Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. Beytrag zu vielen Beytraͤgen des Jahrhunderts. Ταρασσει τȣς ανϑρωπȣς ȣ τα πραγματα, αλλα τα περι των πραγματων δογματα — 1774. Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit. Erster Abschnitt. J e weiter hin es sich in Untersuchung der aͤltsten Weltgeschichte, ihrer Voͤlker- wandrungen, Sprachen, Sitten, Er- findungen, und Traditionen aufklaͤrt: Neueste historische Untersuchungen und Rei- sen in Asten. desto wahrscheinlicher wird mit jeder neuen Entdeckung auch der Urprung des ganzen Geschlechts von Einem. Man naͤhert sich immer mehr dem gluͤcklichen Klima, wo Ein Menschenpaar unter den mildesten Ein- fluͤssen der schaffenden Vorsehung, unter Beystande der erleichterndsten Fuͤgungen rings um sich her, den Faden anspann, der sich A 2 nach- nachher mit solchen Wirrungen weit und lang fortgezogen: wo also auch alle ersten Zufaͤlle fuͤr Anstalten einer muͤtterlichen Vorsehung gelten koͤnnen, einen zarten Doppelkeim des ganzen Geschlechts mit alle der Wahl und Vor- sicht zu entwickeln, die wir immer dem Schoͤ- pfer einer so edeln Gattung und seinem Blick auf Jahrtausend und Ewigkeit hinaus zu- trauen muͤssen. Natuͤrlich, daß diese ersten Entwickelungen so simpel, zart und wunderbar waren, wie wir sie in allen Hervorbringungen der Na- tur sehen. Der Keim faͤllt in die Erde und erstirbt: der Embryon wird im Verborgnen gebildet, wie’s kaum die Brille des Philosophen a priori gutheißen wuͤrde, und tritt ganz ge- bildet hervor: die Geschichte der fruͤhesten Entwicklungen des menschlichen Geschlechts, wie sie uns das aͤltste Buch beschreibt, mag also so kurz und apokryphisch klingen, daß wir vor dem philosophischen Geist unsers Jahr- hunderts, der nichts mehr als Wunderbares und Verborgnes hasset, damit zu erscheinen erbloͤden: eben deswegen ist sie wahr. Nur Eins also angemerkt. Scheint nicht selbst fuͤr das Maulwurfsauge dieses lichtesten Jahr- hun- hunderts doch ein laͤngeres Leben, eine stiller und zusammenhangender wuͤrkende Natur, kurz eine Heldenzeit des Patriarchenalters dazu zu gehoͤren, die erste Formen des Men- schengeschlechts, welche es auch seyn? den Stammvaͤtern aller Nachkommenschaft ein- und fuͤr die Ewigkeit anzubilden? Wir laufen jetzt nur voruͤber, und durch die Welt her; Schat- ten auf Erden! Alles Gute und Boͤse, was wir mitbringen (und wir bringen wenig mit, weil wir alles hier erst empfangen) haben wir meist auch das Schicksal wieder mit zu neh- men: unsre Jahre, Lebenslaͤufe, Vorbilder, Unternehmungen, Eindruͤcke, die Summe unsrer Hinwuͤrkung auf Erde, ist kraftloser Traum Einer Nachtwache — Geschwaͤtz! du laͤssest sie dahin fahren u. s. w. So wie das nun bey dem großen Vorrath von Kraͤften und Faͤhigkeiten, den wir entwickelt vor uns fin- den, bey dem schnellern Lauf unsrer Saͤfte und Regungen, Lebensalter und Gedankenplane, wo Eins das Andre, wie eine Wasserblase die andre zu verfolgen und zu zerstoͤhren eilt, bey dem so oft mishelligen Verhaͤltniß zwischen Kraft und Besonnenheit, Faͤhigkeit und Klug- heit, Anlage und gutem Herzen, die ein Jahr- hundert des Verfalls immer bezeichnen — A 3 wies wies bey dem allen Absicht und abwaͤgende Weisheit scheint, eine große Masse kindischer Kraͤfte durch kurze, kraftlose Dauer des Le- bensspiels zu maͤßigen und zu sichern: ge- hoͤrte nicht auch allein jenes erste, stille, ewi- ge Baum- und Patriarchenleben dazu, um die Menschheit in ersten Neigungen, Sitten und Einrichtungen zu wurzeln und zu gruͤnden? Was waren diese Neigungen? Was sollten sie seyn? Die natuͤrlichsten, staͤrksten, einfach- sten! fuͤr alle Jahrhunderte der Menschenbil- dung die ewige Grundlage: Weisheit statt Wissenschaft, Gottesfurcht statt Weisheit, El- tern-Gattten- Kindesliebe statt Artigkeit und Ausschweifung, Ordnung des Lebens, Herr- schaft und Gottregentschaft eines Hauses das Urbild aller buͤrgerlichen Ordnung und Einrichtung — in diesem allen der einfach- ste Genuß der Menschheit aber zugleich der tiefste — wie das alles, ich will nicht fra- gen, erbildet, nur angebildet, fortgebildet wer- den, als — durch jene stille ewige Macht des Vorbilds, und einer Reihe Vorbilde mit ihrer Herrschaft um sich her? Nach unserm Lebensmaaße waͤre jede Erfindung hundertfach verlohren gangen; wie Wahn entsprungen und und wie Wahn entflohen — welcher Unmuͤn- dige sollte sie annehmen? welcher zu bald wie- der Unmuͤndige sie anzunehmen zwingen? Es zerfielen also die ersten Bande der Menschheit im Ursprung oder vielmehr damals so duͤnne kurze Faͤden, wie haͤtten sie je die starke Bande werden koͤnnen, ohne die selbst nach Jahrtau- senden der Bildung das menschliche Geschlecht durch bloße Schwaͤchung noch immer zer- faͤllt? — Nein! mit frohem Schauer stehe ich dort vor der heiligen Ceder eines Stamm- vaters der Welt! Ringsum schon hundert jungo bluͤhende Baͤume, ein schoͤner Wald der Nachwelt und Verewigung! aber siehe! die alte Ceder bluͤht noch fort, hat ihre Wurzeln weit umher und traͤgt den ganzen jungen Wald mit Saft und Kraft aus der Wurzel. Wo der Altvater auch seine Kenntnisse, Neigun- gen, und Sitten her habe? was und wie we- nig diese auch seyn moͤgen? ringsum hat sich schon eine Welt und Nachwelt zu diesen Nei- gungen und Sitten, blos durch die stille, kraͤf- tige, ewige Anschauung seines Gottesbey- spiels gebildet und vestgebildet! zwey Jahrtau- sende waren nur zwo Generationen. A 4 Jn- Jndeß auch von diesem heroischen Anfaͤn- ger der Bildung menschlichen Geschlechts weg- gesehen: nach den bloßen Truͤmmern der weltlichen Geschichte und nach dem fluͤchtig- sten Raisonnement uͤber dieselbe à la Vol- taire — welche Zustaͤnde koͤnnen erdacht werden, erste Neigungen des menschlichen Herzens hervorzulocken, zu bilden, und vest- zubilden, als die wir schon in den Traditionen unsrer aͤltesten Geschichte wuͤrklich angewandt finden? Das Hirtenleben im schoͤnsten Kli- ma der Welt, wo die freywillige Natur den einfachsten Beduͤrfuissen so zuvor oder zu Huͤlfe kommt, die ruhige und zugleich wan- dernde Lebensart der vaͤterlichen Patriar- chenhuͤtte, mit allem, was sie giebt, und dem Auge entziehet, der damalige Kreis menschli- cher Beduͤrfnisse, Beschaͤftigungen und Ver- gnuͤgen, nebst allem, was nach Fabel oder Geschichte dazu kam, diese Beschaͤftigungen und Vergnuͤgen zu lenken — man denke sich alles in sein natuͤrliches, lebendiges Licht — welch ein erwaͤhlter Garten Gottes zur Er- ziehung der ersten, zartesten Menschenge- waͤchse! Siehe diesen Mann voll Kraft und Gefuͤhl Gottes, aber so innig und ruhig fuͤh- lend, als hier der Saft im Baum treibt, als der der Jnstinkt der tausendartig dort unter Ge- schoͤpfe vertheilt, der in jedem Geschoͤpfe ein- zeln so gewaltig treibet, als dieser in ihn ge- sammlete stille, gesunde, Naturtrieb nur wuͤr- ken kann! Die ganze Welt ringsum, voll Se- gen Gottes: eine große, muthige Familie des Allvaters: diese Welt sein taͤglicher Anblick: an sie mit Beduͤrfniß und Genusse geheftet: gegen sie mit Arbeit, Vorsicht und mildem Schutze strebend — unter diesem Himmel, in diesem Elemente Lebenskraft welche Gedan- kenform, welch ein Herz muste sich bilden! Groß und heiter wie die Natur! wie sie, im ganzen Gange still und muthig! langes Le- ben, Genuß sein selbst auf die unzerglieder- lichste Weise, Eintheilung der Tage durch Ruhe und Ermattung, Lernen und Behal- ten — siehe das war der Patriarch fuͤr sich allein. — — Aber was fuͤr sich allein? der Segen Gottes durch die ganze Natur wo war er, inniger als im Bilde der Mensch- heit, wie es sich fortfuͤhlt und fortbildet: im Weibe fuͤr ihn geschaffen, im Sohn seinem Bilde aͤhnlich, im Gottesgeschlecht das rings- um und nach ihm die Erde fuͤlle. Da war Segen Gottes sein Segen: sein die er re- giert, sein den er erzieht; sein die Kinder und A 5 Kin- Kindeskinder um ihn ins dritte und vierte Glied, die er alle mit Religion und Recht, Ordnung und Gluͤckseligkeit leitet. — Dies das unausgezwungene Jdeal einer Patriar- chenwelt, auf welches alles in der Natur trieb: außer ihm kein Zweck des Lebens, kein Moment, Behaglichkeit oder Kraftanwendung zu denken, — Gott! welch ein Zustand zu Bildung der Natur in den einfachsten, noth- wendigsten, angenehmsten Neigungen! — Mensch, Mann, Weib, Vater, Mutter, Sohn, Erbe, Priester Gottes, Regent und Hausvater, fuͤr alle Jahrtausende sollt er da gebildet werden! und ewig wird, außer dem tausendjaͤhrigen Reiche und dem Hirngespinste der Dichter, ewig wird Patriarchengegend und Patriarchenzelt das goldne Zeitalter der kindlichen Menschheit bleiben. Daß nun zu dieser Welt von Neigungen selbst Zustaͤnde gehoͤren, die wir uns aus ei- nem Betruge unsrer Zeit oft viel zu fremde und schrecklich dichten, duͤrfte eine Jnduktion nach der andern zeigen. — Wir haben uns einen Despotismus des Drients aus den uͤbertriebensten, gewaltsamsten Erscheinungen meist meist verfallender Reiche abgesondert, die sich mit ihm nur in ihrer letzten Todesangst straͤu- ben, (eben dadurch aber auch Todesangst zei- gen!) — und da man nun nach unsern eu- ropaͤischen Begriffen (und vielleicht Gefuͤhlen) von nichts schrecklicherm als Despotismus sprechen kann: so troͤstet man sich, ihn von sich selbst ab, in Umstaͤnde zu bringen, wo er gewiß nicht das schreckliche Ding war, das wir uns aus unserm Zustande an ihm traͤu- men. Boulenger du despotisme oriental: Voltaire phil. de l’histoir. — de la Tolerance etc. Helvet. de l’Esprit Disc. III etc. etc. Mags seyn, daß im Zelte des Pa- triarchen allein Ansehen, Vorbild, Autoritaͤt herrschte, und daß also, nach der aufgefaͤdelten Sprache unsrer Politik, Furcht, die Triebfe- der dieses Regiments war — laß dich doch, o Mensch, vom Worte des Fachphilosophen Montesquieu’s Schaaren Nachfolger und imitatorum servum p. — nicht irren, sondern siehe erst, was es denn fuͤr ein Ansehen, was fuͤr eine Furcht sey? Giebts nicht in jedem Menschenleben ein Al- ter, wo wir durch trockne und kalte Vernunft nichts, aber durch Neigung, Bildung, nach Auto- Autoritaͤt Alles lernen? wo wir fuͤr Gruͤbe- ley und Raisonnement des Guten, Wahren und Schoͤnen kein Ohr, keinen Sinn, keine Seele; aber fuͤr die sogenannten Vorurtheile und Eindruͤcke der Erziehung Alles haben — siehe! diese sogenannte Vorurtheile, ohne Bar- bara celarent aufgefaßt, und von keiner De- monstration des Naturrechts begleitet, wie stark, wie tief, wie nuͤtzlich und ewig! — Grundsaͤulen alles dessen, was spaͤter uͤber sie gebaut werden soll, oder vielmehr schon ganz und gar Keime, aus dem sich alles Spaͤtere und Schwaͤchere, es heiße so glorwuͤrdig als es wolle (jeder vernuͤnftelt doch nur nach sei- ner Empfindung) entwickelt — also die staͤrk- sten, ewigen fast goͤttlichen Zuͤge, die unser ganzes Leben beseligen oder verderben; mit denen, wenn sie uns verlassen, uns alles ver- laͤßt — — Und siehe, was jedem einzelnen Menschen in seiner Kindheit unumgaͤnglich noth ist: dem ganzen Menschengeschlecht in seiner Kindheit gewiß nicht weniger. Was du Despotis mus in seinem zartesten Keime nennest, und eigentlich nur Vaterautoritaͤt war, Haus und Huͤtte zu regieren — siehe wies Dinge ausrichtete, die du jetzt mit alle deiner kalten Philosophie des Jahrhunderts wohl wohl unterlassen muͤssest! wies das, was Recht und Gut war, oder wenigstens so duͤnkte, zwar nicht demonstrirte, aber dafuͤr in ewige Formen vestschlug, mit einem Glanze von Gottheit und Vaterliebe, mit einer suͤßen Schlaube fruͤher Gewohnheit, und allem Lebendigen der Kindesideen aus seiner Welt, mit allem ersten Genuß der Menschheit in Ein Andenken zauberte, dem Nichts, nichts auf der Welt zu gleichen. Wie nothwendig! wie gut! fuͤrs ganze Geschlecht wie nuͤtzlich! da wurden Grundsteine gelegt, die auf andre Art nicht gelegt werden konnten, nicht so leicht und tief gelegt werden konnten — sie liegen! Jahrhunderte haben druͤber gebaut, Stuͤrme von Weltalter haben sie, wie den Fuß der Py- ramiden mit Sandwuͤsten uͤberschwemmet aber nicht zu erschuͤttern vermocht — sie liegen noch! und gluͤcklich, da alles auf ih- nen ruht. Morgenland, du hiezu recht auserwaͤhlter Boden Gottes! die zarte Empfindlichkeit die- ser Gegenden, mit der raschen, fliegenden Ein- bildung, die so gern alles in goͤttlichen Glanz kleidet: Ehrfurcht vor allem, was Macht, Ansehn, Weisheit, Kraft, Fußstapfe Gottes ist, und und so dann gleich kindliche Ergebung, die sich ihnen natuͤrlich, uns Europaͤern unbe- greiflich, mit dem Gefuͤhl von Ehrfurcht mi- schet: der wehrlose, zerstreute, ruheliebende, Heerdenaͤhnliche Zustand des Hirtenlebens, das sich auf einer Ebne Gottes milde und ohn Anstrengung ausleben will — alle das, mehr und weniger von Umstaͤnden unterstuͤtzt, frey- lich hats in der spaͤtern Folge auch dem Des- potismus der Eroberer volle Materialien ge- liefert, so volle Materialien, daß Despotismus vielleicht ewig in Orient seyn wird, und noch kein Despotismus in Orient durch fremde aͤußere Kraͤfte gestuͤrzt worden: er muste nur immer, weil ihm nichts entgegenstand, und er sich unermaͤßlich ausbreitete, allein durch eigne Last zerfallen. Allerdings hat dieser Despotismus auch oft die schrecklichsten Wuͤr- kungen hervorgebracht, und wie der Philo- soph sagen wird, die schrecklichste von allen, daß kein Morgenlaͤnder, als solcher, noch kaum von einer menschlichen, bessern Ver- fassung, innigen Begrif haben kann. — Aber alle das spaͤter dahingestellt, und zuge- geben: Anfangs unter der milden Vaterre- gierung war nicht eben der Morgenlaͤnder mit seinem zarten Kindessinne der gluͤcklichste und und folgsamste Lehrling? Alles ward als Muttermilch und vaͤterlicher Wein gekostet! Alles in Kindesherzen aufbewahrt und da mit dem Siegel goͤttlicher Autoritaͤt versiegelt! der menschliche Geist bekam die ersten Formen von Weisheit und Tugend mit einer Einfalt, Staͤrke und Hoheit, die nun — gerade her- ausgesagt — in unsrer philosophischen, kal- ten europaͤischen Welt wohl nichts, gar nichts ihres gleichen hat. Und eben weil wir so unfaͤhig sind, sie mehr zu verstehen! zu fuͤh- len! geschweige denn zu genießen — so spot- ten wir, laͤugnen und mißdeuten! der beste Beweis! Ohne Zweifel gehoͤrt hiezu auch Religion, oder vielmehr war Religion „das Element, „in dem das alles lebt’ und webte.“ Auch von allem goͤttlichen Eindruck bey Schoͤ- pfung und fruͤhester Pflege des Menschenge- schlechts, (dem Ganzen so noͤthig als jedem einzelnen Kinde nach seiner Geburt, Pflege der Eltern) von alle dem auch den Blick ent- fernt, wenn Greis, Vater, Koͤnig so natuͤrlich Gottes Stelle vertrat, und sich eben so na- tuͤrlich der Gehorsam unter vaͤterlichen Wil- len, das Ankleben an alte Gewohnheit, und die die ehrfurchtvolle Ergebung in den Wink des Obern, der das Andenken alter Zeiten hatte, Montesq. espr. l. 24. 25. mit einer Art von kindlichem Reli- gionsgefuͤhl mischet — muftens denn, wie wir aus dem Geist und Herzen unsrer Zeit so sicher waͤhnen, Voltaire phil. de l’hist. Helvet Boulanger etc. nichts anders als Betruͤ- ger und Boͤsewichter seyn, die dergleichen Jdeen aufdrangen, arglistig erdichtet hatten, und argwuͤterisch mißbrauchten? Mags seyn, daß dergleichen Religionsgefuͤhl, als Element unsrer Handlungen, fuͤr unsern philosophi- schen Welttheil, fuͤr unsere gebildete Zeit, fuͤr unsre freydenkende Verfassung von in- nen und außen aͤußerst schaͤndlich und schaͤd- lich waͤren (ich glaube, sie ist, was noch mehr ist, leider! fuͤr ihn gar unmoͤglich ) laß es seyn, daß die Boten Gottes, wenn sie jetzt erschienen, Betruͤger und Boͤsewichter waͤren: siehst du nicht, daß es mit dem dortigen Geist der Zeit, des Landes, der Stufe des Men- schengeschlechts ganz anders ist? Blos schon die aͤlteste Philosophie und Regierungsform hat so natuͤrlich in allen Laͤndern urspruͤnglich Theologie seyn muͤssen! — — Der Mensch staunt alles an, ehe er sieht: kommt nur durch Ver Verwunderung zur hellen Jdee des Wahren und Schoͤnen; nur durch Ergebung und Ge- horsam zum ersten Besitz des Guten — so gewiß auch das menschliche Geschlecht. Hast du je einem Kinde aus der philosophischen Grammatik Sprache beygebracht? aus der abgezogensten Theorie der Bewegung es gehn gelernt? hat ihm die leichteste oder schwereste Pflicht aus einer Demonstration der Sitten- lehre begreiflich gemacht werden muͤssen? und duͤrfen? und koͤnnen? Gottlob eben! daß sies nicht duͤrfen und koͤnnen! Diese zarte Natur, unwissend und dadurch auf alles begierig, leichtglaͤubig und damit alles Eindrucks faͤ- hig, zutrauendfolgsam, und damit geneigt, auf alles Gute gefuͤhrt zu werden, alles mit Einbildung, Staunen, Bewundrung erfassend, aber eben damit auch alles um so vester und wunderbarer sich zueignend — „Glaube, „Liebe und Hofnung in seinem zarten Herzen, „die einzigen Saamenkoͤrner aller Kennt- „nisse, Neigungen und Gluͤckseligkeit„ — tadelst du die Schoͤpfung Gottes? oder siehst du nicht in jedem deiner so genannten Fehler Vehikulum, einziges Vehikulum alles Gu- ten? Wie thoͤricht wenn du diese Unwissen- heit und Bewundrung, diese Einbildung und B Ehr- Ehrfurcht, diesen Enthusiasmus und Kindes- sinn mit den schwaͤrzesten Teufelsgestalten deines Jahrhunderts, Betruͤgerey und Dummheit, Aberglaub’ und Sklaverey, brandmarken, dir ein Heer von Priesterteu- feln und Tyrannengespenstern erdichten willt, die nur in deiner Seele existiren! wie tausend- mal mehr thoͤrigt, wenn du einem Kinde dei- nen philosophischen Deismus, deine aͤsthe- tische Tugend und Ehre, deine allgemeine Voͤlkerliebe voll toleranter Unterjochung, Aussaugung und Aufklaͤrung nach hohem Geschmack deiner Zeit großmuͤthig goͤnnen wolltest! Einem Kinde? O du das aͤrgste, thoͤrichtste Kind! und raubtest ihm damit seine beßre Neigungen, die Seligkeit und Grund- veste seiner Natur; machtest es, wenn dir der unsinnige Plan gelaͤnge, zum unertraͤglichsten Dinge in der Welt — einem Greise von drey Jahren. Unser Jahrhundert hat sich den Namen: Philosophie! mit Scheidewasser vor die Stirn gezeichnet, das tief in den Kopf seine Kraft zu aͤußern scheint — ich habe also den Seiten- blick dieser philosophischen Kritik der aͤltesten Zeiten, vor der jetzt bekanntlich alle Philoso- phien phien der Geschichte, und Geschichten der Philosophie voll sind, mit einem Seitenblicke obwohl Unwillens und Eckels erwiedern muͤs- sen, ohne daß ich mich um die Folgen des Einen und des Andern zu bekuͤmmern noͤthig finde. Gehe hin, mein Leser, und fuͤhle noch jetzt hinter Jahrtausenden die so lang erhaltne reine morgenlaͤndische Natur, belebe sie dir aus der Geschichte der aͤltesten Zeiten, und du wirst „ Neigungen antreffen, wie sie nur in dem Lande, auf die Art, zu den großen Zwecken der Vorsehung aufs Menschenge- schlecht hinab gebildet werden konnten„ — Welch ein Gemaͤhlde, wenn ichs dir liefern koͤnn- te, wie es war! Die Vorsehung leitete den Faden der Entwick- lung weiter — vom Euphrat, Oxus und Ganges herab, zum Nil und an die phoͤni- cischen Kuͤsten — große Schritte! Es ist selten ohne Ehrfurcht, daß ich mich vom alten Aegypten und von der Betrachtung entferne, was es in der Geschichte des menschli- chen Geschlechts geworden! Land, wo ein B 2 Theil Theil des Knabenalters der Menschheit an Neigungen und Kaͤnntnissen gebildet werden sollte, wie in Orient die Kindheit! Eben so leicht und unvermerkt als dort die Genese, war hier die Metamorphose. Aegypten war ohne Viehweide und Hir- tenleben: der Patriarchengeist der ersten Huͤtte gieng also verlohren. Aber aus Nilschlamm gebildet und von ihm befruchtet, gabs, bey- nahe eben so leicht, den vortreflichsten Acker- bau: Also ward die Schaͤferwelt von Sit- ten, Neigungen, Kaͤnntnissen ein Bezirk von Ackermenschen. Das Wanderleben hoͤrte auf: es wurden veste Sitze, Landeigenthum. Laͤnder musten ausgemessen, jedem das Seine bestimmt, jeder bey dem Seinen beschuͤtzt wer- den: jeden konnte man also auch bey dem Seinen sinden — es ward Landessicherheit, Pflege der Gerechtigkeit, Ordnung, Policey, wie alles im Wanderleben des Orients nie moͤglich gewesen: es ward neue Welt. Nun kam eine Jndustrie auf, wie sie der selige, muͤßige Huͤttenwohner, der Pilger und Fremd- ling auf Erden, nicht gekannt hatte: Kuͤnste erfunden, die jener weder brauchte noch zu brauchen Lust fuͤhlte. Bey dem Geist aͤgypti- scher scher Genauigkeit und Ackerfleißes konnten diese Kuͤnste nicht anders, als zu einem hohen Grad mechanischer Vollkommenheit gelan- gen: der Sinn des strengen Fleißes, der Si- cherheit und Ordnung gieng durch alles: je- der war in der Kunde der Gesetzgebung, der- selben mit Beduͤrfniß und Genuß verpflichtet: also ward auch der Mensch unter sie gefes- selt: die Neigungen, die dort blos vaͤterlich, kindlich, schaͤfermaͤßig, patriarchisch gewe- sen waren, wurden hier buͤrgerlich, doͤrflich staͤdtisch. Das Kind war dem Fluͤgelkleide entwachsen: der Knabe saß auf der Schulbank und lernte Ordnung, Fleiß, Buͤrgersitten. Eine genaue Vergleichung des morgenlaͤn- dischen und aͤgyptischen Geistes muͤste zeigen, daß meine Analogie von menschlichen Lebens- altern hergenommen, nicht Spiel sey. Of- fenbar war allem, was beyde Alter auch ge- meinschaftlich hatten, der himmlische Anstrich genommen, und es mit Erdehaltung und Ackerleim versetzt: Aegyptens Kaͤnntnisse wa- ren nicht mehr vaͤterliche Orakelspruͤche der Gottheit, sondern schon Gesetze, Politische Regeln der Sicherheit, und der Rest von je- nen ward blos als heiliges Bild an die Tafel B 3 ge- gemahlt, daß es nicht untergienge, daß der Knabe davor stehen, entwickeln und Weisheit lernen sollte. Aegyptens Reigungen nicht mehr so kindeszart als die in Orient: das Familiengefuͤhl schwaͤchte sich, und ward da- fuͤr Sorge fuͤr dieselbe, Stand, Kuͤnstlerta- lent, das sich mit dem Stande, wie Haus und Acker forterbte. Aus dem muͤßigen Zelte, wo der Mann herrschte, war eine Huͤtte der Arbeit geworden, wo auch das Weib schon Person war, wo der Patriarch jetzt als Kuͤnst- ler saß, und sein Leben fristete. Die freye Aue Gottes voll Heerden, ein Acker voll Doͤr- fer und Staͤdte: das Kind, was Milch und Honig aß, ein Knabe, der uͤber seine Pflichten mit Kuchen belohnt wurde — — es webte neue Tugend durch alles, die wir aͤgyptischen Fleiß, Buͤrgertreue nennen wollen, die aber nicht orientalisches Gefuͤhl war. Dem Mor- genlaͤnder, wie eckelt ihm noch jetzt Ackerbau, Staͤdteleben, Sklaverey in Kunstwerkstaͤten! wie wenig Anfaͤnge hat er noch nach Jahrtau- senden in alle dem gemacht: er lebt und webt als ein freyes Thier des Feldes. Der Aegyp- ter im Gegentheil, wie haßte und eckelte er den Viehhirten, mit allem was ihm anklebte! eben wie sich nachher der feinere Grieche wie- der der uͤber den lastbaren Aegypter erhob — es hieß nichts, als dem Knaben eckelte das Kind in seinen Windeln, der Juͤngling haßte den Schulkerker des Knabens; im Ganzen aber gehoͤren alle drey auf- und nacheinander. Der Aegypter ohne morgenlaͤndischen Kindes- unterricht waͤre nicht Aegypter, der Grieche ohne aͤgyptischen Schulfleiß nicht Grieche — eben ihr Haß zeigt Entwickelung, Fortgang, Stufen der Leiter! Zum Erstaunen sind sie, die leichtern Wege der Vorsehung: sie, die das Kind durch Re- ligion lockte und erzog, entwickelte den Kna- ben durch nichts als Beduͤrfnisse und das liebe Muß der Schule. Aegypten hatte keine Weiden — der Einwohner mußte also Acker- bau wohl lernen, wie sehr erleichterte sie ihm dies schwere Lernen durch den fruchtbringen- den Nil. Aegypten hatte kein Holz: man muste mit Stein bauen lernen: Steingruben gnug da: der Nil bequem da, sie fortzubrin- gen — wie hoch ist die Kunst gestiegen! wie viel entwickelte sie andre Kuͤnste! der Nil uͤberschwemmte: man brauchte Ausmessun- gen, Ableitungen, Daͤmme, Kanaͤle, Staͤd- te, Doͤrfer — auf wie mancherley Weise B 4 ward ward man am Erdklos angeheftet! aber wie viel Einrichtung entwickelte auch der Erd- klos! Er ist mir auf der Charte nichts als Tafel voll Figuren, wo jeder Sinn entwickelt hat: so original dies Land und seine Pro- dukte, so eine eigne Menschengattung! Der menschliche Verstand hat viel in ihm gelernt, und vielleicht ist keine Gegend der Erde, wo dies Lernen so offenbar Kultur des Bodens gewesen als hier. Sina ist noch sein Nach- bild: man urtheile und errathe. Auch hier wieder Thorheit, eine einzige aͤgyptische Tugend aus dem Lande, der Zeit und dem Knabenalter des menschlichen Geistes herauszureißen, und mit dem Maasstabe ei- ner andern Zeit zu messen! Konnte, wie ge- zeigt, sich schon der Grieche so sehr am Aegyp- ter irren und der Morgenlaͤnder den Aegypter hassen: so duͤnkt mich, sollts doch erster Ge- danke seyn, ihn blos auf seiner Stelle zu se- hen, oder man sieht, zumal aus Europa her, die verzogenste Fratze. Die Entwicklung ge- schah aus Orient und der Kindheit heruͤber — natuͤrlich muste also noch immer Religion, Furcht, Autoritaͤt, Despotismus das Vehi- kulum der Bildung werden: denn auch mit dem dem Knaben von sieben Jahren laͤßt sich noch nicht, wie mit Greis und Manne vernuͤnfteln. Natuͤrlich muste also auch, nach unserm Ge- schmack, dies Vehikulum der Bildung harte Schlaube, oft solche Ungemaͤchlichkeiten, so viel Krankheiten verursachen, die man Knabenstreitigkeiten und Kantorskriege nennt. Du kannst so viel Galle du willt, uͤber den aͤgyptischen Aberglauben und das Pfaffenthum ausschuͤtten, als z. B. jener lie- benswuͤrdige Plato Europens, Shaftosburi Caract. T. III. Miscell. der nur al- les zu sehr nach griechischem Urbilde modeln will, gethan hat — alles wahr! alles gut, wenn das Aegyptenthum fuͤr dein Land und deine Zeit seyn sollte. Der Rock des Knabens ist allerdings fuͤr den Riesen zu kurz! und dem Juͤnglinge bey der Braut der Schulkerker an- eckelnd: aber siehe! dein Talar ist fuͤr jenen wieder zu lang, und siehst du nicht, wenn du etwas aͤgyptischen Geist kennest, wie deine buͤr- gerliche Klugheit, philosophischer Deismus, leichte Taͤndeley, Umlauf in alle Welt, To- leranz, Artigkeit, Voͤlkerrecht und wie der Kram weiter heiße, den Knaben wieder zum elenden Greisknaben wuͤrde gemacht haben. B 5 Er Er muste eingeschlossen seyn; eine gewisse Pri- vation von Kaͤnntnissen, Neigungen und Tu- genden, muste da seyn, um das zu entwickeln, was in ihm lag, und jetzt in der Reihe der Weltbegebenheiten nur das Land, die Stelle entwickeln konnte! Also waren ihm diese Nach- theile, Vortheile, oder unvermeidliche Uebel, wie die Pflege mit fremden Jdeen dem Kinde, Streifereyen und Schulzucht dem Knaben — warum willt du ihn von seiner Stelle, aus sei- nem Lebensalter ruͤcken — den armen Kna- ben toͤdten? — — Welch eine große Biblio- thek von solchen Buͤchern! bald die Aegypter zu alt gemacht, und aus ihren Hieroglyphen, Kunstanfaͤngen, Polieeyverfassungen, welche Weisheit geklaubt! Kircher, D’origni, Blackwell u. s. w. bald sie wieder gegen die Griechen so tief verachtet Wood, Webb, Winkelmann, Neuton, Voltaire bald eins, bald das andere, pro loco et Tempore. — blos weil sie Aegypter und nicht Griechen waren, wie meist die Liebhaber der Griechen, wenn sie aus ihrem Lieblingslande kamen. Offenbares Unrecht! Der Der beste Geschichtschreiber der Kunst des Alterthums Winkelmann, hat uͤber die Kunst- werke der Aegypter offenbar nur nach griechi- schem Maasstabe geurtheilt, sie also verneinend sehr gut, aber nach eigner Natur und Art so wenig geschildert, daß fast bey jedem seiner Saͤtze in diesem Hauptstuͤck das offenbar Ein- seitige und Schielende vorleuchtet. So Webb, wenn er ihre Literatur der Griechischen ent- gegensetzt: so manche andre, die uͤber aͤgypti- sche Sitten und Regierungsform gar mit europaͤischem Geist geschrieben haben — Und da es den Aegyptern meistens so geht, daß man zu ihnen aus Griechenland und also mit blos griechischem Auge kommt — Wie kanns ih- nen schlechter gehen? Aber theurer Grieche! diese Bildsaͤulen sollten nun nichts weniger (wie du aus allem wahrnehmen koͤnntest) als Muster der schoͤnen Kunst nach deinem Jdeal seyn! voll Reitz, Handlung, Bewegung, wo von allem der Aegypter nichts wuste, oder was sein Zweck ihm gerade wegschnitt. Mu- mien sollten sie seyn! Erinnerungen an ver- storbne Aeltern oder Vorfahren nach aller Genauigkeit ihrer Gesichtszuͤge, Groͤße nach hundert vestgesetzten Regeln, an die der Kna- be gebunden war — Also natuͤrlich eben ohne Reitz, Reitz, ohne Handlung, ohne Bewegung, eben in dieser Grabesstellung mit Haͤnd und Fuͤs- sen voll Ruhe und Tod — ewige Marmor- mumien! siehe, das sollten sie seyn, und sinds auch! Sinds im hoͤchsten Mechanischen der Kunst! im Jdeal ihrer Absicht! — wie geht nun dein schoͤner Tadeltraum verlohren! Wenn du auf zehnfache Weise den Knaben durch ein Vergroͤßerungsglas zum Riesen er- hoͤbest und ihn belichtetest, du kannft nichts mehr in ihm erklaͤren; alle Knabenhaltung ist weg, und ist doch nichts minder, als Riese! Die Phoͤnicier waren, oder wuͤrden, so verwandt sie den Aegyptern waren, gewisser- maaße, ihre Gegenseite von Bildung. Jene, wenigstens in den spaͤtern Zeiten, Hasser des Meers und der Fremden, um einheimisch nur „alle Anlagen und Kuͤnste ihres Landes zu entwickeln;„ diese zogen sich hinter Berg und Wuͤste an eine Kuͤste, um eine neue Welt auf dem Meere zu stiften — Und auf welchem Meere? auf einem Jnselnsunde, einem Bu- sen zwischen Laͤndern, das recht dahin geleitet, mit Kuͤsten, Jnseln, und Landspitzen gebildet zu zu seyn schien, um einer Nation die Muͤhe des Schwimmens, und Landsuchens zu er- leichtern — wie beruͤhmt bist du Archipelag und Mittelmeer in der Geschichte des menschli- chen Geistes! Ein erster handelnder Staat, ganz auf Handel gegruͤndet, der die Welt zuerst uͤber Asien hinaus recht ausbreitete, Voͤlker pflanzte und Voͤlker band — welch ein großer neuer Schritt zur Entwicklung! Nun muste freylich das morgenlaͤndische Hir- tenleben mit diesem werdenden Staat fast schon unvergleichbar werden: Familienge- fuͤhl, Religion und stiller Landgenuß des Le- bens schwand: die Regimentsform that einen gewaltigen Schritt zur Freyheit der Republik, von der weder Morgenlaͤnder noch Aegypter eigentlich Begrif gehabt: Auf einer handeln- den Kuͤste musten bald wider Wissen und Wil- len gleichsam Aristokratien von Staͤdten, Haͤu- sern und Familien werden — mit allem welch eine Veraͤnderung in Form menschlicher Ge- sellschaft. Als also Haß gegen die Fremden und Verschlossenheit von andern Voͤlkern schwand, ob der Phoͤnicier gleich nicht aus Menschenliebe Nationen besuchte, es ward eine Art von Voͤlkerliebe, Voͤlkerbekannt- schaft, Voͤlkerrecht sichtbar, von dem denn nun nun wohl ganz natuͤrlich ein eingeschloßner Stamm oder ein kolchisches Voͤlkchen nichts wissen konnte. Die Welt wurde weiter: Menschengeschlechter verbundner und enger. Mit dem Handel eine Menge Kuͤnste entwi- ckelt, ein ganz neuer Kunsttrieb insonderheit, fuͤr Vortheil, Bequemlichkeit, Ueppigkeit und Pracht! Auf einmal stieg der Fleiß der Menschen von der schweren Pyramidenin- dustrie und dem Ackerfleiße in ein „niedliches kleinerer Beschaͤftigungen„ hinunter. Statt jener unnuͤtzen, theillosen Obelisken wandte sich die Baukunst auf theilvolle, und in jedem Theil nutzbare Schiffe. Aus der stummen, stehenden Pyramide ward der wandelnde, sprechende Mast. Hinter der Bildnerey und Werkarbeit der Aegypter ins Große und Un- geheuer, spielte man jetzt so vortheilhaft mit Glas, mit zerstuͤcktem, gezeichnetem Metall, Purpur und Leinwand, Geraͤthschaft vom Li- banon, Schmuck, Gefaͤßen, Zierrath — man spielts fremden Nationen in die Haͤnde — welch andre Welt von Beschaͤftigung! von Zweck, Nutzen, Neigung, Seelenanwen- dung! Nun muste natuͤrlich aus der schweren, geheimnißreichen Hieroglyphenschrift „leich- te, abgekuͤrzte, braͤuchliche Rechen- und Buch- Buchstabenkunst werden: nun muste der Be- wohner des Schiffs und der Kuͤste, der expa- triirte Seestreicher und Voͤlkerkaͤufer dem Bewohner des Zelts und der Ackerhuͤtte ein ganz anderes Geschoͤpf duͤnken: der Morgen- laͤnder muste ihm vorwerfen koͤnnen, daß er Menschliches, der Aegypter, daß er Vater- landsgefuͤhl geschwaͤcht, jener, daß er Liebe und Leben, dieser, daß er Treue und Fleiß ver- lohren: jener, daß er vom heiligen Gefuͤhl der Religion nichts wisse, dieser, daß er das Geheime der Wissenschaften, wenigstens in Resten auf seine Handelsmaͤrkte zur Schau getragen.„ Alles wahr. Nur entwickelte sich dagegen auch etwas ganz anderes, (was ich zwar keinesweges mit jenem zu vergleichen willens bin: denn ich mag gar nicht verglei- chen! ) phoͤnicische Regsamkeit und Klugheit, eine neue Art Bequemlichkeit und Wohlle- ben, der Uebergang zum griechischen Ge- schmack, und eine Art Voͤlkerkunde der Ueber- gang zur griechischen Freyheit. Aegypter und Phoͤnicier waren also bey allem Kon- traste der Denkart, Zwillinge einer Mutter des Morgenlands, die nachher gemeinschaftlich Griechenland und so die Welt weiter hinaus bildeten. Also beyde Werkzeuge der Fort- leitung leitung in den Haͤnden des Schicksals, und wenn ich in der Allegorie bleiben darf, der Phoͤnicier, der erwachsenere Knabe, der umher- lief und die Reste der uralten Weisheit und Geschicklichkeit mit leichterer Muͤnze auf Maͤrkte und Gassen brachte. Was ist die Bildung Europens den betruͤgerischen, gewinn- suͤchtigen Phoͤniciern schuldig! — Und nun der schoͤne griechische Juͤngling. Wie wir uns vor allem der Juͤnglingszeit mit Lust und Freude erinnern, Kraͤfte und Glie- der bis zur Bluͤthe des Lebens ausgebildet: unsre Faͤhigkeiten bis zur angenehmen Schwatz- haftigkeit und Freundschaft entwickelt: Alle Neigungen auf Freyheit und Liebe, Lust und Freude gestimmt, und alle nun im ersten suͤßen Tone — wie wir die Jahre fuͤrs guͤldne Al- ter und fuͤr ein Elysium unsrer Erinnerung halten (denn wer erinnert sich seiner unent- wickelten Kindheit?) da am glaͤnzendsten ins Auge fallen, eben im Aufb re chen der Bluͤthe, alle unsre kuͤnftige Wuͤrksamkeit und Hofnun- gen im Schoose tragend — in der Geschichte der Menschheit wird Griechenland ewig der Platz Platz bleiben, wo sie ihre schoͤnste Jugend und Brautbluͤthe verlebt hat. Der Knabe ist Huͤtte und Schule entwachsen und steht da — edler Juͤngling mit schoͤnen gesalbten Glie- dern, Liebling aller Grazien, und Liebhaber aller Musen, Sieger in Olympia und All’ anderm Spiele, Geist und Koͤrper zusammen nur Eine bluͤhende Blume! Die Orakelspruͤche der Kindheit und Lehr- bilder der muͤhsamen Schule waren jetzt bey- nahe vergessen; der Juͤngling entwickelte sich aber daraus alles, was er zu Jugendweisheit und Tugend, zu Gesang und Freude, Lust und Leben brauchte. Die groben Arbeitkuͤn- ste verachtete er, wie die blos barbarische Pracht, und das zu einfache Hirtenleben; aber von allem brach er die Bluͤthe, einer neuen schoͤnen Natur. — Hand- werkerey ward durch ihn schoͤne Kunst: der dienstbare Landbau, freye Buͤrgerzunft, schwere Bedeutungsfuͤlle des strengen Ae- gypten, leichte schoͤne griechische Liebha- berey in aller Art. Nun welche neue schoͤne Klasse von Neigungen und Faͤhigkeiten, von denen die fruͤhere Zeit nichts wußte, zu denen sie aber Keim gab. Die Regimentsform, C mußte mußte sie sich nicht vom orientalischen Vater- despotismus durch die aͤgyptischen Landzuͤnfte, und halbe phoͤnicische Aristokratien herabge- schwungen haben, ehe die schoͤne Jdee einer Republik in griechischem Sinne, „Gehorsam „mit Freyheit gepaart, und mit dem Namen Vaterland umschlungen„ statt haben konnte? Die Bluͤthe brach hervor: holdes Phoͤnomenen der Natur! heißt „griechische Freyheit!„ Die Sitten, mußten sich vom orientalischen Va- ter- und aͤgyptischen Tagloͤhnersinn durch die phoͤnicische Neiseklugheit gemildert haben: und siehe! die neue schoͤne Bluͤthe brach her- vor „griechische Leichtigkeit, Milde- und Landesfreundschaft.„ Die Liebe mußte den Schleyer der Harems durch manche Stuffen verduͤnnen, ehe sie das schoͤne Spiel der grie- chischen Venus, Amors und der Grazien ward. So Mythologie, Poesie, Philoso- phie, schoͤne Kuͤnste: Entwickelungen ural- ter Meime, die hier Jahrszeit und Ort fanden, zu bluͤhen und in alle Welt zu duften. Grie- chenland ward die Wiege der Menschlichkeit, der Voͤlkerliebe, der schoͤnen Gesetzgebung, des Angenehmsten, in Religion, Sitten, Schreibart, Dichtung, Gebraͤuchen und Kuͤnsten. — Alles Jugendfreude, Grazie, Spiel und Liebe! Es Es ist zum Theil genug entwickelt, was fuͤr Umstaͤnde zu dieser einzigen Produktion des Menschengeschlechts beygetragen, und ich setze diese Umstaͤnde nur ins Groͤßere der allgemei- nen Berbindung von Zeitlaͤuften und Voͤl- kern. Siehe dies schoͤne griechische Klima und in ihm das wohlgebildete Menschenge- schlecht mit freyer Stirn und feinen Sinnen — ein rechtes Zwischenland der Kultur, wo aus zwey Enden alles zusammen floß, was sie so leicht und edel verwandelten! die schoͤne Braut wurde von zweyen Knaben bedient zur Rech- ten und Linken, sie that nur schoͤn idealisi- ren; eben die Mischung phoͤnicischer und aͤgyptischer Denkart, deren einer der an- dern ihr Nationelles und ihren eckichten Ei- gensinn benahm, formte den griechischen Kopf zum Jdeal, zur Freyheit. Jetzt die sonder- baren Anlaͤsse ihrer Theilung und Vereinigun- gen von den fruͤhesten Zeiten her: ihre Ab- trennung in Voͤlker, Republiken, Kolonien, und doch der gemeinschaftliche Geist dersel- ben; Gefuͤhl einer Nation, eines Vater- lands, einer Sprache! — Die besondern Gelegenheiten zu Bildung dieses Allgemein- geists, vom Zuge der Argonauten, und dem Feldzuge gegen Troja an, bis zu den Siegen C 2 gegen gegen die Perser, und die Niederlage gegen den Macedonier, da Griechenland starb! — Jhre Einrichtungen gemeinschaftlicher Spiele und Nacheiferungen, immer mit kleinen Unter- schieden und Veraͤnderungen, bey jedem klein- sten Erdstrich und Voͤlkchen — alles und zehn- fach mehr gab Griechenland eine Einheit und Mannichfaltigkeit, die auch hier das schoͤnste Ganze machte. Kampf und Beyhuͤlfe, Stre- ben und Maͤßigen; die Kraͤfte des menschli- chen Geistes kamen ins schoͤnste Eben- und Une- benmaaß — Harmonie der griechischen Leyer! Aber daß nun nicht eben damit unsaͤglich vieles von der alten fruͤhern Staͤrke und Nah- rung verlohren gehen mußte, wer wollte das laͤugnen? da den aͤgyptischen Hieroglyphen ihre schwere Huͤlle abgestreift ward, so kanns im- mer seyn, daß auch ein gewisses Tiefe, Be- deutungsvolle, Naturweise, was Charakter dieser Nation war, damit uͤber See verduf- tete: der Grieche behielt nichts als schoͤnes Bild, Spielwerk, Augenweide — nennts gegen jenes Schwerere wie ihr wollt; gnug er wollte nur dies! Der Religion des Morgen- landes ward ihr heiliger Schleyer genommen; und natuͤrlich, da alles auf Theater und Markt, Markt, und Tanzplatz Schau getragen wurde, wards in kurzem „Fabel, schoͤn aus- „gedehnt, beschwatzet, gedichtet und neuge- „dichtet — Juͤnglingstraum und Maͤdchen- sage!„ Die morgenlaͤndische Weisheit, dem Vorhange der Mysterien entnommen, ein schoͤn Geschwaͤtz, Lehrgebaͤude und Zaͤnkerey der griechischen Schulen und Maͤrkte. Der aͤgyptischen Kunst ward ihr schweres Hand- werksgewand entnommen und so verlohr sich auch das zu genaue Mechanische und Kuͤnst- lerstrenge, wornach die Griechen nicht streb- ten: der Koloß erniederte sich zur Bildsaͤule: der Riesentempel zum Schauplatz: aͤgyptische Ordnung und Sicherheit ließ in dem Vielfa- chen Griechenlands von selbst nach. Jener alte Priester konnte in mehr als einem Betracht sagen „o ihr ewigen Kinder, die ihr nichts „wißt und so viel schwatzt, nichts habt, und „alles so schoͤn vorzeiget„ und der alte Mor- genlaͤnder aus seiner Patriarchenhuͤtte wuͤrde noch heftiger sprechen — ihnen statt Religion, Menschheit und Tugend, nur Bulerey mit alle dem Schuld geben koͤnnen u. s. w. Seys. Das menschliche Gefaͤß ist einmal keiner Voll- kommenheit faͤhig: muß immer verlassen, in- dem es weiter ruͤckt. Griechenland ruͤckte C 3 wei- weiter: aegyptische Jndustrie und Policey konnte ihnen nicht helfen, weil sie kein Aegyp- ten und keinen Nil — phoͤnicische Handels- klugheit nicht helfen, weil sie keinen Libanus und kein Jndien im Ruͤcken hatte: zur orien- talischen Erziehung war die Zeit vorbey — gnug! es ward, was es war — Griechen- land! Urbild und Vorbild aller Schoͤne, Gra- zie und Einfalt! Tugendbluͤthe des menschli- chen Geschlechts — o haͤtte sie ewig dauren koͤnnen! Jch glaube, der Stand, in den ich Grie- chenland stelle, traͤgt auch bey, „den ewigen „Streit uͤber die Originalitaͤt der Griechen „oder ihre Nachahmung fremder Nationen„ etwas zu entwirren: man haͤtte sich wie uͤberall, also auch hier, lange vereinigt, haͤtte man sich nur besser verstanden. Daß Griechenland Sa- menkoͤrner der Kultur, Sprache, Kuͤnste und Wissenschaften anders woher erhalten, ist, duͤnkt mich, unlaͤugbar, und es kann bey einigen, Bildhauerey, Baukunst, Mytho- logie, Litteratur offenbar gezeigt werden. Aber daß die Griechen dies alles so gut als nicht erhalten, daß sie ihm ganz neue Natur angeschaffen, daß in jeder Art das „ Schoͤne „ im im eigentlichen Verstande des Worts ganz ge- wiß ihr Werk sey — das, glaube ich, wird aus einiger Fortleitung der Jdeen eben so ge- wiß. Nichts Orientalisches, Phoͤnicisches und Aegyptisches behielt seine Art mehr: es ward Griechisch und in manchem Betracht waren sie, fast zu sehr Originale, die alles nach ihrer Art um- und einkleideten. Von der groͤßten Er- ßndung und der wichtigsten Geschichte an, bis auf Wort und Zeichen — Alles ist davon voll: Von Schritt zu Schritt, bey allen Na- tionen ists ebenfalls so — wer weiter Sy- stem bauen, oder uͤber Namen streiten will, streite! Es kam das Mannesalter menschlicher Kraͤfte und Bestrebungen — die Roͤmer. Gegen die Griechen hat Virgil auf einmal sie geschildert, jenen schoͤne Kuͤnste und Ju- genduͤbungen uͤberlassen. tu regere imperio populos, Romane, memento. Ungefaͤhr damit auch gegen die Nordlaͤnder ihren Zug geschildert, die es ihnen viel- leicht an barbarischer Haͤrte, Staͤrke im C 4 An- Anfalle, und roher Tapferkeit zuvor thaten; aber — tu regere imperio populos — Roͤmertapferkeit idealisirt: Roͤmertugend, Roͤmersinn! Roͤmerstolz! Die großmuͤthi- ge Anlage der Seele, uͤber Wolluͤste, Weich- lichkeit und selbst das feinere Vergnuͤgen, hin- wegzusehen, und fuͤrs Vaterland zu wuͤrken: der gefaßte Heldenmuth, nie tollkuͤhn zu seyn und sich in Gefahr zu stuͤrzen, sondern zu harren, zu uͤberlegen, zu bereiten und zu thun: es war der unerschuͤtterte Gang, durch nichts was Hinderniß heißt, sich abschrecken zu lassen, eben im Ungluͤck am groͤßten zu seyn, und nicht zu verzweifeln: es war endlich der große immer unterhaltene Plan, mit nichts wenigern sich zu begnuͤgen, als bis ihr Adler den Weltkreis deckte — — Wer zu allen die- sen Eigenschaften ein vielwichtiges Wort praͤ- gen, darinn zugleich ihre maͤnnliche Gerechtig- keit, Klugheit, das Volle ihrer Entwuͤrfe, Entschließungen, Ausfuͤhrungen und uͤber- haupt aller Geschaͤfte ihres Weltbaus begrei- fen kann, der nenne es. — Gnug hier stand der Mann, der des Juͤnglings genoß und brauchte, fuͤr sich aber nur Wunder der Tap- fer- ferkeit und Maͤnnlichkeit thun wollte; mit Kopf, Herz und Armen! Auf welcher Hoͤhe hat das roͤmische Volk gestanden, welchen Riesentempel auf dieser Hoͤhe erbaut! Sein Staats- und Kriegsge- baͤude, dessen Plan und Mittel zur Ausfuͤh- rung — Koloßus fuͤr alle Welt! Konnte in Rom ein Bubenstuͤck begangen werden, ohne daß Blut in drey Erdtheilen floß? und die großen wuͤrdigen Leute dieses Reichs wo? und wie wuͤrkten sie hinaus! was fuͤr Glieder dieser großen Maschine fast unwissend mit so leichten Kraͤften bewogen! wohin alle ihre Werkzeuge erhoͤht und befestigt: Senat und Kriegskunst — Gesetze und Zucht — Roͤ- merzweck und Staͤrke, ihn auszufuͤhren — ich schaure! Was bey den Griechen Spiel, Jugendprobe gewesen war, ward bey ihnen ernsthafte veste Einrichtung: die griechischen Muster auf einem kleinen Schauplatze, einer Erdenge, einer kleinen Republik; auf der Hoͤhe und mit der Staͤrke aufgefuͤhrt, wur- den Schauthatend der Welt. Wie man auch die Sache nehme: es war „ Reife des Schicksals der alten Welt „ Der C 5 Stamm Stamm des Baums zu seiner groͤßern Hoͤhe erwachsen, strebte, Voͤlker und Nationen un- ter seinen Schatten zu nehmen, in Zweige. Mit Griechen, Phoͤniciern, Aegyptern, und Morgenlaͤndern zu wetteifern, haben die Roͤ- mer nie zu ihrer Hauptsache gemacht; aber indem sie alles was vor ihnen war, maͤnnlich anwandten — was wurde fuͤr ein roͤmischer Erdkreis! der Name knuͤpfte Voͤlker und Weltstriche zusammen, die sich voraus nicht dem Laut nach gekannt hatten. Roͤmische Provinzen! in allen wandelten Roͤmer, roͤ- mische Legionen, Gesetze, Vorbilder von Sit- ten, Tugenden und Lastern. Die Mauer ward zerbrochen, die Nation von Nation schied, der erste Schritt gemacht, die Natio- nalcharaktere aller zu zerstoͤren, alle in eine Form zu werfen, die „ Roͤmervolk „ hieß. Natuͤrlich war der erste Schritt noch nicht das Werk: jede Nation blieb bey ihren Rechten, Freyheiten, Sitten und Religion; ja die Roͤmer schmeichelten ihnen, eine Puppe der letzten selbst mit in ihre Stadt zu bringen. Aber die Mauer lag. Jahrhunderte von Roͤ- merherrschaft — wie man in allen Weltthei- len, wo sie gewesen sind, siehet — wuͤrkten sehr viel: Sturm, der die innersten Kam- mern mern der Nationaldenkart jedes Volks durch- drang: mit der Zeit wurden die Bande immer fester, endlich sollte das ganze roͤmische Reich gleichsam nur Stadt Rom werden — alle Unterthanen Buͤrger — bis es selbst sank. Auf keine Weise noch von Vortheil oder Nachtheil geredet, allein von Wuͤrkung. Wenn alle Voͤlker unter dem roͤmischen Joche gewissermaaße die Voͤlker zu seyn aufhoͤrten, die sie waren, und also uͤber die ganze Erde eine Staatskunst, Kriegskunst und Voͤlker- recht eingefuͤhrt wurde, wovon voraus noch kein Beyspiel gewesen war: da die Maschiene stand, und da die Maschiene fiel, und da die Truͤmmern alle Nationen der roͤmischen Erde bedeckten — giebts in aller Geschichte der Jahrhunderte einen groͤßern Anblick! Alle Nationen von- oder auf diesen Truͤmmern bau- end! Voͤllig neue Welt von Sprachen, Sit- ten, Neigungen und Voͤlkern — es beginnet eine andre Zeit — Anblick, wie aufs weite offenbare Meer neuer Nationen. — Lasset uns indessen noch vom Ufer einen Blick auf die Voͤlker werfen, deren Geschichte wir durch- laufen sind. I. Nie- I. Niemand in der Welt fuͤhlt die Schwaͤ- che des allgemeinen Charakterisirens mehr als ich. Man mahlet ein ganzes Volk, Zeitalter, Erdstrich — wen hat man gemahlt? Man fasset auf einander folgende Voͤlker und Zeit- laͤufte, in einer ewigen Abwechslung, wie Wogen des Meeres zusammen — wen hat man gemahlt? wen hat das schildernde Wort getroffen? — Endlich man faßt sie doch in Nichts, als ein allgemeines Wort zusammen, wo jeder vielleicht denkt und fuͤhlt, was er will — unvollkommenes Mittel der Schil- derung! wie kann man mißverstanden wer- den! — Wer bemerkt hat, was es fuͤr eine unaus- sprechliche Sache mit der Eigenheit eines Menschen sey, das Unterscheidende unterschei- dend sagen zu koͤnnen? wie Er fuͤhlt und lebet? wie anders und eigen Jhm alle Dinge wer- den, nachdem sie sein Auge siehet, seine Seele mißt, sein Herz empfindet — welche Tiefe in dem Charakter nur Einer Nation liege, die, wenn man sie auch oft genug wahrgenommen und angestaunet hat, doch so sehr das Wort fleucht, fleucht, und im Worte wenigstens so selten einem jeden anerkennbar wird, daß er verstehe und mitfuͤhle — ist das, wie? wenn man das Weltmeer ganzer Voͤlker, Zeiten und Laͤn- der uͤbersehen, in einen Blick, ein Gefuͤhl, ein Wort fassen soll! Mattes halbes Schat- tenbild vom Worte! Das ganze lebendige Ge- maͤhlde von Lebensart, Gewohnheiten, Be- duͤrfnissen, Landes- und Himmelseigenheiten muͤßte dazu kommen, oder vorhergegangen seyn; man muͤßte erst der Nation sympathisi- ren, um eine einzige ihrer Neigungen und Handlungen, alle zusammen zu fuͤhlen, Ein Wort finden, in seiner Fuͤlle sich alles den- ken — oder man lieset — ein Wort. Wir glauben alle, noch jetzt vaͤterliche und haͤusliche und menschliche Triebe zu haben, wie sie der Morgenlaͤnder: Treue und Kuͤnst- lerfleiß haben zu koͤnnen, wie sie der Aegypter besaß: phoͤnicische Regsamkeit, griechische Freyheitliebe, roͤmische Seelenstaͤrke — wer glaubt nicht zu dem allen, Anlage zu fuͤh- len, wenn nur Zeit Gelegenheit — — und siehe! mein Leser, eben da sind wir. Der feigste Boͤsewicht hat ohne Zweifel zum groß- muͤthigsten Helden noch immer entfernte Anlage und und Moͤglichkeit; aber zwischen dieser und „dem ganzen Gefuͤhl des Seyns, der Existenz „in solchem Charakter „ — Kluft! fehlte es dir also auch an nichts, als an Zeit, an Gelegenheit, deine Anlagen zum Morgenlaͤn- der, zum Griechen, zum Roͤmer in Fertig- keiten und gediegne Triebe zu verwandeln — Kluft! nur von Trieben und Fertigkeiten ist die Rede. Ganze Natur der Seele, die durch alles herrscht, die alle uͤbrige Neigun- gen und Seelenkraͤfte nach sich modelt, noch auch die gleichguͤltigsten Handlungen faͤrbet — um diese mitzufuͤhlen, antworte nicht aus dem Worte, sondern gehe in das Zeitalter, in die Himmelsgegend die ganze Geschichte, fuͤhle dich in alles hinein — nun allein bist du auf dem Wege, das Wort zu verstehen; nun allein aber wird dir auch der Gedanke schwinden, „als ob alles das einzeln oder zusammen ge- „nommen auch du seyst!„ du alles zusammen genommen? Quintessenz aller Zeiten und Voͤlker? das zeigt schon die Thorheit! Charakter der Nationen! Allein Data ih- rer Verfassung und Geschichte muͤssen ent- scheiden. Hat nicht ein Patriarch, aber außer den Neigungen, die „du ihm beymissest auch „andre „andre gehabt? haben koͤnnen?„ ich sage zu beyden blos: Allerdings! Allerdings hatte er andre, Nebenzuͤge, die sich aus dem, was ich gesagt oder nicht gesagt, von selbst verste- hen, die ich, und vielleicht andre mit mir, denen seine Geschichte vorschwebt in dem Worte schon anerkennen, und noch lieber, daß er weit andres haben koͤnnen — auf anderm Ort, zu der Zeit, mit dem Fortschritte der Bildung unter den andern Umstaͤnden — warum da nicht Leonidas, Caͤsar und Abra- ham ein artiger Mann unsers Jahrhun- derts? Seyn koͤnnen: aber wars nicht: daruͤ- ber frage die Geschichte: davon ist die Rede. So mache ich mich ebenfalls auf kleinfuͤ- gige Widerspruͤche gefaßt, aus dem großen Detail von Voͤlkern und Zeiten. Daß kein Volk lange geblieben und bleiben konnte was es war, daß Jedes, wie jede Kunst und Wissen- schaft und was in der Welt nicht? seine Perio- de des Wachsthums, der Bluͤthe und der Abnahme gehabt; daß jedwede dieser Veraͤn- derungen nur das Minimum von Zeit ge- dauert, was ihr auf dem Rade des menschli- chen Schicksals gegeben werden konnte — daß endlich in der Welt keine zwey Augen- blicke blicke dieselbe sind — daß also Aegypter, Roͤmer und Grieche auch nicht zu allen Zeiten dieselben gewesen — ich zittre, wenn ich denke, was weise Leute, zumal Geschichtken- ner, fuͤr weise Einwendungen hieruͤber machen koͤnnen! Griechenland bestand aus vielen Laͤn- dern: Athenienser und Boͤotier, Sparta- ner und Korinthier war sich nichts minder, als gleich — — Trieb man nicht auch in Asien den Ackerbau? haben nicht Aegypter einmal eben so gut gehandelt, wie Phoͤnicier? Wa- ren die Macedonier nicht eben so wohl Ero- berer, als die Roͤmer? Aristoteles nicht eben so ein spekulativer Kopf als Leibnitz? Ueber- trafen unsre mordische Voͤlker nicht die Roͤmer an Tapferkeit? Waren alle Aegypter, Grie- chen, Roͤmer — sind alle Ratten und Maͤuse einander gleich — nein! aber sie sind doch Ratten und Maͤuse! Wie verdruͤßlich muß es werden, zum Publikum zu reden, wo man vom schreyenden Theile, (der edler denkende Theil schweigt!) sich immer dergleichen und noch aͤrgere Ein- wendungen, und in welchem Tone vorgetra- gen, versehen muß, und sichs denn zugleich ver- sehen muß, daß der große Haufe Schaafe, der der nicht weiß, was rechts und links ist, dem so gleich nachwaͤhne. Kanns ein allgemeines Bild ohne Untereinander- und Zusammen- ordung? Kanns eine weite Aussicht geben, ohne Hoͤhe? Wenn du das Angesicht dicht an dem Bilde haͤltst, an diesem Spane schnitzelst, an jenem Farbenkluͤmpchen klaubest: nie sie- hest du das ganze Bild — siehest nichts we- niger als Bild! Und wenn dein Kopf von einer Gruppe, in die du dich vernarrt hast, voll ist, kann dein Blick wohl ein Ganzes so abwechselnder Zeitlaͤufte umfassen? ordnen? sanft verfolgen? bey jeder Scene nur Haupt- wuͤrkung absondern? die Verfloͤssungen still begleiten? und nun — — nennen! Kannst du aber nichts von alle dem! die Geschichte flimmert und fackelt dir vor den Augen! ein Gewirre von Scenen, Voͤlkern, Zeitlaͤuften — lies erst und lerne sehen! Uebrigens weiß ichs, wie du, daß jedes allgemeine Bild, jeder allgemeine Begrif nur Abstraktion sey — Schoͤpfer allein ists, der die ganze Einheit, einer, aller Nationen, in alle ihrer Man- nichfaltigkeit denkt, ohne daß ihm dadurch die Einheit schwinde. D II. Also II. Also von diesen kleinfuͤgigen Einwen- dungen, Zweck und Gesichtspunkt verfehlend, hinweg! hingestellt in die Absicht des großen Folgeganzen — wie elend werden „manche „Modeurtheile unsers Jahrhunderts uͤber „Vorzuͤge, Tugenden, Gluͤckseligkeit so ent- „fernter, so abwechselnder Nationen, aus „blos allgemeinen Begriffen der Schule!„ Jst die menschliche Natur keine im Guten selbststaͤndige Gottheit: sie muß alles lernen, durch Fortgaͤnge gebildet werden, im all- maͤhligen Kampf immer weiter schreiten; na- tuͤrlich wird sie also von den Seiten am mei- sten, oder allein gebildet, wo sie dergleichen Anlaͤsse zur Tugend, zum Kampf, zum Fort- gange hat — Jn gewissem Betracht ist also jede menschliche Vollkommenheit National, Saͤ- kular und am genauesten betrachtet, Jndivi- duell. Man bildet nichts aus als wozu Zeit, Klima, Beduͤrfniß, Welt, Schicksal, An- laß giebt: von uͤbrigen abgekehrt: die Nei- gungen oder Faͤhigkeiten, im Herzen schlum- mernd, koͤnnen nimmer Fertigkeiten wer- den; die Nation kann also bey Tugenden der erhabensten Gattung von einer Seite, von einer andern Maͤngel haben, Ausnahmen machen, Wi- Widerspruͤche und Ungewißheiten zeigen, die in Erstaunen setzen; aber niemand, als der sein idealisch Schattenbild von Tugend, aus dem Kompendium seines Jahrhunderts mit- bringt, und Philosophie gnug hat, um auf einem Erdenfleck die ganze Erde finden zu wollen, sonst keinen! Fuͤr jeden, der mensch- liches Herz aus dem Elemente seiner Lebens- umstaͤnde erkennen will, sind dergleichen Aus- nahmen und Widerspruͤche vollkommen menschlich: Proportion von Kraͤften und Neigungen zu einem gewissen Zwecke, der ohne jene nimmer erreicht werden koͤnnte: also gar keine Ausnahmen, sondern Regel. Seis, mein Freund, daß jene kindliche orientalische Religion, jene Anhaͤnglichkeit an das weichste Gefuͤhl des menschlichen Le- bens auf der andern Seite Schwaͤchen gebe, die du nach dem Muster andrer Zeiten ver- dammest. Ein Patriarch kann kein roͤmischer Held, kein griechischer Wettlaͤufer, kein Kaufmann von der Kuͤste seyn; und eben so wenig, wozu ihn das Jdeal deines Katheders, oder deiner Laune hinaufschraubte, um ihn falsch zu loben, oder bitter zu verdammen. Seis, daß er nach spaͤtern Vorbildern dir D 2 furcht- furchtsam, todscheu, weichlich, unwissend, muͤßig, aberglaͤubig, wenn du Galle im Auge hast, abscheulich vorkaͤme: er ist, wozu ihn Gott, Klima, Zeit und Stufe des Weltalters bilden konnte, Patriarch! — Hat also gegen alle Verluste spaͤterer Zeiten, Unschuld, Got- tesfurcht, Menschlichkeit: in denen er fuͤr jedes spaͤte Zeitalter ewig ein Gott seyn wird! der Aegypter kriechend, sklavisch, ein Erd- thier, aberglaͤubisch und traurig, hart ge- gen Fremde, ein gedankenloses Geschoͤpf der Gewohnheit — hier gegen den leichten alles schoͤn bildenden Griechen, dort gegen einen Menschenfreund im hohen Geschmack unsers Jahrhunderts, der alle Weisheit im Kopfe und alle Welt im Busen traͤgt — welche Figur! aber nun auch jenes Unverdrossenheit, Treue, starke Ruhe — kannst du die mit der grie- chischen Knabenfreundschaft und Jugendbuh- lerey um alles Schoͤne und Angenehme ver- gleichen? und wieder griechische Leichtigkeit, Taͤndeley mit Religion, Mangel gewisser Liebe, Zucht und Ehrbarkeit vergleichen, wenn du ein Jdeal, weiß nicht wessen nehmen wolltest? Konnten aber jene Vollkommenhei- ten ohne diese Maͤngel in dem Maaße und Grade ausgebildet werden? Die Vorsehung selbst, selbst, siehest du, hats nicht gefodert, hat nur in der Abwechslung, in dem Weiter- leiten durch Weckung neuer Kraͤfte und Er- sterbung andrer, ihren Zweck erreichen wol- len — Philosoph im nordischen Erdenthal, die Kinderwaage deines Jahrhunderts in der Hand, weiß du es besser, als sie? Machtspruͤche Lobes und Tadels, die wir aus einem aufgefundenen Lieblingsvolke des Alterthums, in das wir uns vergaften, auf alle Welt schuͤtten — welches Rechtes seyd ihr! Jene Roͤmer konnten seyn, wie keine Na- tion; thun, was keiner nachthut: sie waren Roͤmer. Auf einer Welthoͤhe, und alles rings um sie Thal. Auf der Hoͤhe von Ju- gend auf, du dem Roͤmersinn gebildet, han- delten in ihm — was Wunder? Und was Wunder, daß ein kleines Hirten- und Acker- volk in einem Thale der Erde nicht eisernes Thier war, was so handeln konnte? Und was Wunder, daß dies wieder Tugenden hatte, die der edelste Roͤmer nicht, und der edelste Roͤmer auf seiner Hoͤhe, im Drange der Noth, Grausamkeiten mit kaltem Blute be- schließen konnte, die der Hirte im kleinen Thale denn nun wieder nicht auf der Seele hatte. D 3 Auf Auf dem Gipfel jener Riesenmaschine war lei- der! die Aufopferung oft Kleinigkeit, oft Noth, oft (arme Menschheit, welcher Zu- staͤnde bist du faͤhig!) oft Wohlthat. Eben die Maschine, die weitreichende Laster moͤglich machte, wars, die auch Tugenden so hoch hob, Wuͤrksamkeit so weit ausbreitete: ist die Menschheit uͤberhaupt in Einem jetzigen Zustande reiner Vollkommenheit faͤhig? Gipfel graͤnzt an Thal. Um edle Spartaner wohnen unmenschlich behandelte Heloten. Der roͤmische Triumphator mit Goͤtterroͤthe ge- faͤrbt ist unsichtbar auch mit Blute getuͤncht: Raub, Frevel und Wolluͤste sind um seinen Wagen: vor ihm her Unterdruͤckung: Elend und Armuth zieht ihm nach. — Mangel und Tugend wohnen also auch in diesem Ver- stande in einer menschlichen Huͤtte immer bey- sammen. Schoͤne Dichtkunst, ein Lieblingsvolk der Erde, in uͤbermenschlichem Glanze zu zaubern — auch ist die Dichtkunst nuͤtzlich, denn der Mensch wird auch durch schoͤne Vorurtheile veredelt — aber wenn der Dichter ein Ge- schichtschreiber, ein Philosoph ist, wie es die meisten zu seyn vorgeben, und die denn nach nach der einen Form ihrer Zeit — oft ist sie sehr klein und schwach! — alle Jahrhunderte modeln — Hume! Voltaͤre! Robertsons! klaßische Gespenster der Daͤmmerung! was seyd ihr im Lichte der Wahrheit? Eine gelehrte Gesellschaft unsrer Zeit Die Herren muͤssen ein erschrecklich hohes Jdeal gehabt haben, denn meines Wissens, haben sie keine ihrer philosophischen Aufga- ben je erreicht gefunden. gab, ohne Zweifel in hoher Absicht die Frage auf, „welches in der Geschichte wohl das gluͤck- „lichste Volk gewesen?„ und verstehe ich die Frage recht: liegt sie nicht außer dem Hori- zont einer menschlichen Beantwortung, so weiß ich nicht, als zu gewisser Zeit und unter gewissen Umstaͤnden, traf auf jedes Volk ein solcher Zeitpunkt, oder es wars nie eines. Jst nemlich wiederum menschliche Natur kein Gefaͤß einer absoluten, unabhaͤngigen, un- wandelbaren Gluͤckseligkeit, wie der Philo- soph sie definirt: sie zieht aber uͤberall so viel Gluͤckseligkeit an, als sie kann: ein bieg- samer Ton, sich in den verschiedensten Lagen, Beduͤrfnissen und Bedruͤckungen auch verschie- D 4 den den zu formen: selbst das Bild der Gluͤckse- ligkeit wandelt mit jedem Zustande und Him- melsstriche — (denn was ist dies je anders als die Summe von Wunschbefriedigungen, „Zweckerreichungen und sanftem Uberwin- „den der Beduͤrfnisse,„ die sich doch alle nach Land, Zeit und Ort gestalten? ) im Grunde also wird alle Vergleichung mißlich. So bald sich der innerliche sinn der Gluͤck- seligkeit, die Neigung veraͤndert hat: so bald die aͤußern Gelegenheiten und Beduͤrfnisse den andern Sinn bilden und befestigen — wer kann die verschiedene Befriedigung ver- schiedner Sinne in verschiednen Welten ver- gleichen? den Hirten und Vater des Orients, den Ackermann und Kuͤnstler, den Schiffer, Wettlaͤufer, Ueberwinder der Welt — wer vergleichen? Jm Lorbeerkranze, oder am An- blicke der gesegneten Heerde, am Waaren- schiffe und erbenteten Feldzeichen liegt nichts — aber an der Seele, die das brauchte, dar- nach strebte, das nun erreicht hat, und nichts anders als das erreichen wollte — jede Na- tion hat ihren Mittelpunkt der Gluͤckselig- keit in sich, wie jede Kugel ihren Schwer- punkt! Gut Gut hat auch hier die gute Mutter gesorgt. Sie legte Anlagen zu der Mannichfaltigkeit ins Herz, machte jede aber an sich selbst so wenig dringend, daß wenn nur einige befrie- digt werden, sich die Seele bald aus diesen erweckten Toͤnen ein Koncert bildet, und die unerweckten nicht fuͤhlet, als wiefern sie stumm und dunkel, den lautenden Gesang unterstuͤtzen. Sie legte Anlagen von Man- nichfaltigkeit ins Herz, nun einen Theil der Mannichfaltigkeit im Kreise um uns, uns zu Haͤnden: nun maͤßigte sie den menschlichen Blick, daß nach einer kleinen Zeit der Ge- wohnheit ihm dieser Kreis, Horizont wurde. Nicht druͤber zu blicken: kaum druͤber zu ahn- den! alles was mit meiner Natur noch gleich- artig ist, was in sie aßimilirt werden kann, beneide ich, strebs an, mache mirs zu eigen; daruͤber hinaus hat mich die guͤtige Natur mit Fuͤhllosigkeit, Kaͤlte und Blindheit bewaf- net; — sie kann gar Verachtung und Eckel werden — hat aber nur zum Zweck, mich auf mich selbst zuruͤckzustoßen, mir auf dem Mit- telpunkt Gnuͤge zu geben, der mich traͤgt. Der Grieche macht sich so viel vom Aegypter, der Roͤmer vom Griechen zu eigen, als er fuͤr sich braucht: er ist gesaͤttigt, das uͤbrige faͤllt D 5 zu zu Boden und er strebts nicht an! Oder wenn in dieser Ausbildung eigner Nationalneigungen zu eigner Nationalgluͤckseligkeit der Abstand zwischen Volk und Volk schon zu weit gedie- hen ist: siehe, wie der Aegypter den Hirten, den Landstreicher hasset! wie er den leichtsin- nigen Griechen verachtet! So jede zwo Na- tionen, deren Neigungen und Kreise der Gluͤck- seligkeit sich stoßen — man nennts Vorur- theil! Poͤbeley! eingeschraͤnkten Nationalism! Das Vorurtheil ist gut, zu seiner Zeit: denn es macht gluͤcklich. Es draͤngt Voͤlker zu ihrem Mittelpunkte zusammen, macht sie fester auf ihrem Stamme, bluͤhender in ihrer Art, bruͤnstiger und also auch gluͤckseliger in ihren Neigungen und Zwecken. Die unwissendste, vorurtheilendste Nation ist in solchem Betracht oft die erste: das Zeitalter fremder Wunsch- wanderungen, und auslaͤndischer Hoffnungs- fahrten ist schon Krankheit, Blaͤhung, un- gesunde Fuͤlle, Ahndung des Todes! III. Und der allgemeine, philosophische, men- schenfreundliche Ton unsres Jahrhunderts goͤnnet, jeder entfernten Nation, jedem aͤlte- sten Zeitalter der Welt, an Tugend und Gluͤck- seligkeit so gern „unser eigen Jdeal?„ ist so so alleiniger Richter, ihre Sitten nach sich allein zu beurtheilen? zu verdammen? oder schoͤn zu dichten? Jst nicht das Gute auf der Erde ausgestreut? Weil eine Gestalt der Menschheit und ein Erdstrich es nicht fassen konnte, wards vertheilt in tausend Gestalten, wandelt — ein ewiger Proteus! — durch alle Welttheile und Jahrhunderte hin — auch, wie er wan- delt und fortwandelt, ists nicht groͤßere Tu- gend oder Gluͤckseligkeit des Einzeln, wor- auf er strebet, die Menschheit bleibt immer nur Menschheit — und doch wird ein Plan des Fortstrebens sichtbar — mein großes Thema! Wers bisher unternommen, den Fortgang der Jahrhunderte zu entwickeln, hat meistens die Lieblingsidee auf der Fahrt: Fortgang zu mehrerer Tugend und Gluͤckseligkeit ein- zelner Menschen. Dazu hat man alsdenn Fakta erhoͤhet, oder erdichtet: Gegenfakta verkleinert oder verschwiegen; ganze Seiten bedeckt; Woͤrter fuͤr Woͤrter genommen, Aufklaͤrung fuͤr Gluͤckseligkeit, mehrere und feinere Jdeen fuͤr Tugend — und so hat man „von der allgemeinfortgehenden Verbesserung „der Welt„ Romane gemacht — die keiner glaubte, glaubte, wenigstens nicht der wahre Schuͤler der Geschichte und des menschlichen Herzens. Andre die das Leidige dieses Traums sa- hen, und nichts bessers wußten — sahen La- ster und Tugenden, wie Klimaten, wechseln, Vollkommenheiten, wie einen Fruͤhling von Blaͤttern entstehen und untergehen, mensch- liche Sitten und Neigungen, wie Blaͤtter des Schicksals fliegen sich umschlagen — kein Plan! kein Fortgang! ewige Revolution — Weben und Aufreißen! — penelopische Ar- beit! — Sie fielen in einen Strudel, Skep- ticismus an aller Tugend, Gluͤckseligkeit und Bestimmung des Menschen, in den sie alle Ge- schichte, Religion, und Sittenlehre flechten — — der neueste Modeton des neuesten, insonder- heit franzoͤsischen Philosophen, Der gute ehrliche Montagne fieng an; der Dialektiker Baile, ein Raisonneur, dessen Widerspruͤche nach Artikeln seiner Gedan- kenform, des Diktionairs, Crousaz und Leibnitz gewiß nicht haben verguͤten koͤnnen, wuͤrkte aufs Jahrhundert weiter. Und denn die neuern Philosophen, Allanzweifler mit eigenen kuͤhnsten Behauptungen, Voltaire, Hume selbst die Diderots — es ist das große Jahrhundert des Zweifelns und Wel- lenerregens. ist Zweifel! Zwei- Zweifel in hundert Gestalten, alle aber mit dem blendenden Titel „aus der Geschichte der „Welt!„ Widerspruͤche und Meereswogen: man scheitert, oder was man von Moralitaͤt und Phiosophie aus dem Schiffbruche rettet, ist kaum der Rede werth. Sollte es nicht offenbaren Fortgang und Entwicklung aber in einem hoͤhern Sinne ge- ben, als mans gewaͤhnet hat? Siehest du die- sen Strom fortschwimmen: wie er aus einer kleinen Quelle entsprang, waͤchst, dort ab- reißt, hier ansetzt, sich immer schlaͤngelt und weitet und tiefer bohret — bleibt aber im- mer Wasser! Strom! Tropfe! immer nur Tropfe, bis er ins Meer stuͤrzt — wenns so mit dem menschlichen Geschlechte waͤre? Oder siehest du jenen wachsenden Baum! jenen em- porstrebenden Menschen! er muß durch ver- schiedne Lebensalter hindurch! alle offenbar im Fortgange! ein Streben auf einander in Kontinuitaͤt! Zwischen jedem sind scheinbare Ruheplaͤtze, Revolutionen! Veraͤnderun- gen! und dennoch hat jedes den Mittelpunkt seiner Gluͤckseligkeit in sich selbst! der Juͤng- ling ist nicht gluͤcklicher als das unschuldige, zufriedne Kind: noch der ruhige Greis un- gluͤck- gluͤcklicher, als der heftigstrebende Mann: der Pendul schlaͤgt immer mit gleicher Kraft, wenn er am weitesten ausholt und desto schnel- ler strebt, oder wenn er am langsamsten schwanket, und sich der Ruhe naͤhert. Jn- deß ists doch ein ewiges Streben! niemand ist in seinem Alter allein, er bauet auf das Vorige, dies wird nichts als Grundlage der Zukunst, will nichts als solche seyn — so spricht, die Analogie in der Natur, das redende Vor- bild Gottes in allen Werken! Offenbar so im Menschengeschlechte! Der Aegypter konnte nicht ohne den Orientalier seyn, der Grieche baue- te auf jene, der Roͤmer hob sich auf den Ruͤ- cken der ganzen Welt — wahrhaftig Fort- gang, fortgehende Entwicklung, wenn auch kein Einzelnes dabey gewoͤnne! Es geht ins Große! es wird, womit die Huͤlsengeschichte so sehr pralet, und wovon sie so wenig zeigt, — Schauplatz einer leitenden Absicht auf Er- den! wenn wir gleich nicht die letzte Absicht sehen sollten, Schauplatz der Gottheit, wenn gleich nur durch Oeffnungen und Truͤmmer einzelner Scenen. Wenigstens ist der Blick weiter als jene Phi- losophie, die unter- uͤber mischt, nur immer hie hie und da, bey einzelnen Verwirrungen aufhaͤlt, um alles zum Ameisenspiele, zum Gestrebe einzelner Neigungen und Kraͤfte ohne Zweck zum Chaos zu machen, in dem man an Tugend, Zweck und Gott- heit verzweifelt! Wenns mir gelaͤnge, die de- speratsten Scenen zu binden, ohne sie zu ver- wirren — zu zeigen wie sie sich aufeinander beziehen, aus einander erwachsen, sich in einander verlieren, alle im Einzelnen nur Mo- mente, durch den Fortgang allein Mittel zu Zwecken, — welch ein Anblick! welche edle Anwendung der menschlichen Geschichte! welche Aufmunterung zu hoffen, zu handeln, zu glauben, selbst wo man nichts, oder nicht alles sieht. — Jch fahre fort — — — Zwey- Zweyter Abschnitt. A uch die roͤmische Weltverfassung erreichte ihr Ende, und je groͤsser das Gebaͤude, so hoͤher es stand, mit desto groͤsserm Stur- ze fiels! die halbe Welt war Truͤmmer. Voͤlker und Erdtheile hatten unter dem Baume gewohnt, und nun, da die Stimme der hei- ligen Waͤchter rief! „haut ihn ab!„ welch ei- ne große Leere! Wie ein Riß im Faden der Weltbegebenheiten! nichts minder, als eine neue Welt war noͤthig, den Riß zu heilen. Norden wars. Und was man auch nun uͤber den Zustand dieser Voͤlker fuͤr Urspruͤn- ge und Systeme ersinnen mag: das simpelste scheint das wahreste: in Ruhe warens gleich- sam „Patriarchien wie sie in Norden seyn „konnten.„ Da unter solchem Klima kein morgenlaͤndisches Hirtenleben moͤglich war, schwerere Beduͤrfnisse hier den menschlichen Geist mehr druckten, als wo die Natur fast allein fuͤr den Menschen wuͤrkte: eben die schwerere Beduͤrfnisse, und die Nordluft die Menschen aber mehr haͤrtete, als sie im warmen aro- aromatischen Treibhause Osts und Suͤds ge- haͤrtet werden konnten: natuͤrlich blieb ihr Zu- stand roher, ihre kleine Gesellschaften getrenn- ter und wilder: aber die menschlichen Bande noch in Staͤrke, menschlicher Trieb und Kraft in Fuͤlle. — Da konnte das Land werden, was Tacitus beschreibt. Und als dies nordi- sche Meer von Voͤlkern mit allen Wogen in Bewegung gerieth, Wogen draͤngten Wogen, Voͤlker andre Voͤlker! Mauer und Damm um Rom war zerrissen: sie selbst hatten ihnen die Luͤcken gezeigt und sie herbeygelockt, daran zu flicken — endlich da alles brach, welche Ue- berschwemmung des Suͤds, durch den Nord! und nach allen Umwaͤlzungen und Abscheulich- keiten welche neue nordsuͤdliche Welt! Wer den Zustand der roͤmischen Laͤnder (und sie waren damals das gebildete Universum! ) in den letzten Jahrhunderten bemerket, wird diesen Weg der Vorsehung, einen so sonder- baren Ersatz menschlicher Kraͤfte zu bereiten, anstaunen und bewundern. Alles war erschoͤpft, entnervt, zerruͤttet. Von Menschen verlas- sen, von entnervten Menschen bewohnt, in Ueppigkeit, Lastern, Unordnungen, Freyheit und wildem Kriegesstolz untersinkend. Die schoͤ- E nen nen roͤmischen Gesetze und Kaͤnntnisse konn- ten nicht Kraͤfte ersetzen, die verschwunden waren, Nerven wiederherstellen, die keinen Lebensgeist fuͤhlten, Triebfedern regen, die da lagen — also tod! ein abgematteter, im Blu- te liegender Leichnam — da ward in Norden neuer Mensch gebohren. Unter frischem Him- mel, in der Wuͤste und Wilde, wo es niemand vermuthete, reifte ein Fruͤhling starker, nahr- hafter Gewaͤchse, die in die schoͤnern, suͤdlichern Laͤnder — jetzt traurigleere Aecker! — ver- pflanzt neue Natur annehmen, große Ernte fuͤrs Weltschicksal geben sollte! Gothen, Vandalen, Burgunden, Anglen, Hunnen, Herulen, Franken und Bulgaren, Sklaven und Longobarden kamen — setzten sich, und die ganze neuere Welt vom mittellaͤndischen zum schwarzen, vom atlandischen zum Nordmeer, ist ihr Werk! ihr Geschlecht! ihre Verfas- fung! Nicht blos Menschenkraͤfte, auch welche Gesetze, und Einrichtungen brachten sie da- mit auf den Schauplatz der Bildung der Welt. Freylich verachteten sie Kuͤnste und Wissenschaften, Ueppigkeit und Feinheit — die die Menschheit verheeret hatten; aber wenn sie sie statt der Kuͤnste, Natur: statt der Wis- senschaften, gesunden nordischen Verstand, statt der feinen, starke und gute, obgleich wilde Sitten brachten, und das alles nun zu- sammen gaͤhrte — welch ein Eraͤugniß! Jhre Gesetze, wie athmen sie maͤnnlichen Muth, Gefuͤhl der Ehre, Zutrauen auf Verstand, Redlichkeit und Goͤtterverehrung! Jhre Feu- daleinrichtung wie untergrub sie das Gewuͤhl volkreicher, uͤppiger Staͤdte, baute das Land, beschaͤftigte Haͤnde und Menschen, machte ge- sunde und eben damit auch vergnuͤgte Leute. Jhr spaͤteres Jdeal uͤber die Beduͤrfnisse hin- aus — es gieng auf Keuschheit und Ehre, veredelte den besten Theil der menschlichen Nei- gungen: obgleich Roman, so doch ein hoher Roman: eine wahre neue Bluͤthe der mensch- lichen Seele. Bedenke man z. B. was die Menschheit in den Jahrhunderten dieser Gaͤhrung fuͤr Er- holungsfrist und Kraͤfteuͤbung dadurch be- kam, daß alles in kleine Verbindungen, Ab- theilungen und Untereinanderordnungen fiel, und so viele, viele Glieder wurden! Da rieb sich immer eins am andern, und alles erhielt sich in Athem und Kraͤften. Zeit der Gaͤh- E 2 rung rung, aber eben diese hielt so lange den De- spotismus ab, (der wahre Rachen der Mensch- heit, der alles — wie ers nennt, in Ruhe und Gehorsam — aber wies ist, in Tod und einfoͤrmige Zermalmung hinabschlingt!) Jsts nun besser, ists fuͤr die Menschheit gefun- der und tuͤchtiger, lauter leblose Raͤder einer großen, hoͤlzernen gedankenlosen Maschine her- vorzubringen, oder Kraͤfte zu wecken und zu regen? Sollts auch durch sogenannte un- vollkommene Verfassungen, Unordnung, bar- barischen Ehrenpunkt, wilde Haͤndelsucht und dergleichen seyn — wenns Zweck er- reicht, immer besser, als lebend todt seyn und modern. Jndeß hatte die Vorsehung fuͤr gut befun- den, zu dieser neuen Gaͤhrung nordsuͤdlicher Saͤfte noch ein neues Ferment zu bereiten und zu zumischen — die christliche Religion. Jch darf doch bey unserm christlichen Jahrhun- derte nicht erst um Verzeihung bitten, daß ich von ihr als einer Triebfeder der Welt rede — betrachte sie ja nur als Ferment, als Sauerteig, zu Gutem oder zu Boͤsem — wozu man noch will. Und Und da verdient der Punkt, von zween Sei- ten mißverstanden, einige Eroͤrterung. Die Religion der alten Welt, die aus Morgenlande uͤber Aegypten nach Griechen- land und Jtalien gekommen, war in allem Betracht ein verduftetes kraftloses Ding ge- worden, das wahre Caput mortuum dessen, was sie gewesen war und seyn sollte. Wenn man nur die spaͤtere Mythologie der Griechen und die Puppe von politischer Voͤlkerreli- gion bey den Roͤmern betrachtet: so brauchts keines Worts mehr — — Und doch war nun auch fast „kein ander Principium der Tugend„ in der Welt! Die roͤmische Aufopferung fuͤrs Vaterland war von ihrer Hoͤhe gesunken und lag im Moraste der Schwelgerey und kriege- rischer Unmenschlichkeit. Griechische Jugend- ehre und Freyheitliebe — wo war sie? Und der alte aͤgyptische Geist, wo war er, als Grie- chen und Roͤmer in ihrem Lande nisteten? Wo- her nun Ersatz? Philosophie konnte ihn nicht geben: sie war das ausgeartetste Sophisten- zeug, Disputirkunst, Troͤdelkram von Mey- nungen ohne Kraft und Gewißheit, eine mit alten Lumpen behangene Holzmaschine ohne Wuͤrkung aufs menschliche Herz, geschweige E 3 denn denn der Wuͤrkung, ein verfallen Jahrhun- dert, eine verfallene Welt zu bessern! Und nun sollte Aufbau der Truͤmmern von Voͤlkern geschehen, die in ihrem Zustande noch Reli- gion noͤthig hatten, durch sie allein gelenkt werden konnten, Geist des Aberglaubens in alles mischten. — — Und doch fanden nun diese Voͤlker auf ihrem neuen Schauplatze nichts, als was sie verachteten oder nicht fassen konn- ten: roͤmische Mythologie und Philosophie, wie Bildsaͤulen, und Sittengestalten. — Und ihre nordische Religion, ein Rest des Orients auf nordische Art gebildet, langte nicht hin — hatten eine frischere, wuͤrksamere Religion noͤthig — siehe da! hatte die Vorschung sie kurz vorher an einem Orte entstehen lassen, woher man einen Ersatz der ganzen westlichen Welt am wenigsten hofte. Zwischen den nackten Bergen Judaͤas! Kurz vor dem Um- sturze des ganzen unberuͤhmten Volkes, eben in der letzten elendsten Epoche desselben — auf eine Weise, die allemal wunderbar blei- ben wird, entstand sie, erhielt sich, schlug sich eben so sonderbar durch Kluͤfte und Hoͤlen weiten Weg hindurch — auf einen Schau- platz, der sie so noͤthig hatte! worauf sie sie so viel, viel gewuͤrkt! — Allemal die sonderbarste Begebenheit der Welt! Da wars doch nun gewiß ein großes und sehenswuͤrdiges Schauspiel, wie unter Julian die beyden beruͤhmtesten Religionen, die aͤl- teste heidnische und die neuere christliche um nichts weniger als Herrschaft der Welt strit- ten. Religion — das sahe Er und Jeder- mann! — Religion in aller Staͤrke des Worts, war seinem verfallnen Jahrhunderte unentbehrlich. Griechische Mythologie und roͤmische Staatseeremonie — das sahe Er ebenfalls! — war dem Jahrhunderte zu sei- nen Zwecken nicht zureichend. Er grif also zu allem, wozu er konnte; zur kraͤftigsten und aͤltesten Religion, die er kannte, zur Reli- gion des Morgenlandes — regte in ihr alle Wunderkraͤfte, Zaubereyen und Erscheinun- gen auf, daß sie ganz Theurgie ward, nahm so viel er konnte, Philosophie, Pythagorism und Platonifm zu Huͤlfe, um allem den fein- sten Anstrich der Vernunft zu geben — setzte alles auf den Triumphwagen des groͤßten Gepraͤnges, von den zwey unbaͤndigsten Thie- ren, Gewalt und Schwaͤrmerey gezogen, von der feinsten Staatskunst gelenkt — alles E 4 um- umsonst! sie erlag! sie war verlebt — elen- der Aufputz eines todten Leichnams, der nur zu andrer Zeit hatte Wunder thun koͤnnen: die nackte neue christliche Religion siegte! Man siehet, daß die Sache ein Fremdling betrachtet, der Muselmann und Mammeluke seyn koͤnnte, um eben das zu schreiben. So fahre ich fort. Dieselbe nun, so sonderbar entstandne Re- ligion sollte doch das ist unleugbar, nach dem Sinne des Urhebers (ich sage nicht, ob sies in der Anwendung jedes Zeitalters geworden?) sie sollte eigentliche Religion der Mensch- heit, Trieb der Liebe, und Band aller Na- tionen zu einem Bruderheere werden — ihr Zweck von Anfang zu Ende! Eben so ge- wiß ists, daß sie (ihre Bekenner moͤgen spaͤ- ter hin aus ihr gemacht haben, was sie woll- ten) daß sie die Erste gewesen, die so reine geistige Wahrheiten, und so herzliche Pflich- ten, so ganz ohne Huͤlle und Aberglauben, ohne Schmuck und Zwang gelehret: die das menschliche Herz so allein, so allgemein, so ganz und ohne Ausnahme hat verbessern wollen. Alle vorigen Religionen der besten Zeiten und Voͤlker waren doch nur enge Na- tional, tional, voll Bilder und Verkleidungen, voll Ceremonien und Nationalgebraͤuche, an de- nen immer die wesentlichen Pflichten nur hin- gen und hinzugefuͤgt waren — Kurz, Reli- gionen eines Volks, eines Erdstrichs, eines Gesetzgebers, einer Zeit! diese offenbar in al- lem das Gegentheil. Die lauterste Philo- sophie der Sittenlehre, die reinste Theorie der Wahrheiten und Pflichten, von allen Gesetzen, und kleinen Landverfassungen unab- haͤngig, kurz wenn man will, der menschen- liebendste Deismus. — Und sonach gewiß Religion des Weltalls. Es habens andre, und selbst ihre Feinde be- wiesen, daß eine solche Religion gewiß nicht zu anderer Zeit, fruͤher oder spaͤter haͤtte auf- keimen oder aufkommen, oder sich einstehlen koͤnnen — man nenne es wie man wolle. Das menschliche Geschlecht mußte zu dem Deismus soviel Jahrtausende bereitet, aus Kindheit, Barbarey, Abgoͤtterey und Sinnlichkeit all- maͤhlig hervorgezogen; seine Seelenkraͤfte durch so viel Nationalbildungen, orientalische, aegyptische, griechische, roͤmische u. s. w. als durch Stuffen und Zugaͤnge entwickelt seyn, ehe selbst die mindsten Anfaͤnge nur zu An- E 5 schauung, schauung, Begrif, und Zugestehung des Jdeals von Religion und Pflicht und Voͤlkerverbin- dung gemacht werden konnten. Auch als Werkzeug allein betrachtet, schiens, daß der roͤmische Eroberungsgeist vorhergehen mußte, uͤberall Wege zu bahnen, einen politischen Zu- sammenhang zwischen Voͤlkern zu machen, der voraus unerhoͤrt war, auf eben dem Wege Toleranz, Jdeen vom Voͤlkerrechte in Gang zu bringen, in dem Umfang voraus uner- hoͤrt! — Der Horizont ward so erweitert, so aufgeklaͤrt, und da sich nun zehn neue Na- tionen der Erde auf diesen hellen Horizont stuͤrzten, ganz andre neue Empfaͤnglichkeiten eben fuͤr die Religion mitbrachten, sie bedurf- ten, sie allesamt in ihr Wesen verschmelzten — Ferment! wie sonderbar bist du bereitet! und alles auf dich zubereitet! und tief und weit umher eingemischet! hat lang und stark ge- trieben und gegaͤhret — was wird es noch ausgaͤhren? „Eben das also, woruͤber man meistens so „witzig und philosophisch spottet, wo denn die- „ser Sauerteig, christliche Religion, genannt, „ rein gewesen? wo er nicht mit Teige eigner, „der verschiedensten und oft der abscheulich- „sten „sten Denkart vermischt worden?“ eben das, duͤnkt mich offenbare Natur der Sache. War diese Religion, wie sies wuͤrklich ist der feine Geist, „ein Deismus der Menschenfreund- „schaft,„ der sich in kein einzeln buͤrgerlich Gesetz mischen sollte; wars jene Philosophie des Himmels, die eben ihrer Hoͤhe und un- irrdischer Lauterkeit wegen, ganze Erde um- fassen konnte: mich duͤnkt, so wars schlechter- dings unmoͤglich, daß der feine Duft seyn, an- gewandt werden konnte, ohne mit irrdischern Materien vermischt zu werden, und sie gleich- sam zum Vehikulum zu beduͤrfen. Das war nun natuͤrlich die Denkart jedes Volks, sei- ne Sitten und Gesetze, Neigungen und Faͤ- higkeiten — kalt oder warm, gut oder boͤse, barbarisch oder gebildet — alles, wie es war. Die christliche Religion konnte und sollte nur durch alles dringen, und wer sich uͤberhaupt von goͤttlichen Veranstaltungen in der Welt und im Menschenreich anders als durch welt- und menschliche Triebfedern Begriffe macht, ist wahrhaftig mehr zu utopischdichteri- schen, als zu philosophischnatuͤrlichen Ab- straktionen geschaffen. Wenn hat in der gan- zen Analogie der Natur die Gottheit anders, als durch Natur gehandelt? und ist darum keine keine Gottheit, oder ists nicht eben Gottheit, die so all ergossen, einfoͤrmig und unsichtbar durch alle ihre Werke wuͤrkt? — Auf einem menschlichen Schauplatze laß alle menschliche Leidenschaften spielen! in jedem Zeitalter sie dem Alter gemaͤß spielen! so in jedem Welt- theile, in jeder Nation! die Religion soll nichts als Zwecke durch Menschen und fuͤr Men- schen bewuͤrken — Sauerteig oder Schatz: jeder traͤgt ihn in seinem Gefaͤße, mischt ihn zu seinem Teige! und je feiner der Duft ist, je mehr er an sich verfloͤge, destomehr muß er zum Gebrauch vermischt werden. Jch sehe in der Gegenmeynung keinen menschlichen Sinn. Und so war nun auch, blos physisch und in menschlichem Sinne zu reden, eben die Zumi- schung der christlichen Religion die gewaͤhlte- ste, die man sich fast denken kann. Sie nahm sich bey der taͤglich uͤberhandnehmenden Noth der Armen an, daß selbst Julian ihr dieß einschmeichelnde Verdienst nicht ablaͤug- nen konnte. Sie ward in noch spaͤtern Zei- ten der Verwirrung, einziger Trost und Zu- flucht gegen die allgemeine Bedraͤngniß (ich rede nicht, wie die Geistlichen das immer ge- brauchet?) ja, seit die Barbaren selbst Chri- sten sten waren, wurde sie allmaͤhlich wuͤrkliche Ordnung und Sicherheit der Welt. Da sie die reißende Loͤwen zaͤhmte, und uͤberwand die Ueberwinder — welch ein bequemer Teig um tief einzudringen, weit und ewig zu wuͤrken! Die kleinen Verfassungen, wo sie alles um- schlingen konnte; die weit abgesonderten Staͤnde, wo sie gleichsam allgemeiner Zwi- schenstand ward; die grossen Luͤcken der blos kriegerischen Lehnsverfassung, wo sie an Wis- senschaften, Rechtspflege, und Einfluß auf die Denkart alles ausfuͤllte, uͤberall unent- behrlich und gleichsam Seele zu Jahrhunder- ten wurde, deren Leib nichts als kriegerischer Geist und sklavischer Ackerbau war — konn- te eine andre Seele, als Andacht, die Glieder binden, den Koͤrper beleben? War im Rathe des Schicksals der Koͤrper beschlossen: wel- che Thorheit, ausser dem Geiste, der Zeit, uͤber seinen Geist zu waͤhnen! Es war, duͤnkt mich, einiges Mittel der Progreßion! Wem ists nicht erschienen, wie in jedem Jahrhunderte das sogenannte „Christenthum„ voͤllig Gestalt oder Analogie der Verfassung hatte, mit- oder in der es exsistirte! Wie eben derselbe gothische Geist auch das Jnnere und Aeussere Aeussere der Kirche eindrang, Kleider und Ce- remonien, Lehren und Tempel formte, den Bischoffstab zum Schwerdt schaͤrfte, da al- les Schweedt trug, und geistliche Pfruͤnden, Lehne und Sklaven schuf, weils uͤberall nur solche gab. Man denke sich von Jahrhun- derte zu Jahrhunderte jene ungeheuren Anstal- ten von geistlichen Ehrenaͤmtern, Kloͤstern, Moͤnchsorden, endlich spaͤter gar Kreuzzuͤ- gen und der offenbaren Herrschaft der Welt — ungeheures gothisches Gebaͤude! uͤberladen, druͤckend, finster, geschmacklos — die Erde scheint unter ihm zu sinken — aber wie groß! reich! uͤberdacht! maͤchtig! — ich rede von einem historischen Eraͤugnisse! Wunder des menschlichen Geists und gewiß der Vorse- hung Werkzeug. Wenn mit seinen Gaͤhrungen und Reibun- gen der gothische Koͤrper uͤberhaupt Kraͤfte regte: gewiß trug der Geist, der ihn belebte und band, das Seine bey. Wenn durch jenen eine Mischung von hohen Begriffen und Neigungen in Europa ausgebreitet wur- de, in der Mischung und in dem Umfange noch nie gewuͤrkt; allerdings war auch sie darinne webend. Und ohne mich hier auf die ver- verschiednen Perioden des Geists der mittlern Zeiten einlassen zu koͤnnen; wir wollens go- thischen Geist, nordisches Ritterthum im weitsten Verstande nennen — grosses Phaͤ- nomenon so vieler Jahrhunderte, Laͤnder und Situationen. Gewissermaßen noch immer „Jnbegriff „alle der Neigungen, die voraus einzelne „Voͤlker und Zeitlaͤufte entwickelt hatten.„ sie lassen sich sogar in sie aufloͤsen, aber das wuͤrksame Element, das alle band, und zu ei- ner lebendigen Kreatur Gottes machte, ist in jedem Einzeln nicht mehr dasselbe. Vaͤterli- che Neigungen, und heilige Verehrung des weiblichen Geschlechts: unausloͤschliche Frey- heitliebe und Despotismus: Religion und kriegerischer Geist: puͤnkltliche Ordnung und Feyerlichkeit und sonderbarer Hang zur Aventure — das floß zusammen! orientali- sche, roͤmische, nordische, saracenische Be- griffe und Neigungen! man weiß, wenn? wo? und in welchem Maasse sie jetzt und dort zusammengeflossen sind, und sich modifi- cirt haben —. Der Geist des Jahrhunderts durchwebte und band — die verschiedensten Ei- genschaften — Tapferkeit, und Moͤncherey, Aben- Abentheur und Galanterie, Tyranney und Edelmuth; bands zu dem Ganzen, das uns jetzt — zwischen Roͤmern und uns — als Ge- spenst als romantisches Abentheuer dasteht, einst wars Natur, war — Wahrheit. Man hat diesen Geist„ der nordischen Rit- terehre„ mit den heroischen Zeiten der Grie- chen verglichen Hurd lettr. on chivalery. — und freylich Punkte der Vergleichung gefunden — Aber an sich bleibt er in der Reihe aller Jahrhunderte duͤnkt mich, Einzig! — nur sich selbst gleich! Man hat ihn, weil er, zwischen Romern und Uns — quanti viri! — Uns! steht, so schrecklich ver- spottet; Andre, von etwas abentheurlichem Gehirne haben ihn so hoch uͤber alles erho- ben — mich duͤnkt, er ist nichts mehr und min- der, als „einzelner Zustand der Welt!„ keinen der vorigen zu vergleichen, wie sie mit Vorzuͤgen und Nachtheilen: auf sie gegruͤn- det, selbst in ewiger Veraͤnderung und Fort- strebung — ins Große. Die dunkeln Seiten dieses Zeitraums ftehn in allen Buͤchern: jeder klassische Schoͤnden- ker ker, der die Polieirung unsers Jahrhunderts fuͤrs non plus ultra der Menschheit haͤlt, hat Gelegenheit ganze Jahrhunderte auf Barba- rey, elendes Staatsrecht, Aberglauben und Dummheit, Mangel der Sitten und Ab- geschmacktheit — in Schulen, in Landsitzen, in Tempeln, in Kloͤstern, in Rathhaͤusern, in Handwerkszuͤnften, in Huͤtten und Haͤu- sern zu schmaͤlen und uͤber das Licht unsers Jahrhunderts, das ist, uͤber seinen Leichtsinn und Ausgelassenheit, uͤber seine Waͤrme in Jdeen und Kaͤlte in Handlungen, uͤber seine scheinbare Staͤrke und Freyheit, und uͤber seine wuͤrkliche Todesschwaͤche und Ermat- tung unter Unglauben, Despotismus und Uppigkeit zu lobjauchzen. Davon sind alle Buͤcher unserer Voltaͤre und Hume, Robert- sons und Jselins voll, und es wird ein so schoͤn Gemaͤlde, wie sie die Aufklaͤrung und Verbesserung der Welt aus den truͤben Zeiten zum Deismus und Despotismus der Seelen d. i. zu Philosophie und Ruhe herleiten — daß dabey jedem Liebhaber seiner Zeit das Herz lacht. Alle das ist wahr und nicht wahr. Wahr, wenn man wie ein Kind, Farbe gegen Farbe F haͤlt haͤlt, und ja ein helles, lichtes Bildchen ha- ben will — in unserm Jahrhunderte ist leider! so viel Licht! — Unwahrheit wenn man die damalige Zeit in ihrem Wesen und Zwecken, Genuß und Sitten, insonderheit als Werk- zeug im Zeitlaufe betrachtet. Da lag in die- sen dem Scheine nach gewaltsamen Auftrit- ten und Verbindungen oft ein Festes, Binden- des, Edles und Großherrliches, das wir mit unsern Gottlob! feinen Sitten, aufgeloͤsten Zuͤnften und dafuͤr gebundnen Laͤndern, und angebohrner Klugheit und Voͤlkerliebe bis ans Ende der Erde, fuͤrwahr weder fuͤhlen noch kaum mehr fuͤhlen koͤnnen. Siehe, du spot- test uͤber die damalige Knechtschaft, uͤber die rohen Landsitze des Adels, uͤber die vielen kleinen Jnseln und Unterabtheilungen, und was davon abhing — preisest nichts so sehr, als die Aufloͤsung dieser Bande, und weißt kein groͤsseres Gut, was je der Menschheit gesche- hen, als da Europa und mit ihm die Welt frey wurde. Frey wurde? suͤsser Traͤumer! wenns nur das, und das nur wahr waͤre! Aber nun siehe auch, wie durch den Zustand in jenen Zeiten Dinge ausgerichtet wurden, uͤber die sonst alle menschliche Klugheit hatte verbloͤden muͤssen: Europa bevoͤlkert und ge- bauet: bauet: Geschlechter und Familien, Herr und Knecht, Koͤnig und Unterthan drang staͤrker und naͤher an einander: die so genannten ro- hen Landsitze hinderten das uͤppige ungesun- de Zunehmen der Staͤdte, dieser Abgruͤnde fuͤr die Lebenskraͤfte der Menschheit: der Mangel des Handels und der Feinheit ver- hinderte Ausgelassenheit und erhielt simple Menschheit — Keuschheit und Fruchtbarkeit in Ehen, Armuth und Fleiß und Zusammen- drang in Haͤusern. Die rohen Zuͤnfte und Freyherrlichkeiten, machten Ritter- und Hand- werksstolz, aber zugleich Zutrauen auf sich, Festigkeit in seinem Kreise, Mannheit auf seinem Mittelpunkte, wehrte, der aͤrgsten Pla- ge der Menschheit, dem Land- und Seelenjo- che, unter das offenbar, seitdem alle Jnseln aufgeloͤst sind, alles mit froh und freyem Mu- the sinkt. Da konnten in etwas spaͤtern Zei- ten denn soviel kriegerische Republiken und wehrhafte Staͤdte werden! erst waren die Kraͤfte gepflanzt, genaͤhrt und durch Reiben erzogen, von denen im traurigen Reste, ihr noch jetzo lebt. Haͤtte euch der Himmel die barbarischen Zeiten nicht vorhergesandt und sie so lange unter so mancherley Wuͤrfen und Stoͤs- sen erhalten — armes, policirtes Europa, das F 2 seine seine Kinder frißt oder relegiret, wie waͤrest du mit alle deiner Weisheit — Wuͤste! „Daß es jemanden in der Welt unbegreiflich „waͤre, wie Licht die Menschen nicht naͤhrt! „Ruhe und Ueppigkeit und so genannte Ge- „dankenfreyheit nie allgemeine Gluͤchseligkeit „und Bestimmung seyn kann!„ Aber Em- pfindung, Bewegung, Handlung — wenn auch in der Folge ohne Zweck, (was hat auf der Buͤhne der Menschheit ewigen Zweck?) wenn auch mit Stoͤßen und Revolutionen, wenn auch mit Empfindungen, die hie und da schwaͤrmerisch, gewaltsam, gar abscheu- lich werden — als Werkzeug in den Haͤn- den des Zeitlaufs, welche Macht! welche Wuͤrkung! Herz und nicht Kopf genaͤhrt! mit Neigungen und Trieben alles gebunden nicht mit kraͤnkelnden Gedanken! Andacht und Ritterehre, Liebeskuͤhnheit und Buͤrger- staͤrke — Staatsverfassung und Gesetzge- bung, Religion. — Jch will nichts weniger, als die ewigen Voͤlkerzuͤge und Verwuͤstun- gen, Vasallenkriege und Befehdungen Moͤnchs- heere, Wallfahrten, Kreuzzuͤge vertheidigen: nur erklaͤren moͤchte ich sie: wie in allem doch Geist hauchet! Gaͤhrung menschlicher Kraͤfte. Kraͤfte. Große Kur der ganzen Gattung durch gewaltsame Bewegung, und wenn ich so kuͤhn reden darf, das Schicksal zog, (al- lerdings mit großem Getoͤse, und ohne daß die Gewichte da ruhig hangen konnten), die große abgelaufne Uhr auf! da rasselten al- so die Raͤder! Wie anders sehe ich die Zeiten in dem Lichte! Wie viel ihnen zu vergeben, da ich sie selbst ja immer im Kampfe gegen Maͤn- gel, im Ringen zur Verbesserung, und sie wahrhaftig mehr als eine andere, sehe! Wie viel Laͤsterungen gerade zu falsch und uͤber- trieben, da ihr Mißbraͤuche entweder ange- dichtet werden aus fremden Hirn, oder die damals weit milder und unvermeidlicher wa- ren, sich mit einem gegenseitigen Guten kom- pensirten, oder die wir schon jezt offenbar als Werkzeuge zu grossem Guten in der Zukunft, woran sie selbst nicht dachten wahrnehmen. Wer liest diese Geschichte, und ruft nicht oft Neigungen und Tugenden der Ehre und Frey- heit, der Liebe und Tapferkeit, der Hoͤflich- keit und des Worts, wo seyd ihr geblieben! eure Tiefe verschlaͤmmet! eure Feste, weicher Sandboden voll Silberkoͤrner, wo nichts F 3 waͤchst! waͤchst! Wie es auch sey, gebt uns in man- chem Betracht eure Andacht und Aberglau- ben, Finsterniß und Unwissenheit, Unord- nung und Rohigkeit der Sitten und nehmt unser Licht und Unglauben, unsre entnervte Kaͤlte und Feinheit, unsre philosophische Ab- gespanntheit und menschliches Elend! — Uebrigens aber freylich muß Berg und Thal graͤnzen, und das dunkle feste Gewoͤlbe konn- te — nichts anders seyn als dunkles festes Gewoͤlbe — Gothisch! Riesenschritt im Gange des menschlichen Schicksals! Naͤhmen wirs blos, daß Verderb- nisse vorhergehen, um Verbesserung, Ord- nung hervorzubringen — ein grosser Schritt! Um das Licht zu geben war so grosser Schat- te noͤthig: Der Knote mußte so fest zugezo- gen werden, damit nachher die Entwicklung erfolge: mußte es nicht gaͤhren, um den hefenlosen, reinen goͤttlichen Trank zu geben? — mich duͤnkt, das folgte unmittelbar aus „der Lieblingsphilosophie„ des Jahrhunderts. Da koͤnnt ihr ja herrlich beweisen, wie so viel Ecken erst haben muͤssen gewaltig abgerieben wer- den, ehe das runde, glatte, artige Ding er- scheinen konnte, was wir sind! wie in der Kir- che che so viel Graͤuel, Jrrthuͤmer, Abge- schmacktheiten und Laͤsterungen vorhergehen, alle die Jahrhunderte nach Verbesserung rin- gen, schreyen und streben mußten, ehe eure Re- formation, oder lichte, hellglaͤnzende Deis- mus entstehen konnte. Die uͤble Staats- kunst mußte das Rad all ihrer Uebel und Ab- scheulichkeiten durchlaufen, eh unsre „Staats- kunst„ im ganzen Umfange des Worts, er- scheinen durfte, wie die Morgensonne aus Nacht und Nebel. — Noch immer also schoͤnes Ge- maͤlde, Ordnung und Fortgang der Natur, und du glaͤnzender Philosoph ja allem auf den Schultern! Aber kein Ding im ganzen Reiche Gottes kann ich mich doch uͤberreden! ist allein Mit- tel — alles Mittel und Zweck zugleich, und so gewiß auch diese Jahrhunderte. War die Bluͤthe des Zeitgeistes, „der Rittersinn, „ an sich schon ein Produkt der ganzen Vergan- genheit, in der gediegenen Form des Nord- lands: war die Mischung von Begriffen der Ehre und der Liebe und der Treue und An- dacht und Tapferkeit und Keuschheit, die jetzt Jdeal war, voraus unerhoͤrt gewesen; siehe damit, gegen die alte Welt gehalten, F 4 da da die Staͤrke jedes einzelnen Nationalcha- rakters verlohren gangen war, siehe eben in dieser Mischung, Ersatz, und Fortgang ins Grosse. Von Orient bis Rom wars Stamm: jetzt giengen aus dem Stamme Aeste und Zwei- ge; keiner an sich stammfest, aber ausge- breiteter, luftiger, hoͤher! Bey aller Barba- rey waren die Kaͤnntnisse, die man schola- stisch behandelte, feiner und hoͤher: Die Empfindungen, die man barbarisch und pfaf- fenmaͤssig anwandte, abstrahirter und hoͤher: aus beyden flossen die Sitten, das Bild je- ner. Von solcher Religion, so elend sie im- mer aussah, hatte doch kaum ein Zeitalter vorher gewußt: selbst das Feinere der tuͤr- kischen Religion, was unsre Deisten ihr so hoch anrechnen, war nur „durch die christliche Religion„ entstanden, und selbst die elend- sten Spitzfuͤndigkeiten der Moͤncherey, die romanhaftesten Phantastereyen zeigen, daß Feinheit und Gewandtheit gnug in der Welt war, dergleichen auszudenken, zu fassen: — daß man wuͤrklich scharf anfieng in so feinem Elemente zu athmen. Pabstthum haͤtte doch nie in Griechenland und dem alten Rom exsi- stiren koͤnnen, nicht blos aus den Ursachen, die man gewoͤhnlich ansieht, sondern wuͤrk- lich lich auch der uralten Simplicitaͤt wegen, weil zu dergleichen raffinirten System noch kein Sinn, kein Raum war: und Pabstthum des alten Aegyp- tens war wenigstens gewiß eine weit groͤbe- re und plumpere Maschine. Solche Rgie- rungsformen, bey allem gothischen Geschmacke hatten sie, doch kaum vorher noch exsistirt; mit der Jdee von barbarischer Ordnung vom Element herauf bis zum Gipfel, mit den immer veraͤnderten Versuchen alles zu bin- den, daß es doch nicht gebunden waͤre. — Der Zufall oder vielmehr roh und freywuͤr- kende Kraft erschoͤpfte sich in kleinen Formen der grossen Form, wie sie ein Politiker kaum haͤtte ausdenken koͤnnen: — Chaos, wo alles nach neuer hoͤherer Schoͤpfung strebte, ohne zu wissen, wie? und welcher Gestalt? — Die Werke des Geistes und des Genies aus diesen Zeiten sind gleicher Art, ganz des zusammen- gesetzten Duftes aller Zeiten voll: zu voll von Schoͤnheiten, von Feinheiten, von Er- findung, von Ordnung, als daß es Schoͤn- heit, Ordnung, Erfindung bleibe — sind, wie die gothischen Gebaͤude! Und wenn sich der Geist bis auf die kleinsten Einrichtungen und Gebraͤuche erstreckt — ists unrecht, wenn in diesen Jahrhunderten noch immer Krone des F 5 alten alten Stamms erschiene! (nicht Stamm mehr, das sollts und konnts nicht seyn) aber Krone! Eben das nicht-Eine, das Verwirrte der rei- che Ueberfluß von Aesten und Zweigen; das macht seine Natur! da hangen die Bluͤthen von Rittergeist, da werden, wenn der Sturm die Blaͤtter abtreibt, einst die schoͤnern Fruͤchte hangen. So viele Bruͤdernation en und keine Mo- narchie auf der Erde! — Jedweder Ast von hier gewissermasse ein Ganzes — und trieb seine Zweige! alle trieben neben einander, flochten, worren sich, jedes mit seinem Saf- te. — Diese Vielheit von Koͤnigreichen! dies Nebeneinanderseyn von Brudergemeinden; alle von einem deutschen Geschlechte, alle nach einem Jdeal der Verfassung, alle im Glau- ben einer Religion, jedes mit sich selbst und seinen Glied e rn kaͤmpfend, und von einem heiligen Winde, dem paͤbstlichen Ansehen, fast unsichtbar aber sehr durchdringend getrie- ben und beweget — Wie ist der Baum erschuͤt- tert! auf Kreuzzuͤgen und Voͤlkerbekehrungen wohin hat er nicht Aeste, Bluͤthe und Zweige geworfen! — Wenn die Roͤmer bey ihrer Un- terjochung der Erde den Voͤlkern, nicht auf dem besten besten Wege, zu einer Gattung „von Voͤlkerreecht und allgemeiner Roͤmererkennung „ hatten hel- fen muͤssen: Das Pabstthum mit alle seiner Ge- waltsamkeit ward in der Hand des Schicksals Maschine zu einer „noch hoͤhern Verbindung, „zur allgemeinen Erkennung seyn sollender „Christen! Bruͤder! Menschen! „ Das Lied stieg durch Mißklaͤnge und kreischende Stim- mungen gewiß in hoͤhern Ton: Gewisse meh- rere gesammlete, abstrahirte, gegaͤhrte Jdeen, Neigungen und Zustaͤnde breiteten sich uͤber die Welt hin — wie schoß der eine alte simple Stamm des Menschengeschlechts in Aeste und Zweige! Endlich folgte, wie wir sagen, die Aufloͤ- sung, die Entwickelung: lange ewige Nacht klaͤrte sich in Morgen auf: es ward Refor- mation, Wiedergeburt der Kuͤnste, Wissen- schaften, Sitten! — die Hefen sanken; und es ward — unser Denken! Kultur! Phi- losophie! on commencoit à penser comme nous pensons aujourd’hui: on n’etoit plus Barbare. Kei- Keinen Zeitpunkt der Entwickelung des mensch- lichen Geistes hat man schoͤner beschrieben als diesen! da alle unsre Geschichten, Discours preliminaires zur Encyklopaͤdie alles mensch- lichen Wissens, und Philosophien darauf wei- sen, Hume Geschichte von Engl. und ver- mischte Schr.; Robertsons Gesch. von Schottland und Carl V.; D’Alembert me- langes, de litterature et de philos., Jselins Gesch. der Menschheit Th. 2., Vermischte Schriften, und was dem nachhinkt und nach lallet. und von Ost und West, von Anbeginn und gestern alle Faͤden, die gezogen sind, oder wie Herbstspinneweben im Kopfe flattern, dar- auf als auf den hoͤchsten Gipfel menschlicher Bildung zu ziehen wissen: Und da das Sy- stem nun schon so glaͤnzend, beruͤhmt, lieblich angenommen und vollkommen ausgemacht ist: so wage ich nichts hinzuzusetzen — ich lege blos einige kleine Anmerkungen neben an. Zuerst muß ich zum uͤberhohen Ruhm des menschlichen Verstandes Gloire de l’esprit, humain ses progrés, revolu- t ions, son developpement, sa creation etc. sagen, daß im- mer mer weniger Er, wenn ich so sagen darf, als ein blindes Schicksal, was die Dinge warf und lenkte, an dieser allgemeinen Weltveraͤn- derung wuͤrkte. Entweder warens so große, gleichsam hingeworfene Begebenheiten, die uͤber alle menschliche Kraͤfte und Aussichten giengen, denen sich die Menschen meistens wi- dersetzten, wo niemand die Folge, als uͤber- legten Plan, traͤumte, oder es waren kleine Zufaͤlle, mehr Funde, als Erfindungen, Anwendungen einer Sache, die man lange gehabt, und nicht gesehen, nicht gebraucht hatte — oder gar nichts als simple Mechanik, neuer Kunstgrif, Handwerk, das die Welt aͤnderte — Philosophen des achtzehnten Jahr- hunderts, wenn das ist, wo bleibt eure Ab- goͤtterey gegen den menschlichen Geist? Wer legte hier Venedig an diesem Platze, unter dem tiefsten Bedraͤngniß der Noth an? und wer uͤberdachte, was dies Venedig, allein an diesem Platze, ein Jahrtausend hindurch, allen Voͤlkern der Erde seyn konnte und sollte? Der diesen Sund von Jnseln in den Morast warf, der diese wenigen Fischer dahinleitete, war derselbe, der das Saamenkorn fallen laͤßt, das zu der Zeit und an dem Orte eine Eiche Eiche werde; der die Huͤtte an die Tiber pflanzte, daß Rom, das ewige Haupt der Welt daraus wuͤrde. Eben derselbe ists, der jetzt Barbarn hinzufuͤhrt, daß sie die Littera- tur der ganzen Welt, die Bibliothek zu Alexandrien (gleichsam ein versinkendes Welt- theil!) vernichtigen, jetzt eben dieselbe hinzu- fuͤhrt, daß sie einen kleinen Rest Litteratur erbetteln, erhalten, und auf einer ganz an- dern Seite, auf Wegen, die niemand getraͤumt oder gewuͤnscht hatte, nach Europa bringen sollten. Eben derselbe, der jetzt durch sie an einer andern Seite eine Kaiserstadt zerstoͤren laͤßt, daß die Wissenschaften, die da niemand suchte und die da so lange muͤßig waren, nach Europa fliehen — Alles ist großes Schicksal! von Menschen unuͤberdacht, ungehoft, un- bewuͤrkt — siehst du, Ameise nicht, daß du auf dem großen Rade des Verhaͤngnisses nur kriechest? Wenn wir in die Umstaͤnde des Ursprungs aller sogenannten Welterleuchtungen naͤher ein- dringen: die nemliche Sache. Dort im großen hier im kleinen, Zufall, Schicksal, Gott- heit! Was jede Reformation anfieng, waren Kleinigkeiten; die nie so gleich den großen un- ungeheuren Plan hatten, den sie nachher ge- wannen; — so oft es gegentheils vorher der große, wuͤrklich uͤberlegte, menschliche Plan gewesen war: so oft mißlang er. Alle eure große Kirchenversammlungen, ihr Kaiser. Koͤnige! Kardinaͤle und Herren der Welt! wer- den nimmermehr nicht aͤndern, aber dieser un- feine, unwissende Moͤnch, Luther solls aus- richten! Und das von Kleinigkeiten, wo er selbst nichts weniger, als so weit denkt! durch Mittel, wo nach der Weise unserer Zeit, phi- losophisch gesprochen, nie so was auszurich- ten war! meistens er selbst das wenigste aus- richtend, nur daß er andre anstieß, Refor- matoren in allen andern Laͤndern weckte, er aufstand und sagte „ich bewege mich! darum „giebts Bewegung!„ dadurch ward, was gewor- den ist. Veraͤnderung der Welt! Wie oft wa- ren solche Luthers fruͤher aufgestanden und — untergegangen. Der Mund ihnen mit Rauch und Flammen gestopft, oder ihr Wort fand noch keine freye Luft, wo es toͤnte — aber nun ist Fruͤhling: die Erde oͤfnet sich, die Sonne bruͤtet und tausend neue Gewaͤchse gehen her- vor — Mensch, du warst nur immer, fast wider deinen Willen, ein kleines blindes Werkzeug. „War- „Warum ist nicht, ruft der sanfte Philo- „soph, jede solcher Reformationen lieber! ohne „Revolution geschehen? Man haͤtte den „menschlichen Geist nur sollen seinen stillen „Gang gehen lassen, statt daß jetzt die Leiden- „schaften im Sturme des Handelns neue Vor- „urtheile gebahren, und man Boͤses mit Boͤ- „sem verwechselte„ — — Antwort! weil so ein stiller Fortgang des menschlichen Geistes zur Verbesserung der Welt kaum etwas anders als Phantom unsrer Koͤpfe, nie Gang Gottes in der Natur ist. Dies Saamenkorn faͤllt in die Erde! da liegts und erstarrt; aber nun kommt Sonne es zu wecken: da brichts auf: die Gefaͤsse schwellen mit Gewalt auseinander: es durchbricht den Boden — so Bluͤthe, so Frucht — Kaum die garstige Erdpiltze waͤchst, wie dus traͤumest. Der Grund jeder Refor- mation war allemal eben solch ein kleines Saa- menkorn, fiel still in die Erde, kaum der Re- de werth: die Menschen hattens schon lange, besahens und achtetens nicht — aber nun sollen dadurch Neigungen, Sitten, eine Welt von Gewohnheiten geaͤndert, neuge- schaffen werden — ist das ohne Revolution; ohne Leidenschaft und Bewegung moͤglich? Was Luther sagte, hatte man lange gewußt; aber jetzt sagte sagte es Luther! Roger Baco, Galilaͤi, Lartes, Leibnitz, da sie erfanden, wars stille: es war Lichtstrahl — aber ihre Erfindungen sollten durchbrechen, Meynungen wegbringen, die Welt aͤndern — es ward Sturm und Flamme. Habe immer der Reformator auch Leidenschaften gehabt, die die Sache, die Wissenschaft selbst nicht foderte, die Einfuͤh- rung der Sache foderte sie, und eben daß er sie hatte, gnug hatte, um jetzt durch ein Nichts zu kommen, wozu ganze Jahrhunderte durch Anstalten, Maschinerien und Gruͤbeleyen, nicht hatten kommen koͤnnen — eben das ist Kreditiv seines Berufs! „Meist nur simple mechanische Erfindun- „gen die man zum Theil laͤngst gesehen, ge- „habt, damit gespielt, die aber jetzt durch „einen Einfall so und nicht anders angewandt, „die Welt veraͤnderten.„ So z. E. die An- wendung des Glases zur Optik, des Mag- nets zum Kompaße, des Pulvers zum Krie- ge, der Buchdruckerkunst fuͤr die Wissen- schaften, des Calculs zu einer ganz neuen mathematischen Welt — und alles nahm an- dre Gestalt an. Man hatte das Werkzeug ver- aͤndert, einen Platz außer der alten Welt gefunden, und so ruͤckte man diese fort. G Ge- Geschuͤtz erfunden! und siehe die alte Tapferkeit der Theseus, Spartaner, Roͤ- mer, Ritter und Riesen weg — der Krieg anders und wie viel anders mit diesem andern Kriege! Buchdruckerey erfunden! und wie sehr die Welt der Wissenschaften geaͤndert! erleichtert und ausgebreitet! Licht und flach worden! Al- les kann lesen, buchstabieren — alles was le- sen kann, wird gelehrt. Mit der kleinen Nadel auf dem Meer — wer kann die Revolutionen in allen Weltthei- len zaͤhlen, die damit bewuͤrkt sind. Laͤnder gefunden, so viel groͤßer als Europa! Kuͤsten erobert voll Gold, Silber, Edelsteine, Ge- wuͤrz und Tod! Menschen in Bergwerke, Sklavenmuͤhlen und Lastersitten hineinbekehrt oder hinein kultiviert! Europa entvoͤlkert, mit Krankheiten und Ueppigkeit an seinen geheim- sten Kraͤften verzehrt — wer kann zaͤhlen! wer beschreiben! Neue Sitten, Neigungen, Tugenden, Laster — wer kann zaͤhlen und be- schreiben? Das Rad, in dem sich seit drey Jahr- hunderten die Welt bewegt, ist unendlich — und woran hiengs? was stieß es an? die Na- del- delspitze zwey oder drey mechanischer Ge- danken! II. Eben daher muß folgen, daß ein gros- ser Theil dieser sogenannten neuen Bildung selbst wuͤrkliche Mechanik sey; naͤher unter- sucht — wird diese, wie sehr neuerer Geist! Wenn meistens neue Methoden in jeder Art und Kunst die Welt veraͤnderten — neue Me- thoden entuͤbrigten Kraͤfte, die voraus noͤthig waren, sich aber jetzt — denn jede unge- brauchte Kraft schlaͤft! — mit der Zeit ver- lohren. Gewisse Tugenden der Wissenschaft des Krieges, des buͤrgerlichen Lebens, der Schiffart, der Regierung — man brauchte sie nicht mehr: es ward Maschiene, und die Maschiene regiert nur Einer. Mit einem Ge- danken! mit einem Winke! — dafuͤr schlafen auch wie viel Kraͤfte! Geschuͤtz erfunden, und damit welche Nerve roher koͤrperlicher Kriegs- staͤrke, und Seelenkriegsstaͤrke, Tapferkeit, Treue, Gegenwart in einzeln Faͤllen, Ehrege- fuͤhl der alten Welt ermattet! Das Heer ist eine gedingte, Gedankenkraft-Willenlose Maschine geworden, die ein Mann in seinem Haupte lenkt, und die er nur als Pantin der Bewe- gung, als eine lebendige Mauer bezahlt, Ku- G 2 geln geln zu werfen und Kugeln aufzufangen. Jm Grunde also, wuͤrde ein Roͤmer und Sparta- ner vielleicht sagen, Tugenden im innersten Heerde des Herzens weggebrannt, und ver- welkt ein Kranz militarischer Ehre — und was ist an der Stelle? der Soldat ist erster Lohn- diener des Staats in Heldenlivrey — siehe seine Ehre und Beruf! Er ist — und mit leichter Muͤhe die Reste von einzelnen Exi- stenzen gesprengt: die altgothische Freyheit- staͤnde: Eigenthumsformen, das elende Gebaͤude in schlechtem Geschmack! in Grund geschossen und zerstoͤrt, wird in seinen kleinen Truͤmmern so dicht blokirt, daß Land, Ein- wohner, Buͤrger, Vaterland manchmal wohl etwas, aber Herr und Knecht, Despot und Livreyendieners jedes Amts, Berufs und Stan- des, vom Bauer bis zum Minister und vom Minister zum Priester, alles ist. Heißt Lan- deshoheit! verfeinte Staatskunst! neue philosophische Regierungsart! — ists auch wuͤrkliche Fuͤrstenhut und Krone der neuern Jahrhunderte — worauf sie aber nur ru- hen! — wies der beruͤhmteste Sonnenadler auf allen Muͤnzen zeigt — auf Trommeln, Fahnen, Kugeln und immerfertigen Sol- datenmuͤtzen. Der Der Geist der neuern Philosophie — daß er auf mehr als eine Art Mechanik seyn muͤsse, zeigt, denke ich, der meiste Theil seiner Kin- der. Bey Philosophie und Gelehrsamkeit oft wie unwissend und unkraͤftig in Sachen des Lebens und des gesunden Verstandes! Statt, daß in den alten Zeiten der philosophische Geist nie fuͤr sich allein bestand, von Geschaͤften ausgieng und zu Geschaͤften eilte, also auch nur Zweck hatte, volle, gesunde, wuͤrkende Seelen zu schaffen, seit er allein stehet und Handwerk geworden — ist er Handwerk. Der wievielste Theil von euch betrachtet Logik, Metaphysik, Moral, Physik, als was sie sind — Organe der menschlichen Seele, Werk- zeuge, mit denen man wuͤrken soll! Vorbil- der von Gedankenformen, die nur unsrer Seele eine ihr eigne schoͤnere Gedankenform geben sollen — dafuͤr schlaͤgt man mechanisch seine Gedanken dahin ein, spielt und gaukelt — der abentheuerlichste Bursche von Klopffechter! Er tanzt mit dem Degen auf dem akademischen Seile zur Bewundrung und Freude aller, die ringsum sitzen, und dem großen Kuͤnstler jauch- zen, daß er nicht Hals und Bein breche: — das ist seine Kunst. Ein Geschaͤft auf der Welt wollt ihrs uͤbel besorgt haben, so gebts dem G 3 Phi- Philosophen! Auf dem Papier wie rein! wie sanft! wie schoͤn und groß; heillos im Ausfuͤh- ren! bey jedem Schritte staunend und starrend vor ungesehenen Hindernissen und Folgen. Das Kind indeß war wuͤrklich großer Philo- soph, konnte rechnen, und mit Syllogismen, Figuren und Jnstrumenten gelaͤufig, oft so gluͤcklich spielen, daß neue Syllogismen, Re- sultate, und sogenannte Entdeckungen her- auskamen — die Frucht, die Ehre, der Gipfel des menschlichen Geistes! — durch mechanisches Spiel! Das war die schwerere Philosophie — und nun die leichte, die schoͤne! Gottlob! was ist mechanischer, als diese. Jn Wissenschaften, Kuͤnsten, Gewohnheiten, Lebensart, wo sie hineingedrungen, wo sie Saft und Bluͤthe des Jahrhunderts ist, was mechanischer als sie? Eben das alte Herkommen, das sinn- lose Vorurtheil von Lernen, Langsamreifen, Tiefeindringen und Spaͤtbeurtheilen hat sie ja wie ein Joch vom Halse geworfen! hat in unsre Gerichtsschranken, statt kleiner, stau- biger, detaillirter Kenntnisse, wo jeder Vor- fall als der behandelt und untersucht werden soll, der er ist — hat darinn welch schoͤnes, leich- leichtes, freyes Urtheil gebracht, nach zwey Vorfaͤllen alles zu messen und abzuthun! uͤber das Jndividuelle, worinn allein Species facti besteht, hinuͤber, sich am hellen, vortreflichen All- gemeinen zu halten — statt Richter — (Bluͤ- the des Jahrhunderts!) — Philosoph zu seyn. Hat in unsre Staatswirthschaft und Regie- rungskunde, statt muͤhsam erlangter Kaͤnnt- nissen von Beduͤrfnissen und wahrer Beschaf- fenheit des Landes, welchen Adlersblick! wel- che Ansicht des Ganzen gebracht wie auf einer Landcharte und philosophischen Tabelle! Grundsaͤtze durch den Mund Montesquieus entwickelt, aus und nach welchen hundert ver- schiedene Voͤlker und Erdstriche, aus dem Stegreif nach dem Ein mal Eins der Politik in zwey Augenblicken berechnet werden. — — So alle schoͤne Kuͤnste, Handwerke und bey- nahe die kleinsten Tageloͤhnereyen — wer braucht in ihrer Tiefe, muͤhsam, wie in einem Gewoͤlbkeller umher zu klettern, zu arbeiten? Man raisonnirt! Woͤrterbuͤcher und Philo- sophien uͤber alle, ohne eine einzige mit dem Werkzeug in der Hand zu verstehen: sind al- lesammt abregé raisonné ihrer vorigen Pedan- terie geworden — abgezogner Geist! Phi- G 4 lo- losophie aus zwey Gedanken, die mechanischte Sache von der Welt. Darf ich beweisen, was der neuere Witz fuͤr eine edle mechanische Sache sey? Giebts eine gebildetere Sprache und Periodenform d. i. einen engern Leisten der Gedanken, der Le- bensart, des Genies und Geschmacks, bey dem Volke, von dem er sich unter hundert Ge- stalten am glaͤnzendsten in der Welt verbreitet hat? Welch ein Schauspiel ist mehr Mario- nette eines schoͤnen Regelmaaßes — welche Lebensart mehr Aefferey einer leichten mecha- nischen Hoͤflichkeit, Lustigkeit und Wortzier- de — welche Philosophie mehr das Ausge- kramte weniger Sentiments, und eine Be- handlung aller Dinge in der Welt nach diesen Sentiments geworden, als die —? Affen der Humanitaͤt, des Genies, der Froͤlichkeit, der Tugend, und eben weil sie nichts, als das sind, und so leicht nachgeaͤfft werden koͤnnen, sind sies fuͤr ganz Europa. — III. Daher wird denn nun wohl begreiflich, zu „welchem Mittelpunkte„ die Bildung hinstre- „be, und immer hingelenkt werde „Philoso- „phie! Gedanke! — leichtere Mechanik! „ Rai- „ Raisonnement, das sich bis auf die Grund- „saͤulen der Gesellschaft erstreckt, die sonst nur „ standen und trugen!„ Und auch da kann ichs in zehnerley Betracht kaum begreifen, wie das so allgemein und einzig fuͤr den G i pfel und Zweck aller menschlichen Bildung, alles Gluͤcks, alles Guten verraisonnirt werden koͤnne? Jst denn der ganze Koͤrper bestimmt zu sehen? und muß, wenn Hand und Fuß Auge und Gehirn seyn will, nicht der ganze Koͤrper leiden? Raisonnement zu unvorsuͤch- tig, zu unnuͤtz verbreitet — obs nicht Nei- gung, Trieb, Thaͤtigkeit zu leben, schwaͤchen koͤnnte und wuͤrklich geschwaͤcht habe? — Allerdings mag nun wohl diese Ermattung dem Geiste mancher Laͤnder bequem seyn: er- mattete Glieder muͤssen fort, haben keine Kraͤfte als — etwa zum Gegendenken. Jedes Rad bleibt aus Furcht, oder Gewohnheit oder Ueppigkeit und Philosophie an der Stelle und was ist nun so manche große philosophischre- gierte Heerde, als ein zusammengezwungner Hau- fe — Vieh und Holz! Sie denken! man breitet Denken vielleicht unter sie aus — bis auf einen Punkt: damit sich von Tage zu Tage mehr als Maschine fuͤhlen, aber nach gegebenen Vor- G 5 ur- urtheilen fuͤhlen knirschen lernen und fort muͤs- sen — Sie knirschen — ey doch, sie koͤnnen nichts als knirschen: und laben sich mit Freydenken. Das liebe, matte, aͤrgerliche unnuͤtze Frey- denken, Ersatz fuͤr alles, was sie vielleicht mehr brauchten — Herz! Waͤrme! Blut! Mensch- heit! Leben! Nun rechne ein jeder. Licht unendlich er- hoͤht und ausgebreitet: wenn Neigung, Trieb zu leben ungleich geschwaͤchet ist! Jdeen von allgemeiner Menschen - Voͤlker - und Fein- desliebe erhoͤht! und warmes Gefuͤhl der Vater - Mutter - Bruder - Kindes - Freun- desneigungen unendlich geschwaͤchet! Grund- saͤtze der Freyheit, Ehre, Tugend so weit verbreitet, daß sie jeder aufs helleste anerken- net, daß in gewissen Laͤndern sie jederman bis zum Geringsten auf Zung und Lippen hat — und jeder von ihnen zugleich mit den aͤrgsten Ketten der Feigheit, Schande, Ueppigkeit, Kriecherey und elender Planlosigkeit gebun- den. Handgriffe und Erleichterungen un- endlich verbreitet — aber alle die Handgriffe gehen in die Hand Eines oder Etlicher zusam- men, der allein denkt: der Maschine ist die Lust zu leben, zu wuͤrken, menschlich edel und gut- gutthaͤtig, vergnuͤgt zu leben, verschwunden: lebt sie mehr? Jm ganzen und im kleinsten Theile, der einzige Gedanke des Meisters. Jst dies nun das schoͤne Jdeal vom Zustan- de, zu dem wir durch alles hingebildet sind, das sich immer weiter in Europa ausbrei- tet, das in alle Welttheile hinschwimmet, und alles policiren will, zu seyn, was wir sind — Menschen? Buͤrger eines Vater- lands? Wesen fuͤr sich etwas zu seyn in der Welt? vielleicht wenigstens und gewiß aber allesamt nach Anzahl, Beduͤrfnissen, Zweck und Bestimmung politischer Calcul: jeder in der Uniform seines Standes, Maschinen! — da stehen nun jene glaͤnzende Marktplaͤtze zur Bildung der Menschheit, Kanzel und Schauplatz, Saͤle der Gerechtigkeit, Viblio- theken, Schulen und ja insonderheit die Kro- nen aller illustre Akademien! Jn welchem Glanz! zum ewigen Nachruhm der Fuͤrsten! zu wie großen Zwecken der Bildung und Auf- klaͤrung der Welt, der Gluͤckseligkeit der Menschen! herrlich eingeweihet — was thun sie denn? was koͤnnen sie thun? — sie spielen! IV. Also IV. Also von einigen der beruͤhmtesten Mit- tel, die, die Ehre unsers Jahrhunderts! den schoͤpferischen Plan haben, „Menschheit zu „ bilden„ — Ein Wort! Wir kommen damit wenigstens zu einer sehr praktischen Seite des Buchs. Jst nicht vom Anfange an, vergebens ge- schrieben, so sieht man Bildung und Fort- bildung einer Nation ist nie anders als ein Werk des Schicksals: Resultat tausend mit- wuͤrkender Ursachen, gleichsam des ganzen Elements, in dem sie leben. Und ist dies, was fuͤr ein Kinderspiel, diese Bildung blos in und durch einige hellere Jdeen zu setzen, worauf man fast von Wiederherstellung der Wissenschaften her trabet! dies Buch, dieser Autor, diese Menge von Buͤchern soll bilden; das ganze Resultat derselben, die Philosophie unsers Jahrhunderts soll bilden — was hieße das anders, als die Neigungen wecken oder staͤrken, durch die die Menschheit beseligt wird — und welche Kluft, das dies gesche- he! Jdeen geben eigentlich nur Jdeen: meh- rere Helle, Richtigkeit und Ordnung zu den- ken — das ist aber auch alles, worauf man gewiß rechnen kann: denn wie sich das alles nun nun in der Seele mische? was es vor sich sinden und veraͤndern soll? wie stark und daurend diese Veraͤnderung werde? und wie sie sich nun endlich in die tausendgestaltigen Anlaͤsse und Fuͤgungen des menschlichen Le- bens, geschweige eines Zeitalters, eines gan- zen Volks, des ganzen Europa, des ganzen Welt- alls, (wie unsre Demuth waͤhnet), hineinmi- sche und hineinwerfe — ihr Goͤtter, welche andre Welt von Fragen! Ein Mensch, der die kuͤnstliche Denkart unsers Jahrhunderts kennen lernte, laͤse alle Buͤcher, die wir von Kind auf lesen, loben und wie es heißt, uns darnach bilden, sammlete die Grundsaͤtze, die wir alle laut oder schwei- gend zugestehen, auch mit gewissen Kraͤften unsrer Seele bearbeiten u. s. w. wollte hier- aus nun auf das ganze lebendige Triebwerk des Jahrhunderts Schluß machen — erbaͤrm- licher Fehlschuß! Eben weil diese Grundsaͤtze so gaͤng und gaͤbe sind; als Spielwerk von Hand zu Hand, als Mundwerk von Lippe zu Lippe gehen — eben deßwegen wirds wahr- scheinlich, daß sie keine Wuͤrkung mehr thun koͤnnen. Braucht man, womit man spielt? und wenn man des Getreydes soviel hat, daß man man den Acker nicht besaͤet, bepflanzet, son- dern als Kornboden uͤberschuͤtten muß — duͤrrer, trockner Kornboden! kann etwas wurzeln? aufgehen? kommt ein Korn nur in die Erde? Was soll ich Exempel zu einer Wahrheit su- chen, zu der fast alles leider! Exempel waͤ- re — Religion und Moral, Gesetzgebung und gemeine Sitten. Wie uͤberschwemmt mit schoͤnen Grundsaͤtzen, Entwicklungen, Systemen, Auslegungen — uͤberschwemmet, daß fast niemand mehr Boden sieht und Fuß hat — eben deßwegen aber auch nur hinuͤber- schwimmet. Der Theologe blaͤttert in den ruͤhrendsten Darstellungen der Religion, ler- net, weiß, beweißt und vergißt: — zu den Theologen werden wir alle von Kind auf ge- bildet. Die Kanzel schallet von Grundsaͤtzen, die wir alle zugestehen, wissen, schoͤn fuͤhlen, und — auf und neben der Kanzel lassen. So mit Lektuͤre, Philosophie und Moral. Wer ist nicht uͤberdruͤssig sie zu lesen? und welcher Schriftsteller machts nicht schon zum Haupt- geschaͤfte, gut einzukleiden: die unkraͤftige Pille nur schoͤn zu versilbern. Kopf und Herz ist einmal getrennt: der Mensch ist leider! so weit, weit, um nicht nach dem was er weiß, son- dern was er mag, zu handeln. Was hilft dem Kranken alle der Vorrath von Leckerbis- sen, den er mit siechem Herzen nicht genies- sen kann, ja deß Ueberfluß ihn eben siechher- zig machte. — Den Verbreitern des Mediums dieser Bildung koͤnnte man immer die Sprache und den Wahn lassen, als wenn sie „die Mensch- heit „ und insonderheit ja den Philosophen von Paris, daß sie toute l’Europe und tout l’U- nivers bilden — man weiß schon was die Sprache bedeutet? — Ton! conventionelle Phrase! schoͤne Wendung, oder hoͤchstens nuͤtzlicher Wahn. — Aber wenn auch die auf solche Mittel der Letternkultur fallen, die ganz andre Werkzeuge — wann sie eben mit je- nen dem Jahrhundert schoͤnen Dunst geben, Augen auf den Glanz dieses unwuͤrksamen Lichts lenken, um Herzen und Haͤnde frey zu haben, — Jrrthum und Verlust, ihr seyd klaͤglich! — Es gab ein Zeitalter, wo die Kunst der Gesetzgebung fuͤr das einzige Mittel galt, Na- tionen zu bilden, und dieß Mittel auf die son- der- derbarste Art angegriffen, nur meist eine allge- meine Philosophie der Menschheit, ein Ko- dex der Vernunft, der Humanitaͤt — was, weiß ich mehr? werden sollte: die Sache war ohne Zweifel blendender als nuͤtzlich. Aller- dings liessen sich damit alle „ Gemeinsaͤtze des „ Rechten und Guten, Maximen der Men- „schenliebe und Weisheit, Aussichten aus al- „len Zeiten und Voͤlkern fuͤr alle Zeiten, und „ Voͤlker erschoͤpfen„ — fuͤr alle Zeiten und Voͤlker? — und also leider! eben nicht fuͤr das Volk, dem dies Gesetzbuch aufgenommen seyn soll, als sein Kleid. So allgemeines Ab- geschoͤpfte ists nicht auch Schaum vielleicht, der in der Luft aller Zeiten und Voͤlker zer- fließt? und wie anders fuͤr die Adern und Seh- nen seines Volks Nahrung bereiten, daß sie ihm Herz staͤrke, und Mark und Bein er- frische! Zwischen jeden Allgemeingesagten, wenn auch der schoͤnsten Wahrheit — und ihrer minde- sten Anwendung ist Kluft; Und Anwendung am einzigen rechten Orte? zu den rechten Zwecken? auf die einzige beste Weise? — der Solon eines Dorfs, der wuͤrklich nur eine boͤse Gewohnheit abgebracht, nur einen Strom mensch- menschlicher Empfindungen und Thaͤtigkei- ten in Gang gebracht — er hat tausendfach mehr gethan, als all ihr Raisonneurs uͤber die Gesetzgebung, bey denen alles wahr, und al- les falsch — ein elender allgemeiner Schat- te ist. — Es war eine Zeit, da die Errichtung von Akademien, Bibliotheken, Kunstsaͤlen, Bil- dung der Welt hieß — vortreflich! diese Aka- demie ist der Name des Hofes, das wuͤrdige Prytaneum verdienter Maͤnner, eine Unter- stuͤtzung kostbarer Wissenschaften, ein vortref- licher Saal am Geburtsfeste des Monar- chen. — Aber was die nun zur Bildung des Landes, der Leute, der Unterthanen thue? Und wenn sie alles thaͤte — wie fern das Gluͤckse- ligkeit gebe? Koͤnnen diese Bildsaͤnlen, und wenn ihr sie an Weg und Pfosten stellt, jedem Vorbeygehenden in einen Griechen verwandeln, daß er sie so ansehe, so fuͤhle, sich so in ihnen fuͤhle? Schwer! Koͤnnen diese Gedichte, diese schoͤne Vorlesungen nach attischer Art eine Zeit schaffen, wo diese Gedichte und Reden Wunder thaten und wuͤrkten? Jch glaube nein! und die sogenannten Wiederhersteller der Wissenschaften, wenn auch Pabst und Kar- H dinaͤle dinaͤle, liessen immer Apollo, Musen und al- le Goͤtter in den neulateinischen Gedichten spie- len — sie wusten, daß es Spiel war. Die Bildsaͤule Apollo konnte immer neben Chri- sto und der Leda stehen: Alle drey thaten eine Wirkung. — Keine! — koͤnnte die Vor- stellung, der Schauplatz wirklichen roͤmischen Heroismus hervorbringen und Brutus und Kato’s schaffen — glaubt ihr, daß euer Schauplatz stehen? daß eure Kanzel stehen wuͤrde? — Man ballet endlich in den edelsten Wissenschaften Oßa auf den Pelion — grosses Unternehmen! — man weiß beynahe nicht, wo- zu man ballet? Die Schaͤtze liegen da und wer- den nicht gebraucht: wenigstens ists gewiß nicht die Menschheit, die sie jezt brauchet. Es war eine Zeit, da alles auf Erziehung stuͤrmte — und die Erziehung wurde gesetzt in schoͤne Realkenntnisse, Unterweisung, Auf- klaͤrung, Erleichterung ad captum und ja in fruͤhe Verfeinerung zu artigen Sitten. Als wenn alle das Neigungen aͤndern und bilden koͤnnte? Ohne an ein einziges der verachteten Mittel zu denken, wie man gute Gewohnhei- ten, selbst Vorurtheile, Uebungen und Kraͤf- te wiederherstellen oder neu schaffen und da- durch durch allein „bessere Welt„ bilden koͤnnte. — Der Aufsatz, der Plan wurde abgefaßt, ge- druckt, vergessen! ein Lehrbuch der Erzie- hung, wie wir tausend haben! ein Kodex gu- ter Regeln, wie wir noch Millionen haben werden, und die Welt wird bleiben, wie sie ist. Wie anders dachten einst daruͤber die Zei- ten und Voͤlker, da alles noch so enge Na- tional war. Aus dem besondersten einzelnen Beduͤrfnisse stieg jede Bildung herauf und kehr- te dahin zuruͤck — lauter Erfahrung, That, Anwendung des Lebens in dem bestimmtesten Kreise. Hier in der Patriarchenhuͤtte: Dort im engen Ackergebiete, dort in einer kleinen Republik Menschen, wo man alles kennt, fuͤhlt, also auch zu fuͤhlen geben konnte, das menschliche Herz in Hand hatte, und uͤbersahe, was man sprach! da wars also ein guter Vor- wurf, den unser erleuchtetes Jahrhundert den minder erleuchteten Griechen macht, daß sie nichts recht allgemeines und rein abgezognes philosophirt, sondern immer in der Natur klei- ner Beduͤrfnisse, auf einem engen Schauplatz gesprochen haͤtten. Da wars auch angewandt gesprochen, jedes Wort fand Stelle: und in den bessern, Zeiten, da man noch gar nicht H 2 durch durch Worte sprach, durch That, Gewohn- heit, Vorbild, tausendfachen Einfluß — wie anders! Bestimmt, stark, und ewig. Wir sprechen uͤber hundert Staͤnde, Klassen, Zei- ten, Menschengattungen auf einmal, um fuͤr jede nichts zu sprechen: unsre Weisheit so fein und unkoͤrperlich — ist abgezogner Geist, der ohne Gebrauch verfliegt. Dort wars und bliebs Weisheit des Buͤrgers, Geschich- te eines menschlichen Gegenstandes, Saft voll Nahrung. — Wenn meine Stimme also Macht und Raum haͤtte, wie wuͤrde ich allen, die an der Bil- dung der Menschheit wuͤrken, zuruffen: nicht Allgemeinoͤrter von Verbesserung! Papier- kultur! wo moͤglich Anstalten — thun! laßt die reden, und ins blaue des Himmels hin- einbilden, die das Ungluͤck haben, nichts an- ders zu koͤnnen; hat der Liebling der Braut nicht eine schoͤnere Stelle, als der Dichter, der sie singt, oder der Freywerber, der um sie wirbt? Siehe, wer die Menschenfreund- schaft, Voͤlkerliebe und Vatertreue am schoͤn- sten besingen kann, hat vielleicht im Sinne, ihr auf Jahrhunderte den tiefsten Dolchstoß zu geben? Dem Scheine nach der edelste Gesetz- geber, geber, vielleicht der innigste Zerstoͤrer seines Jahrhunderts! Von innerer Verbesserung, Menschheit und Gluͤckseligkeit nicht die Re- de: — er strebte dem Strom des Jahrhunderts nach, ward Heyland des menschlichen Geschlechts nach dem Wahne des Jahrhunderts, erstreb- te sich also auch den kurzen Lohn des allen — welkenden Lorbeer der Eitelkeit, morgen Staub und Asche. — Das grosse, goͤttliche Werk, Menschheit zu bilden — still, stark, verbor- gen, ewig — mit kleiner Eitelkeit konnts nicht graͤnzen! V. Ohne Zweifel wird man, nach dem, was ich geschrieben, den Allgemeinsatz anbringen, daß man immer die Ferne lobe und uͤber die Ge- genwart klage; daß es Kinder sind, die sich in die Ferne des Goldschaums verlieben, und den Apfel, den sie in der Hand dafuͤr hingeben, weil sie jenes nicht kennen — aber vielleicht bin ich dieß Kind nicht. Jch sehe alles Grosse, Schoͤ- ne, und Einzige unsers Jahrhunderts ein, und habe es bey allem Tadel, immer zum Grunde behalten „ Philosophie! ausgebreitete Helle! „mechanische Fertigkeit und Leichtigkeit zum „Erstaunen! Mildheit! „ Wie hoch ist, seit der Wiederherstellung der Wissenschaften unser H 3 Jahr- Jahrhundert darinn gestiegen! mit welchen son- derbar leichten Mitteln auf die Hoͤhe kommen! wie stark hats sie befestigt und fuͤr die Nach- kommenschaft gesichert! — ich glaube Bemer- kungen daruͤber gegeben zu haben, statt der uͤbertriebenen Lobesdeklamation, die man in allen, zumal franzoͤsischen Modebuͤchern findet. — Wahrlich ein grosses Jahrhundert als Mit- tel und Zweck: ohne Zweifel der hoͤchste Gipfel des Baums in Betracht aller vorigen, auf denen wir stehen! Wie haben wir uns so vielen Saft aus Wurzel, Stamm und Ae- sten zu Nutz gemacht, als unsre duͤnnen Gip- felzweige nur fassen koͤnnen! stehen hoch uͤber Morgenlaͤnder, Griechen, Roͤmer, zu- mal uͤber den mittlern gothischen Barbarn! hoch sehen wir also uͤber die Erde! Gewis- sermasse alle Voͤlker und Welttheile unter un- serm Schatten, und wenn ein Sturm zwey kleine Zweige in Europa schuͤttelt, wie bebt und blutet die ganze Welt! Wenn ist je die ganze Erde an so wenig vereinigten Faͤden so allgemein zusammen gegangen, als jetzt? Wenn hat man mehr Macht und Maschi- nen gehabt, mit einem Druck, mit einem Fingerregen ganze Nationen zu erschuͤttern? Alles Alles schwebt an der Spitze zweyer oder drey Gedanken! Zu gleicher Zeit — wenn ist die Erde so allgemein erleuchtet gewesen, als nun? und faͤhrt immerfort mehr erleuchtet zu werden. Wenn voraus die Weisheit immer nur enge National war, und also auch tiefer grub und fester anzog — wie weit gehen jetzt ihre Stra- len! wo wird nicht, was Voltaͤre schreibt, ge- lesen! die ganze Erde leuchtet beynahe schon von Voltaͤrs Klarheit! Und wie scheint dieß immer fortzugehen! Wo kommen nicht europaͤische Kolonien hin, und werden hinkommen! Ueberall werden die Wilden, je mehr sie unsern Brandtwein und Ueppigkeit liebgewinnen, auch unsrer Be- kehrung reif! Naͤhern sich, zumal durch Brandt- wein und Ueppigkeit, uͤberall unsrer Kultur — werden bald, hilf Gott! alle Menschen wie wir seyn! gute, starke, gluͤckliche Menschen! Handel und Pabstthum, wie viel habt ihr schon zu diesen grossen Geschaͤfte beygetragen! Spanier, Jesuiten und Hollaͤnder: ihr men- schenfreundlichen, uneigennuͤtzigen, edlen und H 4 tugend- tugendhaften Nationen! wie viel hat euch in allen Welttheilen, die Bildung der Mensch- heit nicht schon zu danken? Geht das in den uͤbrigen Welttheilen, wie denn nicht in Europa. Schande fuͤr England, daß das Jrrland so lange wild und barba- risch blieb: es ist policirt und gluͤcklich. Schande fuͤr England, daß die Nordschotten so lange ohne Beinkleider giengen: sie tragen sie jetzt wenigstens auf einer Stange mit sich und sind gluͤcklich. Welch Reich hat sich in unserm Jahrhunderte nicht groß und gluͤck- lich gebildet! Ein einziges lag zur Schande der Menschheit in der Mitte da — ohne Aka- demien und Ackerbausocietaͤten, trug Knebel- baͤrte und naͤhrte demnach Koͤnigsmoͤrder. Und siehe da! was — mit dem wilden Corsika das edelmuͤthige Frankreich schon allein uͤber- nommen hatte, — das thaten drey, — Knebel- baͤrte zu Menschen zu bilden wie wir sind! gute, starke, gluͤckliche Menschen! Alle Kuͤnste, die wir treiben, wie hoch ge- stiegen! kann man sich etwas uͤber jene Re- gierungskunst, das System! die Wissenschaft zur zur Bildung der Menschheit denken? Hume politische Schr. Verf. 4. 9. 25. 26. u. seine Gesch. die ganze einzige Triebfeder unsrer Staaten, Furcht und Geld. Ohne Religion (die kin- dische Triebfeder!) ohne Ehre und Seelenfrey- heit und Menschengluͤckseligkeit im mindsten zu brauchen. Wie wissen wir, den einzigen Gott aller Goͤtter, Mammon, als einen zwey- ten Proteus zu erhaschen! und wie zu verwan- deln! und wie alles von ihm zu erzwingen, was wir nur wollen! — hoͤchste gluͤckselige Regierungskunst! — Sehet ein Kriegsheer! das schoͤnste Urbild menschlicher Gesellschaft! Alle wie bunt und leicht gekleidet, leicht genaͤhret, harmonisch den- kend, frey und bequem in allen Gliedern! edel sich bewegend! Wie helle trefliche Werkzeuge in ihrer Hand! Summe von Tugenden, die sie bey jeder taͤglichen Handhabung lernen — ein Bild der hoͤchsten Vortreflichkeit des Menschengeistes, und der Regierung der Welt — Resignation! Gleichgewicht von Europa! du grosse Er- findung, von der kein Zeitalter vorher wußte! H 5 wie wie sich jetzt diese grossen Staatskoͤrper, in de- nen ohne Zweifel die Menschheit am besten ge- pflegt werden kann, an einander reiben, ohne sich zu zerstoͤren, und je zerstoͤren zu koͤnnen, wie wir so traurige Beyspiele an der elenden Staatskunst der Gothen, Hunnen, Vanda- len, Griechen, Perser, Roͤmer, kurz aller Zei- ten vor uns haben! und wie sie ihren edlen Koͤnigsgang fortgehen, diese Wassertonne voll Jnsekten, in sich zu schlucken, um Einfoͤrmig- keit, Friede und Sicherheit zu schaffen. Arme Stadt? gequaͤltes Dorf? — heil uns! zu Auf- rechthaltung des Gehorsams, des Friedens und der Sicherheit, aller Kardinaltugenden und Gluͤckseligkeiten, Soͤldner! Verbundete! Gleichgewicht Europa’s! Es wird und muß, heil uns! ewige Ruhe, Friede, Sicherheit und Gehorsam in Europa bleiben. Da duͤrfen nur unsre politische Geschicht- schreiber und historische Epopeendichter der Monarchie, das Wachsthum dieses Zustan- des von Zeit zu Zeit malen! Robertsons Gesch. Karls 5, die Einleitung davon dieß nur ein treuer Auszug ist, mit etwanigem Urtheil uͤber sein Urtheil. Τα- ρασσες τους ανδρωπους ου τα πραγματα, αλλα τα περι πραγματων δογματα. Ευριπ. „Einst, trau- rige „rige Zeiten! da man blos nach Beduͤrfniß „und eignem Gefuͤhl etwa handelte: trauri- „ gere Zeiten, da die Macht der Regenten, „gar noch nicht Schrankenlos, und traurigste „Zeiten unter allen, da ihre Einkuͤnfte noch „nicht ganz willkuͤhrlich waren — da — wie „wenig gibts fuͤr den philosophischen Epo- „ peengeschichtschreiber allgemein zu raisonni- „ren, oder ins Ganze von Europa hinzuma- „ len! keine Armeen, die vermoͤgend waͤren, „ferne Graͤnzen zu beunruhigen, kein Landes- „ herr, der aus seinem Lande koͤnnte, zu ero- „bern: also alles nur auf elende Gegenwehr „und Selbstvertheidigung angelegt: keine „ Politik! kein Blick auf ferne Zeiten und „ Laͤnder, keine Spekulation in den Mond! „also keine Verbindung der Laͤnder durch diese „menschenfreundlichen Naͤchstenblicke — kurz, „kein — und das ist das Wort fuͤr den neusten „hoͤchsten Geschmack! — kein gesellschaftli- „ ches Leben in Europa. Gottlob! seitdem „ einzelne Kraͤfte und Glieder des Staats „abgethan, Adel durch Staͤdte, Staͤdte durch „freygelaßnes Land, und Adel, Staͤdte und „freygelaßnes Land durch Voͤlker so glorreich „ gegen - und uͤberwogen, in das Wunderding „Maschinen hineingelenkt sind, niemand mehr von „von Selbstgerechtigkeit, Selbstwuͤrde und „ Selbstbestimmung weiß und wissen darf — „Heil uns, welch gesellschaftliches Leben in „Europa! Wo der Monarch den Staat so ganz „in seiner Macht hat, daß dieser ihm nicht „mehr Zweck, sondern auswaͤrtiges Handeln „ durch ihn Zweck ist — wo er also so weit „ sieht, rechnet, rathschlaget, handelt, jeder „durch Winke, von denen er nichts versteht „und weiß, zum Enthusiasmus geruͤhrt und „ geleitet werden, kein Staat ohne den Blick, „des andern, eine Pflaumfeder aufheben „darf — ohne daß von der fernesten Ursache „fich allgemeiner Aderlaß in allen Welttheilen „von selbst beschließe! Große Allgemeinheit! „wie gedrungene menschliche, leidenschaftlose „Kriege daher entspringend! wie gerechte, „ menschliche, billige Unterhandlungen daher „entspringend!„ Und wie wird die hoͤchste Tu- gend, die Resignation, jedes Einzelnen da- bey befoͤrdert — hohes gesellschaftliches Le- ben in Europa! Und durch wie glorreiche Mittel Noch immer blos aus Robertson Auszug. man da- hin gekommen! „daß die Macht der Monar- „chie „chie in gleichem Schritt mit der Entkraͤftung „einzelner Glieder und der Staͤrke des Soͤld- „ nerstandes gewachsen! durch welche Mit- „tel sie ihre Vorrechte erweitert, ihre Ein- „kuͤnfte gemehret, ihre innern Feinde unter- „ jocht oder gelenkt, ihre Grenzen verbreitet — „das zeigt die mittlere und neuere, insonder- „heit die Vorgaͤngerin von ganz Europa, die „ franzoͤsische Geschichte.„ Glorreiche Mittel, und der Zweck wie groß: Waage Europa’s! Gluͤckseligkeit Europa’s! Auf der Waage und in der Gluͤckseligkeit bedeutet jedes einzelne Sandkorn ohne Zweifel viel! — — „Unser System des Handels!„ Ob man sich etwas uͤber das Verfeinte der allumfassenden Wissenschaft denke? Was warens fuͤr elende Spartaner, die ihre Heloten zum Ackerbau brauchten, und fuͤr barbarische Roͤmer, die ihre Sklaven in die Erdgefaͤngnisse einschlossen! Jn Europa ist die Sklaverey abgeschaft, Millar uͤber den Unterschied der Staͤnde Hauptst. 5. weil berechnet ist, wie viel diese Sklaven mehr ko- steten und weniger braͤchten, als freye Leute: Nur Eins haben wir uns noch erlaubt, drey Welt- Welttheile als Sklaven zu brauchen, zu ver- handeln, in Silbergruben und Zuckermuͤhlen zu verbannen — aber das sind nicht Euro- paͤer, nicht Christen, und dafuͤr bekommen wir Silber und Edelgesteine, Gewuͤrze, Zucker und — heimliche Krankheit: also des Handels wegen und zur wechselseitigen Bruderhuͤlfe und Gemeinschaft der Laͤnder. „System des Handels„ — Das Große und Einzige der Anlage ist offenbar! Drey Welt- theile durch uns verwuͤstet und policiret, und wir durch sie entvoͤlkert, entmannet, in Ueppig- keit, Schinderey und Tod versenkt: das ist reich ge- handelt und gluͤcklich. Wer ist der nicht an der großen Ziehwolke, die Europa aussaugt, An- theil haben? sich in sie draͤngen, und kann er nicht andere, seine eigne Kinder als groͤßter Handelsmann entleeren muͤßte? — Der alte Name, Hirt der Voͤlker, ist in Monopolisten verwandelt — und wenn die ganze Wolke mit hundert Sturmwinden denn bricht — — gros- ser Gott Mammon, — dem wir alle jetzt dienen, hilf uns! — „ Lebensart und Sitten! „ wie elend, als es noch Nationen und Nationalcharakter gab: Hume vermischte Schr. Th. 4. XXIV. was was fuͤr wechselseitiger Haß, Abneigung ge- gen die Fremden, Festsetzung auf seinen Mit- telpunkt, vaͤterliche Vorurtheile, Hangen an der Erdscholle, an der wir gebohren sind und auf der wir verwesen sollen! Eeinheimische Denkart! enger Kreis von Jdeen — ewige Barbarey! bey uns sind Gottlob! alle Na- tionalcharaktere ausgeloͤscht! wir lieben uns alle, oder vielmehr keiner bedarfs den andern zu lieben; wir gehen mit einander um, sind einander voͤllig gleich — gesittet, hoͤflich, gluͤckselig! haben zwar kein Vaterland, keine Unsern fuͤr die wir leben; aber sind Men- schenfreunde und Weltbuͤrger. Schon jetzt alle Regenten Europa’s, bald werden wir alle die franzoͤsische Sprache reden! — Und denn — Gluͤckseligkeit! es faͤngt wieder die guͤldne Zeit an, „da hatte alle Welt einerley Zunge und „ Sprache! wird Eine Heerde und Ein Hirte „ werden! „ Nationalcharaktere, wo seyd ihr? „ Lebensart und Sitten Europa’s! Wie spaͤt reifte in den gothischen Zeiten des Chri- stenthums die Jugend: Kaum im dreysigsten Jahre muͤndig: man verlohr den halben Theil seines Lebens in einer elenden Kindheit. Phi- losophie, Erziehung und gute Sitten welche neue neue Schoͤpfung habt ihr geschaffen! Wir sind jetzt im dreyzehnten Jahre reif, und durch stumme und laute Suͤnden im zwanzigsten ver- bluͤhet. Wir genießen das Leben, recht in der Morgenroͤthe und schoͤnsten Bluͤthe! „ Lebensart und Sitten Europa’s! „ Wel- che gothische Tugend, Bescheidenheit, ju- gendliche Bloͤdigkeit, Schaam! Hurts Gespraͤche uͤber das Reisen. Fruͤhe werden wir des zweydeutigen, unbehuͤflichen Mantels der Tugend los; Gesellschaften, Frau- enzimmer, (die nun am meisten bey Schaam entbehren! und die sie auch am wenigsten noͤ- thig haben!) selbst unsere Aeltern wischen sie uns fruͤhe von den Wangen. Oder wenn das nicht, Lehrmeister guter Sitten! wir gehen auf Reisen, und wer wird sein ausgewachsenes Kleid der Kindheit, außer Mode und Anstand wieder bringen? Wir haben Dreustigkeit, Ton der Gesellschaft, Leichtigkeit uns alles zu be- dienen! schoͤne Philosophie! „ Zaͤrtlichkeit „ des Geschmacks und der Leidenschaften! „ Hume pol. Vers. 1. 17. 23. Jmmer waren Griechen und Roͤmer in ihrem Geschmacke noch wie grob! hatten am wenig- sten sten den Ton des Umgangs mit dem schoͤnen Geschlechte! Plato und Cicero konnten Baͤnde Gespraͤche uͤber Metaphysik und maͤnnliche Kuͤn- ste schreiben und es sprach nie ein Weib. Wer sollte bey uns ein Stuͤck und wenn’s auch Philoktet auf seiner wuͤsten Jnsel waͤre, ohne Liebe aushalten! Voltaͤre — aber man lese, wie ernstlich er selbst fuͤr der Nachfolge gewarnet. Frauenzimmer sind unser Publi- kum, unsre Aspasien des Geschmacks und der Philosophie. Wir wissen, kartesianische Wir- bel und newtonische Attraktionen in ein Schnuͤr- leib einzukleiden: schreiben Geschichte, Pre- digten und was nicht mehr? fuͤr und als Weiber. Die feinere Zaͤrtlichkeit unsers Ge- schmacks ist bewiesen. „Schoͤne Kuͤnste und Wissenschaften!„ Hume Vers. Th. 4. XVI, XVII, Voltaire siecle de Louis XIV, XV, und XX, und die Heere Panegyristen der neuen Litteratur. Die groͤbern haben freylich die Alten, und zwar die elende unruhige Regimentsform, kleine Republiken ausbilden koͤnnen: aber seht auch wie grob jene Beredsamkeit Demosthenes! jenes J jenes griechische Theater! grob selbst jene gepriesene Anticke! Und mit ihrer Malerey und Musik ists gar nur aufgedunsnes Maͤhr- chen und Zetergeheul gewesen. Die feinere Bluͤthe der Kuͤnste hat auf die gluͤckselige Mo- narchie gewartet! An den Hoͤfen Ludwigs copirte Corneille seine Helden, Racine seine Empfindungen: man erfand eine ganz neue Gattung der Wahrheit, der Ruͤhrung und des Geschmacks, von der die fabelhaften, kalten, prachtlosen Alten nichts gewußt — die Opera. Heil dir Oper! du Sammelplatz und Wettei- fer aller unserer schoͤnen Kuͤnste! Jn der gluͤckseligen Monarchie wars, wo’s noch Erfindungen gab. Voltaire siecle de Louis 14. Man erfand statt der alten pedantischen Universitaͤten, glaͤnzende Akademien. Boßvet erfand eine Geschichte, ganz Deklamation und Predigt und Jahr- zahlregister, die den einfaͤltigen Xenophon und Livius so weit uͤbertraf: Bourdaloue erfand seine Redegattung, wie besser als De- mosthen! Man erfand eine neue Musik, — Harmonie, die keiner Melodie bedurfte, eine neue Baukunst, was jeder unmoͤglich geglaubt, eine eine neue Saͤule — und was die Nachwelt am meisten bewundern wird, eine Architektur auf der Fluͤhe und mit allen Produktionen der Natur — das Gartenwesen! Voll Propor- tionen und Symmetrie! Voll ewigen Genus- ses und ganz neue Natur ohne Natur, Heil uns! was konnten wir allein unter der Mo- narchie erfinden! Am spaͤtsten fieng man an zu philosophi- ren. Disc. prelim. Von der Encyklopaͤdie, Vol- taire tableau encyclopedique des connoissan- ces humaines. Und wie neu! ohne System und Grundsaͤtze, daß es frey bliebe, immer zu an- drer Zeit auch das Gegentheil zu glauben. Ohne Demonstration! in Witz gehuͤllet: denn „alle strenge Philosophie hat nie die Welt ge- „bessert.„ Hume Vers. Th. I. Abh. I. Endlich gar — herrliche Er- findung! — in Memoirs und Woͤrterbuͤchern, wo jeder lesen kann, was und wie viel er will — und die herrlichste der herrlichen Er- findungen, das Woͤrterbuch, die Encyklo- paͤdie aller Wissenschaften und Kuͤnste. „Wenn einst durch Feuer und Wasser alle Buͤ- J 2 „cher, „cher, Kuͤnste und Wissenschaften untergehen; „aus und an dir, Encyklopaͤdie! hat der „ menschliche Geist alles! „ Was die Buch- druckerkunst den Wissenschaften, ist die En- cyklopaͤdie der Buchdruckerkunst geworden: Disc. prelim. und Melange de litt. p. d’além- bert. T. I. IV. hoͤchster Gipfel der Ausbreitung, Vollstaͤndig- keit und ewigen Erhaltung. Nun sollte ich noch das Beste, unsre unge- heuren Fortschritte in der Religion ruͤhmen. Da wir gar die Lesarten der Bibel aufzuzaͤhlen angefangen! in den Grundsaͤtzen der Ehre, seit- dem wir das laͤcherliche Ritterthum ab g e- schaft, und Ordens zu Leitbaͤndern der Kna- ben und Hofgeschenken erhoben — am mei- sten aber unsern hoͤchsten Gipfel von mensch- licher — Vater-Weibs- und Kindestugen- den ruͤhmen — aber wer kann in einem sol- chen Jahrhunderte, als das unsere ist, alles ruͤhmen. Gnug wir sind „ Gipfel des Baums! „in himmlischer Luft webend: die goldne Zeit „ist nahe!„ Drit- Dritter Abschnitt . Zusaͤtze . D ie Himmelsluft ist so erquickend, daß man gern zu lange uͤber Wipfel und Baͤumen schwebet: hinunter an den traurigen Boden, um etwa aufs Ganze oder Nichtganze einen Blick zu werfen. Großes Geschoͤpf Gottes! Werk dreyer Welttheile, und fast sechs Jahrtausende! die zarte saftvolle Wurzel, der schlanke, bluͤhende Sproͤßling, der maͤchtige Stamm, die stark- strebende verschlungne Aeste, die luftigen weit verbreiteten Zweige — wie ruhet alles auf einander, ist aus einander erwachsen. — Gros- ses Geschoͤpf Gottes! aber wozu? zu wel- chem Zwecke? Daß offenbar dies Erwachsen, dieser Fort- gang aus einander nicht „ Vervollkommung „im eingeschraͤnkten Schulsinne sey, hat, duͤnkt „mich, der ganze Blick gezeigt.„ Nicht mehr J 3 Saa- Saamenkorn, wenns Sproͤßling, kein zar- ter Sproͤßling mehr, wenns Baum ist. Ue- ber dem Stamm ist Krone; wenn jeder Ast, jeder Zweig derselben Stamm und Wurzel seyn wollte — wo bliebe der Baum? Ori- entalier, Griechen, Roͤmer waren nur ein- mal in der Welt; sollten die elektrische Kette, die das Schicksal zog, nur in Einem Punkte, auf Einer Stelle beruͤhren! — Wir also, wenn wir Orientalier, Griechen, Roͤmer auf Ein- mal seyn wollen, sind wir zuverlaͤßig Nichts. „Jn Europa soll jetzt mehr Tugend seyn, „als je in aller Welt gewesen?„ Und warum, weil mehr Aufklaͤrung darinn ist — ich glau- be, daß eben deshalb weniger seyn muͤsse. Was ists, wenn man auch nur die Schmeich- ler ihres Jahrhunderts fraͤgt, was ist diese mehrere Tugend Europa’s, durch Aufklaͤ- rung? — „Aufklaͤrung!„ Wir wissen jetzt „so vielmehr, hoͤren, lesen so viel, daß wir so „ ruhig, gedultig, sanftmuͤthig, unthaͤtig „sind. — Freylich — freylich — zwar — „und auch das noch; aber bey allem bleibt „doch der Grund unsrer Herzen immer so weich! „ Ewige Suͤßler, das heißt alles ja, wir sind dort dort oben die duͤnnen, luftigen Zweige, frey- lich bebend, und flisternd bey jedem Winde; aber spielt doch der Sonnenstral so schoͤn durch uns! stehn uͤber Ast, Stamm und Wurzel so hoch, sehen so weit und — ja nicht ver- gessen, koͤnnen so weit und schoͤn flistern! Ob man nicht saͤhe, daß wir alle Laster und Tugenden der vergangenen Zeit nicht haben, weil wir — durchaus nicht ihren Stand, Kraͤfte und Saft, Raum und Element ha- ben. Freylich kein Fehler, aber was erluͤgt man sich denn auch daraus, Lob, Ungereimt- heiten von Anmaßung? Was taͤuscht man sich mit unsern Mitteln der Bildung, als ob die das ausgerichtet? und nimmt alles zusam- men, sich uͤber den Tand seiner eignen Wich- tigkeit zu hintergehen? Warum endlich traͤgt man den „Roman einseitiger Hohnluͤge „ denn in alle Jahrhunderte, verspottet und verun- ziert damit die Sitten aller Voͤlker und Zeit- laͤufte, daß ein gesunder, bescheidner, unein- genommner Mensch ja fast in allen so genannt pragmatischen Geschichten aller Welt, nichts endlich mehr, als den ekelhaften Wust des „ Preisideals seiner Zeit „ zu lesen, bekommt. Der ganze Erdboden wird Misthaufe, auf J 4 dem dem wir Koͤrner suchen und Kraͤhen! Philo- sophie des Jahrhunderts! „Wir haben keine Strassenraͤuber, keine „ Buͤrgerkriege, keine Unthaten mehr„ — aber wo? wie? und warum sollten wir sie ha- ben? Unsre Laͤnder sind so wohl policirt, mit Landtraßen verhauen, mit Besatzungen ver- propft, Aecker weislich vertheilt, die weise Justitz so wachsam — wo soll der arme Spitz- bube, wenn er auch Muth und Kraft zu dem rauhen Handwerke haͤtte, es treiben? warum es aber auch treiben? Er kann ja nach den Sitten unsers Jahrhunderts auf eine weit be- quemere, gar ehrwuͤrdige und glorreiche Weise Haus-Kammer- und Bettraͤuber werden — in diesen Bedienungen vom Staate besolder wer- den, — warum sich nicht lieber besolden las- sen? Warum das unsichre Handwerk — zu dem er — und darauf kommts hinaus — weder Muth noch Kraft, noch Gelegenheit hat? Gna- de Gott eurer neuen, freywilligen Tugend! Haben wir „keine buͤrgerlichen Kriege, „ weil wir alle so zufriedene, allgesaͤttigte, gluͤckliche Unterthanen sind? Oder ists nicht eben aus Ur- sachen, die oft gerade das Gegentheil beglei- ten? ten? Kein Laster — weil wir alle so viel hin- reißende Tugend, Griechenfreyheit, Roͤmer- patriotism, Morgenlandsfroͤmmigkeit, Rit- terehre, und alle im groͤßten Maaße — oder ists nicht gerade, weil wir der allen keine ha- ben, und leider also auch ihre einseitige, ver- theilte Laster nicht haben koͤnnen. Duͤnne schwankende Aeste! Und als solche, ists freylich mit unser Vor- zug, „eben der matten, kurzsichtigen, all- „verachtenden, allein selbstgefaͤlligen, nichts „ausrichtenden und eben in der Unwuͤrksam- „keit trostvollen Philosophie„ faͤhig zu seyn. Morgenlaͤnder, Griechen und Roͤmer, warens nicht. Als solcher, ists unser Vorzug, unsre Mit- tel der Bildung so bescheiden zu schaͤtzen und anzurechnen. Geistlicher Stand, daß die Welt nie so menschlich, theologisch aufgeklaͤrt: Weltlicher Stand, daß sie nie so menschlich, einfoͤrmig gehorsam- und ordnungsvoll: unsre Gerechtigkeit, daß sie nie so menschlich und friedeliebend — endlich unsre Philoso- phie, daß sie nie so menschlich und goͤttlich gewesen sey als jetzt — durch wen? — da J 5 zeigt zeigt jeder auf sich! „Wir sind die Aerzte, die „ Heilande, die Aufklaͤrer, die neuen Schoͤp- „ fer — die Zeiten des tollen Fiebers sind vor- „bey„ — Nun ja Gottlob! und der schwind- suͤchtige Kranke liegt da so ruhig im Bette, wimmert und — — danket! dankt; aber ob er auch danke? Und wenn ers thaͤte; eben die- ser Dank koͤnnte er nicht als Kennzeichen sei- ner Verfallenheit, Kleinmuth, und der za- gendsten Menschheit eben gelten? Wie wann so gar Empfindung eines andern bessern mit dem Genuße entflohen waͤre? daß ich mich selbst, da ich dies schreibe, vielleicht den giftigsten, hoͤnischsten Seitabverzerrungen aussetze? Wenns eben schon gnug waͤre, daß wir den- ken, haben Manufakturen, Handel, Kuͤnste, Ruhe, Sicherheit und Ordnung — Unsre Regierungen mit nichts mehr in sich zu kaͤmp- fen: unsre Staatsverfassungen werden groß! — so weiten Blick umher! — so weit um- her, so ferne voraus spielend — Welche Zeit konnte das? — Also! so sprechen unsre Staats- Handels- und Kunstgeschichte. — Man glaubt Satyre zu lesen, und man liest nichts, als treue Denkart. Was lohnts, daß ich weiter rede? Wenns blos Sieche waͤre; und nicht zugleich Hinderniß, das jedes Mittel dagegen auf- aufhebet! — im Todesschweiße aber mit Opium traͤumen: warum den Kranken stoͤren, ohne daß man ihm hilft. Also vielmehr, was dem Kranken auch mehr gefallen wird. Wir sind bey dieser Fortruͤ- ckung freylich auch auf unsrer Stelle, Zweck und Werkzeug des Schicksals. Gemeiniglich ist der Philosoph alsdenn am meisten Thier, wenn er am zuverlaͤßigsten Gott seyn wollte: so auch bey der zuversichtlichen Berechnung von Vervollkommung der Welt. Daß doch ja alles huͤbsch in gerader Linie gien- ge, und jeder folgende Mensch und jedes fol- gende Geschlecht in schoͤner Progreßion, zu der er allein den Exponenten von Tugend und Gluͤckseligkeit zu geben wuste, nach seinem Jdeal vervollkommet wuͤrde! da trofs nun immer auf ihn zuhinterst: er das lezte, hoͤchste Glied, bey dem sich alles endigt. „Sehet zu solcher „Aufklaͤrung, Tugend, Gluͤckseligkeit ist die Welt „gestiegen! ich, hoch auf dem Schwengel! das „ goldne Zuͤnglein der Weltwaage: sehet „mich!„ Und Und der Weise bedachte nicht, was ihn doch das leiseste Echo von Himmel zu Erde haͤtte lehren muͤssen, daß wahrscheinlich immer Mensch Mensch bleibe, nach der Analogie aller Din- ge nichts als Mensch! Engel und Teufelge- stalt im Menschen — Romangestalten! — Er nichts als das Mittelding zwischen! trozig und verzagt, in Beduͤrfniß strebend, in Unthaͤtig- keit und Ueppigkeit ermattend, ohne Anlaß und Uebung Nichts, durch sie allmaͤhlig fort- schreitend beynah alles — Hieroglyphe des Guten und Boͤsen, wovon die Geschichte voll ist — Mensch! — immer nur Werkzeug! Bedachte nicht, daß dieß verborgne Doppel- geschoͤpf tausendfach modificirt werden koͤnne und nach dem Bau unsrer Erde fast muͤße; daß es eine Schoͤpfung von Klima, Zeitum- staͤnden, mithin National- und Sekulartu- genden gebe, Bluͤthen, die unter dem Himmel wachsen und fast von nichts gedeihen, dort aussterben oder elend falben (eine Physik der Geschichte, Seelenlehre und Politik, woran ja unser Jahrhundert schon so viel gedichtet und gebruͤtet hat!) daß es dieß alles geben koͤnne und muͤsse, von innen aber unter der vielfach veraͤnderten Schlaube immer noch derselbe Kern Kern von Wesen und Gluͤckfaͤhigkeit auf- bewahrt seyn koͤnne, und nach aller menschli- chen Erwartung fast seyn werde. — Bedachte nicht, daß es unendlich mehr Fuͤrsorge des Allvaters zeige, wenn dieß ge- schaͤhe; wenn in der Menschheit ein unsicht- barer Keim der Gluͤcks- und Tugendempfaͤng- lichkeit auf der ganzen Erde und in allen Zeit- altern liege, der verschiedlich ausgebildet, zwar in verschiednen Formen erscheine, aber inner- lich nur ein Maas und Mischung von Kraͤften. — Bedachte endlich nicht, — allwissendes Geschoͤpf! — daß mit dem Menschengeschlecht ein groͤsserer Plan Gottes im Ganzen seyn koͤnne, den eben ein einzelnes Geschoͤpf nicht uͤbersiehet, eben weil nichts auf etwas blos einzelnes, zumal nicht auf den Philosophen oder Thronsitzer des achtzehnden Jahrhun- derts als letzte Endlinie liefe, — weil etwa noch alle Scenen, in deren jedem jeder Schau- spieler nur Rolle hat, in der er streben und gluͤcklich seyn kann — alle Scenen noch etwa ein Ganzes, eine Hauptvorstellung machen koͤnnen, von der freylich der einzelne, eigen- nuͤtzige nuͤtzige Spieler nichts wissen und sehen, die aber der Zuschauer im rechten Gesichtspunkte und in ruhiger Abwartung des Folgeganzen wohl sehen koͤnnte. — Siehe das ganze Metall von Himmel zu Erde — was ist Mittel? was ist Zweck? nicht alles Mittel zu Millionen Zwecken? nicht al- les Zweck von Millionen Mitteln? Tausend- fach die Kette der allmaͤchtigen, allweisen, Guͤ- te in und durch einandergeschlungen: aber je- des Glied in der Kette an seinem Orte Glied — haͤngt an Kette und sieht nicht wo endlich die Kette hange. Jedes fuͤhlt sich im Wahne als Mittelpunkt, fuͤhlt alles im Wahne um sich nur so fern als es Stralen auf diesen Punkt, oder Wellen geußt, schoͤner Wahn! die grosse Kreislinie aber aller dieser Wellen, Stralen und scheinbaren Mittelpunkte — wo? wer? wozu? Jn der Geschichte des menschlichen Ge- schlechts waͤrs anders? auch mit allen Wel- len und Folgezeiten anders, als eben der „Bau- plan allmaͤchtiger Weisheit?„ Wenn das Wohnhaus bis aufs kleinste Behoͤr „ Gottes- gemaͤlde „ zeiget — wie nicht die Geschichte seines seines Bewohners? Jenes nur Dekoration! Gemaͤlde in einem Auftritte, Ansicht! Dieß ein „ unendliches Drama von Scenen! Epo- „ pee Gottes durch alle Jahrtausende Welt- „ theile und Menschengeschlechte, tausendge- „staltige Fabel voll eines grossen Sinns! — Daß dieser Sinn, dieser Allanblick wenig- stens ausser dem Menschengeschlechte liegen muͤsse — Jnsekt einer Erdscholle, siehe wieder auf Himmel und Erde! findest du im ganzen todt und lebendig, auf einmal webenden Welt- all dich den ausschließenden Mittelpunkt, auf den alles wuͤrke? oder wuͤrkest du nicht selbst mit wo? wie? und wenn? (Wer hat dich darum gefragt?) zu hoͤhern dir unbekannten Zwecken! zu Zwecken, zu denen der Morgen- stern und die kleine Wolke, neben ihm du und der Wurm mitwuͤrkt, den du jetzt zertrittst! das nun in der grossen, allweiten Zusammen- welt eines Augenblicks unleugbar und uner- forschlich: in der grossen, allweiten Folgewelt, in allen Begebenheiten und Fortwickelungen des Menschengeschlechts, in dem Drama, voll Weisheit und Knote des Erfinders, kannst du da etwas minder und anders vermuthen? Und wenn dir das Ganze ein Labyrinth waͤre, mit mit hundert Pforten verschlossen, mit hundert geoͤfnet — der Labyrinth ist „ Pallast Got- „ tes, zu seiner Allerfuͤllung, vielleicht zu sei- „ nem Lustanblicke, nicht zu deinem !„ Abgrund die ganze Welt, der Anblick Gottes in einem Momente. — Abgrund, worinn ich von allen Seiten verloren stehe! sehe ein gros- ses Werk ohne Namen, und uͤberall voll Na- men! voll Stimmen und Kraͤfte! Jch fuͤh- le mich nicht an dem Orte, wo die Harmonie aller dieser Stimmen in ein Ohr toͤnt, aber was ich hier an meinem Orte von verkuͤrztem, ver- wirrendem Schalle hoͤre, so viel weiß und hoͤre ich gewiß, hat auch was harmonisches! toͤnt auch zu Lobgesang im Ohre dessen, fuͤr den Raum und Zeit nichts sind. — Men- schenohr, weilet wenige Augenblicke, hoͤrt auch nur wenige Toͤne, oft nur ein ver- druͤßliches Stimmen von Mißtoͤnen, denn es kam dieß Ohr eben zur Zeit des Stim- mens und traf ungluͤcklicher Weise vielleicht in den Wirbelwind eines Winkels. Der aufge- klaͤrte Mensch der spaͤtern Zeit, Allhoͤrer nicht blos, will er seyn, sondern selbst der letzte Sum- menton aller Toͤne! Spiegel der Allvergan- genheit, und Repraͤsentant des Zwecks der Kom- Komposition in allen Scenen! — das alt- kluge Kind laͤstert; ey wenns vielleicht gar nur Nachhall des letzten uͤbriggebliebnen Sterbe- lauts waͤre, oder ein Theil des Stimmens! — Unter dem grossen Baume Allvaters Eine grosse Vorstellung der nordischen Edda! des- ten Gipfel uͤber alle Himmel, dessen Wurzeln un- ter Welten und Hoͤlle reichen: bin ich Adler auf diesem Baume? bin der Rabe, der auf sei- ner Schulter ihm taͤglich den Abendgruß der Welten zu Ohr bringt? — welch eine kleine Laubfaser des Baums mag ich seyn! kleines Komma oder Strichlein im Buche aller Welten! Was ich auch sey! Ruf von Himmel zu Er- de, daß wie alles, so auch ich an meiner Stelle etwas bedeute. Mit Kraͤften ausgespart zum Ganzen, und ja nur mit Gefuͤhl der Gluͤck- seligkeit auch nach Maas dieser Kraͤfte! Wer meiner Bruͤder hatte Vorrecht ehe er war? und wenns Zweck und Zusammenstimmung des Hausraths foderte, daß er Gold- ich Er- degefaͤß wurde — ich nun eben Erdegefaͤß auch in Zweck, Klang, Dauer, Gefuͤhl und Tuͤch- K Tuͤchtigkeit, kann ich mit dem Werkmeister streiten? Jch bin nicht uͤbergangen, niemand vorgezogen; Fuͤhlbarkeit, Thaͤtigkeit und Tuͤch- tigkeit des Menschengeschlechts ist vertheilt. Hier reißt der Strohm ab, dort setzt er an. Wem viel gegeben ist, der hat auch viel zu leisten. Wer mit viel Sinnen erquickt wird, hat mit viel Sinnen zu streben — Jch glau- be nicht, daß ein Gedanke, mit dem was er sagt und verschweigt, was er in Ansicht gibt und woruͤber er Himmelsdecke ziehet, groͤssere Empfindung gebe, als dieser, im Lichte der gan- zen Geschichte! — Daß er darinn erscheine, dahin laͤuft wenig- stens mein Wunsch, die grosse olymbische Renn- bahn! Jst unser Zeitalter in irgend einer Ab- sicht edel nutzbar, so ists „seine Spaͤte, seine „ Hoͤhe, seine Aussicht! „ Was Jahrtausende durch, auf dasselbe bereits zubereitet worden! wodurch es wieder in so hoͤherm Sinn auf ein anderes zubereite! die Schritte gegen und von ihm — Philosoph, willt du den Stand deines Jahrhunderts ehren und nutzen: das Buch der Vorgeschichte liegt vor dir! Mit sieben Siegeln Siegeln verschlossen; ein Wunderbuch voll Weissagung: auf dich ist das Ende der Ta- ge kommen! lies! Dort Morgenland! die Wiege des Men- schengeschlechts, menschlicher Neigungen und aller Religion. Wenn Religion in aller kal- ten Welt verachtet und vergluͤht seyn sollte: ihr Wort dorther Feuer- und Flammengeist dort- her webend. Das verachtete Buch — die Bibel! Mit Vaterwuͤrde und Einfalt, die insonderheit noch immer „das Herz „des unschuldigen Kindes „ wegfuͤhrt! Kind- heit des Geschlechts wird auf Kindheit jedes Jndividuum wuͤrken: der lezte Unmuͤndige noch im ersten Morgenlande geboren! — Die Juͤnglinge aller sogenannten feinen Lit- teratur und Kunst, sind die Griechen: was wei- ter liegt, ist dem Gesichte des Jahrhunderts vielleicht zu tief, zu kindisch; aber sie in der rechten Morgenroͤthe der Weltbegebenheiten, was haben sie auf all’ ihre Nachzeit ge- wuͤrkt! — Die schoͤnste Bluͤthe des mensch- lichen Geistes, des Heldenmuths, der Va- terlandsliebe, des Freygefuͤhls, der Kunst- K 2 lieb- liebhaberey, des Gesanges, des Tons der Dichtung, des Lauts der Erzaͤhlung, des Donners der Beredtsamkeit, des Aufbruchs aller buͤrgerlichen Weisheit, wie es jetzt ist, ist ihr. Sie dahingestellet: ihnen Himmel, Land, Verfassung, ein gluͤcklicher Zeitpunkt ge- geben: sie bildeten, erfanden, nannten: Wir bilden und nennen noch nach — ihr Jahrhun- dert hat ausgerichtet! — Aber nur einmal ausgerichtet! da Menschengeist mit allen Kraͤf- ten es zum zweytenmal wecken wollte — der Geist war Staub; der Sproͤßling blieb Asche: Griechenland kam nicht wieder. Roͤmer, die ersten Sammler und Austhei- ler der Fruͤchte, die anderweit vorher gewach- sen, jetzt reif in ihre Haͤnde fielen. Zwar mußten sie Bluͤthe und Saft an seinem Orte lassen: Aber Fruͤchte theilten sie doch aus: Reliquien der uralten Welt im Roͤmerklei- de, nach Roͤmerart, in Roͤmersprache — wie, wenn alles unmittelbar aus Griechen- land gekommen waͤre? Griechengeist, Grie- chenbildung, Griechensprache? — wie alles anders in Europa! — Es sollte nicht! Grie- chenland, noch so entfernt dem Norden, in seinem schoͤnen Archipelagus von Weltgegend: der der menschliche Geist in ihm, noch so schlank und zart — wie sollt er mit allen Voͤlkern ringen? ihnen, seine Nachfolge aufzwingen? wie konnte die grobe nordische Schale den feinen Griechenduft fassen? Also Jtalien war die Bruͤcke: Rom die Mittelzeit der Haͤrtung des Kerns und seiner Austhei- lung — selbst die heilige Sprache der neuchrist- lichen Welt war ein Jahrtausend durch, mit allem was ihr anklebt, in ganz Europa roͤmisch. Selbst, da Griechenland zum zweytenmal auf Europa wuͤrken sollte, konnts nicht un- mittelbar wuͤrken: Arabien ward der ver- schlaͤmmte Kanal — Arabien der under plot zur Geschichte der Bildung Europa’s. Wenn, wies jetzt ist, Aristoteles, bestimmt war, seine Jahrhunderte allein zu herrschen und die Wuͤr- me und Modermotten der scholastischen Denk- art in allem — zu erzeugen: wie, wenns Schicksal gewesen waͤre, daß Plato, Homer, die Dichter, Geschichtschreiber, Redner fruͤ- her haͤtten wuͤrken koͤnnen? — wie alles un- endlich anders! Es war nicht bestimmt. Der Kreis sollte dort hinuͤber: die arabische Reli- gion und Nationalkultur haßte diese Blumen: vielleicht haͤtten sie in Europa der Zeiten auch K 3 noch noch nicht gedeihet; da sich Gegentheils ari- stotelische Spitzfindigkeit und mohrischer Ge- schmack so wohl mit dem Geiste der Zeit ver- trug — Schicksal! — Jn Europa sollte das Gewaͤchs der alten Weltjahrhunderte nur gedoͤrret und abgekel- tert werden: aber von da aus unter die Voͤl- ker der Erde kommen: wie sonderbar nun, daß sich Nationen auf die Staͤtte zur Arbeit drangen, ohne zu wissen, wie? und wozu? Das Schicksal rief sie zum Geschaͤfte in den Weinberg; nach und nach, jeden zu seiner Stun- de. Alles war schon erfunden, gefuͤhlt, fein ersonnen, was vielleicht erfonnen werden konn- te: hier ward alles nun in Methode, in Form der Wissenschaft geschlagen — und denn ka- men, nun eben die neuen, kaͤltesten mechani- schen Erfindungen hinzu, die es ins Grosse spiel- ten: Maschinen der kalten europaͤischnor- dischen Abstraktion, fuͤr die Hand des Alllen- kers grosse Werkzeuge! da liegen nun die Saa- menkoͤrner fast unter allen Nationen der Er- de: wenigstens allen bekannt, allen zugang- bar: werden sie haben, wenn ihr Zeitpunkt kommt. Europa hat sie gedoͤrret, aufgefaͤ- delt, verewigt — sonderbarer Ball! Was hast hast du kleiner nordischer Welttheil, einst Abgrund von Hainen und Eisinseln, auf dem Balle werden muͤssen! — was wirst du noch werden! — Die sogenannte Aufklaͤrung und Bildung der Welt hat nur einen schmalen Streif des Erdballs beruͤhrt und gehalten: auch koͤn- nen wir nicht etwas in ihrem Laufe, Stande und Umlaufe aͤndern, ohne daß sich zugleich alles aͤndert. Wie? wenn z. E. allein die Einfuͤhrung der Wissenschaften, der Reli- gion, der Reformation anders gewesen waͤ- re? — sich die nordischen Voͤlker anders ge- mischt, anders gefolgt waͤren? nicht das Pabstthum so lange Vehikulum seyn muͤs- sen? — was koͤnnt ich nicht noch zehnfach mehr fragen? — Traͤume! Es war nicht: und hinten nach koͤnnen wir immer etwas durchblicken, warum es nicht war? Freylich aber ein kleines Etwas! Auch sieht man, warum eigentlich keine Na- tion hinter der andern, selbst mit allem Zu- behoͤr derselben jemals worden ist, was die andre war? Mochten alle Mittel ihrer Kul- tur dieselbe seyn: Kultur nimmer dieselbe, K 4 weil weil allemal schon alle Einfluͤsse der alten, jezt veraͤnderten Natur dazu fehlten. Griechen- wissenschaften, die die Roͤmer an sich zogen, wurden roͤmisch: Aristoteles ein Araber und Scholasticker: und mit den Griechen und Roͤmern der neuen Zeiten — welche elende Sache! Marsilius, du bist Plato? Lipsius, du Zeno? wo sind deine Stoiker? deine Helden, die dort so viel thaten? Alle ihr neuen Homere, Redner und Kuͤnstler — wo ist eure Welt der Wunder? Auch in kein Land hat die Bildung ihren Ruͤcktritt nehmen koͤnnen, daß sie zum zwey- tenmal geworden waͤre, was sie war — der Weg des Schicksals ist eisern und strenge: Scene der Zeit, der Welt war schon voruͤber; Zwecke, wozu sie seyn sollten, vorbey, — kann der heutige Tag der gestrige werden? Wer- den, da der Gang Gottes unter die Natio- nen mit Riesenschritte fortgeht, kindische Ruͤck- pfade von Menschenkraͤften bewuͤrkt werden koͤnnen? — Jhr Ptolomaͤen, konntet nicht wie- der Aegypten schaffen! ihr Hadriane nicht Grie- chenland wieder! noch Julian Jerusalem — Ae- gypten, Griechenland und du Land Gottes! wie elend liegt ihr, mit nackten Bergen, ohne Spur und und Stimme des Genius, der voraus auf euch gewandelt und in alle Welt sprach — warum? er hat ausgesprochen! Sein Druck auf die Zeiten ist geschehen: Das Schwert ausgebraucht, und die zerstuͤckte leere Schei- de liegt da! das waͤre Antwort auf so viel unnuͤtze Zweifel, Bewunderungen und Fragen. „ Gang Gottes uͤber die Nationen! Geist „der Gesetze, Zeiten, Sitten und Kuͤnste, „wie sie sich einander gefolgt! zubereitet! „ entwickelt und vertrieben! „ haͤtten wir doch einen solchen Spiegel des Menschengeschlechts in aller Treue, Fuͤlle, und Gefuͤhl der Offen- barung Gottes. Vorarbeiten gnug; aber al- les in Schlaube und Unordnung! Wir haben unser jetziges Zeitalter fast aller Nationen, und so die Geschichte fast aller Vorzeiten durch- krochen und durchwuͤhlt, ohne fast selbst zu wissen, wozu wir sie durchwuͤhlt haben. Hi- storische Fakte und Untersuchungen, Entdeckun- gen und Reisebeschreibungen liegen da: wer ist, der sie sondere und sichte? „Gang Gottes uͤber die Nationen!„ Montesquieus edles Riesenwerk hat nicht durch K 5 eines eines Mannes Hand werden koͤnnen, was es seyn sollte. Ein gothisches Gebaͤude im phi- losophischen Geschmack seines Jahrhunderts Esprit! oft nichts weiter! Aus Stelle und Ort gerissen und auf drey oder vier Markt- plaͤtze, unter das Panier drey elender Allge- meinoͤrter — Worte! — dazu leerer, un- nuͤtzer, unbestimmter, allverwirrender E- spritworte! hingetruͤmmert. Durchs Werk also ein Taumel aller Zeiten, Nationen und Sprachen, wie um den Thurm der Verwir- rung, daß jedweder seinen Bettel, Reichthum und Ranzen, an drey schwache Naͤgel han- ge — Geschichte aller Voͤlker und Zeiten, dieß grosse lebendige Werk Gottes auch in seiner Folge, ein Ruinenhaufen von drey Spitzen und Kapseln — aber freylich auch sehr ede- ler, wuͤrdiger Materialien — Montesquieu! Wer, der uns den Tempel Gottes herstel- le, wie er in seinem Fortgebaͤude ist, durch alle Jahrhunderte hindurch! die aͤltesten Zei- ten der Menschenkindheit sind vorbey: Aber Reste und Denkmaͤler gnug da — die herr- lichsten Reste, Unterweisung des Vaters selbst an diese Kindheit — Offenbarung, Sagst du, Mensch, daß sie dir zu alt sey, in in deinen zu klugen, altgreisen Jahren — siehe um dich! der groͤßte Theil von Nationen der Erde ist noch in Kindheit, reden alle noch die, Sprache, haben die Sitten, geben die Vorbil- der des Grads der Bildung — wohin du un- ter sogenannte Wilde reisest und horchest, toͤ- nen Laute zur Erlaͤuterung der Schrift! wehen lebendige Kommentare der Offenba- rung! Die Abgoͤtterey, die die Griechen und Roͤ- mer so viel Jahrhunderte genossen; der oft fanatische Eifer, mit dem alles bey ihnen auf- gesucht, ins Licht gesetzt, vertheidigt, gelobt worden — welche grosse Vorarbeiten und Beytraͤge! Wenn der Geist der uͤbertriebnen Verehrung wird gedaͤmpft; die Partheylich- keit, mit der ein jeder sein Volk, als eine Pan- dora, liebkoset, gnug ins Gleichgewicht gebracht seyn — ihr Griechen und Roͤmer, denn wer- den wir euch kennen und ordnen! Es hat sich ein Nebenweg zu den Arabern gezeigt, und eine Welt von Denkmaͤlern liegt da, um sie zu kennen. Es haben sich, obwohl zu ganz andern Zwecken, Denkmaͤler der mitt- lern Geschichte vorgefunden, theils wird sich, was noch im Staube liegt (wenn alles von unsrer unsrer aufgeklaͤrten Zeit so gewiß zu hoffen waͤ- re!) gewiß bald, vielleicht in einem halben Jahrhunderte finden. Unsre Reisebeschrei- bungen mehren und bessern sich: alles laͤuft, was in Europa nichts zu thun hat, mit einer Art philosophischer Wuth uͤber die Erde — wir sammlen „Materialien aus aller Welt „Ende,„ und werden in ihnen einst finden, was wir am wenigsten suchten, Eroͤrterungen der Geschichte der wichtigsten menschlichen Welt. Unsre Zeit wird bald mehrere Augen oͤfnen: uns zeitig gnug wenigstens idealische Brunn- quellen fuͤr den Durst einer Wuͤste zu suchen treiben. — Wir werden Zeiten schaͤtzen lernen, die wir jezt verachten — das Gefuͤhl allge- meiner Menschheit und Gluͤckseligkeit wird rege werden: Aussichten auf ein hoͤheres, als menschlich Hieseyn wird aus der truͤmmer- vollen Geschichte das Resultat werden, uns Plan zeigen, wo wir sonst Verwirrung fanden: Alles findet sich an Stelle und Ort — Ge- schichte der Menschheit im edelsten Verstan- de — du wirst werden! So lange lasset also den grossen Lehrer und Gesetzgeber der Koͤni- ge fuͤhren und verfuͤhren. Er hat so schoͤ- nes Vorbild gegeben, mit zwey, drey Worten alles alles zu messen, auf zwey, drey Regiments- formen, denen mans leicht ansieht, wannen und wie eingeschraͤnktes Maasses und Zeit- raums sie sind? — auf sie alles hinzufuͤhren. Wie angenehm ihm im Geiste der Gesetze aller Zeiten und Voͤlker, uns nicht, seines Volks zu folgen — auch das ist Schicksal. Man hat oft lange den Fadenknaͤul in der Hand, freut sich, daran blos einzeln rupfen zu koͤnnen, um ihn nur mehr zu wirren: Eine gluͤckliche Hand, die das Gewirre an einem Faden sanft und langsam zu entwickeln Lust hat — wie weit und eben laͤuft der Faden! — Geschichte der Welt! dahin denn jetzt die kleinsten und groͤß- ten Reiche und Vogelnester streben. — Alle Eraͤugnisse unsrer Zeit, sind auf gros- ser Hoͤhe, und streben weit hinaus — mich duͤnkt, im beyden liegt der Ersatz dessen, daß wir freylich, als einzelne mit wenigerer Kraft und Freudegefuͤhl wuͤrken koͤnnen. Also wuͤrk- lich Aufmunterung und Staͤrke. Du kannst, Sokrates unsrer Zeit! nicht mehr, wie Sokrates wuͤrken: denn dir fehlt der der kleine, enge, starkregsame, zusammenge- draͤngte Schauplatz! die Einfalt der Zeiten, Sitten und des Nationalcharakters! die Be- stimmtheit deiner Sphaͤre! — Erdbuͤrger und nicht mehr Buͤrger zu Athen, fehlt dir natuͤrlich auch die Ansicht dessen, was du in Athen thun sollt: das sichere Gefuͤhl dessen, was du thust: die Freudempfindung von dem, was du ausgerichtet habest — Dein Daͤmon! Aber siehe! wenn du wie Sokrates handelst, demuͤthig Vorurtheilen entgegen strebest, aufrichtig, menschenliebend, dich selbst auf- opfernd Wahrheit und Tugend ausbreitest, wie du kannst — Umfang deiner Sphaͤre er- setzt vielleicht das Unbestimmtere und Verfeh- lende deines Beginnens! Dich werden hundert lesen und nicht verstehen: hundert und gaͤhnen: hundert und verachten: hundert und laͤstern: hundert, und die Drachenfesseln der Gewohn- heit lieber haben und bleiben wer sie sind. Aber bedenke, noch vielleicht hundert uͤberblei- ben, bey denen du fruchtest: wenn du lange verweset bist, noch eine Nachwelt, die dich lieset und besser anwendet. Welt und Nach- welt ist dein Athen! Rede! Welt Welt und Nachwelt! Ewiger Sokrates, wuͤrkend und nicht blos die todte Busse mit Pappellaube bekraͤnzt wie wirs Unsterblichkeit nennen! Jener sprach anschaulich, lebendig, im engen Bezirke: und sein Wort fand eine so gute Stelle. — Xenophon und Plato dichte- ten ihn in ihre Denkbuͤcher und Gespraͤche: es waren nur Manuscripte, zum Gluͤck fuͤr uns, besser als hundert andre, dem wegschwem- menden Strom der Zeit entronnen. Was du schreibst, sollte Wort fuͤr Wort, Welt und Ewigkeit werth seyn, weil du, (wenigstens Materialien und Moͤglichkeit nach,) fuͤr Welt und Ewigkeit schreibest. Jn wessen Hand kann deine Schrift kommen! im Kreise, wie wuͤr- diger Maͤnner und Richter solltest du reden! Tugend lehren, in dem Lichte und Klarheit, wies Sokrates in seinem Alter noch nicht konnte! zur Menschenliebe anmuntern, die, wenn sie seyn koͤnnte, wahrhaftig mehr als Vater- lands- und Buͤrgerliebe waͤre! Gluͤckselig- keit auch in Zustaͤnden, auch unter Situatio- nen, verbreiten, wie jene mit den dreyßig Heilanden des Vaterlands, denen auch ihre Statuen gesetzt waren, kaum seyn mochten — Sokrates der Menschheit! Leh- Lehrer der Natur! was kannst du mehr seyn, als Aristoteles und Plinius! Wie weit mehr sind dir Wunder und Werke geoͤfnet! was fuͤr Huͤlfsmittel, sie den Augen andrer zu oͤfnen die jene nicht hatten! auf welcher Hoͤhe ste- hest du! Gedenke Newtons! was der einige New- ton fuͤrs Ganze des menschlichen Geistes gewuͤr- ket! was das alles allweit gewuͤrket, geaͤndert, ge- fruchtet! zu welcher Hoͤhe er sein ganzes Geschlecht gehoben! — — Du stehest auf der Hoͤhe! stre- best, statt die große Schoͤpfung Gottes in ein klein Gebaͤude deines Kopfs (von Kosmogo- nie, Thierentstehung, Formenbildung u. dgl. Buͤffon. zu verengen, blos dem Strome der Gotteskraft nach, sie in allen Formen, Ge- stalten und Schoͤpfungen tief und treu zu fuͤh- len, zu fuͤhlen zu geben, dem Schoͤpfer zu die- nen und nicht dir. — Bote der Herrlichkeit durch alle Reiche der Wesen! Nur von dieser Zeithoͤhe konntest du den Himmelsflug neh- men, entdecken, mit der Fuͤlle und Adel und Weisheit reden! mit der unschuldigen, maͤchtigen, allguͤtigen Gottesansicht, Menschen- herzen erquicken, die aus keiner andern Pfuͤtze erquickt werden konnten. Das thust du fuͤr Welt und und Nachwelt! Freylich unter allen Entdeckern und Forschern nur Einer, Ein kleiner Name! aber fuͤr Welt und Nachwelt! und wie hoch! wie herrlich — als es Plinius und Aristote- les nicht konnten — Engel Gottes in dei- ner Zeit! Was fuͤr hundert mehrere Mittel hat Arzt und Menschennaturkenner jetzt, als Hippo- krates und Machaon! in Vergleich dieser ge- wiß Sohn Jupiters, Gott! Und wie? wenn ers nun auch mit aller Empfindung jener mensch- lichern Zeiten wuͤrde! Gott, Entdecker und Hei- land dem Siechen an Leib und Seele! rettend hier einen Juͤngling, der jetzt unter den er- sten Rosen des Lebens, die er zu brechen glaub- te, eine Feuerschlange fand — ihn (er kanns vielleicht allein! ) ihm selbst, Aeltern, der Nachkommenschaft, die durch Uns leben- oder todvolles Daseyn erwartet, der Welt, der Tugend wiedergebe! Unterstuͤtzte hier den Mann, der ein Opfer seiner Verdienste durch Arbeit oder Gram ward, schenkte ihm die suͤßeste Be- lohnung, die er jetzt doch nur oft als ganzen Dank fuͤr sein Leben genießen konnte, ein heitres Alter! Rettet ihn — vielleicht die Einzige Saͤule gegen hundert Unfaͤlle der Menschheit, L die die den letzten Blick seiner Augen begleiten wer- den, nur Einige Jahre vom Grabe! Das Gute dieser Jahre sein: das Troͤstende, Heitre, was dieser Todtenerweckte verbreitet, sein! Jn Zeiten, wo Ein geretteter Mann so viel thun, und wo auch die unschuldigere Menschheit auf wie hundert Weisen so elend erliegen kann — was bist du in den Zeiten, Arzt mit mensch- lichem Herzen! Was soll ich alle Staͤnde und Klassen durch- gehen, der Gerechtigkeit, der Religion, der Wissenschaften, einzelner Kuͤnste — je hoͤher jede in ihrer Art ist, je weiter sie wuͤrken kann; wie besser und lieber! Eben weil du nur freywillig so wuͤrken mußtest: weil nichts dich foderte oder zwang, in deinem Stande und Klasse so gut und groß und edel zu handeln: eben weil dich nichts so gar weckte und viel- mehr alles zudrang, dich zu einem blos me- chanischen Diener deiner Kunst zu machen, und jede tiefere Empfindung einzuschlaͤfern — vielleicht dies Ungewoͤhnliche an dieser dir statt Lorbeer gar Dornen auf dein Haupt pflanzte — um so reiner, stiller, goͤttlicher ist deine ver- borgne, gepruͤftere Tugend. Jst mehr als jene Tugend andrer Zeiten, die von Antrieben und Be- Belohnungen geweckt, am Ende doch nur Buͤrgerzubehoͤr war und edle Pracht des Koͤr- pers! die deine ist Lebenssaft des Herzens. Wie muͤßte ich reden, wenn ich das Ver- dienst derer beschreiben wollte, die wuͤrklich Saͤulen oder Angeln unsers Jahrhunderts sind, um die sich alles bewegt. Regenten! Hirten! Pfleger der Voͤlker! — ihre Kraft mit den Triebfedern unsrer Zeit ist halbe All- macht! Schon ihr Bild, ihr Anschauen, ihr Belieben, ihre schweigende, nur geschehen- lassende Denkart — sagt ihnen ihr Genius nur, daß sie zu was Edlerm da sind, als mit einer ganzen Heerde, als Maschine, zu eig- nen — es sey auch so glorreichen Zwecken, — zu spielen, diese Heerde auch, als Zweck! zu weiden, wenn mehr, fuͤr ein groͤßeres Ganze der Menschheit zu sorgen — Regenten, Hir- ten, Pfleger der Voͤlker! den Zepter der All- macht in ihrer Hand! mit wenigen Menschen- kraͤften! in Jahren! durch bloße Absicht und Aufmunterung, wie unendlich mehr zu thun, als jener Mogul auf seinem goldnen Throne thut, oder jener Despot auf einem Thron Men- schenkoͤpfe jetzt thun will! Wer unter blos po- litischen Absichten erliegt: ist vielleicht im hoͤchsten L 2 Stan- Stande so gemeinerer Seele, als jener Linsen- werfer, nur gluͤcklich geworfen zu haben, oder jener Floͤtenspieler, der nur die Loͤcher trift — Mit dir rede ich lieber, Hirt deiner Heer- de, Vater, Mutter in der armen Huͤtte! Auch dir sind tausend Antriebe und Lockungen ge- nommen, die dir einst dein Vatergeschaͤft zum Himmel machten. Kannst dein Kind nicht be- stimmen! wird dir fruͤhe vielleicht in der Wiege schon mit einer Ehrenfessel der Freyheit — hoͤchstes Jdeal unsrer Philosophen! — gezeich- net: Kannsts nicht fuͤr vaͤterlichen Heerd, Va- tersitten, Tugend und Daseyn erziehen — es mangelt dir also schon immer Kreis, und da alles verwirret ist, und laͤuft die erleichternste Triebfeder der Erziehung, Absicht. Mußt besorgen, daß, so bald es dir aus den Haͤn- den gerissen wird, es mit Einmal ins große Lichtmeer des Jahrhunderts, Abgrund! sinke — Versunknes Kleinod! unwiederbringliche Exi- stenz einer Menschenseele! der bluͤthenreiche Baum, zu fruͤh aus seiner Muttererde geris- sen, in eine Welt von Stuͤrmen verpflanzt, denen der haͤrteste Stamm oft kaum bestehet, vielleicht gar dahin eingepflanzt mit verkehrtem En- Ende, Gipfel statt Wurzel, und die traurige Wurzel in der Luft — er droht dir in Kurzem da zu stehn, verdorret, scheußlich, Bluͤthe und Frucht auf der Erde — Verzweifle nicht im Hefen des Zeitalters! was dich auch drohe und hindere — erziehe. Erzieh um so besser, siche- rer, fester — fuͤr alle Staͤnde und Truͤbsale, wohin er geworfen werde! fuͤr Stuͤrme, die auf ihn warten! Unthaͤtig seyn kannst du doch nicht: boͤse, oder gut erziehen mußt du: gut — und wie groͤßere Tugend! wie groͤßerer Lohn, als in jedem Paradiese leichterer Zwecke und einfoͤrmigerer Bildung. Wie noͤthiger hat jetzt die Welt Einen der simplen Tugend erzog- nen, als sies jemals hatte! Wo alle Sitten gleich und alle gleich eben, recht und gut sind — was brauchts Muͤhe! Gewohnheit er- zieht und Tugend verliert sich in bloße Gewohn- heit. Aber hier! Ein leuchtender Stern in der Nacht! Demant unter Haufen Erde- und Kalksteine! Einen Menschen unter Schaaren Affen und politischer Larven — wie viel kann er weiter bilden durchs stille, goͤttliche Bey- spiel! Wellen um und nach sich verbreiten vielleicht in die Zukunft! — zudem denke, wie reiner deine Tugend und edler! mehrere und groͤßere Huͤlfsmittel der Erziehung von L 3 ge- gewissen Seiten, je mehr dir und deinem Juͤnglinge aͤußere Triebfedern auf der andern Seite fehlen! denke zu welcher hoͤhern Tu- gend du ihn erziehest, als zu der Lykurg und Plato erziehen konnten und durften! — das schoͤnste Zeitalter fuͤr die stille, verschwiegne, meist verkannte, aber so hohe, sich so weit verbreitende Tugend! Das duͤnkt mich also immer gewiß: je we- niger es in unserm Jahrhunderte geben mag, ganz und groß Gute: je schwerer die hoͤchste Tugend uns werden muß, und je stiller, ver- borgner sie anitzt nur werden kann — wo sie ist, um so hoͤhere, edlere vielleicht ein- mal unendlich nuͤtzliche und folgenschwangere Tugend! Jndem wir uns meistens verlassen und verlaͤugnen; koͤnnen manche unmittel- bare Belohnungen nicht genießen, streun das Saamenkorn in die weite Welt hin, ohne zu sehen, wo es falle? wurzele? obs auch da nur einmal zum Guten fruchte? Edler, ins Ver- borgne und Allweite zu saͤen, ohne daß man selbst Ernte erwartet! und gewiß um so groͤs- ser die allweite Ernte! dem wehenden Zephyr vertraue den Saamen: um so weiter wird er ihn fuͤhren, und wenn einmal alle die Keime auf- aufwachen, zu denen auch der edlere Theil un- sers Jahrhunderts still und schweigend bey- trug — in welche selige Zeit verliert sich mein Blick! — Eben an Baumes hoͤchsten Zweigen bluͤhen und sprießen die Fruͤchte — siehe da die schoͤ- ne Voraussicht des groͤßesten der Werke Gottes! Aufklaͤrung — wenn sie uns gleich nicht immer zu statten kommt, wenn wir gleich bey groͤßerer Oberflaͤche und Umfange an Tiefe und Grabung des Stroms verlieren: gewiß eben damit, daß wir uns einem großen Ocean, schon selbst ein kleines Meer, naͤhern. Asso- ciirte Begriffe aus aller Welt: eine Kennt- niß der Natur, des Himmels, der Erde, des Menschengeschlechts, wie sie uns beynah unser Universum darreichen kann — Geist der- selben, Masse und Frucht bleibt fuͤr die Nach- welt. Das Jahrhundert ist hinuͤber, da Jtalien unter Verwirrung, Unterdruͤckung, Meuterey und Betrug seine Sprache, Sitten, Poesie, Politik und Kuͤnste bildeten — was gebildet wurde, hat sein Jahrhundert uͤber- lebt: wuͤrkte weiter und ward die erste Form L 4 Eu- Europens. Elend und Jammer, unter dem das Jahrhundert des franzoͤsischen großen Koͤnigs seufzte, zum Theil voruͤber: die Zwecke, zu denen er alles wollte und brauchte, vergessen, oder stehn als Puppen der Eitelkeit und Hohn- lache muͤßig da: all seine eherne Meere, die er selbst trug, und die Waͤnde, wo er immer selbst leibte, sind dem Gedanken jedwedes preis- gegeben, der auch nicht dabey denken will, was Ludwig wollte — Aber Geist der Kuͤn- ste an ihnen geuͤbt ist blieben. Die For- schungen der Kraut- und Muͤnz- und Edel- stein- und Wasserwaage- und Messungsrei- sen bleiben, wenn alles verfallen ist, was dar- an Theil hatt’ und was dadurch litt’ und wo- zu es sollte! die Zukunft streift uns unsre Schlaube ab und nimmt den Kern. Der kleine Zweig hat nichts davon, aber an ihm hangen die lieblichen Fruͤchte. Wie nun? wenn einst alle das Licht, das wir in die Welt saͤen, womit wir jetzt viel Augen blenden, viel elend machen und verfinstern, allenthalben gemaͤßigt Lebenslicht und Lebens- waͤrme wuͤrde — die Masse von todten aber hellen Kenntnissen, das Feld voll Beine, was auf- um- und unter uns liegt, wurde — wo- woher? wozu? — belebt — befruchtet — welche neue Welt! wie gluͤcklich seiner Haͤnde Werk in ihr genießen! Alles bis auf Erfin- dungen, Ergoͤtzlichkeiten, Noth, Schicksal und Zufall, strebt uns uͤber eine gewisse groͤ- bere Sinnlichkeit voriger Zeitalter zu erhe- ben, uns zu einer hoͤhern Abstraktion im Den- ken, Wollen, Leben und Thun zu entwoͤh- nen, — fuͤr uns nicht immer annehmlich, oft mißlich! Die Sinnlichkeit des Morgenlands, die schoͤnere Sinnlichkeit Griechenlands — die Staͤrke Roms hinuͤber: und wie elend troͤ- sten uns unsre leidige Abstraktionstroͤster und Sentenzen, warum uns oft schon Beweg- gruͤnde, Triebfedern und Gluͤckseligkeiten bestehen muͤssen: das Kind wird auch von einer letzten Sinnlichkeit hart entwoͤhnet — Aber sie- he das hoͤhere Zeitalter, was vorwinkt. Kein Thor kanns leugnen, wenn die feinen Beweg- gruͤnde, die hoͤhere, himmlische Tugend, der abgezogenere Genuß irdischer Seligkeiten der menschlichen Natur moͤglich ist, aͤußerst erhe- bend und veredelnd ist sie! Vielleicht also, daß jetzt an dieser Klippe viele zu Grunde ge- hen! Vielleicht, und gewiß haben jetzt unend- lich wenigere diese fenelonsche Tugend, als jene Spartaner, Roͤmer und Ritter die sinn- L 5 liche liche Bluͤthe ihres Welt- und Zeitgeists. — Die breiten Landstrassen werden immer engere Fußtritte und Steilhoͤhen auf denen wenige wandeln koͤnnen, — aber Hoͤhen sinds und stre- ben zum Gipfel! Welcher Zustand einmal auf dem kruͤmmenden Schlangenwege der Vorsehung, wenn Haut und Hindernisse zuruͤckgelassen, ver- juͤngtes Geschoͤpf in neuem Fruͤhlinge aufle- bet! — eine unsinnlichere, sich gleichere Menschheit! nun voͤllig Welt um sich, Lebens- kraft und Principium, nach dem wir nur muͤh- sam streben, in sich habend — welche Schoͤpfung! und wer, der die Wahrscheinlich- keit und Moͤglichkeit davon zu leugnen haͤtte? Verfeinerung und laͤuternder Fortgang der Tugendb egriffe aus den sinnlichsten Kindes- zeiten hinauf durch alle Geschichte ist offen- bar: Umherbreitung und Fortgang ins Weite offenbar: und das alles ohne Zweck? ohne Absicht? Daß sich die Begriffe von menschlicher Frey- heit, Geselligkeit, Gleichheit und Allgluͤck- seligkeit aufklaͤren und verbreiten, ist bekannt. Fuͤr uns nicht so gleich von den besten Folgen, oft dem ersten Anscheine nach, das Boͤse anfangs das Gute uͤberwiegend: Aber! — Ge- Geselligkeit und leichter Umgang zwischen den Geschlechtern, hat er nicht die Ehre, An- staͤndigkeit und Zucht beyder Theile erniedrigt? fuͤr Stand, Geld und Artigkeit alle Schloͤsser der großen Welt aufgesprengt? die erste Bluͤ- the des maͤnnlichen und die edelsten Fruͤchte des weiblichen Geschlechts in Ehe- und Mut- terliebe und Erziehung haben wie viel gelitten? ihr Schade sich wohin fortverbreitet? — Ab- grund unersetzlicher Uebel! da selbst die Quel- len der Besserung und Genesung, Jugend, Le- benskraft und bessere Erziehung verstopft sind. — Die schlankern, also leicht umher spielenden Aeste koͤnnen nicht anders als in ihrem zu fruͤh und unkraͤftigen Lebensspiele mitten im Son- nenstrale verdorren! Unersetzlicher Verlust! — vielleicht fuͤr alle Politik unabhelfbar! fuͤr alle Menschenliebe nicht gnug zu beklagen, — aber fuͤr die Hand der Vorsehung noch Werkzeug. Wenn hundert arme Geschoͤpfe hier mit ver- trocknetem Gaum um die erste Quelle des Le- bens, der Geselligkeit und Freude hinsinken, lechzen und verschmachten — die Quelle selbst, an denen sie sich ungluͤcklich taͤuschten, laͤutert! Siehe, wie sie in spaͤtern Jahren, vielleicht auch uͤbertrieben, nun andre Fruͤchte der Ergoͤtzlichkeit suchen, sich neue Welten idea- li- lisiren und mit ihrem Unheil die Welt bessern! Abgelebte Aspasien bilden Sokrate: Jgnaz seine Jesuiten, die Epaminondas aller Zeit erzeugen sich Schlachten bey Leuktra: Hel- den, Philosophen, Weise und Moͤnche von so unsinnlicher, hoͤherer Tugend, Aufstre- bung und Verdienstlichkeit — wie viele blos aus diesem Grunde! Wer zum Nutzen der Welt berechnen und waͤgen will, thus! Er hat große Summe von meistens nicht ungewissen Ausschlags vor sich: der Gang der Vorsehung geht auch uͤber Millionen Leichname zum Ziel! Freyheit, Geselligkeit und Gleichheit, wie sie jetzt uͤberall aufkeimen — sie haben in tau- send Mißbraͤuchen Uebels gestiftet und werdens stiften. Wiedertaͤufer und Schwaͤrmer ver- wuͤsteten Deutschland zu Luthers Zeiten, und jetzt bey der allgemeinen Vermischung der Staͤnde, bey dem Heraufdringen der Nie- dern an die Stelle welker, stolzer und un- brauchbarer Hohen, um in kurzem noch aͤrger als sie zu werden — die staͤrksten, nothwen- digsten Grundplaͤtze der Menschheit werden lee- rer: die Masse verderbten Lebensafts tritt tief hinunter. Und wenn eine Vormundschaft dieses großen Koͤrpers um eines zeitigen ver- mehrten Appetits, oder eines scheinbaren Zu- satzes satzes von Kraͤften halber, zusieht, lobt und befoͤrdert — oder wenn sie auch aufs aͤrgste sich widersetzte: den Grund der „fortgehenden „Verfeinerung und des Aufdringens zu Rai- „sonnement, Ueppigkeit, Freyheit und Frech- „heit „ wird sie nimmermehr heben. Wie sehr das wahre freywillige Ansehen der Obrig- keit, Aeltern und hoͤchsten Staͤnde in der Welt, nur seit einem Jahrhunderte gefallen, ist bey einer kleinen Vergleichung unsaͤglich: auf zehn- fache Weise tragen unsre kleine und große Große dazu weiterhin bey: Schranken und Schlag- baͤume niedergerissen: Vorurtheile, wie es heißt, des Standes, der Erziehung, und ja der Religion unter die Fuͤsse getreten und zu ihrem Schaden selbst verspottet: wir wer- den alle — durch einerley Erziehung, Phi- losophie, Jrreligion, Aufklaͤrung, Laster, und endlich zur Zugabe, durch Unterdruͤckung, Blutdurst und unersaͤttliche Habsucht, die schon die Gemuͤther weckt und zum Selbstge- fuͤhl bringt, werden wir alle — Heil uns, und nach vielen Unordnungen und Elende, Heil uns! was unsre Philosophie so ruͤhmet und an- strebt, — Herr und Knecht, Vater und Kind, Juͤngling und die fremdeste Jung- frau, wir alle werden Bruͤder. Die Herren weißa- weißagen wie Kaiphas, aber freylich zuerst auf eignen Kopf, oder das Haupt ihrer Kinder! Wenn unsre „Menschenregierung„ auch nichts mehr als schoͤne Huͤlle gewonnen haͤtte: den guten Schein und Anschein, die Spra- che, die Grundsaͤtze und Gesinnungen und Ordnung, die jetzt jedes Buch, und jeder junge Prinz, als ob er ein lebendiges Buch waͤre, auf der Zunge fuͤhret — Großer Fortgang. Versuche jemand, Machiavell und Antimachiavell zusammen zu lesen — Philosoph und Menschenfreund wird den Letz- ten verehren, seine unberuͤhrten mit Blumen und gruͤnem Strauch bedeckte Moderstellen, und unsondirte Wunden, wo man nicht auf den Grund kommen wollen und moͤgen, wil- lig uͤbersehen und sagen: welch ein Buch! welch ein Prinz, der wie das Buch daͤchte! Nur eingestuͤnde, anerkennte, wuͤßte, in beylaͤufigen Gesinnungen handelte, fuͤr Welt und Nachwelt welch ein Prinz! Statt grober, unmenschlich grausamer Tollheit koͤnnten frey- lich Krankheiten herrschen, die eben so druͤ- ckend und schaͤdlicher sind, weil sie schleichen; gepriesen und nicht erkannt werden, und bis Mark und Bein in die Seele fressen. Das all- allgemeine Kleid, von Philosophie und Men- schenliebe kann Unterdruͤckungen verbergen, Eingriffe in die wahre, persoͤnliche Menschen- und Landes-Buͤrger- und Voͤlkerfreyheit, wie Caͤsar Borgia sie nur wuͤnschte: Alle das den angenommenen Grundsaͤtzen des Jahr- hunderts gemaͤß mit einem Anstande von Tu- gend, Weisheit, Menschenliebe und Voͤl- kervorsorge: da’s also geschehen kann und fast muß — Lobredner dieser Huͤllen seyn, als ob sie Thaten waͤren, mag ich nicht: ohne Zweifel haͤtte auch Machiavell in unserm Jahr- hunderte nicht geschrieben, wie er schrieb und Caͤsar in andern Beziehungen nicht handeln duͤrfen wie damals: im Grunde wuͤrde noch mit alle dem Nichts als Kleid geaͤndert. Aber auch nur dies geaͤndert, ist Wohlthat. Daß in unserm Jahrhunderte jeder, der wie Machiavell schriebe, gesteinigt wuͤrde — doch ich nehme mein Wort zuruͤck — Wer fuͤr die Tugend aͤrger als Machiavell schreibt, er wird nicht gesteinigt — er schreibt philoso- phisch, witzig, franzoͤsisch und ja — ohne Religion. Also „wie Unser Einer!„ Und — desavouirt ja seine Schriften! — Aus- Ausgelassenheit zu denken, wenns nur mit gewissen Konvenientien des Wohlstands ge- schieht, (der wahre Wohlstand darf um so fer- ner seyn!) auch selbst auf diesem giftigen aus- schweifenden Baume sprossen gute Fruͤchte! Glaubt ihr nicht, daß dieser Sinn und Unsinn, den man jetzt gegen die Religion so ungescheuet saget, einst vortrefliche Wuͤrkungen haben wer- de? Von Erlaͤuterungen, Rechtfertigungen und Beweisen der Religion abstrahirt, die oft nicht viel beweisen, ich weiß nicht welcher gros- se Mann ein naͤchstes Jahrhundert des Aber- glaubens prophezeihte, weil das unsre sich in so dummen Unglauben erschoͤpfte. — Aber wies auch laufe, (und es waͤre schlimm, wenn nur Aberglaube wieder den Unglauben ab- wechseln koͤnnte, und der ewige elende Kreis- lauf nicht weiter braͤchte!) Religion Ver- nunft und Tugend muͤssen durch die tollesten Angriffe ihrer Gegner unfehlbar einmal gewin- nen! — Der Witz, die Philosophie, die Frey- heit zu denken, war gewiß zu diesem neuen Throne nur wider Wissen und Willen geruͤst: Ploͤtzlich einmal die Wolke zertheilet, und wenn sie denn dastehn, wird in voller Glorie die alleuchtende Sonne der Welt. — Auch Auch der grosse Umfang und die Allge- meinheit, in der das alles laͤuft, sehen wir, kann darzu offenbar ein unbekanntes Geruͤste werden. Je mehr wir Europaͤer Mittel und Werkzeuge erfinden, euch andern Welttheile zu unterjochen, zu betruͤgen und zu pluͤndern — Vielleicht ists einst eben an euch zu triumphi- ren! Wir schlagen Ketten an, womit ihr uns ziehen werdet: die umgekehrte Pyramiden Ritter Temple verglich eine gewisse Regi e - rungsform mit dem Bilde! unsrer Verfassungen, werden auf eurem Boden aufrecht kommen, ihr mit uns — Gnug, sicht- barlich geht alles ins Grosse! Wir umfassen, womit es sey, den Kreis der Erde, und was darauf folgt, kann wahrscheinlich nie mehr seine Grundlage schmaͤlern! wir nahen uns einem neuen Auftritte, wenn auch freylich blos durch Verwesung! — Eben daß sich unsre Denkart in Gutem und Boͤsem verfeinet, und sich eben damit unsre staͤrkere, sinnlichere Grundsaͤtze und Triebfedern abreiben, ohne daß der groͤssere Haufe etwas dagegen noch bisher an die Stelle zu setzen Lust M Lust oder Kraft haͤtte: wohin muß uns dieß bringen? Die sinnlichen starken Bande der alten Republiken und Zeitalter sind laͤngst (und es ist Triumph unsrer Zeit!) aufgeloͤst: an den feinern Banden unsrer Zeit nagt alles: Phi- losophie, Freygeisterey, Ueppigkeit und eine Erziehung zu diesem allen von Gliede zu Glie- de, tiefer und weiter verbreitet — Die meisten unsrer politischen Triebfedern muß sogar schon die ruhige Weisheit verdammen oder ver- achten, und der Streit zwischen dem Christen- thume und der Weltart ist ein wie alter Vor- wurf und Skrupel zu beyden Seiten! Da sich also Schwaͤche in nichts als Schwaͤche endi- gen, und eine uͤberstrengte Anziehung und Mißbrauch des lezten gedultigen Wurfs der Kraͤfte nichts als jenen voͤlligen Hinwurf be- schleunigen kann — doch es ist nicht mein Amt weissagen! Noch minder weissagen, „was allein Ersatz „und Quelle neuer Lebenskraͤfte auf einem so „ erweiterten Schauplatze seyn koͤnne, werde „und fast seyn muͤsse? Woher neuer Geist „alle das Licht und die Menschengesinnung, „auf die wir arbeiten zu der Waͤrme, zu der „ Bestandheit, und zu der Allgluͤckseligkeit brin- „bringen koͤnne und werde.„ Ohne Zweifel rede ich noch von fernen Zeiten! Lasset uns, meine Bruͤder, mit muthigem, froͤlichem Herzen auch mitten unter der Wol- ke arbeiten: denn wir arbeiten zu einer gros- sen Zukunft. Und lasset uns unser Ziel so rein, so hell, so schlackenfrey annehmen, als wirs koͤnnen: denn wir laufen in Jrrlicht und Daͤmmerung und Nebel. Wenn ich da Thaten sehe, oder vielmehr schweigende Merkmale von Thaten ahnde aus einem Geiste, der fuͤr die Huͤlle seiner Zeit zu groß, und fuͤr ihr Lobgeschrey zu still und bloͤde dahingeht und im Finstern saͤet? Sa- menkoͤrner, die wie alle Gotteswerke und Schoͤp- fungen vom kleinen Keim anfangen, denen mans aber beym ersten kleinen Sproͤßlein, so lieblich ansiehet und anreucht, daß sie Schoͤpf- fung Gottes im Verborgenen seyn werden. — Und waͤrens Anlagen insonderheit zur edelsten Pflanze der Menschheit, Bildung, Erzie- M 2 hung, hung, Staͤrkung der Natur in ihren beduͤrf- tigsten Nerven, Menschenliebe, Sympathie und Bruͤdergluͤckseligkeit — heilige Pflanzen, wer ist unter euch gewandelt, daß ihn nicht ein Schauer besserer Zukunft ergriffe, und er euren Urheber klein und groß, Koͤnig und Knecht, nicht im stillesten Abend-Morgen- und Mitternachtopfer segne. Alle bloß koͤrperli- che und politische Zwecke zerfallen, wie Scherd’ und Leichnam: die Seele! der Geist! Jn- halt fuͤrs Ganze der Menschheit — der bleibt: und wohl, wem da aus der reinen, un- truͤbbaren Lebensquelle viel ward! — Es ist fast unvermeidlich, daß eben das Hoͤ- here, Weitverbreitete unsers Jahrhunderts auch Zweydeutigkeiten der besten und schlimmsten Handlungen geben muß, die bey engern, tie- fern Sphaͤren wegfielen. Eben daß niemand fast mehr weiß, wozu er wuͤrkt: das Ganze ist ein Meer, wo Wellen und Wogen, die wo- hin? aber wie gewaltsam! rauschen — weiß ich, wohin ich mit meiner kleinen Woge kom- me? — Nicht blos Feind und Verlaͤumder wird die Beginnen des wuͤrksamsten besten Man- Mannes oft in ein zweifelhaftes Licht stellen koͤnnen; vielleicht wird selbst dem warmen Bewunderer in kaͤltern Stunden auch Ne- bel und Doppellicht erscheinen. Alle Radien sind schon dem Mittelpunkte so fern, — laufen alle, wohin? und wenn werden sie dahin kommen? Man weiß, was man allen Reformatoren aller Zeiten vorgeworfen, daß wenn sie einen neuen Schritt thaten, sie auch immer hinter sich Luͤcken liessen, vor sich Staub und Er- schuͤtterung machten, und unter sich Unschul- diges zertraten. Die Reformatoren der le z - ten Jahrhunderte trift das sichtlicher und dop- pelt. Luther! Gustav Adolph! Peter der Grosse! Welche drey haben in den neuern Zeiten mehr veraͤndert? edleren Sinnes ge- aͤndert? — und sind ihre, zumal unvorherge- sehne Folgen, allemal zugleich unwiderspruͤck- liche Zunahmen des Gluͤcks ihre Nachkom- men gewesen? Wer die spaͤtere Geschichte kennt, wird er nicht manchmal sehr zweifeln? Ein Monarch, dessen Namen unsre Zeit mehr traͤgt und zu tragen verdient, als das Zeitalter Ludwigs M 3 den — den uns sein Jahrhundert mit aufbewahrt! welche neue Schoͤpfung Europa’s hat er von seinem Flecke her in dreyßig kurzen Jahren bewuͤrkt! — Jn Kriegs- und Regierungs- kunst, in Behandlung der Religion und Ein- richtung der Gesetze, als Apollo der Mu- sen, und als Privatmann unter der Krone — dem allgemeinen Scheine nach das Muster der Monarchien — welch ein Gutes gestiftet! Aufklaͤrung, philosophischen Geist und Maͤs- sigung vom Throne ringsum verbreitet! orien- talischen, dummen Pracht, Schwelgerey und Luxus, der vormals oft das einzige Goldge- haͤge der Hoͤfe war, wie erschrecklich zertruͤm- mert und verjaget! Fette Unwissenheit, blin- den Eifer und Aberglauben uͤberall wie tief verwundet! Sparsamkeit und Ordnung, Re- gelmaͤßigkeit und Fleiß, schoͤne Kuͤnste und einen sogenannten Geschmack frey zu den- ken, — wie hoch erhoben! — Das Jahrhun- dert traͤgt sein Bild, wie seine Uniform: Jahr- hundert ohne Zweifel die groͤßte Lobrede seines Namens. — Jndeß wird auch eben die Muͤn- ze, das Brustbild weggekehrt, und das blosse Resultat seiner Schoͤpfung als Menschenfreund und und Philosoph betrachtet, ohne Zweifel einmal etwas mehr und anders zeigen! Zeigen viel- leicht, wie durch ein natuͤrlich Gesetz der Un- vollkommenheit menschlicher Handlungen mit der Aufklaͤrung — auch eben so viel luxuri- rende Mattigkeit des Herzens, — mit Spar- samkeit, ihr Zeichen und Gefolge Armuth, mit Philosophie blinder kurzsichtiger Unglau- be, mit Freyheit zu denken, immer Sklave- rey zu handeln, Despotismus der Seelen unter Blumenketten, — mit dem grossen Hel- den, Eroberer und Kriegsgeist Erstorbenheit, Roͤmerverfassung, wie da Armeen alles waren, Verfall und Elend sich habe verbreiten muͤs- sen. Zeigen, was Menschenliebe, Gerechtigkeit, Maͤßigkeit, Religion, Wohl der Untertha- nen — alle bis auf einen gewissen Grad als Mit- tel zum Erreichen, behandelt — was alle das auf seine Zeit — auf Reiche ganz andrer Verfassung und Ordnung — auf Welt und Nachwelt fuͤr Folgen haben muͤssen — die Waage wird schweben? steigen — sinken — welche Schaale? was weiß ich? — „Der Schriftsteller von hundert Jahren, Voltaͤr. „ der ohne Zank und Widerspruch wie ein Mo- M 4 narch narch auf sein Jahrhundert gewuͤrkt hat — von Lissabon bis Kamtschatka, von Zembla bis in die Kolonien von Jndien gelesen, ge- lernt, bewundert, und was noch mehr ist, befolgt — mit seiner Sprache, mit seinen hundertfachen Talenten der Einkleidung, mit seiner Leichtigkeit, mit seinem Schwunge von Jdeen auf lauter Blumen — am allermeisten dadurch, daß er auf der gluͤcklichen Stelle geboren wurde, die Welt zu nuͤtzen, Vorgaͤn- ger und Nebenbuhler zu nuͤtzen, Gelegenhei- ten, Anlaͤsse, zumal Vorurtheile und Lieblings- schwaͤchen seiner Zeit, zumal ja die nutzbar- sten Schwaͤchen der schoͤnsten Braͤute seiner Zeit, der Regenten in ganz Europa zu nuͤ- tzen — dieser grosse Schriftsteller, was hat er nicht ohne Zweifel auch zum Besten des Jahr- hunderts gethan! Licht verbreitet, so genann- te Philosophie der Menschheit, Toleranz, Leichtigkeit im Selbstdenken, Schimmer der Tugend in hundert liebenswuͤrdigen Gestal- ten, verduͤnnte und versuͤßte kleine mensch- liche Neigungen — als Schriftsteller ohne Zweifel auf der groͤßten Hoͤhe des Jahrhun- derts! — Aber nun zugleich damit, was fuͤr elenden Leichtsinn, Schwaͤche, Ungewißheit und Kaͤlte! was fuͤr Seichtigkeit, Planlo- sigkeit, sigkeit, Scepticism an Tugend, Gluͤck und Verdienst! — was mit seinem Witze wegge- lacht, ohne es zum Theil weglachen zu wol- len! — sanfte, angenehme und nothwendige Bande mit frevelnder Hand aufgeloͤset, ohne uns, die wir nicht alle au Chateau de Fernay residiren, das mindeste an die Stelle zu ge- ben? Und durch welche Mittel und Wege hat er selbst sein Bestes erlangt? wenn er uns mit alle der Philosophie und Schoͤnliebha- berey der Denkart ohne Moral und feste menschliche Empfindung denn in die Haͤn- de liefere? — man kennet die grosse Kabale gegen und fuͤr ihn, weiß, wie anders Roußeau predige? vielleicht gut, daß beyde predigen, weit von einander und in manchem beyde ein- ander aufhebend — oft das Ende menschli- chen Beginnens! die Linien heben sich auf, aber ihr lezter Punkt steht weiter! — — Kein grosser Geist, durch den das Schicksal Veraͤnderung bewuͤrkt, kann freylich mit al- lem, was er denkt und fuͤhlt, nach der Ge- meinregel jeder mittelmaͤßigen Seele gemes- sen werden. Es giebt Ausnahmen hoͤherer Gattung, und meist alles Merkwuͤrdige der Welt geschieht durch diese Ausnahmen. Die M 5 graden graden Linien gehen nur immer gerade fort, wuͤrden alles auf der Stelle lassen? wenn nicht die Gottheit auch ausserordentliche Men- schen, Kometen, in die Sphaͤren der ruhigen Sonnenbahn wuͤrfe, fallen und im tiefsten Falle sich wieder erheben liesse, wohin kein Auge der Erde sie verfolget. Auch thuts nur Gott oder unter Menschen ein Thor, daß er jede fernste moralische oder unmoralische Zwischenfolge ei- ner Handlung auf die Rechnung des Verdien- stes und der ersten Absicht des Handelnden setzet! wer faͤnde sonst in allem in der Welt mehr Anklaͤger, als der erste und einzige Handler, der Schoͤpfer! — Aber, meine Bruͤder, lasset uns ja die Pole nicht verlassen, um die sich alles dreht, Wahrheit, Bewußtseyn des Wohl- wollens, Gluͤckseligkeit der Menschheit! laßt uns am allermeisten auf der groͤßten Hoͤhe des Meers, auf welcher wir jetzt schweben, in Jrr- und Nebellichte, das vielleicht aͤrger ist, als voͤllige Nacht, lasset uns da fleißig nach diesen Sternen, den Punkten aller Richtung, Sicherheit und Ruhe hinsehen, und denn mit Treue und Emsigkeit unsern Lauf steuren. Groß muß das Ganze seyn, wo in jeder Ein- zelnheit schon so ein Ganzes erscheint! in je- der der Einzelnheit aber nur auch immer so ein unbestimmtes Eins, allein aufs Ganze, sich offenbaret! Wo kleine Verbindungen schon grossen Sinn geben, und doch Jahrhunderte nur Sylben, Nationen nur Buchstaben, und vielleicht Jnterpunktionen sind, die an sich nichts, zum leichtern Sinne des Ganzen, aber so viel bedeuten! Was o einzelner Mensch mit deinen Neigungen, Faͤhigkeiten und Bey- trage bist du? — Und willt, daß sich an dir allseitig die Vollkommenheit erschoͤpfe? — Eben die Eingeschraͤnktheit meines Erdpunk- tes, die Blendung meiner Blicke, des Fehl- schlagen meiner Zwecke, das Raͤthsel meiner Neigungen und Begierden, das Unterliegen meiner Kraͤfte nur auf das Ganze eines Ta- ges, eines Jahrs, einer Nation, eines Jahr- hunderts — eben das ist mir Buͤrge, daß ich Nichts, das Ganze aber Alles sey! Was fuͤr ein Werk, zu dem so viele Schattengruppen von Nationen und Zeiten, Kolossenfiguren fast ohne Gesichtspunkt und Ansicht! so vie blinde Werkzeuge gehoͤren, die alle im Wahne des Freyen handeln und doch nicht wissen, was? oder wozu? die nichts uͤbersehen, und doch so eifrig mithandeln, als waͤre ihr Amei- senhaufe senhaufe das Weltall — was fuͤr ein Werk dieß Ganze! Bey der kleinsten Spanne, die wir davon uͤbersehen, so viel Ordnung und so viel Wirrung, Knote und Anlage zur Auf- loͤsung — beydes eben fuͤr die uͤberschwaͤngli- che Herrlichkeit im Allgemeinen, Sicherheit und Gewaͤhrleistung. Elend klein muͤßte es seyn, wenn ich, Fliege, es uͤbersehen koͤnnte! wie wenige Weisheit und Mannigfaltigkeit, wenn ein durch die Welt Taumelnder, der so viel Muͤhe hat, nur Einen Gedanken fest zu halten, nie eine Verwickelung faͤnde? — Jn einer Spanne, die nichts ist, und wo doch tausend Gedanken und Saamenkoͤrner zugleich stre- ben: in einem halben Zeitmaas der Tonkunst von zwey Schlaͤgen, wo sich aber eben vielleicht die schwersten Toͤne zur suͤssesten Aufloͤsung wickeln — wer bin ich, daß ich urtheile, da ich eben nur den grossen Saal queer durchge- he, und einen Seitenwinkel des grossen verdeck- ten Gemaͤldes im dunkelsten Schimmer beaͤu- ge? Was Sokrates zu den Schriften eines Menschen sagte, der eingeschraͤnkt wie er mit ihm in Einem Maaße der Kraͤfte schrieb — was soll ich zu dem grossen Buche Gottes sagen, das uͤber Welten und Zeiten gehet! Von Von dem ich kaum eine Letter bin, kaum drey Lettern um mich sehe. — — Unendlich klein fuͤr den Stolz, der Alles seyn, wissen, wuͤrken und bilden will! Unendlich groß fuͤr die Kleinmuth, die sich Nichts zu seyn getrauet — beyde nichts als einzelne Werkzeuge im Plane einer unermeßlichen Vor- sehung! Und wenn uns einst ein Standpunkt wuͤr- de, das Ganze nur unsres Geschlechts zu uͤber- sehen! wohin die Kette zwischen Voͤlkern und Erdstrichen, die sich erst so langsam zog, denn mit so vielem Geklirr Nationen durchschlang und endlich mit sanfterm aber strengerm Zu- sammenziehen diese Nationen binden und wo- hin? leiten sollte — wohin die Kette reicht? wir sehen die reife Ernte der Saamenkoͤrner, die wir aus einem blinden Siebe unter die Voͤlker verstreut, so sonderbar keimen, so verschie- denartig bluͤhen, so zweydeutige Hoffnungen der Frucht geben sahen — wir habens selbst zu kosten, was der Sauerteig, der so lang, so truͤb und unschmackhaft gaͤhrte, endlich fuͤr Wohlgeschmack hervorbrachte zur allgemei- nen nen Bildung der Menschheit — Fragment des Lebens, was warest du? — — quanta sub nocte iacebat Nostra dies! wohl aber, wen sein Lebensfragment auch alsdann nicht gereuet! Βλεπομεν γαρ αρτι δἰ εσοπτρου εν αινιγματι, τοτ δε προσωπον προς προσωπον αρτι γινωσκω εκ μερους, το- τε δε επιγνωσομαι, καϑως και επιγνωϑην. Νονι δε μενει πιςις, ελπις, αγαπη, τα τρια ταυτα, μειξων δ τουτων η αγαπη. Druckfehler. S. 8. Z. 1. diesen heroischen Anfaͤngen. S. 25. Z. 7. Kantonskriege.