht befriedigt zu werden, wenn es möglich wäre, sie zu gewähren. 3. Ueberdem bedarf die Kriegsgewalt unter Umständen auch Kleidungs- stücke , besonders Schuhe, für die Mannschaft. 4. Sie kann endlich Wagen und Pferde requiriren zum Transport zu der nächsten Station, auf welcher neue taugliche Transportmittel zu haben sind. Das Kriegsrecht. 5. Alle diese Leistungen begründen je nach Umständen einen Anspruch auf Entschädigung. Man muß hier unterscheiden: a ) Leistungen, welche einfach aus Kriegs- und Steuerpflicht ohne Entschädigung von der Bevölkerung gefordert werden können. Der Umfang derselben wird entweder durch die Landesgesetzgebung oder durch die Uebung bestimmt. Im Einzelnen freilich wird immerhin Vieles der Discretion des Commando’s überlassen werden; b ) Leistungen, welche dieses Maß überschreiten und daher nach natürlichem Recht nur gegen Entschädigung zu fordern sind. 6. Freilich ist diese Entschädigungspflicht in der Praxis schwer zu normiren und noch schwerer durchzusetzen. Die feindliche Kriegsgewalt, welche jene Leistungen für ihre Kriegszwecke bedarf und empfängt, wäre zunächst veranlaßt , den Gemeinden und den Privaten, gegen welche sie nicht Krieg führt, den Werth zu vergüten. Aber dazu fehlen ihr im Kriege oft die Geldmittel, und doch kann sie die Leistung nicht entbehren. Sie wird daher in manchen Fällen bloß den Em- pfang bescheinigen und die Bezahlung in der Zukunft in Aussicht stellen. Ueberdem kann sie sich auf ihr vermeintliches Recht berufen, daß der gegnerische Stat mit den Kriegskosten auch diese Leistungen zu übernehmen und daher seinen Gemeinden und Landesangehörigen gegenüber die Entschädigung zu leisten habe. Aus diesem Grunde wird sie oft ihre Zahlungspflicht überhaupt bestreiten, und die Gläubiger an den gegnerischen Stat verweisen, dem dieselben angehören. Dieser Stat aber erkennt seine Entschädigungspflicht gewöhnlich wieder nicht an, weil er die Beiträge nicht begehrt, noch empfangen habe und weil er seinerseits die Meinung vertritt, daß der Krieg mit Unrecht gegen ihn geführt worden sei. Er betrachtet daher jene Belastung als ein Unglück , das mit dem Kriege verbunden und von dem zu tragen sei, den es betroffen habe. Nur aus Billigkeitsrück- sichten und meist nur, wenn seine financiellen Verhältnisse günstig beschaffen sind, läßt er sich zur Entschädigung, je nach seinem Ermessen, herbei. Der Friedensschluß ordnet das selten näher, und wenn er darüber schweigt, so werden damit alle An- forderungen der Gemeinden und Privaten an den feindlichen Stat, welcher die Bei- träge eingefordert hatte, höchst unsicher und ihre Befriedigung sehr unwahrscheinlich. Es bleibt denselben dann kaum ein anderer Weg offen, als der, die billige Berück- sichtigung ihres Landes anzurufen. 654. Das Völkerrecht erkennt kein Recht der Kriegsgewalt an, in feind- lichem Lande von Gemeinden und Privaten andere als die für die Existenz und Thätigkeit des Heeres unentbehrlichen Leistungen zu verlangen. Ins- besondere hat die Auflage von reinen Geldcontributionen keine kriegsrechtliche Begründung. 23* Achtes Buch. 1. Die Forderung von Geldcontributionen wurde in frühern Kriegen oft damit gerechtfertigt, daß sich mit der Bezahlung der Contribution die Städte oder Gemeinden von der Gefahr der Plünderung oder Zerstörung loskaufen. Allein das civilisirte Kriegsrecht erkennt kein Recht mehr an zur Plünderung und ebenso wenig ein Recht zu unnöthiger Zerstörung. Es kann also auch nicht mehr von einem Loskauf dieses Rechts die Rede sein. Zu andern Geldcontributionen, etwa zur Füllung der Kriegscasse oder des Statsschatzes oder gar zur Befriedigung der Genuß- und Gewinnsucht der Führer ist die Kriegsgewalt auch nicht berechtigt, denn sie hat keine willkürliche Gewalt über das Vermögen der Gemeinden und Privaten , gegen die sie nicht Krieg führt. So wenig sie die Bewohner des feind- liches Landes zwingen darf, die Lücken ihres Heeres zu ergänzen und persönliche Kriegsdienste zu leisten, ebenso wenig darf sie die Bevölkerung zwingen, die erfor- derlichen Gelder für ihre Kriegsführung zu bezahlen. Vgl. oben § 545. 576. 2. In manchen, sogar noch neueren Kriegen, selbst in der Preußischen Kriegs- führung von 1866, sind die richtigen Grundsätze nicht hinreichend beachtet und zu- weilen ohne zureichenden Rechtsgrund Contributionen in Geld von eingenommenen Städten erhoben worden. Das heutige europäische Rechtsgefühl kann sich aber mit solchen Resten einer früheren barbarischen Kriegsführung nicht mehr versöhnen; es wird durch jede unnöthige und ungerechte Härte gegen die friedliche Bevölkerung in Feindesland gekränkt. 655. Wenn die Kriegsgewalt in Ermanglung der geordneten Lieferung von Lebensmitteln, Kleidern, Waffen und Geräthschaften, deren das Heer dringend bedarf, auf dem Wege des Zwangs Abtretung von Privateigen- thum verlangt, so ist der betreffende Statsfiscus zu angemessener Ent- schädigung verpflichtet und die Kriegsgewalt hat daher dem Eigenthümer eine Bescheinigung über die abgelieferte oder abgenommene Habe zu ertheilen. Am . 38. Das Nothrecht des Kriegs rechtfertigt, soweit das unmittel- bare Bedürfniß des Heeres reicht, wenn sich die Besitzer der erforderlichen Habe nicht freiwillig zur Veräußerung herbeilassen, sogar den gewaltsamen Eingriff auch in das Privateigenthum, z. B. großer Grundbesitzer oder Kornhändler, deren Speicher mit Getreide oder mit Hafer und Heu gefüllt sind, der Lederhändler und Schuhmacher, die Vorräthe von Leder oder Schuhen haben u. s. f. Aber nur gegen Entschädigung , für welche nach natürlichen Rechtsgrundsätzen zunächst der Fiscus des States haftet, welcher diese Habe wegnimmt und für seine Interessen verwendet. Nur wenn diese Entschädigungsforderung nicht durchzusetzen ist, bestimmen Billigkeitsrücksichten den Stat, in dessen Gebiet die feindliche Gewalt die Abtretung erzwungen hat, dafür subsidiär einzustehen . Vgl. zu § 652. Das Kriegsrecht. 656. Den Kriegsleuten ist nicht erlaubt, Privateigenthum wegzunehmen oder muthwillig oder aus Rachsucht zu schädigen. Handlungen der Art werden strenge nach Kriegsrecht bestraft. Nur die unmittelbare Nothdurft rechtfertigt ausnahmsweise die Aneignung der erforderlichen Nahrungsmittel und Kleidungsstücke, wenn nicht durch die Anordnung des Militärcommando’s für die Befriedigung gesorgt ist. Auch in solchen Fällen ist in der Regel der Werth zu erstatten, soweit nicht die Quartierpflicht zu unentgeldlicher Leistung nöthigt. Die militärische Disciplin hat hier manche Mißbräuche, welche die ältere Kriegsführung befleckt hatten, abgeschafft oder doch ermäßigt. Mit Recht wird jeder Diebstahl oder Raub, von Soldaten im Quartier oder auf dem Marsch verübt, strenge bestraft. Niemals darf die Wegnahme von Kostbarkeiten, Uhren u. dgl., wohl aber aus Nothdurft die Wegnahme von Lebensmitteln, Brod und Fleisch, Hausthieren zum Schlachten u. dgl. gestattet werden. Auch die Bier- und Wein- häuser dürfen so wenig, wie die Bäcker- und Metzgerläden der Plünderung oder freier Besitzergreifung preisgegeben werden, sondern was da, über die Quartierlast hinaus verabreicht oder nöthigenfalls genommen wird, das soll bezahlt werden. Aber es ist, insbesondere auf ermüdenden Märschen oder nach der Schlacht nicht zu verhindern, daß nicht Hunger und Durst zuweilen zu raschem Zugreifen drän- gen, welches freilich von der kalten Berechnung und Beurtheilung der privatrecht- lichen oder strafrechtlichen Logik als rechtswidrig erklärt werden müßte, und dennoch von der Kriegsgewalt als unvermeidlich geduldet und geschützt wird. 657. Das heutige Völkerrecht verwirft das sogenannte Beuterecht im Kriege als rechtswidrige Barbarei. 1. Vgl. oben § 652. Hugo Grotius ( lib. III. cap. 6) setzt noch die römische Ansicht, daß die Beute wider einen fremden Feind, d. h. wider alle Statsangehörige des feindlichen Stats erlaubt, und nur im Bürgerkrieg untersagt sei, als gemeines Völkerrecht voraus. Es war nur eine thatsächliche Ermäßigung des Beuterechts, wenn das römische Recht den Truppen zur Pflicht machte, die Beute jederzeit an den Stat abzuliefern , damit er darüber verfüge, deßhalb eine Ermäßigung, weil die Soldaten ein geringeres Interesse hatten, Beute für den Stat zu machen. Aber der Eigenthümer fand keinen Rechtsschutz, indem er als Feind rechtlos war und seine Sachen als herrenlos betrachtet wurden. Zu vollem Durchbruch gelangt erst in unserm Jahrhundert und nicht ohne Widerspruch vieler Achtes Buch. und angesehener Schriftsteller über das Völkerrecht, welche sich schwer von dem über- lieferten Grundsatz der Beute oder der statlichen Confiscation losmachen können (vgl. Phillimore III. § 75), der entgegengesetzte Grundsatz, daß das Privateigen- thum zunächst der friedlichen Personen , dann aber selbst der feindlichen Personen, auch im Kriege regelmäßig zu achten und deßhalb das ver- meintliche Beuterecht ein offenbares Unrecht sei. Ein merkwürdiges Erkenntniß hat der oberste Gerichtshof der Vereinigten Staten im Jahr 1812 erlassen, in dem der Uebergang aus dem alten Beuterecht in das neue Recht des Eigenthums- schutzes deutlich erkennbar wird. Es wurde nämlich noch das Recht des Stats, das in seinem Gebiet zur Zeit der Kriegseröffnung vorhandene Vermögen der feindlichen Statsangehörigen zu confisciren , als hergebrachte Regel anerkannt, aber für die Ausübung dieses Rechts ein vorheriger Act der Gesetzgebung gefordert. Offenbar wollte man auf einem Umweg das Privateigenthum sichern, denn ein be- sonderes Gesetz war nicht da und wurde auch nicht erlassen. ( Kent Comm. § 59. 60). Ein Keim zur Beseitigung des Beuterechts ist schon in der englischen Magna Charta von 1215 zu finden, indem sie das Vermögen fremder Kauf- leute in England auch im Kriege schützt, wenn Gegenrecht gehalten wird. Vgl. unten zu § 669. Vgl. oben die Einleitung S. 38 und Berner Art. Beute im deutschen Statswörterbuch von Bluntschli und Brater. 2. Die Beute ist demgemäß nicht mehr als Regel erlaubt, sondern nur aus- nahmsweise aus besondern Gründen und in engster Beschränkung. Die wichtig- sten Fälle einer noch erlaubten Beute sind: a ) die Habe des feindlichen States selbst , § 645, b ) die Waffen und kriegerische Rüstung der besiegten feindlichen Personen, § 659. 660, c ) die Contrebande (Buch IX. Absch. 4). Daneben noch, obwohl bereits angezweifelt d ) die Gestattung, einen erstürmten Platz zu plündern, § 661, e ) die Seebeute, § 664 f. 658. Wenn der eine Stat an den andern feindlichen Stat eine Geld- summe aus Darlehen oder einem andern Rechtsgrunde schuldet, so darf er wohl während des Kriegs die Verzinsung und Bezahlung dieser Schuld verweigern, nicht aber, wenn er die Statsschuld an Privatgläubiger schul- det, welche dem feindlichen State angehören. In dem bekannten Streit zwischen Preußen und England vom Jahr 1753 vertheidigte Friedrich II. die Beschlagnahme der Schlesischen Statsschuld zum Nachtheile der englischen Gläubiger, worüber sich die englischen Publicisten als über eine schreiende Verletzung des Völkerrechts beschwerten, nur aus dem Gesichtspunkte der Repres- Das Kriegsrecht. salien gegen das Unrecht, welches die englischen Kaper zur See gegen die Preu- ßischen Kauffahrer begehen. Vgl. oben zu § 500. 659. Ausnahmsweise ist es den Kriegsleuten erlaubt, den von ihnen be- siegten feindlichen Personen ihre Waffen und Pferde und andere zur krie- gerischen Ausrüstung gehörige Sachen wegzunehmen und sich selber als Kriegsbeute anzueignen, aber nicht erlaubt, Geld oder Kleinodien des Feindes zu erbeuten. Nur wenn der getödtete Feind solche Kostbarkeiten auf dem Schlachtfelde zurückläßt, so ist es bei der völligen Ungewißheit, wer der Erbe sei und ob solche Habe für denselben zu retten sei, eher dem Sieger gestattet, diese Sachen sich anzueignen, als sie vergraben oder ver- derben zu lassen. Das Einzelne bestimmt in jedem Heer das Commando. Das Völkerrecht spricht nur den allgemeinen Grundsatz aus, der bei diesen Verordnungen nicht verletzt werden darf, ohne gerechte Mißbilligung zu erfahren. 660. Die erbeuteten Fahnen, Kanonen, Munitionswagen, Kriegscassen und überhaupt alles öffentliche Kriegszeug dürfen niemals von einzelnen Nehmern angeeignet werden, sondern sind an den Befehlshaber abzu- liefern. Am . 45. Das ist seiner Bestimmung nach öffentliches Kriegsgut und kommt daher dem State, nicht dem Nehmer zu. Es ist das der alte Grundsatz der römi- schen praeda , der in dieser Beschränkung noch fortwirkt. 661. Es gilt unter civilisirten Völkern nicht mehr als gute Kriegssitte, um die Soldaten zur Erstürmung eines Platzes oder Lagers aufzureizen, ihnen die freie Plünderung des eroberten Ortes zu erlauben. Man vertheidigt zuweilen diese verwerfliche Maßregel damit, daß unter Um- ständen nur durch solche Anreizung der Gewinnsucht die Soldaten dazu gebracht werden können, das Wagniß eines Sturmes zu unternehmen und den hartnäckigen Widerstand zu brechen und mit der Berufung auf die eigenen Verluste an Gut und Blut, die damit einigermaßen ausgeglichen werden. Aber diese Lappen verhüllen Achtes Buch. nicht die nackte Barbarei der Maßregel. Es ist auch militärisch unehrenhaft, die Soldaten dadurch zu ihrer kriegerischen Pflichterfüllung anzureizen, daß man sie zu Räubern macht und das offenbare Unrecht solcher Plünderung ist in keiner Beziehung ein Ersatz für das in ehrlichem Kriege vergossene Blut und aufgebrauchte Gut. Die Privaten führen nicht Krieg und dürfen daher auch nicht der brutalen Raubsucht preisgegeben werden. 662. Insoweit die Zerstörung von Privateigenthum als bloße nothwendige Folge der Kriegsführung selbst erscheint, ist dieselbe kein Unrecht, sondern als Unglück für die Privatpersonen zu betrachten. Vgl. zu § 652. Möglicherweise werden einzelne Privateigenthümer sehr hart von den zerstörenden Wirkungen des Kriegs betroffen, indem ihre Felder verwüstet, ihre Gebäude niedergerissen, ihre Wohnungen abgebrannt werden. Soweit diese Uebel unvermeidlich erscheinen, soweit muß der Eigenthümer dieselben ertragen, wie den Hagelschlag oder wie die Ueberschwemmung des ausgetretenen Stromes, wie den Brand, den der Blitz entzündet hat. Es ist das für sie ein Unglück, nicht ein erlit- tenes Unrecht. Daher haben sie auch keine Rechtsforderung auf Entschädigung weder gegen den feindlichen Stat, dessen Truppen die Zerstörung gemacht haben, noch gegen den eigenen Stat, auf dessen Schutz sie angewiesen sind. Aber die Rück- sichten der Billigkeit sprechen dafür, daß der letztere Stat, wenn seine Finanz- kräfte dazu ausreichen, hinterher den Schaden, den Einzelne um seines Krieges willen erlitten haben, wenigstens in der Hauptsache vergüte. 663. Muthwillige oder rachsüchtige Zerstörung oder Schädigung von Privateigenthum ist ein Rechtsbruch und als solcher strafbar. Insbesondere sind die Brandstiftung oder die Ausrodung von Cul- turpflanzen, die Zerstörung von Dämmen u. s. f., wenn sie nicht durch die militärische Nothwendigkeit gerechtfertigt werden, eine völkerrechtswidrige Barbarei. Schon Megasthenes rühmt es den alten Indiern nach, daß sie im Kriege die Pflanzungen der Bauern verschonen, während selbst die civilisirten Hel- lenen zuweilen die Oelbäume in feindlichem Gebiete umhauen ( Laurent , hist. de l’hum. I. S. 132). Das classische Alterthum steckt noch tief in dieser Barbarei und das Mittelalter verstand unter Kriegsführung vorzugsweise die möglichste Schä- digung auch des Privateigenthums in Feindesland. Erst die spätere Kriegsführung wird allmählich milder. Laurent ( X. S. 387) hebt es rühmlich heraus, daß Das Kriegsrecht. zuerst im Jahr 1552 der französische Marschall Brisac einen Vertrag mit dem Spanischen General durchgesetzt habe, welcher die Baumpflanzungen gegen die unnütze Verwüstung sicherte. Aber viel später noch trieben die Truppen Ludwig XIV. in dem Pfälzerkriege alle Gräuel barbarischer Verwüstung. Die heutige Kriegs- führung mißbilligt das entschieden. Freilich ist auch jetzt noch der Rechtsschutz der Privateigenthümer gering gegen solche Missethaten der Truppen. Es bleibt ihnen zunächst kein anderes Mittel, als die Hülfe der Commandanten anzurufen, und nicht immer sind dieselben geneigt, einzuschreiten. Offenbar ist in solchen Fällen der Stat verpflichtet, sich seiner Angehörigen anzunehmen und wo möglich bei dem Friedens- schluß Entschädigung zu fordern oder vorzubehalten. B. Im Seekrieg . 664. Feindliche Kriegsschiffe können sowohl auf offener See als innerhalb der Eigengewässer der kriegführenden Staten jeder Zeit genommen und ihre Mannschaft kriegsgefangen gemacht werden. Die Kriegsschiffe sind Kriegsmacht und Kriegsrüstung und verfallen daher der Wegnahme des Feindes. Insofern steht das Seekriegsrecht dem Kriegsrecht zu Lande (vgl. § 644. 645) völlig gleich. 665. Obwohl auch der Seekrieg wider den Stat und nicht die Privat- personen geführt wird und nach dem natürlichen und humanen Völkerrecht das Privateigenthum im Seekrieg ebenso geachtet werden sollte wie im Land- krieg, so ist die gegenwärtige Statenpraxis auch mancher civilisirten See- mächte noch nicht in Uebereinstimmung mit diesen Grundsätzen und wird von denselben heute noch der Kriegsmarine ein sogenanntes Recht der Seebeute zugesprochen gegen Schiffe, welche ein Privateigenthum von An- gehörigen des feindlichen States sind und gegen die darin befindlichen Waaren solcher Personen. Vgl. die Einleitung S. 40. Gegenwärtig noch hat die englische Regie- rung sich nicht entschließen können, das Völkerrecht von diesem bösen Flecken reinigen zu helfen, wenngleich auch in England vorzüglich unter dem zunächst betheiligten Handelsstande der Grundsatz der Gleichstellung des Rechts im See- wie im Landkrieg eine wachsende Zustimmung erhält. Die Resolutionen des Bremer Handelsstandes vom 2. Dec. 1859 (abgedruckt bei Heffter Anl. IX. ) geben Achtes Buch. dem richtigen modernen Princip folgenden beredten Ausdruck: „In Erwägung, daß die Unverletzlichkeit der Person und des Eigenthums die einzige Grundlage bildet, auf welcher der geistige und materielle Austausch der Völker sicher gedeihen, auf wel- cher Gesittung und Wohlstand sich frei entwickeln und ungefährdet in die entlegen- sten Gebiete der Erde dringen können, daß deßhalb von allen Nationen, die eine Ehre darein setzen, als Vorkämpfer der Civilisation zu gelten, dieser Grundsatz auch im Kriege heilig gehalten werden sollte; „in Erwägung, daß dem zuwider völkerrechtlich im Seekrieg noch gestattet wird, was am Lande selbst als rohe Gewalt gebrandmarkt ist, in friedlicher Aus- übung ihres Berufes begriffene Privatpersonen ihrer Freiheit und ihres Eigen- thums zu berauben, Handelsfahrzeuge nebst ihrer Ladung wegzunehmen und zu zer- stören, ihre Mannschaft gefangen zu halten; „in fernerer Erwägung, daß das Unrecht dieses Verfahrens bereits allseitig in das Bewußtsein getreten, daß die von fast sämmtlichen Staten anerkannte De- claration des Pariser Congresses vom 16. April 1856 einer richtigen Anschauung Bahn zu brechen begonnen hat, daß sie nicht nur die Interessen der Angehörigen neutraler Staten, daß sie das Eigenthum selbst der Angehörigen kriegführender Staten in dem Falle, wenn es sich an Bord neutraler Schiffe befindet, in Schutz nimmt; daß in Folge theils dieses Vorganges, theils des offenkundigen Wunsches mancher Regierungen, z. B. der Vereinigten Staten von Nordamerika, nach vollständiger Beseitigung des eingewurzelten Unrechts die allseitige Anerkennung des Anspruchs von Handel und Schiffahrt treibenden Privatleuten auf Sicherheit für sich und ihr Eigenthum, soweit sie den Bedingungen des Krieges nicht entgegenhandeln, wesentlich erleichtert ist; „in Erwägung sodann, daß dem gegenwärtig wieder zusammentretenden Congresse der Europäischen Großmächte die Aufgabe nahe liegt, das begonnene Werk seiner Vorgänger zu vollenden und sich durch völlige Verbannung der Willkür roherer Zeiten aus den Normen des Seerechts ein segensreiches und ewiges Andenken in den Annalen der Civilisation zu stiften; „in Erwägung endlich, daß zu dem Zwecke Alle, welche das eigene Interesse oder eine warme Theilnahme am Fortschritte des Rechts zunächst dazu antrieb, laut ihre Stimme erheben, und der eigenen Regierung, wie dem versammelten Rathe der Nationen, das einstimmige Urtheil der gebildeten Welt verkünden sollten; „beschließt die Versammlung: 1. Die Unverletzlichkeit der Person und des Eigenthums in Kriegszeiten zur See, unter Ausdehnung auf die Angehörigen kriegführender Staten, soweit die Zwecke des Krieges sie nicht nothwendig beschränken, ist eine unabweisliche Forderung des Rechtsbewußtseins unserer Zeit. 2. Ein Hoher Senat der freien Hansestadt Bremen ist angelegentlich zu er- suchen, diesen Grundsatz vertreten und seine Durchführung, sei es bei den verbün- deten deutschen Regierungen, sei es bei den Mächten des Congresses, in Anregung bringen zu wollen. 3. Der gleichstimmige Ausspruch und die gleichstimmige Einwirkung auf ihre Regierung von Seiten Aller, welchen die Durchführung jenes Grundsatzes im eigenen, Das Kriegsrecht. wie im Interesse des Rechts und der Civilisation am Herzen liegt, ist möglichst zu erstreben. 4. Zur Ausführung dieser Beschlüsse wird ein Comit é niedergesetzt, welches namentlich die Mittheilung derselben an Einen Hohen Senat, an die Handelskammer, an die hier residirenden Consuln anderer Staten und in ausgedehntem Maße an solche Kreise und Personen Deutschlands und des Auslandes, die an der Wohl- fahrt des Seeverkehrs eng betheiligt sind, mit der Aufforderung übernehmen wird, in gleichem Sinne thätig sein zu wollen“. In dem deutschen Kriege von 1866 verzichteten Preußen und Oesterreich auf Prisen von Handelsschiffen. Aber zu einer völkerrechtlichen Abschaffung der Seebeute ist es bis jetzt leider noch nicht gekommen, wenn gleich die Hoffnung wächst, daß dieselbe nicht mehr lange aufgehalten werden könne. 666. Dieses sogenannte Seebeuterecht erstreckt sich nicht auf feindliches Privatgut im Lande, sondern ist beschränkt auf die feindlichen Schiffe und das feindliche Gut in den Schiffen. Gerade dieser Gegensatz der Behandlung zeigt, wie inconsequent das ganze Verfahren ist. Die dem Angehörigen des feindlichen States zugehörige Kauf- mannswaare ist Gegenstand der Seebeute, so lange sie auf dem feindlichen Schiffe sich befindet, aber noch nicht , bevor sie auf das Schiff geladen ist, und nicht mehr , wenn sie aus dem Schiff ausgeladen ist. Die Docks und Magazine der Seestädte sichern die Waare vor der Beute, nur das Schiff nicht. Weßhalb nicht, das ist durch die gewöhnlich angeführten Vorwände nicht zu erklären. Das Schiff ist ja nur ein wandernder Theil des Landes; und insofern es die Waaren auf- nimmt und birgt, gleichsam ein schwimmendes Magazin . Es ist daher unlogisch, das Privateigenthum an der Waare zu schonen , wenn es auf festem Lande , und es als gute Beute zu behandeln , wenn es in einem Schiffe maga- zinirt ist . Eher lassen sich Gründe dafür anführen, daß die Schiffe weggenom- men werden, weil diese ihrer Natur nach auch der Kriegsführung dienen können, sei es zum Transport der Truppen, sei es geradezu zum Seekrieg selber. Die genommenen Schiffe sind übrigens von dem Nehmer einem Prisengerichte zur Beurtheilung zu übermitteln. Vgl. unten Buch IX. Cap. 6. 667. Die Fischerboote der Angehörigen des feindlichen States dürfen nicht als Prise weggenommen werden. In dieser Ausnahme, welche die Kriegssitte macht, und insbesondere von den französischen Gerichtshöfen in weitestem Umfang geschützt wurde (vgl. Heffter Achtes Buch. § 137), bricht das natürliche Recht durch, welches zur allgemeinen Regel zu werden geeignet ist. Wenn die Fischerboote zu kriegerischen Zwecken dienen, dann sind sie der Wegnahme ausgesetzt, aber nicht, so lange sie von dem friedlichen Berufe der Fischer benutzt werden. 668. Auch auf gestrandete Schiffe und geborgene Güter erstreckt sich das Prisenrecht nicht. Freilich wenn das der Wegnahme ausgesetzte Schiff auf der Flucht scheitert, so kann der Nehmer sich noch desselben bemächtigen. 669. Die gute Kriegssitte erfordert, daß die feindlichen Handelsschiffe nicht mehr sofort nach dem Ausbruch des Krieges durch unerwartete Wegnahme überrascht, sondern denselben eine Frist gewährt werde, innerhalb welcher sie aus den feindlichen Häfen auslaufen und einen sicheren Zufluchtsort aufsuchen können. Vor dem Krieg ist die Wegnahme nicht erlaubt, sondern höchstens die Be- schlagnahme (Embargo). Vgl. § 509. Aber es ist offenbar sehr hart, friedlich gesinnte Kauffahrer, ohne vorherige Warnung, am Tage der Kriegseröffnung, zu überfallen und ihre Schiffe und Ladung als Prise wegzunehmen. Da sträubt sich das heutige Rechtsgefühl stärker gegen die Anwendung des alten Satzes, daß die Schiffe und Waaren der „Feinde“ der Confiscation verfallen. Ein völkerrechtlicher Fortschritt der Art ist vornehmlich in dem Russischen Kriege von 1854 gemacht wor- den, indem die beiden Westmächte Frankreich und England den Russischen Schiffen in ihrem Bereich eine Frist von 6 Wochen gaben, um sich und ihre Ladung in Sicherheit zu bringen. Man nennt diese Verstattung Indult . 670. Nach dem in Europa anerkannten Völkerrecht dürfen keine Kaper- schiffe mehr zur Seebeute ermächtigt werden. 1. Die Kriegssitte der Seestaten hatte sich nicht da mit begnügt, durch ihre Kriegsschiffe den Handel der feindlichen Nation zur See möglichst zu schädigen, zu berauben und zu unterdrücken. Sie suchte diese Gefährdung des Handels noch da- durch zu vergrößern, daß sie die Raubsucht und den Haß der Privaten benutzte und Das Kriegsrecht. Privatschiffe ermächtigte, ebenfalls auf Seebeute auszufahren. Die Ermächtigung wurde durch sogenannte Kaperbriefe ( Lettres of Marque ) gegeben, und diese legitimirten Raubschiffe wurden Kaper genannt. Das Kaperschiff erkannte zwar die Autorität des Admirals an, welcher die Kriegsflotte commandirte, aber es bildete doch nicht einen eigentlichen Bestandtheil der Kriegsflotte, sondern blieb eine Unter- nehmung der Freibeuter. Es war das ein Privatkrieg , welcher neben dem mili- tärisch geordneten Statskrieg herlief und die Garantien und Schranken der militäri- schen Ordnung abstreifte. Zu der mittelalterlichen Kriegsführung paßte das noch, mit den humaneren Grundsätzen der modernen Welt kam es in schroffsten Widerspruch. 2. Seit dem vorigen Jahrhundert wurden daher verschiedene Versuche gemacht, die Kaperei zu untersagen. Zuerst wurde in einem Vertrag, den Franklin als Gesandter der Vereinigten Staten von Nordamerika mit Preußen unter Friedrich dem Großen im Jahr 1785 abschloß, bestimmt, daß keine der beiden Mächte im Fall eines Krieges Kaperschiffe ausrüsten dürfe zur Schädigung des feind- lichen Handels. Aber auch dieser Artikel wurde bei der Revision des Vertrags von 1795 nicht wieder aufgenommen ( Wheaton , Elem. § 358). Die in den Zwan- zigerjahren unsers Jahrhunderts erneuerten Unterhandlungen unter den Seemächten zur Abschaffung der Kaperei waren erfolglos. Erst auf dem Pariser Congreß von 1856 kam am 16. April eine gemeinsame Erklärung der europäischen Mächte über das Seerecht in Kriegszeiten zu Stande, deren erster Artikel lautet: „La course est et demeure abolie“ . Die Erklärung wurde ursprünglich von den fünf europäischen Großmächten England, Frankreich, Oesterreich, Preußen und Rußland , sodann dem Königreich Sardinien (Italien) und der Türkei unterzeichnet, erhielt aber später auch die ausdrückliche Zustimmung der übrigen europäischen Staten und von manchen amerikanischen Staten. Offenbar enthält die Erklärung nicht eigentliches (conventionelles) Vertragsrecht , sondern durch gemeinsame Anerkennung ausgesprochenes nothwendiges (Gesetzes) Recht . Als europäisches Völkerrecht ist nun der Grundsatz anerkannt und kein europäischer Stat darf mehr davon zurücktreten und die alte Barbarei erneuern. 3. Der allgemeinen Anerkennung aber des Grundsatzes steht hauptsächlich noch im Weg, daß die Vereinigten Staten von Nordamerika ihre Zustim- mung versagten, und zwar nicht deßhalb, weil sie die Kaperei guthießen, sondern deßhalb, weil ihnen die Kaperei so lange als Nothwehr unentbehrlich schien, als nicht die Kriegsmarine selbst auf die Seebeute gegen Kaufschiffe verzichte. Sie fanden, daß die Seestaten mit ausgedehnter Handelsmarine und geringer Kriegs- marine durch die bloße Beseitigung der Kaperei in eine höchst ungünstige Lage ver- setzt werden gegen die Seestaten mit starker Kriegsmarine, indem diese ihren See- handel vernichten können, aber sie ohne Hülfe von Privatschiffen als Kapern nicht ebenso den feindlichen Handel. Frankreich, Preußen, Italien und Ruß- land waren bereit, auf den Amerikanischen Verbesserungsvorschlag einzugehen und die (widerrechtliche) Seebeute mit der Kaperei abzuschaffen. Allein England ließ sich noch nicht dazu herbei. In dem nordamerikanischen Bürgerkrieg 1861 gaben Achtes Buch. die Südstaten Kaperbriefe aus; aber fremde Schiffseigner ließen sich, abgemahnt und gewarnt von ihren Regierungen, nicht darauf ein. Auch der Präsident der Union wurde vom Congreß dazu ermächtigt, aber er machte von seiner Vollmacht keinen Gebrauch ( Wheaton , Elem. of int. law. § 359. Anm.). 671. Auch inwiefern es noch durch die hergebrachte Uebung der Seemächte als gestattet erscheint, Seebeute zu machen, ist das doch nach europäischem Völkerrecht nur wirklichen Kriegsschiffen, die einen Bestandtheil der Kriegs- flotte bilden, erlaubt. In der militärischen Unterordnung und Disciplin liegt eine gewisse Garantie gegen Excesse, welche bei Kaperschiffen gänzlich fehlt. Vgl. im übrigen zu § 665. 670. 672. Das genommene Schiff muß in der Regel dem Prisengericht des Nehmestats überliefert und von diesem über die Rechtmäßigkeit der Prise entschieden werden. Die Prisengerichte dienen zur Controle über die Ausübung des Seerechts in Kriegszeiten. Die Prisengerichtsbarkeit wird als Kriegsgerichts- barkeit zur See betrachtet. Neutrale Staten haben keine Prisengerichte. Vgl. darüber unten Buch IX. Cap. 6. Die Besetzung der Prisengerichte und das Ver- fahren vor denselben ist noch immer statsrechtlich geordnet. Aber das Recht, welches sie handhaben, ist in erster Linie völkerrechtlich . In der Regel sollen die genommenen feindlichen Schiffe in einen Hafen des Nehmestats aufgebracht und da der Beurtheilung des Prisengerichtshofs unterworfen werden. Aber nicht immer ist das möglich, besonders nicht, wenn der Krieg in entlegenen Gewässern geführt wird. Dann müssen dieselben vorerst in neutralen Häfen untergebracht wer- den, insofern solches von neutralen Staten gestattet wird. Unzulässig ist es, die Zerstörung des genommenen Schiffs damit zu entschuldigen, daß die Häfen des Nehmestats blokirt seien und daher die Aufbringung desselben dahin unmöglich ge- worden sei. Der Mangel an Häfen dehnt nicht das Recht der Wegnahme aus. Nur die äußerste Noth könnte die Zerstörung rechtfertigen. Als Maxime ist dieselbe völkerrechtswidrig. Der nordamerikanische Bürgerkrieg von 1861—65 gab zur Er- örterung dieser Frage den Anlaß, indem südstatliche Kreuzer einen solchen Ver- nichtungszug gegen Kauffahrer des Nordens unternahmen. Vgl. Clark in dem Papers read before the Juridical society . London 1864. Das Kriegsrecht. 673. Alle Seebeute gehört dem State, nicht der Mannschaft des Nehme- schiffs zu. Der Stat hat freies Verfügungsrecht darüber und kann den Nehmern einen beliebigen Antheil daran einräumen oder auch ganz auf die Annahme verzichten und Schiff und Waare wieder den Privatpersonen zustellen, welche — abgesehen von dem Beuterecht — als die rechtmäßigen Eigenthümer derselben anzusehen sind. „Bello parta cedunt reipublicae“ (Bynkershoek) . Auch in England gilt es vorzugsweise als ein Recht der Krone , frei über die Beute zu verfügen. Es ist die Beute eine Folge des Kriegs und das Beuterecht eine Anwen- dung des Kriegsrechts. Der Kriegsherr entscheidet hier, wie in andern Fällen der Kriegsleitung. Es ist daher in seiner Macht, das erbeutete Schiff, wenn er solches aus humanen oder aus politischen Gründen für zweckmäßig erachtet, wieder frei und dem ursprünglichen Eigenthümer zurückzugeben, ohne daß der Schiffsmannschaft, welche ihr Leben und ihre Arbeit daran gesetzt hat, dasselbe zu erbeuten, ein Recht der Einsprache zusteht. Vgl. die Urtheile der Lords Stowell und Brougham bei Phillimore III. § 128. Ebenso kann er einen beliebigen Antheil an der Beute zur Belohnung der Mannschaft des Nehmeschiffs verwenden. 8. Verkehr und Verhandlungen unter den Kriegsparteien. Waffen- ruhe. Waffenstillstand. Capitulation. 674. Jeder Verkehr zwischen den von den feindlichen Kriegsheeren besetzten Gegenden ist in der Regel untersagt. Ausnahmen bedürfen der Geneh- migung der Befehlshaber. Uebertretungen des Verbots werden je nach Umständen strenge bestraft. 1. Am . 86. Die ältere, von Bynkershoek (Quäst. I. 3) vertretene, heute noch von Wildman, Wheaton, Phillimore vertheidigte Meinung geht viel weiter. Sie nimmt an, durch die Kriegseröffnung werde aller Verkehr zwischen den Ländern, die im Kriege sind, grundsätzlich untersagt. Diese Meinung wird damit erklärt, daß die eigenen Unterthanen durch die Kriegserklärung aufgefordert Achtes Buch. werden, dem Feinde möglichst viel Uebel zuzufügen und daß die patriotische Pflicht gebiete, mit dem Feinde seines Landes keine Gemeinschaft zu pflegen. Indessen hat Bynkershoek selber zugleich darauf aufmerksam gemacht, daß die Handelsinteressen dem widerstreben und daß deßhalb der Handel mit gewissen Waaren gewöhnlich er- laubt und nur bezüglich anderer Waaren verboten werde. Da der Verkehr meistens zweiseitig ist, so schädigt überdem der Abbruch alles internationalen Verkehrs nothwendig beide Nationen, und schon diese Erwägung der Folgen des Verbots läßt die Erlassung desselben meistens als unzweckmäßig erscheinen. Wäre jene Begründung an sich richtig, daß man den Feind möglichst schädigen soll, was sie offenbar nicht ist, so würde sie doch in unserm Falle nicht zutreffen, weil der sich selber ins Fleisch schneidet, der den Feind mit dieser Waffe verwunden will. Der ganze Grundgedanke aber ist falsch. Die Hemmung des Verkehrs versteht sich nur insofern von selbst, als sie eine Bedingung oder Folge der Kriegsführung , nicht der Kriegs- erklärung ist. Nur die militärischen Motive oder ausnahmsweise besondere politische Motive können sie rechtfertigen. Die erstern werden in der Ausnahme vollkommen gewürdigt, die letztern bedürfen einer statlichen Anordnung . Da die Privatpersonen einander nicht bekriegen , sondern als Privaten mit einander im Frieden leben, so ist nicht einzusehn, weßhalb sie nicht während des Kriegs mit einander den friedlichen Verkehr fortsetzen können, der für beide Nationen nützlich ist und die Kriegsführung nicht gefährdet. Wenn der Bauer ge- wohnt war, über die Grenze zur nächsten Mühle zu fahren, oder Weinberge und Aecker jenseits der Grenze besitzt, weßhalb sollte er nicht auch dann sein Korn in jene Mühle fahren, oder hier Weinlese und Ernte halten dürfen, solange ihm das nicht untersagt wird. Auch diese Interessen der Wirthschaft spielen hin und her in den Grenzgegenden. Die Interessen der Fabrication und des Handels wirken weiter und tiefer ins Land hinein, werden aber wieder durch einen Abbruch des Verkehrs gewöhnlich nach zwei Seiten hin geschädigt. Die natürliche Rechtsregel ist also nicht das Verbot , sondern die Fortdauer des friedlichen Verkehrs . 2. Offenbar steht die Ausbreitung der entgegengesetzten Regel bei den englisch- amerikanischen Schriftstellern noch mit dem Princip in Verbindung, daß die Kauf- fahrteischiffe sammt ihrer (feindlichen) Ladung der Seebeute ausgesetzt sind. Wird diese Seebeute endlich aufgegeben, dann wird die Unhaltbarkeit eines allge- meinen Handelsverbots auch zur See Jedermann einleuchten. Man wird dann auch zugeben, daß die Gestattung des Seehandels, außer nach den blokirten feindlichen Häfen in dem Russischen Kriege von 1854 ( Wheaton Int. L. § 315 Anm.) nicht ein jus singulare ist, sondern den Aufgang eines humaneren Rechtssatzes bedeutet. Vgl. Heffter § 132. 133. 3. Aber die Regel des Verkehrs erfordert eine Beschränkung. So weit die Truppen wider einander im Felde stehn, muß der Verkehr zwischen den besetzten Gebieten aufhören, denn seine Fortsetzung wird leicht zur Gefahr oder zum Hemmniß für die Truppen. Weder Reisende noch Briefe, noch Waaren dürfen daher ohne Erlaubniß der Commandanten aus einem Gebiet in das andere hinüber. Diese hemmende Folge der Kriegsführung gilt als selbstverständlich , weßhalb es gefährlich ist, ohne militärischen Sicherheitspaß den Uebergang zu wagen. Ins- Das Kriegsrecht. besondere läuft der so Reisende, wenn er offen verfährt, Gefahr, zurückgewiesen zu werden, und wenn er sich heimlich durchzuschleichen sucht, Gefahr, verhaftet zu werden. Der Handelsmann ist in Gefahr, daß seine Waaren mit Beschlag belegt, oder gar zur Strafe confiscirt werden. Wenn damit überdem eine Verrätherei verbunden ist, so kann eine schwerere Strafe, sogar unter Umständen die Todesstrafe verhängt werden. 4. Außerdem kann der kriegführende Stat auch in weiterem Umfange und überhaupt den Verkehr während des Kriegs verbieten, wenn er das für nothwendig erachtet, um den Krieg mit Nachdruck zu raschem Ende zu führen. Nur versteht sich solche Allgemeinheit des Verbots nicht von selbst. Ist dasselbe erlassen, dann können noch in Form von sogenannten Licenzen (Erlaubnißscheinen) für einzelne Personen und für gewisse Handels- oder Verkehrsbeziehungen Ausnahmen verstattet werden. 675. Militärische Sicherheitspässe für Personen und Geleitscheine für Waaren werden von dem Befehlshaber der Truppen ausgestellt und sichern das Recht der betreffenden Personen, die militärischen Linien ungehindert und ungefährdet zu passiren und der Frachtführer, die betreffenden Güter ebenso durchzuführen. Sie beruhen nicht auf persönlicher Ermächtigung, sondern auf der Erlaubniß des Amts. Diese Pässe und Geleitscheine beruhen im letzten Grund auf der Auto- rität der Kriegs- beziehungsweise Statsgewalt. Sie bedürfen aber den Verhältnissen gemäß im Einzelnen der militärischen Controle . Es ist je nach Umständen aus militärischen Gründen nothwendig, der Erlaubniß im einzelnen Falle keine wei- tere Folge zu geben, wenn Gefahr damit verbunden ist. Auch die untern Befehls- haber sind oft ermächtigt, solche Scheine auszustellen, so jedoch, daß der obere Be- fehlshaber deren Wirksamkeit hemmen kann. Aber es wäre gegen die bona fides, wenn ein Schein nicht weiter geachtet würde, weil er von einem Befehlshaber aus- gestellt worden ist, der vielleicht nicht mehr am Leben oder doch durch eine andere Person inzwischen im Commando ersetzt worden ist. Die Erlaubniß ist nicht von der Person , sondern von der amtlichen Stellung und Vollmacht dessen abhängig, welcher sie gegeben hat. 676. Der Sicherheitspaß gilt lediglich für die Person, welche darin genannt ist, und ist nicht übertragbar. Der Geleitschein für den Güterverkehr ist übertragbar, insofern nicht gegen die Person des Frachtfuhrmanns besondere Bedenken vorhanden sind. Bluntschli , Das Völkerrecht. 24 Achtes Buch. Sicherheitspässe dürfen daher nicht an andere Personen zum Ge- brauche überlassen werden. Wenn eine politisch oder militärisch gefährliche Person als Frachtfuhrmann verwendet wird, um mit Hülfe des Geleitscheins in dieser Ver- kleidung ins feindliche Lager sich hinüber zu retten und er wird entdeckt und trotz des Geleitscheins arretirt, so kann er sich nicht über einen Treubruch beklagen, son- dern liegt im Gegentheil ein je nach Umständen, insbesondere wenn Spionerei oder Verrätherei beabsichtigt ist (vgl. § 683), kriegsgerichtlich zu bestrafender Mißbrauch jener Erlaubniß vor. Wohl kann aber der Paß außer der benannten Person auch ihre Familie, Dienerschaft, Gefolge, Gesellschaft, wenn das angedeutet ist, schirmen. Nur darf auch hier nicht damit so Mißbrauch getrieben werden, daß Personen, welche für gefährlicher betrachtet werden, als der genannte Paßinhaber, unter die allgemeine Formel versteckt werden. 677. Die Wirksamkeit des Sicherheitspasses und des Geleitscheins reicht soweit als die militärische Gewalt des Heeres reicht, also je nach Umständen in feindliches Gebiet hinein, aber nicht über jenen Bereich hinaus. Diese Urkunden beruhen auf militärischer Autorität und können daher nur innerhalb der Grenzen wirken, in denen dieselbe Gehorsam findet, nicht aber in Gegenden Beachtung erwarten, in denen die feindliche Kriegsgewalt herrscht. 678. Ist der Paß nur auf eine bestimmte Zeitfrist ertheilt, so erlischt seine Wirksamkeit mit dem Ablauf der Zeitfrist. Wenn jedoch der Träger des Passes ohne seine Schuld durch höhere Gewalt verhindert war, durch das besetzte Gebiet hindurch zu kommen, so wird er zwar nicht durch den Buchstaben der Erlaubniß, aber durch ihren Geist soweit geschützt, als es die Umstände gestatten. In allen Fällen ist die bona fides zu berücksichtigen. Gerade in Kriegs- zeiten können sich dem Vollzug einer vielleicht auf wenige Tage oder sogar auf eine Anzahl Stunden beschränkten Durchreise durch die Linien des Heeres so viele uner- wartete Hindernisse entgegensetzen, daß es durchaus unbillig wäre, die Zeitbeschrän- kung ohne Rücksicht auf solche Zufälle nach dem Wortlaute der Urkunde auszu- legen. 679. Auch während des Kriegs und auch dem Feinde gegenüber sind Versprechen und Verträge in gutem Glauben zu halten, und das von Das Kriegsrecht. dem Feinde erhaltene Vertrauen nicht zu mißbrauchen. Insbesondere gilt das von den Cartelverträgen, welche zwischen den Befehlshabern feindlicher Truppen über Pässe und Couriere, über den Post- und Telegraphen- verkehr, über das Begräbniß der Todten, über die Bezeichnung und Be- handlung der Parlamentärs, über die Behandlung oder Auswechselung oder den Loskauf von Kriegsgefangenen verabredet werden. Die Rechtsgültigkeit und völkerrechtliche Verbindlichkeit der im Kriege abge- schlossenen Verträge ist eine der wichtigsten Beschränkungen der verderblichen Wildheit des Kriegs. Ohne dieselbe würden die kriegerischen Leidenschaften zügellos walten und der Krieg sich nicht in einen gesicherten Friedenszustand verwandeln können. Das Princip: „Etiam hosti fides servanda“ ist schon im Alterthum anerkannt worden. Vgl. oben zu § 550. Das Kanonische Recht hat dasselbe ebenfalls der Christenheit im Mittelalter eingeschärft. Dec. Grat. II. Causa 23. Qu. 1. c. 3 ( Augustinus ): „Fides enim quando promittitur, etiam hosti ser- vanda est, contra quem bellum geritur, quanto magis amico, pro quo pregna- tur? Pacem habere debet voluntas, bellum necessitas, ut liberet Deus a neces- sitate et conservet in pace. Non enim pax quaeritur, ut bellum excitetur, sed bellum geritur, ut pax acquiratur“ . Der Inhalt solcher Cartelverträge ist so mannigfaltig, als die Bedürf- nisse der kriegführenden Parteien Befriedigung verlangen und Anerkennung des Gegners erwarten. 680. Die Cartelschiffe genießen auf dem Hin- und Rückweg den Schutz des Völkerrechts. Indessen ist ihre Mannschaft verpflichtet, sich inzwischen aller Handlungen der Feindseligkeit zu enthalten und auch keinen durch das Kriegsrecht untersagten Verkehr zu treiben. Die Cartelschiffe machen sich selber zunächst als solche kenntlich, können aber nur insofern auf Achtung rechnen, als sie bona fide die vertragsmäßige Unterhandlung einleiten oder die Uebereinkunft ausführen. Vgl. Phillimore III. § 112. 681. Die Parlamentäre d. h. die Personen, welche im Auftrag einer Kriegspartei bei den Truppen der andern erscheinen zum Behuf der Unter- handlung mit dem Befehlshaber derselben über Kriegsverträge, werden 24* Achtes Buch. durch die Parlamentärflagge oder Fahne bezeichnet und genießen den Schutz des Völkerrechts. Die Parlamentäre sind keine Gesante, weil sie nicht von der Statsgewalt und nicht zu Stellvertretern derselben ernannt sind, aber sie dienen als Boten der Kriegsparteien doch dazu, den Verkehr zwischen beiden in einzelnen Fällen und zu bestimmten Zwecken neu anzuknüpfen und eine Uebereinkunft der Gegner einzuleiten oder abzuschließen. Insofern haben sie eine ähnlich privilegirte Stellung . Sie dürfen nicht zu Kriegsgefangenen gemacht, sondern es muß ihnen freie und möglichst sichere Rückkehr gestattet werden. 682. Der Befehlshaber der besendeten Truppen ist jedoch nicht verpflichtet, unter allen Umständen und jederzeit einen feindlichen Parlamentär zuzu- zulassen und anzuhören und er ist berechtigt, Vorsicht zu gebrauchen und Maßregeln zu treffen, damit der feindliche Parlamentär nicht seine An- wesenheit zum Nachtheil der Kriegsführung benutze. 683. Wenn es entdeckt und unzweifelhaft erwiesen wird, daß der Par- lamentär seine privilegirte Stellung mißbraucht hat, um militärische Spio- nerei zu betreiben oder gefährliche Verschwörungen und Verrath anzustiften, so verliert er den Anspruch auf völkerrechtlichen Schutz und kann kriegs- rechtlich bestraft werden. Aber es bedarf eines völlig sicheren, jedermann erkennbaren Beweises der Schuld, damit nicht die Verurtheilung als Ver- letzung des Völkerrechts betrachtet werde. Am. 114. Der Parlamentär darf wohl, ohne Verletzung des Völkerrechts, strenge überwacht und von jedem weitern Verkehr, als mit dem besendeten Be- fehlshaber abgesperrt werden. In manchen Fällen werden ihm die Augen verbunden, damit er nicht Dinge wahrnehme, welche man vor dem Feinde verbergen will. Denn ist er einmal wieder zurückgekehrt, so ist er durch Nichts verhindert, über Alles zu berichten, was er wahrgenommen hat. 684. Wird der Träger einer Parlamentärflagge unversehens während eines Gefechtes verwundet oder getödtet, so gibt das keinen Grund zur Das Kriegsrecht. völkerrechtlichen Beschwerde. Das bloße Erscheinen der Parlamentärflagge bedingt für sich allein nicht nothwendig das Einstellen des Feuers. Am. 113. 116. Absichtliche Verwundung oder Tödtung des sichtbaren Parlamentärs ist eine schwere Verletzung des Völkerrechts (681). Die Truppen müssen es daher vermeiden, auf ihn zu schießen. Aber während des Kampfes gibt es keine völlige Sicherheit. Wenn keinerlei mala fides mitwirkt, sondern nur ein unglücklicher Zufall ihn trifft, so darf man diesen dem Feind nicht als Rechts- bruch zur Last legen. In vielen und sogar den meisten Fällen wird das Feuer überhaupt eingestellt, wenn das Erscheinen der Parlamentärflagge oder zu Land die Ankunft eines Parlamentärs auf die Neigung schließen läßt, zu verhandeln, öfter sogar auf die Absicht des Feindes, sich zu ergeben. Aber würde man genöthigt, in allen Fällen, sobald ein Parlamentär sich zeigt, den Kampf abzubrechen, so würde vielleicht der entscheidende Moment des Sieges unbenutzt vorübergehen und der Sieg selbst wieder verloren oder die Verfolgung gelähmt werden. In solchen Fällen darf die Annahme des Parlamentärs verweigert oder trotz der Unterhandlung mit dem- selben der Kampf durchgeführt werden. 685. Es ist gute Kriegssitte, die Spitäler und je nach Umständen auch andere besonders geheiligte Orte mit Schutzfahnen von besonderer Farbe zu bezeichnen, damit sie eher von dem feindlichen Feuer geschont werden. Am . 115. Nur für die Spitäler ist das als völkerrechtliche Pflicht durch die Genfer Convention vorgeschrieben. Vgl. oben § 592. Aber ähnliche Rücksichten der Humanität können auch eine besondere Rücksicht empfehlen. Immer aber gilt es für eine schlechte und entehrende Handlung, wenn der Feind durch Ausstecken einer Schutzfahne, ohne innern Grund, zu täuschen und etwa gar seine Angriffs- stellung vorläufig besser zu sichern sucht. Solche Täuschung berechtigt den Gegner, der feindlichen Schutzfahnen nicht weiter zu achten und Repressalien zu nehmen. Am . 117. 686. Es kann auch von der feindlichen Kriegsgewalt ein besonderer Schutz bewilligt und je nach Umständen können von ihr Schutzwachen oder Schutz- briefe gewährt werden, damit Personen und Sachen, z. B. wissenschaftliche Sammlungen und Kunstwerke vor der kriegerischen Beschädigung oder Gefährdung gewahrt bleiben. Auch solche Schutzgebote sind in guter Treue zu beachten. Achtes Buch. Am . 118. Es ist das besonders wichtig bei der Erstürmung einer Stadt oder eines befestigten Platzes, und kann je nach Umständen auch einzelnen angese- henen Personen zu Gute kommen. Schon im Alterthum kommen manche Beispiele der Art vor. Damals hatten solche Privilegien noch mehr als gegenwärtig zu be- deuten, weil die heutige Kriegsführung überhaupt friedliche Personen und ihr Vermögen weit weniger gefährdet, als die antike. 687. Wenn die beiderseitigen Befehlshaber über eine zeitweise und örtliche Waffenruhe übereingekommen sind, so haben die beiderseitigen Truppen inzwischen in guter Treue sich jeder Feindseligkeit zu enthalten. Solche Waffenruhe wird gewöhnlich durch Parlamentäre begehrt und zugestanden, oder gemeinsam verabredet. Es geschieht das z. B. zum Behuf der ungestörten Beerdigung der auf dem Schlachtfeld gebliebenen Krieger, oder im Interesse der Feier eines Gottesdienstes , oder auch um weitere Unter- handlungen über einen Waffenstillstand oder Frieden zu pflegen u. s. f. Die bloß stillschweigend eintretende Waffenruhe ist zwar möglich, aber wenig gesichert, weil sie nicht den Charakter eines Vertrags hat. An und für sich berechtigt eine religiöse Feier keineswegs, auf Waffenruhe zu schließen. Die Kriegs- geschichte ist voll von Beispielen, daß an solchen Festtagen der Kampf begonnen wurde, und das Völkerrecht hindert das nicht. Im Mittelalter hemmte der Gottes- friede ( treuga Dei ) die Fortsetzung des Kampfes unter den christlichen Völkern. Das ganze Institut aber, welches aufgekommen war, um die wilden, nie rastenden Fehden einigermaßen zu beschränken, ist im Mittelalter selber wieder außer Uebung gekommen, als die Fehden verschwanden und nur der große Krieg noch als Aus- nahmszustand den regelmäßigen Frieden unterbrach. 688. Ein eigentlicher und allgemeiner Waffenstillstand ( trève ), welcher auf längere Zeit zur Einleitung des Friedens abgeschlossen wird, bedarf in der Regel der Genehmigung der obersten Statsgewalt. Die Ermächtigung zum Abschluß kann indessen auch einem diplomatischen Vertreter oder dem Feldherrn übertragen werden. 1. Der Waffenstillstand im eigentlichen Sinne ist ein Act der Sou- veränetät im eigentlichen und vollen Sinn, analog dem Friedensschluß, und kann daher nicht von untergeordneten Befehlshabern unternommen werden. Aller- dings gelten auch diese, inwiefern ihnen ein relativ selbständiges Commando über- tragen ist, durch ihre Stellung für ermächtigt, im Nothfall und besonders in ent- Das Kriegsrecht. legenen Gegenden selbst eine längere Waffenruhe abzuschließen, deren Wirkung dann aber auf die betreffende Gegend beschränkt ist. Zuweilen werden auch solche Waffenruhen besondere Waffenstillstände genannt, im Gegensatze zu den allgemeinen . Indessen ist es zweckmäßiger, jenen Ausdruck auf die Acte zu beschränken, welche die Fortsetzung der kriegerischen Action überhaupt von Stat zu Stat hemmen und nicht bloß an beschränkten Stellen und zwischen einzelnen Truppen- körpern. 2. Die Zeit, auf welche der Waffenstillstand abgeschlossen wird, ist entweder eine bestimmte — bis zu einem Termin , auf eine Anzahl Wochen oder Monate oder Jahre — oder eine unbestimmte bis zur Kündigung. 689. Die bloß vorübergehende und örtliche Waffenruhe und ebenso der uneigentliche und besondere Waffenstillstand wirken nur in dem bezeichneten oder als maßgebend vorausgesetzten Gebietsumfang, und für die daselbst befindlichen oder da erscheinenden Truppen, nicht aber für andere Kriegs- felder und die dortigen Truppen. Der eigentliche und allgemeine Waffenstillstand dagegen wirkt über- haupt und überall verbindlich für die beiden Kriegsparteien und ihre An- gehörigen. Jene Waffenruhe und der besondere Waffenstillstand sind wesent- lich militärische Maßregeln , der allgemeine Waffenstillstand ist wesentlich ein Statsact . Die Wirkung der erstern ist daher begrenzt durch die besondere Oertlichkeit , z. B. die Beschießung einer Festung wird eingestellt, die Fortsetzung einer Schlacht oder die feindliche Verfolgung wird abgebrochen, der feindliche Einmarsch macht an einer bestimmten Linie Halt u. dgl. Die Wirkung des letztern erstreckt sich auf das ganze Land und die offene See . Soweit die Statsmacht reicht, werden die Feindseligkeiten eingestellt. Der allgemeine Waffen- stillstand ist noch nicht der Friede, aber er hemmt die Gewalt des Krieges vollständig und bereitet den Frieden ernstlich vor. 690. Die Befehlshaber sind verpflichtet, so schnell als möglich von dem Abschluß des Waffenstillstands allen Truppen Kenntniß zu geben, und dadurch das Aufhören der Feindseligkeiten zu bewirken. Wenn in gutem Glauben, daß der Krieg ungehemmt fortdauere, von einzelnen entlegenen Truppenkörpern der Kampf nach dem Abschluß fortgesetzt wird, so kann das nicht als Verletzung des Waffenstillstands betrachtet werden. Achtes Buch. Es ist möglich, daß die Truppen der einen Partei früher unterrichtet werden, als die der andern Partei, welche vielleicht von ihrem Hauptquartier abgeschnitten ist. In solchen Fällen sind jene veranlaßt, diesen davon Anzeige zu machen, aber auch diese veranlaßt, die Wahrheit der Anzeige sorgfältig zu prüfen, bevor sie der- selben Glauben schenken. Es gilt in allen diesen Beziehungen nur die Eine durch- greifende Regel der bona fides . 691. Während der Waffenruhe und des Waffenstillstands ist jede Partei berechtigt innerhalb des von ihr besetzten Gebietes Alles das zu thun, was sie im Frieden thun dürfte, ausgenommen solche auf die Kriegsführung bezügliche Handlungen, welche der Feind, wenn der Kampf fortdauerte, zu verhindern veranlaßt wäre. Sie darf daher außerhalb des eigentlichen Kampffeldes neue Rüstungen vornehmen, und Plätze befestigen, aber sie darf nicht innerhalb desselben neue militärische Stellungen beziehen, oder einen Rückzug der Truppen ausführen, noch in dem Bereich der feind- lichen Geschütze neue Werke anlegen oder die zerstörten Werke wiederher- stellen, sei es zum Angriff, sei es zur Vertheidigung. Sie darf auch nicht einen Aufstand erregen in dem von den feindlichen Truppen besetzten Gebiet, noch die Einwohner zur Uebergabe einladen. Die Wirkungen der Waffenruhe und des Waffenstillstandes sind wesentlich negativ . Sie hemmen die kriegerische Action. Es darf also voraus nicht mehr gekämpft werden, das Feuer wird eingestellt. Es muß überhaupt jeder Angriff unterlassen werden; auch die Vorwärtsmärsche auf feindlichem Gebiet werden ein- gestellt. Schwieriger aber ist es, zu bestimmen, ob und welche Vertheidigungs- maßregeln ebenfalls zu unterlassen sind, denn auch das ist kriegerische Action, welche der Gegner zu hindern das größte Interesse hat, und welche er je nach seiner Macht verhindern könnte , wenigstens zu verhindern versuchen würde, wenn der Kampf fortgesetzt würde. Der Waffenstillstand allein hält ihn zurück, entgegen- zuwirken. Eben deßhalb darf auch der Gegner solche Handlungen inzwischen nicht vornehmen; denn dürfte dieser sie unter dem Schutze des Waffenstillstands unge- fährdet vollziehen, so würde der Waffenstillstand nicht gleichmäßig beide Parteien zur Ruhe verweisen, sondern die eine begünstigen und die andere benach- theiligen . Wenn also z. B. das eine Heer eine neue günstigere Stellung vor dem Feind beziehen und vielleicht befestigen wollte, was der Feind, wenn der Kampf fortgesetzt würde, verhindern könnte, so wäre das nicht Waffenruhe, sondern eine militärische Action , welche vielleicht für den erneuerten Kampf entscheidend würde. Wenn ferner bei der Belagerung einer Festung bereits eine Bresche ge- schossen und der vorbereitete Sturm durch eine Waffenruhe verschoben wird, so darf der Belagerte nicht während derselben zum Nachtheil der Belagerer die Bresche Das Kriegsrecht. wieder schließen und neue Werke erbauen, denn wäre die Waffenruhe nicht eingetre- ten, so könnte der Belagerte diese Ausbesserung durch seine Geschütze verhindern. Ebenso wenig darf der Belagerte inzwischen neue Truppen in die Festung wer- fen, deren Anmarsch ohne die Waffenruhe der Feind zu verhindern versuchte. Dagegen wirkt die Ruhe immerhin stärkend für beide Theile, insofern sie sich dabei von der Anstrengung des Kampfs erholen. Auch ist keine Partei gehindert, fern von dem eigentlichen Kriegsschauplatz, wo daher eine Behinderung durch Feindesgewalt zunächst nicht möglich wäre, Truppen auszuheben, zu sammeln, zum Kriege vorzubereiten. Ausführliche Erörterungen darüber hat Vattel III. § 245 ff. 692. In der Zwischenzeit darf die Kriegspartei wohl Plätze in Besitz nehmen, welche von dem Feinde aufgegeben sind, aber nicht, was nur zufällig von demselben nicht besetzt oder verwahrt ist. Vattel § 252: „C’est une hostilité que d’enlever à l’ennemi ce qu’il prétend retenir“ . 693. Ob es während des Waffenstillstandes den Bewohnern gestattet sei, unbelästigt hin und her zu gehen zwischen den beiderseits besetzten Gebieten und den Verkehr zu erneuern, hängt theils von den Umständen ab, unter denen derselbe geschlossen worden ist, theils von der Erlaubniß oder dem Verbot der Kriegsgewalt. Bei dauernden und allgemeinen Waffenstill- ständen wird die Freiheit des Verkehrs vermuthet. Nur der allgemeine auf eine längere Zeit abgeschlossene Waffenstillstand ist ein Bild des Friedens , und daher im Zweifel der friedliche Verkehr während des- selben überall gestattet. Bei einer kurzen, zu bestimmten Zwecken abgeschlossenen Waffen- ruhe stehen oft die militärischen Rücksichten auf die mögliche und oft sogar wahrschein- liche Erneuerung des Kampfs dieser Freigebung des Verkehrs zwischen den beiden von Truppen besetzten Gebieten im Wege. 694. Geht die Frist zu Ende ohne Stundung der Waffenruhe, oder ohne Erneuerung des Waffenstillstandes oder ohne Friedensschluß, so bedarf es keiner Kündigung, sondern können die Feindseligkeiten sofort wieder auf- genommen und fortgesetzt werden. Die Fristbestimmung beschränkt die Dauer der Waffenruhe und des Waffenstillstands. Ist die Frist abgelaufen, so hört damit die Wirksamkeit der Ver- Achtes Buch. abredung auf. Wenn dagegen ein Waffenstillstand auf unbestimmte Zeit ab- geschlossen worden ist, so überwiegt hier die friedliche Stimmung so sehr und ähnelt derselbe dem Frieden so sehr, daß hier eine brüske Erneuerung des Kampfes unstatt- haft ist. 695. Wenn eine Partei die selbstverständlichen oder die ausdrücklichen Bedingungen der Waffenruhe oder des Waffenstillstandes mißachtet und denselben zuwiderhandelt, so ist auch die Gegenpartei nicht weiter an die Uebereinkunft gebunden und kann den Krieg auch ohne vorherige Kün- digung erneuern und fortsetzen, es wäre denn, daß der Vertrag anders bestimmte. Diese Regel folgt aus der Natur des Waffenstillstands, welcher nur Hemmung des Kriegs ist. Wenn eine Partei während desselben Handlungen der Feindselig- keit begeht, so bricht sie den Waffenstillstand , und hat daher kein Recht mehr zu erwarten, daß der Gegner seinerseits den Fortbestand desselben achte. Freilich kann diese Regel leicht mißbraucht werden. Die Frage nämlich, ob eine Partei durch irgend eine Maßregel den Waffenstillstand gebrochen habe, kann zweifel- haft sein; und da es keinen unparteiischen Richter gibt, welcher dieselbe rechtskräftig entscheidet, so kann eine Partei, welche den Krieg zu erneuern wünscht, die Klage, daß die andere Partei zuvor den Waffenstillstand gebrochen habe, zum Vorwande nehmen, um ihren Vertragsbruch zu verdecken. Die öffentliche Meinung, welche bis- her allein in solchen Fällen zu Gericht sitzt, hält sich an das Erforderniß der bona fides . 696. Die Verletzung der Waffenruhe oder des Waffenstillstandes durch eine Privatperson, welche ohne Statsauftrag handelt und deren Handlung auch nicht von der Kriegsgewalt gutgeheißen oder begünstigt wird, recht- fertigt nur die Forderung ihrer Bestrafung und der Entschädigung, aber nicht die sofortige Erneuerung der Feindseligkeiten. Auch wenn die Staten, beziehungsweise ihre Heere den Waffenstillstand ernst- lich und treu halten wollen, so können doch Private , vielleicht in der Absicht den Krieg wieder zu entzünden, Handlungen der Feindseligkeit begehn, z. B. einen Raubzug unternehmen, Gefangene machen und wegschleppen, einzelne Feinde tödten u. s. f. Für derlei Handlungen wird der Stat nur insofern verant- wortlich, als er sie entweder hervorruft oder schützt und obwohl er es sollte, nicht Das Kriegsrecht. verhindert. Vgl. oben § 466. Mit Rücksicht auf die Gefahr des Kriegs wird in solchen Fällen aber ein ernstes Einschreiten des Stats gegen solche böswillige Ver- letzer der Waffenruhe oder des Waffenstillstandes gefordert. Wird dasselbe verzögert oder vernachlässigt, so wird das schon als Begünstigung der That gedeutet und diese ist in ihren Wirkungen dem Vertragsbruch des States selber gleich zu achten. 697. Capitulation bedeutet die Ergebung eines Truppenkörpers oder Kriegs- schiffs oder die Uebergabe eines bedrohten Platzes an die feindliche Kriegs- macht. Die Capitulation kann unter Bedingungen und mit besondern Vorbehalten geschehen, z. B. wenn nicht binnen einer Frist Entsatztruppen erscheinen, oder mit Vorbehalt freien Abzugs der Besatzung. Völkerrecht und Kriegsehre fordern, daß diese Verabredungen in guter Treue gehalten werden. 1. Die Capitulation wird meist in der Absicht geschlossen, durch Auf- geben eines erfolglosen Kampfes unnützes Blutvergießen zu verhindern. Diese Absicht wird durch Aufhissen einer weißen Flagge oder Aufstecken einer weißen Fahne dem Gegner angezeigt, und dann gewöhnlich durch Parlamentäre über die Capitu- lationsbedingungen unterhandelt. 2. Die Kriegsgeschichte kennt leider manche Beispiele, daß die Capitu- lationsbedingungen von dem Sieger nicht beachtet wurden. Aber in allen Zeiten hat der Rechtssinn der öffentlichen Meinung solchen Treubruch verurtheilt. Schlimm ist es freilich, daß Beschwerden darüber, die ihrer Natur nach völkerrechtlich sind, nur auf den mangelhaften und in Kriegszeiten überdem höchst unsichern Schutz des Völkerrechts angewiesen sind. Vgl. Phillimore III. § 122. 698. Die Uebergabe auf Gnade und Ungnade berechtigt den Sieger nicht mehr, die Uebergebenen zu tödten, wohl aber die Truppen, welche sich ergeben haben, kriegsgefangen zu machen. Die bedingungslose Capitulation wird von Alters her so benannt. Das ältere barbarische Recht sicherte den Uebergebenen nicht einmal das nackte Leben. Das heutige humanere Völkerrecht erkennt dem Sieger kein solches vermeintliches jus vitae ac necis mehr zu. Vgl. oben zu 568. 579. 584. 699. Der Befehlshaber der feindlichen Truppen, welche einen Platz be- Achtes Buch. drohen oder belagern, gilt als ermächtigt, die Capitulationsbedingungen zu bewilligen, soweit dabei die persönliche Freiheit und das Eigenthum der Truppen und der Bewohner des capitulirenden Platzes betheiligt erscheinen, oder es sich um militärische Maßregeln handelt. Er darf aber nicht eigen- mächtig Zugeständnisse machen, welche sich auf die politische Verfassung und Verwaltung des Ortes beziehen. Der Grund dieser Unterscheidung liegt einerseits in den militärischen Befugnissen des Befehlshabers, Alles das zu thun, was zum Behuf der eigentlichen Kriegsführung nöthig und zweckmäßig erscheint, andrerseits in der politischen Statsgewalt, welche nicht an das Militärcommando übertragen ist. Es ist freilich für die Ehre und den Credit eines Stats sehr bedenklich, wenn ein Obergeneral politische Zusicherungen macht, welche nachher der Stat nicht zu erfüllen geneigt ist. Ein bekannter Fall der Art aus unserm Jahrhundert ist das unerfüllt gebliebene Versprechen des Lord Bentinck im Jahr 1814, die Unabhängigkeit und Freiheit Genua’s anzuerkennen, während schließlich die englische Regierung die Stadt dem Königreich Piemont zuerkannte. Vgl. darüber Phillimore III. § 123 (Rede von Sir James Mackintosh gegen solchen Treubruch). Vattel III. § 262. 9. Beendigung des Kriegs. Friedensschluß. 700. Der Krieg kann thatsächlich aufhören und ohne Friedensvertrag da- durch in den Friedenszustand übergehen, daß die Feindseligkeiten nicht fortgesetzt werden und der friedliche Verkehr wieder beginnt. Der thatsächliche Besitzstand zur Zeit wenn der Krieg aufhört, wird sodann als Grundlage des Friedenszustandes betrachtet. In diesem Falle ist immerhin der Zeitpunkt, in welchem der Krieg aufgehört hat und der Friede wieder beginnt, unsicher. Nur allmählich stellt sich das Gefühl der Sicherheit wieder ein, wie z. B. nach dem Kriege zwischen Schweden und Polen 1716. Ebenso ist auch die Streitfrage, die zum Kriege geführt hat, gewöhnlich nicht klar entschieden, sondern es behält jede Partei ihre ursprüngliche Rechtsbehauptung sich vor, soweit nicht durch die im Krieg herbeigeführten Thatsachen der Streit eine factische Erledigung gefunden hat und nun durch das Aufgeben des Kampfs und Das Kriegsrecht. den erneuerten Frieden anerkannt wird. Soweit also eine thatsächliche Umge- staltung der Dinge unangefochten fortdauert, soweit gilt der status quo post bellum res sunt . Abgesehen davon aber ist der status quo ante bel- lum res fuerunt als maßgebend zu betrachten. 701. Der Krieg kann durch Unterwerfung des besiegten Feindes unter den Sieger beendigt werden. Bleibt die besiegte Partei auch nachher noch als Stat fortbestehen, so werden die auferlegten Friedensbedingungen wie ein Friedensvertrag betrachtet. Hört dieselbe auf, ein Stat für sich zu sein, so kommen die Grundsätze der Erweiterung des Statsgebiets bezie- hungsweise der Vereinigung verschiedener Statsgebiete zur Anwendung. Die Eroberung begründet erst in Folge der Ergebung oder des Friedens- vertrages einen neuen friedlichen Rechtszustand. Vgl. oben zu § 287. 289. 702. Der Sieger kann in Folge der Unterwerfung des Besiegten keine andere Rechte über Land und Leute erwerben, als welche in der Natur der Statsgewalt und der öffentlichen Rechtsordnung ihre Begründung und Schranke finden. Die Statsgewalt geht auf ihn über, aber nicht mehr als die Statsgewalt. Es folgt das aus dem heutigen Begriffe des Stats, welcher nicht absolute Gewalt über Personen und Eigenthum bedeutet, sondern nur öffentlich-rechtliche und insofern verfassungsmäßige Gewalt . Die Privatpersonen und ihre Familien haben eine Existenz für sich, über welche der Stat nicht willkürlich ver- fügen darf. Ebenso ist die Kirche nicht Statssache. Das Alterthum dachte darüber anders, wie auch die alt-römische Deditionsformel zeigt: Livius I. 37. „Rex interrogativ: Estisne vos legati oratoresqus missi a populo Collatino, ut vos populumque Collatinum dederitis? Sumus. Estne populus Collatinus in sua potestate? Est. Deditisne nos, populum Collatinum, urbem, agros, aquam, terminos, delubra, utensilia, divina, humanaque omnia in meam po- pulique Romani deditionem? Dedimus. At ego recipio“ . Der antike Stats- begriff ist allumfassend und absolut . Der moderne Statsbegriff dagegen ist im Gegensatz zu der Kirche auf die politische Volksgemeinschaft und mit Beachtung des Privatrechts und der Privatfreiheit auf das öffentliche Recht beschränkt , also relativ . Vgl. Bluntschli Allg. Statsrecht S. 51. 64. Achtes Buch. 703. Der Krieg wird regelmäßig beendigt durch den Friedensschluß, d. h. durch einen Vertrag zwischen den kriegführenden Staten, welcher die Bedingungen und Bestimmungen des erneuerten Friedenszustandes festsetzt. Der Friedensvertrag ist eine völkerrechtliche Rechtshandlung, welche den Kriegszustand abschließt und den Friedenszustand erneuert . Er ver- kündet der Welt, woran sie ist. Die feindliche Gesinnung freilich kann er nicht so- fort heilen, noch den Glauben an befestigte Zustände schaffen, aber das Rechtsver- hältniß bringt er zur Klarheit und bezeichnet genau den Unterschied der beiden Rechtszustände. 704. Die Uebermacht des Siegers hindert nicht die Gültigkeit des Friedens- schlusses, wohl aber der äußere Zwang gegen den bevollmächtigten Ver- treter der Kriegspartei, welche über den Frieden unterhandelt. Vgl. oben § 408. 705. Das Verfassungsrecht der einzelnen Staten entscheidet über die Frage, wer und unter welchen Bedingungen er berechtigt sei, Frieden gültig abzu- schließen. Das Völkerrecht vermuthet, daß der jeweilige Träger der obersten Statsgewalt kraft seiner Repräsentativbefugniß dazu berechtigt sei. Wenn derselbe aber nach dem in anerkannter Wirksamkeit bestehenden Statsrecht seines Landes der Zustimmung der Volksvertretung oder eines andern politischen Körpers bedarf, um wirksamen Frieden zu schließen, so ist diese Beschränkung auch völkerrechtlich zu beachten und die Rechtsgültigkeit und die Ausführbarkeit des Friedenschlusses so lange in Frage gestellt, als nicht die nothwendige Zustimmung hinzutritt, oder in Folge der Verfassungs- änderung als entbehrlich hinwegfällt. Indessen erfordert der gute Glaube und die Rücksicht des Völkerrechts auf die mögliche Beschränkung des Kriegszustandes, daß auch inzwischen von Seite der Träger der Stats- gewalt nichts gethan, angeordnet oder zugelassen werde, was geeignet ist, die hinterherige Gutheißung des von ihnen vorläufig verabredeten Friedens- vertrags zu erschweren oder zu verhindern. Das Kriegsrecht. 1. Die Eröffnung der Friedensunterhandlung kann durch eine der beiden Kriegsparteien selber geschehen, oder durch eine neutrale Macht, welche ent- weder ihre guten Dienste oder ihre Vermittlung anbietet. Vgl. oben § 483 f. Auch im letzten Fall kann der Friedesabschluß unmittelbar von den Kriegsparteien vollzogen werden, damit der Vermittler nicht einen Vorwand zu späterer Einmischung erhalte. 2. Ein Fürst, welcher durch den Krieg aus dem Lande verdrängt worden ist und keine thatsächliche Gewalt mehr im Lande hat, ist nicht mehr berechtigt, das Land zu repräsentiren , sondern kann nur über seine dynastischen Rechte oder seine Ansprüche auf Wiedereinsetzung in die Gewalt, an dem Friedensschluß sich betheiligen (§ 118). Es mag unter Umständen für den Sieger erwünscht und nützlich sein, sich mit ihm friedlich zu verständigen, um spätern Verwicklungen vorzubeugen, aber der Friede kann auch ohne diesen Verzicht vollständig hergestellt sein. Aehnlich verhält es sich mit den Ansprüchen einer aus dem Lande vertriebenen republi- kanischen Regierung. 3. In den meisten Monarchien wird das Recht, Frieden zu schließen, als ein Recht der Krone betrachtet, so jedoch, daß diejenigen Bestimmungen des Friedens, welche dem Lande Lasten auferlegen oder das bestehende Verfassungs- oder Gesetzes- recht ändern, der Zustimmung der Kammern bedürfen, damit sie im Lande anerkannt und ausführbar werden. In vielen Fällen wird sich diese Zustimmung aber als bloße Ratihabition des bereits Vollzogenen darstellen, indem die Noth und das Be- dürfniß, von den Gefahren und Leiden des Kriegs befreit zu werden, vorher schon zum Vollzug der im Frieden gemachten Zugeständnisse treibt. Nach dem Bundesrecht der Vereinigten Staten bedarf der Friedensvertrag, um gültig zu werden, der Ge- nehmigung des Präsidenten und der Zustimmung des Senats (nicht beider Häuser des Congresses), nach dem der schweizerischen Eidgenossenschaft eines Beschlusses der Bundesversammlung . 706. Wird in dem Friedensschluß ein Theil des Statsgebietes abgetreten, so gilt die Abtretung nach Völkerrecht als rechtsgültig, wenn gleich die Verfassung des abtretenden Landes die Abtretung untersagt, insofern der Stat seinen Widerstand nicht fortsetzt, sondern thatsächlich den Frieden vollzieht und die feindliche Besitznahme gewähren läßt. In vielen Statsverfassungen wird das ganze Statsgebiet als einheitlich und unveräußerlich erklärt und so jede Abtretung eines Stücks desselben unter- sagt. Würde diese Beschränkung der Regierung und der Kammern als absolute Regel auch bei den Friedensschlüssen festgehalten, so wäre in manchen Fällen überhaupt kein Friede möglich, weil der Sieger auf die Abtretung nicht verzichtet und der Be- siegte sie nicht gewähren könnte. Es müßte also der Krieg bis zur Vernichtung des Stats selber durchgeführt werden. Dadurch aber würde nicht bloß jene Verfassungs- Achtes Buch. bestimmung, sondern mit der Existenz des besiegten Stats selbst auch dessen ganze Verfassung zerstört. Die Noth zwingt daher, unter Umständen trotz jenes statsrecht- lichen Hindernisses die Abtretung zu vollziehen, und das Völkerrecht erkennt diesen Vollzug als nothwendig und demgemäß als rechtmäßig an, im Interesse der Beendigung des Kriegs und der Herstellung des Friedens. 707. Die Abtretung gibt der erwerbenden Statsgewalt alle Rechte, welche die abtretende Statsgewalt gehabt hat, aber nicht mehr Rechte. Das öffentliche Recht der Bevölkerung und des Landes wird durch die Abtretung nicht aufgehoben, sondern nur insofern und insoweit geän- dert, als der neue Verband mit einem andern Stat eine Aenderung nöthig macht. Im Uebrigen dauert es fort. Vgl. oben § 701. 702. Die Versetzung der Centralgewalt an eine andere Stelle und die Verbindung des abgetretenen Gebiets mit einem andern State sind freilich so entscheidende Umgestaltungen, daß sie gewöhnlich eine gründliche und weit wirkende Veränderung der Verfassung in jenem Gebiete nach sich ziehen. Immer ist hier der Uebergang aus dem einen Recht in das andere schwierig und kaum anders, als durch eine vorübergehende Ausnahmsgewalt (Dictatur) der erwerbenden Statsgewalt auszugleichen. Das Völkerrecht spricht nur die Regel aus, daß nicht das bisherige öffentliche Recht (in Gemeinden, Körperschaften, Aemtern, Gerichten, politischen Freiheiten u. s. f.) durch den bloßen Act der Abtretung erlösche, sondern daß dasselbe im Gegentheil, soweit die Einheit des neuen Statenverbands und die Nothwendigkeit der öffentlichen Verhältnisse es verstatten, erhalten bleibe. Die Vermuthung spricht für die Fortdauer , die Umänderung bedarf einer Anordnung der neuen Statsgewalt . 708. Der Friedensschluß beendigt mit dem Kriege auch den bisherigen Rechtsstreit unter den kriegführenden Staten. Es dürfen nach demselben keine weitern Feindseligkeiten geübt werden. Die Wirksamkeit des Kriegs- rechts hört auf und das Friedensrecht tritt wieder ein. 1. Der Friede beendigt auch dann den Rechtsstreit , welcher zum Kriege geführt hat, wenn er über denselben keine ausdrückliche Entscheidung trifft. Die anfängliche Beschwerde darf nicht nochmals zur Ursache eines zweiten Kriegs gemacht werden. Vgl. unten 709. 713. Wheaton Int. Law. § 544. 2. Die Beendigung des Kriegsrechts muß sofort eintreten, insoweit dasselbe zu feindlichen Handlungen ermächtigt. Aber es können nicht ebenso auf den Das Kriegsrecht. Tag alle Wirkungen der erschienenen Kriegsgewalt abgebrochen werden. Wenn das Heer zur Zeit des Friedensschlusses sich in Feindesland befindet, so bedarf es zum Wegzug einiger Zeit und kann inzwischen die Maßregeln seiner Sicher- heit nicht aufgeben. Es gibt also auch hier Uebergänge , welche das gänzliche Erlöschen des Ausnahmszustandes möglich machen. In allen diesen Beziehungen verlangt das Völkerrecht bona fides in der Ausführung des Friedens. 709. Wenn nach Abschluß des Friedens durch einzelne Heeresabtheilungen, wenn auch in gutem Glauben, weil sie noch nicht von dem Friedensschluß Kenntniß hatten, feindliche Handlungen verübt worden sind, so ist der Zustand, wie er vor denselben gewesen ist, soweit möglich wieder herzu- stellen, beziehungsweise Entschädigung zu leisten. Der Friede ist verbindlich für die kriegführenden Staten und daher auch für ihre Heere , und ihre Statsangehörigen. Hugo Grotius III. 20. § 32: „Est enim pax actus civitatis pro toto et pro partibus“ . Wenn daher einzelne Truppenkörper, ohne den Frieden zu kennen, noch eine Stadt oder eine Festung einnehmen, so müssen sie dieselbe wieder räumen. Ebenso wenn nachher noch feindliche Schiffe als Prise genommen werden, so sind dieselben wieder frei zu lassen. 710. Mit dem Friedensschluß ist die Regel der Amnestie verbunden, so- weit nicht besondere Vorbehalte eine Ausnahme begründen, d. h. es wird in der Regel keine weitere Klage gestattet wegen Schädigungen und Un- bilden, welche von den Angehörigen einer Kriegspartei wider die Ange- hörigen der andern Partei während des Kriegs verübt worden sind. 1. Die Amnestie ist nothwendig, damit das Gefühl des Friedens sich be- festige. Würde es gestattet, den Streit fortzusetzen, so wäre immer wieder die Gefahr da, daß die Parteien neuerdings zu den Waffen griffen und der Krieg wieder ent- flammt würde. Wenn auch die Klagen über erlittene Unbill oder Schädigung zu- nächst gegen einzelne feindliche Personen gerichtet würden, so ist doch hinter diesen der Stat, für den sie kämpften. Je weniger die Kriegsführung den normalen Rechts- zuständen entspricht, und je gewaltsamer sie vorgeht, um so leichter ist hier Streit und um so öfter sind Klagen veranlaßt. Diesen Streit und diese Klagen will die Amnestie mit Vergessenheit zur Ruhe bringen. In vielen Friedensverträgen wird sie ausdrücklich vorbehalten, in andern stillschweigend als selbstverständlich vorausgesetzt. Z. B. Wiener Congreßakte von 1815 Art. XI.: „Amnistie générale en Bluntschli , Das Völkerrecht. 25 Achtes Buch. Pologne. Il y aura amnistie pleine, générale et particulière en faveur de tous les individus de quelque rang, sexe, ou condition qu’ils puissent être“ und ausführlicher Art. XXII.: Amnistie générale en Saxe. Aucun individu domicilié dans les Provinces qui se trouvent sous la domination de Sa Majesté le Roi de Saxe ne pourra, non plus qu’aucun individu domicilié dans celles qui passent par le présent Traité sous la domination de Sa Majesté le Roi de Prusse, être frappé dans sa personne, dans ses biens, rentes, pensions et revenus de tout genre, dans son rang et ses dignités, ni poursuivi ni recherché en aucune façon quelconque pour aucune part qu’il ait pu politiquement ou militairement prendre aux évènements qui ont eu lieu depuis le commencement de la guerre terminèe par la paix conclue à Paris le 30 Mai 1814“ . 2. Die Gründe der Amnestie, welche immerhin die regelmäßigen Rechtsgrund- sätze in der Anwendung erheblich beschränkt, liegt nur in der Rücksicht auf die ex- ceptionelle Natur des Kriegs und in dem allgemeinen Friedens- bedürfniß . Dieselbe darf daher nicht darüber hinaus auch auf Zerstörung solcher Klagen wirken, welche mit dem Kriege nichts zu schaffen haben und deren Durch- führung den Frieden nicht gefährdet. Dahin gehören: a) privatrechtliche Klagen aus Rechtsgeschäften , z. B. Lieferungs- verträgen oder Gelddarlehen, Loskauf von Gefangenen, welche während des Kriegs abgeschlossen worden sind, b) privatrechtliche Klagen, welche aus einem ältern, vor dem Kriege abgeschlossenen Rechtsgeschäft sich ergeben, c) privatrechtliche Klagen, welche aus einem Rechtsgrunde abgeleitet sind, welche keinen Bezug auf die Kriegsführung hat und nicht zu den Handlungen feindlicher Parteileidenschaft gehört. Vgl. Wheaton Int. Law. § 544. Heffter § 180. 711. Die Amnestie begreift in der Regel auch die Missethaten — Ver- wundungen, Tödtungen, Mißhandlungen, Schädigungen des Eigenthums, Plünderung —, die von Kriegsleuten verübt worden, aber während des Kriegs nicht kriegsrechtlich zur Rechenschaft gezogen worden sind. Die Aussicht auf die künftige Amnestie ist freilich für die Rechtssicherheit sehr bedenklich. Die Privaten haben deßhalb gegen militärische Excesse fast keinen andern Rechtsschutz, als den die militärische Disciplin und die Kriegsgerichte gewähren. Die Strafe, welche die Kriegsgerichte verhängen, wird aber durch die Amnestie nicht beseitigt. Gewöhnlich schützt die Amnestie auch die andern Personen, außer den Kriegsleuten, welche sich einer Rechtsverletzung aus Parteileidenschaft schuldig gemacht haben. Das Kriegsrecht. 712. Soweit jedoch der Stat wegen im Krieg und selbst von Kriegsleuten verübter Verletzungen, die weder durch das Kriegsrecht noch durch den civilisirten Kriegsgebrauch gerechtfertigt oder entschuldigt werden, sondern als gemeine Verbrechen strafbar sind, die Rechtsverfolgung gegen seine Angehörigen gestattet, findet jene Amnestie keine Anwendung. In der Praxis wird die Amnestie oft in weiterem Umfange gewährt, als sich durch die Rücksicht auf ihre Gründe rechtfertigen läßt. Es besteht kein Rechts- grund , weßhalb gemeiner Diebstahl, eine Brandstiftung aus bloßer Privatrache oder Bosheit ungestraft bleiben sollten, wenn der Stat , dem die Verbrecher ange- hören, anerkennt, daß diese Verbrechen sich auch durch die Parteileidenschaften im Krieg gar nicht entschuldigen lassen und ihre Verfolgung und Bestrafung in keiner Weise den Frieden gefährde . Die übermäßige Ausdehnung der Amnestie erklärt sich theilweise aus der älteren, nun als irrthümlich erkannten Ansicht, daß der Krieg alles Recht der feindlichen Nation verneine, und eine Rückkehr in den sogenannten Urzustand der Rechtlosigkeit begründe. Seitdem das Völkerrecht aner- kennt, daß auch im Kriege das Recht fortdauere, sollte es wirksamer als bisher für Bestrafung gemeiner Verbrechen sorgen, damit die Privatpersonen bessern Schutz für ihre persönlichen und Vermögensrechte erhalten. 713. Die Amnestie bezieht sich nicht auf Rechtsverletzungen, die vor dem Kriege verübt worden sind und mit der Kriegsursache in keiner Beziehung stehen, ebenso wenig auf Rechtsverletzungen, welche während des Kriegs auf neutralem Gebiete von Angehörigen der kriegführenden Staten wider einander verübt worden sind. 1. In den erstern Fällen gereicht weder die feindliche Erregtheit den Thätern zu einiger Entschuldigung, noch kommt die Rücksicht auf den Frieden den- selben zu Statten. Wenn z. B. die Verfolgung eines Diebes oder Betrügers oder Mörders wegen des Krieges eingestellt werden mußte, so kann dieselbe nach dem Friedensschluß wieder erneuert werden. 2. In den zweiten Fällen kommt zwar den Thätern der mildernde Umstand zu Statten, daß sie vielleicht aus Parteieifer gehandelt haben; aber der neutrale Stat , welcher keine Gewaltthat auf seinem Gebiete duldet, wird dieselben dennoch mit Recht, trotz der Amnestie verfolgen, weil sie seine Friedensordnung mißachtet haben. 25* Achtes Buch. 714. Aller frühere Streit wird durch den Frieden geschlichtet und alle frühern Verletzungen und Beleidigungen werden der Vergessenheit über- liefert. Ein neuer Krieg darf nur durch neue Kriegsursachen begründet werden. Vgl. oben § 708. 715. Der öffentliche Besitzstand zur Zeit des Friedensschlusses wird, soweit nicht darin abweichende Bestimmungen getroffen sind, als Grundlage der erneuerten Friedensordnung betrachtet. Jeder Theil behält das Gebiet nunmehr zu Recht, das er besitzt. 1. Der Friedensvertrag kann auch eine andere Grundlage des neuen Friedens- standes festsetzen. Sehr oft greift man auf den Rechtszustand vor dem Ausbruch des Krieges zurück und stellt denselben wieder her. Es ist das der sogenannte Status quo ante bellum sc. res fuerunt. Wenn das aber nicht geschehen ist, so wird der gegenwärtige Besitzstand , d. h. der Status, quo bellum res reliquit als Grundlage angenommen. Man bezeichnet diesen Grundsatz auch in Erinnerung an das Interdict des römischen Prätors zum Schutz des Besitzes eines Grundstücks gegen gewaltsame oder sonst rechtswidrige Störung als Uti possidetis. Diese Bezeichnung ist freilich ungenau, theils weil es sich hier nicht um privatrechtlichen Grundbesitz, sondern um statsrechtliche Gebietshoheit handelt, theils weil das römische Interdict nur den Besitz schützt (als interdictum retinendae possessionis ), der völkerrechtliche Friedensschluß dagegen nicht bloß Besitzverhältnisse regulirt, sondern auf deren Grundlage die Rechtsverhältnisse von neuem ordnet oder befestigt. Erst durch den Frieden wird die Eroberung und die gewaltsame Einverleibung aus einem Besitzstand in einen Rechtsstand umgewandelt. Vgl. oben § 50 u. 545. 716. Die Kriegsgefangenschaft erlischt von Rechtswegen mit dem Friedens- schluß, indem dieselbe nur aus Kriegsrecht und nur als Kriegsmittel geübt wird. Vorbehalten bleiben die Maßregeln sowohl einer geordneten Ueber- gabe und Entlassung der vormaligen Gefangenen als der Sorge für Be- zahlung der Schulden, welche dieselben contrahirt haben. Das Kriegsrecht. Vgl. oben § 593 ff. Unter Umständen wäre es gefährlich, die Kriegsgefan- genen ohne weitere Disciplin und Aufsicht frei zu geben, es wird daher nöthig, sie unter militärischer Zucht der Heimat zuzuführen. 717. Von dem Zeitpunkte des Friedensschlusses an dürfen in fremdem Gebiete keine Kriegssteuern und Requisitionen mehr auferlegt, noch die rückständigen eingefordert werden. Es ist das eine nothwendige Rechtsfolge des Friedens, welcher die weitere Bethätigung des Kriegsrechts hemmt. Wäre noch eine Contribution oder Requisition erhoben worden, bevor das Commando den Friedensschluß gekannt hat, so sind die Gelder zurückzuerstatten und die bezogenen Naturalgegenstände zu vergüten. 718. Diejenigen Vertragsverhältnisse unter den Staten, deren Wirksamkeit während des Kriegs suspendirt war, treten wiederum von Rechtswegen in Wirksamkeit, insofern sie nicht entweder durch den Friedensschluß abgeändert werden oder Dinge betreffen, welche durch den Krieg aufgelöst oder um- gewandelt worden sind. 1. Vgl. oben § 538. Einzelne Publicisten nehmen an, die frühern Verträge werden überhaupt nur insofern wieder wirksam, als sie ausdrücklich neu be- kräftigt worden seien. Es ist das die entgegengesetzte Vermuthung. Diese Mei- nung ist enge mit dem Irrthum verwachsen, daß der Krieg alle älteren Rechtsver- hältnisse unter den Staten gänzlich auflöse. Der Friede ist aber nicht der Anfang eines ganz neuen Rechtszustands, sondern nur ein Knotenpunkt in der Geschichte, nicht eine ursprüngliche neue Rechtsschöpfung , sondern eine Entwicklungs- phase der Fortbildung des Rechts . Daher stellt der Friede die Ver- bindung wieder her mit dem vorübergehend durch den Krieg gestörten Rechts- zustand. 2. Wenn der Friedensvertrag sich über die Erneuerung der früheren Ver- träge ausspricht , oder Abänderungen derselben festsetzt , so ist natürlich diese Bestimmung entscheidend. Die Zweifel, was Rechtens sei, erheben sich nur, wenn der Friedensvertrag darüber Stillschweigen beobachtet. Darüber kann leicht Streit entstehen, weil der eine Stat das Stillschweigen anders auslegt als der andere. Ein bekannter Rechtsstreit der Art fand zwischen England und den Vereinigten Staten von Nordamerika Statt über die Fischerei an den englisch- amerikanischen Küstengewässern. Durch den Vertrag von 1783 hatte England den Fischern aus den Vereinigten Staten die „Freiheit“ zugestanden, gleich den englischen Achtes Buch. Fischern an den englischen Küsten in Amerika die Fischerei auszuüben, und auch die unbesetzten Buchten und Häfen zu benutzen. In dem Frieden von Gent von 1814 war dieser Vertrag mit Stillschweigen übergangen worden. Die englische Regie- rung behauptete nun, daß durch den Krieg jenes Zugeständniß, das die Natur eines Privilegiums habe, erloschen und im Frieden nicht wieder erneuert worden sei. Die Regierung der Vereinigten Staten dagegen behauptete, daß jener Vertrag nur einen ältern bestehenden Rechtszustand anerkannt und nicht singu- läres Recht geschaffen habe und daher auch nicht im Krieg untergegangen, vielmehr im Frieden zu ungehemmter Wirksamkeit gelangt sei. Schließlich wurde in dem Vertrag von 1818 der Streit dadurch ausgeglichen, daß innerhalb bestimmter geo- graphischer Grenzen die Fischerei an der englischen Küste in Amerika den Fischern aus den Vereinigten Staten gestattet wurde. Vgl. die ausführliche Darstellung bei Wheaton , Intern. Law. § 269 — 274. 3. Sollen die früheren Verträge definitiv außer Wirksamkeit bleiben, so müs- sen dafür besondere Gründe angeführt werden. Solche Gründe sind: a ) daß ihr Inhalt mit den Friedensbestimmungen nicht vereinbar sei. Z. B. Aeltere Grenzverträge gelten fort, insofern die Grenze durch den Frieden nicht verändert worden ist und sind erloschen, soweit die Grenze eine andere geworden ist; b ) daß der frühere Vertrag der Natur der Sache durch den Krieg nicht bloß in seiner Wirksamkeit gehemmt, sondern aufgelöst worden sei. Z. B. Ein Allianzvertrag zwischen den beiden Staten, welche sich bekriegt und durch den Krieg die Allianz gelöst haben. Es bedarf eines neuen Vertrags, wenn der alte Vertrag zerstört ist, und es genügt nicht die Beseitigung des Hindernisses seiner Wirksamkeit. Heffter § 181 fügt bei: „Vertragsverpflichtungen, deren Erfüllung erst noch in Zukunft geschehen sollte, wo also noch eine Willensänderung in Betreff der übernommenen Verpflichtung möglich war“. Ich sehe den Grund dafür nicht ein; denn der abgeschlossene Vertrag gilt fort, auch wenn der Wille eines Contrahenten sich ändern sollte. Wenn z. B. der Stat A mit dem Stat B einen Vertrag schloß über gemeinsame Herstellung einer Eisenbahn oder Brücke, und bevor der Bau voll- zogen ist, ein Krieg zwischen ihnen ausbricht, so wird die Ausführung wohl während des Kriegs gehemmt, aber es steht der Erfüllung im wieder gewonnenen Frieden Nichts mehr im Wege. Nur die Zeitfrist wird mit Rücksicht auf die in Abrech- nung fallende Zeit des Kriegs erstreckt werden müssen. 719. Wird in dem Friedensvertrage die Rückgabe des im Kriege ein- genommenen Gebietes versprochen, so wird als Meinung der Vertrags- parteien angenommen, daß das Rechtsverhältniß der Gebietshoheit wieder anerkannt sei, wie es vor der feindlichen Besitznahme gewesen war, und Das Kriegsrecht. daß das Land in dem thatsächlichen Zustande zurückgegeben werde, wie er zur Zeit des Friedensschlusses beschaffen ist. Die Besitznahme im Krieg hatte die ursprüngliche Gebietshoheit nicht zerstört, sondern nur unwirksam gemacht und in Frage gestellt. Der Friede stellt ihre Wirksamkeit wieder her. Natürlich nicht als eine neue, sondern als die alte Statsgewalt und daher mit Beachtung der verfassungsmäßigen Rechte und Zustände. Aber eine vollständige Wiederherstellung auch des thatsächlichen Zustands ist nicht möglich und nicht gerechtfertigt, denn die thatsächlichen Aenderungen des Kriegs müssen als eine Folge des Kriegs hingenommen werden. 720. Für allfällige Beschädigung während des Kriegs und während der feindlichen Besitznahme ist keine Entschädigung zu leisten, aber es darf nun auch keine weitere Beschädigung vorgenommen werden. Für die in- zwischen von der Kriegsgewalt erhobenen Einkünfte und Leistungen ist kein Ersatz zu leisten, aber es dürfen nun auch die öffentlichen Cassen nicht weiter von dem Zwischenbesitzer ausgebeutet werden, sondern sind zur Ver- fügung der berechtigten Statsgewalt zu stellen. Vgl. zu § 644 ff. 721. Auch für Verwendungen, welche der Besitzer inzwischen gemacht hat, ist kein Ersatz zu leisten, wenn solcher nicht in dem Friedensvertrage vor- behalten wird. Wohl aber kann derselbe wegnehmen, was er auf seine Kosten hin- zugefügt hat, z. B. neue befestigte Werke und den Zustand wieder her- stellen, wie er vor seiner Verwendung gewesen ist. Wenn der Besitzer Bauten gemacht hat — z. B. er hat einen Spital ge- baut oder neue Festungswerke angelegt, die bisherigen Werke reparirt u. s. f. — so darf er dafür keine Entschädigung fordern. Er hat inzwischen kraft der Kriegs- hoheit gehandelt und Ersatzklagen sind für die Kriegszeit im Frieden nicht zulässig, es wäre denn, daß im Friedensschluß Entschädigung versprochen worden wäre. 722. Wird einfach Rückgabe eines Gebietes verabredet, so sind auch die Achtes Buch. dazu gehörigen Archive, Documente, Acten u. s. f. zurückzugeben, auch wenn dieselben inzwischen von dem Sieger weggeführt worden sind. Das Archiv gehört zum Land, gleichsam als Zubehörde , wie die Haus- schriften zum Haus. Die natürliche Beziehung derselben, sowie der einzelnen Ur- kunden und Actenstücke zu den Rechtsverhältnissen des Landes und der Verwaltung der Statshoheit ist hier so enge und so stark, daß das Hoheitsrecht jene Gegenstände anzieht und das Recht auf diese aus jenem Rechte folgt. 723. Die Rückgabe anderer feindlicher Kriegsbeute, selbst der wissenschaft- lichen und künstlerischen Sammlungen und der Denkmäler, die vor dem Friedensschluß weggebracht worden sind, versteht sich nicht von selber, son- dern ist vertragsmäßig zu bestimmen. Vgl. oben § 650. 724. Der Vollzug der Friedensbestimmungen soll sofort, d. h. sobald es nach den Umständen möglich ist, und in guten Treuen geschehn. 1. Erst die Ratification macht den Vertrag perfect . Erst von diesem Tage an kann daher der Vollzug rechtlich gefordert werden. Gewöhnlich haben aber die Feindseligkeiten schon vorher aufgehört, während der Friedensverhandlung, die durch einen Waffenstillstand eingeleitet worden ist. 2. Oft enthält der Friedensvertrag auch genaue Termine für den Voll- zug der Friedensbestimmungen, z. B. für die Räumung eines besetzten Gebietes. 3. In allen Fällen aber gilt die Regel eines möglichst raschen Vollzugs, damit der Nothstand des Kriegs sobald als möglich dem normalen Zustand des Friedens weiche. 725. Wird der Friedensschluß, bevor er vollzogen ist, wieder gebrochen, sei es durch thatsächliche Erneuerung der Feindseligkeiten, sei es indem der Vollzug verweigert oder verhindert wird, oder dem Vertrag offenbar ent- gegengehandelt wird, so ist die andere Partei berechtigt, sofort den Krieg fortzusetzen und zu handeln, wie wenn kein Friedensvertrag abgeschlossen Das Kriegsrecht. worden wäre. Die unmögliche Erfüllung gilt nicht als Bruch des Friedensschlusses. 1. Das Völkerrecht unterscheidet zwischen dem Friedensbruch und der Verletzung der im Friedensvertrag anerkannten oder durch den- selben begründeten Rechte . Der Friedensbruch kann nur in der ersten Zeit nach dem Friedensschluß und bevor der Friede zu beiderseitiger Geltung gelangt ist, geschehen. In diesem Stadium des Uebergangs aus dem Kriegszustand in den Friedenszustand gefährdet der Friedensbruch die ganze Existenz des Friedens und berechtigt die verletzte Partei, den Frieden als unwirksam zu betrachten und dem- gemäß den Krieg fortzusetzen , bis es zu einem neuen und dann durch- geführten Friedensschluß kommt. Wird aber der Krieg, trotzdem daß einzelne Bestimmungen des Friedens nicht ausgeführt werden, nicht erneuert, kommt es trotz- dem zu thatsächlicher Erneuerung des Friedenszustandes, wie z. B. nach dem Züricher Frieden zwischen Oesterreich und Italien von 1859, so spricht man nicht mehr von Friedensbruch, wenn gleich die Beschwerden über den Nichtvollzug des Friedens- vertrags fortdauern und unter Umständen zu neuen ernsten Verwicklungen führen können. 2. Die Verletzung des Friedensvertrags dagegen, zum Unterschied des Friedensbruchs steht rechtlich jeder andern Vertragsverletzung gleich, und kann, wenn sie schwer genug ist und anders nicht geheilt wird, unter Umständen zu einem neuen Kriege führen. 3. Das Ultra posse nemo tenetur gilt auch von der Nichtaus- führung einzelner Friedensartikel. Wenn z. B. der Pragerfriede zwischen Oesterreich und Preußen vom 23. August 1866 dem „Verein der süddeutschen Staten“ eine „internationale unabhängige Existenz“ zuschrieb, so konnten doch diese Staten nicht gezwungen werden, einen Verein zu bilden . Soweit dieser Zwang völker- rechtlich unmöglich und daher die Bestimmung nicht ausführbar ist, kann daher auch nicht von Verletzung des Friedensvertrags die Rede sein. 726. Der Friedensvertrag bildet ein Ganzes. Der Bruch einer Friedens- bestimmung zieht den Bruch des Friedens nach sich, wenn nicht in dem Frieden anders bestimmt ist. Vgl. Wheaton Int. Law. § 550. Der Friedensschluß kann bestimmen, daß die übrigen Artikel fortgelten sollen, wenn auch einer derselben nicht zur Aus- führung komme. Achtes Buch. 10. Postliminium. 727. Ohne Friedensschluß können ein Land und eine Bevölkerung, ein- zelne Personen und Güter, welche während des Kriegs in feindliche Ge- walt gerathen waren, wieder von derselben befreit werden und es kann in Folge dessen das frühere Rechts- und Besitzesverhältniß wieder in un- gehemmte Wirksamkeit treten, wie wenn eine Störung nicht vorgekommen wäre. Diese Wiederbelebung des durch die Kriegsgewalt gestörten Zu- standes heißt Postliminium. 1. Der Ausdruck postliminium ist dem römischen Recht entnommen, hatte aber dort eine andere Grundlage und einen andern Sinn. Die Römer nahmen an, daß durch die feindliche Gefangenschaft der römische Bürger, so lange dieselbe dauere, seine Freiheits- und seine bürgerlichen Rechte verliere , daß er aber sofort sein vorheriges Recht wieder erlange , wenn es ihm gelinge, sich jener Gefangen- schaft zu entziehn. Sie fingirten dann, er sei niemals gefangen worden , sondern habe sein Recht fortwährend erhalten, und nannten diese Fiction post- liminium. § 5. J. Quib. mod. jus pot. solv. (I. 12): „Dictum autem post- liminium a limine et post, ut cum qui ab hostibus captus in fines nostros postea pervenit postliminio reversum recte dicimus; nam limina sicut in domibus finem quemdam faciunt, sic et imperii finem limen esse veteres voluerunt“. Dieses antike und privatrechtliche postliminium hat nun auf- gehört, weil die Kriegsgefangenschaft nicht mehr die persönlichen Rechte der Gefan- genen zerstört, sondern nur vorübergehend ihre Ausübung hindert. Es bedarf daher keiner Wiederherstellung des Rechts in diesen Fällen mehr. 2. Das moderne völkerrechtliche Postliminium der heutigen Zeit hat vorzugsweise einen öffentlich-rechtlichen Charakter und wenn es auch privat- rechtliche Wirkungen äußert, so setzt es nicht grundsätzlich eine vorherige Verneinung des wieder herzustellenden Rechts durch die Kriegsgewalt, sondern nur eine Behin- derung seiner Ausübung voraus. 728. Wird ein von dem Feinde besetzter Gebietstheil von demselben frei- willig wieder geräumt oder wird derselbe durch die befreundete Kriegsgewalt wieder daraus verdrängt, so hört das feindliche Kriegsrecht sofort auf und es wird das frühere Rechtsverhältniß erneuert. Die vormalige Statsgewalt tritt wieder in ihre Rechte und Pflichten ein. Das Kriegsrecht. Die Autorität der feindlichen Kriegsgewalt beruht nur auf dem thatsäch- lichen Besitz und dem Nothrecht des Kriegs (vgl. oben § 540 f.). Wenn daher jene den Besitz wieder verliert, so hört damit auch die Fortwirkung ihrer Kriegshoheit auf. Wurde inzwischen die Landesverfassung suspendirt, so tritt sie nun wieder in volle Kraft. Das Hemmniß, welches der ursprünglichen Statsgewalt ent- gegenstand, ist damit wieder entfernt. 729. Geschieht die Verdrängung des Feindes durch eine dritte Kriegsmacht, welche weder die rechtmäßige Statsgewalt des befreiten Landes noch ein Bundesgenosse desselben, wohl aber im Kriege mit dem Landesfeinde ist, so versteht sich die Wiederbelebung der frühern Regierung und Verfassung des Landes nicht von selber. Vielmehr ist die befreiende Macht, welche inzwischen die Kriegsgewalt handhabt, berechtigt, bei der neuen Regulirung der öffentlichen Zustände mitzuwirken. Der Befreier darf aber nicht ohne Rücksicht auf den Willen der Bevölkerung dauernd und willkürlich über das fremde Gebiet einseitig verfügen. Würde man lediglich die Analogie des Privatrechts anwenden, so müßte ein- fach das von einer dritten Macht befreite Gebiet an den Träger der legitimen Stats- gewalt überlassen werden, wie der Dritte, welcher einem Räuber meine geraubte Sache abjagt, dieselbe mir herauszugeben hat. Aber die Analogie paßt nicht, weil es sich hier um öffentliche (politische) Verhältnisse handelt. Die Statsgewalt, welche die Macht nicht mehr besitzt, ihr Gebiet zu schützen oder zu befreien, hat auch kein sicheres Recht mehr über das Gebiet; denn ein Volk und Land regieren kann man nur mit Macht und Autorität, nicht ohne dieselben. Ferner die fremde Statsgewalt , welche durch ihre Anstrengungen und Opfer die Befreiung voll- zogen und zugleich ihre Macht bewährt hat, den Feind aus dem Lande zu verdrängen, hat ein natürliches Anrecht darauf, daß die neuen öffentlichen Verhältnisse in dem befreiten Lande mit Berücksichtigung auch ihrer politischen Interessen neu geordnet werden. Auch wenn sie das Land nicht für sich erobern wollte, so wäre es doch völlig unnatürlich, ihr anzusinnen, daß sie lediglich für fremde In- teressen ihre Volkskräfte verwende. Es bedarf also hier einer billigen Ausglei- chung der verschiedenen Rechte und Interessen, sowohl des Befreiers als des be- freiten Landes. Ein Beispiel der Art bieten die Verhandlungen Preußens mit dem Herzog Friedrich von Augustenburg über die Herzogthümer Schleswig und Holstein (1865 und 1866) nach der Befreiung derselben von der Dänischen Herrschaft. Vgl. Heffter § 188. 730. Hat ein Volk, ohne Zuthun der vom Feinde vertriebenen Regierung Achtes Buch. und ihrer Bundesgenossen sich durch eigene Kraft von der feindlichen Herr- schaft befreit, so kann die frühere Regierung nur mit seiner Zustimmung nicht gegen seinen Willen in den Besitz eintreten. Durch diese Selbstbefreiung bewährt sich die statliche Kraft des Volks im Gegensatze zu der Ohnmacht der Träger der Statsgewalt. Da das öffentliche Recht wesentlich der Ausdruck der lebendig-politischen Kräfte im Volk ist und sein soll, so ist das Volk durchaus berechtigt, die Statsverfassung nach der Befreiung neu zu ordnen , entsprechend den offenbar gewordenen Verhältnissen, und sich nicht lediglich durch die Hinweisung auf eine zweifelhaft, weil eine Zeit lang unwirk- sam, gewordene Legitimität des ältern Rechts daran verhindern zu lassen. Freilich üben die aufgeregten Völker in ihrem Eifer für die Herstellung der angestammten Dynastie in diesem kritischen Moment zuweilen nicht die nöthige Vorsicht aus für ihre Zukunft. Die Spanische, Italienische und die Deutsche Geschichte der Befreiung von der Napoleonischen Oberherrschaft 1813 bis 1815 liefern manche Belege für die Wahrheit dieser Bemerkung. 731. Hat der Feind in der Zwischenzeit nicht bloß Kriegsrecht geübt, sondern sich eine wirkliche Landesherrschaft angemaßt, und inzwischen be- hauptet, aber ohne daß dieselbe durch einen Friedensschluß bestätigt und zu anerkanntem Rechtszustand geworden ist, so wird zwar nach der Ver- drängung des feindlichen Usurpators der vorherige Rechtszustand erneuert, aber es können nicht alle einzelnen Regierungsacte des Zwischenherrschers als ungeschehen betrachtet werden. Vielmehr bleiben dieselben, soweit sie bloße Verwaltungs- und Ge- richtsacte sind oder eine privatrechtliche Bedeutung haben, in der Regel in Kraft. Soweit sie dagegen den Verfassungszustand des Landes ändern oder einen wesentlich politischen Charakter haben, können sie von der er- neuerten Statsgewalt für unwirksam erklärt werden. 1. Der Unterschied zwischen politischer Regierung und Verwaltung im engern Sinn ( Administration ) muß hier beachtet werden. Auch die poli- tische Regierung wird inzwischen von der Kriegsgewalt und der Statsgewalt geübt, welche im Kriege das Land eingenommen hat. Aber die restaurirte recht- mäßige Landesregierung , welche andere — oft geradezu feindliche — politische Principien und Richtungen vertritt, ist in keiner Weise an die politischen Anord- nungen ihres Gegners gebunden. Die Politik ändert sich mit der Aenderung des entscheidenden Centrums. 2. Dagegen die Verwaltungsacte — ohne politische Bedeutung — Das Kriegsrecht. wirken in der Regel fort, und zwar sowohl die Acte der Verwaltung im engern Sinne — die Finanzverwaltung , die Volkswirthschaftspflege und die Culturpflege inbegriffen — als die Acte der Rechtspflege — Urtheile im Civil- und im Strafproceß —. Da die Zwischenregierung durch das Kriegsrecht dazu ermächtigt war, die Verwaltung zu ordnen und zu leiten, da ferner die Fortführung der Detailgeschäfte nothwendig ist im allgemeinen öffentlichen Inter- esse und da endlich hier keine politische Bedenken im Wege stehen, so ist die Anerkennung des Geschehenen eine natürliche Folge der Fortdauer des Rechts und der nicht unterbrochenen statlichen Functionen. Die Cassation aller in der Zwischenzeit erlassenen Urtheile der vielleicht in ihrem Personal veränderten Gerichtsbehörden oder aller Verfügungen der neu besetzten Policei- oder Finanzämter wäre eine Verkennung des natürlichen Zusammenhangs und der Bedürfnisse des Lebens und müßte eine Reihe von Verwirrungen und vielfältigen Schaden stiften. 732. Die restaurirte Regierung ist nicht verpflichtet, die Veräußerung von Statsdomänen oder Renten, welche die feindliche Zwischenregierung vor- genommen hat, oder Statsschulden, welche dieselbe für das besetzte Land contrahirt hat, als rechtsverbindlich anzuerkennen, sondern berechtigt, jene Statsgüter wieder an sich zu ziehen und die Bezahlung dieser Schulden zu verweigern. Durch die Besitznahme im Kriege geht nicht die Statshoheit selber auf den Sieger über, sondern nur die Ausübung derselben wird, soweit es die militärischen Rücksichten erfordern, von ihm in die Hand genommen. Die bloß provisorische Zwischenregierung ist daher auch nicht zu dauernder Vertretung des Landes berechtigt. Demgemäß wird sie nicht befugt sein, die Domänen zu ver- äußern, noch Landesschulden einzugehn. Die wiederhergestellte Regierung wird jene Güter daher wieder vindiciren und die Anerkennung und Bezahlung dieser Schulden, soweit dieselben nicht für das Land und seine Wohlfahrt verwendet worden sind, verweigern können. Obwohl diese Acte der Zwischenregierung zur Finanzwirth- schaft gehören, so haben sie doch meistens einen eminent politischen Charakter und soweit dieß der Fall ist, braucht sich die mit Gewalt aus dem Besitze verdrängte und dann wieder hergestellte Regierung jene Acte nicht gefallen zu lassen. 733. Wird aber die Eroberung durch die Anerkennung im Frieden voll- zogen, so wird dadurch die Veräußerung der Domänen und die Ueber- nahme von Landesschulden bekräftigt, und wenn später durch neuen Krieg die frühere Regierung restaurirt wird, so ist sie nicht mehr berechtigt, die Achtes Buch. in der Zwischenzeit vollzogenen Rechtsgeschäfte hinterdrein als ungültig zu erklären und demgemäß zu behandeln. Nur in den Fällen des § 732 kann von Postliminium gesprochen werden, nicht in denen des § 733. Denn nur in jenen wird der ursprüngliche Rechts- zustand von den Hemmnissen und Zweifeln der kriegerischen Zwischenzeit wieder befreit, in diesen ist ein neuer Rechtszustand erwachsen, der später nicht mehr als nicht vorhanden fingirt werden darf. Wenn einmal der Friede die Eroberung be- stätigt, so ist der Eroberer berechtigt, die Statshoheit zu üben und auch dritten Personen gegenüber für das Land zu handeln . Der Unterschied der beiden Fälle tritt in dem bekannten Kurhessischen Rechtsstreit deutlich hervor. Der Kurfürst von Hessen bestritt nach seiner Restauration (2. Dec. 1813) die Gültigkeit der Veräußerung von Domänengütern, welche die Westphälische Regierung nach sei- ner Verdrängung aus dem Besitz (1806) vollzogen hatte und setzte sich mit Gewalt wieder in den Besitz der veräußerten Güter. Innerhalb des Kurhessischen Landes freilich konnten die Privatkäufer nicht zu ihrem Rechte gelangen. Dagegen erkannte die Preußische Regierung die Rechtsgültigkeit der geschehenen Veräußerungen in ihrem Gebiete an, weil das Königreich Westphalen im Frieden von Tilsit (9. Juli 1807) anerkannt und daher die Veräußerung von einer wirklichen Statsregierung rechtskräftig gemacht worden sei. Vgl. Phillimore III. § 573. In ähnlichem Sinne wurde ein zweiter Proceß von dem Spruchcollegium der Juristenfacultät in Kiel (24. März 1831) entschieden. Auch dieses Urtheil führte aus, daß der restau- rirte Kurfürst nicht seine vor dem Krieg besessene Landeshoheit fortsetze , als wäre nicht in der Zwischenzeit eine andere im Frieden anerkannte Regierung in Cassel gewesen. Ebenda III. § 572. 734. Der restaurirte Fürst ist nicht verpflichtet, Veräußerungen oder andere Verfügungen anzuerkennen, welche der feindliche Zwischenherrscher bezüglich der Privatgüter des erstern vorgenommen hat. Wenn aber diese Rechts- geschäfte in Folge des Friedens consolidirt worden sind, so kann der restau- rirte Fürst dieselben nachher nicht wieder anfechten. Das fürstliche Privatgut ist in höherm Grade als das Privatgut an- derer Personen im Kriege der Kriegsgewalt ausgesetzt, weil der Fürst als solcher eine feindliche Person in besonderem Sinne ist (§ 569), und eine erhöhte Gefahr besteht, daß jene Güter zur Förderung der Kriegszwecke benutzt werden. Der Fürst ist daher in Gefahr, daß nicht bloß die Domänen weggenommen, sondern auch seine Privatgüter von dem Feinde mit Beschlag belegt werden. Gelangt er aber während des Kriegs wieder in den Besitz seines Gebiets, so kann er auch eine allfällige Ver- äußerung durch den Feind als ungültig betrachten, weil der Feind zu keiner defini- Das Kriegsrecht. tiven Verfügung berechtigt war. Der Friede aber legitimirt auch die im Kriege geschehenen unrechtmäßigen Handlungen der Kriegsgewalt, wenn er nicht darüber ausdrücklich anders bestimmt. Vgl. oben § 710. 735. Die restaurirte Regierung ist nicht berechtigt, für die Zwischenzeit Verfügungen zu treffen mit rückwirkender Kraft, sondern genöthigt, die Folgen einer thatsächlichen Zwischenregierung, welche sie nicht zu verhindern vermochte, auch ihrerseits zu tragen. Vgl. oben zu § 733. Das Verfahren des 1813 restaurirten Kurfürsten Wilhelm I. von Hessen und des 1814 restaurirten Königs Victor I. Emanuel von Sardinien-Piemont , welche die ganze lange Zwischenzeit, in welcher sie ihrer Stammlande entsetzt waren, als nicht vorhanden fingirten , und alle Zustände (auch die Beamtenstellungen) wieder auf den Zeitpunkt zurückschraubten, in dem sie die Herrschaft verloren hatten, macht den Eindruck einer karikirten Legiti- mität, die an Wahnsinn gränzt. Die großen Ereignisse der Geschichte, welche die Welt verändern, können nicht durch unnatürliche Fictionen als nicht geschehen be- trachtet werden. 736. Das Postliminium tritt in öffentlichen Rechtsverhältnissen nur während des Kriegs in Wirksamkeit und wird durch den Friedensschluß ausgeschlossen. Der Friedensschluß verwandelt die thatsächlichen Veränderungen, die während des Kriegs entstanden sind und im Frieden bestätigt werden, in einen anerkannten Rechtszustand , der daher nur durch neue Rechtsbildung , nicht durch bloße Wiederherstellung wieder geändert wird. Vgl. oben § 715. 737. Kriegsgefangene können thatsächlich ihre Freiheit wieder gewinnen, wenn sie von der Kriegsgewalt befreit werden oder sich selber befreien. Diese Anwendung des Postliminium findet auch nach dem Friedensschluß Statt, wenn die Gefangenschaft thatsächlich über denselben hinaus fort- dauerte. Gefangene, welche ihre Freiheit durch Bruch ihres Ehrenworts wieder gewonnen haben, können aber dem Feinde wieder ausgeliefert werden. Achtes Buch. Vgl. oben § 609. Der Bruch des Ehrenworts ist freilich zunächst eine Ver- letzung des Stats, dem das Ehrenwort gegeben worden ist, aber so anstößig, daß auch der Stat, dem der Gefangene angehört, berechtigt ist, einen so Befreiten zurück- zuweisen und dem Feind wieder zu überliefern. 738. Das Postliminium der Privatpersonen hat die Bedeutung, daß ihre persönlichen Rechte, an deren Ausübung sie durch die Kriegsgefangenschaft gehindert waren, nun wieder von ihnen ausgeübt werden können. Die Vormundschaft, die inzwischen für sie bestellt worden ist, hört auf und sie treten in den persönlichen durch keine Feindesgewalt gehinderten Genuß ihres Vermögens wieder ein. Ihr Recht war aber auch während der Ge- fangenschaft nicht aufgehoben. Nach modernem Recht dauert die Ehe des Kriegsgefangenen fort und kann er auch über sein Vermögen gültig unter Lebenden oder durch letzten Willen verfügen. Da die heutige Kriegsgefangenschaft die Vermögensrechte der Kriegsgefangenen keineswegs aufhebt, sondern nur sie in der Verwaltung ihres Vermögens thatsächlich hemmt, so bedeutet das moderne Postliminium nicht wie das antike Wieder- herstellung des Rechts , sondern nur Beseitigung jener Hemmnisse. Rechtlich ist der Kriegsgefangene nicht gehindert, über sein Vermögen zu verfügen. Er kann z. B. einen Verwalter bestellen und ermächtigen, der in seiner Abwesenheit die Wirthschaft besorge, einzelne Sachen veräußern, Verträge abschließen, ein Testament machen u. s. f. Nur thatsächlich werden manche Anordnungen wegen der Ver- hinderung der Communication nicht ausführbar sein. In allen diesen Beziehungen beruhte das römische Postliminium auf einer ganz entgegengesetzten Rechtsgrundlage. Der Kriegsgefangene hatte als solcher alle Rechte auch über sein Vermögen verloren und nur das Postliminium stellte dieselben durch die Fiction wieder her, daß er inzwischen nicht gefangen gewesen sei. 739. Das Postliminium wirkt ferner zu Gunsten des wieder wirksam gewordenen Grundeigenthums, wenn dasselbe während des Kriegs dem Eigenthümer durch die feindliche Kriegsgewalt entzogen und wieder unter die Autorität des befreundeten States zurückgelangt ist. Wenn die feindliche Kriegsgewalt z. B. einzelne Privaten aus dem Besitz ihrer Häuser und Güter verdrängt, und dieselben für militärische Zwecke in ihren Besitz genommen hat, aber vor dem Krieg wieder aus dieser Gegend zurückgeworfen wird, so können die Privaten sich unbedenklich wieder in den Besitz ihres Eigenthums setzen. Wären gar jene Güter inzwischen von der feindlichen Kriegsgewalt veräußert Das Kriegsrecht. worden, so ist die — nicht im Frieden ausdrücklich oder stillschweigend bestätigte — Veräußerung ungültig und die Eigenthümer können vindiciren. 740. Auch die beweglichen Sachen, welche von dem Feinde weggenommen worden sind, können bis zum Friedensschluß von dem verletzten Eigen- thümer zurückgenommen werden, wenn die feindliche Gewalt wieder ver- drängt ist. Vorbehalten bleiben die privatrechtlichen Beschränkungen, welche der dinglichen Verfolgung beweglicher Sachen im Wege stehen und die Bestimmungen zu Gunsten des redlichen Verkehrs, welche den Erwerber schützen. Wenn z. B. der Feind Vieh wegnimmt und wegtreibt, und im Verfolg der Märsche oder des Kampfs den Besitz desselben wieder verliert, so hindert Nichts den Eigenthümer, sich seiner Hausthiere wieder zu bemächtigen, wenn er derselben wieder habhaft werden kann, auch dann nicht, wenn jene Wegnahme durch das Kriegsrecht legitimirt war. Noch weniger Bedenken hat es natürlich, daß der Eigenthümer die unrechtmäßiger Weise ihm entzogenen Sachen, wenn er dazu Gelegenheit findet, wieder in seinen Besitz nehme. 741. Die Wiedernahme der als Prise von dem Feinde weggenommenen Schiffe ist vor der Verurtheilung oder Zusprechung des Prisengerichts jederzeit gestattet. Vgl. darüber unten Buch IX. Cap. 6. Bluntschli , Das Völkerrecht. 26 Neuntes Buch. Recht der Neutralität. 1. Begriff und Arten der Neutralität. 742. Neutralität heißt Nichtbetheiligung an dem Kriege Dritter und daher Behauptung der Friedensordnung für den eigenen Bereich. Neutral heißen die Staten, welche weder Kriegspartei sind noch zu Gunsten oder zum Nachtheil einer Kriegspartei an der Kriegsführung Theil nehmen. Das Wort und der Begriff der Neutralität gehören vorzüglich der neuern Rechtsbildung an. Hugo Grotius nennt noch die Neutralen medii; Byn- kershoek „nonhostes , qu ineutrarum partium sunt“. Die Ausbildung des Rechts der Neutralität ist eine der fruchtbarsten und nützlichsten Errungenschaften des neueren Völkerrechts; denn die neutralen Staten beschränken die Uebel des Kriegs und schützen während des Kriegs, so weit es möglich ist, das Recht und die Interessen des Friedens . In der Neutralität liegt die Ablehnung und Vermeidung jeder Theilnahme am Krieg. Klüber : „Ein neutraler Stat ist weder Richter noch Partei“. Der neutrale Stat bleibt also im Frieden, während die Kriegsparteien einander bekämpfen. 743. Die neutralen Staten verzichten nicht auf ihr Kriegsrecht. Aber sie enthalten sich, so lange sie neutral bleiben, der Betheiligung am Kriege. 26* Neuntes Buch. Das gilt auch von den Staten, welchen eine sogenannte ewige Neutra- lität zugesichert ist. Verzicht auf das Recht des Kriegs wäre Selbstentmannung, wäre Verzicht des States darauf, seine Rechte mit den Waffen zu schützen und zu vertreten, d. h. im Grunde Verzicht auf die selbständige Existenz. 744. Die thatsächliche Neutralität ist die Grundbedingung des Rechts der Neutralität. Ein Stat, welcher sich am Kriege betheiligt, ist nicht neutral, sondern er wird selber Kriegspartei oder Bundesgenosse einer Kriegspartei oder Intervenient im Krieg. Wenn er sich nicht neutral verhält , so kann er auch nicht die Rechte eines Neutralen ansprechen. Der Krieg selber hat zunächst eine that- sächliche Bedeutung. Wer Krieg führt, ist, weil er das thut, Kriegspartei und wird von dem Gegner mit Recht als Feind betrachtet und behandelt. 745. Es gibt eine nothwendige durch völkerrechtliche Acte und Verträge garantirte sogenannte ewige Neutralität einzelner Staten und eine frei- willige auf friedlichem Entschluß beruhende Neutralität der Staten. Die Neutralität kann in dem Charakter eines States und in allgemeinen Verhältnissen eine fortwirkende Begründung haben und dann als ewige Neutra- lität erscheinen. Von der Art sind in Europa: a ) die Neutralität der Schweiz . Seit den unglücklichen italienischen Kriegen zu Anfang des sechzehnten Jahrhunderts hat die schweizerische Eidgenossen- schaft sich der Politik einer bleibenden Neutralität zugewendet, welche nur vorüber- gehend in den Revolutionskriegen 1798—1803 und dann wieder zur Zeit der Re- stauration 1814 verletzt worden ist. Die Wiener Congreßacte Art. 84. 92. und eine besondere Beurkundung der Mächte vom 20. Nov. 1815 erkennen es an, daß die fortwährende Neutralität der Schweiz in den politischen Interessen von ganz Europa begründet sei. Wenn man erwägt, daß die Schweiz mitten zwi- schen großen nationalen Staten gelegen und selber aus Bruchtheilen der deutschen, französischen und italienischen Nationalität zusammengefügt ist, daß sie allein eine republikanische Verfassung mitten unter den großen Monarchien behauptet, daß sie im Besitz der Gebirgspässe und Uebergänge ist aus einem großen Ländergebiet in das andere, daß in ihr die großen Ströme und Thalöffnungen des Rheins, der Donau (Inn), der Rhone und des Po (Tessin) ihren Ursprung nehmen, so begreift man sowohl das schweizerische als das europäische Interesse, daß dieses Centralland Europa’s ein Friedensland und daher neutral bleibe . Vgl. Wheaton Int. L. § 416—420. b ) Die immerwährende Neutralität des Königreichs Belgien , gemäß dem Londoner Vertrag vom 15. Nov. 1831, wodurch ein Land, das während Jahr- Recht der Neutralität. hunderten vorzugsweise zum Kriegsschauplatz zwischen Frankreich und Deutschland dienen mußte, vor diesen Gefahren gesichert und das europäische Kriegsfeld eingeengt werden soll. Wheaton Int. L. § 421. c ) Die Neutralität des Fürstenthums Serbien zufolge des Pariser Vertrags vom 30. März 1866. d ) Die Neutralität des Großherzogthums Luxemburg nach dem Londoner Vertrag von 1867. 746. Es gibt eine vollständige und eine theilweise oder beschränkte Neu- tralität, indem ein Stat einer Kriegspartei vertragsmäßig zu einer be- schränkten Hülfe verpflichtet sein und diese Pflicht erfüllen kann, ohne sich im übrigen an dem Kriege zu betheiligen. Ein Beispiel ist das Recht der Schweiz, einige Savoyische Gebietstheile in einem französisch-italienischen Kriege zu besetzen und dadurch zu schützen, ein Recht, welches freilich einen ganz andern Sinn hatte, so lange Savoyen zu Piemont ge- hörte, als seitdem es eine französische Provinz geworden ist. 747. Es kann sogar zum Behuf der engeren Eingrenzung des Kriegs- feldes ein Theil des Statsgebiets der Kriegspartei selbst neutralisirt d. h. für neutral erklärt und dadurch von der Gefahr des Kriegs befreit werden. Die Localisirung des Kriegs beschränkt die Leiden des Kriegs und ist daher sehr zu empfehlen. Es kann das freilich nur thatsächlich geschehen, wie z. B. in dem Deutsch-Dänischen Kriege von 1863/64 der Krieg auf das Herzogthum Schleswig und Jütland beschränkt war. Dann ist das noch nicht wirkliche Neutra- lisirung der übrigen Gebiete der Kriegsparteien und hängt es von dem Ermessen der Heerführer ab, den Kriegsschauplatz auch dorthin zu verlegen. Es kann das aber durch Uebereinkunft auch rechtlich festgestellt werden, z. B. daß der Krieg nur in den überseeischen Colonien, nicht in Europa geführt werde, oder umgekehrt. Während des Kriegs von Oesterreich wider Frankreich und Italien wurde so der theil- weise von den Franzosen und theilweise von den Oesterreichern besetzte Kirchenstat neutralisirt (1859). Die von den Parteien verabredete Eingrenzung des Kriegs- feldes schließt also eine beschränkte Neutralisirung der übrigen Statsgebiete in sich. 748. Die Neutralität heißt eine bewaffnete, wenn der neutrale Stat in der Absicht zu den Waffen greift, seine Neutralität und damit seine Friedens- rechte gegen jede Verletzung einer der Kriegsparteien zu schützen. Neuntes Buch. Die bloße Rüstung und selbst die Truppenaufstellung des neutralen Stats bedeutet noch nicht Theilnahme am Krieg, sondern nur Schutz des Friedens- zustands gegen Uebergriffe einer der Kriegsparteien. Eine Neutralität, die nicht im Nothfall mit den Waffen vertheidigt wird, ist ein höchst unsicheres Gut, und wird leicht von der einmal losgebundenen Kriegsgewalt mißachtet, wenn sie das in ihrem Interesse findet. 2. Bedingungen der Neutralität und Pflichten der Neutralen. 749. Es hängt in der Regel von dem freien Willen eines jeden States ab, ob er in dem Kriege anderer Staten neutral bleiben oder sich an dem Kriege betheiligen wolle. 1. Wenn ein Krieg ausbricht, so können die zunächst unbetheiligten Staten entweder einer der Kriegsparteien, deren Sache sie unterstützen wollen, beistehn und so ebenfalls in den Krieg eintreten, oder sie können sich solcher Theilnahme enthalten. Im letztern Falle sind sie neutral. Die Neutralität bedarf nicht eines besondern Acts, sondern versteht sich als Regel von selber , wenn nicht die Handlungen eines Stats auf kriegerische Betheiligung hinweisen. 2. Für die Staten mit fortwährender Neutralität gilt die obige Vermuthung in erhöhter Stärke. Wenn diese Staten sich, ohne zuvor selber verletzt zu sein , bei einem Kriege anderer Staten betheiligen wollten, so wäre das Verzicht nicht wie bei den andern Staten nur auf die gegenwärtige Neutralität, sondern zugleich auf die Vortheile der ewigen Neutralität . Die übrigen Staten würden sich nicht mehr durch die früheren allgemeinen Anord- nungen bestimmen lassen, einen Stat, der wie die andern je nach seinem freien Er- messen bald Theil am Kriege nimmt, bald sich zurückhält, als einen vorzugsweise und dauernd neutralen Stat zu betrachten und zu behandeln. Ein solcher Stat würde dann eine abwechselnde, bald kriegerische bald friedliche Politik treiben, nicht mehr eine dauernd und specifisch neutrale. Vgl. unten § 752. 750. Die Bundesgenossenschaft mit einer Kriegspartei verpflichtet nicht immer zur Theilnahme am Krieg. Die Bundesgenossenschaft kann begrenzt und die Behauptung der Neutralität mit derselben vereinbar sein. Recht der Neutralität. Die deutschen Staten, odwohl für Sicherung des deutschen Bundesgebiets die Bundesgenossen Oesterreichs, verhielten sich dennoch in dem Kriege Oesterreichs gegen Frankreich und Italien 1859 neutral und blieben sogar in dem von Preußen und Oesterreich gegen Dänemark 1863/64 geführten Kriege in neutraler Haltung. 751. Sogar wenn ein Bundesgenosse zur Unterstützung einer Kriegspartei verpflichtet ist, aber sich trotzdem jeder Theilnahme an dem Kriege enthält und diesen Willen der Gegenpartei ankündigt, so hat er einen Rechts- anspruch darauf, von derselben als neutraler Stat geachtet zu werden. Die bloße vertragsmäßige Allianz mit einem kriegführenden State macht den Alliirten noch nicht nothwendig zum Feinde der andern Kriegspartei. Wenn der Bundesgenosse seiner Allianz keine Folge gibt und seine neutrale Gesinnung und Haltung offenbar macht, so darf der Feind seines Alliirten ihn nicht als Kriegspartei betrachten. Er beobachtet demselben gegenüber das Recht des Friedens und hat daher auch ein Recht auf Frieden. Die Frage, ob er dadurch seine Bundespflichten gegen den Alliirten verletze , ist nur zwischen ihm und diesem Alliirten zu lösen, sie geht dessen Gegner Nichts an. 752. Auch wenn ein Stat durch Verträge oder allgemeine völkerrechtliche Anordnungen zu ewiger Neutralität wie berechtigt so verpflichtet ist, hört er dennoch auf, neutral zu sein, wenn er thatsächlich als Kriegspartei oder für oder gegen eine Kriegspartei sich am Kriege betheiligt. Vgl. zu § 744 und 749. Wenn der fortwährend neutrale Stat zur Ver- theidigung seines Rechts und daher auch seiner Neutralität Krieg führen muß, so verzichtet er damit nur vorübergehend , nicht dauernd auf seine immerwährende Neutralität. Wenn er dagegen ohne solche eigene Kriegsursache sich an dem Kriege dritter Staten betheiligt, so ist das ein Aufgeben seiner immerwährenden Neutralität . 753. Neutralität bedeutet nicht Gleichgültigkeit und Unparteilichkeit gegen- über den Kriegsparteien und dem Fortgang des Krieges. Ein Stat kann ein lebhaftes Mitgefühl mit der einen Kriegspartei haben und seinem Unwillen wider die andere Kriegspartei einen offenen Ausdruck Neuntes Buch. geben und trotzdem neutral bleiben . Bloße Meinungen und Meinungs- äußerungen über Recht und Unrecht und über die Gegensätze der Politik sind keine kriegerischen Acte und keine Theilnahme am Krieg. Sie heben das Friedensver- hältniß der Staten nicht auf, so wenig als derartige Urtheile und Aeußerungen von Privatpersonen über Andere schon einen Proceß bedeuten. Wenn aus der Art und Form der Meinungsäußerung eine Beleidigung erkennbar wird, so kann das zum Streite und selbst zum Kriege führen . Aber erst muß diese Folge eintreten. Bis dahin bleibt der Friedenszustand und mit ihm die Neutralität. 754. Wenn ein Stat nur vorübergehend durch die Person des gemein- samen Herrschers mit einem andern State verbunden ist, so ist es möglich, daß der eine Stat zur Kriegspartei wird und der andere Stat neutral bleibt. Da jeder von diesen Staten eine Person für sich ist (§ 74), so kann auch der eine Stat im Kriege sein, der andere im Frieden leben. Es war nicht noth- wendig, daß das Kurfürstenthum Hannover in die englischen Kriege verwickelt werde, als die Kurfürsten von Hannover zugleich Könige von England waren, so wenig als früher die Niederlande genöthigt waren, sich an den englischen Kriegen zu bethei- ligen, als ihr Erbstatthalter König von England geworden war. Jeder selbständige Stat entscheidet sich selbständig, ob er den Frieden behalten oder in den Krieg ein- treten wolle. 755. Es kann auch der Fürst eines States persönlich als Officier im Dienste eines andern kriegführenden States an dem Kriege Theil nehmen und trotzdem die Neutralität des States gewahrt bleiben, dessen Fürst er ist. Indem er als Officier eines fremden feindlichen States an dem Kriege Theil nimmt, gehört er, wie jeder andere Officier zu dem feindlichen Heere, und erscheint er nicht als Statshaupt , noch handelt er für seinen Stat. Persönlich ist er nun der Kriegsgefangenschaft, aber nicht sein Stat dem Kriege ausgesetzt. 756. Da die thatsächliche Nichtbetheiligung am Kriege die natürliche Voraussetzung der Neutralität ist, so ist der neutrale Stat, wenn er die Recht der Neutralität. Rechte der Neutralität behaupten will, verpflichtet, sich jeder thatsächlichen Unterstützung einer Kriegspartei zu Kriegszwecken zu enthalten. 1. Die Pflichten der Neutralen sind nicht Dienstbarkeiten , welche ihnen von andern Staten — insbesondere den kriegführenden Staten — auferlegt werden; dafür gäbe es keinen Rechtsgrund; diese Pflichten sind nur naturgemäße Be- dingungen der Neutralität. Man kann nicht neutral d. h. im Frieden bleiben, wenn man am Kriege Theil nimmt . Das Recht der Neutralität ist durch die neutrale Haltung bedingt. Ueber diesen Grundgedanken kann kein Zweifel sein. Nur die Anwendung und Ausdehnung desselben kann in Frage kommen. 2. Die berühmte Proclamation der Amerikanischen Neutralität durch den Präsidenten Washington vom 22. April 1793 in dem französisch-englischen Krieg erklärt es als die Pflicht und das Interesse der Vereinigten Staten, sich „freundlich und unparteiisch zu den beiden kriegführenden Mächten zu verhalten“ und ermahnt alle Bürger, „sich aller feindlichen Handlungen wider eine der beiden gänzlich zu enthalten“. Die Art, wie er beiden Mächten gegenüber diese Neutralität trotz großer Schwierigkeiten handhabte, trug vieles dazu bei, das Recht der Neutralität zu befe- stigen und auszubilden. Vgl. Wheaton Int. L. § 439 Anm. v. Dana und die Schrift von Bemis : American Neutrality. Boston 1866. 757. Insbesondere darf der neutrale Stat nicht einer Kriegspartei Truppen liefern, noch Kriegsschiffe zur Verfügung stellen, noch Subsidien für die Kriegsführung bezahlen. Die bewaffnete unmittelbare Beihülfe zur Kriegsführung ist Theil- nahme an der Kriegsführung, aber auch die mittelbare Unterstützung der Kriegs- führung durch Zahlung von Kriegssubsidien ist Betheiligung am Krieg und mit der neutralen Haltung nicht verträglich. 758. Wenn einzelne Angehörige des neutralen States ohne Statsauftrag und ohne Statsermächtigung von sich aus als Reisläufer und Parteigänger einer Kriegspartei zulaufen und an der Kriegsführung Theil nehmen, so ist das nicht eine Verletzung der Neutralität, welche dem State zur Last fällt, aber diese Personen haben nun auch nicht die Rechte von friedlichen Personen anzusprechen, sondern sind als Feinde zu betrachten. Neuntes Buch. Die einzelnen Privaten repräsentiren nicht den Stat; daher kann auch ihre persönliche Theilnahme an einem fremden Kriege nicht als Betheiligung des States angesehen werden, dem sie angehören. Der neutrale Stat darf nur nicht dulden, daß auf seinem Gebiete sich Freiwillige sammeln und als militärische Truppe organisiren, um von da aus dann einer der Kriegsparteien zuzuziehn. Das wäre nicht mehr That von Einzelnen , sondern bekäme, weil die Truppen- bildung immer eine statliche Machtentfaltung ist, einen öffentlich-recht- lichen Charakter. Würde der Stat die Bildung von solchen Freischaren ge- währen lassen, so würde er offenbar die Kriegsführung der einen Partei durch seine Connivenz unterstützen und die Gegenpartei hätte Ursache, das als eine feindliche Haltung zu betrachten. Die neutrale Stellung wäre aufgegeben. Wenn aber solche Unternehmen heimlich vorbereitet werden, und der Stat, der es nicht hindert, da- bei in bona fide ist, kann man ihm dieselben so wenig als das Reislaufen Einzelner zum Vorwurf machen. 759. Wenn ein Stat durch frühere Verträge, welche nicht in der Vor- aussicht des eingetretenen Krieges zum Behuf der Unterstützung einer Kriegspartei abgeschlossen worden sind, verpflichtet war, dem State, der nun Kriegspartei geworden ist, Truppen zu stellen, so wird die Anwesen- heit dieser Truppen in Feindesland und selbst die Theilnahme derselben am Krieg nicht als Verletzung der Neutralität jenes States betrachtet, wenn im Uebrigen die friedliche Gesinnung des letztern unzweifelhaft ist und er sich strenge innerhalb der Schranken seiner vertragsmäßigen Ver- pflichtung hält. Die gelieferten Truppen sind feindliche Personen, aber der Stat, der sie nicht für diesen Krieg geliefert hat, ist nicht zum Feind geworden durch Ausbruch des Krieges. Die neutrale Schweiz war, so lange sie durch sogenannte Militärcapi- tulationen gebunden war, oft in dieser Lage, indem die im Dienste und Solde einer fremden Macht stehenden Schweizertruppen an den Kriegen dieser Macht Theil nahmen, während die Schweiz selber sich an dem Kriege gar nicht betheiligte. Es kam sogar nicht selten vor, daß solche schweizerische Werbetruppen in den beiden feindlichen Heerlagern zu finden waren und genöthigt wurden, wider einander zu kämpfen. Indessen ist das immerhin ein Mißverhältniß, das zu aufrichtiger Neu- tralität nicht paßt. Indem die schweizerische Bundesverfassung von 1848 nun alle Militärcapitulationen untersagt hat, schützt sie die Neutralität der Schweiz besser gegen derartige Zweifel. Ein anderes Beispiel einer Lieferung von Hülfstruppen bei einer im übrigen fortdauernden neutralen Haltung hat Dänemark in dem Recht der Neutralität. Schwedisch-Russischen Kriege von 1788 gegeben. Die Correspondenz darüber zwischen Dänemark, welches an Rußland Schiffe und Truppen geliefert hatte und trotzdem seine Neutralität behauptete, und Schweden, welches zwar diese Behauptung bestritt, aber thatsächlich dennoch Dänemark als neutralen Stat behandelte, siehe bei Phil- limore III. § 140. 760. Kein Stat und daher auch kein kriegführender Stat ist berechtigt, in einem fremden, insbesondere einem neutralen Stat wider den Willen der Statsgewalt Truppen zu werben. Die Truppenwerbung wie alle Truppenaushebung und Truppensammlung ist voraus eine Aeußerung der Kriegshoheit , welche ausschließlich der einhei- mischen Statsgewalt zusteht. Die fremde Werbung, die nicht von dieser gestattet worden, ist daher eine Verletzung jener Statshoheit. 761. Erlaubt der neutrale Stat ausschließlich oder vorzugsweise einer Kriegs- partei die Truppenwerbung in seinem Gebiet, so erscheint diese Handlung als Beihülfe zur Kriegsführung und demgemäß als Verletzung der Neutralitätspflicht. 1. Indem der neutrale Stat die Werbung gestattet, stellt er dem fremden Stat einen Theil seiner militärischen Volkskräfte zur Verfügung. Geschieht das nur zu Gunsten einer Partei und daher wider die andere, so ergreift der bisher neu- trale Stat dadurch selber Partei für jene wider diese, und gibt damit seine neutrale Haltung auf. Vielleicht läßt sich das der Gegner gefallen, ohne deßhalb jenen Stat als Feind zu behandeln. Dann dauert trotzdem das Friedensverhältniß fort. Aber der befeindete Stat braucht sich das nicht gefallen zu lassen , und kann in Folge dessen sich weigern, länger jenen Stat als neutral anzusehn. 2. Die Anwerbung von Truppen in fremdem Lande, ohne Erlaubniß der Landesregierung gilt daher als ein strafbares Vergehen . Vgl. dar- über das nordamerikanische Neutralitätsgesetz vom 5. Juni 1794, be- stätigt und ergänzt den 20. April 1818 Art. 2, das englische Gesetz British foreign-enlistment Act v. 3. Juli 1819 (59 Georg III. c. 69) § 2 und die Rede Cannings im englischen Parlament bei Phillimore III. § 146 u. 147. Wheaton Int. L. § 439 und besonders die Anmerkung dazu von Dana. 762. Wenn der neutrale Stat beiden Kriegsparteien die Truppenwerbung Neuntes Buch. in seinem Gebiete gestattet, ohne eine derselben vorzugsweise zu begünstigen, so ist das zwar kein offenbarer Bruch der Neutralitätspflicht, aber die völlige Untersagung jeder fremden Werbung entspricht besser und unzwei- deutiger der neutralen Haltung. Neutralität bedeutet nicht gleichmäßige Begünstigung der beiden Kriegsparteien , sondern Enthaltung von jeder Kriegstheilnahme . Die Unparteilichkeit, welche sich in jener äußert, hat einen zweideutigen und verdäch- tigen Charakter, einmal weil es unnatürlich ist, daß der Stat seine jungen Männer in zwei feindliche Lager verlocken und dann wider einander kämpfen läßt, und so- dann weil sie nicht Enthaltung von jeder Parteinahme, sondern eher gleichzeitige Theilnahme auf beiden Seiten ist. Die frühere Praxis der schweizerischen Eidgenossenschaft , mit verschiedenen Mächten Militärcapitulationen abzuschlie- ßen und zuweilen den entgegengesetzten Kriegsparteien Schweizertruppen zu liefern, (zu § 759), hat zwar damals ihre Neutralität nicht aufgehoben, war aber ein sehr bedenklicher Vorgang, Vattel III. § 110. Dagegen Phillimore III. § 150. „Ein Volk, welches beiden Kriegsparteien in Mannschaft oder Geld Hülfe leistet, mag unparteiisch sein, aber es ist nicht neutral “. 763. Der neutrale Stat darf nicht bloß selber keine Kriegsschiffe einer Kriegspartei liefern; er ist auch verpflichtet, in guter Treue darüber zu wachen und es zu verhindern, daß nicht auf seinem Gebiete durch Privat- personen Kriegsschiffe für eine Kriegspartei ausgerüstet und derselben über- liefert werden. 1. Im Friedenszustand ist der Verkauf von Kriegsschiffen von Stat zu Stat unbedenklich, und ebenso die Lieferung solcher von Seite der Privatindustrie. Dann sind das friedliche Rechtsgeschäfte . Aber während des Kriegs liegt in der Ausrüstung und Zuwendung von Kriegsschiffen eine offenbare Unter- stützung und Verstärkung der Kriegsgewalt . Insofern diese Absicht aus den Umständen sichtbar wird, ist das kriegerische Beihülfe , die mit der neu- tralen Haltung nicht verträglich ist. 2. Schon das Neutralitätsgesetz der Vereinigten Staten von Nord- amerika von 1794 (revidirt 1819) enthält in Art. 3 eine Strafbestimmung gegen alle Personen, welche „Schiffe ausrüsten und bewaffnen, oder dafür sorgen, daß Schiffe ausgerüstet und bewaffnet werden in der Absicht für einen fremden Stat zu feindlichen Handlungen gegen einen andern Stat verwendet zu werden, der im Frie- den ist mit den Vereinigten Staten“. Dieses Gesetz wurde unter der Präsidentschaft des Generals Washington erlassen, nachdem für Frankreich im Kriege mit Eng- land in den amerikanischen Häfen Kreuzerschiffe ausgerüstet worden waren und die Recht der Neutralität. englische Regierung darüber Beschwerde geführt hatte, als über eine Verletzung der Neutralität. Die Regierung der Vereinigten Staten erklärte die Beschwerde für gegründet, und das Gesetz schuf bessere Garantien für die Bewahrung der Neutra- lität. Vgl. die Schrift Dr. G. Bemis American Neutrality. Boston 1866 (wo sich die amerikanischen und englischen Gesetze abgedruckt finden). Der englische Minister Canning berief sich später auf das amerikanische Vorbild, um seinen Landsleuten eine ebenso sorgfältige Beachtung der Neutralitätspflicht zu empfehlen. Das englische Gesetz von 1819 enthält ein ähnliches Verbot. 3. Während der Unabhängigkeitskriege der amerikanischen Südstaten gegen Spanien und Portugal hatten die Bundesgewalten der Vereinigten Staten vielfäl- tigen Anlaß, den Versuchen entgegenzutreten, welche in dem Gebiete der Union ge- macht wurden, den aufständischen Colonien durch Ausrüstung von Kreuzerschiffen zu Hülfe zu kommen; und es war um so schwieriger für jene Behörden, die Pflichten der Neutralität zu erfüllen, als die Sympathien der Nordamerikanischen Bevölkerung naturgemäß sehr entschieden und sehr lebhaft auf Seite der Aufständischen waren. Vgl. Dana Anm. zu Wheaton Int. Law. § 439 8. Ausg. S. 557 f. 764. Sobald die Absicht der Kriegshülfe offenbar wird, wenn auch vor- erst nur Vorbereitungen zur Ausrüstung eines Kriegsschiffs oder Caper- schiffs getroffen werden, so ist der neutrale Stat zum Einschreiten ver- pflichtet. Es ist nicht nöthig, daß das Schiff schon bewaffnet sei. Wenn der Unter- nehmer scheinbar ein Handelsschiff ausrüstet, aber die Absicht , dasselbe, wenn es als solches ausgelaufen sei, kriegerisch zu bemannen und zu be- waffnen , nachgewiesen werden kann oder wenigstens wahrscheinlich ist, so ist das eine nicht zu duldende Umgehung der Neutralitätsgesetze. Ist aber jene Absicht nicht vorhanden, so bewirkt auch die thatsächliche Verwendung eines Handelsschiffs, das auf neutraler Werfte gebaut worden, aber von einem Kaufmann in einem kriegführenden State gekauft worden ist, zu einem Kriegsschiffe nicht eine Miß- achtung der Neutralitätspflicht. Vgl. Wheaton a. a. O. S. 562. Anders ist es, wenn ein Kriegsschiff lediglich als Artikel der industriellen Unternehmung und des Handels , wenn auch an einen kriegführenden Stat, veräußert wird. Das ist wohl Kriegscontrebande , aber nicht Verletzung der Neutralitätspflicht. Vgl. darüber den § 765. 765. Ebenso ist es eine Verletzung der Neutralitätspflichten, wenn der Neuntes Buch. neutrale Stat eine Kriegspartei mit Waffen oder anderem Kriegsmaterial ausrüstet oder ausrüsten hilft. Wenn aber Privatpersonen ohne die Absicht der Kriegshülfe, lediglich in Form des Handelsgeschäfts, Waffen oder Kriegsmaterial an einen kriegführenden Stat veräußern, so laufen sie zwar Gefahr, daß diese Gegenstände als Kriegscontrebande von der Gegenpartei weggenommen werden, aber durch die Duldung des Handelsverkehrs mit Kriegscontre- bande wird die neutrale Haltung des States, von dem aus jener Verkehr betrieben wird, nicht verletzt. 1. Soweit die Ausrüstung mit Waffen oder die Zusendung von Waffen als beabsichtigte Kriegshülfe sich darstellt, soweit ist das ein feindlicher Act , welcher mit neutraler Stellung sich nicht verträgt. Dagegen der offene Handel mit Waffen von Seite der Waffenfabriken und Waffenhändler ist seiner Natur nach ein friedliches Privatgeschäft , welches sowohl im Frieden als im Krieg in gleicher Weise geübt wird. Dem Effekte nach freilich wirkt der Ankauf von Waffen ganz ebenso wie die Ausrüstung mit Waffen. In beiden Fällen werden die In- teressen der kriegführenden Partei dadurch gefördert. Daher kann sich auch die Absicht der kriegerischen Beihülfe , die den Neutralen durch das Völkerrecht untersagt wird, in die Form des friedlichen Handelsgeschäfts , welches völkerrechtlich den Neutralen nicht verwehrt wird, verstecken. In den einzelnen Fällen also kann man Zweifel haben, ob jene oder ob dieses gemeint sei, und diese Zweifel müssen aus den Umständen gelöst werden. Wird der Handel heimlich gemacht und vollzogen, wird er nur einseitig einer Partei gewährt, so darf wohl daraus geschlossen werden, daß Kriegshülfe beabsichtigt und die Form des friedlichen Geschäfts nur zur Verbergung jener Absicht gewählt worden sei. 2. Wer Kriegscontrebande einer Kriegspartei zuführt, der setzt sich der Gefahr der Prise aus (vgl. unten Cap. 4). Aber er verletzt nur die Kriegs- interessen der einen Partei und verfällt insofern ihrem Kriegsrecht. Der neutrale Stat hat keinen Grund, die Lieferung von Kriegscontrebande auch seinerseits zu hindern. Bei den Verhandlungen vom Jahr 1793 über die nordamerikanische Neu- tralität in dem französisch-englischen Krieg erklärte Jefferson , das Recht der Bürger, Waffen zu bearbeiten, zu verkaufen, auszuführen könne nicht durch einen fremden Krieg aufgehoben werden. Aber die amerikanischen Bürger üben dasselbe auf ihre Rechnung und Gefahr aus. Wheaton a. a. O. S. 538. 766. Der neutrale Stat ist verpflichtet, Waffensendungen im Großen, welche nach den Umständen als Kriegshülfe erscheinen, auf seinem Gebiete möglichst zu verhindern. Recht der Neutralität. 1. Man darf dem neutralen State nicht zumuthen, daß er die Verschickung von Waffen im Einzelnen und Kleinen verhindere. Das hat auf die Bezie- hung von Stat zu Stat keinen Einfluß und die Durchführung einer solchen Obsorge würde eine unverhältnißmäßige Anstrengung der Behörden erfordern und unerträg- liche Quälereien für die Bürger nach sich ziehen. 2. Anders verhält es sich mit der Zusendung im Großen . Darin liegt durch- weg eine thatsächliche Förderung einer Kriegspartei und meistens auch eine kriegerische Beihülfe. Insofern hat der neutrale Stat, um seine Nichtbetheiligung am Kriege außer Zweifel zu stellen, ein Interesse, und soweit die Absicht der Kriegshülfe mindestens wahrscheinlich ist, die Pflicht, der Ausführung solcher Sendung entgegenzutreten. 767. Die Gestattung des freien Ankaufs von Lebensmitteln, wenn auch für die Verproviantirung der kriegführenden Armee, ist nicht als Begün- stigung derselben zu betrachten, wenn sie allgemein ist und gleichmäßig für beide Parteien gilt. Die Ernährung der Menschen ist unter allen Umständen ein friedliches Geschäft , keine feindliche That. Der Handel mit Lebensmitteln, Schlachtvieh, Getreide, Brod u. s. f. kann daher in der Regel nicht als kriegerische Beihülfe an- gesehen werden. Nur wenn er der einen Partei gewährt aber der andern ver- sagt , oder wenn die Lieferung von Lebensmitteln an die eine Armee als Kriegssubsidie sich darstellen würde, dann würde die offenbare Parteinahme für die eine Kriegspartei wider die andere die neutrale Haltung verletzen. 768. Der neutrale Stat darf auch nicht einer Kriegspartei ein Geld- darlehen machen, um ihr für den Krieg die erforderlichen Mittel zu ver- schaffen und es widerstreitet der Neutralitätspflicht, wenn er gestattet, daß im Lande eine Anleihe für eine Kriegspartei ausgeschrieben oder sonst Gelder zur Unterstützung derselben öffentlich gesammelt werden. Die Geld- beischüsse aber, welche Privatpersonen von sich aus einer Kriegspartei leisten, gefährdet die Neutralität des States nicht. 1. Wenngleich Gelddarlehen in der Regel ebenfalls Friedensgeschäfte sind, so ist doch die Geldanleihe für Kriegszwecke ebenso wie die Kriegs- subsidie (oben 756) eine offenbare Kriegshülfe , deren sich die Neutralen ent- halten müssen. Das gilt aber auch von Privaten, welche die Kriegsanleihe machen. Neuntes Buch. Es wird demnach keine Klage auf Erfüllung zugelassen. Vgl. die Erkenntnisse in der hellenischen Anleihe von 1826 bei Phillimore III. § 151. Oberrichter Best : „Es ist wider das Völkerrecht, daß Personen, welche in diesem Lande wohnen, sich auf Unterhandlungen einlassen, um Darlehusgelder zu erheben, welche bestimmt sind, die aufständischen Unterthanen im Kriege gegen eine Regierung zu unterstützen, mit welcher wir befreundet sind; und deßhalb ist keine auf Erfüllung gerichtete Klage zuzulassen“. 2. Meines Erachtens ist jedoch nur die offenbare Kriegsanleihe nicht zu dulden. Dagegen ist eine Geldsammlung aus Gründen der Humanität, z. B. zu Gunsten der Verwundeten, der vom Kriegsunglück betroffenen Familien, der Bertriebenen, der Kriegsgefangenen u. s. f. durchaus nicht eine feindliche Hand- lung, auch nicht wenn sie ausschließlich sich auf die Angehörigen der einen Kriegs- partei bezieht, und gefährdet die Neutralität nicht. 3. Das Ausschreiben einer Kriegsanleihe hat, weil es öffentlich und in der Absicht geschieht, die Parteinahme möglichst auszubreiten, einen ähnlichen Cha- rakter, wie die Werbung von Hülfstruppen. Deßhalb darf der neutrale Stat das nicht dulden. Wenn aber einzelne Privatpersonen die kriegführende Macht mit Geld unterstützen, so ist das dem Beitritt einzelner Freiwilliger zu einer fremden Kriegsarmee zu vergleichen. Das sind individuelle Handlun- gen , die der neutrale Stat nicht verhindern kann, und für die er nicht verantwort- lich ist. Es kann auch das durch die Strafgesetze eines Landes verboten sein. Aber das Völkerrecht kümmert sich nicht weiter darum. 769. Der neutrale Stat darf nicht gestatten, daß sein Gebiet von einer Kriegspartei zu Kriegszwecken benutzt werde. Es ist das der allgemeinste Ausdruck eines Grundsatzes, dessen nähere Aus- führung sich in den §§ 770 ff. findet. Der neutrale Stat muß sein Gebiet neutral erhalten , was nicht geschieht, wenn eine fremde Kriegspartei in dem- selben Krieg führt oder sich desselben für die Kriegsführung bemächtigt. 770. Es darf daher keiner Kriegspartei der Durchmarsch durch das neu- trale Gebiet gestattet werden. Auch wenn der regelmäßige Weg, auf welchem die Staten, die nun zum Kriege kommen, mit einander oder in sich verbunden sind, über das neutrale Gebiet hinführt, so erfordert es dennoch die Pflicht der Neutralität, daß nun den feindlichen Heeren der Durchmarsch verweigert werde. Der Durchmarsch der französischen Trup- pen über das neutrale Preußische Gebiet im October 1805 war eine Mißachtung der Recht der Neutralität. preußischen Neutralität, und ebenso der bewilligte Durchmarsch der Alliirten über schweizerisches Gebiet nach Frankreich im Jahr 1814 ein Aufgeben der schweizerischen Neutralität. 771. Wenn jedoch eine Verfassungspflicht oder eine Statsdienstbarkeit oder eine ohne Rücksicht auf einen bevorstehenden Krieg begründete Vertrags- pflicht des neutralen States besteht, den Durchzug von Truppen einem andern State zu gestatten, der nun Kriegspartei ist, so ist die gemessene Erfüllung dieser Pflicht nicht als Unterstützung dieser Kriegspartei zu be- trachten und es liegt darin keine Verletzung der Neutralitätspflicht. Die Verfassungspflicht kann vorzüglich in zusammengesetzten Staten die Einzelstaten nöthigen, daß sie die Truppen ihrer Bundesgenossen über ihr Gebiet marschiren lassen, wie das z. B. den Rheinbundsstaten im Jahr 1806 zur Pflicht gemacht war. Ebenso können einem State Etappenstraßen im Frieden und im Krieg geöffnet sein. Ein Beispiel einer vertragsmäßigen Gestattung des Truppendurchzugs bestand früher zu Gunsten des Großherzogthums Baden gegenüber der Schweiz auf der Eisenbahn von Constanz über Basel. Da manche Straßen und Eisenbahnen die Grenzen verschiedener Statsgebiete abwechselnd durch- schneiden, so ist in manchen Fällen ein wechselseitiges Zugeständniß der Benutzung derselben auch für Truppentransporte durch die örtlichen Verhältnisse motivirt, ohne daß man daraus irgendwie auf Kriegshülfe zu schließen berechtigt ist. 772. Die Durchfahrt der Kriegsschiffe durch das neutrale Küstengewässer gilt nur insofern als Verletzung der Neutralität, als der neutrale Stat dieselbe den kriegführenden Mächten untersagt hat. Der Grund liegt darin, daß der flüssige Küstensaum nur in beschränktem Sinne der Statshoheit des Uferstats unterworfen, als Bestandtheil des Meeres aber der freien Schiffahrt aller Völker offen ist. Daher ist es auch nicht eine abso- lute Pflicht des neutralen States, diese Durchfahrt zu verhindern; aber er kann sie verhindern, weil er vom Ufer aus den Küstensaum beherrscht. Die fremden Schiff- fahrer sind verpflichtet, sich seinen policeilichen und militärischen Vorsichtsmaßregeln auf diesem Gebiete zu fügen. Vgl. oben § 309. 310. Wheaton Int. Law. § 432. 773. In die Eigengewässer (Seehäfen) aber darf der neutrale Stat die Bluntschli , Das Völkerrecht. 27 Neuntes Buch. Kriegsschiffe der feindlichen Parteien nicht einlaufen, noch über seine Ströme, Flüsse, Canäle hindurchfahren lassen, außer zu offenbar friedlichen Zwecken (Aufnahme von Lebensmitteln, Wasser, Kohlen) oder im Nothstand zur Ausbesserung, nicht aber zum Behuf erneuerter oder verstärkter Kriegs- rüstung. 1. Vgl. oben § 309 und 311. Amerikanisches Neutralitätsgesetz von 1818 Art. 5. Würde der neutrale Stat den feindlichen Kriegsschiffen seine Häfen öffnen , so würde er damit die Kriegsführung derselben unterstützen, und würde er denselben seine Wasserstraßen zur Benutzung überlassen, so wäre das der Einräumung der Landstraßen für feindliche Truppenmärsche gleichzustellen. Das ist Kriegshülfe und als solche dem Neutralen nicht erlaubt. 2. Dagegen die Aufnahme der Kriegsschiffe zu friedlichen Zwecken ist erlaubt, da der neutrale Stat im Frieden mit den kriegführenden Staten lebt, wenn gleich mittelbar daraus auch Vortheil für eine Kriegspartei erwachsen kann. Es ist das der Gestattung des Ankaufs von Lebensmitteln gleichzustellen. Vgl. oben § 767. Gewöhnlich wird den Kriegsschiffen, wenn sie Wasser oder Kohlen ein- nehmen oder Reparaturen vornehmen wollen und zu diesem Behuf in den neutralen Häfen zugelassen werden, nur eine ganz kurze Frist (meistens nur von 24 Stunden) verstattet. Dana zu Wheaton Int. L. § 429. Die Englische Geh.-Raths- Verordnung vom 31. Jan. 1862 bestimmt, daß die feindlichen Kreuzer, welche in die neutralen englischen Häfen einlaufen, binnen 24 Stunden dieselben wieder verlassen müssen, außer wenn die Seenoth oder das Bedürfniß für die Nahrung der Mannschaft oder die Seefähigkeit des Schiffs zu sorgen, einen längeren Aufenthalt erfordert. Auch die Erlaubniß, Kohlen aufzunehmen, wird darin beschränkt durch die Rücksicht auf die Möglichkeit, zu einem andern Hafen zu gelangen. 774. Verfolgte Truppentheile, die sich auf neutrales Gebiet flüchten, darf der neutrale Stat jederzeit aufnehmen, ihnen Nahrung verschaffen und jede menschliche Hülfe gewähren, ohne dadurch seine Neutralität zu ge- fährden. Man nennt auch dieses Recht des neutralen States Asylrecht . Vgl. oben § 396. Die feindliche Verfolgung muß an der Grenze des neutralen States Halt machen, denn das Gebiet desselben ist Friedensgebiet. Daher finden auch die ver- folgten und versprengten Krieger hier vorerst Sicherheit und Ruhe. Indem der neutrale Stat sie aufnimmt und schützt, übt er sein Friedensrecht und keineswegs eine Kriegshülfe aus. Recht der Neutralität. 775. Ebenso darf der neutrale Stat den nothleidenden Kriegsschiffen in seinen Häfen Aufnahme und Schutz gewähren. Auch das ist Asyl und Ausübung menschlicher (nicht kriegerischer) Bei- hülfe , die immer erlaubt, weil Menschenpflicht ist. 776. Der neutrale Stat hat aber dafür zu sorgen, daß diese Handlung der Menschlichkeit nicht von den feindlichen Truppen mißbraucht werde, um den Krieg von dem neutralen Gebiet aus zu erneuern oder fortzu- setzen. Die flüchtigen Truppen und Kriegsschiffe sind daher in der Regel zu entwaffnen und erstere je nach Umständen von der Grenze zu entfernen und zu interniren. Würden sich die flüchtigen Truppen auf dem neutralen Boden wieder sammeln, und dann neuerdings vielleicht an einer günstigeren Stelle auf das Kriegsfeld ziehen und den Kampf da wieder aufnehmen, so würden sie das neutrale Gebiet für ihre Kriegsführung ausbeuten , was der neutrale Stat nicht dulden darf. Er gewährt den Verfolgten Schutz, aber er begünstigt nicht die Kriegsführung einer Partei. Deßhalb die Regel der Entwaffnung und in manchen Fällen, besonders wo die Anwesenheit der Truppen in der Nähe der Kriegsgrenze gefährlich ist, die Internirung der Truppen in das Innere des Landes. Es ist das nicht Kriegs- gefangenschaft, welche Friedensstaten nicht üben, sondern nur eine Maßregel der politischen Policei . 777. Der neutrale Stat darf sein Gebiet nicht hergeben zum Stützpunkt für kriegerische Unternehmen eines der Feinde, nicht für Waffenplätze, Schiffsstationen, Magazine für Kriegsvorräthe u. dgl., auch nicht zur Aus- übung der Prisengerichtsbarkeit, er darf nicht dulden, daß auf seinem Gebiete der Kampf fortgesetzt, noch daß da Beute gemacht werde. Die Verfolgung geschlagener Truppen hört auf, wo das neutrale Gebiet beginnt. Die Gewährung des Gebiets zum Behuf kriegerischer Operationen wäre offenbar Kriegshülfe . Am meisten bestritten ist es, ob der neutrale Stat nicht gestatten 27* Neuntes Buch. dürfe, Prisen vorläufig in den neutralen Häfen zu sichern; wie das die Vereinigten Staten vor ihren Neutralitätsgesetzen Frankreich vertragsmäßig gestattet hatten. Soweit das als eine Handlung der Sicherung des genommenen Schiffs gegen die Gefahr des Untergangs zu betrachten ist, so hat dieses Bergen desselben eine durchaus friedliche Bedeutung. Insofern aber die Einbringung des Schiffs in den neutralen Hafen nur in der Absicht geschieht, die gemachte Beute zu deponiren und möglichst bald und bequem wieder auf neue Beute auszufahren, ist das Be- nutzung des neutralen Gebiets zu Kriegszwecken , und dann nicht zu dulden. Der neutrale Stat wird daher wohl thun, um alle Zweifel gegen seine neutrale Haltung zu beseitigen, die Aufnahme solcher Prisen überhaupt zu verweigern, außer soweit die Seenoth und daher die Interessen der Humanität die Gewährung eines Zufluchtsorts rechtfertigen. Ueberhaupt läßt sich in der Entwicklung des Völker- rechts ein Zug zu strengerer und sorgfältigerer Wahrung der Neutralität nicht verkennen. Die heutige Welt nimmt leichter Anstoß an irgend einer Begün- stigung der Kriegsführung, als die Vergangenheit, welche geneigter war, die Sou- veränetät des neutralen Stats in ausgedehntem Sinne anzuwenden. Manche frühere Verträge gestatteten daher die Einbringung der Prisen zum Verkauf in die neutralen Häfen, während die neuere Praxis das eher versagt. Vgl. Heffter § 147. 778. Der neutrale Stat ist verpflichtet, zur Wahrung seiner Neutralität gegen Verletzungen durch Andere die erforderlichen Maßregeln zu ergreifen und nöthigenfalls seine Statsmacht dafür einzusetzen. Die Staten sind gegenüber andern Staten verantwortlich nicht bloß für die Rechtsverletzungen, welche in ihrem Auftrag verübt worden sind, sondern auch dafür, daß sie Privatpersonen nicht hindern , in ihrem Gebiet oder von ihrem Gebiete aus andere Staten zu verletzen. Der Stat muß dafür sorgen, daß das friedliche und freundliche Verhältniß zu andern Staten auch von seinen Angehörigen und Einwohnern geachtet werde. Vgl. oben § 467. 779. Man darf dem neutralen Stat nicht jede durch seine Angehörigen oder Bewohner verübte Verletzung der Neutralitätspflichten zur Schuld anrechnen, wohl aber eine offenbare Vernachlässigung der Sorge für seine Neutralität oder eine jede absichtliche Begünstigung des Neutralitätsbruchs. So wenig ein Stat im Innern alle Verbrechen verhindern kann, so wenig kann er jeden Friedensbruch nach Außen verhindern. Die völkerrechtliche Ver- antwortlichkeit des States reicht nicht weiter als seine Verschuldung , und Recht der Neutralität. diese ist nur dann vorhanden, wenn der Stat entweder den Neutralitätsbruch her- vorruft oder doch in feindlicher Absicht begünstigt oder wenn ihm eine grobe Fahrlässig- keit vorgeworfen werden kann, indem er es versäumt, denselben zu verhindern. Wenn ihm z. B. angezeigt wird, oder er sonst es erfährt, daß sich Truppen oder Freischaren an der Grenze sammeln, um einen feindlichen Einfall in das benachbarte Kriegsland zu machen oder dem feindlichen Heere zuzuziehn, so wird er diese Schaaren zerstreuen und den Einfall verhindern müssen, damit ihm nicht Connivenz mit dem Neutra- litätsbruch vorgeworfen werde. 780. Fällt der Neutralitätsbruch lediglich dritten Personen, nicht dem neu- tralen State selbst zur Last, so ist der dadurch verletzte und geschädigte kriegführende Stat berechtigt, von dem neutralen State Abstellung des Unrechts, so weit es in dessen Macht steht und je nach Umständen Be- strafung der Schuldigen, nicht aber deren Auslieferung zu fordern. Die dritten Personen können sein: a) eine der Kriegsparteien selber, b) Unterthanen oder Bürger des neutralen Stats , c) Fremde Individuen in dem neutralen Gebiete . Die Abstellung des Unrechts ist in allen Fällen Aufgabe des neutralen Stats. Die Bestrafung der Schuldigen wird in der Regel nur gegen die Individuen durchzuführen sein, welche in dem Bereich der neutralen Strafgewalt sind. Die Auslieferung der Einheimischen an eine fremde Strafgewalt wird von dem heutigen internationalen Strafrecht nicht gebilligt; die Auslieferung der Fremden ist zwar zulässig, aber der Stat, der sie — ohne die dringendsten Motive — gegen politische Flüchtlinge vollzieht, würde sich dem Vorwurf der Grausamkeit und der Inhumanität aussetzen, weßhalb sie von dem neutralen State nicht erwartet werden kann. Vgl. § 398. 399. 781. Hat der neutrale Stat den Bruch der Neutralität selbst verschuldet, so ist die dadurch verletzte Kriegspartei berechtigt, von demselben Genug- thuung und Entschädigung zu fordern und in schweren Fällen die Neu- tralität als erloschen zu erklären und auch seinerseits nicht weiter zu beachten. Die Verletzung der Neutralitätspflichten berechtigt keineswegs die verletzte Kriegspartei, nun auch den neutralen Stat als Feind zu behandeln. In sehr vielen Fällen wäre eine solche Wirkung unverhältnißmäßig . Sie fällt lediglich Neuntes Buch. in die Classe der Rechtsbrüche und Friedensstörungen überhaupt. Vgl. darüber § 464 f. Oft genügt, um die Verletzung gut zu machen, die bloße Zusicherung des neutralen Stats, in Zukunft die Neutralitätspflicht vollstän- diger zu erfüllen; in andern ist die bloße Beseitigung des Unrechts aus- reichend. Nur in den schwersten Fällen wird darin eine Kriegsursache gegen den neutralen Stat zu erkennen sein. 782. Auch wenn der neutrale Stat zwar Willens ist, seine Neutralität zu bewahren und sich selber aller neutralitätswidrigen Handlungen enthält, aber offenbar die Macht nicht hat, den fortgesetzten Angriffen einer über- legenen Kriegspartei gegenüber seine Neutralität dauernd zu behaupten oder wieder herzustellen, so ist auch die andere Kriegspartei nicht mehr ver- flichtet, die Neutralität seines Gebiets in ihrer Kriegsführung zu beachten, sondern berechtigt, ohne Rücksicht darauf diejenigen Maßregeln zu ergreifen, welche zur Kriegsführung nöthig sind. Die neutrale Gesinnung reicht nicht aus zur Neutralität. Diese muß vielmehr thatsächlich bestehn. Wenn daher eine Kriegspartei den Durchmarsch durch das neutrale Gebiet erzwingt, ohne sich um dessen Neutralität zu kümmern, oder sich eines neutralen Platzes oder Hafens zu ihren Kriegsoperationen bemächtigt, so ist das einerseits eine Verletzung der Rechte des Neutralen , aber andrer- seits auch, wenn der Neutrale zu schwach ist, um Widerstand zu leisten oder die Verletzung wieder aufzuheben, für die andere Kriegspartei eine Veranlassung, das bisher neutrale Gebiet als nicht mehr neutral , sondern dem Feinde dienst- bar zu betrachten und demgemäß innerhalb dieses Gebiets dem Feinde eben- falls mit Gewalt entgegenzutreten . 3. Rechte der Neutrasen. 783. Für den neutralen Stat dauert das Friedensrecht fort, auch im Verhältniß zu den kriegführenden Staten. Recht der Neutralität. Vgl. zu 224. Es ist das freilich nur die Hauptregel, welche allerdings durch die Rücksichten auf den Krieg einige Modificationen erleidet, wie z. B. bezüglich der Enthaltung von jeder Kriegshülfe, des Blocaderechts, des Durchsuchungsrechts u. s. f. 784. Die feindlichen Staten sind verpflichtet, die Gebietshoheit der neutralen Staten auch während ihres Krieges vollständig zu achten und sich jeden Eingriffs in dieselbe zu enthalten, auch wenn das Bedürfniß der Kriegs- führung denselben verlangen sollte. Das Nothrecht der Kriegsgewalt ist auf das Kriegsfeld be- schränkt . Es darf sich nicht in das neutrale Gebiet hinein erstrecken, denn dieses Gebiet ist Friedensgebiet , in welchem die fremde Kriegsgewalt Nichts zu befehlen hat. 785. Wenn feindliche Truppen auf der Flucht das neutrale Gebiet errei- chen, so ist der neutrale Stat berechtigt, sie vor der Verfolgung zu schützen (774) und die Verfolger zurückzuweisen. Er darf innerhalb seines Gebietes die Kriegsgefangenen des Feindes und die gemachte Beute wie- der frei geben. 786. Wenn innerhalb der neutralen Eigengewässer von einem feindlichen Schiff ein feindliches Schiff weggenommen worden ist, so ist der neutrale Stat berechtigt, die Herausgabe der Prise zu fordern und dieselbe frei zu geben. 1. Alle Wegnahmen innerhalb der neutralen Eigengewässer sind rechtswidrig, denn es sind das feindliche Acte innerhalb des fremden Friedensgebiets. Darin liegt immer eine Verletzung der neutralen Rechte. Der neutrale Stat ist daher berechtigt, die Wegnahme als ungültig zu behandeln und die Prise frei zu geben und ebenso berechtigt, die Personen, welche seine Neutralitätsrechte verletzt haben, wenn sie sich in dem Bereiche seiner Gerichtsgewalt finden, zur Verantwortung und Strafe zu ziehen. 2. Einen merkwürdigen Fall, in welchem die obige Regel zur Anwendung kam, berichtet Dana in der Anmerkung zu Wheaton Int. L. § 428. Die Mannschaft eines amerikanischen Handelsschiffs Chesapeake empörte sich während Neuntes Buch. des Bürgerkriegs gegen den Capitän und trat als Caperschiff in den Dienst der con- föderirten Südstaten. Ein Kriegsschiff der Vereinigten Staten verfolgte dasselbe und nahm es innerhalb der Brittischen Eigengewässer weg. Darüber beschwerte sich die englische Regierung als über eine Verletzung ihrer neutralen Gebietshoheit. Der amerikanische Minister Seward erkannte in einer Depesche vom 9. Jan. 1864 an, daß das Verfahren des amerikanischen Kriegsschiffs nicht gerechtfertigt sei nach der Strenge des Rechts, wenn auch einigermaßen zu entschuldigen durch den rühmlichen Eifer, „offenbare Seeräuber zu strafen“, und daß er daher diese Verletzung des Völkerrechts und der freundlichen Beziehungen der beiden Staten bedaure und gegen den Officier jenes Kriegsschiffs disciplinarisch verfahren werde. Die englische Regie- rung begnügte sich mit dieser Erklärung. Das genommene Schiff aber wurde den Englischen Behörden zur Verfügung gestellt, und schließlich den ursprünglichen Eigen- thümern zurückgegeben. 3. Nur der neutrale Stat ist zunächst berechtigt, von dem krieg- führenden Stat die Herausgabe der Prise, beziehungsweise die Wiederherstellung des frühern Zustands zu fordern, denn nur sein Recht ist durch die feindliche Wegnahme verletzt worden, nicht aber der feindliche Eigner des genommenen Schiffs. Allerdings kommt diese Befreiung dem Eigenthümer des genom- menen Schiffs zu Gute, da natürlich der neutrale Stat keine Ansprüche auf dasselbe erheben kann. Aber diese Wirkung ist für ihn nur ein glückliches Ereigniß. Wenn das genommene Schiff dem Prisengericht des Nehmers zugeführt worden ist, so hängt es daher von dem neutralen State ab, die Vertheidigung des Eigen- thümers durch seine Beschwerde zu unterstützen. In diesem Falle erkennt auch das feindliche Prisengericht die Wegnahme als ungültig. Aber wenn der neutrale Stat stillschweigt und sich die Verletzung seiner Gebietshoheit gefallen läßt, dann nimmt man an, habe das Prisengericht keine Veranlassung, gegenüber einem feindlichen genommenen Schiffe die Beschwerde des Neutralitätsbruchs zu beachten, welche nur dem neutralen State zusteht. Vgl. Wheaton Int. L. § 430. 787. Die Verfolgung eines feindlichen Schiffes, das sich in die Eigen- gewässer eines neutralen States flüchtet, darf innerhalb dieser Gewässer nicht fortgesetzt werden. Die Praxis der Seemächte hat zwar diese Regel oft mißachtet und die neu- tralen Staten haben diesen Eingriff in ihre friedliche Gebietshoheit oft ungerügt ertragen. Dennoch zwingt die Logik zur Verwerfung dieser Praxis und findet die- selbe in der Hitze des kriegerischen Eifers zwar eine psychologische Erklärung, aber keine Rechtfertigung. Vgl. Wheaton Int. L. 429 und Anm. von Dana . 788. Der neutrale Stat ist berechtigt, feindliche Truppen, welche in sein Recht der Neutralität. Gebiet gewaltsam einbrechen, zu entwaffnen und gefangen zu nehmen. Haben dieselben im Auftrag des Befehlshabers gehandelt, so ist der Stat, dem sie dienen, zur Genugthuung und Entschädigung verpflichtet, haben sie eigenmächtig den Frieden gebrochen, so ist der neutrale Stat berechtigt, die einzelnen Schuldigen strafrechtlich zu verfolgen. Inwiefern die Führer der feindlichen Truppen im Auftrag ihres States han- delten, muß der strafrechtliche Standpunkt hinter dem entscheidenden völker- rechtlichen zurücktreten. Dann liegt ein Friedensbruch von Stat gegen Stat vor. Wenn dagegen die Soldaten auf eigene Faust die Grenze gewaltsam überschreiten und den Frieden brechen, dann kann die gewohnte Strafgerichts- barkeit des neutralen Stats begründet sein, indem jeder Stat berechtigt ist, alle in seinem Gebiete verübten Verbrechen und Vergehen zu bestrafen. Zuweilen freilich wird es der neutrale Stat auch in solchen Fällen vorziehn, die Schuldigen dem kriegführenden State zur Bestrafung zu überliefern, als selber die Strafgerichtsbarkeit zu üben, besonders dann, wenn die Schuldigen einem geordneten Heereskörper an- gehören. Wenn sie aber Räuber oder vereinzelte Abenteurer sind, dann ist die An- wendung der Strafgerichtsbarkeit am Platz. 789. Ist die Verletzung des neutralen States lediglich aus Unkenntniß der Grenze, nicht aus böswilliger Absicht geschehen, so ist derselbe nur ver- anlaßt, die sofortige Beseitigung des Unrechts, Entschädigung und die er- forderlichen Maßregeln von dem verletzenden State dafür zu verlangen, daß in Zukunft sich nicht eine ähnliche Mißachtung der Neutralität wieder- hole. In manchen Grenzgebieten, zumal in Gebirgsgegenden und Wäldern, ist die Grenze schwer zu erkennen und daher ein Ueberschreiten derselben aus Irrthum leicht möglich und zu entschuldigen. Die Verletzung der Neutralität ist dann nicht beabsichtigt, vielleicht nicht einmal fahrlässig, sondern zufällig; und es bedarf nur der einfachen Wiederherstellung und Sicherung für die Zukunft. 790. Ist die Verletzung des neutralen Gebiets oder des neutralen Rechts als ein verschuldeter Rechts- oder Friedensbruch anzusehen, so treten die- selben Folgen ein, wie bei andern Rechts- und Friedensbrüchen (§ 464 f.). Nur in den schwersten Fällen ist der neutrale Stat berechtigt, sofort aus Neuntes Buch. seiner Neutralität herauszutreten und sei es selbständig, sei es in Verbin- dung mit der Gegenpartei des verletzenden Stats diesen zu bekriegen. Die bloße bewaffnete Vertheidigung des neutralen Gebiets und die Zurück- weisung eines kriegerischen Angriffs hebt den neutralen Charakter nicht auf, sondern bekräftigt ihn. 1. Vgl. oben Buch VII. Cap. 1. Aus der Verletzung der Neutralitäts- rechte durch eine Kriegspartei folgt noch nicht das sofortige Recht des Neutralen am Kriege Theil zu nehmen. Diese Folge wäre ebenso unverhältnißmäßig , wie die umgekehrte aus der Verletzung der Neutralitätspflichten (oben § 781). In den meisten Fällen wird ein auf Genugthuung gerichtetes Ver- fahren den Bedürfnissen entsprechen. Im October 1864 fand ein den nordamerika- nischen Südstaten dienendes Kreuzerschiff Florida Aufnahme in dem Brasilischen Hafen zu Bahia auf 48 Stunden, um die nöthigen Reparaturen vorzunehmen. Dieses Schiff wurde von einem Kriegsschiff der Vereinigten Staten, Wachusett, in der Nacht angegriffen und genommen. Die Regierung von Brasilien forderte nun Genugthuung für diesen Bruch der neutralen Gebietshoheit. Die Unionsregierung erkannte das Recht jener an, und erbot sich, den Commandanten des Wachusett vor ein Kriegsgericht zu stellen, den nordamerikanischen Consul in Bahia, der zu diesem Rechtsbruch geholfen hatte, zu entlassen und die gefangene Mannschaft der Florida, obwohl sie dieselbe als Seeräuber betrachte, frei zu geben. Da das Schiff selbst in Folge eines spätern Unglücks gesunken war, wofür die Vereinigten Staten keine Ver- antwortlichkeit hatten, so war in dieser Hinsicht die Herausgabe unmöglich geworden. Mit dieser Genugthuung erklärte sich die Brasilische Regierung zufrieden. Vgl. Dana zu Wheaton Int. L. zu § 430. 2. Wenn aber der Friedensbruch, welchen der neutrale Stat durch eine Kriegspartei erleidet, so groß und schwer ist, daß derselbe als unmittelbare Kriegsursache gilt, so kann der neutrale Stat entweder selbständig einen neuen und zweiten Krieg führen gegen den Friedensbrecher oder er kann, was in den meisten Fällen zweckmäßiger sein wird, sich mit den Feinden des Friedensbrechers zum Kriege verbünden und den bisherigen Krieg durch seine Theilnahme erweitern. 3. In manchen Fällen wird die militärische Abwehr einer Neutralitäts- verletzung die Wirksamkeit der Neutralität bewahren . Diese ist noch nicht Krieg, wenn sie auch mit Kriegsmitteln wirkt. Zum Kriege fehlt die feindliche Absicht. Die Friedensabsicht ist hier entscheidend und die Kriegsmittel werden nur vorübergehend angewendet, um die friedliche Haltung des neutralen States zu sichern. 791. Hat ein Hülfscorps des neutralen Stats (§ 736) an dem Kriege Recht der Neutralität. sich betheiligen müssen und wird dasselbe von dem Feinde in das neutrale Gebiet hinein verfolgt, so begeht auch der Feind keine Verletzung der Neutralität, wenn er die Verfolgung nicht an der Grenze stille stellt, son- dern über die Grenze fortsetzt. Die unvollständig neutrale Haltung rechtfertigt die entsprechende unvollständige Achtung der Neutralität. Solche unreine Zwitterverhältnisse zwischen Neutralität und Theilnahme am Krieg trüben die Reinheit der Friedens- ordnung und des Kriegsrechts und sind daher möglichst zu vermeiden. 792. Der neutrale Stat ist berechtigt, Pässe und andere Urkunden aus- zustellen, welche auch bei den beiden Kriegsparteien auf öffentlichen Glauben Anspruch haben. Der neutrale Stat lebt in Frieden und Freundschaft mit beiden Parteien. Daher werden auch seine Pässe und andere Urkunden von denselben respectirt. 793. Der neutrale Stat hat ein Recht, seinen Statsschutz auch auf seine Angehörigen und ihre Güter außerhalb des Statsgebiets so weit zu erstrecken, als das friedliche Völkerrecht diesen Schutz rechtfertigt. Die kriegführenden Mächte dürfen auch innerhalb des Kriegsfeldes die neutralen Personen und die neutralen Güter nicht feindlich behandeln, sondern nur denjenigen gemeinsamen Anordnungen unterwerfen, welche durch die Noth der Kriegsführung geboten sind. Wenn schon die Personen und das Eigenthum der friedlichen Angehörigen des feindlichen States zu schonen sind, soweit nicht das Bedürfniß der Kriegsführung einen Eingriff erfordert und rechtfertigt, so gilt das in höherem Grade von den neutralen Personen und Gütern . Denn hier tritt zu den allgemeinen Rücksichten der Menschlichkeit die besondere Rücksicht auf die freundlichen Be- ziehungen zu dem neutralen State förderlich hinzu. Insbesondere ist die Wegnahme neutraler Schiffe zum Behuf des Transports von Kriegsleuten und Kriegsmaterial oder der Pressung neutraler Personen zum Kriegsdienst zur See oder zu Land durch einen kriegführenden Stat eine schwere Verletzung der Rechte des neutralen Stats. Neuntes Buch. 794. Die neutrale Flagge schützt nicht bloß das neutrale Schiff, sondern ebenso die feindliche Ladung desselben, mit Ausnahme der Kriegscontre- bande. Frei Schiff, frei Gut. Der Satz, daß die neutrale Flagge , d. h. die Neutralität und Natio- nalität des Schiffs zugleich die Ladung decke , obwohl diese Kaufleuten der feindlichen Nation angehört, wurde zum ersten Mal in einem Holländischen Vertrage mit Spanien im Jahr 1650 ausgesprochen und erhielt zuerst eine allge- meinere Vertretung in den Grundsätzen, welche die bewaffnete Neutralität vom Jahre 1780 während des englisch-französischen Kriegs, auf die Anregung des Russischen Cabinettes proclamirte. Die frühere Praxis der Seemächte (besonders Englands) hatte das feindliche Gut auf neutralem Schiffe mit Wegnahme bedroht, oder gar (wie zuweilen Frankreich) das neutrale Schiff selber in die Gefahr der Wegnahme gebracht, wenn und weil dasselbe feindliche Waare führe. Indessen ge- langte jener Satz damals noch nicht zu allgemeiner Anerkennung. Besonders Eng- land hielt die frühere Praxis fest, und selbst die Gerichte der Vereinigten Staten betrachteten diese als unanfechtbar, solange nicht durch Verträge ein anderes und allerdings besseres Recht hergestellt sei. Die Statenverträge darüber waren sehr ver- schiedenartig, wodurch natürlich die Rechtsverwirrung vermehrt ward. So z. B. hatten England und die Vereinigten Staten in einem Vertrag von 1794 den Grund- satz anerkannt, daß das neutrale Schiff frei, aber die feindliche Waare darauf Gegen- stand der Confiscation sei; während dieselben Vereinigten Staten in einem Vertrag mit Frankreich von 1778, und einem solchen mit Preußen von 1785 die Regel: Frei Schiff, frei Gut bekräftigt hatten. Im Jahr 1799 fanden darüder wieder aus- führliche Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staten und Preußen Statt und nur dem zähen Festhalten Preußens gelang es schließlich, das freiere Princip neuer- dings in dem Vertrag von 1799 zu bestätigen. (Vgl. darüber Wheaton Int. L. § 456—469). Erst der Pariser Congreß von 1856 hat endlich dieses Princip zu einem allgemein anerkannten völkerrechtlichen Grundsatz erhoben, am 12. Juni: „Le pavillon neutre couvre la marchandise ennemie à l’exception de la contrebande de guerre“. Das neutrale Schiff ist neutrales Gebiet. So wenig feindliches Gut in neutralem Land vom Feinde als Beute betrachtet werden darf, so wenig nun auch auf neutralem Schiffe. Die Anerkennung dieses Grundsatzes ist unzweifelhaft ein Fortschritt der Civilisation und eine wichtige Beschränkung des an sich barbarischen Rechts der Seebeute. 795. Die neutralen Güter sind auch auf feindlichen Schiffen vor der Wegnahme geschützt, außer wenn sie in Kriegscontrebande bestehn. Unfrei Schiff, frei Gut. Recht der Neutralität. Auch dieser Satz ist erst durch den Pariser Congreß von 1856, 12. Juli allgemein anerkannt worden: „La marchandise neutre à l’exception de la contre- bande de guerre n’est pas saisissable sous pavillon de guerre“. Einzelne Staten, welche früher durch die neutrale Flagge die feindliche Waare hatten decken lassen, waren zugleich der Meinung, daß folgerichtig die feindliche Flagge die neu- trale Waare in die Gefahr der Wegnahme verwickle, und wendeten den Grundsatz an: Unfrei Schiff, unfrei Gut , Enemy’s ships, enemy’s goods. Mehrere Staten, wie vorzüglich Frankreich, waren überhaupt geneigt, die Verbindung von neutralen mit feindlichen Bestandtheilen als feindlich zu betrachten und vertheidigten ebenfalls den Grundsatz: Feindliches Schiff, feindliches Gut. Andere Staten freilich unterschieden durchgreifend zwischen der feindlichen und der neutralen Eigenschaft von Schiff und Gut, und schonten das neutrale Gut auf feindlichem Schiff, wie sie das feindliche Gut auf neutralem Schiff der Prise aussetzten. Der spanische Consolato del Marc hatte für diesen Fall die neutralen Kaufleute angewiesen, sich mit dem Nehmer des Schiffs über die Fracht zu verständigen, aber die neutrale Waare selber für frei erklärt. Die englischen, holländischen und italienischen Gerichte sprachen sich für denselben Grundsatz aus, daß die neutrale Waare frei bleibe, während das feind- liche Schiff der Wegnahme verfalle. In der Litteratur waren die Meinungen ebenso verschieden. Der Gedanke, daß in beiden Fällen die rechtliche Lage des Schiffs auch das Schicksal der Ladung bestimmen müsse, ist deßhalb nicht richtig, weil die Freiheit von Schiff und Waare immer die natürliche Regel , die Wegnahme nur als Noth- und Ausnahmerecht zu erklären und zu vertheidigen ist, man aber diese Ausnahme nicht über ihre natürlichen Grenzen, also nicht auf neutrales Frie- densgut ausdehnen darf. Die neutralen Handelsleute leben wie der neutrale Stat mit den kriegführenden Staten in voller Freundschaft mit den Schiffseigenthümern dieser Staten, und wenn sie deren Schiffe mit ihrer Waare befrachten, so beeinträch- tigen sie damit die Rechte der kriegführenden Gegenpartei in keiner Weise. Ihre Waare darf daher auch nicht Gegenstand der Wegnahme werden. 796. Die neutralen Staten können ihren diplomatischen Friedensverkehr mit den kriegführenden Staten fortsetzen, soweit nicht die militärischen Maßregeln vorübergehende Hemmnisse bereiten. Die neutralen Staten haben keinen Grund, ihre Gesanten abzuberufen, da sie mit den kriegführenden Staten in Freundschaft bleiben. Aber der Krieg kann thatsächlich die Verbindung theils der Personen, theils der Correspondenz stören; und dieses Uebel müssen sich, soweit es unvermeidlich ist, auch die neutralen Staten gefallen lassen. Neuntes Buch. 797. Die neutralen Staten können auch den Kriegsparteien zur Vermitt- lung von Unterhandlungen während des Krieges dienen und die diploma- tische Vertretung für die Angehörigen einer Kriegspartei bei dem andern feindlichen State übernehmen. Vgl. oben § 485. Die neutrale Stellung erleichtert sowohl die Vermittlung als die Stellvertretung, weil der neutrale Stat mit beiden Kriegsparteien in Freund- schaft ist, aber selbstverständlich bedarf dieselbe dazu der Ermächtigung der Kriegs- parteien. 4. Neutraler Handelsverkehr. Kriegscontrebande. Durchsuchungsrecht. 798. Die Angehörigen der neutralen Staten sind berechtigt, mit den An- gehörigen der Kriegsstaten während des Kriegs, wie im Frieden Handel zu treiben. Der Kriegszustand unterbricht den Handelsverkehr nur inso- weit, als das Bedürfniß der Kriegsführung eine militärische Hemmung erfordert. Nur allmählich und mit steigender Macht kam dieser Grundsatz zur Geltung. Früher wurde oft der entgegengesetzte Satz behauptet, daß der Kriegsstat allen Han- del, auch der Neutralen, mit dem Feindesland verbieten könne. Man wollte dadurch dem Feinde möglichst viel Schaden zufügen und ließ sich von diesem Eifer zu schä- digen nicht einmal durch die Rücksicht abhalten, daß man damit zugleich die Neu- tralen, mit denen man doch in Friede und Freundschaft lebte, ebenso empfindlich schädige. Der Handel aber ist ein Friedens- und nicht ein Kriegsgeschäft , und es ist weder Grund noch Recht vorhanden, dieses Friedensgeschäft der Neutralen mehr zu hemmen, als die militärische Nothwendigkeit es erfordert. 799. Die Anwendung dieser Regel des friedlichen Handelsverkehrs der Neutralen wird nicht durch die Rücksicht ausgeschlossen, daß ein Kriegsstat Recht der Neutralität. einen bestimmten Handelsverkehr erlaubt, den er vor dem Kriege nicht gestattet hat und vielleicht nach dem Kriege wieder beschränken wird. 1. Dieser Satz spricht sich gegen die sogenannte Regel von 1756 aus, welche früher vorzüglich von den englischen Richtern und Juristen gehandhabt und vertheidigt worden ist. Letztere Regel wurde zuerst in dem englisch-französischen Kriege ausgesprochen, als die Franzosen, welche durch die englische Marine verhindert wurden, mit ihren überseeischen Colonien den Handelsverkehr fortzusetzen, den neu- tralen Holländischen Schiffen erlaubten, diesen Handel nun zu besorgen, von dem vor dem Kriege die Neutralen überhaupt ausgeschlossen worden waren. Manche Hollän- dischen Schiffe wurden nun von den englischen Kreuzern als Prise aufgebracht und sammt ihrer Ladung verurtheilt. Damals freilich konnte man für diesen Eingriff in die Freiheit des neutralen Handels noch den Grund anführen, daß derselbe nicht überhaupt den Neutralen gestattet worden sei, sondern ausschließlich den Holländern und daß die Holländischen Schiffe gewissermaßen nur die Lücke der französischen Schiffahrt ausfüllen und das abgeschlossene System des französischen Handels im französischen Interesse für die Kriegszeit bewahren. Die Regel wurde aber später allgemeiner verstanden und angewendet. Man führte dafür haupt- sächlich folgende Gründe an: a ) Die Neutralen können höchstens verlangen, daß ihre herkömmliche Handelsverbindung ( customary trade ) mit den Ländern der Kriegsparteien nicht über die Nothdurft des Kriegs hinaus gehemmt, nicht aber, daß ihnen nun während des Krieges neue Handelswege in jene Länder eröffnet werden; sie sollen geschont werden in ihren in der Friedenszeit angeknüpften Handelsbeziehungen , aber sie sollen nicht den Kriegszustand zu einer Erweiterung ihres Handels in Feindesland ausbeuten dürfen. b ) Würde man das gestatten, so würde die Vertheidigungsfähigkeit des Feindes zum Schaden des Gegners vergrößert , was dieser nicht zu dulden brauche. 2. Allein diese Gründe halten doch der Prüfung nicht Stand, und vermögen die unbestreitbare Grundwahrheit, daß der Handel ein Friedensgeschäft und daher den Neutralen nicht zu verwehren , nicht zu entkräften. Die fried- liche Natur des Handels wird durch den Krieg nicht aufgehoben und nicht geändert. Daher ist a ) kein Grund zwischen dem herkömmlichen Handel vor dem Krieg und dem neuen Handel während des Kriegs zu unterscheiden und einer- seits die Fortsetzung des ersten zu gestatten, aber andererseits diesen zu verbieten. Der Handel ist nicht Bewahrung des Hergebrachten, sondern sucht fortwährend neue Wege und knüpft unablässig erweiterte Verbin- dungen an. b ) Wenn auch ausnahmsweise sich im Kriege neue günstige Chancen für die Neutralen ergeben, so darf man ihnen diese Vortheile um so Neuntes Buch. weniger mißgönnen oder versagen, als nothwendig für den neutralen Handel aus jedem Kriege auch zahlreiche Nachtheile entspringen, die sie ebenfalls tragen müssen, obwohl sie weder den Krieg verschuldet haben, noch daran Theil nehmen, und welche ihnen durch die kriegerischen Entschlüsse und Thaten der Kriegsparteien zugefügt werden. c ) Das civilisirte Kriegsrecht gestattet überhaupt nicht mehr die friedlichen Privaten nur deßhalb beliebig zu schädigen, um die Hülfsquellen des Feindes zu zerstören, sondern erlaubt nur solche Schädigungen, welche durch das militärische Bedürfniß der Kriegsführung gerechtfertigt sind. Das Blocaderecht und das Recht, die Contrebande zu verhindern, sind Ausnahmen, die eher zu beschränken, als analog auszudehnen sind. 800. Auch wenn der Küstenhandel in Friedenszeiten ausschließlich den nationalen Schiffen vorbehalten und erst während des Kriegs von einer Kriegspartei den Neutralen eröffnet wird, so machen sich die neutralen Handelsschiffe, welche diese Erlaubniß benutzen, keiner Verletzung der Kriegs- rechte schuldig und dürfen von dem andern Kriegsstate nicht deßhalb weg- genommen werden, weil sie einen verbotenen Handelsverkehr betreiben. Vgl. zu § 798. 799. Der sogenannte Küstenhandel ( Cabotage, coasting rade ) — d. h. der Handel aus einem Hafen in den andern desselben States mit inländischer Ladung — war in früheren Zeiten oft ausschließlich den nationalen und keinen fremden Schiffen gestattet. Das galt auch meistens als Gesetz für den Handel aus dem Mutterstat nach den überseeischen Colonien und umgekehrt. Der Krieg konnte nun dieses System durchbrechen, und da der nationale Verkehr an manchen Stellen gehemmt war, das Bedürfniß nach neutralem Handel hervorrufen; während der feindliche, zur See mächtige Kriegsstat das nicht dulden wollte. Die englischen Juristen — noch Phillimore ( III. § 214 f.) — vertheidigten diese Beschränkung vorzüglich, während die amerikanischen und allgemeiner noch die französischen Rechtsgelehrten sie bestritten. Dieselben Gründe, welche gegen die Regel von 1756 sprechen, nöthigen auch hier, diesen Binnenhandel der neutralen Schiffe als völkerrechtlich erlaubt und nur unter Umständen statsrechtlich beschränkt anzusehn. Da überdem heute diese engen Schiffahrtsbeschränkungen großen Theils dem Princip des freien Handelsverkehrs, ohne Rücksicht auf Nationalität, haben weichen müssen, so hat die ganze Frage viel von ihrem practischem Interesse verloren. 801. Die Zufuhr von Kriegscontrebande aber ist kein Friedensgeschäft. Recht der Neutralität. Jede Kriegspartei ist berechtigt, die Lieferung und die Zufuhr von Kriegs- contrebande zu verhindern, auch wenn dieselbe von Neutralen und auf neutralen Schiffen besorgt wird. 1. Die Freiheit des neutralen Handels darf nicht zu wirklicher Kriegs- hülfe mißbraucht werden, denn diese ist im Widerspruch mit wahrhaft neu- traler Haltung . Der Ausdruck Contrebande (urspr. contra bannum, wider das Verbot) stammt aus dem Mittelalter, als die Päpste unter der Strafe des Banns (der Excommunication) den Christen verboten, den Ungläubigen, welche bekriegt wurden, Waffen zuzuführen. Die Rücksichten auf die offenbare Unter- stützung einer Kriegspartei in ihrer Kriegsführung überwiegt hier über die Rücksicht auf die Handelsfreiheit der Neutralen. Der Kriegsstat kann das nicht dulden, ohne Gefahr für seine Kriegsführung, und ist berechtigt, die Contre- bande wegzunehmen, weil in ihrer Zufuhr die beabsichtigte Kriegshülfe offen- bar wird. 2. Im Allgemeinen wird dieser Grundsatz von allen civilisirten, auch von den neutralen Staten anerkannt, z. B. von der bewaffneten Neutralität von 1780 und von dem Pariser Congreß von 1856. Aber über die Ausdehnung des Begriffs der Contrebande und über die Mittel, sie zu verhindern, war von jeher viel Streit. England, als die größte Seemacht, war lange Zeit geneigt, jenen Be- griff und diese Mittel möglichst weit auszudehnen; und hinwieder die neutralen Staten, welche vorzugsweise ihren Handel schützen wollten, suchten im Gegentheil den Begriff möglichst zu beschränken und das Verfahren gegen neutrale Schiffe und Güter, welchen Contrebande vorgeworfen wurde, zu ermäßigen. Allmählich haben sich die Ansichten genähert, obwohl sie noch hin und her schwanken. Heute sind alle Seemächte zugleich stark interessirt, daß nicht im Seekrieg der neutrale Seehandel zu sehr belästigt und gefährdet werde, und keine ist mehr davor sicher, daß nicht eine schroffe und übertriebene Anwendung der Mittel gegen die Contrebande auch ihre Handelsinteressen schwer verletze. 802. Als Kriegscontrebande sind zu betrachten diejenigen Sachen, welche einer Kriegspartei zum Behuf und zur Unterstützung der Kriegsführung als Kriegsmittel und Kriegsausrüstung zugeführt werden. Daß die Zufuhr solcher Sachen als Contrebande zu beurtheilen sei, ergibt sich aus dem Grundgedanken mit logischer Nothwendigkeit; und es kann nur in Frage kommen, einmal ob wirklich im besondern Fall gewisse Sachen der Kriegs- führung als Mittel zudienen (§ 803) und ob die Absicht der Kriegshülfe vorhanden oder auch erforderlich sei (§ 806), um die Wegnahme der Contrebande zu begrün- den. Im Einzelnen kann die Thatfrage oder die Rechtsfrage streitig sein. Bluntschli , Das Völkerrecht. 28 Neuntes Buch. 803. Allgemein und abgesehen von besonderen Verträgen, welche andere für die Vertragsparteien bindende Vorschriften treffen, gehören hieher: a ) die Kriegswaffen, Kanonen, Flinten, Säbel, Kugeln, Pulver und ähnliche Kriegswerkzeuge; b ) aber auch Salpeter und Schwefel, die zur Pulverfabrication dienen; c ) Kriegsfahrzeuge; d ) feindliche Kriegsdepeschen, die im Intersse einer Kriegspartei transportirt werden. 1. Oft werden in Statenverträgen die Gegenstände näher bezeichnet, welche ausschließlich als Contrebande behandelt werden dürfen. Aber dieses Vertrags- recht gilt nur im Verhältniß der Vertragsparteien zu einander, nicht als allge- meines Recht. 2. Zu a ) Gewisse Sachen dienen ihrer Natur nach immer und nur — oder doch gewöhnlich — der Kriegsführung, wie besonders Waffen aller Art und Kriegsinstrumente. Diese sind unzweifelhaft Contrebande. Indessen sogar da ist die Aufzählung aller einzelnen Gegenstände deßhalb nicht möglich, weil von Zeit zu Zeit neue Kriegswaffen erfunden werden, welche weder in den Verträgen noch in den Gesetzen vorher benannt werden konnten. Dem Pulver z. B. steht die Schießbaumwolle gleich, obwohl sie nicht genannt ist, und ebenso den Feuer- steinen und dem Zunder der alten Flinten die neueren metallenen Zünd- hütchen , die Patronenhülsen und die Einheitspatronen . Wenn aber Verbandzeug und ärztliche Instrumente für die mili- tärische Krankenpflege zugeführt werden, so ist das keine Contrebande, sondern fried- licher Verkehr, obwohl er auch dem Heere zu Gute kommt. 3. Zu b ) Salpeter und Schwefel sind freilich keine Waffen, aber ihre Beziehung zur Pulverfabrication ist eine so nahe, daß sie deßhalb von allen Völkern wie Kriegsmaterial betrachtet werden, wenn nicht ausnahmsweise ein an- derer friedlicher Gebrauch dieser Stoffe klar vorliegt. Auch die zweite bewaff- nete Neutralität von 1800 erwähnt dieser Gegenstände ausdrücklich als Contrebande. 4. Zu c ) Die kriegerische Natur der Kriegsfahrzeuge ist zweifellos; aber da auch Schiffe, welche bisher dem Handel dienten, in Kriegsfahrzeuge umge- wandelt werden können, so kann es im einzelnen Fall zweifelhaft werden, ob ein Schiff noch als Handelsschiff frei, oder bereits als Kriegsschiff Contrebande sei. Die letztern Zweifel können nur im einzelnen Fall nach Erwägung aller Um- stände und Anzeichen entschieden werden. 5. Zu d ) Die sogenannten Kriegsdepeschen sind unzweifelhaft wieder Contrebande, z. B. Befehle des Feldherrn an einen detachirten Corpscommandanten Recht der Neutralität. oder eine Flottenstation zu kriegerischen Zwecken. Dagegen Friedensdepeschen , wohin auch die diplomatische Correspondenz durchweg zu rechnen ist, dür- fen unbedenklich auf neutralen Schiffen sicher versendet werden. So z. B. wurde das Bremer Schiff Atalante von dem englischen Richter Scott im Jahr 1808 ver- urtheilt, weil es Kriegsdepeschen von dem französischen Gouverneur von Isle de France an den französischen Marineminister zu befördern übernommen hatte; da- gegen die nordamerikanische Carolina in demselben Jahr freigesprochen, weil sie nur diplomatische Depeschen des französischen Gesanten in den Vereinigten Staten an die französische Regierung an Bord hatte. Siehe die Fälle bei Wheaton Int. Law. § 504. Anm. von Dana . Auch in dem Krimmkriege von 1854 wur- den von England und Frankreich die Neutralen davor gewarnt, daß sie nicht Kriegsdepeschen befördern, indem derartige Versuche von den Kriegsmächten nicht geduldet würden. 804. Was das neutrale Schiff zu eigenem Bedarf an Waffen und Munition mit sich führt, ist nicht Contrebande. Auch friedliche Handelsschiffe führen gewöhnlich Schiffskanonen mit, und be- dürfen, wenn sie durch Seeräuber gefährdete Meere befahren, je nach Umständen einer ausgiebigeren Selbstbewaffnung. Das ist unbestreitbares Recht der Neutralen und darf daher nicht als verbotene Contrebande behandelt werden. 805. Die Zufuhr von Gegenständen, welche auch dem friedlichen Gebrauche zudienen, wie insbesondere von Kleidungsstücken, Geldsummen, Pferden, Schiffsbauholz, Segeltüchern, Eisenplatten, Dampfmaschinen, Brennkohlen, Privatschiffen u. s. f. ist in der Regel als erlaubt zu betrachten, und darf nur ausnahmsweise als Kriegscontrebande behandelt werden, wenn ent- weder die besonderen Verträge sie als solche bezeichnen oder wenn im ein- zelnen Fall erweisbar ist, daß die Zufuhr einen unmittelbaren Bezug auf die Kriegsführung hatte und zugleich die Unterstützung derselben beabsichtigt war, wie z. B. zur Uniformirung der feindlichen Truppen, zur Lieferung von Kriegssubsidien, zur Ausrüstung der feindlichen Cavallerie mit Pferden, zur Erbauung von Panzerschiffen und Kriegsfahrzeugen, zum Transport feindlicher Truppen. Die Vermuthung ist jederzeit für den friedlichen Gebrauch und gegen die Annahme von Kriegscontrebande. Dieses Gebiet der sogenannten relativen Kriegscontrebande ist vorzüglich 28* Neuntes Buch. dem Zweifel und Streit ausgesetzt. Soweit die Verträge Näheres bestimmen, sind dieselben anzuwenden. Abgesehen aber von Vertragsbestimmungen bleibt nur übrig, die Frage aus der Natur der Sache zu entscheiden. Da gehen nun meines Er- achtens die beiden extremen Meinungen zu weit. Die eine betrachtet solche für die Kriegsführung je nach Umständen brauchbare Gegenstände in der Regel als Contrebande, sobald sie dem Feinde zugeführt werden . Die Neu- tralen können solche Gegenstände, welche sowohl im Frieden als im Krieg brauchbar sind ( res anticipis usus ) zu Friedens- oder zu Kriegszwecken dem feindlichen Lande zuführen. Ersteres ist ein reines Friedensgeschäft , letzteres ist Kriegshülfe . Jenes muß erlaubt sein, dieses wird von der Kriegspartei mit Recht untersagt. Es ist aber kein Grund für die letztere Auslegung zu vermuthen. Im Gegentheil, der friedliche Handel der Neutralen ist die Regel, die Kriegshülfe die Ausnahme. Oefter wird die entgegengesetzte Meinung verfochten, daß diese Gegenstände niemals als Kriegscontrebande behandelt werden dürfen, sondern immer als erlaubter Handel gelten. Diese Meinung wird von manchen Pu- blicisten insbesondere auch damit vertheidigt, daß die Unterscheidung im einzelnen Fall allzu schwierig und daß es gefährlich sei, das Urtheil darüber der Kriegspartei zu überlassen. Dieser Einwand ist richtig, aber er bezieht sich nur auf die Organi- sation der Rechtspflege und das Rechtsverfahren und kann nicht die sachliche Rechts- frage entscheiden, ob das Contrebande sei oder nicht. 2. Wenn die Bestimmung dieser Waaren für die Kriegszwecke aus den Umständen klar wird, und zugleich die Absicht der Kriegshülfe , dann kann man der Kriegsmacht unmöglich zumuthen, daß sie ruhig zusehe, wie die militärischen Kräfte des Feindes verstärkt werden , und der Neutrale darf sich nicht beklagen, wenn nun seine beabsichtigte Unterstützung der feindlichen Kriegsmacht nicht als ein Friedensgeschäft, sondern als unerlaubte Kriegshülfe behandelt wird, was sie ist. Wenn z. B. dem Feind Panzerplatten zugeführt werden, so wirkt das ganz ähnlich, wie wenn ihm Panzerschiffe geliefert werden. Es ist wesentlich einerlei, ob demselben Säbel, oder ob ihm Klingen und Handgriffe besonders zugeführt werden. Kriegssubsidien wirken in vielen Fällen stärkender für das Heer, das sie empfängt, als Pulver und Blei. Es kommt also nur auf den Beweis an, einerseits der Kriegsbestimmung , andererseits der Absicht der Kriegshülfe . Beides muß aus der Erwägung aller Umstände bona fide geschlossen werden. Der neutrale und freie Handel wird hinreichend ge- achtet, wenn man eher für als gegen denselben vermuthet und zur Verurtheilung den Schuldbeweis fordert. 806. Es genügt keineswegs, daß derartige Gegenstände nach den Um- ständen für die Kriegsführung nützlich verwendet werden könnten und ver- muthlich, wenn sie an ihre Adresse gelangten, auch verwendet würden, um dieselben als Kriegscontrebande wegzunehmen. Es darf höchstens in diesem Recht der Neutralität. Fall die Zufuhr dann thatsächlich gehemmt werden, wenn aus den Um- ständen die Verwendung zur Kriegsführung als eine nahe und ernste Gefahr erscheint. 1. Die Wegnahme der Kriegscontrebande rechtfertigt sich als Kriegsrecht nur dann gegen Neutrale, wenn diese Kriegshülfe gewähren, d. h. eine feindliche Handlung begehen, nicht aber, wenn diese nur ein friedliches Han- delsgeschäft vollziehn. Aber die Gefahr der Verwendung für die feindliche Kriegs- führung und daher für die Verstärkung des Feindes kann so groß und dringend sein, daß die kriegführende Macht veranlaßt ist, solchen Verkehr in Kriegs- zeiten zu verhindern . Die Waare erscheint dann zwar ohne Schuld ihres Eigenthümers und ohne Schuld des Schiffers gleichsam als „ zufällige “ Contre- bande. Sie darf nicht confiscirt werden, weil keine Schuld dazu berechtigt, aber ihre Verwendung zu Gunsten des Feindes darf gehindert werden, weil das Bedürfniß der Kriegsführung es erfordert. Das gilt z. B. auch von der Zu- fuhr von Brennkohlen in einen Seehafen, wo die feindliche Kriegsflotte vor Anker liegt. Ist dieselbe beabsichtigt zur Ausrüstung der Flotte, so wird sie mit Recht weggenommen, ist sie nicht beabsichtigt, aber würde derselbe Effekt erreicht, wenn man sie ungehindert ihre Bestimmung erreichen ließe, so ist eine wirksame Be- schlagnahme, gegen Entschädigung der Eigenthümer , wohl gerecht- fertigt. 2. Die Gerechtigkeit erfordert, daß hier das friedliche Handelsrecht und das unvermeidliche Kriegsrecht mit einander ausgeglichen werden . Der Handel hat nur den Gewinn, nicht den Sieg einer Kriegspartei vor Augen. Den Kaufleuten ist es gleichgültig, wozu ihre Waaren verwendet werden; ihnen liegt nur daran, daß sie zu möglichst günstigen Preisen je nach Umständen verkauft oder gekauft werden. Insofern werden viele Verträge der Art nicht zur Kriegshülfe gemacht, und nur wenn die Waare ihrer Natur nach ausschließlich für den Krieg bestimmt ist (§ 804) wird diese Einrede der Kaufleute nicht weiter zu beachten, son- dern unbedenklich auf unzweifelhafte Contrebande zu schließen sein. Bei den Waaren ancipitis usus hat jene Einrede der friedlichen Absicht einen guten Sinn. Die Kriegsmacht aber muß umgekehrt dafür sorgen, daß nicht die feindliche Macht eine Verstärkung erhalte, gleichviel ob die Absicht derer, welche die Ver- stärkung zuführen, friedlich oder feindlich sei. Vgl. Dana Anm. zu Wheaton Int. L. § 501 und die englische Geheimerathsverordnung vom 18. Febr. 1854 bei Phillimore III. § 266. 807. Es ist wider die gute Sitte, die Zufuhr von Lebensmitteln als Kriegscontrebande zu behandeln, wenn gleich dieselbe zur Ernährung des feindlichen Heeres dient. Aber die Kriegsgewalt ist berechtigt, einen bela- Neuntes Buch. gerten Platz abzusperren und durch thatsächliche Hemmung der Zufuhr auch von Lebensmitteln die Uebergabe zu erzwingen. Auch in dieser Hinsicht stimmen die Meinungen der Schriftsteller und die Bestimmungen der Verträge nicht überein. In dem französisch-englischen Revolutions- kriege suchte England den Kornhandel mit Frankreich, wenigstens mit der franzö- sischen Regierung, zu verhindern. Indessen traf dieser Versuch auf den Widerstand der neutralen Staten, welche mit Recht entgegneten, daß die Ernährung der Menschen ein wesentlich friedliches Geschäft und daher und abgesehen von der Ausnahme der Blocade — nicht zu verhindern, und nicht als Contrebande zu behandeln sei. Auch das eigene Bedürfniß, Lebensmittel zu erwerben, rechtfertigt nicht die Wegnahme neutraler Zufuhr von Seite der bedürftigen Kriegspartei. Vgl. die Note des Grafen Bernstorff vom Jahre 1793 bei Phillimore III. § 247. 808. Der Handel mit Kriegsgeräthschaften oder die fabrikmäßige Bear- beitung derselben ist den neutralen Personen auf neutralem Boden nicht durch das Völkerrecht verboten, auch nicht, wenn dieselben von einer Kriegs- partei gekauft oder bestellt werden. Aber es ist Pflicht des neutralen Stats, zu verhindern, daß nicht von neutralem Boden aus einer Kriegspartei Kriegshülfe geleistet werde (766) und Recht der Kriegspartei, die Kriegscontrebande wegzunehmen und die Verstärkung der feindlichen Kriegsmacht zu verhindern. Waffenfabriken, Pulverfabriken, Anstalten für den Bau von Kriegsschiffen u. s. f. sind wie der Handel mit solchen Gegenständen an sich friedliche Geschäfte und sie verändern ihre Natur auch im Kriege dritter Staten nicht. Das Völkerrecht kümmert sich erst darum, wenn entweder die Absicht der Kriegshülfe offenbar wird, oder doch die Gefahr der thatsächlichen Förderung der feindlichen Kriegsführung nahe erscheint. Der neutrale Stat hat daher erst von da an ein Interesse einzuschreiten, damit er sich nicht dem gerechten Vorwurf aussetze, daß er sein Gebiet zu feindlichen Handlungen mißbrauchen lasse. Zu diesem Behuf kann und soll er je nach Umständen Sicherheit gegen den Mißbrauch fordern und wenn es nöthig ist, auch Beschlag auf die Kriegsrüstung legen. 809. Die feindliche Kriegsmacht darf sich der Contrebande während der Recht der Neutralität. Zufuhr bemächtigen und dieselbe als gute Prise behandeln, aber sie hat kein anderes Strafrecht gegenüber den Neutralen auszuüben. Da der Kriegsstat außerhalb seines Gebiets — und das Meer gehört nicht zu seinem Gebiet — keine Strafgerichtsbarkeit besitzt, so darf er auch in diesem Falle die Kaufleute oder Schiffer, welche Contrebande führen, nicht strafen. Die Wegnahme der Contrebande ist nur eine völkerrechtlich anerkannte Ausübung des Kriegsrechts, nicht des Strafrechts . Aber der neutrale Stat darf wohl seine Angehörigen, welche seine Neutralität durch feindliche Handlungen in Gefahr bringen, deßhalb zur Verantwortung und Strafe ziehn. Das ist aber An- wendung des einheimischen Strafrechts , dessen Natur auch dann stats- rechtlich bleibt, wenn es völkerrechtliche Rücksichten nimmt. 810. Die Beschlagnahme bezieht sich auf das Frachtschiff, welches die Contrebande führt, nur insofern, als es zum Vollzug der Wegnahme der Contrebande erforderlich ist, also nicht, wenn dieselbe nur einen unter- geordneten Theil der Ladung ausmacht und daher ausgeschieden und für sich allein weggenommen werden kann. Das Schiff darf nur dann als Prise dem Nehmestat zugesprochen werden, wenn der Schiffsherr gewußt und gestattet hat, daß das Schiff Contrebande zuführe. Die Wegnahme und Confiscation des Schiffs wird nur durch Verschuldung gerechtfertigt. Vgl. oben zu § 806. 811. Wenn die Verschuldung des Eigenthümers der Contrebande nicht aus den Umständen klar und dennoch die Beschlagnahme derselben wegen der offenbaren Bestimmung für die feindliche Kriegsführung gerechtfertigt erscheint, so hat der Nehmestat dem Eigenthümer den vollen Werth der weggenommenen Gegenstände zu ersetzen. In diesem Falle ist der weg- nehmende Kriegsstat als Zwangskäufer zu behandeln. Obwohl hier kein mit Confiscation bedrohter Handel vorhanden, sondern nur die Behinderung der thatsächlichen — wenn auch nicht beabsichtigten — Kriegshülfe gerechtfertigt ist, so macht der Eingriff in die Interessen der Eigen- thümer ihre Entschädigung nöthig. Aus diesem Grunde ist die Analogie des Zwangsverkaufs in dem völkerrechtlichen Gebrauch angewendet worden. Die ältere Praxis unterschied weniger sorgfältig und war sogar in solchen Fällen geneigt Neuntes Buch. zur Confiscation. Die neuere Praxis dagegen ist mäßiger geworden. Die englischen Prisengerichte erkennen dem geschädigten Eigenthümer über den realen Werth des ent- zogenen Gutes noch 10% Gewinn zu und es ist diese Bestimmung auch in mehrere Statenverträge aufgenommen worden, so in dem Vertrag zwischen England und den Vereinigten Staten vom 19. Nov. 1794. Vgl. Phillimore III. § 267 f. und besonders das Erkenntniß des Lord Stowell , ebenda § 270. 812. Der Kriegsstat darf sich keineswegs solcher Schiffe und Waaren bemächtigen, welche zwar für die Kriegsführung brauchbar sind, aber nicht dem Feinde, sondern einem neutralen Lande oder einem dritten Kriegslande, mit welchem er aber im Frieden ist, zugeführt werden. In diesen Fällen ist auch nicht die Gefahr einer zufälligen Kriegs- hülfe und daher auch keine zufällige Contrebande vorhanden (806). In den Verkehr der Neutralen mit andern Ländern als der Gegenpartei hat sich der Kriegsstat in keiner Weise einzumischen. 813. Wird aber die Fahrt nach einem neutralen Hafen nur in der Absicht unternommen, um auf diesem Umwege sicherer die Kriegsführung des Feindes zu unterstützen, so ist das Contrebande und die Wegnahme gerecht- fertigt. Z. B. eine Schiffsladung mit Waffen und Munition aus Amerika fährt nach dem neutralen Hamburg, während Petersburg der eigentliche Bestimmungsort ist und die Absicht, Rußland im Kriege mit England zu unterstützen aus den Umstän- den erhellt. Oder in einem Kriege zwischen Deutschland und Frankreich wird ein Panzerschiff aus England nach dem neutralen Holland geführt, zur Unterstützung einer der beiden Kriegsparteien. 814. Die Beschlagnahme kann auf dem Kriegsfelde, aber nicht in den neutralen Eigengewässern von der Kriegsmacht vollzogen werden. Zu dem Kriegsfelde wird auch die offene See insofern gerechnet, als sie zur Ver- mittlung der Kriegshülfe dient. Die neutralen Eigengewässer sind so wenig als das neutrale Land Recht der Neutralität. der Kriegspolicei der Kriegstaten unterworfen. Es ist bedenklich genug, daß man diesen gestattet, auf offener See , die in Niemandes Herrschaft ist und allen Nationen dient, neutrale Schiffe anzugreifen, wenn dieselben Contrebande führen. Aber auch das bedarf der Ermäßigung. In entlegenen Meeren, welche dem Kriegs- schauplatz fern liegen und füglich nicht zur Kriegshülfe benutzt oder mißbraucht wer- den können, darf der Kriegsstat nicht neutrale Schiffe wegen Verdachts der Kriegs- contrebande anhalten, ohne sich den gerechten Beschwerden der neutralen Staten aus- zusetzen. Vgl. unten § 819. 815. Die Zufuhr von Kriegstruppen oder von militärischen Führern auf neutralen Schiffen wird ebenso als Kriegscontrebande behandelt, wie die Zufuhr von Kriegsartikeln. Diese Truppen und Militärpersonen können kriegsgefangen gemacht werden. 1. Die Zufuhr von Hülfstruppen ist selbstverständlich eine feindliche That und Kriegshülfe, nicht minder als die Zufuhr von Waffen und Munition. Als Truppen sind auch bloße militärische Unterabtheilungen — z. B. ein Trupp Soldaten mit einem Unterofficier — gemeint, nicht bloß größere Truppen- körper, ebenso Freischarenzüge . 2. Ganz dasselbe gilt auch von Heerführern ohne Truppen. Es können unter Umständen einzelne Generale oder Officiere für den Erfolg militä- rischer Operationen eine ebenso große und noch größere Bedeutung haben, als grö- ßere Massen von Soldaten. 816. Wenn jedoch friedliche Auswanderer, obwohl sie vielleicht die Absicht haben, sich in dem kriegführenden Lande anwerben zu lassen, demselben zugeführt werden, so ist dieser Transport doch nicht als durch das Kriegs- recht untersagt zu betrachten. In diesen Fällen liegt keine directe Beziehung zur Kriegsführung vor und die indirecte ist zu entfernt und unsicher, um als Kriegscontrebande ange- sehen werden zu können. Die Auswanderung ist wesentlich eine friedliche That. In einer Reihe von neueren Verträgen ist das so bestimmt. Die französischen Verträge z. B. haben noch 1858 folgende Formel: „Il est également convenu, que la liberté du pavillon s’étend aux individus, qui seraient trouvés à bord des bâtiments neutres, a moins qu’ils ne soient militaires, et alors engagés au service de l’ennemi “. Die nordamerikanischen drücken Neuntes Buch. das so aus: „unless they are officers or soldiers and in the ac- tual service of the enemy“. Vgl. Marquardsen . Der Trentfall. Erlangen 1862. S. 61. 817. Ebenso wenig ist es Contrebande, wenn ein neutrales Schiff fried- liche Angehörige des feindlichen Landes, oder Gesante desselben hin- oder wegführt. Die neutralen Staten sind berechtigt, den Gesantenverkehr mit beiden Kriegs- staten zu unterhalten (796). Die Kriegspartei kann wohl verhindern, daß ein feind- licher Gesanter über ihr Gebiet reise und ihn, wenn er es ohne ihre Erlaubniß thut, als eine politisch wichtige feindliche Person gefangen nehmen, oder als Geisel behandeln, aber sie ist nicht dazu berechtigt, gegen ein neutrales Schiff auf offener See oder in neutralen Gewässern deßhalb Gewalt zu brauchen, weil es solche Per- sonen an Bord hat. Die Verhaftung der Gesanten des amerikanischen Südbundes Mason und Slidell auf einem englischen Postschiff durch ein nordamerikanisches Kriegsschiff im Febr. 1861 war daher nicht gerechtfertigt, und wäre auch dann nicht zu entschuldigen gewesen, wenn das neutrale Schiff aus einem feindlichen und nicht aus einem neutralen Hafen gefahren wäre. Die Vereinigten Staten gaben denn auch die Gefangenen frei, als sich England über diese Verletzung des Völkerrechts beschwerte. Vgl. die zu § 816 citirte Schrift von Marquardsen und die Anm. v. Dana zu Wheaton Int. L. § 504. 818. Neutrale Schiffe, welche den Transport von feindlichen Truppen besorgen, verlieren dadurch jeden Anspruch auf den Schutz ihrer Neutralität und werden mit Recht als gute Prise behandelt, aber nur während sie diese feindliche Handlung vornehmen, nicht wenn dieselbe vollzogen ist, also nicht auf dem Rückwege ohne Kriegsladung. Der Transport von Truppen der feindlichen Macht , z. B. im Krimmkriege der französischen und englischen Truppen nach der Krimm ist unzweifelhaft eine Unterstützung der Kriegsführung, und setzt daher die neutralen Schiffe, die sich dazu hergeben, der Wegnahme aus. Aber diese ist wieder nur zulässig, wenn die- selben auf der That ergriffen werden, nicht später, wenn sie wieder auf friedlicher Fahrt begriffen sind. 819. Zum Schutz gegen den Mißbrauch des freien neutralen Verkehrs Recht der Neutralität. zur Unterstützung einer Kriegspartei ist jeder Kriegsstat berechtigt, innerhalb des Kriegsfeldes, wozu außer den eigenen und den feindlichen Eigen- gewässern auch die offene See insoweit gehört, als sie für die Fahrt dahin benutzt wird, auch die neutralen Schiffe während des Kriegs anzuhalten und zu untersuchen, ob sie nicht Contrebande führen. Die Durchsuchung ist nicht gestattet in den Eigengewässern neutraler Staten und nicht in entlegenen Meeren. Vgl. oben § 304 f. und zu § 814. Das Durchsuchungsrecht auf offener See in Kriegszeiten ist freilich eine erhebliche Beschränkung des sonst allgemein an- erkannten Grundsatzes, daß das Meer frei und keiner besondern Statshoheit unter- worfen sei. Dasselbe ist aber durch das dringende Bedürfniß der kriegführenden Staten, sich gegen alle feindlichen Handlungen auch der Neutralen zu schützen, in den Gebrauch des Seekriegs aufgenommen und auch von den Neutralen als Noth- recht des Kriegs zugestanden worden. 820. Die Prüfung erstreckt sich auf die Statsangehörigkeit des Schiffes, und auf die Beschaffenheit, die Herkunft und die Bestimmung der Ladung. Nur nach Maßgabe ernster Verdachtsgründe darf die Prüfung zu einer Durchsuchung gesteigert werden, insbesondere wenn sich zeigen sollte, daß die Schiffspapiere falsch oder mit der gebrauchten Flagge im Widerspruch sind oder aus den Umständen auf Verheimlichung und Täuschung geschlossen werden kann. Vgl. oben § 344 f. und unten § 822 ff. 821. Berechtigt zu der Prüfung ist der Kriegsstat, beziehungsweise die zum Vollzug ermächtigten Kriegsschiffe. 822. Zunächst besteht die Prüfung nur in der Einsicht der Schiffspapiere. Nur wenn ernste Verdachtsgründe sich zeigen, darf eine Durchsuchung der Schiffsräume selber vorgenommen werden; und nur wenn Contrebande vorgefunden wird, darf das Prisenrecht geübt werden. Vgl. zu § 820. Neuntes Buch. 823. Der Stat, dessen Kriegsschiffe die Durchsuchung vornehmen, ist dem neutralen State dafür verantwortlich, daß bei der Prüfung und Durch- suchung nicht mit ungebührlicher Gewalt und Härte verfahren werde. Darin liegt das nöthige Correctiv gegen den Mißbrauch jenes Nothrechts. Indem der Kriegsstat auf offener See das neutrale Schiff anhält, greift er immer- hin ein in die Freiheit und Selbständigkeit auch des neutralen Statsgebiets, zu welchem der auf der See schwimmende Gebietstheil gehört. Damit ist die Ver- antwortlichkeit desselben gegenüber dem neutralen State begründet, der sich diesen Eingriff nur mit Rücksicht auf das Nothrecht des Kriegs, nicht darüber hinaus gefallen läßt. Die prüfende und durchsuchende Mannschaft des Kriegsschiffs muß sich erinnern, daß sie, genau genommen, auf fremdem, neutralem Gebiete und gegenüber von Personen ihre Controle übt, welche an sich ihrer Statsherrschaft nicht unterworfen und als Freunde keinen feindseligen Maßregeln ausgesetzt sind. Sie hat daher auch die Rücksichten der Freundlichkeit ( com ity ) zu beobachten, welche Staten, die im Frieden leben, einander schulden, und darf weder herrisch noch gewaltthätig verfahren, so lange keine Verschuldung des neutralen Schiffs offen- bar ist. 824. Wenn der neutrale Stat durch Statsschiffe die neutralen Handels- schiffe begleiten läßt, und dem Kriegsstate die Versicherung gibt, daß die begleiteten Schiffe keine Contrebande enthalten, so darf keine weitere Durchsuchung vorgenommen werden, sondern es hat sich das feindliche Kriegsschiff zu begnügen, die Vollmacht des neutralen Geleitschiffs und durch dessen Vermittlung die erforderlichen Aufschlüsse über die geleiteten Schiffe zu empfangen. Wenn der neutrale Stat selber die Aufsicht und Controle über die neu- tralen Schiffe besorgt und durch Mitsendung eines Statsschiffs als Geleit- schiffs die Garantie dafür übernimmt, so hat er ein Recht darauf, daß nicht der Kriegsstat die Freiheit seiner Flagge und die Achtung seiner Selbständigkeit durch eine Untersuchung verletze, die nur aus Noth und nur um des Verdachtes der Kriegshülfe willen von dem Völkerrecht gestattet wird. Zwar ist jenes Recht zu- weilen, besonders von England, bestritten worden. Aber es hat doch guten Grund in dem friedlichen Verhältniß der neutralen zu den Kriegsstaten. Jene dürfen von diesen fordern, daß sie ihrem statlich bekräftigten Worte vertrauen. Die bewaffnete nordische Neutralität von 1800 (womit zu vergleichen ist der Vertrag zwischen Recht der Neutralität. England und Rußland von 1801) hat den Grundsatz in folgenden Sätzen ausgesprochen: Que la déclaration de l’officier commandant le vaisseau ou les vais- seaux de la marine royale ou impériale, qui accompagneront le convoi d’un ou de plusieurs bâtiments marchands, que son convoi n’a à bord aucune marchandise de contrebande, doit suffire pour qu’il n’y ait lieu à aucune visite sur son bord ni à celui des bâtiments de son convoi. Pour assurer d’autant mieux à ces principes le respect dû à des sti- pulations dictées par le désir des intéressés, de maintenir les droits impre- scriptibles des nations neutres, et donner une nouvelle preuve de leur loyanté et de leur amour pour la justice, les hautes parties contractantes preunent ici l’engagement le plus formel, de renouveler les défenses les plus sévères à leurs capitaines, soit de hautbord, soit de la marine marchande, de charger, tenir ou recéler à leurs bords aucun des objets, qui, aux termes de la présente convention, pourraient être réputés de contrebande et de tenir respectivement la main à l’exécution des ordres qu’elles feront publier dans leurs amirautés et partout où besoin sera, à l’éffet de quoi l’ordonnance, qui renouvellera cette défense sous les peines les plus graves, sera imprimée à la suite du présent acte pour qu’il n’en puisse être prétendu cause d’ignorance. Les hautes parties contractantes voulant encore prévenir tout sujet de dissension à l’avenir limitant le droit de visite des vaisseaux marchands allaut sous convoi, aux seuls cas où la puissance belligérante pourrait es- suyer un préjudice réel par l’abus du pavillion neutre, sont convenus: 1. Que le droit de visiter les navires marchands appartenant aux sujets de l’une des puissances contractantes et naviguant sous le convoi d’un vaisseau de guerre de ladite puissance ne sera exercé que par les vaisseaux de guerre de la partie belligérante, et ne s’étendra jamais aux armateurs, corsaires ou autres bâtiments, qui n’appartiennent pas à la flotte impériale ou royale de leurs Majestés, mais que leurs sujets auraient armés en guerre. 2. Que les propriétaires de tous les navires marchands appartenant aux sujets de l’un des Souverains contractants, qui seront destinés à aller sous convoi d’un vaisseau de guerre, seront tenus, avant qu’ils ne reçoivent leurs instructions de navigation, de produire au commandant du vaisseau de convoi leurs passeports et certificats ou lettres de mer, dans la forme annexée au présent traité. 3. Que, l’orsqu’un tel vaisseau de guerre, ayant sous convoi des na- vires marchands, sera rencontré par un vaisseau ou des vaisseaux de guerre de l’autre partie contractante qui se trouvera alors en état de guerre, pour éviter tout désordre, ou se tiendra hors de la portée du canon, à moins que l’état de la mer ou le lieu de la rencontre ne nécessite un plus grand rapprochement; et le commandant du vaisseau de la puissance belligérante Neuntes Buch. enverra une chaloupe à bord du vaisseau de convoi, où il sera procédé réciproquement à la vérification des papiers et certificats, qui doivent con- stater, d’une part que le vaisseau de guerre neutre et autorisé à prendre sous son escorte tels ou tels vaisseaux marchands de sa nation, chargés de telle cargaison et pour tel port; de l’autre part, que le vaisseau de guerre de la partie belligérante appartient à la flotte impériale ou royale de leurs Majestés. 4. Cette vérification faite, il n’y aura lieu à aucune visite, si les papiers sont reconnus en règle, et s’il n’existe aucun motif valable de suspicion. Dans le cas contraire le commandant du vaisseau de guerre neutre (y étant dûment requis par le commandant du vaisseau ou des vais- seaux de la puissance belligérante) doit amener et détenir son convoi pen- dant le temps nécessaire pour la visite des bâtiments, qui le composent; et il aura la faculté de nommer et de déléguer un ou plusieurs officiers pour assister à la visite desdits bâtiments, la quelle se fera en sa présence sur chaque bâtiment marchand, conjointement avec un ou plusieurs officier pré- posés par le commandant du vaisseau de la partie belligérante. 5. S’il arrive que le commandant du vaisseau ou des vaisseaux de la puissance en guerre, ayant examiné les papiers trouvés à bord, et ayaut interrogé le maître et l’equipage du vaisseau, apercevra des raisons justes et suffisantes pour détenir le navire marchand, afin de procéder à une recherche ultérieure, il notifiera cette intention au commandant du vaisseau de convoi, qni aura le pouvoir d’ordonner à un officier de rester à bord du navire aussi détenu, et assister à l’examen de la cause de sa détention. Le navire marchand sera amené tout de suite au port le plus proche et le plus convenable appartenant à la puissance belligérante, et la recherche ultérieure sera conduite avec toute la diligence possible. 825. Ergibt sich bei der Prüfung dieser Papiere ein ernster Verdacht von Contrebande, so wird zwar ausnahmsweise die Durchsuchung des verdächtigen Schiffes vorgenommen, aber es ist dem geleitenden Statsschiffe Gelegenheit zu geben, bei der Vornahme derselben repräsentirt zu sein. Wird dann nach der Meinung des Kriegsschiffs Contrebande entdeckt, so ist dem Com- mandanten des Geleitschiffes davon Anzeige zu machen, und dieser kann einen Officier beauftragen, der Stellung des vermeintlichen Contrebande- schiffes vor das nächste Prisengericht und der Verhandlung vor demselben im Interesse des neutralen Verkehrs beizuwohnen. Der Kriegsstat hat immerhin sein selbständiges Recht und Interesse zu wahren. Daher kann ihm nicht zugemuthet werden, daß die Berufung auf das Recht der Neutralität. Zeugniß des neutralen Stats jede weitere Prüfung auch verdächtiger Schiffe absolut verhindere. Es ist möglich, daß der neutrale Stat selber getäuscht worden war und seinerseits nicht sorgfältig genug geprüft hatte. Es ist überdem noch eher möglich, daß der Kriegsstat und der neutrale Stat eine verschiedene Meinung über die Aus- dehnung des Begriffs Contrebande haben, und jener eine Ladung für Contrebande hält, welche dieser nicht als Contrebande ansieht. Da kommt es wieder darauf an, den Conflict der Meinungen und Interessen auszugleichen . Da- mit stimmen auch die Satzungen der bewaffneten Neutralität von 1800 (vgl. zu § 824) überein. Vgl. Heffter § 170. Ganz passend ist die Bestimmung des englisch-russischen Vertrags von 1801: „It is in like manner agreed, that if any merchant ships thus conveyed should be detained without just and sufficient cause, the commander of the ships or ships of war of the belligerant power shall not only be bound to make to the owners of the ships and of the cargo a full and perfect compensation for all the losses, expenses, damages and costs occasioned by such a detention, but shall, moreover, undergo an ulterior punishment for every act of violence or other fault which he may have committed, according as the nature of the case may require“. 826. Dieser Schutz des neutralen Geleitschiffes erstreckt sich nur auf die früher schon ausdrücklich und nach vorheriger Prüfung in den Geleitschutz aufgenommenen Handelsschiffe und kann nicht erst unterwegs angerufen werden, wenn ein neutrales Schiff ohne diese Vorsicht die Fahrt unter- nommen hat und nun befürchtet, durchsucht zu werden. Schiffe, welche sich erst unterwegs an die geleiteten Schiffe ( convoi ) anschlie- ßen, sind demnach als nicht durch das Geleite legitimirt der gewöhnlichen Prüfung ausgesetzt. Aber es bleibt auch in diesem Falle dem Commandanten des Geleites unverwehrt, einen Officier mitzuschicken, damit er der Untersuchung bei- wohne. Neuntes Buch. 5. Blocade. 827. Die Kriegsstaten sind berechtigt, im Interesse wirksamer Kriegs- führung feindliche Häfen, Festungen, unter Umständen eine bestimmte feind- liche Küstenstrecke gegen jede Handelsverbindung auch mit den Neutralen abzusperren. 1. Das Recht der Kriegsstaten, einen Hafen oder eine Küste des feindlichen Gebiets für den Handel abzusperren, zu blokiren , wird in Kriegszeiten von Alters her geübt und völkerrechtlich anerkannt. Aber über den Grund dieses Rechts gehen die Meinungen aus einander. Die Uebung bezeugt nur die verbreitete Rechtsüber- zeugung, aber erklärt dieselbe nicht. Manche Publicisten, wie Hübner, Ortolan und Hautefeuille erklären sie aus der souveränen Gewalt, welche die Kriegs- macht über die feindlichen Küstengewässer ergreife und ausübe. Aber einmal ist diese Gewalt (die Besitznahme) nicht unbestritten, denn die blokirte Küste selbst ist meistens noch im Besitze des Feindes, der seine Gewalt, soweit die Strandbatterien schießen, auch über den Hafen und den Küstensaum behauptet und ausübt. Sodann wird das Blocaderecht in das offene Meer hinein geübt, wo die Wachschiffe stationirt sind und auf offenem Meere gibt es keine besondere Souveränetät eines Stats gegen- über andern Staten. Endlich erklärt die Gebietshoheit — zumal eine bloß provi- sorische — nicht das allgemeine Verbot des an sich berechtigten, vielleicht vertrags- mäßig geschützten Handelsverkehrs. 2. Der Grund kann nicht in der Souveränetät, sondern wieder nur in dem Nothrecht des Kriegs gefunden werden. Die energische, auf raschen Erfolg hin- arbeitende Kriegsführung kann der Blocade nicht entbehren. Gewiß ist jede Blocade auch eine schwere Schädigung der neutralen Interessen , aber man nimmt an, die Neutralen müssen sich dieselbe als eine unvermeidliche Folge des Kriegs, wie diesen selber, gefallen lassen, welcher die neutralen Interessen auch sonst vielfältig verletzt. Schon Grotius und Bynkershoek , neuerlich auch Geßner ( Droit des Neutres. Berlin 1865) erklären das Blocaderecht mit guten Gründen aus der Kriegsnothwendigkeit . Gerade weil es Nothrecht ist, muß es auf die Fälle und das Maß der Noth eingeschränkt werden. 828. Die Neutralen sind verpflichtet, eine wirksame Blocade während des Kriegs zu beachten. Als wirksam gilt dieselbe, wenn der blokirende Kriegsstat die Zu- Recht der Neutralität. fahrt zu der blokirten Küste durch eine ausreichende Macht fortwährend und thatsächlich verhindert. Die bloße Erklärung der Blocade genügt nicht. 1. In frühern Zeiten wurde das Blocaderecht von den Seemächten in viel weiterem Umfange ausgeübt. Die allmähliche Einschränkung des Blo- caderechts ist ein Fortschritt des neueren Bölkerrechts, weil sie die Gewaltthaten des Kriegs ermäßigt und den friedlichen Verkehr schützt. Insbesondere behaupteten die Seemächte früher, daß die bloße Erklärung der Blokade genüge, um den Handel auch den Neutralen nach der als blokirt erklärten Küste zu untersagen. So hatte z. B. England 1780 die ganze französische Küste und im Jahr 1806 der Kaiser Napoleon alle englischen Küsten in Blocadezustand erklärt. Auf dem Pariser Congreß von 1856 wurde endlich (16. April) der früher schon von der ersten bewaffneten Neutralität vertretene, aber auch von England und Frankreich 1854 im Russischen Krieg angenommene Grundsatz anerkannt: „Les blocus pour être obli- gatoires, doivent être effectifs, c’est à dire maintenus par une force suffi- sante pour interdire réellement l’accès du littoral de l’ennemi“. Es wird also nur die „ effective “ (wirksame), nicht die fictive (Papier blocus ) See- sperre anerkannt. 2. Ein Antrag, die bloße Handelsblocade , d. h. die Hemmung des reinen militärisch unverfänglichen Handelsverkehrs , überhaupt nicht mehr zuzulassen, sondern nur noch die militärische Blocade , d. h. welche den Verkehr mit einer Festung oder einer militärisch-wichtigen Seestation abschneidet, ist bisher noch nicht zu weiterer Anerkennung gelangt. Man begreift es, daß die See- mächte, deren Macht und Zwang wesentlich auf die Küsten beschränkt sind, sich da- gegen sträuben, eine solche Beschränkung anzunehmen, durch welche ihre Nöthigungs- mittel sehr erheblich vermindert würden. Vgl. Dana zu Wheaton Int. L. § 510. und oben zu § 673. 829. Für wirksam gesperrt ist ein Hafen dann zu erachten, wenn die Ein- und Ausfahrt entweder durch Kriegsschiffe, welche vor dem Hafen liegen, oder durch Landbatterien des blokirenden Stats verhindert werden. Eine bestimmte Anzahl von Kriegsschiffen wird nicht erfordert, ebenso wenig als eine bestimmte Anzahl von Kanonen der Landbatterie. Aber es muß die vorhandene Kriegsmacht nahe und stark genug sein, um nicht bloß in einzelnen Fällen, aber auch nicht nothwendig in allen Fällen, sondern regelmäßig den Verkehr der Handelsschiffe verhindern zu können. Man muß sich hier vor zwei extremen Auslegungen des Wortes „ effective Blocade“ hüten. Die eine überspannt die Anforderung an dieselbe, indem sie Bluntschli , Das Völkerrecht. 29 Neuntes Buch. nur die Sperre als wirksam betrachten will, die allen Verkehr absolut zu hin- dern vermag, und jede Blocade als unwirksam erklärt, wenn es auch nur Einem Schiffe gelingt, unbemerkt und unaufgehalten hindurchzukommen. Das heißt von der sperrenden Kriegsgewalt Unmögliches verlangen. Eine andere ebenfalls ex- treme Meinung begeht den entgegensetzten Fehler, indem sie die Wirksamkeit des Blocus zu leicht nimmt und schon eine gelegentliche Behinderung einzelner Schiffe durch ein Kreuzerschiff der Kriegsmacht für genügend erachtet. Das aner- kannte Völkerrecht hält sich in der Mitte zwischen diesen Extremen. Die Ausnahme einer glücklichen Ein- oder Ausfahrt trotz der Blocade macht dieselbe nicht unwirksam und die Ausnahme einer unglücklichen Wegnahme eines neutralen Schiffs durch einen Kreuzer macht dieselbe nicht wirksam. Es muß vielmehr nach dem Ausdruck des Grafen Granville (16. Mai 1861) in Folge der Blocade wirklich schwierig sein, ungehemmt in den blokirten Hafen ein- oder aus demselben auszulaufen. Es muß eine ernste und nahe Gefahr sein, durch die Wachschiffe hindurch zu kommen. In dem nordamerikanischen Bürgerkrieg 1861—65 wurde die effective Blocade in diesem Sinne von den Vereinigten Staten gehandhabt und von den Neutralen anerkannt. 830. Weder ist eine fingirte Blocade durch ein bloßes Decret, ohne die thatsächliche Geltendmachung zulässig noch eine Blocade der Seehäfen durch hin und her fahrende Kreuzer ohne dauernde Kriegsstation. Allerdings ist auch heute noch die Blocade einer Küste , nicht bloß ein- zelner Seehäfen möglich; und insofern wird jene noch durch Kreuzer gehand- habt, aber doch nur in Verbindung mit einer festen Schiffsstation , welche regelmäßige Wache hält. Die bewaffnete Neutralität von 1780 hatte den Grundsatz so ausgedrückt: „on accorde cette détermination (d’un port bloqué ) qu’ à celui où il y a, par la disposition de la puissance qui l’attaque avec des vaisseaux arrêtés et suffisamment proches un danger évident d’entrer. In dem Neutralitätsvertrag zwischen Rußland und England vom Jahr 1801 wurde dann diese Bestimmung durch die nur scheinbar unerhebliche Wandlung des Wörtchens et in das bedenkliche ou sehr abgeschwächt, und dem Mißbrauch einer Blocade durch bloße Kreuzer wieder eine Thüre eröffnet. Vgl. Geßner a. a. O. S. 167. 831. Der Kriegsstat ist verpflichtet, die Blocade öffentlich und allgemein zu erklären und davon auch soweit sein regelmäßiger diplomatischer Verkehr reicht, den neutralen Staten sofort davon Anzeige zu machen, damit die- Recht der Neutralität. selben ihre Handelsschiffe rechtzeitig vor der drohenden Gefahr warnen können. Die vorherige Kenntnißgabe ist eine Bedingung der rechtmäßigen Blocade. Wenn dieselbe aber wegen der großen Entfernung des blokirten Hafens unthunlich erscheint, so daß die Anordnung der Blocade antecipirt werden muß, so ist jene Anzeige doch auch in diesem Falle möglichst zu beschleunigen. 1. Nur die Statsgewalt kann eine Blocade anordnen. Es ist das ein Act der Souveränetät. Da derselbe aber auch für die Neutralen wichtige und ge- fährliche Folgen hat, so ist diese eingreifende Maßregel möglichst bald den neutralen Staten zur Kenntniß zu bringen. Diese würden mit vollem Recht sich beschweren können, wenn ihre Schiffe, ohne vorherige Anzeige und Warnung von den blokirenden Kriegsschiffen des Kriegsstats wegen Verletzung der Blocade weggenommen würden. Zuweilen haben darüber Statsverträge nähere Bestimmungen getroffen, z. B. der englisch-amerikanische von 1794. 2. Die antecipirte Blocade wird insofern sofort wirksam, als den neu- tralen Schiffen die Fahrt zu oder aus dem blokirten Hafen je nach Umständen ver- wehrt oder doch erschwert wird. Aber sie darf nicht zur Wegnahme von neutralen Schiffen führen, die in gutem Glauben sind. 832. Die Kenntnißgabe ist aber auch direct in einzelnen Fällen an die zur See befindlichen und sich in gutem Glauben nähernden neutralen Schiffe zu richten, damit dieselben dadurch veranlaßt werden, nach einem nicht blokirten Hafen zu steuern und so den Folgen der Blocade aus- weichen. 1. Die Proclamation des Präsidenten Lincoln vom 19. April 1861 schreibt den Commandanten der Wachschiffe vor: „Wenn ein neutrales Schiff sich nähere, dasselbe ohne Verzug zu warnen, und die Warnung in die Schiffspapiere eintragen zu lassen. Würde das gewarnte Schiff später wieder versuchen, trotz der Blocade in den blokirten Hafen ein- oder aus demselben auszulaufen, dann soll es weggenommen werden“. Bei den gerichtlichen Verhandlungen darüber wurde indessen anerkannt, daß die individuelle Warnung nur da eine Bedingung der Wegnahme des Schiffs sei, wo dasselbe nicht ohnehin Kenntniß von der Blocade gehabt habe, nur insofern es in gutem, nicht wenn es in bösem Glauben sei. Vgl. Dana zu Wheaton § 518. 2. Eine Rechtsvermuthung , daß den neutralen Schiffen die Blocade bekannt geworden sei, besteht nur insofern, als dieselben aus einem Hafen kommen, in welchem die Blocade notorisch bekannt war. Diese Notorietät versteht sich für den blokirten Hafen , aber nicht ohne weiters für die neutralen Häfen. 29* Neuntes Buch. 3. Die Anzeige für sich allein wirkt nicht, sondern nur in Verbindung mit der thatsächlichen Sperre. Würde also z. B. angezeigt, es seien sämmtliche Häfen einer Küste blokirt, aber in Wahrheit nur die einen wirklich durch Blocade- schiffe gesperrt, die andern nicht, so wäre das neutrale Schiff nicht gehindert, in einen der letztern Häfen zu fahren. 833. Die Blocade dauert nicht länger, als sie wirksam ist. Wenn die Kriegsschiffe ihre Station verlassen und wegfahren, oder wenn die- selben durch einen feindlichen Angriff vertrieben oder durch Stürme zerstreut werden, so ist die Blocade nicht mehr wirksam und damit hört auch die Verbind- lichkeit der Neutralen auf , die Blocade zu beachten. Die von englischen Publicisten öfter vertheidigte Meinung, daß die Neutralen es abwarten müssen, bis sie eine Erklärung über die Aufhebung der Blocade erhalten, ist im Wider- spruch mit dem von dem Pariser Congreß von 1856 anerkannten Grundprincip und würde wieder zu einem bloß fictiven Blocus führen. 834. Nur wenn die Störung der Blocade eine bloß momentane und vorübergehende war und ohne Verzug durch Wiederherstellung wieder be- seitigt wird, so wird angenommen, die alte Blocade daure fort. Die bloße vorübergehende Störung der Blocade ist nicht Auf- hebung derselben. Während der Störung, die nur einen thatsächlichen Charakter hat, haben wohl die neutralen Schiffe eine glückliche Aussicht, ungehemmt durchzu- kommen. Aber die sofortige Beseitigung der Störung und Wiederherstellung des frühern Blocadezustands wird als Fortsetzung desselben und nicht als eine neue Blocade betrachtet. Es bedarf also keiner neuen Notification. Anders ist’s, wenn die Blocade thatsächlich aufgegeben oder dauernd aufgelöst worden ist. Wird dieselbe später wieder erneuert, so ist das nicht mehr die fortgesetzte alte, son- dern eine neue Blocade . 835. Die Bedingungen, unter welchen der Kriegsstat ein neutrales Schiff wegen Verletzung wegnehmen darf, sind: a ) die Kenntniß des Neutralen von dem wirklichen Bestand der Blocade, b ) das Schiff muß während des Versuchs, die Blocade zu brechen, ergriffen worden sein. Recht der Neutralität. 1. Zu a ) Vgl. zu 829 u. 832. Das neutrale Schiff kann sich aber nicht allezeit damit ausreden, daß es zwar von der Blocade Kenntniß gehabt, aber vorerst habe nachsehen wollen, ob dieselbe auch wirklich gehandhabt werde. Der Kriegsstat kann nicht zugeben, daß der Versuch, die Blocade zu brechen, sich hinter den Vorwand dieser Prüfung verstecke, um ohne Gefahr der Wegnahme unternommen zu werden. Nur wenn aus den Umständen, z. B. wegen der großen Entfernung, klar wird, daß das kein bloßer Vorwand und Deckmantel sei für die Durchfahrt trotz der Blocade, ist das neutrale Schiff frei zu erklären. 2. Zu b ) So lange sich das neutrale Schiff nur vorbereitet , vielleicht noch im Hafen , um je nach Umständen die Fahrt zu wagen, darf es nicht ge- nommen werden, weil es die Blocade noch nicht verletzt hat. Es kann noch immer seinen Vorsatz ändern, und nicht schon der Wille, sondern erst die That wird durch das Völkerrecht bedroht. Aus diesem Grunde darf das Schiff auch, so lange es in großer Entfernung von dem blokirten Hafen ist, noch nicht weg- genommen werden, denn noch kann es seinen Lauf ändern und die Blocade beachten. Erst wenn es sich soweit annähert , daß darin der Versuch offenbar wird, trotz der Blocade durchzufahren, wird es der Wegnahme ausgesetzt. 3. Bei der Beurtheilung dieser Bedingungen des Blocaderechts und der Blo- cadepflicht ist voraus auf den guten Glauben ( bona fides ) zu achten, der aus den Umständen erschlossen wird. Man darf nicht übeln Willen ver- muthen , aber sich auch nicht durch die bloße Behauptung des guten Glaubens irreführen lassen. 4. Die bewaffnete Neutralität von 1800 versuchte es, noch strengere Bedin- gungen festzusetzen, insbesondere außer der vorherigen individuellen Warnung auch den offenbaren Versuch, „ mit Gewalt oder List “ — en emploiant la force ou la ruse — durchzudringen. Diese Bestimmung wurde aber in den englisch-russischen Vertrag von 1801 nicht aufgenommen und ein Beweis der versuchten Gewalt oder List wird auch von der neueren Praxis nicht gefordert. 836. Die blokirende Kriegsmacht ist nicht berechtigt, ein neutrales Schiff außerhalb der blokirten Gewässer zu nehmen, selbst dann nicht, wenn das- selbe der Blocade glücklich entkommen ist. Die Verfolgung freilich kann sich über die blokirten Gewässer hinaus er- strecken, nicht aber darf der Angriff außerhalb dieses Gebiets unternommen wer- den. Die Blocade ist nach ihrer Natur an eine bestimmte Oertlichkeit gebunden. Dort wird sie gehandhabt und dort allein, nicht auf dem weiten Meer überhaupt macht sie sich geltend. Das entkommene Schiff wird sich daher davor hüten müssen, daß es nicht wieder auf dem Rückweg dem Blocadegeschwader in die Hände fällt. Aber wenn es nach der glücklichen Durchfahrt in einen nicht blokirten Hafen eingelaufen ist, so kann es ungehindert von da die neutrale Reise fortsetzen. Vgl. Neuntes Buch. oben § 299. Indessen verfahren einige Seemächte auch in dieser Hinsicht noch strenger und gewaltsamer. Auch die amerikanischen Gerichte erkannten noch in dem letzten Bürgerkrieg das Recht der Wegnahme auf der Rückfahrt an; aber nicht mehr, nachdem die Reise beendigt war. Dana zu Wheaton § 523. 837. Die neutralen Schiffe, welche vor der Blocade in dem blokirten Hafen lagen, haben ein Recht zu fordern, daß ihnen die ungehinderte Ausfahrt gestattet werde, wenn sie nach einem unverfänglichen Bestimmungs- orte fahren, ohne Kriegscontrebande, mit Ballast oder mit einer Ladung, welche sie schon vor der Blocadeerklärung aufgenommen haben. Die neuere Praxis ist zuweilen noch milder und gestattet den neutralen Schif- fen, während einer bestimmten Frist, mit beliebiger Ladung, ausgenommen Contre- bande, auszulaufen, ohne Rücksicht darauf, daß dieselbe erst nach der Erklärung der Blocade aufgenommen worden. Die strengere Praxis, welche eine neue Ladung von feindlichem Gut untersagt, ist aber noch die Regel. Vgl. Hautefeuille Droit des neutres II. S. 214. 838. Den neutralen Schiffen darf nicht zugemuthet werden, in der Noth vor dringender Seegefahr in dem blokirten Hafen eine Zufluchtsstätte zu suchen. Es ist das ein Gebot der Menschlichkeit, welche auch das Kriegsnothrecht achten muß. Vgl. oben § 774. 839. Ein neutrales Schiff, welches die Blocade verletzt, kann während der versuchten Verletzung weggenommen und confiscirt werden. Aber die Mannschaft verfällt keiner weiteren Strafe. Eine eigentliche Strafgerichtsbarkeit steht dem Kriegsstat wider die Neutralen auf offener See nicht zu (oben § 827). Aber die Androhung der Wegnahme des neutralen Schiffs, wenn dasselbe bei Verletzung der Blocade er- griffen ist, sichert die Wirksamkeit dieser und wird insoweit von dem Völkerrecht ge- stattet. Der Blocadebrecher ist dieser Gefahr ausgesetzt, nicht aber einem eigentlichen Strafverfahren. Die Mannschaft des neutralen Schiffs ist daher auch nicht der Recht der Neutralität. Kriegsgefangenschaft unterworfen. Im Grunde war ihr Verkehr doch nur Friedens- verkehr, nicht Kriegshülfe. 840. Ebenso unterliegt die Ladung solcher Schiffe der Beschlagnahme und der Confiscation, außer wenn der Eigenthümer der Waare es glaubhaft machen kann, daß die Verletzung der Blocade gegen seinen Willen versucht worden sei. Wenn Schiff und Waare denselben Eigenthümer haben, so ist die Confis- cation der Waare unbedenklich. Wenn aber dieselben verschieden sind, so versteht sich die letztere nicht mehr von selbst, wie eine Folge der Wegnahme des Schiffs. Aber man wird auch in den letztern Fällen nicht leicht annehmen dürfen, daß der Eigenthümer der Waare unbetheiligt sei bei der Verletzung der Blocade, welche meistens in seinem Handelsinteresse versucht wird. Nur wenn nachgewiesen werden kann, daß derselbe von der Existenz der Blocade nichts habe wissen können, als er den blokirten Hafen zum Bestimmungsort der Waare machte, oder daß er den Schif- fer bestimmt und nicht etwa nur zum Scheine anwies, die Blocade zu beachten und trotzdem dieser auf eigene Gefahr hin gegen seinen Auftrag die Blocade brechen wollte, wäre es ungerecht, die schweren Nachtheile der Confiscation dem Eigenthümer aufzuerlegen. Vgl. Phillimore III. § 318. 6. Prisengerichte. 841. Die Beschlag- und die Wegnahme sowohl feindlicher Schiffe als der neutralen Schiffe und ihrer Ladung ist der Beurtheilung der Prisen- gerichte unterworfen. Das Prisengericht entscheidet über die Rechtmäßigkeit der Prise und über die Folgen der Beschlag- oder Wegnahme. Die Einrichtung der Prisengerichte gibt einige, wenn auch eine unvollkommene Gewähr dafür, daß auch im Seekrieg nicht bloß die Gewalt — sondern das Recht herrsche. Die Prisengerichte dienen zur Controle der gewaltsamen Beschlag- und Wegnahme, welche im Kriege gegen fremde (feindliche oder neutrale) Schiffe und Neuntes Buch. Waaren geübt wird. Dieselbe soll nach Rechtsgrundsätzen und durch Richter geprüft und je nach Umständen entweder bestätigt oder verbessert werden. Die Rücksicht auf die Neutralen hat hauptsächlich zur Ausbildung der Prisengerichts- barkeit geführt, aber auch den Eigenthümern der feindlichen Nation kommt die Ein- richtung gelegentlich zu Gute. 842. Als zuständig wird in der Regel das Prisengericht des Nehmestates betrachtet, auch wenn das aufgebrachte Schiff ein neutrales ist, und sogar dann, wenn das neutrale Schiff wegen Führung von Kriegscontrebande oder Verletzung der Blocade auf offener See genommen worden ist. Wenn das neutrale Schiff in den besetzten Eigengewässern genommen wird, so ist die Zuständigkeit der besetzenden Statsgewalt und ihrer Gerichtsbarkeit schon aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen erklärt. Eher erheben sich Zweifel, wenn die Wegnahme auf offener See geschehen ist, denn diese ist nicht einer besondern Gebietshoheit unterworfen (§ 304), also auch nicht des Kriegsstats. Man kann überdem mit Grund das Bedenken erheben, daß die neutralen Schiffe in den Ge- richten des Nehmestats nicht genügende Garantien für eine unparteiische Rechtspflege zu finden vermögen, indem der Nehmestat selber Partei und bei der Verurtheilung der aufgebrachten Schiffe interessirt ist. Es bleibt eine Aufgabe der zukünftigen Verbesserung des Völkerrechts, diesen Mangel zu heben und bessere Garantien der Unparteilichkeit zu gewähren. Friedrich der Große hatte im Jahr 1753 eine preußische Commission niedergesetzt, welche die Urtheile der englischen Prisen- gerichte gegen Preußische, damals neutrale, Schiffe nochmals prüfen und darüber erkennen sollte, wogegen freilich England als gegen eine unerhörte Neuerung Protest erhob. Man versuchte es auch einige Male mit Bestellung gemischter Gerichte. Gegenwärtig aber wird die ausschließliche Zuständigkeit der Gerichte des Nehmestats allgemein anerkannt. Man betrachtet sie theils als eine Folge des Kriegs- rechts , welches die Kriegspartei zu gewaltsamem Eingreifen ermächtigt, theils als eine Ermäßigung dieses Rechts, indem es in der Vollziehung einer gerichtlichen Controle unterworfen wird. 843. Die Besetzung und Ermächtigung des Prisengerichts ist ein Act der Souveränetät des Kriegsstates, welcher die Prisengerichtsbarkeit übt. 1. Die Prisengerichte sind außerordentliche Gerichtshöfe , welche in Kriegszeiten ad hoc errichtet werden. Obwohl ihre Aufgabe eine völkerrechtliche ist, so ist ihre Begründung und Besetzung dennoch statsrechtlich normirt. Deß- halb ist die Organisation der Prisengerichte in den verschiedenen Staten verschieden; Recht der Neutralität. und die Richter, welche dieselben bilden, erhalten ihre Ernennung und Instruction jederzeit von der obersten Statsgewalt ihres Stats. 2. Die Einsetzung des Prisengerichts ist eine Handlung des Kriegs- rechts . Die neutralen Staten setzen demgemäß keine Prisengerichte ein und ge- statten auch nicht, daß ein Kriegsstat auf ihrem Gebiete Prisengerichtsbarkeit übe. Auch wenn etwa der Kriegsstat seine Gesanten oder Consuln in dem neutralen State ermächtigen wollte, Prisengerichtsbarkeit zu üben, so ist der neutrale Stat berechtigt, das zu hindern. Er duldet in seinem friedlichen Gebiete keine Kriegs- anordnungen der Kriegsparteien. 844. Das Prisengericht ist auch dann zuständig, wenn der Nehmer das genommene Schiff in Folge von Seenoth nicht in einen Hafen des eigenen Stats hat bringen können, sondern dasselbe in einem neutralen Hafen gesichert hat. Die Aufbringung des genommenen Schiffs in den Seehafen, wo das Prisen- gericht sitzt, ist nicht eine unerläßliche Vorbedingung des prisengerichtlichen Ver- fahrens, wenn gleich sie in der Regel als Einleitung dazu dient . In manchen Fällen ist dieselbe nicht möglich, weil das genommene Schiff nicht mehr seetüchtig ist und man genöthigt ist, für dasselbe in einem neutralen Hafen Schutz zu suchen. 845. Aus dem Asyl, welches der neutrale Stat dem feindlichen Nehmer sammt seiner Prise gewährt, folgt nicht eine selbständige Gerichtsbarkeit des neutralen Stats über die Rechtmäßigkeit der Prise. Aber der neu- trale Stat ist nunmehr in der Lage, gegenüber von völkerrechtswidrigen Wegnahmen den neutralen Eigenthümer besser schützen zu können. 1. Weil die Prisengerichtsbarkeit als eine Wirkung des Kriegsrechts betrachtet wird, so kann nur ein Kriegsstat , und nie ein neutraler Stat sie üben (vgl. zu 842. 843), also auch dann nicht, wenn sich das genommene Schiff innerhalb der neutralen Eigengewässer befindet, also der ordentlichen Gerichtsbarkeit des neutralen Stats unterworfen ist. 2. Aber eben aus dem letzten Grunde ist der neutrale Stat auch in der Lage, dem aufgebrachten Schiffe seinen ordentlichen Rechtsschutz zuzuwenden, insofern gegen dasselbe völkerrechtswidrig verfahren worden ist. Er ist nicht verbunden , seine Beihülfe dem fremden Prisengerichte zu gewähren. Würde z. B. ein Kriegsstat noch die Kaperei gestatten, und ein von einem Kaper auf- Neuntes Buch. gebrachtes neutrales Schiff würde in einen neutralen Hafen gebracht, so wäre der neutrale Stat in seinem Rechte, wenn er die Auslieferung und Wegführung des Schiffs verhinderte, ungeachtet vielleicht das Prisengericht die Wegnahme gutgehei- ßen hat. 846. Hat aber der Nehmer der Prise in einen ihm feindlichen Hafen flüchten müssen, so setzt er dieselbe der Reprise aus, welche die Wirksamkeit der ersten Prise aufhebt. Ist der feindliche Hafen im Besitz des Kriegsstats, der die Prise gemacht hat, so ist freilich der Nehmer so lange gesichert, als dieser Besitz fortdauert, und wenn inzwischen die Verurtheilung erfolgt, so wirkt dieselbe ohne Hemmniß. Wenn aber der Hafen im Besitz des Feindes ist oder vor der Verurtheilung wieder in den Besitz desselben kommt, so hat der Feind das entgegengesetzte Interesse, dem Nehmer die Beute wieder wegzunehmen, und durch die Reprise die Wirksamkeit der Prise zu zerstören. 847. Die Prisengerichte haben bei ihren Entscheidungen die Grundsätze des Völkerrechts und die Gesetze und Verordnungen ihres Landes, so weit diese mit jenen in Harmonie zu bringen sind, zu beachten. Wenn beide einander widersprechen, so kann zwar das Prisengericht statsrechtlich genö- thigt werden, dem Landesgesetze zu gehorchen. Aber es sind die besondern Landesordnungen möglichst so auszulegen und zu handhaben, daß sie in Uebereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen des Völkerrechts ver- bleiben und immer wird der Kriegsstat dem neutralen State gegenüber verantwortlich, wenn die Vorschriften des Völkerrechts zum Schaden des neutralen Rechts mißachtet werden. Der Widerspruch zwischen der völkerrechtlichen Bestimmung und der statsrechtlichen Organisation und Besetzung der Prisengerichte zeigt sich hier wieder. Die Prisengerichte sollen das Völkerrecht handhaben und wesentlich nach Völkerrecht urtheilen, und trotzdem können sie sich nicht frei machen von der Unterordnung unter die souveräne Statsautorität, welche sie ins Leben gerufen hat und von der sie abhängig bleiben. Würden sie ohne Rücksicht auf die Prisenregle- mente ihres Stats lediglich nach ihrem Verständniß des Völkerrechts dieses anwen- den, so wären sie in Gefahr, von ihrer Statsregierung zur Verantwortung gezogen zu werden. Würden sie einfach die besondern Vorschriften ihrer Statsautorität anwen- Recht der Neutralität. den ohne alle Rücksicht auf das Völkerrecht, so würden sie sich gegen ihren völker- rechtlichen Beruf verfehlen. Es bleibt daher nur übrig, jeden Conflict möglichst zu vermeiden. Das geschieht, wenn das Landesrecht im Geiste des Völker- rechts ausgelegt wird. Ist trotzdem ein Widerspruch zwischen den beiden Rech- ten vorhanden, der nicht zu versöhnen ist, so ist das Gericht zwar verpflichtet, die bestimmte Vorschrift seines Landesgesetzes zu befolgen. Dann aber wird auch der Stat, der ein völkerrechtswidriges Gesetz gegeben hat, dem neutralen State verantwortlich , welcher durch dasselbe in seinen Schutzangehörigen verletzt wird; denn der neutrale Stat ist nicht schuldig, sich ein Verfahren gefallen zu lassen, welches im Widerspruch ist mit den anerkannten Grundsätzen des Völkerrechts. Der- selbe kann von dem Nehmestat verlangen, daß er trotz des Spruchs seines Prisen- gerichts das neutrale Schiff oder die neutrale Waare frei gebe, wenn solches nach Völkerrecht geschehen muß. Da das Völkerrecht für alle Staten verbindlich ist (§ 3), so darf das statliche Gesetz nicht demselben widersprechen . Vgl. Dana zu Wheaton , Intern. Law. § 388. 848. Das Verfahren vor dem Prisengerichte richtet sich in Ermanglung völkerrechtlicher Vorschriften nach der Proceßordnung des Nehmestats. Die Neutralen haben aber ein Recht auf Vertheidigung und auf unparteiische Rechtspflege. 1. Die Prisengesetze und Prisenverordnungen der einzelnen Staten bestimmen das Nähere. Das Verfahren hat durchweg den Charakter einer Untersuchung von Amts wegen . Der Prisenführer ist verpflichtet, die Gründe, aus denen und die Umstände, unter welchen er das Schiff genommen hat, darzulegen und das Prisengericht prüft sodann die Schiffsurkunden, vernimmt den Schiffsführer und so- weit nöthig die Mannschaft des aufgebrachten Schiffs und stellt die Thatsachen fest, welche die Grundlage des Processes bilden. Dieses Vorverfahren geschieht meistens summarisch , nicht in Form einer gegenseitigen Parteiverhandlung, sondern durch gerichtliche Commissionen. 2. Zuweilen wird, wie in Preußen, ein Statsanwalt bestellt, der die Anträge stellt, der nicht etwa die Interessen des Nehmers vertritt, sondern eine un- parteiische Haltung im Interesse der gerechten Erledigung der Prüfung behauptet. Er ist nicht advocatus fisci, sondern patronus juris. 3. Ergibt sich die Sache als unzweifelhaft , so kann sofort gesprochen werden. Insbesondere ist, wenn eine Freisprechung ersolgen muß, diese ohne Verzug auszusprechen. Früher nahm man es mit den Verurtheilungen ziemlich leicht. Die neuere Ausbildung des Rechts fordert hier ein sorgfältigeres Verfahren, welches dem bedrohten Eigenthümer des Schiffs oder der Ladung Gele- genheit gibt, sich gehörig zu vertheidigen. Sie können ihre Reclamationen schriftlich einreichen und werden dazu von dem Gerichte aufgefordert. Ein contra- Neuntes Buch. dictorisches Verfahren ist durchweg begründet, wenn irgend welche Zweifel über die Schuld sich zeigen und nicht die Schuld eingestanden wird. 849. Der Nehmer ist verpflichtet, sofort nach seiner Ankunft in dem Hafen, die Papiere des aufgebrachten Schiffs sammt dem Protokoll über die Nehmung dem Gericht zu übergeben und diesem die Verfügung über das Schiff, sowie die Untersuchung seines Verfahrens anheim zu geben. Indem die Thätigkeit des Gerichts beginnt, hört die Gewalt des Nehmers über das Schiff auf. Voraus soll nun die That des Nehmers und die Schuld des Schiffers geprüft und demgemäß weiter entschieden werden. 850. Der Spruch des Prisengerichts ist für die Parteien verbindlich und begründet formelles Recht. Es ist das eine Folge der anerkannten Zuständigkeit (§ 842). Daß der Nehmer sich dem Urtheil unterwerfen muß, ist freilich selbstverständlich, da das Prisengericht von demselben State autorisirt ist, dem er angehört. Aber daß auch der fremde Neutrale das Urtheil als formelles Recht gelten lassen muß, welches vielleicht im Widerspruch ist mit seinem heimatlichen Landesrecht, das ist eine Ano- malie, denn die Souveränetät des Nehmestats erstreckt sich nicht über ihn. Nur das Nothrecht des Kriegs erklärt die Ausnahme. 851. Indessen ist der Kriegsstat, welcher das Prisengericht bestellt hat, dem neutralen State verantwortlich für offenbares Unrecht, welches das Prisengericht im Widerspruch mit dem Völkerrecht den neutralen Eigen- thümern zugefügt hat. Die Berufung auf die Landesgesetze, welche das Prisengericht angewendet hat, befreit nicht von dieser Verantwortlichkeit, wenn durch das Landesgesetz die natürlichen Rechte der Neutralen miß- achtet worden sind. Entsteht darüber Streit zwischen dem Kriegsstat und dem neutralen Stat, so ist dieser Streit nach völkerrechtlichen Grundsätzen und zunächst durch Unterhandlung und friedliche Mittel zu schlichten. Recht der Neutralität. 1. Der neutrale Stat wird nicht als befugt erachtet, eine eigentliche Revision des Processes vorzunehmen. Seine Gerichte sind keine Revisions- noch Appellations- noch Cassationsinstanzen gegenüber den Prisengerichten. Nur diese sind competent, über den einzelnen Fall zu urtheilen, die erheblichen That- sachen zu coustatiren und zu würdigen, und über Freisprechung oder Verurtheilung zu entscheiden. Dieses Urtheil wirkt rechtskräftig sowohl für den Nehmer als für den Eigenthümer des genommenen Schiffs oder der genommenen Ladung (§ 850). Aber der neutrale Stat hat ein Recht, zu fordern, daß diese ausnahmsweise durch das Völkerrecht erlaubte Justiz dem Völkerrecht gemäß gehandhabt und nicht zu völkerrechtswidriger Benachtheiligung seiner Angehö- rigen mißbraucht werde. Vgl. zu § 847. Diese Grundsätze sind auch in den Verhandlungen zwischen den Vereinigten Staten von Amerika und der Dänischen Regierung im Jahr 1830 bestätigt worden. Vgl. Wheaton Int. Law. § 397. 2. Wenn zwischen dem neutralen und dem Kriegsstat ein völkerrechtlicher Streit entsteht, so ist derselbe wie andere völkerrechtliche Streitigkeiten zu erledigen. Vgl. Buch VII. Unter Umständen wird trotz der Verurtheilung durch das Prisen- gericht der neutrale Stat die Beschwerden des neutralen Stats dadurch berücksichtigen, daß er die Prise freigibt, oder dadurch, daß er an denselben eine Entschädigung zahlt zu Gunsten der verletzten Eigenthümer. 852. Wird die Nehmung als nicht rechtmäßig erfunden, so ist Schiff und Ladung sofort den Eigenthümern frei zu geben. Dabei wird natürlich ein rechtskräftiges Urtheil vorausgesetzt. Durch die Berufung an den Oberprisenrath (Obergericht) kann die Wirksamkeit des angefochtenen erstinstanzlichen Urtheils gehemmt werden. 853. Auch wenn die Nehmung nicht gutgeheißen wird, kann doch dem Eigenthümer des genommenen Schiffs jede Entschädigungsforderung dann abgesprochen und es können ihm sogar die Kosten des Verfahrens auferlegt werden, wenn das Schiff durch sein Verhalten sich verdächtig gemacht hat. Auch in solchem Verhalten liegt eine Verschuldung — zwar keine so große, daß sie die Wegnahme rechtfertigt, aber eine so genügende Ursache, um die Aufbringung und Untersuchung des verdächtigen Schiffs zu begründen. 854. Wenn dagegen der Nehmer keinerlei Grund hatte zur Beschlagnahme, Neuntes Buch. so ist er verpflichtet, die Proceßkosten zu tragen und den Eigenthümer des genommenen Schiffs und der Ladung zu entschädigen. Ueber diese Ent- schädigungsforderung entscheidet das Prisengericht. Unter dieser Voraussetzung bewirkt die Verschuldung des Nehmers seine Entschädigungspflicht . 855. Bloße Vermuthungen zu Gunsten des Nehmers und zum Nachtheil der Neutralen sind mit den Grundsätzen einer unparteiischen Rechtspflege unvereinbar. Die ältere Praxis mancher Seemächte war zu solchen Vermuthungen zu Gunsten des Nehmers und wider das aufgebrachte Schiff geneigt. Das widerspricht aber den Grundprincipien aller Rechtspflege, welche ihrer beschränkten Einsicht ein- gedenk und nur mit äußern Mitteln wirkend nur die offenbare Schuld bedroht, nicht die verborgene Sünde, und darf daher nicht von dem Völkerrecht gebilligt werden, auch wenn die Völkersitte solche Mißgriffe noch duldet. Die Schuld muß also, wenn sie bestritten wird, erwiesen werden, ebenso wie jede andere straf- bare Schuld. 856. Wird die Nehmung gutgeheißen, so wird das Eigenthum an Schiff und Ladung, in so weit als beide mit Recht genommen sind, sei es dem Nehmestat mit Belohnung des Nehmers, sei es diesem selber je nach Um- ständen mit gewissen Auflagen an den Nehmestat zugesprochen. Nur die genommenen Kriegsschiffe und die Kriegscontrebande fallen jederzeit dem Nehmestat, nicht dem Nehmer zu. Der ganze Gedanke und die Erklärung des Prisenrechts weist auf das Noth- recht des Krieges und daher die Kriegsgewalt hin. Niemand kann ein persönliches Beuterecht aussprechen. Eben deßhalb hat auch die Statsautorität allein darüber zu verfügen, wem die Prise zufallen soll. Wenn der Nehmer dieselbe zu Eigenthum bekommt, so kann er dieses Eigenthum nur von der Statsautorität, nicht von seiner eigenen Arbeit ableiten. Der Stat kann es ihm ganz oder theilweise oder gar nicht geben. Lord Stowell vgl. Phillimore III. § 128: „Prize is altogether a creature of the Crown. No man has, or can have any interest, but what he takes as the mere gift of the Crown; beyond the extent of that gift he has nothing“. Aber es können in einem Lande besondere Maximen festgestellt Recht der Neutralität. werden über die Bedingungen und das Maß der Belohnung des Nehmers, und das Prisengericht des Landes richtet sich in seinen Entscheidungen darnach. 857. Das Völkerrecht hindert nicht die Versilberung der in neutralem Hafen geborgenen Prise zum Vollzug des Urtheils. Aber wenn der neu- trale Stat gegen das Verfahren des Prisengerichts völkerrechtliche Beschwer- den zu führen hat, so ist er, um sein Beschwerderecht zu sichern, berechtigt, auch diese Versilberung zu untersagen. Vgl. zu § 845. 847. 858. Die neutralen Eigenthümer haben das Urtheil des Prisengerichts auch ihrerseits in so weit anzuerkennen, als nicht der neutrale Stat, dem sie angehören, wegen völkerrechtswidrigen Verfahrens sie zum Widerspruch ermächtigt. Vgl. zu § 842. 845. 847. 848. 859. Die in geordnetem Verfahren dem Nehmestat oder dem Nehmer zugesprochene Prise kann nicht mehr durch Reprise demselben entzogen werden, sondern nur durch eine neue berechtigte Prise des feindlichen Nehmers. Die Reprise (Wiedernahme, recapture ) ist nur so lange möglich, als die Prise gleichsam in der Schwebe ist. Wenn erst diese durch den Spruch des Prisen- gerichts in ihren Wirkungen vollendet worden ist, dann hat die Prise selber auf- gehört. Das Schiff ist nun in dem unzweifelhaften Eigenthum dessen, dem es zu- gesprochen ist. Wenn ihm dasselbe von dem Feinde wieder weggenommen wird, so ist das ganz ebenso, wie wenn ihm ein anderes Schiff, das er ursprünglich durch Kauf erworben hatte, weggenommen wird. Das ist eine neue Prise , und nicht mehr eine Reprise. Es folgt das aus dem gewohnheitsrechtlichen Satze, daß das Urtheil des Prisengerichts Recht schaffe , auch für die betheiligten Parteien. Wenn das aus irgend einem Grunde nicht der Fall ist, dann liegt auch kein Grund vor, die Anwendung der Reprise auszuschließen. Neuntes Buch. 860. Vor der gerichtlichen Verurtheilung der Prise kann dem Nehmer die Prise durch Reprise wieder abgenommen werden. In diesem Falle ist jedoch das neutrale Eigenthum von dem Wiedernehmer zu respectiren. 1. Bis das Prisengericht über die Prise erkannt und dieselbe verurtheilt hat, ist das Schicksal derselben immer noch ungewiß, und noch kein formelles Recht des Nehmestats oder des Nehmers an dem genommenen Schiffe oder der Waare vor- handen. Bis dahin kann die Wirksamkeit der Prise, die zunächst auf die Gewalt der Kriegsmacht gegründet ist, wieder ebenfalls durch Gewalt unwirksam gemacht werden. Es ist das eine besondere Anwendung des postliminium, eine in integrum restitutio. Die Beute wird dem Erbeuter wieder abgejagt. 2. Weil die Reprise zunächst nur negativ wirkt, als Verneinung der Prise, und nicht selber eine neue Prise ist noch sein will, so muß der Wieder- nehmer ( recaptor ) auch das Eigenthum seinerseits respectiren, das er aus der feindlichen Wegnahme gerettet hat, und er kann nur, je nach Umständen, für die Arbeiten und Opfer, welche er auf die Reprise verwendet hat, eine angemessene Ent- schädigung ( servaticium ) verlangen, die zuweilen zur Vermeidung von Streit und Beweis auf einen Achttheil (amerikanisches Gesetz von 1800. Cap. 14. und englisches 17 Victor. c. 18) oder gar auf einen Drittheil des Werths der Reprise angesetzt ist. Schon der Consolato del Marse c. 287 hat diese Regel anerkannt. 3. Manche Rechtsgelehrte und Landesordnungen beschränken die Reprise noch mehr, z. B.: bis das genommene Schiff in einen sichern Hafen gebracht worden ist, oder: in den ersten 24 Stunden nach der Wegnahme. Wo besondere Gesetze das so bestimmen, müssen dieselben wohl geachtet werden. Die Natur der Dinge und die gerechten Bedenken gegen jede Ausdehnung des Prisenrechts rechtfertigen meines Er- achtens die Regel des Texts. 861. Sobald der Friede geschlossen ist, so hört auch alles Recht, Prisen zu machen, auf. Die nach dem Friedensschluß — wenn auch in gutem Glauben — vollzogenen Nehmungen sind sofort wieder zurückzugeben. Vgl. oben § 709. 862. Die Prisengerichte sind, wenn nicht der Friedensschluß anders be- Recht der Neutralität. stimmt, berechtigt, die vor demselben anhängig gemachten Prisenprocesse auch nach demselben fortzuführen und durch Urtheil zu erledigen. Oft wird durch den Frieden bestimmt, daß alle genommenen, aber noch nicht verurtheilten Schiffe frei gegeben werden sollen. Ist das nicht geschehen, so duldet das herkömmliche Völkerrecht die Fortsetzung und Vollendung der Prisenprocesse auch nach dem Abschluß des Friedens, obwohl gegen dieselben das ernste Bedenken erhoben werden kann, daß die Prisengerichtsbarkeit nur Kriegs- und nicht Friedens- gerichtsbarkeit ist. Bluntschli , Das Völkerrecht. 30 Anhang. Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. 30* Instructions for the Government of Armies of the United States in the field. Section I. Martial law — Military jurisdiction — Military necessity — Retaliation. 1. A place, district, or country occupied by an enemy stands, in consequence of the occupation, under the Martial Law of the in- vading or occupying army, whether any proclamation declaring Mar- tial Law, or any public warning to the inhabitants, has been issued or not. Martial Law is the immediate and direct effect and con- sequence of occupation or conquest. The presence of a hostile army proclaims its Martial Law. 2. Martial Law does not cease during the hostile occupation, ex- cept by special proclamation, ordered by the commander-in-chief; or by special mention in the treaty of peace concluding the war, when the occupation of a place or territory continues beyond the conclusion of peace as one of the conditions of the same. Anhang. 3. Martial Law in a hostile country consists in the suspension, by the occupying military authority, of the criminal and civil law, and of the domestic administration and government in the occupied place or territory, and in the substitution of military rule and force for the same, as well as in the dictation of general laws, as far as military necessity requires this suspension, substitution, or dictation. The commander of the forces may proclaim that the admini- stration of all civil and penal law shall continue, either wholly or in part, as in times of peace, unless otherwise ordered by the mili- tary authority. 4. Martial Law is simply military authority exercised in accor- dance with the laws and usages of war. Military oppresion is not Martial Law; it is the abuse of the power which that law confers. As Martial Law is executed by military force, it is incumbent upon those who administer it to be strictly guided by the principles of justice, honor, and humanity — virtues adorning a soldier even more than other men, for the very reason that he possesses the power of his arms against the unarmed. 5. Martial Law should be less stringent in places and countries fully occupied and fairly conquered. Much greater severity may be exercised in places or regions where actual hostilities exist, or are expected and must be prepared for. Its most complete sway is allowed — even in the commander’s own country — when face to face with the enemy, because of the absolute necessities of the case, and of the paramount duty to defend the country against invasion. To save the country is paramount to all other considerations. 6. 6. All civil and penal law shall continue to take its usual course in the enemy’s places and territories under Martial Law, Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. unless interrupted or stopped by order of the occupying military power; but all the functions of the hostile government — legislative, executive, or administrative — whether of a general, provincial, or local character, cease under Martial Law, or continue only with the sanction, or if deemed necessary, the participation of the occupier or invader. 7. Martial Law extends to property, and to persons, whether they are subjects of the enemy or aliens to that government. 8. Consuls, among American and European nations, are not diplo- matic agents. Nevertheless, their offices and persons will be sub- jected to Martial Law in cases of urgent necessity only: their pro- perty and business are not exempted. Any delinquency they commit against the established military rule may be punished as in the case of any other inhabitant, and such punishment furnishes no reasonable ground for international complaint. 9. The functions of Ambassadors, Ministers, or other diplomatic agents, accredited by neutral powers to the hostile government, cease, so far as regards the displaced government; but the conquering or occnpying power usually recognizes them as temporarily accredited to itself. 10. Martial Law affects chiefly the police and collection of public revenue and taxes, whether imposed by the expelled government or by the invader, and refers mainly to the support and efficiency of the army, its safety, and the safety of its operations. 11. The law of war does not only disclaim all cruelty and bad Anhang. faith concerning engagements concluded with the enemy during the war, but also the breaking of stipulations solemnly contracted by the belligerents in time of peace, and avowedly intended to remain in force in case of war between the contracting powers. It disclaims all extortions and other transactions for individual gain; all acts of private revenge, or connivance at such acts. Offences to the contrary shall be severely punished, and espe- cially so if committed by officers. 12. Whenever feasible, Martial Law is carried out in cases of in- dividual offenders by Military Courts; but sentences of death shall be executed only with the approval of the chief executive, provided the urgency of the case does not require a speedier execution, and then only with the approval of the chief commander. 13. Military jurisdiction is of two kinds: first, that which is con- ferred and defined by statute; second, that which is derived from the common law of war. Military offences under the statute law must be tried in the manner therein directed; but military offences which do not come within the statute must be tried and punished under the common law of war. The character of the courts which exercise these jurisdictions depends upon the local laws of each particular country. In the armies of the United States the first is exercised by courtsmartial; while cases which do not come within the „Rules and Articles of War“, or the jurisdiction conferred by statute on courts-martial, are tried by military commissions. 14. Military necessity, as understood by modern civilized nations, consists in the necessity of those measures which are indispensable for securing the ends of the war, and which are lawful according to the modern law and usages of war. Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. 15. Military necessity admits of all direct destruction of life or limb of armed enemies, and of other persons whose destruction is incidentally unavoidable in the armed contests of the war; it al- lows of the capturing of every armed enemy, and every enemy of importance to the hostile government, or of peculiar danger to the captor; it allows of all destruction of property, and obstruction of the ways and channels of traffic, travel, or communication, and of all withholding of sustenance or means of life from the enemy; of the appropriation of whatever an enemy’s country affords necessary for the subsistence and safety of the army, and of such deception as does not involve the breaking of good faith either positively pledged, regarding agreements entered into during the war, or sup- posed by the modern law of war to exist. Men who take up arms against one another in public war do not cease on this account to be moral beings, responsible to one another, and to God. 16. Military necessity does not admit of cruelty, that is, the in- fliction of suffering for the sake of suffering or for revenge, nor of maiming or wounding except in fight, nor of torture to extort con- fessions. It does not admit of the use of poison in any way, nor of the wanton devastation of a district. It admits of deception, but disclaims acts of perfidy; and, in general, military neccessity does not include any act of hostility which makes the return to peace unnecessarily difficult. 17. War is not carried on by arms alone. It is lawful to starve the hostile belligerent, armed or unarmed, so that it leads to the speedier subjection of the enemy. 18. When the commander of a besieged place expels the non- combatants, in order to lessen the number of those who consume Anhang. his stock of provisions, it is lawful, though an extreme measure, to drive them back, so as to hasten on the surrender. 19. Commanders, whenever admissible, inform the enemy of their intention to bombard a place, so that the non-combatants, and espe- cially the women and children, may be removed before the bom- bardment commences. But it is no infraction of the common law of war to omit thus to inform the enemy. Surprise may be a necessity. 20. Public war is a state of armed hostility between sovereign nations or governments. It is a law and requisite of civilized exi- stence that men live in political, continuous societies, forming orga- nized units, called states or nations, whose constituents bear, enjoy, and suffer, advance and retrograde together, in peace and in war. 21. The citizen or native of a hostile country is thus an enemy, as one of the constituents of the hostile state or nation, and as such is subjected to the hardships of the war. 22. Nevertheless, as civilization has advanced during the last cen- turies, so has likewise steadily advanced, especially in war on land, the distinction between the private individual belonging to a hostile country and the hostile country itself, with its men in arms. The principle bas been more and more acknowledged that the unarmed citizen is to be spared in person, property, and honor as much as the exigencies of war will admit. 23. Private citizens are no longer murdered, enslaved, or carried off to distant parts, and the inoffensive individual is as little disturbed Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. in his private relations as the commander of the hostile troops can afford to grant in the overruling demands of a vigorous war. 24. The almost universal rule in remote times was, and continues to be with barbarous armies, that the private individual of the hostile country is destined to suffer every privation of liberty and protection, and every disruption of family ties. Protection was, and still is with uncivilized people, the exception. 25. In modern regular wars of the Europeans, and their descend- ants in other portions of the globe, protection of the inoffensive citizen of the hostile country is the rule; privation and disturbance of private relations are the exceptions. 26. Commanding generals may cause the magistrates and civil officers of the hostile country to take the oath of temporary allegi- ance or an oath of fidelity to their own victorious government or rulers, and they may expel every one who declines to do so. But whether they do so or not, the people and their civil officers owe strict obedience to them as long as they hold sway over the district or country, at the peril of their lives. 27. The law of war can no more wholly dispense with retaliation than can the law of nations, of which it is a branch. Yet civilized nations acknowledge retaliation as the sternest feature of war. A reckless enemy often leaves to his opponent no other means of se- curing himself against the repetition of barbarous outrage. 28. Retaliation will, therefore, never be resorted to as a measure of mere revenge, but only as a means of protective retribution, and, Anhang. moreover, cautiously and unavoidably; that is to say, retaliation shall only be resorted to after careful inquiry into the real occurrence, and the character of the misdeeds that may demand retribution. Unjust or inconsiderate retaliation removes the belligerents farther and farther from the mitigating rules of a regular war, and by rapid steps leads them nearer to the internecine wars of savages. 29. Modern times are distinguished from earlier ages by the exi- stence, at one and the same time, of many nations and great govern- ments related to one another in close intercourse. Peace is their normal condition; war is the exception. The ultimate object of all modern war is a renewed state of peace. The more vigorously wars are pursued, the better it is for humanity. Sharp wars are brief. 30. Ever since the formation and coexistence of modern nations, and ever since wars have become great national wars, war has come to be acknowledged not to be its own end, but the means to obtain great ends of state, or to consist in defence against wrong; and no conventional restriction of the modes adopted to injure the enemy is any longer admitted; but the law of war imposes many limitations and restrictions on principles of justice, faith, and honor. Section II. Public and private property of the enemy — Protection of persons, and especially women; of religion, the arts and sciences — Punishment of crimes against the inhabitants of hostile countries. 31. A victorious army appropriates all public money, seizes all public movable property until further direction by its government, Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. and sequesters for its own benefit or that of its government all the revenues of real property belonging to the hostile government or nation. The title to such real property remains in abeyance during military occupation, and until the conquest is made complete. 32. A victorious army, by the martial power inherent in the same, may suspend, change, or abolish, as far as the martial power extends, the relations which arise from the service, due, according to the existing laws of the invaded country, from one citizen, subject, or native of the same to another. The commander of the army must leave it to the ultimate treaty of peace to settle the permanency of this change. 33. It is no longer considered lawful—on the contrary, it is held to be a serious breach of the law of war—to force the subjects of the enemy into the service of the victorious government, except the latter should proclaim, after a fair and complete conquest of the hostile country or district, that it is resolved to keep the country, district, or place permanently as its own and make it a portion of its own country. 34. As a general rule, the property belonging to churches, to hos- pitals, or other establishments of an exclusively charitable character, to establishments of education, or foundations for the promotion of knowledge, whether public schools, universities, academies of learning or observatories, museums of the fine arts, or of a scientific character —such property is not to be considered public property in the sense of paragraph 31; but it may be taxed or used when the public service may require it. 35. Classical works of art, libraries, scientific collections, or precious Anhang. instruments, such as astronomical telescopes, as well as hospitals, must be secured against all avoidable injury, even when they are contained in fortified places whilst besieged or bombarded. 36. If such works of art, libraries, collections, or instruments belong- ing to a hostile nation or government, can be removed without injury, the ruler of the conquering state or nation may order them to be seized and removed for the benefit of the said nation. The ultimate owner-ship is to be settled by the ensuing treaty of peace. In no case shall they be sold or given away, if captured by the armies of the United States, nor shall they ever be privately appropriated, or wantonly destroyed or injured. 37. The United States acknowledge and protect, in hostile countries occupied by them, religion and morality; strictly private property; the persons of the inhabitants, especially those of women; and the sacredness of domestic relations. Offences to the contrary shall be rigorously punished. This rule does not interfere with the right of the victorious invader to tax the people or their property, to levy forced loans, to billet soldiers, or to appropriate property, especially houses, land, boats or ships, and churches, for temporary and military uses. 38. Private property, unless forfeited by crimes or by offences of the owner, can be seized only by way of military necessity, for the support or other benefit of the army or of the United States. If the owner has not fled, the commanding officer will cause receipts to be given, which may serve the spoliated owner to obtain indemnity. 39. The salaries of civil officers of the hostile government who Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. remain in the invaded territory, and continue the work of their office, and can continue it according to the circumstances arising out of the war—such as judges, administrative or police officers, officers of city or communal governments—are paid from the public revenue of the invaded territory, until the military government has reason wholly or partially to discontinue it. Salaries or incomes connected with purely honorary titles are always stopped. 40. There exists no law or body of authoritative rules of action between hostile armies, except that branch of the law of nature and nations which is called the law and usages of war on land. 41. All municipal law of the ground on which the armies stand, or of the countries to which they belong, is silent and of no effect between armies in the field. 42. Slavery, complicating and confounding the ideas of property, (that is of a thing ,) and of personalty, (that is of humanity, ) exists according to municipal or local law only. The law of nature and nations has never acknowledged it. The digest of the Roman law enacts the early dictum of the pagan jurist, that „so far as the law of nature is concerned, all men are equal.“ Fugitives escaping from a country in which they were slaves, villains, or serfs, into another country, have, for centuries past, been held free and acknowledged free by judicial decisions of European countries, even though the municipal law of the country in which the slave had taken refuge acknowledged slavery within its own dominions. 43. Therefore, in a war between the United States and a belli- gerent which admits of slavery, if a person held in bondage by that belligerent be captured by or come as a fugitive under the protection Anhang. of the military forces of the United States, such person is imme- diately entitled to the rights and privileges of a freeman. To return such person into slavery would amount to enslaving a free person, and neither the United States nor any officer under their authority can enslave any human being. Moreover, a person so made free by the law of war is under the shield of the law of nations, and the former owner or State can have, by the law of post-liminy, no belligerent lien or claim of service. 44. All wanton violence committed against persons in the invaded country, all destruction of property not commanded by the authorized officer, all robbery, all pillage or sacking, even after taking a place by main force, all rape, wounding, maiming, or killing of such in- habitants, are prohibited under the penalty of death, or such other severe punishment as may seem adequate for the gravity of the offence. A soldier, officer or private, in the act of committing such violence, and disobeying a superior ordering him to abstain from it, may be lawfully killed on the spot by such superior. 45. All captures and booty belong, according to the modern law of war, primarily to the government of the captor. Prize money, whether on sea or land, can now only be claimed under local law. 46. Neither officers nor soldiers are allowed to make use of their position or power in the hostile country for private gain, not even for commercial transactions otherwise legitimate. Offences to the contrary committed by commissioned officers will be punished with cashiering or such other punishment as the nature of the offence may require; if by soldiers, they shall be punished according to the nature of the offence. Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. 47. Crimes punishable by all penal codes, such as arson, murder, maiming, assaults, highway robbery, theft, burglary, fraud, forgery, and rape, if committed by an American soldier in a hostile country against its inhabitants, are not only punishable as at home, but in all cases in which death is not inflicted, the severer punishment shall be preferred. Section III. Deserters — Prisoners of War — Hostages — Booty on the battle-field. 48. Deserters from the American army, having entered the service of the enemy, suffer death if they fall again into the hands of the United States, whether by capture, or being delivered up to the American army; and if a deserter from the enemy, having taken service in the army of the United States, is captured by the enemy, and punished by them with death or otherwise, it is not a breach against the law and usages of war, requiring redress or retaliation. 49. A prisoner of war is a public enemy armed or attached to the hostile army for active aid, who has fallen into the hands of the captor, either fighting or wounded, on the field or in the hospi- tal, by individual surrender or by capitulation. All soldiers, of whatever species of arms; all men who belong to the rising en masse of the hostile country; all those who are atta- ched to the army for its efficiency and promote directly the object of the war, except such as are hereinafter provided for; all disabled men or officers on the field or elsewhere, if captured; all enemies who have thrown away their arms and ask for quarter, are prisoners of war, and as such exposed to the inconveniences as well as entit- led to the privileges of a prisoner of war. Bluntschli , Das Völkerrecht. 31 Anhang. 50. Moreover, citizens who accompany an army for whatever pur- pose, such as sutlers, editors, or reporters of journals, or contractors, if captured, may be made prisoners of war, and be detained as such. The monarch and members of the hostile reigning family, male or female, the chief, and chief officers of the hostile govern- ment, its diplomatic agents, and all persons who are of particular and singular use and benefit to the hostile army or its government, are, if captured on belligerent ground, and if unprovided with a safe-conduct granted by the captor’s government, prisoners of war. 51. If the people of that portion of an invaded country which is not yet occupied by the enemy, or of the whole country, at the approach of a hostile army, rise, under a duly authorized levy, en masse to resist the invader, they are now treated as public enemies, and if captured, are prisoners of war. 52. No belligerent has the right to declare that he will treat every captured man in arms of a levy en masse as a brigand or bandit. If, however, the people of a country, or any portion of the same, already occupied by an army, rise against it, they are vio- laters of the laws of war, and are not entitled to their protection. 53. The enemy’s chaplains, officers of the medical staff, apotheca- ries, hospital nurses and servants, if they fall into the hands of the American army, are not prisoners of war, unless the commander has reasons to retain them. In this latter case, or if, at their own desire, they are allowed to remain with their captured companions, they are treated as prisoners of war, and may be exchanged if the commander sees fit. Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. 54. A hostage is a person accepted as a pledge for the fulfilment of an agreement concluded between belligerents during the war, or in consequence of a war. Hostages are rare in the present age. 55. If a hostage is accepted, he is treated like a prisoner of war, according to rank and condition, as circumstances may admit. 56. A prisoner of war is subject to no punishment for being a public enemy, nor is any revenge wreaked upon him by the inten- tional infliction of any suffering, or disgrace, by cruel imprisonment, want of food, by mutilation, death, or any other barbarity. 57. So soon as a man is armed by a sovereign government, and takes the soldiers oath of fidelity, he is a belligerent; his killing, wounding, or other warlike acts, are no individual crimes or offences. No belligerent has a right to declare that enemies of a certain class, color, or condition, when properly organized as soldiers, will not be treated by him as public enemies. 58. The law of nations knows of no distinction of color, and if an enemy of the United States should enslave and sell any captured persons of their army, it would be a case for the severest retaliation, if not redressed upon complaint. The United States cannot retaliate by enslavement; therefore death must be the retaliation for this crime against the law of nations. 59. A prisoner of war remains answerable for his crimes committed 31* Anhang. against the captor’s army or people, committed before he was cap- tured, and for which he has not been punished by his own autho- rities. All prisoners of war are liable to the infliction of retaliatory measures. 60. It is against the usage of modern war to resolve, in hatred and revenge, to give no quarter. No body of troops has the right to declare that it will not give, and therefore will not expect, quarter; but a commander is permitted to direct his troops to give no quarter, in great straits, when his own salvation makes it im- possible to cumber himself with prisoners. 61. Troops that give no quarter have no right to kill enemies already disabled on the ground, or prisoners captured by other troops. 62. All troops of the enemy known or discovered to give no quarter in general, or to any portion of the army, receive none. 63. Troops wo fight in the uniform of their enemies, without any plain, striking, and uniform mark of distinction of their own, can except no quarter. 64. If American troops capture a train containing uniforms of the enemy, and the commander considers it advisable to distribute them for use among his men, some striking mark or sign must be adopted to distinguish the American soldier from the enemy. 65. The use of the enemy’s national standard, flag, or other emblem Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. of nationality, for the purpose of deceiving the enemy in battle, is an act of perfidy by which they lose all claim to the protection of the laws of war. 66. Quarter having been given to an enemy by American troops, under a misapprehension of his true character, he may, nevertheless, be ordered to suffer death if, within three days after the battle, it be discovered that he belongs to a corps which gives no quarter. 67. The law of nations allows every sovereign government to make war upon another sovereign state, and, therefore, admits of no rules or laws different from those of regular warfare, regarding the treat- ment ef prisoners of war, although they may belong to the army of a government which the captor may consider as a wanton and unjust assailant. 68. Modern wars are not internecine wars, in which the killing of the enemy is the object. The destruction of the enemy in modern war, and, indeed, modern war itself, are means to obtain that object of the belligerent which lies beyond the war. Unnecessary or revengeful destruction of life is not lawful. 69. Outposts, sentinels, or pickets are not to be fired upon, except to drive them in, or when a positive order, special or general, has been issued to that effect. 70. The use of poison in any manner, be it to poison wells, or food, or arms, is wholly excluded from modern warfare. He that uses it puts himself out of the pale of the law and usages of war. Anhang. 71. Whoever intentionally inflicts additional wounds on an enemy already wholly disabled, or kills such an enemy, or who orders or encourages soldiers to do so, shall suffer death, if duly convicted, whether he belongs to the army of the United States, or is an enemy captured after having committed his misdeed. 72. Money and other valuables on the person of a prisoner, such as watches or jewelry, as well as extra clothing, are regarded by the American army as the private property of the prisoner, and the appropriation of such valuables or money is considered dishonorable, and is prohibited. Nevertheless, if large sums are found upon the persons of pri- soners, or in their possession, they shall be taken from them, and the surplus, after providing for their own support, appropriated for the use of the army, under the direction of the commander, unless otherwise ordered by the government. Nor can prisoners claim, as private property, large sums found and captured in their train, although they had been placed in the private luggage of the prisoners. 73. All officers, when captured, must surrender their side-arms to the captor. They may be restored to the prisoner in marked cases, by the commander, to signalize admiration of his distinguished bra- very, or approbation of his humane treatment of prisoners before his capture. The captured officer to whom they may be restored cannot wear them during captivity. 74. A prisoner of war, being a public enemy, is the prisoner of the government, and not of the captor. No ransom can be paid by a prisoner of war to his individual captor, or to any officer in Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. command. The government alone releases captives, according to rules prescribed by itself. 75. Prisoners of war are subject to confinement or imprisonment such as may be deemed necessary on account of safety, but they are to be subjected to no other intentional suffering or indignity. The confinement and mode of treating a prisoner may be varied during his captivity according to the demands of safety. 76. Prisoners of war shall be fed upon plain and wholesome food, whenever practicable, and treated with humanity. They may be required to work for the benefit of the captor’s government, according to their rank and condition. 77. A prisoner of war who escapes may be shot, or otherwise killed in his flight; but neither death nor any other punishment shall be inflicted upon him simply for his attempt to escape, which the law of war does not consider a crime. Stricter means of secu- rity shall be used after an unsuccessful attempt at escape. If, however, a conspiracy is discovered, the purpose of which is a united or general escape, the conspirators may be rigorously punished, even with death; and capital punishment may also be in- flicted upon prisoners of war discovered to have plotted rebellion against the authorities of the captors, whether in union with fellow- prisoners or other persons. 78. If prisoners of war, having given no pledge nor made any promise on their honor, forcibly or otherwise escape, and are cap- tured again in battle, after having rejoined their own army, they shall not be punished for their escape, but shall be treated as Anhang. simple prisoners of war, although they will be subjected to stricter confinement. 79. Every captured wounded enemy shall be medically treated, according to the ability of the medical staff. 80. Honorable men, when captured, will abstain from giving to the enemy information concerning their own army, and the modern law of war permits no longer the use of any violence against pri- soners, in order to extort the desired information, or to punish them for having given false information. Section IV. Partisans — Armed enemies not belonging to the hostile army — Scouts — Armed prowlers—War-rebels. 81. Partisans are soldiers armed and wearing the uniform of their army, but belonging to a corps which acts detached from the main body for the purpose of making inroads into the territory occupied by the enemy. If captured, they are entitled to all the privileges of the prisoner of war. 82. Men, or squads of men, who commit hostilities, whether by fighting, or inroads for destruction or plunder, or by raids of any kind, without commission, without being part and portion of the organized hostile army, and without sharing continuously in the war, but who do so with intermitting returns to their homes and avo- cations, or with the occasional assumption of the semblance of peaceful pursuits, divesting themselves of the chrracter or appearance Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. of soldiers—such men, or squads of men, are not public enemies, and therefore, if captured, are not entitled to the privileges of pri- soners of war, but shall be treated summarily as highway robbers or pirates. 83. Scouts or single soldiers, if disguised in the dress of the country, or in the uniform of the army hostile to their own, em- ployed in obtaining information, if found within or lurking about the lines of the captor, are treated as spies, and suffer death. 84. Armed prowlers, by whatever names they may be called, or persons of the enemy’s territory, who steal within the lines of the hostile army, for the purpose of robbing, killing, or of destroying bridges, roads, or canals, or of robbing or destroying the mail, or of cutting the telegraph wires, are not entitled to the privileges of the prisoner of war. 85. War-rebels are persons within an occupied territory who rise in arms against the occupying or conquering army, or against the authorities established by the same. If captured, they may suffer death, whether they rise singly, in small or large bands, and whether called upon to do so by their own, but expelled, government or not. They are not prisoners of war; nor are they, if discovered and secured before their conspiracy has matured to an actual rising, or to armed violence. Section V. Safe-conduct — Spies — War-traitors — Captured messengers—Abuse of the flag of truce. 86. All intercourse between the territories occupied by belligerent Anhang. armies, whether by traffic, by letter, by travel, or in any other way, ceases. This is the general rule, to be observed without special proclamation. Exceptions to this rule, whether by safe-conduct, or permission to trade on a small or large scale, or by exchanging mails, or by travel from one territory into the other, can take place only accor- ding to agreement approved by the government, or by the highest military authority. Contraventions of this rule are highly punishable. 87. Ambassadors, and all other diplomatic agents of neutral powers, accredited to the enemy, may receive safe conducts trough the terri- tories occupied by the belligerents, unless there are military reasons to the contrary, and unless they may reach the place of their desti- nation conveniently by another route. It implies no international affront if the safe conduct is declined. Such passes are usually given by the supreme authority of the state, and not by subordinate officers. 88. A spy is a person who secretly, in disguise or under false pretence, seeks information with the intention of communicating it to the enemy. The spy is punishable with death by hanging by the neck, whether or not he succeed in obtaining the information or in con- veying it to the enemy. 89. If a citizen of the United States obtains information in a legi- timate manner, and betrays it to the enemy, be he a military or civil officer, or a private citizen, he shall suffer death. 90. A traitor under the law of war, or a war-traitor, is a person Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. in a place or district under martial law who, unauthorized by the military commander, gives information of any kind to the enemy, or holds intercourse with him. 91. The war-traitor is always severely punished. If his offence consists in betraying to the enemy anything concerning the condition, safety, operations or plans of the troops holding or occupying the place or district, his punishment is death. 92. If the citizen or subject of a country or place invaded or con- quered gives information to his own government, from which he is separated by the hostile army, or to the army of his government, he is a war-traitor, and death is the penalty of his offence. 93. All armies in the field stand in need of guides, and impress them if they cannot obtain them otherwise. 94. No person having been forced by the enemy to serve as guide is punishable for having done so. 95. If a citizen of a hostile and invaded district voluntarily serves as a guide to the enemy, or offers to do so, he is deemed a war- traitor, and shall suffer death. 96. A citizen serving voluntarily as a guide against his own country commits treason, and will be dealt with according to the law of his country. Anhang. 97. Guides, when it is clearly proved that they have misled inten- tionally, may be put to death. 98. All unauthorized or secret communication with the enemy is considered treasonable by the law of war. Foreign residents in an invaded or occupied territory, or foreign visitors in the same, can claim no immunity from this law. They may communicate with foreign parts, or with the inhabitants of the hostile country, so far as the military authority permits, but no further. Instant expulsion from the occupied territory would be the very least punishment for the infraction of this rule. 99. A messenger carrying written despatches or verbal messages from one portion of the army, or from a besieged place, to another portion of the same army, or its government, if armed, and in the uniform of his army, and if captured while doing so, in the territory occupied by the enemy, is treated by the captor as a prisoner of war. If not in uniform, nor a soldier, the circumstances connected with his capture must determine the disposition that shall be made of him. 100. A messenger or agent who attempts to steal trough the terri- tory occupied by the enemy, to further, in any manner, the interests of the enemy, if captured, is not entitled to the privileges of the prisoner of war, and may be dealt with according to the circum- stances of the case. 101. While deception in war is admited as a just and necessary means of hostility, and is consistent with honorable warfare, the Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. common law of war allows even capital punishment for clandestine or treacherous attempts to injure an enemy, because they are so dangerous, and it is so difficult to guard against them. 102. The law of war, like the criminal law regarding other offences, makes no difference on account of the difference of sexes, concerning the spy, the war-traitor, or the war-rebel. 103. Spies, war-traitors, and war-rebels are not exchanged according to the common law of war. The exchange of such persons would require a special cartel, authorized by the government, or, at a great distance from it, by the chief commander of the army in the field. 104. A successful spy or war-traitor, safely returned to his own army, and afterwards captured as an enemy, is not subject to punish- ment for his acts as a spy or war-traitor, but he may be held in closer custody as a person individually dangerous. Section VI. Exchange of prisoners — Flags of truce — Flags of protection. 105. Exchanges of prisoners take place—number for number—rank for rank—wounded for wounded—with added condition for added condition—such, for instance as not to serve for a certain period. 106. In exchanging prisoners of war, such numbers of persons of inferior rank may be substituted as an equivalent for one of superior Anhang. rank as may be agreed upon by cartel, which requires the sanction of the government, or of the commander of the army in the field. 107. A prisoner of war is in honor bound truly to state to the captor his rank: and he is not to assume a lower rank than belongs to him, in order to cause a more advantageous exchange; nor a higher rank, for the purpose of obtaining better treatment. Offences to the contrary have been justly punished by the commanders of released prisoners, and may be good cause for refusing to release such prisoners. 108. The surplus number of prisoners of war remaining after an exchange has taken place is sometimes released either for the pay- ment of a stipulated sum of money, or, in urgent cases, of provision, clothing, or other necessaries. Such arrangement, however, requires the sanction of the highest authority. 109. The exchange of prisoners of war is an act of convenience to both belligerents. If no general cartel has been concluded, it cannot be demanded by either of them. No belligerent is obliged to ex- change prisoners of war. A cartel is voidable so soon as either party has violated it. 110. No exchange of prisoners shall be made except after complete capture, and after an accurate account of them, and a list of the captured officers, has been taken. 111. The bearer of a flag of truce cannot insist upon being admit- Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. ted. He must always be admitted with great caution. Unnecessary frequency is carefully to be avoided. 112. If the bearer of a flag of truce offer himself during an enga- gement, he can be admitted as a very rare exception only. It is no breach of good faith to retain such a flag of truce, if admitted during the engagement. Firing is not required to cease on the ap- pearance of a flag of truce in battle. 113. If the bearer of a flag of truce, presenting himself during an engagement, is killed or wounded, it furnishes no ground of com- plaint whatever. 114. If it be discovered, and fairly proved, that a flag of truce has been abused for surreptitiously obtaining military knowledge, the bearer of the flag thus abusing his sacred character is deemed a spy. So sacred is the character of a flag of truce, and so necessary is its sacredness, that while its abuse is an especially heinous of- fence, great caution is requisite, on the other hand, in convicting the bearer of a flag of truce as a spy. 115. It is customary to designate by certain flags, (usually yellow,) the hospitals in places which are shelled, so that the besieging enemy may avoid firing on them. The same has been done in battles, when hospitals are situated within the field of the engagement. 116. Honorable belligerents often request that the hospitals within the territory of the enemy may be designated, so that they may be spared. Anhang. An honorable belligerent allows himself to be guided by flags or signals of protection as much as the contingencies and the neces- sities of the fight will permit. 117. It is justly considered an act of bad faith, of infamy or fiend- ishness, to deceive the enemy by flags of protection. Such act of bad faith may be good cause for refusing to respect such flags. 118. The besieging belligerant has sometimes requested the besieged to designate the buildings containing collections of works of art, sci- entific museums, astronomical observatories, or precious libraries, so that their destruction may be avoided as much as possible. Section VII. The Parole. 119. Prisoners of war may be released from captivity by exchange and, under certain circumstances, also by parole. 120. The term Parole designates the pledge of individual good faith and honor to do, or to omit doing, certain acts after he who gives his parole shall have been dismissed, wholly or partially, from the power of the captor. 121. The pledge of the parole is always an individual, but not a private, act. 122. The parole applies chiefly to prisoners of war whom the captor Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. allows to return to their country, or to live in greater freedom within the captor’s country or territory, on conditions stated in the parole. 123. Release of prisoners of war by exchange is the general rule; release by parole is the exception. 124. Breaking the parole is punished with death when the person breaking the parole is captured again. Accurate lists, therefore, of the paroled persons must be kept by the belligerents. 125. When paroles are given and received there must be an ex- change of two written documents, in which the name and rank of the paroled individuals are accurately and truthfully stated. 126. Commissioned officers only are allowed to give their parole, and they can give it only with the permission of their superior, as long as a superior in rank is within reach. 127. No non-commissioned officer or private can give his parole except through an officer. Individual paroles not given through an officer are not only void, but subject the individual giving them to the punishment of death as deserters. The only admissible excep- tion is where individuals, properly separated from their commands, have suffered long confinement without the possibility of being pa- roled through an officer. Bluntschli , Das Völkerrecht. 32 Anhang. 128. No paroling on the battle-field; no paroling of entire bodies of troops after a battle; and no dismissal of large numbers of pri- soners, with a general declaration that they are paroled, is permit- ted, or of any value. 129. In capitulations for the surrender of strong places or fortified camps the commanding officer, in cases of urgent necessity, may agree that the troops under his command shall not fight again du- ring the war, unless exchanged. 130. The usual pledge given in the parole is not to serve during the existing war, unless exchanged. This pledge refers only to the active service in the field, against the paroling belligerent or his allies actively engaged in the same war. These cases of breaking the parole are patent acts, and can be visited with the punishment of death; but the pledge does not refer to internal service, such as recruiting or drilling the re- cruits, fortifying places not besieged, quelling civil commotions, figthing against belligerents unconnected with the paroling belli- gerents, or to civil or diplomatic service for which the paroled officer may be employed. 131. If the government does not approve of the parole, the paroled officer must return into captivity, and should the enemy refuse to receive him, he is free of his parole. 132. A belligerent government may declare, by a general order, whether it will allow paroling, and on what conditions it will allow it. Such order is communicated to the enemy. Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. 133. No prisoner of war can be foreed by the hostile government to parole himself, and no government is obliged to parole prisoners of war, or to parole all captured officers, if it paroles any. As the pledging of the parole is an individual act, so is paroling, on the other hand, an act of choice on the part of the belligerent. 134. The commander of an occupying army may require of the civil officers of the enemy, and of its citizens, any pledge he may con- sider necessary for the safety or security of his army, and upon their failure to give it he may arrest, confine, or detain them. Section VIII. Armistice—Capitulation. 135. An armistice is the cessation of active hostilities for a period agreed upon between belligerents. It must be agreed upon in writing, and duly ratified by the highest authorities of the conten- ding parties. 136. If an armistice be declared, without conditions, it extends no further than to require a total cessation of hostilities, along the front of both belligerents. If conditions be agreed upon, they should be clearly expressed, and must be rigidly adhered to by both parties. If either party violates any express condition, the armistice may be declared null and void by the other. 137. An armistice may be general, and valid for all points and 32* Anhang. lines of the belligerents; or special, that is, referring to certain troops or certain localities only. An armistice may be concluded for a definite time; or for an indefinite time, during which either belligerent may resume hostilities on giving the notice agreed upon to the other. 138. The motives which induce the one or the other belligerent to conclude an armistice, whether it be expected to be preliminary to a treaty of peace, or to prepare during the armistice for a more vi- gorous prosecution of the war, does in no way affect the character of the armistice itself. 139. An armistice is binding upon the belligerents from the day of the agreed commencement; but the officers of the armies are respon- sible from the day only when they receive official information of its existence. 140. Commanding officers have the right to conclude armistices binding on the district over which their command extends, but such armistice is subject to the ratification of the superior authority, and ceases so soon as it is made known to the enemy that the armistice is not ratified, even if a certain time for the elapsing between gi- ving notice of cessation and the resumption of hostilities should have been stipulated for. 141. It is incumbent upon the contracting parties of an armistice to stipulate what intercourse of persons or traffic between the in- habitants of the territories occupied by the hostile armies shall be allowed, if any. Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. If nothing is stipulated the intercourse remains suspended, as during actual hostilities. 142. An armistice is not a partial or a temporary peace; it is only the suspension of military operations to the extent agreed upon by the parties. 143. When an armistice is concluded between a fortified place and the army besieging it, it is agreed by all the authorities on this subject that the besieger must cease all extension, perfection, or ad- vance of his attacking works as much so as from attacks by main force. But as there is a difference of opinion among martial jurists, whether the besieged have the right to repair breaches or to erect new works of defence within the place during an armistice, this point should be determined by express agreement between the parties. 144. So soon as a capitulation is signed, the capitulator has no right to demolish, destroy, or injure the works, arms, stores, or ammunition, in his possession, during the time which elapses between the signing and the execution of the capitulation, unless otherwise stipulated in the same. 145. When an armistice is clearly broken by one of the parties, the other party is released from all obligation to observe it. 146. Prisoners, taken in the act of breaking an armistice, must be treated as prisoners of war, the officer alone being responsible who Anhang. gives the order for such a violation of an armistice. The highest authority of the belligerent aggrieved may demand redress for the infraction of an armistice. 147. Belligerents sometimes conclude an armistice while their pleni- potentiaries are met to discuss the conditions of a treaty of peace; but plenipotentiaries may meet without a preliminary armistice; in the latter case, the war is carried on without any abatement. Section IX. Assassination. 148. The law of war does not allow proclaiming either an indivi- dual belonging to the hostile army, or a citizen, or a subject of the hostile government, an outlaw, who may be slain without trial by any captor, anymore than the modern law of peace allows such international outlawry; on the contrary, it abhors such outrage. The sternest retaliation should follow the murder committed in con- sequence of such proclamation, made by whatever authority. Civi- lized nations look with horror upon offers of rewards for the assas- sination of enemies as relapses into barbarism. Section X. Insurrection—Civil War—Rebellion. 149. Insurrection is the rising of people in arms against their gov- ernment, or a portion of it, or against one or more of its laws, or Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. against an officer or officers of the government. It may be confined to mere armee resistance, or it may have greater ends in view. 150. Civil war is war between two or more portions of a country or State, each contending for the mastery of the whole, and each claiming to be the legitimate government. The term is also some- times applied to war af rebellion, when the rebellious provinces or portions of the State are contiguous to those containing the seat of government. 151. The term rebellion is applied to an insurrection of large ex- tent, and is usually a war between the legitimate government of a country and portions or provinces of the same who seek to throw off their allegiance to it, and set up a government of their own. 152. When humanity induces the adoption of the rules of regular war toward rebels, whether the adoption is partial or entire, it does in no way whatever imply a partial or complete acknowledgment of their government, if they have set up one, or of them, as an inde- pendent or sovereign power. Neutrals have no right to make the adoption of the rules of war by the assailed government toward rebels the ground of their own acknowledgment of the revolted people as an independent power. 153. Treating captured rebels as prisoners of war, exchanging them, concluding of cartels, capitulations, or other warlike agreements with them; addressing officers of a rebel army by the rank they may have in the same; accepting flags of truce; or, on the other hand, proclaiming martial law in their territory, or levying war-taxes or forced loans, or doing any other act sanctioned or demanded by the Anhang. law and usages of public war between sovereign belligerents, neither proves nor establishes an acknowledgment of the rebellious people, or of the government which they may have erected, as a public or sovereign power. Nor does the adoption of the rules of war toward rebels imply an engagement with them extending beyond the limits of these rules. It is victory in the field that ends the strife and settles the future relations between the contending parties. 154. Treating, in the field, the rebellious enemy according to the law and usages of war has never prevented the legitimate govern- ment from trying the leaders of the rebellion or chief rebels for high treason, and from treating them accordingly, unless they are inclu- ded in a general amnesty. 155. All enemies in regular war are divided into two general clas- ses; that is to say, into combatants and non-combatants, or unarmed citizens of the hostile government. The military commander of the legitimate government, in a war of rebellion, distinguishes between the loyal citizen in the revolted portion of the country and the disloyal citizen. The disloyal citizens may further be classified into those citizens known to sympathize with the rebellion, without positively aiding it, and those who, with- out taking up arms, give positive aid and comfort to the rebellious enemy, without being bodily forced thereto. 156. Common justice and plain expediency require that the military commander protect the manifestly loyal citizens, in revolted territo- ries, against the hardships of the war as much as the common misfortune of all war admits. The commander will throw the burden of the war, as much as lies within his power, on the disloyal citizens of the revolted portion or province, subjecting them to a stricter police than the Amerikanische Kriegsartikel der Vereinigten Staten von 1863. non-combatant enemies have to suffer in regular war; and if he deems it appropriate, or if his government demands of him that every citizen shall, by an oath of allegiance, or by some other ma- nifest act, declare his fidelity to the legitimate government, he may expel, transfer, imprison, or fine the revolted citizens who refuse to pledge themselves anew as citizens obedient to the law and loyal to the government. Whether it is expedient to do so, and whether reliance can be placed upon such oaths, the commander or his government have the right to decide. 157. Armed or unarmed resistance by sitizens of the United States against the lawful movements of their troops is levying war against the United States, and is therefore treason. Register. (S. = Seitenzahl in der Einleitung. Die übrigen Zahlen verweisen auf die Paragraphen. n. = Anmerkung.) A. Aachener Congreß 103. „ Protokoll 105 n. , 155 n. , 171 n. Abberufung von Gesandten 210, 228, 238, 537. Abbrechung des diplomat. Verkehrs 234, 235, 237 n. , 537. Abschließung, eines States gegen jeden Fremdenverkehr S. 25; eines Meeres vom Weltverkehr 305. Absolutismus 65. Abtretung von Statsgebiet 46 ff., 706, 707. Abzugsrecht S. 24. Abzugssteuern 393 n. Aerzte, Apotheker u. s. w. S. 34; 578, 599. Agenten: 159 ff.; völkerrechtliche 243, nicht völkerrechtliche 241, geheime 170 n. , 242, 637. Alexander II., Kaiser, S. 20. Alexander VI., Pabst, S. 26; 278 n. Allianz, heilige, S. 17. — 6 n. 1, 68 n. 101, 102, 114 n. , 446 n. Allianz, bewaffnete, der neutralen Staten 447 n. 1. Allianzen: Begriff und Arten 446, 447, 448, 98 n. Allianzverträge, Auslegung und An- wendung der, 449. Allianzpflicht 515 n. Alternat 178. Altersrang, diplomatischer 187. Ambassadeur s. Botschafter. Ambulancen s. Krankenwagen. Amnestie 710—714. Andr é , englischer Major 628 n. Anerkennung, eines neuen States 28 ff. „ einer auswärtigen Re- gierung 122, 169. Anerkennung, einer neuen Statsgewalt 288, 289, 293. Anfänge, des Völkerrechts, im Alter- thum S. 10 u. 11, im Mittelalter S. 12—15. Annahme, eines Gesanten 169. Annexionen 50. Anschluß der Bevölkerung eines States an einen andern Stat 288. Ansiedlung 280. Anzeige von der Absendung eines Ge- santen 167. Anzeigepflicht, des Personenwechsels im Statshaupt 125. arbitratio, arbitrium 488 n. 1 u. n. 2. Aristoteles S. 11. Asyl, Asylrecht 151, 200, 394—398, 400, 586 n. , 774 n. , 775 n. , 845. Register. Aufleben des modernen Völkerrechts S. 15 ff. Aufnahmepflicht des States gegen s. An- gehörigen 368, 401. Aufstand im Kriege 598. Ausdehnung, räumliche, des Völkerrechts S. 17. Auslieferung 200, 201, 395, 396, 399, 400, 401, 466, 780. Austräge, Austrägeverfahren S. 29; 496 n. Auswanderer, friedliche, 816. Auswanderung 370—372. Auswechslung von Kriegsgefangenen 612—616, 623. Auswechslung der Vertragsurkunden 419 n. Aus- und Zurückweisung, fremder Stats- angehöriger 500. Aus- und Zurückweisung, von Bewoh- nern während einer Belagerung 553. B. Barbareskenstaten 363 n. Barbarische Völker 425 n. Beamte, des Heeres 578, 595. Bedenken, gegen das Völker-R. u. deren Widerlegung S. 2—10. Beendigung, des Krieges 700 ff. Befreiung des V.R. von religiöser Be- fangenheit S. 16. Befreiungskriege 545 n. 2. Beglaubigungsschreiben 185. Belagerer 553, 554. Bergelohn 336. Berichterstatter im Felde 595, 638 n. 2. Beschlagnahme 500, 806 n. 1., 810, 811. Beseitigung einer Statsgewalt 288. Besitz, unvordenklicher 354. Besitznahme, militärische, von Feindes- land 539 ff., 576, 719. Besitzstand, Wirkung des dauernden 290. Besitzstörung, widerrechtliche 464. Bestrafung eines Gesanten 210. Besteuerung 376, 377, 389, 390. Besuche (und Einladungen) der (u. bei) Gesanten 190. Besuchsrecht, wechselseitiges, der Schiffe 352. Beuterecht im Landkriege: S. 38 u. 39; 657, 659—61. Beuterecht im Seekriege: S. 40. — 15 n. , 665 ff. Bewohner, friedliche, in Feindesland 573—575, 594. Binnenseen 306, 316. Binnenstaten 325. Blocade, Blocaderecht, ( blocus ) S. 43; 506, 827 ff. Bombardement 554. Botschafter 171, 172. Bourbonen 118 n. Boten 639. Bremer Seerechts-Agitation S. 44; 665 n. Briefgeheimniß, Verletzung des 199. Briganti 513 n. 1. Bürge, der Stat als, 441. Bürgerkriege 512 n. 3., 514 n. 1. Bürgschaftsgarantie 432 n. , 440 n. Buchten S. 27; 309. Bund, deutscher, 160 n.; norddeutscher 70 n. , 160 n. Bundesgenossenschaft mit einer Kriegs- partei 750, 751. Bundesstat 70 ff., 160, 373. Bundesverfassung, schweizerische 122 n. 160 n. Bynkershoek 14 n. 1, 151 n. , 164 n. , 568 n , 674 n. 1, 742 n. C. Caboto, Seefahrer, 278 n. Cabotage s. Küstenhandel. Canning 30 n. , 763 n. 2. Carl II. 117 n. Carl V. 186 n. Capellenrecht 204—207. Caper s. Kaper. Register. Capitulation 697—699. Cartelschiffe 680. Cartelverträge 614 n. 679. Casus fœderis 449 n. 1. Christenthum, dessen Einfluß auf das Völkerrecht S. 12 ff. Ceremonialgesandte 181. 227. Ceremoniel 171 n. 188. 189. Clausel: „rebus sic stantibus“ 456. Codifikation, erste nordamerikanische, des Kriegsrechts im Landkriege S. 5 ff. und Anhang. Collektivgarantie 440. Colonialstaten 79. Colonieen, süd- und nordamerikanische, 29 n. 31 n. 120 n. 277 n. 2. Colonisten 279. 280. Combattanten s. Kämpfer. Commandant, eines festen Platzes 552, 553. Commissäre, völkerrechtliche 243. Concordate 26 n. 443. Conferenzen 12 n. 1. Conflikt der Statsrechte und Bürger- pflichten 374. Conflikte, Entscheidung der, über die Rechte der Exterritorialen 224. Conflikte, Schlichtung der völkerrechtlichen 481 ff. Congreßakte, Wiener 53 n. 710 n. 1. 745 a. Congresse, allgemeine, S. 4. 12 n. 1, 108—114. Congresse, von Wien S. 19; 91. 108 n. ; von Genf S. 35; von Aachen, Laibach und Verona S. 47; — 3 n. 2. 84 n. 90 n. 106 n. 108 n. 120 n. 351 n. 474 n. 3. Connivenz, statliche 466 n. 467 n. 2. Consensus gentium 13. Consularagenten 271 n. Consulate, Consule: im Allgemeinen S. 22; Begriff und Stellung 244; Patent 245; Exequatur 246. 248. 556 n. ; Errichtung 247: Arten 249; sind diplomatische Agenten 250; Recht zur Ausfertigung von Pässen 251; Gerichtsbarkeit 252. 259. 269; Schieds- richteramt 253. 259. 320; Schutzrecht (pflicht) 254—257; Schiffspolizei 258; Disziplinargewalt 260; Unterstützung der Schiffsführer 261; Constatirung der Seeschäden 262; Schiffsreparaturen u. Verkaufsrecht 263; Recht bei Schiff- brüchen 264; R. zur Führung der Standesregister 265; R. zur Erthei- lung der Volljährigkeit 266; Privi- legien der levantinischen Consuln insbes. 269; Besoldung 270; Rangklassen- bestimmung 271; Wappen- u. Flaggen- recht 272. Continentalsperre S. 41. Contrebande S. 45. siehe auch: Kriegs- contrebande. Contributionen S. 39. s. auch: Geld- contributionen. Contumazanstalten 508. Convocirung 824—826. Courtoisie 154 n. Creditiv 183—187. 228—233. 236—238. 245. Cromwell 117 n. 500 n. 3. Cultus, Unterdrückung des 577. Curiere 198. 199. 639. D. Dante 5 n. Decretum Gratiani S. 12. 679 n. Deditionsformel, altrömische 702 n. Defensivallianzen 446 n. 447 n. 1. Deserteure 627. Dienste, gute ( bons offices ) S. 29; 483, 484, 498 n. Diplomaten, diplomatischer Körper S. 22; — 27, 182, 473. Diplomatische Sendung, deren Ende 227 ff., deren Unterbrechung 237. Diplomatische Verhandlung 482. Register. Diplomatischer Verkehr 537, 796, 797. Directorialregierung, französische 117 n. Donaufürstenthümer 432 n. Droit d’aubaine 393 n. „ de perquisition 393 n. „ du renvoi 383 n. „ de visite 352 n. Dufour, General 586 n. Dunant, Genfer Arzt 586 n. Durchfahrt 310. Durchsuchungsrecht S. 45; 819—826. Dynastie, Verträge eines States mit einer 43 n. 443 n. 1; — restaurirte Dyn. 44. E. Ehre, Verletzung der, eines States 463. Eid u. Ehrenwort 425, 737. Eigengewässer S. 28. 321 n. 2. 342; neutrale: 773, 786, 787, 814. Einigung, nationale 517 n. Einquartierung 653 n. 2. Einverleibung 50 ff., 287, 288; 715 n. Einzelkampf 578. Einzelstat 71, 444 n. 1. Embargo 509, 669. Enge Meere 309 n. Entdeckung statenloser Länder 278. Entlassung, eines Gesanten 169 n. „ der Kriegsgefangenen, auf Ehrenwort 617—626. Entschädigungspflicht für Requisitionen 653, 655, 656. Entstehung eines neuen States 28 ff. 279 n. 288 n. 4. Entwaffnung, flüchtiger Truppen 776, einbrechender Truppen 788. Entwicklung des Völkerrechts S. 10 ff. Erbrecht, Erwerbgrund der Statshoheit 293. Erbverträge 443 n. 1. Erfüllungs- und Ersatzforderung 462. Eroberung 289, 576 n. 2, 715 n. , 733. Etappenstraßen 771 n. Etiketteverstöße 190 n. Exekutionskrieg 514. Exemtionsrecht 139, 141, 154, 197, 209, 218, 267. Exequatur 246, 248, 273, 274. s. auch Consuln. Exterritorialität 129 n. , 135—153, 196, 216 n. , 267, 321. F. Familie, souveräne 127. Familiengenossen der souveränen Personen 154—158. Familiengenossen und Gefolge eines Ex- territorialen 145—149, 211—215, 219. Fecialrecht, altrömisches 406 n. Fehderecht 511 n. 522 n. 1. Feinde S. 31 und 35; 531—533, 569, 578 ff., 594. Feindesschonung, Grundsatz der 585. Feindliche Personen im eigentl. Sinne 569, 570, 575, 578, 594. Feldgeistliche S. 34. 578, 587, 599. Fischerboote 667. Fischerei, freie 307, 310, — an den englisch-amerikanischen Küstengewässern 718 n. 2. Fiskus 442 n. Flagge 324. 325. 328. 329. 339. 343. „ neutrale, deckt die feindliche Waare S. 42; 794. Flagge (Fahne), weiße, Aufhissen und Aufstecken ders. 697 n. 1. Flibustier 513 n. 1. Flüchtlinge 395—400. Flüsse S. 27. Fluß, als Grenze 298, 299. Flußschiffahrt 47. Fluß- und Schiffahrtspolizei 313. Flußzölle S. 28. Fœdus iniquum 444 n. 2. Franklin S. 41. Freiheit, der Staten 8, 9, 64 ff. „ persönliche 360 ff. Register. Freiheit, religiöse S. 21. „ des Verkehrs S. 25. „ der Schiffahrt S. 25 ff. Freischaren 512 n. 2, 570, 572, 758 n. Frei Schiff, frei Gut S. 43; 794. Freizügigkeit S. 24. Fremdenrecht S. 23 ff.; 381—394; 411, 472. Friede S. 9. „ von Adrianopel (1829) S. 26; von Nanking (1842) S. 25; von Paris (1856) S. 26, S. 28, S. 29, S. 42, S. 43, S. 45; 305 n. , 308 n. ; von Paris (1814) S. 27; von Utrecht (1713) S. 19; 351 n. Friedens-Allianzen 446 n. „ -Blokade zur See 507. „ -Bruch 465, 725, 726. „ -Congreß, Pariser (1856): S. 17. S. 26; 106 n. , 111 n. , 484 n. , 498 n. , 670 n. 2, 794 n. , 795 n. , 801 n. 2, 828 n. 1. siehe auch: Friede. Friedens-Congreß, in Münster 149 n. „ -Schluß: 289, 703—709, 714— 724; 731, 733, 734, 736, 861. Friedens-Unterhandlung, Eröffnung der 705 n. 1. Friedens-Vertragsverletzung 725 n. 2. Friedrich d. Große 500 n. 3, 658 n. , 842 n. Fürsten, entthronte 118, 443 n. 1. G. Garantie, Garantieverträge: 430—439, 486. Garantibeschluß 432 n. , 440 n. Garibaldi 512 n. 2, 570 n. 1 und 2. Gebietshoheit: Begriff 276; Inhalt 277; Subjekt 277 n. 1; Begründung 289, 291, 293; Formen des Erwerbs 292; concurrirende der Uferstaten 300, 303, 304, 316; beschränkte 309, 310; siehe auch: Statsdienstbarkeiten. Ausdeh- dehnung auf Schiffe u. s. w. S. 27, — 318; Verpfändung ders. 428. Gebietsverminderung 46. Gebirgszug, als Grenze 297. Gefangennahme, eines Exterritorialen überhaupt 142, 500 e und f; eines Gesandten 136 n. 210; — eines Neu- tralitätsbrechers 788; — eines Sou- veräns 130 n. , 142; diplomatischer Agenten 637. Geiseln 426, 427, 500 e , 600. Geldcontributionen 654, 717. Geleitscheine 675—677. Geleitschiffe 824—826. Gemal, Gemalin, fürstlicher (e) 154 ff. Gemeinflüsse 314 n. Gemeingefährliche Verletzungen des Völ- kerrechts 471—473, 478. Generalconsuln S. 23, 271. Genfer-Vertrag v. 1864: 586 n. Gerichtsbarkeit, der Civilgerichte, über die Exterritorialen 140. Germanen, das Völkerrecht der S. 14 und 15. Gesammtstat (Statenverein) 71 ff., 432 n. , 444 n. 1, 480, 496, 514. Gesante: deren: Unverletzlichkeit S. 21 ff.; Einrichtung ständiger S. 22; völker- rechtl. Persönlichkeit 27; Begriff 170; Klassen u. Arten 171 ff.; im Alter- thum 171 n. ; ständige und nicht- ständige 180; Beginn des Charakters 183 ff.; persönliche Rechte u. Pflichten 191 ff.; Disziplinargewalt über ihre Angehörigen 216, Gerichtsbarkeit über dieselben 216 n. , 217, 220, 221; Steuerfreiheit 222, 223; Abberufung 228; Beförderung 236; Verabschiedung, feierliche 238; Verlassenschaft 240; Suspension ihrer Thätigkeit im Kriege 555; neutrale Ges. 555; Bruch ihrer Rechte 191 ff., 472. Gesantschaftsrecht, aktives 159 ff. Geschäftsträger ( chargés d’affaires ) 171, 174, 233. Gesetzesrecht 12 n. 2. Register. Gesetzgebung, völkerrechtl. S. 2—7. Gewässer, Gemeinschaft der S. 25 ff. „ öffentliche 304 ff. Gewalt, angebliche Herrschaft der S. 9 ff. Glaubensverfolgungen 411, 472. Gleichgewicht 95—100. Gottesfriede ( treuga Dei ) 687 n. Gregor XVI. Pabst 117 n. Grenzen, des Statsgebiets 296 ff. „ des Völkerrechts S. 17, — 1 u. ff. Grenzregulirungen 47. Grenzverhältnisse 42 n. Grenzzeichen 296 n. Groot (Grotius) Hugo de S. 16, S. 26, S. 31, S. 32; 1 n. 2, 16 n. , 151 n. , 210 n. , 304 n. , 657 n. 1, 709 n. , 742 n. Großstat, nationaler, 99 n. Grundlage des Völkerrechts S. 1 u. 2. 1 u. ff. Güter, geborgene, 668. H. Hafenordnungen 327 n. Halbsouveränetät 78. Hamilton S. 45. Handel, mit Waffen u. dergl. 765. Handelsconsuln S. 22 u. 23. Handelsschiffe, feindliche, 669. Handelsverkehr, dessen Hemmung, 500. „ neutraler, 798 ff. Handlungsfähigkeit der Staten 62 u. 63. Häuser, dynastische 293 n. Hausrecht, des Gesandten 206 n. Haverei 262. Heffter 16 n. , 367 n. , 568 n. , 718 n. 3. Heimatslosigkeit 369. Heimfallsrecht S. 24. Heinrichs’ VII. , englische Parlamentsakte v. 1494: 117 n. Hellenen, das Völkerrecht der, S. 10 u. 11. Herrenlose Sache 277 n. 2. Hierarchie, römische, 165 n. Hörigkeit, bäuerliche S. 19. Hülfslohn 336 n. Hülfstruppen, Zufuhr von 815. Humanität, die, das Wesen der Civili- sation 5 n. Humboldt, Wilhelm von, S. 28, 312 n. I. Incognito 133. Indult 669 n. Innocenz III. , Pabst, 560 n. Inseln, neugebildete, 295. Instruktion, für die Armeen der Ver- einigten Staten im Feld S. 5 u. 6 und Anhang. Interimsgesandter 180. International law 1 n. 2. Internirung 398 n. , 776. Internuncius, österreichischer 173 n. Internuncien, päbstliche, 173. Interpretation der Statenverträge 449. Intervention, deren: Unzuläßigkeit im Allgemeinen 474; Geschichte 474 n. 2—4; Zuläßigkeit auf Anrufen 475— 477; Zuläßigkeit ohne Anrufen 478, 480, 515 n. ; Abwehr durch die übrigen Mächte 479. Intervention, des Heimatstates 380 n. , „ des Garanten 431 u. ff. Interventionen, der heiligen Allianz, 68 n. Interventionsrecht u. Politik 107, 120 n. Italien, Königreich 104 n. , 125 n. Jakob II. 117 n. , 118 n. jus albinagii 393 n. „ avocandi 375, 394. K. Kämpfer ( combattans ) 578, 594. Kaiserthum, römisch-deutsches S. 15. Kant S. 24. Kanonenschußweite 302, 309 n. Kaperbriefe 670 n. 1. Kaperei, Abschaffung der, S. 41 u. 42, — 670 n. 2 u. 3. Register. Kaperschiffe 349 n. 3, 501 n. 2, 572, 670. Katharina II. von Rußland S. 44. Kent 16 n. Kirche, römisch-katholische, im Mittelalter 26 n. Kirchen, die christlichen, sind keine völker- rechtl. Personen i. engern Sinne 26. Klüber 742 n. Knechtschaft, erbliche S. 19. Königskammern 309 n. Krankenwagen (Ambulancen) 586 ff. Krieg S. 7, S. 9, S. 30; dessen: Be- griff 510; gerechter, ungerechter, völker- rechtswidriger 447, 515, 519, 520, 535; sein Einfluß auf die Verträge 461. Kriegs-Allianzen 446 n. , 447. „ -Anleihe 768. „ -Artikel, nordamerik., s. Anhang. „ -Ausrüstung 57, 645, 664. „ -Beute im Landkriege: 644—650, 659. Kriegs-Beute im Seekriege: 664; — Rückgabe derselben 722, 723. Kriegs-Contrebande S. 42, — 765, 794, 795, 801, 802; absolute 803; rela- tive 805, 806; dann noch 807—817. Kriegs-Depeschen 803 n. 5. „ -Dienst 576. „ -Erklärung 521—525, 537. „ -Eröffnung 525—528. „ -Gefangene S. 35, 349 n. 2 u. 3, 582, 585, 593—626, 639, 716, 737, 738. Kriegs-Gerichte, standrechtliche, 547 n. 2, 548. Kriegs-Gewalt, Rechte und Pflichten der 541—551; 568—577. Kriegs-Lasten S. 39. „ -Manifest 522, 524. „ -Mittel 534; unerlaubte: 557— 563, 566; erlaubte: 564, 565, 583. Kriegs-Parteien 511—514, 530. „ -Rebellen 643. Kriegs-Recht S. 30 u. ff.; Ausübung dess. 542, 543, 550; Mißbrauch dess. 542. Kriegs-Rüstung, ist Gegenstand des Beute- rechts S. 39. Kriegs-Schiffe 321; nothleidende: 775, 776. Kriegs-Sitte, gute, 554, 560, 567, 578 n. , 622 n. , 661, 685, 807. Kriegs-Trophäen 650 n. 1 und 3. „ -Ursachen 516—519, 536. „ -Verräther 631—634, 639. „ -Ziel 536. „ -Zustand, Wirkungen des, 529 ff. Kündigungsrecht, einseitiges, eines Ver- trages 454, 458. Küsten S. 26 u. 27. „ -Gewässer, neutrale, 772. „ -Handel ( Cabotage ) der Neu- tralen 800. Küsten-Saum 302, 303, 309, 322. „ -Schutz 303. „ -Stat 322, 323, 325, 338. Kurfürsten, Rang der, 87 n. Kurhessischer Rechtsstreit 733 n. L. Landeskirche 26 n. Landesverrath 631 n. , 634 n. Landsee, als Grenze 301. Landsperre 506 n. 2. Landsturm 597, 598. Laurent S. 14; 425 n. , 663 n. Lebensmittel, Zufuhr von, 807. Legaten und Nuncien, päbstliche 165 n. , 172. Legati a (de) latere 172 n. 2. „ reverentiæ 181 n. Legitimität (Illegitimität) einer Stats- regierung 120. Legitimitätspolitik 120 n. Legitimitätsprinzip S. 47 u. ff. Lehensherrlicher (oberherrlicher) Stat 76, 77, 444 n. 1. Bluntschli , Das Völkerrecht. 33 Register. Leibeigenschaft, Aufhebung der in Ruß- land, S. 20. Leinpfad 312. Licenzen (Erlaubnißscheine) 674 n. 4. Lieber, Professor S. 5, S. 30. Lincoln S. 5, 349 n. , 3, 832 n. , 1. Localisirung d. Krieges S. 44, 747. Londoner Vertrag (v. 15. Nov. 1831) 745, b. (v. 1867) 745 d. Loos, Entscheidung durch das, 178. Lossagungsrecht (von den Concordaten) 443 n. 3. Ludwig XIV. S. 22. Ludwig XVIII. 117 n. Ludwig Philipp 117 n. Lüneviller Friede 298 n. 2. M. Magna Charta, englische (v. 1215), 657 n. 1. Majestät (Titel) 89. Manus Gesetzbuch 585 n. Maria Stuart 130 n. Marinegerichtsbarkeit 321 n. Marketender 578. Marode, Marodeurs S. 35, S. 39, 642. Martens 200 n. , 202 n. Mediatisirung 288 n. 4. Meer, als Grenze 302. Meer, Freiheit desselben S. 26; 304, 305. Meere, geschlossene, 306. Meereseinbrüche 309. Mehrheitsbeschlüsse 10, 113. Mensch, der einzelne 23. Menschenrechte S. 19; 529 n. 2, 533. Metternich 120 n. Militärcapitulationen 759 n. Militärpflicht 391. Militärspitäler 586 ff., 685. Minister, bevollmächtigte 171, 173 n. Ministerresidenten 171, 174. Minneverfahren 481—487. Mittel, friedliche, des Völkerrechts S. 8. Mission, außerordentliche, 175. Mobiliar, eines Exterritorialen, 153. Monroedoktrin 474 n. 3. Montesquieu 7 n. Mortara, Raub des, S. 21. Moynier, Präsident 586 n. N. Napoleon I. 117 n. , 130 n. Napoleon III. 108 n. , 109 n. , 117 n. , 124 n. Nation 1 n. 2. Nationalität, der Schiffe 324 u. ff. Nationalstat 288. Naturzustand, angeblicher, 529 n. 1, 538 n. 1. Navigationsakte 327 n. Nebenländer 80. Nebenvertrag 430—432. Neugestaltung e. States 517. Neutralität im Allgemeinen S. 44 u. ff.; Begriff der N. 742, 743; Grund- bedingung d. N. 744; Arten der N. 745—748; Bedingungen der N. 749 u. ff.; Pflichten der Neutralen 756 u. ff.; Rechte der Neutralen 783 u. ff.; Handelsverkehr d. Neutralen 798 ff. Neutralität, Belgiens 432 n. , 440 n. , 745 b); Luxemburgs 440 n. , 745 d); der Schweiz 745 a); Serbiens 745 c). „ bewaffnete (von 1780 und 1800) S. 44, 447 n. 1, 794 n. , 801 n. 2, 803 n. 3, 824 n. , 825 n. , 830 n. , 835 n. 4. „ der Krankenwagen, Militär- spitäler u. s. w. 586—592. Neutralitätsakte, englische (v. 1819) u. nordamerikanische (v. 1794 u. 1818) S. 45. Neutralitätsbuch 779—781, 788—790. Neutralitätsgesetz der Ver. St. v. Nord- amerika 763 n. 2. Register. Nichterfüllung, der völkerrechtlichen Ver- bindlichkeiten 462. Nichtinterventionsprincip 474 n. 3 u. 4. Nichtkämpfer ( non combattans ) S. 34, 578, 595. Nikolaus I. Kaiser 124 n. Nomadenvölker 20. Nothwehr, Recht der, 144, 194. Notifikation, der Ankunft von Gesandten 187; der Thronfolge 229. Nuncien siehe Legaten. O. Occupation herrenloser Sachen 277 n. 2. „ gestrandeter Waaren u. s. w. 335. „ statenlosen Landes 278, 279 —283. Offene See — als Kriegsfeld 814. Offensivallianzen 446 n. , 447 n. 2. Officiere neutraler Staten 638 n. 1. Organe, völkerrechtliche 115 ff. P. Pacifico -Angelegenheit 500 n. 3, 502 n. pacta 405 n. pactum instar legis 402 n. Päbste, deren völkerrechtliche Stellung im Mittelalter S. 12; 425 n. Panin, russischer Kanzler, S. 44. Pardon, siehe Quartiergeben. Pariser-Vertrag vom 30. März 1866 745 c. Parlamentäre 681—684, 687 n. , 697 n. 1. Parlamentärflagge (Fahne) 681, 684. Parole s. Ehrenwort. Parteigänger 570. Parteien, sind nicht Subjekte des Völker- rechts im e. Sinne 24. Partikularstaten 99 n. Pässe 186. Pässe, militärische 675—678, 792. Paßzustellung an einen Gesandten 210. Patent, der Consuln 245. Penn, William 280 n. Pentarchie 103—107, 471 n. Personal, der Spitäler und Ambulancen 587 u. ff. Personalprincip 379 n. Personalunion 51, 74, 75. Personen u. Güter, neutrale, 793—795. Personen, völkerrechtliche 17 u. ff. Peter d. Gr., von Rußland 133 n. , 218 n. Pfandnahme, gewaltsame, 429. Philimore 762 n. Piraten, Piraterie 349, 351, 472, 513, 521 n. Piratenschiffe 343—351. Piratenstaten 349. Plätze, offene und feste, 554 n. Platen S. 11. Plünderung 661. Portalis 531 n. Postliminium 727—741, 860 n. 1. Präsident, einer Republik, 126, 128. Praxis, statliche, des vor. Jahres 77 n. Praxis, statsmännische, deren Einfluß auf das Völkerrecht S. 15; amerik. S. 46. Preßfreiheit während des Kriegs 545 n. 1. Preußen 104 n. Prinzen und Prinzessinen, der souveränen Häuser 157, 158. Prise, Prisenrecht, Prisengericht S. 45; 346, 347; 500 n. 3, 507, 509 n. , 527 n. , 668, 672, 741, 777 n. , 786, 809—811, 818, 822, 825, 841 u. ff. Privateigenthum, im Landkriege S. 36 ff. 652, 653 u. ff.; im Seekriege: 665, 666. Privateigenthum, des States 58. Privatgut, fürstliches, 734. Privatgut, dessen Beschlagnahme, 500. Privatkrieg 670 n. 1. Privatpersonen im Kriege 530, 531. Privatrechte, Schutz derselben durch das Völkerrecht S. 18. Register. Privatrepressalien 503 n. Protest 482. Protokolle, völkerrechtliche 12 n. 2. Provincialschulden 47. Pufendorf S. 16, S. 31; 7 n. Punktationen 418. Q. Quartiergeben 580—584. Quellen, des Völkerrechts S. 3 u. ff., 10—16. R. Rang, der Staten 84 ff. „ kaiserlicher 86. „ königlicher 87, 172. „ der Familiengenossen eines Sou- veräns 155 u. ff. „ der Gesandten 171 u. ff. Rangerhöhung, eines States, 94. Rangordnung, der Gesandten untereinan- der 176. Ratifikation, der Verträge, 419—421. Raubstaten, afrikanische, 513 n. 2. Räuber 571, 641. Recht, der nationalen Entwicklung und der Selbstbestimmung der Völker S. 46 u. ff. „ conventionelles und nothwendiges 402 n. , 460 n. „ internationales 1 n. 2. „ der königlichen und kaiserlichen Staten 89. Rechtsbruch 464, 465. Rechtsbücher, völkerrechtliche S. 6. Rechtsgleichheit der Staten 81 u. ff. „ der Völker 2. Rechtspflege, völkerrechtliche S. 7—8. Rechtsschutz S. 7; statlicher in der Fremde S. 24—25. Rechtsverschiedenheit, kein Grund zur Re- torsion 505 n. 2. Rechtsverwahrung 482. Recreditivschreiben 238. Recognitionspatrouillen 630. Reichsverfassung, alte deutsche, 160 n. Reihenfolge, der Staten, bei der Unter- zeichnung v. Akten u. Verträgen 178. Reisläufer 758. Religion und Recht 6 n. 2. Religionsübung, Recht der Gesandten auf freie, 203, 208. Repräsentationsrecht im Völkerrecht 115, 116, 454 n. Repressalien: S. 34; zulässige, ohne Krieg 500; unzulässige 501. „ Umfang der 502. „ berechtigt dazu 503. „ Dauer derselben 504. „ im Kriege 567, 580, 685 n. Reprise 846, 859, 860. Requisitionen 653, 717. Restaurirte Regierung 731—735. Retorsion 505. Rettungsanstalten 337, 338. Rettungslohn 336 n. Revolution, griechische, belgische, franzö- sische 120 n. Rheden S. 27. Rheinschiffahrt S. 27. Richelieu S. 22. Römer, das Völkerrecht der S. 11, 512 n. 4. Rücktrittsrecht vom Vertrage 455, 462, 500 g. S. Säkularisation 288 n. 4. Saint Pierre, Abb é , 95 n. Schätzungsverfahren 488 n. Schiedsgericht, S. 8, S. 29 u. ff.; der Päbste im M.-A. S. 12 u. ff. Schiedsrichterliches Verfahren 488—498. Schiffahrt, freie, S. 25 ff., 307, 308, 310, 312, 314, 316, 325, 327, 411. Schiffahrtsakte, englische (1854) 330 n. , 333 n. , 335 n. , 336 n. , 337 n. Register. Schiffahrtsgebühren 315. Schiffe, gestrandete 668. Schiffe: Gebietstheile des Landes 317. „ Handels- oder Kriegsschiffe 317 n. „ fremde 319, 323, 328, 339, 341. „ auf offener See 318. „ Gerichtsbarkeit darüber 319, 320. 322. „ exterritoriale 321. „ barbarischer Stämme 325 n. „ Papiere derselben 326. „ Ausweichen der 330. „ Fahrregeln für die 331, 332. „ „ in Seegefahr 333. „ „ nationale 350. Schiffbrüchige 334, 337, 338. Schiffsrecht 317 u. ff. Schill 512 n. 2. Schlesische Landesschuld 500 n. 3. Schranken des Völkerrechts S. 17 u. ff. Schutzfahnen 685. Schutzhoheit 78, 403 n. Schutzpflicht, der Staten gegenüber den Gesandten 192, 239, 275. Schutzrecht u. Pflicht d. Staten, gegen- über ihren Angehörigen im Auslande 380, 384, 468. Schutzstaten 78; deren Rang 92, 444 n. 1. Schutzwachen, Schutzbriefe 686. Schutz- und Trutzbündnisse 446 n. Schweden 104 n. Seebeute 111 n. Seeblokade 506 n. 2. Seehäfen S. 27, 309. Seeherrschaft, angemaßte 304 n. , 305 n. , 310 n. 2, 472. Seehoheit, angemaßte, d. Engländer S. 26. Seekriegsrecht S. 40 u. ff. Seepolizei, völkerrechtliche S. 20; 341 n. , 344 n. Seeraub, autorisirter S. 41. Seeräuber S. 35, 343. Selbständigkeiten der Staten 8. Selbständigkeiten, deren Beschränkung 9. Selbstbefreiung eines Volkes vom Feinde 730. Selbsthülfe, gewaltsame, S. 7 ff., 429, 448, 464, 449 ff., 510 ff. „ zur See 340 n. , 348. Siegelung der Verlassenschaft von Ge- santen 240. Siegesdenkmäler 650 n. 2. Sklavenhandel 351, 363. Sklavenmärkte S. 20, 363. Sklavenschiffe 351. Sklaverei, Verhalten der Römer, des Christenthums dagegen S. 18 —19. „ die, im germanisirten Europa S. 19. „ in Amerika S. 19; „ Verhalten der Engländer da- zu S. 19. „ Erklärung des Wiener Con- gresses dagegen S. 19, 351 n. „ Verbot derselben durch die V. St. v. N.-Amerika S. 19. „ Maßregeln dagegen S. 20. „ Aufhebung in Nordamerika S. 20, 15 n. , dann 360, 361, 362, 411, 472. Sonderbundskrieg, Schweizer, 514 n. 1. Souveräne, deren völkerrechtliche Per- sönlichkeit 27; Verträge ders. 443. Souveränetät der Staten 64—80. Souveränetätsrechte, des States, 68. Spanien 104 n. Spione, Spionerie S. 35, 628, 629, 630, 633, 639, 683. sponsiones 405 n. Stämme, barbarische, 280. „ wilde, 535 n. 2, 557 n. Standrecht S. 35. 348, 547, 548. Stapel- und Landungsplätze 315. Stat, der, Begriff S. 2. Staten: Subjekte des Völkerrechts 17 u. ff.; Entstehung und Anerkennung neuer Register. Staten 28 ff.; Untergang der St. 46 ff.; völkerrechtliche Eigenschaften der St. 62 ff.; halbsouveräne 78, 79; deren Rang 92, 93; Bildung neuer St. 279 n.; paciscirende 444; Sub- jekte des Krieges 530 ff.; neutrale St., deren bewaffnete Allianz 447 n. 1, deren Handel 507. Statenbildung 28 n. , 279 n. Statenbünde 70 ff.; 160. Statenbund, allgemeiner, 10 n. Statenfamilie, europäische 98 n. Statenfolge 46 ff. Statenreiche 70 ff., 160, 373. Statensysteme S. 96 u. ff. Statenverträge 442, 489 n. 1, 497, 538. Statsdienstbarkeiten 42 n. , 69, 353 u. ff., 771. Statsehre, Recht auf, 83. Statsgebiet: Eigenschaften 284; Abtre- tungen von 46 ff., 285, 286, 287; Erweiterung und Verminderung dess. 294, 295; Grenzen dess. 296—299. Statsgenossen, im fremden Lande 378, 379. Statgenossenschaft: Erwerb und Verlust im Allgemeinen 364; der Ehefrau u. ehel. Kinder 365; der unehel. Kinder 366; der Landsassen im weitesten Sinne des Wortes 367; Auflösung 371; zweifache 373, 374. Statshäupter: deren völkerrechtliche Per- sönlichkeit 27; als Schieds- richter 489 n. 2; „ deren Repräsentationsrecht 115—125. „ die, als souveräne Personen 126—134. Statsinteresse 518. Statspersönlichkeit: Repräsentant derselben 115, 116, 117. Statsrecht, äußeres 1 n. 2. Statsschulden 59. Statsumwälzungen 474. Statsvermögen 54. „ dessen Beschlagnahme 500. Statthalter 161. status quo ( post und ante bellum ) 700 n. , 715. Steuerbefreiung der Exterritorialen 138. 267. Strandrecht 334. 335. Straßen, offene, 47. Ströme und Flüsse S. 27; 311, 312, 314. Sühneversuch 521. Sundzoll, Aufhebung desselben S. 26 u. 27; 310 n. 2. T. Talionsprincip 501 n. 1. Territorialprincip 379 n. Thalweg 298, 299. Thronfolge, Verträge über, 443. Thurn- und Taxis, Familie, deren Post- regal 443 n. 2. Titel, der Staten 84 ff.; der Familien- genossen eines Souveräns 155 ff. Tödtung, unnöthige 579. Tractate 418. Truppentheile, verfolgte, 774, 776, 785. Truppenwerbung 760—762. Türkei, deren Aufnahme in’s europäische Völkerrecht S. 17; Schutz der christ- lichen Rajahs gegen dieselbe S. 21. U. Ueberfall, gewaltsamer, fremder Stats- gebiete ohne Kriegsursache 472, 481. Uebergabe auf Gnade u. Ungnade 698. Ueberläufer 627. Ufer S. 26. Uferbauten 47, 299 n. Uferstaten 288, 295, 299, 300, 301, 303, 310 n. , 312, 314, 316, 322, 337. Unabhängigkeit, der Staten 64 u. ff. Unfrei Schiff, frei Gut 795. Register. Unfrei Schiff, unfrei Gut 795 n. Universalherrschaft, Streben nach, 99 100, 412, 472. Unterdrückung, fremder Völker 81, 412, 472. Unterpfand 428. Untersuchungsrecht: gegen die Sklaven- schiffe S. 20; Widerspruch der Ver. Staten und Frankreichs dagegen 352 n.; gegen verdächtige Schiffe 344, 345, 352. Unterthaneneid 551. Unterwerfung des besiegten Feindes 701, 702. Unverletzbarkeit, Recht der, 191, 192, 193, 239. Usurpator 117. Uti possidetis 715 n. V. Vasallenstaten 76, 77; deren Rang 92, 444 n. 1. Vattel S. 33, S. 34, 147 n. , 150 n. , 201 n. , 573 n. , 585 n. , 594 n. 1, 692 n. Veränderungen des Flußbettes u. Thal- weges 299. Verbittung und Verweigerung der An- nahme eines Gesanten 164, 165, 166. Verbrechen, politische, deren Unterschied von gemeinen 564 n. 1. Verbrecher, fremde, 395, 401. Verdrängung des Feindes 728 u. ff. Vereinigte Staten von Nordamerika 98 n. , 111, 114 n. , 160 n. , 310 n. 2. Vereins- u. Versammlungsrecht während des Krieges 545 n. 1. Verfahren, schiedsrichterliches S. 29 ff., 488 u. ff. Verfassungsänderungen, innere, eines Sta- tes S. 46. Verfassungsstreitigkeiten 474. Verfassungswandlung, deren Einfluß auf die völkerrechtlichen Verhältnisse der Staten 39 ff. Vergleich 482, 494. Verhältnißmäßigkeit, Grundsatz der, zwi- schen Schuld und Folgen 469—502 n. Verhandlungen, unter den Kriegsparteien 679 ff. Verjährung, völkerrechtliche 290 n. Verkehr, friedlicher, Pflege dess. S. 21 ff.; allgemeine Verkehrsgemeinschaft S. 25; Verkehr zur See S. 27. Verkehrsrecht, internationales, S. 24. Verkehr, unter den Kriegsparteien 674 ff. Verkehr, Recht u. Pflicht des völkerrecht- lichen 159 ff. Verkehrsanstalten, muthwillige Zerstörung der, 651. Verkehrssperre ( blocus ) 506, 507, 508. Verletzung eines Gesanten 193. Vermittlung S. 29, 485—487. Vermögen, feindliches, im Landkriege S. 36 ff.; im Seekriege S. 40 ff. Versuche, bösartige, zur Schädigung des Feindes 640. Vertilgungskrieg 535. Vertrag, völkerrechtlicher, 12 n. 2. Verträge, zur Abschaffung der Neger- sklaverei 351 n.; über wechselseitiges Untersuchungsrecht d. Schiffe 352. Verträge, völkerrechtliche S. 5, 402 ff.; Fähigkeit zur Abschließung von, 403; Erfordernisse zur Gültigkeit ders. 404 —407, 416, 444; Einfluß des Zwanges u. dgl. darauf 408, 409. Rechtsgrund der Verbindlichkeit der Vertr. 410; ungültige Verträge insbesondere 411, 412, 474; wirkungslose Vertr. 413, 414. Lossagungsrecht von Vertr. 415. Form der Vertr. 417 ff. — 424. Verstärkung der Vertr. 425 ff., 441. Arten der Vertr. 442—445. Vertragserneuerung, stillschweigende, 451. Vertragsrecht 3 n. 1, 12 n. 2, 494 n. Register. Vertragsverbindlichkeit, Aufhören der 450—461. Vertragsververhältnisse, zwischen den Sta- ten, Einfluß des Krieges auf diese 538; des Friedensschlusses auf diese 718. Vertreter des Völkerrechts 5. Verwaltung und Rechtspflege während des Krieges 541, 545, 547. Verweigerung der Ratifikation der Ver- träge 420. Verwundete im Kriege 582, 586, 590, 591. Verzicht 288, 482, 494 n. Veto 113 n. Vicekönige 161. Victor I. Emanuel König 735 n. Visitationsrecht, der Kriegsschiffe gegen verdächtige Sklavenschiffe S. 20. Völkergericht S. 7. Völkerrecht: Begriff S. 1 und 2 § 1; Keime desselben bei den wilden und barbarischen Stämmen S. 10; christ- liches S. 12; der Barbaren, Hellenen, Römer, Germanen S. 10 u. ff.; seine Befreiung von religiöser Befangenheit S. 16 ff.; — Aufleben des modernen S. 15 ff.; Schranken desselben S. 17 ff.; Ausdehnung S. 17; Aufgabe S. 17 ff.; Begründung, Natur und Grenzen des Völkerrechts 1—16; con- ventionelles u. nothwendiges 13 n. 2. Völkerrecht: Verletzungen dess. und Ver- fahren zur Herstellung dess. 462 ff. Vortritt 89 ff. W. Waare, neutrale, auf feindlichem Schiffe ist freies Gut S. 43. Waffenruhe 687—689, 691—696. Waffenstillstand 688—696. Waffenvorräthe 57. Washington S. 45, 756 n. 2; 763 n. 2. Wechsel der Regierung, Einfluß auf die völkerrechtliche Persönlichkeit 123; auf die Fortdauer der Creditive 230—232. Wechsel, des Ministers des Aeußern, Ein- fluß auf die Creditive 233. Wegeführer 634—636. Wegnahme d. Kriegscontrebande 806 n. 1, 808, 809, 813, 818. Wegeweisung, von Flüchtigen 398 n. Wegweisung, fremder Kriegsschiffe 321 n. „ e. Gesanten 210, 235, 637. „ von Korrespondenten 638. Wegzug, freier, 392, 393. Weltbürgerrecht S. 24, 23 n. Weltcongreß 108, 111, 112. Weltherrschaft, Anspruch der Päbste darauf S. 13; der deutschen Kaiser S. 15, 412. Weltordnung, Gefährdung der allge- meinen, 471, 472. Weltstat u. Weltgesetzgebung 10 n. , 22 n. Weltströme, mehrstatliche u. einst. S. 29. Weltverkehr 314 n. Weltverkehrswege 307, 472. Widerstand, dessen Erlöschen 289. Wienercongreß-Akte (v. 1815) S. 28 n. , 103 n. , 312 n. , 314 n. , 315 n. „ -Protokoll 171 n. , 172 n. 2, 175 n. , 176 n. , 177 n. , 178 n. Wildfangsrecht S. 24. Wilhelm I. Kurfürst 735 n. Wilhelm III. v. England 117 n. Wissenschaft, Einfluß der auf das Völker- recht S. 15. Wohnort 367, 376. Wohnung, Quartier, Wagen des Exter- ritorialen 150—152, 200, 201. Wrack 335. Würde, Mißachtung der e. States 453. Z. Zerstörung von Privateigenthum im Kriege 662, 663. Zurückhaltung der Geiseln 426. Zwangsabtretung, von Privateigenthum im Kriege 655. Zwangsverkauf 811. Zwischenregierung 44, 45, 731—735.